Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/1: Briefe 1875-1886 3161541537, 9783161541537

Die Briefe 1875-1886 umfassen Max Webers Lebensphase vom elfjährigen Sch|ler bis zum Studienabschluss des Einundzwanzigj

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German Pages 759 [792] Year 2017

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1875–1886
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Briefe Juli 1875 – März 1886
Anhang
I. Schüler-Aufsätze 1877 und 1879
II. Von Max Weber besuchte Lehrveranstaltungen 1882–1886
Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Verwandtschaftstafeln
Register der Briefempfänger
Personenregister
Ortsregister
Seitenkonkordanzen
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe
Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden
Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften
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Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/1: Briefe 1875-1886
 3161541537, 9783161541537

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius †, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann †

Abteilung II: Briefe Band 1

J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Briefe 1875 – 1886

Herausgegeben von

Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit

Thomas Gerhards und Uta Hinz

J. C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Ursula Bube – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern und den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gefördert.

ISBN 978-3-16-154153-7 Leinen / eISBN 978-3-16-157752-9 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-154155-1 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werk druck papier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1875–1886 . . . . . . . . . .

XI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Briefe Juli 1875 – März 1886 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

599

I. Schüler-Aufsätze 1877 und 1879 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

601

1. Der Hergang der deutschen Geschichte im Allgemeinen namentlich in Rücksicht auf die Stellung von Kaiser und Pabst. Aufsatz. Weihnachten 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betrachtungen über Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen. Skizze zu seinem Aufsatz. Weihnachten 1879 . . . . . . . . . . . . . .

602

620

II. Von Max Weber besuchte Lehrveranstaltungen 1882–1886

637

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

641

Verwandtschaftstafeln der Familien Fallenstein und Weber . .

715

Register der Briefempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

719

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

721

Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

735

Seitenkonkordanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

742

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

749

Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . .

756

Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

759

Vorwort

Dieser erste Band der Briefe Max Webers umfaßt die Jahre 1875 bis 1886. Es sind die Jahre seiner Schulzeit am humanistischen Gymnasium in Charlottenburg nahe Berlin, seines rechtswissenschaftlichen Studiums an den Universitäten Heidelberg, Straßburg, Berlin und Göttingen sowie seiner Militärzeit in Straßburg als Einjährig-Freiwilliger und Anwärter zum Reserveoffizier. Die Briefe vermitteln eindrucksvoll den Bildungsweg des jungen Max Weber im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich. Sie zeigen die engvertraute Beziehung zu Eltern, Geschwistern und nahen Verwandten. Sie geben Einblick in die alltäglichen Erfahrungen, in den Lesehunger und ganz generell in die Prägung seiner Persönlichkeit. Sie enthalten aufschlußreiche Selbstcharakterisierungen und Urteile zu seinem verwandtschaftlichen Umfeld wie zu politischen Entwicklungen der Bismarckära, in die der Vater Max Weber sen. als liberaler Politiker, aber auch die sozialkaritativ engagierte Mutter Helene Weber, unmittelbar eingebunden waren. Die anschaulichen, oft tagebuchähnlichen Berichte seiner militärischen Ausbildung können als einzigartiges Erfahrungsdokument zum preußischen Heerwesen gelten. Ebenfalls zahlreich sind die brieflichen Schilderungen seiner Studienzeit. Sie setzen uns in Kenntnis über sein breites intellektuelles Interesse jenseits des juristischen Pflichtstudiums wie über seine rege Teilnahme an burschenschaftlicher Geselligkeit. Insgesamt zeugen die Briefe dieser Lebensphase vom elfjährigen Schüler bis zum Studienabschluß des Einundzwanzigjährigen von der schriftlichen Kommunikationskultur im gebildeten Bürgertum, wie sie auch die Familie Max Webers sorgsam pflegte. Unter dem Titel „Jugendbriefe“ legte Marianne Weber 1936 eine Auswahl der Briefe Max Webers für den Zeitraum von August 1876 bis September 1893 vor, jedoch teilweise nur in Auszügen und nicht immer in genauer Textwiedergabe. Diese Ausgabe wird durch die MWG-Bände II/1 und II/2 nun ersetzt. Die Editionsarbeit zum hier vorliegenden Band erfolgte in der Arbeitsstelle der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Thomas Gerhards und Uta Hinz und an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Eine sorgfältige Transkription nahezu aller überlieferten Briefe als Editionsgrundlage für diesen Band verdanken wir Manfred Schön, der uns darüber hinaus einmal mehr mit seinem profunden Wissen freundschaftlich unterstützt hat. Die beiden kleinen historischen Aufsätze, die wir im Anhang als Belege für Webers mehrfach genannte Schülerarbeiten präsentieren, hat Cornelia Meyer-Stoll von der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte transkribiert, zum Abdruck aufbereitet und eingeführt. Für diese akribische Arbeit gebührt ihr unser herzlicher Dank.

VIII

Vorwort

Bei der Arbeit an diesem Band haben wir Mithilfe und Unterstützung von zahlreichen Personen und Institutionen erfahren. An erster Stelle zu nennen sind Thomas Schoeppe als Erbe des Nachlasses von Eduard Baumgarten und Nino Nodia zu den Nachlaßbeständen in der Bayerischen Staatsbibliothek München, ferner die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin zum dortigen Nachlaß Max Webers. Besonderer Dank gilt Wolf-Diedrich Reinbach für seine wichtigen Hinweise zu Webers Heidelberger Burschenschaft Allemannia und zum studentischen Verbindungswesen; in Einzelfragen berieten uns Rainer Bölling, Thorsten Pomian, Claudia Sandig und Rainer Theobald. Zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen haben unsere Arbeit unterstützt. Dazu gehören das Archiv der Evangelischen Luisen-Kirchengemeinde Berlin/Charlottenburg, die Archives départementales du Bas-Rhin, Strasbourg, die Deutsch-Baltische Genealogische Gesellschaft e.V. Darmstadt, das Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, das Landesarchiv Berlin, die Stadtarchive Braunschweig, Erfurt, Heidelberg, Mannheim, Salzgitter, Schwerin, Wiesbaden, Wuppertal; die Universitätsarchive Bonn, Göttingen, Heidelberg, Karlsruhe, Marburg; das Generallandesarchiv Karlsruhe, das Niedersächsische Landesarchiv Wolfenbüttel und das Staatsarchiv Hamburg. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften förderte im Rahmen der Forschungsförderung der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften auch die Arbeiten an diesem Band. Federführend war hier die Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte unter Vorsitz von Knut Borchardt und ab 2013 von Friedrich Wilhelm Graf. Mit welcher Übersicht und Verläßlichkeit Edith Hanke, die Generalredaktorin der MWG in München, einmal mehr die Manuskriptvorlagen in den jeweiligen Durchgängen redigierte, ist bewundernswert. Auch für ihre vielfachen inhaltlichen Hinweise sei ihr aufs herzlichste gedankt. Viel geholfen haben uns wieder einmal die Familienforschungen von Guenther Roth. Wolfgang Schluchter prüfte die Druckvorlagen und machte nützliche Vorschläge. Mit Rita Aldenhoff-Hübinger stand ich in intensivem Austausch zu allen Aspekten dieser Edition. Unser Dank gilt darüber hinaus Marcel Küsters, Ulrich Rummel und Henning Steinhöfel in Düsseldorf sowie Sophie Schwarzmaier in Frankfurt (Oder) für ihre Recherchen, ferner erneut Ingrid Pichler für die Erstellung der Register. Mit diesem Band ist die auf zehn Bände geplante Edition der Briefe Max Webers im Rahmen der Max Weber-Gesamtausgabe abgeschlossen. In Ergänzung folgt noch ein Band „Nachträge und Gesamtregister“ als MWG II/11. Dieser zusätzliche Band wird neben den neu aufgefundenen Briefen zu den bereits veröffentlichten Bänden ein Personen-, Sach- und Ortsregister enthalten, ferner ein „Register aller Empfänger“ der insgesamt über 3500 Briefe.

Vorwort

IX

Als erster der zehn bis zu Webers Todesjahr 1920 konzipierten Briefbände war 1990 Band II/5 mit den Briefen 1906–1908 erschienen. Er wurde seinerzeit mit dem Premio Europeo Amalfi per la Sociologia e le Scienze Sociali ausgezeichnet. Es folgten in chronologischer Reihenfolge die Bände bis zu Webers Todesjahr 1920, erst hernach die Briefe aus seinen frühen Lebensund Arbeitsphasen. Die MWG-Herausgeber hatten sich für dieses Vorgehen entschieden, um die laufende Arbeit an den wissenschaftlichen und politischen Schriften Webers auf bestmögliche Weise durch die flankierende Edition der Briefe stützen zu können. M. Rainer Lepsius (1928–2014) und Wolfgang J. Mommsen (1930–2004) haben als MWG-Herausgeber insbesondere die „Abteilung II: Briefe“ aufgebaut und sich bis zu ihrem Tod mit größter Energie der Herausgabe der jeweiligen Bände gewidmet. Das hat einen erheblichen Teil ihrer intellektuellen Arbeitskraft in Anspruch genommen. Als letzter gemeinsamer Band erschienen 2003 die Briefe 1913 –1914 (MWG II/8). Der Abschluß der von ihnen konzipierten zehnbändigen Briefausgabe gibt Anlaß, der beiden Gründungsmitglieder der MWG in großer Dankbarkeit zu gedenken. Frankfurt (Oder) im März 2017

Gangolf Hübinger

Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1875–1886 Datum

Ort

Empfänger

Seite

Charlottenburg Charlottenburg

Helene Weber Helene Weber

29 32

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg o. O. Charlottenburg

Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Emilie Fallenstein

34 36 38 39 40 41 43 45

Hexentanzplatz (Harz) Brocken Pyrmont Horn (Lippe)

Helene Weber

48

Helene Weber Helene Weber Helene Weber

50 53 55

1875 8. Juli 1875 23. September 1875

1876 1. Januar 1876 1. August 1876 9. August 1876 13. August 1876 14. August 1876 15. August 1876 21. August 1876 20. September 1876

1877 17. Juli 1877 20. Juli 1877 24. Juli 1877 25. Juli 1877

1878 16. April 1878 23. und 24. April 1878 29. Juni 1878 30. Juni 1878 1., 2. und 3. Juli 1878 9. Juli 1878 13. Juli 1878 26. Juli 1878 28. Juli 1878 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878 27. August 1878 29. August 1878

Charlottenburg Fritz Baumgarten Charlottenburg Fritz Baumgarten Kaiser-Wilhelmsburg Helene Weber Schwarzburg Helene Weber Helene Weber Paulinzella und Ilmenau Wartburg Helene Weber Heidelberg Fritz Baumgarten Mainz Helene Weber Charlottenburg Helene Weber Charlottenburg Helene Weber und Max Weber sen. Charlottenburg Fritz Baumgarten Charlottenburg Helene Weber

57 62 68 70 72 78 83 87 89 94 98 101

XII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

28., 29., 30. und 31. August 1878 3. September 1878 4. September 1878 5. September 1878 9. September 1878 9. und 11. September 1878 22. September 1878 25. Oktober 1878 7. und 8. Dezember 1878 27. Dezember 1878 29. und 30. Dezember 1878

Charlottenburg

Helene Weber

102

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Fritz Baumgarten

106 110 111 113 116

o. O. Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Emilie Fallenstein Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten Emilie Fallenstein

124 126 129 139 143

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Erfurt Wilhelmshöhe bei Kassel Bad Bertrich Bernkastel Heidelberg Charlottenburg

Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten Emilie Fallenstein Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Helene Weber

147 152 157 160 162 165 167 169 171 173 177

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Berlin Charlottenburg Charlottenburg Hamburg Hamburg Charlottenburg o. O.

Helene Weber Helene Weber Fritz Baumgarten Max Weber sen. und Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Fritz Baumgarten Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Fritz Baumgarten Fritz Baumgarten

179 181 182 185 189 190 192 194 196 198 200 203

Charlottenburg

Fritz Baumgarten

204

1879 19. Januar 1879 4. Februar 1879 2. April 1879 5. Juni 1879 22. Juni 1879 14. Juli 1879 15. Juli 1879 21. Juli 1879 22. Juli 1879 29. Juli 1879 1. August 1879 2. August 1879 6. August 1879 9. August 1879 10. August 1879 13. August 1879 19. August 1879 22. August 1879 25. August 1879 4. Oktober 1879 5. Oktober 1879 11. Oktober 1879 zwischen 1. und 13. November 1879 19. Dezember 1879

Chronologisches Verzeichnis der Briefe Datum

XIII

Ort

Empfänger

Seite

Glatz Breslau Breslau Breslau Trautenau Schneekoppe Hirschberg i. S. Prag Prag Karlstein Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen.

209 211 213 215 217 219 225 226 228 230 232 234 236

Charlottenburg Charlottenburg

Max Weber sen. Max Weber sen.

240 242

23. April 1882

Heidelberg

245

24. April 1882 27. April 1882 2. und 3. Mai 1882 9. Mai 1882 16. Mai 1882 22. und 23. Mai 1882 14. und 15. Juni 1882 22. und 23. Juni 1882 4. Juli 1882 8. Juli 1882 4. November 1882 13. November 1882 15. Dezember 1882 19. Dezember 1882

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

Max Weber sen. und Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Hermann Baumgarten

247 253 255 263 267 273 278 286 290 293 295 300 305 310

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Heidelberg

Helene Weber Max Weber sen. Max Weber sen. Helene Weber

315 322 326 333

1880 14. Juli 1880 16. Juli 1880 17. Juli 1880 19. Juli 1880 20. Juli 1880 21. und 22. Juli 1880 23. Juli 1880 25. Juli 1880 25. Juli 1880 26. Juli 1880 3. September 1880 19. September 1880 8. Oktober 1880

1881 16. August 1881 22. August 1881

1882

1883 14. und 18. Januar 1883 12. und 13. Februar 1883 24. und 25. Februar 1883 7. März 1883

XIV

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

10. März 1883 11. März 1883 4. und 5. Mai 1883 10. Mai 1883

Heidelberg Heidelberg Heidelberg Schwetzingen

338 339 340 345

26. Mai 1883 30. Mai 1883 3. September 1883 9. und 10. September 1883 25. September 1883 27. September 1883 21. und 23. Oktober 1883 21. Dezember 1883

Heidelberg Neckargemünd Charlottenburg Charlottenburg Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg

Max Weber sen. Max Weber sen. Max Weber sen. Helene Weber oder Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Max Weber sen.

346 350 351 355 358 360 361 369

Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg

Max Weber sen. Helene Weber Helene Weber Max Weber sen.

376 383 388 395

Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg Straßburg Euchenberg Straßburg

Alfred Weber Helene Weber Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber Alfred Weber Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Max Weber sen.

405 408 411 421 429 438 441 445 449 450

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Fritz Baumgarten Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten

455 459 468 478

Heidelberg

Helene Weber oder Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Helene Weber

482

1884 5. und 6. Januar 1884 19. Januar 1884 6. und 9. Februar 1884 23. und 28. Februar, 1. März 1884 25. März 1884 6. April 1884 2. und 7. Mai 1884 30. Mai und 3. Juni 1884 8., 18. und 19. Juli 1884 8. August 1884 9. und 13. August 1884 2. September 1884 16. September 1884 29. und 30. September 1884 6. Oktober 1884 14. Oktober 1884 8. und 10. November 1884 27. November 1884

1885 vor dem 1. März 1885 4. März 1885 15. und 16. März 1885 29., 30. März und 1. April 1885

Straßburg Straßburg Straßburg

483 485 496

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XV

Datum

Ort

Empfänger

Seite

4. April 1885 20., 22. und 23. April 1885 28. April 1885 14. Juli 1885 14. und 16. Juli 1885 16. Juli 1885 24. Juli 1885 30. Juli 1885 4. August 1885 28. Oktober 1885 1. November 1885 3. und 5. Dezember 1885 6. Dezember 1885 13. Dezember 1885 17. Dezember 1885

Straßburg Straßburg Emmendingen Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen

Max Weber sen. Helene Weber Max Weber sen. Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten Helene Weber Lili Weber Alfred Weber Helene Weber Helene Weber Max Weber sen. Emmy Baumgarten Helene Weber Alfred Weber Max Weber sen.

505 506 514 515 519 534 540 542 545 548 550 557 564 570 574

Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen

Helene Weber Helene Weber Helene Weber Alfred Weber Helene Weber

576 579 584 590 595

1886 12. Januar 1886 24. und 25. Januar 1886 17. Februar 1886 7. März 1886 30. März 1886

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

|: :| > 〈 〉 [ ]

[??] / 1) 2) 3)

, , , , O A a b c , , a a b b … , … → & §, §§ ° 1 2 3

Ab.Ausg. Abn. Abt., Abth. a. d. a. D. ADB ADC a /Haardt Allg., allg. a. M. a /Mosel Anm. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1882, WS 1882/83, SS 1883 a. o. apl. Art. a. S. Aufl. Aug.

Einschub Max Webers Textersetzung Max Webers Von Max Weber gestrichene Textstelle Im edierten Text: Hinzufügung des Editors Im Briefkopf: erschlossenes Datum oder erschlossener Ort Im textkritischen Apparat: unsichere oder alternative Lesung im Bereich der von Max Weber getilgten oder geänderten Textstelle Ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar im Anmerkungsapparat bei Zitaten: Zeilenwechsel bzw. Absatzmarkierung Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei Sachanmerkungen des Editors Original der edierten Textvorlage Sigle für Textfassung Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen siehe und, and Paragraph(en) Grad Abendausgabe Abend Abteilung an der außer Dienst Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeiner Deputierten-Convent an der Haardt allgemeine(r/s) am Main an der Mosel Anmerkung Anzeige der Vorlesungen, welche im Sommer-Halbjahr 1882 auf der Grossherzoglich Badischen Ruprecht-Carolinischen Universität zu Heidelberg gehalten werden sollen. – Heidelberg: Buchhandlung von Karl Groos 1882; dass. 1883. außerordentlicher außerplanmäßig Artikel an der Saale Auflage August

XVIII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

b. BAdW Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland17, 1876 Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878 Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883 Baedeker, Die Rheinlande19, 1876

bei Bayerische Akademie der Wissenschaften Baedeker, Karl, Mittel- und Nord-Deutschland. Handbuch für Reisende, 17. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1876. Baedeker, Karl, Mittel- und Nord-Deutschland. Handbuch für Reisende, 18. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1878.

Bearb., bearb. begr. bes. betr. bezw. bez. BGB BK Bl. BSB bz. bzw.

Baedeker, Karl, Mittel- und Norddeutschland, westlich bis zum Rhein. Handbuch für Reisende, 20. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1883. Baedeker, Karl, Die Rheinlande von der Schweizer bis zur Holländischen Grenze. Handbuch für Reisende, 19. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1876. Bearbeiter, bearbeitet begründet besonders betreffs, betreffende(r/n) beziehungsweise bezüglich Bürgerliches Gesetzbuch Briefkopf Blatt, Blätter Bayerische Staatsbibliothek bezüglich beziehungsweise

ca., ca cand. cand. prob. cf. Ch., Charlottenbg. Cie, Cie Cl. cm, cm. Co, Co., Comp. Cte Clem. Ctr.

circa candidatus candidatus probandus confer (vergleiche) Charlottenburg Compagnie, Companie Classe Zentimeter Compagnie, Companie Comte Clementinae Centner

d. Ä. d, d. D. dass. Dec. Ders., ders. dergl., dergl. m. Dez. d. h. d. i. Di

der Ältere der, den, dem Dein dasselbe December derselbe dergleichen (mehr) Dezember das heißt das ist Dienstag

Siglen, Zeichen, Abkürzungen dies. diesbez. Dir. d. J. d. M. Do Dr. Dr. h. c. Dr. jur. Dr. jur. utr. Dr. med. Dr. oec. publ. Dr. phil. Dr. phil. nat. Dr. rer. pol. Dr. theol. D. S., d. S. D. theol. dt. Dt.-frz. durchgearb.

dieselbe diesbezüglich Direktor der Jüngere des Monats Donnerstag Doktor doctor honoris causae doctor iuris doctor iuris utriusque doctor medicinae doctor oeconomiae publicae doctor philosophiae doctor philosophiae naturalis doctor rerum politicarum doctor theologiae Dein Sohn doctor theologiae (ehrenhalber) deutsch deutsch-französische durchgearbeitete

ebd. engl. E. S. etc. ev. excl.

ebenda englisch Euer Sohn et cetera eventuell(er) exklusive (ausgenommen)

f. Feb., Febr. ff. fl. Fn. Fr frc. freundl. Frhr. Frl. Frz., frz.

folgend, folgende Februar fortfolgend (österreichische) Gulden bzw. Reichsgulden Fußnote Freitag Francs freundliche(n) Freiherr Fräulein französisch

g. Ab. gänzl. geb. Geh. Rat gg. GLA Griech. GStA

gegen Abend gänzlich geboren(e) Geheimer Rat gegen Generallandesarchiv griechisch Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

h, h

hora (Stunde)

XIX

XX

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

HA herzl., herzlich. Hg., hg. hist. Hn., Hrn, Hrn. hrzl.

Hauptabteilung herzliche(r/m/n) Herausgeber, herausgegeben historisch Herrn herzliche(m)

i. A. i. Allg. i. Bes. i. Br. i/E, i/E. incl. insbes. i. S. Ital.

im Auftrag im Allgemeinen im Besonderen im Breisgau Im Elsaß inclusive insbesondere in Schlesien italienisch

Jahrh. Jan. Jg. Jh. Jl. Joh jun.

Jahrhundert Januar Jahrgang Jahrhundert Juli Johannes(evangelium) junior

Kaiserin-AugustaGymnasium, JahresBericht VIII.1877–XIII. 1882 kath. Kgl., kgl. k. k. kl. Kl.

Kaiserin-Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg, VIII. JahresBericht […], Dr. F. Schultz Director. – Charlottenburg: Druck von Götsch & Mann 1877; IX.1878; X.1879; XI.[1880]; XII. 1881; XIII.1882 katholische(r/s) königlich(er) kaiserlich königlich kleine(r/s) Klasse

Lat., lat. Leg. Per. Lic. Lic. theol. L. M.

lateinisch Legislaturperiode licentiatus licentiatus theologicae Liebe Mutter

M M., Mk, Mk. MA MdprAH MdprHH MdR Mi Min., min Mo Mo.Ausg.

Max Mark Massachusetts Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des Reichstags Mittwoch Minuten Montag Morgenausgabe

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

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Mr., Mr Mrs. Mt M. W. MWA MWG

Monsieur Misses Matthäus(evangelium) Max Weber Max Weber-Arbeitsstelle Max Weber-Gesamtausgabe; vgl. die Übersicht zu den Einzelbänden, unten, S. 749 f., 756–759

Nachm. NB, NB. n. Chr. Neulat. Nl. N. N. No Nov. Nr, Nr., Nr, Nro

Nachmittag Notabene nach Christus neulateinisch Nachlaß nomen nominandum ([noch] zu nennender Name) Numero November Nummer, Numero

o. o. Oct. o. J. Okt. OLG o. O. Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879 o. V.

oder ordentlicher October ohne Jahr Oktober Oberlandesgericht ohne Ort Österreich-Ungarn nebst angrenzenden Theilen der unteren Donauländer, von Bayern und Ober-Italien (Meyers Reisebücher), 2. umgearb. Aufl. – Leipzig: Bibliographisches Institut 1879. ohne Verlag

p. Adr. p. Chr. Pf, Pf. postscr. pp. Prof., Proff. Pr. Fuß P. S. Ps. PSt

per Adresse post Christum (natum) Pfennig postscriptum perge, perge (fahre fort, und so weiter) Professor, Professoren Preußisch Fuß Postskriptum Pseudonym Poststempel

r R, Ré Ref. Regt Reinbach, Weber und Allemannia

recto (bei Blattzählung die Vorderseite) Réaumur Referendar Regiment Reinbach, Wolf-Diedrich, Max Weber und die Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg, 4. Aufl. – Heidelberg: Manuskript masch. 2014. Repertorium respektive

Rep. resp.

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Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Res. rl röm. röm.-dt. Roth, Familiengeschichte

Rt

Reserve (preußische) Reichstaler römische(r) römisch-deutscher Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950. Mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001. Regiment

s. S. S. Sa sen. Sept, Sept. Sn. s. o. sog., sogen. SS St., Std. St., Ste. Str. Str. stud. jur. südl.

siehe Seite Sankt Samstag Senior September Seinen siehe oben sogenannte(r) Sommersemester Stunde(n) Sankt, Saint, Sainte Straßburg Straße studiosus iurisdictionis südliche(r)

TH Tl.

Technische Hochschule Transliteration

u. u. a., u. A., U. A. UA undat. USA u.s.w., usw. u.v. a.

und unter anderem, unter Anderem, und andere, und Andere Universitätsarchiv undatiert United States of America und so weiter und viele andere

v v. v. VA v. a. v. Chr. v. d. verh. verschied. verw., verww. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, WS 1884/85, SS 1885, WS 1885/86

verso (bei Blattzählung die Rückseite) von verso, Vers Verlagsarchiv vor allem vor Christus von der, vor dem verheiratete verschiedenen verwitwete Verzeichniß der Vorlesungen, welche auf der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Winter-Semester vom 16. October 1884 bis 15. März 1885 gehalten werden. – Berlin: Buchdruckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften (G. Vogt) 1884; 1885.

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86 Verzeichniß der Vorlesungen Straßburg, WS 1883/84, SS 1884

Vgl., vgl. VM, VM., V.M. Vol., vol., vols. Vorm. Weber, Jugendbriefe

XXIII

Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen während des Winterhalbjahrs 1885/86. – Göttingen: Dieterichsche Verlags-Buchhandlung 1885. Verzeichniß der Vorlesungen welche an der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg im Wintersemester 1883/84 vom 15. October bis zum 22. März 1884 gehalten werden. – Straßburg: Universitäts-Buchdruckerei von Johann Heinrich Eduard Heitz 1883; 1884. vergleiche Vormittag volume(s) Vormittag

Weber, Marianne, Lebensbild3 WS Wwe

Weber, Max, Jugendbriefe, hg. von Marianne Weber. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) o. J. [1936]. Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984. Wintersemester Witwe

z. z. B. Zit., zit. z. Z., z. Zeit

zum zum Beispiel zitiert zur Zeit

Max Weber als Student in Heidelberg 1882/83 Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Geiges

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1. Familie und nahe Verwandte, S. 2. – 2. Schule und Bildungswissen, S. 10. – 3. Studium und Burschenschaft, S. 13. – 4. Militärausbildung und Reserveoffizier, S. 17. – 5. Briefe als bürgerliche Kommunikationsform, S. 21. – 6. Zur Überlieferung und Edition, S. 22.

In diesem Band werden die überlieferten Briefe Max Webers aus Schulzeit, Studium und Militärdienst ediert. Der Band umfaßt die Zeit von 1875, in der eine kontinuierliche Korrespondenz einsetzte, bis zum Jahr 1886, in dem Weber sein juristisches Studium abschloß. Webers Briefe in diesem Zeitraum sind ausschließlich an Mitglieder der Familie und der nahen Verwandtschaft adressiert.1 Insgesamt kommen 149 Briefe zum Abdruck, davon 47 an den Vater Max Weber (sen.), 64 an die Mutter Helene Weber, 5 Briefe sind an beide gerichtet. Überliefert sind ferner 4 Briefe an Großmutter Emilie Fallenstein, 5 Briefe an den vier Jahre jüngeren Bruder Alfred und ein Geburtstagsbrief an die Schwester Lili. Vom intensiven Austausch mit dem Cousin Fritz Baumgarten zeugen 16 Briefe, an dessen Vater Hermann Baumgarten, den Ehemann von Helene Webers Schwester Ida, sind 5 Briefe, an deren Tochter und Max Webers Cousine Emmy Baumgarten 2 Briefe vorhanden. Die in diesem Band versammelten Briefe dokumentieren eindrucksvoll die soziale und kulturelle Prägung in den Mustern einer großbürgerlichen Lebensführung und eines humanistischen Bildungsweges. 76 Briefe sind es bis zu Webers Abitur im März 1882, und noch einmal 73 Briefe bis zu seinem Studienabschluß im März 1886, die zeigen, wie eine wohlhabende Familie die Weichen stellte für fundierte Schulbildung, klassische universitäre Ausbildung, die Privilegien eines einjährig-freiwilligen Militärdienstes und damit für die Eröffnung einer beruflichen Karriere. Vor allem zeigen sie, wie der junge Max diese Chancen aufgriff und wie sich seine Persönlichkeit in den einzelnen Phasen dieser bildungsbürgerlichen Sozialisation formte.

1 Zum familiären Netzwerk vgl. die Verwandtschaftstafeln, unten, S. 715–718. Die Prägekraft verwandtschaftlicher Beziehungen für bürgerliche Lebenswege ist ausführlich und eindringlich dargestellt bei Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950. Mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001 (hinfort: Roth, Familiengeschichte).

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1. Familie und nahe Verwandte Die Eltern zählten zur bürgerlichen Oberschicht, die in der rasant expandierenden Reichshauptstadt Berlin bereits 1872 dem „Zug nach Westen“ folgte und sich mit Vorliebe im angrenzenden Charlottenburg niederließ. Nach dem Wechsel von Erfurt nach Berlin hatte die Familie für gut drei Jahre zur Miete am Tempelhofer Ufer 31 gewohnt, bevor Max Weber senior das Haus in der Charlottenburger Leibnizstraße Nr. 19 erwarb.2 Daraus wurde die den familiären Briefkopf zierende „Villa Helene“, die Helene Weber nach dem Tod ihres Mannes 1897 noch bis 1902 bewohnte, bevor sie ein kleineres Haus in der benachbarten Marchstraße 7F bezog.3 Die Einwohnerzahl in Berlin stieg im Zeitraum von 1871 bis 1885 von 826.937 auf 1.315.287 an, die in Charlottenburg im gleichen Zeitraum von 19.518 auf 42.371.4 Schon an diesem enormen Bevölkerungswachstum läßt sich der Prozeß der beschleunigten Urbanisierung der Metropole und ihrer bedeutendsten Nachbarstadt ablesen, mit allen Umbrüchen im Aufbau einer modernen städtischen Infrastruktur ebenso wie in der Bewältigung der „sozialen Frage“. Hinzu kommt die repräsentative Gestaltung Berlins zur Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches mit ihrer politischen Symbolsprache zur preußischen Geschichte und zur Bedeutung der Hohenzollerndynastie für die geeinte Nation. Beide Elternteile waren aktiv und engagiert in die vielschichtigen Wandlungsprozesse eingebunden, und in den Briefen des jungen Max schlagen sich diese Erfahrungen vielfach nieder. Die frühen Briefe an den Vater zeugen von einem eng vertrauten Verhältnis, durchweg herzlich, jedoch begleitet von einem steten Druck der Selbstrechtfertigung, sei es zu schulischen Leistungen, sei es zur finanziellen Unterstützung während seiner Studenten- und Militärzeit. Im August 1876 berichtete der zwölfjährige Untertertianer, daß er zu Beginn des neuen Schuljahres „sowohl im Latein, als auch im Griechischen das beste Extemporale geschrieben habe“ und teilt anschließend mit, in den nächsten Tagen „Oberbürgermeister Hobrechts“ einen Besuch abzustatten.5 Über die Welt des Vaters entwickelte Max junior seine ersten politischen Anschauungen. Auf allen drei Ebenen, der Kommunalpolitik, der preußischen Landespolitik wie im Reichstag, war der Nationalliberale Max Weber politisch aktiv und eine bekannte

2 In zeitgenössischen Adreßbüchern und auf Stadtplänen auch „Leibnitzstraße“. 3 Zu den Wohnsitzen der Familie vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 505–508. 4 Die Zahlen in: Preussens Städte. Denkschrift zum 100jährigen Jubiläum der Städteordnung vom 19. November 1808, hg. im Auftrage des Vorstandes des Preussischen Städtetages von Heinrich Silbergleit. – Berlin: Carl Heymanns 1908, Teil C, Tabellen, S. 4. 5 Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 15. Aug. 1876, unten, S. 42.

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Größe des Berliner „Tiergartenfreisinns“,6 zu dem auch Berlins Oberbürgermeister Arthur Hobrecht gehörte. Die politische Laufbahn von Max Weber senior fiel in die Zeit des Übergangs von der Honoratiorenpolitik zur professionellen Berufspolitik. Bereits in Erfurt war der promovierte Jurist als fest besoldeter Stadtrat tätig und wurde von dort 1869 für zwölf Jahre nach Berlin „in eine der größten Kommunalverwaltungen der Welt“7 berufen. Nach seiner Wiederwahl für noch einmal zwölf Jahre bekleidete er dieses Stadtratsamt bis 1893 und wirkte entscheidend am Ausbau einer modernen Infrastruktur für Berlin mit, die in der Amtsperiode von Hobrechts Nachfolger Max von Forckenbeck (1878–1892) in einem resoluten „Stadtinterventionismus“ vorangetrieben wurde.8 Als Stadtrat für das Bauwesen mit einem besonderen Verantwortungsbereich für die Tiefbauabteilung war Weber sen. an der Umsetzung des sogenannten „Hobrechtplanes“ beteiligt, der nach Pariser Vorbild durch große Ausfallstraßen eine moderne Stadtplanung ermöglichen sollte, in dessen Folge sich allerdings auch die bedrückenden Mietskasernen immer weiter ausbreiteten. James Hobrecht, Urheber dieses Plans und ebenfalls 1869 in die Berliner Stadtverwaltung eingetreten, war der jüngere Bruder von Arthur Hobrecht, der als liberaler Parteifreund und Berliner Oberbürgermeister von 1872–1878 zu den vertrauten Gästen im Hause Weber zählte. In den Aufgabenbereich des Stadtrats Weber fielen zudem das städtische Beleuchtungswesen mit der ersten elektrischen Straßenbeleuchtung im Jahr 1882 oder Funktionen in der Armendirektion, der Stadthauptkasse und der Finanzierung von Gymnasien.9 Als führendes Mitglied der Nationalliberalen Partei gehörte Weber sen. 1868 bis 1882 und 1884 bis 1897 dem Preußischen Abgeordnetenhaus und 1872 bis 1877 wie 1879 bis 1884 dem Deutschen Reichstag an. Als Experte für Finanzfragen wurde er sowohl in die Reichsschuldenkommission als auch in die preußische Schuldenkommission gewählt. In den Briefen des jungen Max findet sich recht wenig über die rapide steigenden Verwaltungsaufgaben der Metropole Berlin und die kommunalpolitische Arbeit des Vaters. Umso stärker ist sein jugendliches Interesse auf die nationale Politik gerichtet, auf Glanz und Problematik Bismarcks als Reichskanzler, auf die Erosionen und Spal6 „Tiergartenfreisinn“ als Ausdruck für den großbürgerlichen Berliner Liberalismus der Reichsgründungsära bei Schulze-Gaevernitz, Gerhart von, Max Weber als Nationalökonom und Politiker, in: Palyi, Melchior (Hg.), Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Band I. – München und Leipzig: Duncker & Humblot 1923, S. XI–XXII, Zitat: S. XVIII. 7 Roth, Familiengeschichte, S. 388. 8 Lehnert, Detlef, Kommunalfreisinn, Ringstraßen-Liberalismus und Progressives. Berlin, Wien und London vor dem Ersten Weltkrieg, in: ders. (Hg.), Kommunaler Liberalismus in Europa. Großstadtprofile um 1900. – Köln, Weimar, Berlin: Böhlau 2014, S. 100. 9 Roth, Familiengeschichte, S. 390 mit Anm. 40.

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tungen im Liberalismus nach Bismarcks konservativer Wende im Jahr 1879, auf das nationale Selbstbewußtsein des geeinten Reiches. Mit dem Onkel Hermann Baumgarten, einem liberalen Mitgestalter und Interpreten der Reichsgründungsära, seit 1872 Geschichtsprofessor an der neu gegründeten Reichsuniversität, 1877 umbenannt in Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, fand er einen dauerhaften Briefpartner, dem er in langen Ausführungen und detailreich die politischen Begebenheiten in der Reichshauptstadt berichtete. In den Briefen an Hermann Baumgarten übte Max das politische Urteilen ein, kritisch in der Sache und scharf in der Formulierung: „Der Grundfehler ist doch wohl dies Danaergeschenk des bismarck’schen Cäsarismus, das allgemeine Stimmrecht, der reinste Mord für die Gleichberechtigung Aller im wahren Sinne des Worts.“10 Und durch diese Briefe an den politischen Mentor Hermann Baumgarten wissen wir Genaueres über den Ort von Max Weber sen. in der deutschen Politik, der sich 1879 weder der linken Abspaltung von den Nationalliberalen zum Deutschfreisinn anschließen, noch hernach die „weitere Rechtsschwenkung der Nationalliberalen“11 teilen wollte, und dadurch zwischen alle Stühle des sich spaltenden Liberalismus geriet. Über die Familie erhielt Max unmittelbare Einblicke in die Eigendynamik eines modernen Parteiwesens unter noch vorparlamentarischen Bedingungen: „Wir haben nun schon eine Parteigliederung nach Confessionen, nach Bevölkerungsschichten und Interessengruppen, und wenn wir nun noch eine solche nach Provinzen und Territorien bekommen sollten, so scheint dies doch in der That recht bedenklich. Mein Vater ist dann sehr gereizt gegen den vorgeschritteneren Liberalismus in Folge dessen Stellung zum Centrum und den taktischen Fehlern, die er nach seiner Ansicht macht, aber ich persönlich habe manchmal die unbestimmte Empfindung, als unterschätze er doch auch die verhängnisvolle Bedeutung von dessen Niederlage. Denn wo bleibt das Gegengewicht gegen die rechte Seite, auf Grund dessen die Mittelparteien wieder eine ausschlaggebende Stelle einnehmen könnten.“12 Im Hause Weber verkehrte die Prominenz des politischen und gelehrten Liberalismus, wie es vielen Briefen zu entnehmen ist. „Die Zeit der Geselligkeit wird jetzt wohl einigermaßen vorüber sein bei Euch und erst mit dem Reichstage wieder beginnen,“ vermutete Max von seinem Militärstandort Straßburg Ende Februar 1884 aus.13 Das Berliner Gesellschaftsleben erforderte von einem führenden Landes- und Reichspolitiker eine repräsentative und standesgemäße Lebensführung, und die Briefe fangen die Spannung ein, die sich hier im elterlichen Hause aufbaute. Denn Max Weber senior nutzte die Gelegenheit und die Verfügungsgewalt über das Familienvermö10 11 12 13

Brief an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, unten, S. 471. Ebd., unten, S. 474. Zitate ebd., unten, S. 475. Brief an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, unten, S. 404.

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gen, beim Tode von Helene Webers Mutter Emilie Fallenstein die beträchtliche Erbschaft im Frühjahr 1885 in den großzügigen Ausbau des Privathauses in der Leibnizstraße 19 zu investieren. Der junge Max sah das mit Skepsis: „Also das Haus wird am Ende doch noch nach dem größeren Plan umgebaut? Das hatte ich jetzt entfernt nicht mehr gedacht, da das doch jedenfalls fabelhaft kostspielig wird, namentlich auch in Folge der verheerenden gesellschaftlichen Repräsentationspflichten, die, denke ich mir, solch ein vergrößertes Haus auferlegt. Das wird aber im nächsten Winter ein Leben im Hause werden, wenn, was ich schon kommen sehe, wieder in den Familien umgehende Tanzstunden eingerichtet werden, die dann auch bei uns ihr Unwesen treiben werden.“14 Der Hausumbau deutet eine mit der Zeit sich verstärkende Spannung zwischen dem freisinnigen Vater und der sozialprotestantisch gesinnten Mutter an.15 Helene ging der verschwenderische Ausbau – „ein Haus, so groß, daß der Eine am einen Ende in die Luft gesprengt werden kann, ohne daß man es am andren merkt“, wie ihr Sohn Max ihr beipflichtete16 – völlig gegen die Maximen ihres asketischen Protestantismus und ihrer sozialkaritativen Lebenshaltung: „Wenn ich doch nur anders organisiert wäre, dass mir das alles mehr Freude machte. Aber kommt mir dann wie jetzt, wo’s kalt wird, ein Armer, eine hungrige Familie, ein arbeitsloser Mann nach dem anderen vor die Tür, so kann ich mit bestem Willen mich nicht für Eichenmöbel, Teppiche interessieren, sondern empfinde es nur als ‚ein schweres Joch‘, wie das alte Kirchenlied sagt,“ schrieb sie bei Fertigstellung zu Weihnachten 1885 ihrer Schwester Emilie (Nixel) Benecke.17 Max Webers Mutter Helene war eine zupackende und aufopferungsvolle Frau, der in den drei Rollen, die sie in Charlottenburg ausfüllte, viel abverlangt wurde. Sie gebar acht Kinder, von denen Anna im ersten und Helene im fünften Lebensjahr starben. Max, der älteste, und seine Geschwister Alfred, Karl, Clara, Arthur und Lili wurden von ihr im Charlottenburger Haushalt großgezogen und mit ausdauerndem persönlichen Einsatz auf ihrem Bildungsweg gefördert. Nicht weniger umsichtig versah sie ihre Pflicht als Gesellschafterin bei den regelmäßigen Salon-Empfängen, zu deren Höhepunkten das aufwendige „große Herrendiner“18 zählte. Und sie baute gemeinsam mit gleichgesinnten Damen des Großbürgertums das „Charlottenburger System“ prak-

14 Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 502. 15 Zur Eskalation dieser Spannungen, die letztlich zum unversöhnlichen Streit zwischen Vater und Sohn führten, der auch beim plötzlichen Tod des Vaters im August 1897 nicht beigelegt war, vgl. Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG II/2, S. 27, und dies., Einleitung, in: MWG II/3, S. 21. 16 Brief an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dez. 1885, unten, S. 561. 17 Zit. nach Roth, Familiengeschichte, S. 516. 18 Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 496.

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tischer Sozialfürsorge auf und investierte viel Zeit und Geld in ein Geflecht von Vereinen, die sich der „sozialen Frage“ annahmen. Unter anderem wirkte sie im Vorstand des „Elisabeth-Frauenvereins“, war Mitglied in der „Vereinigung für Wohltätigkeitsbestrebungen“ und im Vaterländischen Frauen-Verein und richtete nach dem Tod ihres Mannes für den „Hauspflege-Verein“ in ihrer Villa Helene ein Wäschedepot für die unentgeldliche Ausrüstung von Wöchnerinnen und Säuglingen ein. Ihre ehrenamtliche Arbeit wurde später dadurch honoriert, daß sie gemeinsam mit zwei weiteren Frauen 1903 mit beratender Stimme und 1907 mit vollem Stimmrecht in die Armendirektion der Charlottenburger Stadtverwaltung aufgenommen wurde.19 Über den Familienzweig von Helene Weber, geb. Fallenstein, nahm Max von Jugend an die Werthaltungen des südwestdeutschen Liberalismus und Kulturprotestantismus in sich auf. Die Jugendbriefe verdeutlichen dies in seinem Umgang mit den drei Onkeln, Hermann Baumgarten, dem Ehemann von Helenes ältester Schwester Ida, Adolf Hausrath, Ehemann von Schwester Henriette, und Julius Jolly, verheiratet mit Elisabeth, der jüngsten Tochter Georg Friedrich Fallensteins aus dessen erster Ehe mit Elisabeth Benecke. Julius Jolly, von 1868 bis 1876 Präsident des Staatsministeriums im Großherzogtum Baden und somit Leiter der badischen Politik, machte bei Besuchen des Heidelberger Studenten Max in Karlsruhe allerdings den Eindruck eines Vertreters untergegangener Zeiten: „Am Freitag Abend waren wir zusammen und unterhielten uns sehr lebhaft, teilweise sogar hitzig, der Onkel kam sogar, was er jetzt mit Vorliebe zu thun scheint, sofort auf Politik und urteilte merkwürdig scharf über Bismarck ab, womit die Söhne nicht ganz übereinzustimmen schienen. Charakteristischer Weise war Caesar das einzige historische Ideal von Julius, neben dessen übermenschlicher Größe er nur noch allenfalls Christus (!) bestehen ließ.“20 Enger gestaltete sich der Verkehr im Hause von Adolf Hausrath, liberaler Theologe, Romanautor und während Webers Studium als „Prorektor“ Leiter der Heidelberger Universität. Hausrath lebte mit seiner Familie im Fallensteinschen Haus in der Ziegelhäuser Landstraße, das Max von 1910 bis 1919 selbst bewohnen wird. Berichte an die Mutter über das Leben in ihrem Geburtshaus haben zuweilen einen ironischen Beiklang: „Magnifizenz haben sich einen Altar mit etlichen Horazworten, Verzeichnis der Hausbesitzer, Hausmieter und einer stolzen Dedikationsinschrift, die schließt mit eiusdem anni prorector und anderem Humbug in den Garten oben vor der Bank im Wäldchen setzen lassen, um sich nur ja das bischen hübsche Aussicht in die Bäume herunter noch zu versperren – ich bin wirklich entrüstet darüber, aber wehe! wollte man etwas merken lassen, da es eine Lieblingsidee des Onkels 19 Zum „System Charlottenburg“ vgl. ausführlich Ludwig, Andreas, Der Fall Charlottenburg. Soziale Stiftungen im städtischen Kontext (1800–1950). – Köln: Böhlau 2005. 20 Brief an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, unten, S. 286.

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war“.21 In der „Traditionslinie“, in die der junge Max hineinwuchs, und die er selbst fortsetzen wird, repräsentierten die Bewohner des Hauses in der Ziegelhäuser Landstraße „gleichsam die Geschichte des liberalen Teils des deutschen Bildungsbürgertums, das bedeutende Leistungen vollbrachte, die deutsche Wissenschaftskultur wesentlich prägte, aber politisch zur jeweiligen Minderheit und schließlich zu den Verlierern gehörte.“22 Bei seinen regelmäßigen Verwandtenbesuchen geriet Max immer wieder in deren Streit um die deutsche Politik, was sich in seinen Briefen niederschlug. So berichtete er über einen Tag bei Hausraths: „Mit dem Onkel geriet ich sofort in eine sehr lebhafte Diskussion, indem er Onkel Hermann in einer wirklich unerhörten Weise angriff und ich ihn doch, soweit mirs nicht unpassend schien, zu verteidigen suchte. Indem er ausführte, wieviel Dutzend Baumgartens man aus einem Treitschke machen könne, kam er sofort darauf, wie viele Reichstage man aus einem Bismarck machen könne und ergoß seinen ganzen bitteren Spott über die parlamentarischen Ereignisse der letzten 17 Jahre, natürlich sämmtliche Vertreter des constitutionellen Prinzips unter dem Namen ‚Juden‘ zusammenfassend, und wurde, ohne daß ich versucht hätte, ihm außer mit Schweigen zu erwidern, doch so heftig in seinen Angriffen und in seiner Sprache, daß ich froh war, als er abbrach, da ich befürchten mußte, er würde schließlich seinen ganzen Ärger gegen mich selbst richten.“23 Gegen den akademischen Antisemitismus, wie er ihn hier in der eigenen Verwandtschaft registrierte, zeigte sich Weber immun und hielt ihn bei seinen Kommilitonen für einen Ausdruck von Dummheit: „Bei meinen wunderlichen Altersgenossen beschränkt sich das Verhältnis zu diesen [politischen] Dingen darauf, daß sie entweder etwas in Antisemitismus mitmachen – diese Modesache betreiben auch Die etwas wenigstens ‚anstandshalber‘ mit, welche sonst sich um nichts kümmern, als Skat und Billard. […] So kann sich dieses Volk denn nur noch in dem frenetischen Jubel bemerklich machen, der in den Treitschke’schen Collegien erschallt, wenn er irgend eine antisemitische Andeutung macht. Sonst sind nur zahlreiche Wände und die meisten Tische etc. mit antisemitischen Kriegsrufen verschiedener Roheitsqualität bemalt.“24 Anders als zu Adolf Hausrath in Heidelberg entwickelte Max Weber zu „Onkel Hermann“ Baumgarten in Straßburg und zu dessen Familie ein persönlich wie intellektuell freundschaftliches und bereicherndes Verhältnis. Während seiner Straßburger Militärzeit war er dort ständiger Hausgast, und 21 Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 262. 22 Vgl. Lepsius, M. Rainer, Kulturliberalismus, Kulturprotestantismus und Kulturfeminismus. Das Max-Weber-Haus in Heidelberg, Ziegelhäuser Landstr. 17, in: ders., Max Weber und seine Kreise. – Tübingen: Mohr Siebeck 2016, S. 159–209, hier S. 160. 23 Brief an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, unten, S. 342 f. 24 Brief an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 527 f.

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seine Briefe enthalten in der Regel lange Kommentare zum politischen Zeitgeschehen. Zum Jahreswechsel 1882/83 nahm er regen Anteil an der Treitschke-Baumgarten-Kontroverse.25 Sie wurde ausgelöst durch den zweiten Band von Treitschkes „Deutscher Geschichte“, die bei Vater und Sohn Weber viel Anklang fand, zu der Hermann Baumgarten aber eine streitbare „Erwiderung“ schrieb, weil er die von Treitschke behauptete Reichsgründung allein durch eine planvolle preußische Politik entschieden bestritt. Neben den Fragen um eine konservative oder liberale Politik im neuen Kaiserreich ging es um Grundfragen von Objektivität und wertbezogener Parteilichkeit in der Geschichtsschreibung, zu denen sich Max sein eigenes Urteil vorbehielt, generell aber ins Lager Baumgartens wechselte: „Der Onkel war in vorzüglicher Stimmung und unterhielt sich mit mir sehr lebhaft und mit gutem Humor über alles Mögliche, unter Andrem auch über seine Streitfrage mit Treitschke […]. Schließlich dedizierte er mir ein Exemplar seiner Erwiderung, die ich nachher in der Eisenbahn mit großem Interesse las und, wenngleich sich gegen Einiges doch noch mancherlei Einwendungen machen lassen, im Ganzen für durchschlagend halten möchte.“26 Zwischen den Polen Baumgarten und Treitschke wurde der junge Max, der schon als Fünfzehnjähriger den ersten Band der „Deutschen Geschichte“ gründlich gelesen hatte, mit den geschichtspolitischen und Gegenwartskontroversen im deutschen Bürgertum konfrontiert und wuchs darin auf.27 Immer wieder kommt in den Briefen das besondere Freundschaftsverhältnis zu Baumgartens Sohn Otto zum Ausdruck, das sich vor allem in der gemeinsamen Studienzeit in Heidelberg festigte. Wenn Max in seinem ersten Semester als Student der Rechtswissenschaften schreibt: „Im übrigen bin ich ziemlich tief in die Theologie geraten, meine Lektüre besteht aus Strauß, Schleiermacher und Pfleiderer (‚Paulinismus‘) und außerdem aus Platon“, so ist das dem sechs Jahre älteren Theologiestudenten Otto Baumgarten zu verdanken, und manches in Webers späteren Religionsschriften geht auf die frühe gemeinsame Lektüre zurück.28 Über Otto Baumgarten, der sich als junger Vikar der neuen religiös-sozialen Bewegung anschloß und den religiös unmusikalischen Liberalismus attackierte, wie er ihn bei Max Weber sen. unmittelbar vorfand, fand Max junior zugleich einen besseren Zugang zum sozialen Engagement der Mutter. So berichtete er ihr von Ottos seelsorge-

25 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, unten, S. 305 f. 26 Brief an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, unten, S. 317. 27 Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Okt. 1879, unten, S. 202 mit Anm. 9; vgl. auch Kaube, Jürgen, Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen. – Berlin: Rowohlt 2014, S. 61. 28 Brief an Helene Weber vom 16. Mai 1882, unten, S. 270. Vgl. dazu Graf, Friedrich Wilhelm, Fachmenschenfreundschaft. Studien zu Troeltsch und Weber. – Berlin: de Gruyter 2014, bes. S. 84 f.

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rischer Arbeit im badischen Waldkirch: „Er arbeitet noch immer mit Anspannung aller Kräfte und macht wirklich sehr interessante Erfahrungen auf dem Gebiet der kirchlichen und sozialen Verhältnisse, befaßt sich viel mit Sozialpolitik, da er in den Verhältnissen seiner Gemeinde allerdings hervorragend viel mit den schwierigsten einschlagenden Fragen in Berührung tritt“.29 Es sind die gleichen sozialpolitischen Probleme, mit denen Helene Weber in Charlottenburg kämpfte, und die Max 1890 in den Evangelisch-sozialen Kongreß führten. Für Max als vierzehnjährigen Schüler, im Übergang von der Kindheit zur jugendlichen Weltwahrnehmung und Selbsterkundung, wurde erst einmal Hermann Baumgartens ältester Sohn Friedrich (Fritz) zu einem Briefpartner, dem gegenüber er sich frei und ausführlich öffnete und seine Briefe als „Wochenchronik“30 des Erlebten und Empfundenen gestaltete. In den Briefen an den acht Jahre älteren Vetter Fritz, der 1878 in Berlin studierte und fest in das Webersche Haus eingebunden war, finden wir eindringliche Zeugnisse jugendlicher Selbstbeobachtung zu Leistungsdruck und Leistungsbereitschaft, auch zu der von der Mutter beklagten Verschlossenheit. Seine Tage, schreibt er zu Weihnachten 1879, vergingen regelmäßig „mit Arbeiten, Lesen, Essen, Schlafen. Arbeiten muß ich jetzt allerdings ziemlich viel, ich habe, wie schon gesagt, eben einen Kilometer-langen lateinischen Aufsatz beendigt und habe – Gott seis geklagt – noch einige ähnliche Beester vor mir.“31 Bei der Vorbereitung auf seine Konfirmation, die am 30. März 1879 stattfand,32 fand er in Fritz einen Vertrauten – „glaube mir, auch ich bin mir bewußt, in welch wichtigem Wendepunkte des Lebens ich mich befinde“ – und fügte selbstprüfend an, „es liegt, glaube ich, etwas in meiner Natur, daß ich meine Gefühle selten andern mittheile, es kostet mir oft Überwindung, es zu thun; ich genieße in der Regel jede Freude für mich, aber deshalb sind meine Gefühle doch nicht geringer; es wird mir, wie gesagt, schwer, mich zu anderen darüber auszusprechen“.33 Was die Mutter mehr beklagte als der Vater, war Max selbst demnach nur zu bewußt, nämlich ein sehr introvertiertes Schülerleben zu führen. Zugleich übernahm er als der Älteste früh familiäre Verantwortung. Waren die Eltern auf Reisen, so übertrugen sie ihm gegenüber den

29 Brief an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, unten, S. 415. 30 Brief an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, unten, S. 62. 31 Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Dez. 1879, unten, S. 204. Zu den angesprochenen Aufsätzen zählen auch die in Anhang I,2 wiedergegebenen „Betrachtungen über Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen“, unten, S. 620–636. 32 Vgl. dazu den Brief an Emilie Fallenstein vom 2. April 1879, unten, S. 157 f. 33 Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Jan. 1879, unten, S. 148.

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Geschwistern, dem Dienstpersonal und in Geldfragen die Aufgaben eines Haushaltsvorstandes, worüber Max regelmäßig berichtete.34

2. Schule und Bildungswissen Nach dem Umzug der Eltern nach Charlottenburg wurde Max, der als Vorschule in Berlin die „Doebbelinsche Privatschule“ besucht hatte, 1872 in die Unter-Sexta des „Königl. Kaiserin-Augusta-Gymnasiums zu Charlottenburg“ eingeschult und dort nach bestandenem Abitur „Ostern 1882 zur Hochschule entlassen“.35 In Webers Abiturjahr besuchten 302 Schüler das KaiserinAugusta-Gymnasium, davon „waren 273 evangelischer, 7 katholischer, 21 jüdischer, 1 buddhistischer Religion“, wie der jährliche Bericht der Schule vermerkt.36 Die Charlottenburger Lehranstalt stand in einer reformpädagogischen Tradition und besaß als humanistisches Gymnasium den Schwerpunkt auf den alten Sprachen. Auf dem Lehrplan des Schuljahres 1878/79, zu dem Weber in die „Secunda“ wechselte, standen 8 Wochenstunden Latein, 4 Griechisch, 2 Hebräisch, 3 Geschichte, 2 Deutsch, 2 Französisch, 4 Mathematik, 1 Physik, 2 Religion auf dem Lehrplan.37 Schilderungen zu Schulverlauf, Lernpensum, Lektüren, Prüfungen, Versetzungen, auch zu Wandertagen und patriotischen Festen, nehmen in den Briefen einen breiten Raum ein. Deutlich wird die Wechselwirkung zwischen schulischer Prägung und Impulsen des Elternhauses. Über Max’ vierzehnten Geburtstag erfuhr der Brieffreund Fritz Baumgarten: „An erster Stelle bekam ich Viktor Hehns ‚Hausthiere und Kulturpflanzen‘, ein Buch, von dem in unserer Correspondenz schon mehrmals die Rede gewesen. Ferner einen vier Finger dicken Band Geschlechtstafeln über aller Herren Länder, sogar über die Türken und Trapezuntier, Ikonier, Armenier etc. Sodann dieses Briefpapier hier und eine Schreibmappe, auf der ich soeben schreibe. Dann ein Croquet-Spiel und eine silberne Cylinder-Uhr. Am Sonntag, den 21. Nachmittags ging Papa mit mir nach Berlin ins National-Theater, wo alle drei Theile ‚Wallensteins‘ von Schiller an einem Abend aufgeführt wurden. Die Vorstellung begann um 4 Uhr und dauerte mit einzelnen Pausen bis gegen 1/212 Uhr.“38 Zu den Naturwissenschaften fühlte sich Max jedoch weniger hingezogen. Seine Wiß-

34 Vgl. die Karten an Helene Weber vom 13., 14. und an Max Weber sen. vom 15. Aug. 1876, unten, S. 39–42, ferner die Berichte an beide Eltern vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, unten, S. 94–97. 35 Die Angaben nach dem in der Druckfassung der Dissertation veröffentlichten „Lebenslauf“, MWG I/1, S. 348–357, Zitate: S. 352. 36 Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XIII. Jahres-Bericht, 1882, S. 13. 37 Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 23. 38 Brief an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, unten, S. 65.

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begier richtete sich auf die antiken Schriftsteller und mehr noch auf die Geschichte. Der Vierzehnjährige bildete sich ein eigenes und wie bei Theodor Mommsen negatives Urteil über Cicero im Vergleich mit Caesar und disputierte mit dem skeptischen Fritz Baumgarten „über die Beeinflußung eines Menschen durch Bücherlesen“.39 Schon der Zwölfjährige ließ sich aus den Bibliotheken befreundeter Familien mit Herder, Machiavelli oder Luther versorgen.40 Knapp zwei Jahre später las er mit der Mutter französische Literatur im Original.41 Helene Weber war es auch, die Privatlehrer engagierte für Englisch- 42 und Klavierstunden,43 sogar für Schwimmunterricht44 sorgte. Das frühe Interesse an europäischer Herrscher- und Herrschaftsgeschichte ließ Max Stammbäume der mittelalterlichen Dynastien und noch ausgefeiltere Territorialkarten zeichnen, „eine ziemliche Mühe und in gewisser Beziehung beinahe unmöglich, jedes noch so winzige Nest in Conversationslexicis, in ausführlichen Geschichtswerken, Territorialhistorien und dergleichen mehr nachzuschlagen, aber es macht mir unglaublich sehr viel Spaß, da es eigentlich jetzt meine hauptsächlichste freie Beschäftigung ist […]. Ich lerne dabei auch die schreckliche Zerrissenheit unseres Vaterlandes in jener Zeit Karls des Vierten kennen, sowie die ungeheuren Besitzungen der Geistlichkeit, der Erzbischöfe und Äbte gegenüber den winzigen Kantonen so vieler weltlicher Herrn und Fürsten.“45 Ein eigenes Feld, auf dem Max Schreibstil und Beobachtungsgabe schulte, bildeten die Sommerreisen mit Vater und Brüdern, 1877 in den Harz,46 1878 durch Thüringen und an den Rhein,47 1879 an Rhein und Mosel und zu den Schlachtfeldern des Deutsch-Französischen Krieges von 1870.48 Die Briefe gerieten ihm, wie er es später auch in seinen zahlreichen Auslandsreisen pflegen wird, zu tagebuchartigen Aufzeichnungen über ausgiebige Wanderungen, Naturerlebnisse, Stadterkundungen, Museen, Kirchen, Gasthäuser, auch über den Umgang mit Reisebekanntschaften. In den Herbstferien 1879 nahm ihn der Vater zudem zu einem Verwandtenbesuch bei Kaufmann Otto

39 Brief an Fritz Baumgarten vom 25. Okt. 1878, unten, S. 126. 40 Brief an Helene Weber vom 21. Aug. 1876, unten, S. 43 f. 41 Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, unten, S. 59 mit Anm. 13 und 14. 42 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 27. Dez. 1878, unten, S. 140 mit Anm. 9. 43 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. Juli 1875, unten, S. 31 mit Anm. 15. 44 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 22. Juni 1879, unten, S. 163. 45 Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, unten, S. 58. 46 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 17. Juli 1877, unten, S. 48. 47 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 29. Juni 1878, unten, S. 68. 48 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 14. Juli 1879, unten, S. 165.

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Weber mit, bei dem Max Überseehafen und Börse kennenlernte: „Ich sah auch, wie die Kaufleute an der Börse ihre Geschäfte regelten und abschlossen und bekam so einen Einblick in das Leben der Handelswelt.“49 Mit sechzehn Jahren, im Juli 1880, unternahm Max seine erste selbständige Reise, die ihn ins Riesengebirge, nach Prag und nach Dresden führte, und bei der er in Breslau Wilhelm Dilthey besuchte.50 Es war für Bürgersöhne nicht unüblich, das Gymnasium mit der Obersekundareife zu verlassen, um das Privileg des einjährig-freiwilligen Militärdienstes nutzen und früh in einen Beruf einsteigen zu können. Dies betraf sogar eine Mehrzahl unter Webers Schulkameraden,51 während Max keinen Zweifel daran ließ, das Abitur anzustreben und „Ostern nach Prima“ zu wollen.52 Zu seiner zweijährigen Primanerzeit sind nur wenige Briefe überliefert. Auf jeden Fall nahm er die Schule sehr ernst und absolvierte im August 1881 ein glänzendes „tentamen“, das zur Abiturzulassung notwendige Vorexamen, in dem das notwendige Bildungswissen und die „sittliche Haltung“ geprüft wurden.53 Das tentamen bestand er als „vorläufig praedestinierter Primus Omnium“, wie er im letzten der überlieferten Briefe aus der Schulzeit mitteilte. Die Noten im einzelnen erschienen ihm „nicht sehr erfreulich, trotzdem es doch noch besser ist als ich erwartete.“54 Nur sechs Kandidaten, darunter Webers Freund Karl Mommsen, der Sohn Theodor Mommsens, nahmen an der Abiturprüfung teil, deren schriftlicher Teil vom 1. bis 7. März 1882 erfolgte. Die mündliche Prüfung fand am 20. März statt. Zu den mündlichen Leistungen Webers vermerkt das Prüfungsprotokoll in Religion „Befried[igend]“, Latein „Cicero gut“, „Horaz befried[igend]“, Griechisch „gut“, Mathematik „Befried[igend]“, Geschichte „Gut“, Hebräisch „Befried[igend]“.55 Zur Religionsprüfung vermerkt das Protokoll: „Die Fragen über die Passions- und Osterzeit beantwortet er richtig, ebenso einige Fragen über das Verhältnis der verschiedenen Evangelien und die Unterschiede derselben. Die Inhaltsangabe des Ev[angelium] Johannis gab er ohne erhebliche Stockungen, doch zitierte er die Bibelstellen nicht genau.“56

49 Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Okt. 1879, unten, S. 201; vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 4. Okt. 1879, unten, S. 196. 50 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, unten, S. 209. 51 Vgl. Miltenberger, Sonja, Charlottenburg in historischen Karten und Plänen. – Berlin: Jaron 1998, S. 81. 52 Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Dez. 1879, unten, S. 204. 53 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 16. Aug. 1881, unten, S. 240. 54 Brief an Max Weber sen. vom 22. Aug. 1881, unten, S. 242. 55 Kaiserin-Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg. Protokoll. Ostern 1882, Landesarchiv Berlin, A Rep. 020-21, Nr. 65. 56 Ebd., vgl. auch das Faksimile, unten, zwischen den Seiten 244 und 245.

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Der bereits am 31. März 1882 erschienene Jahresbericht des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums meldete zum Abgang seiner Abiturienten, „Max Weber aus Erfurt, Sohn des Herrn Stadtrat und Abgeordneten Weber, evangelisch, 17 Jahre alt, 10 Jahre auf der Anstalt, 2 Jahre in prima, will Jura studieren.“57 Der erste uns bekannte Brief aus dem Jahr 1882, in dem Weber von der Schule ins Studium wechselte, stammt vom 23. April 1882 und berichtet von der Ankunft am Studienort Heidelberg und der Anmietung seiner Studentenbleibe, „sehr großes, gut ausgestattetes Zimmer mit Sopha, Sekretär, zwei Schränken und Alkoven“.58

3. Studium und Burschenschaft Über Webers Jura-Studium sowie den Besuch zusätzlicher Veranstaltungen in Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie in Heidelberg, Straßburg, Berlin und Göttingen sind wir durch seine regelmäßigen Briefe an die Eltern recht kontinuierlich unterrichtet. Seine ersten drei Semester, vom Sommer 1882 bis zum Sommer 1883, absolvierte er in Heidelberg. Er unterbrach sein Studium, um von Oktober 1883 bis September 1884 in Straßburg seinen Militärdienst als „Einjährig-Freiwilliger“ abzuleisten und nahm in dieser Zeit unregelmäßig an zwei Lehrveranstaltungen der Straßburger Universität teil. Hernach führte er das Studium an seiner heimatlichen Universität Berlin für zwei Semester fort und verbrachte sein Examenssemester im Winter 1885/86 in Göttingen. Die von ihm besuchten Lehrveranstaltungen, soweit sie sich den Briefen entnehmen und anhand der Vorlesungsverzeichnisse oder Teilnahmenachweise überprüfen lassen, sind am Ende des Bandes separat aufgeführt.59 Starkes, selbstbestimmtes Arbeitsethos und ausgiebige Teilnahme an der studentischen Lebenswelt mit ihren Trinksitten, dem burschenschaftlichen Mensurfechten und den ausgelassenen Ausflugsfahrten waren für Weber kein Widerspruch. Angepaßte Streber verachtete er ebenso wie er sich über den Studententypus „altes Bierskelett“ mokierte.60 In Heidelberg eignete sich Weber das juristische Grundwissen über alle drei Semester hinweg beim Römischrechtler Ernst Immanuel Bekker an, auch wenn dem kritischen Erstsemester gleich zu Beginn Bekkers Disposition der Römischen Rechtsgeschichte „eine verfehlte zu sein“ schien.61 Auch dem Philosophen Kuno Fischer blieb er zur Wissenschaftslehre und zu Kant über 57 58 59 60 61

Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XIII. Jahres-Bericht, 1882, S. 14. Karte an Max Weber sen. und Helene Weber vom 23. April 1882, unten, S. 245 f. Vgl. Anhang II: Von Max Weber besuchte Lehrveranstaltungen, unten, S. 637 f. Brief an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298. Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 256.

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zwei Semester treu, obwohl „die Persönlichkeit höchst antipathisch“ auf ihn wirkte. Mit dem „skandalösen, schief aufgesetzten Gurkenhut, wirtschaftete [er] ganz unmotiviert fürchterlich auf dem Katheder herum, schnitt zeitweise zur Erhöhung des Effekts Gesichter, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen“.62 Von Bernhard Erdmannsdörffer, dem Heidelberger Nachfolger Heinrich von Treitschkes, ließ er sich in die Geschichtswissenschaft und ihre quellenkritischen Methoden einführen. Die Kollegien von Karl Knies über „Nationalökonomie“ und über „Allgemeine Staatslehre und Politik“ fanden im ersten Semester keinen Anklang, „Knies werde ich kaum hören, er wird nicht gerühmt; wenn er anfängt, werde ich jedoch hingehen, um zu sehen.“63 Erst als Drittsemester belegte er die Vorlesung bei Knies über „Allgemeine Volkswirthschaftslehre (theoretische Nationalökonomie)“.64 Mit Otto Baumgarten, dem Nachbarn in der Ziegelhäuser Landstraße während des ersten Semesters, pflegte Weber ein eigenes Leseprogramm, parallel zu den Semesterkursen. Neben den Texten zu Schleiermacher, Strauß und zum „Paulinismus“, die ihn „tief in die Theologie“ führten,65 studierten sie „nach dem Abendessen regelmäßig ‚Mikrokosmos‘, über den wir in der hitzigsten Weise aneinandergeraten“.66 Webers „Wut über die Unwissenschaftlichkeit, törichte Poëtisirerei und öde Gemütsphilosophisterei“, die er in Hermann Lotzes „Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit“ ausmachte, ließ sie dieses dreibändige Werk durch Friedrich Albert Lange, „Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart“ auswechseln.67 Es sei eine „Unmasse von Lectüre, welche ich vorhabe“, schrieb er der Mutter.68 Was seine Wunschliste zu Weihnachten 1882 angehe, so könne die „sehr lang werden, falls ich alle die Werke anführen wollte, die zu besitzen ich wünschen könnte. Ganz besonders wünschenswert wäre mir natürlich eine Ausgabe von Savigny und Ihering, sehr gern besäße ich daneben auch entweder Buckle’s History of Civilization oder Gibbon’s History of Decline englisch oder deutsch, ebenso Langes Geschichte des Materialismus, meine Lektüre mit Otto vom Sommer her“.69 Nachdem Otto Baumgarten allerdings am Heidelberger Predigerseminar im Herbst 1882 das Hauptexamen absolviert 70 und Heidelberg verlassen hatte, wandte

62 Ebd., unten, S. 256 f. 63 Karte an Helene Weber vom 27. April 1882, unten, S. 254. 64 Brief an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, unten, S. 329 mit Anm. 15. 65 Vgl. dazu oben, S. 8 mit Anm. 28. 66 Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 261. 67 Brief an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 279. 68 Ebd., unten, S. 280. 69 Brief an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, unten, S. 307 f. 70 Vgl. Bassi, Hasko von, Otto Baumgarten. Ein „moderner Theologe“ im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. – Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 1988, S. 17.

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sich Max in seinem zweiten Semester ausgiebiger den couleurstudentischen Aktivitäten zu. Nach einer Zeit der Hospitation trat Weber im zweiten Semester der Burschenschaft Allemannia bei.71 Aus den Briefen läßt sich ein normaler Tagesablauf des Erst- und Zweitsemesters rekonstruieren, vom Kolleg schon um sieben Uhr, einer anschließenden Stunde auf dem Paukboden und erneutem Kolleg, ausgiebiger Mittagspause, Nacharbeiten der Kollegien, Ausflügen und abendlicher Lektüre.72 Ein solches Studentenleben war kostspielig, zumal Weber nicht nur seinen Bedürfnissen nach „behaglich“ wohnte, sondern auch mancherlei Dienstleistungen in Anspruch nahm. Dank der väterlichen Geldzuwendungen „bin ich noch ein wohlhabender Mann und komme trotz Schuster, Waschfrau, Stubenmädchen und Paukdoktor sehr gut aus“, meldete er nach Berlin.73 Was nur bedingt stimmte, denn unbekümmerte Ausgaben und studentenübliches Schuldenmachen, auch die teure Straßburger Militärzeit des Einjährig-Freiwilligen, gaben den Ausschlag, daß Weber sein Studium zum Wintersemester 1884/85 im heimischen Berlin fortsetzte und wieder im Elternhaus wohnte. In seinen zwei Berliner Semestern im Winter 1884/85 und im Sommer 1885 studierte Weber zielstrebig Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Privatund Handelsrecht, immer mit einem Blick auf die rechtshistorischen Entwicklungen. Bei Ludwig Aegidi, als Ehrenmitglied der Burschenschaft „Hannovera Göttingen“ Bundesbruder von Max Weber sen. und per „Comment“ deshalb „‚Onkel‘ Aegidi“,74 hörte Max im Wintersemester „Völkerrecht“ und bei dem schon fünfundsiebzigjährigen Georg Beseler „Deutsches Privatrecht“; dazu bei Heinrich von Treitschke, der nach längerer Unterbrechung durch die Berliner Antisemitismuskontroversen wieder Kontakte zum Hause Weber anknüpfte,75 ein Kolleg über „Staat und Kirche“.76 In Hermann Baumgarten besaß Weber zu seinen Studienschwerpunkten einen aufmerksamen Briefpartner. Denn Baumgarten war über den liberalen Historiker Georg Gottfried Gervinus, den früheren Bewohner des Fallensteinschen Hauses und Privatlehrer von Helene Weber,77 sowohl mit Aegidi als auch mit Beseler gut bekannt. „Da ich einmal auf Colleg zu sprechen gekommen bin, so will ich gleich versichern, daß ich hier ein in dieser Beziehung wirklich fleißig zu nennender Student geworden bin. Ich höre ziemlich viel und 71 Vgl. z. B. Brief an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 72 Vgl. die Karte und Briefe an Helene Weber vom 27. April, 2. und 3. Mai sowie 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 253–262 und 278–285. 73 Brief an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, unten, S. 332. 74 Brief an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, unten, S. 473. 75 Brief an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 530. 76 Zur vollständigen Übersicht der Berliner Lehrveranstaltungen vgl. Anhang II, unten, S. 638. 77 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. Mai 1882, unten, S. 271 mit Anm. 29.

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kann sagen, mit großer Freude. Beselers deutsches Privatrecht kann an sich des Vortrags wegen wirklich recht wenig genußreich werden, aber für die Langweiligkeit der Form entschädigt reichlich der wissenschaftliche Gehalt, den der gründliche Gelehrte und alte Gegner Savignys in dieser ungünstigen Gestalt zu geben weiß. Gneists Collegien über deutsches Staatsrecht und preußisches Verwaltungsrecht sind, wie ich finde, nach Form wie Inhalt ein wahres Meisterwerk und haben mir von allen juristischen Collegien, die ich bisher gehört habe, am meisten gefallen.“ Besonders gefiel Weber Gneists Methode, das Staatsrecht in die umfassenderen historischen Bezüge zu „den nationalökonomischen und religiösen Elementen, welche auf Staatsbildung und -Ordnung von Einfluß sind“, zu rücken.78 Bei dem Rechtshistoriker Heinrich Brunner hörte Weber während beider Semester zuerst „Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte“, dann Handelsund Seerecht, bei Rudolf Gneist, als nationalliberaler Politiker auch bis 1875 Berliner Stadtverordneter, „Deutsches Staatsrecht“ und hernach „Deutscher Strafproceß“. In Charlottenburg traf er in dieser Zeit auf zwei Züricher Studentinnen. Das war im Deutschen Kaiserreich noch derart eine Ausnahmeerscheinung, daß er seine Cousine Emmy Baumgarten wissen ließ: „Es giebt nämlich auch Studenten weiblichen Geschlechts“. Im burschenschaftlichen Jargon apostrophierte er sie als „Füchsin“ und als „bemoostes Haupt“ und ließ einfließen, von diesem Frauentypus nicht besonders angezogen zu werden.79 Überhaupt beschränkte sich Webers Umgang mit gleichaltrigen Frauen auf die familiären Kontakte zu seinen Cousinen und auf gelegentliche Tanzgeselligkeit, die er als eher lästige Pflicht empfand.80 Sein siebtes und Examenssemester verbrachte Weber im Winter 1885/86 in Göttingen, dem Studienort bereits von Max Weber sen. Der Rechtshistoriker Ferdinand Frensdorff wurde in dieser Zeit zu seinem wichtigsten Ansprechpartner. Als enger Freund des Vaters aus der gemeinsamen Burschenschaftszeit bei der „Hannovera Göttingen“81 waren Frensdorff und dessen Familie für Max junior die erste Göttinger Anlaufstelle: „Jetzt will ich zu Frensdorff, um über verschiedenes, Benutzung der Bibliothek, eventuelle Teilnahme an einem handelsrechtlichen Praktikum etc. mir Rate zu erholen und Frau und Töchtern, die ich nur flüchtig auf dem Bahnhofe begrüßt habe, mich vorzustellen“.82 Das handelsrechtliche Praktikum, das bereits Weichen zu seiner Promotionsschrift von 1889 über die „Geschichte der Handelsgesellschaften im

78 Brief an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, unten, S. 473 f. 79 Brief an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dez. 1885, unten, S. 558. 80 Vgl. die Briefe an Helene Weber vom 4. Juli 1882, unten, S. 290 f., und vom 24. und 25. Jan. 1886, unten, S. 579 f. 81 Vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 373 und 461. 82 Karte an Helene Weber vom 28. Okt. 1885, unten, S. 549.

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Mittelalter“83 gestellt haben dürfte, belegte Weber dann bei Frensdorffs Kollegen Richard Schröder. Bei Frensdorff selbst hörte Weber „Deutsches Verwaltungsrecht“, daneben noch „Civilprozeß“ bei Carl Ludwig von Bar, an dessen Abendgesellschaften er teilnahm,84 und „Kirchenrecht und Eherecht“ bei Richard Wilhelm Dove.85 Zusätzlich erhielt er von Frensdorff „eine Art von Privatissimum“, um sich auf das erste Examen, das Referendarexamen, als Abschluß des juristischen Studiums vorzubereiten.86 Weber arbeitete darauf zielstrebig zu, saß „bereits um 8 Uhr im Colleg“, löschte erst „wenige Minuten vor 12“ das Licht und schloß keine Bekanntschaften, die nicht unmittelbar den Prüfungsvorbereitungen dienten.87 Am 17. Februar 1886 erhielt Weber seine „Exmatrikel“.88 Über das anschließend ausgegebene schriftliche Prüfungsthema sind wir nicht unterrichtet. Im Brief vom 30. März, dem letzten, der für das Jahr 1886 überliefert ist, kündigte er an, mit dem mündlichen Examen „erst in den ersten Tagen des Mai fertig [zu] sein – gutes Gelingen vorausgesetzt.“89 Seine mündliche Prüfung legte er am 15. Mai 1886 am Oberlandesgericht Celle ab. Mit diesem ersten Examen hatte Weber sein Studium erfolgreich abgeschlossen; im Juni begann ein vierjähriges Rechtsreferendariat, das Weber im Juni 1890 mit dem „großen Examen“, dem „Assessorexamen“, beendete.90

4. Militärausbildung und Reserveoffizier Auf ein eigenes thematisches Feld führen die zahlreichen Briefe aus Max Webers Militärzeit. Unmittelbare Erlebnisberichte, wie wir sie hier vorfinden, sind über die Militärausbildung eines Einjährig-Freiwilligen im kaiserlichen Deutschland ansonsten kaum überliefert. Weber hatte sein Studium nach dem dritten Semester unterbrochen, um vom 1. Oktober 1883 bis zum 30. September 1884 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger beim 2. Niederschlesischen Infanterie-Regiment Nr. 47 zu leisten, das seit 1871 in Straßburg stationiert war.1 83 Ediert in: MWG I/1, S. 109–340. 84 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 24. und 25. Jan. 1886, unten, S. 579 f. 85 Vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 1. Nov. 1885, unten, S. 550. 86 Brief an Helene Weber vom 24. und 25. Jan. 1886, unten, S. 581. 87 Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dez. 1885, unten, S. 560. 88 Brief an Helene Weber vom 17. Febr. 1886, unten, S. 589. 89 Brief an Helene Weber vom 30. März 1886, unten, S. 598. 90 Vgl. ausführlicher den Editorischen Bericht zu MWG I/1, S. 109–111. 1 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 25. Sept. 1883, unten, S. 358, zur Regimentsgeschichte vgl. Voß, Wilhelm von, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr. 47. – Berlin: Eisenschmidt 1910.

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Das Privileg, anstelle der dreijährigen Militärpflicht verkürzt als EinjährigFreiwilliger zu dienen, ein „echtes Produkt des bürgerlichen Zeitalters“,2 erhielten „junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen“.3 Mit dem Abitur auf einem humanistischen Gymnasium besaß Max Weber hier mehr als die erforderliche Sekundareife; und die Familie hatte die erforderliche Garantie beigebracht, für die erheblichen Kosten aufkommen zu können.4 Als Kosten für Uniform und militärische Ausrüstung, Lebensunterhalt, Monatsmiete und Dienstleistungen wurden für das Jahr circa 2.000 Mark veranschlagt, eine Summe, die Weber erheblich überschritten haben dürfte, wie die regelmäßigen Bitten um Geldüberweisungen nahelegen. Zu den Vorrechten des Einjährig-Freiwilligen zählte die freie Wahl des Truppenteils und der Garnison. Weber hatte sich für Straßburg entschieden, da hier die verwandten Familien Baumgarten und Benecke lebten und die Universität Straßburg die Möglichkeit zur Fortführung des Studiums bot. Denn außerhalb der Dienstzeiten war der Einjährig-Freiwillige „Herr seiner Zeit“ und „braucht seine Studien nicht gänzlich ruhen zu lassen“.5 Was Weber auch nutzte und während seiner Straßburger Zeit zwei Übungen im historischen Seminar bei Hermann Baumgarten besuchte. Weber zählte zu den „Aspiranten“, den „auf Beförderung Dienenden“, mit dem Ziel, den im Kaiserreich besonders hoch angesehenen Status eines Reserveoffiziers zu erreichen. Planmäßig durchlief er dazu die drei erforderlichen Beförderungsstufen. Nach halbjähriger Dienstzeit wurde er zum Gefreiten befördert.6 Bei seiner Entlassung Ende September 1884 erhielt er den Rang eines Unteroffiziers mit Qualifikationsbescheinigung zum Reserveoffi zier.7 Um hierzu ernannt zu werden, war eine zusätzliche achtwöchige Übung erforderlich, die Weber vom 1. März bis 25. April 1885 ebenfalls in seinem Straßburger Regiment absolvierte und an deren Ende er zum Vizefeldwebel befördert wurde.8

2 Mertens, Lothar, Das Einjährig-Freiwilligen Privileg. Der Militärdienst im Zeitgeist des deutschen Kaiserreiches, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Band 42, 1990, S. 316–329, hier S. 317. 3 Wenckstern, L. von, Praktische Ratschläge für Einjährig-Freiwillige und solche, die es werden wollen. – Hagen i.W. und Leipzig: Hermann Risel & Co. 1884, mit Bezug auf die geltende Deutsche Wehrordnung von 1875. 4 Über die Gestaltung des Militärdienstes sind wir nur über die Briefe Webers an die Familie und Verwandten unterrichtet, es sind keine Briefe an die Militärbehörden, sei es zur Wahl des Truppenteils oder zu Anträgen auf eine Reserveoffiziersausbildung überliefert. 5 Wenckstern, Praktische Ratschläge (wie oben, Anm. 3), S. 48. 6 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 6. April 1884, unten, S. 408 mit Anm. 3. 7 Vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, unten, S. 450–454. 8 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 501.

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Sehr lebhaft schildern die Briefe Webers alltägliche Erfahrungen und den Umgang mit Offizieren, Unteroffizieren und den „gemeinen Soldaten“. Für den körperlich wenig trainierten Studenten wurden die Marschübungen und das „Compagnieexerzieren“ zu einer „gesundheitsgefährlichen Tortur“.9 Weber scheint die körperlichen Strapazen jedoch mit mehr Selbstironie bewältigt zu haben als den geistigen „tiefsten Stumpfsinn“, dem er sich ausgesetzt sah.10 Die soziale Institution des Militärs wirkte auf ihn wie „die reine Dienstmaschine“, in deren Mechanik Weber nach seiner Beförderung zum Gefreiten im Mai 1884 erstmals auch mit Vorgesetztenfunktion eingebunden war.11 Zum ersten Mal traf der im großbürgerlichen Milieu sozialisierte Weber hier mit Arbeiterschichten zusammen: „Überhaupt ist es interessant, zu beobachten, was für ganz eigentümliche moralische Begriffe unter den gemeinen Soldaten herrschen und namentlich, was für eine ganz eigene Art von Ehrbegriffen unter ihnen gewöhnlich ist. Ich bin oft genug erstaunt darüber gewesen, ein wie anständiger Ton verhältnismäßig z. B. unter den Leuten meiner Compagnie herrscht, von denen, wie ich constatiert habe, etwa 1/3 als ihren Stand und den ihrer Eltern einfach: ‚Arbeiter‘ angegeben haben“.12 Die Briefe bestätigen, daß das Bildungsprivileg des Einjährig-Freiwilligen „faktisch zu einem Besitzprivileg“ geworden war.13 Akribisch listete Weber jedes Mal seine Ausgaben auf, wenn er um Geldüberweisungen bat oder solche bestätigte: „Das Geld habe ich richtig erhalten und danke bestens dafür, allerdings brannte mir schon seit einigen Tagen ‚das Feuer unter den Nägeln‘. Es ist eben doch eine ganz niederträchtig teure Geschichte, dies Militär.“14 Derartige Briefe, in denen Weber die hohen Kosten seiner Uniformpflege oder die monatliche Entlohnung eines „Putzers“ bezifferte, sollten vor allem den Vater beschwichtigen, denn im Laufe der Zeit kam es zu „schweren Vorwürfe[n]“, denen gegenüber sich der Sohn rechtfertigen mußte, „in keiner Weise unnütze Verschwendung getrieben“, vielmehr alles auf sein Avancement hin ausgerichtet zu haben. „Bei den Offizieren meiner Compagnie bin ich jetzt im Allgemeinen ganz gut angeschrieben und denke, daß, soweit es auf den Hauptmann ankommt, meine Beförderung wohl zu erwarten ist“, beteuerte er im August 1884.15 Diese „Beförderung zum Unteroffizier mit Qualifikation zum Reserve-Offizier“ konnte er dann am Vortag seiner Entlas-

9 Vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, unten, S. 396 f. 10 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 21. und 23. Okt. 1883, unten, S. 363. 11 Vgl. den Brief an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, unten, S. 411. 12 Brief an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, unten, S. 399. 13 Mertens, Das Einjährig-Freiwilligen Privileg (wie oben, S. 18, Anm. 2), S. 326. 14 Brief an Helene Weber vom 6. und 9. Febr. 1884, unten, S. 391. 15 Brief an Max Weber sen. vom 9. und 13. Aug. 1884, unten, S. 442 f.

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sung mitteilen, noch einmal verbunden „mit der Bitte um noch etwas Geld“, um „ca. 170 Mk, um Alles hier endgültig in Ordnung zu bringen.“16 Nach einem Studiensemester im heimatlichen Berlin trat Weber am 1. März 1884, wiederum in Straßburg, zu seiner ersten achtwöchigen Übung an, an deren Ende planmäßig die nächste Beförderung erfolgte. „Als Vicefeldwebel, der ich morgen bis spätestens übermorgen werden muß, brauche ich verschiedene höchst kostspielige Ausrüstungsstücke, insbes. Degen, Officiershelm, Portepée u.s.w.“17 Mit den höheren Dienstgraden und mit der Geselligkeit des Offizierscasino erschien ihm jetzt das Militärische nicht mehr so stumpfsinnig: „Ich habe mich aber auch einigermaßen angestrengt und teilweise wirklich viel Spaß am militärischen Leben gehabt. Das Verhältnis zu den Offizieren hat sich ganz angenehm gestaltet, wenn wir auch nicht unnötig viel mit ihnen zusammengewesen sind. Die Schattenseite ist nur die ungemeine Kostspieligkeit des ganzen Vergnügens“, schrieb er der Mutter, als er ihr die Entlassung und Rückkehr nach Berlin ankündigte.18 Es soll hier kurz auf Webers weitere militärische Stationen hingewiesen werden. Zum Secondeleutnant wurde Weber befördert, bevor er vom 30. Januar bis 26. März 1887 eine zweite Übung erneut in Straßburg absolvierte. Damit hatte er den begehrten Status des Reserveleutnants erworben, förderlich für den Zutritt zu den höheren sozialen Kreisen des kaiserlichen Deutschland. Noch einmal drei Übungen leistete er dann in Posen ab, dem Hauptstandort des V. Armee-Korps, an den das unterstellte 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr. 47 zum 1. April 1887 zurückgekehrt war:19 vom 19. Juli bis 13. September 1888, vom 2. Juni bis 27. Juli 1891 und vom 1. März bis 25. April 1894. Am Ende der letzten Übung avancierte Weber zum Premierleutnant.20 Am 5. April 1897 wurde er „zur Landwehr, 2. Aufgebot“ überwiesen, am 18. Juli 1903 erhielt er seinen Abschied. Reaktiviert wurde er kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges am 24. August 1914 als militärisches Mitglied der Reservelazarett-Kommission Heidelberg21 und am 27. Januar 1915 zum Hauptmann der Landwehr befördert. Er diente dort bis zur Auflösung der Kommission am 30. September 1915.

16 Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, unten, S. 453 f. 17 Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 501. 18 Brief an Helene Weber vom 20., 22. und 23. April 1885, unten, S. 511. 19 Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr. 47 (wie oben, S. 17, Anm. 1), S. 186. 20 Angaben aus der Personalakte Weber, GLA Karlsruhe, 456 E, Nr. 13719, und aus Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG II/2, S. 19–21. 21 Vgl. den Brief Max Webers an Karl Oldenberg vom 28. Aug. 1914, MWG II/8, S. 782, ferner Weber, Erfahrungsberichte über Lazarettverwaltung, MWG I/15, S. 23– 48.

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5. Briefe als bürgerliche Kommunikationsform Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Briefkultur. Standardbriefe waren nach der Gründung des Deutschen Reiches und der Reform des Postwesens wesentlich erschwinglicher geworden. Private Briefe wurden zu einem festen Bestandteil bürgerlicher Lebensform, sie bildeten eine vertrauliche „Art schriftlicher Gesprächskultur“. Und bürgerliche Familien legten immer stärkeren Wert darauf, ihre Kinder in die Verwandten-Korrespondenz einzubeziehen und „durch Briefe an der kommunikativen Gemeinschaft teilnehmen“ zu lassen.22 Max Webers Mutter Helene kann in diesen Hinsichten als eine vorbildliche Briefschreiberin angesehen werden. Erwartet wurden eine anschauliche Darstellung von Erlebtem, Anteilnahme an den Geschicken von Familie und nahen Verwandten, aber auch „Selbstversicherung“ und „narrative Schau“ auf das eigene Leben, und das jeweils in einem geschliffenen Stil.23 Die hier edierten „Jugendbriefe“ belegen, wie Max sich zwischen dem elften und einundzwanzigsten Lebensjahr in diesen Konventionen übte, sie im Laufe der Zeit immer besser beherrschte und eine persönliche Ausdruckskraft gewann. Die Briefe zeugen ausgiebig davon, was er einmal seine „Berichterstattungsverpflichtung“ nannte,24 angefangen von der farbigen Schilderung eines Tagesausflugs zu den Rüdersdorfer Kalkbergen nahe Berlin,25 über seinen Heidelberger, Berliner und Göttinger Studienalltag bis zu den körperlichen Strapazen der Militärausbildung. An ihnen läßt sich seine geschärfte Beobachtungsgabe verfolgen, sei es zum festlichen Einzug des Kaisers in Berlin nach dessen Genesung von einem Attentat,26 sei es zur sozialen Lage der Bauern im Elsaß.27 Und in vielen Briefen drückt sich die frühe Eigenart des jungen Weber aus, innere Anteilnahme an den Geschicken von Familie und Verwandten mit übergreifenden kulturellen Sinnorientierungen zu verbinden. Am deutlichsten kommt das im Glückwunschbrief zum Ausdruck, den er seinem vier Jahre jüngeren Bruder zur Konfirmation schreibt und ihm im belehrenden Gestus des Ältesten unter den Geschwistern „Rechte und Pflichten“ vor Augen führen will, nunmehr „an der Fortentwicklung der großen christlichen Culturentwicklung und damit der ganzen Menschheit“ mitzuwirken.28

22 Vgl. Baasner, Rainer, Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis, in: ders. (Hg.), Briefkultur im 19. Jahrhundert. – Tübingen: Max Niemeyer 1999, S. 1–36, Zitate: S. 14 und 6. 23 Ebd., S. 25. 24 Brief an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 519. 25 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, unten, S. 62–65. 26 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 7. und 8. Dez. 1878, unten, S. 129–138. 27 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 6. Okt. 1884, unten, S. 457. 28 Brief an Alfred Weber vom 25. März 1884, unten, S. 406.

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Manche Briefe dienen der Selbstdarstellung und Selbstrechtfertigung des „inneren oder äußeren Menschen“,29 als der er sich gerade empfand. Das gilt vor allem für die Korrespondenz mit der Mutter, die während Webers Schulzeit an seiner Verschlossenheit litt und sogar seine Briefe an Vetter Fritz Baumgarten lesen wollte.30 In seiner Straßburger Zeit wechselte er mit ihr sensible Briefe über die unorthodoxe Religiosität, der er während seines regelmäßigen Verkehrs im Hause Baumgarten bei Helenes Schwester Ida begegnete. Er tauschte sich mit ihr über die Schriften des amerikanischen Schriftstellers und unitarischen Theologen William Ellery Channing aus 31 und fand darüber einen Weg, seine „Zugeknöpftheit“ ihr gegenüber anzusprechen und ihr zu versichern, „daß Dein Einfluß auf uns, trotzdem und vielleicht weil er Dir selbst nicht immer klar war, größer war, als derjenige der meisten andren Eltern auf ihre Kinder […]; ich war in meinen Gedanken oft auf ganz excentrischen Wegen und muß es hauptsächlich Deinem Einflusse zuschreiben, daß ich jetzt zu einer ruhigen Anschauungsweise gelangt und fähig bin, etwas auf die Erfahrung zu geben und die Gedanken und Persönlichkeiten anderer Menschen vorurteilslos zu betrachten und daran zu lernen.“32 Es waren Erfahrungen, die ihn entscheidend prägten. Max Weber wuchs in einem wohlhabenden bildungsbürgerlichen Umfeld auf, liberal und protestantisch weltoffen, dessen kulturellen und politischen Erfahrungsreichtum er sich aktiv und selbstbewußt aneignete, wie die hier edierten Briefe dokumentieren.

6. Zur Überlieferung und Edition Die Grundsätze, welche die Herausgeber bei der Edition des Briefwerks geleitet haben, sind in der Einleitung zu Band II/5 der Max Weber-Gesamtausgabe niedergelegt, auf die hier verwiesen wird.33 Dort ist auch dargelegt, welche Konsequenzen sich aus der fragmentarischen Überlieferung des Briefwerks für die Edition ergeben. Im Fall des vorliegenden Bandes beginnt eine kontinuierliche Korrespondenz im Jahr 1875. Für den Bandzeitraum von 1875 bis 1886 sind ausschließlich Briefe an die Familie und nahe Verwandte überliefert. Hierbei finden sich jedoch immer wieder Lücken von oftmals mehreren Monaten. Keine Briefe sind für die Jahre 1872 bis 1874 vorhanden, aus Webers Kinderzeit existieren lediglich zwei Briefe an den Vater von 1871,

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Brief an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dez. 1885, unten, S. 557. Vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 508. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, unten, S. 430 f. Brief an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, unten, S. 417 f. MWG II/5, S. 10–14.

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die belegen, daß der Siebenjährige bereits während seiner Zeit an der Doebbelinschen Privatschule in Berlin zum Briefeschreiben angehalten wurde.34 Die Voredition von Marianne Webers „Jugendbriefen“35 wird entsprechend den Editionsrichtlinien nicht berücksichtigt, zumal sie teilweise Fehllesungen, falsche Datierungen, ungekennzeichnete Kürzungen oder verunklarte Namen enthält. Eine Ausnahme bildet der Brief an Max Weber sen. vom 13. August 1879, der nur dort überliefert ist. Da die „Jugendbriefe“ in der bisherigen Forschung jedoch eine wichtige Bezugsquelle darstellen, werden am Ende des Bandes Seitenkonkordanzen abgedruckt.36 Eine Besonderheit bilden 23 Briefe und 3 Karten, die in einem defekten Zustand überliefert sind, nämlich von oben nach unten zerrissen und nachträglich wieder zusammengeklebt. In einem Fall, einem Brief an Helene Weber, der im Oktober 1883 abgefaßt worden sein muß, fehlt allerdings die abgerissene Blatthälfte; der Brief konnte daher hier nicht aufgenommen werden.37 Wer die Briefe wann und warum zerstört hat, und warum sie dennoch aufgehoben worden sind, kann heute nicht mehr geklärt werden. Der Brief an Max Weber sen. vom 22. August 1881 ist nur in einer Kopie des Originals vorhanden,38 der Verbleib des Originals selbst ist unklar. Gegenkorrespondenzen, wie sie entsprechend der Editionsrichtlinien in den Anmerkungen zu nennen wären, sind für den vorliegenden Band keine überliefert.

34 Den ersten Brief, undatiert, schrieb Max Weber zum 35. Geburtstag des Vaters am 31. Mai 1871: „Lieber Papa, ich weisz nicht wasz ich dir schreiben soll, auszer einem schönen Grusz und Glückwunsch von mir, und der Tante Tiede, zu deinem und der Tante Ottielie ihrem Geburtztage. Die Tante Tiede hat die Mama morgen zum Mittagessen eingeladen, da wollen sie euern Geburtstag feiern. Wenn du wieder kommst, muszt du mir recht viel erzälen, wo du gewesen bist. Viele Grüse von mir und Alfred und dem Stümpelbein. Grüsze Groszpapa und Groszmama und Tante Ottilie von deinem Max“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 2). – Der zweite Kinderbrief lautet „Lieber Papa[.] Ich bin seit vorgestern in Oerlinghauszen und habe VI Glühwürmchen geseh’n. Und Karlo hat II gefangen, aber auch bald wieder lossfliegen lassen. Und wir haben Bole mit Erdbeeren getrunken und nochobendrein Rinderbraten und Lachs gegessen[.] Und wir sind erst um I / II / XII zu Hause angelangt. Es giebt schon etliche reife Himbeeren und Stachelbeeren. Ich bin auch mit Karlo oben auf dem Berge gewesen und habe Rohbeeren gegessen. Und als wir zurükkamen, schlief ich ein bischen im Wagen ein[.] Lebe glücklich, lebe froh wie der Mops im Paleto. Max Weber den 17 Juli 1871“ (Privatbesitz Richard Grathoff; Fotokopie des Originals in MWA, BAdW). 35 Weber, Marianne (Hg.), Max Weber. Jugendbriefe. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) o. J. [1936]. Sie umfassen den Zeitraum vom 21. Aug. 1876 bis 2. Sept. 1893. 36 Unten, S. 742–748. 37 GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 108–110. Auch Marianne Weber hat ihn in den „Jugendbriefen“ nicht berücksichtigt. 38 Vgl. unten, S. 242–244.

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Herausgeber und Mitarbeiter waren bemüht, alle Wege, die zur Auffindung von Briefen Max Webers führen konnten, systematisch zu verfolgen. Es darf davon ausgegangen werden, daß die erhaltenen Briefe nahezu vollständig in die Edition eingegangen sind. Sollten sich Briefe noch nach der Drucklegung finden, werden sie in einen letzten Band der Edition mit nachträglich aufgefundenen Briefen aufgenommen.39 Was zeitliche Lücken innerhalb des vorliegenden Bandes betrifft, so wurde versucht, sie durch Editorische Vorbemerkungen und eine angemessene Kommentierung zu schließen und dem Leser den jeweiligen Kontext zu erhellen. Briefe, die nicht überliefert, aber nachgewiesen sind, werden im Apparat verzeichnet. Soweit Briefwechsel Dritter vorliegen, etwa von Helene Weber mit ihren Schwestern, deren Kenntnis für das Verständnis eines Briefes erforderlich ist, wird der Leser in den Editorischen Vorbemerkungen oder in den Sacherläuterungen auf diese hingewiesen und gegebenenfalls der Sachverhalt paraphrasiert wiedergegeben. Die Briefe werden in chronologischer Abfolge präsentiert. Im Briefkopf werden zunächst der Adressat, dann die Datierung und der Ort der Niederschrift, die Art des Textzeugen und schließlich der Fundort mitgeteilt. Sofern die Datierung aus dem Poststempel erschlossen worden ist, wird dies mit der vorangestellten Sigle PSt kenntlich gemacht. Sollte die Datierung eines Briefes nicht oder nur unvollständig möglich sein, so wird dieser am Ende des fraglichen Zeitraums mitgeteilt. Sofern der Ort der Niederschrift nur aus dem vorgedruckten Briefkopf erschlossen ist, wird dies durch die vorangestellte Sigle BK kenntlich gemacht, sofern sich dies aus dem Poststempel ergibt, wird dem Ort der Niederschrift die Sigle PSt vorangestellt. Von den Herausgebern erschlossene Datierungen sind in eckige Klammern gesetzt und die Datierung in der Editorischen Vorbemerkung begründet. Dort werden gegebenenfalls auch weitere Angaben über die Eigenart und den Zustand des Textzeugen mitgeteilt. Dabei wird zwischen Briefen und Karten sowie Abschriften und Abdrucken unterschieden: Letztere sind dem Druck nur dann zugrunde gelegt worden, wenn die Originale nicht überliefert sind. Die Datumszeile reproduziert Max Webers eigenen Text; die vorgedruckten Teile des jeweiligen Briefkopfes – z. B. die Namen von Hotels – sind kursiv und in anderer Schrifttype wiedergegeben, um sie von dem eigentlichen Text unterscheiden zu können. Die Textpräsentation behält die Orthographie, Interpunktion und Grammatik der Originale bei und emendiert nur dort, wo dies für das Textverständnis unabdingbar ist. Einschübe im Text sind kenntlich gemacht, Streichungen und Ersetzungen im Apparat annotiert. Mit Ausnahme der in der Datumszeile, in den Anrede- und Schlußformeln verwendeten Abkürzungen werden unüb-

39 MWG II/11.

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liche Abkürzungen im Text aufgelöst und die Ergänzungen durch eckige Klammern kenntlich gemacht; ansonsten sei auf das Abkürzungsverzeichnis verwiesen. Von Max Weber durch Asterisken gekennzeichnete Zusätze bzw. Anmerkungen werden in arabischer Zählung unter dem Text wiedergegeben. Die Asterisken werden durch Ziffern mit runder Klammer ersetzt. Eindeutig falsche Schreibweisen werden emendiert und im Apparat annotiert. Satzzeichen werden dann, wenn sie für das Textverständnis notwendig sind, in eckigen Klammern ergänzt. Emendationen wurden auf das Nötige beschränkt, nicht eingegriffen wird in Webers schon auf der Privatschule und vor den Dudenreformen eingeübte Schreibweise wie „par“ statt „paar“ oder in die alternierende Schreibweise von „Strasburg“ und Straßburg“. Mit Nachweis korrigiert wurden jedoch Namensverschreibungen wie zu Webers Burschenschaft „Allemannia“, die er gelegentlich, wie an anderen Universitätsstädten üblich, „Alemannia“ schrieb.40 Datierungsfehler werden nur dann emendiert, wenn sich die richtige Datierung zweifelsfrei nachweisen läßt. Im übrigen wird auf die Editionsregeln hingewiesen, die am Ende dieses Bandes wiedergegeben sind.41 Im Sachkommentar werden Sachverhalte, deren Kenntnis für das Verständnis der Briefe erforderlich ist, erläutert. Alle in den Briefen nur mit ihren Vornamen erwähnten Personen werden im Anmerkungsapparat unter Angabe des Nachnamens identifiziert. Von dieser Regel werden die nächsten Anverwandten Max Webers ausgenommen, und zwar Vater Max Weber sen., Mutter Helene Weber, seine Geschwister Alfred, Karl, Arthur, Clara und Lili, ferner Hermann und Ida Baumgarten, deren Söhne Fritz und Otto sowie Tochter Emmy; Wilhelm und Emilie Benecke sowie Adolf und Henriette Hausrath. Das Personenverzeichnis gibt ergänzende biographische Hinweise auf die in den Briefen erwähnten Personen; im Sachkommentar werden daher nähere Erläuterungen zu Personen gegeben, die für die betreffende Briefstelle aufschlußreich sein können. Um die weitverzweigten und teilweise sich kreuzenden Verwandtschaftsbeziehungen im Zusammenhang sichtbar zu machen, werden dem Personenverzeichnis Übersichten über die Nachkommen von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, dem Bruder des Vaters von Max Weber und Großvater von Marianne Weber, angefügt.42 Das Register der Briefempfänger sowie Personen- und Ortsregister gewähren zusätzliche Möglichkeiten der Erschließung des Briefbestandes. Dem vorliegenden Band sind zwei Anhänge beigefügt. In Anhang I. werden zwei Schüleraufsätze mitgeteilt, die Max Weber zu Weihnachten 1877 und 1879 seiner Familie widmete. Sie sind ein Beispiel für den Schulstoff, den er 40 Vgl. dazu oben, S. 15 mit Anm. 71. 41 Unten, S. 749–755. 42 Unten, S. 715–718.

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in lange „Beester“ von Aufsätzen zu verarbeiten hatte43 und dokumentieren zugleich sein ausgeprägtes Interesse an historischen Themen und den hohen Stellenwert, welchen historische Bildung im Deutschen Kaiserreich besaß.44 Anhang II. faßt alle universitären Lehrveranstaltungen systematisch zusammen, deren Besuch Weber in den verschiedenen Briefen seiner Studienzeit nennt.

43 Vgl. oben, S. 9 mit Anm. 31. 44 Vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Dez. 1879, unten, S. 204–208, und ausführlicher die Editorischen Vorbemerkungen zu diesen Schüleraufsätzen, unten, S. 601–603 und 620.

Briefe 1875–1886

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8. Juli 1875

Helene Weber 8. Juli [1875]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 36–37 Zweite Ziffer des Jahresdatums nicht gesicherte Lesung, Zusatz von der Hand Marianne Webers: „75?“. Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen. Es ergibt sich aus dem Bericht über den Absturz des Ballonkünstlers Henri Beudet, der sich am Sonntag, dem 4. Juli 1875, ereignete, sowie aus der Tagesangabe „heute, am Donnerstag“. Der 8. Juli 1875 war ein Donnerstag. Wo sich Helene Weber aufhielt, konnte nicht ermittelt werden.

Charlottenburg 8 Juli/75a. Liebe Mama!

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Jetzt endlich komme ich dazu, Dir auch ein parb Zeilen zu schmieren. Vor allen Dingen will ich Dir schreiben, daß es uns mit der Einquartierungc ganz gut gegangen ist,1 obgleich mehrere Confusionen dazwischen kamen. Herr Duwe wußte Orte um sie unterzubringen2 und Frau Freitag nahm den einen Mann gerne bei sich auf.3 Aber zwei bis drei mal kamen doch Soldaten hierher um nach Quartieren zu fragen; sie wurden aber abgewiesen [.] Da kamd gestern Nachmittag plötzlich wieder eunser Soldate zu uns und nachdem er durch eine lange Rede den Zweck seines Kommens erklärt hatte, sagte er schließlich noch einmal kurz, der Unterofficier werde heute, am Donnerstag, kommen, und das Billet für die Ausquartirung des Soldaten fordern,4 das sollten wir ihm aber nicht geben, sondern sagen, daß das Billet schon vergeben wäre; weil nähmlich der Unterofficier an Stelle des Soldaten [,] den Frau Freitag statt uns |:an:|genommen hatte, bei derselben schlafenf, der Soldat aber sollte Leibnitzstr.5 11 an seiner Stelle schlafen. (Hat ihm a Unsichere Lesung. b paar > par c Einquartirung > Einquartierung e–e einer von den Soldaten > unser Soldat f schafen > schlafen

d 〈ges〉

1 Es handelt sich um eine militärische Einquartierung. Ein Teil der Mannschaften und Pferde der Berliner Garnison war in den 1870er Jahren noch dauerhaft in städtischer Privat-Einquartierung untergebracht. 1875 lag die Anzahl der Verpflegungstage bei mehr als 700000. Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin, hg. von Richard Böckh, 4. Jg., Berlin: Verlag von Leonhard Simion 1878, S. 198. 2 Es handelt sich sehr wahrscheinlich um Albert Duwe, einen Nachbarn der Familie Weber. Er wohnte in der Charlottenburger Schillerstraße (Höhne‘sches Haus). 3 Frau Freitag wohnte im Haus von Albert Duwe, im dritten Stock. 4 Die Billets dienten zur Abrechnung der Einquartierungskosten. 5 Familie Weber wohnte Leibnizstraße 19, in zeitgenössischen Adreßbüchern und auf Stadtplänen auch „Leibnitzstraße“.

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8. Juli 1875

schon)! Sonntag kam ein riesiger Ballon über unser Haus weg geflogen, doch kaum war er über die Göthestr. hinweg, so verlor der Mann [,] der unten auf einem Querbrett saß, den Anker und als er sich bemühte, den Ballon zur Erde zu bringen, schoß der Ballon plötzlich nieder, überschlug sich zweimal und trollte dann, zur Erde gelangt, noch eine ganze Strecke fort.6 Alfred und ich rannten gleich hing, setzten hinten bei Wilmersdorf über Stoppeln und Felder, und ich half dem Alfred über den Graben bei Wilmersdorf hinweg, während gerade neben uns ein junges Mädchen von etwa acht Jahren an der Hand einer Frau platschend in den Koth und Dreck und Schlamm und Wasser des Grabens fiel. Der Ballon war 80‘ lang,7 Beudet, der unglückliche Aëronauter, war von der Sonne dunkelroth und braun gebrannt. Gestern, am Mittwoch, als ich eben einen Brief an Dich auf die Post brachte, hörte ich plötzlich über mir ein furchtbares Gebrause und sah denselben Luftballon dicht über Röhrs Hause8 schweben. Doch kaum war er über die Göthestraße hinweg, so schoß er plötzlich unendlich schnell nieder und fiel unweit Schönebergsh krachend herab.9 Ich und Helene,10 die mir nachgelaufen g 〈und〉

h Schöneberg > Schönebergs

6 Laut Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 307 vom 6. Juli 1875, Mo.Ausg., S. 8, hatte die Ballonschau des französischen Aeronauten und Akrobaten Henri Beudet am Sonntag, dem 4. Juli 1875, Nachmittags beim Restaurant- und Kaffeegarten „Neuer Hofjäger“ vor den Augen einer „nach vielen Tausenden zählenden Menschenmasse“ begonnen: „Beudet benutzt nicht wie andere Aeronauten eine Gondel zum Aufsteigen, sondern hält sich an einem Trapez fest, auf welchem er noch allerlei Turnübungen macht.“ Über den Fortgang der Ballonfahrt heißt es weiter: „Beudet begann seine Fahrt an einem Seile hängend; dann kletterte er, während der Ballon mit rasender Eile in die Höhe schoß, bis zum Trapeze hinauf, grüßte die ihm zurufenden Zuschauer und begann seine Kunststücke. Der eben sich erhebende Ostwind trieb den Ballon gegen den Grunewald hin – bald war er den Blicken entschwunden.“ Zur Landung wurde nur kurz notiert: „Um 71/2 Uhr, also eine Stunde später, kam Beudet hinter Wilmersdorf nieder; er wurde von dort mittels eines nachgesandten Wagens zur Stadt zurück befördert.“ 7 80‘ ist die Notation für 80 (preußische) Fuß; rund 25 Meter (1 Pr. Fuß = 31,385 cm). 8 Das Haus von Kommerzienrat L. Röhr lag in der Nachbarschaft, in der Leibnizstr. 16. 9 Über die zweite „Auffahrt“ Beudets vom „Neuen Hofjäger“ aus, am Mittwoch, dem 7. Juli 1875, notierte die Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 313 vom 9. Juli 1875, Mo.Ausg., S. 8, diese sei nicht so glimpflich verlaufen wie die erste: „Der Ballon flog über den zoologischen Garten hinweg der Kurfürstenstraße zu, wo er rapide zu sinken begann. An der Ecke der Kurfürsten- und Maaßenstraße verfing er sich in einen Baum; Herr Beudet kam glücklich davon, der Ballon aber wurde sehr stark beschädigt. Viele Tausende hatten das Aufsteigen beobachtet, aber noch mehr den Flug verfolgt, denn der Ballon war längere Zeit in der Stadt sichtbar.“ 10 Max Webers früh verstorbene Schwester Helene (Helenchen).

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war, rannten noch die Schillerstraße herab und kamen gerade in dem Augenblicke an der Ecke der Schiller- und Grollmannstr.11 an, als der Ballon krachend niederstürzte. Der arme Beudet! Der hat sich doch hier ganz gründlich blamiert! Gestern wareni Frau Wiedenhöft12 und ihr Bruder13 hier. Hertha14 sah in der letzten Zeit sehr unwohl und blaß aus, jetzt hat sie aber wieder ihre alten, rothen Backen. Bitte entschuldige mein mörderliches Geschmier, da ich nachher auch noch arbeiten und üben will, wozu es vor der Klavierstunde zu spät war[.]15 Grüße doch Hilda16 und Onkel und Tante17 herzlich von Deinem treuen Sohne Max.

i O: war 11 Gemeint ist die Charlottenburger Grolmannstraße. 12 Nicht sicher ermittelt. Das Berliner Adreßbuch führt nur einen Eintrag dieses Namens, eine Witwe Wiedenhöft, geb. Colberg, Am Königsgraben 15. Der Geburtsname Colberg spricht dafür, daß es sich um eine entferntere Verwandte handeln könnte. Die Schwiegermutter von Otto Weber in Hamburg, dem Bruder von Max Weber sen., Dorothee Luise Moll, verw. Röltgen, war ebenfalls eine geborene Colberg. 13 Nicht ermittelt; vgl. dazu die vorangehende Anmerkung. 14 Nicht sicher ermittelt. Der Name Hertha findet sich im weiteren Familienkreis Max Webers mehrfach. 15 Max Weber erhielt seit ungefähr seinem zehnten Lebensjahr Unterricht bei einem Klavierlehrer in Charlottenburg (vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 43). 16 Nicht ermittelt. 17 Welcher Onkel und welche Tante hier gemeint sind, konnte nicht ermittelt werden.

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23. September 1875

Helene Weber 23. September 1875; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Vom ersten Teil des Gedichts (bis „dein treuer Filius und Schuldner Max.“) existiert ein undatierter Entwurf, mit zwei handschriftlichen Korrekturen von Max Weber sen., GStA PK, GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 9. Dieser Entwurf wird hier nicht berücksichtigt. Anlaß für Max Webers Gedicht dürfte die Geburt seiner Schwester Clara gewesen sein, die am 5. September 1875 in Charlottenburg geboren wurde.

Charlottenburg 23 September 1875. Liebe Mama. Ich gratulire dir, daß du allhier nun wieder Erschienen bist gesund und hoffe, daß hinfüro Ein gram- und kummerloses Leben dir bescheert sey. Wir die erwachsen wir, langsam almählicha, werden. Wir wollen ebenfalls, was wirb vermögen Beitragen dazu, daß die Schwarte knackt; Durch Eintracht dich erfreu’n und einer dem andern Nachgeben und in allem ihm getreulich helfen. Dir sei beschieden, Kindes-Kindes-Kinder Bis in das vierte Glied zu schauen Glückwünsche Von ihnen zu emphahen1 und den Dank für deine So treue Sorge zu erhalten, den wir dir noch schuldig sind. In Berolinum freue dich des Alters oder inc Der schön’ren Heimath Heidelberg beim grozâz Vaz2

a allmählich > almählich

b In O folgt nochmals: wir

c 〈d〉

1 Gemeint sein dürfte: empfahen; eine ältere Form für: (feierlich) empfangen. 2 Der Schlußteil des Gedichts wurde offensichtlich durch Joseph Victor von Scheffels „Das große Faß“ aus dem Jahre 1865 inspiriert, das anläßlich der 24. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Heidelberg gedichtet wurde. Es preist in humoristischer Form das Große Faß im Heidelberger Schloß. Die für das folgende adaptierte Strophe lautet dort: „Dietrich von Bern rief oftmals froh/ Im Keller seines Schlosses:/ ,Thata liubo fat, thata mikilo!/ Du liebes Faß, du großes!‘/ Und oft sah ihn der Gothen Heer/ Vergnügt dem Reichsschenk winken:/ ,Schafft eine Maas zu trinken her!/ Skapia maziaia drinkan!‘“ Zit. nach Scheffel, Joseph Victor von, Gaudeamus! Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Neunundvierzigste unveränderte Auflage. – Stuttgart: Adolf Bonz & Comp. 1887, S. 109 (hinfort: Scheffel, Gaudeamus!).

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23. September 1875

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Dem Fat-thata mikiló und der Großmama.3 —.— Hinfüro staht nok allhierr: Fatis this mikilins4 Wein erfreue dein ruhiges Alter. Dieses Gedicht reichtd dir jetzo dein treuer Filius und Schuldner Max.

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and Ott’Henerik5 saggt: 6 „Iz rinnit nich ein tropho mêr“ „De Vin is vortgehupfit“ „Ou we, min grozaz Vaz staht lêr“ „Se han’t mirz uz gesupfit.“ Max Weber 23/9 75. Thata liubad Fat, thata mikiló.

d O: reicht〈ht〉 3 Emilie Fallenstein, geb. Souchay, Max Webers Heidelberger Großmutter. 4 Scheffel hat die oben, S. 32, Anm. 2, zitierte Strophe mit einer Anmerkung versehen, in der „das große Faß“ im Gotischen dekliniert wird. Max Weber übernimmt hier die 2. Person Singular Genitiv: „fatis this mikilins“ (Scheffel, Gaudeamus! (wie oben, S. 32, Anm. 2), S. 109). 5 Gemeint ist Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz, der noch durch das zeitgenössische studentische Liedgut als Weinliebhaber besungen wurde. In Scheffels Gedicht taucht er nicht namentlich auf. 6 Max Weber zitiert hier den Schlußteil einer weiteren Strophe des Gedichts (Scheffel, ebd., S. 109). Im Original heißt es: „Des Rothbarts Kaisermacht empfieng/ Den Reichstag gern beim Fasse/ Und sang, wenn’s auf die Neige gieng,/ In althochdeutschem Basse:/ ,Iz rinnit nich ein tropho mêr,/ Der wîn ist vortgehupfit./ Ou wê mîn grôzaz vaz stât lêr,/ Sie hâ’nt mirz ûz gesupfit!‘“

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1. Januar 1876

Max Weber sen. 1. Januar 1876; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 12–13 Im Anschluß an Max Webers Brief finden sich einige Zeilen Helene Webers mit Neujahrswünschen an ihren Mann und die Verwandten in Bielefeld, wo Max Weber sen. sich zum Jahreswechsel aufhielt.

Charlottenburg. 1 Januar 1876. Lieber Papa! Ich gratulire Dir zum neuen Jahre und wünsche, daß wir 1876 wie 1875 glücklich verleben. Gestern Abend um 7 gingen wir in unseren Masken, die ich Dir beschrieben habe,1 hinunter; Louise, 2 Bertha3 und deren Bräutigam4 hätten vor Lachen platzen mögen [.] Dann führten wir einen afrikanischen Tanz auf, während Frau Borchart5 dazu auf einem Kamme blies. Ich trank dann mit Mama Thee, dann spieltena ich und Mama abwechselnd Weihnachtslieder,6 und Mama sang dazu, während ich die Oktaveb brummte. Nachher spielte Mama aus dem Meßias von G[eorg] F[riedrich] Händel7 und aus ihrem Lieder-Lexikon8 und ich las Schillers „Jungfrau von Orleans“.9 Wir thaten uns mit Pfannekuchen und Kuchen tüchtig zu Gute; um 12 Uhr stießen wir auf das Wohl una O: spielte

b Alternative Lesung: Oktaven

1 Ein direkt vorausgehender Brief an Max Weber sen. ist nicht nachgewiesen. 2 Sehr wahrscheinlich eine Bedienstete der Familie Weber. 3 Sehr wahrscheinlich ebenfalls eine Bedienstete. 4 Nicht ermittelt. 5 Nicht sicher ermittelt; da sie sich später bei den Dienstboten aufhielt, dürfte es sich ebenfalls um eine Bedienstete der Familie Weber handeln. 6 Max Weber erhielt seit einiger Zeit Klavierunterricht. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. Juli 1875, oben, S. 31 mit Anm. 15. 7 Georg Friedrich Händels 1741 komponiertes und 1742 uraufgeführtes Oratorium „Der Messias“ (auch: „Messiah“). Innerhalb seines Gesamtwerkes erlangte „Der Messias“ besondere Berühmtheit. 8 Gemeint ist möglicherweise: Deutsches Liederlexikon. Eine Sammlung der besten und beliebtesten Lieder und Gesänge des deutschen Volkes. Mit Begleitung des Pianoforte, hg. von August Härtel. – Leipzig: Reclam 1865 (zahlreiche Neuauflagen). 9 Schiller, Friedrich, Die Jungfrau von Orleans (1801), in: ders., Maria Stuart. Die Jungfrau von Orleans, hg. von Julius Petersen und Friedrich Beißner (Schillers Werke. Nationalausgabe, hg. von Julius Petersen und Gerhard Fricke, Band 9). – Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1948, S. 165–320.

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1. Januar 1876

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serer sämmtlichen Verwandten und Bekannten an, dann ging ich hinauf und gewann auch der Louise und Frau Borchart ein „Prost-Neujahr“ ab. Bertha und ihr Bräutigam waren auf den Maskenball gegangen und Louise war in folge des vielen Glühweintrinkens beinahe betrunken. Nun adieu lieber Papa, grüße Onkel Otto,10 Tante Ottilie,11 Großmama,12 Onkel Möller13 und die Örlinghäuser,14 wenn Du sie siehst und wünsche allen ein glückliches Neues Jahr von Deinem Sohne Max. Die Mappe habe ich gleich Vormittag zu Siemens gebracht.15

10 Otto Weber. 11 Ottilie Weber, Zwillingsschwester von Max Weber sen. 12 Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. 13 Karl Möller. 14 Gemeint sind Max Webers Onkel Carl David Weber und seine Frau Marianne Weber, geb. Niemann, mit ihren Kindern. 15 Sehr wahrscheinlich Georg Siemens, der zum engeren politischen und persönlichen Freundeskreis von Max Weber sen. gehörte (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 462). Um welche Mappe es sich handelt, ist nicht dokumentiert.

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1. August 1876

Helene Weber 1. August PSt 1876; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 14 Max Weber schrieb diese sowie die folgenden Karten vom 9. August, vom 13., 14. und 15. August 1876, unten, S. 38–42, an Helene Weber bzw. Max Weber sen. nach Heidelberg. Die schulpflichtigen Söhne Max und Alfred Weber waren vor der übrigen Familie vom Sommeraufenthalt in Heidelberg nach Charlottenburg zurückgekehrt.

Charlottenburg. Dienstag den 1 August. Abends. Liebe Mama! Daß wir glücklich angekommen sind, hast Du schon aus meiner Depesche erfahren.1 Die Schule begann doch schon am Montag, 2 wo ich aber natürlich nicht hingehen konnte.3 Es geht hier alles seinen gewöhnlichen Weg, Alfred macht seine Arbeiten ganz gut. – Daß ich Dir nicht mit Alfred zugleich schreibe, hast Du Dir dadurch zu erklären, daß ich nicht einen einzigen Bogen habe und, da ich noch viel arbeiten muß und es schon ziemlich spät ist, nicht erst zu Strauß laufen kann.4 Ich bin mit meinen 35,57 Mk schon bis auf 0,49 M. zu Ende, da ich Julie, 5 die fast banquerott war, 30 M. gegeben habe. Deshalb will ich morgen zu Friedlaenders6 gehen und mir 50 Mk. holen; 20 M. davon soll Julie haben. – – Bei der Ankunft hier war ich etwas übel (wie in Heidelberg), doch das hat sich bald gegeben. Ich erwarte bis Freitag oder Sonnabend Antwort. Sage doch dem August,7 ich ließe ihn schön grüßen und würde ihm auch bald schreiben, ebenso dem Papa und der Großmama.8 Die Fräulein Arendts9 lasse ich schöna grüßen und um a O: schon 1 Die Depesche ist nicht nachgewiesen. 2 Montag, der 31. Juli 1876. An diesem Tag endete am Charlottenburger Gymnasium die Sommerpause (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, VIII. Jahres-Bericht, 1877, S. 33). 3 Max Weber bezieht sich möglicherweise auf die unten erwähnte Übelkeit. 4 Die Papier- und Bücherhandlung R. O. Strauß in Charlottenburg. Sie lag in der Berliner Straße. 5 Bedienstete im Hause Weber. 6 Helene Webers Jugendfreundin Clara Friedländer und ihre ebenfalls unverheiratete Schwester Magdalena Laura Friedländer wohnten seit Beginn der 1870er Jahre bei ihrem Bruder, dem Arzt George Friedländer, in Berlin. 7 August Hausrath. 8 Emilie Fallenstein, geb. Souchay, Max Webers Großmutter in Heidelberg. Briefe an alle drei genannten Personen sind nicht nachgewiesen. 9 Es dürfte sich um Fräulein Ahrens handeln, eine Art Hausdame Emilie Fallensteins (Brief

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1. August 1876

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Entschuldigung bitten, daß ich ihr in der Eile ganz vergessen habe adieu zu sagen. Für dies mal muß schließen Dein Sohn Max.

von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 11. Juli 1877, Privatbesitz BaumgartenSchoeppe). Weiteres ließ sich zu ihrer Person nicht ermitteln.

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9. August 1876

Helene Weber 9. August 1876; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 15 Zur Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36.

Charlottenbg. 9. Aug. 76. Wichtige Nachricht! Junge Katzen!! Schon vor 14 Tagen hat die rothgelbe Katze auf Zerbe’s1 Bett (!!) 4 junge Katzen geworfen. Dann warf adie grauea unter Frl. Blume’s2 Verandatreppe 4 Junge, wovon ein schwarzer Kater besonders bei uns logiert. Jetzt warf die „Alte“ in Papa’s Locus 3 Junge, einen schw[arzen] Kater, einen grauen Kater u. eine graue Katze [.] Die Jungen der Rothgelben sind ersäuft, die anderen waren, als sie zuerst bemerkt wurden, schon viel zu groß dazu. Also wieder 7 Katzen mehr (!!!!). Max.

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a–a dann > die graue 1 Bediensteter im Haus der Familie Weber. Er war für Gartenarbeiten zuständig. 2 Es handelt sich um eine Nachbarin der Familie Weber in der Leibnizstraße 20.

13. August 1876

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Helene Weber 13. August 1876; PSt Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 16 Zur Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36.

Sonntag. 13. Aug. 76. Liebe Mama.

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Wir möchten sehr gern erfahren, ob Du schon in dieser Woche oder erst in der nächsten zurückzukommen gedenkst. Aprikosen kosten 1 Mandel1 2 Mk; Preißelbeeren 5 Liter 2 Mk.; Heidelbeeren 5 Liter 1 Mk, 50 Pf.; Saure Kirschen 5 Liter 3 Mk. Wenn es Dir nicht zu theuer wird, will Julie2 welche einmachen. Übrigens wird das nicht gut gehen, da unsere Geldvorräthe bis auf 1[6] a Mk. geschmolzen sind. Sonst geht alles gut. Julie konnte keineb Senfgurken einmachen, da keine Chalottenc zu bekommen waren, sie hat deshalb Zuckergurken eingemacht. Meine Geldrechnung ist in Ordnung. Julie und Marie3 haben gleichfalls ihre Rechnungen gemacht. Frau Borchart’s Tochter4 war eben hier und erkundigte sich, wann ihr zurückkämt. Bitte grüße doch Frau Borchart von mir und ihrer Tochter. Marie hat Dir nichts wichtiges zu melden. Zerbe5 will uns von Schulzes6 Ableger verschiedener Pflanzen verschaffen, wenn es Dir und dem Papa angenehm wäre. Wir beabsichtigen heute Nachmittag nach Schlachtensee zu gehn. Damitd muß ich schließen. Max.

a Textverderbnis in O; Papier beschädigt. d O: Darmit

b 〈s〉

c Charlotten > Chalotten

1 Alte Mengenangabe; eine Mandel bedeutete z. B. bei Obst 15 Stück. 2 Bedienstete der Familie Weber. 3 Bedienstete der Familie Weber. 4 Vermutlich die Tochter der im Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 1. Januar 1876, oben, S. 34 mit Anm. 5, erwähnten Bediensteten. 5 Bediensteter im Haus der Familie Weber. Er war für Gartenarbeiten zuständig. 6 Sehr wahrscheinlich die in direkter Nachbarschaft, Leibnizstraße 11, wohnende Familie von F. W. Schultze.

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14. August 1876

Helene Weber 14. August PSt 1876; PSt Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 17 Zur Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36.

Montag. 14 August Nachm. Liebe Mama. Gestern warena Tante Schmidt1 und Frau Oberbürgermeister Hobrecht2 hier, während wir nicht zu Hause waren. Ich will Mittwoch Nachmittag sie besuchen. Um unseren Geldzustand steht es sehr schlecht [,] bis Ende der Woche kommen wir allenfalls noch aus, dann aber ist auch nichts mehr vorhanden. Wenn es Dir recht ist, könnte uns aber ja vielleicht Herr Dr. Brendicke oder Tante Friedlaender3 etwas vorschießen, denn Geld müssen wir jetzt unter allen Umständen haben. – Die Parthie gestern war wirklich sehr schön und lustig. Die Tertianer waren nachher sämmtlich angetrunken.4 Als wir um 10 1/ 2 Uhr zu Hause kamen, trafen wir die Mädchen5 nicht zu Hause, sie waren uns entgegengegangen. Doch kamen sie balde wieder und machten uns auf. Alfreds Hals ist ganz in Ordnung. Er gurgelt nach Dr. Alts Anweisung6 des Tages mehrmals mit Alraun. Bitte uns eure Rückkunft vorher wissen zu lassen. Fremden Jungen, die Alfred hereinließ, habe ich verboten zu kommen, wenn Herr Dr.7 nicht zu Hause ist. Im Griechisch habe ich das beste Extemporale8 geschrieben. Mit herzlichem Gruße Max.

a O: ist 1 Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld, die Frau von Julian Schmidt. Das Ehepaar Schmidt war mit der Familie Weber befreundet. 2 Emma Hobrecht, geb. Stampe. 3 Helene Webers Freundin Clara Friedländer. 4 In seiner Karte vom Vortag, oben, S. 39, hatte Max Weber einen Ausflug nach Schlachtensee angekündigt. 5 Die Bediensteten der Familie Weber, Julie und Marie. 6 Dr. Paul Alt, praktischer Arzt, hatte seine Praxis in der Leibnizstraße. 7 Gemeint ist Max Weber sen. 8 Von lat. „extemporalis“, für: unvorbereitet, aus dem Stegreif. Extemporalien waren regelmäßig durchgeführte schriftliche Prüfungen, die in den klassischen Sprachen meist aus einer (manchmal nach Diktat) angefertigten Übersetzung bestanden.

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15. August 1876

Max Weber sen. 15. August PSt 1876; PSt Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 18 Zur Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36.

Dienstag 15 August Mittags. a Lieber

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Papaa .

Ich soll jetzt geimpft werden, weil ich 12 Jahre alt erst 2 mal und da[s] b letzte mal ungenügend und vor ziemlich langer Zeit geimpft bin.1 Der Polizist war am Freitag hier, als ich in der Schule war. Auch Marie2 sollte geimpft werden. Eure Rückkunft wird, wenn wir nicht borgen sollen, immer dringender. Julie3 hat kein Geld mehr, weshalb ich ihr meine 10 Mk, mein letztes Geld, gegeben habe. Doch wir können uns ja von Friedlaenders4 borgen. Daß ich sowohl im Latein, als auch im Griechischen das beste Extemporale geschrieben habe, hast Du schon durch meine vorige Karte erfahren.5 Überhaupt geht alles gut. Wenn es Dir recht ist, daßc wir uns vorschießen lassen, so könnt ihr noch lange fortbleiben. Es geht hier alles denselben Gang, als ob Mama da

a–a Liebe Mama > Lieber Papa

b Textverderbnis in O.

c 〈ihr〉

1 Nach der schweren Pockenepidemie 1870–1872 hatte das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 eine (äußerst erfolgreiche) Pocken-Impfpflicht eingeführt. Sie umfaßte eine Erstimpfung bis zum Ende des 2. Lebensjahres sowie eine Wiederholungsimpfung aller Schülerinnen und Schüler im 12. Lebensjahr. Letztere erfolgte aufgrund entsprechender Listen der Schulen. Wer ohne berechtigte Ausnahmen auf behördliche Aufforderung keine Bescheinigung über die erfolgreich erfolgte Impfung von Kindern und Schutzbefohlenen vorlegen konnte, hatte mit einer Geldstrafe oder gar 3 Tagen Haft zu rechnen. Vgl. Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874, in: Deutsches Reichsgesetzblatt, hg. im Reichskanzler-Amte, Band 1874, Nr. 11, S. 31–34. 2 Bedienstete der Familie Weber. 3 Bedienstete der Familie Weber. 4 Helene Webers Freundin Clara Friedländer. Sie lebte zusammen mit ihrer Schwester Magdalena Laura bei ihrem Bruder George Friedländer in Berlin-Mitte. 5 Die Karte Max Webers an Helene Weber vom 14. August 1876, oben, S. 40. Extemporalien waren regelmäßig durchgeführte schriftliche Prüfungen.

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15. August 1876

wäre. Ich will Mittwoch Schmidts6 und Oberbürgermeister Hobrechts einen Besuch machen.7 Vorläufig lebe wohl Max.

6 Der mit der Familie Weber befreundete Julian Schmidt und seine Frau Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld. 7 Die Besuche bei den Familien von Elisabeth und Julian Schmidt sowie Arthur und Emma Hobrecht unternahm Max Weber erst am Donnerstag, dem 17. August 1876. Vgl. den folgenden Brief Max Webers an Helene Weber vom 21. Aug. 1876, unten, S. 43.

21. August 1876

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Helene Weber [21. August 1876]; o. O. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 19 Monat und Jahr sind in Verbindung mit der Karte an Max Weber sen. vom 15. August 1876, oben, S. 41 f., erschlossen. Darin schlug Max Weber vor, sich bei Friedländers Geld zu borgen und kündigte die hier erwähnten Besuche an. Die Tagesangabe ergibt sich aus dem Verweis auf den Museumsbesuch am Vortag („Gestern, Sonntag“). Der 20. August 1876 war ein Sonntag. Zur Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36.

Liebe Mama.

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Ich bin, auf Deine Karte hin, sogleich zu Friedländers gegangen.1 Am Donnerstag war ich bei Schmidts2 und Hobrechts.3 Ich habe mir Onkel Schmidts Bücher angesehen und einen Blick in Herders Cid4 geworfen. Jetzt bin ich dabei, den principe des Machiavelli5 zu lesen, den mir Herr Dr. Brendicke geborgt hat.6 Später will er mir auch den Anti-Machiavell7 borgen. Auch in Luthers Werke habe ich einen Blick gewor1 Helene Webers Freundin Clara Friedländer, die mit ihrer Schwester Magdalena Laura bei ihrem Bruder George Friedländer in Berlin-Mitte wohnte. Vgl. dazu auch die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 15. Aug. 1876, oben, S. 41 mit Anm. 4. 2 Julian Schmidt und Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld. 3 Das Ehepaar Arthur Hobrecht und Emma Hobrecht, geb. Stampe. 4 Im Hause von Julian Schmidt dürfte Max Weber vermutlich die von demselben herausgegebene Ausgabe benutzt haben: Herder, Johann Gottfried von, Der Cid. Nach spanischen Romanzen besungen durch Johann Gottfried von Herder. Mit einer Einleitung über Herder und seine Bedeutung für die deutsche Literatur hg. von Julian Schmidt (Bibliothek der deutschen Nationalliteratur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, 15). – Leipzig: Brockhaus 1868. 5 „Il principe“ (um 1513 verfaßt) lag in verschiedenen deutschen Übersetzungen vor, so u. a.: Machiavelli, Niccolo, Der Fürst. Übersetzt und bevorwortet von W. Grüzmacher (L. Heimann’s Historisch-Politische Bibliothek, 33). – Berlin: L. Heimann 1870. 6 Im Sommerhalbjahr 1876 gab Dr. Hans Brendicke vertretungsweise Unterricht am Charlottenburger Gymnasium (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, VIII. Jahres-Bericht, 1877, S. 32). 7 Der „Anti-Machiavell“ erschien 1740 unter der Herausgeberschaft von Voltaire, der über dessen Inhalt zuvor einen Briefwechsel mit dem preußischen König Friedrich II. geführt hatte: Anti Machiavel, ou essai de critique sur le prince de Machiavel, publié par Mr. de Voltaire. – A la Haye au dépens de l’Editeur M.DCC.XL. Da Max Weber erst zwei Jahre später zusammen mit seiner Mutter französische Romane las (vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, unten, S. 59 mit Anm. 13 und 14), ist davon auszugehen, daß er eine der seit Mitte des 18. Jahrhunderts vorliegenden deutschen Ausgaben las (dt. Erstausgabe: Anti-Machiavel, oder Versuch einer Critik über Nic. Machiavels Regierungskunst eines Fürsten. Nach des Herrn von Voltaire Ausgabe ins Deutsche übersetzet. – Frankfurt und Leipzig 1745).

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21. August 1876

fen.8 Gestern, Sonntag, waren wir im Museum wo wir unsa die Originale und Abgüsse der verschiedensten Bildsäulen besahen. Nachher gingen wir zu Herrn Doctor’s Wohnung.9 Ich besah mir dort die verschiedenen Bücher, nachher die Münzen und Steine.10 Da es aber schon sehr spät ist, und ich zur Schule muß, so will ich schließen. Geld etc. ist in hinreichender Menge vorhanden. Ihr könnt jetzt noch sehr langeb wegbleiben. Mit dem Impfen werden wir warten [.]11 Bitte entschuldige hier diese schlechte Tinte. Morgen oder übermorgen folgt ein längerer Brief.12 Max.

a O: und

b langer > lange

8 Die Schriften Martin Luthers lagen in verschiedensten Ausgaben vor; so in der umfassenden Ausgabe: Luthers Werke. Vollständige Auswahl seiner Hauptschriften. Mit historischen Einleitungen, Anmerkungen und Registern, hg. von Otto von Gerlach, 24 Bände. – Berlin: Wiegand 1841–48. 9 Dr. Hans Brendickes Wohnung war in der Berliner Moritzstraße 4. 10 Hans Brendicke hatte an der Berliner Universität altdeutsche und klassische Philologie studiert. Max Weber selbst sammelte in seiner Jugend auch Münzen. In einem Brief an Fritz Baumgarten berichtete Helene Weber: „er hat noch immer sehr viel Zeit für seine Münzsammlung über und für allerhand Lektüren“; vgl. den Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 5. Juni 1879, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 11 Max Weber hatte eine polizeiliche Aufforderung zum Impfen erhalten, vgl. dazu die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 15. Aug. 1876, oben, S. 41 mit Anm. 1. 12 Für die Tage nach dem 21. August 1876 ist kein weiterer Brief Max Webers an Max Weber sen. oder Helene Weber nachgewiesen.

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20. September 1876

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Emilie Fallenstein 20. September 1876; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 20–21 Im Anschluß an Max Webers Brief folgt ein Zusatz Helene Webers mit Geburtstagsgrüßen an ihre Mutter (ebd., Bl. 21). Emilie Fallenstein feierte am 22. September ihren 71. Geburtstag.

Charlottenbg. 20/9 76. Liebe Großmama!

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Soeben höre ich, daß schon übermorgen der 22te und Dein Geburtstag sey. Ich habe gar nicht daran gedacht, sonst hätte ich Dir wohl noch irgend etwas mitschicken können. Wir leben hier immer einen Tag wie den andern, vor dem Mittag, also ungefähr immer von 12–4 Uhr, arbeite ich, nach dem Mittag übe ich.1 Dasa Sommer-Semester neigt sich seinem Ende zu, Ende dieser Woche ist der Schluß.2 Wie schnell ist die Zeit vergangen! Mir ist es noch wie wenn es gestern gewesen wäre, als wir bei Dir waren.3 Ich denke jetzt immer noch darüber nach, was ich dem August4 wohl als Gegengeschenk für seine schönen Schmetterlinge schicken könnte. Wenn Du mir vielleicht irgend wie etwas schreiben könntest, wofür er sich interessirte, so wäre ich Dir sehr dankbar. Wenn er sich für die Geschichte des Mittelalters interessirte, so könnte ich ihm vielleicht ein paar vollständige Stammbäume, z. B. der Merowinger, oder der Karolinger, oder der Hohenstaufen, oder der Hohenzollern, oder der Habsburger machen.5 Jedenfalls würde es mir sehr lieb sein, wenn Du mir schreiben könntest, wofür er sich interessirt. –

a O: Daß 1 Max Weber erhielt Klavierunterricht (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8. Juli 1875, oben, S. 31 mit Anm. 15). 2 Letzter Schultag war Freitag, der 22. September (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, VIII. Jahres-Bericht, 1877, S. 33). 3 Max Weber hatte wie jeden Sommer mit seiner Familie einige Zeit in Heidelberg verbracht (vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 1. Aug. 1876, oben, S. 36 f., mit Editorischer Vorbemerkung; sowie Helene Webers Nachschrift zum vorliegenden Brief; Bl. 21). 4 Max Webers Cousin August Hausrath. 5 Im Zuge seines Interesses für Herrschergeschlechter schenkte Max Weber auch Emilie Fallenstein „Seiner lieben Großmutter zu Weihnachten 1876“ einen sechsseitigen Aufsatz über „Die Staufer (Hohenstaufen)“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 22–25).

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20. September 1876

Was meinen die Leute bei Euch vom Türkenkriege?6 Bei uns, in der Residenz, sind die Gemüther aller Schuljungens äußerst erregtb von dem Kriege. Die einen sind für, die andern gegen die Türken. Ja, neulich ist es sogar zu Schlägereien darum gekommen. Der Friedec soll ja nun in nächster Zeit zu Stande kommen, und wir alle sind gespannt darauf, ob Alexinacz noch vor Abschluß des Friedens fallen wird oder nicht,7 und ob Moukthar Pascha8 Zernagora9 wird besetzen können oder nicht, endlich ob die Zernagorzen oder Montenegriner Cattaro10 bekommen werden oder nicht. Tante Friedlaender11 ist entschieden für die Türken eingenommen, während ich entschieden für die Cerben und Zernagorzen eingenommen bin. Hier regnet es jetzt Tag für Tagd mit erneuter Heftigkeit. Vor 14 Tagene war das schönste Wetter, allerdings aber grimmig kalt, jetzt ist es ziemlich warm, aber es regnet und will nicht aufhören. Die Jungens12 haben jetzt immer viel mit Drachensteigenlassen zu thun, denn die ganze Stadt läßt jetzt solche steigen, und die Helene und das „Festerlein“ (wie die kleine Clara immer genannt wird) spielen höchst vergnügt mit ihren verschiedenen Puppen und gehen auch, sobald der Himmel einmal auf ein paar Augenblicke klar ist, spazieren. Ich bin des Nachmittags theils im Garten, theils in

b eregt > erregt

c Frieden > Friede

d Tg > Tag

e Tgen > Tagen

6 Gemeint ist hier und im folgenden der Erste serbisch-osmanische Krieg 1876, der im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen gegen die osmanische Herrschaft und der allgemeinen Balkankrise von 1875 bis zum Berliner Kongreß 1878 zu sehen ist. Am 18. Juni 1876 hatten Serbien und Montenegro dem Osmanischen Reich den Krieg erklärt, nach zwei schweren Niederlagen (u. a. bei Aleksinac) mußte Serbien schon Ende August um Waffenstillstand bitten, den das Osmanische Reich auf russischen Druck hin gewährte. Montenegro hingegen gelang am 28. Juli ein entscheidender Sieg in der Schlacht von Vucˇji Do gegen den osmanischen Oberbefehlshaber in der Herzegowina, Ahmed Muhtar Pascha. Am 1. November 1876 wurde ein Vorfriede zwischen der Türkei und Serbien geschlossen, am 28. Februar 1877 der Friedensvertrag von Konstantinopel. Dieser Friede hielt jedoch nur kurz und mündete ab April 1877 in den russisch-osmanischen Krieg, dem schließlich ab Dezember der Zweite serbisch-osmanische Krieg folgte. Der Friede von San Stefano am 3. März 1878 beendete beide Kriege, der Berliner Kongreß im Juli 1878 anerkannte schließlich die Unabhängigkeit von Serbien, Montenegro und Rumänien seitens der europäischen Großmächte. 7 Wie oben, Anm. 6. 8 Ahmed Muhtar Pascha, osmanischer Oberbefehlshaber in der Herzegowina (wie Anm. 6). 9 Umschrift für: Crna Gora, dem serbokroatischen Namen für Montenegro. 10 Italienischer Name der dalmatischen Hafenstadt Kotor. 11 Helene Webers Freundin Clara Friedländer. 12 Die jüngeren Brüder Alfred und Karl Weber.

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20. September 1876

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meiner Stube. Zum Lesen komme ich jetzt wenig, weil ich mich in letzter Zeit tüchtig hinter das Arbeiten gesetzt habe. Doch weil ich eigentlich jetzt auch dem August noch schreiben möchte,13 so will ich schließen. Zum Schluß gratulire ich Dir noch zum Geburtstage und wünsche Dir langes Leben und uns noch öfter die Freude, mit Dir zusammensein zu können. Dein treuer Enkel Max.

13 Ein Brief Max Webers an August Hausrath ist nicht nachgewiesen.

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17. Juli 1877

Helene Weber 17. Juli 1877; Hexentanzplatz (Harz) Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 26 Als „Fortsetzung“ zu einer nicht überlieferten „I. Karte“ trägt die Karte keine Anrede. Sie enthält eine Anmerkung und Zusätze von Max Weber sen., die hier nicht wiedergegeben werden. Wie auch den folgenden Brief an Helene Weber vom 20. Juli 1877 und die Karten an dies. vom 24. und vom 25. Juli 1877, unten, S. 50–52, 53 f. und 55 f., schrieb Max Weber von einer Reise in den Harz, nach Pyrmont und in den Teutoburger Wald, die Max Weber sen. mit seinen Söhnen Max und Alfred im Umfeld eines Verwandtenbesuchs in Bielefeld unternahm. Solche Reisen, die Wandertouren mit der Besichtigung kulturell, historisch oder naturgeschichtlich interessanter Orte verbanden, unternahm Max Weber sen. in den Sommerferien mit seinen Söhnen regelmäßiger, auch in den folgenden Jahren (vgl. zu diesen die Editorischen Vorbemerkungen zu den Karten an Helene Weber vom 29. Juni 1878, unten, S. 68, sowie vom 14. Juli 1879, unten, S. 165).

Hexentanzplatz.a 1 17.7.77. Fortsetzung zur I. Karte. Felsparthien nach dem Wirthshause Hexentanzplatz, 2 an dessen Wirthstische ich jetzt sitze und Dir, liebe Mama, schreibe. Wir sind |:alle:| sehr vergnügt und haben unser dünnes Zeug angezogen.1) Der Alfred insbesondere ist sehr aufgeregt und vergnügt. Heute morgen, da wir uns nach einem sehr festen und guten Schlaf erhoben, äußerte er, „es schliefe sich hier doch viel besser als anderswo“. Wir haben alle kolossalen Appetit, insbesondere ich. Heute war es ziemlich kühl, kühler, als wir gedacht haben, ja, der Himmel bezog sich, als ob es regnen wollte, indessen es ist doch recht schön geblieben, doch der Alfred sagt eben, es werde ihm hier langweilig, daher will ich lieber schließen. Wir wollen jetzt durch das Steinbacher Thal3 nach dem „Waldkater“ zurück.4 Morgen geden1)

NB. hier oben haben wir unsere Überzieher anb

a Fort > Hexentanzplatz.

b In O folgen Zusätze von Max Weber sen.

1 Der Hexentanzplatz ist ein 465 Meter hohes Felsplateau über dem Bodetal im Harz. 2 Gleichnamiges Gasthaus am Hexentanzplatz. Vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland17, 1876, S. 296. 3 Gemeint ist das bei Thale gelegene Steinbachtal, durch welches man vom Hexentanzplatz aus in einem rund einstündigen Fußmarsch zum Bahnhof in Thale zurückgelangte (ebd.). 4 Der „Wald-Kater“ war ein Gasthaus (ebd., S. 294).

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ken wir auf den Roßtrappe zu klettern.5 Lebe wohl, grüße die Mädchen6 u. den Karl und gieb der Kleinen7 einen Kuß von Deinem Sohn Max.

5 Ein kegelförmiger Granitfelsen am Ausgang des Bodetals, gegenüber dem Hexentanzplatz. Die Aussicht von dort bezeichnete der Baedeker (ebd., S. 295 f.) als großartig. 6 Max Webers Schwestern Helene (Helenchen) und Clara Weber. 7 Die knapp zweijährige jüngste Schwester Clara.

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20. Juli 1877

Helene Weber 20. Juli 1877; Brocken Brief; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 27–29 Zum Kontext der Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 17. Juli 1877, oben, S. 48.

Im Brockenhause 20/7.77. zu versch. Zeiten 3a –7 Uhr Nachmittags. Liebe Mama! Ich sitze am Tische unseres Zimmerchens im Brockenhause1 und sehe mir die herrliche Aussicht an, notabene die Aussicht auf die Nebelwolken, mit denen monsieur le Blocksberg2 sich seit heute Vormittagb umpolstert hat. Wir haben uns in Wernigerode einen Führer gemiethet [,] einen Weber von Profession [,] und sind dann, angethan mit unserem dicken Zeuge, frisch auf der Landstraße den Bergen entgegengestiefelt. Anfangs ging’s im Thale und nur allmählich aufwärts, später kamen wir auf einen Fußpfad, der uns in den Fichtenwald u. zwischen Felsengerölle im Thale der Holzemme, eines kl. Flüßchens, aufwärts führte.3 Wir gelangten in die steinerne Renne, ein schönes, schmales Felsenthal, welches die Holzemme in vielen Kaskaden u. Wasserfällen durchströmt. Es war reizend, so frei von aller Last – denn unser kleines Gepäck trug der Führer – auf dem schmalen Wege immer zwischen Felsblöcken zu marschieren. Im Wirthshause zur Holzemme, das am schönsten Punkt des ganzen Thales liegt, tranken wir uns frische Courage und zogen dann aus dem Thal heraus den Renneckenberg hinan, der in der unmittelbaren Umgebung des Blocksberges liegt. Oben sahen wir den Nebel ziehen und es wurde uns, als wir in denselben hineinkamen und die Feuchtigkeit spürten, anfangs doch eklich kühl. Aber die Feuchtigkeit nahm zu und es fing an zu regnen. Das war uns nun notabene auf der ganzen Reise noch nicht passirt. Aber wir dachten,

a 2>3

b Morgen > Vormittag

1 Auf der Kuppe des Brockens gelegenes Gasthaus. Vgl. Baedeker, Mittel- und NordDeutschland17, 1876, S. 307. 2 Volkstümliche Bezeichnung für den Brocken, der in der Volkssage als „Hexenberg“ gilt. 3 Von Wernigerode aus führte ein Fußweg durch das Tal der Holzemme auf den Brocken. Der Baedeker, ebd., S. 307, empfahl, diesen nicht ohne Führer zu gehen.

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daßc der Brocken eben der „lange Herr Philister“4 sein und bleiben werde und daßd ein bischen Regen zu einer Gebirgspartie gehöre. Wir zogen jetzt auf sehr steilen Fußpfaden den Berg hinauf. Aber der Regen hörte nicht auf, sondern wurde fortwährend stärker, ja, als wir auf den breiten Fahrweg kamen, war er so stark, daß wir unsere Palletöters5 anzogen u. daß auch diese zuletzt ganz schwarz vor Nässe wurden. Wir zogen uns jetzt ungefähr 1/ 2 St. auf dem Kamm des Renneckenberges gegen den Brocken allmählich aufwärts hin, während der Regen in Strömen darniederfloß und der Nebel immer stärker wurde. Dann kamen wir auf einen schmalen Fußpfad, der steil in die Höhe ging u. uns schnell auf die Kuppe des Brockens führte. Da aber wurde der Platzregen und die Nässe geradezu unerträglich, der Nebel so dicht, daß man mit Mühe seinen eigenen cadaver sah und dazu war es eisig kalt und der Wind blies schneidend durch die Äste der kleinen, krüppelhaften Bäume. Wir waren alle bis durch die Haut mistnaß; da endlich tauchte ganz dicht vor uns das Brockenhaus aus dem Nebelmeere auf und wir nahmen „de Beene unnern Arm“ und rannten hinein „ins Vergnügen“. Damit war aber die Historia noch nicht zu Ende. Nämlich, als wir in die Wirthsstube traten, da wurde dem Papa urplötzlich die Ursache des abscheulichen Wetters sonnenklar, denn eine |:uns:| allen wohlbekannte Gestalt schoß auf ihn zu, gab ihm einen Kuß auf die Backe und drückte ihm die Hand. Es war jemand, der bisher fast immer schlechtes Wetter mitgebracht hat und den man Tante Marie Baumgarten zu nennen pflegt. Sie war von Harzburg aus heraufgefahren und das schlechte Wetter war ihr natürlich auf dem Fuße gefolgt. Sie sah sehre wohl aus. Sie ist in Harzburg zu Besuch bei ihrer Freundin, der Stadträthin Seele6 u. wollte gleich wieder hinunterfahc O: das

d O: das

e In O zweifach unterstrichen.

4 Zitat aus der siebten Strophe des „Rheinweinlieds“ von Matthias Claudius (1775): „Der Blocksberg ist der lange Herr Philister, / Er macht nur Wind wie der; / Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster / auf ihm die Creuz und Queer.“ (Matthias Claudius, Werke. Erster Band. – Hamburg: Perthes und Besser 1819, S. 116 f., hier S. 117). 1876 von Johann André vertont, war das „Rheinweinlied“ im 19. Jahrhundert äußerst populär und fand Eingang in zahlreiche Liederbücher (Linder-Beroud, Waltraud, „Immer hör vom Rhein ich singen…“. Der Rhein – ein Strom deutschen Gefühls, in: Brednich, Rolf Wilhelm und Schmitt, Heinz (Hg.), Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. – Münster u. a.: Waxmann 1997, S. 267–284, hier S. 275 f.). 5 Salopp für: Paletot; ein zweireihiger halblanger Herrenübermantel. 6 Möglicherweise Rosalie Alwine Seele, geb. Aue, die Witwe des Braunschweiger Stadtrats Friedrich Seele. Die Familie Baumgarten stammte aus Braunschweig.

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ren. Wir glaubten, wenn sie fort sei, würde sich das Wetter bessern und richtig! – kaum war sie fort, als der Regen aufhörte und auch der Nebel sich etwas verdünnte. Aber nebelig ist es immer noch u. von Aussicht noch keine Rede. Es ist aber auch schauderhaft kalt hier in diesem ganz von Holz gebauten Hause. Wir haben uns natürlich andere Hemden und Unterhosen angezogen. Dann gingen wir in die Wirthsstube [und] f tranken Kaffee.g Es [war] h nicht geheizt, aber alles Publi[kum] i schrie nach Feuer und als endlich der eine Ofen geheizt wurde, rückte alles so nahe als irgend möglich an denselben. Jetzt sind wir wieder hier oben, nur der Alfred ist unten geblieben, weil er sich da besser amüsirte. Eben hat der Papa im Bette gelegen und sich gewärmt, ich will es jetzt auch wieder thun, denn es ist, wie gesagt [,] ganz unglaublich kalt. Ich sitze hier auf einem Stuhle an unserm einzigen Tische, die Beine umwickelt mit meinem Plumeau; der Papa ist diesen Augenblick hinuntergegangen. Wenn doch nur endlich einmal dieser Nebel aufhören möchte, daß man eine Aussicht bekäme. Es stürmt jetzt auch sehr heftig da draußen.j Vorhin hat der Papa bemerkt, daß nur die Außenwände des Brockenhauses alle von Holz, zum Theil sogar von Stein sind, die Inneren dagegen zum Theil nur Tapetenwände [.] – Eben kommt er wieder herein u. erzählt mir, daß der Alfred sich unten in der Gaststube am Ofen gründlich durchgebraten hat und daß nur 6 1 / 2 Grad Wärme sind. Es ist doch schauerlich. Aber der Papa hat gesagt, er würde Dir heute Abend noch schreiben u. schlimmsten Falls schreiben wir Dir morgen wieder;7 darum, glaube ich, kann ich schließen: wir wollen jetzt auch zum Abend-Table d’hôte8 gehen. Heute (Freitag) morgen haben wir uns vom Postamt in Wernigerode Deinen Brief abgeholt. Wir freuen uns sehr, daß es dem Hans Rösing besser geht.9 Nun Adieu, viele Grüße u. der Kleinen10 einen Kuß von Deinem Sohne Max. Eben hat der Papa eine Spinne gefunden u. sich darob gefreut, denn Spinne am Abend ist glücklich u. labend. f Textverderbnis in O; Tinte verwischt. g 〈Und jetzt〉 h Textverderbnis in O; Tinte verwischt. i Textverderbnis in O; Tinte verwischt. j 〈Soeben〉 7 Ein Brief bzw. eine Karte vom 21. Juli 1877 ist nicht nachgewiesen. 8 Komplettmenü zu einem Festpreis. 9 Johannes (Hans) R. Rösing, einer der Söhne von Johannes Rösing. 10 Die jüngste Schwester Clara Weber.

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Helene Weber 24. Juli 1877; Pyrmont Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 30 Zum Kontext der Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 17. Juli 1877, oben, S. 48.

Dienstag 24. Jl. 1877 gg. Abend. Pyrmont. Caffeehaus. Liebe Mama!

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Jetzt sind wir in Pyrmont, was mir doch nicht so bekannt vorkommt, als ich dachte.1 Wir haben eben Couvert2 gegessen, – superfein, – und sitzen jetzt beide, Papa und ich, hier am Tische in der Vorhalle des Kaffeehauses in der großen Allee3 einander gegenüber, während der Alfred zu der,a Dir wahrscheinlich noch bekannten, Eisenwasserquelle hier in der Nähe gegangen ist, um sich noch ein Glas Wasser geben zu lassen. Vis-à-vis ist das Schauspielhaus und das Kurhaus, von dessen Balkon eben eine brillante Kaffeemusik erschallt. Es gefällt uns hier sehr gut. Die Vorgänge in den vorigen Tagen wird Papa Dir geschrieben haben, – daß die Tante Baumgarten das schlechte Wetter vom Brocken mit sich genommen hat; 4 von dem |:Bismarck[-]:|Denkmal auf dem Burgberge |:bei Harzb[ur]g:| mit der Aufschrift b„Nach Kanossa gehn wir nicht!! “b 5 und vielleicht auch davon, daß wir uns in Harzburg a 〈[??]〉

b–b In O zweifach unterstrichen.

1 Wie sich aus der folgenden Karte vom 25. Juli 1877, unten, S. 55, ergibt, hatte Helene Weber Pyrmont zehn Jahre zuvor mit dem damals 3jährigen Max Weber besucht. 2 Frz. für: (Tisch-)Gedeck; ein preisgünstiges Tagesgericht. 3 Die von der Trinkquelle bis zum Waldeck’schen Schloß führende Haupt-Allee bildete das Zentrum des Kurorts, an der Kaffeehaus, der Kursaal und das Theater lagen. Vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland17, 1876, S. 273. 4 Zum Zusammentreffen mit Hermann Baumgartens Schwester Marie auf dem Brocken vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 20. Juli 1877, oben, S. 51 f. 5 Das an Pfingsten 1877 errichtete und Ende August 1877 feierlich enthüllte Bismarck-Denkmal („Canossasäule“) trägt auf der Nordseite die von Max Weber zitierte Inschrift mit dem Zusatz: „Nach Canossa gehen wir nicht. Reichstagssitzung 14. Mai 1872.“ Vgl. Dormeier, Heinrich, „Nach Canossa gehen wir nicht“. Das Harzburger Bismarck-Denkmal im Kulturkampf, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Band 62, 1990, S. 223–264, hier S. 223 f. und 236 f. Den sprichwörtlich gewordenen Satz formulierte Bismarck während der Verschärfung des Kulturkampfes. Im Konflikt mit Papst Pius IX. um die Benennung eines Gesandten bei der päpstlichen Kurie sagte er, in Anspielung auf den Bußgang von Kaiser Heinrich IV. zu Papst Gregor VII. im Jahr 1077, vor dem Reichstag wörtlich: „Seien Sie außer Sorge, nach Kanossa gehen wir nicht, weder körperlich noch

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Kirschen gekauft haben und dicke Knüppels.6 Ja, dac konnte man sagen: „Fremdling, kommst Du nach Berlin einst, melde, daß Du hier gesehn. Kirschen essend auf der Straße die Familie Weber gehn. [“]7 Doch die Karte ist zu Ende, Adieu, viele Grüße von D. Sohn Max.

c 〈hört〉 geistig.“ (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags. I. Legislatur-Periode, III. Session 1872, Band 1, 21. Sitzung, 14. Mai 1872. – Berlin: Verlag der Buchdruckerei der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ 1872, S. 356). – Max Weber griff das Motto in seinem Aufsatz zu Weihnachten 1877, „Der Hergang der deutschen Geschichte im Allgemeinen namentlich in Rücksicht auf die Stellung von Kaiser und Pabst“, abgedruckt in Anhang I,1, unten, S. 603–619, wieder auf. 6 Mit Milch und Schmalz gebackene Brötchen; eine Berliner Gebäckspezialität. 7 Anklang an Friedrich Schillers „Wanderer, kommst du nach Sparta, gieb Kunde dorten, du habest / Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ Schiller, Friedrich, Elegie, in: Gedichte in der Reihe ihres Erscheinens 1776–1799, hg. von Julius Petersen und Friedrich Beißner (Schillers Werke. Nationalausgabe, Band 1, hg. von Julius Petersen und Gerhard Fricke). – Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1943 (hinfort: Schillers Werke I), hier S. 263, v. 101–102.

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Helene Weber 25. Juli 1877; PSt Horn (Lippe) Karte; eigenhändig GStA PK, Vl. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 31 Zum Kontext der Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 17. Juli 1877, oben, S. 48.

Auf dem Externsteine oben drauf. 25/7. 77. Am steinernen Tisch, auf einem Felsen. Liebe Mama

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Gestern sind wir ina Pyrmont noch herumgelaufen und haben auch das Haus wiedererkannt – ohne irgend einen Zweifel zuzulassen, ist es richtig –, in dem wir beide [,] Du und ich, vor netto 10 années logirt haben.1 Dann haben wir uns über die Wege nach den Erdfällen, den „Milchkrügeln“ etc. orientirt.2 Der Alfred wollte in „Peermunt” wohnen bleiben und sagte, wenn er erst einmal verheirathet wäre, so wolle er hier Wirth werden u. immer das Beste selbst essen. Auch wollte er in jedem Berge den Brocken wiedererkennen. Wir fuhren dann per Eisenbahn nach Bergheim, wo wir ca. 7 Uhr ankamen. Aber alle Omnibusse,3 die von hier nach Horn, einem kleinen Städtchen unweit der Externsteine,4 fuhren, waren besetzt; aber ein alter Herr, der mit seiner Familie nach Detmold fuhr, ließ uns in seinen Omnibus u. wir kamen gegen 9 Uhr in Horn an. Wir wollten nun gleich weiter nach dem Wirthshause auf den Externsteinen gehenb, 5 hatten auch unsere Sachen bereits auf einen nach Paderborn fahrenden Wagen gelegt, da zog urplötzlich ein schweres Gewitter herauf. Der Himmel bedeckte sich, aber gerade über uns schimmerte ein schmaler blauerc Streifen; fahlgelb jagten die ersten Gewitterwolken a von > in

b fahren > gehen

c gelber > blauer

1 Wohl bei einem Aufenthalt während der Erfurter Zeit der Familie Weber. Weiteres ist nicht ermittelt. 2 Die Erdfälle am Grießemer Berg bei Bad Pyrmont, durch Verwitterungs- bzw. Auswaschungsvorgänge im Untergrund bedingte Einstürze der Erdoberfläche. 3 Öffentliche Pferdewagen, die per Bahn nicht erreichbare Orte anfuhren. 4 Naturdenkmal im Teutoburger Wald, über dessen Funktion als frühe Kultstätte schon im 19. Jahrhundert spekuliert wurde (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland17, 1876, S. 271). 5 Von Horn aus führte ein ca. halbstündiger Fußweg zu den Externsteinen und dem dort gelegenen Gasthaus „bei Grüllemeyer“ (ebd.).

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über unsere Köpfe, aber nach 5 Minuten war der ganze Himmeld rabenschwarz u. es blitzte furchtbar. Und, da ein Kellner, der vom Externst[ein] herab kam, uns sagte, das Wirthshaus sei voll, so blieben wir in Horn im Rathskeller über Nacht und sind erst heute nach den Ex[tern]st[einen] gegangen. Jetzt wollen wir nach dem Hermannsdenkmal gehen.6 Adieu, viele Grüße. D. Sohn Max eauch

d 〈ent〉

von Alfred viele Grüße.e

e–e Zusatz am oberen Blattrand zu Beginn der Karte, auf dem Kopf stehend.

6 Das auf einem der höchsten Gipfel des Teutoburger Waldes zur Erinnerung an den Cheruskerfürsten Arminius („Hermann“) und die Varusschlacht errichtete Monumentaldenkmal Ernst von Bandels. Erst 1875 war das über 17 Meter hohe Standbild auf dem 1838–1846 erbauten 30 Meter hohen Sockel enthüllt worden (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland. Handbuch für Reisende, 21. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1888, S. 317).

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Fritz Baumgarten 16. April 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe Diesen und den folgenden Brief an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, unten, S. 62–67, schrieb Max Weber seinem Cousin nach Straßburg. Der acht Jahre ältere Fritz studierte im Wintersemester 1877/78 und Sommersemester 1878 an der Universität Berlin (vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studirenden der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Auf das Winterhalbjahr von Michaelis 1877 bis Ostern 1878. – Berlin: Buchdruckerei Gustav Schabe (Otto Francke) 1877, S. 3; sowie dass., Auf das Sommerhalbjahr von Ostern bis Michaelis 1878, ebd. 1878, S. 2). Zwischen den Semestern hielt er sich aber bei seiner Familie in Straßburg auf. Während seines Berliner Studiums pflegte Fritz Baumgarten engen Kontakt zur Familie Weber, die er regelmäßig in Charlottenburg besuchte. Seiner Mutter schrieb er: „Ich fühle mich jedenfalls ganz bei ihnen zu Haus und besitze die Zuneigung der Kinder, besonders auch Maxens, was der Tante eine große Freude zu sein scheint“ (Brief von Fritz Baumgarten an Ida Baumgarten vom 26. Mai 1878, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Diese Zuneigung führte auch zu einer – vor allem von Seiten Max Webers – intensiven Korrespondenz mit seinem Cousin. Vertraulich blieb diese nicht. Helene Weber suchte zunächst Vorwände, um Einblick zu nehmen. Schließlich bat sie ihren Neffen Fritz, ihr die an ihn adressierten Briefe ihres Sohnes zuzuschicken. Sie hoffte, so einen Blick in dessen Inneres werfen zu können (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 508 mit Anm. 3). Im Dezember 1878 schrieb sie: „Sei mir nicht böse, lieber Fritz, daß ich mir’s nicht versagen kann manche von Maxens Briefen wenn sich’s grade so trifft zu lesen, ich lerne meinen Jungen daraus so viel mehr kennen, denn wie er auch schreibt er kann andern und auch mir gegenüber[,] die ich es auch nicht so recht verstehe[,] nicht heraus mit dem was ihn interessirt und beschäftigt. Ist Dir’s aber unbehaglich, so ungefähr, wie wenn Dir einer beim Lesen eines Buches über die Schulter sieht, so sag’s mir offen.“ (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 30. Dezember 1878, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

Charlottenburg, den 16. April 78. Morgens Lieber Fritz!

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Du wirst wohl meinen sehr hölzernen und inhaltslosen Brief jetzt, wo ich dies schreibe, schon erhalten haben.1 Hoffentlich hast Du Dir nicht die Mühe genommen, ihn zu beantworten, zumal Du, wie Du in Deinem Briefe an Mama, den sie gestern erhalten hat, schreibst, noch immer behindert wirst auszugehen2 und deshalb Dir doch wahrscheinlich das Schreiben, wie bisher, Mühe machen wird. Ich will daher jetzt, wo ich überflüssig viel Zeit habe, Dir noch ein paar Zeilen zuschicken. Ich bin seit einiger Zeit damit beschäftigt, eine Karte Deutschlands vom 1 Der Brief ist nicht nachgewiesen. 2 Wie sich aus dem Schluß des Briefes, unten, S. 61, ergibt, hatte Fritz Baumgarten sich den Fuß verletzt.

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Jahre 1360 zu zeichnen,3 eine Zeit, über welche ich zwar immens viele schriftlichea Nachrichten, aber keine einzige Karte besitze. Es ist nun zwar eine ziemliche Mühe und in gewisser Beziehung beinahe unmöglich, jedes noch so winzige Nest in Conversationslexicis, in ausführlichen Geschichtswerken, Territorialhistorien und dergleichen mehr nachzuschlagen, aber es macht mir unglaublich sehr viel Spaß, da es eigentlich jetzt meine hauptsächlichste freie Beschäftigung ist. Es wird mir zwar manchmal höchst langweilig und ich könnte manchmal rapplig werden und auf meine Umgebung losschlagen, aber dann fällt mir, Gott sei Dank, immer noch zur rechten Zeit ein, daß diese meine Umgebung aus hölzernen Tischen und Stühlen besteht respekt. aus Büchern und daß ich doch mehr Schaden davontragen könnte, wenn ich mich mit solchen Dingen herumschlüge, als diese. Zwar ist diese meine Karte nicht gerade sehr schön und sieht sehr schmierig aus, wegen der dicken Grenzlinien, aber ich lerne dabei die anzuwendende Methode und das nächste Mal wird es dann besser. Ich muß die Grenzlinien, um sie möglichst zart und dünn herzustellen, mit Stahlfedern ziehen, da selbstb die mit einem Streichholz gezogenen Linien mir noch zu dick sind und so manches kleine reichsunmittelbare Territorium kaum eine so große Ausdehnung besitzt, wie einec mit Streichholz gezogene Linie. Ich lerne dabei auch die schreckliche Zerrissenheit unseres Vaterlandes in jener Zeit Karls des Vierten4 kennen, sowie die ungeheuren Besitzungen der Geistlichkeit, der Erzbischöfe und Äbte gegenüber den winzigen Kantonen so vieler weltlicher Herrn und Fürsten. Am Rhein und im Harz, theilweise auch in Schlesien und an der Weser und endlich in Franken [,] war die Zersplitterung am größten. Dort überall liegen solche kleinen Besitzungen wie die Abteien Essen, Malmedy, Walkenried etc. und wie die Grafschaften Reifferscheid, Manderscheid, Schleiden, Nesselrode, Mechernich, Metternich, Kerpen, Schwarzenberg, Sayn, Wittgenstein, Salm-Salm, Steinfurt, Wild- u. Rheingrafschaft, Hemburg, Limburg (nicht etwa das Herzogthum) [,] Neuwied, Wied-Runkel, Rheingrafenstein und dergleichen mehr. Freilich konnten die meisten dieser kleinen Existenzen – um keinen unparlamentarischen Ausdruck zu gebrauchen – nicht Reichsuna O: schriftlichen

b O: sebst

c ein > eine

3 Die Karte war auch im September noch nicht fertiggestellt. Vgl. den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 22. Sept. 1878, unten, S. 125 mit Anm. 5. 4 Karl IV., ab 1355 römisch-deutscher Kaiser.

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mittelbarkeit im vollsten Sinne des Worts beanspruchen, denn das Lehenswesen war damals noch in vollster Blüthe stehend und man würde, wollte man auf einer Karte alle Lehen, Afterlehen und so weiter andeuten, rein verrückt werden. Ich muß mich deshalb darauf beschränken, die Territorien nur zu umgränzen und das Lehenswesen und Afterlehenswesen aus dem Spiele zu lassen, da ich sonst eine ungeheure Zahl von Farben brauchte, welche mir jedoch nur in sehr beschränkter Zahl zu Gebote stehen. Sonst ist eigentlich, seitdem ich meinen letzten Brief an Dich richtete, 5 nichtsd besonderes geschehen, außer daß gestern Mamas Geburtstag war. Zum Abend waren beide Fräulein Friedländer,6 Fräulein Albers,7 Herr und Frau Professor Lucae,8 Herr und Frau Baumeister Tiede, Frau Richter,9 Herr und Frau Dr. Julian Schmidt,10 deren Bruder11 und Fräulein Klitzing12 bei uns. Herr Julian Schmidt brachte einen famosen Toast aus mit Anspielung auf Mamas zeitweiliges Kopfnicken als ein Überbleibsel aus ihrer Kindheit und indem er von Seelenharmonie oder so etwas ähnlichem sprach, ließ er sie hochleben. Mit Mama habe ich bis jetzt zusammen französisch gelesen l’orpheline,13 einen kleinen Roman [,] und werde jetzt lesen: le conscrit, der Rekrut,14 ebenfalls einen kleinen Roman, von wem?e weiß ich nicht. d O: nicht

e wem, > wem?

5 Vgl. oben, S. 57 mit Anm. 1. 6 Helene Webers Freundin Clara Friedländer und ihre ebenfalls unverheiratete Schwester Magdalena Laura Friedländer. 7 Marie Albers, die sowohl mit Helene Weber als auch mit Ida Baumgarten gut befreundet war. 8 Sehr wahrscheinlich August Lucae, Professor an der Berliner Universität und Direktor der Universitätspoliklinik für Ohrenkrankheiten, mit seiner Frau Johanne Sophie Lucae, geb. Albers. 9 Es dürfte sich um Helene Tiedes Mutter handeln, Mara Benjamine Richter, geb. Schiffert. 10 Julian Schmidt und seine Frau Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld. 11 Möglicherweise der Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld. 12 Nicht sicher ermittelt. Es könnte sich möglicherweise um Armgard von Klitzing handeln, die noch unverheiratete Tochter des Majors Maximilian von Klitzing. Die Familie hatte eine Wohnung im Berliner Südwesten. 13 Der Roman ist nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Zwischen 1800 und 1878 erschienen sechs französischsprachige Romane dieses Titels, davon zeitnah: Barbier, C. [d. i. C.-B. Barbé], L’Orpheline de Sebastopol. – Rouen: Megard 1864; sowie (aus dem Deutschen übersetzt): L’orpheline alsacienne. Traduction de Mme Elisabeth Delaunay. – Paris: J. Bonhoure, DL 1876. 14 Sehr wahrscheinlich der äußerst erfolgreiche, in zahlreichen Neuauflagen erschienene Roman über die Erlebnisse eine einfachen französischen Soldaten in der Endphase der

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Das Wetter ist hier bei uns im höchsten Grade veränderlich; am Donnerstag voriger Woche begann nach mehreren sonnigen Tagen, nachdem nur einmal ein vorübergehendes Gewitter über die Mark dahingezogen war, um 11 oder 12 Uhr Vormittags, während ich gerade auf dem Wege zum Buchhändler war,15 ein gewaltiger Wolkenbruch, der in wenigen Minuten den größten Theil der Berliner Straße unter Wasser setzte [.] 10–12 Minuten regnete es so dicht, daß man kaum die einzelnen Wasserfäden unterscheiden konnte. Ich hatte meine dicke Jacke an und daher kam nichts durch. Nach einiger Zeit ließ der Regen etwas nach und ging schnell in einen feinen langsamen Landregen über, welcher jedoch um 2 Uhr aufhörte. Die Sonne durchbrach und zerstreute die Wolken und gegen Abend war alles wieder klar. Aber unser Garten war in eine wahre Schlammebene verwandelt und man konnte nicht hinausgehen. Freitag morgens war es sehr heiß und blieb den ganzen Tag so. Am Sonnabend Morgen waren viele Wolken am Himmel zu sehen, die sich jedoch zerstreuten und großer Hitze wichen. Nachmittags hatten wir hier große Gesellschaft. Am Sonntag war es den Tag über sehr warm, jedoch am Abend zogen sich fi nstre Wolken zusammen und es schien regnenf zu wollen. Am Montag Morgen war die Luft feucht und der Himmel hing voll Wolken. Aber wieder brach die Sonne durch und gegen Mittag waren nur sehr wenige kleine Wölkchen zerstreut zu sehen. Am Abend war es klar. Der heutige Tag begann klar und sonnig, aber jetzt hat sich der Himmel doch wieder etwas bezogen. Von Zeit zu Zeit sieht man einige dicke Wolken heranjagen, aber die Sonne scheint und die Wolken sind meist weiß. Während hier unten ziemliche Windstille herrscht, scheinen die oberen Luftregionen starken Westwind zu haben, denn alle Wolken ziehen schnell gegen Osten. Die beiden Jungens16 spielen am Sandhaufen, Papa ist in der Stadt und Mama in der Küche.

f 〈gew〉 Napoleonischen Kriege von Erckmann, Emile et Chatrian, Alexandre, Histoire d’un conscrit de 1813. – Paris: Hetzel & Lacroix 1864. 15 Vermutlich die bereits in der Karte Max Webers an Helene Weber vom 1. August 1876, oben, S. 36 mit Anm. 4, erwähnte Charlottenburger Bücherhandlung R. O. Strauß. Sie lag in der Berliner Straße. 16 Die Brüder Alfred und Karl Weber. Der jüngste Bruder Arthur war erst 14 Monate alt.

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An Martha17 habe ich gestern geschrieben und der Brief wird alsbald abgeschickt werden.18 Bitte, wenn Du kannst, so frage jetzt oder später einmal, wenn sich Gelegenheit bietet, Deine Base Emily Fallenstein, Du wirst wohl wissen, warum.19 Übrigens fällt mir ein, daß ich dieses schon in meinem vorigen hölzernen Brief Dir geschrieben habe.20 Dann wäre es allerdings nicht zum zweiten Male nöthig gewesen. Indessen, es steht nun einmal da und außerdemg kann ich es doch nicht. Bitte bestelle viele Grüße von uns allen an Euch alle. Hoffentlich bist Du bald wieder in Ordnung mit Deinem Fuß und kannst, wenn Du wieder hierher kommst, mit uns Partien nach dem Grunewald und sonst wohin machen. In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen bei uns in Charlottenburg schließt Dein Vetter Max

g O: auserdem 17 Max Webers Hamburger Cousine Martha Julie Weber. 18 Der Brief ist nicht nachgewiesen. 19 Sachverhalt unklar. Seit Mitte der 1870er Jahre wurde die verwaiste Tochter von Ida Baumgartens Halbbruder Otto T. Fallenstein in die Familie Baumgarten eingebunden. Ida, Fritz und Otto Baumgarten entwickelten bald ein sehr enges Verhältnis zu ihr. Vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 360 f. 20 Vgl. oben, S. 57 mit Anm. 1.

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23. und 24. April 1878

Fritz Baumgarten 23. und [24.] April 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 1–3 Der Brief wurde am 23. April (Dienstag) begonnen und am 24. April („Mittwoch früh“) fortgesetzt. Das im Auftrag seiner Mutter verfaßte Post-Postscriptum Max Webers mit Empfehlungen für die Wohnungssuche in Berlin, unten, S. 67, enthält zwei kurze präzisierende Zusätze Helene Webers zu Wohnlagen und -preisen.

Charlottenburg, den 23. April. Morgens. 78 Lieber Fritz! Da in der vergangenen Woche ungewöhnlich viel passirt ist, so will ich, ohne auf Deinen gestrigen Brief zu antworten, indem ich Dir nur für Deine Glückwünsche danke,1 zur Wochenchronik übergehen. Über Mamas Geburtstag und was damit zusammenhängt, wird sie Dir wohl selbst geschrieben haben.2 Am Freitag Morgen nun war es sehr schönes Wetter und so beschlossen wir denn, einen kleinen Ausflug nach den Kalkbergen und Kalkwerken von Rüdersdorf,3 einem kleinen Ort 3,5 Meilen4 oder 26,25 Kilometer südöstlich von der Residenz, zu machen. Zu diesem Zwecke wurde ich um 11 Uhr Morgens nach Berlin geschickt, um Ober-Regierungsrath Rösings, mit denen Du sicher einmal hier zusammengetroffen bist, 5 welche ebenfalls mitgehen wollten, zu benachrichtigen, daß toute notre famille um 12 Uhr mit einem Wagen vor ihrem Hause erscheinen würde,6 um mit ihnen nach dem Nie-

1 Max Weber hatte am 21. April Geburtstag. Den Geburtstagsbrief hatte Fritz Baumgarten, wie Ida Baumgarten ihrer Schwester Helene mitteilte, am Karfreitag, 19. April 1878, geschrieben: „Jetzt eben sitzt er neben mir und schreibt an Maxli zum Geburtstag; u. hat seinen Kopf voller Gedanken darüber, wie er ihm im Verlauf des kommenden Sommers Dieß oder Jenes beibringen will, was er für ihn gut findet.“ (Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber, Karfreitag [1878], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2 Helene Weber hatte am 15. April Geburtstag. Auch Max Weber hatte darüber im vorausgehenden Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 59, berichtet. 3 Die Rüdersdorfer Kalkberge, ein „mächtiges Kalksteinlager der Triasformationen mit bedeutenden Steinbrüchen“ waren eines der größten Kalksteintagebaugebiete in Mitteleuropa und eine lokale Attraktion (vgl. Baedeker, Karl, Berlin und Umgebungen. Handbuch für Reisende, 4. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1885, S. 122). 4 Eine (preußische) Meile entsprach rund 7,5 Kilometern. 5 Zu Fritz Baumgartens Studium in Berlin 1877/78 vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 57. 6 Johannes Rösing lebte mit seiner Familie in der Roonstraße 8, am Berliner Königsplatz.

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derschlesisch-Märkischen (Frankfurter) 7 oder, wie der Berliner ihn nennt „Niederträchtig merkwürdigen“ Bahnhofe zu fahren, von wo um 1 Uhr ein Zug abging. Rüdersdorf ist nämlich eigentlich eine Station an der Ost- oder Küstriner Bahn,8 indessen ging auf selbiger kein passender Zug und also mußten wir auf andere Weise nach Rüdersdorf zu kommen suchen. Nachdem ich also bei Rösings, die am Königsplatz an der Siegessäule wohnen, ein famoses Katerfrühstück eingenommen hatte, und unsere Familie, bestehend aus Papa, Mama und uns drei,9 angekommen war, so schlossen sich Herr Rösing mit seinen zwei ältesten Söhnen, von denen der eine,10 ca. 11–12 Jahre alt, in Unter-Tertia, der andere,11 8 Jahre alt, in Unter-Sexta sitzt, an und wir fuhren nach dem Frankfurter Bahnhof,12 der ganz an der anderen Ecke Berlins im äußersten Süd-Osten liegt. Von da fuhren wir 46 Minuten lang bis Erkner, auch einem kleinen Dorf, ca 3 Meilen, 22,5 Kilometer von der Hauptstadt an einem See gelegen, der mit einem anderen, sich nach Nord-Nord-Ost bis Rüdersdorf hinziehenden See in Verbindung steht.13 Man fährt mit dem Dampfschiff von Erkner bis Rüdersdorf. So machten wir es auch. Wir fuhren von Erkner mit dem Dampfboota bis zu einer Schleuse, der Schleuse von Woltersdorf, welche an der Verbindung der beiden bei Erkner und bei Rüdersdorf gelegenen Seenb, des Flathen-14 und des Kalk-Sees, liegt. Dort mußten wir umsteigen. Beim Umsteigen kauften wir für jeden von uns für 10 Pf. Knüppels,15 welche von Jungens feilgeboten wurden. Dann stiegen wir jenseits der Schleuse in ein anderes Dampfbootc, welches uns über den Kalk-See bis a O: Dampfbot

b O: Seeen

c O: Dampfbot

7 Die 1852 vom preußischen Staat übernommene Niederschlesisch-Märkische (auch Berlin-Frankfurter) Bahn bediente die Linien nach (Süd-)Osten, u. a. nach Frankfurt/Oder und Richtung Breslau. Der Frankfurter Bahnhof (bis 1950 Schlesischer Bahnhof) ist der heutige Ostbahnhof. 8 Die Ostbahn diente der Verbindung der östlichen Provinzen Preußens; die Hauptverbindung verlief von Berlin nach Königsberg und zur russischen Grenze. Das Teilstück von Berlin über Straußberg nach Küstrin (Küstriner Bahn) war 1867 in Betrieb genommen worden. 9 Max Weber und seine Brüder Alfred und Karl. 10 Johannes Friedrich (Hans) Rösing. 11 Bernhard Rösing. 12 Der heutige Ostbahnhof. Vgl. oben, Anm. 7. 13 Gemeint sind der Flakensee und der Kalksee bei Rüdersdorf, die durch eine Schleuse verbunden waren. 14 Gemeint sein dürfte der Flakensee. 15 Mit Schmalz gebackene Milchbrötchen; eine Berliner Gebäckspezialität.

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Rüdersdorf führte. Von der Landungsstelle nach links geht man wenige Meter bis zu einem großen Tunnel, unter welchem durch ein Kanal führt. Die ganze Gegend ist nämlich von Kanälen durchzogen, um den in den sehr ausgedehnten Kalk-Bergwerken gewonnenen Kalk schleunigst zu Wasser fortschaffen zu können. Ein solcher Kanal führt auch unter einem großen, mehrere hundert Schritt langen Tunnel durch. Dicht neben dem Wasser führt ein Fußweg durch den Tunnel, welcher an der dem Wasser abgekehrten Seite eind Geländer besitzt. Wir gingen hindurch und gelangten in die Kalkwerke. Nach rechts zu gingen wir durch einen zweiten Tunnel in eine andere Abtheilung der Kalkwerke, wo jetzt hauptsächlich gearbeitet wird. Um möglichst schnell möglichst viel Kalk zu gewinnen, „schießt“ man zunächst dicht neben einander mehrere „Stollen“ in den zu bearbeitenden Kalkberg. Dann werden die zwischen den einzelnen Stollen liegenden Kalkwände allmählich immer dünner gemacht, bis sie die oben darauf liegenden Kalkmassen nicht mehr tragen können und einstürzen. Dann sinkt natürlicher Weise die ganze darüber liegende Kalkwand herab und bildet am Fuße des Berges einen ungeheuren Haufen. Fällt sie nicht von selbst, so wird mit Dynamit-Sprengungen nachgeholfen. Dann wird, wenn die Wand gefallen ist, der Kalk mittelst großer Zieh-Maschinerieene oben auf die Kalk-Berge hinaufgezogen und von da direkt in die riesigen Kalköfen geschüttet, von wo er, gebrannt, auf die bis dahin führende Eisenbahn geschüttet wird. Wenn in den Kalkbergen gearbeitet wird, sitzen in einiger Entfernung der bearbeiteten Felswände einige Wärter, welche, sobald irgend etwas von den Wänden herunterfällt, trompeten, worauf sofort alle Arbeiter schleunigst die betreffende Wand verlassen, da auch ein kleiner Stein, von solcher Höhe herabfallend, tödten kann. Von den Kalkwerken aus gingen wir über die Kalkberge zurück nach dem Landungsplatze des Dampfbootesf, wo wir unser Mittagessen einnahmen, bestehend aus Carbonaden,16 Rührei, Bier und ca. 1 1/ 2 Erdbeern pro Person. Dann fuhren wir wieder per Dampfbootg nach der Woltersdorfer Schleuse und von da nach Erkner. Dort stiegen wir in die Eisenbahn und fuhren nach Rummelsburg. Von da gingen wir nach Stralau, einer Station an der jetzt rings

d O: eine

e In O folgt nochmals: der Kalk

16 Andere Bezeichnung für Koteletts.

f O: Dampfbotes

g O: Dampfbot

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um Berlin herumführenden Verbindungsbahn.17 Dann fuhren wir über Wedding (im Norden) und Moabit (Westen), beides Stadttheile von Berlin [,] um die Stadt bis zur Station Charlottenburg u. gingen dann die Berliner Straße herunter nach Hause. Rösings waren schon in der Station Moabit ausgestiegen und von da nach dem Lehrter Bahnhofe gefahren. Es war ein sehr schöner Tag: prachtvolles Wetter, ziemlich warm, aber doch nicht heiß. Sonnabend passirte meines Wissens nichts besonderes. Sonntag war, wie Du schon weißt, mein Geburtstag.18 Ich habe einen überaus reichen Geburtstagstisch gehabt, wovon ich mir erlaube einiges zu berichten. An erster Stelle bekam ich Viktor Hehns „Hausthiere und Kulturpflanzen“,19 ein Buch, von dem in unserer Correspondenz schon mehrmals die Rede gewesen.20 Ferner einen vier Finger dicken Band Geschlechtstafeln über aller Herren Länder, sogar über die Türken und Trapezuntier, 21 Ikonier, 22 Armenier etc. Sodann dieses Briefpapier hier und eine Schreibmappe, auf der ich soeben schreibe. Dann ein Croquet-Spiel und eine silberne Cylinder-Uhr.23 Am Sonntag, den 21. Nachmittags ging Papa mit mir nach Berlin ins National-Theater, 24 wo alle drei Theile „Wallensteins“ von Schiller an einem Abend aufgeführt wurden.25 Die Vorstellung begann um 4 Uhr und dauerte mit einzelnen Pausen bis gegen 1/ 2 12 Uhr. Die Person des Wallenstein war auf dem Theater sehr gut, die übrigen Rollen nicht 17 Die 1877 fertiggestellte Berliner Ringbahn; die die frühere Verbindungsbahn zwischen den Berliner Kopfbahnhöfen ablöste. 18 Wie oben, S. 62, Anm. 1. 19 Hehn, Victor, Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. Historisch-linguistische Skizzen. – Berlin: Gebrüder Bornträger 1870 (hinfort: Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere). 20 In der überlieferten Korrespondenz Max Webers an Fritz Baumgarten findet sich hierzu kein Hinweis. 21 Nach dem von 1204 bis 1461 bestehenden Kaiserreich Trapezunt, an der östlichen Südküste des Schwarzen Meeres gelegen. 22 Nach der Stadt Ikónion (lat.: iconium), heute die türkische Stadt (und Provinz) Konya. 23 Seit dem 18. Jahrhundert sehr verbreitete Taschenuhr-Mechanik. 24 Das 1870 gegründete National-Theater am Weinbergsweg im Berliner Norden. Es bot ein klassisches Repertoire zu günstigen Preisen (L’Arronge, Adolph, Deutsches Theater und Deutsche Schauspielkunst. – Berlin: Concordia Deutsche Verlags-Anstalt 1896, S. 69 f.; hinfort: L’Arronge, Deutsches Theater). Es existierte nur bis 1883. 25 Die Aufführung der gesamten Trilogie am Sonntag, dem 21. April 1878, begann um 16 Uhr mit der „I. Abtheilung. Wallensteins Lager. Die Piccolomini“; die der „II. Abtheilung. Wallensteins Tod“ schloß um 19.30 Uhr an. Am Montag, dem 22. April, wurde das Programm wiederholt (vgl. Berliner Börsenzeitung, Nr. 187 vom 21. April 1878, 5. Beilage, S. 22).

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gerade glänzend.26 Der Schauspieler, der den Wallenstein gab, 27 hatte eine imposante Gestalt und wußte in seine Rolle eine ungemeine Würde zu legen. Die anderen erschienen ihm gegenüber fast wie Kammerdiener. Aber, wie ich eben erfahre, gehen wir jetzt nach Berlin, Fortsetzung Morgen früh. Mittwoch früh. Am Montag, den 22. April gingen wir Nachmittags in den Bellevuegarten28 und durch den Thiergarten nach Hause zurück. Dienstag, den 23. April,h Vormittags gingen wir, wie eben bemerkt, nach Berlin, wo wir meine Uhr, die noch nicht abgezogen ist, 29 zum Uhrmacher brachten, dem Karl bei Schöbel30 in der Leipziger Straße einen neuen Anzug anpassen ließen und für Alfred und Karl Strohhüte kauften. Gegen Abend kamen Frau Baumeister Tiede und Herr Adolph Meyer31 zu uns, die wir eine Strecke Wegs begleiteten. Heute ist natürlich noch nichts absonderliches passirt. Die Ostereier haben wir im Garten gesucht.32 Mama hatte sich umi zehn verzählt und so waren anstatt 32 Hühnereiern 42 vorhanden. Außerdem noch für die Mädchen. 33 Was das Wetter anbetrifft, so ist es jetzt durchweg schön und sonnig. Augenblicklich ist keine Wolke am Himmel. Aber das Firmament besitzt nicht seine eigentliche tiefdunkelblaue Farbe, sondern ist hellblau h 〈Nachmi〉

i 〈zwe〉

26 L’Arronge, Deutsches Theater (wie oben, S. 65, Anm. 24), S. 70, bezeichnete die Qualität der Darsteller am National-Theater insgesamt als recht bescheiden. Allerdings konnten immer wieder auch renommierte Schauspieler anderer Bühnen für Gastspiele verpflichtet werden (Wahnrau, Gerhard, Berlin. Stadt der Theater. Der Chronik I. Teil. – Berlin: Henschel Verlag 1957, S. 529). 27 Der Wallenstein-Darsteller war Ludwig Barnay (Berliner Börsenzeitung, Nr. 187 vom 21. April 1878, 5. Beilage, S. 22). Er gab den Wallenstein wiederholt bei Gastspielen an verschiedenen Theatern (vgl. Kilian, Eugen, Schillers Wallenstein auf der Bühne, in: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Literatur und Musik, Band 18 (April–Sept. 1907), S. 353–362, hier S. 358). 28 Der Park des königlichen Bellevue-Schlosses war tagsüber öffentlich zugänglich. 29 Beim „Abziehen“ einer neuen Taschenuhr wurden die Teile der Mechanik abgestimmt. 30 In Frage kommt nur das von Moritz Schulvater geführte Berliner „Kinder-Garderoben-Geschäft Albert Schöbel“, das in der parallel zur Leipziger Straße laufenden Mohrenstraße lag. 31 Nicht sicher ermittelt. Es könnte sich um den Hamburger Fabrikanten Heinrich Adolph Meyer (1822–1889) handeln, Mitglied des Reichstags für die Fortschrittspartei. 32 Ostern fiel 1878 auf den 21. und 22. April. 33 Gemeint sind hier die Bediensteten der Familie Weber, Julie und Marie.

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gefärbt und am Horizont ins Weißliche schimmernd. Unsere Schule beginnt morgen, Donnerstag den 25., wieder. Es wird mir wohl eigenthümlich vorkommen, wenn dann zu Anfang der ersten Stunde der Herr Ordinarius34 hereinkommt: „Setzen Sie sich!“ „Bitte zeigen Sie mir ihre Zeugnisse vor.“ „Ich werde Ihnen jetzt Ihren Stundenplan geben.“ Darüber mündlich. Es ist jetzt acht Uhr vorbei, wir werden gleich frühstücken und ich muß schließen. Für Deinen lieben Brief und Deine Wünsche, die ich theile, vielen Dank. Viele Grüßej von mir und unserer Familie an Dich und Eure Familie [.] Dein Vetter Max. Postscriptum. Ob und wann Alfred Dir schreibt, weiß ich nicht; ich glaube, gar nicht: er hat zu viel im Garten zu |:thun:|. Von Martha auf meinen (vorwöchentlichen) Brief, 35 den ich Anfang der Ferien, heute vor 14 Tagen, 36 ihr schrieb, noch keine Antwort. Es geht wieder so, wie voriges Mal. Max. Post-Postscriptum. Mama läßt Dir sagen, Ihr möchtet doch auf Eurer Wohnungssuche37 auch die Brücken-Allee38 in Betracht ziehen. Es ist vom großen Stern bis dahin nur 5 Minuten zu gehen [.]

j O: grüße 34 Max Weber wechselte nach Ostern in die Unter-Sekunda. Zumindest im Winterhalbjahr 1878/79 war Reinhold Gottschick Ordinarius, also Klassenlehrer, der Unter-Sekunda (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 12 f.). 35 Max Webers Hamburger Cousine Martha Julie Weber. Wie sein im Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 61 mit Anm. 18, erwähnter Brief an die Cousine, ist auch dieser „vorwöchentliche“ nicht nachgewiesen. 36 Mittwoch, der 10. April 1878. 37 Für das Sommersemester suchte Fritz Baumgarten, gemeinsam mit seinem guten Freund Eduard Simons, der ebenfalls seit dem Wintersemester in Berlin studierte, eine neue Wohnung (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten, undat. („Donnerstag Abends“), Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Tatsächlich zogen beide zum Sommersemester in die Bernburger Str. 10. 38 Die heutige Bartningallee im Berliner Hansaviertel. Wie Helene Weber hier in ihrem Zusatz anfügte, „bei Moabit“.

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Helene Weber 29. Juni 1878; BK Kaiser-Wilhelmsburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 32 Diese wie die folgenden Karten bzw. Briefe an Helene Weber vom 30. Juni, vom 1., 2. und 3. Juli sowie vom 9. Juli 1878, unten, S. 70 f., 72–77 und 78–82, schrieb Max Weber von einer neuerlichen Reise, die Max Weber sen. mit seinen drei älteren Söhnen Max, Alfred und Karl nach Thüringen unternahm. Helene Weber war mit den beiden jüngsten Kindern ebenfalls auf Reisen, zunächst in Bielefeld, wie sich Max Webers Gruß an alle „Bielefeld-Oerlinghäuser Bekannten“, der Bielefelder Anschrift der beiden ersten Karten sowie einem Zusatz Helene Webers zu Max Webers Brief an Fritz Baumgarten vom 13. Juli 1878 (vgl. unten, S. 83, Editorische Vorbemerkung) entnehmen läßt. Von Bielefeld wollte sie nach Heidelberg fahren, um dort Mann und Söhne zu treffen. Ihrem Neffen Fritz Baumgarten schrieb sie, sie habe „schon ganz vergnügte Karten von Max jun. und senior aus Kösen“ erhalten. „Papa Max“ habe sehr viel Freude an den Stunden mit seinen Söhnen (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten, undat. („Dienstag Abend“, d. i. 2. Juli 1878), Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Zur Rückreise von Heidelberg nach Charlottenburg vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte Max Webers an Helene Weber vom 26. Juli 1878, unten, S. 87.

Bei Kösen: Kaiser-Wilhelmsburg. den 29. Juni 78 1/ 2 7 Uhr Liebe Mama! Nach einer glücklichen u. angenehmen Fahrt in e[inem] Salonwagen II. Kl. kamen wir in Kösen an.1 Wir ließen unsre Sachen im Bahnhofe u. gingen e[ine] kleine Strecke Saaleaufwärts bis zur „Katze“, 2 einem kleinen Wirthshaus, wo wir Spritzkuchen-artigena Pfannekuchen aßen u. |:von wo wir:| dann über die Saale u. nach der alten Rudelsburg gingen, 3 wo wir eine, wenn auch beschränkte, doch hübsche Aussicht über das Saalethal genossen. Von da marschirten wir durch schönen Wald mit „romantischen“, wenn man so sagen darf, Klüften u. an den Salinen vorbei nach Kösen zurück. Sofort, ohne uns aufzuhalten, stiegen wir, wiederum durch schönen, an Heidelberg lebhaft erinnernden, a spritzkuchen-artigen > Spritzkuchen-artigen 1 Kösen an der Saale war vor allem bei Berlinern als „Soolbad und Sommerfrische“ sehr beliebt (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 349). 2 Das Restaurant „Katze“, direkt an einem Saale-Übergang gelegen (erwähnt in: Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 408). 3 Zu diesem Besuch vgl. ausführlicher den Brief Max Webers an Helene Weber vom 1., 2. und 3. Juli 1878, unten, S. 72 f. mit Anm. 3 und 4.

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Wald herauf auf diese „Kaiser-Wilhelmsburg“,4 die übrigens mehr einem Hôtel als einer Burg ähnlich sieht. Über die weisheitsvollen Aussprüche Karls unterwegs im Briefe. 5 Wir beabsichtigen heute Abend noch nach Naumburg zu fahren, wo wir übernachten werden. Mein gequetschter Finger ist einigermaßen gut geworden, wenn er auch über und über lila gefärbt ist. Es ist herrliches Wetter, es war sonnig, aber nicht zu heiß, die Luft ist klar und erfrischend und wir sind in einer ausgezeichneten Stimmung, vermöge deren wir heute auch schon kolossaleb Biermassen vertilgt haben. Viele Grüße an alle Bielefeld-Oerlinghäuser Bekannten von uns allen, die wir jetzt beim Abendbrod auf der K[aiser-]W[ilhelms]-Burg sitzen.6 Dein Sohn Max.

b Unsichere Lesung des Wortendes; ev.: kolossale(n) 4 Der Kriegerverein Kösen hatte nach der Reichsgründung 1871 die Wilhelmsburg als Vereinsheim gebaut, das seit Januar 1876 den Namen Kaiser-Wilhelmsburg tragen durfte. 5 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 1., 2. und 3. Juli 1878, unten, S. 72–77. 6 Die Wilhelmsburg betrieb eine „Restauration“ (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 408).

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Helene Weber 30. Juni 1878; Schwarzburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 33 Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen drei älteren Söhnen Max, Alfred und Karl nach Thüringen vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 68.

Im „weißen Hirsch“ in Schwarzburg, auf meinem Bette sitzend (30. Juni 1878 10 Uhr Abends) Gewitter Liebe Mama! Bei strömendem Regen kamen wir in Naumburg an u. bei unserm Erwachen heute Morgen fanden wir die Stadt mit dichtem Nebel bedeckt, der sich aber bald hob. Nach Besichtigung der Stadt, fuhren wir nach Jena. Dort gingen wir zunächst vom Bahnhof aus außerhalb der Stadt und besahen uns die früheren Befestigungen und Thürme. Dann gingen wir in die Stadt und kamen an den alten Burgkeller, wo zu olim’s1 Zeiten noch der Onkel Hermann Baumgarten gekneipt hat. Dort wehen die Fahnen von zwei Burschenschaften, den „Burgkelleranern“ u. den „Germanen“.2 Wir sahen wieder u. immer wieder Studentena, 3 aber, da Gottesdienst war,4 so war die Stadt ziemlich still. An fast allen Häusern sahen wir die Zettel mit den Namen der Professoren, die dort gewohnt haben.5 Später auf dem Bahnhof hörte man nur von Stua Corpsstudenten > Studenten 1 Abgeleitet von Lat.: olim; einst, ehemals. 2 Die 1815 gegründete Jenaische (Ur-)Burschenschaft hatte sich im Laufe der Jahre in zwei dominierende Teile aufgespalten: die „Burschenschaft auf dem Burgkeller“ (Arminia) sowie die „Burschenschaft auf dem Felsenkeller“ (Germania). Hermann Baumgarten hatte sich 1842 in Jena der „Arminia“ angeschlossen, 1843 wechselte er in Halle zu den „Allemannen“, denen sich später auch Max Weber in seiner Heidelberger Studienzeit nach einigem Zögern anschloß. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 f. 3 Jena hatte zu dieser Zeit rund 500 Studenten. 4 Der 30. Juni 1878 war ein Sonntag. 5 Die besondere Tradition, durch weiße Emaille-Tafeln an wichtige Persönlichkeiten in Jena zu erinnern, ging auf eine Initiative des Physikers und Astronomen Hermann Schäffer anläßlich des Universitätsjubiläums von 1858 zurück. Tafeln an den ehemaligen Wohnstätten erinnerten beispielsweise an „Arndt, Fichte, von Gagern, General von Grolman, Oken, Schiller u. A., an letztern auch in der Schlossgasse, in der Jenagasse und noch öfter […]. Goethe‘s Wohnung ist in der Schlossgasse und im botan. Garten bezeichnet.“ Zit. nach: Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 354.

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denten,b Kneiperei, und Kommers reden, ein Thema, welches überhaupt die Tagesunterhaltung zu sein scheint. Wir gingen dann einen steilen Berg hinan auf den Fuchsthurm,6 von wo wir aber wegen des Nebelsc eine nicht sehr weite Aussicht hatten. Auf dem Hinabwege u. in der Eisenbahn |:ein klein wenig:| Regen [,] der längst vor Schwarza, wo wir ausstiegen,7 sein Ende erreichte. Von Schwarza gingen wir, nach Vorausschickung des Gepäcks, zu Fuß durch das Schwarzathal nach Schwarzburg.8 Und nun sitze ich hier in unserem Zimmer am Tisch beim Schein zweier Lichter auf meinem Bett, welches auf einem Sofa aufgeschlagen ist. Die Jungens9 schlafen beide schon. Und da ich jetzt auch zu Bett muß u. keinen Platz mehr habe, so lebe wohl. Einzelheiten s. Brief von Erfurt aus.10 Viele Grüße. Dein Sohn Max.

b Unsichere Lesung; in O mehrfach korrigiert.

c Weges > Nebels

6 Der östlich der Stadt auf dem „Hausberg“ gelegene 30 Meter hohe Burgfried der 1304 zerstörten Burganlage Kirchberg. Seit dem frühen 19. Jahrhundert war er ein beliebtes Ausflugsziel mit Restauration. 7 Der Bahnhof von Schwarza (seit 1918 ein Stadtteil von Rudolstadt) war Ausgangspunkt für Touren ins Schwarzatal (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 355). 8 Das Schwarzatal bezeichnete der Baedeker, ebd., S. 356, als „Glanzpunkt“ und eines der schönsten Täler Thüringens. 9 Alfred und Karl Weber. 10 Einzelheiten beschrieb Max Weber im Brief an Helene Weber vom 1., 2. und 3. Juli 1878, unten, S. 72–77, allerdings von Paulinzella, nicht von Erfurt aus.

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Helene Weber 1., 2. und 3. Juli 1878; BK Paulinzella und Ilmenau Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 34–35 Max Weber schrieb den Brief an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (1. und 2. Juli 1878) und fügte am 3. Juli einen kurzen Zusatz an. Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen drei älteren Söhnen Max, Alfred und Karl nach Thüringen vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 68.

H. Menger Bierbrauerei Paulinzella. Paulinzella, den 1ten Juli 1878. Abends. Liebe Mama! Ich habe Dir zwar erst von Erfurt aus einen Brief versprochen,1 jedoch Du wirst es nicht übel nehmen, wenn ich Dir schon jetzt, wo wir überflüssig viel Zeit haben, einige Nachricht von uns gebe. Während der Eisenbahnfahrt bemerkte Karl: „Papa, hier muß irgendwo eine Stadt Paris heißen, da steht so was davon am Bahnhof.“ Nachher, als wir ihm klar machten, wo Paris liege, sagte er: Ich weiß das auch noch nicht, ich habe ja noch keine „Photographie“! (Geographie wollte er sagen). In Kösen ließen wir unsre Sachen auf dem Bahnhof und gingen nach dem Wirthshause „zur Katze“.2 Dort aßen wir zu Mittag. Dabei kam eine grau- u. weiße Katze in die Nähe unseres Tisches: Aha, sagte Karl, da ist ja die „berühmte“ Katze, nach der das Wirthshaus genannt ist. Dann fuhren wir mit einer Fähre über das klare Wasser der Saale, um nach der bekannten Rudelsburg3 zu gehen. Wir trafen unterwegs mit einem jungen Primaner zusammen, der hinter seinen Schulkameraden, welche mit ihrem Direktor eine Landpartie machten, zurückgeblieben war, da er sich verirrt hatte u. den Weg nach der Rudelsburg nicht fi n1 In seiner Karte an Helene Weber vom 30. Juni 1878, oben, S. 71. 2 Zur Einkehr in der „Katze“ an der Saale vgl. bereits die Karte Max Webers an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 68 mit Anm. 2. 3 Die rund eine dreiviertel Stunde Fußweg von Kösen entfernt auf einer Anhöhe gelegene Burgruine war seit dem frühen 19. Jahrhundert ein beliebtes touristisches Ziel und seit 1855 alljährlicher Treffpunkt des Kösener Senioren Convents-Verbandes, der ältesten Studentenverbindung Deutschlands.

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den konnte. Wir gingen mit ihm zusammen auf einem zwar sonnigen, aber doch hübschen Wege an dem Kriegerdenkmal der gefallenen Corpsstudenten vorbei4 auf die alte Rudelsburg. Sie liegt sehr keck und hübsch auf einem Felsenvorsprung nach der Saale zu. Du wirst sie indessen vielleicht kennen, denn wenn ich mich recht erinnere, so sagte mir Papa, daß Ihr auch auf der Rudelsburg gewesen wäret.5 Jedenfalls giebt es dort oben ausgezeichnetes Bier und guten Kaffee. Die Aussicht über das Saalethal ist zwar nicht besonders ausgedehnt, aber sehr hübsch. Ein waldiger Gipfel nach dem andern taucht auf, man sieht über waldige Höhen und bebaute Thäler mit kleinen Städten u. Dörfern darin. Während wir Kaffee tranken, war Karl plötzlich verschwunden. Wir suchten ihn und fanden ihn in einem Zimmer am Fenster sitzend und ins Thal hinabschauend. Er sagte er sähe nach den Eisenbahnen. Warum konnten denn wohl das die alten Ritter nicht? fragte ihn Papa. Antwort: Weil sie keine Zeit hatten! Von der Rudelsburg gingen wir hinab und kamen auf einen Weg, der neben einem Getreidefeld und einem etwa zwanzig Fuß tiefena schmalen Einschnitt führte. In diesen Einschnitt sprangen wir hinunter u. luden auch Papa ein, hinunter zu kommen, da man dort viel besser gehen könne. Er kam auch wirklich unter allgemeinem Gaudium herunter. Bald aber verengte sich der Einschnitt zu einer engen, steinigen Schlucht, an deren beiden Seiten etwa 20 Fuß hoch steile Felswände sich erhoben. Zuletzt kamen wir auch an eine Querbarrière von Felsen, über die wir aber hinüberkletterten. Durch vieles Klettern kamen wir endlich aus der Schlucht heraus. „Papa, fragte Karl, wie bist Du eigentlich über die Felsen gekommen?“ und Alfred sagte: „Nun haben wir aber Papa’n ordentlich in die Klemme geführt gehabt. [“] Wir kamen dann an einen hübschen Platz unter einer großenb Linde. An dieser warc ein Schild, worauf stand: Der Vogelheerd.6 Der Stadtrath von Kösen bittet zu entschuldigen, daß er die Bänke vergessen hat. Von da gingen wir zu den Salinen. a tiefen, liegenden > tiefen

b 〈Ei〉

c stand > war

4 Das für die 1870/71 gefallenen Corpsstudenten vom Kösener Senioren Convents-Verband errichtete und 1872 eingeweihte Denkmal war nach 1871 eines der ersten deutschen Kriegerdenkmale. Seine über 6 Meter hohe Säule mit einem goldenen Reichsadler wurde in den 1950er Jahren zerstört. Die Horaz-Inschrift „Dulce et decorum est, pro patria mori“ im Sockel ist bis heute erhalten (vgl. de Libero, Loretana, Rache und Triumph. Krieg, Gefühle und Gedenken in der Moderne. – München: De Gruyter Oldenbourg 2014, S. 220 f.). 5 Sehr wahrscheinlich während der Erfurter Zeit der Familie Weber. 6 Ein „Vogelherd“ ist ein traditioneller Fangplatz für Vögel.

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Als Papa dem Karl diese erklärte und von Soolbädern sprach, sagte er: Ach, na ja, das kenn ich ja schon, das wird ja mit oo geschrieben. Dann gingen wir quer durch die Stadt, auf einem hübschen Wege durch Wald bergaufd zur Kaiser-Wilhelms-Burg,7 die übrigens sehr modern ist. Wir hörten Kirchglocken läuten: Ach, sagte Karl, die dumme Kirche kann doch auch aufhören zu bimmeln; jetzt müßte die Lokomotive denken, der Bahnhof bimmelte u. müßte angesaust kommen. Wir blieben bis gegen 1/ 2 8 auf dem Berge, dann gingen wir wieder nach Kösen hinunter u. auf den Bahnhof, wo, wie wir glaubten, um 8 Uhr 9 Minuten ein Zug gehen würde. Aber Papa hatte sich verlesen und erst um 9 Uhr 13 ging ein Zug nach Naumburg. Solange waren wir damit beschäftigt, uns zu reinigen. Als wir in Naumburg ankamen, blitzte und regnete es überaus stark und wir mußten im Omnibus8 nach der Stadt fahren. Dort angekommen legten wir uns sogleich zu Bett. Am andern Morgen früh gingen wir durch die Stadt, welche ein recht alterthümliches Aussehen hat. Wir gingen über den Markt und besahen uns den alten und merkwürdigen Dom mit seinen drei Thürmen u. zwei Chören,9 wenigstens von außen. Es war Markt u. rund um den Dom herum lagen Töpfe, Kannen und anderes Geschirr zu Haufen aufgeschichtet. Das erinnerte mich doch sehr an Jung Sankt Peter in Straßburg.10 Wir gingen sodann in einem Halbkreise halb um die Stadt nach dem Bahnhofe, nachdem wir noch einige Kirschen gekauft hatten. Von Naumburg aus fuhren wir das schöne Saalethal aufwärts bis nach Jena. Dort stiegen wir aus. Du wirst die Lage von Jena wohl kennen, wie es so von allen Seiten durch bebaute Berge eingeschlossen ist. Von der Eisenbahn aus schon sieht man nach links zu den Fuchsthurm11 ragen, während die Stadt rechts liegt. Wir gingen nicht gleich in die Stadt, sondern erst außerhalb derselben bis zu einem früheren Befestigungsthurme, dessen Mauer mit der Brustwehr noch recht gut erhalten ist. Dann gingen wir hinein in die Stadt.

d Bergauf > bergauf 7 Vgl. dazu die Karte Max Webers an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 69 mit Anm. 4. 8 Öffentlicher Pferdewagen. 9 Der spätromanische Naumburger Dom Peter und Paul. 10 Die romanisch-gotische Kirche Jung St. Peter (St. Pierre le Jeune) in Straßburg. 11 Zu diesem Jenaer Ausflugsziel vgl. bereits die Karte an Helene Weber vom 30. Juni 1878, oben, S. 71 mit Anm. 6.

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Fortsetzung: Ilmenau, den 2ten Juli, Abends. Sogleich beim Eintritt in die Stadt sahen wir mehrere Corpskneipen, über denen die betreffenden Fahnen wehten. Dann kam der Denkstein irgend einese Professors, darauf das Haus, in dem Göthe u. die beiden Schlegel einst gewohnt haben.12 Schließlich kamen wir zu der Krone von all den Burschenschaftsgeschichten, zum Burgkeller. Dort hat ja einst Onkel Hermann Baumgarten gekneipt u. auch jetzt sieht man noch Studentenmützen schimmern und zwei Fahnen von Körperschaften wehen darüber.13 Auch sah man viele Studenten auf den Straßen und allenthalben waren die Zettel mit dem Namen irgend einer Persönlichkeit, die dort gewohnt hatte. Übrigens sah man sonst nicht viel Menschen, da gerade Gottesdienst war. Jena ist jedenfalls eine sehr hübsche und freundliche, eine echte Studentenstadt, wie Heidelberg. Wir gingen nun von der Stadt stark bergauf auf dem rechten Saaleufer durch theilweise schönen Fichtenwald u. neben fast gefährlichen Abgründen zum Fuchsthurm, dem Überreste einer alten Burg, welche in dem bekannten Bruderkriege zerstört ward,14 wie viele andere. Dieser Fuchsthurm ist eigentlich ganz windschief; er ist in der Mitte bedeutend dicker als oben u. unten, was namentlich bemerklich wird, wenn man dief Wendeltreppe hinauf- oder noch mehr, wenn man sie hinuntergeht. Es ist in diesem Thurm, der eine ganz beträchtliche Höhe besitzt nur ein einziges Fenster. Natürlich ist nun die ganze Treppe stockduster und man muß immer erst mit dem Fuß die folgende Stufe suchen, wenn man nicht hinunterfallen will. Der Fuchsthurm steht auf einem kleinen, schmalen Felsen u ist sehr schmal und ungeheuer hoch. Ob er nicht beim Sturm einmal eines schönen Tages umfallen wird, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls sieht er nicht sehr

e eies > eines

f 〈Tr〉

12 Zur Institution der Jenaer Gedenktafeln vgl. ebd., oben, S. 70 mit Anm. 5. Für Friedrich und August Wilhelm Schlegel war als Wohnhaus das „Haus Rößler“ am Fichteplatz beschildert. Vgl. Kösling, Peer, Die Wohnungen der Gebrüder Schlegel in Jena, in: Athenäum. Jahrbuch der Friedrich Schlegel-Gesellschaft, Band 8, 1998, S. 97–110, hier S. 99. 13 Zum Burgkeller und Hermann Baumgartens Studienzeit in Jena vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 30. Juni 1878, oben, S. 70 mit Anm. 2. Hermann Baumgarten erzählte häufig von seiner Studienzeit. Vgl. Baumgarten, Otto, Meine Lebensgeschichte. – Tübingen: J. C. B Mohr (Paul Siebeck) 1929, S. 11 (hinfort: Baumgarten, Lebensgeschichte). 14 Zur Zeit des von Weber erwähnten Sächsischen „Bruderkrieges“ 1446–1451 war die Burganlage um den Fuchsturm längst zerstört.

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fest aus u. hat überall Risse. Die Aussicht ist nicht übel. Nach Verzehrung einiger Knackwürste gingen wir nach Jena herab, wobei es anfi ng zu regnen. Dieser Regen hörte aber, während wir in der Eisenbahn saßen, auf, und als wir in Schwarza ankamen, war es sehr schönes Wetter. Wir gingen, nachdem wir unser Gepäck per Wagen befördert hatten, direkt auf Schwarzburg los. Die erste 3 /4 Stunde ist der Weg sonnig, nicht besonders schön, bis Blankenburg. Von da an aber biegt der Weg nach links um und geht in das malerische Thal der Schwarza, immer am Ufer des Flusses entlang. Wir gingen zunächst bis zum Chrysopras, einem Wirthshaus am Wege,15 wo wir halt machten. Wir verzehrten Brod mit Bratwürsten etc. und gingen weiter im Schwarzathal aufwärts, durch eine der schönsten Gegenden Thüringens. Zu beiden Seiten erheben sich steile, aber doch dicht mit Fichten bewachsene Wände und links strömt die Schwarza wild und dröhnend dahin. Zuweilen machen sich einige Schieferfelsen Platz, hochmüthig u. herausfordernd hineinragend in die schöne Waldluft. Auch Erdbeeren gab es dort in Menge. Nach 3 Stunden kamen wir, es war 8 Uhr Abends, in Schwarzburg an, dessen Aussehen u. hübsche Lage Du wohl kennst. Wir hatten einen sehr schönen Abend und saßen auf dem Balkon des Hôtel zumg weißen Hirsch, um in der kühlen Abendluft hinabzuschauen auf die Wiesen mit den Rudeln von Hirschen,16 hinabzuschauen auf die ruhigen Baumwipfelh, auf die brausende Schwarza. Am Morgen standen wir sehr früh auf, da wir viel an uns zu reinigen hatten. Dabei bemerkte Karl, daß Papa auf der Brust behaart sei: „Aber Papa, rief er erstaunt, thun Dir denn die Haare da nicht weh, das sind ja Roßhaare!“ Wir gingen bald nach dem Frühstück auf das Schloß und besahen uns die interessante Rüstkammer,17 dann durchs Thal zum Hôtel zurück. Bepackt machten wir uns auf den Weg zum Trippstein.18 Dieser Punkt ist Dir ja auch bekannt. Die Aussicht war zwar vollendet schön, aber die Beleuchtung hätte mannigfaltiger sein dürfen. Von da gingen wir, immer scharf bergab, über Bechstädti und g 〈[?? w]〉

h Alternative Lesung: Baumgipfel

i O: Bechstedt

15 Zur Tour durch das Tal der Schwarza vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 30. Juni 1878, oben, S. 71 mit Anm. 7 und 8. 16 Das Gasthaus „Weißer Hirsch“ in Schwarzburg besaß einen „Thiergarten“, der von der Veranda aus zu sehen war (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 357). 17 Gemeint ist die „[s]ehenswerthe Rüstkammer“ von Schloß Schwarzburg, seit dem 12. Jahrhundert Sitz der Grafen bzw. Fürsten von Schwarzburg (ebd.). 18 Ein berühmter Aussichtspunkt über das Schwarzatal.

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Ober-Rottenbachj 19 nach Milbitzk, 20 wo wir Aufenthalt machten und dann nach dem alten Kloster Paulinzella. Auf dieser ganzen Tour war das Wetter prachtvoll. Die Sonne schien, aber es war doch ein so schöner, frischer Wind, daß es eigentlich niemals recht heiß wurde. Am ganzen Himmel war keine Wolke zu sehen und es war noch früh am Tage, als wir, in dem schon 700 Jahre alten, allerdings zerstörten, Kloster Paulinzella ankamen.21 Fortsetzung: den 3ten Juli Morgens: Fortsetzung folgt.22 Viele Grüße. Dein Sohn Max.

j O: Ober-Rotterbach

k O: Millwitz

19 Vom Trippstein führte ein Fußweg über Bechstädt und Ober-Rottenbach bis Paulinzella (ebd., S. 357 f.). 20 Ort bei Ober-Rottenbach. 21 Das 1114 erbaute Kloster mit seiner romanischen Säulenbasilika war im Bauernkrieg schwer beschädigt worden und verfallen (ebd., S. 358). 22 Die angekündigte direkte Fortsetzung ist nicht nachgewiesen. Max Webers nächster Brief an Helene Weber datiert vom 9. Juli 1878, unten, S. 78–82.

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Helene Weber 9. Juli 1878; Wartburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 38–39 Auf der ersten Briefseite befindet sich eine Lithographie der Wartburg. Am Schluß von Max Webers Brief folgen einige Zeilen von der Hand Max Weber seniors. Sie betreffen die geplante Weiterreise nach Heidelberg, wo sie Helene Weber treffen wollten. Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen Söhnen Max, Alfred und Karl in den Thüringer Wald vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 68.

Wartburg, den 9ten Juli 78 Abends spät. Liebe Mama! Hier in Eisenach ist ein gewaltiger Spektakel und die ganze Stadt auf den Beinen, weil das 25. jährige Jubiläum der Regierung des Großherzogs gefeiert wird.1 Die ganze Stadt hat geflaggt und als wir jetzt eben vorne auf einem Vorsprunge des Berges waren, stiegen von allen Seiten Raketen und Schwärmer auf, bengalische Beleuchtung und Illumination ist sichtbar. Als wir heute Nachmittag in die Stadt einzogen, begegneten wir einer großen Festprozession. Voran die Soldaten, dann die Mädchen, alle mit Kränzen in den Haaren, zuletzt die verschiedenen Schulen und die Zünfte. Auf dena großen Wiesen im Marienthal lagen die Menschen massenweise im Grase gelagert, überall waren Carroussels und Bratwurstbuden und ein ungeheures Gedränge. Wir haben uns Deine Karte von der Post geholt und sind sehr begierig auf die Briefe in Meiningen. Ihr werdet Euch natürlich kostbar amüsirt haben und auch Marie2 hat sicher ihre Angst vor der Reise verlorenb. Karl denkt jetzt öfters daran, wie er wohl mit seinen Ferien-Aufgaben fertig werden würde. Jetzt schläft er nun schon, während Alfred sich fortwährend im Bette herumwälzt und Papa im Bette liest. Wir haben bis jetzt immer, mit Ausnahme einzelner Regenschauer, prachtvolles Wetter gehabt und ich wüßte überhaupt nichts, worüber wir uns beklagen a denn > den

b 〈haben〉

1 Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach trat offiziell am 28. August 1853 seine Regentschaft an, den Titel des Großherzogs trug er bereits seit dem 8. Juli 1853. 2 Die bereits mehrfach erwähnte Bedienstete der Familie Weber. Sie war mit nach Heidelberg gefahren, um die jüngsten Kinder Clara und Arthur zu betreuen (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4).

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könnten. Mit meiner Chronik bin ich, glaube ich, bis zur Schmücke gelangt.3 Wie wir von da nach Erfurt gelangt sind, hast Du schon erfahren.4 Dort hatte sich manches verändert, namentlich waren die Bäume meiner Erinnerung nach viel kleiner gewesen. Den Jungens war es überaus angenehm, daß sie aus dem Fenster von Silbers Hôtel5 die Eisenbahnzüge alle sehen konnten. Die beiden Abende bei Mons’ waren sehr gemüthlich. Der Garten mit dem Gartenhaus hat sich nicht verändert,6 etwas mehr schon der Hof, doch den früheren Honigkeller erkannte ich wieder. Herr Mahner-Mons hat an Leibesumfang bedeutend zugenommen7 und Herr Geutebrückc 8 hat jetzt einen Vollbart. Auch am und im Dom sind wir gewesen, wo überall die Bäume bedeutend angewachsen sind. Auch bei der großen Susanna, oder, wie sie eigentlich heißt, Maria gloriosa,9 sind wir herumgeklettert. Am zweiten Abend bereitete uns Tante Mons rothe Grütze. Karl verlangte das Recept zu wissen u. bemerkte, daß sie bei uns zu Hause bedeutend steifer sei. Dann beschrieb er, wie sie gemacht würde. Mit den Panse’s10 zusammen sind wir drei noch vom Steiger-Wirthshause11 aus noch über Mangoldsd Felsenkeller12 u. andre bekannte Punkte durchs

c O: Geudebrück

d O: Mangolts

3 Im letzten überlieferten Brief an Helene Weber aus Ilmenau vom 1., 2. und 3. Juli 1878, oben, S. 77, endete Max Webers Reisebeschreibung mit dem Kloster Paulinzella. Die Schmücke ist ein Höhenzug im Kyffhäuserkreis, schon damals lag dort eine kleine Ansiedlung mit Gasthaus. 4 In Max Webers vorausgehenden Briefen der Thüringenreise findet sich dieser Teil der Reise nicht beschrieben. Möglicherweise bezieht sich sein Hinweis auf eine Mitteilung von Max Weber sen. an seine Frau. 5 Gemeint ist das Hotel Silber am Bahnhofsplatz in Erfurt. 6 In ihrer Erfurter Zeit hatte die Familie Weber im Haus des Erfurter Baurats Heinrich August Mons und seiner Frau Emma Mons, geb. Mierendorf, am Karthäuserufer 43b gewohnt. Nach dem Tod ihres Mannes lebte Emma Mons, Taufpatin von Alfred Weber, weiterhin dort. Mittlerweile trug das Haus die Hausnummer 6. 7 Der Arzt Alfred Mahner-Mons; er wohnte ebenfalls im Hause Mons. 8 Regierungsrat Richard Geutebrück hatte zur Erfurter Zeit der Familie Weber in der Nachbarschaft, am Karthäuser Mühlweg 38a, gewohnt. Mittlerweile lebte er im Haus von Emma Mons am Karthäuserufer 6. 9 Die Maria Gloriosa (früher auch Maria Clara Susanna), größte Glocke im Erfurter Dom, gilt als Wahrzeichen Erfurts. 10 Sehr wahrscheinlich der am Erfurter Kreisgericht tätige Rechtsanwalt Karl Ernst Panse und seine Frau Johanne Friederike Panse, geb. Gottleber. 11 Ein stark frequentiertes Ausflugsrestaurant auf einer bewaldeten Anhöhe, etwas außerhalb der Stadt (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 366). 12 Der Felsenkeller von (Brandis &) Mangold, einem Erfurter Brauereibesitzer.

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Schmidtstädter Thor13 in die Stadt zurückgekehrt. Von Erfurt aus fuhren wir nach Gotha. Dort wollten wir das Museum besehen, dasselbe war aber geschlossen.14 Wir gingen noch aufs Schloß,15 dann durch die Stadt in die Orangerie etc. und schließlich wieder auf den Bahnhof, von wo wir nach Waltershausen fuhren, um auf den Inselsberg zu steigen.16 Es begann jedoch zu regnen und wir mußten im Schießhause warten.17 Auf dem weiteren Wege trafen wir mit einer Frau vom Inselsberg zusammen, die uns bewog, nicht, wie sonst in dem Gothaischen, sondern im preussischen Gasthof zu übernachten.18 Es wurde am anderen Tage, als wir hinabgingen, wieder ganz klar und sehr schönes Wetter. Wir trafen Tante Richter19 und ihren Sohn20 in Reinhardsbrunn21 und besahen uns dann die beleuchtete Marienglashöhle.22 Von dort gingen wir nach Friedrichsroda, wo wir Herrn Panse zu treffen hofften, der aber nicht da war. Schließlich entschlossen wir uns dann, noch weiter zu gehen u. kamen spät Abends bei Mondenschein singend in dem Dorf Brotterode an. Am anderen Tage kamen wir nach Liebenstein, dessen Ruine wir besahen23 und dann, während es anfi ng zu regnen, nach Wagners Restaurant, unserer Mittagsstation. Nach

13 Das heutige Schmidtstedter Tor; eines der Erfurter Stadttore und Teil der Stadtbefestigung im Osten. 14 Das bei Schloß Friedensstein ab 1864 neu errichtete Herzogliche Museum mit großen Naturwissenschafts- und Kunstsammlungen. Es sollte 1878 eröffnet werden (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 367), durch Verzögerungen erfolgte die Eröffnung allerdings erst 1879. 15 Schloß Friedensstein, mit herzoglicher Bibliothek und Münzkabinett. 16 Gemeint ist der bei Waltershausen gelegene, plateauförmig abgeflachte Große Inselsberg im Westen des Thüringer Waldes. 17 Möglicherweise die Gaststätte „Tabarzer Schießhaus“. 18 Auf der Kuppe des Großen Inselsberges befanden sich zwei Wirtschaften, „eine auf der gothaischen und eine auf der preussischen Seite, beide gut und nicht theuer“ (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 377). 19 Es dürfte sich um die im Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 59 mit Anm. 9, bereits genannte Mara Benjamine Richter handeln, die Mutter von Helene Tiede, geb. Richter. 20 Wohl August Eduard Christoph Richter. Er war der einzige Sohn der Familie Richter. 21 Das Lustschloß des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha bei Friedrichroda, dessen großer Park bei Abwesenheit des Herzogs öffentlich zugänglich war (Baedeker, Mittelund Nord-Deutschland18, 1878, S. 378). 22 Die aus zwei Höhlen bestehende Mariengrotte bei Friedrichroda. Eine der beiden Höhlen ist mit Kristallen bedeckt. Für Besucher wurde sie mittels „Fackelbeleuchtung“ illuminiert (ebd.). 23 Die Ruine von Burg Stein, auch „alter Liebenstein“ genannt, beim Kurort Liebenstein im Thüringer Wald (ebd., S. 376).

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dem Regen besuchten wir die Glücksbrunner Höhle.24 Es war so schön dort unten in dem Kahn, daß wir gar nicht wieder hinauswollten. Sogar bengalische Beleuchtung fand statt. Dann kamen wir nach Schloß Altenstein, 25 in dessen Park wir mehrere Stunden herumliefen. Endlich machten wir uns auch noch auf den Weg nach Ruhla, indem wir unser Gepäck einem dorthin fahrenden Wagen mitgaben. Wir kamen zum Lutherdenkmal26 und zu den Überresten der vom Blitz zerschmetterten Luthereiche.27 Dann hätten wir uns fast verlaufen und gelangten halb durch Zufall wieder auf die Chaussée. Abends kamen wir im Hôtel Bellevue bei Ruhla an.28 Am anderen Morgen gingen wir zum Karl Alexanderthurm auf dem Ringberge über Ruhla.29 Wir hatten eine schöne Aussicht: Inselsberg und Umgebung, Kyffhäuser, Harz, Meißner, Wilhelmshöhe, Fuldaer Berge. Dann kamen wir zu dem Wachstein, einem Felsenvorsprung mit schöner Aussicht nach der Wartburg hin. Von da gingen wir hinab nach dem Schloß Wilhelmsthal30 u. nach Besichtigung des dortigen Parks zum Hirschstein hinauf, wo man durch eine Aussicht auf die Wartburg überrascht wird. Ebenso auf der Hohen-Sonne.31 Dann kamen wir hinab in das Annenthal, wo die Felsen zu beiden Seiten ja so nahe zusammentreten, daß die Jungens erstaunt waren, daß Papa hindurchkam. 32 Endlich gelangten wir

24 Die Liebensteiner Höhle bei Glücksbrunn zwischen Altenstein und Liebenstein. Die 150 Meter lange Kalksteinhöhle mit gut zugänglichem unterirdischem See wurde sonntags für Besucher beleuchtet (ebd., S. 375). 25 Ein Wohnschloß des Herzogs von Sachsen-Meiningen aus dem 18. Jahrhundert, mit weitläufigen Parkanlagen (ebd.). 26 Das 1857 im Auftrag des Herzogs von Sachsen-Meiningen errichtete Lutherdenkmal nahe des Gerbersteins, zwischen Altenstein bzw. Steinbach und Ruhla. Der Obelisk erinnert an die Stelle, an der Martin Luther nach dem Wormser Edikt 1521 vom Kurfürsten Friedrich von Sachsen „entführt“ und auf die Wartburg gebracht wurde (ebd.). 27 Gemeint ist die 1841 durch Blitzschlag zerstörte Lutherbuche, an deren Stelle das Lutherdenkmal (wie Anm. 26) errichtet wurde (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 375). 28 Ein Gasthaus, etwas oberhalb von Ruhla am Hang des Ringbergs gelegen, laut Baedeker, ebd., S. 374, „einfach und gut“. 29 Der hölzerne Aussichtsturm auf dem Ringberg war 1866 errichtet worden. Benannt ist er nach Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. 30 Ein Schloß aus dem 17. Jahrhundert mit großer Parkanlage, zwischen Ruhla und Eisenach (ebd., S. 373). 31 Eine Forstsiedlung mit Jagdschloß südlich von Eisenach. 32 Das Annatal (damals auch Annenthal) südlich der Hohen Sonne. Dessen engste Stelle in der sogenannten Drachenschlucht ist nur 68 cm breit.

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durchs Marienthal33 nach Eisenach in den Jubiläumsspektakel.34 Wir gingen nach der Post, holten Deine Karte ab und gingen hier herauf auf die Wartburg. Hier sitze ich nun in eben dem Zimmer, wo auch Papa, vor einiger Zeit schon gesessen hat und Briefe an Dich herabgesendet hat, nämlich in dem Burgzimmer der Restauration, von wo aus man einen hübschen Blick auf Eisenach und seine Umgebung hat. Wir haben unten in dem Zimmer, wo die ganzen Wände voll schöner Sprüche stehen, unser Abendbrod eingenommen. Jetzt aber ist es schon ziemlich spät, 1/ 2 11 Uhr mindestens und ich will nur schließen. Daß ich so geschmiert habe, kommt daher, daß diese Zauberfeder einmal in dem Taschenfederhalter sitzen blieb und nur in sehr zerquetschtem Zustande wieder herausgebracht werden konnte. Auch habe ich sehr schnell geschrieben, da keine große Zeit ist. Morgen, Mittwoch, wollen wir entweder um 8 Uhr 50 Min. oder um 3 Uhr 58 Min. nach Meiningen weiter fahren. Hiermit lebe wohl. Viele Grüße an Beneckes35 und der Großmama gute Besserung, 36 die sehr wünschenswerth wäre. Dein Sohn fi lius Max.

33 Das Mariental führt von Süden her nach Eisenach. 34 Vgl. oben, S. 78 mit Anm. 1. 35 Die Familie von Ernst Wilhelm Benecke und Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. 36 Emilie Fallenstein, geb. Souchay, hatte auf einer Reise einen Schwächeanfall erlitten (Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 10. Juli 1878, Privatbesitz BaumgartenSchoeppe).

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Fritz Baumgarten 13. Juli 1878; Heidelberg Brief; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe Max Weber schildert im folgenden Stationen seiner gemeinsamen Reise mit dem Vater und seinen Brüdern Alfred und Karl nach Thüringen, die er bereits in den vorausgehenden Karten bzw. Briefen an Helene Weber vom 29. Juni, 30. Juni, vom 1., 2. und 3. Juli, sowie vom 9. Juli 1878, oben, S. 68–82, beschrieben hatte. Auf der letzten Briefseite findet sich ein Grußzusatz Helene Webers an Fritz Baumgarten zu seinem Geburtstag am 14. Juli. Darin beschreibt sie auch die Ankunft der ThüringenReisenden in Heidelberg am Vortag. Dem Zusatz ist zu entnehmen, daß Max Weber sen. mit den drei ältesten Söhnen gut zehn Tage in Heidelberg blieb, ehe er – aufgrund des bevorstehenden Schulbeginns am 5. August – mit ihnen Ende Juli gemeinsam nach Charlottenburg zurückreiste.

Heidelberg, den 13.ten Juli 78. Lieber Fritz!

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Jetzt endlich will ich mein Versprechen einlösen, zumal da morgen Dein Geburtstag ist, zu dem ich herzlich gratulire. Da ich im übrigen nicht viel zu schreiben weiß, so will ich Dir nur kurz unsre Reise beschreiben. Wir fuhren also heute, Sonnabend, vor 14 Tagen,1 in einem Salonwagen II. Kl. bis Kösen an der Saale. Die Stadt liegt in dem nicht eben sehr breiten Saalethal zwischen Bergen, welche meist abgeholzt sind. Nur auf den südlicheren Bergen ist schöner Buchenwald und dort liegen, weithin sichtbar, auf einem Gebirgsvorsprung, der von der Saale bespült wird, die beiden Burgen, hoch oben die Rudelsburg, tiefer die Saaleck. Die erstere ist die bei weitem bekanntere und besuchtere. Auf sie stiegen wir auch hinauf und hatten eine sehr hübsche, aber nicht gerade sehr ausgedehnte, Aussicht über das Saalethal. Auf dem Rückwege nach der Stadt gingen wir durch schönen Wald über den sog. Vogelheerd, einena schönen Platz unter einer alten Linde u. an der Saline vorbei. Abends fuhren wir noch nach Naumburg. Schon während wir in der Eisenbahn saßen, begann ein überaus heftiges Gewitter, so daß fortwährend die Felder zu beiden Seiten erleuchtet wurden. Dadurch wurden wir gezwungen, per Omnibus in die Stadt zu fahren. Da es schon sehr spät war, steckten wir uns sofort ins Bett. Am anderen Morgen nach dem Frühstück liefen wir in der Stadt umher, die a einem > einen 1 Am Samstag, dem 29. Juni 1878.

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nicht gerade sehr schön ist, aber sehr viel Alterthümliches an sich hat. Wir besahen uns den Dom von außen, gingen über den Marktplatz, wo gerade Geschirrmarkt war und kamen endlich wieder aus der Stadt heraus. Nachdem wir uns noch einige Kirschen gekauft hatten, fuhren wir per Eisenbahn immer Saale-aufwärts bis Jena. Dort machten wir wieder Station. Wir gingen zuerst im Halbkreise um die Stadt herum und dann hinein. Sofort begegneten uns so und so viel Studenten in ihren Burschenschaftsmützen, mit Sammtjacken, bunten Bändern u. bunten Mützen. Auch sahen wir überall an den Häusern Zettel, worauf stand, welcher berühmte Mann als Student oder Professor in dem betreffenden Hause gewohnt habe. Jede Straße hatte deren aufzuweisen. Auch an dem berühmten Burgkeller, wo auch Dein Vater2 einst gekneipt hat, kamen wir vorüber. Schließlich entschlossen wir uns noch, auf den sog. Fuchsthurm zu steigen, welcher in östlicher Richtung von der Stadt liegt. Er steht auf einem Felsen, auf der höchsten Bergspitze, welche jene Gegend aufzuweisen hat. Wenn man durch dichten Fichtenwald obenhin gelangt ist, so wird man plötzlich durch einen Felsen überrascht, welcher quer vorliegend den Weg zu versperren scheint. Auf diesem Felsen liegt der alte Fuchsthurm, der einzige Überrest einer einstmaligen Burg. Er selbst war nahe am Einstürzen u. ist nur mit Mühe restaurirt [.] Übrigens ist er merkwürdigerb Weise in der Mitte dicker als oben und unten, hat sehr viele Sprünge und macht keinen sehr festen Eindruck. Ob er nicht eines schönen Tages durch Sturm einmal umgeworfen wird, muß dahingestellt bleiben. In seinem Innern führt eine stockfi nstere Treppe auf ihn hinauf. Man hat von dort aus eine sehr weite Aussicht auf den Kamm des Thüringer Waldes. Beim Hinabwege nach Jena begann es etwas zu regnen. Wir fuhren von Jena aus per Eisenbahn nach Schwarza, einem kleinen Städtchen, an dem gleichnamigen Bache gelegen. Von da aus gingen wir 3 /4 Stunden lang quer durch Felder auf einer Fahrstraße bis zur Blankenburger Brücke.3 Von da an führt der Weg in dem schönen, engen Schwarzathal aufwärts. Dies Thal windet sich stundenlangc zwischen hohen Bergen hin, welche mit schönem Fichtenwald dicht bewachsen sind. Zuweilen wird der Wald durchbrochen durch einige gewaltige Felsb O: merwürdiger

c Stundenlang > stundenlang

2 Hermann Baumgarten. 3 Sie lag am Eingang zum Schwarzatal. Zu dieser Tour vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 1., 2. und 3. Juli 1878, oben, S. 76.

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blöcke, meist Schiefer. Das Thal macht so viele Krümmungen, daß wir z. B. eine kleine, auf einem Berge liegende Ruine von drei verschiedenen Seiten zu sehen bekamen.4 So gingen wir verschiedene Stunden und kamen am Abend in Schwarzburg an. Das Schloß Schwarzburg liegt auf einer Landzunge, welche auf drei Seiten von der Schwarza bespült wird, oben auf einem felsengekrönten, schönbewaldeten Berge. Es ist noch ziemlich gut erhalten.5 Rings umher, meist aber nach der Seite hin, wo die schmale Landzunge mit dem Lande zusammenhängt, liegt die Stadt Schwarzburg. Sie ist weit zerstreut und besteht eigentlich nur aus Mühlen und Gasthöfen. Wir waren im „weißen Hirsch“ und konnten von unserem Zimmer aus die Gegend rings betrachten, unten im Thal die große Wiese mit den vielen Hunderten von Hirschen und dicht daneben die waldigen Berge. Am anderen Tag gingen wir über den Trippstein, von wo man eine Aussicht über das Thal der Schwarza hat, nach der alten Klosterruine Paulinzella, wo einst Cisterzienser gesessen und das umliegende Land kultivirt haben. Die Ruine ist wenig besucht, da sie abseit der großen Straße liegt, aber überaus schön. Das schönste an ihr ist die Kirche, von der noch die Pfeiler und die Tragbalken stehen, auch ein schönes Portal ist noch vorhanden. Andere Klostergebäude sind zu Stallungen benutzt. Am Abend gingen wir noch in die Berge, wo wir Unmassen von Erd- und Heidelbeeren fanden. Am folgenden Tage gingen wir durch dichten Wald, wo man sich leicht verlaufen konnte, nach Ilmenau, einem Städtchen, in der breiten Ebene der Ilm gelegen. Es begann zu regnen und hörte erst spät Abends auf. Trotzdem gingen wir noch auf den 2800 Fuß hohen Kickelhahn.6 Die Aussicht war nicht weit, etwa 2 Meilen; überall aus den Bergen hoben sich kleine Wölkchen verdunstenden Wassers in die Höhed, was einen sehr hübschen Anblick gewährte, die Aussicht aber natürlich verdeckte. Am Abend gingen wir wieder nach Ilmenau zurück. Aber eben sehe ich, daß es bereits 1/4 12 ist. Und da ich doch möchte, daß Du diesen Brief morgen noch bekömst, so muß ich wohl schließen. Lebe

d O: höhe 4 Möglicherweise der Eberstein, ein burgartiger Turm, der als Aufenthaltsort bei fürstlichen Jagden diente (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 357). 5 Schloß Schwarzburg war nach einem Brand im Jahr 1726 komplett neu aufgebaut worden (ebd.). 6 Der Kickelhahn bei Ilmenau ist mit 862 Metern einer der höchsten Berge des Thüringer Waldes.

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wohl, nochmals herzliche Glückwünsche, viele Grüße an Dich und Simons.7 Dein Vetter Max. (Fortsetzung folgt!) 8

7 Eduard Simons war mit Otto und Fritz Baumgarten befreundet (vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 35). Wie Fritz Baumgarten studierte er seit dem Wintersemester 1877/78 ein Jahr in Berlin. Im Sommersemester wohnten sie gemeinsam in der Bernburger Str. 10 (vgl. den Brief an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, oben, S. 67 mit Anm. 37). 8 Eine direkte Fortsetzung des Briefes ist nicht zu ermitteln. Der nächste Brief Max Webers an Fritz Baumgarten, unten, S. 98–100, datiert erst vom 27. August 1878.

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Helene Weber 26. Juli 1878; Mainz Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 39a Max Weber schrieb die Karte während der Rückreise von Heidelberg nach Charlottenburg, die er zusammen mit seinem Vater und den Brüdern Alfred und Karl unternahm (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Fritz Baumgarten vom 13. Juli 1878, oben, S. 83). Helene Weber blieb mit den jüngsten Kindern, Clara und Arthur, noch in Heidelberg. Am Schluß der Karte folgt ein kurzer Gruß von Max Weber sen., der hier nicht wiedergegeben wird.

Mainz. 26. Juli 78, Abends Liebe Mama!

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Wir hatten trotz der Überfüllung des Wagens bei dem kühlen Wetter eine recht angenehme Fahrt und kamen mit 1/ 2 Stunde Verspätung in Mainz an. Wir quartirten uns im H[ôtel] de Cologne1 ein u. spazierten in die Stadt. Zuerst gingen wir zum Dome, der übrigens von allen Seiten so mit Häusern umbaut ist, daß wir von außen keinen freien Überblick über Stil u. Architektur gewinnen konnten. Im Innern ist er nicht übel [.] Es wird jetzt viel daran restaurirt.2 Dann gingen wir vor die Stadt zu der alten römischen Wasserleitung3 oder vielmehr deren Überresten, die in 62 theils besser, theils schlechter erhaltenen pyramidenförmigen Pfeilern bestehen, welche das Wasser aus einer noch laufenden Quelle nach Mainz führten. Durch die Anlagen kamen wir dann auf die Eisenbahnbrücke über den Rhein4 und zum Schluß gingen wir noch auf die Schiffbrücke, 5 von wo die Stadt mit ihren Lichtern sich überaus schön ausnimmt. Morgen, Sonnabend, werden wir per Dampfschiff rheinabwärts fahren6 und übermorgen früh kommen wir 1 Gemeint ist vermutlich das nahe am Rhein gelegene Hotel Kölnischer Hof (vgl. Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 162). 2 Auf Initiative des 1856 gegründeten Dombauvereins war eine umfassende Restaurierung des Domes begonnen worden (ebd., S. 163). 3 Von dem nahe Zahlbach gelegenen Aquädukt standen noch Pfeiler von bis zu 9 Meter Höhe (ebd., S. 168 f.). 4 Die 1862 fertiggestellte, fast 1300 Meter lange Eisenbahnbrücke über den Rhein (ebd., S. 171). 5 Bis zum Bau einer neuen Rheinbrücke 1882–1885 verband eine befestigte Pontonbrücke Mainz mit Kastel. 6 Die Dampfschiffe der vereinigten Köln-Düsseldorfer Gesellschaft bedienten die Linie rheinauf- und -abwärts; ab Mainz über die Stationen Biebrich, Koblenz und Bonn bis Köln.

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wieder nach Berlin gerutscht und dann geht der Spektakel wieder von vorne an.7 Jetzt aber, nach treffl ichem Abendessen, werden wir auf den Matrazzenball gehen. Viele Grüße an die Kinder,8 Marie,9 Amalie10 u. die Großmama.11 Dein Sohn Max

Die Fahrt mit einem der vier modernen Schnellschiffe „Deutscher Kaiser, Wilhelm Kaiser u. König, Friede und Humboldt“ dauerte von Mainz bis Bonn stromabwärts gut 6 Stunden und war preisgünstiger als mit der Eisenbahn (Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. XV, das Zitat ebd.). 7 Max Weber bezieht sich wohl auf den nahenden Unterrichtsbeginn am Montag, dem 5. August (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 33). 8 Gemeint sind die jüngsten Geschwister Clara und Arthur, mit denen sich Helene Weber in Heidelberg aufhielt. Max Webers kleine Schwester Helene (Helenchen) war im Dezember 1877 gestorben. 9 Sehr wahrscheinlich die bereits mehrfach erwähnte Bedienstete der Familie Weber. Sie war mit nach Heidelberg gefahren (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4). 10 Nicht ermittelt. Möglicherweise Bedienstete von Emilie Fallenstein, geb. Souchay. 11 Emilie Fallenstein, geb. Souchay.

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Helene Weber 28. [Juli 1878]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 56–57 Monat und Jahr sind aus dem inhaltlichen Bezug zur Karte an Helene Weber vom 26. Juli 1878, oben, S. 87 f., erschlossen, in der Max Weber die unten geschilderte Dampfschifffahrt „Morgen, Sonnabend“ (dem 27. Juli 1878) ankündigt. Im Anschluß an Max Webers Brief findet sich eine Nachschrift von Max Weber sen. über die Rückreise mit seinen Söhnen Max, Alfred und Karl nach Charlottenburg und die Ankunft dort. Helene Weber blieb mit den beiden jüngsten Kindern in Heidelberg, wohin Max Weber sen. am 21. August 1878 erneut fuhr, um sie abzuholen (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, unten, S. 94).

Charlottenburg, den 28 Mittags Liebe Mama!

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Wir hatten gestern, Sonnabend,1 bei dem schönsten Theil unsrer Rückreise, der Dampfschiffahrt a[uf] a dem Rhein, schönes, klares, nur zuweilen durch kaum 1/ 2 Minute dauernde Regenschauer unterbrochenes Wetter. Wir fuhren um 9 Uhr Morgens von Maynz aufb dem alten Papa Rhein hinab mit einem Schnellschiff, welches nur in Biebrich, Coblenz und Bonn anlegte und schon 1/ 2 5 Uhr in Köln war. 2 Wir saßen ganz vorn in der Spitze des Schiffes an einem halbmondförmigen Tische, tüchtig vom frischen Winde durchweht, so daß wir unsere Paletöters3 anzogen. Alfred hatte anstatt seines Hutes, der in Gefahr war hinabzufl iegen, meine Mütze auf. An der table d’hôte4 betheiligten wir uns nicht, da wir dann in die Cajüte hätten hinabsteigen müssen u. einen Theil der schönen Aussicht eingebüßt hätten. Die Fahrt war wunderschön und machte uns allen viel Vergnügen. Nur zuletzt schien es Alfred und Karl langweilig zu werden, denn sie fi ngen an Unsinn zu machen, tanzten mit ihren Schiffstühlen umher und kollerten übereinander hin, oder sie saßen bei der Maschine oder unten a Textverderbnis in O; Tintenfleck.

b aus > auf

1 27. Juli 1878. 2 Zur Dampfschifflinie der vereinigten Köln-Düsseldorfer Gesellschaft und den modernen Schnellschiffen vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 26. Juli 1878, oben, S. 87 f., Anm. 6. 3 Salopp für: Paletot; ein zweireihiger halblanger Herrenübermantel. 4 Wie Gasthäuser boten die Schiffe ein festes Mittagsmenü an.

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am Radgehäuse, um die Bewegungen des Rades und die daraus entstehenden Wellen zu beobachten. Der Mäusethurm bei Bingen5 schien Karl besonders zu interessiren, außerdem die Tunnels und die Eisenbahnen. Das Siebengebirge war fast bis Köln hin sichtbar, dagegen verschwand Rolandseck6 sehr bald. Das Nasse’sche Haus in Bonn7 erkannten wir, von wo aus man den Godesberg u. das Siebengebirge zugleich sieht. Sehr majestätisch nimmt sich der Drachenfels aus,8 ebenso der Ehrenbreitstein bei Koblenz.9 Schon von weitem ist jetzt der Kölner Dom sichtbar, dessen beide Thürme jetzt ihrer Vollendung entgegeneilen.10 In zwei Jahren sollen sie fertig sein. Auch das Gerüst zu dem Denkmal auf dem Niederwald11 sahen wir vom Rhein aus. Sehr schön sieht auch die Marxburg12 aus und der Stolzenfels, der jetzt vom Kaiser restaurirt worden ist.13 Vieles muß ich mir zum Erzählen noch aufsparen, bis wir uns wiedersehen, jedenfalls ist dies Thema so ziemlich unerschöpfl ich.

5 Der ehemalige Wehr- und Wachturm aus dem 14. Jahrhundert auf einer Rheininsel bei Bingen war in den 1850er Jahren aufwendig restauriert worden. Er markierte die Grenze zur preußischen Rheinprovinz. 6 Rolandseck mit der auf einem hohen Basaltfelsen über dem Rhein gelegenen gleichnamigen Ruine galt als einer der sehenswertesten Orte am Rhein (vgl. Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 275 f.). 7 Gemeint sein dürfte das Haus von Christian Friedrich Nasse in der Koblenzerstraße 53 in Bonn-Bad Godesberg. Der Psychiater hatte bis zu seinem Tod 1851 in Bonn gelehrt, seine Witwe Henriette Nasse, geb. Weber, lebte noch 1878 dort. Alwine Nasse, geb. Weber, die 1864 verstorbene Schwester von Max Weber sen., war mit Nasses Sohn Werner verheiratet gewesen. 8 Der Drachenfels mit der gleichnamigen Burgruine bei Königswinter am Rhein. 9 Der markante Felsen am Deutschen Eck bei Koblenz, auf dem sich die zwischen 1816 und 1826 errichtete große Festungsanlage befindet. 10 Die 1842 begonnenen Arbeiten zur Vollendung des Kölner Domes, vor allem der beiden 157 Meter hohen Türme, waren tatsächlich zwei Jahre später abgeschlossen. Am 15. Oktober 1880 wurde die Fertigstellung des Domes offiziell gefeiert. 11 Das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein. Es galt als Nationaldenkmal zur Erinnerung an den Sieg über Frankreich 1870/71 und die Reichsgründung. Die Grundsteinlegung war 1877 erfolgt, eingeweiht wurde das Monumentaldenkmal mit der über 12 Meter hohen Hauptfigur der Germania im September 1883. 12 Gemeint ist die Marksburg bei Braubach am Rhein. Zu Max Webers Zeit war auch die Schreibung Marxburg gebräuchlich. 13 König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, dem die mittelalterliche Burgruine Stolzenfels 1823 als Kronprinz geschenkt worden war, ließ Schloß Stolzenfels über dem Rhein bei Koblenz bis Mitte der 1840er Jahre auf den Überresten der Ruine aufbauen. Eine umfassende Restaurierung des Schlosses durch Kaiser Wilhelm I. fand nicht statt. Entweder handelte es sich um kleinere Maßnahmen oder eine Verwechslung Max Webers.

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Um 1/ 2 5 Uhr, wie gesagt, kamen wir in Köln an. Eine gewaltige Menschenmenge stand am Ufer. Kaum landete das Schiff, so stürzten sich eine Menge von Gepäckträgern und Dienstmännern, aufc dasselbe, welche ohne Unterschied das nächste Gepäck ergriffen und forttrugen. Ein jeder erhob natürlich Lamento nach seinen Koffern. „Na, wat han Sie’n?“ fragte der betreffende Dienstmann Papa. „Hier die beiden Koffer, nach dem Centralbahnhof!“ „Na, gehn’s als, ick bin no ehr da as Sie, jungen Herr!“ Aber so ohne weiteres gingen wir auch nicht fort, sondern wir warteten lange Zeit, eine reichliche Viertelstunde. Da fährt eine Droschke vorbei, den Bock mit 3 gewaltig großen Koffern bepackt und auf dem obersten sitzt der Kutscher, der sehr courageux aussah: „Vorsüüücht!!“ Da begann der oberste Koffer zu schwanken und stellte sich schief. Monsieur Kutscher rutschte hinten herunter, dem einen Herrn im Wagen auf den Kopf, während seine Beine noch auf dem Bocke saßen. Mit Mühe konnte er sich wieder in die richtige Stellung bringen. Als nun endlich der Gepäckkarren sich in Bewegungd setzte, bemerkten wir, daß Alfred seinen Hut nicht hatte, da er auf dem Dampfschiff meine Mütze aufhatte. Dieser Hut mußte erst noch aus dem Schiffe geholt werden. Endlich kamen wir dann auf den Centralbahnhof und versicherten uns unsrer Sachen. Von da gingen wir sogleich in den Dom. Wir traten durch das künftige Hauptportal14 ein und empfi ngen sogleich den vollen, wahrhaft überwältigenden Eindruck des herrlichen Bauwerks. Diese ungeheure Höhe, diese Pfeiler! Betrachtet man letztere, so kommt einem, scheint mir, der Bau als ein ungeheures, abenteuerliches Gebilde vor, wenn man dagegen die majestätischen gothischen Wölbungen betrachtet, so wird man von einem unbeschreiblichen Gefühl der Ruhe und Sicherheit eingenommen. Es war gerade Sonnabend-Gottesdienst, so daß der Umgang geschlossen war. Dies müssen wire in die hoffnungsvolle Zukunft aufschieben, sowie überhaupt jedes genauere Betrachten des Doms, von dem wir nur einen Eindruck zu gewinnen suchten. Wir gingen dann oben hinauf.15

c durch > auf

d O: bewegung

e 〈für〉

14 Das fast 30 Meter hohe Hauptportal wurde, wie die gesamte Westfassade, erst im Zuge der Domfertigstellung (wie oben, S. 90, Anm. 10) nach überlieferten Plänen aus dem 14. Jahrhundert gefertigt (Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 301 f.). 15 Gemeint ist vermutlich auf die offene Außengalerie des mittleren Turms, die ebenso wie der Chorumgang zu besichtigen war. Von der Außengalerie, so der Baedeker, ebd., S. 306, bestehe eine „herrliche Aussicht“ über Köln und bis zum Siebengebirge.

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Von da kann man erst die ganze Fülle der Architektur und Plastik, sowie den Grundgedanken des ganzen Baues übersehen und mehr, als auf dem umliegenden Land, das man meilenweit, bis zum Siebengebirge, übersieht, mehr als auf der Stadt ruht der Blick auf den beiden gewaltigen Thürmen, die jetzt nicht mehr Fragmente sind, welche wie gewaltige Fragezeichen in die Zukunft blicken, sondern die jetzt schon bis auf vier kleine Stockwerke vollendet sind und deren Zukunft jetzt mit vollster Sicherheit entschieden ist. Zwar sind sie allenthalben mit Gerüsten umgeben und oben darauf wird fortwährend an Gerüsten gebaut, so daß die Architektur und besonders ihre Einzelheiten noch nicht ganz deutlich zu erkennen sind, aber ihre Größe und Gestalt ist aus dem jetzt vollendeten schon völlig ersichtlich. Vom Dome aus wollten wir eigentlich noch auf die Eisenbahnbrücke gehen,16 aber ein platschender Regenguß nöthigte uns unterzutreten und schleunigst in einer Droschke zum Bahnhof zu fahren. Nachdem wir uns gestärkt hatten, fuhren wir gegen 8 ab und über den Rhein, von dem wir nun Abschied nahmen. Wir waren bis Minden allein im Coupé, und schliefen insgesammt prachtvoll, dann aber wurde unser Wagen gänzlich angefüllt, so daß kein Platz mehr frei war. Das dauerte bis Hannover. Dort wurde das Coupé wieder leer, nur eine einzelne Dame fuhr mit bis Berlin [.] Von Hannover bis Spandau schliefen Papa und ich dann auch wieder. Erst in Spandau weckte mich das laute Jubilo der Jungens17 wieder, welche die nachbarliche Stadt freudig begrüßten. Endlich kamen wir in Berlin an. Wir nahmen uns eine Droschke und fuhren hier heraus. Wir trafen hier alles sehr gesund und in Ordnung. Julie18 hatte ein prachtvolles Mittagessen gekocht und war so stolz darauf, daß sie durchaus keinen reinen Mund halten konnte und uns verrieth, was es gäbe; ja sie gerieth sogar sehr in Entrüstung, als sie erfuhr, daß Du uns noch nichts gesagt habest. Jetzt haben wir nun Kaffee getrunken und werden bald zu Bett gehen, um uns morgen nicht zu verschlafen. Es ist hier kein besonders gutes Wetter, man ist nie sicher, daß nicht ein Regenplatsch herabfällt. Viele Grüße

16 Die 1859 fertiggestellte zweigleisig befahrbare „Dombrücke“ mit paralleler Straßenbrücke (ebd.) war der Vorläufer der ab 1907 gebauten „Hohenzollernbrücke“. 17 Alfred und Karl Weber. 18 Bedienstete der Familie Weber.

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an Großmama,19 Fräulein Seiten, 20 August u. Hans, 21 Amalie22 und Marie.23 Dein Sohn Max

19 Emilie Fallenstein, geb. Souchay. 20 Fräulein Seiten lebte zeitweilig als Hausdame bei Emilie Fallenstein (vgl. den Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 15. Aug. 1878, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe). Näheres ist zu ihrer Person nicht bekannt. 21 August und Hans Hausrath, Max Webers Cousins in Heidelberg. 22 Nicht ermittelt. 23 Bedienstete der Familie Weber. Marie hatte Helene Weber und die jüngsten Kinder nach Heidelberg begleitet (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4).

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Helene Weber und Max Weber sen. 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 40–41 Wie sich aus dem Brief an Fritz Baumgarten vom 27. August 1878, unten, S. 100, ergibt, beendete Max Weber den hier edierten, über mehrere Tage fortgesetzten Brief an Helene und Max Weber sen. vor dem an Fritz Baumgarten gerichteten vom gleichen Tag. Über schulische und häusliche Ereignisse, wie die nur langsame Heilung einer Stirnwunde, die sein Bruder Karl sich beim Spielen durch einen unglücklichen „Lanzenwurf“ von Alfred Weber zugezogen hatte, berichtete Max Weber seinen Eltern zunächst nach Heidelberg. Wie er im Brief an Fritz Baumgarten vom 27. August 1878, unten, S. 98 und 100, schildert, war Max Weber sen. am 21. August nach Heidelberg gefahren, um Helene Weber dort abzuholen. Erst rund eine Woche später, am 27. August, erfuhr Max Weber dann durch einen Brief der Eltern, daß sie am Samstag, dem 24. August, von Heidelberg über Straßburg und Nancy nach Paris gereist waren. Er schickte daraufhin diesen, wie auch die folgenden Briefe und Karten an Helene Weber bzw. Max Weber sen. vom 29. August, vom 28. bis 31. August, sowie vom 3. und 4. September 1878, unten, S. 101–110, nach Paris, wo sich die Eltern bis Anfang September aufhielten. Während der insgesamt dreiwöchigen Abwesenheit beider Eltern waren Max und Alfred mit dem Dienstpersonal alleine zu Hause, der jüngere Bruder Karl beim Charlottenburger Vorschullehrer Franz Krätke und dessen Frau in Pension.

Charlottenburg, Donnerstag. Abend. 22/8 78. Liebe Eltern! Es ist jetzt hier in hohem Grade still und gemüthlich. Sobald ich um 1 Uhr nach Hause kam, aßen wir zu Mittag und gingen dann in den Garten. Um 2 Uhr übte ich1 und arbeitete dann. Esa war dies nur sehr wenig, weil morgen (Freitag) Vergil die einzige Stunde ist, zu der wir etwas aufhaben, ich dieses aber schon gemacht hatte. So habe ich denn nur Homer und Mathematik gemacht. Alfred habe ich nun überhört und wir haben vor kurzem Kaffee getrunken. Wie ich gehört habe, soll es Karl bei Herrn Krätke sehr gut gefallen.2 Bei dem gestrigen Spaziergang hätte ihn dieser immer bei der Hand gehalten und sich eifrig mit ihm erzählt. Mit seinen Mitpensionären, deren 4 oder 5 sind, scheint er a O: Er 1 Max Weber erhielt seit einigen Jahren Klavierunterricht. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8. Juli 1875, oben, S. 31 mit Anm. 15. 2 Karl Weber war bei Vorschullehrer Krätke und dessen Frau in der Charlottenburger Bismarckstraße 21 in Pension. Im Winterhalbjahr wurde Krätke Karls Ordinarius (Klassenlehrer). Vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 27. Aug. 1878, unten, S. 99 mit Anm. 7.

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sich auch gut zu vertragen, wenigstens war der Alfred einigermaßen entrüstet darüber, daß Karl jetzt in der Pause auf dem Hofe gar nicht mehr mit ihm, sondern immer mit seinen Mitpensionären zusammen ginge. Morgen werde ich mich nach seinen Schulverhältnissen erkundigen. Jetzt wollen wir jedoch Abendbrod essen. Freitag Abend. 23/8 78. Ich habe heute Herrn Krätke wegen des Karl gefragt, er sagte mir aber, er wisse nichts von dem, was in der Schule geschähe, aber zu Hause machte es sich ja. Indeß sah ich Karl bald sehr vergnügt und mit fast vollständig abgeschwollnen, aber immer noch braunen Augen unter einem Haufen von Jungens stehen. Von ihm erfuhr ich, daß er in dem am Donnerstag geschriebenen Diktat 4 Fehler habe und auf der 3. Bank erster sitzt.3 Ich hörte auch von Alfred, daß er des Morgens, bevor es in die Schule geht, 2 Reineclauden4 verzehrt, zum Kaffee Kuchen bekommt und des Abends Thee mittrinkt. Ich glaube, er bliebe ganz gern bis zum Ende des Semesters fort. Unsere Verpflegung ist vollständig regelmäßig. Ich habe heute wieder gleich geübt und dann gearbeitet. Um 1 aßen wir Mittag, um 5 tranken wir Kaffee. Gegen 8 essen wir Abend, bald nach 8 geht Alfred, um 1/ 2 10 ich zu Bett. Heute war bei uns große Aufregung, da Thürolfsb Hinrichtung heute stattfi nden sollte, aber sie scheint bis zur nächsten Woche verschoben zu sein.5 Sonntag Abend. 25/8 78. Gestern Abend bin ich nicht zum Schreiben gekommen, da wir in den zoologischen Garten gingen, Emilie6 und wir beidec,7 wo Beleuchtung b Thyrolfs > Thürolfs

c beiden > beide

3 Die Sitzordnung in preußischen Schulen orientierte sich nach der Leistung der Schüler, die besten saßen jeweils links oder rechts außen in ihrer Bankreihe. 4 Edel-Pflaumen. 5 Der Tischlergeselle Gustav Thürolf war im Februar 1878 in einem aufsehenerregenden Prozeß wegen versuchten Raubmordes und Mordes durch das Berliner Schwurgericht zum Tode verurteilt worden. Aufgrund einer neuen Zeugenaussage wurde die Vollstreckung im August zunächst für unbestimmte Zeit aufgeschoben, im Oktober 1878 das Todesurteil auf Antrag des preußischen Justizministers wegen nicht vollständig erbrachten Schuldnachweises in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt (Berliner GerichtsZeitung, Nr. 24 vom 23. Febr. 1878, S. 1 f., und ebd., Beilage, S. 5 f.; Nr. 99 vom 24. Aug. 1878, S. 2, sowie Nr. 124 vom 22. Okt. 1878, S. 2). 6 Wie sich aus dem Briefende, unten, S. 97, ergibt, war Emilie ein (neues) Hausmädchen der Familie Weber. 7 Max Weber und sein Bruder Alfred.

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durch kleine Lämpchen stattfand. Wir hatten, nachdem ich um 11 nach Hause gekommen war und gleich gearbeitet hatte, wie immer um 1 Uhr Mittag gegessen. Dann gingen wir in den Garten und nachher übersetzte mir Alfred vor. Um 4 Uhr tranken wir ebenfalls regelmäßig unsern Kaffee und gingen Abends um 7 Uhr hier fort. Es war regnerisch, aberd im entscheidenden Moment ließ doch der Regen nach und wir hatten eine ganz hübsche Beleuchtung. Dadurch wurde aber natürlich unsre Abendessenszeit etwas hinausgeschoben, so daß es 1/ 2 9 Uhr wurde. Nachdem wir unse heute (Sonntag) früh bis nach 8 Uhr verschlafen hatten, tranken wir im Garten Kaffee und gingen dann auf Emilies Wunsch mit ihr ins ethnologische Museum. 8 Um 2 Uhr kamen wir zu Hause und aßen sogleich. Unterdessen aber waren die beiden Rösings9 bei uns gewesen und Julie10 hatte ihnen versprochen, wir würden Nachmittags hinkommen. So gingen wir denn gegen Abend zum Kaffee zu ihnen hin und kamen erst um 8 Uhr wieder zu Hause. Jetzt haben wir eben Abend gegessen, der Alfred geht eben ins Bett. Montag Abend 26/8 78. Heute haben wir des Abiturientenexamens wegen frei gehabt. Wir haben nichts besonderes unternommen, sondern sind den Tag über zu Hause geblieben. Nachrichten über Karl werde ich morgen einziehen. Dienstag Mittag 27/8 78. Eben komme ich nach Hause und habe den Brief aus Nancy hier vorgefunden. Auch von Marie11 ist ein Brief an Emilie hier. Ich sprach heute wieder mit Herrn Krätke wegen des Karl. Er sagte, er hätte gedacht, Karl würde Heimweh empfi nden; aber davon keine Spur bei Karl. Im Gegenteil, er habe gesagt, er bliebe viel lieber bei „Onkel“ Kraetke als bei uns. Gestern hätte er aus Versehen eine Fensterscheibe zerschlagen, aber dies sogleich reumüthig erzählt. Seine Augen sind ganz abgeschwollen, aber auf der Stelle wo die Wunde ist, hatte sich ein großes d 〈z〉

e O: und

8 Gemeint ist die Ethnologische Sammlung im Neuen Museum in Berlin, aus dem 1886 das Königliche Museum für Völkerkunde hervorging. 9 Johannes Rösing und seine Frau Clara Rösing, geb. von Ammon. 10 Bedienstete der Familie Weber. 11 Sehr wahrscheinlich die bereits mehrfach erwähnte Bedienstete der Familie Weber. Sie war mit nach Heidelberg gefahren, um die jüngsten Kinder Clara und Arthur zu betreuen (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4).

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Eitergeschwür gebildet. Gestern morgen nun, erzählte Herr Krätke, sei er in ihr Schlafzimmerf gekommen und habe der „Tante“ Krätke mit weinerlicher Stimme gesagt, er wisse gar nicht, er könneg nicht aus den Augen sehen. Das Eitergeschwür war aufgegangen, der Schorf hatte sich abgelöst und nun war ihm der Eiter, „Euter“, wie er sagt, über das ganze Gesicht gelaufen und in die Augen. Jetzt ist das Geschwür verschwunden und man sieht von derh ganzen Geschichte nur noch sehr wenig. Herr Krätke läßt sich empfehlen und Euchi sagen, der Karl befi nde sich sehr wohl. Allerdings müsse er arbeiten und „das sei ihm ganz neu“. Ich sah auch Karl selbst und er sagte, er bliebe viel lieber bei Herrn Kraetke, da es dort „viel feiner“ sei als bei uns und es „so feines“ zum Mittagessen gäbe. Sonst habe ich keine wichtigen Nachrichten. Es ist jetzt gleich 1 Uhr. Und daher will ich schließen. Hoffentlich amüsirt Ihr Euch gut. Emilie ist sehr entrüstet darüber, daß ihr zugetraut würde, daß sie dem Karl zerrissene Wäsche brächte. Viele Grüße von Alfred und den Mädchen.12 Euer Sohn Max.

f Schlaffzimmer > Schlafzimmer

g 〈sich〉

h 〈G〉

i 〈[?]〉 Euch

12 Gemeint sind die erwähnten, in Charlottenburg verbliebenen Bediensteten der Familie Weber, Julie und Emilie.

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Fritz Baumgarten 27. August 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 4–5 Zur längeren Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94.

Charlottenburg, Dienstag, 27/8 78. Lieber Fritz! Ich bin Dir allerdings schon sehr lange einen Briefa schuldig, da ich es Dir versprochen habe,1 aber vielleicht bin ich entschuldbar, da ich Deine Adresse nicht gewußt habe. Zwar wußte ich, daß Du auf den „drei Ähren“ seiest, 2 aber was diese drei Ähren eigentlich sind und an welche größere Stadt ich den Brief schicken sollte, war mir unbekannt. Erst heute erhielt ich einen Brief von Mama aus Nancy, worin sie mir auch Deine Adresse nennt. Ich denkeb Dir nun schon öfter zu schreiben. Die Zeiten, wo Julius Jolly hier war, waren recht lustig. Fast jeden Tag war etwas los. Wir dachten alle lebhaft an die Zeit, wo Du noch hier warst, 3 und die hoffentlich einmal wiederkehren wird. Er ist am Montag vor 8. Tagen von hier abgereist, um wieder nach seinem langweiligen Karlsruhe zurückzukehren.4 Am Mittwoch darauf5 reiste Papa hier ab, um die Mama von Heidelberg abzuholen.6 Der Karl ist in

a 〈,〉

b 〈,〉

1 Es ist unklar, ob Max Weber sich hier auf sein „Fortsetzung folgt!“ im Brief an Fritz Baumgarten vom 13. Juli 1878, oben, S. 86, bezieht oder auf einen nicht überlieferten zwischenzeitlichen Brief. 2 Les Trois Épis, ein Weiler und Wallfahrtsort in den Vogesen bei Colmar. Fritz Baumgarten hielt sich dort im August zusammen mit seiner Familie auf (vgl. den Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 17. Aug. 1878, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe). 3 Fritz Baumgarten hatte von Herbst 1877 bis zum Ende des Sommersemesters 1878 in Berlin studiert (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 57). 4 Die Familie von Max Webers Cousin Julius Jolly jun. lebte in Karlsruhe. 5 Mittwoch, der 21. August 1878. 6 Max Weber sen. war mit seinen schulpflichtigen Söhnen Ende Juli zurück nach Charlottenburg gefahren, während Helene Weber mit den jüngeren Kindern Clara und Arthur in Heidelberg geblieben war (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 28. Juli 1878, oben, S. 89).

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Pension bei seinem künftigen Ordinarius,7 Herrn Krätke, wo es ihm ausgezeichnet zu gefallen scheint. Er hatte neulich durch einen Wurf von Alfred eine starke Wunde auf der „südlichen“ (wie der Berliner sagt) Stirn erhalten, mitten zwischen beiden Augen. In Folge dessen schwollen beide Augen dermaßen zu, daß er aus dem einen gar nicht mehr, aus dem andern kaum mehr sehen konnte. Durch Anwendung von Bleiwasser8 etc. nahm die Geschwulst allmählich ab, aber braun sehen die Augenliderc aus und der obere Theil der Nase ist lila gefärbt. Auch hatte er nun eine heftige Eitergeschwulst auf der Stelle, wo er durch Alfreds Lanze getroffen war. Gestern nun, am Montag, hat sich, wie ich höre, über Nacht der Schorf abgelöst und die Geschwulst eiterte aus, aber nun floß ihm der Eiter, „Euter“ nennt er ihn, in die Augen und klebte sie zu, so daß er, erwachend, wiederum nicht sehen |:konnte:|, bis ihnd die „Tante“ Krätke9 erlöste. Und nun ist die Geschichte immer noch nicht zu Ende, nachdem schon mehr als eine Woche verstrichen ist, – denn Sonntag vor 8 Tagen passirte diee Sache. Sonst ist er sehr vergnügt, er sagt, es sei doch bei „Onkel“ Krätke viel besser als hier bei uns; „viel feiner“, sagte er mir heute nochmals und des Mittags gäbe es auch immer „so feines“ zu essen und Morgens schon Reineklauden und statt Brod immer Kuchen und des Abends Thee. Kurz, er fi ndet es dort viel schöner als hier und bliebe recht gern noch lange fort. Seit Papas Abreise sind wir nun hier beide10 ganz allein und auch uns gefällt’s gar nicht so übel. Sonnabend Abend waren wir im zoologischen Garten, wo Beleuchtung stattfand, Sonntag Vormittag im Museum,11 Sonntag Nachmittag zum Caffee bei Rösings,12 die Du wohl auch schon gesehen haben wirst. Montag warf der Abiturientenprüfung wegen keine Schule: kurz, Du kannst Dir gar nicht denken, wie gemüthlich es jetzt hier ist. Wir sind niemals gebunden, c O: Augenlieder

d O: ihm

e 〈Ge〉

f waren > war

7 Karl Weber besuchte ab dem Schuljahr 1878/79 die erste Klasse der Vorschule am Charlottenburger Gymnasium. Zum Ende September beginnenden Winterhalbjahr wurde Vorschullehrer Franz Krätke sein Ordinarius (Klassenlehrer). Vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 37. 8 Bleiwasser wurde zur äußerlichen Behandlung von Entzündungen eingesetzt. 9 Die Ehefrau von Franz Krätke. Weiteres ist zu ihrer Person nicht ermittelt. 10 Max Weber und sein Bruder Alfred. 11 Gemeint ist die Ethnologische Sammlung im Neuen Museum in Berlin. Vgl. den Brief Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, oben, S. 96 mit Anm. 8. 12 Die Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon.

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des Nachmittags spielen wir öfters Croquet, wenn wir fertig gearbeitet haben. Ich will allerdings nicht behaupten, daß ich wünschte, daß dieser Zustand immer dauerte, aber so auf einige Zeit ist’s ganz angenehm. Bis heute, also fast eine Woche, hatte ich gar keine Nachricht von Mama und Papa. Erst heute erhielt ich einen Brief, und zwar zu meinem großen Erstaunen aus Nancy. Sonnabend Morgen13 waren sie von Heidelberg abgereist und gegen Abend, nachdem sie in Straßburg im Hôtel d’Europe gegessen hatten, waren sie in Nancy. Am Sonntag sind sie nun nach Paris weitergereist. Falls Du ihre Adresse nicht wissen solltest, so wohnen sie im Hôtel du Pavillon, rue de l’Echiquier, 36.14 Ich habe heute Mittag einen Brief an sie abgeschickt,15 den sie, hoffe ich, Donnerstag erhalten werden. Ich hoffe bald wieder einmal Nachricht zu erhalten. Nun möchte ich aber gern wissen, was Ihr denn oben auf Euren drei Ähren anfangen mögt. Gewiß hast Du sehr viel zu arbeiten und deshalb mache ich vorläufig durchaus keine Ansprüche und aspirire auf keine, wenigstens auf keine lange Antwort. Im Gegentheil werde ich bald einmal wieder schreiben und über unsre Zustände und etwa vorfallende Unternehmungen berichten. Ihr werdet wohl auch so manche Partien unternommen haben, z. B. nach der Schlucht etc.16 Darüber hoffe ich später auch noch einmal etwas zu hören. Aber allmählich wird es duster und die Zeit meines Abendessens naht heran. Daher muß ich wohl oder übel schon schließen. Überhaupt werden meine Briefe jetzt niemals lang ausfallen, da jetzt nicht viel hier passirt, was erwähnenswerth wäre. Viele Grüße von Alfred und uns allen an Dich und Eure Familie.17 In der Hoffnung auf ein frohes Wiedersehn Dein Vetter Max.

13 Samstag, der 24. August 1878. 14 Das Hotel war „für den Vergnügungsreisenden“ nicht eine der ersten Adressen, da es etwas entfernt vom Zentrum lag; empfohlen wurde es eher Geschäftsreisenden (vgl. Baedeker, Karl, Paris und seine Umgebungen. Nebst Eisenbahn-Routen durch das Nordöstliche Frankreich. Handbuch für Reisende, 11. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1884, S. 8). 15 Den Brief Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94–97. 16 Der Schluchtpaß (Col de la Schlucht) in den Vogesen. 17 Die Familie von Hermann und Ida Baumgarten in Straßburg.

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Helene Weber 29. August 1878; PSt Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 45 Die Karte ist zwar an „Mr. Dr. Max Weber aus Berlin“ adressiert, eindeutig aber an Helene Weber gerichtet. Zur Parisreise von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94. Sie wurde, wie aus dem unten stehenden Zusatz hervorgeht, vor dem bereits am 28. August begonnenen, aber erst am 31. August abgeschlossenen Brief an Helene Weber, unten, S. 102–105, abgeschickt.

Donnerstag,a 29. Aug. 78 Liebe Mama!

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Ich hatte bereits am Dienstag Mittag einen Brief an Eure frühere Adresse, Hôtel du Pavillon, abgeschickt.1 Heute nun fand ich hier Deine Postkarte vor. In Folge dessen mußte ich beifolgenden Brief von Alwine2 nochmals umadressiren und benachrichtige Euch hiermitb |:also:|, daß meinc Brief im Hôtel Pavillon liegt. Auch von Marie3 ist eine Postkarte hier, welche besagt, daß bei Hausraths wieder ein kleiner, gesunder Junge angekommen ist.4 Sie haben bis jetzt noch keine Nachricht von Euch. Doch von dorther werdet Ihr wohl schon Briefe oder Postkarten erhalten haben. Hier geht alles gut. Ich habe heute einen Brief an Fritz Baumgarten abgeschickt.5 Dein Sohn Max. Einen Brief schicke ich morgen Abend oder übermorgen früh an Euch ab.6 a Freitag > Donnerstag,

b hier > hiermit

c 〈letzter〉

1 Den Brief Max Webers an Helene Weber und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94–97. Sie wohnten jetzt im Hôtel Mirabeau. 2 Alwine Müller, eine Cousine Max Webers. 3 Sehr wahrscheinlich die Bedienstete der Familie Weber, welche die beiden jüngsten Kinder in Heidelberg betreute (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4). 4 Der am 23. August 1878 geborene Erich Hausrath. 5 Max Webers späterer Hinweis vom Samstag, dem 31. August (im Brief an Helene Weber vom 28., 29., 30. und 31. Aug. 1878, unten, S. 104), er sei „eben dabei, nochmals an Fritz zu schreiben“, legt nahe, daß er sich hier nicht auf den Brief an Fritz Baumgarten vom 27. August 1878, oben, S. 98–100, bezieht, sondern auf einen weiteren, nicht überlieferten Brief an seinen Cousin vom 28. oder 29. August 1878. 6 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 28., 29., 30. und 31. Aug. 1878, unten, S. 102–105.

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Helene Weber 28., 29., 30. und 31. August 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 42–44 Max Weber schrieb den Brief an vier aufeinanderfolgenden Tagen, von Mittwoch nachmittag bis Samstag. Zur längeren Abwesenheit von Helene und Max Weber sen. sowie zu Karl Webers Verletzung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94.

Charlottenburg, Mittwoch 28/8 78. Mittags. Liebe Mama! Deinem Wunsche gemäß schicke ich diesen Brief, der heute Morgen hier angekommen ist, mit.1 Wir sind hier alle wohl. Ich denke in dieser Woche noch einmal zu schreiben und dann wieder genauer über hiesige Zustände zu berichten. Es geht alles gut. Karls Wunde ist mit einem starken Heftpflaster verklebt. Es scheint nun endlich vorübergehen zu wollen. Doch hat er durch die Beule und was damita verbunden, einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht erhalten. In dem letzten Diktat hatte er 1 Fehler und sitzt dritter.2 Ich habe zum dritten Male das beste französische Exercitium3 in Unter-Sekunda geliefert. Sonst ist nicht viel zu berichten. Alfred ist noch nicht zu Hause. Ich selbst will jetzt an die Arbeit gehen, um wo möglich bis 1 oder 2 Uhr fertig zu sein. Wir werden heute wohl erst gegen 2 Uhr essen, da das Feuer nicht angehen wollte. Viele Grüße, viel Vergnügen. Dein Sohn Max. Also die aus Berlin selbst kommenden Briefe sollen nicht nachgeschickt werden, auch diejenigen nicht, die keine „Familienbriefe“ sind? Der Ausdruck ist schwer zu defi niren als Begriff. Bis jetzt noch kein weiterer Brief da.

a Alternative Lesung: darmit 1 Um welchen Brief es sich handelt, ist nicht ermittelt. 2 Die Sitzordnung in preußischen Schulen richtete sich nach der Leistung der Schüler. 3 Eine regelmäßige schulische Übung, bei der mit Hilfe von Wörterbuch und Grammatik eine Übersetzung vom Deutschen in die Fremdsprache anzufertigen war.

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Charlottenburg. 29.8.78. Donnerstag Abend. Es ist heute noch nichts besonderes vorgefallen, ebenso wenig, wie gestern. Jedenfalls sind wir alle ordentlich wohl und lassen’s uns recht gut schmecken. Wir haben hier jetzt große Wäsche und deßhalb wird es mit dem Essen immer etwas später, so daß wir gestern und heute erst gegen 1/ 2 2 gegessen haben. Sonst essen wir immer pünktlich um dieselbe Zeit. Des Abends essen wir gewöhnlich um 3 /4 8. Ich habe nach Karls Ergehen noch nicht wieder gefragt,4 werde es aber, wo möglich, morgen besorgen. Jedenfalls habe ich ihn schon mehrmals wieder gesehen, sehr vergnügt. Alfred sitzt, wie er mir gesagt hat, im Lateinischen zweiter. Er ist um einen Platz wieder heraufgekommen. Karl sitzt dritter.5 Allmählich beginnen jetzt unsere beiden Pflaumenbäume reife Früchte zu tragen. Der eine hat mit Stangen gestützt werden müssen, weil zu befürchten stand, daß die Zweige vor der Last brechen würden. Auch die Äpfel erhalten allmählich röthliche Backen. Bis Ihr wiederkommt, werden sie wohl reif sein. Ich habe Marie heute auf ihre Postkarte geantwortet6 und werde bald wieder an Fritz schreiben. Ich bin theilweise wirklich fast schreibselig geworden. Aber für heute genug, denn eben hat es 9 Uhr geschlagen. Freitag Abend. Ich komme jetzt eben von Westendb zurück. Dort oben hatte sich nämlichc bei Schloß Ruhwald7 eine große Zigeunerbande mit Hütten und Wagenburg gelagert. Ich ging dort hinauf, um mir die Sache anzusehen, komme aber sehr wenig erbaut zurück. Dieser Schmutz ist denn doch etwas über den Spaß. Und die Unverschämtheit von den Menb Wessend > Westend

c O: nähmlich

4 Karl Weber war beim Charlottenburger Vorschullehrer Franz Krätke und dessen Frau in Pension; vgl. die Briefe Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94–97, sowie an Fritz Baumgarten vom 27. Aug. 1878, oben, S. 98 f. 5 Wie oben, S. 102, Anm. 2. 6 Max Webers Karte oder Brief ist nicht überliefert. Aus seiner Karte an Helene Weber vom 29. August 1878, oben, S. 101, ergibt sich, daß Marie aus Heidelberg über die Geburt von Erich Hausrath berichtet hatte. Dort betreute die bereits mehrfach erwähnte Bedienstete der Familie Weber Clara und Arthur Weber (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4). 7 Schloß Ruhwald, eigentlich eine klassizistische Villa mit großer Parkanalage, hatte der Kommerzienrat Ludwig Schäfer 1867/68 in der Villenkolonie Westend erbauen lassen. Seit 1873 betrieb der Nachbesitzer dort eine Restauration.

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schen! Kommt da so eine alte Frau, die lange Pfeife im Munde, qualmend auf mich zu und verlangt ganz einfach ein Taschenmesser. Als ich ihr sagte, ich hätte keins, faßte sie mir mit kurzem Griff in die Tasche und hätte mich fast meines Portemonnaies beraubt. Einer von meinen Freunden ließ sich wahrsagen. Er soll 3 Kinder, schlechte Kameraden, wenig Glück und viel Arbeit bekommen. Ihre Pferde ließen die Zigeuner wild auf dem Felde herumlaufen. Als wir uns nun einem davon näherten, stürzte es schnaubend auf uns zu, drehte sich dann um und schlug aus, traf aber nur daneben. Am Sonntag wollen sie Hochzeit halten. Ich sah die Braut und auch den Bräutigam, beide gleich abschreckend. Sie mochte etwa 15–16 Jahre alt sein und war kaum so groß wie ich. Zuletzt aber gerieth der Zigeunerhäuptling mit der Polizeid in Konflikt, worauf er Alarm schlagen ließ. Alsbald sammelte sich die ganze Bande, so daß es dem Schutzmann nicht gelang, sie auseinanderzutreiben. Sonst geht hier alles gut und wir sind alle ganz gesund. Sonnabend Mittag. Eben komme ich aus der Schule und fi nde hier Deine Karte, liebe Mama, woraus ich mit Erstaunen sehe, daß Ihr noch immer keinen Brief von hier habt. Ich habe ja schon zwei Briefe und eine Postkarte abgeschickt, einen Brief am Dienstag an das Hotel du Pavillon,8 einen Brief und eine Postkarte am Donnerstag an das Hôtel Mirabeau.9 Solltet Ihr denn davon noch immer nichts bekommen haben? Ich habe von Dir auch schon einen Brief und eine Karte, heute bekam ich die zweite. Ich habe jetzt an Marie geschrieben10 und bin eben dabei, nochmals an Fritz zu schreiben.11 d Plolizei > Polizei 8 Vgl. den Brief Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94–97, den Max Weber – wie er in seinem Brief an Fritz Baumgarten vom 27. August 1878, oben, S. 100, vermerkt – an diesem Dienstag Mittags abgeschickt hatte. 9 Vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 29. Aug. 1878, oben, S. 101 mit Anm. 1. Bei dem Brief dürfte es sich um den dort erwähnten nachgeschickten Brief von Alwine Müller handeln. 10 Wie oben, S. 103, Anm. 6. Auch ein mögliches zweites Schreiben an Marie ist nicht nachgewiesen. 11 Ein Brief an Fritz Baumgarten vom 31. August 1878 ist nicht nachgewiesen. Der nächste überlieferte Brief Max Webers an seinen Cousin datiert vom 9. und 11. September 1878, unten, S. 116–123.

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Wir sind hier alle wohl, Karl hat nochmals 1 Fehler gemacht und sitzt immer noch dritter, Alfred hat sich im Latein den zweiten Platz erobert. Ich hoffe, indem ich dies schreibe, werdet Ihr schon einen Brief von mir erhalten haben, es wäre mir sonst unerklärlich. Ich werde morgen, spätestens Montag wieder schreiben und hoffe auf baldige Nachricht, ob Ihr die Briefe endlich erhalten habt.12 Heute Nachmittag wollen wir, wenn wir gearbeitet haben, mit Emilie13 in den botanischen Garten gehen, wo die Viktoria Regia14 blüht. Ich will jetzt schließen und den Brief schnell zur Post befördern [.] Dein Sohn Max

12 Am Sonntag, dem 1. September, erhielt Max Weber einen langen Brief von Helene Weber, den er allerdings erst Dienstags beantwortete. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 3. Sept. 1878, unten, S. 106–109. 13 Bedienstete der Familie Weber. 14 Eine (Riesen-)Seerose.

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Helene Weber 3. September [1878]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 46–47 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen, dem Hinweis auf den Briefverkehr zwischen Paris und Berlin. Zur Parisreise von Max Webers Eltern vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94. Auf diesen bezieht sich auch Max Webers einleitende Bemerkung über „einen am Dienstag abgeschickten Brief“.

Charlottenburg, Dienstag, 3. Sept. gegen Abend. Liebe Mama! Endlich komme ich dazu, Dir auf Deinen lieben, langen Brief zu antworten, den ich Sonntag Morgen, noch im Bette liegend, erhielt. Wie lange es doch dauert, bis eine Antwort von Paris nach Berlin zurückkommt! Die Antwort z. B. auf einen am Dienstag abgeschickten Brief erhält man erst ama Sonntag. Ich hatte diesen Brief schon am Sonnabend Abend mit Spannung erwartet, da ich sehr begierig war, zu hören, ob denn endlich Nachrichten von hier angekommen seien. Während ich dies schreibe, wird das Gros meiner Nachrichten Euch wohl bereits ereilt haben. Ich habe diesesmal wiederum zwei Briefe mitzuschicken,1 die gestern hier angelangt sind, der Brief wird dadurch wohl bedeutend theurer werden. Ich hatte eigentlich die Absicht, am Sonntag oder doch wenigstens gestern zu schreiben, konnte aber absolut keine Zeit fi nden und besaß auch kaum genug Stoff, irgendwie bedeutendes zu erzählen [.] Im Bezug auf Karl kann ich diesmal nicht viel berichten und es scheint auch von daher nicht viel zu berichtenb zu sein. Am Sonnabend Nachmittag und Abend war Alfred bei Herrn Krätke, wo er einige Wäsche hingebracht hatte.2 Dadurch wurde auch unsre Absicht, in den botanischen Garten zu gehen, vereitelt. Sonntag Morgen war Dr. Alt bei uns, er fand uns alle wohl und sagte, er habe jetzt dem Karl sein Eitergeschwür nun endgiltig ausgedrückt und er hoffe, es würde nun zu Ende damit gehen.3 Zu Mittag, als wir noch im Garten beim Essen a 〈Montag〉

b [?] > berichten

1 Vgl. dazu den Schluß des Briefes, unten, S. 108 f. 2 Max Webers jüngerer Bruder Karl war beim Charlottenburger Lehrerehepaar Krätke in Pension. 3 Der bereits früher erwähnte Dr. Paul Alt war praktischer Arzt in der Leibnizstraße. Zu Karl

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saßen, kam Onkel Rösing,4 dem ich eine Flasche Rothwein vorsetzte. Er lud uns auf Montag zu sich zum Mittagessen ein und ich nahm es an. Nachmittag ging Emilie5 zu ihren Verwandten nach Spandau und wir mit Julie6 und Zerbe7 nach Pichelsbergen,8 nachdem wir alle Thüren, Fenster und Jalousien verschloßen und verriegelt hatten. Wir gingen quer durch den Grunewald und kamen gegen 4 Uhr an den Kaisergarten,9 ließen uns übersetzen, schweiften noch einige Zeit auf dem Werder herum, ließen uns wieder rückwärts übersetzen und blieben im Kaisergarten. Dort war z. B. ein Esel, ein ganz junges Thier, auf dem geritten werden sollte. Aber er war störrig und als sich einmal ein Herr auf ihn setzte, riß er sich los und stürzte nach dem Wasser zu, der ganze Publicus hinterher. Dort angekommen, schlug er aus und stemmte sich auf die Vorderbeine, so daß zuerst der Cylinder herabflog und dann der Herr auf den Cylinder. Das war ein Jubel! Zerbe wollte sich todtlachen. Als es dunkelte, waren wir wieder zu Hause und fanden alles in schönster Ordnung. Bald kam auch Emilie wieder zurück. Montag, am Sedantage,10 Morgens verschliefen wir uns, – das erste Mal in der ganzen Zeit. Erst 5 Min. vor 8 Uhr weckte mich Alfred. Ich sprang aus dem Bette, zog mich rasch an und kam knapp, aber doch noch zur rechten Zeit. Es hielt einer der Primaner, und zwar Alfred Möller,11 eine Rede, in der er auf die Bedeutung des Sedantags |:hinwies:|12 und

Webers Stirnverletzung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94. 4 Johannes Rösing. 5 Bedienstete der Familie Weber. 6 Bedienstete im Hause Weber. 7 Bediensteter der Familie Weber. Er war für Gartenarbeiten zuständig. 8 Die Hügelkette mit dem gleichnamigen Berg im Berliner Westend an der Havelausbuchtung Stößensee war schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel. 9 Direkt am Stößensee gelegene Gaststätte, von der aus man auf die Insel Pichelswerder übersetzen konnte. 10 Zur Erinnerung an den Sieg der preußischen und verbündeten Truppen über die französische Armee und die Gefangennahme Napoleons III. am 2. September 1870 bei Sedan wurde dieser Tag reichsweit als Festtag begangen. Obwohl nie nationaler Feiertag, fanden ab 1873 auf Anordnung des Preußischen Kultusministeriums am Sedantag alljährlich offi zielle Festveranstaltungen an Schulen und Universitäten statt. 11 Vermutlich wurde Alfred Möller aufgrund seiner schulischen Leistungen ausgewählt. Bei seiner Abiturprüfung 1879 wurde ihm wegen seiner schriftlichen Leistungen die mündliche Prüfung erlassen (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 33). 12 Die Festrede Alfred Möllers ist im Gegensatz zur Ansprache des Elementarlehrers Spieß, der die Vorschulklassen „in anschaulicher Weise mit den glorreichen Waffenthaten

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mit was für Gefühlen eines Deutschen Herz gerade an dem diesmaligen Sedantage erfüllt würde.13 Um 1/4 10 Uhr war die Geschichte zu Ende. Um 1 Uhr gingen wir zu Rösings,14 die um 2 Uhr |:zu:| Mittag aßen. Es war noch eine andere Familie, ein Herr, eine Dame u. ein Fräulein, da, die ich aber nicht kannte und deren Namen mir dummer Weise entfallen sindc. Nachmittags gingen wir mit ihnen in die Flora15 und kamen gegen Abend nach Hause. Heute ist noch nichts bedeutendes passirt. Ich sah den Karl: er hat eine rothe Narbe auf der Stirn, sonst ist er wohl und gesund, wie wir alle. Alfred hat ein Lob bekommen und sitzt noch zweiter.16 Im Bezug auf den Garten habe ich zu bemerken, daß die Pflaumen an beiden Pflaumenbäumen größtentheils vollständig reif sind und wir sie allmählich aufessen. Der Wein im Weinhause ist vollständig reif, eined riesenhafte Traube begann sogar, an der einen Seite zu faulen, sodaß wir sie verzehren mußten. Es hängen demnach noch 3 große und 1 kleine Traube im Weinhaus, welche aber auch schon überreif sind. Dagegen sind die Trauben am Hause noch zurück und diese werden jedenfalls noch hängen, wenn Ihr e wiederkommt. Dagegen können die andern Trauben im Weinhaus, die übrigens sämmtlich an ein und demselben Weinstock sind, unmöglich noch lange hängen gelassen werden. Sonst ist im Garten nichts bemerkenswerthes. Im Bezug auf die Briefe, die ich hier mitschicke, bemerke ich noch, daß auf dem Couvert desjenigen von Fräulein Neumann bemerkt war: „R. schreibt eben, er käme Sonnabend in 8 Tagen oder früher.“17 Sonst c O: ist

d 〈T〉

e O: ihr

unserer Armee bis zur Einnahme von Sedan bekannt“ machte, in der Schulchronik (ebd.) nicht dokumentiert. 13 Der Hinweis bezieht sich auf die beiden Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878 in Berlin, die Bismarck zur Durchsetzung der Sozialistengesetze nutzte. Von einer Schrotkugelverletzung beim zweiten Attentat durch Karl Eduard Nobiling am 2. Juni 1878 erholte sich der Kaiser erst gegen Ende des Jahres. Am 5. Dezember 1878 inszenierte Berlin feierlich seine Rückkehr (vgl. Max Webers Schilderung im Brief an Fritz Baumgarten vom 7. und 8. Dez. 1878, unten, S. 129–138). 14 Die befreundete Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon. 15 Berliner Garten- und Parkanlage mit Wintergarten, Palmenhaus und Konzertsälen. 16 Die Sitzordnung der Schüler richtete sich nach ihren schulischen Leistungen. 17 Wie sich aus einem Brief von Fritz Baumgarten an Ida Baumgarten vom 2. Januar 1878 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) ergibt, war Fräulein Neumann eine Nichte von Annette Rickert, geb. Stoddart, der ersten Frau von Heinrich Rickert sen. Weiteres ist zu ihrer Person nicht ermittelt. Bei „R.“ dürfte es sich um Heinrich Rickert handeln.

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nichts. Es ist noch ein großer gedruckter Brief da an Papa aus Berlin vom Vorstand des Berliner Vorschullehrer-Vereins.18 Ich glaube nicht, daß es nöthig sein wird, diesen nachzuschicken. Die Zeitungen liegen alle geordnet auf Papas Schreibtisch. Viele Grüße von Rösings und uns an Euch. Dein Sohn Max.

18 Im Zuge seiner langjährigen Tätigkeit in der Budgetkommission des Preußischen Abgeordnetenhauses war Max Weber sen. auch mit Schulfragen befaßt und für die Nationalliberale Partei Mitglied in zahlreichen Schulkommissionen (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 431 f.).

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Max Weber sen. 4. September 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 48 Zur Parisreise von Helene und Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94.

Charlottenburg, Mittwoch den 4 Sept. 78 gegen Abend. Lieber Papa! Ich schicke hier eine Postkarte mit, welche heute angekommen ist, da ich nicht wußte, was damit anzufangen sei. Zum Umadressiren war kein Platz mehr, und ob ich sie ruhig hier liegen lassen sollte, bis Ihr wiederkommen würdet, wußte ich auch nicht. Ich hielt es für das sicherste, sie nachzuschicken. Umgeknickt habe ich sie nur deshalb, weil sie sonst keinen Platz gehabt hätte in einem Couvert. Auch konnte ich die Namensunterschrift nicht lesen, sonst hätte ich sie nicht nachgeschickt, sondern einfach nur den Inhalt angegeben. An neuen Nachrichten giebts nicht viel von hier, wir sind alle wohl und alles geht regelmäßig vor sich. Heute war Alfred wieder bei Herrn Krätke. Er fand Karl recht wohl.1 „Du Tantechen,“ hatte er zu Frau Krätke gesagt, „Du Tantechen, Du kannsta Alfreden ‘n Apfel geben.“ Aber Tantchen hatte keinen Apfel und so mußteb Alfred leer abziehen. Jetzt ist er bei einem Freunde, seit 4 Uhr, und, da er seine Arbeiten alle gemacht hat, so wird er dort bis gegen 7 Uhr bleiben. Ich habe heute, da ich vor dem Essen arbeitete und an Fritz Baumgarten schrieb, 2 noch nicht geübt, 3 was ich daher jetzt gleich besorgen werde. Daher will ich schließen. Dein Sohn Max.

a könntest > kannst

b 〈Karl〉

1 Karl Weber war beim Charlottenburger Lehrerehepaar Krätke in Pension. 2 Der Brief ist nicht nachgewiesen. Der nächste überlieferte Brief Max Webers an Fritz Baumgarten datiert vom 9. und 11. September 1878, unten, S. 116–123. 3 Max Weber erhielt seit einigen Jahren Klavierunterricht. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8. Juli 1875, oben, S. 31 mit Anm. 15.

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Helene Weber 5. September 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 49 Zur Parisreise von Helene und Max Weber sen. und zu den geschilderten häuslichen Ereignissen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94. Mittlerweile waren die Eltern nach Heidelberg zurückgekehrt.

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Heute fand ich, als ich aus der Schule kam, Deine Postkarte vor. Ich werde daher diesen Brief gleich nach Heidelberg schicken. Allerdings seida Ihr ganz unerwartet kurz in Paris geblieben, und keiner von uns hätte gedacht, daß Ihr so schnell wieder zurückkehren würdet. Das wird aber merkwürdig werden, wenn Ihr nun plötzlich mit dem ganzen Troß, Karl, Clara, Arthur, Marie1 in dies stille Haus wieder einzieht. Ich bin jetzt gar nicht mehr an Lärm gewöhnt. Hier war alles immer so still und ruhig, den ganzen Tag hörte man kein Geschrei noch sonstigen Spektakel, außer etwa vom Heerde in der Küche. Ruhiger scheint der Karl auch nicht geworden zu sein bei Herrn Krätke.2 Ich sah ihn gestern in dem Abzugskanal aus Herrn Direktors3 Küche auf dem Schulhof baggernd und der weißen Sauce die Hinderniße aus dem Wege räumend. Seine Wunde ist geheilt bis auf die rothe Narbe. Alfred sitzt jetzt beim Arbeiten und ich bin so eben mit Arbeiten und Üben4 fertig. Die Pflaumen sind mit wenigen Ausnahmen reif, die Äpfel werden theilweise röthlich, von dem Wein hängen jetzt nur noch zwei Riesentrauben im Weinhause, die wir aber unter allen Umständen lassen wollen. Ich habe heute wieder einen Brief an Fritz weggeschickt.5 – Das Wetter war in voriger Woche einige Zeit ein wenig regnerisch, es a O: seit 1 Sehr wahrscheinlich Bedienstete der Familie Weber (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, unten, S. 113 mit Anm. 4). 2 Karl Weber war beim Charlottenburger Vorschullehrer Franz Krätke in Pension. 3 Dr. Ferdinand Schultz, der Direktor des Charlottenburger Gymnasiums. Seine Wohnung befand sich im Parterre des Schulgebäudes in der Berliner Straße 47. 4 Max Weber erhielt seit einigen Jahren Klavierunterricht. 5 Der Brief ist nicht nachgewiesen. Der nächste überlieferte Brief an den Cousin Fritz Baumgarten datiert vom 9. und 11. September 1878, unten, S. 116–123.

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scheint aber jetzt constant schön bleiben zu wollen, denn der Himmel ist ganz klar, nur mit wenigen Wölkchen. Es ist jetzt hier noch ein Brief hier aus Berlin von dem Weinhändler Kampffmeier,6 eine Weintabelle, ich denke, der braucht unter keinen Umständen nachgeschickt zu werden. Ferner ist noch eine Anzeige von einem gewissen A. Biermann aus Bielefeld |:da:|,7 welche anzeigt, daß einer von ihm in diesen Tagen hierherkommen würde, um Aufträge entgegenzunehmen. Was für ein Geschäft der Herr hat, sagt er nicht, vielleicht wißt Ihr es.b Aber es giebt jetzt nicht viel zu schreiben, da nichts passirt ist und so will ich denn lieber schließen. Dein Sohn Max

b 〈So〉 6 Die Weinhandlung Kampffmeyer in der Köpenickerstraße 94. 7 Die Bielefelder Weinhandlung von Anton Biermann.

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Helene Weber 9. September 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 50–51 Zur Parisreise von Helene und Max Weber sen. und zu den geschilderten häuslichen Ereignissen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94. Wenige Tage zuvor war das Ehepaar Weber von Paris nach Heidelberg zurückgekehrt (vgl. den Brief an Helene Weber vom 5. September 1878, oben, S. 111).

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Gestern (Sonntag) erhielt ich einen Brief von Dir, der mir sagt, daß Ihr am Freitag1 wieder hierher zurückkommen wollt. Es thut uns allen sehr leid, daß Ihr nicht am Sonntag kommt, weil wir Euch doch so gern empfangen und auf dem Bahnhof erwartet hätten. Julie2 und Emilie3 malen sich jetzt schon das Zusammentreffen mit Marie4 und der Kleinen5 aus, wie Marie zu Muthe sein würde, weil es hier keine Studenten und keinen August6 gäbe, der anstatt ihrer den Kinderwagen schöbe. Auch freuen sie sich schon auf die großen Erzählungen, welche Marie über ihren letzten Aufenthalt vortragen würde. Auch glauben sie, daß weder Arthur noch Clara einen von uns wiedererkennen werde. Obgleich ich nun Clara etwas mehr zutraue, so glaube ich doch, daß ihr Erstaunen hier in der Heimath groß sein wird. Soeben erhielt ich einen Brief von Fritz Baumgarten, der mir sagt, daß Ihr am Dienstag (morgen) bei ihnen in Straßburg sein werdet,7 ich werde ihm jetzt antworten.8 Doch nun zur Wochenchronik. Freitag sowohl als auch Sonnabend passirte hier nichts besonderes. Was die Schule anbetrifft, so schrieben

1 Freitag, der 13. September 1878. 2 Bedienstete der Familie Weber. 3 Bedienstete im Hause Weber. 4 Die bereits mehrfach erwähnte Marie war mit nach Heidelberg gefahren, um dort die jüngsten Kinder Clara und Arthur Weber zu betreuen. 5 Die dreijährige Clara Weber. 6 August Hausrath, Max Webers Cousin in Heidelberg. 7 Gemeint ist bei der Familie von Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 8 Vgl. den nachfolgenden Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, unten, S. 116–123.

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wir am Sonnabend mathematisches Probe-Extemporale, ein Skriptum, welches für das schwierigste im ganzen Vierteljahr gilt und allgemein gefürchtet wird.9 Ich glaube ganz gut geschrieben zu haben. Gestern (Sonntag) Vormittag war ich mit Emilie in der National-Gallerie,10 von wo wir zum Mittagessen um 1/ 2 2 Uhr zurückkehrten. Nachmittags gingen wir, nachdem Jalousien etc. heruntergelassen u. alles wohl verschloßen war, nach Schildhorn.11 Am Teufelssee12 verliefen wir uns, indem wir zu weit nach links gingen, dann aber marschirten wir quer durch den Wald der Sonne nach und kamen so, über große Hügel kletternd, nach Schildhorn. Dort machten wir – es war unsre ganze Familie incl. Zerbe13 – Station und fuhren dann nach Pichelswerder über. Dort gingen wir in das Wirthshaus, welches dem Kaisergarten gegenüber liegt. Dort aßen wir unsre mitgebrachten Vorräthe, Eier, Butterbrode etc. Julie, Zerbe, Emilie tanzten. Dann fuhren wir, bei stark einbrechender Dunkelheit nach dem Kaisergarten herüber.14 Julie und Emilie fuhren dann mit dem Wagen unseres Milchmanns, den wir in Pichelswerder trafen, zu Hause, während Alfred u. ich mit Zerbe gingen. Dennoch waren wir noch eher zu Hause, da die andern nach der falschen Seite gefahren und nach Teufelssee gekommen waren. Wir fanden hier alles in Ordnung. Heute haben wir in der Schule Lateinisches Probe-Skriptum geschrieben und ich glaube darin sogar ausnehmend gut geschrieben zu haben. Morgen (Dienstag) Nachmittag wird Sekunda mit unserm Turnlehrer, Herrn Waschke, eine Partie in die Jungfernheide oder den Grunewald machen, wohin, weiß man noch nicht genau.15 Karl hat mir mitgetheilt, daß er im Probe-Diktat 4 Fehler peccirt

9 Extemporalien waren regelmäßig durchgeführte schriftliche Prüfungen. Laut Aufstellung der Lehrpensa für die Unter-Sekunda stand Rechnen „mit reinen und angewandten Brüchen“ auf dem Lehrplan, zudem „Anfänge der Decimalbrüche und Einübung derselben am neuen Gelde, Maaß und Gewicht. Wöchentlich 1 Arbeit.“ (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 25 f.). 10 Die im März 1876 eröffnete National-Galerie (heute: Alte Nationalgalerie) auf der Museumsinsel. 11 Eine in die Havel reichende Landzunge bzw. Halbinsel mit gleichnamigem Restaurant. 12 Ein eiszeitlicher See im Grunewald, auf dem Weg von Charlottenburg nach Schildhorn gelegen. 13 Bediensteter im Haus der Familie Weber. Er war für Gartenarbeiten zuständig. 14 Der „Kaisergarten“ war eine am Stößensee gelegene beliebte Ausflugsgaststätte mit Bootsanlegestelle, gegenüber der Flußinsel Pichelswerder. 15 Zu diesem Ausflug vgl. den ausführlichen Bericht im Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, unten, S. 116 f.

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habe, welchen Platz er damit errungen,16 sagte er mir nicht. Er sieht noch immer merkwürdig aus mit seinema großen, rothen Pickel über der Nase.17 Es scheint ihm recht gut zu gehen und er scheint sehr brav zu sein, denn Herr Krätke will ihn durchaus nicht loslassen und lieber einen andern aus seinem Pensionat uns hier schenken. Er hofft immer noch, daß Karl bei ihm bis zum Ende des Semesters bleiben würde,18 und Karl, wie ich glaube, hofft es ebenfalls. Doch, wenn der Brief noch fortkommen soll, so muß ich ihn jetzt auf die Post bringen und daher will ich schließen. Ich denke vielleicht morgen oder übermorgen als Abschluß noch eine Postkarte abzuschicken,19 für den Fall, daß Ihr thatsächlich schon am Freitag, und nicht, wie wir hier hoffen und glauben, am Sonntag kommt. Indessen ist alles bereit, um Euch jeden Augenblick zu empfangen. Viele Grüße. Dein Sohn Max.

a O: seiner 16 Die Sitzordnung der Klasse richtete sich nach den Leistungen der Schüler. 17 Zu Karl Webers Verletzung vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94. 18 Das laufende Schul-Sommerhalbjahr schloß Ende September. 19 Eine entsprechende Postkarte an Helene oder Max Weber sen. ist nicht nachgewiesen.

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Fritz Baumgarten 9. und 11. September 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 6–11 Max Weber begann den Brief an seinen Cousin – wie im Brief an Helene Weber vom gleichen Tag, oben, S. 113, angekündigt – am 9. September 1878. Zwei Tage später setzte er ihn fort.

Charlottenburg, 9 Sept. 78. Lieber Fritz! Als ich eben aus der Schule zurückkam, fand ich hier Deinen Brief vor, für den ich Dir vielmals danke. Wir haben gestern wieder eine sehr hübsche Partie an die Havel gemacht. Wir gingen nach Schildhorn1 – ich weiß nicht ob Du dort gewesen sein wirst2 – und etablirten uns daselbst zunächst. Nachdem wir etwas gegessen hatten, ließen wir uns auf einem Nachen nach Pichelswerder übersetzen,3 wo Martha dunnemals den Kopfschuß machte.4 Wir betrachteten uns die Lokalität und gingen dann nach dem Wirthshause, welches dem so sehr besuchten Kaisergarten gegenüber liegt.5 Dort stärkten wir uns wieder und tanzten – es waren nämlich auch beide Mädchen mit,6 die Dir übrigens für Deinen Gruß vielmals danken lassen und sich sehr geschmeichelt gefühlt haben. Dann fuhren wir mit einem Kahn nach dem Kaisergarten über und nach kurzem Aufenthalt daselbsta gingen wir nach Hause. Mittwoch, 11 Sept. 78. Gestern bin ich nun nicht zum Schreiben gekommen, da wir mit unserem Schullehrer7 einen Ausflug zum Zwecke des Kneipens machten. a 〈f〉 1 Eine in die Havel reichende Landzunge bzw. Halbinsel mit gleichnamigem Restaurant. 2 Fritz Baumgarten hatte im Wintersemester 1877/78 und Sommersemester 1878 in Berlin studiert. 3 Die im Norden gegenüberliegende Flußinsel Pichelswerder. 4 Sachverhalt unklar. Möglicherweise bezieht sich die Anspielung auf ein Erlebnis mit Max Webers Hamburger Cousine Martha Julie Weber, die im Jahr zuvor zu einem längeren Besuch in Berlin gewesen war (vgl. den Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 27. April 1877, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 5 Der Kaisergarten war ein beliebtes Ausflugsrestaurant am Stößensee. Das gegenüberliegende Restaurant ist nicht ermittelt. 6 Die weiblichen Bediensteten der Familie Weber, Julie und Emilie. 7 Gemeint ist der im Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Sept. 1878, oben,

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Und zwar kneipten wir – Sekunda u. Prima – zuerst in Saatwinkel am Tegeler See ein.8 Indessen blieben wir dort nur bis etwas nach 1/ 2 6 Uhr. Dann fuhren wir mit einem Dampfer nach Tegel hinüber und kneipten dort ein. Wir waren ursprünglich einige zwanzig Mann, da aber eine große Anzahl fortgingen und viele andre sich am trinken nur lau betheiligten, so blieben nur etwa 20 b noch übrig. Diese 20 c, darunter auch ich, richteten nun nach studentischer Weise eine ordentliche Kneiptafel ein und wir ließen uns 4 Achtel preisgeben. Wir tranken nun fortwährend eigentlich von 1/ 2 8 – gegen 1/ 2 11 Uhr. Zunächst verkündete der praeses der Tafel, der Primaner Taege, daß es ihm gelungen sei, beim Herrn Direktor9 das Ausfallen der ersten Stunde heute auszuwirken. In Folge dessen weihten wir dem Herrn Direktor einen halben Salamander10 und übersandten ihm um 8 Uhr . . . . . telegraphisch (!) unsern Dank von Tegel aus, da ein Telegraphendrahtd direkt von Tegel nach Charlottenburg geht und die Charlottenburger Telegraphenstation dicht bei dem Schulgebäude sich befindet. Sodann weihten wir dem hochverdienten Primaner ebenfalls einen halben Salamander und brachten ihm ein Hoch aus. Endlich weihten wir noch unserm Turnlehrer, Herrn Waschke, einen Salamander. Das viele Trinken scheint übrigens keinem von uns schlecht bekommen zu sein, besonders kannst Du meinetwegen gänzlich außer Sorge sein. Ich kam gegen 1 Uhr zu Hause wieder an, nachdem ich um 1 Uhr Mittags fortgegangen war. Allerdings mußten einige von uns, aber nur 3, da sie bierselig waren, nach Hause geschleppt werden und 2 brachten sogar einen Kater mit in die Schule, aber im übrigen haben sich doch keine üblen Folgen ergeben. Du verlangtest nun, ich sollte Dir berichten, wie mir die einzelnen Schriftsteller gefielen. Was nun den Homer betrifft, so weißt Du ja b 18 > 20

c 18 > 20

d Telegraphendrahth > Telegraphendraht

S. 113–115, sowie hier weiter unten namentlich genannte Turnlehrer des Kaiserin-AugustaGymnasiums Charlottenburg, Gustav Waschke. 8 In Saatwinkel lagen mehrere Ausflugsgaststätten. Tegel selbst war per Pferdebahn und Dampfschiff erreichbar (Baedeker, Karl, Berlin und Umgebungen. Handbuch für Reisende, 4. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1885, S. 123 f.). 9 Dr. Ferdinand Schultz, der Direktor des Charlottenburger Gymnasiums. 10 Zur Ehrenbezeugung werden bei diesem studentischen Kneipritual die vollen Gläser bei einem Zählkommando zunächst auf dem Tisch gerieben, auf Kommando getrunken und anschließend lautstark abgesetzt (Vollmann, J. [d. i. Grässli, Johann], Burschicoses Wörterbuch. Um eine Einleitung vermehrter Nachdruck der 1846 bei T. Unteregger, Ragaz erschienenen Ausgabe. – Graz: Verlag für Sammler 1969, S. 403).

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wohl, daß er mir von allen Schriftstellern, die ich je gelesen, am besten gefällt. Der Grund dafür ist eigentlich gar nicht so leicht zu fi nden. Ich glaube, er ergiebt sich nicht allein aus den schönen Lauten der griechischen Sprache an und für sich, sondern besonders aus der großen Natürlichkeit, mit der alle Handlungen erzählt werden. Wenigstens kann ich nicht behaupten jemals jenes Gefühl der Spannung beim Lesen des Homer gehabt zu haben, auf welchem doch namentlich die Liebhaberei zum Romanlesen und des Dramas höchster Reiz besteht. Zwar, das Drama hat ganz andere Zwecke, als nur Spannung und Reiz zu erregen, denn dann wäre es, glaube ich, nicht in so hohem Maße ein Bildungsmittel für Alt und Jung, dennoch aber fi nde ich, daß ein Drama, besonders ein Trauerspiel, wenn es nicht spannt, wenig Eindruck machen würde. Beim Homer nun fehlt diese Spannung ziemlich ganz. Deßhalb kann man viel leichter von ihm loskommen als von einem Roman. Wenn ich einen Roman lese, wenigstens wenn ich ihn zum ersten Male lese, so wird es mir immer schwer, mich davon zu trennen, ich möchte immer noch weiter lesen und wenn ich aufhöre, so habe ich immer ein gewisses Gefühl von Unbehaglichkeit. Liest man dagegen Homer, so kann man jeden Augenblick aufhören und den Homer bei Seite legen, um ein ander Mal wieder anzufangen, eben weil er nicht eine lebhafter Vortrag, sondern eine Erzählung ist, weil er nicht eine Kette von hinter einander eintretenden Handlungen vorträgt, sondern weil er das Werden und die ruhige Folge der Handlungen aufeinander schildert. Tritt eine Katastrophe ein, so ist man längst darauf vorbereitet, wie z. B. beim Tode des Hektor,11 während z. B. die Katastrophef beim Ekkehard,12 beim Nest der Zaunkönige, überhaupt bei den Ahnen13 u. den meisten andern Romanen, ausgenommen vielleicht die

e eine > ein

f 〈de〉

11 Die Tötung des trojanischen Königssohns und Helden Hektor durch Achilleus im Kampf um Troja ist in Homers Ilias, 22. Gesang, beschrieben. 12 Max Weber bezieht sich auf Joseph Victor (von) Scheffels erfolgreichen historischen Roman: Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert. – Frankfurt a. M.: Meidinger Sohn & Cie 1855, in dem die unglückliche Liebe des jungen Mönchs Ekkehard zur Herzogin Hadwig fast in einer Katastrophe endet. 13 Gemeint ist der sechsbändige Romanzyklus von Gustav Freytag, Die Ahnen. – Leipzig: S. Hirzel 1872–1880, der das Schicksal einer fiktiven deutschen Familie durch die Jahrhunderte schildert. Als zweiter Teil erschien: Die Ahnen. Roman. Zweite Abtheilung. Das Nest der Zaunkönige. – Leipzig: S. Hirzel 1873.

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W[alter] Scottschen14 plötzlich eintritt. Man sieht zwar die Katastrophen vorausg, aber dennoch sind sie die Folge schnell hinter einander eintretender Handlungen, die häufig durch Zufall bedingt werden, während bei Homer alles längst durch das Schicksal unabänderlich bestimmt ist und dadurch die Spannung und der Schmerz des Lesers bedeutend vermindert werden. Bei weitem nicht so gut als Homer gefällt mir Vergil. Vergil sucht in seiner Aenëis eine gewisse Spannung hervorzurufen, die man doch schwerlich empfi ndet, oder die, wenn man sie empfi ndet, doch kein angenehmes Gefühl erregt. Dies tritt deutlich im vierten Buche hervor, wo die Katastrophe der Dido beschrieben wird.15 Dort sucht er ja die größte Spannung zu erregen, theilweise gelingt es ihm, aber das Gefühl, das ich dabei empfand, war nicht angenehm, ich glaube deshalb, weil die Spannung nicht natürlich aus dem Stoffe selbst hervorgeht, sondern künstlich durch verschiedene Wendungen hervorgerufen wird. Allerdings hätten kleine bürgerliche Epen, wie z. B. Göthe’s Hermann u. Dorothea16 keinen Zweck und wären auch keine Epen, sondern Idyllen, wenn keine Spannung vorhanden wäre, aber sie sind eben bürgerliche Epen. Ihr Stoff ist in der Regel beschränkt und behandelt nur eine Episode aus dem Leben des betreffenden Helden. Dagegen hat ein Heldengedicht, wie die Aenëis, eigentlich doch den Zweck, den Helden möglichst zu verherrlichen; und namentlich auch daneben durch schöne Detailmalerei zu erfreuen. Deshalb darf es aber eigentlich nur in geringem Maße spannen, weil sonst der Leser über die schöne Detailmalerei, wenn solche vorhanden, ganz hinweggeführt wird. Dies ist beim Vergil meistentheils der Fall. Nur in einzelnen Büchern, z. B. dem fünften,17 tritt die Detailmalerei etwas mehr hervor. Auch ist Vergil doch nur eine Nachbildung des Homer, wie deutlich hervortritt, dessen Natürlichkeit und Anschaulichkeit zu erreichen er doch nicht vermocht hat. Zwar ist sein Ausdruck, seine Wendungen in der Regel schön und poëtisch, und in dieser Beziehung erreicht er fast den Hog O: vorraus 14 Zur Lektüre vgl. insbesondere den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, unten, S. 145 mit Anm. 11. 15 Vergils Aeneis, 4. Buch, berichtet von der tragischen Liebe zwischen Dido und Aeneas, die mit Didos Selbstmord endet. 16 Goethe, Johann Wolfgang von, Hermann und Dorothea. – Berlin: Vieweg 1797. 17 Das fünfte Buch in Vergils Aeneis schildert die Totenspiele zum Gedenken an den verstorbenen Vater Anchises und seine Erscheinung im Traum des Aeneas.

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mer, aber fast bei jeder solchen Wendung fällt mir eine entsprechende des Homer ein, und das ist doch unangenehm. Ich will indessen nicht sagen, daß ich Vergil verachte, im Gegentheil,h er versteht ausgezeichnet, dem Stoffe entsprechende Ausdrücke zu bilden und überhaupt die Lebhaftigkeit oder Unlebhaftigkeit, die Poësie und die Heiterkeit seiner Ausdrücke und Wendungen dem entsprechenden Theil des zu bearbeitenden Stoffs anzupassen. Dennoch aber würde ich für gewöhnlich den Homer vorziehen. Im Bezug auf Herodot kann ich sagen, daß ich alle Achtung vor ihm und seinem ganz unglaublichen Fleiß habe. Man merkt es seinem Geschichtswerke an, daß er fast überall selbst gewesen ist und sich aufs genaueste überall erkundigt hat. Dadurch wiegt er bei weitem die Leichtgläubigkeit auf, die ihm ja überhaupt in Rücksicht auf den Bildungsstand der damaligen Zeit kaum zu verdenken ist. Herodot ist kein Kritiker. Er kritisirt zwar öfters, aber dann sind doch häufig seine Kritiken – von unserm Standpunkt betrachtet – noch unsinniger als die kritisirten Theorien und Meinungen. In die inneren Gründe der Begebenheiten dringt er nicht weiter ein und wo er es zu thun scheint, da sind diese inneren Gründe meist seinem eigenen Kopfe entsprungen und bedingt durch seine Frömmigkeit und seine daraus entspringende Abergläubigkeit. Ein völlig zuverlässiger Geschichtsschreiber ist er, abgesehen sein eignes Zeitalter, natürlich nicht. Zwar hat er alles mit großem Fleiße erforscht und erfragt, aber es kam ihm ja namentlich darauf an, den Gang des Schicksals und deni unabänderlichen Gedanken der Gottheit, der in der Geschichte immer wieder zum Ausdruck komme, und von dem alles bedingt worden, nachzuweisen. Seine Erzählungsweise ist ganz poëtisch, er steht dem Homerj nahe, seine Geschichte ist ein in Prosa übertragenes Epos. Er liest sich sehr angenehm, namentlich wegen seiner immer gleich schönen, ruhigen Sprache und der Begeisterung, die in den Büchern über die Perserkriege zuweilen durchblickt.18 Livius, obgleich 400 Jahre später als Herodot lebend, hat dieselben Fehler, aber nicht dieselben Vorzüge. Er ist ebenfalls ein schlechter Kritiker. Wie er seine Quellen benutzt hat und was für welche er benutzt hat, glaube ich, ist schwierig festzustellen. Schwerlich wird er alle h 〈sein〉

i O: die

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18 Die Perserkriege sind der Hauptbezugspunkt in Herodots in neun Büchern verfaßten „Historien“.

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alten Urkunden benutzt haben, die damals wohl noch vorhanden gewesen sein werden. Es ist ihm jedenfalls zu mühsam gewesen. Er besitzt überhaupt nicht den Fleiß des Herodot und, da ihm auch dessen Naivität und Begeisterung abgeht, so hat es für mich sehr wenig Reiz, ihn zu lesen. Was nun den Cicero betrifft, so kann ich nicht behaupten, daß mir derselbe besonders gut gefallen hat. Ich fi nde z. B., daß seine erste catilinarische Rede19 durchaus aller Feurigkeit und Entschiedenheit entbehrt. Ich habe bisher fast in jedem Buche über Cicero, das ich gelesen habe, ihn gelobt gefunden, aber ich weiß wirklich nicht, worauf sich dieses Lob gründet. Er ist ein überaus sittenreiner Mensch gewesen, das steht fest und von der wüsten Schlemmerei und Genußsucht ist er wohl gänzlich unberührt geblieben. Aber darauf berufen sich ja die betreffenden Bücher gar nicht oder thun nur nebenbei davon Erwähnung. Ich habe noch keine Schrift von ihm gelesen, es ist möglich u. ich glaube es gern, daß er darin ein bedeutender Mann war. Aber seine 1. catilinarische Rede u. überhaupt seine schwankende und unsichere Politik haben auf mich gar keinen Eindruck gemacht. Er ist zu keinem bestimmten Entschluß gelangt, trotzdem doch die Gefahr des Staats in der Gestalt eines Mannes verkörpert vor ihm stand. Die ganze 1. catilinarische Rede ist eigentlich nur ein langes Gewimmer und Klagelied über die Gefahr des Staats und das in Gegenwart des gefährlichsten Mannes, des Hauptes der Verschwörung. Klagt Cicero den Catilina doch in derselben Rede der Sittenlosigkeit, Gleichgültigkeit etc. an. Glaubte er denn etwa, wenn er Klagen vorbrächte wegen Staatsgefahr, ein sittenloser und gleichgiltiger Mensch würde darauf Rücksicht nehmen und wegen dieses Klagegesanges seine Pläne aufgeben? Ich glaube es nicht. Nein, im Gegentheil, wenn er zu Catilina von Angst und Furcht des Senats, der Bürgerschaft etc. spricht, mußte er diesen dann nicht in seinen Plänenk bestärken? Dann bittet er, und dies ist ja der Hauptinhalt seiner Rede, den Catilina, doch ja um Gotteswillen die Stadt zu verlassen. Dachte er vielleicht, dieser würde davon Notiz nehmen? Nein im Gegentheil, wenn er dieses Schwanken des Senats und des Consuls sah, wenn er denken konnte, Cicero habe die Hoffnung so k O: Planen 19 Die erste der vier Ende 63 v. Chr. von Marcus Tullius Cicero gegen den antirepublikanischen Umsturzversuch des Senators Lucius Sergius Catilina gehaltenen Reden „In Catilinam“ vom 7. November vor dem Senat.

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sehr verloren, daß er ihn, den Catilina, selbst bitten müsse, dann mußten er u. seine Genossen doch noch viel mehr Zuversicht gewinnen. Und was war das überhaupt für eine kurzsichtige Politik, die er trieb, indem er nur den Catilina aus Rom zu entfernen suchte! Glaubte er etwa, dann mit den anderen Verschworenen leichteres Spiel zu haben? Da irrte er sich. Es waren unter den Verschworenen Männer, die noch ganz andere Thatkraft und andere Geistesanlagen entfalteten als Catilina. Und Cicero selbst sagt ja, er kenne die Verschworenen, also konnte er sich doch darüber nicht täuschen. Und wenn auch, Cicero hatte doch Kenntniß von des Manliusl Aufstand bei Faesulae; 20 wenn er nun Catilina wirklich aus der Stadt herausbrachte, was half es ihm? Catilina ging dann direkt ins Lager des Manliusm und dann war doch wohl die Gefahr für den Staat noch größer, als wenn Catilina in der Stadt blieb. Konnte er ihn nicht in der Stadt festhalten und bei Gelegenheit festnehmen und „abmurksen“ lassen? Die Verschwörung war ja offenkundig, keiner hätte es ihm verdacht, er sagt es ja selbst. Was war denn nun der Grund seines Zögerns? Er sagt, er würde warten, bis niemand mehr existire, der Catilina vertheidigen könne, dann solle er sterben. Was heißt das? Mir ist es nicht klar. Denkt er etwa, des Catilina Anhänger würden von ihm abfallen, ihn nicht mehr vertheidigen, wenn er noch recht lange warte? Da täuschte er sich dann doch aber! Im Gegentheil mußte ja die Zahl seiner Anhänger mit jedem Tage wachsen, und auch das sagt er selbst in seiner Rede. Kurz und gut, ich fi nde seine erste catilinarische Rede höchst schwach und zwecklos und überhaupt seine Politik schwankend und nicht constant im Bezug auf ihre Ziele, ihn selbst ohne gehörige Thatkraft und Energie, ohne Geschicklichkeit und ohne das Vermögen, den richtigen Moment abzupassen. Denn wenn er zur gehörigen Zeit den Catilina verhaftet und erdrosselt, die Rüstungen des Manliusn im Keim unterdrückt hätte, so wäre die gewaltige und blutige Schlacht von Pistoria, 21 wo so viele Tausende im Bürgerzwist dahinsanken, dem römischen Staate erspart worden. Bist Du anderer Meinung, so schreibe mir dies doch und auch Deine Gründe |:dazu:|, falls Du einmal Zeit haben solltest. l O: Mallius

m O: Mallius

n O: Mallius

20 Der Offizier Gaius Manlius, Anhänger Catilinas, hatte in der etrurischen Stadt Faesulae ein Heerlager eingerichtet, in das Catilina sich nach der Senatsrede begab. 21 Die Schlacht von Pistoria (in der heutigen Toskana) 62 v. Chr., in welcher der vom Senat berufene Feldherr Marcus Petreius siegte und Catilina ums Leben kam.

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Falls ich manchmal ein bischen weit ausgeholt oder mich ein bischen im Eifer des Gefechts verhetzt habe, oder nicht recht klar bin, so entschuldige dies, da ich ja diese ziemlich lange Epistel sehr schnell und mit großer Flüchtigkeit geschrieben habe, da es schon ziemlich spät ist. Jetzt ist’s Zeit, zu Bette zu gehen. Lebe wohl, viele Grüße. Dein Vetter Max.

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Emilie Fallenstein 22. September 1878; o. O. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 52–53

Sonntag, den 22. Sept 78. Liebe Großmama! Mit Schrecken denke ich daran, daß heute Dein Geburtstag ist.1 Ich will Dir nur mit wenigen Worten meine Glückwünsche zu diesem, dem 74. Jahre Deines Lebens, welches Du angetreten hast, |:darbringen:|. Du weißt ja, wie herzlich wir alle, besonders aber wir |:hier:| wünschen, daß Du Dich doch recht bald von Deinem Leiden erholen mögest, 2 um den Abend Deines Lebens vergnügt und zufrieden im Kreise der Deinen zuzubringen. Wir haben heute hier Nußernte gehalten. Alfred und ich kletterten auf die beiden Nußbäume und sammelten anfangs die erreichbaren Nüsse mit den Händen ein, die übrigen schlugen wir mit Knitteln herunter. Darüber ging der Vormittag hin, aber wir haben auch einen großen Marktkorba voll Nüsse eingesammelt. Auch reife Weintrauben haben wir schon, namentlich im Glashause. An den Sträuchern, die am Hause stehen, sind die Weintrauben noch nicht vollständig reif. Bei Euch wird nun wohl auch die Weinlese sein. Es ist schade, daß wir jetzt nicht bei Euch sein können, ich möchte Eure Weinlese gar gern einmal mitmachen. Bei uns ist nun nicht mehr viel zu holen. Höchstens die Pflaumen, die allerdings in großer Menge reif sind. Die großen Äpfel und die großen Winterbirnen hängen allein noch. Es waren schöne Tage, als Mama und Papa zusammen in Paris waren3 und wir hier die Wirthschaft führten [.] Wir haben es uns sehr gut sein lassen. An Amüsement konnte es nicht fehlen. Wir gingen nach

a Marktkorp > Marktkorb 1 Emilie Fallenstein, geb. Souchay, feierte am 22. September 1878 ihren 73. Geburtstag. 2 Emilie Fallenstein war gesundheitlich angegriffen. Ihr Gesundheitszustand hatte sich im Sommer so verschlechtert, daß ihre Töchter für sie eine Pflegerin einstellten (vgl. den Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 15. Aug. 1878, Privatbesitz BaumgartenSchoeppe). Auch ihre „geistigen Kräfte“ verfielen (Roth, Familiengeschichte, S. 336). 3 Helene und Max Weber sen. hatten Ende August von Heidelberg aus eine Reise nach Paris unternommen (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. Aug. 1878, oben, S. 94).

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Berlin, oder an die Havel, nach Schildhorn, nach Pichelsbergen u.s.w.4 Zu Hause waren wir entweder im Garten, wenn wir fertig gearbeitet hatten oder ich las oder auch ich war mit einer historischen Karte von Deutschland im Jahre 1360 beschäftigt. Diese Karte, mit der ich schon einige Zeit beschäftigt bin, 5 macht mir sehr viel Mühe, da ich mir das Material dazu erst aus allerhand alten Stammbäumen, Territorialgeschichten und Reallexiken zusammensuchen muß und wegen dem unschuldigsten Nest oft wer weiß wie oft imb Conversationslexikon etc. nachschlagen muß. Sie eilt jetzt ihrer endlichen Vollendung entgegen und ich denke, wenn ich der Geschichte |:mit der Karte:| erst einmal Herr bin, so wird sie mir viel Spaß machen. Vorläufig ist noch kein Ende abzusehen. Sonst habe ich jetzt viel freie Zeit, denn wegen der ewigen Prüfungen u.s.w., welche die Versetzungscandidaten durchzumachen haben, haben wir andern sehr wenig zu thun. Auch das Wetter ist einigermaßen constant schön und so können wir uns jetzt viel im Freien aufhalten. Sonst passirt hier nichts besonderes, wir sind alle gesund und sehr vergnügt und wünschen Dir ein gleiches. Und nun lebe wohl, liebe Großmama, die Zeit des Abendessens naht mit Riesenschritten heran und ich muß nun wohl aufhören. Nochmals viele Grüße und bitte, mich zu entschuldigen, daß mein Brief so einen Posttag zu spät kommt. Viele Grüße von Alfred und Karl. Dein Enkel Max.

b das > im 4 Die Ausflüge sind in Max Webers Briefen an Helene Weber vom 3. und 9. September 1878, sowie im Brief an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, oben, S. 107 f., 114 und 116 f., näher beschrieben. 5 Schon im Brief an Fritz Baumgarten vom 16. April 1878, oben, S. 57–59, berichtete Max Weber ausführlich über seine Arbeit an dieser Karte.

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Fritz Baumgarten 25. Oktober 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 12–13

Charlottenburg. 25. Oct. 1878. Lieber Fritz! Vielen Dank für Deinen letzten Brief, den ich am Dienstag hier vorfand. Du meinst, ich sei mit dem, was ich von Cicero behauptet habe,1 zu vorschnell gewesen? Wohl möglich, aber Du hast es ja so verlangt. Wenigstens habe ich mira nicht anders erklären können, was Du eigentlich von mir verlangtest. Was Du über die Beeinflußung eines Menschen durch Bücherlesen sagst, ist sehr wahr, nur weiß ich nicht, ob Du Recht hast, es bei mir |:gerade in diesem Falle:| anzuwenden. Denn was Du geschrieben, klingt so, als ob Du glaubtest, ich hätte mir irgend ein Buch geholt und daraus abgeschrieben oder wenigstens nur den Inhalt eines 1/ 2 Stunde vorher gelesenen Buches wiedergegeben. Denn das ist doch wohl der langen Rede kurzer Sinn. Du suchst diesen Kern in eine möglichst concrete Form zu bringen, weil Du der – so weit ich mich kenne, unrichtigen – Meinung bist, ich würde Dir so etwas übelnehmen. Bisher habe ich mir aber mit Aufbietungb aller Selbsterkenntniß noch nicht eingestehen können, mich allzusehr durch irgend ein Buch oder durch irgend ein Wort aus unseres Lehrers Munde hinreißen gelassen zu haben. Allerdings habe ich sehr schnell geschrieben und manches floß mir in die Feder, was durchaus nicht mein Eigen war, aber wir jüngeren profitiren ja überhaupt zum großen Theil von den Schätzen, die ihr seniores, denn als solcher bist Du doch zu betrachten, gesammelt habt. Aber ich wüßte nicht, von meinem lateinischen Lehrer2 irgend ein wichtiges Wort über Cicero’s Charakter oder Politik gehört zu haben, sondern dieser hat uns nur sehr oberflächlich über sein Leben und seine Schriften benachrichtigt. Auch aus Büchern kann ich nicht viel gea mir’s > mir

b Aufwindu > Aufbietung

1 Sehr wahrscheinlich im Brief an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, oben, S. 116–123. Eine zwischenzeitliche Fortsetzung der Korrespondenz ist nicht nachgewiesen. 2 Möglicherweise der Philologe Reinhold Gottschick, im Winterhalbjahr 1878/79 Max Webers Ordinarius (Klassenlehrer). Er unterrichtete Latein.

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schöpft haben, denn irgendwie bedeutende Werke, wie z. B. Mommsen’s römische Geschichte, 3 habe ich über diese Zeit erst jetzt nachgelesen. Ich gebe Dir zu, daß wohl allesc indirekt aus Büchern stammen mag, aber wozu sind denn überhaupt die Bücher, als um den Menschen aufzuklären über das, was ihm unklar ist und zu belehren. Es ist möglich, daß ich ein für Bücher resp. deren Aussprüche u. Deduktionen sehr empfi ndliches Menschenkind bin, das kannst Du besser beurtheilen als ich, denn es ist wirklich in gewisser Beziehung leichter, einen andern als sich selbst zu kennen, aber direkt stammt der Inhalt meiner – vielleicht völlig unwahren – Behauptungen aus keinem Buche ab. Übrigens kann ich Dir nichts davon übelnehmen, da, wie ich mich überzeugt habe, im Mommsen ganz etwas ähnliches steht. Jedenfalls glaube ich, daß das, was ich über Cicero sagte, schon aus der bloßen Kenntniß der römischen Geschichte der damaligen Zeit zu folgern ist, und daß, wenn man die drei ersten catilinarischen Reden durchliest und dabei bei jedem Satz überlegt, weßhalb der Redner ihn gesprochen habe, man zu ganz demselben Resultate kommt. Cicero’s Beredsamkeit, seine schönen Wendungen, seine große Bedeutung in sprachlicher und philosophischer Hinsicht in allen Ehren, aber im übrigen gefällt er mir gar nicht, und am allerwenigsten, seit ich die III. Rede in Catilinam gelesen habe.4 Auch seine Sittenreinheit ist bei den damaligen Zeitverhältnißen sehr anzuerkennen, wenngleich sie nicht ungetrübt ist, aber ein Vergleich zwischen ihm und Cato oder Catulus liefert dasselbe Resultat wie ein solcher zwischen Pompeius oderd Bibulus und Caesar. – Nun, lassen wir dies Thema. Jetzt naht der 28. October wieder heran, und am nächsten Sonntag werden wir, denk’ ich, wieder unsere gewohnte Partie nach Tegel machen. 5 c 〈direkt oder〉

d und > oder

3 Von Theodor Mommsens Römischer Geschichte waren zu diesem Zeitpunkt erschienen: Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Erster Band: Bis zur Schlacht von Pydna; Zweiter Band: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod; Dritter Band: Von Sullas Tode bis zur Schlacht bei Thapsus. – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1854, 1855, 1856 (hinfort: Mommsen, Römische Geschichte I–III). 4 Die dritte der von Marcus Tullius Cicero gegen den antirepublikanischen Umsturzversuch des Senators Lucius Sergius Catilina gehaltenen Reden „In Catilinam“, vom 3. Dezember 63 v. Chr. 5 Der 28. Oktober galt Helene Weber und Max Weber sen. als ihr eigentlicher, „innerliche[r] Verlobungstag“. 1860 hatten sie an diesem Tag einen gemeinsamen Spaziergang zum Humboldtschen Haus in Tegel unternommen (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 244 f.).

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Sonst passirt jetzt nicht viel, die Schule hat seit 14 Tagen wieder begonnen mit allen ihren Pfl ichten. Wir lesen jetzt Sallust, de Catilina; 6 privatim das II. Buch des Livius.7 Im II. Quartal werden wir Sallust, Jugurtha8 und |:C[icero],:| in Catilinam II. u. IV.9 lesen. Ich habe Dir sonst nicht viel zu berichten. Mama wird in den nächsten Tagen schreiben, und ich denke auch möglichst bald wieder einen Brief an Dich zu richten. Bitte, denke doch nur ja nicht, daß ich Dir irgend etwas von Deinem letzten Brief übelgenommen hätte, ich kann wirklich keinen Grund dazu fi nden, aber Du schreibst so, als ob Du daran dächtest. Viele Grüße von Eltern und Geschwistern an Eltern und Geschwister10 und Herrn Simons.11 Dein Vetter Max.

6 Das um 41 v. Chr. entstandene Werk des römischen Historikers „De coniuratione Catilinae“ („Über die Verschwörung des Catilina“). 7 Das zweite Buch von Titus Livius’ Geschichte Roms: „Ab urbe condita libri CXLII“ („Von der Gründung der Stadt an – 142 Bücher“). „Privatim“ bezieht sich auf die am Charlottenburger Gymnasium für die Sekunda neu eingeführten Studientage, an denen die Schüler sich unter Anleitung „ausschließlich mit der Privat-Lectüre eines alten Schriftstellers beschäftigen sollten“ (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 34). 8 Sallusts um 40 v. Chr. verfaßtes zweites historisches Werk: „Bellum Iugurthinum“ („Der Krieg mit Jugurtha“). 9 Ciceros zweite und vierte Rede gegen Catilina („In Catilinam“), gehalten am 8. November bzw. 5. Dezember 63 v. Chr. 10 Die Familie von Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 11 Eduard Simons, ein guter Freund von Fritz und Otto Baumgarten, hatte zeitgleich mit Fritz Baumgarten ein Jahr in Berlin studiert (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 13. Juli 1878, oben, S. 86 mit Anm. 7).

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Fritz Baumgarten 7. und 8. Dezember 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 14–18 Am Ende des an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geschriebenen Briefes findet sich ein längerer Zusatz von Helene Weber (Bl. 16 und Bl. 18). Darin dankte sie Fritz Baumgarten für seine regelmäßige Korrespondenz und Geduld mit ihrem ältesten Sohn und dessen, ihrer Ansicht nach, manchmal noch kindlichen, zuweilen aber auch zu altklugen Ausführungen. Wie ihr Mann sei sie sehr dankbar für den brieflichen Einfluß, den der ältere Cousin auf den Jungen auszuüben suche. Mit Bezug auf einen vorausgegangenen Brief Fritz Baumgartens an Max Weber schilderte sie auch konkrete Wirkungen seines positiven Einflusses: Suche ihr Sohn Max doch jetzt immer „den einen oder anderen Kameraden, wenn er irgend etwas unternehmen will“. (Ebd., Bl. 18). Die im Brief detailliert geschilderten Feierlichkeiten am Donnerstag, dem 5. Dezember 1878, fanden anläßlich der Genesung und Rückkehr Kaiser Wilhelms I. nach Berlin statt. Er war am 2. Juni 1878 durch das Attentat von Karl Eduard Nobiling verwundet worden. Die mit allem Pomp begangene Begrüßung begann Punkt 12 Uhr mit dem feierlichen Empfang des kaiserlichen Zuges am Potsdamer Bahnhof, wo sich die Spitzen von Hof, Armee, Staat und Stadt eingefunden hatten. Es schloß sich daran eine von der offenen kaiserlichen Kutsche angeführte Kolonne von 23 Wagen an, die durch das mit Flaggen, Girlanden und symbolträchtigen Installationen (sowie einer für den Abend vorbereiteten großen „Illumination“) geschmückte Zentrum Berlins führte: vom Potsdamer Bahnhof über die Königgrätzer Straße zum Brandenburger Tor; von dort Unter den Linden weiter bis zum Palais des Kaisers. Entlang der von Max Weber bis ins Detail beschriebenen Feststrecke hatten militärische Ehrenformationen, Unter den Linden auch studentische Korporationen, Turner und Kriegervereine Spaliere gebildet. Eine „harrende Menge“ brachte laut Pressebericht dem Kaiser „eine Huldigung [dar], die an Großartigkeit und ergreifender Gewalt nicht zu übertreffen ist. Endlos schallten die Hoch- und Hurrahrufe des Volkes dem kaiserlichen Paare entgegen, die Musikchöre stimmten das ‚Heil Dir im Siegerkranz‘ an, Hüte und Tücher wurden geschwenkt, dem heimgekehrten Kaiser Kundgebung der Treue dargebracht, die wahrhaft ergreifend wirkte.“ Auf den für das „distinguirte Publikum“ eigens gebauten Tribünen am ebenfalls schmuckbeladenen Brandenburger Tor hatten zahlreiche „Damen […] zur Ehre des Tages schwarz-weißrothe Bänder angelegt; auch Schleifen und Bänder in den preußischen Farben konnte man zahlreich vermerken. Kornblumensträuße und Rosetten waren in ganzen Wagenladungen sofort vergriffen.“ (Zum 5. Dezember 1878, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 289 vom 6. Dezember 1878, S. 1 f.; alle Zitate: S. 1; hinfort: Zum 5. Dezember 1878). Diese auch von Max Weber erstandenen Kornblumen waren, als Symbol Preußens, erklärtermaßen die Lieblingsblumen des Kaisers. Ebenso überwältigend wie Festschmuck und Begeisterung, so der Bericht der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung weiter, sei der auch von Weber geschilderte Andrang gewesen: „Tausende zogen aus der Peripherie in die innere Stadt, um rechtzeitig an der herrlich geschmückten via triumphalis anzulangen, sich für den Einzug des Kaisers günstig postiren zu können.“ (ebd.).

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Charlottenburg den 7ten Dezember 78. Lieber Fritz! Jetzt endlich will ich Dir wieder einmal ein Lebenszeichen von mir zuschicken, nachdem ich einen Monat lang unthätig geblieben bin;1 der Grund davon ist ein doppelter: in den letzten Wochen passirte zu wenig, als daß ich Stoff zum Schreiben gehabta hätte und wiederum in den letzten Tagen geschah zu viel, als daß ich Zeit zum Schreiben gehabt hätte. Ich will nun, da ichb sonst keinen Schreibestoff – wenn man so sagen kann – habe, darüber genauer berichten. Zunächst war ich am vorigen Sonntag mit mehreren meiner Schulkameraden in der Kirche, um die Wahlpredigt eines Hülfsgeistlichen zu hören; 2 er war ein ziemlich junger Mann von kleiner, schmaler Statur, stark pomadisirt, aber von kräftigen Augenbrauen und starken Gesichtszügen. Seine Predigt war sehr schön, aber er gesticulirte furchtbar, bald hob er beide Arme in die Höhe, bald fi ngerirte er nur etc. Am Mittwoch war ich mit mehreren Schulkameraden in einem Abendconcert, welches mein Klavierlehrer gab.3 Am Donnerstag endlich war die große Begebenheit, des Kaisers Thriumphzug in Berlin, über den etwas genauer zu erzählen ich mir erlaube. Wir hatten von 8–9 Uhr Morgens Schulfeierlichkeit, die, wie gewöhnlich, in Gesang und Festrede bestand.4 – Die Festrede hielt una gehäbt > gehabt

b 〈da〉

1 Der letzte überlieferte Brief an Fritz Baumgarten datiert vom 25. Okt. 1878, oben, S. 126– 128. 2 Der rasch wachsenden evangelischen Luisengemeinde in Charlottenburg war im Sommer 1878 die Stelle eines Diakons zugesprochen worden, für die vier Kandidaten Probepredigten hielten. Namentlich erwähnt die Chronik der Kirchengemeinde nur den Ende Dezember gewählten Hilfsprediger Ottokar Dahms (1849–1911) aus Templin. Ob Max Weber dessen Predigt oder die eines anderen Kandidaten hörte, ist nicht zu ermitteln (vgl. Geschichte der Luisengemeinde zu Charlottenburg. Ein Rückblick auf zwei Jahrhunderte. Im Auftrage des Gemeindekirchenrats der Luisengemeinde bearbeitet von Lic. Wilhelm Kraatz, Pfarrer. – Charlottenburg: Selbstverlag der Luisengemeinde 1916, S. 163 f.). 3 Näheres ist zu Max Webers Klavierlehrer und dem Konzert am Mittwoch, dem 4. Dezember, nicht zu ermitteln. Die Charlottenburger Zeitung ist für das Jahr 1878 nicht überliefert, die Berliner Presse dokumentiert für diesen Tag ausschließlich ein Konzert des renommierten Wiener Pianisten Alfred Grünfeld (Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 289 vom 6. Dez. 1878, 2. Blatt, S. 5). 4 Wie sämtliche Berliner hielt auch das Charlottenburger Gymnasium eine morgendliche Feierstunde ab. Der Direktor erinnerte an die „Schreckensnachrichten“ des Sommers, es folgten ein Lob- und Dankgebet, ein gemeinsam gesungener Psalm und die Festrede (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 34).

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ser erster Oberlehrer, Herr Dr. Lüttge.5 – Sogleich nach Beendigung der Feierlichkeit stürmte ich nach Hause, steckte 2 Milchbrode zu mir und dann ging’s fort. Unterwegs traf ich mit mehreren Freunden zusammen und nun gingen wir durch den Thiergarten nach Berlin, wo wir um 10 Uhr eintrafen. In den vorhergehenden Tagen hatte es „mordios“ geregnet, so daß man schon fürchtete, Einzug und Illumination würden zu Schanden werden: mit nichten! – am Morgen, wo der Kaiser einziehen sollte, lag der Himmel dick voll Wolken und ein feiner Regen rieselte zuweilen nieder. Am Vormittag aber versiegte dieser Regen und, ausgenommen daß der Himmel grau aussah, war es das schönstdenkbarste „Kaiserwetter“, welches auch den ganzen Tag und die folgende Nacht blieb. Die Straßen der Residenz waren auf das geschmackvollste geschmückt. Zunächst stand, wenn man vom Potsdamerc Bahnhof aus kam, auf dem Potsdamer Platz, weithin sichtbar, ein ungeheurer hölzerner Obelisk, der aber, auch aus nächster Nähe, den Eindruck machte, als sei er vom massivsten Marmor. An jeder Seite des Obelisks war je ein Becken, in welches ein Löwenkopf Wasser spie; and zwei Seiten des Obelisks hingen |:je ein:| langer, auf der einen Seite rothere, auf der andern Seite buntfarbiger Teppich, welche über die ganze Straße hinweghingen und an den Spitzen je zweier Masten befestigt waren. Der Obelisk selbst war von oben bis unten mit Bibelsprüchen in Goldschrift bedeckt.6 Außerdem standen um den ganzen Platz herum Mastbäume, mit Guirlanden umwunden und durch Guirlanden verbunden, an denenf Wappen befestigt waren, mit Fahnen rings umsteckt; oben an jedem Mastbaume wehte überdies noch eine Fahne. Die ganze Königgrätzer Straße hinab bis zum Brandenburger Thor standen auf jeder Seite Mastbäume, untereinander sowohl in der Richtung der Straße, als auch quer über die Straße durch Guirlanden verbunden und mit grünem Tannenlaub umwunden. Außerdem gingen c 〈Pla〉

d von > an

e roth > rother

f 〈Waff〉

5 Laut Schulchronik (ebd.) legte Dr. Albert Lüttge den Schülern dar, „daß das Königthum der Grundpfeiler staatlicher Existenz sei, daß jeder einzelne das gegen den König verübte Verbrechen als ein gegen seine theuersten Güter gerichtetes ansehen müsse“. Anschließend faßte er „Hauptmomente“ des kaiserlichen Lebens und Wirkens zusammen und „deutete noch einmal auf den grellen Gegensatz hin, in den sich der Mörder gegen die allgemeine Stimmung dankbarer Verehrung gesetzt habe“. 6 Zusätzlich war an prominenter Stelle die Aufschrift angebracht: „Heil dem Kaiser, den Gott uns erhielt“. (Zum 5. Dezember 1878, wie oben, S. 129, hier S. 1).

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von jedem Mastbaum aus Guirlanden über das entsprechende Trottoir hinüber, wo sie dann an Bäumen oder Häusern befestigt waren, so daß eine dreifache Laube, wenn man so sagen darf, entstand. Die Mitte der Straße war mit Sand bestreut und oben darauf Tannengrün gelegt. Vor dem Brandenburger Thor waren im Halbkreise herum zwei Reihen von hölzernen Pyramiden aufgebaut, deren obere Hälften ganz mit Tannenlaub umwunden waren, während die unteren schwarz weiß angestrichen waren u. mit rothen Tüchern behängt. Am Brandenburger Thor waren oben Wappen angebracht mit abwechselnd einem schwarzen (Preußen) und einem rothen (Brandenburg) Adler. In den Durchgängen des Thores waren rothe und bunte Vorhänge aufgehängt. Außerdem war natürlich das Thor auf alle denkbare Weise mit Fahnen geschmückt. Oben war eine Inschrift in Goldbuchstaben angebracht: „Deinen Eingang segne Gott!“ Außerdem waren an den oben erwähnten Mastbäumen auch mit Fahnen umsteckte Wappenschilder angebracht, beschrieben mit: gWI oder WIg (Wilhelmus Imperator). Unter den Linden war, wenn man durch’s Thor tritt, zunächst ein mächtiger dreifacher Triumphbogen sichtbar. Überall hingen daran Ölgemälde; Cherubime etc. An dem mittleren Bogen, der mit blauem Tuch umwunden war, stand: „Nun danket alle Gott.“, anderswo: „Der Herr mit Dir, Du streitbarer Held!“7 Natürlich waren auch die Linden auf das prachtvollste geschmückt. Die Akademie der Künste hatte vorne in ihrem großen offenen Pavillon eine Gipsstatue, welche einen Engel darstellte, wie er auf ein besiegtes Ungethüm tritt und frohlockend die Hände zum Himmel emporhebt. An mehreren Straßenecken waren Ölgemälde, welche Germania8 oder siegreiche Engel etc. darstellten. Hinten im Lustgarten war wiederum ein dreifacher Triumphbogen mit den verschiedenartigsten Inschriften. Auf dem Pariser Platz stand eine Germania und ein siegreicher St. Georgh,9 außerdem mehrere Gestelle mit gewaltigen Adlern in g–g Monogramm Wilhelms I. in O graphisch nachgezeichnet; W und I sind zuerst übereinander, dann nebeneinander gesetzt. h George > Georg 7 Der Artikel „Zum 5. Dezember 1878“ (ebd.) zitierte auch die zentral angebrachte Inschrift, die mit dem Jubelvers begann: „Nun hat die Noth ein Ende, der Kaiser ist herein / Wir heben froh die Hände, den Jubeltag zu weihn. / Hell tönt die Glockenzunge hinein ins weite Reich / Doch kommt sie nicht dem Schwunge unserer frohen Herzen gleich“. 8 Im 19. Jahrhundert popularisierte weibliche deutsche Nationalallegorie. 9 In der verbreiteten St. Georgs-Darstellung besiegt St. Georg einen Drachen und damit das Böse.

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Gyps u.s.w. Auch vor dem Brandenburger Thor und auf dem Potsdameri Platz standen je eine Germania.

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Sonntag den 8ten Dezember. Ich glaube, nun über die Ausschmückung der Triumphstraße genug gesagt zu haben, obgleich meine Angaben nur sehr abgerissen und verworren sind. Ich will nun zu den Begebenheiten zurückkehren. Also um 10 Uhr waren wir in Berlin. Wir sahen uns alles gründlich an und versuchten durch das Brandenburger Thor in die Linden einzudringen: es war unmöglich. Wir gingen nun nach dem Potsdamer Platz; dort stand ein Mann und verkaufte Kornblumen, das Stück zu 10 Pf, ich kaufte mir 2 davon. Bald darauf verspürte ich den heftigsten Appetit; ich ging nach dem Brandenburger Thorj zurück, dort stand eine Frau, welche Bratwürste auf einer Pfanne über Feuer hatte, ich nahm zwei Schrippen und 4 Bratwürste, aß meine Milchbrode dazu und war noch einmal so „frisch“. Wir suchten nun nach einem Platz um den Kaiser sehen zu können. Schließlich fanden wir einen in der Königgrätzer Straße, wo wir in der ersten Reihe standen und der Wagen einige Schritt nur entfernt vor uns vorbeipassiren mußte. Alle fünf-sieben Schritt stand ein Schutzmann zu Fuß und dazwischen hin u. wieder berittene Schutzleute. Um 1/ 2 12 Uhr sprengte eine große Patrouille berittener Schutzleute an uns vorbei nach dem Potsdamer Bahnhof, meistens Oberste der Schutzmannschaft, an der Spitze der Polizeipräsident Madai mit goldenen und der Polizeidirektor10 mit silbernen Achselklappen. Von da an ritten fortwährend Schutzleute hin und her, bis nach 12 Uhr. Um 1/4 1 Uhr hörte man laut und schrill eine Lokomotive pfeifen, offenbar war der Kaiser so eben angekommen. Das Gedränge wurde furchtbar. Aber wir behaupteten uns in der ersten Reihe. Noch eine volle Viertelstunde mußten wir im schrecklichsten Matsch stehen, von allen Seiten gedrängt. Es regnete nicht, sondern der Himmel war nur grau gefärbt und die Luft sehr angenehm lauwarm. Endlich um 1 / 1 Uhr verkündete ein gewaltiges Brausen vom Potsdamer Platze her, 2 daß der Kaiser den Bahnhof verlassen habe. Hinter uns stand ein Leierkasten, der bereits seit mehreren Stunden nur „Heil dir im Siegerkranzk “ spielte. Kurz vor 1/ 2 1 Uhr kam noch der Feldmarschall i Potsddamer > Potsdamer

j O: Tohr

k Alternative Lesung: Siegeskranz

10 Die Funktion eines Polizeidirektors gab es in Berlin nicht. Gemeint ist möglicherweise der Stellvertreter des Berliner Polizeipräsidenten Gustav Emil Freiherr von Hertzberg.

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Moltkel 11 unter lautem Hurrah nach dem Bahnhof gefahren.12 Dies zur Nachholung. Um 1/ 2 1, wie gesagt, verließ der König den Bahnhof. Ein lautes Brausen kündigte ihn an. Endlich sah man, sich weit vornüberbeugend, Reiter daher kommen. Es warenm der Polizeipräsident Madain und zwei andere Schutzleute.13 Dicht hinter ihnen kam ein sechsspänniger offener Wagen. Auf der einen Seite saß, in gewöhnlichero Uniform14 und grauem Überwurf u. Mantel, der Kaiser, die rechte Hand in der Binde, die linke, fortwährend grüßend, am Helm, links von ihm die Kaiserin,15 dicht verschleiert, ebenfalls grüßend. Beide schienen sehr gerührt, namentlichp die Kaiserinq. Hinter ihnen kam erst ein ungeheurer Koloß von einem Galawagen, wer darin war, weiß ich nicht.16 Dann kamen im vierspännigen offenen Wagen der Kronprinz17 und die Kronprinzessin,18 dann wieder ein geschlossener Galawagen,19 dann ein offener Wagen mit den jüngeren Kindern des Kronprinzen, 20 sodann Prinz Friedrich Karl, dann ein geschlossener Galawagen, in dem die Großherzogin von Mecklenburg saß, 21 vermuthlich mit einer Hofl O: Molkte namentlich

m O: war n Madrai > Madai q O: Kaiserinn

o 〈, grauer〉

p nahmentlich >

11 Generalstabschef Helmuth von Moltke (der Ältere); seit 1871 Generalfeldmarschall. 12 Möglicherweise gibt Max Weber hier eher ein Gerücht wieder. Zumindest nach dem Bericht der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung war Generalstabschef von Moltke zu diesem Zeitpunkt bereits beim Empfang des Kaisers im Potsdamer Bahnhof (vgl. Zum 5. Dezember 1878, wie oben, S. 129, hier S. 1). 13 Der Bericht der Berliner Börsenzeitung, Nr. 571 vom 5. Dez. 1878, Ab.Ausg., S. 2 f., nennt als Begleiter des Polizeipräsidenten Madai dagegen den Gouverneur von Berlin, General Leopold Hermann von Boyen, sowie den Flügeladjutanten des Kaisers, General Graf Karl Friedrich Ferdinand von der Goltz. 14 Wilhelm I. trug die Uniform eines Feldmarschalls des 1. Garderegiments zu Fuß, dem Leibregiment der preußischen Könige. 15 Kaiserin Augusta. 16 Laut Zeitungsbericht (Zum 5. Dezember 1878, wie oben, S. 129, hier S. 1) fuhren im zweiten Wagen Gräfin Mathilde von Brandenburg, Graf Karl Friedrich Ferdinand von der Goltz und Graf Heinrich von Lehndorff. Beide waren langjährige Adjutanten Wilhelms I. 17 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen (der spätere Kaiser Friedrich III.). 18 Kronprinzessin Victoria, die Ehefrau des Kronprinzen. 19 In ihm fuhren „Kammerherren und Hofdamen“ (Zum 5. Dezember 1878, wie oben, S. 129, hier S. 1). 20 Laut Zeitungsbericht (ebd.) fuhren die beiden jüngsten Töchter des Kronprinzen (Sophie und Margarethe) im Wagen der Eltern, zwei Wagen hinter Friedrich Wilhelm und Victoria die beiden Söhne Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm II.) und Prinz Waldemar jeweils in je einem Wagen. 21 Alexandrine von Preußen, durch Heirat zugleich Erbgroßherzogin von Mecklenburg.

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dame. Sie sah aus dem Fenster; sie hat einr geröthetes, strenges Gesicht und scheint überhaupt von kräftiger Statur zu sein. Dann kam Moltke im offnen Wagen, dann mehrere unbekannte Größen, dann im offnen Wagen der Erbprinz von Weimar mit seiner Gemahlin, 22 ein kleiner, aber schlanker junger Mann, Prinz Heinrich von den Niederlanden mit seiner Gemahlin23 im geschlossenen Galawagen, Prinz Friedrich Leopold mit seinem Erzieher24 und viele andere, von denen man viele, da sie im geschlossenen Wagen saßen, nicht erkennen konnte. Alles dies fuhr in einer Distanz von etwa 7–8 Schritt an mir vorüber, begleitet von brausenden Hurrah-Rufen, Taschentuch- und Hüte-Schwenken etc. Seit 1871 habe ich das kaiserliche Haus nicht mehr in dieser Vollständigkeit gesehen, 25 damals allerdings waren es noch einige mehr. Sowie der Zug vorbei war, entschlossen wir uns, zu versuchen nach dem kaiserlichen Palais zu gelangen. Wir versuchten es zunächst am Brandenburger Thor durchzudringen, um dann die Linden entlang zu gehen. Bis in seinen der Seitentempels drangen wir auch vor, dort aber hieß es: nec plus ultra! 26 Es war ein Gedränge, wie man es nicht oft erlebt. Vorne ging es nicht weiter, da eine bedeutende Patrouille von Schutzleuten zu Fuß und zu Roß das Thor sperrte. Seitwärts auszuweichen war auch nicht möglich, weil dort die Säulen standen, zurück konnte man nicht, da immer neue Schaaren von Menschen das Thor r 〈stre〉

s–s eins der Seitenthore > einen der Seitentempel

22 Erbprinz von Weimar war Erbgroßherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, seine Frau hieß Pauline. Laut Bericht der Norddeutschen Allgemeinen (ebd.) fuhren dagegen in diesem Wagen der (Erb-)Prinz Bernhard von Sachsen-Meiningen und dessen Frau Prinzessin Charlotte von Preußen, die älteste Tochter von Kronprinz Friedrich Wilhelm. 23 Heinrich von Oranien-Nassau, Prinz der Niederlande und seine Frau Prinzessin Marie von Preußen. 24 Der 13jährige Prinz Friedrich Leopold von Preußen, ein Großneffe Wilhelms I. Bei dem Erzieher dürfte es sich um Oberst Heinrich Paul von Geißler handeln, seinen militärischen Erzieher. 25 Max Weber dürfte sich auf die große Siegesfeier am 16. Juni 1871 in Berlin beziehen, die gleichfalls mit einer kilometerlangen Parade durch das geschmückte Stadtzentrum begangen wurde. Teil nahmen im Juni 1871 die kaiserliche Familie und die gesamte militärische Führungsebene des Reiches, außerdem „fürstliche Gäste“ aus allen deutschen Bundesstaaten. Vgl. Eggers, Karl (Hg.), Die Siegesstrasse in Berlin beim Einzuge des Kaisers Wilhelm mit den Deutschen Truppen am 16. Juni 1871. – Berlin: Rud. Hoffmann 1871, S. 33–47. Offenbar hatte der damals 7jährige Max Weber den „Triumphzug“ in Berlin miterlebt, möglicherweise im Rahmen einer Abordnung von insgesamt 3500 Schülern (ebd., S. 34). 26 Lat. für: Nicht mehr weiter.

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sperrten und sich hineinergossen. Hinter mir hatte ich einen Menschen, der das Drängen aus dem ff. verstand. Der Mann meinte es ehrlich: er setzte seinem Vordermann den Ellenbogen ins Rückgrat, was bei dem Gedränge schauderhaft weh thut. Von der Stelle rühren konnte man sich nicht. Endlich trat ich dann auf den hohen Fuß einer Säule, wo ich wenigstens zum Athmen Luft hatte. Herunterfallen konnte ich nicht, da die Menschenmasse meine Beine fest an die Säule drückte. Viele thaten es mir nach und wir warteten ab, bis ein Strom nach rückwärts kommen würde. Endlich kam er, wir wurden mitgerissen u. förmlich getragen, mit den Füssen kamen wir nicht eher auf die Erde, als bis wir aus dem Thore waren. Dort wurde ich von meinen Schulkameraden getrennt, nur einer blieb bei mir. Später hat, wie ich höre, das Publikum den Durchgang dennoch erzwungen, die Schutzleute umgerannt und ist auf den Pariser Platz gedrungen; dort ging es aber auch nicht weiter, weil der ganze Platz voll Militair stand. Unterdessen liefen wir die Dorotheenstraße entlang27 bis in die Gegend des Lustgartens. Unterwegs sahen wir die Berliner Studentencorps mit ihren Fahnen, die Berliner und Charlottenburger Vereine mit ihren Fahnen, endlich die Veteranen von 1813 mit tihrer Fahnet . Es sind noch über 100, doch sah ich sie nicht alle, sondern nur viele von ihnen, die in Droschken vorüberfuhren. Auf ihrer Fahne, die reich mit Gold geschmückt war, stand: „Achtung vor den Veteranen!“ Endlich gelangten wir durch eine kleine Seitenstraße auf den Platz vor dem kaiserlichen Palast. Dort war auch ein furchtbares Gedränge, aber wir drängten uns durch bis dicht vor den Palast. Das ganze Volk sang: „Heil dir im Siegerkranz“ und „die Wacht am Rhein“, zuweilen trat der Kaiser ans Fenster und wurde mit donnerndem Hurrah begrüßt. Man konnte eben |:noch:| in ein Parterrefenster hineinsehen; dort standen viele goldgeschmückte Uniformen im Halbkreise umher, man sah |:von hinten:| auf mehrere Kahlköpfe. Schließlich trieb der Polizeipräsident in Person mit etwa 30 berittenen Schutzleuten das Volk vom Platz, da Ruhe nöthig sei. Ich ging nun durch die Leipziger Straße, dann noch die Friedrichstraßeu entlang, nochmals zurück, die Linden entlang undv

t–t ihren Fahnen > ihrer Fahne

u O: Friedrichsstraße

27 Parallel zur Straße Unter den Linden.

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zuletzt zu Tiede’s, 28 wo ich mit Mama, Papa und den Jungens29 zusammentraf und wir zu Mittag aßen. Um 5 Uhr begann in der Stadt die Illumination und wir verließen Tiede’s. Die Beleuchtung war sehr allgemein, und schwerlich gab es viele Fenster, wo nicht wenigstens einige Lichter darin gestanden hätten. Außerdem waren natürlich noch an fast allen Häusern große und kleine Gassterne angebracht und vor allem bengalisches Licht. Zunächst war auf dem Potsdamer Platz oben auf dem großen Obelisken ein Gasstern angebracht, der Strahlen nach allen Seitenw sandte und von weitem wie eine feurige Sonne aussah. Außerdem waren überall Pechfackeln und Becken mit brennendem Theer angebracht. Von den meisten Laternen waren die Kandelaber oben abgeschraubt, so daß sie wie große Fackeln weithin leuchteten. Auf dem Brandenburger Thor war ein großes bengalisches Feuer angezündet, aber alles wurde überstrahlt von zwei breiten Strahlen electrischen Lichtes, welche, drehbar, von einem Nebenhause ausgingen. Sehr schön sah es aus, wenn das elektrische Licht gerade auf die Spitze der Siegessäule fiel, 30 wo dann die Victoria weithin durch die dunkele Nacht leuchtete. In den fernsten Stadtvierteln konnte man zuweilen über sich die Strahlen in der Luft sehen, wenn das Licht gerade dahin schien. Plötzlich wurde es dann gedreht und die Strahlen verschwanden. Unter den Linden war die Illumination besonders reich und vollständig. Überall sah man Gassterne. Der Rathausthurm31 war bengalisch beleuchtet, man sah ihn bis Westend hin und der Himmel war ganz roth. Auf dem Belle-Alliance-Platz32 war ein ungeheures Theerbecken, worin x10 Ctr.x Theer verbrannt wurden. Auf dem Ziethen-Platz33 waren zwei elektrische Flammen. Überhaupt war das elektrische Licht unzählig oft vertreten und in den größeren Straßen hatte fast jedes Haus einen Gasstern. Doch es würde ermüdend sein, wollte man alles aufzählen. Um 11 Uhr Abends kamen wir zu Hause. Sonst habe ich Dir nichts zu erzählen,

w 〈Sa〉

x–x 20 C > 10 Ctr.

28 August Tiede und Helene Tiede, geb. Richter. 29 Vermutlich die nächstjüngeren Brüder Alfred und Karl. 30 Die 1873 errichtete Siegessäule befand sich zu dieser Zeit noch auf dem damaligen Königsplatz (wo ab 1884 der Reichstag erbaut wurde). 31 Der 74 Meter hohe Turm des 1869 fertiggestellten neuen Rathauses („Rotes Rathaus“). 32 Der heutige Mehringplatz, am Südende der Friedrichstraße. 33 Östlich an den Wilhelmplatz angrenzend.

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denke aber in der nächsten Woche wieder zu schreiben. 34 Hast Du nicht allzuviel zu thun, wie ich allerdings annehmen muß, so denke ich von Dir auch wieder etwas zu hören, doch fordere ich nichts. Viele Grüße Dein Vetter Max.

34 Ein Brief ist für diesen Zeitraum nicht nachgewiesen; der nächste Brief Max Webers an Fritz Baumgarten datiert vom 27. Dezember 1878, unten, S. 139–142.

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Fritz Baumgarten 27. Dezember 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 19–20

Charlottenburg, den 27. December 78. Lieber Fritz!

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Jetzt endlich will ich Dir wieder ein paar Zeilen zuschicken, hauptsächlich um Dir für Dein hübsches Geschenk zu danken,1 über welches ich mich ebensosehr wie über die sehr schwungvollen Verse gefreut habe. Ich muß Dir nun aber auch Bericht erstatten über den Verlauf der letzten Tage, die wir ja vor einem Jahre zusammen mit Dir so fröhlich verlebt haben.2 Bis gegen Ende der vorigen Woche merkte man es unserem Hause gar nicht an, daß Weihnachten im Anzuge sei. Erst am Donnerstag, Freitag3 und den folgenden Tagen erinnerten die häufigen Ausgänge von Papa und Mama daran. Am Sonntag Abend begannen wir mit den Vorarbeiten zum Feste, rothe Wollfäden wurden an die verschiedenen, für den Baum bestimmten Herrlichkeiten gebunden etc. Am andern Tage hatte ich noch tüchtig zu thun, denn den ganzen Vormittag mußte ich bei verschlossenen Thüren fortfahren, Baumconfekt anzubinden u. dergl. m. Am Abend vergoldeten und versilberten wir Nüsse, wobei Du voriges Mal auch zugegen warst und wobei Dir Papa, wie ich mich erinnere, aus der Studentenzeit Deines Vaters4 erzählte. Ama Dienstag Morgen5 endlich mußte ich nochmals nach Berlin, um verschiedenes zu besorgen, zum Mittagessen war ich wieder draußen und dann warteten wir mit Ungeduld der Dinge, die da kommen sollten. Von gegen 1/ 2 6 bis 6 warteten wir, bei der gewöhnlichen rothen, düsteren Beleuchtung im Nebenzimmer, bis endlich der erwünschte Schall der Klingel das Zeichen gab. Die beiden Kleinen6 sollten nun voran, aber Arthur war nicht von der Stelle zu bringen, a 〈Di〉 1 Fritz Baumgarten hatte Max Weber zu Weihnachten ein Feuerzeug geschickt (vgl. den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, unten, S. 144). 2 Fritz Baumgarten hatte vom Wintersemester 1877/78 bis zum Sommersemester 1878 in Berlin studiert. 3 19. und 20. Dezember 1878. 4 Hermann Baumgarten. 5 Dienstag, der 24. Dezember. 6 Die jüngsten Geschwister Clara und Arthur Weber.

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sondern er verbarg sich schreiend bei Mama. Die Kleine hingegen ging darauf los, machte die Thüre auf, blieb aber geblendet stehn. – Der Baum war eine ungeheure Fichte, von welcher, damit ihn überhaupt die Stube beherbergen konnte, oben sowohl als unten ein Stück abgehauen werden mußte. Ich denke, es waren etwa 50–60 Lichter, welche auf ihm brannten. Linker Hand von der Thüre stand mein Tisch, rechts derjenige von Alfred und Karl; Mama gerade aus, im Hintergrunde Mädi7 und Arthur. An Büchern hatte ich zunächst einen englischen Shakespeare,8 von dem ichb zwar augenblicklich noch keinen Gebrauch machen kann, den ich jedoch Ostern, mit Hülfe meiner seither und bis dahin – hoffentlich – erworbenen englischen Kenntnisse,9 zu ergründen hoffe. Ferner Curtius, Geschichte der Griechen,10 was ich mir hauptsächlich gewünscht hatte. Dann ein Buch, betitelt: Cicero u. seine Freunde, von Boissier,11 mit Hülfe dessen ich mich dem Cicero etwas mehr zu befreunden gedenke, von dem ich aber bisher nur Titel, Vorwort und Einleitung vollständig gelesen habe. Außerdem habe ich von Bielefeld her12 zwei Romane von W[alter] Scott geschenkt bekommen, von denen ich über den einen, „Talisman“ betitelt,13 sogleich hergefallen bin und mich auch sehr in ihn vertieft habe, während ich den anderen auf spätere Zeiten verschiebe. Sonst fi ndest Du auf meinem Weihnachtstische noch allerlei nützliche Geräthe, eine Lampe, Stiefelknecht, Che-

b 〈w〉 7 Kosename für Clara Weber. 8 Der Titel ist nicht ermittelt. 9 Im gymnasialen Curriculum spielte bis in die 1880er Jahre der Erwerb moderner Fremdsprachen eine untergeordnete Rolle. In der Aufstellung der Lehrpensa des Charlottenburger Gymnasiums ist Englisch nicht aufgeführt. Englischstunden erhielt Max Weber ab Herbst 1878 privat (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 489, Anm. 35). 10 Curtius, Ernst, Griechische Geschichte, 3 Bände. – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1857–1867 (hinfort: Curtius, Griechische Geschichte I–III). 11 Boissier, Gaston, Cicero und seine Freunde. Eine Studie über die römische Gesellschaft zu Cäsar’s Zeit. Deutsche Bearbeitung von Eduard Döhler. – Leipzig: Teubner 1869 (hinfort: Boissier, Cicero und seine Freunde; frz. Erstausgabe: Boissier, Gaston, Cicéron et ses amis. Étude sur la société romaine du temps de César. – Paris: L. Hachette 1865). 12 In Bielefeld lebten Max Webers Großmutter väterlicherseits, Marie Lucie Weber, geb. Wilmans, und seine Tante Ottilie Weber. 13 Bei dem zweiten Roman von Walter Scott handelte es sich um „Quentin Durward“; vgl. dazu den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, unten, S. 145 mit Anm. 11.

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misetts,14 eine Tischdecke aus Kautschuk etc., endlich noch Feuerwerksgeschichten, Reißzeuge15 und was dazu gehört. Die Puppe, welche Du für Clara geschickt hast, hat Arthur annectirt und auch trotz derc nachdrücklichsten Proteste von Seiten Clara’s gegen jeden Angriff unter lautem Geheul von Seiten beider Fractionen behauptet. Er hatte sich so in sie verliebt, daß er sie nicht aus der Hand ließ und schließlich mußte sie noch mit ihm ins Bett marschiren. Clara versuchte zwar oft ihre Rückeroberung, jedoch mißlang sie ihr und sie sah das Vergebliche ihrer Absicht ein, und so wird die Puppe wohl durch das Recht der Verjährung auf Arthur übergehen. Alfred und Karl sind mit einer Unmasse von Bleisoldaten überschüttet worden, eben fi nde ich hier eine Schachtel voll mit der merkwürdigen Aufschrift von Karl: „Türkohs16 und fräche Vrantzosen.“ Was das Beiwort: frech hier bedeuten soll, weiß ich nicht, er scheint es als cognomen universale17 der Franzosen zu gebrauchen, jedenfalls ein Zeichen von Patriotismus. Von Arthurs Sachen kann man, insoweit sie nicht feuer- und bombenfest waren, sagen: sic transit gloria mundi, denn sie waren fast alle am Weihnachtsabend schon in Stücke, ausgenommen ein Schaukelpferd, welches er, wollte er es auch, doch nicht zertrümmern könnte; Clara hingegen hat ihre Sachen gut in Acht genommen. An Büchern erhielten Alfred ein Märchenbuchd und ein Buch über: Die Helden Griechenlands,18 Karl zwei Märchenbücher; Mama ist bereichert um den neusten Band der „Ahnen“ von Freytag,19 um ein

c 〈S〉

d O: Mährchenbuch

14 Eigentlich frz.: chemisettes; kurzärmlige Hemden. 15 Eine Sammlung von Geräten für technische Zeichnungen (z. B. zur Kartographie). 16 Gemeint sind „Turkos“; ein verbreiteter Begriff für die nordafrikanischen Schützenregimenter der französischen Armee (eigentlich: tirailleurs algériens bzw. tunésiens). In Deutschland wurden sie seit ihrem Einsatz im Krieg 1870/71 als Sinnbild kriegerischer Barbarei verunglimpft. 17 Lat. für: allgemeiner Beiname. 18 Möglicherweise: Stoll, Heinrich Wilhelm, Die Helden Griechenlands im Krieg und Frieden. Geschichte der Griechen in biographischer Form, für Schulen und die reifere Jugend. – Leipzig: B. G. Teubner 1866; 1878 war es in dritter Auflage erschienen. 19 Zu Gustav Freytags sechsbändigem Romanzyklus vgl. bereits den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. Sept. 1878, oben, S. 118 mit Anm. 13. Aktuell erschienen war: Freytag, Gustav, Die Ahnen. Roman. Fünfte Abtheilung: Die Geschwister. – Leipzig: S. Hirzel 1878.

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Buch über Italien und eins über „die Familie Mendelssohn“. 20 Mite den übrigen Geschenken will ich mich nicht weiter aufhalten. Wie ich höre, habt Ihr bei Euch auch einige Kälte gehabt, so wie es uns hier passirt ist, seit drei Wochen liegt hier der Schnee und zwar Anfangs sehr dick, jetzt hier weniger wegen zuweilen eintretenden Thauwetters, im übrigen ist es jetzt hier ganz acceptabel. Sonst habe ich Dir eigentlich nicht viel mehr zu erzählen. An Schriftstellern haben wir im vergangenen Quartal im Lateinischen Sallust, Catilina und Livius II gelesen und werden im kommenden in Catalinam II oder IV und Sallust, Jugurtha lesen.21 Sonst sind in Bezug auf die Schriftsteller keine Veränderungen vorgefallen. Doch ich muß jetzt schon schließen und wegen der Kürze der diesmaligen Epistel um Verzeihung bitten, aber ich muß noch nach Heidelberg zu schreiben anfangen22 und der Abend bricht schon herein. Nochmals vielen Dank und viele Grüße Dein Vetter Max.

e Von > Mit 20 Sehr wahrscheinlich die Erstausgabe von Hensel, Sebastian, Die Familie Mendelssohn 1720–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, 3 Bände. – Berlin: Behr’s Verlag 1879, die bereits im Dezemberheft der „Deutschen Rundschau“, Band 17, 1878, S. 469–474, ausführlich besprochen wurde. 21 Diese Lektüreliste findet sich bereits im Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 25. Okt. 1878, oben, S. 128 mit Anm. 6–9. 22 Vgl. den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, unten, S. 143–146, mit Editorischer Vorbemerkung.

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Emilie Fallenstein 29. und [30.] Dezember 1878; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 54–55 Das Tagesdatum ist eigenhändig in 29. korrigiert. Möglicherweise hatte Max Weber, wie im Brief an Fritz Baumgarten vom 27. Dezember 1878, oben, S. 142, angekündigt, den Brief bereits an diesem Tag begonnen bzw. beginnen wollen. Der Hinweis im letzten Absatz: „Morgen ist nun schon wieder Sylvesterabend“ deutet darauf hin, daß der Brief teilweise noch am 30. Dezember 1878 geschrieben wurde.

Charlottenburg, den 29a. Dezember 78. Liebe Großmama!

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Nach den schönen Festtagen, die wir jetzt durchlebt haben, will ich Dir doch wenigstens auch einige Zeilen schicken. Wir haben die Tage des Festes recht froh mit einander durchgelebt, und ich zweifle nicht, auch Ihr. Man ist in den letzten Tagen vor Weihnachten und namentlich am heiligen Abend selbst in einer feierlichen Stimmung, allerdings theilweise auch ungeduldig, wenn man noch allzulange warten muß. Wir sitzen dann immer alle zusammen im Nebenzimmer, welches durch ein düsteres, rothes Gaslicht nur matt erleuchtet wird, und singen Weihnachtslieder, in Erwartung der Dinge, die da kommen werden. So auch dies Mal. Alfred allerdings wurde schließlich sehr ungeduldig, da ihm die Zeit des Wartens zu lang wurde. Auch die Kleinen1 wurden etwas müde, waren aber nachher sehr wohlauf. Arthur allerdings schien sich anfangs etwas zu fürchten, faßte aber Vertrauen und gewann endlich so viel Muth, daß er mit Mama’s Unterstützung sogar auf seinem Schaukelpferde ritt. Auch mischte er sich zu Claras großem Leidwesen immer in ihre Sachen, und war nicht von ihrem Tische fortzubringen. Zuletzt annektirte er auch noch eineb kleine, hübsche Puppe, welche Fritz für Clara hergeschickt hatte; sie hat ihm auch bisher nicht wieder entrissen werden können. Ich will nun dazu übergehn meine Geschenke aufzuzählen. Da war zuerst ein englischer Shakespeare, 2 von dem ich allerdings vorläufig noch keinen Gebrauch machen kann aus Mangel an Kenntniß der englischen Sprache, da ich ja erst seit einem

a 27 > 29

b einen > eine

1 Clara und Arthur Weber. 2 Der Titel ließ sich nicht ermitteln.

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Vierteljahre englischen Unterricht habe, 3 indessen denke ich mir bis Ostern so viel Kenntnisse erworben zu haben, um ihn dann einigermaßen verstehen zu können. Ferner III Bände Curtius, Geschichte der Griechen,4 den ich mir hauptsächlich gewünscht hatte und der mich auch ganz besonders interessirt. Ich habe schon vielfach in ihm herumgelesen und kann nur die Schönheit der Sprache und schöne Form, in der alle Ereignisse mitgetheilt werden [,] bewundern. Sodann bekam ich noch ein Buch über „Cicero und seine Freunde“, eine deutsche Bearbeitung eines französischen Werkes von Boissier.5 Ich habe in diesem Buche bis jetzt noch nicht viel gelesen, ich glaube aber, daß es mich im hohen Grade interessiren wird. Außerdem hatte ich noch eine Ausgabe sogenannter „Kunsthistorischer Bilderbogen [“] , welche in verschiedenen Sammlungen erscheinen und eine Geschichte der Architektur, Plastik und Malerei in Bildern enthalten. Ich besitze schon einen Theil davon,6 es ist dies der zweite,7 ich lasse mir jeden Theil einzeln schön einbinden. Dazu kommen nun noch allerlei Geräthschaften, die für einen Haushalt im kleinen, wenn man so sagen kann, nützlich sind, z. B. eine Petroleumlampe, ein Tischtuch aus Cautschouk und verschiedene andere nützliche Dinge. Fritz Baumgarten sandte mir ein Feuerzeug, Marthac 8 einen Uhrpantoffel9 und außerdem eine Art von pennalartiger Schachtel voll Pfefferkuchen unter der Atrappe einer Notenrolle, au-

c Alternative Lesung: Marthe 3 Max Weber erhielt privaten Englischunterricht. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 27. Dez. 1878, oben, S. 140, Anm. 9. 4 Curtius, Griechische Geschichte I–III (wie oben, S. 140, Anm. 10). 5 Boissier, Cicero und seine Freunde (wie oben, S. 140, Anm. 11). 6 Sehr wahrscheinlich: Kunsthistorische Bilderbogen für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und Höheren Töchterschulen zusammengestellt. Mit einem erläuternden Textbuche. 10 Sammlungen in 2 Hälften (246 Bogen. Holzschnitttafeln). – Leipzig: E. A. Seemann 1877/78; Hälfte 1: Kunsthistorische Bilderbogen. Baukunst und Bildnerei der Griechen und Römer, der Ägypter und vorderasiatischen Völker, des Mittelalters und der Renaissance (Bogen 1–120). 7 Ebd., Hälfte 2: Bildnerei der Renaissance (Schluß). Bildnerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Kunstgewerbe und Decoration vom 3.–18. Jahrhundert. Malerei des Alterthums, des Mittelalters und der Neuzeit (Bogen 121–246). 8 Max Webers Hamburger Cousine Martha Julie Weber. 9 Gemeint ist vermutlich eine Schutzumhüllung für Taschenuhren.

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ßerdem aber bekam ich aus Bielefeld10 zwei Romane von Walterd Scott geschickt, und zwar: „der Talisman“ und „Quentin Durward“11 betitelt. Ich habe mich sogleich über sie hergemacht und sie durchgelesen. Ich fi nde sie, wie überhaupt die Romane von Waltere Scott, sehr interessant, obgleich zuweilen etwas sehr breit und weitläufig, jedenfalls sind sie ganz der Art, daß man sich in sie vertiefen kann, wie ich auch gethan habe. Sonst habe ich eigentlich in letzter Zeit wenig gelesen, außer aus einem ziemlich interessanten, aber schwer zu verstehenden Buche von Victor Hehn über die Verpflanzung der Kulturpflanzen und Hausthiere aus Asien nach Europa. Das Buch ist betitelt: „Kulturpflanzen und Hausthiere“,12 es behandelt nach einander alle nützlichen Thiere und Pflanzen und sucht nachzuweisen, daß und wie die einzelnen Pflanzen und Thiere von Asien aus auf uns übergegangen sind und wie und wann sie sich hier eingebürgert haben. Sonst beschäftige ich mich auch mit lateinischen Schriftstellern, lese Livius’ Geschichte Roms13 u. dergl. Das Wetter hier ist jetzt wieder zum Hinausgehen wenig einladend, denn es hat wieder gethaut, so daß alle Straßen mit einem gräßlichen Schmutz bedeckt sind, zudem regnet es zuweilen etc. Allerdings scheint es sich jetzt wieder aufs Frieren legen zu wollen, und das wäre sehr gut, denn dann wären wir wenigstens den Schmutz los. Morgen ist nun schon wieder Sylvesterabend und man denkt dann zurück an Freud und Leid, die man im vergangenen Jahre erfahren hat und man schaut auch mit heitrem und hoffnungsvollem Blick in die d O: Walther

e O: Walther

10 Max Webers Großmutter väterlicherseits Marie Lucie Weber, geb. Wilmans, und seine Tante Ottilie Weber lebten in Bielefeld. 11 Welche offenbar deutsche Ausgaben Max Weber erhielt, ist nicht zu ermitteln. Der deutschen Erstausgabe von Walter Scotts „Talisman“ (Scott, Walter, Erzählungen der Kreuzfahrer, Theil 3–4: Der Talisman, Theil 1/2. Von dem Verfasser des Waverley, Quentin Durward usw. aus dem Englischen übersetzt von Sophie May. – Leipzig: Gleditsch 1825) folgten zahlreiche Neuausgaben. Gleiches gilt für Scotts 1823 erschienenen Roman „Quentin Durward“ (dt. Erstausgabe: Quentin Durward. Aus dem Englischen des Walter Scott von K. L. Methusalem Müller, Theil 1–3. – Leipzig: F. L. Herbig 1823); er erschien allerdings zeitnah als Reclamausgabe: Scott, Walter, Quentin Durward. Roman. Deutsch von Otto Randolf (Reclams Universal-Bibliothek). – Leipzig: Reclam 1878. 12 Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere (wie oben, S. 65, Anm. 19). Max Weber hatte das Buch bereits im April zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen. Vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, oben, S. 65. 13 Vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 25. Okt. 1878, oben, S. 128 mit Anm. 7.

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Zukunft hinaus. Reich an Freuden jeder Art war das vergangene Jahr und namentlich war schön die Zeit unseres Aufenthalts in Heidelberg,14 hoffen wir auf ähnliche Zeiten in der Zukunft. Und in der Hoffnung auf ein einstiges Wiedersehn wünsche ich Dir ein glückliches neues Jahr. Mit vielen Grüßen bin ich Dein treuer Enkel Max.

14 Gemeint ist der übliche Sommerbesuch im Juli (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 13. Juli 1878, oben, S. 83).

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Fritz Baumgarten 19. Januar [1879]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 21–23 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Charlottenburg den 19ten Januar. Lieber Fritz!

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Endlich habe ich einmal wieder einen freien Abend, an dem ich mir Muße nehmen kann, Dir zu schreiben. Sonst sitze ich jetzt immer des Abends mit Mama im Eßzimmer und wir lesen zusammen Waltera Scott’s „Quentin Durward“;1 heute aber sind beide Eltern in Berlin ausgebeten und diese Gelegenheit benutze ich: denn der Abend ist die einzige Tageszeit, an der ich überhaupt schreibe, wenn nicht gerade Ferien sind. Wenn Du sagst, das Schreibenb würde mir leicht, so ist das in der That richtig, denn wenn ich in der richtigen Schreibstimmung bin, so setze ich die Feder an, und setze sie nicht eher wieder ab, als wenn der Brief fertig ist. Nur zuweilen quält mich der Gedanke, daß meine Pfl icht sei, an irgend jemand zu schreiben, und wenn ich dann schreibe, so werden die Briefe immer bröcklich und ledern, was öfters geschieht. Du fragst mich nun über meinen Confi rmandenunterricht und erzählst mir zugleich von dem schönen Eindruck, den die Deinige auf Dich gemacht. Wir haben einen Pfarrer, 2 der noch in den besten Jahren steht, aber dies ist theilweise nicht gerade vortheilhaft für die Confi rmandenstunde, denn, was einem älteren Herrn vielleicht an Thatkraft abgehen würde, das würde wohl durch Ehrfurchtc ersetzt werden, denn es giebt immer alberne Gesellen, welche sich ein Vergnügen daraus machen, die Stunde durch ihr kindisches Benehmen zu stören; ich glaube nicht, daß sie dies einem älteren, ehrfurchtgebietenderend

a O: Walther b O: schreiben derem > ehrfurchtgebietenderen

c Erfurcht > Ehrfurcht

d ehrfurchtgebieten-

1 Der Roman war ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Vgl. den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, oben, S. 145 mit Anm. 11. 2 Es dürfte sich um Hermann Müller, den 40jährigen Oberpfarrer der Luisengemeinde in Charlottenburg handeln. Müller konfirmierte Max Weber nach einjährigem Konfirmandenunterricht an Judica (30. März) 1879 in der Luisenkirche (Konfirmandenregister der Luisengemeinde, Ostern 1879, Archiv der Luisenkirchengemeinde Charlottenburg).

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Herrn gegenüber wagen würden. Auch sonderbar ist, daß wir für die Stunde durchaus nichts zu thun haben, mit Ausnahme weniger Sprüche, die von den meisten auch oberflächlich genug absolvirt werden. Sonst ist der Pfarrer ein sehr freundlicher Herr und seine Predigten in der hiesigen Luisenkirche3 sind sehr schön und besucht. In dem, was Du über die religiösen Spötter sagst, hast Du sicher vollkommen Rechte ; denn, in der That, ich glaube, daß ein Mensch, der ehrlich behaupten könnte, er besitze absolut keine Überzeugung, keine Hoffnung auf ein Jenseits, ein ganz überaus unglückliches Geschöpf sein müßte. Denn so ohnef alle Hoffnung ins Leben hineinpilgern, mit dem Glauben, daß jeder Schritt nur näher zu einer gänzlichen Auflösung führe, einer Auflösung, welche dem Dasein für immer ein Ende mache, das muß in der That ein furchtbares Gefühl sein und dem Menschen jede Lebenshoffnung benehmen. Daßg jeder Mensch Zweifel hegen kann, ist selbstverständlich und ich glaube, gerade diese Zweifel dienen dazu, um, niedergekämpft, den Glauben um so fester zu machen. Du schriebst von demh gewaltigen Eindruck, den Du |:bei d. Confi rmation:| empfunden; glaube mir, auch ich bin mir bewußt, in welch wichtigem Wendepunkte des Lebens ich mich befi ndei. Denke nicht, daß ich darum weniger empfi nde, weil ich Dir noch nichts davon geschrieben habe, oder mich auch nicht darüber ausgesprochen habe, es liegt, glaube ich, etwas in meiner Natur, daß ich meine Gefühle selten andern mittheile, es kostet mir oft Überwindung, es zu thun; ich genieße in der Regel jede Freude für mich, aber deshalb sind meine Gefühle doch nicht geringer; es wird mir, wie gesagt, schwer, mich zu anderen darüber auszusprechen; auch das, worüber ich nachdenke, behalte ichj gewöhnlich für mich, auf die Gefahr hin überhaupt für gar nicht nachdenkend gehalten zu werden [.] Aus demselben Grunde bin ich auch ein schlechter Gesellschafter, und, wiek mir schmerzlich bewußt ist, ganz e recht > Recht j 〈in〉 k 〈ich〉

f 〈ohne〉

g O: Das

h 〈Gew〉

i befi nden > befi nde

3 Die seit ihrem Umbau 1823–1826 nach Königin Luise benannte Charlottenburger Stadtkirche (am heutigen Gierkeplatz). Bis in die 1890er Jahre gehörten alle evangelischen Einwohner Charlottenburgs der Luisengemeinde an. Die Luisenkirche war zunächst eine Simultankirche, in der lutherische und reformierte Gottesdienste abgehalten wurden, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die evangelisch-lutherische Richtung durch. Vgl. Kraatz, Wilhelm, Geschichte der Luisengemeinde zu Charlottenburg. Ein Rückblick auf zwei Jahrhunderte. – Charlottenburg: Selbstverlag der Luisengemeinde 1916, S. 35 und 115.

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untauglich in der Unterhaltung, ein Übelstand, dem ich bisher mit dem besten Willen nicht habe abhelfen können. Nun will ich Dir noch einiges aus unserm sonstigen Leben erzählen. Weihnachten ist nun schon lange her, aber noch ist keine Rede davon, daß ich alle Bücher, welche ich bekommen habe,4 auch nur oberflächlich durchgelesen hätte. Es wäre aber auch in der That zu viel verlangt, daß ich ein so gediegenes Werk, wie Curtius, 5 nun von vorn bis hinten schon durchgelesen haben sollte. Aber auch das Buch über Cicero habe ich noch nicht völlig zu Ende gelesen.6 Ich will Dir indessen nächstes Mal etwas darüber schreiben. In letzter Zeit war ich sehr durch W[alter] Scotts „Kerker von Edinburgh“7 in Anspruch genommen, den ich aus der Leihbibliothekl unserer Schule genommen hatte. Ich weiß nicht, ob Du ihn gelesen hast, aber es ist einer der ergreifendsten Romane, die ich kenne. Ich wundre mich nur immer über meine Kameraden, die sich in allerhand moderne Bazarnovellen vertiefen und darüber diese gediegenen alten Romane ganz bei Seite lassen. Es ist überhaupt ein merkwürdiger Zug, der gerade in den höheren Klassen der Gymnasien auftritt, daß diese jungen Leute sich über alle vernünftigen Romane weit erhaben fühlen, obwohl sie sie theilweise gar nicht kennen – sondern, wie gesagt, sie fi nden ihr Vergnügen nur in solchen kleinen Novellen und Skandal-Geschichten, ganz wie ich mir die Lektüre des vornehmen Roms in der ersten Kaiserzeit denke – es klingt vielleicht anmaßend, wenn ich, der ich doch einer der jüngsten Füchse in Secunda bin, dergleichen behaupte, aber dieser Umstand ist zu in die Augen fallend, als daß ich nicht, ohne zu fürchten, etwas unrichtiges zu sagen, dies aussagen könnte – natürlich immer mit Ausnahmen, und zwar bei uns glücklicherweise mit recht vielen. Ich habe mich jetzt ganz und gar eingelebt in Secunda und lese

l O: Leihbibliotek 4 Zu seinen Buchgeschenken vgl. Max Webers ausführlichen Bericht im Brief an Fritz Baumgarten vom 27. Dez. 1878, oben, S. 140. 5 Es handelt sich um: Curtius, Griechische Geschichte I–III (wie oben, S. 140, Anm. 10). 6 Boissier, Cicero und seine Freunde (wie oben, S. 140, Anm. 11). 7 Die Ausgabe ist nicht ermittelt. Die deutsche Erstausgabe erschien unter dem Titel: Scott, Walter, Das Herz von Midlothian oder der Kerker zu Edinburg. Vollständig in einem Bande (Walter Scott’s ausgewählte Romane. Übersetzt und herausgegeben von Carl Immer und Henry Clifford, Band 9). – Hamburg: Heubel 1842; engl. Originalausgabe: Scott, Walter, The Heart of Mid-Lothian, 4 vols. (A complete Edition of Waverley novels; 17–20). – Pest: Wigand 1832.

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mit Vergnügen Sallusts Catilina.8 Dieser Herr faßt die Welt in der That von einerm schwarz-pessimistischen Seite aus auf – Du fi ndest es vielleicht unpassend, daß ich das hochgelehrt-theologische Wort „pessimistisch“ in den Mund nehme, ohne seine Bedeutung genau zu kennen, aber ich verbinde einen ganz bestimmten Begriff damit, indem ich von dem Stamm des Worts ausgehe, – ich will also sagen, daß Sallust furchtbare Schattenseiten des römischen Lebens in jener Zeit ganz besonders beleuchtet, während gute Eigenschaften ganz verschwinden; diese Auffassung sieht man aus allen Reden und Briefen, die er componirt, heraus. Manchmal ermüdet er mit seinen Schilderungen den Leser, da er häufig dasselbe mehrmals sagt, nur in anderer Form, aber zuweilen ist er recht interessant, namentlich da man häufig eine Parallele ziehen kann zwischen den Verhältnissen jener Zeit, wie er sie schildert und zwischen den unsrigen heute, manchmal ist die Übereinstimmung ganz auffallend. Nebenbei betreiben wir auch Livius II.9 Doch schon ist es ziemlich spät und namentlich da ich mir manches für eine nächste, bald nachfolgende Epistel aufheben möchte, will ich jetzt schon schließen. Der Brief ist wieder nicht besonders lang geworden, aber ich denke, darauf wirst Du kein großes Gewicht legen. Über meine Beschäftigung will ich Dir im nächsten Brief, den ich Sonntag/Montag abzusenden denke,10 mehr schreiben. Herrn Simons herzlichen Glückwunsch so-

m O: einem 8 Über die Lektüre von Sallusts „De coniuratione Catilinae“ („Über die Verschwörung des Catilina“) äußert Weber sich bereits im Brief an Fritz Baumgarten vom 25. Oktober 1878, oben, S. 128 mit Anm. 6. 9 Das zweite Buch von Titus Livius’ Geschichte von Rom: „Ab urbe condita libri CXLII“ („Von der Gründung der Stadt an – 142 Bücher“). Auch dies hatte Weber, ebd., oben, S. 128 mit Anm. 7, schon mitgeteilt. 10 Da Max Weber an einem Sonntag schrieb, dürfte der darauffolgende Sonntag, der 26. Januar 1879, gemeint sein. Der nächste überlieferte Brief an Fritz Baumgarten, unten, S. 152–156, datiert allerdings erst vom 4. Februar 1879.

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wohl zu seiner Predigt11 als zur Genesung seines Bruders12 und der zu erwartenden Stelle in der Schweiz.13 Dein Dir treuer Vetter Max. 5

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postscr. Ich wollte Dich noch bitten, lieber Fritz, daß Du uns doch noch mehr von den hübschen kleinen Büchern des Herrn Pfarrer Riff14 schicken mögest, wenn nämlich noch welche existiren, sie machen uns große Freude.15 Verzeihe meine sehr flüchtige Schrift, ein andermal besser! valen.

n ave > vale 11 Eduard Simons, der 1877/78 mit Fritz Baumgarten zwei Semester in Berlin studiert hatte. Wie Ida Baumgarten ihrer Schwester Helene mitteilte, hatte der Theologiestudent am 10. Januar 1879 in der Straßburger Wilhelmskirche gepredigt (vgl. den Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 10. Jan. 1879, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 12 Gemeint ist sehr wahrscheinlich Eduard Simons jüngerer Bruder Max Simons. Immer wieder thematisierte Fritz Baumgarten in Briefen an seine Eltern dessen häufig wiederkehrende Krankheitsphasen (z. B. Brief von Fritz Baumgarten an Ida Baumgarten vom 3. Febr. 1878, ebd.). 13 Eduard Simons wollte im Frühjahr 1879 eine Vikarstelle in Zürich antreten, was sich allerdings zerschlug. Daraufhin ging er 1879 nach Göttingen (vgl. die Briefe von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 12. Dez. 1878, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe, sowie von Helene Weber an Fritz Baumgarten, undat. („Mittwoch früh“) [1879], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 14 Karl Friedrich Riff war Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde Ruprechtsau (heute: La Robertsau) im handwerklich geprägten Nordosten von Straßburg und der Schwager einer Straßburger Freundin von Ida Baumgarten (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 324). Riff verfaßte religiöse Volksschriften und beeindruckte Otto Baumgarten zufolge in seinen Predigten durch einen wenig akademischen „innigen Herzensglauben“ sowie eine äußerst undogmatische und schlichte „Auslegung der biblischen Geschichte“ (Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 36 f.). 15 Welche Schrift(en) Riffs die Familie schon aus Straßburg erhalten hatte, ist nicht ermittelt. Bis 1879 waren erschienen: Riff, Karl Friedrich, Der Sonntag: Ansprache an denkende Christen – Straßburg: Heitz 1874; ders., Die sieben Worte am Kreuz: Passionsbetrachtung, ebd. 1876; ders., Ein Jahr im Elsaß. Bilder aus dem Land- und Familienleben. – Straßburg: Bull 1876; ders., Der religiöse Liberalismus. Vortrag, gehalten zu Straßburg in der Kirche St. Nicolai, den 10. Januar 1876. – Zürich: C. Schmidt 1877.

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Fritz Baumgarten 4. Februar [1879]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 24–27 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Wie in seinen Briefen an Fritz Baumgarten vom 27. Dezember 1878, oben, S. 139–142, und an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dezember 1878, oben, S. 143–146, geht Max Weber auf verschiedene Bücher ein, die er als Weihnachtsgeschenk erhalten hatte.

Charlottenburg den 4 Februar. Lieber Fritz! Das waren schöne Wintertage, vorgestern unda gestern! Kalt, eisig kalt blies der Wind aus Nord-Ost und machte alles erstarren. Ja, in den letzten Wochen und Monaten ist der Nordostwind so stark gewesen, daß ein schöner großer Schneemann eine immer stärkere Neigungb nach Westen bekam und endlich zusammenstürzte. Am Sonntag unternahmen wir am Vormittag eine Schlittenpartie mit noch drei anderen Familien, worunter Hobrechts,1 durch den Grunewald. Oben auf Westend war der Sammelplatz. Die erste Station machten wir in Pichelsbergen2 und hatten dort das herrliche Schauspiel, die große Havel in ihrer ganzen, gewaltigen Breite zugefroren zu sehen. Der ganze große Wannsee, sämmtliche Seenc im Grunewald und wie gesagt, sämmtliche anderen Havelseend sind mit einer so starken Eisdecke überzogen, daß man ohne irgend ein Risiko vom Kaisergarten, jenem frequenten Restaurante an der Havel, in dem wir ja mehr als einmal gewesen sind, bis nach Pichelsbergen, und von einem Ufer des Wannsees bis zum anderen hinüberschreiten kann, daßf Leute mit großen Holzschlitten den Fluß an seiner breitesten Stelle überfahren können, was ihnen natürlich große Kosten und weite Umwege erspart. Während wir also uns im Kaisergarten restaurirten, sahen wir, wie ein Mann,g auf einem kleinen Stuhlschlitten sitzend |:auf einem gebahnten Wege,:| der über die Havel führte, seinen Schlitten mit Hülfe zweier a 〈k〉 b Neichung > Neigung c O: Seeen d O: Havelseeen Restaurant f 〈man die〉 g 〈auf einem gebahnten Wege,〉

e Restour >

1 Die Familie von Arthur Hobrecht und seiner Frau Emma Hobrecht, geb. Stampe. 2 Ein beliebtes Berliner Ausflugsziel an der Havel. Vgl. dazu auch die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 3. Sept. 1878, oben, S. 107, sowie an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. Sept. 1878, oben, S. 116.

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zugespitzter Stangen schnell über den Fluß hinwegstieß. Er kam sehr schnell vorwärts und gelangte so bequem ans andere Ufer. Dann fuhren wir wieder weiter, an Schildhorn vorüber, 3 dann links ab in den Wald und machten wieder Halt in Paulsborn, einem Wirthshaus am Wege von Charlottenburg nach Wannsee, welches an einem der vielen Grunewaldseenh gelegen ist.4 Wir sahen viel Wild, oft Rudel von 40–50 Stück, namentlich an den Futterplätzen. Gegen 3 Uhr kamen wir wieder nach Hause, ich allerdings an Händen und Nase so wie alle andern etwas erfroren, sonst aber in bestdenkbarster Verfassung und Stimmung. Am Sonnabend werde ich mit einem Freunde, 5 der mich zu sich eingeladen hat, in Freytagsi „Journalisten“ gehen.6 Sonst nichts bemerkenswerthes, außer daß wir vorigen Freitag hier ein Diner hatten und nächsten Freitag wieder eins haben werden, Thatsachen, die Dich wahrscheinlich sehr wenig interessiren werden. Wenn ich nun über unser sonstiges Leben Dir noch etwas schreiben soll, so gehe ich vom Allgemeinen aus. Zunächst muß ich also berichten, daß ich jetzt als Abendlectüre mit Mama zusammen W[alter] Scotts „Quentin Durward“ lese.7 Was ferner mich selbst betrifft, so habe ich mich in der ersten Zeit nach Weihnachten sehr in Curtius, „Griechische Geschichte“, vertieft, wie ich Dir wohl schon berichtet habe,8 wenn ich nicht irre. h O: Grunewaldseeen

i Freitags > Freytags

3 Eine in die Havel reichende Landzunge bzw. Halbinsel. 4 Das Restaurant im Forsthaus Paulsborn lag nahe beim Jagdschloß Grunewald (am Grunewaldsee), wo jeden November die sog. „Hubertusjagd“ des Hofes stattfand. 5 Welcher Freund gemeint ist, ist nicht sicher zu ermitteln. Laut einem Zusatz Helene Webers zu Max Webers Brief an Emilie Fallenstein vom 2. April 1879 (vgl. die Editorische Vorbemerkung, unten, S. 157) könnte es sich um einen Mitkonfirmanden handeln. Dort schrieb sie: „Maxens größter Gewinn aus der Zeit, scheint mir ein recht netter Mitconfirmant [!] zu sein, mit welchem er sich vorgenommen diesen Sommer öfter zusammenzukommen, was mich sehr freuen würde, da ihm das bisher immer gefehlt hat.“ Ebenso könnte es sich um den von Max Weber erstmals in der Karte an Helene Weber vom 6. August 1879, unten, S. 181, genannten Schulfreund Erdmann Pennmeyer handeln. Pennmeyer war aber kein Mitkonfirmand von Max Weber (Schriftliche Auskunft der Luisenkirchengemeinde Charlottenburg vom 27. Mai 2015). 6 Die Vorstellung von Gustav Freytags erfolgreichem Lustspiel (Freytag, Gustav, Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten. – Leipzig: Elbert 1853), das die Auseinandersetzung zwischen konservativem und liberalem Milieu in der Frühphase der Parteienbildung thematisiert, fand am Samstag, dem 8. Februar, im Berliner Schauspielhaus statt (Berliner Tageblatt, Nr. 65 vom 8. Febr. 1878, Stadtanzeiger). 7 Der Roman war ein Weihnachtsgeschenk gewesen. Vgl. den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dez. 1878, oben, S. 145 mit Anm. 11. 8 Im Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Januar 1879, oben, S. 149. Curtius’ dreibändige

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Ferner habe ich mich ganz außerordentlich viel mit V[ictor] Hehns „Kulturpflanzen und Hausthiere [“] beschäftigt, ein Buch, welches ich schon seit Anfang Dezember unter den Händen habe.9 Ich hatte mir im Sommer vorgenommen, es mitzunehmen und in Heidelberg durchzulesen,10 da aber alle Koffer zum Platzen voll waren, so mußte ich darauf verzichten. Da ich jetzt auch wenig Zeit dazu hatte, so kam ich mit der Lektüre nur sehr langsam vorwärts, zumal, da ich mir, was ich beim Lesen solcher Werke überhaupt gern thue, nebenbei während des Lesens viele sprachliche Excerpte machte. Ferner habe ich mich jetzt hinter Boissier’s Werk über Cicero gemacht.11 Dieser Mann lehnt sich zwar vielfach an Mommsen12 und Drumann13 an und beruft sich auch, namentlich in Bezug auf historische Thatsachen, oft auf den ersteren, jedoch ist seine Ansicht über Cicero ganz entgegengesetzt derjenigen jener beiden, da er Cicero durchaus von seiner guten Seite aus betrachtet. Der Hauptzweck des Buches scheint aber, wie auch der Titel angiebt, der zu sein, das Verhältniß Ciceros zu seinen Freunden darzustellen. Unter diesen ragen Atticus, Caelius, Caesar, Brutus und Octavius14 besonders hervor. Am genauesten und interessantesten ist das Verhältniß Ciceros zu Caesar und zu Octavianus geschildert. Als Einleitung ist eine Abhandlung über das Briefwesen in alter und neuer Zeit merkwürdig,15 namentlich auch durch die Prophezeiung, daß man bald nur noch auf dem Wege

Griechische Geschichte hatte Weber sich zu Weihnachten gewünscht (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 27. Dez. 1878, oben, S. 140 mit Anm. 10). 9 Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere (wie oben, S. 65, Anm. 19). 10 Max Weber hatte das Buch im Vorjahr zum Geburtstag geschenkt bekommen (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 23. und 24. April 1878, oben, S. 65). 11 Zu Boissier, Cicero und seine Freunde, äußerte Max Weber sich bereits im Brief an Fritz Baumgarten vom 27. Dez. 1878, oben, S. 140 mit Anm. 11. 12 In Mommsens „Römischer Geschichte“ hatte Max Weber nach eigenen Angaben (im Brief an Fritz Baumgarten vom 25. Okt. 1878, oben, S. 127) im Vorjahr über Cicero – demnach zumindest im Dritten Band – gelesen. Erschienen waren bis dahin: Mommsen, Römische Geschichte I–III (wie oben, S. 127, Anm. 3). 13 Drumann, Wilhelm, Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung, oder Pompejus, Caesar, Cicero und ihre Zeitgenossen. Nach Geschlechtern und mit genealogischen Tabellen, Theil 1–6. – Königsberg: Verlag der Gebrüder Bornträger 1834–1844. 14 Gaius Octavius bzw. Octavianus; der spätere Kaiser Augustus. 15 Dieser zeitübergreifende Vergleich der gesellschaftlichen und politischen Funktionen brieflichen Austauschs findet sich in der deutschen Ausgabe: Boissier, Cicero und seine Freunde (wie oben, S. 140, Anm. 11), in der Einleitung, S. 1–22, insbes. S. 2–8.

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des Telegraphirens einander schreiben werde.16 Allerdings wäre das gerade keine Änderung zum Bessern. Sehr genau sind auch Atticus und Caelius geschildert.17 Kurz, wenn das Werk auch nur ein geringes Volumen hat,18 so ist es doch überaus interessant namentlich zum Studium der letzten Zeit der Republik. Ich komme nun zu denjenigen Schriftstellern, die wir in der Schule lesen. Von diesen gefällt mir neben Homer die Darstellung der Catilinarischen Conjuration durch Sallust am besten.19 Es ist interessant zu sehen, wie doch die damaligen Menschen ebensogut wie wir alle laudatores temporis acti20 waren. Interessant sind namentlich die ersten Capitel, wo er zwar eingestehen muß, daß er selbst einst nicht besser gewesen, 21 dennoch aber der römischen Jugend gewaltige Strafreden hält, wie man sich zu verhalten und zu betragen habe. Es erinnert dies deutlich an die Manier der meisten heutigen Väter, welche auch alle jugendlichen Thorheiten verdammen, doch aber, und zwar mit nicht geringer Genugthuung, eingestehen, daß sie selbst es ebenso gemacht. Fast ironisch klingt es, wenn er den Cicero optimus ille consul22 und wer weiß wie sonst nennt, während er früher mit ihm die ärgsten Schimpfbriefe gewechselt hatte. Scheinbar als Gegengewicht dazu schiebt er ihm aber auch wieder ein gut Theil ziemlich gemeiner Intriguen in die Schuhe, z. B. die Angabe des Crassus alsj Theilnehmers am Staatsstreichek und mit großer Genugthuung erzählt er, daß Crassus selbst ihm häufig gesagt, Cicero habe ihn als Verschwörer verleumden lassen. Damit es aber nicht scheinen solle, als ob er gegen Cicero Partei nähme, erzählt er gleich darauf, j 〈Angebers〉

k 〈u.s.w.〉

16 Ebd., S. 7: „Ohne Zweifel wird bald an die Stelle der Post der Telegraph getreten sein; wir werden nur noch durch dies rasselnde Instrument, das Bild einer materiellen und eiligen Gesellschaft, und das in dem Stil, den es anwendet, etwas weniger als das Nothwendige zu geben sucht, Mittheilungen machen. Mit diesem neuen Fortschritt wird der Reiz der vertraulichen Correspondenz, der schon sehr gelitten hat, für immer verschwinden.“ 17 In jeweils eigenen Kapiteln, ebd., S. 129–168 (Atticus) bzw. S. 169–222 (Cälius – die römische Jugend zu Cäsar’s Zeit). 18 Boissiers Darstellung hat einen Umfang von immerhin 422 Seiten. 19 Gemeint ist Sallusts „De coniuratione Catilinae“ („Über die Verschwörung des Catilina“). Max Weber erwähnt die Schullektüre bereits im Brief an Fritz Baumgarten vom 25. Okt. 1878, oben, S. 128 mit Anm. 6. 20 Abwandlung aus Horaz’ „Ars poetica“, 173: „laudator temporis acti“ (Lobredner der vergangenen Zeit). 21 Weber dürfte sich hier auf das 4. Kapitel beziehen, in dem Sallust seine eigenen „Jugendsünden“, vor allem seinen jugendlichen Ehrgeiz, beschreibt. 22 Lat.: Jener beste Consul.

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wie Cicero sich von Catulus nicht habe zur Verleumdung des Caesar bewegen oder bestechen lassen und läßt dann den Caesar in seiner Rede ihn von neuem mit allerhand Ehrennamen überhäufen. Ob Sallust wirklich diesen Zweck hatte, will ich nicht sagen, aber ich habe durchaus das Gefühl so. Aus Livius mache ich mir nicht mehr viel, ich habe mehrere seiner späteren Bücher, namentlich über Hannibal, 23 gelesen; er ist nicht unparteiisch. Man sieht, wie er die Niederlagen seines Volks gegen die Etrusker und Latiner zu bemänteln und in unentschiedene Kämpfe zu verdrehen sucht. In der Lectüre des Vergil sind wir jetzt an der höchst interessanten und lebhaften Schilderung der Unterwelt angelangt, 24 schreiten aber nur langsam vorwärts. Soviel darüber. Im Übrigen bleibt noch zu bemerken, daß wir zwei ungeheure Schneemänner aufgerichtet haben, beide von fast doppelter Lebensgröße. Leider ist aber von unbekannter Hand dem einen derselben der Kopf entrissen worden und da es seitdem anhaltend friert, so ist es unmöglich gewesen, denselben wieder daraufzusetzen. Da steht er nun kopflos, droht aber nichtsdestoweniger mit seinem Stock. Es scheint jetzt wieder Thauwetter werden zu wollen, und dann wollen wir die Wunde des unglücklichen zu heilen suchen. Vorläufig ist alles noch mit einer dicken Eiskruste versehen, Teiche, Rinnsteine und Schnee. Von dieser allgemeinen Vereisung emancipirt sich nur der Canal und die Spree innerhalb Berlins, wo wahrscheinlich das viele Wasser, welches aus den Häusern in den Fluß fl ießt, durch seine Wärme die vollständige Vereisung hindert. Sonst passirt hier nichts gerade Bedeutendes und die Tage vergehen, wie immer, über Essen, Wachsein und Schlafen. Und da mir in der That gegenwärtig nichts Schreibenswerthes mehr einfällt, so will ich nur schließen. Viele Grüße an Herrnl Simons25 und Eure Familie.26 Dein treuer Vetter Max. l Si > Herrn 23 Gemeint sein dürfte das 21. Buch von Titus Livius‘ „Ab urbe condita libri CXLII“ („Von der Gründung der Stadt an – 142 Bücher“). 24 Über die Lektüre des 4. und 5. Buches von Vergils Aeneis hatte Max Weber im Brief an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, oben, S. 119 mit Anm. 17, berichtet. Der Gang in die Unterwelt und deren Beschreibung finden sich im 6. Buch. 25 Der mit Fritz Baumgarten gut befreundete Eduard Simons. 26 Die Familie von Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, in Straßburg.

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Emilie Fallenstein 2. April 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 58–59 Der Brief schildert Max Webers Konfirmation, die am 30. März 1879 durch Oberpfarrer Hermann Müller in der Charlottenburger Luisenkirche erfolgte (Konfirmandenregister der Luisengemeinde, Ostern 1879, Archiv der Luisenkirchengemeinde Charlottenburg). Im Anschluß an Max Webers Brief findet sich ein längerer Briefzusatz von Helene Weber (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 59), in dem sie die Konfirmationstage und ihre Geschenke an den Sohn näher beschreibt (zit. in Roth, Familiengeschichte, S. 205 f.).

Charlottenburg den 2. April 79. Nachmittags Liebe Großmama!

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Zunächst vielen, vielen Dank für Dein schönes Geschenk und für Deine freundlichen Zeilen.1 Ich hatte mich auf dergleichen absolut nicht gefaßt gemacht und war daher im höchsten Gradea überrascht, bei meiner Rückkehr nach Hause mit Geschenken, ich möchte fast sagen, überschüttet zu werden. Aus Bielefeld wurde mir eine Bibel zugeschickt, 2 Tiede’s3 schenkten mir Gustav Freytags „Bilder aus dem Mittelalter“4 etc. etc. Vielen Dank also, wie gesagt, für Deinen Brief und für Deinen Glückwunsch. Ich habe Dir nun noch verschiedenes aus unserem Charlottenburg zu berichten. Zunächst waren am Sonntag Tiede’s und Marie Albers bei uns, letztere begleiteten wir am Abend nach ihrer Wohnung zurück.5 Es war ein schöner Tag: während die Woche Regen und Kälte an der Tagesordnung gewesen warenb, durchbrach Sonntag Morgen die a Gerade > Grade

b O: war

1 Helene Webers Briefzusatz (ebd., Bl. 59) zufolge hatte die Großmutter Max Weber eine Uhr und ein „liebe[s] Briefchen“ geschickt. 2 Sehr wahrscheinlich von der Bielefelder Großmutter Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. 3 August Tiede und Helene Tiede, geb. Richter; die engen Erfurter und Berliner Bekannten der Familie Weber. 4 Gemeint ist der erste Band der 1859–1867 bei S. Hirzel in Leipzig in fünf Bänden erschienenen historischen Studien: Bilder aus der deutschen Vergangenheit, hg. von Gustav Freytag, Erster Band: Aus dem Mittelalter. – Leipzig: S. Hirzel 1859. 1878 war als 11. Auflage ein neuer Abdruck erschienen, 1879 die 12. Auflage. 5 Marie Albers, eine Freundin von Helene Weber und Ida Baumgarten, wohnte südlich des Tiergartens, am Lützow Platz 9.

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Sonne die Wolken und wirkte erwärmend auf Leib und Seele. Ich glaube nicht, daß ich den schönen Tag so bald wieder vergessen werde; die Confi rmation war überaus schön und feierlich, sie hat auf uns alle großen Eindruck gemacht. Der Spruch welchen ich erhielt, lautet: „Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist Gottes ist, da ist Freiheit!“6 Am Dienstag den 1ten April war dann das Abendmahl. Geradezu unangenehm warm war es heute, Mittwoch, während der Mittagszeit; 15–16° Réaumur7 im Schatten. Es schlägt hier jetzt alles mit Macht aus, Bäume und Sträucher sind mit einem leichten Grün überdeckt; es giebt einen schönen Frühling. Bei Euch in Heidelberg wird alles natürlich schon weiter fortgeschritten sein. Am Sonnabend beginnen wiederum die Osterferien8 und dauern bis zum 21ten April; ich hoffe nunmehr Obersecundaner zu werden, da ich in voriger Woche die Prüfungen einigermaßen überstanden habe.9 Von Fritz Baumgarten habe ich dieser Tage aus Florenz einen Brief erhalten,10 er schreibt sehr zufrieden mit dem Eindruck, den die Stadt mit ihren gewaltigen Palästen auf ihn gemacht hat, weniger zufrieden von den Kunstsammlungen, die er bisher gesehen11 und am wenigsten zufrieden von dem

6 2. Korinther 3, 17. 7 15–16° Ré entsprechen rund 18,5–20° Celsius. Bis zur Umstellung der amtlichen Temperaturmessung auf die Celsius-Skala 1901 war die Réaumur-Skala in Deutschland sehr verbreitet. 8 Freitag, der 4. April 1879, war der letzte Schultag, mit dem auch das Schuljahr endete. 9 Nach den Verordnungen für die höheren Schulen in Preußen waren ergänzend zu den im Unterricht erbrachten Leistungen mündliche und schriftliche Prüfungen als zusätzlicher Leistungsnachweis gestattet. Das Charlottenburger Gymnasium führte solche Prüfungen regelmäßig durch. Obligatorisch war eine Versetzungsprüfung beim Wechsel von der Unter- in die Ober-Sekunda. Seit 1877 berechtigte erst die Obersekunda-Reife zu einem verkürzten einjährigen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger (vgl. Die höheren Schulen in Preußen und ihre Lehrer. Sammlung der wichtigsten, hierauf bezüglichen Gesetze, Verordnungen und Erlasse, nach amtlichen Quellen hg. von Adolf Beier, 2. gänzl. durchgearb. und bedeutend vermehrte Auflage. – Halle a. S.: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1902, S. 131). 10 Fritz Baumgarten war zusammen mit seinem Vater Hermann Baumgarten nach Florenz gereist. Helene Weber schrieb ihm zu dieser Reise: „Also nach Florenz geht’s mit dem Vater? In mehr als einer Beziehung freut mich das, erstlich wird nun unsere Meinungsverschiedenheit wegen Originalen und Reproductionen nun doch wohl zu meinen Gunsten sich entscheiden und dann mit dem Vater Kunst und Natur zu genießen und zu besprechen neben noch manchem andern! Ei da gienge ich auch mit.“ (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten, undat. („Mittwoch früh“) [1879], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 11 Fritz Baumgarten studierte neben Philologie auch Archäologie und neuere Kunstgeschichte; ein Fach, in dem er sich später habilitierte.

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fortwährenden Regen, der ihn und seinen Vater12 dauernd an die Stube fessele. Ich bin im Begriff, ihm wieder zu schreiben13 und werde daher leider schon schließen müssen. Mit großem Erstaunen und großer Überraschung las ich unter Deinem Briefe einen Glückwunsch von Tante Marie Baumgarten, ich hatte noch gar nichts davon gehört, daß sie bei Dir sei:14 vielen Dank für ihre freundliche Gratulation und viele Grüße an sie. Auch Tante Henriette15 für ihren durch Mama mir übermittelten Glückwunsch vielen Dank. In der Hoffnung auf ein einstiges Wiedersehen Dein Dir treuer Enkel Max.

12 Hermann Baumgarten. 13 Ein Brief Max Webers an Fritz Baumgarten ist für diese Zeit nicht nachgewiesen. 14 Hermann Baumgartens Schwester, die in jungen Jahren auch längere Zeit im Haus von Emilie Fallenstein gelebt hatte (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 240). In ihrem Briefzusatz kommentierte Helene Weber (Bl. 59), diese Überraschung ihres Sohnes zeige, „wie zerstreut er oft ist, da wir selbst schon zusammen darüber gesprochen“. 15 Henriette Hausrath.

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Max Weber sen. 5. Juni 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 60 Die Karte ist adressiert an „Herrn Stadtrath Dr. Max Weber p. Adr. Frau Lucie Weber in Bielefeld“. Dorthin plante Max Weber sen., zu einem Besuch seiner Mutter zu fahren, nachdem er vom 3. bis 5. Juni 1879 an der 9. Jahrestagung des „Hansischen Geschichtsvereins“ in Münster teilgenommen habe (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 5. Juni 1879, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

Charlottenburg 5. Juni 1879. Lieber Papa! Ich muß heute Mamas Stelle vertreten, da in dem Augenblick, wo sie sich zum Schreiben niedergesetzt hatte, Tante Albers1 bei uns eintrafa, die augenblicklich noch da ist. Wir werden jetzt gleich Thee trinken und wollen sie dann zu Hause bringen.2 Auf dem Rückweg werden wir bei „Julian’s“ vorsprechen, da ja Frau Schmidt morgen verreist.3 Dienstag Nachmittag waren wir auf dem Kirchhofe, das Grab ist im ganzen ordentlich gehalten,4 wir brachten eine Rose dahin. Mittwoch Nachmittag waren die Jungens5 im zoologischen Garten und Mama bei Tiedes,6 von wo sie Abends ziemlich spät zurückkehrte. Heute, wo also die Schule wieder in ihr Recht eintrat,7 ist nichts besonderes passirt, ich habe einen excellenten deutschen Aufsatz und ein excellentes griechisches Scriptum geliefert, hoffe heute ein ebenso gutes lateinisches zu liefern. Wir sind natürlich alle wohl und gesund, Du selbstverständlich auch, ich denke, Du wirst jetzt, wo ich dies schreibe, in

a Alternative Lesung: eintrat 1 Helene Webers Freundin Marie Albers. 2 Marie Albers wohnte etwas entfernt, am Lützow Platz, südlich des Tiergartens. 3 Julian Schmidt und seine Frau Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld. 4 Gemeint sein dürfte das Grab von Max Webers Ende 1877 an Diphterie verstorbener Schwester Helene (Helenchen). 5 Wohl die nächstjüngeren Brüder Alfred und Karl Weber. Arthur Weber war erst gut zwei Jahre alt. 6 Das befreundete Ehepaar August Tiede und Helene Tiede, geb. Richter. 7 Max Weber schrieb in der Pfingstwoche; der 5. Juni 1879 war Donnerstag nach Pfingsten.

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Soest sein, wo es recht interessant sein muß.8 Viele Grüße von uns allen und von Tante Albers. Dein treuer Sohn Max.

8 Bezug unklar. Die genaue Reiseplanung von Max Weber sen. ist nicht dokumentiert.

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22. Juni 1879

Helene Weber 22. Juni 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 63–64 Nachfolgenden Brief schrieb Max Weber nach Heidelberg, wohin seine Mutter im Juni mit den beiden jüngsten Geschwistern Clara und Arthur gefahren war, nachdem sie von dort schlechte Nachrichten über den bereits seit längerem schwachen Gesundheitszustand ihrer Mutter, Emilie Fallenstein, erhalten hatte. Nach eigenem Bekunden wäre sie gerne schon früher nach Heidelberg gereist, hatte mit der Fahrt aber aus Rücksicht auf ihren Mann und gesellschaftliche Verpflichtungen noch gewartet. Sie plante, bis Ende Juli in Heidelberg zu bleiben (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 5. Juni 1879, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; auch abgedruckt in: Roth, Familiengeschichte, S. 519 f.). Im eingangs erwähnten Brief Alfred Webers vom 22. Juni 1879 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 61) berichtete der jüngere Bruder Helene Weber ebenfalls kurz über die erste Schwimmstunde in einem „Schwimmbassin“ in der Berliner Lützowstraße (dem Kaiser-Wilhelms-Bad). Ausführlicher schilderte er den samstäglichen Ausflug nach der Hundekehle – einem Restaurant am gleichnamigen See im Grunewald –, wo sie nach langem Warten „ganz ausgezeichnete Erdbeerbole und Käsebutterbrod“ konsumiert hätten.

Charlottenburg den 22 Juni 1879 Liebe Mama! Zwar kann ich Dir heute, das merke ich schon, nicht viel schreiben, aber etwas ist besser als gar nichts. Alfred wird Dir vermuthlich alles sehr ausführlich geschrieben haben, was wir in den letzten Tagen vorgenommen haben und ich kann mich daher kurz fassen. Mittwoch Abend blieben wir bei Kapps1 kleben, trotzdem wir eigentlich noch zu Rösings2 wollten. Donnerstag blieben wir zu Haus, ebenso Freitag. Nur Sonnabend machten wir eine längere Tour – Spaziergang sage ich wohl besser, denn es ging nur bis Hundekehle. Karl hatte wieder den ganzen Tag bei Herrn Krätke gesessen, 3 konnte daher nicht mit. Wir bekamen in dem – übrigens hübsch gelegenen und überhaupt sehr hübschen – Restaurant Hundekehle nach halbstündlichem Warten und 1 Die Familie von Friedrich Kapp und seiner Frau Luise Kapp, geb. Engels. 2 Die Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon. 3 Ob es sich um einen privaten Besuch oder eine schulische Angelegenheit handelte, ist unklar. Vorschullehrer Franz Krätke war Karl Webers Klassenlehrer am Charlottenburger Gymnasium, zugleich war Karl im Sommer 1878 längere Zeit beim Ehepaar Krätke in Pension gewesen. Im August 1879 suchte Karl seinen Lehrer Krätke dann allerdings regelmäßig auf (vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Aug. 1879, unten, S. 184 mit Anm. 16).

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langem vergeblichen Gebrüll: „Kellnoeer, Kellnoeer!“ endlich eine sehr comfortable – um so zu sagen – Erdbeerbowle und andere dergleichen Herrlichkeiten, hielten uns auch bis nach 9 Uhr dort auf, so daß wir erst um 10 Uhr zu Hause kamen, ziemlich ermüdet. Heute habe ich denn angefangen Schwimmstunde zu haben, esa ging zwar nicht gleich zuerst, wird sich aber schon machen. Alfred hat, denke ich, Dir das nähere schon erzählt. Ich vermisse jetzt Clara und Arthur hier sehr,4 manchmal, wenn ich, wie jetzt, hier unten in meiner Stube sitze, glaube ich ihr fröhliches Geplärr draußen im Garten zu hören, aber es ist die Charlottenburger Straßenjugend, die mir diese angenehm-unangenehmen Täuschungen bereitet. Das Haus kommt mir jetzt immer wie ausgestorben vor – es ist doch viel, wenn man denkt, was so ein par kleine Lungen für einen Lärm anrichten – freilich bemüht sich Alfred, denselben durch seine eigene Hahnenstimme zu ersetzen. Sonst geht es ja gut, wir gehen in die Schule, machen Unsinn und leben, wie geschmiert, ruhiger, wenn man so sagen soll – idyllischer ist es hier geworden – wenn überhaupt Charlottenburg poëtische Schätze, – idyllische Schätze in sich birgt: und davon muß man ja als guter Schlorrendorfer5 schon aus Patriotismus überzeugt sein. Ich für mein Theil allerdings zöge es doch vor, bei Euch in Heidelberg unter Lärm und Skandal zu sitzen, als hier in Charlottenburg in poëtischer Ruhe: „Doch der Mensch hofft immer Verbesserung“, sagt Schiller.6 Interessant ist es allerdings hier allein zu Hause nicht eben: ich schwärme nicht, ich dichte nicht, was soll ich also anfangen als lesen, und das besorge ich allerdings auch, aber darüber ein ander Mal. – Dieser Mensch, dieser sogenannte Fritz Baumgarten pp. hat mir noch immer nicht auf meine letzten zwei langen, dicken, fetten Briefe geantwortet:7 ich will doch hoffen, daß er sie gekriegt hat, hat er Dir a 〈f〉 4 Helene Weber hatte den gut zweijährigen Arthur und die knapp vierjährige Clara mit nach Heidelberg genommen. 5 Eine bis heute benutzte Verballhornung für Charlottenburger bzw. Charlottenburg („Schlorrendorf“). 6 Schlußzeile der ersten Strophe von Friedrich Schillers Gedicht „Hoffnung“ (1797), in: Schillers Werke I (wie oben, S. 54, Anm. 7), S. 401, v. 6. 7 Es dürfte es sich um zwei nicht überlieferte Briefe an den Cousin handeln. Im Brief an Emilie Fallenstein vom 2. April 1879, oben, S. 158 f., erwähnt Max Weber, er sei im Begriff, Fritz Baumgarten auf einen Brief aus Florenz zu antworten. Aus einem Brief Helene Webers

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vielleicht schon geschrieben? Sollteb ihm bei seinem „concentrirten“ Arbeiten nicht Zeit übrig bleiben, ein signum vivendi, ein Lebenszeichen von sich zu geben? Ich will ihm, wenn mirc ein lateinischer Aufsatz, der gerade wieder in die Quere kommt, mir Zeit dazu läßt, in dend nächsten Tagen noch einmal schreiben; 8 antwortet er nicht – – nun so läßt er es bleiben und wir sind – natürlich nur im Bezug auf die Correspondenz – quitt. Ich kann ja freilich nicht verlangen, daß er mir auf jeden Brief antwortet, wenigstens aber könnte er es auf jeden zweiten thun. Oder: – – wenn er nun – eben fällt mir das ein, – – wenn er nun gar auf Verlobungsgedanken gekommen wäre??! Freilich steht das bei einer so gesetzten Natur wie bei ihm nicht zu erwarten – es war nur ein Gedanke, eine etwas komische Idee. – – Wie könnte er denn auch, jetzt, wo er noch lange nicht an eine feste Stellung denken kann.9 Aber eben ruft mich Papa zum Thee und ich breche daher ab. Viele Grüße an sämmtliche Tanten und Vettern,10 auch – vor allen Dingen – an die Großmama,11 der es ja, wie ich mit Vergnügen höre, wieder recht gut geht, und an Dich von uns allen. Dein Sohn Maximilian

b O: sollte

c 〈nicht〉

d 〈Nä〉

an Fritz Baumgarten vom 5. Juni 1879 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) geht hervor, daß Max Weber seinem Cousin an Pfingsten einen Brief geschrieben hatte, der – so Helene Weber – „allerdings recht unbedeutend war“. Erklärend heißt es wenig später in einem Brief Ida Baumgartens: „Also Fritz antwortet dem Max so lange nicht? Ja er muß eben nachholen u. nun nach Stiftungsfest etc. sehr fleißig sein.“ (Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 1. Juli 1879, ebd.). 8 Ein Brief von Max Weber an Fritz Baumgarten von Ende Juni 1879 ist nicht nachgewiesen. 9 Fritz Baumgarten war noch im Studium. Er verlobte sich erst im Frühjahr 1885, nach Abschluß der Promotion, einem längeren Auslandsaufenthalt und dem Ende seiner Zeit als Lehramtsanwärter, mit Else Georgii. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 20., 22. und 23. April 1885, unten, S. 507 mit Anm. 11. 10 Max Webers Tanten und Vettern der Familien Hausrath, Benecke und Baumgarten in Heidelberg bzw. Straßburg. 11 Emilie Fallenstein, geb. Souchay.

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Helene Weber 14. Juli 1879; Erfurt Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 65 Diese und die folgenden Karten an Helene Weber vom 15., 21. und 22. Juli 1879, unten, S. 167–172, schrieb Max Weber von einer neuerlichen Sommerreise mit dem Vater und seinen Brüdern Alfred und Karl. Wie in den Jahren zuvor besuchte Max Weber sen. mit seinen älteren Söhnen kulturell bzw. (natur-)historisch interessante Reiseziele. Wie im Vorjahr machten sie auch in Erfurt Station. Anschließend fuhren sie über Kassel an Rhein und Mosel, über Trier, Luxemburg und die Schlachtfelder von 1870 nach Heidelberg. Dort trafen sie Helene Weber, die sich wegen des schlechten Gesundheitszustands ihrer Mutter seit Juni mit den beiden jüngsten Kindern in Heidelberg aufhielt.

Erfurt, Karthäuser Ufer No 6. den 14. Juli 1879. Nachmittags.

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Hier im heimathlichen Hause, bei Frau Mons,1 sitze ich, um Dir ein paar Zeilen zuzusenden. Eigentlich hatte ich bei dem anhaltenden Regenwetter gedacht Zeit zu haben, Dir einen fi ngerdicken Brief schreiben zu können – auch die Jungens2 sollten schreiben – aber das Wetter hatte sich, als wir gegen 2 Uhr hier her kamen, doch aufgeklärt, so daß wir sofort Frau Mons zu einem Spaziergang auf den Steiger abholten.3 Von dort zurückgekehrt, blieben wir drei bei Frau Mons, während Papa in die Stadt zu Herrn Brehme4 ging. Aus allen diesen Gründen mußt Du Dich mit einer Postkarte begnügen. Frau Mons will uns hier zu Abend traktieren und nach dem Abendbrod holt uns möglicherweise Papa ab. Es ist recht unangenehm, daß das Wetter jetzt durchaus nicht constant werden will, alle 5 Min. beginnt es wieder zu platschen. So ist uns leider gestern Weimar etwas verregnet, aber wir haben uns wenig daran gekehrt und sind noch spät Abends nach dem 3 /4 St. oder mehr entfernten Belvedere gelaufen.5 Heute Morgen haben wir uns

1 Das Haus der Erfurter Familie Mons, am Karthäuserufer Nr. 6 (ehemals Nr. 43b), in dem die Familie Weber in ihrer Erfurter Zeit gewohnt hatte. Die mittlerweile verwitwete Emma Mons, geb. Mierendorf, war Alfred Webers Taufpatin. 2 Die Brüder Alfred und Karl Weber. 3 Eine Anhöhe bei Erfurt mit Ausflugsrestaurant. Schon beim letzten Erfurtbesuch hatte Max Weber sen. mit seinen Söhnen dorthin einen Ausflug unternommen (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 9. Juli 1878, oben, S. 79 mit Anm. 11). 4 Sehr wahrscheinlich Dr. Eduard Adolph Brehme, Arzt am evangelischen Krankenhaus und Mitglied der Städtischen Armenkommission in Erfurt. 5 Das Schloß Belvedere, auf einer Anhöhe südlich von Weimar gelegen. Ernst August von Sachsen-Weimar und Eisenach hatte das Barockschloß als Sommerresidenz erbauen lassen.

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dann den Rest Weimars angesehen [,] worüber wahrscheinlich Papa schon berichtet hat. Hier in Erfurt ist augenblicklich großer Scandal, es wird hier, glaube ich, ein neuer Circus gebaut, eine Menagerie soll ankommen,6 kurz, der populus ist in Aufregung. Jetzt allerdings, am stillen Karthäuser Ufer, merkt man davon wenig. Icha bin hier allein, bFrau Mons ist im Hofe und die Jungens sind mit dem Mädchen7 fort, um – Krebse zu unsrem Abendbrod zu holen. Es liegt eine gewisse feierliche Stille über meinemb cGeburtshause. Doch ich will, des Raumes wegen, schließen. Viele Grüße von Frau Mons. Dein Sohn Maximilianc

a Iich > Ich rand.

b–b Zusatz am rechten Kartenrand.

c–c Zusatz am linken Karten-

6 Max Weber dürfte sich auf das in der Stadt groß angekündigte zweitägige Gastspiel des englischen Circus George Sanger am 17. und 18. Juli 1879 in Erfurt beziehen. Geworben wurde besonders für die Menagerie dieses „grösste[n] Etablissements der Welt“: „In 47 Wagen“, so eine Meldung der Thüringer Zeitung, „führt Herr Sanger eine vollständige Menagerie mit, die Tiger, Löwen, Bären, Kängurus, Vögel, etc. enthält und einen Trupp dressirter Elephanten“ (Thüringer Zeitung (Erfurt), Nr. 160 vom 12. Juli 1879, Lokales, S. 3; sowie die Anzeige des Circus, ebd., Nr. 161 vom 13. Juli 1879, S. 3). 7 Gemeint sein dürfte das Dienstmädchen von Emma Mons.

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Helene Weber 15. Juli 1879; Wilhelmshöhe bei Kassel Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 66 Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen Söhnen Max, Alfred und Karl vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 14. Juli 1879, oben, S. 165.

Wilhelmshöhe bei Cassel, den 15. Juli 1879. Abends gegen 10 Uhr Liebe Mama!

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Ich vertrete heut Papas Stelle, der keine Lust hat zu schreiben. Wir haben eben zu Abend gegessen, jetzt sitze ich hier in einem picfeinen Salon, die Jungens sind zu Bett. Wir sind heute um 2 Uhr hier angekommen – vorher sind wir noch in Erfurt umhergelaufen, haben auch noch einen Abschiedsbesuch bei Frau Mons gemacht – haben uns sogleich Cassel von allen Seiten, bei Sonnenschein, Regen und Gewitter inwendig und auswendig besehen, und sind dann mit einem Dampftramway hier heraufgefahren.1 Von der Geschwindigkeit dieser Tramways hatte ich gar keinen Begriff, sie sticht vortheilhaft ab von der – allerdings erklärlichen – Bummelei der Charlottenburger Pferdebahnen; sie scheinen überhaupt Berg auf ebenso schnell wie bergab zu fahren [.] Also, wie gesagt, wir fuhren hierher und kamen gegen 7 Uhr hier |:oben:| an. Wir machten sofort einen Spaziergang um das Schloß und durch den wunderschönen Park, 2 den Du ja kennst. Morgen, Dienstag den 16. Juli, werden hier die Wasser springen3 und aus diesem Grunde werden wir vielleicht noch bis morgen Abend hier bleiben. Der Park ist, wie gesagt, herrlich, ich könnte mir keinen schöneren vorstellen, die uralten, wunderschönen Eichen und Linden in Verbindung mit dem frischen, jungen Buchenwald machen einen angenehmen Gegensatz zu dem fi nstren Fichtenwald, der höher oben am Berge thront.

1 Die von einer speziellen Dampflok angetriebene Straßenbahn von Kassel nach Wilhelmshöhe war die erste „Dampftramway“ in Deutschland. Sie war im Sommer 1877 in Betrieb gegangen. 2 Das Schloß Wilhelmshöhe hatte der spätere Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel Ende des 18. Jahrhunderts erbauen lassen. Berühmtheit erlangten die ständig ausgebauten Parkanlagen auch durch ihre lange Kaskadenanlage mit zahlreichen Wasserbecken und Fontänen (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 346 f.). 3 Die große Fontäne vor dem Schloß war mit 60 Metern eine der höchsten in Europa (ebd., S. 347).

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Auch die Löwenburg4 und den Herkules5 werden wir morgen besuchen. Von hier aus fahren wir nach Marburg, von dort nach Wetzlar. Du bist, wie ich höre, in Straßburg gewesen,6 und noch dazu mit Clara, das muß amüsant gewesen sein! Fritz habe ich geschrieben und denke ihm morgen von hier nochmals zu schreiben.7 Die Jungens, die sich in den ungewohnten a Federbetten wälzen, lassen grüßen. Papa will, höre ich eben, auch noch schreiben [.] Demnacha bschadet es also nicht, wenn der Brief etwas zusammengekleistert ist. Viele Grüße. Dein Sohn Maximil[ian] b

a–a Zusatz am rechten Kartenrand.

b–b Zusatz am linken Kartenrand.

4 Das 1793 ebenfalls von Kurfürst Wilhelm I. im Stil einer Ritterburg errichtete Lustschloß, im Süden des Parks gelegen (ebd., S. 346). 5 Die über 8 Meter hohe Herkulesstatue auf dem „Riesenschloß“ oder „Oktogon“, mit Blick auf die gesamte Parkanlage (ebd.). 6 Über den Besuch bei ihren Schwestern Emilie (Nixel) Benecke und Ida Baumgarten in Straßburg hatte Helene Weber in einem Brief ausführlich berichtet (Brief von Helene Weber an Max Weber sen., undat. „Montag“ [14. Juli 1879], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 7 Briefe oder Karten an Fritz Baumgarten sind von dieser Reise nicht nachgewiesen.

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Helene Weber 21. Juli 1879; Bad Bertrich Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 67 Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen Söhnen Max, Alfred und Karl vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 14. Juli 1879, oben, S. 165. Die seit der Karte an Helene Weber vom 15. Juli 1879, oben, S. 167 f., besuchten Reisestationen sind nicht dokumentiert.

Bad-Bertrich, Montag d. 21 Juli 79 Abn. Liebe Mama!

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Heute haben wir uns vom Vater Rhein getrennt, um uns seine Tochter Mosella anzusehen. Per Bahn bis Stat[ion] Bullay gefahren,1 gingen wir über die Klosterruine Marienburg2 hierher nach dem sehr hübsch im Gebirge gelegenen Bad Bertrich.3 Hierselbst nahmen wir zunächst die Umgegend in Augenschein, welche einen sehr schönen und hohen Wasserfall aufzuweisen hat,4 besahen uns dann den Ort selbst und die winzigea, im Schweizerstyl erbaute evangel. Kirche und nun sitzen wir hier nach Beendigung einer table d’hôte5 in unserm Hotel am Tisch. An Fritz Baumgarten, der uns heute morgen drei dichterische Briefe geschickt hatte, habe ich eben eine wehmüthige Postkarte abgesandt,6 in der Hoffnung, er werde sich sehr geschmeichelt fühlen, uns durch die Trennung von ihm in solche Verzweiflung versetzt zu haben. Das – leider kurze – Zusammenleben mit ihm war übrigens wirklich sehr hübsch7 und wir waren sehr betrübt, als wir auseinandergingen. Wie

a einzige > winzige 1 Die Bahnstation Bullay direkt an der Mosel. 2 Die mittelalterliche Klosterruine auf dem Petersberg, in der Moselschleife bei Zell, galt nach Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 217, als einer der schönsten Aussichtspunkte an der Mosel. 3 Bad Bertrich, ein etwas abseits der Mosel gelegenes kleines Kurbad (ebd., S. 218). 4 Der 15 Meter hohe Wasserfall bei der Elfengrotte liegt etwas außerhalb des Ortes. 5 Komplettmenü zu einem Fixpreis. 6 Die Karte ist nicht nachgewiesen. 7 Sie hatten Fritz Baumgarten um den 19. Juli in oder bei Bonn getroffen, wo er seit April 1879 studierte. Helene Weber schrieb ihrem Neffen zu diesem Treffen aus Heidelberg: „Heut werden sie denk ich mir bei Dir wohl sein und[,] wenn Du es möglich machen kannst[,] ein bischen mit Dir laufen. Gern wär ich auch dabei und sähe Dich mal in Deinem flotten Studentenleben“ (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 19. Juli 1879, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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ich sehe, läßt mich der Raum im Stich, daher muß ich „lebewohl“ und „viele Grüße“ sagen. Ein ander Mal mehr. D. S. Maximil[ian]

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Helene Weber 22. Juli 1879; Bernkastel Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 68 Zur Reise von Max Weber sen. mit seinen Söhnen Max, Alfred und Karl vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 14. Juli 1879, oben, S. 165.

Berncastel a /Mosel Dienstag d. 22. Juli 79 Abends Liebe Mama!

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Schändlicher, dreimal schändlicher Regen hat uns heute den ganzen Tag verfolgt, seitdem wir das Dampfschiff bestiegen, welches uns Mosel-aufwärts nach Trarbach führte. Heute Morgen besahen wir uns noch das Kurhaus und die heißen Bäder in Bertrich,1 liefen dann resp. fuhren theilweise unter beginnendem Regen nach Alf an der Mosel und dampfschifften von dort nach Trarbach, einer kleinen, alten Stadt an der Mosel, denn weiter ging das Dampfschiff nicht.2 Hier in Trarbach erregten wir großes Aufsehen und das jüngere Publicum strömte uns nach bis vor ein Wirthshaus, wo wir Station machten [.] Hier hörte der Lärm nicht auf, da die Jungens mit Knüppeln u. Schirmen aus den Fenstern demonstrierten, erst nach und nach verlief sich der Tumult. 3 Hier bot sich uns ein junger Mensch an, uns auf guten Wegen nach Berncastel zu führen [.] Aber was für „gute Wege“ waren das. 1 1/ 2 Stunden, erst steil bergauf, dann noch steiler bergab liefen wir im Bette eines zolltiefen Baches, denn der ganze Weg war nur ein Bach.4 Natürlich fielen die Jungens mehrmals hin und es ist ein Wunder, daßa wir nicht ganz durchnäßt hierhergekommen sind. Jetzt sitzen wir hier in Erwartung unsres Abendessens bei einer Flasche vom Hiesigen.5 Mor-

a O: das 1 Zum Kurort Bad Bertrich mit seinen alkalischen warmen Quellen vgl. bereits die Karte Max Webers an Helene Weber vom 21. Juli 1879, oben, S. 169 mit Anm. 3. 2 Wegen zu niedrigen Wasserstandes mußten die Fahrten auf der Mosel oft eingestellt werden (vgl. Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 215). 3 Sachverhalt unklar. 4 Der rund 8 Kilometer lange direkte Fußweg zwischen Trarbach und Bernkastel führt über zwei Anhöhen. 5 Möglicherweise ein „Berncasteler Doctor“; nach dem Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 216, ein „geschätzte[r] Wein“.

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gen geht es, sei es per Dampfschiff oder per Eisenbahn, nach Trier, wo wir Nachricht zu fi nden hoffen. Hiermit lebe wohl. D. S. Maximilian

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Fritz Baumgarten 29. Juli 1879; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 28–29 Im Anschluß an Max Webers Brief finden sich (ebd., Bl. 29) ein kurzer Gruß von Alfred Weber und eine längere Nachricht Helene Webers an Fritz Baumgarten. Neben Grüßen nach Straßburg notierte sie dort den am Briefende erwähnten Liedtext, um den Fritz Baumgarten sie gebeten hatte. Zur beschriebenen Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom 14. Juli 1879, oben, S. 165.

Heidelberg Dienstag den 29 Juli 1879 Morgens. Lieber Fritz!

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Meine letzte Postkarte aus Trier wirst Du wohl bekommen haben,1 ich nehme daher keinen Anstand einfach mit der Erzählung der folgenden Begebenheiten zu beginnen. Von Trier fuhren wir mit einem greulichen Bummelzug nach Luxemburg. Allerdings verloren wir durch den Aufenthalt dort einen ganzen Nachmittag, aber da man doch sonst vielleicht im Leben nicht nach Luxemburg kommt, so mußten wir es uns schon besehen. Übrigens ist dort nicht viel los, nur daß die Stadt sehr hübsch und interessant liegt. Von Luxemburg fuhren wir nach 1stündigem Aufenthalt nach Metz. Am andern Tage Morgens ging es auf’s Schlachtfeld des 18. August.2 Zuerst mit der Eisenbahn bis Amanvillers, 3 dann von dort zu Fuß durch die französische Aufstellung nach St. Privat. Es ist doch unglaublich, daß die französische Armee diese Aufstellung aufgab und noch unglaublicher, daß es den Deutschen geglückt ist, überhaupt nur Truppen nach St. Privat hinaufzubringen,4 1 Die Karte ist nicht nachgewiesen. Der Aufenthalt in Trier war am 23. Juli 1879 (vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 22. Juli 1879, oben, S. 172). 2 Im Deutsch-Französischen Krieg fand am 18. August 1870 westlich von Metz die Schlacht bei Gravelotte (in Frankreich: Bataille de St. Privat) statt (3. Schlacht um Metz). Nach ersten Erfolgen Anfang August hatten die deutschen Truppen der französischen Rheinarmee am 16. August bei Mars-la-Tour (Vionville) den Rückzugsweg Richtung Verdun abgeschnitten und stellten sie bei Gravelotte/St. Privat. Nach schweren Kämpfen unter beiderseits großen Opfern zog der Befehlshaber der Rheinarmee, Marschall François Achille Bazaine, seine Truppen nach Metz zurück, wo sie später eingeschlossen wurden und im Oktober kapitulieren mußten. 3 Das Örtchen liegt in einem Tal ungefähr im Zentrum des damaligen Schlachtfeldes, das sich von St. Privat im Norden bis Gravelotte im Süden erstreckte. 4 Auf der Höhe St. Privat-la-Montagne stand der rechte Flügel der französischen Truppen.

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nicht etwa weil der Weg sehr steil ist, sondern wegen seiner Länge und weil das Terrain rund um St. Privat durch einige dort aufgefahrene Batterien vollständig zu bestreichen und zu rasiren ist: die ganze Gegend bis hinab nach Ste. Marie aux Chênes5 – ich setze voraus, daß Du das Schlachtfeld kennst – ist eigentlich als Glacis von St. Privat zu betrachten. Von St. Privat aus also gingen wir nach Ste. Marie auxChênes, von dort über Habonville nach Verneville, von da endlich über la Malmaison nach Gravelotte. So hatten wir immer die französische Aufstellung auf den Höhen zur linken, die deutsche zur rechten Hand. In Gravelotte erquickten wir uns un peu, gingen dann über St. Hubert, le Pointa du jour, Rozérieullesb nach Moulins.6 Furchtbar schwer muß den Deutschen auch die Erstürmung der Höhen von Gravelottec, von St. Hubert geworden sein, denn hier sind die Hügel festungsartig steil und leicht in Wälle zu verwandeln.7 Auch stehen hier die Gräber, die Kreuze besonders dicht.8 Le point du jour wurde ja überhaupt nicht genommen, sondern erst am 19. von Bazaine geräumt.9 Von Moulins per Tramway nach Metz zurück, kletterten wir hierselbst auf die Kathedrale und in dieselbe – der Bau ist gar nicht zu verachten. Von da ging es am Abende nach St. Johann-Saarbrücken.10 Ohne uns dort groß umzusehen, fuhren wir den andern Morgen nach Neustadt a /Haardt11 und nach einstündigem Aufenthalt dort nach Dürk heimd. a point > Point heim

b O: Rozerieuilles

c Gravellotte > Gravelotte

d O: Dürck-

Da das ansteigende Gelände für die deutschen Truppen extrem ungünstig war, gelang die Einnahme der Höhe erst nach schwersten Kämpfen und Verlusten am Abend des 18. August 1870. 5 Von Sainte-Marie-aux-Chênes aus waren zwei deutsche Brigaden auf St. Privat-laMontagne vorgerückt. 6 An allen genannten Punkten befanden sich 1870 französische Stellungen. 7 Auch im Süden des Schlachtfeldes hatten seit Mittag am 18. August 1870 schwere Kämpfe unter massivem Artillerieeinsatz stattgefunden. Deutsche Truppen nahmen dort zunächst das auf einem Plateau gelegene Gravelotte und nachmittags das Gehöft St. Hubert ein. Versuche, auch die auf einem Höhenrücken befindlichen französischen Stellungen von Point du Jour zu erreichen, scheiterten unter furchtbaren Verlusten auf beiden Seiten. 8 Eine Schlachtfeldbeschreibung des Baedeker (Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 205 f.) notiert zu dieser Stelle: „Zahlreiche Denkmäler der verschiedenen Regimenter bezeugen die Heftigkeit des Kampfes“ (ebd., S. 206). 9 Wie oben, Anm. 7. Marschall Bazaine, Befehlshaber der Rheinarmee, gab die noch gehaltenen Stellungen im Zuge des allgemeinen Rückzugs nach Metz auf. 10 Im heutigen Saarbrücker Stadtteil St. Johann lag der zentrale Eisenbahnknotenpunkt Richtung Trier, Saargemünd und ins Elsaß (Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 201). 11 Gemeint ist das heutige (1936 umbenannte) Neustadt an der Weinstraße.

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Von da aus gingen wir auf die Hardenburg12 und Limburg13 und fuhren am Nachmittage nach Worms. Dort wurde die Kathedrale besehen und das Lutherdenkmal:14 – famos – dann an den Rhein und über die Liebfrauenkirche15 zurückgespaziert, am andern Morgen ging es nach Ludwigshafen. Dort und in Mannheim –: nicht viel zu holen – blieben wir 5 /4 Stunden und fuhren dann nach Heidelberg. In Mannheim war übrigens, weil dort das rheinische Musikfest ist,16 alles geflaggt, das gab der langweiligen Stadt einen interessanten Anstrich.17 Hier in Heidelberg sind wir dann gleich gestern Abend nach der Stiftsmühle18 gegangen, dann bei hellem Mondenschein am Neckar zurück nach Hause. Wir logiren mit Ausnahme der Kleinen19 incl. Karl, die bei Beneckes sind, 20 unten bei Ebels21 und haben heute ein famoses Frühstück oben auf dem Balcon eingenommen. Der Großmutter22 scheint es jetzt gut zu gehen, sie liegt zwar meist zu Bett, befi ndet sich aber nicht eben schlecht und erkannte auch Papa sogleich gestern an der Stimme, worauf sie ihn hereinrufen ließ. Heute war sie sogar mit ihm auf dem Bal-

12 Eine Schloß- bzw. Festungsruine nahe Bad Dürkheim. 13 Die ehemalige Benediktinerabtei Limburg aus dem 11. Jahrhundert, rund 2 Kilometer von der Hardenburg entfernt (Baedeker, Die Rheinlande19, 1876, S. 111). 14 Das im Andenken an Luthers Rolle auf dem Reichstag zu Worms von 1521 im Juni 1868 enthüllte große Lutherdenkmal auf dem gleichnamigen Platz in Worms. Sein Hauptpostament trägt eine über drei Meter hohe Lutherstatue von Ernst Rieschel (ebd., S. 107). 15 Die nahe am Rhein gelegene spätgotische Liebfrauenkirche galt neben dem Dom St. Peter und dem Lutherdenkmal als Hauptsehenswürdigkeit von Worms (vgl. ebd., S. 108). 16 Vom 27. bis 29. Juli 1879 fand in Mannheim das IX. Mittelrheinische Musikfest statt. Regionale Musikfeste, bei denen oft monumentale Laienchöre und Orchester klassische Musikwerke aufführten, waren eine Besonderheit der bürgerlichen Festkultur im 19. Jahrhundert. Die seit 1856 stattfindenden Mittelrheinischen Musikfeste gehörten zu den bekanntesten ihrer Art (vgl. Weibel, Samuel, Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrhunderts im Spiegel der zeitgenössischen musikalischen Fachpresse (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte, 168). – Berlin, Kassel: Verlag Merseburger 2006, insbes. S. 423–445). 17 Eine Besonderheit der Mittelrheinischen Musikfeste war das anläßlich der Konzerte stattfindende Volksfest mit reichem Festschmuck (ebd., S. 433). 18 Gemeint ist die Stiftsmühle in Ziegelhausen unterhalb des Stifts Neuburg, ein beliebtes Ausflugsziel nahe Heidelberg. 19 Die jüngsten Geschwister Clara und Arthur Weber. 20 Im Heidelberger Haus der Familie von Ernst Wilhelm Benecke, Ziegelhäuser Landstraße 29 (später Nr. 1). 21 Die Familie von Wilhelm Ebel bewohnte eine Etage der Fallensteinvilla, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). 22 Emilie Fallenstein, geb. Souchay. Zu ihrem schlechten Gesundheitszustand vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. Juni 1879, oben, S. 162.

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con, zum größten Erstaunen ihrer Töchter.23 Zu thun habe ich hier eigentlich nichts, die Kinder sind ziemlich alle in der Schule, 24 August25 ist in Mannheim. Ich werde mich jetzt wieder hinter Ebers’ Roman „Uarda [“] machen, 26 ich habe zu Hause den ersten Band davon gelesen und da ich erfahre, daß sie hier ist, so will ich die Gelegenheit benutzen sie auszulesen. Ich will jetzt übrigens in die Stadt, Julius und Philipp Jolly zu besuchen und behalte mir vor, nachher wenn ich zurückkomme, noch etwas mehr zu schreiben [.] Nachmittags. Es ist nun Nachmittag und wir werden bald Caffee trinken. Julius und Philipp habe ich heute natürlich nicht getroffen, sie waren beim „Frühschoppen“. Ich habe sie auf 4 Uhr hierherbestellt und sie werden bald da sein [.] Wir wollen dann zusammen einen Spaziergang machen, wahrscheinlich nach Speyererhofe.27 Wie ich höre, hat es vorigen Freitag, Nachmittags 2 Uhr bei uns in Charlottenburg eingeschlagen, 28 „die Fahnenstange ist in Spielinken |:(??):| in Garden rumgeflogen“ schreibt Julie29 und es scheint ein faustgroßes Loch in der Zimmerdecke zu sein, sonst aber scheint’s nichts besondres gegeben zu haben, die Fahnenstange steckt im Schornstein, es ist nichts beschädigt. – Julius Jolly ist eben hergekommen, er sowie Mama lassen grüßen. Letztere will noch ein Lied, dessen Wortlaut Du, wie ich höre gewünscht hast, hintenanschreiben.30 Wir wollen jetzt einen Spaziergang machen, daher schließe ich. Wie gesagt, viele Grüße. Dein Vetter Maximilian. e O: Speierers Hof 23 In Heidelberg hielt sich neben Helene Weber zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit Emilie Benecke auf. Henriette Hausrath lebte in der Fallensteinvilla. 24 Die schulpflichtigen und jüngsten Kinder der Familie von Adolf Hausrath und Henriette Hausrath, geb. Fallenstein: Emilie (Mila), Hans, Laura und Pauline (Paula). 25 Max Webers Cousin August Hausrath. 26 Es handelt sich um den populären historischen Roman des Ägyptologen Georg Ebers: Uarda. Roman aus dem alten Ägypten, 3 Bände. – Stuttgart, Leipzig: Hallberger 1877. 27 Der Speyerer Hof war ein 1853 begründetes Hofgut auf der südöstlichen Neckarseite Heidelbergs und ein beliebtes Ausflugsziel. 28 Freitag, 25. Juli 1879; vgl. hierzu auch die Karten Max Webers an Max Weber sen. vom 1. und 2. Aug. 1879, unten, S. 177 f. und 179. 29 Bedienstete der Familie Weber. 30 Helene Weber ergänzte (Bl. 29) eine etwas freie Wiedergabe des von Friedrich Wilhelm Berner vertonten Gedichts „Der Morgen im Gebirge“ von Christoph von Schmid (abgedruckt u. a. in: Liederkranz. Auswahl ernster und heiterer Gesänge für Schule, Haus und Leben, hg. von Ludwig Erk und Wilhelm Greef. Zweites Heft. – Essen: G. D. Bädeker 1841, S. 8 f.).

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Max Weber sen. [und Helene Weber] 1. August PSt 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 69 Die Karte ist an „Herrn Stadtrath Dr Weber“ in Heidelberg adressiert, die Schlußformel „E. S.“ (Euer Sohn) richtet sich aber an beide Eltern. Wie die folgenden Karten an Max Weber sen. vom 2. August 1879, unten, S. 179 f., und an Helene Weber vom 6. August 1879, unten, S. 181, schickte Max Weber sie nach Heidelberg, wo sich die Eltern nach der Heimkehr der drei schulpflichtigen Söhne Max, Alfred und Karl noch aufhielten. Während Helene Weber um den 8. August nach Charlottenburg zurückkehrte, unternahm Max Weber sen. von Heidelberg aus eine Reise. In Begleitung von Ludwig Karl Aegidi, seinem Freund aus Göttinger Verbindungszeiten, führte sie bis Ende August unter anderem nach München, an den Chiemsee und nach Salzburg (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 10. August, 1879, unten, S. 186, sowie die Karte an Max Weber sen. vom 19. August 1879, unten, S. 190 f.). Anläßlich dieser Reise hatte Max Weber sen. seinen ältesten Sohn wohl gebeten, den unten erwähnten Baedeker zu schicken.

Charlottenburg Freitag d. 1 August Morgens.

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Im Ganzen war die Eisenbahnfahrt ganz erträglich, außer daß es einigermaßen warm war, sintemal wir mit 4 anderen Menschen zusammengepackt waren. In Gießen tranken wir Bier, in Magdeburg Caffee. Alfred war anfangs unwohl, schlief aber nachher, wie wir alle und ist gut auf den Beinen, er ist zu Dr. Gehrke.1 Karl hat keinen Unsinn gemacht, außer daß er mit x braunen Streifen auf jeder Backe gezeichnet hier ankam. Ich sah Marburg noch in hellem Lichterglanz am Berge liegen, es wurde von fortwährenden Blitzen erleuchtet –: Wetterleuchten – dann schlief ich und zwar bis an die Elbe. Unser Gepäck bekam ich sogleich, wir fuhren per Droschke hier heraus, es regnet stark, der ganzea Himmel ist bezogen. Ich will jetzt den Baedecker und die Zeitungen einpacken, es ist kein neuerer da als der von 1873, 2 Zeitung ist heute Morgen nicht gekommen. Mit dem Einschlagen hier ist es nicht schlimm, 3 die Fahnenstange des hinteren Thurmes ist in der Mitte a Unsichere Lesung. 1 Sehr wahrscheinlich zum Nachhilfeunterricht; dazu und zu Dr. Gehrke vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Aug. 1879, unten, S. 184 mit Anm. 16. 2 Möglicherweise Baedeker, Karl, Süd-Deutschland und Österreich. Handbuch für Reisende, 16. neu bearb. Auflage. – Coblenz, Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1873. 3 Über den Blitzeinschlag im Charlottenburger Haus war die Familie kurz zuvor durch ihr Hausmädchen Julie informiert worden (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 29. Juli 1879, oben, S. 176 mit Anm. 28).

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durchgebrochen und die „Spielinken“4 sind im Garten zu fi nden, der Blitz scheint aber durch die Wasserröhre in die Erde gefahren zu sein. Im Großen Schlafzimmer scheint in der That nur wenig Putz von der Decke gefallen zu sein, alles ist schon wieder zugestrichen, es ist absolut sonst kein Schaden angerichtet. – Der Droschkenkutscher, der uns heraus fuhr, ist ein unverschämter Bursche, ich habe lange mit ihm gehandelt, aber ich mußte ihm doch 3 M. 75 bezahlen, er rechnete für die Fahrt in Berlin 1,50 und für die Fahrt in Charlottenburg auch 1,50, was ich nicht zugeben wollte. Eine Viertelstunde lang zankten wir uns, dann bezahlte ich ihm seine 3,75 und damit war es zu Ende. Ich werde Morgen weiteres auf einer zweiten Postkarte schreiben.5 Vorläufig viele Grüße. E. S. Maximilian. b Schönsten Gruß von Julie und Emilie. b6

b–b Zusatz am rechten Kartenrand. 4 Ein Ausdruck des Hausmädchens Julie, den Max Weber – mit Fragezeichen versehen – bereits im Brief an Fritz Baumgarten vom 29. Juli 1879, oben, S. 176, verwandte. 5 Die folgende Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 2. August 1879, unten, S. 179 f. 6 Die Dienstmädchen der Familie Weber.

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Max Weber sen. 2. August 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 71 Die Karte schließt direkt an Max Webers ersten Bericht über die Heimkehr nach Charlottenburg (vom 1. August 1879, oben, S. 177 f.) an. Die Eltern hielten sich noch in Heidelberg auf, für die drei schulpflichtigen Söhne Max, Alfred und Karl begann am Montag, dem 4. August 1879, der Unterricht nach der Sommerpause.

Charlottenburg. Sonnabend d. 2. August 1879. Vormittags.

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Alfred ist eben von Herrn Dr. Gehrke zurückgekommen,1 Karl hat seine Gebete gelernt und mir aufgesagt, ich selbst habe auch noch etwas für Montag gearbeitet, und so will ich denn noch einige Zeilen schreiben, ehe das Mittagessen mir dies unmöglich macht. Ich war gestern Nachmittag auf dem Thurm. Die eine Hälfte der Fahnenstange, welche vom Blitz zweimal geknickt ist, steckt noch ziemlich zersplittert und gespalten auf dem Dach, die beiden anderen Theile, durch die Fahnenschnur zusammengehalten, steckten im Schornstein und sind nun herausgeholt. Das Dach ist durchaus nicht beschädigt, der Blitz ist, wie gesagt, durch die Wasserrinne hinabgefahren. 2 Die Zinkplatte auf dem Kopf der [F]ahnenstangea scheint ihn angezogen zu haben. Gestern kam eine Depesche hier an, ich öffnete sie, sie lautete: „Bist Du daheim?“ ohne Unterschrift, sie war an Mama. Ich dachte gleich, daß sie von Frau Tiede war, heute war denn auch ihr Mädchen hier, um zu sagen, daß sie sich heute – Sonnabend – Nachmittag von ihr habe verabschieden wollen, da sie nächsten Freitag abreisen wollte. Ich sagte, daß Mama nicht zu Hause sei, sie würde aber gegen Mitte nächster Woche wiederkommen und könnte dann vielleicht nach Berlin kommen.3 Das Packet mit Baedecker und Zeitungen habe ich abgeschickt, will hoffen, daß ich nichts vergessen habe. Wir sind alle wohl, Alfred hat bisher a Textverderbnis in O durch Riß. 1 Sehr wahrscheinlich vom Nachhilfeunterricht (vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Aug. 1879, unten, S. 184 mit Anm. 16). 2 Zum Blitzeinschlag am 25. Juli 1879 vgl. die Mitteilung im Brief an Fritz Baumgarten vom 29. Juli 1879, oben, S. 176 mit Anm. 28. 3 Das befreundete Ehepaar August und Helene Tiede wohnte in der Bernburger Straße. Wie sich aus einem Zusatz Helene Webers zum Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. August 1879 (vgl. dazu die Vorbemerkung, unten, S. 182) ergibt, besuchte Helene Weber Helene Tiede nach ihrer Rückkehr aus Heidelberg.

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weder Kopf- noch Zahnweh gehabt, wir haben uns gründlich ausgeschlafen und amüsiren uns ganz gut. Julie4 hat heute einen ganzen Korb reifer Birnen von dem mittleren Birnbaum geschüttelt, das übrige ist noch ganz unreif und bleibt sitzen, bis Mama kommt. bIch schreibe Morgen an Fritz. 5 Die Mädchen lassen grüßen. 6 Die Jungens7 dito. Ich ebenfalls.b c Julies Mittagessen gestern hat ganz gut geschmeckt.c dViel Vergnügen. Keine Nat[ional-]Zeitung8 gekommen , wird wohl [ ] nachgeschickt sein. Nochmals viele Grüße. D. S. Max.d

b–b Zusatz am rechten Kartenrand. c–c Zusatz am oberen Kartenrand zu Beginn der Karte. d–d Zusatz am linken Kartenrand. 4 Bedienstete der Familie Weber. 5 Ein Brief an Fritz Baumgarten vom 3. August 1879 ist nicht nachgewiesen. Der nächste überlieferte Brief an den Vetter datiert vom 10. August 1879, unten, S. 185–188. 6 Die weiblichen Bediensteten der Familie Weber. 7 Die Brüder Alfred und Karl Weber. 8 Die nationalliberal ausgerichtete Berliner National-Zeitung.

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Helene Weber 6. August 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 70 Wie die Karten an Max Weber sen. und Helene Weber vom 1. und an den Vater vom 2. August 1879, oben, S. 177 f. und 179 f., schrieb Max Weber nach Heidelberg, wo sich Helene Weber noch bis zum Wochenende aufhielt.

Charlottenburg Mittwoch den 6. August 1879. Nachmittags 3 1/ 2 Uhr. Liebe Mama!

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Vielen Dank für Deinen lieben Brief, den ich heute Mittag bekommen habe. Ich fand es sehr natürlich und habe es auch erwartet, daß Du länger wegbleiben werdest,1 Alfred läßt sagen Du möchtest bis Sonntag wegbleiben. Wir sind alle gesund, sind heute in Klavierstunde gewesen und ich bin eben im Begriff, mit Pennmeyer2 zusammen nach dem Kaiserwilhelms-Bad zu gehen, 3 wobei ich dann diese Postkarte einstecken werde. Karl ist bei Herrn Krätke, der allerdings, als ich ihn bat, er möchte erlauben, daß er wieder zu ihm käme,4 den Mund verzog und fragte, wann Du wiederkämst, dann aber ihn doch wieder ganz zu sich genommen hat. Er hat hier zu Hause auch noch keinen erheblichen Unsinn gemacht. Die Schule hat in erfreulichster Weise begonnen, Karl hat sogar, was meines Wissens noch nicht passirt ist, gestern und heute 2 Lobe bekommen, Alfred ist auch nichts schlimmes passirt. Wir amüsiren uns ganz kostbar. Montag und Dienstag entsetzlich heiß, heute schweres Gewitter. Adieu, ich gehe jetzt. D. S. Maximilian 1 In der Karte vom 2. August 1879 an Max Weber sen., oben, S. 179, war Max Weber noch davon ausgegangen, seine Mutter sei zur Wochenmitte in Charlottenburg zurück. 2 Es handelt sich um den in Max Webers weiteren Briefen von 1879 noch mehrfach erwähnten Schulfreund Erdmann Pennmeyer. Nach den Schülerlisten des Charlottenburger Gymnasiums besuchte Pennmeyer die Schule von Ostern 1879 bis Ostern 1880, zusammen mit Max Weber in der Sekunda. Anschließend wechselte er die Schule (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XI. Jahres-Bericht, o. J. [1880], S. 36). 3 Das Kaiser-Wilhelms-Bad in der Berliner Lützowstraße 90. Max Weber hatte dort seit Juni Schwimmunterricht (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. Juni 1879, oben, S. 163). 4 Schon im Sommer 1878, während der längeren Abwesenheit der Eltern, war Karl Weber beim Charlottenburger Vorschullehrer Franz Krätke und dessen Frau in Pension gewesen. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene und Max Weber sen. vom 22., 23., 25., 26. und 27. August 1878, oben, S. 94.

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Max Weber sen. 9. August 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 72–73 Am Ende des Briefes (ebd., Bl. 73) finden sich einige Grußzeilen von Helene Weber an ihren Ehemann, die hier nicht wiedergegeben werden. Zur Rückkehr Helene Webers aus Heidelberg und der Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. und Helene Weber vom 1. August 1879, oben, S. 177. Max Weber sen. hielt sich einige Tage in München auf, vgl. dazu den überlieferten Briefumschlag (ebd., Bl. 79) mit dem Poststempel „11.8.79“ und der Adresse „München Hôtel Marienbad“.

Charlottenburg Sonnabend d. 9. August 1879. Lieber Papa! Mama ist mitten im Ausklopfen von Deinen Büchern und also muß ich heute ihre Stelle vertreten. Es ist alles hier wieder ordentlich im Gange und nichts mangelt uns. In der Schule geht alles recht gut, Karl hat, wie ich schon einmal schrieb, 2 Lobe erhalten,1 Alfred hat gestern ein Extemporale geschrieben, 2 mir geht es ganz ausgezeichnet. Ich habe jetzt, da Herr Direktor3 Beispiele für eine Art von hypothetischen Sätzen sucht, es auf mich genommen, alle 14 philippischen Reden4 nach solchen Beispielen durchzulesen – das wird höllisch langweilig werden, zumal dies theilweise gar keine Reden sind, sondern nur Streitschriften in Redeform. Außerdem habe ich mir Ciceros Briefe5 gepumpt und stecke jetzt darin. Bei uns ist nun endlich mit dem Bau der Turnhalle Ernst gemacht worden6 und sind bereits alle schönen Bäume auf unsrem Schulhofe abgehauen worden. Sonst ist hier keine besondre Veränderung zu verzeichnen, der Rest unserera Fahnenstange steckt noch a Alternative Lesung: unsrer 1 Vgl. die Mitteilung auf der Karte Max Webers an Helene Weber vom 6. August 1879, oben, S. 181. 2 Extemporalien waren regelmäßig durchgeführte schriftliche Prüfungen. 3 Dr. Ferdinand Schultz, Philologe und Direktor des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums in Charlottenburg. 4 Die 14 von M. Tullius Cicero 44 und 43 v. Chr. gehaltenen Philippicae gegen Marcus Antonius. 5 Zu seiner Lektüre von Ciceros Briefen schrieb Max Weber ausführlich im Brief an Fritz Baumgarten vom 10. August 1879, unten, S. 185 f. 6 Der Bau einer neuen Turnhalle für das Charlottenburger Gymnasium wurde 1879/80 von den Berliner Architekten Max Spitta und Paul Emanuel Spieker realisiert.

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auf dem Dache und wird so bleiben, bis Du kommst.7 Arthur und Clara scheinen Sehnsucht nach Heidelberg zu haben, wenigstens hat der Arthur vorigen Abend weinend nach Wilhelm Rosenbusch und Eded8 gerufen, sie sind im übrigen sehr wohl. Morgen werden wir möglicherweise Rösings9 und Julian10 besuchen, welcher letzterer schon einmal postkärtlich nach Mamas Hiersein oder Nichthiersein sich erkundigt hat. Deine Postkarte hat Mama heute bekommen. – Die Thüringer Zeitung bringt zwei Artikel, wovonb einer von „einem Bürger“ ist und in denenc Deine etwaige nochmalige Candidatur11 für unmöglich hingestellt wird,12 dagegen wird der Bürgermeister Kirchhoff empfohlen.13 Nationalzeitungen konnte ich bisher nicht nachschib wof > wovon

c 〈am〉

7 Noch während des Heidelberg-Aufenthalts der Familie Weber hatte Ende Juli ein Blitz in das Charlottenburger Haus in der Leibnizstraße 19 eingeschlagen. 8 Die Familie des Geologen Karl Heinrich (Harry) Rosenbusch wohnte im Heidelberger Haus der Familie Benecke, wo die jüngeren Kinder der Familie Weber beim Aufenthalt in Heidelberg im Juli 1879 untergebracht waren. Bei Wilhelm Rosenbusch und „Eded“ (wohl eine kindliche Namensvariante des 2 1/2-jährigen Arthur) könnte es sich um die Neffen von Karl Heinrich Rosenbusch handeln. Dessen Bruder Eduard Rosenbusch, der Vater der beiden Jungen, war als Ingenieur Ende der 1850er Jahre nach Malta gegangen und arbeitete dort für ein britisches Telegraphen-Unternehmen. Sein ältester Sohn hieß Wilhelm (William), der jüngste Edward. Möglicherweise waren auch sie in Heidelberg zu einem Familienbesuch. 9 Die befreundete Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon. 10 Gemeint ist sehr wahrscheinlich Julian Schmidt. 11 Max Weber sen. vertrat seit 1868 für die Nationalliberalen den Wahlkreis Erfurt im preußischen Abgeordnetenhaus. 1876 hatte er den Sitz trotz seines Weggangs nach Berlin behaupten können. Am 30. September 1879 fand die Wahl für die XIV. Legislaturperiode statt. Ein letztes Mal gewann Max Weber im Herbst 1879 den Wahlkreis, setzte sich dabei gegen die Kandidaten der konservativen Parteien und des Zentrums sowie gegen Widerstände in der eigenen Partei durch. Vgl. ausführlich Roth, Familiengeschichte, S. 403–409. 12 Der erste Artikel, vom 5. August 1879, forderte im Hinblick auf die „gegen früher wesentlich geänderte Richtung der Politik der Regierung“ für die anstehende Landtagswahl im Herbst eine Schärfung des nationalliberalen Profils insgesamt, abschließend „bei aller Anerkennung der Vorzüge unseres jetzigen Landtagsabgeordneten“ aber auch einen Kandidaten „der Erfurt persönlich nahe steht“ (Thüringer Zeitung, Nr. 181 vom 5. Aug. 1879, S. 3: „Zu den Wahlen“). Der zweite Artikel, nur mit „Ein Bürger“ gezeichnet, formulierte in der nächsten Ausgabe dann explizit: „daß an eine nochmalige Candidatur des bisherigen Abgeordneten Herrn Stadtrath Weber in Berlin in unserem Wahlkreise nicht gedacht werden kann, daß vielmehr Erfurt durch einen der Stadt und ihren Bewohnern persönlich nahestehenden Mann vertreten sein will“. Der Aufforderung des ersten Artikels, sich nach einem „hiesigen liberalen und erprobten Manne umzusehen“, wolle man gleich nachkommen und schlage den Mitbürgern „als einen vielseitig bewährten und geschätzten, allseitig bekannten, charakterfesten und liberalen Mann unsern Bürgermeister Herrn Kirchhoff vor.“ (Thüringer Zeitung, Nr. 182 vom 6. Aug. 1879, S. 3: „Sprechsaal“). 13 Max Kirchhoff, Bürgermeister und Magistratskollege, mit dem Max Weber sen. wäh-

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cken,14 da keine kamen, jetzt haben wir sie wieder hierher bestellt. Ich habe heut einen deutschen Aufsatz zurückerhalten, welcher das Praedikat „wohl befriedigend“ trug und bin jetzt im Begriff, einen zweiten lateinischen Aufsatz abzuliefern, ohne jedoch den ersten zurückzuhaben. Ich bin auf letzteren sehr begierig, vermuthe, daß er große Befriedigung erregt hat. Mein Schwimmen ist nun auch schon wieder im Gang, ich dhoff[e] [da]mitd in 1 1/ 2 bis 2 Wochen fertig zu werden.15 Über meine Ausgaben habe ich bis jetzt vollständig Rechnung geführt und stimmt alles bis zum Pfennig. Ich verkehre jetzt ziemlich viel mit meinem Freunde E[rdmann] Pennmeyer, wir kommen abwechselnd ich zu ihm und er zu mir und wir spielen selbanderse Croquet. Hier hat sich das Wetter jetzt aufs Regnen gelegt, nachdem es den ersten Theil der Woche ziemlich warm war, so daß am Dienstag der Nachmittagsunterricht ausfallen mußte. Das wäre es so etwa, was ich zu erwähnen hätte. Die Tageseintheilung hier ist also etwa folgende[:] 7–12 ca Schule, 12–2 Schwimmen. 2. Mittagessen, die Jungens zu Gehrk[e]-Krätke,16 ich arbeite. 4–5 Vesper. Zu E[rdmann] P[ennmeyer]. Dann E[rdmann] P[ennmeyer] zu mir. 8–8 1/ 2 Abendbrod. 10 zu Bett, und zwar gestern zugleich mit Mama. Alfred geht, da er noch etwas erkältet ist, nicht mit zum Baden. Haec hactenus,17 ein ander Mal mehr. Ich weiß nicht, ob Mama noch einen Zettel mit einlegt, sie ist stark beschäftigt. Lebe wohl, viele Grüße auch von den Kleinen und Kleinsten.18 Dein treuer Sohn Maximilian

d–d Klebemarke in O.

e Alternative Lesung: selbander

rend seiner Zeit in Erfurt eng zusammengearbeitet hatte (Kaesler, Dirk, Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn. Eine Biographie. – München: C. H. Beck 2014, S. 55 f.). 14 Gemeint sein dürfte die nationalliberal ausgerichtete Berliner National-Zeitung; vgl. dazu die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 2. Aug. 1879, oben, S. 180. 15 Den Schwimmunterricht hatte Max Weber zusammen mit seinem Bruder Alfred im Juni begonnen. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. Juni 1879, oben, S. 163. 16 Sehr wahrscheinlich zum Nachhilfeunterricht. Sowohl Alfred als auch Karl Weber hatten mit schulischen Problemen zu kämpfen (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 510). Der bereits mehrfach erwähnte Franz Krätke war Vorschullehrer und betreute Karl Weber. Bei Dr. Gehrke könnte es sich um einen „Wissenschaftliche[n] Hülfslehrer“ am Charlottenburger Gymnasium handeln (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, X. Jahres-Bericht, 1879, S. 32). 17 Lat. für: soviel dazu; genug davon. Anspielung auf eine oft verwendete Formulierung Ciceros. 18 Die Geschwister Alfred, Karl, Clara und Arthur Weber.

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Fritz Baumgarten 10. August 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 30–31 Im Anschluß an Max Webers Brief findet sich eine kurze Nachschrift von Helene Weber an Fritz Baumgarten (ebd., Bl. 31), die hier nicht wiedergegeben wird.

Charlottenburg Sonntag den 10 August 1879 Morgens. Cicero Attico S[alutem] d[icit] p[lurimam]1

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Ich stecke jetzt mitten in Ciceros Briefen drin, welche ich mir geliehen habe und eifrig lese um ein genaueres Bild des Mannes zu gewinnen. Ich habe bis jetzt hauptsächlich die Briefe an seine Gemahlin Terentia gelesen.2 Die Briefe aus der Verbannung, die naturgemäß zuerst kommen, sind sehr weinerlich, weich und liebevoll, sobald er erst zurückberufen ist, werden die Briefe kürzer und kälter, die letzten enthalten nur noch Befehle: „Ut sint ibi (Tusculani) omnia parata,“3 – „si labrum non est in balineo, ut sit“,4 oder kurze und wenig herzliche Wünsche: „si vales, bene est.“5 Merkwürdig ist es auch, wenn er in einem seiner letzten Briefe an sie schreibt: Daß Du Dich darüber freust, daß ich gesund nach Italien gekommen bin, ist mir angenehm, hoffe, daß Du Dich auch künftig darüber freuen wirst.6 Sehr schön ist ein Trostbrief des Servius 1 Lat.: Cicero sagt dem Atticus einen herzlichen Gruß. Abwandlung einer in den Briefen an seinen Schulfreund T. Pomponius Atticus („Epistulae ad Atticum“) von Cicero häufig verwendeten Grußformel. Die von Max Weber benutzte Ausgabe ist nicht zu ermitteln. 2 Ciceros 24 Briefe an seine Ehefrau Terentia finden sich in Ausgaben seines Briefwerks im Korpus „Epistulae ad familiares“. Die frühesten Briefe an Terentia stammen aus der Zeit seines griechischen Exils, die letzten aus der Zeit vor der Scheidung (um 46 v. Chr.). Die von Max Weber benutzte Ausgabe ist nicht zu ermitteln. 3 Gemeint sein dürfte der Passus: „In Tusculanum nos venturos putamus aut Nonis aut postridie. ibi ut sint omnia parata“, in: Epistulae ad familiares, Liber XIV, 24 (dt.: „Wahrscheinlich treffe ich am 7. oder tags darauf in Tusculum ein. Daß dort dann alles bereit ist!“). Hier zit. nach: M. Tullius Cicero, An seine Freunde. Lateinisch und deutsch, hg. und übersetzt von Helmut Kasten (Sammlung Tusculum), 4. Aufl. – München, Zürich: Artemis 1989, S. 828 f. 4 Eigentlich: „labrum si in balineo non est, ut sit“, in: Epistulae ad familiares, Liber XIV, 24 (dt.: „Wenn im Bad keine Wanne ist, laß eine beschaffen“); zit. nach ebd. 5 Die Formel: „Si vales, bene est“ („Hoffentlich bist Du wohlauf“) benutzte Cicero in mehreren Briefen an seine Frau; vgl. Epistulae ad familiares, Liber XIV, 12–18; zit. nach ebd., S. 822–827. 6 Die Passage findet sich in: Epistulae ad familiares, Liber XIV, 10: „Quod nos in Italiam salvos venisse gaudes, perpetuo gaudeas velim“; zit. nach ebd., S. 820 f.

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Sulpicius an Cicero nach dem Tode von dessen Tochter Tullia,7 er enthält schöne, fast christliche Gedanken über Vergängliches und Ewiges. Kurz, die Lectüre dieser Briefe macht mir sehr viel Vergnügen. Außerdem habe ich es auf mich genommen, sämmtliche 14 philippischen Reden Ciceros durchzulesen8 nach einem Beispiel für eine bestimmte Art hypothetischer Sätze. Das ist nun allerdings ein Vergnügen eigner Art und wird un peu langweilig werden, zumal diese Reden keinen angenehmen Charakter habena. Denn erstens sind es nur Schmähreden und es werden dem Antonius undenkbare Scheuslichkeiten nachgesagt, außerdem aber sind es gar keine Reden, sondern nur Streitschriften in Redeform und sehen doch immer so aus, als ob sie stehenden Fußes im Senat als Antwort auf des Antonius Reden gehalten wären. Man hat also dabei immer den unangenehmen Gedanken, daß der Verfasser nicht den Muth hatte, das, was er so schön niedergeschrieben hatte, nun auch wirklich auszusprechen. Nunc, haec hactenus.9 Das Leben geht jetzt wieder seinen gewöhnlichen Gang, Mama ist wieder da,10 die Schule ist wieder in ihre Rechte eingetreten, man arbeitet „concentrisch“, um das bischen Wissen, was man noch durch diese vierwöchentliche Brache hindurch gerettet hat, aufzustapeln und zu erweitern. Es fällt natürlich nichts bedeutendes vor, ich verkehre ziemlich viel mit meinen Freunden, spiele Croquet, schreibe an Papa,11 der augenblicklich im Hôt[el] Marienbad zu München ist und schon mehrere Male sehr vergnügte Postkarten geschickt hat. Wie ich höre, bist Du jetzt wieder in Strasburg, Du hast folglich Ferien.12 Nun, amüsire Dich gut, wie ich es jetzt thue. Ich gehe jetzt a Fehlt in O; haben sinngemäß ergänzt. 7 Der Brief von Servius Sulpicius Rufus findet sich in: Epistulae ad familiares, IV, 5 (ebd., S. 190–197). 8 Zu dieser freiwillig übernommenen Schulaufgabe vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Aug. 1879, oben, S. 182 mit Anm. 4. 9 Lat. für: Nun, soviel dazu; genug davon. 10 Helene Weber war kurz zuvor aus Heidelberg zurückgekehrt. 11 Vgl. die Briefe bzw. Karten Max Webers an Max Weber sen. vom 1., 2. und 9. Aug., oben, S. 177–180, sowie vom 13., 19., 22. und 25. Aug. 1879, unten, S. 189–195. 12 Fritz Baumgarten hatte sich zum Sommersemester 1879 an der Universität Bonn eingeschrieben, wo er drei Semester studierte. Vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studirenden der Königlichen Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn für das Sommer-Halbjahr 1879. – Bonn: Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi 1879, S. 16.

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täglich Baden und schwimme schon nahezu.13 In Berlin und überhaupt außerhalb Charlottenburgs bin ich bisher noch gar nicht wieder gewesen, leide aber doch nicht unter Langeweile. Man schläft, ißt [,] trinkt, arbeitet, die Zeit vergeht einem unter den Händen wie Butter. Und wenn wirklich einmal die „längliche Weile“ uns beschleichen sollte, – was übrigens bei vernünftigen Menschen nie passiren sollte, – ich weiß was ich thue, ich greife zum äußersten Mittel und lerne Herrn von Varnbülers Zolltarif auswendig.14 Was das Einschlagen hier betrifft,15 so hat das wenig Schaden verursacht. Allerdings hat der Blitz die hintere Fahnenstange zweimal geknickt und die beiden oberen Stücke sehr künstlich und elegant in den Schornstein gesteckt, das Stück auf dem Dache arg zersplittert und zerspalten, so daß die Stücke drei Häuser weit geflogen sind und der ganze Rasen mit gerade in die Höhe gerichteten fußlangen Splittern gespickt war wie ein Filet, – was übrigens gar nicht übel aussah [,] aber sonst ist auch gar kein Schaden geschehen. Der Blitz ist durch die Wasserrinne in die Erde gefahren und hat nur das Blech auf dem Dache etwas zerfressen. Es war doch kein sog. kalter Schlag, da die Fahnenstange an manchen Stellen angekohlt ist. In vorigerb Woche sind über Charlottenburg wieder mehrere schwere Gewitter hingezogen, so daß es jetzt hier ziemlich kühl – 12° R16 – ist. Außerdem regnet es in Absätzen. Das Obst ist hier schon ziemlich reif.

b l > voriger 13 Max Weber hatte seit Juni Schwimmunterricht (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. Juni 1879, oben, S. 163). 14 Am 12. Juli 1879 hatte der Reichstag Bismarcks protektionistischen Zolltarif angenommen. Friedrich Karl von Varnbüler, Reichstagsabgeordneter der Freikonservativen, war seit Januar 1879 Vorsitzender der vorbereitenden Zolltarif-Commission und vertrat die neue Schutzzollpolitik wiederholt im Reichstag. Daß er als radikaler Schutzzollanhänger Bismarck zudem schon Mitte 1878 einen ausgearbeiteten Plan für eine Zoll- und Steuerreform als Denkschrift hatte zukommen lassen, wurde erst 1894 öffentlich bekannt. Vgl. Wintterlin, Friedrich, Varnbüler von und zu Hemmingen, Friedrich Karl Gottlob Freiherr, in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39. – Leipzig: Duncker & Humblot 1895, S. 492–496. 15 Während des Heidelberger Aufenthaltes der Familie im Juli hatte im Charlottenburger Haus ein Blitz eingeschlagen. 16 12° in der damals noch üblichen Réaumur-Skala entsprechen ca. 15° Celsius.

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In nächster Woche erhalten wir Besuch, eine Bekannte von Erfurt her, einec verww. Frau Direktor Giseked 17 mit zwei Kindern.18 Ich glaube, Du kennst den Namen, da an den Mann19 ein Brief vom Großvater Fallenstein20 – wenn ich mich recht entsinne –, gerichtet ist. Mitte September kommt dann meine Großmutter aus Bielefeld21 mit ihrer Tochter, meiner Tante Ottilie, 22 Papas Zwillingsschwester, hierher. Vorher wird Papa noch mit mir einige Tage nach Hamburg gehen, es war wenigstens die Rede davon. Dies zur Tageschronik. Ich habe Dir sonst nichts zu schreiben, Mama will noch einige Zeilen an Tante Ida, – die ich bestens grüßen lasse – beilegen.23 Hoffentlich schreibst Du mir bald. Viele Grüße, auch an Otto und Frl. Emmi. Dein Vetter Maximilian.

c 〈Frau〉

d O: Gisecke

17 Bona Giseke, geb. Nitschke. Ihr verstorbener Mann (wie unten, Anm. 19) war bis 1869 Direktor der Höheren Töchterschule in Erfurt gewesen. In ihrer Erfurter Zeit war die Familie Weber näher mit Gisekes bekannt und deren Tochter Grethe eine Spielkameradin Max Webers: „Wir gehen jetzt abends oft mit Gieseckes [!] deren Gretchen und der Junge sehr nett mit einander spielen mit unserem Abendbrod in der Tasche aus, wie ich schon erzählte.“ (Brief von Helene Weber an Ida Baumgarten vom 26. Juni 1869, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 18 Margaretha Clara (Grethe) und Martin Otto Giseke. 19 Bernhard Ludwig Giseke. 20 Georg Friedrich Fallenstein; ein entsprechender Brief ist nicht überliefert. 21 Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. 22 Ottilie Weber. 23 In ihrem an Fritz Baumgarten gerichteten Zusatz trug Helene Weber ihrem Neffen ebenfalls Grüße an seine Mutter Ida Baumgarten auf.

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Max Weber sen. 13. August 1879; Charlottenburg Abschrift; ohne Anrede und Schlußformel Abdruck in: Weber, Max, Jugendbriefe. – Tübingen: J. C. B Mohr (Paul Siebeck) 1936, S. 27. Der Brief schließt direkt an Max Webers Bericht über die Schulaufgabe zu Ciceros 14 „Philippicae“ im vorausgehenden Brief an Max Weber sen. vom 9. August 1879, oben, S. 182, an.

Charlottenburg, 13. August 1879

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…a Ich habe schon sechs philippische Reden durchgelesen und schon mehrere Beispiele von der gewünschten Art gefunden.1 Interessant sind diese Streitschriften allerdings nicht, da sie immer wieder eine Wiederholung derselben Leier sind. Sie geben allerdings einen tiefen Einblick in das familiäre und politische Leben des damaligen Roms, aber es werden dem Antonius denn doch so haarsträubende Scheußlichkeiten vorgeworfen, und die Schadenfreude Ciceros über Cäsars Tod, die durch alle Reden hindurchklingt, ist, besonders, wenn man weiß, wie er sich Cäsar gegenüber benommen hat, so widerlich, daß man nachgerade die Lust weiterzulesen verliert …b

a Auslassungszeichen in Abschrift.

b Auslassungszeichen in Abschrift.

1 Es handelte sich um hypothetische Sätze. Max Weber hatte es übernommen, die Reden auf solche Satzkonstruktionen hin zu untersuchen.

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Max Weber sen. 19. August 1879; Berlin Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 74 Zur Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an denselben und Helene Weber vom 1. August 1879, oben, S. 177.

Berlin, bei Friedlaenders, Mittwoch den 19. August 1879, Abends 8 Uhr. Eben komme ich aus der Stadt, wo ich mit meinem Freunde E[rdmann] a Pennmeyer alle Antiquarien und Buchhandlungen nach einer billigen Ausgabe von Diodors Geschichte durchstöbert habe,1 die ich gern besäße, – und fi nde hier bei Friedlaenders2 Mama, die sich natürlich um eine Stunde verspätet hatte. Wir sind natürlich alle wohl, mir geht es in der Schule ausgezeichnet, nicht ganz so gut Alfred, dessen Extemporalia3 etwas schwach ausgefallen sind, hoffentlich geht es noch besser. Wir erwarten morgen Mittag Gisekesb,4 die ich eben besucht habe. Heute erhielten wir cDeinen Briefc vom Chiemsee, der uns sehr erfreute, da wir alles, was Du jetzt erlebst, mit erleben. Ich habe seit Sonnabend einen heftigen Schnupfen und in Folge dessen, sowie

a In O Großbuchstaben E und P ineinander verschlungen. c–c Deine Karte > Deinen Brief

b O: Gieseckes

1 Gemeint ist die vom griechischen Geschichtsschreiber Diodoros (Diodorus Siculus) in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. verfaßte Universalgeschichte („Bibliothéke historiké“). Für welche Ausgabe in welcher Sprache Max Weber sich interessierte, ist nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Mehrbändige Ausgaben lagen in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache vor: vgl. Diodoru bibliothéké historiké = Diodori bibliotheca historica. Ex recensione et cum annotationibus Ludovici Dindorfii, 5 Bände. – Lipsiae: Teubnerus 1866–1868; sowie: Diodor’s von Sicilien Geschichts-Bibliothek. Übersetzt von Adolf Wahrmund, 6 Bände. – Stuttgart: Krais & Hoffmann 1866–1869. 2 Helene Webers Jugendfreundin Clara Friedländer, ihre Schwester Magdalena Laura und der Bruder George Friedländer wohnten zu dieser Zeit in der Oranienburgerstraße 44. 3 Extemporalien waren regelmäßig durchgeführte schriftliche Prüfungen. 4 Bona Giseke, geb. Nitschke, eine Bekannte aus Erfurt, mit ihren Kindern Margaretha Clara (Grethe) und Martin Otto. Zu ihrem Besuch vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 10. August 1879, oben, S. 188.

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in Folge des kühlen Wetters jetzt öfters das Schwimmen versäumt.5 Näheres, in einem Briefe, morgen.6 Wie gesagt, alles wohl und gesund. Dein Sohn Maximilian. 5 d

Besten Gruß an Aegidis,7 falls Du noch mit ihnen zusammen bist,d Du dies erhältst. Amüsire Dich gut. Nochmals besten Gruß.e

ewenn

d–d Zusatz am linken Kartenrand.

e–e Zusatz am rechten Kartenrand.

5 Max Weber lernte seit Juni schwimmen. 6 Ein Brief vom folgenden Tag ist nicht nachgewiesen. Die nächste überlieferte Karte an Max Weber sen. datiert vom 22. August 1879, unten, S. 192 f. 7 Max Weber sen. unternahm die Reise zumindest teilweise mit Ludwig Karl Aegidi und dessen Frau Martha Aegidi, geb. von Sanden-Tussainen.

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Max Weber sen. 22. August 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 75 Die postlagernd nach Salzburg adressierte Karte hat Max Weber sen. nicht erreicht. Sie trägt die Vermerke „retour“ und „Charlottenburg 3.12.79“. Zur Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an denselben und Helene Weber vom 1. August 1879, oben, S. 177; zu Max Webers Suche nach einem Exemplar von Diodors Universalgeschichte die vorausgehende Karte an denselben vom 19. August 1879, oben, S. 190.

Charlottenburg Sonnabend den 22. August 1879 Nachmittags. Lieber Papa! Mama hat mir heute das Schreiben wieder überlassen, und so beginne ich mit der gewohnten Versicherung, daß wir alle wohl und gesund sind und uns sehr gut mit Gisekesa 1 amüsiren. Mama hofft, daß Du ihren Brief von gestern früh bekommen hast, auch meine Karte von Friedlaenders aus wirst Du nun wohl auch bekommen haben, obwohl wir die alte Adresse daraufgeschrieben hatten.2 Du wirst Dich sicher über meine Diodor-Wünsche gewundert haben, aber Diodoros ist doch nächst Herodot und Xenophon, Thukydides und Polybios, von denen wir allerdings die beiden letzten nicht besitzen, der bedeutendste griechische Schriftsteller. Ich brauche ihn auch gar nicht ganz zu haben, nur einige Bücher, um seine Geschichte, die übrigens ausgezeichnet sein soll, gelesen zu haben und zu kennen. Gsellius3 will ihn aus Leipzig kommen lassen,4 – „ich könnte mir dann die Bücher, die ich brauchte, auswählen“, – ein Band kostet 3 Mk (!). Ich will nur hoffen, daß Du damit nicht unzufrieden bist. In der Schule geht es mir ausgezeichnet, ich bin sogar belobt worden, was selten in so hoher Klasse passirt, a O: Gieseckes 1 Die Erfurter Bekannte Bona Giseke, geb. Nitschke, war mit ihren Kindern Margaretha Clara (Grethe) und Martin Otto zu Besuch. 2 Die vorausgehende Karte an Max Weber sen. vom 19. August 1879, oben, S. 190 f., war nach Frauenwörth am Chiemsee adressiert. Sie wurde nach „Salzburg Postlagernd“ umadressiert und dort laut Poststempel erst am 23. August 1879 zugestellt. 3 Die Gsellius’sche Buch-, Antiquar-, Globen- und Landkarten-Handlung (Inhaber F. W. Linde) in Berlin-Mitte. 4 In Leipzig hatte die vom Verein der Buchhändler 1842 gegründete „Bestellanstalt“ ihren Sitz.

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leider hat Alfred kein gutes Scriptum geli[ef]ertb, wenigstens hat er dann noch die Corr[e]cturc einigermaßen gut gemacht. Ich war gestern, Freitag, wieder baden, da mein Schnupfen vergangen war und das Wetter warm wurde, heute begann der Tag mit Regen und Nebel, jetzt ist wieder stahlblauer Himmel. Ob ich zum Baden komme, weiß ich noch nicht, und glaube es nicht, da wir nachher, um 5 Uhr ca., mit Gisekesd in den zoolog[ischen] Garten gehen werden. Ich spiele mit Grethe G[iseke] ziemlich viel Croquet, sonst verlaufen die Tage ziemlich gleichmäßig, ich hatte in dieser Woche ziemlich viel an Aufsätzen, lateinischem und deutschem, zu arbeiten, bin jetzt so ziemlich hindurch. Weiß noch nicht, wie mein voriger Aufsatz ausgefallen. Viel Vergnügen, viele Grüße von allen hier, lebe wohl, ich habe möglichst deutlich zu schreiben versucht, hoffe Du wirst die Karte lesen können. Dein Sohn Maximilian eMorgen

Vormittag reisen Gisekesf von hier ab. Viele Grüße auch an

Aegidis.e 5

b Klebemarke in O. rechten Kartenrand.

c Klebemarke in O. f O: Gieseckes

d O: Gieseckes

e–e Zusatz am

5 Max Weber sen. reiste mit Ludwig Karl Aegidi und dessen Frau Martha Aegidi, geb. von Sanden-Tussainen.

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Max Weber sen. 25. August 1879; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 76 Die Karte ist, wie die vorausgehende an Max Weber sen. vom 22. August 1879, oben, S. 192 f., postlagernd nach Salzburg adressiert. Sie wurde in Salzburg-Stadt zugestellt. Zur Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an denselben und Helene Weber vom 1. August 1879, oben, S. 177; zu Max Webers Suche nach einem Exemplar von Diodors Universalgeschichte bereits die Karten an Max Weber sen. vom 19. und vom 22. August 1879, oben, S. 190 und 192.

Charlottenburg, Montag d. 25 Augus[t] 1879. Nachmittags. Nur ein par Worte, lieber Papa, sende ich Dir im Auftrage von Mama zu, die wie immer mit der Versicherung beginnen, daß alles hier wohl und gesund ist. Mit großem Jubel allseitig wurde hier die Nachricht aufgenommen, daß die Großmama nun doch,1 und zwar schon morgen, hier ankommen wird, namentlich da kurz zuvor erst sie geschrieben hatte, daß sie gar nicht kommen würde. Ich will jetzt mit meinem Freunde P[ennmeyer] nach Berlin hinein, des Diodors wegen. Gsellius2 nämlich hatte sich über Erwarten schnell einen Diodor kommen lassen und wollte mir ihn ganz zu 12 Mk, jeden Band einzeln zu 3 Mka abgeben. Deswegen gehe ich heute noch einmal hinein. Aber ich hätte doch nur warten sollen, bis Du kamst, das wäre das schlauste gewesen, aber daran dachte ich gar nicht einmal. Ich habe schon einige brillante Scripte geliefert und bin nur noch begierig auf meinen lateinischen Aufsatz, an dessen successor ich eifrig arbeite. Das Wetter war gestern sehr regnerisch, trotzdem war ich zwei Mal in Berlin, einmal mit Gisekesb, die sich verabschiedeten [,] 3 und in der Nationalgallerie,4 dann tota familia bei Rösings, 5 auf dem Rückwege gab ich bei Rickert eine Visiten[-]Karte von Dir ab, worauf ich Dein u. mein Bedauern ausa 〈kon〉

b O: Gieseckes

1 Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. Ihr Kommen war ursprünglich für Mitte September geplant (vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 10. Aug. 1879, oben, S. 188). 2 Die Berliner Gsellius’sche Buchhandlung. 3 Bona Giseke, geb. Nitschke, eine Erfurter Bekannte, die mit ihren Kindern Margaretha Clara (Grethe) und Martin Otto einige Tage zu Besuch war. 4 Die im März 1876 eröffnete National-Galerie (heute: Alte Nationalgalerie) auf der Berliner Museumsinsel. 5 Die Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon.

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drückte, daß Du noch nicht wieder da seist, Du kämst innerhalb 10 Tagen ca. etc. etc. Fragte dann bei Lucae’s6 vor, die noch nicht zurück sind. In der Gewerbeausstellung war ich noch nicht wieder,7 die Zeit ist ganz merkwürdig knapp jetzt, diec Schule mit allem, was dazu gehört, nimmt viel Zeit weg. Hiermit adieu, der Raum ist eng, Dein Sohn Maximilian dMorgen

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ist Martha Webers Geburtstag,8 ich muß ihr heute Abend noch schreiben.d 9 eGrüße bitte Aegidis, wenn Du beim Empfang dieses noch mit ihnen zusammen bist.10 Mama hat vorhin eine Karte von Dir erhalten. Alle hiesigen grüßen Dich vielmals [ .] e

c 〈heu〉

d–d Zusatz am linken Kartenrand.

e–e Zusatz am rechten Kartenrand.

6 August Lucae und seine Frau Johanne Sophie Lucae, geb. Albers. 7 Die Berliner Gewerbeausstellung 1879 fand vom 1. Mai bis 30. September auf einem großen Areal beim Lehrter Bahnhof statt. Sie galt als nationale Leistungsschau von Industrie und Gewerbe, in eigens gebauten Pavillons wurden verschiedenste Produkte und technische Neuerungen präsentiert (vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 201 vom 1. Mai 1879, Mo. Ausg., S. 1, sowie Nr. 455 vom 30. Sept. 1879, Mo.Ausg., S. 4). Eine besondere Attraktion war 1879 die von Siemens & Halske präsentierte erste kleine elektrische Lokomotive. 8 Max Webers Hamburger Cousine Martha Julie Weber. Sie feierte ihren 19. Geburtstag. 9 Der Brief ist nicht nachgewiesen. 10 Max Weber sen. reiste in Begleitung von Ludwig Karl Aegidi und dessen Frau Martha Aegidi, geb. von Sanden-Tussainen.

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Helene Weber 4. Oktober 1879; PSt Hamburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 77 Diese und die folgende Karte vom 5. Oktober 1879, unten, S. 198 f., schrieb Max Weber von einem gemeinsamen Aufenthalt mit Max Weber sen. in Hamburg. Gut eine Woche, einen Teil seiner Herbstferien, verbrachte der 15jährige Weber dort im Haus seines Onkels, dem Hamburger Kaufmann Otto Weber. Über die Reise, die laut Max Webers Brief an Fritz Baumgarten vom 10. August 1879, oben, S. 188, ursprünglich bereits für Anfang September 1879 vorgesehen war, berichtete er im Anschluß ausführlich auch seinem Cousin (Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Oktober 1879, unten, S. 200 f.).

Sonnabend d. 4. October 1879. Liebe Mama! Du wirst es wohl nicht bezweifelt haben, daß ich glücklich hier angekommen bin, ebensowenig, daß Papa gestern glücklich angekommen ist. Meine Aufgabe ist es also nur, aufzuzählen, was ich während meines bisherigen Aufenthalts hier angefangen habe. Donnerstag Abend ging ich mit Onkel Otto in ein Concert, welches Strauß in dem „Hansasaale“ gab.1 Gestern Morgen war ich an der Elbe bei der alten Tante Weber, 2 die uns dann sofort auf Montag Mittag eingeladen. Gestern Nachmittag nahm mich Onkel Otto auf seine Geschäfts-Ausgänge mit3 und wir gingen quer durch die Stadt an den Hafen. Als wir nacha Hause zurückkehrten, sahen wir eine Droschke in langsamstem Trabe – nebenbei gesagt: die Droschken sind hier schauderhaft – die Alster entlang fahren.4 Sie hielt hier und Papa stieg heraus. Das Wetter ist wenig einladend, gestern war es ziemlich klar und kühl, heute regnet es tüchtig. Ich amüsire mich natürlich hier prachtvoll: auch auf Karls Geburtstag5 haben wir angestoßen. Was wir heute vorhaben, weiß ich a zu > nach 1 Eduard Strauß, der Wiener Hofball-Musikdirektor, gastierte vom 13. bis 30. September 1879 mit der Hofball-Musikkapelle im Hamburger Hansasaal (Neuigkeits-Weltblatt (Wien), Nr. 201 vom 31. Aug. 1879, 4. Bogen, S. 7). Es dürfte sich um ein Zusatzkonzert am Donnerstag, dem 2. Oktober, gehandelt haben. 2 Henriette Charlotte Weber, geb. Nottebohm, die Witwe von David Friedrich Weber, einem Großonkel von Max Weber sen. 3 Otto Weber war Teilhaber der Hamburger „D. F. Weber & Co“, einem Unternehmen das Leinenerzeugnisse exportierte (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 242 und 641). 4 Otto Webers Familie wohnte an der Alster 65. 5 Am 3. Oktober.

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nicht, morgen fahren wir nach Blankenese hinunter. Alle Cousinen6 hier grüßen bestens. D. S. Maximilian.

6 Die Hamburger Cousinen Hertha Lucie, Martha Julie, Anna Caroline und Hedwig Emilie Weber.

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Helene Weber 5. Oktober PSt 1879; Hamburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 78 Die Karte enthält zwei Zusätze von Max Weber sen., die hier nicht wiedergegeben werden. Einen in Form einer Anmerkung hinter „Börse“ am rechten Blattrand („Vorher in der Kunsthalle“) sowie einen weiteren, nur noch bruchstückhaft lesbaren zweiten Zusatz am Ende der Karte. Zu Max Webers Besuch im Haus seines Onkels, dem Hamburger Kaufmann Otto Weber, vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Helene Weber vom Vortag, oben, S. 196.

Hamburg d. 5. October. Liebe Mama! Es ist 11 Uhr vorbei und schleunigst setze ich mich hin, um Dir noch einige Zeilen zu schreiben. Gestern Vormittag, das heißt also, zwischen 12 und 5 Uhr, waren wir zunächst in der Börse,1 trafen dort Onkel Otto und gingen mit ihm – das Wetter hatte sich aufgeklärt, – nach dem Hafen, wo wir eins von den großen Hamburg-New Yorker Dampfbooten besichtigten.2 Nach dem Mittagessen gingen wir, d. h. Hertha,3 Martha4 und wir beide5 ins hiesige Stadttheater,6 wo Molières „l’Avare“7 und „der schwarze Domino“8 gegeben wurden. Außerdem besuchten wir gestern noch die alte Frau Moll, die Mutter von Tante Emilie.9 Heute waren wir bei dem „Consul“ Eduard Weber, der sich

1 Die am Adolphsplatz gelegene Börse, das Zentrum des „kaufmännische[n] Leben[s]“ in Hamburg. Die „Handelswelt“ versammelte sich dort im großen Saal täglich zwischen 13 und 15 Uhr. Auch während dieser Zeit war die Börse (gegen Eintrittsgebühr) für Besucher geöffnet. Vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 80. 2 Die Schiffe der 1847 gegründeten HAPAG („Hamburg-Amerikanische-PacketfahrtActien-Gesellschaft“), die seit 1848 eine Linie Hamburg-New York betrieb. Große transatlantische Dampfschiffe wurden am Grasbrookhafen abgefertigt (vgl. ebd., S. 79). 3 Max Webers Cousine Hertha Lucie Weber. 4 Max Webers Cousine Martha Julie Weber. 5 Max und Max Weber sen. 6 Das Stadttheater in der Dammthorstraße. 7 „L’Avare où l’École du mensonge“ (1668) war auch auf deutschen Bühnen eine der beliebtesten Komödien Molières. 8 Die komische Oper „Le Domino noir“ (1837; dt.: „Der schwarze Domino“) von DanielFrançois-Esprit Auber. 9 Gemeint sein dürfte in diesem Zusammenhang Max Webers Hamburger Tante Emilie Weber, geb. Röltgen. Ihre Mutter Dorothee Luise Röltgen, geb. Colberg, hatte nach dem

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hier an der Alster einen einigermaßen großen Palast gebaut hat,10 und außerdem einen sehr ausgedehnten Garten besitzt. Um 12 Uhr wollen wir sammt und sonders hinaus nach Blankenese fahren und zum Mittagessen zurückkehren. Im Übrigen ist zu bemerken, daß das Wetter sich aufgeklärt hat und gestern der Hafen und heute die Alster von der Sonne sehr schön beleuchtet waren. Es scheint, daß ich noch einige Tage länger als Papa hier bleiben werde, Onkel und Cousinen11 wenigstens dringen darauf. Sonst hätte ich nichts zu berichten. Mit bestem Gruße d. S. Maximilian.

Tod ihres Mannes nochmals geheiratet und hieß seitdem Moll. Sie starb einen Monat später, 71jährig. 10 Sein großes Haus mit Münz- und Gemäldesammlung hatte Eduard Friedrich Weber an der Alster 58–59 gebaut (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 242, Anm. 26). 11 Onkel Otto Weber und seine Töchter Hertha Lucie, Martha Julie, Anna Caroline und Hedwig Emilie.

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Fritz Baumgarten 11. Oktober 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 32–33 Zu Max Webers Besuch im Haus seines Onkels, dem Hamburger Kaufmann Otto Weber, vgl. die Karte an Helene Weber vom 4. Oktober 1879, oben, S. 196 f., mit Editorischer Vorbemerkung; zu seiner Schilderung von Hamburger Hafen und Börse auch die Karte an Helene Weber vom 5. Oktober 1879, oben, S. 198.

Charlottenburg den 11 October 1879. Lieber Fritz! Ich habe Dich schon undenkbare Zeiten auf Antwort warten lassen auf Deinen Brief vom 18 August dieses Jahresa, für den ich Dir hiermit bestens danke. Daß ich Dir nicht gleich geantwortet habe, war eine große Nachlässigkeit von mir, aber es läßt sich nun nicht mehr ändern. Ich sehe nur immer wieder, wie es geht, wenn man solche Sachen aufschiebt. Man denkt dann nicht daran, und, denkt man daran, so hat man anderweitig zu schreiben oder zu arbeiten oder es kommt sonst so etwas dazwischen. Auf diese Weise kommt es dann leicht, daß man eine Correspondenz ganz aufgiebt, dies jedoch in unserem Falle zu verhindern, schreibe ich Dir jetzt, im ersten Momente der Ruhe, diese Zeilen. Ich komme nämlich eben, das heißt, gestern, aus Hamburg wieder, wo ich acht Tage lang bei meinen Cousinen1 und in meines Onkels Hause2 fröhlich verlebt habe. Ich glaube, daß dieser Aufenthalt für mich eben so interessant und angenehm als belehrend war, denn eine solche Stadt wie Hamburg bietet für eine Landratze, wie ich bin, viel neues, man bekommt einen Einblick in das Leben der ganzen Welt und lernt die ungeheure Wichtigkeit des Handels erst recht kennen. Ich kann wohl sagen, ich habe die Stadt so gründlich, wie in der kurzen Zeit nur möglich, kennengelernt, ich sah, wie die großen Seeschiffe in den Hafen einliefen, wie ihre Ladung durch Dampfkrähne auf die Eisenbahn oder auf kleinere Schiffe befördert wurde, 3 wie diese in die a Fehlt in O; Jahres sinngemäß ergänzt. 1 Hertha Lucie, Martha Julie, Anna Caroline und Hedwig Emilie Weber. 2 Otto Webers Familie wohnte an der Alster 65. 3 Die Be- und Entladung von Dampfschiffen erfolgte am 1866 neu eröffneten Sandtorhafen. Der Baedeker beschrieb diese technische Neuerung: „zahlreiche bewegliche Dampfkrahne bewältigen diese früher Wochen in Anspruch nehmende Arbeit in wenigen Tagen[,]

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unzähligen kleinen Canäle, die die Stadt durchschneiden, einliefen, wenn Fluth war, ihre Ladung in die Speicher, hinter denen die Canäle, Fleethe genannt, herlaufen, beförderten und wie sie mit der Ebbe wieder in den Hafen zurückkehrten. Das Leben einer solchen Hafenstadt hat für einen Laien etwas ganz besonders fesselndes, man sieht, wie Tausende von Menschen nur für einen Zweck arbeiten. Ich sah auch, wie die Kaufleute an der Börse ihre Geschäfte regelten und abschlossen und bekam so einen Einblick in das Leben der Handelswelt. Kurz, mein Aufenthalt dort war für mich höchst interessant. Was Du übrigens in Deinem Briefe über die Dankbarkeit für jede, auch noch so kleine Freude schreibst, fi nde ich ganz richtig, ich glaube auch diese Dankbarkeit immer gefühlt zu haben, so wie auch jetzt, nur spreche ich mich wenig darüber aus, vielleicht weil ich annehme, daß die Menschen meine Dankbarkeit als selbstverständlich betrachten, vielleicht weil dies Gefühl in mir zu unbestimmt ist, um es auszusprechen und ich fürchte, in leeren Formeln zu reden. – Augenblicklich sind noch Ferien, die Schule fängt am Montag an.4 Was meine Lectüre betrifft, so lesen wir zunächst in der Schule Cicero pro Ligario5 und Laelius.6 Auf letzteres bin ich besonders neugierig, ich habe den Laelius noch nie zu sehen zu bekommen, aber schon sehr viel davon gehört. Die Rede pro Ligario habe ich bereits gelesen, sie ist inhaltslos und abgeschmackt – finde ich wenigstens –, wie nur irgend eine andere von Cicero. Sie besteht – ich weiß nicht, ob Du sie kennst, – eigentlich nur aus einer Lobpreisung des Caesar, den Cicero doch erst wenige Jahre vorher als Feind der Republik verdammt hatte. Aber das ist alles verzeihlich, wer weiß, wie wir uns in solcher Lage in solchen Zeiten verhalten hätten – aber unausstehlich ist die Prahlerei, die er dann noch anwendet. Doch genug davon, was soll ich davon noch viel sprechen, es läßt sich nun einmal nicht ändern und vieles von Ciceros Prahlerei läßt sich wohl als Phrase entschuldigen. Sonst habe ich mich in letzter Zeit viel mit der Geschichte der Vereinigten Staaten

durch Eisenbahngeleise ist Gelegenheit gegeben, die Waaren direct nach dem Inland zu verladen“. Vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland18, 1878, S. 79. 4 Am Montag, dem 13. Oktober, endeten die Herbstferien. 5 M. Tullius Ciceros Rede „pro Ligario“, in der er im Oktober 46 v. Chr. Quintus Ligarius vor Cäsar verteidigte. Ligarius hatte im Bürgerkrieg als Anhänger Pompeius’ gekämpft und war gefangengenommen worden. 6 Gemeint sein dürfte M. Tullius Ciceros vermutlich 44 v. Chr. verfaßte Schrift: Laelius de amicitia („Über die Freundschaft“).

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von Nordamerika beschäftigt,7 die mir sehr interessant ist. Dazwischen hindurch habe ich noch allerhand Romane, von Alexis,8 von Scott etc. gelesen. Hauptsächlich aber lese ich Treitschkes vortreffl iches Buch über deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert,9 es ist mir ein wahrer Genuß, nur komme ich nicht eben sehr häufig zum Lesen. Übrigens ist das Buch in manchen Theilenb sehr schwer, man muß sich gehörig anstrengen, um den Zusammenhang zu verstehen: dies gilt besonders von dem ersten Theile, wo er eine gedrängte Übersicht der Geschichte Deutschlands bis zum Westphälischen Frieden giebt.10 – Mit freudigem Erstaunen habe ich gehört, daß Ihrc Euch ein Haus gekauft habt, Du weißt ja, ich wünsche Euch alles Gute, so auch in dem neuen Hause.11 Ich habe keinen Begriff, wo dies Haus liegen kann und wie es aussieht, in der Nähe der Contades läge es,12 sagte mir Mama. Wie gesagt, viel Glück. Ich werde Dir jedenfalls in nächster Zeit nochmals schreiben.13 Du hast vielleicht schon gehört, daß Mama jetzt an Marie Jolly geschrieben hat, sie möchte kommen. Wir freuen uns sehr auf sie. Anfang des nächsten Jahres wird dann Ottilie Fallenstein kommen, was Du vielleicht auch schon weißt. Hier schließe ich aus Raummangel. Mit bestem Gruße an Alle: Dein Vetter Maximilian. b 〈zu〉

c O: ihr

7 Genauere Hinweise zu Max Webers Lektüre über die Geschichte der Vereinigten Staaten sind nicht überliefert. 8 Willibald Alexis. Unter diesem Pseudonym hatte der Schriftsteller Georg Wilhelm Heinrich Häring seit 1832 u. a. eine Reihe „Vaterländischer Romane“ verfaßt. Welchen Roman Max Weber von ihm las, ist nicht zu ermitteln. In Helene Webers Besitz befand sich – allerdings deutlich später – nachweislich Alexis’ fünfbändiger Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ (1852) (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 12. Sept. 1897, MWG II/3, S. 433). 9 Von Heinrich von Treitschkes „Deutscher Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ war in diesem Jahr der erste Band erschienen: Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Erster Theil: Bis zum zweiten Pariser Frieden. – Leipzig: S. Hirzel 1879 (hinfort: Treitschke, Deutsche Geschichte I). Die Bände 2 bis 5 folgten 1882– 1894. 10 Gemeint sein dürfte der erste Abschnitt im Ersten Buch („Der Untergang des Reichs“). Unter dem Titel „Deutschland nach dem Westphälischen Frieden“ (ebd., S. 3–103) behandelte und kommentierte Treitschke dort sehr komprimiert auch die Zeit vor 1648. 11 Eine große Villa am Straßburger Orangerie-Ring 2. Hermann Baumgarten hatte sie mit dem Vermögen seiner Frau Ida gekauft (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 327). 12 Der Orangerie-Ring (heute: Boulevard de l’Orangerie) grenzt direkt an den OrangeriePark nordöstlich der Straßburger Altstadt. Der 1764 geschaffene Parc de Contades liegt westlich davon. 13 Der nächste, nur als Fragment überlieferte Brief Max Webers an Fritz Baumgarten datiert von November 1879, unten, S. 203.

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[Fritz Baumgarten] [zwischen dem 1. und 13. November 1879]; o. O. Brieffragment; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Von Max Webers Brief ist nur die letzte Seite mit dem Briefschluß erhalten. Adressat und Datierung sind anhand eines sich anschließenden längeren Zusatzes von Helene Weber an Fritz Baumgarten (zit. auch in Roth, Familiengeschichte, S. 397) erschlossen: Darin fragte Helene Weber Fritz Baumgarten nach Nachrichten zu einer Frankfurter Angelegenheit, die sie vor allem aufgrund der räumlichen Nähe Frankfurts zu Heidelberg beschäftige. Diese Andeutung erlaubt die Datierung auf den Herbst 1879, in dem Max Weber sen. für das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters in Erwägung gezogen worden war (vgl. Roth, ebd., S. 396 f.). Da die Entscheidung in Frankfurt laut Helene Webers Zusatz noch nicht gefallen war, dürfte dieser wie auch Max Webers Brief in der ersten Novemberhälfte verfaßt worden sein. Die Abstimmung der Frankfurter Stadtverordneten, die Webers innerparteilichen Konkurrenten Johannes von Miquel klar favorisierten, fand am 13. November 1879 statt (vgl. Herzfeld, Hans, Johannes von Miquel. Sein Anteil am Ausbau des Deutschen Reiches bis zur Jahrhundertwende, Band 1: Johannes von Miquel und die Bismarcksche Reichsschöpfung von 1866 bis 1884. – Detmold: Verlag Dr. Catharina Staercke 1938, S. 511).

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Doch genug von diesem Thema,1 es ist das nun einmal nicht mehr zu ändern. Sonst habe ich nichts besonderes mehr zu bemerken, die Vergilstunde ist jetzt wenig anregend und langweilig und so war mir Plautus2 eine angenehme Abwechslung. – Sonst habe ich Dir nichts mehr zu erzählen, es ist jetzt hier Schnee gefallen und kalta. Allein spät ist es heute auch und ich muß jetzt zu Bett. Leb wohl, beste Grüße von uns allen. Dein Vetter Maximilian.

a klalt > kalt 1 Sachverhalt nicht ermittelt. 2 Der frühe römische Komödiendichter Titus Maccius Plautus. Welche von Plautus’ Komödien Max Weber gelesen hat, ist nicht ermittelt.

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Fritz Baumgarten 19. Dezember 1879; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 34–37 Am Ende des Briefes (Bl. 36v–37v) schließt ein längerer Weihnachtsgruß von Helene Weber an die Familie Baumgarten an, der hier nicht wiedergegeben wird.

Charlottenburg Sonnabend den 19. Dec. 79 Abends. Lieber Fritz! Nach Beendigung eines Unthiers von lateinischem Aufsatz, an dem ich fünf bis sechs Stunden hintereinander geschrieben, setze ich mich hin, Dir den versprochenen Brief endlich einmal zukommen zu lassen. Es sind jetzt Ferien, aber Du glaubst gar nicht, wie beschäftigt der Mensch hier ist: nicht etwa mit Weihnachtsangelegenheiten, denn die ist man gewöhnt im letzten Augenblick vorzunehmen, sondern mit Arbeiten, Lesen, Essen, Schlafen. Arbeiten muß ich jetzt allerdings ziemlich viel, ich habe, wie schon gesagt, eben einen Kilometer-langen lateinischen Aufsatz beendigt und habe – Gott seis geklagt – noch einige ähnliche Beester vor mir. Zudem sieht es überhaupt mit dem, was man zu thun hat, nicht allzu dünne aus, besonders wenn man, wie man nach seinen jetzigen Aussichten hoffen darf, Ostern nach Prima will. Kurz, man ist beschäftigt. Ferner hat man zu lesen, ach, – nur gar zu viel. Es ist im Allgemeinen ein Vergnügen, wenn man liest, aber die Sache hört auf, wenn man etwas angefangen hat und nun weiterlesen muß, ob einen nun darüber der Teufel holt oder nicht. Gott sei Dank habe ich dies pfl ichtmäßige Lesen wieder ’mal absolvirt: ich habe Wielands Gedicht „über die Natur der Dinge“,1 welches fünf Gesänge hat und mich – zu meiner Schande muß ichs gestehen trotz aller etwaigen und nicht-etwaigen darin vorkommenden Gedanken, nur wenig interessirte, absolvirt: das heißt, wieviel ich davon im halben Schlaf und wieviel mit Gedanken und Verstand gelesen habe, weiß ich nicht und fragte mich einer nach der Tendenz, so könnte ich eklig ’reinfallen. – Es fällt mir übrigens ein, Du wirst dies Gekrakel nicht lesen kön1 Christoph Martin Wielands: „Die Natur der Dinge oder die vollkommenste Welt. Ein Lehrgedicht in sechs Büchern. 1751“, in der Ausgabe letzter Hand abgedruckt in: C. M. Wielands sämmtliche Werke. Supplemente. Erster Band. – Leipzig: Bey Georg Joachim Göschen 1798, S. 3–248.

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nen, – schadet aber auch nicht: es steht nicht viel interessantes drin; ich habe mir heute schon die Pfoten abgeschrieben, so daß nächstens an ihrer Stelle ein fragmentarischer Stummel, mit unendlicher Tinte bedeckt, stehen wird; es ist schauderhaft, was man sich bei so stundenlangem ewigen Schreiben zuschmiert und ermüdet, aber es ist ganz gesund für den Schlaf. Also, um wieder aufs sogenannte Thema zurückzukommen, ich habe Wielands oben besagtes Gedicht durchgelesen, freilich ohne gerade sehr viel geistigen Vortheil an mir zu spüren. Glücklicherweise ist diese Zwangslectüre aber nicht meine einzige, sondern ich habe doch wenigstens einiges außerdem gelesen, was mich mehr interessirte und erfreute. Dahin gehören zunächst mehrere Sachen von Oisian2 und zwar seine schönsten, die ich noch nicht gelesen hatte. Ich weiß nicht, ob Du ihn kennst, er wird heute nicht sehr viel mehr gelesen, aber er gehört, im Bezug auf Sprache und Poësie, zu dem schönsten, was es geben kann, ich stelle ihn fast über, sicherlich neben Homer, 3 wenngleich er diesem unendlich fern steht. Seine wilde Poësie erfüllt im ersten Augenblick ganz und brummt einem, wenn man sich bemüht empfänglich zu sein, noch lange nachher im Kopfe umher. Ein Memento mori, wie: „Hinter Dir steht dämmernd der Tod Gleich wie die fi nstre Hälfte des Monds Hinter seinem wachsenden Licht.“4 werde ich nicht leicht vergessen. Ich bin im Allgemeinen leider nicht gerade sehr empfänglich, aber trotz alledem habe ich noch nichts mit solchem Vergnügen gelesen, wie früher den: „Fionnghal“a, 5 wie jetzt a „Fionngheal“ > „Fionnghal“ 2 Ossian (gälisch: Oisin, Oisean oder Oisian), ein fiktiver gälischer Held und Barde, dessen mündlich überlieferte Werke der schottische Schriftsteller James Macpherson vorgab gesammelt zu haben. Tatsächlich hatte Macpherson sie selbst verfaßt und 1773–1777 erstmals als Gesamtausgabe unter dem Titel „The Works of Ossian“ publiziert. Sie wurden bald in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt. 3 Mit dem Vergleich zwischen Ossian und Homer beginnt Webers „Skizze zu einem Aufsatz“ von Weihnachten 1879, „Betrachtungen über Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen“, abgedruckt in Anhang I, 2, unten, S. 620–636. 4 Die Passage entstammt „Cuchullin’s Tod“, in leicht abweichendem Wortlaut abgedruckt in: Die Gedichte Oisian’s. Aus dem Gälischen im Sylbenmaße des Originals von Christian Wilhelm Ahlwardt, 3 Bände. – Leipzig: G. J. Göschen 1811, hier: Band 3, S. 337–368, Zitat: S. 346. 5 Das Gedicht ist abgedruckt in: Die Gedichte Oisian’s, ebd., Band 1, S. 1–258 („Fionnghal“).

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die „Lieder von Selma“, „Carthonn“, „Oighthonna“, „Dearduil“ u. a.6 Wenn der Dichter uns auf schnellen Segelschiffen durch die neblige Fluth fl iegen läßt, wenn er uns im brausenden Walde unter zuckenden Blitzen irren, uns im sausenden Sturm über die dampfende Heide reiten läßt, empfi nden wir ebensoviel Vergnügen, nur in ganz anderer Weise, als wenn Homer uns an grünenden Küsten vorüber durch das blaue Meer im sanften Zephyr führt oder uns behaglich beim Schmause in der warmen Stube sitzen läßt. Beide Dichter sprechen vom Standpunkte des Alters aus über die Jugend, nur in ganz anderer Weise. Homer faßt die Jugend von der frohen Seite auf, Oisian hingegen faßt sie vom Standpunkte des klug gewordenen Alters auf, er betrachtet die Jugend nur in sofern als glücklich, als ihr Dasein ein Traum sei. So sagt er einmal, trüber Stimmung, am Anfange eines Kampfgedichtes: Unsre Jugend gleichet dem Traum Des Jägers am Hügel der Heide: Er schlief im mildenb Sonnenschein, Ihn erweckt der tobende Sturm: Umher zuckt flammend der Blitz, Der Bäume Haupt erbrauset im Wind; Er denkt mit Freude zurück An die Tage des sonnigen Strahls, Anc die lieblichen Träume der Ruh’.7 Man sieht durch dies Gedicht dziemlich klard die sentimentale, neblichte, stürmische Auffassung des gealterten Dichters des Nordlandes im Gegensatz zu der naivene, sonnigen, ruhigen Dichtung des greisen Südländers. Rührend ist eine andere Stelle, wo Oisian darüber klagt, daß er, der blinde Greis, dasf schöne Licht der Sonne nicht mehr erblicke. Doch darüber klagt der Dichter am wenigsten, viel mehr klagt er darüber, daß er den wilden Fionnghal nicht mehr sehen könne, daß er seine jugendliche Armkraft und seinen jugendlichen Muth verloren. Welcher Gegensatz zum Süden: dort kennt der Mensch nichts höheres

b warmen > milden die > das

c 〈Die〉

d–d ordentlich > ziemlich klar

e 〈Di〉

f das >

6 Alle Gedichte abgedruckt in: Die Gedichte Oisian’s, ebd., Band 3, dort, S. 1–56 (Carthonn), S. 175–200 (Oightonna), S. 303–336 (Lieder von Selma) und S. 369–418 (Dearduil). 7 Mit dieser Passage beginnt: „Der Krieg von Innisthonna“, abgedruckt in: Die Gedichte Oisian’s, ebd., Band 3, S. 279–302, das Zitat in leicht abweichendem Wortlaut, ebd., S. 285.

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als das Leben, als das schöne Licht der Sonne, φάος Ἠελίοιο,8 zu sehen; graus und düster, voller Schrecken ist dem Hellenen das Jenseits, in fi nstrer Unterwelt über die Schatten zu herrschen ist das Loos der todten Helden. Dem Italiker erschien der Tod so furchtbar wenigstens nicht, er war im Gegensatz zu dem viehzüchtenden Hellenen gewohnt, alles Gute von der Erde zu empfangen, ihm schien der Tod schon weniger schrecklich; den nordischen Völkern hingegen schien der Tod weder Schrecken noch Leid in sich zu bergen, er schien ihnen häufig wünschenswerth. Daraus erklären sich schon die beiderseitigen Kampfschilderungen. Während bei Homer die Flucht nicht für schimpfl ich gilt, wenn dadurch das Leben zu retten ist, ist bei Oisian der Tod nothwendig, wenn er nur durch Flucht vermieden werden kann. – Verzeih’, lieber Fritz, wenn ich hier wieder einmal etwas ins Quaseln gekommen bin, es kommt daher, daß ich, weil ich, wie gesagt, schon soviel gekritzelt habe, nicht sehr auf mich achte und leicht ins Breite gerathe. – Ich habe Dir sonst nichts zu erzählen, wenigstens nichts von Bedeutung. Wir sind ja alle ganz gesund und sehr vergnügt ob Ferien und Weihnachtszeit, was bei Euch ja wohl auch der Fall sein wird.g – Laelius habe ich jetzt auch zu Ende gelesen und er gefällt mir außerordentlich,9 weil nicht lauter abstracte Lehrbegriffe darin liegen und das ganze Buch nicht überhaupt inhaltlos ist, wie mehrere Cicero’sche Reden. – Wie gesagt, es ist hier sonst nicht viel los; neulich waren wir auf dem Weihnachtsmarkt, der ja hier in Berlin berühmt ist: das ist aber auch ein Lärm darnach. Da steht ein Kerl an einer Pfefferkuchenbude und predigt über die Gemüthlichkeit, hier entlockt einer unqualifi zirbare Töne einer Tute etc. etc.; es ist ziemlich toll und macht immerhin Vergnügen. Doch es ist einigermaßen spät und dies Gekritzel muß endlich auch einmal ein Ende kriegen. Ich schließe also jetzt und wünsche Euch recht vergnügte Festtage, wenngleich das Vergnügen selbstver-

g 〈[??]〉 8 Griech. für: Licht der Sonne (beide Wörter in einer älteren griechischen Wortform). Als Zitat findet sich die Formulierung mehrfach sowohl in Homers Odyssee wie in der Ilias (dort 17. bis 24. Gesang), über deren Lektüre Max Weber bereits in seinem Brief an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878, oben, S. 117–119, berichtet hatte. 9 Über die Lektüre von M. Tullius Ciceros Schrift: Laelius de amicitia („Über die Freundschaft“), im Schulunterricht hatte Max Weber bereits im Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Oktober 1879, oben, S. 201 mit Anm. 6, berichtet.

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19. Dezember 1879

ständlich ist. Grüße doch Deine Familie, Schwestern,10 Eltern,11 Bruder,12 Tanten13 etc. bestens. Dein Vetter Maximilian

10 Emmy, Anna und Helene Baumgarten. 11 Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 12 Otto Baumgarten. 13 Welche Tanten im einzelnen gemeint sind, ist nicht zu ermitteln. Auszugehen ist davon, daß (außer der ebenfalls in Straßburg lebenden Emilie Benecke) Hermann Baumgartens unverheiratete Schwester Marie das Fest im Kreis der Familie Baumgarten feierte.

14. Juli 1880

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Max Weber sen. 14. Juli 1880; Glatz Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 1 Diese, wie die folgenden Karten an Max Weber sen. vom 16., 17., 19. und 20. Juli 1880, den Brief vom 21. und 22. Juli, sowie die Karten vom 23., 25. und 26. Juli 1880, unten, S. 211–231, schrieb der sechzehnjährige Max Weber von seiner ersten allein unternommenen Sommerreise, die ihn unter anderem nach Breslau, ins Riesengebirge und nach Prag führte. Wie sich aus seinen Korrespondenzen ergibt, war geplant, sich unterwegs mit dem Vater zu treffen. Das Treffen kam allerdings nicht zustande. Max Weber sen. blieb in Charlottenburg, wo am 26. Juli die jüngste Tochter Lili Weber zur Welt kam. Der Beginn der Reise ist nicht dokumentiert. Im Brief vom 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 224, kündigte Max Weber an, am darauffolgenden Freitag (29. Juli 1880) in Charlottenburg zurück zu sein. Laut einer Karte von Max Weber sen. an Fritz Baumgarten vom 31. Juli 1880 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) traf er etwas später ein. Seinem Neffen schrieb Max Weber sen. über die Reise seines Sohnes (ebd.): „Max ist heute von der mehrwöchentlichen, interessanten Reise, die er allein durch das Glatzer Gebirge und nach Breslau dann durch das Riesengebirge über die böhmischen Schlachtfelder nach Prag und zurück über Dresden gemacht hat, – ganz gebräunt heimgekehrt; er hat sich dabei in verschiedenen schwierigen Situationen ganz auffallend praktisch und geschickt benommen und mit den für eine kleinere Reise berechneten, knappen Wörthern sehr viel erzählt; er hat in der That bei einfachem natürlichem Sinne recht viel gesunden Verstand“.

Glatz. Weisses Lamm – Mittwoch d. 14. Juli 1880 Abends

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Ich kam heute um 3 Uhr beim dicksten, stupidesten Nebel hier in die Grafschaft,1 der sich indessen bis zu meiner Ankunft hier ziemlich vollständig verzog. Von Kapps ging ich um 1/ 2 1 Uhr fort, 2 nachdem ich noch zu guter letzt eine Taube mit Haut und Knochen verzehrt, wofür Fräul[ein] Margreth3 verantwortlich, welche mir vorredete, die betr. Knochen des schon fast ausgewachsenen Biestes seien dasa beste daran. Ich hatte zwar 25 |:oder 26:| Kilob zu laufen bis ich nach Neurode kam und konnte mich keinen Augenblick ausruhen, da ich zu dem a O: daß

b Lies: Kilometer

1 Die ehemalige Grafschaft Glatz war 1818 in der Provinz Schlesien aufgegangen. 2 Die befreundete Familie von Friedrich Kapp und seiner Frau Luise Kapp, geb. Engels. Kapp besaß seit 1871 ein Sommerhaus in Bad Charlottenbrunn, wo die Familie jedes Jahr einen Teil des Sommers verbrachte (vgl. Lenel, Edith, Friedrich Kapp 1824–1884. Ein Lebensbild aus den deutschen und nordamerikanischen Freiheitskämpfen. – Leipzig: Hinrichs’sche Buchhandlung 1935, S. 141, Anm. 2). Der kleine Kurort liegt gut 40 Kilometer von der Stadt Glatz entfernt. 3 Margarethe Kapp, die vierte Tochter von Friedrich Kapp und Luise Kapp, geb. Engels.

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14. Juli 1880

5 Uhr-Zuge in N[eurode] sein wollte,4 trabte mir in Folge dessen die Beine in den Leib. Hier in Glatz5 bin ich im Lamm ausgezeichnet aufgehoben; weder Donjon-Bastion6 noch |:Inneres der:| kath. Kirche7 waren heute Abend noch zugänglich, ich muß leider morgen abmachen. Heute ging ich zuerst in die obere Stadt, zog mich daraus indessen in Folge eines intensiven Geruchs nach jauer[ischer] Wurst8 zurück und ging nunmehr um die Stadt, betrat verschiedene Male die Glacis9 |:um Aussicht zu gewinnen:|, wurde verschiedene Male von Posten hinausbefördert,10 sollte jedes Mal 3 rl. zahlen,11 bezahlte nichts (erklärte nichts zu haben) etc. Glatz gefällt mir außerordentlich. Morgen gehe ich nach dem Schneegebirge ab.12 Mit bestem Gruß. Max

4 Von Neurode aus bestand seit 1879 eine Zugverbindung nach Glatz. 5 Die Stadt Glatz, rund 90 Kilometer südlich von Breslau. 6 Donjon frz. für: Bergfried. Max Weber bezieht sich auf die (alte) Festung Glatz, eine ehemalige Burg, die nach dem Dreißigjährigen Krieg zur Festung umgebaut wurde. Der die Stadt überragende Bergfried, ein Überrest der Festung, galt als sehenswerter Aussichtspunkt (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 216). 7 Die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt. 8 Eine spezielle Brühwurst, benannt nach dem niederschlesischen Ort Jauer. 9 Das einer Festung vorgelagerte Gelände. 10 Glatz war nach wie vor Garnisonsstadt. Das Besteigen des Bergfrieds erforderte eine Erlaubniskarte der Kommandantur (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 216). 11 3 rl., drei (preußische) Reichstaler, entsprachen 9 Mark. Die Reichstaler waren 1880 trotz der Einführung der einheitlichen Währung (Mark) 1871 noch immer im Umlauf. 12 Das (Glatzer) Schneegebirge, etwa 30 Kilometer südöstlich von Glatz.

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16. Juli 1880

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Max Weber sen. 16. Juli PSt 1880; Breslau Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 2 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Breslau Freitag d 16 Juli Abends 1/ 2 11 Uhr.

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Ich habe gestern nicht geschrieben aus dem einfachen Grunde, weil in dem ziemlich antediluvianischen1 Gasthof in Landeck, 2 wo ich residirte, keine Materialien und keine Zeit dazu war, kann heute der Zeit wegen auch nur ein notdürftiges Lebenszeichen von mir geben, werde aber morgen Abend ausführlicher schreiben.3 In Glatz besuchte ich gestern (Donnerstag d. 15.) Morgen noch die Donjon-Bastiona und hatte eine ziemliche Aussicht,4 konnte, weil mir ein vermaledeyter Stiefelknecht die Sohle vom Stiefel riß, erst um 1 Uhr fortkommen und kam um 2 nach Habelschwerdt.5 Von da ging ich nach Wölfelsgrund.6 Die Landschaft ist dort wirklich ausgezeichnet schön und frisch, doch wurde mir ihr Genus durch scheusliche, angeknabberte Forellen und altes, aufgewärmtes Pferdefleisch, welches als „Schmorbraten“ figurirte, etwas beeinträchtigt. Ich ging um 1/ 2 6 von W[ölfelsgrund] fort und hatte einen starken Marsch bis 10 Uhr, wo ich bei zweifelhaftem Mondschein in Bad Landeck einrückte. Das Gasthaus [,] in dem ich blieb, führt den hochtrabenden Titel „zum Waldschlössel“,7 war aber etwas veraltet. Morgen mehr davon, ich habe mich bei alledem ausgea O: Donion-Bastion 1 Neulat. für: vorsintflutlich. 2 Die Stadt Landeck mit nahe gelegenen Kuranlagen liegt rund 20 Kilometer südöstlich von Glatz. 3 Einen auch in den Karten vom 17., 19. und 20. Juli 1880, unten, S. 213, 215 und 217, angekündigten ausführlicheren Brief an Max Weber sen. schrieb Max Weber schließlich am 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 219–224. 4 Zum Aufenthalt in Glatz und der geplanten Besichtigung des Festungsturmes vgl. die Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 210 mit Anm. 6. 5 17 Kilometer südlich von Glatz gelegene Kreisstadt an der Neiße. 6 Der Talkessel mit dem gleichnamigen Wasserfall (Wölfelsfall) war von Habelschwerdt per Wagen und zu Fuß erreichbar (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 217). 7 Das Gasthaus lag bei den etwas östlich der Stadt befindlichen Kuranlagen und war laut Baedeker, ebd., S. 216, „nicht billig“.

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16. Juli 1880

zeichnet amüsirt. Heute ging ich quer durch die äußerste Spitze von Mähren u. österreichisch Schlesien (Ungarwein famos!) nach Patschkau8 und fuhr dann nach Breslau, wo ich eben ankam und im „deutschen Haus“9 gut aufgehoben bin. Morgen Abend oder Sonntag früh folgt Brief. Mit vielen Grüßen, auch an Ottilie [,]10 Max.

8 Patschkau, nahe der österreichisch-ungarischen Grenze, lag an der Breslau-Glatzer Bahnlinie. 9 Das Gasthaus „Deutsches Haus“ befand sich in der zentral gelegenen Breslauer Albrechtstraße (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 181). 10 Ottilie Fallenstein, Max Webers Cousine. Sie war nach Berlin gekommen, um Helene Weber im Umfeld der Geburt von Tochter Lili zu unterstützen (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten, undat. („Mittwoch früh“) [Sept./Okt. 1880], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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17. Juli 1880

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Max Weber sen. 17. Juli 1880; Breslau Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 3 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Breslau Sonnabend d. 17 Juli 1880 Abends

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Meinen ausführlichen Brief habe ich bis morgen verschoben,1 weil ich heute weder das Innere des Rathauses, 2 noch das des Museum, 3 noch den Prof. Dilthey gesehen habe.4 Ich habe das alles auf Morgen verschoben. Ich stand heute erst um 8 Uhr auf, da ich gestern erst ziemlich spät eingeschlafen war. Nach dem Frühstück ging ich von hier auf die Promenade an der Oder, die wirklich einen ausgezeichnet schönen Blick bietet. Die Stadt macht von dort aus noch ganz den Eindruck einer mittelalterlichen, freien Reichsstadta mit allen ihren Befestigungen und Türmen.5 Ich trieb mich den ganzen Vormittag bis 2 Uhr in der Stadt umher, sah das Rathaus von außen, ging in den „Schmiedeberger Keller“6 (ich werde morgen dort zu Mittag essen) [,] betrachtete den botanischen Garten7 und den Dom, ging in den letzteren, der von Innen a O: Reichstadt 1 Den bereits in der Karte vom Vortrag, oben, S. 211, angekündigten Brief an Max Weber sen. schrieb Max Weber schließlich am 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 219–224. 2 Das überwiegend aus dem 14. Jahrhundert stammende Breslauer Rathaus am Großen Ring mit spätgotischer Innenausstattung. Vor allem der Fürstensaal galt als „Glanzstück“ (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 184). 3 Wie sich aus der Karte an Max Weber sen. vom 19. Juli 1880, unten, S. 215 mit Anm. 4, ergibt, ist hier das 1815 gegründete Königliche Museum für Kunst und Altertümer im ehemaligen Augustinerkloster gemeint (heute die Breslauer Universitätsbibliothek). 4 Wilhelm Dilthey, besonders in seiner Berliner Studienzeit freundschaftlich mit Max Weber sen. verbunden, lehrte seit 1871 an der Universität Breslau (vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 379 f. mit Anm. 18). 5 Trotz seiner Größe und seines Wohlstands hat Breslau den Status einer Reichsstadt nie erlangt (vgl. Garber, Klaus, Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole. – Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2014, S. 58). 6 Ein „Schmiedeberger Keller“ in Rathausnähe ließ sich nicht ermitteln. Möglicherweise meinte Max Weber den unter dem Rathaus gelegenen „Schweidnitzer Keller“, das älteste und berühmteste Brauhaus Breslaus. Von dort aus schrieb er seine Karte vom 19. Juli 1880, unten, S. 215 f. 7 Der 1811 angelegte Botanische Garten, noch heute eine Sehenswürdigkeit, beherbergte eine große Sammlung von „Medicinalpflanzen“ (vgl. Baedeker, Mittel- und NordDeutschland20, 1883, S. 188).

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17. Juli 1880

sich ganz gut und imposant ausnimmt, von Außen dagegen nicht eben großartig ist; 8 kurz, ich wendete meine Zeit entschieden ganz gut an, wie ich morgen noch weiter auseinander zu setzen hoffe. Um 1/ 2 3 Uhr traf ich den würdigen „Pennbruder“9 in seiner Bude und aß dann mit ihm im „Pariser Garten“10 zu Mittag. Wir fuhren dann per Pferdebahn aus Breslau hinaus und trieben uns in der, nicht eben sehr bedeutenden, Umgegend im Osten der Stadt herum. Gegen Abend kehrte ich zurück und aß im „Zeltgarten“11 zu Abend (– in meinem Hôtel12 ist es mir gar zu teuer, dasselbe ist überhaupt wider Erwarten unter aller Kanone fein). Jetzt ist es ziemlich spät, ich schreibe daher erst morgen ausführlicher. Mit vielen Grüßen Max

8 Der gotische Dom St. Johann(es). Seine „stilgemäß[e]“ Restaurierung war erst 1875 abgeschlossen worden (vgl. ebd.). 9 Anspielung unklar. Ob es sich um einen Spitznamen für den 1879 mehrfach erwähnten Schulfreund Erdmann Pennmeyer oder einen älteren Bruder Pennmeyers handelt, der in Breslau studierte, ließ sich nicht ermitteln. 10 Ein größeres Breslauer Bierlokal in der Alten Taschenstraße (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 181). 11 Eines der Breslauer „Concert- und Vergnügungslocale“ (vgl. ebd., S. 182). 12 Max Weber wohnte im „Deutschen Haus“ in der Breslauer Albrechtstraße (vgl. die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 16. Juli 1880, oben, S. 212 mit Anm. 9).

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19. Juli 1880

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Max Weber sen. [19.] Juli PSt 1880; Breslau Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 4 Die Karte ist von Max Weber auf „Montag d. 20 Juli“ datiert. Laut Poststempel (vom 19. Juli) und angegebenem Wochentag schrieb er sie jedoch zweifelsfrei am 19. Juli. Der 19. Juli 1880 war ein Montag. Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Breslau. Schweidnitzer Keller. Montag d. 19a Juli Morgens

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Meinen beabsichtigten längeren Brief muß ich immer weiter hinausschieben,1 da ich gestern Abend, weil ich mit der Familie Dilthey2 zusammen war, nicht dazu kommen konnte. Ich besuchte den Herrn Prof. Dilthey gestern (Sonntag) Vormittag, nachdem ich vorher noch einen Gang um den größten Teil der Stadt gemacht hatte. Ich wurde zu Mittag eingeladen, zog es aber, da es mit meiner Zeiteinteilung absolut nicht vereinbar war, vor, diese Einladung abzulehnen und lieber den Abend den gewohnten Ausflug der Familie nach dem „Oderschlößchen“3 mitzumachen. Ich ging von Diltheys aus ins Museum, fand aber zu meinem Erstaunen nur Gipsabgüsse und einen Teil der archäologischen Sammlung und hörte, daß der Rest derselben sowie die Gemälde im Umzug begriffen und zum Teil schon umgezogen und zur Zeit nicht zu sehen seien.4 Ich war dann im Rathause, konnte aber den sog. Fürstensaal nicht sehen,5 weshalb ich jetzt noch einmal hingehen a O: 20 1 Den bereits mehrfach angekündigten Brief an Max Weber sen. schrieb Max Weber schließlich am 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 219–224. 2 Die Familie von Wilhelm Dilthey. 3 Das Oderschlößchen war ein bekanntes Breslauer Lokal an der Oder, das nicht zuletzt von Studenten frequentiert wurde. 4 Der Umzug erfolgte vom früheren „Königlichen Museum für Kunst und Altertümer“ im ehemaligen Augustinerkloster ins 1879 fertiggestellte neue „Museum der bildenden Künste“ in der Museumsstraße. Die Verlagerung der Sammlungen, u. a. eine Kupferstichund Gipsabguß-Sammlung, eine Bildergalerie sowie eine Sammlung (schlesischer) Altertümer war zum Zeitpunkt von Max Webers Besuch offenbar noch nicht abgeschlossen (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 186). 5 Zum Fürstensaal im Breslauer Rathaus, das Max Weber schon an den Tagen zuvor hatte besuchen wollen, vgl. die Karte an Max Weber sen. vom 17. Juli 1880, oben, S. 213 mit Anm. 2.

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19. Juli 1880

werde. Den Abend um 6 Uhr dampferte ich mit Dilthey nebst Frau6 und Schwiegermutter7 nach „Oderschlößchen“, wo wir uns sehr gut amüsirten, besonders über einen famosen Originalkellner, welcher uns zuletzt noch nachlief u. behauptete, wir hätten nicht bezahlt. Leider fand ich, daß die Anschlüsse der österreichischen Bahnen hier schlecht passen und konnte deshalb bis jetzt noch nicht nach Weckelsdorf abreisen,8 komme aber heute Nachmittag dorthin. Unsere verabredeten Termine denke ich einzuhalten.9 Mit vielen Grüßen, auch von Diltheys Mb

b Kaum lesbar, am äußersten Kartenrand, unten rechts. 6 Katharina Dilthey, geb. Püttmann. 7 Clara Püttmann. 8 Weckelsdorf im Riesengebirge lag im Königreich Böhmen. 9 Wie auch den Karten an Max Weber sen. vom 20. und vom 23. Juli 1880, unten, S. 218 und 225, sowie dem Brief an ihn vom 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 224, zu entnehmen, hatten Max Weber und sein Vater geplant, sich während der Reise zu treffen und dafür bestimmte Treffpunkte vereinbart.

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20. Juli 1880

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Max Weber sen. 20. Juli 1880; Trautenau Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 5 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Trautenau. Dienstag d. 20 Juli 1880 Mittags

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Von Breslau fuhr ich gestern nach Weckelsdorf1 und ging sofort, denn es war nicht mehr sehr früh – NB. diese Feder ist scheuslich – in die „Felsenstadt [“] , 2 die wirklich nicht zu verachten ist, nur ist sie etwas teuer.3 Näheres im Briefe.4 In Weckelsdorf blieb ich in einer aus der Kreidezeit stammenden, rissigen, qualmigen, fragmentarischen Kneipe, 5 wo ich ausnehmend gut schlief. Den anderen Tag ließ ich mich von einem Führer auf einem Waldwege bis an den Eingang der Adersbacher Felsen bringen6 und besuchte sie dann. Sie gefielen mir eigentlich noch besser als die Weckelsdorfer, da sie eigentümlicher sind. Ich hatte dann von Adersbach aus einen ziemlichen Marsch vor mir, fand indessen unterwegs einen ausgezeichneten, billigen, schweren, roten Ungar7 und fand mich – ich hatte einen guten Teil des Wegs hinter mir u. barbarischen Durst – genötigt, bei demselben 3 /4 Stunde sitzen zu bleiben. Ich kam dann, nachdem ich noch ca. 2 Std. gelaufen war, über das Schlachtfeld von Trautenau8 hierher und fahre jetzt gleich nach Jo-

1 Weckelsdorf im Riesengebirge. Dort befand sich eine Eisenbahnstation. 2 Die „Felsenstadt“ ist eine mehrere Quadratkilometer große Felslandschaft aus Sandstein. 3 Für die Besichtigung der Felsenstadt wurde ein Eintrittsgeld erhoben (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 207). 4 Vgl. den mehrfach angekündigten Brief an Max Weber sen. vom 21. und 22. Juli 1880, unten, S. 219–224. 5 Möglicherweise der Gasthof „Zum Eisenhammer“ oder „Zur Felsenstadt“ (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 207). 6 Die Adersbacher Felsen, ebenfalls aus Sandstein, liegen unmittelbar westlich der Weckelsdorfer „Felsenstadt“ (ebd., S. 206 f.). 7 Gemeint ist wohl ein ungarischer Rotwein. 8 Am 27. Juni 1866 waren beim böhmischen Trautenau das X. Österreichische Corps und das I. Preußische Corps aufeinandergetroffen. Die nach Böhmen vormarschierenden preußischen Truppen mußten sich kurzfristig zurückziehen, was eine Niederlage der österreichischen Truppen am 28. Juni 1866 bei Skalitz, Soor und Münchengrätz allerdings nicht verhinderte.

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20. Juli 1880

hannesbada.9 Morgen bleibe ich auf der Koppe,10 übermorgen in Josephinenhütte,11 Freitag in Hirschberg.12 Brief folgt. Besten Gruß Max bIch

hoffe immer noch sehr, Du wirst kommen, es wäre doch nett.b

a O: Johannisbad

b–b Zusatz am rechten Kartenrand.

9 Das kleine Heilbad in einer Talschlucht war von Trautenau mit einer Nebenlinie der Eisenbahn zu erreichen (Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 210). 10 Zur Schneekoppe (oder: Koppe) gab es von Johannesbad zwei Fußwege von 5 oder 7 Stunden Dauer (ebd., S. 204). 11 Die Josephinenhütte beim Dorf Schreiberhau, dem höchst gelegenen Ort im Riesengebirge. Der durch seine Glashütten bekannte Ort lag einige Stunden Fußmarsch vom Schneekoppengipfel entfernt (ebd., S. 200 f.). 12 Hirschberg am Fuß des Riesengebirges. Die Stadt war noch immer das wichtigste Handelszentrum im Riesengebirge, zugleich Station der schlesischen Gebirgsbahn (ebd., S. 196).

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21. und 22. Juli 1880

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Max Weber sen. 21. und 22. Juli [1880]; Schneekoppe Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 7–9 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt sowie dem Poststempel des beiliegenden Briefumschlags (ebd., Bl. 6) erschlossen. Der Brief wurde am Mittwoch (21. Juli) „Abends“ begonnen und am Morgen des 22. Juli fortgesetzt. Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209; zu den nachfolgend zusammenfassend beschriebenen Reisestationen die Karten an Max Weber sen. vom 14., 16., 17., 19. und 20. Juli 1880, oben, S. 209–218.

Schneekoppe Deutsche Kneipe Mittwoch den 21 Juli Abends. Lieber Vater!

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Bei dem zweifelhaften Licht einer Kerze und im Takte mit einer niederträchtigen Musik schreibe ich hier, um nachgerade meinem längst gegebenen Versprechen nachzukommen.1 Ich muß notwendig mit einer Chronologie der letzten Tage beginnen. Aus der Grafschaft2 habe ich nichts besonderes mehr zu berichten, sie war ein ziemlich billiges Vergnügen und kostete pro Tag 6–6 1/ 2 Mk. Nach Breslau fuhr ich mit einem uralten langen Bauer, welcher fortwährend ein Stück Zeitung verkehrt in der Hand trug, aber nicht hineinsah und mit einem Schulmeister, welcher vergeblich mit aller Würde versuchte den Bauer zu corrigieren. Eine solche Zeitverkürzung war sehr nötig bei der unausstehlichen Fahrt durch die Ebene. In Breslau trieb ich mich des Abends ziemlich spät in den Straßen umher und schlief erst ziemlich spät, lange nach Mitternacht, ein. Morgens um 6 Uhr, nachdem ich kaum ein par Stunden geschlafen, kam ein Kerl mit Deiner Karte angerückt, nach der ich schon am Abend gefragt hatte nebst einer Tasse Kaffee, nach der ich nicht gefragt hatte. Ich war wütend und schmiß den Kerl, als er die Unverschämtheit hatte ein sofortiges Trinkgeld zu verlangen, zur Tür hinaus, worauf er draußen rumorte, ich aber einschlief. Ich erfuhr nachher, daß in dem Hotel3 alles katholisch sei und daß die Leute dort immer so früh ausrücken, der Frühmesse wegen. Nachdem ich um 1 In den Karten vom 16., 17., 19. und 20. Juli 1880, oben, S. 211, 213, 215 und 217, hatte Max Weber jeweils einen ausführlichen Brief an Max Weber sen. angekündigt. 2 Die ehemalige Grafschaft Glatz. 3 Max Weber wohnte in Breslau im Gasthaus „Deutsches Haus“.

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21. und 22. Juli 1880

8 Uhr aufgestanden und den inzwischen abgekühlten Kaffee getrunken, machte ich, daß ich aus diesem Katholizismus fort kam. Ich ging an die Oder und hatte einen imposanten Ausblick Oder auf- und abwärts. Dieser sehr gute Eindruck wurde dadurch nicht beeinträchtigt, daß es hier und in der Umgegend unheimlich roch. Ich besah dann das Kriegerdenkmal,4 ein ganz hübsches, aber etwas schief gewickeltes Institut und ging in den Dom, wo ich den Bischof mit allema Zubehör in voller Tätigkeit fand.5 Den Rest des Vormittags brachte ich damit zu, in der ganzen Stadt umher meine Stiefeln in möglichst nützlicher Weise abzulaufen. Endlich stieß mir ein Lokal auf, wo ich Mittag essen konnte – in meinem Hotel war es mir zu teuer. Nachher ging ich zu „Pennbruder“.6 Der würdige Herr saß hemdsärmelig beim Mittagessen und machte, als ich eintrat, mit einem Bissen im Halse vergebliche Anstrengungen, durch seine Brille mich zu erkennen. Nachdem er letztere abgenommen, trat die betreffende Erkennungsscene mit nötiger Rührung etc. ein. Wir trieben uns nachher in der Stadt umher und er zeigte mir ganz anständig die verschiedenen Merkwürdigkeiten. Von Kneipen war nicht viel die Rede, da er nicht eben sehr bei Gelde war. Erst gegen Abend trafen wir mit einigen Freunden von ihm zusammen und aßen resp. tranken im „Zeltgarten“ zu Abend. Es war ganz gute Musik, plötzlich aber begann ein riesiges Gewitter, worauf fast das ganze Publikum, ohne zu zahlen, fortlief, während die Kellner schmerzbrüllend hinterherliefen und ihre Kunden in den Straßen umher verfolgten; ein Anblick, wie man ihn nicht oft hat. Nachdem das Gewitter sich gelegt, gingen wir nach Hause. Ich schlief die Nacht ganz gut und wachte erst spät auf. Das Hotel war mir aber nachgerade doch zu teuer – man bezahlte alles, was man aß und trank, sofort und hatte nachher doch noch eine barbarische Rechnung – ich nahm demnach ein Anerbieten von Frau Schach (P.’sb Wirtin) an, welche mir für 1,5 Mk Mittagessen, Nachtquartier und Frühstück versprach. Am Vormittag ging ich zu a O: aller

b 〈W〉

4 Möglicherweise das 1795 errichtete Denkmal für General Bogislav Friedrich von Tauentzien, das an die erfolgreiche Verteidigung der Stadt und Festung Breslau 1760 erinnerte (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 187). 5 Der gotische Breslauer Dom St. Johann(es). Mit dem Bischof dürfte der Breslauer Weihbischof Hermann Gleich (1815–1900) gemeint sein. 6 Anspielung unklar. Ob es sich um einen Spitznamen für den 1879 mehrfach erwähnten Schulfreund Erdmann Pennmeyer oder einen älteren Bruder Pennmeyers handelt, der in Breslau studierte, ließ sich nicht ermitteln.

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Prof. Dilthey, nachdem ich mit einiger Mühe den etwas stupiden Universitätspedell respective -pedellin zu deren Angabe vermocht hatte. Ich traf ihn zu Hause und rückte ihm direkt aufs Studirzimmer, ging aber bald wieder fort, nachdem ich eine Einladung zu Mittag abgelehnt und eine zu Abend angenommen hatte.7 Ich ging dann ins Rathaus, in den Schmiedeberger Keller, in die Börse, ins Museum.8 Leider konnte ich die Gemälde und einen Teil der archäologischen Sammlung nicht sehen, da dieselben umgezogen und geschlossen waren. Ich aß dann Mittag bei Frau Schach und pferdebahnte mit meinen verschiedenen Bekannten in die Umgegend hinaus, wo ich mich, glücklicherweise für meine Kasse, von der ziemlich großen Zeche freischob, denn diese Herrn hatten seit einem Monat Kredit und setzten nun alles auf eine einzige Kegelpartie. Gegen Abend war ich bei Diltheys, wurde dessen Frau9 und Schwiegermutter10 vorgestellt und fuhr per Dampfschiff mit ihnen gemeinsam nach dem „Oderschlösschen“ hinaus. Nach einem nochmaligen Abendessen, wobei viel von Herrn Prof. Mommsen und dessen Schwefelbande von Söhnen die Rede war,11 fuhren wir zurück. Ich verabschiedete mich, bekam viele Grüße aufgetragen und kam dann mit Hilfe eines Nachtwächters in mein Haus. Ich schlief ganz gut, stand früh auf und ging nach dem Bahnhof, fand aber, daß die nächsten Züge keinen Anschluß hatten und blieb daher bis Mittag in Breslau. Ich besuchte mehrere Kirchen und fuhr um 1 Uhr nach Weckelsdorf,12 wobei mir in Halbstadt ein Kerl von Zollbeamten meine Tasche 7 Zum Besuch bei Wilhelm Dilthey und dessen Familie vgl. die Karten an Max Weber sen. vom 17. und vom 19. Juli 1880 aus Breslau, oben, S. 213 und 215 f. 8 Zu Max Webers Besichtigung von Breslau vgl. ebd., S. 213 f. und 215 f. Die hier erstmals erwähnte neue Breslauer Börse, in den 1860er Jahren erbaut, war täglich von 10 bis 13 Uhr zu besichtigen (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 185 f.). 9 Katharina Dilthey, geb. Püttmann. 10 Clara Püttmann. 11 Die Anspielung bezieht sich auf den verheerenden Brand in Theodor Mommsens Charlottenburger Villa in der Nacht auf den 11. Juli 1880, der schnell zum Tagesgespräch wurde. Er war im „Studierzimmer“ unter dem Dach ausgebrochen und vernichtete nicht nur Mommsens Aufzeichnungen und Hausbibliothek, sondern auch unersetzliche Handschriften aus Bibliotheksbeständen, die ihm zur Benutzung ausgeliehen worden waren. Die Familie konnte unversehrt gerettet werden, Mommsen selbst erlitt beim Versuch, wertvolles Material zu retten, erhebliche Brandverletzungen (Berliner Tageblatt, Nr. 321 vom 13. Aug. 1880, Mo.Ausg., S. 5). Einen Bezug zu Mommsens Söhnen Wolfgang, Karl, Ernst, Oswald, Konrad und Hans-Georg hatte der Brand nicht. Als wahrscheinliche Ursache galt eine defekte Petroleumlampe im Arbeitszimmer, in dem Mommsen noch bis spät in die Nacht gearbeitet hatte (ebd.). 12 Weckelsdorf lag im Königreich Böhmen, d. h. in Österreich-Ungarn.

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total umwühlte,13 um zu suchen, ob keine Cigarren darin, trotz meines Protestes. Die Weckelsdorfer Felsen wären ganz schön, wenn man nur nicht diese Führer mithaben müßte und außerdem immer in Gesellschaft einiger Czechen gehen müßte, welche in Folge ihres guten Bieres eine ziemliche Corpulenz hatten und ächzten und stöhnten. Die Adersbacher Felsen gefielen mir im Ganzen noch besser, sie sind doch noch eigentümlicher als die ersten [.] Ein teures Vergnügen ist dieser Besuch jedenfalls. In Weckelsdorf blieb ich in einer Kneipe fünften Ranges, wo eine Art von Wasserbecken, ein Seidel Wasser und ein zweifelhaftes Bette mit einer Decke von der Größe eines Taschentuchsc meinen Hausrat machten, wobei mir noch bedeutet wurde, daß, wenn noch ein Herr kommen sollte, ich mich mit diesem in das Bette teilen müßte, da man doch keinen Herrn zurückschicken könne. Von Adersbach ging ich auf einem erst langweiligen, dann durch ein hübsches waldiges Tal führenden Wege in 5 Stunden nach Trautenau. Von der einst hier geschlagenen Schlacht waren nicht sehr viele Gräber mehr übrig. Ich fuhr dann nach Freiheit und ging nach Johannesbadd. In dem ganzen Neste war aber in keiner Kneipe mehr Platz, so daß ich mich schließlich mit Gewalt in irgend einer derselben in die Küche auf einen Strohsack einquartierte. Ich ging den Abend noch zu Herrn Stadtrat Löwe,14 stellte mich ihm vor und wurde zum Frühstück eingeladen. Er läßt bestens grüßen15 und war so freundlich mir einen Weg nach dem „Riesengrunde“16 zu zeigen. Ich mußte erst ziemlich klettern, lief aber dann auf der anderen Seite des Berges in wilder Jagd herab über Stock und Stein, schlug mit meinem Schädel – der arme Kerl, er brummte noch lange nachher – an mehrere Fichten, was meiner Eile keinen Eintrag that. Schlieslich legte ich mich auf den Rücken und rutschte auf meiner Tac 〈mir〉

d O: Johannisbad

13 In Halbstadt, der ersten Bahnstation auf österreichisch-ungarischem Boden, befand sich die „Zollrevision“ (vgl. Baedeker, Karl, Österreich (ohne Ungarn, Dalmatien und Bosnien). Handbuch für Reisende, 24. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1895, S. 286 f.). 14 Der Berliner Stadtrat Albert Löwe, mit dem Max Weber sen. bekannt war. 15 Seinen „Besten Gruß und Glück für die nächste Zeit“ an Max Weber sen. formulierte Albert Löwe am 22. Juli 1880 auch schriftlich und schrieb zu Max Webers Besuch: „Wir haben uns sehr über den Besuch gefreut, er ist ein nettes frisches Bürschchen, der mir sowohl wie meiner Frau sehr gefallen hat.“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 19). Löwes Gruß legte Max Weber seinem Brief wahrscheinlich bei. 16 Ein Tal direkt unterhalb der Schneekoppe, mit sehr schroffen, alpin anmutenden Abhängen.

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sche, wie die Cimbern auf ihren Schilden, hinab,17 bis ich mit den Beinen in einen Bach fuhr. Nach noch mehreren Stunden Marsch kam ich dann endlich am Fuße der Koppe an. Doch es ist spät und ich will zu Bett, morgen Fortsetzung. 5

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Donnerstag d. 22 Juli Morgens. Gestern trieb man uns um 11 Uhr in sehr summarischer Weise zu Bette, indem man uns die Kerzen ausblies, ich fahre daher heute fort. Von dem Fuße der Schneekoppe aus, die man an einer Wendung des Tals in ganzer Masse daliegen sah – ein Anblick, wie er wohl selten wieder in Deutschland vorkommt, führte ein steiniger Fußweg in einem Winkel von 30–45° an dem Kegel empor. Man konnte nicht viel über 10 oder 15 Min. stark steigen, ohne stehen zu bleiben und zu verpusten. Auf dem „Koppenplan“ angelangt,18 sah ich mich abermals am Fuße einer anscheinend aus lauter Steintrümmern bestehenden Pyramide, auf welche im Zickzack ein ziemlich guter Weg hinaufführte. Man sah meilenweit über den absolut kahlen Kamm, große und kleine Schneeflächen machten sich in einiger Entfernung bemerklich und es wurde ziemlich kühl. Oben angelangt, hatte ich brillante Aussicht nach allen Seiten, um den gegenüberliegenden Reifträger19 hatten sich schwarze Wolken gelegt, das Hirschberger Tal war von der Sonne hell beleuchtet. Die Temperatur war noch über 0. Ich aß gut zu Mittag und schlief ½ Stunde. Unterdessen trat starker Westwind ein, welcher den ganzen Koppenkegel in dichte Wolken hüllte, so daß absolut nichts zu sehen war. Um Sonnenuntergang schlug der Wind in einen starken Nordweststurm um, welcher den Nebel zerstreute; in dessen war der Untergang der Sonne nicht ganz klar zu sehen. Es wurde mittlerweile etwas kalt, die Temperatur sank unter 0°. Nach Sonnenuntergang wieder Nebel. Eigentümlich wurde das Bild um ungefähr 9 1/ 2 Uhr, wo der Wind wieder stark wurde und kegelförmige Risse in der Wolkenschicht hervorbrachte, so daß plötzlich mitten durch den Nebel der Mond in voller Klarheit zu sehen war. Das Schauspiel, was sich so entwickelte, war in

17 Anspielung auf eine historische Anekdote, nach der die germanischen Cimbern bei der Schlacht an der Etsch sich auf ihre Schilde gesetzt hätten, um steile Abhänge rutschend zu überwinden (Menzel, Carl Adolf, Die Geschichten der Deutschen, Erster Band: Von den ältesten Zeiten bis zu Ludwig dem Deutschen. – Breslau: Graß, Barth und Comp. 1815, S. 13). 18 Ein Hochplateau, ca. 300 Meter unterhalb des Schneekoppengipfels gelegen. 19 Ein Gipfel des Riesengebirges mit einer Höhe von rund 1360 Metern.

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seiner Art einzig. Fortwährend zerriß rings um den Berg der Nebel und schloß sich wieder, so daß die einzelnen Bilder fortwährend wechselten. Auch schien eine Art Luftspiegelung stattzufi nden. Ich schlief sehr gut und erwachte um Sonnenaufgang, welchen ich von meinem Fenster aus beobachtete. Er war nicht ganz klar, aber glänzend. Der Nebel zerriß von dem starken Morgenwind und zeigte die gesammte schlesische Seite in glänzender Beleuchtung. Die Temperatur hob sich wieder bis auf 3° Wärme. Jetzt (8 Uhr) ist Windstille eingetreten, die böhmische Seite des Berges liegt im Nebel, während nach Osten ziemliche Aussicht ist. Ich breche jetzt gleich nach „Josephinenhütte“ auf.20 Daß Du nicht kommst, thut mir außer ordentlich leid, ich hatte immer noch darauf gehofft. Sollte meine Kasse noch in ziemlichem Stande sein, wenn ich nach Hirschberg komme, 21 so denke ich direkt bis Prag zu fahren, denn ich glaube, daß der Weg über Prag nach Dresden nur wenig teurer ist als derjenige über Görlitz, und Prag hat doch noch ein größeres Interesse. Auch empfahl mir dies H[err] Stadtrat Löwe eifrigst. Etwaige Nachrichten bitte ich also nach Prag zu schicken, postlagernd; ich bleibe mindestens bis Montag Abend dort. Von Prag fahre ich nach Königstein (sächsische Schweiz) und dann nach Dresden – alles, wenn die Kasse reicht. Ungarwein etc. wird dieselbe wohl kaum erschöpfen, da ein Seidel22 davon soviel wie zwei Seidel Bier kostet und weit länger vorhält. Übrigens könnten wir uns, wenn Du Lust hättest, ja auch in Königstein treffen. – Freitag Mittag oder Abend bin ich in Charlottenburg. Mit besten Grüßen Dein Sohn Max

20 Die Josephinenhütte beim Dorf Schreiberhau lag einige Stunden Fußmarsch vom Schneekoppengipfel entfernt. 21 Hirschberg war das städtische Zentrum des Riesengebirges und Bahnstation. 22 Der Seidel als Wein-Maß war regional unterschiedlich. Ein böhmischer Seidel entsprach knapp einem halben Liter.

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Max Weber sen. 23. Juli 1880; Hirschberg i. S. Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 11 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Hirschberg i. S. Freitag d. 23 Juli 1880 Nachmittags

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Ich habe Deine Karte eben erhalten. Es ist recht schade, daß Du nicht kommen kannst, da die Koppe1 in ganzer Klarheit und bei äußerst angenehmer Luft sehr schön gewesen wäre. Wie es mit dem Gelde gehen wird, weiß ich noch nicht, ich besitze noch 70 Mk. Die Koppe und das Riesengebirge überhaupt ist mächtig teuer, pro Tag 12 Mk und bedeutend mehr. Meinen Brief wirst Du wohl erhalten haben.2 Ich dachte, wie gesagt, direkt nach Prag zu fahren, um von dort durch die sächsische Schweiz nach Dresden zu gelangen. Ich hatte gestern eine prachtvolle Wanderung über den Kamm des Gebirges, 8–9 Stunden über Josephinenhütte nach Schreiberhau.3 Dort wollte ich bleiben, da es aber alsdann mit der Zeit heute knapp gewesen wäre, zog ich es vor, mit zwei, sehr acceptabelen, jungen Jüdinnen aus Berlin nach Hermsdorf4 zu fahren, wo wir in der Dunkelheit ankamen. Heute Vormittag war ich auf dem Kynast5 und kam heute Nachmittag zu Fuße hierher. Das Wetter war prachtvoll, besonders auf dem Kamm gestern gute Aussicht. Ich denke, ich werde bis Montag Mittag,6 höchstens Nachmittag in Prag bleiben, dann würde ich nach Königstein fahren. Solltest Du mir nach Königstein schreiben, wo ich also bis Dienstag Morgen sicher bin, so, bitte, bahnlagernd. Besten Gruß. Dein Sohn Max. 1 Gemeint ist die Schneekoppe, höchster Gipfel des Riesengebirges. 2 Den Brief an Max Weber sen. vom 21. und 22. Juli 1880, oben, S. 219–224. 3 Das Dorf Schreiberhau war der höchstgelegene Ort im Riesengebirge, einige Stunden Fußmarsch vom Schneekoppengipfel entfernt. 4 Ein kleiner, von Sommerfrischlern frequentierter Ort an der Landstraße nach Hirschberg (vgl. Baedeker, Mittel- und Nord-Deutschland20, 1883, S. 199). 5 Die bei Hermsdorf auf einem Hügel gelegene Burgruine Kynast. Der Baedeker vermerkte: „Auf Kynast spielt die durch Körner’s Gedicht allgemeiner bekannte Sage von der spröden Kunigunde und dem kühnen Ritt über die Burgmauer.“ (ebd.). 6 Montag, der 26. Juli 1880.

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25. Juli 1880

Max Weber sen. 25. Juli 1880; Prag Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 12 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Prag. Sonntag d. 25 Juli 1880 Morgens. Ich fuhr gestern um 12 Uhr von Hirschberg ab nach Fellhammer, blieb dort 2 1/ 2 Stunde liegen, ehe ich Anschluß bekam bis Halbstadt.1 Dort blieb ich eine Stunde liegen und fuhr dann über Nachod – Skalitz – Josephstadt – Königgrätz nach Chotzen. Dort nahm ich ein bestelltes „Soupée“ ein und fuhr dann per Courirzug2 (teures Vergnügen!) nach Prag. Es war 10 Uhr und dunkel, als ich ankam, ich hatte keine Ahnung, wohin? Ich traf dann einen Herrn, der gelehrt aussah und sagte ihm, ich sei reisender Student aus Berlin und wisse keine Kneipe; worauf er sagte, er sei angestellter Professor in Olmütz, glaube ich, und würde sich ein Vergnügen daraus machen, einem Studenten in eine Kneipe zu verhelfen. Sprachs, und führte mich in ein Lokal, worin er, wie er sagte, vor 20 Jahren einmal gewohnt und welches sich „zum goldenen Hufeisen“ nannte.3 Dasselbe war unten ein nicht übler Bau aus Steingewölben, ähnlich dem Ratskeller construirt,4 oben Fachwerk, etwas übel riechend, aber gemütlich. Ich schlief ausgezeichnet im oberen Stock mit drei rabenschwarzen Czechen zusammen, welche gottlos schnarchten, spuckten und fluchten.a Indessen war einer von ihnen ana O: fluchten, 1 Halbstadt war Zollstation und auf der Strecke von Breslau nach Prag Umsteigepunkt von der preußischen Staatsbahn in die österreichischen Bahnen (vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 21. und 22. Juli 1880, oben, S. 221 f. mit Anm. 13). 2 Ein Schnellzug. 3 Es dürfte sich um den Gasthof „goldenes Hufeisen“ im Norden der Prager Neustadt (II. Bezirk) handeln. Er lag in der Porschitzer Straße, nahe dem Staatsbahnhof (heute Masaryk-Bahnhof), und existierte bereits 20 Jahre zuvor. Damals lautete der Straßenname noch Schillingsgasse (Adreßbuch der Königlichen Hauptstadt Prag, der Stadtgemeinden Karolinenthal, Smichow und der Bergstadt Wyšehrad auf Grundlage ämtlicher Quellen bearbeitet und hg. von Nikolaus Lehmann. – Prag: Selbstverlag von Nikolaus Lehmann 1859, S. V.–103 („Gasthöfe und Einkehrhäuser in Prag“)). Das Haus existiert heute nicht mehr (Auskunft von Thorsten Pomian, Universität Düsseldorf vom 1. Juli 2015). 4 Max Weber meint hier vermutlich den im 1870 fertiggestellten Berliner Rathaus (Rotes Rathaus) befindlichen Ratskeller, ein von Berliner Bürgern vielbesuchtes Bierlokal.

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scheinend gebildet und wollte mit mir im Bette eine Auseinandersetzungb über deutsche Verhältnisse beginnen, ich schlief aber ein. Jetzt sitze ich hier auf „Belvedere“5 mit prachtvoller Aussicht über die Stadt. Ich gehe nachher zuerst in die Kirchen, dann auf den Hradschin. Mit bestem Gruß. Dein Sohn Max.

b O: Auseinandersezung 5 Das im 16. Jahrhundert von Kaiser Ferdinand I. im Renaissancestil erbaute Lustschloß an der Ostseite des Schloßparks. Von einer Galerie aus ließ sich (gegen Eintritt) die „herrliche Aussicht auf Prag“ genießen. Vgl. Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 483.

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25. Juli 1880

Max Weber sen. 25. Juli PSt 1880; Prag Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 13 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Prag Sonntag d. 25 Juli Abends. Ich mietete mir heute Morgen der Zeitersparnis, aber zur Besichtigung der Kleinseite und des Hradschin einen Führer, einen ganz interessanten, älteren Mann, der fortwährend von den Preußen und der Wichse, welche leider die „Tschechen“ (!) 1866 bekommen hätten,1 sprach, nachdem er erkundet, daß ich Berliner sei. Im Dom auf dem Hradschin2 traf ich den Bischof3 beim Hochamte. Der Hradschin selbst mit seinen Befestigungen, seinem Hungerturm etc. ist außerordentlich interessant, wenngleich ich, als ich vorher durch die Stadt ging, mir fast noch mehr von ihm versprochen hätte. Was ich in der Stadt selbst alles noch gesehen habe, ist zu viel, um es hier zusammenzudrängen, besonders gefallen hat mir die Teynkirchea,4 in deren Inneres einzudringen ich heute noch nicht vermochte. Morgen ist St. Annas Tag und hier hoher Festtag, 5 da kommen die Kirchen an die Reihe. Auch das tschechische Museum6 werde ich morgen besuchen. Ich komme eben von

a O: Teinkirche 1 Das Königreich Böhmen, Schauplatz entscheidender Schlachten im Krieg Preußens gegen die Truppen des Deutschen Bundes unter Führung Österreichs 1866, war Teil der Habsburger Monarchie. 2 Der Prager Veitsdom. 3 Erzbischof von Prag war zu dieser Zeit Friedrich Joh. Joseph Fürst zu Schwarzenberg. 4 Die Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn, kurz Teynkirche, am Altstädter Ring. Die schon im 14. Jahrhundert bestehende, mehrfach umgebaute Kirche galt neben dem Dom als berühmteste und interessanteste Kirche Prags (Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 479). 5 Der Gedenktag der als Mutter Marias verehrten Heiligen Anna findet seit dem 16. Jahrhundert am 26. Juli statt und wird in vielen katholischen Regionen als Volksfest gefeiert. 6 Gemeint ist das 1818 von einer patriotischen Museumsgesellschaft gegründete Cˇeské muzeum bzw. Böhmisches Museum. 1880 befand es sich noch in einem Gebäude am Graben. Ein großer Neubau am Wenzelsplatz (das heutige Nationalmuseum) war schon „projektirt“ (Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 477), mit dem Bau wurde aber erst Ende der 1880er Jahre begonnen.

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der Festung Wyschehrad7 und von einer Wanderung um die Stadt zurück. Prachtvolles Wetter. Schade, daß bDu nicht mit bist. Besten Gruß [von] c Deinem Sohn Maxb

b–b Zusatz am rechten Kartenrand.

c Textverderbnis in O; von sinngemäß ergänzt.

7 Die frühmittelalterliche Festung Vyšehrad, südlich der Prager Neustadt, auf deren Resten nach dem Dreißigjährigen Krieg eine (barocke) Festungsanlage errichtet und nach 1848 ausgebaut worden war (vgl. ebd., S. 494).

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26. Juli 1880

Max Weber sen. 26. Juli 1880; Karlstein Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 14 Zu Max Webers Reise vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880, oben, S. 209.

Karlstein. Montag d. 26 Juli 1880. Abends Nachdem ich gestern Abend noch im Mondschein die unheimlichen Gassen des Prager Judenviertels durchwandert hatte,1 ging ich in mein resp. Hotel zurück. Im Bette hatte ich erst noch einen drei(!)-stündigen Disput mit einem czechischen Juden, über die Dauerhaftigkeit v. Deutschland u. Österreich und über Bismarck (NB. Der Kerl ließ mich gar nicht zu Worte kommen, ich sprach gar nichts, sondern schlief bald ein, während er im Hemde vor meinem Bette stand und mit seinen schwarzen Armen und Beinen fuchtelnd mir zu beweisen suchte, daß der Fabrikarbeiter und nicht der Bauer die Grundlage eines Staates sei, was ich im Bezug auf Deutschland bestritten hatte) a. Heute früh war ich in der „Altneuschule [“] [,] der alten Synagoge, 2 und dem „Beth ha chaim“, 3 dem „Hause des Todes [“] , dem jüdischenb Friedhofe,4 dann nochmals auf dem Hradschin, in der Teynkirchec, 5 Rathaus6 etc. Um a Schließende Klammer fehlt in O.

b 〈[Prager]〉

c O: Teinkirche

1 Das in der Prager Altstadt gelegene ehemalige „Judenviertel“. Die Reformgesetzgebung Kaiser Josephs II. hatte zu einer Öffnung des Ghettos geführt, das mit der Altstadt verbunden und 1850 in Josefov (Josefstadt) umbenannt wurde. Der in den 1890er Jahren erfolgte großräumige Abriß von Gebäuden hatte zur Zeit von Max Webers Besuch noch nicht stattgefunden, die Hälfte der rund 10.000 Einwohner der ehemaligen „Judenstadt“ bestand zu dieser Zeit, laut Baedeker, aus „armen Christen“ (Baedeker, Karl, Österreich, Ungarn und Siebenbürgen. Handbuch für Reisende, 17. Aufl. – Leipzig: Verlag von Karl Baedeker 1878, S. 229). 2 Die „Altneu-Synagoge“ oder „Altneuschul“, die älteste unversehrt erhaltene Synagoge Europas, ist zugleich eines der ältesten mittelalterlichen Gebäude Prags. Auf letzteres verwies: Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 491. 3 Eigentlich: Beth ha Chajim, Bezeichnung für einen jüdischen Friedhof. Sie bedeutet allerdings „Haus des Lebens“, nicht „Haus des Todes“. 4 Der alte jüdische Friedhof in Prag. 5 Max Weber hatte sie schon früher aufgesucht, das Innere aber nicht besichtigen können (vgl. die zweite Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 25. Juli 1880, oben, S. 228 mit Anm. 4). 6 Gemeint ist hier das gotische Altstädter Rathaus mit der berühmten astronomischen Uhr (vgl. Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 478 f. und S. 493).

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Mittag fuhr ich hierher, 2 1/ 2 Meilen7 in der Richtung nach Pilsen, nach Karlstein, jener alten, berühmten Burg Karls IV,8 die auch wirklich interessanter ist als irgend eine Burg Deutschlands. Heute Nacht nach Königstein.9 Ich habe noch 15 fl.10 (!) Wie ich wieder nach Berlin komme, weiß ich nicht. Werde wohl um detwas bitten müssen. Besten Gruß Maxd eich

fragte heute Abend noch nach Nachrichten von Dire

d–d Zusatz am rechten Kartenrand. reits geschriebenem Text.

e–e Zusatz am linken Kartenrand; quer über be-

7 2 1/2 (preußische) Meilen entsprachen 18,75 Kilometern. 8 Die Burg Karlstein, die Kaiser Karl IV. Mitte des 14. Jahrhunderts auf einem hohen Felsen zur Aufbewahrung von Dokumenten und der Reichskleinodien errichten ließ. Sie galt als „ein merkwürdiges Denkmal mittelalterlicher Baukunst“ (Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 497). Max Weber besuchte sie noch vor der umfassenden Renovierung ab 1887. 9 Schon vor seiner Fahrt nach Prag hatte Max Weber mitgeteilt, über Königstein und Dresden nach Berlin zurückzureisen (vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 21. und 22. Juli 1880, oben, S. 224). 10 Abkürzung für Österreichische Gulden bzw. Reichsgulden (auch: Florin), bis zur Einführung der Krone 1892 die Währung Österreich(-Ungarn)s. Ein Gulden entsprach zwei Mark (vgl. Österreich-Ungarn (Meyers Reisebücher)2, 1879, S. 4).

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3. September 1880

Max Weber sen. 3. September 1880; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 17 Die Karte ist an das Hotel Marienbad in München adressiert. Wie die folgenden Karten an Max Weber sen. vom 19. September und vom 8. Oktober 1880, unten, S. 234–239, schrieb Max Weber seinem Vater, der sich nach Aufenthalten in Eisenach und München länger in Italien aufhielt.

Charlottenburg. Freitag d. 3. Sept. 80. VM. Lieber Vater! Es ist heute meine Pfl icht, Dir zu schreiben, zumal da ich jetzt freie Zeit und wenig zu thun habe. Seit Du fort bist, haben wir nicht viel erlebt, abgerechnet das Sedanfest von gestern Vormittag.1 Die Feier war um 7 Uhr, einer von unseren Primanern hielt die betreffende Festrede, 2 wieviel davon aus seiner eigenen Feder, wieviel aus der des Herrn Direktor3 geflossen sei, läßt sich nicht bestimmen. Dieselbe sprang ziemlich unmotivirt und höchst unpassend von Sedan auf das neue Militärgesetz über,4 verbreitete sich darüber, daß „immer noch Leute existirt hätten, welche das wenige Geld nicht hätten herausrücken wollen und erst durch Graf Moltkes Beweisgründe5 hätten zerschmettert werden 1 Zur alljährlichen Schulfeier anläßlich des „Sedantags“ am 2. September vgl. bereits Max Webers Bericht im Brief an Helene Weber vom 3. Sept. 1878, oben, S. 107 f. mit Anm. 10. 2 Die Festrede von Primaner Willy Howe ist in der jährlichen Schulchronik nicht dokumentiert. 3 Schuldirektor Dr. Ferdinand Schultz. 4 Das Reichs-Militärgesetz (Änderungsgesetz) vom 6. Mai 1880. Die von Bismarck schon zu Beginn des Jahres 1880 eingebrachte Vorlage führte zu deutlich weniger scharfen Konflikten als das Septennat von 1874. Die geforderte Anhebung der Präsenzstärke des Heeres um rund 25.000 Mann auf 427.274 und die dadurch entstehenden laufenden Mehrkosten in Höhe von über 20 Millionen Mark (342 statt zuvor rund 320 Millionen) wurden bei den Lesungen im Reichstag im März und April weniger in Frage gestellt als die Gültigkeitsdauer des Gesetzes von wiederum 7 Jahren. Mit einigen Modifikationen wurde die Vorlage am 16. April von einer deutlichen Mehrheit (den Stimmen der Konservativen und Nationalliberalen) angenommen. Im Umfeld der vorausgegangenen Behandlung im Bundesrat, im Januar 1880, war allerdings vor allem in den Mittelstaaten wie Bayern und Sachsen öffentlich Kritik an den Kosten der Vorlage laut geworden. Vgl. Schmid, Michel, Der „eiserne Kanzler“ und die Generäle. Deutsche Rüstungspolitik in der Ära Bismarck (1871–1890). – Paderborn u. a.: Ferdinand Schoeningh 2003, S. 122–145. 5 Die Anspielung dürfte sich auf Generalfeldmarschall Helmuth von Moltkes Stellungnahme während der ersten Lesung des Militärgesetzes im Reichstag beziehen. Er verwies darin auf den „Druck eines bewaffneten Friedens“, welcher nur durch angemessene Stärke zu erhalten sei. Als „Neuling“ und bedingt durch die geographische Lage müsse das

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müssen“ (oder so ähnlich), jedenfalls sehr merkwürdig und nicht geeignet, die vorhandene Festesstimmung zu erhöhen. Auch einige Bemerkungen über angeblichen Mangel an Ehre, den die Franzosen gezeigt haben sollten, fanden wir alle sehr überflüssig und jetzt, wo schon 10 Jahre dazwischen liegen, gar nicht am Platze. Kurz die betr. Rede konnte und mußte andere und weitere Perspektiven eröffnen. Der Redner war der Sohn des Baurat Howe6 auf Westend. Der darauf folgende Auszug nach dem Spandauer Berg war recht hübsch, nur etwas staubig. Ich traf dabei Herrn Witt nebst Tochter,7 welche grüßen lassen. Ebenso läßt Herr Cohn grüßen, ich aß gestern Abend auf Einladung seines Sohnes8 bei ihnen. Jetzt habe ich acht Tage Ferien vor mir und werde mich in denselben der Lektüre englischer Schriftsteller befleißigen. Was nun Alfred betrifft, so geht es ihm jetzt ziemlich gut. Sein mathematisches Probeskriptum, zu welchem wir gehörig geochst hatten –täglich mehrere Stunden – scheint befriedigend ausgefallen zu sein, wie es mit dem lateinischen geworden ist, muß sich erst finden – ich denke, es soll auch ein gutes Resultat liefern, wenigstens hatten wir dazu alles denkbare gethan und vorbereitet. Sonst stehen seine Probearbeiten noch aus. Mir selbst geht es jetzt auch gut, ich werde wohl in der letzten Schulzeit noch ziemlich viel zu thun haben.9 Mama läßt bestens für die heute Morgen hier angekommene Karte aus Eisenach danken. Mit bestem Gruße Dein Sohn Max.

Reich „noch lange die schwere Rüstung tragen […], welche unsere geschichtliche Entwickelung und unsere Weltstellung uns aufnöthigen“. Er verwies auf die zunehmende Heeresstärke Frankreichs und Rußlands und bezeichnete die geforderte „mäßige Vermehrung unserer Friedenskadres“ als unverzichtbar, um nicht völlig zurückzufallen. Eine „eiserne Nothwendigkeit“ zwinge, „der deutschen Nation neue Opfer aufzuerlegen“. Vgl. Verhandlungen des Reichstags. Stenographische Berichte, Band 62, 4. Leg. Per, III. Session 1880, 10. Sitzung, 1. März 1880, S. 181–183, Zitate S. 181, 182 und S. 183. 6 Willy Howe. Sein Vater, Stadtbaurat Wilhelm Howe, dürfte Max Weber sen. aus seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Bau-Deputation bekannt gewesen sein. 7 Sehr wahrscheinlich der Charlottenburger Stadtrat Nikolaus Martin Witt. Um welche seiner Töchter es sich handelte, ist nicht sicher zu ermitteln. Infrage kämen sowohl Marie Apollonia Witt (1861–1935) als auch Magdalene Nicoline Witt (1859–1920). 8 Fritz Cohn. Er besuchte mit Max Weber zusammen die Prima (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XII. Jahres-Bericht, 1881, S. 60). Sein Vater war der nationalliberale Politiker Wilhelm Cohn. 9 Max Weber absolvierte im Schuljahr 1880/81 das erste von obligatorischen zwei Jahren in der Prima (ebd.).

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19. September 1880

Max Weber sen. 19. September PSt 1880; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 18 Die Karte adressierte Max Weber nach Florenz, „Città di Monaco“. Von fremder Hand wurde sie an das Hotel Bristol in Neapel umadressiert. Zur Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte vom 3. September 1880, oben, S. 232.

Charlottenburg, Sonntag d. 19. Sept. Morgens. Lieber Vater! Da Mama in diesen Tagen stark beschäftigt ist, so muß ich heute das Schreiben übernehmen. Wir sind bis auf Clara alle gesund, letztere liegt zu Bett, indessen scheint es doch, als ob nicht gerade Scharlach sich herausbilden würde, da sie im allgemeinen wenig fiebert und sich überhaupt nicht sehr unwohl befi ndet, auch ziemlich starken Appetit entwickelt. Im Allgemeinen scheint es sich bei ihr wie bei Artur, welcher wie ein Fisch im Wasser ist, im Sande zu verlaufen. Gestern Abend waren Frau Lucae und Frl. Albers hier, beide lassen grüßen. In das Mittagessen platzte Herr Julian Schmidt, seine Frau1 befi ndet sich immer noch auf Reisen. Sonst ist wohl in dieser Zeit niemand hier gewesen. Alfred u. Karl traben im Garten umher, mit allen denkbaren und undenkbaren Mordinstrumenten als Indianer ausgestattet. Karl wird dadurch dauernd zum Vorlesen herangezogen, daß er den ganzen Abend über Mama aus Lederstrumpf2 und ähnlichen Mordgeschichten vorlesen darf. Er liest jetzt relativ besser. Alfred hat ja wenigstens die meisten Probeskripte befriedigend geschrieben, besonders Mathematik und Griechisch, worin er doch sonst am schwächsten war. Mir selbst geht es im Ganzen gut, besser als im Anfange des Winterjahrs, wo ich mit Herrn Dr. Lüttge einen unangenehmen Krakehl hatte.3 Im Allgemeinen haben wir jetzt so gut wie nichts zu thun, alle Augen-

1 Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld. 2 Von James F. Coopers 1823 bis 1841 veröffentlichten, international äußerst erfolgreichen „The Leatherstocking Tales“ lagen auch in Deutschland bald verschiedenste Ausgaben vor; so die immer wieder neu aufgelegte Ausgabe von Stein, Adam, Coopers LederstrumpfErzählungen. Für die Jugend bearb. von Adam Stein. Mit 6 Zeichnungen von G. Bartsch. – Berlin: Springer 1863. 3 Albert Lüttge war Lehrer für Latein, Geschichte und Französisch am Charlottenburger Gymnasium. Möglicherweise könnte es sich um die Benotung einer Arbeit handeln, vgl. dazu die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 8. Okt. 1880, unten, S. 237 mit Anm. 9.

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blicke fällt der Unterricht aus etc. Die acht Tage, welche wir des Abiturientenexamens halber Ferien machten,4 wurden mir auf die denkbar unangenehmste Weise versalzen durcha die Halsentzündung, während welcher ich so absolut stupide war, daß ich kaum den Gebrauch meiner 5 Sinne hatte. Ich war bisher ein Mal in der Kunstausstellung, 5 wob daselbst ein ganz ähnliches Bild des Chiemsees von Wopfner,6 als wirc es haben. Mama läßt bestens grüßen, sie befi ndet sich recht dwohl. Mit besten Grüßen Dein Sohn Maxd eNB.

Soeben war der Doktor7 hier, er ist mit Claras Befi nden zufrie-

den.e fNB. 15

Bruno Müller hat hier zu Mittag gegessen [,] reist heute Abend na[ch] Rußland [,] 8 grüßt bestens.f

a 〈diesen〉 b Unsichere Lesung. c Unsichere Lesung. d–d Zusatz am oberen Kartenrand. e–e Zusatz am linken Kartenrand. f–f Zusatz am äußersten rechten Kartenrand; kaum lesbar. 4 Anläßlich der Abiturprüfungen zum Ende des Sommerhalbjahres war eine Woche unterrichtsfrei. 5 Die 54. Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste in Berlin, die vom 29. August bis zum 31. Oktober 1880 stattfand. 6 Der österreichische Landschaftsmaler Joseph bzw. Josef Wopfner malte häufig Motive des Chiemgaus, speziell auch den Chiemsee. Die Ausstellung 1880 zeigte von ihm zwei Ölgemälde: „Fähre auf dem Chiemsee“ (Nr. 764) und „Fischer auf dem See bei Sonnenuntergang“ (Nr. 765). Vgl. Verzeichniß der Werke lebender Künstler auf der 54. Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste im provisorischen Ausstellungsgebäude auf dem Cantianplatz zu Berlin vom 29. August bis 31. October 1880. Mit 187 Illustrationen in Facsimile-Reproductionen nach den Originalzeichnungen der Künstler. – Berlin: Rud. Schuster 1880, S. 141. 7 Möglicherweise der bereits früher erwähnte praktische Arzt Dr. Paul Alt, dessen Praxis in der Charlottenburger Leibnizstraße lag. 8 Bruno Müller, Ehemann von Max Webers Bielefelder Cousine Alwine, war Teilhaber der von Carl David Weber gegründeten Leinenweberei Carl Weber & Co in Oerlinghausen. Zur Rußlandreise, möglicherweise eine Geschäftsreise, ist weiteres nicht bekannt.

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Max Weber sen. 8. Oktober 1880; Charlottenburg Karte; eigenhändig, ohne Schlußformel GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 19 Die Karte ist an das „Hôtel Quirinale“ in Rom adressiert. Zur Reise von Max Weber sen. vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte vom 3. September 1880, oben, S. 232.

Charlottenburg, d. 8. 10. 80. V.M. Lieber Vater! Da heute große Wäsche ist und Mama in Folge dessen sehr beschäftigt, so fällt mir wieder das Briefschreiben anheim. Zunächst also und vor allen Dingen sind wir jetzt alle wieder gesund, nachdem Alfred vollständig hergestellt ist und Karl vom Scharlach verschont zu werden scheint. Von bedeutenden Tagesereignissen wüßte ich nicht zu erzählen, daß Du in das Lessing-Denkmal-Comitée gewählt bist,1 wird Dir Mama wohl schon geschrieben haben. Wir leben hier außerordentlich still und fast unbeweglich, abgesehen davon, daß ich einige male mit Bekannten in Berlin und in der Kunstausstellung war2 und daßa Karl als Indianer dann und wann den Garten unsicher macht. Im übrigen beschränkten wir uns jetzt auf die Lektüre, indem die Jungens3 und Mama Abends eine indianische Mordgeschichte4 und wir dann hintera O: das 1 Nachdem ein 1863 beschlossenes Vorhaben, Goethe, Schiller und Lessing in Berlin durch ein gemeinsames Denkmal zu würdigen, gescheitert und ersteren je ein eigenes Denkmal gewidmet worden war, wurde Anfang Oktober 1880 der Plan eines Lessingdenkmals reaktiviert. Kurz nach Enthüllung des Goethedenkmals im Tiergarten beschloß ein bereits existierendes Denkmalskomitee am 5. Oktober 1880, das begonnene Projekt im Hinblick auf den 100. Todestag Lessings am 15. Februar 1881 wieder aufzunehmen: „An Stelle der durch den Tod ausgeschiedenen wurden aus den hervorragenden Kreisen unserer Hauptstadt neue Mitglieder gewählt.“ Das neue Gesamtkomitee sollte alsbald zusammentreten und die weiteren Schritte beschließen (Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 508 vom 7. Okt. 1880, Mo.Ausg., 1. Beiblatt, S. 5). Bis zur Errichtung des Denkmals vergingen allerdings zehn Jahre. Das von Otto Lessing geschaffene Denkmal wurde am 14. Oktober 1890 im Tiergarten enthüllt. Unter den in der Presse aufgezählten anwesenden Honoratioren der Stadt findet sich der Name von Max Weber sen. nicht (vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 480 vom 14. Okt. 1890, Ab.Ausg., 2. Beiblatt, S. 13 f.). 2 Die 54. Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste in Berlin lief vom 29. August bis zum 31. Oktober 1880. Vgl. dazu bereits die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 19. Sept. 1880, oben, S. 235 mit Anm. 5. 3 Die Brüder Alfred und Karl. Arthur war erst drei Jahre alt. 4 Die Anspielung bezieht sich auf die in der Karte an Max Weber sen. vom 19. September

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her „Faust“5 lasen. Sonst habe ich die Ferien6 dazu angewendet, bei einem Bekannten Stenographie zu lernen,7 ebenso habe ich meine Kenntnisse im Englischen vervollkommnet und bin jetzt bei der Lektüre von Dickens’ „Dombey and Son“ begriffen.8 Um etwas weiter zurückzugreifen, so ist meine Censur, die ich von H[errn] Dr. Lüttge9 nach einer längeren Rede über subjektives und objektives Wissen, welche indessen einer Anwendung auf mich ermangelte und sich in ausnehmend freundschaftlichen Ausdrücken bewegte, ausgehändigt erhielt, ziemlich gut, jedenfalls besser als diejenigen meiner Leidensgefährten: sie bewegt sich zwischen befriedigend und mittelmäßig. Unsre Abiturienten haben ein ziemlich mittelmäßiges Examen sämmtlich bestanden,10 der Kommers am Abend war in Folge dessen recht gemütlich, anwesend waren Dr. Reichel u. Dr. Hübner,11 von denen erste-

1880, oben, S. 234 mit Anm. 2, geschilderte Lektüre von James F. Coopers „LederstrumpfErzählungen“. 5 Goethe, Johann Wolfgang von, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil (Goethes’ Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 14. Band, Erste Abtheilung). – Weimar: Hermann Böhlau 1887; sowie ders., Faust. Der Tragödie Zweiter Theil (ebd., 15. Band, Erste Abtheilung, 1888). Wenig später schrieb Helene Weber über diese Abendlektüre, sie habe den Zweck, „den Max jun. dem ich den Tag über doch keine Zeit widmen kann zu veranlaßen durch Gespräch, oder Vorlesen mich etwas in seinen Interessenkreis einblicken zu lassen. Er hat ja kaum mir gegenüber das Bedürfnis dazu, und bei unsrer so verschiedenen Naturanlage muß ich ein ordentliches Studium draus machen mir den Jungen innerlich nicht fremd werden zu lassen. Zu meiner Freude scheint es mir nun als wäre er doch schon etwas drüber hinaus grundsätzlich kein vernünftig Wort mit mir zu reden und ich suche ihn nun ohne daß er’s merken darf daran festzuhalten“. (Brief von Helene Weber an Ida Baumgarten vom 13. Dez. 1880, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 6 Anläßlich der Abiturprüfungen zum Ende des Sommerhalbjahres war im September eine Woche unterrichtsfrei. 7 Es dürfte sich um Otto Strauss handeln, einen Mitschüler Max Webers in der Prima, der mit ihm zusammen 1882 das Abitur ablegte. Wie Helene Weber am 2. Oktober 1880 an ihren Mann berichtete, gehe Max „beinahe täglich zu seinem Freund Strauss in der Friedrich Wilhelmsstraße, Stenographie zu lernen“; hier zit. nach Roth, Familiengeschichte, S. 489, Anm. 35. 8 Charles Dickens’ sozialkritische Novelle erschien erstmals als: Dickens, Charles, Dealings with the Firm of Dombey and Son; Wholesale, Retail and for Exportation. – London: Bradbury & Evans 1848. 9 Oberlehrer Albert Lüttge unterrichtete die Prima als Ordinarius (Klassenlehrer) v. a. in Latein (8 Stunden), außerdem in Französisch und Geschichte (Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XII. Jahres-Bericht, 1881, Verteilung der Lehrstunden). 10 Die Abiturienten-Prüfung nach dem Sommerhalbjahr hatten am 24. September 1880 sechs Schüler der Prima erfolgreich abgelegt (vgl. ebd., S. 56). 11 Otto Reichel und Maximilian Hübner-Trams, beide Lehrer am Charlottenburger Gymnasium.

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rer sich den ganzen Abend über in den urscheuslichsten Kalauern bewegte. Die Commerszeitung kannst Du ja noch später sehen, sie ist nicht eben besonders. Heute Morgen war ein Brief von Otto Baumgarten hier, Dein Telegramm haben sie richtig erhalten,12 aber unsere „vier Jahreszeiten“13 sind nicht zur richtigen Zeit und bisher überhaupt noch nicht eingetroffen. Eichler hat sie offenbar zu spät abgeschickt. In der Kunstausstellung fand ich übrigens mehrere dem unsrigen genau entsprechende Bilder vom Chiemsee, von Wopfner.14 Hobrechts15 waren in den letzten Tagen einmal hier und lassen bestens grüßen. – Alfred geht eben zum ersten male wieder in den Garten, um sich dort mit Karl, Klara und Artur zu vereinigen, welche sämmtlich als Indianer mehr oder weniger vollständig ausstaffiert umherbrüllen. Von Mama ebenfalls besten Gruß. Ich erwarte eben Cohn hier,16 der schon seit mehreren Tagen fortwährend kommen wollte. In dieser Karte steht nicht eben besonders viel oder besonders bedeutendes darin, es ist aber auch nichts vorgefallen. Mama ist übrigens im Zweifel, wieviel eigentlich Herr Dr. Groth für die Stunde beim Karl bekommt,17 er hat die Liste über die Anzahl der Stunden eingesandt. Mit bestem Gruß

12 Hermann und Ida Baumgarten feierten am 4. Oktober 1880 ihren 25. Hochzeitstag. Max Weber sen. hatte ihnen zu diesem Anlaß aus Rom geschrieben (Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 2. Dez. 1880, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe). 13 Das Geschenk, welches die Familie Weber durch Georg Eichlers Plastische Kunst-Anstalt direkt an das Ehepaar Baumgarten hatte schicken lassen. Nach Eichlers Katalog dürfte es sich um Gipsabgüsse vier runder Marmorreliefs des Künstlers Bertel Thorwaldsen von 1836 handeln, die mit den Jahreszeiten zugleich die Lebensalter thematisierten. Vgl. Verzeichniss von Gyps-Abgüssen antiker und moderner Sculpturen zu haben bei G. Eichler Plastische Kunst-Anstalt. – Berlin: L. Metzoldt o. J. [um 1880], S. 18, Nr. 10–14. Eichlers Kunst-Anstalt fertigte seit 1837, wie es im Prospekt heißt, „vorzügliche Werke antiker, mittelalterlicher und moderner Bildhauerkunst in möglichst getreuen Gypsabgüssen“ (ebd., S. 2). 14 Zu Wopfners Chiemsee-Bildern, die auf der Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste gezeigt wurden, vgl. die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 19. Sept. 1880, oben, S. 235, Anm. 6. 15 Arthur Hobrecht und seine Frau Emma Hobrecht, geb. Stampe. 16 Friedrich (Fritz) Cohn, ein Schulfreund Max Webers. 17 Sehr wahrscheinlich erneut für Nachhilfeunterricht. Dr. Johann Groth unterrichtete am Charlottenburger Gymnasium Latein, Deutsch und Geschichte (vgl. Königliches Gymnasium zu Charlottenburg. VI. Jahres-Bericht, womit zu der am Freitag den 19. März stattfindenden öffentlichen Prüfung einladet, Dr. F. Schultz Director. – Berlin: Druck von Götsch & Mann 1875, S. 22).

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und dem Wunsche, daß Du auch fernerhin das schöne Land ebenso genießen mögest bwie bisher, Dein Sohn Max Eben kommt Deine Karte an.b Aegidi eine Karte, daß er Dir poste restante18 nach Rom geschrieben hat.c d Von Onkel Hermann soeben eine Karte, daß die „vier Jahreszeiten“ angekommen sind.d

5 c Von

b–b Zusatz am oberen Kartenrand. satz am rechten Kartenrand.

c–c Zusatz am linken Kartenrand.

18 International übliche Bezeichnung für: postlagernd.

d–d Zu-

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16. August 1881

Max Weber sen. 16. August PSt 1881; Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 20 Die Karte ist an „Herrn Stadtrat Dr. Weber aus Berlin zur Zeit Kurgast in Helgoland“ adressiert. Dorthin war der Vater am Vortag von Heidelberg aus gefahren, während Helene Weber am 17. August mit den jüngsten Kindern nach Charlottenburg zurückkehrte (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 14. August 1881, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Die schulpflichtigen Söhne Max, Alfred und Karl waren anläßlich des Unterrichtsbeginns am 8. August vorab nach Charlottenburg zurückgereist. Die nachfolgend sowie im Brief an Max Weber sen. vom 22. August 1881, unten, S. 242, geschilderten Prüfungsleistungen („tentamen“) bildeten eine Art Leistungstest im Vorfeld der Abiturprüfung, welche Max Weber am Ende des Winterhalbjahres 1881/82, am 20. März 1882, ablegte (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XIII. Jahres-Bericht, 1882, S. 14). Vor der Anmeldung zur Abiturientenprüfung war laut dem bis 1882 gültigen preußischen Abiturreglement festzustellen, ob ein Kandidat die erforderliche wissenschaftliche Reife und „sittliche Haltung“ besaß. Grundlage hierfür waren die dem Primaner ausgestellten „Zeugnisse und Gutachten“ (Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen, hg. von Dr. Ludwig Wiese. – Berlin: Verlag von Wiegandt und Grieben 1867, I. Abtheilung. Die Schule, S. 205–232, hinfort: Wiese, Verordnungen, hier S. 207 f.). Umfang und Art der Prüfungen entsprachen weitgehend den im Abitur geforderten Leistungen. Wie einem Brief Helene Webers von September 1881 zu entnehmen ist, machte sich das Ehepaar Weber bereits Gedanken um die Zukunft des Sohnes. An Fritz Baumgarten schrieb sie: „Er wird Ostern nach Heidelberg gehen“. Dies sei ihr ein „lieber Gedanke“, zumal seitdem sie wisse, daß auch Otto Baumgarten dann dort sei. Sie wolle sich melden, sobald es konkret werde, denn „natürlich möchte ich aber nicht[,] daß Max den Eindruck hätte schon vorher, als solle er beeinflußt werden.“ (Brief von Helene Weber an Fritz Baumgarten vom 11. September 1881, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

Charlottenburg Dienstag 16/8 g. Ab. Lieber Vater! Ich habe gestern noch an Dich nach Heidelberg geschrieben,1 weil ich, seit einer Woche ohne jede Nachricht, glaubte, Ihr beabsichtigtet dort noch länger zu bleiben. Heute erhielt ich endlich Brief und Karte und führte Eure beiderseitigen Aufträge aus.2 Da Du heute schon in Helgoland bist, wollte ich Dir doch dorthin auch noch Nachricht geben. Es geht hier alles gut, auch mit Alfred und, meines Wissens, auch mit Karl. Das Examen ist vorbei. Die ganze vorige Woche war meine Bude 1 Karte bzw. Brief ist nicht nachgewiesen. 2 Sachverhalt nicht ermittelt.

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droben von Arbeitslustigen belagert und ich arbeitete in der That auch täglich bis in die Nacht. Ich habe in Mathematik und Deutsch gute Resultate erzielt, im Deutschen sogar gradezu „gut“,3 was beim „tentamen“4 eine Seltenheit. In den andren Fächern sind mir die Resultate noch unbekannt, teilweise ist mir der Ausfall bedenklich zweifelhaft. Das Abiturientenexamen wird diesmal ein sehr mattes, 5 einer der jungen Leute wurde wegen versuchter Fälschung excludiert! – Es ist permanent sehr kühl hier, das Obst will nicht reifen. Alfred läßt bestens grüßen. Ich schreibe am Donnerstag,6 wenn Mama angekommen ist, wieder. Mit bestem Gruß Dein Sohn Max.

3 „Gut“ war nach „vorzüglich“ die zweitbeste schulische Bewertung. Der deutsche Aufsatz, Teil auch des schriftlichen Abiturienten-Examens, sollte vor allem die „Gesammtbildung des Examinanden“ zeigen. Vgl. Wiese, Verordnungen (wie oben, S. 240), S. 212 und 215. 4 Lat. für: Probe. Eine Examensform, die den vorläufigen Kenntnisstand in einem Wissensbereich abfragt. 5 Das Abiturienten-Examen zum Ende des Sommerhalbjahres, am 29. August 1881. Nur zwei Schüler der Prima legten es mit Erfolg ab (vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 22. Aug. 1881, unten, S. 243 mit Anm. 4). 6 Donnerstag, der 18. August 1881. Wie sich aus dem Brief an Max Weber sen. vom 22. August 1881, unten, S. 242, ergibt, kam er erst dann wieder zum Schreiben.

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Max Weber sen. 22. August 1881; Charlottenburg Brief; eigenhändig MWA Heidelberg (Photokopie des Originals) Wie aus dem Briefinhalt hervorgeht, schrieb Max Weber seinem Vater, wie auch schon die vorausgehende Karte, nach Helgoland und setzte ihn über weitere Examensleistungen in Kenntnis. Vgl. die Karte an Max Weber sen. vom 16. August 1881, oben, S. 240 f., mit Editorischer Vorbemerkung.

Charlottenburg d. 22.8.81 Abends. Lieber Vater! Da ich trotz meines früheren Versprechens1 in den letzten Tagen absolut nicht dazu kommen konnte, irgend etwas von mir zu geben, so will ich wenigstens heute einen freien Abend dazu benutzen Dir für Deine letzten beiden Postkarten bestens zu danken. Ich hatte auch nach Beendigung des schriftlichen Examens recht viel zu thun und dazu die angenehmen oder unangenehmen Nebengeschäfte als vorläufig praedestinierter Primus Omnium, 2 wovon das Geldsammeln und Gelderschachern und Gelderquetschen zu patriotischen Zwecken am Sedanstage3 nicht das angenehmste und idealste ist. Mein Examen ist noch so leidlich ausgefallen, mit Ausnahme des Französischen Skriptums, welches ungenügend und des lateinischen Aufsatzes, welcher auch nur sehr schwach ist. Befriedigenda als Abiturientenarbeit sind das lateinische Skriptum und ziemlich auch das griechische, gut die deutsche und mathematische Arbeit. Das Resultat ist mir nicht sehr erfreulich, trotzdem es doch noch besser ist als ich erwartete. Jetzt schleicht nun die Schule ihren Gang so dahin, ihre einzige Thätigkeit ist auf das Ein-

a 〈für〉 1 In der vorausgehenden Karte (oben, S. 241) hatte Max Weber seinem Vater versprochen, am Donnerstag (dem 18. August) wieder zu schreiben. 2 Lat. für: der Erste/Beste von Allen. Damals Bezeichnung für den besten Abiturienten bzw. Jahrgangsbesten. 3 Der Sedantag am 2. September, zur Erinnerung an die Kapitulation der Französischen Armee 1870 bei Sedan. Für die jährlich abgehaltene Schulfeier fanden 1881 im Vorfeld Sammlungen statt, da dem Charlottenburger Gymnasium von einzelnen Klassen und Schülern eine Anzahl neuer Fahnen und „Heroldstäbe“ gestiftet wurde. Nach der feierlichen Überreichung der Fahnen fand am 2. September ein Festzug der gesamten Schule statt, an dessen Ende „der patriotischen Begeisterung durch Gesang und Rede Ausdruck gegeben“ wurde (vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium, XIII. Jahres-Bericht, 1882, S. 12).

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pauken der beiden Abiturienten gerichtet,4 von denen der eine sehr bedenkliche Leistungen hervorbrachte. Dazu kommen die vielen freien Tage, die bevorstehende Abreise des Direktors, 5 etc. Bei alledem aber hat man doch so viel zu thun, daß ich fast den ganzen Tag im Zimmer bleibe und nur mit Mühe nebenbei Zeit fi nde, die mir noch unbekannten letzten Teile von Droysens „Gesch[ichte] d[er] preuß[ischen] Politik“6 zu lesen. – Im übrigen geht es hier recht gut, Alfred sitzt in seinen Versetzungsarbeiten, die, so viel ich voraussehen kann, recht gut ausfallen werden, Karl hat sich seit Sonntag hier auch wieder eingestellt. Seine Stunden bei Paukstadtb scheinen guten Erfolg zu haben,7 seine Leistungen haben sich, wie ich schon mehrfach gehört habe, merklich aufgebessert. Wir haben das unsrige gethan, Mama zuzureden, daß sie Deinem Plane gemäß nach Helgoland gehen sollte,8 ich bezweifle aber etwas den Erfolg. – Unsre neueste Errungenschaft hier ist ein wildes Hundeviehc zum Schutze des Obstes, ob das Ungeheuer an der Kette schließlich etwas nützen wird, muß das Resultat zeigen. Ist dieses günstig, so dürfen wir allseitig |:auf:| eine reiche Ernte hoffen. Daß das Wetter auf Helgoland so bezaubernd ist, wundert mich doch, bei uns ist, seit wir hier sind, die Kühle zuweilen fast unangenehm, um wie viel mehr müßte sie es dort sein. Von Hertha9 hatten wir aus Hamburg in den letzten Tagen einen längeren Brief, das Haus dort

b O: Pauckstadt

c Alternative Lesung: Hundeviech

4 Die Primaner Carl Moritz und Carl Roeder. Beide bestanden zu Michaelis, am 29. August 1881, das Abiturienten-Examen (ebd., S. 14). 5 Dr. Ferdinand Schultz, Direktor des Charlottenburger Gymnasiums, hatte die Erlaubnis für eine dreiwöchige Reise nach Italien noch vor den offiziellen Michaelisferien (1. bis 17. Oktober) erhalten (ebd., S. 13). 6 Droysen, Johann Gustav, Geschichte der preußischen Politik, 5 Theile. – Leipzig: Veit und Comp. 1855–1886. Die Teile 2 bis 5 erschienen in mehreren Teilbänden; bis 1881 zuletzt die ersten drei Bände von Teil 5: Friedrich der Große, ebd., 1874, 1876 und 1881. 7 Gemeint ist wohl der Gymnasiallehrer Dr. Rudolf Paukstadt; er unterrichtete u. a. Deutsch und Latein am Charlottenburger Gymnasium und wohnte direkt in der Nachbarschaft. Erneut dürfte es sich um Nachhilfestunden handeln (vgl. die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 8. Okt. 1880, oben, S. 238 mit Anm. 17). 8 Helene Weber war kurz zuvor von Heidelberg nach Charlottenburg zurückgekehrt (vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 16. Aug. 1881, oben, S. 240). 9 Hertha Lucie Weber, Max Webers Hamburger Cousine.

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muß |:jetzt:| doch recht leer sein.10 – Herr Wehrenpfennig war letzter Tage hier, er wünschte den Antinous zu leihen,11 der aber leider noch bei Mandelkowd 12 war. Gleichzeitig waren Rösings13 hier, sie scheinen sich den größten Teil der Ferien über in und um Schwalbach, im Taunus, aufgehalten zu haben. Indessen, ich bemerke zu meinem Leidwesen, daß meine Berichte schon bröckelhaft werden, ein sicheres Zeichen, daß man eigentlich nichts zu berichten hat, was übrigens bei meiner jetzigen eingezogenen Lebensweise nicht zu verwundern ist. Ich hatte ja auch nur den Zweck, mein Versprechen zu erfüllen und ein Lebenszeichen von mir zu geben. Viel Vergnügen und angenehmere Temperatur als hier für Helgoland! Mit bestem Gruße Dein Sohn Max

d Unsichere Lesung. 10 Sachverhalt nicht ermittelt. 11 Es handelt sich um Taylor, George, Antinous. Historischer Roman aus der römischen Kaiserzeit. Mit dem Bildniß des Antinous. – Leipzig: S. Hirzel 1880. George Taylor war das Pseudonym, unter dem Max Webers Onkel Adolf Hausrath kulturhistorische Romane publizierte, in diesem Fall die Geschichte des Geliebten des römischen Kaisers Hadrian. 12 Es könnte sich um die Charlottenburger Buchbinderei Mandelkow handeln. 13 Die befreundete Familie von Johannes Rösing und seiner Frau Clara Rösing, geb. von Ammon.

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Protokoll der mündlichen Abiturprüfung Max Webers im Fach Religion am 20. März 1882 Landesarchiv Berlin, Akten des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums, A Rep.020-21 Nr. 65

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Max Weber sen. [und Helene Weber] 23. April 1882; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 23 Die Karte ist an „Herrn Stadtrat Dr Weber“ in Charlottenburg adressiert, die Schlußformel „Euer Sohn“ richtet sich aber an beide Eltern. Im Sommersemester 1882 begann Max Weber sein Jura-Studium in Heidelberg, wo er drei Semester lang blieb. Die letzte Karte aus dieser Zeit stammt vom 30. Mai 1883, unten, S. 350. Im Anschluß absolvierte er seinen einjährig-freiwilligen Militärdienst (vgl. die Karte an Helene Weber vom 25. September 1883, unten, S. 358 f.); während dieser Zeit besuchte er nur sporadisch die Straßburger Universität, lediglich im Wintersemester 1883/84 kam er regelmäßig in die privatissime abgehaltene Übung seines Onkels Hermann Baumgarten (vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 21. Dezember 1883, unten, S. 373 f., sowie die Ausführungen in Anhang II, unten, S. 638 mit Anm. 1). Danach setzte er sein Studium ab dem Wintersemester 1884/85 in Berlin fort (vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 14. Oktober 1884, unten, S. 464–467), bevor er zum Abschluß des Wintersemesters 1885/86, das er in Göttingen verbrachte, exmatrikuliert wurde (vgl. die Karte an Helene Weber vom 28. Oktober 1885, unten, S. 548 f.).

Heidelberg. 23/4 82. Abends.

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Nach mangelhaftem Schlafen in Folge von Überfüllung des Waggons kam ich glücklich hier an, entging auch glücklich den Händen einer Horde Allemannena 1 auf dem Bahnhof, fuhr hierher in den „Ritter“, 2 zog mich um u. besuchte dann Hausraths, wo ich die Papiere abgab3 u. zu Mittag blieb. Der Onkel4 in ausgezeichneter Laune. Trabte den Nachmittag über in der Stadt nach Wohnungen umher und fand keine einigermaßen acceptable 2zimmrige unter 110–120 Mk. In folge dessen miethete ich schließlich im sog. „Waldhörnchen“5 am Ziegelhäuser Weg6 21 eine der von Tante H[enriette] empfohlenen Wohnungen, sehr großes, gut ausgestattetes Zimmer mit Sopha, Sekretär, zwei Schrän-

a O: Alemannen 1 Die Heidelberger Allemannen sind eine seit 1856 bestehende Heidelberger Burschenschaft, der sich Max Weber in seinem zweiten Semester fest anschloß. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 2 Es handelt sich um eines der ältesten und heute noch existierenden Hotels am Heidelberger Marktplatz. 3 Max Weber übergab Papiere von der Großmutter Emilie Fallenstein. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, unten, S. 247 mit Anm. 6. 4 Adolf Hausrath. 5 Das Waldhörnchen (oder: Waldhorn) war eine traditionsreiche Pension in Heidelberg. 6 Der richtige Name ist Ziegelhäuser Landstraße.

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ken und Alkoven, zu 120 Mk postanno,7 bei sehr freundlichen Leuten.8 Sehr billige Bedienung etc. Fenster nach S[üden]. Aussicht aufs Schloß. 4 Fenster. Onkel Adolfb rieth mir ebenfalls dazu. Von allen beste Grüße. Otto noch nicht hier.9 Bekker fängt morgen an.10 Ziehe morgen in die Wohnung. Euer Sohn Max

b O: Adolph 7 Eigentlich: post anno, bei Ablauf des Jahres; hier: bei Ende des Semesters. Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, unten, S. 248. 8 Fanny Buschbeck und Regina Müller. 9 Otto Baumgarten legte am 14. April 1882 sein theologisches Examen in Straßburg ab und ging dann für ein halbes Jahr an das Heidelberger Predigerseminar. Vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zur Karte an Max Weber sen. vom 16. Aug. 1881, oben, S. 240. 10 Die Kollegien von Ernst Immanuel Bekker fingen erst am 25. April 1882 an (vgl. dazu den folgenden Brief Max Webers an seinen Vater vom 24. April 1882, unten, S. 249 mit Anm. 14). Weber hörte täglich (jeweils einstündig) die „Institutionen des römischen Rechts“ von 9–10 Uhr sowie die „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1882, S. 4. Max Weber hatte sich für das Kolleg immatrikuliert und 30 Mark gezahlt, vgl. die Quästurakte Bekker, UA Heidelberg, Rep. 27/59, SS 1882.

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24. April 1882

Max Weber sen. 24. April 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 24–27

Heidelberg 24/4 82 Abends. Ziegelhäuser Weg1 21. im „Waldhörnchen“2 Geschmier bei Spätigkeit und Eile bitte zu entschuldigen 5

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Lieber Vater! Da ich gestern Abend, wo ich außerdem in Folge unvermeidlichen continuierlichen Kneipens in zweifelhaftem Zustande war, nur eine mangelhafte Postkarte3 geschrieben habe, so folgt heute der ausführlichere Bericht nach. Während der Fahrt nach Heidelberg habe ich in der Nacht kein Auge zugethan, da ich erstens ganz angenehme Gesellschaft an jungen Studenten fand und man uns außerdem das Coupé so voll scheusliche Flegel lud, daß kaum zu existieren war. Wir – d. h. meine Bekannten u. ich – qualmten in Folge dessen, um uns die Leute möglichst vom Halse zu halten, so fürchterlich, daß der Wagen zu explodieren drohte. In Nordhausen u. Frankfurt frühstückten wir anständig, aber teuer u. schwadronierten im Übrigen über Gott und die Welt. Hier in Heidelberg angekommen, entging ich glücklich den Nachstellungen mehrerer Allemannena,4 die ostensiv auf dem Bahnhofe sich umhertrieben u. fuhr in den Ritter, 5 wo ich gut und billig wohnte. Ich besuchte Hausraths sofort, gab die Papiere von der Großmutter ab6 und blieb zu Mittag und Kaffee bei ihnen. Nachmittag kam Georg Weber zu ihnen, der übrigens die Absicht hat, baldigst nach Berlin zu a O: Alemannen 1 Der richtige Name ist Ziegelhäuser Landstraße. 2 Eine traditionsreiche Pension in Heidelberg. 3 Vgl. die Karte Max Webers an Max Weber sen. und Helene Weber vom 23. April 1882, oben, S. 245 f. 4 Die Heidelberger Allemannen sind eine seit 1856 bestehende Heidelberger Burschenschaft, der sich Max Weber in seinem zweiten Semester fest anschloß. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 5 Es handelt sich um eines der ältesten und heute noch existierenden Hotels am Heidelberger Marktplatz. 6 Vgl. dazu auch die Karte an Max Weber sen. und Helene Weber vom 23. April 1882, oben, S. 245 mit Anm. 3.

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kommen.7 Einen vorgesetzten Nachmittagsspaziergangb unterbrach das heillose Aprilwetter, welches hier herrscht. Am Nachmittag lief ich dann unter strömendem Regen nach Wohnungen umher. Auf dieser Seite des Neckar fand ich keine Wohnung |:frei:| außer zweien, meiner jetzigen defi nitiven u. einer anderen, die, bedeutend schlechter, 150 Mk. kosten sollte. In der Stadt war unter 100–110 Mk keine acceptable – nach Deinen Begriffen, die Du mir entwickeltest – vor|:zufi nden:| und so setzte ichc die 10 Mk. zu und mietete die hiesige im „Waldhorn ob der Bruck“, wie es im Rodenstein bei Scheffel heißt.8 Ich habe hier zu Wirtinnen zwei sehr alte Jungfern,9 die, sehr freundlich und redselig, die Bedienung für 1 Mk (!) monatlich besorgen – ohne irgend ein Trinkgeld an irgend jemand – kann alles bekommen, was ich wünsche – Spiritus, Petroleum etc. etc., habe den – allerdings sehr unbedeutenden – Garten zur Verfügung und bezahle pro Sem[ester] 120 Mk., die am Ende des Semesters auf einen Ruck zu bezahlen sind. Die Stube hat 4 Fenster nach der Südseite, liegt Parterre, ist ca so groß wie unser Eßzimmer und ist mit einem Blumentisch, einem Sekretär (verschließbar), einem großen und einem kleinen Schrank nebst Bücherregal, Sopha, Tisch, Sessel und Stühlen ausgestattet. Mehrere Murillo’s,10 welche phantastische Festungswerke, den gesprengten Turm11 u. ähnliches darstellen, schmücken die Bude. (Es wohnen außerdem noch zwei Studenten, ein Jurist u. ein Philologe, im Haused).12 Ein Alkoven, an die Stube anschließend, enthält Bett (recht gut!) und Waschtisch. Jedenfalls kann ich Dich, falls Du kommst, ausgezeichnet beherbergen. – b O: Nachmittagsspatziergang

c 〈dann〉

d O: Hause.

7 Es handelt sich um Georg Weber jun., den jüngsten Sohn von Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. Wie aus dem Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Mai 1882, unten, S. 265 mit Anm. 15, hervorgeht, war er „grade von Berlin zurückgekommen“. 8 Die erste Strophe des (u. a. in studentischen Kommersbüchern) weitverbreiteten Trinkliedes „Die Pfändung“ von Joseph Victor von Scheffel lautet: „Und wieder saß beim Weine / Im Waldhorn ob der Bruck / Der Herr vom Rodensteine / Mit schwerem Schluck und Gluck.“ Scheffel, Joseph Victor von, Gaudeamus! Lieder aus dem Engeren und Weiteren, 11. Aufl. – Stuttgart: J. B. Metzler’sche Buchhandlung 1873, S. 78. 9 Fanny Buschbeck und Regina Müller. 10 Max Weber meint hier vermutlich den spanischen Maler Bartolomé Esteban Murillo (1618–1682). Von diesem existiert jedoch keines der hier beschriebenen Gemälde. 11 Der „Gesprengte Turm“ des Heidelberger Schlosses wurde 1693 zerstört und trug schon im 19. Jahrhundert diese Bezeichnung. Ob er hier gemeint ist, ist unklar; ein entsprechendes Gemälde von Murillo existiert nicht. 12 Es handelte sich um den Juristen Michael Schmitz und den „Philologen“ Conrad Tenne; letzterer war Chemiker und wurde 1878 in Göttingen promoviert. Dort gehörten die Naturwissenschaften noch zur Philosophischen Fakultät.

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Am |:Sonntag:| Abend rückten mir zwei Rhenanene13 auf die Bude. Nachdem ich sie mit dem Bedauern, daß mein Wechsel nicht zu ihren Plaisiren ausreichte – sie kriegten einen schönen Schreck, als ich das sagte! – herausgeschmissen hatte, hoffte ich – Interesses halber, denn es wäre mir immerhin etwas neues gewesen, – daß sie mich anrempeln würden – aber die Kerls, die übrigens auch mit der Tür in’s Haus fielen, waren zu furchtbare Rindviecher. Die übrige Bande ließ mich in Ruhe. Heute ging ich an’s schwarze Brett, constatierte, daß Bekker erst morgen anfängt,14 zog dann um – hierher – und kneipte bis gegenf Abend mit den „Frankonen“15 zusammen |:– ich traf einige von ihnen am schwarzen Brett –:|, die eine sehr angenehme, wie es scheint, sehr angesehene, relativ sehr starke – sie sind über 20 Mann – Verbindung sind. Sollte ich noch einspringen, was mir sehr zweifelhaft ist,16 so würde es bei ihnen sein, da ich gehört habe, daß 1) Couleurschulden nicht existiren,17 2) die Füchse18 angehalten werden, die Collegien zu besuchen, 3) ich Leute mit einem Wechsel von 120 Mk gesprochen habe, die recht gut bei ihnen auskommen [,] 4) sie nur zwei Mal die Woche offi ziell kneipen – wo man also gezwungen ist, hinzukommen – und weil ich endlich sehr nette Leute kennengelernt habe, die ihnen angehören. Übrigens standen sie mit den „Grünen“ in Göttingeng,19 und das Bild, woraufh Du so schön im Schlafrock figurierst, hängt bei ihnen auf der Kneipe. Ich habe mich natürlich absolut nicht gebunden, – übrigens

e O: Renanen rauf

f 〈Abend 8〉

g Zu ergänzen wäre: in Verbindung

h wo > wo-

13 Die Rhenania Heidelberg ist ein studentisches Corps, in seiner heutigen Form 1849 gegründet. 14 Vgl. dazu auch die Karte Max Webers an Max Weber sen. und Helene Weber vom 23. April 1882, oben, S. 246 mit Anm. 10. 15 Die Frankonia Heidelberg ist eine 1856 gegründete Burschenschaft. 16 Max Weber schloß sich im Wintersemester 1882/83 der Burschenschaft Allemannia an. 17 Couleurschulden sind die Schulden einer studentischen Verbindung bei Gastwirten und anderen Dienstleistern, die aus der gemeinsamen Kasse bezahlt werden. Die Frankonia hatte Ende der 1870er Jahre recht hohe Schulden und war kurzzeitig wegen Mitgliedermangels durch die Universität suspendiert. 18 Füchse nennt man neue Mitglieder studentischer Verbindungen vor ihrer Aufnahme als vollberechtigte Mitglieder. 19 Die Hannovera Göttingen ist eine 1848 gegründete Burschenschaft, der sich Max Weber sen. in seiner Studienzeit angeschlossen hatte. Die Bezeichnung „die Grünen“ bezieht sich auf die Farbe ihrer Mützen.

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„keilten“20 sie mich nicht im Mindesten [–] i da ich erst hören will, was die Professoren von ihnen denken und mich dann erst vergewissern will, ob die Leute wirklich alle so nett sind, wie es heute den Anschein hatte – was mir zweifelhaft erscheint. Heute Abend traf ich mit Otto zusammen. Er wird nebenan bei Ickrath21 wohnen und wir werden „Mikrokosmos“22 zusammen lesen. Er sagte mir, Emmy würde in 14 Tagen reisen, was also für Berlin eine ziemlich kurze Zeit ergeben würde, und philosophierten im Übrigen viel, erj scheint übrigens sehr im Arbeiten zu stecken, 23 so daß wir also trotz der Nähe der Wohnungen24 nicht besonders viel – täglich vielleicht zum lesen eine Stunde – zusammensein werden. Ich habe hier auf den Wanderungen, die ich Probierens halber, auch durch die hiesigen Kneipen angetreten habe, mancherlei Volks getroffen, so gestern Abend hier bei Ickrath einen Serben, hochgebildet, sehr liebenswürdig und in der Unterhaltung recht angenehm, eine Unzahl Juristen und recht viel Berliner, welch letztere jedoch mit geringen Ausnahmen mich nicht anlocken. Was das Essen betrifft, so habe ich mir den Pfälzer Hof empfehlen lassen, im Übrigen habe ich heute recht gut bei den Frankonen gegessen. Ich werde mich auch in dieser Beziehung auf’s Probieren legen. Übrigens befi nde ich mich hier sehr wohl, u. bin Dir sehr dankbar dafür, daß Du mich hier studieren lassen hast, beiläufig will ich – in majorem dei gloriam25 – zu meinem speziellen Ruhme – bemerken, daß ich, trotzdem ich, wie bemerkt, in der durchfahrenen Nacht kein Auge zugethan habe, den Sonntag über sehr frisch war und heute – ohne Wecker (!!) – um 7 Uhr aufgestanden bin. Mit Erstaunen i Klebemarke in O.

j Fehlt in O; er sinngemäß ergänzt.

20 Umgangssprachlich für: werben, zu gewinnen versuchen. 21 Gaststätte und Pension von Paul Ickrath in der Ziegelhäuser Landstraße 20 in Heidelberg. 22 Lotze, Hermann, Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie, 3 Bände. – Leipzig: S. Hirzel 1856–1864 (hinfort: Lotze, Mikrokosmus). Vgl. dazu auch die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 261 mit Anm. 37, an Max Weber sen. vom 9. Mai 1882, unten, S. 264 mit Anm. 9, sowie an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 279 mit Anm. 6. 23 Nach dem Abschluß seines Theologie-Studiums verbrachte Otto Baumgarten noch ein halbes Jahr am Predigerseminar in Heidelberg, wo er im Herbst 1882 sein theologisches Hauptexamen ablegte. 24 Vgl. dazu oben, Anm. 21. 25 Lat.: Zum höheren Ruhme Gottes. Die Formel geht auf Papst Gregor I. zurück, ist der Wahlspruch der Jesuiten und wurde oft als Inschrift an älteren Bauwerken verwendet.

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habe ich übrigens gehört, daß hier um 12 Uhr Polizeistunde ist. Ich beeile mich jetzt zu Ende zu kommen, da diese Zeit – für hiesige Verhältnisse eine außerordentlich späte Stunde, – herannaht. Ich gedenke morgen u. übermorgen äußerst solide zuzubringen. Die Frankonen sind so vernünftig, mir nicht auf die Bude zu rücken, ich werde sie auch nicht aufsuchen und mir die Sache erst am Donnerstag, wenn ich mich gehörig über sie informiert, noch einmal ansehen. Immatriculiert werde ich erst Sonnabend.26 Von wegen dem Orden für Hausrath könnt Ihr Euch beruhigen, der Prinz Napoleon läßt sich gar nicht immatrikulieren, kann kein Wort Deutsch, soll ein penetrant schäbiges und geiziges Beest sein.27 Im übrigen erzählte der Onkel, der „Moniteur“28 habe ihn |:als Prorektor:| gebeten, ihm täglich über den – bekanntlich totgeglaubten – Prinzen zu benachrichtigen und pro Bericht, ich glaube, 15 frc. geboten. Er meinte, ich könnte mir am Ende damit etwas verdienen. Nun: voyons – ! wenn der „Moniteur“ mir die Sache anbietet, wer weiß, ob ich die Geschichte, wie er, so von der Hand weise?29 Vorläufig ist’s freilich noch aussichtslos, da ich leider mir noch keinen Ruhm erworben habe. Jedenfalls befi nde ich mich sehr wohl hier, hoffe, Ihr schickt mir bald den Koffer und bin so ziemlich eingerichtet, habe mir auch schon eigenen – recht guten Caffee fabriziert, heute Nachmittag, und will jetzt in mein ebenfalls recht gutes Bett gehen. Das Wetter ist besser geworden, die Aussicht auf’s Schloß war heute Abend wundervoll. Übrigens ist – mit Ausnahme des Lampencylinders (nicht -Glocke) Alles heil angekommen |:(also auch die Lampenglocke!):| Und jetzt gute Nacht! Ende der Woche mehr. Ich hoffe, Ihr schreibt bald und schickt den Koffer, da Mangel an Büchern und Tabak sich fühlbar macht und zum Aufenthalt außerhalb der Bude nötigt. Soeben Extrablatt, daß das Tabaksmonopol30 im Bundesrat angenommen, wird mit Gebrüll noch zu dieser Stunde ausgetragen. Großer Zorn! 26 Zur Immatrikulation vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 257 mit Anm. 13. 27 Der hier gemeinte Prinz Victor Napoléon hielt sich von Januar bis Juni 1882 in Heidelberg auf, wurde jedoch nur privat unterrichtet. An der Universität immatrikulierte er sich nicht. 28 Le Moniteur Universel, eine Pariser Zeitung (1789–1901). 29 Eine Mitarbeit Max Webers am „Moniteur“ ist nicht nachweisbar. 30 Die durch Einführung der Sozialversicherungen entstehenden Mehrkosten des Reiches sollten durch ein Tabakmonopol gedeckt werden, das am 24. April 1882 vom Bundesrat angenommen wurde; die endgültige Verabschiedung scheiterte jedoch am Wider-

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Jedoch, wie gesagt, gute Nacht! ich bin müde. Der Brief kommt, wenn ich ihn nicht vergesse, morgen früh auf die Post. Grüße allerseits. Dein Sohn Max. Besuche mache ichk sämmtlich morgen am Vormittag, wo Professoren am besten zu sprechen. Der alte Prof. Weber31 ist krank, schiebe daher Besuch etwas auf. Wie geht es Lili?

k Fehlt in O; ich sinngemäß ergänzt. stand des Reichstages. Mit den Einnahmen aus dem Monopol verfolgte Bismarck nicht zuletzt den Zweck, die Regierung unabhängiger vom Budgetrecht des Reichstages zu machen. 31 Georg Weber.

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Helene Weber 27. PSt April 1882; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 35 Das Monatsdatum ist aus dem Poststempel erschlossen.

Heidelberg. 27. 4.a 82. Liebe Mutter!

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Ich weiß nicht, ob Ihr meinen Koffer schon abgeschickt habt, sonst möchte ich bitten, mir Puchta’s „Institutionen“ u. „Römisches Recht“1 mitzuschicken. Die Tante2 hat wegen der Wäscherin an Dich geschrieben, sie versprach es mir wenigstens. Ich bin jetzt so weit ziemlich eingerichtet. Die Stube, die übrigens ziemlich so groß wie unser Eßzimmer ist, gefällt mir der Aussicht auf’s Schloß wegen täglich besser. Die Wirtinnen3 sehr freundlich, ich bekomme alles, was ich wünsche, werde um 6 geweckt, stehe auch – ohne alle Schwierigkeit merkwürdigerweise – auf und besuche meine Collegien regelmäßig. Bekker, den ich heute besuchte, ist ein sehr feiner, liebenswürdiger Mann, sein Vortrag klar und gut gruppiert, wenn auch nicht eben tief, seine römische Rechtsgeschichte4 leider zu sehr auf das Praktische und für die Juristen speziell Nützliche gerichtet, nicht groß erfaßt, reicht nicht an Puchta heran. Übrigens kostet jedes Colleg bei ihm 30 Mk, 5 doch wohl etwas teuer. K[uno] F[ischer] ist persönlich ein Scheusal, ich bin noch nicht bei ihm gewesen, werde ihn morgen besuchen, die Logik,6 die ich bisa O: 5. 1 Puchta, Georg Friedrich, Cursus der Institutionen, Band 1: Geschichte des Rechts bei dem römischen Volk, mit einer Einleitung in die Rechtswissenschaft und Geschichte des römischen Civilprocesses, Band 2: System und Geschichte des römischen Privatrechts, 9. Aufl., besorgt von Paul Krüger. – Leipzig: Breitkopf und Härtel 1881; dass., Band 3: Aus dem Nachlaß des Verfassers hg. von D. A. Rudorff, ebd. 1847 (hinfort: Puchta, Institutionen I–III). Ders., Vorlesungen über das heutige römische Recht, 2 Bände. – Leipzig: Bernhard Tauchnitz jun. 1847–48 (hinfort: Puchta, Römisches Recht I–II). 2 Henriette Hausrath. 3 Fanny Buschbeck und Regina Müller. 4 Max Weber hörte bei Bekker täglich „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr. 5 Max Weber hatte bei Bekker neben der „Römischen Rechtsgeschichte“ auch das Kolleg „Institutionen des römischen Rechts“, täglich von 9–10 Uhr, belegt und insgesamt 60 Mark bezahlt, vgl. Quästurakte Bekker, UA Heidelberg, Rep. 27/59, SS 1882. 6 Kuno Fischers Kolleg hieß „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“ und fand von Dienstag bis Freitag von 7–8 Uhr statt, vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg,

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her mit Otto zusammen hörte, der indessen aus Entsetzen vor K[uno]’s Persönlichkeit7 morgen abschnappt, belegen. Erdmannsdörffer fängt Montag an,8 ich war bei ihm, traf ihn nicht, werde jetzt nochmals hingehen. Ich bin mit Otto fast stets zusammen. Esse bei Ickrath nebenan für 80 Pf. Bald mehr. Besten Gruß D. S. Max. gehe nachher mit Otto zu Mélanie.9 Der alte Weber10 ist krank, werde mit demc Besuch noch warten.b dDer Onkel11 ist in jovialster Laune, Otto hört ihn.12 Bekker u. Fischer haben je über 100 Zuhörer. Schon über 700 Studenten sind hier.d eKnies werde ich kaum hören, er wird nicht gerühmt; wenn er anfängt, werde ich jedoch hingehen, um zu sehen.e 13

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bIch

b–b Zusatz am linken Kartenrand. e–e Zusatz am oberen Kartenrand.

c 〈Bu〉

d–d Zusatz am rechten Kartenrand.

SS 1882, S. 8. Max Weber hatte sich für das Kolleg immatrikuliert und 20 Mark gezahlt, vgl. Quästurakte Kuno Fischer, UA Heidelberg, Rep. 27/319, SS 1882. 7 Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, unten, S. 256 f. 8 Bernhard Erdmannsdörffers Kolleg „Geschichte des Revolutionszeitalters (1789–1815)“ fand montags, dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr statt, vgl. Anzeige der Vorlesungen in Heidelberg, SS 1882, S. 11. Max Weber hatte sich für das Kolleg immatrikuliert und 20 Mark gezahlt, vgl. Quästurakte Erdmannsdörffer, UA Heidelberg, Rep. 27/286, SS 1882. Das Kolleg begann am Montag, 3. Mai 1882. 9 Mélanie Bury war im Hause Hausrath als eine Art Gouvernante angestellt, um mit den Kindern Französisch zu lernen. 10 Georg Weber. 11 Adolf Hausrath. 12 Wie aus einer späteren Mitteilung im Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, unten, S. 269 mit Anm. 19, hervorgeht, dürfte es sich um die Vorlesung „Kirchengeschichte“ gehandelt haben, die Adolf Hausrath im Sommersemester 1882 montags bis donnerstags von 8–9 Uhr las. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1882, S. 3. 13 Karl Knies las „Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre)“, täglich von 11–12 Uhr, sowie fünfmal wöchentlich (die genauen Tage sind in Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1882, S. 13, nicht verzeichnet) „Allgemeine Staatslehre und Politik“ von 12–13 Uhr. Laut Quästurakten für das Sommersemester 1882 hat Weber keines der beiden Kollegien besucht (UA Heidelberg, Rep. 27/586, SS 1882).

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Helene Weber 2. und [3.] Mai 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 2–5 Der Brief wurde am 2. Mai (Dienstag) begonnen und am 3. Mai („Mittwoch Morgens“) fortgesetzt. Dem Brief liegt ein Umschlag mit dem Poststempel vom 3. Mai 1882 bei.

Heidelberg den 2. Mai 82 Nachmittags. Liebe Mutter!

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Weshalb ich nicht früher geschrieben habe, wirst Du, denke ich, aus dem Laufe des Briefes ersehen. Ich erhielt Deine Karte heute Mittag, als ich aus Erdmannsdörffers „Revolutionszeit“1 nach Hause kam und sehe mit Vergnügen, daß Ihr alle wohl seid. Ich befi nde mich augenblicklich hier in einem Zustande großen Wohlbehagens, wenn auch einiger |:äußerer:| Unruhe und um die Sache näher zu illustrieren, will ich chronologisch verfahren. Ich hatte also am Dienstag voriger Woche zunächst Institutionen bei Bekker2 gehört, der – ich war in den folgenden Tagen bei ihm – ein feiner, sehr liebenswürdiger alter Junggeselle ist. Auch sein Kolleg zu hören, ist stets eine Art von Vergnügen, er spricht deutlich und klar, macht einem die Sache allerdings etwas sehr leicht, streut zeitweise ganz hübsche und witzige praktische Bemerkungen dazwischen und wird, was auch wichtig ist, nie langweilig wie Prof.a Knies! 3 In Folge dessen ist das Colleg auch eins der allerbesuchtesten, es sind immer ca 100–120 Zuhörer da, wovon über 90 jetzt schon das Colleg belegt haben. Die römische Rechtsgeschichte dagegen, die er ganz mit dem andren Colleg zusammenhängend liest,4 ge-

a O: Prof 1 Bernhard Erdmannsdörffers Kolleg „Geschichte des Revolutionszeitalters (1789–1815)“ fand montags, dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr statt. 2 „Institutionen des römischen Rechts“, täglich von 9–10 Uhr. 3 Karl Knies las „Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre)“, täglich von 11–12 Uhr, sowie fünfmal wöchentlich (die genauen Tage sind nicht verzeichnet) „Allgemeine Staatslehre und Politik“ von 12–13 Uhr. 4 Max Weber hörte bei Bekker täglich „Institutionen des römischen Rechts“ von 9–10 Uhr sowie die „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr.

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fällt mir, dem Puchta5 noch im Kopf sitzt, erstens deshalb weniger, weil es keine Geschichte ist, sondern in erster Linie eine Darstellung des ausgebildeten römischen Civil- u. Criminalprozesses mit wenigen rechtsgeschichtlichen Intermezzos. Er kümmert sich um die ganze Entwicklungszeit, um die Zeit z. B. vor den 12 Tafeln6 gar nicht, stellt auch die eigentliche Hauptsache, die Entwicklung des Privatrechts, die doch die Rechtsgeschichte ausmacht, in seinem Grundriß,7 nach dem er geht und den er jedem verabreicht, ganz an den Schluß, so daß dieselbe voraussichtlich nicht mehr berücksichtigt werden wird, kurz, die Art der Disposition scheint mir eine verfehlte zu sein, was mir leid thut, da ich mir von diesem Colleg viel versprochen hatte. – Fast eben so besucht ist trotz der allgemein perhorreszierten Tagesstunde das Colleg Kuno Fischers von 7–8, Logik, das ich jetzt endgültig belegt habe.8 Er gefiel mir anfangs gar nicht, aus mehreren Gründen. Zunächst war die Einleitung, die er zu seinem Colleg gab, zwar, wie alles, was er sagt, recht klar, aber nicht eben besonders tief, vielmehr etwas äußerlich und mit Effekthascherei und überflüssigen, alten Witzen, die ich schon in seiner Gesch[ichte] der Philosophie9 gelesen hatte und die er stetsb in jedem Semester wiederholen soll, gespickt, außerdem befolgt er dabei die Manier, zu Anfang jeden Collegs alles, was er in den sämmtlichen vorigen vorgetragen, nochmals ausführlich durchzumachen, wodurch die wenigen vorgetragenen Gedanken eine übermäßig lange Zeit in Anspruch nehmen. Dann aber war mir auch die Persönlichkeit höchstc antipathisch. Dieser untersetzte Mann mit dem grauen b 〈hören〉

c 〈anth〉

5 Gemeint ist die Lektüre von Puchta, Institutionen I–III (wie oben, S. 253, Anm. 1), und Puchta, Römisches Recht I–II (wie ebd.). 6 Das Zwölftafelgesetz ist eine um 450 v. Chr. entstandene Kodifizierung römischen Rechts, die auf zwölf Bronzetafeln auf dem Forum Romanum in Rom ausgestellt war. 7 Gemeint ist ein achtseitiger „Grundriß zur römischen Rechtsgeschichte“, den Bekker an seine Studenten ausgab; über den Buchhandel wurde er nicht verkauft, ein Druck ist jedoch im Zusammenhang mit Max Webers 145 Seiten umfassender Mitschrift von Bekkers Vorlesung in der British Library of Political and Economic Science (London) (Kopie Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), nachgewiesen. Vgl. dazu auch Deininger, Jürgen, Einleitung, in: MWG I/2, S. 1–54, hier S. 5 f., und Editorischer Bericht, in: MWG III/1, S. 82– 88, hier S. 84. 8 Das Kolleg hieß „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“ und fand von Dienstag bis Freitag von 7–8 Uhr statt. In der Quästurakte Kuno Fischer, UA Heidelberg, Rep. 27/319, SS 1882, findet sich die Meldung Max Webers unter der Ordnungsziffer 29 (von insgesamt 55 immatrikulierten Hörern). Er zahlte 20 Mark für das Kolleg. 9 Fischer, Kuno, Geschichte der neuern Philosophie, 6 Bände. – Mannheim: Bassermann 1854–1877.

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Jaquet und dem skandalösen, schief aufgesetzten Gurkenhut, wirtschaftete ganz unmotiviert fürchterlich auf dem Katheder herum, schnitt zeitweise zur Erhöhung des Effekts Gesichter, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen, fi xierte den Unglücklichen, der ihn zufällig aufmerksam anblickte – ich habe es nicht wieder gethan – mit immer größer werdenden stieren Augen, kurz machte so viel Humbug, daß man immer fragte: der Mann ein Philosoph!? Es ging übrigens nicht mir allein so: – Otto hat es nur zwei Mal |:bei ihm:| ausgehalten. Jetzt dagegen gefällt er mir bedeutend besser. Die Geschichte der Logik, die er als zweite Einleitung kurz schildert, skizziert er, wie das seine Art ist, mit kurzen Zügen hübsch und scharf, gleichgültig, ob originell, – und gut gruppiert. |:Auch verhielt er sich ruhiger.:| Ich war dann bei ihm und gab ihm H[err]n R[ösing]s Brief ab:10 er war die Liebenswürdigkeit selbst, läßt Herrn Rösing bestens grüßen und danken, und sprach von dem schweren Kampf, den er gehabt, ob er |:nicht im Winter, als er aufgefordert wurde:| nach Berlin gehen sollte, wovon ihn nur Familienverhältnisse verhindert hätten,11 kurz, er war ein ganz andrer Mensch. – Vorgestern war ich bei Erdmannsdörffer, der sich bestens empfehlen läßt, sehr freundlich war, übrigens ganz frisch und wohl aussieht und mird seine „Revolutionszeit“12 als mehr von allgemeinem Interesse, empfahl. Dies ist mir etwas unbequem, da das Colleg erstens das größere ist und auch unbequem in der Mittagsstunde liegt, ohne an eines von meinen Collegien anzuschließen. Er bat miche, in Betreff dessen nochmals bei ihmf vorzukommen. Soviel von den Collegien. Am Sonnabend,13 wo ich anfangs schreiben wollte, fand der höchst öde Aktus der Immatrikulation statt. Nachdem ich zwei volle Stunden, von 3–5, in der zum Platzen vollen Kanzlei gewartet hatte, wo man schließlich nur zu blechen und seine Quittung in Empfang zu nehmen hatte, – warum man dies nicht auch an andren Tagen können soll? d 〈übrigens〉

e 〈übrigens〉

f 〈anzufragen〉

10 Johannes Rösing hatte 1852 in Heidelberg bei Kuno Fischer studiert und war ihm seither freundschaftlich verbunden. 11 Kuno Fischer hatte zum Wintersemester 1881/82 einen Ruf nach Berlin abgelehnt. Die von Weber hier angesprochenen „Familienverhältnisse“ könnten ein Hinweis auf eine Erkrankung oder das befürchtete Lebensende von Fischers Frau Marie, geb. Le Mire, sein; sie starb 1882 (Jacob, Marianne, Fischer, Ernst Kuno Berthold, in: König, Christoph (Hg.), Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, Band 1: A–G. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003, S. 492–494). 12 Vgl. oben, S. 255, Anm. 1. 13 Gemeint ist der 29. April 1882.

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– wartete ich dann noch – und 200 andre mit mir, – eine Stunde vor dem Sekretariat, eine Stunde im Sekretariat, bis die erste Serie, die Glücklichen, deren Namen mit A, B, C, etc. |:bis ca. P g :| anfi ng, absolviert war, und schließlich noch 3 /4 Stunden im Senatszimmer, bis die Reihe an mich kam, mich einzuschreiben.14 Und nicht einmal, daß Sn. Magnifi zenz15 uns eine einigermaßen entschädigende „Pauke“ gehalten hätte! offenbar hatte er dieselbe schon an die erste Serie verschwendet. Übrigens ist die Anzahl der Immatrikulationen diesmal eine unerhört große, es werden zwischen 900 und 1000 Studenten hier sein.16 Am Sonntag Morgen ging ich – soloh, da Otto zu thun hatte – über den Philosophenweg17 nach Handschuhsheim zur Felix,18 die Euch übrigens recht gut kennt und mir von den 4 Geschwistern19 erzählte, die vorigen Sommer bei ihr gewesen seien. Nach Hause gekommen, wurde ich durch den Besuch von zwei Allemanneni 20 erfreut, die, wie es scheint oder wie sie sagten, durch Vermittlung des Stadtrats Voigt21 – ich habe durch Papa, glaube ich, von ihm gehört – mir auf den Pelz rückten. Übrigens sind doch ganz nette Leute unter ihnen, besonders zwei Füchse, die mir gefallen haben. Ich fragte, wie siej dazu hätten kommen können, mich durch einen Kerl auf dem Bahnhof erwarten zu lassen, da ich dies im höchsten Grade unpassend fände, worauf mir g Unsichere Lesung; Textverderbnis in O.

h Solo > solo

i O: Alemannen

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14 Im Matrikelbuch der Universität Heidelberg sind die Neueinträge nicht in alphabetischer Reihenfolge verzeichnet; bei den Einträgen zum Sommersemester 1882 hat Max Weber die Nr. 273. Die ersten Einträge stammen vom 22. April, der letzte mit der Nr. 478 datiert vom 9. Juni, Max Webers ist unter dem 29. April verzeichnet. Vgl. Matrikelbuch der Universität Heidelberg: Winter-Semester 1872/73 bis Winter-Semester 1894/95, http://digi. ub.uni-heidelberg.de/diglit/matrikel1872/0270 (13. Juni 2016). 15 Max Webers Onkel Adolf Hausrath war im Sommersemester 1882 Prorektor. 16 Im Sommersemester 1882 waren 922 Studenten in Heidelberg immatrikuliert; die Zahl von 1000 Studenten wurde erstmals ab dem Sommersemester 1883 erreicht. Die Zahlen nach: Titze, Hartmut, Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, Band 1, Teil 2: Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830–1945. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995, S. 307 (hinfort: Titze, Datenhandbuch). 17 Ein ca. 2 Kilometer langer Pfad auf der dem Heidelberger Schloß gegenüberliegenden Neckarseite. 18 Gemeint ist das Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“ in Heidelberg-Handschuhsheim, das von Felicitas Brunner („Tante Felix“) geführt wurde. 19 Gemeint sind Max Webers jüngere Geschwister Alfred, Karl, Clara und Arthur Weber. 20 Die Heidelberger Allemannen sind eine seit 1856 bestehende Heidelberger Burschenschaft, der sich Max Weber in seinem zweiten Semester fest anschloß. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 21 Der Berliner Stadtrat Johann Heinrich Voigt.

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gesagt wurde, der Betreffende hätte dies auf eigene Hand gethan, sei übrigens bereits aus ihrer Verbindung ausgeschlossen – der Herr stand auch in Berlin nicht in bestem Geruche. Sonntag Nachmittag war ich mit Otto und einem seiner Freunde auf der Molkenkur22 und Abends bei den Ruperten23 auf der Kneipe, einer, wie mir scheint, recht anständigen, wenn auch sonst nicht, |:wie es sonst von ihnen heißt, hervorragend:| angeregten und von den Couleurs, was das Geistige betrifft, kaum mehr als äußerlich unterschiedenen Verbindung. Montag war ich dann mit den Allemannenk zusammen und lief den ganzen Nachmittag umher, besuchte die alten Webers etc. Der alte Professor Weber ist wieder vollständig hergestellt, 24 es scheint eine starke Erkältung gewesen zu sein; die Tante25 war, wie immer[,] liebenswürdig und witzig, läßt übrigens bestens grüßen. – Frl. Mélanie26 ist nicht in ihrer Feste zu erreichen, das einemal war sie „unwohl“, das andre Mal „verreist“; wir schickten unsere Karten hinein – sollte sie unsl trotz des Bemerkens auf der Karte „aus Berlin“ und „aus Strasburg“ verkennen und aus Besorgnis für’s Institut nicht einlassen? Heute habe ich Fechtstunde belegt und zwar, wie mir vorgeschlagen wurde, mit den beiden oben erwähnten Allemannenfüchsenm zusammen, Morgens täglich von 8–9, so daß also an den betreffenden Wochentagen dadurch die Stunde zwischen Kuno Fischer und Bekker ausgefüllt wird. Wie mir der Onkel27 geraten hat, werde ich vorläufig unter keinen Umständen einspringen, wozu ich auch noch immer wenig Neigung verspüre, sondern unter allen Umständen bis weiter in’s Semester hinein warten. Der Herr Vater kann also beruhigt sein und seinen Hohn noch zurückhalten; ich bin mit den Frankonen28 nur sehr vorübergehend zusammengewesen und jetzt zuletzt gar nicht mehr, trotzdem ich sie gerade-

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22 Eine Anhöhe mit gleichnamigem Restaurant oberhalb des Heidelberger Schlosses. Der Name verweist auf die im 19. Jahrhundert beliebte Molkentherapie bei chronischen Atemwegserkrankungen und Tuberkulose. 23 Die Rupertia Heidelberg ist eine Studentenverbindung, die 1873 unter dem Namen Corona Francofurtensis gegründet wurde und sich 1876 umbenannte. 24 Georg Weber. Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, oben, S. 252 mit Anm. 31. 25 Ida Weber, geb. Becher. 26 Mélanie Bury. 27 Adolf Hausrath. 28 Die Frankonia Heidelberg ist eine 1856 gegründete Burschenschaft.

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sogut täglich im Colleg sehe, als die Allemannenn. Übrigens wäre ich auch keineswegs der erste Fuchs gewesen, da mir bei den Frankonen schon 10, bei den Allemanneno ebenfalls verschiedene, |:3–4,:| die Sache vorgemacht haben. Übrigens haben wir mit Schrecken gehört, daß der junge Bunge, 29 der hier studiert und der sich, trotzdem sein Vater30 |:ihn:| persönlich begleitet hat, noch nicht hat sehen lassen, – übrigens auch der Vater nicht – unter die Rhenanen31 gegangen ist (!). – (Mittwoch Morgens) Ich kam gestern Abend nicht zu Ende, weil ich hinübergehen mußte, mit Otto zu Abend zu essen und dann, wie ich versprochen hatte, zu den Allemannenp auf die Kneipe ging. Es war ein im ganzen recht gemütlicher Abend, wenn auch das Bier hier dünn und schlecht, freilich |:auch:| ziemlich unschädlich ist. Lange dauern die Kneipen hier nie, da um 12 Uhr Polizeistunde ist, eine ganz ausgezeichnete Einrichtung, die getrost noch etwas früher angesetzt sein könnte. Heute habe ich meine Paukstunde32 mit den drei Allemannenq zusammen begonnen, sie bildet eine ganz gute Abwechslung zwischen Logik und Institutionen.33 Im übrigen lebe ich in dulci iubilo, 34 wenn ich mir auch, infolge der Teuerung von Collegien, Immatrikulation, Fechtstunde, Fechtzeug, keine großen Sprünge erlauben darf. Ich esse zu Mittag um 1/ 2 1–1 Uhr nebenan für 1 Mk, 35 trinke zeitweise ein Viertel Wein oder Bier dazu, spiele dann bis 2 Uhr |:häufig:| mit Otto und Herrn Ickrath einen soliden Skat, – ohne den Otto nicht existieren kann, – worauf wir uns in unsre gegenseitigen Behausungen zurückziehen, ich meine Collegienhefte durchsehe und dann Strauß’ „der alte und der neue Glaube“36 n O: Alemannen

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29 Gustav Carl Christoph Bunge. 30 Gustav Otto Bunge. 31 Die Rhenania Heidelberg ist ein studentisches Corps, in seiner heutigen Form 1849 gegründet. Gustav Carl Christoph Bunge hatte sich ihnen 1882 angeschlossen. 32 Pauken wird das Erlernen des akademischen Fechtens bei schlagenden Studentenverbindungen genannt. 33 Gemeint sind hier die Vorlesungen von Kuno Fischer und Ernst Immanuel Bekker (vgl. oben, S. 256, Anm. 8 und S. 255, Anm. 4), zwischen denen von Dienstag bis Freitag für Max Weber von 8–9 Uhr eine freie Stunde lag. 34 Lat.: „in süßer Freude“, ein bekanntes Kirchenlied aus dem 14. Jahrhundert. 35 Die Gaststätte von Paul Ickrath lag neben Max Webers Unterkunft in der Ziegelhäuser Landstraße 20. 36 Strauß, David Friedrich, Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß. – Leipzig: S. Hirzel 1872 (hinfort: Strauß, Glaube).

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lese; eventuell gehen wir Nachmittags irgend wie auf die Berge, heute, bei, endlich!, prachtvollem Wetter nach anhaltendem Regen, wohl jedenfalls; Abends sind wir wieder zusammen bei Ickrath, wo wir für 80 Pf. ein ganz gutes Abendessen haben und lesen nach dem Abendessen regelmäßig „Mikrokosmos“,37 über den wir in der hitzigsten Weise aneinandergeraten [.] Otto läßt übrigens bestens grüßen, er sitzt stark in der Arbeit, 38 wird aber nächstens auf Deinen Brief antworten. Meine Wirtinnen39 hier sind überaus liebenswürdig und zuvorkommend, ich erhalte alles, was ich will und wöchentlich Rechnung darüber. Der – etwas stark gesalzene – Schinken wird von uns beiden stark strapaziert, der Caffee gelingt mir jetzt schon recht anerkennenswert und selbst zum Theemachen habe ich die Maschine anwendbar gefunden, wenn auch in etwas anderer Weise. Ich bin sehr froh, endlich meine Bücher zu haben und fühle mich jetzt erst recht häuslich und behaglich hier, wo ich stets aus dem Fenster auf Neckar und Schloß und die jetzt nach den Regentagen, vollständig entwickelte Vegetation der Berge schaue. Indeß, allmählich kommt die Zeit des Mittagessens heran, ich will den Brief auch nicht noch länger verzögern und eile daher zu schließen. Nach und nach wird sich ja wohl eine größere Regelmäßigkeit in der Correspondenz feststellen lassen. Hausraths sind alle wohl |:der Onkel40 in sehr jovialer Laune:|, die Tante41 hofft, daß Du etwas früher kämst, etwa 8 Tage vor den Ferien, um Dich noch sehen zu können. August42 schreibt recht frische Briefe, er scheint in Folge der Jahreskurse schon Ostern zum Examen zu kommen, also ein halbes Jahr zu gewinnen, worüber die Tante, wie es scheint, gar nicht einmal sehr entzückt ist. Von Cohn hatte ich vor einigen Tagen einen pompösen Brief, habe auch schon geantwortet,43 ich hoffe, daß die Hamburger44 das prachtvolle Wetter hier noch vorfi nden, wie es jetzt ist. 37 Lotze, Mikrokosmus (wie oben, S. 250, Anm. 22). Vgl. dazu auch die Briefe Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, oben, S. 250, Anm. 22, und vom 9. Mai 1882, unten, S. 264 mit Anm. 9, sowie an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 279 mit Anm. 6. 38 Nach dem Abschluß seines Theologie-Studiums verbrachte Otto Baumgarten noch ein halbes Jahr am Predigerseminar in Heidelberg, wo er im Herbst 1882 sein theologisches Hauptexamen ablegte. 39 Fanny Buschbeck und Regina Müller. 40 Adolf Hausrath. 41 Helene Webers Schwester Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 42 August Hausrath. 43 Ein Brief Max Webers an den Berliner Schulfreund Fritz Cohn ist nicht nachgewiesen. 44 In Hamburg lebte u. a. Max Webers Onkel Otto Weber mit seiner Familie. Vgl. dazu die

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Mit besten Grüßen an Alle Dein Sohn Max. Herr Ebel läßt grüßen. Er zieht aus und nach der Stadt,45 um seinen Bekannten näher zu sein, scheint übrigens in sehr bedauernswertem Gemütszustande zu sein. Magnifi zenz46 haben sich einen Altar mit etlichen Horazworten, Verzeichnis der Hausbesitzer, Hausmieter und einer stolzen Dedikationsinschrift, die schließt mit eiusdem anni prorector und anderem Humbug in den Garten oben vor der Bank im Wäldchen setzen lassen, um sich nur ja das bischen hübsche Aussicht in die Bäume herunter noch zu versperren47 – ich bin wirklich entrüstet darüber, aber wehe! wollte man etwas merken lassen, da es eine Lieblingsidee des Onkels war – natürlich hat er Pechr gehabt, die Leute haben den Altar schändlich verhunzt und er selbst ist nun entrüstet, daß ihm die Aussicht gesperrt ist, was allerdings schwer zu vermeiden gewesen wäre. Ich bin von Zeit zu Zeit immer einmal drüben gewesen, mir von der Tante, die, wie immer, sehr freundlich ist, Rats zu erholen. Hausraths haben nun das ganze Haus für sich allein, denn ich glaube nicht, daß der Onkel noch einen Mieter nehmen wird.

r 〈h〉 Karten Max Webers an Helene Weber vom 4. und 5. Okt. 1879, oben, S. 196–199, mit Editorischer Vorbemerkung. 45 Wilhelm Ebel war ein Mieter der Familie Hausrath in der Fallenstein-Villa, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). Seine neue Adresse war Hauptstraße 181, in der Altstadt Heidelbergs. 46 Akademische Anrede für den Prorektor der Universität, den Onkel Adolf Hausrath. 47 Das Haus an der Ziegelhäuser Landstraße 23 wurde 1847 von Helene Webers Vater, Georg Friedrich Fallenstein, erbaut. Nach dem Tod von Helene Webers Mutter Emilie Fallenstein, geb. Souchay, erbte es 1881 Adolf Hausrath mit seiner Frau Henriette, geb. Fallenstein. Der von Weber gemeinte Gedenkstein im Garten ist auf den vier gleich großen Seiten mit Inschriften versehen: 1) „Adolphus Hausrath/ MDCCCLXXXII/ Professor Heidelbergensis/ et eiusdem anni Prorector./ P.P.P.“; 2) mit Zitaten aus Horaz, Sermones II, 6; 3) den Namen der Hausbesitzer: „Henricus Fallenstein/ MDCCCXLVII./ Emilia Souchay-Fallenstein/ MDCCCLIII./ Adolphus Hausrath et/ Henrietta Fallenstein/ MDCCCLXXXI.“ und 4) den Namen einiger Bewohner: „G. G. Gervinus./ L. Goldschmidt./ E. Benecke./ A. Hausrath./ W. Benecke./ W. Ebel“. Der letzte Namenszug ist beschädigt. Max und Marianne Weber zogen erst 1910 in das Haus ein.

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Max Weber sen. 9. Mai 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 29–30

Heidelberg Dienstag 9 Mai 82. Lieber Vater!

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Hoffentlich habt Ihr meinen Brief vom vorigen Dienstag1 erhalten, der Euch meine hiesigen Verhältnisse des näheren auseinandersetzte. Ich habe seitdem ruhig weitergelebt und meine Collegien gehört, von denen mir Bekkers Institutionen recht gut gefallen, weniger die Rechtsgeschichte, 2 weil ich dabei den Grund der eigentümlichen Disposition nicht einsehe. Kuno Fischers Logik3 bietet vorläufig noch nichts besonders Bedeutendes oder Schwieriges, sie ist sehr klar und fl ießend vorgetragen, jedoch ist es fast unmöglich, bei ihm ein erträgliches Kollegienheft zu führen, während andrerseits Bekker teilweise fast diktiert.4 Bei Erdmannsdörffer werde ich, seiner Empfehlung gemäß, bei der Geschichte des Revolutionszeitalters bleiben, 5 so daß also meine sämmtlichen Kollegien auf den Vormittag fallen werden. Außerdem pauke6 ich regelmäßig jeden Morgen von 8–9, zu gleicher Zeit, wie gesagt, mit einigen Allemannena,7 mit welch letzteren ich einigemal zusammen und letzten Sonntag auf Speyerershof war.8 Nachmittags lese a O: Alemannen 1 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 255–262. 2 Max Weber hörte bei Bekker täglich „Institutionen des römischen Rechts“ von 9–10 Uhr sowie die „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr. 3 Kuno Fischers Kolleg hieß „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“ und fand dienstags bis freitags von 7–8 Uhr statt. 4 Von Max Weber ist eine 145 Seiten umfassende Mitschrift zu Bekkers Kolleg über „Römische Rechtsgeschichte“ überliefert. Das Original befindet sich in der British Library of Political and Economic Science (London), eine Kopie in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München. 5 Bernhard Erdmannsdörffers Kolleg „Geschichte des Revolutionszeitalters (1789–1815)“ fand montags, dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr statt. 6 Pauken wird das Erlernen des akademischen Fechtens bei schlagenden Studentenverbindungen genannt. 7 Die Heidelberger Allemannen sind eine seit 1856 bestehende Heidelberger Burschenschaft, der sich Max Weber in seinem zweiten Semester fest anschloß. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 8 Der Speyerer Hof war ein 1853 begründetes Hofgut auf der südöstlichen Neckarseite Heidelbergs und ein beliebtes Ausflugsziel.

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ich meist und Abends mit Otto zusammen „Mikrokosmus“.9 Otto war am letzten Freitag und Sonnabend in Strasburg, um seine Mutter,10 die, wie es schien, unwohl oder eher verstimmt war, zu bereden, wo möglich mit Emmi nach Berlin zu kommen. Da jedoch die Tante vollständig wiederhergestellt und dagegen der Onkel11 verstimmt war, so hielt er selbst es für angemessener, wenn letzterer nicht ganz vereinsamt in Straßburg bliebe. Die Tante reist in folge dessen mit Emmi bis Braunschweig, wo sie, wie es scheint, bis Ende der Woche bleiben wollen, und dann zurück. Gestern kamen sie hier durch und ich sah sie einen Augenblick auf dem Bahnhof. Emmi sieht ausgezeichnet wohl und frisch aus, ist jedoch nur sehr wenig größer geworden, seit ich sie das letzte Mal sah. Übrigens luden mich Baumgartens ein, doch über Pfi ngsten nach Strasburg zu kommen und eventuell bei ihnen zu logieren.12 Erstens nahm ich dankend an für den Fall, daß ich mich Pfi ngsten pekuniär noch in erträglichen Verhältnissen befi nden sollte. Die Teuerung der Kollegien und überhaupt aller Gegenstände ist unausstehlich. Das Abendessen, wo man nicht im Couvert13 essen kann, ist stets ebenso teuer als das Mittagessen und ich bin begierig, wie die Sache gegen Ende des Monats sich stellen wird. Eventuell esse ich ein par Mal zu Hause zu Mittag, wie ich das z. B. vorigen Sonnabend gethan habe. Ich braute mir mit Hülfe der Kaffeemaschine und mit Butter, Schinken, Salz und einigen nicht verzehrten Semmeln eine colossale Wassersuppe [,] b aß nachher ein bedeutendes Stück Schinken von dem berühmten und befand mich äußerst wohl dabei. Auch zu Abend habe ich schon chez moi gegessen. Sonst aber esse ich nach wie vor mit Otto zusammen nebenan bei Ickrath, wo wir für 1 Mk. ein ganz solides Essen bekommen. Am vorigen Freitag war ich zum Mittag bei Webers14 und wurde, wie immer, freundlich aufgenommen. Der Professor ist jetzt

b Klebemarke in O. 9 Lotze, Mikrokosmus (wie oben, S. 250, Anm. 22). Vgl. auch die Briefe an Max Weber sen. vom 24. April 1882, oben, S. 250 mit Anm. 22, und an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 261 mit Anm. 37, und vom 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 279 mit Anm. 6. 10 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 11 Hermann Baumgarten. 12 Pfingsten fiel auf den 28. und 29. Mai 1882. Max Weber reiste nach Straßburg, wie aus seinem Brief an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai 1882, unten, S. 276 mit Anm. 19, hervorgeht und traf dort seinen Vater. 13 Frz. für: (Tisch-)Gedeck; ein preisgünstiges Tagesgericht im Gegensatz zu à la carte. 14 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher.

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vollständig wieder hergestellt und läßt sich bestens empfehlen. Ich traf auch seinen jüngsten Sohn Georg15 dort, der grade von Berlin zurückgekommen war, sich bestens empfehlen läßt und bedauert, zu beschäftigt gewesen zu sein, um Euch aufzusuchen [.] Hausraths sehe ich nicht besonders häufig, namentlich den Onkel16 immer nur sehr vorübergehend, er ist doch wohl sehr beschäftigt. Bei der Tante17 erhole ich mir öfter Rats und will gerade eben nachher einmal vorgehen, um sie nach der Wohnung der empfohlenen Waschfrau zu fragen und dann diese zu bestellen. Vorgestern haben sie großes Rektoratsessen gehabt, ich bin deshalb lieber auch gestern nicht hingegangen. Übrigens fällt mir dabei ein, daß ich am Sonntag Vormittag |:mit Otto:| im Universitätsgottesdienst war, den Prof. Bassermann in recht würdiger, einfacher Weise abhielt. Abgesehen von der schauderhaften Einrichtung des Klingelbeutels und der noch unangenehmeren, daß jeder neue liturgische und gottesdienstliche Aktus durch ein helles Geklingel angekündigt wurde, zeichnete sich der Gottesdienst vor dem unsrigen überhaupt, besonders was Liturgie und Kirchengebet betrifft, sehr dadurch aus, daß nicht aller Vernunft, wie bei uns, ins Gesicht geschlagen wurde. Die unleidliche, lange Liturgie im eigentlichen Sinne fällt ganz fort, das Kirchengebet ist kürzer und kein bloßes Geplapper, der Text der Predigt ist nicht obligatorisch, sondern freie Wahl des Predigers und die Predigt selbst wurde nicht mit dem langweiligen Pathos unsrer meisten Prediger vorgetragen. Otto wird am Freitag in der Peterskirche18 und an einem der nächsten Sonntage in Neuenheim predigen, ich denke doch eine von beiden Leistungen anzuhören.19 – Was ich wünschte, wäre nur, daß das Wetter sich etwas aufbesserte, mit Ausnahme von vielleicht 4–5 schönen, warmen Tagen ist es hier nach wie vor kalt und regnerisch; man vergißt wirklich zuweilen, daß man in Heidelberg ist. Ich habe etwas eilig und eigentlich nur, um die 15 Georg Weber jun. 16 Adolf Hausrath. 17 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 18 Die Peterskirche ist die älteste Kirche in der Heidelberger Altstadt und stand seit 1400 in enger Beziehung zur Universität. Am darauffolgenden Freitag, 12. Mai 1882, hielt dort ein Bekannter von Otto Baumgarten eine Seminarpredigt, während Baumgarten selbst erst am Freitag, 19. Mai, seine Predigt hielt. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, unten, S. 270 mit Anm. 24 und 25. 19 Max Weber hörte am Sonntag, 14. Mai 1882, in Neuenheim eine Predigt von Otto Baumgarten, der im Herbst in Heidelberg sein theologisches Hauptexamen ablegte. Vgl. dazu ebd., unten, S. 270 mit Anm. 21.

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Regelmäßigkeit einigermaßen aufrechtzuerhalten, grade heute, wo ich noch viel zu thun und abzulaufen habe, geschrieben, hoffe daß Ihr alle wohl seid, da ich seit Anfang voriger Woche nichts gehört habe, werde von jetzt ab möglichst Sonnabends schreiben. Mit bestem Gruße Dein Sohn Max.

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Helene Weber 16. Mai 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 7–10

Heidelberg Dienstag 16 Mai 82 VM. Liebe Mutter!

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Wieder einmal habe ich mit dem Schreiben nicht die regelmäßige Zeit innegehalten, trotzdem Dein langer Brief, den ich am Donnerstag erhielt, mich dazu hätte anhalten sollen. Indessen Du weißt, daß hier in Heidelberg die Zeit wie auf dem Velocipede davonläuft und besonders wenn man, wie ich, sich hier im ersten Semester, in angenehmer Gesellschaft intensiv mit dem Genuß der wenigen schönen Tage beschäftigt, die nach langer Regenzeit endlich einmal dem Menschen bemerklich machen, daß es Frühling ist. Größere Ausflüge habe ich allerdings noch nicht unternommen, denke aber zu Ende der Woche, Sonnabend und Sonntag, wahrscheinlich mit Otto zusammen, irgend eine bescheidene Spritze in den Odenwald zu riskieren,1 falls das Wetter, welches heute schon wieder in seine alte Erbärmlichkeit zurückgesunken ist, es lohnend erscheinen läßt. Jedenfalls hoffe ich, meine Zeit bis dahin etwas besser einteilen zu können, was bisher in Folge von allerlei unvorhergesehenen Einladungen, zu Kuno Fischer, zu Erdmannsdörffer, zu Hausraths, nicht gut möglich war. Am Sonnabend machte ich zunächst ein unglaublich luxuriöses Essen bei K[uno] F[ischer] mit, wo nicht besonders viel, aber sehr ungleichartige Menschen beisammen waren, alte Baronessen aus Copenhagen, junge Franzosen, polnische Grafen etc., allerhand Gesindel, welches mich sehr kalt ließ. Zum Glück war wenigstens noch ein juristischer Fuchs dort, ein Herr Samwer2,a dessen Vater3 in irgendeiner Beziehung zum Herzog von Augustenburg4 gestanden haben muß, ein recht netter junger Mann, der sich gegen die a 〈der behauptet〉 1 Studentischer Ausdruck für einen Ausflug. Otto Baumgarten und Max Weber unternahmen am Samstag, 20. Mai, einen kleinen Ausflug zum Kohlhof und nach Neckargemünd, vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai 1882, unten, S. 273 mit Anm. 1. 2 Viktor Woldemar Samwer. 3 Karl Friedrich Samwer. 4 Herzog Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein.

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Annexionen5 und für das Tabaksmonopol6 begeisterte |:Bismarck aber zur Hölle wünschte:|. Wir saßen nachher noch längere Zeit hier bei mir zusammen. Kuno Fischer war die Liebenswürdigkeit selbst, riß bei Tisch die entsetzlichsten Witze, verfiel aber leider! in die höhere Politik, die offenbar nicht sein Fach ist, denn ich erlaubte mir zwischendurch zu denken: O si tacuisses!7 Ich überlege mir immer, wie lange man anstandshalber warten muß, um eine Verdauungsvisite machen zu können. Störend war nur seine unausstehliche Tochter,8 seine Frau macht einen recht liebenswürdigen, aber sehr leidenden Eindruck,9 sein Sohn10 einen recht unbedeutenden. Er bat mich, Herrn Rösing11 seinen Gruß zu übermitteln. Eben schlägt es 12 Uhr, ich muß in Erdmannsdörffers Colleg,12 nach dem Essen mehr. – Nachmittags. Erdmannsdörffers Kolleg wird von etwas mehr als 20 Studenten jeder Branche besucht und zeichnet sich jedenfalls durch eine ausführliche und erschöpfende Behandlung des Stoffes aus, nur wird das Pathos, mit welchem er wichtige so wie unwichtige Thatsachen vorträgt, unangenehm und wirkt selbst auf den Inhalt der Darstellung in ungünstiger Weise ein. Ich werde wahrscheinlich nächsten Sonntag bei ihm zu Mittag sein zusammen mit einem meiner allemannischen Bekannten, einem Neffen von ihm.13 Er keilt14 in ziemlich unverfrorener Weise für die hiesigen Verbindungen, insbesondere die Allemannenb. Beiläufig will ich bemerken, daß auch die Vandaliac 15 b O: Alemannen

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5 Die Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein durch Preußen im Jahre 1867 vollzog Bismarck gegen den Mehrheitswillen der deutschen Bewohner der Herzogtümer, die ein eigenständiges Mitglied des (Nord-)Deutschen Bundes werden wollten. 6 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, oben, S. 251 f. mit Anm. 30. 7 Eine auf Boëthius zurückgehende Redewendung, die meist zitiert wird als: „Si tacuisses, philosophus mansisses“ (lat.: Hättest Du geschwiegen, wärest Du Philosoph geblieben). 8 Kuno Fischer hatte zwei Töchter, Marianne (Mary), verh. Clauss, und Clara Fischer, so daß vermutlich die jüngere Clara gemeint ist. 9 Marie Fischer, geb. le Mire, verstarb noch im Laufe des Jahres 1882. 10 Julius Fischer. 11 Gemeint ist der Berliner Stadtrat Johannes Rösing. 12 Bernhard Erdmannsdörffers Kolleg „Geschichte des Revolutionszeitalters (1789– 1815)“ fand montags, dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr statt. 13 Rudolf Hase. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai 1882, unten, S. 273. 14 Umgangssprachlich für: werben, zu gewinnen versuchen. 15 Das Corps Vandalia Heidelberg war eine 1842 gegründete schlagende Studentenverbindung, deren Mitglieder zumeist adlige Mecklenburger waren.

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nicht verfehlt hat, mir zwei Kerle auf die Bude zu schicken, ganz nette Leute, die aber, als ich ihnen zu verstehen gab, daß ich mich durch den Verkehr mit Burschenschaftern derart befleckt habe, daß ich für ihre |:edle:| Gesellschaft unmöglich sei, höfl ichst zurückzogen mit dem schüchternen Bemerken, „das schade ja an sich nichts“. Ich denke jetzt, nachdem ich sie so ziemlich alle durchprobiert habe, Ruhe zu haben. Am Sonntag Nachmittag, als ich eben auf Ottos Bude war, kam plötzlich der Onkel16 vorbeigeschneit, rief uns herunter und schleppte uns über den Philosophenweg17 mit nach Neuenheim; ich glaube, er wunderte sich nachträglich nicht weniger, daß er es gethan, als wir. Unterwegs aber ließ er seinen Witzen freien Lauf und zog über die Menschheit insgesammt und die Heidelberger insbesondre los. Bassermann, Schenkel, Holsten, Merx, Winkelmann, Kuno Fischer,18 letzterer ganz besonders, wurden vorgenommen und ihre Schandthaten aufgezählt, war der Betreffende kein Plagiator und Aufgeblasener, so war er wenigstens ein Dummkopf. Das schönste war jedenfalls, daß er Otto, der neulich, als er gerade Zeit hatte, in sein Kolleg gegangen war, – natürlich hatte der Onkel es sorgfältig so gelegt, daß er es nicht belegen konnte, da es mit andern collidierte – beiläufig bemerkte, er denke ihn zum letzten Male in seiner Kirchengeschichte gesehen zu haben,19 und dies damit begründete,d er schliefe zuweilen schlecht, zerstreue sich dann und es sei ihm unangenehm, wenn nachher der betreffende Verwandte seinem Hrn. Papa20 schriebe, was er |:(nämlich der Onkel):| doch bisweilen für sonderbare Ausdrücke brauche! erzählte auch ganz behaglich, er habe schon mit fast allen seinen Kollegen Skandal angefangen, wenn sie ihm Studenten in seine Kollegien gebracht hätten und schließlich erklärt, er werde per Pedell jeden, auch seine Kollegen, aus dem Bereich „seiner vier Wände“ entfernen lassen. Wenn ich ihm nicht die gute Laune nicht stören möchte, so wäre ich fast versucht, d 〈es〉 16 Adolf Hausrath. 17 Ein ca. 2 Kilometer langer Pfad auf der dem Heidelberger Schloß gegenüberliegenden Neckarseite. 18 Adolf Hausrath richtet sich gegen seine Kollegen der Theologischen Fakultät, Gustav Bassermann, Daniel Schenkel, Carl Holsten, Adalbert Merx, sowie gegen den Historiker Eduard Winkelmann und den Philosophen Kuno Fischer. 19 Adolf Hausrath las im Sommersemster 1882 „Kirchengeschichte“, montags bis donnerstags von 8–9 Uhr. 20 Hermann Baumgarten.

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doch diese eigentümliche Rechtsanschauung einmal auf die Probe zu stellen. – Übrigens habe ich am vorigen Sonntag hier in der Kirche von Neuenheim eine Predigt von Otto angehört, die, wirklich ausgezeichnet durchgearbeitet, den überaus schweren johanneischen Text |:(das Gebet im Namen Jesu):| originell und freisinnig analysierte, 21 wenn auch, wie er selbst sagte, es ihm schwer fällt, populär zu sein. Die Gemeinde war allerdings aus Bauern, Engländern, Institutsmamsellen etc. etwas buntscheckig zusammengesetzt – ist doch der Onkel22 sogar beinahe! hingekommen – so daß es schwer war, allen gerecht zu werden. Jedenfalls waren alle Zuhörer, auch die Tante, 23 hochbefriedigt. Etwas weniger befriedigt war ich von einer Seminarpredigt, die wir am vorigen Freitag in der Peterskirche anhörten und die einer von Ottos neuen Bekannten hielt.24 Wir waren beide entrüstet über das banale Geschwätz, welches der betreffende zu Tage förderte [,] und jedenfalls war es das letzte Mal, daß ich dergleichen Seminarpredigten anhörte, abgesehen von nächstem Freitag, wo Otto über das Gleichnis vom Salz und vom Licht aus der Bergpredigt predigen wird.25 Im übrigen bin ich ziemlich tief in die Theologie geraten, meine Lektüre besteht aus Strauß, Schleiermacher und Pfleiderer („Paulinismus“) 26 und außerdem aus Platon. Strauß’s „der alte und der neue Glaube“27 enthält nicht sehr viel neues, nichts, was man nicht ungefähr selbst wüßte, es soll eben eine kurze Enzyclopädie der freisinnigen Weltanschauung sein und muß in Folge dessen vielfach recht oberflächlich erscheinen. Schleiermachers „Reden über die Religion“, 28 in die ich freilich erst

21 Am 14. Mai 1882 hatte Otto Baumgarten im Rahmen seines Heidelberger Predigerseminars, das er im Herbst 1882 mit dem theologischen Hauptexamen abschloß, über Joh 16, 23 „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er‘s euch geben“, gepredigt. 22 Adolf Hausrath. 23 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 24 Welcher Bekannte Otto Baumgartens am Freitag, 12. Mai 1882, die Predigt in der Peterskirche hielt, ist unbekannt. 25 Gemeint ist die Predigt am 19. Mai 1882 über Mt 5, 13–16. 26 Pfleiderer, Otto, Der Paulinismus. Ein Beitrag zur Geschichte der urchristlichen Theologie. – Leipzig: Fues 1873. 27 Strauß, Glaube (wie oben, S. 260, Anm. 36). 28 Schleiermacher, Friedrich, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], in: Kritische Gesamtausgabe, I. Abt., Band 2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hg. von Günter Meckenstock. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1984, S. 185–326.

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wenig hineingelesen habe, machen mir vorläufig gar keinen Eindruck oder vielmehr einen recht unangenehmen, oder vielmehr, sie bleiben mir, trotzdem ich die Absicht des Mannes ungefähr kenne, in ihrem altfränkischen, ciceronianischen Styl unverständlich, aber ich bin doch begierig auf die Pointe und verkenne die große Herzenswärme des Mannes, die häufig durchbricht, durchaus nicht. Pfleiderers „Paulinismus“ ist jedenfalls sehr interessant und verspricht schon in der Einleitung etwas bedeutendes. – Nun will ich schnell noch nachsehen, ob es in Deinem langen Briefe etwas zu beantworten giebt. – Du wunderst Dich, was für Hausbesitzer und Miether der Onkel auf seinem Altar im Garten habe aufführen lassen? Nun, Gervinus und Goldschmidt |:z. B.:| sind doch gewiß keine obscuren Namen,29 im übrigen ist mir die Idee allerdings auch etwas bizarr vorgekommen und schien mir mehr für den Kopf von Hans, 30 der übrigens total verändert und ein ganz andrer Kerl geworden ist, zu passen. Die Hausrathschen Kinder31 befi nden sich übrigens wirklich einmal ausnahmsweise alle wohl, August schreibt vergnügte Briefe, er macht möglicherweise schon zu Ostern das Examen32 und will Jurist werden, was dem Onkel Veranlassung giebt, über die jungen Juristen, die da gedächten „in den Parlamenten ihrer Vaterländer bedeutende Reden zu schwingen“, sehr anzüglich zu höhnen. Übrigens erlebt der Onkel die Freude, daß von den 946 Studenten, die inscribiert sind, dies mal, über 40 Theologen sind.33 In Berlin sind wieder einmal über 1 1/ 2 Tausend Juristen, wie ich höre, das wird ja nett. Warum der Herr Wakee von Bielefeld aus, da er einmal unterwegs war, sich nicht auch eine Spritze hierher geleistet hat, ist mir nicht ersichtlich, ich war stark auf einen Überfall gefaßt. Mit Schrecken habe ich von der unangenehmen Fußgeschichte gelee Alternative Lesung: Watel 29 Die Namen von Georg Gottfried Gervinus und Levin Goldschmidt fanden sich auf dem Gedenkstein im Garten der Fallenstein-Villa; vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 262 mit Anm. 47. 30 Hans Hausrath. 31 Neben den außer Haus lebenden Söhnen August und Hans waren dies die Töchter Laura, Emilie, Paula, Maria und Margarethe Hausrath. 32 August Hausrath machte im Frühjahr 1883 sein Abitur in Mannheim, wo er seit 1878 zur Schule ging. 33 Im Sommersemester 1882 waren 922 Studenten in Heidelberg immatrikuliert, 46 von ihnen studierten Evangelische Theologie. Die Zahlen nach: Titze, Datenhandbuch (wie oben, S. 258, Anm. 16), S. 307 und 312.

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sen, bitte, schreibe mir doch, ob dieselbe sich gebessert hat. Ich bin begierig, was Ihr Pfi ngsten unternehmt, ich werde nun also doch wohl nach Strasburg gehen, 34 wenn ich dann auch wohl schwerlich mein volles Wohnungsquantum |:per Monat:| werde zurücklegen können (ich bezahle auf Wunsch der Wirtinnen35 den ganzen Rummel am Ende des Semesters), ich muß es dann eben im nächsten Monat herausschinden. Was macht denn Emmi bei Euch und gefällt ihr Berlin? Wie ich höre, kommt sie mit Dir hierher. Otto freut sich ebenfalls schon sehr auf Euren hiesigen Aufenthalt, er hat offenbar dieselbe Absicht, wie ich, dann und wann bei Euch ein Mittagessen zu schinden. – Die Sachen von Mezner,36 nach denen Du fragst, sind da, ich werde indessen die wenigen alten Hemden, die noch da sind, noch tragen und nach Pfi ngsten mit den neuen anfangen. Deine Besorgnis, ich möchte meine Sachen zu schnell auftragen, ist unbegründet, ich stolziere zu Hause immer im Schlafrock umher. Daß es Alfred und Karl in der Schule gut geht, freut mich sehr, ich hoffe, Alfred wird künftig nicht mehr durch Skelette gestört. – Ich hatte gestern einen sehr netten Brief von Mommsen, dem es recht gut zu gehen scheint, abgesehen davon, daß er über die allzustarken Wirkungen des Bockbiers sich beklagt, 37 ich werde an ihn und an Cohn morgen schreiben, 38 wenn ich dazu komme, auch an die Cousine und an Fritz Baumgarten, 39 da Otto wie toll in der Arbeit steckt. Aus Strasburg hatte er über das Befi nden von Onkel und Tante40 recht erfreuliche Nachrichten. Mit besten Grüßen an Alle, auch Emmi Dein Sohn Max

34 Max Weber reiste über Pfingsten, vermutlich vom 26. Mai bis 1. Juni 1882, nach Straßburg, vgl. dazu seinen Brief an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai, unten, S. 276 mit Anm. 19. 35 Fanny Buschbeck und Regina Müller. 36 E. E. Mezner war der Name einer Wäschefabrik in Berlin, bei der Helene Weber offenbar Unterwäsche für ihren Sohn gekauft hatte. 37 Karl Mommsen studierte zu dieser Zeit in München Rechtswissenschaften. 38 Briefe Max Webers an Karl Mommsen und an Fritz Cohn sind nicht nachgewiesen. 39 Briefe Max Webers an Emmy und an Fritz Baumgarten sind aus dieser Zeit nicht nachgewiesen. 40 Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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Max Weber sen. 22. und 23. Mai 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 32–34

Heidelberg 22. Mai 82 Abends Lieber Vater!

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Es wird nachgerade Zeit, daß ich Dir auf Deinen Brief vom Anfang voriger Woche antworte. Ich hatte mir vorgenommen, schon vorgestern zu schreiben, aber das Wetter war so prachtvoll – endlich! – daß wir, Otto und ich, nicht umhin konnten, eine Mittags- und Nachmittagspartie nach dem Kohlhof1 und weiter nach Neckargemünd zu machen. Es war |:auch auf dem Wege:| prachtvolles Wetter und nicht zu heiß, der Weg vom Königstuhla nach dem Kümmelsbacher Hof bei Neckargemünd ist nicht zu verachten, rückwärts gingen wir auf einem kleinen, neu geschlagenen Waldwegeb am Abhange der Berge nach Ziegelhausen resp. Schlierbach und fuhren von dort mit Untergang der Sonne per Kahn den Neckar hinab wieder in Heidelberg ein mit dem Bewußtsein, den Tag ausgezeichnet angewendet zu haben. Gestern |:(Sonntag):| war ich zu Mittag bei Erdmannsdörffer zusammen mit seinem Neffen R[udolf] Hasec aus Altenburg, einem meiner Bekannten von der Allemanniad. Seine fünf Kinder2 sind alle recht wohl, wie mir wenigstens schien, auch er war in recht heiterer Stimmung, läßt sich bestens empfehlen und hofft, Dich, falls Du herkämst, zu sehen. Die Wirtschaft führt eine Frau Senator Kroll aus Greifswald, eine Verwandte seiner Frau, eine sehr liebenswürdige Dame, welche die Erziehung der Kinder leitet und ihnen vollständig die Stelle der Mutter vertritt.3 Trotzdem aber liegt ein gewisser sehr schwermütiger Zug über dem Hause und er selbst hat doch an Elastizität sehr viel eingebüßt. Er politisierte zwischendurch etwas und beklagte den Durchfall des Tabaksmonopols – als die Zeia O: Königsstuhl

b 〈am〉

c O: Haase

d O: Alemannia

1 Der Kohlhof ist eine Siedlung in einem Waldgebiet auf dem Königstuhl in Heidelberg. Aufgrund der guten Luftqualität wird er bis heute als Kurort genutzt. 2 Bernhard Erdmannsdörffer hatte vier Töchter, Frieda, Hanna, Sophie und eine namentlich nicht bekannte, sowie einen Sohn Otto. 3 In Greifswald ist zu dieser Zeit eine Senatorenwitwe namens Antonie Krull, geb. Lenz, nachgewiesen. Die Personalie ist aber nicht zweifelsfrei zu klären, auch nicht das Verwandtschaftsverhältnis zu Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Ebenso unklar ist, warum letztere „vertreten“ werden mußte.

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tung die Nachrichte davon brachte,4 war hier nebenan bei Ickrath, 5 wo allerlei Leute aus allen Ständen zusammenkommen, große Freude, man hatte eventuell an Massenauswanderung gedacht, wenigstens die Arbeiter in der Ebene. – Auch die Art, wie Erdmannsdörffer die Revolution, wie er Mirabeau etc. beurteilt, zeigt seine politische Stellung, im übrigen ist es stets ein Vergnügen, ihn zu hören, wenn auch sein Vortrag dadurch, daß er bei nicht sehr großem Auditorium unnötig laut spricht, einen unruhigen Eindruck macht. Um übrigens auf gestern zurückzukommen, so wurde die Sache nachher noch recht bunt dadurch, daß ich der Einladung des Hn. Hasef folgte und mit ihm über den Gaisberg auf den Kohlhof ging. Nach einer halben Stunde kam dort der Rest der Allemanniag angerückt und wir saßen noch längere Zeit dort und nachher noch auf der Molkenkur,6 zogen nachher, mit Laternen bewaffnet, durchs Klingenthal7 hinab und in die Stadt, wobei es mir nur mit Mühe gelang, dem vorzubeugen, daß Onkel Magnifizenz8 das großartige Vergnügen gehabt hätte, mich wegen unsres unbefugten Singens von „Alt Heidelberg“9 incarzerieren zu lassen, denn die Polizei fahndet hier stark auf „nächtliche Orgien“. Jedenfalls hatten wir uns bei dem schönen Wetter recht gut amüsiert. – Sonst gehen Collegien und Paukboden10 ihren ruhigen Gang weiter, Kuno Fischer steckt just im unausstehlichsten Abschnitt der Logik11 und ich bin innerlich immer entrüstet, wenn ich mich mit Mühe eine Stunde früher ermuntert habe, nur um den alten, durchgekäuten Unsinn von: Barbara, celarent etc.12 zu genießen. Hoffentlich wird die e 〈von〉

f O: Haase

g O: Alemannia

4 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. April 1882, oben, S. 251 f. mit Anm. 30. 5 Eine Gaststätte und Pension in der Ziegelhäuser Landstraße, in der Max Weber häufig verkehrte. 6 Eine Anhöhe mit gleichnamigem Restaurant oberhalb des Heidelberger Schlosses. Der Name verweist auf die im 19. Jahrhundert beliebte Molkentherapie bei chronischen Atemwegserkrankungen und Tuberkulose. 7 Max Weber meint hier den Klingenteich, einen kleinen Taleinschnitt im Süden der Heidelberger Altstadt, zwischen Königstuhl und Gaisberg. 8 Adolf Hausrath war zu dieser Zeit Prorektor der Universität. 9 „Alt-Heidelberg, Du feine“ war ein beliebtes Studentenlied, das auch in die Kommersbücher einging. Es stammt von Joseph Victor von Scheffel. 10 Pauken wird das Erlernen des akademischen Fechtens bei schlagenden Studentenverbindungen genannt. 11 Kuno Fischers Kolleg hieß „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“ und fand dienstags bis freitags von 7–8 Uhr statt. 12 Barbara, Celarent, Darii, Ferio, Barbari und Celaront sind die sechs gültigen Modi der

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Sache wieder anders, wenn er erst mit dem guten Aristoteles fertig ist und zu Kant kommt – er behandelt die Sache zunächst historisch. Bei Bekkers Rechtsgeschichte13 ärgert mich doch immer wieder, daß man von der Hauptsache, der Entwicklung des Privatrechts, gar nichts oder wenig erfahren soll, da dies im Grundriß14 ganz ans Ende gestellt ist und sich dagegen nur mit dem Prozeß und allerdings später den Rechtsquellen befassen kann, was freilich erklärlich ist, da der römische Prozeß Bekkers Spezialfeld ist. Bei den Institutionen15 wird man doch etwas sehr mit theoretischen allgemeinen Distinktionen und Begriffsdefi nitionen bepackt, die teils ganz selbstverständlich sind, teils mit dem Praktischen in gar zu loser Verbindung stehen und namentlich häufig sich unter verschiedenen Namen genau wiederholen. Ich wünschte, die Sache ginge endlich in’s Detail. Jedoch ist die Darstellung des römischen Formularprozesses16 entschieden interessant. Dienstag d. 23.5. Gestern Abend war ich zu müde, um weiter zuh schreiben und will dafür jetzt schleunigst zu Ende kommen, damit der Brief doch womöglich noch morgen Abend in Eure Hände gelangt. Ich erhielt heute Mittag den versprochenen Brief von Mama und werde Ende der Woche von Strasburg aus darauf antworten. An Anna schreibe ich ebenfalls von Strasburg aus [.] Zum 20ten habe ich es mich ein längeres Telegramm kosten lassen, da ich zum Schreiben nicht mehr kam.17 Nun komme ich auf die Angelegenheit unsres hiesigen Zusammentreffens. Da Du schriebst, [es] i sei Dir gleichg[ültig] j, ob zu Pfi ngsten oder nach Pfi ngsten, so möchte ich eigentli[ch] k das letztere lieber, was schon an sich, h 〈schlafen〉 O.

i Textverderbnis in O.

j Textverderbnis in O.

k Textverderbnis in

ersten Figur des kategorischen Syllogismus, also Typen logischer Schlußfolgerungen, die auf Aristoteles zurückgehen. 13 Max Weber hörte bei Bekker täglich „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr. 14 Zu Bekkers „Grundriß zur römischen Rechtsgeschichte“ vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 256, Anm. 7. „Die geschichtliche Entwickelung des Privatrechts“ ist das dritte und letzte Buch des „Grundrisses“ von Bekker und umfaßt §§ 104–175. 15 Max Weber hörte bei Bekker täglich „Institutionen des römischen Rechts“ von 9–10 Uhr. 16 Das Verfahren des Formularprozesses im Römischen Recht bedeutete, daß der Prozeß einer festen, zuvor festgelegten Formel folgte. 17 Anna Caroline Ottilie Weber, Max Webers Cousine, war am 23. März 1882 20 Jahre alt geworden. Es sind keine Schriftstücke von Max Weber an sie nachgewiesen.

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da Du Dich Pfi ngsten doch den Andern und Emmi nicht entziehen kannst,18 sondern doch jedenfalls mit ihnen irgend etwas unternehmen wirst, praktisch erscheint. Außerdem aber sind wir von Strasburg gebeten, möglichst früh zu kommen (die Vorlesungen hören am Freitag Vormittag auf) und hatten uns die Sache gedacht, daß wir uns schon Freitag gegen Abend auf die Strümpfe machten und bis Donnerstag nächster Woche fortblieben,19 Otto hatte auch schon dementsprechend geschrieben. Du würdest uns also am Freitag |:nächster Woche:| unter allen Umständen schon wieder hier antreffen und wir würden uns, wie ich auch von Otto zu bestellen habe, ganz ungemein freuen, dann mit Dir hier zusammensein zu können. Die Vorlesungen beginnen am Montag, nach der Pfi ngstwoche wieder, wir haben also die ganze Zeit frei. Ich fände es daher doch praktischer, wenn Du etwa nach Pfi ngsten, vom hansischen Geschichtsverein20 aus, hierherkommen könntest. Solltest Du Dich aber schon anders eingerichtet haben, so möchten wir wenigstens sofort Nachricht haben, um die Sache umändern zu können; vielleicht, meint Otto, könntest Du auch mit nach Strasburg, wo man, wie gesagt, wünscht, daß wir möglichst bald hinkämen. Eventuell würde ich Nachrichtl nach Strasburg oder hierher haben, wenn Du später zu kommen gedenkst. Ich glaubte, wie gesagt, daß sich die ganze Sache so am besten arrangieren ließe. Da ich den Brief gern schleunigst fortschicken möchte, so will ich nur noch einige Bemerkungen anfügen. Ihr scheint zu glauben, wir leisteten uns den Luxus eines warmen Abendessens; das ist ein schwerer Irrtum, wir verzehren zu Abend etwas Schinken und ein par Eier, was 80 Pf, also mit Bier eine Mark macht und nicht als teuer gilt. Das Essen ist eben hier an sich teuer und nur weil wir zu Mittag uns an das, was es

l 〈haben〉 18 Obwohl Emmi Baumgarten bei der Familie Weber in Charlottenburg zu Besuch war (vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, oben, S. 272, dort auch die Schlußformel), reiste Max Weber sen. zu Pfingsten dennoch nach Straßburg. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, unten, S. 282 mit Anm. 21. 19 Die Pfingstreise nach Straßburg war folglich von Freitag, 26. Mai, bis Donnerstag, 1. Juni 1882, geplant. 20 Max Weber sen. war Mitglied im 1870 in Lübeck gegründeten „Hansischen Geschichtsverein“, dessen Jahresversammlung am 30. und 31. Mai 1882 in Hannover stattfand, also unmittelbar nach dem Pfingstfest (28./29. Mai). Ob Max Weber sen. die Versammlung auch besucht hat, ist nicht nachweisbar.

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eben als Couvert21 giebt, halten, wird uns das Mittagessen nicht teurer. Ich esse nur deswegen seltener zu Hause zu Abend, weil ich gern mit Otto zusammen esse undm diesem doch nicht meine Wassersuppe vorsetzen kann. Ottos Seminarpredigt am vorigen Freitag22 habe ich selbstverständlich auch gehört und werde von ihr, so wie überhaupt von seinen Verhältnissen noch zu berichten haben. Zu Hausraths gehe ich nur selten, über eine gewisse Quantität hinaus soll der Onkel, 23 den ich jetzt außer auf der Straße nie sehe, dies nicht gern sehen oder hören. Von Karl Mommsen hatte ich einen vergnügten Brief, von Cohn24 einen traurigen, er beklagt sich über großen Materialismus von Hamburg u. den Hamburg[ern] n. Der Brand der Hygiene-Austellung25 war bisher hier Tagesgespräch, ich war gerade bei Kuno Fischer, als Näheres darüber bekannt wurde; unterdessen war ein Rindvieh hierhergestürzt und hatte angefragt, ob ich noch kein Telegramm von zu Hause habe: „Berlin sei im Abbrennen begriffen, soeben flögen die ersten Funken auf’s kaiserliche Palais!“ Jedoch vorerst schließe ich, [um] o den Brief schleunigst noch fortzubefördern. Baldigst eingehendere Nachricht. Mit bestem Gruße u. Hoffnung eines baldigen Wiedersehens Dein Sohn Max.

m 〈ich〉

n Klebemarke in O.

o Klebemarke in O.

21 Mit „Couvert“ (frz. Tischgedeck) ist eine Art preiswertes Stammessen gemeint, im Gegensatz zu à la carte. 22 Zur Predigt am 19. Mai 1882 über die Bergpredigt, Mt 5, 13–16, vgl. auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, oben, S. 270 mit Anm. 25. 23 Adolf Hausrath. 24 Fritz Cohn. 25 Am 12. Mai 1882 waren innerhalb einer Stunde die hölzernen Gebäude der „Allgemeinen Deutschen Ausstellung auf dem Gebiet der Hygiene und des Rettungswesens“ in Berlin niedergebrannt. Das Feuer griff jedoch nicht auf die Stadt über.

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Helene Weber 14. und [15.] Juni 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 17–20 Der Brief wurde am 14. (Mittwoch) und am „Donnerstag Mittag“, dem 15. Juni 1882, geschrieben.

Heidelberg Mittwoch 14 Juni 82 Abends. Liebe Mutter! Nachgerade wird es Zeit, daß ich mich zu einer Antwort auf Deine beiden letzten Briefe aufschwinge. Ich habe mich letzthin längere Zeit, was das Briefschreiben betrifft, auf’s Faulbett gelegt, da ich glaubte, daß Papa Euch über meine hiesigen Verhältnisse wohl genügend orientieren würde1 und ich gerade allerlei interessante Lectüre vorhatte, unter anderem einen in seiner Art vollendeten spanischen Tendenzroman von Galdós, 2 den Otto in der Familie spazierenpumpt und dem Du hier auch nicht entgehen wirst. Im übrigen hatte ich freilich abgesehen von einigen Burschenschafterkneipen, die ich mitmachen mußte [,] wenig Hinderungsgründe, da das Wetter hier jetzt ein geradezu niederschlagendes ist u. von irgend welchen Spaziergängen keine Rede sein kann. Bei einer Temperatur von zwischen 5 und 12°! haben wir hier seit einer Woche das elendeste Regenwetter, was man sich denken kann, der Neckar, schmutzigbraun gefärbt, geht so hoch, daß die hineingebauten Molen verschwinden, – nur allabendlich bei Sonnenuntergang wird es im Westen klar und das Schloß erscheint dann in einer Beleuchtung, wie ich sie sonst nie gesehen habe, so daß selbst die schlammigen Fluten drunten dunkelrot glänzen. Man würde sich bei diesem Wetter in Sibirien ebenso wohl als in Heidelberg fühlen, man friert bis auf’s Mark und die Stimmung ist eine sehr gedrückte. Wir, Otto und ich, sind sehr häuslich gewesen, abgesehen davon, daß wir zuweilen des Nachmittags zur Tante3 hinüberge1 Max Weber sen. hatte seinen Sohn an den Pfingsttagen in Straßburg gesehen. Vgl. zu den Reiseplänen den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, oben, S. 272 mit Anm. 34. 2 Es ist unklar, welchen der zahlreichen Romane von Benito Pérez Galdós Weber hier meint. 1881 war als jüngster Roman „La desheredada“ erschienen, der wohl erste naturalistische Roman in Spanien. 3 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein.

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hen, daß Otto in seinen verunglückten theologischen Verein4 und ich zu den Allemannena gehe, 5 sind wir stets zu Haus und fi nden Zeit zu häufiger gemeinschaftlicher Lektüre. Den „Mikrokosmus“6 haben wir in voller Wut über die Unwissenschaftlichkeit, törichte Poëtisirerei und öde Gemütsphilosophisterei aufgesteckt, und statt dessen eine „Geschichte des Materialismus“ von Lange begonnen,7 die nach dem Lotze’schen Wust – anders kann man, abgesehen von einigen hervorragend schönen Portionen, diese Art von System nicht nennen – durch seine eminent nüchterne Entwicklungsweise erfrischend wirkt. Interessiert hat es mich auch, gelegentlich mit Otto Predigten seiner Commilitonen, die critisiert werden sollten, zu lesen, manchmal erschreckendes Zeug, wie z. B. gestern, wo wir über einem solchen Fabrikate bis nach 12 gesessen haben. Otto selbst hat am Sonntag in Neuenheim zum zweiten Mal gepredigt,8 – wie immer, speculativ vorzüglich, aber ohne jeden Anflug oder Streben nach Popularität, wie auch allgemein gefunden wurde. Tante9 war sehr entzückt und ich glaube, ein Teil der Institutsdämchen, welche klumpenweise vorhanden waren, wenigstens verblüfft über diese ihnen unverständliche Art zu denken, ein Theil des Landvolks starrte die Sache als Mirakel offenen Mundes an, ein anderer schlief – jedenfalls war, da die Gemeinde unglücklicherweise diesmal sehr stark mit Landvolk durchsetzt war, der Erfolg nicht der gewünschte, wie er bei einer Stadtgemeinde unzweifelhaft gewesen wäre. Ottos Seminarpredigt, von der ich schon in meinem letzten Briefe sprach,10 hat, da sie praktisch gehalten war und sich teilweise a O: Alemannen 4 Gemeint ist der Akademisch-Theologische Verein zu Heidelberg, der 1863 gegründet worden war; Otto Baumgarten hatte sich ihm für das Sommersemester 1882 angeschlossen. 5 Die Heidelberger Allemannen sind eine seit 1856 bestehende Heidelberger Burschenschaft, der sich Max Weber in seinem zweiten Semester fest anschloß. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, unten, S. 298 mit Anm. 19. 6 Lotze, Mikrokosmus (wie oben, S. 250, Anm. 22). 7 Lange, Friedrich Albert, Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. – Iserlohn: J. Baedeker 1866 (hinfort: Lange, Geschichte des Materialismus). Eine zweite Auflage erschien 1873–75 in zwei Bänden. 8 Im Rahmen seines Predigerseminars in Heidelberg hatte Otto Baumgarten am Sonntag, 14. Mai, und ein zweites Mal am Sonntag, 11. Juni 1882, in Neuenheim gepredigt. Zur ersten Predigt vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Mai 1882, oben, S. 270 mit Anm. 21. 9 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 10 Gemeint ist hier wohl die Predigt Otto Baumgartens am 19. Mai 1882 in der Peters-

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direkt gegen manche Verhältnisse wandte, bei seinen Theologen, die ihn überhaupt auf dem Strich zu haben scheinen, wie es scheint, viel böses Blut gemacht – jedenfalls hat er von seiner Selbstüberladung mit ballen möglichenb Pfl ichten und Arbeiten vorläufig nichts als Ärger. Übrigens wird er auch im Juli nochmals predigen. Soviel über diese Predigten, nach denen Du mich ja fragtest. Ich selbst befinde mich ja abgesehen von einiger Wut auf diese Temperatur recht wohl und vergnügt, sitze gewissenhaft meine Collegien ab, hasple mich jeden Morgen eine Stunde lang auf dem Paukboden11 ab und stürze mich den Rest des Tages auf die Unmasse von Lectüre, welche ich vorhabe. – Ende voriger Woche trat insofern darin eine Abwechslung ein, als einer von Ottos Freunden, ein Ref. Wülffi ngc, den ich schon in Strasburg kennen gelernt hatte,12 ihn auf der Durchreise hier besuchte. Wir vertrugen uns ganz gut und amüsierten uns, so gut es beim Regen eben anging. – Es geht aber schon auf 12 Uhr, ich will morgen den Brief zu Ende bringen und mich zu Bett legen, um Morgen um 7 Uhr Kuno Fischer genießen zu können.13 – Donnerstag Mittag. Heute Morgen ärgerte ich mich über Kuno Fischer, der zwar eine blendende Kritik von Schopenhauers System lieferte, aber auch wieder in höchst unangenehmer Weise Theater spielte und eine neue Art, sich zu putzen, ausfindig gemacht hat. Läuft der Herr doch jetzt gar in einem schwarzen talarartigen Mantel, den er als Toga gefaltet trägt und mit einem Jesuitenbarett. Und anstatt über den

b–b O: allenmöglichen

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kirche, der ältesten und in enger Verbindung zur Universität stehenden Kirche in der Heidelberger Altstadt. Vgl. ebd., oben, S. 270 mit Anm. 25. 11 Pauken wird das Erlernen des akademischen Fechtens bei schlagenden Studentenverbindungen genannt. 12 In einem Brief an ihre Tochter Emmy berichtet Ida Baumgarten von dem Zusammentreffen der Freunde Otto Baumgartens mit Max Weber an Pfingsten. Neben Hans von Schubert und Diethelm Meyer sei auch Wülffing dabei gewesen, „direct von Colmar, wo er sein jurist. Examen glücklich bestanden“ habe. Vgl. den Brief von Ida Baumgarten an Emmy Baumgarten vom 3. Juni 1882, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 13 Kuno Fischers Kolleg hieß „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“ und fand dienstags bis freitags von 7–8 Uhr statt; vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1882, S. 8, allerdings hatte sich Max Weber für dieses Kolleg nicht eingeschrieben, vgl. Quästurakte Kuno Fischer, UA Heidelberg, Rep. 27/319, SS 1882.

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Ludwigsplatz in die Plöckstraße zu gehen, wo er wohnt,14 sehe ich ihn fast jeden Morgen auf dem Wege zum Paukboden die ganze Hauptstraße entlang traben, damit jeder dies täglich Novitäten bringende Modejournal betrachten kann. Übrigens sind seined Logik-Vorlesungen bisher täglich leerer geworden im Gegensatz zur „Geschichte der Philosophie [“] ,15 womit er Glück macht. – Verzeih’ diesen Erguß, aber jedes mal ist mir der Mensch, um dessentwillen ich um 1/4 7 Uhr aufstehe, widerwärtige – wenn er nicht mit so erfreulicher Klarheit vortrüge. Eben war ich noch bei der Tante16 drüben. Sie hofft immer noch, Dich noch zu sehen, und möchte gern wissen, wann Du zu kommen denkst. Benecke’sf hätten angefragt, höre ich, ob Du eine Köchin mitzubringen gedächtest, ich habe gesagt, ebensowenig als früher.17 Sie scheinen bis zum Oktober hier bleiben zu wollen, aber es scheint fast, daß sie daran denken, dann schon umzuziehen. Davon kann doch wohl kaum die Rede sein. Wir hatten daran gedacht, morgen |:auf den:| Nachmittag nach Karlsruhe zu gehen, da Otto Sonntags seine Geschäfte dort abwickeln kann, wahrscheinlich werden wir die Sache doch aufschieben und gelegentlich am Sonnabend Nachmittag hingehen und bis zum Sonntag bleiben.18 Daß alle dort sich recht wohl befi nden, wird Dir Papa wohl erzählt haben. Soeben hörte ich durch Otto von dem Unglück des armen Heinrich Fallenstein. Tante19 schreibt, es sei wirklich Zungenkrebs und er müsse zu Langenbeck in die Klinik – wir hatten es immer befürchtet, daß die Sache einen so traurigen Ausgang nehmen würde. Ob es wirklich ein d 〈V〉

e O: wiederwärtig

f O: Beneke’s

14 Kuno Fischer wohnte in der Plöckstraße 50, die parallel zur Hauptstraße verläuft. Der damalige Ludwigsplatz ist der heutige Universitätsplatz. 15 Kuno Fischers Kolleg „Geschichte der neueren Philosophie“ fand dienstags bis freitags von 16–17 Uhr statt. 16 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 17 Die Sommerferien verbrachte Helene Weber mit ihren Kindern oft im Haus von Ernst Wilhelm Benecke und Emilie Benecke, geb. Fallenstein, in der Ziegelhäuser Landstraße 29 (später Nr. 1). 18 Otto Baumgarten und Max Weber fuhren von Freitag auf Samstag, 16. bis 17. Juni 1882, nach Karlsruhe und besuchten dort die Familie von Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, unten, S. 286 f. 19 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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Glück zu nennen ist, daß seine Frau20 die Sache so leicht nimmt? Ich möchte wohl wissen, was für eine Art von Mensch sie ist. Auch daß sie jetzt auch noch zu Euch in’s Haus kommen wird, hörte ich auf dem indirekten Wege über Strasburg. – Es fällt mir ein, daß ich über meinen Aufenthalt in Strasburg noch gar kein Wort verloren habe – allerdings kann ich mich ja darin auf Papas Anwesenheit21 berufen, was ich überhaupt als Mitentschuldigungsgrund für mein längeres Schweigen anführe. Es waren wirklich sehr schöne Tage dort, ich habe mit Onkel und Tante22 doch so manches eingehende Gespräch über verschiedene Gegenstände gehabt und namentlich auch unter Ottos Freunden einige sehr liebenswürdige und geistig bedeutende Menschen kennen gelernt. Auch sonst brachte mir der Aufenthalt dort einige interessante Erscheinungen – z. B. den Pfarrer Riff. Ich weiß nicht, ob Du ihn jemals |:predigen:| gehört hast – Du hast mir wenigstens niemals etwas von ihm erzählt – jedenfalls ist er eing ganz eigentümlicher Mensch, nicht nur seinem Äußeren, seiner Sprache |:oder dem Inhalt seiner Predigt:| nach, sondern namentlich in der Form, wie er seine Gedanken zur Darstellung bringt. Der Inhalt seiner Pfi ngstpredigt bestand eigentlich in der Ausführung und Ausmalung eines einzigen großen Bildes, des Erwachens der Natur, welches das Erwachen des heil[igen] Geistes in den Herzen der Jünger illustrieren sollte. Das Eigentümliche aber war, daß er das Bild nicht nur so erklärte, daß es rein als Bild neben dem Gedanken selbst stand, sondern das Bild sollte den Hergang in den Geistern der Apostel geradezu erklären, er führte der Gemeinde einen psychologischen Hergang vor, es war, als ob er eine theologische Abhandlung |:etwa:| „überh die |:psychologische:| Erklärung des Herganges am Pfi ngsttage“ hielte – und doch kann man nicht sagen, daß er den Köpfen seiner Elsässer Bauern zuviel zumutete, – denn er erklärte den Hergang nun auch – aber immer im Bilde bleibend, wo es möglich war – wirklich natürlich und faßlich. Ich habe jedenfalls Derartiges von der Kanzel herunter noch nicht gehört und möchte den Skandal sehen, der in Norddeutschland über so etwas entstehen würde. Nachdem er nun also im ersten Teil, dem Hauptteile – rein bildlich und rein specug eine > ein

h 〈eine〉

20 Auguste Fallenstein war mit Helene Webers Vetter Heinrich Fallenstein verheiratet. Dieser starb noch im Jahr 1882. 21 Max Weber sen. war über Pfingsten 1882 ebenfalls in Straßburg. 22 Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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lativ, ich möchte sagen als Theologe, gesprochen, kehrte sich im zweiten Teile, wo er vom „Wesen des Reiches Gottes“ sprach, die Sache völlig um: er wurde rein praktisch und sprach ohne jedes Bild, ohne irgend einen nicht praktischen Begriff zu Hülfe zu nehmen, so daß natürlich vom „Wesen“ des Reiches Gottes wenig zu hören war, desto mehr aber von seinen praktischen Folgen. Wir kannten ihn ja beide aus seinen kleinen Schriften, 23 aber außer der großen und wohlthuenden Herzlichkeit, die in diesen wie beim Predigen den Ton angiebt, fi ndet sich geringe Ähnlichkeit zwischen ihm als Prediger und ihm als Schriftsteller. Einige ganz eigentümliche Schriftchen von ihm, seine neusten, die ich bei Baumgartens gelesen habe, 24 nehme ich hierbei aus, in diesen zeigt er sich, wie ich ihn jetzt kennengelernt habe. Er ist in mancher Hinsicht ein Original – aber er will auch ein solches sein. Er will offenbar keine Gedanken vortragen, die nicht ihm ganz eigen sind, – natürlich nicht im stande, fortwährend neue Gedanken in Masse zu produzieren, ist er also genötigt, breit zu sein und zu sehr ausgeführten Bildern zu greifen, resp. sich sehr zu wiederholen, wie es auch bei dieser Predigt der Fall war, die er, wie mir versichert wurde, ebenso, nur mit besserer Disposition – dieselbe war allerdings etwas confus – im Jahre vorher zu Pfi ngsten gehalten hatte. Auch der Rigorismus, durchaus aus dem Stegreif sprechen zu wollen, ist nachteilig für die Klarheit und bringt die Gedanken häufig durcheinander, so daß man am Ende doch nicht die Möglichkeit hat, sich die Gedanken in ihrer Entwicklung und Aufeinanderfolge zu reconstruieren, die Predigt also nicht so wirksam ist, wie sie sein könnte. Bei seinen sonstigen Eigentümlichkeiten fürchtete ich, er könnte auch politische Fragen gelegentlich andeutungsweise berühren – er ist ganz französisch gesinnt u. reist jedes Jahr nach Paris – aber das nicht. Wie wenig beeinflußt die Kirche im Elsaß ist, zeigt das Fehlen eines offi ziellen Kirchengebets, an dessen Stelle eini kurzes Gebet des Pfarrers trat. Auch ist die Kirche eigentümlich gei 〈von〉 23 Fritz Baumgarten hatte Helene und Max Weber bereits drei Jahre zuvor Schriften von Karl Friedrich Riff zugeschickt, vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 19. Jan. 1879, oben, S. 151 mit Anm. 14. 24 Es ist nicht klar, welche der zahlreichen kleineren Schriften des Ruprechtsauer Pfarrers Max Weber hier gemeint haben könnte. Eine der letzten größeren Schriften erschien 1880: Riff, Karl Friedrich, Drei Bilder aus dem Leben von Papa Oberlin. – Straßburg: Heitz 1880. Gemeint ist möglicherweise auch: ders., Der religiöse Liberalismus. Vortrag, gehalten zu Straßburg in der Kirche St. Nicolai, den 10. Januar 1876. – Zürich: C. Schmidt 1877.

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baut und die ganze Art der gottesdienstlichen Handlung von der badischen, |:ungleich:| mehr noch natürlich von der preußischen unterschieden. Dagegen erinnerte ein Chor junger Mädchen, der vor und nach der Predigt einen Psalm sang, an unsere sonst – Gott sei Dank! – hier fehlende Liturgie. Wie ich sehe, bin ich unerhört breit über diesen sonderbaren Heiligen – der als Landpfarrer jedenfalls unvergleichlich und der reine vicar of Wakefield25 ist – gewesen, aber er interessierte mich von allen mir bekannt gewordenen Elsässern am meisten und ich glaubte, Dich auch. Im übrigen hat mir dies Elsässer Volk nicht imponiert – ich meine die niederen Klassen, das Landvolk. Es ist ein grobes, ungezogenes, flegelhaftes, rohes Gesindel, namentlich die jüngere Generation – die ältere kenne ich nicht – ganz besonders natürlich, sobald sie merken, daß man nicht geborener Elsässer ist. Glaubst Du, man bekäme von diesen Kerlen eine Antwort, wenn man ihnen „guten Morgen“ sagt oder sie sonst anredet? – Sie schneiden eine Fratze oder drehen einem wenigstens den Rücken zuj. Auf unsrer Tagesfahrt nach der schönen Gegend von Zabern, Hohbarrk, Maursmünsterl etc., 26 auf die ich bei dem ausgehenden Papier leider nicht mehr genauer kommen kann, wurden wir, als wir etwas zu essen verlangten, zweimal einfach fortgeschickt; man habe nichts mehr – das zweite Mal blieben wir indessen doch und ertrotzten uns nun ein außerordentlich opulentes Essen. – Gern hätte ich Dir noch Manches erzählt, aber das Papier geht zu Ende und ich will keinen neuen Bogen anfangen, msonst komme ich gar nicht zu Ende und der Augenblick Sonne, der den Regen ablöst und mir die Möglichkeit giebt, trocken zum Briefkasten zu kommen, geht vorüber. Auch wartet Otto mit unsrer Lectüre. Grüße, bitte, alle, Papa, Geschwister und Cousine.27 Hat sich Wilhelm D[ieterici] immer noch nicht sehen lassen? Ich schreibe heute

j Fehlt in O; zu sinngemäß ergänzt. k 〈etc.〉 l O: Mauresmünster satz zu Beginn des Briefs am oberen Blattrand.

m–m (S. 285) Zu-

25 Es handelt sich um die literarische Figur des Charles Primrose im Roman: Goldsmith, Oliver, The Vicar of Wakefield. A Tale. Supposed to be Written by Himself. – London: R. Collins 1776. Das Buch war in zahlreichen Auflagen weit verbreitet, auch in Deutschland. 26 Die Burg Hohbarr liegt in der Nähe der Stadt Zabern. 27 Gemeint ist Anna Caroline Ottilie Weber, Max Webers Hamburger Cousine.

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Abend noch an Cohn, habe bereits an Mommsen geschrieben.28 Daß Annas29 Billet so lange bei Euch gelagert hat, ist schauerlich. Hoffentlich versöhnt Dich die Länge des Briefs für die Länge meiner Faulheit. Mit besten Grüßen Dein M.m nOtto

und Tante30 lassen nochmals grüßen.n

m (S. 284)–m Zusatz zu Beginn des Briefs am oberen Blattrand. ginn des Briefs am linken Blattrand.

n–n Zusatz zu Be-

28 Briefe Max Webers an Fritz Cohn und Karl Mommsen sind nicht nachgewiesen. 29 Es ist nicht zu klären, ob Max Weber hier vielleicht seine Hamburger Cousine Anna Weber gemeint hat. 30 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein.

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Helene Weber 22. und [23.] Juni 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 22–24 Der Brief wurde am Donnerstag, 22. Juni, und „Freitag Nachmittag“, 23. Juni 1882, geschrieben.

Heidelberg Donnerstag d. 22.6.82 Liebe Mutter! Besten Dank für Deinen Brief, den ich vorgestern früh erhielt und heute wenigstens noch anfangen will zu beantworten, wenn ich auch bei der späten Tageszeit kaum Aussicht habe weit zu kommen. Als ich am vorigen Donnerstag schrieb,1 war ich noch nicht sicher, ob wir wirklich am Freitag nach Karlsruhe gehen würden – wir haben uns schließlich wirklich dazu entschlossen und sind Freitag Nachmittag2 mit dem Schnellzuge hingereist. Leider trafen wir die Tante3 abwesend – sie war bei der Tante Laura4 in Schlangenbad5 – die andren dagegen sehr wohl und vergnügt. Am Freitag Abend waren wir zusammen und unterhielten uns sehr lebhaft |:teilweise sogar hitzig:|, der Onkel6 kam sogar, was er jetzt mit Vorliebe zu thun scheint, sofort auf Politik und urteilte merkwürdig scharf über Bismarck ab, womit die Söhne7 nicht ganz übereinzustimmen schienen. Charakteristischer Weise war Caesar das einzige historische Ideal von Julius, neben dessen übermenschlicher Größe er nur noch |:allenfalls:| Christus (!) bestehen ließ. Und womit that er diese furchtbare Größe seines Lieblings dar? Mit dem ganz simplen Akt |:sehr:| menschlicher Schlauheit und sehr mittelmäßiger Menschenkenntnis, daß Caesar Leute, die ihn angeblich hatten ermorden wollen, die Freiheit schenkte! Nun, es wurde ihm sehr heftig opponiert, und es wurde sehr spät, bis wir fortkamen. Am folgenden Morgen gingen wir beide in den Schloßgarten und den dahinter liegenden Wald und hielten uns den ganzen Vormittag dort auf, denn Pardon für die1 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, oben, S. 278– 285. 2 16. Juni 1882. 3 Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 4 Laura Bunge, geb. Fallenstein. 5 Ein Heilbad im Taunus. 6 Julius Jolly. 7 Julius Jolly jun. und Philipp Jolly.

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sen Klexa, das Scheusal von Schleppdampfer stieß eben direkt unter meinen Fenstern sein jammervolles Gebrüll aus – denn, wollte ich sagen, dieser Hartwald8 ist in der That doch nicht „von Pappe“. Gegen Abend fuhren wir wieder nach Heidelberg zurück, da wir vermuteten, es würde einer von Ottos Strasburger Freunden angekommen sein oder sich angesagt haben.b Das war nun freilich doch nicht der Fall, dagegen werden morgen zwei von ihnen, ein Herr von Schubert9 u. ein Herr Meyer,10 geborner Schweizer, hierher kommen, die ich beide schon recht gut von Strasburg her kenne, der eine Historiker, der andre Theologe. – Freitag Nachmittag. Gestern Abend wurde ich doch zu müde, um irgend etwas vernünftiges zu Stande bringen zu können und heute Morgen konnte ich vor Kuno Fischer, Fechtboden, Bekker und Erdmannsdörffer11 nicht wieder zum Schreiben kommen. Kuno Fischer, der jetzt mit seinen gewöhnlichen historischen und sonstigen Präliminarien fertig ist und sein eignes System zu entwickeln beginnt, nachdem er bewiesen, daß alle andren vor ihm eigentlich zur Sache nichts geleistet haben und Unsinn gemacht haben, hat wenigstens das Gute, daß alles, was er bis jetzt gesagt hat, absolut bestreitbar und grade so einleuchtend, wie das grade Gegenteil ist, dadurch zur Kritik einladet und einem den etwaigen Rest von Schlaf dadurch benimmt, was ja eine ganz gute Anwendung der Morgenstunde von 7–8 ist. Offen gesagt, fühle ich mich doch immer erfrischt, wenn ich von ihm auf den Fechtboden komme. In Bekkers Colleg ist einem dagegen sehr behaglich zu Mute: man hat das Bewußtsein, hier etwas reales zu lernen und es wird auch mit viel Witz und Gründlichkeit, vielleicht weniger mit Geist (wie Puchta)12 vorgetragen. Auch sind die Institutionen, seit man über die a In O Tintenklecks vor Pardon

b 〈Dagegen〉

8 Gemeint ist der Wald oder Bergwald (auch: Hardtwald) nördlich des Karlsruher Schloßparks. 9 Hans von Schubert. 10 Diethelm Meyer. 11 Von 7–8 Uhr besuchte Max Weber freitags Kuno Fischers Kolleg „Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre“; darauf folgte eine einstündige Fechtstunde. Daran schlossen sich drei weitere einstündige Kollegien an: Bei Ernst Immanuel Bekker „Institutionen des römischen Rechts“ von 9–10 Uhr und „Römische Rechtsgeschichte“ von 10–11 Uhr. Von 12–13 Uhr folgte noch bei Bernhard Erdmannsdörffer das Kolleg „Geschichte des Revolutionszeitalters“. 12 Zu den Werken Puchtas, die Max Weber in dieser Zeit benutzte, vgl. die Karte an Helene Weber vom 27. April 1882, oben, S. 253 mit Anm. 1.

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mir etwas unangenehmen allgemeinen Lehren mit ihren endlosen Defi nitionen und teilweise selbstverständlichen Distinktionen hinaus ist und in die spezielleren Sachen und Verhältnisse unterrichtet ist, eben so viel interessanter, als die Rechtsgeschichte,c nachdem endlich die Prozeßlehre abgeschlossen und die eigentliche Geschichte des Rechts begonnen ist, auf die ich schon lange gelauert hatte. Daß Dieterici und Beringer bei Euch gewesen sind und sich anscheinend wohl befi nden, freut mich sehr, ich habe dieser Tage einen längeren Brief an Mommsen13 losgelassen und einen solchen von Cohn14 erhalten, der sich allmälig in seiner Stellung wohl zu befi nden scheint, obgleich er noch immer sehr über Öde des geistigen Lebens in Hamburg klagt; von Karl Dörner und Frau15 kam eine Visitenkarte mit bestem Dank für mein Telegramm16 hier an, sie scheinen doch vorläufig in Hamburg geblieben zu sein. Augenblicklich ist oder vor wenigen Tagen |:noch:| war wenigstens Carl Weber aus Petersburg hier, wie ich zunächst indirekt durch die Allemannend hörte, bei denen er Conkneipant gewesen ist und zu denen er sofort auf die Kneipe kam.17 Leider war ich damals gerade in Karlsruhe abwesend und es gelang mir auch nicht, ihn auf dem Frühschoppen, wo er sich angesagt hatte, zu treffen. Er scheint sehr wohl zu sein, geht körperlich immer mehr in’s Colossale und brachte seine ganze Familie nebst russischen aufsehenerregenden Mägden mit. Er spricht recht befriedigt über die russischen Verhältnisse seit Ignatiews Sturz.18 – Soeben kommt Otto, um mit mir unsre gemeinschaftliche c 〈seit〉

d O: Alemannen

13 Ein Brief an Karl Mommsen ist nicht nachweisbar. 14 Fritz Cohn. 15 Max Webers Hamburger Cousine Hertha Henriette Lucie hatte am 20. Mai 1882 den Hamburger Kaufmann Carl Dörner geheiratet. 16 Dieses Telegramm ist nicht nachgewiesen. 17 Carl Emil Weber, ein Sohn von Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher, und damit ein Verwandter Max Webers, war im Wintersemester 1862/63 Konkneipant (also außerordentliches Mitglied) bei den Heidelberger Allemannen und wurde danach als Philister („Alter Herr“) aufgenommen. 18 Nach dem terroristischen Attentat auf Zar Alexander II. kam es seit März 1881 in Rußland zu einer Welle antisemitischer Pogrome, die vom neuen Zaren und seiner Regierung in erster Linie als weitere revolutionäre Akte bewertet wurden. Der neue Innenminister Nikolaj P. Ignat’ev wollte die Situation zur Beendigung der Pogrome, gleichzeitig jedoch auch zur Beschneidung der Rechte der russischen Juden nutzen, die er für die Ursache der Pogrome hielt. Die von ihm 1882 vorgelegten Maigesetze verschlechterten die rechtliche Situation der russischen Juden dramatisch, während die Pogrome gleichzeitig kein

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Lektüre zu treiben19 und so muß ich mir den Schluß bis nachher, wahrscheinlich bis nach dem Abendessen, aufsparen. – Nach dem Abendessen ging ich mit Otto noch ein wenig den Neckar entlang spazieren, bis die Dunkelheit hereinbrach, die leider hier nur allzu schnell eintritt. Jetzt will ich noch schnell ein par Worte hinzufügen. Wir möchten gern einigermaßen bestimmt wissen, wann Du kommst, da Otto eventuell seine Predigt so legen würde, daß Ihr schon hier wäret.20 Vorläufig hat er sie auf Sonntage über 14 Tage festgesetzt, also ja wohl den 9ten Juli. Würdet Ihrf dann schon hier sein? Auch Herr Schmittg möchte seines Gemüses und des Gartens wegen gern eine etwas nähere Zeitbestimmung haben. Wir hatten bei dem anscheinend schönen Wetter der letzten Tage daran gedacht, möglicherweise die Tante Laura21 in Schlangenbad aufzusuchen, hören aber, daß sie sich auf Reisen und zwar jetzt in der Strohhütte22 und demnächst in Strasburg befi ndet, hierher zu kommen scheint sie nicht zu beabsichtigen. Tante Henriette gehth Sonntag nächster Woche schon fort, wird Dich also doch wohl jedenfalls nicht mehr sehen. Sie läßt bestens grüßen, ich habe ihr Deinen Dank für die gemietete Köchin bestellt. Und hiermit will ich das Gekritzel schließen, um den Versuch zu machen, es noch vor 9 Uhr auf die Post zu spedieren. Besten Gruß von Allen, auch Otto, an Alle, auch Emmi.23 Dein Sohn Max. P. S. Das schöne Wetter ist wieder einmal undauerhaft, schade für morgen! e Sonnabend > Sonntag

f O: ihr

g O: Schmidt

h 〈nächsten〉

Ende fanden. Kurz nach Verabschiedung der Gesetze mußte Ignat’ev jedoch seinen Rücktritt erklären, da er intern verdächtigt wurde, sich im Zuge der neuen Gesetze selbst bereichert zu haben. 19 Zur gemeinsamen Lektüre der Vettern vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, oben, S. 279 mit Anm. 6 und 7. 20 Wie dem Brief Max Webers an Helene Weber vom 8. Juli 1882, unten, S. 293 mit Anm. 4, zu entnehmen ist, hielt Otto Baumgarten im Rahmen seines Heidelberger Predigerseminars die nächste Predigt am Sonntag, dem 16. Juli. Helene Weber wollte am 12. Juli mit ihren Kindern in Heidelberg eintreffen und dürfte somit die Predigt gehört haben. 21 Laura Bunge, geb. Fallenstein. 22 Die „Strohhütte“ war eine Art Sanatorium bei Achern im Schwarzwald, das von Sophie von Harder gegründet worden war. Es wurde insbesondere von Otto Baumgarten und seiner späteren Ehefrau Emily häufiger besucht. 23 Emmy Baumgarten hielt sich zu dieser Zeit in Charlottenburg auf.

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Helene Weber 4. Juli 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 26–27

Heidelberg Dienstag 4 Juli 82. Liebe Mutter! Ich würde meinem letzten Brief1 schneller einen zweiten haben folgen lassen, wenn nicht die vergangene Woche wieder eine recht lebhafte gewesen wäre. Ich will kurz darüber berichten. Sonntag und Montag war Herr Meyer2 aus Zürich hier, ein Schweizer, der alle angenehmen Eigenschaften seines Volks besitzt, ohne sie durch die unangenehmen wieder illusorisch zu machen und wir amüsierten uns auf einer Partie nach dem Kümmelbachera Hof3 vortreffl ich, da endlich auch die liebe Sonne es für geboten hielt, uns etwas zuzulächeln. Kaum war das Leben wieder etwas in seine gewöhnlichen Bahnen eingefahren, so kam, Mittwoch Abend, Dr. Grafe angesegelt, um bis Sonnabend hier zu bleiben. Wir führten mit ihm ein Leben, so fidel, als es nur irgend Menschen möglich ist, und mir scheint, daß er ziemlich erbaut von seinem hiesigen Aufenthalte von hier fortging. Zum Überfluß war ich am Sonnabend Abend bei Bekker eingeladen und kam am Sonntag Morgen wieder einer von Ottos Freunden, Herr von Schubert4 aus Strasburg hier an, so daß die Woche vollständig angefüllt war. Zu meinem unmäßigen Erstaunen erhielt ich übrigens in der vorigen Woche plötzlich eine Einladung von Professor Gaß und Frau5 auf Sonnabend zu einer Tanzgesellschaft. Die Idee, am ersten Juli |:ohne jedes Motiv:| eine Tanzgesellschaft zu veranstalten, erscheint mir an sich als etwas kolossales, scheint auch unter denb Studenten, die an die hiesigen wunderbaren Landessitten noch wenig gewöhnt sind, keinen Anklang gefunden zu haben, denn, als ich ihn aufsuchte, um mich vorzustellen a O: Kümmelsbacher

b 〈hiesigen〉

1 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 286– 289. 2 Besuch des Schweizer Theologen Diethelm Meyer am 25. und 26. Juni 1882 in Heidelberg. 3 Ein Anwesen auf dem Schneckenbuckel bei Neckargemünd; hier befand sich seit 1879 eine Brauerei. 4 Der Historiker Hans von Schubert kam am 2. Juli 1882 nach Heidelberg. 5 Der Theologe Wilhelm Gaß und seine Frau Johanna Gaß, geb. Krieger.

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und, da die Sache mit Bekker collidierte, abzusagen, beklagte er sich bitter, keine Tänzer fi nden zu können, da jeder absage. In der That scheint er es so ziemlich mit der ganzen Universität versucht zu haben, denn unter drei Studenten fragten mich sicher zwei nach diesem Spectakel und ich erfuhr von Leuten, die er noch viel weniger kennen konnte als mich, daß er sie eingeladen hatte. Von mir konnte er durch Otto gehört haben, den er, obgleich ebenfalls unbekannter Weise, als Theologen eingeladen hatte. Ich befand mich jedenfalls wohler bei Bekker, wo wir, zu zwölfen, sehr behaglich bis gegen Morgen (die Sache fi ng auch erst um 9 Uhr an) zusammensaßen und vorzüglichen Sekt und Bombennummern von altem Burgunder und Bordeaux vorgesetzt bekamen. Er, Bekker, ist ein gemütlicher, witziger alter Junggeselle und Hypochonder, mit dem zusammen zu trinken zunächst entschieden das Beste ist, was man mit ihm anfangen kann. Sonnabend Mittag, um das nicht zu vergessen, reisten Bunges6 hier durch, wir waren auf dem Bahnhofe, sie hatten leider nur 10 Minuten. Die Tante7 mit ihrem jetzt vollständig weißen Haar sah recht gut aus und hatte sich, wie ich sie wenigstens in Erinnerung hatte, wenig verändert. Leider gehen sie von Strasburg aus direkt nach Antwerpen zurück, wir hatten sonst daran gedacht, sie gelegentlich, wenn wir angänglichec Moneten hätten, in Schlangenbad zu besuchen.d 8 Sonntag früh reisten Hausraths, mit Hinterlassung vieler Grüße für Dich, hier ab – ich werde das Packet, welches heute Nachmittag hier angekommen ist, sofort nachher mitnehmen. Ihre Adresse ist einfach: Weißenstein bei Solothurn. Gestern ist nun auch Otto auf einige Tage nach der Strohhütte,9 Strasburg und Stuttgart gereist, mir Herrn von Schubert, der seinen Vater10 hier erwartete, überlassend und heute bin ich hier alleine und habe Zeit zu Lectüre und zum Durchsehen meiner Collegienhefte.11 c Unsichere Lesung.

d 〈Mit〉

6 Carl Gustav Bunge und Laura Bunge, geb. Fallenstein, und ihre Kinder. 7 Gemeint ist Laura Bunge, geb. Fallenstein. 8 Ein Heilbad im Taunus. Vgl. zu diesen Plänen auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 289. 9 Zur „Strohhütte“ von Sophie von Harder vgl. ebd., oben, S. 289 mit Anm. 22. 10 Hans von Schubert und sein Vater Gustav von Schubert. 11 Das einzige überlieferte Kollegheft Max Webers ist das zur „Römischen Rechtsgeschichte“ von Ernst Immanuel Bekker. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. Mai 1882, oben, S. 263, Anm. 4.

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Deine Karte besagt, Ihr würdet im Laufe der Woche nach Anfang der Ferien, also vermutlich der nächsten, hier ankommen – hoffentlich nicht zu spät, da ich mit meinen Geldern nachgerade am Rande bin – übrigens ist ja auch wieder ein Monat verflossen. Otto wird Deinem Wunsche gemäß erst in 14 Tagen predigen.12 Bitte schreibe mir nur, ehe Ihr abreist, noch genauer Tag und Zug, schon wegen des Herrn Schmitte, der mich täglich darnach fragt. Der Onkel13 hier ist jetzt in großer Aufregung resp. war es vor einigen Tagen, in Folge des Crawalls, der sich hier zwischen Studenten und Polizei vorzubereiten schien,14 wobei sich die Corps, von der Polizei bevorzugt, gegen die andren auf deren Seite stellten, und dem Onkel, der soeben fünf von ihnen wegen Ehrenverrufserklärung hatte relegieren lassen, den Kopf heiß machten, so daß, nach seinen eigenen Worten, es auf der Straße fast zu Thätlichkeiten zwischen ihm und drei Vandalen15 gekommen wäre, die ihm partout einen ihrer Köter zwischen die Beine hätten jagen wollen. Er war von dieser Wirtschaft so erfüllt, daß er sogar Herrn Dr. Grafe, den ihm Otto vorstellte (und der sogar in seinem Colleg gewesen ist) von nichts andrem als davon eine halbe Stunde lang vorerzählt hat, zu minderer Erbauung des letzteren. Du wirst wohl allmälig schon in Reisevorbereitungen stecken, ich will Dich auch nicht länger bei diesem Gekritzel aufhalten. Hoffentlich kommt Ihr alle gesund hier an. Mit besten Grüßen an Alle Dein Sohn Max

e O: Schmidt 12 Zur geplanten Predigt von Otto Baumgarten am 16. Juli vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 289 mit Anm. 20. 13 Adolf Hausrath. 14 Um den 20. Juni 1882 war nachts ein Student von der Polizei wegen Ruhestörung verhaftet worden. Daraufhin regte sich seitens der Studentenschaft Protest gegen das ihrer Ansicht nach übertriebene Verhalten der Behörden. 15 Gemeint sind hier Angehörige des Corps Vandalia Heidelberg.

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Helene Weber 8. Juli 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 29–30

Heidelberg 8.7.82 Liebe Mutter!

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Nur ein par Worte als Lebenszeichen, da wir uns ja doch hoffentlich baldigst, ich hätte fast gesagt, mündlich sehen werden. Otto ist diese ganze Woche über verreist gewesen, zuerst nach der Strohhütte,1 dann nach Strasburg, dann, gestern, nach Mannheim, um, wie die Tante2 wünschte, dem August3 ein bischen in Bezug auf seine eigentlichen Bedenken über allerhand Dinge auf den Zahn zu fühlen, endlich, heute, nach Stuttgart, um eine junge |:oder ältere?:| etwas unglückliche Dame, welche mit ihren Anverwandten in Streit lebt und ihn consultieren möchte, zu besuchen, was ich für ziemlich zwecklos halte, da er den Charakter der betr. Verwandten doch nicht aufbessern kann. Er hat dann aber wenigstens alle seine Verpfl ichtungen abgefahren u. kann den Rest des Semesters behaglich hier sitzen. Seine Predigt hat er, wie ich wohl schon berichtete,4 bis nächsten Sonntag aufgeschoben. Wir erwarten Euch also vorläufig am Mittwoch5 früh mit dem ersten Zuge, demselben, mit dem ich gefahren bin. Sollten Änderungen in der Disposition eingetroffen sein, so fi ndest Du wohl Zeit, noch eine Postkarte zu schicken. Ich werde zunächst ein tüchtiges Frühstück ev. Mittagessen auf Mittwoch bestellen. Herr Schmitta bereitet bereits alles nach Möglichkeit vor und läßt, auf Ordre von Onkel Wilhelm, bereits wochenlang alles Obst im Garten für Euch hängen. Ich werdeb aber doch Morgen mich vorerst einmal etwas dahinter machen, schon im Interesse der Magen von Clara u. Artur, selbst auf Gefahr meines eigenen. Alfreds Brief habe ich erhalten und mit großem Vergnügen gelea O: Schmidt

b 〈|:mir:|〉

1 Zur „Strohhütte“ im Schwarzwald vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 289 mit Anm. 22. 2 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 3 August Hausrath. 4 Zur geplanten Predigt von Otto Baumgarten am 16. Juli 1882 vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Juli 1882, oben, S. 292 mit Anm. 12. 5 12. Juli 1882.

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sen, vermag aber jetzt doch seine systematischen Fragen nicht alle schriftlich zu beantworten u. behalte mir dies noch vor ev. mündlich zu thun. Hoffentlich trefft Ihr hier etwas sonnigeres, wärmeres Wetter; es regnet jetzt schon die ganze Woche über mit constanter Bosheit: dieser Sommer verleugnet seinen Charakter doch keinen Augenblick. Sonst passiert hier nicht viel, abgesehen von dem Morgen stattfindenden Leichenbegängnis von Prof. Friedreich,6 an dem sich ein großer Teil der Studentenschaft offi ziell beteiligt und das ich, obgleich ich von dem Manne nur durch Hörensagen weiß, wenn es nicht zu regnerisch ist, auch mitmachen werde. – Der Onkel7 beschäftigt sich in wirklich ausnahmsweise intimer Weise mit den beiden ihm hier verbliebenen Kindern,8 ich sehe ihn nur Morgens, wenn ich in’s Kolleg gehe. Der Brief muß fort, wenn er noch auf die Post soll. Gute Nacht, mit bestem Gruße Dein Sohn Max. P. S. Beiläufig, Otto möchte gern das Dir ja auch bekannte Buchalbum sehen, worin alle die berühmten Dichter unserer Herren Lehrer u. Commilitonen zu ewigem Gedächtnis aufgezeichnet stehen. Es liegt in der Pultschublade, wenn Du daran denken solltest.

6 Der Heidelberger Pathologe Nicolaus Friedreich war am 6. Juli 1882 gestorben. 7 Adolf Hausrath. 8 Die jüngsten der sieben Hausrath-Kinder waren Maria und Margarethe Hausrath. Ob diese hier gemeint sind, ist unklar.

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Helene Weber 4. November PSt 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 32–33 Das Jahr ist aus dem beiliegenden Briefumschlag und dem Briefinhalt erschlossen.

Heidelberg, Sonnabend 4 Nov. Nachmittags Kettengasse 17 Liebe Mutter!

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Daß ich von Euch nichts höre, ist hoffentlich nur ein gutes Zeichen, kann aber freilich auch daher kommen, daß Du meine hiesige Hausnummer vergessen hast, welche icha aus diesem Grunde an die Spitze des Blattes setze. Besten Dank für die Zusendung, sowohl was ihren materiellen als was ihren litterarischen Gehalt betrifft, die mir beide jetzt Abends zu sehr behaglichen Stunden verhelfen, wenn auf der einen Seite Adam Smith „von denjenigen Erzeugnissen, welche uns zuweilen und unter gewissen Umständen eine Rente abwerfen“1 oder Puchta „vom Quasi-Besitz“2 handelt, während auf der andren Seite die stets rentable Cervelatwurst throntb und die Leberwurst mehr als eine Quasi-Anziehungskraft für den hungrigen Magen besitzt. Überhaupt hat sich die Behaglichkeit seit dem Sommer beträchtlich gesteigert, so daß ich, außer in den letzten außerordentlich schönen Tagen, meist zu Hause gewesen bin. Es war in der That prachtvoll warm und klar hier in der letzten Zeit und man hatte noch einmal Gelegenheit, die ganze Umgegend abzusuchen. Ein ganz besonders schöner Tag war der letzte Mittwoch, 3 Allerseelentag und Dies Academia 〈zur〉

b O: tront

1 Max Weber paraphrasiert hier den dritten Teil des elften Kapitels im ersten Buch von: Smith, Adam, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Vol. 1. – Dublin: Whitestone u. v. a. 1776, S. 263–266. Entweder hat Weber das Original gelesen und frei übersetzt oder eine frühe Übersetzung benutzt, denn im Original heißt das Kapitel: „Of the Variations in the Proportion between the respective Values of that Sort of Produce which always affords Rent, and of that which sometimes does, and sometimes does not, afford Rent.“ Nur in den frühen Übersetzungen bis in die 1820er Jahre hinein wurde „produce“ mit „Erzeugnissen“ übersetzt, danach stets mit „Produkt“. 2 Dieses zivil- bzw. privatrechtliche Thema wird in den Schriften Puchtas abgehandelt, die in der Karte Max Webers an Helene Weber vom 27. April 1882, oben, S. 253 mit Anm. 1, zitiert sind, so z. B. Puchta, Georg Friedrich, Vorlesungen über das heutige römische Recht, Band 1. – Leipzig: Bernhard Tauchnitz jun. 1847, S. 267–277. 3 1. November 1882.

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cus, wo Tausende von Menschen die Rohrbacher Straße entlang nach dem Kirchhofe4 zogen. Ich war am Nachmittag bei Hausraths und fand die Tante sehr wohl, auch das Kleine, 5 welches allerdings sehr klein ist und bis jetzt nur schlafend sein Leben zubringt. Meine eigne Tageseinteilung ist eine sehr einfache: Vormittags zwei bis drei Stunden Colleg und Nachmittags zwei bis drei Stunden Colleg resp. Seminar, die Zwischenzeit nimmt Mittagessen, Lektüre und Vorbereitung ein. Die freiesten Wochentage sind Mittwoch und Sonnabend, wo nur zwei Stunden Colleg am Vormittag,6 die besetztesten Montag und Freitag, wo 6 bis 7 Stunden Colleg und Übungen liegen. Belegt habe ich: Pandekten7 und Pandektenseminar,8 Kuno Fischer’s Geschichte der Philosophie,9 die beiden Erdmannsdörffer’schen Collegien und seine historischen Übungen.10 Bei Knies werde ich nicht

4 Gemeint ist der berühmte Heidelberger Bergfriedhof an der Rohrbacher Straße. 5 Henriette Hausrath und ihre jüngste Tochter Lilli Hausrath, geboren am 6. Oktober 1882. 6 Es handelt sich um das im folgenden erwähnte Pandekten-Kolleg bei Ernst Immanuel Bekker, das täglich von 9–11 Uhr stattfand. 7 Ernst Immanuel Bekkers Kolleg „Pandekten“, täglich von 9–11 Uhr, vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, WS 1882/83, S. 4. Max Weber hatte sich für das Kolleg eingeschrieben und 60 Mark bezahlt, vgl. Quästurakte Bekker, UA Heidelberg, Rep. 27/59, WS 1882/83. – Die Pandekten (auch: Digesten) sind ein wichtiger Teil der spätantiken Kodifi zierung des römischen Zivilrechts (Corpus Iuris Civilis) durch Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert. Sie enthalten eine Zusammenstellung der Werke römischer Rechtsgelehrter. 8 Bekkers „Privatrechtliches Seminar“ (eine Lehrveranstaltung unter dem Titel „Pandektenseminar“ fand nicht statt) hatte zwei Wochenstunden, vermutlich montags. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, WS 1882/83, S. 5, dort ohne Tagesangabe und vermutlich gratis, so daß es keinen Immatrikulationsbeleg gibt. 9 Kuno Fischers Kolleg „Geschichte der neuesten durch Kant begründeten Philosophie“ fand von Dienstag bis Freitag zwischen 16–17 Uhr statt. Vgl. ebd., S, 8; Max Weber hatte sich eingeschrieben und 20 Mark gezahlt, vgl. Quästurakte Kuno Fischer, UA Heidelberg, Rep. 27/319, WS 1882/83. 10 Demnach hat Max Weber alle von Bernhard Erdmannsdörffer in diesem Semester angebotenen Veranstaltungen belegt. Das Kolleg „Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ fand Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 11–12 Uhr statt. Das Kolleg „Culturgeschichte Italiens im Zeitalter der Renaissance“ wurde zweimal wöchentlich von 17–18 Uhr angeboten, vermutlich Montag und Freitag. Die „Historischen Übungen“ umfaßten einmal wöchentlich 2 Stunden und fanden, wie sich aus einer Mitteilung Max Webers ergibt, am Freitag abend statt (vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, unten, S. 303, Zeile 8). Zu den Veranstaltungen vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, WS 1882/83, S. 11; Max Weber hatte sich für die beiden Kollegien eingeschrieben und 20 bzw. 10 Mark bezahlt, vgl. Quästurakte Erdmannsdörffer, UA Heidelberg, Rep. 27/286, WS 1882/83. Die Historischen Übungen waren laut Vorlesungsverzeichnis gratis, weshalb hierüber ein Aktenbeleg fehlt.

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belegen, da das Colleg11 höchst langweilig gelesen wird und ich aus Adam Smith und Roscher mehr und angenehmer zu lernen denke. Er fi ndet überhaupt mit diesem Colleg wenig Anklang, es haben es bis jetzt nur 2 belegt. Die Erdmannsdörffer’schen Collegien sind je von ca 15 besucht, die Pandekten von ca 60–70, Fischer von über 200, wovon ca 60 belegt haben und vielleicht noch 30 belegen. Im Pandektenseminar sind ca 30, bei Erdmannsdörffer in den Übungenc 3 inclusived mich. Das Bekker’sche Seminar bereue ich fast belegt zu haben, da bei der unverhältnismäßigen Anzahl der Teilnehmer ich in den beiden Stunden auf andrem Wege mehr hätte lernen können, die Thätigkeit sich auch auf bloße Quellenlektüre (Gaius, Corpus juris12 |:etc:|) beschränkt, wie mir Erdmannsdörffer sagte. Ausführlicher über das Seminare, welches nächsten Montag13 |:anfängt:|, und die Übungen, welche gestern anfi ngen, im nächsten Brief.14 In den Übungen habe ich jedenfalls zwei sehr angenehme junge Leute, einen Hrn Schmidt aus Petersburg und einen Hn. Krebs aus Hamburg,15 beide in jungen Semestern und Historiker, kennen gelernt. Das Quantum Arbeit für die Übungen wird ein recht beträchtliches sein, so viel kann ich wenigstens jetzt schon übersehen. Entschuldige diese statistischen Daten, die indeß Papa interessieren dürften. – Jüngst war ich auch beim alten Reichlin-Meldegg und hörte ein, |:wie behauptet wurde,:| für seine Verhältnisse ziemlich ruhiges Colleg an16 – er erschienf erst lange nach 1/ 2 – abgesehen von Apostrophen wie die folgende: c 〈[??]〉

d 〈ich〉

e 〈und die〉

f 〈nach〉

11 Das Kolleg „Volkswirtschaftspolitik“ von Karl Knies fand fünfmal wöchentlich zwischen 12–13 Uhr statt; vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, WS 1882/83, S. 13; ein Immatrikulationsbeleg Max Webers liegt nicht vor. 12 Gemeint ist das Corpus Iuris Civilis, zu dem die Pandekten gehören (vgl. oben, S. 296, Anm. 7). 13 6. November 1882. 14 Über das historische Seminar und insbesondere die dort vorgenommenen SleidanusForschungen vgl. den nachfolgenden Brief Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, unten, S. 303 mit Anm. 22 und 23. 15 Nicolaus Schmidt und Oskar Krebs. 16 Das Kolleg von Kuno Frhr. von Reichlin-Meldegg trug den Titel: „Darstellung und Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie mit besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Gegenwart“ und fand dreimal wöchentlich statt. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, WS 1882/83, S. 8; ein Immatrikulationsbeleg Max Webers für dieses Kolleg liegt nicht vor.

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Er tritt auf das Catheder und hustet – Meine Herren! Sieg sehen, ich bin krank, ich huste – oh! oh! allgemeines Bedauern – ha! werden die Pfaffen schreien, dash geschieht dem Kerl recht, dem Hunde, dem Atheisten verfluchten – lebhafter Applaus, pfui! und sonstige Rufe – aber meine Herren! das ist ganz egal! es wird doch fortgemacht! – fortgesoffen! bravo! brüllt ein altes Bierskelett neben mir – – meine Herren! Sie haben mir soeben Veranlassung genommen, bravo! zuzurufen, – lassen Siei michj Ihnen dafür auch nur bravo! und bravo! zurufen – meine Herren, Siek lachen doch nicht über mirl?? ich wollte zu Ihnen von Politik sprechen, mein Herz hängt am Vaterlande und an Bismarck, ich habe geglaubt, Sie seien auch patriotisch! – sprach’s und rannte hinaus, die Vorlesung war zu Ende, nachdem sie 10 Minuten gedauert hatte. Die Achtung vor den Professoren wird durch desgleichen nicht gesteigert, wohl aber die Rohheit unter den Studenten, welche sich allmälig daran gewöhnen, zusammen mit all dem Pöbel, der in dies Colleg läuft, – es waren über 250 Zuhörer da – einen alten Mann zu verhöhnen. Von den 250–300 Zuhörern hatten vielleicht einer oder zwei belegt, im Sommer gar keiner, so daß er das Colleg nach vierzehn Tagen wieder aufhob. Am letzten Dienstag machte ich mit Webers17 einen längeren Spaziergang nach der Neuenheimer Kirche und bewunderte die alte Tante, welche hin und zurück sehr munter voranging. Der Petersburger Weber18 war grade von Bonn aus auf einen Tag herüber gekommen. Seit Dienstag bin ich zu den Allemannen in das Verhältnis eines Conkneipanten getreten.19 Ich konnte mich dem schließlich schwer g O: sie chen.

h O: daß

i O: sie

j 〈[??]〉

k O: sie

l In O doppelt unterstri-

17 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. 18 Carl Emil Weber, ein Sohn von Georg und Ida Weber, geb. Becher. 19 Vgl. dazu die Karte Max Webers an seine Eltern Helene und Max Weber sen. vom 23. April 1882, oben, S. 245 mit Anm. 1. Konkneipant bezeichnet in der Sprache der Studentenverbindungen ein außerordentliches Mitglied der sog. äußeren Verbindung; diesen Status wählte Weber am 31. Oktober. Aber nur einen Tag später wurde er „Fuchs“ und damit ordentliches Mitglied der äußeren Verbindung. Am 30. April 1883 wurde er schließlich durch die Bandverleihung in die innere Verbindung aufgenommen. Obwohl er kein drittes Semester in Heidelberg aktiv war, um auf Lebenszeit in der Burschenschaft zu bleiben, wurde ihm am 5. Juli 1886 diese Pflicht erlassen, worauf er sogleich in das Philisterium (Alt-Herrenschaft) aufgenommen wurde. Am 17. Oktober 1918 beendete Max Weber seine Mitgliedschaft (vgl. dazu den Brief Max Webers an Fritz Keller vom gleichen Tag, MWG II/10, S. 269–271). Informationen zu Webers Mitgliedschaft in der Burschenschaft Allemannia enthält das unveröffentlichte Manuskript von Reinbach, Weber und Allemannia.

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entziehen, da die Leute den größten Teil des vorigen Semesters und während der wenigen Tage dieses mich fortwährend belagerten und ich so mehr Zeit habe, als vorher und mehr Geld spare, als wenn ich mit ihnen herumziehe und mich von Zeit zu Zeit mit Bowlen revanchieren muß. Dies war der negative Gesichtspunkt, wozu positiv kam, daß ich an dem Verkehr mit einigen von ihnenm, namentlich zwei Berlinernn 20 und einem sehr behaglichen Schwaben, 21 doch Vergnügen gewonnen hatte und daß grade die Schwäche der Verbindung den genaueren Verkehr sehr erleichtert. In folge dessen habe ich mich nach längerem Besinnen dazu entschlossen und es noch nicht bereut, namentlich gefunden, daß ich sehr ungebunden bleibe, da wir eigentlich nur täglich zum Mittagessen und zweimal in der Woche Abends |:unbedingt:| ozusammen sindo , sonst wenigstens nur sehr unregelmäßig, da die Mehrzahl Mediziner in hohen Semestern und dem Examen nahestehend ist und in folge dessen Nachmittags die verschiedenen Kliniken zu frequentieren hat. Der Fechtboden Morgens verhindert, daß man das Colleg verschläft. Über alles Sonstige werde ich im nächsten Briefe berichten, wenn erst die Arbeit in den historischen Übungen und im Seminar regelmäßig angefangen haben und wenn meine Lektüre, die sich vorläufig neben meinen Fachmännern, also Puchta und Adam Smith, auf Gneist22 beschränkt, etwas weiter gediehen ist. Hoffentlich höre ich auch bis dahin etwas näheres von Euch. Jetzt muß ich noch, um morgen möglichst frei zu sein, für die historischen Übungen ein Stück Sleidanus23 vornehmen und für das Pandektenseminar meine Institutionen- und Pandekten-Hefte noch einmal durchgehen. Ich werde Mitte der Woche wieder schreiben.24 Bis dahin mit bestem Gruß Dein Sohn Max.

m O: Ihnen

n Berlinern, > Berlinern

o–o O: zusammensind

20 Alfred Voeltzkow und Otto Lubarsch. 21 Karl Kohl. 22 Es ist nicht nachweisbar, welches der zahlreichen Werke Rudolf Gneists zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht Max Weber zu dieser Zeit gelesen hat. 23 Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, unten, S. 303 mit Anm. 22, und an Hermann Baumgarten vom 19. Dez. 1882, unten, S. 310 mit Anm. 5. 24 Vgl. den folgenden Brief Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, unten, S. 300–304.

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Helene Weber 13. November 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 35–36

Heidelberg Montag 13.11.82 Mittags. Liebe Mutter! Dein Brief mit der traurigen Nachricht traf mich am Dienstag Abend und obgleich ich nach Deinen letzten Briefen befürchten mußte, daß eine schlimme Wendung eintrat, war ich doch nicht entfernt darauf gefaßt, das Unvermeidliche so schnell eintreten zu sehen.1 Ich habe, so gut ich konnte, ein par Worte an die Tante geschrieben2 – was kann man bei solch unendlich traurigen Gelegenheiten, wo ein Mensch sein eignes Leben, wenigstens sein inneres, mit einem andren zu Grabe getragen hat, diesem Menschen sagen, als daß man ihn seines Mitgefühls und seiner Verehrung versichert? (und vollends, was sollte ich der Tante, die an Alter, Erfahrung und Herzensbildung mir so weit voraus ist, anders sagen?) man kann ihr nur noch die Hoffnung und den Wunsch aussprechen, daß sein Glaube ihm Fassung und seine Hoffnung, wie sie auch gestaltet sei, ihm Trost geben möge, man kann ihr das schöne Wort, für mich der Inbegriffa des Christentums und der echten Toleranz, zurufen: Dir, Deinem Herzen, geschehe, wie Du geglaubt! 3 Das, und nur dies, wünsche ich der Tante und ich weiß, daß ich ihr damit alles gewünscht habe, denn sie trägt, dasb weiß auch ich aus der leider ja nur oberflächlichen Bekanntschaft mit ihr, einen Glauben im Herzen, der an sich eine feste Burg ist wider alles, was von außen an Schwachheit an sie herantritt. Für mich ist das Dahinschwinden der Großmutter zunächst ein Riß zwischen Vergangenheit und Gegenwart; eine Reihe schöner und wohlthuender Erinnerungen aus früheren Tagen, die sich an das Leben der Großmutter anknüpfen und bei dem Gedanken an sie wieder der a O: Inbegriff,

b daß > das

1 Am 5. November war Max Webers Großmutter väterlicherseits, Marie Lucie Weber, geb. Wilmans, verstorben. 2 Ein Brief Max Webers an Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen., ist nicht nachgewiesen. 3 Es handelt sich um eine Adaption aus Mt 8, 13: „dir geschehe, wie du geglaubt hast.“

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Gegenwart angehörten, sind jetzt für immer zur unerreichbaren Vergangenheit geworden, aber, wie Du ja auch schreibst, der Verlust ist für mich und wohl für uns alle nicht so schwer, als für die Tante. – Sie wird sich vereinsamt fühlen, schreibst Du, – wird sie denn jetzt in Bielefeld bleiben? Könnte sie nicht wenigstens für den ersten Winter anderswohin gehen, z. B. zu uns nach Charlottenburg? Es wird ihr allerdings schwer werden, sich von Bielefeld so bald loszureißen. Vielleicht geht sie aber doch wenigstens nach Oerlinghausen, um nicht ganz einsam zu sein? – Ihr werdet jetzt wahrscheinlich schon beide wieder aus Bielefeld zurück sein, Du jedenfalls, denn gestern langte Dein Telegramm bei Hausraths an, die vorläufig durch mich danken lassen. Die Tante4 erinnerte sich der Großeltern5 und der Tante6 noch recht gut, sie ist wohl, ebenso die Kinder bis auf Laura,7 welche in den letzten Tagen einen plötzlichen Anfall von Dyphteritis resp. wenigstens sehr starke Mandelentzündung gehabt hatte, in Folge dessen sie nur vom Bette aus der Taufe zuschauen konnte.8 Außer mir waren nur Webers9 und eine Cousine des Onkels als Pathin da. Die Tante Weber grüßt herzlich zurück. Am Donnerstag voriger Woche10 war ich in Straßburg, auf eine dringende Karte von der Tante11 und Otto hin, die mich baten, hinzukommen, um Otto, der gerade da war, noch einmal zu sehen und Emily12 kennen zu lernen. Sie waren alle überaus glücklich und der Onkel13 in sehr guter Stimmung. Wir waren mehrere Stunden still bei einander und Abends kamen Beneckes, Holtzmanns14 und einige von Ottos Freunden, die ich kannte. Emily hat etwas unglaublich Anziehendes 4 Hier gemeint: Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 5 Carl David Weber und Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. 6 Ottilie Weber. 7 Neben der genannten Laura und den außer Haus lebenden Söhnen August und Hans waren dies die Töchter Emilie, Paula, Maria, Margarethe und Lilli Hausrath. 8 Gemeint ist die Taufe der jüngsten Tochter Lilli Hausrath. 9 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. 10 9. November 1882. 11 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 12 Emily Fallenstein, die Verlobte von Otto Baumgarten. Über die Begegnung mit der sieben Jahre älteren Cousine in der „Strohhütte“ und die Verlobung berichtet Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 39–42 und 61. 13 Hermann Baumgarten. 14 Der Theologe Heinrich Holtzmann und seine Frau Karoline (Line) Holtzmann, eine Tochter von Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher.

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und Liebenswürdiges; obgleich sie, als ich da war, in Folge des vielen Besuchemachens abgespannt und in Folge dessen alt aussah, war doch ihr ganzes Wesen jugendlicher, als ich geglaubt hatte. Sie besitzt eine ausgedehnte Belesenheit, soweit ich es erkennen konnte, ein sehr scharfes und geistvolles Urteil und ist jedenfalls religiös und ethisch von Frau von Harder auf’s sorgfältigste durchgebildet.15 Grade war die Nachricht angekommen, daß Otto nicht nach Emmendingen, sondern nach Baden-Baden kommen wird, als Vikar bei einem, wie mirc Onkel Adolf sagte, ebenfalls noch jungen Manne.16 In Emmendingen hätte Otto eine beträchtlich selbständigere Stellung gehabt, doch wäre er, so verstand ich ihn wenigstens, pekuniär schlechter gestellt gewesen, was ja jetzt von Wichtigkeit ist. In Baden wird er zwar bz. des Gottesdienstes etc. nicht so unabhängig und angenehm gestellt sein, aber nicht zum Pfarrer in Kost und Logis kommen, sondern selbständig wohnen und sich so stehen, daß er schon jetzt sogleich einen Hausstand gründen kann. In Folge dessen wird die Hochzeit schon im Januar, ich glaube am 30., stattfi nden,17 bei der Frau v. Harder auf der Strohhütte.18 Dort sind Otto und Emily augenblicklich, und Otto wird nun wohl bald nach Baden gehen, wo er schon in der nächsten Woche sein Amt anzutreten haben wird. Übrigens wird er, und dies freut mich sehr, hier noch den Licentiaten19 machen, um sich, wie Emily wünscht, die Universität offen zu halten. – Der Onkel20 war in besserer Stimmung, als ich erwartet hatte, und besonders am Abend, wo übrigens auch noch Professor Michaelis da war, sehr behaglich. Er interessierte sich sehr für unsre Arbeiten im c 〈der〉 15 Emily Fallenstein ging Mitte der 1870er Jahre in die „Strohhütte“ Sophie von Harders bei Achern. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Art Sanatorium, sondern auch um eine Privatschule für Mädchen. 16 Gemeint ist Wilhelm Ludwig. Otto Baumgarten trat die Stelle im Dezember 1882 an und ließ sich im Mai 1883 auf eigenen Wunsch nach Waldkirch versetzen. Vgl. dazu Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 64, sowie den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, unten, S. 331 mit Anm. 28. 17 Die Hochzeitsfeier von Otto Baumgarten und Emily Fallenstein fand bereits am 9. Januar 1883 statt. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Januar 1883, unten, S. 315 mit Anm. 5. 18 Zum Sanatorium „Strohhütte“ vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 289 mit Anm. 22. 19 Bezeichnung für den Doktortitel, verliehen durch Fakultäten der protestantischen Theologie. Otto Baumgarten wurde jedoch erst 1888 in Halle promoviert. 20 Hermann Baumgarten.

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historischen Seminar, 21 besonders, da er zufällig jetzt in dem seinigen genau dasselbe betreibt und dasselbe Thema gestellt hat wie Erdmannsdörffer, ferner aber, weil unsre Arbeiten augenblicklich sich auf Sleidanus22 (gleichzeitiger Biograph Kaiser Karl’s V) beziehen und er selbst in Betreff dieses Schriftstellers die eingehendsten Forschungen angestellt hat, 23 auf welche Erdmannsdörffer auch permanent hinwies. Wir sind unser im Seminar wirklich nur drei geblieben und sitzen behaglich Freitag Abends auf Erdmannsdörffers Stube unter Haufen von Büchern vergraben. Ich werde jetzt an eine Arbeit über den Dir jedenfalls dem Namen nach bekannten schwedischen und brandenburgischen Historiker Pufendorf gehen, dessen Zuverlässigkeiten einer bestimmten Stelle (nordischer Krieg) 24 mit Benutzung der Akten zu prüfen und von mir darüber zu referieren sein wird. 25 Ich bin begierig, wie die Sache wird. Die letzte Woche war abgesehen von der kurzend Strasburger Unterbrech[ung] eine immerhin ziemlich arbeitsvolle, da ich die von mir durch mein zu spätes Hierherkommen am Anfang des Semesters versäumten Pandektenstunden nachzuholen hatte. Da im Seminar die Quellenlektüre bei der Unmasse von Teilnehmern, die natürlich jeder anstandshalber eine Frage an Bekker stellen wollen, zu kurz kommt, so lese ich jetzt täglich privatim einige Capitel im Corpus juris, eine Anfangs sehr saure Arbeit, da die ersten Capitel der „Pandekten“ höchst stumpfsinniger und überflüssiger Natur sind und erst allmälig es interessanter wird.26 Immerhin glaube ich so das Meinige zu thun. Naturgemäß ist ein so großes Seminar, wie das Bekker’sche, 27 nicht geeignet, die Teilnehmer einander kennen zu lehren – dagegen d kurzer > kurzen 21 Max Weber hatte in diesem Semester bei Bernhard Erdmannsdörffer zweistündige „Historische Übungen“ belegt, in deren Rahmen er quellenkundliche Forschungen betrieb. 22 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 19. Dez. 1882, unten, S. 310–312 mit Anm. 5 bis 14. 23 Baumgarten, Hermann, Über Sleidans Leben und Briefwechsel. – Straßburg: Karl J. Trübner 1878 (hinfort: Baumgarten, Sleidans Leben); ders. (Hg.), Sleidans Briefwechsel. – Straßburg: Karl J. Trübner 1881 (hinfort: Baumgarten, Sleidans Briefwechsel). 24 Gemeint ist der Krieg 1655–1660/61 zwischen Polen-Litauen und Schweden. 25 Es ist nicht zu klären, auf welches Pufendorf’sche Werk sich Weber hier bezieht. Vermutlich handelt es sich um die posthum publizierten „Sieben Bücher von denen Thaten Carl Gustavs Königs in Schweden“, die 1697 erschienen. 26 Zum Corpus Iuris Civilis und den Pandekten vgl. den Brief von Max Weber an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 mit Anm. 7. 27 Weber meint das zweistündige „Privatrechtliche Seminar“ bei Ernst Immanuel Bekker.

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habe ich mit den beiden andren Historikern einen recht angenehmen Verkehr. Sie sind beide noch in jüngeren Semestern, der eine im zweiten, der andre im dritten, der letztere, der Deutschrusse, freilich an Jahren uns beiden andren ziemlich voraus.28 Auch sind sie an historischen Kenntnissen, was Thatsachen und Belesenheit betrifft, mir nicht voraus, so daß also ein Verkehr sehr wohl ermöglicht ist und wir uns bei unseren Arbeiten sehr wohl gegenseitig unterstützen können, ich sie durch Thatsachenkenntnis und sie mich durch Kenntnis der historischen Methode. Ich habe mich jetzt auch in die Lektüre mehrerer Ranke’scher Schriften vertieft und zwar grade seiner beiden ersten, „Geschichten der romanischen und germanischen Völker“ und „Kritik neuerer Geschichtsschreiber“, letzteres ein anerkanntes „standard work“.29 Sie sind beide so eigentümlich im Styl, daß ich sie zuerst nicht zu lesen vermochte und, wenn ich die Thatsachen nicht kannte, nicht verstehen würde. Ihre Sprache erinnert an die von „Werther“ oder „Wilhelm Meister“.30 Leider sind grade diese beiden Werke, namentlich das zweite, heute so gut wie gar nicht gelesen. Doch nun lebt wohl für heute, es ist durch das Dazwischenkommen von Colleg und Seminar doch Abend geworden. Es grüßt alle herzlich Dein Sohn Max.

28 Gemeint sind die beiden, bereits im Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. November 1882, oben, S. 297 mit Anm. 15, namentlich genannten Kommilitonen. Der St. Petersburger Kommilitone Nicolaus Schmidt immatrikulierte sich zum Wintersemester 1882/83 in Heidelberg und gab sein Alter mit 26 an, der Hamburger Oskar Krebs war bei der Immatrikulation im Sommersemester 1882 18 Jahre alt. 29 Ranke, Leopold, Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535. – Leipzig und Berlin: G. Reimer 1824; ders., Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. Eine Beylage zu desselben romanischen und germanischen Geschichten, ebd. 1824. 30 Goethes Werke. Weimarer oder „Sophien-Ausgabe“, 1. Abth., 19. Band („Die Leiden des jungen Werther“) und Bände 21–25 („Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und „Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden“).

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Heidelberg 15.12. 82 Liebe Mutter!

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Nachdem ich endlich meinen Verpfl ichtungen gegen das historische Seminar ledig bin, komme ich, freilich etwas spät, dazu auf Deinen letzten Brief und Deine Karte zu antworten und dem Papa für seine Sendung und beigefügten Gruß zu danken. Von Allem das Merkwürdigste war mir, daß sich Geh. Rat Wehrenpfennig wieder verlobt hat,1 was doch anscheinend für ausgeschlossen zu halten war. Den Kindern war etwas ähnliches doch wohl nur zu wünschen. Auch über die Verlobung von Eduard Simons hatte ich noch nichts gehört, 2 und auch seither weder von Otto noch von Strasburg darüber Nachricht bekommen, trotzdem mir Onkel Hermann grade in den letzten Tagen eine sehr freundliche Karte mit einer Einladung nach Strasburg auf Weihnachten schrieb, die ich dankend ablehnte, da ich ja schon nächstes Jahr so wie so dort sein würde.3 An Otto, der jetzt schon in Baden4 ist und kürzlich von dort aus an unsren alten Freund, Herrn Ickrath, geschrieben hat, werde ich, denke ich, am Sonntag zu einem vernünftigen Brief kommen.5 Daß der Papa nun schon wieder von den parlamentarischen Redereien in Anspruch genommen wird,6 ist traurig, wiewohl es vorauszusehen war. Auf den zweiten Band Treitschke [,]7 den er so sehr lobt, 1 Der mit Max Weber sen. befreundete Wilhelm Wehrenpfennig verlobte sich, nachdem seine erste Frau Anna Helene Theodore Wehrenpfennig, geb. Hoelzle, 1881 gestorben war, mit Emilie Kopp, verw. von Breuls, und heiratete sie 1883. 2 Der mit Fritz und Otto Baumgarten befreundete Theologe Eduard Simons heiratete am 28. Juni 1883 Martha Feldhoff. 3 Max Weber spielt hier vielleicht schon auf seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger an, für den er ab dem 1. Oktober 1883 in Straßburg stationiert war. 4 Gemeint ist Baden-Baden, wo Otto Baumgarten seine erste Vikarstelle angetreten hatte. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, oben, S. 302 mit Anm. 16. 5 Briefe Max Webers an Otto Baumgarten in diesem Zeitraum sind nicht nachgewiesen. 6 Am 30. November 1882 hatten nach der Sommerpause die Verhandlungen der 2. Session des 5. Reichstags begonnen. 7 Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 2. Teil: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen (Staatengeschichte der neuesten Zeit, 25. Band). – Leipzig: Samuel Hirzel 1882 (hinfort: Treitschke, Deutsche Geschichte II).

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bin ich recht gespannt, er ist hier ungemein günstig aufgenommen worden, namentlich der Onkel8 ist so erfreut darüber, daß er, wie ich, glaube ich, schon schrieb,9 als ich vor zwei Wochen mit einigen Theologen bei ihm zum Thee war, uns das Kapitel über die Burschenschaft vorlesen ließ. Als ich am letzten Sonntage zum Essen bei ihnen war, sprach er sich sehr heftig über die inzwischen erschienenen, mir nicht zu Gesicht gekommenen, Artikel Onkel Hermanns aus,10 welche überhaupt hier in den Professorenkreisen nichts als Staunen und Entrüstung hervorgerufen haben.11 Auf meine Anfrage nach einem passenden Pathengeschenk für Paula12 sagte mir die Tante,13 daß sie kürzlich ihre silberne Brosche, ein Geschenk von Dir, bei einer Schlittenfahrt im Schnee verloren habe und sehr untröstlich darüber sei, weshalb sie glaube, daß eine solche ihr die meiste Freude machen würde. Hier geht im Übrigen alles gut – die Hausrathschen Kinder sind gesund bis auf das Kleine,14 dem zwei Blutgeschwürchen, am Kopf und auf dem Rücken, ausgebrannt werden mußten; indessen scheint es auch damit glücklich abzulaufen. Ich selbst befi nde mich sehr wohl und bin nach Kräften fleißig, |:namentlich für das hist. Seminar:| wo ich jetzt zweimal ein ziemlich kniffl iges Referat hatte. Am Dienstag konnte ich allerdings Nachmittags der Versuchung nicht widerstehen, Kuno Fischer zu schwenzen,15 um eine Schlittenpartie über den Speirers Hof16 mitzunehmen, bei tiefem Schnee durch den Wald, die allerdings Abends in 8 Adolf Hausrath. 9 Eine entsprechende briefliche Mitteilung Max Webers liegt nicht vor. 10 Hermann Baumgarten hatte mit einer scharfen Kritik gegen den 2. Band von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ (wie oben, S. 305, Anm. 7) eine Kontroverse ausgelöst, die die gesamte deutsche Historikerschaft beschäftigte. Sie erschien zwischen dem 6. und 12. Dezember 1882 in einer Artikelfolge in der Beilage zur „Allgemeinen Zeitung“. Nach einer Entgegnung Treitschkes in den „Preußischen Jahrbüchern“ erschien abschließend noch ein Artikel Baumgartens am 6. Januar 1883. Gesammelt erschienen die Kritiken wenig später als: Baumgarten, Hermann, Treitschke’s Deutsche Geschichte. – Straßburg: Karl J. Trübner 1883 (hinfort: Baumgarten, Treitschke). 11 Vor allem Bernhard Erdmannsdörffer hatte sich auf die Seite Treitschkes gestellt: Erdmannsdörffer, Bernhard, Treitschke’s Deutsche Geschichte, in: Die Grenzboten, Band 42, Heft 1, 1883, S. 232–250 (hinfort: Erdmannsdörffer, Treitschke). 12 Paula Hausrath. 13 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 14 Lilli Hausrath. 15 Max Weber besuchte von Dienstag bis Freitag zwischen 16–17 Uhr das Kolleg „Geschichte der neuesten durch Kant begründeten Philosophie“ bei Kuno Fischer. Dienstag war der 12. Dezember 1882. 16 Der Speyerer Hof war ein 1853 begründetes Hofgut auf der südöstlichen Neckarseite Heidelbergs und ein beliebtes Ausflugsziel.

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der Dunkelheit mit einigen zerbrochenen Schlitten und im Chausseegraben verlorenen Mützen endete, aber, so lange es hell war, doch sehr schön war, trotz des beginnenden Schneesturms. Heidelberg ist seit nicht ganz einer Woche weiß übertüncht und zeitweise ziemlich frostig, erst jetzt fängt das leidige Tauwetter wieder an und der Neckar, der bisher eisgrün und wieder ziemlich klein war, beginnt zu steigen und gelb zu werden. Von der Hirschgasse17 und dem Philosophenweg18 aus macht sich das Schloß eigentümlich genug und die schneeweiße Rheinebene. Wenn es in diesen Tagen noch einmal kälter wird und Schnee giebt, denke ich, machen wir noch eine Schlittenfahrt nach Schwetzingen oder wenigstens nach Handschuhsheim zur „Tante“,19 die Sonntags auf dem offi ziellen „Bummel“ schon jetzt viel frequentiert wird. Was den Schluß des Quartals anbetrifft, so wird Bekker spätestens am Donnerstag, wahrscheinlich aber am Mittwoch, schließen, Erdmannsdörffer jedenfalls nicht länger lesen, 20 so daß ich also wahrscheinlich Mittwoch Abends21 hier abreisen kann. Am Montag Abends halten wir Schluß- und Weihnachtskneipe. Was meinen „Weihnachtsbrief“ betrifft, so könnte derselbe sehr lang werden, falls ich alle die Werke anführen wollte, die zu besitzen ich wünschen könnte. Ganz besonders wünschenswert wäre mir natürlich eine Ausgabe von Savigny22 und Ihering, 23 sehr gern besäße ich 17 Zur damaligen Zeit ein auch bei der Heidelberger Allemannia beliebtes Lokal, in dem häufig Mensuren abgehalten wurden. Es liegt in unmittelbarer Nähe zum Philosophenweg. 18 Ein ca. 2 Kilometer langer Pfad auf der dem Heidelberger Schloß gegenüberliegenden Neckarseite. 19 Gemeint ist das Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“ in Heidelberg-Handschuhsheim, das von Felicitas Brunner („Tante Felix“) geführt wurde. 20 Weber meint das Pandekten-Kolleg bei Ernst Immanuel Bekker (täglich 9–11 Uhr) sowie Bernhard Erdmannsdörffers Kollegien „Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ (Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag, 11–12 Uhr) und „Culturgeschichte Italiens im Zeitalter der Renaissance“ (zweimal wöchentlich von 17–18 Uhr, vermutlich montags und freitags). 21 20. Dezember 1882. 22 Es ist unklar, welches Werk Weber hier meint. Die wichtigsten juristischen Schriften: Savigny, Friedrich Carl von, Das Recht des Besitzes. Eine civilistische Abhandlung. – Gießen: Heyer 1803; ders., Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, 6 Bände. – Heidelberg: Mohr und Zimmer (ab Band 2: Mohr und Winter; ab Band 4: J. C. B Mohr) 1815– 1831; ders., System des heutigen Römischen Rechts, 8 Bände. – Berlin: Veit & Comp. 1840–1849. Das Werk über die „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“ wünscht sich Max Weber erneut zu Weihnachten 1885. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. Dez. 1885, unten, S. 565 f. mit Anm. 12. 23 Hier vermutlich: Ihering, Rudolf von, Geist des Römischen Rechts auf den verschie-

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daneben auch entweder Buckle’s History of Civilization24 oder Gibbon’s History of Decline englisch oder deutsch, 25 ebenso Langes Geschichte des Materialismus, meine Lektüre mit Otto vom Sommer her.26 Du siehst, ich könnte da ein recht erhebliches Verzeichnis von Wünschen zusammenstellen, von denen jeder für sich allein schon genügt, um einen Weihnachtstisch zu füllen. 27 – Von hier habe ich noch von den alten Webers28 viele Grüße zu bestellen, ich war in den letzten Wochen einmal zum Mittagessen dort eingeladen, zusammen mit einer Frau von Rochow [,] die Du wahrscheinlich kennen wirst. Die Tante, die in der Zeit vorher etwas an Halsschmerzen gelitten hatte, war wieder ganz wohlauf und der alte Professor machte mit mir, wie gewöhnlich, seinen Nachmittagsspaziergang. Durch sie hörte ich, daß die Petersburger Webers29 noch wochenlang in Berlin geblieben seien, weil die Kinder fast alle am Keuchhusten gelegen hätten. Wie geht es denn übrigens in dieser Beziehung mit den drei Kleinen?30 Nach Deinem Briefe an die Tante31 hatten sie ihn damals noch immer, hoffentlich ist wenigstens dies überflüssige Intermezzo jetzt vorbei. Die Weihnachtslaufereien und was damit zusammenhängt, werde ich Dir ja teilweise abnehmen können, wenn ich so früh von hier fortkommen kann, wie ich hoffe. Der Brief ist diesmal etwas kürzer ausgefallen und kommt etwas verspätet, aber ich denke ja bald mündlich das Nähere über alles Wissenswerte berichten zu können. Anfang nächster Woche, wenn es feststeht, denen Stufen seiner Entwicklung, 3 Teile (in 4 Bänden). – Leipzig: Breitkopf & Härtel 1852– 1865 (hinfort: Ihering, Geist des Römischen Rechts I–III). 24 Buckle, Henry Thomas, History of Civilization in England, 2 Volumes. – London: John W. Parker & Son 1857–1861 (hinfort: Buckle, History of Civilization I–II). 25 Gibbon, Edward, The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire, 6 Volumes. – London: W. Strahan, T. Cadell 1776–1788 (hinfort: Gibbon, History of the Decline I–VI). Es existieren zahlreiche (Teil-)Übersetzungen des Werks. 26 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882, oben, S. 279 mit Anm. 7. 27 Vgl. hierzu auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 12. und 13. Febr. 1883, unten, S. 324 mit Anm. 17 und 18, wo er von der Lektüre Buckles und Iherings berichtet. 28 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. 29 Vermutlich Carl Emil Weber mit seiner namentlich nicht bekannten Ehefrau und den Kindern, der von 1867 bis 1884 in St. Petersburg lebte, im Sommer 1882 jedoch nach Deutschland gekommen war. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 288 mit Anm. 17. 30 Weber meint hier vermutlich die jüngsten Geschwister Clara, Arthur und Lili Weber. 31 Vermutlich ist Henriette Hausrath, geb. Fallenstein, gemeint. Entsprechende Korrespondenzen sind nicht überliefert.

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wann die Ferien anfangen, schreibe ich noch einmal eine Karte, wann und mit welchem Zuge ich komme. – Es ist schon ziemlich spät, der Brief kommt heute leider doch nicht mehr fort; Ihr werdet Euch gewiß wundern, daß ich so lange nichts von mir hören lasse. Bis auf Wiedersehen mit besten Grüßen an Alle Dein Sohn Max

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Hermann Baumgarten 19. Dezember 1882; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 3–5

Heidelberg 19.12.82. Lieber Onkel! Etwas spät mache ich mich daran, mit ein par Zeilen nochmals für Deine freundliche Einladung zum Weihnachtsfest zu danken – die leidige Notwendigkeit, einige in Folge einer Spritze1 jetzt versäumte Collegien nachzureiten2 und eine Arbeit für Erdmannsdörffers Seminar nahmen meine Schreibkraft letzthin stark in Anspruch. Nach allem, was ich von zu Hause höre, wünschen die Eltern doch, mich dieses Weihnachten bei sich zu sehen, und natürlich gehe auch ich gern wieder für einige Tage in die Heimat. Ich kann also nur nochmals herzlich für Eure freundliche Aufforderung danken und Euch ein recht frohes Fest wünschen. Otto und Emily3 kommen doch wohl jedenfalls herüber? Ich hatte gestern von Otto eine Karte, worin er mich nach Achern zum 9ten einlud,4 wir werden uns dann ja wohl dort treffen, und ich kann Dir dann noch nach Belieben Vorträge über die Resultate unsrer Sleidanforschungen5 halten, die allerdings nicht gerade sehr vielsagend sind. Wie ich Dir erzählte,6 befaßten wir uns mit der bekannten Stelle bez. die Kaiserwahl im ersten und mit der Münster’schen Affaire im 10ten Buch.7 „Nichts gewisses weiß man nicht“, pflegt bekanntlich das 1 Studentischer Ausdruck für einen Ausflug. Hier ist wohl die Schlittenpartie am 12. Dezember gemeint, die Max Weber im Brief an Helene Weber vom 15. Dezember 1882, oben, S. 306 mit Anm. 16, erwähnte. 2 Das Nachholen des in den Kollegien vermittelten Lehrstoffs. 3 Otto Baumgarten und seine Verlobte Emily Fallenstein. 4 Die Hochzeit von Otto Baumgarten und Emily Fallenstein fand am 9. Januar 1883 in der sog. Strohhütte, einer Art Sanatorium in Achern, statt, am Tag zuvor gab es den obligatorischen Polterabend. Vgl. zur Hochzeit den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Januar 1883, unten, S. 315–319. 5 Die Forschungen im Rahmen der „Historischen Übungen“ bei Bernhard Erdmannsdörffer, vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 299 mit Anm. 23, und vom 13. Nov. 1882, oben, S. 303 mit Anm. 23. 6 Vermutlich während Max Webers Kurzbesuch in Straßburg am 9. November 1882, vgl. dazu ebd., oben, S. 301 mit Anm. 10. 7 Gemeint ist das sog. Täuferreich von Münster in den 1530er Jahren, das bei Johannes Sleidanus im Liber X behandelt wird: Johannis Sleidani de statu religionis et reipublicae Carolo Quinto Caesare, commentarii. – Basileae: Nicolaum Brylingerum 1562 (hinfort: Slei-

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Endresultat der gelehrtesten Forschungen zu sein und ist es auch hier, denn, was die erste Stelle betrifft, so ist absolut nicht zu erkennen, ob das in Spalatins Nachlaß befi ndliche Schriftstück,8 welches auf die Kaiserwahl bezügliche Gedanken des Mainzer Kurfürsten9 enthält, ein Auszug aus einer schriftlichen Auslassung desselben, etwa in einem Rundschreiben an die Kurfürsten, ist, oder ob es ein Referat über eine wirklich von demselben gehaltene Rede ist, – resp. wenn es zu erkennen ist, so war es jedenfalls für mich nicht zu erkennen; und da der größten Wahrscheinlichkeit nach dies Referat dem Sabinus10 resp. Melanchthon vorgelegen hat, und dadurch in den Sleidan gelangt ist,11 so konnte sich also betreffs der Echtheit der Reden für mich sich ebenfalls nichts andres ergeben, als das eben angeführte, traurige, Endresultat. Einfacher war es, mit dem 10ten Buche umzuspringen, wo Sleidan offenbar recht liederlich gearbeitet hat, sich in Münster’schen Dingen ganz auf Dorpius12 und eine andre, von Ranke angeführte, Flugschrift betr. die Hinrichtung der Täufer, stützt,13 außerdem den Dorpius mit

danus, De statu). Das Werk erschien erstmals 1555 und danach in mehreren erweiterten Neuauflagen. 8 Gemeint ist ein Schriftstück, das erst 1893 in den Reichstagsakten unter dem Titel: „Bedenken des Kardinals von Mainz über die Frage, wen man zum Könige wählen solle“, erschien. Max Weber hat zu seiner Zeit noch folgende Ausgabe benutzt: Neudecker, Christian Gotthold, Preller, Ludwig (Hg.), Georg Spalatin’s historischer Nachlaß und Briefe. Aus den Originalhandschriften. Erster Band: Das Leben und die Zeitgeschichte Friedrichs des Weisen. – Jena: Friedrich Mauke 1851, S. 114 f. Zur quellenkritischen Einordnung, wie sie der Student Weber vorzunehmen hatte, vgl. die Edition des Textes in: August Kluckhohn (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Erster Band (Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Erster Band. Hg. durch die Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften). – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1893, S. 843 f. 9 Albrecht von Brandenburg. 10 Electio et coronatio Caroli V. Imp. Aug. docte & eleganter per Georgium Sabinum etc. – Coloniae: Mameranus 1550. 11 Vgl. dazu auch den von Weber zitierten Ranke, Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber (wie oben, S. 304, Anm. 29), S. 62–68: „Untersuchung über die Reden der Churfürsten bey der Wahl Karl’s V.“, wo die Schrift des Sabinus als die wichtigste Quelle Sleidans für die Kaiserwahl angeführt wird (ebd., S. 63). 12 Sleidanus, De statu (wie oben, S. 310 f., Anm. 7), S. 110–117, bezieht sich zur Darstellung der Vorgänge in Münster 1534/35 auf die Schrift von Henricus Dorpius, Warhafftige historie, wie das Evangelium zu Münster angefangen und darnach durch die Widderteuffer verstöret wudder aufgehört hat, ediert in: Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner, III. Teil: Schriften von evangelischer Seite gegen die Täufer. – Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung 1983, S. 220–245. 13 Ranke zitiert die (anonyme) Flugschrift: Des Münsterischen Königreichs und Widertauffs an und abgang etc. – [Nürnberg: Hergot] 1536 (Ranke, Leopold, Deutsche Ge-

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einer Reihe grober und teils komischer Fehler übersetzt, die ihm teilweise nachher selbst auffallen, wenn sich ein Widerspruch ergiebt, und die er dann durch höchst ungeeignetes Verschweigen von Thatsachen oder Verballhornisieren derselben zu vertuschen sucht. Etwaige eigne Excurse von ihm sind teils schwächlich, teils falsch, nur über die inzwischen außerhalb der Stadt Münster vorgehenden Dinge hat er einige originale und gute Nachrichten, aber nicht einmal die Reichsabschiede hat er benutzt, obwohl er darüber referiert. Dies ungefähr ist das Resultat meiner ersten Seminararbeiten, und ich fühlte mich sehr als Forscher, als ich dasselbe glücklich zustande gebracht hatte. Du entschuldigst, wenn ich Dich damit geplagt habe, aber da Du mündlich und schriftlich Dich freundlich für unsre Versuche interessiert hattest, so verfehlte ich nicht, die Gelegenheit zu benutzen, mein glänzendes Debüt auf diesem Gebiet darzulegen – die |:drohende:| Concurrenz erschreckt Dich hoffentlich nicht zu sehr; leider hatte ich Deine einschlagenden Untersuchungen noch nicht gelesen.14 Nach alle dem weiß ich doch nicht, ob der Stoff, oder vielmehr die Art, wie wir ihn im Seminar behandelten, sehr geeignet war, um besonders viel neues daraus zu lernen. Weder materiell habe ich mir Unbekanntes dazuerfahren, noch formell für die Art der Behandlung etwas besondres gewonnen: man hielt es für seine Pfl icht, Sleidan als einen Pfuscher und Esel aufzuzeigen und damit die Sache für erledigt; |:negative:| Kritik pflegt in solchen Fällen nie besonders schwer zu sein, wo aber die Bedeutung des Mannes liegt, blieb uns im Dunkeln. Etwas mehr verspreche ich mir doch von der Pufendorf-Arbeit,15 schon deshalb, weil hier etwas mehr Selbständigkeit möglich ist, während bei Sleidan uns alle Materialien an die Hand gegeben werden mußten. Nun habe ich ja wohl Deinem Wunsch, über unser Seminar etwas zu hören, redlich erfüllt und kann Dir nochmals für das freundliche Interesse danken, welches Du daran genommen hast. Von zu Hause habe ich längere Zeit schon keine ausführlicheren Nachrichten mehr. Vor einigen Wochen schilderte mein Vater in einem

schichte im Zeitalter der Reformation, 3. Band. – Berlin: Duncker & Humblot 1840, S. 562, Anm. 1). 14 Baumgarten, Über Sleidans Leben (wie oben, S. 303, Anm. 23), und Baumgarten, Sleidans Briefwechsel (wie oben, S. 303, Anm. 23). 15 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 13. Nov. 1882, oben, S. 303 mit Anm. 25.

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ausführlichen Briefe die stillen Freuden seiner Durchgefallenheit,16 welche ihn zur Lektüre von allerhand Neuem, so Ranke,17 Treitschke,18 Reichenspergers „alte Parlamentarier“19 etc. kommen lasse und ihm die Winterabende so behaglich mache, wie seit 15 Jahren nicht mehr dagewesen. Inzwischen haben nun die Reichstagskommissionen begonnen und damit ist es natürlich mit derartigen Freuden zu Ende.20 Der zweite Band Treitschke schien ihm übrigens sehr gefallen zu haben, besser wenigstens, als er erwartet hatte – und gar hier in Heidelberg war man voll Entzücken davon. Dem Onkel21 namentlich gefiel er so vorzüglich, daß er, als ich kürzlich bei ihm mit einigen Theologen zum Thee war, uns das Kapitel über die Burschenschaft22 vorlesen ließ! Deine Artikel23 haben hier jedenfalls, nach Allem, was der Onkel und der alte Professor Weber24 sagte, nur große Entrüstung hervorgerufen! Sonst höre ich von zu Hause, wie gesagt, der Weihnachtslaufereien wegen nur wenig; die Gesundheitszustände zu Hause scheinen mangelhaft gewesen zu sein und sich erst kürzlich aufgebessert zu haben. Sehr traurig ist, daß hier das kleinste von den Hausrath’schen Kindern, die kürzlich getaufte Lilli, jetzt recht ernstlich krank ist, in Folge einer Operation von irgend welchen kleinen Auswüchsen auf Kopf und Rücken, die ausgebrannt wurden, obgleich, wie es scheint, die Sache ruhig noch Jahre lang so hätte bleiben können.25 Der Onkel ist auf die Ärzte sehr erzürnt und recht besorgt, der Tante26 wird jedenfalls mindestens die Zeit des Festes gründlich verdorben. Sonst befi ndet sich Heidelberg und ich so wohl, als irgend möglich, und will ich nur von Euch ein gleiches hoffen.

16 Am 19./26. Oktober 1882 hatten die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus stattgefunden, bei denen Max Weber sen. seinen Sitz im Wahlkreis Erfurt verlor. 1884 konnte er jedoch für den Wahlkreis Oschersleben-Halberstadt-Wernigerode erneut einen Sitz einnehmen (bis 1892). 17 Ranke, Leopold von, Weltgeschichte, 2. Theil: Die Römische Republik und ihre Weltherrschaft. Erste und zweite Abteilung. – Berlin: Duncker & Humblot 1882. 18 Treitschke, Deutsche Geschichte II (wie oben, S. 305, Anm. 7). 19 Reichensperger, Peter Franz, Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahre 1848. – Berlin: Springer 1882 (hinfort: Reichensperger, Erlebnisse). 20 Max Weber sen. selbst gehörte keiner Kommission im Reichstag an. 21 Adolf Hausrath. 22 Treitschke, Deutsche Geschichte II (wie oben, S. 305, Anm. 7), S. 383–443. 23 Gemeint ist: Baumgarten, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 10). 24 Georg Weber. 25 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306. 26 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein.

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Jedenfalls also sehen wir uns froh und gesund bei Ottos Hochzeit wieder.27 Bis dahin also auf Wiedersehen. Mit Entschuldigung wegen der abscheulichen Handschrift, die zu verbessern lange mein vergebliches Bestreben gewesen ist, bestem Dank und herzlichen Grüßen, auch an Otto, dem ich nun leider doch erst von Charlottenburg aus schreiben kann, 28 Dein Neffe Max.

27 Am 9. Januar 1883, vgl. dazu oben, S. 310, Anm. 3. 28 Ein Brief Max Webers an Otto Baumgarten aus diesem Zeitraum ist nicht nachgewiesen.

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Helene Weber 14. und 18. Januar 1883; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 41–42 und 46–49

Heidelberg 14.1.83 Abends. Liebe Mutter!

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Da ich bei meiner immerhin kurz gemessenen Zeit am Montag hier nicht dazu kommen konnte, resp. vergaß, die versprochene Karte abzuschicken, so kann ich heute gleich ausführlicher über meine Erlebnisse berichten.1 Daß ich ertrinken würde, war nicht mehr zu befürchten, da von Frankfurt aus, allerdings erst wenige Tage, die Züge nach der Bergstraße schon wieder regelmäßig liefen, aber die Wasserflächen, durch welche wir teilweise fuhren, waren doch imposant, namentlich an der Elbe, wo das Land, so weit das Auge reichte, über viele Quadratmeilen hin eine große Eisfläche war und in dem Wäldchen die Bäume aus dem Eise hervorwuchsen.2 Hier in Heidelberg lag in den Lokalen am Neckar auf den Billards der Schlamm noch fußhoch und unsre Kneipe3 war nur mit genauer Not gerettet. Nachdem ich am Montag Morgen die Collegien besucht,4 fuhr ich mit dem Nachmittagszuge um 5 Uhr weiter und geriet in Achern um 9 Uhr mitten in die Polterabendsfeierlichkeiten.5 Die Festivität fand in dem sehr schönen Gasthof zur Post statt, den die Hochzeitsgesellschaft vollständig einnahm. Die meisten Gäste aus der Nähe kamen erst am Dienstag. Leider war die Hauptszene der Feierlichkeit, bestehend in einem Auftreten

1 Im folgenden berichtet Max Weber von seiner Rückfahrt von Charlottenburg, wo er die Weihnachtstage und den Jahreswechsel verbrachte, nach Heidelberg. 2 Von November 1882 bis Januar 1883 führte der Rhein extremes Hochwasser mit sich, das zu starken Überschwemmungen mit massiven Flur- und Sachschäden führte; auch zahlreiche Menschen kamen ums Leben. In Heidelberg wurde das größte Hochwasser seit 1824 gemessen. Auch die Elbe trat über die Ufer, jedoch ohne größere Schäden anzurichten. 3 Gemeint ist die Gastwirtschaft „Zum Goldenen Löwen“, die Kneipe der Allemannen. 4 Am Montag, den 8. Januar 1883, hatte Max Weber morgens drei Kollegstunden: von 9–11 Uhr „Pandekten“ bei Ernst Immanuel Bekker und von 11–12 Uhr „Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ bei Bernhard Erdmannsdörffer. 5 Am 9. Januar 1883 heirateten Otto Baumgarten und Emily Fallenstein, am Abend zuvor fand der Polterabend statt.

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des Herrn v. Schubert als „lütte Fru Pastern“,6 schon vorüber und ich konnte nur noch an dem darauf |:folgenden:| Tanzvergnügen teil nehmen. Anwesend waren eine Anzahl von Freunden Ottos, von denen Du nur Herrn v. Schubert, Dr. Schulte und vielleicht Herrn Meyer, Theologen aus Zürich (Vetter des Jenatsch-Meyer),7 kennen wirst, Frau v. Harder nebst einem Neffen, Frl. Gerland, Tochter von Prof. Gerland in Strasburg,8 einige ortsangesessene junge Damen, |:darunter:| die Tochter des bekannten Irrenarztes Dr. Roller von Illenau,9 die Ortspastoren etc, sowie Baumgartens excl. dem Onkel,10 der am andren Tage nachkam. Am Dienstag kamen dann noch Beneckes incl. Dora,11 Onkel und Tante aus Karlsruhe,12 Prof. Scheffer aus Strasburg13 und noch einige Ortscelebritäten dazu. – Morgens um 11 Uhr fand die Civiltrauung statt, wobei Onkel Julius14 und Herr Dr. phil. Kap-Herr als Zeugen fungierten. Um 1 Uhr fuhren wir dann insgesammt zur Trauung nach der Illenauer Kirche. Brautjungfern waren die drei Cousinen15 und Frl.a Gerland, Brautführer v. Schubert, Dr. v. Kap-Herr, Dr. Escher (aus Zürich) und ich. Die Predigt hielt Herr Prof. Nowack über den Text „Der Herr spricht: Friede sei mit Euch!“16 schöner, als man es ihm seinem sonst anscheinend unbedeutenden Wesen nach irgend hätte zutrauen können. Sehr schön war der Chor, der

a In O folgt: v. 6 Eine Figur aus dem damals weit verbreiteten Roman von Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, 3 Theile. – Wismar, Rostock, Ludwigslust: Hinstorff 1865. 7 Diethelm Meyer, ein Verwandter des Schweizer Dichters Conrad Ferdinand Meyer, dessen Roman „Jürg Jenatsch“ 1876 erschienen war. 8 Der Geograph Georg Karl Cornelius Gerland hatte einen Sohn und vier Töchter. Es könnte sich um Bertha Gerland handeln, die mit Anna Baumgarten befreundet war (vgl. den Brief von Fritz Baumgarten an Anna Baumgarten vom 25. Juli 1883, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 9 Sophie Roller war die Tochter des Begründers und Leiters der psychiatrischen Anstalt Illenau in Achern. 10 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, wohl mit ihren Töchtern Emmy und Anna, sowie Hermann Baumgarten, der später anreiste. 11 Ernst Wilhelm Benecke und Emilie Benecke, geb. Fallenstein, sowie ihre Tochter Dora Benecke aus Straßburg. 12 Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 13 Der Mediävist Paul Scheffer-Boichorst. 14 Julius Jolly. 15 Max Webers Aufzählung nach müßten es Emmy und Anna Baumgarten und Dora Benecke gewesen sein. 16 Joh 20, 19; 21, 26.

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teils aus Illenauer Kranken,17 teils aus Krankenwärterinnen zusammengesetzt ist. Nach beendeter Feierlichkeit folgte das unvermeidliche, |:übrigens einfach gehaltene,:| Festessen. Emily18 sah ausgezeichnet aus, trotzdem sie jedenfalls sehr angegriffen war, sie war auf dem Polterabend ausgelassen lustig und jugendlich und sang mit ihrer prachtvollen Stimme. Man erkannte in ihr allerdings sofort die Engländerin in Benehmen und Kleidung; auch die Hochzeitstoiletten hatte sie in englischer Manier angeordnet. Otto sah recht angegriffen und nervös aus, obgleich er seinen guten Humor bewahrte. Der Onkel19 war in vorzüglicher Stimmung und unterhielt sich mit mir sehr lebhaft und mit gutem Humor über alles Mögliche, unter Andrem auch über seine Streitfrage mit Treitschke, 20 die ihn vorläufig, auch nach dem, was die Tante21 sagte, persönlich wenig alteriert zu haben scheint, namentlich, da er eine große Anzahl von Zustimmungsbriefen, u. A. auch von H[ans] b Delbrück, erhalten hat. Schließlich dedizierte er mir ein Exemplar seiner Erwiderungc, 22 die ich nachher in der Eisenbahn mit großem Interesse las und, wenngleich sich gegen Einiges doch noch mancherlei Einwendungen machen lassen, im Ganzen für durchschlagend halten möchte. – Am müdesten und angegriffensten war die Tante, 23 welche auch am schwersten an der Last der Vorbereitungen zu tragen gehabt hatte, und darin nur von Herrn v. Schubert, dem „Festredner“, eifrig unterstützt wurde. Nachdem Onkel Julius den offi ziellen Toast auf das junge Paar gehalten, verschwand dasselbe, um zu Wagen seine Hochzeitsreise nach Baden zu machen, 24 und im Laufe des Abends die übrigen Gäste. Euer Telegramm kam verspätet an und mußte nachgeschickt werden. Am

b O: H. v.

c O: Erwiederung

17 Die Illenau in Achern in Baden war eine Heil- und Pflegeanstalt. 18 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. 19 Hermann Baumgarten. 20 Zur Kritik Hermann Baumgartens an Treitschkes Deutscher Geschichte vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dezember 1882, oben, S. 306 mit Anm. 10. 21 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 22 Baumgarten, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 10). Das Widmungsexemplar ist nicht überliefert. 23 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 24 Um eine Hochzeitsreise im eigentlichen Sinne handelte es sich nicht, da Otto Baumgarten seit Dezember 1882 eine Anstellung als Stadtvikar in Baden-Baden inne hatte.

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längsten blieben Jolly’s; ich half der Tante25 noch bei ihrer übermäßig umfangreichen Packarbeit und blieb in Folge dessen noch die Nacht über in Achern, so daß ich erst mit dem Frühzuge am anderen Morgen wieder nach Heidelberg kam. 5

Donnerstag d. 18. Jan. 83. Liebe Mutter! So weit war am Sonntag mein Brief gelangt, als ich mich entschloß, doch noch mit zwei Verbindungsbrüdern26 auf zwei Tage nach Tübingen hinüberzugehen, um den Stiftungscommers der Germania daselbst mitzumachen.27 Am Montag Nachmittag28 schon reisten wir von hier ab, so daß mein Brief unvollendet zurückbleiben mußte. In Tübingen, wo wir überaus herzlich aufgenommen wurden und vorgestern und gestern zwei bis auf das Wetter sehr schöne Tage verlebten, war natürlich von Schreiben keine Rede und so komme ich denn erst jetzt dazu, meinen Brief fertig zu machen und mußte mich dazu also erst durch Deine Karte und die vorgefundene Kiste mahnen lassen, für die ich beide bestens danke, namentlich auch für den materiellen Inhalt der letzteren. – Ich war bei der Baumgarten’schen Hochzeit stehen geblieben, die wirklich einzig war in ihrer stillen Einfachheit und ländlichen Ruhe, ohne alle überflüssigen Zuschauer und Neugierige. Die Behaglichkeit wurde noch dadurch erhöht, daß es ein echtes Familienfest war, von der Familie selbst nur die Nächststehenden gebeten waren und nur die Bekannten, welche eigentlich mit zur Familie gehört hatten. Alles kannted einander. – Sehr gern hätte ich die etwas nähere Bekanntschaft der Frau v. Harder gemacht, der ich nur ganz flüchtig vorgestellt d Alternative Lesung: kennt 25 Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 26 Es ist unklar, welche Kommilitonen hier gemeint sind. Allerdings waren in der Allemannia im Wintersemester 1882/83 neben Max Weber nur fünf Studenten aktiv (vgl. Reinbach, Weber und Allemannia, S. 68). 27 Die frühe Geschichte der „Germania Tübingen“, mit der die „Allemannia Heidelberg“ freundschaftlich verbunden war, ist von stetigen Verboten und Namenswechseln geprägt. Bis 1896 wurde der 15. Januar 1837 als Stiftungstag der Germania Tübingen gefeiert (Konstituierung der „Eiferteigesellschaft“, die sich später „Germania“ nannte). Ab 1896 rekurrierte die Verbindung wieder auf den 12. Dezember 1816, den Gründungstag der „Arminia“ in Tübingen. 28 15. Januar 1883.

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wurde und die einerseits zu sehr umlagert war von den älteren Anwesenden und dann auch andrerseits zu erschöpft, als daß es uns jüngeren Leuten möglich gewesen wäre, mit ihr in Berührung zu kommen. Trotzdem ihr die Anstrengungen der letzten Tage entschieden zu viel geworden waren, machte die |:kleine:| nunmehr um 90 Jahre alte Frau mit dem interessanten, energischen Gesicht doch einen geistig sehr frischen Eindruck in der Unterhaltung mit andren; so viel ich von Weitem beobachten konnte, war sie sehr erregt und schien sogar wirklich sehr trübe gestimmt, vielleicht weil nach den Erzählungen der Tante29 und Ottos die jetzt in ihrer Umgebung befi ndlichen Menschen nur zum kleineren Teil von angenehmem Charakter sein sollen und Emily30 also auch darin für sie ein großer Verlust ist. Wirklich schade ist es, daß Jolly’s sich mit Frau von Harder, wie wenigstens die Tante erzählte, nie auf wirklich guten Fuß haben stellen können, weil, wie die Tante glaubt, sie ihre Wirksamkeit unterschätzen. – Onkel Julius31 war sehr wohl und unterhielt sich mit mir lange freundlich über allerhand in Karlsruhe schon einmal mit Otto und den Söhnen32 verhandelte Themen. Philipp hat sein Examen aufschieben lassen, welches nun erst im März stattfi ndet, er scheint von einem ganz besondren Ehrgeiz ergriffen zu sein, trotzdem er im vorigen Sommer verächtlich von denen sprach, die darnach strebten, als die Erstgenannten in der Liste aus dem Examen hervorzugehen [.] Übrigens lassen Onkel und Tante33 herzlich grüßen. Ich erregte mit meinem Humpen nebst entsprechender Ansprache große Heiterkeit, Otto vermißte nur die Dedikation. – Soeben erhielt ich von ihm Biedermanns „Dogmatik“34 zugesandt, mit der ich mich im vorigen Sommer viel beschäftigt hatte und die mich durch die Originalität, mit der hier der Radikalismus in’s Christentum hineingetragen wird, interessiert hatte. –

29 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 30 Emily Baumgarten, geb, Fallenstein. 31 Julius Jolly. 32 Julius Jolly jun. und Philipp Jolly. Zur Diskussion über Bismarck, die Max Weber bereits im Sommer 1882 mit den Beteiligten führte, vgl. seinen Brief an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 286. 33 Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 34 Biedermann, Alois Emanuel, Christliche Dogmatik, 2 Bände. – Zürich: Orell, Füssli & Co. 1869 (hinfort: Biedermann, Christliche Dogmatik I–II).

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Sehr behaglich war dann noch der Abend mit der Tante, 35 nachdem wir die Packarbeit vollendet hatten und Zeit fanden, noch eine Zeit lang über alles Mögliche zu plaudern. – Das dicke Ende kommt freilich hinten nach in Gestalt des Nachreitens, 36 was mir jetzt auch wieder bevorstehen wird, da ich auf die Bitte zweier e Verbindungsbrüder mich entschloß mit ihnen hinüberzureisen nach Tübingen. 37 Ich bereue es trotz der Kosten doch nicht und will auch das Mehr an Arbeit, was mir jetzt bevorsteht, auf mich nehmen, da ich dadurch auch Gelegenheit erhielt, alte Erinnerungen wieder aufzufrischen und mich dem Prof. H[ugo] Meyer f einmal wieder vorzustellen. Ich war gestern |:Nachmittag noch:| eine Stunde bei ihm und wurde sehr freundlich aufgenommen und auch seiner Frau und seiner, sehr liebenswürdigen und anziehenden, Tochter vorgestellt,38 die sich meiner noch ganz gut erinnerten. Da er mich etwas länger zurückbehalten hatte, als ich gedacht hatte ihn in der Arbeit zu stören, so verspätete ich mich zu einem mit den Germanen verabredeten Ausfluge und ging nun mit den Zurückgebliebenen zu ihm in’s Strafrechtspraktikum.39 Ob er mich sah – ich saß ganz hinten – weiß ich nicht, doch ist es möglich, da er meinen Nachbarn offenbar erkannte. In diesem Seminar werden einerseits mündlich Rechtsfälle nach einer Sammlung von solchen abgehandelt, teils auch schriftliche Arbeiten über solche verlangt und censiert sowie im voraus |:die Rolle des:| Anklägers und Verteidigers verteilt und dann an ihren Vorträgen Kritik geübt, welche dann der Professor selbst endgültig zusammenfaßt. Die Methode schien mir sehr praktisch und es wurden dadurch die Einzelnen wirklich veranlaßt, etwas von sich zu geben und sich einen anständigen Vortrag anzugewöhnen, was in unsrem juristischen Seminar ganz wegfällt. Sein Vortrag war sehr klar, logisch eingeteilt und bündig gehalten, sachlich kann ich natürlich darüber kein Urteil abgeben. Im Übrigen läßt die Familie Meyer g herzlich grüßen. Der Professor erkundigte

e [??] > zweier

f O: Maier

g O: Maier

35 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 36 Das Nachholen des in den Kollegien vermittelten Lehrstoffs. 37 Vgl. dazu oben, S. 318 mit Anm. 27. 38 Alwine Meyer, geb. Geisler. Das Ehepaar hatte vier Töchter, die zwischen 1866 und 1872 geboren wurden. Weber dürfte sich hier auf die älteste beziehen, Martha Meyer. 39 Hugo Meyers „Strafrechtliche Übungen“ fanden am Mittwoch von 18 bis 19.30 Uhr statt.

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sich eingehend nach Rösings, Aegidis, Frensdorffs,40 auch Grafes.41 Er hoffte, bald einmal wieder nach Berlin kommen zu können. Eine freundliche Einladung auf heut Abend mit mehreren Cartellbrüdern42 zusammen konnte ich natürlich nicht annehmen, da ich nicht noch länger aussetzen wollte; auch müssen wir an dem heute Abend hier stattfi ndenden offi ziellen allg. Studentencommers,43 welchem wir präsidieren, vollzählig teilnehmen. Im übrigen war der Aufenthalt in Tübingen recht nett und angenehm, es sind unter den Germanen sehr angenehme und nette Leute und herrscht eine große Gemütlichkeit, wenngleich das Leben doch bedeutend dürftiger zu sein scheint als in Heidelberg, ohne etwa deshalb billig zu sein. Hier in Heidelberg fand ich, als ich in der vorigen Woche zu Hausraths ging, den Onkel und Laura44 bettlägerig, Laura wieder mit Kopfund Rückenschmerzen, der Onkel mit einem Geschwür im Nacken. Ich will morgen einmal wieder hingehen mich zu erkundigen. Vorläufig habe ich dem Onkel nur die Erwiderung Onkel Hermanns45 gebracht und ihm Aufklärung darüber gegeben, was die plötzliche Zusendung von Julian Schmidts Photographie, die noch, als ich nicht hier war, erfolgte, zu bedeuten gehabt. Seine eigne Photographie ist unterwegs. Nun will ich den Brief schnell noch befördern, damit er heute noch fort kommt und Ihrh nicht noch länger Euch über mein allerdings ausnehmend langes Zögern entrüstet. Bald mehr. Mit herzlichen Grüßen, an alle daheim Dein Sohn Max h O: ihr 40 Gemeint sind die Verbindungsbrüder der Hannovera Göttingen und deren Ehefrauen: Johannes Rösing und Clara Rösing, geb. von Ammon, Ludwig Karl James Aegidi und Martha Aegidi, geb. von Sanden-Tussainen, sowie Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. Derselben Burschenschaft gehörten auch Hugo Meyer und Max Weber sen. an. 41 Der Theologe Eduard Grafe und seine Frau Anna Grafe, geb. Weidenbusch. 42 Kartelle sind freundschaftliche Zusammenschlüsse verschiedener studentischer Verbindungen. Dem hier gemeinten Süddeutschen Kartell gehörten zu Webers Zeit folgende Burschenschaften an: Allemannia Heidelberg, Germania Tübingen, Teutonia Jena und Teutonia Kiel. 43 Es handelte sich vermutlich um einen studentischen Kommers zum Reichsgründungstag am 18. Januar. 44 Adolf Hausrath und seine Tochter Laura Hausrath. 45 Baumgarten, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 10).

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Max Weber sen. 12. und [13.] Februar [1883]; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 36–39 Als Jahr wurde von Weber irrtümlich 1882 angegeben. Im Februar 1882 studierte er noch nicht in Heidelberg. Weber begann den Brief am Montag, 12. Februar, und beendete ihn, wie aus dem Nachtrag hervorgeht, am „Dienstag Nachmittag“.

Heidelberg 12. Feb. 83.a Lieber Vater! Daß ich so lange nichts von Euch gehört habe, betrachtete ich als ein gutes Zeichen, da jedenfalls die Fülle der um diese Jahreszeit grassierenden Geselligkeiten es sind, die Euch nicht zu einem ruhigen Augenblick kommen lassen. Besten Dank für den durch die Tante1 an mich übermittelten Gruß. Gestern Abend war ich bei Hausraths eingeladen zum Zweck eines Shakespeare-Abends, an welchem „Was Ihr wollt“ gelesen wurde.2 Außer mir war noch ein mir bekannter Studierender der Theologie anwesend. Ich lernte bei dieser Gelegenheit Prof. Schulze3 und Geh. Rat Knies nebst Töchtern4 kennen, außerdem waren noch anwesend Erdmannsdörffer und das älteste Frl. Bluntschli.5 Es war eine sehr nette und glückliche Idee des Onkels6 und wir amüsierten uns vorzüglich, namentlich über Geh. Rat Knies, der den Narren,7 und Erdmannsdörffer, der den eingebildeten Gecken Malvolio a O: 82. 1 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 2 Shakespeare, William, Twelfth Night or What You Will, ca. 1601, erstmals gedruckt 1623. Weit verbreitete deutschsprachige Übersetzungen Shakespeares stammen von Christoph Martin Wieland (1762–66) sowie August Wilhelm Schlegel und Dorothea und Ludwig Tieck (1797–1810/1825–33). 3 Gemeint ist der Jurist Hermann Schulze, nach der Nobilitierung 1888 Hermann von Schulze-Gaevernitz. 4 Karl Knies hatte zu dieser Zeit eine Tochter, Hermann Schulze vier. Es ist unklar, welche hier gemeint sind. 5 Die älteste Tochter von Johann Caspar Bluntschli Emilie Luise (geb. 1832) war eine verheiratete von Hecker, daher ist vermutlich die unverheiratete Tochter Emma (geb. 1845) gemeint. Sie wohnte zusammen mit ihrer Schwester Elina (geb. 1848) im Haus der Familie Erdmannsdörffer. 6 Adolf Hausrath. 7 Die Narrenfigur „Feste“ in Shakespeares Komödie.

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las und beide sich in ihrer Rolle vortreffl ich machten. Der Onkel war sehr wohl und guter Laune, alle lassen bestens grüßen. Laura, die eine Zeit lang an recht beängstigenden Ohnmachtsanfällen litt, scheint jetzt doch vollkommen wieder auf dem Damm zu sein.8 In den letzten Tagen war bei unsicherem Wetter hier nicht viel los, man blieb meist zu Hause und ich hatte volle Zeit, allmälig an die Bewältigung der ungeheuren Büchermassen zu gehen. Allerdings mußte und muß ich sehr viel Zeit auf die Arbeit für das historische Seminar9 verwenden, welche doch bei dem Durcheinander des Quellenmaterials und der beiden schriftstellerischen Quellen etwas verzwickt ist und materiell nicht eben sehr dankbar zu werden verspricht, wenngleich sich für die Behandlungsart viel daran lernen läßt. Ich denke, in der nächsten Woche damit fertig zu sein. Sonst ist das historische Seminar jetzt sehr interessant, besonders da Erdmannsdörffer in den Stoffen jetzt auch in die Renaissance hinübergreift – es sind mit die angenehmsten Stunden der Woche. – Ihr werdet jedenfalls auch den Erdmannsdörfferschen Aufsatz in den Grenzboten gelesen haben, in dem der Onkel10 so heftig angegriffen wird11 – eigentlich ist doch sachlich recht wenig darin nachgewiesen und nur, wo er sich gegen den sehr heftigen Ton der Artikel richtet, behält er Recht. Hier steht man durchweg auf seiner Seite – d. h. die Professoren. Sehr amüsant sind teilweise die Artikel der kleinen ultramontanen und sonstigen Hetzkäseblättchen über den Casus: „Der ungläubige Protestant Baumgarten wider die gefallene Größe Treitschkes“12 u. a. Die im Museum13 aufl iegende zweite Erwiderung Treitschkes ist wirklich doch wenig erfreulich und macht ihm keine Ehre.14

8 Laura Hausrath. Vgl. zu ihrer Krankheit auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 321. 9 Zu den Sleidanforschungen im Rahmen von Bernhard Erdmannsdörffers Seminar vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 19. Dez. 1882, oben, S. 310–312. 10 Hermann Baumgarten. 11 Bernhard Erdmannsdörffer hatte sich in der Auseinandersetzung zwischen Heinrich von Treitschke und Hermann Baumgarten auf die Seite Treitschkes gestellt: Erdmannsdörffer, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 11); dort auch zum Kontext. 12 Ein Zeitungsartikel mit diesem Titel war nicht zu ermitteln. 13 Das „Museum“ war eine 1811 gegründete Lesegesellschaft Heidelberger Bürger am Ludwigsplatz („Museums-Gesellschaft für Lektüre, Konversation und Spiel“). Hier lagen Tageszeitungen in größerer Auswahl aus. 14 Treitschke, Heinrich von, Noch einmal die Kritik Baumgartens, in: Preußische Jahrbücher, Band 51, 1883, S. 115 f.

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Jetzt habe ich auch Reichenspergers „alte Parlamentarier“,15 wenigstens schon zum größeren Teil, gelesen und mich gefreut, endlich einmal eine lebendige Anschauung von diesem sonderbaren Treiben der damaligen Zeit zu erhalten. Leider liegen die Temme’schen Aufzeichnungen16 nicht mehr aus. Meine häusliche Lektüre hat sich bisher fast ganz auf Buckle17 und Ihering18 beschränktb. Ersterer ist in jeder Beziehung prächtig, gerade auch durch die philiströse, trockene, scheinbar jedem genialen Schwunge abholde Art, wie er die Resultate seiner riesig weitgehenden Forschungen langsam und sicher construiert, – letzterer ist in seinen ersten Kapiteln eigentlich mehr spannend als belehrend, man wartet immer auf das Ende dieses verschlungenen, sich in einzelnen Fäden abwickelnden Systems, welches, wie ein Drama, eine Verwicklung nach der andren knüpft und auflöst und schließlich mit einem glänzenden Streifl icht auf die letzten Fragen der Rechtsphilosophie endet. Das Pandektencolleg,19 welches übrigens munter fortschreitet, hat, wie ich glauben möchte, den Fehler, daß Bekker zu viel Controversen und Zweifel anstatt fester Punkte giebt. An jeder einzelnen Stelle muß er constatieren, daß die Durchführung des Systems hier noch völlig zurück sei, die Gerichte zu keiner festen Praxis gelangen, Windscheid so und Ihering so denkt, etc., ohne eine eigne Ansicht vorzutragen, an die man sich doch vorläufig, bis man selbst Quellenkunde etc. besitzt, halten könnte. Das Recht erscheint dadurch viel flüssiger, als es sein kann, und das große Werk der Rechtsbildung erscheint recht erheblich verkleinert, wenn gerade da, wo die ersten großen Entscheidungen fallen sollen, man mit der Erklärung abgespeist wird, daß hier noch eine große Lücke sei. Die Wirkung ist leicht zu denken – mußte ich doch neulich einen Bekannten äußern hören, daß zur Ziehung der einzigen wirklich sicheren Consequenzen aus den Prinzipien, die Bekker vortrage, doch nur ein sehr mittelmäßiger Kopf gehöre, und, da alles andre b Fehlt in O; beschränkt sinngemäß ergänzt. 15 Reichensperger, Erlebnisse (wie oben, S. 313, Anm. 19). Das Buch hatte Max Weber sen. ebenfalls gelesen, vgl. dazu ebd. 16 Temme, Jodokus D. H., Erinnerungen, hg. von Stephan Born. – Leipzig: Keil 1883. 17 Buckle, History of Civilization (wie oben, S. 308, Anm. 24). 18 Hier vermutlich: Ihering, Geist des Römischen Rechts I–III (wie oben, S. 307 f., Anm. 23). 19 Weber meint das Pandekten-Kolleg bei Ernst Immanuel Bekker (täglich 9–11 Uhr). Zum Corpus Iuris Civilis und den Pandekten vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 mit Anm. 7.

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unsicher sei, er nicht begreife, wo die Größe des röm[ischen] Rechts zu suchen sei! Im Seminar ist herzlich wenig los und die Versuchung, es aufzustecken, liegt stets nahe. Vorzüglich sind aber die beiden Erdmannsdörffer’schen Collegien, 20 in denen ich außerordentlich viel gelernt habe. Summa Summarum befi nde ich mich recht wohl hier in Heidelberg und denke, es wird auch weiterhin so bleiben. Allerdings muß ich eingestehen, daß ich doch nicht, wie Du wünschtest, bis gegen Ende des Monats auskomme, wenigstens bin ich bis jetzt, also Mitte, ausgekommen – aber nun bin ich auch vollkommen abgebrannt – [.] Der Fastnachtstag, 21 an dem die Burschenschaften gemeinsam ausfahren und allerlei Hokuspokus bei der Felix22 etc. treiben, versetzte meinem stark angereistenc Beutel den Gnadenstoß. Mit bestem Gruße und der Hoffnung, bald gute Nachrichten zu erhalten, Dein Sohn Max. Ich habe noch manches zu erzählen, verschiebe es auf nächstes Mal, 23 da es so wie so schon wieder Dienstag Nachmittag24 geworden ist und wir heute, am Gedenktage unsrer burschenschaftlichen Constituierung, 25 Musikkneipe haben, wozu ich jetzt die Philister26 mitempfangen helfen muß. c Unsichere Lesung. 20 Max Weber belegte zwei Kollegien bei Bernhard Erdmannsdörffer: „Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“; es fand Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 11–12 Uhr statt. Das Kolleg „Culturgeschichte Italiens im Zeitalter der Renaissance“ wurde zweimal wöchentlich von 17–18 Uhr angeboten, vermutlich Montag und Freitag. 21 Der 6. Februar 1883. 22 Gemeint ist das Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“ in Heidelberg-Handschuhsheim, das von Felicitas Brunner („Tante Felix“) geführt wurde. 23 Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, unten, S. 326–332. 24 13. Februar 1883. 25 Als Stiftungstag der Heidelberger Allemannia galt in dieser Zeit nicht der eigentliche Gründungstag (7. November), sondern der 13. Februar zur Erinnerung an die Verpflichtung der Allemannia auf die burschenschaftlichen Grundsätze am 13. Februar 1857. Um 18 Uhr trafen sich die Allemannen in einem Café und zogen um 20 Uhr zu einer Musikkneipe in eine andere Gaststätte weiter. Reinbach, Weber und Allemannia, S. 116. 26 Philister bezeichnet in der Sprache der Studentenverbindungen einen „Alten Herrn“.

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Max Weber sen. 24. und [25.] Februar 1883; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 41–44 Der Brief wurde am Samstag, 24. Februar, begonnen und, wie aus dem Schlußsatz hervorgeht, am Sonntag, 25. Februar, beendet. Max Weber berichtet seinem Vater hier u. a. von seinen Plänen für das kommende Sommersemester in Heidelberg und listet dabei einige infrage kommende Kollegien auf. Für seine endgültigen Entscheidungen vgl. seinen Brief an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, unten, S. 340–342.

Heidelberg, Sonnabend 24.2.83 Nachmittags. Lieber Vater! Gewiß wirst Du Dich gewundert haben, daß Du auf Deinen langen Brief nebst Sendung noch nichts wieder von mir gehört hast; dies ist indessen zum Teil darin mitbegründet, daß ich letzthin mit meiner historischen Arbeit anhaltend beschäftigt war, welche nur sehr langsam vorrückt und außerdem noch mit der Kritik der Arbeit eines andern zu thun hatte, zu welcher ich auch das betreffende Aktenmaterial mitherbeiziehen mußte.1 Jetzt benütze ich einen freien Abend, um Euch für die verschiedenen Zusendungen zu danken. Schinken und Wurst fi nden außerordentlich gut Anklang und die klingende Münze kam mir sehr angenehm, da ich die Woche hindurch schon großenteils auf Pump gelebt hatte. Das Arbeiten wurde mir leicht gemacht durch das anhaltende wirklich miserable Wetter, welches nur durch wenige schöne Tage, wovon allerdings der heutige einer ist, unterbrochen wird. Schnee oder Eis haben wir hier seit Weihnachten nicht die Spur erlebt, dafür um so mehr Nebel und Schmutz und Regen, und ich habe allen Respekt vor der Rechnung des Mützenhändlers, die ich Ende des Quartals besehena werde. In der That erscheint mir im Gegensatz dazu Euer Klima, wie Du es schilderst, beneidenswert. Bedauerlich ist die feuchte Temperatur auch in Rücksicht auf die überschwemmt gewesenen Häuser, a Unsichere Lesung. 1 Gemeint sind die Sleidanforschungen im Rahmen des historischen Seminars von Bernhard Erdmannsdörffer, vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 12. und 13. Febr. 1883, oben, S. 323 mit Anm. 9.

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die sie nicht zum Austrocknen kommen läßt.2 Eine sehr große Zahl von Wohnungen in Parterre undb 1[.] Stock der Häuser am Neckar und den dahin führenden Straßen sind noch unbewohnbar und teilweise mit Sand und Schlamm vollkommen vollgestopft, der permanent in großen Bretterwagen abgefahren wird. Dabei ist die Temperatur doch stets so niedrig, daß man stark einheizen muß – wenigstens ich, um in meiner sehr schlecht heizbaren Bude3 nicht zu frieren. So bringe ich denn meine Tage abgesehen von Sonntag, teils zu Hause, teils im Museum4 zu und gehe in der Regel nur Abends aus. Wie ich schon sagte, habe ich mich in letzter Zeit meist mit meiner historischen Arbeit befaßt, die doch sehr weitläufig und dabei in den Resultaten weit weniger dankbar ist, als ich erwartete, wenngleich zweifellos sehr viel daran zu lernen ist. Vorläufig beschäftigen wir uns im Seminar noch mit derjenigen eines andern, die ungefähr in dieselben Jahre fällt, wie die meinige und die ich deshalb gut controllieren und an einigen Stellen kritisieren konnte. Leider wird nicht mehr viel werden, da das Semester sich entschieden zu Ende neigt und in 14 Tagen aller Wahrscheinlichkeit nach zu Ende ist. Über die Tage, wann die Professoren zu schließen gedenken, weiß ich noch nichts bestimmtes. Bekker wird wohl sehr lange lesen, 5 um fertig zu werden. Das Bekker’sche Seminar habe ich jetzt mehrfach geschwenzt, da es wirklich sehr wenig bietet, was allerdings wohl nicht an Prof. Bekker liegt, der dem Urteil seiner sämmtlichen Collegen nach sehr vielwissend ist, sondern daran, daß es doch wohl etwas früh ist, schon gleichzeitig mit dem Hören der Pandekten einc Seminar darüber zu hören,6 das ja zu einem bloßen Fragekasten werden muß. Eine Zeit lang versprach es dadurch fruchtbarer zu werden, daß einige |:spezielle:| Fälle b 〈Ball〉

c O: eine

2 Zum Hochwasser von 1882/83 vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 315 mit Anm. 2. 3 Kettengasse 17 in Heidelberg. 4 Das „Museum“ war eine 1811 gegründete Lesegesellschaft Heidelberger Bürger am Ludwigsplatz („Museums-Gesellschaft für Lektüre, Konversation und Spiel“). Hier lagen Tageszeitungen in größerer Auswahl aus. 5 Max Weber hatte Ernst Immanuel Bekkers Kolleg „Pandekten“ belegt, das täglich von 9–11 Uhr stattfand. Zum Corpus Iuris Civilis und den Pandekten vgl. den Brief von Max Weber an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 mit Anm. 7. 6 Bekkers „Privatrechtliches Seminar“ (eine Lehrveranstaltung unter dem Titel „Pandektenseminar“ fand nicht statt) zählte zwei Wochenstunden, vermutlich montags.

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mithereingezogen wurden, namentlich aus der Ihering’schen Sammlung,7 behandelt wurden, jedoch auch dabei kam schließlich nicht sehr viel heraus, da eben in Folge der vielen, von Einzelnen gestellten Fragen die Zeit zu sehr beschränkt wurde. Dagegen glaube ich allerdings in Erdmannsdörffers Seminar sehr viel gelernt zu haben,8 hauptsächlich ja auf dem Gebiet der historischen Methode, aber außerdem nicht allein für die speziell behandelten Zeitabschnitte, sondern auch für Controversen aus der neusten zeitgenössischen Litteratur, da Erdmannsdörffer die gute Methode hat, stets die neusten Litteraturerzeugnisse zur Ansicht auszulegen und sie kurz in ihrer Bedeutung zu charakterisieren. So erfuhren wir viel und Neues über die Janssen’sche Streitfrage,9 über die englischen historischen Schulen und die Nachfolger von Th[omas] Buckle, was man eben nur auf diesem Wege erfahren kann. Im Sommer wird Erdmannsdörffer diese Übungen fortsetzen und hofft dabei stark auf unsre weitere Teilnahme, es wird dann das 18. und 19. Jahrhundert an die Reihe kommen;10 außerdem wird er ein großes Colleg über die Geschichte des 19. Jahrhunderts lesen,11 von dem er sich offenbar viel verspricht. Ich

7 Ihering, Rudolf (Hg.), Civilrechtsfälle ohne Entscheidungen. Zu akademischen Zwecken herausgegeben. Erstes Heft, enthaltend 100 Rechtsfälle vom Verfasser und 36 vom verstorbenen G. F. Puchta. – Leipzig: Breitkopf und Härtel 1847. 8 Gemeint sind die „Historischen Übungen“ bei Bernhard Erdmannsdörffer, die einmal wöchentlich 2 Stunden am Freitag Abend umfaßten. 9 Johannes Janssen war ein katholischer Historiker, dessen Werk (Janssen, Johannes, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Bände 1–3. – Freiburg i. Br.: Herder’sche Verlagshandlung 1876–1881; hinfort: Janssen, Geschichte des deutschen Volkes I–III) vielfältigen Widerspruch seitens der protestantischen Historiker erhielt, unter ihnen auch Max Webers Onkel Hermann Baumgarten. Vgl. dazu die Antikritiken: Janssen, Johannes, Ein Wort an meine Kritiker. Nebst Ergänzungen und Erläuterungen zu den drei ersten Bänden meiner Geschichte des deutschen Volkes. – Freiburg i. Br.: Herder’sche Verlagshandlung 1882; ders., Ein zweites Wort an meine Kritiker. Nebst Ergänzungen und Erläuterungen zu den drei ersten Bänden meiner Geschichte des deutschen Volkes, ebd. 1883. 10 Bernhard Erdmannsdörffers Seminar „Historische Übungen (Geschichte des 18. u. 19. Jahrhunderts)“ fand im Sommersemester einmal wöchentlich 2 Stunden statt; vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 11, dort als „gratis“ ausgewiesen, so daß kein Zahlungsnachweis vorliegt. Max Weber scheint es aber besucht zu haben, wie aus seinem Brief an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, unten, S. 342 mit Anm. 14, hervorgeht. 11 Erdmannsdörffer hielt ein Kolleg über „Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts vom Wiener Congreß bis zur Gegenwart (1815–1870)“, Montag bis Freitag von 12–13 Uhr; vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 11. Laut Quästurlisten hat Max Weber dieses Kolleg nicht belegt.

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habe augenblicklich den Katalog12 verliehen und weiß nicht mehr genau, was ich mir ev. für hier angestrichen hatte. Schulzes deutsche Rechtsgeschichte13 wird als sehr gründlich gerühmt, ich habe mir auch seinen Grundriß14 angesehen, wonach sie auf die Gerichtsverfassung namentlich sehr tief einzugehen scheint. Bei Knies würde ichd Nationalökonomie und Finanzwissenschaft,15 die ich doch einmal hören muß, wenn nicht interessant – was der Stoff wohl verhindert, – doch jedenfalls gründlich, hören, Bulmerincq über Politik,16 vielleicht auch bei Buhl über römisches Staatsrecht, sowie Familien- und Erbrecht.17 Ob ich schon bei Renaud würde hören können, weiß ich nicht zu beurteilen.18 Pandekten hier bei Karlowa zu hören, empfiehlt sich nicht,19 auch in Tübingen liest sie Degenkolb nicht, sond Fehlt in O; ich sinngemäß ergänzt. 12 Max Weber dürfte sich hier auf das gedruckte Vorlesungsverzeichnis (Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883) beziehen. 13 Hermann Schulzes Kolleg „Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte“ fand täglich von 8–9 statt, ab dem 17. Juli 1883 bereits von 7–8 Uhr. Vgl. die Ankündigung ebd., S. 4, sowie den Zahlungsbeleg Max Webers über 30 Mark in der Quästurakte Hermann Schulze, UA Heidelberg, Rep. 27/1236, SS 1883. 14 Schulze, Hermann, Grundriß zu Vorlesungen über Völkerrecht. – Heidelberg: Hörning 1880. 15 Karl Knies bot im Sommersemester zwei Kollegien an: „Allgemeine Volkswirthschaftslehre (theoretische Nationalökonomie)“, täglich von 11–12 Uhr, sowie „Allgemeine Staatslehre und Politik“, Dienstag bis Freitag von 15–16 Uhr. Das Kolleg über „Finanzwissenschaft“ wurde Dienstag bis Freitag zwischen 8–9 (bis zum 15. Juli) von Emanuel Leser angeboten. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 14; Max Weber belegte von den genannten Vorlesungen nur diejenige von Knies über „Allgemeine Volkswirthschaftslehre“, wie aus der Quästurakte Knies, UA Heidelberg, Rep. 27/586, SS 1883, hervorgeht, das Kolleggeld betrug 30 Mark. 16 August von Bulmerincqs Kolleg „Allgemeine Staatslehre und Politik in Verbindung mit einer Encyclopädie der Staatswissenschaften“ fand Donnerstag bis Samstag von 10–11 Uhr statt. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 14; von Max Weber allerdings nicht belegt. 17 Heinrich Buhls Kolleg „Römisches Staatsrecht“ fand Donnerstag bis Samstag von 8–9 Uhr statt (vgl. ebd., S. 5). „Familien- und Erbrecht“ wurde von Otto Karlowa angeboten, Dienstag bis Samstag 12–13 Uhr (vgl. ebd., S. 4) und laut Quästurakte Karlowa, UA Heidelberg, Rep. 27/538, SS 1883, von Max Weber belegt (25 Mark). 18 Achilles Renaud hielt ein Kolleg über „Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehenrechts, sowie des Handels-, Wechsel- und des sonstigen auf den Gesetzen des neuen Reichs beruhenden Civilrechts“, täglich 11–13 Uhr. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 4. 19 Otto Karlowas Kolleg „Pandekten (mit Ausschluß von Familien- und Erbrecht)“ fand täglich von 9–11 Uhr, montags von 12–13 Uhr statt (vgl. ebd., S. 4). Max Weber gehörte nicht zu den 37 eingeschriebenen Hörern in der Quästurakte Karlowa, UA Heidelberg, Rep. 27/538, SS 1883.

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dern, wie ich höre, Bülow; 20 ich höre sie wohl am besten in Strasburg zum zweiten Mal, wo sie ja vorzüglich gelesen werden.21 Gern würde ich ev. hier ein orientalisches Colleg bei deme vorzüglichen Thorbecke hören, 22 damit meine hebräischen Kenntnisse doch nicht ganz verloren bleiben. Auch sonst hatte ich noch einige kleine philologischef Collegien in Aussicht genommen. Im Übrigen geht es hier sehr gut; bei Hausraths, wo ich gestern ein Stündchen war, ist alles wohl, nun sollg das Kleine23 in den nächsten Tagen wieder, hoffentlich dann mit vollständigem Erfolg, operiert werden, was das jetzt prächtig gesunde und muntere Kind wieder sehr an-

e 〈b〉

f 〈Kenntnisse〉

g muß > soll

20 In Tübingen wurde das Kolleg „Pandekten I (allgemeiner Theil und Sachenrecht)“ im Wintersemester 1882/83 von Oskar Bülow gehalten. Vgl. Verzeichnis der Vorlesungen welche auf der königlich württembergischen Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen im Winterhalbjahre 1882 bis 1883 gehalten werden. – Tübingen: Ludwig Friedrich Fues 1882, S. 12. 21 Ab dem 1. Oktober 1883 leistete Max Weber sein einjährig-freiwilliges Militärjahr in Straßburg ab. In dieser Zeit war er auch für zwei Semester an der Universität immatrikuliert (vgl. Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studenten der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg für das Winter-Halbjahr 1883/84. – Straßburg: Universitäts-Buchdruckerei Johann Heinrich Eduard Heitz 1883 (hinfort: Amtliches Verzeichniß Universität Straßburg, WS 1883/84), hier S. 38; dass., SS 1884, S. 38). In dieser Zeit besuchte er im Wintersemester 1883/84 offenbar regelmäßig nur die „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“, die sein Onkel Hermann Baumgarten mittwochs von 18–20 Uhr abhielt (vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, unten, S. 373 mit Anm. 15). Für das Sommersemester 1884 gibt es keinen brieflichen Beleg über den Besuch von Kollegien oder Übungen. Folgende Lehrveranstaltungen zu den Pandekten wären für Max Weber in Frage gekommen: im Wintersemester 1883/84 „Pandekten mit Ausschluß des römischen Erbrechts, nach Puchta’s Pandekten“, zehnstündig von Montag bis Donnerstag, 11–13 Uhr, von Karl Friedrich Albert Köppen, und „Pandekten mit Ausschluß des Erbrechts, Conversatorium“, sechsstündig von Montag bis Samstag, 18–19 Uhr, von Ernst Zimmermann (vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Straßburg, WS 1883/84, S. 5); im Sommersemester 1884 das zehnstündige Kolleg von Rudolph Sohm, „Pandekten mit Ausschluß des Familien- und Erbrechts“ von Montag bis Freitag, 8–10 Uhr, „Römisches Familienrecht als Theil der Pandekten“, zweistündig Freitag und Samstag, 11–12 Uhr, von Franz Peter Bremer, sowie „Römisches Erbrecht als Theil der Pandekten, Conversatorium“, dreistündig Dienstag, Donnerstag und Samstag, 11–12 Uhr, von Ernst Zimmermann (vgl. ebd., SS 1884, S. 5). Wie Weber in seinem 1889 gedruckten Lebenslauf schreibt, habe er in Straßburg „Vorlesungen bei den Herren Professoren Sohm und Bremer“ belegt, vgl. Weber, Lebenslauf (B), MWG I/1, S. 348–357, Zitat: S. 352. 22 Der Heidelberger Arabist Andreas Heinrich Thorbecke bot im Sommersemester drei Lehrveranstaltungen an, die Weber jedoch nicht besucht hat. 23 Lilli Hausrath. Zu ihrer Erkrankung vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306.

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strengen und zurückbringen wird. Auch in Strasburg24 geht offenbar alles gut, auch bei Beneckes, da sonst Onkel und Tante25 schwerlich auf einige Tage nach Frankfurt gereist sein würden, um das alte Haus am Fahrtor noch einmal zu besuchen, was wahrscheinlich doch nicht mehr viele Jahre in den Händen der Familie sein wird.26 Angeregt dazu wurden sie durch die „Erinnerungen“ der Großmutter, 27 die auch ich mit herzlicher Freude jetzt vollständig gelesen habe. – Auf ihrer Rückreise waren sie einige Stunden hier, doch habe ich sie, da ich nichts davon wußte, nicht gesehen. Leider scheint es dagegen in Baden28 keineswegs so gut zu gehen, als wünschenswert wäre. Durch Beneckes erfuhren wir, daß Otto in Folge der ungeheuren Aufregungen und Sorgen des wechselvollen letzten halben Jahres an hochgradiger Nervosität leide, die noch durch die großen Anstrengungen, die er sich in übergroßem Pfl ichtbewußtsein von Anfang an in seiner Stellung aufgeladen habe, erhöht sei, so daß er wenigstens den größeren Teil seiner vielen Stunden, die er erteilt hatte, aufgeben mußte. Über seine begreifl iche Niedergeschlagenheit hat ihm Emily29 hinweggeholfen, aber auch ihr ist zu viel zugemutet worden und sie ist keineswegs wohl und nicht so leistungsfähig und elastisch, wie sonst. In Folge dessen wird Otto wohl wünschen, in das gesunde Oberland versetzt zu werden und der Wunsch wird ihm, da der Prälat Doll denselben von Anfang an hatte, mit Vergnügen gewährt werden.30 Immerhin aber werden Baumgartens nicht ohne Sorge sein. Mir selbst geht es, wie oben gesagt, recht gut und ich nähre mich redlich von den mir zugesandten Herrlichkeiten, welche auch einer Anzahl Couleurbrüder, deren Moos mit steigendem Datum entschwin24 Neben den im folgenden genannten Beneckes lebten in Straßburg auch Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, mit ihren Kindern. 25 Ernst Wilhelm Benecke und Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 26 Das im Familienkreis sog. Haus am Fahrtor ist Helene Webers Geburtshaus in Frankfurt am Main. Es wurde 1809 von ihrem Großvater Carl Cornelius Souchay erbaut und 1887, nach dem Tod von Helene Webers Onkel August Souchay, verkauft. 27 Souchay Fallenstein, Emilie, Erinnerungsblätter an meine Kindheit und Jugend. Für meine Kinder aufgezeichnet in den Winterabenden 1872–1875. – Stuttgart: Guttenberg 1882 (Privatdruck für die Familie; hinfort: Souchay Fallenstein, Erinnerungsblätter). 28 Gemeint ist Baden-Baden, wo Otto Baumgarten im Dezember 1882 eine Vikarstelle übernommen hatte. 29 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. 30 Im Mai 1883 ließ sich Otto Baumgarten wegen der Belastungen in Baden-Baden nach Waldkirch versetzen. Vgl. dazu Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 64–67.

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det, zu statten kommt. Allerdings mache ich die Entdeckung, daß das von mir jetzt mit Ausnahme einiger bestimmter Tage durchgeführte Abendessen die Existenz keineswegs sehr viel billiger macht: Man denkt eben als Student |:viel:| zu viel; wenigstens calculieren meine Verbindungsgenossen permanent darüber, wann ich denn mit Hülfe des „Budenfraßes“ so viel gespart haben dürfte, um mit ihnen eine Bowle |:in Neckarsteinach oder auf der Hirschgasse31 :| zu trinken, – und schließlich fängt man selbst an in dieser Richtung zu calculieren und fällt hinein. Indessen bin ich noch ein wohlhabender Mann und komme trotz Schuster, Waschfrau, Stubenmädchen und Paukdoktor32 sehr gut aus. Sehr freue ich mich darauf, wieder einmal einige Wochen mit Euch zuzubringen. Jetzt will ich diesen Brief schließen, über den es doch schon wieder Sonntag33 geworden ist und bleibe mit herzlichen Grüßen an Alle Dein Sohn Max.

31 Zur damaligen Zeit ein auch bei der Heidelberger Allemannia beliebtes Lokal, in dem häufig Mensuren abgehalten wurden. Es liegt in unmittelbarer Nähe zum Philosophenweg. 32 Begriff für den bei Mensuren anwesenden Arzt. Hier ist vermutlich Friedrich Immisch gemeint, der zu dieser Zeit bekannteste „Paukdoktor“ in Heidelberg. 33 25. Februar 1883.

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Helene Weber 7. März 1883; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 52–53 und 56–57

Heidelberg den 7.3.83 Abends. Liebe Mutter!

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Ich stehe wieder am Ende eines Semesters. Nur morgen sind noch Collegien, Erdmannsdörffer hat schon gestern geschlossen,1 auch Kuno Fischer wird es doch nicht länger aushalten, als bis übermorgen, 2 und so werde ich Ende der Woche jedenfalls von hier abreisen können. Die letzte Zeit war noch eine vielfach bewegte. Kaum war der große Fackelzug, den wir zusammen mit der Studentenschaft dem jetzigen und künftigen Prorektor brachten,3 vorüber, so begannen die verschiedenen Abschiedsfeierlichkeiten und außerdem die Abschiedseinladungen. Außerdem fand am vorigena Sonnabend4 in Karlsruhe ein großer Commers der Burschenschaften von Heidelberg, Freiburg und Strasburg statt, zu dem wir natürlich vollzählig hinüberreisen mußten. Die Sache war von den in Karlsruhe ansässigen altenb Herren5 veranstaltet worden und es kam eine große Anzahl von in Baden und Elsaß ansässigen früheren Mitgliedern der sieben beteiligten Burschenschaften6 und auch anderer herüber, so daß ca. 250 bis 300 Personen anwesend waren, so daß der Commers wirklich große Dimensionen annahm. Das Angenehme für uns war, daß wir bei dieser Gelegenheit unsre altenc Herren, die hier zerstreut umherleben,7 kennen lernten. a 〈Sonntag〉

b Lies: Alten

c Lies: Alten

1 Gemeint ist Bernhard Erdmannsdörffers Kolleg „Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“. 2 Gemeint ist Kuno Fischers Kolleg „Geschichte der neuesten durch Kant begründeten Philosophie“. 3 Adolf Hausrath war im Wintersemester 1882/83 Prorektor der Universität Heidelberg, im Sommersemester 1883 war es Carl Friedrich Rudolf Heinze. 4 3. März 1883. 5 „Alte Herren“ (bei der Allemannia Heidelberg und anderswo auch: Philister) werden Mitglieder einer Burschenschaft nach Beendigung ihrer Studien- und Aktivenzeit genannt. 6 Aus Heidelberg: Allemannia und Frankonia; aus Straßburg: Alemannia und Germania; aus Freiburg i. Br.: Alemannia, Teutonia und Frankonia. 7 Reinbach, Weber und Allemannia, S. 70, Anm. 20, weist 13 Alte Herren nach, die zu dieser Zeit in oder bei Karlsruhe lebten.

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Am Sonntag folgte dann nach dem Frühschoppen die gemeinsamed Rundfahrt durch die Stadt und Ausfahrt nach Durlach, wo die Festivität auf dem „Turmberg“8 ihr Ende fand. Am Sonnabend Nachmittag fand ich einen Augenblick Zeit, bei Jolly’s vorzugehen und traf Onkel und Tante zu Hause; 9 es war alles wohl, Philipp sehr hinter der Arbeit – er hate übrigens sein Examen wieder bis in den Herbst verschoben!10 Filius ist nach Kehl versetzt11 und scheint sich dort sehr wohl zu fühlen, da er ja auch jeden Augenblick nach Strasburg hinüber kann. Elisabeth12 scheint die Kur in Amsterdam fortdauernd sehr gut zu bekommen. Ausführlichere Nachrichten konnte ich bei der beschränkten Zeit nicht einziehen. Bei Hausraths ist, wie ich mich gestern überzeugt habe, nach wie vor alles wohl; das Kleinste ist wieder operiert,13 scheint aber diesmal die Sache gut und ohne Nachwirkung überstanden zu haben, allerdings meint Czerny, die Operation werde noch 2 oder 3 Mal wiederholt werden müssen, um endgültig zu helfen – eine wenig erfreuliche Aussicht für das kleine, jetzt sehr muntere und hübsche Wesen. Laura,14 die zeitweise nicht wohl war, so daß auch die Confi rmationsprüfung ihr im Hause abgenommen werden mußte, geht es jetzt gut. Der Onkel wird froh sein, endlich die vielen mit dem Prorektorat verknüpften Plackereien loszusein.15 Am Freitag Abend war ich mit mehreren andren Studiosen zusammen bei Erdmannsdörffer,16 sehr behaglich, und, da einige sonderbare d 〈Ausfahrt〉

e 〈sich〉

8 Der Turmberg ist ein Berg im Karlsruher Stadtteil Durlach und war schon zu Max Webers Zeiten ein beliebtes Ausflugsziel wegen der Aussicht auf Rheinebene, Pfälzerwald und das Elsaß. 9 Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 10 Philipp Jolly hatte sein juristisches Examen im März ablegen wollen. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 319. 11 Julius Jolly jun. absolvierte in dieser Zeit sein Praktikum als Rechtsreferendar. Vgl. dazu auch die Karte Max Webers an Helene Weber vom 25. Sept. 1883, unten, S. 359 mit Anm. 6. 12 Elisabeth Jolly, die jüngste Tochter von Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 13 Zur Erkrankung von Lilli Hausrath vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306, und an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, oben, S. 330 f. 14 Laura Hausrath. 15 Adolf Hausrath; zum Amtswechsel vgl. oben, S. 333, Anm. 3. 16 Freitag, 2. März 1883. Freitags abends zwischen 18–20 Uhr fanden bei Bernhard Erdmannsdörffer dessen „Historische Übungen“ statt. In diesem Falle könnte es sich aber auch um eine gesellige Zusammenkunft zum Semesterschluß gehandelt haben.

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Käuze, der hiesige |:zweite:| Bibliothekar17 und sein Assistent, ein von J[ohannes] J. Janssen18 zu dessen Ansicht bekehrter Dr. Hint[zelmann] anwesend waren, auch nicht uninteressant. Erdmannsdörffer sprach beiläufig auch, ich weiß nicht mehr bei welcher Veranlassung, über den Streit Treitschke-Baumgarten und seinen Anteil daran, jedoch nur in humoristischer Weise.19 Er hofft indessen augenscheinlich, den Onkel20 bekehrt zu haben [.] Als er von einem Artikel im hiesigen ultramontanen Wurstblättchen hörte, der den Fall in famoser Weise behandelt, bat er mich, den selben dem Onkel zu schicken, „damit er doch siehe, was für saubere Gesellschaft er sich da angehängt hat.“21 Am Sonnabend war ich bei Geh. Rat Bekker eingeladen, konnte aber leider nicht hingehen, da wir unsrenf alteng Herren in Karlsruhe bereits zugesagt hatten. Gestern besuchte ich auch Webers22 und fand beide sehr wohl, sie hoffen auf die Anwesenheit ihrer Söhne Friedrich und Georg auf Ostern. Daß die Strasburger in Folge der Krankheit des Pfarrers Riff in Schwulitäten wegen der Confi rmation sind und Anna Baumgarten jedenfalls jetzt nicht confi rmiert wird, werdet Ihr schon gehört haben. Die Tante23 kommt in den nächsten Tagen hier durch, sie ist auf Reisen nach einem Institut für sie, vielleicht kann ich sie auf dem Bahnhofe treffen. Der Onkel24 ist, ebenso wie vor 14 Tagen Beneckes, nach Frankfurt gereist, um dem Fahrtor einen Besuch abzustatten, offenbar auch angeregt durch die „Erinnerungen“ der Großmutter.25

f 〈Herr〉

g Lies: Alten

17 Jakob Philipp Wille. 18 Zu den Geschichtsdarstellungen von Johannes Janssen vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, oben, S. 328 mit Anm. 9. 19 Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 305 f. mit Anm. 7 bis 11, und an Max Weber sen. vom 12. und 13. Febr. 1883, oben, S. 323, Anm. 11. 20 Hermann Baumgarten. 21 Zeitungsartikel nicht identifiziert, zu den Hintergründen vgl. aber den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 12. und 13. Febr. 1883, oben, S. 323 mit Anm. 12. 22 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. 23 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 24 Hermann Baumgarten. 25 Souchay Fallenstein, Erinnerungsblätter (wie oben, S. 331, Anm. 27); dort auch zum Geburtshaus von Helene Weber, geb. Fallenstein.

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Ob Ihr bereits wißt, daß Roderich Fallenstein soeben auf der Reise nach Buenos Ayres begriffen ist, offenbar um die Stelle seines Bruders26 einzunehmen, weiß ich nicht. Tante Laura wird im nächsten Sommer wieder in Schwalbach sein.27 Mir selbst geht es recht gut, ich friere allerdings etwas, da das wundervolle Wetter, welches in voriger Woche eingetreten war und auch am Sonntag in Karlsruhe anhielt, ein plötzliches Ende fand, als gesternh früh ein mächtiger Schneesturm in einer Viertelstunde die Erde fußhoch mit Schnee bedeckte; auch heute hat es, obwohl Tauwetter ist, den ganzen Tag kaum aufgehört zu schneien und das hier nicht ungewöhnliche Stadium bodenlosen Schmutzes kündigt sich an. Hoffentlich bringe ich die miserable Witterung nicht mit, wenn ich heimkomme. Wann ich komme, werde ich noch per Postkarte annoncieren; 28 doch kann ich allerdings nicht eher kommen, als bis ich das nötige Reisegeld habe, denn meine Kasse ist vollkommen erschöpft und vom Karlsruher Commerse in ein klaffendes vacuum verwandelt worden, und ich muß deshalb allerdings meinen Brief wieder mit der Bitte um „Moos“ schließen, wie leider in diesem Semester schon mehrfach. Ehe ich hier fortgehe, werde ich mich doch noch einmal photographieren lassen, da die vorigen Bilder wirklich schauerlich sind und außerdem teurer, als nötig. – Hoffentlich trifft Euch dieser Brief alle wohl und gesund, was ich, da ich längere Zeit ohne Nachricht bin, als selbstverständlich voraussetze und hoffentlich werden auch die Zeugnisse erfreulich ausfallen, damit wir die Osterferien vergnügt zusammen verleben können. Mit meinem Gepäck bin ich noch zweifelhaft, ob es nicht am besten ist, ich schicke eine Kiste mit Büchern per Fracht oder lasse sie hier bei einem Bekannten, da der Transport ohnehin schon unverhältnismäßig teuer werden wird. Auch den einen der beiden Koffer schickte ich am

h 〈Abend〉 26 Heinrich Fallenstein. 27 Laura Bunge, geb. Fallenstein, hatte sich bereits im Vorjahr in Bad Schwalbach, einem Kurort im Taunus, in der Nähe von Schlangenbad, aufgehalten. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 286 mit Anm. 5. 28 Vgl. die beiden Karten Max Webers an Max Weber sen. vom 10. und 11. März 1883, unten, S. 338 f. Max Weber reiste am 12. März von Heidelberg ab und traf am 13. März in Charlottenburg ein.

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liebsten per Fracht oder ließe ihn hier. Hoffentlich schickt Ihr mir bald Nachricht. Bis zum Wiedersehen mit bestem Gruß an Alle Dein Sohn Max

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Max Weber sen. 10. März 1883; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 21

Heidelberg 10.3.83 Abends Lieber Vater! Besten Dank für die soeben erhaltene Sendung.1 Da ich nicht geglaubt hatte, dieselbe so schnell zu erhalten, so bin ich noch nicht ganz mit Packen fertig und muß deshalb mit der Abreise noch bis morgen, Sonntag, Abend warten. Ich werde wieder via Nordhausen-MagdeburgStadtbahn reisen, so daß ich, wie ich glaube, ca. 1050 Vorm. in Charlottenburg ankomme. Eine Kiste Bücher schicke ich heute Abend per Fracht ab, einen Koffer lasse ich bei einem Bekannten, der ihn ev. nachschickt. Es thut mir sehr leid, nicht am Sonntag kommen zu können, wo die Jungen keine Schule haben. Besten Dank für Brief und Nachricht über das Examen.2 Hoffentlich geht es in der aSchule den Jungens, besonders Karl, gut. Mit herzlichem Gruß Dein Sohn Max.a

a–a Zusatz am oberen Kartenrand. 1 Offenbar handelt es sich um eine Geldsendung, von der Max Weber seine Reise abhängig gemacht hatte. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 7. März 1883, oben, S. 336, in dem er um „das nötige Reisegeld“ gebeten hatte. 2 Es ist unklar, wessen Examen hier gemeint ist.

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Max Weber sen. 11. März PSt 1883; Heidelberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 22 Die Karte wurde von Max Weber irrtümlich auf 1882 datiert; der Poststempel weist jedoch 1883 aus.

Heidelberg d. 11.3.83a Lieber Vater!

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Da ich meine Sachen nicht alle unterbringen konnte, hatte ich noch unerwartete Plackereienb und |:da:| außerdem einige Philister1 von uns hier her kamen, denen gegenüber ich mit die Honneurs zu machen hatte, so kann ich heute Abend nicht abreisen und da wir morgen noch eine letzte Mensur haben, und |:nur noch:| wenig Leute |:von uns:| hier sind, so werde ich sekundieren müssen und deßhalb erst morgen Abend abreisen. Bitte mich deshalb zu entschuldigen, wenn ich die gesetzte Frist nicht einhalte. cIch komme jedenfalls mit denselben Zügen am Dienstag2 an. Bis dahin mit hrzl. Grüßen Dein Sohn Max. Ich bin eben im Begriff, mich bei Hausraths zu verabschieden, wo gestern alles wohl war[.] c

a O: 82

b 〈hatte〉

c–c Zusatz am oberen Kartenrand.

1 Philister bezeichnet in der Nomenklatur der Allemannia einen „Alten Herrn“. 2 13. März 1883.

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Max Weber sen. 4. und [5.] Mai 1883; Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 47–49 Der Brief wurde am Freitag, 4. Mai, begonnen und am „Sonnabend“, 5. Mai, beendet. Max Weber berichtet seinem Vater hier u. a., welche Lehrveranstaltungen er im Sommersemester in Heidelberg besuchte. Vgl. dazu auch seine ursprünglichen Planungen im Brief an Max Weber sen. vom 24. und 25. Februar 1883, oben, S. 328–330.

Heidelberg d. 4. Mai 1883 Krämergasse 5. Lieber Vater! Nach einer recht angenehmen Fahrt in allerdings sehr wunderlicher Gesellschaft kam ich hier bei prachtvollem Wetter an und verlebte sofort, nachdem ich mich leidlich eingerichtet hatte, einen sehr vergnügten Sonntag-Nachmittag in Neckarsteinach. Am andren Tage Montags,1 begannen allerdings schon die Collegien und ich machte sofort am Vormittag 4 Stunden mit, 2 an den folgenden Tagen 5, was mir doch hinter einander etwas viel wurde, so daß ich es vorziehe, statt des Schulze’schen |:„allg. u. deutschena :| Staatsrechts“3 lieber Heinzes historisch-philosophische Einleitung ins Strafrecht4 zu hören, welche ohnehin doch mit dem Strafrechtscolleg mehr zusammenhängt, da Heinze in diesem letzten direkt in die Behandlung des Reichsstrafgesetzbuchs eingeht.5 Seine Vortragsweise ist im Allgemeinen keine una O: deutschen“ 1 Die Vorlesungen begannen laut Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, am Montag, 16. April 1883. 2 Es ist nicht zweifelsfrei zu klären, welche Kollegien Max Weber hier gemeint haben könnte. Infrage kommt wohl nur das Kolleg von Hermann Schulze über „Deutsche Staatsund Rechtsgeschichte“ (täglich von 8–9 Uhr). Am Ende entschied er sich aber für andere Vorlesungen. 3 Das Kolleg von Hermann Schulze über „Allgemeines und deutsches Staatsrecht“ fand täglich von 9–10 Uhr statt. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 5, aber ohne Belegung in der Quästurakte Schulze, UA Heidelberg, Rep. 27/1236, SS 1883. 4 Das Kolleg von Carl Friedrich Heinze „Philosophisch-historische Einleitung in das Strafrecht (Strafrechtstheorien und Geschichte des Strafrechts)“ fand Montag und Donnerstag von 17–18 Uhr statt. Vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 5, ebenfalls ohne Belegung. 5 Carl Friedrich Heinzes Kolleg „Strafrecht, mit besonderer Berücksichtigung des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich“ fand täglich von 10–11 Uhr statt, vgl. ebd., S. 5; zur

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angenehme, obgleich er diktiert, wie die andren, er spricht sehr klar, nicht zu breit, ohne übermäßige Zitate, und hebt dadurch die Wirkung des Einschläfernden, welches sein Organ hat, auf. Als ich zu ihm kam, erkundigte er sich sehr eingehend nach Dir – d. h. nach Deinem Reichsu. Landtagsmandate.6 Störender noch als Heinzes ist Schulzes Organ, seines prononcierten Dialektsb wegen,7 auch hat er die entschieden unangenehme Manier, kurze Sätze zu diktierenc und dann über dieselben frei zu sprechen, so daß man, was bei einer geschichtlichen Betrachtung entschieden nicht wünschenswert ist, schließlich nur eine Sammlung kurzer Notizen behält. Am Unangenehmsten ist mir das Erbrecht, da Karlowad während der ganzen Stunde8 Z[i]tatee diktiert mit einer lauten donnernden Stimme, die entsetzlich ermüdet. Knies hat mir jetzt,9 wo ich doch einige Grundbegriffe nationalökonomischer Betrachtungsweise durch Adam Smith10 u. A. gewonnen habe, einen wesentlich andren Eindruck gemacht, als vor einem Jahre, wo ich mitten im Semester einmal hinlief und mich schrecklich ödete.11 Er spricht nur zu schnell, man hat die größte Schwierigkeit, sich nach dem, was er sagt, Notizen zu machen, da sein Vortrag noch fl ießender ist, als selbst der von Kuno Fischer.12 Nur seine Stimme, die immer etwas Welt-

b O: Dialekt

c Unsichere Lesung.

d O: Carlowa

e Unsichere Lesung.

Belegung Max Webers vgl. Quästurakte Heinze, UA Heidelberg, Rep. 27/492, SS 1883, 30 Mark. 6 Max Weber sen. hatte im Oktober 1882 sein Mandat für das Preußische Abgeordnetenhaus verloren (durch Nachwahl konnte er im März 1884 ein neues Mandat erlangen). Von 1881–84 hatte er ein Reichstagsmandat für den Wahlkreis Holzminden inne. 7 Aufgrund seiner thüringischen Herkunft ist sein Dialekt dem sächsisch-thüringischen Sprachraum zuzurechnen. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 17. Dez. 1885, unten, S. 575 mit Anm. 9. 8 Otto Karlowas Kolleg „Familien- und Erbrecht“ fand von Dienstag bis Samstag, 12–13 Uhr statt. 9 Weber meint hier das Kolleg von Karl Knies zu „Allgemeine Volkswirthschaftslehre (theoretische Nationalökonomie)“, das täglich von 11–12 Uhr stattfand. 10 Zur Lektüre von Smith vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 295, Anm. 1. 11 Zur negativen Einschätzung von Karl Knies durch Max Weber vgl. dessen Karte an Helene Weber vom 27. April 1882, oben, S. 254 mit Anm. 13, sowie den Brief vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 255 mit Anm. 3. Auch im Wintersemester berichtete er von der langweiligen Vortragsweise von Knies, die ihn von einem Besuch seines Kollegs abschrecke; vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 f. mit Anm. 11. 12 Max Weber hat in den ersten beiden Heidelberger Semestern die Kollegien von Kuno Fischer über „Logik“ und „Geschichte der Philosophie“ besucht. Vgl. dazu die Karte Max

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schmerzliches, als ob er alle Fakten bedaure, die er anführt, an sich hat, schwächt den Eindruck seiner höchst geistvollen Ausführungen ab. Morgen beginnt nun auch das Bekker’sche Seminar,13 für das Erdmannsdörffer’sche ist noch kein endgültiger Termin festgesetzt, da noch auf einige Teilnehmer gehofft wird.14 Seitdem vorgestern meine Kiste angekommen ist, fühle ich mich eigentlich erst consistent hier, die Behaglichkeit nimmt durch die Anwesenheit von Büchern außerordentlich zu [.] Bei Hausraths habe ich, bis auf Laura,15 die zeitweise bettlägerig war, alles wohl getroffen, auch das Kleinste, trotzdem die Operation bzw. Ätzung mehrfach wiederholt worden ist16 – leider muß dieselbe noch mehrere Male stattfi nden, um Erfolg zu versprechen. Mit dem Onkel17 geriet ich sofort in eine sehr lebhafte Diskussion, indem er Onkel Hermann in einer wirklich unerhörten Weise angriff und ich ihn doch, soweit mirs nicht unpassend schien,f zu verteidigen suchte. Indem er ausführte, wieviel Dutzend Baumgartens man aus einem Treitschke machen könne,18 kam er sofort darauf, wie viele Reichstage man aus einem Bismarck machen könne und ergoß seinen ganzen bitteren Spott über die parlamentarischen Ereignisse der letzten 17 Jahre, natürlich sämmtliche Vertreter des constitutionellen Prinzips unter dem Namen „Juden“ zusammenfassend, und wurde, ohne daß ich versucht hätte, ihm außer mit Schweigen zu erwidern, doch so heftig in seinen Angriffen und in seiner Sprache, daß ich froh war, als er abf In O folgt: ihn Webers an Helene Weber vom 27. April 1882, oben, S. 253 f. mit Anm. 6, und seinen Brief vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296, Anm. 9. 13 Gemeint ist das „Privatrechtliche Seminar für Geübtere“ von Ernst Immanuel Bekker, das wöchentlich 2 Stunden umfaßte (vgl. Anzeige der Vorlesungen Heidelberg, SS 1883, S. 5, vermutlich ohne Gebühren und daher kein Einschreibebeleg). Webers Brief entsprechend muß es samstags stattgefunden haben. 14 Bernhard Erdmannsdörffer bot ein zweistündiges Seminar „Historische Übungen (Geschichte des 18. u. 19. Jahrhunderts)“ an, ebd., S. 11, dort als „gratis“ ausgewiesen und daher ohne Belegnachweis. 15 Laura Hausrath. 16 Vgl. zu den gesundheitlichen Problemen von Lilli Hausrath die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306, und an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, oben, S. 330 f. 17 Adolf Hausrath. 18 Zur Kontroverse zwischen Hermann Baumgarten und Heinrich von Treitschke vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306 mit Anm. 10, sowie an Max Weber sen. vom 12. und 13. Febr. 1883, oben, S. 323, Anm. 11 und 14.

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brach, da ich befürchten mußte, er würde schließlich seinen ganzen Ärger gegen mich selbst richten. Sonst war er wohl u. offenbar froh, seine Arbeiten vom Halse zu haben. Von Clytia19 sprach ich natürlich nicht, auch sagte mir die Tante, 20 daß dies für mich von zweifelhafter Ratsamkeit sei. Die Kritik Julian Schmidts21 hat ihn, wie die Tante sagt, wenig alteriert, obgleich sie ihm |:natürlich:| nicht gefallen habe. Über Heinze22 und „seine Familie“ sprach er sich mit dem schonungslosesten und unberechtigsten Spott aus. Die Tante und die Kinder lassen herzlich grüßen [.] Hier ist fortgesetzt prachtvolles Wetter – schon als ich herkam, war voller Frühling und jetzt steht alles an der Bergstraße und hier in Blüte. Herr v. Schubert aus Strasburg hält sich einen großen Teil des Semesters hier auf und bereitet sich hier für seinen Doktor vor, ich denke oft mit ihm zusammen zu sein; er bewohnt Ottos Bude vom vorigen Sommer.23 Die letzten 14 Tage waren sehr bewegt für mich; lange zu Hause war ich wenig; vormittags Colleg und nachmittags meist damit beschäftigt, unsre acht Füchse, worunter übrigens einige sehr nette und namentlich sehr gescheute Leute sind, einzupeitschen; 24 jetzt, wo die erste Bewegung vorüber ist, fängt man an, wieder in das Geleise des gewöhnlichen Lebens einzulenken. Sehr schmeichelhaft war mir bisher immer, daß ich von den Juristen unter den Füchsen als einzige Autorität im Fache angerufen |:werde:| und des Nachmittags auf meiner Bude häufig eine Art von Nachcolleg halte. Jedenfalls fühle ich mich so wohl als denkbar und hoffe ein in jeder Beziehung schönes Semester zu verleben. Was ich in den Pfi ngstfe-

19 Taylor, George [d. i. Adolf Hausrath], Klytia. Historischer Roman aus dem XVI. Jahrhundert. – Leipzig: S. Hirzel 1883. 20 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 21 Eine namentlich gekennzeichnete Besprechung von Julian Schmidt ist nicht bekannt. In den von Schmidt bis Ende 1861 herausgegebenen „Grenzboten“ erschien eine anonyme Kritik, vgl. N. N., Klytia, in: Die Grenzboten, 42. Jg., 2. Quartal, 1883, S. 464–467. 22 Der Nachfolger Adolf Hausraths im Amt des Prorektors Carl Friedrich Rudolf Heinze. 23 Otto Baumgarten hatte während des Sommersemesters 1882 beim Gastwirt Paul Ickrath in der Ziegelhäuser Landstraße 20 gewohnt. 24 Max Weber hatte in diesem Semester offensichtlich in seiner Verbindung das Amt des „Fuchsenkränzchendeichslers“ (auch: „Fuchsenkränzchenführer“ oder „Fuchsmajor“) inne. Als dieser war es seine Aufgabe, den neuen Mitgliedern („Füchse“) die entsprechenden Interna der Verbindung zu vermitteln. Zum Sommersemester 1883 waren neun „Füchse“ eingetreten, von denen acht die Allemannia noch im Semester wieder verließen.

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rien25 thun werde, weiß ich noch nicht, wenn es mir gelingt, noch einige Begleiter beizutreiben, so werde ich, wie ich von Anfang an beabsichtigte, mit einigen unsrer in Freiburg und Strasburg studierenden Couleur- u. Cartellbrüder26 zusammen in die Vogesen gehen. Selbst falls dies nicht zustande kommen sollte, werde ich doch auf einige Stunden bei Baumgartens in Baden vorsprechen, sobald ich erfahren habe, daß Otto dort anwesend ist.27 Auch hoffe ich, durch Hrn. v. Schubert, der wahrscheinlich heut Morgen hier angekommen sein wird, Nachricht über ihn zu erhalten. – |:Sonnabend.:|28 Mit dem Briefe bin ich nun gestern doch nicht ganz fertig geworden, da ich zum „Fuchsenkränzchen“29 mußte; sicher werdet Ihr im höchsten Grade erstaunt sein, von mir so lange gar nichts zu hören; ich kann mich nur wieder mit der großen Bewegung der ersten Tage des Semesters entschuldigen u. verspreche, von nun an ein regelmäßigerer Correspondent zu sein. Wie geht es denn dem Artur? Gern sähe ich auch, was Karl für Spezimina30 deutschen Stils produziert. Alfred wird ja nun auch wohl selbständig Xenophon zu entziffern vermögen. Für die Kiste noch einmal besten Dank. Bis auf weiteres mit herzlichem Gruße Dein Sohn Max Weber Entschuldige meine Handschrift: 5 Stunden Colleg haben dieselbe für einige Stunden ruiniert; bin ich die Schreiberei erst gewöhnt, so hoffe ich mich zu bessern.

25 Pfingsten fiel auf den 13. und 14. Mai 1883. 26 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 7. März 1883, oben, S. 333 mit Anm. 6. 27 Max Weber reiste nicht in die Vogesen, sondern mit anderen Verbindungsstudenten zum Allgemeinen Deputierten-Convent nach Eisenach. Daher konnte er auch nicht Otto Baumgarten in Baden-Baden besuchen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 26. Mai 1883, unten, S. 346 f. 28 5. Mai 1883. 29 Vgl. oben, S. 343, Anm. 24. 30 Probearbeit oder Probe.

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[Helene Weber oder Max Weber sen.] PSt 10. Mai 1883; PSt Schwetzingen Brief; eigenhändig, ohne Anrede GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 50 Der Text befindet sich auf der Rückseite eines Abschnittes zur Versendung eines Postpakets. Auf der Vorderseite befindet sich das gestempelte Datum sowie Name und Absendeort; auch dieser ist gestempelt: „J. Köfel, Schwetzingen“. Es handelte sich demnach um den „Gasthof zum goldenen Hirsch“ in Schwetzingen, der von J. Köfel geführt wurde. Wie sich aus dem nachfolgenden Brief an Helene Weber vom 26. Mai 1883, unten, S. 349, schließen läßt, verschickte Max Weber Pakete mit Schwetzinger Spargel an seine Eltern.

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Herzlichen Gruß u. guten Appetit. Hier geht alles gut, Brief folgt in den nächsten Tagen.1 Um zu zeigen, was meine Kasse (noch!) leisten kann, erlaube icha mir die Dedikation des Inliegenden. Vom gleichen Stoff haben ein par Couleurbrüder u ich soeben unsere Magen in erfreulichster Weise befriedigt. Vermutlich habt Ihrb im eisigen Norden dergleichen Herrlichkeiten noch nicht. Mit herzl. Gruß Dein M. W.

a Fehlt in O; ich sinngemäß ergänzt.

b O: ihr

1 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 26. Mai 1883, unten, S. 346–349.

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Helene Weber PSt 26. Mai [1883]; PSt Heidelberg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 12–15 Tages- und Monatsangaben sind aus dem beiliegenden Briefumschlag (Bl. 11) erschlossen, auf dem die Jahresangabe allerdings unleserlich ist. Sie ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Liebe Mutter! Ihr werdet jedenfalls nachgerade ziemlich über meine fortgesetzte Schreibfaulheit entrüstet sein, namentlich, wenn, wie ich nach Deinem letzten Briefe annehmen muß, Ihr meine Karte von der Reise aus, die ich einem Hausknecht zur Bestellung anvertraute, nicht erhalten habt. In diesem Fall werdet Ihr Euch jetzt jedenfalls im höchsten Grade wundern, wenn Ihr hört, wohin diese erwähnte Pfi ngstreise gerichtet war. Die Karte, welche besagter Hausknecht verbummelt haben muß, war, |:glaube ich:|, mit dem Bilde der Wartburg versehen und wurde an einem schönen Nachmittage auf der „Hohen Sonne“ im Thüringer Walde1 geschrieben. Ich hatte, wie ich wohl geschrieben, 2 die entschiedene Absicht, mit einigen Couleurbrüdern in die südlichen Vogesen und ev. weiter in die Franche Comté zu gehen, aber die Couleur3 fand es für mich gesünder, wenn ich nicht in die Versuchung geführt würde, mir mit schwerem Burgunder den Magen zu verderben und schickte mich deshalb zusammen mit einem andren Couleurbruder4 nach Eisenach, wo der Cartelltag des süddeutschen Cartells5 und der Allg. Deputierten-Convent der Deutschen Burschenschaften in der Pfi ngstwoche tagten.6 Wenn ich 1 Eine Waldsiedlung südlich von Eisenach am Rennsteig. Die Karte ist nicht überliefert. 2 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, oben, S. 344. 3 Synonymer Begriff für Verbindung. 4 Karl Kohl; vgl. dazu Reinbach, Weber und Allemannia, S. 74. 5 Kartelle sind freundschaftliche Zusammenschlüsse verschiedener studentischer Verbindungen aus unterschiedlichen Regionen. Dem Süddeutschen Kartell gehörten zu Webers Zeit folgende Burschenschaften an: Allemannia Heidelberg, Germania Tübingen, Teutonia Jena und Teutonia Kiel. Der Kartelltag in Eisenach fand am 15. Mai 1883, einen Tag vor dem Zusammentreffen des Konvents, statt. 6 Der Allgemeine Deputierten-Convent (seit 1902: Deutsche Burschenschaft) ist ein Korporationsverband von Burschenschaften aus Deutschland und später auch Österreich, dem auch das Süddeutsche Kartell angehörte. Er trat zum sog. zweiten Burschentag vom

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nun auch an sich die Vogesen vorgezogen hätte, so ging ich doch auch nicht ungern einmal wieder in den lieben alten bekannten Thüringer Wald7 und habe dann auch mit sehr netten Kartellbrüdern aus Tübingen, Jena u. Kiel eine recht schöne Woche in Eisenach u. Umgebung verlebt – allerdings will ich dazu gleich hier bemerken, daß ich dabei auch, wie ich bald zu meinem Schmerze bemerkte, erheblich mehr verausgabte, als ich wollte und konnte. Ich hätte schon von Eisenach aus etwas Längeres über mich hören lassen, wenn nicht die Tage dort schneller als je herumgegangen wären. Wir wurden sehr fêtiert,8 machten natürlich auch die vielen großen Auszüge des ADC 9 mit, trieben uns den Rest des Tages auf Spritzen10 umher und des Abends hatte ich, wenn ich einmal frei war, mit Abfassung von Protokollen genügend zu thun [.] Meine Absicht, Otto in den Pfi ngstferien zu besuchen, habe ich in Folge dieser unerwarteten Wendung vorläufig auch aufgeben müssen,11 werde aber jedenfalls an einem der nächsten Sonntage, falls meine Kasse in entsprechend günstiger Lage sich befi nden sollte, siea noch ausführen. Herr v. Schubert ist, wie ich zunächst durch die Tante12 hörte, seit einigen Tagen endlich auch hier und ich werde gleich nachher hinübergehen, um mich bei ihm nach Ottos Befi nden zu erkundigen. So weit die Tante aus seiner Schilderung seine Auffassung entnehmen konnte, sieht er, der in der letzten Zeit fortwährend in Baden war, Ottos Fall durchaus nicht als so bedenklich und traurig an, wie wir hier geneigt waren es zu thun und glaubt, daß die Versetzung nach Waldkirch ihm sofort helfen werde.13 a O: ihn 16. bis 19. Mai 1883 in Eisenach zusammen. Vgl. Schneider, Gustav Heinrich, Die Burschenschaft Germania zu Jena. – Jena: Hermann Costenoble 1897, S. 508. 7 Im Sommer 1878 hatte Max Weber sen. mit seinen drei Söhnen Max, Alfred und Karl eine Reise nach Thüringen unternommen. Vgl. dazu die Karte Max Webers an Helene Weber vom 29. Juni 1878, oben, S. 68 f., mit Editorischer Vorbemerkung. 8 Durch ein Fest geehrt. 9 Allgemeiner Deputierten-Convent. 10 Studentischer Ausdruck für einen Ausflug. 11 Zu den ursprünglichen Besuchs- und Reiseplänen vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, oben, S. 344 mit Anm. 27. 12 Wie aus den weiteren Ausführungen hervorgeht, dürfte es sich um die in Heidelberg lebende Tante Henriette Hausrath, geb. Fallenstein, und nicht um Otto Baumgartens Mutter, Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, in Straßburg handeln. 13 Otto Baumgarten ließ sich wegen der Belastungen in Baden-Baden im Mai 1883 nach Waldkirch versetzen, vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 24. und 25. Febr. 1883, oben, S. 331 mit Anm. 30.

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Bei Hausraths geht es gut, ausnahmsweise sind einmal alle Kinder wohl und auch August14 ist, ohne vorher noch einen „Krach [“] anzurichten, wieder nach Mannheim abgezogen.15 Ich fand August sehr nett, als ich ihn zu Pfi ngsten16 hier sah und namentlich scheint er sehr vielseitige Interessen zu haben, allerdings zunächst hervorragend litterarischer Natur, was ja bei seinem Temperament sehr natürlich ist. Namentlich freute es mich für die Tante,17 die ihn ja, wie sie behauptet, kaum noch kennt, daß er diesmal nicht wieder, wie sonst, schon nach 1–2 Tagen mit Protest nach Mannheim heimgeschickt wurde. Sein Professor Hermann hat die letzten Ferientage hier bei Hausraths logiert. Hans18 war bei Freiburg bei einem Oberförster,19 den der Onkel20 kennt, damit er sich allmälig über seine Stellung zu einem eventuellen Forstfachstudium mehr in’s Reine kommen kann – jedenfalls wird es für ihn gut sein, einmal allein von Hause fort zu sein u. unter andre Menschen zu kommen. Der alte Weber21 ist in Hamburg, die Tante |:Weber:|22 war, als ich letzthin da war, etwas abgespannt, sonst aber sehr wohl u. läßt herzlich grüßen. Sie hatte von Hannover aus von Eurer Durchreise dort gehört. Hoffentlich geht auch zu Hause alles gut u. ist Dir namentlich die Reise nach Münster (?) wohl bekommen. Ich habe in dieser Woche kräftig zu arbeiten gehabt an einem Referat über einen Fall des Eherechts für das juristische Seminar, welches mir sehr wohl gefällt.23 Ich werde über dasselbe u. sehr viele ähnliche Dinge dem Papa zu schreiben haben und, um meinen wachsenden Schreibfleiß zu beweisen, gleich in den nächsten Tagen diesem Brief einen zweiten folgen lassen.24 14 August Hausrath. 15 August Hausrath machte im Frühjahr 1883 sein Abitur in Mannheim, wo er seit 1878 zur Schule ging. 16 13. und 14. Mai 1883. 17 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 18 Hans Hausrath. 19 Das Freiburger Adreßbuch 1883 führt drei Oberförster an; welcher davon der Familie Hausrath bekannt war, ist nicht feststellbar. 20 Adolf Hausrath. 21 Georg Weber. 22 Ida Weber, geb. Becher. 23 Gemeint ist wohl das „Privatrechtliche Seminar für Geübtere“, das Ernst Immanuel Bekker vermutlich samstags zweistündig abhielt. 24 In den folgenden Tagen ist nur eine Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 30. Mai 1883, unten, S. 350, nachweisbar.

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Dir wollte ich nur noch bemerken, daß in der Angelegenheit mit den beiden Hemden ich leider nicht reüssiert habe. Zwar hat die Tante25 der Waschfrau sehr den Marsch geblasen, aber dieselbe versichert hoch und teuer, daß bei ihr keine Verwaschung vorgefallen sei und auch nachdem sie nochmals nachgeforscht, erklärte sie, daß sie unmöglich die Schuldige sein könne. Es wird also wenig zu machen sein. Sehr schmerzlich war mir der Mangel jeglichen „Budenfraßes“, da, was man hier von Derartigem bekommt, mir |:nach wie vor:| wenig imponieren kann. Meine Gesundheit, die Du mir zu schonen empfiehlst, ist auf dem besten Damme und ich werde von Tage zu Tage dicker; nur die Hungerkur, die ich in Folge meiner vollkommenen Ebbe jetzt durchmache, läßt mich wieder abmagern und ich würde, wenn ich eben nicht unbedingt die juristische Arbeit zuerst hätte fertig stellen müssen, schon vor mehreren Tagen eine Bitte um Abhilfe an Euch gerichtet haben, da, wie gesagt, die Ferienreise mehr als Alles verzehrt hat, was ich vom nervus rerum26 besaß. Daßb Euch die Spargel geschmeckt haben, freut mich; 27 ich dachte nicht, daß Ihr schon so weit wäret, da hier damals die Saison soeben begonnen hatte. Es ist herrliches Wetter und sehr heiß; ich freue mich auf ein Glas Bier bei Ickrath, welches ich jetzt sofort mit Herrn v. Schubert zu trinken denke. Da ich selbstverständlich in den nächsten Tagen noch einmal schreibe, 28 so verspare ich mir die Nachrichten über meine Arbeiten etc. auf den Brief an Papa. Mit herzlichem Gruße Dein Sohn Max

b O: Das 25 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 26 Lat.: Zielpunkt allen Strebens; synonym für: Geld gebraucht. 27 Max Weber hatte seinen Eltern ein Paket Schwetzinger Spargel geschickt, vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber oder Max Weber sen. vom 10. Mai 1883, oben, S. 345. 28 Vgl. oben, S. 348, Anm. 24.

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Max Weber sen. PSt 30. Mai 1883; PSt Neckargemünd Postkarte; von dritter Hand mit eigenhändigen Zusätzen GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 45 Bei dieser Postkarte handelt es sich um eine den Gebräuchen der Burschenschaften entsprechende „Saufkarte“. Max Weber befand sich mit drei Freunden auf einem Ausflug in Neckargemünd in der „Griechischen Weinstube“, die häufig von Heidelberger Burschenschaftern besucht wurde. Die hier verwendeten x stehen stellvertretend für vergangene (in Klammern abzubildende) und aktuelle Ämter in der eigenen Burschenschaft, die pro Quartal vergeben wurden. Bei der Allemannia Heidelberg gab es drei Ämter: x = Sprecher, xx = 1. Ehrenrichter, xxx = 2. Ehrenrichter. Carl Hoffmann war demnach zu dieser Zeit der Sprecher der Allemannia, Max Weber ihr 1. Ehrenrichter. Die hinter den Namen angefügten Burschenschafter-Zirkel sind monogrammartige Zeichen der einzelnen Burschenschaften, in denen die Anfangsbuchstaben des Verbindungsnamens und des Leitspruchs abgebildet sind. (Statt einer Wiedergabe erfolgt ein Hinweis in eckigen Klammern). Von Max Weber selbst stammen neben der Ortsangabe und kurzen Zusätzen nur die Gruß- und Unterschriftszeile am Ende der Karte sowie die Adressierung: „Herrn Dr. Weber, cand. Landtag [Burschenschafter-Zirkel Hannovera Göttingen] (xxx)“; demnach war Max Weber sen. in seiner Zeit als aktiver Burschenschafter einmal 2. Ehrenrichter. Die Zeilen der Kommilitonen werden zum besseren Verständnis der Mitteilungen Max Webers hier in kleinerer Schrifttype mitabgedruckt.

Neckargemünd, griechische Weinstube Unbekannterweise erlaube mir 1. Ganzen a[uf] Spezielles1 Carl Kohl [2 Burschenschafter-Zirkel: Germania Tübingen und Allemannia] (xxx.xxx) dito – C[arl] Hoffmann xx [Burschenschafter-Zirkel Allemannia] (xx.xx.xxx.x.xxx.xx.x)x ebenfalls – H[ermann] Delius [Burschenschafter-Zirkel Germania Tübingen]

dito mit herzl. Gruß u. Glückwunsch2 M. Weber [Burschenschafter-Zirkel Allemannia] (xxx) xx (Brief folgt) 3

1 „Auf Spezielles“ bedeutet in der Burschenschaftersprache, auf das Wohl des Angesprochenen zu trinken, falls dieser gerade selbst nicht zurückprosten kann (was Max Weber sen. aufgrund seiner Abwesenheit nicht konnte). „1 Ganzer“ steht für die spezifische Menge, die im Bierkomment der Allemannia genau aufgeschlüsselt ist, unterschieden nach Wein und Bier; ein Viertelliter Wein entsprach „4 Ganze“, „1 Ganzer“ Bier entspräche einem Viertelliter Bier. 2 Max Weber sen. wurde am 31. Mai 1883 47 Jahre alt. 3 Der nächste überlieferte Brief Max Webers an seinen Vater datiert erst vom 3. September 1883, unten, S. 351–354.

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Max Weber sen. 3. September 1883; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 51–52 Während der vorlesungsfreien Zeit hielt sich Max Weber wieder in seinem Elternhaus in Charlottenburg auf. Sein Vater reiste von September bis Oktober auf Einladung von Henry Villard als Repräsentant der Stadt Berlin in die Vereinigten Staaten zur Eröffnung der Northern Pacific Railroad.

Ch. den 3.ten. September 1883 Lieber Vater!

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Ein par Zeilen als Lebenszeichen will ich Dir doch auch schicken, obgleich ich Dir ja allerdings wenig genug zu erzählen habe, in Betracht, daß mir bei meinem Einsiedlerleben hier nicht viel passiert, und unsre gemeinsamen Schicksale Dir von Mama jedenfalls so vollständig, als Du wünschen kannst, berichtet werden. Ich sitze jetzt allerdings nicht mehr so ganz allein hier, als ich anfangs befürchten mußte; ich traf täglich mit einem von unsren Füchsen,1 der sich jetzt hier aufhält, zusammen, und wenn ein Verkehr auch nur sehr sporadisch in Gang zu bringen war, da er seine kranke Mutter hierherbegleitet hatte, so kamen wir doch mehrfach zusammen u. er schleppte mich in „Figaros Hochzeit“2 u. a. Von meinen sonstigen Bekannten kommt in 8 Tagen der Fähnrich (dann Lieutenant) Dieterici3 zurück. Im Übrigen aber bin ich, abgesehen von einem neulichen Ausflug in die Hygiene,4 vollkommen solide zu Haus geblieben. Ich bin sehr vergnügt, in Ruhe eine erhebliche Quantität längst, teilweise schon vor Jahren, angefangener Lektüre fortsetzen zu können und außerdem einen gewissen Abschluß in das zu bringen, was ich in den bisherigen Semestern absolviert habe bzw. absolviert haben sollte. 1 Füchse werden neue Mitglieder studentischer Verbindungen vor ihrer Aufnahme als vollberechtigte Mitglieder genannt. Es ist unklar, welches Verbindungsmitglied der Heidelberger Allemannia hier gemeint ist. 2 Le nozze di Figaro, eine Oper von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1786. 3 Wilhelm Dieterici hatte zusammen mit Max Weber die Reifeprüfung abgelegt. Im Kaiserin-Augusta-Gymnasium, Jahres-Bericht XIII. 1882, S. 14, heißt es, daß Dieterici Offizier werden wolle. 4 Gemeint ist die „Allgemeine Deutsche Ausstellung auf dem Gebiet der Hygiene und des Rettungswesens“, die am 12. Mai 1883 eröffnet worden war. Ein Jahr zuvor war das ursprünglich hölzerne Gebäude komplett niedergebrannt. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai 1882, oben, S. 277 mit Anm. 25.

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Meine liebste Lektüre ist Langes Geschichte des Materialismus, 5 dessen ruhige u. realistische Auffassung sich entwickeln zu sehen ein wahres Behagen ist. Was ich daneben noch betreibe, ist, daß ich die Preußischen Jahrbücher nach nationalökonomischen Aufsätzen von Schmoller durchstöbere,6 von denen ich eine Anzahl bereits gelesen habe, die mir um so mehr gefielen, als ich, ich weiß nicht warum, immer geglaubt hatte, Schmoller sei ein starker Staatssozialist und einseitiger Schutzzöllner. Sehr interessant war mir ein Aufsatz von ihm über die nationalökonom[ische] Entwicklung der Vereinigten Staaten 1860–65, der auf das Anleihe- u. Goldagio-Wesen für mich ganz neues Licht warf und mir den mir bisher dunklen Zusammenhang zwischen National- und Staatsbankwesen und Staatseffekten u. die Wirkung, welche Änderungen in dergl. Systemen auf den Markt u. die Curse ausüben, an einem eminenta charakteristischen Beispiele klar machte.7 – Ich habe mich jetzt vollkommen an die Methode des Excerpierens während des Lesens gewöhnt, namentlich deshalb, weil ich fand, daß mein Gedächtnis für reinb gedächtnismäßig zu merkende Fakten mangelhafter ist, als ich dachte. Mit Walters „deutscher Rechtsgeschichte“8 denke ich noch fertig zu werden, ehe ich nach Strasburg gehe. Im Windscheid9 mache ich nur langsame Fortschritte, da die Zahl der von ihm citierten Stellen wirklich übergroß ist. – Ich bin ja nun in Bez. auf Strasburg gesichert, meine Exmatrikel ist da, ebenso ein Brief von den 47ern, wonach ich mich am 1. Oktober zur a Unsichere Lesung.

b mehr > rein

5 Lange, Geschichte des Materialismus (wie oben, S. 279, Anm. 7). Das Werk hatte er schon im Sommer 1882 mit seinem Vetter Otto Baumgarten gelesen, vgl. dazu ebd. 6 Gustav Schmoller hat zahlreiche Aufsätze in den Preußischen Jahrbüchern publiziert, die 1858 von Rudolf Haym gegründet und später bis 1889 von Heinrich von Treitschke herausgegeben wurden. 7 Gemeint ist Gustav Schmollers großer vierteiliger Aufsatz, der 1866 in den Preußischen Jahrbüchern erschien: Schmoller, Gustav, Nationalökonomische und socialpolitische Rückblicke auf Nordamerika. 4 Artikel, in: Preußische Jahrbücher, Band 17, 1866, S. 38– 75, 153–192, 519–537, 587–611. Zum Agio, das im Finanzwesen einen Aufschlag bezeichnet, der bei bestimmten Geschäften zusätzlich zum Kaufpreis erhoben wird, vgl. den 2. Artikel, bes. S. 177–185. 8 Walter, Ferdinand, Deutsche Rechtsgeschichte. – Bonn: Adolph Marcus 1853. 9 Windscheid, Bernhard, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3 Bände, 5. Aufl. – Frankfurt a. M.: Ruetten 1882 (hinfort: Windscheid, Pandektenrecht I–III). Die erste Auflage (Düsseldorf: Julius Buddeus 1862–1870) erlebte in kurzer zeitlicher Folge zahlreiche Neuauflagen. Max Weber hat vermutlich die hier angegebene 5. Auflage benutzt (vgl. Deininger, Einleitung, in: MWG I/2, S. 1–54, hier S. 6, Anm. 25).

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ärztlichen Untersuchung in Strasburg stellen soll.10 Ich brauche nur noch Deinen Consens dafür, daß ich in Strasburg Jura studieren soll – indessen hat das bis nach Deiner Rückkehr Zeit, da ich ihn ganz gut nach der Immatrikulation nachliefern u. dies mir bei der Immatrikulation vorbehalten kann.11 Über Euren Aufenthalt erfahren wir durch die Zeitungen das Nötige, sind aber sehr begierig auf Deinen ersten Brief, die Seefahrt betreffend, der nach Dr. Kapps Berechnung am nächsten Freitag in unsren Händen sein wird.12 Wann Du eigentlich unsre Briefe erhalten sollst, ist uns freilich unerforschlichc u. befürchten wir, daß dies vielleicht wieder erst im nächsten Winter hier in Charlottenburg stattfi nden wird. Da die Cholera Gott sei Dank noch in Ägypten sich aufhält, so hegst Du hoffentlich keine Befürchtungen für unser Wohlergehen.13 Es liegen unzählige Reichstagsbriefe für Dich hier, stets mit der Aufschrift „sofort ev. nachzuschicken!“. Da ich annehmen muß, daß alles, was mich nicht [spe]zielld angeht, Dir schon berichtet ist, so hätte ich Dir nichts mehr zu sagen, als vielleicht, wie sehr ich mich über Alfreds Eifer für Mathematik freue, worin er jetzt wirklich Gutes leistet. Wir präparieren uns auch jedesmal gründlich u. lösen die Aufgaben gemeinsam, so daß Dr. Reichel sehr befriedigt ist. Auch für sonstige Fälle, wie französische u. lateinische

c Unsichere Lesung.

d Textverderbnis in O; Papier beschädigt.

10 Am 1. Oktober 1883 begann Max Webers Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr. 47, das zu dieser Zeit in Straßburg stationiert war. 11 Max Weber immatrikulierte sich für Jura an der Straßburger Universität am 7. November 1883, vgl. Amtliches Verzeichniß Universität Straßburg, WS 1883/84 (wie oben, S. 330, Anm. 21), S. 38, dort auch als Einjährig-Freiwilliger ausgewiesen. 12 Durch die Vermittlung von Friedrich Kapp, der selbst lange in den Vereinigten Staaten gelebt hatte, befand sich Max Weber sen. als inoffizieller Vertreter der Stadt Berlin (u. a. mit Georg Siemens und James Bryce) auf dem Weg in die Staaten, um auf Einladung von Henry Villard an der Eröffnungsfahrt der Northern-Pacific Railroad teilzunehmen. Die Reisegruppe fuhr in einem Privatwaggon von Villard von St. Paul und Minneapolis nach Portland und Seattle. Für das deutsche Publikum berichteten ausführlich die eingeladenen Journalisten, u. a. für die „National-Zeitung“ oder die „Weser-Zeitung“. Vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 483 f. 13 Nach Ausbruch einer Cholera-Epidemie in Ägypten entsandten mehrere europäische Staaten Wissenschaftler zu deren Erforschung. Zu ihnen gehörte auch Robert Koch. Auf Europa griff die Epidemie nicht über, die Wissenschaftler zogen jedoch im Dezember nach Indien weiter.

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Extemporalia,14 bereiten wir uns zusammen vor, und bis jetzt stets mit gutem Resultat. In der Hoffnung, daß Du Deine ev. Seekrankheit glücklich überwunden u. recht viel Freude an der Kenntnisnahme so neuer, uns teilweise chimärisch vorkommender Verhältnisse hast, grüßt herzlich Dein Sohn Max

14 Unangekündigte schriftliche Prüfungen.

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Helene Weber [9.] und PSt 10. September 1883; PSt Charlottenburg Visitenkarte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 44–45 Datum und Ort erschlossen aus dem Poststempel des beiliegenden Briefumschlags (Bl. 43), in dem sich die beiden Karten befanden. Der Text wurde auf zwei studentischen Visitenkarten geschrieben, die den Burschenschafter-Zirkel der Allemannia tragen: „Vivat, Crescat, Floreat Allemannia!“ Die an offensichtlich zwei aufeinander folgenden Tagen geschriebenen Karten sind Berichte an die Mutter, die sich laut Briefumschlag zu dieser Zeit bei ihrer Schwägerin Ottilie Weber in Bielefeld aufhielt.

L. M.!

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Inliegender Brief kam heute Mittag hier an, als ich eben einen Augenblick ausgegangen war, wurde in Folge dessen nicht umadressiert; ich schicke ihn also so mit ab, nachdem wir ihn, was Dir doch recht sein wird [,] gemeinsam gelesen. Die Jungens1 sind von Rösings2 noch nicht zurück, jetzt, um 7 1/ 2 Uhr, wahrscheinlich haben sie dort gleichaltrige Gesellschaft gefunden, ich hatte ihnen sonst aufgetragen, um 5 Uhr fortzugehen.a Clara kam sehr begeistert von v. d. Lucius3 zurück, Herr Referendar Kapp4 war dagewesen u. wie es scheint noch einige kleine Mädchen. Sie brachte pfundweise alle möglichen Chokoladen-Effekten5 mit her. Es regnet seit Vormittag, in Folge dessen konnte Fräulein6 mit den beiden Kleinsten7 erst ziemlich spät, gegen 12 Uhr ausgehn u. war im Thiergarten, da sich der zoologische Garten nicht mehr gelohnt hätte. Die drei Kleinen8 waren bis eben sehr ausgelassen hier in meiner Stube, wo sie als Singhalesen (Clara war mit v. d. Lucius im zool[ogischen] Garten gewesen) 9 ein die Grenzen des Menschlichen streifena Zusatz am linken Kartenrand: Eben kommen die Jungens sehr erbaut nach Hause. 1 Alfred und Karl Weber. 2 Johannes Rösing und Clara Rösing, geb. von Ammon. 3 Gemeint sind Robert Lucius und Juliet Maria Lucius, geb. Souchay, und ihre Kinder (Charles, Otto, Hellmuth und Ellen). Die Nobilitierung erfolgte erst 1888, die Familie nannte sich dann Lucius von Ballhausen. 4 Wolfgang Kapp. 5 „Effekten“ im Sinne einer beweglichen Habe. 6 Nicht ermittelt; vermutlich Erzieherin im Haus der Familie Weber in Charlottenburg. 7 Arthur und Lili Weber. 8 Clara, Arthur und Lili Weber. 9 1883 kam die von Carl Hagenbeck veranstaltete Völkerschau in den Zoologischen Gar-

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des Gebrüll vollführten und sich mit der Lilli, die am wildesten war, in entsetzlichen Knäuels herumbalgten. Lilli ist vor 1/ 2 Stunde seelenvergnügt in’s Bett gegangen, die andren soeben. In der heutigen Zeitung war ein Mords-Seekrankheits-Artikel von Paulchen,10 den ich, obgleich er ungleich besser ist, als der letzte, noch nicht nachschicke, da er nach Papas Briefen absolut nichts Neues mehr enthält.11 Heute früh war P[aul] Reichel12 bei mir, der noch immer leidet. Er hat sich, innerlich, wesentlich verändert, ist ernst geworden, was er früher nicht war. Vorläufig werden wir hier sehr gut verpflegt und alles befi ndet sich in schönstem Gange. Von Friedländer kam ein Packet an, enthaltend Deinen Schawl. Briefe sind sonst nicht da. Es scheint mir, daß Rösings die Jungens auch jedes Abendessen dabehalten haben, ich werde daher gleich allein Thee trinken. Ich hätte diese Karte vor 6 abgeschickt, wie abgemacht war, wenn ich nicht noch auf die Erzählungen von Alfred u. Karl hätte warten wollen, um sie gleich mitzuberichten. Herzliche Grüße an die liebe Tante.13 Mit herzlichem Gruß Dein Sohn

[Burschenschafter-Zirkel: Vivat, Crescat, Floreat Allemannia!] Max Weber stud. jur. Fräulein14 läßt ebenfalls grüßen; sie ist über die relative Artigkeit von Artur u. Clara sehr erbaut.

ten nach Berlin; dazu gehörten Angehörige der ethnischen Gruppe der Singhalesen aus British-Ceylon. 10 Gemeint ist Paul Lindau, der für die „National-Zeitung“ von der USA-Reise berichtete, an der auch Max Weber sen. teilnahm (vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 3. Sept. 1883, oben, S. 353 mit Anm. 12). Von einem starken Sturm berichtet Lindau ausführlich unter dem Datum des 17. August 1883, vgl. die Buchfassung seiner Reportagen: Lindau, Paul, Aus der neuen Welt. Briefe aus dem Osten und Westen der Vereinigten Staaten. – Berlin: Salomon 1885, S. 29–35. 11 Briefe von Max Weber sen. von seiner Reise in die USA sind nicht überliefert. 12 Ein früherer Mitschüler Max Webers. 13 Ottilie Weber. 14 Wie oben, S. 355, Anm. 6.

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Inliegenden Brief fand ich soeben vor, mit ihm zugleich war ein Paket angekommen –, enthaltend ein Hemd, Kate Greenaway’s Malbuch15 für Kinder nebst Malkasten etc., offenbar für Clara,16 ferner ein sehr hübsches Bildchen von Lilli in rotsammtem Rahmen, coloriert. Hier ist alles wohl und bei gutem Appetit, doch werde ich morgen Nachmittag einmal dem Herrn Waschke auf die Bude steigen, um ihn zu ersuchen, daß er, wenn gewisse Eventualitäten eintreten, wie dies z. B. leider heute wieder der Fall war, den Artur sofort zum Behufe des Umziehens nach Hause schickt und nicht noch 2 1/ 2 Stunde sitzen läßt. Die Behandlung ist wirklich unverantwortlich. Allerdings scheint Artur auch sehr unaufmerksam zu sein, und sich so Prügel zuzuziehen, die dann die angedrohtenb Ereignisse zur Folge haben. cDie Jungens u. ichc waren zu Donnerstag wieder zu Rösings eingeladen, es scheint mir aber, daß das doch nicht wohl anzunehmen geht, ich will morgen hingehen u. zugleich auch für die freundliche Aufnahme der Jungs von gestern danken. Sonst nichts passiert. Mit herzlich. Grüßen Dein Sohn

[Burschenschafter-Zirkel: Vivat, Crescat, Floreat Allemannia!] Max Weber stud. jur. Clara soll nachher gleich einen Brief an die Tante17 loslassen.

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Alfred behauptet |:nach der Handschrift:|, der Brief sei von Emmi Baumgarten, ich werde also Clara doch nicht zu einem Brief an die Tante veranlassen.

b Unsichere Lesung.

c–c Wir alle > Die Jungens u. ich

15 Weatherly, George, Kate Greenaway’s Malbuch für das kleine Volk. Enthält 11 Holzschnitt-Illustrationen zum Coloriren nach Zeichnungen von Kate Greenaway. Mit beschreibenden Erzählungen u. Reimen. – München: Theo. Stroefer’s Kunstverlag 1880. 16 Clara Weber hatte am 5. September Geburtstag. 17 Vermutlich Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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Helene Weber 25. September 1883; Straßburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 54 Schwer lesbares Jahresdatum; Eindeutigkeit ergibt sich durch den Poststempel. Zum 1. Oktober eines jeden Jahres begann für die meisten tauglichen Wehrpflichtigen der Militärdienst, so auch für Max Weber. Er trat zu diesem Datum seinen Dienst als Einjährig-Freiwilliger in Straßburg an, beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr. 47, das zu dieser Zeit in Straßburg im Elsaß stationiert war. Er gehörte der 2. Kompanie unter dem Hauptmann Otto Jaeckel an (vgl. Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1883. Nebst den Anciennetäts-Listen der Generalität und der Stabs-Offiziere der Armee. – Berlin: o. V., o. J., S. 174). Im Gegensatz zur regulären Wehrpflicht, die bis 1893 drei Jahre dauerte, konnten sich die berechtigten „Einjährigen“ innerhalb eines Jahres zum angehenden Reserveoffizier ausbilden lassen. Zwar handelte es sich bei dieser Einrichtung seit Beginn des 19. Jahrhunderts ursprünglich um ein Privileg für Gebildete und war an entsprechende Bildungsnachweise wie das Abitur gekoppelt; im Laufe der Jahrzehnte erwies es sich jedoch für die meisten Familien der Berechtigten als finanziell unerschwinglich, da alle anfallenden Kosten selbst zu tragen waren. Der letzte Brief Max Webers aus dieser Zeit datiert vom 29. und 30. September 1884, unten, S. 450–454.

Strasburg Mittwoch 25. Sept 83 Abends Liebe Mutter! Nach einer ziemlich gut durchgeschlafenen Nacht kam ich gestern nach Heidelberg und traf die Tante u. Kinder alle wohl, der Onkel nicht zu Hause,1 Erdmannsdörffer in Erwartung Treitschkes. Nachher um 12 fuhr ich weiter, kam schon um 1/ 2 4 Uhr hiera an (ich hatte geglaubt, erst um 7), so daß ich doch noch in ein Hotel gehen mußte. Baumgartens sindb im Begriffe, abzureisen, ich konnte deshalb nicht bei ihnen logieren. Beneckes haben heute Gesellschaft, ich konnte sie also noch nicht besuchen. Auch Anna B[aumgarten] ist noch hier, ebenso Dora, 2 gehen aber am Montag fort; Onkel u. Tante3 reisen morgen früh, kommenc Sonntag über 8 Tage wieder. Emily4 ist sehr krank, jetzt laut Tea 〈h〉

b 〈nicht〉

c 〈aber〉

1 Gemeint sind Adolf Hausrath und Henriette Hausrath, geb. Fallenstein, und ihre Kinder. 2 Dora Benecke. 3 Wie aus der nachfolgenden Karte Max Webers an Helene Weber vom 27. September 1883, unten, S. 360, hervorgeht, sind hier Ernst Wilhelm Benecke und Emilie Benecke, geb. Fallenstein, gemeint. 4 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein.

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legramm außer Gefahr. Die Tante5 ist in Folge dessen sehr erregt, Fritz ist seit 14 Tagen als candidatus probandi in Freiburg, Julius Jolly in Kehl als Amtsrichter.6 – Ich bin noch auf der Wohnungssuche, die Wohnungen sind ganz unerhört theuer.7 Herzlichen Gruß Max

5 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 6 Eine Station während des Referendariats von Julius Jolly jun. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 7. März 1883, oben, S. 334 mit Anm. 11. 7 Einjährig-Freiwillige besaßen das Privileg, außerhalb der Kaserne privat zu wohnen, mußten diese Unterkunft aber, wie alle weiteren Auslagen, selbst bezahlen.

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Helene Weber 27. September 1883; Straßburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 55

Str. 27.9.83. Liebe Mutter! Meine Adresse ist: Steinstraßea 39 |:(nicht etwa Steingasse):| bei Herrn Klarspieß. Ein ganz angenehmes, nur etwas dunkles Zimmer. Ich bin namentlich dorthin gezogen, weil die Leute einen äußerst angenehmen Eindruck machen, was sonst nicht der Fall ist. Die Preise sind hier enorm, auch das Essen ist weit teurer als ich dachte, aber auch gut. Beneckes sind beide verreist. Die Tante1 kommt morgen wieder. Entsetzliches Wetter; die Straßen sind teilweise nicht passierbar. Bald mehr. Mit herzlichem Gruße Dein Sohn Max Es müssen noch ziemlich viele Strümpfe von mir in der Wäsche sein.

a Das ganze Wort ist unterstrichen, straße jedoch doppelt. 1 Emilie Benecke, geb. Fallenstein.

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Helene Weber [21.] und 23. Oktober 1883; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 58–61 Der zweite Teil des Briefes wurde am 23. Oktober verfaßt. Nach Webers Verweis, daß der erste Teil „vorgestern“ geschrieben wurde, erschließt sich der 21. Oktober als richtiges Datum.

Strasburg i/E. 21.a10.83 Steinstraße 39 b !! (nicht 37) Liebe Mutter!

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Schnell, ehe ich zu Beneckes, die mich auf heute freundlichst zum Essen eingeladen haben, gehe, will ich wenigstens noch den Anfang zu einem, heut Abend fortzusetzenden Lebenszeichen machen. Deine Zuversicht, ich würde jetzt schon irgend ein Gefühl von irgend einer Wohlthätigkeit meiner jetzigen Lebensweise haben, stößt bei mir vorläufig auf hartnäckigen Unglauben, jedenfalls würde ein etwa vorhandenes derartiges Gefühl übertäubt werden durch das andre Gefühl, welches geschwollene und schmerzende Fußgelenke, auf denen man täglich 7 Stunden umherläuft, hervorrufen. Die letzte Woche war für mich namentlich in sofern unangenehm, als ich nicht alles mitmachen konnte und befürchtete, zurückzubleiben. Zu meiner großen Befriedigung blieb ich mit meiner Lahmheit nicht allein, fand vielmehr an Mitgliedern unsrer Corporalschaft1 so zahlreiche Leidensgesellschaft, daß schließlich überhaupt nur noch 3 Mitglieder derselben völlig intakt waren. Der Feldwebel, dem es anfangs einen großen Spaß machte,c mich auf meinen lahmen Füßen noch speziell tüchtig im Casernenhofe umherzujagen, warf mich dann doch jedesmal aus der Colonne heraus und während die Andren langsamen Schritt und solche ähnlichen Späße betrieben, stand ich dabei und klopfte Griffe2 – eine ziemlich stumpfsinnige Existenz führend. Das langweiligste war, daß die Geschichte absolut nicht besser werden wollte und auch jetzt noch alles zu wünschen übrig läßt. Indessen muß ja schließlich alles ein Ende nehmen, warum nicht auch das? Hofa O: 22.

b Hausnummer in O doppelt unterstrichen.

c 〈s〉

1 Militärische Einheit mit einer Stärke zwischen 10 und 15 Mann. 2 Soldatischer Ausdruck für das Exerzieren von Griffen am Gewehr.

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fentlich tritt diese logisch notwendige Änderung auch bald praktisch in’s Leben, denn sonst komme ich doch erheblich zurück. Wundervolles Herbstwetter schreibst Du? Keine Spur. Entweder es ist neblig oder es regnet, kolossale Pfützen stehen auf dem Casernenhofe, durch welche uns der Unteroffi zier mit Hochgenuß marschieren läßt. Nach jedem Dienst sah mein Commißanzug so aus, daß man an den Beinen überhaupt nicht mehr unterscheiden konnte, wo die Stiefelschäfte aufhörten und die Beinkleider anfi ngen. Bei der Energie, mit welcher man sich beim Marschieren anstrengt, den Casernenhof durchzutreten, befördert jeder mit jedem Schritt seinem Hintermann dicke Knollen von Lehm auf den Leib und bei schlechtem Wetter bis in die Nase. „Noch ganz angenehm“ ist also das Exerzieren denn doch nicht eben; aber das Gute an der Sache ist, daß man den Humor schwer verlieren kann. Eben ist man auf eins der sinnreichen Folterinstrumente gespannt gewesen und hat, wie der Papa sich ausdrückt, „Jesum Christum erkennen lernen“; man ist endlich erlöst und sieht nun, wie der Nächstfolgende dasselbe Fegefeuer durchmacht, sein Körper vom Feldwebel, Unteroffi zier u. Gefreiten mit gemeinsamer Anstrengung in die unwahrscheinlichsten Formen gezwängt wird, wie sein Gesicht sich dabei immer mehr verlängert und schließlich einen andächtigen, stillergebenen Ausdruck – „wie die Muttergottes von Treuenbrietzen“, 3 sagt der Feldwebel – annimmt, als wenn er din dieser Nothd der |:biblischen:| Verheißung gedächte, daß böse Menschen zwar seinen Leib vertilgen, nicht aber seine Seele ausrotten könnten,4 – wenn man diese Prozedur mit ansieht und dazu die derben, aber manchmal nicht unebenen Bemerkungen der Unteroffi ziere hört, so vergißt man alles und stimmt in die Heiterkeit der Übrigen mit ein. Ich will aber nicht noch einmal den Eindruck machen, als übertriebe ich, und verschone Euch daher mit weiteren Schilderungen unsrer Freuden und Leiden. – Mommsen5 kann übrigens in diesen Dingen für Dich keine Autorität sein – der weiß davon nichts; über die Gemütlichkeit und den Schlendrian, die in der bairischen Armee herrschen, ist d–d jetzt > in dieser Noth 3 Gemeint ist ein Holzstandbild aus dem 15. Jahrhundert in Treuenbrietzen (Brandenburg), das aber vermutlich nicht Maria, sondern die Heilige Gertrud von Nivelles darstellt. 4 Mt 10, 28: „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und die Seele nicht mögen töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in der Hölle.“ 5 Karl Mommsen.

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von Leuten, die Vergleiche mit uns anzustellen in der Lage waren, nur eine Stimme. Wird denn M[ommsen] in Berlin studieren? Wenn wir uns wohl einmal wiedersehene und, womöglich mit W[ilhelm] Dieterici als drittem Mann, einen echten, altdeutschen Skat vom Stapel lassen werden? Grüße ihn, vorläufig bitte recht herzlich, falls er noch einmal sichtbar sein sollte. Ist er noch immer nichtsingendes Mitglied des akademischen Gesangvereins? Eine Idee, seiner würdig! – Letzteres darfst Du ihm aber nicht sagen, denn auch Gesangvereine haben ihren Couleurstolz. Ist er dicker geworden? Wenn die Ausbildungszeit ist, komme ich wohl dazu, ihm zu schreiben, vorher jedenfalls nicht; denn zu nichts macht der Dienst mich unfähiger, als zu dem Entschluß, einen Brief zu schreiben – ein Entschluß war das ja immer für mich. Für die Zusendung vonf Hübschmanns Brief danke ich bestens, angefangen ist die Antwort auch schon, aber die letzte Woche war so anstrengend, daß ich erst jetzt zur Vollendung kommen werde.6 Dienstag den 23ten Oktober. Vorgestern Abend kam ich erst um 9 (ich sage erst!) zu Hause ang und legte mich direkt ins Bett, wie immer – ich habe mir das so angewöhnt, daß ich jetzt, was früher nie vorfiel, sogar Abends pünktlich um 9 Uhr müde werde und gestern war ein ganz ausnahmsweise anstrengender Tag, an dem ich erst spät nach Hause kam und wieder gleich in’s Bett ging, so daß ich erst heute zur Fortsetzung dieses Gekritzels komme. Ich stecke mich, wie gesagt, wenn ich nach Hause komme, jetzt meist bald ins Bett, einschlafen kann ich allerdings noch nicht, da die Augen nicht müde sind und der geistige Teil des Menschen überhaupt gar nicht beschäftigt wird – das vom Morgen anfangend bis zum Schluß des Dienstes sich steigernde Gefühl, langsam in die Nacht des tiefsten Stumpfsinns zu versinken, ist mir in der That das Unangenehmste an Allem zusammen. Die Folge dieses Gefühls ist eine eigentümliche Müdigkeit, welche den Aufenthalt außerhalb des Bettes höchst unmöglich macht. Im Bette liegend lese ich noch ca. 2 Stunden, eine andre Beschäftigung ist schwer möglich, lasse mir dann das Abendessen kommen und schlafe nachher ein.

e 〈werden〉

f 〈Her〉

g Fehlt in O; an sinngemäß ergänzt.

6 Ein Brief Max Webers an den in Straßburg lehrenden Sprachforscher Heinrich Hübschmann ist nicht nachgewiesen.

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Meine Lektüre besteht teils in H[einrich] Heines Reisebildern,7 eine nach dem stupiden Dienst sehr brauchbare, weil anregende – nicht immer im angenehmen Sinn, vielmehr meist zur Opposition anregende – Lektüre und aus Turgenjews „Tagebuch eines Jägers“,8 seine, was Naturpoesie anbetrifft, bedeutendste Leistung. Das Buch unterscheidet sich dadurch von seinen sonstigen Werken, daß hier das Leben doch als ein wohnliches, wenn auch |:teilweise:| wunderlich und schreiend ausgestattetes Zimmer erscheint, nicht wie sonst bei ihm, wo man immer dasselbe Gefühl hat, als schaue man über eine öde Ebene in das blaue Nichts und sähe nur Mückenschwärme sich zwecklos und töricht in der schwülen Luft umhertreiben. Turgenjew ist hier noch mit einem Fuße in der Türe des Domes der Romantik und weiß nicht, ob er zurückkehren oder auf die schmutzige Straße treten soll – um Himmelswillen! was habe ich da für ein Bild zusammengefl ickt! – Dies die gewöhnliche Beschäftigung. Die Sonntage sind natürlich die Lichtpunkte in dieser dunklen Stall- und Reitbahn-Existenz eines Pferdes, welches eingeritten werden soll; und was wären sie |:wieder:| ohne die Gelegenheit, stets den Nachmittag in einem der beiden liebenswürdigen Verwandten-Häuser zuzubringen.9 Das „Familie-Kneipen“ an sich war nie mein Ideal, aber hier, wo ich einerseits wie ein Sohn des Hauses und andrerseits wieder wie jeder andre, regelmäßig im Hause verkehrende Student behandelt werde, ist die Verwandtschaft nur eine Brücke, welche es ermöglicht, über tausend Dinge und so zu sprechen, wie und über welche dies sonst schwer möglich wäre. Der studentische Verkehr hier ist spärlich und wenig angenehm, der Verkehr mit meinen Miteinjährigen wird mir vermutlich nur während der ersten schweren 6 Wochen behagen,10 wo er sich ganz von selbst auf das gemeinsame Trinken eines guten Topfes Bier und das Diskutieren

7 Heine, Heinrich, Briefe aus Berlin. Über Polen. Reisebilder I/II (Prosa). (Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr, Band 6, bearb. von Jost Hermand). – Hamburg: Hoffmann und Campe 1973; ders., Reisebilder III/IV (dass., Band 7/1, bearb. von Alfred Opitz), ebd. 1986. Die Originalausgabe erschien zwischen 1826 und 1830. 8 Turghenev, I., Aus dem Tagebuche eines Jägers, 2 Bände. – Berlin: Schindler 1854–55. Das russische Original erschien 1852. Moderne Übersetzungen geben den Titel mit „Aufzeichnungen eines Jägers“ wieder. 9 Gemeint sind die in Straßburg lebenden Familien Baumgarten und Benecke. 10 Max Weber bezieht sich hier auf die nicht genau festgelegte Zeit der Grundausbildung, die v. a. körperlich anspruchsvoll war.

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von Dienstangelegenheiten beschränkt, ich wäre daher ohne jene andre Möglichkeit hier verrathen und verkauft. Sonntag vor 8 Tagen11 war ich bei [Baum]gartensh und traf dort die elsässische Familie Baum, eine der wenigen eingeborenen Familien, die bei B[aumgarten]’s verkehren, bestehend aus Mutter, Tochter und Sohn (Referendar).12 Die Tochter, die für schön gilt und wenigstens hübsch ist, war zu Emmis (oder vielmehr Emmys – sie teilte mir neulich ihre Entrüstung |:darüber:| mit, daß manche Leute sie mit i schrieben) – also zu Emmy’s größtem Erstaunen sehr liebenswürdig gegen mich, was sonst jungen Männern gegenüber nicht ihre Gewohnheit sein soll; wir gerieten in die heftigsten Confl ikte, namentlich über studentische Verhältnisse, ein Thema, welches die jungen Mädchen hier zu lieben scheinen; sie zeigte sich als sehr schlagfertig und gescheut und die Zuhörer amüsierten sich augenscheinlich königlich über die Katzbalgerei, welche auch der jungen Dame Vergnügen igemacht zu habeni schien, denn sie ließ sich schließlich sogar zum Singen bewegen – mangelhafte Stimme! – was sonst auch nicht vorkommen soll. Ich hatte jedenfalls einen sehr angenehmen Nachmittag verlebt. Am letzten Sonntag hatten Baumgartens die Doktoren Hrn v. KapHerr, einen jungen Historiker, soeben verlobt,13 und Hrn. Schulte bei sich; ich war indessen zu Benecke’s eingeladen. Bei Beneckes traf ich Onkel und Tante im besten Wohlsein, den Onkel sogar anscheinend bei sehr gutem Humor und mit guten Nachrichten von ihrer Tochter in Frankfurt [.]14 Allmälig bemerkte ich allerdings doch, daß beide unter dem Gefühle litten, als könne man sich in ihrem Hause nicht behaglich fühlen – und die natürliche Folge davon ist, daß man sich wirklich nicht so behaglich fühlt, wie dies sonst der Fall sein würde, da man immer bemüht ist, auch den Anschein zu vermeiden, als fühle man sich nicht wohl und also seien unschuldigste Äußerungen controlliert, was entschieden auf die Stimmung drückt. Auch ist es wirklich schwierig, mit dem Onkel lange in fortlaufender Unterhaltung zu bleiben, wie es nötig wäre, um bei ihm den Eindruck nicht aufkommen zu lassen, als störe h Klebemarke in O.

i–i zu machen > gemacht zu haben

11 14. Oktober 1883. 12 Mathilde Baum, ihre namentlich nicht bekannte Tochter und ihr Sohn Gustav Adolf. 13 Johannes (Hans) von Kap-herr heiratete 1884 Alexandrine (Tisa) Freiin von MeyernHohenberg. 14 Hier ist vermutlich Dora Benecke gemeint.

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sein Ohrenleiden andre Menschen. Es hat dies seinen jGrund darin, daßj er nicht leicht bei einem Thema bleibt, resp. nicht tief darauf eingeht, offenbar weil er stets befürchtet, man interessiere sich nicht dafür. Stockt aber die Unterhaltung einen Augenblick, so ist seine gute Laune dahin und er geht plötzlich zur Stube hinaus. Außerdem sind beide, Onkel und Tante, viel zu besorgt |:darum:|, wie sie ihren Gast unterhalten sollen, was auch den ungezwungenen Ton |:stört:|, der z. B. bei Baumgartens herrscht, wo man treibt, was man will und niemand sich darum bekümmert, als wer gerade nichts besseres zu thun weiß. Geradezu peinlich ist im Gegensatz zu Baumgartens schon die Art und Weise, wie Beneckes einen so nahen Verwandten wie mich, bewirten zu müssen glaubten: ich habe mir vollständig den Magen verdorben; und der Onkel nimmt es, wie Tante Ida sagt, übel, wenn man ihnen darüber Vorwürfe macht. Noch dazu erklärt dann die Tante gelegentlich, sie hätten einem bei sichk nichts zu bieten etc. – ich bin gewiß an sich gerade so gern in diesem Hause wie bei Baumgartens, denn es bietet in ganz andrer Weise als das Baumgarten’sche grade so viel innere Erfrischung, aber ich muß gestehen, daß ich mich in Folge der genannten Verhältnisse nicht so behaglich darin fühle. Störend ist auch, daß die Kinder15 so furchtbar scheu und Wilhelm ein zwar sehr eigentümlich, aber |:teilweise:| keineswegs im angenehmen Sinne, entwickelter Junge ist. Trotzdem aber verkehre ich gern dort, schon um das herzliche Lachen der lieben Tante zu hören und mit ihr, was ihr doch Vergnügen macht, über allerlei Dinge heftig in Disput zu geraten, wobei sie dann so eifrig wird, daß sie unter andrem auch vergißt, mich zu veranlassen, mehr zu essen, als in meinem Rock und unter meinem Seitengewehrkoppel Platz hat. Was ich an der Lebensauffassung von Baumgartens auszusetzen habe? Auszusetzen gewiß nichts, trotzdem sie mit gewissen Anschauungen, die mir vorläufig nun doch einmal feststehen, nicht wohl vereinbar ist – ich habe nur gesagt, daß mir die Gefahr vorzuliegen scheint, daß sie zu gewissen Excentrizitäten führe, die leicht das Lebensglück der Betreffenden beeinträchtigen können, – nicht müssen. Daß das z. B. bei Otto der Fall ist, wirst Du wohl nicht leugnen – er konnte nach den im Hause herrschenden Anschauungen nicht anders handeln und mußte wohl auch grade diese Neigung fassen, aber daß er damit nicht das Gefühl des Glücks in’s Haus brachte, wird im Stillen wohl jeder, j–j Grund, weil, > Grund darin, daß

k ihnen > sich

15 Dora, Wilhelm, Marie, Auguste, Margarete, Otto und Elfriede Benecke.

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auch möglicherweise er selbst, denken.16 In wiefern Nebenmenschen das Recht haben, sich kritisch gegen sie zu verhalten? Das Recht? Das will ich nicht behaupten, im Gegenteil – aber ich habe doch constatiert, daß sie es thun. Man braucht doch nur Tante Henriette, Beneckes, Bunges17 oder gar Jollys18 zu hören, oder die Tante Weber19 oder irgendwelchen Bekannten etwas genauer auf die Worte zu passen, wenn [von] l Ottos Heirat20 die Rede ist, um von dem Faktum überzeugt zu sein. Wie der Papa darüber denkt, weißt Du ja auch.21 Ich müßte lügen, wenn ich die direkt entgegengesetzte Meinung vertreten wollte, ich glaube nur, daß die Entwicklung nach dem Geiste des Hauses nicht anders möglich war und glaube deshalb, daß dieser Geist auch seine Gefahren in sich birgt und also seine Schwäche hat, wie jede andre ernste Lebensanschauung, die vielleicht weniger tief scheint und weniger mit sich fertig ist, dafür aber jene Gefahren nicht mit sich bringt. Eine Haupteigentümlichkeit |:desselben:| istm das Abwenden von dem Wirklichen und die Verachtung der Rücksichtsnahme darauf, mir scheint es, daß z. B. Otto die zahlreichen Erfahrungen, die er gemacht hat und macht, nicht dazu verwendet, in seiner theoretischen Anschauung ev. Änderungen eintreten zu lassen, sondern sie vielmehr, soweit es geht, in dieselben einrangiert, soweit nicht, einfach dazu verwendet, neue Nahrung für seine Vorliebe zum Pessimismus zu gewinnen. Ich möchte sogar die Behauptung aufstellen, daß er und auch Baumgartens überhaupt, die Menschen nicht behandeln und betrachten, wie sie sind, sondern wie sie nach einer sehr terroristischen Anschauung sein sollten resp., in andren Fällen, wie sie nach logischen Deduktionen etwan gedacht werden zu müssen scheinen. Indessen ich sehe, ich verl Klebemarke in O.

m ist, daß > ist

n 〈sei〉

16 Die Verbindung zwischen Otto Baumgarten und seiner Cousine Emily Fallenstein, die sich für mystisch begabt hielt, wurde innerhalb der Familie Baumgarten kritisch gesehen. Insbesondere Hermann Baumgarten hatte sich gegen die Eheschließung gewandt. Vgl. zu den variierenden Ansichten über Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, in der Familie den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, unten, S. 432 f. Allgemein dazu auch Roth, Familiengeschichte, S. 360–362. 17 Carl Gustav Bunge und Laura Bunge, geb. Fallenstein. 18 Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 19 Ida Weber, geb. Becher. 20 Otto Baumgarten und Emily Fallenstein hatten am 9. Januar 1883 geheiratet. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 315–319. 21 Auch Max Weber sen. stand Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, kritisch gegenüber. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, unten, S. 375.

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irre mich hier in theoretisch scheinende Defi nitionen u. komme lieber ein andres Mal darauf zurück, wenn sich Gelegenheit bietet, auch könnte eine zu lange Auseinandersetzung bei Dir den Eindruck erwecken, als wollte ich Kritik üben, während ich nur gegen die Art protestieren wollte, in der Du in Deinem ersten Briefe die Baumgarten’sche Lebensauffassung so unbedingt über die in unsrem Haus herrschende stelltest. Ich wollte aber nur constatieren, daß meiner vorläufigen Ansicht nach die Baumgarten’sche Auffassung leicht zu einer ungewöhnlichen Einseitigkeit in der Beurteilung andrer Anschauungen und Menschen und zu Conflikten führt, die sonst hätten vermieden werden können. Ich selbst fühle mich im Baumgarten’schen Hause wohl und heimatlich und bin, wie ich schon sagte, überzeugt, daß ich sehr viel daraus mitnehmen werde. – Fragen wollte ich Dich noch, ob Du meinst, daß ich Holtzmanns22 besuchen solle; ich kenne sie ja eigentlich nur von zwei- oder dreimaligem Sehen, weiß aber doch nicht, was Du wünschst. Hoffentlich bist Du noch nicht in Bremen, wenn dieser Brief ankommt. Dem Vater vorläufig einen herzlichen Willkommensgruß.23 Seinen Brief haben jetzt Beneckes, die ihn zu Baumgartens schicken werden. In Hamburg herzliche Grüße; ich habe ein schuldbeladenes Gewissen, da ich zu Annas Hochzeit nicht geschrieben habe, ich erfuhr ihre Verlegung vom 15. auf den 4. August erst, nachdem derselbe längst vorbei war.24 Das Papier ist zu Ende, der Brief wird mir zu teuer, wenn ich noch mehr schreibe. oEine Berechnung schicke ich mit dem nächsten Brief. 25 Bis dahin werde ich wohl abgewirtschaftet haben; die Militaria sind schauderhaft teuer. Mit herzlichem Gruße an Alle Dein Sohn Maxo o–o Zusatz am linken Blattrand.

22 Heinrich Holtzmann und seine Frau Karoline (Line) Holtzmann, eine Tochter von Georg und Ida Weber, und somit entfernte Verwandte Max Webers. 23 Max Weber dürfte sich hier auf die Heimkehr seines Vaters von der USA-Reise beziehen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 3. Sept. 1883, oben, S. 353 mit Anm. 12. 24 Gemeint ist die Hochzeit von Anna Weber mit Johann Joseph Hübbe am 4. August 1883. 25 Eine Kostenaufstellung findet sich im Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, unten, S. 370 f., wo auch eine Geldsendung vom 4. November erwähnt ist.

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Max Weber sen. 21. Dezember 1883; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 53–56

Strasburg i/E. 21.12.83 Lieber Vater!

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Die letzten acht ganz ausnahmsweise angestrengten Tage ließen mich nicht eher als jetzt dazu kommen, Euch wieder etwas Vernünftiges von meiner hiesigen traurigen Existenz hören zu lassen. Am Sonntag vor 8 Tagen nämlich,1 den ich ganz gern zum Schreiben benutzt hätte, und wo außerdem Otto Baumgarten hier anwesend war, kam ich durch die Güte meines Feldwebels, mit dem wir Einjährigen ziemlich schlecht stehen, auf Wache, noch dazu auf eine der allermiserabelsten, in der Citadelle, und hatte nun das Vergnügen, Abends von 5–7 und 11–1 und morgens von 5–7 u. 11–1 zwei einsame Pulverschuppen draußen auf dem Glacis zu bewachen. Dies Sonntagsvergnügen war mäßig, denn die Nacht war eiskalt, seit einigen Tagen lag Schnee; außerdem war es höchst langweilig, denn außer meiner Ablösung habe ich die ganze Zeit keinen Menschen gesehen und hätte in der Dunkelheit nur einmal fast mein eigenes Schilderhaus, welches keck mitten im Felde lag, mit „Halt! Werda?“ angerufen, – nicht einmal der Geist eines dort erschossenen Postens wollte sich zeigen. Auch der Aufenthalt in der Wachstube, wo sich eine grauenhafte Luft entwickelt und das massenhafte, halbverhungerte Ungeziefer sich schaarenweise auf alles Erreichbare stürzt, ist wenig poëtisch und obendrein ist jede Wache noch eine ganz unverhältnismäßig teure Geschichte und kommt einen Einjährigen sehr viel höher zu stehen als einen Studenten die ungünstigste Mensur, weil es das unveräußerliche, selbstverständliche Recht der Mannschaften ist, sich auf Kosten der Einjährigen, ohne erst lange zu fragen, voll zu essen und zu trinken und außerdem wegen der zahlreichen liebenswürdigen Besuche, die man empfängt.2 Jedenfalls hat die Sache ihre Schattenseiten und macht einen außerdem für 1 1/ 2 Tage ganz hundemüde.

1 Vermutlich 9. oder 16. Dezember 1883. 2 Zu den Kosten eines Wachdienstes vgl. auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. und 9. Febr. 1884, unten, S. 391 f.

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Kaum war man wieder auf dem Damm, so begann eine Periode von permanenten Felddienstübungen, die zwar dazu diente, gewisse Teile der Umgegend von Strasburg gründlich kennen zu lehren, aber auch sonst eben keine große Erfrischung war. Allerdings ist dergleichen, wo man wenigstens, wenn auch mit Tornister, Kochgeschirr, Mantel und Brottasche, sich im freien Felde herumtreibt, erträglicher als die stumpfsinnige Wache. Auch amüsiert man sich stellenweise ganz gut, namentlich auf dem Marsche, wenn alle die verschiedenen Soldatenlieder zum Vorschein kommen, meist patriotischer Natur, in denen sich gewöhnlich auf „deutscher Rhein“ – „Brantwein“ reimt etc., zumal da die Leute meist gute Stimmen haben und mehrstimmig sehr gut singen. Aber bei dem hier herrschenden Schweinewetter ist es doch weniger erbaulich, über große Stoppelfelder mehrfach Attacken zu machen, wobei die Beine bis über das Knie zu unförmlichen Klumpen anschwellen und man diesen consistenten, lehmigen Dreck nachher kaum unter Zuhilfenahme großer Stöcke abkratzen kann, was das Zurückmarschieren wesentlich erschwert – oder auch ewige Zeiten hinter der Straße gedeckt in dem mit Wasser gefüllten Chaussee-Graben auf dem Bauche zu liegen, wobei dann, wenn der Feind erscheint und die erste Salve gegeben wird, regelmäßig die Hintermänner den Vordermännern in’s rechte Ohr feuern. – Kurz, die letzte Woche und die erste Hälfte dieser Woche waren mit Dienst bis an den Rand gefüllt. Sonst ist jetzt im Allgemeinen der Dienst nicht eben sehr straff und anstrengend, aber ungemein zeitraubend, da wir an allen möglichen, für uns vollkommen zwecklosen Dingen, wie Appell, Gewehrreinigen, Arbeits- u. Wachekommandieren etc. als Zuschauer teil nehmen müssen, und man mit den einzelnen Fetzen freier Zeit, die am Tage dabei frei bleiben, nicht viel anfangen kann. Besten Dank für Eure beiden Briefe und für die mir sehr erwünscht gekommene Sendung von der Mama. Meinen Wunschzettel, um den Ihr fragt und der jetzt recht spät kommt, möchte ich möglichst klein gestalten, da ich mir leider selbst hier sehr viel bescheeren muß. Mit den 300 Mk, die ich am 4. November erhielt, bin ich, in Folge der, allerdings nicht sehr hohen, Ausgaben an der Universität und der, monatlich doch 45–50 Mk betragenden, regelmäßigen militärischen Ausgaben, bereits vollkommen fertig. Zudem mußte ich einsehen, daß es unvermeidlich war, mir einen |:eigenen:| Helm und, das weitaus teuerste Inventarstück, einen Mantel anzuschaffen. Ich habe denselben völlig und von gutem Stoff genommen, so daß er auch für Alfred und

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Karl, ev. durch eine einfache Änderung an den Achselklappen, brauchbar bleibt. In Folge dieses großen Extraordinariums betragen meine militärischen Ausgaben allein in diesem Monat über 250 Mk, die, der hiesigen allgemeinen Sitte gemäß, am 24ten Dezember, Weihnachten, zu zahlen sind. So unangenehm es mir deshalb ist, so ganz kolossal teuer zu werden, muß ich doch schon wieder um möglichst schleunige Zusendung von Geld bitten, um nicht in die größte Verlegenheit zu kommen, zumal ich auch vor dem ersten noch mit meinem Wirth3 wegen dessen Ausgaben für mich in diesem Monat abrechnen muß. Ich muß nämlich am 1. Januar, wo meine Wirtsleute verziehen, ebenfalls die Wohnung aufgeben, was mir sehr unbequem ist, da ich vorläufig noch keine gleich billige und bei gleich angenehmen und ehrenhaften Leuten wieder gefunden habe. Onkel Hermann, den ich fragte, ob die erste Dienstzeit von Fritz und Otto eben so teuer gewesen sei, sagte mir, daß sie erheblich weniger gekostet habe, wobei allerdings in Anrechnung kommt, daß beide bei ihren Eltern wohnten und aßen, was bei den hiesigen Preisen für Essen immerhin viel ausmacht. Von einem großen Wunschzettel kann daher natürlich nicht die Rede sein – auch habe ich ja noch gute Bücher die Fülle zu studieren und beispielsweise in den Savigny4 noch kaum hineingesehen; etwas mehr in den Windscheid.5 Ganz gern besäße ich ganz oder |:vorläufig:| teilweise den Janssen,6 weil ich glaube, daß er meiner historischen Beschäftigung, die ich doch keineswegs ganz bei Seite lassen möchte, sehr dienlich sein würde – oder aber ein tüchtiges Werk über mittelalterliche Kunstgeschichte, die mir in großen Partien noch sehr mangelhaft bekannt ist. Ich werde am Weihnachtsabend, wenn ich nicht, was sich leicht ereignen kann, Posten stehe, bei Beneckes sein, die mich sehr freundlich eingeladen haben; auch Baumgartens werden dort hinkommen, d. h. nach dem Abendessen. Otto kann erst am zweiten Feiertag kommen. Er war am Sonntag vor acht Tagen hier und ich, der am Samstag vorher bei Baumgartens war, sah ihn und muß sagen, daß er einen zwar abgespannten, aber ruhigen, keineswegs mehr nervös erregten Eindruck

3 Der Vermieter in der Steinstraße 39 hieß Klarspieß. 4 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 307 mit Anm. 22. 5 Windscheid, Pandektenrecht I–III (wie oben, S. 352, Anm. 9). 6 Janssen, Geschichte des deutschen Volkes I–III (wie oben, S. 328, Anm. 9).

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machte, weit bessera, als z. B. an seinem Hochzeitstage7 und überhaupt so aussah, als werdeb er körperlich den schweren Schlag ohne Schwierigkeit überstehen.8 Der Onkel9 ist wohl, wenn auch nach wie vor in verdrießlicher Stimmung. – Beiläufig, um es nicht zu vergessen, er bat mich, da er selbst ungewöhnlich viel zu thun hat |:u. nicht schreiben kann:|, Dich um den Curs einer gewissen Frankfurter Aktie, ich weiß nicht mehr von welcher Gesellschaft, zu fragen, die Du ihm im Sommer in Heidelberg verkauft habest und die er Dir noch schulde. – Wie gesagt also, der Onkel ist nach wie vorc ziemlich bitter gestimmt, und zwar aus verschiedenen wirklich recht triftigen Gründen. Man denke sich, daß die Gesellschaft, welche hier mit der Stadtverwaltung betraut ist, es fertig bringt, die wunderschöne Allee uralter Platanen, welche zwischen dem Baumgarten’schen Grundstück und der Orangerie läuft, das schönste, meiner Ansicht nach, an der ganzen Orangerie, und entschieden der größte Schmuck Strasburgs, – nicht etwa umzuhauen, sondern zu köpfen, d. h. auf 1/ 3 ihrer Höhe, bis da, wo die ersten Zweige anfangen |:u. sich teilen:|, glatt abzuschlagen, so daß die vollkommen zweiglosen Stämme in die Luft hineinragen, alle gleich hoch, wie eine Reihe kolossal dicker Galgen, an die man nur die ganze Blase aufhängen sollte, um einen harmonischen Eindruck zu haben. Natürlich erheben der Onkel u. andre in hiesigen Zeitungen energischen Protest gegen die |:weitere:| Ausführung dieser Barbarei, es gab Entgegnungen, die Köpferei wurde, nachdem 10 Bäumed abgeschlagen waren, sistiert, ob aber endgiltig, ist die Frage.10 Dazu kommen dann die politischen Zustände hier, die doch wirklich bodenlose zu nennen sind, wenn, ohne a 〈[??]〉

b sei > werde

c 〈nicht〉

d 〈g〉

7 Am 9. Januar 1883 hatten Otto Baumgarten und Emily Fallenstein geheiratet. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 315–319. 8 Am 7. November 1883 war der Sohn von Otto Baumgarten kurz nach der Geburt verstorben, zwei Tage darauf auch seine Ehefrau Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. 9 Hermann Baumgarten. 10 Im Dezember 1883 berichtete die „Straßburger Post“ wiederholt von der hier beschriebenen Kappung der Baumkronen von den Platanen an der Westseite der Orangerie, worauf die Anwohner mit großen Protesten reagierten. Zu ihnen gehörte auch Hermann Baumgarten, von dem am 9. Dezember 1883 eine Korrespondenz mit dem Botaniker Heinrich Anton de Bary publiziert wurde, die den fehlenden Nutzen der Maßnahme herausstellte (Straßburger Post, Nr. 341 vom 9. Dez. 1883, S. 2). Am 11. Dezember wurde die Aktion eingestellt; der Straßburger Post nach waren es nun zwölf Baumstämme, die „wie Galgen aus dem Geäste der übrigen Bäume der Allee und der Orangerie schauderhaft“ hervorragten (Straßburger Post, Nr. 344 vom 12. Dez. 1883, 1. Bl., S. 1).

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großen Widerspruch, selbst die Unabhängigkeit der Gerichte einfach bestritten wird. Verschiedene Anzeichen scheinen übrigens auf den nahen Sturz Manteuffels, der jetzt ja selbst von der Kreuzzeitung und der Post angegriffen wird, hinzudeuten.11 Es scheint Bismarck endlich gelungen zu sein, die ihm unangenehme Sympathie des Kaisers für Manteuffel zu ersticken. M[anteuffel] hat hier nicht nur alle Beamten im Lande außer einem ganz bestimmten Kreis, sondern auch das Offiziercorps energisch gegen sich und sein vollkommen persönliches Regiment.12 Es kommen ja aber auch die unglaublichsten Scherze vor. Alles |:dies:| trägt natürlich nicht dazu bei, die Stimmung des Onkels zu erheitern und ich glaube, daß es ihm wohl thut, sich zeitweise gründlich auszusprechen. Auch scheint mir, daß er die Absicht hat, nächstens wieder litterarisch aufzutreten, u. zwar gegen das Goltz’sche Buch „Roßbach und Jena“;13 indessen kann ich mich auch irren.14 Im Seminar des Onkels,15 welches ich regelmäßig besuche und für welches ich auch, so viel wie möglich, arbeite,16 beschäftigen wir uns

11 Edwin von Manteuffel, seit 23. Juli 1879 erster Reichsstatthalter in Elsaß-Lothringen, wurde von der konservativen Kreuzzeitung (Nr. 297 vom 20. Dez. 1883, S. 1 f.) anläßlich der Budget-Debatte im Landesausschuß ausdrücklich in Schutz genommen, verlangte auf der anderen Seite jedoch ein konsequenteres Durchgreifen gegen antideutsche Bestrebungen seitens elsässischer Notabeln. Die „Straßburger Post“ ging in ihrer Berichterstattung (Nr. 349 vom 18. Dez. 1883) durchaus kritisch auf Manteuffels Regierungsstil ein, ohne jedoch die im Reich kursierenden Rücktrittsgerüchte aufzugreifen. Im Amt blieb er bis zu seinem Tod am 17. Juni 1885. 12 Seit den 1850er Jahren hatte von Manteuffel ein sehr gutes Verhältnis zum damaligen Kronprinzen und späteren Kaiser Wilhelm I., dessen zeitweiliger Berater er war. Als Reichsstatthalter in Elsaß-Lothringen versuchte er sogleich, das Vertrauen insbesondere der frankophilen Honoratioren und der katholischen Geistlichkeit zu gewinnen, was ihm auch weitgehend gelang. In seiner patriarchalischen Versöhnungspolitik setzte er sich stets über die traditionellen Etikette des ständischen Vorrangs des Adels und v. a. des Militärs hinweg, was zu einer andauernden Antipathie nicht nur in diesen Kreisen führte. 13 Goltz, Colmar von der, Roßbach und Jena. Studien über die Zustände und das geistige Leben in der preußischen Armee während der Übergangszeit vom 18. zum 19. Jahrhundert. – Berlin: Mittler 1883. 14 Eine Kritik Hermann Baumgartens ist nicht nachweisbar. 15 Hermann Baumgarten hielt mittwochs von 18–20 Uhr ein zweistündiges Seminar ab: „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Straßburg, WS 1883/84, S. 19, dort mit dem Zusatz „privatissime und gratis“, daher ohne Zahlungsnachweis. 16 Den einjährig-freiwilligen Rekruten war es gestattet, außerhalb des Dienstes ihr Studium fortzusetzen, wenn die Zeit dies erlaubte. Die Einjährig-Freiwilligen wurden mit der Nennung ihrer Regimenter auch im Personalverzeichnis der Universität genannt. Vgl. Amtliches Verzeichniß Universität Straßburg, WS 1883/84 (wie oben, S. 330, Anm. 21), S. 17– 40.

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sehr interessant mit der vergleichenden Lektüre zweier berühmter italienischer Schriftsteller aus der Reformationszeit, Paulus Jovius und Guicciardini. Sohms Colleg17 liegt für mich in diesem Quartal sehr unglücklich; im nächsten, wo die Einjährigen von dem Dienst, der um diese Stunde, 3–4, liegt, Gewehrreinigen, dispensiert sein werden, werde ich wohl ziemlich regelmäßig hingehen können.18 Er ist eine eigentümliche Erscheinung, mager, hält sich sehr schlecht, mit etwas lockigem, ziemlich langem blonden Haar und das eigentlich noch jung aussehende, bartlose u. interessante Gesicht, mit ein par großen, klaren, aber entschieden schwindsüchtig aussehenden, blauen Augen, die, wenn er sie, um besser zu hören, – er ist schwerhörig –, einem |:bis:| auf wenige Centimeter an’s Gesicht bringt, beinahe einen unheimlichen Eindruck machen. Er ist, was sich in seinem Organ u. Dialekt sofort bemerkbar macht, Mecklenburger. Sein Organ ist es jedenfalls nicht, was oft, – nicht immer, – eine so außerordentliche Wirkung hervorbringt. Seine ganze Erscheinung macht, so lange man ihn nicht sprechen hört, den Eindruck eines religiösen Apostels, nachher zuweilen den eines, mit einigen ganz einseitigen Ideen beschäftigten Fanatikers. Über sein Colleg kann ich vorläufig noch nichts sagen, ehe ich ihn nicht öfter gehört habe. – Ich bin nach wie vor häufig bei Baumgartens, Sonntag Nachmittags im Allgemeinen immer, zuweilen auch noch einmal in der Woche, und stets freundlich aufgenommen. Auch zu Beneckes komme ich im Durchschnitt die Woche einmal. Neulich sollte ich dort als Knecht Ruprecht erscheinen, hatte aber leider Dienst und konnte erst kommen, als die Kleinsten schon im Bett waren. – Laura ist z. Zeit in Waldkirch für einige Tage, um den Rest ihrer Sachen herzuholen.19 In unser Haus hätte sie absolut nicht gepaßt. Daß 17 Gemeint ist das „Kolleg Kirchenrecht und Eherecht“, das Rudolph Sohm von Montag bis Freitag zwischen 15–16 Uhr hielt. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Straßburg, WS 1883/84, S. 6. 18 Es ist fraglich, ob Max Weber in der zweiten Hälfte des Wintersemesters 1883/84 ein Kolleg von Rudolph Sohm besucht hat. In seinen Lebensläufen (MWG I/1, S. 352–357) rechnet Weber ihn aber zu seinen akademischen Lehrern und schreibt, daß er mit „einiger Regelmäßigkeit“ seine Vorlesungen gehört habe (ebd., S. 353). 19 Laura Fallenstein war eines der verwaisten Enkelkinder aus der ersten Ehe von Georg Friedrich Fallenstein mit Elisabeth Benecke, über deren Versorgung in der Familie immer wieder debattiert wurde. Nach dem Tod ihrer Mutter Elisabeth Fallenstein, geb. Campbell, im Jahre 1878 blieb sie noch bis 1881 in Australien, von wo aus sie zunächst nach England ging. Nach dem Tod ihrer Halbschwester Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, der sie sich angeschlossen hatte, spielte auch Helene Weber mit dem Gedanken, sie nach Berlin zu

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es ihr zweifellos nicht geschadet hätte, zu Jollys20 zu kommen, versteht sich, sie würde, denke ich, vielseitiger werden, wenn der ausschließliche Einfluß, den Emily21 auf sie gehabt hat, etwas paralysiert würde; aber daß davon weder bei Baumgartens noch bei ihr die Rede sein konnte, steht ebenfalls fest. Deine Ansicht von dem wahrscheinlichen Ende, welches Emily genommen hätte, wenn nicht der Tod dazwischen getreten wäre, wird, so viel ich weiß, sehr allgemein außerhalb des Baumgarten’schen Hauses geteilt. Bis zu diesem Ende wäre ese allerdings noch lange hin gewesen, denn vorläufig entwickelte Emily selbst in diesem Zustand noch eine wirklich bewundernswerte Energie. Nun geht das Papier zu Ende, und ich willf den Brief möglichst schleunig noch fortbringen, damit Du ihn rechtzeitig erhältst. Viele Grüße an alle zu Hause und recht vergnügte und glückliche Feiertage. Ich werde hier, das erste Mal in der Ferne, an Euch denken. Dein Sohn Max

e Fehlt in O; es sinngemäß ergänzt.

f 〈ebenfalls〉

holen. Laura Fallenstein blieb jedoch zunächst in Straßburg bei der Familie Baumgarten, bevor sie sich 1886 entschloß, ihrem Bruder Frank T. Fallenstein in die USA zu folgen. Vgl. dazu Roth, Familiengeschichte, S. 362–365. 20 Julius Jolly und Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 21 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein.

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Max Weber sen. 5. und [6.] Januar 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 57–62 Der Brief wurde am 5. (Samstag) und 6. („Sonntag“) Januar 1884 geschrieben.

Strasburg d. 5. Januar 84 Lieber Vater! Ihr werdet es jedenfalls unerhört gefunden haben, daß ich weder für die Herrlichkeiten, die das Christkind mir gebracht hatte, gedankt, noch auch zu Neujahr etwas von mir hören gelassen habe; auch werdet Ihr gewiß erstaunen, wenn ich dazusetze, daß ich bisher weder in eines der Bücher einen Blick geworfen habe, noch auch, trotzdem ich längst eine andre Wohnung habe, bisher umgezogen bin. Das ist auch wirklich nur zu verstehen, wenn man alle Perfidien des schönen Militärlebens durchschaut hat, wie ich es in den letzten anderthalb Wochen gekonnt habe. Nachdem wir die letzte Zeit vor Weihnachten eigentlich ganz erträglich behandelt waren, zuletzt einige Tage gar nichts gethan, begann am sogenannten dritten Feiertage eine bisher seit der Rekrutenzeit nicht gekannte Drillerei. Felddienstübungen, verschiedene Meilen weit von Straßburg, massenhaftes Schießen, was bei der Entfernung unsres Schießplatzes jedesmal 5–6 Stunden in Anspruch nimmt, und außerdem noch mehrere Stunden Nachmittagsdienst folgten aufeinander. Am Sonntag nach dem Fest1 schleifte man uns in die Kirche, Nachmittags ging ich zu Beneckes, denen ich noch nicht für die Heimat gedankt hatte, die sie mir am Weihnachtsabend geboten haben. Die neue Woche begann damit, daß ich Hals über Kopf noch in letzter Stunde für den Sylvesterabend, wo ich bei Beneckes eingeladen war, auf Wache commandiert wurde. Mein Feldwebela, mit dem ich gespannt stehe, erreichte dadurch den doppelten Zweck, mir Sylvesterabend und Neujahrstag zu versalzen und außerdem mich für die ganze Woche in eine Art von Übermüdung zu versetzen, die mich zu Allem, außer zum Schlafen, unfähig machte. Auf den Wachstubenpritschen habe ich bisher, zu meinem großen Erstaunen eigentlich, nicht schlafen können, was sich allerdings dadurch erklärt, daß, sowie ich mich im a 〈erreichte dad〉 1 30. Dezember 1883.

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Einschlafen auf die rechte oder linke Seite drehe, einer von meinen beiden dort sehr passend angebrachten Schmissen2 mich sofort schleunigst wieder recht munter macht, dem die harte Pritschenkante nicht passen will. Seit Neujahr bin ich denn überhaupt nur Abends zum Schlafen nach Hause gegangen, – den übrigen Tag mit Ausnahme der etwas größeren Mittagspause verbrachte ich in der Kaserne, – so daß ich jetzt noch ungefähr eben so müde bin als am Neujahrstage, trotzdem ich den Mittag über geschlafen habe. Ihr werdet es wohl ziemlich begreifl ich fi nden, daß ich, wenn ich Abends nach Hause kam, nicht recht in der Lage war, einen vernünftig sein sollenden Brief zu schreiben. In Folge dessen komme ich also erst jetzt dazu, Euch ein recht glückliches neues Jahr und mir in demselben ein glückliches Wiedersehen mit Euch zu wünschen. Wie ich nachher hörte, haben Beneckes, die mich sicher erwarteten und meine Karte noch nicht bekommen hatten, auch in meinem Namen mittelegraphiert und Ihr habt Euch meine Situation also erheblich behaglicher vorgestellt, als sie wirklich war, denn um 12 Uhr stand ich just an der öden Esplanade auf Posten und dachte, daß Ihr nun wohl bereits wieder ziemlich weit in Hebels „Schatzkästlein“3 gediehen sein würdet, allerdings noch mehr an den vermutlich dazu consumierten Punsch, an dem ich mich in Gedanken, wie an Mamas Stauchern4 in natura, erwärmte. Mein Brief zu Weihnachten kam allerdings etwas sehr spät.5 Das Geld habe ich richtig erhalten, – viel ist, nach dem ich meine militärischen Ausgaben bestritten und mit meinem Hauswirt abgerechnet habe, nicht mehr davon übrig. Herzlichen Dank für die schönen und vielen Geschenke, der Mama auch noch besonders für die Staucher, die in der That, wenn man das kalte Gewehr zwei Stunden lang halten muß, höchst wünschenswert sind. Von dem Dilthey’schen Buche6 habe 2 Laut Paukbuch der Allemannia Heidelberg hat Max Weber viermal gefochten: 12. Dezember 1882, 24. Januar, 25. Februar und 14. Juli 1883. Dabei zog er sich zwölf blutende Wunden zu und mußte viermal am Kopf genäht werden. Vgl. Reinbach, Weber und Allemannia, S. 115–118. 3 Hebel, J[ohann] P[eter], Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. – Tübingen: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1811. 4 Ein anderes Wort für Pulswärmer. 5 Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 369–375. 6 Dilthey, Wilhelm, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Erster Band. – Leipzig: Duncker & Humblot 1883 (hinfort: Dilthey, Einleitung).

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ich bis jetzt nur wohl in der Inhaltsübersicht die Kapitelüberschriften gelesen, die teilweise etwas wunderlich lauten; Onkel Hermann sprach von einer sehr heftigen Kritik, der es unterzogen worden sei;7 ich werde dieselbe natürlich erst nach dem Buche selbst lesen. Der Holtzendorffb erspart mir wohl das Belegen eines Collegs über Rechtsencyklopädie.8 Den Janssen, den ich mir gewünscht hatte,9 bekomme ich auch auf der Seminarbibliothek, auch könnte ich ihn jetzt doch nur flüchtig studieren. Über das Lenz’sche Lutherbuch10 war der Onkel, wie ich, glaube ich, schon einmal schrieb,11 nicht besonders gut zu sprechen; er verurteilte namentlich die Art, in der hier ein unfehlbarer Luther geschaffen würde. Der Cigarrenkasten prangt auf meinem Tisch; von dem schönen Füsilier war leider die Helmspitze lädiert. Wann ich den Kuchen, mit dem ich von Euch und von hier aus überschüttet worden bin, allen vertilgen soll, weiß ich nicht, die Catachin’chen oder Kater-Schienchen12 oder wie sie zu schreiben sind, liegen im Ofen. Der Häring13 hat das Entsetzen von Jedermann hervorgerufen und wurde sehr vorsichtig betastet; ich weiß noch nicht, wie ich ihn am Besten auf der Bude anbringe. – Daß ich den Weihnachtsabend bei Beneckes verlebte, wißt Ihr bereits und könnt Euch demnach auch denken, daß ich mich ganz wie in der Heimat fühlte. Leider verhinderte mich das Militär daran, bei den Vorbereitungen so viel mitzuhelfen, als ich gewünscht hatte, nur am b O: Holtzendorf 7 Zur zeitgenössischen Rezeption vgl. Lessing, Hans-Ulrich, Die zeitgenössischen Rezensionen von Wilhelm Diltheys „Einleitung in die Geisteswissenschaften“ (1883 bis 1885), in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften, Band 1, 1983, S. 91–181, darunter auch die Kritik von Gustav Schmoller (ebd., S. 96–103), die unter dem Titel „Zur Methodologie der Staats- und Sozialwissenschaften“, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Band 7, 1883, S. 971– 994, erschienen war. 8 Holtzendorff, Franz von (Hg.), Encyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, 3. vermehrte und verbesserte Auflage. – Leipzig: Duncker & Humblot 1877. Das Werk war 1871 erstmals erschienen und wurde immer wieder überarbeitet und neu herausgegeben. 9 Gemeint ist: Janssen, Geschichte des deutschen Volkes I–III (wie oben, S. 328, Anm. 9). Zum Wunsch vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 371 mit Anm. 6. 10 Lenz, Max, Martin Luther. Festschrift der Stadt Berlin für ihre Schulen zum 10. November 1883. – Berlin: R. Gärtner 1883. 11 Eine entsprechende briefliche Mitteilung Max Webers ist nicht überliefert. 12 Kataschinchen, auch Kathrinchen, sind eine Pfefferkuchen-Spezialität aus Thorn. 13 Es ist nicht zu klären, was hier gemeint ist.

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Abend selbst konnte ich beim Aufstellen und Anstecken helfen. In den prächtigen Räumen und bei der Sorgfalt und dem Geschmack, mit dem der Onkel14 alles arrangierte, war das Fest wirklich vollendet schön. Den Baum, ein riesiges Exemplar, anzusehen, war eine wahre Freude. Die Bescheerung für die Kinder15 war außerordentlich reichlich und das entstehende Halloh und Spektakel dem entsprechend. Eure Sendungen haben, wie ich sehen konnte, viele Freude gemacht, was mir zu Gute kam, da man mich trotz Protestes mitverantwortlich machen wollte. Baumgartens kamen erst später. Ich war naturgemäß nicht bei ihnen, sondern bei Beneckes, weil ihr Weihnachtsfest, wie sich versteht, ein stilles war, dessen eigentlicher Sinn durch die Anwesenheit irgend Jemandes, der nicht zur Familie im engsten Begriff gehörte, gestört worden wäre.16 Auch hatten sie selbst es so mit Beneckes verabredet. Ich bin von beiden in der liebenswürdigsten Weise mit verschiedenen kleinen Utensilien beschenkt worden. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war ich bei Baumgartens. Ich habe mir wenigstens das kleine Vergnügen gönnen zu dürfen geglaubt, der Tante Ida Turgenjews Gedichte in Prosa,17 die der Mama und überhaupt bisher jedermann so außerordentlich gefallen haben, den Baumgarten’schen Cousinen18 Eichendorffs reizendes „Leben eines Taugenichts“,19 und der Dora20 Stifters „Hochwald“21 zu dedicieren. – Fritz Baumgarten war die Weihnachtsferien über hier; er war von dem vielen, was er im letzten Vierteljahr durchzumachen gehabt hat, recht erschöpft, indessen sonst wohl. Er ist noch immer eben so jugendlich, wie vor Jahren, durch den lebhaften Verkehr mit und das rege Interesse an seinen Schülern eher noch jünger geworden und hat an seinem Berufe offenbar die größte Freude. Was er im letzten Quartal hat 14 Ernst Wilhelm Benecke. 15 Dora, Wilhelm, Marie, Auguste, Margarete, Otto und Elfriede Benecke. 16 Am 7. November 1883 war der Sohn von Otto Baumgarten kurz nach der Geburt verstorben, zwei Tage darauf auch seine Ehefrau Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. 17 Turgenev, Ivan S., Gedichte in Prosa. – Leipzig: Reclam [1882]. 18 Emmy Baumgarten und Anna Baumgarten. 19 Diese Novelle war in zahlreichen Ausgaben verbreitet. Die Originalausgabe erschien 1826: Eichendorff, Joseph Freiherr von, Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Zwei Novellen nebst einem Anhange von Liedern und Romanzen. – Berlin: Vereinsbuchhandlung 1826. 20 Dora Benecke. 21 „Der Hochwald“ ist eine Erzählung Adalbert Stifters, die erstmals 1842 erschienen war und von der es verschiedene Separatausgaben gab, z. B.: Stifter, Adalbert, Der Hochwald. – Leipzig: Amelang 1877.

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leisten müssen und was seine beständige Anwesenheit in Waldkirch bedeutet hat, läßt sich nur schwer ermessen [.] Otto [,] der erst nach dem Feste |:auf:| zwei Tage hier war, habe ich ebenfalls wiedergesehen und lange und über vieles mit ihm sprechen können. Er ist körperlich natürlich nicht glänzend, aber doch verhältnismäßig über Erwartung gut bestellt und die unausgesetzte Arbeit thut ihm wirklich ganz unverkennbar wohl. Er macht in Waldkirch zahlreiche sehr interesssante Erfahrungen, insbesondre auf dem Gebiet des Volksschulwesens, mit dem er sich eingehend beschäftigt, und, im Verkehr mit den dortigen Vertretern der katholischen Kirche, die teilweise sehr brave, gemäßigte und vernünftige Leute zu sein scheinen – Katholiken und Protestanten benutzen dort ja auch dieselbe Kirche, trotzdem letztere in verschwindender Minderheit sind.22 Ich habe einige Predigten von ihm gelesen, die viel weniger spekulativ und sehr |:viel mehr:| auf das Praktische eingehend sind, als früher. Nur sein Stil ist etwas schwer, was ja auch z. B. in seiner Ordinationspredigt hervortritt. – Laura23 ist im Allgemeinen jetzt wohl, hatte in den letzten Tagen starken Schnupfen u. lag gestern zu Bett, da man fürchtet, es könnte Asthma eintreten. Sie ist sehr liebenswürdig und tüchtig, vielleicht etwas zu kategorisch in ihren Ansichten über Vieles und Viele, die sie nur rein theoretisch beurteilen kann; – in unser Haus hätte sie nie gepaßt. Anna Baumgartenc ist ihr Pensionsaufenthalt sehr gut bekommen, 24 sie ist doch für ihr Alter sehr weit entwickelt. Auch Dora25 ist erheblich erwachsener und mancher Ungehobeltheiten entkleidet aus Frankfurt zurückgekommen, sie ist jetzt wirklich nicht mehr Kind, wie noch vor einem Jahre, sondern „junge Dame“ comme il faut. c 〈,〉 22 Die mehrheitlich katholische Bevölkerung Waldkirchs nutzte seit 1876 gemeinsam mit den erst im Zuge der Industrialisierung zugereisten Protestanten die Stadtkapelle; erst 1887 konnte eine eigene Kirche eingeweiht werden, für die sich Otto Baumgarten stets eingesetzt hatte. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon in Halle. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, unten, S. 493 mit Anm. 54. 23 Laura Fallenstein. Zum Nachfolgenden vgl. auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 374 f. mit Anm. 19. 24 Wie den Familienkorrespondenzen zu entnehmen ist, befand sich Anna Baumgarten in einem Pensionat in Bad Dürkheim in der Pfalz, vgl. insbes. den Brief von Fritz Baumgarten an Anna Baumgarten vom 25. Juli 1883, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 25 Dora Benecke.

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Was mich selbst anbetrifft, so lebe ich in der alten Weise weiter und befi nde mich soweit ganz wohl dabei. Anfangs mit Schrecken, nachher mit Wohlgefallen bemerkte ich, wie rapide ich wieder mager wurde; meine Miteinjährigen rechnen mich jetzt zu den „Wohlproportionierten“, während ich früher von ihnen den „Dicken“ beigerechnet wurde, und sogar der Major auf ein Wattieren meiner besseren Uniform verzichten zu können erklärte. Ich war im vorigen Monat ziemlich häuslich, ließ mir von meinen Wirtsleuten Mittag- und Abendessen besorgen, wobei ich ganz gut, wenn auch nicht viel billiger als sonst, fuhr. Leider mußte ich mir zum 1. Januar eine andre Wohnung suchen, da meinen Hausleuten gekündigt worden war. Nachträglich blieben dieselben indessen doch noch bis zum 1. April wohnen, so daß ich sehr bedauerte, nicht mit dem Mieten noch gewartet zu haben, da die Leute wirklich sehr brav, ehrlich und aufmerksam waren. Meine neue Wohnung liegt dicht hierbei, Steinstraße Nr 35, bei Hrn. Jockerst, – eine sehr gemütliche, allerdings so kleine Bude, daß, wenn ich meine Glieder auseinanderrecke, ich wohl alle vier Wände auf einmal einrennen würde. Alle andren Wohnungen hier in der Nähe waren teuer. Ich konnte bisher immer noch nicht dazukommen, meine Sachen vollständig zu packen und umtransportieren zu können, so daß ich sehr froh war, noch hier bleiben zu können. Ich habe auch wirklich mit meinen Büchern etc. einen für einen Studenten ungewöhnlich großen Hausrat mit mir. Eben werden meine Sachen hinübergeschafft werden u. werde ich heute Nacht wohl zum ersten Male drüben schlafen. – Was meinen Verkehr anbetrifft, so beschränkt sich derselbe auf eine Anzahl von Einjährigen, unter denen manche recht nette Leute sind, mit denen ich öfters Abends in einem benachbarten Lokale ein gutes Glas Bier trank. Sonst fühle ich zur Zeit, was nicht verwunderlich sein kann, weniger als je das Bedürfnis, irgend welchen Verkehr eingehender zu cultivieren. Von meinem Militärleben ist ja nun, Gott sei Dank, ein Viertel glücklich herumgegangen und ich bin einigermaßen eingelebt und eingeweiht. Mit den Vorgesetzten in meiner Compagnie, 26 der zweiten, habe ich es ganz gut getroffen; allerdings gilt das Avancement bei derselben für besonders schlecht, 27 dagegen ist die Behandlung eine sehr 26 Militärische Einheit mit einer Stärke zwischen 80 und 300 Mann. 27 Wer als einjährig-freiwilliger Rekrut zum Reserveoffizier ausgebildet werden wollte, mußte nicht nur diverse praktische und theoretische Prüfungen ablegen, die nach militä-

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anständige. Die Anstrengungen ertrage ich ganz gut, fühle mich nur jetzt von dem Dienst der letzten Woche stark beeinflußt, namentlich in Bezug auf die Denkfähigkeit, – man wird merkwürdig „stumpfsinnig“ durch anhaltenden strammen Dienst und hat, was das Schlimmste ist, das Gefühl davon –, zudem habe ich einen hartnäckigen Schnupfen von dem ewigen Aufdembauchliegen im nassen Grase bei Felddienstübungen. In Folge dessen müßt Ihr entschuldigen, wenn dieser Brief nicht eben sehr inhaltreich an Gedanken ist. Über meine geistige Beschäftigung schreibe ich deshalb lieber das nächste Mal.28 Leider mußte ich einmal an einem ganz besonders interessanten Abend das Seminar des Onkels schwänzen.29 Es ist schon wieder Sonntag geworden, da ich gestern schnell müde wurde; auch habe ich heute lange geschlafen u. es ist jetzt schon Nachmittag, ich schließe daher lieber, damit Ihr nicht noch länger warten müßt und mich schließlich für ganz verrückt haltet. Nochmals herzlichen Dank und viele Grüße an alle Bekannten und Verwandten. Euer Sohn Max.

rischen Maßstäben bewertet wurden. Ebenso wurden sein familiärer Hintergrund, sein Auftreten, seine „Persönlichkeit“ etc. geprüft; die Beförderung hing daher nicht zuletzt von der persönlichen Einschätzung der Vorgesetzten ab und war oftmals recht willkürlich. 28 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 19. Jan. 1884, unten, S. 383–387. 29 Gemeint sind die „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“, die Hermann Baumgarten mittwochs von 18–20 Uhr abhielt.

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Helene Weber 19. Januar 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 63–65

Strasburg d. 19. Jan. 1884 Liebe Mutter!

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Obgleich noch etwas müde von einer in den letzten Tagen durchgemachten Wache, will ich doch, um in Bezug auf Schreibfleiß meinem schwer geschädigten Rufe etwas aufzuhelfen, Euch über mein Befi nden einige Zeilen zukommen lassen. Die Vorwürfe, die Du mir in Deinem letzten Brief machtest, sind ganz berechtigt an sich, jedoch glaube ich, daß die Schwere derselben wesentlich modifi ziert wird, wenn man weiß, in welche eigenartigen körperlichen und geistigen Zustände man durch das Militärleben versetzt werden kann, Zustände, die ich in dieser Art doch früher nicht gekannt habe. Ich kann gar nicht sagen, daß es die körperliche Anstrengung allein wäre, die hier in Betracht kommt, – dieselbe ist freilich für uns Einjährige manchmal unverhältnismäßig groß, die wir viel kürzer und weniger eingehend gedrillt werden als die an sich schon meist körperlich leistungsfähigeren Soldaten, außerdem um 2 Jahre gegen die 3jährigen zurück sind und es |:noch:| nicht so wie diese verstehen, uns um manche Unannehmlichkeit zu drücken. Aber noch weit unangenehmer ist der endlose Zeittodschlag, der beim Militär betrieben wird und das nicht tausend- sondern millionenmalige Wiederholen der vielen rein mechanischen Künste, welches für den Katzenjammer ein unfehlbares Heilmittel sein soll, mangels eines solchen aber denselben erzeugt oder vielmehr einen Zustand, der noch viel schlimmer ist und jegliches Denkvermögen einfach verschwinden läßt. Nach einer 5–6stündigen Vormittags-Felddienstübung in Tornister, Mantel, Kochgeschirr etc. legte ich mich den Nachmittag stets in’s Bett, war aber dann Abends zwar körperlich zerschlagen, aber doch im stande, noch mit Freude Buckle, Gibbon oder Biedermann zu lesen,1 sind aber Vormittags 3 Stunden, Nachmittags 2 Stunden „Griffe“2 und Marschübungen gemacht worden, was jetzt der regelmäßige 1 Gemeint sind: Buckle, History of Civilization I–II (wie oben, S. 308, Anm. 24), Gibbon, History of the Decline I–VI (wie oben, S. 308, Anm. 25), und Biedermann, Christliche Dogmatik I–II (wie oben, S. 319, Anm. 34). 2 Gemeint ist das Exerzieren von Griffen am Gewehr.

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Dienst ist, und ist außerdem, was ebenfalls die Regel ist, noch Appell, Gewehrreinigen, Instruktion und allerlei ähnliches geradezu empörend überflüssiges Zeug gewesen, so bin ich zwar körperlich nicht übermäßig angestrengt, aber geistig ganz einfach leistungsunfähig. Jede Spur von geistiger Energie ist verschwunden, ich würde mich um noch so hohen Preis weder zu einem Briefe noch zu dem Versuch zu arbeiten aufschwingen können, sondern sitze im Lehnsessel, rauche eine Zigarre nach der andren und denke an nichts, – wirklich an gar nichts, denn es ist mir vorgekommen, daß ich, nachdem ich, meiner Meinung nach, eine kurze Weile so dagesessen hatte, auf der Uhr constatierte, daß ich volle drei Stunden so, ohne jeden Gedanken, zugebracht hatte. Im Dilthey’schen Buche3 las ich neulich Abends 60–70 Seiten langsam und meiner Meinung nach gründlich (der Inhalt, rein historisch, machte keine Schwierigkeiten), – als ich fertig war, hatte ich nach einer Viertelstunde nicht die leiseste Ahnung mehr, was darin gestanden hatte. Man befi ndet sich eben in einem Zustande, der nicht besser bezeichnet werden kann, als mit dem von unsrer Zeit, – was für sie sehr charakteristisch ist, – erfundenen Worte „stumpfsinnig“.4 Ein gewisses eigentümliches Phlegma, welches ich bei mir im stetigen Wachsen begriffen fühle, verhindert mich daran, mich über diesen Zustand gründlich zu ärgern, was vielleicht ein gutes Mittel dagegen wäre. – Daß in einem solchen Zustande ein vernünftiger Brief nicht zustande kommen kann, ist wohl allenfalls begreiflich und selbst heute, obgleich ich nur ganz kurz exerziert habe, verzichte ich auf eine eingehende Darstellung meines hiesigen Lebens und dessen, womit ich mich während der Weihnachts-„Ferien“, wenn man es so nennen soll, beschäftigt habe und beschränke mich auf bloß Äußerliches. Zunächst besten Dank für Eure beiden Briefe, – an Alfred schreibe ich noch in den nächsten Tagen, 5 er hätte mir, was mich doch am meisten gefreut hätte, noch mehr davon erzählen sollen, wie Ihr Weihnachten und Sylvesterabend zugebracht habt – wovon er beinahe ganz schwieg. Er muß das, so gut es geht noch nachholen.

3 Dilthey, Einleitung (wie oben, S. 377, Anm. 6). 4 Der Begriff ist erstmalig im 15. Jahrhundert und seit Ende des 18. Jahrhunderts im alltäglichen Gebrauch nachweisbar. 5 Der nächste überlieferte Brief an Alfred Weber datiert auf den 25. März 1884, unten, S. 405–407.

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Hier geht es, soviel ich wenigstens weiß – denn bei Beneckes war ich schon längere Zeit nicht, – allerseits ganz gut; ich denke, daß Laura,6 die noch am letzten Sonntag stark erkältet im Bett lag, indessen ohne daß noch Asthma befürchtet wurde, jetzt wieder aufgestanden sein wird. Ich bin am letzten Sonntag nicht zu Beneckes, wie ich beabsichtigte, sondern zu Baumgartens gegangen, eigentlich nur, um mich nach ihrem Befi nden zu erkundigen, wurde dann aber festgehalten. Der Onkel7 hat seine bittere Stimmung noch immer beibehalten, indeß faßt er jetzt schon viele Vorgänge wieder mehr von der humoristischen Seite auf. Es hat mich schmählich geärgert, daß ich jetzt bereits zwei Mal, das eine Mal durch Wache, das andre durch einen andren außer der Reihe angesetzten Dienst gezwungen war, seinem Seminar fernzubleiben und zwar an zwei ganz besonders interessanten Abenden.8 Mit meiner Arbeit für das Seminar geht es nur langsam vorwärts, ich denke aber, daß in den nächsten Wochen, bevor das Compagnie-Exerzieren beginnt, der Dienst etwas weniger stramm sein wird. Die körperlichen Anstrengungen des Militairlebens ertrage ich jetzt ganz gut, d. h. relativ, erheblich besser als die meisten meiner Miteinjährigen, und wenn nicht der entsetzliche Stumpfsinn und der in unheimlichem Grade betriebene Zeittodschlag wäre, so könnte ich vorläufig verhältnismäßig zufrieden sein. Jedenfalls steht der kolossale Zeitverlust des Einzelnen in keinem Verhältnis zu dem [,] was er dabei lernt bzw. was der Staat oder das Regiment davon profitiert. Die Einjährigen an allen möglichen, für sie vollkommen zwecklosen Dingen, bei denen sie nichts thun, als 3 /4 –1 Stunde müßig stehen und zusehen, zu beteiligen, das nennt man hier „militairische Erziehung.“ Man soll dabei „Geduld“ lernen – als ob man, Du liebe Zeit!, nach einem Vierteljahre tagtäglichen stundenlangen Griffeklopfens9 und nachdem man sich von den elendesten Hallunken unzählige Frechheiten hat sagen lassen müssen, überhaupt noch in den Verdacht kommen könne, an Mangel an Geduld zu leiden! Es soll eben den Einjährigen prinzipiell die Möglichkeit, sich während der Militärzeit geistig zu beschäftigen, abgeschnitten werden, wobei eigentlich das Militär besser fährt; – ich 6 Laura Fallenstein. 7 Hermann Baumgarten. 8 Gemeint sind die „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“, die Hermann Baumgarten mittwochs von 18–20 Uhr abhielt. Darüber hatte sich Max Weber bereits im Brief an Max Weber sen. vom 5. und 6. Jan. 1884, oben, S. 382 mit Anm. 29, beklagt. 9 Wie oben, S. 383, Anm. 2.

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gestehe freilich, daß ich auch die Bemerkung gemacht habe, daß, wenn ich in die fi nstersten Tiefen des Stumpfsinns hinabgeraten war und mit dem Mikroskop in meinem Gehirn keine Spur eines Gedankens auftreiben konnte, ich die schönsten Griffe machte und am besten schoß – während sonst mein Unteroffi zier mir oft versicherte: wenn man mir sage „rechts!“, so schösse ich links – es sei grade wie beim Turmbau von „Babylohn“, wo, wenn die Maurer nach „Kalch“ geschrien hätten, die „Bande“ „Steine“ statt Kalk gebracht hätten, in Folge wovon „das Luder“a natürlich nicht fertig geworden sei, „sonstb brauchten Sie hier nicht zu exerzieren, sondern könnten direkt in den Himmelskasten krachen, aber so können Sie mit Ihrer Zielerei noch lange warten, bis Sie die acht Himmelstüren fi nden.“ Kurz, ich kann in summa nicht behaupten, daß mir, wie Du prophezeitest, die schöne Seite des Militärlebens schon aufgegangen sei. Mein Leben ist ein ziemlich uhrenmäßiges und habe ich den Verlauf desselben schon früher geschildert. Mein Verkehr ist nach derselben Art wie früher, einige recht nette Leute habe ich unter den Einjährigen gefunden, die aber leider meist zu Ostern fortgehen. In meiner neuen Wohnung kann ich nichtc bleiben, sie ist billig aber miserabel, nur indirekt heizbar und doch etwas übermäßig winzig. Ich gebe die Adresse zur Sicherheit noch einmal: Steinstraße 35 bei Hrn Jockerôt. Wohin ich zum 1ten ziehe, weiß ich noch nicht, – da meine bisherigen Wirtsleute schließlich doch in ihrer Wohnung geblieben sind, vielleicht zu diesen zurück.10 Von meinem Gelde, muß ich schließlich noch bemerken, sind kaum einige Groschen noch übrig und ich muß nächster Tage die gewöhnlichen monatlichen Militairausgaben, Neubesetzung der Uniform, Putzer etc. berappen. Gestern an dem großen Commers |:zur Feier des 18. Januar:|11 hätte ich gern teilgenommen, war aber am Abend so müde, daß ich, da heute Morgen schon sehr früh der Dienst begann, es unbedingt vorzog, mich ganz früh ins Bett zu legen, was mir jetzt, wo ich im Verhältnis außera Unsichere Lesung.

b 〈[??]〉

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10 Wie aus dem Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. und 9. Februar 1884, unten, S. 394 mit Anm. 13, hervorgeht, konnte Max Weber in die Steinstraße 39 zu Familie Klarspieß zurück ziehen. 11 Der 18. Januar, der Tag der Kaiserproklamation 1871 im Schloß von Versailles, wurde als Reichsgründungstag gefeiert.

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ordentlich frisch bin, sehr lieb ist, namentlich da, wie ich höre, der Commers höchst langweilig verlaufen ist. Ob von den Onkeln12 einer da war, weiß ich nicht, es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, aber selbst deren Anwesenheit würde mich gestern Abend kaum verhindert haben, auf dem Commerse schleunigst einzuschlafen. Da ich jetzt noch zu Beneckes möchte, mich wegen meiner langen Untreue zu entschuldigen, und es mir sonst zu spät wird, schließe ich hier. Bei Euch geht, da das Gegenteil nicht behauptet wird, zweifellos alles gut; jedenfalls werdet Ihr stark in der Geselligkeit stecken [.] An Alfred schreibe ich, wie bemerkt,13 baldigst. Mit herzlichen Grüßen an Alle Dein Sohn Max.

12 Hermann Baumgarten und Ernst Wilhelm Benecke. 13 Wie oben, S. 384, Anm. 5.

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Helene Weber 6. und [9.] Februar 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 67–72 Der Brief wurde am 6. (Mittwoch) und 9. („Sonnabend“) Februar 1884 geschrieben.

Strasburg i/E. d. 6. Feb. 84 Steinstraße 39 Liebe Mutter! Eben vom Exerzieren heimgekommen, finde ich Deinen lieben Brief vor und fange in Folge dessen lieber eine neue Epistel an, als daß ich die vor schon 8 Tagen begonnene,1 seitdem in Absätzen bis auf die dritte Seite gediehene weiter fortsetze. Ich habe heute, Gott sei Dank, einen, abgesehen vom Seminar des Onkels, 2 freien Tag vor mir und es ist daher Aussicht, daß ich diesmal fertig werde. Die letzten 1 1/ 2 Wochen waren an Exerzieren und Felddienstübungen außerordentlich inhaltreich; schon bei dem bloßen Gedanken an mehrere 5–6stündige Felddienstübungen in teilweise meilenweiter Entfernung von Straßburg wird mir wieder ganz müde und zerschlagen zu Mute. Solch eine Felddienstübung ist eben doch, wenn sie aucha zur Abwechslung einmal ganz angenehm und nett ist, auf die Dauer eine Sache, die als Vorgeschmack der Manöver und des Krieges, alle dem Soldaten zukommenden Eigenschaften in ganz hervorragendem Maße in Anspruch nimmt. Sie verläuft etwa folgendergestalt: Morgens bei noch fast vollkommener Dunkelheit tritt man in Helm, Tornister, Kochgeschirr, Brotbeutel und Mantel an und marschiert ab. Anfangs geht alles ganz gut. Den Helm, der in den ersten Wochen sich unangenehm bemerkbar macht, ist man schon gewöhnt, ebenso die centnerschweren Commisstiefel – hat man statt des Helms die Mütze und statt der Commisstiefel gewöhnliche an, so hat man, – ich wenigstens –, stets das Gefühl, barhaupt und auf Strümpfen zu gehen. Ebenso ist der, zunächst noch leere Tornister, anfangs kaum zu merken. Auf die Dauer aber macht sich zunächst der als Wurst um Brust und Tornister geschlungene Mantel unangenehm fühlbar, der, wenn man eine a 〈d〉 1 Dieser wohl am 30. Januar begonnene Brief ist nicht nachweisbar. 2 Hermann Baumgarten hielt mittwochs von 18–20 Uhr: „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“.

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einigermaßen starke Brust hat, direkt unter der rechten Achsel durchgeht und das Athmen sehr erschwert, außerdem das Tragen des Gewehrs auf der linken Schulter sehr schwierig macht. Dann fangen die beiden schwer mit Platzpatronen gefüllten Patronentaschen, die bei jedem Schritt stark gegen die Leistengegend drücken, an, sich bemerklich zu machen. Schließlich empfi ndet man doch auch den Druck der unteren Tornisterkante gegen die Kreuzgegend als eine auf die Dauer, bei stundenlangem Gehen, sehr unangenehme Belästigung. Dazu kommen dann noch besondre Extra-Plaisir-Vergnügen. So z. B. wenn bei der Felddienstübung außer dem Lieutenant der eigenen noch ein Premierlieutenant von einer andren Compagnie zugegen ist, dem die Leitung aufgetragen ist, und wenn beide Hrn. L[ieutenant]’s sich nicht bedeutend riechen können. Dann reitet der Premierl[ieutenant] rechts, der Sekondel[ieutenant] linksb und dann heißt es: von links: „der Einjährige da |:am Flügel:|, machen Sie längern Schritt“, von rechts: „der Einjährige da, reißen Sie nicht so aus, da kann ja |:sogar:| mein Gaul kaum mit,“ – von links: „der Einjährige da, Schock Schwerenoth, Ihrec Nase hängt ja vollkommen im Dreck, halten sie den Kopf hoch!“ – von rechts: „der Einjährige Weber, wie halten Sie, zum Himmelkreuz …, denn Ihren Kopf? Sie wollen sich wohl die Nase von der Sonne austrocknen lassen.“ Von links: „der Einjährige da, Ihr Seitengewehr hängt Ihnen wieder vorne am Bauchnabel! Pfundweise sollte Sie der Teufel holen! Schieben Sie es zurück!“ – von rechts: „Heiliger Rattengestank, der Einjährige da, Ihr Seitengewehr hängt Ihnen ja hinten herunter wie der Schwanz von einem weißen Elephanten!“ – u. s. w. – u. s. w. So geht das dann weiter und die Herren machen auf diese Weise ihred Scharmützel aus. In der ersten Zeit wenigstens ging es uns mehrfach so, jetzt werden wir denn doch schon einigermaßen anständig behandelt. Jedenfalls ist man ganz vergnügt, wenn man endlich zum Tore hinaus ist, wo dann „ohne Tritt“,e d. h. in aller Behaglichkeit, marschiert wirdf. Dann holt man sich, ungefrühstückt – wie man ist, allmälig seine Nahrungsmittel hervor. Im Brodbeutel hat man die belegten Brode, im Reisbeutel die Schnapsflasche, in den Patronentaschen, so weit noch Platz ist, Cigarren. Die Musketiere verlangen natürlich auch ihren Anteil und werden allmälig aufgeweckter. Es sind der Mehrzahl nach Leute aus der Gegend von Erfurt |:u. Schwarzburg:|, außerdem viele Polen, die z. T. erst hier von den Unteroffi zieren die deutsche b rechts > links

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d Ihr > ihre

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f ist > wird

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Sprache eingeprügelt bekommen. Nach einiger Zeit bekommt man dann eins von den spezifischen Soldatenliedern zu hören, wo sich immer auf: „Deutscher Rhein“ – „Branntewein“ – u. auf: „Vaterland“ – „Schnaps zur Hand“ etc. reimt. Endlich ist man zur Stelle. Nachdem durch einige Patrouillen die Stellung des Feindes constatiert ist, beginnt der Vormarsch, und, nachdem man bis auf eine gewisse Entfernung herangekommen ist, löst sich die ganze Colonne in eine sog. Schützenlinie, einen Schwarm, auf. So geht es dann in lebhaftem Tempo vorwärts, bis commandirt wird: „nieder!“, worauf man sich – patsch! – bäuchlings mit allem Gepäck in den dicksten Koth wirft. Nun beginnt das Verknallen von Platzpatronen in großem Maßstabe u. man hat immer seine Freude bei dem Gedanken, daß das Deutsche Reich doch noch viel Geld für solche teuren Späße übrig haben müsse. Dann geht es im schnellsten Laufe eine Strecke vorwärts, um sich dann wieder niederzuwerfen, natürlich richtig wieder in eine Pfütze, oder einen Dreckhaufen oder sonst einen unnennbaren Gegenstand unsauberer Natur, und das Geknatter beginnt wieder. Ein Angriff feindlicher Cavallerie wird glänzend abgeschlagen, eine Mordssalve abgegeben – „legt an!“ – „Feuer!“ – paff! im selben Moment ist man auf beiden Ohreng taub, denn die Hintermänner, ein par dumme Rekruten, haben Einem die Gewehrmündung just auf die Schulter gelegt. Nun können die Lieutenants gut commandieren – man hört Ihre Commandos nur noch wie ein unartikuliertes, fernes Hundegewinsel. Nachdem man dann noch eine Weile abwechselnd getrabt und sich im Dreck gewälzt hat, ist man endlich so nahe heran, daß man sich unter dem Schutze des Feuers zum Angriff mit aufgepflanztem Seitengewehr formieren kann. Unter einförmigem Schlagen eines Tambours, bum-bum-bum-bum, geht es zuerst langsam, dann schneller vor, schließlich mith gefülltem Gewehr stürzt sich der ganze Schwarm mit viehischem Geheul, was „hurrah!“ bedeuten soll, auf den Feind, wobei man natürlich regelmäßig entweder umgerannt und auf die Hand getreten, oder mit dem Gewehrlauf auf den Schädel geschlagen, oder mit dem Seitengewehr vom Hintermann in die Kniekehle gestochen wird. Dabei reiten dann die betr. Offi ziere hinterher und geben mit rasender Wut tausend Commandos, die natürlich absolut nicht verstanden werden und schließlich in ein gräßliches Elephanten-artiges Gebrüll ausarten. Das Resultat ist natürlich, g Augen > Ohren

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daß die Attacke abgeschlagen wird und man den ganzen Spaß noch einmal von vorne macht. Nach einigen Stunden solchen Vergnügens tritt man dann endlich den Rückmarsch an, vollkommen taub auf beiden Ohren, mit einem blaugeschlagenen Auge, summendem, klingendem, halb zerschlagenem Schädel, Blasen an den Füßen, blutig gerissenen Händen, Beulen am ganzen Leibe, |:halbzertreten,i :| gebadet in Schweiß und Pfützenwasser und, im Glücksfalle, Mistjauche, die einzelnen Montierungsstücke vor Dreck kaum unterscheidbar und mit Beinen, die wie diejenigen eines Nilpferdes nach unten zu dicker werden und in einem Klumpen von zähem Lehm endigen. Nachdem man mit Stöcken das Gröbste abgekratzt, wird man dann in diesem Zustande wieder in die Stadt und den Bewohnern und Bewohnerinnen Strasburgs vor Augen geführt. – Sonnabend Mittag. Gerade war ich mit dieser schönen Schilderung fertig, als ein alter Heidelberger Bekannter, auf der Durchreise hier mich besuchte und blieb, bis ich in’s Seminar mußte.3 Auch nachher war ich mit ihm zusammen. Vorgestern und gestern war von Schreiben keine Rede, es wurde den ganzen Tag, Vor- und Nachmittags je mehrere Stunden, bis zur Dunkelheit, auf dem eine Meile weit entfernten sog. Polygon4 der sog. Parademarsch geübt, eine der allerelendesten Einrichtungen, die sich freilich für Zuschauer ganz stattlich macht, wobei man aber nachher, nach dem Rückmarsch, in den Beinen ein Vorgefühl des Amputiertseins hat. Heute ist, Gott sei Dank, am Nachmittage nichts zu thun, was ich benutzen werde, um gegen Abend zu Beneckes zu gehen, bei denen ich längere Zeit nicht war. Onkel Wilhelm hatte, wie Du jedenfalls weißt, die Masern, ist jetzt wieder auf und ich möchte mich von seinem Befi nden überzeugen. – Das Geld habe ich richtig erhalten und danke bestens dafür, allerdings brannte mir schon seit einigen Tagen „das Feuer unter den Nägeln“. Es ist eben doch eine ganz niederträchtig teure Geschichte, dies Militär. Die Extrauniform, die man nun doch, wenn man einen Gang weiter in die Stadt macht, stets anziehen muß, ist höchst diffi zil, das Roth der Aufschläge verdirbt von jedem Fleck und ist dann gar nicht i O: halbzertretenen 3 Das historische Seminar von Hermann Baumgarten am Mittwoch Abend. 4 Ein großer Paradeplatz bei Straßburg.

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anzusehen. Sie muß alle Monat einmal neu besetzt werden, was jedesmal 17 Mk kostet. Auch das Tuch verdirbt schnell und zu Ostern werde ich wenigstens einen neuen Rock haben müssen. Auch der Mantel verlangt vorsichtige Behandlung und müssen die Aufschläge und Besätze, sowie die Knöpfe oft erneuert werden. Dazu kommen die Unmassen von Handschuhen, die man gebraucht. Dieselben sind, bei gutem Wetter 3–4 Tage getragen, schmutzig, hat man sie 5–6 Mal waschen lassen, so gehen sie nach allen Seiten auseinander. Sie waschen zu lassen ist auch nicht billig und in den nächsten Wochen muß ich mir wieder ein halbes Dutzend Paare zulegen. Dabei kosten sie etwas mehr als das Doppelte vom Preise weißer Glacéhandschuhe. Letztere darf man nicht tragen, sonst wäre das weit billiger. Die Putzer kosten monatlich 20 Mk. Monatlich mindestens eine Wache kostet auch ziemlich 20 Mk. Dazu kommt, daß man natürlich sich die gemeinen Soldaten, die Einem alle möglichen Scheerereien machen können und von denen man vielfach abhängt, stets durch entsprechende Behandlung gewogen erhalten muß. So summiert sich für militärische Zweckej eine monatliche Ausgabe von ca. 70–80 Mk zusammen, ganz abgesehen von den Extraordinarien für die bei unsrem jetzigen Exercierquantum trotz ihrer Solidität auch nicht haltenden sehr teuren Commisstiefel etc. Dazu kommt, daß der Lebensunterhalt im Allgemeinen hier durchaus nicht billig, vielmehr recht teuer zu nennen ist. Unter 1 Mk 50 habe ich noch keinen Mittagstisch gefunden und dabei ist überall Weinzwang. Zudem verzehrt ein Soldat ein Drittel mehr als ein Mensch. So bin ich denn in der Regel recht schnell mit meinem Gelde fertig, ungleich schneller, als in den lebhaftesten Heidelberger Zeiten. Wie so viele Leute diese Kosten tragen können, ist mir noch dunkel – auch sind übrigens schon eine Anzahl von Einjährigen zu „Staatseinjährigen“ gemacht, d. h. in die Kasernen gelegt und auf Staatsrechnung übernommen worden |:weil sie die Kosten nicht tragen konnten:|. Bei den Sachsen etc. hier ist das Dienen jedenfalls sehr billig, aber auch die Behandlung darnach. – Meine Compagnieoffi ziere sind recht liebenswürdig, auch im Allgemeinen der Hauptmann.5 Ich habe in der Compagnie in sofern keine günstige Stellung, als in derselben mit mir drei dem Hauptmann speziell empfohlene Mitglieder eines hiesigen Corps sind, bei dem er früher j O: Zweck 5 Hauptmann Otto Jaeckel.

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verkehrt hatte und noch verkehrt, und die er natürlich speziell protegiert. Aber nun genug von dieser Militärsimpelei. Mir geht es leidlich gut, die Anstrengungen vertrage ich, abgesehen von der Müdigkeit, verhältnismäßig jetzt besser als ein großer Teil der andren. Zum Arbeiten komme ich freilich außerordentlich wenig. Nur dann und wann gehe ich Nachmittags einmal in die Seminarbibliothek. Das Seminar des Onkels6 ist nach wie vor für mich hochinteressant; wir befassen uns nach wie vor mit der Kritik von französischen, spanischen, hauptsächlich italienischen Historikern aus |:dem:| und über das Reformationszeitalter. – Übrigens, damit ich es nicht vergesse, der Onkel wünscht dringend Nachricht, wie es sich mit der beabsichtigten Krönung des Treitschke’schen Buches in der Akademie am 24ten Januar verhalten hat,7 ev. schreibst Du vielleicht, wenn der Papa etwas davonk weiß, gleich eine Postkarte, damit ich ihn darüber unterrichten kann. Er ist sehr gespannt, da man nach dem 24ten nichts mehr gehört habe. – Bei Baumgartens ist jetzt alles, auch Laura,8 wohl, Tante Ida ist aus Waldkirch, wo sie Otto, der stark erkältet war und eine Grippe fürchtete, gepflegt hatte, zurück – auch Otto ist jetzt wieder hergestellt –; am letzten Sonntage, als ich dort war, lasen wir „Hamlet“ zusammen.9 Außerdem hat der Onkel immer irgend eine interessante litterarische Novität in petto, so das letzte Mal ein sehr interessantes ganz nagelneues, aber schon berüchtigt gewordenes Werk, „la sociétél de Berlin“, von einem Pseudonymus, der sich Cte Vasili nennt.10 Dies Werkm, höchst unrechter Weise sofort von der Presse als bloße Schmähschrift verschrieen, enthält vielmehr in allerdings stellenweise boshafter, dann aber auch wieder sehr objektiver, ruhiger Form, eine Fülle der interessantesten Urteile über allerlei Persönlichkeiten Berlins, vom k 〈h〉

l O: societé

m 〈ent〉

6 Hermann Baumgarten. 7 Am 24. Januar 1884 wurde auf der Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Verleihung des von Friedrich Wilhelm IV. 1844 gestifteten Verdun-Preises an Heinrich von Treitschke verkündet. Zur Treitschke-Baumgarten-Kontroverse vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306 mit Anm. 10. 8 Laura Fallenstein. 9 Shakespeare, William, The Tragicall Historie of Hamlet, Prince of Denmarke, ca. 1601/2, erstmals gedruckt 1603. Weit verbreitete deutschsprachige Übersetzungen stammen von Christoph Martin Wieland (1762–66), August Wilhelm Schlegel, Dorothea und Ludwig Tieck (1797–1810/1825–33). 10 Vasili, Comte Paul [Ps. für Catherine Radziwill], La Société de Berlin. Augmenté de Lettres inédites. Quatriéme Édition. – Paris: Nouvelle Revue 1884 (hinfort: Vasili, Société de Berlin).

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Kaiser u. den Prinzen11 bis zu Moritzn Busch herunter, Urteile, die teilweise von einer frappierenden Richtigkeit sind. Ich schreibe darüber noch einmal.12 Ich hätte nicht gedacht, daß so leicht ein Franzose fähig sei, in so ruhiger, oft sehr anerkennender Weise über deutsche Dinge zu sprechen. – Ich bin, wie Du aus der Adresse an der Spitze des Blattes siehst, wieder zu meinen alten Wirtsleuten13 gezogen, die schließlich, nachdem ich die andre Wohnung pro Januar schon gemietet hatte, doch sich entschlossen hatten, hier wohnen zu bleiben. Sie freuten sich riesig über mein Wiedererscheinen und sind so liebenswürdig wie nur je. Die andre Wohnung war billiger, aber so gut wie unbewohnbar, weil unheizbar. Ich esse in Folge dessen jetzt auch meist wieder chez moi und fühle mich überhaupt auf meiner Stube höchst behaglich. – Du siehst, das Papier geht zu Ende und es wird auch Zeit, zu Beneckes zu gehen. Nächste Woche komme ich ohnehin zum Schreiben, da nicht viel zu thun sein wird. Papas Dreigespann steht noch auf vielen unbeantworteten Briefen, darunter auch von Herrno Hübschmann, dem ich schon sehr lange schulde.14 Mit herzlichen Grüßen an Alle Dein Sohn Max. NB: Meine gefl ickten pStrümpfe, nach denen Du fragst, befi nden sich noch in durchaus wünschenswertem Zustande. Aber mein Commersbuch könntest Du mir gelegentlich schicken, es ist immerhin, wenn man stumpfsinnig u. zu sonst nichts fähig ist, eine angenehme Erinnerung, einmal hineinzusehen. Vielleicht fi nde ich auch sonst noch etwas heraus, was mir angenehm wäre hier zu haben. – Habt Ihr die Rede von Karl Schurz über Lasker gelesen?15 – p n In O irrtümlich: Wilh. (Bl. 71r).

o 〈hü〉

p–p Zusätze auf dem vorangehenden Briefblatt

11 Wie sich aus dem Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, unten, S. 402 f., ergibt, sind neben dem Sohn Kaiser Wilhem I., Friedrich Wilhelm, die Prinzen Karl und Wilhelm von Preußen gemeint. 12 Vgl. ebd., unten, S. 401–403 mit Anm. 18–31. 13 Familie Klarspieß. 14 Korrespondenzen Max Webers an Heinrich Hübschmann sind nicht überliefert. 15 Eduard Lasker war am 5. Januar 1884 während eines Erholungsurlaubs in den USA gestorben. Am 10. Januar 1884 hielt Carl Schurz in New York City eine Gedenkrede.

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Max Weber sen. 23. und 28. Februar, [1.] März 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 64–69 Der Brief wurde am 23. (Samstag), 28. (Donnerstag) Februar und 1. März 1884 („Sonnabend“) geschrieben; der letzte Absatz verweist auf den kommenden Sonntag.

Strasburg Sonnabend 23. Februar 84 Lieber Vater!

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Es ist schon wieder ziemlich lange her, daß ich etwas von mir habe hören lassen und ich will heute wenigstens den Anfang dazu machen, wenn ich auch, heute Mittag erst recht müde von Wache gekommen, bis zum Einschlafen nicht besonders weit kommen werde. Es ist mir höchst angenehm, daß morgen Sonntag ist und ich mich gründlich ausschlafen kann, denn andrenfalls, wenn man an den Tagen nachher stets ungewöhnlich früh Morgens exerzieren muß und auch schon die Tage vorher seinen gewöhnlichen Dienst versehen hat, so fühlt man die Wirkung einer solchen Nacht in der Wachtstube doch schon einige Zeit nach. Auf der Pritsche kann ich eben nach wie vor nicht schlafen, schon des Spektakels wegen, den ein Dutzend schnarchende Musketiere anstellten. Außerdem bin ich von jeher langsam eingeschlafen und die |:jedesmaligen:| 1 1/ 2 Stunden vom Rangieren bis zur Ablösung würden für mich jedesmal nur eine Viertelstunde Schlaf repräsentieren, namentlich wenn man aus der frischen Luft kommt und womöglich an Leib und Füßen durchnäßt ist. Meine beiden letzten Wachen (ich habe jetzt eben ein halbes Dutzend gethan) waren in dieser Beziehung sehr unangenehm. Eine Schattenseite ist auch die Menge schlechten Bieres, die man auf Wache, mit dem Unteroffi zier und dessen Besuch und außerdem mit dem Besuch, den man selbst erhält, consumiert. Dabei wird die ganze Wachstube so eingequalmt, daß man, ohne selbst zu rauchen, es darin gar nicht aushalten könnte. Ich habe mir jetzt im Tornister stets meine Pfeife und ein halbes Pfund Kanaster1 außer den Zigarren mitgenommen und bisher auch jedesmal verbraucht. Außer dem Erwähnten enthält mein für die Wache ausgerüsteter Tornister noch: Waschzeug und Handtuch, ein reines Hemd – (in dem Hemd, in welchem ich die Nacht durch Posten gestanden und auf 1 Kanaster (oder Knaster), umgangssprachlich für Tabak.

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der Pritsche gelegen habe, halte ich es am Tage nicht aus) –, ein par Schnapsfläschchen von dem Format, daß man je eines in einen der großen, am Seitengewehr hängenden Fausthandschuhe stecken kann, mit Rhum u. Cognak gefüllt, außerdem noch eine Quantität Rhum zu Grogk, eine Anzahl hartgekochter Eier, die beim Aufziehen auf Posten in der Patronentasche untergebracht werden, da ich sonst nach jedem zweistündigen Postenstehen einen allzu unangenehmen Appetit verspüre, – endlich Lektüre möglichst leichten Genres. Einmal nahm ich mir Gerbers deutsches Privat-Recht mit, um etwas Näheres vom Lehnrecht kennen zu lernen, kam aber über den Begriff des feudum castrense nicht hinaus.2 Man ist auf Wache dazu unfähig. – Von Montag an beginnt eine der unangenehmsten, neben einem Teil der Ausbildungszeit anstrengendsten Zeiten des Dienstjahres, das Compagnieexerzieren. Grade während dieser Zeit muß man sich besonders in Acht nehmen, da sehr leicht irgend ein Pech Einen um die Knöpfe bringen kann, 3 so z. B. indem |:man:| beim Grüßen vom Nebenmann angestoßen wird und das Gewehr hinwirft, was regelmäßig Loch kostet etc. Besonders ängstlich bin ich bez. meines Avancements zum Gefreiten nicht; 4 ich marschiere (worauf der Hauptmann5 sehr sieht) jetzt recht gut und exerziere überhaupt leidlich. Um später weiter zu avancieren, hat man verschiedene Mittel, z. B. öfteres Pauken,6 was hier sehr in Offi zierskreisen imponiert und begünstigt wird. Damit hat es ja noch bis zum Sommer Zeit. – Es hat sich für uns recht günstig getroffen, daß von Winterkälte bisher noch nicht ein einziges Mal die Rede sein konnte, denn dabei muß 2 Gerber, Carl Friedrich von, System des deutschen Privatrechts, 2 Bände. – Jena: Mauke 1848–1849. Das Werk erlebte zahlreich Neuauflagen, 1867 schon die neunte in einem Band. Wenn Max Weber im Abschnitt zum Lehnrecht nur bis zum § 107 gekommen ist, wo das „feudum castrense“ (lat., Burg) abgehandelt wird, hat er nur ca. fünf Seiten lesen können. 3 Mit der Beförderung zum Gefreiten erhielten die Einjährigen als äußeres Zeichen Wappenknöpfe an beiden Kragenseiten. 4 Wer als Einjährig-Freiwilliger das Reserveoffizierspatent erwerben wollte, wurde bei entsprechender Eignung nach ca. sechs Monaten zum Gefreiten ernannt. Danach begann die spezielle Ausbildung zum Offizier. Vgl. dazu Max Webers Unterschrift als „Gefreiter“ im Brief an Helene Weber vom 6. April 1884, unten, S. 410. 5 Max Weber gehörte in seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. 6 Pauken wird das Erlernen des akademischen Fechtens bei schlagenden Studentenverbindungen genannt.

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das Exerzieren stellenweise ganz unerträglich sein. Ich möchte wirklich wissen, wo es in Ostpreußen möglich ist, im Winter die Rekruten auszubilden. Hoffentlich ist der nächste Sommer entsprechend kühl, denn sonst kann grade hier, das bezeugen die ältesten Soldaten, eine Felddienstübung zu einer unter Umständen gesundheitsgefährlichen Tortur werden. Vorläufig danken wir alle dem Schöpfer, daß wir im nächsten Herbst hier nicht, wie erst befürchtet war, Kaisermanövera haben; – die Schinderei soll |:dann:| schon vor den Manövern nicht auszuhalten sein. – Die verflossenen nun bereits bald 5 Dienstmonate sind, wenn ich mir die Sache näher überlege, doch eigentlich recht schnell vergangen, schneller z. B. selbst als ein Heidelberger Semester, was ich keinem andren Umstande zuzuschreiben vermag, als dem horrenden Stumpfsinn, in den man versinkt und in dem man unfähig ist, überhaupt nur einen Gedanken zu fassen. Erfahrungsmäßig vergeht die Zeit, wenn man es, was freilich nur beim Militär möglich ist, fertig bringt, während eines längeren Zeitraums an nichts zu denken,b die Zeit weitaus am schnellsten. Die sechs Sommermonate werden uns wohl etwas länger werden. – Donnerstag d. 28. Feb. Abends. Hier wurde ich am Sonnabend nachgerade so müde, daß ich einschlief, ich legte mich also zu Bett. Sonntag früh kam mein Jäger und holte mich in die Kaserne; wir wurden in die Kirche geführt. Sonntag Mittag u. Abend war ich bei Baumgartens eingeladen mit einem Herrn Meyerc, sehr gutem Freunde von Otto,7 zusammen. Montag früh begann das Compagnieexerzieren, 3 Stunden lang, Mittags rangierten sich die Corporalschaften, Nachmittags wurde geturnt und Bajonnett-gefochten. Dienstag Vormittag von 9 1/4 bis 12 Compagnie Exerzieren, Nachmittags von 2 1/4 an Schießen, wovon wir, da die Schießstände eine Meile entfernt liegen, um 7 Uhr zurückkommen. Mittwoch Vormittag bis zum Mittag Felddienstübung mit Gepäck, Nachmittag 3 verschiedene Appells, Abends ging ich, sehr müde, in ein Wagner-

a 〈sei〉

b In O folgt: die Zeit

c O: Meier

7 Vermutlich Diethelm Meyer, ein mit Otto Baumgarten befreundeter Schweizer Theologe (vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte (wie oben, S. 75, Anm. 13), S. 50 und 58). Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882, oben, S. 287 mit Anm. 10.

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Conzert, in dem Emmi sang (nachher mehr davon).8 Heute Vormittag Compagnie-Exerzieren, Nachmittag Bajonnett-Fechten. Man hatte also für unsre genügende Beschäftigung gesorgt, und wenn ich Abends nach Hause kam,d und mich mit einer Pfeife aufs Sopha setzte, so erfreute ich mich in kürzester Frist eines so gesunden Schlummers, daß ich es gerathen fand, schleunigst das Sopha mit dem Bett zu vertauschen. – Auch das Seminar des Onkels9 mußte ich gestern wieder schwänzen, nachdem ich schon vor acht Tagen, der Wache wegen, nicht |:hatte:| hingehen können. – Bis auf diese unangenehmen Eigentümlichkeiten des Militärlebens, die aber für mich ja nichts Neues mehr sind, geht es mir nach wie vor erträglich. Die körperlichen Anstrengungen machen mir jetzt nicht viel aus und erscheinen mir, in Erinnerung an die Rekrutenzeit, kaum noch sehr bedeutend; das Schlimmste ist, ich kann es nur wiederholen, der großartige Zeittotschlag. Deine Geldsendung habe ich dankend erhalten – Du schreibst in der Postanweisung von „Deinem Erstaunen über dies und jenes“ – ich kann mir nicht denken, an was Du dabei gedacht hast. Am Abend, ehe das Geld ankam, hatte ich übrigens bereits den gleichen Betrag beim Onkel Hermann erhoben, der mir dies anbot, da er Dir noch verschiedenes schuldig sei; ich nahm es an, weil ich abgebrannt war und am folgenden Tage auf Wache mußte. Ich werde jetzt erst Mitte April wieder beim Onkel Geld erheben. Ich hab ihm die 200 Mk. deshalb nicht zurückgegeben, weil ich für einen Teil derselben mir einen neuen Extrarock machen lassen mußte, mein bisheriger ist vollkommen ruiniert und ich nahm mich sehr schäbig neben den andren Einjährigen aus, die ihre neue Uniform schon besaßen. Außerdem mußten die Commißreihen neu besetzt werden und endlich möchte ich mich conterfeien lassen, was zusammen etwa 90 Mk und etwas mehr machen würde. – Mamas Wurstsendung ist mit dankbarem Behagen verzehrt worden, – leider fand ich neulich keinen Platz im Tornister, um sie mit auf Wache nehmen zu können, und außerdem würde dann der betreffende Unteroffi zier nach einem Anteil daran gestrebt oder die Mannschaft in meiner Abwesenheit davon gemaust haben, wozu sie mir d 〈so war〉 8 Über das Konzert, an dem Emmy Baumgarten beteiligt war, sind keine weiteren Mitteilungen Max Webers erhalten. 9 Hermann Baumgarten hielt mittwochs von 18–20 Uhr ein zweistündiges Seminar ab, „Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit“.

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doch zu schade war. Vor den langen Fingerne der Herren Stratioten10 muß man sich überhaupt hüten – in Deinen Zigarren hatte mein Putzer, als ich sie leichtsinnig offen stehen hatte lassen, auch einen so kühnen Griff gethan, daß ich nicht so sehr viel davon gehabt habe. Indessen beschränkt sich diese Langfi ngrigkeit, so viel ich bis jetzt bemerkt habe, auf Schnaps und Zigarren; Geld habe ich in den wenigen Fällen, wo zufällig Gelegenheit gewesen wäre, mich zu betrügen, auch von mir ganz unbekannten Soldaten noch stets wieder ausgeliefert bekommen. Überhaupt ist es interessant, zu beobachten, was für ganz eigentümliche moralische Begriffe unter den gemeinen Soldaten herrschen und namentlich, was für eine ganz eigene Art von Ehrbegriffen unter ihnen gewöhnlich ist. Ich bin oft genug erstaunt darüber gewesen, ein wie anständiger Ton verhältnismäßig z. B. unter den Leuten meiner Compagnie herrscht, von denen, wie ich constatiert habe, etwa 1/ 3 als ihren Stand und den ihrer Eltern einfach: „Arbeiter“ angegeben haben – und diese Letzteren sind die anständigsten. Namentlich ist es anerkennenswert, wie richtigf sie ihre Stellung den Einjährigen gegenüber zu fi nden wissen, ohne sich etwas zu vergeben oder andrerseits wieder zu unverschämt zu werden. Sie saufen so gut wie alle und zwar ganz selbstverständlich, ebenso selbstverständlich ist es bei ihnen, daß sie sich mit liederlichen Frauenzimmern umhertreiben, auch sind sie bis zu einem gewissen Grade roh und namentlich besitzen sie eine oft schauderhafte Derbheit des Ausdrucks, aber sie bewegen sich fast alle auf dem Durchschnitt, wirkliche Gemeinheit fi ndet man eben so wenig wie ein Erheben über die allgemeine Durchschnittsqualität, und, wie gesagt, mit den ärmsten Teufeln, Arbeitern oder solchen, die schon wegen Bettelns bestraft sind, ist am besten auszukommen, während die, die etwa schon Kellner oder dergl. gespielt haben oder |:den:| Anspruch erheben, etwas besseres zu sein, meist eine ganz rüde, gefährliche Bande sind. Eigentümlich ist es |:dabei:| mit der behaupteten unbedingten Notwendigkeit der dreijährigen Dienstzeit.11 Ich habe es in Erfahrung gebracht und jeder[,] der gedient hat, weiß, daß diejenigen Soldaten, die nach 2 Jahren entlassen werden, die Dispositionsurlauber, nicht etwa die bee O: Fragen

f 〈sich〉

10 Altgr. Soldat. 11 Seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 1813 in Preußen war die Dauer der Ausbildung ein ständiges Streitthema. Im Kaiserreich dauerte sie (außer für die Einjährig-Freiwilligen) zunächst drei Jahre, ab 1893 nur noch zwei Jahre.

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sten Soldaten und am besten ausgebildet sind. Für Kriegsfälle z. B. sind Kerle, die einmal wegen Trunkenheit bestraft oder wegen Prügelei oder weil sie einen Unteroffi zier verhauen haben, ins Loch geflogen sind, meist erheblich gerissenere und, wenn ihnen der Feind auf den Pelz rückt, brauchbarere und unerschrockenere Leute als die Duckmäuser, die sich in Ehrbarkeit zwei Jahre lang gut geführt und mit den Unteroffi zieren gut gestellt haben. Außerdem ist es bekannt und kann Jedermann constatieren, daß die Hauptleute stets die zum Dienst wenigst tauglichen, die Krummen, welche den Parademarsch verderben etc., fortschicken und die stattlichen Leute behalten. Jedenfalls führt das System zu groben Ungerechtigkeiten. – Damit der Brief mir überhaupt einmal fertig wird, will ich lieber mit diesem Militärsimpeln, was allen Einjährigen eigentümlich und für Civilisten, die bei solchen Unterhaltungen zugegen sind, eine wahreg Plage ist, aufhören und erzählen, was noch zu erzählen ist. Bei Baumgartens geht alles wohl, auch der Onkel ist über den Ärger, den ihm naturgemäß die Treitschke’sche Krönung gebracht hatte,12 hinaus und betrachtet die Angelegenheit mehr von der komischen Seite. Wenig erbaut ist er natürlich davon, daß man hier, nur Manteuffel zu Liebe und damit der Kaiser im Herbst hier einen ihm angenehmen Mann an der Spitze fände, Sohm zum Rektor gemacht hat, der noch vor wenigen Jahren selbst von seinen eigenen Parteigenossen als unmöglich bezeichnet worden war.13 – Dem Kaiser wird mit einem fast tauben Rektor auch nicht gedient sein. – Namentlich ist der Onkel auf Holtzmann entrüstet, daß er von der Concurrenz mit Sohm zurückgetreten sei. Übrigens bin ich überzeugt, daß der Onkel über kurz oder lang einmal wieder mit einer Polemik hervortreten wird, denn die „Preußischen Jahrbücher“ und ihre neuesten Unthaten sind ein beständiger Unterhaltungsstoff, wenn ich dort bin. Schon als sie vor einem Vierteljahre etwa einen, den Kaiser Maximilian I in allerdings höchst lächerlicher Weise glorifi zierenden Artikel brachten,14 dessen absolute Hohlheit sofort auch der oberflächlichsten Quellenkenntnis klar werden mußte, g 〈[??]〉 12 Zur Ehrung Treitschkes durch die Preußische Akademie der Wissenschaften und Hermann Baumgartens Interesse daran vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. und 9. Febr. 1884, oben, S. 393 mit Anm. 7. 13 Am 1. Mai 1884 trat Rudolph Sohm sein einjähriges Rektorat an. 14 Spielberg, Hans von, Maximilian I. und das deutsche Reich. Im Lichte neuerer Forschung dargestellt, in: Preußische Jahrbücher, Band 51, 1883, S. 269–288.

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lief dem Onkel die Galle über; ein neuerdings erschienener Artikel über das Lützower Freicorps hat ihm dann den Rest gegeben.15 Er hat mir eine kürzlich erschienene Erwiderung darauf gegeben; auch der Großvater ist darin erwähnt.16 Sollten daher die Pr[eußischen] Jahrbücher noch irgend ein historisches Kunststück liefern, so bin ich überzeugt, daß er persönlich gegen sie auftreten wird.17 Alle Augenblick äußert er seine Unzufriedenheit darüber, daß heutzutage die jungen Leute so wenig sich mit der Publizistik und dem Journalismus befaßten, sondern dies den Alten überließen, – während ein junger Mann von Rechtswegen mit dem Journalismus anfangen sollte, – ein Grundsatz, der mir sehr bestreitbar erscheint. Es ist für mich ein großer Vorteil, daß der Onkel die sehr angenehme Gewohnheit hat, wenn irgend etwas eklatant Neues und allgemein Interessierendes erscheint und ihm zugeht, dies zum Thee mit herunterzubringen und uns teilweise oder ganz vorzulesen. So hatte er neulich das in vieler Beziehung interessante Buch „la sociétéh de Berlin“ mitgebracht, dessen ich schon einmal Erwähnung that.18 Es ist wirklich eine Blamage für Deutschland, daß dieses Buch jetzt von der Regierungspresse als eine schmutzige Schmähschrift verschrieen wird und, glaube ich, schon confisziert ist.19 Das Buch ist in vieler Beziehung ganz vorzüglich und jedenfalls so gemäßigt, wie man es einem Franzosen nicht zutrauen sollte. Daß natürlich einige Bosheiten einfl ießen, namentlich gegen Bismarck und seine „dupes“ (so nennt er M[oritz] i Busch etc.), 20 ist klar, ebenso wie es nicht zu verwundern ist, daß das Buch von Majestätsbeleidigungen wimmelt, aber würde ein Deutscher

h O: societé

i In O irrtümlich: W.

15 Koberstein, Karl, Lützow’s wilde, verwegene Jagd, in: Preußische Jahrbücher, Band 51, 1883, S. 417–437. 16 L[ützow], K[urt] v[on], Adolf Lützow’s Freikorps in den Jahren 1813 und 1814. Gegenüber der in die preußischen Jahrbücher, hg. von Heinrich von Treitschke, im April 1883 aufgenommenen Darstellung von A. Koberstein. – Berlin: Wilhelm Hertz 1884, S. 67, wonach sich Georg Friedrich Fallenstein bei der Schlacht an der Göhrde am 16. September 1813 „besonders“ ausgezeichnet habe. 17 Publizistische Artikel von Hermann Baumgarten gegen die Preußischen Jahrbücher sind in der folgenden Zeit nicht nachweisbar. 18 Vasili, Société de Berlin (wie oben, S. 393, Anm. 10). 19 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. und 9. Febr. 1884, oben, S. 393 mit Anm. 10. 20 Das letzte Kapitel des Buches, „Les dupes du chancellier“, handelt von den vom Kanzler „Betrogenen“, Vasili, Société de Berlin (wie oben, S. 393, Anm. 10), S. 248–260.

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vielleicht von den russischen Großfürsten immer nur per Serenissimus sprechen? Wenn der anonyme Verfasser von der Kaiserin sagt, sie sei nicht schlechten Charakters, – „maisj affectée, intrigantek “, 21 vom Prinzen Friedrich Karl, er sei nur homme de guerre, brutal, 22 und er und sein Kreis seien nichts weiter als des buveurs intrépides, 23 so sind das ja wohl Dinge, die man bei uns auch denkt, aber nur im Kämmerlein ausspricht. Sehr hübschl ist z. B. auch die Art, wie er am Kaiser, den er als einen vieux bienveillant homme charakterisiert, 24 die große Würde hervorhebt, mit der er es, ohne sich etwas zu vergeben, ertrüge, ganz hinter seinem Kanzler zurückzutreten.25 Vom Kronprinzen sagt er nur sehr richtig, daß kein Mensch eigentlich wisse, was er wollen werde, nur daß er etwas andres wolle, als die herrschendem Fraktion, vielleicht, sagt er, wisse er es auch selbst nicht. Die Kronprinzessin, die ihren Mann vollkommen unter dem Pantoffel hätte, kommt sehr gut fort; 26 einige Stellen erinnern mich an die Hinzpeter’schen Expektoration, 27 deren Du Dich wohl erinnerst. Ganz eigentümlich ist dann allerdings die Art, wie der Prinz Wilhelm also ein Genie ersten Ranges, ein künftiger gewaltiger Selbstherrscher, eine wahre Gefahr für Europa, dargestellt wird, 28 der schon jetzt die Ver-

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j 〈f〉 k O: intriguante o 〈[??]〉

l gut > hübsch

m 〈Frack〉

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21 „Elle n’a pas une intelligence hors ligne; elle n’est pas mauvaise, mais elle est intrigante, fausse, affectée.“ Ebd., S. 8. 22 „Ce n’est pas un homme doué de grands moyens; c’est simplement un très bon et très brave militaire, rustre de la pire espèce dans la vie privée, sachant admirablement obéir, tacticien à force d’étude, redoutable par sa brutalité, mais sans ambition, sans désirs, sans passion autre que la chasse et le vin.“ Ebd., S. 37. 23 „Il vit retiré presque toujours dans son château de Dreilinden, déteste le monde, et n’est content que lorsqu’il est entouré d’un petit cercle d’amis, presque tous buveurs intrépides, devant lesquels il ne se gêne pas.“ Ebd., S. 37 f. 24 „Outre ses succès militaires, c’est un homme très aimable, très bienveillant de sa personne, très paternel dans sa bonté.“ Ebd., S. 5. 25 „Il n’a aucune vanité, disparaît lorsque cela est nécessaire, s’efface derrière son chancelier, et, quoiqu’il souffre des volontés impérieuses de ce dernier, a trop de dignité pour laisser le monde s’en apercevoir.“ Ebd., S. 5 f. 26 Zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm (später Kaiser Friedrich III.) und seiner Frau Victoria vgl. ebd., S. 10–13. 27 Gemeint ist Hinzpeter, G[eorg], Zum 25. Januar 1883. Eine Unterhaltung am häuslichen Herd für den Tag der silbernen Hochzeit des Kronprinzlichen Paares. – Bielefeld und Leipzig: Velhagen & Klasing 1883. 28 Zu Prinz Wilhelm (später Kaiser Wilhelm II.) vgl. Vasili, Société de Berlin (wie oben, S. 393, Anm. 10), S. 14–16.

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achtung, die sein Großvater gegen den Kronprinzen29 hege, in noch weit erhöhtem Maße besäße, und mit vollem Recht. Hier fängt man aber doch an, zu zweifeln, ob der Verfasser, der unbedingt in Berlin längere Zeit sich gründlich getummelt haben muß, richtig beobachtet hat. Unter allen Umständen ist es nicht nur Unrecht, sondern lächerlich, ein Buch wie dieses etwa mit Tissot30 auf eine Stufe zu stellen oder als nicht zu beachtende Schmähschrift zu verschreien. Wenn der Verfasser, ganz in Übereinstimmung mit Deiner mir gegenüber oft geäußerten Ansicht, nur etwas sehr schwarz, die Art schildert, in der Bismarck alle fähigen und selbständigen Kräfte rings um sich her zu vernichten bestrebt ist und zu dem Resultat kommt, er werde, |:annähernd ähnlich:| wie Friedrich II, einmal verschwunden, ein Chaos, ein unentwirrbares Maschinengetriebe, dem die Triebkraft fehle, hinter sich lassen, 31 so ist das der Regierung natürlich nicht angenehm zu hören, und auch uns kann es nicht angenehm sein zu erfahren, daß die Franzosen so gut über uns unterrichtet sind, aber objektiv geurteilt ist es doch, und nicht geschmäht. – Ich schreibe über alle diese Dinge so ausführlich, um wenigstens meinen guten Willen zu zeigen, etwas vernünftiges zu schreiben; wenn ich nun auch |:jetzt:| zu stumpfsinnig bin, um eigne Gedanken zu bringen, so kann ich doch wenigstens referieren. Es ist nun wahrhaftig schon Sonnabend geworden und nachgerade denn doch höchste Zeit, daß der Brief endlich fortkommt. Vorgestern schlief ich, am Schluß des zweiten Bogens, ein; gestern war den ganzen Tag über, mit Ausnahme der 2 1/ 2 stündigen Mittagspause, Dienst, Felddienstübung am Nachmittag, was eine der größten Scheußlichkeiten ist, die es geben kann, und heute haben wir den ganzen Vormittag über geschossen, wobei ich als Schreiber die Treffer etc. zu notieren hatte, ein bis zum Entsetzen-Erregenden stumpfsinniger Dienst, der außerdem sehr lange dauert und bei dem man friert. – Jedenfalls will ich jetzt schleunigst schließen, damit der Brief wenigstens morgen früh fortkommt. Auf Alfreds Brief, für den ich bestens 29 D.h. Kaiser Wilhelm I. gegen seinen Sohn Friedrich Wilhelm. 30 Der französischsprachige Schweizer Victor Tissot publizierte in den 1870er Jahren erfolgreiche Reiseberichte wie „Voyage au pays des milliards“ (1875) oder „Les Prussiens en Allemagne“ (1876), in denen er sich kritisch und spöttisch mit dem neuen Kaiserreich und dem preußisch-deutschen Militarismus auseinandersetzte. 31 Zu Bismarck im allgemeinen vgl. Vasili, Société de Berlin (wie oben, S. 393, Anm. 10), v. a. S. 66–77. Max Weber bezieht sich hier jedoch v. a. auf ebd., S. 33 f.

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danke, folgt diesmal auch sicher eine Antwort, und zwar in baldigster Nähe. 32 Mit der Rechnung der Waschfrau hat es seine Richtigkeit; ich weiß, daß ich ihr zu Anfang des Semesters 10 Mk gab, um von vorn herein für einige Zeit sicher zu sein, bezahlt zu haben; ich glaubte dann, Frau Haberle hätte den Rest jedesmal ausgelegt, wie das meine Wirtsleute hier und in Heidelberg sonst thaten; dies ist indessen doch nicht der Fall gewesen und ich habe sie dann vergessen, ebenso wie die Rechnung eines Schusters von 6 Mk, die mir neulich durch die Couleur33 zuging und die ich bezahlt habe. Es kam das sehr leicht daher, daß ich meinep Rückstände |:z. großen Teil:| durch die Couleurkasse34 hatte ausgleichen lassen, was, während ich in Jena war,35 geschah, und nachher mit dieser abrechnete. Ich schicke die Rechnung, da Ihrq sie bezahlen wollt, mit zurück. – Die Zeit der Geselligkeit wird jetzt wohl einigermaßen vorüber sein bei Euch und erst mit dem Reichstage wieder beginnen.36 Ich habe so etwas munkeln gehört, als wolltest Du Dir während der Osterferien des Reichstages mein hiesiges Leben einmal etwas ansehen; 37 hoffentlich kann ich Dir, wenn Du Dich wirklich auf den Weg machst, mich schon als Gefreiten präsentieren.38 5 Monate, nahezu die Hälfte, sind ja jetzt, Gott sei Dank, herum. Hoffentlich sind diese vier Wochen Compagnieexerzieren die letzten, während deren ich im Gliede als Gemeiner mittrabe. – Aber jetzt will ich zum Abendessen gehen, es ist schon 10 Uhr, und ich komme sonst spät ins Bett, müde wie ich bin, und schlafe morgen wieder zu weit in den schönen freien Sonntag hinein. Herzliche Grüße an alle. Dein Sohn Max. p 〈unb〉

q O: ihr

32 Der nächste überlieferte Brief Max Webers an Alfred Weber datiert auf den 25. März 1884, unten, S. 405–407. 33 Synonym für Burschenschaft. 34 Die Kasse einer Burschenschaft (hier der Allemannia Heidelberg), aus der die gemeinsamen Auslagen bezahlt werden. 35 Weber bezieht sich hier wahrscheinlich auf seine Reise zum Allgemeinen Deputierten-Convent der Burschenschaften nach Eisenach im Mai 1883. Vgl. dazu den Brief an Helene Weber vom 26. Mai 1883, oben, S. 346 mit Anm. 6. 36 Die erste Reichstagssitzung des Jahres fand am 6. März 1884 statt. 37 Max Weber sen. besuchte seinen Sohn Ende April während der Sitzungspause des Reichstags, die zwischen den 28. März und 21. April 1884 fiel. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, unten, S. 419 mit Anm. 26. 38 Vgl. dazu oben, S. 396, Anm. 4.

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Alfred Weber 25. März 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 71–72 Brief Max Webers anläßlich der Konfirmation seines Bruders Alfred am Donnerstag, 27. März 1884.

Straßburg i/E d. 25ten März 1884 Lieber Bruder!

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Meine Absicht ist heute: a einmal, |:Dir:| für Deine beiden Briefe endlich zu danken, dann aber und hauptsächlich, Dir mit Bezug auf den bedeutsamen Wendepunkt Deines Lebens, an dem Du stehst, als Bruder und Christ wenigstens ein par Worte zu sagen, um Dir zu zeigen, wie ich diesen wichtigen Schritt auffasse und was er nach meiner Ansicht für den, der ihn thut, für eine Bedeutung hat, – um Dir endlich auch meine herzlichsten Glückwünsche zu dieser Gelegenheit auszusprechen. Du bist mit den Lehren des Christentums, wie sie von Alters her in unsrer Kirche gehalten und geglaubt worden sind, bekannt gemacht worden und es wird Dir dabei nicht entgangen sein, daßb die Auffassung des wahren Sinnes und der inneren Bedeutung derselben bei den verschiedenen Menschen eine sehr verschiedene ist und daß Jeder die großen Rätsel, die diese Religion unsrem Geiste entgegenbringt, nach seiner Weise zu lösen versucht. An Dich also tritt jetzt, wie an jeden andren Christen, die Forderung heran, Dir darüber eine eigne Ansicht zu bilden als christliches Gemeindemitglied, eine Aufgabe, die Jeder lösen muß und Jeder in seiner Weise löst, allerdings nicht mit einem Schlage, sondern auf Grund langjähriger Erfahrung im Verlauf seines Lebens. Wie Du diese jetzt zuerst an Dich herantretende Aufgabe lösen wirst, darüber wirst Du allein Dir selbst, Deinem Gewissen, Deinem Verstande, Deinem Herzen verantwortlich sein. Denn, wie ich glaube, liegt die Größe der christlichen Religion eben darin, daß sie für jeden Menschen, alt und jung, glücklich und unglücklich, im gleichen Maße da ist und von allen, wenn auch in verschiedener Weise, verstanden a 〈[??]〉

b In O folgt nochmals: daß

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wird, und seit fast 2000 Jahren verstanden worden ist. Sie ist eine der Hauptgrundlagen, auf denen alles Große beruht, was in dieser Zeit geschaffen ist; die Staaten [,] welche entstanden, alle großen Thaten [,] welche dieselben geleistet, die großen Gesetze und Ordnungen, welche sie aufgerichtet haben, ja auch die Wissenschaft und alle großen Gedanken des Menschengeschlechts haben sich hauptsächlich unter dem Einfluß des Christentums entwickelt. Die Gedanken und die Herzen der Menschen sind nie, seit die Welt denken kann, von etwas so erfüllt und bewegt worden, wie von den Ideen des christlichen Glaubens und der christlichen Menschenliebe –, das wird Dir, je mehr Du in die Geschichtstafeln der Menschheit blickst, um so klarer werden. So ist es gekommen, daß heutzutage alles das, was wir unter dem Namen „unsre Cultur“ zusammenfassen, in erster Linie mit auf dem Christentum beruht, daß heute in den Einrichtungen und Ordnungen der ganzen menschlichen Gesellschaft, in ihrer Denk- und Handlungsweise alles mit ihm zusammen und von ihm abhängt, so sehr sogar, daß wir selbst es gar nicht mehr immer merken, und gar nicht mehr uns bewußt sind, daß wir bei allem, was wir thun und denken, unter dem Einfluß der christlichen Religion stehen. Das Christentum ist das gemeinsame Band, welches uns mit allen Völkern und Menschen, die auf gleich hoher Stufe stehen wie wir, verbindet, denn selbst diejenigen Menschen unter uns, welche sich selbst Christen nicht nennen oder behaupten, mit dem Christentum nichts zu schaffen haben zu wollen, haben sich doch die Grundgedanken des Christentums angeeignet und handeln unwillkürlich nach seinen Lehren. – – In diese große Gemeinschaft des Menschengeschlechts trittst Du jetzt als christliches Gemeindemitglied ein, und Du wirst Dir, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, bewußt sein und es wird Dir, ebenso wie mir, immer klarer werden, daß Du, indem Du durch Deine Confi rmation, durch das Sprechen des Glaubensbekenntnisses, den Wunsch aussprichst, in diesen großen weltumfassenden Bruderbund aufgenommen zu werden, Dir gewisse Rechte und Pfl ichten auferlegt hast. Als christliches Gemeindemitglied nimmst Du das Recht und die Pfl icht auf Dich, an Deinem Teile an der Fortentwicklung der großen christlichen Culturentwicklung und damit der ganzen Menschheit zu arbeiten; – und früher oder später sieht Jeder von uns ein, daß es für sein eignes Glück eine notwendige Bedingung ist, daß er sich diese Pfl icht und Aufgabe stellt und, so gut er kann, erfüllt. Wir Jüngeren können unsrerseits zunächst diese Pfl icht dadurch zu erfüllen suchen, daß wir

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darnach streben, uns für den Dienst im Interesse der menschlichen Gesellschaft geeignet zu machen, und diejenigen Geisteskräfte zu verschaffen, welche dazu gehören, um ein tüchtiger Mitarbeiter an dem Werke und der Weiterentwicklung der Welt zu sein. Je früher wir erkennen, daß unsre eignec Zufriedenheit und unser innerer Frieden mit dem Bestreben, diese Pfl icht zu erfüllen, unlösbar verknüpft ist, je eher wir das freudige Gefühl haben, auf diesed schönee Erde als Mitarbeiter an einem großen Werke gestelltf zu sein, um so besser für uns. – Und so will ich Dir zum Schluß den Wunsch mitgeben, daß Du immer mehr zu diesem Bewußtsein, der Frucht des wahren Christentums, kommen mögest, unsren Eltern zur Freude, Dir selbst zum Frieden. Dein Bruder Max. P. S. Schönen Dank für Deine Briefe. Schreib mir bald wieder, ich kann vielleicht jetzt regelmäßiger antworten. Du hättest mir mehr von Deiner Confi rmationsstunde und aus der Schule erzählen sollen.

c 〈innere〉

d dieser > diese

e schönen > schöne

f ge > gestellt

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Helene Weber 6. April 1884, Straßburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Strasburg d. 6ten April 1884 Liebe Mutter! Zu den vielen angefangenen Briefen, die als beredte Ruinen auf meiner Bude umherliegen, und niemals vollendet werden, hat sich ein neuer gesellt, der schon vor 1 1/ 2 Wochen an Dich abgehen sollte und jetzt noch nicht vollendet ist, so daß ich den Versuch, ihn fortzusetzen, lieber aufgebe und von vorn anfange. In der letzten Woche habe ich weniger als je bisher die Möglichkeit gehabt, für mich etwas nicht mit dem Militär Zusammenhängendes vorzunehmen. Das Compagnieexerzieren dauerte von Morgens bis Mittags und Nachmittags schlossen sich daran Gefechtsübungen, „Tiraillieren“;1 – ich habe nie in meinem Leben besser geschlafen und selten seit Heidelberg den Tag über solchen Durst nach gutem Biere gehabt als die letzte Zeit, denn es war schon ganz unverhältnismäßig heiß für diese Jahreszeit und der Hauptmann2 unbarmherzig im Laufschritt-Machenlassen, sobald etwas nicht exakt ging. Gott sei Dank, ist diese unerfreuliche Periode jetzt zu Ende, nachdem heute früh die Compagnien des Regiments dem Oberst, Brigade- und Divisionsgeneral vorgeführt und für gut befunden worden sind, – und damit ist überhaupt die erste, wenn auch nicht anstrengendere, doch weitaus unangenehmere Hälfte meines Militärlebens abgeschlossen, denn in den nächsten Tagen werde ich, denk ich, aus der Front austreten und von da ab die Dienste eines Unteroffi ziers thun; 3 wobei dann doch das Exerzieren schon etwas mehr Spaß macht. Dann kann man auch ein eigentlich regelmäßiges Leben wieder beginnen, kann etwas arbeiten, ohne gleich einzuschlafen und überhaupt sich wieder auch als Student fühlen, was bisher kaum möglich war. Die Hauptsache ist, daß man als anständiger Mensch behandelt wird – wenn auch natürlich bisher nicht direkt das Gegenteil der Fall war, so 1 In gelockerter Linie kämpfen, vereinzelte Schüße abgeben. 2 Max Weber gehörte in seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. 3 Mit der Beförderung zum Gefreiten begann für die geeigneten einjährig-freiwilligen Soldaten die Ausbildung zum Unteroffizier der Reserve.

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mußte man natürlich doch, so lange noch nicht die „Knöpfe“,4 die erste Vorbedingung eines weiteren Avancements, vorhanden waren, nach Möglichkeit mit den andren Gemeinen gleichgestellt und zu allerhand, für Einjährige ganz überflüssigen, Dienstleistungen herangezogen werden. – Meine militärische Situation ist jetzt überhaupt eine verhältnismäßig ganz günstige. Mit dem ältesten Lieutenant unsrer Compagnie, einem in seinen Neigungen unberechenbaren, aber sehr netten und amüsanten Herrn, stehe ich auf einem vorzüglichen Fuße, seitdem ich mit ihm und einigen andren Einjährigen an Kaisers Geburtstag, 5 Abends, wo er schon etwas gehobener Stimmung war, einige Flaschen Wein getrunken und dabei auf seine teilweise gar nicht üblen Witze entsprechend eingegangen bin, und seine Ulkereien gegen mich mit großer Unverfrorenheit, wenn auch in ehrerbietigstem Tone, mit gleicher Münze erwiderte, was dem sonderbaren Kauz ausnehmend zu gefallen schien. Beim Hauptmann scheine ich, weiß der Himmel, weßhalb, ganz gut angeschrieben zu stehen, was er mich auf sehr zarte Weise dadurch merken ließ, daß er jedesmal, wenn ich etwas verdarb – und das passierte oft genug – meine beiden Nebenleute rechts und links nachexerzieren ließ – ein sehr empfehlenswertes Verfahren und für mich zugleich wenig anstrengend und lehrreich. – Soeben bringt mir mein Wirt aus meinem Briefkasten zwei Briefe, einen vom Papa aus Tangermünde, einen von Dir. Besten Dank für beide und den Wunsch, daß die Spritzfahrt weiterhina einen so angenehmen Verlaufb genommen haben möge, als dies offenbar bis dahin der Fall war. – Ich hoffe doch zuversichtlich, daß Papa in den nächsten 14 Tagen auf ein par Tage hierherkommen wird,6 um ihm näher über mein hiesiges Leben Rechenschaft geben zu können und weil es außerdem doch zweifelhaft ist, ob ichc im Sommer mit solcher Bequemlichkeit würde mit ihm zusammen sein können, wie grade jetzt, wo wenig Dienst ist. Der Papa könnte mit größter Bequemlichkeit bei meinen Wirtsleuten logieren, die sich das zur großen Ehre anrechnen würden, er könnte a 〈so〉

b 〈nehmen〉

c 〈ihn〉

4 Mit der Beförderung zum Gefreiten erhielten die Einjährigen als äußeres Zeichen Wappenknöpfe an beiden Kragenseiten. 5 Kaiser Wilhelm I. feierte am 22. März 1884 seinen 87. Geburtstag. 6 Max Weber sen. besuchte seinen Sohn in der zweiten Aprilhälfte 1884. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, unten, S. 419 mit Anm. 26.

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sogar bei mir essen u. Alles. Baumgartens freuen sich schon lange auf seine Anwesenheit, sie werden jedenfalls seit gestern aus Waldkirch zurück sein. Ich hoffe also unbedingt auf ein endliches Wiedersehen, was ja ganz gut noch nach Deinem Geburtstage,7 gegen Ende nächster Woche, stattfi nden könnte. – Damit der Papa nach dem, was ich hier sage, möglichst bald seine Entschlüsse fassen kann, will ich diesmal lieber schließen und das andre, was ich noch zu sagen hab – ich wollte namentlich über das, was Du betr. Alfreds Confi rmation schreibst und über den Brief, den ich ihm dazu geschrieben habe,8 noch Verschiedenes schreiben – für die nächsten Tage versparen. Ich bin ja jetzt in der Lage, Briefversprechen pünktlicher zu halten, als Ihr bisher an mir gewohnt wart. Mit herzlichem Gruß an Alle Dein Sohn Max, E[injährig]-fr[eiwilliger]-Gefreiter im 47 Regt 2. Cie.

7 Helene Weber feierte am 15. April 1884 ihren 40. Geburtstag. 8 Vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 25. März 1884, oben, S. 405–407 mit Editorischer Vorbemerkung.

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Helene Weber 2. und 7. Mai 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 73–79

Strasburg d. 2. Mai 84 Liebe Mutter!

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Endlich erfolgt auf Eure freundlichen Gaben und Briefe1 eine Antwort von meiner Seite. Jetzt, wo ich seit 1 1/ 2 Wochen eine Corporalschaft2 führe und die Ehre habe, jedesmal persönlich dafür verantwortlich gemacht zu werden, wenn irgend ein polnisches Ferkel aus derselben am Morgen unrasiert, ungewaschen und stinkend zum Dienst erscheint, kann ich nachgrade den ganzen Tag in der Kaserne mich umhertreiben und die militärische propreté3 und Unsauberkeit von Grund aus kennen lernen. Wenn ein Kerl sein Commisbrot statt in drei Tagen in zwei Stunden aufgefressen hat und darüber beinahe eines würdigen Heldentodes sterben will, wenn ein andrer bei der Felddienstübung die halbe Stiefelsohle verliert, oder ein origineller Lieutenant auf die Idee kommt, vor dem Kirchgang die Leute dena einen Stiefel ausziehen zu lassen und sich dabei herausstellt, daß die in denselben befi ndlichen Gliedmaßen in unvorschriftsmäßigem Zustande sind, so heißt es, „es herrsche kein militärischer Geist in der Corporalschaft“ und „der Corporalschaftsführer habe keinen sicheren militärischen Blick“ (bezw. Geruchsinn), so daß ich einige Male schon in hellem Zorne nach Hause kam und den Titel Einjährig-„Freiwilliger“ als Hohn auf alle Wahrheit verwünschte. Nachdem man sich zwei bis drei Tage lang als Vorgesetzter bedeutend gefühlt hat, sind schließlich Bauchgrimmen und Appetitlosigkeit die einzigen Resultate einer gewissenhaften Corporalschaftsführung. Gott sei Dank, wird ja auch dieser Kelch einmal vorübergehen, vorläufig aber bin ich die reine Dienstmaschine und meine außerdienstlichen Beschäftigungen sind Essen + Trinken + Schlafen + 0. Nun zur Beantwortung Eurer Briefe. Besten Dank vor allem für Eure freundlichen Zusendungen, namentlich auch dem Alfred für seine brillante Brieftasche; sobald ich kann, werde ich ihm briefl ich noch a die > den 1 Anläßlich des 20. Geburtstags von Max Weber am 21. April 1884. 2 Eine bis zu 30 Mann starke militärische Einheit. 3 Frz. für: Sauberkeit.

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selbst dafür danken und auf seinen Brief antworten,4 über den ich mich sehr gefreut habe und der mich sehr interessiert hat. Für Eure freundlichen Worte zum Eintritt in das dritte Jahrzehnt meines Lebens herzlichen Dank, 5 ich bin mir der Bedeutung desselben wohl bewußt und trete erwartungsvoll in dasselbe ein mit dem Willen, etwas zu leisten und dem Bewußtsein, es auch zu können. Wenn auch gegenwärtig meine geistige Beschäftigung auf ein Minimum reduziert ist, von eigentlichem Arbeiten keine Rede ist und meine (geringen) mir bisher in meinem Fachstudium erworbenen Kenntnisse als traurige Ruinen in ziemlicher Öde herumstehen resp. zum großen Teil schon zusammengefallen sind, so habe ich hier doch im Verkehr mit unsren beiden Verwandtenhäusern6 die tiefgehendsten gemütlichen und geistigen Anregungen. Ich gehe niemals aus dem Baumgarten’schen Hause fort, ohne viel daraus mitzunehmen, wenn auch die Resultate, die ich mir daraus entnehme, selten mit der Denkweise der Mehrzahl der Mitglieder diesesb Hauses übereinstimmen. Ich stehe zu gewissen Grundanschauungen, die bei der überwiegenden Mehrzahl der Mitglieder |:desselben:|c herrschen, in einer bewußten sehr entschiedenen Opposition, die ich nicht aufgeben könnte, ohne mich völlig zu verändern und nicht aufgeben darf, weil ich von ihrer Nichtberechtigung durch nichts bisher überzeugt worden bin. Ich habe niemals den Versuch gemacht, aus diesem Verhältnis einen Hehl zu machen und begegne bei fast Allen Beteiligten einer liebenswürdigen Toleranz. Ich muß hier entschieden Laura7 ausnehmen, bei derd eine starrsinnige Intoleranz derart ihren ganzen Charakter beherrscht, daß, wenn man nicht bedenken müßte, daß sie eben einfach krankhaft ist, das Urteil über sie ein ziemlich hartes sein müßte. Es ist wirklich für die Tante8 eine ganz enorme Last und zwar weit weniger äußerlich – das kommt grade bei Baumgartens, die ein einfach gegliedertes Hauswesen haben, nicht so sehr in Betracht – als innerlich. Abgesehen von der Intoleranz gegen Urteil und Persönlichkeit andrer Menschen, besitzt Laura auch einen Grad von Eigenwilligkeit und Herrschsucht, der wirklich zu ihrer Situation einen höchst b 〈Baumgarten’schen〉

c 〈dieses Hauses〉

d 〈entschieden〉

4 Der nächste überlieferte Brief Max Webers an Alfred Weber datiert vom 8. August 1884, unten, S. 438–440. 5 Vgl. oben, S. 411, Anm. 1. 6 Gemeint sind die Familien Benecke und Baumgarten in Straßburg. 7 Laura Fallenstein. 8 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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eigentümlichen Contrast bildet. Dazu kommt, daß, sobald diese Eigenschaften in ihrer freien Willkür und Entwicklung derart gehemmt werden, daß ihr dies fühlbar wird, die heftigsten Alterationen und körperlicher Bankerott die sicheren Folgen sind. Es ist deshalb wirklich dunkel, auf welchem Wege ihr eigentlich geholfen werden soll. Namentlich scheint es unmöglich, ihr über ihre eigne Stellung und das, was nach gewöhnlichen Anschauungen daraus resultiert, die Augen zu öffnen. So ist z. B., wie der Onkel9 mir gelegentlich bemerkte, auch von irgend einem Gefühl der Verpfl ichtung bei ihr nicht die leiseste Spur zu entdecken; sie setzt sich in ihrer wirklich abnorm spiritualistischen Anschauungsweise über derartige, ihrer Ansicht nach, selbstverständliche Bagatellen vollkommen und unbewußt hinweg. Es war doch wirklich für die Tante hart, nach dem, was siee an Laura alles gethan, von Frau v. Harder zu hören, daß kürzlich diese ihr gegenüber behauptet habe „der Überzeugung geworden zu sein, daß die Tante sie nicht liebe“ – „denn sie gönne ihr nichts und thue ihr nicht den kleinsten Gefallen“. 7. Mai. Bußtag.10 Heute komme ich erst wieder einmal dazu, mein Geschreibsel fortzusetzen und hoffentlich auch zu beendigen, nachdem ich eben ungewöhnlich früh aus der Kaserne komme und heute, als am Feiertage, nur noch 3 Mal hinmuß, während ich sonst, mit Ausnahme einer Mittagspause von 3 /4 Stunden, jetzt eigentlich den ganzen Tag in der Kaserne liege. Am Sonntag, wo ich diesen Brief beendigen zu können glaubte, mußte ich Morgens in die Kirche, nachdem ich schon vorher den Anzug der Kirchgänger revidiert hatte, Mittags mußte ich zur Parole11 und Nachmittags nochmals in die Kaserne zum Kammerunteroffi zier, Abends war ich bei Beneckes. Sonst wird jetzt täglich im Bataillon exerciert und tirailliert12 und außerdem habe ich täglich alle möglichen Geschäfte auf der Kammer mitzumachen, die in Folge der Musterung von den Leuten empfangenen Kriegsgarnituren wieder abzugeben etc. – e [??] > sie 9 Hermann Baumgarten. 10 Vor 1893 gab es unterschiedliche Termine für den evangelischen Buß- und Bettag. 11 Parole ist hier als Synonym für die Wachparade zu verstehen, bei der diese in ihrem eigentlichen Wortsinn (Erkennungswort für befreundete Truppen) ausgegeben wurde. 12 In gelockerter Linie kämpfen.

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Um also auf das behandelte Thema zurückzukommen, so kann ich es, wie schon öfter gesagt, nur als ein Glück betrachten, daß der Gedanke, Laura in unser Haus aufzunehmen, schon durch die äußeren Umstände von vorne herein ausgeschlossen ist.13 Sie ist eben nur eine Last, keine Hülfe, und um so mehr, weil sie immer glaubt, helfen und den ganzen Haushalt nach ihrem Kopfe dirigieren zu können. – Ihre Art und Weise, über die intimsten Verhältnisse von ihr gar nicht nahestehenden Familien zu urteilen, zu glauben, man könne sich in dieselben einmischen oder sei gar dazu verpfl ichtet, – eine Denkweise, die bei der Unmöglichkeit, daß sie derartige Verhältnisse wirklich anders als ganz a priori und theoretisch zu beurteilen |:im Stande sein könnte:|f, zu um so bedenklicheren Resultaten führt, – würde in einem behaglichen, |:normalen:| Familienleben stets ein störendes Element sein. Es liegt eine crasse Pietätslosigkeit in dieser Anschauungsweise, welche glaubt, berechtigt zu sein, zwischen Eltern und Kinder und zwischen Mann und Frau |:zu:| treteng, eine Pietätslosigkeit, die das letzte Resultat jenes extremen Christianismus ist – denn Christentum kann ich diese fanatische Anschauung nicht nennen – welchen sie und offenbar auch ihre verstorbene Schwester14 stets gepflegt haben und welchem die im Baumgarten’schen Hause herrschende Anschauungsweise niemals in der Lage sein wird, energisch entgegen zu treten. Sie ist mit ihrer starrsinnigen, und doch durch die Umstände stets paralysierten oder fehlgeleiteten Energie und ihrer Blindheit gegen alleh natürlichen und nicht übersinnlichen Erwägungsmomente, namentlich in ihrer Unklarheit über ihre eigene Persönlichkeit |:und Stellung:| im höchsten Grade bemitleidenswert, aber das kann nicht hindern, daß man trotzdem den Wunsch hegt, sie nicht im eigenen Hause zu haben. Die Aussicht, daß sie auf meine Geschwister Einfluß gewinnen könnte,i – und das würde sie unbedingt wollen und rücksichtslos in der Wahl der Mittel dazu sein, – wäre für mich keineswegs angenehm. Der Onkel15 jsprach zuj mir vor einiger Zeit sehr bitter über das Verhängnis, welches die beiden Fallenstein’schen Schwestern16 über ihn und seine Familie f 〈weiß〉

g 〈zu können〉

h 〈nicht〉

i 〈wär〉

j–j sagte > sprach zu

13 Vgl. z. B. den Brief an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 374 f. mit Anm. 19. 14 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, war kurz nach der Geburt ihres Kindes im November 1883 verstorben. 15 Hermann Baumgarten. 16 Gemeint sind Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, und Laura Fallenstein.

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gebracht hätten, gewiß nicht mit Unrecht nach dem, was sie an ihm gethan haben. Jetzt sind Laura und Emmi in Waldkirch, – d. h. sie sind jetzt vielleicht schon zurück –, wo Erstere sich natürlich sofort wieder an Asthma gelegt hat, welches bei ihr stets eintritt, wenn irgend etwas, so wie hier vermutlich die heftigen prinzipiellen Auseinandersetzungen, welche stets erfolgen, wenn sie mit Otto in Berührung kommt, sie lebhaftk erregt. – Sie wird jetzt bald großjährig und man ist hier gespannt auf das, was sie dann vornimmt. – Otto sah ich zuletzt vor jetzt ungefähr 4 Wochen und finde doch, daß man das, was er durchgemacht hat, jetzt ihm anmerkt und zwar in viel höherem Grade als kurz nach Emily’s Tode,17 wo er, wie ich schrieb in einer vollkommenen, un- und übernatürlichen,l Ekstase war.18 Er arbeitet noch immer mit Anspannung aller Kräfte und macht wirklich sehr interessante Erfahrungen auf dem Gebiet der kirchlichen und sozialen Verhältnisse, befaßt sich viel mit Sozialpolitik, da er in den Verhältnissen seiner Gemeinde allerdings hervorragend viel mit den schwierigsten einschlagenden Fragen in Berührung tritt; – mir schienen die Urteile, die er in diesen Sachen in meiner Gegenwart fällte, |:eben:| doch die früher Allem dem, was er sagte, eigentümliche geistige Schärfe vermissen zu lassen, offenbar ein Zeichen seiner, sehr begreifl ichen, geistigen Ermüdung. Er macht überhaupt einen recht ermatteten Eindruck. Ich will um die Pfi ngstzeit, wenn ich überzeugt sein sollte, ihn nicht zu stören, einer von ihm längst an mich gerichteten Aufforderung entsprechend, einmal hinüberfahren.19 – Fritz wird der Papa jedenfalls recht frisch gefunden haben, anders als ich ihn zu Weihnachten sah, wo ich ihn völlig herunter fand. Er ist im Verkehr so freundlich und natürlich wie früher, geht offenbar in seinem Berufe ganz auf und scheint auch den wünschenswertesten Erfolg zu haben. –

k heftig > lebhaft

l O: übernatürlicher, 〈Ex〉

17 Vgl. oben, S. 414, Anm. 14. 18 Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 371 f.; dort spricht Weber allerdings nicht von einem ekstatischen Zustand, so daß er sich hier möglicherweise auf eine frühere, nicht überlieferte Mitteilung bezieht. 19 Ein Besuch bei Otto Baumgarten in Waldkirch ist erst für Ende Juli nachweisbar. Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, unten, S. 433 mit Anm. 11, sowie an Max Weber sen. vom 9. und 13. Aug. 1884, unten, S. 444 mit Anm. 5.

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Nun zu Deinen Briefen zurück, insbesondre zu dem, was Du über Alfreds Confi rmation20 schreibst. Es hat mir stets so geschienen und ich glaube es immer noch,m daß Deine Klage darüber, daß Alfred nicht von einem Prediger confi rmiert worden ist, der ihn, wie Du sagst, „mehr zum selbständigen Denken angeregt“ hätte, nicht ganz berechtigt ist. Du denkst dabei jedenfalls an eine der liberalen Größen Berlins, Hoßbach etc. Um aber das Bestreben, eine freiere und selbständigere Auffassung über das Christentum und gegenüber demselben Jemandem zu geben, zu rechtfertigen, muß bei demselben zweifelsohne vorauszusetzen sein, daß er überhaupt schon von sich aus gegenüber derjenigen Auffassung Stellung genommen hat, welche ihm von Jugend auf die natürliche war,n d. h. der Autoritätslehre. Andernfalls ist die Gefahr vorhanden, daß, wenn ihm, von außen her, dieser, ihm von jeher als dero höchste erschienene, seinem ganzen Denken mit zu Grunde liegende Autoritätsbegriff gelockert wird, derselbe für ihn überhaupt seine Wirksamkeit verliert – und dann wird ihm, nachdem diese eminente Autorität gefallen ist, die Autorität des liberalen Pfarrers – denn an das Denken unter dem Schutze |:und der Voraussetzung:| der Autorität ist der |:Betreffende:| nach wie vor gewöhnt – nicht |:als:| in Betracht kommend erscheinen. Die Folge wird sein, daß er plötzlich ganz auf sein eignes Denken angewiesen ist, ohne daran gewöhnt zu sein – denn er hat ja bisher immer unter pder Voraussetzungp des Autoritätsprinzips gedacht. Er wird also plötzlich auf eigne Füße gestellt, nicht nur, ohne es gelernt zu haben, so zu gehen, sondern ohne vorher überhaupt eine Idee gehabt zu haben, daß, und wie ungefähr man auf eignen Füßen gehen könne.q Das Natürlichere scheint mir denn doch, man läßt ihn zuerst einmal selbst beobachten, daß andre Leute auf eignen Füßen gehen und wie sie es ungefähr machen und wartet ab, ob er dannr auch den Willen zeigt, es zu versuchen. Dann erst zeigt man ihm den Weg dazu. Wenn sich also bei Alfred vor einem Jahre das Bedürfnis gezeigt hätte, sich gegenüber dem Autoritätsprinzip selbständig zu stellen, so würdest Du Recht gehabt haben. Dies war aber ganz entschieden nicht der Fall, es wäre also nicht richtig gewesen, ihn wider seinen Willen dazu zu nötigen, indem man ihn zu einem der liberalen m 〈daß Deine Klage darüber,〉 n 〈Andernfalls〉 o das > der p dem Schutze > der Voraussetzung q 〈Daß Natü〉 r Alternative Lesung: denn 20 Alfred Weber war am 27. März 1884 konfirmiert worden, vgl. dazu den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 25. März 1884, oben, S. 405–407.

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Geistlichen gab. Jetzt hat sich, wie ich schon vor einem halben Jahr in Gesprächen mit ihm zu constatieren glaubte und aus den Briefen, die er mir im Winter und jetzt wieder geschrieben hat, jetzt sicher weiß, die normale Entwicklung bei ihm viel natürlicher und ruhiger von selbst vollzogen; er ist mit den christlichen Lehren durch den allerdings sehr unbedeutenden Hrn. Müller21 in objektiver Weise bekannt gemacht worden und hat ihnen gegenüber aus sich selbst Stellung genommen und eine Ansichts gewonnen, die, ruhig weiter entwickelt, zu einer sehr objektiven und umfassenden, nicht einseitigen Anschauungsweise führen kann und wird. Ich glaube, daß hier der Erfolg dem Vater recht gegeben hat. – Was du ferner, und nun schon zu wiederholtem Male, über Deine „Unfähigkeit“ schreibst, für unsre geistige und |:gemüthliche:| Entwicklung etwas aus Dir zu thun, uns auch geistig eine Mutter zu sein, so muß ich dem gegenüber mit aller Energie constatieren, daß dies vollkommen auf Irrtum beruht, gestehe aber offen ein, daß icht das Entstehen dieser Meinung bei Dir mitverschuldet habe durch meine eigne Unfähigkeit, grade mit denjenigen Menschen, die mir am nächsten standen, mich über allerhand Dinge mündlich zu verständigen und auszusprechen, mich ihnen gegenüber im Verkehr herzlich oder auch nur liebenswürdig zu geben, mit einem Worte, durch meine „Zugeknöpftheit“ und die Unliebenswürdigkeit meiner Verkehrsformen. Ich kann Dich nur ehrlich versichern, liebe Mutter, daß Dein Einfluß auf uns, trotzdem und vielleicht weil er Dir selbst nicht immer klar war, größer war, als derjenige der meisten andren Eltern auf ihre Kinder – ich kann dies jetzt aus Erfahrung constatieren –; wenn ich oft unfreundlich und unliebenswürdig war, so geschah das, weil ich mich dann viel, vielleicht zu viel, mit mir selbst befaßte und mit mir selbst uneins und unzufrieden, aber nicht fähig |:war:|, dies offen zu sagen und auch wieder unfähig, es ganz zu verbergenu ; ich war in meinen Gedanken oft auf ganz excentrischen Wegen und muß es hauptsächlich Deinem Einflusse zu|:schreiben:|, daß ich jetzt zu einer ruhigen Anschauungsweise gelangt und fähig bin, etwas auf die Erfahrung zu geben und die Gedanken und Persönlichkeiten anderer Menschen |:vors Anschauung > Ansicht

t 〈diese〉

u 〈war〉

21 Gemeint ist Pastor Hermann Müller, der auch Max Weber 1879 konfirmiert hatte. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 19. Jan. 1879, oben, S. 147 mit Anm. 2.

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urteilslos:| zu betrachten und daran zu lernen. Ich habe in meiner bisherigen Universitätszeit zwar viele, wie ich jetzt merke, sehr leichtsinnige Dingev gethan, aber keinen schlechten Streich, und wenn dies nicht geschehen ist, – w jung wie ich war und bin, lag die Versuchung oft nahe –, so war es deshalb, weil ich |:dabei:| an dich gedacht habe – – – Etwas ängstlich ist mir, was ich durch Tante Ida von Euch hörte, nämlich, daß Du an ein Salzbad für den Sommer dächtest, einmal für Lilis Ärmchen, dann aber auch für Dich, da Du sehr herunter seiest. Zwar kann ich mich darüber freuen, daß Du auch einmal an Dich denkst, aber man ist das bei Dir leider so ungewohnt, daß man in solchen Fällen gleich immerx ernste Befürchtungen hegt. Was die Geschichte mit Lilis Arm betrifft, so verstehe ich sie noch immer nicht |:ganz:| und muß um Auskunft bitten. – Dem Alfred besten Dank für seinen Brief, ich antworte auf ihn und seine verschiedenen Fragen, sobald ich kann. – Zu meinem Geburtstag bin ich hier wieder mit Liebenswürdigkeiten überschüttet worden. Als ich am Abend von Baumgartens nach Hause kam, sah ich, daß auf meinem Tisch eine Pappschachtel mit der Aufschrift „W. Spindler“22 etc. stand. Ich nahm an, daß sie einige Hemden für mich enthielt, ließ sie stehen und ging in stillem Ärger, ich gestehe es, über die Prosa des Lebens ins Bett. Auch am andren Morgen beachtete ich sie nicht, sondern ging eilig in den Dienst. Mittags nach Hause gekommen, öffnete ich sie, – und siehe da!, zu meiner ungemeinen, angenehmen Überraschung enthielt sie, wunderhübsch mit Grün arrangiert, eine splendide Dedikation von Baumgartens, enthaltend einen Fez (Athener Fabrikat), eine ächte türkische Pfeife, aus Constantinopel für den Onkel mitgebracht, einen Tabaksbeutel mit athenischem Canaster, 23 und Fressalien, nebst beifolgendem Gedicht von Fritz, 24 welches ich mir zurückzuschicken bitte. Am Nachmittage kam Eure Kiste an, einige Tage später noch obendrein von Onkel Wilhelm eine Kiste Zigarren und ein eleganter Aschenbechery. Ich bin also auch dies Jahr zum reichen Manne geworden. Am Abend trank ich mit einigen meiner hiesigen näheren Bekannten eine Rheinweinbowle und mir war trotz des Militärs und der v Streiche > Dinge

w 〈so〉

x 〈ers〉

y 〈an〉

22 W. Spindler war eine große Färberei und chemische Waschanstalt in Köpenick. 23 Kanaster (oder Knaster), umgangssprachlich für Tabak. 24 Das Gedicht von Fritz Baumgarten ist nicht überliefert.

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fernen Heimath sehr geburtstäglich zu Muthe. Derz moralische Katzenjammer, mit dem man sonst ein neues Lebensjahr beginnt, fehlte diesmal am andren Tage, d. h. er kam in Folge des |:sehr beträchtlichen:| physischen nicht zum Bewußtsein. – Nun muß ich aber schließen, es ist spät Abends, ich muß noch an einer Arbeit für die Offi ziersinstruktion25 etwas thun – auch solcher Unsinn schränkt Einem noch die freie Zeit ein –, auch liegt mir daran, daß Ihr den Brief bald erhaltet, denn ich war etwas enttäuscht, am Ersten die vom Vater bestimmt zu diesem Termin in Aussicht gestellte Geldsendung nicht zu erhalten. Das von ihm während seiner Anwesenheit hier26 erhaltende Geld ging in den beiden ihm dafür angegebenen Zwecken auf, der Bezahlung meines Hauswirts und des Militäreffektenhändlers; ich lebe seitdem auf Pump. Außerdem komme ich vermutlich Sonnabend auf Wache und kann dieselbe von den noch in meinem Besitz befi ndlichen 45 Pf. nicht berappen. Zudem muß ich Collegia belegen, 27 – dieselben fangen seit Montag28 an, ich kann aber die nächsten 14 Tage doch noch nicht hin, muß einem hiesigen Corps, bei dem ich im vorigen Semester Waffen belegt habe, 29 eine Dedikation im Wert von 25 Mk. machen, möchte mich auch photographieren lassen und erhalte schließlich heute einen Brief aus Heidelberg, wonach sich für mich noch eine, zwar nicht große, restierende Couleurschuld, 30 woher? weiß ich nicht, entpuppt hat, was also neben den rez 〈K〉 25 Einjährig-freiwillige Soldaten, die zu Reserveoffizieren ausgebildet werden wollten, wurden permanent theoretisch oder praktisch geprüft. 26 Max Weber sen. hatte seinen ältesten Sohn in der zweiten Aprilhälfte in Straßburg besucht. Zu den Reiseplänen vgl. die Briefe Max Webers an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, oben, S. 404 mit Anm. 37, und an Helene Weber vom 6. April 1884, oben, S. 409 mit Anm. 6. 27 Für das Sommersemester 1884 war Max Weber immatrikuliert (vgl. Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studenten der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg für das Sommer-Halbjahr 1884. – Straßburg: Universitäts-Buchdruckerei Johann Heinrich Eduard Heitz 1884, S. 38). Möglicherweise hat er ein Kolleg bei Rudolph Sohm belegt, vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 374 mit Anm. 18. 28 Der offizielle Anfang des Sommersemesters war der 21. April 1884, vermutlich bezieht sich Max Weber hier auf den zurückliegenden Montag, 28. April 1884. 29 „Waffen belegen“ bedeutet in der Studentensprache, sich die zum akademischen Fechten nötigen Fechtutensilien zu leihen. Ob Max Weber in Straßburg gegen jemanden gefochten oder nur geübt hat, ist nicht nachzuweisen. 30 Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 23. und 28. Febr., 1. März 1884, oben, S. 404 mit Anm. 34. Couleurschulden sind die Schulden einer studen-

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gelmäßigen noch erhebliche außerordentliche Ausgaben ergiebt. Ich wäre also für schleunige Zusendung von etwas Moos sehr dankbar. Ich hätte noch manches zu erzählen, muß aber unbedingt abbrechen, sonst schlafe ich über der Arbeit nachher ein. Schreibt auch bald, namentlich über Euren Gesundheitszustand. Wie ist es mit Eurer Halsentzündung, von der ich auf dem Umwege über Heidelberg hörte? Wußtet Ihr übrigens, daß August Hausrath hier war? Davon nächstens.31 Mit herzl. Gruße an Alle Dein Sohn Max.

tischen Verbindung bei Gastwirten und anderen Dienstleistern, die aus der gemeinsamen Kasse bezahlt werden. 31 Über den Besuch des Heidelberger Verwandten nach Ostern (13./14. April 1884) vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 30. Mai und 3. Juni 1884, unten, S. 424.

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Max Weber sen. 30. Mai und 3. Juni 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 73–75

Strasburg d. 30.V.84. Lieber Vater!

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Wenn auch dieser Brief, mit dem ich heute schwerlich fertig werde, etwas post festum bei Euch eintreffen wird, so wird er, denke ich, doch noch als ein Zeichen dessen aufgenommen werden, was sich ja wohl allerdings von selbst versteht – daß ich in diesen Tagen mit meinen Gedanken und Wünschen lebhaft bei Euch in Charlottenburg bin [.] Herzlichsten Glückwunsch zu Deinem 48ten Wiegenfeste,1 ich denke ja die zweite Hälfte Deines 49ten Lebensjahres mit Dir zusammen in beidseitiger Gesundheit und Zufriedenheit zu verleben und hoffe, daß ich auch meinerseits etwas werde dazu beitragen können, Dir dasselbe so angenehm als möglich zu machen.2 Vorläufig kann ich nur aus der Ferne und aus einer keineswegs angenehmen Situation heraus dem Wunsche Ausdruck geben, daß es mir gelingen möge, fernerhin zu Deiner Zufriedenheit und meinem Besten in der Welt vorwärts zu kommen. Ich nehme an, daß Du und Ihr alle Deinen Geburtstag in bestem Wohlsein verlebt, obgleich ich seita 3 /4 Monat nur auf der Rückseite bvon Mamasb Postanweisung darüber etwas erfahren habe. Ich kann mich, da ich selbst mich in dieser Richtung sehr hart versündigt habe, nicht beklagen und nehme auch an, daß durch die Anwesenheit der Hamburger Nichten3 und die Geselligkeit, welche das Tagen der Parlamente doch wahrscheinlich mit sich bringen wird,4 Ihr, selbst wenn Ihr nicht die Absicht gehabt hättet, mich durch Nichtachtung für a 〈die〉

b–b Deiner > von Mamas

1 Am 31. Mai wurde Max Weber sen. 48 Jahre alt. 2 Max Weber spielt hier auf das Ende seiner Militärzeit zum 30. September 1884 an. Danach setzte er sein Studium in Berlin fort und lebte wieder bei seinen Eltern in Charlottenburg. 3 Otto Weber, der Bruder von Max Weber sen., hatte vier Töchter: Hertha (verh. Dörner), Martha, Anna (verh. Hübbe) und Hedwig. Welche der Cousinen zu Besuch waren, ist nicht bekannt. 4 Max Weber sen. war am 18. März 1884 in einer Nachwahl wieder in das Preußische Abgeordnetenhaus eingezogen. Die laufende Sitzungsperiode endete jedoch schon am 19. Mai. Die Verhandlungen des Reichstags dauerten noch bis zum 28. Juni an.

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meine Schreibfaulheit zu strafen, doch darin verhindert worden wäret, Zeit zum Schreiben zu fi nden. Ich bin seit einigen Tagen als „krank“ in das Revierbuch eingetragen. Ich habe eine Anfangs recht unangenehme, wie der betr. Arzt behauptet „Sehnenscheidenentzündung“ – weiß der Himmel, wo ich sie mir geholt habe, – am rechten Fuß, die mir das Marschieren sehr schmerzhaft und schließlich unmöglich machte, blieb in Folge dessen zu Hause und ging auch am vorigen Sonntag nicht zu Baumgartens. Als ich dann wieder auszugehen versuchte, überzeugte ich mich, daß ich, wenn auch gehen, doch nicht marschieren konnte und bin in Folge dessen seit einigen Tagen wieder an die Stube gefesselt. Die Sache ist so unbedeutend als denkbar, aber nach minutenlangem Gehen recht schmerzhaft und namentlich gar nicht so schnell vorübergehend, ich befürchte, daß ich doch noch nahezu 8 Tage werde zu Hause bleiben müssen, da ich jedenfalls die jetzt so beliebten Felddienstübungen nicht würde mitmachen können. Indessen befi nde ich, da sich die Sache nur beim Gehen bemerkbar macht, mich recht wohl und vergnügt auf meiner Bude, auf welcher ich sehr zahlreichen Besuch erhalte, so daß ich den ganzen Tag eigentlich keinen Moment allein bin und im Laufe der Zeit ziemlich viel Bier und Tabak verconsumiere. Von einer Pfi ngstdiät kann natürlich nicht die Rede sein, ich werde eben damit noch etwas warten müssen. Allerdings möchte ich kurz nach Pfi ngsten, 5 sowie ich wieder „gesund“ bin, erstens Otto Baumgarten besuchen,6 ferner unbedingt auch für ca. 8 Tage nach Heidelberg7 und vielleicht in Verbindung damit eine kleine Seitenspritze8 irgendwohin mit einigen Bekannten machen. Man wird von dem ewigen Strasburg, welches auf die Dauer doch nicht sehr imposant ist und dem noch ewigeren Dienst krumm und schief im Kopf und allen Gliedern. Ich lechze schon jetzt beinahe nach dem 1. Oktober und freue mich sehr auf Charlottenburg und das Berliner Wintersemester. Diese militärische Existenz wird nachgerade doch zu widerlich und stumpfsinnig, na-

5 Das Pfingstfest (1./2. Juni 1884) verbrachte Max Weber im Haus der Familie Baumgarten in Straßburg. Vgl. dazu seine Mitteilungen vom 3. Juni 1884, unten, S. 427. 6 Ein Besuch bei Otto Baumgarten ist erst für Ende Juli nachweisbar. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, unten, S. 433 mit Anm. 11. 7 Eine Reise nach Heidelberg hat Max Weber in diesem Sommer nicht mehr unternommen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, unten, S. 435. 8 Studentischer Ausdruck für einen Ausflug.

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mentlich da [un]srec in der letzten Zeit aber auch rein gar nichts neben sich aufkommen ließ. Die Tage meiner Corporalschaftsführung werden ja jetzt, hoffe ich, gezählt sein, aber die letzten vier Wochen lag ich auch von früh bis spät in der Caserne und konnte doch nicht verhindern, daß bei allen möglichen Gelegenheiten Sachen entwendet wurden, die ich dann, um nicht noch obendrein gemeldet und womöglich bestraft zu werden, auf meine Kosten wieder anschaffen lassen mußte. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man mit seinen Leuten zusammen schläft etc., oder immer erst zu jedem Dienst von Hause hinübergehen muß. Glücklicherweise wird jetzt ja wohl auch dieser Kelch bald vorüber sein. Für die Aufopferungsfähigkeit soll es ja eigentlich egal sein, ob man sich für eine berauschend große Idee oder für dreckige Fußlappen opfert, ja: „opfert“, denn eine schmählichere Art der Selbstkreuzigung, als sich wissentlich in den tiefsten Stumpfsinn zu versenken, giebt es kaum, – jedenfalls aber stört es bei diesem Opfer auf dem Altare der Menschheit, zu sehen, daß man dasselbe noch dazu erheblich ungeschickter anstellt als irgend ein Unteroffi zier und daß dasselbe weder für einen selbst, noch für das deutsche Heer von großem Wert ist. Zu lernen ist dabei ebenfalls nicht viel, denn das einzige Kunstmittel, wodurch die Unteroffi ziere uns überlegen sind, können wir zwar lernen, aber nicht anwenden, – d die Leute prügeln, treten etc. Ich will nicht wieder die Klagelieder Jeremiae (der Mann ist dabei noch nicht einmal Einjähriger gewesen) ableiern, die Ihr schon kennt, sondern constatiere einfach, daß ich auch den letzten Monat zu den „verlorenen“ rechne, – ich habe in demselben rein nichts nicht nur gearbeitet, sondern auch gelesen, kaum einige Zeitungen. – Bei Baumgartens war ich also, wie gesagt, den letzten Sonntag nicht. Vor 14 Tagen, als ich das letzte Mal dort war, befand sich alles leidlich wohl und war gerade Fritz von Freiburg aus anwesend.9 Auch Laura10 und Emmi waren von Waldkirch zurück, erstere von ihrem Asthma-Anfall wiederhergestellt – und hatten Otto bei leidlichem Wohlsein verlassen. Auch Beneckes sah ich an demselben Sonntag und hatte ihnen eigentlich versprochen, in den nächsten Tagen von ihrer Gastfreiheit Gebrauch zu machen, woraus nun freilich nichts wurde. Onkel Wilhelm wird jedenfalls, – wenn nicht etwas ganz Außerordentliches c Textverderbnis in O.

d 〈[??]〉

9 Fritz Baumgarten war zu dieser Zeit als Lehramtsanwärter in Freiburg i. Br. 10 Laura Fallenstein.

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dazwischen kommt – im Herbst nach Berlin kommen zur Geologenversammlung11 – er ist seit 59 nicht dortgewesen! Zur Zeit saß er noch immer tief in der Arbeit über die geologischen Verhältnisse des Lago di Como.12 Jetzt werden sie, denke ich, wieder auf dem Weg nach Heidelberg sein. – Ich glaube, ich habe schon in meinem vorigen Briefe erwähnt,13 daß zu Ostern, d. h. nach den Feiertagen, höchst unerwartet August Hausrath hier eintraf und zwei Tage hier verblieb. Es war eine höchst sonderbare Geschichte, kein Mensch hier ahnte etwas davon und scheinbar hatte auch Tante Henriette nichts davon gewußt. August selbst, der noch nie in Strasburg gewesen war, behauptete, auf einem Ferienausfluge in Folge des schlechten Wetters auf diese Idee gekommen zu sein. Man befürchtete jedenfalls, daß der Onkel,14 welcher von Allem, was in Strasburg ist, nie etwas wissen wollte, nicht eben sehr erbaut sein würde und bedauerte den Vetter etwas, doch scheint die Sache ganz gut vorüber gegangen zu sein. Hier hinterließ August15 im Allgemeinen keinen besonders angenehmen Eindruck, namentlich fand man, daß sein Wesen, soweit es aus seinem Auftreten und Äußerungen zu entnehmen war, seinen Jahren durchaus nicht entspräche, daß er einen eigentlich nicht anders als knabenhaft zu nennenden Eindruck mache, vorlaut etc. sei. Ich meinerseits habe das nie in dem Grad gefunden und August stets recht liebenswürdigf gefunden; er ist namentlich recht gescheit und von einer angenehmen Leichtigkeit in Verkehrs[-], Ausdrucks- und Denkweise – die pfälzische Lebhaftigkeit, welche Baumgartens als Unreife und Vorlautheit erscheint, ist im Allgemeinen mir noch an Niemand angenehm gewesen, und so auch hier nicht, aber ich kenne sie von Bekannten von mir ganz gut und fi nde sie sehr harmlos. Daß Hausraths nun wieder nicht nach Berlin gekommen sind, ist doch wirklich sehr schade, namentlich für die Mama, die doch einmal dort bleiben müßteg. So ist e Pfi ngstausflug > Ferienausflug

f 〈und〉

g O: mußte

11 Der International Geological Congress sollte im September 1884 in Berlin stattfinden, wurde dann jedoch wegen einer Cholera-Epidemie in Südeuropa verschoben und fand erst ein Jahr später vom 28. September bis 3. Oktober 1885 in Berlin statt. 12 Benecke, Ernst Wilhelm, Erläuterungen zu einer geologischen Karte des Grigna-Gebirges, in: Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Beilagen Band III, Heft 2, 1884, S. 171–251. 13 Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884, oben, S. 420 mit Anm. 31. Ostern war 1884 auf den 13./14. April gefallen. 14 Adolf Hausrath. 15 August Hausrath.

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denn der Onkel16 stattdessen nach Neustadt gegangen und hat den nach rechts ziehenden Flügel der dortigen Nationalliberalen, – nach Onkel Hermanns Ansicht mit Gänsefüßchen zu bezeichnen –, verstärkt. Vielleicht hat ihm Hrn. Miquel’s Bismarck-freundliche Rede zu einer etwas andren Ansicht über die schnoddrige Judenbande und die doktrinären Schreihälse, wie er vor 1 Jahr die Nationalliberalen bezeichnete, gebracht.17 Ich habe jetzt an Zeitungen nur noch hin und wieder das edle Berliner Tageblatt und regelmäßig den Kladderadatsch gesehen – letzterer ist jetzt wieder stellenweise ganz vorzüglich, namentlich ist er sehr erfreulicher Weise eine der wenigen deutschen Zeitungen, die sich regelmäßig mit Elsaß-Lothringen befassen. In Folge dessen ist alles, was mit Politik zusammenhängt, jetzt weit weniger als früher Gegenstand der Unterhaltung zwischen Onkel Hermann und mir; während ich früher immer wenigstens über die Thatsachen informiert war und in Folge dessen einigermaßen auf die Zornausbrüche des Onkels reagieren konnte, bin ich jetzt ein stummer, und in Folge dessen ein mangelhafter Blitzableiter für dieselben. Früher konnte ich wenigstens, wenn der Onkel eine Anzahl neuster, nach seiner Ansicht noch nicht dagewesener Unthaten der hiesigen Verwaltung erzählte, wenigstens aus der Erinnerung nach dem, was ich gelegentlich von Dir und Andren gehört hatte, gelegentlich constatieren, daß auch unter besseren Verwaltungen Ähnliches vorgefallen sei, – jetzt bin ich nur der stumme Spiegel, der den Ärger unverändert zurückgiebt. Es ist allerdings alles Mögliche hier passiert, was geeignet ist, den Onkel in Harnisch zu bringen, – die Berufung des Abbé Winterer in den Oberschulrath,18 die Verfolgung u. Maßregelung des hiesigen Gymnasialdirektors, weil er zu Kaisers Geburtstag eine Rede hielt,19 die liberal

16 Adolf Hausrath. 17 Der Nationalliberale Johannes Miquel hatte am 14. April 1884 in Neustadt a. d. Haardt eine programmatische Rede vor Abgesandten aus dem süddeutschen Raum gehalten, die die bismarckfreundliche Haltung der Nationalliberalen seit der Heidelberger Erklärung vom März 1884 zementierte. Im Mai folgte ein Parteitag in Preußen, auf dem die Gesamtpartei ihr Einverständnis mit diesem Kurs erklärte. Damit festigte sich der Bruch zwischen den „rechten“ Nationalliberalen und dem „linken“ Freisinn, der sich im März 1884 aus den „Sezessionisten“ und der Fortschrittspartei gebildet hatte. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, unten, S. 463 mit Anm. 14. 18 Der Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden. 19 Es handelt sich um die am 22. März 1884 gehaltene Rede von Carl Friedrich Schneegans, dem Direktor des Protestantischen Gymnasiums in Straßburg. Die Rede selbst ist nicht überliefert, ebenfalls keine Pressemeldungen in der „Straßburger Post“.

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gefärbt scheinen konnte,h als pfl ichtvergessenen Beamten und |:womöglich:| wegen Misbrauchs der Amtsgewalt im agitatorischen Sinn, falls er nichti alles widerrufen wolle, etc. Auch sonst erlebt der Onkel Dinge genug, die ihn verdrießen können. So z. B. – das wird die Mama auch interessieren – ist einer der besten Freunde Ottos, Herr v. Schubert, ein langjähriger und hervorragend begabter Schüler des Onkels, nachdem er, ich glaube 10 Semester Philologie und Geschichte studirt und jetzt in diesen Fächern sein Staatsexamen gemacht hatte, plötzlich nachträglich – wer sollte einen derartigen Schritt für möglich halten – zur Theologie umgesattelt. Dieser Schritt wird von einem Teil des Baumgarten’schen Hauses gebilligt, ob von Otto, weiß ich nicht, von einem andren Teil und der Mehrzahl seiner Freunde zwar bedauert, aber verständlich gefunden, – der Onkel ist natürlich nicht eben sehr erbaut davon, ja, es hat ihm dieser Abfall eines begabten Schülers, auf den er nicht unberechtigte Hoffnungen gesetzt hatte, schlaflose Nächte bereitet. Ich verstehe (d. h. versuche zu verstehen) einen derartigen Schritt einigermaßen, wenn ich mich in die Anschauungsweise hinein|:zu:|denken |:versuche:|, welche im Hause der Frau v. Harder und Emily’s20 herrscht, aber trotzdem erscheint er mir nur beklagenswert und, ich muß sagen, auch leichtsinnig; denn die Befähigung des Herrn v. Schubert zum Lehrer war zweifellos, auch ihm selbst, seine Kenntnisse in seinem bisherigen Fach außergewöhnlich umfangreich, während seine Befähigung zum Pfarrer keineswegs feststeht – und auch abgesehen davon scheinen mir unzählige Gründe gegen einen solchen Schritt auch ohne Laterne leidlich auffi ndbar zu sein. – 3ten Juni Diesmal bin ich allerdings von einer sonst nicht wiederzufi ndenden Ungezogenheit. Nicht nur daß Dich dieser Brief nicht mehr zur rechten Zeit erreicht, er kommt auf diese Weise eine volle halbe Woche zu spät. Die Sache kam folgendermaßen. Am Sonnabend war ich Mittags glücklich bis zu obigem Gedankenstrich gekommen. Den ganzen Nachmittag über hatte ich Besuch von hiesigen Bekannten, dabei unter Anderen auch einen, der nach Amerika geht, also wohl kaum wieder in meinen Gesichtskreis kommen wird, – die ich also auch nicht gut fortschicken konnte. Es entwickelte sich schließlich eine erhebliche h 〈wo〉

i 〈ein〉

20 Die am 9. November 1883 verstorbene Emily Baumgarten, geb. Fallenstein.

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Bowle. Sonntag früh schlief ich in Folge dessen ziemlich in den Tag hinein, hatte wieder Besuch und fuhr nachher |:am Nachmittage:|, wie ich versprochen hatte, bei Baumgartens vor, mit der Absicht, sofort wieder zurückzufahren. Das wurde aber nicht zugelassen, und ich mußte, zumal außer Fritz, der zu den Ferien da war, auch Tante Marie aus Braunschweig21 anwesend war, darauf eingehen, die Nacht dort zu bleiben, wobei ich hoch oben auf Annas22 Stube eincampiert wurde. Der folgende Tag, Montag, 23 ging so rasend schnell herum, daß von Fortkommen keine Rede war, wir saßen im Garten, lasen, hatten Besuch etc. Am Abend war kein Wagen zu bekommen – da ich in Halbzivilj war, hätte ich nicht anders als per Wagen fortgekonnt, 24 selbst wenn ich länger als 2 Minuten hätte vernünftig gehen können, in Folge davon nahm ich die freundliche und dringende Einladung, auch die zweite Nacht noch dazubleiben, an, da ich sah, daß, wie sonst, so auch diesmal meinetwegen keine Umstände gemacht wurden. Es war ungemein lustig, Tante Marie war sehr wohl und sah viel besser aus, als bei ihrem letzten Aufenthalt in Berlin. Sie will später von hier aus nach Oberitalien, Genua undk vorher einige Zeit auf dem Axenstein25 bleiben. Im August ca. will Onkel Hermann mit Emmi nach S. Moritz, ob noch weiter, weiß ich nicht. Laura, 26 die mir nachgerade wirklich ängstlich mager wird, war sonst recht wohl. Am Nachmittage kam Prof. Nowack, der sich Dir bestens empfehlen läßt. Es waren zwei sehr vergnügte Tage – allerdings würde das Militär, wenn es sich von dieser meiner Thätigkeit überzeugte, bedenklich den Kopf schütteln, aber während meiner bisherigen 1 1/ 2 wöchentlichen Passion hat sich die Compagnie um mich noch nicht bekümmert und ist noch kein Abgesandter derselben an meinem Schmerzenslager erschienen – sie kann sich also nicht wundern, wenn ich diesen Mangel an Interesse vergelte, indem auch ich mich weiter um mein Dienstverhältnis nicht viel scheere. Die Zustände bei unsrem Regiment sind eben doch, genau besehen, höchst gemütliche. j [??] > Halbzivil

k 〈dort〉

21 Marie Baumgarten. 22 Anna Baumgarten. 23 2. Juni 1884. 24 Vergehen gegen die Bekleidungsordnung außerhalb des Dienstes konnten streng bestraft werden. 25 Gemeint ist wohl der Axen am Vierwaldstättersee in der Schweiz. 26 Laura Fallenstein.

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Damit dieser Brief nun endlich einmal fortkommt, will ich jetzt bald schließen. Die einzige Dedikation, die ich Dir zum Wiegenfeste machen konnte und machen wollte, meine Photographie, ist noch nicht zur Stelle, weil ich bisher stets verhindert war, zum Photographen zu kommen, folgt aber baldmöglichst. Deine Geldsendung habe ich richtig erhalten und verbraucht. Ich war über den Empfang desselben, wie gesagt, sehr erfreut, da ich schon für den 1ten drauf gerechnet hatte und glaubte, dies so mit Dir verabredet zu haben. Daß Du diesmal entschlossen warst, zu warten, bis ich wenigstens mich dazu aufgeschwungen hätte, zu schreiben, fi nde ich sehr selbstverständlich. Leergebrannt ist freilich die Stätte trotzdem, aber da ich ja jetzt ganz häuslich war und meinen Hauswirt Alles auf die Monatsrechnung setzen ließ, konnte mich das ja ziemlich kühl lassen. Mit den herzlichsten Glückwünschen für das neue Jahr und dem Wunsch, daß Ihr bei Eurer Pfi ngsttour eben so gutes Wetter gehabt haben möget, als wir hier, – Du wirst heute wohl beim hansischen Geschichtsverein27 sein und dieser Brief gerade zu Deiner Rückkehr eintreffen, – Dein Sohn Max.

27 Max Weber sen. war Mitglied des 1870 in Lübeck gegründeten „Hansischen Geschichtsvereins“. Am 3. und 4. Juni 1884 fand in Goslar die Jahresversammlung statt.

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Helene Weber 8., 18. und [19.] Juli 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 80–84 Der Brief wurde am Dienstag, 8. Juli, begonnen, am Freitag, 18. Juli, fortgesetzt und „Sonnabend früh“, 19. Juli, beendet.

Strasburg i/E den 8ten Juli 1884 Liebe Mutter!

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Diesmal nach einer noch längeren Pause als gewöhnlich schwinge ich mich zu einem etwas eingehenderen Bericht über meine hiesige Existenz auf. Als ich das letzte Mal schrieb, war ich, glaube ich, noch im Revier, meiner damals in sehr mangelhafter Verfassung befi ndlichen Füße wegen.1 Das ist seitdem vorübergegangen und ich bin den Rest des letzten Monats ganz forsch mit im Dienst gewesen. Glücklicherweise bin ich endlich meine Corporalschaftsführung los geworden, denn sonst wäre der ohnehin anstrengende und namentlich zeitraubende Dienst nachgrade unerträglich geworden. So war es immerhin zum Aushalten und, da man jetzt doch etwas mehr anvertraut bekommt als früher, auch gar nicht mehr so bodenlos langweilig. Ich gelte jetzt, so viel ich weiß, für einen leidlich guten Soldaten, schon deshalb, weil icha jetzt beim Turnen etc. nicht mehr selbst in die Lage komme, körperliche Übungen mitzumachen, sondern nur andre zu corrigieren und anzuschnauzen habe, also die angenehme Verpflichtung habe, den Balken im eigenen Auge nicht merken zu lassen und statt dessen möglichst nach dem Splitter in demjenigen des gemeinen Soldaten zu suchen. Die Offi ziere der Compagnie behandeln mich in ihrer Art sehr anständig und jedenfalls wohlwollend, der eine Lieutenant, ein sehr origineller Kerl, nur etwas „versumpft“, ist sogar von ungewöhnlicher Liebenswürdigkeitb gegen mich; mein Feldwebel, mit dem es für Einjährige nicht leicht möglich ist, auf einen vernünftigen Fuß zu kommen, ist wenigstens nicht auffallend unanständig, – nur der Instruktionslieutenant, mit dem ich kürzlich wegen eines von ihm gebrauchten unverschämten Ausdrucks eine Scene hatte, ist eine für mich mangelhafte a 〈da ich beim〉

b 〈für〉

1 Im Brief vom 30. Mai und 3. Juni 1884 hatte Max Weber seinem Vater von einer Sehnenscheidenentzündung im rechten Fuß berichtet (oben, S. 422).

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Persönlichkeit. Ich denke, daß ich unter diesen Umständen im Herbst wohl avancieren werde, wenn ich nicht besonderes Pech habe.2 Mühe – und Geld – genug hat mich die Erlangung dieser günstigen Stellung in der Compagnie gekostet, namentlich der Concurrenz mit den beiden eo ipso bevorzugten Corpsstudenten wegen. Gott sei Dank, liegt ja jetzt über 3 /4 der Dienstzeit hinter mir und das Ende rückt in immer absehbarere Nähe. Es ist aber wirklich auch hohe Zeit, denn mag man viel oder wenig Dienst haben, zu einer vernünftigen geistigen Beschäftigung kommt man keinesfalls, schon der durch den Dienst erzeugten Denk- und Thatfaulheit wegen. Das Einzige, was ich während meiner Revierzeit und sonst getrieben habe, war etwas Philosophie und daneben die Lektüre eines Bändchens von Channing’s Schriften [.] 3 Letztere, welche Tante Ida so freundlich war, mir zu leihen, haben mich in ganz hervorragender Weise interessiert durch die außerordentliche und in ihrer Art unangreifbare Höhe der Gesinnung, auf der sie stehen. Die ganz originelle und vielfach großartige, übrigens wohl kaum christlich zu nennende, Auffassung |:des Wesens:| der Religion, verbunden mit einer ungewöhnlich liebenswürdigen Versöhnlichkeit [,] macht diesen etwas älteren Zeitgenossen und Landsmann Th[eodore] Parkers zu einer noch sympathischeren Figur als letzteren. Jedenfalls ist er erheblich universeller, schon weil er sich nicht so leidenschaftlich mit der Lösung der für Parker so wichtigen theoretischen und religionsphilosophischen Fragen abgiebt. Er behält in Folge dessen mehr Zeit 2 Max Weber wurde am 28. September 1884 im Rang eines Unteroffiziers entlassen. Vgl. dazu den Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, unten, S. 450 mit Anm. 1. 3 Die Schriften von William E. Channing erschienen in einer deutschen Auswahl zwischen 1850 und 1855 in insgesamt 15 kleinformatigen „Bändchen“: Dr. William Ellery Channing’s Werke. In einer Auswahl aus dem Engl. übers. und hg. von F[riedrich] A[ugust] Schulze u. Ad[olf] Sydow, 1.–15. Bändchen. – Berlin, Leipzig: Hermann Schultze 1850–1855; es handelt sich dabei um 10 Bändchen „Religiöse Schriften“ und 5 Bändchen „Sociale Schriften“. Aus den Familienkorrespondenzen geht hervor, daß mehrere dieser Bändchen unter den Verwandten kursierten; nicht entnehmen läßt sich, auf welches Bändchen sich Weber konkret bezieht. Im November 1884 las Max mit seiner Mutter „Channings Vorträge über Volkserziehung und Selbstbildung“ (Brief von Helene Weber an Emmy Baumgarten vom 2. Nov. 1884, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Diese Briefstelle wird auch bei Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 101, angeführt. Es dürfte sich hierbei um Channing, Sociale Schriften, 1. Bändchen (= Werke, 2. Bändchen, 1850), handeln, darin: „Über Selbstbildung. Ein Vortrag, zur Einleitung der Franklinschen Vorlesungen, gehalten zu Boston im September 1838“, S. 19–128, ferner: Channing, Sociale Schriften, 2. Bändchen (= Werke, 4. Bändchen, 1850), darin: „Über die Hebung der arbeitenden Klassen. In zwei Vorträgen“, S. 1–132; in seinen „Einleitenden Vorbemerkungen“ hierzu stellt Channing einen direkten Bezug zu seinem „Vortrag über Selbstbildung“ her (ebd., S. 4).

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und einen klareren Blick für die Lösung und psychologische Begründung ethischer und moralischer Fragen, zu deren Begründung er mit wenigen philosophischen Sätzen ausreicht. Der Standpunkt, auf welchem diese theoretischen Partieen stehen, ist ein ziemlich naiver, vielleicht kindlich zu nennender, aber die praktischen Resultate, die er daraus zieht, sind teilweise so direkt einleuchtend und der klare und ruhige Idealismus, der sich ihm aus der Betrachtung, wie er sich ausdrückt, „des unendlichen Wertes der einzelnen Menschenseele“4 ergiebt, ist so erfrischend und jedem, auch dem der Anschauung ganz Fernstehenden, so verständlich, daß an der Universalität der Auffassung und an ihrem Begründetsein auf wirklichen Bedürfnissen des menschlichen Seelenlebens kein Zweifel bestehen kann. Seit verschiedenen Jahren, die ich zurückdenken kann, ist es das erste Mal, daß etwas Religiöses für mich ein mehr als objektives Interesse gewonnen hat und ich glaube meine Zeit doch nicht ganz nutzlos verbracht zu haben, indem ichc |:die Bekanntschaft:| dieser großen religiösen Erscheinung machte. Jedenfalls bin ich Baumgartens zu großem Dank verpfl ichtet, welche mir diese anregende Lektüre verschafft haben. Der Tante Ida scheint es große Freude zu machen, daß dieser ihr Liebling mir so imponiert, der anscheinend sonst bei wenigen ihrer Bekanntschaft rechten Anklang fi ndet. Offenbar entspricht seine Weltanschauung der ihrigend am meisten, wenngleich ich glaube, daß Channing den Cultus des Individuums nicht in dieser extremen Weise ausgebildet haben würde, und andrerseits den Begriff der Pfl icht und des Sittengesetzes nicht in so starrer, fast möchte ich sagen totenstarrer, sondern in freier lebendiger Form gebildet haben würde. Mein Verkehr im Baumgarten’schen Hause wird wirklich für mich immer angenehmer und wertvoller, namentlich da mir von allen Seiten großes Vertrauen gezeigt wird, namentlich c 〈vor〉

d ihrigen, wenn > ihrigen

4 Als Zitat in dieser Form nicht nachgewiesen. Weber faßt in diesem Zitat eine Passage aus Channing, Über Selbstbildung (wie oben, S. 430, Anm. 3), S. 24, zusammen: die menschliche Natur „ist das Bild Gottes; sogar das Bild seiner Unendlichkeit […]. Wer die göttlichen Vermögen der Seele besitzt, ist ein großes Wesen, sei seine Stelle, welche sie wolle“. Dieser Grundgedanke findet sich immer wieder in seinen Schriften und Vorträgen, so in: „Über die Hebung der arbeitenden Klassen“ (wie oben, S. 430, Anm. 3), S. 57: der Mensch solle „einsehen lernen, daß er nicht blos als Glied eines Gemeinwesens und als mithelfend zu einem allgemeinen Gut, welches von ihm selbst unterschieden ist, einen Werth hat; sondern in sich selbst und um seiner selbst willen“; ferner in: „Die Ehre, die allen Menschen gebührt“, in: Channing, William Ellery, Religiöse Schriften, 5. Bändchen (= Werke, 9. Bändchen, 1851), S. 53–82, hier S. 59: „Wir müssen sehen und fühlen, daß ein menschliches Wesen etwas Werthvolles und Wichtiges ist und zwar von unermeßlicher Wichtigkeit.“

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auch vom Onkel, 5 der mit mir neulich fast zu meiner Überraschung eingehend über Emily und die Heirath seines Sohnes und deren ganze Geschichte sprach.6 Es ist doch wirklich merkwürdig, mit welcher absoluten Schärfe sich die Urteile über Emily in dieser Familie entgegenstehen und wie vollkommen sie einander gegenseitig ausschließen. Auf der einen Seite eine wirklich geradezu abgöttische Verehrung, die dieser Frau geradezu überirdische Eigenschaften, zu meinem Erstaunen sogar, wie sich gelegentlich einmal herausstellte, die Gabe der Hellseherei! zuschreibt – einer Äußerung der Tante Ida zufolge, – auf der andren Seite unbedingtes Mistrauen gegen sie in jeder Beziehung, namentlich gegen ihre Wahrhaftigkeit und die feste Überzeugung, daß ihr ganzes Thun nur Ausfluß einer zweckbewußten Intrigue gewesen sei. Merkwürdig ist, daß außer bei der Tante Ida und den Baumgarten’schen Kinderne, wobei in gewissem Sinne Fritz auszunehmen ist, letztere Auffassung durchaus die allgemeine ist. Namentlich Tante Nixel7 und Tante Marie8 sind ganz überzeugt davon. Ich kann wirklich doch nicht ganz dieser Ansicht sein, denn mir erscheint der Gedanke, daß man sich in Jemand so vollständig und verhängnisvoll täuschen könnte, einmal nicht wahrscheinlich und außerdem einigermaßen unheimlich. Jedenfalls war es ein großes und mich sehr ehrendes Zeichen des Vertrauens seitens des Onkels, daß er mit mir überhaupt über die Angelegenheit sprach. Allerdings war das, was er sagte, teilweise recht bitter, aber mir scheint, daß schon der Umstand, daß er überhaupt davon sprach, zeigt, daß er nicht mehr so ganz mitten in der Sache drinsteht und daß sie anfängt, in das Gebiet des Überwundenen und Vergangenen überzugehen. – Tante Marie ist von gewohnter Liebenswürdigkeit. Sie war einige Zeit in Karlsruhe und hat sich dort das junge Brautpaar9 angesehen. Sie schildert die Braut als nicht eben hübsch, aber sehr angenehm und Julius als außerordentlich glücklich. Auch Otto war von Waldkirch herübergekommen. Letzterer ist jetzt doch körperlich so gut wie völlig wiederhergestellt und die angestrengte geie Jungen > Kindern 5 Hermann Baumgarten. 6 Zur Hochzeit von Otto Baumgarten und Emily Fallenstein im Januar 1883 sowie ihrem Tod im Kindbett vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 315–319, und an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 372 mit Anm. 7. 7 Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 8 Marie Baumgarten. 9 Julius Jolly jun. und Julie Jolly, geb. Nicolai.

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stige Thätigkeit, die er auf allen Gebieten, namentlich auch auf dem Gebiet der Politik entwickelt,10 scheint für ihn eine wahre Erhebung zu sein. Ich habe ihm auf seine dringend wiederholte Bitte versprochen, ihn in nächster Woche, etwa für Dienstag, Mittwoch und ev. Donnerstag zu besuchen.11 Er scheint sehr das Bedürfnis nach Gesellschaft zu haben; Fritz fährt alle Augenblick einmal hinüber und außerdem hat er einen Kostgänger zu sich genommen. Als ich ihn zuletzt hier sah, vor einigen Wochen, sah er leidlich gut aus, war sehr lebhaft und eifrig, auch der frühere Humor war teilweise wieder da. Trotzdem betrachtet und behandelt ihnf der Onkel, wie er mir auch selbst sagte, als einen Kranken und jedenfalls wohl mit Recht, denn ich glaube wie er, daßg die ganze Stimmung, in der er lebt, eine nicht ganz natürlich gehobene, excentrische ist und daß er in gewissen Dingen völlig und für immer einseitig geworden ist. Freitag den 18ten Juli. Zehn Tage lang hat nun dieser Brief, der mit einiger Mühe bis hierher gelangt war, gelegen und ich habe noch selten ein so böses Gewissen und eine so unangenehme Beklemmung empfunden, als jetzt, wo ich mich beeile, ihn fortzusetzen. Ich habe mich diese 10 Tage lang nicht dazu aufschwingen können, auch nur das Mindeste zu thun. Am vorigen Sonntage, wo ich sicher erwartete mit dem Brief fertig zu werden, wurde ich früh, als ich aufgestanden war – d. h. allerdings nicht ganz früh – zum Militärgottesdienst per Ordonnanz geholt; am Nachmittage war es vielleicht unrecht von mir, zu Baumgartens zu gehen, aber ich wußte, daß Tante Ida an diesem Tage und Laura12 am folgenden nach Teinach13 – so heißt es, glaube ich – abreisten, erstere für 14 Tage, letztere bis zum September, und da bei den jetzigen Verhältnissen ich gar nicht weiß, ob ich Laura noch einmal sehen werde, glaubte ich es doch thun zu sollen. An den übrigen Tagen schlief ich, sobald ich auf f 〈sei〉

g 〈sein〉

10 Nach dem Tod seines neugeborenen Sohnes und seiner Ehefrau Emily Baumgarten, geb. Fallenstein, setzte für Otto Baumgarten in Waldkirch nun eine zunehmende Beschäftigung mit sozialen Fragen ein. 11 Wie Otto Baumgarten berichtet, wollte Max Weber ihn erst am Sonntag, 27. Juli, besuchen; vgl. den Brief von Otto Baumgarten an Hermann Baumgarten vom 27. Juli 1884, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 12 Laura Fallenstein. 13 (Bad) Teinach, ein Luftkurort im Nordschwarzwald.

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meine Stube kam, ob auf dem Stuhl, ob auf dem Sopha, ein. Es hat sich jetzt ein militärisches Vergnügen eingestellt, welches ich absolut nicht zu vertragen scheine – die Nachtfelddienstübungen, zwei Mal jede Woche. Während ich bisher, seit ich wieder gesunde Füße habe, den Dienst recht gut, besser als ein Teil der andren Einjährigen, aushielt, bin ich hier stark gegen sie benachteiligt. Die Hitze ist für mich, der unglaublich stark transpiriert, ziemlich indifferent und nur, wenn ich ruhig sitze, bringt sie mich zum Einschlafen, aber das Umherlaufen Nachts bei sehr kühler Temperatur mit völlig durchnäßten Kleidern und glühend erhitztemh Kopf ist mir unerträglich. Ich habe dann immer die Empfi ndung, als ob ich sehr starkes Fieber hätte und bin nachher so schlaff, daß ich am folgenden Tage jedesmal mit dem Zweifel in den Dienst gehe, ob ich im stande sein werde, ihn auszuhalten. Was ich in folge dessen jetzt zusammenschlafe, ist wirklich kaum zu glauben. Nun hat sich außerdem mein corporalschaftsführender Unteroffi zier noch den Scherz gemacht, für längere Zeit „ins Loch“ zu kommen, so daß ich interimistisch die Corporalschaft führen muß und ganze Nachmittage lang, von 3–7, das Reinigen von Patronenhülsen beaufsichtige, – wobei ich allerdings ziemlich regelmäßig einschlafe, wenn ich nicht in einem fort auf- und abgehe – so daß ich jetzt weniger als je mit dem Militärleben zufrieden bin, nachdem es mir vor etwa 14 Tagen ganz gut gefallen hatte. Das alles entschuldigt freilich mein Nichtschreiben nicht, denn erstens hätte ich schon vorher schreiben können und sollen – hatte auch, als ich neulich als Wachhabender auf Wache war, dort bereits damit angefangen – und dann hätte ich für die Erfüllung dieser Pfl icht immerhin noch genügend Energie auftreiben müssen. Ich kann Papas Vorwürfen in dieser Beziehung nichts entgegensetzen als das Geständnis, daß ich jedesmal, wenn ich mich nach dem Abendessen oder Vormittags nach dem Dienst zum Schreiben hinsetzte, nicht die nötige Energie besaß, mich wach zu erhalten. Daß mein langes Schweigen nicht ganz freiwillig war, geht schon daraus hervor, daß ich, trotzdem ich schon seit dem 1ten sehnsüchtig auf Geld wartete, nicht einmal aus diesem sehr triftigen Grundei mich dazu aufschwingen konnte, mich an Euch zu wenden. Seit drei Wochen zählt mein Baarbestand nur noch nach Silbergroschen undj eine Existenz ermögliche ich mir dadurch, daß ich eben alles [,] was ich verbrauche, bei meinen Wirtsleuten verbrauche – was nicht hindert, daß ich viel verbrauche – ; ich bin h heißem > erhitztem

i 〈dazu〉

j 〈mein〉

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vielleicht 4 Mal seit dem 1ten Juli überhaupt ausgegangen, außer zum Dienst. Jetzt [,] wo wir alle Augenblicke ausrücken und mehrfach Quartiere beziehen, verdoppelt sich die Teuerung und man weiß gar nicht mehr, wo eigentlich alles Geld geblieben ist, wenn man sich die Ausgaben nachher überschlägt. Ende nächster Woche rücken wir nach Pfalzburg zu einer 6tägigen Übung aus.14 Daß das ein außerordentlich teurer Scherz sein wird, ist mir schon jetzt klar. Nach den neuen Verfügungen fi ndet kein Gepäck mehr von Einjährigen im Offi ziersgepäckwagen Aufnahme. Wenn ich nun alles im Tornister schleppen sollte, würde ich nur ein reines Hemd mitnehmen können, was bei meinem Transpirieren, in folge dessen ich jetzt wöchentlich 6–8 verbrauche, unmöglich sein würde. Ich muß mir also mein Gepäck nachexpedieren lassen – wie? weiß ich noch nicht, aber jedenfalls kostet es viel Geld. Auch muß ich beide Uniformen vollständig mitschleppen, da ich schon jetzt nach nur mäßig anstrengendem Dienst jedesmal mich ganz umziehen muß, um überhaupt nur auf die Straße gehen zu können. Außerdem wird für Quartiere für uns nicht gesorgt; in folge dessen sind wir in den zu zahlenden Preisen von den Leuten abhängig. Vermutlich werden wir mit den Offi zieren zusammen –, also auch sehr teuer, essen. Kurz, die Sache kommt nicht billiger, sondern erheblich teurer als eine Vergnügungsreise. Meine Rechnung pro Monat Juni bei meinen Hausleuten ist sehr hoch, auch in Folge der vielen zu waschenden Handschuhe (jeder Dienst kostet mich ein Paar, so transpiriere ich auch an den Händen), sie beträgt 169 Mk. Dazu kommt ein andres (das dritte) Paar Commisstiefel – 18 Mkk – und die sonstigen Ausgaben, so daß meine Kosten in diesem Monat 400 Mk incl. der Übung in Pfalzburg wohl übersteigen werden. Papa fragte mich, wieviel ich noch gebrauchen werde; ich weiß es nicht, habe sogar gar keine Ahnung davon, da ich nicht beurteilen kann, wieviel das Manöver kostet. Nach Heidelberg reise ich nicht mehr, da es allerdings wahrscheinlich unverhältnismäßig teuer werden würde. Angenehm wäre es mir gewesen, wenn ich es hätte möglich machen können. Törichter Weise habe ich es fertig gebracht, neulich beim |:großen:| Gewehrreinigen ein Instrument zum Auseinandernehmen von Gewehren entzwei zu machen, was ich, um nicht gemeldet und womöglich bestraft zu werden, in der Stille ersetzen k 〈)〉 14 Eine kleine Gemeinde in Lothringen (frz. Phalsbourg). Zur Übung vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. Aug. 1884, unten, S. 439.

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muß. Meine Wäscherechnung wird immer unheimlicher. – Diese drei letzten Monate werden jedenfalls die teuersten des ganzen Militärjahres sein. Ich muß, so unangenehm mir auch eine derartige ungeheure Forderung ist, den Papa für diesen Monat doch um 400 Mk. bitten, denn ich werde entschieden eher mehr als weniger verbraucht haben, wenn wir von Pfalzburg zurückkommen. Meinen Kameraden geht es, wenigstens denen, mit welchen ich verkehre und von denen ich es weiß, nicht anders. – Daß Ihrl nun wirklich doch nicht nach Heidelberg kommt, ist recht schade; auf diese Weise wird wohl voriges Jahr das letzte Mal gewesen sein, daß wir dort zusammen waren. Auch sonst hat dies vielfach Betrübnis erregt. Nun wird wohl nächstens auch mein Verkehr bei Baumgartens etwas an Intensität verlieren oder vielmehr stellenweise ganz aufhören, da in 14 Tagen jedenfalls der Rest der Familie in die Alpen geht. Ob ich den Papa auf seiner Reise nach dem Süden, selbst falls er dieselbe, was ja nicht wahrscheinlich, über hier dirigieren sollte, sehen werde, ist allerdings sehr zweifelhaft; die Manöver beginnen am 2ten oder 3ten September und dauern dann drei Wochen.15 Ich wollte, die ganze Geschichte wäre erst endlich einmal vorbei und ich in Charlottenburg bei Windscheid’s Pandekten16 auf meiner Stube. Da Papa in seinem Briefe nichts über Euer Wohlbefi nden schreibt, so nehme ich an, daß dasselbe nach Wunsch ist. Hoffentlich steht es auch mit Karls Schuldasein nicht allzu schlimm und hat sich auch Arthur allmälig an diese Art zu existieren, gewöhnt. Man freut sich hier jetzt schon auf die eventuelle Möglichkeit, Dich im Herbst mhier zu sehenm und namentlichn Tante Ida, welche sich manchmal bitter darüber beklagt, daß sie, außer von der Tante Nixel,17 von ihren Geschwistern so selten etwas hätte, und mehr als ihr andren isoliert sei, wünscht sehr, daß Du, wenn einmal in Heidelberg, doch jedenfalls auch den Sprung hierüber machen möchtest. – Jetzt will ich aber diesen Brief nur in aller Eile wegschicken, damit ich nicht außer für im höchsten Grade ungezogen auch noch für verrückt gelte. Es ist Sonnabend früh und eben fi nde ich eine von Onkel

l O: ihr

m–m O: hierzusehen

n 〈die〉

15 Vgl. die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 16. Sept. 1884, unten, S. 449. 16 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I–III (wie oben, S. 352, Anm. 9). 17 Emilie Benecke.

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Hermann an mich geschickte Depesche von Papa vor, welche nach mir fragt. Mir selbst geht es sehr gut, außer daß mein Appetit ungemessen (leider auch b[esonders] o der Durst) und mein Schlafbedürfnis enorm ist. Weiter erzähl ich jetzt nichts, denn der Brief muß fort, schon deshalb, weil ich ohne jedes Geld auch amp Dienstag18 nicht nach Waldkirch reisen könnte, was ich unbedingt möchte, da ich es Otto schon lange versprochen hatte und fürchte, daß derselbe sonstq womöglich empfi ndlich wird. Herzlichen Gruß, ich schicke diesen Brief in Ermangelung Deiner näheren Adresse nach Charlottenburg; Papa ist ohnehin wahrscheinlich noch dort. Dein Sohn Max.

o Unsichere Lesung des Buchstabens. 18 22. Juli 1884.

p 〈Mitt〉

q 〈wö〉

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Alfred Weber 8. August 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 2–3

Strasburg d. 8ten August 84 Lieber Alfred! Heut endlich, acht Tage nachdem der richtige Moment vorüber ist, kann ich Dir nachträglich noch mit ein par Worten Glück zu Deinem hoffentlich in bestem Wohlsein und vergnügt verlebten Wiegenfest1 wünschen. Es ist jetzt bald ein Jahr her, daß wir uns nicht gesehen haben und Du hast seitdem verschiedene wichtige Momente Deines Lebens durchgemacht, bist in der Schule vorgerückt und bist ein aktives Mitglied einer großen menschlichen Lebensgemeinschaft, der christlichen Kirche, geworden.2 Ich habe nicht daran gezweifelt und Deine Briefe haben es mir unzweifelhaft bewiesen, daß Du seitdem auch innerlich Dich erheblich verwandelt und entwickelt hast und daß Du angefangen hast, über manche Dinge und Fragen des menschlichen Lebens ernstlich selbständig nachzudenken und ich wünsche Dir in erster Linie, daß Du auf diesem Wege mit Erfolg weitergehena und für Dein Denken und Handeln das Richtige herausfi nden mögest, Dir selbst zur Zufriedenheit und unsern Eltern zur Freude. Es ist ja jetzt nicht mehr so sehr lange hin, bis wir uns wiedersehen werden, und wir können ja dann über manches, was Du mir in Deinem letzten Briefe geschrieben hast, sprechen; jetzt kann ich schon aus dem Grunde nicht darauf antworten, weil meine Zeit immer beschränkter wird und mir fast nur noch die Abende zum Schreiben und Lesen übrigb bleiben, wo ich denn auch sehr müde bin – denn Sonntags habe ich nun ein für alle Male die angenehme Pfl icht, zu Baumgartens zu gehen. – An Deinem Geburtstage |:Abends:|, wo ich eigentlich hätte mich hinsetzen sollen, lag ich in einem Neste 2 Meilen östlich von Zabern in einem stinkenden, wanzendurchschwärmten |:sog.:| Bette und schimpfte, um mir die Nacht, während deren ich trotz meiner Todmüdigkeit a 〈mögest〉

b 〈se〉

1 Am 30. Juli 1884 hatte Alfred Weber seinen 16. Geburtstag gefeiert. 2 Gemeint ist Alfred Webers Konfirmation am 27. März 1884. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 25. März 1884, oben, S. 405–407.

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und des Weines, den man in großen Quantitäten während solcher Übungen trinkt, nicht schlafen konnte, zu vertreiben, in mich hinein. Es war die große 7tägigec Schießübung, zu der das ganze Regiment nach Pfalzburg3 ausgerückt war und die zu den widerwärtigsten Strapazend der Militärzeit gehört, unangenehmer selbst als die großen Manöver. Wir sind ja oft viel gelaufen, aber ich glaube selten so viel als wir am ersten Tage dieses Spazierganges, nämlich von Straßburg bis nach Zabern, über 38 Kilometer und mit Gewehr und Mantel etc. Es war ein niederträchtig schlechter Scherz und ich habe mich doch gewundert, daß ich die Geschichte noch verhältnismäßig besser als die meisten andren ausgehalten habe, namentlich da der Marsch schon des Nachts um 4 Uhr begann. Andrerseits amüsiert man sich auch wieder recht gut und trinkt namentlich entsetzlich viel guten Landwein, kochgeschirrweise. Es ist recht schade, daß das Volk im Elsaß sich mit uns preußischen Militärs so schwer befreunden will und uns so gleichgültig behandelt, nur die Mütter, welche Söhne im deutschen Heer haben, sind anders. Als ich so z. B. einmal von meinem Hauptmann4 auf dem Marsch zurück geschickt wurde, um einer nachrückenden Abteilung etwas zu bestellen und an einem Bauernhause bei Pfalzburg auf dieselbe wartete, brachte mir die Bauernfrau eine Waschschüssel voll Caffee, Brot und Wein und nahm nachher nichts dafür, denn, sagte sie mit Thränen im ganzen Gesicht, sich dächte, wenn sie mich gut behandelte, gäbe es vielleicht da hinten in Preußen auch Leute, die es ihrem Sohn, der dort jetzt als Rekrut eingestellt sei, auch so machten. Ob wohl die Wasserpolacken5 und Schlesier, und wo sonst die elsässischen Regimenter stehen, die Hoffnung der armen Frau erfüllen werden? Wer weiß? Dagegen sind die Leute in Baden die Freundlichkeit selbst und überhaupt ein viel netteres Volk als dies niederträchtige Pack hier. Als wir vor 3 Tagen bei Appenweier eine Übung machten, die den ganzen Tag von Morgens 3 Uhr bis Nachts um 1/ 2 1 dauerte, stürzten, wenn wir, todmüde, erhitzt und staub- und pulverbeschmutzt durch ein Dorf marschierten, edie Leutee an die Thüre und schütteten uns, da wir c 〈U〉

d O: Strapatzen

e–e Fehlt in O; die Leute sinngemäß ergänzt.

3 Eine kleine Gemeinde in Lothringen (frz. Phalsbourg). 4 Max Weber gehörte in seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. 5 Der Ausdruck leitet sich von der abschätzigen Bezeichnung für den Dialekt der in Oberschlesien lebenden Polen her, der als „Wasserpolnisch“ bezeichnet wurde.

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eiligst vorbeizogen und ihnen die Kochgeschirre hinhielten, dieselben voll Milch, Wasser und sogar Wein, ohne ein Wort des Dankes dafür zu erhalten u. verlangen. So etwas kann Einen bei der Öde des Militärlebens doch noch etwas erfrischen und erbauen und bringt Einen über manches fort. Aber trotzdem bin ich das Soldatsein nun schon recht lange satt und gäbe viel darum, wenn der 1. Oktober erst da wäre, trotzdem derselbe mich außer von Baumgartens auch vonf einigen sehr netten Bekannten, die ich hier gefunden habe, trennen wird. Vielleicht kommt Einer oder der Andre im nächsten Semester auch nach Berlin und könnt Ihr sie dann auch kennen lernen.6 Und nun leb wohl, lieber Alfred und laß Dirs gut gehen, ich muß in den Dienst und möchte doch, daß der Brief jetzt noch fortkäme. Mit einem Briefe an Papa bin ich noch nicht fertig und schick ihn erst heute Abend oder Morgen ab;7 mit diesem hier will ich nicht länger warten, damit Du mich nicht für ganz treulos hältst. Viele Grüße an alle, auch von Fritz an Mama. Dein Bruder Max.

f 〈Ein〉 6 Max Weber spielt hier auf das Ende seiner Militärzeit zum 30. September 1884 an. Danach setzte er sein Studium in Berlin fort und lebte wieder bei seinen Eltern in Charlottenburg. 7 Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. und 13. Aug. 1884, unten, S. 441– 444.

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Max Weber sen. 9. und [13.] August 1884, Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 76–78 Der Brief wurde am 9. (Samstag) und am „Mittwoch“, dem 13. August 1884, geschrieben.

Strasburg d. 9ten August 84 Lieber Vater!

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Auch diesmal trifft die Antwort auf Deinen Brief und die Quittung über das empfangene Geld entfernt nicht so pünktlich ein, als ich es möglich zu machen hoffte, trotzdem denn doch wohla von Dir anzunehmen ist, daß ich mich bemühtb haben werdec, nach den schweren und zum Teil sehr berechtigten Vorwürfen, die Du mir in Deinem letzten Briefe gemacht hast, Euch nicht nochmals länger als unbedingt nötig auf Antwort warten zu lassen. Nun hatte ichd gedacht, an Euch, Interesses halber, von Pfalzburg1 oder Zabern aus schreiben zu können, wo wir in der letzten Zeit eine Woche lang herumgelegen haben, fand es aber nicht möglich, während der Stunden Abends nach 6 Uhr – dies waren die einzigen freien – dazu zu kommen, man war dann meist recht demoralisiert und hatte Mühe, sich in Gesellschaft der Offi ziere, die teilweise auch mehr tot als lebendig waren, aufrecht zu erhalten und nicht einzuschlafen. Ich habe mir diese großen Übungen, die wir jetzt häufiger machen und wobei wir 2–7 Tage auswärts bleiben, viel weniger aufreibend vorgestellt, sie sind so anstrengend, daß man darüber gar nicht denkt, wie hübsch im Grunde sonst das ungebundene Wanderleben und dies Kriegslagertreiben in den zum Teil wunderschönen Vogesenthälern und den kleinen Dörfern des Nordelsaß und Lothringens ist. Erst wenn man nachher zurückdenkt, fi ndet man, daß man zu seiner meist gehabten üblen Laune eigentlich wenig Grund hatte, und daß man vieles Interessante gesehen hat und darunter nicht wenig Erfreuliches z. B. über den Einfluß, den deutsches Militärwesen auf eine fremde, sich möglichst ablehnend verhaltende Bevölkerung ausübt. Die Schattenseite an diesem Volke ist seine gräßliche Schmutzigkeit. Eine in dieser Beziehung widerwärtigere Bevölkerung als die a 〈an〉

b bemühte > bemüht

c würde > werde

d 〈zw〉

1 Vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. Aug. 1884, oben, S. 439.

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von Zabern kann es kaum geben. Während ich, durch Schaden klug geworden, später stets in Wirtshäuser ging, quartierte ich mich am ersten Tage in Zabern bei einem Schuster ein. Als ich Abends, totmüde von einem über 10stündigen Marsch und vielem Landwein, nach Hause kam, freute ich mich sehr mit Unrecht auf das Bett, denn ich konnte nachher auch nicht eine Minute darin schlafen vor der Menge lebendiger Mitbewohner und mußte eine Stunde nach der andren herunterläuten hören, bis endlich Reveille2 geblasen wurde und ich zu einer überaus anstrengenden Übung heraus mußte. Höchst unangenehm und kostspielig wurde die Beförderung unsres Gepäcks, da man uns rücksichtsloser Weise nicht, wie sonst stets, gestattete, unser Gepäck mit dem der Offi ziere zusammen befördern zu lassen. Wir mußten uns in Folge dessen dasselbe per Wagen nachfahren lassen, was sehr schwierig war, da wir häufig Morgens und meist am Abend vorher noch nicht wußten, wo wir am andren Abend quartieren würden. Wenn ich mein Gepäck im Tornister getragen hätte, so hätte ich nur noch ein frisches Hemd mitnehmen können – bei meiner Art zu schwitzen ein rein unmöglicher Gedanke. Da wir häufiger mit den Offi zieren zusammen waren, mußten wir zudem auch unsre Extra-Uniformen mithaben. In Folge dessen wurde die Übung für uns ganz abnorm teuer. Die Anstrengungen der Tage waren ganz bedeutend; ich hätte sie auch gewiß nicht so verhältnismäßig gut ertragen, wenn nicht beim Marsch neben mir stets der eine Lieutenant von unsrer Compagnie, ein höchst origineller und liebenswürdiger Kerl, marschiert wäre, der sich mit mir auf einen sehr angenehmen Fuß gestellt hat. Dem wurde das Laufen auch colossal schwer – er ist nicht mehr jung, schon 10 Jahre Seconde-Lieutenant! – und wir amusierten uns gegenseitig über einander und teilten unsre Trinkgeräthe, denn auf diese kommt es eigentlich doch allein an und das Essen tritt als wesentliche Funktion ganz zurück. Mein Transpirieren war enorm, wenigstens präsentierte mich der Hauptmann3 den Offi zieren in dieser Beziehung als Monstrum. Bei den Offi zieren meiner Compagnie bin ich jetzt im Allgemeinen ganz gut angeschrieben und denke, daß, soweit es auf den Hauptmann ankommt, meine Beförderung wohl zu erwarten ist; 4 nur der Lieute2 Frz. Weckruf (beim Militär). 3 Max Weber gehörte in seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. 4 Max Weber wurde am 30. September 1884 im Rang eines Unteroffiziers entlassen. Vgl. dazu den Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, unten, S. 450–454.

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nant der Prüfungscommission ist unangenehm und mir aus verschiedenen Gründen geradezu abgeneigt; ich denke aber, wenn ich ein leidliches Examen mache, wird er mir doch keinen Strich durch die Rechnung machen können, wozu er wohl sonst nicht übel Lust hätte. – Auf die schweren Vorwürfe, die Du mir in Deinem letzten Briefe, und mit Recht, gemacht hast, kann ich nur in sofern etwas erwidern, als ich glaube, daß der Begriff der Rücksichtslosigkeit hier nicht anwendbar ist. Es war von meiner Seite keine Rücksichtslosigkeit, sondern einfach die Unfähigkeit, mich zu irgend etwas zusammenzuraffen, was die so auffallend lange Pause in meiner Correspondenz eintreten ließ. Der Dienst, den ich körperlich sonst jetzt gut aushalte, hat auf mich nur den Einfluß, daß ich, kaum auf meiner Stube angelangt, anfange zu schlafen, wovon die Folge ist, daß ich Nachts meist nicht einschlafen kann. In Folge dessen bin ich meist schmählich müde unde entzwei und fi nde große Schwierigkeit, das geringste nicht rein Mechanische zu thun. Trotzdem hätte ich allerdings unbedingt Energie genug fi nden müssen, um zu schreiben. Bez[üglich] meiner freilich sehr hohen Ausgaben kann ich nur sagen, daß ich in letzter Zeit in keiner Weise unnütze Verschwendung getrieben habe. Ich habe sehrf häuslich gelebt, bin des Abends nur selten auswärts gewesen und habe fast alles, was ich verzehrt habe, auf meiner Stube und auf Rechnung meiner Hausleute verzehrt. Jedenfalls lebte ich sparsamer als in der letzten Zeit hier, wo ich mich in keiner Weise einzuschränken verstand. Das hindert nicht, daß meine Ausgaben sehr hohe und viel höhere sind als früher, namentlich sind die militärischen Ausgaben fortwährend gestiegen und die Menge Besätze, welche ich jetzt |:bei dieser Hitze u. meiner Transpiration:| gebrauche, läßt in kürzester Frist mein Conto beim Militäreffektenhändler |:immer:| wieder anschwellen. Ich hatte in der That, als ich aus der |:Schieß-:|Übung zurückkam, gerade die von Dir geschickten 400 Mk., nachdem ich meine Hausleute und die Militärbedürfnisse bezahlt hatte, aufgebraucht. In diesem Monate, wo wir wohl selten |:noch:| Quartiere beziehen werden, fällt die große Ausgabe, welche die Schießübung machte, fort. Baares Geld habe ich keines mehr und muß die Rechnung meiner Hausleute pro Juli und die sonstigen gewöhnlichen Ausgaben bestreiten. Auch komme ich jedenfalls baldigst wieder auf Wache, wahrscheinlich am Montag.

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9. und 13. August 1884

Über meinen Waldkircher Aufenthalt schreibe ich der Mama, 5 da ich auf ihren langen Brief doch antworten muß. Otto war auffallend wohl und gradezu wieder frisch, es ist auch für Gesellschaft für ihn gesorgt. Onkel Hermann habe ich nach der Schießübung nicht mehr angetroffen, er ist mit Emmy und Tante Marie6 schon abgereist, ich konnte ihm also Deinen Auftrag nicht mehr ausrichten. Tante7 und Fritz sind jetzt allein hier, von Laura8 erträgliche Nachrichten, daß sie wieder Asthma hatte, wißt Ihr ja wohl. Aber von diesem Allen nächstens,9 ich denke z. B. von Wache aus, es ist schon wieder Mittwoch geworden; wie oft ich über dem kurzen Brief eingeschlafen bin, zählte ich nicht, vorgestern und gestern waren wir auswärts und kam ich nicht dazu, Sonntags in der Kirche und dann bei Baumgartens. Alles von dort grüßt. Da Du schriebst, ich solle bis incl. 12ten nach Zinnowitz schreiben,10 schicke ich dies nach Charlottenburg. Jetzt muß ich noch zur Nachtfelddienstübung und schicke den Brief schnell ab, da ich Euch nicht länger warten lassen möchte und auch selbst der Abgebranntheit halber möchte, daß er Euch bald erreichte. An Alfred schrieb ich letzten Freitag,11 er hat den Brief doch bekommen. Eure genauere Adresse in Zinnowitz war in Deinem Briefe grade verwischt und unleserlich, ich hoffe, daß der Brief trotzdem angekommen ist. Mit herzlichem Gruße Dein Sohn Max.

5 Im nächstüberlieferten Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. Sept. 1884, unten, S. 445–448, berichtet er nicht über seinen Besuch bei Otto Baumgarten in Waldkirch. 6 Marie Baumgarten. 7 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 8 Laura Fallenstein. 9 Der nächste nachgewiesene Brief Max Webers datiert vom 2. Sept. 1884, unten, S. 445– 448; der hier angekündigte Bericht findet sich dort aber nicht. 10 Vermutlich verbrachte die Familie die Sommerferien im Ostseebad Zinnowitz auf Usedom. 11 Vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. Aug. 1884, oben, S. 438–440.

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Helene Weber 2. September 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 86–87

Strasburg d. 2/9.84 Liebe Mutter!

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Endlich antworte ich auf Deinen langen Brief aus Zinnowitz1 und gleichzeitig auf Papas Brief aus Charlottenburg. Du hast mir in Deinem Briefe verschiedene, und sehr berechtigte Vorwürfe gemacht. Es war auch wirklich eine große Energielosigkeit von mir, mich durch die körperliche Anstrengung derartig demoralisieren zu lassen, daß ich zur Erfüllung so wichtiger Pfl ichten mich nicht aufraffen konnte. Ich kann, um den Vorwurf der Rücksichtslosigkeit nicht auf mir sitzen zu lassen, eben nur dies constatieren. Ich erinnere mich nicht, einen ähnlichen Zustand sonst erlebt zu haben. Jetzt, wo die Übungen im Allgemeinen viel anstrengender sind, bin ich doch geistig entfernt nicht so abgespannt, als im letzten Manöver es mir wirklich unmöglich war, mich geistig zu beschäftigen und icha mich in einer widerwärtig schlaffen Verfassung befand. Papa hat mir dann vorgeworfen, daß ich zu viel verbrauche und fi ndet, daß dies zweifellos eine Folge von Leichtsinn und Verschwendung sein müsse. Ich muß das doch entschieden in Abrede stellen, wenigstens für jetzt. Ich habe in Heidelberg allerdings sehr in den Tag hinein gelebt und, auch in Folge meiner Aktivität, ganz unverhältnismäßig viel verbraucht. Auch hier habe ich zuerst bedeutend mehr, und für Dinge ausgegeben, welche absolut nicht zum notwendigen Lebensbedarf gehören, bin überhaupt ziemlich leichtsinnig mit dem Gelde umgegangen. Dagegen habe ich in der zweiten Hälfte meines Militärjahres wirklich nur recht wenig Ausgaben gemacht, die ich nicht hätte machen müssen. Den größeren Teil meiner Rechnungen habe ich ja noch. Ich habe mich auch bei meinen Bekannten hier nach deren Ausgaben erkundigt und constatiert, daß dieselben teils eben so viel, verschiedentlichb aber ganz erheblich mehr brauchen als ich. Zwei a In O folgt: in

b O: verschientlich

1 Helene Weber plante, wie aus dem vorangehenden Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 9. und 13. August 1884, oben, S. 444 mit Anm. 10, hervorgeht, bis zum 12. August mit der Familie im Ostseebad Zinnowitz auf Usedom zu bleiben.

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davon (die Euch übrigens sicher gefallen werden) kommen im nächsten Semester nach Berlin und Ihr könnt Euch ja dann beic ihnen darnach erkundigen. Momentan ist es mir manchmal noch ganz rätselhaft, wo das Geld bleibt, wenn ich meine Monatsausgaben abgemacht habe. Papa hat mir für den Monat August 300 Mk geschickt, womit ich bis gegen Mitte September reichen sollte. Nachdem ich jetzt meine Rechnungen bezahlt und die nötigen Vorbereitungen für das Manöver gemacht habe, bin ich damit vollkommen fertig. Meine Bekannten hier haben für die 3 Wochen Manöverzeit (5.d –24ten) außer ihren gewöhnlichen Monatswechsel noch, der eine 250, der andre 300 Mk extra für das Manöver zu verbrauchen. Es ist das auch nicht zu viel, wenn man bedenkt, daß wir laut Armeecorpsbefehl diesmal keinen Anspruch darauf haben, daß unsre Sachen von Militärwagen befördert werden und daß wir nach dem Manöverplan |:fortwährend:| in Orte kommen, wo keine Postverbindung besteht, wir also Wagen requirieren müssen. Um bei den verschiedenen Biwaks2 etwas zu essen zu haben, müssen wir uns alles aus Orten nachkommen lassen, wo es nur unter Schwierigkeiten etwas giebt, auch muß der Betreffende, der es uns nachbringt, den Ort des Biwaks, den wir vorher nicht kennen, erst suchen. Dabei müssen wir Extrauniform mit uns schleppen. So sind die |:täglichen:| Ausgaben während dieser Tour erheblich größere, als während der kostspieligsten Reise. Das Manöver fängt nun schon, wie ich seit vorgestern weiß, nicht erst, wie wir glaubten, Montag oder Dienstag, sondern schon Sonnabend3 früh an. Bitte schicke mir doch (es wird nicht anders gehen als telegraphisch) postlagernd Geld nach Hagenau, wo wir die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag und ev. auch vom Sonntag zum Montag bleiben. Ich bin sonst in der allergrößten Verlegenheit. – Am Sonnabend früh also treten wir die große Heldenfahrt an. Ich bin recht gespannt auf den Verlauf. Das Hauptmanöverterrain wird die Gegend um Wörth sein; die ganze Sache bewegt sich zwischen Hagenau und Saarunion. Wir campieren nach dem Plan außer in Hagenau nur in lauter schauderhaften Nestern und ich bin begierig, durch welche Mittel man sich dort seinen Lebensunterhalt wird auftreiben müssen. Das Volk in der Gegend ist sehr schlecht und wenig gutwillig. –

c 〈I〉

d (4. > (5.

2 Soldatische Feldlager. 3 6. September 1884.

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Bei Baumgartens war ich zuletzt vor 1 1/ 2 Wochen. Zur Zeit sind Tante4 und Fritz in Waldkirch und nur Anna5 und Laura6 hier. Laura ist jetzt gesundheitlich wieder ziemlich auf dem Damm, die Andern alle recht wohl und munter. Der Onkel7 scheint es in den Alpen schon nicht mehr aushalten zu können, er hatte es mir auch gleich prophezeit, da er ohne seine gewöhnliche Arbeit und die Verfügung über die dazu nötigen Bücher nur enoch schwere leben könne. Selbst Sonntags war ihm viel Besuch aus diesem Grunde greulich. Ihr seid nun also schon seit einigen Wochen wieder in der Heimat versammelt bis auf Papa, der wohl noch hinten, fern in der Türkei sich herumschlägt.8 Du willst also wirklich noch nach dem Süden kommen? Da ich bis zum 24ten im Manöver bin, ist es dann doch recht zweifelhaft, ob Du mich noch, wie Du Dich ausdrückst, (mir ist die Poësie, die in dem Ausdruck liegt, gründlich vergangen), in des Königs Rock sehen wirst. Ich wollte, ich könnte diesen Rock erst an den Nagel hängen. Klara bitte ich von mir zu ihrem Geburtstage9 einen tüchtigen Kuß zu applizieren, dasf ist alles [,] was ich zu verschenken habe. Alfred wird ja, wenn der Papa wirklich seinen Reiseplan, vong dem Du – er übrigens nicht – schriebst, durchgeführt hat, Interessantes zu sehen bekommen haben und nun mit frischen Kräften an der Arbeit sein. Was Karl eigentlich jetzt in der Schule zusammendeichselt, davon habe ich lange nichts erfahren. Und Arthur? Wirkt Herr Semfke bei ihm in der gleichen bedrohlichen Weise, wie Herr Waschke – den Gott selig haben möge? – Ich bin körperlich ganz wohl bis auf meinen bereits chronisch gewordenen übermäßigen Appetit. Von Lektüre u. dergl. ist jetzt keine Rede mehr, ich muß auch für das Offi ziersexamen arbeiten.10 Auf den Erfolg e schwer noch > noch schwer

f O: daß

g 〈D〉

4 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 5 Anna Baumgarten. 6 Laura Fallenstein. 7 Hermann Baumgarten. 8 Eine Balkanreise Max Webers sen., die über die Karpathen und Belgrad bis Bukarest geführt hatte, sollte bis nach Konstantinopel gehen. Dieses Vorhaben wurde jedoch wegen einer Choleraepidemie in Südeuropa aufgegeben. Vgl. die Briefe von Helene Weber an Max Weber sen. vom 27. Aug., 29. Aug. und 2. Sept. 1884, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 9 Am 5. September 1884 wurde Clara Weber, Max Webers Schwester, neun Jahre alt. 10 Vor der Beförderung zum Unteroffizier wurden die Einjährig-Freiwilligen einer praktischen und theoretischen Prüfung unterzogen, letztere bestehend aus mündlichen und schriftlichen Elementen.

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bin ich sehr begierig, sicher bin ich desselben noch keineswegs. Vom Manöver aus schreibe ich noch, da ich ja auf den Stinknestern an den Ruhetagen doch nichts zu thun weiß und bitte Dich nur, mir doch ja postlagernd nach Hagenau Geld zu telegraphieren. Für heute gute Nacht, sonst bekommst Du den Brief zu spät. Herzlichen Gruß. Dein Sohn Max.

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Max Weber sen. 16. September 1884; Euchenberg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 79

Bivak bei Euchenberg (Lothringen) 16. September 84 10ter Manövertag. Lieber Vater! – 5

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falls Du nämlich schon von Deiner siebenbürgischen Excursion1 zurück bist – nur einige Zeilen, um zu constatieren, daß ich soweit körperlich recht wohl bin u. außer einem gewissen Gefühl hochgradigen Stumpfsinns mich sonst ganz vergnügt, bis auf eine ziemliche Angst vor dem heutigen Bivak2 (es ist sehr kühl); denn ich muß gestehen, daß diese Art Freude, namentlich wenn man, wie heut wahrscheinlich, des Nachts vor Kälte nicht schlafen kann, – ich bin stets vollkommen durchgeschwitzt – zu dem Erbärmlichsten gehören, was das Militärleben bietet. Das Geld in Hagenau habe ich richtig vorgefunden, aber auch bereits vollkommen verbraucht. Die Kosten des Manövers übersteigen die einer gewöhnlichen Reise ganz erheblich, namentlich die Beförderung unsres Gepäcks, welches auf das Notwendigste beschränkt ist, kostet ganz erhebliche Summen, da von Seiten des Militärs nicht das Geringste dafür gethan wird. Ich muß von dem nächsten Cantonnement3 um Geldsendung telegraphieren, da ich unmöglich auch nur annähernd auskommen kann; die Geschichte dauert noch über acht Tage. Zum Schreiben komme ich nicht, auch jetzt bin ich sehr eilig. Es ist fast fortwährend Dienst u. ich muß außerdem stets persönlich für dasa bnotwendigste Essen u. Trinken sorgen. Mit hrzl. Gruß Dein Sohn Maxb

a 〈sin〉

b–b Zusatz am oberen Kartenrand.

1 Eine Balkanreise Max Webers sen. sollte bis nach Konstantinopel gehen. Dieses Vorhaben wurde jedoch wegen einer Choleraepidemie in Südeuropa aufgegeben. 2 Ein soldatisches Feldlager. 3 Frz., zeitweilige militärische Unterbringung oder Einquartierung.

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Max Weber sen. 29. und [30.] September 1884; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 80–82 Der Brief wurde am 29. (Montag) und am 30. („Dienstag Nachmittag“) September 1884 geschrieben. Dieser Brief markiert das Ende von Max Webers militärischer Ausbildung als EinjährigFreiwilliger vom 1. Oktober 1883 bis zum 30. September 1884 in Straßburg.

Straßburg d. 29ten Sept. 84 Lieber Vater! Nachdem unser Examen seit Sonnabend Abend überstanden ist und ich gestern Abend beim Nachhausekommen hier meinen mit Tressen besetzten Rock als Zeichen, daß beim Mittagsappell meine Beförderung herausgekommen,1 vorgefunden habe, ist endlich alles vorbei und dies Jahr neigt sich seinem wünschenswerthen Ende zu. Die letzte Zeit, das Manöver2 u. was damit zusammenhing, so reich an Abwechslungen und neuen Erfahrungen jeder Art sie war, ist mir doch lediglich eine widerwärtige Erinnerung, nicht etwa der allerdings auch ausnahmsweisen Anstrengungen wegen, welche sie mit sich brachte, die ich aber weit besser als ich gedacht und als mancher Andre, ertragen habe, sondern weil man während dieser Zeit in Allem, namentlich in der Richtung seiner Interessen ganz auf das Niveau eines gewöhnlichen Soldaten herabsinkt. Das ganze Interesse conzentriert sicha während der Dauer der Übung auf die Frage: ob es noch weit bis zum Gefechtsplatz, dann, ob wir in der Reserve gelassen oder in’s Feuer vorgenommen werden, dann, ob unsre Attacke nicht zu oft als abgeschlagen betrachtet wird, dann, ob wir endlich in den Schatten kommen, dann, ob wir bald eine Pfütze fi nden, sie auszutrinken, dann, ob nicht endlich „Sammeln“ geblasen wird. Nach der Übung beschränkt sich dasselbe auf die Frage, wie, wo und zu welchem enormen Preise man ein Bett für sich allein werde auftreiben können, ob und zu welchem noch enormeren a 〈auf die Frage, ob die Übu〉 1 Nach Bestehen der theoretischen und praktischen Prüfungen am 27. September wurde Max Weber zum Ende seiner Dienstzeit als Einjährig-Freiwilliger zum Unteroffizier befördert. 2 Es erstreckte sich vom 6. bis 24. September 1884, vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 2. Sept. 1884, oben, S. 446 und mit Anm. 3.

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Preise man etwas zu essen vorfi nden werde. Damit ist der geistige Horizont erschöpft. Entschädigen konnte mich dafür nur in sehr geringem Maße der Verkehr mit unsren Offi zieren, obgleich einer derselben, der älteste Lieutenant meiner Compagnie, sich zub mir auf einen sehr liebenswürdigen Fuß stellte und auch mein Hauptmann3 mir gegenüber seine angeborne Grobheit etwas modifi zierte. Etwas mehr schon hätte es der Verkehr mit einigen Kameraden von meiner Compagnie gekonnt – die beiden Miteinjährigen, mit welchen ich auf vertrautem Fuße stehe, gehören andren Compagnien an u. ich sah sie selten – wenn hier nicht immer die beiden Corpsstudenten, welche man vom Verkehr doch nicht ausschließen konnte, zumal sie im Grund ganz anständige Leute waren, ein störendes Moment durch die Steifheit, die der Verkehr ihnen gegenüber annehmen mußte, gewesen wären. Am meisten Vergnügen fand ich noch an dem Verkehr mit dem prächtigen Bauernvolk aus der Gegend von Hagenau-Wörth und Ingweiler. Die großen Bauern dort zu Lande, meist durch Hopfenbau reich geworden, entsprechen in ihrem geistigen Niveau allen billigen Ansprüchen, sprechen das reinste Deutsch, welches ich noch in Süddeutschland gehört habe, namentlich an der Lothringer Grenze, sind in ihrer Art philosophisch angelegte Naturen und beschäftigen sich eifrig mit allen Fragen des Tages – z. B. wußte einer von ihnen, bei dem ich in Morsbronn quartierte, nachdem er mich nach Namen, Stand und Wohnsitz meines Vaters gefragt, was stets geschah, nachdem sie Einen mit Most und Kirschbranntwein die Lebensgeister zurückgerufen hatten, ganz gut, daß Du im Reichstag seist – Dein Name war, glaube ich, in der „Straßb[urger] Post“ kurz vorher in irgend einem Zusammenhange beiläufig erwähnt worden4 – jedenfalls ein Beweis für die Gründlichkeit der Lektüre. Überhaupt waren die Leute über alles, was in Deutschland vorging, Lüderitz, 5 Skiernowicz6 u.s.w. wenigstens in ihrer Art unterrichtet. Ihre eignen b mit > zu 3 Max Weber gehörte in seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. 4 Max Weber sen. wird in der „Straßburger Post“ im September 1884 nicht erwähnt. 5 Am 7. August 1884 wurde die sog. Lüderitzbucht in Südwestafrika offiziell unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt. 6 In einem Schloß beim heutigen Skierniewice (ältere Bezeichnung für den damals in Russisch-Polen gelegenen Ort Skiernowicz) wurde vom 15. bis 17. September 1884 das Dreikaiserbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Rußland aus dem Jahr 1881 erneuert.

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politischen Anschauungen bleiben dabei freilich lediglich praktischer Natur: einen Abgeordneten, der ihnen die Hasenjagd nicht wiederverschaffen würde, würden sie nicht wählen, so z. B. nicht der Herr Jaunezc, der nun schon so lange Abgeordneter sei und nicht einmal diese Bagatelle für sie durchgesetzt habe;7 wozu sei er denn dann da? Zeit hätte er doch für diese Kleinigkeit genug gehabt. Die Gegend des Manövers war das Unterelsaß und Ostlothringen, von Hagenau bis Saarunion und in die Gegend südlich Saargemünd; die Märsche waren teilweise kolossale, überhaupt das Manöver anerkanntermaßen ungewöhnlich anstrengend. Die 3 Bivaks,8 die wir durchmachten (davon 2 auf Vorposten) [,] werden mir trotz des verhältnismäßig dafür günstigen Wetters in höchst unvorteilhafter Erinnerung bleiben. Jedenfalls waren wir heidelefrohd, als wir endlich am 19ten Tage in Finstingen südl. Saarunion in einen Zug Viehwagen gepackt waren und derselbe sich nach Straßburg zu in Bewegung setzte. Hier angekommen, würde ich gern gleich geschrieben und über das Geld, welches ich erhielt, quittiert haben, auch für die Sendung nach Rohrbach gedankt haben (das ganze Manöver hat mich 230 Mk. gekostet), wenn nicht noch am folgenden Morgen9 das Examen begonnen und ich im Manöver nicht so ziemlich alle nötigen Kenntnisse eingebüßt hätte. So begann denn ein pfl ichteifriges Ochsen und dann eine in ihrer Art auch recht widerwärtige Schleiferei, die erst Sonnabend Abend ihr Ende erreichte. Sonntag gab mir der Onkel Hermann, der jetzt nach München abgereist ist, ein Abschiedsessen mit einigen Herrn zusammen, die ich vom Seminar aus kannte10 und Abends fand ich, wie gesagt meine Beförderung zum Unteroffi zier mit Qualifi kation zum Reserve-Offi zier vor.11 Heute empfi ng ich dann auch schon die in c O: Jannez

d Unsichere Lesung.

7 Eduard Jaunez war seit 1877 Mitglied des Deutschen Reichstags, hatte dort nur einmal, am 23. April 1877, gesprochen, aber nicht zur Hasenjagd. Seinen Sitz behielt er bis 1890. 8 Soldatisches Feldlager. 9 25. September 1884. 10 Max Weber hatte im Wintersemester 1883/84 und im folgenden Sommersemester gelegentlich die „Übungen im historischen Seminar“ seines Onkels Hermann Baumgarten besucht. 11 Nach der einjährigen Ausbildung und der Qualifikation zum Reserveoffizier folgten gewöhnlich zwei achtwöchige militärische Übungen in den folgenden beiden Jahren, in denen die Ausbildung zunächst zum Vizefeldwebel erfolgen konnte, was bei Max Weber am 1. April 1885 der Fall war. Zuvor hatte Max Weber im März und April 1885 die sog. Übung A abgeleistet. Die nächste Übung erfolgte nachweislich seiner Personal-Akte (GLA Karls-

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ziemlich primitiver Form abgefaßten Complimente meines Hauptmanns über mein „außerdienstlich tadelloses Auftreten und Benehmen“, womit wohl zart angedeutet werden sollte, daß im Dienst mit mir nichts Exceptionelles los gewesen sei. Indessen wird mein Examen als summa cum laude anerkannt. Mittwoch Mittag12 melden wir uns endlich zur Reserve ab, ein Tag, von dem ich vor e11 Monatene nur in dunklen Nächten träumte und kaum glaubte, daß ich ihn erleben würde. Man tritt Gott sei Dank nur ein Mal im Leben „freiwillig“ ein. Bei Baumgartens habe ich vom Onkel schon Abschied genommen. Onkel Wilhelm traf ich nicht mehr an, er ist nach Luxemburg gereist u. es ist unsicher, ob ich ihn noch zu sehen bekomme. Ottilie Fallenstein, welche bei Beneckes zeitweise in der Haushaltung helfen wollte, kommt nun vorläufig nicht, da Onkel Roderich13 einen leichten Schlaganfall gehabt hat. Sonst geht hier alles gut. Besten Dank für Mamas Gruß vor und nach dem Manöver, auf die vielerlei, wie ich sicher glaube, ganz unnöthigen Sorgen, welche sie sich betreffs meiner |:u. meines Wohlbefi ndens in Baden:| macht, will ich lieber mündlich antworten. Ich meinerseits freue mich sehr auf das Wiedersehen und die ruhige Arbeitszeit, die ich dann endlich wieder bekomme. Jetzt muß ich auch am Schlusse meines kostspieligen Straßburger Aufenthalts noch einmal mit der Bitte um noch etwas Geld kommen. Nicht nur[,] daß mich das Aufnähen der Tressen auf meinen Extra- und Dienstrock 2 x 13 = 26 Mk gekostet hat, so sind auch noch sonstige erhebliche Bedürfnisse zu decken. Der Buchhändler bekommt von mir noch 34 Mk – ich habe mir allerdings außer den militärischen Sachen, Exercierreglement, Schießinstruktion, Militärstrafgesetzbuch, Ehrengerichtsordnung, Instruktionsbücher etc. andre Bücher vonf ihm zugelegt u. auch einige Geburtstagsgeschenke sind dabei, mittelst deren ich mich bei Beneckes u. Baumgartens zu revanchieren suchte. Dann kommt der Militärschuster mit 29 Mk Restconto (im Ganzen habe ich 4 Paar Stiefel à 19 Mk. bei ihm verbraucht während meiner Militärzeit, e–e einem Jahr > 11 Monaten

f bei > von

ruhe, 456, Nr. 13719) beim Militär erst im Februar und März 1887, jedoch wurde er 1886 zum Secondeleutnant befördert. Weitere Übungen folgten in den Jahren 1888, 1891, 1894. Nach der letzten wurde er zum Premierleutnant befördert, um dann 1896 zur Landwehr des ersten, 1897 des zweiten Aufgebots überführt zu werden. Am 18. Juli 1903 erhielt er seinen Abschied bewilligt. 12 1. Oktober 1884. 13 Roderich Fallenstein, ein Halbbruder von Helene Weber.

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die letzten zwei Par für das Manöver), dann die Compagniecasse mit Lieferungen aus der Menage, der Putzer mit 20 Mk. Von den beiden Militäreffektenhändlern hatte der eine noch eine Restrechnung für das [,] was ich seit Ende Juli gebraucht hatte von ziemlich 90 Mk, der andre eine ältere kleine Restrechnung. Ersteren habe ich nunmehr bezahlt. Die Rechnung meiner Wirthin will ich mir am letzten Tage geben lassen und Dir mitbringen. Jedenfalls aber brauche ich incl. Reisegeld – ich weiß z. Z. nicht, wie viel die Fahrt eigentlich kostet, III Cl. doch jedenfalls 50 Mk – noch ca. 170 Mk, um Alles hier endgültig in Ordnung zu bringen. Abzufahren dachte ich hier etwa am Sonnabend |:den 3ten :| früh,14 um am Donnerstag u. Freitag noch meine Abschiedsbesuche zu machen; auch komme ich nicht früher zum Packen. Dann möchte ich einen Zug in Mannheim überschlagen, um Fritz Baumgarten dort noch einmal zu sehen.15 Am Abend würde ich dann weiter fahren und also am Sonntag den 4ten früh16 mit dem gewöhnlichen Zuge (10 Uhr glaube ich) in Charlottenburg sein. Karls Geburtstag wird ja doch wahrscheinlich auch wohl erst am Sonntag gefeiert.17 Jetzt muß ich schleunigstg zum Hauptmann,18 mich (es ist inzwischen schon Dienstag Nachmittag geworden) als zum Unteroffi zier befördert anmelden, da ich ihn gestern und heute Vormittag drei Mal nicht zu Hause traf; dann beginnt auch schon das Abmelden zur Reserve. Deshalb für heute gute Nacht, morgen, wenn ich übersehe, wann ich fertig werde und ob ich schon früher kommen kann, schreibe ich noch Näheres.19 Mit herzlichem Gruße Dein Sohn Max Einjährig-Freiwilliger Unteroffi zier (auf noch 24 Stunden). g O: schleunigs 14 Der 3. Oktober 1884 war ein Freitag. 15 Fritz Baumgarten war 1884/85 als Lehramtsanwärter in Mannheim tätig. Zum Besuch kam es nicht. Vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 6. Okt. 1884, unten, S. 455 mit Anm. 3. 16 Der 4. Oktober war ein Samstag. 17 Karl Weber wurde am 3. Oktober 1884 14 Jahre alt. 18 Otto Jaeckel. 19 Ein weiteres Schriftstück Max Webers zu den Reiseplänen ist nicht nachgewiesen.

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Fritz Baumgarten 6. Oktober 1884; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 8, Bl. 38–39

Charlottenburg d. 6ten Oktober 1884 Lieber Fritz!

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Ich sitze wieder auf meiner alten Turmbude auf meinem Canapee, mit meiner alten Couleurpfeife1 voll meines längst vergessenen Stinkcanasters2 im Munde – ein Moment, der für meine Empfi ndung einer gewissen Großartigkeit nicht entbehrt und an dessen dereinstiger Wiederkehr ich vor jetzt einem Jahre wahrhaftig fast gezweifelt hatte. Da will ich denn meine freie Zeit benutzen, um Dir einen kurzen Gruß in den Süden zu schicken, den ich nun verlassen habe und zu dauerndem Aufenthalt wohl nicht so bald wieder sehen werde. Deine freundliche Karte, die ich heute morgen erhielt, zeigt mir, daß Du es mir wenigstens nicht übel genommen hast, daß ich Dich nicht noch persönlich in Deinem neuen Heim aufgesucht habe. 3 Es war das wirklich nicht leicht zu machen, da ich zwei Stunden vor meiner wirklichen Abreise immer noch nicht sicher wußte, ob ich schließlich fortkommen würde. Ich konnte Dich in Folge dessen nicht vorher benachrichtigen. Ich hatte noch halb und halb gehofft, Dich am Sonnabend Nachmittag,4 wo Du ja jedenfalls frei hattest, in Heidelberg, wo ich es möglich machte, einen Zug zu überschlagen, zu treffen. Leider warst Du nicht da und ich konnte, da ich bestimmt versprochen hatte, Sonntag früh 10 Uhr hier zu sein, nicht noch nach Mannheim herüberfahren. Hoffentlich sehen wir uns dann, wenn ich, wie ich denke am nächsten 1. März nach Straßburg zu meiner ersten Übung fahre.5 – Du hast Recht, ich bin wirklich unglaublich froh, endlich aus dem mir widerwärtigen Zwangsverhältnis losgekommen zu sein, welches ich im letzten Jahre durchzumachen hatte und würde, wahrscheinlich mit ungeteilter Freude den Augen1 Eine Pfeife mit dem Wappen der eigenen Burschenschaft. 2 Kanaster (oder Knaster), umgangssprachlich für Tabak. 3 Fritz Baumgarten unterrichtete im Schuljahr 1884/85 als Lehramtspraktikant am Großherzoglichen Gymnasium in Mannheim. 4 4. Oktober 1884. 5 Im März und April 1885 wurde Max Weber zur weiteren Ausbildung zum Reserveoffizier zu seiner ersten Übung nach Straßburg eingezogen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, oben, S. 452 f. mit Anm. 11.

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blick begrüßt haben, wo ich Straßburg Lebewohl sagen konnte, wenn ich nicht damit zugleich die vielfachen geistigen Anregungen und überhaupt den erfrischenden Verkehr, den ich in Eurem Hause6 gefunden habe, entbehren müßte. Ich nehme viel für mein künftiges Leben daraus mit. Ich werde meinerseits ja nie in die Lage kommen können, die viele Freundlichkeit und die herzliche Aufnahme, die ich bei Euch genossen habe, durch Gegendienste vergelten zu können, die an Wert dem, was mir zu teil geworden ist, auch nur annähernd entsprächen, – nur in so fern glaube ich auch meinerseits durch meinen regelmäßigen Verkehr in Eurem Hause den Deinen von Nutzen zu sein, als in so schweren Zeiten und bei dem Druck, unter dem sie alle gerade während der ersten Zeit meiner Anwesenheit in Straßburg standen, die |:bloße:| Gegenwart von Jemand, der verhältnismäßig außerhalb der betr. Verhältnisse steht – ich habe Emily7 ja gar nicht gekannt [–] und hineinkommt, ohne die ganze Entwicklung eines so schweren Geschicks mit durchgemacht zu haben, möglicherweise doch vona günstigem Einfluß sein kann und eine gewisse ablenkende und erleichternde Wirkung üben kann. Der Gedanke, daß ich auf diese Weise vielleicht indirekt nützen könne, ließ mich gelegentlich das sonst peinliche Gefühl von Unfähigkeit, bei meinem Mangel an Erfahrenheit in dergleichen Situationen u. weil ich, wie gesagt, die ganze Entwicklung nur von außen gesehen, nicht mit gelebt hatte,b erleichternd einzugreifen und innerlich helfen zu können, vergessen. Die freundliche Toleranz, die meinen über viele Dinge von den Eurigen ziemlich stark verschiedenen Anschauungen entgegengebracht wurde, habe ich von Anfang an in ihrem ganzen Werte zu schätzen gewußt. Kurz, ich lasse allerdings, wie Du schreibst, „ein Stück meines Herzens in Eurem Garten vergraben“ zurück. Recht leid thut mir, daß ich es nicht ermöglichen konnte, noch nach Waldkirch zu gehen,8 aber mein Vater drängte, und doch wohl mit Recht, auf schleunige Heimkehr. Daß ich nicht Dich in Mannheim aufsuchte, a 〈G〉

b 〈d〉

6 Bei Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, und ihren Kindern in Straßburg. 7 Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. Zu ihrer Hochzeit mit Otto Baumgarten im Januar 1883 und ihrem Tod im Kindbett vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 14. und 18. Jan. 1883, oben, S. 315–319, und an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 372 mit Anm. 7. 8 Dort hatte Otto Baumgarten eine Vikarstelle.

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Max Weber als Einjährig-Freiwilliger in Straßburg 1883/84 Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Geiges

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wie ich bestimmt vorhatte, scheiterte daran, daß ich, um rechtzeitig hier einzutreffen, am Sonnabend jedenfalls reisen mußte, am Freitag Abend aber mein Reisegeld noch nicht hatte und also, wie gesagt, noch nicht wußte, ob ich nicht vielleicht erst am Abend fortkommen würde, wo ich dann natürlich direkt durchgefahren wäre. Freitag Abend habe ich noch bei Euch unter dem Präsidium Deines Frl. Schwester9 einen Abschiedsthee getrunken und wir haben noch ein ganz behagliches und lustiges Stündchen miteinander verbracht. – Für Deinen freundl. Glückwunsch und gleichfalls für Deine Fürsorge für meine Schönheit besten Dank. Zur Erinnerung an letztere werde ich mir erlauben, Dir, sobald ich es habe, mein Photogramm einzusenden.10 Was die Tressen betrifft, so hatte ich deren Eintreffen nach dem Verlaufe des letzten Stadiums meiner Militärzeit bestimmt erwartet, war aber doch froh, als sie glücklich vorhanden waren und damit für die widerwärtige Examensschinderei ein entsprechender Lohn.11 Das Manöver ist in meinen Augen etwas einfach Scheußliches, ohne die Möglichkeit der Zulassung einer Discussion. Das Einzige, aber auch wirklich das Einzige, was den schwachen Versuch einer Entschädigung für alle andren Widerwärtigkeitenc repräsentieren konnte, war der hochinteressante Verkehr mit den ganz eigenartigen unterelsässischen Bauern, der eigentümlichsten Menschenklasse, die ich noch gefunden habe. Davon ein ander Mal – für diesmal nämlich muß ich mich beeilen, zu Ende zu kommen, da ich unbedingt noch an Otto und außerdem an zwei Straßburger Bekannte schreiben muß,12 – bei meiner mangelhaften Befähigung zum Briefschreiben ein ungewöhnlich schweres Verlangen. Wenn dann meine Bücher von Straßburg kommen, beginnt auch die energische Arbeit, an deren Notwendigkeit mich ja auch die Bezeichnung cand. jur., die Du so freundlich bist, mir zu teil werden zu lassen, erinnert. Noch selten habe ich mich übrigens so auf’s Arbeitenkönnen u. Arbeitenmüssen gefreut. c 〈bilden kan〉 9 Emmy Baumgarten. 10 Vgl. die Abbildung Max Webers als Einjähriger, oben, nach S. 454. 11 Bei erfolgreich abgelegter Abschlußprüfung wurden Einjährig-Freiwillige zum Reserveoffizier-Aspiranten (Unteroffizier) ernannt und erhielten ein Zeugnis zum Reserveoffizier. Als offizielles Zeichen der Beförderung erhielten sie spezielle Tressen an der Uniform, die je nach Waffengattung, Land etc. variierten. 12 Briefe Max Webers an Otto Baumgarten oder an Bekannte in Straßburg sind aus dieser Zeit nicht überliefert.

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Nun entschuldige zuletzt noch die miserable Schrift, das nächste Mal wird’s besser; ich war diesmal eben ein bischen in Eile. Alles grüßt hier herzlich. Lilli ist ganz allerliebst, erinnert sich noch sehr detailliert an Straßburg und alle Abenteuer, die sie dort erlebt. Mit welchem Halloh mich überhaupt meine Geschwister hier empfi ngen, kannst Du Dir denken. Was macht der Prinz?13 Habe so etwas läuten hören, als ob Deine Abneigung jetzt mehr geschwunden sei? Auch scheint man Dir ja überhaupt zu Deiner Veränderung gratulieren zu können, nach dem vergnügten Brief wenigstens, der von Dir aus Mannheim vorlag, als ich nach dem Manöver zu Euch kam. Herzlichen Gruß. Dein Vetter Max.

13 Es könnte sich um Prinz Ludwig Wilhelm von Baden, den jüngsten Sohn des badischen Großherzogs Friedrich und seiner Frau, der Großherzogin Luise handeln.

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Hermann Baumgarten 14. Oktober 1884; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 10–13 Vom Wintersemester 1884/85 bis zum Ende des folgenden Sommersemesters hat Max Weber an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin studiert.

Charlottenburg d. 14. Okt. 84 Lieber Onkel!

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Auch ohne Deine freundliche Aufforderung würde ich nicht umhin gekonnt haben, aus meinem nun wiedergefundenen Heim einige Zeilen an Dich zu richten, um, da ich Dich nicht mehr persönlich getroffena habe, Dir von hier aus noch einmal herzlich zu danken für all Das, was Ihr in diesem Jahre Gutes an mir gethan habt, für Eure freundliche Aufnahme in Eurem Haus, deren Wert mir jetzt, wo ich zurückschauend meinen ganzen Straßburger Aufenthalt überblicke, lebhafter als je zum Bewußtsein kommt und gegenwärtig ist.1 Ich kann nicht verhehlen, daß ich, als ich von Straßburg wegfuhr, eher die Empfi ndung hatte, von Hause fort-, als nach der Heimat zu gehen, – ich war ja auch während der bald drei Jahre meines Studiums, auch während der Ferien, nur kurze Zeit und nur als Gast hier, während mein Verkehr in Eurem Hause ein ganz regelmäßiger war. Die Zwanglosigkeit desselben, welche es mir wie etwas ganz Selbstverständliches erscheinen ließ, daß ich wie ein Sohn des Hauses behandelt wurde, ließ mir das während des vergangenen Jahres kaum zum Bewußtsein kommen und erst jetzt bin ich in der Lage zu übersehen, wie viel ich durch dies Verhältnis gewonnen habe und was ich Alles für’s Leben daraus mitnehme. – Hier ist es mir sehr leicht gemacht worden, ganz wieder in die alten, schon halb vergessenen Verhältnisse hineinzukommen. Von meinen alten Bekannten sind die Wenigen, mit denen ich seiner Zeit näher verkehrt habe, jetzt alle wieder hier und auch in dem Leben hier im Hause hat sich seit der Zeit, wo ich zuletzt dauernd hier war, wenig geändert. Das, was ich suchte, ruhige ungestörte Arbeitszeit [,] habe ich gefunden und auch die dem eignen Heim anhaftende eigne Art von Behaglicha 〈zu〉 1 Während seines Militärjahres als Einjährig-Freiwilliger (Oktober 1883 bis September 1884) in Straßburg war Max Weber regelmäßig Gast der Familie von Hermann und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein.

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keit, welche man recht schätzt, wenn man sie entbehrt, und auf die ich mich gefreut hatte, hat sich ganz in der alten Weise wieder eingestellt, so, wie sie noch in meiner Erinnerung lebendig war (– auch Schlüsselbundszenen haben schon gespielt, und zwar in des Wortes verwegenster Bedeutung, – es war ein Hochgenuß –). – Ich traf hier Alle recht wohl an und auch in bester Stimmung; b nur war mein Vater wenig erbaut einmal über Karls Schulleistungen |:und Interessen:|, die wieder weit unter dem Gefrierpunkt vegetieren [,] und dann über die Unerquicklichkeiten der Tagespolitik. Diese Verstimmung ist z. Z. erhöht durch die Verhältnisse in seinem Holzmindner Reichstagswahlkreise, 2 welche ihn vermutlich noch zu einer längeren Reise dorthin zwingen werden. Die Verhältnisse dort sind jetzt, – wenn es Dich interessieren sollte – folgende: Nachdem für die drei braunschweigischen Wahlkreise zwischen dem nationalliberalen und demc deutschfreisinnigen |:Central-:| Wahlkomité ein Compromiß dahin abgeschlossen war, daß in Braunschweig ein deutschfreisinniger, in den beiden andren Kreisen nationalliberaled Candidaten3 von allen Liberalen zu wählen seien, wobei das nat[ional]liberale Comité allerdings sogleich erklärt hatte, das Comité in Braunschweig zwar beeinflussen, nicht aber zwingen zu können, hat letzteres sich dem Beschluß des Centralcomités zu fügen gezögert und Hrn. Schrader in Braunschweig einen „nationalliberalen“ Gegencandidaten entgegengestellt,4 ein Schritt, der indessen bei der Reise meines Vaters in seinen Wahlkreis, im Juli, schon geschehen war. Trotz dieses Schrittes hatten damals die gesammten Liberalen in Holzminden-Gandersheim für meinen Vater als ihren Candidaten proklamiert – Gegencandidat war ein Freiconservativer, 5 für den jedoch wahrscheinlich auch Teile der „Nationalliberalen“ einzutreten beabsichtigten, die den Compromiß misbilligten. Auf Veranlassung des deutsch-freisinnigen Central-Comités jedoch und speziell des Hrn. Schrader, sagen sich nunmehr, 14 Tage vor der b 〈bis auf〉

c O: den

d 〈Abgeordnete〉

2 Max Weber sen. hielt den Wahlkreis Holzminden-Gandersheim von 1881 bis 1884 (vgl. unten, S. 461, Anm. 8). 3 Der deutsch-freisinnige Karl Schrader kandidierte im Wahlkreis Braunschweig-Blankenburg, für die Nationalliberalen Hermann Römer im Wahlkreis Helmstedt-Wolfenbüttel und Max Weber sen. im Wahlkreis Holzminden-Gandersheim. 4 Gemeint ist Wilhelm Kulemann, der allerdings nicht reüssierte. Vgl. dazu Roth, Familiengeschichte, S. 417. 5 Christian Friedrich Adolf Burghard Frhr. von Cramm-Burgdorf.

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Wahl,6 unter dem Vorwande, der Compromiß sei in Braunschweig gebrochen, die Deutschfreisinnigen von Holzminden-Gandersheim von der übernommenen Verpfl ichtung los und stellen einen eignen Candidaten, einen Hrn. Baumgarten,7 auf. Nun haben die Nationalliberalen des Wahlkreises meinen Vater dringend aufgefordert, noch einmal selbst in den Wahlkreis zu kommen, und er wird sich dieser Aufforderung wohl nicht entziehen können, schon um zu verhindern, daß die über das Verfahren der Deutschfreisinnigen sehr entrüsteten Nationalliberalen den Freiconservativen wählen und also der Wahlkreis verloren geht.8 – Im Allgemeinen hatte sich mein Vater sonst dem politischen Leben ziemlich fern gehalten und insbesondre sich auch um die Entwicklung der nationalliberalen und sog. „nationalliberalen“ Parteianschauungen wenig gekümmert. Nicht zu verkennen ist, daß in denselben eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Mein Vater, welcher die Verhältnisse stets nicht so schwarz anzusehen vermochte, wie die Mehrzahl seiner liberalen Parteigenossen, betrachtet die jetztige Entwicklung, wenn auch ohne Freude, doch immerhin noch ziemlich optimistisch. Entsprechend den alten nationalliberalen Anschauungen verurteilt er an der Politik der Regierung mehr die Form, als den Inhalt und differiert darin wesentlich von den Führern der Deutschfreisinnigen, welche nach seiner Anschauung auch da, wo prinzipielle Gegensätze nicht bestehen, solche construieren und sehr zum Nachteil ihrer Stellung im Volke Angelegenheiten, welche geeignet gewesen wären, Gegenstände einer ruhigen Discussion zu bilden, zu Parteipolitikfragen gemacht haben. Er beklagt dies Verfahren (wie sich dasselbe bei der Subventionsfrage9 etc. gezeigt hat) um so mehr, als er überzeugt ist, daß die Regierung die betreffenden Vorlagen absichtlich in so herausfordernder Form machte und ihrerseits so vom Parteistandpunkt behandelte, um 6 Die Wahl zum 6. Reichstag fand am 28. Oktober 1884 statt. 7 Wilhelm Baumgarten. 8 Max Weber sen. verlor seinen Wahlkreis Holzminden-Gandersheim an den Freisinnigen Wilhelm Baumgarten. 9 Gemeint ist die sog. Dampfersubventionsvorlage, die seit 1881 öffentlich diskutiert wurde. Die Frage, ob das Deutsche Reich den Überseeverkehr subventionieren und dadurch seine Absatzmärkte stärken solle, tangierte nicht nur Fragen des (Frei-)Handels, sondern ebenso die nun einsetzende Kolonialpolitik Bismarcks. Während die Nationalliberalen Bismarcks Politik unterstützten, wandten sich zahlreiche Linksliberale, die sich im März 1884 als Deutsch-Freisinnige Partei konstituierten, gegen den Protektionismus, ohne jedoch explizit gegen die Kolonialpolitik zu votieren.

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die Gegenseite zu veranlassen, ein Gleiches zu thun und sich so dem Volk gegenüber zu compromittieren. Denn es scheint in der That keinem Zweifel zu unterliegen, daß bei den Wahlen die Deutschfreisinnigen ganz bedeutende Einbußen erleiden werden. Sie selbst gehen mit der denkbar geringsten Zuversicht in den Wahlkampf, und ihre Position ist offenbar jetzt gegenüber der Regierung sehr verschlechtert. Es stellt sich mehr und mehr heraus, daß die ganze Verschmelzung der beiden früheren Parteien, die man anfangs als geeignet, den verderblichen Einfluß E[ugen] Richters zu schwächen, freudig begrüßte, schließlich nichts als ein sehr geschickter Coup desselben war und daß es ihm gelungen ist, die früheren sezessionistischen Führer vollständig „einzuwickeln“ und ihren Einfluß lahmzulegen.10 Die deutschfreisinnige Partei steht jetzt ausschließlicher unter seinem Einfluß als früher die Fortschrittspartei. Man hat selbst seine allerradikalsten Reden und Schritte nicht zu desavouieren gewagt und die politische Bedeutung von Forckenbeck etc., insbesondre von Rickert ist auf ein Minimum gesunken. Die Folge ist ein heftiger Confl ikt mit den Nationalliberalen auf der ganzen Linie und eine geistige Rechtsschwenkung dieser Partei. In derselben gehören mein Vater, Hobrecht, ja Herr v. Cuny nunmehr zum äußersten linken Flügel und in den Wahlkreisen machten die „nationalliberalen“ Wahlcomités Miene, ihnen und ihren Gesinnungsgenossen andre „nationalliberale“ Gegencandidaten gegenüberzustellen. Verschärft wurde dieser Gegensatz durch die Angelegenheit mit den Rickert’schen angeblichen Briefen, bei welcher Gelegenheit sich Herr von Schauß so sehr hervorragend unanständig benahm.11 Die Rechtsschwenkung der Fraktion wird durch eine entsprechende, sehr starke Strömung im Lande begünstigt und wird ihr wohl eine nicht unerhebliche Zahl von Wahlsitzen eintragen.12 Wie sehr sich die 10 Die Deutsch-Freisinnige Partei war ein Zusammenschluß von Liberaler Vereinigung (oder: Sezessionisten, eine Abspaltung linker Nationalliberaler) und Fortschrittspartei; sie wurde im März 1884 gegründet. Bei den Reichstagswahlen vom 28. Oktober 1884 verlor sie 3,5 % gegenüber den Wahlergebnissen der beiden Vorgängerparteien von 1881 und erreichte nur 17,6 % der Stimmen und 67 Mandate. Auch die linksliberale Deutsche Volkspartei büßte 0,3 % ein. Vgl. dazu unten, S. 463, Anm. 16. 11 Der nationalliberale Friedrich von Schauß trat zu den Reichstagswahlen 1884 im Wahlkreis Bingen-Alzey als Gegenkandidat zu einem der führenden Linksliberalen, Ludwig Bamberger, an. In einem Brief, der im Juli 1884 in die Öffentlichkeit lanciert wurde, behauptete Schauß, Heinrich Rickert habe bereits 1879 darauf hingearbeitet, Reichskanzler Bismarck durch den Altliberalen Albrecht von Stosch zu ersetzen. Rickert widersprach dieser Darstellung. 12 Die Nationalliberalen gewannen im Vergleich zur Reichstagswahl von 1881 2,9 % hinzu.

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Anschauungen geändert haben, zeigt, daß |:namentlich:| in Süddeutschland, überhaupt aber im ganzen Lande, die Strömung für Kornzölle so stark ist, daß eine Erhöhung derselben unbedingt zu erwarten steht.13 Eine große Anzahl nationalliberaler und sog. „nationalliberaler“ Candidaten, namentlich von der Neustädter Richtung14 (z. B. Blum in Heidelberg) haben dahingehende bindende Zusagen gegeben, ohne doch damit gegen einen ev. Sieg des agrarisch-clerikalen oder conservativen Gegenkandidaten gesichert zu sein (in Heidelberg z. B. des conservativen Hrn. Menzer vone den griechischen Weinen).15 Bei aller Unübersichtlichkeit der Wahlbewegung ist doch ein großer Verlust der Linken und ein starkes Wachsen der Conservativen, wahrscheinlich auch der Mittelparteien, vorauszusehen. Eine nationalliberal-deutschfreisinnige Mehrheit ist außer aller Frage; man wird froh sein, wenn eine conservativ-nationalliberale da sein wird (was unwahrscheinlich), damit doch das Centrum nicht mehr ganz allein ausschlaggebend ist.16 – Mein Vater, der im Lauf der Zeit allerdings in heftigen Gegensatz zu den Deutschfreisinnigen geraten ist, ist nichtsdestoweniger über diese Wendung natürlich wenig erfreut. Es ist vorauszusehen, daß die Anschauung u. Stellung der Nationalliberalen sich sehr ändern wird. Er denkt jedoch deshalb nicht an z. B. einen eventuellen Austritt, weil er der Ansicht ist, daß dies nur dazuf, die Partei noch mehr nach rechts zu e O: (von

f 〈führen würde〉

13 Eine Erhöhung der Zolltarife erfolgte zum 20. Februar 1885. 14 Gemeint sind hier die „rechten“ Nationalliberalen unter der Führung Johannes Miquels, die seit der „Heidelberger Erklärung“ vom 23. März und der Parteiversammlung in Neustadt vom 14. April 1884 für eine Unterstützung von Bismarcks Interventions-, Steuer- und vor allem auch Kolonialpolitik votierten. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 30. Mai und 3. Juni 1884, oben, S. 425 mit Anm. 17. 15 Julius Menzer war Weinhändler und Inhaber einer griechischen Weinstube in Neckargemünd, die für Heidelberger Studenten ein beliebtes Ausflugslokal war (vgl. dazu auch die Postkarte Max Webers an Max Weber sen. vom 30. Mai 1883, oben, S. 350, mit Editorischer Vorbemerkung). 1884 zog er als Kandidat der Deutschkonservativen in den Reichstag ein. 16 Zwei Wochen vor der Hauptwahl am 28. Oktober zeigte Weber ein gutes Gespür für den tatsächlichen Ausgang. Freisinn und Deutsche Volkspartei, die beiden linksliberalen Parteien, verloren zusammen 41 Sitze; die Konservative Partei gewann 28 Sitze hinzu, die Nationalliberalen lediglich 4 Sitze. Das Zentrum blieb stärkste Einzelpartei mit 99 Mandaten, die Sozialdemokraten erzielten den größten Stimmenzuwachs aller Parteien und verdoppelten ihre Mandatszahlen von 12 auf 24 (Ritter, Gerhard A., Niehuss, Merith, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871–1918. – München: C. H. Beck 1980, S. 39).

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drängen |:und:| auch zu einer weiteren Zersplitterung |:führen würde:|, da er jedenfalls nicht sich den Deutschfreisinningen anzuschließen in der Lage wäre, mit denen er über wichtige Punkte |:grundsätzlich:| entgegengesetzter Ansicht ist, namentlich seitdem die Hrn. Rickert etc. auch in den Militärangelegenheiten ihre Ansicht entsprechend der von E[ugen] Richter pp. modifi ziert und ihre alte Stellung dazu aufgegeben haben.17 Auch glaubt er, daß es immerhin möglich wäre, durch Verbleiben in der Fraktion dieselbe noch bei den alten Anschauungen festzuhalten. – Jedenfalls würde er es aber auch |:persönlich:| nicht beklagen, wenn er in dem jetzigen Wahlkampfe sein Mandat loswürde, da er ein ersprießliches Wirken unter den jetzigen Verhältnissen für schwer möglich hält. Ausdrücklich eine Mandatsannahme zu verweigern beabsichtigt er nicht, da dies wie eine Art Fahnenflucht im Augenblick, wo die Situation besonders schwierig ist, erscheinen würde.18 – Trotzdem also alle diese verdrießlichen Verhältnisse die gute Laune meines Vaters zuweilen trüben, leben wir, wie gesagt, ganz behaglich für uns, ohne große Geselligkeit und sonstige Störungen. Das Semester beginnt nun in 1 1/ 2 Wochen wieder, diesmal für mich ein tüchtiges Arbeitssemester. Ich werde Gneist, Aegidi und Brunner (deutsche Rechtsgesch[ichte]) hören,19 hauptsächlich aber zu Hause Pandekten20 arbeiten. – Mein Freund Mommsen21 erzählte mir vor geiner Wocheg , daß sein Vater soeben den ersten Band der römischen Kaisergeschichte fertig gestellt, das Manuskript an den Verleger eingesandt habe, der den Druck so beschleunigen werde, daß derselbe noch vor Weihnachten erscheinen könnte, jedenfalls aber bis Neujahr im Handel sei.22 Der g–g einigen Tagen > einer Woche 17 Im Parteiprogramm der Freisinnigen vom 5. März 1884 heißt es unter Punkt 5: „Erhaltung der vollen Wehrkraft des Volkes; volle Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht bei möglichster Abkürzung der Dienstzeit; Feststellung der Friedenspräsenzstärke innerhalb jeder Legislaturperiode.“ Zit. nach Mommsen, Wilhelm (Hg.), Deutsche Parteiprogramme (Deutsches Handbuch der Politik, Band 1). – München: Isar Verlag 1960, S. 158. 18 Vgl. dazu oben, S. 460, Anm. 2. 19 Zu den von Max Weber im Wintersemester 1884/85 an der Universität Berlin besuchten Lehrveranstaltungen vgl. Anhang II, unten S. 638; zu Gneist und Aegidi ausfühlicher im Brief an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, unten, S. 472 f. mit Anm. 17 und 19. 20 Zum Corpus Iuris Civilis und den Pandekten vgl. den Brief von Max Weber an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 mit Anm. 7. 21 Karl Mommsen. 22 Mommsen, Theodor, Römische Geschichte, Band 5: Die Provinzen von Caesar bis

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Band bilde keine direkte Fortsetzung des bisher Erschienenen, sondern es bleibe eine Lücke zwischen ihm und der „röm. Gesch[ichte]“, welche später durch einen Band ausgefüllt werden solle.23 Vor einigen Tagen war ich selbst bei Mommsens, 24 der Alte sieht in Folge seines Sturzes von der Leiter doch stark verändert aus, ist aber jetzt recht wohl und war sehr freundlich und guter Laune. – Deinen „Droysen“25 hast Du hoffentlich richtig erhalten, ich habe es doch glücklich bis zum Packen vergessen, ihn mitzunehmen. Den Band Münchener Abhandlungen26 schicke ich Dir jetzt auch. – Auf h der Rückreise von Straßburg konnte ich leider Fritz nicht mehr besuchen, da meine Abreise sich länger verschob als ich erwartet hatte. Ich habe in Folge dessen nur in Heidelberg einen Zug überschlagen und Hausraths und Webers, 27 d. h. die Tante gesehen. Der alte Weber ist am grauen Staar derartig leidend, daß er weder lesen noch schreiben darf; er ist recht unglücklich darüber, geht viel spazieren. Onkel Adolf war sehr freundlich, er schreibt an einem Roman, 28 sitzt außer in der Belletristik, in der er nun schon eine allseitig anerkannte |:Tages:|-Größe ist, wie wenigstens die zahlreichen Briefe aller möglichen Litteraten zeigen, sowie, daß die Zeitschriften vom Schlage der „Gartenlaube“ etc. schon anfragen, sein Portrait und biographische Skizzen über ihn zu bringen, 29 was ihm viel Spaß macht – außer in diesen Dingen also,

h Und > Auf Diocletian. Mit 10 Karten von H. Kiepert. – Berlin: Weidmann 1885 (hinfort: Mommsen, Römische Geschichte V). 23 Mommsen, Römische Geschichte I–III (wie oben, S. 127, Anm. 3). Der 4. Band ist nicht erschienen. 24 Theodor Mommsen und Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. 25 Es muß offen bleiben, welches Werk von Johann Gustav Droysen sich Max Weber von seinem Onkel geliehen hatte. 26 Es ist nicht zu klären, welche Abhandlungen Max Weber hier gemeint hat. 27 Georg Weber und Ida Weber, geb. Becher. 28 Adolf Hausrath publizierte unter dem Pseudonym George Taylor historische Romane. Zuletzt erschienen war: Taylor, George, Jetta. Historischer Roman aus der Zeit der Völkerwanderung. – Leipzig: S. Hirzel 1884 (hinfort: Taylor, Jetta). Max Weber dürfte sich hier auf den nächsten Roman beziehen: Taylor, George, Elfriede. Eine Erzählung. – Leipzig: S. Hirzel 1885. Zu Adolf Hausrath als Schriftsteller vgl. auch den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, oben, S. 343 mit Anm. 19. 29 „Die Gartenlaube“ war ein sehr populäres, illustriertes Familienblatt mit einer hohen Auflage. Weder hier, noch in vergleichbaren Zeitschriften sind für die Jahre zwischen 1883 und 1886 Besprechungen oder Porträts von Adolf Hausrath bzw. George Taylor nachweisbar.

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wie gesagt, sitzt er jetzt dermaßen in der Tagespolitik, 30 daß ich fest überzeugt und durch eine Bemerkung von ihm sowie das, was sein Sohn31 mir sagte, in dieser Überzeugung bestärkt bin, daß ein Reichstagsmandat ihm sehr willkommen sein würde.32 Schade! er wird wohl nie wieder ein Mann der Wissenschaft werden – die „Neutestamentliche Zeitgeschichte“33 und „Strauß“34 sind tempi passati; 35 „Jetta“ hat, in Folge des hohen Preises, 36 meinte August, einen Miserfolg gehabt. Wenn er nur im Schreiben etwas pausieren wollte, so meinte auch Julian Schmidt37 und die hiesigen Litteraten, idenen seine Produktionskraft etwas unheimlich ist.i – Nun aber, lieber Onkel, will ich Deine Zeit nicht länger für mein Geplauder in Anspruch nehmen, und will Dich nur noch bitten, die Tante und die „Töchter“38 bestens zu grüßen und Anna bei Gelegenheit auch von mir zu ihrem Wiegenfest zu gratulieren.39 Der Tante schreibe ich baldigst, um mich auch noch für den Channing zu bedanken,40 der hier jetzt eifrig gelesen wird. Emmis Tabaksbeutel ist mehr im Gebrauch, als meiner Mutter, die den Tabaksgeruch im Hause nicht mehr gewohnt ist, lieb ist. i–i denen es mit ihm allmälig doch bedenklich wird > denen seine Produktionskraft etwas unheimlich ist. 30 Adolf Hausrath hatte im April 1884 an der Neustädter Versammlung der Nationalliberalen Süddeutschlands teilgenommen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 30. Mai und 3. Juni 1884, oben, S. 425 mit Anm. 16. 31 Es dürfte der im folgenden erwähnte August Hausrath gemeint sein. 32 Adolf Hausrath errang nie einen Sitz im Reichstag, vertrat jedoch 1890/91 die Universität Heidelberg in der Ersten Badischen Kammer. 33 Hausrath, Adolf, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 4 Bände. – Heidelberg: Fr. Bassermann 1868–77. 34 Hausrath, Adolf, David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit, 2 Bände. – Heidelberg: Fr. Bassermann 1876–78. 35 Ital.: vergangene Zeiten. 36 Taylor, Jetta (wie oben, S. 465, Anm. 28), kostete acht Mark. 37 Julian Schmidt hatte bereits Adolf Hausraths Roman „Klytia“ kritisch betrachtet. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, oben, S. 343 mit Anm. 21. Jedoch dürfte es sich hier eher um eine mündliche Mitteilung in privater Runde gehandelt haben. 38 Gemeint sind die Töchter Emmy und Anna sowie deren Mutter Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Die Töchter in Anführungszeichen zu setzen, bedeutet wohl den Einbezug von Laura Fallenstein, die zu dieser Zeit bei Familie Baumgarten in Straßburg lebte. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 21. Dez. 1883, oben, S. 374 f. mit Anm. 19. 39 Anna Baumgarten feierte am 18. Oktober 1884 ihren 16. Geburtstag. 40 Zur Channing-Lektüre von Max Weber vgl. dessen Brief an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, oben, S. 430 f. mit Anm. 3 und 4.

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Zum Schluß entschuldige bitte meine schlechte Schrift, es ist eine nachgerade wirklich unangenehme Angewohnheit und schließlich werde ich doch wohl noch Schreibstunde |:nehmen:| oder irgend etwas dagegen thun müssen. Vorläufig aber bin ich nicht im stande, Besseres zu leisten. Mit herzlichen Grüßen, dem sich Alles was im Hause Beine hat, insbesondre mein Vater und meine Mutter, auch Lilli, anschließt Dein Neffe Max.

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Hermann Baumgarten 8. und 10. November 1884; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 6–9 Der Brief wurde am Samstag, 8. November, begonnen und am „Montag, d. 10.“ November fortgesetzt.

Charlottenburg d. 8ten Nov. 84 Lieber Onkel! Herzlichen Dank zunächst für Deine freundliche Antwort und für Deine Karte, und verzeih mir, daß ich nicht umgehend darauf antwortete, aber ich höre ziemlich viel Colleg, habe auch doch vorläufig mehr Verkehr gehabt, als ich anfangs gedacht hatte, und ich bin noch nicht so recht zu einer regelmäßigen Tageseinteilung gekommen. – Papa hat es übernommen, der Frau Kapp Dein Beileid zu übermitteln.1 Auch für ihn war dieser Verlust sehr herb, und er sagt selbst, daß seit dem Tode von Friedrich Eggers, 1870 glaube ich, 2 er einen derartig schweren nicht erlitten habe. Der Verkehr mit Kapp, der doch ein recht reger war, – mein Vater sah ihn wöchentlich 1–2 Mal –, war in verschiedener Beziehung sehr wertvoll. Einmal schon deshalb, weil Kappa ein wirklich erstaunliches Material von Kenntnissen und Erfahrungen nicht nur sich erworben, sondern vermöge seines außerordentlichen Gedächtnisses auch immer bei der Hand hatte und stets im geeigneten Moment in treffendster und oft frappierendster Weise zu verwerten wußte. Man ging wohl kaum je von ihm fort, ohne wesentlich bereichert zu sein. Er besaß, glaube ich, mit am vollkommensten von Allen, die ich bisher gesehen, die Kunst der Unterhaltung (im höchsten Sinn genommen), – und ich habe mir oft versucht Rechenschaft zu geben, worin bei ihm diese Kunst eigentlich bestand. Mit einer originellen, oft einseitigen, glaube ich, Energie des Urteils verband er die Gabe, ohne, wie dies sonst jetzt häufig ist, stets in Aphorismen und mit Zuhilfenahme aller möglichen „Aperçus“b zu reden, doch spielend das Differenteste in Zusammenhang zu bringen und unvermerkt die allerweita 〈sich〉

b O: „Apperçus“

1 Luise Kapp, geb. Engels. Ihr Ehemann Friedrich Kapp war am 27. Oktober 1884 verstorben. 2 Friedrich Eggers war am 11. August 1872 verstorben.

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schauendsten Perspektiven zu eröffnen. Für mich namentlich war es, wenn er bei uns war oder ich ihn besuchte, – er war stets sehr liebenswürdig grade gegen mich und lud mich häufig zu sich ein – stets eine außerordentlich wirksame Anregung nach den verschiedensten Seiten hin, ihn über die zahlreichen Verhältnisse sprechen zu hören, mit denen er in seinem ereignisreichen Leben in Berührung kam. Sein Urteil, so |:momentan:| schlagend, daß ich, selbst wenn ich es in Rücksicht auf mein Alter hätte thun dürfen, doch nicht gewagt hätte, ihm sofort zu widersprechen, reizte sehr häufig zu innerlichem Widerspruche und war |:meist:| so gehaltreich, daß es für einige Zeit Beschäftigung für den Gedanken gab, bis ich, was mir |:doch:| oft vorkam, eine etwaige Einseitigkeit herausgefunden zu haben glaubte. Ich glaube, daß er diese Art der Unterhaltung als ein sehr lebhaftes Anregungsmittel für junge Leute betrachtete, mir hat die Opposition, die ich mir im Stillen zuweilen erlauben mußte und deren Begründung ich dann mir zu construieren suchte, jedenfalls Gelegenheit gegeben, mir manche Kenntnisse und auch Verständnis, wie sie eventuell zu verwerten seien, anzueignen. – Aber wohl mehr noch, als diese Seite des Verkehrs, war für uns alle wertvoll die Berührung mit einer so in jeder Beziehung liebenswürdigen Persönlichkeit. Frisch, gradezu jugendlich, in seinen Ausdrücken amerikanisch derb,3 oft so derb, daß Leute, die ihn nicht kannten, sich gradezu daran stießen, schien es immer, als versetzte er alle die altenc Herrn, die mit anwesend waren, noch einmal in ihre Studentenzeit zurück; er war, ohne es zu wollen, fast immer sofort einer der Mittelpunkte der Gesellschaft und das lebendigste Element. Kurz, es ist in jeder Beziehung ein sehr herber Verlust. Die „Geschichte des deutschen Buchhandels“ war so weit gediehen, daß das gesammte Material gesammelt, der erste Band auch schon fast völlig druckreif war.4 Kapp selbst sagte noch vor Kurzem, nachdem er das Letzte, was noch an Material fehlte, beigebracht hatte, „jeder Tag, den er noch zu leben habe, sei ihm 50 Mk. wert“. Der Druck der ersten Bogen würde schon begonnen haben, wenn die Verleger nicht die völc Lies: Alten 3 Friedrich Kapp hatte zwischen 1850 und 1870 in den USA gelebt. 4 Der Band erschien posthum: Kapp, Friedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels bis in das siebzehnte Jahrhundert. Aus dem Nachlasse des Verfassers herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. – Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1886.

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lige Fertigstellung des ersten Bandes hätten abwarten wollen. Da Kapp sehr viel gemeinsam mit seinem Schwiegersohn, Geh. Rat von der Leyen, zusammen gearbeitet hat, so wird dieser höchst wahrscheinlich im stande sein, |:mindestens:| den ersten Band herauszugeben.5 Anderseits besaß Kapp ein so abnormes Gedächtnis, auf welches er sich unbedingt verließ, daß er |:im Übrigen:| wohl verhältnismäßig wenig, nur das Notwendigste, zu Papier gebracht haben dürfte. An eine Fortsetzung seiner Arbeit in dem großartigen Sinne, wie er sie auffaßte, als Culturgeschichte Deutschlands, dürfte kaum zu denken sein. – Was Kapp noch zuletzt im höchsten Maße aufgeregt und wahrscheinlich endgültig ruiniert hat, gesundheitlich, war die Politik. Er war, mit einem Miserfolg eigentlich, an dem Bamberger u. E[ugen] Richter schuld waren, die ihn in eine falsche Position zu den Colonialangelegenheiten brachten, vom Kampfplatz abgetreten, aber man ließ ihm keine Ruhe und er war sehr erregbar.6 Der Gang der Wahlen in Amerika jetzt7 würde ihn, der nur in dem Siege der Demokraten Heil erblicken konnte, wohl schmerzlich berührt haben. Auch diese Dinge regten ihn noch auf, ehe er starb. Es war wirklich ein tragisches Ende und gut, daß er nicht mehr zum Bewußtsein kam; kaum jemand würde sichd so schwer vom Leben getrennt haben, wie er grade in diesem Augenblick. – Nun habe ich Dir bisher noch von nichts andrem erzählt, aber wir waren so in diesen Verkehr eingelebt, daß dieser Tod unsre Gedanken vollständig in Anspruch nahm. Die Wahlen haben uns verhältnismäßig kalt gelassen, es war ja dies klägliche Resultat vorauszusehen. Papa ist persönlich sehr froh, nicht an dem, was nun kommen wird, die Mitverd 〈grade jetzt〉 5 Alfred von der Leyen half bei der Edition des ersten Bandes; die Bände 2–4 wurden zwischen 1908 und 1913 vom Bibliothekar des Börsenvereins, Johann Goldfriedrich, herausgegeben. 6 Anspielung auf die Entscheidung Kapps, sich vor allem in der Frage einer deutschen Kolonialpolitik von der Nationalliberalen Partei, für die er 1878 seinen Reichstagswahlkreis verloren hatte, abzuwenden und 1880 den linken „Sezessionisten“, der Liberalen Vereinigung um Ludwig Bamberger, beizutreten. Vgl. Roth, Familiengeschichte, S. 440, ferner Hinners, Wolfgang, Exil und Rückkehr. Friedrich Kapp in Amerika und Deutschland 1824– 1884. – Stuttgart: Akademischer Verlag 1987, S. 278–297. 7 Bei den Präsidentschaftswahlen vom 4. November 1884 gewann der Demokrat Grover Cleveland nur knapp vor dem Republikaner James G. Blaine. Cleveland war der erste Demokrat im Präsidentenamt nach dem Bürgerkrieg und setzte sich in einem äußerst scharf geführten Wahlkampf durch.

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antwortlichkeit tragen zu müssen.8 Mit der deutschfreisinnigen Partei geht es offenbar in jeder Beziehung stark rückwärts und wenn nicht nachgerade die Launenhaftigkeit des all[gemeinen] Stimmrechts gründlich erprobt wäre, so möchte Einem die ganze Zukunft des deutschen Liberalismus doch recht dunkel erscheinen.9 Interessant sind hier die Erfolge der Sozialdemokraten allenthalben erschienen. Wirkung thut eben das Soz[ialisten]-Gesetz in dieser Beziehung offenbar nicht.10 Will man es rechtfertigen, so muß man sich wohl auf den vielleichte nicht ganz unrichtigen Standpunkt stellen, zu sagen, daß ohne dasselbe eine ganz erhebliche Einschränkung vieler Errungenschaften des öffentlichen Lebens, der Redefreiheit, Versammlungs- u. Vereinigungsrechte |:überhauptf:| unvermeidlich wäre. Die Sozialdemokraten waren eben doch im Begriff, fundamentale Einrichtungen des öffentlichen Lebens durch ihre Agitationsweise gründlich zu compromittieren. Soll man da nun generaliter diese für die öffentliche Freiheit für unentbehrlich geltenden Grundrechte einschränken oder lieber einen Versuch mit dem zweischneidigen Schwert der Ausnahme-Repressivmaßregeln machen? Ein Versuch war wohl gerechtfertigt. Mir möchte im Stillen freilich wohl manchmal scheinen, als ob das allgemeine gleiche Recht für Alle doch allem Andren vorginge und man dann eben doch lieber Allen einen Maulkorbg vorbinden, als Einige ganz in Ketten legen sollte. Der Grundfehler ist doch wohl dies Danaergeschenk des bismarck’schen Cäsarismus, das allgemeine Stimmrecht, der reinste Mord für die Gleichberechtigung Aller im wahren Sinne des Worts. Die Anschauungen der Sozialdemokratie haben sich doch übrigens offenbar, ebenso wie zum Teil ihr Personal, vollständig geändert. Stimmen doch in Köln die Sozialdemokraten nach ihrer offi ziellen Erklärung für den Nationalliberalen gegen den Centrumsmann, etwas bisher Unerhörtes!11 Wie viele frühere Größen übrigens doch vere 〈nur〉

f 〈[??]〉

g Zaum > Maulkorb

8 Max Weber sen. hatte bei den Reichstagswahlen vom 28. Oktober sein Reichstagsmandat im Wahlkreis Holzminden-Gandersheim an den Deutsch-Freisinnigen Wilhelm Baumgarten verloren. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, oben, S. 461 mit Anm. 8. 9 Zu den Ergebnissen der Reichstagswahl vom 28. Oktober 1884 vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, oben, S. 462, Anm. 10 und S. 463, Anm. 16. 10 Die Sozialdemokraten konnten trotz des Sozialistengesetzes von 1878 ihre Sitze verdoppeln, von allen Parteien erzielten sie den größten Zuwachs von 3,6 %. 11 Vgl. dazu die Kurzmitteilung in dem Pressespiegel: Neueste Mittheilungen, 3. Jg.,

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schwinden: Gneist, Hobrecht, Forckenbeck, Bockum-Dolffs, Schorlemer-Alst, Reichensperger, |:Sonnemann,:| wahrscheinlich auch Rickert, scheinen sich doch wohl zur Ruhe setzen zu sollen. – Die Norddeutsche Allgemeine schwenkt jetzt sonderbarer Weise wieder zu den Nationalliberalen, von denen doch nichts zu erwarten ist, da sie ja zu schwach sind, und ereifert sich z. B. für meinen Vater.12 Es ist ein schönes Chaos, was die Regierung damit erntet, daß sie so zugeknöpft in den Wahlkampf gegangen ist. Auf dieh positiven Schöpfungen eines so zusammengesetzten Parlaments darf man wohl billig gespannt sein und scheint es hier ja auch zu sein. – Montag d. 10. Abends. Am Sonnabend mußte ich aufhören, weil wir zu Aegidi zum Abendessen eingeladen waren, gestern früh war ich mit Bekannten in der Nationalgallerie und Mittags und bis zum Abend waren verschiedene junge Leute, ein Cadett, Sohn des früheren mecklenburgischen Abgeordneten Büsing,13 ein Sohn von Papas Bremer Freund Schellhaß14 und zwei meiner Straßburger Bekannten, die zu meiner großen Freude jetzt hier studieren,15 bei uns und sehr lustig. So komme ich erst jetzt dazu, Dir zu erzählen, was noch zu erzählen ist. Den sog. „kleinen“ Aegidi16 kennst Du jedenfalls auch, er ist einer unserer liebenswürdigsten und wirklich jugendlichsten Freunde von alter

h 〈S〉 Nr. 115 vom 7. Nov. 1884, S. 3, wo ein Bericht der Kölnischen Zeitung zitiert wird, der die von Weber geschilderte Abmachung wiedergibt. 12 Nach einem vorläufigen Ergebnis schien Max Weber sen. in der Hauptwahl den freikonservativen Kandidaten von Cramm-Burgdorf besiegt zu haben und in die Stichwahl gegen Wilhelm Baumgarten als Kandidat der Deutsch-Freisinnigen gelangt zu sein. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung (Nr. 510 vom 30. Okt. 1884, Ab.Ausg., S. 1) hoffte daher, daß „durch Unterstützung der jetzt für Cramm eingetretenen Wähler der Sieg Webers gesichert, hier also kein Mandat für die Deutschfreisinnigen zu erobern“ sei. Weber erreichte die Stichwahl jedoch nicht. 13 Es handelt sich um Otto Hermann Ludwig Büsing, den Sohn von Otto Heinrich Johann Büsing. Letzterer hatte bei den Reichstagswahlen vom 28. Oktober 1884 sein Mandat für die Nationalliberalen in Schwerin verloren. 14 Karl Emmanuel Schellhass und sein Vater Karl Julius Schellhass, der ein Verbindungsbruder von Max Weber sen. war. 15 Es könnte sich um die beiden Regimentskameraden Christoph Schmöle und Alfred Zimmermann handeln, vgl. deren namentliche Erwähnung im Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, unten, S. 488. Beide waren im Wintersemester 1884/85 in Berlin immatrikuliert. 16 Ludwig Karl James Aegidi.

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Zeit her. Ich höre bei ihm ein Colleg über Völkerrecht,17 außerordentlich frisch, lebendig und anregend vorgetragen, man siehti stets die wirklich herzliche Freude, die ihm der Verkehr mit jungen Leuten macht, auch in seinem Vortrage. Mir oder Andren gegenüber ist er – (für mich immer noch, wie in der frühsten Kinderzeit, „Onkel“ Aegidi, ein Comment, den er stets aufrecht erhalten hat) – von der gewinnendsten Herzlichkeit und bringt Allem, was mich oder einen seiner sonstigen langjährigen Zuhörer angeht, das freundlichste persönliche Interesse entgegen. Da ich einmal auf Colleg zu sprechen gekommen bin, so will ich gleich versichern, daß ich hier ein in dieser Beziehung wirklich fleißig zu nennender Student geworden bin. Ich höre ziemlich viel und kann sagen, mit großer Freude. Beselers deutsches Privatrecht kann an sich des Vortrags wegen wirklich recht wenig genußreich werden,18 aber für die Langweiligkeit der Form entschädigt reichlich der wissenschaftliche Gehalt, den derj gründliche Gelehrte und alte Gegner Savignys in dieser ungünstigen Gestalt zu geben weiß. Gneists Collegien über deutsches Staatsrecht und preußisches Verwaltungsrecht sind, wie ich fi nde, nach Form wie Inhalt ein wahres Meisterwerk und haben mir von allen juristischen Collegien, die ich bisher gehört habe, am meisten gefallen.19 Wirklich gewundert hat mich dabei die Art [,] in der er in seinem Colleg auch direkt, in Fragen der Tagespolitik hineinsteigt und die stramm liberalen Ansichten, die er dabei entwickelt, ohne doch, wie Treitschke auch jetzt wieder in seinem „Staat und Kirche“, 20 propagandistisch oder agitatorisch zu werden. Ich habe über Staatsrecht noch nie etwas gelesen oder vortragen hören, was die Fragen desselben, auch soweit sie historisch sind, in so direkt praktischer i 〈steh〉

j 〈Gr〉

17 Das Kolleg von Ludwig Aegidi über „Völkerrecht“ fand Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 12–13 Uhr statt. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, WS 1884/85, S. 4, dort mit dem Zusatz „privatim“. 18 Das Kolleg „Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts“ von Georg Beseler fand Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 9–11 Uhr statt. Vgl. ebd., S. 3, ebenfalls mit dem Zusatz „privatim“. 19 Max Weber besuchte zwei Kollegien bei Rudolf Gneist: „Deutsches Staatsrecht“ fand Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 11–12 Uhr statt (vgl. ebd., S. 4, „privatim“), mittwochs und samstags besuchte Weber noch von 9–11 Uhr „Preußisches Verfassungsund Verwaltungsrecht“ (ebd.). 20 Heinrich von Treitschke las am Dienstag von 18–19 Uhr „Über Staat und Kirche“, vgl. ebd., S. 18, dort mit dem Zusatz „öffentlich“, weshalb nicht belegbar ist, ob Max Weber die Lehrveranstaltung dauerhaft besucht hat.

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Weise und unter Festhaltung des Zusammenhangs mit den nationalökonomischen und religiösen Elementen, welche auf Staatsbildung und -Ordnung von Einfluß sind, behandelt hätte. – Gneist ist ja übrigens auch durchgefallen, gegen einen Deutschfreisinnigen. 21 – Man ist hier sehr gespannt auf den Verlauf der Berliner Stichwahlen. Stöcker hat leider sehr große Aussichten, 22 es wäre doch eine wahre Schande. Die Sozialdemokraten geben allmälig in immer mehr Wahlkreisen den Ausschlag. Daß jetzt sogar die Nationalliberalen sich mit ihnen abgeben, ist meinem Vater sehr wenig erfreulich, wie z. B. in Cassel, wo das nationall[iberale] Comité bei Stichwahl zwischen Sozialisten und Conservativen Wahlenthaltung empfiehlt! 23 Die Regierung wendet sich ja, wie es scheint, mit Entschiedenheit den Nationalliberalen zu und scheinbar sogar in Folge dessen von den Hochagrariernk ab, wenigstens die Nordd[eutsche] Allgemeine. Leider wird dies wohl eine noch weitere Rechtsschwenkung der Nationalliberalen zur Folge haben. Nicht unerheblich hat wohl zu dem Zurückgehen des Liberalismus die Stellungnahme der Deutschfreisinnigen zu den deutschen Unternehmungen in Afrika beigetragen.24 Bei allem Überhandnehmen der materiellen Interessen und des Klassengegensatzes bleibt dem Volk doch immer, |:scheint es,:| ein gewisser Rest eines unbestimmten Idealismus, der sich dann an solche Dinge hängt, wenn er keinen größeren Gegenstand fi ndet. So ist es nach den Erzählungen meines Vaters auch mit den Deutschen im Ausland, in Siebenbürgen etc. Mein Vater glaubt deshalb, man hätte zu diesen Unternehmungen, so wenig vertrauenerweckend sie scheinen, doch in einer andren Art Stellung nehmen sollen. – Was die nationalliberale Partei angeht, so ist k O: Hochagragriern 21 Rudolf Gneist verlor bei den Wahlen im Oktober sein Reichstagsmandat für den Wahlkreis Landeshut, Jauer, Bolkenhain an den Freisinnigen Walter Dirichlet. 22 Adolf Stoecker behielt sein Mandat für den Wahlkreis Wittgenstein, Siegen, Biedenkopf; in der Stichwahl gewann er gegen einen Kandidaten des Freisinns. Den Berliner Wahlkreis, in dem er zusätzlich kandidierte, gewann Rudolf Virchow in der Stichwahl im November für die Freisinnigen. 23 Den Wahlkreis Kassel, Melsungen gewann ein Deutschkonservativer in der Stichwahl am 11. November 1884 knapp gegen einen Sozialdemokraten. 24 Bei der Reichstagswahl im Oktober 1884 hatten die Deutsch-Freisinnigen eine klare Niederlage erlitten (vgl. dazu den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, oben, S. 462 mit Anm. 10). Der Wahlkampf war von der einsetzenden Kolonialpolitik geprägt, der linke Liberale wie Eugen Richter und Ludwig Bamberger v. a. aus fiskalpolitischen Gründen kritisch gegenüberstanden.

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nach den hiesigen Anschauungen außer ihrer Rechtsschwenkung noch manches Andre für sie sehr gefährlich, namentlich der Umstand, daß sie mehr und mehr aus den alten preußischen Provinzen schwindet. In den östlichen Provinzen ist, so viel ich weiß, diesmal auch nicht ein einziger Nationalliberaler gewählt worden.25 Abgesehen davon, daß man denselben eine gewisse tonangebende Stellung doch immer zugestanden hat, und daß z. B. Ostpreußen seit 1847 ein merkwürdig gutes politisches Thermometer gewesen ist, dürfte es doch wohl sehr bedenklich sein, wenn die Partei, welche künftig doch hoffentlich einmal wieder zul einer andren Rolle bestimmt ist, als ihrer jetzigen, eine lediglich west- und südwestdeutsche wird. Wir haben nun schon eine Parteigliederung nach Confessionen, nach Bevölkerungsschichten und Interessengruppen, und wenn wir nun noch eine solche nach Provinzen und Territorien bekommen sollten, so scheint dies doch in der That recht bedenklich. Mein Vater ist dann sehr gereizt gegen den vorgeschritteneren Liberalismus in Folge dessen Stellung zum Centrum und den taktischen Fehlern, die er nach seiner Ansicht macht, aberm ich persönlich habe manchmal die unbestimmte Empfi ndung, als unterschätze er doch auch die verhängnisvolle Bedeutung von dessen Niederlage. Denn wo bleibt das Gegengewicht gegen die rechte Seite, auf Grund dessen die Mittelparteien wieder eine ausschlaggebende Stelle einnehmen könnten. – Du schreibst in Deinem Briefe beiläufig auch von Mitteilungen Roggenbachs, die er Dir bei seinem Aufenthalt bei Euch gemacht habe. Wir wären nun hier Alle recht gespannt auf den Inhalt derselben und dankbar, wenn wir gelegentlich etwas davon erfahren könnten. Daß Dir der Toast auf Bismarck beim Festessen zugefallen sei, 26 hatten wir |:bereits:| zu unserer Überraschung erfahren. Meine Eltern meinten, es sei Dir vielleicht nachträglich nicht einmal so unangenehm gewesen und Du hättest vielleicht die Gelegenheit, die großen Seiten des Mannes und damit die schönere Seite unsrer Tagespolitikn einmal wiel zum > zu

m 〈mir persö〉

n 〈zu〉

25 Sämtliche Wahlkreise in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Posen wurden von Konservativen, Zentrum oder Polen gewonnen. Nur die Städte Königsberg und Danzig wurden von Freisinnigen vertreten. 26 Ende Oktober wurden die Neubauten für die Straßburger Universität offiziell eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit brachte Hermann Baumgarten einen Toast auf Bismarck aus, der abgedruckt ist in: Die Einweihung der Neubauten der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg 26.–28. October 1884. Officieller Festbericht. – Straßburg: Heitz 1884, S. 33 f.

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der gegenwärtig zu bekommen, als Gegengewicht gegen politischen Pessimismus, nicht undankbar acceptiert, glaubten auch, daß vielleicht Deine Stellungnahme gegenüber dem Manne in Folge der Notwendigkeit, ihn einmal von der andren Seite zu nehmen, sich überhaupt wieder etwas zu seinen Gunsten verschoben hätte. – Ich glaubte dies doch etwas bestreiten zu sollen. – Nach dem, was ein Straßburger Freund mir schrieb, hättest Du sogar neben Manteuffelo sitzen müssen – vielleicht doch ein Irrtum.27 Jedenfalls scheint sich Manteuffel nach Dem, was ich über seine „Rede“ an die Chargierten des Studenten-Ausschusses |:nach dem Fackelzuge:| hörte, 28 ja sehr taktvoll bei solchen Gelegenheiten zu benehmen. Und Emmi ist Fahnenjungfrau gewesen?29 Sie kommt noch einmal in die „Gallerie berühmter Frauen“,30 ich habe es immer gesagt. Laura31 ist hoffentlich wieder wohl und also lediglich die angenehmen Erinnerungen an das Fest lebendig. – Nun habe ich Dir in meiner gräßlichen Handschrift schon wieder acht Seiten lang alles Mögliche vorgeplaudert und Dir, der gewiß mitten in der angestrengtesten Arbeit steckt, ungebührlich viel Zeit fortgenommen. Aber da Du so freundlich mich dazu auffordertest, glaubte ich, daß es Dich doch vielleicht interessieren würde, allerlei von Dem zu hören, was wir hier in Berlin thun und denken, und meines Vaters o ihm > Manteuffel > Manteuffel 27 Aus den überlieferten Festberichten ist zu schließen, daß Hermann Baumgarten bei keiner der Feierlichkeiten neben Edwin von Manteuffel gesessen hat, insbesondere nicht beim Weihefest oder dem anschließenden Diner der Professoren (vgl. Sturm, Carl, Die Einweihung der neuen Gebäude der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg. Unter möglichster Benutzung der „Straßburger Post“ und der „Landeszeitung für Elsaß-Lothringen“. – Straßburg: M. DuMont-Schauberg [1884], S. 39). 28 Anläßlich der Festlichkeiten zur Einweihung der Neubauten der Universität Straßburg gab es am Abend des 26. Oktober 1884 auch einen studentischen Fackelzug zu Ehren des Statthalters Manteuffel, des Rektors und des Kurators der Universität. Manteuffel empfing eine studentische Abordnung und sprach zu diesen einige Sätze, die jedoch nicht überliefert sind. 29 Im Rahmen der Feier wurde von den „Frauen der Kaiser-Wilhelms-Universität“ eine den Studenten gewidmete Fahne angefertigt und stellvertretend von drei Töchtern des Universitätspersonals („Jungfrauen“) überreicht. 30 Gemeint sein könnte: Universal-Portrait-Gallerie berühmter Männer und Frauen des 19. Jahrhunderts. – Leipzig: Baumgärtner 1865, oder auch: Internationale Gallerie berühmter Männer und Frauen, eine Sammlung der hervorragendsten Persönlichkeiten der letzten zwei Jahrhunderte. Mit biographischem Text von Evert A. Duyckinck und Alfred Clement, 2 Bände. – New York: Johnson und Miles 1876. 31 Laura Fallenstein.

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politische Stellung wünschtest Du ja immer zu kennen. Besonders knapp mich auszudrücken ist mir aber noch nie gelungen, es geht immer Alles in die Breite. Jetzt will ich nun gleich, da ich endlich ungestört von meinen jetzt zahlreichen hiesigen Bekannten bin, die mich sonst Abends aufsuchten oder zu sich citierten, noch die Gelegenheiten benutzen, meinen unerhört lange hinausgeschobenen Brief an die Tante, 32 die sicher, ich weiß nicht, was von mir denkt, anzufangen, sonst komme ich wieder noch nicht dazu. Der tägliche Weg nach Berlin und heraus zum Colleg nimmt eben auch viel Zeit weg und es bleibt mir so zu wenig für Windscheids Pandekten, 33 die mir sehr nötig sind. Also herzlichen Gruß von Vater und Mutter und uns Allen an Euer Haus. Dein Neffe Max. Die Schweninger’sche Geschichte hier ist übrigens auch gut, oder vielmehr geradezu schauderhaft.34 Sofern es Dich interessiert, schreibe ich einmal davon, was man hier davon erfährt. pIn Amerika scheint ja Cleveland doch gewählt zu werden. 35 Kapp würde sich freuen, Karl Schurz freut sich sicher u. bekommt hoffentlich wieder eine offi zielle Stellung.36 p

p–p Zusatz am linken Blattrand. 32 Ein Brief Max Webers an seine Tante Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, ist nicht nachweisbar. 33 Windscheid, Pandektenrecht I–III (wie oben, S. 352, Anm. 9). 34 Bismarcks Leibarzt Ernst Schweninger erhielt über die Vermittlung des Reichskanzlers eine a. o. Professur in Berlin, obwohl er in der Fachwelt kein großes Ansehen genoß. Zudem wurde er außerordentliches Mitglied des Gesundheitsamtes und Direktor der Abteilung für Hautkrankheiten an der Charité. 35 Vgl. dazu oben, S. 470, Anm. 7. 36 Nach seiner Zeit als Innenminister von 1877 bis 1881 übernahm Carl Schurz in den USA kein offizielles politisches Amt mehr.

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Hermann Baumgarten 27. November 1884; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 29–30

Charlottenburg d. 27ten Nov. 84 Lieber Onkel! Mit herzlichem Dank für Deinen freundlichen Brief und indem ich mir vorbehalte, noch ausführlicher drauf zu antworten, wollte ich nur sofort auf eine darin enthaltene Fragea Auskunft geben, soweit ich dazu im stande bin, nämlich auf die, welche sich auf die Beschwerde des Deutschen Straßburgs bezieht, und über die ich meinen Vater um seine Ansicht befragt habe. Die ganze Sache trägt von vorne herein einen höchst fragwürdigen Charakter an sich.1 Die Behörden, welche die Wählerlisten zusammenstellen, sind ja von einer wirklichen Verantwortlichkeit für deren Richtigkeit dadurch entlastet, daß überall die Wahllisten einige Wochen vor der Wahl zur öffentlichen Einsicht ausliegen und Jeder sich davon überzeugen kann und soll, daß er darin aufgenommen ist. Der Stiel könnte hier also leicht umgedreht werden. Wenn nun wirklich grobe Pfl ichtversäumnisse der Beamten vorliegen, die geeignet wären, höheren Orts irgend welches Reagieren zu veranlassen, so würde es jedenfalls, um diesen letztern Zweck zu erreichen, nicht wünschenswert sein, daß die Anregung dazu von Seiten eines Mitgliedes der Opposition ausginge. Wenn von Seiten der deutsch-freisinnigen Partei diese Sache zum Gegenstandb eines Angriffs auf die Politik in Elsaß-Lothringen gemacht wird, so kann das unter allen Umständen Manteuffelc nur nützen. Am besten wäre es jedenfalls gea 〈sofort〉

b 〈d〉

c 〈zu〉

1 Unter dem Datum des 26. November 1884 wurde dem Reichstag ein Protest von ca. 50 Wählern aus Metz übergeben. Die namentlich nicht bekannten Unterzeichner zweifelten die Rechtmäßigkeit der Wahl von Jules-Dominique Antoine (Elsaß-Lothringische Protestpartei) für den Wahlkreis Metz bei der Reichstagswahl vom 28. Oktober an, der sich bereits im ersten Wahlgang gegen den Kandidaten des katholischen Klerus, Jean-BaptisteEtienne Jacques, durchgesetzt hatte. Vorgeworfen wurde Antoine, u. a. von Frankreich bezahlt zu werden, Stimmen gekauft oder Wahlzettel manipuliert zu haben. Die Wahlprüfungskommission des Reichstages erklärte die Vorwürfe für haltlos und empfahl dem Plenum, die Wahl als rechtmäßig anzuerkennen. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages. 6. Legislaturperiode. 1. Session 1884/85. Sechster Band. Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages. Nr. 162 bis 286. Von S. 673 bis 1256. – Berlin: Julius Sittenfeld 1885, S. 767–769 (Nr. 185).

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wesen, wenn die ganze Sache nicht an den Reichstag, sondern womöglich direkt an den Reichskanzler gegangen wäre; jetzt wird dies doch wohl nicht mehr möglich sein. Wäre nämlich die betr. Beschwerde an Bismarck geschickt worden, so wäre es ja allerdings möglich gewesen, daß er sie einfach, vielleicht auch in Begleitung eines groben Briefs, zurückgeschickt hätte. Dann hätte ja aber der Weg an den Reichstag noch immer offen gestanden. Es wäre ja aber auch möglich gewesen, daß er die Geschichte gegen Manteuffeld, der doch nun aber auch nicht sein Herz besitzt, sofort benutzt und vielleicht Spektakel geschlagen, ihne gerüffelt hätte, oder in der „Norddeutschen“2 hätte rüffeln lassen. Wenn dies auch nicht sehr wahrscheinlich ist, so wäre dafür der dritte Fall um so wahrscheinlicher gewesen, daß er die Angelegenheit ad acta und zur Kenntnis genommen, d. h.f als Material für geeignete Momente zurückgelegt hätte. Mehr wird ja auch der Reichstag jetzt nicht durchsetzen, wenn er, was doch das Höchste ist, wozu er sich aufschwingt, dem Reichskanzler die Sache zur „geeigneten Berücksichtigung“ oder zu etwas Ähnlichem überweist. Dann aber ist Bismarck jedenfallsg viel weniger geneigt, sich um die ganze Geschichte zu bekümmern, als wenn man sich direkt an ihn gewendet hätte. Wer weiß aber, ob sich der Reichstag so weit aufschwingt. Wer interessiert sich denn außer den Liberalen für die Beschwerde? Derh unterlegene Candidat war ja ein Centrumsmann – nicht wahr?3 – aber ob das Centrum, wenn man sich an es wendete, etwas thun würde, ist mehr als fraglich, und wer wendet sich an das Centrum? – Ich habe meinen Vater um geeignete Persönlichkeiten befragt und er sagte mir, daß, wenn Du Dich entschließen könntest, an ihn zu schreiben, Marquardsen wohl eine geeignetei Vertretung sein würde. Er ist in der Wahlprüfungscommission,4 der er stets angehört hat und dürfte also Interesse an der Sache haben, dabei ist er ein politischer Charakter, gegen den wohl noch nie etwas eingewendet worden ist und würde die Sache ganz ruhig und sachlich behandeln, was sich entschieden sehr empfehlen dürfte. Oder, wenn Dir das vielleicht genehmer sein würde, was ich nicht beurteilen d O: Mannteuffel

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i 〈Pe〉

2 Die regierungsnahe Norddeutsche Allgemeine Zeitung. 3 Jean-Baptiste-Etienne Jacques gehörte nicht dem Zentrum an, vertrat aber die Katholiken. Vgl. dazu oben, S. 478, Anm. 1. 4 Der Berichterstatter der Wahlprüfungskommission in dieser Angelegenheit war nicht der Nationalliberale Heinrich Marquardsen, sondern der Deutschkonservative Eduard Maubach.

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kann, würde der junge Delbrück5 jedenfalls auch nicht ungeeignet und wohl gern bereit sein, wenn Du an ihn schreiben würdest, die Angelegenheit zu übernehmen. Mein Vater kennt vom jetzigen Reichstage ja auch Wenige. – Ich habe manches zu erzählen, auch von Mitteilungen, die mir mein Vater, der bei mehreren nationalliberalen Conferenzen war, gemacht hat, – wenig Erfreuliches. Ich verspare es mir noch für einige Tage, damit der Brief jetzt gleich fortkommt. Die letzten Tage waren wir stets gesellig, entweder war Jemand bei uns oder wir eingeladen, gestern bei Goldschmidts,6 – sonst würde ich mit umgehender Post geantwortet haben. Ein Brief an die Tante liegt seit 11/ 2 Wochen angefangen in der Briefmappe.7 Es ist schrecklich, ich komme zu gar nichts vor Unruhe. Bismarcks Reden gestern im Reichstag haben Sensation gemacht. Welch’ bodenloser Fehler der Freisinnigen, dieser Diäten-Antrag, grade jetzt! So falsch das Prinzip in den Reden sein mag, in Manchem behält B[ismarck] eben doch Recht.8 Was macht denn der Herr Statthalter für Sprünge? Sein Erlaß9 hat uns sehr interessiert, Einiges darin gradezu gefallen. – Du bist ja schrecklich pessimistisch und der Humor, mit dem Du die Dinge ansahest, wieder ganz verschwunden. Herzlichen Dank nochmals für Deinen Brief und Emmi ebenfalls, und besten Gruß an Alle, Tante10 und Laura11 gute Besserung! Ich mache eben Anstrengungen, zum 1. März wieder nach Straßburg ein-

5 Hans Delbrück von der Deutschen Reichspartei. 6 Levin Goldschmidt und seine Frau Adele Goldschmidt, geb. Hermann. 7 Ein Brief Max Webers an Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, ist nicht nachgewiesen. 8 Am 26. November 1884 hatte der deutsch-freisinnige Abgeordnete Carl Ausfeld einen Antrag zur Gewährung von Diäten für die Parlamentarier im Reichstag eingebracht. In der Debatte ergriff auch Bismarck zweimal das Wort, um seine Ablehnung von Diäten zu begründen. Zwar nahm der Reichstag die Gesetzesvorlage an, jedoch scheiterte auch dieser Versuch (wie insgesamt 14 weitere) zur Einführung einer angemessenen Entlohnung der Abgeordneten, als er am 7. Januar 1885 im Bundesrat abgelehnt wurde. 9 Edwin von Manteuffel hatte in seiner Funktion als Reichsstatthalter in Elsaß-Lothringen am 22. November 1884 per Erlaß drei Zeitungen verboten, die „die Bevölkerung gegen das Deutschthum auf[zu]reizen und den im Land […] noch bestehenden konfessionellen Frieden und somit auch den bürgerlichen zu untergraben“ bestrebt seien. Es handelte sich um „Union Elsaß-Lothringens“, „Echo“ und „St. Odilienblatt“. Der Erlaß ist abgedruckt in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 553 vom 25. Nov. 1884, Mo.Ausg., S. 1. 10 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 11 Laura Fallenstein.

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gezogen zu werden.12 Gelingt es nicht, und werd ich erst zum 1. April eingezogen, so muß ich den Sommer in Straßburg bleiben. Herzlichen Gruß, auf baldiges briefl iches Wiedersehen!13 Dein Neffe Max.

12 Vom 1. März bis 25. April 1885 wurde Max Weber zur weiteren Ausbildung zum Reserveoffizier zu seiner ersten Übung nach Straßburg eingezogen. Vgl. dazu die Visitenkarte Max Webers an Helene oder Max Weber sen., vor dem 1. März 1885, unten, S. 482 mit Editorischer Vorbemerkung. 13 Der nächste überlieferte Brief Max Webers an Hermann Baumgarten datiert vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 519–533.

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[Helene Weber oder Max Weber sen.] [vor dem 1. März 1885; Heidelberg] Visitenkarte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 107 Adressat, Tag und Jahr sind aus dem Inhalt erschlossen. Vom 1. März bis zum 25. April 1885 nahm Max Weber an seiner ersten militärischen Übung als Reserveoffizier in Straßburg teil, während der er zum Vizefeldwebel befördert wurde. Zur militärischen Ausbildung vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 29. und 30. September 1884, oben, S. 452 f. mit Anm. 11. Im Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885 (unten, S. 485 und 488) erwähnt er erneut den Aufenthalt in Karlsruhe und die Militärbilletreise. Weber benutzte eine Visitenkarte, der Aufdruck ersetzt die eigenhändige Unterschrift.

Frühjahrsgruß aus Heidelberg. Wunderschönes Wetter. Bei Hausraths ist alles wohl, auch den alten Weber1 u. Frau Senator Krolla 2 habe ich getroffen. Onkel Julius3 in Karlsruhe während des 3 /4 stündigen Aufenthalts besucht. Hier noch auf Wohnungssuche. Militärbilletreisen4 habe ich verschworenb ; es ist anstrengend u. in summa reichlich so teuer. Besten Gruß. Sachen noch nicht da. Max Weber stud. jur.

a O: Croll

b Unsichere Lesung.

1 Georg Weber. 2 Es könnte sich um die bereits im Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 22. und 23. Mai 1882, oben, S. 273 mit Anm. 3, erwähnte Verwandte von Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz, handeln, die dort den Haushalt führte. 3 Julius Jolly. 4 Angehörige des Militärs hatten die Möglichkeit, mit einem verbilligten Militärbillet in der 3. Wagenklasse zu reisen. Schnellzüge durften damit jedoch nicht genutzt werden.

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4. März 1885

Helene Weber [4. März 1885]; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 90 Das Datum ist erschlossen aus dem im Brief erwähnten Geburtstag von Emilie Benecke und den Mitteilungen über die Militärübung in Straßburg. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zur Visitenkarte Max Webers an Helene oder Max Weber sen., vor dem 1. März 1885, oben, S. 482. Der Brief ist auf einem Karton mit einem Streichholzschachtelmotiv geschrieben.

Fadengasse 5, I bei Wwe Perrin. Liebe Mutter!

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Nur in großer Eile diese Zeilen, denn ich will gleich für den Abend zu Beneckes gehn u. dabei auch der Tante gratulieren,1 nachher komme ich dann doch nicht mehr dazu. Ich habe jetzt jeden Tag von Morgens 7 bis Abends 7 Dienst, abgesehen von 1stündiger Eßpause. Ich habe eine ganz miserable Compagnie getroffen, die schlechteste des Regiments, Nro 5. Es sind ein volles Dutzend von uns zu 2 Bataillonen eingezogen, zu meiner Compagnie noch Einea, so daß ich noch dazu Concurrenz zu befürchten habe. Sonst aber geht es mir recht gut. Meine Adresse s. o. Ein recht nettes Zimmer, 30 Mk per Monat, noch das billigste, was ich hier in der Nähe fi nden konnte, und ganz nette Leute. Sonntag2 war ich bei Baumgartens, der Onkel3 packte mich gleich auf seine Stube in den Lehnsessel und schüttete mir sein jetzt düstrer als je in die Welt blickendes Herz aus. Er schien aber sehr wohl zu sein und nach Erscheinen des I Bandes Karls V,4 – den Ihr doch schon erhalten habt? – sehr guter Stimmung. Die Tante5 hat mir erzählt, daß die alte Tante Weber6 jetzt mit den Briefen der Großmutter,7 die ganz herrlich a O: Einer 1 Emilie Benecke, geb. Fallenstein, feierte am 4. März 1885 ihren 39. Geburtstag. 2 1. März 1885. 3 Hermann Baumgarten. 4 Baumgarten, Hermann, Geschichte Karls V., Band 1. – Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1885 (hinfort: Baumgarten, Karl V.). 5 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 6 Ida Weber, geb. Becher. 7 Hier dürfte Helene Webers Mutter Emilie Fallenstein, geb. Souchay, gemeint sein, deren Cousine Ida Weber, geb. Becher, war.

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seien, herausgerückt sei, und daß Tante Emilie und sie sie gelesen hätten. Laura8 ist wohl, Emmi in Waldkirch, Fritz sah ich 5 Min., er hat einen Vollbart, sieht gut aus u. ist lustig. Bei Beneckes war ich auch u. traf alle wohl. Die Hausaffaire ist noch nicht entschieden, der Mann hat jetzt noch 10000 Mk. mehr geboten. Näheres folgt.9 Bei Hausraths waren die Kinder meist wieder wohl. Meine Sachen sind hier. Z[immermann] u. S[chmöle] grüßen.10 Schönen Gruß an Alle bDein Sohn Maxb

b–b Zusatz am rechten Blattrand. 8 Laura Fallenstein. 9 Ernst Wilhelm Benecke trug sich offensichtlich mit dem Gedanken, sein Haus in Heidelberg an der Ziegelhäuser Landstraße 29 zu verkaufen. Zu den Schwierigkeiten des Verkaufs vgl. die Briefe Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, unten, S. 486 mit Anm. 6, und an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 496 mit Anm. 2. 10 Es handelt sich um die beiden Jura-Studenten Alfred Zimmermann und Christoph Schmöle, die zusammen mit Max Weber 1883/84 das Einjährig-Freiwilligen-Jahr absolviert und danach ihr Studium ebenfalls in Berlin fortgeführt hatten.

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Max Weber sen. 15. und [16.] März 1885; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 83–86 Der achtseitige Brief ist vermutlich an zwei aufeinander folgenden Tagen geschrieben worden, begonnen am Sonntag, den 15. März, und fortgeführt „Heute Abend – Montag d. 16ten“, dem Geburtstag des Straßburger Onkels Ernst Wilhelm Benecke. Zur Militärübung in Straßburg vom 1. März bis 25. April 1885 vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Visitenkarte Max Webers an Helene oder Max Weber sen., vor dem 1. März 1885, oben, S. 482.

Strasburg, den 15ten März 1885 Lieber Vater!

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Endlich komme ich zu dem versprochenen Bericht über meine bisherigen Erlebnisse, nachdem ich zwei recht anstrengende Wochen voll ziemlich langweiligem Dienst hinter mir habe, immerhin schon fast ein Viertel der ganzen Schinderei. Ich kann übrigens nur constatieren, daß mir die Geschichte jetzt erheblich besser gefällt, als während meines Dienstjahres, zur großen Genugthuung von Zimmermann, der seinerseits jetzt wieder einen rührenden Diensteifer entwickelt. Man ist jetzt doch in jeder Beziehung anders gestellt als früher, und wenn ich, wie ich zuverlässig hoffe, in 2–3 Wochen avanciere,1 so kommt für mich neben der „nützlichen“ auch die „angenehme“ Seite des Militairwesens zur Geltung. Nun aber zuerst den Bericht. In den Militairbilletreisen2 habe ich doch ein sehr fühlbares Haar gefunden. Ich habe mich zwar während der Fahrt recht gut amüsiert, die Geschichte dauerte aber doch etwas lange, zerschlug Einem die Glieder und die Kosten waren ziemlich accurat dieselben wie beim Schnellzugfahren, der erheblich ausgedehnteren „Verpflegungskosten“ wegen. Anfangs spielten wir sehr energisch Skat, nur mit Unterbrechungen auf den ungemein zahlreichen Bierstationen. In Nordhausen hatten wir 4 1/ 2 Stundena Aufenthalt und legten uns, der Anstrengungen genannter Stationen zufolge, zu Bett. Von Zimmermann sollte a O: Stunde 1 Die Beförderung zum Vizefeldwebel erfolgte zum 1. April 1885. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 501 mit Anm. 23. 2 Angehörige des Militärs hatten die Möglichkeit, mit einem verbilligten Militärbillet in der 3. Wagenklasse zu reisen. Schnellzüge durften damit jedoch nicht genutzt werden.

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ich der Mama mitteilen, daß dieser, wie er fand, „sehr vernünftige Gedanke“ von ihm herrührte. Am andren Tage Nachmittags waren wir in Heidelberg, im „Ritter“, 3 trieben uns den Rest des Tages herum und waren des Abends mit den Allemannen,4 die jetzt ganz gut stehen, zusammen, am andern Tage auf dem Schloß und ich bei Hausraths. Es sieht dort ziemlich trüb aus. Die Tante5 war freundlich wie immer, aber Kummer und Niedergeschlagenheit sah ihr aus den Augen, da es schon damals ziemlich feststand, was nun inzwischen sicher geworden ist, daß Beneckes verkaufen würden.6 Der Onkel |:Adolf:| kann die Zeit bis zum endgültigen Abschluß des Geschäfts gar nicht erwarten. Von den Kindern habe ich August nicht gesehen; er soll nach Bonn, für 3 Semester, gehen,7 doch ist das wieder zweifelhaft geworden, weil er neulich Abends einen Fensterladen einzuhenken vergessen hat, der dann vom Sturm beschädigt wurde und der Onkel meint „einen so unzuverlässigen Menschen könne man nicht von sich geben.“ Er ist wohl, aber, nach dem Urteil Aller, die ihn hier gesehen haben, sehr zum Nachteil verändert, ein starker Renommistb und lockerer Vogel. Hans8 ist unverändert und steht noch immer unter demselben äußeren und innerlichen Druck – kaum daß er mich begrüßte; ohne mich anzusehen gab er mir die Hand und erröthete dabei. Er befaßt sich nur noch den ganzen Tag mit Plänen, wie das Kamerungebirge, über das er viel gelesen hat, mit Wald zu bepflanzen sei; 9 es macht das wirklich nachgerade den Eindruck einer fi xen Idee und ängstigt die Tante, wie es scheint, oft recht. Paula10 begegnete ich auf der |:Ziegelhäuser:| Straße; sie ging, die Augen starr vor sich gerichtet, an mir vorüber; als ich ihr b O: Rennommist 3 Es handelt sich um eines der ältesten und heute noch existierenden Hotels am Heidelberger Marktplatz. 4 Im Wintersemester 1882/83 und im Sommersemester 1883 war Max Weber aktives Mitglied der Burschenschaft der Heidelberger Allemannia, aus der er 1919 austrat. 5 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 6 Zum geplanten Verkauf des Hauses in der Ziegelhäuser Landstraße vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 4. März 1885, oben, S. 484 mit Anm. 9, und vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 496 mit Anm. 2. 7 August Hausrath studierte ab dem Sommersemester 1885 Altphilologie in Bonn. 8 Hans Hausrath. 9 Kamerun war seit Juli 1884 deutsche Kolonie. Das küstennahe Kamerungebirge ist der höchste Gebirgsstock Westafrikas und aufgrund seines vulkanischen Ursprungs sehr fruchtbar. An der Küstenlinie befanden sich in der Kolonialzeit zahlreiche Kakaopflanzungen. 10 Paula Hausrath.

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nachrief, drehte sie sich um, sagte nichts und gab mir mechanisch die Hand, antwortete mir auf meine Frage, wie es ihr gehe, nur ganz still: „Ich habe Rückenschmerzen, Max.“ Sie scheint mir einem langsamen, aber frühen Ende verfallen zu sein, das arme Mädchen, ich will es nicht verhehlen, aber das schlimmste ist doch der jetzige Zustand mit diesem fortwährenden Druck im Kopf und Schmerzen im Rückenmark dazu. Mariechen,11 noch vor ein par Jahren einsc der anmutigsten Geschöpfe, auf dessen Gesicht wirklich der helle Sonnenschein lag, leidet an Schwächezuständen, die aus dem Gehirn kommen und darf weder aufgeregt, noch erschreckt, noch angestrengt werden, sie lacht nicht mehr und es schien mir, daß von ihrem früherend anmutigen Wesen jetzt nur eine gewisse stille Zutraulichkeit geblieben iste. Margarethchen12 lag grade mit einer Mandelentzündung zu Bett. Mila13 ist körperlich wohl, hat aber einen merkwürdig unangenehmen Zug in ihrem sonst noch immer hübschen Gesicht. Laura14 scheint es in Frankfurt über jedes Erwarten gut zu gehen und auch das Kleine15 hat ein rundes gesundes Gesichtchen, – aber wer vertraut noch auf |:die Dauer:|? Der Onkel16 war gegen früher wieder verändert, sprach sehr lebhaft – lauter Pasquille17 – und hatte ein sonderbar unheimliches Lachen an sich. – Daß sie am Mittwoch nach Italien abgereist sind, werdet Ihr wohl wissen. – Das Heidelberger Schloß lag, von der späten Nachmittagssonne beleuchtet, auf der andren Seite, so schön wie je, und rings herum auf den Bäumen lag das erste ziemlich schüchterne Grün, aber ich konnte innerlich den Versuch nicht loswerden, mich hineinzudenken, wie diese Augenf in all die Schönheit hineinblicken mögen, die vor ihnen liegt. – Für den Channing war die Tante sehr dankbar, sie kannte ihn nicht.18

c einst > eins

d 〈Anmut〉

e sei > ist

f 〈nach〉

11 Maria Hausrath. 12 Margarethe Hausrath. 13 Emilie Hausrath. 14 Laura Hausrath. 15 Lilli Hausrath. 16 Adolf Hausrath. 17 Schmäh- oder Spottschrift. 18 Es ist nicht nachweisbar, welches Werk von William Ellery Channing hier gemeint ist. Zur Channing-Lektüre Max Webers vgl. auch dessen Briefe an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, oben, S. 430 f. mit Anm. 3 und 4, und an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, oben, S. 466 mit Anm. 40.

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Gegen Abend fuhren wir von Heidelberg ab. In Karlsruhe benutzte ich einen 3 /4 stündlichen Aufenthalt dazu, bei Onkel Julius19 vorzufahren, den ich recht wohl antraf. Die Söhne20 waren nicht zu Hause. Die Tante21 machte grade Toilette, da sie eine Einladung, ich glaube zu Hofe, hatten. Der Onkel läßt schön grüßen. – In der Nacht kamen wir in Straßburg an. Der andre Tag verging über der Suche nach Wohnungen, da eigentlich nichts leer war. Schließlich fanden Zimmermann und ich zwei Stuben in dem Hause, wo wir jetzt wohnen, Schmöle in der benachbarten Straße. Die Straße ist eng und nicht einladend, die Stube aber recht hübsch, nur teuer (30 Mk.), die Leute, scheint es, recht nett. Es war in der Nähe nichts andres frei, denn wir sind zu 14 allein bei unsrem Regiment eingezogen und natürlich große Wohnungsnot, da sonst um diese Zeit niemand nach Wohnungen kommt. Am Abend ging ich nicht zu Baumgartens oder Beneckes, da es schon etwas spät geworden war und Judas Maccabäus gegeben wurde, 22 wo ich voraussetzte, daß sie dag sein würden. Später hörte ich, daß wenigstens Baumgartens nicht da waren. Am andren Tag meldete ich mich an und wurde eingekleidet. Ich habe mit der Compagnie Pech gehabt und grade die ziemlich schlechteste mit einem sehr unangenehmen Hauptmann23 und sehr teuren Feldwebel24 gefaßt; außerdem bin ich noch mit einem Andren zusammen dabei. Ich habe dauernd viel Dienst, doch ist der Hauptmann jetzt ziemlich freundlich, da ich ihm den Eindruck zu machen scheine, daß ich mir Mühe gebe, was auch in gewissem Sinne richtig ist. Am Nachmittag ging ich zunächst bei Beneckesh vorbei und traf alle recht wohl, nur in Gedanken lebhaft beschäftigt mit ihrer Hausangelegenheit.25 Der Tante26 wird es offenbar sehr schwer sich zu trennen, aber sie hält es für ihre Pfl icht angesichts der, wie es scheint, doch recht g Fehlt in O; da sinngemäß ergänzt.

h Baumgarte > Beneckes

19 Julius Jolly. 20 Julius Jolly jun. und Philipp Jolly. 21 Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein. 22 Ein Oratorium von Georg Friedrich Händel aus dem Jahr 1746. 23 In seinem Jahr als Einjährig-Freiwilliger gehörte Max Weber der 2. Kompanie unter Hauptmann Otto Jaeckel an. Während der Übung im März/April 1885 wurde er jedoch der 5. Kompanie unter Hauptmann Karl Hirschberger zugeteilt. 24 Die Bestechung von Offizieren (mit Geld, Alkohol, Zigarren und ähnlichem) durch die Einjährig-Freiwilligen war weitverbreitete Praxis im preußisch-deutschen Heer. 25 Vgl. dazu oben, S. 486, Anm. 6. 26 Emilie Benecke, geb. Fallenstein.

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schweren Sorgen, die sich der Onkel macht. Außerdem ist die Kaufsumme denn doch wohl zweifellos ganz merkwürdig hoch, dafür freilich der Käufer, ein Lieutenant, ein unsicherer Cantonist. Die Kinder27 waren alle recht wohl, Dora unverkennbar entwickelt. Bei Baumgartens traf ich eben noch Fritz an, der aber auf dem Sprung war, nach Mannheim zurückzureisen. Er hat einen Bart von mittlerer Schönheit, der ihm aber doch gut steht und ihn sehr viel consolidirter erscheinen läßt. Die Tante28 fand ihn in seinem Wesen, wie sie es nannte, „gesetzter“ geworden. Er hat an seinem Beruf immer mehr Freude, nur jetzt etwas viel zu thun und sieht auch seiner künftigen Stellung, die er im October einnehmen wird, mit guter Hoffnung entgegen.29 In Heidelberg hat er sich mit dem Onkel, 30 zu dem er jeden Sonntag und oft noch Freitags, kam, bis jetzt merkwürdig vertragen, kürzlich aber hat es einen kleinen Knacks gegeben, der nachwirkt. Der Tante31 ist sein Wesen natürlich eine wahre Erfrischung. – Tante Ida, die jetzt glücklich alle Zähne losgeworden ist, zu ihrer Freude, wie sie sagte, „da sie jetzt wirklich eine alte Frau sei“ – sie scheint darin die Anschauung der Mama zu teilen – trägt ein Gebiß und kam mir dadurch zuerst ganz verändert, d. h. mehr in ihrem Wesen oder vielmehr ihrer Sprache, vor, weit mehr als äußerlich. Laura32 war körperlich endlich einmal wieder in wirklicher Besserung begriffen und seit ihrer letzten Krankheit auch innerlich so merkwürdig umgewandelt, daß es selbst mir sofort auffiel. In ihrem ganzen Wesen und in allem, was sie sprach, habe ich sie noch nie so wirklich liebenswürdig gesehen, wie jetzt. Sie war nicht so in allerhand Vorgefaßtem befangen, man hatte doch den Eindruck, daß sie ihre Einseitigkeit überwinden könne und die Tante, diei wirklich ganz glücklich war, sagte, sie sei jetzt wirklich eine große Hülfe im Haus und es sei sehr leicht mit ihr leben.

i 〈darüber〉 27 Neben der im folgenden noch genannten Dora Benecke sind gemeint: Wilhelm, Marie, Auguste, Margarete, Otto, Elfriede und Hans Benecke. 28 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 29 Fritz Baumgarten wechselte als Gymnasiallehrer von Mannheim nach Wertheim, in den Norden des Großherzogtums Baden. 30 Adolf Hausrath. 31 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 32 Laura Fallenstein.

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Emmi war in Waldkirch und noch immer nicht ganz wieder wohl, aber bei gutem Humor; sie hat doch der Tante33 schwere Sorge gemacht. Anna34 wird nun nächstens ganz nach Haus kommen, es ist große Freude darüber. Der Onkel35 kam mir bis an die Thür entgegen und empfi ng mich mit einer solchen Freundlichkeit, daß ich einerseits gerührt und andrerseits, ich mußj es gestehen, sehr, und mit Recht, geschmeichelt war. Er setzte mich gleich in seinen Lehnstuhl und nun ging es los. „Nun sage doch ’mal um des Himmels willen, was meint man denn bei Euch zu …“ und so weiter. Zunächst kamen die Kornzölle, 36 dann der jetzige geistige Inhalt der nationalliberalen Reichstagsfraction an die Reihe, von welch letzterem er behauptete, daß er aus lauter Nullen bestünde und dabei ziemlich heftig gegen Hrn. v. Bennigsen wurde, der die 1 vor denselben gebildet habe und jetzt sich einer Art Pfl ichtvergessenheit, anders wollte er es nicht nennen, schuldig mache.37 Dann war er, und wohl mit Recht, über Marquardsen ärgerlich, der auf seinen Brief in der bewußten Angelegenheit nicht reagiert hatte.38 Dann aber ging er noch über die außwärtige Politik her, d. h. wesentlich in sofern, als er die Bismarcksche Politik Österreich gegenüber stark angriff. Er stützte sich dabei auf die Angaben einiger Herren aus Österreich, die ihm ausführlich über die dortigen Zustände berichtetk und namentlich versichert hatten, daß die österreichische Armee in Folge der neuen Sprachregulative39 sich in einem einfach erstaunlichen Zustand von Zerfahrenheit befi nde und je länger lje mehrl befi n-

j mußte > muß

k 〈hatt〉

l–l jemehr

33 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 34 Anna Baumgarten. 35 Hermann Baumgarten. 36 Eine Erhöhung der Kornzölle war zum 20. Februar 1885 erfolgt. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. Okt. 1884, oben, S. 463 mit Anm. 13. 37 Rudolf von Bennigsen hatte bereits im Juni 1883 sein Reichstagsmandat niedergelegt. Bei einer Zusammenkunft von nationalliberalen Parteimitgliedern in Hannover Anfang 1885 hatte er die Annäherung Bismarcks an die „gemäßigten Parteien“ positiv bewertet und zugleich die Abkehr der Linksliberalen von „ihre[n] doktrinären Standpunkte[n]“ gelobt. Vgl. den Kurzbericht in: National-Zeitung, Nr. 24 vom 13. Jan. 1885, Ab.Ausg., S. 1. 38 Offenbar hatte Hermann Baumgarten sich zur Prüfung der Wahlergebnisse zum Reichstag für Elsaß-Lothringen an den Abgeordneten Heinrich Marquardsen gewendet, vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 27. Nov. 1884, oben, S. 478 f. mit Anm. 1 und 4. 39 Max Weber meint hier vermutlich das Wehrgesetz von 1868, in dem erstmals auch einheitliche Sprachrichtlinien für die Armee Österreich-Ungarns festgelegt worden waren.

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den werde.m Die Betreffenden hatten versichert, die Mehrzahl ihrer Gesinnungsgenossen seien im Stillen fest überzeugt, daß die wahre, aber verborgene Absicht Bismarcks die Zertrümmerungn und Selbstauflösung Österreichs sei. Sein Verhalten gegen England führte er aufo alte persönliche Abneigung zurück. Aus Gesprächen, die die verschiedenen Prinzen, mit denen er kürzlich zu Tisch bei Manteuffel war – wovon sogleich – untereinander geführt hatten, hatte er entnommen, daß in deren Kreisen die zweifellose Überzeugung lautete, im Herbst werde Cumberland in Braunschweig sein. Bismarck könne es diesmal nicht durchsetzen.40 In der inneren Politik sah er natürlich noch schwärzer. Die Nationalliberalen im Reichstag erschienen ihm lediglich bedauernswerth. Mit Genugthuung constatierte ich aber, daß er denn doch gegenüber der ganzen fahrigen Art, in dem die Deutschfreisinnigen ihre Politik machen, ebenfalls nicht blind war. Er machte hier nur wenig Einwendungenp und stimmte im Allgemeinen zu zu der Behauptung, daß dieselben nur Bismarcks Geschäfte machten, daß Leute wie Rickert etc. ihre Selbständigkeit gegenüber E[ugen] Richter verloren hätten und daß die Art, wie sie mit den Dingen verfahren, an frivoler Leichtfertigkeit an die schlimmsten Streiche der Regierung heranreicht. Der wundeste Punkt war natürlich die Schweninger-Affaire41 und hier bestand er auf der unbedingten Verurteilung der Nationalliberalen, die ja, selbst wenn sie, traurig genug, die Sache nur als Budget-Frage behandeln wollten, doch, da die Discussion nun einmal da war, ihren Standpunkt, als anständige Menschen |:nicht als Politiker:|, hätten constatieren sollen. Es sei ein ähnlicher Schlag gegen die Wissenschaft noch selten geführt worden. Die volle Schale seines Zornes goß er endlich über den „dicken“ Althoff aus, der allerdings kürzlich bei einer Anwesenheit hier, teilweise im Rausch, Merkwürdiges geleistet haben muß. –

m 〈Für dieselben gehe〉

n 〈oder〉

o 〈alle〉

p 〈g〉

40 Gemeint ist Ernst August von Hannover (u. a. Duke of Cumberland), der nach dem Tod des Braunschweigischen Herzogs im Oktober 1884 Ansprüche auf das Herzogtum Braunschweig angemeldet hatte. Dieser Plan scheiterte jedoch endgültig am 2. Juli 1885 am Widerstand des Bundesrates unter preußischer Führung. Die Regentschaft wurde dem Prinzen Albrecht von Preußen übertragen. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 523 f. mit Anm. 14. 41 Zur Affäre um Bismarcks Leibarzt Ernst Schweninger vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, oben, S. 477 mit Anm. 34.

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Nun die Hauptbombe. Mit Erstaunen hörte ich vor 1 1/ 2 Wochenq bei Beneckes, daß der Onkel am Sonnabend vor 8 Tagen,42 Abends, zum Souper beim Statthalter43 sein würde. Derselbe hatte ihm einen langen Brief geschrieben, worin er ihn bat, doch, da er den Geburtstag des Prinzen v. Hohenzollern44 – Zuhörer des Onkels, d. h. in partibus infidelium45 – feiere, eine Ausnahme zu machen und zu ihm zu kommen. Der Onkel hatte nicht anders gekonnt als zusagen. Am Sonntag |:Nachmittag:|46 ging ich zu Baumgartens; der Onkel sagte auf meine Frage nichts als: „Ja, weißt Du, weißt Du …“ und ging hinauf an die Arbeit, wie immer. Am Abend kam er herunter und faßte die Sache nun mehr humoristisch, nachdem sein etwas verdorbener Magen vergangen war. Ich habe fabelhaft gelacht |:und er schließlich auch:| über den Zorn, mit dem er nun erzählte, wie einige Stunden, bevor er zu M[anteuffel] fuhr, noch der Haushofmeister des Prinzen v. Sachsen47 mitr einer großen Schachtel, enthaltend das Commandeurkreuz (der Onkel machte hier ein Ausrufungszeichen) des Albrechtordens,48 zu ihm gestiegen sei, wie er dann seinen Schneider allenthalben herumgesprengt habe, wie „das Beest“ zu tragen sei, wie der ganze Tag zum Teufel gegangen sei etc. Natürlich war er auch auf Manteuffels hocherzürnt und versicherte, falls derselbe jetzt dächte, ihn gefangen zu haben, sehr grob werden zu wollen. – Übrigens sei der alte Herr körperlich sehr herunter. – Man hätte ihn über alle Minister, zwischen den Prinzen v. Sachsen49 u. den hiesigen sächsischen Oberst50 gesetzt, letzterer habe ihm gefallen. Sehr lachen mußte ich auch, als er erzählte, wie er den Prinzen v. Hohenzollern gefragt habe: „Nun, Sie ,rara avis‘, 51 sieht man Sie noch einmal? was machen Sie denn eigentlich“ – worauf derselbe erwidert habe, „er q 〈daß der O〉

r 〈groß〉

s 〈nur〉

42 7. März 1885. 43 Edwin von Manteuffel. 44 Wilhelm von Hohenzollern, aus der katholischen Linie Sigmaringen. 45 Ein Titelzusatz für Bischöfe in aufgelösten Diözesen; lat. „in den Gebieten der Ungläubigen“. Von Max Weber hier ironisch gebraucht. 46 8. März 1885. 47 Vermutlich Karl von der Planitz, der militärischer Begleiter des Prinzen Friedrich August von Sachsen war. 48 Der Albrechts-Orden wurde 1850 gestiftet und u. a. für geleistete Dienste in der Wissenschaft verliehen. 49 Friedrich August von Sachsen. 50 Johannes Anton Larraß. 51 Lat. „seltener Vogel“.

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sei viel auf Jagden gewesen, die er habe mitmachen müssen, und in Folge dessen wenig in Strasburg“, – darauf der Onkel: „Nun, ich will nur |:in meinem Interesse:| nicht hoffen, daß Ihr Großvater52 Sie einmal in Geschichte examiniert,“ – worauf Jener lächelnd bemerkte, daß das schon nicht sich ereignen werde, und der Onkel sein Bedauern hierüber ausdrückte. – Heute Abend – Montag d. 16ten t – ist er nun bei besagtem Prinzen eingeladen und meinte annehmen zu müssen, grade weil er ihm Obiges gesagt hatte. – Übrigens erzählte er, daß der Prinz v. Sachsen (künftiger König), allerdings wie im Scherz, aber doch, fi nde ich, unerhörter Weise, gelegentlich geäußert habe, wenn das so weiter ginge, wie jetzt mit der Geschichte in Braunschweig, 53 bliebe ja nichts übrig, als sich mit den Franzosen zu verbinden! – Im Übrigen ist der Onkel sehr wohlauf, arbeitet nach wie vor viel, und will jetzt für 8 Tage an den Lago Maggiore und nach Mailand, dabei auch Otto in Waldkirch besuchen. Letzterer scheint in heftige Streitigkeiten mit seinem Kirchenvorstand verwickelt zu sein.54 – Die neue Universität hier ist wirklich jetzt in ihrer Vollendung55 ein schöner, stattlicher Bau, wenn auch das Berliner Polytechnicum dasselbe in vergrößertem Maßstabe vorstellt. Dabei fällt mir noch nachträglich ein, daß der Onkel mir auch erzählte, er habe sich den vielbesprochenen Toast auf Bismarck beim Festessen sehr gern zuteilen lassen,56 ja selbst mit dazu gethan,u ihn zu bekommen, damit ihn nicht ein Andrer, und in andrem Sinne, hielte. Übrigens hat er den Aufruf zur Bismarck-Spende mitunterschrieben.57 Er sagte mir, er achte ja den Mann t O: 15ten > 17ten > 16 ten

u 〈dami〉

52 Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. 53 Vgl. oben, S. 491, Anm. 40. 54 Seit Anfang 1884 kam es wiederholt zu Streitigkeiten zwischen Otto Baumgarten und dem sechsköpfigen Kirchenvorstand in Waldkirch, der nur zum Teil auf seiner Seite stand. Auslöser war der Bau einer eigenen evangelischen Kirche, deren Einweihung Ende 1887 nach seiner Amtszeit erfolgte, da er sich für eine akademische Laufbahn entschieden hatte (Bassi, Hasko von, Otto Baumgarten. Ein „moderner Theologe“ im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. – Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 1988, S. 26–28). 55 Max Weber bezieht sich hier auf die Fertigstellung der Neubauten der Universität Straßburg. 56 Zur Ansprache Hermann Baumgartens anläßlich der Einweihung der Universitätsneubauten vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, oben, S. 475 mit Anm. 26. 57 Unter dem Datum des 19. Januar 1885 wurde ein von über 100 Notabeln unterzeichneter Aufruf zur Einrichtung eines Bismarckfonds publiziert. Der Reichskanzler sollte zu seinem 70. Geburtstag am 1. April eine „Ehrengabe“ als Ausdruck des Dankes vom deut-

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selbst sehr hoch, – wir seien selbst und allein daran schuld, daß er so viel Unheil anrichte, denn wir seien lauter Nullen. – Heute war ich bei Beneckes, um dem Onkel zum Geburtstage zu gratulieren.58 Der Hauskauf ist formell noch immerv nicht ganz fi x und fertig, aber das Geschäft doch so gut wie geschlossen, denn esw handelt sich nur noch um Kleinigkeiten.59 Die Tante hat Dir wohl geschrieben, daß sie im Sommer das Haus noch behalten. Der Onkel scheint doch recht befriedigt durch den offenbar längst für nötig gehaltenen Verkauf zu sein. – Die letzten Reden Bismarcks im Reichstage haben natürlich unter den hiesigen Studenten pp. eine große Begeisterung hervorgerufen, man hörte in allen Lokalen und hört noch die lebhaftesten Debatten an den verschiedenen Biertischen darüber führen und alles fällt über Einen her, wenn man fragt, warum Bismarck stets vergißt, daß er selbst den Parteigeist großgezogen und den „Völkerfrühling“ zerschlagen hat.60 Der Onkel meinte einfach, er sei „ein Schlaumeier“. Eine große Gewalt liegt doch in dem, was er sagt. v 〈noch〉

w 〈han〉

schen Volk erhalten. Dem vorausgegangen war die Weigerung des Reichstages im Dezember 1884, den Etat für die Einrichtung einer zweiten Direktorenstelle im Auswärtigen Amt in Höhe von 20.000 Mark zu bewilligen (bei der dritten Lesung im März 1885 wurden die Gelder doch noch bewilligt). Unmittelbar darauf kam es im Reich zu verschiedenen Sammel- und Spendenaktionen, die dem Reichskanzler das Geld zur Verfügung stellen sollten. Da Bismarck jedoch die Aufbringung privater Gelder zur Bezahlung eines Staatsbeamten ablehnte, verfiel man auf den Gedanken des Bismarckfonds. Der Aufruf der Notabeln gab keinen konkreten Zweck für die Verwendung der Gelder an; in der Öffentlichkeit ging man davon aus, daß sie gemeinnützigen Zwecken zufließen würden. Unter großem Protest der liberalen Öffentlichkeit votierte dann jedoch Mitte März die Mehrheit der Kommitée-Mitglieder dafür, das Gut Hohenschönhausen II zu erwerben. Bis 1830 war es bereits im Besitz der Familie Bismarck, mußte dann jedoch wegen Überschuldung verkauft werden. Von der Hälfte der gespendeten ca. 2,2 Mio. Mark wurde das Gut erworben, der fehlende Betrag wurde von den Bankiers Mendelssohn und Bleichröder gegen Hypothek besorgt. Die andere Hälfte der Spende floß schließlich in eine Stiftung für Oberschullehrer. – Hermann Baumgarten hatte einen der zahlreichen regionalen Aufrufe zur Unterstützung mitunterzeichnet; er wurde zweimal veröffentlicht (Straßburger Post, Nr. 62 vom 3. März 1885, 1. Bl., S. 4, und Nr. 68 vom 9. März 1885, S. 4). Wie sein Onkel war jedoch Max Weber mit der privaten Verwendung der Spende nicht einverstanden, wie er in einem Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, unten, S. 498 mit Anm. 14, klar zum Ausdruck brachte. 58 Ernst Wilhelm Benecke wurde am 16. März 1885 47 Jahre alt. 59 Vgl. dazu oben, S. 486, Anm. 6. 60 Max Weber bezieht sich hier auf die kolonialpolitischen Debatten im Reichstag, die der Reichskanzler als Frage der nationalen Gesinnung zu instrumentalisieren versuchte; diese sprach er insbesondere den Freisinnigen um Eugen Richter ab, die lediglich eine Parteimeinung vertreten würden, ohne das Wohl des ganzen Volkes im Blick zu haben. Auf die

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Nun will ich aber machen, daß dieser Brief zum Schluß und ich zu Bett komme, denn morgen geht es, wie jetzt immer, wieder früh los und dauert sehr lange, außerdem müßt Ihr doch endlich ausführliche Nachricht von mir haben, sonst bekommt Zimmermann wirklich die angedrohte Brandkarte, auf die er sich sehr freute. Mit herzlichem Gruße an Alle zu Haus Dein Sohn Max

Jugend, und damit auch auf die Studenten, bezogen, hieß es in einer Rede am 14. März 1885: „In unserer Jugend ist ein ganz anderer nationaler Schwung und eine großartigere Auffassung des politischen Lebens als in allen meinen Altersgenossen, die durch die Jahre 1847 und 1848 mit dem Fraktions- und Parteistempel nothwendig hindurchgegangen sind und den nicht von ihrer Haut abwaschen können. Lassen Sie uns mal erst alle sterben, dann sollen Sie sehen, wie Deutschland in Flor kommen wird.“ – Den Begriff des „Völkerfrühlings“ hatte Bismarck bereits in einer Rede am 2. März 1885 verwendet, wurde von den Abgeordneten jedoch nicht in seinem Sinne verstanden. Diesen erläuterte er in der Sitzung vom 13. März: „Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen geblüht hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich – ich kann wohl sagen – Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat […]. Das schwebte mir als ,Völkerfrühling‘ vor; daß wir darauf die alten deutschen Grenzländer wiedergewonnen, die nationale Einheit des Reiches begründeten, einen deutschen Reichstag um uns versammelt sahen, den deutschen Kaiser wieder erstehen sahen, das alles schwebte mir als ‚Völkerfrühling‘ vor, – nicht die heutige Kolonialpolitik […]. Dieser Völkerfrühling hielt nur wenig Jahre nach dem großen Siege vor. […] Aber dann kam […] der alte deutsche Erbfeind, der Parteihader, der in dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und in den Fraktionskämpfen seine Nahrung findet, – der übertrug sich auf unser öffentliches Leben, auf unsere Parlamente, und wir sind angekommen in einem Zustand unseres öffentlichen Lebens, wo die Regierungen zwar treu zusammenhalten, im deutschen Reichstage aber der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und gehofft hatte, nicht zu finden ist, sondern der Parteigeist überwuchert uns; und der Parteigeist […], der ist es, den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn das ganze herrliche Werk unserer Nation von 1866 und 1870 wieder in Verfall geräth“. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. VI. Legislaturperiode. I. Session 1884/85. 3. Band: Von der 53. Sitzung am 19. Februar bis zur 79. Sitzung am 17. April 1885. – Berlin: Verlag der Buchdruckerei der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Pindter) 1885, S. 1827 und 1801.

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Helene Weber 29., 30. März und [1. April] 1885; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 91–95 Der Brief wurde am 29. März (Sonntag) begonnen, am 30. März („gestern – Sonntag“) fortgeführt und am 1. April („Mittwoch Abend“) 1885 fertiggestellt. Zur Militärübung in Straßburg vom 1. März bis 25. April 1885 vgl. die Editorische Vorbemerkung zur Visitenkarte Max Webers an Helene oder Max Weber sen., vor dem 1. März 1885, oben, S. 482.

Straßburg i/E d 29.ten März 85. Liebe Mutter! Diesmal scheint Ihr mich ja, wahrscheinlich zur Strafe meines langen Schweigens vor meinem letzten Brief, gründlich mit Verachtung und Vergessenheit strafen zu wollen, denn ich habe nun seit immerhin 2 1/ 2 Wochen nichts von Euch gehört. Ich vermute aber, daß das große Herrendiner, von dem Du in Deinem letzten Briefe als bevorstehend schriebst, wohl keineswegs das in seiner Art letzte gewesen ist; außerdem hat womöglich die Wirtschaft mit dem Anbau schon begonnen, wenn in dieser Richtung wirklich schon ein Entschluß zu stande gekommen ist.1 Auch höre ich von Beneckes, daß Dir irgend etwas an der Hand fehlt; vermutlich kommst Du in Folge dessen nicht zum Schreiben. Neugierig wäre ich allerdings zu hören, was die Geschwister für Zeugnisse mitgebracht haben und wie das Leben im Sommer eingerichtet werden wird, falls wirklich, wie aus den Nachrichten, die Beneckes haben, hervorzugehen scheint, die eventuelle Bauerei Euch im Sommer ganz aus dem Hause vertreiben sollte. – Zunächst, falls, was möglich scheint, Ihr es noch nicht wissen solltet, die allenthalben hier mit Freude begrüßte Nachricht, daß Beneckes Hausverkauf sich in letzter Stunde endgiltig zu zerschlagen scheint, 2 da der Käufer ein unsicherer Cantonist zu sein scheint und sich erst im Herbst entschließen will, worauf der Onkel3 nicht eingeht. In Heidelberg scheint Jubel darüber zu herrschen.

1 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 2 Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 4. März 1885, oben, S. 484 mit Anm. 9, und an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 486 mit Anm. 6. 3 Ernst Wilhelm Benecke.

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Da ich einmal bei Beneckes bin, will ich auch gleich erzählen, daß ich gestern, Sonnabends vona ihnen in ein Concert des hiesigen Damen-Chor-Vereins im Civil-Casino zum Besten der Saarbrücker Hinterbliebenen4 mitgenommen worden bin, wo Dora5 und das Beneckesche Fräulein, Frl. Martha Georgiib, beide mitsangen. Es wurde u. A. eine Composition von einem gew. Otto Reineckec, „Schneewittchen“,6 aufgeführt, halb Declamation, halb Chorgesänge, die gar nicht übel waren, außerdem mehrere große Dichtungen von Frl. Alberta v. Puttkamerd, Partien aus „Figaro“ etc.7 Es war sehr nett und recht besucht. – Dora ist jetzt wirklich recht entwickelt und auch viel anmuthiger in ihren Formen, auch, was ein großer Fortschritt ist, erheblich zurückhaltender in der Äußerung von allerlei, auch Sympathien u. Antipathien, correspondiert nach allen Richtungen der Windrose hin mit jungen Damen, die sie direct oder durch Hörensagen von ihren Freundinnen kennt, kurz – Backfisch all right. Das Benecke’sche Fräulein macht einen sehr angenehmen, innerlich vornehmeren Eindruck, als die frühere Inhaberin dieses Postens. – Bei Baumgartens ist alles wohl bis auf den Onkel,8 der nach wie vor von einer widerwärtigen Juck-Krankheit am ganzen Leibe geplagt wird und sehr ungeduldig ist. Er war Ende voriger Woche zwei Tage in Waldkirch und Karlsruhe und will vielleicht noch für kurze Zeit nach Mailand. In Waldkirch fand er Otto von seinen jetzt sehr zahlreichen Geschäften teils abgespannt, aber sonst ihn, u. auch Emmi, wohl. Beide kommen Ostermontag9 her. Fritz habe ich gestern – Sonntag (ich hab gesterne Morgen, da mich mein Hauptmann10 besuchte, gleich aufhören müssenf zu schreiben) – gesehen, er reist heute nach Leipzig zu Hrn. v. Schubert. Von Ostermontag an ist dann einmal die ganze Familie wieder hier versammelt. Anna11 ist nun auch dauernd hier und die a 〈Ih〉 f 〈)〉

b O: Georgi

c O: Reinicke

d O: Puttkammer

e Unsichere Lesung.

4 Am 17. März 1885 waren durch eine Schlagwetterexplosion in der Grube Camphausen (Saarregion) 185 Menschen ums Leben gekommen, 30 wurden verletzt. 5 Dora Benecke. 6 Die Komposition zum Schneewittchen-Thema stammt von Carl Reinecke (Opus 133) und erschien erstmalig 1874. 7 Le nozze di Figaro, eine Oper von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1786. 8 Hermann Baumgarten. 9 6. April 1885. 10 Karl Hirschberger. 11 Anna Baumgarten.

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Tante12 freut sich sehr auf das Leben mit ihren „3 Töchtern“.13 Sie ist eigentlich, wie sie sagt, erstaunt darüber, wie gut die drei miteinander auskommen, besonders, wie angenehm und ohne Schwierigkeiten sich schon früher das Verhältnis zwischen Emmi und Anna gestaltet hat. Anna ist im Allgemeinen, wie von jeher, still und zurückhaltend, mit einer, ich möchte sagen, aristokratischen Abneigung gegen Alles, was sich in der Form nicht in den Grenzen strenger Mäßigung hält, namentlich auch jede aufdringliche Freundlichkeit. Sie ist in ihren Ansichten, wie mir schon mehrfach auffiel, sehr selbständig und es ist mir nicht uninteressant, mich mit ihr zu unterhalten. Schon vor mehreren Jahren einmal fiel mir ihr eigentümliches, instinctmäßiges Tact- und überhaupt Feingefühl für Das, was in andren vorgeht auf, welches entschieden über ihre Jahre ausgebildet ist. Es ist eine ganz neue Art von Element, die dadurch im Hause lebendig wird, – denn früher, vor 2 Jahren, als sie fortging, war sie doch äußerlich noch zu unselbständig und zurückhaltend, um von Einfluß zu sein. Fritz ist noch immer der Alte, abgesehen von seinem jetzt allmälig manierlich werdenden Bart. Er ist noch immer von der alten Freundlichkeit und Offenheit, die oft gradezu den Eindruck starker Selbstunterschätzung macht; oft scheint es mir, als ob er gradezu absichtlich seine Empfi ndungen und Gedanken in die denkbar einfachste Bahn zwänge und ihnen die möglichst kindlichsteg Form gäbe. Der Onkel ist wieder voll Gereiztheit über die Geschichte mit der Verwendung des Bismarckfonds;14 das ist doch aber auch wirklich eine höchst unschöne Geschichte. Denn man mag sonst darüber denken wie man will, jedenfalls möchte doch Keiner von uns ein |:persönliches:| Geschenk annehmen, von dem er weiß, daß ein Teil der Geber mit der Gabe nicht einverstanden isth und ihr Geld lieber zu etwas andrem verwendet hättei, es also bereuen, das Geschenk gegeben zu haben. Mir scheint, daß hier der Onkel doch recht hat, wenn er sagt, Das erschiene eben den heutigen „herrlichen Menschen“ als eine „bürgerliche Empfi ndungsweise“, über die sich der wirkliche Gentleman, der „feudale“ g einfachste > kindlichste

h O: sind

i O: hätten

12 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 13 Gemeint sind die beiden leiblichen Töchter Anna und Emmy Baumgarten sowie die zu dieser Zeit bei der Familie lebende Laura Fallenstein. 14 Zum Spendenaufruf zugunsten Bismarcks vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 493 f. mit Anm. 57.

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Herr, hinwegsetze. Unter allen Umständen ist es doch traurig, wenn so undj so viel Menschen |:besonders Studenten:| es ganz natürlich fi nden, daß man ein solches Geschenk ohne Weiteres acceptiert bezw. nichts nach Kräften inhibiert, denn Das ist doch jedenfalls nicht wünschenswert, daßk diese „junkerliche“ Art zu empfi nden bei uns gewöhnlichen Menschenkindern als die normale angesehen würde. Ein großer Teil der eifrigsten Bismarckschwärmer hier ist auch wie mit einem Schlage abgekühlt. Sic transit gloria mundi,15 in dem Schädel von deutschen Studenten wenigstens. – Ich habe jetzt hier sonst einen schweren Stand gehabt, denn hier sind die Entrüstungsstürmer gesät wie die Pilze und warten mit Ungeduld darauf, daß der Reichstag womöglich alle par Tage ähnlich „niederträchtige“ Beschlüsse fassen möge,16 um womöglich jedesmal aus unzähligen Bierhöhlen von x Stammtischen her ihren patriotischen Zorn auf den Telegraphendraht nach Berlin, Wilhelmstraße, zu ergießen.17 Das ist denn doch wirklich zu toll. Ich kenne hier Leute, die Abends, wenn sie kneipten, sich mit jedem neuen Schoppen mehr darauf zu gute halten, daß sie Bismarckianer „sans phrase“, wie sie sagten [,] seien, selbst halb im Einschlafen murmelten sie noch „sans phrase“. Letzterer Ausdruck ist jetzt hier das Neueste und gilt als ehrende Bezeichnung. Mein Verkehr hier ist ein ziemlich ausgedehnter, d. h. könnte es sein, wenn nicht wenigstens bisher der Dienst bei meiner erbärmlich schlechten Compagnie mir die Stunden von 1–1/4 3 und nach 7 Uhr frei gelassen hätte. Ich werde von meinen früheren Kameraden, die jetzt auch wieder hier sind und mit denen ich näher verkehre, das nächste Semester einen Elsässer mitbringen, der Forstmann ist und nach Eberswalde18 geht, hoffentlich aber gelegentlich von dort herüberkommt, einen Herrn Riff,19 weitläufigen Verwandten eines Euch bekannten Namensvetters.20 Es ist eine ganz eigne Menschenseele, diese Elsässer, aber j 〈da [??]〉

k O: das

15 Lat.: „so vergeht der Ruhm der Welt“. 16 Gemeint ist wohl die Weigerung des Reichstags vom 15. Dezember 1884, eine zweite Direktorenstelle im Auswärtigen Amt zu finanzieren. In der dritten Lesung vom 4. März 1885 wurde die Stelle doch noch bewilligt. Von der ursprünglichen Weigerung ging die Initiative zur „Bismarck-Spende“ aus. Vgl. dazu oben, S. 498, Anm. 14. 17 Seit 1878 war die Wilhelmstr. 77 der Wohn- und Amtssitz des Reichskanzlers. 18 Gemeint ist hier wohl die Forstakademie in Eberswalde. 19 Philipp Riff. 20 Des evangelischen Pfarrers und Schriftstellers Karl Friedrich Riff.

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gefallen wird er Dir schon. Zimmermanns Diensteifer ist jetzt, wie ich erstaunt bemerke, erheblich kühler, fast auf dem Niveau des meinigen, der sehr gestiegen ist, denn jetzt machtl mir die Sache Spaß und wenn ich sonst nichts zu thun hätte, könnte es noch lange so weitergehen. – Ich gelte jetzt unbezweifelbar für einen guten Soldaten und mein Hauptmann scheint ungemein mit mir zufriedenm und von meinem unbedingten Fleiß überzeugt zu sein, machte mir gestern einen Gegenbesuch und sprach in dern schmeichelhaftesten Weise von meiner „vorzüglichen Ausbildung“ etc. Timeo Danaos et dona ferentes, 21 könnte ich hier doch mutatis mutandis sagen, – aber es scheint sein Ernst zu sein. Wir erwarten täglich unser Avancement22,o welches diesmal lange auf sich warten läßt. – Von Schmöle recht betrübliche Nachrichten. Er hat sich doch in Berlin schon einen richtigen Darmcatarrh geholt gehabt, war dann hier damit eingetreten und hatte sich nach 1 1/ 2 Wochen bei dem miserablen eiskalten Regenwetter derart erkältet, daß er jedenfalls nur knapp an einer Unterleibsentzündung vorbeigekommen ist. Er lag 3 Wochen zu Bett, wurde vom Militär entlassen und muß nun denselben Spaß nächstes Jahr noch einmal anfangen. Es hatte sich ein ganz gründlicher Darm- und Blasencatarrh mit heftiger Kolik u. derartigen Sachen bei ihm eingestellt, von dem er jetzt noch immer nicht ganz wieder in Ordnung ist. Wenigstens lebt er noch in strenger Diät, darf aber bei schönem Wetter ausgehen. Er läßt schön grüßen und hofft, im Mai wieder gesund in Berlin zu sein. Hätte man gewußt, daß die Sache schon in Berlin so unangenehm war, so hätte man gar nicht dulden dürfen, daß er eintrat. Er war zeitweise sehr deprimiert, hatte heftige Magenschmerzen und konnte einige Tage nichts essen. – Mittwoch Abend. Erst jetzt, nachdem die Compagnievorstellungen vorbei sind und damit überhaupt die unangenehme Hälfte meiner Dienstzeit, komme ich zur Fortsetzung dieses Gekritzels. Schönen Dank für Eure beiden langen Briefe, auf die ich schon lange mit Schmerzen gewartet hatte. Um zunächst Papas Frage nach meinen Geldverhältnissen abzumachen, so hätte ich allerdings aus diesem Grunde gewünscht, meinen Brief schon früher abgeschickt zu haben, denn ich bin in dieser Beziehung allerdings mehr wie abgebrannt und l 〈[??]〉

m 〈zu sein〉

n 〈wo〉

o 〈daß〉

21 Vergil, Aeneis II, 49 („ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen“). 22 Vgl. dazu unten, S. 501, Anm. 23.

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muß doch jetzt noch die Rechnung meiner Hauswirtin bezahlen. Außerdem habe ich mir doch noch eine andre Hose machen lassen müssen, da ich mit der alten zwar, wenn es dunkel war, noch gehen, aber nicht mehr mich hinsetzen konnte: Als Vicefeldwebel, der ich morgen bis spätestens übermorgen werden muß, 23 brauche ich verschiedene höchst kostspielige Ausrüstungsstücke, insbes. Degen, Officiershelm, Portepéep 24 u.s.w. Die Rechnung des Officierscasinos, in dem wir dann essen müssen, erhält man erst am Schluß. Ich kann also noch nicht übersehen, wie viel ich noch brauchen werde. Jedenfalls bin ich jetzt dringend bedürftig. – Das sind ja aber recht traurige Nachrichten, namentlich so weit sie die Schule betreffen, die Ihr mir da geschrieben habt. Muß denn Karl nicht erst noch eine ziemlich schwierige Prüfung bestehen, ehe er als Alumnus25 aufgenommen werden kann? Ob ihm Carl Großkreutzq viel wird nützen können, steht doch nicht fest, da es doch nicht sicher ist, ob er mit ihm viel in Berührung kommt. Allerdings soll ja, im Gegensatz zu anderswo, die Zucht im Joachimsthal26 trotz aller tollen Streiche, die dort ausgeführt werden, eine so feste sein, daß er, wenn er nicht in ganz verrottete Gesellschaft gerät, genötigt ist zu arbeiten. Mit der Confi rmation hat es doch wohl noch etwas Zeit? oder willst Du jetzt schon Hrn. Scholz diese tabula rasa anvertrauen? Möglich ist ja, daß die bis jetzt wohl zweifellos noch fehlenden Grundbegriffe von der Zusammengehörigkeit mit der Gemeinde in kurzer Zeit durch den regelmäßigen Kirchgang |:des Joachimsthals:| geweckt werden, wenn ihn nicht die Allotria, die zweifellos die Schuljugend bei solchen Gelegenheiten in der Kirche treibt, daran hindern, dazu zu gelangen. Auf diese Weise kann man ihn doch wenigstens auch jeden Sonntag sehen und beobachten, was er für einen Eindruck macht und wie ihm diese neue Situation bekommt. Alfred bitte ich zu seiner Versetzung zu gratulieren. Er kommt ja nun in die höchsten Regionen der Schule, wo die Dinge, mit denen man

p 〈ec〉

q O: Großkreuz

23 Die Beförderung zum Vizefeldwebel erfolgte zum 1. April 1885. 24 Frz., ein Rangabzeichen für Offiziere am Säbelgriff. 25 Lat., ehemaliger Angehöriger einer (Hoch-)Schule. 26 Gemeint ist das Joachimsthalsche Gymnasium, eine bekannte Internatsschule in Berlin, auf das Max Webers Bruder Karl im März/April 1885 wechselte. Vgl. auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 20., 22. und 23. April 1885, unten, S. 507 mit Anm. 6.

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sich beschäftigt und die Art, wie man sich mit ihnen beschäftigt, so sind, daß man sie nicht nur treibt, weil man soll und weil man weiß, daß man ein Interesse daran hat, sie zu wissen, sondern aus eigner selbständiger Freude an dem eigenartigen Reiz wirklichen Studierens. Es ist in der Art eine sehr hübscher Periode und namentlich hat man so viel Zeit zu so Vielem, von dem man später selbst nicht mehr begreift, daß man eigentlich so wenig dazu kommt. Mit Arthur ist es doch eine recht betrübliche Geschichte, namentlich da sein Selbstbewußtsein nun noch mehr gedrückt sein wird, als es ohnehin schon war. Es ist aber doch ein Elend mit diesen jährlichen Versetzungen, wenn man keine zwei Cöten27 hat. Also das Haus wird am Ende doch noch nach dem größeren Plan umgebaut? Das hatte ich jetzts entfernt nicht mehr gedacht, da das doch jedenfalls fabelhaft kostspielig wird, namentlich auch in Folge der verheerenden |:gesellschaftlichen:| Repräsentationspfl ichten, die, denke ich mir, solch ein vergrößertes Haus auferlegt. Das wird aber im nächsten Winter ein Leben im Hause werden,t wenn, was ich schon kommen sehe, wieder |:in den Familien:| umgehende Tanzstunden eingerichtet werden, die dann auch bei uns ihr Unwesen treiben werden. – Mir selbst geht es hier, wie ich schon schrieb, recht gut und ich bin recht zufrieden mit meinen Wirtsleuten. Das Militärleben war in den letzten Tagen recht anstrengend, ist aber sonst jetzt wirklich sehr nett und nicht uninteressant. Wie ich schon sagte, sind meine Vorgesetzten augenscheinlich sehr zufrieden mit mir – turnen hat mich der Hauptmann28 allerdings auch, Gott sei Dank, noch nicht gesehen, und den andren Krempel kann ich nachgerade so ziemlich. Das Verhalten der jüngeren Officiere ist im Allgemeinen liebenswürdig und kameradschaftlich. Der Hauptmann meinte, ich sollte doch die 8 Wochen als Badecur betrachten, und er hat Recht, denn ich bin schon starke 3 Koppellöcher magerer und so schlank geworden, daß niemand mehr daran denkt, mich den dicken Leuten zuzuzählen. Der Hauptmann ist sehr befriedigt, daß sich jetzt die Compagnie nach mir ausrichten lasse, denn vorher sei stets mein Bauch im Wege gewesen und habe die ganze r 〈Zei〉

s 〈doch〉

t 〈wenn〉

27 Gemeint ist die Augenzahl beim Würfeln, nach dem französischen „la cote“ für Nummer, Ziffer oder Quote. 28 Karl Hirschberger.

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verfl… Schweinerei in der Compagnie verschuldet. Königs Geburtstag29 hatten wir einen sog. Ball, d. h. in einer Baracke des Casernements fand eine große Bierkneiperei mit Tanzmusik (ohne Damen) statt. Die Soldaten tanzten untereinander, ich war, ich weiß nicht ob meiner zierlichen Figur wegen, sehr beliebt als Dame für die Compagnieofficiere und habe, da ich das Tanzen als Dame schlecht verstand und stolperte, unsren einen, sehr zierlichen und jugendlichen Lieutenant beim Walzer elendiglich an die Wand gequetscht, dermaßen, daß er Nasenbluten bekam. Damit erledigte sich denn meine zeitweise Weiblichkeit. – Heute, 1. April, ist hier gar nichts los, da Manteuffel veranlaßt hat, daß der Fackelzug, zu dem mit großen Kosten alle Vorbereitungen getroffen waren, in letzter Stunde verboten wurde. Alles hier ist natürlich außer sich; man glaubt, Manteuffel habe es gethan, weil der Fackelzug bei solchen Gelegenheiten nur Souveränen zustehe oder aus ähnlich albernen Gründen.30 Manteuffel selbst habe ich neulich einmal wieder gesehen; er sieht doch jetzt uralt aus und hat ein ganz verändertes, zusammengefallenes Gesicht. Auch der Onkel31 erzählte, daß er einen sehr matten Eindruck mache, als ob er nicht mehr lange leben könne; das glaubte man aber schon früher oft. – Es ist jetzt spät, und damit morgen früh endlich der Brief fortkommt, schließe ich lieber jetzt, obgleich ich noch Einiges zu erzählen hätte, was dann nächstes Mal kommt. Onkel Hermann läßt dem Papa seinen Zorn übermitteln, daß er ihm noch nicht selbst geschrieben hätte. Ich habe gesagt, er wollte warten, bis er dazu gekommen sei, das Buch32 wenigstens teilweise zu lesen, übrigens den Dank vorläufig bestellt. Ich selbst bin noch nicht dazu gekommen, werde mir das Buch jetzt aber von Beneckes geben lassen. Den Artikel über Kapp hat mir der Onkel gegeben, er ist wirklich teilweise ausgezeichnet und lebendig; nur beklagte sich Herr v. Holst dem Onkel gegenüber, er habe aus Rücksicht

29 Max Weber bezieht sich hier auf Kaiser Wilhelm I., der auch König von Preußen und damit Oberbefehlshaber der preußischen Armee war. Am 22. März 1885 wurde er 88 Jahre alt. 30 Reichskanzler Otto von Bismarck wurde am 1. April 1885 70 Jahre alt. Ein geplanter Fackelzug in Straßburg wurde auf Veranlassung der Militärbehörden untersagt, da Ausschreitungen durch die Straßburger Bevölkerung befürchtet wurden. 31 Hermann Baumgarten. 32 Baumgarten, Karl V. (wie oben, S. 483, Anm. 4).

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auf die Jahrbücher Manches unterdrücken müssen, Manches sei gradezu gestrichen worden.33 Herzlichen Gruß an Euch Alle und fröhliches Osterfest! 34 Dein Sohn Max.

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Den Artikel der Nationalzeitung würde der Onkel, glaube ich, immerhin gern durch mich erhalten; ich glaube, er geht jetzt nicht aufs Lesezimmer. Er war im Stillen entrüstet, als er hörte, daß Frenzel sich an solche Dinge wage.35 „Nun kommt Julian Schmidt auch noch“, meinte er.36

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33 Es handelt sich um den Nachruf: Holst, Hermann von, Friedrich Kapp, in: Preußische Jahrbücher, Band 55, 1885, S. 217–264. 34 5. und 6. April 1885. 35 Gemeint ist die Besprechung des Literatur- und Theaterkritikers K[arl] Fr[enzel], Die Jugend Karl’s V., in: National-Zeitung, Nr. 211 vom 28. März 1885, Mo.Ausg. 36 Eine Besprechung von Julian Schmidt ist nicht nachgewiesen.

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Max Weber sen. PSt 4. April 1885; PSt Straßburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 87

Schönen Gruß. (Meine Vermögensverhältnisse sind bemitleidenswert.) Dein Sohn Vicefeldwebel d. Res. 5 Cie 47 Rt

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Helene Weber 20., 22. und 23. April 1885, Straßburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Strasburg d. 20a April 85. Liebe Mutter! Diesmal mehr als verspätet kommt mein herzlichster Glückwunsch zu Deinem nunmehr 41. Wiegenfeste,1 das Du, wie ich hoffe, gesund und froh unter den Deinen verlebt hast. Ich habe den vorigen Mittwoch auf einer Übung 3 Stunden von hier nach den Vogesen zu verlebt und erst am Freitag Abend2 bei Baumgartens Deinen Geburtstag mit der Tante und ihren „3 Töchtern“3 zusammen gefeiert, da, als ich Mittwoch Abend4 spät zu Baumgartens hinging, der Onkel5 eben auf der Abreise nach Besançon begriffen war, um dort zu arbeiten. Mein kleines Geschenk wird, da es, wie ich höre, meine Wirthin erst am 15ten früh fortspediert hat, wohl sehr verspätet gekommen sein. Hoffentlich hat es geschmeckt, ich fi nde wenigstens das hiesige Commisbrod erheblich besser als das norddeutsche. Jedenfalls also jetzt nachträglich noch die herzlichsten Wünsche zum Geburtstage und die Hoffnung auf ein recht glückliches und zufriedenes Lebensjahr, welches ich ja hoffentlich bald wieder gemeinsam mit Dir verleben werde und wo ich hoffentlich es verstehen lernen werde, Dir etwas mehr von der schweren Last von Mühe und Sorge abzunehmen, als ich bisher das Geschick hatte. Herzlichen Dank auch für Deineb freundlichen beiden langen Briefe, in denen ja allerdings leider teilweise nicht sehr erfreuliche Nachrichten enthalten waren, auf die ich durch das Vorhergegangene allerdings vorbereitet war. Karl ist also endgiltig im Joachimsthalc und wird nun jetzt wohl schon dort die strammere militärische Zucht zu

a 18 > 20

b Eure > Deine

c O: Joachimstal

1 Helene Weber wurde am 15. April 1885 41 Jahre alt. 2 17. April 1885. 3 Gemeint sind Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, und ihre beiden leiblichen Töchter Anna und Emmy Baumgarten sowie die zu dieser Zeit bei der Familie lebende Laura Fallenstein. 4 15. April 1885. 5 Hermann Baumgarten.

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kosten haben, die ihm noth thut.6 Ich bin doch sehr begierig auf sein Gesicht und ganzes Auftreten, wenn ich jetzt zurück komme. Gespannt aber bin ich namentlich darauf, wie sich überhaupt das Leben in unsrem Hause gestalten wird, wenn die großen Dir offenbar etwas unheimlichen Bauprojekte wirklich zur Ausführung gelangen.7 Hoffentlich bietet sich uns trotzdem die Möglichkeit eines recht behaglichen Beieinanderseins. Dies gehört auch zu den nachträglichen Geburtstagswünschen, die ich Dir zu bringen habe. – Nun muß ich natürlich vor allen Dingen von hier erzählen. Als ich an dem Tage, wo ich zuletzt schrieb,8 gegen Abend zu Baumgartens kam, stürzten mir sämmtliche Töchter9 händeringend entgegen und verlangten, ich solle rathen, was geschehen sei. Natürlich errieth ich erst nach mannigfachen Beihülfen, um was es sich handelte und war namentlich über die mir wie Dir unerwartete Combination des Todes erstaunt, obgleich sie doch eigentlich nahe lag. Mein erstes war natürlich, zum Onkel zu gehen, der mich sehr behaglich empfi ng und von dem ich sogleich zu meiner unsäglichen Freude hörte, daß die ganze Sache unter seinen Auspizien sich vollzogen habe, daß er zu Weihnachten, als er Fritz und Else10 zusammen gesehen hätte, schon diese Combination gedacht habe und daß sie Mühe gehabt hätten, alle ihre geheimen Correspondenzen und auch ihre geheime Freude vor mir verborgen zu halten. Am folgenden Tage, Freitag, wurden die Verlobten erwartet, Fritz war nach Eßlingen gereist, alles endgiltig abzumachen.11 Otto war grade anwesend und es war doch ein merkwürdigerd Contrast zwischen dem stillen Gast und der in voller Aufregung befi ndlichen Jugend des Hauses. Mit Otto selbst habe ich eingehend gesprochen und hoffe noch einmal dazu Gelegenheit zu haben, er sprach sich über alles, was ihn anging, auch über Sachen, die ich meid 〈Ei〉 6 Zu Karl Webers Aufnahme ins Internat Joachimsthal vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 501 mit Anm. 26. 7 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 8 Das letzte überlieferte Schriftstück Webers an seine Eltern ist die einzeilige Karte an seinen Vater vom 4. April 1885, oben, S. 505. Der letzte ausführliche Brief Max Webers an Helene Weber datiert vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 496–504. 9 Emmy und Anna Baumgarten, vermutlich auch Laura Fallenstein. 10 Else Georgii, Fritz Baumgartens zukünftige Frau. 11 Else Georgii stammte aus Esslingen. Vermutlich hat Fritz Baumgarten dort bei ihren Eltern um Elses Hand angehalten. Die Verlobungsanzeige (Privatbesitz BaumgartenSchoeppe) ist auf Ostern 1885 datiert, das auf den 5./6. April fiel.

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nerseits nie aus eigner Initiative ihm gegenüber berührt haben würde, mit merkwürdiger Offenheit aus. Er war allerdings, wie er sagte, sehr nervös abgespannt, d. h. ich glaube, die Erinnerung an das eignee Erlebte wirkte beim Anblick des Glücks seines Bruders mit verdoppelter Schwere.12 Über meine Unterhaltungen mit ihm, die in vieler Beziehung für mich sehr viel in Bezug auf ihn Beruhigendes hatten, will ich doch lieber mündlich berichten, da es schwer ist, eine eigentliche Inhaltsangabe dessen, was er sagte, zu machen. – Am folgenden Sonnabend13 war ich wieder bei ihnen und traf nunmehr auch Fritz und seine Braut an. Sie ist ihrem Aussehen und auch ihrem Wesen nach nicht mehr ganz jung und hat früher gelegentlich viel mit Nervosität zu thun gehabt, so daß ihre Gesundheit zeitweise eine zarte war. Indessen ist sie doch, wie Du selbst weißt und Dich erinnerst, eine körperlich und geistig frische und kräftige Erscheinung, voller Leben und Thatkraft. Ihr Gesicht erinnert |:jetzt:| sehr an dasjenige der Frau Professor Dilthey, es ist wirklich ähnlich, nur angenehmer. Fritz stürzte gleich auf mich zu, führte mich im Garten spazieren undf erzählte in seiner unnachahmbar frischen Weise von der Leber weg „wie ich das angefangen habe“. Dann waren auch verschiedne von den Schwesterng der Braut da,14 abgesehen von dem Benecke’schen Fräulein, welches ich schon kannte,15 alles sehr muntre und originelle Schwäbinnen. Am rührendsten war aber das Glück des alten Onkels,16 dem doch von Zeit zu Zeit immer einmal die Tränen in den Augen standen und der von Zeit zu Zeit, wenn er, |:wie:| das seineh Art ist, auf- und abgehend hinter meinem Stuhle vorbeikam, mir immer wieder die Hand drückte oder Einem von uns die Backe streichelte. –

e O: eign

f 〈nah〉

g O: Schwesern

h seiner > seine

12 Am 7. November 1883 war der neugeborene Sohn von Otto Baumgarten kurz nach der Geburt verstorben, zwei Tage darauf auch die Ehefrau Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. 13 11. April 1885. 14 Else Georgii hatte sieben Schwestern, von denen eine bereits drei Monate nach der Geburt verstorben war, zwei (Anna Schaller und Maria Schröder) waren bereits verheiratet. Welche hier gemeint sind, ist nicht zu klären. 15 Martha Georgii. Vgl. ihre Erwähnung im Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 497. 16 Hermann Baumgarten.

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22. April. Neulich wurde ich zu müde, da ich grade von Hauptwache kam und hörte deshalb auf. Meinen Geburtstag,17 zu welchem ich auf den Abend zu Baumgartens eingeladen war, habe ich im Bett gefeiert, da ich ganz urplötzlich derart entzündete |:Fuß-:|Zehen bekam, daß ich den Tag über Aufschläge machte und Salicylsalbe gebrauchte. Der Arzt sagte, es komme davon, daß ich auf Wache 24 Stunden die – ziemlich engen – Stiefel nicht von den Füßen bekommen habe, nachdem grade vorher eine starke Übung gewesen war. Heute Abend bin ich aber, da ich gehen konnte und den Tag über keinen Dienst hatte, bei Baumgartens gewesen. Otto war wieder da und ich hatte nochmals eine sehr interessante Unterhaltung mit ihm, er war sehr viel wohler als das letzte Mal, jetzt auch nicht mehr so übermäßig beschäftigt. Da ich gestern nicht zu Baumgartens hatte kommen können, so hatten sie mir eben heute eine Geburtstagsfeier bereitet, ganz, als ob ich ein Sohn ihres Hauses wäre. Nicht nur, daß Geburtstagskuchen, Bowle etc. nicht fehlten, es stellte sich sogar heraus, daß Otto eigentlich lediglich zu dem Zwecke hier herüber gereist war, mich zu treffen, was mir, muß ich doch sagen, eigentlich gradezu Verlegenheit machte, denn wie ich dieses Übermaß an Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit jemals um sie verdient habe oder sie je irgendwie annähernd erwiderni soll, weiß ich nicht. Die Hauptsache kommt aber noch.j Schon am Morgen des 21ten k war mir ein sehr elegantes Körbchen zugegangen, enthaltend außer wundervollem Blätterteigkuchen und Heidelberger Blumen auch ein Kästchen mit elegantem Velinbriefpapier18 von Beneckes und einen englischen Roman, „Misunderstood“ by Mrs. Montgomery,19 von Baumgartens. Als ich nun heute Nachmittag zu Baumgartens kam, fand ich daselbst einen förmlichen Geburtstagstisch vor, und auf demselben lagen Onkel Hermanns Karl V mit einer freundlichen Dedikation20 und ein englisches Buch, über welches, nachdem ich es teilweise gelesen hatte, ich i O: erwiedern

j 〈Der Onkel〉

k 〈hatte〉

17 Max Weber hatte am Tag zuvor seinen 21. Geburtstag. 18 Ein dem Pergament ähnliches, jedoch glattes und hochwertiges Papier. 19 Montgomery, Florence, Misunderstood (Collection of British Authors, vol. 1209). – Leipzig: Bernhard Tauchnitz 1872. Das Buch war 1869 erstmals erschienen. 20 Baumgarten, Karl V. (wie oben, S. 483, Anm. 4). Hermann Baumgartens Widmung lautet: „Meinem lieben Max zum 21/4 85“; das Dedikationsexemplar ist überliefert in Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München, weist aber keine handschriftlichen Zusätze Max Webers auf.

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mit Laura21 sehr interessante Gesprächel gehabt habe, „Plain speaking“ von einer Mrs. Craikm, 22 glaube ich – es ist anonym – enthaltend eine Anzahl kleiner Skizzen aus dem Familienleben u. Ähnliches, die ich mich sehr freue Dir jetzt, wenn wir wieder zusammen sind, vorzulesen, da sie sehr interessant und fein beobachtet sind. Ich war wirklich ganz außerordentlich überrascht, namentlich hatte ich vom Onkel nicht erwartet, daß er sein Buch zweimal in dasselbe Haus schenken würde.23 Auch die Damen des Hauses waren, schien mir, über diese Auszeichnung dochn erstaunt. Da sie mir aber zu teil geworden war, so habe ich mir, was ich bis dahino aus eigener Initiative nur in nebensächlichen Dingen gethan hatte, die Freiheit genommen, den Onkel in Bezug auf das Buch über einige mir sehr wesentlich scheinende Punkte, so insbesondre über den vollständigen Mangel irgendeinerp allgemeinen Einleitung, zu interpellieren, wobei ich sehr ausführliche und interessante Antworten und Bemerkungen über den eigentlichen |:neuen:| Grundgedanken des Buchs, das Publikum, für welches es bestimmt ist, u. a. erhielt. Der Onkel, der übrigens über Papas eingehendes Schreiben über sein Buch sehr erfreut war, setzte mir eingehend auseinander, warum er eine solche allgemeine Einleitung nicht ohne ihr eine sehr große Ausdehnung zu geben und ohne spezielle Studien zu machen, vorausschicken konnte, ferner, worin das eigentlich Neue sowohl in den Spezialforschungen als in der grundlegenden Idee seines Buches liegt, welches eigentlich doch nur für Fachgenossen geschrieben sei und weder die Absicht verfolge, noch Aussicht habe, von einem größeren Publikum verstanden und häufiger gelesen zu werden. – Nun aber vor allen Dingen herzlichen Dank für Eure freundlichen Geburtstagsgeschenke, von denen Papas klingende Sendung allerdings das zunächst für mich notwendigste war. Sehr gelegen aber kommen mir auch die Beiträge zu meiner künftigen Civilausstattung, damit ich nicht wieder so total abgerissen bei Euch in Charlottenburg anlange, wie das letzte Mal. Die Wurst ist bereits vertilgt und hat ausgezeichnet l 〈ha〉

m O: Crake

n 〈über〉

o In O folgt: mir

p jeder > irgendeiner

21 Laura Fallenstein. 22 [Craik, Dinah Maria], Plain Speaking. – London: Hurst and Plackett 1882. 23 Hermann Baumgarten hatte sein neuestes Werk auch Max Weber sen. geschenkt. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 503 mit Anm. 32.

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geschmeckt. Schönen Dank auch für Deinen lieben Begleitbrief, ich bin auch der Hoffnung, daß wir jetzt noch einen recht schönen Sommer miteinander verleben werden und will gewiß mir Mühe geben, so gut ich kann, uns das Zusammenleben recht behaglich und fruchtbringend zu gestalten. Daß Du Dich über Fritzens Verlobung sehr freuen würdest, hatte ich wohl erwartet, da Du ja die Braut selbst so gut kennst. Für mich war es, wie Du sagst, wirklich eine große Freude, zum Abschluß meines Zusammenseins mit Baumgartens, nachdem ich so manches Trübe mit ihnen erlebt habe, dieses große und für Jedermann verständliche Glück noch mitangesehen zu haben. Ich bin jetzt nur begierig, ob Fritzens Verlobung nicht auf seine Lebensverhältnisse von bedeutendem Einfluß sein wird, denn man weiß doch immerhin nicht, was sein Prinz24 in Karlsruhe zu der Sache sagen wird und ob er unter diesen Umständen die ihm für den Herbst in Aussicht stehende Stellung wird einnehmen können. – Mir selbst geht es jetzt hier sehr gut, doch wirst Du erstaunt sein, wie mager ich geworden bin. In militärischer Beziehung stehe ich, wie ich glaube, recht gut und werde von meinem Hauptmann25 wohl eine leidliche Qualifi kation erhalten. Ich habe mich aber auch einigermaßen angestrengt und teilweise wirklich viel Spaß am militärischen Leben gehabt. Das Verhältnis zu den Offi zieren hat sich ganz angenehm gestaltet, wenn wir auch nicht unnötig viel mit ihnen zusammengewesen sind. Die Schattenseite ist nur die ungemeine Kostspieligkeit des ganzen Vergnügens. Das Geld, welches ich Anfang dieses Monats von Euch erhielt, ging zum allergrößten Teil zur Bezahlung derq Rechnungen auf, die ich vom vorigen Monat her von den verschiedenen Militärhändlern etc. erhielt. Ich bin diesen Monat, trotzdem wir im Offiziercasino waren, doch billiger fortgekommen als im März, wo ich allerdings auch alle Ausgaben für neue Hosen etc., überhaupt die Equipierungsstücke als Vicefeldwebel und was daran hängt, schon zu bezahlen hatte.26 Die Rechnung über das, was wir Mittags im Offi ziercasino verzehrt haben und die gegen 40 Mk., schwerlich mehr, betragen kann, da wir uns grade vorm Mittagstisch drückten, wo wir nur konnten, wird mir erst am 1. Mai durch das Bezirkscommando zugefertigt q 〈ganz〉 24 Vermutlich Prinz Ludwig Wilhelm von Baden. 25 Karl Hirschberger. 26 Die Beförderung Max Webers zum Vizefeldwebel war zum 1. April 1885 erfolgt.

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werden. Um mit Einschluß der Reise nach Berlin und der Rechnung meiner Hauswirthin hier alles, was noch übrig ist, abzumachen, werde ich aber doch noch ziemlich 140 Mk. gebrauchen, da ich namentlich von der neulichen Hauptwache her, die ich als Offi zier zu beziehen die Ehre und das zweifelhafte Vergnügen hatte und wo ich nach altem |:aber nicht löblichem:| Herkommen des Offi zierscorps, welches mich sehr zahlreich besuchte, bewirthen mußte, noch eine enorme Rechnung besehen werde. Entlassen werden wir Montag den 27ten Mittags, so daß ich am Dienstag meine Abschiedsbesuche und Abmeldungen vornehmen kann und, ich denke, am Mittwoch Abend27 bei Euch sein kann. Ich schicke dann natürlich noch vorher eine Postkarte, in welcher ich den Zug genauer bestimmen kann.28 Auf Militärbillet möchte ich doch nicht reisen, denn, wenn ich auch diesmal keine Gesellschaft habe, was eine solche Reise sofort außerordentlich verteuert, so stellt sich doch der Preisunterschied Alles in Allem nicht so erheblich – auf dem Herwege brauchte ich ja, allerdings weil ich in lustiger Gesellschaft war, erheblich mehr, als wäre ich 2ter Klasse gefahren.29 Auch dauert die Fahrt so lange und ich möchte mich doch beeilen, nach Hause zu kommen, um nicht zu viel vom Semester zu versäumen. Ein Vorlesungsverzeichnis kann vielleicht besorgt werden, damit ich gleich am folgenden Tage in die betr. Collegien gehen kann. – Schmöle, nach dem Du fragst, geht es so weit recht gut. Er ist allerdings noch nicht vollständig wieder auf dem Damm. Es hatte sich herausgestellt, daß, was ihm fehlte, nicht, wie es erst angesehen u. curiert worden war, Darm- und Blasencatarrh war, sondern ein |:älteres:| Darmleiden, welches sich durch Erkältung gesteigert hatte. Jetzt ist er allerdings noch nicht wieder soweit, seinem geliebten Bier nachgehen zu können, aber er ist wenigstens nicht mehr so melancholisch wie zuerst und hofft, im Sommer wieder vergnügt in Berlin zu sein. Zimmermann läßt herzlich grüßen. Es ist merkwürdig, wie sein militärisches Interesse abgenommen hat. Er arbeitet ziemlich, d. h. will arbeiten und denkt in 1 1/ 2 Jahren sein Referendarsexamen gemacht zu haben. 27 29. April 1885. 28 Vgl. dazu die Karte an Max Weber sen. vom 28. April 1885, unten, S. 514. 29 Angehörige des Militärs hatten die Möglichkeit, mit einem verbilligten Militärbillet in der 3. Wagenklasse zu reisen. Schnellzüge durften damit jedoch nicht genutzt werden. Max Weber reiste Ende Februar mit Christoph Schmöle und Alfred Zimmermann von Berlin nach Straßburg. Vgl. dazu den Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 485 mit Anm. 2.

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Nun will ich aber aufhören, damit dieses Gekritzel, welches seinen Zweck nicht nur als Geburtstags- sondern auch als Dankbrief so schon verfehlt hat, doch nicht überhaupt zu spät zu Euch gelangt, und ihn gleich einem hiesigen Bekannten, der eben bei mir sitzt, zur Besorgung mitgeben. Es ist schon so wie so der 23te Abends geworden. Herzlichen Gruß und frohes Wiedersehen; ich schicke, wie gesagt, noch eine endgiltige Postkarte. Dein Sohn Max.

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Max Weber sen. 28. April 1885; Emmendingen Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 88

Emmendingen 28.4.85 Lieber Vater! Das Geld habe ich richtig erhalten, allerdings, da meine Wohnung nicht darauf stand, erst auf d. Umwege durch das Regiment, Bataillon etc., was die Sache sehr verlangsamt, also heute erst. Da ich Otto schon lange das feste Versprechen gegeben habe, ihn jetzt zu besuchen, und ihn doch wohl, da er kaum je von Waldkirch weggeht, schwerlich so leicht noch einmal sehe, habe ich doch, wie ich glaube, nicht anders gekonnt, als für heute Abend zu ihm zu fahren.1 Ich bin von Strasburg abgefahren, so früh ich konnte. So komme ich allerdings erst am Donnerstag2 um 10h 45’ früh in Charlottenburg an, was aber wohl auf dasselbe hinauskommt, als wenn ich Mittwoch Abend gekommen wäre. Herzlichen Gruß. Dein Sohn Max

1 Otto Baumgarten berichtet einen Tag später an seine Mutter: „Gestern nun konnte ich den geplanten Geburtstagsbrief an dich nicht schreiben, weil Max für ein Paar Stunden hier war, wie du weißt.“ Vgl. den Brief von Otto Baumgarten an Ida Baumgarten vom 29. April 1885, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 2 30. April 1885.

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Emmy Baumgarten 14. Juli 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg den 14. Juli 85 Liebe Emmi!

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Deine ingrimmige Drohung in Deinem letzten Brief an meine Mutter hat mir die ganze Größe meiner schauderhaften Ungezogenheit zum Bewußtsein gebracht und ich beeile mich, zu retten, was noch zu retten ist, um nicht ganz und gar in Ungnade zu fallen. Du kannst Dir aber gar nicht vorstellen, mit welcher reißenden Geschwindigkeit mir die Zeit seit meiner Abreise aus Strasburg bis jetzt, wo ich wie Marius auf den Trümmern von Karthago einsam und verlassen hier ein kümmerliches Dasein friste,1 verflossen ist und namentlich wie unglaublich kurz sie mir jetzt in der Erinnerung erscheint. Das kommt nun wohl daher, weil ich mich während derselben höchst ruhig verhalten und außer zwei Colleg-Vormittagen eigentlich vollkommen zu Hause mich auf meinem Canapee vermauert habe.2 Denn es erscheinen Einem später ja doch immer nur diejenigena Lebensabschnitte als lang, in denen man äußere oder innere Erlebnisse gehabt hat, die über das Maß des Gewöhnlichen irgendwie hinausgehen. Von irgendwie erheblichen äußeren Erlebnissen ist nun so gut wie gar keine Rede gewesen für mich, der ich mich gegenüber den großen Bauwerken, die wir jetzt hier aufführen, 3 erheblich passiver verhalten habe, als mein Vater wohl eigentlich wünschte, weil ich einmal doch mit der Zeit allmälig etwas sparsamer umzugehen lerne und dann auch viel zu wenig praktischen Blick grade für solche Sachen habe, als um etwas helfen zu können. Was ferner ungewöhnliche innere Erlebnisse betrifft, so könnten, da ich eigentlich im Allgemeinen nur mit Büchern zu thun gehabt habe, diese nur in einer Zunahme meiner Kenntnisse bestehen – welche aber a O: diejenige 1 Ein vom römischen Feldherrn Gaius Marius während seiner Flucht nach Nordafrika im Jahre 88 v. Chr. selbst geprägter Satz über sein Schicksal. Zur Abwesenheit von Eltern und Geschwistern vgl. unten, S. 517. 2 Zu den beiden Kollegien am Mittwoch- und Samstagvormittag vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 519 mit Anm. 3. 3 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert.

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zub meinem Bedauern durchaus grade keine ungewöhnliche zu nennen ist. So ist also, wie gesagt, die Zeit dahingegangen, ich weiß nicht wie, und wenn man darauf zurückblickt, so hat man eigentlich kein andres Gefühl, als das der Unzufriedenheit mit sich, daß man nicht mehr zu stande gebracht hat. So habe ich nun auch recht oft an Euch gedacht, an den Onkel, die Tante,4 Fritz, Otto und Dich schreiben wollen, und es passierte ja so manches in der Welt, wovon ich doch gar zu gern gewußt hätte, was wohl der Onkel, und ich hatte manches zu sagen, wovon ich ebenso gern gewußt hätte, was die Tante und Ihr dazu gesagt hättet, aber ich hatte doch vor Allem das sehr begründete Gefühl, ordentlich arbeiten zu müssen und so wurde immer nichts aus dem Schreiben. Jetzt bin ich wenigstens zu einem gewissen Abschnitt mit dem Arbeiten gekommen und außerdem allein, fühle ich mich also als hiesige Säule der Familie und entsprechend berechtigt und verpflichtet, im Namen derselben zu correspondieren. Kurzum, ich bekehre mich von meinen Sünden, sei also Deinerseits kein Unmensch und grolle nicht darüber, daß ich Dir nicht früher die beifolgende Übersichtskarte meines äußeren Menschen geschickt habe. Eine andre als diese etwas nach Nero und Domitian ausschauende Feldherrn-Physiognomie konnte ich nicht auftreiben.5 – Euer Fritz und seine Braut6 haben mich zum 5ten September eingeladen, aber, denke Dir, ich habe diesmal nicht ja sagen können, so gern ich Euch alle einmal bald wiedergesehen hätte. Schon deshalb nicht, weil, wenn ich überhauptc in diesem Jahre von hier fortkomme, ich in der ersten Augusthälfte mit meinem Vater zusammen irgend etwas unternehmen werde – ich bin lange nicht mehr mit ihm gereist und will deshalb in dieser Beziehung zu seiner Disposition sein, habe auch selbst Lust dazu; – da komme ich dann in der zweiten Hälfte, etwa gegen Ende August wieder hierher und kann es doch wohl nicht gut machen, ein par Wochen nachher schon wieder nach Süddeutschland zu reisen, was auch des Arbeitens wegen schlecht gehen würde, denn lange kann ich mich nicht von hier absentieren. Dann glaube ich aber b 〈b〉

c 〈mit meinem〉

4 Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 5 Während und nach der Militärzeit ließ Max Weber zwei Photographien in Uniform anfertigen. Es könnte sich um das 1884 aufgenommene und oben, nach S. 454, abgedruckte Porträt handeln. 6 Else Georgii.

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auch, und habe es Fritz auch geschrieben,7 daß es doch eigentlich ein noch behaglicheres Wiedersehen sein würde, wenn ich ihn und Euch einmal künftig an Eurem häuslichen Heerd aufsuchen würde und gleich einmal in seine junge Häuslichkeit hineinschaute, als wenn wir uns bei seiner Hochzeit träfen, wo doch, auch im engsten Kreis, immer ein bischen „Trubel“ ist und man zu einiger Ruhe und Zusammensein miteinander nicht so recht kommen kann. Grade jetzt, wo ich nicht mehr so leicht oft mit Euch zusammensein und zu Euch hinüberkommen kann, möchte ich dann doch, wenn auch nur kurz, aber wirklich Euch sehen. – Sehr liebenswürdig aber war es, daß er an mich gedacht hat und daß Fräulein Else und ihre Eltern8 mir einen Platz gönnen wollten, auf den sie doch jedenfalls zunächst nicht gerechnet hatten; und sicherlich hatten sie doch noch eine ganze Anzahl von Candidaten für denselben, die eben so viel Recht hatten wie ich, dabei zu sein. Ich denke, sie werden mir ja nicht böse sein, wenn ich diesmal nur in Gedanken teil nehme. – Sehr hat es mich gefreut zu hören, daß Du nach Heidelberg kommen willst und daß der Onkel9 es über sich gewinnt, Dich einige Wochen zu entbehren. Meine Mutter hatte sich auf das Zusammensein mit Fritz und Dir schon lange gefreut, Du weißt ja, wie gern sie auch in Heidelberg Wirtin ist. – Gestern Abend sind mein Vater und Alfred nun also auch fortgereist, an den Rhein und dann nach Heidelberg, und ich sitze hier in philosophischer Einsamkeit beschaulich in meinen vier Wänden als Familie für mich. Das hat auch seine ganz netten Seiten, man kann sich den Tag nach Belieben einteilen, geniert Niemanden und hat immer die Empfi ndung, man brächte viel mehr fertig und hätte viel mehr Zeit. Mein Schicksal ist also gar kein beklagenswertes und ich möchte im Gegenteil gar nicht, daß diese Einsamkeit so bald unterbrochen würde. – Nun laß Dir’s recht gut gehen, ich will jetzt noch etwas excerpieren (Du wirst meiner Handschrift diese höchst triste Beschäftigung wohl anmerken) und dann noch einen angefangenen Brief an den Onkel fertig machen.10 An die Tante schreibe ich in einigen Tagen endlich auch 7 Ein Brief Max Webers an Fritz Baumgarten aus dieser Zeit ist nicht nachgewiesen. 8 Else Georgii und ihre Eltern Theodor und Marie Georgii, geb. Stockmayer. 9 Hermann Baumgarten. 10 Vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, unten, S. 519–533.

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einmal wieder,11 sie wird ja dann wohl bald mit Laura zurück sein.12 Die arme Laura scheint ja in Antwerpen wieder eine recht schlimme Zeit gehabt zu haben und für die Tante wird es auch grade nicht die Eigenschaft einer Erholungsreise gehabt haben. Wenn nun nur wenigstens Dein Kopf das Reisen annimmt, aber Du scheinst, wie ich höre, doch immer noch nicht ordentlich in der Reihe zu sein. Grüße bitte Anna13 recht schön von mir, hältst Du es wohl für denkbar, daß ich irgendwie in den Besitz einer Photographie von ihr kommen könnte? Einen schönen Gruß auch an den Onkel, ich schreibe, wie gesagt. – Wenn Du vielleicht meine Schwester Clara ein wenig erziehen und ihr vierschrötiges Cuirassier-haftes Wesen etwas mildernd umgestalten könntest, so daß ihre Umwandlung aus einem Menschen i. Allg. – in ein Mädchen i. Bes. angebahnt würde, erwürbest Du Dir, glaube ich, ein Verdienst. „Die Grazien sind ausgeblieben“,14 mußte man bisher im Bezug auf sie constatieren, sie ist wesentlich qualificierter Poltergeist und angehende Berlinerin. Leb recht wohl, herzlichen Gruß von Deinem Vetter Max

11 Ein Brief Max Webers an Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, ist nicht nachgewiesen. 12 Ida Baumgarten war am 17. Juni 1885 mit Laura Fallenstein nach Antwerpen gereist, wo die verwandte Familie von Carl Gustav Bunge und Laura Bunge, geb. Fallenstein, lebte. Vgl. dazu den Brief von Ida Baumgarten an Helene Weber vom 11. Juni 1885 (Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe). 13 Anna Baumgarten. 14 „Die Grazien sind leider ausgeblieben“ ist ein Zitat aus Johann Wolfgang Goethes „Torquato Tasso“ (1790), II. Aufzug, 1. Szene, Vers 947. Vgl. Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 10. Band. – Weimar: Hermann Böhlau 1889, S. 143.

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Hermann Baumgarten 14. und [16.] Juli 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 7, Bl. 14–18 Der Brief wurde am 14. (Dienstag) und 16. („Donnerstag Abend“) Juli 1885 geschrieben.

Charlottenburg den 14ten Juli 1885. Lieber Onkel!

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Schon recht lange ist es nun her, seit ich von Straßburg fort bin,1 und ich habe noch gar nichts von mir hören lassen, weder über unser persönliches Wohlbefi nden und unsre privaten Interessen etwas verlauten lassen, noch über das, was man hier zu allerlei Dingen, die in der Welt vorgehen, sagt, und was Dich doch vielleicht interessiert hätte, meine angenehme Berichterstattungsverpfl ichtung erfüllt. Das kam nun unter Anderem auch daher, weil ich diesmal sofort nach meiner Hierherkunft mich so kopfüber in das schon angefangene Semester stürzen mußte, 2 daß ich überhaupt nicht viel wieder zu Atem gekommen bin. Meine juristischen Kenntnisse, schon vorher nicht sehr ungewöhnliche, waren durch das Militairjahr i. Allg. auf den Statusquo nach Ende des 1. Semesters reduciert und waren auch jetzt noch sehr wenig wirklich gründliche, im Verhältnis zu meinem Studienalter recht ungenügende. Da mußte ich denn doch ganz gehörig dahinter kommena und habe deshalb dies Semester wesentlich dazu benutzt, römisches u. deutsches Privatrecht ganz gehörig mit allen Chikanen durchzuarbeiten, wobei mich mein unangenehm mangelhaftes Gedächtnis manchmal ärgerte. Collegien habe ich nicht viel gehört – nur Brunner und Gneist (Strafprozeß), 3 sondern die Zeit meist zu Hause gearbeitet. Jetzt [,] wo ich a Alternative Lesung: kramen 1 Im März/April 1885 war Weber zu seiner ersten Übung nach seiner militärischen Grundausbildung als Einjährig-Freiwilliger in Straßburg stationiert. 2 Das Semester hatte am 16. April 1885 begonnen. Max Weber war von seiner Militärübung in Straßburg erst am 30. April zurückgekehrt. Vgl. dazu die Karte Max Webers an Max Weber sen. vom 28. April 1885, oben, S. 514. 3 Bei Rudolf Gneist hörte Weber mittwochs und samstags das Kolleg „Deutscher Strafproceß“, von 9–11 Uhr (vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, SS 1885, S. 4), und im direkten Anschluß (an beiden Tagen) von 11–13 Uhr das Kolleg über „Handels- und Seerecht“ bei Heinrich Brunner (vgl. ebd., S. 2), beide Veranstaltungen waren als „privatim“ angekündigt.

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wenigstens mit dem Nächstliegenden einigermaßen durch bin, fange ich eigentlich überhaupt erst wieder an, mich umzuschauen, gewohnte Lektüre wieder etwas aufzunehmen und daran zu denken, Briefe zu schreiben, und da merke ich denn auch erst wieder, wie lange ich schon nicht mehr mit Euch in Verbindung stehe. Denken mußte ich aber doch recht oft an Euch, namentlich in der letzten Zeit bei verschiedenen Vorgängen, und selbstverständlich besonders kürzlich beim Tode des Statthalters,4 wo ich sehr begierig gewesen wäre zu hören, was Du dazu gesagt hast und, wie es scheint, ungefähr das Richtige getroffen habe, als ich vermutete, Du würdest lediglich die Befürchtung ausgesprochen haben, daß es noch schlimmer würde. Zuerst hatte es ja den Anschein, als ob diese Prophezeiung eintreffen würde, denn einige Blätter sprachen von Puttkamerb und allerhand Leute hier bildeten sich ein, daß Bismarck die Gelegenheit benutzen würde, wieder einen gefährlichen Concurrenten in diese fernen partes infidelium5 zu versetzen – aber es scheint, daß doch ernstlich an dergleichen niemand gedacht hat.6 Den Grafen Stolberg taxiert man hier wohl meist für eine ziemliche Null und hält seine Candidatur entschieden für ausgeschlossen, dagegen gilt der Fürst Hohenlohe doch allgemein für einen recht anständigen Mann und er würde jedenfalls doch wohl etwas mehr persönliche Würde besitzen als der Verstorbene und dürfte doch wenig geneigt sein, sich mit derselben Gutmütigkeit fortgesetzt lächerlich zu machen. Es ist doch auch noch gar nicht sicher, daß die besseren elsässischen Familien dem Manteuffel grade viele Tränen nachgeweint haben sollten; nach dem, was ich durch einen elsässischen Freund, der jetzt in Freienwalde Forstfach studirt,7 weiß,c ist doch selbst die vielfache Bevorzugung der Elsässer in Avancements und ähnlichen Dingen derartig ungeschickt und mit einer solchen Verleugnung von An-

b O: Puttkammer

c Fehlt in O; weiß, sinngemäß ergänzt.

4 Edwin von Manteuffel, seit 1879 Statthalter von Elsaß-Lothringen, war am 17. Juni 1885 gestorben. 5 Ein Titelzusatz für Bischöfe in aufgelösten Diözesen; lat. „in den Gebieten der Ungläubigen“. Max Weber benutzte diese Wendung bereits ironisierend in seinem Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 492 mit Anm. 45. 6 Manteuffels Nachfolger wurde der bayerische Katholik Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst. 7 Philipp Riff wollte, wie Max Weber in seinem Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 499 mit Anm. 18, mitteilt, in Eberswalde studieren. Die Forstlehranstalt befindet sich dort und nicht – wie Weber hier irrtümlich angibt – in Freienwalde.

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standsgefühl insceniert worden, daß Alle außer den speciell persönlich Betroffenen lediglich dadurch empört worden sind. Man hat unter den Elsässern selbst auch wieder sehr sorgfältige Unterschiede in dem Grad der Bevorzugung gemacht und es ist denn doch nicht Jedem so gegangen, wie Einigen, die mir mein Freund nennen konnte und die ohne Weiteres, ohne ein regelrechtes Referendarexamen gemacht zu haben (das wurde in Form irgend eines Surrogats erledigt) und indem man ihnen außerdem noch die |:vorgeschriebene:| praktische Thätigkeit an den Gerichten fast vollkommen d[urch] Dispensation schenkte, zu Regierungs-, einige auch zu Forstassessoren gemacht und schleunigst in irgend eine Centralabteilung, teilweise direct in den Reichsdienst nach Berlin berufen worden sind. Die Landadlichen scheinen natürlich Classe Nr 1 gebildet zu haben, von einem jungen Baron Zorn v. Bulach, mit dem mein Freund auf Umwegen bekannt war und der in der oben beschriebenen Weise avancierte und dann ins Auswärtige Amt kam, bilden sich die Elsässer fest ein, er werde nächstens Gesandter in Paris werden, was allerdings Unsinn, aber doch bezeichnend ist. Diplomatisch verwendet ist er aber schon worden, trotzdem er noch keine 30 Jahre alt sein soll. Ein merkwürdiges Volk sind aber die gebildeten bürgerlichen Elsässer. Teilweise, wie mein Freund, von großer Offenheit und Wahrheitsliebe, so, daß die Offenheit manchmal gradezu verblüffend wird, und leicht grob, dabei ziemlich schwerfälligd im Erfassen von Neuem, vielen Dingen gegenüber völlig zugeknöpft, z. B. den meisten ästhetischen Interessen, – dabei erschweren sie Einem ein unbefangenes Zusammensein oft durch ihren Mangel an Fähigkeit dazu, da sie sich immer beobachtet und oft piquiert fühlen, leicht heftig werden – andrerseits scheint man sich doch wieder auf die große Mehrzahl von ihnen, nach der eignen Schilderung dieses Freundes von mir, übrigens eines Namensvetters und entfernten Verwandten von Riffs,8 absolut nicht verlassen zu können. – Für das Berliner Publikum im Allgemeinen nahm in den letzten Wochen der „Prozeß Stöcker“ natürlich den Vordergrund des Interesses ein.9 Man weiß aber wirklich gar nicht, ob man eigentlich, ganz abgesed schwerfällig, aber > schwerfällig 8 Karl Friedrich Riff. 9 Der Theologe und Politiker Adolf Stoecker, seit 1883 Dom- und Hofprediger in Berlin, wurde 1885 von dem jüdischen Journalisten Heinrich Bäcker des Meineids und der Lüge bezichtigt. In einem Beleidigungsprozeß, der vom 9. bis 16. Juni 1885 in Berlin stattfand,

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hen davon, daß das Auskramen solchen Schmutzes überhaupt widerlich ist, Grund hat, Genugthuung darüber zu empfi nden, daß die ganze leichtfertige Gewissenlosigkeit dieses Fanatikers öffentlich constatiert ist – es ist bisher keine Frucht davon zu erkennen, als eine weitere Abstumpfung des Gefühls für Derartiges und des Anstandsgefühls überhaupt. Wenn es möglich ist, daß das ganze Gros der hiesigen Treitschke’schen Gesinnungsgenossenschaft eine öffentliche Lossagung von diesem Mann nicht nur für ganz außer allem Gesichtskreis liegend ansieht, vielmehr sehr kaltblütig das alles mit großer Leidenschaftlichkeit und „reinem“ Eifer „entschuldigt“, bezw. ruhig sich mit der sehr beruhigenden Überzeugung abfi ndet, die Agitatoren der Gegenseite machten es auch nicht anders, so geht diese „Abhärtung“ doch noch über die schon bei Gelegenheit der Schweninger-Affaire10 zu Tage getretene weit hinaus. Julian Schmidt war über diese sogenannte Toleranz doch sehr aufgebracht und hat Hrn H[ans] e Delbrück, der den Artikel in den „preuß[ischen] Jahrbüchern“ verfaßt hat,11 ziemlich grob angefahren. Auf der liberalen Seite stand das Urteil über Stöcker schon lange fest, man hatte als Frucht dieses Prozesses nur gehofft, daß auch den Anständigen auf der andren Seite die Augen aufgehen würden, aber es scheint, die Leidenschaft ist zu groß. In den kleinen conservativen Parteiblättern, aus denen man meist sehr viel deutlicher sehen kann, was im |:Innern:| einer Partei vorgeht, z. B. dem hiesigen Wurstblatt, kann man fast täglich lange Unterschriftenreihen unter Erklärungen für die Ehrenhaftigkeit des „neuen Luther“ und Antworten desselben auf dieselben lesen.12 Es wird aber doch angenommen, daß der Oberkirchene O: H. v. beabsichtigte er, Stoeckers Antisemitismus öffentlich bloßzustellen. Bäcker wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Wochen verurteilt. Das Aufsehen war jedoch so groß, daß Kaiser Wilhelm I. den Rücktritt des Hofpredigers forderte. Nur die Intervention durch den Prinzen Wilhelm (den späteren Kaiser Wilhelm II.) verhinderte Stoeckers Demission, der jedoch seine politische Agitation mäßigen mußte. 10 Zur Affäre um Bismarcks Leibarzt Ernst Schweninger vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, oben, S. 477 mit Anm. 34. 11 D[elbrück, Hans], Der Proceß Bäcker – Stoecker, in: Preußische Jahrbücher, Band 56, 1885, S. 99–102. 12 „Neuer Luther“ war eine Bezeichnung für Adolf Stoecker, die auf seine Anhänger zurückging, aber auch von Gegnern ironisierend aufgegriffen wurde. Auf welche konservative Zeitung in Charlottenburg oder Berlin Weber sich hier bezieht, ist unklar. Am 3. Juli 1885 druckte jedoch auch die überregionale Kreuzzeitung zunächst Stellungnahmen Stoeckers zu Ehrenerklärungen ab, die zu seinen Gunsten erschienen waren (Neue Preußische Zei-

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rat nicht so tolerant sein wolle wie die Gouvernementalen und ernstlich ein event. Einschreiten in Erwägung gezogen habe. Als der preußische Antrag betreffend Braunschweig eingebracht wurde,13 waren die Meisten hier geneigt, der Bismarck’schen Politik Vieles, ja Alles zu vergeben, da sie nun wenigstens diese Frage im nationalen Sinne lösen werde, und die Genugthuung war allgemein, worauf sich allerdings gezeigt hat, daß sie doch in diesem Umfang unbegründet war. Denn [,] daß man es noch für nötig halten würde, ausdrücklich und durch Bundesbeschluß zu constatieren, daß der im Regentschaftsgesetz vorgesehene Fall der „Behinderung des Thronerbenf “ überhaupt eingetreten sei,14 hatte man doch nicht erwartet, und f O: Tronerben tung (Kreuzzeitung), Nr. 152 vom 3. Juli 1885, S. 2). Am 4. Juli wurde eine kurze Erklärung abgedruckt, mit den Unterschriften von zahlreichen Honoratioren (ebd., Nr. 153 vom 4. Juli 1885, S. 3); weitere Unterzeichnerlisten erschienen am 5. und 7. Juli (ebd., Nr. 154 vom 5. Juli 1885, S. 3; Nr. 155 vom 7. Juli 1885, S. 3). 13 Nachdem die letzten Sitzungen von Reichstag und Preußischem Abgeordnetenhaus geschlossen waren, brachte Bismarck am 21. Mai 1885 den preußischen Antrag im Bundesrat zur Abstimmung, dieser möge (unter Berufung auf Art. 76 der Reichsverfassung) beschließen, daß „die Regierung des Herzogs von Cumberland in Braunschweig mit dem inneren Frieden und der Sicherheit des Reiches nicht verträglich sei“ (Bismarck, Otto von, Schriften 1884–1885, bearbeitet von Ulrich Lappenküper (Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe. Abteilung III: 1871–1898. Schriften, Band 6: 1884–1885). – Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2011, S. 586–588). – Zu den Hintergründen vgl. die nachfolgende Anmerkung. 14 Am 18. Oktober 1884 war Herzog Wilhelm von Braunschweig ohne direkten Nachkommen gestorben. Zur Regelung der Thronfolge war bereits am 16. Februar 1879 das Braunschweigische Regentschaftsgesetz erlassen worden, das die Einsetzung eines Regentschaftsrates für maximal ein Jahr vorsah, sollte es keinen legitimen Nachfolger geben oder dieser am sofortigen Regierungsantritt „irgendwie behindert“ sein (aus § 1 des Gesetzes, zitiert nach: Trieps, August, Das Braunschweigische Regentschaftsgesetz vom 16. Februar 1879 in seiner staatsrechtlichen Bedeutung. – Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn 1910, S. 49). Ansprüche auf den Thron erhob Ernst August, der letzte Kronprinz des Königreichs Hannover, der ein entfernter Cousin des Verstorbenen war. Durch seine Kandidatur wurde die Thronfolge zur nationalen Frage: Der im österreichischen Exil lebende Kronprinz hatte am 11. Juli 1878 zwar sein Einverständnis mit der deutschen Verfassung erklärt; seinen Anspruch auf den Thron des Königreichs Hannover, das 1866 von Preußen annektiert worden war, wollte er jedoch gewahrt wissen. Bis zur Restituierung wolle er den Titel Duke of Cumberland und Herzog zu Braunschweig und Lüneburg führen. Politisch unterstützt wurde er dabei von der Deutsch-Hannoverschen Partei (Welfenpartei), die sich im Reichstag oft der Zentrumsfraktion um Ludwig Windthorst anschloß. Auch dieser unterstützte die Kanditatur, ohne damit allzu sehr in den politischen Vordergrund zu treten. Da es eine dynastische Frage war, rechnete Ernst August mit der Unterstützung insbesondere der kleineren Fürstenhäuser in Deutschland; aber auch diese wurde ihm allenfalls im Hintergrund gewährt. Die englische Königin Victoria versuchte eine Einflußnahme über ihren Schwiegersohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, die dieser jedoch ablehnte.

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mehr enthält die nicht einmal einstimmig angenommene Resolution doch nicht.15 Der kronprinzliche Hof muß doch wohl auch Schwierigkeiten gemacht haben; dagegen glaubt man nicht, daß beim Kaiser16 selbst dies grade besonders der Fall gewesen sei, da man aus Erfahrung zu wissen glaubt, daß der Kaiser in allen Situationen, die mit Kriegsrecht und dergl. in Connex stehen, stets nicht sehr von Skrupeln geplagt worden ist. Da der Antrag erst nach Schluß des Reichstags und Landtags eingebracht worden ist, muß doch wohl angenommen worden sein, daß eine eventuelle Meinungsäußerung |:in:| den Parlamenten nicht derart ausgefallen sein würde, daß sie im günstigen Sinn einen Druck auf die Regierungen ausgeübt hätte. Andrerseits muß doch wohl, da das Centrum, während die Sache in der Schwebe war, im Winter und während der Session, keine Schwierigkeiten zu machen versucht hat, Bismarck dasselbe einigermaßen über die Lage der Dinge getäuscht und überlistet haben, wie ja auch der erste Schlag offenbar überraschend kam. – Die letzte Periode der Parlamentssessionen muß entsetzlich langweilig gewesen sein, wenigstens atmete mein Vater auf, als die unerfreuliche Plackerei endlich zu Ende war.17 Unerfreulich schon deshalb, weil sich immer mehr herausstellte, daß die nationalliberale Fraction in ihrer jetzigen Zusammensetzung leistungsunfähig ist. Mein Vater fand, daß die Leute, welche sich jetzt als Wortführer der Partei aufgethan haben, und namentlich die Herrn v. Eynern und Enneccerus, denn doch die vollendetsten Nullen, ersterer ein schrecklicher Phrasenfabrikant und letzterer bei jedem Wort, was er sagt, in Gefahr sei sich zu blamieren und ausgelacht zu werden. Ebenso scheint Herr v. Benda mit den Jahren immer behäbiger und bequemer, und überhaupt das reine Orakel zu werden, während im Reichstage die Süddeutschen von überwiegendem Einfluß in der Fraction sind und Hobrecht und mein Vater hier auf den Parteitagen immer mehr auf den äußersten linken Flügel geraten und von den Andren lediglich als eine frondierende Gruppe innerhalb der Fraction argwöhnisch betrachtet werden. Von der MögZum Regenten wurde am 2. November 1885 auf Bundesratsbeschluß Albrecht von Preußen bestimmt, ein Neffe Kaiser Wilhelms I. 15 Der von Bismarck im Bundesrat eingebrachte Antrag wurde gegen die Stimmen von Mecklenburg-Strelitz und Reuß ältere Linie und bei Enthaltung Oldenburgs und Braunschweigs am 2. Juli 1885 angenommen. 16 Kaiser Wilhelm I. 17 Die Sitzungsperiode des Preußischen Abgeordnetenhauses endete am 9. Mai 1885.

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lichkeit eines Mitarbeitens ist wenig die Rede, es ist kein rechter Raum da für solche Parteirichtungen. Besonders albern war das Verhalten eines Teils der Nationalliberalen bei Gelegenheit des berüchtigten Antrags Hueneg, wo schließlich, trotzdem mein Vater in der Fraction aus Leibeskräften dagegen gearbeitet und gesprochen hatte, doch noch eine ganze Anzahl sich fanden, die für diesen allen nationalliberalen Traditionenh entgegenlaufenden unsoliden Schwindel stimmten.18 Auch Herr v. Bennigsen scheint, seiner Haltung auf den Parteitagen nach, in seinen Ansichten in mancher Beziehung nicht mehr den früheren festen Standpunkt aufrecht zu erhalten. Ob die Partei noch einmal Vertrauen im Volke gewinnen wird, ist doch sehr die Frage; das Gedächtnis der Leute ist kurz und was die Partei einmal geleistet hat, weiß niemand mehr; namentlich wird sie aber durch fortgesetztes Aufnehmen von antisemitischen pp. Elementen in sich – hier in Berlin sind Wähler Stöckers in Masse im „national-liberalen“ Verein u. im Vorstand desselben – sich so an diese Seite attachieren, daß, wenn der Umschlag nach der andren Seite kommt, die Deutschfreisinningen19 die einzigen auf dem Platz sein werden, und deren Fähigkeit zu einer positiven Politik sinkt fortwährend im Kurse. Mit Leuten wie Rickert etc. kann sich mein Vater überhaupt nicht mehr verständigen. Das „Reichsblatt“, Rickerts Organ, 20 bemüht sich immer mehr, in den niedrig populären Ton zu verfallen. Die Popularitätssucht und der, wie es scheint, etwas charakterlose Ehrgeiz desi Hrn v. Forckenbeck, verbunden mit Mangel an wirklicher Feinheit des Urteils, Schönrednerei und Unfähigkeit zur Leitung auch nur einer Magistratssitzung, erscheint, bei der immerhin erheblichen Stellung, die er in der Meinung der Leute einnimmt,j so viel ich gehört habe, Denen, die ihn kennen müssen, nur als g O: Huehne

h Tradizion > Traditionen

i O: der

j 〈erscheint,〉

18 Gemeint ist der am 10. Februar 1885 durch den Zentrumsabgeordneten Karl von Huene im Preußischen Abgeordnetenhaus eingebrachte und im Mai 1885 angenommene Antrag, der schließlich mit einer Mehrheit aus Zentrum, Konservativen und Polen sowie mit wenigen nationalliberalen Stimmen als „Lex Huene“ Gesetzeskraft erlangte. Das Gesetz regelte die Verwendung der staatlichen Gewinne aus den Einfuhrzöllen für Agrarimporte, die gerade erst durch den Reichstag erhöht worden waren (vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 490 mit Anm. 36). Der Hauptanteil der Einnahmen ging in die Stadt- und Kreisverwaltungen. 19 Die linksliberale Deutsche Freisinnige Partei hatte sich im März 1884 aus der Liberalen Vereinigung und der Deutschen Fortschrittspartei zusammengeschlossen. 20 Das „Deutsche Reichsblatt“ wurde 1881 als Organ der Liberalen Vereinigung gegründet und von Heinrich Rickert herausgegeben.

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ein Beweis für die Urteilslosigkeit der meisten Menschen und ihr Bedürfnis, an irgend jemand zu glauben. Es kann Einen doch immer ein gewisser Schauder befallen, wenn man denkt, daß diese Leute einmal dazu berufen sein könnten, Bismarcks Platz auszufüllen, und es tritt immer sichtbarer hervor, wie gut es dem Letzteren gelungen ist, alle wirklich selbständigen und bedeutenden politischen Mitarbeiter und eventuellen Nachfolger entweder zu vernichten oder in ganz verquere Abwege zu drängen. Wer kann sich da wundern, wenn eine so große Menge von Leuten, die ursprünglich andrer Überzeugung waren, doch nur von ihm etwas wissen wollen; man kann sich an dem Mann doch von Zeit zu Zeit noch einmal freuen, z. B. haben wir uns an seiner Rede über die Sonntagsruhe21 trotz mancher Zweifel doch gefreut, und sie hat bei den hiesigen Conservativen, verbunden mit dem einige Wochen späteren Cumberland-Antrag, 22 ziemliche Bestürzung und Trauer über den „verlorenen Sohn“ hervorgerufen. – Daß natürlich die Schönhauser Affaire23 als Beispiel mustergiltigen Zartgefühls gilt, versteht sich, ich habe mich vergebens bemüht, dem jungen Hrn. Simons24 nachzuweisen, daß, wenn man damit unbedingt sympathisieren solle, man doch auch den Wunsch hegen müsse, alle Leute empfänden so, was man denn doch mit gutem Gewissen |:nicht:| könne. Andre meinten, er habe persönlich gar nichts von der ganzen Sache gewußt, während mein Vater mir erzählt, daß im Gegenteil das Comité sorgfältig bei ihm angefragt und er nachher in nicht miszuverstehender Weise sein Misbehagen über die nach der ersten Absicht auf dem Gut bleibenden Hypotheken zu erkennen gegeben hat, worauf dann auch noch reagiert wurde. Im Allgemeinen hat man sich hierk über die Sache nicht echauffiert, da man ihm genau dies von vorn herein zugetraut hatte. Aber[,] daß sich die Studentenschaft solchen Dingen gegenüber so kalt verhält, wundert mich und ist nicht schön. k 〈nicht〉 21 Gemeint ist eine Rede Bismarcks vom 9. Mai 1885 vor dem Reichstag, bei der er sich in der strittigen Frage nach Einhaltung der Sonntagsruhe dafür aussprach, zunächst eine umfängliche Enquete zu starten. 22 Zum Antrag vom 21. Mai 1885 vgl. oben, S. 523 f., Anm. 14. 23 Zum Kauf des Gutes Hohenschönhausen II aus dem Bismarckfonds vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 493 f. mit Anm. 57. 24 Es ist unklar, ob hier ein Verwandter des mit der Familie Baumgarten in Straßburg befreundeten Eduard Simons gemeint ist. In diesem Falle könnte es sich um den 1865 geborenen Bruder Otto Simons handeln, über den aber weiter nichts bekannt ist.

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Höchst unsicher muß es zeitweise mit dem Befi nden des Kaisers25 ausgesehen haben, man kann die Größe der Gefahr immer erst aus den nachfolgenden Besserungsbulletins ersehen. Zwei Mal sah ich, daß er von seinem Fenster aus auf seinem Arbeitsstuhl, den er herumgedreht hatte, sitzend die Wachparade abnahm, was er sonst immer stehend thut. Ungeheure Menschenmassen stehen dann immer vor dem Palais. Was bei einer eventuellen Katastrophe werden wird, weiß niemand. Das Zutrauen zum Kronprinzen26 ist eigentlich in fortwährender Abnahme; man glaubt auch bei den Liberalen nicht mehr recht, daß er im stande sein wird, viel zu ändern, eingesponnen wie er ist. Jedenfalls weiß niemand, wessen man sich von ihm versehen soll. Das Interesse wendet sich jetzt schonl dem Prinzen Wilhelm zu, 27 der ein sehr tüchtiger Militär sein soll und angeblich ziemlich viel Schneid und Energie an den Tag legt. – Im Allgemeinen kommt es mir so vor, als ob die Leute hier etwas pessimistischer geworden wären, soweit sie sich um diese Dinge bekümmern und als ob sonst das Interesse an politischen Dingen im Sinken sei. Bei meinen wunderlichen Altersgenossen beschränkt sich das Verhältnis zu diesen Dingen darauf, daß sie entweder etwas in Antisemitismus mitmachen – diese Modesache betreiben auch Die etwas wenigstens „anstandshalber“ mit, welche sonst sich um nichts kümmern, als Skat und Billard. Oder, das ist die höhere Stufe, sie suchen etwas darin, sich „Bismarck-sans-phrase“ zu nennen, indem sie offenbar gehört haben, daß man heutzutage schrecklich gegen „Phrasen“ wütet und den Sinn wohl etwas misverstehen; kommt man ihnen mit irgendwelchen Einwendungen, so erwidern sie darauf gar nichts, sondern beginnen eine persönliche Invective gegen Eugen Richter und glauben damit alles widerlegt zu haben. Andrerseits giebt es auch, aber in „erdrückender“ Minorität, stramme Fortschrittsleute unter den Studenten,m das sind aber, soweit es nicht Juden und einige wenige Söhne von Berliner Stadträten etc. sind, die aus Tradition dahin gehören, meist höchst philiströse – d. h. auch geistig philiströse – Leute gewissermaßen mit Scheuklappen vor. Einige Wenige habe ich gefunden, deren Anschauungen über diese Dinge andre, und zwar meist sehr skeptische l 〈z〉

m 〈daß〉

25 Wilhelm I. 26 Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III. 27 Der spätere Kaiser Wilhelm II.

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waren, auch gegenüber dem 1.-April-Taumel28 skeptische, die gleichzeitig auch das Unpassende und Widrige einer derartig tollen Agitation, wie sie hier stets war, unter der Studentenschaft,n von Seiten junger Leute in unserem Alter, dereno Ansichten über solche Dinge naturgemäß einem häufigen Wechsel unterliegen, so lange man |:noch:| nach dem Standpunkt der Betrachtung sucht und suchen solle, erkannten. Aber es waren eben nur Wenige, die so dachten. Ein großes Glück ist es nur, daß nach der neuen Einrichtung des hiesigen Studentenausschusses die großen Wahlversammlungen der ganzen Studentenschaft abgeschafft und damit alle Agitationen so gut wie gegenstandslos geworden sind.29 So kann sich dieses Volk denn nur noch in dem frenetischen Jubel bemerklich machen, der in den Treitschke’schen Collegien erschallt, wenn er irgend eine antisemitische Andeutung macht. Sonst sind nur zahlreiche Wände und die meisten Tische etc. mit antisemitischen Kriegsrufen verschiedener Roheitsqualität bemalt. Bei Gneist wurde gelegentlich der schwache Versuch gemacht, in der üblichen Weise Misvergnügen kundzugeben, da er sich jedoch nicht darum kümmerte, verschwand die Unsitte. Das Unglaublichste ist jedoch die fabelhafte Unkenntnis in der Geschichte dieses Jahrhunderts bei meinen Altersgenossen, nur daß die geborenen Berliner hier, so viel ich sehe, noch etwas besser im Allg. beschlagen sind. Sonst aber herrscht hier tabula rasa, bis auf die Kenntnis einiger Schandtaten der Fortschrittler und der Thaten Bismarcks – zum Teil. Innere Politik giebt es in diesen Köpfen erst seit 187830 – natürlich mit den genannten, nicht eben zahlreichen, Ausnahmen. – Mein eigentlicher Verkehr ist ziemlich beschränkt. Außer wenigen älteren Bekannten verkehre ich hier mit dem Sohn des früher bekannten Stadtrats Hagen, 31 über dessen Antrag das Ministerium der neuen Ära stürzte, einem ächten Berliner Fortschrittsmann.32 Sonst n 〈erkannten〉

o 〈Ab〉

28 Gemeint sind die Feierlichkeiten zu Bismarcks 70. Geburtstag. 29 Infolge der Wahlen zum „Ausschuß der Studierenden“ war es an der Universität Berlin im Dezember 1884 zu mehreren Pistolenduellen unter den Studenten gekommen, die ein Todesopfer forderten. Das Rektorat hatte daraufhin alle studentischen Wahlen untersagt. 30 Das Jahr 1878/79 markierte das Ende der sog. liberalen Ära, also der engen Zusammenarbeit zwischen Nationalliberalen und Bismarck. 31 Werner Hagen, der Sohn des Berliner Stadtrates Adolf Hagen. 32 Am 11. März 1862 hatte Adolf Hagen als Vertreter der Fortschrittspartei einen Antrag im Preußischen Abgeordnetenhaus gestellt, der eine stärkere Spezifizierung des Etats for-

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bedarf ich jetzt des Verkehrs auch wenig. Mit Dr. Grafe bin ich öfter zusammengewesen, auch mit Dr. Hoeniger, den Du ja kennst, verkehre ich viel. Er hat sich im Winter hier habilitiert und liest jetzt über Städteentwicklung im Mittelalter, außerdem hält er Übungen ab. Für den Anfang sind sowohl das Colleg wie namentlich die Übungen recht gut besucht,33 meist von älteren Historikern, auch einigen Juristen, im Colleg mögen etwa ein Dutzend Zuhörer sein. Ich habe ein par Mal hospitiert, er spricht sehr fl ießend und meist frei, allerdings mehr in der Art eines öffentlichen Vortrags als eines Collegs, aber sehr inhaltsreich. Man hat bei ihm oft den Eindruck, daß er Lebemann sei und daß seine wissenschaftliche Beschäftigung |:oft:| etwas dilettantenhaft sein müsse und namentlich nicht sehr produktiv an Gedanken; aber doch wohl sehr mit Unrecht, denn bisher habe ich nichts als Anerkennung über ihn gehört und mein Vater u. A. waren namentlich sehr angethan von einem Vortrag, den er auf dem hansischen Geschichtstage in Rostock über die ältesten deutschen Stadtbücher gehalten hatte.34 Persönlich ist er sehr liebenswürdig und lebenslustig, gesellschaftlich sehr gut zu haben, und auch mein Vater sieht ihn recht gern. Auch bei Dr. Grafe war ich einmal im Colleg und ging dann, da der Gegenstand mich interessierte, noch einmal hin.35 Er trägt sehr ruhig vor, ohne sich d[urch] die Sache allzu sehr erregen zu lassen, aber sehr klar und für Jedermann verständlich. Im Colleg waren meist ältere Theologen, in Anbetracht, daß Weiß dasselbe Colleg liest, 36 ziemlich zahlreich. Er klagte aber, daß die Studenten hier doch bei dem Versuch einer irgendwelchen Kritik sehr leicht kopfscheu würden oder gar nicht recht begriffen, was

derte. So sollte insbesondere der Militäretat einer genaueren Kontrolle unterworfen werden. Der preußische König löste daraufhin den Landtag auf und entließ die liberalen Mitglieder des Staatsministeriums; die sog. Neue Ära war damit offiziell beendet und der Verfassungskonflikt eröffnet. 33 Die Lehrveranstaltungen des gerade erst habilitierten Privatdozenten für Geschichte sind nicht im offiziellen Vorlesungsverzeichnis der Berliner Universität aufgeführt. 34 Robert Hoeniger und Max Weber sen. waren Mitglieder des Vereins für Hansische Geschichte. Vgl. Hansische Geschichtsblätter, Jg. 1886. – Leipzig: Duncker & Humblot 1888, S. XI. Ein Vortrag Hoenigers auf der Rostocker Vereinsversammlung 1885 ist nicht nachgewiesen. 35 Eduard Grafe hielt von Dienstag bis Samstag, 12–13 Uhr, ein Kolleg über die „Korintherbriefe“. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, SS 1885, S. 1, dort mit dem Zusatz „privatim“. 36 Bernhard Weiß bot im folgenden Wintersemester ebenfalls ein Kolleg zu den Korintherbriefen an. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, WS 1885/86, S. 1,

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man eigentlich wolle; namentlich in den Übungen37 müsse man ihnen das alles sehr vorsichtig beibringen, sonst verhielten sie sich sehr kühl derartigen Versuchen gegenüber und man müsse immer befürchten, sie zu verscheuchen. – Sonst hat sich in unsrem Verkehr nicht viel geändert. Treitschke hat jetzt wieder etwas angefangen, gesellschaftliche Beziehungen zu uns anzuknüpfen, nachdem die Leidenschaft auch auf dieser Seite etwas abgenommen hat38 und man nun – die umgekehrte Welt, wie häufig – anfängt, zu versuchen, die erst ex abrupto in die Welt gesetzten politischen, socialen und wissenschaftlichen Axiome etc. zu begründen, denn diesen Character nehmen die jetzigen Kundgebungen von dieser Seite doch an. U. A. wird nach wie vor sehr siegesgewiß von ihnen behauptet, daß wie ich Dir schon im März erzählte,39 Treitschke ein Aktenstück besitze, welches die Frage betr. Teplitz vollkommen in seinem Sinne erledigte, die Ansicht, die er betr. Hardenberg gegeben habe, vollkommen bestätige.40 Näheres aber erfährt man nicht darüber, und 37 Eduard Grafe hielt montags von 17–18 Uhr „neutestamentliche Übungen“ ab. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Berlin, SS 1885, S. 2, 38 Die seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in Göttingen miteinander befreundeten Heinrich von Treitschke und Max Weber sen. hatten sich nach der Reichsgründung politisch voneinander entfernt. Zum vorläufigen Bruch kam es wohl, nachdem Weber sen. im November 1880 die Notabeln-Erklärung gegen den Antisemitismus mitunterzeichnet hatte; sie war v. a. gegen Treitschke gerichtet, auch wenn dieser nicht explizit genannt wurde. 39 Max Weber hielt sich im März/April 1885 in Straßburg zu einer militärischen Übung auf und besuchte dort gelegentlich seinen Onkel Hermann Baumgarten. Er dürfte hier also auf einen mündlichen Austausch anspielen. 40 Gemeint ist hier die Teplitzer Punktation vom 1. August 1819 zwischen Österreich und Preußen, in der ein gemeinsames Vorgehen gegen liberale und nationale Bestrebungen im Deutschen Bund abgestimmt wurde; sie war Grundlage für die kurz später verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse und damit der Auftakt zur Restauration. – In der Auseinandersetzung zwischen Treitschke und Baumgarten (vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 306 mit Anm. 10) wurden Teplitz und Karlsbad wiederholt thematisiert. Im Kern ging es um die Frage, wer die Hauptverantwortung für die Zustimmung zu Metternichs restaurativer Politik in dieser Zeit trug: König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, oder sein Staatskanzler Hardenberg, dessen Verantwortung für die „Unterwerfung Preußens unter Österreichs Leitung“ Treitschke höher gewichtet als die des Königs (Treitschke, Deutsche Geschichte II (wie oben, S. 305, Anm. 7), S. 553). Daneben ging es um quellenkritische Fragen: Mitte 1885 waren lediglich zwei Berichte Metternichs über die Unterredungen in Teplitz bekannt. Treitschke interpretierte sie dahingehend, daß der österreichische Staatskanzler dem preußischen König (in Erinnerung an dessen Verfassungsversprechen aus dem Jahr 1815) empfohlen habe, keine demokratische Verfassung zu gewähren, sondern allenfalls eine Ständevertretung zuzulassen, wie sie auch Hardenbergs Plänen entsprochen habe. Für Baumgarten (Baumgarten, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 10), S. 23–29, 34–39 und 55–59) entsprach dies nicht dem Inhalt und Sinn der Aufzeichnungen von Metternichs, dazu unterschlage Treitschke die wesentliche

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übrigens ist es auch wunderlich, mit dieser einen Frage dann, wie sie es thun, den ganzen Streit für erledigt und das ganze Gewicht der Vorwürfe gegen Treitschke gehoben zu betrachten. Wenn Du einmal die Meinung aussprachst, es würden sich vielleicht Leute fi nden, welche gernp Friedrich Wilhelm III an Karl V rücken möchten,41 so hat sich Das doch eigentlich nicht bestätigt. Das liegt doch zu sehr auf andrem Gebiet, aber es ist doch auch wieder bezeichnend, daß man eine Geschichtsschreibung, welche sich auf Karl V und eine solche, welche sich auf die neueste Zeit bezieht, als zwei dem Princip nach ganz disparate Dinge betrachtet, von denen das eine rein wissenschaftlich, das andre als politisch-didaktisch aufzufassen sei. Jedenfalls zeigt sich grade darin, daß man diese beiden Seiten ganz auseinanderhalten will und als etwas ganz Verschiedenes betrachtet, daß man nicht mit Unrecht jener Art von Geschichtsschreibung die Qualitäten der Objectivität und des rein wissenschaftlichen Forschens ohne Hinarbeiten auf ein von vorne herein gesuchtes |:u. gewünschtes:| Resultat abspricht. – Mein Vater hat sich Karl V mit auf die Reise genommen,42 in welchem er bisher immer noch langsame Fortschritte gemacht hat, weil die wirklich sehr viele Ansprüche an ihn stellende Bauarbeit seine Zeit ganz ungebührlich verkürzte.43 Dagegen habe ich meiner Mutter zu ihrer großen Freude und Interesse vieles daraus vorgelesen und sie fand, daß es ihr doch diese Zeit von einer ganz andren Seite anschaulich gemacht habe, war also doch im Stande, auch ohne speciell wissenschaftliches Interesse und ohne die entsprechende Orientiertheit sich zurechtzufi nden. Natürlich interessierte es mich auch zu hören, was Leute von wissenp 〈ka〉 Verantwortung des preußischen Königs in der Sache, der sich vom österreichischen Staatskanzler habe dominieren lassen. – Mit dem von Weber hier erwähnten „Aktenstück“ dürften die Berichte über Hardenbergs Verfassungspläne aus dem Sommer 1819 gemeint sein, die erst im Herbst 1884 wieder aufgetaucht waren und aus denen Treitschke in den Beilagen zum 3. Band der „Deutschen Geschichte“, der Ende 1885 erschien, ausführlich zitierte (Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 3. Teil: Bis zur März-Revolution (Staatengeschichte der neuesten Zeit, 26. Band). – Leipzig: Samuel Hirzel 1885, S. 756–761). 41 Hermann Baumgarten hatte am 2. Band von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ nicht zuletzt kritisiert, daß er eine „durchgängige Rechtfertigung Friedrich Wilhelms III[.]“ darstelle (Baumgarten, Treitschke (wie oben, S. 306, Anm. 10), S. 34). 42 Baumgarten, Karl V. (wie oben, S. 483, Anm. 4). Max Weber sen. war mit seinem Sohn Alfred auf Reisen, vgl. den Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885, oben, S. 517. 43 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert.

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schaftlichem Interesse, die nicht grade speciell in dieser Zeit arbeiten, also „größeres Publicum“ im engeren Sinn, zu dem Buch sagten. Diejenigen, die es gelesen hatten, sagten mir, sie glaubten, es würde viel mehr gelesen werden, wenn nicht sehr Vieleq durch das, was in der Vorrede über die neu hinzugezogenen Quellen gesagt sei,44 zu der Ansichtr verleitet würden, das Buch enthielte „nichts Neues“ und es daher bei Seite legten – allerdings ein sehr äußerlicher Grund, aber doch, wie es scheint, nicht unwesentlich in Verbindung damit, daß die große Mehrzahl der Leute gewohnt ist, durch eine längere oder kürzere Einleitung sich über die ganze Zeit auf bequeme Art orientieren zu lassen, und, wie dies ja begreifl ich ist, sehr viele die Bücher lediglich der Einleitung wegen lesen, |:um „mitreden“ zu können:|. Ich schreibe Dir dies nur, weil Du gelegentlich sagtest, Dich interessiere es, was das „größere Publikum“, d. h. die wissenschaftlich Interessierten, zu dem Werke sagen würden. – Nun habe ich Deine Zeit aber schon übermäßig lange in Anspruch genommen, namentlich da leider trotz mancher Bemühungen es mir noch nicht gelungen ist, meine Handschrift leserlich zu machen, wenn ich mir auch schmeichle, daß sie besser geworden sei. Es ist nun schon Donnerstag Abend geworden, da ich am Dienstag Abend zu müde wurde und gestern Besuch bekam,45 der mir bei meiner vollkommenen Einsamkeit von Zeit zu Zeit willkommen ist. Zum September hattens Euer Fritz und seine Braut mich nach Eßlingen eingeladen; 46 ich glaube, Du wirst es richtig fi nden, daß ich für diesmal die Einladung abgelehnt habe, wenn auch mit schwerem Herzen, denn ich hätte Euch doch sehr gern bald einmal persönlich wiedergesehen. Aber ich finde doch, abgesehen davon, daß man sich bei solchen Gelegenheiten doch nur so halb und halb sieht und daß es im Grunde unter gewöhnlichen Umständen ein behaglicheres Wiedersehen ist, daß es doch auch nicht q In O folgt: sich

r 〈gebra〉

s O: hatte

44 Gleich zu Beginn des „Vorworts“ berichtet Baumgarten, daß das Buch der Forderung nach einer „möglichst vollständigen Verwertung des urkundlichen Materials […], des ungedruckten ebenso gut wie des gedruckten“ nicht genüge; die Darstellung beruhe wesentlich auf dem gedruckten Quellenmaterial. Vgl. Baumgarten, Karl V. (wie oben, S. 483, Anm. 4), S. III. 45 Vermutlich Werner Hagen. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Juli 1885, unten, S. 534 mit Anm. 3. 46 Gemeint ist eine Einladung zur Hochzeit von Fritz Baumgarten und Else Georgii am 8. September 1885.

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recht von mir gewesen wäre, da aus Fritzens Karte doch hervorging, daß noch recht viele Candidaten für meinen Platz da waren und doch die Familie der Braut bei solchen Gelegenheiten in erster Linie berücksichtigt zu werden pflegt, diesen im Wege zu stehen, zumal ich doch ziemliche Schwierigkeiten haben würde, mich so einzurichten, daß ich um diese Zeit grade kommen könnte, was der wesentlichste Grund war. – Nun entschuldige, daß ich so breit und weitläufig geworden bin, ich habe jetzt immer ein unbestimmtes Bedürfnis nach einer gewissen Vollständigkeit, welches sich vielleicht aus der Beschäftigung mit Pandekten47 herschreibt. An die Tante will ich bald schreiben,48 ich habe ihr doch noch einiges zu erzählen, und wenn Du es erlaubst, schreibe ich in nicht allzu langer Zeit einmal wieder, obwohl hier jetzt die „Sauregurkenzeit“49 und tiefe Stille herrschen. Mit herzlichem Gruß Dein treuer Neffe Max.

47 Zum Corpus Iuris Civilis und den Pandekten vgl. den Brief von Max Weber an Helene Weber vom 4. Nov. 1882, oben, S. 296 mit Anm. 7. 48 An Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, ist kein Brief Max Webers nachgewiesen. 49 Gemeint sind die Pausen von Reichstag und Preußischem Abgeordnetenhaus. Der nächste überlieferte Brief von Max Weber an Hermann Baumgarten datiert vom 25. und 27. April 1887, MWG II/2, S. 69–74.

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Helene Weber 16. Juli 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 96–98 Helene Weber hielt sich zu dieser Zeit mit Max Webers jüngeren Geschwistern Karl, Clara, Arthur und Lili in Heidelberg auf. Max Weber sen. war am 13. Juli zusammen mit seinem zweitältesten Sohn Alfred an den Rhein gereist, wollte anschließend aber auch nach Heidelberg kommen. Vgl. die Mitteilungen im Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885, oben, S. 517.

Charlottenburg den 16.ten Juli 85. Liebe Mutter! Eigentlich wollte ich Dir schon gleich nach Beginn meiner beschaulichen Einsamkeit schreiben, kam aber am Dienstag Vormittag nicht dazu, weil alle möglichena Leute, Entwässerungsbefl issene u. derartiges Volk, vorhanden waren und hier herummurksten und ich es doch anstandshalber für nötig hielt, zu constatieren, was die Leute eigentlich betrieben.1 Dann habe ich einen Brief an Emmi mit meinem Photogramm, welches ich ihr schon lange schuldig war, abgeschickt und angefangen an den Onkel Hermann zu schreiben.2 Am Mittwoch gegen Abend, als ich eben wieder anfangen wollte zu schreiben, besuchte mich Herr stud. Hagen3 und blieb zum Thee, so komme ich erst heute dazu. Schönen Dank für Deinen lieben Brief und die verschiedenen Ermahnungen darin. Die Noten sind gestern noch vergessen worden fortzubringen, ich schicke sie nachher mit zur Post, denke, es wird ja gehen, sie unter Kreuzband zu schicken.4 Karls Skizzenbuch habe ich bisher nicht fi nden können, auch in Alfreds Zimmer nicht. Hier im Haus geht alles recht ordentlich bis jetzt, und die Mädchen suchen, wie das allerdings ja gewöhnlich in solchen Situationen der Fall ist, durch hervorragende Aufmerksamkeit zu glänzen, und auch in der Beziehung sind sie der modernen Cultur näher gerückt, als sie die Nützlicha O: mögliche 1 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 2 Vgl. die Briefe Max Webers an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885, oben, S. 515–518, und an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, oben, S. 519–533. 3 Gemeint ist der Besuch des Jurastudenten Werner Hagen am Mittwoch, 15. Juli. Vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, oben, S. 532 mit Anm. 45. 4 Damaliger Begriff für den verbilligten Postversand als Drucksache.

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keit eines ordentlichen Schließens und Sicherns der verschiedenen Türen des Abends erkannt haben und ich das meist, wenn ich zu Bett gehe, schon gethan fi nde. Ihre Küche ist natürlich sehr lobenswert; in Bezug auf die Größe meines Appetits, den sie sich zunächst ungefähr als den eines vorsündflutlichen Kannibalen vorgestellt zu haben scheinen, habe ich ihnen einige Enttäuschungen bereitet. Natürlich habe ich in Bezug auf die Mahlzeitszeiten und -Zahl mir den Tag so eingerichtet, wie es sonst Sonntags geschieht [.] Ein großer Vorteil des Alleinseins ist in dieser Beziehung die dadurch gegebene Möglichkeit einer etwas schnelleren Erledigung der Fütterung. Sonst dehnt sich das Sitzen dabei doch immer ziemlich lange aus, und es ist ja auch andrerseits wieder sehr natürlich, da es die einzigen Zeiten sind, wo die ganze Familie unter sich beisammen ist und die Beschäftigung eine der wenigen, bei denen Groß und Klein und die verschiedensten Naturen mit dem gleichen Interesse sich zu beteiligen in der Lage sind. Es ist aber doch ein größerer Zeitgewinnst als man glaubt, wenn es etwas kürzer dabei abgeht. – Daß der Fritz so oft zu Euch herüberkommen kann, 5 ist wirklich sehr hübsch, hoffentlich ist das Zusammensein mit ihm von Zeit zu Zeit nicht ganz ohne Einfluß auf Karl und bringt seine Gedanken einmal in eine etwas gradere Richtung. Über seinen (allerdings doch etwas unorthographischen, was Du ihm ja aber nicht zu sagen brauchst) Brief habe ich mich recht gefreut und werde bald antworten,6 was ihm Fritz wohl schon bestellt haben wird. Daß ich Fritzens Einladung für diesmal nicht angenommen habe und warum, wird er Dir ja wohl gesagt haben.7 Ich glaube aber doch, es wäre nicht recht gegangen, daß ich im September plötzlich noch einmal nach Süddeutschland gefahren wäre und muß auch sagen, daß jetzt, wo ich doch sehr viel seltener mit Baumgartens zusammen sein kann, ich, wenn ich einmal nach dem Süden komme, dann auch ordentlich und ruhig mit ihnen zusammenleben möchte und nicht nur so den Trubel einer Hochzeit mitmachen und – paff! diese nach allen Seiten auseinanderplatzen. Vermutlich wird ja doch wohl der Papa etwas mit mir unternehmen wollen, und ich

5 Fritz Baumgarten war zu dieser Zeit Lehramtsanwärter in Mannheim. 6 Ein Brief Max Webers an seinen Bruder Karl ist nicht nachgewiesen. 7 Gemeint ist eine Einladung zur Hochzeit von Fritz Baumgarten und Else Georgii am 8. September 1885. Zu den Gründen seiner Absage vgl. den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885, oben, S. 532 mit Anm. 46, und unten, S. 536.

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habe selbst große Lust dazu, etwas in die Welt zu schauen. Nur von Seebädern und Reisen zur Erholung in irgend ein deutsches Gebirge oder was weiß ich mag ich jetzt nichts hören. Erholung bedarf ich nicht und würde mich dabei jetzt doch nur als über einen Zeitverlust ärgern,b weil ich meine Zeit bei einem guten Buche jetzt jedenfalls nützlicher zubringe als auf einer Reise, auf welcher ich nicht wirklich etwas kennen lerne; die Nordsee und die Natur laufen mir nicht weg und bleiben genießbar, wohl aber läuft mir die Zeit fort, während deren ich noch mich neben der Jurisprudenz speziell auch mit andren Dingen beschäftigen kann. Den Naturgenuß als eine Modeerfi ndungc der Neuzeit zu betrachten kommt mir nicht in den Sinn, ebensowenig wie mir die Fähigkeit dazu fehlt, aber ich kenne noch andre ebenso große Genüsse, die ich dem Naturgenuß als solchem jetzt aus dem Grunde vorziehen muß, weil ich die Natur auch später noch und vielleicht, wenn ich mich eine Zeit lang einmal wirklich geplagt haben sollte, in noch erhöhtem Maße genießen kann, während es mir immer schwerer werden wird, Zeit zu geistigen Genüssen zu fi nden und ich doch immerhin bisher schon die Zeit, ich will nicht direct sagen: d verloren, aber doch nicht so voll auf derartige Dinge verwendet habe, wie es möglich, vielleicht auch richtiger, gewesen wäre. – Wie gesagt also, ich glaube, daß ich doch wohl im August etwas, wenn auch nicht für lange, von hier fortkommen werde, und da kann ich doch nicht gut im September mich noch einmal auf die Beine machen. Es wird doch eben auch viel behaglicher, ich suche die Straßburger und den Fritz einmal in ihrer resp. Häuslichkeit auf, was doch wohl in absehbarer Zeit einmal möglich zu machen sein wird, und was wohl auch besser sein wird, da aus Fritzens Karte doch hervorging, daß sie auf dem Platz, den sie mir dabei eingeräumt hatten, doch recht viele Candidaten noch in petto hatten, die jedenfalls mit gutem Recht verlangen konnten, dabei zu sein. Es müssen doch ziemlich kleine Verhältnisse in Eßlingen sein. Auch bin ich bei Hochzeiten u. dergl. ziemlich unbrauchbar, weil bei solchen Gelegenheiten selten sehr lustig – und kurz, da habe ich es für vernünftiger gehalten, diesmal nicht hinzugehen. Ich habe mit dem Papa über die Sache nur vorübergehend gesprochen, aber er schien doch auch dieser Ansicht zu sein [.] – Die Verhältnisse bei Hausraths habe ich mir ungefähr so, aber noch unerfreulicher, vorgestellt und die Ängstlichkeit und gewissermaßen b 〈denn〉

c Unsichere Lesung.

d sagen, > sagen:

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Eingeschüchtertheit der armen Tante8 kannte ich auch recht gut. Ob nicht grade, wenn es möglich wäre, daß die Tante etwas weniger ängstlich wäre und eine gewisse Freiheit der Bewegung etwas mehr als etwas Selbstverständliches in Anspruch nähme und ausübte, der Onkel9 seinerseits seine nun allmälig zur Gewohnheit gewordene Tyrannisierung der Welt etwas weniger als etwas Natürliches ansehen würde (denn ich glaube fast, so erscheint es ihm jetzt), scheint mir doch nicht ausgemacht. Denn ich habe stets den Eindruck gehabt, daß er bei seinem Scharfblick für solche Dinge all das, was im Stillen gegen seinen Kopf und seine Vorurteile gethan wird, gradesogut sieht, als ob es offen geschähe, und daß es im Erfolg also dasselbe ist, nur daß er so in seinen Zweifeln an der ehrlichen Meinung aller Menschen ihm gegenüber nur bestärkt wird, das Gefühl gewinnt, im Rechte zu sein und seine Menschen-Misachtung und Menschenfeindschaft nur zunimmt. Ob eine solche Änderung der Behandlung ihm gegenüber möglich ist, liegt mir fern beurteilen zu wollen, nur hat man als Außenstehender immer den Gedanken, daß, da nun einmal doch das Verhältnis ein so unnatürliches ist, daß fortwährend gegen seine Wünsche gehandelt wird und gehandelt werden muß, die Art, wie es geschieht, den Charakter einer stillen, mehr oder weniger geheimen Opposition annimmt, welche ihn, der sie sieht, nur erbittern muß, während vielleicht ein unverholenes selbständiges Handeln ihm, wenn auch nicht mehr, so doch vielleicht das unbestimmte Bewußtsein geben würde, daß er hier versucht ein bewußtes Recht, das der freien Gedanken und freien Sprache, überhaupt Freiheit der Persönlichkeit, zu unterdrücken [,] und er würde vielleicht doch eine Art von Gefühl davon bekommen, daß es nicht, wie er sich in seiner krankhaften Trübseherei einbildet, allerlei gegen ihn gerichtete klatschsüchtige und verstohlene Umtriebe und Conspirationen sind, die ihm gegenübertreten, sondern das einfache Bewußtsein des persönlichen Rechts. Vielleicht würde durch dies wenn auch unbestimmte Gefühl doch seine Selbstgewißheit und die jetzt bei ihm sehr fest stehende Überzeugung von der Niedertracht aller Welt doch etwas erschüttert. Aber freilich stellt man sich als Außenstehender es etwas immer leichter vor als es ist und ich glaube freiliche auch, daß die Tante wohl jetzt längst viel zu ängstlich geworden ist, als um den Vere 〈sicher〉 8 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. 9 Adolf Hausrath.

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such zu machen, auf sich zu stehen und wer weiß auch, was nun wirklich daraus würde? Daß die Kinder10 wenigstens leidlich wohl sind, ist ja recht gut, aber geistig haben sie doch, und Laura nicht ausgenommen, wohl eigentlich, ich möchte sagen, Scheuklappen an und allerdings wird die Tante auch da wohl zu ängstlich sein, um sie etwas zum freien Umschauen zu bringen. – Hier schicke ich noch eine Zeitung mit, die durch ein Versehen auch hier abgegeben worden ist. – Hat Dir denn Schell„häschen“11 geschrieben? Er hatte so etwas die Absicht dazu und ich habe ihn darin bestätigt. Er macht nun das Examen erst im Oktober[,] ist aber nicht sehr unglücklich darüber, noch etwas Zeit zu gewinnen zum Arbeiten und lebt jetzt auch nicht mehr so auf dem „Qui-vive“!12 Ich denke, wir treffen uns einmal Abends irgendwo. Am letzten Sonntag war er noch recht behaglich hier. Ich werde wohl nächstens einmal einen großen Besuchsrundgang unternehmen, Vormittags zu Schellhaß und Frau Tiede, gegen Abend zu Hoeniger, Grafe und Julian Schmidt. Auch zu Herrn Wehrenpfennig denke ich noch einen Nachmittag zu fahren. Frl. Perbandtf 13 werde ich Obst schicken lassen, ob ich einmal hinkomme, steht dahin [.] Ich lese jetzt des Abends den 5ten Band von Mommsens Römischer Geschichte,14 noch ganz der Alte, ebenso heftig in seinen Ausdrücken allerlei ihm unliebsamen Persönlichkeiten gegenüber, die größere Ruhe der Darstellung ist durch den Stoff geboten. Daß es Herrn Voigt15 so gut in Heidelberg gefällt, war nicht anders zu erwarten und daß er verhältnismäßig mit Karls Aufmerksamkeit zufrieden ist, ist sehr erfreulich. Wenn nur die Spielsucht bei ihm aufhörte! Nun kommt ja wohl Emmi f Unsichere Lesung. 10 Neben den außer Haus lebenden Söhnen August und Hans waren dies die Töchter Emilie, Pauline (Paula), Maria, Margarethe, Lilli und die nachfolgend namentlich genannte Laura Hausrath. 11 Gemeint ist Max Webers Freund Karl Emmanuel Schellhass. 12 Dt.-frz. Redewendung, etwa: Auf der Hut sein. 13 Nicht sicher ermittelt. Im Berliner Adreßbuch von 1885 sind zwei Witwen von Perbandt aufgeführt, in deren Haushalt möglicherweise eine unverheiratete Tochter wohnte: Emilie von Perbandt, geb. Schmidt, sowie A. von Perbandt, geb. Prätorius. 14 Mommsen, Römische Geschichte V (wie oben, S. 464 f., Anm. 22). 15 Johannes Voigt, ein Primaner des Joachimsthaler Gymnasiums, wurde am 28. Juni 1885 von seinem Direktor Völkel als Nachhilfelehrer für Karl Weber empfohlen. Er verbrachte die Sommerferien mit der Familie Weber in Heidelberg. Vgl. dazu Banach, Sarah, Der Ricklinger Fürsorgeprozeß 1930: evangelische Heimerziehung auf dem Prüfstand. – Opladen: Budrich 2007, S. 92.

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auch bald zu Euch, – ob wohl der Herr Primaner16 arg gefeit ist und den künftigen Theologen nicht die Schwachheit der Welt etwas anwandeln wird? Nun will ich aber schließen, damit vor allen Dingen auch die Noten mit fortkommen. Laßts Euch recht gut gehen, einen schönen Gruß auch besonders an die Tante17 und an alle Unsrigen. Die Mädchen lassen schön grüßen, sie wollen sich nächstens in die Schriftstellerei stürzen. Dein treuer Sohn Max.

16 Alfred Weber. 17 Henriette Hausrath, geb. Fallenstein.

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Lili Weber [24. Juli] 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 26, Bl. 1 Tag und Monat sind erschlossen aus dem Verweis auf Lili Webers Geburtstag „übermorgen“. Sie wurde am 26. Juli 1885 fünf Jahre alt. Helene Weber war mit den jüngeren Kindern in Heidelberg, vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Juli 1885, oben, S. 534.

1885 Liebe Lilli! Vorhin ist mir eingefallen, daß übermorgen Dein Geburtstag ist und daß Du dann 5 Jahre alt und eine ganz große Lilli wirst und nicht mehr weinen willst und die Suppe ganz schnell essen willst und ohne daß die Mama Dich füttern muß, und daß Du immer recht schön hören willst, wenn Dir etwas gesagt wird, damit der Papa und die Mama und alle Dich recht gern haben und sich über Dich freuen, und daß Du eben eine recht große, vernünftige Lilli sein willst von übermorgen an. Da bin ich zum Geburtstagskind gegangen und habe ihm das Alles erzählt, und habe dem Geburtstagskind gesagt, es möchte mir doch was recht Schönes für mein kleines Schwesterchen geben, damit ich dem doch auch was schenken könnte, einen Ball, oder eine Tabakspfeife, oder ein neues linkes Bein für die blonde Puppe, oder ein par Kopfhaare für den armen Golderschatz, oder ein Schwämmchen, damit ihm sein schmutziges Gesicht gewaschen werden könnte, oder einen neuen Hinterkopf für die arme Porzellanpuppe, die nun schon so lange bloß ein Gesicht hat und keinen Kopf, oder sonst was Schönes. Da hat mich das Geburtstagskind aber ausgelacht und hat gesagt: „Ach was denkst Du Dir denn eigentlich, Du dummer Studiosus, einen Ball hat die Lilli schon und eine Tabakspfeife schmeckt ihr nicht mehr, und das linke Bein von der Puppe ist noch da und wird wieder angenäht, und der Golderschatz ist bloß vom Küssen so schmutzig und das ist ja das Schöne an ihm und die andre Puppe braucht keinen Hinterkopf, die hat sich nun schon daran gewöhnt, so herumzulaufen. Und überhaupt die Lilli ist jetzt in Heidelberg da giebt es auch ein Geburtstagskind, das wird der Lilli schon was bringen, wenn sie brav ist. Und von Dir will die Lilli nichts geschenkt haben, die hat Dich schon lange ganz vergessen. Setze Du Dich nur ruhig wieder auf Deine Rauchstube und stecke Dir eine Pfeife an, die Lilli weiß gar nicht mehr, wer du bist, sonst würde sie

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Dich wohl nach Heidelberg mitgenommen haben.“ Da bin ich ganz betrübt geworden und habe mich auf mein Sopha gesetzt und habe mir richtig eine Pfeife angesteckt und habe gedacht: Nun muß ich doch aber mal hören, ob denn die Lilli wirklich gar nicht mehr von mir weiß und ob sie nicht bald wiederkommt und wenn das Geburtstagskind mir nichts giebt, was ich ihr schenken kann, da muß ich ihr doch einen Brief schreiben auf recht schönem Papier, wo sie sich nachher ein Schiff daraus machen kann für auf den Springbrunnenteich im Garten und muß mir mal rechte Mühe geben, schön zu schreiben und ohne Kleckse, damit wenn sie noch größer wäre, sie es beinahe lesen könnte. Und siehst Du, da ist der Brief und ein Klecks ist aber leider doch darauf, aber nur ein kleiner. So, und nun bin ich mal begierig, wenn Du wiederkommst, wie viel größer Du dann geworden bist, wo Du 5 Jahre alt bist und ob Du wohl schon beinahe so groß bist wie ich oder noch nicht, und ob Du noch immer nicht gern ein Junge werden möchtest, aber nicht so ein Schlingel, wie der Arthur. Jetzt aber muß zu Bett Dein ellenlanger Bruder Max

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Denke Dir mal, die alten Hennen haben das eine kleine Hühnchen totgepickt, da wollen wir nun vielleicht ein par andre kaufen, damit es nicht so wenig sind, für 6 Silbergroschen. Du mußt mal die Mama fragen, was die wohl dazu meint. Und sage auch der Mama, heute wäre der Herr Lages wegen des Notenkastens hier gewesen und da hätte ich ihn die beiden Zimmer ausmessen lassen, und ihm gesagt, wenn ich ihm nicht noch was andres sagen ließe, so sollte er sich darauf einrichten, sie in 1 1/ 2 Wochen umzutapezieren, wie sie gewesen sind.1

1 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert.

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Alfred Weber 30. Juli 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 6–7 Alfred Weber war am 13. Juli zusammen mit seinem Vater an den Rhein gereist, um anschließend mit der Familie in Heidelberg zusammen zu treffen. Vgl. die Mitteilung im Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885, oben, S. 517.

Charlottenburg d 30ten Juli 85 Lieber Alfred! Für seinen eigentlichen Zweck kommt dieser Brief allerdings etwas verspätet, nämlich dafür, Dir zum Geburtstag1 zu gratulieren und den Wunsch auszusprechen, daß Du im kommenden Jahr an Geist und Körper |:immer:| mehr in die Höhe und Breite wachsen mögest, uns zur Freude, den Schneidern zum Schrecken, der Speisekammer zum Heulen und Zähneklappern, den jungen Damen zu staunender Bewunderung – wobei mir übrigens einfällt, daß seit gestern unten ein Brief aus Wolgast liegt, den ich nachschicken würde, wenn nicht ein im Gegensatz zu der sonstigen Zartheit des Extérieurs dick und energisch unterstrichener Passus der Adresse „Aufbewahrung bis zur Rückkehr[“] anempföhle. – So kann ich Dir denn für jetzt nur meine eignen Glückwünsche schicken. Du wirst ja nun im Laufe dieses Lebensjahres hoffentlich Mitglied der Prima werden und das ist ja dann so eine Art von Aussichtspunkt, d. h. nach rückwärts, – die Aussichtspunkte nach vorwärts lassen sehr viel länger auf sich warten. Da hat man dann Gelegenheit, noch einmal zurückzuschauen auf das, was Einem die Schule gegeben hat und außerdem Zeit, sein Wissen nach allen Seiten zu vervollständigen, wie man sie später nicht mehr fi ndet und überhaupt ist es eine der angenehmsten Zeiten, weil man in seiner geistigen Beschäftigung und in der Auswahl dessen, was man treiben will, nie so unabhängig und ungebunden ist wie dann, denn das Studentsein hat seine sehr verschiedenen Seiten und wenigstens einiges von dem, was man darin sucht, fi ndet man nicht. Und so will ich Dir denn wünschen, daß für Dich diese Zeit eine recht fruchtbringende und erfreuliche sei, wie sie es für mich, wenn auch nicht in dem Grade, wie ich jetzt wohl wünsch-

1 Am 30. Juli 1885 wurde Alfred Weber 17 Jahre alt.

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te, so doch teilweise, gewesen ist. Außerdem giebt auch eben diese Zeit, die letzte, ehe man für längere Zeit den Mittelpunkt seiner Existenz aus dem Kreise der Familie hinausverlegt, Gelegenheit, die ersten wirklichen Pfl ichten, die an Einen herantreten, kennen zu lernen und zu erfüllen. So einfach und klein diese Familienpfl ichten, die sich auf den allerengsten |:der:| Kreise, in denen der Mensch steht, beziehen, Einem erscheinen, so schwierig ist es doch, ihnen wirklich zu genügen. Icha weiß aus Erfahrung, wie leicht man sich darüber teuscht, denn diese äußerlich klein erscheinenden Pfl ichten werden Einem eben durch ihre Kleinheit und Selbstverständlichkeit fortwährend lästig und unbequem und es kommt Einem höchst trivial vor, sich damit abfi nden zu sollen – während man eben dadurch, daß man glaubt, sich um diese Anforderungen nicht zu kümmern zu brauchen, documentiert, daß man ihnen nicht zu genügen vermag und ihnen nicht gewachsen ist. Auch in dieser Beziehung ist, wie gesagt, grade diese Lebensperiode zum Lernen sehr nützlich, denn es ist nicht so leicht, wie man denkt, grade hier das Richtige zu fi nden und oft kommt Einem das Bewußtsein und das Gefühl dafür erst viel später. Es giebt also im neuen Lebensjahr manches neue zu denken und zu erfahren und da will ich Dir wünschen, daß es Dir damit gut gelingt. Es war sehr schön von Dir, daß Du mir einige Male von Eurer Reise, und noch dazu mit so schönen Landschaftskarten, geschrieben hast.2 Deine Landschaftskarten haben einige erhebliche Vorzüge: für Denjenigenb an welchen man schreibt, denn er sieht |:gleich:| [,] daß man sich in einer gebildeten Gegend befindet, wo man Landschaftskarten drucken kann, und für Einenc selbst, denn man spart 1/ 3 der Karte, was man sonst noch vollschreiben müßte. Der letztere Vorzug dürfte in der Regel als der wesentlichere betrachtet werden. Offen gestanden ist mir trotz dieses lithographierten Situationsplanes der eigentliche Verlauf Eurer Reise doch noch etwas im Dunkeln geblieben. Hier geht alles ganz gut und der Bau geht langsam seinen Gang weiter; 3 Herr Schmelzdorf möchte aber, wenn die Mama zurückkommt, von ihr dann sofort Auskunft über die Zahl und Situation der verschiedenen Gasflammen und ev. Abgüße etc. haben, damit dasd dann gleich

a [??] > Ich

b 〈Empfänger〉

c O: Einem

d 〈[??]〉

2 Karten von Alfred Weber sind nicht überliefert. 3 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert.

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gemacht werden kann und vor dem Putzen fertig ist. Es wäre also gut, wenn die Eltern sich das jetzt überlegen würden, falls nämlich nicht schon die betr. Schritte gethan und die Sache geregelt ist. Der Dachgiebel an der Haugkeschene 4 Wand ist endlich auch fertig geworden. Es ist damit Geschmacksache und je nach dem Arrangement wird es ev. ganz nett aussehen können. Sage bitte dem Papa, ich hätte ihn |:vorläufig:| mit Theerpappe decken lassen, weil, falls er nachher wieder fort sollte, der Schiefer nach Herrn Neumeisters Behauptung nicht mehr zu brauchen sein würde. Die Kosten werden ohnehin erhebliche sein. Die Entwässerungf des alten Hauses ist hergestellt, die des neuen provisorisch. Sage der Mama, die Zimmerdecken würden besorgt werden. Sonst ist nichts los. Der arme Mauerpolier hat kürzlich sein einziges Töchterchen verloren. – Grüße die Emmi recht schön von mir – sie hat doch meinen Brief nebst Porträt bekommen?5 Es wäre sonst ja ein unersetzlicher Verlust. Nun will ich machen, daß der Brief fortkommt, sonst kommt er ja wieder einen ganzen Tag zu spät und verliert überhaupt seinen Zweck. Hoffentlich seid ihr mit Emmi recht behaglich zusammen und kommt heiler Haut zurück, wobei vielleicht der Brief aus Wolgast Deine Eile erhöht. Mit schönen Grüßen an Alle Dein Bruder Max

e O: Hauckschen

f Unsichere Lesung.

4 Das Grundstück Leibnizstraße 18 in Charlottenburg, neben dem der Familie Weber, gehörte laut Berliner Adreßbuch einem Rentier namens C. G. Haugke. 5 Vgl. den Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885, oben, S. 516 mit Anm. 5.

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Helene Weber 4. August 1885; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 99–100 Helene Weber verbrachte die Sommerferien mit den jüngeren Kindern in Heidelberg, vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Helene Weber vom 16. Juli 1885, oben, S. 534.

Charlottenburg den 4ten August 1885. Liebe Mutter!

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Ich will nun, wie ich versprochen hatte, mit ein par Zeilen mich für den Strasburger Brief bedanken und constatieren, daß hier alles gut geht, denn sonstige große Schriftstellerei hätte, da wir uns ja wohl bald, und hoffentlich gesund, wiedersehen, keinen Zweck. Von Onkel Hermann hatte ich vorgestern auch einen Brief, worüber ich natürlich sehr fidel bin. Du scheinst ja übrigens nur sehr kurze Zeit drüben gewesen zu sein und es war recht schade, daß Du also kaum einmal zu einer ruhigen Stunde mit der Tante1 gekommen bist. Nun, sie scheinen sich ja aber dort recht wohl zu befi nden und es ist sehr nett, daß der Onkel mit den beiden jungen Damen2 sich auf irgend einen Berg Ararat setzt, wenngleich es hauptsächlich zeigt, daß er stark zu arbeiten gedenkt und nicht gestört sein will. Ich glaube wenigstens nicht, daß er seine Reisebegleiterinnen stark in Bergpartien oder dergl. in Anspruch nehmen wird, die können ja dann die viele freie Zeit nützlich zur gegenseitigen Ausgleichung ihrer Temperamente benutzen. Was mir aber leid thut, ist, daß Du Laura3 nicht auch einmal dort im Hause gesehen hast, oder war sie im vorigen Herbst, als Du da warst, auch dort? Mich hätte es doch interessiert zu hören, wie sie sich befi ndet und wie es mit ihr im Hause geht. – Daß es mit Emmi so behaglich ist, kann ich mir wohl denken und übrigens was den Kinderspectakel anlangt, den könnte sie hier ja auch, und combiniert mit Berliner Spektakel haben, wenn Du meinst, es thäte ihrem Kopfe so gut. Wir bekommen ja nun bald herrlichen Platz

1 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 2 Emmy und Anna Baumgarten, die Töchter von Hermann Baumgarten und Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 3 Laura Fallenstein.

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für Logierbesuch.4 – Daß Beneckes Minna5 heiratet, thut mir weniger für sie als für uns leid, denn dadurch wird doch nun wohl so gut wie jede Aussicht darauf verschwinden, daß die gute Tante6 jemals ihre großen und kleinen, artigen und unartigen Söhne und Töchter7 wird im Stich lassen und z. B. auch einmal, wie sie es ja auch gern möchte, mit zu uns hierher käme. Es würde ein wahres Plaisir sein, ihr die Schönheiten Berlins zu zeigen. – Der Bau geht hier – meiner Ansicht nach langsamer als nötig wäre – seinen Gang weiter, die Veranda ist aufgemauert und es soll jetzt eine zweite Rohbauabnahme beantragt werden. Aber – um das noch einmal zu wiederholen – es wird dringend wünschenswert sein, daß Du bei Deiner Rückkunft die nötigen Informationen mitbringst betr. Ort und Zahl der Gasflammen und Wasserleitungsbedürfnisse und der ev. in den Zimmern gewünschten Stuckarbeiten, denn es kann nach der Versicherung der Leute nicht eher geputzt werden, bis diese Arbeiten gemacht sind. – Eben wollen wir das Kinderzimmer ausräumen, damit Herr Klett es morgen gleich mit dema |:Schlaf-:|Zimmer streichen kann, bis Freitag ist es wieder in Ordnung. Dieb |:angebrochenen:| Zimmer werden dann bis auf Tapete und Fußbodenanstrich fertig gestellt. – Wohl sind wir hier Alle und die Mädchen8 immer noch sehr eifrig und begierig zu wissen, wann Ihr zurückkommt. Das Semester ist jetzt zu Ende und die Leute verschwinden allmälig von der Bildfläche [.] Dr. Hoeniger ist schon abgereist, ich besuchte ihn grade kurz vorher noch einmal. Auch Dr. Grafe sah ich einmal, der auch nächstens abreist; vielleicht treffe ich mich noch einmal mit ihm. Schellhaß9 habe ich jetzt einige Zeit nicht gesehen. Schmöle besuchte mich kürzlich, Herr Hagen10 einige Male. Eines Abends angelte mich der alte Dieterici zu einem Skat durch seinen Sohn11 und den folgenden Tag mußte ich dann im Officiercasino mit dem Letzteren zusammen essen. Einige a 〈neuen〉

b 〈neuen〉

4 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 5 Es handelt sich vermutlich um eine Hausangestellte der Familie Benecke. 6 Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 7 Dorothea (Dora), Wilhelm, Marie, Auguste, Margarete, Otto, Elfriede und Hans Benecke. 8 Hier sind die Haus- oder Dienstmädchen der Familie Weber gemeint. 9 Vermutlich Karl Emmanuel Schellhass, nicht dessen Vater. 10 Hier dürfte es sich um den gleichaltrigen Werner Hagen handeln. 11 Wilhelm Dieterici und sein Vater, Friedrich Heinrich Dieterici.

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ganz nette Leute sind unter den jungen Lieutenants, der großen Mehrzahl nach sind sie aber doch noch ein bischen gar jung. Daß ich vor einiger Zeit bei Tiedes war, habe ich ja schon geschrieben.12 Es hat die Unterhaltung mit ihr doch immer etwas ungemein Erfrischendes, und sie ist stets so ganz besonders freundlich, daß Einem ganz heimlich zu Mut wird. Er hatte in letzter Zeit öfter wieder böse Tage, so leider auch grade, als ich da war, keilte13 mich – ein sehr vergebliches Beginnen – für den Ruderclub |:mit einer Energie:|, die eines besseren Objects, als ich war, würdig gewesen wäre. Was die Tante Henriette macht und wie es im Hause dort geht, schriebst Du nicht. Zu Channing ist sie wohl nicht gekommen?14 Was hat denn der Papa für Pläne? Nun leb wohl, ich soll, so viel ich weiß, von allen Leuten, die ich hier genannt habe, auch Grüße bestellen. Mit schönem Gruß an Euch Alle – auf Wiedersehen! Grüß auch Emmi schön und die Tante. Max

12 Von einem geplanten Besuch bei August Tiede und Helene Tiede, geb. Richter, hatte Max Weber in seinem Brief an Helene Weber vom 16. Juli 1885, oben, S. 538, gesprochen. 13 Umgangssprachlich für: werben, zu gewinnen versuchen. 14 Max Weber war durch seine Tante Ida Baumgarten zur Channing-Lektüre angeregt worden und hatte einen Band an Henriette Hausrath verschenkt. Vgl. dazu die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884, oben, S. 430 f. mit Anm. 3 und 4, sowie an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, oben, S. 487 mit Anm. 18.

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Helene Weber 28. Oktober 1885; Göttingen Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 89 Im Wintersemester 1885/86 absolvierte Max Weber sein letztes Studiensemester in Göttingen. Vgl. dazu den Brief an Helene Weber vom 30. März 1886, unten, S. 595–598.

Göttingen, Nikolausbergerweg 10, d. 28ten Okt. 85 Vormittags Liebe Mutter! Frensdorffs1 saßen doch in dem Zuge, mit welchem ich fuhr, hatten aber geglaubt, ich sei schon Sonnabends gefahren u. uns in Folge dessen nicht gesehen. Ich traf ihn in Kreiensen beim Umsteigen. – Hier fand ich Alles in schönster Bereitschaft, Tante Töne2 citierte mich sofort in ihre gute Stube und stellte mich wegen der horrenden Berliner Zustände zur Rede: den Göttinger „Neuesten Nachrichten“ zu Folge fänden daselbst allnächtlich 42 Morde statt. Als ich bemerkte, daß sie wohl das Ermordetwerden mit dem Geborenwerden verwechselt habe, bestritt sie dies mit dem Bemerken, daß bei der Größe der Berliner Straßen u. Häuser es sehr begreifl ich sei, daß man in der einen Straße nichts davon erführe, wenn in der nächsten Einer totgeschlagen werde. Nach einer noch weiteren darauf bezüglichen Unterhaltung verständigten wir uns über die Grundsätze der Hausordnung, dahin, daß ich regelmäßig um 7, 7h 10min u. 7 1/4 geweckt werde, Kaffee u. Brödchen bekomme |:um 3 /4 8:|, Abends mir Thee mache und dazu Brod u. Zucker geliefert erhalte. Außerdem stellt sie mir eine Lampe. Ich habe mich sehr über meine Bude gefreut, die ich so hübsch gar nicht mehr in Erinnerung hatte.3 Meinen Mittagstisch habe ich in einem Lokal in der Weender Straßea aufgeschlagen [.] Die Tischordnung bez. des sonntäglichen Weinzwangs etc. scheint noch die alte zu sein. Bei Gebhardt4 ist es etwas a 〈kla〉 1 Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann, und ihre Kinder. 2 Gemeint ist Antonie Ernst, Max Webers Zimmerwirtin. „Tante Töne“ dürfte ein von Studenten gebrauchter Spitzname gewesen sein. 3 Max Weber war im August zur Wohnungssuche nach Göttingen gefahren, anschließend traf er sich dort mit seinem Vater und unternahm mit ihm eine längere Reise über Augsburg, die Alpen, Verona und Venedig. Vgl. die Briefe von Alfred Weber an Emmy Baumgarten vom 11. Aug. 1885 und 26. Sept. 1885, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe. 4 Gemeint ist Gebhardt’s Hôtel in der Nähe des Bahnhofs.

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teuer, ich werde dorthin aberb einmal des Abends gehen, wenn ich |:mir:| etwas Gutes anthun will. Seit gestern Abend (erst) sind meine Bücher hier und bin ich nunmehr vollständig eingerichtet, auch schon immatrikuliert, 5 auch schon zwei Mal (Morgens 8–9) im Colleg gewesen.6 Frensdorff fängt erst morgen an.7 Irgendwelche Bekannte habe ich hier nicht getroffen, außer einem Kameraden von der Allemannia her,8 der mich gestern besuchte, hier im Referendarexamen steht, u. mit dem ichc wahrscheinlich gelegentlich zusammen sein werde. Jetzt will ichd zu Frensdorff, um über verschiedenes, Benutzung der Bibliothek, eventuelle Teilnahme an einem handelsrechtlichen Praktikum etc. mir Rate zu erholen und Frau und Töchtern,9 die ich nur flüchtig auf dem Bahnhofe begrüßt habe, mich vorzustellen, was ich bisher, da ich mich erst häuslich einrichten wollte, nicht gethan habe [.] Dann will ich mich auf die Beine machen, Collegia zu belegen und Nachmittags nach Straßburg schreiben.10 Grüße Alle, Papa und Geschwister, schön, bald mehr.11 Auch Schellhaß12 bitte ich, wenn Du ihn siehst zu grüßen, sowie Dieterici13 u. Cohn; letzterem habe ich geschrieben.14 Mit herzlichem Gruß Dein Sohn Max. NB. Diese Handschrift ist doch wohl brillant? b Alternative Lesung: eher

c 〈[viell]〉

d Fehlt in O; ich sinngemäß ergänzt.

5 Max Weber hatte sich am 26. Oktober 1885 in Göttingen immatrikuliert, vgl. Abschlußzeugnis Max Weber vom 13. Febr. 1886, UA Göttingen, Abgangszeugnisse 1886, Nr. 39 (hinfort: Abschlußzeugnis Göttingen). 6 Es handelt sich um das Kolleg von Richard Wilhelm Dove, „Kirchenrecht einschließlich des Eherechts“, täglich von 8–9 Uhr. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86, S. 3; laut Abschlußzeugnis Göttingen (wie oben, Anm. 5) hatte Weber das Kolleg belegt. 7 Bei Ferdinand Frensdorff hörte Weber das Kolleg „Deutsches Verwaltungsrecht“, das dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr stattfand. 8 Es handelt sich vermutlich um Paul Blume, der in diesem Semester neben Max Weber der einzige Heidelberger Allemanne in Göttingen war. 9 Anna Cäcilie Frensdorff mit ihren Töchtern Else und Käthe Frensdorff. 10 Ein Brief an Hermann Baumgarten oder ein anderes Mitglied der Familien Baumgarten und Benecke in Straßburg von Ende Oktober 1885 ist nicht nachgewiesen. 11 Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 1. Nov. 1885, unten, S. 550–556. 12 Karl Emmanuel Schellhass. 13 Wilhelm Dieterici. 14 Korrespondenzen Max Webers mit Fritz Cohn sind nicht nachgewiesen.

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Max Weber sen. 1. November 1885; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 91–92

Göttingen d. 1 Nov. 1885 Lieber Vater! Da dieser Brief wesentlich Geschäftliches etc. betrifft, so schreibe ich an Dich und behalte mir vor, der Mama auf ihren dem Packet einliegenden Brief später zu antworten.1 Mit meiner hiesigen Wohnung und Gesammtexistenz bin ich recht zufrieden. Die „Tante“2 ist, wenn auch in ästhetischer Beziehung ihr eine gewisse Monstrosität anhaftet, sonst ganz ausgezeichnet und bewegt Alles sehr vernünftig. Ich werde jeden Morgen um 7 und 7 1/4 energisch geweckt, bekomme um 3 /4 8 Kaffee, Abends um 8 Uhr Brödtchen und Butter, wozu ich Wurst futtere. Die Stube ist sehr hübsch, hell und ruhig. Die große Zahl riesiger Fenster macht sie freilich schwer heizbar, ich bekomme des Morgens, und des Nachmittags noch einmal, Feuer, der Ofen ist gut, immerhin aber muß ich |:wenn es kalt ist:| doch mit Steinkohlen heizen. Andrerseits macht die Größe der Zimmer es selbst der besten Lunge unmöglich, dasselbe regelrecht vollzuqualmen. – Collegien habe ich folgende belegt: 1) Kirchenrecht bei Dove.3 Ich kann beim Examen ein Testat über Kirchenrecht doch unmöglich entbehren und habe bis jetzt außerdem noch sehr wenig darin gearbeitet.4 Allerdings nimmt es, abgesehen von den Kosten,5 täglich 1 Stunde in Anspruch, die ich aber sonst doch lediglich verschlafen würde (Mor-

1 Der nächste überlieferte Brief Max Webers an Helene Weber datiert vom 6. Dez. 1885, unten, S. 564–569. 2 Gemeint ist die von Max Weber „Tante Töne“ genannte Zimmerwirtin Antonie Ernst. 3 Es handelt sich um das Kolleg von Richard Wilhelm Dove, „Kirchenrecht einschließlich des Eherechts“, täglich von 8–9 Uhr. 4 Es ist unklar, worauf Weber sich hier bezieht. Laut der Prüfungsordnung für das Erste Juristische Staatsexamen in Preußen mußte eine schriftliche Arbeit vorgelegt werden, die aus sechs Bereichen (darunter Kirchenrecht) auszuwählen war. Da die schriftliche Arbeit Max Webers nicht überliefert ist, ist auch unbekannt, zu welchem Bereich er geschrieben hat. Für das Promotionsverfahren waren in Preußen drei Exegesen abzufassen, worunter auch eine kanonistische sein mußte. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, in: MWG I/1, S. 109–138, hier S. 110 f. und 115–117. 5 Im Abschlußzeugnis Göttingen (wie oben, S. 549, Anm. 5) sind zwar die fünf von Max Weber belegten Kollegien aufgeführt, allerdings ohne Angaben der Kosten.

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gens 8–9 6stündig) [.] Doves Vortrag ist freilich nicht imposant, aber er spart doch Zeit, da ich sonst mehrere Kirchenrechtslehrbücher durcharbeiten müßte. 2) Civilproceß bei Bar, ein ganz vorzügliches Colleg.6 Der Vortrag ist nicht angenehmer; Bar ist ein kleines unscheinbares Männchen und schneidet mannigfaltige befremdliche Grimassena beim Sprechen, auch sind seine oft recht scharfsinnigen u. lebhaften Angriffe auf die Civilproceßordnung, wie mir scheint, zum Teil sehr theoretischer Natur, aber der Scharfsinn der Constructionb macht doch Freude [.] 3) Verwaltungsrecht bei Prof. Frensdorff.7 Es wird hier allgemein gefunden, daß er sehr langweilig sei, was ich doch nicht fi nden kann, obwohl die Behandlungsweise eine einfach sachliche ist, ohne große Lebhaftigkeit, und so, daß es schwierig ist, ein gutes Collegheft zu bekommen. Jedenfalls wird viel dabei zu lernen sein, an Thatsächlichem mehr als bei Gneist,8 der immer nur die histor. u. staatsrechtliche Entwicklung, seine subjectiven Ideen darüber u. oft eine heftige Kritik, gab, was andrerseits ja sehr interessant war. 4) Handelsrechtspraktikum bei Schroeder,9 ein sehr tüchtiges, praktisches Seminar. Er ist ein höchst amüsantes, behagliches, lebhaft gestikulierendes kleines Männchen, war sehr freundlich, als ich ihn besuchte, erkundigte sich nach Baumgartens (er war früher in Straßburg) |:und:| Goldschmidt und sauste dann mit mir zusammen in sein Praktikum. 5) Civilrechtspraktikum bei Regelsberger,10 was mir dringend empfohlen worden

a O: Grimmassen

b 〈ist〉

6 Das Kolleg „Civilproceß“ von Carl Ludwig von Bar fand fünfmal wöchentlich von 10–11 Uhr statt. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86, S. 3; laut Abschlußzeugnis Göttingen (wie oben, S. 549, Anm. 5) hatte Weber das Kolleg belegt. 7 Bei Ferdinand Frensdorff belegte Weber das Kolleg „Deutsches Verwaltungsrecht“, das dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr stattfand. 8 Max Weber hatte im Wintersemester 1884/85 an der Berliner Universität ein Kolleg von Rudolf Gneist über „Preußisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht“ gehört. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. Nov. 1884, oben, S. 473 mit Anm. 19. 9 Das „Handelsrechtliche Prakticum“ von Richard Schröder fand mittwochs von 16–18 Uhr statt. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86, S. 4; laut Abschlußzeugnis Göttingen (wie oben, S. 549, Anm. 5) hatte Weber das Kolleg belegt. 10 Die „Praktischen Übungen im Civilrecht“ von Ferdinand Regelsberger fanden donnerstags von 16–18 Uhr statt. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86, S. 4; laut Abschlußzeugnis Göttingen (wie oben, S. 549, Anm. 5) hatte Weber das Kolleg belegt.

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war, und was ich statt des Digestenexegeticums bei Merkel angenommen habe,11 weil ich ohnehin schon einen beträchtlichen Teil des Corpus Juris gelesen habe und es doch vom Zufall abhängt, ob es mir grade beim Examen etwas nützen würde, weswegen ich es doch hauptsächlich angenommen haben würde. Das Regelsberger’sche Praktikum ist sehr gut, ich constatierte neulich gleich beim ersten Mal, mit überraschender Klarheit, was ich alles nicht wußte, und habe eben eine ziemlich umfangreiche Arbeit über einen Rechtsfall für ihn fertig gemacht. Er ist zudem persönlich sehr liebenswürdig und gemütlich, spricht etwas badensisch und fährt dabei mit seinen enorm langen Fingern in der Luft auf und ab, so daß ich unwillkürlich an die mir von jeher sehr unsympathische cbildliche Ausdrucksweisec vom „Finger Gottes“ erinnert werde. Das Civilproceßpraktikum, welches mit dem Regelsbergerschen collidiert,12 habe ich gelassen, da ich zunächst mit dem Civilpoceß selbst zu viel zu thun habe. In dieser Hinsicht ist ja auch die Thätigkeit als Referendar ein gutes Praktikum. – Zu meiner unangenehmen Überraschung lassen sich die Professoren übrigens hier die Praktika ganz enorm bezahlen, während sie in Heidelberg und Straßburg gratis waren. Göttingen war, als ich ankam, abgesehen von dem höchst mangelhaften Wetter[,] recht hübsch in Folge der mannigfaltigen herbstlichen Färbungen auf den Hügelketten der Umgegend, jetzt ist das Laub schon fast ganz herunter, es ist entsetzlich schmutzig und ziemlich kalt und nimmt sich schon recht winterlich aus. Die Bäume sind schon so kahl, daß der Prof. v. Wilamowitz, mein unmittelbarer Nachbar, und ich, uns trotz der dazwischenliegenden Parkanlage gegenseitig in die Fenster sehen können. Meine heutige Visite übrigens bei W[ilamowitz] (Frau Mommsen13 hatte mich beim Abschied aufgefordert, ihren Schwiegersohnd 14 zu besuchen und gesagt, Karl |:Mommsen:| werde ihnen diesbez. schreiben) lief nicht ohne mehrfache Knalleffekte ab. Ich ging zur gewöhnlichen Besuchsstunde hin, das Mädchen wies mich, c–c Bild > bildliche Ausdrucksweise

d [??] > Schwiegersohn

11 Johannes Merkel bot montags von 16–18 Uhr ein „Digesten-Exegeticum“ an. Vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Göttingen, WS 1885/86, S. 3. 12 Laut Vorlesungsverzeichnis, ebd., S. 4, fand das „Civilprozeß-Prakticum“ dienstags von 16–18 Uhr bei Richard John statt; eine der beiden Übungen wurde nach der Drucklegung offensichtlich verlegt. 13 Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. 14 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der mit Tochter Marie Mommsen verheiratet war.

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ohne mich anzumelden, direkt nach seinem Zimmer. Ich klopfte an, und als ich eintrat, trat mir aus einem Klumpen von Folianten, Büchern und Büchlein, Papieren und Papierfetzen, welche Tisch und Boden bedeckten, heraus eine lange Gestalt entgegen, umwogt von einem annähernd gelben Schlafrock, übrigens in höchst primitivem Costüm, welche mich mit unverholenen Anzeichen einer derartig enormen Verblüfftheit musterte, daß ich nahe daran war, trotz der mir immerhin nicht angenehmen Situation laut aufzulachen. Ich stellte mich indessen vor und erläuterte den Grund meines Kommens und dieses unvorhergesehenen Überfalls, während der Professor noch immer staunend um mich herumblickte, dann plötzlich mit der einen Hand den Schlafrock zuknöpfte, mit der andren einen Stuhl durch Umkippen |:desselben:| von der darauf befindlichen Last von Büchern und Skripturen befreite und mir offerierte. Nach einigen Bemerkungen einen Blicke des Mitleids auf seinen Habitus werfendf, sagte er, er müsse es seiner Frau15 sagen, sauste aber statt dessen ins Nebenzimmer und erschien dann in etwas weniger gespensterhaftem Extérieur wieder. Kurz darauf leitete er mich zu seiner Frau, lief seinerseits ins Zimmer, während ich draußen stehen blieb und holte mich dann ebenfalls zu ihr hinein, so daß ich |:nolens volens:| auch sie vollkommen überfiel, was aus ihrer ebenfalls noch nicht sehr vollkommenen Toilette hervorging. Ich war so frei, ihr außer den mir von Mommsens16 aufgetragenen Grüßen auch eine Empfehlung von der Mama zu bestellen. Sie hat sich doch sehr verändert, ist viel runder geworden und hat nicht mehr ein so ausgeprägt gescheutes Gesicht wie früher. Ich drückte mich natürlich sehr bald, da mir die ganze Geschichte doch etwas unangenehm war. Viel werde ich wohl nicht zu ihnen hinkommen, da er, wie ich zu meiner Beruhigung höre, keine Gesellschaften giebt und außerdem ein frohes Familienereignis unmittelbar bevorzustehen scheint.17 Er ist unter den Studenten ganz ungemein beliebt und gefeiert, hat ein eigentümliches, aber anziehendes, sehr jung aussehendes Gelehrten-Gesicht und ist

e 〈auf〉

f 〈und〉

15 Marie von Wilamowitz-Moellendorff, geb. Mommsen. 16 Theodor Mommsen und Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. 17 Am 16. November 1885 wurde der Sohn Tycho von Wilamowitz-Moellendorff geboren, sein Zwillingsbruder verstarb bei der Geburt. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. Dez. 1885, unten, S. 565 mit Anm. 9.

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von einer beträchtlichen Länge. Sehr hübsch ist seine hier nebenan liegende Villa. – Als ich vor einigen Tagen am schwarzen Brett stand, packte mich jemand am Arm und zwar war es Prof. Frensdorff, den ich vorher nicht zu Haus getroffen hatte. Ich war dann am Abend bei ihnen und es war sehr behaglich, er sowohl wie Frau Professor18 unterhielteng sich in der liebenswürdigsten Weise mit mir und lassen bestens grüßen. Von den Töchtern, die beide recht nett sind, gefällt mir die ältere,19 die etwas erheblich Unreflektierteres und Einfacheres hat, manchmal wohl auch als enfant terrible funktionieren mag, doch entschieden besser. – Eine sehr angenehme Bekanntschaft habe ich in Hrn. Grisebach, einem Freunde von Schellhaß, 20 gemacht, der so liebenswürdig war, mich zu besuchen und mir seine Hülfe für irgendwelche Schwierigkeiten und Zweifel betr. hiesige Verhältnisse anzubieten, welcherh ich allerdings nicht mehr bedurfte. Dagegen aber ließ ich mich gestern Abend nicht ungern zu einer freien Gesellschaft mitschleifen, welcher er angehört und die hier im litterar[ischen] Museum21 kneipt, wobei es dann annähernd so spät wurde, als wenn ich mit Schellhaß im Schützenlisl22 gewesen wäre. Herr Grisebach ist Jurist und steht im Examen, welches – was Schellhaß interessieren wird – am 14. d. M. stattfi ndet.1) Begierig bin ich übrigens, was aus Mommsens Examen23 werden wird – dasselbe ist Morgen, er hat ja sehr kräftig gearbeitet und es wird, denke ich, wohl etwas Gutes werden. Das litterarische Museum, von dem Du sprachst, werde ich doch wohl kaum viel besuchen, da es am ganz entgegengesetzten Ende von Göttingen liegt, als ich wohne und sehr heruntergekommen sein soll. Auch bietet die Bibliothek mit der angenehmen Einrichtung, welche ich so noch nirgends gefunden habe, – daß nämlich eine gewisse Anzahl von Büchern, grade die, wel1)

Er wird von Frensdorff geprüft.

g O: unterhilten

h O: welche

18 Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. 19 Käthe und die ältere Else Frensdorff. 20 Karl Emmanuel Schellhass. 21 Eine 1832 begründete Leihbibliothek. 22 Gemeint ist das Café Schützenlisl in Berlin. 23 Karl Mommsen beendete 1885 sein Jura-Studium und begann danach sein Referendariat.

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che man oft braucht, zur beliebigen sofortigen Benutzung ohne vorherige Vermittlung desi Bibliothekars, im Lesezimmer steht, – Ersatz für Das, was z. B. das Heidelberger Museum24 in dieser Beziehung praestierte.25 Mein Mittagstisch ist, wie gesagt, bei Ernst in der Weender Straße und fi nde ich ihn bis jetzt verglichen mit Heidelberger und Straßburger Reminiscenzen, ganz vorzüglich. Die Tischgesellschaft wechselt sehr, am häufigsten saß ich mit einigen alten Philologen zusammen [,] einmal mit einem welfisch gesinnten jForstmann undj mit einigen Englishmen (dieselben sind sehr zahlreich hier) k, einmal mit einem Theologen aus Hans Rösings Tübinger Verbindung26 und dann nochl einmal mit einem andren Theologen. Der Letztere hatte etwas Hastiges in seinem Wesen, wippte immer mit seinem Stuhl nach hinten und setzte dies trotz meiner, der ichm das Resultat aus häuslicher Erfahrung kannte, Warnung so lange fort, bis er hinten über sauste und sich mit theatralischer Grazie dabei in den Spucknapf setzte, zu meiner großen Genugthuung und des Lokals großer Heiterkeit. Kurz, es giebt allerhandn interessante Menschen hier. Auch ein Kamerad von der Allemania27 suchte mich auf, er schwitzt hier im Repetitorium bei einem Assessor – ich glaube, daß ich dergl. doch grade so gut nicht mitmache. Ich habe, da ich hier gar keine Zeitung in die Hand bekomme, noch nichts über den vermutlichen Ausfall der Wahlen gelesen, hier wird Prof. Mithoffo, den ich baldigst aufsuchen will, ohne Gegencandidaten gewählt werden, 28 mit Deiner Wahl soll es nach der Mama ihrem Briefe ja immerhin zweifelhaft stehen.29

i beim > des j–j Forstmann, dann > Forstmann und k Schließende Klammer m 〈dies〉 n 〈et〉 o O: Miethoff fehlt in O. l 〈mit〉 24 Das „Museum“ war eine 1811 gegründete Lesegesellschaft Heidelberger Bürger am Ludwigsplatz („Museums-Gesellschaft für Lektüre, Konversation und Spiel“). Hier lagen Tageszeitungen in größerer Auswahl aus. 25 Von lat.: praestare, leisten. 26 Es ist unklar, welcher studentischen Verbindung Johannes Friedrich (Hans) Rösing angehört hat. 27 Es handelt sich vermutlich um Paul Blume, der neben Max Weber in diesem Semester der einzige Heidelberger Allemanne in Göttingen war. 28 In der Wahl zum Preußischen Abgeordnetenhaus vom 29. Oktober und 5. November 1885 wurde Theodor Mithoff mit 100 Prozent der Stimmen für die Nationalliberalen ohne Gegenkandidaten in Göttingen gewählt. 29 Max Weber sen. behielt sein Mandat für das Preußische Abgeordnetenhaus in seinem Halberstädter Wahlkreis.

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Ob der Bau30 wohl ordentlich vorwärts kommt? Ich bin auf den Status quo zu Weihnachten begierig. Wenn mir die Mama nur nicht schließlich doch noch meine Bücher umkrempelt. Es ist schon wieder sehr spät und Dove liest morgen um 8 Uhr, deßhalb will ich nur machen, daß ich ins Bett komme. Viel Neues passiert hier sonst ohnedies nicht. Bis auf Weiteres mit herzl. Gruß an alle Dein Sohn Max Ich bitte auch Schellhaß bestens zu grüßen, sowie ev. Dieterici u. Mommsen, 31 wenn sie sich sehen lassen. Von Cohn32 hatte ich heute eine Postkarte.

30 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 31 Wilhelm Dieterici und Karl Mommsen. 32 Fritz Cohn.

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Emmy Baumgarten 3. und [5.] Dezember 1885; Göttingen Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Der Brief wurde am 3. (Donnerstag) und 5. („Sonnabend Mittag“) Dezember 1885 geschrieben.

Göttingen, Nikolausberger Weg 10 d. 3. Dec. 1885. Liebe Emmy!

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Ich würde es nicht verdienen, daß Du mir einen so langen ausführlichen Brief als Antwort auf mein, wie Du zu meiner Beschämung sagst, unleserliches Geschmier1 geschrieben hast, wollte ich nicht schließlich auch einmal daran denken, Dir dafür zu danken und Dir gleichzeitig zeigen, daß meine Handschrift verbesserungsfähig ist und sich verbessert hat1) , – was in der That sehr nötig gewesen sein muß, denn der Professor Regelsberger hier, der jetzt meine Arbeiten für sein Seminar2 stets mit großer Sorgfalt und Liebenswürdigkeit corrigiert und kritisiert, that dies Anfangs nie, ohne einige Seufzer über dies Augenpulver an den Rand zu schreiben. Nun also: 1tens) hat sich zwar seit meinem letzten sogenannten Brief nichts Erhebliches geändert an meinem inneren oder äußeren Menschen, 2tens) aber doch Verschiedenes, indem der Erstere sich voll Jurisprudenz gepumpt hat und der Letztere jetzt statt an den Charlottenbürger Fleischtöpfen zwischen den hiesigen Würsten sitzt, die ihres Ruhmes keineswegs übermäßig würdig sind, denn es giebt unter ihnen, den eßbaren sowohl wie den zweibeinigen, reichlich eben so viel unschmackhafte wie angenehme, wobei ich unter den zweibeinigen natürlich nur Studenten männlichen Geschlechtsa verstehe. Es giebt nämlich auch Studenten weiblichen Geschlechts, und zwar von zwei b 1)

d. h. ich weiß nicht, ob Du es fi nden wirst. Ich bin ganz stolz.b

a O: Geschechts

b–b Zusatz am rechten Blattrand.

1 Der letzte überlieferte Brief Max Webers an Emmy Baumgarten ist datiert auf den 14. Juli 1885, oben, S. 515–518. 2 Max Weber hatte die „Praktischen Übungen im Civilrecht“ bei Ferdinand Regelsberger belegt, die donnerstags von 16–18 Uhr stattfanden.

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Arten: zu der einen Art gehören zwei junge Damen, welche ich bei einem alten Lehrer von mir, den ich oft besucht habe, in Charlottenburg, kennen gelernt habe, und die beide längere Zeit in Zürich auf der Universität studiert hatten. Die eine war noch ein Fuchs im ungefähr dritten Semester, die andre ein bemoostes Haupt, 3 wie ich. Beide studirten Medicin, die Füchsin außerdem noch irgendwelche Naturwissenschaften, letzterer haftete eine gewisse Energie in den Bewegungen an, welche nicht immer ästhetisch wohlthuend war, und außerdem eine gewisse wissenschaftliche Art der Ausdrucksweise auch bei sehr unwissenschaftlichen Unterhaltungsgegenständen, wie man sie öfter bei strebsamen Füchsen fi ndet. Das bemooste Haupt dagegen hatte sehr meinen Beifall. Die jungen Damen wohnen in Zürich in einer Art von Pensionat zusammen, wo sie auch ihren Mittagstisch aufgeschlagen haben, etwa 1 1/ 2 Dutzend an Zahl, und scheinen ebenso gründlich zu studieren wie sich ganz gut zu amüsieren – wie es dabei mit dem Bier bestellt ist, welches Du, wie Du schreibst, in Heidelberg schätzen gelernt hast, entzog sich meinen Nachforschungen. Übrigens giebt es in Charlottenburg auch schon ein Fräulein Doktor Tiburtiusc – die kann nun schon singen: „O alte Burschenherrlichkeit!“4 – Dies wäre also die eine Art; die andre, zu der ich mich im Grunde doch noch mehr hingezogen fühle und welche außerdem den Vorzug hat, kein Produkt der Neuzeit zu sein, sind die Studentenmütter. Zu dieser Art, und zwar zu den vorzüglichsten Vertretern derselben, gehört in erster Linie meine hiesige Hauswirtin, „Tante Töne“, 5 ein Gegenstand zahlreicher Reminiscenzen |:noch:| aus meines Vaters hiesiger Zeit,6 dessen einer Couleurbruder7 (Prof. Hugo Meyerd in Tübingen) bei ihr wohnte, und wo sie sonderbarer Weise schon genau so ausgesehen haben soll wie jetzt, nach 30 Jahren. Obwohl ihr nun in ästhetischer Beziehung eine gewisse unausrottbare Fürchterlichkeit, wie jetzt, so von jeher angehaftet haben soll, so habe ich doch noch kaum jemals so gut gewohnt, wie bei ihr, und kann mich daher nie c O: Tiburcius

d O: Meier

3 In der Studentensprache ein erfahrener Student, kurz vor dem Abschluß. 4 Ein beliebtes Studentenlied aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Urheber unbekannt ist. 5 Gemeint ist Antonie Ernst, Max Webers Zimmerwirtin. 6 Max Weber sen. hatte von 1854 bis 1856 in Göttingen studiert. 7 Max Weber sen. war Mitglied der Burschenschaft „Hannovera Göttingen“, wegen ihrer grünen Mützen auch „Grüne Hannoveraner“ genannt.

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recht entschließen, dem Wunsch meiner Mutter gemäß von Zeit zu Zeit mich außerhalb meiner Stube aufzuhalten, besonders da mein hiesiges Wohnzimmer so groß ist, daß ich einen kleinen Spaziergang auch innerhalb desselben unternehmen und ev. ein Tanzkränzchen arrangieren könnte, wenn ich nicht froh wäre, die letztere Strapazee für diesen Winter mir hoffentlich erspart zu haben; außerdem gewährt das Zimmer, was freilich nicht derf eigentliche Zweck desselben ist, auch bei kräftiger Heizung in Folge seiner Größe fast eben so viel kühle Luft, wie draußen, – aber behaglich ist es doch und liegt hübsch und sehr bequem. Auch habe ich sogar schon Damenbesuch darin empfangen – Frau Professor Frensdorff nämlich, die neulich mit ihrem Mann8 so liebenswürdig war, mir eine Nachmittagsvisite zu machen, – das erste Mal, daß ich als „Haushaltungsvorstand“, wie ich in den Volkszählungskarten betitelt wurde, eine so hohe Ehre genoß.9 Herr Professor Frensdorff g, bei dem übrigens auch unser Onkel Eduard10 sehr viel im Hause war – auch die Großmutter11 kannte er –, ist ein Universitätsfreund meines Vaters, bei dem ich jetzt höre und sehr viel verkehre, mit einem recht schönen Hause und zwei jungen, teilweise recht hübschen Töchtern ausgerüstet.12 Es ist sehr behaglich bei ihnen, wird sich vernünftig unterhalten, Musik en gros gemacht und besonders enorm viel gelacht, ich werde dort fast (doch nicht ganz) so wie ein Neffe behandelt. Die Töchter machen mir viel Plaisir, besonders da sie gern und viel aus der Schule erzählen und ich da also zu meiner Vervielseitigung auch noch etwas Töchter-Bildung profitiere. Nur eine Untugend fällt mir jetzt immer wieder bei unsren norddeutschen Landsmänninnen auf, daß sie nämlich ihre persönliche selbstverständliche Liebenswürdigkeit durch einen gewissen Nimbus von Berlinertum zu steigern suchen, was ich für ein verfehltes Beginnen erachten muß; – in Erinnerung an unsere beiderseitige Schwärmerei, Frl. Sabine Hobrecht,13 wirst Du wohl wissen, e O: Strapatze

f 〈einzige〉

g 〈ist〉

8 Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann, und ihr Ehemann Ferdinand Frensdorff. 9 Am 1. Dezember 1885 hatte eine Volkszählung stattgefunden. 10 Eduard Fallenstein. 11 Emilie Fallenstein, geb. Souchay. 12 Das Ehepaar Frensdorff wohnte mit seinen Töchtern Else und Käthe im Hainholzweg 18 in Göttingen. 13 Vermutlich Emma Henriette Sabine Hobrecht, die Nichte des mit der Familie Weber befreundeten Berliner Stadtrats Arthur Hobrecht.

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was ich meine. – Vorigen Sonntag Nachmittag, wo ich bei F[rensdorff]’s war, mußte ich doch unwillkürlich an Straßburg denken. – Ich hörte von zu Haus, daß Ihrh Eure offnen Abende wieder aufgenommen habt und möchte gern wissen, ob es wieder so nett wird, wie es im vorigen Winter nach den Erzählungen der Tante Nixel14 gewesen ist, und ob die jungen Leute, von denen Deine Mutter15 sagte, sie seien so wenig anstellig gewesen, sich in dieser Beziehung gebessert haben. Was mich nur wundert, ist, daß es dem Onkel16 nicht zuweilen etwas viel wird – d. h. ich weiß ja nicht, wie oft Ihr sie habt und dann ist es ja wohl auch ganz angenehm, eine solche regelmäßige Form der Geselligkeit zu haben; man kann doch bei viel weniger Zeitverlust bei einem regelmäßigen Leben ganz außerordentlich viel mehr fertig bringen und trotzdem mehr von Allem haben, als sonst, das ist mir jetzt auch klar und deshalb ist mein Tag hier auch den Stunden nach in lauter einzelne Abschnitte zerlegt, die ihren bestimmten Zweck haben: ob ich um die nach dem Stundenzettel zum Essen bestimmte Stunde grade besondre Neigung dazu verspüre, oder umgekehrt, bleibt sich gleich. Überhaupt aber komme ich mir fast wie eine „vielfach verbesserte Auflage“ meiner selbst vor; denke nur, daß ich jetzt jeden Morgen bereits um 8 Uhr im Colleg sitze: allerdings wohne ich direct am Collegienhaus und die staunende Nachbarschaft sieht mich jeden Tag 16 Min. nach 8 Uhr in verzweifelten Sätzen durch Schmutz und Pfützen quer über die Straße in’s Colleg galoppiereni. Des Abends wenige Minuten vor 12 geht ganz pünktlich meine Lampe aus und deutet mir in dieser nicht miszuverstehenden Weise an, daß sie müde sei und ich es auch sein dürfe. Namentlich aber wird es Deine ungläubige Verwunderung hervorrufen, zu hören, daß ich hier durchschnittlich täglich erheblich weniger Bier trinke, als Du in Heidelberg |:nach Deiner Erzählung:|, und Du wirst nach unsern beiderseitigen Erfahrungen darin nun doch zugestehen müssen, daß der Geschmack etwas ist, auf dessen Dauer man sich nicht verlassen kann. Wer weiß, in was für Beziehungen wir noch einmal gegenseitig unsre Geschmäcker ausgetauscht fi nden werden! –

h O: ihr

i O: gallopieren

14 Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 15 Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. 16 Hermann Baumgarten.

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Bekannte habe ich eigentlich keine hier, außer einem im Examen steckenden Heidelberger Kameraden;17 aber wahrscheinlich kommt bald für den Rest des Semesters ein sehr lieber Bekannter von uns, der jetzt in Berlin einen guten geschichtlichen Doktor gemacht hat, Herr Schellhaß,18 hierher, dann wird es etwas geselliger, – obwohl meine Neigung zu Geselligkeit als solcher mehr ab- als zugenommen hat. – Dir ist also Heidelberg gut bekommen höre ich und entnehme ich aus dem, was mir meine Mutter aus Deinem letzten Brief vorlas; nun, das freut mich, und bringt Dich vielleicht auf den Gedanken, ob nicht auch Charlottenburg in |:nicht:| all zu langer Zeit ein ganz gesunder Aufenthalt für Dich wäre. Wir haben ja jetzt (hoffentlich wenigstens, denn das Bauen ist das purste Heidentum) bald ein Haus, so groß, daß der Eine am einen Ende in die Luft gesprengt werden kann, ohne daß man es am andren merkt – so kommt es Einem wenigstens vor, wenn man an unser kleines Nestchen von früher denkt.19 Unser nächster Gast wird nun wohl im Frühjahr Tante Nixel20 sein (bitte, grüße sie doch recht schön); hoffentlich bin ich dann zurück, das wird ein Hauptvergnügen. Fast hätte meine Mutter sich zum Geisterglauben bekehrt, als im Oktober plötzlich Onkel Wilhelm in unsrer Haustür erschien, denn natürlich hatte kein Mensch an das Zustandekommen seines Vorsatzesj geglaubt. Es war aber keineswegs sein Geist, sondern er selbst, und zwar dem Anschein nach so wohl und vergnügt, daß wir uns Alle recht freuen konnten, zumal es ihm in Berlin doch ganz behaglich gewesen sein muß, was mich gar nicht wundert, da verschiedene seiner Collegen (z. B. Herr Dr. Römer) schon lange uns gegenüber den dringenden Wunsch ausgesprochen hatten, ihn einmalk dort zu sehen und mit denen ganz gut zusammen |:auszukommen:| sein muß. Ich möchte wohl wissen, wie es bei Beneckes eigentlich geht, ob das, in vieler Beziehung ganz interessante, Frl. Georgii21 noch dort ist, was die Dora22 macht j 〈gedacht〉

k 〈bei〉

17 Es handelt sich vermutlich um Paul Blume, der neben Max Weber in diesem Semester der einzige Heidelberger Allemanne in Göttingen war. 18 Als Teilpublikation: Schellhass, Karl, Das Königslager vor Aachen und Frankfurt in seiner rechtsgeschichtlichen Bedeutung. – Berlin: Gaertner 1885. Die vollständige Dissertation erschien 1887. 19 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 20 Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 21 Martha Georgii. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 497. 22 Dora Benecke.

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(grüße sie bitte auch) u.s.w. – Ich habe auch dort im Hause so viel Freundlichkeit mir entgegenbringen lassen, daß ich doch gern von Zeit zu Zeit wüßte, wie es bei ihnen geht und so mit ihnen im Zusammenhang bliebe. Es ist mir mit ihnen, während ich in Straßburg war, 23 eigen gegangen, denn ich bin ja eigentlich verhältnismäßig wenig bei ihnen gewesen, und es that mir sehr leid, bemerken zu müssen, daß die Tante24 stets den Eindruck hatte, – vielleicht auch haben mußte, denn ich verstand es eben nicht, ihn ihr zu benehmen –, daß ich bei ihnen nicht so gern sei und mich nicht so behaglich fühlte, als z. B. bei Euch, weil ich bei Euch so viel öfter und sehr regelmäßig war. Das kam aber einfach schon daher, daß ich wußte,l daß es bei Euch denn doch sehr viel leichter anging, daß jeden Augenblick so ein auswärtiger Vetter hineingeschneit kam, als in dem großen Benecke’schen Haushalt. Ich weiß es von mir zu Haus recht gut, daß wo so viel kleine und kleinste Kinder sind (und wir sind nun doch schon aus dem gröbsten heraus), es nicht angehen würde, daß da ein junger Mann so regelmäßig sein Hauptquartier aufschlüge, wie ich es bei Euch gethan habe (wo ich mir allerdings etwas sehr wenig Gewissensbisse gemacht habe), und namentlich deshalb, weil Beneckes dann wirklich allzugroße Ansprüche an sich selbst machten: sie behandelten Einen, wenn man da war, viel mehr wiem eine Hauptperson, als ein Neffe behandelt sein soll und will [.] Aber, wie gesagt, die Tante hatte, das weiß ich ganz genau, diese Empfi ndung, und das sind eben Empfi ndungssachen, da ist mit Worten nicht viel dagegen zu machen, und außerdem liegt es nicht in Jedermanns Natur, Andren (wenigstens von Auge zu Auge, mündlich) zu sagen, was man von ihm denkt und wie man an ihn denken wird, – obwohl ich zugebe, daß das Letztere im Princip eigentlich nicht richtig ist oder wenigstens sein kann. Liebe Emmy, jetzt muß ich aber Punkt und Gedankenstrich machen, es ist schon Sonnabend Mittag geworden und am vorigen Sonntag bereits fi ng ich an, Deiner Mutter zu schreiben.25 Ich komme aber eigentlich nur des Abends nach 10 zum Schreiben und wenn ich, wie einige Male dieser Woche, am Tage durch einen Besuch Zeit verloren habe l In O folgt: daß ich wußte,

m als > wie

23 Max Weber hatte von Oktober 1883 bis September 1884 seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger sowie seine erste militärische Übung im März/April 1885 in Straßburg absolviert. 24 Emilie Benecke, geb. Fallenstein. 25 Ein Brief Max Webers an Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, ist nicht nachgewiesen.

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oder eingeladen war, gar nicht, weil ich dann des Abends, wo ich mit Vorliebe und am schnellsten arbeite, noch für Seminare etc. zu thun habe. Außerdem würde die Post, wenn der Brief noch dicker würde, ihn wohl nur als Packet befördern wollen. Du hast mir ja selbst einmal mit Bezug auf mich die tröstliche Versicherung gegeben, „Unkraut verdürbe nicht“ und wirst aus dem Unsinn, den ich Dir zuerst geschrieben habe, wohl entnehmen, daß es in der That so ist und ich ganz wohlauf und soweit vergnügt bin. Zum Schluß will ich noch mit Genugthuung constatieren, daß ich jetzt erheblich mehr Briefe nach Hause schreibe, als von dort bekomme – kürzlich haben sie mich einmal 3 Wochen ohne Nachricht gelassen, was mir ein angenehmes Gefühl war, denn es giebt, besonders in Erinnerung an verflossene Verhältnisse, ein „gutes Ruhekissen“. Grüße bitte Laura26 und Anna27 ganz besonders von mir. Schreibst Du wohl einmal? wenn Du eben nichts besseres zu thun weißt? |:(das heißt, wenn es Dir nicht unter Deiner Würde erscheint, |:so:| einem spärlichen Studenten zu schreiben. Ich rücke ja hoffentlich in einigen Monaten in eine etwas gesetztere Menschenklasse ein.).28 :| Hochachtungsvoll erstirbt – der Platz auf dem Papier – und Dein Vetter Max.

26 Laura Fallenstein. 27 Anna Baumgarten. 28 Max Weber spielt auf sein Examen im Frühjahr 1886 an. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 30. März 1886, unten, S. 596 mit Anm. 5.

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Helene Weber 6. Dezember 1885; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 102–104

Göttingen den 6. Dec. 85. Abends. Liebe Mutter! Du wirst hoffentlich nicht zu der Annahme gelangt sein, daß ich gänzlich in meine alte Untugend zurückzufallen im Begriff sei, weil ich eine Woche lang auf Deinen Brief nichts von mir habe hören lassen. Das kam so aus verschiedenen Gründen. Einmal hatte ich erheblich mehr zu thun als gewöhnlich, da mich diesmal die Arbeiten für meine beiden Seminare1 mehr in Anspruch nahmen und ich auch einige Bücher von der Bibliothek noch durcharbeiten mußte, die ich zurückgeben mußte, wenn ich mich nicht einer Geldbuße wegen verspäteter Rückgabe aussetzen wollte. So kam ich auch des Abends, wo sonst die Zeit dafür ist, wenig zum Schreiben. Dann aber mußte ich einen nun allerdings ellenlang geratenen Brief nach Straßburg erst fertig machen, den ich nun doch schon sehr lange schuldig war.2 – Hier hat sich wenig geändert, außer daß ich kürzlich Hrn. v. Bar einen Besuch machte und ihm eine Empfehlung ausrichtete (er läßt dieselbe erwidern); er ist in sofern sonderbar, als er nichts Rechtes mit Einem anzufangen weiß, einen namentlich constant nicht ansieht und einen etwas „erschossenen“ Eindruck machte, war aber sehr freundlich und stellte mich auch seiner Frau vor.3 Heute Mittag besuchte mich (schon zum zweiten Mal) Herr Staatsrat Mithoff a und lud mich zu übermorgen zum Thee ein. Neulich empfi ng ich sogar Herrn und Frau Professor Frensdorff,4 die mich zum großen Plaisir der letzteren mit der Pfeife im Lehnstuhl antrafen. Am vorigen Sonntag war ich zum Mittag und Nachmittag bei a O: Miethoff 1 Gemeint sind hier die „Praktischen Übungen im Civilrecht“ bei Ferdinand Regelsberger sowie das „Handelsrechtliche Prakticum“ bei Richard Schröder. 2 Nachgewiesen ist der Brief Max Webers an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dez. 1885, oben, S. 557–563, in dem Weber jedoch auch einen Brief an seine Tante Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, erwähnt, der nicht nachgewiesen ist (oben, S. 562, Anm. 25). 3 Axelena von Bar, geb. Blohm. 4 Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann.

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ihnen, und |:zu:| morgen hat mich Herr Prof. eingeladen, um, eine außerordentliche Freundlichkeit, mit mir ein Examen rigorosum in Deutschem Recht anzustellen, wo ich auf den Grad seiner Zu- oder Unzufriedenheit mit mir begierig bin. – Es ist hier anhaltend so schlechtes Wetter, daß ich von der Umgegend noch wenig gesehen habe, außer einigen Spaziergängen, die sich aber meist auf einen Rundgang über einen oder mehrere „Wälle“5 nach Tisch beschränken. Trotzdem aber gefällt es mir recht gut; allein der Bibliothek wegen, die so ausgezeichnet eingerichtet ist, wie ich es noch nirgends gefunden habe, möchte man sich hier ansiedeln. Großer Fleiß herrscht hier unter den Juristen nicht, die Collegien sind ganz ausgestorben, Herr v. Bar liest vor ganzen 3 Leuten,6 von denen Einer vermutlich auch noch wegbleiben wird. Was meine Gesellschaft betrifft, so habe ich gelegentlich mit Einigen von meiner Tischgenossenschaft, einem Dortmunder und einem Andren, nach dem Essen einen Kaffeeskat gespielt, seitdem ich merkte, daß ich den Kaffee dabei meist umsonst bekam, indeß ziehe ich 1/ 2 Stunde Spazierengehen 1/ 2 Stunde Skat doch vor – Mommsen7 würde anders denken. Der sitzt nun also in Kyritz,8 wo, glaube ich, ein Verwandter oder Bekannter von ihm Amtsrichter ist. Bei Wilamowitz ist übrigens der Eine von den Zwillingen doch gestorben und er sieht recht sorgenvoll aus.9 Von Schellhaß10 erhielt ich eine mitternächtige Postkarte aus dem Schützenlisl,11 wobei er Weber mit einem „ä“ schrieb (Wäber!) und auf der andren Seite nur „cum laude“, es ist aber auch wirklich ein Segen, daß er aus der Arbeiterei heraus ist. Da er nach Frankfurt kommt, werde ich ihn allerdings hier nicht mehr sehen. Nun willst Du meinen Wunschzettel wissen. Derselbe besteht eigentlich wesentlich aus Savigny’s Geschichte des r[ömischen] R[echts] im

5 Bis ins Mittelalter zurückgehende Schutzwälle um Göttingen. 6 Vermutlich bezieht sich Max Weber hier auf das von ihm belegte Kolleg zum „Civilprozeß“. Vgl. den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 17. Dez. 1885, unten, S. 574 mit Anm. 7, in dem er von nur noch zwei Studenten berichtet. Im gleichen Semester bot von Bar auch noch ein Kolleg zum „Völkerrecht“ an, mittwochs und samstags von 12–13 Uhr, das Weber aber nicht belegt hat. 7 Karl Mommsen. 8 Kyritz in Brandenburg, zu dieser Zeit Kreisstadt des Landkreises Ostprignitz. 9 Tycho von Wilamowitz-Moellendorff, geb. am 16. November 1885, überlebte. 10 Karl Emmanuel Schellhass. 11 Gemeint ist das Café Schützenlisl in Berlin.

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Mittelalter12 und einer gewöhnlichen langen Pfeife für gewöhnlichen Rollenknaster, da ich jetzt immer nur türkischen Tabak rauchen kann. Recht gern hätte ich außerdem Marquardt’s „Römische Staatsverwaltung“13 oder bDernburgs preußisches Pfandrechtb14 (deshalb „oder“, weil ich eins von beiden stets auf der Bibliothek bekommen kann, nicht aber beides, da es zusammen mehr als 4 Bände sind; auch hätte ich gern eins von beiden im Hause, um nicht nur auf die Bibliothek angewiesen zu sein). Von Holtzendorffsc Encyklopädie wird der 2te Band in neuster Auflage wohl noch nicht erschienen sein.15 – Sehr interessiert hat mich, von Deiner Agitation zu hören und daß Du sogar in näheren Verkehr mit den beiden Pastoren getreten bist,16 ich denke mir doch, daß ein Anflug von Unheimlichkeit auf dem betr. Thee gelagert hat; vielleicht hast Du aber, um das zu verscheuchen, Frau v. d. Leyen als Unterstützung dabei gehabt – oder vielleicht gar Frau Dir. Schultzd?17 welch letzteres mir allerdings erheblich unwahrscheinlicher ist. – Wollt Ihr denn eigentlich, daß ich Weihnachten nach Hause komme? Ich kann es insofern ganz gut, da ich das Notwendige auch in Charlottenburg arbeiten kann, und käme an sich natürlich sehr gern. Begierig wäre ich, wie weit nun wohl der Bau in Wirklichkeit gelangt ist;18 ganz fertig wird er also, wie es scheint, doch noch nicht sein, aber wenigstens die am notwendigsten gebrauchten Räumlichkeiten (so das „altd[eutsche] Trinkzimmer“). Wo sind denn aber die Kinder alle auf die Dauer untergebracht, wenn Ihr in dem andren Zimmer schlaft? Du schreibst

b [??] deutsches Privatrecht > Dernburgs preußisches Pfandrecht dorfs d Alternative Lesung: Scholtz

c O: Holtzen-

12 Das 6-bändige Werk von Savigny hatte Weber sich schon drei Jahre zuvor gewünscht. Vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Dez. 1882, oben, S. 307 mit Anm. 22. 13 Marquardt, Joachim, Römische Staatsverwaltung (Handbuch der römischen Alterthümer, Band 4–6), 3 Bände. – Leipzig: S. Hirzel 1873–1878. 14 Dernburg, Heinrich, Das Pfandrecht nach den Grundsätzen des heutigen römischen Rechts, 2 Bände. – Leipzig: S. Hirzel 1860–1864. 15 Holtzendorff, Franz von (Hg.), Encyclopädie der Rechtswissenschaft, 2 Bände. – Leipzig: Duncker & Humblot 1870. Das Werk bestand anfangs aus einer einbändigen Darstellung und einem zweibändigen Lexikon, auf das sich Weber hier bezieht. Dessen 3. Auflage war 1881 erschienen. 16 Über Helene Webers sozialpolitisches oder sozialreligiöses Engagement in dieser Zeit ist nichts bekannt. 17 Es handelt sich vermutlich um die Ehefrau des Gymnasialdirektors Ferdinand Schultz. 18 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert.

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nicht, was Karl treibt, eine Versetzung ist doch diesmal wenigstens hoffentlich außer Frage. Alfred hat mir einen sehr netten Brief geschrieben, für den ich vorläufig danken lasse, ich kann erst am Mittwoch Abend darauf antworten.19 Mit Lillys x–Lernen, um meinen Namen schreiben zu können, scheint es doch nicht zum Abschluß gekommen zu sein, oder hat sie mich abgesetzt und Herrn Voigt als |:neue:| verbesserte Auflage statt meiner acceptiert? Was ich des Sonntags anfange? In erster Linie betrachte ich den Sonntag doch trotz Deines Protestes jetzt als Ausschlafetag; wird es nicht zu spät mit dem Aufstehen – denn um 10 Uhr muß ich beim Arbeiten sein, so komme ich vorher noch dazu, etwas Channing oder Spinoza20 zu lesen. Was Ersteren betrifft, so habe ich keinen bes. glücklichen Band mitgenommen: eine Abhandlung über den Krieg, 21 die darin steht und die ich kürzlich las, erscheint mir nicht nur als höchst unpraktisch und pures Theorem, sondern in ihrem Bestreben, alle Persönlichkeiten und Handlungen, die sich auf den Krieg beziehen und sich damit befassen, als weit unter dem Handwerk des Henkers stehend zu qualificieren, einfach verwerflich. Ich kann durchaus nicht einsehen, wase für eine Hebung der Sittlichkeit dabei herauskommen soll, wenn man berufsmäßige Militairsf mit einer Mörderbande auf eine Linie stellt und sie mit öffentlicher Verachtung gebrandmarkt wissen will – der Krieg würde dadurch, daßg man es etwa thäte, keineswegs an Menschlichkeit gewinnen. Nun macht sich Channing da zwar einen sehr beliebten Ausweg zurecht, indem er sagt, zur Verteidigung sittlicher und allgemein menschlicher Rechte sei der Krieg, als allerletztes

e 〈es〉

f 〈[??]〉

g was > daß

19 Ein Brief von Mittwoch, 9. Dezember, ist nicht überliefert. Der nächste nachgewiesene Brief von Max Weber an Alfred Weber stammt vom 13. Dezember 1885, unten, S. 570–573. 20 Von Spinoza besaß Max Weber nachweislich: B. de Spinoza’s Sämmtliche Werke. Aus dem Lateinischen. Mit einer Lebensgeschichte Spinoza’s von Berthold Auerbach, 2 Bände, 2. Aufl. – Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1871, Handexemplare in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München. Lesespuren und Randnotizen finden sich in Band 2, vor allem zu: „Die Ethik mit geometrischer Methode begründet“. 21 Channing, William Ellery, Über den Krieg. Eine Vorlesung, gehalten zu Anfange des Jahres 1838, in: Dr. W. E. Channing’s Sociale Schriften. Aus dem Englischen übersetzt und hg. von F. A. Schulze und Ad. Sydow, 5. Bändchen (Dr. William Ellery Channing’s Werke. In einer Auswahl aus dem Englischen übersetzt und hg. von F. A. Schulze und Ad. Sydow, 10. Bändchen). – Leipzig: Hermann Schultze 1852, S. 103–163, hier S. 158. Es kann nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden, ob Weber tatsächlich diese oder eine andere deutsch- oder englischsprachige Ausgabe benutzt hat.

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Notwehrmittel, erlaubt, aber darüber müsse das Gewissen des Einzelnen |:entscheiden:|, an den die Anforderung gestellt würde, in den Krieg zu ziehen, undh er will hier den sehr bedenklichen neutestamentlichen Satz „man soll Gott mehr gehorchen, als den Menschen“, 22 anwenden (betrachtet es sogar vom Standpunkt des altchristlichen Martyriums aus als eine „sittliche“ Ehre, wenn Jemand, dessen Gewissen sich geregt habe, wegen Fahnenflucht erschossen oder ins Zuchthaus gesteckt wird) 23 – nun, wenn Channing nicht offenbar gar keinen Begriff von solchen Dingen hätte und |:nicht:| die amerikanischen Soldheeresverhältnisse, unter denen die Raubkriege der demokratischen amerikanischen Unionsregierung gegen Mexico24 etc. geführt wurden,i im Auge hätte, so würde dies Raisonnement, vorausgesetzt er glaubte selbst, daß es jemals praktisch von den Einzelnen verwirklicht werden könnte, ein höchst frivoles zu nennen |:sein:|; so aber liegt einfach der Denkfehler vor, eine Doctrin, die unter amerikanischen Verhältnissen zwar nicht etwa gerechtfertigt, oder auch nur ungefährlich, aber doch begreiflich ist als extreme Speculation eines in dieser Beziehung dem praktischen Leben Fernstehenden, als eine allgemein christliche Grundanschauung zu betrachten, – wie es ja öfter geht. Nicht ungefährlich aber ist das Aufstellen solcher Theorien, wie es hier und öfter, wenn auch in schwächerem Maße, begegnet, nicht etwa deshalb, weil zu befürchten wäre, daß sie praktisch erhebliche Resultate in Beziehung auf Beeinflussung des wirklichen Handelns der Menschen in den betreffenden Lagen haben könnte, sondern weil es leicht in den Empfi ndungen der Menschen einen Riß zwischen den (angeblichen) Anforderungen des Christentums, und dem, was die gesellschaftliche Ordnung der Staaten und der Welt an Consequenzen und Voraussetzungen mit sich bringt, hervortreten lassen kann – und teilweise vielleicht schon hervorgebracht hat. Das ganze Elend des Mittelalters beruht h 〈sie〉

i 〈mit〉

22 Ebd., S. 148 f. Auf den Satz aus der Apostelgeschichte 5, 29: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“, bezieht Channing sich nicht explizit. 23 Channing, Über den Krieg (wie oben, S. 567, Anm. 21), S. 154 f. 24 Die von dem Demokraten James K. Polk geführte amerikanische Regierung erklärte am 13. Mai 1846 Mexiko den Krieg, der bis Anfang 1848 dauerte. Die amerikanische Armee wurde hauptsächlich aus Freiwilligen-Regimentern gebildet. Während und auch noch nach dem Krieg kam es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere durch die Freiwilligen. Da Channings Vorlesung aus dem Jahr 1838 stammt, konnte er sich noch nicht auf diesen Krieg beziehen, allenfalls auf das kleine Berufsheer von ca. 9000 Soldaten bei Kriegsbeginn.

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auf j dieser construierten Kluft zwischen angeblich göttlicher und menschlicher Ordnung. – Das soll meiner Verehrung für Channing keinen Eintrag thun, aber es ist eben ein Zeichen dafür, daß dask unbedingte Streben nach „Consequenz“ auf Grund gewisser vorher aufgestellter Principien zwar gewiß dem Einzelnen ein hohes Bewußtsein innerer Kraft zu geben vermag, selbst wenn es da angewendet wurde, wo es nicht hingehört, aber |:in diesem Fall:| einen Widerspruch gegen gewisse fundamentale gesellschaftliche Ordnungen in sich schließt und deßhalbl dann eine Rücksichtslosigkeit gegen diese Ordnungen und die Außenwelt und ein Bauen auf dem eignen Ich enthält, welches nur deshalb gegen die Bezeichnung als „Egoismus“ sich wehrt, weil es sich in Selbstteuschung befi ndet und gewöhnt ist, diesen letzteren Namenm als Brandmal auf Dinge zu heften, die oft gar nicht darunter gehören, was, wenn man sie so bezeichnen kann, trotzdem das Gebrandmarktwerden nicht verdienen. – Liebe Mutter, dieser Brief ist etwas flüchtig und eilig, ich habe noch sehr viel zu thun, besonders da ich Montag und Dienstag nun nicht zu Hause bin. Ich muß deshalb auch jetzt Punkt machen – es giebt diesmal auch nicht viel zu erzählen, und will nur hoffen, daß Papas Augen wieder in Ordnung sind und diese langwierigen „Gerstenkörner“ nicht alle Augenblick wieder erscheinen – event. weiß übrigens Frau Prof. Frensdorff, wie sie sagt, ein gutes Mittel. Mit schönstem Gruß an Alle, Papa und Geschwister Dein Sohn Max.

j 〈diesem〉

k 〈Bewußtsein〉

l in diesem > deßhalb

m 〈auf〉

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Alfred Weber 13. Dezember 1885; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 9–10

Göttingen den 13. Dec. 85. Lieber Alfred! Ich habe nicht eher antworten können, weil ich in der That in den letzten Tagen so viel zu thun hatte, daß ich nicht recht wußte, wo ich mit meiner Zeit bleiben sollte und mich fortwährend mit der Bibliothek herumärgern mußte, die mir die Bücher, welche ich brauchte, nicht liefern konnte. So ist es nun allerdings so spät geworden, ehe ich zum Antworten komme, daß es Dir für Deinen Aufsatz wohl nicht mehr viel helfen könnte, wenn ich Dir dazu noch etwas zu raten wüßte. – Jedenfalls ist es schön, daß Du bei Deinem Vorsatz geblieben bist, dies in der That sehr interessante Thema zu behandeln, mit dem mich zu beschäftigen ich zwar nicht die Zeit, wohl aber von jeher große Lust hätte. – Was nun die Disposition betrifft, so ergiebt sich dieselbe der Zeit nach u. den allgemeinen Grundzügen der einzelnen Perioden nach ja leicht so, wie Du schreibst, nur würde ich in den Capitelüberschriften („Zeit des Zurückbleibens hinter dem Mutterland“ etc.) nicht schon so viel von Dem sagen, was in dem Capitel selbst drin steht, sondern mehr nach Jahrhunderten, statt nach solchen Zeiträumen zählen, aus deren Titulatura man schon ungefähr entnehmen kann, was das Resultat der betr. Betrachtung sein wird: es ist das eine schriftstellerische Unsitte, die mich bei allen Büchern, in denen ich sie bisher kennen gelernt habe (von Robinson Crusoeb angefangen bis zu Carlyle) stets geärgert hat. – Auch sind ja diese Überschriften in sofern nicht ganz wahrheitsgetreu, als das „Voraneilen“ u. „Zurückbleiben“ immer ein relatives war, in gewissen Beziehungen war es vorhanden, in andren nicht. Was das Nähere dieses Verhältnisses betrifft, so darf namentlich nicht übersehen werden, daß eine der Haupteinwirkungen der kleinasiatischen Colonien auf das Mutterland darin bestand, daß das für die Hellenen sehr gefährliche Institut der Tyrannis im Mutterland seine Rechtsformen und Institute den Colonien entlehnte. Der Sturz dieser Tyrannis, das a Nominierung > Titulatur

b O: Crusoï

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große nationale Verdienst Spartas, war die erste Reaction und vielleicht eine der allerwichtigsten, welche gegen den Einfluß der Colonien imc Mutterland entstand, und dessen politische Reife und Superiorität über die kleinasiatischen Griechen dokumentierte und vielleicht überhaupt zuerst begründete. Der Abschluß dieser Entwicklung, welcher mit dem Sturz der Peisistratiden sich entschied, bildet in dem Verhältnis des Mutterlands und seiner Bedeutung den Colonien gegenüber einen Hauptabschnitt, und auch in sofern ist es von Dir ganz richtig, die 2te Epoche von den Befreiungskriegen an (kurz vor Beginn derselben erfolgte ja die Entscheidung in Athen) zu datieren. – Die Entwicklung des „Netzes von Kaufmannstädten“, die Du in diese 2te Epoche setzest, vollzog sich aber schon in der ersten, in der 2ten Epoche sind außer Thurioi erhebliche Coloniegründungen, so viel ich weiß, nicht mehr vorgekommen. Im Gegenteil: es zeigt grade den Umschwung des Handels, daß man in dieser Epoche, trotzdem sich der Handelsverkehr ungeheuer entwickelte, nicht nachherd dazu schritt, diesen Verkehr dadurch zu sichern, daß man allenthalben in den Ländern, mit denen man Handel trieb, große verschanzte Massenansiedlungen von Kaufleuten und Gewerbetreibenden anlegte; das pflegt mit dem Steigen der Civilisation und des Verkehrs aufzuhören. – Was die Epoche Alexanders betrifft, so darf in dieser die Bedeutung der kleinasiatischen Städte nicht überschätzt werden, die Centren der hellenistischen Cultur lagen weit abseits davon, – |:z. B.:| auch die Sprache war in Kleinasien erst seit der römischen Kaiserzeit allgemein die griechische, wo eine einheitliche Verwaltung dies durchführte, bis dahin bestanden die verschiedenen semitischen, phrygischen, keltischen Dialecte fort. Die neue große Blüte der dortigen Griechenstädte begann mit der Zertrümmerung der großen orientalischene Diadochenreiche durch Rom und stieg seitdem fortwährend.f Die künstlerische Nachblüte in Pergamon etc. war ja nur kurz, stand aber noch im Zusammenhang mit der Praxitelischen |:etc.:| Kunst, die nie ganz erloschen war; der materielle Wohlstand aber stieg fortwährend unterbrochen nur durch die wüste Zeit der Mithradatischen Kriege und der horriblen republikanischen Wirtschaft in der letzten Zeit vor Augustus, und blieb im Steigen, bis die Seekriege der Gothen im 3. Jahrh. p. Chr. begannen. In geistiger Beziehung blieben die Städte wenigstens bis ins 2. Jahrh., trotzdem Alexandria Alles absorbierte, mit an der c vom > im

d O: nacher

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f 〈und stieg sei〉

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Spitze der Cultur des orbis terrarum und brachten eine Anzahl der besten Schriftsteller der Kaiserzeit hervor. – Man darf diese „Nachblüte“ unter den Römern nicht gering anschlagen, obwohl ich nicht glaube, daß Du sie näher darstellen kannst, da bei dem Zustand der Überlieferung wir sie nur aus Rückschlüssen entnehmen können. Es ging ihnen ähnlich wie z. B. den Hansestädten: wenn nach 2000 Jahren Jemand über sie schreibt, so ist es auch nicht berechtigt, deßhalb, weil sie im 14. Jahrh. vielleicht einzig in ihrer Art dastanden und jetzt nur eins von den vielen Gliedern eines großen Ganzen bilden, nun zu folgen, daß sieg im 19. Jahrh. nur die verödeten Stätten einer einstmals großen Cultur seien: die Welt ist eben im Ganzen weiter gekommen. – Die asiatischen Städte gewannen schon durch die Art der römischen Verfassungh eine große Bedeutung (wie überhaupt alle Städte); denn die Römer bauten ihre Provinzialordnung in erster Linie auf den Stadtgemeinden auf, und zerteilten eigentlich die ganze Welt in lauter einzelne Stadtbezirke, wobei dann das umliegende Land den Städten untergeordnet wurde, schon deshalb, weil sie auf diese Weise am leichtesten die alten Stammesverbände auflösten, und aus andren Gründen, worüber wir einmal mündlich sprechen können. – So wurden auch die Städte Mittelpunkte der weltlichen, und später der kirchlichen, Verwaltung. Besonders Ephesos gewann Bedeutung. Dort tagte der Landtag der Provinz Asia und residierten die von diesem gewählten „Asiarchen“, welche außer den speciellen Angelegenheiten der Provinz auch das wichtige Geschäft hatten, die Steuern, welche Rom durch den Proconsul für Asia der Provinz auferlegte, auf die Städte zu verteilen. Die Städte müssen großenteils civitates immunes (steuerfrei) gewesen sein, denn, so viel ich mich erinnere, war das Steuereinkommen aus Asia nicht sehr hoch. – Davon kannst Du vielleicht einiges für den Schluß des Aufsatzes brauchen, gern sagte ich Dir noch mehr, aber mein Gedächtnis läßt mich im Stich. – Was die geistige Cultur anbetrifft, so, glaube ich, könntest Du als eins der letzten specifisch kleinasiatisch-hellenistisch-orientalischen Produkte (denn spätere Schriftsteller gehören mehr der Gesammtheit des römischen Reichs, als der Specialprovinz an) die Apokalypse (Offenbarung Johannis) anführen. Sie ist wahrscheinlich in Ephesos entstanden und ist eins der großartigsten und poëtischsten Produkte der Phantasie des dortigen, mit der g 〈jetzt,〉

h 〈eines〉

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hellenistischen Culturi vertrauten, mit dem Judentum noch in engem Zusammenhang stehenden Christentums, zugleich ein lebhafter Protest gegen den sittlichen Verfall des Hellenismus; und außerdem zeigt sich in ihm der ganze Zorn des Judentums |:in:| den orientalischen Städten (welches zu den besten Bestandteilen der hellenistischenj Nationen des Orients gehörte) gegen das römische Caesarenhaus, dessen damalige verworfene Vertreter, Caligula, Claudiusk, Nero, wie man glaubte, das Ende aller Dinge heraufbeschwören mußten. – Constantinopel würde ich nicht hineinbringen, das gehört einem anderen Zusammenhang an; aber die Verlegung des Reichscentrums in diese Gegend beweist allerdings die hohe Bedeutung grade dieser Küstenstriche für das Römerreich. Nun ist das Papier zu Ende und ich muß zu Bett, es ist 12 Uhr und ich bin hundemüde. Übermorgen Abend, kannst Du dem Papa sagen, wäre ich bei Herrn Professor v. Bar „zu einem freundschaftlichen Abendessen“ eingeladen [.] Mit bestem Gruß an Alle Dein Bruder Max

i 〈vertrauten〉

j 〈hellenist〉

k Clau > Claudius

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Max Weber sen. 17. Dezember 1885; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 2, Bl. 94 Der Brief ist auf einem Karton mit einem Streichholzschachtelmotiv geschrieben.

Göttingen 17. Dec. 1885. Lieber Vater! Schönen Dank für Deinen letzten Brief, aus dem ich zugleich entnehme, daß Deine Augenentzündung wieder vorüber ist. Was mein Kommen betrifft, so war ich nicht ganz sicher, wie es mit dem Unterkommen stehen würde, da der Raum doch wohl noch immer nicht ganz fertiggestellt ist.1 Ich dachte etwa Montag Mittag oder Nacht abzureisen u. also Montaga Abend oder Dienstag früh2 anzukommen. Nun sehe ich, daß schnellere Züge um 2 Uhr 35 Nachm. und 1 Uhr 6 Nachts gehen, wo ich dann bezw. um 9 Uhr 15 Abends oder 7 Uhr 36 Morgens ankommen würde. Gegen letzteren Zug protestiert ein Heidelberger Bekannter, 3 der mit mir zusammen reisen möchte, da ich dann 2ter Klasse reisen müßte, was ihm Beklemmungen macht. Ich muß also noch einmalb schreiben.4 Den Montag Vormittag über möchte ich nämlich noch hier auf der Bibliothek sein, außerdem scheint Dove am Montag noch lesen zu wollen, 5 da er sehr zurück ist. Dienstag Abend habe ich Schellhaß6 versprochen, mit ihm zusammenzusein, was ich doch gern möchte, obgleich es allerdings den ersten Abend zu Hause recht behaglich wäre. Ich schreibe also noch einmal. – Herr v. Bar traf mich heute allein in seinem Auditorium an, sagte nur lächelnd „das schadet nichts“ und bestieg mutig das Katheder – nachher kam doch noch Einer.7

a Dienstag > Montag

b 〈[??]〉

1 1885 wurde das Webersche Haus in Charlottenburg erheblich erweitert. 2 D. h. am 21. oder 22. Dezember 1885. 3 Es könnte sich um den Heidelberger Allemannen Paul Blume handeln, der ebenfalls in Göttingen studierte. 4 Ein weiteres Schriftstück Max Webers in dieser Angelegenheit ist nicht nachgewiesen. 5 Weber hörte bei Richard Wilhelm Dove das Kolleg „Kirchenrecht einschließlich des Eherechts“, täglich von 8–9 Uhr. 6 Karl Emmanuel Schellhass. 7 Vgl. dazu oben, S. 565, Anm. 6.

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Vorgestern Abend war ich bei Bars8 in größerer Gesellschaft, wo ich zu nicht geringer Überraschung einen Bekannten von ehedem, nämlich jenen verhängnisvollen Sohn von Prof. Herm[ann] Schulze in Heidelberg wiederfand, dem ich bei Erdmannsdörffer einmal so offenherzig mein Leid über seines Hrn. Vater sächsischen Dialekt geklagt hatte.9 Er will ins Examen, schien sich meiner sowohl als meiner ihm damals so erstaunlichen Eröffnungen noch zu erinnern, letzteres deshalb, weil er mich von Zeit zu Zeit vorsichtig von der Seite anlächelte. Er ist übrigens ein solches Steifbein, daß ich es mir jetzt leicht verzeihe, ihn damals für einen Engländer gehalten und nichts Böses hinter ihm gewittert zu haben. Übermorgen Abend ist wieder bei Frensdorffs Privat-Examen;10 das vorige Mal hatte ich den Eindruck, ziemlich wenig zu wissen, wie es mit dem seinigen stand, kann ich nicht ermessen. Hier ist es übrigens fortgesetzt sehr behaglich. Die Proff. Regelsberger und Schröder gaben mir vorgestern bei v. Bar’s ein leidliches „Weihnachtszeugnis“. Wenn Bismarck und der Reichstag auf den Gedanken kämen, das Strafrecht, als etwas höchst Langweiliges, für einen überflüssigen Zweig der Staatsthätigkeit zu erklären, wäre mir sofort geholfen: dies ist auch eine crux für mich. Frensdorffs lassen grüßen, sie waren vorgestern auch bei v. Bar’s. Diesmal komme ich nun allerdings umc die behagliche WeihnachtsVorzeit, was mir sehr leid thut, sich aber doch nicht gut ändern läßt, da ich es nicht gut so einrichten kann, daß ich schon am Sonntag vor dem Abend11 zu Hause bin, und |:deshalb:| dann doch noch den Montag Vormittag auf die Bibliothek gehe, für die ich dann 6 Stunden Zeit habe, während ich sonst ganz unverhältnismäßig selten auf längere Zeit hinkomme, der Verteilung der Collegia wegen, da sie nur bis 3 Uhr auf ist. Mit herzlichen Grüßen an Alle zu Haus Dein Sohn Max. c Unsichere Lesung. 8 Karl Ludwig von Bar und Axelena von Bar, geb. Blohm. 9 Gemeint ist Gerhart Schulze, Max Webers späterer Freiburger Kollege (seit 1888: von Schulze-Gaevernitz). Die Familie stammt aus Thüringen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, oben, S. 341 mit Anm. 7. 10 Bei Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. Wie Max Weber seiner Mutter mitgeteilt hatte, unterrichtete ihn Ferdinand Frensdorff privat in Deutschem Recht, vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 6. Dez. 1885, oben, S. 565. 11 Gemeint ist Sonntag, 20. Dezember 1885.

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Helene Weber 12. Januar [1886]; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 112–113 Das Jahresdatum ist aus dem Kontext und der Ortsangabe erschlossen; Max Weber schrieb irrtümlich „85“.

Göttingen 12. Jan. 86a. Liebe Mutter! Besten Dank für Deine beiden Sendungen, Wäsche und Bücher sind richtig angekommen, nur der Brief kann wenigstens noch nicht, wie Du schriebst, unterwegs gewesen sein, sonst wäre er sicher hier. Wahrscheinlich hast Du wohl zu viel zu thun gehabt. Um dies gleich vorauszuschicken, so bedarf ich nunmehr noch bmeiner schwarzenb Hose, die ich, wie ich sehe, zurückgelassen haben muß und die ich Dich bitte, doch gleich hierherzuschicken, da ich ihrer zu Anfang nächster Woche bedarf, wo ich einen Ball bei Herrn v. Bar mitmachen soll. – Die ersten Tage, wo Schellhaß1 hier war, wurde in der That wenigstens Abends gehörig gekneipt, wobei Sch[ellhaß] einen beachtenswerten Eifer entwickelte. Es waren eine große Anzahl von Freunden von ihm hier, darunter auch ein Schüler von Onkel Hermann, jetzt im Doktor-Examen stehend, der von ihm erzählen konnte. – Prof. Frensdorff führte uns mit gewohnter Liebenswürdigkeit durch die Bibliothek und Stadt und wir waren dann einen Abend zusammen bei ihm. Schellhaß sah recht wohl aus, war äußerst vergnügt und glaubte auch, sein Gehör habe sich gebessert, was wenigstens im Verhältnis zu vor den Ferien der Fall war. Jetzt hat nun nach diesem Intermezzo die Periode des Arbeitens natürlich längst wieder begonnen. Herrn Staatsrat Mithoff traf ich im Begriff abzureisen, seine Familie folgt ihm in einiger Zeit nach. Herr v. Bar hat, wie gesagt, mich leider sofort zu einem Tanzvergnügen geangelt. Clara und Lilli muß ich sagen, daß Fräulein Frensdorffc 2 sich in voriger Woche, wo ich bei ihnen war, aufs Äußerste gewundert hatte, daß a O: 85

b–b O: meine schwarze

c O: Frensdorffs

1 Karl Emmanuel Schellhass. 2 Else oder Käthe, die beiden Töchter von Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. Welche hier gemeint ist, ist nicht nachweisbar.

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beide noch immer nicht geantwortet hatten, hoffentlich haben sie es inzwischen gethan. – Viel zu erzählen ist von hier grade nicht; Göttingen sieht im Schnee ganz lustig aus und ich sehe immer die Schlittenpartien auf der Weender Chaussee hinausklingeln; auch läuft alle Welt, mit Schlittschuhen bewaffnet, vor meinen Fenstern vorbei auf die großen Wiesen vor der Stadt. Im Übrigen ist es Nachts und Morgens bitter kalt, und es dauert lange, bis meine Stube, nachdem der Ofen einer ihm eigentümlichen Gepflogenheit gemäß erst 1/ 2 Stunde geraucht hat, einigermaßen wohnlich wird. Daß Bismarck als erster Protestant vom Pabst den Christusorden und außerdem noch ein verbindliches Schreiben bekommen hat, ist doch immerhin fabelhaft, man weiß nur nicht recht, ob man es in irgend einer Weise als einen Erfolg anzusehen hat, weil man sich nicht vorstellen kann, was für Gedanken die katholische Bevölkerung bekommen mag, wenn sie diese Nachricht liest. 3 Die Sache läßt sich jedenfalls nach beiden Seiten hin ausnutzen und es istd nur wahrscheinlicher, daß die katholische Geistlichkeit, die ihre Leute besser kennt, auch besser wissen wird in ihrem Sinn etwas daraus zu machen. Hoffentlich seid Ihre nun alle wieder einigermaßen auf dem Damm und beginnt sich das allerdings etwas primitiv aussehende neue Mädchen4 als eine wirkliche Hülfe fühlbar zu machen. Über Papas Auge habe ich nun auch noch nichts wieder gehört. Frau Prof[.] Frensdorff meinte, man müsse in solchen Fällen sofort einen Augenarzt fragen, da solche Sachen sonst grade bei Augenschwellungen etc. chronisch würden. – Ehe ich es aber vergesse, muß ich noch daran erinnern, daß Du mir meine Taschentücher nicht mitgeschickt hast, wodurch ich, da ich nur 3 hierhabe, in eine unangenehme Lage gekommen bin. Du könntest mir die andren wohl zusammen mit der Hose, die ich, wie gesagt, dringend

d Fehlt in O; ist sinngemäß ergänzt.

e O: ihr

3 Der Christusorden (Militia Domini Nostri Iesu Christi) ist der höchste Orden, den der Papst verleihen kann. Otto von Bismarck wurde er Ende Dezember 1885 von Leo XIII. verliehen, nachdem der „Kulturkampf“ beendet und diplomatische Beziehungen zum Vatikan wieder aufgenommen worden waren. Katholische Kreise, insbesondere in der Zentrumspartei, fanden diese Ehrung befremdlich. 4 Es handelt sich um eine namentlich nicht bekannte neue Hausangestellte der Familie Weber.

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brauche, zuschicken. Nun muß ich mir, Herrn v. Bar zu Liebe, auch meinen Examenscylinder schon vor der Zeit zulegen! Da hat es 12 Uhr geschlagen und Frensdorffs Colleg wartet auf mich; 5 der Brief ist allerdings etwas mager ausgefallen, aber es giebt auch nichtsf Neues hier, was Euch interessieren könnte, außer etwa, daß Schellhaß und ich im Verein mit dem Sohn des hiesigen Professor Wiesinger,6 einemg Freund von Sch[ellhaß], am Sonntag vor 8 Tagen den Commers der hiesigen Nationalliberalen zu Ehren des Kaisers „geschlossen“ haben,7 es waren allerdings, als wir hinkamen, nur noch 4–5 sehr jugendliche Nationalliberale da, denn es war schon gegen Morgen; aberh wir sangen doch noch einige interessante Lieder und ich habe nachher Herrn Staatsrat Mithoff mein Bedauern ausgedrückt, daß seine Rede schon zu Ende gewesen sei, als wir kamen. Mit herzlichen Grüßen an Alle Dein Sohn Max.

f O: nicht

g O: einen

h Unsichere Lesung.

5 Bei Ferdinand Frensdorff belegte Weber das Kolleg „Deutsches Verwaltungsrecht“, das dienstags, donnerstags und freitags von 12–13 Uhr stattfand. 6 Gemeint sind August Wiesinger und sein Sohn Eduard Ludwig Wiesinger. 7 Am 3. Januar 1886 jährte sich das Regierungsjubiliäum von Kaiser Wilhelm I. als König von Preußen zum 25. Mal, was reichsweit mit Festen, Reden und Kommersen gefeiert wurde.

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Helene Weber 24. und 25. Januar 1886; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 114–115

Göttingen den 24. Jan. 86. Abends. Liebe Mutter!

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Schönen Dank für die verschiedenen Zusendungen und Deinen letzten Brief, ich habe noch nicht geantwortet, weil ich die letzte Woche durch ein und dasselbe Ereignis in vielfacher Weise Zeit verloren habe, nämlich: 1) wird man zum Ball bei Bar’s1 eingeladen, ärgert sich (1/4 Stunde) 2) geht und kauft man sich einen Chapeau-claque2 (1/ 2 Stunde und schweres Geld) 3) hat dabei die Handschuhe vergessen,a geht und kauft dieselben (1/ 2 Stunde und ebenfalls Geld) 4) macht sich schön, wobei x Hemdenknöpfchen das Zeitliche segnen, ein Westenknopf sich locker erweist und selbst die Argosy-Hosenträger entzwei gehen (fast 1 volle Stunde!) 5) vorher schon den einen Frackärmel, der knackte, etwas fester genäht (1/4 Stunde) 6) geht und läßt sich frisieren, wobei man eine ganze Apotheke von Salben und Odem auf dem Schädel eingerichtet bekommt (1/4 Stunde) 7) rennt zu Herrn v. Bar, in der Meinung eine halbe Stunde zu spät zu kommen, 8) kommt viel zu früh (1/4 Stunde) 9) schwatzt (1/ 2 Stunde und vieles überflüssiges Gerede) 10) futtert (5 /4 Stunden!), 11) strampelt, schwatzt und schwitzt (von 10 – gegen 3b, 5 Stunden) 12) verschläft das Colleg bei Dove3 (1 Stunde), 13) muß dasselbe nachreiten4 (1 Stunde), zusammen ziemlich 12 Stunden, also einen ganzen Tag! c Halt! 14) macht eine Verdauungsvisite – was heute passiert ist – hätte ich fast vergessen. Innerhalb dieses Zeitraums kann man den allgemeinen Teil des Reichsstrafgesetzbuchs ganz durcharbeiten und den besondren wenigstens bis zu den „Gemeingefährlichen Verbrechen“, – da kann mir einer über das Tanzen und seine Vorzüge sagen, was er will – den 10ten Teil der Zeit kann es für Einen, der von Natur dazu geneigt und schmächtiger Constitution ist, wohl allenfalls a 〈k〉

b 〈)〉

c 〈Innerhalb dieser Zei〉

1 Karl Ludwig von Bar und Axelena von Bar, geb. Blohm. 2 Ein zylinderförmiger Hut, der eingeklappt werden kann. 3 Es handelt sich um das Kolleg von Richard Wilhelm Dove, „Kirchenrecht einschließlich des Eherechts“, täglich von 8–9 Uhr. 4 Das Nachholen des in den Kollegien vermittelten Lehrstoffs.

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wert sein, beides aber ist bei mir nicht der Fall: „es lebt niemand nach anderem Rechte, denn ihm angeborn ist“ sagt der Sachsenspiegel zutreffend; 5 aber wir leben leider nicht mehr nach dem Recht unsrer Väter und das römische Recht sagt sehr viel unbarmherziger: „ultra posse nemo obligatur“,6 also nur, wenn man nicht mehr kann, darf man aufhören – und selbst diese Grenze berücksichtigen die jungen Damend – in Bezug auf ihre Strampelfähigkeit sehr mit Unrecht das „schwache“ Geschlecht genannt – heutzutage nicht immer: z. B. die Tochter des hiesigen Prof. Schultz,7 eine wahre Amazone, und zwar auch der Constitution nach, tanzte, als verstünde sich das von selbst, 18 Mal mit mir um den ziemlich stattlichen Saal (sie zählte die Runden, das fand ich noch das Entrüstendste dabei!), ehe sie auf die Idee verfiel, zu danken, – und alles nur, um mich zu ärgern – denn es fiel ihr selbst schließlich doch sauer – weil ich mich bei einer früheren Gelegenheit einmal über eine gleichartige Strapazee bei ihr beklagt hatte. Im Übrigen habe ich mich noch allerdings besser amüsiert, als ich dachte, – mit einigen der jungen Damen unterhielt man sich in der That leidlich und lernte im Lauf der Zeit etliche Gegenstände gründlich und nach und nach von den verschiedenen Damen von verschiedenen Seiten aufgefaßt und beleuchtet, kennen: Schlittschuhbahn, Gesangverein, Verlobung eines Unterbibliothekars, Cotillionf,8 Hitze im Zimmer, Wettereventualitäten u.s.w. An der Bowle holte man sich Bauchgrimmen, was weder durch heftiges Walzerstrampeln, noch durch Bier zu heben war. Nun habe ich ja wohl genügend davon geschildert. Gesammtresultat: ich lasse mir 1–1 1/ 2 Stunden Tanzen gern gefallen bzw. ließe es mir gefallen, wenn man dabei in seiner Eigenschaft als vernünftig gekleideter Mensch und nichtg qua Frack, Cylinder, weiße Handschuhe, schwarze Beinkleider und zubehörige Ausfüllung derselben nebst Sprechanismus9 beteiligt wäre. Ich wüßte sonst nichts von dem Abend zu bemerken, außer daß ich mich Herrn Geh [.] Rat Dove vorstellen ließ, der sich nach Papa erkundigte. – d 〈heutzutage nicht〉

e O: Strapatze

f O: Cotillon

g 〈als〉

5 Sachsenspiegel I, 16: „Nieman ne mach irwerven ander recht, wan als im an geboren is.“ 6 Lat.: „Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet“ (Digesten 50.17.185), d. h.: Eine rechtliche oder auch nur moralische Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung, zu der man nicht in der Lage ist, kann nicht bestehen. 7 Elisabeth Schultz und Heinrich Hermann Schultz. 8 Ein französischer Gesellschaftstanz. 9 Scherzhaft für gesellschaftliche Konversation.

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Was meinen sonstigen Lebenswandel betrifft, so hat sich darin nichts Erhebliches geändert – es sind in meiner Mittagstischgesellschaft einige Philologen, die am Sonntag nichts Besseres zu thun wissen, als im Schnee hier auf den Gebirgen der Umgegend herumzustreichen und wiederholt den bisher misglückten Versuch machten, mich mitzuschleifen – heute wollten sie sogar im Harz sein; – möglich indessen wäre es, daß ich nächsten Sonntag aus Höfl ichkeit mit den Wölfen heulen muß und zwar wahrscheinlich auf dem Kyffhäuser oder etwas Ähnlichem. Schellhaß schrieb mir aus Frankfurt einen sehr langen und recht vergnügten Brief, er scheint sehr liebenswürdige Vorgesetzte und Mitarbeiter zu haben10 und sich sehr gut da zu gefallen, obwohl er von Heimweh nach Berlin schreibt. Herr Prof. Frensdorff war inzwischen schon wieder einmal so freundlich, mich bei sich über deutsche Rechtsgeschichte zu examinieren; er geht jetzt mehr ins Einzelne dabei ein und hat mir sogar angekündigt, das nächste Mal Urkunden mit mir lesen zu wollen, so daß es wirklich fast eine Art von Privatissimum11 ist. Er wird wohl nach und nach etwas zufriedener mit mir werden, als er zuerst wenigstens eigentlich hätte sein können – weiß nicht, wie es wirklich damit war, – es ist doch sonderbar, wenn man seit dem Abiturientenexamen nie mehr wirklich ernstlich bis auf die Leber ausgefragt worden ist und die wunderlichste psychologische Erscheinung ist, daß einem dabei eine Unmasse von Dingen, die man stets als bombenfeststehend angenommen hat, einem plötzlich höchst zweifelhaft erscheinen, wenn ein Andrer darnach fragt („warum würde er sonst darnach fragen, wenn es nicht in der That zweifelhaft wäre?“ so calculiert das Unbewußte, der arglose erste Adam, in uns). Montag 25ter Abends. Da ich gestern Abend merkte, daß ich mir auf der Verdauungsvisite bei Herrn v. Bar, wo ich sehr gerannt war, noch vor 1 hinzukommen (zu Hause war er nicht) einen derben Schnupfen geholt hatte, so daß ich einen dicken Schädel bekam, legte ich mich ins Bett und kann daher erst jetzt den Schluß machen, da ich heute Nachmittags für mein Semi-

10 Karl Emmanuel Schellhass war seit 1886 Mitarbeiter bei der Edition der Reichstagsakten in Frankfurt a. M. 11 Als Privatissimum wurde eine Lehrveranstaltung bezeichnet, die ein Dozent nach persönlicher Rücksprache mit einem kleinen Studierendenkreis abhielt.

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nar12 im Schweiße meines Angesichts den Erben eines Verschollenen zu ihrem Rechte verholfen und etliche Kunden in Interesse und Kosten verdonnert habe [.] – Herr Dr. Jul[ian] Schmidt war so freundlich, mir seinen Aufsatz über Mommsen zuzuschicken;13 ich habe ihn mit großem Vergnügen gelesen und er hat mich sehr interessiert; gegen manches würde Mommsen lebhaft opponieren, besonders, wie aus seinen andren Werken, die ich kenne, hervorgeht, gegen Jul[ian] Schmidts Auffassung des römischen Kaisertums, und vermutlich mit Recht; aber trotzdem ist die Auffassung des Mommsen’schen Buchs von dieser Seite ebenso originell als lohnend. Die Juristen hier werden immer fauler: heute war ich zur Abwechslung einmal wieder allein in Hrn. v. Bars Colleg, und bei Frensdorff nimmt es auch sehr ab.14 Im Übrigen aber geht das Arbeiten so leidlich seinen alten Gang weiter und wird nun wohl bald in ein beschleunigtes Tempo übergehen: in 14 Tagen bis 3 Wochen denke ich mich exmatriculieren zu lassen15 – hoffentlich geht ja die Geschichte nicht schief und dann sind dies die letzten Wochen meines Studententums. Noch einmal lebt man die Zeit nicht, so viel ist sicher, und doch habe ich die Empfi ndung, daß es an der Zeit ist, daß sie zu Ende geht und kann es nicht bedauern. Es warten hier noch verschiedene Briefe meiner für heute Abend, z. B. |:an:| Schellhaß und Hrn. Dr. Schmidt16 will ich doch auch danken, daher klappe ich jetzt die Plaudertasche zu: es ist ohnehin nicht so sehr viel zu erzählen, denn bei meiner hiesigen Normalexistenz habe ich doch nur Veranlassung, Veränderungen zum Besseren oder zum Schlechteren zu referieren, wenn solche vorfallen; besser geworden ist nichts und braucht auch nichts zu werden (höchstens die Uhren dürften sammt und sonders langsamer gehen) und schlechter geworden ist Gott 12 Hier ist vermutlich eine Seminararbeit für die „Praktischen Übungen im Civilrecht“ bei Ferdinand Regelsberger gemeint, an denen Max Weber donnerstags von 16–18 Uhr teilnahm. 13 Schmidt, Julian, Mommsen’s Römische Geschichte, in: Deutsche Rundschau, Band 44, Juli–Sept. 1885, S. 66–80. 14 Gemeint sind die Kollegien Karl Ludwig von Bars zum „Civilprozeß“ und Ferdinand Frensdorffs zum „Deutschen Verwaltungsrecht“. 15 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 17. Febr. 1886, unten, S. 589, Postskriptum. 16 Briefe Max Webers an Karl Emmanuel Schellhass oder Julian Schmidt sind aus dieser Zeit nicht nachweisbar.

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sei Dank! auch nichts, außer das Essen an meinem Mittagstisch, welches allerdings öfter Veranlassung zu dem schönen Verse giebt: „da wandte sich der Gast mit Grausen“,17 resp. wenn man es gegessen hat, so kann man sich wie jener Walfisch vorkommen, der Jonas verschluckt hatte: „Jona aber schrie in des Fisches Magen“ etc.18 Frensdorffs19 lassen bestens grüßen, Schellhaß ebenfalls durch meine Vermittlung; ich denke, er wird wohl bald an Dich schreiben, seine Adresse übrigens ist Sternstraße 18. Der Locke, 20 übrigens, gehört mir nicht. Alfreds Manschetten schicke ich nächstens zurück. Dönitz21 hat diesmal Wort gehalten [.] Mit herzlichem Gruß an’s ganze Haus Dein Sohn Max hDie

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Schrift ist leider, wie ich sehe, wieder sehr klein geraten, das nächste Mal wird sie wieder eleganter[.] h

h–h Zusatz am oberen Blattrand, zu Beginn des Briefes. 17 Schiller, Friedrich, Der Ring des Polykrates, in: Schillers Werke I (wie oben, S. 54, Anm. 7), S. 365, v. 91. 18 Weber zitiert hier sinngemaß das biblische Buch Jona 2, 3. 19 Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann, und ihre Töchter. 20 Es ist unklar, welches Werk von John Locke hier gemeint ist. 21 Ein Schneider in Berlin.

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Helene Weber 17. Februar 1886; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 116–118

Göttingen den 17. Febr. 86. Liebe Mutter! Ich habe nun eine ganz erhebliche Zeit lang geschwiegen und kann auf Deinen langen Brief hin doch nicht noch länger mich passiv verhalten, obwohl ich allerdings dick im Arbeiten sitze. Inzwischen bin ich nun schon in die Reihe der Candidaten eingetreten, warte nur noch darauf, meine Exmatrikel zugefertigt zu erhalten,1 um mich in den Schlund des Examens zu stürzen: da drunten aber wird’s fürchterlich! Wenn ich mich, wie Du schreibst, mit einem Repetitorium hätte befassen wollen, so hätte das erheblich früher geschehen müssen, es wäre in sofern sehr vernünftig gewesen, da man dann weiß, was ungefähr bei solchen Gelegenheiten aus den Menschen herausgepumpt wird und sich darnach einrichten kann, wovon ich bisher gar keine Idee habe und glaube, mich mit außerordentlich vielen Sachen abgegeben zu haben, die dabei durchaus nicht in Betracht kommen und mit denen mich zu befassen, ich grade so gut bis nach dem Examen aufgeschoben hätte. Jetzt indessen werde ich die Sache eben so versuchen müssen, obwohl jeder Professor zugesteht, daß die Leute, welche sich haben „einpauken“ lassen, selbst ohne vorher etwas gethan zu haben, meist bessere Examenscandidaten sind, als die strebsamsten Lichter der Studentenschaft. Sonntaga war ich einmal wieder bei Herrn v. Bar, diesmal zu Mittag und ganz in Familie, 2 nur |:noch:| ein südfranzösischer Theologe (aus Montpellier, glaube ich) und Herr Herm[ann] Schulze jun. aus Heidelberg, 3 außerdem war der Schwager der Frau v. Bar, Landgerichtsrat |:a. D.:| Schrader, ein Bruder des Abgeordneten,4 bei Bars zu Logiera Gestern > Sonntag 1 Das überlieferte Abschlußzeugnis der Universität Göttingen für Max Weber ist auf den 13. Februar 1886 datiert (UA Göttingen, Abgangszeugnisse 1886, Nr. 39). 2 Besuch bei Karl Ludwig von Bar und Axelena von Bar, geb. Blohm, am Sonntag, 14. Februar 1886. 3 Gerhart Schulze, Max Webers späterer Freiburger Kollege, seit 1888: von SchulzeGaevernitz. 4 Karl Schrader, Reichstagsmitglied für die Deutsch-Freisinnige Partei, hatte drei Brüder.

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besuch. Wenn ich nun hier |:auch:| raisonnieren wollte, so wären die Vorwürfe, die Du mir in Deinem Briefe machst, gewiß am Platze; meiner Ansicht nach läßt sich aber ein sogen. Ball weder einem derartigen höchst behaglichen Zusammensein, noch selbst dem geringfügigsten Frühschoppen, den man mit einem vernünftigen Menschen zusammen trinkt, annähernd an Wert und civilisatorischem Gehalt an die Seite stellen. Herr und Frau v. Bar waren äußerst liebenswürdig, Herr v. Bar entfaltete seinen ausgezeichneten Witz und verbreitete sich im Laufe der Zeit fast über das ganze Gebiet der Politik; mir schien, daß man bei dieser Procedur „sine figura et strepitu“, wie das Corpus juris Canonici sagt, 5 – „ohne Frack und Gestrampel“ – wo man nach 3 Stunden, nachdem man allerlei allgemein und speciell Interessierendes gehört, sich vorzüglich unterhalten und sich sogar satt gegessen hatte,b befriedigt nach Hause ging und sich eine Pfeife anstecken konnte, erheblich besser weg kam als wenn man sich mit Mühe sein Stück Fleisch durch Känguruhartige Sprünge verdienen und sich zum Genuß einer Cigarre und eines Glases Bier sorgsam und verstohlen ins Treppenhaus drücken muß. Bei Frensdorffs6 war ich jetzt einige Zeit nicht, da Frau Prof. nicht wohl war, bin aber morgen Abend dort. – Vor ca. 14 Tagen war Herr Ref. Simons7 so freundlich, mich aufzusuchen, nebst Herrn v. Kap-Herr – aber ich weiß nicht, ob ich das nicht bereits referiert habe. Herrn v. Kap-Herr habe ich inzwischen seinen Besuch erwidertc ; er hat etwas sehr Aristokratisches in seinem Wesen, ist aber nicht mehr so eigentümlich still wie früher. Ich konnte aus Deinem Briefe nicht sehen, ob eigentlich Beneckes nunmehr ernstlich die Absicht haben, Ostern zu kommen, ausd einem Briefe, den mir Emmi aus Straßburg vor einiger Zeit schrieb, schien mir eher das Gegenteil hervorzugehen. Recht schade aber fände ich es, wenn Ihr im Sommer nicht nach Heidelberg gehen könntet, obgleich b 〈erheblich besser weg kam〉

c O: erwiedert

d O: nach

Wer hier gemeint ist, ist unklar. Seine Mutter Caroline Luise Schrader ist eine Stiefschwester von Karl Ludwig von Bars gleichnamigem Vater. 5 Corpus Iuris Canonici, Clem. 5.11.2. Wörtlich übersetzt heißt die Formel „sine figura (iudicii) et strepitu“, ohne die Form des Urteils und das Getöse, was so viel wie ein schnelles Prozeßverfahren ohne Urteilsverkündung bedeutet. 6 Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann, und ihre Töchter. 7 Es ist unklar, ob hier ein Verwandter des mit der Familie Baumgarten in Straßburg befreundeten Eduard Simons gemeint ist. In diesem Falle könnte es sich um den 1860 geborenen Bruder Wilhelm Simons handeln, über den aber weiter nichts bekannt ist.

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wohl freilich außerhalb des Benecke’schen Hauses kaum noch irgendwo ein Unterkommen für eine ganze Familie zu fi nden sein wird [.] 8 Ich habe von Straßburg [,] wie gesagt, in letzter Zeit durch einen sehr gut gelaunten Brief von Emmi gehört, der Onkel9 scheint mächtig hinter der Arbeit zu sitzen, die „offenen Abende [“] aber allseitigen Beifall gefunden zu haben. Wenn Du übrigens meinst, es würde Alfred so gut thun, einmal mit Otto zusammenzukommen, so glaube ich eigentlich doch, daß es dazu gut wäre, wenn er noch etwas älter wäre, denn ich weiß von mir selbst, daß Ottos oft paradoxe Art zunächst meist nur zum Widerspruch reizt – allerdings ja andrerseits zu selbständigem Denken anregt. Übrigens hat Alfred mir einen sehr netten längeren Brief über Strauß’ Leben Jesu10 geschrieben, ich denke [,] daß ich morgen Abend zum Antworten komme [.]11 Beifolgend schicke ich zunächst meine Theebüchse, die ich eigentlich recht gern mit Inhalt wieder hätte, wenn ihr soviel habt, um mir etwas abgeben zu können und Alfreds vermißte Manschetten. Was den Thee betrifft, so habe ich hier nichts bekommen können, was ein an Thee erinnerndes Getränk ergeben hätte und wonach man nicht |:die:| unangenehme Empfi ndung einer allmäligen Vergiftung gehabt hätte. – Recht ängstlich klang ja das, was Du von Dr. Friedländer schriebst, ist das nun eine Wiederkehr seiner früheren Krankheit oder was sonst? Es wäre wirklich recht schade, wenn seine beiden Schwestern nun gar nicht mehr zurückkommen sollten,12 man konnte an ihrer Unterhaltungskunst doch wirklich viel lernen. – Ganz außerordentlich leid aber – ich glaube, ich habe seit Deiner damaligen Karte wohl noch nicht geschrieben – that es mir, von dem 8 Bei ihren häufigen Heidelberger Sommeraufenthalten wohnte die Familie Weber im Haus der Familie Benecke, Ziegelhäuser Landstraße 29 (später Nr. 1). Offenbar war der mehrfach angesprochene Hausverkauf nun vollzogen, vgl. z. B. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885, oben, S. 496 mit Anm. 2. 9 Hermann Baumgarten. 10 Strauß, David Friedrich, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 2 Bände. – Tübingen: Osiander 1835–1836 (hinfort: Strauß, Leben Jesu I–II). Das Werk wurde weit über den Kreis der zeitgenössischen Theologie hinaus rezipiert und erlebte zahlreiche Neuauflagen. Zu Max Webers Strauß-Lektüre vgl. auch den Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 260 mit Anm. 36. 11 Vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 7. März 1886, unten, S. 590–594. 12 Clara Friedländer und ihre Schwester Magdalena Laura Friedländer. Beide Schwestern sind seit 1887 in Wiesbadener Adreßbüchern nachweisbar, wohnten aber wohl schon 1886 nicht mehr in Berlin.

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Trauerfall in Hamburg zu hören;13 ich hatte eigentlich mich darauf gefreut, in nicht zu langer Zeit einmal wieder dorthin kommen zu können, wo ja immer der privilegierte Sitz aller Lebenslust und Heiterkeit war und Annae trug jedenfalls doch am meisten dazu bei, dem Onkel,14 bei dem es, wenn Martha nun wirklich fortgeht,15 doch auch gegen früher leer geworden ist, Leben ins Haus zu bringen. Ich habe dem Onkel einige Worte geschrieben.16 Es ist von Euch doch wohl niemand hinüber gewesen? – Prof. Frensdorff erkundigte sich mehrfach, wie es Papas Augen ginge und läßt bestens grüßen; er ist jetzt sehr beschäftigt mit einem Artikel über „Münster“ (Graf M[ünster]) für die |:Allg.:| Biographie17 und ich komme deshalb jetzt etwas weniger hin. Als ich kürzlich bei ihnen war, lasen wir eine Erzählung von Gottfr[ied] Keller, „die 3 Kammacher“18 glaube ich hieß sie, – höchst merkwürdig, ganz bedeutend langatmiger als das, was wir von ihm lesen; wir hatten den ganzen Abend dran zu lesen und der Vorgang selbst, der geschildert wurde, war im Grunde mit 5 Zeilen abzufertigen und teilweise unerquicklich und possenhaft, ungefähr wie wenn die Erzählung zur Zeit des Simplicissimus geschriebenf wäre und ohne die Kraft der Schilderung des Letzteren [.]19 Aber wie verschieden die Geschmäcker sind. Frensdorffs lasen dies zum ich weiß nicht wievielten Male und hatten offenbar große Freude an der Kleinmalerei, welche der nervus rerum der ganzen Dichtung ist und die manchmal vollkommen zur Statistik wird, – als ob Lessings Laokoon20 noch nicht geschrieben wäre. Interessiert aber hat es mich doch e 〈war ja〉

f 〈[wurde]〉

13 Am 25. Januar 1886 war Max Webers Cousine Anna Caroline Ottilie Hübbe, geb. Weber, in Hamburg gestorben. 14 Otto Weber. 15 Max Webers Cousine Martha Julie Alwine Weber, die Schwester von Anna Weber, heiratete am 19. März 1887 den Mann ihrer verstorbenen Schwester, Johann Hübbe. 16 Ein Brief Max Webers an Otto Weber ist nicht nachgewiesen. 17 Frensdorff, Ferdinand, Ernst Graf von Münster, in: ADB, Band 23, 1886, S. 157–185. Graf Münster war 1805 Kabinettsminister bei König Georg II. und 1814 neben Castlereagh ein Vertreter Englands bei den Verhandlungen zum Pariser Frieden und auf dem Wiener Kongreß. 18 „Die drei gerechten Kammmacher“ erschien in dem Erzählband: Keller, Gottfried, Die Leute von Seldwyla. Erzählungen. – Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn 1856, S. 360–446. 19 Weber bezieht sich hier auf den satirischen Klassiker aus dem Jahr 1668: Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von, Simplicissimus teutsch (Werke in drei Bänden, Band I/1, hg. von Dieter Breuer). – Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1989. 20 Lessing, Gotthold Ephraim, Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie

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und einen Teil las Herr Prof. selbst und mit solchem Vergnügen vor, daß es in der That einen höchst behaglichen Eindruck machte und das ganze Stillebeng in der Schilderung zur Geltung kam. – Es geht überhaupt bei ihnen äußerst behaglich im Hause zu und, wie ich glaube, sehr regelmäßig, – auch die Abende, wo ich bei ihnen bin, verlaufen inh gleichmäßiger Weise: 7–8 Prüfung im deutschen Recht oder Lectüre einzelner interessanter Stellen aus den deutschen Rechtsbüchern, 21 dann Thee, dann bis 1/ 2 11 Uhr Zusammensitzen, dann holt Herr Prof. die Cigarrenkiste und verabschiede ich mich. – Mit sehr geringem Vergnügen lese ich jetzt immer des Mittags den „Hannoverischen Courier“22 u. ähnliche Blätter und ihre trübseligen Versuche, aus der kirchenpolitischen Vorlage die „volle Wahrung der Würde des Staats“ herauszuentnehmen, 23 vermutlich weil die wenigen Rechte, welche die Staatsgewalt zum Schutz wenigstens der äußeren Selbständigkeit der deutschen Geistlichkeit ausübte, und die ihr noch geblieben sind, nun statt durch einen Gerichtshof durch Verwaltungsbeamte ausgeübt werden. Leider hat sich Dove neuerdings nicht wieder im Colleg darüber ausgesprochen; 24 früher hat er gelegentlich ziemlich heftige Bemerkungen gegen die Aufhebung des kirchl[ichen] Gerichtshofs gemacht. – Nun will ich aber abbrechen, damit das Packet fortkommt; wenn ich mich gemeldet haben werde, – Sonnabend oder Montag, berichte ich über die ganze Situation an den Papa. g 〈zur〉

h 〈der〉

(1766), in: ders., Sämtliche Schriften, hg. von Karl Lachmann, 3. Aufl., hg. von Franz Muncker, 9. Band. – Stuttgart: G. J. Göschen’sche Verlagshandlung 1893, S. 1–180. 21 Private Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit wie etwa der Sachsenspiegel, die bereits geltendes Recht sammelten und aufschrieben. 22 Eine seit 1854 erscheinende, zu Max Webers Zeit nationalliberale Zeitung. 23 Am 15. Februar 1886 wurde in Preußen eine kirchenpolitische Vorlage eingebracht, die am 21. Mai 1886 vom Preußischen Abgeordnetenhaus als Gesetz verabschiedet wurde. Es war das erste der sog. Friedensgesetze, die den Beginn der Revision des Kulturkampfes einleiteten. Max Weber bezieht sich hier auf den § 6 der Vorlage, der die Abschaffung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vorsah. Dieser war durch das Gesetz vom 12. Mai 1873 eingerichtet worden. Vgl. Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten. Chronologische Zusammenstellung der in der Preußischen Gesetz-Sammlung und in dem Bundes- und Reichs-Gesetzblatte veröffentlichten Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Bekanntmachungen. 7. Aufl., neu bearb. und hg. von A. Keil und H. Gallenkamp. 4. Band: 1881 bis 1889. – Berlin: Carl Heymanns 1894, S. 453 f. 24 Es handelt sich um das Kolleg von Richard Wilhelm Dove, „Kirchenrecht einschließlich des Eherechts“, das Max Weber täglich von 8–9 Uhr besuchte.

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Vorläufig die besten Grüße an Papa und Geschwister und dem Alfred schönen Dank für seinen Brief, auf den ich, wie gesagt, alsbald antworten werde.25 Dein Sohn Max Eben erhalte ich die Exmatrikel [.] 26

25 Wie oben, S. 586 mit Anm. 11. 26 Wie oben, S. 584, Anm. 1.

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Alfred Weber 7. März 1886; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 11–12 Die Schreibweise Max Webers wechselt zwischen „Mythus” und „Mythos”; sie wird hier nicht vereinheitlicht.

Göttingen 7 März 1886 Lieber Alfred! Auf Deinen sehr netten Brief würde ich Dir schon erheblich früher geantwortet haben, wenn ich nicht mitten im Arbeiten und im Warten auf das endliche Losgehen meines schriftlichen Examensarbeitens1 gesteckt hätte – nun bin ich wenigstens wieder so weit in der Reihe, um einmal eine ruhige Abendstunde zu fi nden. – Das waren ja allerlei recht wichtige Fragen, über die Du mir geschrieben hast und es hat mich um so mehr interessiert, davon zu hören, als ich auch als Sekundaner mich zuerst und ungefähr in gleicher Weise damit zu beschäftigen angefangen habe. Das ist nun schon einige Zeit her, aber ich erinnere mich doch noch sehr lebhaft des außerordentlichen Eindrucks, den mir das Strauß’sche Leben Jesu machte, als ich zuerst damit bekannt wurde.2 Es ist gewiß ein großer Wurf gewesen, dieses Werk, und mit einer Offenheit und Ehrlichkeit der Überzeugung geschrieben, welche scheinbar jedem Menschen die Pistole auf den Leib setzt: „Entweder Du bekennst Dich zu mir, oder du bist ein Heuchler!“ Mit solchem peremtorischen Entweder-Oder lassen sich nun freilich große Fragen der menschlichen Geistes- und Sittengeschichte selten endgültig abthun, aber nichts desto weniger bleibt die bahnbrechende Wirkung der Geister, welche den Mut haben, solche zu stellen, bestehen – und so ist es auch den Strauß’schen Gedanken gegangen; sie habena vieles Halbe, was vorher bestand, fortgeschafft und Klarheit geschaffen, aber andrerseits ist die Wissenschaft seitdem andre Bahnen gegangen und hat keineswegs, wie Strauß gedacht hat, seine Ansichten als Endresultatb genommen, vielmehr erst als eine Anrea Fehlt in O; haben sinngemäß ergänzt.

b 〈, vielmehr ers〉

1 Max Webers schriftliche juristische Staatsexamensarbeit ist nicht überliefert. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, in: MWG I/1, S. 109–138, hier S. 110 f. 2 Strauß, Leben Jesu I–II (wie oben, S. 586, Anm. 10). Zu Max Webers früherer Strauß-Lektüre („Der alte und der neue Glaube“) vgl. auch den Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882, oben, S. 260 mit Anm. 36.

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gung neuer und weit tiefer greifender Fragen betrachtet; man hat eben vielmehr entdeckt, daß das Strauß’sche Buch nicht eine Antwort, sondern eine, oder vielmehr zahlreiche, Fragen enthält, daß andre, und wichtigere, Seiten des Gegenstandes darin unbeleuchtet geblieben waren und daß man deshalb andre Begriffe zu Grunde legen mußte, als Strauß seinerzeit gethan hat und hat thun können. Ich hoffe, wir werden bald einmal mündlich Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, denn es verlohnt sich in der That der Mühe, sich über das, worauf es hier ankommt, klar zu werden und es ist grade hier immer die Gefahr vorhanden, einseitig zu werden, die Dinge alle über einen Leisten zu schlagen und dann in Folge dessen sich über alle die schwer zu lösenden Rätsel, die uns gestellt werden, mit einem Begriff, dessen Bedeutung man selbst im Augenblick nicht oder nicht deutlich ermißt, hinwegzuhelfen. So ist es z. B. mit dem Begriff des „Mythus“ bestellt, den David Strauß aufstellt und der Dir, wie ich wohl merke und leicht begreife, sehr gefallen hat, weil er scheinbar einen leicht verständlichen Schlüssel zur Erklärung dessen giebt, was unsren Verstandesbegriffen und unsrer Logik Bauchgrimmen veranlaßt. Genau auf’s Korn genommen, besagt dieser Begriff aber eigentlich gar nichts und macht die Sache um nichts deutlicher, erklärt den Zusammenhang des Jesus als einzelne, reelle Persönlichkeit mit dem Christus der Geschichte in keiner Weise und ist, im Grunde genommen, gar nicht verwendbar auf die hier zu behandelnden Wandlungen des menschlichen Geistes und der menschlichen Cultur. In der That entspringt der „Mythus“ aus einer ganz andren Seite des menschlichen Geistes als die Visionen, welche die erregten Geister der ersten Christen erschütterten. Der Mythus ist seinem Begriff nach ein Product der in langen Zeiträumen allmälich Gestalten-bildenden, dichterischen Phantasie eines künstlerisch beanlagten Volks; wo die künstlerische Kraft fehlt, da fi ndet auch der Mythus keinen Boden – bei den Römern ist er auf ein unbeträchtliches Minimum beschränkt, bei den Germanen haftet ihm eine gewisse Roheit von Anfang her an, bei den Juden fi ndet er sich im eigentl. Sinne so gut wie gar nicht. Vollends aber die ersten Christen hatten in der That Wichtigeres zu thun, als sich mit der dichterischen Ausgestaltung religiöser Naturanschauungen auf dem Wege der Phantasie zu befassen: das genau umgekehrte Verhältnis wie bei der Mythenbildung trat hier ein: zuerst war das da,

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was den aufgeregtenc Gemütern der Menschen jener Zeit, die an geistiger Kraft und an Erkenntnisbedürftigkeit so reich war, wie vielleicht keine andre, erschienen war, und dann gewann der religiöse Gedanke Gestaltung und schuf der grübelnde Geist der Jahrhunderte des sinkenden römischen Reichs den gedankenmäßigen Inhalt und diejeniged Auffassungsform für jene durch die Tradition überlieferten Ereignisse, welche die Weltgeschichte für die folgenden 1 1/ 2 Jahrtausende zu der ihrigen gemacht hat. Beim Mythose ist die Entwicklung schon seinem Begriff nach genau die umgekehrte. So kommt es denn auch, daß von irgend welcher „Verzerrung“ der Gestalt von Christus im Neuen Testament für Jeden, der es sich genauer ansieht, ebenso wenig eine Spur zu fi nden ist wie von einer gestaltenden dichterischen Auffassung der gesammten Begebenheiten: es ist im Gegentheil die volle Prosa der Existenz, in welche die Erzählung versetzt und das einzig wirklichf Poëtische ist ein Teil der Bergpredigt und einige andre überlieferte Aussprüche, deren Authenticität auch Strauß nie eingefallen ist in Abrede zu stellen. Es läßt sich nicht alles unter dieselben Gesichtspunkte bringen: wollte man den Mythos von Herakles oder Persephone, das Erzeugnis der poëtischen Naturbeherrschung eines seßhaften, hochbegabten Volks, über denselben Leisten schlagen wie das, was in den Gemütern der |:meist:| heimatlosen, lange Zeit mit dem elendesten Schmutz kämpfenden, aus aller Herren Länder bunt zusammengewürfelten ersten Christengemeinden lebte, – so wäre das eben so, als wenn man einen Zeitungsredacteur, welcher das Elend der arbeitenden Klassen und die Folgen des Schnapsgenusses an der Hand der Statistik schildert und daran wohlwollende, vielleicht |:auch:| polemische oderg satirische Betrachtungen über diese Zustände, dieh nach seiner Ansicht dafür Verantwortlichen etc. knüpft, auf eine Linie stellen wollte mit dem Menschen, der im gleichen Augenblicke selbst mit der bittersten Not sich herumzuschlagen hat und mit den Betrachtungen und Phantasien, die ihm vielleicht dabei im Kopf herumgegangen sind. Es ist auch mit vielen Dingen ähnlich: wenn eine Kinderfrau |:etc:| des Abends die Tintenflasche verstöpselt und zwei Streichhölzchen kreuzweise darüber legt, weil sie der Ansicht ist, in dem schwarzen Saft stecke der Satan u. könne nun nicht heraus, so lachen wir darüber, und wenn Luther auf der Wartburg in einer Zeit, die für ihn zu den schwersten seines Lebens gehörte, das Tintenfaß nach dem bösen Feinde c 〈Geistern〉 g 〈auch satyr〉

d die > diejenige h 〈Urheber〉

e Alternative Lesung: Mythus

f 〈poe〉

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schleuderte, so mag man auch darüber lachen, – aber es ist doch ein Lachen andrer Art und wenn wir an Hexenprocesse denken, so vergeht uns das Lachen ganz, – und doch ist es scheinbar jedesmal dasselbe, der Aberglaube, worum es sich handelt; aber er faßt jedesmal auf einer andreni Seite des menschlichen Geistes und hat daher jedesmal etwas anderes zu bedeuten – „Eines schickt sich nicht für Alle“.3 Es ist ein schwerer Irrtum von Strauß gewesen, zu glauben, mit dem Begriff des „Mythus“ irgend etwas Ersprießliches geschaffen zu haben oder der Bedeutung, welche die erste Entwicklung des Christentums anj und für sich und für die Weltgeschichte hatte, irgendwie näher gerückt oder das Geringste erklärt zu haben, es kommt dabei rein Nichts heraus, und man verschließt sich – wie es später Strauß selbst ergangen ist – mit dem Versuch, schnell vermittelst eines solchen willkommenen und scheinbar naheliegenden Begriffs aburteilen zu wollen, nur die Möglichkeit, selbst wirklich mehr als ein oberflächliches Verständnis der Bedeutung der neutestamentlichen Zeit, geschweige denn den Grundlagen des Christentums selbst im Leben, zu gewinnen. – Das istk, was ich gegen das einzuwenden habe, was Du mir über Deine Lectüre des Strauß’schen Buchs geschrieben hast, denn im Übrigen bin ich ganz einverstanden, daß es sich durch eine große Klarheit, welche nie im Zweifel läßt, was es will, auszeichnet und habe michl früher an dem Scharfsinn der Untersuchung auch gefreut. – Ich denke aber, wie gesagt, wir werden bald einmal mündlich über diesen interessanten Gegenstand sprechen können, habe nur auf diesen speciellen Punkt eingehen wollen, weil dies meiner Ansicht nach der Sitz der eingewurzelten Irrtümer ist und insbesondere die Einbildung, man könnte durch die Substituierung des simplen Begriffs „Mythus“ entweder die historische Persönlichkeit von Christus selbst oder den Christus der Religionsgeschichte irgendwie begreifen lernen, daraus hervorgeht. So hat auch Strauß selbst die Empfi ndung gehabt und es deutlichm ausgesprochen, daß sein „Leben Jesu“ zunächst lediglich die Kritik der bisherigen theologischen Richtungen enthalten und ihre wirklichen Consequenzen gegenüber ihren vermeintlichen ziehen sollte, und das ist ohne Zweifel endgültig gelungen – allein er versicherte selbst, daß er nun i verschiedenen > andren

j 〈f〉

k 〈das〉

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m 〈g〉

3 Die Zeile stammt aus dem Gedicht „Beherzigung“ von Johann Wolfgang von Goethe, ca. 1777. Vgl. Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 1. Band. – Weimar: Hermann Böhlau 1887, S. 65, v. 9.

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seinerseits die Pfl icht haben werde, etwas Andres an die Stelle zu setzen und seinerseits eine Auffassung der fraglichen Gegenstände zu geben, die aus dem bisher von der Wissenschaft Geleisteten nicht zu gewinnen sei; – davon ist er dann später ganz abgekommen, weil er sich in den Begriff des Mythus verrannt |:hatte:| und ihn im Gewirr des entstehenden theolog[ischen] Streits nicht wieder aufgeben wollte. Du hast mir auch sonst noch mancherlei geschrieben, worüber sich sprechen ließe. Z. B. was den Wert der Erkenntnis „allein durch Erfahrung und Verstand“ betrifft. Gewiß war Niemand geneigter, den Wert und Umfang derselben hoch anzuschlagen, als das Altertum, aber über die Bedingungen und die wirkliche Grundlage dieser Erkenntnis und unsre Fähigkeit dazu wurde es sich niemals klar, auch dien Schule des Sokrates u. dieser selbst vermochte hier nichts Befriedigendes zu schaffen; so kamen zuerst die Sophisten, später in immer weiterm Umfang die Skepsis, und Du wirst selbst wissen, was, zu welchem Resultat sie betr. der Erfahrung kamen [.] In neuerer Zeit hat sich das ähnlich wiederholt, aber wir sind weiter damit gekommen als das Altertum und stellen die Frage jetzt etwas tiefer – wir begnügen uns nicht damit zu sagen „Erfahrung“, sondern fragen weiter nach dem Grunde, weshalb die Erfahrung uns Wahrheit giebt, nach der Art und dem Wert derjenigen, welche sie giebt und derjenigen, welche sie nicht geben kann. Auch darüber können wir ein ander Mal noch näher sprechen. Ebenso ist es auch mit der „Unbegreifl ichkeit“ der religiösen Dinge, auf die Du Dich berufst noch lange nicht abgethan, denn nun kommt erst noch die Frage: wie stelle ich mich ozu diesem Unbegreifl ichen? Welchen Wert hat es für die Menschen in der Weltgeschichte gehabt und welchen hat es für mich? – oder hat es für mich vielleicht überhaupt keine Bedeutung, eben seiner Unbegreifl ichkeit wegen? – Das letztere dürfte nach meiner Ansicht unter keinen Umständen zu bejahen sein, aber die Frage, welches diese Bedeutung ist, ist nicht so leicht und beantwortet sich der Einzelne nicht in einem Atemzuge. So, nun ist das Papier endgültig zu Ende, und außerdem muß ich an die Arbeit. Du siehst, daß ich von Zeit zu Zeit nicht ungern auf solche Dinge zu sprechen komme, wie Du sie in Deinem letzten Briefe berührt hast, über den ich mich sehr gefreut habe. Mit besten Grüßen an Alle Dein Bruder Maxo n 〈[??]〉

o–o Zusatz am oberen Blattrand, zu Beginn des Briefes.

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Helene Weber 30. März 1886; Göttingen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 119–121

Göttingen den 30a März 86 Liebe Mutter!

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Wenn Ihr Euch in Anbetracht der Situation, in der ich mich befi nde, wohl über mein langes Schweigen wenigstens nicht in dem Maße, wie sonst wohl, gewundert haben werdet, so habe ich doch nun so lange nichts von mir hören lassen, daß ein längeres Stillschweigen doch nicht wohl länger angeht. Zunächst aber etwas, was Euch betrifft: ich habe erst gestern zu meinem nicht geringen Schrecken von dem Tode Jul[ian] Schmidts1 (durch Frensdorffs, 2 da ich Zeitungen nicht zu sehen bekomme) gehört, – das ist jedenfalls kein geringer Verlust für einen großen Teil der Berliner Gesellschaft, für die er mit seinem unbefangenen Humor und seinem originellen Wesen ein anregender Verkehr und wohl auch eine Art Bindeglied zwischen den verschiedenen Richtungen war, und geht wohl auch uns alle nahe an und auch mich, dem er gerade in der letzten Zeit ein sehr freundliches Interesse entgegenbrachte. Was wird aber namentlich aus der armen Frau Dr. Schmidt, da das, man darf wohl sagen, Zusammenarbeiten mit ihm und das Interesse an seiner litterarischen Thätigkeit doch Inhalt und Zweck des Lebens geworden war? Es ist wirklich schrecklich traurig. Ich habe angenommen, daß es nicht unbescheiden aussehen würde und Frau Dr. Schmidt einige Zeilen geschrieben. 3 – Recht leid that es mir, daß mein Brief an Karl sich verspätet hat und nicht zum Confi rmationstage da war.4 Es kam daher, weil ich in der vorigen Woche plötzlich noch mehrere neue Gesichtspunkte und ein ungeheures Material für meine Arbeit fand; ich habe dann mit großer Schnelligkeit und ziemlich angestrengt gearbeitet, da ich besonders ein ungewöhnliches Quantum Litteratur über die einschlägigen Fragen a 29 > 30 1 Julian Schmidt war am 27. März 1886 gestorben. 2 Ferdinand Frensdorff und Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. 3 Ein Kondolenzbrief Max Webers an Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld, ist nicht nachgewiesen. 4 Ein Brief an Karl Weber ist nicht nachweisbar.

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vorfand,b und weil ich es gern möglich gemacht hätte, die Arbeit noch einige Zeit vor dem Fälligkeitstermin (13 [.] April) abzuliefern, da ich dann wohl noch vor Ostern5 zum mündlichen Examen gekommen wäre. Es ist mir leider nicht gelungen, und Prof. Frensdorff meinte, ich würde im ersten Termin nach Ostern erst vorkommen,c besonders da der Vorsitzende, Präsident Meyer,6 jetzt meist zum Herrenhaus abwesend ist und keine Prüfungen stattfi nden. Ich werde jetzt etwa am Sonntag so weit fertig sein, daß ich mit dem Abschreiben des Concepts anfangen kann, wofür ich mehrere Tage angestrengten Schreibens rechnen muß – da die Geschichte doch anständig geschrieben werden muß, was mit zu den schwachen Leistungen, die das Examen von mir beansprucht, gehören wird.7 Es ist recht unangenehm, daß die Sache sich so hinauszieht, indessen hatte ich mich frühzeitig gemeldet und es kam mir nur die lange Verzögerung meiner Exmatrikel8 und das Herrenhaus, in Folge dessen ich so lange auf Stellung des Themas warten mußte, in die Quere. Im Interesse des Examens ist mir, muß ich sagen, ein derartiger Aufschub nicht ganz unwillkommen, denn für alles Gedächtnismäßige ist mein Kopf wirklich schauderhaft schwer zugänglich. – Hoffentlich hast Du von Karls Confi rmation den wohltuenden Eindruck mitgenommen, den Du erwartetest; besonders würde mich interessieren, wie er selbst mit seinen Gedanken eigentlich dem Akt gegenüberstand; denn das wäre ja doch jedenfalls der Hauptgewinn aus dem Unterricht des Prediger Scholz, wenn seine früher oft recht arge Gedankenlosigkeit einem wirklichen Nachdenken, und wäre es auch einem verkehrt gerichteten, Platz gemacht hätte. – Es ist mit der Confi rmation eine eigne Sache. Mich hat seiner Zeit der feierliche Akt als solcher wirklich ergriffen,9 deshalb, weil ich in dem Moment ihn als eine Art von Abschnitt im Leben empfand. Welcher Art dieser Abschnitt war und worin sein Wesen liegen sollte, darüber vermochte ich b 〈welche〉

c 〈d〉

5 25./26. April 1886. 6 Friedrich Eduard August Meyer, der Präsident des OLG Celle, dem Webers Studienort nächstgelegenen zuständigen Oberlandesgericht. 7 Max Webers juristische Staatsexamensarbeit und deren Thema sind nicht überliefert. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, in: MWG I/1, S. 109–138, hier S. 110 f. 8 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 17. Febr. 1886, oben, S. 584 mit Anm. 1. 9 Vgl. dazu den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 2. April 1879, oben, S. 157 f.

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mir doch keine Rechenschaft zu geben und nachdem einige Tage darüber hingegangen waren, konnte ich es erst recht nicht, denn selbstverständlich war ja in meinem Leben sonst keine bemerkbare Veränderung vor sich gegangen, wie das ja bei uns, denen die Confi rmation nicht der Abschluß der Schule bildet, ganz natürlich ist. Es ist daher keine leichte Aufgabe, den Sinn und die Bedeutung der Confi rmation einem Jungend unsrer Gesellschaftsklassen klar zu machen. Für mich bedeutete sie den officiellen Eintritt in eine große Gemeinschaft, mit deren theoretischen Lehren und Anschauungen ich keineswegs erst durch den Confi rmanden-Unterricht bekannt geworden war, – naturgemäß sucht man dann die Bedeutung dieses Akts auf der praktischen Seite. Nun ist man aber einerseits in diesem Alter durchaus noch nicht berufen, nach dieser praktischen Seite hin sich selbst zu bethätigen (die Pfl ichten ändern sich |:zunächst:| weder dem Umfange noch der Art nach) e, und andrerseits das Verständnis der praktischen Bedeutung des Christentums im täglichen Leben ist etwas, was erst bei anderer Gelegenheit überhaupt Einem kommen kann. Es ist aber sicher keine |:leichte:| Aufgabe für den Confirmanden, sich ein Bild von der Bedeutung,f die der Tag für ihn haben soll, zu machen, und man kann in dieser Beziehung gewiß nur bescheidene Ansprüche stellen. Wenn deshalb Karl, wie Du schreibst, durch seinen ausgezeichneten Lehrer wirklich so weit zum Denken darüber angeregt worden ist, daß ihm der Akt etwas bedeutete und seine Gedanken in Anspruch nahm, so ist das wohl derjenige Erfolg, der zu erwarten war, während ein sich selbst klarer Gedanke über das, was darin liegen soll, wohl zu viel verlangt wäre. – Nun noch etwas von hier. Montag Abend war ich einmal wieder bei Frensdorffs. Gewöhnlich lesen wir jetzt etwas zusammen, meist kleine Novellen, zuletzt eine von dem hiesigen Professor Schöne.10 – Anbei resp. hinterher schicke ich mehrere Broschüren, die mir Prof. Frensdorff vor ca. 1 1/ 2 Wochen gab, um sie Euch zu- bezw. Dir mit Dank zurückzusenden, außerdem auch die Kaiserrede des Prof. v. Wilamowitz,11 die er mir mit dem Auftrage verehrte, sie gelegentlich Euch zud 〈klar〉

e Schließende Klammer fehlt in O.

f 〈des Tages〉

10 Der Altphilologe und Literaturhistoriker Alfred Schöne hatte 1880 eine Novelle unter Pseudonym publiziert: Roland, A., Der blaue Schleier. – Gotha: Windhaus 1880. 11 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von, Rede zur Feier des 25-jährigen Regierungs-Jubiläums seiner Majestät des Kaisers und Königs am 3. Januar 1886 im Namen der GeorgAugusts-Universität. – Göttingen: Dieterich 1886.

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kommen zu lassen, da sie nicht übel ist. Frensdorffs lassen bestens grüßen. Vor einiger Zeit – ich weiß nicht, ob ich seitdem schon geschrieben – war ich auch bei ihnen in einer Abendgesellschaft zusammen mit so ziemlich der ganzen juristischen Facultät. Geh. Rat Dove erzählte mir sehr viel und mit energischen Ausdrücken der Misbilligung von der kirchenpolitischen Vorlage,12 – heute habe er Prof. Frensdorff erzählt, dieselbe werde im Herrenhause nicht durchgehen, angesichts der neusten Vorgänge, jedenfalls aber und wie der Verlauf auch sei, würde der Preußische Staat eine gründliche Blamage einzustecken haben: er war, wie es scheint, sehr unwirsch [.] Ich werde, wie gesagt, erst in den ersten Tagen des Mai fertig sein13 – gutes Gelingen vorausgesetzt. Im Übrigen aber befi nde ich mich wie stets und arbeite jetzt mit mehr Freude als Anfangs an meinem Thema: es geht wie immer, die interessanten Fragen daran findet mang erst so spät heraus, daß man nur noch den Ärger darüber hat. – Was macht denn Alfreds Versetzungsprüfung? Von Schellhaß14 hatte ich eine Karte, er scheint nur gesteigert fleißig zu sein. Die schönsten Grüße an den Papa und alle Geschwister, sowie an Dich von Deinem Sohn Max

g 〈immer〉 12 Zu den sog. Friedensgesetzen vgl. den Brief Max Webers an Helene Weber vom 17. Febr. 1886, oben, S. 588 mit Anm. 23. 13 Max Weber bestand das Erste Juristische Staatsexamen am 15. Mai 1886 beim OLG Celle. Vgl. Weber, Lebenslauf, MWG I/1, S. 355. 14 Karl Emmanuel Schellhass.

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Anhang

Anhang I: Schüler-Aufsätze 1877 und 1879

Editorische Vorbemerkung Abgedruckt werden zwei Aufsätze des Schülers Max Weber aus den Jahren 1877 und 1879. Es handelt sich um kleinere Abhandlungen: „Der Hergang der deutschen Geschichte im Allgemeinen namentlich in Rücksicht auf die Stellung von Kaiser und Pabst“ und „Betrachtungen über Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen“. Sie befinden sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Deponat Max Weber-Schäfer, Ana 446.C, Schachtel 8. Die Aufsatzblätter sind lose eingelegt in einem von Marianne Weber beschrifteten schwarzen Kladdenumschlag in der Größe von 16 x 20 cm. Die Aufschrift lautet: „Knabenaufsätze von Max Weber“. Die Kladde enthält noch eine dritte, aber unvollständige Arbeit, überschrieben „Die Römische Kaiserzeit. Die Zeit der Völkerwanderung“ von „Max Weber“, „Berlin und Charlottenburg 1877“.1 Auf einem zweiten Titelblatt heißt es: „Die Zeit der Völkerwanderung. Von 330–955“, am „1. Januar begonnen“. Die Arbeit bricht auf S. 13 mit der Darstellung des oströmischen Kaisers Valens ab. Auf ihren Abdruck sowie auf den Abdruck von weiteren fragmentarisch überlieferten Gedichten und Ausführungen des Schülers Max Weber wird hier verzichtet. 2 Die hier abgedruckten Aufsätze sind beide auf Weihnachten datiert. Ob es sich dabei um Pflichtaufsätze für die Schule oder – wie Marianne Weber annimmt 3 – um „Weihnachtsgeschenke“ an die Familie handelt, muß offen bleiben. Allerdings widmete der 12-jährige Max Weber seiner Großmutter Emilie Fallenstein schon zu Weihnachten 1876 eine kleine Ausarbeitung über die Staufer,4 was auf eine gewisse Tradition schließen läßt, zu Weihnachten gegenüber der Familie seine historische Bildung unter Beweis zu stellen.

1 Für die Arbeit, die viele Zeichnungen, insbesonders die Porträts der römischen Kaiser, enthält, benutzte Max Weber ein fadengebundenes Schulheft mit 42 Seiten. Beschrieben hat er knapp die Hälfte der Seiten, auf der vorletzten Seite fi ndet sich ein Inhaltsverzeichnis („Index“), das mit Kapitel II abbricht. 2 Ein lateinisches, fragmentarisch überliefertes Gedicht, offenbar zum Geburtstag von Max Weber sen. mit dem Zusatz „Tertio ante Calendas Junias“, ohne Jahresangabe, in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1, Bl. 6 r + v; weiterhin ein deutsches Gedicht, das möglicherweise der Großmutter Emilie Fallenstein zugedacht war und die sommerlichen Reisen (nach Heidelberg) beschreibt, ohne Jahresangabe (ev. 1878), ebd., Bl. 7, sowie ein undatiertes Fragment „Einiges über Alkibiades“, ebd., Bl. 10 r + v, die Schrift legt nahe, daß es zeitlich parallel zu dem Aufsatz über den „Völker-Charakter“ von 1879 entstanden ist. 3 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 49. 4 „Seiner lieben Großmutter zu Weihnachten 1876“; der sechsseitige Aufsatz über „Die Staufer (Hohenstaufen)“ befi ndet sich in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 1,

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1. Der Hergang der deutschen Geschichte im Allgemeinen namentlich in Rücksicht auf die Stellung von Kaiser und Pabst Max Weber hat diesen Aufsatz, wie aus der Schlußzeile hervorgeht,1 zu Weihnachten 1877 geschrieben. Ob das Thema, der Kampf zwischen Krone und Papsttum, durch die Schule vorgegeben war, ist nicht zu klären. Auf jeden Fall knüpft Weber an seine Besichtigung des Bismarck-Denkmals an, das im Sommer 1877 auf dem Burgberg bei Harzburg errichtet worden war. In der Karte an die Mutter vom 24. Juli wie am Ende seines Aufsatzes zitiert Max jeweils die Denkmal-Inschrift „Nach Canossa gehen wir nicht“, den Ausspruch, mit dem Bismarck den Reichstag in seiner Rede vom 14. Mai 1872 auf den Kulturkampf einstimmte.2 Der Aufsatz ist überliefert in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Deponat Max Weber-Schäfer, Ana 446.C, Schachtel 8 (A). Er umfaßt 24 beidseitig beschriebene Blätter (= 48 Seiten), die von dritter Hand jeweils auf der Blattvorderseite foliiert sind. Der Editor übernimmt diese Paginierung als A 1r (für die Blattvorderseite) und ergänzend A 1v (für die Blattrückseite). Für seinen Aufsatz hat Max Weber das Papier von Schulheften unterschiedlichen Formats genutzt und in fünf Bogen zusammengelegt und diese jeweils auf dem ersten Blatt am rechten oberen Textrand mit römischen Ziffern versehen (Blatt 1r, 7r, 13r, 19r und 23r). Die ersten drei Bogen (I–III) sind zu Bogen à 3 Doppelseiten mit insgesamt 6 Seiten zusammengelegt, der vierte Bogen umfaßt 2 Doppelseiten, sie alle haben eine Größe von 17,4 x 21,3 cm. Der fünfte Bogen (vier Seiten) ist aus einer Heftbindung fein säuberlich gelöst und mißt 16,6 x 20 cm. Die fünf Bogen hat Max Weber teilweise durch Zusätze miteinander verbunden, wie aus seinen Bemerkungen auf Seite 6v, 12v und 22v am unteren rechten Blattrand hervorgeht: „Fortsetzung nächstes Blatt“, „Fortsetzung s.d. folgenden Theil“ resp. „Fortsetzung letztes Beiblatt“. Das Papier ist fein liniert. Der Seitenrand, mit einer gedruckten doppelten roten Linie abgetrennt, ist 1,5 cm breit. Der Text ist mit schwarzer Tinte in Schönschrift geschrieben. Man kann daraus schließen, daß es sich dabei um die Reinschrift handelt. Streichungen werden nicht wiedergegeben. Einfügungen, die Weber gelegentlich vornahm, sind ohne diakritische Kennzeichnung in den Fließtext integriert. Unterstreichungen sind entsprechend den Editionsregeln in Kursive angezeigt. Fehlende Punkte am Satzende wurden stillschweigend ergänzt. Die Umlaute Ae, Oe, Ue sowie oe sind in Ä, Ö, Ü sowie ö umgesetzt. Fehlende Umlautstriche wurden stillschweigend ergänzt.

Bl. 22–25. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Emilie Fallenstein vom 20. Sept. 1876, oben, S. 45, Anm. 5. 1 Unten, S. 619. 2 Vgl. die Karte Max Webers an Helene Weber vom 24. Juli 1877, oben, S. 53 f. mit Anm. 5, sowie unten, S. 619.

1. Der Hergang der deutschen Geschichte 1877

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Max Webers Eigenart, das Verb im Singular zu gebrauchen, wenn die Grammatik den Plural erfordert, wurde nicht korrigiert, auch nicht Eigenheiten, wie z. B. die Schreibung von „Thriumph“. Die zeitgemäße Rechtschreibung ist beibehalten, z. B. „geberdete“ statt dem heute üblichen „gebärdete“. Die gelegentlich altertümliche Schreibung der Eigennamen, wie „Welph“, „Welphen“ neben „Welf“, „Welfen“, „Arnulph“ statt „Arnulf“, wurde ebenso beibehalten wie die durchgehend altertümliche Schreibung „Pabst“, „Pabstthum“ statt der zeitgemäßen Schreibung „Papst“ und „Papstthum“. Beibehalten wurde die Schreibung „Kanossa“, „Kortenuova“, „Scurkola“ und „Taggliakozzo“, auch die mittelalterliche Schreibung der Ortsnamen „Fontenaille“ für „Fontenoy“ (Département Yvonne, Frankreich), „Virten“ für „Verdun“ (Département Meuse, Frankreich) und „Tribur“ für „Trebur“ (Kreis Groß-Gerau, Hessen). Nicht eingegriffen wurde bei der irrigen Benennung von Welfs I. Tochter Judith als „bairischen Jutta“ (unten, S. 604).

Der Hergang der deutschen Geschicht[e] im Allgemeinen namentlich in Rücksich[t] auf die Stellung von Kaiser und Pabst.

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Zu Weihnachten des Jahres 800 hatte Pabst Leo III. die römische Kaiserkrone auf das Haupt des Frankenkönigs Karl gesetzt und ihn dadurch zum weltlichen Herrn und Gebieter der ganzen Welt gestempelt. Aber nicht für sich nahm er die Ehre in Anspruch, Karl zum Kaiser und Weltgebieter gemacht zu haben, sondern ausdrücklich setzte er hinzu: „von Gott gekrönt.“ Also nicht er, der Papst, maßte sich die Macht an, nach Belieben Kaiser ernennen und krönen zu dürfen, sondern er führte der Idee nach nur die Ceremonie der Krönung aus, als Statthalter Christi auf Erden und auf dessen Befehl. Und es war damals für die Päbste noch nicht an der Zeit, | ihr Ziel, A 1v die weltliche Gewalt der geistlichen unterthan zu machen, merken zu lassen. Damals war der römische Kaiser noch allgewaltig und ohne seine Beistimmung konnte kein Pabst gewählt werden. Überdies lief die Politik des päbstlichen Stuhles mit der Politik Kaiser Karls des Großen so ziemlich zusammen. Zunächst mußte sich doch das Pabstthum jenseits der Alpen bei den deutschen Barbaren Achtung verschaffen. Und das gelang mit der Unterwerfung des letzten heidnischen Volksstammes der Deutschen, der Sachsen, vollständig. Ferner aber mußte das Pabstthum die übrigen Bischöfe von sich abhängig zu machen streben. Dies schien nach Karls Tode unter seinem Sohn Ludwig anfangs gar nicht gelingen zu wollen, da die deutschen

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Bischöfe ihre Unabhängigkeit zu bewahren suchten und daher stets für die | Reichseinheit waren, während der Pabst, dem die Zerstückelung des Reiches großen Nutzen brachte, immer für Theilungen war. Das offenbarte sich schon auf dem Maifelde von 817, wo die Bischöfe im Interesse der Reichseinheit gegen den Pabst durchsetzten, daß nach des Kaisers Tode sein ältester Sohn Lotharius I. das Kaiserthum mit 5 / 6 des Reiches bekommen sollte, Pipin II. und Chludwig II. aber als Lothars Vasallen, der eine Aquitanien, der andere Bajuwarien als Herzogthümer erhalten sollten. Derselbe Streit zwischen Bischöfen und Päbsten offenbarte sich auch, als auf dem Reichstage zu Worms 830 der Pabst (d. h. seine Parteigänger, die Mönche,) eine neue Reichstheilung zu Stande brachte, derzufolge alle vier Söhne LudA 2v wigs gleich bedacht werden | sollten. Auch ein Versuch der Bischöfe, den Kaiser Ludwig zum Eintritt ins Kloster zu bewegen, mißlang, da der Pabst Ludwig mit einer neuen Gemahlin (seine erste, Irmingardis, starb 818) tröstete, der bairischen Jutta, Tochter Welphs I., die ihm einen vierten Sohn, Karl, gebar. Kaiser Ludwig jedoch zog diesen vierten Sohn den andern vor und wollte ihm sogar das ganze Reich zuwenden. Darüber waren die drei anderen Söhne empört und stifteten eine Verschwörung an, und der Pabst, Gregorius IV., hielt es auch nicht für in seinem Interesse, daß Karl zu mächtig würde und begünstigte sie heimlich. Und als im Jahre 833 Lothar, Pipin und Ludwig gemeinsam in offener Empörung losbrachen, als der greise A 3r Kaiser seinen Söhnen bewaffnet gegen|überstand, da war es Gregor der Vierte, der unter der Maske eines Vermittlers wie ein Herr über die Streitigkeit zwischen Vater und Söhnen richten wollte und der offenbar den scheußlichen Verrath am 29. Juni 833 auf den Gefi lden von Colmar, dem Lügenfeld, vermittelte. Und als der alte Kaiser Ludwig, von allen verlassen, allein stand im öden Felde, als er sich endlich den treulosen Söhnen ergab, – das war wohl der erste Thriumph des Pabstthums über das Kaiserthum oder: des Particularismus über die Reichseinheit. Aber die Reaktion kam schnell, wie überhaupt der Culminationspunkt einer Idee, einer Sache, eines Machtverhältnißes etc. stets schon ein Sinken, eine Wendung zum Gegentheil bezeichnet. So auch hier. Durch die unmenschlichen A 3v Zumuthungen, die Lothar seinem Vater | machte, wurden Pipin und Ludwig bewogen, sich wieder der Partei der Bischöfe anzuschließen und den alten Ludwig zu befreien, 834. In dieser wilden Zeit erhoben die großen Vasallen wieder das Haupt und die bösen Nachbarn, SlaA 2r

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ven, Araber, Normannen, fielen von allen Seiten in das Reich ein. Nach Ludwigs Tode wurde die Verwirrung noch größer. Lothar suchte doch noch die Alleinherrschaft an sich zu reißen, aber er gewann nicht hinreichenden Anhang und die Schlacht bei Fontenaille entschied gegen ihn. So kam denn endlich 843 der höchst merkwürdige Vertrag zu Virten zustande, die Ausführung der päbstlichen Ideen, die allerdings im Interesse der Völker lagen, welche sich nun einmal in verschiedene Nationalitäten, Deutsche, Franzosen, Italiener, geschieden hatten. | Lothar erhielt Italien, Burgund, Lotharingien und Friesland, Lud- A 4r wig alles [, ] was östlich dieses Reiches lag (Ostfranken), Karl der Kahle alles [, ] was westlich lag (Westfranken). Nach Lothars Tode theilten seine Söhne wieder, in Italien, Burgund und Lothringen mit Friesland, so daß Italien ganz isolirt wurde. Mit dem Besitz Italiens war aber auch der der Kaiserkrone verbunden, so daß die Besitzer Italiens eben deßhalb schon Kaiser waren. Auf diese Weise mußten die Kaiser naturgemäß immer ohnmächtiger werden. Wer daraus Vortheil schöpfte, war der Pabst – nur der Pabst allein, der sich nach und nach immer unabhängiger machte. Auch Deutschland wurde noch in drei Theile getheilt. Lothringen, das zweite Theilland von Lothars I. Reich, wurde ein Zankapfel zwischen Westfranken (Frankreich) und Ostfranken | (Deutschland), zuletzt blieb es bei letzterem. A 4v Burgund machte sich unabhängig, zuerst Nieder-, dann Hochburgund. Im Jahre 885 wurde zum letzten Male das ganze Reich Karls des Großen, – mit Ausnahme von Burgund, der spanischen Mark etc. –, wieder vereinigt und zwar unter Karl dem Dicken, der hierzu allerdings am ungeeignetsten war. Und schon 887 wurde er auf Anlaß der Bischöfe zu Tribur wieder abgesetzt und Arnulph, Herzog von Karinthien, zum König erwählt. Aber der Pabst brachte es dahin, daß Frankreich unter Odo von Paris sich unabhängig machte und in Italien stritten sich die beiden Häuser Friaul und Spoleto um die Oberherrschaft und schmeichelten dem Pabst abwechselnd. Zuletzt behielten die Spoletaner die Oberhand und nun wurden auch die Päbste ihr Gespött. Daher hielt es der Pabst Formosus für | gut, den deut- A 5r schen König Arnulph zu Hilfe zu rufen. Arnulph kam, rückte vor Rom, welches von den Spoletanern besetzt war und erstürmte die Stadt nach einem gräßlichen Blutbad. Formosus krönte ihn zum Kaiser. Nun besetzte er ganz Italien. Das lag jedoch nicht im Interesse der Päbste, welche ja das Reich möglichst zersetzen und den Vasallen

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aufhelfen wollten und Arnulph wurde vergiftet. Nun glaubten die Päbste freie Hand zu haben. Von Arnulph war nur sein Sohn Ludwig übrig, der auch zum König gekrönt wurde. Indessen dieser Ludwig war ein unmündiges Kind von 7 Jahren. Italien ging sofort wieder für Deutschland verloren und dort erlangten die Päpste ihre frühere Macht wieder, in Deutschland versuchten die Herzoge sich unabhängig zu machen und die Ungarn fielen ins Reich ein. | Aber die Bischöfe, an der Spitze Erzbischof Hatto von Mainz, A 5v schützten den jungen König dem Pabst und den Vasallen gegenüber. Jedoch besiegten die Ungarn das deutsche Reichsheer 907 und überschwemmten Süddeutschland. Da starb Ludwig das Kind, 911 und mit ihm ging der Mannesstamm der deutschen Karolinger zu Ende. Auf Anstiften der Bischöfe wurde sofort eine neue Wahl veranstaltet, die auf den Herzog Konrad von Franken fiel. Konrad hatte zwar den besten Willen, konnte aber mit den großen Herzogen nicht fertig werden. Arnulph der Böse von Bayern und Heinrich von Sachsen waren die Führer der Opposition. Es war so weit gekommen, daß Arnulph selbst die Ernennung der Bischöfe an sich riß. Konrad I. starb 918. | Da endlich kam der rechte Mann ans Ruder, Heinrich anceps, der A 6r Herzog von Sachsen. Nachdem er Lothringen wieder mit dem Reich vereinigt und die aufrührerischen Herzoge unter seine Botmäßigkeit gebracht hatte, besiegte er zum ersten Male in offener Feldschlacht die Ungarn. Aber dem Arnulf von Bayern verblieb das Recht, Bischöfe einzusetzen. Um den Pabst kümmerte sich Heinrich ebensowenig wie der Pabst um Heinrich. Italien hatte sich wieder ganz unabhängig gemacht und die Schattenkaiser folgten schnell auf einander. Erst Otto der Erste war es, der in Wahrheit das Kaiserthum Karls des Großen wieder aufrichtete und das Pabstthum wieder in das frühere Verhältniß zum Kaiserthum versetzte, im Jahre 962. Zum zweiten Male wurde damals der verderbliche Bund | zwischen A 6v Kaiser und Pabst, das heißt zwischen den beiden entgegengesetzten Richtungen der damaligen Welt, aufgerichtet und die Entscheidung der großen Weltfrage, ob Zerbröckelung oder ob Reichseinheit, ob Kaiser, ob Fürsten, ob Kirche oder ob Staat, kurz ob Kaiser, ob Pabst, wurde gewaltsam zurückgedrängt. Aber auf die Dauer war doch alles vergeblich. Die große Idee von der Weltherrschaft der Päbste, angeregt zuerst durch die falschen Dekretalen des Isidor, hatte sich schon

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zu tief den Gemüthern der Menschen eingeprägt, als daß das Pabstthum den günstigen Zeitpunkt hätte verstreichen lassen können, als daß überhaupt der Zusammenstoß hätte vermieden werden können. Indessen war der Augenblick zur Durchführung der päbstlichen Absichten noch nicht gekommen. | Denn um das Jahr 962 war die Macht der deutschen Könige noch A 7r so erdrückend, daß jene in den Köpfen der Menschen schlummernde Idee den äußeren Thatsachen nach noch nicht zur Geltung kam. Otto I., der Große, ist eine merkwürdige Persönlichkeit seinem Charakter sowohl, als auch seinen Thaten nach. Er befreite endlich im Jahre 955 Europa und insbesondere Deutschland von der Landplage der Ungarn durch die Schlacht auf dem Lechfeld, er unterwarf die Slaven und besiegte die Polen, er errang die Kaiserkrone, die von nun an wie ein Erbgut der deutschen Könige von dem einen auf den andern übertragen wurde und er bestimmte, indem er sich in Deutschland den größten Theil seines Lebens aufhielt seinen Nachfolgern dies als das Reich, in dem sie ihre Hauptkraft zu suchen hätten. Auch zeigte er | seinen Nachfolgern den Weg nach Osten, a welchen sie bei A 7v ihren Eroberungszügen nehmen müßten und hinterließ ihnen als römischer Kaiser gleichsam die Pfl icht, die eiserne Krone der Lombardei und die Kaiserkrone zu erringen und Italien und damit den Pabst sich zu unterwerfen, nicht aber Italien als ihr Hauptland zu betrachten und durch dies unkluge Benehmen die Deutschen gegen sich gleichgiltig zu machen und ganz und gar den päbstlichen Einflüßen auszusetzen. Hätten seine Nachfolger diese Vorschriften erkannt und befolgt, wären sie den Pfl ichten, die er ihnen hinterließ, nachgekommen, – wer weiß, wie sich dann die Geschichte des Mittelalters gestaltet hätte? – So aber vergeudeten seine Nachfolger, schon von Otto II. und III. an, die Kräfte Deutschlands nutzlos im Süden, während die natürliche Basis | aller ihrer Unternehmungen, das eigent- A 8r liche Deutschland, ihnen hinter dem Rücken durch Mönche und päbstliche Nuntien abwendig gemacht wurde und für sie verloren ging, zumal da auch die Fürstenmacht in ihrer Abwesenheit sich kräftete. Diesen beiden verbündeten Mächten, dem Pabstthum und der Fürstenmacht, unterlag das Kaiserthum nach hartem, heldenmüthigem und wechselvollem Kampf und konnte der gewaltigen Katastrophe nicht ausweichen. Dazu kam es schnell. Nach dem Ausa In A folgt: als

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sterben der Sachsen mit Heinrich II., dem letzten Kaiser [, ] der, abgesehen von weniger kraftvollen, wie Konrad II. u. III., noch Liebe zu seinem deutschen Vaterland hatte, kamen die Salier auf den deutschen Königsthron. Die Salier sind eins der merkwürdigen deutschen | KaisergeschlechA 8v ter; sie vereinen in sich die schroffsten Gegensätze: Sanftmuth und Gewaltthätigkeit, Schwäche u. unglaubliche Thatkraft, Laster und große Tugend. Man braucht nur den schwachen und unglücklichen Heinrich IV. oder den lasterhaften Heinrich V., ein wahres Scheusal, zu vergleichen mit dem so ungeheuer thatkräftigen, willensstarken und tugendhaften Heinrich III., der allerdings auch durch seine Gewaltthätigkeit hervorragt. Unter den ersten beiden Saliern, Konrad II. und Heinrich III., wurde Deutschland nach Innen und Außen vergrößert und befestigt, Burgund kam ans Reich, Polen wurde lehenspfl ichtig etc. Heinrich der Dritte bezeichnet den Höhepunkt der deutschen Kaiserzeit. Durch seine wahrhaft unglaubliche Thatkraft und UnerschrockenA 9r heit behielt er in dem damals schon offen ausgebroche|nen Kampfe zwischen Kaiserthum und Pabstthum ganz und gar die Oberhand. Pabstthum und Fürstenmacht lagen besiegt darnieder, er setzte Päbste ab und ein, ganz wie es ihm beliebte, ohne daß irgend jemand zu widersprechenb wagte. Die stolzen Herzoge wurden vollends gedemüthigt und es fehlte nur noch ein Schritt bis zu ihrer gänzlichen Abschaffung, sie galten fast nicht viel mehr, als einer aus dem Hofgesinde des Kaisers. Aber nach dem Tode Kaiser Heinrichs des Dritten fiel alles wieder zusammen. Die Idee der päbstlichen Weltherrschaft lag nun einmal in den Geisternc der Menschen und es kommt in der Geschichte nicht auf die größere oder kleinere materielle Macht an, die jemand in der Hand hat, sondern auf die Strömung des Zeitgeistes, der sich niemand mit Erfolg widersetzen kann. | Heinrich III. war der Letzte, der mit Hülfe großer materieller MitA 9v tel und mittelst seiner, wie gesagt, sehr großen Thatkraft das Panier des Kaiserthums siegreich gegen innere und äußere Feinde emporhielt; nach seinem Tode wurde alles anders. Sein Sohn Heinrich IV. war noch unmündig, und seine Mutter führte die Regentschaft anfangs mit Hülfe der Fürsten, die natürlich bei des Kaisers Tode b A: wiedersprechen

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sofort die alte Macht wiedererlangten, dann aber derd noch immer dem Pabst feindlich gesinnten Bischöfe, bis Erzbischof Anno von Mainz, einer der wenigen Bischöfe, die es mit dem päbstlichen Stuhl hielten, den jungen Heinrich IV. von dem kaiserlichen Schlosse zu Kaiserswerth raubte und unter seiner Vormundschaft behielt, bis er endlich herangewachsen war. | Und nun brach der lange unterdrückte Streit los. Zu Rom war A 10r damals die Hauptperson der kühne Mönch Hildebrand, ein echter Diplomat. Dieser war entschlossen, die Ziele des Pabstthums endlich einmal zur Ausführung zu bringen. Das erste Dekret schon, welches unter seinem Einfluß zu Stande kam, verbot naturgemäß, daß ein Pabst von einem Kaiser ernannt, anerkannt würde und erklärte die kaiserliche Zustimmung zu einer Pabstwahl für überflüssig. Als er Pabst geworden war, traf er die Einrichtung des noch heute bestehenden Konklave und verordnete das Coelibat, die Ehelosigkeit der Priestere. Der junge Kaiser Heinrich hatte sich bisher noch nicht um diese Vorgänge kümmern können, da er in Deutschland mit den Fürsten zu thun hatte und in Noth gegen die aufständischen Sachsen war. | Und A 10v als er die Sachsen unterdrückt hatte, wandten diese sich an den Pabst und der Erzbischof Anno brachte auch sämmtliche Fürsten in den Bund mit dem Pabst. Nun kamenf die verschiedensten Intriguen, Heinrichs unglückliche Ehe mit seiner Gemahlin Bertha, die er verstoßen wollte, mitg ins Spiel, – kurz, das Ende vom Liede war, daß der Kaiser den Pabst des päbstlichen Stuhles für verlustig erklärte, Gregorius VII. (so hieß Hildebrand als Pabst) aber den Kaiser in den Kirchenbann that und die deutschen Fürsten ihres Treueides gegen ihn entband. Darauf hatten diese nur noch gewartet, um den verhaßten Kaiser, der die Pläne seines Vaters hatte, zu stürzen. Sie wollten den Verrath natürlich schon längst ausführen, nun waren sie, wenigstens scheinbar, auch moralisch nicht mehr gegen Heinrich verpfl ichtet und konnten ihre nicht | gerade edelmüthige (!) That vor A 11r ihrem Volke entschuldigen, ob vor ihrem Gewissen (?), ist eine andere Sache. Am Rhein kam der abscheuliche Verrath zum Ausbruch. Alle deutschen Völker betheiligten sich an demselben mit Ausnahme der Lothringer, denn Heinrich war wegen einiger Gewaltthätigkeiten, die er unter der Leitung Annos begangen hatte und wegen seiner Willkür allgemein unbeliebt. Die deutschen Fürsten dekretirten gemeinsam, d Lies: mit Hülfe der

e In A folgt: an

f A: spielten

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Heinrich solle sich binnen Jahresfrist vom Banne lösen, quod si non fecerit, sollte er seiner kaiserlichen Ehre verlustig erklärt werden. Da machte sich Heinrich IV. mitten im Winter auf den Weg nach Italien und seine treue Gemahlin Bertha begleitete ihn. Unter unsäglichen Mühen und Gefahren kamen sie in Italien an. Auf die Nachricht von seiner Ankunft begab sich Gregor VII., | der A 11v schon in Oberitalien und auf dem Wege nach Deutschland war, wo eine große Fürstenversammlung über seinen Streit mit dem Kaiser entscheiden sollte, überrascht nach dem Schlosse Kanossa im Gebiet der Gräfi n Mathildis von Tuscien. Und nun erfolgte jener schmähliche Akt der Demüthigung, der einzig und allein durch die elende Treulosigkeit der deutschen Fürsten verursacht war, eine längst erwartete Katastrophe, welche nur dem allgemeinen Zeitgeist Ausdruck gab. Das Kaiserthum hatte sich durch Übergriffe verhaßt gemacht und die Deutschen waren gegen ihre Kaiser, weil diese immer meist in Italien oder sonst wo weilten, gänzlich gleichgiltig geworden. So war denn schon seit langer Zeit die Niederlage des Kaiserthums vorauszusehen und konnte nicht merkwürdig erscheinen. Die Details des erwähnten Aktes sind zu bekannt, | als daß noch A 12r nöthig wäre, sie weiter auszuführen. Nachdem Heinrich vom Bann gelöst war, begann er in Deutschland den Kampf gegen die Fürstenmacht, während Gregor in Italien seinen Sieg ausbeutete. Die dreifache Krone war schon unter Nikolaus II. aufgekommen. Auf der ersten der drei um die Tiara gelegten Reifen stand „Corona regni, de manu dei,“ zur Bezeichnung der weltlichen Herrschaft des Pabstes über Mittelitalien. Pipin I. nämlich, Karls des Großen Vater, von dem die römischen Bischöfe ihr weltliches Besitzthum erhalten hatten, stellte darüber eine förmliche Schenkungs- oder Belehnungsurkunde aus, so daß die Überlassung der betreffenden Gebiete an den Stuhl Petri fast einer Belehnung gleichkam, wodurch die Päbste aber fast Vasallen der weltlichen A 12v Gewalt wurden. Diese unwillkommene Erinnerung | mußte indessen nun, da die Päbste sich als Herren der Kaiser betrachteten, verwischt werden, daher die Aufschrift auf dem ersten Reifen. Auf dem zweiten Reifen stand: „Corona imperii, de manu Petri,“ zur Bezeichnung der päbstlichen Weltherrschaft. Die dreifache Krone wurde gewählt, um die Päbste als Abbild der himmlischen Dreieinigkeit zu versinnbildlichen. Ein weiteres Edikt verlangte das Amt der Investitur (Bekleidung der Bischöfe mit Ring und Stab), welches bisher den Kaisern

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obgelegen hatte, für den päbstlichen Stuhl. Dadurch wollte man das Kaiserthum seiner Haupt- und letzten Stütze berauben und gänzlich zu Falle bringen. Um diese Investitur erhob sich ein gigantischer Kampf, der schließlich 1122 mit der Niederlage des Kaiserthums endete. Von da an war die Macht der deutschen Kaiser zu Ende. | Heinrich IV. bot unterdessen in Deutschland alles auf, die schon A 13r fast ganz unabhängigen Fürsten niederzuwerfen, was ihm jedoch nicht gelang. Ja, der Pabst wiegelte sogar seine beiden Söhne Konrad und Heinrich zur Empörung gegen den Vater aufh. Konrad unterlag, Heinrich aber nahm den nochmals gebannten Vater gefangen und zwang ihn zur Abdankung. Heinrich IV. entfloh, aber alle Hoffnung für ihn war verloren. Seine Hauptstütze, die Bischöfe, war ihm entrissen, die Herzoge waren bei weitem mächtiger als er und sein eigener Sohn kämpfte gegen ihn. Unter solchen Umständen starb er, 1106, im Bann und mußte noch unbeerdigt bleiben, bis der Bann von ihm genommen wurde. Wahrlich eine zu harte Strafe für den jugendlichen Leichtsinn, in welchem er allerdings strafwürdige Verbrechen beging. Nach seinem Tode trat sein Sohn, König Heinrich V., kraftvoll gegen Fürsten und Pabst auf und vertheidigte hartnäckig | das kaiser- A 13v liche Recht der Investitur. Jedoch wurde er zum Nachgeben gegen den Pabst gezwungen und schloß im Jahre 1122 das berühmte Wormser Konkordat. Als er sich aber in Deutschland gegen die Fürstenmacht wandte, da starb er, 1125 und mit ihm ging das Geschlecht der Salier zu Ende. Nun erhob sich in Deutschland ein gewaltiger Kampf um die Kaiserkrone zwischen den Anhängern des Pabstes und denen des Kaisers, zwischen den Verfechtern der Reichseinheit und zwischen der Fürstenmacht. Die meisten Ansprüche erhob Friedrich von Hohenstaufen, ein Verwandter und treuer Anhänger der Salier und schon deßhalb dem Pabst verhaßt. Aber auf der Wahlversammlung lenkte die päbstliche Partei, an der Spitze Erzbischof Adalbert von Mainz, die Wahl auf den Grafen Lothar von Supplinburg, einen treuen Anhänger des Pabstes und Verfechter der Fürstenmacht, | der schon Heinrich V. das A 14r Leben sauer gemacht und an der Ausführung seiner Pläne gehindert hatte. Friedrich von Staufen unterwarf sich mit schwerem Herzen, wollte aber das Land, welches er von den Saliern geerbt hatte, nicht h Fehlt in A; auf sinngemäß ergänzt.

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herausgeben und der Krieg begann. Lothar behielt jedoch schließlich mit Hülfe Herzog Heinrichs des Stolzen von Bayern aus welfi schem Stamm die Oberhand und Friedrich unterwarf sich nochmals. Lothar vermählte dem bayrischen Heinrich, dem eifrigsten Vorkämpfer der Fürstenmacht, seine Tochter Gertrud, und von da her schreibt sich die ganz besondere Sympathie der Welphen für die Päbste. Lothar war ein williger Diener der Kirche und so erwies sich die Kirche auch gern bereit, ihm einen Gegendienst zu erweisen und half ihm gegen die Fürsten, insbesondere die Staufer, welche die ärgsten Feinde der A 14v Päbste und Welfen waren. Lothar starb 1137 | und alles, was er erbaut hatte, stürzte wieder zusammen. Er hatte der Kirche gedient [, ] um sich ihrer gegen die störrigen Staufer zu bedienen, er hatte dagegen mit anderen Fürsten, zum Beispiel den Welfen, gute Freundschaft gehalten, offenbar um den einen durch den andern und dann den Letzten selbst zu stürzen, eine kluge Politik, die nur sein früher Tod in einer kleinen Bauernhütte im Ober-Engadin unterbrach. Mit ihm sank die schöne Eintracht zwischen Kaiser und Pabst ins Grab, um nimmermehr wieder zu erstehen. Denn sein Tod brachte mit Konrad III. die Hohenstaufen auf den deutschen Thron, jenes große, edle, aber harte und gewaltthätige Geschlecht, das letzte, welches den offenen Kampf mit dem Pabstthum wagte, aber unterlag. Kaum war Konrad, des oben erwähnten Friedrich Bruder, auf den Thron A 15r gekommen, als er den | Kampf gegen die Fürstenmacht, insbesondere gegen deren Vorkämpfer, die Welphen, aufnahm. Heinrich der Stolze, Herzog von Bayern, hatte von seinem Schwiegervater Lothar auch noch das Herzogthum Sachsen geerbt und hatte auf diese Weise zwei Herzogswürden in sich vereinigt. Dies wollte Konrad nicht dulden und erklärte schließlich Heinrich in die Acht. Nun brachen alle Feinde der Welfen los: Leopold von Österreich erhielt Bayern, Albrecht der Bär, Markgraf von Brandenburg, Gründer der deutschen Residenzstadt am Zusammenfluß der Spree mit der Panke, der treueste Anhänger der Hohenstaufen, wurde Herzog von Sachsen. Aber Heinrich wurde über alle Herr, trotzdem auch der Pabst Innocentius II., dem die Fürsten zu mächtig wurden und der über Konrad ebenso herrschen zu können glaubte, wie über Lothar, anfangs für den Kaiser sich entschied. Welph, Heinrichs Bruder, trieb den LiutA 15v pold | aus Bayern heraus und griff den Kaiser in Schwaben selbst an, während Heinrich selbst Albrecht den Bären vertrieb und den ganzen Norden beherrschte und als endlich auch Konrad von Zähringen auf

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die Seite der Welfen trat, schien für Konrad III. alles verloren. Und gerade in diesem Moment starb Heinrich der Stolze, wahrscheinlich an Gift und bald darauf Liutpold. Unterdessen hatte der Kaiser alles aufgeboten, um im Süden Herr zu werden. Endlich schlug er Welf in der großen Schlacht bei Weinsberg, was er dann nach langer Belagerung nahm. Zwar hatte nach Leopolds Tod Welf nach Osten hin freie Hand, aber des Kaisers Neffe Friedrich hatte Konrad von Zähringen unterworfen und der Norden war nach Heinrichs des Stolzen Tode für die Welphen verloren. Heinrich hatte nur ein kleines Söhnchen, Heinrich, unter der Leitung seiner Schwiegermutter Richenza hinterlassen. | Endlich, 1140, kam der Friede zu Stande. Der junge Heinrich, der A 16r Löwe genannt, erhielt Sachsen, mit Ausnahme der Mark Brandenburg, die als unabhängiges Fahnenlehen vom Herzogthum losgelöst und an Albrecht den Bär gegeben wurde, Baiern erhielt Heinrich Jasomirgott, Liutpolds Bruder. Nur Welf blieb unberücksichtigt. Im späteren Alter ließ sich Konrad noch bewegen, einen Kreuzzug zur Rettung des heiligen Grabes zu unternehmen. Diese Kreuzzüge waren das beste Mittel, welches die Päbste anwendeten, um die Kaiser aus Deutschland zu entfernen und dann als Herrscher zurückzubleiben. Zugleich aber zeigen uns die Kreuzzüge, wie hoch damals das Ansehen des Pabstes und der Kirche gestiegen war, denn daß sich hunderttausende von Menschen einem, wenigstens äußerlich rein kirchlichen Zwecke weihten, beweist doch, daß man die Zwecke der Kirche hochhielt und verehrte. Nach seiner Rückkehr starb | Konrad III. und nun kam sein Neffe, Friedrich Rothbart, der tap- A 16v ferste aller deutschen Fürsten, auf den Kaiserthron. Dieser Mann ist mit Recht als der größte unter den deutschen Kaisern anerkannt worden. Von edlem Körperbau und gewaltiger Kraft, besaß er zugleich jenen männlichen Muth und Ernst, jene gewinnende Freundlichkeit gegen Freunde und Anhänger, jenen erregbaren, feurigen Geist, jene Thatkraft und Phantasie, jene Geistesgegenwart und jenen unbeugsamen Willen, wie alle anderen Hohenstaufen. Er wäre der Mann gewesen, der der lumpigen Fürstenwirthschaft den Garaus hätte machen können, wenn er nicht dieselbe Idee gehabt hätte wie Karl, wie Otto der Große, nämlich das alte römische Reich in seinem ganzen Umfange wiederherzustellen, ein Gedanke, der, wie die Thatsachen gezeigt hatten, viel zu ideal gefaßt und gänzlich undurchführbar war. Er | nahm für sich als Kaiser auch alle Rechte der frühe- A 17r

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Anhang I: Schüler-Aufsätze 1877 und 1879

ren römischen Imperatoren in Anspruch, eine Idee, die er zuerst auf der großen Reichsversammlung auf den roncalischen Feldern bei Piacenza durchzuführen versuchte. Daß ihm dies nicht gelang, bewirkte der kraftvolle Widerstand der lombardischen Städte im Bunde mit dem Pabst und der Verrath der deutschen Fürsten, an der Spitze iHeinrich der Löwei , der den Kaiser zu Chiavenna trotz seines Flehens verließ und dadurch dessen Niederlage bei Legnano gegen die freiheitsbegeisterten Lombarden herbeiführte 1176, 29. Mai. Und so schloß denn 1177 Friedrich zunächst mit Alexander III. und dann mit den lombardischen Städten den Frieden zu Venedig. Die lombardischen Städte erhielten das Recht, sich ihre Consuln selbst zu wählen, den Pabst Calixtus, den Friedrich eingesetzt hatte, gab er auf, dagegen löste ihn der Pabst vom Bann und bestätigte alle Bischöfe A 17v und Erz|bischöfe, die Friedrich eingesetzt hatte, so daß dieser in ihnen eine vortreffl iche Stütze gegen die Fürsten gewann. Nun wandte sich der Kaiser nach Deutschland, um den treulosen Heinrich den Löwen zu züchtigen. Nachdem er ihn dreimal vergeblich vor das Reichsgericht geladen hatte, entsetzte er ihn aller seiner Würden und erklärte ihn in die Acht. Aber der Löwe, werth seines alten Ruhmes, wehrte sich tapfer und brachte dem kaiserlichen Heer in der großen Schlacht auf dem Halerfelde, 1180, eine schwere Niederlage bei. Endlich jedoch mußte er sich zu Erfurt, wo Friedrich Reichstag hielt, unterwerfen. Er behielt nichts als seine Alode, Braunschweig, Lüneburg und dessen Nebenlande. Sachsen wurde in eine Menge kleiner Herzog- und Fürstenthümer zerschlagen, Oldenburg, Holstein, Braunschweig, Sachsen-Lauenburg und Wittenberg und Anhalt, ebenso wurde von Bayern, welches der treue Otto von Wittelsbach erhielt, Tyrol und Steyer losgerissen. | A 18r Das war so die Politik der Staufer, die großen Herzogthümer zu zertrümmern und die Fetzen womöglich ihnen ergebenen Leuten zuzutheilen, um auf diese Weise über das Ganze zu herrschen und vermöge der Uneinigkeit der kleinen Herren sich die Arbeit leichter zu machen. Aber sie lebten nur von der Hand in den Mund, sie dachten nicht an die Zukunft, sie dachten nicht daran, daß auch ihr Geschlecht einmal um den Thron kommen könnte, und daß dann die neue Methode dem Reich wie den Kaisern verderblich werden konnte. Daß das Reich auf diese Weise von demjenigen, was es am meisten i–i A: Heinrichs des Löwen

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bedurfte, der inneren Einigkeit, abgeschnitten wurde und daß ihm die Möglichkeit, sich nach außen zu entfalten, genommen wurde, daß ferner Faustrecht und Zwietracht aufs höchste gesteigert wurde und daß es einem jener kleinen Herren und Fürsten, wenn er zum Kaiser gewählt würde [, ] noch viel schwerer sein würde sich Achtung zu verschaffen. | Nachdem also Friedrich I. Barbarossa mit allen seinen Gegnern A 18v fertig geworden war, feierte er 1184 das große Pfi ngstfest im goldenen Mainz zur Feier der Schwertleite zweier seiner Söhne. Dieses allgemeine Reichsfest spiegelt so recht den Glanz des alten Reiches wieder. Über 40 000 Ritter, Fürsten und Sänger waren hier zugegen, nicht nur aus Deutschland, auch aus Frankreich und Spanien, sowie aus England und Italien. Friedrich Barbarossa stand auf der Höhe seines Glücks; alle seine Ziele hatte er, soweit es überhaupt möglich war, erreicht. Seine Macht und sein Glanz wird wohl auch durch jene schöne Sage bezeichnet, welche ihn, nachdem er auf seinem Kreuzzuge in den Wellen des Calykadnos ein nasses Grab gefunden, in der Kyffhäuserburg bei Nordhausen schlafen läßt, von wo er einst wieder herauskommen werde [, ] um des alten deutschen Reiches Herrlichkeit zu erneuern. | Nach Kaiser Friedrichs Tode wurde sein Sohn Heinrich VI. deut- A 19r scher König. Dieser war mit Constanze, der Erbin von Apulien und Sicilien, vermählt. Dieser verderbliche Bund der Staufer mit Unteritalien wurde später der Grund ihres Sturzes. Denn er zog sie fortwährend aus Deutschland nach Italien und entfremdete sie ihrem Vaterlande immer mehr. Und so wurde denn auch das deutsche Volk gleichgiltig gegen die Staufer und hielt sich nicht für verpfl ichtet, ihnen beizustehen. Schon Heinrich VI. hatte viel in Italien zu thun. Nach seinem Tode wurde sein jüngster Bruder Philipp von der staufi schen oder kaiserlichen, von den Italiener[n] genannt ghibellinischen Partei, Otto IV., ein Sohn Heinrichs des Löwen [, ] von der welfi schen oder päbstlichen Partei als Kaiser aufgestellt. Philipp war vom Pabste Innocentius III., nächst Gregor VII. [, ] dem größten der Päbste, gebannt worden, nichtdestoweniger rang er tapfer um die Krone und wußte durch große | Zugeständnisse auch den Pabst wie- A 19v der für sich zu gewinnen, als er durch Otto von Wittelsbach wegen persönlicher Beleidigungen ermordet wurde. Nun gewann Otto IV. die Oberhand. Damals geberdete sich der Pabst schon wie ein Herr über Deutschland, er erklärte den deutschen Fürsten, er allein habe

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Anhang I: Schüler-Aufsätze 1877 und 1879

über die Kaiserwahl zu entscheiden, er befahl ihnen später auch, den jungen Friedrich zum König zu wählen. Denn dieser Friedrich, ein Sohn Heinrichs VI., war der letzte noch übrige Staufer. Innocenz III. wußte ihn klug zu benützen. Er drohte Otto IV., er werde Friedrich zum Kaiser ernennen und Otto bewilligte ihm aus Angst davor alles, was er wollte. Gleichzeitig vermählte sich Otto mit Beatrix, der Tochter Philipps, um so den deutschen Anhang der Hohenstaufen zu gewinnen. Als aber das römische Volk unter Begünstigung des Pabstes den Kaiser beleidigte, brach Otto mit Innocenz und suchte sich A 20r des jungen Friedrich II. zu bemächtigen. Der | Pabst that ihn in den Bann und auf seinen Befehl wählten die deutschen Fürsten zu Bamberg Friedrich II. zum deutschen Könige, der auch 1211 in Deutschland erschien. Otto konnte sich nirgends halten trotz der Hülfe Englands. Friedrich wurde 1215 zu Aachen gekrönt. Er war ganz italienisch erzogen, hatte italienische Bildung genossen und seinen Geist im Umgange mit dem großen Innocentius III. herangebildet. Innocentius III. ist nächst Gregorius VII. als der bedeutendste und thatkräftigste aller Päbste zu betrachten. Er starb bald nach Friedrichs Einsetzung und unter seinen Nachfolgern sank das Pabstthum langsam aber sichtbar von der weltbeherrschenden Höhe herab, die es bis dahin eingenommen hatte. Schon bald nach seinem Regierungsantritt ließ Friedrich seinen Sohn Heinrich VII. zum König krönen und behielt für sich nur ApuA 20v lien und Sicilien. | Er trug sich mit der Idee einer weltbeherrschenden Monarchie, die alle Mittelmeer-Staaten umfassen sollte. Daßk diese Idee unausführbar war, leuchtet wohl jedem ein, sie war auch für sein Geschlecht verderblich, denn sein Sohn Heinrich VII. ließ sich als König gänzlich von päbstlichen Einflüssen leiten und so ging Deutschland für die Hohenstaufen verloren. Dort traten, nachdem der junge Heinrich gestürzt war, verschiedene Gegenkönige auf, um welche sich jedoch Friedrich II. nicht kümmerte. Obgleich er den Thron eigentlich nur dem Pabst verdankte, stellte er sich doch niemals etwa unterthänig zur Kirche. Im Gegentheil, er gehorchte dem Pabste nicht, als dieser, um ihn eine Weile aus dem Westen zu entfernen, ihm befahl, seinen längst gelobten Kreuzzug zu unternehmen und wurde dafür gebannt. Schließlich, im Bann, unterA 21r nahm er den | Kreuzzug, aber in seinem eigenen Interesse. Nicht für k A: Das

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die Kirche wollte er das h[eilige] Grab erobern, sondern für sich. Und er erreichte durch Unterhandlungen, was vor ihm noch niemand mit Waffengewalt erreicht hatte, nämlich für die Pilger freien Zutritt zum h[eiligen] Grabe und außerdem eine Reihe von Küstenstädten am mittelländischen Meer. Zurückgekehrt, hatte er viel gegen den Pabst und seine Partei zu kämpfen, welche ihn nun auf alle Weise zu verderben suchten. Aber er besiegte alle, unterwarf sich nach der gewaltigen Schlacht bei Kortenuova auch die lombardischen Städte vollständig, da starb er, 13. Dez. 1250. Friedrich II., wohl der edelste der Staufer, hat sich immer rein von religiösen Vorurtheilen erhalten. Er verkehrte viel mit gelehrten Muhammedanern, seine Ärzte waren Juden, seine Leibwache bildeten Muhammedaner. Er hatte Großes erstrebt, aber der | Tod hatte A 21v seine Pläne zerschnitten. Er hinterließ das Reich in einem Zustand völliger Herrenlosigkeit. In Deutschland herrschten der Staufer Konrad IV., den die ghibellinische und Wilhelm von Holland, den die guelfische Partei als Kaiser aufgestellt hatte, in Italien suchte Friedrichs II. Sohn Manfred sich zu behaupten; ein anderer Sohn Friedrichs II., Enzio, saß zu Bologna gefangen. Die Päbste belehnten den Franzosen Karl von Anjou mit Apulien und Sicilien. Da zog auch Konrad IV. nach Italien, starb aber bald mit Hinterlassung eines unmündigen Sohnes Konrads V., von den Italienern Konradino genannt. Dieser lebte bisher noch in Schwaben. Unterdessen war Manfred bei Benevent nach heldenmüthigem Kampfe gegen Karl von Anjou gefallen. Da zog auch Konradin als letzter Hohenstaufe nach Italien, um sein Erbreich Apulien zu erkämpfen, ungeachtet der Thränen sei|ner Mutter, begleitet von seinem Freunde, dem Zähringer Fried- A 22r rich, und von einem schwachen Heere. Bei Scurkola und Tagliakozzo errang er den blutigen Sieg über Karl von Anjou, den aber zu hitzige Verfolgung in eine Niederlage verwandelte. Konradin und Friedrich von Baden wurden gefangen und zu Neapel hingerichtet, 29. Okt. 1268. So also endete jenes Geschlecht der Staufer, welches einst unter Friedrich I. eine Unterjochung der Fürsten und Päbste vorbereitete und an die Wiederherstellung der Macht der alten römischen Imperatoren gedacht hatte, welches sogar unter Friedrich II. eine Unterjochung der sämmtlichen Mittelmeerländer versuchte, das glanzvollste und hochgesinnteste unserer Königsgeschlechter. Unbesiegt, glänzend und machtvoll, so lange sie Deutschland als ihr Hauptland

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betrachteten und zu demselben machten, fielen sie, sobald sie ihr Augenmerk von Deutschland ab und auf Italien richteten. Gerade ihr A 22v tiefer Sturz mag dazu beigetragen | haben, sie dem Gedächtniß des deutschen Volkes so unauslöschlich tief einzuprägen. Denn in der That sind die Staufer dasjenige unter den deutschen Königsgeschlechtern, von dem am meisten im Gedächtnis des Volkes zurückgeblieben ist. Unter ihnen blühte die höfi sche Bildung und Dichtung, wie überhaupt die althochdeutsche Sprache am meisten ausgebildet war. Lebten doch an ihrem Hofe Walther von der Vogelweide und andere Männer. Mit den Welfen verglichen, haben sie doch eigentlich wenig zur Ausbreitung des Reiches nach außenhin und für sein wahres dauerndes Interesse gethan. Denn während Heinrich der Löwe das heutige Mecklenburg und Pommern für das Reich eroberte, verschwendeten die Staufer, Friedrich Barbarossa nicht ausgeschlossen, ihre und Deutschlands Kraft nutzlos in Italien oder sonst wo, in Ländern, von denen dem späteren Reiche nichts geblieben ist. | Mit dem Fall der Hohenstaufen war die Niederlage des Kaiserthums A 23r in dem großen Weltkampfe entschieden. Auch die Fürstenmacht war nun so weit gestärkt, daß sie nicht mehr unterdrückt werden konnte. Wir sehen nach dem großen Interregnum die Fürsten immer bestrebt, einen möglichst wenig begüterten und ohnmächtigen Fürsten zum Kaiser zu wählen, damit sie um so unumschränkter herrschen könnten. Aber der Kampf der Deutschen gegen das Pabstthum war darum noch nicht zu Ende. Zwar, das Kaiserthum war unterlegen, dagegen sehen wir seit Anfang des vierzehnten Jahrhunderts eine andere Macht den Kampf gegen die Päbste aufnehmen, und zwar die Fürstenmacht, eine Thatsache, die im Kurverein von Rhense, 1338, ihren Ausdruck erhielt. Aber auch die Fürsten erlahmten allmählich oder A 23v hielten den Kampf für | nicht in ihrem Interesse liegend, kurz, erst das ganze deutsche Volk, als es mit der Reformation in den Kampf eintrat, vermochte siegreich ihn durchzuführen. Die päbstliche Partei vermochte im 30jährigen Kriege, der allerdings später mehr und mehr in einen politischen Kampf umschlug, die freie Strömung der Geister nicht mehr niederzukämpfen. Dieser 30jährige Krieg hatte die natürliche Folge, das deutsche Volk dem Pabst und dem Hause Habsburg, welches nur seine Privatinteressen befolgte und das deutsche Volk auch in Bezug auf seine Religion tyrannisiren wollte, mehr und mehr zu entfremden und den endlichen Bruch unvermeidlich zu machen. Zu diesem Bruch kam es erst 1866. Dies ist die Strafe für das

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Haus Habsburg, welches sich der Strömung des ganzen deutschen Volkes | entgegenzustemmen wagte, anstatt sich an ihre Spitze zu stel- A 24r len und die Katastrophe von 1866 beweist nur den schon oben erwähnten Grundsatz, daß niemand sich ungestraft der Strömung des Zeitgeistes entgegenstellen kann. Und merkwürdig, Spanien, Italien, alles Länder, die neben Deutschland die mächtigsten Europas waren, und die alle gegen die Reformation sich feindlich stellten, wie sind diese Länder nicht herabgekommen! nur Frankreich hat sich durch seine überaus günstige Lage über Wasser halten können; übrigens haben die Jahre 1870/71 gezeigt, daß die Franzosen nicht mehr das Volk Ludwigs XIV. und die Deutschen nicht mehr die von 1806 sind, denn Einigkeit macht stark. Dagegen sehen wir alle der Reformation günstigen Staaten emporkommen, England, die Niederlande, Preußen, | eine Zeit lang Schweden und Dänemark. Und wenn wir Gre- A 24v gor VII. und Innocenz III. mit Pio nono vergleichen, so können wir uns wohl die Besieger des Pabstthums nennen: Der Kulminationspunkt einer Sache bezeichnet, wie gesagt, eine Wendung zum Gegentheil. Der ungeheure Übermuth Gregors VII., die Frechheit Innocenz’ III., mochte wohl in vielen einen ersten Widerwillen gegen die Päbste erzeugen. Der Name des Mannes, der uns zum gänzlichen Siege verholfen hat, ist viel zu bekannt, als daß er genannt werden müßte, gewiß kann mir jeder Schusterjunge den Namen des vielgehaßten deutschen Diplomaten nennen, der das berühmte Wort gesprochen: „Nach Kanossa gehn wir nicht!“. Max Weber Weihnachten 1877. |

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2. Betrachtungen über Völker-Charakter, Völker-Entwicklung und Völker-Geschichte bei den Indogermanischen Nationen Max Weber bezeichnet seinen Aufsatz auf dem Titelblatt als „Skizze zu einem Aufsatz von Maximilian Weber 1879 Weihnachten“. Er hat die Skizze zweimal überarbeitet. Thematische Bezüge bestehen zum Brief vom 19. Dezember 1879, in dem Weber seinem Vetter Fritz Baumgarten von seiner Ossian-Begeisterung und dem Vergleich zu Homer berichtet, mit dem er auch die hier zum Abdruck kommende Skizze einleitet. Nicht ohne Stolz fügt er an, daß er an diesem Tag schon „einen Kilometer-langen lateinischen Aufsatz beendigt“, aber „noch einige ähnliche Beester“ vor sich habe.1 Das Manuskript der Aufsatzskizze befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Deponat Max Weber-Schäfer, Ana 446.C, Schachtel 8 (A). Es umfaßt einschließlich des Titelblattes insgesamt 25 Blatt, die beidseitig beschrieben und von dritter Hand mit Bleistift am rechten oberen Blattrand foliiert sind. Der Editor übernimmt die Seitenzählung als A 1r (für die Blattvorderseite) und ergänzend A 1v (für die Blattrückseite). Die Skizze dürfte eine Vorlage für eine möglicherweise für die Schule abzugebende Reinschrift darstellen. Die Reinschrift ist nicht erhalten. Weber verwendete zwei fadengebundene Hefte unterschiedlichen Formats. Das erste Heft mit 5 Bogen, foliiert 1–10 (20 Seiten), ist 17,5 x 21,4 cm groß. Das Papier ist holzfrei und kaum vergilbt. Das zweite Heft mit 7 Bogen, foliiert 11–24 (28 Seiten), besteht aus holzhaltigem, stärker vergilbtem Papier von der Größe 17,3 x 21 cm. Schließlich verwendete Weber noch einen weiteren Bogen (vier Seiten), foliiert 25, vom selben Papier und Format wie das erste Heft. Der letzte Bogen ist aus der Fadenbindung gelöst. Blatt 26 ist unbeschriftet und nicht foliiert. Das Papier ist unliniert, der Rand durch eine Falz von 5–5,2 cm hergestellt. Das Manuskript ist mit schwarzer Tinte geschrieben. Im ersten Korrekturdurchgang korrigierte Weber ebenfalls mit schwarzer Tinte sehr zurückhaltend. Beim zweiten Durchgang benützte er einen Bleistift und korrigierte auf jeder Seite, auch Korrekturen des ersten Durchgangs. Zum Abdruck kommt die Fassung letzter Hand. Gestrichene Wörter oder (Halb-)Sätze werden nicht wiedergegeben, ergänzte oder ersetzte Wörter und (Halb-)Sätze sind ohne Kennzeichnung gemäß Webers geschweiften Klammern in den Fließtext eingefügt. In die für seine Zeit typische Rechtschreibung wurde nicht eingegriffen, auch nicht in Eigenheiten in der Groß- und Kleinschreibung sowie bei Wörtern wie z. B. „Athmosphäre“. So schreibt Max Weber in dieser Zeit noch grundsätzlich die Endung der Verben auf „ieren“ mit einfachem „i“, die Vorsilbe miß- mit einfachem „s“ (mis-). Wörter, die heute üblicherweise mit „k“ geschrieben werden, schrieb Weber wechselnd mit „c“ oder „k“, wie z. B. „Kultur“, „culturlos“. Zeitgemäß ist auch die Schreibung „Clanns“ statt „Clans“, „Poësie“ statt „Poesie“, neben „Phoinikier“ auch „Phoenizier“, „Seldschucken“ statt „Seldschuken“. Die Umlaute Ae, Oe, Ue sowie ae, oe und ue sind in Ä, Ö, Ü sowie ä, ö und ü umgesetzt (ausgenommen die latinisierte Schreibung Phoenizier oder Aeolier). 1 Vgl. den Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 19. Dez. 1879, oben, S. 204.

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1879 Weihnachten | Es soll durchaus nicht meine Aufgabe sein, hier eine genaue Charak- A 1v terschilderung der Mittelmeervölker zu geben, wie sie sich aus ihrer Poësie entwickeln ließe; ebenso wenig will ich die geistige und politische Fortbildung unsrer Urahnen zu schildern suchen; noch will ich den Alterthumsforschern ins Handwerk pfuschen; ich will nur im Allgemeinen und in Umrissen die Betrachtungen wiederzugeben versuchen, welche einem verständigen Menschen bei näherem Anschauen der Urgeschichte indogermanischer Völker aufstoßen müssen. Wenn wir von der Fortentwicklung eines Volkes | sprechen, so fas- A 2r sen wir damit drei Zweige seiner Entwicklung zusammen: die gemüthliche, die geistige, die politische und soziale Entwicklung. Es soll zunächst von der Entwicklung des Volksgemüthes die Rede sein. Es fragt sich also, was verstehen wir unter dem Gemüth eines Volks und welche Anhaltspunkte haben wir zu dessen Beurtheilung? Die Antwort darauf ist, daß das Gemüth eines Volkes zunächst in seinen Dichtungen hervortritt, das heißt nicht in Dichtungen, die, wie Wielands und größtentheils auch Goethes Werk, das Resultat der Gedanken eines einzelnen Kopfes oder doch nur eines Theiles des Volks waren. Denn daß Wieland und Goethe keine eigentlichen Volksdichter waren, geht schon daraus hervor, daß beider Werk nie unter das Volk | gedrungen istb, wie etwa Schillers und Klopstocks A 2v Gedichte. Solche Dichtungen, wie gesagt, sind keine Volksgedichte und können nicht als Maßstab für das Gemüth eines Volkes dienen, sondern dazu könne man nur die sog. Volksepen und Volksdichtungen benutzen, wie sie Homer und Oisian geliefert haben. Fragen wir uns nun, wodurch im allgemeinen die gemüthliche Entwicklung eines Volkes bedingt ist und suchen dies vor allem festzustellen. a In A geht am oberen rechten Blattrand, von Marianne Weber mit Bleistift geschrieben, voraus: Der 15jährige Max Weber. b A: sind

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Zunächst also halten wir fest, daß Volksgemüth und Volksgeist etwas grundverschiedenes sind und daß das Gemüth eines Volkes sich gänzlich unabhängig von seinem Geiste entwickeln kann und entwickelt. Denn einerseits ist es ein großer Irrthum, wenn man behauptet, die Entwicklung des Volks|gemüthes bedinge den Culturstandpunkt eines Volks, andrerseits kann durch höhere Cultur allein einem Volk kein höherfl iegender Geist oder ein tieferes Gemüth eingepfropft werden. Sicherlich offenbart sich in Oisians Volksgesängen ein unendlich viel tieferes Gemüth als in den seichten Oden und Elegien der römischen Dichter in der späteren Kaiserzeit und doch wird wohl niemand behaupten wollen, daß deshalb die Kultur der gaelischen Waldund Höhlenbewohner eine höhere gewesen sei als die des gebildetsten Volks der Welt. Andrerseits war die Kultur der Chinesen schon im grauen Alterthum eine viel höhere als etwa die | der Arier am Indus und Ganges, aber von Gemüth offenbart sich an den Chinesen nichts, während die indischen Volkspoësien eine tiefe sentimentale Weltanschauung durchblicken lassen. Wir sehen also, daß wenigstens das Gemüth eines Volks mit seinem Kulturzustand in keiner Weise zusammenhängt. Schwieriger ist ähnliches von dem Volksgeist nachzuweisen. Als selbstverständlich ist zu betrachten, daß durch den Volksgeist der Culturstandpunkt bedingt wird. Denn das ist eben der Unterschied zwischen Geist und Gemüth, daß, während das speculierende Gemüth sich auf Naturbetrachtung, Naturerklärung wirft, der Geist nur den praktischen Werth der Umgebung abzuge|winnen sucht und also entweder den Culturzustand des Volks betrachtet und zu bessern sucht oder sich, wenn das Gemüth fehlt, in Naturspekulationen einläßt. Die Philosophie der Hellenen und Römer ist größtentheils eine Philosophie des Geistes, nicht des Gemüthes, die Epikuräer und ihre Anhänger, die späteren Stoiker, auch Pythagoras, Protagoras, Anaxagoras und die übrigen sogenannten Naturphilosophen suchten mit Hülfe des Verstandes oder des Geistes das Geheimnis der Natur zu ergründen, während die nordischen und auch die orientalischen Völker dies mehr auf dem Wege des Gemüthes versuchten und ihr Weg ist für den Orient der einzig-richtige. | Der Geist also bedingt den Culturzustand eines Volkes, die Frage aber ist es, ob der Culturzustand auch den geistigen Standpunkt

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bestimme. Wenn wir den Indianern, oder den Zulukaffern oder was sonst für culturlose Menschen auf der Erdoberfläche leben, unser Schießpulver und andere Gegenstände unserer Cultur importiren, so glaube ich nicht, daß dadurch ihr Geist gebildet wird, nun ebenfalls ähnliche Gedanken, wie diejenigen, die zur Erfi ndung etwa der Eisenbahnen, des elektrischen Lichtes etc. geführt haben, auszuspinnen und zu produciren, sondern nur wenn es uns gelingt, unsern Geist in sie zu übertragen [, ] ist es möglich sie auf einen derartigen Standpunkt zu erheben. | Wir sehen also [, ] daßc Volksgeist und Volksgemüth, Volksgeist und A 5r Volkscultur, Volkscultur und Volksgemüth grundverschiedene Dinge sind; und kehren nunmehr zu der Frage zurück, wodurch zunächst die gemüthliche Entwicklung eines Volkes bedingt werde. Wenn wir uns fragen, wodurch die Entwicklung eines Menschen bedingt werde oder besser, zwischen welchen beiden Punkten sie sich bewege, so ist die Antwort darauf: Die Entwicklung eines Menschen ist die Entwicklung seines Gemüthes von naiver Auffassung zu sentimentaler Betrachtung. Das Stadium des Überganges aus der Naivität in die Sentimentalität erzeugt die Ideale, verwirklichen sich diese nicht, so tritt die Sentimen|talität ein, der Mensch sucht mit Hülfe A 5v seines Geistes die Naivität seines Gemüthes zurückzugewinnen: dies gelingt ihm nicht und es beginnt die letzte Stufe [, ] die Sentimentalität des Alters. Ebenso entwickelt sich das Gemüth eines Volkes. Der Zustand der Naivität erzeugt das Epos, das heißt diejenige Art des Epos, die wir Volksepos nennen; die homerischen Gedichte stammen aus der Zeit des Zustandes der Naivität der hellenischen Nation. Der zweite Zustand, der Übergang zur Sentimentalität erzeugt die Lyrik. Viele von Oisians Gedichten stammen aus der Zeit dieses Zustandes des gaelischen Volkes. | Der dritte Zustand [, ] der Zustand der Sentimentalität, erzeugt die A 6r Ballade, die Elegie und die dramatisirte Ballade, die Tragödie. In diesem Zustande befand sich unser Volk im sechzehnten und im achtzehnten Jahrhundert, denn der dreißigjährige Krieg zertrümmerte nicht nur den politischen und socialen, sondern auch den geistigen und gemüthlichen Bestand unsrer Nation und ihre Entwicklung mußte von neuem beginnen, da die geschmacklosen Ziergedichte des c A: das

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Hochadels im siebzehnten Jahrhundertd nicht aus dem Volk hervorgingen wie Klopstocks und Schillers Poësie. Der vierte Zustand, den wir die Sentimentalität des Alters nennen wollen, kann ohne Schaden, ja, wohltuend, zwar bei einem | einzelnen, sterblichen, Menschen hervortreten, nicht aber bei einem Volk, welches nicht ausstirbt. Denn dieser Zustand vergeblicher Hoffnung auf die Rückkehr zur Natur erzeugt entweder Stumpfheit, aus der religiöser Fanatismus, oder Verzweiflung, aus der Atheismus, Sinnlichkeit etc. hervorgehen – denn ein Volk, das an der Welt verzweifelt, sucht sich durch Lebensgenuß zu betäuben – diese Zustände aber besiegeln beide in gleicher Weise den Untergang des Volkesgemüths und damit der Sittlichkeit. Andrerseits aber zeigen sie ihre Wirkung auch nach Außen, denn sobald Stumpfheit, Gleichgültigkeit der Welt gegenüber einreißt, kann eine Nation als Staat | nicht mehr bestehen, das zeigt nur zu deutlich der Untergang der hellenischen Freiheit, der Untergang Roms, die Zertrümmerung des Orients, die Unterjochung der Inder, der Fall unsrer eigenen Nation. Und nicht jedem Volk gelingt es, wie dem unsrigen, sich geläutert aus seinen Trümmern wieder empor zu heben und seine Entwicklung von neuem zu beginnen. Wie gesagt, die Existenz eines Volks hängt daran, daß jener oben erwähnte vierte Zustand der Sentimentalität nicht einreißt, sondern daß man auf der sog. „goldenen Mittelstraße“ bleibt. | Es fragt sich nun, in wie weit äußere, klimatische etc. Umstände auf den Charakter und die gemüthliche Entwicklung einwirken können und das ist eigentlich die Hauptfrage, wenn wir von Fortentwicklung und Charakter von Völkern sprechen. Betrachten wir zunächst die Völker des Ostens. Das Gemüth eines Volkes zeigt sich nächst seinen Dichtungen hauptsächlich in seiner Religion. Denn eine Religion kann zwar nicht bestehen, wenn der Verstand des Volkes ihr entgegen spricht, aber ebenso wenig kann eine bloße Vernunftreligion, wie man sie in der Zeit der franz[ösischen] Revolution einzuführen suchte, Bestand haben. Eine Religion kann nur dann dauernd bestehen, wenn sie Gemüth und Geist in gleicher Weise befriedigt. | Betrachten wir also in Bezug hierauf den Orient. In Vorderasien fi nden wir das Land theils so beschaffen, daß, wie in Syrien und Arabien, eine unendliche monotone Wüste, nur von wenigen Flüssen d A: Jahrhunderts

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durchschnitten, sich vor den Blicken ausdehnt oder daß, wie in Baktrien und Hochiran die Bevölkerung bald unerträgliche Hitze, bald unerträgliche Kälte, bald Sturm und Regen, bald heißen Sonnenschein zu ertragen hat. In Baktrien also besonders fi nden wir Gegensätze in außerordentlich klarer Weise ausgeprägt, die große, weitausgedehnte Steppe macht einen ewig gleichen Eindruck, nur daß Sturm und Regen der Steppe | einen bösen, milder Sonnenschein einen guten Charakter geben. Was war daher natürlicher, als daß in Baktrien und Iran zuerst das Volk auf den Gedanken von der zweifachen Gottheit, von dem bösen und dem guten Geist, kam? In Arabien und Syrien ist die Natur ähnlich, nur noch günstiger als in Baktrien. Hier sah man nichts als die ewige Wüste und den ewig klaren blauen Himmel; die zarte, sehr dünne, zitternde Luft ist ganz besonders geeignet, Ahnungen anzuregen; in den sternenklaren, kühlen Nächten, in der Gas artigen, Geist, Gemüth und Verstand verschmelzenden und hoch über alles Irdische erhebenden Athmosphäre mußte ganz natürlich zuerst die | erhabene Idee von dem einigen Gott auftauchen. Die mannigfachen Luftspiegelungen mußten den Glauben an unendlich viele geheimnisvolle Wesen und Geister aufregen und die Phantasie beschäftigen. Oben in der hellen Luft, am blauen Himmel mußte die Wohnung der Todten sein. Und so entstanden dann auch in dieser Wüste die drei hauptsächlich monotheistischen Religionen, das Judenthum, das Christenthum, der Islam. Auf die Entstehung in der Wüste deuten schon die Berichte über Moses’ Aufenthalt am Berge Horeb und das vierzigjährige Verweilen der Israëliten in der Wüste, über Jesus’ Aufenthalt daselbst, und über Muhammeds Vision in der Wüste. Ebenso natürlich mußte bei | den am Meere wohnenden Völkern, den Phoeniziern einerseits u. Babyloniern andrerseits der Gedanke von der ursprünglichen Zweiheit der guten Gottheit, von einer Meergöttin, Astarte und einem Landgott, Bel entstehen. – Ganz anders war es bei den occidentalischen Völkern, Hellenen, Italikern etc. Hier wirkten mannigfache Eindrücke auf den Menschen und hier war in Folge dessen ganz natürlich die Wiege des occidentalischen Polytheismus, indem die Götter des Lichtes alle guten Eindrücke verkörpern mußten. Nur in Bezug auf das Leben nach dem Tode aber ist hier noch ein Unterschied zu bemerken. Der Hellene, von Natur ursprünglich Viehzüchter, war gewohnt in dem Ἅιδης , dem „graußen“, | den Ausbund alles Schreckens zu sehen, der Italiker, ursprünglich Ackerbauer, war gewohnt, alles gute von der

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Erde zu empfangen und konnte also den Ort der Geister nicht für einen Hades, einen schrecklichen, halten; er nannte also den Unterweltgott Dis (= dives), den reichen. Im allgemeinen konnte eine auf das Gemüth allein gegründete Religion bei den Süd[-]Europäern keine monotheistische bleiben: auch das Christenthum wurde zum Polytheismus, so lange es allein auf das Gemüth gegründet war und nur mit Hilfe des Verstandes konnte Luther wieder eine monotheistische Religion daraus schaffen. Dasselbe Bestreben hatten auch die hellenischen Philosophen, als sie ihren Demiurgos, ihren Weltschaffer, aufstellten. Der Unterschied A 10v zwischen beiden Bestre|bungen war nur, daß die deutschen Reformatoren den Vortheil hatten, daß die von ihnen umzuformende Religion ursprünglich monotheistisch war, daß sie selbst ferner aus dem Volk hervorgingen und nicht ihre Spekulationen, wie die Hellenen, vor dem Volk geheim hielten, vor allen Dingen daß, während die hellenische Nation sittlich und gemüthlich schon unfähig geworden war, solche Gedanken in sich aufzunehmen, ihre Nation soeben im Begriff war eine neue Entwicklung auf politischem, geistigem und gemüthlichem Gebiete zu beginnen. Soviel über Volksreligion, kommen wir nun zu dem zweiten Produkt des Volksgemüths, zur Volksdichtung. | Bei den Hellenen haben wir hier hauptsächlich Homer, bei den norA 11r dischen Völkern hauptsächlich Oisian zu betrachten. Wenn wir diese beiden Dichter mit einander vergleichen, so fi nden wir darin deutlich den Charakter der beiden Gruppen von Völkern ausgedrückt, der nordeuropäischen, zu denen Kelten und Germanen zu rechnen sind – die Slaven halten wir nicht für unsre Aufgabe zu betrachten, – der südeuropäischen, zu der hauptsächlich die Hellenen und Italiker gehören. Der südeuropäische Homer ist in jeder Beziehung ruhiger und beschaulicher; er sieht vom Standpunkt des Alters zurück auf das Leben des Menschen und es erscheint ihm als eine Thatsache, der Rechnung zu tragen sei, als eine Handlung, deren einzelne Phasen in A 11v steter Fortentwicklung | weiterführene bis zum Lebensziel, als welches ihm die Behaglichkeit und Zufriedenheit erscheint. Diese Art der Auffassung folgt schon aus der ganzen Art der Anlage der Odyssee, wo das ja menschliche Leben besonders in all seinen Phasen geschil-

e A: weiterfühlen

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dert wird: denn alle dem Helden feindseligen Elemente hindern nur das Lebensziel [, ] seine Behaglichkeit. Sehen wir dagegen, wie Oisian sich hierzu verhält. Als Lebensziel erscheint ihm nicht die Behaglichkeit, die er nicht kennt, sondern die Freiheit und wenn diese nicht erlangt werden kann, ist ihm der Tod unvermeidlich. Das Leben erscheint ihm, der ja ebenfalls vom Standpunkte des Alters darauf zurückblickt, als ein schattenhaftes Phantom, welches in steter Fortentwicklung von dem Traume der Jugend nach und nach erwachend die unendliche Leere | und Nichtigkeit der Welt erkennt A 12r und nur durch den Tod geheilt werden kann; das Alter erscheint ihm als eine Last, die durch den Tod, den er empfiehlt [, ] geheilt wird, während Homer im Alter den Gipfelpunkt der Behaglichkeit fi ndet, der leider durch den Tod plötzlich unterbrochen werde. Der Tod selbst freilich erscheint beiden als etwas Finsteres, unnennbares: „Hinter dir steht dämmernd der Tod, Wie die fi nstere Hälfte des Monds Hinter seinem wachsenden Licht …“ sagt Oisian und diesem Dictum entspricht die berühmte Stelle in der Νέκυια der Odysee:1

βουλοίμην κ᾽ ἐπάρουρος ἐὼν θητευέμεν ἄλλῳ ἀνδρὶ παρ᾽ ἀκλήρῳ, ᾧf μὴ βίοτος πολὺς εἴη, ἢ πᾶσιν νεκύεσσι g καταφθιμένοισιν ἀνάσσειν. | 25

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Aber während dem Homer der Tod unter allen Umständen grauen- A 12v haft erscheint, erscheint er dem Gälen zwar als etwas Düsteres, aber keineswegs grauenvoll. Im Gegentheil erscheint ihm viel mehr das Leben als etwas grauenvolles, weil in ihm nichts zu ergründen sei, der Tod hingegen wohlthuend, weil man wisse, woran man als dann sei. Beide hatten Vorstellungen von der Unterwelt, die homerische ist bekannt, im Oisian fi nden sich nur Andeutungen darüber. Nächst der Freiheit erscheint Oisian der Ruhm das höchste der Güter, und Homer stimmt ihm hierin bei. Sehen wir nun aber, wie beide den Ruhm zu erlangen gedenken. Dem Homer ist Stärke und f A: ὧ

g A: νεκύεσσιν

1 Max Weber zitiert im folgenden aus der Odyssee, 11. Gesang, v. 489–491; in deutscher Übersetzung, hier zitiert nach Homerus, Odyssee, hg. von Johann Heinrich Voß. – Tübingen: Cotta 1806, S. 244: „Lieber ja wollt‘ ich das feld als tagelöhner bestellen / Einem dürftigen mann, ohn‘ erb‘ und eigenen wohlstand, / Als die sämtliche schaar der geschwundenen todten beherrschen.“

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Anhang I: Schüler-Aufsätze 1877 und 1879

List der Grund zum Ruhme, dem Oisian Tapferkeit. Homer gilt es nicht als Schan|de zu fl iehen, wenn dadurch das liebe Leben gerettet werden kann, Oisian meint, die Flucht sei die höchste Schande und müsse unter allen Umständen ihr der Tod vorgezogen werden. List betrachtet Homer als etwas unter Umständen Nothwendiges, als etwas Nützliches und daher nicht als Schande, während Oisian, List zu gebrauchen, für eine unerhörte Schmach für das ganze Leben hält. Es ist dies eben sehr einfach aus der naiven Auffassung Homers zu erklären, welche nichts als was Schädlich ist, für Böse hält, wogegen der sentimentale Oisian das Leben an sich für eine Last und nicht für ein Gut hält und es je früher je lieber los wird. Die Frage, ob leichter durch sentimentale oder durch naive VolksA 13v poësie zur Natur zurückzukehren | sei, ist schwer zu entscheiden: jedoch scheint es mir, daß dies immer noch leichter sei, dies durch eine – allerdings nicht so sehr, wie Oisians, angreifende – sentimentale Poësie als durch die antike Naivität; denn Oisian liegt uns zwar nicht näher als Homer, sondern eher ferner, wenn wir auf die Kunst der Zusammenfügung, auf die Art der Auffassung des Lebenszieles sehen, aber die ganze Art der Dichtung ist mehr nordisch, mehr germanisch und wäre es möglich, sich ganz in die Gedanken Oisians zu versetzen – was allerdings nicht rathsam wäre – so würden wir, wenn auch zu unsrem geistigen und gemüthlichen Schaden, der Natur näher sein, als wenn wir versuchen würden uns ganz in Homers Gedanken zuh versetzen, denni dies kann uns nie gelingen, da wir dazu die reliA 14r giöse und philosophische Weltanschauung Homers | besitzen müßten, die uns fehlt und außerdem uns auf den Kulturstandpunkt Homers stellen müßten, was natürlich unmöglich ist und bei Oisian nicht nöthig wäre. Wir müssen uns eben damit begnügen, die Gedanken der beiden Dichter zu jverstehen, um siej auseinander folgern und aus ihrer Umgebung erklären zu können, homerisch denken können wir ebensowenig als oisianisch fühlen. Soviel aber steht fest, daß Homer dem Oisian in geistiger, Oisian dem Homer in gemüthlicher Beziehung vorgeht, und ebenso ist demnach das Verhältnis der zu ihnen gehörigen Völker. Denn wenn auch die Südeuropäer, durch ihre Umgebung aus sich selbst heraus gelockt und zum Umsichschauen angeregt, in praktischer u. geistiger A 13r

h Fehlt in A; zu sinngemäß ergänzt.

i A: denn,

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Beziehung einen weit höheren Kulturstandpunkt hatten zur Zeit des Homer | als die Nordeuropäer zur Zeit des Oisian, so gehen in gemüthlicher Beziehung die Nordeuropäer zu Oisians Zeit, durch ihre fi nstre, einsame Umgebung auf sich selbst zurückgewiesen, den Südeuropäern zur Zeit Homers und auch späterhin weit vor. Wir sehen also, daß das Gemüth der Völker sich im Allgemeinen gleich entwickelt, jedoch von den Umgebungen und klimatischen Verhältnissen beeinflußt wird. Der Geist dagegen wird zwar auch, und zwar in viel stärkerer Weise, als das Gemüth, durch zufällige klimatische Verhältnisse bedingt, entwickelt sich aber, eben deshalb, durchaus nicht in gleicher Weise bei den verschiedenen Völkern. Die südeuropäischen Völker, die von der Natur, wie schon | oben gesagt, 2 mehr auf ihre Umgebung gewiesen waren als auf sich selbst zurück, entwickelten sich practisch bedeutend schneller als die auf sich zurückgewiesenen Nordeuropäer. Der Kulturzustand der Völker selbst ist wohl im Allgemeinen als bekannt anzunehmen und können wir daher zu der politischen Entwicklung, der eigentlichen Völkergeschichte, übergehen. – Wenn wir uns fragen, durch welche Gesetze eigentlich die Geschicke der Völker festgestellt werden, so ist die Antwort darauf sehr einfach: durch dieselben Gesetze, durch welche alle Vorgänge im Weltenraum festgestellt werden, wenn wir sie nämlich auf das Gemüth und den Geist anwenden. Denn wenn in dem Leben der einzelnen Menschen gleich dem Zufall viel überlassen bleibt, die Geschicke der Völker werden im Großen und | Ganzen durch den Zufall nur wenig modificirt. Der Unterschied zwischen den regelmäßigen Bewegungen im Weltenraume und den im Vergleich mit ihnen immerhin noch schwankenden der Völker ist nur, daß eben die Gestirne und also auch die Weltenkörper keinen Geist, keine Individualität haben, während die Völker eine solche besitzen und also auch durch dieselbe ihre Geschicke zu modifi ziren vermögen. Aber im allgemeinen verläßt ein Volk eine einmal betretene Bahn ebensowenig vollständig, wie ein Himmelskörper die seine, vorausgesetzt, daß nicht äußere Störungen eintreten, durch welche auch die Bahnen der Himmelskörper modificirt werden. Fragen wir uns nun weiter, welches die hauptsächlich|sten der Gesetze sind, durch welche der ganze Erdkreis und also auch die 2 Oben, S. 628 f.

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Geschicke der Völker bestimmt werden, so fi nden wir, daß eines dieser weltzusammenhaltenden Gesetze das Gesetz der ewigdauernden Vervollkom[m]nung alles dessen was existirt, ist; und, daß dieses Gesetz in der ungeheuersten Weise auf die Geschicke der Menschen wirkt, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Ein zweites, fast noch wichtigeres Gesetz ist das Gesetz der Beharrlichkeit, vermöge dessen ein Körper ohne äußeren Anstoß einen Zustand, in dem er sich befi ndet, nicht verläßt; dies auf die Menschen angewendet, ergiebt, daß ein Volk eine einmal begonnene Bahn nicht ohne Gewalt und äußeren Anstoß verläßt, wie schon oben ausgeführt. 3 Das dritte Gesetz aber, A 16v das wichtigste von allen, ist das | Gesetz der Anziehungskraft resp. Abstoßungskraft. Bei den leblosen unorganischen Wesen wirkt dies Gesetz physisch und bedingt alle die physischen Erscheinungen, die wir am Himmel wahrnehmen; bei den Pflanzen, die zwar Leben, aber kein Lebensbewußtsein haben, wirkt es mechanisch; bei den Thieren, die Lebensbewußtsein und Instinkt haben, wirkt es sinnlich, bei den Menschen endlich, die Lebensbewußtsein, Verstand und Gemüth haben, wirkt es geistig und gemüthlich. Dies Gesetz bedingt auch die Geschicke der antiken Völker. Denn aus unbekannten Gründen waren schon in ältester Zeit der indogermanische und der semitische Stamm, die beiden Hauptzweige der kaukasischen Race, durch unüberwindlichen Widerwillen und Haß | A 17r geschieden und durch diesen Widerwillen ist die ganze Geschichte des Alterthums bedingt. Betrachten wir zunächst den Osten, so fi nden wir, daß dessen Geschichte sich hauptsächlich in dem Kampfe der semitischen Völker des Tieflandes, der Babylonier und Assyrier, gegen die indogermanischen Arier auf Iran bewegt. In der Urzeit gelang es den Assyriern, das Reich von Babylon mit sich fortzureißen, die Uneinigkeit der indogermanischen Stämme auf Iran – die sich hier nicht anders zeigen als bei uns für lange Zeit in Deutschland – zu benutzen, das einzig-kräftige arische Reich, das Reich von Baktra, zu überrennen und so über den ganzen Osten zu herrschen. Bald aber entsteht Zwietracht zwischen Assur und Babel, die Assyrier stürzen das Reich A 17v von | Babylon, aber in vielhundertjährigen Kämpfen wissen die Babylonier ihre Unabhängigkeit zu wahren. Das war das Signal zum Abfall der indogermanischen Völker. Die Meder und die Perser 3 Oben, S. 629.

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erhoben sich, und befreiten den Osten; die fortwährend uneinigen Clanns der Arier fügten sich stets dem Sieger und kamen daher kaum jemals in Betracht. Nun begann der Entscheidungskampf der beiden Nationen. Die indogermanischen Stämme aus Hochiran, unterstützt durch die Babylonier, die, in schlauer und doch thörichter Politik die Gelegenheit benutzten, sich des Westens zu versichern, brachen in Mesopotamien ein und das Reich der Assyrier brach unter der Wucht ihres Stoßes zusammen. Da hinderte ein unvorhergesehenes Ereignis die unab|wendbare A 18r Katastrophe. Andre Indogermanische Stämme, die Kimmerier vom Don und Dniepr her, überschwemmten Iran und Mesopotamien. Sehr wohl läßt sich dieser Einbruch mit dem der Kimbrer in Italien vergleichen – hat man doch sogar Kimmerier und Kimbrer schon identifi zirt. Es war beidemale dieselbe Lage eines civilisirten Volkes gegenüber einer Horde Barbaren. Aber beide Male war das Geschick der Völker noch nicht erfüllt, ihre Kultur war noch nicht reif zum Untergange und konnte auch, so im Keime zerstört, der Menschheit keinen Nutzen bringen. So mußten denn beide Unternehmungen misglücken. Nach langen Kämpfen gelang es den Medern endlich, der Barbaren Herr zu werden und sie aus dem Osten zu vertreiben. | Nach dieser Störung gingen die Geschicke der Völker sofort wieder A 18v in ihre alte Bahn zurück. Niniveh erlag dem Ansturme der Arier und damit waren diese das herrschende Volk im Osten. Babylon blieb unabhängig bestehen; aber die Herrschaft kam in die Hände der Meder. Doch lange sollten sich diese nicht der Herrschaft freuen. Denn die Berührung mit den semitischen Völkern brachte viel von deren Kultur mit in ihr Leben, sie wurden sehr schnell geistig und gemüthlich semitisirt und damit war ihre Herrschaft über die indogermanischen Stämme untergraben. Die Perser waren von der semitischen Kultur bisher im Ganzen verschont geblieben, sie erhoben sich nun an der Spitze der Arier und die berühmte Schlacht bei Pasargada machte | dem medischen Reiche ein Ende. Auch Babylon erntete A 19r jetzt die Früchte seiner Politik, im Jahre 5394 fiel die alte Stadt in die Hand der Indogermanen. Auch die Perser sollten von dem Fluch [, ] der auf der Herrschaft des Ostens ruhte – und dem nach einander die Meder, die Perser, die 4 Gemeint ist hier und bei den folgenden Zeitangaben die Zeitrechnung vor Christi Geburt.

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Hellenen, die Römer, die Parther, die Türken anheimgefallen sind – nicht verschont bleiben. Es war eben für fremde Stämme unmöglich, über Semiten lange zu herrschen, ohne von deren entnervender Kultur verdorben zu werden. Auch die Perser wurden, nachdem sie alle semitischen Völker und außerdem noch die indogermanischen Völker Kleinasiens, schließlich die Ägypter in raschemk Siegeslaufe unterworfen hatten, von der semitischen Kultur angegriffen und semitisirt. Nach wenigen Jahrhunderten war auch ihre Herrschaft A 19v untergraben und es schien nun, als ob es die Sache der Arier des | Ostens sein würde, das Reich von neuem zu regeneriren und dann – demselben Schicksal anheimzufallen. Aber unterdessen hatte sich im Westen die hellenische Kultur entwickelt – wir kommen später darauf zurück5 – und ihr gelang es nun den Osten über den Haufen zu rennen und Semiten sowohl als Indogermanen mit indogermanischer, hellenischer Kultur zu befruchten. Es bildeten sich nun – wir verfolgen zunächst die Geschicke des Ostens – eine Menge „hellenistischer“ Reiche, im Westen hellenistisch-semitischer, im Osten hellenistisch-arischer. Die semitisirten hellenistischen Reiche verfielen wiederum dem Fluche des Semitismus, sie wurden auf der einen Seite von den hellenistischen Ariern, den Parthern, auf der andern von A 20r den Römern über den Haufen | geworfen. Auch die Römer gingen an dem sogenannten Hellenismus, das heißt an einer, vorwiegend semitischen, hellenischen Kultur, zu Grunde und nun schien die Zeit für die Arier des Ostens gekommen, den Westen zu unterwerfen. Die Parther, und nach ihnen die Neuperser, versuchten es, aber – zu ihrem Glücke – trat jetzt das ein, was nach historischen Gesetzen schon lange hätte erfolgen müssen, es trat ein semitischer Stamm, die Araber, an die Spitze des semitischen Orients. Das neupersische Reich erlag ihrem religiösen Fanatismus, und widerstand als semitisches Reich den Stürmen der Seldschucken und Türken, die darüber hinbrausten. Diese letzteren überrannten auch die arabischen Staaten und bemächtigten sich der Herrschaft des ganzen Orients, A 20v die hellenische Kultur | im Osten wurde ausgerottet und in unbändigen Schwärmen brauste der Türkensturm gegen die Pforten des Occidents. Spanien war schon den Semiten verfallen und nun schien k A: raschen 5 Unten, S. 633.

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auch Osteuropa den semitisirten Türken erliegen zu sollen. Aber die Schlachten von Tours auf der einen, von Belgrad auf der andern Seite rettetenl das Abendland vor dem Semitismus und es begann der Rückschlag. Spanien wurde den Semiten entrissen, die Türken wurden immer mehr semitisirt, und auch sie können diese Kultur nicht ertragen, ihre Herrschaft geht unfehlbar daran zu Grunde. Somit der Orient. Wenden wir uns nun dem Occident zu, so fi nden wir dort denselben Gegensatz zwischen Semiten und | Indogermanen. Die Vertreter der A 21r Semiten sind hier die Phoinikier, diejenigen der Indogermanen die Hellenen. In der Urzeit schon hatten die Hellenen vieles von der Kultur der Phoinikier angenommen, waren jedoch nicht semitisirt und konnten also dem verderblichen Einfluß des semitischen Despotismus widerstehen. Allerdings war einmal, im 8. und 7. Jahrhundert, das Hellenenthum in großer Gefahr, dem Semitismus zu verfallen, als Tyrannen in fast allen hellenischen Städten herrschten. Schon hatte Periandros von Korinth die Eunuchen eingeführt, andre Einführungen standen bevor, da erwarb sich die Stadt Sparta das Verdienst, die Tyrannen zu stürzen und Hellas zu retten. Schon in grauer Vorzeit war der dorische Stamm es gewesen, welcher die stark semitisirten | Aeolier, den zuerst herrschenden Stamm, zu Boden geworfen hatte A 21v und die Achaier, die den Semitismus vermöge ihrer leicht zu beeinflussenden und aufzulösenden Natur ebenfalls nicht vertragen konnten, sich unterworfen hatte, jetzt rettete er durch Sparta ganz Hellas vor dem verderblichen Despotismus, während dieselbe Stadt auf ihre constitutionelle Verfassung gestützt, diem stärkste Stütze der hellenischen Staaten war. Aber nun brach der Semitismus auch von Außen gegen das Hellenenthum auf. Bis in den fernsten Westen hatten die Phoinikier ihre Colonien gegründetn, Karthago war deren bedeutendste und überall hin waren ihnen die Hellenen gefolgt und hatten sie wieder vertrieben. Als nun auch Sicilien den Hellenen zuzufallen im Begriff war, da ermannten sich die Phoinikier, an ihrer Spitze Karthago und schritten in | Sicilien ein. Zu gleicher Zeit und im Einverständnis mit A 22r Karthago griffen die Semiten des Ostens, Phoinikier und Perser – diese waren schon semitisirt – das eigentliche Hellas an, um das Handelsmonopol, was die Karthager im Westen aufzurichten suchten, im l A: rettete

m A: der

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Osten wieder zu erlangen. Es war der erste entscheidende Kampf der Indogermanen in Europa mit den Semiten Asiens. Die ewig berühmten Schlachten bei Salamis in Hellas und bei Himera auf Sicilien, die im Jahre 480 und zwar angeblich an demselben Tage, geschlagen wurden, entschieden für ein Jahrtausend die Obmacht der Indogermanen im Mittelmeer. Denn im Westen bekämpften sich Hellenismus und Semitismus so lange ohne Erfolg, bis ein neuer indogermanischer A 22v Stamm, die Italiker [, ] | eingriff, die Macht der Punier brach und die Hellenen in sich auflöste. Im Osten begannen die Hellenen politisch den Angriffskrieg gegen die Semiten; aber in ihre geistige und gemüthliche Kultur drang immer mehr Semitismus ein: der Gedanke von der Nichtigkeit aller Dinge wirkte zersetzend auf gemüthlichem und geistigem Gebiete. Der politische Glanz war allerdings niemals höher gewesen: hatte Sparta das Verdienst gehabt, den schädlichen Einfluß der Semiten in den inneren Angelegenheiten der Staaten zu brechen, so hatte Athen nach Außen hin die Unabhängigkeit von Hellas den Semiten gegenüber gewahrt: aber es riß Despotismus immer mehr ein, und zwar nicht der Despotismus Einzelner, sondern, was schlimmer war, die Ochlokratie des Pöbels, die hellenische A 23r Nation löste sich auf und es gelang | einem ebenfalls hellenistischen Stamme, den Makedonen, Hellas zu unterjochen. Nun begann der Rachezug der hellenischen Kultur gegen das Semitenthum; der Semitismus wurde zertrümmert und hellenische Kultur bis über den Indus hinaus getragen. Aber dabei vermischte sich das Hellenenthum mit dem Semitenthum, auch die Makedonen fühlten den schädlichen Einfluß einer Herrschaft über semitische Völker [, ] dem sie endlich auch erlagen, und es gelang den Italikern, an deren Spitze Rom stand, alle semitischen Reiche nach einander zu unterwerfen, nur bei deno indogermanischen Par thern gelang dies nicht. Nun kamen aber auch die Römer an die Reihe, auch auf sie wirkte der semitische Einfluß A 23v mit seiner Nichtigkeitstheorie und seinem Despotismus | zersetzend, ihre Kultur stürzte von Innen heraus zusammen. Dazu kam noch, daß in aller dieser geistigen und gemüthlichen Auflösung eine neue ursprünglich semitische Religion auftauchte, das Christenthum. Zu gleicher Zeit drangen, früher zurückgewiesen, germanische Völker über Rhein und Alpen, überrannten die schon romanisirten Kelten und zertrümmerten das römische Reich. Vergeblich, daß Diocletiao Fehlt in A: den sinngemäß ergänzt.

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nus auf politischem Gebiete zu reformiren suchte, vergeblich, daß Constantinus durch Annahme des Christenthums dem Kulturkampf ein Ende zu machen und auf geistigem und gemüthlichem Gebiete Ruhe zu schaffen suchte, vergeblich, daß man nach Theodosius Tode dem drohenden Verderben durch Theilung der Regierungsgewalt zuvorzukommen suchte, Rom brach | unaufhaltsam zusammen. Die A 24r Germanen nahmen Provinz um Provinz, ohne Aufsehen ging endlich auch Italien an sie verloren, nur im Osten fristete das byzantinische Reich noch ein Jahrtausend fast sein Dasein, bis Araber, Seldschucken, Türken ihm stufenweise den Garaus machten. Nun handelte es sich darum, wie sich die Germanen dem Christenthum und weiterhin der semitisch-hellenistischen Kultur gegenüber verhielten. Das Christenthum hatte sich in zwei Richtungen geschieden in den monotheistischen u. semitischen Arianismus und den im Grunde polytheistischen Athanasianismus oder Katholizismus. Die Germanen nahmen thörichter Weise mit Ausnahme der Franken den semitischen Arianismus an und nun traten auch alle Folgen des Semitenthums, Zersetzung auf geistigem und gemühtlichem Gebiete und Despotismus ein. Sie nahmen die semitisirte Kultur | der Römer an. A 24v Da brach ein neuer Semiten-Sturm über sie los, dem sie nun nicht mehr gewachsen waren. Es waren die Araber, welche durch fanatischen Weltbekehrungseifer getrieben, in Europa einbrachen und innerhalb eines halben Jahrhunderts alle Inseln, Sicilien und Spanien nahmen. Ein Jahrtausend war es her, seit bei Salamis und Himera der erste Andrang der Semiten von Europa abgeschlagen war, jetzt nahmen diese Rache und in einer Zerstörung ohne Gleichen ging das Germanenthum und der Arianismus des Mittelmeers und die fast tausendjährige Indogermanische Herrschaft daselbst zu Grunde. Lange währte es indessen nicht, so zeigte sich doch wieder das Übergewicht des indogermanischen Stammes und die Mittelmeer|herr- A 25r schaft ging den Semiten zum großen Theile wieder verloren, aber die Nordküste Afrikas ist ihnen nie wieder entrissen worden. Hiermit stehen wir am Schlusse unsrer Betrachtung. Wir sahen so, daß sowohl das Hellenenthum als die römische Kultur durch den Semitismus zu Grunde gingen; wir sahen ferner [, ] daß es dem auf die gemäßigte Zone angewiesenen indogermanischen Stamme weder zuträglich noch möglich ist, sich im Besitze sämmtlicher Küsten des Mittelmeeres zu behaupten; wir sahen ferner, daß der polytheistische Katholizismus der Südeuropäer in der Natur ihres Landes begründet

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ist, während umgekehrt bei uns im Norden der Katholizismus sich eben seiner polytheistischen Natur wegen nicht behaupten kann; | aus allem diesem und wenn wir außerdem noch uns erinnern, wie nahe dem Untergange unsre Nation in den Zeiten des semitischen Despotismus und Absolutismus gewesen ist, sehen wir, daß der indogermanische Stamm Despotismus und Semitismus nicht zu ertragen vermag: ebenso wenig aber ist für uns ein republikanischer Zustand wünschenswerth, das sehen wir an dem Untergange der hellenischen Freistaaten, der römischen Republik und aus den Folgen der französischen Revolution: derjenige Staatszustand also, welcher uns allein zuträglich ist und den anzustreben unser aller Aufgabe sein muß, ist die constitutionelle Verfassung. |

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Anhang II: Von Max Weber besuchte Lehrveranstaltungen 1882 –1886 Aufgeführt werden die in den Briefen Max Webers genannten Lehrveranstaltungen, die er als Student in Heidelberg (1882–1883), Straßburg (1883–1884, hier als Einjährig-Freiwilliger), Berlin (1884–1885) und Göttingen (1885–1886) besuchte. Die Titel sind nach den jeweiligen Vorlesungsverzeichnissen aufgenommen. Mit * gekennzeichnet sind Lehrveranstaltungen, die durch Zahlungsnachweise oder Teilnahmebescheinigung bestätigt sind. SS 1882 – Heidelberg *Bekker, Ernst Immanuel, Institutionen des römischen Rechts, täglich 9–10 Uhr *Ders., Römische Rechtsgeschichte, täglich 10–11 Uhr *Erdmannsdörffer, Bernhard, Geschichte des Revolutionszeitalters (1789–1815), Mo, Di, Do, Fr 12–13 Uhr *Fischer, Kuno, Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre, Di–Fr 7–8 Uhr Ders., Geschichte der neueren Philosophie, Di–Fr 16–17 Uhr Knies, Karl, Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre), täglich 11–12 Uhr Ders., Allgemeine Staatslehre und Politik, fünfmal, 12–13 Uhr WS 1882/83 – Heidelberg *Bekker, Ernst Immanuel, Pandekten, täglich 9–11 Uhr Ders., Privatrechtliches Seminar, wöchentlich 2 Stunden [ohne Tagesangabe, wohl Mo] *Erdmannsdörffer, Bernhard, Geschichte des preußischen Staates von 1640 an, mit besonderer Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Mo, Di, Do, Fr 11–12 Uhr *Ders., Culturgeschichte Italiens im Zeitalter der Renaissance, zweimal wöchentlich 17–18 Uhr [wohl Mo und Fr] Ders., Historische Übungen, einmal wöchentlich 2 Stunden (gratis) [Fr, wohl 18–20 Uhr] *Fischer, Kuno, Geschichte der neuesten durch Kant begründeten Philosophie, Di–Fr 16–17 Uhr Reichlin-Meldegg, Kuno Alexander von, Darstellung und Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie mit besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Gegenwart, dreimal wöchentlich SS 1883 – Heidelberg Bekker, Ernst Immanuel, Privatrechtliches Seminar für Geübtere, 2 Stunden [vermutlich samstags] Erdmannsdörffer, Bernhard, Historische Übungen (Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts), 2 Stunden wöchentlich Heinze, Carl Friedrich Rudolf, Philosophisch-historische Einleitung in das Strafrecht (Strafrechtstheorien und Geschichte des Strafrechts), Mo und Do 17–18 Uhr *Ders., Strafrecht, mit besonderer Berücksichtigung des Strafgesetzbuchs für das deutsche Reich, täglich 10–11 Uhr *Karlowa, Otto, Familien- und Erbrecht, Di–Sa 12–13 Uhr *Knies, Karl, Allgemeine Volkswirthschaftslehre (theoretische Nationalökonomie), täglich 11–12 Uhr

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Anhang II: Von Weber besuchte Lehrveranstaltungen

*Schulze, Hermann, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, täglich 8–9 Uhr (vom 17. Juli ab 7–8 Uhr) WS 1883/84 – Straßburg1 Baumgarten, Hermann, Übungen im historischen Seminar für neuere Zeit, Mi 18–20 Uhr SS 1884 – Straßburg Baumgarten, Hermann, Übungen im Seminar für neuere Geschichte, Mi 18–20 Uhr WS 1884/85 – Berlin Aegidi, Ludwig, Völkerrecht, Mo, Di, Do, Fr 12–13 Uhr Beseler, Georg Karl, Deutsches Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, Mo, Di, Do, Fr 9–11 Uhr Brunner, Heinrich, Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, Mi und Sa 11–13 Uhr Gneist, Rudolf, Deutsches Staatsrecht, Mo, Di, Do, Fr 11–12 Uhr Ders., Preußisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Mi und Sa 9–11 Uhr Treitschke, Heinrich von, Über Staat und Kirche, Di 18–19 Uhr SS 1885 – Berlin Brunner, Heinrich, Handels- und Seerecht, Mi und Sa 11–13 Uhr Gneist, Rudolf, Deutscher Strafproceß, Mi und Sa 9–11 Uhr Grafe, Eduard, Erklärung der Briefe an die Korinther, fünfmal, außer Montags, 12–13 Uhr, privatim Hoeniger, Robert, Kollegs und Übungen (Geschichte) WS 1885/86 – Göttingen *Bar, Carl Ludwig von, Civilproceß, fünfmal wöchentlich 10–11 Uhr *Dove, Richard Wilhelm, Kirchenrecht einschließlich des Eherechts, täglich 8–9 Uhr *Frensdorff, Ferdinand, Deutsches Verwaltungsrecht, Di, Do und Fr, 12–13 Uhr *Regelsberger, Ferdinand, Praktische Übungen im Civilrecht, Do 16–18 Uhr *Schröder, Richard, Handelsrechtliches Practicum, Mi 16–18 Uhr

1 Für die beiden Straßburger Semester berichtet Max Weber in seinen Briefen nur von den Übungen bei Hermann Baumgarten. Die Vorlesungen der Juristen Franz Peter Bremer und Rudolph Sohm sind in seinem Lebenslauf vom August 1889 (MWG I/1, S. 352) nur ganz allgemein erwähnt. Sohm habe er allerdings „[m]it einiger Regelmäßigkeit“ gehört, wie er im Lebenslauf vom Oktober 1891 (ebd., S. 353) angibt. Nicht bekannt ist, welche Kollegien er tatsächlich gehört hat. Bremer las im Wintersemester 1883/84 „Römische Rechtsgeschichte“, Mo–Fr 11–12 Uhr, „Erbrecht als Theil der Pandekten“, Mo–Mi 10–11 Uhr und „Ausführlicher Cursus des französischen Civilrechts (Schenkung und Erbrecht)“, Do 16–18 Uhr (vgl. Verzeichniß der Vorlesungen Straßburg, WS 1883/84, S. 5 f.), und im Sommersemester 1884 „Römisches Familienrecht als Theil der Pandekten“, Fr und Sa 11–12 Uhr, „Ausführlicher Cursus des französischen Civilrechts: eheliches Güterrecht (contrat de mariage)“, Mi 8–10 Uhr, sowie „Die großen Juristen des 16. Jahrhunderts“, Sa 10–11 Uhr (vgl. ebd., SS 1884, S. 5 f.); Sohm las im Wintersemester 1883/84 „Institutionen des römischen Rechts“, Mo–Fr 12–13 Uhr, und „Kirchenrecht und Eherecht“, Mo–Fr 15–16 Uhr (vgl. ebd., WS 1883/84, S. 5 f.), sowie im Sommersemester 1884 „Pandekten mit Ausschluß des Familien- und Erbrechts“, Mo–Fr 8–10 Uhr (vgl. ebd., SS 1884, S. 5).

Verzeichnisse und Register

Personenverzeichnis

Dieses Verzeichnis berücksichtigt alle Personen, die in den Briefen Max Webers selbst Erwähnung fi nden, mit Ausnahme von allgemein bekannten Persönlichkeiten. In den Anhangtexten genannte Personen sind nicht aufgenommen.

Adolf (Onkel) → Hausrath, Adolf Aegidi, Ludwig Karl James (Pseudonym: Ludwig Helfenstein) (10.4.1825– 20.11.1901). Jurist, Politiker und Schriftsteller. Bis August 1851 Studium u. a. der Rechtswissenschaft in Heidelberg, Berlin und Göttingen; 1853 Habilitation und Privatdozent für Rechtsenzyklopädie, Kirchenrecht, Staats- und Völkerrecht in Göttingen, 1854 a. o. Professor in Erlangen; 1859–68 Geschichtslehrer am akademischen Gymnasium in Hamburg; 1868 o. Professor des Staatsrechts in Bonn, seit 1877 Honorarprofessor an der juristischen Fakultät der Universität Berlin. Bereits vor 1848 engagierter Burschenschafter, 1867–68 Mitglied des Norddeutschen Reichstags für die Freikonservative Partei, die er mitbegründet hat; 1871 durch Bismarck als Vortragender Rat in die politische Abteilung des Auswärtigen Amtes berufen, Leiter des Pressewesens. 1873–93 MdprAH. Verbindungsbruder der Hannovera Göttingen und Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. Pate von → Clara Weber. Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Aegidi, Martha, geb. von Sanden-Tussainen (14.8.1844–nach Januar 1922). Seit 1862 verheiratet mit → Ludwig Karl James Aegidi. Ahrens, Fräulein (?–?). 1876/77 Hausdame von Max Webers Heidelberger Großmutter → Emilie Fallenstein. Albers, Marie (14.1.1839–?). Berliner Freundin von → Helene Weber und → Ida Baumgarten. Albrecht Markgraf von Brandenburg (28.6.1490–24.9.1545). Erzbischof von Mainz. 1506 Gründer der Universität Frankfurt an der Oder. 1513 Erzbischof von Magdeburg, 1514 Erzbischof und Kurfürst von Mainz; 1518 Kardinal. Alexandrine von Preußen (23.2.1803–21.4.1892). Erbgroßherzogin von Mecklenburg. Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.; heiratete 1822 Erbgroßherzog Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin. Alexis, Willibald → Häring, Georg Wilhelm Heinrich

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Alt, Paul (1842–nach 1913). Arzt. 1864 Promotion zum Dr. med. in Berlin. Praktizierte als Arzt in der Charlottenburger Leibnizstraße 90, in der Nachbarschaft zum Haus der Familie Weber. Althoff, Friedrich (19.2.1839–20.10.1908). Preußischer Ministerialbeamter und Jurist. 1872 Dr. jur. h. c. in Straßburg, danach a. o. Professor ebd., 1880 o. Professor für französisches und modernes Zivilrecht ebd., 1891 in Bonn, 1896 o. Honorarprofessor in Berlin. 1871 als Referent in der Verwaltung der Reichslande von Elsaß-Lothringen zuständig u. a. für die Neugründung der Universität Straßburg, 1882 als vortragender Rat Leiter des Universitätsreferats im preußischen Kultusministerium; 1897–1907 Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für das Universitäts- und höhere Unterrichtswesen. Bedeutender Organisator des preußischen Hochschulwesens. Marcus Antonius (14.1.82 v. Chr.–1.8.30 v. Chr.). Römischer Politiker und Feldherr. Seit 54 v. Chr. in Gallien, enger Weggefährte → Caesars; durch dessen Unterstützung Ämterlaufbahn bis zum Konsulat 44 v. Chr. Bildete nach der Ermordung Caesars mit Gaius Octavius (→ Augustus) und Marcus Aemilius Lepidus das zweite Triumvirat (Oktober 43. v. Chr.), das das Reich nach Ausschaltung der republikanischen Opposition unter sich aufteilte. 44/43 v. Chr. von → Cicero in dessen 14 Philippischen Reden (Philippicae) als Gefahr für Rom attackiert. 33 v. Chr. Konflikt mit Octavius, 31 v. Chr. Niederlage in der Schlacht bei Actium, 30 v. Chr. Suizid. Titus Pomponius Atticus (um 110–31.3.32 v. Chr.). Römischer Aristokrat. Enger Freund von → Cicero, unterstützte diesen gegen → Catilina. Ihm ist Ciceros Schrift „Laelius de amicitia“ gewidmet. Augusta, Marie Luise Katharina von Sachsen-Weimar-Eisenach (30.9.1811– 7.1.1890). Verheiratet mit → Kaiser Wilhelm I. Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen. Augustus (eigentlich: Gaius Octavius, seit seiner Adoption durch Caesar: Octavianus) (23.9.63 v. Chr.–19.8.14 n. Chr.). Erster römischer Kaiser. Bildete nach der Ermordung → Gaius Iulius Caesars mit → Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus das zweite Triumvirat (Oktober 43. v. Chr.), das das Reich nach Ausschaltung der republikanischen Opposition unter sich aufteilte, setzte sich bis 31 v. Chr. (Schlacht bei Actium) gegen die anderen Triumvirn durch. Sicherte unter Wahrung der republikanischen Traditionen seine Stellung als Alleinherrscher durch Ämterbündelung (sog. Prinzipat). Erhielt 27 v. Chr. vom Senat den Beinamen Augustus („der Erhabene“). Bamberger, Ludwig (22.7.1823–14.3.1899). Liberaler Politiker und Publizist. 1868–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–93 MdR, zunächst für die Nationalliberalen. 1880 Mitbegründer der Liberalen Vereinigung

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(„Sezession“), betrieb 1884 deren Zusammenschluß mit der Deutschen Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei. Tätigkeit als finanzpolitischer Berater Bismarcks, später Gegner seiner Schutzzoll- und Kolonialpolitik. Bar, Axelena von, geb. Blohm (1847–1912). Tochter des Gründers der Hamburger Werft Blohm & Voß, seit 1869 verheiratet mit → Karl Ludwig von Bar. Bar, Karl (auch: Carl) Ludwig von (24.7.1836–20.8.1913). Jurist. 1853–57 Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Berlin, 1858 Promotion zum Dr. jur.; danach Auditor und Richter beim Obergericht in Göttingen; 1863–66 Habilitation und Privatdozent in Göttingen; 1866 o. Professor für Strafrecht und Zivilprozeß in Rostock, 1868 in Breslau, seit 1879 in Göttingen. 1890–93 MdR. Verfaßte neben dem „Handbuch des deutschen Strafrechts“ (1882) zahlreiche Arbeiten zum Privat- und Strafrecht. Akademischer Lehrer Max Webers in Göttingen. Barnay, Ludwig (eigentlich: Ludwig Weiß) (11.2.1842–1.2.1924). Schauspieler und Theaterdirektor. Charakter- und Heldendarsteller u. a. in Budapest, Graz, Leipzig, Wien und 1874 im Meininger Ensemble; zahlreiche Gastspiele, 1878 auch in Berlin. 1871 Initiator der „Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger“, 1883 Mitgründer und seit 1887 Leiter des Deutschen Theaters in Berlin, 1906 Direktor des Königlichen Schauspielhauses in Berlin. Bassermann, Heinrich (12.7.1849–29.8.1909). Evangelischer Theologe. 1873 Hilfsprediger in Arolsen; 1876 Privatdozent in Jena, 1876 a. o. Professor in Heidelberg, 1880 o. Professor für Praktische Theologie ebd., 1884 Universitätsprediger und Direktor des Theologischen Seminars ebd., das 1894 zum Predigerseminar umgewidmet wurde. 1875–1900 Mitherausgeber der „Zeitschrift für praktische Theologie“. Baum (?–?). Schwester von → Gustav Adolf Baum und Tochter von Johann Wilhelm Baum und → Mathilde Baum, geb. Böckel. Baum, Gustav Adolf (10.7.1862–14.4.1886). Historiker. Studium der Philologie und Geschichte in Straßburg, u. a. bei → Hermann Baumgarten, 1885 Promotion zum Dr. phil. ebd. Sohn von Johann Wilhelm und → Mathilde Baum, geb. Böckel. Baum, Mathilde, geb. Böckel (7.2.1839–6.4.1910). Witwe des Elsässer Theologen Johann Wilhelm Baum (1809–1878). Enge Freundin von → Ida Baumgarten. Baumgarten, Anna (18.10.1868–1.12.1943). Tochter von → Hermann Baumgarten und → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber.

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Baumgarten, Elisabeth (Else), geb. Georgii (9.8.1859–24.8.1924). Tochter von → Theodor Georgii und → Marie Georgii, geb. Stockmayer. Seit 1885 verheiratet mit Max Webers Vetter → Friedrich (Fritz) Baumgarten. Baumgarten, Emily Alice, geb. Fallenstein (1850–9.11.1883). Tochter von Otto T. Fallenstein und Alice Fallenstein, geb. Thompson. Wuchs in England und Australien auf. Seit Januar 1883 verheiratet mit ihrem Vetter → Otto Baumgarten; Halbschwester von → Laura Fallenstein. Starb mit ihrem Sohn Eberhard kurz nach dessen Geburt. Baumgarten, Emmy (18.2.1865–5.10.1946). Tochter von → Hermann Baumgarten und → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Cousine und Jugendfreundin von Max Weber. Baumgarten, Friedrich (Fritz) (14.7.1856–26.2.1913). Klassischer Philologe und Kunsthistoriker. 1875–81 Studium der Klassischen Philologie und Archäologie in Straßburg, Berlin (1877–78) und Bonn, 1881 Promotion zum Dr. phil. ebd.; 1881–83 Hauslehrer des Konsuls Wilberg u. a. in Athen; 1883–84 Lehramtsanwärter in Freiburg i. Br. und 1884–85 in Mannheim, 1885 Gymnasiallehrer in Wertheim, 1889 in Offenburg und 1893 in Freiburg i. Br.; 1903 Habilitation in Kunstgeschichte und Honorarprofessor an der Universität ebd. Sohn von → Hermann Baumgarten und → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Vetter von Max Weber und seit 1878 engerer Briefkontakt. Baumgarten, Helene (11.4.1873–15.4.1880). Tochter von → Hermann Baumgarten und → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Baumgarten, Hermann (28.4.1825–19.6.1893). Historiker und Publizist. 1842–48 Studium der Philologie und Geschichte in Jena, Halle, Leipzig, Bonn und Göttingen; 1848 zunächst Gymnasiallehrer, dann Redakteur der „Deutschen Reichszeitung“ in Braunschweig; anschließend zu historischen Studien in Heidelberg und München, 1859 als Publizist in Berlin; 1861 o. Professor der Geschichte und Literatur am Polytechnikum in Karlsruhe, seit 1872 o. Professor in Straßburg. Verfasser mehrerer größerer Werke zur spanischen Geschichte und zu → Karl V. Liberal-kleindeutsch, später Kritiker Bismarcks und der inneren Entwicklung des Deutschen Reiches. Seit 1855 verheiratet mit → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein. Onkel von Max Weber, dessen akademischer Lehrer und häufiger Gesprächspartner während des Militärdienstes 1883/84 in Straßburg. Baumgarten, Ida, geb. Fallenstein (29.4.1837–18.6.1899). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein und → Emilie Fallenstein, geb. Souchay, Schwester von → Helene Weber. Seit 1855 verheiratet mit dem Historiker → Hermann Baumgarten, Mutter von → Otto, → Friedrich (Fritz), → Emmy, → Anna und → Helene Baumgarten. Tante von Max Weber in Straßburg.

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Baumgarten, Marie (29.6.1830–?). Unverheiratete Schwester von Max Webers Onkel → Hermann Baumgarten. Baumgarten, Otto (29.1.1858–21.3.1934). Evangelischer Theologe. 1882 am Heidelberger Predigerseminar, dort theologisches Hauptexamen; Dez. 1882–Mai 1883 Stadtvikar in Baden-Baden, 1883–87 in Waldkirch; 1887– 1888 Lizentiat in Halle, 1888 Prediger am Waisenhaus in Berlin-Rummelsburg; 1890 Habilitation in Berlin, a. o. Professor in Jena, 1894–1926 o. Professor für Praktische Theologie in Kiel. Sohn von → Hermann Baumgarten und → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein; seit Januar 1883 verheiratet mit → Emily Alice Baumgarten, geb. Fallenstein. Vetter von Max Weber, 1889 Opponent bei dessen Disputation; seit der Studienzeit in Heidelberg freundschaftlich mit ihm verbunden. Baumgarten, Wilhelm (19.3.1828–3.10.1903). Jurist und Politiker. 1847–51 Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen; seit 1855 im Justizdienst in Wolfenbüttel. 1861 Amtsrichter in Hasselfelde, 1872 Kreisrichter in Holzminden und 1877 in Braunschweig. Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung in Hasselfelde und Holzminden, 1864–83 Mitglied der Braunschweigischen Landesversammlung; 1884–87 MdR für die Deutsche Fortschrittspartei, Wahlkreis Holzminden-Gandersheim (als Gegenkandidat von → Maximilian (Max) Weber sen.). Bazaine, François Achille (13.2.1811–23.9.1888). Französischer General, Marschall von Frankreich. 1854 Brigadegeneral, 1863 Divisionskommandeur in Mexiko, 1864 Marschall von Frankreich, 1870 Befehlshaber der Rheinarmee im deutsch-französischen Krieg. Befahl nach der Schlacht bei Gravelotte/St. Privat (18. August 1870) den Rückzug der Rheinarmee nach Metz, wo sie nach Belagerung im Oktober 1870 kapitulierte. 1873 Todesurteil, anschließend Begnadigung zu 20 Jahren Haft wegen Pflichtverletzung; 1874 Flucht und Exil. Bekker, Ernst Immanuel (16.8.1827–29.9.1916). Jurist, führender Pandektist. 1844–47 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, Heidelberg u. a., 1849 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1853 Habilitation für Römisches Recht in Halle; 1855 a. o. Professor ebd., 1857 o. Professor der Rechte in Greifswald, 1874 als Nachfolger Windscheids in Heidelberg. Herausgeber der „Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ und des „Jahrbuchs des gemeinen deutschen Rechts“. Neben juristischen Arbeiten („Die Aktionen des römischen Privatrechts“, 2 Bände, 1871–73) breites publizistisches Wirken im Bereich der Geistes- und Naturwissenschaften. Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg. Benda, Robert von (18.2.1816–16.8.1899). Jurist und Politiker. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in München und Berlin in der preußischen Verwaltung tätig, dann auf dem Rittergut der Familie. 1859–98

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MdprAH, 1867 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–98 MdR für die Nationalliberale Partei. Benecke, Auguste (25.11.1874–3.8.1952). Tochter von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Benecke, Dorothea (Dora) (4.6.1867–14.6.1951). Tochter von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Benecke, Elfriede (14.7.1882–10.6.1940). Tochter von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Benecke, Emilie (Nixel), geb. Fallenstein (4.3.1846–14.12.1922). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein und → Emilie Fallenstein, geb. Souchay. Jüngere Schwester von → Helene Weber. Heiratete 1866 → Ernst Wilhelm Benecke. Lebte mit ihrer Familie von 1872 bis 1919 in Straßburg und zeitweilig in dem von ihrem Mann gekauften Haus Ziegelhäuser Landstraße 29 (später Nr. 1) in Heidelberg. Tante von Max Weber. Patin von → Clara Weber. Benecke, Ernst Wilhelm (16.3.1838–7.3.1917). Geologe und Paläontologe. 1862 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1865 Habilitation ebd.; 1869 a. o. (Titular-)Professor in Heidelberg, 1872 o. Professor in Straßburg. Verheiratet mit Max Webers Tante → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Benecke, Hans (9.8.1884–2.2.1898). Jüngster Sohn von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Benecke, Margarete (19.8.1877–10.1.1960). Tochter von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Benecke, Marie (2.9.1873–15.1.1956). Tochter von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Benecke, Otto (2.8.1879–21.11.1903). Sohn von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Benecke, Wilhelm (23.9.1868–14.2.1946). Botaniker. Naturwissenschaftliches Studium in Straßburg, Berlin, Zürich und Jena, 1892 Promotion zum Dr. phil. ebd., 1896 Habilitation in Straßburg; 1900 Titularprofessor in Kiel,

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1907 a. o. Professor ebd., 1909 a. o. Professor in Bonn, 1911 in Berlin, 1914 o. Professor ebd., 1916 o. Professor und Direktor des Botanischen Instituts in Münster. Sohn von → Ernst Wilhelm Benecke und → Emilie (Nixel) Benecke, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Bennigsen, Rudolf von (10.7.1824–7.8.1902). Liberaler Politiker und Jurist. Zusammen mit → Johannes von Miquel Begründer des Deutschen Nationalvereins; 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–83 und 1887–98 MdR für die Nationalliberale Partei, 1867–83 MdprAH, 1873–79 dessen Präsident. Führender Repräsentant des um Ausgleich mit Bismarck bemühten Nationalliberalismus; seit 1871 in der Spitze der nationalliberalen Reichstagsfraktion; lehnte 1877/78 ein Angebot Bismarcks auf Übernahme eines Ministeramts ab; 1883 Niederlegung beider Mandate im Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus. Beringer, Karl Friedrich (30.8.1863–?). Sohn des Charlottenburger Fabrikbesitzers Christian August Beringer; 1882 Abitur am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Charlottenburg. Mitschüler Max Webers und 1879 zusammen mit ihm konfirmiert. Bertha (?–?). 1876 Dienstmädchen im Charlottenburger Haus der Familie Weber. Beseler, Georg Karl Christoph (2.11.1809–28.8.1888). Jurist. 1827–31 Studium der Rechtswissenschaften, 1833 Promotion zum Dr. jur. et phil. in Kiel, im selben Jahr Habilitation und Privatdozent ebd. Nach Verweigerung der Bestätigung des Doktordiploms durch den König von Dänemark Promotion und 1834 Habilitation in Heidelberg, Privatdozent für Deutsches Privatrecht ebd., 1835 a. o. und 1836 o. Professor für Römisches Recht in Basel, 1837 in Rostock, 1842 in Greifswald und seit 1859 o. Professor für deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privat-, Handels- und Staatsrecht in Berlin. 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung (Casino-Fraktion), 1849–52 und 1860 MdprAH, 1874–81 MdR (Nationalliberale), seit 1875 MdprHH (1882–87 als Vizepräsident). Hauptwerk: „System des gemeinen deutschen Privatrechts“ (3 Bände). Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Beudet, Henri (?–24.1.1885). Französischer Ballonfahrer und Artist. Sohn des Direktors der städtischen Gasfabrik in Bourg (Frankreich). Trat international mit artistischen Ballonfahrten auf, u. a. 1875 in Berlin. Starb an den Folgen eines Absturzes in Lissabon. Marcus Calpurnius Bibulus (um 103–48 v. Chr.). Politiker der späten römischen Republik. Langjähriger Gegner → Caesars, gemeinsam mit diesem im Jahr 59 v. Chr. Konsul. Im Bürgerkrieg übernahm er den Oberbefehl über die Flotte des → Pompeius im Kampf gegen Caesar.

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Biedermann, Alois Emanuel (2.3.1819–25.1.1885). Reformierter Schweizer Theologe. Seit 1843 Pfarrer in Münchenstein bei Basel; 1850 ohne Promotion a. o. Professor an der Universität Zürich, 1864 o. Professor ebd. Verfasser eines Leitfadens für den Religionsunterricht an Gymnasien. Werke zur Dogmatik, die Max Weber in seiner Heidelberger Studienzeit rezipierte. Blum, Wilhelm (15.7.1831–18.2.1904). Jurist und nationalliberaler Politiker. 1868 Promotion zum Dr. jur. in Berlin. 1869–82 und 1889–92 Mitglied des Badischen Landtags; 1871–84 MdR für die Nationalliberalen, bei diesen Anhänger der „Neustädter Richtung“. Blume, Fräulein (?–?). In den 1870er Jahren zeitweilig Nachbarin der Familie Weber in Charlottenburg, wohnhaft in der Leibnizstraße 20. Blume, Paul (3.1.1860–7.7.1942). Jurist. 1882–87 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Berlin und Göttingen; 1887–93 Referendar, 1893 Gerichtsassessor und dann Richter in Preußen. Verbindungsbruder von Max Weber 1882/83 in der Allemannia Heidelberg. Bluntschli, Emma (1845–1890). Unverheiratete Tochter des in Heidelberg lehrenden Schweizer Juristen Johann Caspar Bluntschli und dessen Frau Emilie Bluntschli, geb. Vogel. Bockum-Dolffs, Florens Heinrich Gottfried von (19.2.1802–8.2.1899). Nationalliberaler Politiker. 1837 Landrat; 1849 MdprHH, 1852–85 MdprAH, 1871–84 MdR. Boissier, Gaston (15.8.1823–10.6.1908). Französischer Philologe. Studium der Philologie in Paris; seit 1846 Dozent für Rhetorik in Angoulême und Nîmes; 1857 Professor für Rhetorik am Lycée Charlemagne in Paris, 1869 o. Professor für lateinische Poesie am Collège de France, 1885 für die Geschichte der lateinischen Literatur ebd. Arbeiten über → Cicero und Tacitus sowie archäologische Schriften. Borchart, Frau (?–?). Vermutlich Hausangestellte der Familie Weber in Charlottenburg. Borchart, Tochter (?–?). Tochter von → Frau Borchart, einer Bediensteten der Familie Weber in Charlottenburg. Brehme, Eduard Adolph (11.6.1831–1906). Arzt. 1855 Promotion zum Dr. med. in Berlin. 1860 Niedergelassener Arzt in Erfurt, 1870 Dirigierender Arzt des Evangelischen Krankenhauses ebd., 1882 Leiter des Städtischen Krankenhauses ebd. Bekannter von → Maximilian (Max) Weber sen. in Erfurt.

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Brendicke, Hans (19.11.1850–8.4.1925). Philologe und Lehrer. 1876 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1879 Staatsexamen ebd.; später Turnlehrer in Berlin. Gab verschiedene Zeitschriften („Der Sammler“, „Deutsche Briefmarken-Zeitung“ u. a.) sowie Schriften zur Geschichte des Turnens heraus. Unterrichtete 1876 vertretungsweise am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg. Brunner, Felicitas, genannt „Tante Felix“ (?–1900). Wirtin. 1846–88 Inhaberin des Studentenlokals „Zum Roten Ochsen“ in Heidelberg, in dem Max Weber verkehrte. Brunner, Heinrich (21. oder 22.6.1840–11.8.1915). Österreichischer Jurist und Rechtshistoriker. Seit 1858 Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte und historischen Hilfswissenschaften in Wien, 1861–63 Mitglied des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1864 Promotion zum Dr. jur. in Wien, 1865 Habilitation und Privatdozent für Deutsches Privatrecht und Deutsche Rechtsgeschichte ebd.; 1866 a. o. Professor, 1868 o. Professor in Lemberg, 1870 in Prag, 1872 in Straßburg und von 1872–1915 in Berlin. Führender Erforscher der germanisch-fränkischen und frühen deutschen Rechtsgeschichte; gilt als Begründer der modernen deutschrechtshistorischen Forschung. Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Marcus Iunius Brutus (85 v. Chr.–23.10.42 v. Chr.). Römischer Politiker. 53 v. Chr. Quästor in Kilikien. Einer der Mörder von → Caesar. Buckle, Henry Thomas (24.11.1821–29.5.1862). Englischer Historiker. Sohn eines vermögenden Kaufmanns und Reeders. Verfaßte als Autodidakt ein vielbeachtetes Werk zur „History of Civilization in England“ (2 Bände, 1857/62), das → Droysen zu einer grundlegenden Erwiderung aus geschichtstheoretischer Sicht animierte. Buhl, Heinrich (2.6.1848–4.2.1907). Jurist. 1869 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg, 1875 Habilitation ebd.; 1878 a. o. Professor ebd., 1884 Honorarprofessor ebd., 1886 o. Professor ebd. Arbeiten zur römischen Rechtsgeschichte sowie zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Bulmerincq, August von (12.8.1922–18.8.1890). Deutsch-russischer Jurist. 1854 Privatdozent für Handels- und Seerecht an der Universität Dorpat, 1856 Promotion ebd.; a. o. Professor und 1858 o. Professor für Staats- und Völkerrecht, 1867–70 Prorektor ebd., 1882 o. Professor für Staatsrecht und Politik als Nachfolger Johann Caspar Bluntschlis in Heidelberg. 1873 Gründungsmitglied des Institut du Droit International in Genf. Bülow, Oskar (seit 1877) von (11.9.1837–19.11.1907). Jurist. 1859 Promotion zum Dr. jur. in Breslau, 1863 Habilitation für Römisches Recht in Heidel-

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berg; 1865 a. o. Professor in Gießen, 1867 o. Professor für Römisches Recht und Zivilprozeßrecht ebd., 1872 o. Professor für Römisches Recht in Tübingen, 1885 o. Professor in Leipzig. Zahlreiche Arbeiten zum Zivilprozeßsowie zum Richterrecht. Bunge, Carl Gustav (1811–1884). Kaufmann. Inhaber einer Firma für Tabakimport in Amsterdam. Ehemann von → Laura Bunge, geb. Fallenstein. Bunge, Gustav Carl Christoph (30.8.1863–?). Fabrikant in Hönningen (Rhein). Sohn von → Gustav Otto Bunge und Adele Bunge, geb. Andreae. Bunge, Gustav Otto (1.4.1821–25.2.1891). Geschäftsmann in Köln. Bruder von → Carl Gustav Bunge; verheiratet mit Adele Bunge, geb. Andreae. Bunge, Laura, geb. Fallenstein (5.8.1820–21.8.1899). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein aus dessen erster Ehe mit Elisabeth Fallenstein, geb. Benecke. Halbschwester von → Helene Weber. Verheiratet mit → Carl Gustav Bunge. Bury, Melanie (?–29.4.1915). Erzieherin. Leitete seit 1870 eine Privatschule für Mädchen in Heidelberg und unterrichtete die Kinder von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein, in Französisch. Busch, Moritz (13.1.1821–21.11.1899). Journalist und Kriegsberichterstatter. 1871–73 Anstellung im Auswärtigen Amt, offiziöser Publizist im Dienst Bismarcks. Buschbeck, Fanny (?–?). Zusammen mit → Regina Müller Wirtin Max Webers im „Waldhorn“ in Heidelberg im Sommersemester 1882. Büsing, Otto Heinrich Johann (28.3.1837–12.1.1916). Anwalt und Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Kiel, Jena, Heidelberg und Rostock; 1863 Niederlassung als Rechtsanwalt ebd.; 1868 Mitglied des Rostocker Senatskollegiums und Gerichtspräsident. 1871–73 und 1887–90 MdR für die Nationalliberale Partei. Büsing, Otto Hermann Ludwig (8.9.1867–26.4.1945). Militär. Sohn von → Otto Heinrich Johann Büsing. Marcus Caelius Rufus (um 88–48 v. Chr.). Römischer Politiker. Bekannt durch den Briefwechsel mit → Cicero, der ihn vor Gericht gegen eine Mordanklage vertrat („pro Caelio“). Gaius Iulius Caesar (13.7.100–15.3.44 v. Chr.). Römischer Politiker und Feldherr. 60 v. Chr. erstes Triumvirat mit → Marcus Licinius Crassus und → Gnaeus Pompeius Magnus; 59 v. Chr. Konsul. Bis 51 v. Chr. Eroberung Gal-

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liens. Gelangte infolge des Bürgerkriegs (ab 49 v. Chr.) gegen seinen früheren Verbündeten Pompeius zur Alleinherrschaft in Rom; 44 v. Chr. zum Diktator auf Lebenszeit ernannt, was zu seiner Ermordung durch einen Verschwörerkreis um → Brutus führte. Caligula (eigentlich: Gaius Caesar Augustus Germanicus) (31.8.12–24.1.41). Römischer Kaiser. Als Nachfolger des Tiberius berüchtigt für seine vermeintliche Gewaltherrschaft, die 41 n. Chr. zu seiner Ermordung führte. Carlyle, Thomas (4.12.1795–5.2.1881). Schottischer Schriftsteller und Historiker. Ein wichtiger Vertreter des schottischen Puritanismus. Bekannt durch seine Werke „On heroes, hero-worship, and the heroic in the history“ (1841) und „Oliver Cromwell’s letters and speaches“ (1845). In seinen historischen Werken vertrat er ein teleologisches Geschichtsbild (Biographien Cromwells und Friedrichs II.). In der Schrift „Past and Present“ (1843) verurteilte er scharf den Materialismus („Mammonismus“) seiner Zeit. Lucius Sergius Catilina (ca. 108–62 v. Chr.). Römischer Politiker. 68 v. Chr. Praetor, 67–66 v. Chr. Statthalter der Provinz Africa. Ende 66 v. Chr. Teilnahme an der sog. 1. Catilinarischen Verschwörung, 64 und 63 v. Chr. erfolglose Bewerbung um ein Konsulat, trotz der Unterstützung durch → Caesar und → Crassus. 63 v. Chr. Beteiligung an der Vorbereitung eines Staatsstreiches, nach dessen Aufdeckung von → Cicero in seinen vier Reden „In Catilinam“ der Verschwörung angeklagt und zum Verlassen Roms gezwungen. Fiel 62 v. Chr. im Kampf gegen Truppen des Senats. Marcus Porcius Cato Censorius, Cato der Ältere (234–149 v. Chr.). Römischer Politiker, Redner und Schriftsteller. 195 v. Chr. Consul, 184 v. Chr. Censor. Berühmt als strenger Verfechter altrömischer Tugenden; mit seiner Schrift „De agricultura“, dem ältesten erhaltenen lateinischen Prosawerk, zugleich der früheste römische Agrarschriftsteller. Quintus Lutatius Catulus (?–ca. 61/60 v. Chr.). Römischer Politiker. Durchlief als Patrizier den cursus honorum, 78 v. Chr. Konsulat mit Marcus Aemilius Lepidus. In der Folgezeit Wortführer im Senat („primus inter pares“), sprach sich 63 v. Chr. für die Hinrichtung der inhaftierten Verschwörer um → Catilina und eine Anklage gegen → Caesar als Mitverschwörer aus. Channing, William Ellery (7.4.1780–2.10.1842). Amerikanischer Geistlicher und Schriftsteller. Studium in Newport und Harvard (bis 1798); Anstellung als Hauslehrer in Richmond; seit 1803 Prediger in Boston. Vertreter des Unitarismus und einer liberalen Theologie. Seine Predigten und Schriften fanden auch in Deutschland weite Verbreitung. Max Weber beschäftigte sich, angestoßen vor allem durch seine Tante → Ida Baumgarten, seit seinem Militärjahr in Straßburg intensiver mit dessen Schriften.

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Marcus Tullius Cicero (3.1.106–7.12.43 v. Chr.). Römischer Jurist und Politiker, Schriftsteller und Philosoph. 75 v. Chr. Quästor, 69 v. Chr. Ädil, 66 v. Chr. Prätor. Bedeutender Redner und Verfasser zahlreicher sozial- und staatsphilosophischer Schriften („De republica“ und „De legibus“). Schlug 63 v. Chr. als Konsul den antirepublikanischen Umsturzversuch → Catilinas nieder und prangerte die Verschwörung in seinen vier Reden gegen Catilina (In Catilinam I–IV) an; scheiterte letztlich, die republikanische Staatsform und damit die Herrschaft des Senats in Rom zu erhalten. Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus (1.8.10 v. Chr.–13.10.54 n. Chr.). Römischer Kaiser. In seine Regentschaft fiel der Übergang der Verwaltung des Reiches auf Zentralbehörden, die von Freigelassenen gelenkt wurden, sowie die Trennung von kaiserlichem Fiskus (Staatsgut) und kaiserlichem Privatvermögen. Dehnte das Bürgerrecht auf Provinziale aus. Tod durch Giftmord. Clauss, Marianne (Mary), geb. Fischer (1854–1930). Seit 1877 verheiratet mit Theodor Clauss. Tochter von → Kuno Fischer und → Marie Fischer, geb. le Mire. Cleveland, Grover (18.3.1837–24.6.1908). Amerikanischer Präsident. Studium der Rechtswissenschaften in Buffalo. 1882 Bürgermeister ebd.; 1883 Gouverneur (Democrats) von New York; 1885–89 und 1893–97 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Cohn, Friedrich (Fritz) Theodor (22.1.1864–14.2.1936). Verlagsbuchhändler. 1893 Mitinhaber der Firma F. Fontane & Co., gründete 1903 die Firma Egon Fleischel, die 1921 mit der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart-Berlin verschmolz. Seit 1896 verheiratet mit der Schriftstellerin Clara Viebig; wohnte seit 1905 in Berlin-Zehlendorf, wo er ein offenes Haus führte, in dem Schriftsteller wie Helene Böhlau und Julius Hart verkehrten. Schulfreund von Max Weber, Sohn von → Wilhelm Cohn. Cohn, Wilhelm (15.4.1828–26.2.1891). Fabrikant und Politiker. 1851 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1867–76 Stadtverordneter in Charlottenburg; 1877–79 MdprAH; seit 1876 im Vorstand der Nationalliberalen Partei. Vater von → Friedrich (Fritz) Cohn. Craik, Dinah Maria (20.4.1826–12.10.1887). Englische Autorin und Dichterin. Bereits zu Lebzeiten eine bekannte Essayistin, Reiseautorin, Romancière und Dichterin. Ihr bekanntestes Werk ist „John Halifax, Gentleman“ (1856). Cramm-Burgdorf, Christian Friedrich Adolf Burghard von (25.1.1837–1913). 1864 Assessor im hannoverschen Staatsdienst, 1885–1906 Gesandter des Herzogtums Braunschweig in Preußen. Bei der Reichstagswahl 1884 frei-

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konservativer Gegenkandidat zu Max Weber sen. in Holzminden-Gandersheim. Marcus Licinius Crassus (ca. 115–53 v. Chr.). Führender Politiker und Feldherr im spätrepublikanischen Rom. Konsul 70 und 55 v. Chr. Bekannt durch seinen außerordentlichen Reichtum. Schlug 72 v. Chr. den Aufstand des Spartacus nieder und bildete im Jahre 60 v. Chr. zusammen mit → Pompeius und → Caesar das sog. erste Triumvirat. Cumberland → Ernst August von Hannover Cuny, Ludwig von (14.6.1833–20.7.1898). Jurist und Politiker. 1858–70 Assessor, 1870 Vorsitzender des Kriegsgerichts für Elsaß-Lothringen; 1875 a. o. Professor in Berlin; 1883 Mitglied der preußischen Justizprüfungskommission; 1889 o. Honorarprofessor in Berlin. 1873–98 MdprAH, 1874–81 und 1884–98 MdR für die Nationalliberale Partei. Curtius, Ernst (2.9.1814–11.7.1896). Archäologe. 1842 Promotion zum Dr. phil. in Halle, 1843 Habilitation in Berlin; 1844 Berufung zum Hauslehrer des → Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen sowie Ernennung zum a. o. Professor in Berlin, 1855 o. Professor für Klassische Philologie in Göttingen, 1867 in Berlin. Leitete 1875 die Ausgrabungen in Olympia. Czerny, Vincenz (19.11.1842–3.10.1916). Chirurg und Krebsforscher. 1866 Promotion zum Dr. med. in Wien, 1871 Habilitation ebd.; 1871 o. Professor in Freiburg i. Br., 1878 in Heidelberg. Degenkolb, Karl Heinrich (25.10.1832–2.9.1909). Jurist. 1855 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, anschließend im preußischen Staatsdienst; 1861 Habilitation in Berlin und Privatdozent für Zivilrecht und Zivilprozeßrecht ebd., 1869 o. Professor für Römisches Recht in Freiburg i. Br., 1872 in Tübingen, 1893–1904 für Römisches Recht und Zivilrecht in Leipzig. Arbeiten vor allem zum Zivil- und Prozeßrecht. Delbrück, Hans (11.11.1848–14.7.1929). Historiker, Politiker und Publizist. 1873 Promotion zum Dr. phil. in Bonn; 1874–79 Lehrer von Kronprinz Friedrich Wilhelms Sohn → Waldemar von Preußen; 1881 Habilitation in Berlin, 1885 a. o., 1895–1921 o. Professor für Geschichte ebd. 1882–85 MdprAH und 1884–90 MdR für die Deutsche Reichspartei. 1883–1919 als Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“ einer der einflußreichsten Publizisten der Wilhelminischen Zeit, v. a. seit → Treitschkes Rückzug von der Zeitschrift 1889. Delius, Hermann (1.6.1863–23.12.1917). Psychotherapeut und Sanitätsrat. Seit 1882 Mitglied der Burschenschaft Germania Tübingen, die mit Max Webers Heidelberger Allemannia im Süddeutschen Kartell freundschaftlich verbunden war.

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Dernburg, Heinrich (3.3.1829–23.11.1907). Jurist. 1850 Promotion zum Dr. jur. in Gießen; 1851 Habilitation und Privatdozent in Heidelberg, 1854 a. o. Professor als Nachfolger → Theodor Mommsens in Zürich, 1855 o. Professor ebd., 1862 o. Professor für Römisches Recht in Halle, 1873 für Römisches und preußisches Recht in Berlin. Seit 1873 MdprHH auf Lebenszeit und Kronsyndikus. Mitbegründer der „Kritischen Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft“; zahlreiche Arbeiten zum römischen, preußischen und deutschen bürgerlichen Recht. Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Dickens, Charles (7.2.1812–9.6.1870). Englischer Schriftsteller und Journalist. Gilt aufgrund seines Gesamtwerks als einer der einflußreichsten Romanschriftsteller der Neuzeit; zu den bekanntesten Werken gehören „Oliver Twist“ (1837–39), „A Christmas Carol“ (1843), „David Copperfield“ (1850) sowie „A Tale of Two Cities“ (1852). Gleichermaßen bekannt für seine sozialkritischen Bezüge wie für die von ihm entwickelten Charaktere. Dieterici, Friedrich Heinrich (6.7.1821–18.8.1903). Arabist. Studium der Theologie in Berlin und Halle und der orientalischen Sprachen in Halle und Leipzig, 1846 Habilitation und Privatdozent in Berlin; 1847 Reise durch den Orient; 1850 a. o. Professor in Berlin; 1901 Honorarprofessor ebd. Dieterici, Wilhelm Johannes M. (19.12.1861–?). Offizier. Schüler am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg und 1882 Mitabiturient Max Webers. Sohn von → Friedrich Heinrich Dieterici. Dilthey, Katharina, geb. Püttmann (25.10.1854–1932). Seit 1874 verheiratet mit → Wilhelm Dilthey. Dilthey, Wilhelm (19.1.1838–1.10.1911). Philosoph. 1864 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1864 Habilitation ebd.; 1866 o. Professor in Basel, 1868 in Kiel, 1871 in Breslau, 1882–1905 Professor für Philosophie und Ästhetik in Berlin. Arbeiten zur Geistesgeschichte der Neuzeit sowie zur Theorie der Geisteswissenschaften. Gehörte zum Freundeskreis von → Maximilian (Max) Weber sen. Diodor(os) (lat.: Diodorus Siculus) (1. Jh. v. Chr.). Griechischer Geschichtsschreiber. Verfasser einer Universalgeschichte, die von mythischen Urzeiten bis in die Ära → Caesars reicht, allerdings nur fragmentarisch überliefert ist. Dirichlet, Walter Arnold Abraham (2.7.1833–11.1.1887). Gutsbesitzer und Politiker. 1877–86 MdprAH, 1877–87 Mitglied des ostpreußischen Provinziallandtags, 1881–84 MdR für die Deutsche Fortschrittspartei, 1884–87 MdR für die Deutsche Freisinnige Partei als Nachfolger des Nationalliberalen → Rudolf von Gneist in dessen Wahlkreis.

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Doll, Karl Wilhelm (10.9.1827–25.2.1905). Evangelischer Theologe. Studium in Heidelberg und Berlin; 1850 Pfarrer in Lahr, 1854 Direktor der Höheren Töchterschule, 1858 Pfarrer in Sand bei Kehl, seit 1862 Hofdiakon in Karlsruhe, 1864 Hofprediger, 1874 Oberhofprediger ebd., seit 1877 Mitglied des Oberkirchenrats sowie badischer Prälat und damit Vorgesetzter von → Otto Baumgarten, den er auch konfirmiert hatte. 1876–94 Vizepräsident der Generalsynode. Domitian (Titus Flavius Domitianus) (24.10.51–18.9.96). Römischer Kaiser 81–96 n. Chr. Beiname Germanicus. Per Edikt übertrug er den Pächtern die Eigentumsrechte am ager publicus. Dörner, Carl Hermann Wilhelm (21.8.1849–31.7.1904). Kaufmann. Inhaber einer Agentur für Stahl in Hamburg. Sohn des Hamburger Kaufmanns Carl Wilhelm Dörner und seiner Frau Josephine Emma Theodore Dörner, geb. Röltgen. Verheiratet mit → Hertha Henriette Lucie Dörner, geb. Weber. Dörner, Hertha Henriette Lucie, geb. Weber (6.4.1858–24.7.1919). Tochter von → Emilie Theodore Weber, geb. Röltgen, und → Otto Weber in Hamburg, einem Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Seit 20. Mai 1882 verheiratet mit → Carl Hermann Wilhelm Dörner. Cousine von Max Weber. Dorpius, Henricus (?–?). Mönch, Verfasser eines Berichts über die Wiedertäufer in Münster 1536. Dove, Richard Wilhelm (27.2.1833–18.9.1907). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und Heidelberg, 1855 Promotion zum Dr. jur. in Berlin; 1859 Privatdozent und 1860 zugleich Hilfsarbeiter im Evangelischen Oberkirchenrat ebd.; 1862 a. o., 1863 o. Professor für Kirchenrecht und deutsches Recht in Tübingen, 1865 für deutsches Privatrecht, Kirchenrecht, deutsche Staats- und Rechtsgeschichte in Kiel und seit 1868 in Göttingen. 1861 Gründung der „Zeitschrift für Kirchenrecht“. 1871 Mitglied im ersten Reichstag, seit 1875 MdprHH. Akademischer Lehrer Max Webers in Göttingen. Droysen, Johann Gustav Bernhard (6.7.1808–19.6.1884). Historiker und Politiker. 1831 Promotion zum Dr. phil., im selben Jahr Anstellung als Lehrer am Berliner Gymnasium „Zum Grauen Kloster“, 1833 Habilitation in Berlin; 1835 a. o. Professor ebd., 1840 o. Professor in Kiel, 1851 in Jena, seit 1859 erneut in Berlin. Vertrat die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins im Frankfurter Paulskirchenparlament. Bedeutender Geschichtstheoretiker und Vertreter der preußisch-kleindeutschen Schule. Drumann, Wilhelm Karl August (11.6.1786–29.7.1861). Althistoriker. 1810 Promotion zum Dr. phil. in Helmstedt, 1812 Habilitation in Halle; 1817 a. o. Professor in Königsberg, 1821 o. Professor ebd. Werke zur späten römischen Republik sowie zur griechischen Staatenwelt.

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Duwe, Albert (?–?). Maler. In den 1870er Jahren Nachbar der Familie Weber in Charlottenburg, wohnte in der nahe der Leibnizstraße gelegenen Schillerstraße (Höhne’sches Haus). Ebel, Wilhelm (?–?). Bewohnte mit seiner Familie bis 1882 eine Etage im Fallensteinschen Haus in Heidelberg, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). Ebers, Georg Moritz (1.3.1837–7.8.1898). Ägyptologe und Schriftsteller. Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen, dann Wechsel zur Ägyptologie, 1862 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1865 Habilitation in Jena; 1869 a. o. Professor ebd., 1870 a. o. Professor in Leipzig, 1875 o. Professor ebd.; seit 1895 Mitglied der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten Verfasser historischer Romane (u. a. „Eine ägyptische Königstochter“, 1864; „Uarda“, 1877). Eggers, Friedrich (Fritz) (27.11.1819–11.8.1872). Kunsthistoriker und Schriftsteller. Studium der Geschichte und Archäologie; 1850 Gründer und bis 1858 Leiter des Deutschen Kunstblatts; 1863 Professor der Kunstgeschichte an der Kunstakademie Berlin, 1872 Vortragender Rat im preußischen Kultusministerium. Briefwechsel mit Theodor Fontane. Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. in Berlin. Eichendorff, Joseph Karl Benedikt Freiherr von (10.3.1788–26.2.1857). Schriftsteller und Lyriker. Studium der Rechtswissenschaften u. a. in Halle, Heidelberg und Berlin, dann Referendar in Danzig; 1821 Kirchen- und Schulrat ebd., 1824 Oberpräsidialrat in Königsberg, später Übersiedelung nach Berlin. Bedeutender Vertreter der deutschen Romantik (v. a. durch seine Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, 1826). Emilie (?–?). 1878/79 Bedienstete im Haus der Familie Weber in Charlottenburg. Emilie (Tante) → Benecke, Emilie Emmi, Emmy (Cousine) → Baumgarten, Emmy Enneccerus, Karl Martin Ludwig (1.4.1843–31.5.1928). Jurist und Politiker. 1870 Habilitation in Göttingen; 1872 a. o. Professor ebd., 1873 o. Professor in Marburg. 1882–98 MdprAH, 1887–90 und 1893–98 MdR für die Nationalliberale Partei. Erdmannsdörffer (?–?). Tochter von → Bernhard Erdmannsdörffer und → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Erdmannsdörffer, Anna, geb. Lenz (1854–1892). Seit 1874 verheiratet mit → Bernhard Erdmannsdörffer.

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Erdmannsdörffer, Bernhard (24.1.1833–1.3.1901). Historiker. Seit 1852 Studium der klassischen Philologie und Geschichte in Jena, 1857 Promotion zum Dr. phil. bei → Johann Gustav Droysen in Jena, Studien in Italien, 1858 Habilitation in Jena; 1859 in Italien als Beauftragter der Historischen Kommission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 1861–81 zusammen mit Droysen Herausgabe der Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten in Berlin; 1862 Privatdozent ebd., 1863 Lehrer und 1869 a. o. Professor an der Kriegsakademie in Berlin, 1873 o. Professor in Greifswald, 1873 in Breslau und seit 1874 als Nachfolger → Heinrich von Treitschkes in Heidelberg. Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg. Erdmannsdörffer, Frieda (1879–1963). Tochter von → Bernhard Erdmannsdörffer und → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Erdmannsdörffer, Hanna (?–1910). Malerin. Tochter von → Bernhard Erdmannsdörffer und → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Erdmannsdörffer, Otto Heinrich (11.3.1876–18.4.1955). Mineraloge. Studium der Naturwissenschaften in Heidelberg und Straßburg; 1900 Promotion zum Dr. phil. nat. in Heidelberg, 1908 Habilitation in Berlin; 1912 a. o. und o. Professor an der TH Hannover, 1926 o. Professor in Heidelberg und Direktor des Mineralogisch-Petrographischen Instituts. Sohn von → Bernhard Erdmannsdörffer und → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Erdmannsdörffer, Sophie (?–?). Tochter von → Bernhard Erdmannsdörffer und → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz. Ernst, Antonie (?–?). Eine als „Tante Töne“ bekannte Zimmerwirtin in Göttingen, bei der Max Weber im Wintersemester 1885/86 wohnte. Ernst August (II.) von Hannover (21.9.1845–14.11.1923). Letzter Kronprinz des Königreichs Hannover, aufgrund der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen 1866 nur noch nominell Thronfolger; seit dem Tod Georgs V. 1878 Duke of Cumberland und Teviotdale. Strebte 1884 nach dem Tod des Herzogs Wilhelm vergeblich die Herrschaft über das Herzogtum Braunschweig an. Escher, Hermann (27.8.1857–3.4.1938). Bibliothekar. Studium in Zürich und Straßburg, 1881 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg; 1887–1915 Leiter der Stadtbibliothek Zürich, 1916–31 Direktor der Zentralbibliothek ebd. Freund von → Otto Baumgarten. Eynern, Ernst (seit 1894) von (2.4.1838–2.11.1906). Kaufmann und Politiker. 1865 Teilhabe an der väterlichen Indigo-Großhandlung. 1876 Eintritt in die Nationalliberale Partei; 1879–1906 MdprAH.

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Fallenstein, Auguste (?–?). Frau von → Heinrich Fallenstein. Fallenstein, Eduard (11.12.1848–wahrscheinlich 11.1.1871). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften; Soldat im deutsch-französischen Krieg 1870/71, bei Orléans gefallen. Sohn von → Georg Friedrich Fallenstein und → Emilie Fallenstein, geb. Souchay. Jüngster Bruder von → Helene Weber. Onkel von Max Weber. Fallenstein, Emilie, geb. Souchay (22.9.1805–25.5.1881). Seit 1835 verheiratet mit → Georg Friedrich Fallenstein; Mutter von → Helene Weber; Großmutter von Max Weber. Lebte bis zu ihrem Tod im Fallensteinschen Haus in Heidelberg, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). Fallenstein, Emily Alice → Baumgarten, Emily Alice Fallenstein, Georg Friedrich (2.9.1790–31.12.1853). Verwaltungsbeamter. Nach Teilnahme an den Befreiungskriegen ohne abgeschlossenes Studium 1815 zum Calculator in Potsdam ernannt, 1816 Regierungssekretär in Düsseldorf, 1832 Regierungsrat in Koblenz, 1842 Geheimer Finanzrat in Berlin; nahm 1845 den Abschied und zog nach Heidelberg. Baute dort das Fallensteinsche Haus in der Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17), in dem seine zweite Frau → Emilie Fallenstein, geb. Souchay, bis zu ihrem Tod 1881 und dann auch von 1910 bis 1919 Max und Marianne Weber lebten. In erster Ehe verheiratet mit Elisabeth Benecke. Vater von → Helene Weber; Großvater von Max Weber. Fallenstein, Heinrich (1845–1882). Kaufmann. Sohn von → Helene Webers Halbbruder → Roderich Fallenstein und Henriette Fallenstein, geb. Hageböck; Bruder von → Roderich (Rodrigo) Fallenstein. Fallenstein, Laura (30.5.1863–1930). Tochter von Otto T. Fallenstein und Elisabeth Fallenstein, geb. Campbell (1830–1878); Halbschwester von → Emily Alice Baumgarten, geb. Fallenstein. Wuchs seit 1881 bei → Ida Baumgarten in Straßburg auf, 1886 Übersiedelung in die USA zu ihrem Bruder Frank T. Fallenstein, dort 1889 Heirat mit dem ebenfalls ausgewanderten Buchhändler Max Otto von Klock. Fallenstein, Ottilie (?–?). Tochter von → Helene Webers Halbbruder → Roderich Fallenstein und Henriette Fallenstein, geb. Hageböck. Patin von → Lili Weber. Fallenstein, Roderich (sen.) (1815–31.7.1890). Ingenieur. 1855 Gründungsmitglied der Freimaurerloge in Dortmund. Sohn von → Georg Friedrich Fallenstein und seiner ersten Frau Elisabeth Fallenstein, geb. Benecke. Halbbruder von → Helene Weber, Onkel von Max Weber.

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Fallenstein, Roderich (Rodrigo) (1858–?). Kaufmann. Seit Ende der 1870er Jahre Angestellter der Firma Bunge in Antwerpen und seit 1883 der Firma Hugo Bunge & Co. in Buenos Aires. Sohn von → Helene Webers Halbbruder → Roderich Fallenstein und Henriette Fallenstein, geb. Hageböck. Fehsenfeld, Friedrich Ernst (16.12.1853–16.9.1933). Verleger. 1890 Eröffnung einer Verlagsbuchhandlung in Freiburg i. Br.; später Verleger der Werke Karl Mays. Bruder von → Elisabeth Schmidt, geb. Fehsenfeld, der Ehefrau von → Heinrich Julian Schmidt. Fischer, Clara (16.9.1867–?). Tochter von → Kuno Fischer und → Marie Fischer, geb. le Mire. Fischer, Julius (?–?). Sohn von → Kuno Fischer und → Marie Fischer, geb. le Mire. Fischer, Kuno (23.7.1824–5.7.1907). Philosoph. Studierte in Leipzig und Halle zuerst Philologie, später Theologie und Philosophie, 1847 Promotion zum Dr. phil. in Halle; 1850 Habilitation und Privatdozent für Philosophie in Heidelberg; Kontakte zu → Gervinus und → Strauß, 1853 Entzug der Venia legendi wegen angeblich pantheistischer Gesinnung, 1856–71 o. Professor in Jena, 1872–1906 in Heidelberg. Umfangreiche Arbeiten zur Philosophiegeschichte und über Kant. Hauptwerk: „Geschichte der neueren Philosophie“ (8 Bände, 1852–93). Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg. Fischer, Marianne (Mary) → Clauss, Marianne (Mary), geb. Fischer Fischer, Marie, geb. le Mire (1824–1882). Ehefrau von → Kuno Fischer. Forckenbeck, Max von (23.10.1821–26.5.1892). Politiker. 1861 Mitbegründer der Deutschen Fortschrittspartei und des Nationalvereins; 1866 Mitbegründer der Nationalliberalen Partei. Ab 1858 MdprAH, 1866–73 dessen Präsident; 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags; ab 1871 MdR, 1874–79 dessen Präsident, 1879 Amtsniederlegung infolge von Differenzen über Bismarcks Schutzzollpolitik; 1881 Führer der Sezession; 1884 Anschluß an die Deutsche Freisinnige Partei. 1872 Oberbürgermeister in Breslau, 1878–92 in Berlin. Freitag, W. (?–?). Krankenschwester. In den 1870er Jahren Nachbarin der Familie Weber in Charlottenburg; wohnte in der nahe der Leibnizstraße gelegenen Schillerstraße (Höhne’sches Haus) bei → Albert Duwe im dritten Stock. Frensdorff, Anna Cäcilie, geb. Deutschmann (19.12.1848–14.5.1928). Ehefrau von → Ferdinand Frensdorff.

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Frensdorff, Else (12.5.1869–16.2.1932). Älteste Tochter von → Ferdinand Frensdorff und → Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. Frensdorff, Ferdinand (17.6.1833–31.5.1931). Jurist und Historiker. Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Göttingen, Berlin und Leipzig, 1857 Promotion zum Dr. jur. in Leipzig, 1860 Habilitation in Göttingen; 1863 Privatdozent, 1866 a. o. und 1873 o. Professor für deutsches Recht ebd. Mitherausgeber der älteren deutschen Stadtrechte in den „Monumenta Germaniae Historica“. Schwerpunkt seiner Forschungen war die niedersächsische und hanseatische Rechtsgeschichte; Verfasser zahlreicher rechtsgeschichtlicher Arbeiten. Verbindungsbruder und Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. Akademischer Lehrer Max Webers in Göttingen. Frensdorff, Käthe (1871–?). Jüngste Tochter von → Ferdinand Frensdorff und → Anna Cäcilie Frensdorff, geb. Deutschmann. Frenzel, Karl Wilhelm Theodor (6.12.1827–10.6.1914). Schriftsteller und Theaterkritiker. 1853 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; Lehrer an der Friedrich- und Dorotheenstädtischen Realschule, zugleich publizistische Tätigkeit, u. a. in Gutzkows „Unterhaltungen am häuslichen Herd“, 1863/64 Leiter der Zeitschrift, 1861–1908 Mitglied der Redaktion der liberalen „National-Zeitung“ in Berlin, hier verantwortlich für das Feuilleton; v. a. bekannt als Theaterkritiker. Freytag, Gustav (13.7.1816–30.4.1895). Politiker und Schriftsteller. 1838 Promotion zum Dr. phil. in Breslau; 1839–47 Privatdozent ebd.; 1848 Übersiedelung nach Leipzig, hier Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Grenzboten“ mit → Heinrich Julian Schmidt. 1867–70 Mitglied des Norddeutschen Reichstags für die Nationalliberale Partei. Bekannt wurde sein kulturgeschichtliches Werk „Bilder aus der Deutschen Vergangenheit) (4 Bände, 1859–67); verfaßte außerdem diverse Romane (u. a. den sechsbändigen Romanzyklus „Die Ahnen“, 1872–80) und Theaterstücke (u. a. 1853 das erfolgreiche Lustspiel „Die Journalisten“). Friedländer, (Eugenie) Clara (12.5.1842–nach 1907). Jugendfreundin von → Helene Weber in Heidelberg, später in Berlin. Tochter des Ökonomen Eberhard David Friedländer und seiner Frau Anne Friedländer, geb. Goldie. Zog im Sommer 1871 nach dem Tod der Mutter von Heidelberg zu ihrem Bruder → George Friedländer nach Berlin, lebte seit spätestens 1887 mit ihrer Schwester → Magdalena Laura Friedländer in Wiesbaden. Patin von → Helene (Helenchen) Weber. Friedländer, George (30.8.1829–14.11.1892). Arzt. 1852 Promotion zum Dr. med. in Dorpat; 1855 Arzt in Berlin, vor allem in der Stellung eines Armenarztes. Betätigte sich auch als Übersetzer und mit schriftstellerischen

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Arbeiten. Bekannt durch seine Sammlung von Flugschriften zur Revolution 1848. Bruder von → Clara und → Magdalena Friedländer. Friedländer, Magdalena Laura (1832–25.10.1907). Schwester von → Clara und → George Friedländer. Friedreich, Nicolaus (31.7.1825–6.7.1882). Pathologe. 1850 Promotion zum Dr. med. in Würzburg, 1853 Habilitation ebd.; 1853 a. o. Professor ebd., 1856 kommissarischer Leiter der Würzburger Pathologie, 1858 o. Professor in Heidelberg. Gab 1876 die Initiative für das Akademische Krankenhaus Heidelbergs. Bedeutende Arbeiten in der Kardiologie, Neurologie und Pathologie. Friedrich II., der Große (24.1.1712–17.8.1786). König von Preußen (1740–86). Wurde entgegen seinen philosophischen und musischen Neigungen von seinem Vater Friedrich Wilhelm I. militärisch erzogen; beugte sich nach einem gescheiterten Fluchtversuch 1730 dem Willen des Vaters; trat im Mai 1740 dessen Nachfolge an, führte die Staatsverwaltung in dessen Sinn fort und verfolgte eine aufgeklärt-absolutistische und merkantilistische Politik; veranlaßte wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Österreich (Schlesische Kriege 1740–42, 1744/45 sowie Siebenjähriger Krieg 1756– 1763) die Vergrößerung und Perfektionierung der Armee; erreichte 1763 durch den Frieden von Hubertusburg die Anerkennung Preußens als europäische Großmacht; betrieb anschließend zur Hebung der Staatseinkünfte eine rigorose Monopol- und Steuerpolitik; verbuchte Erfolge in der Binnenkolonisation und in der territorialen Erweiterung Preußens im Osten, insbesondere durch die 1. Polnische Teilung 1772. Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein (Friedrich Christian August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg) (6.7.1829–14.1.1880). Wurde 1863 als Herzog von Schleswig und Holstein ausgerufen, jedoch in der Folge des deutsch-dänischen Krieges von Bismarck 1867 zum Rücktritt gedrängt; danach wurden beide Länder ein Teil Preußens. Friedrich August von Sachsen (25.5.1865–18.2.1932). Sächsischer Kronprinz und Regent. 1884/85 kurzer Studienaufenthalt in Straßburg, 1885/86 an der Landesuniversität Leipzig, danach Offizierslaufbahn; 1894 Generalmajor; 1904–18 als Friedrich August III. letzter König von Sachsen. Friedrich Karl Nikolaus von Preußen (20.3.1828–15.6.1885). Generalfeldmarschall. Neffe → Kaiser Wilhelms I. Schlug eine militärische Laufbahn ein, besiegte 1864 die Dänen bei den Düppeler Schanzen, 1870 nach Erfolgen im deutsch-französischen Krieg zum Generalfeldmarschall ernannt. Friedrich Leopold von Preußen (14.11.1865–13.9.1931). Generaloberst. Sohn von → Friedrich Karl von Preußen; schlug wie sein Vater eine militä-

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rische Karriere ein, 1875 Kadett, 1885 Premierleutnant, 1888 Rittmeister, 1890 Major, 1893 Oberst, 1902 General der Kavallerie; 1904/05 Berater der russischen Armee, 1907 Generalinspekteur der Armee, 1910 Generaloberst. Friedrich Wilhelm III. (3.8.1770–7.6.1840). König von Preußen (seit 1797). Ermöglichte die Durchführung der preußischen Reformen, führte sie allerdings nach dem Wiener Kongreß 1814–15 nicht fort. Friedrich Wilhelm von Preußen (18.10.1831–15.6.1888). Preußischer Kronprinz. 1858 Heirat mit → Victoria von Großbritannien und Irland. Teilnahme an den Deutschen Einigungskriegen. 1888 für 99 Tage als Friedrich III. Deutscher Kaiser und König von Preußen. Sohn von → Wilhelm I. und Vater von → Prinz Wilhelm (II.). Fritz (Vetter) → Baumgarten, Friedrich (Fritz) Gaius (ca. 2. Jh. n. Chr.). Römischer Jurist. Seine Vita ist weitgehend unbekannt, er wirkte ca. 130–180 n. Chr.; bekannt durch sein Lehrbuch „Institutiones“, eine der wichtigsten Quellen für das römische Recht. Galdós, Benito Pérez (10.5.1843–4.1.1920). Spanischer Dramatiker, Publizist und Romancier. Insbesondere seine zahlreichen Romane zählen bis heute zu den bedeutendsten Erzeugnissen des Realismus in Europa (z. B. der Zyklus „Episodios nacionales“, ab 1873 in über 40 Bänden) und waren auch in Deutschland sehr populär. Gaß, Johanna, geb. Krieger (1823–?). Ehefrau von → Wilhelm Gaß. Gaß, Wilhelm (28.11.1813–21.2.1889). Evangelischer Theologe. 1839 Habilitation in Breslau; 1846 a. o. Professor ebd., 1847 o. Professor in Greifswald, 1861 in Gießen sowie seit 1868 in Heidelberg. Gehrke, Dr. (?–?). Lehrer. 1879 als prob. cand. wissenschaftlicher Hilfslehrer am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg. Geißler, Heinrich Paul (seit 1861) von (25.5.1833–14.7.1898). Oberst. 1864 Hauptmann, 1869 Major, 1877 Oberst. 1871 militärischer Erzieher (Militärgouverneur) von → Friedrich Leopold von Preußen. Georgii, Elisabeth (Else) → Baumgarten, Elisabeth (Else), geb. Georgii Georgii, Marie, geb. Stockmayer (5.6.1831–22.4.1903). Verheiratet mit → Theodor Georgii, Mutter von → Elisabeth (Else) Baumgarten, geb. Georgii. Georgii, Martha Ottilie (9.5.1863–2.5.1908). Hauslehrerin oder Erzieherin der Familie Benecke in Straßburg; jüngere Schwester von → Elisabeth

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(Else) Baumgarten, geb. Georgii; heiratet am 9. August 1887 den Schweizer August Möhrlin. Georgii, Theodor (9.1.1826–25.9.1892). Rechtsanwalt. Studium in Tübingen und Heidelberg. 1851 Rechtsanwalt in Esslingen. Mitbegründer der Deutschen Turnerschaft und 1868–87 deren Erster Vorsitzender. Vater von → Elisabeth (Else) Baumgarten, geb. Georgii. Gerber, Carl Friedrich Wilhelm von (11.4.1823–23.12.1891). Staatsrechtslehrer und Politiker. 1846 o. Professor in Erlangen, 1851 in Tübingen, 1862 in Jena, 1863 in Leipzig. 1867 (Febr.–Aug.) Mitglied des Norddeutschen Reichstags, zuerst für die Altliberalen, dann fraktionslos. 1871–81 sächsischer Kultusminister, März–Dez. 1891 sächsischer Ministerpräsident. Gerland, Bertha (?–?). Tochter von → Georg Karl Cornelius Gerland und seiner 1883 verstorbenen Frau Wilhelme Gerland, geb. Henke; Freundin von → Anna Baumgarten. Gerland, Georg Karl Cornelius (29.1.1833–16.2.1919). Geograph. 1859 Promotion zum Dr. phil. in Marburg; 1856–70 als Gymnasiallehrer tätig; seit 1875 o. Professor für Geographie und Ethnologie in Straßburg. Gervinus, Georg Gottfried (20.5.1805–18.3.1871). Historiker. 1819 Buchhändlerlehre; 1820 kaufmännische Ausbildung in Darmstadt; 1823 Selbststudium zum Abitur, 1825 Studium in Gießen und Heidelberg (Philologie und Geschichte); 1827–30 Lehrer an einer Privatschule in Frankfurt; 1830 Habilitation in Heidelberg; 1835 a. o. Professor ebd., 1836 o. Professor in Göttingen, 1837 als einer der „Göttinger Sieben“ aus dem Königreich Hannover verwiesen; 1839–44 und 1850–71 Privatgelehrter in Heidelberg, 1844 Honorarprofessor ebd., 1853 Entzug der Venia legendi. 1847–48 Vertrauensmann der Hansestädte im Siebzehnerausschuß des Bundestages und Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. Verfasser der „Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen“ (5 Bände, 1835–42) und der „Geschichte des 19. Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen“ (8 Bände, 1855–66). Von 1848–62 lebte er mit seiner Frau im Haus seines Freundes → Georg Friedrich Fallenstein; Privatlehrer von → Helene Weber; Mentor von → Hermann Baumgarten. Geutebrück, Richard (13.9.1835–6.4.1910). Jurist und Oberregierungsrat. Dr. jur., (Ober-)Regierungsrat der Generalinspektion des Thüringischen Zoll- und Steuervereins. Erfurter Nachbar der Familie Weber; wohnte zunächst am Karthäuser Mühlweg 38a, in den 1870er Jahren im Haus von → Emma Mons, geb. Mierendorf. Gibbon, Edward (8.5.1737–16.1.1794). Britischer Historiker. Ab 1753 Ausbildung bei einem calvinistischen Gelehrten in Lausanne, unternahm ab 1763 Bildungsreisen auf dem europäischen Kontinent, u. a. nach Rom. Bekannt

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für sein Werk „The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire“ (6 Bände, 1776–88). Giovio, Paolo (latinisiert: Paulus Iovius) (19.4.1483–11.12.1552). Italienischer Historiker und Bischof. Studium der Philosophie und Medizin in Padua und Pavia. 1517 Weihe zum Bischof von Nocera. Zu seinen Werken gehören „Vitae virorum illustrium“ (1547–49) sowie „Historiarum sui temporis“ (1551– 1553). Giseke, Bernhard Ludwig (28.9.1823–29.11.1876). Lehrer. Studium in Leipzig und Berlin. 1862–69 Direktor der Höheren Töchterschule in Erfurt, seit 1869 Direktor der Realschule in Schwerin. Gehörte mit seiner Familie zum Erfurter Bekanntenkreis der Familie Weber. Giseke, Bona, geb. Nitschke (18.7.1833–?). Ehefrau von → Bernhard Ludwig Giseke. Erfurter Bekannte der Familie Weber. Giseke, Margaretha Clara (Grethe) (2.4.1863–?). Tochter von → Bernhard Ludwig Giseke und → Bona Giseke, geb. Nitschke. Giseke, Martin Otto (15.3.1869–?). Sohn von → Bernhard Ludwig Giseke und → Bona Giseke, geb. Nitschke. Gleich, Hermann (10.9.1815–2.4.1900). Weihbischof und Kapitularvikar in Breslau. 1838 Priesterweihe in Breslau, ab 1842 Priester und Schulinspektor, 1862 Domkapitular in Breslau; 1875 von Papst Pius IX. zum Weihbischof ernannt, im gleichen Jahr Weihe durch den im Kulturkampf wegen Widerstands gegen die Kirchengesetze in den österreichischen Bistumsteil emigrierten Breslauer Bischof Heinrich Förster; 1881 Ernennung zum Kapitularvikar. Gneist, Rudolf (seit 1888) von (13.8.1816–22.7.1895). Jurist und nationalliberaler Politiker. 1839 Promotion zum Dr. jur. utr., zugleich Habilitation in Berlin; 1845 apl. a. o., 1858 o. Professor für Zivilrecht ebd.; 1841 Assessor am Berliner Kammergericht, 1847–49 Hilfsarbeiter beim preußischen Obertribunal, 1875–95 Rat am neu errichteten preußischen Oberverwaltungsgericht. 1845–49 und 1858–75 Stadtverordneter in Berlin; 1859–93 MdprAH zunächst für das Zentrum, seit 1870 für die Nationalliberale Partei; 1867–84 MdR für die Nationalliberalen. 1851 Mitglied und seit 1869 Vorsitzender des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen; 1872/73 Mitbegründer und erster Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. Führender liberaler Politiker und Verwaltungsjurist seiner Zeit. Untersuchungen über die englische Gerichts- und Verwaltungsorganisation. Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Goldschmidt, Adele, geb. Hermann (?–25.2.1916). Verheiratet mit → Levin Goldschmidt.

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Goldschmidt, Levin (30.5.1829–16.7.1897). Jurist und Handelsrechtler. 1851 Promotion zum Dr. jur. in Halle; 1855 Habilitation, 1860 a. o. Professor für Handelsrecht, Römisches Recht und Rechtsenzyklopädie und 1866–70 o. Professor für Handelsrecht und preußisches Recht in Heidelberg, 1875– 1897 für Handelsrecht in Berlin. 1858 Begründer und Herausgeber, später Mitherausgeber der „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“. 1870–75 Richter am Bundes- bzw. Reichsoberhandelsgericht in Leipzig. 1875–77 MdR für die Nationalliberale Partei. Begründer der modernen Handelsrechtswissenschaft. Mit der Familie Weber befreundet; akademischer Lehrer und Doktorvater Max Webers in Berlin. Goltz, Wilhelm Leopold Colmar Freiherr von der (12.8.1843–19.4.1916). Generalfeldmarschall und Militärschriftsteller. 1855 Beitritt zum Kadettenkorps in Königsberg, 1861 Beförderung zum Leutnant, 1864 Einberufung an die Kriegsakademie zu Berlin; 1866 Teilnahme am preußisch-österreichischen Krieg; 1870/71 Generalstabsoffizier im deutsch-französischen Krieg; 1878 Beförderung zum Major sowie Lehrer für Kriegsgeschichte an der Kriegsakademie (bis 1883). In dieser Zeit verschiedene militärhistorische Werke, darunter „Roßbach und Jena“ (1883). 1883 Wechsel nach Konstantinopel als Organisator des Militärausbildungswesens und Beförderung zum Marschall der Türkei. Gottschick, Reinhold Theodor Friedrich (27.10.1849–?). Gymnasiallehrer. 1866–70 Studium der Philologie in Berlin, Halle und Leipzig; 1871 Examen „pro facultate docendi“ in Berlin; 1871–72 cand. prob. in Küstrin; seit 1872 Lehrer u. a. für Latein und Griechisch am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Grafe, Anna, geb. Weidenbusch (1859–1938). Seit 1880 verheiratet mit → Eduard Grafe. Grafe, Eduard (12.3.1855–16.6.1922). Evangelischer Theologe. 1880 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, 1884 Habilitation in Berlin; 1886 a. o. Professor in Halle, 1888 o. Professor in Kiel, 1889 in Straßburg, 1890 in Bonn, 1913 emeritiert. Freund von → Otto Baumgarten. Greenaway, Kate (eigentlich: Catherine) (17.3.1846–6.11.1901). Englische Kinderbuchautorin und Illustratorin. Bekannt durch ihr erstes erfolgreiches Buch „Under the Window“ (1879); ihre Zeichnungen wurden stilgebend für die Kindermode gegen Ende des 19. Jahrhunderts. 1889 Wahl in das Royal Institute of Painters in Water Colours. Grisebach, E. (?–?). Jurist. Student der Rechtswissenschaften in Göttingen, dort 1885 das Examen abgelegt; Bekannter von → Karl Schellhass. Großkreutz, Karl (14.7.1868–12.11.1914). Jurist, Militär, Generalsyndikus. Besuchte mit → Karl Weber das Joachimsthaler Gymnasium.

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Groth, Johann Andreas Hermann (17.2.1849–nach 1916). Gymnasiallehrer. 1872 Promotion zum Dr. phil. in Halle; 1873 Examen „pro facultate docendi“, danach cand. prob. in Züllichau und Hilfslehrer, 1874–1916 Lehrer für Latein, Deutsch und Geschichte am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Guicciardini, Francesco (6.3.1483–22.5.1540). Italienischer Historiker und Politiker. Studierte Rechtswissenschaften in Ferrara, Florenz und Padua; 1512 als fl orentinischer Botschafter in Aragón; ab 1516 Statthalter verschiedener päpstlicher Provinzen; ab 1530 nach der Rückkehr der Medici eine der einflußreichsten Persönlichkeiten in Florenz. Gilt aufgrund seiner Werke, v. a. der „Storia d’Italia“ (1537–40), als einer der bekanntesten frühneuzeitlichen Historiker der italienischen Geschichte. Haberle, Frau (?–?). Max Webers Vermieterin in Straßburg. Hagen, Adolf Hermann Wilhelm (23.9.1820–17.8.1894). Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Königsberg. 1854–71 Kämmerer in Berlin; 1871–76 Direktor der Unionsbank in Berlin. 1862 Stadtrat ebd.; 1862–76 MdprAH für die Fortschrittspartei; 1867–77 MdR. Vater von → Werner Hagen. Hagen, Werner (22.5.1864–9.1.1921). Diplomat. Studium der Rechtswissenschaften in Lausanne, Berlin und Cambridge; 1895 Asssessor; 1898 im Generalkonsulat in Yokohama tätig, 1902 Vizekonsul ebd., 1907 Konsul in Philadelphia, 1910 in London. Sohn von → Adolf Hagen. Hannibal (um 247–183 v.Chr). Karthagischer Feldherr. Oberbefehlshaber im 2. Punischen Krieg (218–201 v. Chr.), 216 v. Chr. Sieger in der Schlacht bei Cannae. Hardenberg, Karl August (seit 1814) Fürst von (31.5.1750–26.11.1822). Preußischer Staatsmann. Bis 1782 im hannoverschen Staatsdienst, dann Präsident des Klosterrates beim Herzog von Braunschweig, ab 1790 im preußischen Staatsdienst, 1804–06 und 1807 für vier Monate erneut Außenminister, 1807 leitender Minister, ab 1810 führte er als Staatskanzler die Steinschen Reformen fort. Zu den wichtigsten Reformen unter seiner Leitung gehören die Einführung der Gewerbefreiheit (1810), die Säkularisierung des Kirchenguts und die Judenemanzipation (1812); er scheiterte bei der Durchsetzung der völligen Gleichbesteuerung am Widerstand des grundbesitzenden Adels, dem er auch bei der Fortführung der Bauernbefreiung 1811 und 1816 entgegenkommen mußte. Mit dem Metternichschen System der Restauration und v. a. nach den Karlsbader Beschlüssen schwand sein Einfluß in Preußen. Harder, Sophie von, geb. Böhtlingk (7.5.1805–5.12.1905). Philanthropin. 1835 bezog ihre Familie das Schloß Aubach bei Obersasbach; enge Kon-

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takte zum Leiter der Anstalt Illenau → Christian Roller, öffnete ihr Haus (das „Lindenhaus“, später die „Strohhütte“) für Patienten seiner Anstalt und Pflegebedürftige. Seit 1868 Pflegemutter von → Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. Häring, Georg Wilhelm Heinrich (Pseudonym: Willibald Alexis) (29.6.1798– 16.12.1871). Schriftsteller. 1817 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und Breslau; 1827 Leiter der Redaktion des „Berliner Conversations-Blattes“, später Redakteur der „Vossischen Zeitung“. Vertreter des historischen Realismus; verfaßte seit 1832 eine Reihe „Vaterländischer Romane“ sowie 1852 den fünfbändigen Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“. Hase, Rudolf Friedrich (12.10.1861–5.7.1930). Jurist. Neffe von → Bernhard Erdmannsdörffer. Gemeinsam mit Max Weber Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Haugke (?–?). Direkter Nachbar der Familie Weber in Charlottenburg, Leibnizstraße 18. Hausrath, Adolf (Pseudonym: George Taylor) (13.1.1837–2.8.1909). Evangelischer Kirchenhistoriker und liberaler Theologe. 1861 Promotion zum Lic. theol., 1862 Habilitation in Heidelberg; Stadtvikar ebd.; 1864–67 Assessor beim Oberkirchenrat in Karlsruhe, 1867 a. o., 1871–1906 o. Professor für Kirchengeschichte in Heidelberg. Mitbegründer und zeitweiliger Sekretär des 1863 gegründeten Protestantenvereins. Sein wissenschaftliches Interesse galt der historischen Einordnung des Neuen Testaments in die religiöse Umwelt des antiken Palästina, einer „neutestamentlichen Zeitgeschichte“. Verfaßte auch kulturhistorische und psychologisierende Biographien (u. a. von Paulus, Luther und Jesus) und unter dem Pseudonym George Taylor Romane. Seit 1864 verheiratet mit → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein, einer Schwester von → Helene Weber. Lebte mit seiner Familie im Fallensteinschen Haus in Heidelberg, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). Onkel von Max Weber. Pate von → Helene (Helenchen) Weber. Hausrath, August (20.6.1865–15.5.1944). Klassischer Philologe. 1883 Abitur am Mannheimer Gymnasium; 1883–84 Studium der Klassischen Philologie und Geschichte in Heidelberg, seit 1885 in Bonn, 1888 Promotion zum Dr. phil. ebd.; Privatgelehrter; 1896–1921 Gymnasialprofessor für Latein und Deutsch in Karlsruhe, Heidelberg, Wertheim und Freiburg i. Br. Sohn von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Hausrath, Emilie (Mila) (10.9.1870–25.2.1934). Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber.

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Hausrath, Erich (23.8.1878–10.1.1879). Sohn von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Hausrath, Hans (5.10.1866–29.8.1945). Forstwissenschaftler. 1884 Abitur in Heidelberg, 1884–90 Studium der Forstwissenschaften in Karlsruhe und München, 1891 Promotion zum Dr. rer. pol. ebd.; 1896 Habilitation für Forstwissenschaften an der TH Karlsruhe; 1899 a. o. Professor und 1904 o. Professor ebd., 1919–34 an der Universität Freiburg i. Br. Sohn von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousin von Max Weber. Hausrath, Henriette, geb. Fallenstein (15.7.1840–17.3.1895). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein und → Emilie Fallenstein, geb. Souchay. Ältere Schwester von → Helene Weber. Seit 1864 verheiratet mit → Adolf Hausrath. Lebte mit ihrer Familie im Fallensteinschen Haus in Heidelberg, Ziegelhäuser Landstraße 23 (später Nr. 17). Tante von Max Weber. Hausrath, Laura (27.11.1867–8.5.1928). Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Hausrath, Lilli (6.10.1882–22.6.1965). Gemeindeschwester. Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Hausrath, Margarethe (17.2.1877–10.1.1965). Lehrerin. Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Hausrath, Maria (Mariechen) (30.4.1875–13.6.1894). Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine von Max Weber. Hausrath, Pauline (Paula) (11.3.1872–30.12.1958). Tochter von → Adolf Hausrath und → Henriette Hausrath, geb. Fallenstein. Cousine und Patenkind von Max Weber. Hebel, Johann Peter (10.5.1760–22.9.1826). Evangelischer Theologe und Schriftsteller. 1778–80 Studium der Theologie in Erlangen; 1783–91 Hilfslehrer in Lörrach, 1791 Subdiakon am Gymnasium in Karlsruhe; 1798 a. o. Professor ebd.; 1805 Kirchenrat; 1808 Direktor des Gymnasiums; 1819 Prälat der evangelischen Landeskirche; 1821 Dr. h. c. der Universität Heidelberg. Bekannt als Verfasser der „Allemannischen Gedichte“ (1803) und aufgrund seiner Mitarbeit am „Rheinländischen Hausfreund“. Hehn, Victor Amadeus (26.9.1813–21.3.1890). Deutsch-baltischer Kulturhistoriker. Studium der klassischen Philologie in Dorpat und Berlin; 1841 Lehrer an der Höheren Kreisschule in Pernau; 1847 Lektor an der Universität

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Dorpat; 1851 Verbannung nach Tula, die durch Alexander II. aufgehoben wurde; 1855 Bibliothekar an der Öffentlichen Bibliothek in St. Petersburg. Lebte seit 1873 in Berlin. Als sein wissenschaftliches Hauptwerk gilt „Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. Historisch-linguistische Skizzen“ (1870). Heine, Heinrich (bis zur Taufe 1825: Harry) (13.12.1797–17.2.1856). Dichter und Publizist. Nach Abschluß des Jurastudiums 1825 Reisen nach England und Italien; 1831 als Korrespondent der „Allgemeinen Zeitung“ (Augsburg) in Paris, wo er, mit kurzen Unterbrechungen, bis zu seinem Tod lebte und sich den Saint-Simonisten anschloß. Einer der bedeutendsten Lyriker des 19. Jahrhunderts (Reisebilder 1826 ff., Buch der Lieder 1827) und wichtigster Vertreter des „Jungen Deutschland“. Heinrich von Oranien-Nassau (13.6.1820–13.1.1879). Prinz der Niederlande. Seit 1849 Statthalter von Luxemburg. 1853–72 verheiratet mit Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, nach deren Tod 1878 in zweiter Ehe mit → Marie von Preußen. Heinze, Carl Friedrich Rudolf (10.4.1825–18.5.1896). Jurist. 1844–47 Studium der Rechtswissenschaften in Leipzig, 1847 Promotion zum Dr. jur. ebd.; 1847–52 juristischer Vorbereitungsdienst, anschließend Karriere in der Staatsanwaltschaft; 1865 o. Professor für Strafrecht, Strafprozeß und Rechtsphilosophie in Leipzig, 1866–71 Vertreter der Universität Leipzig in der I. sächsischen Kammer, seit 1873 o. Professor für Strafrecht in Heidelberg, hier im Sommersemester 1883 Prorektor. Henriette (Tante) → Hausrath, Henriette Herder, Johann Gottfried (seit 1802) von (25.8.1744–18.12.1803). Philosoph, Theologe und Dichter. Studium der Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften in Königsberg, u. a. Vorlesungen bei Immanuel Kant; 1764 Lehrer an der Domschule in Riga; 1767 Prediger ebd.; 1769 Frankreichreise und Begegnung mit Goethe; 1776 Hofprediger, Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat in Weimar. Denker der Aufklärung und des beginnenden Historismus, beeinflußte Philosophie, Theologie, Literatur-, Sprachund Geschichtswissenschaften. Hermann, Ernst (12.11.1837–21.9.1908). Lehrer und Schriftsteller. Studium der Theologie in Halle und Tübingen; 1860 Lehrer an der Höheren Töchterschule in Minden, 1864 am Königlichen Gymnasium in Hamm, 1872 Professor am Großherzoglichen Gymnasium in Mannheim, das → August Hausrath besuchte, 1886 Lehrer am Gymnasium in Baden-Baden. Verfasser verschiedener Bühnenstücke. Hermann (Onkel) → Baumgarten, Hermann

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Herodot von Halikarnass(os) (um 480–um 424 v. Chr.). Griechischer Geschichtsschreiber. Verfasser der „Historien“ (in 9 Büchern), des ältesten erhaltenen griechischen Geschichtswerkes, in dessen Mittelpunkt der Kampf zwischen den Griechen und dem persischen Weltreich steht und das trotz mancher Mißverständnisse in den Berichten über fremde Völker als weitestgehend zuverlässig gilt. Als „Vater der Geschichtsschreibung“ bezeichnet. Hintzelmann, Paul (17.12.1858–7.5.1936). Seit 1882 Bibliothekar in Heidelberg, 1902 Professor. Hinzpeter, Georg Ernst (9.10.1827–29.12.1907). Pädagoge. 1850 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; Hauslehrer in Berlin und Hildesheim, dann in Wiesbaden beim nassauischen Ministerpräsidenten Prinz Wittgenstein sowie in Fulda, 1866 beim preußischen Kronprinzen für die Prinzen → Wilhelm (Wilhelm II.) und Heinrich; 1874 als Begleitung Wilhelms nach Kassel, wo der Prinz das Gymnasium besuchte, gehörte auch nach dessen Abitur 1877 zum Kreis der Berater des künftigen Kaisers. Hirschberger, Karl (19.3.1846–?). Offizier. 1881–88 Hauptmann verschiedener Kompanien im 2. Niederschlesischen Infanterie-Regiment Nr. 47, u. a. der 5., der Max Weber während seiner militärischen Übung im März/ April 1885 angehörte. Hobrecht, Arthur (14.8.1824–7.7.1912). Jurist und nationalliberaler Politiker. 1841–44 Studium der Rechtswissenschaften in Königsberg, Leipzig und Halle; anschließend im Justizdienst; 1846 Wechsel in den höheren Verwaltungsdienst; 1847–49 Stellvertretender Landrat in Rybnik und Grottkau; 1860 Berufung als Hilfsarbeiter ins preußische Innenministerium; 1863–72 Oberbürgermeister von Breslau und 1872–78 von Berlin. 1878 preußischer Staats- und Finanzminister; im Juli 1879 Ausscheiden wegen Differenzen mit Bismarck. 1863–78 MdprHH, 1879–1912 MdprAH, 1881–84 und 1886– 1890 MdR für die Nationalliberale Partei. Gehörte mit seiner Frau → Emma Hobrecht, geb. Stampe, zum Berliner Bekanntenkreis der Familie Weber. Pate von → Helene (Helenchen), → Arthur und → Lili Weber. Hobrecht, Emma, geb. Stampe (1.1.1828–18.3.1912). Verheiratet mit → Arthur Hobrecht. Hoeniger, Robert (27.6.1855–23.10.1929). Historiker und Publizist. 1881 Promotion in Berlin, 1885 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1888 Geschichtslehrer an der Kriegsakademie ebd.; 1894 a. o. (Titular-)Professor an der Universität in Berlin, 1906 Dozent an der Handelshochschule Berlin, 1920 o. Honorarprofessor für Geschichte an der Universität ebd. Befaßte sich mit der Erforschung des Deutschtums im Ausland. Bekannter Max Webers aus den 1880er Jahren in Berlin.

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Hoffmann, Carl (23.8.1860–23.2.1923). Arzt. 1881–83 Medizinstudium in Heidelberg und 1883–89 in Kiel, dort Staatsexamen, im Anschluß als praktischer Arzt tätig. Gemeinsam mit Max Weber Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu (31.3.1819–6.7.1901). Politiker und Reichskanzler. 1866–70 bayerischer Ministerpräsident; 1871–81 MdR für die liberale Reichspartei; 1874–85 deutscher Botschafter in Paris, ab 1880 Geschäftsführung des Auswärtigen Amtes als interimistischer Staatssekretär; 1885–94 als Nachfolger → Manteuffels kaiserlicher Statthalter des Reichslandes Elsaß-Lothringen. 1894–1900 Reichskanzler. Holst, Hermann Eduard von (19.6.1841–20.1.1904). Historiker. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg; zunächst in den Vereinigten Staaten als Korrespondent tätig, seit 1872 a. o. Professor für amerikanische Geschichte und Verfassungsrecht in Straßburg, 1874–92 o. Professor für Neuere Geschichte in Freiburg i. Br., dort 1887/88 Prorektor und 1881, 1883 und 1887 als Vertreter der Universität Mitglied der Ersten Badischen Kammer; 1878/79 als Stipendiat der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Chicago; 1892–99 o. Professor für amerikanisches Staatsrecht in Chicago. Holsten, Carl Christian Johann (31.3.1825–26.1.1897). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie und Philosophie in Leipzig, Jena, Berlin und Rostock; 1852 Zweites Theologisches Examen in Rostock und Lehrer am Gymnasium ebd.; 1853 Promotion zum Dr. phil. ebd.; 1869 a. o. Professor in Bern und Lehrer am Obern Gymnasium ebd.; 1871 o. Professor ebd., 1876 in Heidelberg; 1890 Kirchenrat. Holtzendorff, Franz von (14.10.1829–4.2.1889). Jurist. 1844–52 Studium der Rechtswissenschaften, 1852 Promotion zum Dr. jur. in Berlin; 1857 Habilitation ebd., 1861 a. o. Professor ebd., 1872 o. Professor für Staats-, Völker- und Strafrecht in München. 1860 Mitbegründer des deutschen Juristentags. Wirkte für die Erneuerung des Strafrechts, Strafverfahrens und Strafvollzugs. Herausgeber und Mitarbeiter zahlreicher juristischer Enzyklopädien und Handbücher, u. a. der „Encyclopädie der Rechtswissenschaft“ (1. Aufl., 1870). Holtzmann, Heinrich Julius (17.5.1832–4.8.1910). Evangelischer Theologe. 1850–54 Studium der Theologie in Heidelberg und Berlin, 1858 Promotion zum Lic. theol. in Heidelberg und Privatdozent; 1861 a. o. Professor ebd., 1865 o. Professor ebd., 1874 in Straßburg, dort 1878/79 Rektor. Mitglied des Deutschen Protestantenvereins. Vertreter der historisch-kritischen Exegese; Verfasser des „Lehrbuchs der neutestamentlichen Theologie“ (2 Bände, 1896/97).

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Holtzmann, (Sara Henriette) Karoline, geb. Weber (5.9.1840–1897). Tochter von → Georg Weber und → Ida Weber, geb Becher; seit 1864 verheiratet mit → Heinrich Julius Holtzmann. Horaz (eigentlich: Quintus Horatius Flaccus) (8.9.65–27.11.8 v. Chr.). Römischer Dichter. Hoßbach (auch: Hossbach), Theodor (1.7.1834–11.8.1894). Pfarrer. Ab 1852 Studium der Theologie in Berlin, Bonn und Koblenz, 1858 Promotion zum Lic. theol. in Bonn; Pfarrvikar in Altenberg-Moresnet, 1861 Hilfsprediger in Berlin, 1868 Zweiter Prediger der St. Andreaskirche ebd., 1877 Zweiter Vorsitzender der Berliner Stadtsynode, 1881 Pfarrer an der Neuen Kirche (Deutscher Dom) in Berlin. Als Vertreter einer liberalen Theologie 1865 an der Gründung des Deutschen Protestantenvereins beteiligt; in orthodoxen Kirchenkreisen umstritten. Howe, Wilhelm (?–2.7.1881). Städtischer Baurat und Mitglied des Magistrats in Charlottenburg. Howe, Willy Paul Eduard (4.2.1864–?). Mathematiker. 1881 Abitur am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, Studium der Mathematik in Berlin, 1887 Promotion zum Dr. phil. ebd. Sohn des Stadtbaurats → Wilhelm Howe. Mitschüler Max Webers. Hübbe, Anna Caroline Ottilie, geb. Weber (23.3.1862–24.1.1886). Tochter von Emilie Theodore Weber, geb. Röltgen, und → Otto Weber in Hamburg, einem Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Heiratete am 4. August 1883 den Hamburger Versicherungskaufmann Johann Hübbe. Cousine von Max Weber in Hamburg. Hübner-Trams, Maximilian (31.1.1834–nach 1900). Gymnasiallehrer. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Jena; 1867 archäologische Studien in Italien; 1871 Examen „pro facultate docendi“ und cand. prob. in Charlottenburg, danach Erzieher in Riga; 1877 Lehrer in Spandau, 1878–1901 am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Hübschmann, Heinrich (1.7.1848–20.1.1908). Sprachforscher. Studium der orientalischen Sprachen in Tübingen, Jena, Leipzig und München, 1872 Promotion zum Dr. phil. in München, 1875 Habilitation in Leipzig; 1876 a. o. Professor für vergleichende Sprachwissenschaft ebd., 1877 o. Professor in Straßburg. Verdienste insbesondere in der Erforschung der armenischen Sprache. Huene Freiherr von Hoiningen, Karl (24.10.1837–13.3.1900). Offizier, Rittergutsbesitzer und Zentrumspolitiker. 1877–1900 MdprAH und 1884–93 MdR; 1881 Begründer und Vorsitzender des Schlesischen Christlichen

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Bauernvereins; 1886–93 Mitglied der Agrarkommission im Abgeordnetenhaus; 1895–1900 Präsident der preußischen Zentralgenossenschaftskasse. Brachte am 10. Februar 1885 im preußischen Landtag ein Gesetz ein („Lex Huene“), das den Kommunalverbänden einen Anteil an den auf Preußen entfallenden Agrarzöllen sichern sollte. Ickrath, Paul (29.6.1840–6.5.1911). Gastwirt. Besitzer des Gasthauses „Zum Weinberg ob der Bruck“ an der Ziegelhäuser Landstraße in Heidelberg. Ida (Tante) → Baumgarten, Ida Ignatiew, Nikolai Pawlowitsch; Tl.: Ignat’ev, Nikolaj Pavlovicˇ (29.1.1832– 20.6.1908). Russischer Politiker und Diplomat. 1864 Russischer Botschafter in Konstantinopel; 1881 Innenminister; 1882 Urheber der judenfeindlichen „Maigesetze“. Ihering, Rudolf von (22.8.1818–17.9.1892). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Göttingen und München, 1840/41 Promotion sowie Habilitation in Berlin, 1843 Privatdozent ebd.; 1845 o. Professor für Römisches Recht in Basel, 1846 in Rostock, 1849 in Kiel, 1852 in Gießen, 1868 in Wien, 1872 in Göttingen. Einerseits mit seinem „Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung“ (3 Teile, 1852– 65) theoretischer Begründer der sog. Begriffsjurisprudenz, die das Römische Recht durch rein logische Operationen in seiner überzeitlichen wie übernationalen Vernünftigkeit und systematischen Geschlossenheit darstellen will; andererseits in seinem Spätwerk „Der Zweck im Recht“ (2 Bände, 1877–83) leidenschaftlicher Kritiker der begriffsjuristischen Methode und Vorbereiter der rechtssoziologischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Freirechtsschule und namentlich der Interessenjurisprudenz. Jacques, Jean-Baptiste-Etienne (13.1.1827–14.2.1910). Katholischer Geistlicher und Politiker. 1851 Priesterweihe, 1868 Pfarrer in Gondrecourt, 1871 Ehrendomherr der Kathedrale von Metz. Gründete 1884 die Wochenzeitung „Metzer Katholisches Volksblatt“, im selben Jahr gescheiterte Reichstagskandidatur als parteiloser Kandidat. Jaeckel, Otto (3.2.1845–?). Offizier. 1879–1889 Hauptmann der 2. Kompanie des 2. Niederschlesischen Infanterie-Regiments Nr. 47, dem Max Weber als Einjährig-Freiwilliger 1883/84 angehörte. Janssen, Johannes (11.4.1829–24.12.1891). Historiker und katholischer Theologe. Studium in Münster, Löwen und Bonn, 1853 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1854 Habilitation für Geschichte in Münster; 1855 Professor für Geschichte am Frankfurter Gymnasium; 1860 Weihe zum Priester. 1875 MdprAH. Bekannt durch seine katholisch geprägte „Geschichte des deut-

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schen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters“ (8 Bände, 1876–94), die durch seine Lutherkritik erheblichen Widerspruch erfuhr und 1882/83 zu einer öffentlichen Debatte führte. Jaunez, Eduard (seit 1904) von (29.9.1835–26.6.1916). Fabrikant und Politiker. 1858 Direktor einer Porzellanfabrik in Tournay (Belgien), 1864 Mitbegründer der Porzellanfabrik Utzschneider & Ed. Jaunez in Saargemünd (Sarreguemines). 1873–87 Bürgermeister ebd.; 1877–90 MdR für die Elsaß-Lothringische Protestpartei, 1879 Wahl in den Bezirkstag Lothringen und den Landesausschuß des Reichslandes Elsaß-Lothringen; 1880 Präsident des Landesausschusses; 1881 Präsident des Bezirkstages; 1895– 1912 Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses für Elsaß-Lothringen; 1911 Rücktritt von allen politischen Ämtern und Rückzug aus der Politik. Jockerôt (auch: Jockerst) (?–?). Max Webers Vermieter in Straßburg, Steinstraße 35. Jolly, Elisabeth, geb. Fallenstein (27.8.1827–1901). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein und seiner ersten Frau Elisabeth Fallenstein, geb. Benecke. Halbschwester von → Helene Weber. Seit 1852 verheiratet mit → Julius Jolly. Tante von Max Weber. Jolly, Elisabeth (Lieserle) (2.3.1864–25.2.1937). Tochter von → Julius Jolly und → Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein, einer Halbschwester von → Helene Weber. Cousine von Max Weber. Jolly, Julie, geb. Nicolai (1856–1898). Braut von → Julius Jolly jun. Jolly, Julius (21.2.1823–14.10.1891). Badischer Politiker. 1847 Habilitation für Staatsrecht in Heidelberg; 1857 a. o. (Titular-)Professor ebd. 1861 Berufung zum Regierungsrat, 1862 Ministerialrat, 1866 Präsident des Innenministeriums, 1868 Präsident des Staatsministeriums in Karlsruhe, 1876 Entlassung aus dem Regierungsamt und Ernennung zum Präsidenten der badischen Oberrechnungskammer in Karlsruhe. Liberaler Reformpolitiker des Schulwesens, der Innenpolitik und der Kirchenordnung. Befürwortete die Anlehnung Badens an Preußen und die Gründung des Deutschen Reiches 1870/71. Heiratete 1852 → Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein, eine Halbschwester von → Helene Weber. Onkel Max Webers. Jolly, Julius jun. (Ludwig Friedrich Julius) (5.1.1856–20.2.1898). Jurist und Publizist. 1874 Abitur in Karlsruhe, Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, München und Leipzig, 1880 erstes und 1884 Zweites Juristisches Staatsexamen; anschließend bis 1897 im badischen Justizdienst tätig, zuletzt als Staatsanwalt in Karlsruhe. 1895 Redakteur der „Allgemeinen Zeitung“ in München. Unterstützer der Nationalliberalen Partei. Sohn von → Julius Jolly und → Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein, einer Halbschwester von → Helene Weber. Cousin von Max Weber.

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Jolly, Marie (1859–1936). Tochter von → Julius Jolly und → Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein, einer Halbschwester von → Helene Weber. Cousine von Max Weber. Jolly, Philipp (7.10.1857–19.11.1923). Badischer Verwaltungsbeamter. Studium der Rechtswissenschaften, 1883 Zweites Juristisches Staatsexamen; Oberamtmann in Heidelberg, Amtsvorstand in Alt-Breisach, Weinheim und Pforzheim, Landrat in Heidelberg; 1909–22 Stadtdirektor in Heidelberg. Sohn von → Julius Jolly und → Elisabeth Jolly, geb. Fallenstein, einer Halbschwester von → Helene Weber. Cousin von Max Weber. Jovius, Paulus → Giovio, Paolo Julie (?–?). In den 1870er Jahren Dienstmädchen im Haus der Familie Weber in Charlottenburg. Kap-herr, Johannes (Hans) Georg Hermann von (3.4.1857–4.3.1939). Historiker. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg mit einer Arbeit über die abendländische Politik Kaiser Manuels I. von Byzanz; 1884–92 Privatdozent in Göttingen. Freund von → Otto Baumgarten und 1883 dessen Trauzeuge. 1884 Heirat mit Alexandrine (Tina) Freiin von Meyern-Hohenberg. Kapp, Friedrich (13.4.1824–27.10.1884). Jurist, liberaler Politiker und Publizist. 1842–45 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und Heidelberg, 1848 Promotion zum Dr. jur. Trat 1848 politisch und publizistisch für eine demokratische Republik ein, 1849 nach Teilnahme am badischen Aufstand Emigration, 1850 Auswanderung in die USA, in New York als Rechtsanwalt tätig. 1870 Rückkehr nach Berlin und Rechtsanwalt ebd. 1872–78 nationalliberaler Stadtverordneter. 1873–76 MdprAH, 1872–78 und 1881–84 MdR, bis 1878 für die Nationalliberale Partei, ab 1881 infolge von Bismarcks innenpolitischer Wende für die Liberale Vereinigung (Sezession). Publizierte u. a. zur Sklavenfrage sowie eine „Geschichte des deutschen Buchhandels“ (Band 1 postum 1886). Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. in Berlin. Kapp, Luise, geb. Engels (12.7.1825–24.04.1916). Tochter des Kölner Stadtkommandanten Friedrich Ludwig Engels, seit 1850 verheiratet mit → Friedrich Kapp. Kapp, Margarethe (29.3.1857–8.10.1945). Vierte Tochter von → Friedrich Kapp und → Luise Kapp, geb. Engels. Kapp, Wolfgang (24.7.1858–12.6.1922). Jurist. Nationalistischer Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Göttingen, 1886 Promotion zum Dr. jur.; 1886–90 Hilfsarbeiter im preußischen Finanzministerium, 1891–99 Landrat und Deichhauptmann des Kreises Guben, 1900–06 Vortragender Rat im Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten,

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seit 1906 Generaldirektor der Ostpreußischen Landschaft. Mitglied des „Alldeutschen Verbandes“; 1917 mit Alfred von Tirpitz Begründung der „Deutschen Vaterlandspartei“; 1918 MdR für die Konservative Partei; 1920 Putschversuch gegen die Reichsregierung (sog. Kapp-Lüttwitz-Putsch), Flucht nach Schweden. Sohn von → Friedrich Kapp und → Luise Kapp, geb. Engels. Karl IV. (14.5.1316–29.11.1378). König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. 1346 Wahl zum römisch-deutschen König und 1347 zum König von Böhmen (als Karl I.), 1355 Krönung zum König von Italien, im selben Jahr durch den Papst Kaiserkrönung in Rom. Verabschiedete 1356 die Goldene Bulle, die bis zur Aufl ösung des Reiches 1806 das Wahlverfahren durch die Kurfürsten festlegte und das wichtigste „Grundgesetz“ des alten Reiches bildete. Förderte insbesondere Böhmen politisch, kulturell und wirtschaftlich; gründete 1348 mit der Karls-Universität in Prag die erste Universität Mitteleuropas. Karl V. (24.2.1500–21.9.1558). Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, spanischer König, bis 1530 deutscher König. Vereinigte in seiner Hand das Reich und Spanien mit den Kolonien; außenpolitisch ist seine Regierungszeit durch Konflikte mit Frankreich und dem Osmanischen Reich gekennzeichnet, innenpolitisch stand sie im Zeichen der durch die Reformation ausgelösten religiösen Spannungen. Legte 1556 die Kaiserkrone nieder und zog sich in ein Kloster in Spanien zurück. Max Webers Onkel → Hermann Baumgarten publizierte ab 1885 eine „Geschichte Karls V.“ in 3 Bänden. Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (24.6.1818–5.1.1901). Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (seit 8. Juli 1853). 1841 Promotion zum Dr. phil. in Jena. 1849 Teilnahme am ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848–51). Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen (7.9.1811–2.6.1885). 1848/49 letzter regierender Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen vor der Eingliederung in das Land Preußen. 1858–62 preußischer Ministerpräsident. Großvater von Prinz → Friedrich August von Sachsen. Karlowa, Otto (11.2.1836–3.1.1904). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften und Geschichte bis 1859 in Berlin, Jena und Göttingen; seit 1860 juristischer Vorbereitungsdienst in Bückeburg; 1862 Promotion zum Dr. jur. in Bonn, Privatdozent für Römisches Recht ebd.; 1867 o. Professor in Greifswald, zuerst für Zivilprozeß und Strafrecht, dann für Römisches Recht, 1872 als Nachfolger → Levin Goldschmidts o. Professor für Römisches Recht in Heidelberg. Hauptwerk: „Römische Rechtsgeschichte“ (2 Bände, 1901). Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg.

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Keller, Gottfried (19.7.1819–15.7.1890). Schweizer Dichter. 1834 Verweis von der Schule, aufgrund dessen keine höhere Schulbildung; danach zunächst Versuche als Landschaftsmaler; seit 1840 an der Kunstakademie München; 1842 Rückkehr nach Zürich, erste schriftstellerische Versuche; 1850–56 in Berlin, dort u. a. sein bekanntestes Werk „Der grüne Heinrich“ (1854/55) verfaßt; 1861–78 Staatsschreiber des Kantons Zürich, danach zahlreiche weitere Werke, v. a. Novellen. Bedeutender Vertreter des Realismus. Kirchhoff, Max Joseph (4.12.1831–10.10.1899). Kommunalpolitiker. 1861–92 Zweiter Bürgermeister der Stadt Erfurt, wirkte hier zeitweise gemeinsam mit → Maximilian (Max) Weber sen. als Beigeordneter im Magistrat der Stadt. Klarspieß (?–?). Max Webers Vermieter in Straßburg, Steinstraße 39. Knies, Karl (29.3.1821−3.8.1898). Nationalökonom. Studium der Geschichte und Staatswissenschaften in Marburg, 1846 Promotion zum Dr. phil. und Habilitation ebd.; 1849 Dozent an der Höheren Gewerbeschule in Kassel, 1852 Lehrer an der Kantonsschule in Schaffhausen; 1855 o. Professor für Kameralwissenschaften in Freiburg i. Br., 1865−96 in Heidelberg; begründete dort 1870/71 zusammen mit Johann Caspar Bluntschli das Staatswissenschaftliche Seminar. 1861 Abgeordneter der Zweiten Badischen Kammer, 1882 Vizepräsident der Ersten Badischen Kammer. Zusammen mit Wilhelm Roscher und Bruno Hildebrand Begründer der älteren Historischen Schule der Nationalökonomie. Max Weber hörte bei ihm Vorlesungen und übernahm 1897 seinen Lehrstuhl in Heidelberg. Kohl, Karl (24.11.1861–17.12.1925). Privatgelehrter. 1880–86 Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Heidelberg (1881–83), dann Zoologie, 1889 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig; 1889 am Institut für Tiefseeforschung, seit 1899 Privatgelehrter in Stuttgart. Wie Max Weber Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Krätke, Franz (4.10.1826–nach 1893). Lehrer. Unterrichtete nach Besuch des Lehrerseminars in Potsdam 1853–94 als Vorschullehrer am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Im Sommer 1878 war → Karl Weber längere Zeit beim Ehepaar Krätke in Charlottenburg in Pension. Krätke, Frau (?–?). Ehefrau des Charlottenburger Vorschullehrers → Franz Krätke. Krebs, Oskar (ca. 1864–?). Historiker. Aus Hamburger Kaufmannsfamilie; 1882 in Heidelberg für Geschichte und orientalische Philologie immatrikuliert. Kommilitone Max Webers in Heidelberg.

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Kroll, Frau Senator (?–?). Verwandte von → Anna Erdmannsdörffer, geb. Lenz; führte in Heidelberg den Haushalt der Familie Erdmannsdörffer. Kulemann, Wilhelm (9.9.1851–6.4.1926). Landgerichtsrat und Amtsrichter in Braunschweig; MdR von 1887 bis 1890 für die Nationalliberalen; kandidierte bei den Reichstagswahlen 1884 (ohne Erfolg) im Wahlkreis Braunschweig-Blankenburg. Gaius Laelius (Konsul um 140 v. Chr.). Römischer Politiker. 147–146 v. Chr., im 3. Punischen Krieg, beteiligt an der Eroberung Karthagos. Um 140 v. Chr. Konsul. Seine Freundschaft mit Scipio Aemilianus gab der um 44 v. Chr. von → Cicero verfaßten „Laelius de amicitia“ ihren Namen, sie ist seinem Freund → Titus Pomponius Atticus gewidmet. Lange, Friedrich Albert (28.9.1828–21.11.1875). Pädagoge, Philosoph und Publizist. 1851 Promotion zum Dr. phil. in Bonn; 1852–55 Gymnasiallehrer in Köln; 1855 Habilitation und Privatdozent für Philosophie und Pädagogik in Bonn; 1858–62 Gymnasiallehrer in Duisburg, 1862 Ausscheiden aus dem Schuldienst im Zusammenhang mit dem preußischen Verfassungskonflikt; 1862–64 Redakteur der „Rhein- und Ruhr-Zeitung“; 1864–66 Mitglied des ständigen Ausschusses des Vereinstages deutscher Arbeitervereine; 1866 Wechsel nach Winterthur; 1869 Habilitation für Philosophie in Zürich, 1870 Professor für Philosophie ebd., seit 1872 Professor in Marburg. Mitglied des Nationalvereins und der Fortschrittspartei. Gilt als einer der Begründer des Neukantianismus. Langenbeck, Bernhard (seit 1861) von (9.11.1810–29.9.1887). Mediziner. Studium der Medizin in Göttingen, 1835 Promotion zum Dr. med. ebd., 1838 Habilitation ebd.; 1841 a. o. Professor ebd., 1842 o. Professor in Kiel, 1848 in Berlin und Leiter der Charité, die er zu einem Zentrum der modernen Chirurgie aufbaute. 1872 Gründer der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie; 1882 Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat. Larraß, Johannes Anton (4.12.1832–30.7.1908). Oberst. 1866 Teilnehmer am Krieg gegen Österreich sowie 1870/71 am deutsch-französischen Krieg; seit 1881 Oberst und Kommandeur des 6. Infanterie-Regiments Nr. 105 in Straßburg; 1887 Beförderung zum Generalmajor. Lasker, Eduard (14.10.1829–5.1.1884). Jurist und liberaler Politiker. 1865–79 MdprAH, 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–84 MdR; bis 1866 Mitglied der Fortschrittspartei, 1866/67 Mitbegründer der Nationalliberalen Partei, dort Führer des linken Flügels und innerparteilicher Opponent → Bennigsens; schied nach Bismarcks Übergang zum Schutzzollsystem 1880 aus der Fraktion aus und trat der liberalen Vereinigung („Sezession“) bei.

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Lenz, Max (13.6.1850–6.4.1932). Historiker. 1874 Promotion zum Dr. phil.; 1875 Eintritt als Hilfsarbeiter in das Geheime Staatsarchiv Marburg, 1876 Habilitation für Mittlere und Neuere Geschichte; 1881 a. o. Professor, 1885 o. Professor in Marburg, 1890–1914 für Neuere Geschichte in Berlin, 1914– 22 am Kolonialinstitut in Hamburg, an dessen Ausbau zur Universität er mitwirkte. Leo XIII. (eigentlich: Vincenzo Gioacchino Pecci) (2.3.1810–20.7.1903). Papst (1878–1903). Strebte anfänglich nach einer Restauration der hochmittelalterlichen Ordnung von Kirche und Staat; in sein Pontifikat fällt die Beendigung des preußischen bzw. deutschen „Kulturkampfes“, verlieh Bismarck Ende 1885 den Christusorden. Begründete mit seiner Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ (1891) die moderne katholische Soziallehre. Lessing, Gotthold Ephraim (22.1.1729–15.2.1781). Dichter und Dramatiker. Studium der Theologie, dann der Medizin in Leipzig und Wittenberg, 1752 Magister der Sieben freien Künste; wechselnde Anstellungen in Berlin, Breslau und Hamburg (u. a. 1767–70 am Nationaltheater), seit 1770 Bibliothekar der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Einflußreicher Lyriker und Dramatiker der Aufklärung, Verfasser berühmter Dramen („Emilia Galotti“ 1772, „Nathan der Weise“ 1779), aber auch philosophischer, literaturtheoretischer (Laokoon, 1766) und theologischer Schriften. Leyen, Alfred von der (28.6.1844–25.9.1934). Jurist und Ministerialbeamter. 1865 Promotion zum Dr. jur. in Berlin; nach verschiedenen Gerichts- und Verwaltungspositionen 1872 Syndikus der Handelskammer in Bremen, 1876 Regierungsrat, später Vortragender Rat im Reichseisenbahnamt, 1880–1912 im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. Seit 1872 verheiratet mit → Luise von der Leyen, geb. Kapp; Neffe und Schwiegersohn von → Friedrich Kapp. Leyen, Luise von der, geb. Kapp (1823–1908). Tochter von → Friedrich Kapp und → Luise Kapp, geb. Engels; seit 1872 verheiratet mit → Alfred von der Leyen. Quintus Ligarius (?–ca. 42 v. Chr.). Römischer Politiker und Heerführer. 50 v. Chr. Verwalter der Provinz Africa, stand im Bürgerkrieg auf Seiten von → Pompeius und gegen → Caesar, setzte nach Pompeius’ Niederlage in der Schlacht von Pharsalos den Kampf gegen Caesars Truppen in Africa fort. 46 v. Chr. des Hochverrats angeklagt und von → Cicero in dessen Rede „Pro Ligario“ mit Erfolg vor Caesar verteidigt. Beteiligt an der Verschwörung des → Brutus gegen Caesar. Lindau, Paul (3.6.1839–31.1.1919). Schriftsteller und Journalist. 1863 Redakteur der „Düsseldorfer Zeitung“, 1865 bei „Wolffs Telegraphischem Bureau“ und 1866–69 bei der „Elberfelder Zeitung“, 1869 Leiter der liberalen Wochenschrift „Neues Blatt“ und 1872–81 der „Gegenwart“. Für die

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„National-Zeitung“ berichtete Lindau ausführlich über die USA-Reise 1883, an der auch → Maximilian (Max) Weber sen. teilnahm. Titus Livius (59 v. Chr.–um 17 n. Chr.). Römischer Geschichtsschreiber. Verfasser von „Ab urbe condita libri CXLII“, einer Geschichte Roms von seiner Gründung (laut Legende 753 v. Chr.) bis zum Tod des Drusus (9 v. Chr.) in 142 Büchern. Davon erhalten sind nur Buch 1–10 (753–293 v. Chr.) und 21–45 (218–167 v. Chr.), während der Großteil ausschließlich in Inhaltsangaben und Bruchstücken überliefert ist. Locke, John (29.8.1632–28.10.1704). Englischer Philosoph. Gilt als „Vater des Liberalismus“ und Vordenker der Aufklärung. Bedeutender Vertreter des Empirismus. Beeinflußte mit seiner politischen Philosophie maßgeblich die Revolutionen und Verfassungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich. Lotze, Rudolf Hermann (21.5.1817–1.7.1881). Philosoph. Studium der Medizin in Leipzig, 1838 Promotion zum Dr. phil. und Dr. med. ebd., 1839 Habilitation für Medizin und 1840 für Philosophie ebd.; 1842 a. o. Professor für Philosophie ebd., 1844 o. Professor in Göttingen, 1881 in Berlin. Einer der meistdiskutierten Philosophen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Max Weber las zusammen mit → Otto Baumgarten dessen „Mikrokosmus“. Louise (?–?). 1876 Dienstmädchen im Charlottenburger Haus der Familie Weber. Löwe, Albert (November 1823–23.2.1886). Unternehmer und Stadtrat. Seit 1863 Stadtrat in Berlin, dadurch bekannt mit → Maximilian (Max) Weber sen. Lubarsch, Otto (4.1.1860–1.4.1933). Pathologe. Studium der Philosophie und Naturwissenschaften in Leipzig und Heidelberg, dann der Medizin in Jena, Berlin, Heidelberg (1880–83) und Straßburg, dort 1883 Promotion zum Dr. med., 1885 Staatsexamen ebd.; 1890 Habilitation am Pathologischen Institut in Zürich; verschiedene Anstellungen; 1907 o. Professor an der Akademie Düsseldorf, dort 1909–12 Geschäftsführender Direktor, 1913 o. Professor und Direktor des Pathologischen Instituts in Kiel, 1917 in Berlin, dort bis 1928 Leiter des Virchowschen Instituts. Gemeinsam mit Max Weber Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Lucae, August (24.8.1835–17.3.1911). Mediziner. 1859 Promotion in Berlin, ab 1865 Privatdozent und 1866 Habilitation ebd.; seit 1871 a. o. Professor an der Universität Berlin, 1899 o. Professor für Ohrenheilkunde ebd., 1874 Direktor der Universitätspoliklinik für Ohrenkrankheiten, 1881 Leitung der von ihm mitbegründeten ersten stationären Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten in Deutschland. Gehörte mit seiner Frau → Johanne Sophie Emilie Lucae zum Berliner Bekanntenkreis der Familie Weber.

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Lucae, Johanne Sophie Emilie, geb. Albers (v. d. 3.5.1848–?). Seit 1867 verheiratet mit → August Lucae. Lucius, Juliet Maria, geb. Souchay (26.7.1835–13.6.1921). Tochter von Carl Isaac Souchay und Adelheid Souchay, geb. Dethmar. Seit 1864 verheiratet mit → Robert Lucius. Cousine von → Helene Weber. Lucius (seit 1888) von Ballhausen, Robert (20.12.1835–10.9.1914). Deutscher Arzt und Politiker. Rittergutsbesitzer und Fideikommißherr auf Großund Klein-Ballhausen und Stoedten. 1858 Promotion zum Dr. med. in Breslau; danach im Dienst der preußischen Armee; 1879–90 preußischer Landwirtschaftsminister. 1870–79 und 1882–93 MdprAH, 1871–81 MdR und 1895 MdprHH. Enger Freund Bismarcks. Ehemann von → Juliet Maria Lucius, geb. Souchay. Ludwig, Wilhelm (1845–1925). Evangelischer Pfarrer. 1878–1919 Stadtpfarrer in Baden-Baden. Bei ihm leistete → Otto Baumgarten von Dezember 1882 bis Mai 1883 sein Vikariat ab. Lüttge, Albert Friedrich Carl (6.12.1836–nach 1898). Gymnasiallehrer. Studium in Halle und Erlangen, 1861 Examen „pro facultate docendi“, 1863 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen; 1861–63 Hilfslehrer in Nordhausen, 1863–73 Lehrer in Seehausen/Altmark, 1873–99 Oberlehrer für Latein, Geschichte und Französisch am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Machiavelli, Niccolò di Bernardo dei (3.5.1469–22.6.1527). Italienischer Schriftsteller und Politiker. 1498 Sekretär in der zweiten Kanzlei der Republik Florenz, in deren Auftrag zahlreiche diplomatische Missionen; nach Machtübernahme der Medici 1512 seines Amtes enthoben; seit 1519 in den Diensten der Medici. Seine Schrift „Il Principe“ (1513 entstanden, veröffentlicht erst 1532 und bald darauf auf den „Index librorum prohibitorum“ gesetzt) gilt als Idealisierung einer von sittlichen Normen losgelösten Machtpolitik und führte über lange Zeit hinweg zu heftigen Kontroversen. Weitere Werke: „Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio“ (1513–17) und „Istorie Fiorentine“ (1520–25). Madai, Guido von (31.1.1810–24.11.1892). Verwaltungsjurist und Berliner Polizeipräsident. 1830–34 Studium der Rechtswissenschaften in Halle; 1830 Eintritt in den Staatsdienst, 1850 Landrat im Kreis Kosten (Posen), 1866 preußischer Zivilkommissar im besetzten Frankfurt a. M., nach der Annexion durch Preußen 1867 Polizeipräsident ebd. sowie Landrat des preußischen Landkreises Frankfurt a. M., 1872–85 Polizeipräsident von Berlin. Mahner-Mons, Alfred Hugo Leopold (21.8.1845–11.3.1908). Mediziner. Regimentsarzt des 1. Thüringischen Feldartillerieregiments Nr. 19 in Erfurt.

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Nachbar der Familie Weber in Erfurt, wohnte im Haus von → Heinrich August Mons und → Emma Mons, geb. Mierendorf. Gaius Manlius (?–62 v. Chr.). Unterstützte 63 v. Chr. den Umsturzversuch von → Catilina. Errichtete 63 v. Chr. ein Heerlager bei Faesulae, in das sich Catilina nach der Anklage durch → Cicero zurückzog. Nach der Hinrichtung mehrerer Catilinarier in Rom Versuch, sich nach Gallien zurückzuziehen. Starb in der Schlacht bei Pistoria. Manteuffel, Edwin Freiherr von (24.2.1809–17.6.1885). Preußischer Generalfeldmarschall und Statthalter in Elsaß-Lothringen. 1827 Eintritt in das 1. Berliner Gardedragonerregiment, 1833–36 Besuch der allgemeinen Kriegsschule, seit 1842 Premierleutnant und Adjutant des Prinzen Albrecht von Preußen; gehörte ab 1848 zum erweiterten Kreis der Vertrauten Friedrich Wilhelms IV.; 1865 nach dem Vertrag von Gastein Gouverneur des Herzogtums Schleswig, 1866 Kommandeur der Mainarmee im deutschösterreichischen Krieg; nach dem deutsch-französischen Krieg bis 1873 Befehlshaber der Okkupationsarmee, 1873 Ernennung zum Generalfeldmarschall; 1879–85 Statthalter im Reichsland Elsaß-Lothringen. Margarethe, Beatrice Feodora von Preußen (22.4.1872–22.1.1954). Tochter von → Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und → Kronprinzessin Victoria; seit 1893 verheiratet mit Prinz Friedrich Karl von Hessen. Marie (?–?). In den 1870er Jahren Bedienstete im Haus der Familie Weber. Marie von Preußen (14.9.1855–20.6.1888). Tochter des Generalfeldmarschalls → Friedrich Karl Nikolaus von Preußen; seit 1878 verheiratet mit Prinz → Heinrich von Oranien-Nassau. Gaius Marius (ca. 157–13.1.86 v. Chr.). Bedeutender Feldherr und Politiker der späten römischen Republik, u. a. Sieger über die Teutonen (102 v. Chr.) und Kimbern (101 v. Chr.), der in seinem ersten Konsulat (107 v. Chr.) anläßlich des Krieges gegen den numidischen König Jugurtha die Rekrutierung von vermögenslosen römischen Bürgern für die Legionen einführte, die zur dauerhaften Praxis wurde. Betrieb die Umwandlung des Milizheeres in ein Berufsheer. Marquardsen, Heinrich (seit 1888) von (25.10.1826–30.11.1897). Staatsrechtler und Politiker. 1848 Promotion zum Dr. jur. utr. in Heidelberg, 1852 Habilitation und seitdem Privatdozent ebd.; 1857–61 a. o. Professor in Erlangen, 1861–97 o. Professor für Strafrecht ebd. 1855 Mitbegründer der „Kritischen Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft“. 1869–92 Mitglied der zweiten bayerischen Kammer, seit 1871 MdR für die Nationalliberalen, 1883–87 Vorsitzender der Fraktion im Reichstag; wirkte an der „Heidelberger Erklärung“ der Partei von 1884 mit.

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Marquardt, Karl Joachim (19.4.1812–30.11.1882). Althistoriker und klassischer Philologe. Studium in Berlin und Leipzig; 1833 Lehrbefähigung, 1834 Hilfslehrer am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium Berlin, 1836 Lehrer am Danziger Gymnasium; 1840 Promotion zum Dr. phil. in Königsberg; 1856 Leiter des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Posen. Führte mit → Theodor Mommsen das „Handbuch der römischen Alterthümer“ von Wilhelm Adolf Becker fort und zeichnete hier insbesondere für die Teile zum Alltagsleben der Römer sowie zur römischen Staatsverwaltung verantwortlich. Maximilian I. (22.3.1459–12.1.1519). Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Dehnte den habsburgischen Machtbereich nach Westen aus. In seiner Regierungszeit gab es Ansätze zu einer umfassenden Reichsreform. Melanchthon, Philipp (16.2.1497–19.4.1560). Humanist und reformatorischer Theologe, Freund und Vertrauter Martin Luthers. Menzer, Julius (31.8.1845–28.1.1917). Weingrossist und Politiker. Seit 1867 Inhaber eines Weinhandels in Neckargemünd, seit 1880 kgl. griechischer Konsul, eröffnete seit 1882 „griechische Weinstuben“ in verschiedenen Städten und gilt als erster Importeur griechischer Weine nach Deutschland. 1884–93 MdR für die Deutschkonservative Partei. Merkel, Johannes (30.12.1852–23.12.1909). Jurist. 1874 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen, 1877 Habilitation für Römisches Recht in Halle und seitdem Privatdozent; 1881 a. o. Professor in Halle, im selben Jahr o. Professor in Rostock, seit 1885 o. Professor für Römisches, Deutsches und Bürgerliches Recht in Göttingen. Merx, Adalbert Ernst Otto (2.11.1838–4.8.1909). Evangelischer Theologe und Orientalist. 1857 Studium der Theologie und Philologie in Marburg, 1858–61 in Halle, 1862–64 in Berlin; 1861 Dr. phil. in Breslau, 1864 Lic. theol. in Berlin, 1865 Habilitation für Altes Testament in Jena; 1869 a. o. Professor ebd., 1869 o. Professor der semitischen Sprachen in Tübingen, 1873 Professor für Altes Testament in Gießen, seit 1875 in Heidelberg, dort 1892 Prorektor der Universität. 1867–72 Gründer und Herausgeber des „Archivs für wissenschaftliche Erforschung des Alten Testaments“. Gilt als einer der bedeutendsten Orientalisten und biblischen Philologen seiner Zeit; obwohl ein Vertreter der historisch-kritischen Bibelwissenschaft, stand er den modernen Strömungen der religionsgeschichtlichen Schule und der Religionspsychologie kritisch gegenüber. Meyer, Alwine (seit 1901) von, geb. Geisler (4.12.1839–7.5.1913). Seit 1869 verheiratet mit → Hugo Meyer. Meyer, Conrad Ferdinand (11.10.1825–28.11.1898). Schweizer Dichter. Bedeutender Erzähler des Realismus. Verfaßte 1876 den historischen Roman „Jürg Jenatsch“. Verwandt mit → Diethelm Meyer.

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Meyer, Diethelm (20.6.1860–15.6.1938). Schweizer Pfarrer. 1883 ordiniert, 1885 Pfarrer in Dinhard, 1900–27 in Weinfelden im Thurgau. Studienkollege und Freund → Otto Baumgartens. Verwandt mit dem Dichter → Conrad Ferdinand Meyer. Meyer, Eduard (Friedrich Eduard August) (1.6.1817–11.8.1901). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Berlin, danach im preußischen Justizdienst, 1879 Senatspräsident und dann Präsident des Oberlandesgerichts Celle. 1869–1901 MdprHH. 1886 Prüfungsvorsitzender beim Ersten Juristischen Staatsexamen Max Webers. Meyer, Hugo Friedrich Bleichert (seit 1901) von (17.2.1837–29.5.1902). Jurist. 1858 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen, 1860 Habilitation ebd.; 1863 a. o. Professor in Halle, 1866 o. Professor ebd., 1871 in Erlangen, seit 1874 o. Professor für Straf- und Strafprozeßrecht in Tübingen, dort 1888/89 auch Rektor. Verfasser des ersten bedeutenden Lehrbuchs für Strafrecht (bis 1895 fünf Auflagen). Verbindungsbruder von → Maximilian (Max) Weber sen. in der Burschenschaft Hannovera Göttingen. Meyer, Martha Charlotte (29.6.1866–?). Tochter von → Hugo Meyer und → Alwine Meyer, geb. Geisler. Michaelis, Adolf (22.6.1835–12.8.1910). Archäologe. 1857 Promotion zum Dr. phil. in Kiel, 1861 Habilitation ebd.; 1862 a. o. Professor für Archäologie in Greifswald, 1865 o. Professor der Philologie und Archäologie in Tübingen, seit 1872 in Straßburg. Veröffentlichungen zur klassischen Archäologie sowie zur Wissenschaftsgeschichte. Minna (?–?). Bis 1885 Hausangestellte oder Kindermädchen der Familie Benecke in Straßburg. Miquel, Johannes (seit 1897) von (19.2.1828–8.9.1901). Jurist, Politiker und preußischer Staatsmann. 1849 Anwalt in Göttingen; 1850–57 Anhänger von Karl Marx, mit dem er in brieflichem Kontakt stand; 1859 Mitbegründer und Ausschußmitglied des Deutschen Nationalvereins; seit 1867 Mitglied der Nationalliberalen Partei; 1867–82 MdprAH, 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–77 und 1887–90 MdR, seit 1882 MdprHH; 1865–69 und 1876–80 Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister von Osnabrück, 1880–90 Oberbürgermeister von Frankfurt a. M. Der rechte Flügel der Nationalliberalen votierte im März/April 1884 unter seiner Führung in der „Heidelberger Erklärung“ für eine Unterstützung von Bismarcks Interventions-, Steuer- und Kolonialpolitik. Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti Comte (9.3.1749–2.4.1791). Französischer Politiker, politischer Publizist und Schriftsteller. Mitglied der Nationalversammlung; Jakobiner; seit Februar 1791 Präsident der Nationalversammlung.

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Mithridates VI. (auch: Mithradates) (120–63 v. Chr.). König von Pontos, der zwischen 89 und 63 v. Chr. drei Kriege gegen Rom führte und die Römer dabei vorübergehend aus Kleinasien und Teilen des griechischen Mutterlandes vertreiben konnte. Mithoff, Theodor (4.2.1835–30.1.1892). Ökonom, nationalliberaler Politiker und Kaiserlich Russischer wirklicher Staatsrat. 1867 Promotion in Göttingen; zunächst Gymnasiallehrer; 1873–84 o. Professor für politische Ökonomie in Dorpat, 1885–92 in Göttingen. 1870–73 und 1882–93 MdprAH für die Wahlkreise Göttingen (11. und 15. Wahlperiode) und Hildesheim (16./17. Wahlperiode). Molière (eigentlich: Jean-Baptiste Poquelin) (getauft am 15.1.1622– 17.2.1673). Französischer Dramatiker und Schauspieler. Nach Wanderjahren mit verschiedenen Theatergruppen 1658 Rückkehr nach Paris, dort Leitung der Troupe de théâtre français (heute: Comédie-Française). Langjährige Förderung durch Ludwig XIV. Autor zahlreicher, bis heute international populärer Komödien, wie „L’École des femmes“ (1662), „Tartuffe“ (1664), „L’Avare“ (1668) und „Le Malade imaginaire“ (1673). Moll, Dorothee Luise, geb. Colberg, verw. Röltgen (1808–5.11.1879). Mutter von → Emilie Theodora Weber, geb. Röltgen, in Hamburg. In erster Ehe mit dem Hamburger Kaufmann Peter Daniel Röltgen und in zweiter Ehe mit dem Hamburger Kaufmann Peter Daniel Moll verheiratet. Möller, Alfred (12.8.1860–4.11.1922). Bis 1879 Schüler am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg. Sohn von Gustav Möller, dem Direktor der königlichen Porzellanmanufaktur. Möller, Karl (1.5.1837–27.9.1918). Fabrikant. Studium der Naturwissenschaften und der Bergbautechnik, Promotion zum Dr. phil.; gründete 1862 zusammen mit seinem Bruder Theodor die Maschinenfabrik K. & Th. Möller in Kupferhammer (Brackwede bei Bielefeld), seit 1878 zusammen mit seinem Bruder Inhaber einer Lederfabrik ebd. Seit 1871 verheiratet mit Max Webers Cousine Hertha Möller, geb. Weber, Tochter von → Carl David Weber und → Marianne Weber, geb. Niemann. Moltke, Helmuth Karl Bernhard Graf von (26.10.1800–24.4.1891). Generalfeldmarschall. Offiziersausbildung, 1833 in den Großen Generalstab berufen, 1858–88 Chef des Generalstabs der preußischen Armee, 1871 Ernennung zum Generalfeldmarschall. 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–91 MdR für die Konservative Partei, ab 1881 Alterspräsident; seit 1872 MdprHH. Genoß im Deutschen Kaiserreich aufgrund seiner erfolgreichen Kriegführung 1864, 1866 und 1870/71 höchstes Ansehen. Mommsen, Ernst (8.7.1863–14.3.1930). Mediziner. Praktischer Arzt und Sanitätsrat in Berlin. Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste

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Mommsen, geb. Reimer. Heiratete 1896 → Clara Weber, die Schwester von Max Weber. Mommsen, Hans-Georg (13.7.1873–23.1.1941). Ingenieur und Gasanstaltsdirektor. Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. Mommsen, Karl (19.4.1861–28.7.1922). Jurist und Politiker. 1882 Abitur am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Charlottenburg, 1882–85 Studium der Rechtswissenschaften in München und Berlin, 1885–90 Referendariat; 1890 Gerichtsassessor; 1891 Syndikus der Englischen Gasanstalt in Berlin, 1894 der Firma Siemens & Halske, 1897 Direktor der Mitteldeutschen Creditbank ebd. 1894 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung; 1903–12 MdR für die Freisinnige Vereinigung; 1912–18 MdprAH. Zweitältester Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. Seit der Schulzeit mit Max Weber befreundet und 1889 einer der Opponenten bei dessen Disputation. Mommsen, Konrad (10.5.1871–4.11.1946). Marineoffizier. Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. Mommsen, Marie Auguste, geb. Reimer (14.10.1832–6.3.1907). Tochter des Verlegers Georg Reimer; seit 1854 verheiratet mit → Theodor Mommsen. Mommsen, Oswald (12.7.1865–11.11.1907). Gärtner und Blumenhändler. Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer. Mommsen, Theodor (30.11.1817–1.11.1903). Jurist, Historiker und Epigraphiker. 1843 Promotion zum Dr. jur. in Kiel; 1844–47 Studien in Frankreich und Italien; 1848 a. o. etatmäßiger Professor für Römisches Recht in Leipzig, 1851 wegen seiner Teilnahme an der demokratischen Bewegung entlassen; 1852 o. Professor für Römisches Recht in Zürich, 1854 in Breslau, 1858 an die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen, 1861 o. Professor für Römische Altertumskunde in Berlin. 1863–66 MdprAH für die Fortschrittspartei, 1873–79 MdprAH für die Nationalliberale Partei, 1881–84 MdR für die Deutsch-Freisinnige Partei. Bedeutendster Historiker der römischen Geschichte in Deutschland (Bände 1–3: 1854–56, Band 5: 1885), außerdem Verfasser großer systematischer Gesamtdarstellungen des römischen Staatsrechts (3 Bände, 1871–1888) und des römischen Strafrechts (1899). Verkehrte im Elternhaus Max Webers; sein Sohn → Karl Mommsen war mit Max Weber befreundet, sein Sohn → Ernst Mommsen heiratete 1896 Max Webers Schwester → Clara Weber. Mommsen, Wolfgang (23.3.1857–2.2.1930). Kaufmann. Ältester Sohn von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer.

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Mons, Emma, geb. Mierendorf (21.3.1822–31.1.1898). Verheiratet mit dem Erfurter Baurat → Heinrich August Mons. Gehörte zum engeren Erfurter Freundeskreis der Familie Weber; Taufpatin von → Alfred Weber. Mons, Heinrich August (24.8.1809–13.8.1872). Königlicher Baurat und Betriebsdirektor der Thüringischen Eisenbahngesellschaft. Eigentümer des Hauses am Karthäuserufer Nr. 43b (später Nr. 6) in Erfurt, in dem die Familie Weber bis 1869 wohnte. Gehörte mit seiner Frau → Emma Mons, geb. Mierendorf, zum engeren Erfurter Freundeskreis der Familie. Montgomery, Florence (17.1.1843–8.10.1923). Englische Schriftstellerin und Kinderbuchautorin. Ihr Werk „Misunderstood“ (1869) zielte darauf, Mißverständnisse in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern mit dem Blick auf die Psychologie des Kindes abzubauen. Moritz, Carl (?–?). Sohn eines Berliner Kaufmanns; Mitschüler Max Webers am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg; legte dort im August 1881 das Abitur ab. Moukthar Pascha → Muhtar Pascha Muhtar Pascha, Ahmed (1.11.1832–21.1.1919). Osmanischer Heerführer und Politiker. Absolvierte die Kriegsschule in Bursa sowie die Akademie in Istanbul, nahm danach an Kämpfen in der Herzegowina sowie in Montenegro teil; 1866 Ernennung zum Prinzenerzieher; 1870 Generalmajor in Arabien, 1871 Gouverneur des Jemen, 1872 Feldmarschall. 1875 erneut in Bosnien und Herzegowina, um Aufstände zu bekämpfen, 1876 Befehlshaber im Krieg gegen die Serben und Montenegriner, 1876/77 im russisch-türkischen Krieg aktiv. 1892–1908 von Abdülhamid II. nach Ägypten entsandt; 1912 Großwesir. Müller, Alwine (Wina), geb. Weber (10.10.1855–17.7.1936). Tochter von → Carl David Weber, dem ältesten Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen., und → Marianne Weber, geb. Niemann. Heiratete 1876 den Bielefelder Fabrikantensohn → Bruno Müller. Cousine von Max Weber. Patin von → Arthur Weber. Müller, Bruno (31.10.1848–6.3.1913). Textilunternehmer. Sohn eines Bielefelder Unternehmers. Seit Mitte der 1870er Jahre Teilhaber der von seinem Schwiegervater → Carl David Weber gegründeten Leinenweberei Carl Weber & Co. in Oerlinghausen, die er später mit seinem Schwager Carl (Carlo) Weber und seinen Söhnen leitete. Seit 1876 verheiratet mit Max Webers Cousine → Alwine (Wina) Müller, geb. Weber. Müller, Hermann (24.9.1839–25.7.1900). Evangelischer Pfarrer. Nach Studium in Halle und Berlin erstes und zweites theologisches Examen in Berlin. Erste Pfarrstelle in Flatow, seit Juli 1871 bis 1900 Oberpfarrer der evange-

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lischen Luisenkirche Charlottenburg. Konfirmierte Max Weber im März 1879. Müller, Regina (?–?). Zusammen mit → Fanny Buschbeck Wirtin Max Webers im „Waldhorn“ in Heidelberg. Murillo, Bartolomé Esteban (1.1.1618–3.4.1682). Spanischer Maler. Zusammen mit Velázquez der bedeutendste Vertreter der volkstümlichen Malerei in Spanien. Er malte v. a. religiöse und Heiligenbilder, aber auch weltliche Genreszenen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren seine Bilder in ganz Europa sehr gefragt und bekannt. Napoleon, Prinz → Victor, Prinz Napoléon Nasse, Christian Friedrich (18.4.1778–18.4.1851). Mediziner. 1800 Promotion zum Dr. med. in Halle; 1810 Arzt in Bielefeld; 1815 o. Professor in Halle, seit 1819 in Bonn. Alwine Nasse, geb. Weber (1826–1864), eine Schwester von → Maximilian (Max) Weber sen., war mit dessen Sohn Werner Nasse verheiratet. Die Familie wohnte im „Nasse’schen Haus“ in Bonn-Bad Godesberg. Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus (37–68 n. Chr.). 54–68 Römischer Kaiser. Verfolgte bis 59 unter dem Einfluß von Burrus und Seneca d. J. eine maßvolle Politik, danach übersteigertes Geltungsbedürfnis und skrupelloses Vorgehen, z. B. gegen Grundbesitzer in Afrika, aber auch gegen nächste Angehörige (ließ seine Mutter und seine beiden Ehefrauen ermorden); für den Brand Roms 64 machte er die Christen verantwortlich und ließ sie verfolgen; bekämpfte erfolgreich die seit 65 vermehrt gegen ihn gerichteten Verschwörungen, bis er durch den Aufstand des Vindex in Gallien 68 abgesetzt wurde. Letzter Vertreter der julisch-claudischen Dynastie. Neumann, Fräulein (?–?). Nichte von Annette Rickert, geb. Stoddart (1839– 1889), der ersten Ehefrau von → Heinrich Rickert sen. Nowack, Wilhelm (3.3.1850–28.5.1928). Evangelischer Theologe. 1872 Promotion zum Dr. phil., 1875 Habilitation für Altes Testament in Berlin; 1880 a. o. Professor ebd., 1881 o. Professor in Straßburg, dort 1892/93 Rektor. Verfasser eines „Lehrbuchs der hebräischen Archäologie“ (1893/94). War mit den Familien Weber und Baumgarten befreundet. Hielt 1883 die Predigt bei der Hochzeit von → Otto Baumgarten und → Emily Baumgarten, geb. Fallenstein. Octavianus, Octavius → Augustus Ottheinrich von der Pfalz (10.4.1502–12.2.1559). 1505–59 Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg, seit 1556 Kurfürst der Pfalz.

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Otto (Vetter) → Baumgarten, Otto Panse, Johanne Friederike Alma, geb. Gottleber (?–?). Verheiratet mit → Karl Ernst Panse. Panse, Karl Ernst (11.2.1822–30.1.1883). Jurist. Rechtsanwalt am Kreisgericht in Erfurt. Gehörte zum Erfurter Bekanntenkreis von → Maximilian (Max) Weber sen. Parker, Theodore (24.8.1810–10.5.1860). Amerikanischer Theologe, Schriftsteller und Abolitionist. Studium in Harvard und Cambridge, MA; 1836 zum Geistlichen der unitarischen Kirche ordiniert; 1846 Prediger in Boston. Gehörte zum Kreis der Transzendentalisten. Paukstadt, Rudolf (20.2.1853–?). Gymnasiallehrer. 1876 Promotion zum Dr. phil.; 1877 Examen „pro facultate docendi“; 1877–78 cand. prob. und Hilfslehrer in Berlin und Charlottenburg; 1879–1907 Lehrer bzw. Oberlehrer für Deutsch, Latein, Religion und Geschichte am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Pauline Ida Marie Olga Henriette Catharina von Sachsen-Weimar-Eisenach (25.7.1852–17.5.1904). 1873 Heirat mit → Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, dadurch Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach. Paulus Jovius → Giovio, Paolo Pennmeyer, Erdmann (?–?). Im Schuljahr 1879/80 Schüler am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg. Mitschüler und Freund Max Webers. Pfleiderer, Otto (1.8.1839–18.7.1908). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie und Philosophie in Tübingen; 1864 Privatdozent ebd.; 1868 Stadtpfarrer in Heilbronn, 1869 Oberpfarrer und Superintendent in Jena; 1870 o. Professor für Praktische Theologie ebd.; 1874 o. Professor für Exegese und praktische Theologie in Berlin, ab 1875/76 für Systematische Theologie ebd. Vertrat – gegen Ritschl und Harnack – die These vom Ursprung des Christentums durch Paulus. Planitz, Karl Adolf Ferdinand, Edler von der (15.10.1845–23.4.1906). Major. Militärischer Begleiter von → Friedrich August von Sachsen. Titus Maccius Plautus (um 254–um 184 v. Chr.). Römischer Komödiendichter. Verfasser zahlreicher Komödien mit zeitgeschichtlichem Bezug aber auch derbem Humor. Von über 100 unter seinem Namen veröffentlichten Komödien, werden Plautus heute noch rund 20 zugeschrieben. Polybios (um 200–um 120 v. Chr.). Griechischer Geschichtsschreiber. 167 v. Chr. aus Arkadien als Geisel nach Rom deportiert; dort Erzieher von

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Scipio Africanus dem Jüngeren. Schuf in seinen ursprünglich 40 Bücher umfassenden „Historien“, die den Aufstieg Roms zur Weltmacht im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. darstellten, eines der bedeutendsten Geschichtswerke der Antike. Gnaeus Pompeius Magnus (29.9.106–28.9.48 v. Chr.). Römischer Feldherr und Politiker. Entstammte einer plebejischen Familie; unterstützte Sulla, unter dem er Karriere machte; 70 v. Chr. gemeinsames Konsulat mit → Crassus. 67 v. Chr. Krieg gegen die Seeräuber und Sieg über Mithridates VI. von Pontos; schloß 59 v. Chr., um seinen Einfluß zu erhalten, das sog. erste Triumvirat mit Crassus und → Caesar. Nach dessen Erfolgen in Gallien Konflikt mit Caesar, der ab 49 v. Chr. im Bürgerkrieg kulminierte. 48 v. Chr. bei Pharsalos durch Caesar besiegt. Praxiteles (ca. 390–320 v. Chr.). Bildhauer. Galt schon in der Antike als einer der größten Bildhauer seiner Zeit; zu seinen wichtigsten Arbeiten gehören die Aphrodite von Knidos sowie der Hermes von Olympia. Puchta, Georg Friedrich (31.8.1798–8.1.1846). Jurist. 1820 Promotion zum Dr. jur. sowie Habilitation in Erlangen; 1823 a. o. Professor ebd., 1828 o. Professor in München, 1835 in Marburg, 1837 in Leipzig und seit 1842 als Nachfolger von → Friedrich Carl von Savigny in Berlin. 1844 Berufung an das preußische Obertribunal, 1845 Staatsrat. Arbeiten zur Rechtstheorie, zum römischen Zivil- bzw. Pandektenrecht sowie zur römischen Rechtsgeschichte. Pufendorf, Samuel (seit 1694) Freiherr von (8.1.1632–26.10.1694). Jurist und Philosoph. Studium der Theologie, Rechtswissenschaften und Philosophie, 1658 Erwerb des Magister Artium in Jena; 1658 Hauslehrer der schwedischen Gesandtschaft in Kopenhagen, 1659 in selber Funktion in Den Haag; 1661 Berufung auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Naturrecht an der Universität Heidelberg, 1670 Professur an der Universität Lund; 1677 Hofhistoriograph des schwedischen Königs, seit 1688 am Hof des Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Berlin. Als Hauptwerk gilt das 1672 erschienene „Naturrecht“ („De iure naturae et gentium“). Puttkamer, Alberta von, geb. Weise (5.5.1847–17.4.1921). Schriftstellerin. Veröffentlichte poetische und belletristische Werke. Puttkamer(-Plauth), Robert Viktor von (5.5.1828–15.3.1900). Preußischer Verwaltungsbeamter und Politiker. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften 1854 Eintritt in den Staatsdienst; 1866 Mitarbeiter Bismarcks im Bundeskanzleramt, 1877 Oberpräsident von Schlesien, 1879–81 preußischer Kultusminister, 1881–88 preußischer Innenminister und Vizepräsident des Staatsministeriums. 1873–91 MdR (Deutschkonservative), 1879– 85 MdprAH für die Konservative Partei, 1889 MdprHH. Verfolgte einen äußerst konservativen Kurs, bekannt für sein rigoroses Vorgehen gegen

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Staatsbeamte, die von der Linie der Regierungspolitik abwichen; sorgte für eine strenge Umsetzung des Sozialistengesetzes in Preußen, das er 1886 durch einen Streikerlaß noch auf die Gewerkschaften ausdehnte. Püttmann, Clara (1829–1915). Mutter von → Katharina Dilthey, geb. Püttmann. Radziwill, Catherine (eigentlich: Ekaterina Adamovna), geb. Rzewuska (Pseudonym: Paul Comte Vasili) (30.3.1858–11.5.1941?). Fürstin. Seit 1873 verheiratet mit Wilhelm von Radziwill. Verfaßte 1884 unter dem Pseudonym Paul Comte Vasili das in Deutschland großes Aufsehen erregende Werk „La Sociéte de Berlin“, das insbesondere den kaiserlichen Hof und die politische Elite satirisch karikierte. Ranke, Leopold (seit 1865) von (20.12.1795–23.5.1886). Historiker. 1817 Promotion zum Dr. phil. in klassischer Philologie in Leipzig; 1818 Gymnasiallehrer in Frankfurt (Oder), wo er sein erstes Werk „Die Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494–1535“ schrieb; 1825 a. o. Professor in Berlin; 1827–31 Studienreisen nach Wien und Italien; 1834–71 o. Professor in Berlin. 1841 von Friedrich Wilhelm IV. zum Historiographen des preußischen Staates ernannt; widmete sich nach seiner Emeritierung 1871 der Herausgabe seiner „Sämtlichen Werke“; seit 1875 Arbeit an einer Weltgeschichte. Ranke gilt als einer der Begründer der modernen Geschichtswissenschaft und führender Vertreter des Historismus. Regelsberger, Ferdinand (10.9.1831–28.2.1911). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Leipzig, 1857 Promotion zum Dr. jur. in Erlangen, 1858 Habilitation und Privatdozent für Zivilrecht ebd., auch an verschiedenen bayerischen Gerichten tätig; 1862 a. o. Professor für Römisches Recht, 1863 o. Professor in Zürich, 1868 o. Professor für Zivilrecht in Gießen, 1872 in Würzburg, 1881 in Breslau, 1884 in Göttingen. Akademischer Lehrer Max Webers in Göttingen. Reichel, Otto (25.2.1836–24.1.1918). Gymnasiallehrer. Studium in Berlin und Königsberg; Promotion zum Dr. phil.; 1864 Lehrer in Thorn, seit 1869 Lehrer für Mathematik und Physik am Charlottenburger Kaiserin-Augusta-Gymnasium, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Reichel, Paul (?–?). Mitschüler Max Webers bis zur Prima auf dem Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg. Reichlin-Meldegg, Kuno Alexander Freiherr von (21.11.1836–23.5.1894). Philosoph. 1864 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1865 Habilitation und seitdem Privatdozent ebd. Reichensperger, Peter Franz (28.5.1810–31.12.1892). Jurist und Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Bonn und Heidelberg; 1832 Eintritt

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in den Justizdienst, 1836 Assessor in Koblenz und Elberfeld, 1843 Landgerichtsrat in Koblenz, 1850 Appellationsgerichtsrat in Köln, 1859 Obertribunalsrat in Berlin. 1848 Mitglied der Preußischen Nationalversammlung, 1850–85 mehrfach Mitglied des Preußischen Landtags, 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments, 1867 Mitglied des Konstituierenden Reichstags, 1871–84 MdR. 1870 Mitbegründer der katholischen Zentrums-Partei. Reinecke, Carl Heinrich Carsten (23.6.1824–10.3.1910). Komponist. 1847– 48 Hofpianist in Dänemark, 1851–54 Lehrer am Kölner Konservatorium, 1860 Gewandhauskapellmeister in Leipzig, 1885 Professor und 1897 Direktor des Konservatoriums ebd. Galt zu Beginn seiner Zeit in Leipzig als eine der einflußreichsten Persönlichkeiten des deutschen Musiklebens. Renaud, Achilles (14.8.1819–5.6.1884). Schweizer Jurist. 1840 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg; 1843 Privatdozent, im selben Jahr a. o. Professor an der Universität Bern, 1848 o. Professor in Gießen, seit 1851 in Heidelberg. 1873–78 Mitglied der Ersten Badischen Kammer für die Universität Heidelberg. Richter, August Eduard Christoph (29.9.1833–1.1.1898). Regierungs- und Baurat. Sohn von → Mara Benjamine Richter, geb. Schiffert; Bruder von → Helene Tiede, geb. Richter. Richter, Eugen (30.7.1838–10.3.1906). Linksliberaler Politiker und Journalist. 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–1906 MdR, zunächst für die Fortschrittspartei, ab 1884 für die Deutsche Freisinnige Partei und 1893 für die Freisinnige Volkspartei; seit 1869 auch MdprAH. 1885 Begründer der „Freisinnigen Zeitung“. Als Finanzexperte der Fortschrittspartei führender Oppositionspolitiker gegen Bismarck und als Vertreter des Freihandels und Gegner staatlicher Interventionen maßgeblich an den Spaltungen des Liberalismus beteiligt. Richter, Mara Benjamine, geb. Schiffert (30.4.1814–15.3.1888). Mutter von → Helene Tiede, geb. Richter; Taufpatin von → Clara Weber. Rickert, Heinrich (sen.) (27.12.1833–3.11.1902). Politiker und Publizist. 1876–78 Landesdirektor der Provinz Westpreußen; Mitarbeiter, dann Redakteur und schließlich Verleger der „Danziger Zeitung“. 1870–1902 MdprAH, seit 1874 MdR, zunächst für die Nationalliberale Partei, seit 1880 für die Liberale Vereinigung („Sezessionisten“), seit 1884 für die Deutsche Freisinnige Partei und seit 1893 für die Freisinnige Vereinigung; 1867 sowie 1877–81 im Vorstand der Nationalliberalen Partei, später führendes Mitglied der Deutschen Freisinnigen Partei und der Freisinnigen Vereinigung. Gut bekannt mit → Maximilian (Max) Weber sen. Vater des Philosophen Heinrich Rickert.

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Riff, Karl Friedrich (29.4.1824–9.11.1883). Evangelischer Pfarrer. 1848 Lehrer für deutsche Literatur am protestantischen Gymnasium von Straßburg; 1849 Vikar ebd., 1852 ordiniert, 1855–65 Pfarrer in Breuschwickersheim, 1865–83 in Ruprechtsau (La Robertsau) im Nordosten Straßburgs. Verfasser volkstümlich-religiöser Schriften. Bekannter der Familie Baumgarten in Straßburg. Riff, Philipp(e) (?–?). Forstschüler in Eberswalde. Verwandter von → Karl Friedrich Riff; aus Brumath im Unter-Elsaß. 1883–84 Studium in Straßburg; Einjährig-Freiwilliger im selben Regiment wie Max Weber und seitdem mit ihm bekannt. Rochow, Klara Maria Franziska von, geb. Issel (1823–1908). Bekannte von → Georg Weber und → Ida Weber, geb. Becher, in Heidelberg. Roeder, Carl (?–?). Mediziner. Sohn eines Kaufmanns aus Königs-Wusterhausen; Mitschüler Max Webers am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg; legte dort im August 1881 das Abitur ab. Roggenbach, Franz Freiherr von (23.3.1825–25.4.1907). Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg; 1848 Sekretär im Auswärtigen Amt in Frankfurt a. M., 1849 badischer Gesandter in Bonn, 1861 Präsident des Ministeriums des Großherzoglichen Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten in Baden, 1863 badischer Handelsminister. 1871–74 MdR (Liberale Reichspartei). Neben → Julius Jolly wichtiger Befürworter der kleindeutschen Reichsgründung unter preußischer Ägide in Baden. Röhr, L. (?–?). Kommerzienrat. In den 1870er Jahren Nachbar der Familie Weber in Charlottenburg, wohnte in der Leibnizstraße 16. Roller, Christian Friedrich Wilhelm (11.1.1802–4.1.1878). Psychiater. Studium der Medizin in Tübingen, Göttingen und Heidelberg; 1822–25 als Psychiater in Pforzheim, bis 1836 in Heidelberg tätig; Leiter der seit 1837 nach seinen Plänen im Bau befindlichen psychiatrischen Anstalt Illenau bei Achern (1842 fertiggestellt). 1831 Dr. h. c. der Universität Heidelberg. Roller, Sophie (?–?). Tochter von → Christian Friedrich Roller. Römer, Hermann (4.1.1816–24.2.1894). Nationalliberaler Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Heidelberg; 1840 Assessor in Hildesheim. 1844 Mitbegründer des naturkundlichen Museums ebd.; 1852 Senator und Mitglied des Magistrats ebd. 1867 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–90 MdR. 1882 Dr. phil. h. c. der Universität Göttingen. Roscher, Wilhelm (21.10.1817–4.6.1894). Nationalökonom. 1838 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1840 Habilitation für Geschichte und Staatswis-

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senschaften ebd.; 1843 a. o. und 1844 o. Professor für Geschichte und Staatswissenschaften ebd., 1848–94 in Leipzig. Zusammen mit Bruno Hildebrand und → Karl Knies Begründer der älteren Historischen Schule der deutschen Nationalökonomie. Sein Werk „Nationalökonomik des Ackerbaues“ (1860) war für die Forschungen zur Agrarverfassung von grundlegender Bedeutung. Sein seit 1854 erscheinendes, vielfach neu bearbeitetes fünfbändiges Werk „System der Volkswirtschaft“ war für eine Generation das führende nationalökonomische Lehrbuch in Deutschland. Rosenbusch, Edward („Eded“) (13.6.1869–4.10.1938). Sohn von Eduard (Edwardus) Rosenbusch, der Ende der 1850er Jahre als Ingenieur nach Malta gegangen war und die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Die Familie lebte auf Malta, später auf Kreta. Neffe des Heidelberger Geologen Karl Heinrich (Harry) Rosenbusch; Bruder von → William Rosenbusch. Rosenbusch, William („Wilhelm“) (25.3.1862–28.3.1944). Sohn des auf Malta, später auf Kreta lebenden Ingenieurs Eduard (Edwardus) Rosenbusch, einem Bruder des Geologen Karl Heinrich (Harry) Rosenbusch. Bruder von → Edward Rosenbusch. Rösing, Bernhard (29.10.1869–10.1.1947). Offizier. 1888 Eintritt in die Kaiserliche Marine, 1908 beim Reichsmarineamt in Berlin, 1914–18 Kriegseinsatz als Vizeadmiral. Sohn von → Johannes Rösing und → Clara Rösing, geb. von Ammon. Rösing, Clara, geb. von Ammon (1843–1931). Tochter eines Kölner Gerichtsrats. Seit 1864 verheiratet mit → Johannes Rösing. Rösing, Johannes (5.5.1833–8.4.1909). Jurist und Diplomat. 1855 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen; 1856–60 Rechtsanwalt in Bremen, 1861–63 Attaché, 1863–65 Legationssekretär der bremischen, seit 1864 der hanseatischen Gesandtschaft in Washington, 1865–68 Geschäftsträger der Hansestadt ebd., 1868–74 Generalkonsul des Norddeutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches in New York, ab 1874 Geheimer Oberregierungsrat und Vortragender Rat im Reichskanzleramt, 1880–91 im Reichsamt des Innern. Verbindungsbruder der Hannovera Göttingen und Freund von → Maximilian (Max) Weber sen.; gehörte mit seiner Frau → Clara Rösing zum Berliner Bekanntenkreis der Familie Weber. Pate von → Arthur Weber. Rösing, Johannes Friedrich (Hans) (5.7.1866–20.8.1953). Jurist und Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, ab 1898 Syndikus der Handelskammer Bremen. Heiratete 1899 Marie Schellhass, die Schwester des Historikers → Karl Schellhass. Sohn von → Johannes Rösing und → Clara Rösing, geb. von Ammon.

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Sabinus, Georg (eigentlich: Schuler, Georg) (23.4.1508–2.12.1560). Philologe, Diplomat und Dichter. Studium der Rechtswissenschaften und klassischen Philologie in Wittenberg; 1538 Professor in Frankfurt (Oder), 1544 erster Rektor der Universität in Königsberg, 1555 Rückkehr nach Frankfurt (Oder). Gilt als einer der bedeutendsten humanistischen Dichter Deutschlands. Sallust (eigentlich: Gaius Sallustius Crispus) (1.10.86–13.5.34 v. Chr.). Römischer Politiker und Geschichtsschreiber. 55 v. Chr. Quästor, im Anschluß Senator, 52 v. Chr. Volkstribun. Unterstützte ab 49 v. Chr. → Caesar gegen → Pompeius. 46 v. Chr. Prokonsul der Provinz Africa Nova. Wandte sich nach 44 v. Chr. der Geschichtsschreibung zu. Sein „De coniuratione Catilinae“ („Über die Verschwörung des Catilina“; um 41 v. Chr.) gilt neben → Ciceros Reden als wichtigste Quelle über → Catilinas Umsturzversuch 63 v. Chr. Verfaßte außerdem „De bello Iugurthino“ („Über den Krieg mit Jugurtha“) sowie nur fragmentarisch erhaltene „Historiae“. Samwer, Karl Friedrich Lucian (16.3.1819–8.12.1882). Jurist. 1844–46 Rechtsanwalt in Neumünster, dann bis 1848 in Kiel; 1848 im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in Schleswig; 1848–50 Abgeordneter der schleswig-holsteinischen Landesversammlung; 1849 a. o. Professor in Kiel, dort 1850 Dr. jur. h. c., 1852 aus diesem Amt entlassen, seitdem herzoglicher Bibliothekar in Gotha, 1859 Regierungsrat, 1866 Mitglied des Gesamtministeriums und Verwalter des Coburg-Gothaischen Hausvermögens. Samwer, Viktor Woldemar Eduard (14.6.1863–24.11.1924). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften u. a. in Heidelberg, Promotion zum Dr. jur.; Senatspräsident am Oberlandesgericht Jena sowie Aufsichtsratsmitglied der Gothaer Feuerversicherungsbank. Sohn von → Karl Friedrich Lucian Samwer. Savigny, Friedrich Carl von (21.2.1779–25.10.1861). Jurist und Rechtshistoriker. 1795–99 Studium der Rechtswissenschaften in Marburg und Göttingen, 1800 Promotion zum Dr. jur. in Marburg, Habilitation und Privatdozent ebd.; 1803 a. o. Professor ebd., 1808 o. Professor in Landshut, 1810–42 o. Professor für Römisches Recht in Berlin, berufen auf Veranlassung Wilhelm von Humboldts; seit 1817 Staatsrat in der Justizabteilung; 1841–48 Lehrer des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV.; 1842–48 Leiter des Ministeriums für Gesetzgebungsrevision, danach Rückzug ins Privatleben. 1814 Begründer der „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“. Gilt als Begründer der historischen Rechtsschule. Hauptwerke: „Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter“ (6 Bände, 1815–31) und „System des heutigen römischen Rechts“ (8 Bände, 1840–49). Schach, Frau (?–?). Während Max Webers Besuch in Breslau im Sommer 1880 Zimmerwirtin seines Bekannten („Pennbruder“) in Breslau.

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Schauß, Friedrich von (22.1.1832–19.5.1893). Bankier und Politiker. 1871 Direktor der Süddeutschen Bodenkreditbank in München. 1869–92 Mitglied des Bayerischen Abgeordnetenhauses (Deutsche Fortschrittspartei, ab 1884 Nationalliberale Partei); 1871–81 MdR. Scheffel, Joseph Victor (seit 1876) von (16.2.1826–9.4.1886). Schriftsteller. 1848 aktive Teilnahme an der Revolution, hielt eine beachtete Rede auf dem Wartburger Burschentag. 1849 Dr. jur. in Heidelberg; 1852 Studienreise nach Italien. 1853 durch das epische Gedicht „Der Trompeter von Säckingen“ bekannt; sein Werk, zu dem auch der historische Roman „Ekkehard“ (1855) zählt, fand weite Verbreitung und ist gekennzeichnet durch eine romantisierende Sicht des Mittelalters. Scheffer-Boichorst, Paul (25.5.1843–17.1.1902). Historiker, Mediävist. 1867 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig; 1867–75 Mitarbeiter an den „Regesta Imperii“ und an der Monumenta Germaniae Historica in München und Berlin; 1875 a. o. Professor in Gießen, 1876–90 o. Professor in Straßburg, 1890–1902 o. Professor für Mittlere Geschichte in Berlin. 1899 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Schellhass, Karl Emmanuel (24.2.1862–18.9.1942). Historiker. Studium der Geschichte in Tübingen und Berlin, 1885 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1886 Mitarbeit an der Edition der Reichstagsakten in Frankfurt, 1891–1915 am Preußischen Historischen Institut in Rom tätig, zuständig für die „Edition der Nuntiaturberichte aus Deutschland“. Sohn von → Karl Julius Schellhass; guter Bekannter Max Webers seit den 1880er Jahren. Schellhass, Karl Julius (25.1.1833–26.4.1904). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften u. a. in Göttingen (1851/52), Promotion zum Dr. jur.; Landgerichtsrat in Bremen. Vater von → Karl Emmanuel Schellhass; Vetter von → Johannes Rösing; Freund und Verbindungsbruder der Hannovera Göttingen von → Maximilian (Max) Weber sen. Schenkel, Daniel (21.12.1813–19.5.1885). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie in Basel und Göttingen, 1835 Examen und Vikariat in Schaffhausen; 1838 Habilitation in Basel, 1850 o. Professor ebd., 1851 in Heidelberg, zugleich Direktor des Predigerseminars, 1856/57 Rektor der Universität. 1863 Mitbegründer des Deutschen Protestantenvereins. Entscheidender Einfluß auf die liberale Ära der badischen Kirche. Schlegel, August Wilhelm (seit 1812) von (8.9.1767–12.5.1845). Philologe, Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer. Nach Studium der Theologie und Philologie in Göttingen 1791 Hauslehrer in Amsterdam; 1796 in Jena, dort Mitarbeiter der „Allgemeinen Literaturzeitung“; 1798 a. o. Professor ebd. und gemeinsam mit seinem Bruder → Friedrich Schlegel Herausgeber der die Frühromantik prägenden Zeitschrift „Athenäum“; 1801 in Berlin, dort Vorlesungen zur europäischen Literatur- und Geistesgeschichte; 1818

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o. Professor in Bonn. Einflußreicher Vermittler der Ideen der deutschen Romantik. Schlegel, Friedrich (seit 1815) von (10.3.1772–12.1.1829). Philologe, Kulturphilosoph, Schriftsteller, Literaturkritiker und -historiker. Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie und Altphilologie in Göttingen und Leipzig, danach freier Schriftsteller. Lebte 1796 zusammen mit seinem Bruder → August Wilhelm Schlegel in Jena; 1798 zusammen mit ihm Herausgeber der Zeitschrift „Athenäum“; 1800 Habilitation und Privatdozent ebd.; 1801 in Dresden, 1802 in Paris, dort Sanskritstudien und Gründung der Zeitschrift „Europa“; 1804 in Köln; 1808 nach Konversion zum Katholizismus in Wien; 1809 Sekretär der Hof- und Staatskanzlei ebd.; 1810–12 Vorlesungen zu neuerer Geschichte und Literatur; 1815–18 österreichischer Legationsrat beim Bundestag in Frankfurt a. M. Wichtiger Vertreter der deutschen Romantik, mit Einfluß auf nahezu alle Geisteswissenschaften. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (21.11.1768–12.2.1834). Theologe und Pädagoge. Studium der Theologie in Halle; 1790 erstes und 1794 zweites theologisches Examen in Berlin; 1794 Hilfsprediger in Landsberg, 1796 Prediger an der Charité, 1802 Hofprediger in Stolp; 1804 a. o. Professor in Halle; 1809 Prediger in Berlin; 1810 o. Professor an der Universität Berlin, deren Gründung er maßgeblich beeinflußte. Mitglied diverser Akademien. Einer der bedeutendsten Theologen des 19. Jahrhunderts und Begründer der modernen Hermeneutik. Schmidt, Elisabeth, geb. Fehsenfeld (?–1913). Verheiratet mit → Heinrich Julian Schmidt. Das Ehepaar gehörte zum Berliner Freundeskreis der Familie Weber. Schmidt, Heinrich Julian (7.3.1818–27.3.1886). Publizist und Literaturhistoriker. Studium der Geschichte und Philologie, 1840 Promotion zum Dr. phil. in Königsberg; danach Tätigkeit als Lehrer in Königsberg und Berlin; 1847– 1861 in Leipzig zunächst Redakteur, dann mit → Gustav Freytag Herausgeber der liberal-konservativen literarisch-politischen Zeitschrift „Die Grenzboten“, für die er literaturkritische Beiträge verfaßte. 1861–63 Tätigkeit für die „Berliner Allgemeine Zeitung“ in Berlin; danach zunehmend Rückzug aus der Öffentlichkeit und freier Schriftsteller. Vertreter des literarischen Realismus; Verfasser literaturgeschichtlicher Werke. Gehörte mit seiner Frau → Elisabeth Schmidt zum Berliner Freundeskreis der Familie Weber. Pate von → Clara Weber. Schmidt, Nicolaus (?–?). Historiker aus St. Petersburg. 1882–83 Kommilitone Max Webers in Heidelberg. Schmitt, Paul (?–?). Gärtner der Familie Benecke in Heidelberg, wohnte in deren Haus in der Ziegelhäuser Landstraße 29 (später Nr. 1).

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Schmitz, Michael (?–?). Jurist. Student und 1882 Hausnachbar Max Webers in Heidelberg. Schmöle, Christoph (?–?). Jurist. Aus Frankfurt a. M. stammend, Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg und Berlin; 1883/84 Einjährig-Freiwilliger in Straßburg. Gehörte zu Max Webers Bekanntenkreis in den 1880/90er Jahren in Berlin. Schmoller, Gustav (seit 1908) von (24.6.1838–27.6.1917). Nationalökonom. 1861 Promotion zum Dr. oec. publ. in Tübingen; 1864 ohne Habilitation etatmäßiger a. o. Professor für Staatswissenschaften in Halle, 1865 o. Professor ebd., 1872 in Straßburg, 1882–1912 in Berlin; 1882–89 zugleich Professor für Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. 1877–1912 Herausgeber des „Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“ („Schmollers Jahrbuch“). Seit 1884 Mitglied des preußischen Staatsrates; seit 1899 Vertreter der Universität Berlin im preußischen Herrenhaus. Beeinflußte sowohl als Führer der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie als auch als Mitbegründer und seit 1890 als Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik die staatliche Sozialpolitik und die Entwicklung der Nationalökonomie in Deutschland; verfügte über enge Beziehungen zur preußischen Staatsbürokratie. Schneegans, Carl Friedrich (16.5.1822–24.1.1890). Lehrer. 1844 Bachelier en théologie in Straßburg, 1849 Bachelier en sciences ebd. und Lehrer am Protestantischen Gymnasium Straßburg, 1865 Vizedirektor und 1869 Direktor ebd. Scholz, Hermann (8.8.1853–28.12.1929). Evangelischer Prediger und Religionslehrer. Ab 1871 Studium der Theologie unter dem Einfluß Albrecht Ritschls; Hauslehrer; 1879 Ordination; 1882–86 Religionslehrer und Anstaltsgeistlicher am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin, das auch → Karl Weber besuchte; ab 1886 Pfarrer der Berliner Marienkirche. Zahlreiche Kontakte in die Berliner großbürgerliche Gesellschaft und die Wissenschaft. Schöne, Alfred Kurt Immanuel (Pseudonym: A. Roland) (16.10.1836– 8.1.1918). Klassischer Philologe und Literaturhistoriker. 1864 Habilitation in Leipzig; 1867 a. o. Professor ebd., 1869–74 o. Professor in Erlangen, danach in Paris; 1884 Bibliothekar der Göttinger Universitätsbibliothek; 1887 o. Professor in Königsberg, 1892 in Kiel. Verfaßte unter dem Pseudonym A. Roland die Novelle „Der blaue Schleier“. Schopenhauer, Arthur (22.2.1788–21.9.1860). Philosoph. Kaufmannslehre in Danzig und Hamburg. Studium der Philosophie und Medizin in Göttingen und Berlin, 1813 Promotion zum Dr. phil. in Jena, 1820 Habilitation und Privatdozent in Berlin, wo er vergeblich eine akademische Karriere

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anstrebte, sich aber nicht gegen Hegels Einfluß durchsetzen konnte; ab 1833 Privatgelehrter in Frankfurt a. M. Letzter Vertreter des Idealismus und Hauptvertreter des Pessimismus. Erst nach seinem Tod erfuhren seine Werke eine bedeutende Rezeption weit über den Kreis der Wissenschaft hinaus. Schorlemer(-Alst), Burghard Freiherr von (21.10.1825–17.3.1895). Rittergutsbesitzer und Politiker. 1862 Begründer und Vorsitzender des Westfälischen Bauernvereins; Mitglied des preußischen Landesökonomiekollegiums und des preußischen Staatsrats. 1870–89 MdprAH; 1870/71, 1874–87, 1890 MdR für das Zentrum, seit 1891 MdprHH. Schrader, Karl (4.4.1834–4.5.1913). Jurist und Politiker. 1853–56 Studium in Berlin und Göttingen; 1861–71 bei der Braunschweiger Generaldirektion der Eisenbahnen, 1872–83 Direktor der Berlin-Anhaltinischen Bahn. 1881– 93 Präsident der Freisinnigen Vereinigung, 1881–93 sowie 1898–1912 MdR für die Freisinnige Partei. Schröder, Richard Karl Heinrich (19.6.1838–3.1.1917). Jurist, Rechtshistoriker. Seit 1857 Studium der Rechtswissenschaften, 1861 Promotion zum Dr. jur. in Berlin und Dr. phil. h. c.; 1861–63 juristischer Vorbereitungsdienst in Berlin und Stettin; 1863 Habilitation und Privatdozent, 1866 a. o. Professor, 1870 o. Professor in Bonn, 1873 in Würzburg, 1882 in Straßburg, 1885 in Göttingen, 1888 Professor für deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Recht und Handelsrecht in Heidelberg. 1883–1916 Mitherausgeber der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“. Akademischer Lehrer Max Webers in Göttingen. Schubert, Gustav (seit 1878) von (28.9.1824–3.9.1907). Sächsischer Generalleutnant und Militärschriftsteller. 1839 Eintritt in das sächsische Kadettenhaus, nach der Niederschlagung der Revolution 1849 zum Oberleutnant befördert; seit 1854 Lehrer für Artillerie- und Waffenlehre an der Dresdner Offiziersschule; Kommandos in den Kriegen von 1866 und 1870/71; 1885 Erhebung zum Generalleutnant. Seit seiner Pensionierung im selben Jahr schrieb er militärische Artikel für verschiedene Zeitschriften. Vater von → Hans von Schubert. Schubert, Hans (seit 1878) von (12.12.1859–6.5.1931). Kirchenhistoriker. Seit 1878 Studium u. a. der Geschichte, Staats- und Rechtswissenschaften in Leipzig, Bonn, Straßburg und Zürich, 1884 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg, 1885 Studium der Theologie in Tübingen und Halle, 1887 erstes und 1889 zweites theologisches Examen in Berlin; 1891 a. o. Professor für Kirchengeschichte in Straßburg, 1892 Promotion zum D. theol. ebd.; 1892 o. Professor in Kiel, 1906–28 in Heidelberg. Arbeiten zur frühen Kirchengeschichte. Sohn von → Gustav von Schubert; Freund von → Otto Baumgarten und Straßburger Bekannter Max Webers.

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Schulte, Aloys (2.8.1857–14.2.1941). Historiker. 1879 Promotion in Münster; 1879–83 Bearbeiter des Urkundenbuchs der Stadt Straßburg, 1883–85 Archivsekretär in Donaueschingen, 1885–92 Archivrat in Karlsruhe; 1893 o. Professor in Freiburg i. Br., 1896 in Breslau und 1903–25 in Bonn; 1901– 1903 Leiter des Preußischen Historischen Instituts in Rom. Betrieb neben seinem landesgeschichtlichen Forschungsschwerpunkt Studien zur Sozial-, Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte des Mittelalters. Befreundet mit der Familie von → Hermann Baumgarten in Straßburg. Schultz, Elisabeth (1870–1955). Tochter von → Heinrich Hermann Schultz. Schultz, Ferdinand (7.10.1829–27.7.1901). Gymnasiallehrer und Philologe. 1853 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1854 Lehramtsexamen ebd.; nach Probejahr zunächst Lehrtätigkeit am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin, 1869–1901 Direktor des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums Charlottenburg. Verfasser historischer (zur Alten Geschichte) sowie schulpädagogischer Schriften. Schultz, Frau Dir. (?–?). Frau von → Ferdinand Schultz, dem Direktor des Charlottenburger Kaiserin-Augusta-Gymnasiums. Schultz, Heinrich Hermann (30.12.1836–15.5.1903). Evangelischer Theologe. 1858 Promotion zum Dr. theol. in Hamburg, 1861 Habilitation in Göttingen; 1864 o. Professor in Basel, 1872 in Straßburg, 1874 in Heidelberg und seit 1876 o. Professor in Göttingen. 1881 Mitglied des Konsistoriums sowie 1890 Abt von Bursfelde. Schultze, F. W. (?–?). In den 1870er Jahren Nachbar der Familie Weber in Charlottenburg; wohnte in der Leibnizstraße 11. Schulze, Gerhart → Schulze-Gaevernitz, Gerhart Schulze (auch: Schulze-Gaevernitz), Hermann Friedrich (seit 1888) von (23.9.1824–27.10.1888). Jurist. 1842–45 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Jena, Leipzig und Berlin, 1846 Promotion zum Dr. jur. in Jena; 1848 Habilitation und Privatdozent für Staats- und Verwaltungsrecht, Rechtsgeschichte und Rechtsencyclopädie in Jena, zudem Lehrer für Landwirtschaftsrecht am landwirtschaftlichen Institut seines Vaters, 1850 a. o. Professor in Jena, 1857 o. Professor für Staatsrecht in Breslau, seit 1878 o. Professor für Reichs-, Staats- und Verwaltungsrecht in Heidelberg, 1881–88 Vertreter der Universität Heidelberg in der Ersten Badischen Kammer. 1869–88 Kronsyndikus und MdprHH. Zahlreiche Arbeiten zum Staatsrecht des deutschen Reiches und Landesstaatsrecht, zu Rechtsgeschichte, Verwaltungsrecht und Polizeiwissenschaft. Vater von → Gerhart von Schulze-Gaevernitz. Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg.

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Schulze-Gaevernitz, Gerhart (bis zur Nobilitierung des Vaters 1888: Gerhart Schulze) von (25.7.1864–10.7.1943). Nationalökonom. 1882–85 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Berlin und Göttingen, dort 1886 Staatsexamen und Promotion zum Dr. jur.; Regierungsassessor in der Reichsverwaltung Elsaß-Lothringens; 1891 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, im selben Jahr Habilitation ebd.; 1893 etatmäßiger a. o., 1896–1923 o. Professor für Nationalökonomie in Freiburg i. Br.; dann aus Krankheitsgründen Honorarprofessor, Gastdozent in den USA (1924). Rußlandreisen in den 1890er Jahren. 1912–18 MdR für die Fortschrittliche Volkspartei, 1919/20 Mitglied der Nationalversammlung und 1922 MdR für die DDP. Arbeiten zur Sozialreform, Kreditwirtschaft und Weltwirtschaft sowie Studien zur Kulturgeschichte und zum Verhältnis von Kant und Marx. Sohn von → Hermann Friedrich von Schulze; seit 1882 mit Max Weber bekannt und später dessen Kollege in Freiburg i. Br. Schurz, Carl (2.3.1829–14.5.1906). Politiker und Publizist. Schloß sich 1848 der demokratischen Bewegung an, fl oh nach dem badisch-pfälzischen Aufstand 1849 in die Schweiz; 1850 Emigration nach England, 1852 schließlich in die USA, wo er sich den Republikanern und ihrem Kampf gegen die Sklaverei anschloß; im Sezessionskrieg Kommandeur einer deutsch-amerikanischen Division; 1869–75 Senator von Missouri; 1877–81 Innenminister. Schwarzenberg, Friedrich Johann Joseph Fürst zu (6.4.1809–27.3.1885). Erzbischof von Prag. 1833 Priesterweihe, 1835 Ernennung zum Erzbischof von Salzburg, 1836 Bischofsweihe, 1842 Erhebung zum Kardinal durch Gregor XVI., 1849 Ernennung zum Erzbischof von Prag, Investitur 1850. 1861–85 Mitglied des böhmischen Herrenhauses. Schweninger (auch: Schwenninger), Ernst (15.6.1850–13.1.1924). Arzt. 1872 Promotion zum Dr. med. in München, 1875 Habilitation für pathologische Anatomie ebd.; seit 1881 Leibarzt Bismarcks und 1884 auf dessen Bestreben hin Berufung zum a. o. Professor an die Universität Berlin, Leiter der Abteilung für Hauterkrankungen an der Charité, außerdem Mitglied des Gesundheitsamtes in Berlin. Scott, Walter (seit 1820) Sir (15.8.1771–21.9.1832). Schottischer Jurist, Dichter und Schriftsteller. Schlug als Sohn eines Anwalts früh eine juristische Laufbahn ein, 1792 Abschluß an der Universität Edinburgh, seit 1799 Sheriff von Selkirkshire, seit 1806 am Court of Session. Verfaßte neben seiner Versdichtung mehr als 40 historische Romane (u. a. „Ivanhoe“, 1820 und „Quentin Durward“, 1823), die ihn zu einem der meistgelesenen Autoren seiner Zeit machten und Autoren wie Theodor Fontane und Alexander Puschkin beeinflußten. Seele, Rosalie Alwine, geb. Aue (1.3.1828–1.3.1882). Witwe des Braunschweiger Stadtrats Friedrich Seele. Bekannte von → Marie Baumgarten.

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Seiten, Fräulein (?–?). 1878 Hausdame von Max Webers Großmutter → Emilie Fallenstein, geb. Souchay, in Heidelberg. Semfke, Friedrich Wilhelm (7.1.1834–?). Lehrer. 1853 Lehrer in Neuruppin, 1856 an der Knabenschule in Charlottenburg, seit 1860 am Kaiserin-Augusta-Gymnasium ebd., das Max Weber und seine Brüder besuchten. Siemens, Georg (seit 1899) von (21.10.1839–23.10.1901). Bankier und Politiker. 1875 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg. 1870 einer der Gründungsdirektoren und bis 1900 Vorstandssprecher der Deutschen Bank; seit 1882 Ältester der Kaufmannschaft von Berlin. 1873–75 MdprAH, 1874–77 MdR für die Nationalliberale Partei, 1884–93 für die Freisinnige Partei und 1898– 1901 für die Freisinnige Vereinigung. Bekannter von → Maximilian (Max) Weber sen., mit dem er 1883 in die USA reiste. Simons, Eduard (27.5.1855–19.8.1922). Evangelischer Theologe. 1878 Studium in Berlin, 1879 Vikariat in Göttingen, 1880 Promotion zum Lic. theol. in Straßburg; 1881–83 Pfarrer in Rheinfelden b. Basel, 1883–92 in Leipzig; 1893 Habilitation in Bonn, 1895 Verleihung des Professorentitels; 1902 a. o. Professor in Berlin, 1911 o. Professor und Universitätsprediger in Marburg, 1920 o. Honorarprofessor in Bonn. Gut bekannt mit der Familie Baumgarten in Straßburg, eng befreundet insbesondere mit → Friedrich (Fritz) Baumgarten und → Otto Baumgarten. Seit seinem Berliner Studienjahr 1878 auch mit der Familie Max Webers bekannt. Simons, Max (5.5.1868–5.12.1890). Jüngerer Bruder von → Eduard Simons. Sleidan(us), Johannes (auch: Johannes Philippson) (1506–31.10.1556). Diplomat und Geschichtsschreiber. Studium der Rechte in Orléans; 1536 Sekretär des Bischofs von Paris, für diesen als Diplomat u. a. auf den Reichstagen von Regensburg (1541) und Speyer (1544). Publizierte zeitgleich politische Reden sowie Übersetzungen (z. B. von Froissart). Seit 1544 in Straßburg, dort Arbeit an weiteren Übersetzungen und seiner Geschichte der Reformation („De statu religionis et reipublicae Carolo Quinto Caesare Commentarii“), die 1555 erschien und zahlreiche Neuauflagen und Neubearbeitungen erlebte. Smith, Adam (5.6.1723–17.7.1790). Schottischer Philosoph und Ökonom. 1751–63 Professor für Logik bzw. Moralphilosophie in Glasgow, 1764–66 Reisebegleiter und Erzieher eines jungen Grafen in Frankreich und der Schweiz, danach vornehmlich in seinem Geburtsort Kirkcaldy lebend, ab 1778 Mitglied der obersten Zollbehörde Schottlands. Sein 1776 erschienenes Hauptwerk „An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations“ gilt als das initiale Werk in der Geschichte der Nationalökonomie als wissenschaftlicher Disziplin.

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Sohm, Rudolph (29.10.1841–16.5.1917). Jurist und Kirchenrechtler. 1864 Promotion zum Dr. jur. et phil. in Rostock; 1864–66 in München Mitarbeiter an der „Sammlung baierischer Rechtsquellen“; 1866 Habilitation und Privatdozent für deutsches Recht und Handelsrecht in Göttingen; 1870 a. o. Professor ebd., 1870 o. Professor für Kirchenrecht und deutsches Recht in Freiburg i. Br., 1872 in Straßburg, dort 1884 Rektor, 1887 in Leipzig; seit 1891 nicht ständiges Mitglied der 2. BGB-Beratungskonferenz. Akademischer Lehrer Max Webers in Straßburg. Sonnemann, Leopold (29.10.1831–30.10.1909). Bankier, Verleger und Politiker. 1853 Übernahme der Tuchhandlung seines Vaters und Umwandlung in eine Bank. 1859 Gründung der „Neuen Frankfurter Zeitung“, 1866 Herausgeber der „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“. 1869–80 und 1887–1904 Mitglied des Frankfurter Stadtparlaments; 1871–84 MdR (Deutsche Volkspartei). Sophie Dorothea Ulrike Alice von Preußen (14.6.1870–13.1.1932). Tochter von Kronprinz → Friedrich Wilhelm von Preußen. 1889 Heirat mit Konstantin, dem ältesten Sohn des griechischen Königs Georg I. 1913–17 und 1920–22 Königin von Griechenland. Spalatin, Georg (eigentlich: Georg Burkhardt) (17.1.1484–16.1.1545). Reformator. Studium der Rechtswissenschaften und Theologie in Erfurt und Wittenberg; 1503 Magister in Wittenberg; 1505 Hauslehrer in Erfurt; 1508 Priester und Prinzenerzieher in Torgau; 1512 Bibliothekar in Wittenberg; Geheimsekretär und Hofprediger Friedrichs des Weisen. Spinoza, Baruch (Benedictus) de (24.11.1632–21.2.1677). Niederländischer Philosoph. Abkömmling einer aus Portugal zugezogenen sephardischen Familie; erhielt in Amsterdam eine biblisch-talmudische Ausbildung, studierte daneben die Scholastik, alte Sprachen, Naturwissenschaften und Mathematik, setzte sich mit den philosophischen Schriften von René Descartes auseinander und stand in Kontakt mit mennonitischen Gruppen; 1656 aus der jüdischen Gemeinde Amsterdams wegen seiner Kritik an jüdischen Dogmen ausgeschlossen, lehnte 1673 eine ihm angebotene Professur für Philosophie an der Universität Heidelberg ab. Sein 1670 anonym erschienenes Werk „Tractatus theologico-politicus“ wurde 1674 auf Betreiben von Calvinisten verboten. Gilt als Mitbegründer der modernen Bibelkritik. Stifter, Adalbert (23.10.1805–28.1.1868). Österreichischer Schriftsteller, Maler und Pädagoge. Verfasser zahlreicher Erzählungen und Novellen. Bedeutender Vertreter des Biedermeiers mit ausführlichen Naturschilderungen. Stoecker, Adolf (11.12.1835–7.2.1909). Evangelischer Pfarrer und Politiker. 1874–90 Hof- und Domprediger in Berlin. 1879–98 MdprAH, 1881–93 und

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1898–1908 MdR (Deutschkonservative Partei, Christlichsoziale Partei). Suchte die Arbeiterschaft im sozialkonservativen, monarchistischen Sinn zu beeinflussen und gründete 1878 die Christlichsoziale Arbeiterpartei; bekämpfte in der „Berliner Bewegung“ das Judentum als Träger des Liberalismus. 1885 Kläger in einem Beleidigungsprozeß, in dessen Folge er seine antisemitische Agitation mäßigen mußte. Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu (30.10.1837–19.11.1896). Politiker. Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Heidelberg; 1859 Militärdienst; 1861 Besitzer der Grafschaft Wernigerode; 1866 Teilnahme am Deutsch-Österreichischen Krieg. 1867 Oberpräsident der Provinz Hannover; 1876 Botschafter in Wien; 1878 Stellvertreter des Reichskanzlers (bis 1881) und Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums; 1885 Oberstaatskämmerer; 1885 Hausminister. 1867 MdprHH, 1871–78 MdR (Freikonservative). Strauß, David Friedrich (27.1.1808–8.2.1874). Theologe und Philosoph. Studierte u. a. bei Hegel; 1835–36 erschien seine vielbeachtete Schrift „Das Leben Jesu, kritisch betrachtet“; 1839 Ruf als o. Professor für Dogmatik nach Zürich, jedoch aufgrund starker Kontroversen schon vor Antritt der Stelle pensioniert. 1848 Wahl in den württembergischen Landtag, er legte sein Mandat allerdings im selben Jahr wieder nieder. 1872 erschien die Schrift „Der alte und der neue Glaube“, in der er monistische Standpunkte vertrat. Strauß, Eduard (15.3.1835–28.12.1916). Österreichischer Dirigent und Komponist. Studium der Kompositionslehre in Wien; seit 1870 alleinige Leitung der Strauss-Kapelle; 1872 Ernennung zum k. k. Hofballmusik-Direktor. Stand als Komponist im Schatten seines Vaters Johann Strauss und seines Bruders Johann Strauss; wirkte vor allem als Dirigent in Wien; ab 1878 ausgedehnte Konzertreisen in Deutschland, Europa und später den USA. Max Weber hörte 1879 eines seiner Konzerte in Hamburg. Strauss, Otto (27.1.1861–24.11.1918). Evangelischer Pfarrer. Nach Theologiestudium 1887 Garnisonshilfsprediger in Berlin, 1891 Divisionspfarrer in Posen, 1900 Militäroberpfarrer in Spandau, im Weltkrieg zuletzt Feldoberpfarrer des deutschen Ostheeres. Mitschüler und Mitabiturient Max Webers am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg; 1880 lernte Max Weber bei ihm Stenographie. Servius Sulpicius Rufus (ca. 106–43 v. Chr.). Römischer Politiker. 74 v. Chr. Quästor, 65 v. Chr. Prätor, 63 v. Chr. erfolglose Kandidatur für das Konsulat, 51 v. Chr. Wahl zum Konsul. Unterstützte im Bürgerkrieg → Caesar, der ihn 46 v. Chr. zum Prokonsul in Achaea (Griechenland) ernannte. Freund von → Cicero.

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Taege, Carl Ernst Eduard (30.5.1859–?). Apotheker. Sohn des Charlottenburger Hofapothekers Friedrich Ferdinand Taege. 1878/79 Primaner am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, an dem auch Max Weber sein Abitur machte. Temme, Jodocus Donatus Hubertus (22.10.1798–14.11.1881). Politiker und Jurist. Studium in Münster, Göttingen, Bonn und Marburg; 1824 am Landgericht Limburg an der Lenne, 1827 am Oberlandesgericht Paderborn, 1839 zweiter Direktor des Berliner Kriminalgerichts; 1844 aufgrund liberaler Schriften nach Tilsit versetzt; 1848 Staatsanwalt in Berlin sowie bis 1851 Vizepräsident des Oberlandesgerichts Münster; seit 1852 in Zürich, dort als Schriftsteller tätig. 1848 Wahl in die Preußische Nationalversammlung (Demokraten); 1849 Mitglied der Frankfurter Paulskirchenversammlung, in die er trotz Hochverratsanklage gewählt wurde, 1850 Freispruch, jedoch 1851 aus dem Richteramt entlassen; Mitglied der Zweiten Preußischen Kammer; 1863–64 MdprAH (Fortschrittspartei). Tenne, Conrad (?–?). Chemiker. 1878 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen. 1882 Hausnachbar Max Webers in Heidelberg. Terentia (um 98 v. Chr.–4 oder 6 n. Chr.). Bis zur Scheidung um 46 v. Chr. Ehefrau von → Cicero. Thorbecke, Andreas Heinrich (14.3.1837–3.1.1890). Orientalist. 1859 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1868 Habilitation ebd.; 1873 a. o. Professor in Heidelberg, 1885 in Halle, 1887 o. Professor ebd. Bekanntheit erlangte seine Ausgabe von Sabbags „Grammatik der arabischen Umgangssprache in Syrien und Ägypten“, die 1886 erschien. Thukydides (spätestens 454 oder 455–nach 400 v. Chr.). Griechischer Geschichtsschreiber. Verfasser einer Geschichte des Peloponnesischen Krieges von seinem Beginn im Jahre 431 bis zum Jahre 411 v. Chr. Deren nüchtern-objektivierende Beschreibung sowie die erstmals analytische Differenzierung zwischen Anlaß und Ursache des Krieges wurden historiographisch wegweisend. Thürolf, Gustav (1852–?). Tischlergeselle. Im Februar 1878 durch das Berliner Schwurgericht in einem aufsehenerregenden Prozeß des Mordes und versuchten Raubmordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde im Oktober 1878 in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Tiburtius, Franziska (24.1.1843–5.5.1927). Ärztin. 1876 Promotion zum Dr. med. in Zürich. Gilt gemeinsam mit Emilie Lehmus, mit der sie in Berlin (ohne Approbation) eine Poliklinik für Frauen gründete, als erste promovierte deutsche Ärztin.

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Tiede, August (4.6.1834–14.5.1911). Architekt und Stadtbaurat. Studium an der Berliner Bauakademie, 1862–67 Stadtbaurat in Erfurt und 1867–90 in Berlin, Leiter des Ressorts Museumsbauten der Ministerialbaukommission; seit 1875 zugleich Lehrauftrag (später Professor) an der Bauakademie Berlin. Realisierte u. a. den Bau der Preußischen Geologischen Landesanstalt und Bergakademie (1875–78), der Landwirtschaftlichen Hochschule (1876–80) sowie des Museums für Naturkunde (1883–89). Danach selbständiger Architekt. In Erfurt Magistratskollege von → Maximilian (Max) Weber sen.; gehörte seitdem mit seiner Frau → Helene Tiede auch in Berlin zum engeren Freundeskreis der Familie Weber. Tiede, Helene, geb. Richter (15.11.1835–22.6.1915). Seit 1861 verheiratet mit → August Tiede. Das Ehepaar Tiede gehörte in Erfurt und Berlin zum engeren Freundeskreis der Familie Weber. Patin von → Helene (Helenchen) Weber. Tissot, Victor (15.8.1845–6.7.1917). Schweizer Journalist und Schriftsteller. 1870–73 Chefredakteur der „Gazette de Lausanne“, danach in Paris tätig, u. a. für den „Figaro“ sowie den „Almanach Hachette“; Verfasser diverser Reiseberichte, in Deutschland erlangte vor allem sein Bericht „Voyage au pays des Milliards“ (gemeint ist eine „Reise in das Milliardenland“ Preußen) Bekanntheit. Treitschke, Heinrich von (15.9.1834–28.4.1896). Historiker und Publizist. 1854 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1858 Habilitation für Staatswissenschaften ebd.; 1863 a. o. Professor in Freiburg i. Br., 1866 o. Professor in Kiel, 1867 in Heidelberg, seit 1874 in Berlin als Nachfolger → Leopold von Rankes. 1886 Historiograph des preußischen Staates. 1871–84 MdR, zunächst für die Nationalliberalen, seit 1878 parteilos; setzte sich für die deutsche Einheit unter preußischer Führung ein; führender Vertreter der Idee eines deutschen Machtstaates. 1866–89 Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“. Seine zahlreichen Veröffentlichungen, vor allem seine „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ sowie seine „Vorlesungen über Politik“, übten großen Einfluß auf das deutsche Bürgertum aus. Gehörte seit dessen Göttinger Studienzeit zum Freundeskreis von → Maximilian (Max) Weber sen., durch den von Treitschke ausgelösten Antisemitismusstreit 1879–81 vorübergehende Distanzierung. Tullia (5.8. zwischen 79 und 75–Februar 45 v. Chr.). Tochter von → Cicero. Starb bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Lentulus. Turgenjew, Iwan S.; Tl.: Turgenev, Ivan Sergeevicˇ (9.11.1818–3.9.1883). Russischer Schriftsteller. Vertreter des Realismus, beschrieb als einer der ersten die zeitgenössischen Probleme der russischen Gesellschaft. Varnbüler, Friedrich Karl Gottlob Freiherr von und zu Hemmingen (13.5.1809–26.3.1889). Jurist und Württembergischer Politiker. 1833 Asses-

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sor in Ludwigsburg; 1864–70 Württembergischer Minister des Kgl. Hauses, der Auswärtigen Angelegenheiten und Verkehrsanstalten. Seit 1845 Mitglied der Abgeordnetenkammer des Württembergischen Landtags; 1872– 81 MdR für die Freikonservativen. Als überzeugter Schutzzollanhänger 1879 Vorsitzender der Zolltarif-Commission. Vasili, Comte Paul → Radziwill, Catherine Vergil (eigentlich: Publius Vergilius Maro) (70–19 v. Chr.). Römischer Dichter und Epiker. Bekanntester Autor der klassischen römischen Antike, dessen mythisches Epos „Aeneis“ die Vorgeschichte der Gründung der Stadt Rom beschrieb. Victor, Prinz Napoléon (Napoléon Jérôme Frédéric Bonaparte) (18.7.1862– 3.5.1926). Großneffe von Napoléon Bonaparte. 1882 Studienaufenthalt in Heidelberg. Victoria Adelaide Mary Luisa von Großbritannien und Irland (21.11.1840– 5.8.1901). Kronprinzessin, Königin von Preußen und deutsche Kaiserin. Tochter der britischen Königin Victoria und Alberts von Sachsen-Coburg und Gotha; 1858 Heirat mit Kronprinz → Friedrich Wilhelm von Preußen. Voeltzkow, Alfred (14.4.1860–29.12.1946). Zoologe. Studium der Naturwissenschaften in Heidelberg, Berlin, Freiburg und Würzburg, 1887 Promotion in Freiburg i. Br., Privatdozent in Straßburg; 1900 Mitglied der Leopoldina. Forschungsreisen nach Afrika und Ozeanien. Gemeinsam mit Max Weber Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Voigt, Johannes (24.6.1866–13.6.1932) Evangelischer Pfarrer und Seelsorger. 1888 Studium der Theologie in Halle-Wittenberg, dann Kiel; 1890/91 als „Oberhelfer“ im „Rauhen Haus“ in Hamburg tätig; 1892 Ordination und Hilfsprediger in Gettorf, 1894–1911 Pastor in Neumünster, 1911–28 Direktor der Ricklinger Anstalten (Landesverein der Inneren Mission Schleswig-Holstein). 1885 als Primaner des Joachimsthaler Gymnasiums Nachhilfelehrer von → Karl Weber. Voigt, Johann Heinrich Ferdinand (21.10.1836–19.5.1905). Politiker. Direktor des Berliner Pfandbriefamtes. 1872–1903 Stadtrat und 1903 Stadtältester in Berlin. Wagner, Richard (22.5.1813–13.2.1883). Komponist. 1833 Kapellmeister in Würzburg, 1834 in Magdeburg, 1837 in Riga; 1843 Hofkapellmeister in Dresden; nach seiner Beteiligung am Mai-Aufstand 1849 Flucht in die Schweiz; wechselnde Aufenthalte in Europa; 1864 Übersiedlung nach München und finanzielle Förderung durch König Ludwig II.; 1872 Übersiedlung nach Bayreuth. Gehörte zu den einflußreichsten Musikern des 19. Jahrhun-

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derts, der in seinen Opern die Idee eines musikalischen Gesamtkunstwerks zu verwirklichten suchte. Wake, Herr aus Bielefeld (?–?). Näheres nicht bekannt. Waldemar, Joachim Friedrich Ernst von Preußen (10.2.1868–27.5.1879). Sohn von → Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und → Kronprinzessin Victoria. Walter, Ferdinand (30.11.1794–13.12.1879). Jurist. Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, 1818 Promotion zum Dr. jur. und Habilitation ebd.; 1819 a. o. Professor in Bonn, 1821 o. Professor ebd. 1848 Mitglied der preußischen Nationalversammlung (gemäßigt konservativ); 1849/50 Mitglied der Ersten Kammer. Waschke, Gustav (29.10.1840–?). Lehrer. Bis 1860 Ausbildung am evangelischen Lehrerseminar in Angerburg; 1864/65 Besuch der Kgl. CentralTurnanstalt Berlin; 1866–74 Lehrer in Königsberg, anschließend in Straßburg und Hamburg, seit 1877 Vorschul- und Turnlehrer am Kaiserin-Augusta-Gymnasium Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Weber, Alfred (30.7.1868–2.5.1958). Nationalökonom, Soziologe, linksliberaler Politiker und Publizist. 1888 Studium der Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn, 1889 der Rechtswissenschaften in Tübingen und Berlin; Militärdienst; 1892 erstes und 1898 Zweites Juristisches Staatsexamen in Berlin, 1897 Promotion zum Dr. phil. bei → Gustav Schmoller ebd., 1899 Habilitation für Nationalökonomie ebd.; 1904 o. Professor in Prag, 1908–33 und 1945–55 o. Professor für Nationalökonomie, seit 1926 auch für Soziologie in Heidelberg, 1933 aus politischen Gründen emeritiert. Arbeiten zur Hausindustrie, Standorttheorie, Kultursoziologie und Geschichtsphilosophie, zudem politische Aufsätze. Sohn von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Jüngerer Bruder von Max Weber. Weber, Anna Caroline Ottilie → Hübbe, Anna Caroline Ottilie, geb. Weber Weber, Arthur (1.2.1877–19.2.1952). Offizier. 1898 Leutnant, 1913 Hauptmann bei den Garde-Pionieren in Berlin; 1914–18 Kriegseinsatz; 1943 als Oberstleutnant pensioniert. Seit 1903 mit Valborg Weber, geb. Jahn, verheiratet, Scheidung 1924; zweite Ehe mit Helene Weinstein. Sohn von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Jüngster Bruder von Max Weber. Weber, Carl David (17.4.1824–21.7.1907). Textilunternehmer. Gründete 1850 die Leinenweberei „Carl Weber & Co.“ in Oerlinghausen. Sohn von Karl August Weber und → Marie Lucie Weber, geb. Wilmans. Ältester Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Onkel von Max Weber.

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Weber, Carl Emil (10.4.1843–3.9.1898). Kaufmann und Politiker. Studium der Kameralwissenschaften in Heidelberg. 1864 Kaufmann in London; 1867 Geschäftsteilhaber in St. Petersburg. 1878 Kaiserlicher Deutscher Vizekonsul in St. Petersburg. 1889 MdprAH, 1893 MdR, 1895 Mitglied der Zweiten Badischen Kammer. Sohn von → Georg Weber und → Ida Weber, geb. Becher. Weber, Clara (5.9.1875–14.1.1953). Tochter von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Heiratete 1896 → Ernst Mommsen. Jüngere Schwester von Max Weber. Weber, Eduard Friedrich (19.6.1830–19.9.1907). Textilunternehmer. 1856 Gründer von Weber & Co. in Valparaíso sowie 1873 der Firma Eduard F. Weber in Hamburg. Konsul für das Königreich der Hawaii-Inseln. Bedeutender Hamburger Kunst- und Münzsammler. Sohn von David Friedrich Weber, dem Bruder von → Maximilian (Max) Webers sen. Großvater David Christian Weber, und → Henriette Charlotte Weber, geb. Nottebohm. Weber, Emilie Theodora, geb. Röltgen (19.8.1836–9.10.1917). Seit 1856 verheiratet mit Max Webers Onkel → Otto Weber in Hamburg. Weber, Friedrich Percy (20.12.1844–19.1.1895). Redakteur. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1869 Examen zum Oberlehrer in Karlsruhe; 1872 Redakteur der liberalen Spenerschen Zeitung in Berlin, ab 1874 Mitarbeit an einigen Werken seines Vaters → Georg Weber; ab 1883 Mitarbeiter und verantwortlicher Redakteur der „Nationalliberalen Correspondenz“. Sohn von Georg Weber und → Ida Weber, geb. Becher. Weber, Georg (10.2.1808–10.8.1888). Pädagoge und Historiker. 1832 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg; 1835–38 Lehrer am Gymnasium Bergzabern, 1839–72 Direktor der höheren Schule in Heidelberg. Verfaßte ein weit verbreitetes „Lehrbuch der Weltgeschichte“ (1847) sowie eine fünfzehnbändige „Allgemeine Weltgeschichte“ (1857–80). Seit 1839 verheiratet mit → Ida Weber, geb. Becher, einer Cousine → Emilie Fallensteins, geb. Souchay. 1886 Ehrenmitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg, deren Mitglied auch Max Weber war. Weber, Georg jun. (15.6.1846–?). Kaufmann. 1861 Handelslehre in Genf, seit 1866 in Verviers, dann als Privatier in Neuenheim bei Heidelberg. Jüngster Sohn von → Georg Weber und → Ida Weber, geb. Becher. Weber, Hedwig Emilie (24.2.1867–29.9.1940). Tochter von → Emilie Theodore Weber, geb. Röltgen, und → Otto Weber in Hamburg, einem Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Seit 1888 verheiratet mit Friedrich Wilhelm Lohmann. Cousine von Max Weber.

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Weber, Helene, geb. Fallenstein (15.4.1844–14.10.1919). Tochter von → Georg Friedrich Fallenstein und → Emilie Fallenstein, geb. Souchay. Heiratete 1863 → Maximilian (Max) Weber sen. Mutter von Max Weber. Zeitlebens starkes religiöses und soziales Engagement, u. a. im Charlottenburger Hauspflege-Verein, im Verein „Jugendheim“ und in der Charlottenburger Wohlfahrtszentrale; 1903 in die Armendirektion der Charlottenburger Stadtverwaltung berufen. Weber, Helene (Helenchen) (1.9.1873–27.12.1877). Tochter von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Jüngere Schwester von Max Weber; starb bereits im Alter von vier Jahren an Diphtherie. Weber, Henriette Charlotte, geb. Nottebohm (22.10.1792–1.12.1886). Ehefrau des 1868 verstorbenen David Friedrich Weber, dem Bruder von → Maximilian (Max) Webers sen. Großvater David Christian Weber. Lebte in Hamburg. Weber, Hertha Henriette Lucie → Dörner, Hertha Henriette Lucie, geb. Weber Weber, Ida, geb. Becher (13.8.1804–8.5.1888). Seit 1839 verheiratet mit → Georg Weber. Cousine von → Emilie Fallenstein, geb. Souchay (Tochter von Georg Becher und Caroline Becher, geb. Schunck, der Schwester von Helene Souchay, geb. Schunck). Weber, Karl (3.10.1870–22.8.1915). Architekt. Als Schüler von Karl Schäfer 1907 etatmäßiger Professor für Architektur an der TH Danzig, 1913 an der TH Hannover. Starb im Ersten Weltkrieg an der Ostfront. Sohn von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Jüngerer Bruder von Max Weber. Weber, Lili (26.7.1880–7.4.1920). Tochter von → Helene Weber, geb. Fallenstein, und → Maximilian (Max) Weber sen. Heiratete im August 1902 Hermann Schäfer, den Sohn von → Karl Webers Lehrer Karl Schäfer. Jüngste Schwester von Max Weber. Weber, Marianne, geb. Niemann (1831–1871). Seit 1850 verheiratet mit → Carl David Weber, dem ältesten Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. in Oerlinghausen. Großmutter von Max Webers späterer Frau Marianne Weber, geb. Schnitger. Weber, Marie Lucie, geb. Wilmans (24.4.1804–5.11.1882). Seit 1823 verheiratet mit dem Inhaber des Leinenhauses „Weber, Laer & Niemann“ in Bielefeld, Karl August Weber; Mutter von → Maximilian (Max) Weber sen. Großmutter Max Webers in Bielefeld.

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Weber, Martha Julie Alwine (26.8.1860–1945). Tochter von → Emilie Theodore Weber, geb. Röltgen, und → Otto Weber in Hamburg, einem Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Heiratete im März 1887 Johann Joseph Hübbe, den Mann ihrer verstorbenen Schwester → Anna Hübbe, geb. Weber. Cousine von Max Weber in Hamburg. Weber, Maximilian (Max) sen. (31.5.1836–10.8.1897). Jurist und nationalliberaler Politiker. 1854–58 Studium in Göttingen und in Berlin; 1858 Promotion zum Dr. jur. utr. in Göttingen; 1859 bei der Pressestelle des preußischen Staatsministeriums tätig, 1862–69 besoldeter Stadtrat in Erfurt, 1869–93 in Berlin, dort Vorsitzender der Bau-Deputation. 1868–82 (Wahlkreis Erfurt) und 1884–97 (Wahlkreis Oschersleben-Halberstadt-Wernigerode) MdprAH für die Nationalliberale Partei, 1872–77 (Wahlkreis Coburg) und 1879–84 (Wahlkreis Magdeburg-Stadt bis 1881, Holzminden-Gandersheim 1881–84) MdR. Mitglied der preußischen Staatsschulden- und der Reichsschuldenkommission; führendes Mitglied der Nationalliberalen Partei. Seit 1863 verheiratet mit → Helene Weber, geb. Fallenstein, Vater von Max Weber. Weber, Ottilie (31.5.1836–20.10.1912). Zwillingsschwester von → Maximilian (Max) Weber sen. Tante von Max Weber, lebte unverheiratet in Bielefeld, dann in Oerlinghausen. Weber, Otto (Friedrich Hermann Otto) (26.10.1829–23.8.1889). Kaufmann, Textilunternehmer. 1853 Mitbegründer der „Wilhelm & Otto Weber“ in Hamburg (bis 1864); danach Teilhaber der 1814 von David Friedrich Weber gegründeten Leinenexportfirma „D. F. Weber & Co“ ebd. Seit 1856 verheiratet mit → Emilie Theodore Weber, geb. Röltgen. Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen., Onkel von Max Weber. Wehrenpfennig, Wilhelm (25.3.1829–25.7.1900). Publizist, preußischer Ministerialbeamter und Politiker. 1853 Promotion zum Dr. phil. in Halle (Saale); 1858–62 Direktor des literarischen Bureaus im preußischen Staatsministerium; 1863–83 Redakteur der „Preußischen Jahrbücher“; 1877 Geheimer Regierungsrat und vortragender Rat im Handelsministerium, ab 1879 Oberregierungsrat im Kultusministerium. 1868–79 MdprAH sowie 1871–81 MdR für die Nationalliberale Partei. Nach dem Tod seiner ersten Frau Anna Wehrenpfennig, geb. Hoelzle, heiratete er 1883 in zweiter Ehe Emilie Wehrenpfennig, geb. Kopp, verw. von Breuls. Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. Weiß, Bernhard Karl Philipp (20.6.1827–14.1.1918). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie in Königsberg, Halle und Berlin, 1852 Promotion zum Dr. phil. und Lic. theol. in Königsberg, Habilitation ebd.; 1857 a. o. Professor ebd.; 1862 Ernennung zum Dr. theol. ebd.; 1863 o. Professor in Kiel, 1877 in Berlin. 1880 Oberkonsistorialrat im Kultusministerium.

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Wiedenhöft, Frau, geb. Colberg (?–?). Bekannte von → Helene Weber in Berlin. Wieland, Christoph Martin (5.9.1733–29.1.1813). Dichter und Übersetzer. Nach Abbruch des Studiums der Rechtswissenschaften in Tübingen Hauslehrer in der Schweiz; seit 1760 Kanzleidirektor in Biberach und erste Werke („Agathon“, „Musarion“). 1769 Professor der Philosophie in Erfurt; 1772 durch Herzogin Anna Amalie von Weimar zum Hoferzieher ernannt, dort weitere literarische Arbeiten (1780 „Oberon“) und Übersetzungen v. a. von klassischen und englischen (Shakespeare) Werken. Wiesinger, August Johann Tobias (7.8.1818–9.2.1908). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie und Philosophie in Erlangen und Berlin. 1848 Pfarrer in Untermagerbein, 1859 in Bayreuth; 1860 o. Professor in Göttingen. Vater von → Eduard Wiesinger. Wiesinger, Eduard Ludwig Gotthilf (25.5.1859–4.4.1942). Kaufmann. 1875 Lehre als Bankkaufmann in Göttingen; 1879 Kaufmann in Hamburg, 1888 Eintritt in die Firma Carl F. Himstedt ebd., 1911 Inhaber derselben. 1910 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Sohn von → August Wiesinger. Wilamowitz-Moellendorff, Marie von, geb. Mommsen (28.6.1855–15.9.1936). Tochter von → Theodor Mommsen und → Marie Auguste Mommsen, geb. Reimer; seit 1878 verheiratet mit → Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Wilamowitz-Moellendorff, Tycho von (16.11.1885–15.10.1914). Klassischer Philologe. Studium der Klassischen Philologie und Germanistik in Berlin, Göttingen und Freiburg i. Br., 1911 Promotion zum Dr. phil. ebd.; im Ersten Weltkrieg gefallen. Sohn von → Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und → Marie Wilamowitz-Moellendorff, geb. Mommsen. Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von (22.12.1848–25.9.1931). Klassischer Philologe. 1870 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1874 Habilitation ebd.; 1876 o. Professor für klassische Philologie in Greifswald, 1883 in Göttingen und 1897–1922 in Berlin. Zu seiner Zeit weithin prägend für die Entwicklung der Griechischen Philologie in Deutschland und darüber hinaus. Umfassendes Werk zur griechischen Kultur der Antike. Schwiegersohn von → Theodor Mommsen. Wilhelm (Onkel) → Benecke, Ernst Wilhelm Wilhelm, Prinz von Preußen (Wilhelm II.) (27.1.1859–4.6.1941). Preußischer Kronprinz und Deutscher Kaiser. 1866–77 auf Wunsch seiner Mutter → Kronprinzessin Victoria intensive zivile Schulausbildung durch → Georg Hinzpeter, 1877 Abitur, danach 4 Semester Studium in Bonn; bis 1888 militärische Ausbildung in verschiedenen Regimentern. Nach dem Tod seines

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Vaters → Friedrich Wilhelm von Preußen 1888 Krönung zum Deutschen Kaiser als Wilhelm II. Enkel von → Wilhelm I. Wilhelm I. (22.3.1797–9.3.1888). Deutscher Kaiser und König von Preußen. Militärische Ausbildung, 1814 als Hauptmann an den Befreiungskriegen in Frankreich beteiligt, bis 1848 verschiedene militärische Kommandos, 1849 Oberkommandierender im Auftrag des Deutschen Bundes bei der Niederschlagung der Revolution in Baden und der Pfalz. 1840 Prinz von Preußen, 1857–61 in Vertretung seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. Regent in Preußen, nach dessen Tod 1861 Krönung zum König; berief 1862 → Bismarck zum Ministerpräsidenten; 1871 Krönung zum Deutschen Kaiser in Versailles; im Juni 1878 Opfer eines Attentats, das er schwer verletzt überlebte. Vater von → Friedrich Wilhelm von Preußen, Großvater von → Prinz Wilhelm (II). Wilhelm von Hohenzollern, August Karl Joseph Peter Ferdinand Benedikt von Hohenzollern (7.3.1864–22.10.1927). Fürst von Hohenzollern aus der katholischen Sigmaringer Linie. Wille, Jakob Philipp (6.5.1853–22.7.1929). Bibliothekar. 1876 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg; 1890 Titularprofessor, 1898 Honorar-Professor und 1908 o. Honorarprofessor ebd.; 1877–81 tätig an der Universitätsbibliothek Heidelberg, 1882–1902 erster Bibliothekar, 1902–12 Oberbibliothekar und Leiter des Universitätsarchivs Heidelberg, 1912–22 Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg. Windscheid, Bernhard (26.6.1817–26.10.1892). Jurist (Zivilrechtler). 1838 Promotion zum Dr. jur. in Bonn, 1840 Habilitation ebd.; 1847 a. o. Professor sowie im selben Jahr o. Professor für Römisches Recht in Basel, 1852 in Greifswald, 1857 in München, 1871 in Heidelberg sowie ab 1874 in Leipzig. Mitglied der Kommission für die Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) für das Deutsche Reich. Sein – in sieben Auflagen von ihm bearbeitetes – Pandektenlehrbuch faßt die Lehren der gemeinrechtlichen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts zusammen und hat das BGB maßgeblich geprägt. Winkelmann, Eduard August (25.6.1838–10.2.1896). Historiker. Studium in Berlin und Göttingen, 1859 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1860 Oberlehrer in Reval; 1865 Habilitation in Dorpat, 1866 Privatdozent ebd.; 1869 o. Professor in Bern, 1873 in Heidelberg. Winterer, Landolin (auch: Landelin) (28.2.1832–29.10.1911). Katholischer Geistlicher. 1856 Weihe zum Priester und Kaplan in Bischweiler, 1861 in Colmar, 1866 in Gebweiler, 1871 in Mülhausen. 1874–1903 MdR (fraktionslos, zentrumsnah); 1909 Staatsrat. Verfaßte Schriften v. a. zur elsässischen Kirchengeschichte.

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Witt, Nikolaus Martin (21.3.1834–28.9.1890). Gutsbesitzer und Politiker. 1858–78 Besitzer eines Guts in Posen. 1866–78 Deputierter der Posener Landschaft, seit 1879 Stadtrat in Charlottenburg. 1867–78 MdprAH, 1881– 1887 MdR für die Deutsche Freisinnige Partei. Wopfner, Joseph (auch: Josef) (19.3.1843–23.7.1927). Österreichischer Maler. 1864 Studium an der Akademie in München. Malte hauptsächlich Landschaftsbilder des Chiemgaus. Wülffing, Walter (?–?). Jurist. Aus Elberfeld stammend, seit 1879 Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg, 1882 Juristisches Staatsexamen in Colmar. Freund → Otto Baumgartens. Xenophon (zwischen 430–425–nach 355 v. Chr.). Griechischer Schriftsteller. Schüler des Sokrates. 401 v. Chr. Teilnahme am Feldzug von Kyros dem Jüngeren, nach dessen Tod Rückführung der griechischen Söldnertruppe; 394 v. Chr. Teilnahme an der Schlacht von Koroneia gegen die mit Athen verbündeten Thebaner. Widmete sich nach Verbannung aus Athen seinem literarischen Werk, das neben politisch-pädagogischen und sokratischen Schriften („Erinnerungen an Sokrates“ (Memorabilien), „Oikonomikos“, „Apologie“) insbesondere historische Werke umfaßt („Anabasis“ sowie „Hellenika“, eine im Anschluß an → Thukydides verfaßte griechische Geschichte von 411 bis 362 v. Chr.). Zerbe (?–?). Bediensteter der Familie Weber in Charlottenburg, v. a. für Gartenarbeiten zuständig. Zimmermann, Alfred (14.2.1863–?). Jurist. Aus Köln stammend, studierte gemeinsam mit Max Weber in Heidelberg, Straßburg und Berlin Rechtswissenschaften; 1883/84 Einjährig-Freiwilliger in Straßburg. Später Landgerichtsrat in Bochum. Zorn von Bulach, Hugo Freiherr (8.2.1851–20.4.1921). Politiker. 1878 Mitglied des Bezirkstages Unterelsaß, 1879 Mitglied des Landesausschusses in Elsaß-Lothringen, 1892 Mitglied des Staatsrats für Elsaß-Lothringen, 1895 Unterstaatssekretär und 1909 Kaiserlicher Staatssekretär für Elsaß-Lothringen. 1881–98 MdR (Elsaß-Lothringer Fraktion, später Konservative).

Verwandtschaftstafeln

Die nachfolgenden Tafeln erfassen die Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, einem Onkel Max Webers und Großvater Marianne Webers. Vorangestellt ist eine vereinfachte Darstellung der Verwandtschaftsbeziehung zwischen Max und Marianne Weber, die die vier weiteren Geschwister von Max Webers Vater unberücksichtigt läßt. ln den Tafeln werden die Familienangehörigen im Generationszusammenhang von Max Weber vollständig aufgeführt: die nachfolgende Generation seiner Neffen und Nichten wird jedoch vernachlässigt. Die Angaben entstammen: Döhner, Otto, Das Hugenottengeschlecht Souchay de Ia Duboissière und seine Nachkommen, in: Deutsches Familienarchiv, Bd. 19. – Neustadt a. d. Aisch: Degener 1961, S. 316 ff., und: Hamburgisches Geschlechterbuch, bearb. von Hildegard von Marchtaler, 10. Hamburger Band (Deutsches Geschlechterbuch, Bd. 128). – Limburg a. d. Lahn: Starke 1962, S. 441 f. Darüber hinaus konnten durch Auskünfte von Standes- und Kirchenämtern, Stadt-, Landes- und Firmenarchiven sowie von Familienangehörigen zahlreiche weitere Angaben ermittelt werden. Nicht in jedem Falle war es möglich, die Lebensdaten festzustellen. Besonderen Dank schulden die Herausgeber Dr. Max Weber-Schäfer, Konstanz, Prof. Dr. Ernst Walter Zeeden, Tübingen, Frau Helen Fallenstein Carroll, Fort Lauderdale, Florida, Frau Erline Miller, Mount Airy, North Carolina, sowie Herrn Hans-Gerd Warneken, Oerlinghausen.

Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Max und Marianne Weber Karl August Weber (1796–1872) 䊊䊊 Marie Lucie Wilmans (1804–1882) Carl David Weber (1824–1907) 䊊䊊 Marianne Niemann (1831–1871) I Anna Weber (1851–1873) 䊊䊊 Eduard Schnitger (1844–1903) I Marianne Schnitger

Max Weber (sen.) (1836–1897) 䊊䊊 Helene Fallenstein (1844–1919) I Max Weber

Die vier weiteren Kinder von Karl August Weber und Marie Lucie Wilmans sind: Alwine Weber (1826–1864) 䊊䊊 Werner Nasse (1822–1889); Otto Weber (1829–1889) 䊊䊊 Emilie Röltgen (1836–1917); Leopold Weber (1833–1876) 䊊䊊 Marianne Davies (1838– ); Ottilie Weber (1836–1912).

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Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Carl David Weber Carl David Weber (1824–1907) 䊊䊊 Marianne Niemann (1831–1871) Anna Weber Hertha Weber (1851–1873) (1853–1934) 䊊䊊 Eduard Schnitger 䊊䊊 Karl Möller (1844–1903) (1837–1918) Marianne Schnitger (1870–1954) 䊊䊊 Max Weber (1864–1920)

Alwine Weber (1855–1936) 䊊䊊 Bruno Müller (1848–1913)

Carl Weber (1858–1923) 䊊䊊 Emilie Brassert (1860–1949)

Eleonore Weber (1861–1948) 䊊䊊 Wilhelm Müller (1850–1915)

Anna Möller (1873–1915) 䊊䊊 Hermann Castendyk (1864 – )

Georg Müller (1878–1954) 䊊䊊 Lili Tiemann (1887–1939)

Erich Müller (1883–1960) 䊊䊊 Else Schulz (1896–1971)

Erwin Möller (1874–1927)

Richard Müller (1882–1937) 䊊䊊 Traute Riedel (1889–1952)

lna Müller (1887–1947) 䊊䊊 Max H. D. Pfeffer

Elfriede Möller (1877–1924) 䊊䊊 Wilhelm Luyken (1875–1933) Eleonore Möller (1879–1947) 䊊䊊 Wilhelm Lamping (1861–1929) Bruno Möller (1881–1914) Hildegard Möller (1883–1916) 䊊䊊 Otto Luyken (1878–1929) Harald Möller (1894–1923)

Wolfgang Müller (1884–1958) 䊊䊊 1. Elisabeth Huxholl (1884–1948) 䊊䊊 2. Luise von Conta (1896–1975) Marianne Müller (1886–1934) 䊊䊊 Konrad Zeeden (1879–1925) Roland Müller (1890–1916) Berthold Müller (1893–1979) 䊊䊊 1. Jenny Wiegmann (1895–1969) 䊊䊊 2. Emily Sturm (1901–1992)

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Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein Georg Friedrich Fallenstein (1790–1853) 䊊䊊 1. Elisabeth Benecke (1792–1831) Adalbert (Gustav) Roderich Fallenstein Otto T. Fallenstein Laura Fallenstein Fallenstein (1818–1865) (1820–1899) (1815–1890) 䊊䊊 Henriette Hageböck 䊊䊊 1. Alice Thompson 䊊䊊 Carl Gustav Bunge (1811– ) (1817–1889) (1830–1852) (1811–1884) 䊊䊊 2. Elisabeth Beresford Campbell (1830–1878)

Friedrich (Fritz) Elisabeth Fallenstein Fallenstein, (1827–1901) ab 1837 Francis Miller 䊊䊊 Julius Jolly (1823–1891) (1822–1897) 䊊䊊 Mary Ann Stoneman (1827–1894)

Frederick Fallenstein (1849–1849)

Betty Bunge (1842–1860)

James Miller (1845–1861)

Emily Fallenstein (1850–1883) 䊊䊊 Otto Baumgarten (1858–1934)

Emilie Bunge (1843–1899) 䊊䊊 Julius Bunge (1838–1908)

Jefferson Miller (1847–1932) 䊊䊊 Amanda Hill (1849–1943)

Julia Bunge (1843–1876) 䊊䊊 Alexander Bunge (1841–1911)

Alexander Miller (1849–1857)

Emil Fallenstein (1849–1906) 䊊䊊 Mary Gelmer (1848–1881)

Frank T. Fallenstein (1858–1929) 䊊䊊 1. Elisa Fleming (1861–1892) 䊊䊊 2. Ellen E. Tickle (1858–1916)

Julius Fallenstein (1854– )

Charles Fallenstein (1862–1862)

Laura Fallenstein (1854–1908) 䊊䊊 Max Erbe

Laura Fallenstein (1863–1930) 䊊䊊 Otto von Klock (1864–1934)

Heinrich Fallenstein (1845–1882) 䊊䊊 Auguste Friedrich (Fritz) Fallenstein (1847–1928) 䊊䊊 Marie Jolly (1859–1936)

Roderich (Rodrigo) Fallenstein (1858– ) 䊊䊊 Carolina Wendt Ottilie Fallenstein

Ernst Bunge (1846–1933) 䊊䊊 Charlotte von Gemmingen (1860–1948)

Hugh Miller (1851–1925) 䊊䊊 Mary J. Brindle (1856– ) Julius Miller (1854–1870)

Marie Bunge (1848–1937) 䊊䊊 Moritz Huffmann (1847–1921)

Elizabeth Miller (1856–1914) 䊊䊊 Robert Rawley (1841–1926)

Eduard Bunge (1851–1927) 䊊䊊 Sophia Maria Karcher (1863–1907)

Charles Miller (1858–1885) 䊊䊊 Mary Lou Sousa George Miller (1862–1903) 䊊䊊 Amanda King William (Bill) Miller (1866–1949) 䊊䊊 Magnolia (Nola) Brittain (1871–1959) Emil James (Jim) Miller (1868–1918) 䊊䊊 Maggie A. Johnson (1869–1941)

Julius Jolly (1856–1898) 䊊䊊 Julie Nicolai (1859–1922) Philipp Jolly (1857–1923) 䊊䊊 Emilie Hausrath (1870–1934) Marie Jolly (1859–1936) 䊊䊊 Friedrich (Fritz) Fallenstein (1847–1928) Elisabeth Jolly (1864–1937) 䊊䊊 Karl Heil (1848–1906)

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Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein Georg Friedrich Fallenstein (1790–1853) 䊊䊊 2. Emilie Souchay (1805–1881) lda Fallenstein Henriette Fallenstein Carl Fallenstein Helene Fallenstein (1837–1899) (1840–1895) (1842–1843) (1844–1919) 䊊䊊 Hermann Baumgarten 䊊䊊 Adolf Hausrath 䊊䊊 Max Weber (sen.) (1825–1893) (1837–1909) (1836–1897) Fritz Baumgarten (1856–1913) 䊊䊊 Else Georgii (1859–1924) Otto Baumgarten (1858–1934) 䊊䊊 Emily Fallenstein (1850–1883) Hermann Baumgarten (1861–1865) Elisabeth Baumgarten (1863–1864) Emmy Baumgarten (1865–1946) Anna Baumgarten (1868–1943)

August Hausrath (1865–1944)

Max Weber (1864–1920) 䊊䊊 Marianne Schnitger (1870–1954)

Emilie Fallenstein Eduard Fallenstein (1846–1922) (1848–1871) 䊊䊊 Ernst Wilhelm Benecke (1838–1917) Dora Benecke (1867–1951)

Anna Weber (1866–1866)

Wilhelm Benecke (1868–1946) 䊊䊊 Martha Heseler (1877–1957)

Laura Hausrath (1867–1928)

Alfred Weber (1868–1958)

Helene Benecke (1870–1878)

Pauline Hausrath (1869–1869)

Karl Weber (1870–1915)

Elisabeth Benecke (1871–1872)

Emilie Hausrath (1870–1934) 䊊䊊 Philipp Jolly (1857–1923)

Helene Weber (1873–1877)

Marie Benecke (1873–1956) 䊊䊊 Arthur Schmidt-Brücken (1861–1940)

Hans Hausrath (1866–1945) 䊊䊊 Martha Brauer (1879–1955)

lda Baumgarten (1870–1871)

Paula Hausrath (1872–1958) 䊊䊊 Georg Schmidt (1860–1935)

Helene Baumgarten (1873–1880)

Ernst Hausrath (1873–1876) Maria Hausrath (1875–1894) Margarete Hausrath (1877–1965) Erich Hausrath (1878–1879) Lilli Hausrath (1882–1965) 䊊䊊 Fritz Hermann (1871–1929)

Clara Weber (1875–1953) 䊊䊊 Ernst Mommsen (1863–1930) Arthur Weber (1877–1952) 䊊䊊 1. Valborg Jahn (1878–1959) 䊊䊊 2. Helene Weinstein (1892– ) Lili Weber (1880–1920) 䊊䊊 Hermann Schäfer (1871–1914)

Auguste Benecke (1874–1952) 䊊䊊 Martin Schmidt (1863–1949) Margarete Benecke (1877–1960) 䊊䊊 Carl-August Beneke (1860–1929) Otto Benecke (1879–1903) Elfriede Benecke (1882–1940) Hans Benecke (1884–1898)

Register der Briefempfänger

Baumgarten, Emmy 14. Juli 1885, 515–518; 3. und 5. Dez. 1885, 557–563 Baumgarten, Fritz 16. April 1878, 57–61; 23. und 24. Aug. 1878, 62–67; 13. Juli 1878, 83–86, 27. Aug. 1878, 98–100; 9. und 11. Sept. 1878, 116–123; 25. Okt. 1878, 126–128; 7. und 8. Dez. 1878, 129–138; 27. Dez. 1878, 139–142; 19. Jan. 1879, 147–151; 4. Febr. 1879, 152–156; 29. Juli 1879, 173–176; 10. Aug. 1879, 185–188; 11. Okt. 1879, 200–202; zwischen dem 1. und 13. Nov. 1879, 203; 19. Dez. 1879, 204–208; 6. Okt. 1884, 455–458 Baumgarten, Hermann 19. Dez. 1882, 310–314; 14. Okt. 1884, 459–467; 8. und 10. Nov. 1884, 468–477; 27. Nov. 1884, 478–481; 14. und 16. Juli 1885, 519–533 Fallenstein, Emilie 20. Sept. 1876, 45–47; 22. Sept. 1878, 124 f.; 29. und 30. Dez. 1878, 143–146; 2. April 1879, 157–159 Weber, Alfred 25. März 1884, 405–407; 8. Aug. 1884, 438–440; 30. Juli 1885, 542–544; 13. Dez. 1885, 570–573; 7. März 1886, 590–594 Weber, Helene 8. Juli 1875, 29–31; 23. Sept. 1875, 32 f.; 1. Aug. 1876, 36 f.; 9. Aug. 1876, 38; 13. Aug. 1876, 39; 14. Aug. 1876, 40; 21. Aug. 1876, 43 f.; 17. Juli 1877, 48 f.; 20. Juli 1877, 50–52; 24. Juli 1877, 53 f.; 25. Juli 1877, 55 f.; 29. Juni 1878, 68 f.; 30. Juni 1878, 70 f.; 1., 2. und 3. Juli 1878, 72–77; 9. Juli 1878, 78–82; 26. Juli 1878, 87 f., 28. Juli 1878, 89–93; 29. Aug. 1878, 101; 28., 29., 30. und 31. Aug. 1878, 102–105; 3. Sept. 1878, 106–109; 5. Sept. 1878, 111 f.; 9. Sept. 1878, 113–115; 22. Juni 1879, 162–164; 14. Juli 1879, 165 f.; 15. Juli 1879, 167 f.; 21. Juli 1879, 169 f.; 22. Juli 1879, 171 f.; 6. Aug. 1879, 181–184; 4. Okt. 1879, 196 f.; 5. Okt.

1879, 198 f.; 27. April 1882, 253 f.; 2. und 3. Mai 1882, 255–262; 16. Mai 1882, 267–272; 14. und 15. Juni 1882, 278–285; 22. und 23. Juni 1882, 286–289; 4. Juli 1882, 290–292; 8. Juli 1882, 293 f.; 4. Nov. 1882, 295–299; 13. Nov. 1882, 300–304; 15. Dez. 1882, 305–309; 14. und 18. Jan. 1883, 315–321; 7. März 1883, 333–337; 26. Mai 1883 346–349; 9. und 10. Sept. 1883, 355–357; 25. Sept. 1883, 358 f.; 27. Sept. 1883, 360; 21. und 23. Okt. 1883, 361–368; 19. Jan. 1884, 383–387; 6. und 9. Febr. 1884, 388–394; 6. April 1884, 408–410; 2. und 7. Mai 1884, 411–420; 8., 18. und 19. Juli 1884, 429–437; 2. Sept. 1884, 445–448; 4. März 1884, 483 f.; 29., 30. März und 1. April 1885, 496–504; 20., 22. und 23. April 1885, 506–513; 16. Juli 1885, 534–539; 4. Aug. 1885, 545–547; 28. Okt. 1885, 548 f.; 6. Dez. 1885, 564–569; 12. Jan. 1886, 576–578; 24. und 25. Jan. 1886, 579–583; 17. Febr. 1886, 584–589; 30. März 1886, 595–598 Weber, Helene und Max Weber sen. 22., 23., 25., 26., und 27. Aug. 1878, 94–97; 1. Aug. 1879, 177 f.; 23. April 1882, 245 f. Weber, Helene oder Max Weber sen. 10. Mai 1883, 345; vor dem 1. März 1885, 482 Weber, Lili 24. Juli 1885, 540 f. Weber, Max sen. 1. Jan. 1876, 34 f.; 15. Aug. 1876, 41 f.; 4. Sept. 1878, 110; 5. Juni 1879, 160 f.; 2. Aug. 1879, 179 f.; 13. Aug. 1879, 189; 19. Aug. 1879, 190 f.; 22. Aug. 1879, 192 f.; 25. Aug. 1879, 194 f.; 14. Juli 1880, 209 f.; 16. Juli 1880, 211 f.; 17. Juli 1880, 213 f.; 19. Juli 1880, 215 f.; 20. Juli 1880, 217 f.; 21. und 22. Juli 1880, 219–224; 23. Juli 1880, 225; 25. Juli 1880, 226 f.; 25. Juli 1880, 228 f.; 26. Juli 1880, 230 f.;

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Register der Briefempfänger

3. Sept. 1880, 232 f.; 19. Sept. 1880, 234 f.; 8. Okt. 1880, 236–239; 16. Aug. 1881, 240 f.; 22. Aug. 1881, 242–244; 24. April 1882, 247–252; 9. Mai 1882, 263–266; 22. und 23. Mai 1882, 273–277; 12. und 13. Febr. 1883, 322–325; 24. und 25. Febr. 1883, 326–332; 10. März 1883, 338; 11. März 1883, 339; 4. und 5. Mai 1883, 340–344; 30. Mai 1883, 350; 3. Sept. 1883, 351–354; 21. Dez. 1883, 369–375; 5. und 6. Jan. 1884, 376–382; 23. und

28. Febr., 1. März 1884, 395–404; 30. Mai und 3. Juni 1884, 421–428; 9. und 13. Aug. 1884, 441–444; 16. Sept. 1884, 449; 29. und 30. Sept. 1884, 450–454; 15. und 16. März 1885, 485–495; 4. April 1885, 505; 28. April 1885, 514; 1. Nov. 1885, 550–556; 17. Dez. 1885, 574 f. Weber, Max sen. und Helene Weber → Weber, Helene und Max Weber sen.

Personenregister

Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Max Weber wird nur im Zusammenhang mit seinen Schriften aufgeführt.

Adalbert von Mainz (Erzbischof) 611 Adolf (Onkel) → Hausrath, Adolf Aegidi, Ludwig 15, 177, 191, 193, 195, 239, 321, 464, 472 f., 641 Aegidi, Martha 191, 193, 195, 321, 641 Agnes von Poitou (Mutter Heinrichs IV.) 608 Ahlwardt, Christian Wilhelm 205 Ahrens, Fräulein 36 f., 641 Albers, Marie 59, 157, 160 f., 234, 641 Albrecht der Bär, Markgraf von Brandenburg 311, 612 f., 641 Albrecht von Preußen 491, 524 Aldenhoff-Hübinger, Rita 5, 20 Alexander II. 288 Alexander III. (Papst) 614 Alexander der Große 571 Alexandrine von Preußen 134 f., 641 Alexis, Willibald → Häring, Georg Wilhelm Heinrich Alt, Paul 40, 106, 235, 642 Althoff, Friedrich 491, 642 Amalie (Bedienstete) 88, 93 Anaxagoras 622 André, Johann 51 Anno von Mainz (Erzbischof) 609 Antoine, Jules-Dominique 478 Antonius (Marcus Antonius) 182, 186, 189, 642 Aristoteles 275 Arminius (Cheruskerfürst) 56 Arndt, Ernst Moritz 70 Arnulf I. von Bayern („der Böse“) 606 Arnulf, Herzog von Kärnten 605 f. Atticus (Titus Pomponius Atticus) 154 f., 185, 642 Auber, Daniel-François-Esprit 198 Augusta, deutsche Kaiserin 134, 402, 642 Augustus (Gaius Octavius bzw. Octavianus) 154, 642

Ausfeld, Carl 480 Baasner, Rainer 21 Bäcker, Heinrich 521 f. Baedeker, Karl 48–50, 53, 55 f., 62, 68–71, 76, 80 f., 85, 87 f., 90 f., 100, 117, 167, 169, 171, 174 f., 177, 179, 198, 200 f., 210–215, 217 f., 220, 222, 225, 230 Bamberger, Ludwig 462, 470, 474, 642 f. Banach, Sarah 538 Bandel, Ernst von 56 Bar, Axelena von 564, 575, 579, 584 f., 643 Bar, Karl Ludwig von 17, 551, 564 f., 573–576, 578 f., 581 f., 584 f., 643 Bar, Karl Ludwig von sen. 585 Barbier, C. 59 Barnay, Ludwig 66, 643 Bary, Heinrich Anton de (Botaniker) 372 Bassermann, Gustav Heinrich 265, 269, 643 Bassi, Hasko von 14, 493 Baum, Schwester 365, 643 Baum, Gustav Adolf 365, 643 Baum, Mathilde 365, 643 Baumgarten, Anna 208, 316, 335, 358, 379 f., 427, 447, 466, 490, 497 f., 506 f., 518, 545, 563, 643 Baumgarten, Elisabeth (Else) 164, 507 f., 511, 516 f., 532, 535, 644 Baumgarten, Emily 61, 289, 301 f., 310, 315, 317, 319, 331, 358, 367, 372, 374, 375, 379, 414 f., 426, 432, 433, 456, 508, 644 Baumgarten, Emmy 1, 5, 16 f., 22, 25, 188, 208, 250, 264, 272, 276, 280, 289, 316, 357, 365, 379, 398, 415, 423, 427, 430, 444, 457, 466, 476, 480, 484, 490, 497 f., 506 f., 515–518, 531, 534, 538, 542, 544 f., 547, 548, 557–563, 564, 585 f., 644

722

Personenregister

Baumgarten, Friedrich (Fritz) 1, 8–12, 21 f., 25 f., 43f, 57–67, 68, 80, 83–86, 87, 94, 98–100 f., 103 f., 108, 110 f., 113, 114, 116–123, 125, 126–144, 144 f., 147–156, 158 f., 160, 163 f., 168 f., 173–176, 177–179, 180, 182, 185–188, 190, 194, 196, 200–208, 209, 212, 240, 272, 283, 305, 316, 359, 371, 379 f., 415, 417, 418, 423, 427, 432 f., 440, 444, 447, 454–458, 465, 484, 489, 497 f., 507 f., 511, 516 f., 532 f., 535 f., 620, 644 Baumgarten, Helene 208, 644 Baumgarten, Hermann 1, 4, 6 –9, 15 f., 18, 21, 25, 53, 70, 75, 84, 100, 113, 128, 139, 156, 158, 159, 202, 208, 238, 239, 245, 264, 269, 272, 281, 299, 301 f., 303, 305 f., 310–314, 316 f., 321, 323, 328, 330 f., 335, 342, 358, 365, 367 f., 371–375, 378 f., 382, 385, 387 f., 391, 393, 397 f., 400 f., 410, 412–414, 422–427, 432 f., 436–438, 444, 447, 452 f., 456, 459–481, 483, 487, 488–490, 492–494, 497 f., 503 f., 506–510, 515, 516–534, 535, 545, 549, 551, 560, 576, 586, 644 Baumgarten, Ida 1, 6, 22, 25, 37, 57, 59, 61 f., 82, 93, 98, 100, 108, 113, 124, 128, 151, 156, 157, 164, 168, 188, 202, 208, 237 f., 264, 272, 280, 281 f., 301, 316 f., 319 f., 331, 335, 347, 357–359, 365 f., 368, 379, 385, 393, 397, 400, 410, 412 f., 418, 422 f., 430–433, 436, 438, 444, 447, 456, 459, 466, 477, 480, 483, 488–490, 492, 497 f., 506 f., 514, 516–518, 533, 545, 547, 560, 562, 564, 644 Baumgarten, Marie 51–53, 159, 208, 427, 432, 444, 645 Baumgarten, Otto 8 f., 14, 25, 61, 75, 86, 128, 151, 188, 208, 238, 240, 246, 250, 254, 257–261, 264 f., 267, 269 f., 272 f., 276–282, 284 f., 287–294, 301 f., 305, 308, 310, 314, 315, 317, 319, 331, 343 f., 347, 352, 366 f., 369, 371 f., 379, 380, 393, 397, 415, 422 f., 426, 432 f., 437, 444, 456, 457, 493, 497, 507–509, 514, 516, 586, 645 Baumgarten, Wilhelm 461, 471 f., 645 Bazaine, François Achille 173, 174, 645 Beatrix von Schwaben (Gemahlin Ottos IV.) 616 Beier, Adolf 158 Beißner, Friedrich 34, 54

Bekker, Ernst Immanuel 13, 246, 249, 253–256, 259, 260, 263, 275, 287, 290 f., 296, 297, 303, 307, 315, 324, 327, 335, 342, 348, 645 Benda, Robert von 524, 645 f. Benecke, Auguste 366, 379, 489, 546, 646 Benecke, Dorothea (Dora) 316, 358, 365 f., 379 f., 489, 497, 546, 561, 646 Benecke, Elfriede 366, 379, 489, 546, 646 Benecke, Elisabeth 6 Benecke, Emilie (Nixel) 5, 25, 82, 168, 176, 208, 281, 301, 316, 331, 335, 358, 360 f., 365–368, 371, 374, 376 f., 385, 391, 394, 413, 423, 432, 436, 453, 483 f., 486, 488, 494, 496 f., 503, 509, 546, 560–562, 585 f., 646 Benecke, Ernst Wilhelm 82, 175, 262, 281, 301, 316, 331, 335, 358, 360 f., 365–368, 371, 374, 376–379, 385, 387, 391, 394, 413, 418, 423 f., 453, 483 f., 485, 486, 488 f., 492, 494, 496 f., 503, 509, 549, 561, 585 f., 646 Benecke, Hans 489, 546, 646 Benecke, Margarete 366, 379, 489, 546, 646 Benecke, Marie 366, 379, 489, 546, 646 Benecke, Otto 366, 379, 489, 546, 646 Benecke, Wilhelm 25, 262, 366, 379, 489, 546, 646 f. Bennigsen, Rudolf von 490, 525, 647 Beringer, Karl Friedrich 288, 647 Berner, Friedrich Wilhelm 176 Bernhard von Sachsen-Meiningen 135 Bertha (Dienstmädchen) 34 f., 647 Bertha von Turin (Gemahlin Heinrichs IV.) 609 f. Beseler, Georg 15 f., 473, 647 Beudet, Henri 29, 30 f., 647 Bibulus (Marcus Calpurnius Bibulus) 127, 647 Biedermann, Alois Emanuel 319, 383, 648 Bismarck, Otto von 3 f., 6 f., 53, 108, 189, 230, 232, 252, 268, 286, 298, 319, 342, 373, 401, 403, 425, 461– 463, 471, 475 f., 477, 479 f., 490 f., 493–495, 498 f., 503, 520, 522, 523 f., 526–528, 575, 577, 602 Blaine, James G. 470 Bleichröder, Gerson von 494 Blum, Wilhelm 463, 648 Blume, Fräulein 38, 648 Blume, Paul 549, 555, 561, 574, 648

Personenregister Bluntschli, Elina 322 Bluntschli, Emilie Luise 322 Bluntschli, Emma 322, 648 Bluntschli, Johann Caspar 322 Böckh, Richard 29 Bockum-Dolffs, Florens Heinrich Gottfried von 472, 648 Boëthius, Anicius Manlius Severinus 268 Boissier, Gaston 140, 144, 149, 154, 155, 648 Borchart, Frau 34 f., 39, 648 Borchart, Tochter 39, 648 Boyen, Leoold Hermann von 134 Brandenburg, Gräfi n Mathilde von 134 Brednich, Rolf Wilhelm 51 Brehme, Eduard Adolph 165, 648 Bremer, Franz Peter 330 Brendicke, Hans 40, 43 f., 649 Breuer, Dieter 587 Brunner, Felicitas („Tante Felix“) 258, 307, 325, 649 Brunner, Heinrich 16, 464, 519, 649 Brutus (Marcus Iunius Brutus) 154, 649 Bryce, James 353 Buckle, Henry Thomas 14, 308, 324, 328, 383, 649 Buhl, Heinrich 329, 649 Bulmerincq, August von 329, 649 Bülow, Oskar von 330, 649 f. Bunge, Carl Gustav 291, 367, 518, 650 Bunge, Gustav Carl Christoph 260, 650 Bunge, Gustav Otto 260, 650 Bunge, Laura 286, 289, 291, 336, 367, 518, 650 Bury, Melanie 254, 259, 650 Busch, Moritz 394, 401, 650 Buschbeck, Fanny 246, 248, 253, 261, 272, 650 Büsing, Otto Heinrich Johann 472, 650 Büsing, Otto Hermann Ludwig 472, 650 Caelius (Marcus Caelius Rufus) 154 f., 650 Caesar (Gaius Iulius Caesar) 6, 11, 127, 154, 156, 189, 201, 286, 650 f. Caligula 573, 651 Calixtus (Papst) 614 Carlyle, Thomas 570, 651 Castlereagh, Robert Stewart 567 Catilina (Lucius Sergius Catilina) 121 f., 127 f., 142, 150, 651

723

Cato der Ältere (Marcus Portius Cato Censorius) 127, 651 Catulus (Quintus Lutatius Catulus) 127, 156, 651 Channing, William Ellery 22, 430 f., 466, 487, 547, 567–569, 651 Charlotte von Preußen 135 Chatrian, Alexandre 60 Chludwig II. → Ludwig II., „der Deutsche Christus → Jesus Christus Cicero (Marcus Tullius Cicero) 11, 121 f., 126–128, 140, 149, 154–156, 182, 184, 185 f., 189, 201, 207, 271, 652 Claudius (Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus) 573, 652 Claudius, Matthias 51 Clauss, Marianne (Mary) 268, 652 Clement, Alfred 476 Cleveland, Grover 470, 477, 652 Cohn, Friedrich (Fritz) 233, 238, 261, 272, 277, 285, 549, 556, 652 Cohn, Wilhelm 233, 652 Constantinus → Konstantin der Große Constanze von Hauteville (Gemahlin Heinrichs VI.) 615 Cooper, James F. 234, 237 Craik, Dinah Maria 510, 652 Cramm-Burgdorf, Christian Friedrich Adolf Burghard von 460, 472, 652 f. Crassus (Marcus Licinius Crassus) 155, 653 Cumberland → Ernst August von Hannover Cuny, Ludwig von 462, 653 Curtius, Ernst 140, 144, 149, 153, 653 Czerny, Vincenz 334, 653 Dahms, Ottokar 130 Degenkolb, Karl Heinrich 329, 653 Deininger, Jürgen 256, 352 Delaunay, Elisabeth 59 Delbrück, Hans 317, 480, 522, 653 Delius, Hermann 350, 653 Dernburg, Heinrich 566, 654 Dickens, Charles 237, 654 Dieterici, Friedrich Heinrich 546, 654 Dieterici, Wilhelm 284, 288, 351, 363, 546, 549, 556, 654 Dilthey, Katharina 215 f., 221, 508, 654 Dilthey, Wilhelm 12, 213, 215 f., 221, 377, 384, 654

724

Personenregister

Diocletian(us) 634 f. Diodor(os) 190, 192, 194, 654 Dirichlet, Walter 474, 654 Döhler, Eduard 140 Doll, Karl Wilhelm 331, 655 Domitian 516, 655 Dormeier, Heinrich 53 Dörner, Carl 288, 655 Dörner, Hertha Henriette Lucie, geb. Weber 197–200, 243, 288, 421, 655 Dorpius, Henricus 311, 655 Dove, Richard 17, 549, 550 f., 556, 574, 579 f., 588, 598, 655 Droysen, Johann Gustav 243, 465, 655 Drumann, Wilhelm 154, 655 Duwe, Albert 29, 656 Duyckinck, Evert A. 476 Ebel, Wilhelm 175, 262, 656 Ebers, Georg Moritz 176, 656 Eggers, Friedrich (Fritz) 468, 656 Eggers, Karl 135 Eichendorff, Joseph Freiherr von 379, 656 Elisabeth von Bayern (Mutter Konradins) 617 Emilie (Hausmädchen) 95–97, 105, 107, 113 f., 116, 178, 656 Emilie (Tante) → Benecke, Emilie Emmi, Emmy (Cousine) → Baumgarten, Emmy Enneccerus, Karl Martin Ludwig 524, 656 Enzio von Sardinien (Sohn von Friedrich II.) 617 Erckmann, Emile 60 Erdmannsdörffer, Tochter 273, 656 Erdmannsdörffer, Anna 273, 482, 656 Erdmannsdörffer, Bernhard 14, 254 f., 257, 263, 267 f., 273 f., 287, 296 f., 303, 306, 307, 310, 315, 322 f., 325, 326, 328, 333–335, 342, 358, 575, 657 Erdmannsdörffer, Frieda 273, 657 Erdmannsdörffer, Hanna 273, 657 Erdmannsdörffer, Otto 273, 657 Erdmannsdörffer, Sophie 273, 657 Erk, Ludwig 176 Ernst, Antonie („Tante Töne“) 548, 550, 558, 657 Ernst August (II.) von Hannover 491, 523, 526, 657

Ernst August von Sachsen-Weimar und Eisenach 165 Escher, Hermann 316, 657 Eynern, Ernst 524, 657 Fallenstein, Auguste 282, 658 Fallenstein, Eduard 559, 658 Fallenstein, Elisabeth (geb. Benecke) 374 Fallenstein, Elisabeth (geb. Campbell) 374 Fallenstein, Emilie 1, 5, 9, 33, 36, 45–47, 58, 82, 88, 93, 119, 124 f., 139 f., 142, 143–146, 147, 152 f., 157–159, 162 f., 164, 165, 175, 245, 247, 262, 331, 335, 483, 559, 596, 601 f., 658 Fallenstein, Emily Alice → Baumgarten, Emily Alice Fallenstein, Frank T. 375 Fallenstein, Georg Friedrich 6, 25, 188, 262, 374, 401, 658 Fallenstein, Heinrich 281 f., 336, 658 Fallenstein, Laura 374 f., 380, 385, 393, 412–415, 423, 427, 433, 444, 447, 466, 476, 480, 484, 489, 498, 506 f., 510, 518, 545, 563, 658 Fallenstein, Ottilie 202, 212, 453, 658 Fallenstein, Otto T. 61 Fallenstein, Roderich (sen.) 453, 658 Fallenstein, Roderich (Rodrigo) 336, 659 Fehsenfeld, Friedrich Ernst 59, 659 Feldhoff, Martha 305 Ferdinand I. (Kaiser Hl. Röm. Reich) 227 Fichte, Johann Gottlieb 70 Fischer, Clara 268, 659 Fischer, Julius 268, 659 Fischer, Kuno 13 f., 253 f., 256 f., 259, 260, 263, 267–269, 274 f., 277, 280 f., 287, 296 f., 306, 333, 341, 659 Fischer, Marianne (Mary) → Clauss, Marianne (Mary) Fischer, Marie 257, 268, 659 Forckenbeck, Max von 3, 462, 472, 525, 659 Formosus (Papst) 605 Freitag, W. 29, 659 Frensdorff, Anna Cäcilie 16, 321, 548 f., 554, 559 f., 564, 569, 575, 577, 583, 585, 595, 597 f., 659 Frensdorff, Else 16, 549, 554, 559 f., 576, 583, 660

Personenregister Frensdorff, Ferdinand 16 f., 321, 548 f., 551, 554, 559 f., 564 f., 575 f., 578, 581–583, 585, 587 f., 595–598, 660 Frensdorff, Käthe 16, 549, 554, 559 f., 576, 583, 660 Frenzel, Karl 504, 660 Freytag, Gustav 118, 141, 153, 157, 660 Fricke, Gerhard 34, 54 Friedländer, Clara 36, 40 f., 43, 46, 59, 190, 192, 356, 586, 660 Friedländer, George 36, 41, 43, 190, 192, 356, 586, 660 f. Friedländer, Magdalena Laura 36, 41, 43, 59, 190, 192, 356, 586, 661 Friedreich, Nicolaus 294, 661 Friedrich I. Barbarossa 613–615, 617 f. Friedrich II. (Staufer) 616 f. Friedrich II., der Große 43, 403, 661 Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein 267, 661 Friedrich von Baden 617 Friedrich, Großherzog von Baden 458 Friedrich von Hohenstaufen 611 f. Friedrich von Sachsen (Kurfürst) 81 Friedrich August von Sachsen 492 f., 661 Friedrich Karl Nikolaus von Preußen 134, 394, 402, 661 Friedrich Leopold von Preußen 135, 661 f. Friedrich Wilhelm III. (König von Preußen) 530, 531, 662 Friedrich Wilhelm IV. (König von Preußen) 90, 392 Friedrich Wilhelm (preußischer Kronprinz) 134, 394, 402 f., 523, 527, 662 Fritz (Vetter) → Baumgarten, Friedrich (Fritz) Gagern, Heinrich von 70 Gaius 297, 662 Galdós, Benito Pérez 278, 662 Gallenkamp, H. 588 Garber, Klaus 213 Gaß, Johanna 290, 662 Gaß, Wilhelm 290, 662 Gehrke, Dr. 177, 179, 184, 662 Geißler, Heinrich Paul von 135, 662 Georg II. (englischer König) 587 Georgii, Elisabeth (Else) → Baumgarten, Elisabeth (Else) Georgii, Marie 517, 662

725

Georgii, Martha 497, 508, 561, 662 f. Georgii, Theodor 517, 663 Gerber, Carl Friedrich von 396, 663 Gerlach, Otto von 44 Gerland, Bertha 316, 663 Gerland, Georg Karl Cornelius 316, 663 Gertrud (Tochter Heinrichs des Stolzen) 612 Gervinus, Georg Gottfried 15, 262, 271, 663 Geutebrück, Richard 79, 663 Gibbon, Edward 14, 308, 383, 663 f. Giovio, Paolo 374, 664 Giseke, Bernhard Ludwig 188, 664 Giseke, Bona 188, 190, 192–194, 664 Giseke, Margaretha Clara (Grethe) 188, 190, 192–194, 664 Giseke, Martin Otto 188, 190, 192–194, 664 Gleich, Hermann 220, 664 Gneist, Rudolf 16, 299, 464, 472–474, 519, 528, 551, 664 Goethe, Johann Wolfgang von 70, 75, 119, 236 f., 304, 518, 593, 621 Goldfriedrich, Johann 470 Goldschmidt, Adele 480, 664 Goldschmidt, Levin 262, 271, 480, 551, 665 Goldsmith, Oliver 284 Goltz, Colmar von der 373, 665 Goltz, Graf Karl Friedrich Ferdinand von der 134 Gottschick, Reinhold 67, 126, 665 Graf, Friedrich Wilhelm 8 Grafe, Anna 321, 665 Grafe, Eduard 290, 292, 321, 529 f., 538, 546, 665 Greef, Wilhelm 176 Greenaway, Kate 357, 665 Gregor I. (Papst) 250 Gregor IV. (Papst) 604 Gregor VII. (Papst) 53, 609 f., 615 f., 619 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 587 Grisebach, E. 554, 665 Grolman(n), Carl Wilhelm von 70 Großkreutz, Karl 501, 665 Groth, Johann 238, 666 Grünfeld, Alfred 130 Grüzmacher, W. 43 Guicciardini, Francesco 374, 666

726

Personenregister

Haberle, Frau 404, 666 Hadrian 244 Hagen, Adolf 528, 666 Hagen, Werner 528, 532, 534, 546, 666 Hagenbeck, Carl 355 Händel, Georg Friedrich 34, 488 Hannibal 156, 666 Hardenberg, Karl August Fürst von 530 f., 666 Harder, Sophie von 289, 291, 302, 316, 318 f., 413, 426, 666 f. Häring, Georg Wilhelm Heinrich 202, 667 Härtel, August 34 Hase, Rudolf 268, 273 f., 667 Hatto von Mainz (Erzbischof) 606 Haugke (Nachbar) 544, 667 Hausrath, Adolf 6 f., 25, 176, 244, 245–247, 251, 254, 258 f., 261 f., 265, 267, 269–271, 274, 277, 291 f., 294, 301 f., 306, 313, 321–323, 333 f., 339, 342 f., 348, 358, 424 f., 465 f., 482, 484, 486, 488 f., 536 f., 667 Hausrath, August 36, 45, 47, 93, 113, 176, 261, 271, 293, 301, 348, 420, 424, 466, 486, 538, 667 Hausrath, Emilie (Mila) 176, 271, 301, 487, 538, 667 Hausrath, Erich 101, 103, 668 Hausrath, Hans 93, 176, 271, 301, 348, 486, 538, 668 Hausrath, Henriette 6, 25, 159, 176, 245, 253, 261 f., 265, 267, 270, 278 f., 281, 285, 289, 291, 293, 296, 301, 306, 308, 313, 322, 339, 343, 347–349, 358, 367, 424, 482, 484, 486, 488 f., 536–539, 547, 668 Hausrath, Laura 176, 271, 301, 321, 323, 334, 342, 487, 538, 668 Hausrath, Lilli 296, 301, 306, 313, 330, 334, 342, 487, 538, 668 Hausrath, Margarethe 271, 294, 301, 487, 538, 668 Hausrath, Maria (Mariechen) 271, 294, 301, 487, 538, 668 Hausrath, Pauline (Paula) 176, 271, 301, 306, 486 f., 538, 668 Haym, Rudolf 352 Hebel, Johann Peter 377, 668 Hehn, Victor 10, 65, 145, 154, 668 f. Heine, Heinrich 364, 669 Heinrich II. (röm.-dt. Kaiser) 608

Heinrich III. (röm.-dt. Kaiser) 608 Heinrich IV. (röm.-dt. Kaiser) 53, 608–611 Heinrich V. (röm.-dt. Kaiser) 608, 611 Heinrich VI. (röm.-dt. Kaiser) 615 f. Heinrich VII. (röm.-dt. Kaiser) 616 Heinrich II. Jasomirgott 613 Heinrich der Löwe 613–615, 618 Heinrich von Bayern („der Stolze“) 612 f. Heinrich von Oranien-Nassau 135, 669 Heinrich von Sachsen 606 Heinze, Carl Friedrich 333, 340 f., 343, 669 Henriette (Tante) → Hausrath, Henriette Hensel, Sebastian 142 Herder, Johann Gottfried 11, 43, 669 Hermand, Jost 364 Hermann, Ernst 348, 669 Hermann (Onkel) → Baumgarten, Hermann Herodot von Halikarnass(os) 120 f., 192, 670 Hertzberg, Gustav Emil Freiherr von 133 Herzfeld, Hans 203 Hildebrand → Gregor VII. Hinners, Wolfgang 470 Hintzelmann, Paul 335, 670 Hinzpeter, Georg 402, 670 Hirschberger, Karl 488, 497, 502, 511, 670 Hobrecht, Arthur 2 f., 42 f., 152, 238, 462, 472, 524, 559, 670 Hobrecht, Emma 40, 42 f., 152, 238, 559, 670 Hobrecht, James 3 Hoeniger, Robert 529, 538, 546, 670 Hoffmann, Carl 350, 671 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu 520, 671 Holst, Hermann von 503 f., 671 Holsten, Carl 269, 671 Holtzendorff, Franz von 378, 566, 671 Holtzmann, Heinrich 301, 368, 400, 671 Holtzmann, Karoline (Line), geb. Weber 301, 368, 672 Homer 94, 117–120, 155, 205–207, 620, 621, 623, 626–629 Horaz 73, 155, 262, 672 Hoßbach, Theodor 416, 672 Howe, Wilhelm 233, 672 Howe, Willy 232 f., 672

Personenregister Hübbe, Anna (geb. Weber) 197, 199 f., 275, 284 f., 368, 421, 587, 672 Hübbe, Johann 368, 587 Hübner-Trams, Maximilian 237, 672 Hübschmann, Heinrich 363, 394, 672 Huene, Karl von 525, 672 f. Ickrath, Paul 250, 254, 260 f., 264, 274, 305, 343, 349, 673 Ida (Tante) → Baumgarten, Ida Ignatiew, Nikolai P. (Ignat‘ev, Nikolaj Pavlovi ) 288 f., 673 Ihering, Rudolf von 14, 307, 324, 328, 673 Immisch, Friedrich 332 Innocenz II. (Papst) 612 Innocenz III. (Papst) 615 f., 619 Irmingard(is) von Hespengau 604 Isidor von Sevilla 606 Jacob, Marianne 257 Jacques, Jean-Baptiste-Etienne 478, 479, 673 Jaeckel, Otto 358, 392, 396, 408, 439, 442, 451, 453 f., 488, 673 Janssen, Johannes J. 328, 335, 371, 378, 673 f. Jaunez, Eduard von 452, 674 Jesus Christus 603, 625 Jockerôt (auch: Jockerst, Vermieter) 381, 386, 674 John, Richard 552 Jolly, Elisabeth 6, 281, 286, 316, 318 f., 334, 367, 375, 488, 674 Jolly, Elisabeth (Lieserle) 334, 674 Jolly, Julie 432, 674 Jolly, Julius 6, 176, 281, 286, 316–319, 334, 367, 375, 482, 488, 674 Jolly, Julius jun. 98, 286, 319, 334, 359, 432, 488, 674 Jolly, Marie 202, 675 Jolly, Philipp 176, 286, 319, 334, 488, 675 Joseph II. (dt. Kaiser) 230 Jovius, Paulus → Giovio, Paolo Judith (Tochter von Welf I.) 604 Julie (Dienstmädchen) 36, 39–41, 66, 92, 96 f., 107, 113 f., 116, 176, 177, 178, 180, 675 Justinian 296 Jutta → Judith Kaesler, Dirk 184 Kant, Immanuel 13, 275

727

Kap-herr, Johannes (Hans) 316, 365, 585, 675 Kapp, Friedrich 162, 209, 353, 468–470, 477, 503, 675 Kapp, Luise 162, 209, 468, 675 Kapp, Margarethe 209, 675 Kapp, Wolfgang 355, 675 f. Karl IV. (röm.-dt. Kaiser) 11, 58, 231, 676 Karl V. (röm.-dt. Kaiser) 303, 530, 676 Karl der Dicke 605 Karl der Große 603–606, 610, 613 Karl der Kahle 604 f. Karl von Anjou 617 Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach 78, 81, 135, 676 Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen 493, 676 Karlowa, Otto 329, 341, 676 Kasten, Helmut 185 Kaube, Jürgen 8 Keil, A. 588 Keller, Fritz 298 Keller, Gottfried 587, 677 Kilian, Eugen 66 Kirchhoff, Max 183, 677 Klarspieß, Fam. (Vermieter) 360, 371, 386, 394, 677 Klitzing, Armgard von 59 Klitzing, Maximilian von 59 Klopstock, Friedrich Gottlieb 621, 624 Kluckhohn, August 311 Knies, Karl 14, 254 f., 296 f., 322, 329, 341 f., 677 Koberstein, Karl 401 Koch, Robert 353 Kohl, Karl 299, 345, 350, 677 König, Christoph 257 Konrad I. (Kg. des Ostfrankenreichs) 606 Konrad II. (röm.-dt. Kaiser) 608 Konrad III. (Staufer) 608, 612 f. Konrad (III.) (Salier; Sohn von Heinrich IV.) 611 Konrad IV. (Staufer) 617 Konrad von Zähringen 612 f. Konradin 617 Konstantin(us) der Große 635 Kopp, Emilie 305 Köppen, Karl Friedrich Albert 330 Kösling, Peer 75 Kraatz, Wilhelm 148 Krätke, Franz 94–97, 99, 103, 106, 110 f., 115, 162, 181, 184, 677

728

Personenregister

Krätke, Frau 94, 97, 99, 103, 106, 110, 162, 181, 677 Krebs, Oskar 297, 304, 677 Kroll, Frau 273, 482, 678 Krüger, Paul 253 Kulemann, Wilhelm 460, 678 Lachmann, Karl 588 Laelius (Gaius Laelius) 201, 678 Lange, Friedrich Albert 14, 279, 308, 352, 678 Langenbeck, Bernhard von 281, 678 Lappenküper, Ulrich 523 Larraß, Johannes Anton 492, 678 L’Arronge, Adolph 65 f. Lasker, Eduard 394, 678 Lehmann, Nikolaus 226 Lehndorff, Graf Heinrich von 134 Lehnert, Detlef 3 Lenel, Edith 209 Lenz, Max 378, 679 Lepsius, M. Rainer 7 Leo III. (Papst) 603 Leo XIII. (Papst) 577, 679 Leopold IV. von Österreich 612 f. Leser, Emanuel 329 Lessing, Gotthold Ephraim 236, 587, 679 Lessing, Hans Ulrich 378 Lessing, Otto 236 Leyen, Alfred von der 470, 679 Leyen, Luise von der 566, 679 Ligarius (Quintus Ligarius) 201, 679 Lindau, Paul 356, 679 f. Linder-Beroud, Waltraud 51 Liutpold → Leopold IV. von Österreich Livius (Titus Livius) 120 f., 128, 142, 145, 150, 156, 680 Locke, John 583, 680 Lothar(ius) I. (röm. Kaiser) 604 f. Lothar von Supplinburg 611 f. Lotze, Hermann 14, 250, 261, 264, 279, 680 Louise (Dienstmädchen) 34 f., 680 Löwe, Albert 222, 224, 680 Löwe, Frau 222 Lubarsch, Otto 299, 680 Lucae, August 59, 195, 680 Lucae, Johanne Sophie 59, 195, 234, 681 Lucius, Charles 355 Lucius, Ellen 355 Lucius, Hellmuth 355 Lucius, Juliet Maria 355, 681

Lucius, Otto 355 Lucius, Robert 355, 681 Ludwig I., „der Fromme“ 603–605 Ludwig II., „der Deutsche“ 604 f. Ludwig das Kind 606 Ludwig XIV. (Kg. von Frankreich) 619 Ludwig Wilhelm von Baden 458, 511 Ludwig, Andreas 6 Ludwig, Wilhelm 302, 681 Luise (Königin von Preußen) 148 Luise, Großherzogin von Baden 458 Luther, Martin 11, 43 f., 81, 175, 522, 592, 626 Lüttge, Albert 131, 234, 237, 681 Lützow, Kurt von 401 Machiavelli, Niccolò 11, 43, 681 Macpherson, James 205 f. → auch: Oisian Madai, Guido von 133 f., 136, 681 Mahner-Mons, Alfred 79, 681 f. Manfred (Kg. von Sizilien) 617 Manlius (Gaius Manlius) 122, 682 Manteuffel, Edwin von 373, 400, 476, 478–480, 491 f., 503, 520, 682 Margarethe, Beatrice Feodora von Preußen 134, 682 Marie (Bedienstete) 39–41, 66, 78, 88, 93, 96, 101, 103 f.,111, 113, 682 Marie von Preußen 135, 682 Marius (Gaius Marius) 515, 682 Marquardsen, Heinrich von 479, 490, 682 Marquardt, Karl Joachim 566, 683 Mathilde von Tuscien 610 Maubach, Eduard 479 Maximilian I. 400, 683 May, Sophie 145 Meckenstock, Günter 270 Melanchthon, Philipp 311, 683 Mendelssohn (Bankier) 494 Menzel, Carl Adolf 223 Menzer, Julius 463, 683 Merkel, Johannes 552, 683 Mertens, Lothar 18 f. Merx, Adalbert 269, 683 Metternich, Clemens Wenzel Lothar von 530 Meyer, Alwine 320, 683 Meyer, Conrad Ferdinand 316, 683 Meyer, Diethelm 280, 287, 290, 316, 397, 684 Meyer, Eduard 596, 684

Personenregister Meyer, Heinrich Adolf 66 Meyer, Hugo 320 f., 558, 684 Meyer, Martha 320, 684 Meyern-Hohenberg, Alexandrine (Tisa) Freiin von 365 Michaelis, Adolf 302, 684 Miltenberger, Sonja 12 Minna (Hausangestellte) 546, 684 Miquel, Johannes von 203, 425, 463, 684 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti 274, 684 Mithradates VI. (auch: Mithridates) 571, 685 Mithoff, Theodor 555, 564, 576, 578, 685 Molière 198, 685 Moll, Dorothee Luise 31,198, 685 Möller, Alfred 107, 685 Möller, Karl 35, 685 Moltke, Helmuth von (d. Ä.) 134 f., 232 f., 685 Mommsen, Ernst 221, 685 f. Mommsen, Hans-Georg 221, 686 Mommsen, Karl 12, 221, 272, 277, 285, 288, 362 f., 464, 552, 554, 556, 565, 686 Mommsen, Konrad 221, 686 Mommsen, Marie Auguste 465, 552 f., 686 Mommsen, Oswald 221, 686 Mommsen, Theodor 11 f., 127, 154, 221, 464 f., 538, 553, 582, 686 Mommsen, Wilhelm 464 Mommsen, Wolfgang 221, 686 Mons, Emma 79, 165–167, 687 Mons, Heinrich August 79, 687 Montgomery, Florence 509, 687 Moritz, Carl 243, 687 Mose(s) 625 Moukthar Pascha → Muhtar Pascha Mozart, Wolfgang Amadeus 351, 497 Muhtar Pascha, Ahmed 46, 687 Müller, Alwine (Wina) 101, 104, 235, 687 Müller, Bruno 235, 687 Müller, Hermann 147 f., 157, 417, 687 f. Müller, K. L. Methusalem 145 Müller, Regina 246, 248, 253, 261, 272, 688 Muncker, Franz 588 Murillo, Bartolomé Esteban 248, 688 Napoleon III. 107 Napoleon, Prinz → Victor, Prinz Napoléon

729

Nasse, Alwine 90 Nasse, Christian Friedrich 90, 688 Nasse, Henriette 90 Nasse, Werner 90 Nero 516, 573, 688 Neudecker, Christian Gotthold 311 Neumann, Fräulein 108, 688 Niehuss, Martin 463 Nikolaus II. (Papst) 610 Nobiling, Karl Eduard 108, 129 Nowack, Wilhelm 316, 427, 688 Octavianus, Octavius → Augustus Odo von Paris 605 Oisian 205–207, 620, 621–623, 626–629 → auch: Macpherson, James Oken, Lorenz 70 Oldenberg, Karl 20 Opitz, Alfred 364 Ossian → Oisian Ottheinrich von der Pfalz 33, 688 Otto (Vetter) → Baumgarten, Otto Otto I., der Große (röm.-dt. Kaiser) 606 f., 613 Otto II. (röm.-dt. Kaiser) 607 Otto III. (röm.-dt. Kaiser) 607 Otto IV. (röm.-dt. Kaiser) 615 f. Otto von Wittelsbach 614 f. Palyi, Melchior 3 Panse, Johanne Friederike 79, 689 Panse, Karl Ernst 79 f., 689 Parker, Theodore 430, 689 Paukstadt, Rudolf 243, 689 Pauline von Sachsen-Weimar-Eisenach 135, 689 Paulus Jovius → Giovio, Paolo Pennmeyer, Erdmann 153, 181, 184, 190, 194, 214, 220, 689 Periandros von Korinth 633 Perbandt, A. von 538 Perbandt, Emilie von 538 Petersen, Julius 34, 54 Petreius (Marcus Petreius) 122 Pfleiderer, Otto 8, 270 f., 689 Philipp (Staufer) 615 f. Pippin I. 610 Pippin II. 604 Pius IX. (Papst) 53 Planitz, Karl von der 492, 689 Platon 8, 270 Plautus (Titus Maccius Plautus) 203, 689

730

Personenregister

Polk, James K. 568 Polybios 192, 689 f. Pomian, Thorsten 226 Pompeius (Gnaeus Pompeius Magnus) 127, 201, 690 Praxiteles 571, 690 Preller, Ludwig 311 Protagoras 622 Puchta, Georg Friedrich 253, 256, 287, 295, 299, 690 Pufendorf, Samuel Freiherr von 303, 312, 690 Puttkamer, Alberta von 497, 690 Puttkamer(-Plauth), Robert Viktor von 520, 690 f. Püttmann, Clara 215, 221, 691 Pythagoras 622 Radziwill, Catherine 393 f., 401–403, 691 Randolf, Otto 145 Ranke, Leopold von 304, 311–313, 691 Regelsberger, Ferdinand 551 f., 557, 564, 575, 582, 691 Reichel, Otto 237, 353, 691 Reichel, Paul 356, 691 Reichlin-Meldegg, Kuno Alexander von 297 f., 691 Reichensperger, Peter Franz 313, 324, 472, 691 f. Reinbach, Wolf-Dietrich 298, 325, 333, 346, 377 Reinecke, Carl 497, 692 Renaud, Achilles 329, 692 Reuter, Fritz 316 Richenza von Northeim 613 Richter, August Eduard Christoph 80, 692 Richter, Eugen 462, 464, 470, 474, 491, 494, 527, 692 Richter, Mara Benjamine 59, 80, 692 Rickert, Annette 108 Rickert, Heinrich sen. 108, 194, 462, 464, 472, 491, 525, 692 Rieschel, Ernst 175 Riff, Karl Friedrich 151, 282–284, 335, 499, 521, 693 Riff, Philipp 499, 520 f., 693 Ritter, Gerhard A. 463 Rochow, Klara Maria Franziska von 308, 693 Roeder, Carl 243, 693 Roggenbach, Franz von 475, 693

Röhr, L. 30, 693 Roller, Christian Friedrich Wilhelm 316, 693 Roller, Sophie 316, 693 Römer, Hermann 460, 561, 693 Roscher, Wilhelm 297, 693 f. Rosenbusch, Eduard 183 Rosenbusch, Edward („Eded“) 183, 694 Rosenbusch, Karl Heinrich 183 Rosenbusch, Wilhelm 183, 694 Rösing, Bernhard 63, 694 Rösing, Clara 62 f., 65, 96, 99, 108 f., 162, 183, 194, 244, 321, 355–357, 694 Rösing, Johannes 52, 62 f., 65, 96, 99, 107–109, 162, 183, 194, 244, 257, 268, 321, 355–357, 694 Rösing, Johannes (Hans) 52, 63, 555, 694 Roth, Guenther 1–3, 5, 16, 22, 35, 57, 61, 109, 124, 127, 140, 151, 157, 159, 183 f., 196, 199, 202 f., 213, 237, 353, 367, 375, 460, 470 Sabinus, Georg 311, 695 Sanger, George 166 Sallust 128, 142, 150, 155 f., 695 Samwer, Karl Friedrich 267, 695 Samwer, Viktor Woldemar 267, 695 Savigny, Friedrich Carl von 14, 16, 307, 371, 473, 565 f., 695 Schach, Frau 220 f., 695 Schäfer, Ludwig 103 Schäffer, Hermann 70 Schaller, Anna 508 Schauß, Friedrich von 462, 696 Scheffel, Joseph Victor von 32 f., 118, 248, 274, 696 Scheffer-Boichorst, Paul 316, 696 Schellhass, Karl Emmanuel 472, 538, 546, 549, 554, 556, 561, 565, 574, 576, 578, 581–583, 598, 696 Schellhass, Karl Julius 472, 546, 696 Schenkel, Daniel 269, 696 Schiller, Friedrich von 10, 34, 54, 65, 70, 163, 236, 583, 621, 624 Schlegel, August Wilhelm von 75, 322, 393, 696 f. Schlegel, Friedrich von 75, 697 Schleiermacher, Friedrich 8, 14, 270 f., 697 Schmid, Christoph von 176 Schmid, Michel 232

Personenregister Schmidt, Elisabeth 40, 42 f., 59, 160, 234, 595, 697 Schmidt, Julian 40, 42 f., 59, 160, 183, 234, 321, 343, 466, 504, 522, 538, 582, 595, 697 Schmidt, Nicolaus 297, 304, 697 Schmitt, Heinz 51 Schmitt, Paul 289, 292, 293, 697 Schmitz, Michael 248, 698 Schmöle, Christoph 472, 484, 488, 500, 512, 546, 698 Schmoller, Gustav 352, 378, 698 Schneegans, Carl Friedrich 425, 698 Schneider, Gustv Heinrich 347 Scholz, Hermann 501, 596, 698 Schöne, Alfred 597, 698 Schopenhauer, Arthur 280, 698 f. Schorlemer(-Alst), Burghard Frhr. von 472, 699 Schrader, Caroline Luise 585 Schrader, Karl 460, 584, 699 Schröder, Richard 17, 551, 564, 575, 699 Schröder, Maria 508 Schubert, Gustav von 291, 699 Schubert, Hans von 280, 287, 290 f., 316 f., 343 f., 347, 349, 426, 699 Schulte, Aloys 316, 365, 700 Schultz, Elisabeth 580, 700 Schultz, Ferdinand 111, 117, 182, 232, 243, 566, 700 Schultz, Frau Dir. 566, 700 Schultz, Heinrich Hermann 580, 700 Schultze, F. W. 39, 700 Schulvater, Moritz 66 Schulze, Friedrich August 430 f., 567 Schulze, Gerhart → Schulze-Gaevernitz, Gerhart Schulze, Hermann Friedrich 322, 329, 340 f., 575, 700 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von 3, 575, 584, 701 Schurz, Carl 394, 477, 701 Schwarzenberg, Friedrich Joseph Fürst zu 228, 701 Schweninger, Ernst 477, 491, 522, 701 Scott, Walter 119, 140, 145, 147, 149, 153, 202, 701 Seele, Friedrich 51 Seele, Rosalie Alwine 51, 701 Seiten, Fräulein (Hausdame) 93, 702 Semfke, Friedrich Wilhelm 447, 702 Shakespeare, William 140, 143, 322, 393

731

Siemens, Georg 35, 353, 702 Silbergleit, Heinrich 2 Simons, Eduard 67, 86, 128, 150 f., 156, 305, 526, 585, 702 Simons, Max 151, 702 Simons, Otto 526 Simons, Wilhelm 526 Sleidan(us), Johannes 303, 310–312, 323, 326, 702 Smith, Adam 295, 297, 299, 341, 702 Sohm, Rudolph 330, 374, 400, 419, 703 Sonnemann, Leopold 472, 703 Sophie Dorothea Ulrike Alice von Preußen 134, 703 Sophie, Großherzogin von Sachsen 518 Souchay, August 331 Souchay, Carl Cornelius 331 Spalatin, Georg 311, 703 Spieker, Paul Emanuel 182 Spielberg, Hans von 400 Spieß (Elementarlehrer) 107 Spinoza, Baruch (Benedictus) de 567, 703 Spitta, Max 182 Stein, Adam 234 Stifter, Adalbert 379, 703 Stoecker, Adolf 474, 521 f., 525, 703 f. Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu 520, 704 Stoll, Heinrich Wilhelm 141 Stosch, Albrecht von 462 Strauß, David Friedrich 8, 14, 260, 586, 590–594, 704 Strauß, Eduard 196, 704 Strauss, Otto 237, 270, 704 Sturm, Carl 476 Sulpicius (Servius Sulpicius Rufus) 185 f., 704 Sydow, Adolf 430 f., 567 Taege, Carl Ernst Eduard 117, 705 Tauentzien, Bogislav Friedrich von 220 Temme, Jodocus D. H. 324, 705 Tenne, Conrad 248, 705 Terentia 185, 705 Theodosius 635 Thorbecke, Andreas Heinrich 330, 705 Thorwaldsen, Bertel 238 Thukydides 192, 705 Thürolf, Gustav 95, 705 Tiburtius, Franziska 558, 705 Tieck, Dorothea 322, 393

732

Personenregister

Tieck, Ludwig 322, 393 Tiede, August 59, 137, 157, 160, 179, 547, 706 Tiede, Helene 23, 59, 66, 80, 137, 157, 160, 179, 538, 547, 706 Tissot, Victor 403, 706 Titze, Hartmut 258, 271 Treitschke, Heinrich von 7 f., 14 f., 202, 305 f., 313, 317, 323, 335, 342, 352, 358, 393, 400 f., 473, 522, 528, 530 f., 706 Trieps, August 523 Tullia 186, 706 Turgenjew, Iwan S. (Turgenev, Ivan Sergeevicˇ) 364, 379, 706 Valens (oströmischer Kaiser) 601 Varnbüler, Friedrich Karl von 187, 706 f. Vasili, Comte Paul → Radziwill, Catherine Vergil 94, 119 f., 156, 203, 500, 707 Victor, Prinz Napoléon 250, 707 Victoria (englische Königin) 523 Victoria (preußische Kronprinzessin) 134, 402, 707 Villard, Henry 351, 353 Virchow, Rudolf 474 Voeltzkow, Alfred 299, 707 Voigt, Johannes 538, 567, 707 Voigt, Johann Heinrich 258, 707 Völkel, Direktor 538 Vollmann, J. 117 Voltaire 43 Voß, Johann Heinrich 627 Voß, Wilhelm von 17 Wagner, Richard 397 f., 707 f. Wahnrau, Gerhard 66 Wahrmund, Adolf 190 Wake, Herr 271, 708 Waldemar, Joachim Friedrich Ernst von Preußen 134, 708 Walter, Ferdinand 352, 708 Walther von der Vogelweide 618 Waschke, Gustav 114, 116 f., 357, 447, 708 Weatherly, George 357 Weber, Alfred 1, 5, 11, 21, 23, 25, 29, 36, 40, 46, 48, 52 f., 55 f., 60, 63, 66 f., 68, 70, 71, 72, 73, 78, 79, 83, 87, 89, 91 f., 94–97, 98, 99 f., 102 f., 105–108, 110 f., 114, 124 f., 137, 140 f., 143, 160, 162 f., 165–168, 169, 171, 173, 177, 179, 181 f., 184, 190, 193, 233 f., 236, 238, 240 f.,

243, 258, 272, 284, 293, 344, 347, 353, 355–357, 370, 384, 387, 403–407, 410–412, 416–418, 435, 438–440, 441, 444, 447, 501, 517, 531, 534, 539, 542–544, 548, 567, 570–573, 583, 586, 589–594, 598, 708 Weber, Anna 5 Weber, Anna Caroline Ottilie → Hübbe, Anna Caroline Ottilie Weber, Arthur 5, 25, 60, 78, 87, 88, 89, 93, 96, 98, 101, 103, 111, 113, 139–141, 143, 160, 162, 163, 165, 175, 183 f., 234, 238, 240, 258, 284, 293, 308, 344, 355–357, 436, 447, 502, 534, 541, 589, 598, 708 Weber, Carl (Carlo) 23 Weber, Carl David 25, 35, 235, 301, 708 Weber, Carl Emil 288, 298, 308, 709 Weber, Clara 5, 25, 32, 46, 49, 52, 78, 87, 88, 89, 93, 96, 98, 101, 103, 111, 113, 139–141, 143, 162, 163, 165, 175, 183 f., 234 f., 238, 240, 258, 284, 293, 308, 355–357, 447, 518, 534, 576 f., 589, 598, 709 Weber, David Friedrich 196 Weber, Eduard Friedrich 198 f., 709 Weber, Emilie 198, 709 Weber, Friedrich Percy 335, 709 Weber, Georg 248, 252, 254, 259, 264 f., 288, 298, 301, 308, 313, 335, 348, 368, 465, 482, 709 Weber, Georg jun. 247 f., 265, 335, 709 Weber, Hedwig Emilie 197, 199 f., 421, 709 Weber, Helene 1 f., 5 f., 8–25, 29–34, 36–40, 41 f., 43 f., 45, 48–57, 59 f., 62 f., 66–82, 83 f., 87–98, 99, 100–109, 110, 111–115, 116, 124, 125, 127, 128, 129, 137, 139–141, 143, 147, 151 f., 153, 157 f., 159 f., 162–172, 173, 175, 176–184, 185, 186, 187, 188, 190, 192, 194–199, 200, 202, 203, 212, 232, 233–236, 237, 238, 240, 241, 243, 245 f., 247, 249–251, 253–262, 263, 265, 267–272, 275, 276 f., 278–310, 312 f., 315–320, 324, 327, 330 f., 333–337, 338, 341 f., 344, 345–349, 351, 355–368, 369, 370, 371 f., 374, 377, 379, 382, 383–394, 396 f., 398, 400 f., 404, 407–421, 424, 426, 429–438, 440, 444–448, 450, 453, 456, 464, 466 f., 475, 477, 481, 482–484, 485, 486, 489, 496–504, 506–513, 515, 517, 518,

Personenregister 520, 531, 532 f., 534–541, 543–550, 553, 555 f., 558, 561, 563, 564–569, 575, 576–589, 590, 595–598, 602, 710 Weber, Helene (Helenchen) 5, 30, 46, 49, 88, 160, 710 Weber, Henriette Charlotte 196, 710 Weber, Hertha Henriette Lucie → Dörner, Hertha Henriette Lucie Weber, Ida 248, 259, 264, 288, 298, 301, 308, 335, 348, 367, 368, 465, 483, 489, 710 Weber, Karl 5, 11, 25, 46, 49, 60, 63, 66, 68, 69, 70, 71–74, 76, 78 f., 83, 87, 89 f., 92, 94–99, 102 f., 105 f., 108, 110, 114 f., 125, 137, 140 f., 160, 162, 165–168, 169, 171, 175, 177, 179–182, 184, 196, 234, 236, 238, 240, 243, 258, 272, 284, 338, 344, 347, 355–357, 371, 436, 447, 454, 460, 501, 506, 534 f., 538, 567, 589, 595–598, 710 Weber, Karl August 23 Weber, Lili 1, 5, 25, 209, 212, 252, 284, 308, 355–357, 418, 458, 467, 534, 540 f., 567, 576 f., 589, 598, 710 Weber, Marianne 23, 25, 29, 31, 262, 430, 601 Weber, Marianne, geb. Niemann 35, 710 Weber, Marie Lucie 23, 35, 140, 145, 157, 160, 188, 194, 300 f., 710 Weber, Martha Julie 61, 67, 116, 144, 195, 197–200, 421, 587, 711 Weber, Max - Erfahrungsberichte über Lazarettverwaltung (1914–15) 20 - Geschichte der Handelsgesellschaften (1889) 16 f. - Vorlesungsmitschrift zu Bekker, „Römische Rechtsgeschichte“ (1882) 256, 263, 291 Weber, Max sen. 1– 4, 6 –11, 13–20, 22 f., 25, 31 f., 34–36, 38–42, 43 f., 48, 51–53, 60, 63, 65, 68, 70, 72–74, 76, 78, 79, 81 f., 83, 87, 89 f., 91, 94–100, 101–104, 106 f., 109 f., 111, 113, 115, 124, 127, 128, 129, 137, 139, 147, 160 f., 162, 164–168, 169, 171, 175, 176, 177–180, 181, 182–184, 186, 188–196, 198 f., 203 f., 209–252, 258 f., 261, 263–266, 268, 273–278, 281 f., 284, 291, 297, 298, 300, 301, 302, 305, 308, 310, 312 f., 321, 322–332, 335 f., 338–345, 346 f., 348–354, 356, 362, 367–382, 385,

733

393–404, 407, 409 f., 415, 419, 420, 421–428, 429, 432, 434–438, 440–447, 449–454, 455, 456, 460–464, 465 f., 467 f., 470–472, 474–480, 481, 482, 483 f., 485–495, 496, 498, 500, 505, 507, 510, 512, 514–517, 519 f., 524–526, 529, 530, 531, 534, 535 f., 540, 542, 544, 547, 548, 549–556, 558 f., 565, 569, 573–575, 577, 580, 587–589, 598, 601, 711 Weber, Ottilie 23, 35, 140, 145, 188, 300 f., 355, 356, 711 Weber, Otto 11 f., 31, 35, 196, 198–200, 261, 421, 587, 711 Wehrenpfennig, Anna Helene 305 Wehrenpfennig, Wilhelm 244, 305, 538, 711 Weibel, Samuel 175 Weiß, Bernhard 529, 711 Welf I. (bayerischer Graf) 604 Welf VI. (Herzog von Bayern) 612 f. Wenckstern, L. von 18 Wiedenhöft, Frau 31, 712 Wieland, Christoph Martin 204 f., 322, 393, 621, 712 Wiese, Ludwig 240 f. Wiesinger, August 578, 712 Wiesinger, Eduard Ludwig 578, 712 Wilamowitz-Moellendorff, Marie von 552, 553, 712 Wilamowitz-Moellendorff, Tycho von 553, 565, 712 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 552 f., 597, 712 Wilhelm (Onkel) → Benecke, Ernst Wilhelm Wilhelm (preußischer Kronprinz) 134, 394, 402, 522, 527, 712 f. Wilhelm I., Deutscher Kaiser 21, 90, 108, 129, 130–134, 135, 136, 373, 394, 400, 402 f., 409, 425, 503, 522, 524, 527, 578, 713 Wilhelm I., Kurfürst von Hessen-Kassel 167 Wilhelm von Braunschweig 523 Wilhelm von Hohenzollern 492, 713 Wilhelm von Holland 617 Wille, Jakob Philipp 335, 713 Windfuhr, Manfred 364 Windscheid, Bernhard 324, 352, 371, 436, 477, 713 Windthorst, Ludwig 523 Winkelmann, Eduard 269, 713

734 Winterer, Landolin 425, 713 Wintterlin, Friedrich 187 Witt, Magdalene Nicolina 233 Witt, Marie Apollonia 233 Witt, Nikolaus 233, 714 Wopfner, Joseph 235, 238, 714 Wülffi ng, Walter 280, 714

Personenregister Xenophon 192, 714 Zerbe (Bediensteter) 38 f., 107, 114, 714 Zimmermann, Alfred 472, 484–486, 488, 495, 500, 512, 714 Zimmermann, Ernst 330 Zorn von Bulach, Hugo Freiherr 521, 714

Ortsregister

Nicht berücksichtigt wurden die Absendeorte der Briefe sowie die im Personenverzeichnis genannten Orte. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Aachen 616 Achern 289, 302, 310, 315, 316 f., 318 Adersbach 217, 222 Adersbacher Felsen 217, 222 Afrika 474, 635 → auch: Nordafrika; Südwestafrika; Westafrika Ägypten 353 Aleksinac 46 Alexandria 571 Alexinacz → Aleksinac Alf an der Mosel 171 Alpen 436, 447, 548, 603, 634 Alster 196, 199 Altenburg 273 Altenstein 81 Alzey 462 Amanvillers 173 Amerika, amerikanisch 469 f., 426, 477, 568 → auch: Vereinigte Staaten von Nordamerika Amsterdam 334 Annatal, Annenthal 81 Anhalt 614 Antwerpen 291, 518 Appenweier 439 Apulien 615–617 Aquitanien 604 Arabien, arabisch 624 f., 632 Ararat 545 Asien 145, 572, 634 → auch: Kleinasien; Vorderasien Assur, Assyrien 630 f. Athen 418, 571, 634 Augsburg 548 Australien 374 Axen, Axenstein 427 Babel, Babylon, Babylonien 630 f. Bad Bertrich 169, 171

Bad Charlottenbrunn 209 Bad Dürkheim 174, 380 Bad Godesberg 90 Bad Landeck 211 Bad Pyrmont 48, 53, 55 Bad Schwalbach → Schwalbach Baden, badisch 6, 9, 284, 317, 333, 439, 453, 458, 489 Baden-Baden 302, 305, 317, 331, 344, 347 Baiern, Bajuwarien → Bayern Baktra, Baktrien 625, 630 Balkan 46, 449 Bamberg 616, 618 Bayern, bayerisch 232, 362, 520, 604, 606, 612–614 Bechstädt 76 f. Belgrad 447, 633 Benevent 617 Bergheim (Edertal) 55 Berlin 2– 4, 9 f., 13, 15 f., 20 f., 23, 29, 32, 36, 44, 46, 54, 57, 59, 62 f., 65 f., 67 f., 86, 88, 92, 95 f., 98 f., 102, 106, 107 f., 109, 112, 116, 125, 128 f., 130 f., 133, 135, 136, 139, 147, 151, 153, 156, 157, 162, 178 f., 183, 187, 194, 195, 207, 212 f., 225 f., 228, 231, 235, 236, 240, 245, 247, 248, 250, 257, 259, 261, 264 f., 268, 271 f., 277, 308, 321, 351, 353, 356, 363, 374, 393, 401, 403, 416, 421, 422, 427, 440, 446, 474, 476 f., 484, 493, 499 f., 501, 512, 518, 521, 522, 528, 545 f., 548, 551, 554, 559, 561, 565, 581, 586, 595 Besançon 506 Biebrich am Rhein 87, 89 Biedenkopf 474 Bielefeld 34, 48, 68, 69, 112, 140, 145, 157, 188, 271, 301, 355 Bingen 90, 462 Blankenburg 460 Blankenese 197, 199 Blocksberg 50

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Ortsregister

Bodetal 48 f. Böhmen, böhmisch 209, 216 f., 221, 228 Bolkenhain 474 Bologna 617 Bonn 87, 89 f., 169, 186, 298, 486 Brandenburg, brandenburgisch 132, 303, 565, 613 Braubach am Rhein 90 Braunschweig 51, 264, 427, 460 f., 491, 493, 523, 524, 614 Bremen 368, 472 Breslau 12, 63, 209 f., 212, 213, 214, 215, 217, 219, 220, 221, 226 British-Ceylon 356 Brocken 50, 51, 53, 55 Brotterode 80 Buenos Aires, Buenos Ayres 336 Bukarest 447 Bullay 169 Burgund 605, 608 Byzanz 635 Calykadnos → Kalykadnos Canossa 53, 610, 619 Cassel → Kassel Cattaro → Kotor Celle 17, 596 Charlottenburg 2, 5 f., 9 f., 12, 16, 29, 31 f., 36, 43, 57, 60, 61, 65, 68, 83, 87, 89, 97–99, 103, 106, 110 f., 114, 117, 128, 130, 140, 147 f., 153, 157, 158, 162, 163, 167, 176, 177, 178, 179, 181–183, 187, 209, 221, 224, 233 f., 237 f., 240, 242–245, 276, 289, 301, 314, 315, 336, 338, 351, 353, 355, 421 f., 436 f., 440, 444 f., 454, 496, 507, 510, 514, 515, 522, 531, 534, 541, 543 f., 546, 556, 557 f., 561, 566, 574 Chiavenna 614 Chiemsee 177, 190, 235, 238 Chotzen 226 Coblenz → Koblenz Col de la Schlucht → Schluchtpaß Colmar 98, 280, 604 Comer See 424 Constantinopel → Konstantinopel Copenhagen → Kopenhagen Cortenuova 617 Dänemark 619 Danzig 475 Detmold 55

Deutsches Reich 21, 389, 451, 461 Deutschland, deutsch 2, 7, 11, 16 f., 20, 57, 102, 125, 141, 173, 174, 184, 193, 198, 202, 223, 227, 230 f., 234, 242, 268, 284, 308, 346, 353, 401, 403, 425, 441, 451, 470, 473, 486, 488, 493– 495, 499, 523, 529, 536, 603, 605–619, 626, 630 → auch: Norddeutschland, Süddeutschland, Südwestdeutschland, Westdeutschland Dnjepr 631 Don 631 Dortmund 565 Drachenfels 90 Drei Ähren → Les Trois Épis Dresden 12, 209, 224 f., 231 Dürkheim → Bad Dürkheim Durlach 334 Eberswalde 499, 520 Ehrenbreitstein 90 Eisenach 78, 81, 82, 232, 233, 344, 346 f., 404 Elbe 177, 196, 315 Elsaß 282–284, 333, 334, 365, 439, 499, 520 f. → auch: Nordelsaß; Unterelsaß Elsaß-Lothringen 373, 425, 478, 480, 490 Emmendingen 302 England, englisch 143, 166, 317, 328, 374, 491, 509, 587, 615 f., 619 Ephesos 572 Erfurt 2 f., 13, 55, 71 f., 73, 79 f., 157, 165, 166 f., 183 f., 188, 190, 192, 194, 313, 389, 614 Erkner 63 f. Esslingen, Eßlingen 507, 532, 536 Etsch 223 Europa, europäisch 11, 145, 167, 205, 230, 353, 402, 607, 619, 634 f. → auch: Nordeuropa; Osteuropa; Südeuropa Faesulae 122 Fellhammer 226 Finstingen 452 Flakensee 63 Florenz 158, 163, 234 Fontenay, Fontenaille 605 Franche Comté 346 Franken 58 → auch: Ostfranken; Westfranken

Ortsregister Frankfurt/Main 203, 247, 315, 331, 335, 365, 372, 380, 487, 565, 581 Frankfurt/Oder 63 Frankreich, französisch 11, 30, 43, 90, 102, 107, 141, 173 f., 233, 245, 267, 283, 353, 392 f., 403, 478, 605, 615, 619 → auch: Südfrankreich Frauenwörth am Chiemsee 192 Freiburg i. Br. 333, 344, 348, 359, 423, 575, 584 Freienwalde 520 Freiheit im Aupatal 222 Friedrichsroda 80 Friesland 605 Fulda 81 Gaisberg 274 Gandersheim 460 f., 471 Ganges 622 Genua 427 Gerberstein 81 Gießen 177 Glatz 209–211, 219 Glatzer (Schnee-)Gebirge 209, 210 Glücksbrunn 81 Godesberg → Bad Godesberg Göhrde 401 Görlitz 224 Goslar 428 Gotha 80 Göttingen 13, 16, 21, 151, 177, 245, 248, 249, 530, 548, 549–551, 552, 554, 555, 558 f., 561, 565, 574, 577, 584 Gravelotte 173, 174 Greifswald 273 Griechenland, griechisch 185, 192, 242, 463 Grießener Berg 55 Grunewaldseen 153 Habelschwerdt 211 Habonville 174 Hagenau 446, 448 f., 451 f. Halbstadt 221, 222, 226 Halberstadt 313, 555 Haler Feld, Halerfeld 614 Halle/Saale 70, 302, 380 Hamburg 31, 61, 116, 144, 188, 195–198, 200, 243, 261, 277, 284 f., 288, 297, 304, 348, 368, 421, 587 Handschuhsheim 307, 325 Hannover 92, 276, 348, 490, 523

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Harz 11, 48, 58, 81, 581 Harzburg 51, 53 Havel 107, 114, 116, 125, 152 Heidelberg 6 – 8, 13 f., 20 f., 32, 33, 36, 45, 68, 75, 78, 83, 87– 89, 93 f., 96, 98, 100, 101, 103, 111, 113, 124, 142, 146, 154, 158, 162, 163, 164 f., 169, 175, 176 f., 179, 181 f., 183, 186 f., 203, 240, 243, 245 f., 247, 248–251, 253 f., 257–263, 265, 267, 268, 269, 270 f., 273, 274, 278, 279 f., 287, 288–290, 292, 296, 298, 304, 306, 307, 313, 315, 318, 321, 323, 325, 326 f., 332, 333, 336, 340, 346 f., 350 f., 358, 372, 390, 392, 397, 404, 408, 419 f., 422, 424, 436, 445, 455, 463, 465, 466, 482, 484, 486–489, 496, 509, 517, 534, 538, 540 f., 542, 545, 552, 555, 558, 560 f., 574 f., 584 f., 586 Helgoland 240, 242, 243 f. Hellas 633 f. Helmstedt 460 Hermsdorf 225 Herzegowina 46 Hexentanzplatz (Harz) 48 Himera (Sizilien) 634 f. Hirschberg 218, 223 f., 226 Hirschstein 81 Hohe Sonne 81 Holstein (Herzogtum) 268, 614 Holzemme 50 Holzminden 341, 460 f., 471 Horn 55 f. Ilm 85 Ilmenau 79, 85 Indien, indisch 353, 622 Indus 622, 634 Ingweiler 451 Inselsberg 80 f. Iran 625, 630 f. Italien, italienisch 142, 185, 232, 243, 374, 392, 487, 605–607, 610, 615, 617–619, 631, 635 → auch: Oberitalien Jauer 210, 474 Jena 70, 74–76, 84, 346, 347, 404 Johannesbad (Riesengebirge) 217 f., 222 Josephinenhütte 218, 224 f. Josephstadt 226

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Ortsregister

Kaiserswerth 609 Kalksee (Rüdersdorf) 63 Kalykadnos 615 Kamerun(-gebirge) 486 Kanossa → Canossa Karlsbad 530 Karlsruhe 6, 98, 281, 286, 287, 288, 316, 319, 333, 334, 335 f., 432, 482, 488, 497, 511 Karpathen 447 Karthago 515, 633 Kassel 165, 167, 474 Kastel am Rhein 87 Kehl 334 Kickelhahn 85 Kiel 346, 347 Kleinasien, kleinasiatisch 570 f., 632 Klingenteich, Klingenthal 274 Koblenz 87, 89 f. Kohlhof 273 f. Köln 87, 89–91, 471 Königgrätz 226 Königsberg 63, 475 Königstein (sächsische Schweiz) 224 f., 231 Königstuhl 273, 274 Königswinter 90 Konstantinopel 418, 447, 449, 573 Konya 65 Kopenhagen 267 Koppe → Schneekoppe Kortenuova → Cortenuova Kösen 68, 69, 72–74, 83 Kotor 46 Kreiensen 548 Kümmelbacher Hof 290 Küstrin 63 Kyffhäuser, Kyffhäuserburg, Kyffhäuserkreis 79, 81, 581, 615 Kyritz 565 Lago di Como → Comer See Lago Maggiore 493 Landeck → Bad Landeck Landeshut 474 Lechfeld 607 Legnano 614 Leipzig 192, 497 Les Trois Épis 98 f. Liebenstein 80, 81 Limburg 175 Litauen 303

Lombardei, lombardisch 607, 614, 617 Lothringen 435, 439, 441, 451, 605 f. → auch: Elsaß-Lothringen; Ostlothringen Lübeck 276, 428 Lüderitz, Lüderitzbucht 451 Ludwigshafen 175 Lüneburg 614 Luxemburg 165, 173, 453 Magdeburg 177, 338 Mähren 212 Mailand 493, 497 Mainz 87, 88, 89, 311, 615 Malmaison 174 Malta 183 Mannheim 175 f., 271, 293, 348, 453–456, 458, 489, 535 Marburg 168, 177 Mariental (Eisenach) 78, 82 Mars-la-Tour 173 Maursmünster 284 Mecklenburg 268, 374, 472, 618 Meiningen 78, 82 Meißner 81 Melsungen 474 Mesopotamien 631 Metz 173 f., 478 Mexiko 568 Milbitz 77 Minden 92 Minneapolis 353 Mittelmeer, mittelländisches Meer 617, 634 f. Moabit 65, 67 Montenegro 46 Montpellier 584 Morsbronn 451 Mosel 11, 165, 169, 171 Moulins 174 München 177, 182, 186, 232, 272, 452 Münchengrätz 217 Münster 160, 310–312, 348 Nachod 226 Nancy 94, 96, 98, 100 Naumburg 69 f., 74, 83 Neapel 234, 617 Neckar 175, 176, 248, 258, 261, 263, 269, 273, 278, 289, 306, 307, 315, 327 Neckargemünd 267, 273, 290, 350, 463 Neckarsteinach 332, 340

Ortsregister Neiße 211 Neuenheim 265, 269 f., 279 Neurode 209 f. Neustadt a. Haardt → Neustadt an der Weinstraße Neustadt an der Weinstraße 174, 425, 463 New York 198, 394 Niederlande 619 Niederwald 90 Ninive 631 Nordafrika 141, 515 Norddeutschland, norddeutsch 282, 559 Nordelsaß 441 Nordeuropa, nordeuropäisch 626, 629 Nordhausen 247, 338, 485, 615 Nordsee 536 Ober-Engadin 612 Oberitalien 427, 610 Ober-Rottenbach 77 Oberschlesien 439 Odenwald 267 Oder 213, 215, 220 Oerlinghausen 23, 69, 301 Oldenburg 524 Olmütz 226 Oschersleben 313 Österreich, österreichisch 216, 217, 226, 228, 230, 235, 346, 490 f., 523, 530 f. Österreich-Ungarn 212, 221 f., 231, 451, 490 Osteuropa 633 Ostfranken 605 Ostlothringen 452 Ostpreußen 397, 475 Ostprignitz (Landkreis) 565 Paderborn 55 Panke 612 Paris 3, 72, 94, 100, 101, 106, 110, 111, 113, 124, 251, 283, 521, 587, 605 Pasargada(e) 631 Patschkau 212 Paulsborn 153 Pergamon 571 Petersberg 169 Petersburg → St. Petersburg Pfalzburg (Phalsbourg) 435 f., 439, 441 Pfälzerwald 334 Piacenza 614 Pichelsbergen 107, 125, 152 Pichelswerder 107, 114, 116

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Pilsen 231 Pistoria 122 Point du Jour 174 Polen, polnisch 267, 303, 411, 608 Pommern 618 Portland 353 Posen 20, 475 Prag 12, 209, 224–226, 228 f., 230, 231 Preußen, preußisch 2, 16, 43, 63, 90, 95, 102, 107, 132, 158, 183, 217, 226, 228, 268, 284, 341, 399 f., 403, 421, 425, 439, 473, 475, 488, 491, 503, 523, 525, 528–531, 550, 578, 588, 598, 619 → auch: Ostpreußen; Westpreußen Pyrmont → Bad Pyrmont Reifträger (Riesengebirge) 223 Reinhardsbrunn 80 Renne 50 Renneckenberg 50 f. Rhein 11, 58, 87, 89 f., 92, 165, 169, 175, 307, 315, 334, 517, 534, 542, 609, 634 Rhens, Rhense 618 Riesengebirge 12, 209, 216 –218, 223, 225 Ringberg 81 Rohrbach 452 Rolandseck 90 Rom, römisches Reich 122, 149, 189, 236, 238, 239, 256, 571 f., 605, 609, 613, 624, 634 f. Roncaglia, roncalische Felder 614 Roßtrappe (Harz) 49 Rostock 529 Rozérieulles 174 Rüdersdorf 21, 62–64 Rüdesheim 90 Rudolstadt 71 Ruhla 81 Rumänien, rumänisch 46 Rummelsburg 64 Ruprechtsau 151, 283 Rußland, russisch 46, 63, 235, 288, 364, 393, 402, 451 Saale 68, 72–75, 83 f. Saarbrücken 174, 497 Saargemünd 174, 452 Saarunion 446, 452 Saatwinkel 117 Sachsen, sächsisch 232, 575, 606, 612–614 Sachsen-Lauenburg 614 Salamis 634 f.

740

Ortsregister

Salzburg 177, 192, 194 San Stefano 46 Schildhorn 114, 116, 125, 153 Schlachtensee 39, 40 Schlangenbad (im Taunus) 286, 289, 291, 336 Schlesien, schlesisch 58, 209, 212, 218, 224 Schleswig (Herzogtum) 268 Schlierbach (Heidelberg) 273 Schluchtpaß 100 Schmücke 79 Schneckenbuckel (bei Neckargemünd) 290 Schneekoppe 218, 222, 223, 224, 225 Schöneberg 30 Schottland, schottisch 205 Schreiberhau 218, 224, 225 Schwaben 612, 617 Schwalbach (im Taunus) 244, 336 Schwarza (Thüringen) 71, 76, 84 Schwarza, Schwarzatal 71, 76, 84 f. Schwarzburg 71, 76, 85, 389 Schwarzes Meer 65 Schwarzwald 289, 293 Schweden, schwedisch 303, 619 Schweiz 151, 287, 290, 397, 403, 427 Schwerin 472 Schwetzingen 307, 345, 349 Scurcola, Scurkola 617 Seattle 353 Sedan 107 f., 232, 242 Serbien 46 Siebengebirge 90, 91, 92 Sibirien 278 Sicilien → Sizilien Siebenbürgen, siebenbürgisch 449, 474 Siegen 474 Sizilien 615–617, 633–635 Skalitz 217, 226 Skierniewice, Skiernowicz 451 Soest 161 Solothurn 291 Soor 217 Spandau 92, 107 Spanien, spanisch 278, 392, 605, 615, 619, 632 f., 635 Sparta 571, 633 f. Spree 156, 612 St. Johann-Saarbrücken 174 St. Moritz 427 St. Petersburg 288, 297 f., 304, 308

St. Paul 353 St. Privat 173 f. Ste. Marie aux Chênes 174 Steier 614 Steinbach, Steinbachtal, Steinbacher Tal 48, 81 Steyer → Steier Stößensee 107, 114, 116 Stralau 64 Straßburg 4, 7, 13, 15, 17 f., 20, 22, 25, 57, 74, 94, 100, 113, 151, 156, 164, 168, 173, 186, 202, 245 f., 259, 264, 272, 275 f., 278, 280, 282, 287, 289–291, 293, 301, 303, 305, 310, 316, 330 f., 333–335, 343 f., 347, 352 f., 358, 363 f., 370, 372, 375, 376, 388, 390, 391, 412, 419, 422, 424, 425, 439, 450, 452 f., 455–459, 465, 472, 475, 476, 478, 480 f., 482 f., 485, 488, 493, 496, 503, 512, 514 f., 519, 526, 530, 545, 549, 551 f., 555, 560, 562, 564, 585 f. Straußberg 63 Stuttgart 291, 293 Süddeutschland, süddeutsch 346, 425, 451, 463, 516, 535, 606 Südeuropa, südeuropäisch 447, 449, 626, 628 f. Südfrankreich, südfranzösisch 584 Südwestafrika 451 Südwestdeutschland, südwestdeutsch 6, 475 Syrien 624 f. Tagliacozzo 617 Tangermünde 409 Tegel 117, 127 Tegeler See 117 Teinach (Nordschwarzwald) 433 Templin 130 Teplitz 530 Teufelssee 114 Teutoburger Wald 48, 55 f. Thale 48 Thüringen 11, 68, 70–72, 76, 79, 83, 347, 573, 575 Thüringer Wald 78, 80, 84, 85, 341, 346 f. Thurioi 571 Tirol 614 Toskana 122 Tours 633 Trarbach 171 Trautenau 217, 218, 222

Ortsregister Trebur 605 Treuenbrietzen (Brandenburg) 362 Tribur → Trebur Trier 165, 172 f., 174 Trippstein 76 f., 85 Tschechien, tschechisch 228, 230 Tübingen 318, 320 f., 329, 330, 346, 347, 555, 558 Türkei, türkisch 65, 418, 447, 566 Tyrol → Tirol Ungarn, ungarisch 217 Unterelsaß 452 USA → Vereinigte Staaten von Nordamerika Usedom 444 f. Venedig 548, 614 Verdun 393, 605 Vereinigte Staaten von Nordamerika 201 f., 351, 353, 356, 368, 375, 394 Verneville 174 Verona 548 Versailles 386 Vierwaldstättersee 427 Virten → Verdun Vogesen 98, 100, 344, 346 f., 441, 506 Vorderasien 624 Vucˇ ji Do 46 Waldkirch 9, 302, 331, 347, 374, 380, 393, 410, 415, 423, 432, 433, 437, 444, 447, 456, 484, 490, 493, 496, 514

Waltershausen 80 Wannsee 152 f. Weckelsdorf 216 f., 221 f. Wedding 65 Weimar 165 f. Weinsberg 613 Weißenstein 291 Wernigerode 50, 52, 313 Wertheim 489 Weser 58 Westafrika 486 Westdeutschland, westdeutsch 475 Westfranken 605 Westpreußen 475 Wetzlar 168 Wien 196, 587 Wiesbaden 586 Wilhelmshöhe 81, 167 Wilmersdorf 30 Wittenberg 614 Wittgenstein 474 Wölfelsgrund 211 Wolgast 542, 544 Woltersdorf 63 f. Worms 175, 604 Wörth 446 Zabern 284, 438 f., 441 f. Zahlbach 87 Zernagora → Montenegro Ziegelhausen 273 Zinnowitz 444 f. Zürich 16, 151, 290, 316, 558

741

Seitenkonkordanzen

Die Seitenkonkordanzen beziehen sich auf die bisher gebräuchliche Ausgabe der in diesem Band edierten Briefe: Weber, Jugendbriefe, herausgegeben von Marianne Weber, aus dem Jahre 1936. Diese enthalten nur einen Teil der hier edierten Briefe, teilweise gekürzt und unter abweichenden Daten (vgl. dazu die Einleitung, oben, S. 23). Abweichende Adressaten und Daten in den „Jugendbriefen“ werden in eckigen Klammern wiedergegeben.

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 21. August 1876 43 3 44 3 Brief an Emilie Fallenstein vom 20. September 1879 45 3/4 46 4 47 – Brief an Helene Weber vom 1., 2. und 3. Juli 1878 [11. August 1878] 72 4/5 73 5/6 74 6 75 6 76 6/7 77 – Brief an Helene Weber vom 29. Juli 1878 [11. August 1878] 89 7 90 7 91 7/8 92 8/9 93 – Brief an Fritz Baumgarten vom 9. und 11. September 1878 [9. September 1878] 116 –

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

117 118 119 120 121 122 123

9 9/10 10 10/11 11/12 12/13 13/14

Brief an Emilie Fallenstein vom 22. September 1878 124 15/16 125 16 Brief an Fritz Baumgarten vom 25. Oktober 1878 126 14 127 14/15 128 – Brief an Emilie Fallenstein vom 29. und 30. Dezember 1878 [an Fritz Baumgarten vom 29. Dezember 1878] 143 16/17 144 17 145 17/18 146 – Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Januar 1879 147 20 148 20/21

743

Seitenkonkordanzen

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

149 150 151

21 – –

207 208

32 –

Brief an Fritz Baumgarten vom 4. Februar 1879 152 18/19 153 19 154 19/22 155 22/23 156 23 Brief an Emilie Fallenstein vom 2. April 1879 157 24 158 24 159 – Brief an Helene Weber vom 22. Juni 1879 162 – 163 24/25 164 25 Brief an Fritz Baumgarten vom 10. August 1879 185 25/26 186 26/27 187 27 188 – 189 – Brief an Max Weber sen. vom 13. August 1879 189 27 Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Oktober 1879 200 28 201 28/29 202 29 Brief an Fritz Baumgarten vom 19. Februar 1879 204 30 205 30/31 206 31/32

Karte an Max Weber sen. vom 14. Juli 1880 [15. Juli 1880] 209 33 210 33 Karte an Max Weber sen. vom 3. September 1880 232 33/34 233 34 Brief an Max Weber sen. vom 24. April 1882 247 37 248 37/38 249 38/39 250 39/40 251 40 252 – Brief an Helene Weber vom 2. und 3. Mai 1882 [2. Mai 1882] 255 40/41 256 41/42 257 42 258 42/43 259 43 260 43/44 261 44 262 – Brief an Max Weber sen. vom 9. Mai 1882 263 44/45 264 45 265 45 266 – Brief an Helene Weber vom 16. Mai 1882 267 45/46 268 46/47 269 47/48 270 48/49 271 49 272 –

744

MWG II/1

Seitenkonkordanzen

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 14. und 15. Juni 1882 [17. Juni 1882] 278 51/52 279 52/53 280 53 281 – 282 53/54 283 54/55 284 55 285 – Brief an Helene Weber vom 22. und 23. Juni 1882 [22. Juni 1882] 286 56 287 56/57 288 57 289 – Brief an Helene Weber vom 4. Juli 1882 290 57/58 291 58 292 58 Brief an Helene Weber vom 4. November 1882 295 58/59 296 59 297 59/60 298 60 299 60/61 Brief an Helene Weber vom 13. November 1882 300 61/62 301 62 302 62 303 62/63 304 63/64 Brief an Helene Weber vom 15. Dezember 1882 305 64 306 64 307 64/65 308 65 309 –

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 14. und 18. Januar 1883 [14. Januar 1883] 315 65 316 65/66 317 66 318 66/67 319 67 320 67 321 – Brief an Max Weber sen. vom 12. und 13. Februar 1883 [12. Februar 1883] 322 67/68 323 68 324 68/69 325 69/70 Brief an Max Weber sen. vom 24. und 25. Februar 1883 [23. Februar 1883] 326 70 327 70 328 70/71 329 71 330 71 331 71/72 332 72 Brief an Helene Weber vom 7. März 1883 333 72/73 334 73 335 73 336 – 337 – Brief an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883 [5. Mai 1883] 340 73/74 341 74 342 74 343 74/75 344 – Brief an Helene Weber vom 26. Mai 1883 [vom 26. Mai 1882] 346 49/50 347 50

745

Seitenkonkordanzen

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

348 349

50/51 51

386 387

92 92

Brief an Max Weber sen. vom 3. September 1883 351 75 352 75/76 353 76 354 76 Brief an Helene Weber vom 21. und 23. Oktober 1883 [22. Oktober 1883] 361 76/77 362 77/78 363 78/79 364 79/80 365 80 366 80 367 80/81 368 81/82 Brief an Max Weber sen. vom 21. Dezember 1883 369 82/83 370 83/84 371 – 372 84 373 84/85 374 85 375 – Brief an Max Weber sen. vom 5. und 6. Januar 1884 [5. Januar 1884] 376 86 377 86/87 378 87 379 87/88 380 88 381 88/89 382 89 Brief an Helene Weber vom 19. Januar 1884 383 89/90 384 90/91 385 91/92

Brief an Helene Weber vom 6. und 9. Februar 1884 [19. Januar 1884] 388 94/95 389 95/96 390 96/97 391 97/98 392 98/92/93 393 93 394 93/94 Brief an Max Weber sen. vom 23. und 28. Februar, 1. März 1884 [23. Februar 1884] 395 99 396 99/100 397 100/101 398 101/102 399 104/105 400 105/102 401 102 402 102/103 403 103/104 404 – Brief an Alfred Weber vom 25. März 1884 405 105/106 406 106/107 407 107/108 Brief an Helene Weber vom 2. und 7. Mai 1884 [3. Mai 1884] 411 108/109 412 109/110 413 110/111 414 111/112 415 112/113 416 113/114 417 114/115 418 115/118/119 419 119 420 –

746

MWG II/1

Seitenkonkordanzen

Weber, Jugendbriefe

Brief an Max Weber sen. vom 30. Mai und 3. Juni 1885 [30 Mai 1884] 421 115 422 115/116 423 116 424 – 425 116/117 426 117/118 427 – 428 – Brief an Helene Weber vom 8., 18. und 19. Juli 1884 [8. Juli 1884] 429 119/120 430 120/121 431 121/122 432 122 433 123 434 123/124 435 124/125 436 125 437 125/126 Brief an Alfred Weber vom 8. August 1884 438 126/127 439 127/128 440 128 Brief an Max Weber sen. vom 9. August 1884 441 128/129 442 129/130 443 130/131 444 – Brief an Helene Weber vom 2. September 1884 445 131/132 446 132/133 447 133/134 448 134 Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. September 1884 [29. September 1884] 450 134

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

451 452 453 454

134/135 135/136 136/137 137

Brief an Fritz Baumgarten vom 6. Oktober 1884 455 137 456 137/138 457 138/139 458 139 Brief an Hermann Baumgarten vom 8. und 10. November 1884 [8. November 1884] 468 139/140 469 140/141 470 141/142 471 142/143 472 143/144 473 144/145 474 145/146 475 146/147 476 147/148 477 148 Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885 [15. März 1885] 485 148/149 486 149 487 149 488 149/150 489 – 490 150/151 491 151/152 492 152/153 493 153 494 153 495 – Brief an Helene Weber vom 29., 30. März und 1. April 1885 [29. März 1885] 496 154 497 154 498 154/155 499 155/156

747

Seitenkonkordanzen

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

MWG II/1

500 501 502 503 504

156 156/157 157/158 158/159 –

Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1885 542 180 543 180/181 544 –

Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1885 515 162/163 516 163/164 517 164 518 164 Brief an Hermann Baumgarten vom 14. und 16. Juli 1885 [14. Juli 1885] 519 165 520 165/166 521 166/167 522 167/168 523 168/169 524 169/170 525 170/171 526 171/172 527 172/173 528 173/174 529 174 530 174/175 531 175/176 532 176 533 – Brief an Helene Weber vom 16. Juli 1885 [16. Juni 1885] 534 159 535 159/160 536 160 537 160/161 538 161/162 539 – Brief an Lili Weber vom 24. Juli 1884 [25. Juli 1885] 540 176/177 541 177/178

Weber, Jugendbriefe

Brief an Max Weber sen. vom 1. November 1885 [2. November 1885] 550 181/182 551 182/183 552 183 553 183/184 554 184/185 555 185 556 – Brief an Emmy Baumgarten vom 3. und 5. Dezember 1885 [3. Dezember 1885] 557 185/186 558 186/187 559 187/188 560 188/189 561 189/190 562 190 563 190 Brief an Helene Weber vom 6. Dezember 1885 564 191 565 – 566 – 567 191 568 191/192 569 192/193 Brief an Alfred Weber vom 13. Dezember 1885 570 193/194 571 194/195 572 195/196 573 196/197 Brief an Helene Weber vom 12. Januar 1886 576 197 577 197/198 578 198

748

MWG II/1

Seitenkonkordanzen

Weber, Jugendbriefe

MWG II/1

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 24. und 25. Januar 1886 [24. Januar 1886] 579 198/199 580 199/200 581 200/201 582 201 583 201/202

Brief an Alfred Weber vom 7. März 1886 590 205 591 205-207 592 207/208 593 208/209 594 209/210

Brief an Helene Weber vom 17. Februar 1886 584 202 585 202/203 586 203 587 203/204 588 204 589 –

Brief an Helene Weber vom 30. März 1886 [31. März 1886] 595 210/211 596 211 597 211/212 598 212

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe Abteilung II: Briefe

1. Aufbau der Gesamtausgabe In der Max Weber-Gesamtausgabe werden die veröffentlichten und die nachgelassenen Texte und Briefe Max Webers mit Ausnahme seiner Exzerpte, Marginalien, Anstreichungen oder redaktionellen Eingriffe in die Texte anderer wiedergegeben. Liegen mehrere Fassungen eines Textes vor, so werden diese sämtlich, gegebenenfalls als Varianten, mitgeteilt. Editionen der Texte Webers, die er nicht selbst zum Druck gegeben hat, werden nur dann berücksichtigt, wenn dem betreffenden Herausgeber Manuskripte vorlagen, die uns nicht mehr überliefert sind. Die Max Weber-Gesamtausgabe gliedert sich in drei Abteilungen: Abteilung I: Schriften und Reden Abteilung II: Briefe Abteilung III: Vorlesungen

2. Aufbau der Abteilung II: Briefe In Abteilung II werden alle bislang bekanntgewordenen Briefe Max Webers veröffentlicht. Unter Briefen werden verstanden: Briefe im engeren Sinne, sowie Briefkonzepte, Postkarten und Telegramme. Sie werden vollständig aufgenommen. Briefe im Sinne dieser Definition, die nicht überliefert, aber nachgewiesen sind, werden im editorischen Apparat verzeichnet. Die an Max Weber gerichteten Briefe werden nicht abgedruckt, es wird von ihnen auch kein Verzeichnis erstellt. Die Briefe werden chronologisch nach den Schreibtagen ediert. Die einzelnen Bände umfassen geschlossene Jahrgänge, der jeweilige Zeitraum wird im Bandtitel angegeben. Die Bandfolge lautet: Band 1: Briefe 1875–1886 Hg. von Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit Thomas Gerhards und Uta Hinz; 2017

Band 2: Briefe 1887 –1894 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Thomas Gerhards und Sybille Oßwald-Bargende; 2017

750

MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

Band 3: Briefe 1895–1902 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Uta Hinz; 2 Halbbände; 2015

Band 4: Briefe 1903–1905 Hg. von Gangolf Hübinger und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Thomas Gerhards und Sybille Oßwald-Bargende; 2015

Band 5: Briefe 1906 –1908 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1990

Band 6: Briefe 1909 –1910 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1994

Band 7: Briefe 1911–1912 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2 Halbbände, 1998

Band 8: Briefe 1913–1914 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2003

Band 9: Briefe 1915 –1917 Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2008

Band 10: Briefe 1918 –1920 Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Uta Hinz, Sybille Oßwald-Bargende und Manfred Schön; 2 Halbbände, 2012

Band 11: Nachträge und Gesamtregister In Band 11 werden als Nachträge auch solche Briefe aufgenommen, die nach Erscheinen der einschlägigen Bände noch aufgefunden werden oder die nicht datierbar sind.

3. Aufbau der Bände Jeder Band enthält ein chronologisches Verzeichnis der edierten Briefe, eine Einleitung der Herausgeber, die historisch-kritisch bearbeiteten Briefe Max Webers sowie Verzeichnisse und Register. Die Briefe werden in chronologischer Folge abgedruckt. Läßt sich diese bei Briefen vom selben Tag nicht bestimmen, so gilt die alphabetische Ordnung nach Empfängern. Briefe, die nur annähernd datierbar sind, werden am Ende des fraglichen Zeitraums eingeordnet.

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4. Chronologisches Verzeichnis der Briefe Das chronologische Verzeichnis informiert über Datum, Schreibort und Empfänger der Briefe.

5. Einleitung Die Einleitung der Herausgeber informiert über den biographischen Kontext sowie die Überlieferungslage der Briefe im jeweiligen Band sowie über bandspezifische Editionsfragen.

6. Briefe Bearbeitung und Präsentation der Briefe folgen der historisch-kritischen Methode. Dies geschieht mit Hilfe eines Vorspanns und von drei Apparaten: dem Korrekturen- und dem Variantenapparat, die zum textkritischen Apparat zusammengefaßt sind, und dem Erläuterungsapparat. 6.1 Vorspann Jedem Brief werden Angaben über Empfänger, Datum, Schreibort und Fundort sowie Zeugenbeschreibungen vorangestellt. Abschriften und Vordrucke von Briefen werden nur nachgewiesen, wenn sie die Quelle der Edition darstellen. Ergeben sich Datierung oder Schreibort nur aus dem Poststempel oder einem Aufdruck des Briefes (Briefkopf), so wird dies durch ein vorgesetztes PSt oder BK kenntlich gemacht. Andere Ergänzungen oder Erschließungen von Datum oder Schreibort stehen in eckigen Klammern. Der Vorspann enthält außerdem ggf. eine Editorische Vorbemerkung, in der Erschließung und Ergänzungen von Datum oder Schreibort begründet und zusätzliche Informationen zur Zeugenbeschreibung gegeben werden. Liegen mehrere Fassungen eines Briefes vor, wird hier auch dargelegt, welche als Text abgedruckt und welche als Varianten mitgeteilt werden. Hier werden auch alle weiteren editorischen Entscheidungen in Hinsicht auf den edierten Brief begründet. Dazu gehört unter anderem die Behandlung von Eigentümlichkeiten des Briefes. Ferner umfassen die Editorischen Vorbemerkungen Regesten solcher Korrespondenda bzw. Kontextdarstellungen, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes notwendig ist. 6.2 Textkritischer Apparat Im textkritischen Apparat werden Textentwicklung und Texteingriffe nachgewiesen.

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6.2.1 Textentwicklung Liegt ein Brief in mehreren Fassungen vor, wird eine Fassung zum Edierten Text bestimmt. Dies ist in der Regel der eigenhändig niedergeschriebene Originalbrief. Der Originalbrief bzw. die abgedruckte Fassung trägt die Sigle O. Liegen parallele Ausfertigungen des Originalbriefs oder mehrere zu edierende Abschriften vor, werden diese mit O1, O2 usw. sigliert. Abschriften oder Nachdrucke werden nur berücksichtigt, wenn der Originalbrief fehlt. Jede zur Variante bestimmte Fassung wird im textkritischen Apparat mitgeteilt, in der Regel mit Hilfe eines negativen Apparats. Ebenso werden im textkritischen Apparat Webers Streichungen und seine Änderungen am Wortlaut der Briefe nachgewiesen. Wo es die Sachlage erfordert, insbesondere bei umfangreichen Varianten, ist der positive Apparat oder die synoptische Darstellung gewählt. 6.2.2 Texteingriffe Texteingriffe sind auf ein Minimum beschränkt. Sie werden bei Textverderbnissen vorgenommen. Als verderbt gelten Textstellen, die den Sinnzusammenhang zerstören, sowie fehlerhaft geschriebene Namen (Ausnahme: Tröltsch, Örlinghausen) und falsche Datumsangaben. Der Eingriff wird dadurch nachgewiesen, daß die verderbte Stelle im textkritischen Apparat mitgeteilt wird. Läßt sich eine unklare Stelle nicht eindeutig als verderbt erkennen, so wird sie unverändert gelassen. Je nach Sachlage bietet der Apparat dann Lesarten in Voreditionen oder andere Verständnishilfen an. Nicht als Textverderbnis gelten Spracheigentümlichkeiten, einschließlich regelwidriger, aber nicht sinnentstellender grammatischer Konstruktionen, nicht mehr gebräuchlicher Lautstand, veraltete Orthographie und Interpunktion. Nur in folgenden Fällen werden Texteingriffe ohne Nachweis im textkritischen Apparat vorgenommen: a) Bei der Gestaltung von Gliederungsmerkmalen (z.B. Paragraphen) sowie Hervorhebungen: Sie werden typographisch vereinheitlicht. b) Bei Umlauten: Sie werden der heutigen Schreibweise angeglichen (Ä statt Ae). Die Schreibweise ss für ß wird zu ß vereinheitlicht. c) Bei Abkürzungen: Sie werden, sofern sie schwer verständlich und heute nicht mehr üblich sind, in eckigen Klammern ausgeschrieben. Webers Abkürzungen in Datumszeile, Anrede und Schlußformel sind vieldeutig und werden daher nicht aufgelöst. d) Bei offensichtlichen Schreibfehlern: Sie werden korrigiert (z.B. „agarhistorischen“, „Lugenentzündung“). e) Bei der Numerierung von Webers Anmerkungen: Sie werden briefweise durchgezählt.

6.3 Erläuterungsapparat Der Erläuterungsapparat dient dem Nachweis, der Ergänzung oder der Korrektur der Zitate und der Literaturangaben sowie der Sacherläuterung und ent-

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hält Regesten solcher Korrespondenda, deren Kenntnis für das Verständnis einzelner Briefstellen notwendig ist. Jeder Brief wird dabei als ein selbständiger Text behandelt. Wiederholungen von Erläuterungen gleicher Sachverhalte in mehreren Briefen bzw. Rückverweise auf Erläuterungen sind daher nicht zu vermeiden. 6.3.1 Zitate Webers Zitate werden überprüft. Sind sie indirekt, unvollständig oder fehlerhaft, gibt der Apparat den richtigen Wortlaut wieder. Hat Weber ein Zitat nicht belegt, wird es im Apparat nachgewiesen. Ist ein Nachweis nicht möglich, so lautet die Anmerkung: „Als Zitat nicht nachgewiesen“. 6.3.2 Literaturangaben Webers Literaturangaben werden überprüft. Sind sie nicht eindeutig oder fehlerhaft, werden sie ergänzt oder berichtigt, wenn möglich, unter Verwendung der von Weber benutzten Ausgabe. Verweist Weber ohne nähere Angaben auf Literatur, so wird diese, wenn möglich, im Apparat nachgewiesen. 6.3.3 Sacherläuterung Erläutert werden Ereignisse und Begriffe, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes unerläßlich erscheint, soweit diese nicht in den Editorischen Vorbemerkungen behandelt worden sind. Informationen über Personen finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Bandes. Erfordert eine Textstelle darüber hinausgehende Informationen über eine Person, so bietet sie der Apparat. Sachliche Fehler werden im Apparat berichtigt. Für Wörter aus fremden Schriftsystemen verwendet der Editor in seinen Erläuterungen die Transliteration nach den heute gültigen Richtlinien. 6.4 Präsentation Um die Benutzung der Ausgabe zu erleichtern, erscheinen Webers Briefe und die dazugehörigen Apparate in der Regel auf derselben Seite. Um die Herausgeberrede von Webers Text abzuheben, ist sie in anderer Schrifttype gesetzt. Die Briefe werden nicht abgebildet. Doch weist der textkritische Apparat Streichungen nach. Diakritische Zeichen machen von Weber nachträglich eingeschobene Wörter und Passagen kenntlich. Webers Randnotizen erscheinen – soweit sie weder als Textnachträge noch als Fußnoten zu verstehen sind – im textkritischen Apparat. Kursiver Druck charakterisiert unterstrichene Textstellen des Brieforiginals. Verwendet Weber vorgedrucktes Briefpapier, so werden diejenigen Teile des Briefkopfes, die er in seine Orts- und Datumsangabe integriert, in einer abweichenden, kursiven Schrifttype wiedergegeben. Edierter Text und Varianten sind gleichwertig. Die Varianten werden so präsentiert, daß der Leser die Textentwicklung erkennen kann. Kleine lateinische

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Buchstaben verbinden den Edierten Text mit dem textkritischen Apparat. Sie stehen hinter dem varianten oder emendierten Wort. Bezieht sich die textkritische Anmerkung auf mehr als ein Wort, so markiert ein gerade gesetzter Index den Anfang und ein kursiv gesetzter Index das Ende der fraglichen Wortfolge (amit Amerikaa). Die historisch-kritisch bearbeiteten Briefe Webers und die Erläuterungen des Herausgebers sind durch arabische Ziffern ohne Klammern miteinander verbunden.

7. Verzeichnisse und Register Dem Band sind folgende Verzeichnisse und Register beigefügt: 1. Ein Inhaltsverzeichnis 2. Ein chronologisches Verzeichnis der edierten Briefe, geordnet nach Datum, Ort und Empfänger. 3. Ein Verzeichnis der Siglen, Zeichen und Abkürzungen. 4. Ein Personenverzeichnis: Aufgenommen sind alle Personen, die Weber erwähnt; ausgenommen sind allgemein bekannte Persönlichkeiten (z.B. Bismarck, Nietzsche, Wilhelm II.) und solche Autoren und Namen, die in bibliographischen Angaben ohne nennenswerte weitere Information genannt oder aufgezählt werden. Das Personenverzeichnis liefert die wichtigsten Lebensdaten, gibt die berufliche oder politische Stellung an und führt ggf. die verwandtschaftlichen oder persönlichen Beziehungen zu Weber auf. Das Personenverzeichnis hat den Zweck, den Erläuterungsapparat zu entlasten. 5. Verwandtschaftstafeln der Familien von Georg Friedrich Fallenstein und von Carl David Weber: Sie zeigen die Verwandtschaftsverhältnisse der Familie Max Webers. 6. Ein Register der Briefempfänger: Es dient dem Auffinden aller Briefe an einen bestimmten Empfänger. 7. Ein Personenregister: Es verzeichnet sämtliche von Weber und vom Editor erwähnten Personen einschließlich der Autoren der von Weber und vom Editor zitierten Literatur. 8. Ein Ortsregister: Es verzeichnet alle geographischen Namen, mit Ausnahme der Verlagsorte in Literaturangaben und der Archivorte. Es werden die Namen benutzt, die im deutschen Sprachraum vor 1920 üblich waren oder amtlich gebraucht wurden. Kann ein Ort nicht als bekannt vorausgesetzt werden, wird zur Erläuterung die Verwaltungseinheit (z.B. Kreis, Regierungsbezirk) und ggf. auch der heute amtliche Name beigefügt. Die Empfänger-, Personen- und Ortsregister erfassen Webers Texte und die Herausgeberrede. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede.

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8. Indices und Zeichen Folgende Indices werden verwendet: a) Arabische Ziffern mit runder Schlußklammer (1), 2), 3) …) kennzeichnen Webers eigene Anmerkungen. b) Arabische Ziffern ohne Klammern (1, 2, 3 …) und in von a) abweichender Schrift markieren die Erläuterungen des Editors. c) Kleine lateinische Buchstaben (a, b, c …) kennzeichnen eine textkritische Anmerkung. Folgende Zeichen werden verwendet: a) Im Text – 앚: :앚 charakterisieren, daß es sich um einen nachträglichen Einschub Webers in seinen Text handelt. – Das Zeichen [ ] markiert Hinzufügungen zum Text durch den Editor. – Das Zeichen [??] gibt an, daß ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar sind; den Sachverhalt erläutert eine textkritische Fußnote. b) In den textkritischen Fußnoten – In   werden gestrichene Textstellen wiedergegeben. Diese Streichungen folgen im Brieforiginal unmittelbar auf die durch den Index (a, b, c …) bezeichnete Stelle. – Textersetzungen Webers werden mit > bezeichnet. Die Fußnoten geben die von Weber getilgte und seine endgültige Formulierung wieder. Die Indizierung im Text bindet an diese endgültige Formulierung an. – In [ ] stehen unsichere oder alternative Lesungen im Bereich der von Weber getilgten oder geänderten Textstellen. – Die Angabe „O:“ verweist bei Emendationen und sonstigen textkritischen Mitteilungen auf das Original der edierten Textvorlage.

Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden

Band 1:

Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter Schriften 1889 – 1894 Hg. von Gerhard Dilcher und Susanne Lepsius; 2008

Band 2:

Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht 1891 Hg. von Jürgen Deininger; 1986 (Studienausgabe: 1988)

Band 3:

Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland 1892 Hg. von Martin Riesebrodt; 2 Halbbände, 1984

Band 4:

Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik Schriften und Reden 1892 – 1899 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff; 2 Halbbände, 1993

Band 5:

Börsenwesen Schriften und Reden 1893 – 1898 Hg. von Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll; 2 Halbbände, 1999/2000

Band 6:

Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums Schriften und Reden 1893 – 1908 Hg. von Jürgen Deininger; 2006

Band 7:

Zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften Schriften und Reden 1900 – 1907

Band 8:

Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik Schriften und Reden 1900 – 1912 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Peter Kurth und Birgitt Morgenbrod; 1998 (Studienausgabe: 1999); Ergänzungsheft 2005

Band 9:

Asketischer Protestantismus und Kapitalismus Schriften und Reden 1904 – 1911 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube; 2014

Band 10: Zur Russischen Revolution von 1905 Schriften und Reden 1905 – 1912 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Dittmar Dahlmann; 1989 (Studienausgabe: 1996)

MWG Abteilung I · Bandfolge

Band 11:

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Zur Psychophysik der industriellen Arbeit Schriften und Reden 1908 – 1912 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer; 1995 (Studienausgabe: 1998)

Band 12: Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit Schriften und Reden 1908 – 1917 Band 13: Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik Schriften und Reden 1895 – 1920 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Heide-Marie Lauterer und Anne Munding; 2016

Band 14: Zur Musiksoziologie Nachlaß 1921 Hg. von Christoph Braun und Ludwig Finscher; 2004

Band 15: Zur Politik im Weltkrieg Schriften und Reden 1914 – 1918 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger; 1984 (Studienausgabe: 1988)

Band 16: Zur Neuordnung Deutschlands Schriften und Reden 1918 – 1920 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwentker; 1988 (Studienausgabe: 1991)

Band 17:

Wissenschaft als Beruf 1917/1919 – Politik als Beruf 1919 Hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod; 1992 (Studienausgabe: 1994)

Band 18: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus Schriften 1904 – 1920 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube; 2016

Band 19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus Schriften und Reden 1915 – 1920 Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko; 1989 (Studienausgabe: 1991)

Band 20: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus 1916 – 1920 Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Golzio; 1996 (Studienausgabe: 1998)

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MWG Abteilung I · Bandfolge

Band 21: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum Schriften und Reden 1911 – 1920 Hg. von Eckart Otto unter Mitwirkung von Julia Offermann; 2 Halbbände, 2005 (Studienausgabe: 2008)

Band 22: Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß Teilband 1: Gemeinschaften Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Michael Meyer; 2001 (Studienausgabe: 2009)

Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften Hg. von Hans G. Kippenberg in Zusammenarbeit mit Petra Schilm unter Mitwirkung von Jutta Niemeier; 2001 (Studienausgabe: 2005)

Teilband 3: Recht Hg. von Werner Gephart und Siegfried Hermes; 2010 (Studienausgabe 2014)

Teilband 4: Herrschaft Hg. von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll; 2005 (Studienausgabe: 2009)

Teilband 5: Die Stadt Hg. von Wilfried Nippel; 1999 (Studienausgabe: 2000)

Band 23: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie Unvollendet 1919 – 1920. Hg. von Knut Borchardt, Edith Hanke, Wolfgang Schluchter; 2013 (Studienausgabe: 2014)

Band 24: Wirtschaft und Gesellschaft. Entstehungsgeschichte und Dokumente Dargestellt und hg. von Wolfgang Schluchter; 2009

Band 25: Wirtschaft und Gesellschaft. Gesamtregister Bearbeitet von Edith Hanke und Christoph Morlok; 2015

Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

Band 1:

Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie. Vorlesungen 1894 – 1898 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Cristof Judenau, Heino H. Nau, Klaus Scharfen und Marcus Tiefel; 2009

Band 2: Band 3:

Praktische Nationalökonomie. Vorlesungen 1895 – 1899 Finanzwissenschaft. Vorlesungen 1894 – 1897 Hg. von Martin Heilmann in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll; 2017

Band 4:

Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung. Vorlesungen 1895 – 1898 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Silke Fehlemann; 2009

Band 5:

Agrarrecht, Agrargeschichte, Agrarpolitik. Vorlesungen 1894 – 1899 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger; 2008

Band 6:

Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Mit- und Nachschriften 1919 – 1920 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Joachim Schröder; 2011

Band 7:

Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie). Mit- und Nachschriften 1920 Hg. von Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit Andreas Terwey; 2009