Maßregelungsschutz und Beweislast.: Eine Untersuchung sekundärrechtlicher Beweiserleichterungen zum Schutz der Wahrnehmung von Richtlinienrechten und ihren Konsequenzen für das deutsche Recht. 3428190319, 9783428190317

Die Arbeit untersucht Vorgaben der Europäischen Union für die Beweislast bei Maßregelungen nach einer Ausübung von in Ri

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German Pages 386 [387] Year 2023

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Maßregelungsschutz und Beweislast.: Eine Untersuchung sekundärrechtlicher Beweiserleichterungen zum Schutz der Wahrnehmung von Richtlinienrechten und ihren Konsequenzen für das deutsche Recht.
 3428190319, 9783428190317

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Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 17

Maßregelungsschutz und Beweislast Eine Untersuchung sekundärrechtlicher Beweiserleichterungen zum Schutz der Wahrnehmung von Richtlinienrechten und ihren Konsequenzen für das deutsche Recht

Von

Nicolas T. Pohl

Duncker & Humblot · Berlin

NICOLAS T. POHL

Maßregelungsschutz und Beweislast

Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 17

Maßregelungsschutz und Beweislast Eine Untersuchung sekundärrechtlicher Beweiserleichterungen zum Schutz der Wahrnehmung von Richtlinienrechten und ihren Konsequenzen für das deutsche Recht

Von

Nicolas T. Pohl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 2747-9021 ISBN 978-3-428-19031-7 (Print) ISBN 978-3-428-59031-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Sommersemester 2023 als Dissertation angenommen. Entwicklungen in der Gesetzgebung, Rechtsprechung und nach Einreichung der Arbeit erschienene Literatur konnten noch bis zum 30. 06. 2023 berücksichtigt werden. Herzlich gedankt sei an erster Stelle meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis, für die Betreuung und engagierte Förderung der Entstehung dieser Arbeit. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hanns Prütting danke ich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Anmerkungen für die Druckfassung. Meine Partnerin, meine Familie, Freunde und Kollegen haben mich während der Promotionszeit begleitet – dafür sei ihnen an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt. Insbesondere danke ich Hannah Schmid, LL.B. (UCL), Regina Harms, M.Sc., Daniel Djamadi und Leo Wiesener für ihre Unterstützung. Köln, im Juli 2023

Nicolas T. Pohl

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Anlass und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1. Kapitel Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

29

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematik und Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zu Generalklauseln und Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beziehung zu den §§ 138, 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einordnung als Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Willensfreiheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . b) Rang- und Ergänzungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begrenzung durch Hilfskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ebenen des nationalen Maßregelungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Notwendigkeit und Nutzen eines allgemeinen Maßregelungsverbots . . . . . . . . . . 1. Zweifel an der Notwendigkeit der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Argumente für ein allgemeines Maßregelungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 30 30 32 34 34 35 36 38 40 41 41 42

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . I. Der Kausal- bzw. Unmittelbarkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Doktrin des tragenden Beweggrunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung der Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an den Vorsatzgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrtümer des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Vergleich zu anderen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Reihenfolge von Rechtswahrnehmung und Benachteiligung . . . . . . . III. Maßregelung durch ansonsten rechtmäßige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtgewährung von Vorteilen als Anwendungsfall des Maßregelungsverbots a) Einschlägigkeit von Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelungsverbot

44 45 45 47 47 49 50 50 51 53 53 55 55

10

Inhaltsverzeichnis b) Ausgangspunkt der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansätze in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Relevanz im Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zuspruch und Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berücksichtigung objektiver Kriterien im Kausalzusammenhang . . . bb) Ausschluss einer Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Position des V. Senats des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gleichbehandlungsverstoß als Voraussetzung für Benachteiligung IV. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Doktrin des tragenden Beweggrunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitlicher Benachteiligungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Relevanz von Alternativbegründungen im Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . a) Bedeutung sachlicher Gründe der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 57 58 58 60 61 62 62 63 65 65 67 68 68 69 70

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Maßregelungsverbot als Benachteiligungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterschiede im Begriff der Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlender Vergleichsgruppenbezug beim Maßregelungsschutz . . . . . . . . . . . . . 2. Kausalität und subjektiver Tatbestand beim Diskriminierungsschutz . . . . . . . . 3. Mittelbare Diskriminierung und „mittelbare Maßregelung“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage im Diskriminierungs- und Gleichbehandlungsrecht . . . . . . . . . . b) Abgrenzung vom Maßregelungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleichbarkeit hinsichtlich der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Maßregelung und Diskriminierung im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weiterer Anwendungsbereich/Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übereinstimmung der Tatbestandsvoraussetzungen mit § 612a BGB . . . . . . . . a) Anforderungen an das Verhalten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Benachteiligung und Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 71 71 72 73 74 75 75 76 77 77 79 80 81 81 83 84

2. Kapitel Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im deutschen Recht

85

A. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Grundregel der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Inhaltsverzeichnis

11

2. Abgrenzung zur Darlegungslast und zum Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kategorie von Normen, die eine Grundregel modifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung in Abweichung von der normativen Grundlage . . . . . . . . . . 3. Begriffsdefinition für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 88 88 89 90

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Subjektiv verstandener Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grenzen des mittelbaren Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweiserleichterung im Diskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand der Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primärbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sekundäre Benachteiligung (Maßregelung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung von § 22 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweiserleichterung sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermutung im Sinne des § 292 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erste Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mittelbare Dokumentationsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Keine Analogie beim allgemeinen Maßregelungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 91 92 93 94 94 95 96 96 97 99 99 101 102 103

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beziehung zum Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . a) Kein Ausschluss wegen unzulässiger Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung bei psychisch-individuellen Vorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfahrungssätze bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bekannte Maßregelungen in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eignung als Erfahrungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine klare Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anscheinsbeweis bei Nichtgewährung von Vorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beweissituation beim Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung des Anscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und Regelungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 104 104 104 106 107 108 108 109 110 111 111 111 113 114 115 115 116 118 119 120

12

Inhaltsverzeichnis 2. Funktionsweise der Abstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbringen des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sekundäre Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsgrundlage und systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beweismaßsenkung als prozessuale Absicherung des Mindestkündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendung bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Beweiserleichterung . . . . . . aa) Abstufung der Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beweismaßsenkung als Bestandteil eines effektiven Schutzkonzepts . . . (1) Keine Umgehung der gesetzgeberischen Entscheidung . . . . . . . . . . (2) Vereitelung der Geltung des Maßregelungsverbots in typischen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Richtlinienkonforme Auslegung bei diskriminierenden Maßregelungskündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsbereich über Mindestkündigungsschutz hinaus . . . . . . . . . . . . . III. Vorrang des Anscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 121 122 122 124 124 126 126 128 129 130 130 131 132 132 133

D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

3. Kapitel Maßregelungsschutz im Unionsrecht

136

A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfluss der Diskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rs. Coote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rs. Fuß I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rs. Hakelbracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen primärrechtlichen Viktimisierungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GRCh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung (Art. 30 GRCh) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Maßregelungsschutz als unionsrechtlicher Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 136 137 137 138 139 141 141 143 143

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfluss der ESSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmerbegriff in der ABRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einordnung der Formulierung in Art. 1 Abs. 2 ABRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein unionsautonomer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 147 147 147 149

Inhaltsverzeichnis

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c) Die Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . aa) Keine Umsetzungspflicht bzgl. unionsrechtlicher Begriffselemente . . . . bb) Kodifikation einer Willkürkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entwurf der Richtlinie zur Regulierung von Plattformarbeit . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitnehmerbegriff in der EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlicher Anwendungsbereich und deutsche Schutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . 1. Rechte aus der ABRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erweiterung der Nachweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Mindestanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrfachbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Probezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Probezeit bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Probezeit und Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Folgeänderungsbedarf bei der Wartezeit nach § 1 KSchG . . . . . . . . cc) Regulierung flexibler Arbeitszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Planbarkeitssicherung bei Abrufarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Planbarkeitssicherung bei Null-Stunden-Verträgen . . . . . . . . . . . . . . dd) Fortbildungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einschlägige Maßregelungsschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechte aus der EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über die Richtlinienrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Flexible Arbeitsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vaterschafts- und Elternurlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Freistellung aufgrund von höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Urlaub für pflegende Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderkündigungsschutz im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schutz des Arbeitnehmers bei Rechtswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Benachteiligungsschutz der Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Implikationen für den Maßregelungsschutz im deutschen Recht . . . . . . . . . c) Beziehung zwischen Art. 14 und Art. 11 EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten beim Schutz vor maßregelnden Kündigungen . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgehalt des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Kündigungen sowie vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslegung von „Vorbereitung auf eine Kündigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Systematik und Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kündigungen nach Ende des Freistellungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . cc) Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einordnung gängiger Arbeitgebermaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Aufhebungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Nichtverlängerung eines befristeten Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anfechtung des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Abmahnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konsequenzen für § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderliche Änderungen durch Art. 12 Abs. 1 EZRL . . . . . . . . . . . . . . d) Benachbarte Vorschriften und Umsetzungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 184 184 185 186 187 187 188 189 189 191 191 192 192 192 193 194 195

C. Repressalienschutz der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsgehalt der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meldekanäle und Offenlegungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnung des Hinweisgeberschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Struktur des Repressalienschutzes in der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzte Parallelen zum Diskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anknüpfungspunkte im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff der Repressalien aus der WBRL im Vergleich zu § 612a BGB bb) Sorgfaltsanforderungen und subjektiver Horizont des Hinweisgebers b) Benachteiligungsschutz in Spezialgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kündigungsschutz des Hinweisgebers durch das BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Kapitel Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen A. Unionsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweistufige Regelung mit vorgeschalteter Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichender Ansatz der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 208 208 208 210

Inhaltsverzeichnis

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II. Ursprung des zweistufigen Regelungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modifizierte Übertragung aus dem Diskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärrechtliche Vorgängerregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschlägige Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich zu den Regelungen in ABRL und EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Formulierung der Diskriminierungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Partielle Übereinstimmung des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 212 213 214 214 215 215 216

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfasste Maßnahmen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: bloßer Verdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkende Auslegung der Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhaltliche Anforderungen an die Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich und erfasste Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestand und Rechtsfolgen der Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bezugspunkt der Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anforderungen an das Vorbringen auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mosaikprinzip der Operabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geringere Anforderungen an den Vortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kein Erfordernis einer Beweismaßsenkung bezüglich der Hilfstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Regelungsgehalt der Vorgängervorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Übertragung auf die Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „die darauf schließen lassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Entstehungsgeschichte und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorgaben für die Berücksichtigung des Gegenvortrags . . . . . . . . . . . . . . (1) Entkräftung des „Anscheins“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Stand der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auslegung der Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218 219 219 220 220 221 222 222 223 225 226 227 228 228 229 229 231 231 232 233 233 235 236 236 237 238 240 240 240 240 243 244

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Inhaltsverzeichnis (2) Entkräftung der angeführten Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Abgrenzung zwischen Hilfstatsache und eigentlichem Beweisthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auswirkungen des Gebots der Waffengleichheit im Prozess . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nachschieben von Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachträgliche Begründungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorgaben in ABRL und EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Richtlinienkonformität des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtskonforme Rechtslage durch Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Transparenz- und Rechtssicherheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Position des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Meinungsstand im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Restriktive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundsätzliche Möglichkeit der Umsetzung durch Richterrecht . . . (3) Vermittelnde und differenzierende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzungsbedarf und Transparenzgebot bei „horizontalen Bestimmungen“ 3. Beweiserleichterungen beim allgemeinen Maßregelungsverbot . . . . . . . . . . . . . a) Zum Anscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Partieller Ergebnisgleichlauf durch abgestufte Darlegungs- und Beweislast c) Notwendigkeit einer gesetzlichen Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umsetzungsbedarf unter Berücksichtigung weiterer Schutzvorschriften . . . . . . a) Spezielle Maßregelungsverbote und Sonderkündigungsschutz . . . . . . . . . . . b) Abgleich mit den Anforderungen der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung von Transparenzgebot und Regressionsverbot . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245 245 246 247 248 248 249 249 250 251 251 252 252 254 254 255 257 257 258 259 260 262 263 263 264 265 267 267 268 270 271

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darlegungs- und Beweislast des Hinweisgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beweislast des Prozessgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Belastung des (mutmaßlichen) Rechtsverletzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Whistleblowing als Vorwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schwierigkeit des Gegenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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c) Berechtigung und Verhältnismäßigkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Konsequenzen der Beweislastumkehr für Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Umsetzungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

5. Kapitel Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

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A. Reibungen durch die Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kein Wertungswiderspruch zum Diskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufklärungspflichten im Diskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichende Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein unauflösbarer Konflikt mit Lastenverteilung im deutschen Recht . . . . . . . . . 1. Kritik am Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Begründungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufklärungspflichten im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorprozessuale Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Materiell-rechtliche Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschätzung der Konsequenzen der Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 282 282 283 284 285 285 286 286 288 289 290 292

B. Zweistufige Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursachen der Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unstimmigkeiten durch Beweismaßveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiedliche Beweismaße für denselben Umstand . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unklare Konsequenzen einer Begrenzung der Beurteilungsgrundlage . . . . . 2. Flexible Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Vermutung als nur eingeschränkt taugliche Umsetzungsoption . . . 4. Bedeutung für die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeiten zur Ausgestaltung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorläufige Überzeugung nach Wahrscheinlichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parallelen zum Anbeweis und zur „vorläufigen Überzeugung“ . . . . . . . . . . . b) Reduziertes Beweismaß im Rahmen einer vorläufigen Überzeugung mit beschränkter Tatsachengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Notwendigkeit einer Beweismaßsenkung für die Hilfstatsachen . . . . 2. Beweismaßsenkung insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollständige Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 292 292 293 294 294 295 295 296 296 297 298 299 300 301 302

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. Abtrennung der Umsetzung der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

18

Inhaltsverzeichnis II. Begrenzung auf die Absicherung der Richtlinienrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anpassung zahlreicher Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein zwingender Anpassungsbedarf bei § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fehlende wertungsmäßige Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einheitlichkeit des Schutzes als Verfassungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Paralleles Problem bei der Umsetzung der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Implikationen einer Begrenzung auf Richtlinienrechte a) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Grenzen nationaler Regelungsautonomie . . . . . . . . . . c) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305 305 306 307 308 308 308 309 311 312 313 314

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umsetzung in § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umsetzung der neuen Vorgaben in einer Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts 2. Relevanz besonderer Maßregelungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wiederkehrender Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einheitliche Beweiserleichterungen für alle Arbeitgebermaßnahmen . . . . . . . . II. Umsetzung der Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen bei Verletzung der Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neufassung einer Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angleichung des persönlichen Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorschlag für § 612a BGB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgeänderungen bei spezialgesetzlichen Maßregelungsverboten . . . . . . . . . . . . . 1. Rein individualschützende Maßregelungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 5 TzBfG und vergleichbare Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 16 AGG, § 21 GenDG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Benachteiligungsverbote mit Kollektivbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) §§ 78 S. 2; 84 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 20 Abs. 1,2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Angleichung ausgewählter Sonderkündigungsschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . 1. § 18 BEEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 5 PflegeZG (teilw. i. V. m. § 2 Abs. 3 FPflZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 17 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314 314 314 315 316 317 318 319 320 321 322 322 323 324 325 325 325 326 327 327 328 329 329 330 330

Inhaltsverzeichnis

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6. Kapitel Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

332

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Möglichkeiten richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . 1. Methodische Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung des Gesetzgeberwillens bei der Umsetzung der ABRL . . . . . . . . . . 3. Richtlinienkonforme Auslegung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweiserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richtlinienkonformes Verständnis bestehender Begründungspflichten . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzungspflicht des Gesetzgebers und richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . 1. Weiterbestehende Pflicht zur Schaffung gesetzlicher Beweiserleichterung . . . . 2. Weitere Konsequenzen der Nichtumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das „Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausweitung der Kompetenzen der Gleichbehandlungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine vollständige Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332 332 332 335 336 336 337 339 339 339 341 342 342 343 344 344

B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Beweislastumkehr bei Repressalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unklare Vermutungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik an der Definition der Repressalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine klare Definition des Kausalzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345 345 346 346 348 349 349 351 352

C. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Abkürzungsverzeichnis ABRL

Arbeitsbedingungenrichtlinie – Richtlinie 2019/1152/EU des europäischen Parlaments und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union v. 20. 06. 2019 (Arbeitsbedingungenrichtlinie, Abl. EU 2019 L 186/105

ESSR

Europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen dargestellt, abrufbar unter: https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/ce37482a-d0 ca-11e7-a7df-01aa75ed71a1 (zuletzt am 30. 06. 2023)

EZRL

Elternzeitrichtlinie – Richtlinie 2019/1158/EU des europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates v. 20. 06. 2019, Abl. EU 2019 L 188/79

HinSchG-RefE-I Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, Bearbeitungsstand v. 26. 11. 2020 21:05 Uhr abrufbar unter https://www.whistleblower-net.de/wp-content/uploads/2021/02/2020_ 11_26-Referentenentwurf-Whistleblowing-BMJV-1.pdf (zuletzt am 30. 06. 2023) HinSchG-RegE

Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, BT-Ds. 20/3442

PARL-E

Europäische Kommission, Vorschlag für eine des europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit v. 09. 12. 2021, COM(2021) 762 final

VRUG

Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz – Gesetz zur weiteren Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/ 18/EU des Rates v. 19. 12. 2022, BGBl. I, S. 2510 Vierteljahresschrift für Sozial- und Arbeitsrecht

VSSAR

Abkürzungsverzeichnis WBRL

21

Whistleblowerrichtlinie – Richtlinie 2019/1937/EU des europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden v. 23. 10. 2019, Abl. EU 2019 L 305/17

Im Übrigen sei verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Aufl., Berlin 2021.

Einleitung I. Anlass und Ziel der Untersuchung Setzen Arbeitnehmer ihre Rechte aus Angst vor Repressalien nicht gegenüber dem Arbeitgeber durch, steht das Arbeitsrecht nur „auf dem Papier“.1 Die Beobachtung von Dieterich, dass die gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechte daher häufig erst zur Geltung kommen, wenn das Arbeitsverhältnis ohnehin mittels Abfindungsvergleichs im Kündigungsschutzprozess „generalbereinigt“ wird,2 verwundert zunächst: Aus materiell-rechtlicher Sicht ist die Angst des Arbeitnehmers nämlich völlig unbegründet. Die Wertung des Maßregelungsverbots, nach der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für die zulässige Wahrnehmung seiner Rechte nicht strafen darf, scheint in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit zu sein. So ist es wenig überraschend, dass die Niederlegung dieses anerkannten und vorher nur rudimentär geregelten Grundsatzes in § 612a BGB in den ersten Jahren auf eine eher verhaltene Resonanz in Rechtsprechung und Schrifttum gestoßen ist.3 Selbst der Gesetzgeber ging davon aus, dass der Regelungsgehalt der Vorschrift bereits vom damals geltenden Recht abgebildet wurde.4 Es lässt sich daher bezweifeln, ob die ausdrückliche Regelung des § 612a BGB zwingend notwendig ist.5 Allerdings entfaltet die im Vergleich zu §§ 138, 242 BGB präzisere Vorschrift über § 134 BGB eine starke rechtliche Wirkung mit einem weiten Anwendungsbereich, weil sie auch die Ausübung von Grundrechten des Arbeitnehmers schützt6. Dem Maßregelungsverbot kommt besondere Bedeutung zu, wenn das KSchG keine Anwendung findet: Einerseits werden die Grenzen zulässiger (Grund-)Rechtswahrnehmung bereits durch die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung adressiert, wenn das KSchG Anwendung findet (etwa im Falle politischer Meinungsäußerungen im Betrieb). Andererseits bietet § 612a BGB im Kleinbetrieb oder in der Probezeit einen wichtigen Angriffspunkt gegen die erleichterte Kündigung.7 Das Maßregelungsverbot hat jedoch aus praktischer Sicht eine entscheidende Schwäche: Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Verstoßes sind außerordentlich hoch. Der Arbeitnehmer muss nach ständiger Rechtsprechung des BAG 1

Dieterich, Richterleben, S. 43. Ebenda. 3 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 21. 4 BTDrucks. 8/3317, S. 10. 5 Thüsing, NZA 1994, 728, 732; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 3. 6 Statt vieler ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 2. 7 DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 1. 2

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Einleitung

nachweisen, dass die Rechtsausübung tragender Grund, also wesentlicher Beweggrund für die Maßnahme des Arbeitgebers war.8 Wer sich vor Gericht auf das Maßregelungsverbot berufen will, befindet sich aufgrund des subjektiv verstandenen Kausalzusammenhangs in einer schwierigen Beweissituation. Der Arbeitnehmer hat regelmäßig keine Kenntnis aller Motive des Arbeitgebers. Wirklich leicht fällt dem Arbeitnehmer die Beweisführung nur, wenn sich der Arbeitgeber selbst belastet.9 Dass die Rechtswahrnehmung des Arbeitnehmers gegenüber legitimen anderen Motivationen für eine Maßnahme des Arbeitgebers den tragenden Beweggrund bildet, ist schwer nachzuweisen. Dem wird versucht mit richterrechtlichen Beweiserleichterungen, allen voran den Grundsätzen des Anscheinsbeweises, zu begegnen.10 Die Korrektur der aus Arbeitnehmersicht nachteiligen Beweissituation ist einer von vielen Belegen für eine zentrale Rolle des Richterrechts, die von Gamillscheg auf den Punkt gebracht wurde: „Der Richter ist der eigentliche Herr des Arbeitsrechts. Er wertet selbst, und er prüft die Wertungen des Normgebers.“11 Die beweisrechtlichen Hürden werden durch jüngere Entwicklungen im europäischen Sekundärrecht für verschiedene Bereiche des unionsrechtlich geprägten Arbeitsrechts entschärft. In Art. 18 Abs. 2, 3 der Arbeitsbedingungenrichtlinie (2019/1152/EU – ABRL) und Art. 12 Abs. 2, 3 der Elternzeitrichtlinie (2019/1158/ EU – EZRL) sieht der europäische Gesetzgeber neue Beweiserleichterungen und Begründungspflichten für Arbeitnehmer vor, die infolge der Wahrnehmung der in diesen Richtlinien zugesicherten Rechten gekündigt oder vergleichbaren Maßnahmen ausgesetzt wurden. Die Europäische Kommission hat zudem Ende 2021 einen neuen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgestellt.12 Art. 18 PARL-E sieht dieselbe Kombination aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung vor. Danach kann der Arbeitnehmer, der sich gemaßregelt sieht, eine schriftliche Begründung vom Arbeitgeber für die nachteilige Maßnahme verlangen. Im Prozess genügt es dann im ersten Schritt, dass der Arbeitnehmer, Tatsachen vorbringt, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten 8 In jüngerer Zeit etwa BAG, Urt. v. 30. 03. 2023 – 2 AZR 309/22, Rn. 10; BAG, Urt. v. 27. 09. 2022 – 2 AZR 5/22, NZA 2022, 1558, 1559 (Rn. 15) = AP KSchG 1969 § 9 Nr. 73; BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 202 f. (Rn. 28) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 22. 10. 2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417, 422; BAG, Urt. v. 20. 12. 2012 – 2 AZR 867/11, NZA 2013, 1003, 1007; BAG, Urt. v. 19. 04. 2012 – 2 AZR 233/ 11, NZA 2012, 1449, 1451. 9 Schwarze, NZA 1997, 967, 972; Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 275; vgl. ArbG Dortmund, Urt. v. 12. 02. 2014 – 9 Ca 5518/13, NZA-RR 2014, 293, 295. 10 Statt vieler BAG, Urt. v. 21. 11. 2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, 1094; MüKo/ Müller-Glöge, BGB, § 612a, Rn. 24; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 22; Benecke, NZA 2011, 481, 484. 11 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 386, 388. 12 Als Teil eines größeren Maßnahmenpakets, siehe Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Bessere Arbeitsbedingungen für ein stärkeres soziales Europa: die Vorteile der Digitalisierung für die Zukunft der Arbeit in vollem Umfang nutzen, COM(2021) 761 final.

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lassen. Gelingt dies, wechselt die Beweislast auf den Arbeitgeber. Anwendungsbereich, Funktionsweise und Wege zur Integration ins deutsche Recht beim Maßregelungsschutz bedürfen einer näheren Untersuchung. Der zweistufige Regelungsansatz der Beweiserleichterung ist aus den Diskriminierungsrichtlinien der Union bekannt. Deren deutsche Umsetzung in § 22 AGG bietet sich als Orientierungspunkt an.13 § 22 AGG weist im Ergebnis die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot dem Beklagten zu.14 Schon die Vorgängerregelung des § 22 AGG in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. wurde – im Vergleich zu anderen Beweiserleichterungen im deutschen Recht durchaus zutreffend – als eine der „konstruktiv kompliziertesten Beweislastregelungen des Arbeitsrechts“15 bezeichnet. Die erhebliche Kritik ist durch die Neufassung nicht abgeflaut.16 Die diversen offenen Fragen und Unstimmigkeiten bei § 22 AGG zeigen ein erhebliches Konfliktpotenzial bei der Umsetzung des zweistufigen Regelungsansatzes der Union. Dies gilt umso mehr, weil erstmals eine für diskriminierungsrechtliche Beweiserleichterung im Sekundärrecht auf Fälle der Maßregelung übertragen wird. Art. 21 Abs. 5 der Whistleblowerrichtlinie (2019/1937/EU – WBRL) regelt ebenfalls eine Beweislastumkehr zugunsten der Repressalien ausgesetzten Hinweisgeber, die allerdings ohne eine Vorprüfung auf Grundlage des Tatsachenvorbringens des Arbeitnehmers und ohne einen eigenen Begründungsanspruch auskommt. Auch wenn die Terminologie zwischen den einzelnen Regelungen teilweise abweicht,17 betreffen sie alle „Vergeltungsmaßnahmen“18. Die Umsetzungsfristen aller drei Richtlinien sind abgelaufen. Nur zur Umsetzung der ABRL hat der deutsche Gesetzgeber innerhalb der vorgegebenen Frist gehandelt.19 Hinsichtlich der EZRL und WBRL hat die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.20 Während eine Umsetzung der 13

Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415. BAG, Urt. v. 29. 06. 2017 – 8 AZR 402/15, NZA 2018, 33, 38 (Rn. 48); ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 1; KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 16; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a; BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 13, Stand 01. 06. 2023. 15 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 334. 16 So habe der deutsche Gesetzgeber eine ohnehin komplizierte Beweiserleichterung in die Rätselhaftigkeit gesteigert: Richardi, NZA 2006, 881 ff.; anders Düwell, BB 2006, 1741, 1744, der in der Neufassung eine begrüßenswerte Klarstellung sieht. 17 Art. 17 ABRL spricht von „Benachteiligung oder negativen Konsequenzen“, Art. 11 EZRL von „Diskriminierung“ und Art. 21 WBRL von „Repressalien“. 18 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 02. 04. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:163, Rn. 31. 19 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts und zur Übertragung von Aufgaben an die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau v. 20. 07. 2022, BGBl. I, S. 1174. 20 Kommission, Pressemitteilungen v. 15. 06. 2022 (abrufbar unter https://germany.represen tation.ec.europa.eu/news/vertragsverletzungsverfahren-entscheidungen-zu-deutschland-202214

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Beweislastumkehr des Art. 21 Abs. 5 WBRL in einem Stammgesetz bereits seit längerer Zeit geplant war und nur verspätet erfolgt ist,21 wurde im Rahmen der Umsetzung der ABRL, sowie der EZRL im VRUG, das erst deutlich nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getreten ist,22 keine den Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL entsprechende Regelung aufgenommen. Zentrale Frage dieser Arbeit ist daher, was sich durch die Entwicklungen im Sekundärrecht unter Berücksichtigung des verfassungs- und unionsrechtlichen Rechtsrahmens für die Beweissituation beim Maßregelungsschutz im deutschen Recht verändert hat, verändern muss und auch verändern sollte. Damit steht nach der Feststellung des Umsetzungsbedarfs nicht nur die Frage nach einer sachgerechten gesetzlichen Regelung im Raum, sondern auch nach den Möglichkeiten und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung, wenn der Gesetzgeber nicht handelt. Die Arbeit legt den Fokus auf die Bedeutung der sekundärrechtlichen Bestimmungen für den allgemeinen Maßregelungsschutz nach § 612a BGB und ordnet die beweisrechtlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der nationalen und unionsrechtlichen Rechtslage ein. Spezialgesetzliche Maßregelungsverbote und Schutzvorschriften in besonders geregelten Rechtsmaterien werden grundsätzlich nur in dem Umfang behandelt, der für die Erörterung der unionsrechtlichen Vorgaben erforderlich ist. Die Untersuchung von Anwendungsbereich, Funktionsweise und Umsetzungsbedarfen durch die unionsrechtlichen Regelungen mündet in der Fragestellung, ob und wie sich die Begründungspflichten und Beweiserleichterungen in systemkonformer Weise ins deutsche Recht integrieren lassen. Ziel der Arbeit ist es, sowohl Vorschläge zur sachgerechten und vollständigen Integration der Beweiserleichterungen ins deutsche Recht durch den Gesetzgeber als auch eine praktische Handreichung zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts nach Ablauf der Umsetzungsfristen zu entwickeln. Nicht zuletzt die von Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL abweichende Beweislastumkehr in der WBRL wirft die Frage nach einem stimmigen Gesamtkonzept für das Beweisrecht beim Maßregelungsschutz auf. Dabei geht es im Kern darum, ob die Beweislastverteilung in Maßregelungskonstellationen einheitlich geregelt werden sollte oder ob die Festlegung von Sonderregelungen für Teilbereiche (Minimalstandard des Sekundärrechts) wünschenswert oder sogar notwendig ist. Damit lässt sich beantworten, wieviel von der Herrschaft des Richters im Bereich des Beweisrechts beim Maß-

07-15_de) und v. 21. 09. 2022 (abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/ de/inf_22_5409 (beide zuletzt am 30. 06. 2023)). 21 § 36 Abs. 2 HinSchG – Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden v. 31. 05. 2023, BGBl. I, Nr. 140 v. 02. 06. 2023. 22 Gesetz zur weiteren Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates v. 19. 12. 2022, BGBl. I, S. 2510.

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regelungsschutz im Hinblick auf die Wahrnehmung von Richtlinienrechten verbleibt.

II. Gang der Untersuchung Das erste Kapitel eröffnet eine Darstellung der Systematik und des Zwecks des allgemeinen Maßregelungsverbots in § 612a BGB. Die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 612a BGB werden unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Bestimmung aufgearbeitet. Dabei liegt der Fokus auf der Doktrin des tragenden Beweggrunds, sowie auf der Frage, inwiefern rechtmäßige Alternativbegründungen des Arbeitgebers bei der Feststellung eines Verstoßes berücksichtigt werden. Darauf aufbauend wird sodann das Verhältnis zwischen Maßregelung und Diskriminierung untersucht. Im zweiten Kapitel werden Literatur und Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast bei § 612a BGB umfassend ausgewertet. Dabei erfolgt ein erster Blick auf die Rezeption des zweistufigen Regelungsansatzes im deutschen Recht in § 22 AGG, der über § 16 Abs. 3 AGG bereits bei einem speziellen Maßregelungsverbot gilt. Da aber für § 612a BGB keine entsprechende Erleichterung vorgesehen ist, werden die gegenwärtigen Möglichkeiten und Grenzen der Linderung der Beweisnot durch die Rechtsprechung analysiert. Vor diesem Hintergrund befasst sich das dritte Kapitel zunächst mit der Entwicklung des Schutzes bei Rechtswahrnehmung auf Ebene des Unionsrechts. Vor der Analyse der Schutzbestimmungen in ABRL, EZRL und WBRL werden die diskriminierungsrechtlichen Parallelbestimmungen und die wesentliche Rechtsprechung des EuGH zum rechtsschutzbezogenen Maßregelungsschutz als allgemeinen Rechtsgrundsatz bzw. Ausprägung von Art. 47 GRCh dargestellt. Die Untersuchung der neueren sekundärrechtlichen Vorgaben und deren Bedeutung für den nationalen Maßregelungsschutz beinhaltet die Frage nach dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Benachteiligungsverbote (und damit auch der Beweiserleichterungen) in ABRL und EZRL. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der Begriffe „Maßnahmen gleicher Wirkung“ und der „Vorbereitung auf eine Kündigung“ ermittelt. Darüber hinaus wird der Regelungsgehalt des Repressalienverbots zugunsten von Hinweisgebern im Vergleich zu den Grundvorgaben des § 612a BGB im deutschen Recht untersucht. Sodann widmet sich die Arbeit im vierten Kapitel einer umfassenden Analyse der sekundärrechtlichen Neuausrichtung der Beweislast. Dabei wird der Regelungsgehalt der einschlägigen Bestimmungen ermittelt, um zu einer Einschätzung des Umsetzungsbedarfs zu gelangen. Die Untersuchung der Beweiserleichterungen beginnt mit einem Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Regelungen Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL und Art. 21 Abs. 5 WBRL. Anschließend werden Voraussetzungen und Rechtsfolgen des neuartigen Auskunftsanspruchs dargestellt. Auch die zweistufige Beweiserleichterung wird einer entsprechend detaillierten Untersuchung unterzogen, um daran anknüpfend zu

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Einleitung

klären, ob Umsetzungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Dies erweist sich insbesondere dann als schwierig, wenn die geltenden Beweiserleichterungen in Teilen geeignet sind, bereits einen richtlinienkonformen Rechtszustand zu erzeugen, dieser aber nicht ausdrücklich im Gesetzesrecht des Mitgliedsstaates niedergelegt ist. Dabei kommt der Frage, inwiefern durch Richterrecht und Auslegung von Generalklauseln ein unionsrechtskonformer Rechtszustand geschaffen werden kann, besondere Bedeutung zu. Sodann wird der beweisrechtliche Ansatz des Art. 21 Abs. 5 WBRL unter Berücksichtigung des persönlichen Anwendungsbereichs dargestellt. Auf der Analyse der Neuregelungen aufbauend, widmet sich die Arbeit im fünften Kapitel der Entwicklung eines stimmigen Gesamtkonzepts für das Beweisrecht beim Maßregelungsschutz. Dabei werden besonders die durch den zweistufigen Regelungsansatz im Zusammenhang mit § 22 AGG diskutierten Reibungen aufgegriffen. Auch die durch die vorprozessuale Begründungspflicht entstehenden Konflikte mit den bisher im deutschen Recht geltenden Grundsätzen werden herausgearbeitet und einzeln analysiert. Dabei wird auch zu den Belastungen der Arbeitgeberseite durch die Neuausrichtung der Beweislast durch den Unionsgesetzgeber Stellung genommen. Ziel ist eine sachgerechte Integration der Neuregelungen ins deutsche Recht auf Grundlage des vorher ermittelten Regelungsgehalts der Richtlinienbestimmungen. Unter Berücksichtigung der Konfliktpotenziale strebt die Arbeit einen Gesetzgebungsvorschlag an, der die unionsrechtlich gebotene Rechtslage beim Maßregelungsschutz mit dem Status quo des deutschen Arbeits- und Zivilprozessrechts vereint. Die Vorschläge zur Integration des zweistufigen Regelungsansatzes in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL werden in einem Formulierungsvorschlag einschließlich der Folgeänderungen zusammengefasst, der anhand einiger Beispiele die Implikationen des Vorschlags für spezialgesetzlichen Maßregelungsschutz aufzeigt. Das sechste Kapitel befasst sich zunächst mit der Frage, was in Ermangelung einer klaren, transparenten sowie rechtssicheren Umsetzung durch den Gesetzgeber zu tun ist: Auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse wird die Möglichkeit und Verpflichtung der Gerichte zu einer richtlinien- und verfassungskonformen Auslegung im Bereich des Beweisrechts beim Maßregelungsschutz untersucht. Weiterhin werden die Umsetzungsansätze des deutschen Gesetzgebers mit Blick auf die Vorgaben in Art. 18 Abs. 2, 3 ARBL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL und Art. 21 Abs. 5 WBRL kritisch gewürdigt. Schließlich wird zur Bedeutung des unionsrechtlichen Regelungsansatzes für das deutsche und europäische Arbeitsrecht und die Zentralstellung des Richters in einer Gesamtbetrachtung Stellung genommen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen.

1. Kapitel

Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) I. Systematik und Schutzzweck Dass es sich beim Maßregelungsverbot in § 612a BGB um eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit handelt, wird seit seiner Schaffung immer wieder betont.1 Der Rechtsgedanke findet sich sogar außerhalb des Arbeitsrechts wieder: Im Bereich des Kartellrechts untersagt etwa § 21 Abs. 2 GWB Benachteiligungen für den Fall, dass ein Unternehmen gegenüber seinen Geschäftspartnern auf die Einhaltung kartellrechtlicher Vorgaben besteht Die darin und in § 612a BGB zum Ausdruck kommende Grundwertung, dass erlaubtes bzw. gesetzeskonformes Verhalten nicht seinerseits in rechtmäßiger Weise sanktioniert werden darf, lässt sich verallgemeinern. Ihr kommt im Arbeitsverhältnis besondere Bedeutung zu, da die gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechte häufig mit den finanziellen Interessen des Arbeitgebers kollidieren und gleichzeitig der möglichst konfliktfreie Fortbestand der Vertragsbeziehung von entscheidender Bedeutung für das Auskommen des Arbeitnehmers ist. Der Rechtsgedanke des Maßreglungsverbots wirkt über den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 612a BGB hinaus auf das Arbeitsrecht ein.2 Vor Einführung des § 612a BGB war die Wertung des Maßregelungsverbots bereits allgemein anerkannt.3 Zudem enthält § 84 Abs. 3 BetrVG seit längerer Zeit einen gesetzlich geregelten Fall.4 Maßregelnde Kündigungen waren bereits vor Inkrafttreten der Vorschrift nach den Vorschriften des KSchG untersagt.5 Dass das Maßregelungsverbot bereits im deutschen Recht verankert ist, hat auch der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 612a BGB zugrunde gelegt.6 Die Selbstverständlichkeit, mit der der Regelungsgehalt vor Einführung der Vorschrift im vorhandenen Recht gesehen wurde, 1

BTDrucks. 8/3317, S. 10; zuletzt etwa Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 418. BAG, Urt. v. 21. 06. 2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104, 105 = BAGE 115, 113; BAG, Urt. v. 18. 09. 2007 – 3 AZR 639/06, NZA 2008, 56, 58. 3 Statt vieler BAG, Urt. v. 23. 11. 1961 – 2 AZR 301/61, AP BGB § 138 Nr. 22. 4 Benecke, NZA 2011, 481. 5 Thüsing, NZA 1994, 728. 6 BTDrucks. 8/3317, S. 10. 2

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

lässt vermuten, dass Schutzzweck und systematische Stellung der Norm eindeutig zu bestimmen sind. Über den Inhalt des zugrundeliegenden Rechtsgedankens bestehen schließlich wenig Zweifel, auch wenn ein weites Spektrum an Einzelproblemen und Fallgruppen entstanden ist. Dennoch ist die systematische Einordnung und Schutzzweckbestimmung des § 612a BGB nicht frei von Unklarheiten geblieben. Diese beziehen sich auf die Bestimmung des Schutzzwecks und des Verhältnisses zu den übrigen Generalklauseln des BGB. 1. Verhältnis zu Generalklauseln und Grundrechten a) Beziehung zu den §§ 138, 242 BGB Das Maßregelungsverbot ist im Kontext der zivilrechtlichen Generalklauseln zu sehen. Nach Auffassung des BAG,7 der sich weite Teile des Schrifttums anschließen,8 handelt es sich um einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Für diese Einordnung spricht, dass die Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des § 612a BGB vergleichbare Konstellationen über § 138 BGB gelöst hat.9 § 612a BGB hat im Verhältnis zu § 138 BGB einen beschränkten Anwendungsbereich und engere Tatbestandsvoraussetzungen.10 Die Rechtsprechung wendet demgemäß § 138 BGB anstatt § 612a BGB an, wenn der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Maßregelungsverbots nicht eröffnet ist, weil es sich nur um eine arbeitnehmerähnliche Person handelt.11 Der Bezug zu § 138 BGB wird vereinzelt in Frage gestellt. Zweifelhaft sei zum Beispiel, ob die bloß merklich unverhältnismäßige, aber nicht gravierende Kürzung einer Anwesenheitsprämie schon als sittenwidrig einzustufen sei.12 Darüber hinaus setze § 612a BGB im Gegensatz zu § 138 BGB keine Benachteiligungsabsicht 7 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19 = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18; BAG, Urt. v. 14. 12. 2004 – 9 AZR 23/04, AP BGB § 138 Nr. 62, unter A.II.1. der Gründe; BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 320 = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 202 f. (Rn. 28) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB. 8 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 171; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 3; Schulze/Schreiber, BGB, § 612a Rn. 1; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 3; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 1; NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 3; Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 415; AR/Kamanabrou, BGB, § 612a Rn. 2. 9 BAG, Urt. v. 23. 11. 1961 – 2 AZR 301/61, AP BGB § 138 Nr. 22; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 42; Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 665. 10 Preis, NZA 1997, 1256, 1265. 11 BAG, Urt. v. 14. 12. 2004 – 9 AZR 23/04, AP BGB § 138 Nr. 62, unter A.II.1. der Gründe; die streitige Frage inwiefern arbeitnehmerähnliche Personen unter § 612a BGB fallen offenlassend BAG, Urt. v. 11. 06. 2020 – 2 AZR 374/19, NJW 2020, 2824, 2826 (Rn. 30); zum Meinungsstand m. w. N. APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 3. 12 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 14; vgl. auch AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 4.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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voraus, weswegen das Maßregelungsverbot eher als Sonderfall des § 242 BGB einzuordnen sei.13 Der Konflikt zwischen der Einordnung als Sonderfall der Sittenwidrigkeit oder des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist jedoch eingeschränkter Relevanz, wenn sich beide Varianten kombinieren lassen. Nach einer verbreiteten Auffassung ist es nicht ausgeschlossen, dass ein und dieselbe Norm sowohl sitten- als auch treuewidriges Verhalten regeln kann: § 612a BGB ist demnach Sonderfall zu § 242 und § 138 BGB,14 eine klare Unterscheidung zwischen Sitten- und Treuewidrigkeit sei müßig.15 Die Doppelstellung erzeugt ohnehin keine Bindung an die jeweiligen Voraussetzungen des § 138 bzw. § 242 BGB.16 Auch in der Rechtsprechung des BAG findet sich der Hinweis, dass vor Inkrafttreten des § 612a BGB Fälle der Maßregelung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG über § 138 oder § 242 BGB lösbar waren.17 Gegen die Einordnung als Sonderfall der §§ 138, 242 BGB wird vorgebracht, dass sie unter dem Aspekt der Rechtssicherheit fraglich sei: Die Vorschriften hätten als Generalklauseln ohnehin weite und ausfüllungsbedürftige Voraussetzungen, und ein Unterfall, der nicht einmal von diesen Voraussetzungen abhängig sei, sei kaum zur Lösung konkreter Rechtsfragen geeignet.18 Es lässt sich allerdings auch eine funktionale Einordnung vornehmen, die die Frage, ob und inwiefern ein Spezialitätsverhältnis zu § 138 und/oder § 242 BGB besteht, vermeidet. § 612a BGB schließt demnach lediglich die Lücke zwischen der berechtigenden Norm und § 134 BGB.19 Dem ist zuzugestehen, dass die Herleitung der Rechtsfolge über § 134 BGB selbst nicht bezweifelt wird.20 Dies spricht aber nicht gegen einen systematischen Zusammenhang zu §§ 138, 242 BGB. Da kein inhaltlicher Gleichlauf zwischen den Voraussetzungen von §§ 138, 242 BGB und § 612a BGB besteht und das Maßregelungsverbot enger gefasst ist, besteht ein Spezialitätsverhältnis. Dass eine maßregelnde, aber geringfügige Kürzung einer Anwesenheitsprämie nicht als sittenwidrig eingestuft werden können soll, leuchtet nicht ein: Wenn ein geringer Ge13

Kort, RdA 2003, 119, 123. APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 44; Thüsing, NZA 1994, 728, 732; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 37; Schilling, Maßregelungsverbot, S. 30; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 9. DDZ/Däubler, BGB, § 612a Rn. 5 f.; für ein teilweises Spezialitätsverhältnis zu § 138 und §§ 242 i. V. m. 226 BGB Schilling, Maßregelungsverbot, S. 30. 15 AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 3. 16 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 2; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 37; ARBlattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 4. 17 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 21 = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; in Richtung eines Alternativitätsverhältnisses auch NK-BGB SchR/ Klappstein, BGB, § 612a Rn. 14. 18 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 3, Stand 01. 06. 2023. 19 Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 3; in diese Richtung auch Kort, RdA 2003, 119, 123. 20 Stellvertretend Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 31; AR-Blattei/ K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 5. 14

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

genwert die Anwendung des § 138 BGB ausschließen würde, wäre der böswilligen Übervorteilung finanzschwacher Geschäftspartner, die nur Geschäfte mit geringem Kapital tätigen, Tür und Tor geöffnet. Dass dieses Ergebnis nicht der Wertung der Sittenwidrigkeit folgt, zeigt schon § 138 Abs. 2 BGB. Das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung unter Ausnutzung einer Schwächesituation wird missbilligt, wobei es nicht auf das „Transaktionsvolumen“ ankommt. Die Erfassung auch geringfügiger Benachteiligungen widerspricht damit nicht einer Einordnung als Sonderfall der Sittenwidrigkeit. b) Einordnung als Generalklausel § 612a BGB wird als Generalklausel bezeichnet.21 Generalklauseln sind Prinzipienaussprüche des Gesetzgebers, die die konkrete Rechtssetzung dem Richter übertragen.22 § 612a BGB hat zwar gegenüber §§ 138, 242 BGB einen engeren Anwendungsbereich, weist aber verschiedene unbestimmte Elemente auf. Zunächst ist der Begriff der Benachteiligung allgemein gefasst. Die Vorschrift enthält keine konkreten Kriterien für eine Interessenabwägung.23 Ein sehr weit formulierter unbestimmter Rechtsbegriff, etwa der „wichtige Grund“,24 wie er außerhalb der §§ 138, 242 BGB in den Generalklauseln des § 307 Abs. 1 und § 626 Abs. 1 BGB zu finden ist, fehlt aber in § 612a BGB. Die für Generalklauseln typische Delegation von Rechtssetzungsmacht an den Richter ist zwar begrenzt – dies schließt aber nicht aus, dass es sich bei § 612a BGB selbst um eine Generalklausel handelt. Insbesondere ist die Ausübung von Grundrechten vom Tatbestand des Maßregelungsverbots umfasst,25 jedenfalls, sofern die Grundrechtsausübung gegenüber dem Arbeitgeber rechtserhebliche Wirkung entfaltet.26 Wohl über die letztgenannte Einschränkung hinaus, wird zum Teil der gesamte Bereich zulässiger Grundrechtsausübung durch den Arbeitnehmer als erfasst gesehen, der vor der Geltung des § 612a BGB durch die Theorie der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und deren Einfluss auf die

21 Preis, NZA 1997, 1256, 1267; MüHB-ArbR/Greiner, § 111 Rn. 16; vgl. im Kontext eines allgemeinen tarifvertraglichen Maßregelungsverbots Däubler-ArbKR/Hensche, § 26 Rn. 22. 22 Staudinger/Temming, BGB, § 626 Rn. 1. 23 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 25 = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1. 24 Staudinger/Temming, BGB, § 626 Rn. 1. 25 Allgemein KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 12; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 12; Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 34; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 173; differenzierend Wilken, Maßregelungsverbot, S. 80 ff. 26 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 320 (Rn. 33) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; LAG Rheinland-Pfalz:, Urt. v. 23. 07. 2020 – 5 Sa 283/19, BeckRS 2020, 20859, Rn. 20; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 04. 12. 2017 – 3 Sa 380/17, – juris, Rn. 81; Staudinger/ Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 15; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 15, Stand 01. 06. 2023; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 6; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 7.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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Generalklauseln des Zivilrechts (insb. § 134 BGB) geschützt gewesen sei.27 Außer dem weit gefassten Wortlaut spricht dafür, dass der Schutz des Arbeitnehmers, wenn er schon bloß arbeitsvertragliche Rechte erfasst, erst recht für solche Rechte greifen muss, die unabhängig von der vertraglichen Beziehung immer gelten.28 Die vom BVerfG anerkannte Verpflichtung der Arbeitsgerichte, das grundrechtlich geschützte Verhalten der Arbeitnehmer zu berücksichtigen,29 lässt sich daher über § 612a BGB im einfachen Recht realisieren.30 Diese Funktion des Maßregelungsverbots ist nicht unumstritten, da die Grenzen zwischen unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung zu verschwimmen drohen und eine verstärkte Grundrechtsbindung Privater als Widerspruch zur Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gesehen wird.31 Nach dieser Gegenauffassung sind Grundrechte keine subjektiven Rechte im Sinne des § 612a BGB, außer es handelt sich um verfassungsrechtlich geregelte Ausnahmefälle der unmittelbaren Drittwirkung.32 Dadurch würde die Frage des Grundrechtsschutzes im Übrigen aber nur auf die §§ 138, 242 BGB verlagert.33 Aus praktischer Sicht sind die Auswirkungen der Gegenansicht gering: Im Prozess ist der Richter als Teil der staatlichen Gewalt ohnehin an die Grundrechte gebunden.34 Dass Arbeitnehmerverhalten Grundrechtsausübung ist, muss damit berücksichtigt werden. Der Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis ist schon wegen des persönlichen Anwendungsbereichs des § 612a BGB gegeben. Die Einschränkung der Rechtserheblichkeit im Verhältnis zum Arbeitgeber drückt somit eine Selbstverständlichkeit aus, die im Anwendungsbereich des Maßregelungsverbots, das nur für Arbeitnehmer gilt und nur Maßnahmen des Arbeitgebers erfasst, regelmäßig erfüllt ist. Unmittelbare Drittwirkung bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Grundrechte über § 134 BGB wie Verbote wirken können.35 § 612a BGB stellt durch seine Tatbestandsvoraussetzungen eine zusätzliche Prüfungsebene auf, um die Rechtsfolge auszulösen. Maßregelungsschutz ist innerhalb der tatbestandlichen Grenzen des § 612a BGB im Wege der mittelbaren Drittwirkung angewandtes Verfassungsrecht. Der Grundgedanke des Schutzes der (Grund-)Rechtswahrnehmung des Arbeitneh27 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 2; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 173; so im Ergebnis auch Thüsing, NZA 1994, 728, 730. 28 Thüsing, NZA 1994, 728, 730. 29 BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474, 3475 f. 30 Preis, Prinzipien, S. 591. 31 Kritisch und ausführlich Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 69 ff. 32 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 69 ff., 76 f. 33 Vgl. dazu Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 15, die den Schutz von Grundrechten über § 612a BGB daran knüpfen, ob sie über die Generalklauseln ggü. dem Arbeitgeber bestehen. 34 Insofern führen mittelbare und unmittelbare Drittwirkung zum selben Ergebnis: Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 200 f.; vgl. Jarass, ZEuP 2017, 310, 334. 35 Canaris, AcP 184 (1984), 201.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

mers gegenüber dem Arbeitgeber ist auch in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG zu erkennen.36 Das verfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot wird insofern vollständig durch die zivilrechtlichen Generalklauseln realisiert, sodass ein Rückgriff auf eine unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht mehr erforderlich ist.37 § 612a BGB daher ist nicht nur Anknüpfungspunkt für eine mittelbare Drittwirkung von Grundrechten, sondern auch Ausprägung und einfachgesetzliche Konkretisierung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. demjenigen Grundrecht,38 dessen Ausübung Gegenstand des Arbeitnehmerwillens ist.39 Insgesamt ist § 612a BGB aufgrund des funktionellen Gleichlaufs zu §§ 138, 242 BGB und der verfassungsrechtlichen Dimension als Generalklausel mit beschränktem Anwendungsbereich einzuordnen. 2. Schutzzweck Im Ausgangspunkt ist § 612a BGB eine individualschützende Norm. Erster Anknüpfungspunkt der Zweckbestimmung ist daher das Schutzsubjekt bzw. dessen Rechtsposition, die von der Vorschrift in den Blick genommen wird. Eine verallgemeinernde Zweckbestimmung wird nur dann möglich, wenn sie losgelöst von den einzelnen Rechten erfolgt, die der Arbeitnehmer ausübt. Dabei kommt den verfassungsrechtlichen Grundwertungen, die § 612a BGB abbildet, entscheidende Bedeutung zu. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob es nur einen Normzweck gibt, und – wenn es weitere gibt – in welchem Verhältnis die verschiedenen Zweckelemente stehen. a) Willensfreiheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum schützt § 612a BGB vor allem die Willensfreiheit des Arbeitnehmers.40 Dem schließt sich die Rechtsprechung des BAG an: Der Arbeitnehmer solle ohne Furcht vor wirtschaftlichen oder sonstigen Repressalien des Arbeitgebers entscheiden können, ob er ein Recht ausüben wolle oder

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Schwarze, NZA 1997, 967; ausführlich zum Verhältnis zu Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 33 ff. 37 Preis, NZA 1997, 1256, 1264. 38 Einschränkend mit einem Ausschluss bei Handlungen, die nur unter die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) fallen Wilken, Maßregelungsverbot, S. 83 f. 39 In diese Richtung Lehnart/Schneider, VSSAR 2021, 409, 426. 40 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 2; Schulze/Schreiber, BGB, § 612a Rn. 2; DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 2; Schaub/Linck, § 108 Rn. 1; KR/Treber/ Schlünder, BGB, § 612a Rn. 4; Laux, AiB 1993, 390; NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 6.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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nicht.41 Diese Sichtweise stellt die individuelle Wirkung des Maßregelungsverbots in den Mittelpunkt. Andere verorten die Schutzwirkung auch auf Ebene der Rechtsordnung. § 612a BGB sichere deren Einheit und Widerspruchsfreiheit.42 Die Bezeichnung durch den Gesetzgeber als „Selbstverständlichkeit“43 wird dafür angeführt, dass genau dies mit der Einführung beabsichtigt war: Es gehe um das allgemeine Rechtsprinzip, dass sich die Rechtsordnung zu ihren eigenen Grundsätzen nicht in Widerspruch setzen dürfe.44 b) Rang- und Ergänzungsverhältnis Teilweise wird die Willensfreiheit des Arbeitnehmers als Schutzzweck und der Selbstschutz der Rechtsordnung als bloße Folge der Norm angesehen.45 Einige betrachten die Schutzzwecke als gleichwertig,46 andere wiederum halten die Bewahrung der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung für den vorrangigen Schutzzweck.47 Es stellt sich daher die Frage, ob die unterschiedlichen Auffassungen zum Rangverhältnis der Schutzzwecke zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.48 Dies ist etwa von Bedeutung, wenn der Arbeitnehmer darüber irrt, dass ihm ein Recht zusteht. Wird lediglich der Schutzzweck der Willensfreiheit zugrunde gelegt, sollen auch Arbeitnehmer den Schutz des Maßregelungsverbots beanspruchen können, die nur (sei es berechtigterweise) annehmen, dass ihnen ein Recht zustehe.49 Dafür wird eine ältere BAG-Entscheidung angeführt, die darauf verweist, dass das Einklagen von aus der Sicht der Klägerin bestehenden Gehaltsrückständen wegen des Maßregelungsverbots keine Kündigung begründen könne.50 Nach der überwiegend vertretenen Gegenauffassung muss für eine „zulässige“ Rechtsausübung das Recht tatsächlich bestehen, der subjektive Horizont des Arbeitnehmers spielt 41 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 320 = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 20. 05. 2021 – 2 AZR 560/20, NZA 2021, 1096, 1098 (Rn. 26). 42 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 173; so auch AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 5 f.; Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 2; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 3. 43 BTDrucks. 8/3317, S. 10. 44 Preis, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20, unter V. 45 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 33; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 2; in diese Richtung auch; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 2, Stand 01. 06. 2023; Schilling, Maßregelungsverbot, S. 35. 46 Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 2; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 3; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 1; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 2, Stand 01. 06. 2023; wohl auch HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 2. 47 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 273. 48 Verneinend Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 213. 49 BeckOK-BGB/Baumgärtner, BGB, § 612a Rn. 3, Stand 01. 05. 2023. 50 BAG, Urt. v. 09. 02. 1995 – 2 AZR 389/94, NZA 1996, 249, 251.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

keine Rolle.51 Ob eine Rechtsausübung zulässig sei, beurteile sich danach, ob sie mit der Rechtsordnung als ganzer in Einklang stehe.52 Wenn dies nicht der Fall ist, greift § 612a BGB nicht, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer irrig ein nicht existierendes Recht ausübt, die Grenzen eines Rechts versehentlich überschreitet oder Tatbestandsvoraussetzungen eines denkbaren Rechts für gegeben hält.53 Einem Schutz von in Wahrheit unzulässiger Rechtswahrnehmung stehe nicht nur der Wortlaut des Gesetzes entgegen, sondern vor allem die Überlegung, dass anderenfalls selbst bei querulatorischem Verhalten ein Anspruch auf Freiheit von Sanktionen bestünde, wenn dem Arbeitnehmer keine positive Kenntnis vom Nichtbestehen seines Rechts nachgewiesen werden könne.54 Der Verweis auf die genannte BAGEntscheidung sei irreführend, da die Passage betonender Natur sei, der Arbeitnehmer sei nicht schutzwürdig und der Schutz der Rechtsordnung nicht tangiert.55 Nimmt man an, dass die Sicherung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Teil des Gesetzeszweckes ist,56 kommt es selbst in den Fällen eines vermeidbaren Erlaubnisirrtums zu einem partiellen Schutzzweckfortfall. Einerseits kann der Schutz der Rechtsordnung vor Widersprüchen erkennbar nur für tatsächlich bestehende Rechte gelten – andererseits ist bei Betonung der Willensfreiheit als Gesetzeszweck auch nicht zu folgern, dass dem Willen zur Ausübung eines nicht bestehenden Rechts Schutz zukommt.57 Daraus ergäbe sich ein Vorrang des Schutzwecks der Bewahrung der Rechtsordnung.58 c) Begrenzung durch Hilfskriterien Verschiedentlich wird eine Eingrenzung des Schutzzwecks durch wertende Hilfskriterien vorgeschlagen, um die Vorschrift in verschiedenen Fallkonstellationen handhabbar zu machen.59 Um einem „absoluten“ Schutz der Willensfreiheit des Arbeitnehmers unter Vernachlässigung berechtigter Arbeitgeberinteressen vorzubeugen, soll nicht bereits jede beliebige Maßnahme das Maßregelungsverbot auslösen können. Der Schutzzweck des § 612a BGB schließt demnach solche Maßnahmen nicht mit ein, die 51 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 5; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 13; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 85; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 119; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 17, Stand 01. 06. 2023; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 19; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 6. 52 Erman/Edenfeld, BGB, § 612a Rn. 3; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 13; ErfK/ Preis, BGB, § 612a Rn. 6. 53 Umfassend Wilken, Maßregelungsverbot, S. 115 ff. 54 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 17, Stand 01. 06. 2023. 55 Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 17, 19. 56 Dazu Kapitel 1, A.I.2.a). 57 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 273. 58 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 273. 59 Überblick bei ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 3 m. w. N.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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sozialadäquat sind.60 Als Beispiel für eine verhältnismäßig geringfügige Maßnahme, die nicht der Verbotsnorm unterfallen soll, wird der „verweigerte Händedruck“ genannt.61 Darüber hinaus werden Relativierungen des Schutzzwecks in Konstellationen relevant, in denen die uneingeschränkte Anwendung des Maßregelungsverbots zu starken wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers führt, bzw. mit anderen arbeitsrechtlich anerkannten Wertungen oder Rechtsinstituten in Konflikt tritt. Ähnlich wirkt zunächst die teilweise vertretene Einschränkung des Maßregelungsverbots dahingehend, dass die berechtigende Norm gerade dem durch die Maßnahme entstehenden Nachteil entgegenstehen muss – der Arbeitnehmer also nicht in jedem Fall so gestellt werden müsse, als habe er das Recht nicht wahrgenommen.62 Um „unerträgliche wirtschaftliche Schieflagen“ für den Arbeitgeber zu vermeiden, soll der dem § 313 BGB immanente Zumutbarkeitsgedanke die Anwendung des § 612a BGB begrenzen, etwa bei der Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen und der damit verbundenen Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen.63 Für den Fall der krankheitsbedingten Kürzung von Gratifikationen wird eingewandt, dass nur die sozial inadäquate Kürzung gegen § 612a BGB verstoße, also diejenige, die nicht mehr im Verhältnis zum unverschuldeten Arbeitsausfall steht.64 Auch im Kontext sogenannter Anwesenheitsprämien wird vertreten, dass nur die sozial inadäquate Maßregelung von § 612a BGB erfasst sei, wobei eine der Widerrechtlichkeit der Drohung bei § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB vergleichbare Wertung heranzuziehen sei.65 Das Adäquanzkriterium sei zwar seinerseits ausfüllungsbedürftig, ermögliche aber immerhin eine Verobjektivierung.66 Der Konflikt um die Fragen der Entgeltfortzahlung belegt, dass das Maßregelungsverbot besonders dann relevant wird, wenn ein Interessenkonflikt vom Gesetzgeber nicht hinreichend geregelt wurde, was sich mit § 4a EfzG geändert hat.67 Die gesetzliche Neuregelung erklärt ein Verhalten, das vor ihrem Inkrafttreten mit Recht als maßregelnd eingeordnet wurde, für rechtmäßig. Die gesetzliche Regelung rückt den Fall daher in die Nähe einer Konstellation, in der ersichtlich kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot in Frage kommen kann: Bereits keine „Maßnahme“ im Sinne des § 612a BGB liegt nämlich vor, wenn die negative Folge für den Arbeitnehmer in Folge seiner Rechtsausübung von Gesetzes wegen eintritt – etwa beim 60

KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 9; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 15. Schilling, Maßregelungsverbot, S. 23. 62 Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 10. 63 Greiner, RdA 2007, 22, 30. 64 Hanau/Vossen, DB 1992, 213, 221; so auch Gaul, NJW 1994, 1025, 1027 für Streikbruchprämien.; in diesem Kontext für eine Beschränkung eines tarifvertraglichen Maßregelungsverbots auf „objektive“ und also „erhebliche“ Maßnahmen Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter III. 65 AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 121. 66 AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 122. 67 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 3. 61

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Entfallen des Lohnanspruchs bei der Geltendmachung eines Leistungsverweigerungsrechts.68 Teilweise wird auch eine Erheblichkeitsschwelle für das Arbeitgeberverhalten angenommen, nach der nicht jede Benachteiligung erfasst ist, sondern nur solche, die geeignet sind, den Arbeitnehmer von der Rechtswahrnehmung abzuhalten und also „relevant“ sind.69 Dafür sprechen nicht zuletzt die grundrechtlichen Freiheiten des Arbeitgebers,70 gerade bei „rein symbolischen Zuwendungen“, worunter auch Sachzuwendungen bis zu einem Wert von 100 E gefasst werden.71 Gegen eine Eingrenzung spricht vor allem, dass der Sanktionierungszweck auch bei geringfügigen Benachteiligungen einen Selbstwiderspruch der Rechtsordnung bewirkt und also von § 612a BGB missbilligt ist und auch die Interessen des Arbeitgebers keine Begrenzung der Geltungsreichweite des § 612a BGB bewirken.72 Außerdem entsteht durch die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle Rechtsunsicherheit, die nicht notwendig erscheint, weil die Norm bereits mit ihrer subjektiven Komponente ein hinreichend einschränkendes Merkmal vorsieht.73 d) Kritische Würdigung Zutreffend kann aus dem Schutz der Willensfreiheit nicht gefolgert werden, dass auch dem rechtswidrigen Willen Schutz zukommt. Dies liegt aber nicht an einem Vorrang eines der Schutzzweckelemente, sondern an deren untrennbarer Verbindung, innerhalb derer Willensfreiheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gleichrangig sind. Daher ist auch die Auffassung, nach der „primär“ die Willensfreiheit geschützt ist, zumindest unpräzise. Durchschlagskraft hätte die Auffassung von Baumgärtner nur, wenn durch die Beschränkung des § 612a BGB auf tatsächlich bestehende Rechte Schutzlücken entstehen würden. Auch bei Unsicherheit über das Bestehen eines Anspruchs oder eines Rechts besteht ein schutzwürdiges Interesse, dies ohne Benachteiligung zumindest anzusprechen. Dieses Interesse ist jedoch über andere Rechtsinstitute abgesichert, etwa die Fürsorgepflicht,74 oder jedenfalls die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer in diesem Fall das Verschulden fehlt, weshalb er jedenfalls nicht ver68 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 9; vgl. auch Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 10; sowie Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 103; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 135. 69 Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter III.; sowie unter Berufung auf die Bedeutung des Begriffs „Maßregelung“ Gaul, Sonderleistungen, S. 122; im Ergebnis auch Schilling, Maßregelungsverbot, S. 94. 70 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 93; in diese Richtung auch Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 106. 71 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 106, dort auch Fn. 670. 72 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 139. 73 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 137 f. 74 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 5.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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haltensbedingt gekündigt werden kann.75 Darüber hinaus ist die materielle Berechtigung eines Anspruchs von der Rechtsausübung in Gestalt der Klageerhebung zu trennen. Letztere ist in Grenzen des § 242 BGB zulässig, denn ansonsten müsste der Arbeitnehmer eine nahezu vollumfängliche Kenntnis der Rechtslage haben, die aber erst das Resultat einer rechtskräftigen Entscheidung über seinen Anspruch ist, um unter den Schutz des § 612a BGB zu fallen. Auf die Erfolgsaussichten kann es insofern nicht ankommen.76 Die Geltendmachung eines vermeintlich bestehenden Rechts ist schon vor dem Hintergrund des allgemeinen Rechtsgewährleistungsanspruchs aus Art. 20 GG eine zulässige Rechtswahrnehmung, wenn die allgemeinen rechtlichen Schranken der Missbräuchlichkeit gewahrt sind.77 Erst recht darf aufgrund von § 612a BGB keine Kündigung ausgesprochen, weil der Arbeitnehmer nur auf einen Gehaltsrückstand hinweist, der in Wahrheit nicht besteht, soweit er damit nicht die Grenzen seiner eigenen arbeitsvertraglichen Treuepflicht oder des Rechtsmissbrauchs überschreitet.78 Ein Selbstwiderspruch der Rechtsordnung durch die Geltendmachung eines in Wahrheit nicht bestehenden Rechts droht daher nicht. Dies ist in etwa die Rechtslage, die auch das BAG zum Ausdruck bringt, wenn es betont, dass die Kündigung wegen des Einklagens angeblich noch zu zahlenden Gehalts gegen § 612a BGB verstoße.79 Notwendig erscheint es, jedenfalls solche Maßnahmen vom Anwendungsbereich des Maßregelungsverbots auszunehmen, bei denen ein Selbstwiderspruch der Rechtsordnung ausgeschlossen ist. Dabei zeichnet sich ein zentraler Konflikt ab, der bei der Anwendung des Maßregelungsverbots unweigerlich entsteht: Der Umfang der Berücksichtigung von „an sich“ legitimen Gründen für das Handeln des Arbeitgebers im Verhältnis zur Willens- und Rechtsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers. Dieser Konflikt führt jedoch hier nicht zu unauflösbaren Widersprüchen, da der Schutzzweck des Maßregelungsverbots zweigeteilt ist. Die Willensfreiheit des Arbeitnehmers kann kein absolutes Schutzgut sein, da auch die Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung selbst geschützt ist. Wenn der Arbeitnehmer ein Recht in zulässiger Weise ausübt, entsteht ein Selbstwiderspruch, wenn er aufgrund dessen „bestraft“ werden darf – und zwar gerade dann, wenn der Arbeitgeber aus anderen Gründen berechtigt ist, den Arbeitnehmer zu benachteiligen. Die Auflösung 75

BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 17, Stand 01. 06. 2023. BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1121= AP BGB § 612a Nr. 15; BAG, Urt. v. 23. 02. 2000 – 10 AZR 1/99, NZA 2001, 680 = BAGE 94, 11. 77 KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 14; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 9; BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1121= AP BGB § 612a Nr. 15; BAG, Urt. v 23. 02. 2000 – 10 AZR 1/99, NZA 2001, 680 = BAGE 94, 11; vgl. in diesem Zusammenhang ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 2 und das ArbG Düsseldorf, Urt. v. 09. 09. 1992 – 6 Ca 3728/ 92 –, juris, betreffend die Geltendmachung eines damals noch nicht bestehenden Anspruchs auf Aushändigung eines schriftlichen Arbeitsvertrages. 78 In diesem Sinne auch ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 5. 79 BAG, Urt. v. 09. 02. 1995 – 2 AZR 389/94, NZA 1996, 249, 251. 76

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

des grundsätzlichen Interessenkonflikts erfolgt auf Ebene der Einzelfallanwendung des § 612a BGB, nicht abstrakt auf Ebene des Schutzzwecks. Eine abstrakt-generelle Begrenzung des Maßregelungsverbots durch Kriterien der Erheblichkeit oder Sozialadäquanz steht jedoch vor allem aufgrund des weiten Schutzzwecks der Norm auf keinem soliden Grund. Auffallend ist, dass die vorgeschlagenen Einschränkungen bezüglich der Erheblichkeit des Arbeitgeberverhaltens bei verschiedenen Tatbestandsmerkmalen verortet werden. So soll unerhebliches Verhalten keine „Benachteiligung“ darstellen,80 wohingegen eine ähnliche Frage bei Anwesenheitsprämien erst im Rahmen des Unmittelbarkeitszusammenhangs diskutiert wird.81 Ohnehin erscheint zweifelhaft, ob durch diese Kriterien, deren Reichweite nur teils nur schwer zu definieren ist, ein Gewinn an Rechtssicherheit verbunden wäre. Dies gilt insbesondere für das von Raab ins Spiel gebrachte besondere Verhältnis zwischen berechtigender Norm und dem durch die Maßnahme entstehendem Nachteil82. Somit wäre eine pauschale Begrenzung der Anwendung des § 612a BGB durch objektive Kriterien wie Sozialadäquanz oder relative Verhältnismäßigkeit der Benachteiligung nicht sinnvoll. Dass die Schutzzweckelemente untrennbar miteinander verbunden sind, wird in der Prozesskonstellation besonders deutlich: Kommt es zum Rechtsstreit, hat der Arbeitnehmer seinen Willen bereits zur Rechtsausübung betätigt. Im Prozess gilt es, die Willensentscheidung für die Rechtsausübung zu verteidigen. Der Richter wird zum Wirksamkeitsgaranten, wenn die Willensausübung eine zulässige Wahrnehmung von Rechten betraf. Diese Beschränkung auf tatsächlich zustehende Rechte führt auch nicht dazu, dass Arbeitnehmer von der Geltendmachung von nur vermeintlich bestehenden Ansprüchen abgehalten werden.

II. Ebenen des nationalen Maßregelungsschutzes Im Zuge der Entwicklung des Arbeitsrechts sind zahlreiche Spezialgesetze erlassen worden, die zum Teil eigene Maßregelungsverbote enthalten. Hinsichtlich der Schutzrichtung greifen Nuancen: Einige Vorschriften sollen einen bestimmten Personenkreis und/oder gesetzlich vorgegebene Funktion oder Rolle mit besonderen Schutz ausstatten, andere sollen Arbeitnehmer bei der Inanspruchnahme bestimmter Rechte schützen.83 Enthalten sind sie unter anderem in den § 5 TzBfG, § 16 AGG, § 21 GenDG, § 84 Abs. 3 BetrVG, § 17 Abs. 2 S. 2 ArbSchG, § 2 Abs. 2 AbgG, § 20

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MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 15. AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 117. 82 Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 10. 83 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 414; Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 200. 81

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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Abs. 1, 2 BetrVG §§ 8, 24 Abs. 1, 2 BPersVG, § 20 Abs. 1,2 MitbestG, § 9 DrittelBG, § 2 Abs. 3 SprAusG.84 Darüber hinaus kommt dem Arbeitnehmer verschiedentlich Sonderkündigungsschutz für die Wahrnehmung bestimmter (Grund-)Rechte zugute (etwa § 17 MuSchG, § 18 BEEG).85 Die gemeinsame Schnittmenge zwischen diesen Kündigungsvorschriften und Maßregelungsschutz liegt in der Anknüpfung an die Wahrnehmung eines Rechts. Die besonderen Kündigungsverbote schützen zwar auch Rechtswahrnehmung, gehen jedoch innerhalb ihres beschränkten Anwendungsbereichs über den Schutz des § 612a BGB hinaus, da sie jede Kündigung in einem bestimmten Zeitraum untersagen. Streng genommen handelt es sich nicht um „Maßregelungsverbote“, sondern um weiterreichende Schutzinstrumente des Gesetzgebers – es besteht jedoch eine Überschneidung im Schutzzweck.

III. Notwendigkeit und Nutzen eines allgemeinen Maßregelungsverbots 1. Zweifel an der Notwendigkeit der Vorschrift Die gesetzliche Regelung eines allgemeinen Maßregelungsverbots war schon früh dem Vorwurf der Überflüssigkeit ausgesetzt.86 Zunächst hat die Vorschrift im Verhältnis zum KSchG eine geringere Bedeutung. Die Relevanz in der gerichtlichen Praxis ist nach dieser Ansicht überschaubar, wenn nicht sogar zu vernachlässigen.87 Die Notwendigkeit der Norm erscheint insbesondere dann fraglich, wenn sie keinen eigenständigen Regelungsgehalt gegenüber den §§ 138, 242 BGB entfaltet,88 also nur „deklaratorisch“ ist.89 Schon der Bundesrat hat bei Schaffung der Vorschrift ausgeführt, dass die Rechtsordnung bereits einen entsprechenden Schutz biete und die Norm für überflüssig befunden.90

84 Eine Auflistung weiterer spezieller Benachteiligungsverbote für gesetzlich beauftragte Personen etwa bei APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 22 ff.; Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 208 ff.; dazu auch schon Preis, NZA 1997, 1256, 1262. 85 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 21. 86 Etwa Binkert, JZ 1979, 747, 750; siehe auch Stellungnahme des Bundesrates: BTDrucks. 8/3317, S. 14. 87 Thüsing, NZA 1994, 728; Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 271; LAG MecklenburgVorpommern, Urt. v. 10. 02. 2015 – 2 Sa 221/14, BeckRS 2015, Rn. 25. 88 SPV/Preis, § 13 Rn. 232; bejahend für den Bereich der Kündigungen LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 10. 02. 2015 – 2 Sa 221/14, BeckRS 2015, 70965, Rn. 25. 89 Belling, EzA Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter II.3.b); Thüsing, NZA 1994, 728, 732. 90 BTDrucks. 8/3317, S. 14.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Auch weil der europäische Diskriminierungsschutz, der Anlass für die Regelung des § 612a BGB gewesen ist,91 nunmehr umfassend im AGG niedergelegt ist, wird die Notwendigkeit der Regelung bis heute bezweifelt.92 Dafür spricht zunächst der enge Zusammenhang zwischen der Schaffung des § 612a BGB und den europäischen Diskriminierungsrichtlinien und die Tatsache, dass das AGG in § 16 ein eigenes Maßregelungsverbot hat. Das AGG habe einen wichtigen Wirkungsbereich des Maßregelungsverbots für sich beansprucht, wodurch die praktischen Auswirkungen der Norm weiter gesunken seien.93 2. Argumente für ein allgemeines Maßregelungsverbot Dass sich über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB gleiche Ergebnisse erzielen lassen, ist nicht das Ende, sondern der Anfang der Untersuchung des Nutzens einer Vorschrift – denn mit dem Argument lassen sich die allermeisten Normen des Zivilrechts als „an sich überflüssig“ einordnen. Die Bundesregierung war im Gesetzgebungsverfahren der Ansicht, dass die ausdrückliche Normierung eine sinnvolle Klarstellung der Rechtslage ist.94 Das allgemeine Maßregelungsverbot hat eine Auffangfunktion gegenüber den verschiedenen Maßregelungsverboten in Spezialgesetzen.95 Es spricht viel dafür, dass der unionsrechtlich erforderliche Teil des § 612a BGB inzwischen durch § 16 Abs. 1 AGG abgebildet wird. Eine in der Vergangenheit zur Wahrung des unionsrechtlichen Transparenzgebots vorhandene Notwendigkeit für § 612a BGB96 kann nach Inkrafttreten des AGG, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen als Argument herangezogen werden. Obwohl der Anwendungsbereich des allgemeinen Maßregelungsverbots sowohl im Hinblick auf die Grundrechtsausübung als auch auf die Geltendmachung diskriminierungsrechtlicher Ansprüche durch § 16 AGG und die übrigen spezialgesetzlichen Maßregelungsverbote begrenzt ist, verbleibt ein weites Spektrum an Anwendungsfällen. Darüber hinaus wird ein Bedürfnis nach der Regelung damit begründet, dass sie eine generalpräventive Wirkung entfalte.97 Ferner hat eine eigene gesetzliche Rechtsgrundlage außerhalb der Generalklauseln eine abstrakte Arbeitnehmerschutzfunktion. Dies wird im Bereich des Kündigungs-

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Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 270; Schilling, Maßregelungsverbot, S. 7; DHSW/ Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 5. 92 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 3. 93 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 285. 94 BTDrucks. 8/3317, S. 16. 95 DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 6; vgl. AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 1, 83; sowie Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 414, („Grundtatbestand der Maßregelungsverbote“). 96 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 19. 97 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 4, Stand 01. 06. 2023.

A. Einordnung des allgemeinen Maßregelungsverbots (§ 612a BGB)

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schutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes deutlich.98 Das Maßregelungsverbot entfaltet insbesondere während der Probe- und Wartezeit eigenständige Bedeutung und bietet dem Arbeitnehmer einen Angriffspunkt.99 Die umfangreiche Rechtsprechung zu § 612a BGB zeigt, dass das Maßregelungsverbot ein tatsächlich vorhandenes Phänomen in der Arbeitswelt adressiert.100 Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Kleinbetriebsklausel den Schutz vor Arbeitsplatzverlust über die §§ 138, 242 BGB zum Verfassungsgebot erhoben.101 Im Kern geht es um die Gewährleistung eines flächendeckenden Schutzes vor Kündigungen aus „sachfremden oder willkürlichen Motiven“.102 Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG ist auch für das Verfahrensrecht von entscheidender Bedeutung.103 Die Bedeutung des § 612a BGB für den Grundrechtsschutz und die systematische Nähe zu den §§ 138, 242 BGB verdeutlichen, dass auch der allgemeine Maßregelungsschutz durch § 612a BGB eine gesetzliche Ausprägung dieses Verfassungsgebots ist. Das grundrechtliche Gebot des Art. 12 Abs. 1 GG, den Arbeitnehmer vor Arbeitsplatzverlust aus willkürlichen oder sachfremden Motiven zu schützen, wird nur relevant, wenn und soweit der Gesetzgeber einen Konflikt ungeregelt gelassen hat.104 Daraus ergibt sich noch keine Notwendigkeit für eine Norm wie § 612a BGB. Allerdings stellt eine gesetzgeberische Regelung des Konflikts mittelbar eine transparente und effektive Geltung der zugrundeliegenden Wertungen sicher. Durch konkretere Regelung lassen sich komplexere Interessenkonflikte im Vertragsverhältnis besser lösen.105 Je fester die Verankerung im positiven Gesetzesrecht, desto geringer wird die Bedeutung eines allgemeinen (ungeschriebenen) Rechtsgrundsatzes.106 Die Rechtsprechung hat einen konkreten Anknüpfungspunkt im Gesetz, um die Nuancen des in § 612a BGB geregelten Interessengegensatzes differenziert zu lösen.107 Weil § 612a BGB ein

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Grundlegend zu dieser Thematik Preis, NZA 1997, 1256, 1267 ff.; vgl. schon BTDrucks. 8/3317, S. 16. 99 DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 1; ArbG Dortmund, Urt. v. 12. 2. 2014 – 9 Ca 5518/13, NZA-RR 2014, 293, 294. 100 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 323 f. 101 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470, 472 = BVerfGE 97, 169 = AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969. 102 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470, 472 = BVerfGE 97, 169 = AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969; BAG, Urt. v. 05. 12. 2019 – 2 AZR 107/19, NZA 2020, 172 (Rn. 13). 103 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470, 472 = BVerfGE 97, 169 = AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969; BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3475; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 72. 104 Preis, NZA 1997, 1256, 1258; ArbG Hamburg, Urt. v. 28. 08. 2007 – 21 Ca 125/07, – juris, Rn. 45. 105 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 176. 106 Barczak, JuS 2021, 1, 2. 107 Ähnlich Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 15.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Spezialfall der §§ 138, 242 BGB ist, kommt der Vorschrift eine sinnvolle Klarstellungsfunktion zu. Ob aus einer Eigenständigkeit des Arbeitsrechts gegenüber § 138 BGB, die angeblich genuin arbeitsrechtlichen Anwendungen dieser Vorschriften widerspricht, eine Notwendigkeit des § 612a BGB abgeleitet werden kann,108 ist zweifelhaft: Das Verbot sittenwidrigen Verhaltens zeichnet gerade aus, dass es in allen Bereichen des Privatrechts in einer auf den konkreten Interessenkonflikt angepassten Weise Geltung beansprucht. Den Zweifeln an der Notwendigkeit, die allein auf die fehlende praktische Relevanz des Maßregelungsverbots abstellen, ist in der Gesamtschau zu widersprechen. Sie haben sich überholt:109 bei maßregelnden Vereinbarungen,110 streikbedingten Sonderzuwendungen,111 und der Frage der zulässigen Rechtsausübung bei Kündigungen112 hatte die Rechtsprechung Gelegenheit, zu einer ausdifferenzierten Linie zu finden. Wäre die Maßregelungskonstellation praktisch zu vernachlässigen, wäre das nicht möglich gewesen.

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB Die Sicherung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wird als Schutzzweck an ihre Grenzen geführt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers an sich rechtmäßig ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Kündigung im Kontext einer Rechtsausübung tatbestandsmäßig möglich und ansonsten auch verhältnismäßig ist.113 Doch auch bei der Nichtgewährung von Leistungen als „Maßnahme“ im Sinne des § 612a BGB stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot auch in Betracht kommt, wenn die Leistungsgewährung an andere Arbeitnehmer und damit die Ungleichbehandlung an sich gerechtfertigt ist. Die Frage ist von zentraler Bedeutung für die Ermittlung des Inhalts der Tatbestandsvoraussetzungen. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff des § 612a BGB werden nachfolgend dargestellt, um daraufhin den Einwand rechtmäßiger Alternativbegründungen und sachlicher Gründe der Benachteiligung zu erörtern und daraufhin kritisch zu würdigen.

108

Dafür Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 15. So schon Kort, RdA 2003, 119, 122. 110 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 174. 111 Kort, RdA 2003, 119, 122. 112 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 13. 113 Dazu Benecke, NZA 2011, 481, 483. 109

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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I. Der Kausal- bzw. Unmittelbarkeitszusammenhang Anknüpfungspunkt für die Voraussetzung der Kausalität in § 612a BGB ist lediglich das Wort „weil“.114 Gegenstand der Betrachtung ist die Unmittelbarkeitsbeziehung zwischen Rechtsausübung des Arbeitnehmers und Maßnahme des Arbeitgebers. Die Voraussetzung wird vor allem dann problematisch, wenn die Rechtsausübung nicht alleiniger Grund für die Maßnahme des Arbeitgebers war.115 1. Doktrin des tragenden Beweggrunds Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG muss im Rahmen des Unmittelbarkeits- bzw. Kausalzusammenhangs nachgewiesen werden, dass die Rechtsausübung tragender Grund, also wesentlicher Beweggrund für die Maßnahme des Arbeitgebers war.116 Dem schließen sich weite Teile des Schrifttums an.117 Rechtmäßige Alternativbegründungen finden jedenfalls dann keine Berücksichtigung mehr, wenn die Maßregelung nicht bloß tragender, sondern ausschließlicher Beweggrund ist – die Kausalkette wird unterbrochen.118 In dieser Konstellation sind objektiver Anlass und subjektive Motivation des Arbeitgebers kongruent, sodass es keine Rolle mehr spielt,

114

BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 34, Stand 01. 06. 2023. ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 11. 116 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19; BAG, Urt. v. 12. 06. 2002 – 10 AZR 340/01, NZA 2002, 1389, 1390 = AP BGB § 612a Nr. 8; BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18, unter III.1.b; BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 35) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 20. 12. 2012 – 2 AZR 867/11, NZA 2013, 1003, 1007; BAG, Urt. v. 19. 4. 2012 – 2 AZR 233/ 11, NZA 2012, 1449, 1451; BAG, Urt. v. 10. 04. 2014 – 2 AZR 812/12, NZA 2014, 653, 658 (Rn. 63); BAG, Urt. v. 22. 10. 2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417, 422; BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1456 (Rn. 42); BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 202 f. (Rn. 28) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 27. 09. 2022 – 2 AZR 5/22, NZA 2022, 1558, 1559 (Rn. 15) = AP KSchG 1969 § 9 Nr. 73; BAG, Urt. v. 30. 03. 2023 – 2 AZR 309/22, Rn. 10; siehe auch LAG Köln, Urt. v. 15. 05. 2020 – 4 Sa 693/ 19, BeckRS 2020, 16165, Rn. 37. 117 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 11; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 22; Oetker, AuR 1997, 41, 47; DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 12; AR/Kamanabrou, BGB, § 612a Rn. 9; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 13; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 107; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 150; Benecke, NZA 2011, 481, 483; vgl. Schilling, Maßregelungsverbot, S. 120, der das subjektive Merkmal als „Benachteiligungsvorsatz“ bezeichnet; auch HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 11; zum ganzen m. w. N. MüKo/MüllerGlöge, BGB, § 612a Rn. 16. 118 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19 (Rn. 26) = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18, unter III. 2. b); LAG Hamm, Urt. v. 18. 12. 1987 – 17 Sa 1225/87, – juris, Rn. 146; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. 01. 2018 – 8 Sa 378/17, – juris, Rn. 37; AR-Blattei/ K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 37. 115

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

ob das Verhalten aus anderen Gründen rechtmäßig ist, weil sich der andere Grund nicht mehr kausal ausgewirkt hat.119 Die Beurteilung des Unmittelbarkeitszusammenhangs verläuft parallel zu den Kriterien in § 613a Abs. 4 S. 1 BGB.120 Nach der Rechtsprechung genügt es gerade nicht, wenn die Rechtswahrnehmung nur äußerer Anlass,121 oder Teil einer komplexen Motivationslage (Motivbündel) ist – allerdings könne ein Verstoß auch vorliegen, wenn objektiv eine Sachlage gegeben sei, die das Arbeitgeberverhalten rechtfertigen könne.122 Zweifelhaft ist, ob dies unbegrenzt gilt, da das BAG in einer frühen Entscheidung krankheitsbedingte Kündigungen ohne Verstoß gegen das Maßregelungsverbot zugelassen hat,123 obwohl die Geltendmachung des Lohnfortzahlungsanspruchs klar im Rahmen der zulässigen Rechtsausübung liegt und die dadurch entstehende Belastung den Hauptgrund für die Kündigung bildete.124 Das Gericht hielt § 612a BGB für unanwendbar, weil der Arbeitnehmer den Anspruch auf Lohnfortzahlung gar nicht geltend machen müsse, sondern diesen von Rechts wegen habe.125 Zu den Grenzen der subjektiven Interpretation des Kausalzusammenhangs hat sich das Gericht in der Entscheidung nicht geäußert, weil es aus seiner Sicht gar kein relevantes Ereignis gab, an das eine Kausalkette anknüpfen konnte. Das BAG hat sich in einer jüngeren Entscheidung wieder klar gegen den Einwand rechtmäßiger Alternativbegründungen ausgesprochen,126 was auch auf Zuspruch im Schrifttum stößt: Alles andere stehe im Widerspruch zum Wortlaut und umgehe den wirksamen Schutz durch § 612a BGB im Ergebnis – an der verwerflichen Ver119 BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18, unter III. 2. b). 120 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19 (Rn. 26) = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 16; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 11. 121 BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 202 f. (Rn. 28) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 20. 05. 2021 – 2 AZR 560/20, NZA 2021, 1096, 1098 (Rn. 26); BAG, Urt. v. 10. 04. 2014 – 2 AZR 812/12, – juris, Rn. 63; BAG, Urt. v. 19. 04. 2012 – 2 AZR 233/11, NZA 2012, 1449, 1451; BAG, Urt. v. 12. 05. 2011 – 2 AZR 384/10, – juris, Rn. 38; so jüngst auch etwa das ArbG Berlin, in der anschaulichen Konstellation der Probezeitkündigung einer ungeimpften Musicaldarstellerin, bei der der Arbeitgeber ein für die gesamte Belegschaft geltendes „2G+-Konzept“ durchgesetzt hat: Urt. v. 03. 02. 2022 – 17 Ca 11178/21, BeckRS 2022, 3285, Rn. 19 f. 122 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19 (Rn. 26) = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1. 123 BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 299/88, NJW 1989, 3299, 3301 ff. = AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20. 124 AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 39; gegen die Position des BAG: ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 12, der festhält, dass in dieser Konstellation eine Kündigung nur bei gestörten betrieblichen Abläufen und negativer Prognose erfolgen könne. 125 BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 299/88, NJW 1989, 3299, 3302 = AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20. 126 BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18, unter III. 2. b).

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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wirklichung des Maßregelungstatbestands ändere sich durch andere Gründe nämlich nichts.127 Zusammengefasst wird durch einen hinreichenden Maßregelungsvorsatz „der Kündigungsgrund zu bloßen Motiv“128. Sanktionierung für die Rechtswahrnehmung muss nicht der einzige, aber in einem Motivbündel jedenfalls der tragende Beweggrund sein.129 Im Rahmen des Kausalzusammenhangs kommt es demnach zu einer Gesamtwürdigung der Motive des Arbeitgebers: Überwiegt die Maßregelung die anderen (legitimen) Kündigungsgründe, greift § 612a BGB ein; ist sie nur in einem Motivbündel enthalten, ohne eine dominante Rolle einzunehmen, verstößt die Maßnahme nicht gegen das Maßregelungsverbot.130 Während beim Kündigungsschutz im KSchG die Frage nach objektiven Kündigungsgründen im Fokus steht und Motive des Arbeitgebers keine oder jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist es beim Maßregelungsschutz genau umgekehrt: Etwaige objektive Gründe können den Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nicht heilen, wenn die zulässige Rechtsausübung tragender Beweggrund für die Entlassung war.131 In der Kommentarliteratur findet sich teilweise der Hinweis, dass mindestens Kausalität im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel gegeben sein müsse.132 Sie umschreibt den Kausalzusammenhang nur unzureichend, da nichts über die davon zu trennende Frage des Motivs ausgesagt ist.133 Damit geht aber keine Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Ursachen und also auch keine Positionierung für oder gegen die Rechtsprechungslinie des BAG einher.134 2. Konkretisierung der Voraussetzung a) Anforderungen an den Vorsatzgrad Eine fahrlässige Maßregelung kann es nach dem subjektiven Verständnis des Kausalzusammenhangs schon begriffslogisch nicht geben, weil versehentliche Reaktionen auf Rechtswahrnehmung keinesfalls von einem wesentlichen Motiv getragen sein können. Der Begriff des „tragenden Beweggrunds“ spricht für ein 127 Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 22; so i. E. auch HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 11; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 10. 128 Benecke, NZA 2011, 481, 484. 129 DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 18; Schwarze, NZA 1997, 967, 968 f. insofern verderbe ein „faules Ei das Omelett“. 130 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 42, Stand 01. 06. 2023; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 203 ff.; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 13; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 11; Krause, SAE 2003, 205, 207; Thüsing, NZA 1994, 728, 731. 131 Diller, NZA 2006, 569, 570. 132 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 10; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 10. 133 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 166. 134 Anders bei dem Plädoyer für Kausalität im Sinne der Conditio-sine-qua-non-Formel bei Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 9, der damit seine Ablehnung der Rechtsprechungslinie ausdrückt und jede Mitursächlichkeit ausreichen lässt.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Erfordernis einer bewussten und gewollten Sanktionierung, damit ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot bejaht werden kann. Weiterhin scheint auch die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut des § 612a BGB ein solches Verständnis zu fordern.135 Die Doktrin des tragenden Beweggrunds wird bisweilen mit dem Begriff der Absicht umschrieben.136 Soweit besondere Absichten für nicht erforderlich gehalten werden,137 oder eine „gewisse Maßregelungsabsicht“ gefordert wird,138 liegt darin nicht zwangsläufig ein Widerspruch zur Rechtsprechung: Zu fordern ist ein Wille des Arbeitgebers, an eine zulässige Rechtswahrnehmung einen Nachteil (Sanktion) zu knüpfen.139 Dies ist jedoch nicht das einzige Verständnis des Begriffs der Maßregelungsabsicht. Gemeint wird demgegenüber auch ein „dolus malus“, der bei § 612a BGB nicht zu fordern sei – vielmehr reiche ein einfacher Sanktionierungsvorsatz aus.140 Dafür wird der systematische Zusammenhang zu § 138 BGB angeführt, wo eine Kenntnis der sittenwidrigkeitsbegründenden Umstände genügt – folglich reiche auch im § 612a BGB schlichtes Wissen und Wollen aus.141 Im Falle einer echten Schädigungs- bzw. Bestrafungsabsicht ist die Voraussetzung des tragenden Beweggrunds unproblematisch gegeben.142 Man würde jedoch die von der Rechtsprechung angelegten Grundsätze und die besonderen Wertungen des Maßregelungsverbots nicht angemessen zur Geltung bringen, wenn der tragende Beweggrund mit den einfachen Vorsatzkategorien definiert und beschränkt würde.143 Unter einer „gewissen Maßregelungsabsicht“ ist daher nicht die „Absicht“ im Sinne der höchsten Vorsatzstufe zu verstehen. Sinnvoll ist ein zweigliedriges Verständnis des Kausalzusammenhangs. Zunächst muss die Motivation des Arbeitgebers im Sinne eines einfachen Vorsatzes auf Sanktionierung gerichtet sein, der in einem zweiten Schritt bei verschiedenen Beweggründen als das tragende Motiv einzustufen ist.144 Eine Aufspaltung der subjektiven Voraussetzungen in den Kausalzusammenhang einerseits und ein davon abzugrenzendes subjektives Element ist daher müßig.145 135

Schilling, Maßregelungsverbot, S. 120. HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 10; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 10; Schwarze, NZA 1997, 967, 972. 137 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 16; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 13; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 16; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 22. 138 BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 10. 139 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 11. 140 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 147, 150; so auch Schilling, Maßregelungsverbot, S. 132; NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 14. 141 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 150. 142 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 109. 143 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 149; ähnlich Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 108 f. 144 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 36 f., Stand 01. 06. 2023. 145 Dafür aber wohl Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 119 f. 136

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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b) Irrtümer des Arbeitgebers Die Fallgruppe, in der dem Arbeitgeber nicht bewusst ist, dass der Arbeitnehmer zulässigerweise seine Rechte wahrnimmt, ist mit der des Rechtsirrtums identisch – es handelt sich um den Fall, in dem keine besondere „Absicht“ gegeben ist.146 Dies schließt einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nicht aus. Für Rechtsirrtümer vertritt das BAG seit jeher die Schuldtheorie, nach der nur der unvermeidbare Rechtsirrtum entlastend wirkt.147 Danach verbleibt jedoch die Möglichkeit, dass bei vermeidbar unzutreffender Bewertung ein Verstoß gegen § 612a BGB angenommen werden kann.148 Die Schwelle der Unvermeidbarkeit ist allerdings sehr hoch, da dem Arbeitgeber immer zugemutet werden kann, rechtlichen Rat einzuholen.149 Irrtümer über die Rechtslage entlasten den Arbeitgeber bei § 612a BGB nach wohl überwiegender Meinung nicht,150 er hat folglich das volle Irrtumsrisiko zu tragen.151 Eine Ausnahme wird für möglich gehalten, wenn der Arbeitnehmer die Fehlvorstellung schuldhaft hervorgerufen hat.152 § 612a BGB könne in diesem Fall bereits deshalb nicht eingreifen, weil der Arbeitgeber die Umstände nicht kenne, aus denen sich die Rechtmäßigkeit des Arbeitnehmerverhaltens ergebe, weshalb er auch nicht vorsätzlich gehandelt habe.153 Diese Argumentation scheint auf den ersten Blick plausibel, bei näherer Betrachtung des von Faulenbach selbst angeführten Beispiels wird jedoch klar, dass dies unbillige Ergebnisse zur Folge hat. Wenn der Arbeitnehmer, dessen Kind erkrankt ist, dem Arbeitgeber nicht mitteilt, was der Grund für sein Fernbleiben ist,154 besteht kein Grund, ihm den Schutz des Maßregelungsverbots zu entziehen. Die Schutzwürdigkeit liegt abschließend darin, dass der Arbeitnehmer ein ihm zustehendes Recht zulässigerweise ausübt. Die Mitteilung an den Arbeitgeber ist keine Anspruchsvoraussetzung nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V. Darüber hinaus unterscheidet sich die subjektive Lage nur in einem unwesentlichen Punkt: wenn der Arbeitgeber einer positiven Fehlvorstellung unterliegt, aber trotzdem den Tatbestand des § 612a BGB verwirklicht,155 ist nicht einzusehen, warum der Arbeitgeber, der sich keinerlei Vorstellung gebildet hat, schutzwürdiger sein soll, zumal 146 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 109; so schon Wilken, Maßregelungsverbot, S. 147. 147 BAG, Urt. v. 15. 09. 1954 – 1 AZR 258/54, NJW 1954, 1702, 1704 = AP Nr. 1 zu § 66 BetrVG 1952. 148 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 149. 149 Vgl. Schilling, Maßregelungsverbot, S. 137. 150 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 16; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 13; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 16; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 22. 151 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 137; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 149. 152 Dafür Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 109 f. 153 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 110. 154 Vgl. LAG Köln, Urt. v. 10. 11. 1993 – 7 Sa 690/93, BeckRS 1993, 6195. 155 So nämlich Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 109 f., der sich im Grundsatz dafür ausspricht, nur dass die subjektive Komponente nicht verlange, dass der Arbeitgeber das Verhalten des Arbeitnehmers als zulässige Rechtsausübung erkenne.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

in beiden Fällen die Rechtslage bezüglich des Fernbleibens identisch ist. Darüber hinaus spricht der Zweck des Maßregelungsverbots gegen eine solche Umkehr des Irrtumsrisikos. Der Zweck der Geltungssicherung der Rechtsordnung und der Schutz der Willensfreiheit greifen auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Gründe für sein Fehlen nicht offenlegt.

II. Benachteiligung Der Begriff der Benachteiligung ist weniger geklärt, als seine Verwendung im Kontext des Maßregelungsverbots durch Rechtsprechung und Literatur den Anschein hat.156 1. Kein Vergleich zu anderen Personen Im Ausgangspunkt ist „Benachteiligung“ im Sinne des § 612a BGB als Einbuße zu verstehen, welche die Rechtsposition des Arbeitnehmers entweder objektiv verschlechtert oder sich infolge der Rechtsausübung seine Situation objektiv nicht verbessert.157 Das Maßregelungsverbot setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer wegen der Rechtswahrnehmung im Vergleich zu einem anderen Arbeitnehmer schlechter behandelt wurde.158 Als Maßstab wird dabei ein Vergleich der Situation des Arbeitnehmers vor und nach der in Rede stehenden Maßnahme des Arbeitgebers herangezogen.159 Ein personenübergreifender Vergleich ist in vielen Maßregelungskonstellationen nicht einmal möglich, wenn es sich um einmalige Vorgänge handelt.160 Auch die Vorenthaltung von Vorteilen kann nach heute überwiegender, aber besonders im Hinblick auf die Sachverhaltskonstellation der Streikbruchprämien ursprünglich nicht unumstrittener Auffassung eine Benachteiligung im Sinne des 156

Benecke, NZA 2011, 481, 483. BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 320 f. (Rn. 34) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 20; vgl. Schwarze, NZA 1997, 967; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 14. 158 BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 560 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 10; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 3; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 20; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 14; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 1; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 131; Schilling, Maßregelungsverbot, S. 75; Gaul, Sonderleistungen, S. 122; anders wohl Schulze/Schreiber, BGB, § 612a Rn. 1, der meint, § 612a BGB konkretisiere die Gleichbehandlungspflicht des Arbeitnehmers; ähnlich schon LAG Köln, Urt. v. 10. 11. 1993 – 7 Sa 690/93, BeckRS 1993, 6195, Rn. 9 ff. 159 DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 16; Lehnart/Schneider, VSSAR 2021, 409, 427; einschränkend nur für die Konstellation der Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 95; in diesem Sinne auch Wilken, Maßregelungsverbot, S. 131. 160 Benecke, NZA 2011, 481, 483. 157

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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§ 612a BGB darstellen.161 Die Besonderheit ist hierbei zunächst, dass zur Feststellung einer Benachteiligung auch ein Vergleich der Situation vor und nach der Rechtsausübung durchgeführt werden kann.162 Allerdings tritt der vom Arbeitnehmer erlittene Nachteil erst hervor, wenn deutlich wird, dass andere Arbeitnehmer die Leistung erhalten haben.163 Es werden zwei Grundtypen der Benachteiligung im Rahmen des § 612a BGB unterschieden: Die Verschlechterung einer bereits vorhandenen Rechtsposition (Maßnahmen wie Kündigung oder Abmahnung) und die Vorenthaltung bzw. Nichtgewährung einer Leistung.164 Sinnvoll erscheint es, Nachteile, die sich ohne jegliches Zutun des Arbeitgebers aus dem Gesetz ergeben – etwa die Nichtzahlung von Lohn bei Fernbleiben von der Arbeit – vom Begriff der Benachteiligung auszuschließen.165 Darüber hinaus grenzen Teile der Rechtsprechung166 den Begriff der Benachteiligung im Hinblick auf den bloßen Vollzug individualvertraglicher oder kollektivrechtlicher Vereinbarungen, die an zulässiges Arbeitnehmerverhalten eine negative Rechtsfolge knüpfen, weiter ein.167 2. Zeitliche Reihenfolge von Rechtswahrnehmung und Benachteiligung Ungeklärt ist, ob die Benachteiligung in Gestalt der „Vereinbarung“ im Sinne des § 612a BGB zwingend als zweiter Akt auf eine Rechtswahrnehmung des Arbeitnehmers folgen muss. Dafür spricht, dass Maßregelung einen konkreten Anknüpfungspunkt im Arbeitnehmerverhalten voraussetze, an das die Benachteiligung anknüpfe.168 Dabei ist vor allem problematisch, ob § 612a BGB auch vor Rechtsausübung abgeschlossene Vereinbarungen erfasst, die erst nach Rechtsausübung wirksam werden.169 Dem Begriff „Maßregelung“ sei dem Wortsinn ein Vergan-

161 Für die Rechtsprechung stellvertretend BAG, Urt. v. 17. 03. 2010 – 5 AZR 168/09, NZA 2010, 696, 698 (Rn. 28) m. w. N.; Schilling, Maßregelungsverbot, S. 79; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 9; Weidl, Freiheit und Bindung des Arbeitgebers bei der Fortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 198 ff.; mit umfassenden Nachweisen zum Meinungsstand Wilken, Maßregelungsverbot, S. 131 ff.; anders insbesondere Belling, NZA 1990, 214, 215 f.; differenzierend Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 95. 162 So auch Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 271. 163 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 15; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 133. 164 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 131; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 94 ff. 165 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 30, Stand 01. 06. 2023; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 9; vgl. auch LAG Köln, Urt. v. 15. 05. 2020 – 4 Sa 693/19, BeckRS 2020, 16165. 166 Etwa BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31, 33 f. (Rn. 27) = BAGE 139, 190 = AP BGB § 242 – Gleichbehandlung Nr. 215; vgl. BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 (Rn. 21 ff.) = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 167 Im Überblick ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 10. 168 APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 14; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 17; Thüsing, NZA 1994, 728, 731; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 92 f.; vgl. Hanau/Vossen, DB 1992, 213, 221; Gaul, NJW 1994, 1025, 1027. 169 Thüsing, NZA 1994, 728, 731.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

genheitsbezug zu entnehmen.170 Weiter schien selbst der Gesetzgeber nur auf Sanktionierung einer vergangenen Rechtsausübung abzuzielen.171 Der Schutzzweck der Willensfreiheit sei nicht einschlägig, da er nur die Entscheidung des Arbeitnehmers betreffe, ob er ein zustehendes Recht ausüben wolle und also keine Beschränkung der Vertragsgestaltung enthalte.172 Auch entstehe durch ein restriktives Verständnis des § 612a BGB keine Schutzlücke, da andere Regelungen (§§ 138, 242, 307 Abs. 1 BGB) zur Anwendung kämen.173 Nach der Gegenauffassung ist jede Benachteiligung wegen zulässiger Rechtsausübung unzulässig, gleichgültig ob diese schon vor oder nach Rechtsausübung begründet wurde.174 Ansonsten laufe die Alternative „Vereinbarung“ in § 612a BGB weitgehend leer.175 Maßregelnde Vertragsgestaltungen sollen jedoch vor dem Hintergrund des Schutzzwecks effektiv durch § 612a BGB untersagt werden.176 Der Wortlaut enthalte jedenfalls keine entsprechende Beschränkung auf Maßnahmen im Nachgang des Arbeitnehmerverhaltens, da er nicht die Vergangenheitsform („ausgeübt hat“) verwende.177 Es könne nicht darauf ankommen, wann der Arbeitnehmer das Recht ausübt, weil das Maßregelungsverbot erst recht für solche Rechte greifen müsse, deren Geltendmachung es überhaupt nicht bedürfe.178 Der Arbeitnehmer kann durch angekündigte oder zeitlich vorgelagerte Arbeitgebermaßnahmen gleichermaßen von der Geltendmachung seiner Rechte abgehalten werden.179 Das BAG hat die Frage offen gelassen.180 In einer Entscheidung des VII. Senats findet sich jedoch der Hinweis, dass sich die benachteiligende Maßnahme oder Vereinbarung als Reaktion des Arbeitgebers auf die Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer darstellen müsse, die unterblieben wäre, wenn der Arbeitnehmer seine Rechte nicht ausgeübt habe.181 Ob daraus eine inhaltliche Positionierung zugunsten

170

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 418. BTDrucks. 8/3317, S 10: „ausgeübt hat“. 172 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 92. 173 NK-ArbR/Boecken, BGB, § 612a Rn. 15. 174 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 172; so auch Wilken, Maßregelungsverbot, S. 128; Benecke, NZA 2011, 481, 482 f.; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 21; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 9; AR/Kamanabrou, BGB, § 612a Rn. 8; Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 11 175 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 172; Benecke, NZA 2011, 481, 482. 176 Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 13; AR/Kamanabrou, BGB, § 612a Rn. 8. 177 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 173. 178 Preis, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20, unter V. 179 AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 118. 180 BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1121= AP BGB § 612a Nr. 15; BAG, Urt. v. 31. 05. 2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997, 998. 181 BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 171

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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der erstgenannten Ansicht abgeleitet werden kann, scheint zweifelhaft.182 Andererseits findet sich auch eine schutzzweckorientierte Betrachtung, die es eher zweitrangig erscheinen lässt, wann die Benachteiligung im Verhältnis zur Rechtsausübung erfolgt: Die Sicherung der Willensfreiheit bei der Entscheidung über die Rechtsausübung gebiete eine entsprechende Anwendung des ihr zu Grunde liegenden Rechtsgedankens dahingehend, dass nicht nur die Ausübung eines Rechtes das Benachteiligungsverbot auslöse, sondern auch die dem vorgelagerte Täuschung, bereit zu sein ein gesetzliches Recht auszuüben.183 Die Wortsinnauslegung des Begriffs „Maßregelung“ führt nicht dazu, die Benachteiligung im Vorfeld auszuschließen, da der Begriff nur die Überschrift und damit den obergeordneten Begriff für die Gesamtheit des Verbotstatbestandes bildet. Richtiger Anknüpfungspunkt für die Kausalität ist das Wort „weil“, dem keine Aussage über eine zeitliche Vor- oder Nachordnung zu entnehmen ist. Dafür spricht die systematische Verortung als Konkretisierung der §§ 138, 242 BGB: Als Generalklausel ist auch § 612a BGB weit zu verstehen. Der Schutzzweck der Willensfreiheit steht dieser weiten Auslegung nicht entgegen. Da das Maßregelungsverbot auch die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung selbst schützt, dürfen die Rechtsausübung antizipierende Vereinbarungen nicht von dessen Anwendungsbereich ausgenommen sein.

III. Maßregelung durch ansonsten rechtmäßige Maßnahmen Sowohl bei der Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition als auch bei der Nichtgewährung von Vorteilen wird die Berücksichtigung alternativer rechtmäßiger Gründe und Beweggründe diskutiert, teilweise mit unterschiedlichen Nuancen. 1. Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition Zur Illustration eignet sich der Emmely-Fall des BAG,184 allerdings in einer spekulativen, aber dennoch nicht ganz fernliegenden Abwandlung. Im Originalfall hatte eine Mitarbeiterin einen Pfandbon im Wert von 1,40 E entwendet und wurde darauf außerordentlich gekündigt. In diesem Zusammenhang kam der Vorwurf auf, ob die Kündigung nicht doch mehr mit ihrer Teilnahme an einem Streik zu tun hatte als mit dem Diebstahl.185 Die Emmely-Entscheidung, die in ihrer Klarheit bei einer schwierigen Gemengelage mit aufgeheizter Stimmung als lobenswert hervorgeho182

So aber Schaub/Linck, § 108 Rn. 9. BAG, Urt. v. 23. 08. 2011 – 3 AZR 575/09, NZA 2011, 211, 216. 184 BAG, Urt. v. 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 = BAGE 134, 349 = AP BGB § 626 Nr. 229 (m. Anm. Preis). 185 Benecke, NZA 2011, 481, 483. 183

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

ben wird,186 befasst sich nicht mit dem Maßregelungsverbot. Berücksichtigt man den Vorwurf, wäre dieses aber zu prüfen. Kann auch die rechtmäßige außerordentliche Kündigung wegen einer Straftat nach §§ 612a, 134 BGB nichtig sein, wenn nicht die Bagatelltat, sondern die Streikteilnahme tragender Beweggrund war? Wenn ja, tritt der Schutz der Rechtsausübungsfreiheit in Konflikt mit den Ergebnissen des Kündigungsschutzrechts. Die Doktrin des tragenden Beweggrunds wird vor diesem Hintergrund aus verschiedenen Gründen kritisiert.187 Als Ausgangspunkt ist zunächst festzuhalten, dass das KSchG selbst keine Regelung zu maßregelnden Kündigung trifft und also eine Spezialitätsbeziehung von § 1 KSchG gegenüber § 612a BGB nicht besteht.188 Unter anderem wird eingewandt, dass das Abstellen auf die Beweggründe des Arbeitgebers faktisch eine Gesinnung bestrafe, was im liberalen Recht ein Fremdkörper sei.189 Isenhard will die Übertragung des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB konsequent zu Ende führen, was bedeutet, dass mehrere tragfähige (Kündigungs-)Gründe jeweils alternativ die Maßnahme stützen können: Es spreche nichts dafür, den subjektiven Willen des Arbeitgebers bei § 612a BGB stärker zu pönalisieren, als bei § 613a Abs. 4 BGB.190 Zudem enthalte das rein subjektive Verständnis eine Wertungsvermengung der Ebenen des materiell-rechtlichen Tatbestands und der prozessualen Dimension der Darlegungs- und Beweislast. Denn der Verdacht, dass durch die Zubilligung einer objektiven Komponente ein ungerechtfertigter „Ausweg“ im Prozess entstehe, übersehe, dass dem Arbeitnehmer Beweiserleichterungen in Gestalt des Anscheinsbeweises zugutekämen.191 Gegen das mögliche Eingreifen des Maßregelungsverbots bei bestehenden Kündigungsgründen wird auch angeführt, dass ein solches Ergebnis das ansonsten geltende Verhältnis zwischen Kündigungsgrund und -motiv gerade umdrehe und so das Kündigungsmotiv eventuell vorliegende objektive Kündigungsgründe verdränge.192 Einerseits folge aus der Spezialität zum „Rechtsmissbrauchsverbot aus § 138 BGB“, dass sich (wie im Vertragsrecht) nur derjenige auf § 612a BGB berufen könne, der selbst vertragstreu gewesen sei.193 Jedenfalls wenn der wichtige Grund nach § 626 BGB eine vorsätzliche Vertragsverletzung des Arbeitnehmers gewesen sei, müsse dieser deshalb das Recht verlieren, sich auf eine unzulässige Maßregelung nach § 612a BGB zu berufen.194 Darüber hinaus sei bei „gesuchten“ Kündigungsgründen regelmäßig nicht die Rechtsausübung der tragende Beweggrund.195 186

Preis, AP BGB § 626 Nr. 229, unter V. Zur an sich rechtmäßigen Kündigung und § 612a BGB im Überblick BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a BGB, Rn. 38 ff., Stand 01. 06. 2023. 188 Preis, NZA 1997, 1256, 1265. 189 AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 38. 190 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 275. 191 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 277. 192 Diller, NZA 2006, 569, 570. 193 Diller, NZA 2006, 569, 571. 194 Diller, NZA 2006, 569, 571. 187

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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Auf der anderen Seite wird eine rein subjektive Betrachtung des Kausalzusammenhangs für richtig gehalten.196 Dafür spreche die systematische Nähe zu den §§ 138, 242 BGB.197 Die objektive Begrenzung sei auch nicht erforderlich, weil im Rahmen einer Gesamtwürdigung bei Gründen, die eine Differenzierung nicht rechtfertigen können, das einzig verbleibende Motiv der Wille des Arbeitgebers sei, an die zulässige Rechtswahrnehmung negative Folgen zu knüpfen (Maßregelungsabsicht).198 2. Nichtgewährung von Vorteilen als Anwendungsfall des Maßregelungsverbots Ein grundsätzlich anderes Bild des obigen Verständnisses des Kausalzusammenhangs und des Benachteiligungsbegriffs könnte sich unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Gleichbehandlung und Maßregelung ergeben. Unklar ist allerdings, inwiefern sich ein eventueller Gleichheitsverstoß auswirkt, und für welche Tatbestandsvoraussetzung dies eine Rolle spielt. a) Einschlägigkeit von Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelungsverbot Die Anwendung des Gleichbehandlungsprinzips auf Rechtspositionen vergleichbarer Arbeitnehmer ist zwar im Einzelnen Gegenstand stetiger Debatten und einer entsprechend ausdifferenzierten Kasuistik;199 gleichwohl bestehen über den wesentlichen Regelungsgehalt keine Zweifel.200 Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG verwehrt der Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen auszunehmen und schlechter zu stellen.201 Für die hier vorzunehmende Abgrenzung ist vor allem von Bedeutung, dass die parallele 195

Diller, NZA 2006, 569, 571. Benecke, NZA 2011, 481, 484; ablehnend ggü. einem verobjektivierten Verständnis auch Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 107; sowie Wilken, Maßregelungsverbot, S. 150; Weidl, Freiheit und Bindung des Arbeitgebers bei der Fortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 195 f. 197 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 145; vgl. auf eine Entkopplung des § 612a BGB von den subjektiven Voraussetzungen der §§ 138, 242 BGB hinweisend Schwarze, NZA 1997, 967, 969. 198 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 11. 199 Dazu ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 686 ff. 200 Zur umstrittenen dogmatischen Verortung m. w. N. ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 666. 201 BAG, Urt. v. 27. 10. 1998 – 9 AZR 299/97, NZA 1999, 700, 701; BAG, Urt. v. 06. 12. 1995 – 10 AZR 123/95, NZA 1996, 531, 533; BAG, Urt. v. 11. 09. 1985 – 7 AZR 371/83 NZA 1987, 156, 157 = BAGE 49, 346 = AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 25. 01. 1984 – 5 AZR 251/82, NZA 1984, 323 = BAGE 45, 86 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung m. w. N. 196

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Anwendung des Maßregelungsverbots in Verbindung mit dem allgemeinem Gleichbehandlungsgrundsatz zu einer Vermengung der Voraussetzungen geführt hat: Auch beim Maßregelungsverbot ist die Rede von „Rechtfertigung“ und „Abwägung“.202 Dies ist in gewisser Hinsicht nicht zu vermeiden203 und den Besonderheiten des Arbeitskampf- und Tarifrechts, sowie der abweichenden Grundsituation bei der Nichtgewährung von Vorteilen geschuldet. b) Ausgangspunkt der Abgrenzung Die Rechtsprechung zum Verhältnis von Maßregelungsverbot und allgemeinem Gleichbehandlungsgrundsatz ist umfangreich und nicht frei von Widersprüchen.204 Klar dürfte sein, dass eine Sanktionierung des Arbeitnehmers für zulässige Rechtswahrnehmung keinen „sachlichen Grund“ darstellen kann, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte (absolutes Differenzierungsverbot).205 Aus der Struktur der Norm folgt auch, dass eine Maßnahme oder Vereinbarung eine Benachteiligung sein kann, ohne als Maßregelung, also als Verstoß gegen den Gesamttatbestand des § 612a BGB eingestuft zu werden.206 Soweit alle Tatbestandsvoraussetzungen des Maßregelungsverbots gegeben sind, tritt die Verbotswirkung über § 134 BGB ein – eine Rechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Maßregelung scheidet aus. Im Kontext des Arbeitskampfrechts bei den streikbedingten Sonderzuwendungen kam es ebenfalls zu Konstellationen, in denen sowohl Maßregelungsverbote, als auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zusammen angewandt wurden.207 § 612a BGB bezweckt nicht, das Arbeitskampfrecht zu modifizieren.208 Beachtlich ist, dass nach dem BAG tarifvertragliche Maßregelungsverbote über § 612a BGB hinausgehen, da sie eine weitergehende Sicherungsfunktion für den Arbeitsfrieden haben: Sie verbieten regelmäßig generell, allein danach zu differenzieren, ob die Arbeitnehmer am Streik teilgenommen haben, soweit die Differenzierung nicht durch die Rechtsordnung vorgesehen ist.209 Daher besteht eine zwangsläufige Überschneidung zwi202

Etwa Schwarze, NZA 1997, 967, 970. So schon Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 46; vgl. auch Wilken, Maßregelungsverbot, S. 151. 204 Franzen, RdA 2003, 372, 374. 205 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 156; im Ergebnis auch Schwarze, NZA 1997, 967, 971, der dies aber für eine „überflüssige Gedankenoption“ hält, da die weiteren Voraussetzungen des Maßregelungsverbots ohnehin vorliegen müssen. 206 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 72. 207 Grundlegend BAG, Urt. v. 13. 07. 1993 – 1 AZR 676/92, NJW 1994, 74, 76 = BAGE 73, 320; LAG Köln, Urt. v. 04. 10. 1990 – 10 Sa 629/90, BeckRS 1991, 40037, unter II. 3. = LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39. 208 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a 18. 209 BAG, Urt. v. 13. 07. 1993 – 1 AZR 676/92, NJW 1994, 74, 76 = BAGE 73, 320; BAG, Urt. v. 04. 08. 1987 – 1 AZR 486/85, NZA 1988, 61, 62 = AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 88; 203

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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schen Gleichbehandlungsgrundsatz und tarifvertraglichem Maßregelungsverbot, welches letztlich eine Gleichstellungsfunktion entfaltet210. Im Ergebnis besteht heute nur noch wenig Streit darüber, wie mit dem Phänomen der Streikbruchprämien bei Anwendung tarifvertraglicher Maßregelungsverbote und des § 612a BGB umzugehen ist: Nach Rechtsprechung und herrschender Meinung sind vor und während des Streiks an alle nicht beteiligten Arbeitnehmer ausgezahlte Prämien als Arbeitskampfmittel keine verbotene Maßregelung.211 Nach Ende des Streiks ausgezahlte Prämien bedürfen aufgrund des fehlenden Bezugs zum Arbeitskampf einer besonderen Rechtfertigung dahingehend, dass damit besondere Belastungen ausgeglichen werden müssen.212 Eine Regelung die bei Streikteilnahme den Verlust einer Anwesenheitsprämie vorsieht, verstößt nicht gegen § 612a BGB.213 Unabhängig vom Arbeitskampfrecht und von den Besonderheiten und Grenzen tarifvertraglicher Maßregelungsverbote stellen sich für das sachgerechte Verständnis und die Abgrenzung zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen mehrere Fragen: – Kann eine Benachteiligung im Sine des § 612a BGB auch dann vorliegen, wenn die Nichtgewährung von Vorteilen nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt? – Wenn ja, inwiefern spielt die (zulässige) Gruppenbildung beim Maßregelungsverbot eine Rolle? Dabei ist zu untersuchen, ob die Urteile des BAG herangezogen werden können, um Rückschlüsse auf die Rolle der Voraussetzungen „Benachteiligung“ und „Kausalzusammenhang“ bei bestehenden Alternativbegründungen, bzw. im Kontext der Nichtgewährung von Vorteilen Differenzierungsrechtfertigungen zu ziehen. c) Ansätze in Rechtsprechung und Schrifttum Zunächst liegt der Schluss nahe, dass es beim Maßregelungsverbot nicht in erster Linie um eine Ungleichbehandlung, sondern um ein Unwerturteil gehe.214 Während der Gleichbehandlungsgrundsatz die nicht gerechtfertigte Differenzierung betrifft, Schwarze, NZA 1997, 967; vgl. dazu schon Belling, NZA 1990, 214, 215 f.; Rolfs, DB 1994, 1237, 1240. 210 ErfK/Preis BGB § 612a Rn. 17. 211 BAG, Urt. v. 13. 07. 1993 – 1 AZR 676/92, NJW 1994, 74, 75 f. = BAGE 73, 320; zum Ganzen ErfK/Preis BGB § 612a Rn. 16; Ring, RdA 2019, 239, 243 f.; Spiegelberger, NZA-RR 2019, 126, 127. 212 BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 220 =AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf; so auch Schwarze, NZA 1993, 967, 973; kritisch dazu Rolfs, DB 1994, 1237, 1242. 213 BAG, Urt. v. 31. 10. 1995 – 1 AZR 217/95, NJW 1996, 1844, 1846 = BAGE 81, 213; so auch ErfK/Preis BGB § 612a Rn. 16. 214 Kort, RdA 2003, 119, 123; Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter II; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 31, Stand 01. 06. 2023.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

knüpft das Maßregelungsverbot an die zulässige Rechtsausübung des einzelnen Arbeitnehmers an.215 Dies spricht für eine scharfe Abgrenzung, die den Gleichbehandlungsgrundsatz als völlig eigenständigen Rechtssatz betrachtet, der grundsätzlich unabhängig vom Maßregelungsverbot zu sehen sei und andere Anforderungen habe.216 Darüber hinaus spreche für eine Trennung der beiden Rechtsinstitute auch, dass der Arbeitgeber, der auch zur Bestrafung einer Rechtsausübung handelt, nicht durch das Maßregelungsverbot in eine aus seiner Sicht günstigere Beweissituation versetzt werden solle.217 Dies trifft aber nur zu, wenn das Maßregelungsverbot den Gleichbehandlungsgrundsatz völlig verdrängt, was nicht der Fall ist, da beide Rechtsinstitute verschiedene Schutzzwecke verfolgen und mit der Einführung des § 612a BGB jedenfalls keine Veränderung der Rechtslage zulasten des Arbeitnehmers gewollt gewesen sein kann.218 In der Konsequenz ist bei einer strengen Abgrenzung eine Nichtgewährung einer Leistung nicht nur im Hinblick auf die Ungleichbehandlung als solche, sondern auch bezüglich der objektiven Beeinträchtigung der zulässigen Rechtsausübung zu rechtfertigen.219 aa) Relevanz im Kausalzusammenhang Das Kausalitätsverständnis des BAG zugrunde gelegt, ist zunächst denkbar, dass die Frage des sachlichen Grundes/der rechtmäßigen Alternativbegründung nur im Rahmen der Feststellung des tragenden Beweggrundes eine Rolle spielt. (1) Entwicklung der Rechtsprechung Für § 612a BGB nahm das BAG bei einer fehlenden sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung an, dass eine Maßregelung tragender Beweggrund war, weil kein anderes Motiv ersichtlich gewesen sei.220 Die gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers sind demnach wohl nicht zu ignorieren, sondern müssen im Rahmen der Prüfung und Auslegung des Begriffs der zulässigen Rechtsausübung auf Ebene der kollidierenden Bestimmungen oder ansonsten im Kausalzusammenhang berücksichtigt werden. Dies gilt auch für die Problemkonstellation der streikbedingten

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KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 9. Schwarze, NZA 1997, 967, 970; in diese Richtung auch Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 271 f. 217 Kort, RdA 2003, 122, 123 f. 218 Zutreffend Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 111; für eine Angleichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an das Maßregelungsverbot aufgrund des Spezialitätsprinzips Belling/Steinau-Steinrück, DB 1993, 534, 536. 219 Schwarze, NZA 1997, 967, 971. 220 BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 220 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf. 216

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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Sonderzuwendungen: Die „gerechtfertigte“ Differenzierung bedeutet, dass ein sachlicher Grund den tragenden Beweggrund für die Maßnahme bildet.221 Nach einer jüngeren Entscheidung reicht das Maßregelungsverbot über den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz hinaus.222 Der VII. Senat betont, dass eine unzulässige Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB ausscheide, wenn der Arbeitgeber sein Verhalten an der Rechtsordnung orientiere – ob letzteres der Fall war, prüft das Gericht anhand der Motive des Arbeitgebers.223 Wenn Sanktionierung für Rechtswahrnehmung der tragende Beweggrund ist, orientiert der Arbeitgeber sein Verhalten gerade nicht an der Rechtsordnung.224 Die Entscheidung knüpft an eine eindeutige Aussage des IX. Senats zum Verhältnis zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelungsverbot aus dem Jahr 2005 an: „Eine Benachteiligung des Kl. könnte sich allein aus der Schlechterstellung im Verhältnis zu den Arbeitnehmern ergeben, die gegen die Kündigung nicht gerichtlich vorgegangen sind. Der Umstand, dass diese Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist, schließt die Anwendung des § 612a BGB nicht von vornherein aus. Die Tatbestände ,Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz‘ und ,Verletzung des Maßregelungsverbots‘ decken sich nicht. Während der Gleichbehandlungsgrundsatz jede sachfremde Differenzierung untersagt, richtet sich das Maßregelungsverbot speziell gegen das Differenzierungsmerkmal ,zulässige Rechtsausübung‘.“225

Aus dieser Passage geht hervor, dass eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB auch dann bejaht werden kann, wenn die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Ansonsten wäre § 612a BGB in diesen Fällen stets unanwendbar. Die Feststellung der Benachteiligung über einen Vergleich mit anderen Arbeitnehmern widerspricht der ansonsten üblichen Herangehensweise bei § 612a BGB, die grundsätzlich auf einen Vergleich der Situation vor und nach der Rechtsausübung abstellt. Unter Berücksichtigung weiterer Urteile verbleibt ein gewisses Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Belastbarkeit dieser Passage als Element einer einheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechungslinie. Teilweise wurde eine klare Position nur insofern bezogen, als die Nichtgewährung von Vorteilen nicht gegen das Maßregelungsverbot verstößt, wenn sachliche Gründe bestehen.226 Zweck des Maßregelungsverbots sei es nicht, anerkanntermaßen zulässige Arbeitsvertragsge221 LAG Köln, Urt. v. 04. 10. 1990 – 10 Sa 629/90, BeckRS 1991, 40037, unter II. 2. e) = LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 39; Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 45. 222 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 42) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 223 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 41 f.) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 224 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 42) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 225 BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1120 = AP BGB § 612a Nr. 15. 226 BAG, Urt. v. 17. 03. 2010 – 5 AZR 168/09, NZA 2010, 696, 698 (Rn. 28 f.); BAG, Urt. v. 18. 09. 2007 – 3 AZR 639/06, NZA 2008, 56, 58 (Rn. 27).

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

staltungen zu unterbinden.227 Das Gericht stellt nach einer Schilderung seiner Rechtsprechung zum Maßregelungsverbot nur knapp fest, dass die benachteiligende Maßnahme ihren Grund nicht in der zulässigen Ablehnung einer Änderung des Arbeitsvertrags, sondern im unterschiedlichen Gehaltsniveau der klagenden Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit auf der Basis der 40-StundenWoche habe.228 In den Entscheidungen wird also nicht immer klar herausgestellt, ob die rechtmäßigen Gründe der Ungleichbehandlung die Frage der objektiven sachlichen Rechtfertigung einer Benachteiligung oder den subjektiv tragenden Beweggrund im Rahmen des Kausalzusammenhangs betrafen. Eine Klarstellung oder ausdrückliche Bestätigung der früheren Entscheidungen, die den sachlichen Grund für die Nichtgewährung im Rahmen des Kausalzusammenhangs verorten,229 nimmt das BAG nicht vor.230 Insgesamt sprechen die genannten Entscheidungen aber dennoch für eine Berücksichtigung etwaiger sachlicher Gründe im Rahmen des Kausalzusammenhangs. Die Benachteiligung lässt sich auch bejahen, wenn kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt. Dann ist auf zweiter Stufe zu prüfen, ob der Arbeitgeber auf Basis einer unzulässigen Motivlage gehandelt hat – kurzum ob die Sanktionierung oder legitime Gründe der Ungleichbehandlung tragender Beweggrund für die Maßnahme waren. (2) Zuspruch und Kritik im Schrifttum Dieser Grundtendenz schließen sich verschiedene Autoren im Schrifttum an.231 Teilweise soll ein sachlicher Grund im Rahmen einer objektiven Kausalitätsbeziehung berücksichtigt werden,232 der dann das Fehlen einer „Maßregelungsabsicht“ indiziere.233 Dem wird entgegengehalten, dass es sich um eine bloße Unterstellung handele und von der objektiven Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nicht auf den subjektiven Horizont des Arbeitgebers geschlossen werden könne.234 227 BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1121 = AP BGB § 612a Nr. 15; BAG, Urt. v. 18. 09. 2007 – 3 AZR 639/06, NZA 2008, 56, 58 (Rn. 27). 228 BAG, Urt. v. 17. 03. 2010 – 5 AZR 168/09, NZA 2010, 696, 698 (Rn. 29). 229 Etwa BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 220 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf. 230 Als Beispiel lässt sich BAG, Urt. v. 31. 10. 1995 – 1 AZR 217/95, NJW 1996, 1844, 1846 = BAGE 81, 213 heranziehen, in der der Senat nur ganz allgemein festhält, dass der „Zweck“ der Prämie nicht das Abhalten von der Streikteilnahme sei. In einer weiteren Entscheidung hat das BAG ein Urteil der Berufungsinstanz, das eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB wegen Bestehens eines sachlichen Grundes abgelehnt hatte, aufhoben und stattdessen allein anhand des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes geprüft, wobei der Verstoß gegen § 612a BGB letztlich offengelassen wurde: BAG, Urt. v. 30. 07. 2008 – 10 AZR 497/07, NZA 2008, 1412, 1415 (Rn. 29). 231 Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 56; Gaul, Sonderleistungen, S. 122; unklar Belling, EzA Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter III. 232 Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 45. 233 Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 56. 234 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 160.

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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Es lässt sich einwenden, dass der Arbeitgeber mit einem zulässigen Differenzierungsgrund seine Maßregelungsabsicht verschleiern will, was ebenso ein bestimmendes Motiv sein kann, aber nicht sein muss – diese Schwierigkeit bei der Feststellung der subjektiven Tatseite lässt sich aber nicht einfach durch Annahme einer Rechtfertigungsmöglichkeit umgehen.235 Dies führt Wilken zu dem Schluss, dass bei Verstoß gegen § 612a BGB bei Nichtgewährung von Vorteilen immer auch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt sei, aber umgekehrt bei Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht immer auch § 612a BGB.236 Das Vorliegen einer Benachteiligung bestimmt sich demnach ohne die Frage der sachlichen Rechtfertigung.237 Ob das Maßregelungsverbot in Fällen der Vorenthaltung von Vorteilen für den Arbeitnehmer nur eingreift, wenn gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen wird, oder ob auch eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung das Maßregelungsverbot verletzen kann, entscheidet sich auf der Ebene des Kausalzusammenhangs. Wenn die Vorenthaltung zwar sachlich gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer sich aber auf das Maßregelungsverbot beruft, ist zu klären, ob dem Arbeitgeber also eine viktimisierende Motivation als tragender Beweggrund nachgewiesen werden kann. Dafür spricht vor allem, dass § 612a BGB gerade ein grundsätzlich erlaubtes Verhalten sanktionieren soll.238 (3) Berücksichtigung objektiver Kriterien im Kausalzusammenhang Im Rahmen des Problemkreises der Maßregelung durch die Vorenthaltung streikbedingter Sonderzuwendungen schlägt Schwarze ein anderes Verständnis des Kausalzusammenhangs beim Maßregelungsverbot vor: Die gängige subjektiv-finale, auf eine Maßregelungsabsicht des Arbeitgebers abstellende Interpretation werde der dadurch drohenden Gefahr für die Rechtsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht gerecht.239 Sie sei zu ergänzen durch eine die „objektive“ Maßregelung erfassende Interpretation. Eine solche liege im Regelfall vor, wenn die Rechtsausübung einzige Ursache für die Vorenthaltung der Zuwendung sei. Dies wiederum sei der Fall, wenn bei Verzicht auf die Rechtsausübung ohne weiteres ein Anspruch auf die Zuwendung gegeben wäre oder wenn neben dem Rechtsverzicht zwar weitere Voraussetzungen für den Erhalt des Vorteils gegeben sein müssten, die damit verfolgten Ziele des Arbeitgebers aber die Beeinträchtigung der Rechtsausübungsfreiheit im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht rechtfertigen könnten.240

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Wilken, Maßregelungsverbot, S. 161. Wilken, Maßregelungsverbot, S. 161. 237 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 134 f. 238 Krause, SAE 2003, 205, 207. 239 Schwarze, NZA 1997, 967, 973. 240 Ebenda. 236

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Noch weitreichender, da (im Unterschied zu Schwarze) nicht durch Ergänzung eines subjektiven Kriteriums gemildert, ist die Ansicht von Kort: Es sei nur darauf abzustellen, ob objektiv die Wahrnehmung der Arbeitnehmerrechte durch das Arbeitgeberverhalten beeinträchtigt werde.241 Weitere Befürworter einer Verobjektivierung sehen den Arbeitgeber bei einem subjektiven Verständnis der Unmittelbarkeitsbeziehung unter Generalverdacht gestellt: Es komme darauf an, ob sich die Maßnahme für einen objektiven Dritten als unverhältnismäßige (möglicherweise vorweggenommene) Reaktion auf eine Rechtsausübung darstelle.242 Nur so könne man zu vernünftigen Ergebnissen gelangen, ohne dem Arbeitgeber gleich bei jeder Benachteiligung eines Arbeitnehmers einen Zusammenhang mit irgendeiner vorhergehenden oder nachfolgenden Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer zu unterstellen.243 Eine erhebliche Einschränkung ergibt sich, wenn das subjektive Verständnis des BAG zugrunde gelegt wird, aber ein tragender Beweggrund nur dann als gegeben angesehen wird, wenn keine objektiven Gründe die Maßnahme rechtfertigen.244 Ähnlich wirkt sich die Auffassung von Marhold/Beckers aus, die darauf abstellt, ob objektiv die Wahrnehmung der Rechte durch das Arbeitgeberverhalten in Frage gestellt werde – insoweit handele es sich um eine besondere Ausprägung des § 226 BGB bzw. der „unzulässigen Rechtsausübung“.245 bb) Ausschluss einer Benachteiligung Nach der Ansicht einiger Senate des BAG ist das Maßregelungsverbot auch bei Vorenthaltung von Vorteilen anwendbar, allerdings scheide eine Benachteiligung aus, wenn die Vorenthaltung sachlich gerechtfertigt oder in der Rechtsordnung schon angelegt sei.246 (1) Position des V. Senats des BAG Am selben Tag wie die oben angeführte Entscheidung des VII. Senats247 hat der V. Senat des BAG einen abweichenden Standpunkt eingenommen. Zunächst nimmt der V. Senat auf die vorherige Rechtsprechung des VII. Senats Bezug, nach der die Vorenthaltung von Vorteilen als Benachteiligung in Betracht kommt, jedoch keine „unzulässige Benachteiligung“ vorliegt, wenn der Arbeitgeber sein Verhalten an der 241 Kort, RdA 2003, 119, 125; so im Ergebnis auch Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter III. 242 AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 123. 243 AR-Blattei/Kania/Wackerbarth, SD 90 Rn. 123; vgl dazu auch Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter III. 244 Gaul, Sonderleistungen, S. 122; Gaul, NJW 1994, 1025, 1027. 245 Marhold/Beckers, EzA Nr. 106 zu Art. 9 GG – Arbeitskampf, unter III; vgl auch Schwarze, NZA 1997, 967, 968. 246 BAG, Urt. v. 26. 10. 1995 – 10 AZR 482/93, NZA 1995, 266, 267 = BAGE 78, 174; BAG, Urt. v. 14. 12. 2011 – 5 AZR 675/10, NZA 2012, 618, 619 (Rn. 23). 247 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317 = AP Nr. 20 zu § 612a BGB.

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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Rechtsordnung orientiert.248 Nunmehr entschied der V. Senat, dass die Tatbestandsvoraussetzung „Benachteiligung“ nur erfüllt sei, wenn der Arbeitgeber zwischen verschiedenen Maßnahmen habe wählen können. Habe er sein Verhalten an der Rechtsordnung orientiert, liege keine Benachteiligung des Arbeitnehmers vor.249 Der V. Senat verweist auf eine frühere Rechtsprechung zu maßregelnden Vereinbarungen. Hiernach besteht keine Ausgleichspflicht des Arbeitgebers für Nachteile, die dem Arbeitnehmer infolge einer rechtmäßigen Vereinbarung entstehen, die an die erlaubte Rechtsausübung negative Rechtsfolgen knüpft.250 Dementsprechend sei der Vollzug einer kollektivrechtlichen Regelung oder einer vertraglichen Vereinbarung keine Benachteiligung im Sinne von § 612 a BGB.251 Der V. Senat weitete die Einschränkung des Tatbestandsmerkmals der Benachteiligung um die bekannte Wendung der „Orientierung des Arbeitgeberverhaltens an der Rechtsordnung“ aus.252 Er bezog sich dabei erneut auf die ältere Entscheidung des VII. Senats, aus der sich allerdings gerade nicht ergibt, dass keine Benachteiligung vorliegt. Vielmehr verwendet der VII. Senat dort die gebräuchliche Wendung „keine unzulässige Benachteiligung“ im Kontext einer Schilderung der Anforderungen an den Kausalzusammenhang.253 Wenn der Arbeitgeber sein Verhalten an der Rechtsordnung orientiere, sei das Unwerturteil des § 612a BGB nicht gerechtfertigt, auch wenn das Arbeitgeberverhalten Nachteile für den Arbeitnehmer nach sich zieht.254 Es wird nicht präzise zwischen Benachteiligung und Kausalzusammenhang abgegrenzt. (2) Gleichbehandlungsverstoß als Voraussetzung für Benachteiligung Die Relevanz etwaiger sachlicher Gründe für das Vorliegen einer Benachteiligung wird auch im Schrifttum als vorzugswürdige Vorgehensweise betrachtet. Im Ausgangspunkt an die allgemeine Unterlassensdogmatik anknüpfend, nach der ein Unterlassen nur dann rechtsrelevant ist, wenn eine Handlungspflicht besteht, hält Franzen § 612a BGB bei der Vorenthaltung von Vorteilen nur dann für anwendbar, wenn der Arbeitgeber etwa aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder einem anderen Rechtsgrund den Vorteil zu gewähren hat.255 Für dieses Verständnis spricht, 248 BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 249 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31, 33 f. (Rn. 29) = BAGE 139, 190 = AP BGB § 242 – Gleichbehandlung Nr. 215. 250 BAG, Urt. v. 15. 09. 2009 – 9 AZR 685/08, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 186, Rn. 40 f. 251 Vgl. mit der Einschränkung, dass die Vereinbarung selbst nicht maßregelnd sein dürfe BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 30, Stand 01. 06. 2023. 252 BAG, Urt. v. 14. 12. 2011 – 5 AZR 675/10, NZA 2012, 618, 619 (Rn. 23). 253 BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 (Rn. 22) = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 254 BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 (Rn. 22) = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 255 Franzen, RdA 2003, 372, 374; ausführlich Schilling, Maßregelungsverbot, S. 102 ff.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

dass eine objektive Trennung von Benachteiligung und Rechtfertigung einer etwaigen Ungleichbehandlung schwer möglich ist. Warum sollte der Begriff der Benachteiligung bei § 612a BGB so zu verstehen sein, dass er die Frage der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, die den Kern der Benachteiligung darstellt, nicht abdeckt? In diesem Sinne lässt sich weiter zwischen der „bloßen“ Vorenthaltung von Vorteilen und der pflicht- und also gleichheitswidrigen Nichtgewährung von Vorteilen unterscheiden.256 Nur bei Letzterer komme eine Benachteiligung in Betracht.257 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass in der bloßen Begünstigung des einen ohne Weiteres keine Benachteiligung des anderen liegen kann.258 Hat der fragliche Arbeitnehmer ohnehin einen anderweitigen Rechtsanspruch (außerhalb des Gleichbehandlungsgrundsatzes) auf die Zuwendung, lässt sich eine Benachteiligung bei Vorenthaltung bejahen.259 Bei Betonung der Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Gewährung von Vorteilen würde das Maßregelungsverbot ohne eine tatbestandliche Eingrenzung zu Problemen führen – zum Ausgleich der größeren Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers sei daher erforderlich, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf den begehrten Vorteil zustehe.260 Dagegen spricht allerdings, dass das Maßregelungsverbot bei der Vorenthaltung von Vorteilen kaum eine über den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz hinausgehende Wirkung hätte,261 was mit der ansonsten weitgehend akzeptierten Wertung, dass § 612a BGB gerade auch „ansonsten rechtmäßiges“ Verhalten untersagen können soll, in Konflikt tritt. Faulenbach wirbt für ein ambivalentes Verhältnis zwischen Maßregelungsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz, nach dem ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz immer eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB darstelle.262 Soweit auf Ebene des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber außer der Viktimisierung für Rechtswahrnehmung ein weiterer sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung bestehe, müsse eine Abwägung getroffen werden, ob die Differenzierung aufgrund der Viktimisierung nicht dennoch sachwidrig sei (relatives Differenzierungsverbot). Aus dem Ziel der Sanktionierung könne nicht darauf geschlossen werden, dass das Arbeitgeberverhalten eine Benachteiligung darstelle. Vielmehr müsse zunächst das Vorliegen der Benachteiligung positiv festgestellt werden und sodann der entsprechende Vorsatz.263 Schließlich sei die versuchte Maßregelung nicht verboten. Unter der Annahme, dass sich Maßregelungsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz

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Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 96. Ebenda. 258 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 95 f. 259 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 98. 260 NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 12. 261 Adam, EzA Nr. 7 zu § 612a BGB 2002, unter III.1. 262 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 98 ff., 102 f. 263 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 97. 257

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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gegenseitig konkretisieren,264 mag fehlende Rechtfertigung der Differenzierung Voraussetzung für eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB sein.265 Dabei sei als Ausprägung des § 612a BGB als relatives Differenzierungsverbot bei der Feststellung der Benachteiligung im Einzelfall zu prüfen, ob die gesetzgeberische Entscheidung zum Schutz der Rechtsausübungsfreiheit nicht doch eine Benachteiligung begründe. Bei Berücksichtigung sachlicher Gründe für eine Ungleichbehandlung im Rahmen des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB komme es dagegen zu einer Vermengung des Gesamttatbestandes „Maßregelung“ mit dem Merkmal „Benachteiligung“.266 Aus dem Ziel der Sanktionierung könne nicht darauf geschlossen werden, dass das Arbeitgeberverhalten eine Benachteiligung darstelle. Vielmehr müsse zunächst das Vorliegen der positiv festgestellt werden und sodann der entsprechende Vorsatz positiv festgestellt werden. Schließlich sei die versuchte Maßregelung nicht verboten.267

IV. Kritische Würdigung Zusammengefasst besteht hinsichtlich der Auslegung des Merkmals „Benachteiligung“ und in der Folge über die Relevanz sachlicher Gründe und anderer Zulässigkeitsparameter für Arbeitgebermaßnahmen Uneinigkeit zwischen verschiedenen Senaten des BAG, sowie im Schrifttum. Dies ist für eine klare Bestimmung des Inhalts der unterschiedlichen Voraussetzungen des Maßregelungsverbots misslich. Da sich im Ergebnis häufig keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten ergeben werden, ist nicht abzusehen, dass sich das BAG durch eine Rechtsprechungsangleichung, geschweige denn durch eine Entscheidung des Großen Senats auf eine einheitliche Linie begeben wird. Für die Zwecke dieser Untersuchung ist die Frage, wie der Benachteiligungsbegriff zu verstehen ist, aber wegen der Implikationen für den Kausalzusammenhang und für die systematische Einordnung des Maßregelungsverbots von Bedeutung. 1. Zur Doktrin des tragenden Beweggrunds Die an der Position des BAG geäußerte Kritik vermag in der Gesamtschau nicht zu überzeugen. Für § 612a BGB hat die Rechtsprechung mit der Figur des tragenden Motivs eine eigenständige Linie gefunden, die das Maßregelungsverbot von den 264

Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 102. Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 149; in diesem Sinne auch Hanau, ZfA 2003, 751, 760; differenzierend MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 15, der meint, der Einschränkung durch das Merkmal „Rechtfertigung bedürfe es nur, wenn man versuche auf § 612a BGB einen Anspruch zu stützen; diese Frage wurde vom BAG offengelassen: Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 36) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 266 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 97. 267 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 97. 265

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subjektiven Voraussetzungen der Generalklausel-Fallgruppen entkoppelt. Die unterschiedlichen subjektiven Voraussetzungen lösen keinen Widerspruch aus. Vielmehr sind sie gerade das Kennzeichen eines Spezialitätsverhältnisses.268 Zwischen Schikaneverbot und Rechtsmissbrauchsverbot aus § 242 BGB bestehen große inhaltliche Schnittmengen.269 Tatbestandsvoraussetzung des § 226 BGB ist allerdings, dass die Schädigung alleiniges Motiv für die in Rede stehende Handlung ist, bzw. objektiv keinerlei legitimes Interesse an der Handlung bestehen darf.270 Das von Marhold/Beckers angenommene Spezialitätsverhältnis zu § 226 BGB besteht jedoch nicht, da sich Maßregelung deutlich von Schikane unterscheiden lässt. Auf Arbeitgeberseite können vielfältige Gründe dazu führen, einen Arbeitnehmer für Rechtswahrnehmung zu benachteiligen – eine Beschränkung auf die Schädigung der Einzelperson gibt es nicht. Folglich ist das Maßregelungsverbot weiter gefasst als das Schikaneverbot. Auch im Übrigen überzeugen die Argumente gegen eine objektive Einschränkung, insbesondere, weil sich die Würdigung der Arbeitgeberinteressen, wie Thüsing richtigerweise betont,271 gleich einem Ausschlussverfahren auf Ebene des subjektiv verstandenen Unmittelbarkeitszusammenhangs durchführen lässt. Dies ist vor dem Hintergrund des Schutzzwecks in keiner Weise widersprüchlich. Das Maßregelungsverbot sanktioniert eine besonders verwerfliche Motivation. Die negativen Konsequenzen für die Willensfreiheit zur Rechtsausübung und die damit einhergehende Gefährdung der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung finden unabhängig davon Berücksichtigung, ob die Maßnahme aus anderen Gründen zu rechtfertigen wäre. Das ist gerade typisch für ein ethisch-sittliches Korrektiv wie § 612a BGB. Dass Rechtsausübung in Fällen der Maßregelung stets nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Benachteiligung entfiele, führt beim subjektiv geprägten Kausalzusammenhang kaum weiter. Das Maßregelungsverbot betrifft einen von der Rechtsordnung missbilligten Zweck nachteiliger Maßnahmen. Der Aussagegehalt naturgesetzlicher Kausalitätserwägungen ist daher begrenzt. Die Argumentation einer Viktimisierung bzw. eines Generalverdachts der Arbeitgeberschaft widerlegt sich selbst, denn durch die subjektive Interpretation des Unmittelbarkeitszusammenhangs werden aus beweisrechtlicher Sicht gerade Hürden für den Arbeitnehmer geschaffen. Ein Verweis auf deren mögliche Überwindung durch prozessuale Beweiserleichterungen als Argument für eine objektive Begrenzung des Tatbestandes,272 ist mit einer Vermischung prozessualer und materiellrechtlicher Ebene verbunden, die Isenhardt gerade zu vermeiden sucht. Das Begriffsverständnis des BAG ist daher insgesamt arbeitgeberfreundlich. Eine illiberale Gesinnungssanktion kann darin nicht erblickt werden. 268

Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 465. MüKo/Grothe, BGB, § 226 Rn. 1; Staudinger/Repgen, BGB, § 226 Rn. 12. 270 MüKo/Grothe, BGB, § 226 Rn. 4 f.; Staudinger/Repgen, BGB, § 226 Rn. 18. 271 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 11. 272 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 277.

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B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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Sinnvoll erscheint auch der systematisch-funktionale Vergleich zu § 613a Abs. 4 BGB, da die Parallele zum Motivkündigungsschutz beim Betriebsübergang vom BAG selbst befürwortet wurde. Jedoch entpuppt sich die Folgerung, dass bei § 612a BGB kein Grund bestehe, Alternativbegründungen stärker zu unterbinden als Trugschluss. Die Schutzzwecke des § 612a BGB rechtfertigen wegen ihres hohen Gewichts eine restriktivere Interpretation als bei § 613a Abs. 4 BGB, der lediglich ein besonderes Kündigungsverbot statuiert. Verstöße gegen das Maßregelungsverbot sind in höherem Maße von der Rechtsordnung missbilligt, was auch die erschwerte Berufung auf objektive Alternativbegründungen erklärt. In dem subjektiven Verständnis des Unmittelbarkeitszusammenhangs kommt die konsequente Umsetzung des Schutzzwecks zum Ausdruck. Das Maßregelungsverbot charakterisiert gerade, dass auch an sich rechtmäßiges Verhalten ausnahmsweise untersagt werden kann. 2. Einheitlicher Benachteiligungsbegriff Die Entscheidung des V. Senats des BAG,273 nach der der bloße Vollzug einer Vereinbarung bereits keine Benachteiligung sein kann, beruht auf einem fehlgeleiteten Verständnis der früheren Entscheidung des VII. Senats: Die Orientierung des Verhaltens an der Rechtsordnung betrifft nämlich den Kausalzusammenhang.274 Im Unterschied zu den Fällen, in denen sich der Nachteil des Arbeitnehmers unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und deshalb eine Benachteiligung ausscheidet, würde der Ausschluss des Vollzugs von Vereinbarungen vom Begriff der Benachteiligung ohne weitere Prüfung der Beweggründe einen starken Widerspruch erzeugen. Denn dann würde das Maßregelungsverbot gerade nicht auch „ansonsten rechtmäßiges“ Verhalten untersagen, auf das der Arbeitgeber unmittelbaren Einfluss ausübt. Insgesamt spricht auch in Anschauung der Rechtsprechung des V. Senats des BAG mehr dafür, das Vorliegen einer Benachteiligung zu bejahen und die Orientierung an der Rechtsordnung bzw. einer kollektiven oder sonstigen Vereinbarung im Rahmen des Kausalzusammenhangs mit allen weiteren relevanten Motiven des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die in der Entscheidung des VII. Senats hervortretende Tendenz, bei der Berücksichtigung legitimer Gründe der Ungleichbehandlung nicht präzise zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen des Maßregelungsverbots zu differenzieren, wurde jüngst in einer Entscheidung des I. Senats auf die Spitze getrieben: Danach stelle eine nach Grundsätzen des Arbeitskampfrechts zulässige Prämiengestaltung von vornherein keine Maßregelung dar.275 Maßregelung umschreibt die Vorschrift des § 612a BGB insgesamt. Statt einer Subsumtion unter § 612a BGB behilft sich der Senat mit reiner Kasuistik, was angesichts der Tatsache, dass be273 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31, 33 f. (Rn. 29) = BAGE 139, 190 = AP BGB § 242 – Gleichbehandlung Nr. 215. 274 Vgl. BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 275 BAG, Urt. v. 14. 08. 2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100, 105 f. (Rn. 54) = BAGE 163, 219 = AP GG § 9 Arbeitskampf Nr. 186.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

züglich streikbedingter Sonderzuwendung inzwischen die wesentlichen Streitpunkte geklärt sind, wenig überrascht. Soweit im Falle einer sachlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung bereits eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB verneint wird, würde ein gespaltener Benachteiligungsbegriff gelten, da sich das Merkmal im Falle der Nichtgewährung von Vorteilen enger definiert. Dies ist unter Berücksichtigung der Schutzzwecke nicht sachgerecht. Wenn legitime Gründe für die Maßnahme bei der Verschlechterung der vorhandenen Rechtsposition nicht das Vorliegen einer Benachteiligung ausschließen, sollte dies auch für die Vorenthaltung von Vorteilen gelten. 3. Relevanz von Alternativbegründungen im Kausalzusammenhang a) Bedeutung sachlicher Gründe der Ungleichbehandlung Damit sich das Problem der „an sich rechtmäßigen“ Maßnahme überhaupt stellt, müsste die sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung völlig unabhängig von der Wertung des Maßregelungsverbots, die die Anknüpfung an zulässige Rechtsausübung verbietet, geklärt werden. Das ist nur schwer möglich. Mit Faulenbach wäre hier eine Situation gegeben, in der das Maßregelungsverbot in Form eines relativen Differenzierungsverbots auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz einwirkt.276 Im Ergebnis kann ein Sanktionierungsmotiv sachliche Gründe für eine Differenzierung relativieren, sodass in der Folge ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt.277 Es gilt aber, zum Zwecke einer einheitlichen Interpretation des Maßregelungsverbots die richtigen Rückschlüsse für die Wechselwirkung zwischen beiden Normen zu ziehen. Dass aufgrund einer Einwirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf das Maßregelungsverbot der Benachteiligungsbegriff bei der Nichtgewährung von Vorteilen anders verstanden werden muss, wäre keine stimmige Schlussfolgerung. Die Wechselwirkung erfolgt vielmehr im Rahmen des Kausalzusammenhangs, da es sich bei sachlichen Gründen der Ungleichbehandlung ebenfalls um Alternativbegründungen handelt. Mit an objektive Umstände anknüpfenden Alternativbegründungen einer Maßnahme korrespondiert regelmäßig auch eine subjektive Motivation, die im Rahmen der Prüfung des tragenden Beweggrundes den Ausschlag für oder gegen einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot geben kann. Der damit verbundene Rückschluss von objektiven Umständen auf subjektive Tatbestandsmerkmale ist alltägliche, anerkannte und unvermeidliche gerichtliche Praxis278 und gerade keine „Vermischung“ von objek276

Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 102 f. Vgl. BAG, Urt. v. 14. 03. 2007 – 5 AZR 420/06, NZA 2007, 862, 865 (Rn. 35). 278 Exemplarisch nur BGH, Urt. v. 18. 6. 2020 – 4 StR 482/19 (Berliner Raserfall), NJW 2020, 2900, 2903 (Rn. 23), der BGH hält fest, dass innerhalb der Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände die „objektive Gefährlichkeit der Tathandlung zwar ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes“ ist; vgl. im alltäglicheren Bereich des Verkehrsrechts Krumm, NZV 2007, 501, 277

B. Kausalzusammenhang und Benachteiligungsbegriff bei § 612a BGB

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tivem und subjektivem Tatbestand.279 Dies würde voraussetzen, dass die Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung erfordert, was bei einem einheitlichen Verständnis des Benachteiligungsbegriffs nicht der Fall ist. Die Probleme der Wechselbeziehung zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelungsverbot werden so in stimmiger Art und Weise aufgelöst. Bei Ersterem wirkt die subjektive Sanktionierungsmotivation als Differenzierungsverbot auf den objektiven Tatbestand, bei Letzterem bleiben objektive Rechtfertigungsgründe nicht unberücksichtigt, sondern bleiben als Alternativbegründung im Rahmen des subjektiv verstandenen Kausalzusammenhangs relevant. Die Orientierung an der Rechtsordnung beurteilt sich nach den Beweggründen des Arbeitgebers. b) Kündigungsgründe Das KSchG verdrängt die Anwendungsfälle der zivilrechtlichen Generalklauseln nicht, außer sie sind in seinem Anwendungsbereich abschließend geregelt.280 § 612a BGB ist auch eine solche Generalklausel.281 Das KSchG trifft keine spezielle Regelung zur maßregelnden Kündigung – damit wird § 612a BGB auch bei bestehenden Kündigungsgründen nicht verdrängt.282 Gegen eine Anwendung könnte eingewandt werden, dass das Ergebnis der Rechtmäßigkeit einer Kündigung nicht durch die Generalklausel in Frage gestellt werden darf. Dies berücksichtigt jedoch nicht deren Funktion als ethisch-sittliches Korrektiv und verkennt, dass keine Überschneidung im Regelungsgehalt besteht, die zu echten Widersprüchen führen könnte. Schon bei § 138 BGB besteht im KSchG keine abschließende Regelung, die einer Anwendung der Generalklausel per se entgegensteht, zumal es im KSchG auf die Motive des Kündigenden gar nicht ankommt.283 Entsprechendes gilt für § 612a BGB. Im Falle der „ansonsten rechtmäßigen“ Kündigung verhindert das Maßregelungsverbot, dass ein wirklich gegebener Kündigungsgrund bloß vorgeschoben wird. Jedoch bedeutet dies nicht, dass Alternativbegründungen im Kausalzusammenhang unberücksichtigt bleiben. Bei dieser Tatbestandsvoraussetzung ist erst zu klären, ob die Alternativbegründung oder die Sanktionierung für zulässige Rechtswahrnehmung „wesentliches“ bzw. tragendes Motiv war. Dabei ist zu beachten, dass ein Kündigungsgrund im Sinne des Kündigungsschutzrechts nicht mit einer Motivation gleichzusetzen ist. Allerdings lässt sich anhand objektiver Kündigungsgründe gleichermaßen wie bei sachlichen Gründen der Ungleichbehandlung regelmäßig ein 502 ff. mit einer Darstellung der zahlreichen objektiven Indizien, die bei der Feststellung einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Rolle spielen können. 279 Zur Rolle des mittelbaren Beweises beim Kausalzusammenhang noch Kapitel 2, B.II. 280 Preis, Prinzipien, S. 632. 281 Dazu Kapitel 1, A.I.1.b). 282 Preis, NZA 1997, 1256, 1265; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 44, Stand 01. 06. 2023. 283 Preis, Prinzipien, S. 634.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Rückschluss von äußeren Anlässen oder objektiven Begründungen auf die Motivationslage ziehen. Damit können die den Kündigungsgründen zugrundeliegenden Anlässe Anhaltspunkte für die Beweggründe entnommen werden. Es bleibt dann im Rahmen des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB jedoch zu klären, ob die legitimen Motive oder die Rechtswahrnehmung tragender Beweggrund für die Maßnahme waren.

V. Zwischenfazit § 612a BGB schützt die Willensfreiheit des Arbeitnehmers und zugleich die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Es handelt sich um eine arbeitsrechtliche Generalklausel, die einen Unterfall der §§ 138, 242 BGB abbildet und die jede zulässige Rechtsausübung einschließlich der Grundrechtsausübung des Arbeitnehmers umfassend absichert. Es liegt in der Natur der Generalklausel, eine Vielzahl von Anwendungssituationen mit sich zu bringen. Beim allgemeinen Maßregelungsverbot in § 612a BGB sind diese so vielfältig wie die Arbeitsrechtsordnung selbst und werden nur durch den Spezialitätsgrundsatz durch besondere Maßregelungsverbote sachlich beschränkt. Die Rechtsprechung hat eine klare Grundlinie für die Voraussetzungen, insbesondere für den Kausalzusammenhang, entwickelt. Charakteristisch ist, dass das Maßregelungsverbot, wenn die Rechtswahrnehmung tragender Beweggrund ist, auch ansonsten rechtmäßiges Verhalten untersagen kann. Es kann bei § 612a BGB folglich keine „gerechtfertigte Maßregelung“, wohl aber eine Benachteiligung durch die Nichtgewährung von Vorteilen geben, bei der nicht Sanktionierung für Rechtswahrnehmung, sondern objektive sachliche Gründe für eine Vorenthaltung maßgeblich das Verhalten des Arbeitgebers bestimmen. Bei der uneinheitlichen Verteilung von Leistungen/Nichtgewährung von Vorteilen ist der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder eines anderen vergleichbaren Rechtssatzes keine Voraussetzung für eine Benachteiligung. Ob bei sachlichen Gründen für eine Ungleichbehandlung ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vorliegt, bestimmt sich allein auf Ebene des Kausalzusammenhanges. Entsprechendes gilt für den Fall der „an sich gerechtfertigten“ Kündigung.

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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C. Das Verhältnis von Maßregelungsund Diskriminierungsschutz I. Begriffliche Abgrenzung Die Vorschrift des § 612a BGB wurde im Zuge der Umsetzung der diskriminierungsrechtlichen Richtlinien 75/117/EWG284 und 76/207/EWG285 im Jahr 1980 ins BGB eingefügt.286 Darüber hinaus ist der gesetzgeberische Maßregelungsschutz mit dem sekundärrechtlichen Diskriminierungsschutz eng verbunden.287 Bei § 612a BGB handelt es sich gewissermaßen um eine überschießende Umsetzung diskriminierungsrechtlicher Vorgaben.288 1. Diskriminierung Der Diskriminierungsbegriff hat eine beachtliche Entwicklung durchlaufen und in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen. Meint er im sprachlichen Ausgangspunkt nur Differenzierung/Unterscheidung oder Trennung,289 wird rechtlich auf eine Verschlechterung der Ausgangssituation infolge der Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal abgestellt. Den Richtlinien nach ist eine Diskriminierung gegeben, wenn eine Person wegen eines verpönten Merkmals in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, als eine Person, die nicht Merkmalsträger ist.290 Der EuGH definiert Diskriminierung als die Anwendung unterschiedlicher Vorschriften auf gleiche Sachverhalte oder die Anwendung derselben Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte. Dabei besteht der Unterschied zwischen mittelbarer und unmittelbarer 284 Richtlinie 75/117/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen v. 10. 02. 1975, Abl. EWG L 045, S. 0019 – 0020. 285 Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 09. 02. 1976, Abl. EWG L 039, S. 0040 – 0042. 286 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 1; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 1; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 1. 287 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 1; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 1. 288 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 1; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 1; insofern handelt es sich nach einer teilw. verwendeten Terminologie um „unechte“ überschießende Umsetzung, weil damit nur eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs einer unionsrechtlichen Vorgabe einhergeht, dazu Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444, 445; für die Zwecke dieser Arbeit bezeichnet der Begriff der „überschießenden Umsetzung“ sowohl die Verschärfung einer sekundärrechtlichen Vorgabe als auch die Ausweitung ihres Anwendungsbereichs durch den nationalen Gesetzgeber. 289 Adomeit, NJW 2002, 1622, 1623. 290 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Holoubeck, AEUV, Art. 19 Rn. 28.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Diskriminierung darin, dass bei unmittelbarer Diskriminierung das besondere Merkmal ausdrücklich zur Differenzierung herangezogen wird und bei mittelbarer Diskriminierung an sich neutrale Kriterien Folgen auslösen, die gerade die geschützten Personen treffen.291 Im deutschen Recht fällt der Blick auf § 3 AGG, der die maßgeblichen Diskriminierungsrichtlinien unter vollständiger Übernahme des Wortlauts mit wenigen Ergänzungen umsetzt.292 Im Kontext des AGG besteht kein inhaltlicher Unterschied zwischen den Begriffen Benachteiligung und Diskriminierung293 : Es handelt sich nur um eine terminologische Abweichung.294 Von zentraler Bedeutung und im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast wichtig ist die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligung:295 Während die unmittelbare Benachteiligung wegen eines auf Rechtfertigungsebene zu berücksichtigenden sachlichen Grundes nicht verboten sein kann, ist bei der mittelbaren Benachteiligung das Nichtbestehen sachlicher Gründe für die Ungleichbehandlung bereits Tatbestandsvoraussetzung.296 2. Das Maßregelungsverbot als Benachteiligungsverbot Nach verbreiteter Auffassung ist § 612a BGB ein allgemeines/umfassendes Diskriminierungs- bzw. Benachteiligungsverbot.297 Viktimisierung und Retaliation sind mit Maßregelung in diesem Kontext synonym.298 Auch die Begriffe Benachteiligung und Diskriminierung werden im Zusammenhang mit § 612a BGB als gleichbedeutend verwendet.299 Diesbezüglich werden dem allgemeinen Maßregelungsverbot seit Beginn des Gesetzgebungsprozesses verschiedene Attribute zugeschrieben, die teilweise unterschiedliche Dimensionen der Norm beschreiben und teilweise nur semantischer Natur sind. 291

Stellvertretend EuGH, Urt. v. 16. 07. 2015 – Rs. C-83/14 (CHEZ), ECLI:EU:C: 2015:480 Rn. 95 f. 292 MüKo/Thüsing, AGG, § 3 Rn. 1; Staudinger/Serr, AGG, § 3 Rn. 3. 293 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 18. 294 TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 3 Rn. 4, Stand Februar 2020. 295 TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 3 Rn. 281, Stand Februar 2020. 296 EuGH, Urt. v. 07. 02. 2018 – Rs. C-142/17, Rs. C-143/17, ECLI:EU:C:2018:68, NZA 2018, 291, 293 (Rn. 38); EuGH, Urt. v. 18. 11. 2010 – Rs. C-356/09, ECLI:EU:C:2010:703, NZA 2010, 1401, 1403 (Rn. 41); Erman/Armbrüster, AGG, § 3 Rn. 2. 297 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 172; Erman/Edenfeld, BGB, § 612a Rn. 2; Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 271; DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 2; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 2; MüHB-ArbR/Greiner, § 110 Rn. 63; Pallasch, RdA 2015, 108, 111; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 2; BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 347/88, NZA 1989, 962, 964. 298 Benecke, NZA 2011, 481. 299 BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 299/88, NJW 1989, 3299, 3302 = AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20.

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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Im Gesetzgebungsverfahren hieß es, es handele sich um ein „besonderes Benachteiligungsverbot“.300 Ein Bedeutungsunterschied zwischen den Begriffen „allgemein“ und „umfassend“ ist nicht zu erkennen.301 Offen ist jedoch, ob § 612a BGB als allgemein oder besonders bezeichnet werden kann, da sich die Zuschreibungen dem Wortsinn nach gegenseitig ausschließen, sofern sie sich auf denselben übergeordneten Rechtsbegriff beziehen. Scheinbar in Widerspruch zur Einordnung als allgemeines Diskriminierungsverbot steht die Feststellung, dass der deutsche Gesetzgeber den Maßregelungsschutz zur allgemeinen Regel erhoben und damit eine inhaltliche Erweiterung und Abgrenzung zum unionsrechtlich geprägten Diskriminierungsschutz im eigentlichen Sinne getroffen hat.302 Daraus wird gefolgert, der von den europäischen Diskriminierungsrichtlinien geforderte Maßregelungsschutz sei selbst kein Diskriminierungsschutz, sondern diene nur dessen Absicherung.303 Demnach bringe das Maßregelungsverbot eine in den Diskriminierungsrichtlinien keinerlei Anklang findende gesetzgeberische Wertentscheidung für die Rechtsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers zum Ausdruck.304 Die Maßregelung ist im Verhältnis zur Diskriminierung eine zweite Schutzebene, die auch das Opfer einer Diskriminierung vor einer erneuten Benachteiligung schützt.305 Daraus könnte man schließen, dass eine Charakterisierung als Benachteiligungsverbot zu kurz greift, weil dies die zugrundeliegende Wertung nicht oder nicht vollständig abbildet. Die Absicherungsfunktion des Maßregelungsschutzes gegenüber dem Diskriminierungsschutz im eigentlichen Sinne ist allerdings nicht zu bestreiten. Damit ist die Abgrenzung zwischen Diskriminierungsschutz im eigentlichen Sinne und Maßregelungsschutz jedoch noch nicht abgeschlossen. Vielmehr gilt es, die inhaltlichen Parallelen beider Verbote zu ermitteln.

II. Unterschiede im Begriff der Benachteiligung Die Verwendung des Begriffs „Benachteiligung“ allein genügt nicht, um eine klare Abgrenzung zwischen Maßregelung und Diskriminierung zu treffen oder den Maßregelungsschutz als Diskriminierungsverbot einzuordnen, wenn der Begriff unterschiedliche Bedeutungen aufweist.

300

BTDrucks. 8/3317, S. 10. Schilling, Maßregelungsverbot, S. 18. 302 Thüsing, NZA 1994, 728; Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 270; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 29; NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 5. 303 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 29. 304 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 30. 305 Benecke, NZA 2011, 481, 483. 301

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

1. Fehlender Vergleichsgruppenbezug beim Maßregelungsschutz Im Unterschied zum Diskriminierungsschutz knüpft das Maßregelungsverbot nicht an ein Merkmal der Person, sondern an ein Verhalten an,306 das eine verfassungsrechtlich geschützte307 bzw. rechtmäßige Betätigung darstellt.308 Dies steht einer Bezeichnung als Benachteiligungsverbot aber nicht zwangsläufig entgegen, und schließt auch eine systematische Verwandtschaft mit dem Diskriminierungsschutz nicht aus: Auch bei der verpönten Anknüpfung an die Religion oder Weltanschauung kann der Auslöser der Benachteiligung ein Verhalten sein.309 Reibungen erzeugt die Einordnung des Maßregelungsverbots in die Reihe der Diskriminierungsverbote jedoch im Hinblick auf die Feststellung einer Benachteiligung. Grundlage sowohl des europäischen als auch des nationalen Diskriminierungsrechts ist der allgemeine Gleichheitssatz, der die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte ohne sachlichen Grund untersagt.310 Gleichheit bezieht sich immer auf Beziehungen zwischen verschiedenen Personen oder Sachen.311 Dies gilt nach einhelliger Auffassung sowohl im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG als auch beim allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der nur anwendbar ist, wenn ein Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierbaren Grundsatz gewährt, oder bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festschreibt312. Eine Parallele zum Maßregelungsverbot besteht dahingehend, dass eine Viktimisierung für Rechtswahrnehmung eine willkürliche bzw. sachfremde Motivation darstellt. Im Übrigen weichen die Begriffe jedoch voneinander ab. Zwar muss die Vergleichsperson im Diskriminierungsrecht nicht real existieren.313 Dieses Konzept einer hypothetischen Vergleichsperson wird vereinzelt auf § 612a BGB übertragen.314 Allerdings ist eine Schlechterstellung im Verhältnis zu „ungestraften“ Arbeitnehmern als Vergleichsgruppe zur Auslösung des Schutzes des § 612a BGB nicht erforderlich.315 Eine hypothetische Vergleichsgruppe zu erstellen, wäre eine reine Fiktion ohne rechtlichen Mehrwert.

306

Gerdemann, RdA 2019, 16, 25. APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 27. 308 MüHB-ArbR/Oetker, § 15 Rn. 2. 309 Beispielsweise Gebetspausen eines muslimischen Arbeitnehmers, vgl. LAG Hamm, Urt. v. 18. 01. 2002 – 5 Sa 1782/01, NZA 2002, 675. 310 Benecke, NZA 2011, 481, 483; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 3 Rn. 29, Stand Februar 2020; MüKo/Thüsing, AGG, § 3 Rn. 2 f. 311 Dreier/Heun, GG, Art. 3 Rn. 19. 312 ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 669. 313 Staudinger/Serr, AGG, § 3 Rn. 14; ErfK/Schlachter, AGG, § 3 Rn. 5; HWK/Rupp, AGG, § 3 Rn. 2; BeckOGK/Baumgärtner, AGG, § 3 Rn. 41, Stand 01. 03. 2023. 314 Adam, EzA Nr. 7 zu § 612a BGB 2002, unter III.1. 315 Siehe dazu bereits Kapitel 1, B.II.1. 307

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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2. Kausalität und subjektiver Tatbestand beim Diskriminierungsschutz Auch für Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Anknüpfung an verpönte Merkmale ist kennzeichnend, dass andere Motive vorgeschoben werden. Nach einer älteren Rechtsprechung des BVerfG war im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu fordern, dass die Benachteiligung „wegen“ des Merkmals erfolgte.316 Dies bezieht sich jedoch nicht auf einen subjektiven Tatbestand.317 Nach der Rechtsprechung des BAG kommt es für eine unmittelbare Benachteiligung darauf an, dass sie zumindest auch von einer entsprechenden Motivation getragen war – der tragende Beweggrund braucht sie jedoch nicht zu sein; vielmehr „infiziert“ eine Anknüpfung an das verpönte Merkmal alle anderen Beweggründe, auch wenn sie in der Gesamtschau keine überragende Rolle einnimmt.318 Es genügt, dass das verpönte Merkmal Teil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung des Arbeitgebers mitbeeinflusst hat – eine besondere Absicht ist nicht zu fordern.319 Insgesamt gilt ein motivationsbezogenes Verständnis.320 Der Kausalzusammenhang wird dabei sehr weit ausgelegt, sodass es nicht nur genügt, wenn die Diskriminierung Teil eines Motivbündels ist, sondern schon bloßes Kennenmüssen ausreicht.321 Wie bereits gezeigt, bestimmt sich die Unmittelbarkeitsbeziehung bei § 612a BGB nach überzeugender Ansicht rein subjektiv. Somit gilt sowohl beim Diskriminierungsrecht als auch beim Maßregelungsverbot ein subjektiv geprägtes Verständnis des Kausalzusammenhangs. Das Maßregelungsverbot hat jedoch für den Kausalzusammenhang höhere Anforderungen. 3. Mittelbare Diskriminierung und „mittelbare Maßregelung“ Nach dem BAG schützt § 612a BGB auch vor „mittelbaren“ Benachteiligungen, die besonders im Zusammenhang mit der Vorenthaltung von Vorteilen gesehen werden.322 In dieser Hinsicht ähnelt der Benachteiligungsbegriff dem des § 3 AGG.323 Dies wirft die Frage auf, inwiefern zwischen Diskriminierungsschutz und dem 316 BVerfG, Beschl. v. 07. 05. 1953 – 1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, 268; BVerfG, Beschl. v. 22. 05. 1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 335, 368; so auch BVerwG, Urt. v. 03. 03. 1998 – 9 C 3/97, NVwZ-RR 1998, 589, 590 = DVBl. 1998, 728. 317 Mangoldt/Klein/Starck/Baer/Makard, GG, Art. 3 Rn. 428. 318 BAG, Urt. v. 25. 03. 2015 – 5 AZR 458/13, NZA 2015, 1059, 1062 (Rn. 26); BAG, Urt. v. 20. 03. 2012 – 9 AZR 529/10, NZA 2012, 803, 804 (Rn. 14) = BAGE 141, 73; BAG, Urt. v. 13. 10. 2009 – 9 AZR 722/08, NZA 2010, 327, 331 (Rn. 50). 319 MüKo/Thüsing, AGG, § 3 Rn. 8; Staudinger/Serr, AGG, § 3 Rn. 19; BeckOGK/Baumgärtner, AGG, § 3 Rn. 1, Stand 01. 03. 2023; HWK/Rupp, AGG, § 3 Rn. 3. 320 Staudinger/Serr, AGG, § 3 Rn. 20. 321 Staudinger/Serr, AGG, § 3 Rn. 18. 322 BAG, Urt. v. 07. 11. 2002 – 2 AZR 742/00, AP BGB § 615 Nr. 100, unter I. 1. d) bb) = BAGE 103, 265. 323 KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 9.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Maßregelungsverbot Parallelen hinsichtlich der Handhabung mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligungen bestehen und welche Folgerung sich daraus für das Verhältnis der beiden Normen ziehen lässt. a) Rechtslage im Diskriminierungs- und Gleichbehandlungsrecht Unklar ist, ob der Rechtfertigungsdruck bei Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob es sich um eine mittelbare oder unmittelbare Benachteiligung handelt.324 Auf Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG ist ein „hinreichender sachlicher Grund“ erforderlich, was auch bei faktischen Benachteiligungen gilt, die infolge tatsächlicher Auswirkungen neutraler Regelungen entstehen.325 Bei mittelbaren Benachteiligungen gelten demnach unverändert hohe Anforderungen für die Rechtfertigung.326 Die Formulierung „hinreichende sachliche Gründe“ bietet daher noch keinen Anlass, von geringeren Rechtfertigungsanforderungen bei mittelbarer Diskriminierung auszugehen.327 Gegen ein absolutes Anknüpfungsverbot im Hinblick auf die „verpönten“ Merkmale spricht jedoch, dass die Schutzfunktion bei Fällen der mittelbaren Diskriminierung ohne eine Wertungsmöglichkeit nicht hinreichend verwirklicht werden könne, insofern sei ein Abwägungsmodell vorzuziehen.328 Auf Ebene des einfachen Rechts ist die Rechtslage eindeutig. Liegt eine mittelbare oder unmittelbare Benachteiligung im Sinne des AGG vor, sind im zweiten Schritt die Rechtfertigungsgründe der §§ 8 – 10 AGG zu prüfen. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gibt es nicht.329 Darüber hinaus kommt der Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligung große Bedeutung zu: Während bei der unmittelbaren Benachteiligung die Rechtfertigung eine eigene Prüfungsstufe darstellt, ist das Fehlen von Rechtfertigungsgründen bei mittelbarer Diskriminierung bereits Teil des Merkmals „Benachteiligung“.330 Der Tatbestand der mittelbaren Benachteiligung setzt keine subjektiven Merkmale voraus.331

324

Hömig/Wolff/Wolff, GG, Art. 3 Rn. 20. BVerfG, Beschl. v. 05. 04. 2005 – 1 BvR 774/02, BVerfGE 113, 1, 20 f. 144 BVerfG, Beschl. v. 10. 07. 2012 – 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11, BVerfGE 132, 72, 98. 326 Mangoldt/Klein/Starck/Baer/Makard, GG, Art. 3 Rn. 434; Sachs/Nußberger, GG, Art. 3 Rn. 250. 327 So aber BeckOK-GG/Kischel, Art. 3 Rn. 190 f. 328 HWK/Hergenröder, GG, Art. 3 Rn. 106 f.; ErfK/Schmidt, GG, Art. 3 Rn. 75. 329 BeckOGK/Baumgärtner, AGG, § 3 Rn. 22, Stand 01. 03. 2023. 330 Erman/Armbrüster, AGG, § 3 Rn. 2; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 3 Rn. 281, Stand Februar 2020. 331 Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 116. 325

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

77

b) Abgrenzung vom Maßregelungsverbot Das Maßregelungsverbot ist nach hier vertretenem Verständnis ein absolutes Differenzierungsverbot, sodass es eine gerechtfertigte Maßregelung nicht geben kann.332 Denkbar ist aber, dass rechtmäßige andere Gründe die tragende Motivation für die Maßnahme bilden, sodass ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot ausscheidet. Eine Entsprechung zur „mittelbaren“ Diskriminierung gibt es daher bei § 612a BGB nicht, da gerade „ansonsten rechtmäßiges Verhalten“ gegen das Maßregelungsverbot verstoßen kann. Die Bezeichnung des an sich rechtmäßigen, aber von einer maßregelnden Motivation getragenen Arbeitgeberverhaltens als „mittelbare Maßregelung“ hat keinen Mehrwert: Wie die Untersuchung bereits gezeigt hat,333 sind an den Benachteiligungsbegriff bei der Nichtgewährung von Vorteilen keine anderen Anforderungen zu stellen als bei der Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition durch den Arbeitgeber. Eine „mittelbare Benachteiligung“ durch ein ansonsten rechtmäßiges Verhalten ist im Rahmen des § 612a BGB hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen nicht anders zu behandeln als eine rechtswidrige Handlung mit maßregelnder Motivation. Es bestehen keine Unterschiede im Tatbestand. Die synonyme Verwendung der Begriffe „Unmittelbarkeitszusammenhang“ und „Kausalzusammenhang“ darf von diesem Umstand nicht ablenken. Vorzugswürdig ist der Begriff Kausalzusammenhang, da er das besondere Unwerturteil des Maßregelungsverbots, das auch an sich rechtmäßige Maßnahmen mit „mittelbaren“ Nachteilen verbietet, nicht verzerrt. 4. Vergleichbarkeit hinsichtlich der Rechtsfolgen § 7 Abs. 1 AGG spricht bei einem Verstoß gegen die Diskriminierungsvorschriften eine Unwirksamkeitsanordnung aus, die der Wirkung des § 612a BGB über § 134 BGG entspricht. Darüber hinaus ist im AGG noch ein spezifisches Rechtsfolgenregime mit Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen vorgesehen, das beim Maßregelungsverbot fehlt. Anerkannt ist jedoch, dass auch Verstöße gegen § 612a BGB Schadensersatzansprüche über § 280 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 BGB auslösen können.334 Die von Diskriminierung „im eigentlichen Sinne“ abzugrenzende Funktion des Maßregelungsverbots als sekundäre Schutznorm hat das BAG beim Vorwurf einer Maßregelung durch Nichtverlängerung eines befristeten Vertrages veranlasst, § 15 Abs. 6 AGG analog auf § 612a BGB anzuwenden.335 § 612a BGB enthalte demnach eine planwidrige Regelungslücke, da nicht klar sei, ob im Zuge der Schadenser332

Dazu ausführlich Kapitel 1, B.IV. Dazu Kapitel 1, B.IV. 334 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 23; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 25. 335 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 43 ff.) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 333

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

satzansprüche, die ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot auslösen kann, die Begründung eines Arbeitsverhältnisses verlangt werden kann.336 Diese Entscheidung wurde deutlich kritisiert, insbesondere weil die Interessenlage zwischen der Ablehnung einer Einstellung und der Nichtfortsetzung eines Arbeitsverhältnisses nicht vergleichbar sei.337 Auch lässt sich bezweifeln, ob angesichts der unterschiedlichen Schutzdimensionen von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz wirklich eine planwidrige Regelungslücke besteht.338 Kritisch wird auch das anvisierte Ergebnis gesehen, da der Arbeitgeber sich nach § 242 BGB nicht auf die Befristung von Arbeitsverhältnissen berufen dürfe, wenn er damit bloß auf ein legitimes Verhalten von Arbeitnehmern reagiert habe.339 § 612a BGB erfasse jedoch nur weniger schwerwiegende Fälle als Diskriminierung nach dem AGG.340 Letzterer Punkt wird auch vom BAG herangezogen: Wenn bei gravierendsten Diskriminierungen wegen verpönter Merkmale schon kein entsprechender Anspruch bestehe, könne das erst recht nicht bei den deutlich weniger gravierenden Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 612a BGB infolge einer Geltendmachung von Urlaubsansprüchen oder Überstundenvergütung gelten.341 Das Gericht betont die grundrechtlich geschützte Wahlfreiheit des Arbeitgebers, die erst berührt sei wenn es um die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses als Kompensation gehe.342 In einer anderen Entscheidung hatte derselbe Senat eine analoge Anwendung bei einer unwirksamen Befristungsabrede verneint.343 Die für die Analogie erforderliche Regelungslücke sieht das BAG seit dem Inkrafttreten des AGG als gegeben an.344 Dies gelte für § 612a BGB und das AGG, da beide im Wesentlichen einen personenbezogenen Schutzzweck verfolgten, aber nicht für das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG, da bei dieser Vorschrift der personenbezogene Schutzzweck fehle und also keine vergleichbare Interessenlage gegeben sei.345 Vielmehr schütze

336 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 44) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 337 Adam, EzA Nr. 7 zu § 612a BGB 2002, unter V. 338 Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 463 f.; für eine entsprechende Anwendung Weidl, Freiheit und Bindung des Arbeitgebers bei der Fortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 213 ff. 339 Adam, EzA Nr. 7 zu § 612a BGB 2002, unter III.2. 340 Adam, EzA Nr. 7 zu § 612a BGB 2002, unter I. 341 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 44) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 342 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 46) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 343 BAG, Urt. v. 06. 04. 2011 – 7 AZR 524/09 NZA 2011, 970, 973 (Rn. 32 ff.). 344 BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 44) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB. 345 BAG, Urt. v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1211 (Rn. 32) = BAGE 148, 299.

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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§ 78 S. 2 BetrVG ebenso wie § 78 S. 1 BetrVG neben der Person auch den Betriebsrat als Organ.346 Daraus lässt sich folgern, dass das BAG nicht bloß den am Wortlaut des § 612a BGB orientierten Begriff des allgemeinen Benachteiligungsverbots oder Diskriminierungsverbots verwendet, sondern eine inhaltliche Schnittmenge zwischen einer Benachteiligung im Sinne des Diskriminierungsrechts und im Sinne des Maßregelungsverbots ausmacht, die die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage und einer planwidrigen Regelungslücke in § 612a BGB stützt.

III. Maßregelung und Diskriminierung im AGG Nachdem zunächst § 612a BGB als überschießende Umsetzung diskriminierungsrechtlicher Vorgaben die Rechtsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers abgesichert hat, trat mit dem AGG ein spezielles Maßregelungsverbot in Kraft, das § 612a BGB als lex specialis verdrängt.347 § 16 AGG dient der Umsetzung von Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 11 RL 2000/78/EG und Art. 7 RL 76/207/EWG,348 wobei letztere Norm inzwischen durch Art. 24 der RL 2006/54/EG ersetzt wurde. § 16 Abs. 1 S. 1 AGG enthält ein Benachteiligungsverbot für Rechtswahrnehmung, das in Satz 2 noch erweitert wird.349 Hinsichtlich der sanktionierten Maßnahmen des Arbeitgebers nennt die Norm zwei Alternativen, wobei bezweifelt werden kann, ob es der gesonderten Nennung der Weisungen des Arbeitgebers überhaupt bedarf, da in diesen Fällen die Weisung bereits für sich genommen rechtswidrig ist und also nicht befolgt werden muss.350 Abs. 2 geht noch deutlich über Abs. 1 hinaus und erstreckt den Schutz auf jede Handlung, die auf einem Verstoß gegen das Verbot des Abs. 1 aufbaut.351 Es handelt sich dabei um ein Verwertungsverbot, das sich in Abgrenzung zu Maßregelungsverboten nicht auf Rechtsausübung bezieht.352 Es betrifft eine

346

BAG, Urt. v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1211 (Rn. 32) = BAGE 148, 299. 347 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 31, Stand 01. 06. 2023; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 3; Adomeit/Mohr, AGG, § 16 Rn. 10. 348 NK-ArbR/Schneider, AGG, § 16 Rn. 1; BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 1, Stand 01. 05. 2023. 349 Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 1. 350 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 3; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 24; instruktiv zur Unterscheidung der Alternativen TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 81 f., Stand Februar 2020. 351 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 5; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 11; SSP/ Suckow, AGG, § 16 Rn. 26; vgl. BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 12, Stand 01. 05. 2023. 352 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 22, Stand 01. 06. 2023; NK-ArbR/Schneider, AGG, § 16 Rn. 4; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 31.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

weitere, von der Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 3 AGG unabhängige Schlechterstellung,353 insofern besteht ein besonderer Opferschutz.354 1. Weiterer Anwendungsbereich/Schutzbereich Der persönliche Schutzbereich des § 16 AGG bestimmt sich nach § 6 AGG und schließt damit etwa arbeitnehmerähnliche Personen mit ein. § 16 AGG schützt darüber hinaus Dritte, die die von Diskriminierung betroffene Person bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen oder als Zeuge aussagen (§ 16 Abs. 1 S. 2 AGG). Dies entspricht einem unionsrechtlich gebotenen weiten Verständnis des persönlichen Anwendungsbereichs.355 Dabei stellen sich zahlreiche Einzelfragen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen besteht ein Interesse, rechtswidrig handelnde Unterstützer vom Schutzbereich auszuschließen.356 So wird befürchtet, der Anwendungsbereich der Vorschrift könne ausufern, wenn jede beliebige Unterstützung erfasst wäre – das bloße unterstützende Zuzwinkern oder die Mitgliedschaft in einem Antidiskriminierungsverband solle nicht genügen.357 Abgesehen von einer objektiven Bagatellschwelle ist ungeklärt, ob die Unterstützung aus Sicht des Primärbetroffenen erwünscht und hilfreich sein muss,358 und inwiefern der Handlung ein gewisses Gewicht zukommen muss.359 Gleichzeitig kommt es bei der Einordnung als unterstützende Person weder darauf an, welche formale Position der Unterstützer innehat, noch ob zeitgleich mit der Unterstützung Arbeitgeberinteressen verfolgt werden.360 Ob die Unterstützung formell oder informell erbracht wurde ist irrelevant.361 Insgesamt gilt unter Berücksichtigung des Erwägungsgrundes 32 RL 2006/54, dass der Unterstützer dasselbe Schutzniveau genießen soll, wie der Be-

353

TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 44, Stand Februar 2020. Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 9 f. 355 Zu Art. 24 der RL 2006/54/EG: EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, NZA 2019, 1041, Rn. 29 f.) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6; zu Art. 11 RL 2000/78/EG: EUArbRK/Mohr, RL 2000/78/EG, Art. 11 Rn. 1. 356 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 12. 357 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 11, Stand 01. 06. 2023; so auch BeckOK-BGB/ Horcher, AGG, § 16 Rn. 2 f., Stand 01. 05. 2023; Göpfert/Siegrist, ZIP 2006, 1710, 1715. 358 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 12 f., Stand 01. 06. 2023; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 49, Stand Februar 2020; für eine Beschränkung auf Personen, auf die das AGG nach § 6 AGG anwendbar ist: Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 4; sowie BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 4. 359 Dafür etwa ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 3; ablehnend SSP/Suckow, AGG, § 16 Rn. 15 m. w. N. 360 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 10, Stand 01. 06. 2023 m. w. N. 361 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, NZA 2019, 1041, 1042 f. (Rn. 35) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. 6. 354

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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troffene.362 Der Annahme, der Unterstützer müsse selbst „Beschäftigter“ sein,363 steht der Wortlaut entgegen. Um die Geltungsreichweite des § 16 AGG schutzzweckgerecht auszudehnen, sollen darüber hinaus nicht nur wortlautgetreu Benachteiligungen durch den Arbeitgeber, sondern von allen Personen untersagt sein, die Arbeitgeberfunktionen ausfüllen – die Geltung des Maßregelungsverbots sei nicht von der formalen Stellung als Arbeitsvertragspartei abhängig.364 Bei Mitarbeitern des Arbeitgebers ist deren Verhalten regelmäßig ohnehin entsprechend § 278 BGB zuzurechnen, sodass die Betonung der Funktionsträgereigenschaft zunächst überflüssig erscheint. Anders liegt der Fall aber bei Leiharbeit, da zwischen Entleiher und Leiharbeiter kein Arbeitsverhältnis besteht, was diesen aber nicht zur Viktimisierung für Rechtswahrnehmung berechtigen kann. Es gilt nichts anderes als bei § 612a BGB,365 sodass auch der Entleiher Adressat des Maßregelungsverbots ist, obwohl § 6 Abs. 2 Satz AGG an sich nur für die Rechte des dritten Abschnitts greift.366 2. Übereinstimmung der Tatbestandsvoraussetzungen mit § 612a BGB Unklar ist, ob das Maßregelungsverbot in § 16 Abs. 1 S. 1 AGG inhaltlich kongruent zu § 612a BGB ist,367 oder ob auch hinsichtlich der konkreten Tatbestandsmerkmale ein erweiterter Schutz gilt. a) Anforderungen an das Verhalten des Arbeitnehmers § 16 Abs. 1 S. 1 AGG knüpft an die „Inanspruchnahme“ von Rechten an. Wegen der funktionalen Parallele zu § 612a BGB liegt zunächst ein Verständnis als Geltendmachung von Rechten nahe.368 Die bloße Ankündigung einer Rechtsausübung

362 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, NZA 2019, 1041, 1042 (Rn. 29 ff.) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 31, Stand Februar 2020. 363 JurisPK-BGB/Harwart, AGG, § 16 Rn. 8. 364 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 13; HWK/Rupp, AGG, § 16 Rn. 2; SSP/Suckow, AGG, § 16 Rn. 5; vgl. auch TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 25, Stand Februar 2020. 365 Dazu ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 4; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 4; MüKo/MüllerGlöge, BGB, § 612a Rn. 4; Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 4; AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 7; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 161; differenzierend aber im Ergebnis für Entleiher auch Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 53 f. 366 Dies entspricht den Anforderungen der Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 11 RL 2000/78/EG und Art. 7 RL 76/207/EWG: TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 55, Stand Februar 2020. 367 MüKo/Thüsing, AGG, § 16 Rn. 4 f., Stand 7. Auflage 2015, der meint, Unterschiede bestünden lediglich im Hinblick auf die Rechte, auf die sich die Norm beziehe. 368 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 2; BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 7, Stand 01. 05. 2023; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 5.

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

soll aber für eine Inanspruchnahme im Sinne der Vorschrift genügen,369 da der Beschäftigte in diesem Falle nicht weniger schutzwürdig ist. Dass § 16 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AGG die Nichtbefolgung einer „gegen diesen Abschnitt verstoßenden Weisung“ besonders erwähnt, ist nicht als Erweiterung gegenüber dem allgemeinen Maßregelungsverbot zu sehen.370 Wie bereits erwähnt wird die Weisung in diesen Fällen selbst unwirksam sein. Zur Befolgung einer rechtsunwirksamen Weisung besteht ohnehin keine Pflicht – dann steht gerade die Wahrnehmung von Rechten aus dem AGG im Raum.371 Auffällig im Vergleich zum Wortlaut des § 612a BGB ist, dass die Einschränkung „in zulässiger Weise“ bei § 16 Abs. 1 S. 1 AGG nicht besteht. Doch bedeutet das, dass auch der nicht rechtmäßig handelnde Arbeitnehmer geschützt ist? Die praktische Relevanz dieser Frage ist insofern begrenzt, als das besondere Maßregelungsverbot ohnehin nur für eine beschränkte Anzahl an Rechten und Ansprüchen greift. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass dem Arbeitnehmer das geltend gemachte Recht aus dem AGG in Wahrheit gar nicht zusteht. Insofern besteht Einigkeit, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich das Irrtumsrisiko zu tragen hat.372 Dementsprechend wird die Einschränkung „in zulässiger Weise“ in den Gesetzestext des § 16 Abs. 1 S. 1 AGG hineingelesen.373 Wenn der Arbeitnehmer den Irrtum nicht zu verschulden hat, wird vorgeschlagen, dass der unverschuldete Irrtum bei der allgemeinen Interessenabwägung (etwa im Rahmen der Prüfung einer Kündigung) zu berücksichtigen sei.374 Der unverschuldete Irrtum soll sich jedenfalls nicht zulasten des Beschäftigten auswirken.375 Die Problematik wird auch auf Ebene des Sekundärrechts diskutiert,376 wobei gegen die Berücksichtigung eines angeblich schützenswerten Vertrauens in erster Linie eingewandt wird, dass eine Person nicht viktimisiert werden könne, wenn sie nicht diskriminiert worden sei.377 Die besseren Gründe sprechen dafür, bei § 16 Abs. 1 S. 1 AGG dieselben Kriterien anzulegen wie bei § 612a BGB. Die systematische Funktion der Vorschriften 369

Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 18. So aber BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 7, Stand 01. 06. 2023. 371 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 3; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 24, der bezweifelt, dass die Weigerung zur Befolgung einer unwirksamen Weisung bereits als Inanspruchnahme von Rechten zu sehen ist, aber wegen Abs. 2 ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass es der gesonderten Erwähnung in § 16 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AGG nicht bedurft hätte. 372 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 5, Stand 01. 06. 2023; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 22; SSP/Suckow, AGG, § 16 Rn. 25; HWK/Rupp, AGG, § 16 Rn. 1. 373 Prüttung/Wegen/Weinreich/Lingemann, AGG, § 16 Rn. 3; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 6; SSP/Suckow, AGG, § 16 Rn. 9. 374 BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 5, Stand 01. 06. 2023. 375 BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 5, Stand 01. 05. 2023. 376 Nach einer Ansicht genügt es für den Schutz, wenn die Arbeitnehmer „in verständiger Weise auf das Bestehen eines Rechts Vertrauen durften“: Schlachter/Heinig/Kocher, § 5 Rn. 310. 377 EUArbRK/Mohr, RL 2000/78/EG, Art. 11 Rn. 2. 370

C. Das Verhältnis von Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz

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ist identisch. Auch das spezielle Maßregelungsverbot schützt davor, dass die Rechtsordnung in Widerspruch zu sich selbst tritt. Folglich kann es nur auf die objektive Zulässigkeit der Rechtsausübung ankommen. Ob dieser Schutzzweck schon bei einer bloßen Ankündigung der Geltendmachung von Rechten gefährdet ist, erscheint auf den ersten Blick fraglich, weil die Gefahr eines Selbstwiderspruchs in diesem Fall noch sehr abstrakt erscheint. Andererseits ist der Arbeitgeber, der schon auf die bloße Ankündigung der Rechtswahrnehmung mit Strafmaßnahmen reagiert, wohl kaum schutzwürdig. Richtigerweise wird man bei der Zulässigkeit der Rechtswahrnehmung eine Schwelle des Rechtsmissbrauchs berücksichtigen müssen, sodass Vorbereitungshandlungen vor der Anspruchsgeltendmachung nur dann nicht geschützt sind, wenn sie erkennbar den Zweck haben, den Arbeitgeber zu schädigen.378 Denkbar ist auch eine Parallele zu den vom EGMR aufgestellten Kriterien für Whistleblower.379 b) Benachteiligung und Kausalzusammenhang Der Benachteiligungsbegriff des § 16 Abs. 1 S. 1 AGG ist nicht mit dem des § 3 AGG identisch.380 Es gelten dieselben Grundsätze wie bei § 612a BGB,381 einschließlich der Grundsatzfragen der Erfassung sozial inadäquater Handlungen und dem Verhältnis zum Gleichbehandlungsgrundsatz.382 Insofern muss die Benachteiligung nicht für sich genommen rechtswidrig sein,383 Benachteiligung ist jede sich auf den Betroffenen negativ auswirkende Reaktion auf die Geltendmachung von Rechten,384 was durch einen Vergleich der hypothetischen Lage ohne die Maßnahme des Arbeitgebers mit der tatsächlichen Situation festzustellen ist.385 Die Frage der Kongruenz zum allgemeinen Maßregelungsverbot setzt sich beim Kausalzusammenhang fort. Hier gilt nach herrschender Meinung nichts anderes als bei § 612a BGB.386 Dem wird entgegengehalten, dass auch bei Zulassung der 378

Rn. 1.

BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 6, Stand 01. 06. 2023; ErfK/Schlachter, AGG, § 16

379 ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 1; vgl. zu einer entsprechenden Anwendung bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs „unterstützen“ MüKo/Thüsing, AGG, § 16 Rn. 11, Stand 7. Auflage 2015. 380 ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 2; Erman/Riesenhuber, AGG, § 16 Rn. 3; Staudinger/ Serr, AGG, § 16 Rn. 7; SSP/Suckow, AGG, § 16 Rn. 18; JurisPK-BGB/Harwart, AGG, § 16 Rn. 12; Bauer/Krieger/Günther, AGG, § 16 Rn. 15; Adomeit/Mohr, AGG, § 16 Rn. 3. 381 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 27. 382 MüKo/Thüsing, AGG, § 16 Rn. 13, Stand 7. Auflage 2015. 383 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 29. 384 BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 8, Stand 01. 05. 2023; ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 2. 385 HWK/Rupp, AGG, § 16 Rn. 2; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 7. 386 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 16 Rn. 2; BeckOK-BGB/Horcher, AGG, § 16 Rn. 9, Stand 01. 05. 2023; Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 30; Prüttung/Wegen/Weinreich/ Lingemann, AGG, § 16 Rn. 4; Erman/Riesenhuber, AGG, § 16 Rn. 9; SSP/Suckow, AGG, § 16

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1. Kap.: Grundlagen des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht

Maßregelung als bloßes Begleitmotiv ein effektiver Schutz für die unbefangene Rechtsausübung nicht gewährleistet sei, wozu der Wortlaut der einschlägigen Richtlinienbestimmungen aber im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung zwinge.387 Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums besteht bereits dann keine Kausalität, wenn irgendein anderer sachlicher Grund für die Maßnahme besteht.388 Beide Ansätze überzeugen nicht. Ist die Maßregelungsmotivation nicht hauptsächlicher Beweggrund, würde das Maßregelungsverbot eine bloße Absicht bestrafen, die sich nicht einmal zwingend in der konkreten Entscheidung niedergeschlagen haben muss.389 Gegen die Ablehnung der Kausalität beim Bestehen eines beliebigen anderen Grundes spricht die systematische Beziehung zum allgemeinen Maßregelungsverbot, bei dem gerade charakteristisch ist, dass ansonsten rechtmäßiges Verhalten von der Verbotsnorm erfasst werden kann. Folglich besteht auch bezüglich des Kausalzusammenhangs Kongruenz zu § 612a BGB.

IV. Zwischenfazit Es zeigt sich, dass zwischen Maßregelungsverbot und Diskriminierungsschutz im eigentlichen Sinne bedeutende funktionale Unterschiede bestehen. Zentral ist für beide Schutzregimes der Begriff der Benachteiligung, der sich beim Maßregelungsverbot abweichend definiert. Dennoch umschreibt der Begriff „Benachteiligungs- oder Diskriminierungsverbot“ die Vorschrift des § 612a BGB zutreffend, da der Schutz des Arbeitnehmers vor Nachteilen aufgrund eines legitimen Verhaltens im Mittelpunkt steht. § 16 AGG belegt die Funktion des Maßregelungsschutzes als sekundärer Benachteiligungsschutz. Nach der Rechtsprechung des BAG teilen Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz einen personenbezogenen Schutzzweck, der es rechtfertigt, Rechtsfolgeregelungen aus dem AGG auf den Maßregelungsschutz zu übertragen. Das Benachteiligungsverbot in § 612a BGB bezweckt einen Betätigungsschutz im weitesten Sinne.390 Daher ist die Bezeichnung als allgemeines Benachteiligungsverbot sachgerecht. Aufgrund der Unterschiede in den Voraussetzungen sollte der Begriff Diskriminierung vornehmlich für die illegale Anknüpfung an verpönte Merkmale im Sinne der europäischen Diskriminierungsrichtlinien, Art. 3 Abs. 2, 3 GG sowie § 1 AGG verwendet werden.

Rn. 19; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 8; AR/Kappenhagen, AGG, § 16 Rn. 2; BeckOGK/ Benecke, AGG, § 16 Rn. 18, Stand 01. 06. 2023. 387 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 30. 388 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 30; vgl. insofern ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 2,4, die aber gleichzeitig die Doktrin des tragenden Beweggrunds nicht auf § 16 AGG übertragen wissen will. 389 Zur Auslegung des Merkmals bei § 612a BGB: Kapitel 1, B.I. und IV.1. 390 MüHB-ArbR/Oetker, § 15 Rn. 3.

2. Kapitel

Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im deutschen Recht A. Terminologie Im Zusammenhang mit dem Beweisrecht kommt der präzisen Verwendung und Abgrenzung von Begriffen besonderes Gewicht zu. Besonderes Augenmerk liegt bei der folgenden Darstellung wesentlicher prozessualer Grundlagen auf der Definition der Beweislastumkehr.

I. Beweislast Die Verteilung der Beweislast ist für den gesamten Prozess aber auch im Vorfeld von entscheidender Bedeutung.1 Der Begriff hat mehrere Bedeutungsdimensionen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Zunächst betrifft er vor allem die Frage, zu wessen Lasten ein non liquet im Prozess geht,2 was als objektive Beweislast bezeichnet wird.3 Die subjektive Beweislast meint dagegen die Last der Parteien durch ihr Vorbringen und Verhalten im Prozess eine ungünstige Beweislastentscheidung zu vermeiden.4 Dies umfasst zum einen die Frage, ob die Partei zu Beginn des Prozesses überhaupt tätig werden muss (abstrakte Beweisführungslast).5

1

Statt aller MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 105. Grundlage ist die negative Grundregel der Beweislast, nach der eine Norm nur dann zur Anwendung gebracht wird, wenn ihre Voraussetzungen bewiesen werden, Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 53; sowie Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 7; GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 75; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 15; deutlich auch BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 253. 3 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 3; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 23; MüKo/Prütting, BGB, § 286 Rn. 103; mit Verweis auf das Synonym „Feststellungslast“ Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 32. 4 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 101. 5 An der Notwendigkeit dieser Kategorie zweifelnd Musielak, ZZP 1987, 385, 404; Heinrich, Beweislast, S. 27 f. u. a. mit dem Argument, es handele sich nur um Ausprägungen der subjektiven Beweislast deren terminologische Auseinanderhaltung ohne wert sei; für die Notwendigkeit der Kategorie der abstrakten Beweisführungslast auch Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 33; als Rechtsfrage auch für die trennscharfe Abgrenzung zur konkreten 2

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

Grundsätzlich fallen abstrakte Beweisführungslast und objektive Beweislast zusammen, sie können aber (etwa bei der Tatsachenermittlung von Amts wegen) auseinanderfallen.6 Zum anderen umfasst der Begriff aber auch die Frage, welche Partei den Beweis antreten muss um eine für sie nachteilige Beweislastentscheidung abzuwenden, wenn sich das Gericht bereits eine vorläufige Überzeugung gebildet hat (konkrete Beweisführungslast).7 Die konkrete Beweisführungslast kann beide Parteien je nach Situation abwechselnd treffen.8 Bleibt die Partei ihr Beweisangebot schuldig, ergeht die non-liquet-Entscheidung – die abstrakte Beweisführungslast sichert damit die Funktion der objektiven Beweislastverteilung ab, woraus auch folgt, dass subjektive und objektive Beweislast regelmäßig kongruent, aber dennoch rechtlich zu unterscheiden sind.9 1. Grundregel der Beweislast Die Beweislastverteilung bedarf wegen ihrer Grundrechtsrelevanz eine gesetzliche Grundlage, unabhängig davon, ob diese nun explizit geregelt oder im Zuge der Gesetzgebung in Form von ungeschriebenem Recht als geltend vorausgesetzt wurde.10 Die noch in § 193 des ersten Entwurfs vorgesehene,11 aber letztlich nicht ins BGB aufgenommene Grundregel der Beweislast wird gemeinhin auf die Formel gebracht, dass der Anspruchsteller im Zivilprozess die rechtsbegründenden Tatsachen, der Anspruchsgegner die rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen habe.12 Dies entspricht der allgemeinen Auffassung, insbesondere auch der der Rechtsprechung.13 Alternative Beweislasttheorien14 haben sich bislang Beweisführungslast, die die Beweiswürdigung betrifft HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 2, Kapitel 9 Rn. 40. 6 Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 54; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 98. 7 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 8; HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 2 Kapitel 9 Rn. 42; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 6; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 56; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 13; MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 106; Baumgärtel, FS Nakamura, 43, 44. 8 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 6; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 99 f.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 29; zur Abgrenzung zur objektiven Beweislast Laumen, MDR 2023, 471, 472. 9 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 2, Kapitel 9 Rn. 38. 10 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 17; zur Normqualität der Grundregel, die im Gesetzgebungsverfahren zum BGB noch als explizite Regelung vorgesehen war, ausführlich HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 23. 11 Dazu näher MüKo/Prütting, ZPO § 286 Rn. 113 ff. 12 Grundlegend Rosenberg, Beweislast, S. 98 f.; siehe auch Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 106; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 58; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 9; es handelt sich um ein „System von Grund- und Gegennormen“: Musielak/ Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 34. 13 Statt vieler BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 250. 14 Überblick über das Meinungsspektrum bei HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 27 ff.

A. Terminologie

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nicht durchgesetzt. Die im Schadensersatzrecht anerkannte Gefahrenbereichslehre, die noch heute vom BGH verwendet wird,15 wurde vereinzelt als Alternative vorgeschlagen.16 Diese tritt jedoch nicht in Widerspruch zur Grundregel der Beweislast, da sie auch als deren wertende Modifikation und Auslegungskriterium für Haftungsfälle verstanden werden kann.17 Die Grundregel der Beweislastverteilung strahlt auch in andere Rechtsgebiete aus.18 Sie findet auch im Bereich des Arbeitsrechts, sowohl im BGB als auch in Sondergesetzen Anwendung, wird aber vielfach durch Gesetz modifiziert.19 2. Abgrenzung zur Darlegungslast und zum Beweismaß Darlegungs- oder Behauptungslast meint im Gegensatz zur Beweislast nur die Obliegenheit, das eigene Vorbringen in Bezug auf einen Rechtssatz überhaupt mit Tatsachenvortrag schlüssig zu untermauern.20 Darlegungslast und Beweislast sind in allen wesentlichen Punkten kongruent.21 Von der Darlegungslast zu unterscheiden ist die Substantiierungslast, die im Unterschied zur Darlegungslast nicht die Frage betrifft, wer zum Tatsachenvortrag berufen ist, sondern wie detailliert und umfassend dieser Vortrag sein muss.22 Teilweise werden die Begriffe Substantiierungslast und Darlegungs-/Behauptungslast synonym verwendet oder vermischt.23 Im Gegensatz zur Beweislast, die die Frage betrifft, wer für eine Tatsache beweisverpflichtet ist, und zur Beweiswürdigung, die entscheidet, ob ein Beweis überhaupt erbracht worden ist, entscheidet das Beweismaß, welcher „Grad der Gewissheit“24 bezüglich der Wahrheit einer Tatsache dabei beim Gericht erforderlich und ausreichend ist.25 Danach ist der (Voll-)Beweis erbracht, wenn die Tatsache mit

15

Stellvertretend BGH, Urt. v. 12. 01. 2017 – III ZR 4/16, NJW-RR 2017, 622 m. w. N. Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, S. 65 ff.; einschränkend Larenz, FS Hauß, 225, 236. 17 Ähnlich HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 34 f. 18 Zum Verwaltungsrecht Schoch/Schneider/Dawin, VwGO, § 108 Rn. 96 ff. m. w. N.; instruktive Darstellung für den Einfluss auf die frühe Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte m. w. N. Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 21 f. 19 Umfassend Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 289 ff. 20 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 37; MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 137; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 33; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 84; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 100; Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 138 Rn. 21. 21 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 138. 22 GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 89; vgl. Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 138 Rn. 21. 23 Exemplarisch Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 88. 24 BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 256. 25 Dies war in der Vergangenheit stark umstritten, während sich in den letzten Jahren eine mehr oder weniger einheitliche Linie herausgebildet hat, m. w. N.: HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 1, Kapitel 5 Rn. 1. 16

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit entspricht.26 Das Regelbeweismaß lässt sich nicht mit einem bestimmten Prozentsatz der Gewissheit ausdrücken.27 Die nach anglo-amerikanischen Recht im Zivilprozess ausreichende „preponderance of evidence“,28 nach der das Beweismaß erfüllt ist, wenn die Tatsache „mehr als 50 %“ wahrscheinlich erscheint (Überwiegensprinzip),29 greift nicht: der Richter muss vielmehr voll von der Wahrheit der Tatsache überzeugt sein.30 Dies meint einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.31 Für das Arbeitsrecht gilt Entsprechendes,32 es sind lediglich weitere spezialgesetzliche Beweismaßsenkungen zu berücksichtigen.33 Die Verteilung des Beweismaßes ist, ebenso wie die der Beweislast, relevant für die Verteilung des Prozessrisikos.34

II. Beweislastumkehr Gerade die Bedeutung des Begriffs der Beweislastumkehr ist im deutschen Recht keinesfalls so eindeutig, wie es der übliche juristische Sprachgebrauch erscheinen lässt. Insbesondere sind zwei recht unterschiedliche Bedeutungsvarianten abzugrenzen. 1. Kategorie von Normen, die eine Grundregel modifizieren Der Begriff lässt sich einerseits zur Beschreibung einer vom Gesetzgeber vorgesehenen Rechtsfolge verwenden. Eine Beweislastumkehr in diesem Sinne ist daher eine Norm, die die Beweislast in Abweichung von einer Grundregel auf die jeweils andere Partei verschiebt. Dabei genügt es auch, wenn die Grundregel selbst nicht eigens in der Norm niedergelegt, sondern implizit Teil des geltenden Rechts ist.35 Bei 26

HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 1, Kapitel 5 Rn. 12. Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 5. 28 Dazu näher Brinkmann, Beweismaß, S. 11. 29 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 1, Kapitel 5 Rn. 8 f. m. w. N. auf Stimmen im älteren Schrifttum, die die Anwendung des Überwiegensprinzips befürworten; etwa Maassen, Beweismaßprobleme, S. 55. 30 Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 18; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 86; kritisch Brinkmann, Beweismaß, S. 71 ff., der meint, das Beweisßmaß sei sowohl im Common, als auch im Civil Law Rechtskreis flexibel ausgestaltet und es bestünde in Deutschland kein vergleichbar „höheres“ statisches Regelbeweismaß. 31 BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 256; bestätigt durch BGH, Urt. v. 18. 01. 2000 – VI ZR 375/98, NJW 2000, 953, 954. 32 BAG, Urt. v. 19. 02. 1997 – 5 AZR 747/93, NZA 1997, 705, 708 = BAGE 53, 140. 33 GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 58 ff., 63. 34 Brinkmann, Beweismaß, S. 3. 35 Vgl. Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 17. 27

A. Terminologie

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Behandlung von rechtsbegründenden als rechtshindernde Merkmalen durch Verschiebung der Beweislast wird von einer Beweislastumkehr im weiteren Sinne gesprochen.36 Nach heute vorherrschender Meinung sind Beweislastnormen Vorschriften des materiellen Rechts, deren Voraussetzungen Anknüpfungspunkt für die Beweiserleichterung ist.37 Eine Beweislastumkehr in diesem Sinne kann durch den Gesetzgeber auf eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen erstreckt werden. Ihre Reichweite ist der Gesetzesauslegung zugänglich. Demgegenüber wird im internationalen Kontext dem Begriff der Umkehr der Beweislast die Rolle einer Verfahrensvorschrift zugemessen.38 Dies vermag die zutreffende Einstufung als materiell-rechtliche Vorschriften nicht zu erschüttern, weil der Verfahrensablauf zwar mittelbar beeinflusst, aber durch die Beweislastverteilung nicht unmittelbar gestaltet wird. 2. Rechtsfortbildung in Abweichung von der normativen Grundlage Es entspricht einer verbreiteten Auffassung, nur die richterrechtliche Abweichung von gesetzlichen Beweislastregeln und gerade nicht deren Anwendung als Beweislastumkehr zu bezeichnen.39 Danach handelt es sich bei der Beweislastumkehr an sich um eine seltene Ausnahmekonstellation,40 die wegen der Abweichung vom geschriebenen Recht der besonderen Begründung bedarf. Gegen die Begriffsverwendung für gesetzlich niedergelegte Regeln wird bisweilen angeführt, dass deren Zahl zu beträchtlich und deshalb die Gefahr von Missverständnissen groß sei – insofern von einer Beweislastumkehr zu sprechen sei ohne Gewinn.41 Hinzu tritt der Umstand, dass die Rechtsprechung in den Fällen, in denen sie von einer Beweislastumkehr spricht, nicht genau definiert, worauf genau sich die Umkehr bezieht – eine trennscharfe Abgrenzung zwischen einer (echten) rechtsfortbildenden Umkehr der objektiven Beweislast und einer bloßen Absenkung der konkreten Beweisführungslast wird dadurch erschwert.42

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Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 36. Stellvertretend für die Rspr. BGH, Urt. v. 03. 04. 2001 – XI ZR 120/00, NJW 2001, 2096, 2098; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, Rn. 116 Rn. 30; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 15; sowie jeweils m. w. N. auf andere Ansichten im älteren Schrifttum, die Beweislastnormen entweder als Prozessrecht einordnen oder ihnen eine eigene (Zwischen)Kategorie zuweisen HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 16; MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 140 ff. 38 Farkas/O’Farrell, Umkehr der Beweislast, S. 6. 39 GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 82; zuletzt Laumen, MDR 2023, 471, 472. 40 Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 66; Katzenmeier, FS Prütting 2018, 361, 362. 41 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 22. 42 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 2, Kapitel 9 Rn. 48. 37

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

3. Begriffsdefinition für die weitere Untersuchung Der Begriff Beweislastumkehr beschreibt im Kontext von Gesetzgebungsvorhaben die beabsichtigte Rechtsfolge in der Regel zutreffend und ist schon deshalb nicht „ohne Gewinn“. Auch impliziert der Begriff nicht zwangsläufig, dass gesetzliche Regeln nicht davon erfasst sein sollen. Dass die Gefahr von Missverständnissen andernfalls zu groß sei,43 überzeugt nicht. Die Rechtswirkungen von gesetzlichen wie richterrechtlichen Abweichungen von der Grundregel der Beweislastverteilung ist vergleichbar, nur weicht die Rechtsgrundlage ab. Bei einem Bezug zu einer konkreten Regelung (oder eben bei dessen Fehlen) wird hinreichend klar, ob sich der Begriff auf eine geschriebene Beweiserleichterung oder auf eine richterrechtliche Beweiserleichterung bezieht. Zwar lassen sich verbleibende Unklarheiten durch einen Zusatz wie „im weiteren Sinne“ vermeiden. Dies ist jedoch irreführend, da es sich um getrennte Rechtsinstitute handelt, die nur die Rechtsfolge gemein haben. Daher kann die Beweislastumkehr durch Rechtsfortbildung eigentlich nicht „enger“ sein, denn dies impliziert, dass sie eine Unterkategorie der Beweislastumkehr „im weiteren Sinne“ ist. Dies ist schon deshalb irreführend, weil die richterliche Rechtsfortbildung eben nicht die Tätigkeit eines „Gesetzgebers im Kleinen“ ist. Ein anderes Verständnis geriete mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung in Konflikt.44 Gesetzgeberisches Handeln und richterliche Rechtsfortbildung sind nicht funktionell vergleichbar. Selbst wenn man dennoch die Schaffung von Richterrecht als quasi-gesetzgeberische Tätigkeit begreifen möchte, wäre die umgekehrte Begriffsverwendung zutreffender: Der Richter schafft sicher nur „im weiteren Sinne“ Recht – das Primat der Rechtssetzung liegt beim parlamentarischen Gesetzgeber. Insgesamt ist festzuhalten, dass sowohl Rechtsprechung und Literatur den Begriff der Beweislastumkehr verwenden, ohne dass die Gefahr von Missverständnissen für gesetzliche Beweiserleichterungen, die eine Verschiebung der Beweislast zur Folge haben, bestünde. Dass der Gesetzgeber selbst in § 477 BGB den Begriff der Beweislastumkehr als Überschrift verwendet, zeigt, dass sich die Bedeutung des Begriffs gewandelt hat und nunmehr die Abweichung von einer gesetzlichen Beweiserleichterung durch den Richter – sofern Beweislastumkehr das Vorgehen zutreffend umschreibt – besonders gekennzeichnet werden muss. Eine sprachliche Hervorhebung einer rechtsfortbildenden Beweislastmodifikation durch den Richter ist möglich und teils notwendig. Der Begriff „richterrechtliche Beweislastumkehr“ beschreibt das Phänomen zutreffend und umgeht die Gefahr von Missverständnissen. Beweislastumkehr im Sinne dieser Untersuchung meint zunächst im deutschen Recht die gesetzgeberische Abweichung von einer Grundregel, die objektive und subjektive Beweislast verschiebt.

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Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 22. Herresthal, JuS 2014, 289, 293.

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

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B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten Bei § 612a BGB liegt die Beweislast entsprechend der Grundregel zunächst vollumfänglich beim Arbeitnehmer.45 Dies ist eine hohe Hürde für die Rechtsdurchsetzung.46 Das Beweisrecht bestimmt damit die praktische Geltungsreichweite des Maßregelungsverbots mit.47

I. Subjektiv verstandener Kausalzusammenhang Echte Beweisschwierigkeiten stellen sich, sobald der außenstehende Arbeitnehmer Beweis für die Motive und Beweggründe des Arbeitgebers antreten muss. Dies ist beim Maßregelungsverbot der Fall.48 Ein etwaiger Sanktionscharakter der Maßnahme ist für den Arbeitnehmer regelmäßig nicht erkennbar: Bei Kündigungen kann über die Beweggründe nur gemutmaßt werden, wenn Arbeitnehmer im Zusammenhang mit ihrer Rechtsausübung gekündigt werden, aber ein anderer (tatsächlich bestehender) Kündigungsgrund vorgeschoben wird.49 Springender Punkt ist, dass der Arbeitnehmer naturgemäß keine Informationen über die (wahren) Motive des Arbeitgebers hat, soweit sie ihm nicht mitgeteilt werden. Der Beweis, dass bei mehreren bestehenden Gründen ausgerechnet die Rechtswahrnehmung des Arbeitnehmers tragender Beweggrund für die Maßnahme war, wird dem Arbeitnehmer praktisch selten gelingen.50 Hauptproblem der ungünstigen Beweislastverteilung beim Maßregelungsverbot entfaltet sich folglich beim Merkmal der Kausalität.51 Die Problematik der rechtmäßigen Alternativbegründungen wird von der rechtlichen auf die tatsächliche und damit beweisrechtliche Ebene verschoben,52 da

45 BAG, Urt. v. 30. 03. 2023 – 2 AZR 309/22, Rn. 11; BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 203 (Rn. 29) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1456; BAG, Urt. v. 25. 11. 1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, 837, 838; BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, Rn. 27 = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; HdB-Beweislast/Gäntgen, BGB, § 612a Rn. 1; Preis, NZA 1997, 1256, 1265; Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 23; AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 77; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 38; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 27. 46 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 3; so auch schon Oetker, AuR 1997, 41, 46. 47 Isenhardt, FS Richardi 2007, 269, 274; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 69, Stand 01. 06. 2023. 48 Zum subjektiven Verständnis des Kausalzusammenhanges: Kapitel 1, B.I. und IV.1. 49 Benecke, NZA 2011, 481, 483. 50 HdB-Beweislast/Gäntgen, BGB, § 612a Rn. 2; Hülbach, ArbRB 2012, 106, 107. 51 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 66, Stand 01. 06. 2023; vgl. schon Oetker, AuR 1997, 41, 47. 52 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 137.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

es darauf ankommt, ob die Alternativbegründungen hinter eine hinreichend starke Sanktionierungsmotivation zurücktreten.53 Handelt es sich nicht um eine Kündigung im Kleinbetrieb oder vor Ablauf der Wartezeit, obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Kündigungsgründe (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG), bzw. der Nachweis eines Grundes der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.54 Ein Rückschluss von objektiven Kündigungsgründen oder sachlichen Gründen der Gleichbehandlung, die der Arbeitgeber vorzutragen verpflichtet ist, auf die subjektive Motivationsebene ist möglich.55 Dies ändert aber nichts an der Beweisnot des Arbeitnehmers. Dieser muss immer noch nachweisen, dass eine Sanktionierungsmotivation innerhalb der gesamten Motivationslage des Arbeitgebers der tragende Beweggrund war, was durch den Vortrag etwa objektiv bestehender Kündigungsgründe nicht erleichtert wird.

II. Grenzen des mittelbaren Beweises Bei inneren Tatsachen der Gegenseite gelten nach allgemeinen Grundsätzen hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Substantiierungslast.56 Innere Tatsachen werden durch Nachweis anderer Umstände, die darauf hindeuten – also mittelbar – bewiesen.57 In der traditionellen Formulierung des BGH ist ein Indizienbeweis jedoch erst dann überzeugungskräftig, wenn „andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen“.58 Dies richtet sich nach einer Gesamtschau der im Prozess dargelegten und ggf. bewiesenen Indizien sowie sonstiger Umstände des Einzelfalles.59 Wird etwa bei Behauptung einer vorsätzlichen Straftat des Arbeitnehmers ein Zeuge vom Arbeitgeber benannt, muss der Arbeitgeber im Rahmen der erhöhten Substantiierungslast bei inneren Tatsachen auch dazu vortragen, wie der Zeuge zu seiner Auffassung gekommen ist, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich gehandelt habe.60 Der Prozessgegner hat umfangreiche Verteidigungsmöglichkeiten: Außer einem Bestreiten der Beweisanzeichen und der Darlegung eigener Indizien (Gegenindizien) kann er auch den Rückschluss auf die zu beweisende Haupttatsache anzweifeln und diesbezüglich auch den Gegenbeweis antreten.61 53

Dazu schon Kapitel 1, B.I. und B.IV. Stellv. BAG, Urt. v. 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15, BeckRS 2016, 72235 (Rn. 31). 55 Dazu Kapitel 1, B. IV. 56 Betz, NZA 2022, 1020, 1022. 57 Statt vieler Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 286 Rn. 2. 58 BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 260. 59 BAG, Urt. v. 11. 06. 2020 – 2 AZR 442/19, NZA 2020, 1326, 1332 (Rn. 63); BGH, Urt. v. 22. 11. 2006 – IV ZR 21/05, NJW-RR 2007, 312; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, vor § 284, Rn. 11. 60 Betz, NZA 2022, 1020, 1022. 61 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 3, Kapitel 18 Rn. 34. 54

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

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Bei § 612a BGB wird die Beweisbedürftigkeit der Tatsache, dass die Rechtsausübung tragender Beweggrund der Maßnahme war, in aller Regel nicht nach den allgemeinen Grundsätzen des mittelbaren Beweises entfallen. Auf die mittelbare Beweisführung ist der Arbeitnehmer aber faktisch oft angewiesen – ein unmittelbarer Beweis ist nur in Ausnahmefällen möglich.62 Im Einzelfall kann der Arbeitnehmer verschiedene objektive Umstände anführen, die einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nahelegen. Dazu gehört zunächst der Umstand, dass der Arbeitnehmer überhaupt zulässigerweise Rechte ausgeübt hat, in deren Nachgang eine gegen ihn gerichtete Maßnahme stattfand. Durch belastende Äußerungen des Arbeitgebers kann der Eindruck einer entsprechenden Motivation verstärkt werden. Allerdings lassen sich die Tatsachengrundlagen eines Kündigungsgrundes (etwa, dass der Arbeitnehmer Eigentum des Arbeitnehmers entwendet hat) oft als Gegenindizien heranziehen, die das Gericht bei der Gesamtwürdigung berücksichtigen muss, wenn sie der Arbeitgeber in den Prozess einbringt. Entsprechendes gilt für die mit einem objektiven Kündigungsgrund korrespondierende Kündigungsmotivation (Kündigung wegen der Wegnahme der Sache). Dass andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen, wird daher besonders bei plausiblen Alternativbegründungen nicht ohne Weiteres der Fall sein. Hingegen kann beim Diskriminierungsschutz im engeren Sinne der Arbeitnehmer anhand des verpönten Merkmals bei einer negativen Maßnahme des Arbeitgebers zumindest dem Anschein einer Diskriminierung Plausibilität verleihen, indem er konkrete Anhaltspunkte für eine Diskriminierung aus dem Verhalten des Arbeitgebers mit dem in seiner Person verwirklichten Merkmal in Verbindung bringt. Dass bei Sanktionen für eine Rechtswahrnehmung bei einem vorgeschobenen Grund etwa keine diskriminierende Stellenanzeige als Indiz herangezogen werden kann, bedeutet, dass bei Maßregelungen praktisch stärkere Beweisnot herrscht, als in Diskriminierungsfällen.63 Darüber hinaus ist auch erforderlich, dass der Arbeitnehmer nachweist, dass die maßregelnde Motivation innerhalb eines Motivbündels die „Tragende“ war, während bei Diskriminierungen ausreicht, dass das verpönte Merkmal in der Entscheidungsbegründung eine Rolle gespielt hat.64 Trotz der Parallelen befindet sich der Arbeitnehmer aus beweisrechtlicher Sicht in einer schwierigeren Ausgangssituation als im Diskriminierungsrecht.

III. Beweiserleichterung im Diskriminierungsrecht Im Unterschied zu § 612a BGB sieht § 16 Abs. 3 AGG eine gesetzliche Linderung der Beweisnot des Arbeitnehmers vor.

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So auch Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 515. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 64 Dazu Kapitel 1, C.II.2.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

1. Gegenstand der Beweiserleichterung Durch den Verweis in § 16 Abs. 3 AGG auf § 22 AGG findet dieselbe Beweiserleichterung sowohl bei der Diskriminierung im eigentlichen Sinne als auch für die Maßregelung im Falle der Rechtswahrnehmung Anwendung. Das Beweisthema unterscheidet sich allerdings. a) Primärbenachteiligung Beweisthema des § 22 AGG ist der Kausalzusammenhang zwischen Zugehörigkeit zu einer in § 1 AGG genannten Gruppe und der Benachteiligung.65 Ob die Beweiserleichterung darüber hinaus alle Voraussetzungen des Diskriminierungstatbestandes erfasst, war jedoch bereits bei der Vorgängerregelung in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. umstritten.66 Dagegen spricht, dass der deutsche Gesetzgeber in § 22 AGG wohl nur den Beweis des Kausalzusammenhangs erleichtern wollte.67 Demgemäß soll etwa das Vorliegen der Benachteiligung selbst nicht von der Beweiserleichterung erfasst sein,68 zumal der Beweis derselben nur selten unüberwindbare Schwierigkeiten für den Kläger bedeutet.69 Das BAG beschränkt die Anwendung des § 22 AGG explizit auf den Kausalzusammenhang, anders formuliert den Benachteiligungsgrund.70 Entgegen des Gesetzeswortlauts („Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes“), der eher für eine Beweiserleichterung nur für den Kausalzusammenhang spricht, wird vertreten, dass der gesamte Tatbestand der Benachteiligung von der Beweiserleichterung erfasst ist.71 Auch sei die Wirkung bei einer Beweislastumkehr nur für die Motivation äußerst begrenzt, weil der Arbeit65 BTDrucks. 16/1780, S. 47; vgl. BAG, Urt. v. 07. 07. 2011 – 2 AZR 396/10, AP BGB § 123 Nr. 70, Rn. 34; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 2; KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 8; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 10; Schaub/Ahrendt, § 36 Rn. 79, 81; SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 19; NK-BGB-AT/Legerlotz, AGG, § 22 Rn. 3; HWK/Rupp, AGG, § 22 Rn. 2; Staudinger/ Rolfs, AGG, § 22 Rn. 3; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 664. 66 Dazu eingehend Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 16; für eine unionsrechtliche Notwenigkeit einer umfassenden Beweiserleichterung und ein Bedürfnis nach einer gesonderten Befassung mit dem Phänomen mittelbarer Diskriminierung etwa Röthel, NJW 1999, 611, 614 m. w. N. 67 BTDrucks. 16/1780, S. 47, so auch BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 14, Stand 01. 06. 2023; Staudinger/Serr, AGG, § 22 Rn. 1. 68 Staudinger/Serr, AGG, § 22 Rn. 1; BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 15, Stand 01. 06. 2023. 69 JurisPK-BGB/Overkamp, AGG, § 22 Rn. 9. 70 BAG, Urt. v. 26. 11. 2020 – 8 AZR 59/20, NZA 2021, 635, 637 (Rn. 23); BAG, Urt. v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1401 (Rn. 54) = BAGE 155, 149; BAG, Urt. v. 07. 07. 2011 – 2 AZR 396/10, AP BGB § 123 Nr. 70, Rn. 34. 71 Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 17; Windel, RdA 2007, 1, 2; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 01. 02. 2011 – 22 Sa 67/10, NZA-RR 2011, 237, 239; Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 95; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 111 f., Stand April 2019; Boesche, EuZW 2005, 264.

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

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geber ohnehin die Beweislast für die Rechtfertigungsgründe trage.72 Die mit der Einführung des § 22 AGG verbundene Wortlautänderung im Vergleich zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. wird als Anhaltspunkt für eine entsprechend weite Interpretation gesehen.73 Darüber hinaus sei auch unionsrechtlich erforderlich, dass das Beweismaß für sämtliche Voraussetzungen abgesenkt ist.74 Allerdings ist die Beweiserleichterung teleologisch an den Umstand der effektiven Durchsetzbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes geknüpft.75 Daraus folgt, dass eine umfassende Beweiserleichterung im Diskriminierungsrecht hinsichtlich aller Voraussetzungen jedenfalls dann erforderlich ist, wenn die Durchsetzung sonst in jedem Fall vereitelt wäre. Dies ist nicht bei allen Merkmalen der Fall. So gestehen auch die Vertreter der extensiven Ansicht ein, dass etwa der volle Beweis der Zugehörigkeit zur geschützten Gruppe weiterhin dem Anspruchsteller obliegt.76 Legt man das (wohl herrschende) restriktive Verständnis zu Grunde, wäre eine weitergehende Interpretation zur unionsrechtskonformen Auslegung jedenfalls beim Auftreten entsprechender Beweisschwierigkeiten im Einzelfall, zu fordern. Dafür streitet schließlich der Sphärengedanke, der auch in § 22 AGG hineingelesen werden kann.77 Die Beweiserleichterung erfasst damit nur Tatsachen, für die der Arbeitnehmer im Einzelfall aufgrund eines Informationsgefälles außerstande ist, den Beweis zu führen. b) Sekundäre Benachteiligung (Maßregelung) Der Verweis ist erforderlich, da § 22 AGG erkennbar nicht für Benachteiligungen wegen der Inanspruchnahme von Rechten,78 sondern wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale gilt.79 Die Diskriminierungsrichtlinien verlangen die Geltung der Beweiserleichterungen allerdings an sich nur für den Fall, in dem Diskriminierung und Maßregelung in einem Akt zusammenfallen, also die Diskriminierung auch den Tatbestand der Maßregelung erfüllt.80

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Windel, RdA 2007, 1, 2. Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 17. 74 Etwa Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 94, der aber bereits auf Ebene des nationalen Rechts für sich genommen um eine entsprechend weite Auslegung wirbt; Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 210; anders etwa Stein, NZA 2016, 849, 850. 75 Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 31. 05. 1989 – C-109/88 (Danfoss), ECLI: EU:C:1989:228, Rn. 39; vgl. EuGH, Urt. v. 17. 10. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU: C:1989:383, Rn. 10 ff. 76 Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 55; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 119, Stand April 2019. 77 Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 139; vgl. ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 2. 78 Für eine solche unmittelbare Anwendung des § 22 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 46. 79 HWK/Rupp, AGG, § 16 Rn. 3. 80 Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 232; Schiek/Kocher, AGG, § 16 Rn. 23. 73

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

Die Verweisungsnorm des § 16 Abs. 3 AGG ist jedoch nicht völlig klar gefasst.81 Insbesondere ist dem reinen Wortlaut nach nicht ohne weiteres erkennbar, ob die Beweiserleichterung auch die Kausalität beim Verbot der Viktimisierung erfassen soll, weil sich § 22 AGG primär auf den Kausalzusammenhang bei der Diskriminierung im eigentlichen Sinne bezieht.82 Wegen der überzeugenden Parallele zum allgemeinen Maßregelungsverbot stellt der Kausalzusammenhang das Hauptproblem bei Zugrundelegung der Beweislastverteilung nach allgemeinen Grundsätzen dar.83 Insofern würde der Sinn der Beweiserleichterung verfehlt, wenn § 22 AGG nicht auch den Kausalzusammenhang beim Viktimisierungsverbot erfassen würde.84 2. Dogmatische Einordnung von § 22 AGG Dem reinen Wortlaut nach erscheint denkbar, dass der erste Satzteil des § 22 AGG eine gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO enthält und der zweite eine schlichte Beweislastumkehr anordnet.85 Bei genauerer Betrachtung wirft eine solche Herangehensweise aber noch mehr Fragen auf, als sie klärt – die Norm ist dogmatisch nur schwer einzuordnen.86 a) Beweiserleichterung sui generis Die Regelung weist eine oberflächliche Ähnlichkeit zum Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises auf.87 Eine Einordnung als Kodifikation desselben scheidet aber bereits aufgrund der Rechtsfolgenanordnung der Beweislastumkehr aus.88 Ebenso wenig handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Indizienbeweises.89 Vielmehr ist § 22 AGG eine Beweislastregel eigener Art, die ein abgestuftes Ver81 Prüttung/Wegen/Weinreich/Lingemann, AGG, § 16 Rn. 7; Erman/Riesenhuber, AGG, § 16 Rn. 14; Dörner-ArbRHB/Dörner, Kapitel 3, lit. G Rn. 5044; ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 2. 82 Für eine Geltung jedenfalls auch für den Kausalzusammenhang: ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 4; BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 30, Stand 01. 06. 2023; Staudinger/Serr, AGG, § 16 Rn. 15. 83 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 48; vgl. auch BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 19, Stand 01. 06. 2023. 84 ErfK/Schlachter, AGG, § 16 Rn. 4. 85 Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 7. 86 MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3. 87 Windel, RdA 2007, 1, 4; bei genauerer Betrachtung erweist sich diese schon deshalb als irreführend, weil in Diskriminierungsfällen Erfahrungssätze regelmäßig nicht relevant sind: ArbG Berlin, Urt. v. 12. 11. 2007 – 86 Ca 4035/07, BeckRS 2008, 50552, Rn. 47; vgl. Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 211, der in § 22 AGG stellenweise Regelungselemente des Anscheinsbeweises sieht. 88 So i. E. auch Bruns, FS Leipold, 1043, 1050 f. 89 Eingehend Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 61.

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

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teilungskonzept verfolgt.90 Mit der Änderung des Wortlauts im Vergleich zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. war keine Änderung des Regelungsgehalts verbunden.91. Die auf den Begriff „glaubhaft machen“ verzichtende Änderung sollte klarstellen, dass nicht eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO gemeint ist und die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel nicht in Betracht kommt.92 Eine Abweichung vom Regelungsansatz der Beweismaßsenkung auf erster Stufe war gerade nicht gewollt.93 Nach Auffassung des BAG enthält § 22 AGG drei Regelungselemente: Im Hinblick auf den Kausalzusammenhang wird die Darlegungslast erleichtert, das Beweismaß gesenkt und schließlich die Beweislast umgekehrt.94 In jüngerer Zeit betont das BAG vermehrt die Notwendigkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung der Beweiserleichterung unter dem Gesichtspunkt der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts im Zusammenhang mit Fragen der Entgelttransparenz.95 b) Vermutung im Sinne des § 292 ZPO Uneinigkeit besteht auch bei der Frage, ob es sich bei § 22 AGG um eine gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO handelt.96 Innerhalb der gesetzlichen Vermutungen wird zwischen Tatsachen- und Rechtsvermutungen unterschieden.97 Davon abzugrenzen und nicht von § 292 ZPO erfasst sind die sogenannten tatsächlichen Vermutungen, die eine richterrechtliche Beweislastumkehr bewirken.98 Die Rechtsfolge einer Vermutung im Sinne des § 292 ZPO entspricht der Wirkung

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Erman/Armbrüster, AGG, § 22 Rn. 1; SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 14; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 1 f.; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3; Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 211; vgl. zudem Bruns, FS Leipold, 1043, 1050 f., der § 22 AGG aber trotz allem als „Beweismaßerleichterung“ bezeichnet. 91 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a. 92 BT-Ds 16/2022, S. 13; Erman/Armbrüster, AGG, § 22 Rn. 1; DHSW/Braun, AGG, § 22 Rn. 2; KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 2 f.; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 3; BeckOGK/ Benecke, AGG, § 22 Rn. 3, Stand 01. 06. 2023; kritisch unter dem Gesichtspunkt der Umsetzungstransparenz Windel, RdA 2007, 1, 3. 93 So aber Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 54 ff. 94 BAG, Urt. v. 21. 01. 2021 – 8 AZR 488/19, NZA 2021, 1011, 1115 (Rn. 24); BAG, Urt. v. 26. 11. 2020 – 8 AZR 59/20, NZA 2021, 635, 637 (Rn. 23); BAG, Urt. v. 23. 01. 2020 – 8 AZR 484/18, NJW 2020, 2289, 2291 (Rn. 34); BAG, Urt. v. 23. 11. 2017 – 8 AZR 372/16, NZA-RR 2018, 287, 289 (Rn. 21); zustimmend im Schrifttum stellvertretend ArbR-HdB/Straube, F. Diskriminierungsrecht Rn. 169. 95 BAG, Urt. v. 21. 01. 2021 – 8 AZR 488/19, NZA 2021, 1011, 1116 (Rn. 30); dazu eingehend Stein, NZA 2022, 328, 331; sowie Uffmann, ZfA 2022, 51. 96 Dafür Staudinger/Serr, AGG, § 22 Rn. 1; wohl auch SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 29 f.; a. A. BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 22 Rn. 15; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 32; Grobys, NZA 2006, 898, 900. 97 Musielak/Voit/Huber, ZPO, § 292 Rn. 1 ff.; Saenger/Saenger, ZPO, § 292 Rn. 2 f. 98 Saenger/Saenger, ZPO, § 292 Rn. 4.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

einer Umkehr der Beweis- und Darlegungslast.99 Genau genommen bewirkt sie eine Veränderung des Beweisthemas auf das Gegenteil der Vermutung, das an sich die jeweils andere Partei nach der negativen Grundregel beweisen muss.100 Bei Tatsachenvermutungen kann die Beweisbedürftigkeit der fraglichen Tatsache entfallen, sodass eine Beweiswürdigung nicht mehr stattfindet.101 Für eine Einordnung als widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung wird angeführt, dass die Argumentation, dass § 611a a. F. keine Vermutung enthalte,102 insbesondere weil das Gesetz gerade keine feststehende Vermutung für eine Tatsache aufstelle,103 nach der Änderung des Wortlauts durch § 22 AGG nicht mehr überzeuge.104 Nach anderer Auffassung handelt es sich dagegen um eine Rechtsvermutung, da Bezugspunkt nicht eine bestimmte Tatsache, sondern die rechtlichen Implikationen der vorgebrachten Hilfstatsachen sind.105 Gegen beide Auslegungsvarianten spricht in erster Linie, dass ein von bloßen Vermutungen im Sinne des § 292 ZPO abweichendes Regelungskonzept schon aus der Struktur der Vorschrift deutlich wird. Dass die Regelung des § 22 AGG praktisch ähnliche Ergebnisse bewirken kann,106 wie Vermutungen im Sinne des § 292 ZPO, ist nicht ausschlaggebend. In der Gesetzesbegründung fehlen belastbare Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber die von § 292 ZPO erzeugte Rechtswirkung eintreten lassen wollte. Weiterhin ist die Vermutungsgrundlage im Tatbestand nicht näher umschrieben, sondern im höchsten Maße einzelfallabhängig.107 Schon bei der Vorgängerregelung des § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. war „vermuten“ nicht im Sinne des prozessualen Begriffs gemeint, da damit unter anderem die Anordnung einer Beweislastumkehr im zweiten Schritt der Regelung überflüssig wäre.108 Daran hat sich nach der Einführung von § 22 AGG nichts geändert. Die Norm ist damit keine Vermutung im Sinne des § 292 ZPO.

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GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 85 ff.; Saenger/Saenger, ZPO, § 292 Rn. 8; vgl. Musielak/Voit/Huber, ZPO, § 292 Rn. 4 f. 100 BGH, Urt. v. 24. 01. 1951 – II ZR 23/50, NJW 1951, 397, 398. 101 Saenger/Saenger, ZPO, § 292 Rn. 9. 102 Maßgeblich Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 103 Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1317. 104 Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 85; vgl. zu durch unklare Wortwahl des Gesetzgebers begründeten Zweifeln Boesche, EuZW 2005, 264, 267. 105 TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 74, Stand Februar 2019. 106 Vgl. Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 211. 107 Bruns, FS Leipold, 1043, 1047 f.; in diese Richtung schon Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1317. 108 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339.

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

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3. Rechtliche Wirkungen Die Rechtsfolgen der Abstufung in § 22 AGG lassen sich anhand der Darlegungsund Beweisbelastung der Prozessparteien in zwei Stufen untergliedern. a) Erste Stufe Das BAG hat schon die Vorgängervorschrift in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. so verstanden, dass der Arbeitnehmer Hilfstatsachen darlegen und ordnungsgemäß unter Beweis stellen muss, die eine Benachteiligung vermuten lassen.109 Insofern ist die übliche Wortbedeutung von „Indiz“ im allgemeinen Sprachgebrauch als Umstand, der auf einen anderen Umstand schließen lässt,110 für sich genommen nicht problematisch oder irreführend.111 Es handelt sich jedenfalls um eine Absenkung der Darlegungslast, wie sie auch schon die Diskriminierungsrichtlinien fordern.112 Die erste Stufe der Beweiserleichterung verändert nicht die Beweislast.113 Das BAG betont, dass es genüge, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben sei.114 Trägt der Arbeitnehmer Tatsachen vor, die für sich genommen noch nicht zur Erfüllung der ersten Stufe ausreichen, ist im Wege einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob die Tatsachen im Zusammenhang gesehen die Vermutungswirkung auslösen können.115 Über die Absenkung der Darlegungslast hinaus gilt nach der Rechtsprechung und der allgemeinen Meinung im Schrifttum für den Kausalzusammenhang das abgesenkte Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.116 Zusätzlich sei die Herabsenkung des Beweismaßes auf überwiegende Wahrscheinlichkeit ohnehin 109

BAG, Urt. v. 05. 02. 2004 – 8 AZR 112/03, NZA 2004, 540, 543. BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 19, 22, Stand 01. 06. 2023; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 31; Windel, RdA 2011, 193, 197. 111 Anders freilich, wenn der Indizschluss als „zwingend“ definiert wird, so Staudinger/ Serr, AGG, § 22 Rn. 15. 112 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a. 113 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 336. 114 BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345, 1348 (Rn. 33) = BAGE 142, 158; BAG, Urt. v. 27. 01. 2011 – 8 AZR 580/09, NZA 2011, 737, 739 (Rn. 29); BAG, Beschl. v. 20. 05. 2010 – 8 AZR 287/08, NZA 2010, 1006, 1007 (Rn. 16) = AP AGG § 22 Nr. 1. 115 BAG, Urt. v. 07. 07. 2011 – 2 AZR 396/10, NZA 2012, 34, 37 (Rn. 34 = AP BGB § 123 Nr. 70; BAG, Urt. v. 24. 04. 2008 – 8 AZR 257/07; NZA 2008, 1351, 1354 (Rn. 44). 116 BAG, Beschl. v. 20. 05. 2010 – 8 AZR 287/08, NZA 2010, 1006, 1007 (Rn. 16) = AP AGG § 22 Nr. 1; BAG, Urt. v. 17. 08. 2010 – 9 AZR 839/08, NZA 2011, 153, 156 (Rn. 32); BAG, Urt. v. 27. 01. 2011 – 8 AZR 580/09, NZA 2011, 737, 739 (Rn. 29); BAG, Urt. v. 07. 07. 2011 – 2 AZR 396/10, NZA 2012, 34, 37 (Rn. 34) = AP BGB § 123 Nr. 70; BAG, Urt. v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1401 (Rn. 54) BAGE 155, 149; BAG, Urt. v. 26. 01. 2017 – 8 AZR 736/15, NZA 2017, 854, 857 (Rn. 27) = AP AGG § 22 Nr. 13. 110

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

durch die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung geboten, da der europäische Gesetzgeber das abgesenkte Beweismaß unionsweit einheitlich habe festlegen wollen.117 Es genügt im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO, wenn für die Kausalität eine Wahrscheinlichkeit von über 50 % spricht.118 Unterschiedlich beurteilt wird, ob das abgesenkte Beweismaß auch für die Hilfstatsachen selbst gilt. Dies wird aufgrund des Wortlauts des § 22 AGG („Indizien beweist“), bzw. der Vorfassung in § 611a BGB a. F. („Tatsachen glaubhaft machen“) von der überwiegenden Ansicht mit Verweis auf eine unionsrechtliche Notwendigkeit („glaubhaft“ im Wortlaut der einschlägigen Richtlinien) bejaht.119 Der Wortlaut der deutschen Vorschrift ist an dieser Stelle nicht klar, sodass auch denkbar erscheint, dass der Gesetzgeber für die Indizien gerade kein abgesenktes Beweismaß festlegen wollte.120 Nach überwiegender Ansicht ist jedoch die Kontinuität zur Vorfassung in § 611a BGB a. F. ausschlaggebend: Die Änderung des Wortlauts sollte jedoch nur die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel ausschließen und nicht davon abweichen, dass auch die Hilfstatsachen nur glaubhaft gemacht werden müssen.121 Zusammengefasst bewirkt § 22 AGG nach herrschendem Verständnis daher zunächst eine Absenkung des Beweismaßes, sodass es zur Beweisführung genügt, wenn „Indizien“ dargelegt und ggf. glaubhaft gemacht werden, die einen Verstoß vermuten lassen und damit simultan eine Erleichterung der Darlegungslast.122 Nach der Rechtsprechung des BAG bildet der gesamte Prozessstoff die Grundlage der Beurteilung, ob die Rechtsfolge der „Vermutung“ bzw. deren ersten Stufe ausgelöst wird.123 Anknüpfend an das abgesenkte Beweismaß ist dabei jedoch unklar, ob 117

MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 2; so im Ergebnis auch Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 189 f.; sowie Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 198; Hey/ Forst/Kremer, AGG, § 22 Rn. 7 ff.; anders etwa Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 321 ff. 118 BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 23, Stand 01. 06. 2023. 119 Staudinger/Serr, AGG, § 22 Rn. 16; NK-BGB-AT/Legerlotz, AGG, § 22 Rn. 3; MüKo/ Thüsing, AGG, § 22 Rn. 2; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 72, Stand Februar 2019; ArbG Berlin, Urt. v. 12. 11. 2007 – 86 Ca 4035/07, BeckRS 2008, 50552, Rn. 64; Schiek/ Kocher, AGG, § 22 Rn. 16; Grobys, NZA 2006, 898, 900; Stein, NZA 2016, 849, 850 ff. 120 So jedenfalls im Ergebnis SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 27; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 104; Schaub/Ahrendt, § 36 Rn. 82; sowie Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 129. 121 BT-Ds 16/2022, S. 13; Erman/Armbrüster, AGG, § 22 Rn. 1; KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 3; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 3; BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 3, Stand 01. 06. 2023. 122 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73 f.; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 1; TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 70 f., Stand Februar 2019; vgl. bzgl. der Darlegungslast auch MüKo/ Thüsing, AGG, § 22 Rn. 4, der darauf hinweist, dass die Norm explizit nur die Beweislast regelt, während die Darlegungslast den allgemeinen Regeln folge und der Kläger deshalb gehalten sei, die tatsächlichen Voraussetzungen einer Benachteiligung darzulegen. 123 BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345, 1348 (Rn. 33) = BAGE 142, 158; vgl. zudem BAG, Urt. v. 24. 04. 2008 – 8 AZR 257/07; NZA 2008, 1351, 1354 (Rn. 44); BAG, Urt. v. 26. 01. 2017 – 8 AZR 736/15, NZA 2017, 854, 857 (Rn. 27) = AP AGG

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

101

und inwiefern ein Beklagtenvortrag der Entstehung einer richterlichen Überzeugung von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität entgegenwirken kann. Die selbstständige Beurteilung der Erfüllung des gesenkten Beweismaßes auf der ersten Stufe (Kausalitätswahrscheinlichkeit) wird zum Teil wie eine separate weitere Stufe der Beweiserleichterung behandelt.124 Im Ergebnisgleichlauf mit der Rechtsprechung des BAG, das eine Gesamtbetrachtung des Prozessstoffs auf erster Stufe vornimmt, wird § 22 AGG so ausgelegt, dass der Arbeitgeber nicht nur die vom Arbeitnehmer vorgebrachten Indiztatsachen bestreiten und den Gegenbeweis antreten kann,125 sondern auch selbst Gegenindizien, also vom Arbeitnehmervortrag zu trennende neue Tatsachen vortragen kann.126 Gegen Letzteres spricht vor allem, dass in dieser Situation besonders unter dem abgesenkten Beweismaß die Rechtsfolge der Beweiserleichterung ins Leere laufen würde.127 Schwer einzuordnen sind in diesem Zusammenhang Stellungnahmen, die dem Arbeitgeber nach Auslösung der Rechtsfolge ermöglichen wollen, nachträglich die Grundlage für die Beweislastumkehr zu entkräften.128 Würde man dieser Ansicht folgen, wäre die zweite Stufe der Beweiserleichterung weitgehend ohne Anwendungsbereich und § 22 AGG könnte wie folgt gefasst werden: „Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass die Benachteiligung wegen eines der in § 1 genannten Gründe überwiegend wahrscheinlich ist.“129 b) Zweite Stufe Gelingt dem Arbeitnehmer der Beweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Gruppenzugehörigkeit und Maßnahme durch „Indizien“, verschiebt sich bei § 22 AGG auf zweiter Stufe die subjektive Beweisführungslast und die objektive Beweislast.130 Die Beweislast des Beklagten ist ein vom Unionsrecht klar vorgegebenes Ergebnis.131 Die Rechtsfolge ist, dass die andere § 22 Nr. 13; zustimmend statt vieler KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 13; das BAG beruft sich insofern auf EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 50); EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU: C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 42, 44 f.). 124 Weigert, NZA 2018, 1166, 1168; insofern auch TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 22 Rn. 72, Stand April 2019. 125 BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 53, Stand 01. 06. 2023. 126 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 22 Rn. 15; Weigert, NZA 2018, 1166, 1168; MaierReimer, NJW 2006, 2577, 2582; differenzierend Stein, NZA 2016, 849, 853; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 25; Schlachter/Heinig/Kocher, § 5 Rn. 325. 127 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 128 ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 11. 129 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 22 Rn. 7. 130 Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 103. 131 EuGH, Urt. v. 17. 07. 2008 – Rs. C-303/06 (Coleman), ECLI:EU:C:2008:415, NZA 2008, 932, 935 (Rn. 54); BAG, Urt. v. 16. 09. 2008 – 9 AZR 791/07, NZA 2009, 79; 82 (Rn. 38); BAG, Urt. v. 26. 06. 2014 – 8 AZR 547/13, AP AGG § 22 Nr. 10, Rn. 40; BAG, Urt. v. 20. 1. 2016 – 8 AZR 194/14, NZA 2016, 681, 684 (Rn. 27); APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a.

102

2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

Partei die volle Beweislast für das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot trägt.132 Vor diesem Hintergrund wird die Rechtsfolge als Beweislastumkehr beschrieben.133 Teilweise wird für eine solche Begriffsverwendung vorausgesetzt, dass keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt dieser Rechtsfolge vorgesehen sind.134 Im Einklang mit dem hier vertretenen Begriffsverständnis, beschreibt der Begriff Beweislastumkehr die Rechtswirkung der zweiten Stufe des § 22 AGG aber zutreffend. Es gilt das Regelbeweismaß.135 Zu beachten ist jedoch, dass hinsichtlich der Indizien selbst nicht die Rechtsfolge des § 22 AGG in Gestalt einer Verschiebung der Beweislast greift.136 Der Nachweis, dass verpönte Merkmale in der Entscheidungsfindung keinerlei Rolle gespielt haben, nicht einmal innerhalb eines Motivbündels, wird dabei regelmäßig nicht leichtfallen.137 In der Vergangenheit wurde zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. behauptet, die Vorschrift kehre nicht die objektive, sondern nur die subjektive Beweislast, also die abstrakte Beweisführungslast um.138 Abgesehen davon, dass die erste Stufe der Beweiserleichterung bei dieser Annahme weitgehend sinnlos würde, bestehen neben systematischen Bedenken gegen eine gesetzgeberische Regelung der abstrakten Beweisführungslast auch keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden Gesetzgeberwillen.139 Im Ergebnis regeln sowohl § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. als auch § 22 AGG eine volle Umkehr der (objektiven) Beweislast. c) Mittelbare Dokumentationsobliegenheit Im Unterschied zu den Art. 18 Abs. 2 ABRL und Art. 12 Abs. 2 EZRL enthalten weder die Diskriminierungsrichtlinien noch § 22 AGG einen Auskunftsanspruch und korrespondierende Antwort- und Dokumentationspflichten im vorprozessualen Stadium. Dennoch wird die Frage nach einer aus dem AGG folgenden Aufklä-

132 ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 1; BAG, Urt. v. 29. 06. 2017 – 8 AZR 402/15, NZA 2018, 33, 38 (Rn. 48); KR/Treber/Plum, AGG, § 22 Rn. 16; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a; BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 13, Stand 01. 06. 2023; Schaub/Ahrendt, § 36 Rn. 92. 133 Etwa BAG, Urt. v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1401 (Rn. 54); APS/ Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73; Weigert, NZA 2018, 1166, 1168. 134 ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 1; sowie ErfK/Franzen, GenDG, § 21 Rn. 7; vgl. MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3; Staudinger/Serr, AGG, § 22 Rn. 1; Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 49. 135 BAG, Urt. v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1401 (Rn. 54); MüKo/ Thüsing, AGG, § 22 Rn. 24 f.; ArbR-HdB/Straube, F. Diskriminierungsrecht Rn. 169. 136 BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 53, Stand 01. 06. 2023. 137 Schaub/Ahrendt, § 36 Rn. 92. 138 Eich, NJW 1980, 2329, 2333. 139 Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1319.

B. Ausgangspunkt der Beweisschwierigkeiten

103

rungspflicht gestellt.140 Diese ist aufgrund des Fehlens einer spezialgesetzlichen Regelung grundsätzlich zu verneinen.141 Von einer echten Aufklärungspflicht ist die Frage nach eventuellen Dokumentationspflichten des späteren Beklagten zu unterscheiden. Hierzu schweigt § 22 AGG ebenfalls. Aufgrund der in Folge der Beweiserleichterung erhöhten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Prozessgegners wird aber dennoch von einer „Dokumentationsobliegenheit“142 des Arbeitgebers gesprochen – und dies zu Recht: Will der Arbeitgeber den Prozess nicht verlieren, ist er gehalten, außer der bloßen Behauptung anderweitiger Gründe stichhaltige Belege für diese vorzuhalten.143 Das gilt umso mehr aufgrund der gefestigten und der Sache nach überzeugenden Rechtsansicht,144 dass ein Nachschieben von Gründen im Prozess nur dann möglich ist, wenn deutlich wird, dass diese nicht bloß vorgeschoben sind.145 Dies stellt allerdings keine Besonderheit des Diskriminierungsrechts dar, sondern gilt allgemein für den Arbeitnehmer belastende Maßnahmen, gegen die ein gerichtliches Vorgehen in Frage kommt.

IV. Keine Analogie beim allgemeinen Maßregelungsverbot Zum Ausgleich der Beweisschwierigkeiten beim Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Maßnahme wurde schon früh eine Beweislastumkehr vorgeschlagen.146 Obwohl gesetzliche Beweiserleichterungen grundsätzlich analogiefähig sind,147 wird eine analoge Anwendung des § 22 AGG oder der Vorgängerregelung in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. von Rechtsprechung und Literatur einhellig abgelehnt, da es schon an der planwidrigen Regelungslücke fehlt.148 Eine 140

Statt vieler SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 39 f.; sowie Windel, RdA 2011, 193, 199. EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 46); vgl. zweifelnd, ob die Ablehnung einer Auskunftspflicht in jedem Fall dem Effektivitätsgebot genügt Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 43. 142 Erman/Armbrüster, AGG, § 22 Rn. 2; Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 125; Schiek/ Kocher, AGG, § 22 Rn. 53. 143 Wisskirchen, DB 2006, 1491, 1496; dies gilt besonders bei Auswahlverfahren SSP/ Suckow, AGG, § 22 Rn. 31; in diesem Sinne zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. schon Eich, NJW 1980, 2329, 2332 f. 144 BTDrucks. 16/1780, S. 47 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 16. 11. 1993 – 1 BvR 258/86, BVerfGE 89, 276 = NZA 1994, 745; BAG, Urt. v. 05. 02. 2004 – 8 AZR 112/03, NZA 2004, 540, 544; dazu ausführlich Adomeit/Mohr, AGG, § 22 Rn. 65 ff. 145 BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 56, Stand 01. 06. 2023. 146 Oetker, AuR 1997, 41, 47. 147 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 74. 148 BAG, Urt. v. 02. 04. 1987 – 2 AZR 227/86, NZA 1988, 18, 19 (Rn. 27) = BAGE 55, 190 = AP BGB § 612a Nr. 1; BAG, Urt. v. 25. 11. 1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, 837, 838; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 22; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 74; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 27; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 39; MüKo/Müller141

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

entsprechende Anwendung des § 22 AGG für Maßregelungsfälle kann demnach nur aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 16 Abs. 3 AGG erfolgen.149 Der Wille des Gesetzgebers ist diesbezüglich nur spärlich in den Gesetzesmaterialien dokumentiert,150 allerdings kann im Umkehrschluss nicht einfach davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber unabsichtlich auf die Einführung einer § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. entsprechenden Beweiserleichterung verzichtet hat.151 Insbesondere wurde das Maßregelungsverbot zeitgleich ins BGB eingeführt, weswegen eine Analogiefähigkeit der Beweiserleichterung hier erst recht bezweifelt werden kann.152

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB Die Grenzen des unmittelbaren und mittelbaren Beweises im Hinblick auf den Kausalzusammenhang vor Augen, ist zu klären, welche Möglichkeiten der Erleichterung der Beweisnot über die anerkannten Rechtsinstitute des Zivilprozessrechts bestehen, die über § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG auch für das Arbeitsrecht gelten.

I. Anscheinsbeweis 1. Wirkungsweise Das Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises ist gewohnheitsrechtlich bzw. richterrechtlich anerkannt.153 Zwar ist die systematische Verortung Gegenstand laufender Kontroversen. Für die Funktionsweise haben sich jedoch klare Grundlinien herausgebildet. Bei Untersuchung der neuen sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen ist vor allem wichtig zu klären, wie sich der Anscheinsbeweis zur Beweislast und zum Beweismaß verhält. a) Grundsätze Allgemein ist ein Anscheinsbeweis möglich, wenn die Lebenserfahrung auf einen bestimmten, typischen Geschehensablauf hindeutet.154 Ein Handlungsablauf muss Glöge, BGB, § 612a, Rn. 24; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 67, Stand 01. 06. 2023; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 24; AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 77; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 115; DDZ/Däubler, BGB, § 612a Rn. 22; Kort, RdA 2003, 122, 124; Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 507. 149 KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 27. 150 BTDrucks. 8/3317, S. 10. 151 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 24; Preis, NZA 1997, 1256, 1269. 152 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 74. 153 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 29; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 214. 154 BAG, Urt. v. 21. 11. 2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, 1094.

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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also verallgemeinerbar sein, aber nicht ausnahmslos gelten, um als Erfahrungssatz die volle richterliche Überzeugung begründen zu können.155 Nach der Rechtsprechung des BGH genügt zum Anscheinsbeweis nur ein Erfahrungssatz, der „nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des gewöhnlichen und Üblichen trägt, daß die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten“.156 Die Grundsätze des Anscheinsbeweises sind Teil der richterlichen Beweiswürdigung.157 Es handelt sich damit auch nicht um ein Beweismittel.158 Eine Verortung des Anscheinsbeweises im materiellen Recht159 ist aufgrund systematisch unstimmiger Überschneidungseffekte zwischen materiellen und prozessualen Normen, sowie aufgrund der Ähnlichkeit zum Indizienbeweis abzulehnen.160 Entsprechend der Einordnung als Teil der richterlichen Beweiswürdigung sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises Teil des Prozessrechts.161 Insbesondere in der grundsätzlich zurückhaltenden Ausgestaltung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit ist ein Geschehensablauf nur dann als typisch anzusehen, wenn „er so häufig vorkommt, dass die Wahrscheinlichkeit einen solchen Umstand vor sich zu haben, sehr groß ist“.162 Liegen diese Voraussetzungen vor, kehrt sich die konkrete Beweisführungslast um.163 Für eine Entkräftung muss der Prozessgegner nur den Anschein der Wirkungsbeziehung durch Darlegung und ggf. Beweis von Tatsachen, die eine Abweichung von dem gewöhnlichen Geschehensablauf nahelegen, erschüttern, also gerade nicht das Gegenteil beweisen.164 Es können aber höhere Anforderungen gelten, wenn ein grundrechtlich geschütztes Arbeitnehmerverhalten in Rede steht.165 Allgemein genügt es nämlich schon, wenn der Prozessgegner beim Richter Zweifel weckt: Er muss nur darlegen und beweisen, dass ein dem Erfahrungssatz entgegenstehender (also atypischer) Ablauf ernsthaft in Betracht

155

MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 60, der insofern von „Erfahrungsgrundsätzen“ spricht. BGH, Urt. v. 18. 03. 1987 – IVa ZR 205/85, NJW 1987, 1944. 157 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 95; kritisch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung Kollhosser, AcP 165 (1965), 46, 50. 158 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 95; Düwell-ArbGG/Kloppenburg, ArbGG, § 58 Rn. 103. 159 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 29a. 160 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 56 f.; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rn. 29. 161 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 53; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 223; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114 Rn. 38. 162 BGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661, 664; BGH, Urt. v. 05. 10. 2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 313. 163 Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rn. 31; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 39. 164 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 67; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 226; DüwellArbGG/Kloppenburg, ArbGG, § 58 Rn. 102; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 114 Rn. 39. 165 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 77; Preis, NZA 1997, 1256, 1270. 156

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

kommt.166 Gelingt die Erschütterung des Anscheinsbeweises, trifft den Arbeitnehmer wieder die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die fragliche Tatsache.167 Innerhalb der Erfahrungssätze lässt sich mit Prütting eine Binnendifferenzierung nach dem Überzeugungsgewicht vornehmen: Sogenannte einfache Erfahrungssätze sind nur Indikator für eine schwächere Wahrscheinlichkeit – auch sie können aber in Ausnahmefällen einen Anscheinsbeweis begründen.168 Regelmäßig betrifft dies Kausalzusammenhänge, bei denen ohnehin ein abgesenktes Beweismaß gilt, weshalb ein Anschein einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit aus Sicht des Klägers eine hinreichende Erleichterung darstellt.169 Mit einem Anscheinsbeweis genügt es bei einem Kausalzusammenhang, wenn ein typischer Geschehensablauf dargelegt wird und es dem Prozessgegner nicht gelingt, diesen zu entkräften.170 Allgemein bewirkt er nämlich ohnehin auch eine Absenkung der Darlegungslast.171 b) Beziehung zum Beweismaß Während anerkannt ist, dass sie auf die Beweislastverteilung selbst keinen Einfluss haben,172 ist umstritten, ob die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu einer Senkung des Beweismaßes führen.173 Der Anscheinsbeweis ist eine besondere bzw. typisierte Form des Indizienbeweises.174 Dass den Indizienbeweis gerade charakterisiert, dass aus mehreren für sich genommen nicht überzeugenden Elementen (Hilfstatsachen, genannt Indizien) der Rückschluss auf die Haupttatsache erfolgen kann,175 ändert nichts an der Einordnung als Sonderfall desselben.176 Denn der Erfahrungssatz fungiert als Quasi-Hilfstatsache

166

Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 29. Düwell-ArbGG/Kloppenburg, ArbGG, § 58 Rn. 103. 168 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 63; ähnlich auch Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rn. 30. 169 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 63. 170 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 30. 171 Anders/Gehle/Anders, ZPO, vor § 284 Rn. 39. 172 Statt vieler Leipold, Beweismass, S. 12; sowie ausführlich Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 97 ff. 173 Dafür Musielak, Grundlagen, S. 128; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 39; Musielak/ Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 24; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 66. 174 BGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661, 664; MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 50; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 214; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rn. 129, Stand 22. Auflage 2008. 175 Instruktiv statt vieler BGH, Urt. v. 29. 06. 1982 – VI ZR 206/80, NJW 1982, 2447, 2448 ff. 176 So aber Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 24. 167

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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um das zu beweisende Tatbestandsmerkmal zu untermauern.177 Der Anscheinsbeweis erleichtert nur die Beweisführung.178 Im Gegensatz zum im Erfolgsfall unerschütterlichen Indizienbeweis, wo eventuelle Gegenindizien oder ein Gegenbeweis von Anfang in der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, kann der Anscheinsbeweis einfacher erschüttert werden.179 Mithin ist der Anscheinsbeweis eine abgewandelte Form des Indizienbeweises. Zu beachten ist, dass die Tatsachengrundlage, auf der der Anscheinsbeweis aufbaut, voll bewiesen werden muss, soweit sie streitig ist.180 Die Funktion des Anscheinsbeweises schließt die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs denklogisch mit ein, woraus gefolgert wird, dass ein niedrigeres Beweismaß als das des Vollbeweises anzusetzen sei.181 Der Überzeugungsgrad des Richters ist im Hinblick auf Erfahrungssätze selbst aber nicht geringer.182 Dass die Erschütterung „erleichtert“ ist, darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Prozessgegner die zur Entkräftung eines untypischen Geschehensablaufs vorgetragenen Tatsachen im Bestreitensfall voll beweisen muss.183 Das Beweismaß bleibt unverändert. Bei einem ohnehin abgesenkten Beweismaß bleibt der Anscheinsbeweis weiter anwendbar, nur dass aus Richterperspektive ein Grad unterhalb der vollen Überzeugung zur Beweisführung genügt.184 c) Keine gesetzliche Regelung In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber in einer Vorschrift zur Beweiskraft elektronischer Dokumente (§ 371a Abs. 1 S. 2 ZPO) auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises rekurriert. Unklar ist jedoch, ob damit ein Fall des Anscheinsbeweises kodifiziert wurde.185 Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises in der von der Rechtsprechung etablierten Form Anwendung finden.186 Auch der Wortlaut der Vorschrift verwendet Termini, die in Schrifttum und Rechtsprechung zur Um177 Der „echte“ Indizienbeweis hat naturgemäß einen stärkeren Einzelfallbezug: Stein/ Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 224; zur Abgrenzung auch Anders/Gehle/Anders, ZPO, vor § 284 Rn. 25. 178 Düwell-ArbGG/Kloppenburg, ArbGG, § 58 Rn. 103. 179 Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rn. 51. 180 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 29; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 40; GMP/ Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 65. 181 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rn. 133 f., Stand 22. Auflage 2008. 182 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 61. 183 Grundlegend BGH, Urt. v. 18. 12. 1952 – VI ZR 54/52, BGHZ 8, 239; Stück, JuS 1996, 153, 157; Musielak/Stadler, JuS 1980, 739; anders Kollhosser, Anscheinsbeweis, S. 110 ff. 184 GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 65; teilweise wird in der Beweismaßsenkung jedoch eine Alternative zum Anscheinsbeweis gesehen Maassen, Beweismaßprobleme, S. 104. 185 Dafür MüKo/Zimmermann, ZPO, § 371a Rn. 4. 186 BTDrucks. 15/4067, S. 34.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

schreibung der bekannten Grundsätze verwendet werden. Der Aussagegehalt dieser Regelung für die Grundsätze des Anscheinsbeweises wird mit der Begründung bezweifelt, dass es sich um eine Beweisregel im Sinne des § 286 Abs. 2 ZPO handele, da der geregelte Anschein der Echtheit nicht auf Erfahrungswissen, sondern auf einer gesetzlichen Vorgabe beruhe.187 Diese Argumentation überzeugt. Dennoch ist die vom Gesetzgeber gewollte Nähe zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises in gewisser Hinsicht gegeben, da ein erleichterter „Gegenbeweis“ vorgesehen ist. Der Gesetzgeber scheint jedenfalls das Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund kann bei § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO durch die Formulierung in den Gesetzesmaterialien von einer gesetzgeberischen Billigung, nicht aber einer Kodifikation des Anscheinsbeweises gesprochen werden. Letztere müsste die Möglichkeiten für ein breites Spektrum verschiedener Erfahrungssätze offenlassen. Es wird gerade nicht auf einen vorhandenen Erfahrungssatz abgestellt, sondern ein Erfahrungssatz-Surrogat gesetzlich konstruiert. 2. Grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung bei § 612a BGB Im Schrifttum ist weitestgehend anerkannt, dass dem Arbeitnehmer im Rahmen des § 612a BGB der Beweis des ersten Anscheins zugutekommt.188 Dies wurde im Grundsatz höchstrichterlich bestätigt,189 offen ist nur, ob dies auch für den Bereich der Kündigung gilt.190 a) Kein Ausschluss wegen unzulässiger Rechtsfortbildung Gegen eine Anwendung des Anscheinsbeweises im Rahmen der subjektiven Komponente des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB spricht, dass der Anscheinsbeweis der Wirkung einer Beweislastumkehr nahekommen kann, und eine Korrektur der Beweissituation deshalb dem Gesetzgeber obliege.191 Der Gesetzgeber 187

Musielak/Voit/Huber, ZPO, § 371a Rn. 7. Preis, NZA 1997, 1256, 1269; ErfK/Preis, § 612a BGB Rn. 22; Krause, SAE 2003, 205, 210; AR/Kamanabrou, BGB, § 612a Rn. 20; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 29; Knigge, BB 1980, 1272, 1276; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 35; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 39; AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183; Soergel/Raab, BGB, § 612a Rn. 23; BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 24; DDZ/Däubler, BGB, § 612a Rn. 22. 189 BAG, Urt. v. 21. 11. 2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, 1094; offengelassen noch von BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 561 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 10. 190 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43; das BAG weist in einer älteren Entscheidung zur Kündigung eines Betriebsleiters jedoch darauf hin, dass allenfalls ein Anscheinsbeweis zugunsten des Arbeitnehmers in Betracht kommen könne BAG, Urt. v. 25. 11. 1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, 837, 838. 191 Schilling, Maßregelungsverbot, S. 183. 188

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hat (wohl bewusst) bei § 612a BGB keine Beweiserleichterung vorgesehen.192 Dies ist aber nur dann relevant, wenn die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises einer Analogie gleichkommt. Das ist nicht der Fall. Zwar entsteht eine gewisse Prozessrisikoverlagerung auf den Arbeitgeber, da es an ihm liegt, den einmal etablierten Anschein zu entkräften, indem er die legitimen Gründe für sein Verhalten erläutert.193 Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG ist zur Erschütterung eines ersten Anscheins einer Maßregelung erforderlich, dass der Arbeitgeber Anhaltspunkte für andere konkrete legitime Gründe für die Kündigung darlegt und ggf. beweist.194 Allerdings führt der Anscheinsbeweis nicht zu einer Veränderung der objektiven Beweislast, wie dies bei den Regelungen des § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a. F. bzw. § 22 AGG der Fall ist.195 Darüber hinaus ist die Beweiserleichterung auf die Fälle beschränkt, in denen ein hinreichender Erfahrungssatz besteht. Sowohl in seiner Funktion als auch in der Wirkung reicht der Anscheinsbeweis nicht an die gesetzlichen Beweiserleichterungen heran. Es handelt sich folglich auch nicht um eine unzulässige Analogie. b) Anwendung bei psychisch-individuellen Vorgänge Die Anwendung des Anscheinsbeweises ist wegen der hohen Zahl verschiedener Erfahrungssätze, die von unterschiedlichen Gerichten zugrunde gelegt werden, stets mit Problemen verbunden.196 Fast jeder Einzelfall lässt sich verallgemeinernd umschreiben.197 Für individuelle Vorgänge kann an sich kein Erfahrungssatz angenommen werden, der einen Anscheinsbeweis begründet.198 Den mit der Doktrin des tragenden Beweggrunds verbundenen Beweisschwierigkeiten mit den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu begegnen, ist daher keinesfalls offensichtlich. Es liegt nahe, dass innere Vorgänge bei Einzelpersonen keinen typischen Geschehensablauf bilden können und also der Anscheinsbeweis mangels belastbaren Erfahrungssatzes unanwendbar ist.199 Auch in der Kündigungskonstellation lässt sich allein aus dem subjektiven Horizont des Arbeitgebers kein verallgemeinerbarer Erfahrungssatz ableiten.200

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Siehe dazu bereits Kapitel 2, B.IV. Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 39. 194 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. 01. 2018 – 8 Sa 378/17, – juris, Rn. 45. 195 Dazu Kapitel 2, B.III.3. 196 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 94. 197 Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 23. 198 Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 30; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 286 Rn. 15. 199 BGH:, Urt. v. 18. 03. 1987 – Iva ZR 205/85, NJW 1987, 1944, 1945; Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 30d; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 43; vgl. APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43; vgl. auch Mummenhoff, Erfahrungssätze, S. 176, der für den Anscheinsbeweis im Bereich der Kausalität einen statistisch signifikanten Erfahrungssatz fordert. 200 SPV/Preis, § 13 Rn. 231. 193

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

Generell ausgeschlossen ist der Anscheinsbeweis aber auch bei subjektiv-individuellen Vorgängen nicht.201 Eine sachlogische Begrenzung des Anwendungsbereichs besteht nur dahingehend, dass eine Wirkungsrelation zwischen zwei Umständen in Rede stehen muss.202 Wenn ein hinreichender Erfahrungssatz besteht, ist die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises auch bei subjektiven Vorgängen nicht ausgeschlossen.203 Von der Unterstellung eines subjektiv-individuellen Erfahrungssatzes ist der Rückschluss von einer äußeren auf eine innere Tatsache zu unterscheiden, wofür der Anscheinsbeweis herangezogen werden kann.204 Dabei kommt es entscheidend auf die tatsächlichen objektiven Umstände der Maßnahme des Arbeitgebers an. Dies vorzutragen ist Sache des Arbeitnehmers. Entscheidend ist dabei, dass durch die Beschreibung solcher Abläufe eine hinreichend objektivierbare Grundlage geschaffen wird, die nach der Lebenserfahrung einen Rückschluss auf den subjektiven Horizont des Arbeitgebers erlaubt. Insofern trifft die Aussage, dass die Lebenserfahrung die Grenze der Anwendung des Anscheinsbeweises ist,205 zu. Schafft der Vortrag des Arbeitnehmers eine hinreichende Tatsachengrundlage und besteht ein Erfahrungssatz, ist ein Anscheinsbeweis für den Kausalzusammenhang in § 612a BGB möglich.206 3. Erfahrungssätze bei § 612a BGB Allgemein kommt der Anscheinsbeweis für den Kausalzusammenhang in Betracht, wenn nach den Umständen ein „erkennbarer Zusammenhang“ zur Rechtsausübung besteht.207 Offen ist, worin dieser Zusammenhang bestehen kann, bzw. wann die Schwelle eines hinreichenden Erfahrungssatzes erreicht ist.

201 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 82; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 175; Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 69; HdB-Beweislast/Gäntgen, BGB, § 612a Rn. 2; Prütting/ Gehrlein/Laumen, ZPO, § 286 Rn. 46; Walter, ZZP 1977, 270, 279; vgl. gegen ein zu enges Verständnis des Anwendungsbereichs schon Diederichsen, ZZP 1968, 45, 55; auch der BGH selbst scheint nicht mehr an seiner ursprünglich kompromisslosen Ablehnung des Anscheinsbeweises festzuhalten, wie sich aus BGH, Urt. v. 30. 09. 1993 – IX ZR 73/93, NJW 1993, 3259, 3260 ergibt. 202 Galle, NZKart 2016, 214. 203 Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 69. 204 Beispielsweise lasse der Schuss in den Mund den Rückschluss auf eine Selbstmordabsicht zu: Wilken, Maßregelungsverbot, S. 175; dazu schon Walter, ZZP 1977, 270, 279. 205 Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 70. 206 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 116; HdB-Beweislast/Gäntgen, BGB, § 612a Rn. 2. 207 MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 24; ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 22; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 26; Schaub/Linck, § 108 Rn. 21.

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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a) Bekannte Maßregelungen in der Vergangenheit So wird ein Anscheinsbeweis etwa dann für möglich gehalten, wenn der Arbeitgeber schon in der Vergangenheit bei seinen Mitarbeitern auf Rechtswahrnehmung mit benachteiligenden Maßnahmen reagiert hat.208 Im Unterschied zu den rein individuell-subjektiv geprägten Vorgängen, bei denen kein Anscheinsbeweis in Betracht kommt, besteht im Fall der regelmäßigen oder üblichen Maßregelung eine hinreichend objektivierbare Tatsachengrundlage. Fraglich erscheint nur, ob sich dies im Sinne eines Erfahrungssatzes verallgemeinern lässt. Der Vorteil eines Anscheinsbeweises liegt gerade darin, dass eine typisierte Schilderung erfolgen kann, ohne dass die Einzelheiten der konkreten Situation einzeln dargelegt und bewiesen werden müssen.209 Das Problem bei vergangener Maßregelung als Erfahrungssatz liegt darin, dass, um überhaupt eine hinreichende Tatsachengrundlage zu schaffen, sehr umfassend vorgetragen werden muss. Denn es kommt entscheidend darauf an, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den fraglichen Geschehensablauf besteht – andernfalls ist der behauptete Erfahrungssatz zur Führung des Anscheinsbeweises insgesamt ungeeignet.210 Ein Erfahrungssatz, nach dem Arbeitgeber regelmäßig rechtswahrnehmende Arbeitnehmer benachteiligen, besteht im Allgemeinen nicht.211 Dass Arbeitgeber regelmäßig mit Benachteiligungen auf Rechtsausübung reagieren, ist eine bloße Unterstellung. Dass Maßregelungen in der Vergangenheit einen Erfahrungssatz und damit die Grundlage für einen Anscheinsbeweis bilden können, wird auf absolute Ausnahmefälle beschränkt sein, in denen bei einem einzelnen Arbeitgeber Maßregelungen derart häufig vorgekommen sind, dass erfahrungsgemäß von einem Zusammenhang der Maßnahme zur Rechtswahrnehmung ausgegangen werden kann. b) Zeitliche Nähe aa) Eignung als Erfahrungssatz Nach überwiegender Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung kann in Fällen eines engen zeitlichen Zusammenhangs zur Rechtsausübung ein Erfahrungssatz für eine Maßregelung im Sinne des § 612a BGB angenommen werden.212 208

Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 39. MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 67. 210 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 64 f. 211 Belling/Steinau-Steinrück, DB 1993, 534, 536. 212 Früh bereits LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 25. 7. 1989 – 1 (3) Sa 557/88, LAGE § 612a BGB Nr. 4, unter I.1.; ferner LAG Köln, Urt. v. 19. 09. 2006 – 9 (4) Sa 173/06, BeckRS 2006, 134877, Rn. 48; BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 221 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf; vgl. BAG, Urt. v. 21. 11. 2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, 1094; wie auch die h. M. im Schrifttum: HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 35; ARBlattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 80; Wilken, Maßregelungsverbot, S. 176; BeckOK209

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Während das BAG sich zunächst nicht klar positioniert hatte,213 deuteten einige spätere Entscheidungen darauf hin, dass ein Anscheinsbeweis aufgrund zeitlicher Nähe der Maßnahme zur Rechtsausübung in Betracht kommt.214 Häufig differenziert das BAG dabei nicht zwischen einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Maßregelungsverbots. Es ist aber davon auszugehen, dass primär der Kausalzusammenhang Gegenstand der Beweiserleichterung ist. Somit kann bei enger zeitlicher Nähe dem Arbeitnehmer ein Beweis des ersten Anscheins zugutekommen, dass die Benachteiligung gerade wegen der Rechtsausübung erfolgt ist. Dagegen wird angeführt, dass zeitliche Nähe allenfalls ein Indiz, nicht aber ein hinreichender Erfahrungssatz sei und dem Arbeitnehmer bei einer längeren Dauer zwischen Rechtsausübung und Maßnahme damit nicht geholfen sei.215 In jüngerer Zeit lässt die Rechtsprechung des BAG eine klarere Linie bezüglich der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei zeitlicher Nähe zwischen Rechtswahrnehmung und Maßnahme erkennen. Der II. Senat hatte bereits 2014 entschieden, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Rechtsverfolgung und Kündigung angesichts des Umstands, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien schon seit Jahren nicht mehr gelebt worden war, als Indiz für eine Maßregelungsabsicht nicht ausreiche.216 Nun hat derselbe Senat in einer jüngeren Entscheidung hervorgehoben, dass eine Kündigung im bloßen zeitlichen Zusammenhang zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht die Annahme eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbots begründe.217 Zwar lässt sich diesen Urteilen keine verbindliche generalisierte Aussage für einen Anscheinsbeweis mit dem Indiz der zeitlichen Nähe als einfachen Erfahrungssatz entnehmen. Sie deuten jedoch auf eine gewisse Skepsis bezüglich der Aussagekraft derselben hin. Zu klären bleibt, ob ein enger zeitlicher Zusammenhang nicht substanziell „zu wenig“ ist, um darauf die Anwendung des Anscheinsbeweises zu stützen. Wie bereits gezeigt, können auch einfache Erfahrungssätze im Bereich der Kausalität einen Anscheinsbeweis begründen. Der Einwand, es handle sich bei zeitlicher Nähe um ein bloßes „Indiz“, verfängt nicht, weil eine Überprüfungsmöglichkeit Teil der Grundsätze des Anscheinsbeweises ist: Hilfstatsachen sind innerhalb der richterli-

ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 24; Gaul, NJW 1994, 1025, 1031; vgl. auch DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 24. 213 BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 561 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 10. 214 BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 221 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf; BAG, Urt. v. 21. 11. 2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, 1094. 215 Benecke, NZA 2011, 481, 484; ablehnend auch Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 513. 216 BAG, Urt. v. 10. 04. 2014 – 2 AZR 647/13, NZA 2015, 162, 165 (Rn. 34). 217 BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 203 (Rn. 31) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB.

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chen Gesamtwürdigung ohnehin darauf zu untersuchen, ob sie für die Haupttatsache erheblich sind – dies gilt auch für den zeitlichen Zusammenhang.218 bb) Keine klare Definition Der Begriff der zeitlichen Nähe ist allerdings vieldeutig. Zur Illustration mag folgende Fallgestaltung dienen:219 Eine Arbeitnehmerin in einem Reisebüro bestand gegenüber ihrem Arbeitgeber auf der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften. Im Nachgang verspätete sich die Lohnauszahlung um nahezu einen ganzen Monat, für den laufenden Monat war noch kein Gehalt gezahlt. Dies forderte die Arbeitnehmerin per Fax ein. Am Tag darauf erhielt sie die Kündigung. Dem Gericht genügte die „evidente zeitliche Nähe“220 der Kündigung zur zulässigen Rechtsausübung, um hier die Grundsätze des Anscheinsbeweises zulasten des Arbeitgebers zur Anwendung zu bringen. Das Merkmal der zeitlichen Nähe ist für sich genommen unklar, seine Aussagekraft in höchstem Maße situationsabhängig. Es ist nicht klar, welche Zeitspanne als ausreichend angesehen werden kann. Die Einschätzungen der Landesarbeitsgerichte variieren: in einem Fall wurde ein Tag als evidente zeitliche Nähe gewertet,221 mehrere Tage genügen jedoch auch.222 Eine klare Grenze nach oben gibt es nicht und ist auch schwer zu ziehen – schließlich ist einzelfallabhängig, welche konkrete Abfolge eine Maßregelungskonstellation wahrscheinlich erscheinen lässt. Das Kriterium eines engen zeitlichen Zusammenhangs stößt an die Grenzen seiner Aussagekraft, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers zufällig mit der Rechtsausübung zusammenfällt, weshalb ein restriktives Verständnis angezeigt sein könnte.223 Über die unmittelbare zeitliche Nähe hinaus sei erforderlich, dass der Arbeitnehmer darlege und beweise, dass ein sachlicher Grund für die Verschlechterung seiner Rechtsposition offensichtlich nicht bestehe; andernfalls sei der Arbeitgeber unter Umgehung der Wertung des § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG ggf. gezwungen, die Richtigkeit der Sozialauswahl nachzuweisen, wenn der Arbeitnehmer mit einer betriebsbedingten Kündigung unmittelbar rechne.224

218

BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 561 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 10. 219 Angelehnt an LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. 01. 2018 – 8 Sa 378/17, – juris, Rn. 40. 220 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. 01. 2018 – 8 Sa 378/17, – juris, Rn. 41. 221 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. 01. 2018 – 8 Sa 378/17, – juris, Rn. 41. 222 Bei einem Zeitraum von drei Monaten könne nicht mehr von einem engen zeitlichem Zusammenhang gesprochen werden LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 22. 04. 2015 – 4 Sa 577/14, BeckRS 2015, 71244, Rn. 23. 223 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 117. 224 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 117.

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cc) Stellungnahme Dies vermag nicht zu überzeugen. Der Kritik ist insoweit beizupflichten, als sie die Mehrdeutigkeit einer zeitlichen Nähe und die Gefahr von Wertungswidersprüchen zu § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG betont. Wie der Arbeitnehmer allerdings – in der angesprochenen Konstellation – nachweisen soll, dass ein sachlicher Grund „offensichtlich“ (!) für die betriebsbedingte Kündigung nicht gegeben ist, ist nicht zu erkennen. Weder muss der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung de lege lata in der Kündigungserklärung angeben, noch hat der Arbeitnehmer im Regelfall einen so weitgehenden Einblick in die betriebswirtschaftliche Lage, dass er etwa das Nichtbestehen eines Arbeitskräfteüberhangs schlüssig darlegen könnte. Die grundsätzliche Aussagekraft der zeitlichen Nähe für die Kausalität zwischen Rechtsausübung und Maßnahme erscheint tatsächlich zweifelhaft, wenn sich der Erfahrungssatz auf nichts Weiteres als den logischen (Fehl-)Schluss „danach, also deswegen“ (post hoc ergo propter hoc) beschränkt: Ein Erfahrungssatz mit dem Inhalt, dass eine nachteilige Maßnahme im engen zeitlichen Nachgang einer zulässigen Rechtsausübung immer mit einem nach § 612a BGB verwerflichen Sanktionierungsvorsatz erfolgt ist, existiert nicht. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die zulässige Rechtsausübung Grundlage für eine sozial gerechtfertigte Kündigung bilden kann.225 Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, dass im Falle des zufälligen Zusammenfallens von Kündigung und Rechtsausübung dem Arbeitgeber der erleichterte Gegenbeweis offensteht, da ansonsten kaum Anforderungen an den Erfahrungssatz gestellt werden müssten. Allerdings kann in dieser Situation gegebenenfalls dem Anscheinsbeweis die Grundlage entzogen werden: Wenn nach den Umständen des Sachverhalts ausgeschlossen ist, dass der Hilfstatsache überhaupt eine Indizwirkung für die Haupttatsache zukommen kann, findet der Anscheinsbeweis keine Anwendung.226 Dies ist für die Vorenthaltung von streikbedingten Sonderzuwendungen anerkannt, lässt sich aber problemlos auch auf maßregelnde Kündigungen übertragen. Demgemäß können Fälle, in denen keine Rückschlüsse aus der bloßen zeitlichen Nähe auf die Kausalität zwischen Rechtswahrnehmung und Maßnahme gezogen werden können, bereits ohne eine Erhöhung der Anforderungen an den Arbeitnehmervortrag gelöst werden. Wenn ersichtlich ist, dass Rechtsausübung und Maßnahme rein zufällig zusammengefallen sein könnten, findet der Anscheinsbeweis daher keine Anwendung. Die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei zeitlicher Nähe unterliegt einer Grenze – eine statische Festlegung einer zeitlichen Höchst- oder Untergrenze durch Rechtsprechung wäre hingegen kontraproduktiv.

225 Vgl. BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 203 (Rn. 31) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB, das die fehlende Aussagekraft des bloßen Zusammentreffens von Arbeitsunfähigkeit und Kündigung für die Beweggründe des Arbeitgebers hervorhebt. 226 BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 561 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 10; Schwarze, NZA 1997, 967, 972.

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c) Anscheinsbeweis bei Nichtgewährung von Vorteilen Wie schon bei den Rechtsproblemen des Kausalzusammenhangs lässt sich auch für die Anwendung des Anscheinsbeweises zwischen zwei Fallgestaltungen differenzieren: einmal der „aktive“ Eingriff in die Rechtsstellung des Arbeitnehmers, andererseits der „passive“ Ausschluss von Begünstigungen, die anderen gewährt werden.227 Die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises auf die „passive“ Vorenthaltung von Vorteilen wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Dabei liegt der Fokus besonders auf der Konstellation des Arbeitskampfes, die einen bedeuteten Anwendungsfall des Maßregelungsverbots bildet.228 aa) Beweissituation beim Gleichbehandlungsgrundsatz Das Verhältnis zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelungsverbot beeinflusst die Frage nach der Anwendung des Anscheinsbeweises entscheidend mit. Grundsätzlich ist nicht davon auszugehen, dass bei zwei unterschiedlichen Rechtsinstituten ein Gleichlauf hinsichtlich der Beweissituation besteht.229 Allerdings bestehen Schnittmengen zwischen den beiden Normen. Im Bereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes gilt nach der Rechtsprechung des BAG eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast,230 deren Verteilungsergebnis wie folgt zusammengefasst werden kann: Muss der Arbeitnehmer im ersten Schritt das Vorliegen einer Ungleichbehandlung darlegen und im Bestreitensfall beweisen, hat der Arbeitgeber sodann die sachlichen Gründe der Ungleichbehandlung darzulegen und zu beweisen.231 Bezüglich der Gründe der Ungleichbehandlung nimmt das BAG eine vorprozessuale Aufklärungspflicht an, wenn diese nicht ohne Weiteres erkennbar waren.232 Genügt der Arbeitgeber dieser vorprozessualen Aufklärungspflicht nicht, ist er mit den Gründen im späteren Prozess präkludiert. Im Grundsatz wurde diese Aufklärungspflicht auch bei der Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in Verbindung mit einem tarifvertraglichen Maßregelungsverbot anerkannt.233 Ob diese Rechtspre227 So schon Wilken, Maßregelungsverbot, S. 178; vgl. auch Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 116 ff. 228 AR-Blattei/K. Gamillscheg, SD 1183 Rn. 61. 229 Gaul, NJW 1994, 1025, 1030. 230 BAG, Urt. v. 27. 4. 2021 – 9 AZR 662/19, NZA 2021, 1176, 1178 (Rn. 23); BAG, Urt. v. 03. 09. 2014 – 5 AZR 6/13, NZA 2015, 222, 225 (Rn. 31) = AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 218; BAG, Urt. v. 23. 2. 2011 – 5 AZR 84/10, NZA 2011, 693, 694 (Rn. 15 f) =AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 213. 231 Weber/Ehrich, ZIP 1997, 1681, 1688 f. 232 BAG, Urt. v. 05. 03. 1980 – 5 AZR 881/78, NJW 1980, 2374, 2375 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 09. 09. 1981 – 5 AZR 1182/79, NJW 1982, 461, 461 f. = AP Nr. 117 zu Art. 3 GG. 233 HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 35; BAG, Urt. v. 28. 07. 1992 – 1 AZR 87/92, NZA 1993, 267, 269 = AP Nr. 123 zu Art.9 GG Arbeitskampf.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

chung überhaupt auf das gesetzliche Maßregelungsverbot des § 612a BGB übertragbar ist,234 erscheint insofern zweifelhaft, als dass tarifvertraglichen Maßregelungsverboten ein weitergehender Regelungsgehalt zugemessen wird.235 Dagegen spricht vor allem, dass es sich um eine vorprozessuale Aufklärungspflicht eigener Art handelt, die der Vermeidung aussichtsloser Prozesse dient.236 bb) Anwendung des Anscheinsbeweises Die für den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz geltende Beweislage wird dadurch verkompliziert, dass das BAG zum Teil in Fällen der parallelen Einschlägigkeit eines Maßregelungsverbots auf das Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises zurückgegriffen hat. Als Beweiserleichterung für den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und der Vorenthaltung einer streikbedingten Sonderzahlung für nicht am Streik teilnehmende Arbeitnehmer wendet das BAG die Grundsätze des Anscheinsbeweises mit dem Erfahrungssatz der zeitlichen Nähe an, wenn der Arbeitgeber den nicht streikenden Arbeitnehmern unmittelbar nach Beendigung des Streiks eine Sonderzahlung gewährt.237 Divergierende Ansichten bestehen bereits hinsichtlich der Frage, inwiefern der Erfahrungssatz eines engen zeitlichen Zusammenhangs zur Rechtsausübung zur Geltung gebracht werden kann. Der Linie des BAG wird entgegengehalten, dass die Prämien nach Beendigung des Streiks nur aus einem darüber hinausgehenden sachlichen Grund (etwa Vergütung besonderer Arbeitserschwernisse) ohne Verstoß gegen das Maßregelungsverbot zulässig sind,238 und also der zeitliche Zusammenhang zur Ausübung des Streikrechts keine Aussagekraft bezüglich der Beweggründe des Arbeitgebers hat.239 Wilken will statt des zeitlichen Zusammenhangs einen Erfahrungssatz bzgl. der Gruppenbildung des Arbeitgebers annehmen, nach dem bei der Vorteilsgewährung an diejenigen, die kein Recht ausgeübt haben, regelmäßig ein Sanktionierungsvorsatz bestehe.240 Dagegen wird angeführt, dass aus der bloßen

234

So jedenfalls Schwarze, NZA 1997, 967, 972 (Fn. 67). BAG, Urt. v. 13. 07. 1993 – 1 AZR 676/92, NJW 1994, 74, 76 = BAGE 73, 32. 236 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 177; Schwarze, NZA 1997, 967, 972; Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 88. 237 BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 221 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf; so auch ErfK/Preis, § 612a BGB Rn. 22; Gaul, NJW 1994, 1025, 1031; vgl. Belling/Steinau-Steinrück, DB 1993, 534, 536; Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 90 f. 238 NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 20. 239 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 178. 240 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 178; vgl. auch Belling/Steinau-Steinrück, DB 1993, 534, 537. 235

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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Differenzierung nicht prima-facie auf eine Ursächlichkeit der Rechtsausübung geschlossen werden könne.241 Doch auch die Anforderungen an die Entkräftung des Anscheins werden unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird es für ausgereichend erachtet, dass der Arbeitgeber glaubhaft mache, dass ein anderer Grund für die Nichtgewährung der Leistung maßgeblich gewesen sei – gelingt dies, muss der Arbeitnehmer den Vollbeweis für eine Maßregelung erbringen.242 Dem BAG genügt hingegen der bloße Vortrag eines Arbeitgebers, dass eine Treueprämie an nicht streikende Arbeitnehmer nur gezahlt werde, um besondere Erschwerungen und Belastungen während der Aussperrung zu kompensieren nicht, wenn keine Anhaltspunkte für konkret kompensierbare Belastungen dargelegt werden.243 Dies verdeutlicht, dass aus Richtersicht im Einzelfall nicht jede Gegenargumentation geeignet ist, einen einmal etablierten Anschein zu entkräften. Nach Auffassung von Gaul richtet sich die Darlegungs- und Beweislast bei mehreren anwendbaren Vertragsschranken nach der jeweils für den Arbeitnehmer günstigeren Rechtsfolge und damit folglich nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz.244 Die Anwendung des Anscheinsbeweises wird jedoch durch eine Modifikation der Anforderungen an den Gegenvortrag ergänzt, an den gegenüber dem erleichterten Gegenbeweis strengere Anforderungen zu stellen sind: Da der Arbeitnehmer bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze zu schnell in eine Situation gedrängt werde, in der er seiner ursprünglichen Beweisnot ausgesetzt sei, treffe den Arbeitgeber eine Vortragspflicht nach der Art einer sekundären Darlegungslast, die auf einer Einwirkung der Grundsätze von Treu und Glauben auf das Verfahrensrecht beruhe: Sei es dem Arbeitnehmer unzumutbar oder unmöglich, substantiiert darzulegen und zu beweisen, aus welchen einzelnen Gründen andere Arbeitnehmer begünstigt werden, so obliege dem Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO, die Gründe für eine Differenzierung sowie die Kriterien für eine Abgrenzung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen vorzutragen.245 Faulenbach lehnt die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises ab, wenn eine Ungleichbehandlung als Maßnahme in Rede steht.246 Dies sei wegen des in diesen Fällen immer auch verletzten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, bei dem der Arbeitgeber die Beweislast für die Rechtfertigung der Ungleichbe-

241 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 118; kritisch auch Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 513. 242 Belling/Steinau-Steinrück, DB 1993, 534, 537. 243 BAG, Urt. v. 11. 08. 1992 – 1 AZR 103/92, NJW 1993, 218, 220 = AP Nr. 124 zu Art. 9 Arbeitskampf. 244 Gaul, NJW 1994, 1025, 1030. 245 Gaul, NJW 1994, 1025, 1031 f.; so im Ergebnis auch Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, Rn. 162; zustimmend Schweinberger, Prämien und Arbeitskampf, S. 92. 246 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 119.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

handlung trage, nicht notwendig.247 Der Arbeitgeber sei, wenn er entgegen einer bestehenden Offenlegungspflicht248 auf Nachfrage des Arbeitnehmers die Gründe nicht mitteilt, mit diesen Gründen nicht präkludiert.249 Dies führe zu dem Schluss, dass die Grundsätze des Anscheinsbeweises nur anwendbar seien, wenn die Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition in Rede stehe.250 cc) Stellungnahme Nach hier vertretenem Verständnis sind die beiden Rechtsinstitute bei der Nichtgewährung von Vorteilen nicht deckungsgleich; die Rechtswahrnehmung des Arbeitnehmers ist stets ein sachfremder Grund, der keine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, wobei aber gleichzeitig auch eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegen das Maßregelungsverbot verstoßen kann, wenn ein hinreichender Maßregelungsvorsatz besteht.251 Damit besteht in dieser Konstellation durchaus eine Anwendungsmöglichkeit für die Grundsätze des Anscheinsbeweises, in der das Argument, dass der Arbeitgeber ohnehin schon die Beweislast für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung trage, nicht greift. Umgekehrt besteht aber in der Tat ein geringeres Bedürfnis für die Grundsätze des Anscheinsbeweises, wenn kein Fall der „an sich gerechtfertigten Differenzierung“ vorliegt. Faulenbach geht von der unzutreffenden Prämisse aus, dass ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz Voraussetzung für eine Benachteiligung ist.252 Insofern ist der Anscheinsbeweis im Grundsatz auch bei der Nichtgewährung von Vorteilen anwendbar. Bei der Vorenthaltung einer streikbedingten Sonderzuwendung ist bereits nicht einzusehen, warum die zeitliche Nähe zur Rechtsausübung grundsätzlich eine geringere Aussagekraft haben sollte als bei der Verschlechterung von bestehenden Rechtspositionen. Zuzugestehen ist, dass die Rechtsprechung zu streikbedingten Sonderzahlungen eine feste Kasuistik für die Zulässigkeit solcher Zahlungen aufweist. Daraus Rückschlüsse für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises mit dem Erfahrungssatz eines engen zeitlichen Zusammenhangs zu ziehen, überzeugt jedoch nicht. Auch außerhalb der Arbeitskampfkonstellationen kann daher der Erfahrungssatz einer Unmittelbarkeitsbeziehung einer Maßnahme zur Rechtsausübung bei einem engen zeitlichen Zusammenhang bei der Nichtgewährung von Vorteilen herangezogen werden. 247

Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 119. Dazu BAG, Urt. v. 05. 03. 1980 – 5 AZR 881/78, NJW 1980, 2374, 2375 (unter II. 4.) = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 28. 07. 1992 – 1 AZR 87/92, NZA 1993, 267, 269 = AP Nr. 123 zu Art.9 GG Arbeitskampf. 249 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 119; entgegen BAG, Urt. v. 05. 03. 1980 – 5 AZR 881/78, NJW 1980, 2374, 2375 (unter II. 4.) = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 250 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 119. 251 Dazu Kapitel 1, B.IV. 252 Dazu Kapitel 1, B.IV. 248

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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Hier ist der Kritik dahingehend beizupflichten, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, dass die Rechtsausübung in Abwesenheit anderer objektiver Rechtfertigungsgründe tragendes Motiv für den Ausschluss von einer Leistung war.253 Es existiert keine Erfahrungstatsache, dass in Ermangelung anderer Umstände die Sanktion für zulässige Rechtswahrnehmung der tragende Beweggrund ist, da es so zu einer dem Anscheinsbeweis fremden Identität von Quasi-Hilfstatsache und zu beweisendem Tatbestandsmerkmal käme. Dem Mangel an anderen objektiven Gründen kann damit schon per se keine Indizwirkung zukommen. Darüber hinaus würde so ein Widerspruch zum Verhältnis zwischen Maßregelungsverbot und Gleichbehandlungsgrundsatz erzeugt: Der Benachteiligungsbegriff bestimmt sich unterschiedlich.254 Die Anwendung des Anscheinsbeweises ist jedoch auch bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zwangsläufig ausgeschlossen, wenn ein ausreichend belastbarer Erfahrungssatz besteht. Eine rechtliche Grundlage für eine vollständige Übertragung der Beweismaßstäbe und Begründungspflichten des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf das Maßregelungsverbots aufgrund einer Günstigkeitsprüfung255 ist nicht zu erkennen. Es handelt sich um unterschiedliche Begrenzungen der Gestaltungsautonomie, die abweichende Voraussetzungen und im Grundsatz auch abweichende Beweislastverteilungen aufweisen. Bei gleichzeitiger Anwendung kommt es jedoch zu Wechselwirkungen,256 was sich auch die auf konkrete Beweisführung erstreckt.

II. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast In einer begrenzten Anzahl von Fällen, in denen ein belastbarer einfacher Erfahrungssatz besteht, können daher die Grundsätze des Anscheinsbeweises den Nachweis der Kausalität erleichtern. Zu klären ist, welche anderen Möglichkeiten zur Linderung der Beweisnot in Betracht kommen. In der Rechtsprechung des BGH ist die umstrittene Figur der „Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr“ anerkannt.257 Das arbeitsrechtliche Gegenstück ist die „abgestufte Darlegungs- und Beweislast“, der vor allem bei Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes entscheidende Bedeutung zukommt.258

253

Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 118. Dazu Kapitel 1, B.II. 255 So Gaul, NJW 1994, 1025, 1030. 256 Dazu Kapitel 1, C.IV. 257 Dazu Katzenmeier, FS Prütting 2018, 361, 370 f. m. w. N.; Stein/Jonas/Thole, ZPO, § 286 Rn. 202. 258 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 78. 254

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

1. Anwendungsbereich und Regelungselemente Der Mindestkündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ist ein Verfassungsgebot. Die Möglichkeiten des Prozessrechts wurden vom BVerfG, dessen Entscheidungen gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG für alle Gerichte verbindlich sind, ausdrücklich als Mittel anerkannt, um diesem zu genügen.259 Über die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Kleinbetriebsklausel hinaus ist der Mindestkündigungsschutz auch vor Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verfassungsrechtlich geboten.260 Da Grundrechte nicht per se die Beweislastverteilung ändern,261 besteht bei der Anwendung der §§ 138, 242 BGB die Notwendigkeit einer flexiblen Beweiserleichterung, wobei allerdings keine schematische Lösung in Betracht kommt.262 Die abgestufte Darlegungs- und Beweislast ist eine Generalklausel zur Beweiserleichterung, die ihre Wirkung durch richterliche Rechtsfortbildung anhand des § 138 ZPO entfaltet.263 Was genau unter den Oberbegriff fällt, ist sowohl im Gesamten als auch für die einzelnen Rechtsinstitute selbst nicht endgültig definiert. Den Arbeitsgerichten wurde ein Gestaltungsspielraum überlassen.264 Die Grundwertung, dass der Arbeitgeber durch das Verschweigen von relevanten Tatsachen, zu denen der Arbeitnehmer keinen Zugang hat, den Rechtsschutz des Arbeitnehmers nicht vereiteln darf, hat das BVerfG auch auf andere Sachverhalte ausgedehnt.265 Sie ist demnach einer Verallgemeinerung zugänglich. In der am häufigsten anzutreffenden Formel der Rechtsprechung besteht die Beweiserleichterung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast aus drei Schritten: Zunächst muss der Arbeitnehmer Indizien für den Verstoß gegen die Generalklausel vorbringen; in einem zweiten Schritt muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO konkret auf den Vortrag einlassen, um diesen zu entkräften – wenn dies scheitert, ist der Vortrag des Arbeitnehmers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzunehmen.266 Der Fokus hierbei liegt auf der sekundären Darlegungslast des Arbeitgebers, die ihn entgegen der eigentlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast trifft. Eine übermäßige Belastung des Arbeitgebers wird nach dem Modell der Rechtsprechung dadurch vermieden, dass dessen konkrete Beweisfüh-

259 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470, 472 = BVerfGE 97, 169 = AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 unter Verweis auf Preis, NZA 1997, 1256, 1266 ff. und Oetker, AuR 1997, 41, 48 ff.; so auch Wank, FS Hanau, 295, 307; MüHB-ArbR/Greiner, § 110 Rn. 36. 260 Hanau, FS Dieterich, 201, 211. 261 BGH, Urt. v. 17. 02. 1970 – III ZR 139/67 (Anastasia), BGHZ 53, 245, 251. 262 BverfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470, 472 = BverfGE 97, 169 = AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969. 263 Preis, ZESAR 2007, 308, 309. 264 Gragert, NZA 2000, 961, 969. 265 BVerfG, Beschl. v. 06. 10. 1999 – 1 BvR 2110/93, NZA 2000, 110, 111. 266 BAG, Urt. v. 28. 08. 2008 – 2 AZR 101/07, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88, Rn. 35.

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rungslast davon abhängt, wie substantiiert sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die bereits vorgebrachten Kündigungsgründe einlässt.267 Die Grundsätze des Anscheinsbeweises werden ebenfalls als Teil der abgestuften Darlegungs- und Beweislast außerhalb des KSchG angesehen.268 Sie stellen allerdings eine weitergehende Erleichterung dar, die nur greift, wenn ein entsprechender Erfahrungssatz besteht.269 Darüber hinaus werden eine Absenkung des Beweismaßes,270 sowie sogar eine richterrechtliche Beweislastumkehr diskutiert,271 um die beweisrechtlichen Hürden beim Kündigungsschutz außerhalb des KSchG zur Verwirklichung grundrechtlicher Schutzpflichten zu senken. 2. Funktionsweise der Abstufung Orientiert an § 138 ZPO muss der Arbeitnehmer mit seinem Tatsachenvortrag die Grundlage für die Erwiderung des Arbeitgebers schaffen.272 Dabei lässt sich zwischen einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten, aber oft nur unkonkret beschriebenen Absenkung der Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers und einer darüberhinausgehenden Absenkung des Beweismaßes insgesamt unterscheiden. Inwiefern letzteres Teil der „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG ist, bzw. sein sollte, gilt es dabei zu klären. a) Vorbringen des Arbeitnehmers Zunächst kommt es darauf an, dass die Tatsachen den Vorwurf plausibel erscheinen lassen. Bloße Behauptungen des Arbeitnehmers reichen nicht aus:273 In einem ersten Schritt wird in ständiger Rechtsprechung des BAG gefordert, dass der Arbeitnehmer, der die Auswahlüberlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, regelmäßig nicht kenne, nur einen Sachverhalt vortragen

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Preis, DB 1988, 1444, 1451. MüHB-ArbR/Greiner, § 110 Rn. 37; Stein, DB 2005, 1218, 1221; Hein, NZA 2008, 1033, 1036. 269 Gallner/Mestwerdt/Nägele/Gieseler, KSchG, § 13 Rn. 99; MüHB-ArbR/Greiner, § 110 Rn. 38. 270 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 78. 271 Oetker, AuR 1997, 41, 53; in diese Richtung im Ergebnis auch Kittner, NZA 1998, 731, 734; kritisch Gragert, NZA 2000, 961, 969; für eine Handhabung des verfahrensrechtlichen Mindestkündigungsschutzes ohne eine richterrechtliche Beweislastumkehr auch Preis, NZA 1997, 1256, 1270. 272 Schwab/Weth/Schwab, ArbGG, § 58 Rn. 89; vgl. ArbG München, Urt. v. 12. 06. 2013 – 24 Ca 1619/11, – juris, Rn. 25. 273 KR/Lipke/Schlünder, BGB, § 242 Rn. 51; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 75; unklar Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, § 242 Rn. 812. 268

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

müsse, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziere.274 Obwohl der Arbeitnehmer zu den fraglichen Informationen keinen Zugang hat, gilt es die Gefahr einer unzulässigen Ausforschung durch bloße Behauptungen zu mildern.275 Der Arbeitnehmer muss also in nachvollziehbarer (schlüssiger) Weise behaupten, dass ein Verstoß gegen die Schutzvorschrift in Rede steht. Der Fokus der Absenkung der Darlegungslast liegt nach der Rechtsprechung erkennbar darin, Lücken in der Sachverhaltsschilderung ausnahmsweise zuzulassen, die ansonsten wegen Unschlüssigkeit zum Scheitern der Klage führen müssten. Diese Funktionsweise zugrunde gelegt, liegt es nahe, die „erste Stufe“ des Grundsatzes der abgestuften Darlegungs- und Beweislast in der Ausprägung durch das BAG als Verringerung der Darlegungslast, nicht aber als Absenkung des richterlichen Überzeugungsgrades hinsichtlich des entscheidungserheblichen subjektiven Merkmals auf Arbeitgeberseite zu begreifen. b) Sekundäre Darlegungslast Im Kontext des § 138 Abs. 2 ZPO ist zwischen zwei rechtlichen Elementen zu differenzieren. Klar in § 138 Abs. 2 ZPO enthalten ist die Pflicht zum qualifizierten Gegenvortrag. Der Arbeitgeber muss sich nur im Rahmen der allgemeinen Vortragspflicht auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, auch indem er das Vorbringen des Arbeitnehmers substantiiert bestreitet. Davon abzugrenzen ist allerdings das Rechtsinstrument der sekundären Darlegungslast. aa) Rechtsgrundlage und systematische Einordnung Eine sekundäre Darlegungs- oder Behauptungslast führt zu einer Darlegungspflicht der an sich nicht beweisbelasteten Partei. Deren Rechtsgrundlage wird in dem auch im Prozessrecht gültigen Grundsatz von Treu und Glauben gesehen.276 Insbesondere zieht die Rechtsprechung eine daraus hergeleitete Pflicht zur redlichen Prozessführung heran.277 In jüngerer Zeit stützt der BGH die sekundäre Darle-

274 BAG, Urt. v. 21. 02. 2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833, 836 = BAGE 97, 92; BAG, Urt. v. 25. 04. 2001 – 5 AZR 360/99, AP BGB § 242 Kündigung Nr. 14, unter II.4.a); BAG, Urt. v. 16. 09. 2004 – 2 AZR 447/03, BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44, unter B.I.4.b); BAG, Urt. v. 28. 08. 2008 – 2 AZR 101/07, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88, Rn. 35. 275 Papanikolaou, Die sekundäre Erklärungspflicht im Zivilprozess, S. 134. 276 BGH, Urt. v. 13. 07. 1962 – I ZR 43/61, NJW 1962, 2149, 2150; BGH, Urt. v. 11. 06. 1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151 f.; BGH, Urt. v. 03. 12. 1992 – I ZR 276/90, BGHZ 120, 320, 327 f.; BGH, Urt. v. 16. 05. 2006 – X ZR 169/04, BGHZ 167, 374, 382 f.= NJW-RR 2006, 1415; BGH, Urt. v. 29. 07. 2009 – I ZR 212/06, NJW-RR 2009, 1482, 1484 (Rn. 31 ff.); Staudinger/Loschelder/Olzen, BGB, § 242 Rn. 1115; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 110 Rn. 17; Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 138 Rn. 5. 277 BGH, Urt. v. 29. 07. 2009 – I ZR 212/06, NJW-RR, 1482, 1484 (Rn. 31 f.); für eine Verortung in § 138 Abs. 1 ZPO: Gomille, JZ 2018, 711, 713.

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gungslast aber eher direkt auf § 138 Abs. 2 ZPO,278 der extensiv ausgelegt wird.279 Auch das BAG sieht die Rechtsgrundlage der sekundären Darlegungslast in § 138 Abs. 2 ZPO.280 Demnach würde es sich um einen Sonderfall des substantiierten Bestreitens handeln.281 In diesem Zusammenhang lässt sich die sekundäre Darlegungslast als kombinierte Konsequenz der Prozessförderungspflicht, sowie der Wahrheits- und Vollständigkeitsplicht einordnen.282 Zwar ist der Grundsatz von Treu und Glauben ohne Zweifel auch im prozessualen Kontext anerkannt.283 Bei einer zu weitreichenden Anwendung von § 242 BGB im Rahmen des Beweisrechts bestehen jedoch Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit.284 Daher erscheint die Verortung im Prozessrecht (§ 138 Abs. 2 ZPO) vorzugswürdig. Daraus folgt, dass eine sekundäre Darlegungslast keine vorprozessualen Aufklärungspflichten begründet.285 Die Verortung in § 138 ZPO ist auch der Grund, warum aus Gerichtsentscheidungen nicht immer klar wird, ob die in Rede stehende Darlegungspflicht nun die allgemeine Erwiderungspflicht betrifft oder es sich um eine Anwendung der nur ausnahmsweise eingreifenden sekundären Darlegungslast handelt. Dies ist etwa der Fall, wenn das Gericht letzteres nicht ausdrücklich erwähnt und mehrere Voraussetzungen der in Rede stehenden Norm zusammen geprüft werden. Die Reichweite des zumutbaren substantiierten Bestreitens wird erweitert.286 Aus diesem Grund wird sie zum Teil auch „sekundäre Substantiierungslast“ genannt,287 weil der Kläger abstrakt darlegungspflichtig bleibt. Technisch korrekt wäre daher etwa die Bezeichnung „sekundäre konkrete Darlegungs- und Substantiierungslast“. Die vereinfachte Form „sekundäre Darlegungslast“ hat sich jedoch weitgehend durchgesetzt.

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Zuletzt etwa BGH, Urt. v. 08. 03. 2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243, Rn. 26.; BGH, Urt. v. 25. 05. 2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1966 (Rn. 37), jeweils m. w. N. 279 Dazu Laumen, MDR 2019, 193, 195. 280 Statt vieler BAG, Urt. v. 28. 08. 2008 – 2 AZR 101/07, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88, Rn. 35. 281 So etwa Papanikolaou, Die sekundäre Erklärungspflicht im Zivilprozess, S. 107. 282 MüKo/Fritsche, ZPO, § 138 Rn. 25. 283 Staudinger/Loschelder/Olzen, BGB, § 242 Rn. 1102; HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 39. 284 HdB-Beweislast/Prütting, Bd. I, Teil 2, Kapitel 11 Rn. 39. 285 So im Ergebnis auch Hofmann, GRUR-Prax 2020, 355, 355 f.; Gottwald, FS Prütting 2018, 297, 300. 286 Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 8b; MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 106; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 28; Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 92. 287 Exemplarisch HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 35; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 26.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

bb) Voraussetzungen und Rechtsfolge Eine sekundäre Darlegungslast kommt nach der Rechtsprechung immer dann in Betracht, wenn die an sich darlegungsbelastete Partei im Gegensatz zu ihrem Prozessgegner außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehens steht und deshalb keine Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen hat oder erlangen kann – dem Prozessgegner dies aber möglich und zumutbar ist.288 Voraussetzung ist damit, dass (1) ein Informationsdefizit der beweisbelasteten Partei besteht, und dass der nicht beweisbelasteten Partei die Aufklärung (2) möglich und (3) zumutbar ist.289 Liegen diese Voraussetzungen vor, muss der Prozessgegner darlegen, dass die Behauptung unzutreffend ist; genügt er dieser sekundären Darlegungslast nicht, gilt die fragliche Tatsache gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden – sie ist in der Folge nicht mehr beweisbedürftig.290 Dieses Ergebnis greift auch bei Verortung der sekundären Darlegungslast als Ausprägung von Treu und Glauben im Prozessrecht.291 Die Erwiderungspflicht geht über einfaches oder qualifiziertes Bestreiten hinaus, da der Prozessgegner für die behauptungs- und beweisbelastete Partei einen Teil ihrer Darlegungslast erfüllt.292 Sofern die sekundär darlegungspflichtige Partei zwar Tatsachen vorträgt, aber keine Beweismittel angibt, finden ergänzend die Grundsätze der Beweisvereitelung nach § 286 ZPO Anwendung.293 Die objektive Beweislast verbleibt allerdings durchgehend beim Arbeitnehmer:294 Sofern der Begriff der abgestuften Darlegungs- und Beweislast suggeriert, dass sich auf einer der Stufen auch die objektive Beweislast verändert, ist dies irreführend.295 c) Beweismaßsenkung als prozessuale Absicherung des Mindestkündigungsschutzes Über die wenigen gesetzlich festgelegten Abweichungen vom Regelbeweismaß hinaus wird in der Praxis durch Richterrecht in einer Vielzahl von Fällen eine Beweismaßabsenkung vorgenommen.296 Da sich im Rahmen des Kausalzusammenhangs bei Schadensersatzansprüchen häufig Beweisprobleme stellen, scheint es sinnvoll, in diesen Fällen die Beweismaßsenkung durch erweiterte teleologische 288

MüKo/Fritsche, ZPO, § 138 Rn. 24; GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 90. Laumen, MDR 2019, 193, 195 f.; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 28; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 79; Schwab/Weth/Schwab, ArbGG, § 58 Rn. 89a; Betz, NZA 2022, 1020, 1022 f. 290 Stein/Jonas/Kern, ZPO, § 138 Rn. 32; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 110; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 8b; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 79. 291 KR/Lipke/Schlünder, BGB, § 242 Rn. 51. 292 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 79. 293 APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 28; ausführlich zur systematischen Verortung der Grundsätze der Beweisvereitelung Thole, JR 2011, 327, 331 ff. 294 Gallner/Mestwerdt/Nägele/Gieseler, KSchG, § 13 Rn. 63. 295 Dazu schon Ascheid, Beweislastfragen, S. 214. 296 GMP/Prütting, ArbGG, § 58 Rn. 62. 289

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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Auslegung in Verbindung mit einer Analogie zu entsprechenden gesetzlichen Regelungen herbeizuführen.297 Eine gesetzliche Beweismaßsenkung ist die Ausnahme.298 Die Bestimmung der Rechtsgrundlage einer – nicht explizit gesetzlich geregelten Beweismaßsenkung – ist dabei von zentraler Bedeutung. Allgemein genügt der pauschale Verweis darauf, dass eine Beweismaßsenkung durch Richterrecht möglich ist nicht, um eine solche zu begründen – vielmehr ist dies etwa für die (haftungsausfüllende) Kausalität im Schadensersatzrecht nur im Wege der teleologische Auslegung in Verbindung mit einer Analogie zu vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften möglich.299 Beweismaßkorrekturen durch Rechtsfortbildung bzw. im Rahmen einer wertenden Korrektur unter Anwendung des § 242 BGB im Prozessrecht kommen, sofern sie überhaupt möglich sind,300 nur in Ausnahmefällen in Betracht: Der Sinn und Zweck einer materiell-rechtlichen Norm rechtfertigt im Rahmen der zulässigen Rechtsfortbildung eine Absenkung des Überzeugungsgrades im Prozess nur, wenn deren Schutzzweck in den typischen Anwendungssituationen ansonsten leerlaufen würde.301 Entsprechendes gilt auch im Arbeitsrecht: Bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG darf der Schutz der Grundrechte durch eine zu restriktive Handhabung des Verfahrensrechts nicht ausgehebelt werden,302 was die Möglichkeit einer Beweismaßsenkung als Anknüpfungspunkt für eine Verschiebung der konkreten Darlegungslast möglich erscheinen lässt.303 Als Alternative zu einer Herabsetzung des Beweismaßes in solchen Fällen wird vorgeschlagen, das gleiche Ergebnis durch Auslegung der materiell-rechtlichen Norm zu erzeugen.304 Ohne den Kern des Problems zu verkennen würden dadurch jedoch fast zwangsläufig die Grenzen der methodengerechten Auslegung des materiellen Rechts ausgereizt. Explizit anerkannt hat das BAG eine Absenkung des Beweismaßes als Teil der abgestuften Darlegungs- und Beweislast aber nicht. Vielmehr verhält sich das Gericht hinsichtlich der Frage, wie genau die Absenkung der Anforderungen an den Arbeitnehmervortrag auf der ersten Stufe rechtlich einzuordnen ist, eher vage. Es finden sich allerdings auch vereinzelt Urteile, in denen eine Absenkung des Beweismaßes als Teil der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ausdrücklich benannt wird.305 Im Zusammenhang mit § 78 BetrVG hat das BAG allerdings zu-

297

MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 48. Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 21. 299 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 48. 300 Dagegen pauschal wohl nur Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 28. 301 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 1, Kapitel 5 Rn. 15; Leipold, Beweismass, S. 17. 302 Vgl. Preis, NZA 1997, 1256, 1268 ff. 303 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 78; Stein, DB 2005, 1218, 1221. 304 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 35. 305 ArbG Hamburg, Urt. v. 28. 08. 2007 – 21 Ca 125/07, BeckRS 2008, 56060, Rn. 4. 298

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

gunsten der Anwendung einer sekundären Darlegungslast einer Absenkung des Beweismaßes auf überwiegende Wahrscheinlichkeit eine klare Absage erteilt.306 3. Anwendung bei § 612a BGB Die zur Realisierung des Verfassungsgebots eines effektiven Kündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes bei § 612a BGB zwingend anzuwendenden Beweiserleichterungen zugrunde gelegt, ist zu klären, wo die obere Grenze anzusiedeln ist. Dabei gilt es Folgendes zu beachten: Erstens darf die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Beweiserleichterung nicht umgangen werden.307 Zweitens variieren die Schwere der Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitnehmers und die rechtlichen und tatsächlichen Gründe für die Beweisnot je nach Art der Maßnahme. Dies gilt es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu berücksichtigen. a) Stand der Rechtsprechung Im Arbeitsrecht spricht viel dafür, die erweiterte Darlegungspflicht für Arbeitgeber in allen Fällen anzunehmen, in denen der Arbeitnehmer von den subjektiven Faktoren, die die Kündigung beeinflusst haben, schon der Sache nach gar keine Kenntnis haben kann.308 Der Arbeitnehmer ist häufig ohne eigene substanzielle Anhaltspunkte für einen Verstoß, und ist daher gewissermaßen darauf angewiesen, dass sich der Arbeitgeber durch seinen Vortrag selbst entlarvt. Damit sind die ersten beiden Voraussetzungen zu Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast erfüllt. Da es entscheidend um die tragenden Motive des Arbeitgebers geht, wird ihm in der Regel auch zumutbar sein, diese offenzulegen. Ausnahmen von der Zumutbarkeit im Einzelfall mag es geben, etwa im Falle der Unmöglichkeit (zwischenzeitliches Versterben des Entscheidungsträgers). Vor dem Hintergrund der besonderen Beweissituation, die durch das rein subjektive Verständnis des Kausalzusammenhangs entsteht, erscheint eine sekundäre Darlegungslast erst Recht zumutbar: Der Arbeitgeber muss schließlich die Behauptung des Arbeitnehmers widerlegen und dazu aus seiner Sphäre vortragen – außer im Falle der völlig willkürlichen oder rein sanktionierenden Maßnahme werden allerdings Alternativbegründungen, also insbesondere legitime Kündigungsgründe und deren Tatsachengrundlage ohnehin vorzutragen sein. Die sekundäre Darlegungslast stellt daher bei § 612a BGB in der wohl überwiegenden Mehrzahl der Fälle noch keine übermäßig starke Beweiserleichterung dar. 306

BAG, Urt. v. 20. 01. 2021 – 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, 867 (Rn. 28 f.); kritisch dazu Thüsing/Denzer, BB 2021, 2228, 2230. 307 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 74. 308 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 79; vgl. auch Gallner/Mestwerdt/Nägele/Gieseler, KSchG, § 13 Rn. 98.

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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Daher ist es nicht überraschend, dass sie mehr oder weniger selbstverständlich angewandt wird, wenn nicht der Anscheinsbeweis herangezogen werden kann: Anerkannt ist, dass es demjenigen, der eine Benachteiligung aus einem von der Rechtsordnung missbilligten Grund geltend macht, nicht durch die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in unzumutbarer Weise erschwert werden darf, die sich daraus ergebenden Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.309 Das BAG hat sich zur abgestuften Darlegungslast für den Kausalzusammenhang bei § 612a BGB eindeutig positioniert: Der Arbeitnehmer ist verpflichtet „einen Sachverhalt vorzutragen, der auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Maßnahme des Arbeitgebers und einer vorangegangenen zulässigen Ausübung von Rechten hindeutet. Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 II ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären. Sind entscheidungserhebliche Behauptungen des Arbeitnehmers streitig, sind grundsätzlich die von ihm angebotenen Beweise zu erheben.“310

Gegen eine höchstrichterliche Anerkennung einer sekundären Darlegungslast ließe sich höchstens einwenden, dass das BAG in anderen Zusammenhängen diese durchaus als solche bezeichnet.311 Dass das BAG eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers bei § 612a BGB anerkannt hat, ergibt sich jedoch im Umkehrschluss aus den geringen Anforderungen an den Vortrag des Arbeitnehmers, die als Absenkung der konkreten Beweisführungslast und der Darlegungslast zu qualifizieren sind. Aus der Unvollständigkeit des Arbeitnehmervortrags (abgesenkte Darlegungslast) ergibt sich die Notwendigkeit eines erweiterten Vortrags der Gegenpartei (sekundäre Darlegungslast). In diesem Sinne hat auch das LAG Baden-Württemberg entschieden und eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast auf §§ 612a, 134 BGB angewandt: Ergebe sich aus dem Indizienvorbringen des Arbeitnehmers ein Verstoß, müsse sich der Arbeitgeber qualifiziert auf den Vortrag einlassen um ihn gegebenenfalls zu entkräften; komme der Arbeitgeber dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gelte der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers als zugestanden.312 Eine sekundäre Darlegungslast wird nicht nur von weiteren Gerichten der ersten Instanz und der Berufungsinstanz anerkannt,313 sondern stößt auch auf Zustimmung im Schrifttum.314 309 BAG, Urt. v. 20. 01. 2021 – 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, 867 (Rn. 29); vgl. auch BAG Urt. v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1212 (Rn. 37) = BAGE 148, 299. 310 St. Rspr. BAG, Urt. v. 23. 04. 2009 – 6 AZR 189/08, NJW 2010, 104, 105 (Rn. 13); bestätigt in BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 37) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; sowie BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 203 (Rn. 29) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; zuletzt auch BAG, Urt. v. 30. 03. 2023 – 2 AZR 309/22, Rn. 11. 311 Exemplarisch BAG, Urt. v. 16. 12. 2021 – 2 AZR 356/21, NZA 2022, 407, 209 (Rn. 31). 312 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 30. 10. 2013 – 13 Sa 45/13, – juris, Rn. 27. 313 LAG Hamm, Urt. v. 11.05 2021 – 6 Sa 1260/20, – juris, Rn. 79 f.; LAG RheinlandPfalz, Urt. v. 10. 03. 2020 – 6 Sa 321/19, – juris, Rn. 67; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 04. 12. 2017 – 3 Sa 380/17, – juris, Rn. 88; ArbG München, Urt. v. 12. 06. 2013 – 24 Ca 1619/11, – juris, Rn. 24; LAG Hamm, Urt. v. 17. 03. 2016 – 17 Sa 1661/15, – juris, Rn. 185.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

Das BAG wendet die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast auch auf das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG an.315 Dabei betont der VII. Senat im Zusammenhang mit § 78 S. 2 BetrVG, dass es demjenigen, der eine Benachteiligung aus einem von der Rechtsordnung missbilligten Grund geltend mache, nicht durch die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in unzumutbarer Weise erschwert werden dürfe, die sich daraus ergebenden Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.316 Insbesondere sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Frage, ob die Beförderung eines Betriebsratsmitglieds auf eine ausgeschriebene höher dotierte Stelle vom Arbeitgeber wegen der Betriebsratstätigkeit abgelehnt wurde, um eine in der Sphäre des Arbeitgebers liegende „innere Tatsache“ handele, die einer unmittelbaren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer oder Dritte nicht zugänglich sei.317 Diese Argumentation lässt sich auf die Interessenlage und die Beweisnot bei § 612a BGB übertragen. Zu beachten ist allerdings, dass § 78 S. 2 BetrVG, ebenso wie § 75 BetrVG einen von § 612a BGB abweichenden (kollektiven) Schutzzweck aufweist.318 Bezüglich des Beweismaßes bei § 612a BGB lässt sich älteren Entscheidungen des BAG319 entnehmen, dass keine überhöhten Anforderungen an den Überzeugungsgrad im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zu stellen sind und mithin eine Beweismaßsenkung denkbar ist.320 In jüngerer Zeit fehlen jedoch konkrete Anhaltspunkte für die Annahme eines abgesenkten Beweismaßes in der Rechtsprechung. b) Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Beweiserleichterung Die gesetzgeberische Regulierung des Grundkonflikts begrenzt die Gestaltungsmacht des Richters. Bei höherer Regulierungsdichte greift der Mindestkündigungsschutz damit nur in eingeschränktem Umfang,321 auch ist die gesetzgeberische Entscheidung für einen eingeschränkten Kündigungsschutz zu respektieren.322 Da § 612a BGB keine Beweiserleichterung enthält, ist fraglich, ob eine entspre314 APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 28; KR/Treber, BGB, § 612a Rn. 26; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 68, Stand 01. 06. 2023; HWK/Thüsing, BGB, §612a Rn. 35; Holle, Nichtfortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 514; Weidl, Freiheit und Bindung des Arbeitgebers bei der Fortsetzung befristeter Arbeitsverhältnisse, S. 211 f. 315 BAG, Urt. v. 20. 01. 2021 – 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, 867 (Rn. 28 ff.). 316 BAG, Urt. v. 20. 01. 2021 – 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, 867 (Rn. 29); so schon BAG, Urt. v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1212 (Rn. 37) = BAGE 148, 299. 317 BAG, Urt. v. 20. 01. 2021 – 7 AZR 52/20, NZA 2021, 864, 867 (Rn. 29). 318 BAG, Urt. v. 20. 09. 2017 – 10 AZR 610/15, – juris, Rn. 29 = AP Nr. 309 zu § 611 BGB. 319 BAG, Urt. v. 21. 07. 1988 – 2 AZR 527/87, NZA 1989, 559, 561; BAG, Urt. v. 25. 11. 1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, 837, 838. 320 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43. 321 Preis, NZA 1997, 1256, 1258. 322 Wank, FS Hanau, 295, 306.

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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chende Anwendung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast in unzulässiger Weise eine Entscheidung des Gesetzgebers umgehen. Dies würde einen Konflikt zum Gewaltenteilungsgrundsatz auslösen. Aus diesem Grund wird bei § 78 S. 2 BetrVG – einem spezialgesetzlichen Benachteiligungsverbot – vereinzelt sogar bereits die Anwendung des Anscheinsbeweises abgelehnt und im Übrigen eine abgestufte Darlegungslast nur im Einzelfall für zulässig gehalten.323 Solche Bedenken könnten auch bei § 612a BGB vorgebracht werden. Denn die Rechtsprechungslinie zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast bewirkt besonders durch die Abschichtung der konkreten Beweisführungslast im Einzelfall eine Rechtslage, die der Regelung des § 22 AGG nahekommt.324 Dies zeigt sich auch in der oben angeführten Rechtsprechung, wenn in der Formulierung „darauf hindeuten“ zumindest eine Andeutung eines geringeren Überzeugungsgrads im ersten Ansatz zu sehen ist. aa) Abstufung der Darlegungslast Mit der Vermeidung von Ähnlichkeiten zu Beweiserleichterungen mit begrenztem Anwendungsbereich kann keine Anwendungsvereitelung des grundrechtlich gebotenen Arbeitnehmerschutzes außerhalb des KSchG begründet werden.325 § 612a BGB ist eine Generalklausel, die eine vorher über §§ 138, 242 BGB anerkannte Wertung wiedergibt.326 Der Gesetzgeber hat folglich mit der Regelung des allgemeinen Maßregelungsverbots keine derart höhere Regelungsdichte geschaffen, dass der Rückgriff auf die zum Mindestkündigungsschutz entwickelten Grundsätze versperrt wäre. Das gilt auch für spezialgesetzliche Maßregelungsverbote, soweit sie den Inhalt des § 612a BGB widerspiegeln und keine Sonderregelung für die Beweislastverteilung enthalten. Da § 612a BGB die Geltung grundrechtlicher Wertungen absichert,327 sind die Beweiserleichterungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes konsequenterweise auf § 612a BGB zu übertragen. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Rechtslage durch die Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast zu § 22 AGG ist zwar zutreffend, dass Veränderungen der Darlegungslast dazu führen können, dass gesetzliche Beweiserleichterungen faktisch obsolet werden328. Wie schon beim Anscheinsbeweis gilt jedoch, dass die Grundsätze der sekundären Darlegungslast die Verteilung der objektiven Beweislast nicht beeinflussen, sondern dem Arbeitnehmer die Beweisfüh323 Purschwitz, Das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot in § 78 BetrVG, S. 86 ff. 324 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a; so insbesondere zu § 612a BGB Erman/Edenfeld, BGB, § 612a Rn. 2; weitergehend Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 48, der meint, die Beweislage bei § 612a BGB entspreche voll und ganz § 22 AGG. 325 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 78. 326 Dazu Kapitel 1, A.I. 327 Dazu Kapitel 1, A.I.1. 328 Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 286 Rn. 33.

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2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

rung nur so weit wie nötig erleichtert wird, wodurch es vielfach überhaupt möglich wird, einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot überhaupt festzustellen. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast knüpfen folglich gerade an eine nachteilige Beweislastverteilung an, an der sie selbst aber nichts ändern. Eine Gefahr der Umgehung einer gesetzgeberischen Entscheidung besteht nicht. Vielmehr handelt es sich um die Gewährleistung eines Mindeststandards, der in der Mehrzahl der Fälle zu sachgerechten Ergebnissen führt. bb) Beweismaßsenkung als Bestandteil eines effektiven Schutzkonzepts Unklar ist, ob die Voraussetzungen für eine Absenkung des Beweismaßes für den Kausalzusammenhang erfüllt sind.329 Dann würde es genügen, wenn der Arbeitnehmer Tatsachen darlegt und beweist, die für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und maßregelndem Verhalten besteht.330 (1) Keine Umgehung der gesetzgeberischen Entscheidung Die Beweiserleichterung in § 22 AGG bzw. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. in Gänze zu betrachten: Sie führt im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr, die durch die Beweismaßsenkung auf der ersten Stufe lediglich vorbereitet wird.331 Insofern lässt sich argumentieren, dass eine Beweismaßsenkung funktionell zumindest in Teilen denjenigen Regelungen entspricht, auf die der Gesetzgeber beim allgemeinen Maßregelungsverbot gerade verzichtet hat. Auch wenn die Interessenlage vergleichbar sein mag, fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke, sodass eine generelle Beweismaßsenkung beim Maßregelungsverbot in einen Widerspruch zur gesetzgeberischen Entscheidung tritt, die Beweiserleichterung insgesamt, und damit auch nicht die Beweismaßsenkung auf § 612a BGB zu übertragen. Allerdings ist bereits zweifelhaft, ob eine Teilanalogie, wie sie zur Aufrechterhaltung der Argumentation der Umgehung gesetzgeberischer Wertungen in der Beweismaßsenkung zu sehen wäre, überhaupt möglich ist: Die Beweismaßsenkung im Kontext der gesetzlichen Beweiserleichterung lässt sich nämlich gerade nicht abgetrennt von der damit verbundenen Rechtsfolge betrachten. Eine Beweislastumkehr wird durch die Beweiserleichterungen nicht bewirkt, selbst wenn die praktischen Folgen im Ergebnis ähnlich sein können. Während eine Beweislastumkehr die vollständige Rechtsfolge der Beweiserleichterungen in § 22 AGG, § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. abbildet und sogar noch darüber hinausgeht, reicht die Anwendung eines der „vorbereitenden“ Schritte spiegelbildlich nicht an die Schwelle einer unzulässigen Analogie heran. Die Bedenken hinsichtlich einer Rechtsfortbildung contra legem verfangen nicht. 329

Dazu Kapitel 2, C.II.2.c). APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43. 331 Dazu Kapitel 2, B.III. 330

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

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(2) Vereitelung der Geltung des Maßregelungsverbots in typischen Fällen Nur anhand des Arbeitgebervortrags im Zuge der sekundären Darlegungslast kann das Gericht eine fundierte Entscheidung über einen Verstoß treffen. Der Vortrag des Arbeitgebers muss wahrheitsgemäß sein, ist aber naturgemäß interessengeleitet, wodurch eine gewisse Ambivalenz entsteht: Wenn plausible Gründe für die Maßnahme vorgetragen, aber die Umstände, aus denen sich der Maßregelungsverdacht ergibt, auch nicht entkräftet oder widerlegt werden, ist unwahrscheinlich, dass der Grad der vollen richterlichen Überzeugung erreicht wird. Eine Verschiebung der konkreten Darlegungslast überwindet das Informationsgefälle bereits. Der Arbeitgeber wird aber wohl kaum eine Maßregelung einräumen. Gerade wegen seiner im Anwendungsbereich des KSchG ohnehin bestehenden Beweislast für Kündigungsgründe fällt es selten schwer, den Vortrag des Arbeitnehmers durch plausible anderweitige Motivationen zu entkräften oder zumindest zu relativieren. In diesem Fall steht die Nichterweislichkeit der Frage, ob die Rechtswahrnehmung tragender Beweggrund war, im Raum. Durch eine Absenkung des Beweismaßes würde die Anzahl der non liquet Situationen unter der Beweislast des Arbeitnehmers womöglich weiter reduziert. Allerdings können dadurch auch Arbeitgeber durch taktische Gestaltung und Begrenzung ihres Vortrags ein Beweislastentscheidung zulasten des Arbeitnehmers einfacher herbeiführen.332 Dies ist der Tatsache geschuldet, dass der Arbeitgeber zwar wahrheitsgemäß zu seinen Beweggründen vortragen muss, aber regelmäßig die Gelegenheit nutzen wird, seine Motivation in den Grenzen der Pflicht zum wahrheitsgemäßen und vollständigen Vortrag (§ 138 Abs. 1 ZPO) in ein positives Licht zu rücken. Dies zeigt, dass es sich bei der Beweismaßsenkung durchaus um ein wirksames, aber keinesfalls einseitig belastendes Mittel zur Erleichterung der Beweisnot handelt. Bei plausiblen Alternativbegründungen ist es jedoch durchaus denkbar, dass das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung von der Tatsache, dass die Rechtswahrnehmung tragender Beweggrund war, selten bis nie zu erreichen sein wird. Daher sind die hohen Anforderungen an eine Beweismaßsenkung der Sache nach erreicht. Zudem illustriert das Maßregelungsverbot auch die Grenzen der Auffassung von Greger,333 nach der statt einer Beweismaßsenkung nur die Auslegung der materiellrechtlichen Norm in Frage kommt. Die Ambivalenz bei der Anwendung der Vorschrift bei legitimen Alternativbegründungen ist gerade Ergebnis einer methodengerechten Auslegung unter besonderer Berücksichtigung des Schutzzwecks, aber auch der Interessen des Arbeitgebers. Die damit verbundene Einschränkung der praktischen Wirksamkeit wird entscheidend durch das hohe Regelbeweismaß bestimmt. Diese Besonderheit des Maßregelungsverbots im Prozess ist daher auch mit prozessrechtlichen Mitteln zu lösen. 332

Vgl. mit weiteren Argumenten gegen eine vollständige Absenkung des Beweismaßes zu § 611a BGB a. F. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 338; zustimmend und zu § 22 AGG Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 300. 333 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 35; dazu bereits Kapitel 2, C.II.2.c).

132

2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

c) Richtlinienkonforme Auslegung bei diskriminierenden Maßregelungskündigungen Wenn Maßregelung und Diskriminierung in einem Akt zusammenfallen, beispielsweise wenn die Wahrnehmung religiöser Verpflichtungen eine Kündigung des Mitarbeiters nach sich zieht, ist § 612a BGB anzuwenden.334 Gegen eine analoge Anwendung des § 16 AGG335 spricht, dass der Gesetzgeber den Geltungsbereich der Vorschrift bewusst festgelegt hat, sodass nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann. Bei der Anwendung von § 612a BGB scheidet Analogie zu § 22 AGG aus denselben Gründen aus, wie außerhalb des Diskriminierungsrechts.336 Das Maßregelungsverbot des § 16 AGG betrifft nur einen festgelegten Kanon an Rechten, weswegen § 612a BGB richtlinienkonform auszulegen ist.337 Diese richtlinienkonforme Auslegung bewirkt, orientiert an den unionsrechtlichen Vorgaben für die Beweislast, dass eine der Rechtswirkung des § 22 AGG entsprechende (abgestufte) Beweislastverteilung greift, sofern die Maßregelung den Geltungsbereich der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie berührt.338 Dabei ist bereits bemerkenswert, dass die abgestufte Darlegungs- und Beweislast in der Rechtsprechung des BAG der durch § 22 AGG geschaffenen Rechtslage nahekommen kann, wobei die unionsrechtskonforme Auslegung auch eine Umkehr der objektiven Beweislast vorgibt.339 Jedenfalls in letzterem Punkt geht die durch die Diskriminierungsrichtlinien geforderte Beweislastverteilung über die Rechtswirkungen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hinaus.340 Insofern zeigt sich die Funktion der abgestuften Darlegungs- und Beweislast als Generalklausel, die einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht nur zugänglich, sondern bei einer Überschneidung von Diskriminierung und Maßregelung auch bedürftig ist.341 d) Anwendungsbereich über Mindestkündigungsschutz hinaus Inwiefern die abgestufte Darlegungs- und Beweislast außerhalb des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes auch bei Maßnahmen Anwendung finden kann, deren Intensität unterhalb der Kündigung liegt, ist mit Blick

334

APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 43; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 27. Dafür wohl Sagan, NZA 2006, 1257, 1260. 336 Dazu Kapitel 2, B.IV. 337 APS/Preis, 1. Teil, lit. J. Rn. 43. 338 APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 27; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a; vgl. KR/Treber/ Schlünder, BGB, § 612a Rn. 27. 339 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a. 340 Zum Vergleich der bislang anerkannten Beweiserleichterungen im Hinblick auf die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL auch vor dem Hintergrund der Fortsetzung des zweistufigen Ansatzes aus den Diskriminierungsrichtlinien ausführlich Kapitel 4, B.III. 341 Preis, ZESAR 2007, 308, 309. 335

C. Beweiserleichterungen bei § 612a BGB

133

auf die restriktiv zu behandelnde Ausnahmekonstellation der Beweismaßsenkung besonders zu klären. Die Kündigung hat als „letztes Mittel“ des Arbeitgebers eine besonders intensive Wirkung auf die soziale Lebensgestaltung des Arbeitnehmers. Insofern kann vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG nicht davon gesprochen werden, dass eine Anwendung einer abgestuften Darlegungslast für Maßnahmen von geringerer Intensität verfassungsrechtlich geboten wäre. Zwar sind Kündigungen der Hauptanwendungsfall des § 612a BGB.342 Auch bei Maßnahmen unterhalb der Regelungsintensität einer Kündigung besteht die nahezu unmöglich zu befolgende Verpflichtung zum Nachweis einer inneren Tatsache des Arbeitgebers. Diese kann, wenn kein belastbarer Erfahrungssatz in Betracht kommt, nur durch eine anderweitige Abmilderung der konkreten Beweisführungslast des Arbeitnehmers erreicht werden. Bei anderen Maßnahmen außer der Kündigung ist zwar die Intensität der Maßnahme, nicht aber der Selbstwiderspruch der Rechtsordnung geringer, wenn es nicht gelingt, vor Gericht die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Arbeitgeberverhaltens zu erreichen. Die Interessen des Arbeitgebers sind durch ein abgesenktes Beweismaß bei Maßnahmen im laufenden Arbeitsverhältnis erst recht nicht übermäßig beeinträchtigt, da er sich dieses gerade im Falle legitimer Alternativbegründungen auch zunutze machen kann. Die schwierige Beweissituation des Arbeitnehmers vor Augen wird bisweilen argumentiert, eine Anerkennung von Beweiserleichterungen bei § 612a BGB begründe ein Missbrauchsrisiko, weil die Vorschrift querulatorische Arbeitnehmer anziehe.343 Dies macht die Beweiserleichterungen der Beweismaßsenkung, des Anscheinsbeweises und der sekundären Darlegungslast aufgrund verfassungsrechtlicher Wertung jedoch nicht verzichtbar. Das Prozessrecht darf nicht in einer Weise gehandhabt werden, die dazu führt, dass einer Norm jeglicher Anwendungsbereich genommen wird. Dies wäre bei § 612a BGB der Fall, denn der außenstehende Arbeitnehmer könnte praktisch nie genug Indizien vorbringen, die einen zuverlässigen Schluss zur vollen richterlichen Überzeugung auf die Beweggründe des Prozessgegners zulassen. Daher sind etwaige abstrakte Missbrauchsrisiken hinzunehmen.

III. Vorrang des Anscheinsbeweises Im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes kommen sowohl Anscheinsbeweis als auch Beweismaßsenkung zu Anwendung, wobei letztere primär als Grundlage zur Absenkung der konkreten Beweisführungslast fungiert, wenn die Grundsätze des Anscheinsbe-

342 343

Preis, Prinzipien, S. 636. Etwa BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 69, Stand 01. 06. 2023.

134

2. Kap.: Darlegungs- und Beweislast beim Maßregelungsschutz im dt. Recht

weises keine Anwendung finden.344 Zwar wird vereinzelt eine gemeinsame Anwendung von sekundärer Darlegungslast und Anscheinsbeweis bei § 612a BGB angedeutet.345 Beide Rechtsinstitute parallel anzuwenden führt jedoch zu unstimmigen Überschneidungen, da sie über die Verschiebung, bzw. Erleichterung der konkreten Beweisführungs- und Darlegungslasten des Arbeitnehmers in der Praxis vergleichbare Resultate bewirken können, sich aber in der Funktionsweise und vor allem in den Voraussetzungen unterscheiden. Damit greifen die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast nur ein, wenn kein belastbarer Erfahrungssatz vorhanden ist, der einen Anscheinsbeweis begründen könnte.346 Dies gilt auch für die (möglicherweise gleichheitswidrige) Nichtgewährung von Vorteilen. Wie auch bei der Verschlechterung einer bestehenden Rechtsposition wird der Anscheinsbeweis nicht häufig greifen, sodass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anhand des § 138 ZPO, insbesondere der sekundären Darlegungslast zur Anwendung kommen. Dabei lassen die legitimen Gründe der Ungleichbehandlung mittelbare Rückschlüsse auf die Motivation zu. Damit gelten im Ergebnis ähnliche Maßstäbe wie beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz selbst – mit Ausnahme der vorprozessualen Auskunftspflicht.

D. Zwischenfazit Obwohl der Kausalzusammenhang rein subjektiv zu verstehen ist und nicht durch objektive Hilfskriterien zugunsten des Arbeitgebers begrenzt wird, gelten praktisch hohe Anforderungen für den Arbeitnehmer. Es ist eine Vielzahl von maßregelnden Maßnahmen denkbar. Regelmäßig wird der Arbeitnehmer einen objektiven Anhaltspunkt, etwa ein Kündigungsschreiben, eine Minderzahlung oder ähnliches, für das gerügte Arbeitgeberverhalten haben. Bei den objektiven Voraussetzungen einer „Maßnahme“, aber auch der zulässigen Rechtsausübung und dem Vorliegen einer Benachteiligung wird es dem Arbeitnehmer im Regelfall nicht übermäßig schwerfallen, im Bestreitensfall einen Beweis zu erbringen. Weil der Arbeitnehmer aber die Motive des Arbeitgebers nur schwerlich nachvollziehen kann, stellt der Beweis, dass die Benachteiligung für die zulässige Rechtsausübung tragender Beweggrund der Maßnahme war, eine hohe Hürde dar. Das Informationsgefälle kann der Arbeitnehmer ohne Mitwirkung des Arbeitgebers kaum überwinden. Zusätzlich besteht bei legitimen Alternativbegründungen für die Maßnahme das Risiko, dass sich der Richter nicht voll davon überzeugen lässt, dass die Rechtsausübung und nicht etwa 344

APS/Preis, 1. Teil, lit. J, Rn. 77 f. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14. 09. 2016 – 7 Sa 18/16, – juris, Rn. 119; in diese Richtung auch Schwab/Weth/Schwab, ArbGG, § 58 Rn. 129. 346 APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 29; zustimmend LAG Hamm, Urt. v. 17. 03. 2016 – 17 Sa 1661/15, – juris, Rn. 185; vgl. auch MüKo/Hergenröder, KSchG § 13 Rn. 63. 345

D. Zwischenfazit

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vorgeschobene (Kündigungs-)Gründe tragender Beweggrund der Maßnahme waren. Dies beeinträchtigt die Wirksamkeit des Maßregelungsverbots. Die Korrektur des drohenden Leerlaufes von § 612a BGB verläuft einerseits in bekannten Kategorien richterrechtlicher Beweiserleichterungen. Andererseits sind die Grenzen der Anwendung der einzelnen Rechtsinstitute weniger deutlich auszumachen, als es zunächst scheint. Klar ist, dass der Anscheinsbeweis in einigen Fällen zur Linderung der Beweisnot herangezogen werden kann. Die zeitliche Nähe einer Maßnahme des Arbeitgebers zur Rechtsausübung kommt als Erfahrungssatz grundsätzlich in Betracht, ist aber nicht in allen Fällen zur Begründung eines Anscheinsbeweises geeignet. Auch im Übrigen ist bei der Anwendung des Anscheinsbeweises Zurückhaltung geboten. Anerkannt ist zudem eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, wobei sich aus der Rechtsprechung nicht klar ergibt, inwiefern dies eine Absenkung des Beweismaßes für den Kausalzusammenhang einschließt. Ist der Anscheinsbeweis mangels belastbaren Erfahrungssatzes unanwendbar, trifft den Arbeitgeber zumindest eine sekundäre Darlegungslast für die Beweggründe der Maßnahme. Die besseren Gründe sprechen für die Möglichkeit einer Absenkung des Regelbeweismaßes beim Kausalzusammenhang. Beachtlich ist, dass kein einheitlicher und umfassender Ansatz zur Bewältigung der Beweisnot aufgrund der Informationsasymmetrie in der Rechtsprechung besteht. Vielmehr kommen Anscheinsbeweis oder sekundäre Darlegungslast nur vereinzelt zur Anwendung. Die Rechtsprechung zu Beweiserleichterungen zur Bewältigung der Beweisnot bei § 612a BGB ist daher nicht vollständig ausdifferenziert. Unklar ist, in welchen Grenzen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen, wie sie sich im Verhältnis zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 138 ZPO verhalten und inwiefern eine Beweismaßsenkung dem Arbeitnehmer zugutekommt. So besteht bezüglich der Bewältigung der Beweisnot durch die Gerichte daher eine erhebliche Rechtsunsicherheit auf Kosten des rechtssuchenden Arbeitnehmers.

3. Kapitel

Maßregelungsschutz im Unionsrecht A. Ausgangspunkt Im europäischen Kontext findet sich kein Sammelbegriff des „Maßregelungsschutzes“. Gemeinsamer Nenner der zu behandelnden sekundärrechtlichen Vorschriften ist, dass einer Partei die Zufügung von Nachteilen für den Fall untersagt wird, in dem eine andere Partei ihr durch das Unionsrecht zustehende Rechte ausübt. Für diese Konstellation werden die Begriffe „Viktimisierung“, „Vergeltungsmaßnahmen“, „Repressalien“ oder schlicht „Benachteiligung“ gebraucht. Die jeweiligen Verbotsvorschriften haben dieselbe Schutzrichtung. Ob es auf Ebene des europäischen Rechts eine normative Parallele zum allgemeinen Maßregelungsverbot gibt, ist fraglich, obwohl dieser Grundsatz im deutschen Recht jedenfalls durch § 612a BGB gewahrt wäre.1

I. Einfluss der Diskriminierungsrichtlinien Die Art. 5 der Richtlinie 75/117/EWG und Art. 7 der Richtlinie 76/207/EWG enthalten ein jeweils ein Maßregelungsverbot, jedoch ist dies auf Kündigungen wegen Geschlechtsdiskriminierung beschränkt.2 Dennoch wird § 612a BGB zum Teil als zumindest europarechtlich geboten eingestuft: Die ausdrückliche Schaffung eines Maßregelungsverbots sei nicht entbehrlich gewesen, denn das Gebot der effektiven Richtlinienumsetzung fordere zumindest die Schaffung einer (ggf. tatbestandlich begrenzten) Vorschrift.3 Das Diskriminierungsrecht wurde maßgeblich durch die Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG, sowie die Richtlinie RL 2006/ 54/EG weiterentwickelt. Art. 11 RL 2000/78/EG, Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 9 sowie Art. 24 der RL 2006/54/EG enthalten Benachteiligungsverbote, die den Inhaber von Richtlinienrechten vor Nachteilen infolge der Erhebung einer Beschwerde oder einer gerichtlichen Klage zur Durchsetzung des Diskriminierungsschutzes schützen. Dieser Schutz vor Repressalien ist von dem Verbot der Diskriminierung im

1

BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 9, Stand 01. 06. 2023. ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 1; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 1. 3 Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 15 f.

2

A. Ausgangspunkt

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Sinne der Richtlinien abzugrenzen.4 Auch Art. 10 Nr. 3 der RL 92/85/EWG statuiert mit der Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, Kündigungen wegen Schwangerschaft und Mutterschutz zu unterbinden, einen tatbestandlich begrenzten Maßregelungsschutz.5

II. Rechtsprechung des EuGH In den Urteilen des EuGH finden sich verschiedene Anhaltspunkte für einen rechtsschutzbezogenen Viktimisierungsschutz auf der Grundlage eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, bzw. der GRCh und der EMRK. 1. Rs. Coote Im Bereich des Diskriminierungsrechts deutet eine ältere Entscheidung in der Rs. Coote zur Richtlinie 76/207/EWG auf einen allgemeinen Grundsatz des Maßregelungsverbots hin.6 Der in Art. 6 der Richtlinie verankerte Grundsatz einer effektiven gerichtlichen Kontrolle würde weitgehend ausgehöhlt, wenn der durch ihn gewährte Schutz sich nicht auf Maßnahmen erstrecke, die ein Arbeitgeber als Reaktion auf eine Klage eines Arbeitnehmers auf Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergreife.7 Die Angst vor solchen Maßnahmen, gegen die keine Klagemöglichkeit gegeben sei, könne nämlich Arbeitnehmer, die sich durch eine Diskriminierung für beschwert halten, davon abschrecken, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen. Sie sei folglich geeignet, die Verwirklichung des mit der Richtlinie verfolgten Zieles stark zu gefährden. Die in Art. 6 der Richtlinie vorgeschriebene gerichtliche Kontrolle sei Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten zugrunde liege und der auch in Art. 6 EMRK verankert sei.8 Trotz der Parallelen der Argumentation zum Zweck des Maßregelungsverbots nach deutschem Verständnis spricht die Tatsache, dass es sich um einen diskriminierungsrechtlichen Fall handelt und der EuGH seine Feststellungen auf das Diskriminierungsrecht bzw. den Grundsatz einer effektiven gerichtlichen Kontrolle

4 EUArbRK/Mohr, RL 2000/78/EG, Art. 11 Rn. 2; RL 2006/54/EG, Art. 24 Rn. 2; RL 2000/43/EG, Art. 9 Rn. 1. 5 EUArbRK/Mohr, RL 2006/54/EG, Art. 24 Rn. 3 6 BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 9, Stand 01. 06. 2023. 7 EuGH, Urt. v. 22. 09. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:424, NZA 1998, 1223, 1224 (Rn. 24). 8 EuGH, Urt. v. 22. 09. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:424. NZA 1998, 1223, 1224 (Rn. 21); vgl. schon EuGH, Urt. v. 15. 05. 1986 – Rs. C-222/84 (Johnston), ECLI: EU:C:1986:206, Rn. 18.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

begrenzt, gegen einen verallgemeinerbaren Grundsatz des Maßregelungsschutzes im europäischen Sekundärrecht.9 Allerdings macht die Entscheidung Coote deutlich, dass der Sicherung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung auch auf Ebene der Richtlinien Bedeutung zukommt. Dies ergibt sich auch aus einer Anmerkung des Generalanwalts Mischo: Die Richtlinie 76/207/EWG enthält in Art. 7 ein Verbot der Entlassung als Reaktion auf die Rechtswahrnehmung des Arbeitnehmers. Auch ohne die klare politische Entscheidung in Art. 7 sei fraglich, ob Art. 6 nicht dahin gehend auszulegen sei, dass die Erhebung der Klage auf Zahlung einer wirksamen Entschädigung keine Repressalien nach sich ziehen dürfe.10 Dies entspricht der Wertung der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache von Colson & Kamann,11 die die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Herstellung tatsächlicher gerichtliche Durchsetzbarkeit des Diskriminierungsrechts betont.12 Obwohl diese Frage dem „rechtswissenschaftlichen“ (meint nicht unmittelbar entscheidungserheblichen) Bereich zugeordnet wird, weist der Generalanwalt darauf hin, dass die effektive Geltung der Klagemöglichkeiten verstärkt werde, wenn über dem wagemutigen Kläger nicht die Drohung mit Vergeltungsmaßnahmen schwebte.13 Bemerkenswert ist die Hervorhebung des EuGH, dass nur wenn keine Klagemöglichkeit gegen Retaliationsmaßnahmen besteht, die das Rechtsschutzgebot beeinträchtigende Abschreckungswirkung eintreten soll.14 Damit etabliert er durch die Auslegung kein explizites materiell-rechtliches Maßregelungsverbot, setzt ein solches aber mittelbar voraus. Ohne ein Maßregelungsverbot könnte die Gewährung von Rechtsschutz nach der Entscheidung nicht gesichert werden. 2. Rs. Fuß I Mit einer Entscheidung15 aus dem Jahr 2010 hat der EuGH die Grundsätze der Coote-Entscheidung außerhalb des Diskriminierungsrechts angewandt. Der Kläger war als Fahrzeugführer bei der Berufsfeuerwehr tätig. Er überschritt regelmäßig die von Art. 6 lit. b der Richtlinie 2003/88/EG vorgesehene wöchentliche Höchstar9

So schon BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 9, Stand 01. 06. 2023. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 02. 04. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:163, Rn. 31. 11 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 02. 04. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:163, Rn. 31. 12 EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984 – Rs. C-14/83 (von Colson und Kamann), ECLI:EU:C: 1984:153, Rn. 18. 13 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 02. 04. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:163, Rn. 32. 14 EuGH, Urt. v. 22. 09. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:424, NZA 1998, 1223, 1224 (Rn. 21). 15 EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-243/09 (Fuß I), ECLI:EU:C:2010:609, NZA 2010, 1344. 10

A. Ausgangspunkt

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beitszeit. Dies rügte er und wurde in der Folge in die Einsatzleitstelle versetzt, bei der er nicht mehr am oberen Limit der zulässigen Höchstarbeitszeit arbeitete. Nach Art. 22 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2003/88/EG besteht ein spezifisches Benachteiligungsverbot für Arbeitnehmer, die sich nicht freiwillig bereiterklären, mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten.16 Im Zuge der verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die Versetzung hat das zuständige VG Halle dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, wie der Begriff des Nachteils auszulegen ist. Der EuGH hat die Grundsätze der Coote-Entscheidung auf den Bereich der Arbeitszeitrichtlinie und damit insbesondere auf die Bestimmung des Art. 22 Abs. 1 lit. b übertragen.17 Während sich der Gerichtshof in Coote noch auf Art. 6 der Richtlinie 76/207/EWG sowie auf Art. 6 EMRK gestützt hat, hat er in der Entscheidung Fuß I ein Benachteiligungsverbot für zulässige Rechtsausübung direkt aus Art. 47 GRCh hergeleitet.18 Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wird nicht formell verstanden, sie beschränkt sich nicht auf die bloße Gewährleistung von Klagemöglichkeiten, sondern dient dazu, die Geltung rechtlicher Normen auch inhaltlich – also materiell – abzusichern.19 Dies war nach der einschlägigen Rechtsprechung20 bis zur Entscheidung Fuß I nur als allgemeiner unionsrechtlicher Grundsatz anerkannt.21 Die Grundsätze eines solchen Benachteiligungsverbots lassen sich aufgrund der vom EuGH gesehenen rechtlichen Grundlage auf alle im Sekundärrecht vorgesehenen Rechte verallgemeinern, wodurch § 612a BGB zum Anknüpfungspunkt zur Geltungssicherung dieser europarechtlichen Wertung dienen kann.22 Wegen dem Gebot der transparenten Richtlinienumsetzung ist jedoch damit nicht gesagt, dass keine Notwendigkeit für spezialgesetzliche Maßregelungsverbote besteht.23 3. Rs. Hakelbracht In einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 knüpft der Gerichtshof erneut an die Grundsätze aus der Coote-Entscheidung an, die noch zur Vorgängerrichtlinie 76/207/

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Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 150. EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-243/09 (Fuß I), ECLI:EU:C:2010:609, NZA 2010, 1344, 1348. 18 EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-243/09 (Fuß I), ECLI:EU:C:2010:609, NZA 2010, 1344, 1348 (Rn. 66). 19 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 155. 20 EuGH, Urt. v. 15. 09. 1998 – Rs. C-279/96; C-281/96 (Ansaldo Energia), ECLI:EU:C: 1998:403, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 09. 02. 1999 – Rs. C-343/96 (Dilexport), ECLI:EU:C: 1999:59, EuZW 1999, 313, 315 (Rn. 25) m. w. N. 21 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 155. 22 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 1. 23 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154. 17

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

EWG erging.24 Im zugrundeliegenden Sachverhalt wollte sich die schwangere Frau Hakelbracht um eine Stelle bewerben. Die Personalabteilung kündigte gegenüber Frau Vandenbon, einer Mitarbeiterin des Bewerbungsadressaten, an, die Bewerbung wegen der Schwangerschaft abzulehnen, worauf Frau Vandenbon auf die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens hinwies. Sie teilte Frau Hakelbracht bei der Ablehnung ihrer Bewerbung mit, dass sie wegen der Schwangerschaft nicht eingestellt wurde. Nachdem Frau Hakelbracht ankündigte, Klage erheben zu wollen, wurde Frau Vandenbon entlassen. Dass in der Sache dieselben Grundsätze für den Schutz zur Anwendung kommen, die der Gerichtshof zur Vorgängerrichtlinie aufgestellt hat, überrascht kaum. Interessant ist jedoch, dass der EuGH die Verortung des Benachteiligungsverbots in Art. 47 GRCh weiter fortsetzt, obwohl die Richtlinie 2006/54 in Art. 24 ein sekundärrechtliches Viktimisierungsverbot enthält. Die sekundärrechtlichen Regelungen geben eine ohnehin primärrechtlich gebotene Rechtslage wieder.25 Über die bloße Auslegung und Anwendung von Art. 24 enthält die Entscheidung weitere Klarstellungen.26 Der EuGH betont die Effektivitätsdimension seiner Auslegung bezüglich des Personenkreises, der in Diskriminierungskonstellationen auch die Personen erfasst, die für die geschützten Personen eintreten. Diese könnten ansonsten aus Angst davor, dass sie nicht geschützt seien, davon abgehalten werden, zugunsten dieser Person aufzutreten.27 Durch Verringerung der Wahrscheinlichkeit, dass Fälle der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erkannt und behoben werden, könne die Verwirklichung des mit der RL 2006/54 verfolgten Zieles stark gefährdet werden. In der Entscheidung Hakelbracht betont der Gerichtshof die Bedeutung des Maßregelungsschutzes für den effektiven Rechtsschutz vor Gericht. Beschränkt sich das Urteil der Sache nach auf das Diskriminierungsrecht, lässt sich daraus durchaus entnehmen, dass der Maßregelungsschutz einen allgemeinen, auch in der Grundrechtecharta verankerten europäischen Rechtsgrundsatz darstellt. Darüber hinaus sei auch die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsrechts gefährdet, wenn Arbeitnehmer aus Angst vor Viktimisierungsmaßnahmen von Klagen abgehalten werden.28

24 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, 2019, 1041, 1042 = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6. 25 TvR-K/v. Roetteken, AGG, § 16 Rn. 33, Stand Februar 2020. 26 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, 2019, 1041, 1042 (Rn. 30 f.) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6. 27 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, 2019, 1041, 1042 = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6. 28 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, 2019, 1041, 1042 (Rn. 33) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6.

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A. Ausgangspunkt

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III. Auswirkungen primärrechtlichen Viktimisierungsschutzes Wie die Rechtsprechungslinie zeigt, lässt sich Maßregelungsschutz im Unionsrecht nicht isoliert von Unionsgrundrechten betrachten. Die Grundrechtecharta verpflichtet grundsätzlich nur Organe der Union, erfasst aber auch mitgliedsstaatliches Handeln bei der Durchführung von Unionsrecht.29 Primär binden die Urteile nur die Gerichte im konkret zu entscheidenden Fall.30 Ob und inwiefern die Urteile des EuGH eine Erga-omnes-Wirkung entfalten ist unklar.31 Dafür spricht jedenfalls, dass eine solche Wirkung eines der wenigen funktionierenden Mittel ist, um eine unionsweit einheitliche Interpretation wirksam zu erzeugen.32 Für eine zumindest faktische allgemeine „Bindungswirkung“ über den Einzelfall hinaus spricht, dass mitgliedsstaatliche Gerichte nach Erlass einer Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren dieselbe Frage erneut vorlegen könnten.33 Dafür besteht aber nach der Rechtsprechung des EuGH keine Notwendigkeit, da eine Vorlage in diesen Fällen zwar möglich, aber entbehrlich ist.34 Die Unsicherheit bezüglich einer allgemeinverbindlichen Wertung gilt umso mehr für Urteile, die eine konkrete Auslegung des Unionsrechts festlegen.35 Eine unbestrittene Wirkung ist, dass nationale Gerichte, sofern sie der Auslegung des Gerichtshofs folgen, nicht mehr nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlegen müssen.36 Unionsgrundrechten kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG keine mittelbare Drittwirkung zu, sie können aber im Einzelfall ins Privatrecht hineinwirken.37 Nach dem bisherigen Stand des Unionsrechts kommen vor allem zwei Ankerpunkte für den Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots in der GRCh in Betracht. 1. Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 47 GRCh) Zum Teil wird ein primärrechtliches Viktimisierungsverbot mit der Begründung abgelehnt, dass es dem EuGH lediglich um die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes, nicht um eine mittelbare Drittwirkung aus Art. 47 GRCh gegangen 29

EUArbRK/Schubert, EUV, Art. 6 Rn. 35; Jarass-GRCh/Jarass, Art. 51 Rn. 29. Callies/Ruffert/Wegener, AEUV, Art. 267 Rn. 50 f.; Streinz/Ehricke, AEUV, Art. 267 Rn. 68; Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 257. 31 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Schwarze/Wunderlich, AEUV, Art. 267 Rn. 70. 32 Streinz/Ehricke, AEUV, Art. 267 Rn. 69. 33 Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 257. 34 EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982 – Rs. C-283/81 (CILFIT), ECLI:EU:C:1982:335, NJW 1983, 1257; EuGH Urt. v. 6. 11. 2018 – Rs. C-569/16 (Bauer) und C-570/16 (Willmeroth), ECLI:EU: C:2018:871, NZA 2018, 1467. 35 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Schwarze/Wunderlich, AEUV, Art. 267 Rn. 72. 36 Callies/Ruffert/Wegener, AEUV, Art. 267 Rn. 52; Streinz/Ehricke, AEUV, Art. 267 Rn. 72. 37 BVerfG, Beschl. v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314, 322 (Rn. 97). 30

142

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

sei.38 Dafür spricht jedenfalls, dass der Viktimisierungsschutz beide Wirkrichtungen des Effektivitätsgrundsatzes abbildet. Diese bestehen darin, in positiver Hinsicht die praktische und volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen und in negativer Hinsicht zu verhindern, dass die Ausübung unionsrechtlich zugesicherter Rechte verhindert oder unmöglich gemacht wird.39 Der in Coote zum Ausdruck gebrachte Rechtsgrundsatz wird nach dem EuGH wohl vollständig in Art. 47 GRCh verortet. Insofern erübrigt sich die Diskussion, inwiefern die bislang als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannten Grundsätze durch die Grundrechtecharta abgelöst wurden.40 Viktimisierungsschutz und das Gebot effektiven Rechtsschutzes hängen demnach eng zusammen, was besonders darin zum Ausdruck kommt, dass die Abschreckung vor der gerichtlichen Geltendmachung die effektive Geltung der Richtlinienrechte gefährdet.41 Nach gegenwärtigem Stand der Rechtsprechung erstreckt sich der Maßregelungsschutz über Art. 47 GRCh nicht auf alle Rechte des Arbeitnehmers, sondern nur auf das Recht, gegen belastende Arbeitgebermaßnahmen gerichtlich vorzugehen. Ein anderes Verständnis würde in spürbaren Widerspruch zur Verortung in Art. 47 GRCh (teilweise i. V. m. Art. 6 EMRK) treten und damit den Aussagegehalt der Entscheidungen überdehnen. Auch im Rahmen des § 612a BGB ist das Recht geschützt, gegen Maßnahmen des Arbeitgebers gerichtlich vorzugehen, wobei eine Ausübung dieses Rechts erst dann nicht mehr zulässig ist, wenn die Klageerhebung für sich genommen rechtsmissbräuchlich ist.42 Der Schutz greift folglich unabhängig davon, ob die Klage Erfolg hat. Das allgemeine Maßregelungsverbot im deutschen Arbeitsrecht deckt sich insofern mit dem europäischen Gebot aus Art. 47 GRCh in der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Gäbe es die Vorschrift nicht, könnte dasselbe Ergebnis durch Anwendung der §§ 242, 138 BGB erzielt werden. Die Regelung in § 612a BGB hat demgegenüber – mag sie auch inhaltlich über den Bereich der Rechtsschutzsicherung hinausgehen – den Vorteil, dass sich mit der Verankerung dieses Grundsatzes im BGB entsprechende Konflikte auf Ebene des einfachen Rechts lösen lassen. Dies schafft zusätzliche Rechtssicherheit auf nationaler Ebene. Das Ergebnis eines allgemeinen Maßregelungsverbots muss auch nicht über die einzelfallmäßige Berücksichtigung der Unionsgrundrechte erzeugt werden. § 612a BGB wirkt im Kontext der Fuß I-Entscheidung als Dreh- und Angelpunkt des unionsrechtlichen Benachteiligungsschutzes, wenn der Gerichtshof bei dieser Linie bleibt.43 Dies ist in der Entscheidung Hakelbracht geschehen. Die Rechtsprechung 38

Sprenger, EuZA 2020, 48, 54 f. Dazu m. w. N. EU-Methodenlehre/Roth/Jopen, § 13 Rn. 29 f. 40 Dazu umfassend EUArbRK/Schubert, EUV, Art. 6 Rn. 26. 41 EUArbRK/Mohr, RL2006/54/EG, Art. 24 Rn. 2; vgl. auch Sprenger, EuZA 2020, 48, 51. 42 BAG, Urt. v. 15. 02. 2005 – 9 AZR 116/04, NZA 2005, 1117, 1121 = AP BGB § 612a Nr. 15; BAG, Urt. v. 23. 02. 2000 – 10 AZR 1/99, NZA 2001, 680, 683 = AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 80; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 6; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 14. 43 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154. 39

A. Ausgangspunkt

143

des Gerichtshofs zeigt, dass der Maßregelungsschutz kein rein diskriminierungsrechtliches Phänomen ist. 2. Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung (Art. 30 GRCh) Art. 30 GRCh ist in besonders hohem Maße der Konkretisierung durch Sekundärrecht und im Übrigen durch das Recht der Mitgliedsstaaten offen und bedürftig,44 was sich auch darin zeigt, dass die Norm bisweilen sogar für nahezu inhaltslos gehalten wird.45 Unter Berücksichtigung insbesondere des Art. 24 der revidierten Europäischen Sozialcharta lässt sich der Inhalt des grundrechtlichen Mindestkündigungsschutzes zumindest dahingehend ermitteln, dass eine Vertragsbeendigung nur auf angemessenen, legitimen Gründen beruhen darf.46 Nicht geregelt in Art. 30 GRCh ist die Frage, welche Gründe der Entlassung „gerechtfertigt“ sind.47 Eine Konkretisierung findet im Sekundärrecht seit längerer Zeit nur über spezifische Kündigungsverbote statt,48 zu denen auch die Neuregelungen in Art. 18 ABRL und Art. 12 EZRL zu zählen sind.49 Eine horizontale Drittwirkung des Art. 30 GRCh kommt nicht in Betracht.50 Bezogen auf den Schutz des Arbeitnehmers bei der Wahrnehmung von Richtlinienrechten sind die entsprechenden Maßregelungsverbote auf die jeweiligen Richtlinienrechte, bzw. in Art. 11 RL 2000/78/EG, Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 9, sowie Art. 24 RL 2006/54/EG auf Beschwerden oder Klagen beschränkt. Dem lässt sich vor dem Hintergrund des Art. 30 GRCh entnehmen, dass „Rechtswahrnehmung“ jedenfalls keinen angemessenen Entlassungsgrund darstellen kann. Auch die gerichtliche Kontrolle einer Kündigung bewirkt einen Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung – insofern konkretisiert der Viktimisierungsschutz bei Rechtswahrnehmung über Art. 47 GRCh ebenfalls Art. 30 GRCh.51

IV. Maßregelungsschutz als unionsrechtlicher Grundsatz Insgesamt besteht im Sekundärrecht zwar kein einheitliches, inhaltlich umfassendes Viktimisierungsverbot. Jedoch verdeutlicht die Rechtsentwicklung, dass es 44 EUArbRK/Schubert, GRCh, Art. 30 Rn. 15; Jarass-GRCh/Jarass, Art. 30 Rn. 6 f.; APS/ Moll, KSchG, § 23 Rn. 73; Hanau, NZA 2010, 1, 2; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 63 f. 45 Calliess/Ruffert/Krebber, GRCh, Art. 30 Rn. 2. 46 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 438 f., sowie 442 f.; ähnlich Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 64. 47 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 442. 48 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 443. 49 Calliess/Ruffert/Krebber, GRCh, Art. 30 Rn. 6. 50 Ausführlich Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 64 f. 51 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 448.

144

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

sich um einen jedenfalls über Art. 30, Art. 47 GRCh verallgemeinerbaren Rechtsgedanken handelt, der (wie die WBRL zeigt) sogar über das Arbeitsrecht hinaus reicht. Angesichts der in Coote begonnenen Rechtsprechungslinie wird man von einem primärrechtlichen Maßregelungsverbot für die gerichtliche Geltendmachung von Richtlinienrechten sprechen können. Es handelt sich auch um eine Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes. Durch die sekundärrechtlichen Vorgaben für Repressalien und insbesondere Kündigungsschutz wird dieser weiter konkretisiert. Der durch das europäische Sekundärrecht gewährleistete Maßregelungsschutz ist daher ein Teil des Kündigungsschutzes im europäischen Arbeitsrecht, aber darüber hinaus auch Ausprägung allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts.52 Die inhaltliche Beschränkung auf in den Richtlinien enthaltene Rechte ist jedoch nicht aus Kompetenzgründen zwingend: Ein allgemeines und einheitliches Verbot maßregelnder Kündigungen könnte im Sekundärrecht etwa als Teil eines allgemeinen Rahmens für Kündigungsschutz eingeführt werden.53 Der Unionsgesetzgeber hat vom Kompetenztitel des Art. 153 Abs. 1 lit. d AEUV bislang keinen Gebrauch gemacht.54 Misslich ist, dass die Gelegenheit zur Schaffung einheitlicher Maßstäbe nicht genutzt wird, was auch an der besonderen Verfahrensvorschrift in Art. 153 Abs. 2 vorletzter Hs. AEUV liegen mag.55 Erste Stimmen fordern eine über diese Brückenklausel mögliche Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat hin zu einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, bei dem eine qualifizierte Mehrheit im Rat ausreicht.56 Es gebe keinen überzeugenden Grund, warum Einzelbereiche des Kündigungsschutzes mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen werden, eine generelle Richtlinie zum Kündigungsschutz aber weiterhin der Einstimmigkeit unterliegen solle.57 Folgt der Rat dem Vorschlag, wäre die Schaffung einheitlicher Maßstäbe für den Kündigungsschutz im europäischen Arbeitsrecht deutlich erleichtert. Bis zu einer einheitlichen Regelung bleibt der Maßregelungsschutz im Sekundärrecht zwangsläufig fragmentarisch. Insbesondere kann man auch nicht aus den auf einzelne Teilbereiche des europäischen Rechts beschränkten Benachteiligungsverboten auf ein allgemeines Maßregelungsverbot auf Ebene des Sekundärrechts schließen, dass die Mitgliedsstaaten durch eine § 612a BGB entsprechende Vorschrift umsetzen müssten. Ein dem Maßregelungsverbot entsprechender Schutz gegen Kündigungen aufgrund von Rechtswahrnehmung ist dennoch Teil eines richtlinienübergreifenden Regelungsansatzes, der Art. 30 GRCh konkretisiert.

52

APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 39. In diese Richtung Hoffmeister, ZEuS 2021, 389, 416. 54 APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 36. 55 Hoffmeister, ZEuS 2021, 389, 416 f. 56 Mitteilung der Kommission v. 16. 04. 2019, COM(2019) 186 final; zustimmend Hoffmeister, ZEuS 2021, 389, 416 f. 57 Hoffmeister, ZEuS 2021, 389, 416 f. 53

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

145

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL Die Konkretisierung dieser Grundwertung setzt sich durch die Neuregelungen in ABRL und EZRL fort.

I. Einfluss der ESSR Sowohl die Arbeitsbedingungenrichtlinie58 als auch die Elternurlaubsrichtlinie59 nehmen – anders als die WBRL – in den Erwägungsgründen Bezug auf die Europäische Säule sozialer Rechte. Die ESSR, die 2017 auf dem Göteborger Sozialgipfel verkündet wurde,60 entfaltet keine Bindungswirkung für Unionsorgane und begründet für sich genommen keine Arbeitnehmerrechte.61 Ihr kommt nach wie vor eine rechtspolitische Leitbildfunktion zu.62 Es handelt sich um einen programmatischen Versuch, den Schutz des Arbeitnehmers vor Missbrauch durch atypische Vertragsgestaltungen mit dem divergierenden Interesse des Arbeitgebers an hoher Flexibilität in Einklang zu bringen. Dieses Grundanliegen gehört, wie sich aus einem bereits 2006 veröffentlichten Grünbuch ergibt,63 seit längerer Zeit zu den rechtspolitischen Zielen der Kommission.64 Die Grundmotivation des europäischen Gesetzgebers ergibt sich aus den Erwägungsgründen 1 bis 5 ABRL. Klar benannt wird, dass die Überarbeitung der Richtlinie 91/533/EWG65 bezweckt, diese an die veränderten Arbeitssituationen des 21. Jahrhunderts anzupassen.66 Damit steht die Richtlinie in Beziehung zu weiteren europarechtlichen Vorgaben, etwa zum Leih- und Teilzeitarbeitsrecht.67 Darüber hinaus sollen insbesondere die in der ESSR niedergelegten sozial- und arbeitspolitischen Grundsätze gefördert werden. Der ESSR wird zwar vereinzelt eine Alibi-

58

Erwägungsgründe 2 und 3 ABRL. Erwägungsgrund 9 EZRL. 60 Europäische Kommission, Pressemitteilung v. 16. 11. 2017, abrufbar unter: https://ec.eu ropa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_17_4643 (zuletzt am 30. 06. 2023), dazu näher Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162; sowie umfassend zur ESSR: Lörcher, AuR 2010, 387, 387 ff. 61 EuR-Handbuch/Seifert, § 40 Rn. 21. 62 Deutlich Schmit, SRa 2022, 210, 211 ff. 63 Kommission, Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ v. 22. 11. 2006 COM(2006) 708 final. 64 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 352. 65 Richtlinie 91/533/EWG des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis v. 14. 10. 1991, Abl. EG 1999 L 288/32 – Nachweisrichtlinie. 66 Erwägungsgrund 4 ABRL. 67 Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1011. 59

146

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

funktion vorgeworfen.68 Der Einfluss ihrer Grundwertungen, wie sie in den Erwägungsgründen 4 und 5 ABRL umschrieben werden, ist allerdings besonders im Hinblick auf „faire Arbeitsbedingungen“69 deutlich erkennbar.70 Zur Verwirklichung dieses Anliegens hat die Union die Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen erlassen.71 Dabei hat die Union von dem seit der Nachweisrichtlinie neu hinzugekommenen Kompetenztitel in Art. 153 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. b AEUV Gebrauch gemacht.72 Die neuen Kompetenzen gestatten es, mit der Richtlinie über bloße formelle Unterrichtungspflichten hinaus, weiteren Einfluss auf das Arbeitsvertragsrecht der Mitgliedsstaaten zu nehmen.73 So enthält die ABRL erstmals materielle Mindestanforderungen an das allgemeine Arbeitsvertragsrecht. Insofern geht sie deutlich über die Nachweisrichtlinie hinaus.74 Daher kann die ABRL als Versuch verstanden werden, das schon in den Erwägungsgründen der Nachweisrichtlinie gesetzte Ziel einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen tatsächlich zu erreichen.75 Soweit Regelungen zum Kündigungsschutz getroffen werden, fungiert die Richtlinie auch als sekundärrechtliche Konkretisierung des Art. 30 GRCh.76 Sie stellt eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zu einem vereinheitlichten europäischen Arbeitsvertragsrecht dar.77 Die „horizontalen Bestimmungen“ in Kapitel IV, die als solche bezeichnet werden, weil sie allen Regelungen der Richtlinie gemeinsame Grundwertungen zum Ausdruck bringen,78 enthalten hierbei Vorgaben für den Schutz der Arbeitnehmer bei der Wahrnehmung von Richtlinienrechten.79 Angesichts der Tatsache, dass die Union sich gerade nicht auf den Gesetzgebungstitel in Art. 153 Abs. 1 lit. d AEUV stützt, kommt den Bestimmungen zum Kündigungsschutz bei der Wahrnehmung von Richtlinienrechten ersichtlich nur eine nachgeordnete Stellung zu.80 Die EZRL übernimmt die Struktur und sieht ebenfalls horizontale Bestimmungen vor. Anders als die ABRL verfolgt die Richtlinie das übergeordnete Ziel der Herstellung von

68

Lörcher, AuR 2010, 387, 393. Grundsatz 5 ESSR. 70 Maul-Sartori, NZA 2020, 1161; Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1011. 71 Näher zur Rolle der ESSR im Gesetzgebungsverfahren Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 369 ff. 72 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 1 Rn. 2; Rolfs, ZfA 2021, 283, 285. 73 Kolbe, EuZA 2020, 35, 36. 74 Picker, ZEuP 2020, 305, 306; Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009. 75 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 1 Rn. 2. 76 Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 66. 77 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 419. 78 Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 63. 79 Ausführlich zu den Implikationen des Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung im Rahmen der ABRL, insbesondere im Hinblick auf § 12a Abs. 1 ArbGG: Daum, NZA 2021, 920, 921 ff. 80 Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 63. 69

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

147

Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen, wie sich schon aus der Herleitung der Kompetenz aus Art. 153 Abs. 1 lit. i AEUV ergibt.

II. Persönlicher Anwendungsbereich Die Reichweite des Maßregelungsschutzes wird maßgeblich durch den Begriff des Arbeitnehmers bestimmt. Der Abgrenzung zur Selbstständigkeit kommt bei modernen („atypischen“) Tätigkeitsformen eine Schlüsselfunktion zu. Beispielsweise entschied jüngst das BAG, dass Crowdworker als Arbeitnehmer eingestuft werden können.81 Bezüglich der Maßregelungsverbote und Beweiserleichterungen der Richtlinien ist zunächst zu klären, auf welchen Arbeitnehmerbegriff es überhaupt ankommt. 1. Arbeitnehmerbegriff in der ABRL Der europäische Gesetzgeber will mit der ABRL eine Anpassung an die moderne Arbeitswelt vollziehen, um prekäre Tätigkeitsbedingungen und den Missbrauch atypischer Verträge zu vermeiden.82 Zu denken ist an Phänomene wie Plattformarbeit, die – einst eine im Vergleich zur Festanstellung statistisch zu vernachlässigende Ausnahme – zusehends zur Normalität werden.83 Die Richtlinie leidet allerdings an einem Grundmangel: Der Nexus für die europaweit einheitliche Regulierung neuer Arbeitsformen im 21. Jahrhundert ist der Arbeitnehmerbegriff. Hier verweist die ABRL „unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs“ auf die Arbeitnehmerbegriffe der Mitgliedsstaaten. Anstatt einen eigenen europäischen Arbeitnehmerbegriff in Anlehnung an bestimmte Grundsätze der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu schaffen, wird durch den unklaren Verweis zusätzliche Rechtsunsicherheit verursacht.84 a) Einordnung der Formulierung in Art. 1 Abs. 2 ABRL Grundsätzlich lassen sich EU-Richtlinien im Hinblick auf den Arbeitnehmerbegriff in verschiedene Kategorien einteilen: Einige enthalten eigens formulierte Begriffsdefinitionen, andere verweisen auf die Arbeitnehmerbegriffe der Mit81

BAG, Urt. v. 01. 12. 2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552, 557 (Rn. 41 ff.); dies hatte noch die Vorinstanz anders gesehen: LAG München, Urt. v. 04. 12. 2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316 (Rn. 119 ff.). 82 Erwägungsgründe 2 und 4 ABRL, Grundsatz 5 lit. d ESSR. 83 Zu den verschiedenen Erscheinungsformen Kocher/Hensel, NZA 2016, 984, 985; Wenkebach, SR 2020, 165, 165 ff. 84 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 332; Kolbe, EuZA 2020, 35, 37; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162 ff.; Picker, ZEuP 2020, 305, 308; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 419; ähnlich Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1035; Rolfs, ZfA 2021, 283.

148

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

gliedsstaaten und andere verwenden den Begriff des Arbeitnehmers ohne Verweis oder Definition.85 Die Mehrzahl der arbeitsrechtlichen Richtlinien verweist auf die nationalen Arbeitnehmerbegriffe.86 Auf Ebene des europäischen Sekundärrechts haben sich differenzierte und selbstständige Varianten entwickelt.87 Im Ausgangspunkt gibt es nicht den einen Arbeitnehmerbegriff des Unionsrechts.88 Während der EuGH dies früher selbst konstatiert hat,89 neigt er immer mehr zur Vereinheitlichung.90 Ausgangspunkt ist dabei die Rechtsprechung zu Art. 45 AEUV,91 auf die auch Erwägungsgrund 8 der ABRL Bezug nimmt. Nach den auf die Lawrie-BlumEntscheidung zurückgehenden Grundsätzen ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.92 Diese Kriterien gelten zwar zunächst für das Primärrecht, der EuGH überträgt sie aber auf Sekundärrechtsakte, soweit diese keinen Verweis oder eine eigene Definition enthalten.93 Zwar gibt es in der Rechtsprechung Varianzen in einigen einzelnen Punkten der Kriterien,94 insgesamt handelt es sich aber um eine ständige Linie.95 Angesichts der Vereinheitlichungstendenzen lässt sich das auf den Lawrie-Blum-Kriterien beruhende Verständnis des EuGH als „unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff“ umschreiben.96 Nationale und unionsrechtliche Begriffsbildung überschneiden sich zu einem gewissen Grad.97 Art. 1 Abs. 2 ABRL lässt sich sprachlich in zwei Teile gliedern. Vom grundsätzlichen Verweis auf das Recht der Mitgliedsstaaten ist der letzte Hs., nach dem die „Rechtsprechung des Gerichtshofs“ zu berücksichtigen ist, zu unterscheiden. Zunächst ließe sich die ABRL anhand des ersten sprachlich abgrenzbaren Elements in die Gruppe der Richtlinien einordnen, die auf die mitgliedsstaatliche Definition 85

Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 325. EU-Methodenlehre/Riesenhuber, § 10 Rn. 4. 87 ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 18; Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.108 f. 88 MüHB-ArbR/Temming, § 18 Rn. 52; vgl. Wank, EuZA 2018, 327, 331 f. 89 EuGH, Urt. v. 13. 01. 2004 – Rs. C-256/01 (Allonby), ECLI:EU:C:2004:18, NZA 2004, 201, 204, (Rn. 63); EuGH, Urt. v. 12. 05. 1998 – Rs. C-85/96 (Martinez Sala), ECLI:EU:C: 1998:217, EuZW 1998, 372, 374 (Rn. 32). 90 Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.112; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 18. 91 ErfK/Preis, BGB, § 611a, Rn. 18. 92 EuGH, Urt. v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85 (Lawrie-Blum), ECLI:EU:C:1986:284, NVwZ 1987, 41 (Rn. 17). 93 EuGH, Beschl. v. 07. 04. 2011 – Rs. C-519/09 (Dieter May), ECLI:EU:C:2011:221, BeckRS 2013, 87054 (Rn. 22). 94 Wank, EuZA 2018, 327, 332 f. 95 EuGH, Urt. v. 21. 02. 2018 – Rs. C-518/15 (Matzak), ECLI:EU:C:2018:82, ZIP 2018, 651, 652 (Rn. 28); EuGH, Urt. v. 26. 03. 2015 – Rs. C-316/13 (Fenoll), ECLI:EU:C:2015:200, NZA 2015, 1444, 1445 (Rn. 27); EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09 (Union syndicale Solidaires Isère), ECLI:EU:C:2010:612, BeckRS 2010, 91197 (Rn. 27 ff.). 96 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.112; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 18 ff. 97 MüHB-ArbR/Temming, § 18 Rn. 56. 86

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

149

verweisen. Allerdings wird der Verweis durch die „Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs“ sofort wieder eingegrenzt.98 Eine Richtlinie, die zwar eine Regelung des Arbeitnehmerbegriffs vorsieht, es aber weder bei einem Verweis auf die nationalen Begriffe belässt noch ausdrücklich auf einen genuin unionsrechtlichen Begriff verweist,99 fällt in keine der vorhandenen Kategorien. Zwar ist es möglich, dass eine Richtlinie auf den nationalen Begriff verweist und bestimmte Personengruppen ausnimmt.100 Die Auswirkungen eines durch „Rechtsprechung“ eingeschränkten Verweises auf nationale Arbeitnehmerbegriffe sind jedoch unklar. Es handelt sich um ein echtes Novum im europäischen Arbeitsrecht.101 b) Kein unionsautonomer Begriff Der Verweis auf das Recht der Mitgliedsstaaten entspricht dem Regelungsansatz des Art. 1 Abs. 1 Nachweisrichtlinie. Diese enthält keine Wendung, dass die Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen sei – dennoch ist umstritten, ob nicht doch ein unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff gilt. Insofern überrascht es nicht, dass eine Wiederbelebung dieses Streitpunktes in der ABRL für möglich gehalten wird.102 Die Formulierung, dass die Richtlinie für jeden „Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis hat, der/das in dem in einem Mitgliedstaat geltenden Recht definiert ist und/oder dem in einem Mitgliedstaat geltenden Recht unterliegt“ gilt, wird teilweise so verstanden, dass die Richtlinie hinsichtlich des Wortes „Arbeitnehmer“ gerade nicht auf das Recht der Mitgliedsstaaten verweise.103 Thüsing stellt darauf ab, dass die Formulierung „und/oder“ in der Nachweisrichtlinie bei Zugrundelegung eines nationalen Arbeitnehmerbegriffs ihren Sinn verliert – es liege stets zumindest die erste Alternative vor und der zweiten verbleibe kein selbstständiger Anwendungsbereich.104 Nach überwiegender Auffassung bezieht sich der Begriff „Arbeitnehmer“ in Art. 1 Abs. 1 der Nachweisrichtlinie nicht auf einen unionsautonomen, sondern den nationalen Arbeitnehmerbegriff, auf den dem Wortlaut nach verwiesen wird.105

98

Picker, ZEuP 2020, 305, 309; Kolbe, EuZA 2020, 35, 37. Picker, ZEuP 2020, 305, 309. 100 Wank, EuZA 2018, 327, 343. 101 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 328; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; MüHB-ArbR/Temming, § 18 Rn. 55. 102 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 328. 103 Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 7; vgl. auch EUArbRK/Kolbe, RL 91/533/EWG, Art. 1, Rn. 2. 104 Thüsing, EU-ArbR, § 8, Rn. 6. 105 Ventura-Heinrich, Der Nachweis wesentlicher Vertragsbedingungen, S. 35; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 20; Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.109; Wank, RdA 1996, 21, 22. 99

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

Dass Kolbe nun annimmt, der Rückverweis auf die nationalen Arbeitsrechte sei im Vergleich zur Nachweisrichtlinie klarer formuliert,106 liegt vermutlich darin begründet, dass die Formulierung „und/oder“ aus der Nachweisrichtlinie in der ABRL entfällt. Es ist zwar denkbar, dass sich die Diskussion, ob grundsätzlich ein unionaler oder nationaler Arbeitnehmerbegriff gilt, bei der ABRL fortsetzt.107 Im Gesetzgebungsverfahren im Vorfeld der ABRL konnte sich die Kommission mit ihrem Vorschlag, einen an den Lawrie-Blum-Kriterien orientierten Begriff in die Richtlinie aufzunehmen,108 jedoch nicht durchsetzen.109 Nimmt man die Willensentscheidung des europäischen Gesetzgebers ernst, erscheint es nur schwer vertretbar, den Rekurs auf das nationale Recht zu ignorieren. Somit ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 ABRL nicht, dass ohnehin schon ein unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff gilt. Es kommt primär auf die nationalstaatlichen Arbeitnehmerbegriffe an.110 Für das deutsche Recht greift somit vornehmlich § 611a BGB. Der deutsche Gesetzgeber hat darin einen Regelungsansatz gewählt, der nicht nur die sich mit der Digitalisierung wandelnde Arbeitswelt, sondern auch die europäischen Einflüsse auf den Arbeitnehmerbegriff ausblendet.111 Im Unterschied zur Nachweisrichtlinie belässt es die ABRL allerdings nicht dabei, den Mitgliedsstaaten die Definition ihrer Arbeitnehmerbegriffe zu überlassen. c) Die Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs Vielmehr gilt, dass die „Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen ist“. Es stellt sich die Frage, wie der Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL auszulegen ist. Der Wortlaut der Norm gibt wenig Aufschluss darüber, welche Rechtsprechung des EuGH genau gemeint ist. Die Sprachfassungen müssen einheitlich ausgelegt werden – ergibt sich jedoch eine Abweichung muss die Vorschrift nach Systematik und Zweck ausgelegt werden, zu der sie gehört.112 Vorliegend ergibt sich auch aus den anderen Sprachfassungen keine klarere Bedeutung des Verweises.113 Im Zusam106

Kolbe, EuZA 2020, 35, 37. Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 328. 108 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 9 f.; dazu Oberthür, RdA 2018, 286, 293; Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 373. 109 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162 f.; Kolbe, EuZA 2020, 35, 37. 110 Picker, ZEuP 2020, 305, 309; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 7; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 67; anders wohl nur Schubert, AuR 2022, 115, 116. 111 Preis, NZA 2018, 817, 823 ff.; Wank, EuZA 2018, 327, 329; Preis/Sagan/Sagan, EUArbR Rn. 1.112a. 112 EuGH, Urt. v. 12. 05. 2011 – Rs. C-144/10 (Berliner Verkehrsbetriebe), ECLI:EU:C: 2011:300, Rn. 28. 113 Bespielhaft seien hier die englische und französische Fassung genannt. Im Englischen: „(…) in each Member State with consideration to the case-law of the Court of Justice“, im Französischen: „(…) dans chaque État membre, en tenant compte de la jurisprudence de la Cour de justice“. 107

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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menspiel mit dem Verweis auf die Definitionshoheit der Mitgliedsstaaten kommen – unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe, die als Auslegungshilfe dienen114 – im Wesentlichen zwei Deutungen in Betracht. aa) Keine Umsetzungspflicht bzgl. unionsrechtlicher Begriffselemente Der Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs könnte als Anweisung an die Mitgliedsstaaten verstanden werden, die vom EuGH aufgestellten Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs in Ergänzung zu den bereits geltenden einzelstaatlichen Begriffen in nationales Recht umzusetzen – und so faktisch eine (Teil-)Harmonisierung der nationalen Arbeitnehmerbegriffe herbeiführen. Dafür könnte der Erwägungsgrund 8 ABRL sprechen, der in einer Fußnote auf EuGH-Entscheidungen bezugnimmt, die auf einen genuin europäischen115 oder zumindest stark europäisierten116 Arbeitnehmerbegriff abstellen.117 Allerdings hat der europäische Gesetzgeber, insbesondere der Rat,118 wie eben gezeigt, eindeutig gegen einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff votiert. Zwar lässt sich einwenden, dass der Erwägungsgrund 8 ABRL eben genau diesem Votum widerspricht, weil er auch auf Entscheidungen abstellt, in der ein unionsautonomer Arbeitnehmerbegriff zum Ausdruck kommt. Der Widerspruch ist allerdings so eklatant, weil die Fußnote in Erwägungsgrund 8 aus dem Kommissionsvorschlag übernommen wurde, der noch einen unionsautonomen Arbeitnehmerbegriff vorsah.119 Der Erwägungsgrund widerspricht damit dem Regelungsinhalt (dem verfügenden Teil) der Richtlinie und ist insofern unbeachtlich.120 Daraus folgt, dass der Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht so zu verstehen ist, dass ein unionsautonomer Begriff gilt.121 Dies würde die gesetzgeberische Willensentscheidung ad absurdum führen.

114

EU-Methodenlehre/Riesenhuber, § 10 Rn. 38. EuGH, Urt. v. 03. 07. 1986 – Rs. C-66/85 (Lawrie-Blum), ECLI:EU:C:1986:284, NVwZ 1987, 41 (Rn. 17); EuGH, Urt. v. 09. 07. 2015 – Rs. C-229/14 (Balkaya), ECLI:EU:C: 2015:455, NZA 2015, 861, 862 (Rn. 33 f.); EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09 (Union syndicale Solidaires Isère), ECLI:EU:C:2010:612, BeckRS 2010, 91197 (Rn. 27 ff.); EuGH, Urt. v. 04. 12. 2014 – Rs. C413/13 (Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, NZA 2015, 55, 57 (Rn. 34). 116 EuGH, Urt. v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 (Ruhrlandklinik), NZA 2017, 41, 42 f. (Rn. 43). 117 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 329. 118 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1163. 119 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 329; ähnlich Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353. 120 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 329; zustimmend Kolbe, EuZA 2023, 3, 8. 121 Diese Auflösung des Widerspruchs befürwortend die Stellungnahme Deutschland in: Rat, Interinstitutionelles Dossier v. 29. 05. 2019 2017/0355(COD), S. 2. 115

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

bb) Kodifikation einer Willkürkontrolle Was bleibt also vom Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die unionsautonomen Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs nicht gemeint sein können? In Betracht kommt eine nicht unproblematische Rechtsprechungslinie des Europäischen Gerichtshofs, die mittels des Effektivitätsgrundsatzes Verweise auf die nationalen Arbeitnehmerbegriffe relativiert.122 Der EuGH hat in der Rechtssache O’Brien entschieden, dass bei der Definition von in Richtlinien festgeschriebenen Begriffen darauf zu achten sei, dass die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt werde.123 Insbesondere könne ein Mitgliedsstaat nicht nach seinem Belieben bestimmte Personenkategorien vom Schutz der Richtlinie ausnehmen.124 Auch in der daran anknüpfenden Ruhrlandklinik-Entscheidung hat der EuGH die mitgliedsstaatliche Definitionshoheit durch seine Prüfung, ob es zu einem willkürlichen Ausschluss bestimmter Personengruppen vom Anwendungsbereich der Richtlinie kommt, deutlich relativiert.125 Im Ergebnis wurden sogar, trotz eines klaren Verweises auf das Recht der Mitgliedsstaaten in der Richtlinie 2008/104/EG, unionsautonome Kriterien für den Arbeitnehmerbegriff angelegt.126 Das Ergebnis der Ruhrlandklinik-Entscheidung macht deutlich, dass die Grenzen zwischen unionsrechtlicher und nationalstaatlicher Begriffsbildung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs verschwimmen.127 Mit Ausnahme vereinzelter Stimmen, die diese Linie des EuGH unter Berücksichtigung des sozialen Schutzzwecks für hinnehmbar halten,128 stößt die Anwendung unionsautonomer Kriterien bei ausdrücklichem Verweis auf mitgliedsstaatliches Recht ganz überwiegend auf Ablehnung.129 Insbesondere entsteht ein Systemkonflikt, wenn der Gerichtshof den europäischen Arbeitnehmerbegriff integrativ ausdehnt, obwohl ein entsprechender Konsens des europäischen Gesetzgebers nicht besteht.130 Die Relativierung von Verweisen auf das nationale Arbeitsrecht durch den EuGH wird als „autonomisierter“131 oder „semi-au-

122

Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; dazu auch Rolfs, ZfA 2021, 283, 289. EuGH, Urt. v. 01. 03. 2012 – Rs. C-393/10 (O’Brien), ECLI:EU:C:2012:110, NZA 2012, 313, 315 (Rn. 35). 124 EuGH, Urt. v. 01. 03. 2012 – Rs. C-393/10 (O’Brien), ECLI:EU:C:2012:110, NZA 2012, 313, 315 (Rn. 36). 125 EuGH, Urt. v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 (Ruhrlandklinik), NZA 2017, 41, 42 f., (Rn. 36 ff.). 126 EuGH, Urt. v. 17. 11. 2016 – Rs. C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 (Ruhrlandklinik), NZA 2017, 41, 43 (Rn. 43). 127 Temming, SR 2016, 158, 162 ff. 128 Schmitt, ZESAR 2017, 167, 172 f. 129 Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR, Rn. 1.108a m. w. N. 130 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 324. 131 Junker, EuZA 2016, 184, 196 f.; Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.108a. 123

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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tonomer“132 Arbeitnehmerbegriff beschrieben. Die richterliche Autonomisierung schaffe jedenfalls erhebliche Rechtsunsicherheit, weil sie – ähnlich wie die überkommene Abgrenzung nach dem Harmonisierungszweck – nicht auf das leicht handhabbare Kriterium einer ausdrücklichen Verweisung, sondern auf ein unwägbares Bündel materieller Kriterien abstelle.133 Da sich der Verweis auf eine Rechtslage bezieht, die in der Rechtsprechung des EuGH ohnehin schon besteht, ließe sich der Rückverweis als bloße deskriptive Floskel ohne eigenen Regelungsgehalt auslegen. Dann wäre die Formulierung aber wohl nicht im regelnden Teil der Richtlinie, sondern in den Erwägungsgründen zu finden. Anstatt eines direkten Rekurses auf konkrete unionale Begriffsmerkmale, die bei der Definition des Arbeitnehmerbegriffs durch die Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen sind, lässt sich Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL vielmehr als Kodifikation der Interferenz zwischen europäischem und nationalem Arbeitnehmerbegriff in Gestalt der Willkürkontrolle verstehen.134 Der Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs vollzieht eine bereits bestehende Rechtsprechungslinie des EuGH nach. Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL als rechtliches Nullum zu bezeichnen, würde allerdings zu weit gehen. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH die „inkorporierte Auslegungsschranke“135 in Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL als argumentative Grundlage zur weitergehenden Europäisierung nationaler Arbeitnehmerbegriffe nutzen wird. Nach der vorzugswürdigen Auslegung enthält Art. 1 Abs. 2 ABRL einen zweistufigen Regelungsansatz: Der Arbeitnehmerbegriff sei zunächst nach nationalen Kriterien zu bestimmen, um sodann in einem zweiten Schritt nach den grundlegenden O’Brien-Grundsätzen des Gerichtshofs zu überprüfen, ob die Mitgliedsstaaten bestimmte Beschäftigungsverhältnisse willkürlich vom Schutz der Richtlinie ausgenommen haben.136 cc) Konsequenzen der Regelung Die mit Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL einhergehende Rechtsunsicherheit wird auch dadurch erhöht, dass der EuGH in einer einzelnen Entscheidung aus dem Jahr 2010137 ausschließlich darauf abstellt, ob ein Verweis auf das nationale Recht besteht

132

Preis/Sagan/Brose, EU-ArbR Rn. 13.22 m. w. N.; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1163. Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.108a. 134 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; Picker, ZEuP 2020, 305, 310 f.; Henssler/ Pant, RdA 2019, 321, 323; ähnlich Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 67. 135 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 328. 136 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 353; Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 330; wohl auch Rebstock, ZESAR 2022, 415, 418; eine i. E. ähnliche Rechtslage im Hinblick auf die Missbrauchskontrolle durch den EuGH bei einschränkungsloser Verweisung annehmend schon Wank, EuZW 2018, 21, 30. 137 EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010 – Rs. C-428/09 (Union syndicale Solidaires Isère), ECLI: EU:C:2010:612, BeckRS 2010, 91197 (Rn. 27 f.). 133

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

oder nicht.138 Darüber hinaus erzeugt die Anwendung der Willkürprüfung, wenn sie positiv ausfällt, neue unionale Einflüsse auf das nationale Arbeitsrecht, was dem Verweis auf die Definitionsautonomie der Mitgliedsstaaten widerspricht und ihr Grenzen setzt.139 Damit ist wahrscheinlich, dass sich der Gerichtshof in seiner Tendenz, den unionsautonomen Begriff zu verwenden, durch die Regelung des Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL bestärkt fühlt.140 Es ist zu erwarten, dass die Grenzen zwischen unionaler Begriffsbildung und Willkürkontrolle in Zukunft weiter verschwimmen.141 Mit Blick auf den tendenziell weiteren unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ist zu erwarten, dass sich der Anwendungsbereich der arbeitsrechtlichen Regelungen der ABRL eher weiter ausdehnen wird.142 Der Regelungszweck der ABRL besteht, wie bereits erwähnt, unter anderem in der besseren Erfassung moderner „atypischer“ Beschäftigungsformen (in der Digitalwirtschaft etwa Cloud- und Clickworker auf Online-Plattformen).143 Sollte ein Mitgliedsstaat Personen, die unter diesen sehr weiten Oberbegriff fallen, durch einen eng gefassten Arbeitnehmerbegriff vom Schutzstandard der ABRL ausschließen, besteht nach den Kriterien des EuGH die Möglichkeit, dass der Mitgliedsstaat „unter Verletzung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie (…) nach seinem Belieben bestimmte Personalkategorien von dem durch diese Richtlinie (…) bezweckten Schutz“144 ausgenommen hat.145 Darauf wäre ggf. im Wege der richtlinienkonformen Auslegung Rücksicht zu nehmen,146 wenngleich die relevanten Kriterien weitestgehend inhaltlich parallel liegen.147 Die zentrale regulatorische Steuerungsfunktion bei atypischer Beschäftigung liegt aber weiter bei den Mitgliedsstaaten.148 Ob die Union überhaupt die Kompetenz hätte, die Regelungen der ABRL auch auf Selbstständige auszudehnen, ist zu bezweifeln.149 Bei Interpretation der Richtlinie treten der Effektivitätsgedanke in Gestalt der expansiven Tendenzen der EuGH-Rechtsprechung durch die Willkürprüfung, (nunmehr vom europäischen Gesetzgeber mit einem Hs. bedacht) und die Wil138

Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR Rn. 1.108. Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 422; Rolfs, ZfA 2021, 283, 290; vgl. auch Uffmann, EuZA 2012, 518, 528. 140 So auch Kolbe, EuZA, 3, 8 f. 141 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1163; ähnlich Picker, ZEuP 2020, 305, 309; sowie MüHB-ArbR/Temming, § 18 Rn. 55. 142 Zu den Grenzen etwa Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 68. 143 Erwägungsgründe 4, 5, 8 ABRL. 144 EuGH, Urt. v. 01. 03. 2012 – Rs. C-393/10 (O’Brien), ECLI:EU:C:2012:110, NZA 2012, 313, 315 (Rn. 36). 145 Picker, ZEuP 2020, 305, 310. 146 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 356. 147 Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 68. 148 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 332. 149 Rolfs, ZfA 2021, 283, 292. 139

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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lensentscheidung gegen einen unionsautonomen Begriff in Konflikt.150 Die Tendenz zur unionsrechtlichen Einhegung der mitgliedsstaatlichen Arbeitnehmerbegriffe hat bereits mit der Nachweisrichtlinie eingesetzt,151 und wird mit der ABRL fortgeführt.152 Der EuGH fungiert als Motor der Fortentwicklung europäischen Arbeitsrechts,153 was besonders beim Arbeitnehmerbegriff deutlich wird. Der Verweis in Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL versorgt den Motor mit weiterem Öl. Der nächste Schritt dieser Fortentwicklung und seine Implikationen für den deutschen Arbeitnehmerbegriff können nicht sicher prognostiziert werden.154 Der Verweis in Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL selbst nutzt weder bei den Fragen, die Phänomene wie Crowdworking bei der Anwendung des § 611a BGB aufwerfen,155 noch bei der Festlegung der Grenzen der Arbeitnehmereigenschaft im Unionsrecht.156 Abzusehen ist jedenfalls, dass die oben geschilderte Linie eines „semi-autonomen“ Arbeitnehmerbegriffs zu einem erhöhten Vorlagenaufkommen führen kann, wenn Richtlinienrechte Gegenstand des Rechtsstreits sind. Eine Regulierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf Unionsebene impliziert eigentlich, dass die Regel der „typischen“ Tätigkeiten ebenfalls gesetzlich festgelegt werden müsste – dies spricht an sich für eine Harmonisierung der nationalen Arbeitnehmerbegriffe vor dem Hintergrund des Richtlinienzwecks, für die sich der europäische Gesetzgeber allerdings nicht entschieden hat.157 Eine Fortentwicklung des Arbeitnehmerbegriffs durch europäischen und nationalen Gesetzgeber ist vorzugswürdig.158 Ohne eine einheitliche Linie aus Luxemburg oder klare Vorgaben aus Brüssel ist eine Ergänzung des § 611a BGB um europarechtliche Einflüsse auf den Arbeitnehmerbegriff ohnehin nur schwer möglich.159 Die effektive Erreichung des Ziels einer europaweit einheitlichen Regulierung atypischer Beschäftigungsformen scheint damit schon erheblich erschwert, wenn nicht sogar vereitelt.160 150

Ähnlich Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 355. Maul-Sartori, Europäische arbeitsverhältnisbezogene Informationsrechte, S. 123. 152 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wank, EuZA 2023, 22, 42 ff.: Ziel sei eine „Vollharmonisierung durch die Hintertür“. 153 Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 430; vgl. auch Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 324. 154 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 354. 155 Heckelmann, NZA 2022, 73, 78. 156 Schmidt, NZA 2021, 1232, 1235 f. 157 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 323. 158 Picker, ZEuP 2020, 305, 314; in diese Richtung auch Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 355. 159 Allgemein Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418, 430; Preis, NZA 2018, 817, 826; sowie speziell im Hinblick auf die Hoffnung einer Klarstellung des EuGH für die ABRL Preis/ Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 419. 160 So auch Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 354, die den Ansatz zu Recht im Hinblick auf abweichende mitgliedsstaatliche Regelungen und den Geltungsumfang der Mindestrechte als doppelt misslich einordnen. Ein „Versagen Europas“ in dieser zentralen Steuerungsfrage des Unionsarbeitsrechts sieht auch Henssler, FS Preis, 433, 436. 151

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

d) Entwurf der Richtlinie zur Regulierung von Plattformarbeit Die lang erwartete Schaffung klarer Rahmenbedingungen für atypische Beschäftigungsformen könnte nun zumindest für den Bereich der Plattformarbeit in naher Zukunft erfolgen.161 Mit der bei der Verwendung von Apps zur Steuerung der Erbringung von Diensten und der damit verbundenen Einordnungsschwierigkeiten zwischen Selbstständigkeit und Arbeitsverhältnis hat sich der EuGH bereits im Kontext des Arbeitszeitrechts auseinandergesetzt.162 Art. 3 ff. PARL-E enthalten erstmals konkrete materiell-rechtliche Vorgaben für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zwischen einer digitalen Arbeitsplattform und Plattformarbeitern. Allen voran enthält Art. 4 PARL-E eine Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft, wenn die Plattform bestimmte Elemente der Leistungserbringung kontrolliert.163 Die Plattform hat nach Art. 5 PARL-E die Möglichkeit, die Vermutung zu entkräften und muss darlegen und beweisen, dass es sich bei der Vertragsbeziehung nicht um ein Arbeitsverhältnis im Sinne der mitgliedsstaatlichen Definition handelt.164 Beachtlich ist aber, dass Art. 3 Abs. 1 PARL-E erneut einen dem Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL entsprechenden Verweis auf die Arbeitnehmerbegriffe der Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs enthält. Im Unterschied zur ABRL, die keinerlei nähere Kriterien für die Bestimmung des Arbeitnehmerstatus enthält, listet Art. 4 Abs. 2 PARL-E einige Merkmale einer Kontrolle der Arbeitsleistung auf. Davon müssen mindestens zwei erfüllt sein, um die Vermutung auszulösen. Es handelt sich hierbei um eine weitere grundlegende Neuerung, die weitere Fragen nach der Kongruenz der neuen Kriterien zu den nationalstaatlichen Begriffsmerkmalen aufwirft. Darüber hinaus sind die Mitgliedsstaaten nach Art. 6 PARL-E zur Einführung neuer plattformspezifischer Informationspflichten in Ergänzung der ABRL verpflichtet. Insgesamt wird die Richtlinie, wenn sie in der vorgeschlagenen Form in Kraft tritt, beinahe zwangsläufig Handlungsbedarf in Deutschland auslösen. e) Zwischenfazit Der Verweis in Art. 1 Abs. 2 ABRL ist so auszulegen, dass der mitgliedsstaatliche Arbeitnehmerbegriff gilt, der EuGH im sachlichen Geltungsbereich der ABRL aber prüfen kann, ob die Mitgliedsstaaten mit ihrer Arbeitnehmerdefinition schutzwürdige Personengruppen willkürlich ausgeschlossen haben. Die Norm kann nicht als Verpflichtung des Gesetzgebers verstanden werden, unionsautonome Kriterien in § 611a BGB zu überführen, da sie so in Widerspruch zu sich selbst träte. Vielmehr 161

Zum PARL-E bereits Krause, NZA 2022, 521, 523 ff.; Stöhr, EuZA 2022, 413. EuGH, Beschl. v. 22. 04. 2022 – Rs. C-692/19, ECLI:EU:C:2020:288, NZA 2021, 1246; dazu im Kontext der angedachten Regulierung Rebstock, ZESAR 2022, 415, 419. 163 PARL-E, S. 15. 164 PARL-E, S. 16; kritisch zu dieser Vermutungsregelung Söller, ZESAR 2022, 212, 216 ff.; Eichenhofer, ZESAR 2022, 459, 463 ff. 162

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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rekurriert Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL auf eine Willkürkontrolle durch den Gerichtshof und billigt diese. Art. 1 Abs. 2 letzter Hs. ABRL würde dann im Verhältnis zu den nationalen Arbeitnehmerbegriffen als sekundärrechtliches Einfallstor für die (komplexe und nicht immer systematisch konsistente)165 EuGH-Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff fungieren. Eine klare gesetzliche Regelung der von den zwangsläufig mit der Richtlinie verbundenen Änderungen erfassten Personengruppen wäre zwar wünschenswert.166 Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich der Gesetzgeber einer solchen Aufgabe verschreibt. Konkreter Umsetzungsbedarf besteht jedenfalls nicht. 2. Arbeitnehmerbegriff in der EZRL Die EZRL enthält in Art. 2 bei der Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs ebenfalls einen Hs., der auf „die Rechtsprechung des Gerichtshofs“ verweist. Beim Vergleich des Wortlauts zwischen Art. 2 EZRL und Art. 1 Abs. 2 ABRL wird deutlich, dass die Normen im Satzbau voneinander abweichen, aber dieselben Regelungselemente aufweisen, denen, dem Wortsinn nach, die gleiche Bedeutung zukommt. Dies wird bei Heranziehung anderer Sprachfassungen von Art. 1 Abs. 2 ABRL167 und Art. 2 EZRL168 bestätigt. Dort wird, etwa in der englischen Fassung, die Berücksichtigung des Fallrechts des EuGH an identischer Stelle gefordert. Der Abweichung im Wortlaut („to consider“ und „taking into account“) kommt kein Un165

Preis, NZA 2018, 817, 824; vgl. auch Junker, EuZA 2016, 184, 204. Kreßel, ZfA 2021, 312, 318. 167 Im Englischen: „This Directive lays down minimum rights that apply to every worker in the Union who has an employment contract or employment relationship as defined by the law, collective agreements or practice in force in each Member State with consideration to the caselaw of the Court of Justice.“; im Französischen: „La présente directive établit. des droits minimaux qui s’appliquent à tous les travailleurs dans l’Union qui sont liés par un contrat de travail ou une relation de travail au sens du droit, des conventions collectives ou de la pratique en vigueur dans chaque État membre, en tenant compte de la jurisprudence de la Cour de justice.“; im Spanischen: „La presente Directiva establece los derechos mínimos aplicables a todos los trabajadores de la Unión que tengan un contrato de trabajo o una relación laboral conforme a lo definido por la legislación, los convenios colectivos o la práctica vigentes en cada Estado miembro, tomando en consideración la jurisprudencia del Tribunal de Justicia.“. 168 Im Englischen: „This Directive applies to all workers, men and women, who have an employment contract or employment relationship as defined by the law, collective agreements or practice in force in each Member State, taking into account the case-law of the Court of Justice.“; im Französischen: „La présente directive s’applique à tous les travailleurs, hommes et femmes, qui ont un contrat de travail ou une relation de travail au sens de la législation, des conventions collectives ou de la pratique en vigueur dans chaque État membre, en tenant compte de la jurisprudence de la Cour de justice.“; im Spanischen: „La presente Directiva se aplicará a todos los trabajadores, hombres y mujeres, que tienen un contrato de trabajo o una relación laboral tal que definida en la legislación, los convenios colectivos o los usos vigentes en cada Estado miembro, teniendo en cuenta la jurisprudencia del Tribunal de Justicia.“. 166

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

terschied im Regelungsgehalt zu. Im Unterschied zur ABRL169 nimmt der Unionsgesetzgeber in den Erwägungsgründen der EZRL nicht auf bestimmte Entscheidungen des EuGH Bezug.170 Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass deshalb mit der Formulierung in Art. 2 EZRL eine andere Rechtsprechungslinie gemeint ist, was sich auch bei Konsultation der Gesetzesmaterialien bestätigt. Die Formulierung war im Kommissionsvorschlag noch nicht enthalten.171 Die Einschränkung durch die Rechtsprechung des EuGH fand im Rahmen der ersten Lesung im Parlament vielmehr durch eine Stellungnahme des Gleichstellungsausschusses später Eingang ins Verfahren.172 Anhaltspunkte, dass ein von Art. 1 Abs. 2 ABRL abweichender Regelungsgehalt gemeint ist, sind nicht ersichtlich. In einer Stellungnahme Deutschlands, Kroatiens und Tschechiens wird sogar explizit auf die Willkürkontrolle durch den EuGH hingewiesen.173 Im Ergebnis kann daher auf die Ausführungen zu Art. 1 Abs. 2 ABRL verwiesen werden. 3. Arbeitgeber Art. 12 EZRL und Art. 18 ABRL nehmen übereinstimmend Bezug auf den Arbeitgeber, der Normunterworfener und damit durch die Viktimisierungsverbote, von den Begründungspflichten und Beweiserleichterungen betroffen ist. Wer Arbeitgeber ist, ergibt sich im Umkehrschluss aus der Stellung der – für die Begriffe der Beweiserleichterungen und die vorgelagerten Benachteiligungsverbote – klagenden bzw. rechtsausübenden Person, da die Richtlinien den Begriff des Arbeitgebers nicht genauer spezifizieren und primärer Adressat die Mitgliedsstaaten sind. Auch nach deutschem Recht bestimmt der Arbeitnehmerbegriff den Adressatenkreis – wer Arbeitgeber ist, bestimmt sich mittelbar danach, ob Arbeitnehmer beschäftigt werden.174 Dabei können im Zusammenhang mit Leiharbeit und bei Betriebsübergängen Anwendungsprobleme entstehen.175 Davon abgesehen entscheidet aber der Arbeitnehmerbegriff, wer als Arbeitgeber einzuordnen ist, sodass hier spiegelbildliches zur oben genannten Definition des persönlichen Anwendungsbereichs gilt. Von Bedeutung ist, dass die Mitgliedsstaaten den Normadressatenkreis bei ABRL und EZRL nicht über das Arbeitsrecht hinaus ausdehnen müssen.176 169

Erwägungsgrund 8 ABRL. Erwägungsgrund 17 EZRL. 171 Kommission, Vorschlag v. 26. 04. 2017, COM(2017) 253 final, S. 7. 172 Gleichstellungsausschuss, Stellungnahme v. 30. 05. 2018, 2017/0085(COD), S. 25. 173 Rat, Interinstitutionelles Dossier v. 29. 05. 2019, 2017/0085(COD), S. 3. 174 MüKo/Spinner, BGB, § 611a Rn. 148; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 202, jeweils m. w. N. 175 Dazu Willemsen, NJW 2011, 1546, 1546 f. 176 Eingehend zu den Ausnahmeoptionen der Mitgliedsstaaten, die es gestatten bestimmte Personengruppen vom persönlichen Anwendungsbereich der ABRL auszuschließen Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 8 ff. 170

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III. Sachlicher Anwendungsbereich und deutsche Schutzvorschriften Der sachliche Anwendungsbereich richtet sich nach den in den Richtlinien zugesicherten Rechten, deren Ausübung abgesichert werden soll. Eine vollumfängliche Untersuchung der in ABRL und EZRL enthaltenen Arbeitnehmerrechte würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Dennoch bedarf es zur Feststellung der Reichweite des sekundärrechtlichen Maßregelungsschutzes und den einschlägigen Maßregelungsverboten im deutschen Recht zumindest einer überblicksartigen Darstellung. 1. Rechte aus der ABRL a) Erweiterung der Nachweispflichten Die ABRL übernimmt die Grundstruktur des Art. 2 der Nachweisrichtlinie in Art. 4.177 Der Katalog wird, begrifflich an Art. 1 ABRL angepasst, übernommen und in Art. 4 ABRL um neue Informationspflichten ergänzt. § 2 NachwG war entsprechend zu erweitern.178 In einigen Punkten weicht die neue Richtlinie nicht oder nur semantisch von der Nachweisrichtlinie ab.179 Dies gilt insbesondere für Art. 4 Abs. 2 lit. a – e, i, k, n ABRL.180 Neu hinzugekommen sind unter anderem eine Pflicht zur Information über Dauer und Bedingungen der Probezeit (Art. 4 Abs. 2 lit. g ABRL), Fortbildungsangebote (lit. h). Einzelne neue Informationsgegenstände treten durch ihre Unbestimmtheit als besonders problematisch hervor: Insbesondere die Information über das „bei der Kündigung einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen“ (Art. 4 Abs. 2 lit. j ABRL) lässt offen, wie weit die Informationspflicht reicht.181 Zusätzlich zur inhaltlichen Ausweitung, die auch die Informationen für Leiharbeitnehmer betrifft, wird auch der zeitliche Rahmen für die Nachweiserteilung nach Art. 5 ABRL verengt.182 177 Kritisch zum Regelungsansatz und der Verwendung einer Generalklausel Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1017. 178 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 356; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1168; Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1010 f. 179 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 4 Rn. 9; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 356. 180 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, RL (EU) 2019/1152, Art. 4 Rn. 10 ff.; Preis/ Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 356. 181 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 351, 356; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162; eingehend Rolfs, ZfA 2021, 283, 297 ff.; Rolfs/Schmid, NZA 2022, 945, 947; zur Umsetzung in § 2 Nr. 14 NachwG: Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2298 f.; kritisch auch Serth, MDR 2022, 921, 926 (Rn. 48); dazu, sowie zu weiteren Problemfällen Falter/Bissels/Meißner, DB 2022, 2217, 2218 ff. 182 Ausführlich zu den Modalitäten der Nachweiserteilung Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1019.

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Zum 1. August 2022 sind weite Teile des „Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts“ in Kraft getreten.183 Der Gesetzgeber hat die Nachweispflichten im NachwG, BBiG, SeeArbG, § 11 AÜG an die sachlichen, zeitlichen und formellen Vorgaben der Richtlinie angepasst. Dabei ist nicht eindeutig geklärt, ob der Gesetzgeber in jedem Punkt den Vorgaben der Richtlinie genügt.184 Zur flächendeckenden Umsetzung der neuen Nachweispflichten zieht der Gesetzgeber im Übrigen die für den „Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze“ bei speziellen bundesrechtlich geregelten Berufsausbildungen gewissermaßen vor die Klammer: Die Aufnahme von Verweisen im NotSanG, PTA-Gesetz und Anästhesietechnische- und Operationstechnische-Assistenten-Gesetzes dient nicht nur der Klarstellung einer ohnehin schon bestehenden Rechtslage, sondern auch der transparenten Richtlinienumsetzung. b) Materielle Mindestanforderungen Die materiell-rechtlichen Mindestvorgaben stellen neben den Unterrichtungspflichten die gänzlich neue, zweite Säule der ABRL dar. Sie betreffen weitgehend den Bereich des allgemeinen Arbeitsvertragsrechts. Allgemein verhält sich die Intensität des in Deutschland bereits bestehenden Arbeitnehmerschutzes dabei umgekehrt proportional zum Umsetzungsbedarf.185 aa) Mehrfachbeschäftigung Auf Unionsebene wird mit Art. 9 ABRL erstmals ein Rechtsrahmen für Erlaubnisvorbehalte für Nebentätigkeiten geschaffen.186 Im deutschen Arbeitsrecht ist die Freiheit des Arbeitnehmers zur Aufnahme von Nebentätigkeiten gegenüber dem Arbeitgeber geschützt, eine Einschränkung kommt aber bei Kollisionen mit der Arbeitspflicht, also aus berechtigten Gründen, in Betracht.187 Auch in AGB ist ein generelles Nebentätigkeitsverbot in ständiger Rechtsprechung unwirksam – nur wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat, kommt dieses in Betracht

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BGBl. I, S. 1174; BTDrucks. 20/1636; kritisch insbesondere bzgl. der rigiden Schriftform für die Nachweiserteilung, die hätte geändert werden können, etwa Gaul/Pitzer/Pionteck, DB 2022, 1833, 1834; Kolbe, EuZA 2023, 3, 15; vgl. Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2299 (Rn. 14). 184 Dies gilt insbesondere für § 2 Nr. 14 NachwG n. F., dazu Lentz, ArbRB 2022, 308, 309 f.; May, BB 2022, 2232, 2233. 185 Henssler/Pant, RdA 2019, 321, 331. 186 Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 372. 187 BAG, Urt. v. 18. 01. 1996 – 6 AZR 314/95, NZA 1997, 41, 42; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 829 f.

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(beschränktes Nebentätigkeitsverbot).188 Zustimmungsvorbehalte sind hingegen zulässig, aber nur, weil der Arbeitgeber aufgrund der Vorgaben des ArbZG ein berechtigtes Interesse an den Nebentätigkeiten des Arbeitnehmers hat.189 Der Schutz des Arbeitnehmers vor Nebentätigkeitsverboten ohne berechtigten Grund wird direkt aus seinen Grundrechten (Art. 12 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG) abgeleitet,190 und weitgehend über die Inhaltskontrolle des § 307 Abs. 1 BGB, geprägt von der grundrechtlichen Wertung, realisiert.191 Europäisches Gegenstück ist Art. 15 GRCh.192 Tritt der Arbeitnehmer in Wettbewerb zum Arbeitgeber ist ein Verbot in Übertragung der Wertung des § 60 HGB über die arbeitsvertragliche Treuepflicht grundsätzlich zulässig.193 Dass eine Kodifikation der Grundsätze über Nebentätigkeitsverbote zur Rechtssicherheit und Transparenz beitragen würde,194 ist nicht zwingend, da sie in der von der Richtlinie vorgesehenen Form im nationalen Recht bereits fest und hinreichend klar verankert sind.195 Dieser Auffassung war offenbar auch der deutsche Gesetzgeber, der keine Veranlassung gesehen hat, eine explizite gesetzliche Regelung zu dieser Frage zu treffen. bb) Probezeit Inspiriert von der ESSR, die eine angemessene Dauer von Probezeiten befürwortet,196 hat der europäische Gesetzgeber mit den in Art. 8 ABRL niedergelegten Mindestvorgaben neues Terrain betreten. Art. 8 erfasst im deutschen Recht die Probezeit, Erprobungsbefristung und Wartezeit – eine Differenzierung, die das Unionsrecht gar nicht erst vornimmt.197 Zentrale Elemente der Regelung sind die Festlegung einer Höchstdauer der Probezeit auf sechs Monate (Abs. 1), sowie eine Verhältnismäßigkeitskontrolle für Probezeitvereinbarungen bei befristeten Arbeitsverhältnissen (Abs. 2 S. 1). (1) Probezeit bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen Ausgangspunkt der Regulierung bildet § 622 Abs. 3 BGB, der die verkürzte Kündigungsfrist von zwei Wochen nur innerhalb der ersten sechs Monate zulässt. 188

Schaub/Linck, § 42 Rn. 10. BAG, Urt. v. 11. 12. 2001 – 9 AZR 464/00, NZA 2002, 965, 967. 190 MüHB-ArbR/Reichold, § 55 Rn. 59; ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 829. 191 ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 833. 192 Picker, ZEuP 2020, 305, 329; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 411. 193 ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 825. 194 Maul-Sartori, NZA 2020, 1161, 1167; Rolfs, ZfA 2021, 283, 308 f. 195 Daher gegen einen Umsetzungsbedarf Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412; Picker, ZEuP 2020, 305, 329; wohl auch Kreßel, ZfA 2021, 312, 329, der dennoch eine für eine klare Regelung durch den Gesetzgeber plädiert; vgl. auch Kolbe, EuZA 2023, 3, 20. 196 Grundsatz 5 lit. d) ESSR. 197 Maul-Sartori, AuR 2020, 203, 210; zu einem unionsrechtlichen Verständnis des Begriffs der Probezeit May, BB 2022, 2232, 2234. 189

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Unmittelbar keine Auswirkungen auf die Probezeit hat § 1 Abs. 1 KSchG. Die Anwendbarkeit der Kündigungsschutzvorschriften ist von einer etwaigen Probezeitvereinbarung unabhängig.198 In der Formulierung des § 622 Abs. 3 BGB wird zum Teil bereits eine zeitliche Höchstgrenze für wirksame Probezeitvereinbarungen gesehen.199 Dafür lässt sich der Wortlaut anführen, der eine zeitliche Höchstgrenze statuiert, wenn sich der eingeschobene Nebensatz „längstens für die Dauer von sechs Monaten“ auf den ersten Hs. bezieht. Dagegen spricht, dass die Norm (wie aus der amtlichen Überschrift erkennbar) nur eine zeitliche Begrenzung der für den Arbeitgeber günstigen Kündigungsmöglichkeit darstellt und die Länge der Probezeitdauer selbst nicht reguliert.200 Die Wendung „längstens für die Dauer von sechs Monaten“ beziehe sich auf die verkürzte Kündigungsfrist.201 Die praktischen Auswirkungen der Rechtsfrage sind wohl überschaubar. Die verkürzte Kündigungsfrist realisiert bereits den Kern des Erprobungszwecks.202 Damit ist sichergestellt, dass für den Arbeitnehmer nach Ablauf der sechs Monate keinerlei negative Folgen aus einer Probezeitvereinbarung erwachsen können. § 622 Abs. 3 BGB entspricht dem Standard der Richtlinie,203 hätte aber neu gefasst werden können, um die zeitliche Begrenzung auf sechs Monate transparent zum Ausdruck zu bringen.204 Der deutsche Gesetzgeber hielt die Regelung für ausreichend.205 Eine längere Probezeit ist – wie der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 28 selbst zum Ausdruck bringt, bei Leitungs- und Führungskräften möglich, was die faktische Lage in der deutschen Arbeitsrechtspraxis wiederspiegelt.206 Den Mitgliedsstaaten stehen also außer der Festlegung einer klaren Höchstdauer von sechs Monaten im Regelfall, weitere Gestaltungsoptionen offen. (2) Probezeit und Befristung Art. 8 Abs. 2 ABRL betrifft das befristete Arbeitsverhältnis mit vorgeschalteter Probezeit, nicht etwa die Befristung zur Erprobung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG,207 wobei zum Teil bei letzterer Vorschrift eine Notwendigkeit zur richtli198

Oberthür, ArbRB 2019, 317. Etwa Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1167; Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369, 37; vgl. Rolfs, ZfA 2021, 283, 307. 200 ErfK/Müller-Glöge, BGB, § 622 Rn. 14; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 410; Stiegler, DB 2020, 2577, 2580 m. w. N. zum Meinungsstand im Schrifttum. 201 Stiegler, ArbRAktuell 2020, 157, 158. 202 Stiegler, DB 2020, 2577, 2578. 203 Einen Umsetzungsbedarf völlig verneinend Maul-Sartori, NZA 2020, 1161, 1167; wohl auch APS/Linck, BGB, § 622 Rn. 65; Bayreuther, NZA 2022, 951, 954; gegen eine Anpassung des Wortlauts aber für richtlinienkonforme Auslegung Stiegler, DB 2020, 2577, 2579. 204 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 410. 205 BTDrucks. 20/1636, S. 34. 206 Niedostadek, AuA 2021, 20, 22. 207 Picker, ZEuP 2020, 305, 328; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 410. 199

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nienkonformen Auslegung gesehen wird.208 Die Richtlinie fordert eine Angemessenheitsrelation zwischen Probezeitdauer und Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses.209 Der europäische Gesetzgeber macht deutlich, dass besonders befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten erfasst werden sollen, die eine Probezeitvereinbarung enthalten.210 Weder im TzBfG noch in § 622 Abs. 3 BGB war vor Umsetzung der Richtlinie eine flexible Angemessenheitsprüfung der Probezeitdauer im Verhältnis zur Gesamtdauer und Art der Tätigkeit vorgesehen. Die Vereinbarung einer Probezeit bei einem anderweitig befristeten Vertrag ist eine zulässige Gestaltung.211 Eine Probezeitabrede in einem ohnehin befristeten Vertrag war dergestalt auszulegen, dass im Einklang mit § 15 Abs. 3 TzBfG a. F. eine Kündigungsregelung nach den gesetzlichen Vorgaben (also § 622 Abs. 3 BGB) vereinbart wurde.212 Einer zweckorientierten Angemessenheitsprüfung der Probezeitdauer213 hat das BAG allerdings eine klare Absage erteilt – auch bei befristeten Arbeitsverträgen gilt demnach die Grenze des § 622 Abs. 3 BGB,214 der keinerlei Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Dauer der Probezeit enthält. Für das BAG kommt wegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB keine AGBrechtliche Angemessenheitsprüfung in Betracht, wenn sich die Probezeit im Rahmen der Sechs-Monats-Grenze hält.215 Obwohl das BAG davon abgekommen ist, keinerlei Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen,216 genügt der Satz, dass die gesetzliche Höchstdauer nie unangemessen ist, nicht den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 S. 1 ABRL. Denn die Verhältnismäßigkeitsprüfung findet nur nominell statt. In Wahrheit wird ein starres Zeitkriterium angewandt. Wenig überraschend besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass ein Angemessenheitskriterium für das Verhältnis von Probezeitdauer und Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses einzuführen war.217 Dem ist der Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 TzBfG nachgekommen. Dabei wurde das einzuhaltende Verhältnis misslicherweise nicht näher konkretisiert, weswegen der Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung nicht vollständig ausge208 Stiegler, DB 2020, 2577, 2580; vgl. auch Bader, NZA-RR 2022, 113, 117; sowie Kreßel, ZfA 2021, 312, 328; vgl. zudem umfassend zur Einordnung der Erprobungsbefristung aus unionsrechtlicher Sicht Maul-Sartori, AuR 2020, 203, 206 f. 209 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 411; Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 41. 210 Erwägungsgrund 28 ABRL. 211 BAG, Urt. v. 04. 07. 2001 – 2 AZR 88/00, NJOZ 2002, 596, 599; BAG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521, 522; Staudinger/Temming, BGB, § 622 Rn. 39. 212 BAG, Urt. v. 04. 07. 2001 – 2 AZR 88/00, NJOZ 2002, 596, 598; so auch Blomeyer, NJW 2008, 2812, 2816. 213 KR/Spilger, BGB, § 622 Rn. 181; LAG Hamm, Urt. v. 13. 06. 2007, 3 Sa 514/07, BeckRS 2007, 46406, Rn. 84. 214 BAG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521, 522. 215 BAG, Urt. v. 24. 01. 2008 – 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521, 523. 216 Vgl. BAG, Urt. v. 12. 02. 2015 – 6 AZR 831/13, NZA 2015, 737, 739 ff. 217 Maul-Sartori, NZA 2020, 1161, 1167; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 411; Stiegler, DB 2020, 2577, 2579; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 72; eher für richtlinienkonforme Auslegung Picker, ZEuP 2020, 305, 328.

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schöpft wurde.218 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Vorgaben des Art. 12 ABRL in §§ 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, 18 Abs. 2 TzBfG umgesetzt. Der Arbeitnehmer hat nach sechs Monaten in einem befristeten Arbeitsverhältnis das Recht, einen Wunsch nach unbefristeter Beschäftigung zu äußern und auf diese Anfrage eine Antwort in Textform zu erhalten.219 (3) Folgeänderungsbedarf bei der Wartezeit nach § 1 KSchG Neben § 622 Abs. 3 BGB wird die maximale Probezeitdauer von sechs Monaten jedenfalls in Betrieben mit regelmäßig mehr als zehn Mitarbeitern faktisch auch durch § 1 Abs. 1 KSchG sichergestellt.220 Hier offenbart sich eine Schwierigkeit bei der Integration der ABRL ins deutsche Recht: Auf Kleinbetriebsklauseln nimmt die ABRL keinerlei Rücksicht.221 Ob die Wartezeitregelung des § 1 Abs. 1 KSchG von Art. 8 ABRL tangiert wird,222 wirkt sich aber kaum auf den Umsetzungsbedarf aus, weil zwischen § 622 Abs. 3 BGB und der Wartezeit nach § 1 KSchG zeitlicher Gleichlauf besteht.223 Es besteht auch funktioneller Gleichlauf.224 Wartezeit und Probezeit können jedoch aus diversen Gründen unterschiedlich lang sein.225 Ohne eine Anpassung der Wartezeit entsteht in Fällen des befristeten Arbeitsvertrages, in dem die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung vereinbart ist, durch das spätere Eingreifen des KSchG aber in der Tat eine wertungsmäßige Unstimmigkeit bei einer kürzeren Probezeit. Die sechsmonatige Dauer der Probezeit trägt den Parteiinteressen gerade deswegen Rechnung, weil ohnehin noch kein allgemeiner Kündigungsschutz eingreift.226 Die Richtlinie enthält keine präzisen Vorgaben zur Synchronisation der Zeiten.227 Die zur statischen Sechs-Monats-Frist parallellaufende Wartezeit des KSchG sollte daher der Verhältnismäßigkeitsgrenze angepasst werden, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.228 Art. 8 ABRL sieht auch Möglichkeiten 218 Kritisch insofern auch Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 24); Serth, MDR 2022, 921, 926 (Rn. 49). 219 Zu den Rechtsfolgen bei Nichterfüllung durch den Arbeitgeber Bayreuther, NZA 2022, 951, 954 f. 220 Vergleichbares gilt auch für § 173 SGB IX Maul-Sartori, AuR 2020, 203, 209. 221 Kreßel, ZfA 2021, 312, 316. 222 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 410; Picker, ZEuP 2020, 305, 327; Stiegler, BB 2020, 2617; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 71; anders, aber differenzierend, je nach dem, ob ein „spezifischer Erprobungszweck“ im Vordergrund stehe Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 38. 223 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 410; in diese Richtung auch Oberthür, ArbRB 2019, 317, 320; Bayreuther, NZA 2022, 951, 954. 224 Maul-Sartori, AuR 2020, 203, 208 f. 225 Staudinger/Temming, BGB, § 622 Rn. 39a. 226 Staudinger/Temming, BGB, § 622 Rn. 36. 227 Rolfs, ZfA 2021, 283, 308. 228 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 411; so im Ergebnis auch Picker, ZEuP 2020, 305, 328; Oberthür, ArbRB 2019, 317, 320; Stiegler, BB 2020, 2617, 2618; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 71.

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vor, die Probezeiten zu verlängern, jedoch war nicht davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber diese umsetzt.229 Da dies nicht mit einem höheren Mindestschutzstandard verbunden ist, ist er dazu nicht verpflichtet. cc) Regulierung flexibler Arbeitszeiten Ein Kernanliegen des europäischen Gesetzgebers ist die Schaffung eines Rechtsrahmens für Arbeitnehmer, die unter atypischen Beschäftigungsbedingungen tätig sind.230 Die Richtlinie legt einen Schwerpunkt auf die Regulierung nicht vorhandener, unregelmäßiger oder unklarer Festlegung der Arbeitszeiten. In der Terminologie der Richtlinie (Art. 2 ABRL) geht es also um unvorhersehbare Arbeitsmuster (nach Art. 2 lit. c ABRL die Organisationsform der Arbeitszeit nach einem vom Arbeitgeber festgelegten Schema). (1) Planbarkeitssicherung bei Abrufarbeit Nach Art. 4 Abs. 2 lit. m ABRL in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 lit. a ABRL sind vorab Referenzstunden und Referenztage, also Zeitfenster (Art. 2 lit. b ABRL) zu bestimmen, innerhalb derer der Arbeitgeber auf die Arbeitskraft seines Vertragspartners zugreifen kann. Die Festlegung der Arbeitszeiten muss innerhalb eines bestimmten zeitlichen Referenzrahmens erfolgen. Demgegenüber bezog sich der Ansatz des § 12 TzBfG a. F. auf die Dauer der Arbeitszeit pro Woche/Tag, also eher die Einkommensplanbarkeit. Mit § 12 Abs. 3 ABRL a. F. war lediglich eine angemessene Ankündigungsfrist im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit. b ABRL bereits vorgesehen. Eine Verpflichtung zur Vorab-Festlegung der Tage, an denen ein Abruf erfolgen muss, enthielt das deutsche Recht allerdings nicht. Nach deutschem Recht war folglich nicht sichergestellt, dass der Arbeitnehmer nur an vorab bestimmten, festgelegten Tagen abgerufen werden kann – es bleibt somit hinter dem Schutzstandard der Richtlinie zurück, weswegen zumindest der Transparenz halber Umsetzungsbedarf bestand.231 Der nun in § 12 Abs. 3 S. 1 TzBfG ergänzte Zeitrahmen für den Abruf durch Referenzstunden kann durch Arbeitsvertrag genauer geregelt werden – insofern greifen die materielle Mindestanforderung die Nachweispflicht nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 NachwG ineinander.232 Eine Abkehr von der Fiktion einer Mindestwochenarbeitszeit und den ergänzenden Regelungen in § 12 TzBfG fordert die Richtlinie nicht, da es den Mitgliedsstaaten nach Art. 20 ABRL freisteht, einen höheren Arbeitnehmerschutzstandard zu gewährleisten. Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ABRL sieht vor, dass der Arbeitnehmer Arbeitsaufträge ablehnen kann, wenn sie nicht innerhalb des vorher festgelegten Zeitkorridors stattfinden sollen oder nicht rechtzeitig angekündigt wurden. Art. 10 Abs. 1 229

Stiegler, DB 2020, 2577, 2582. Erwägungsgründe 4, 12, 30 – 36 ABRL. 231 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412. 232 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 24c.

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lit. b ABRL verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Einführung einer angemessenen Ankündigungsfrist, ohne näher zu spezifizieren, was angemessen ist. Bei Nichteinhaltung der Mindestankündigungsfrist des § 12 Abs. 3 TzBfG steht dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht zu.233 Da bei vier Tagen wenig Zweifel bestehen, dass der „angemessene Schutz der Arbeitnehmer“234 sichergestellt ist, hatte das deutsche Recht im Grunde bereits ein Ablehnungsrecht, wie es die Richtlinie erfordert.235 Es wurde aber nur bei Verletzung der Ankündigungsfrist ausgelöst. § 12 Abs. 3 TzBfG a. F. war zumindest wegen der Pflicht zur transparenten Umsetzung dahingehend zu ändern, dass auch die Arbeitsaufforderung außerhalb des vorher festgelegten Zeitrahmens den Arbeitnehmer zur Verweigerung der Arbeitsleistung berechtigt.236 Die Festlegung dieses klaren Leistungsverweigerungsrechts ist zu begrüßen. Allerdings bleiben – wie vor der Umsetzung – in § 12 TzBfG noch einige Fragen offen. Nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 ABRL kann der Arbeitnehmer den nicht rechtzeitigen Abruf „ohne Nachteile“ ablehnen. Die Reichweite dieses Rechts ist in den Fällen des „fehlerhaften Arbeitsabrufs“ unklar. Bei einer weiten Interpretation müsste eine Vergütungspflicht für abgelehnte Arbeitsaufträge eingeführt werden.237 Kolbe befürwortet im Ergebnis eine weite Auslegung, die zu einer Zahlungspflicht des Arbeitgebers führt.238 Dagegen spricht jedoch, dass die Erwägungsgründe den Begriff „ohne Nachteile“ eher in einem Maßregelungskontext verwenden und dass eine solche Interpretation die Norm in die Nähe einer kompetenzwidrigen Entgeltregulierung rückt, was kaum gewollt sein kann.239 Eine weitere Ergänzung stellt die Entschädigungsverpflichtung des Arbeitgebers nach Art. 10 Abs. 3 ABRL dar, die eingreift, wenn er einen zuvor ordnungsgemäß vereinbarten Arbeitsauftrag kurzfristig widerruft. Auch hier wird nicht genauer definiert, welche Widerrufsfrist angemessen ist, sodass auch unterschiedliche Fristen für verschiedene Branchen denkbar wären.240 Es stellt sich daher die Folgefrage, ob sichergestellt ist, dass der Arbeitnehmer im Falle des Widerrufs „durch eine angemessene Entschädigung vor Einkommenseinbußen (…) geschützt“241 ist. Der Inhalt des Kompensationsanspruchs ist nicht näher geregelt.242 Der Unionsgesetzgeber hat 233 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 29; BeckOK-ArbR/Bayreuther, TzBfG, § 12 Rn. 17; Teubert/Mika, BB 2022, 2484, 2287. 234 Erwägungsgrund 32 ABRL. 235 Maul-Sartori, NZA 2020, 1161, 1167; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412. 236 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412. 237 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412. 238 Kolbe, EuZA 2020, 35, 39. 239 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 413; zustimmend Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 49. 240 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 10 Rn. 2. 241 Erwägungsgrund 35 ABRL. 242 Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1027.

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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nicht festgelegt, dass eine volle Kompensation gewährt werden muss.243 Die Pflicht zur Einführung eines Entschädigungsanspruchs greift nur, wenn nach mitgliedsstaatlichem Recht ein entschädigungsloser Widerruf des Abrufs überhaupt möglich ist. Im deutschen Recht kann der einzelne Abruf kraft Direktionsrecht des Arbeitgebers (§ 106 S. 1 GewO) in Grenzen der Billigkeit rückgängig gemacht werden.244 Das Weisungsrecht bietet dem Arbeitgeber eine grundsätzlich flexible einseitige Leistungsbestimmungsmöglichkeit.245 Dafür spricht nicht zuletzt die ausdrückliche Aufnahme des „billigen Ermessens“ in den Normtext, was die ergänzende Anwendung des ansonsten einschlägigen § 315 BGB entbehrlich macht246. Daher entfällt bei der Annahme, dass sich das Weisungsrecht nach einem Abruf diesbezüglich selbst aufbrauche,247 die dogmatische Begründung, nicht umgekehrt. Widerruft der Arbeitgeber verspätet, ist der Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum zur Leistungserbringung berechtigt – gewährt der Arbeitgeber keine Gelegenheit zur Vertragserfüllung, ist er im Annahmeverzug und muss den abgerufenen Zeitraum nach § 615 S. 1 BGB vergüten. Damit stünde den Arbeitnehmern jedenfalls eine Entschädigung in Gestalt des zu zahlenden Entgelts zu, was dem Schutzstandard des Art. 10 Abs. 3 ABRL genügt. Innerhalb der Vier-Tages-Frist lässt sich ein Entschädigungsanspruch aus § 615 S. 1 BGB herleiten, für einen Widerruf des Abrufs im Vorfeld der vier Tage kennt das deutsche Recht aber keine Kompensationsnorm, die geschaffen werden muss.248 Wünschenswert und erforderlich wäre noch eine gesetzgeberische Klarstellung der Frage gewesen, ob § 12 TzBfG auch für Vollzeitarbeitsverhältnisse gilt.249 Dies ist unionsrechtlich geboten und daher bis auf weiteres durch entsprechende Anwendung der Vorschrift, bzw. richtlinienkonforme Auslegung der §§ 315, 307 Abs. 1 BGB sicherzustellen.250

243

Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 52. ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 28; MüKo/Müller-Glöge, TzBfG, § 12 Rn. 26; zustimmend i. E. mit Blick auf die Neufassung des § 12 TzBfG stellvertretend Teubert/Mika, BB 2022, 2484, 2286. 245 ErfK/Preis, GewO, § 106 Rn. 1; vgl. auch BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452, 1460 (Rn. 70 f.). 246 BeckOGK/Maschmann, GewO, § 106 Rn. 31, Stand 01. 03. 2023. 247 MüHB-ArbR/Schüren, § 45 Rn. 34; MHH/Heyn, TzBfG, § 12 Rn. 39. 248 Mit Vorschlag, 25 % des Lohnes als Entschädigung einzuführen Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 413; vgl. zur Frage der Entschädigung Kolbe, EuZA 2023, 3, 19. 249 Dazu Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 412; Rolfs, ZfA 2021, 283, 309; vgl. Bayreuther, NZA 2022, 951, 952; May, BB 2022, 2232, 2234 f. 250 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 31a. 244

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

(2) Planbarkeitssicherung bei Null-Stunden-Verträgen Art. 11 ABRL dient besonders zur Verhinderung des Missbrauchs von NullStunden-Verträgen.251 Null-Stunden-Verträge stellen für den Unionsgesetzgeber eine Unterform des Arbeitsvertrages dar,252 was der deutschen Rechtslage entspricht.253 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung254 werden Null-Stunden-Arbeitsverträge im deutschen Recht als Form der Abrufarbeit eingeordnet, weil sich aus § 12 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 TzBfG ergibt, dass Abrufverträge grundsätzlich wirksam sind, wenn sie keine Abrede über die zu leistenden Stunden treffen – andernfalls wären die Normen gegenstandslos.255 Das BAG wendet die Fiktion einer Wochenarbeitszeit an,256 auf eine Prüfung der Null-Stunden-Abrede anhand des § 307 BGB hat es verzichtet.257 In § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG tritt der Wille des Gesetzgebers, Mindestbeschäftigungszeiten festzusetzen, klar hervor,258 die Norm erreicht aber nicht die Regelungsintensität eines Verbots von Zeitvereinbarungen unterhalb der 20 Stunden.259 Auch § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG fordert keine ausdrückliche Vereinbarung der Arbeitszeit, sofern auch keine konkludente Vereinbarung getroffen wurde ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung auf die Durchschnittszeit der bisher geleisteten Arbeit abzustellen; diese Arbeitszeit gilt als vereinbart, was zur Konsequenz hat, dass § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG praktisch kaum ein Anwendungsbereich verbleibt.260 Im Effekt ist damit die durchschnittliche Arbeitszeit in der Vergangenheit vereinbart, was dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers hinreichend Rechnung trägt – die pauschale der Fiktion würde diesen sonst zuwider laufen.261 Die Elemente des Art. 11 lit. b ABRL sind in unterschiedlicher Wirkungsform bereits im deutschen Arbeitsrecht vorhanden, sodass kein Umsetzungsbedarf bestand.262 Eine Umsetzung der Vorgaben des Art. 10 ABRL in § 12 TzBfG ist im gegenwärtigen Zustand des deutschen Arbeitsrechts passend – aller-

251

Erwägungsgründe 12 und 35 ABRL. Erwägungsgrund 35 ABRL. 253 Abzugrenzen sind lediglich sog. Null-Stunden-Rahmenvereinbarungen, die ein Ablehnungsrecht des Vertragspartners enthalten und also keine Arbeitsverträge sind, zum Ganzen Forst, NZA 2014, 998, 1001. 254 MüHB-ArbR/Reichold, § 40 Rn. 83 unter Verweis auf eine ältere Entscheidung des BAG, Urt. v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423. 255 Forst, NZA 2014, 998, 1002; Bieder, RdA 2015, 388, 392; vgl. BAG, Urt. v. 24. 09. 2014, 5 AZR 1024/12, NZA 2014, 1328, 1329. 256 BAG, Urt. v. 24. 09. 2014, 5 AZR 1024/12, NZA 2014, 1328, 1329. 257 Preis, RdA 2015, 244, 247. 258 Bieder, RdA 2015, 388, 393. 259 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 15. 260 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 16; Preis, RdA 2015, 244, 247. 261 ErfK/Preis, TzBfG, § 12 Rn. 16. 262 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 414; Picker, ZEuP 2020, 305, 331; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1167 f. 252

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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dings schließen sich dadurch einige durch den Unionsgesetzgeber offengelassene Gestaltungsspielräume für Abrufarbeit.263 dd) Fortbildungskosten Flankiert von einer Unterrichtungspflicht über Fortbildungsangebote (Art. 4 Abs. 2 lit. h ABRL) betritt der europäische Gesetzgeber auch in Art. 13 ABRL Neuland. Es handelt sich um eine materiell-rechtliche Mindestvorgabe, dass Fortbildungen der Arbeitszeit angerechnet werden, für den Arbeitnehmer kostenlos sein müssen und idealerweise während der Arbeitszeiten stattfinden, sofern der Arbeitgeber die Fortbildung kraft Gesetzes oder Kollektivvereinbarung abhalten muss. Nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers besteht gerade in atypischen Arbeitsverhältnissen das Risiko missbräuchlicher Praktiken im Zusammenhang mit Fortbildungen.264 Nach § 5 Abs. 3 S. 3 ASiG trägt die Fortbildungskosten der Arbeitgeber, § 3 Abs. 3 ASiG dehnt dies auf nach dem Gesetz erforderliche Kosten aus. Art. 13 ABRL spezifiziert nicht, wer genau am Ende die Kosten tragen muss.265 Weil es nach § 5 Abs. 3 S. 3 ASiG nicht der Arbeitnehmer ist, handelt es sich um eine Bestimmung im Einklang mit Art. 13 ABRL.266 Ferner setzt die materielle Mindestarbeitsbedingung im deutschen Recht wohl auch der vertraglichen Abwälzung von (Pflicht)Fortbildungskosten auf den Arbeitnehmer Grenzen.267 Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine Aufnahme einer Regelung in § 111 GewO und § 32a SeeArbG entschieden. Da Pflichtfortbildungen ohnehin die Ausnahme sind, ist die praktische Relevanz dieser Mindestarbeitsbedingung in Deutschland überschaubar.268 c) Einschlägige Maßregelungsschutzvorschriften Die Mindestvorgaben der Richtlinie über Mehrfachbeschäftigung sind zum Teil über Verfassungsgrundsätze und die richterrechtliche Ausfüllung von Generalklauseln im deutschen Recht verankert, ohne dass sie einen speziellen gesetzlichen Anknüpfungspunkt hätten. Darüber hinaus enthalten die diversen Spezialgesetze, die im Zuge der Umsetzung der ABRL angepasst wurden, keine eigenen Maßregelungsverbote, mit Ausnahme des TzBfG. Der Maßregelungsschutz kommt im TzBfG in zwei verschiedenen Normen zum Ausdruck, die jeweils unterschiedliche Teilbereiche regeln. Eine § 612a BGB nachgebildete Vorschrift enthält § 5 TzBfG, der den Arbeitnehmer generell vor 263

Kreßel, ZfA 2021, 312, 333. Erwägungsgrund 37 ABRL. 265 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 13 Rn. 1. 266 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 414. 267 Ebenda. 268 Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2300 (Rn. 22). 264

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

Repressalien aufgrund der Wahrnehmung von Rechten aus dem TzBfG schützt. Nach überwiegender Meinung stimmt der Regelungsgehalt mit § 612a BGB überein, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen sind identisch.269 Im Gegensatz zu § 612a BGB enthält die Vorschrift die Einschränkung auf zulässige Rechtswahrnehmung nicht – diese ist aber im Wege einer einschränkenden Auslegung auf § 5 TzBfG zu übertragen.270 Demzufolge ist auch bei § 5 TzBfG zentrales Merkmal, ob die Sanktionierung tragender Beweggrund für die Maßnahme des Arbeitgebers war.271 Als besonderes Kündigungsverbot stellt § 11 TzBfG eine weitere Ergänzung des allgemeinen Maßregelungsschutzes dar. Die Vorschrift konkretisiert die §§ 5 TzBfG, 612a BGB und wird als besonderes Maßregelungsverbot mit einem eingeschränkten Tatbestand eingeordnet,272 das nur Kündigungen für den Fall untersagt, in dem sich der Arbeitnehmer weigert von Voll- zu Teilzeit und umgekehrt zu wechseln.273 Auch hier besteht eine Parallele zu den Voraussetzungen des § 612a BGB, weil es auf Seiten des Arbeitgebers bei der Kündigung darauf ankommt, was tragender Beweggrund war.274 Insofern kann für den Maßregelungsschutz im TzBfG auf das zu § 612a BGB Gesagte verwiesen werden, der den zentralen Anknüpfungspunkt für den Abgleich mit den Viktimisierungsverboten und Beweiserleichterungen bildet. 2. Rechte aus der EZRL In inhaltlicher Hinsicht ist zunächst bemerkenswert, dass die EZRL deutlich über die Vorgängerrichtlinie275 hinaus geht und neben der eigentlichen Elternzeit auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im weiteren Sinne in den Blick nimmt.276

269 ErfK/Preis, TzBfG, § 5 Rn. 1; MüKo/Müller-Glöge, TzBfG, § 5 Rn. 1; HK-TzBfG/ Joussen, TzBfG, § 5 Rn. 5; NK-ArbR/Böhm, TzBfG, § 5 Rn. 1; BeckOK-ArbR/Bayreuther, TzBfG, § 5 Rn. 1; DHSW/Ahrendt/Schmiegel, TzBfG, § 5 Rn. 1; MHH/Herms, TzBfG, § 5 Rn. 1; Benecke, NZA 2011, 481, 481 f. 270 MüKo/Müller-Glöge, TzBfG, § 5 Rn. 1; ErfK/Preis, TzBfG, § 5 Rn. 1; HK-TzBfG/ Joussen, TzBfG, § 5 Rn. 9, 12; BeckOK-ArbR/Bayreuther, TzBfG, § 5 Rn. 3; DHSW/Ahrendt/Schmiegel, TzBfG, § 5 Rn. 1. 271 DHSW/Ahrendt/Schmiegel, TzBfG, § 5 Rn. 1. 272 HK-TzBfG/Joussen, TzBfG, § 5 Rn. 1; Faulenbach, Maßregelungsverbot, S. 41; Hromadka, NJW 2001, 400, 403. 273 MHH/Herms, TzBfG, § 5 Rn. 1; NK-ArbR/Michels/Kortmann, TzBfG, § 11 Rn. 1; MüKo/Müller-Glöge, TzBfG, § 11 Rn. 1; ErfK/Preis, TzBfG, § 11 Rn. 1. 274 MüKo/Müller-Glöge, TzBfG, § 11 Rn. 1; NK-ArbR/Michels/Kortmann, TzBfG, § 11 Rn. 1. 275 Richtlinie 2010/18/EU des Rates zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG v. 08. 03. 2010, Abl. EU L 68/13. 276 EuR-Handbuch/Seifert, § 40 Rn. 94.

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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a) Überblick über die Richtlinienrechte aa) Flexible Arbeitsgestaltung Den Regelungen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung in Art. 9 EZRL bietet das deutsche Recht in den §§ 9a, 7 TzBfG immerhin einen spezialgesetzlichen Anhaltspunkt, der allerdings nicht in allen Punkten dem Mindeststandard der Richtlinie entspricht.277 Ob eine Anpassung des TzBfG überhaupt zu Umsetzung geeignet ist, wenn gleichzeitig keine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Regelungen auf Vollzeitbeschäftigte erfolgt, mag bezüglich des beschränkten persönlichen Anwendungsbereichs des TzBfG bezweifelt werden.278 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Richtlinie ein wesentlich größeres Spektrum an Flexibilisierungsmaßnahmen vorsieht, etwa auch Veränderungen des Arbeitsortes (Homeoffice).279 Die im deutschen Recht einschlägigen Regelungen für die Beantragung flexibler Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen beschränkten sich auch nicht auf das TzBfG: Vielmehr sind §§ 8, 9a TzBfG sowie die §§ 15 Abs. 5,6 BEEG, § 3 Abs. 4 PflegeZG, § 2a Abs. 2 FPflZG zu berücksichtigen, die alle gemeinsam haben, dass sie eine Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Flexibilisierung anstreben und der Arbeitnehmer nur in bestimmten Fällen einen Anspruch auf Zustimmung des Arbeitgebers hat.280 Das Ausmaß des Umsetzungsbedarfes im Hinblick auf eine Angleichung der weiteren Gesetze an § 15 Abs. 7 BEEG aufgrund der Prüf- und Beantwortungspflicht aus Art. 9 Abs. 2 EZRL wird unterschiedlich beurteilt.281 Lange vor Ablauf der Umsetzungsfrist hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in seinem Gesetzesentwurf zur Einführung eines Rechtsrahmens für mobile Arbeit (Mobile Arbeit-Gesetz – MAG) darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene Änderung der GewO dazu diene, die Vorgaben des Art. 9 i. V. m. Art. 3 lit. f) EZRL umzusetzen.282 Nachdem der ohnehin nur zur punktuellen Umsetzung geeignete Entwurf eines MAG bis auf Weiteres als gescheitert angesehen werden kann, hat die Bundesregierung (federführend: Bundesministerium für Familie) einen umfassenderen Umsetzungsvorschlag unterbreitet, der am 01. 12. 2022 vom Bundestag angenommen wurde. Mit der Einführung einer Begründungspflicht des Arbeitgebers bei Ablehnung eines Antrags auf flexible Arbeitsregelungen und der Ausdehnung der Antragsrechte des Arbeitnehmers für Pflegezeit und Familienpflegezeit auf Klein277

Klein, NZA 2021, 474, 476; Treichel, DGB-Gutachten, S. 104. Vgl. dazu Bayreuther, NZA 2022, 951, 952. 279 Wenkebach, ZESAR 2020, 234, 238. 280 Treichel, DGB-Gutachten, S. 102; zur Vereinbarkeit der Schwellenwerte der deutschen Regelungen mit der EZRL Treichel, DGB-Gutachten, S. 104 ff. 281 Gegen eine Angleichung Treichel, DGB-Gutachten, S. 103; anders Graue, ZESAR 2020, 62, 70. 282 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Entwurf eines Gesetzes zur mobilen Arbeit, Stand 14. 01. 2021, abrufbar unter https://efarbeitsrecht.net/wpcontent/uploads/2021/12/ref-mobile-arbeit_BMAS_14_01_2021.pdf (zuletzt am 30. 06. 2023). 278

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

betriebe legt der Gesetzgeber einen Schwerpunkt auf die Umsetzung der Anforderungen des Art. 9 EZRL.283 bb) Vaterschafts- und Elternurlaub Neben einer Ausweitung der bisher vorhandenen Regelungen zum Elternurlaub284 spricht die Richtlinie erstmals einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt eines Kindes zu und erweitert das Unionsrecht damit von bloßem Mutterschutz hin zum Schutz beider Elternteile.285 Der Begriff „Urlaub“ meint dabei eben keinen Urlaub im eigentlichen Sinne, sondern eine Entbindung von der Arbeitspflicht aus einem konkreten Anlass.286 Art. 4 Abs. 1 EZRL statuiert für den Vaterschaftsurlaub, dass dieser „anlässlich der Geburt“ stattfinden soll. Art. 8 EZRL ergänzt die Freistellung um eine Vergütungspflicht. Im deutschen Recht sind, wenn überhaupt, nur einzelne Elemente der unionsrechtlichen Regelung verwirklicht. Ein besonderer Freistellungsanspruch des Vaters anlässlich der Geburt des Kindes ist nur in Sondergesetzen vorgesehen – ansonsten verbleibt nur die allgemeine Bestimmung bei kurzzeitigen Verhinderungen in § 616 BGB.287 Zu bedenken ist, dass § 616 BGB nur das Schicksal der Lohnzahlungspflicht betrifft und nicht selbst einen Anspruch auf Freistellung enthält. Dieser kann sich etwa aus § 275 Abs. 3 BGB ergeben. Allerdings lässt sich bezweifeln, ob die Heranziehung allgemeiner zivilrechtlicher Vorschriften dem Gebot der transparenten Richtlinienumsetzung genügt.288 Es ist abzusehen, dass die präziseren Regelungen der Art. 4, 8 EZRL die §§ 275, 326, 616 BGB entweder im Wege der gesetzgeberischen Umsetzung oder mindestens durch richtlinienkonforme Auslegung eine Konkretisierung zur Folge haben werden.289 Der Sache lassen sich einzelne Regelungen des MuSchG zur Umsetzung der Richtlinie im geforderten Umfang auf Väter ausdehnen.290 Es besteht Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.291 Diese Umset283

VRUG, S. 7 ff. So dürfen nach Art. 5 Abs. 2 EZRL zwei Monate des viermonatigen Elternurlaubs, statt bisher nur einem, auf das andere Elternteil übertragen werden, dazu Dahm, EuZA 2020, 19, 31. 285 Dahm, EuZA 2020, 19, 21; EuR-Handbuch/Seifert, § 40 Rn. 95; Stiegler, NZA 2021, 469. 286 Janda, VSSAR 2020, 297, 323. 287 Dahm, EuZA 2020, 19, 21. 288 Verneinend Kohte, jurisPR-ArbR 11/2020, Anm. 2, unter D. 289 Sprenger, EuZA 2021, 203, 213. 290 Graue, ZESAR 2020, 62, 65; Kramer, Recht und Politik 2019, 323, 325; teilweise auch Stiegler, NZA 2021, 469, 473. 291 Stiegler, NZA 2021, 469, 473; Müller/Becker, BB 2023, 692, 697 f.; Treichel, DGBGutachten, S. 48 f.; dabei sollte auch dezidiert geregelt werden, wie lange der Vaterschaftsurlaub unter Berücksichtigung der im deutschen Recht als Grundsatz festgelegten Sechs-TageWoche ausfällt, dazu Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 10. 284

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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zungspflicht für Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt des Kindes ist im Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht berücksichtigt worden,292 sodass das VRUG die Richtlinie nicht vollständig umsetzt. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird jedoch deutlich gemacht, dass die Regierungskoalition eine Einführung eines Anspruchs auf Vaterschaftsurlaub im MuSchG in Gestalt einer zweiwöchigen Freistellung als „nächster Schritt“ geplant ist.293 cc) Freistellung aufgrund von höherer Gewalt Die Frage der Arbeitsfreistellung aufgrund höchstwichtiger privater Pflichten wird bei Art. 7 EZRL relevant, womit im deutschen Recht ebenfalls § 275 Abs. 3 BGB aufgerufen ist. Zwar wird vereinzelt bezweifelt, ob dies dem Gebot der transparenten Richtlinienumsetzung genügt.294 Dieses besagt, dass die in der Richtlinie festgelegten Rechte klar erkennbar sein müssen, sodass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf sie berufen kann,295 erfordert jedoch keine wortlautgetreue Umsetzung einer Richtlinie.296 Über § 275 BGB hinaus sichern zusätzlich § 45 SGB V mit dem Kinderkrankengeld und das Leistungsverweigerungsrecht für maximal 10 Tage in § 2 PflegeZG die Möglichkeit des Arbeitnehmers ab, bei familiären Bedarfslagen ohne größere Nachteile reagieren zu können.297 Die Bedenken hinsichtlich des Transparenzgebots schlagen nicht durch, da der deutsche Gesetzgeber bereits an mehreren Stellen präzisere Regelungen für die Verhinderung an der Arbeitsleistung aus „dringenden familiären Gründen“ getroffen hat. In Kombination mit der allgemeinen Vorschrift wird damit ein Rechtszustand geschaffen, der den Anforderungen des Art. 7 EZRL entspricht.

292 Stellvertretend Stellungnahme vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Ausschussdrucksache 20(13)32a, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/918836/fef18c7c9383 e28e0bf2e52b3213c893/20-13-32a-data.pdf (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 2. 293 BT-Ds. 20/4738, S. 11. 294 Verneinend Kohte, jurisPR-ArbR 11/2020, Anm. 2, unter D. 295 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 17); EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:1995:263, NVwZ 1996, 367, 368; in diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 23. 03. 1995 – Rs. C-365/93 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:1995:76, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas Torgau), ECLI:EU:C:2012:71, EuZW 2012, 459, 461 (Rn. 60). 296 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, AEUV, Art. 288 Rn. 120. 297 Treichel, DGB-Gutachten, S. 92.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

dd) Urlaub für pflegende Angehörige Darüber hinaus sieht Art. 6 EZRL Sonderurlaubsansprüche für pflegende Angehörige und eine Verpflichtung zur Einführung flexibler Zeitgestaltungen zur Kindererziehung vor. Die neuen Vorgaben werden als nicht weitreichend genug empfunden, unter anderem weil keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers für diese Personengruppe vorgesehen ist.298 Der Unionsgesetzgeber lässt den Mitgliedsstaaten aber die Möglichkeit, eine solche einzuführen.299 Jedenfalls besteht für die Regelungen für pflegende Angehörige kein Umsetzungsbedarf im deutschen Recht, da es bereits über den Mindestschutzstandard hinausgeht.300 b) Sonderkündigungsschutz im deutschen Recht Besonders relevant für die in der EZRL festgelegten Rechte ist vor allem auf das Bundeselterngeldgesetz. § 18 BEEG sieht einen Sonderkündigungsschutz für Personen vor, die Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 18 Abs. 1 S. 1 BEEG) oder in Anspruch genommen haben (§ 18 Abs. 1 S. 3 BEEG). Systematisch handelt es sich um ein zeitlich begrenztes besonderes Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt.301 Ein generelles Maßregelungsverbot wie § 5 TzBfG enthält das BEEG nicht. Daher ist außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsverbots auf § 612a BGB zurückzugreifen,302 dem eine Ergänzungsfunktion zukommt.303 Für das allgemeine Maßregelungsverbot verbleibt demnach Raum, wenn die Kündigung im Zusammenhang mit der Rechtswahrnehmung steht, aber außerhalb des von § 18 BEEG erfassten Zeitraums ausgesprochen wird. Eine Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereichs gebietet der Gesetzeszweck des § 18 BEEG nicht.304 § 612a und § 18 BEEG setzen die Vorgabe der RL 2010/18/EU um.305 Ebenfalls ab dem Zeitpunkt der 298

Janda, VSSAR 2020, 297, 323. Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 24. 300 Janda, VSSAR 2020, 297, 324; Dahm, EuZA 2020, 19, 30; Graue, ZESAR 2020, 62, 299

68.

301

Becker, ArbRAktuell 2020, 588, 589; KR/Bader/Kreutzberg-Kowalcyk, BEEG, § 18 Rn. 24; BWV/Schneider, BEEG, § 18 Rn. 1; vgl. BAG, Urt. v. 26. 06. 1997 – 8 AZR 506/95, AP BErzGG § 15 Nr. 22, unter I. 1. a); DHSW/Velikova, BEEG, § 18 Rn. 2; APS/Rolfs, BEEG, § 18 Rn. 2; Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, BEEG, § 18 Rn. 2. 302 BAG, Urt. v. 12. 05. 2011 – 2 AZR 384/10, NZA 2012, 208, 210 f. (Rn. 37 ff.) = AP BEEG § 18 Nr. 1; AR/Klose, BEEG, § 18 Rn. 7; Roos/Graf, BEEG, § 18 Rn. 11; HWK/Gaul, BEEG, § 18 Rn. 7; ErfK/Gallner, BEEG, § 18 Rn. 9 f.; NK-ArbR/Osnabrügge, BEEG, § 18 Rn. 15; APS/Rolfs, BEEG, § 18 Rn. 2; Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 8, 10; DHSW/Velikova, BEEG, § 18 Rn. 7; KR/Bader/Kreutzberg-Kowalcyk, BEEG, § 18 Rn. 49; BeckOKArbR/Schrader, BEEG, § 18 Rn. 6; Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, BEEG, § 18 Rn. 29; BWV/Schneider, BEEG, § 18 Rn. 26. 303 Roos/Graf, BEEG, § 18 Rn. 2. 304 BAG, Urt. v. 12. 05. 2011 – 2 AZR 384/10, NZA 2012, 208, 210 (Rn. 36) = AP BEEG § 18 Nr. 1. 305 Roos/Graf, BEEG, § 18 Rn. 4.

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

175

Inanspruchnahme der jeweiligen Rechte geltend, sieht § 5 PflegeZG ein besonderes Kündigungsverbot vor, auf das auch § 2 Abs. 3 FPflZG verweist. Spezielle Maßregelungsverbote enthalten beide Gesetze nicht. Es gilt Vergleichbares wie für § 18 BEEG. Während das mit Blick auf Vaterschaftsurlaub möglicherweise zukünftig relevante MuSchG auch kein eigenes besonderes Maßregelungsverbot enthält, ist in § 17 ein spezielles Kündigungsverbot vorgesehen. Durch § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG sind darüber hinaus auch Maßnahmen des Arbeitgebers untersagt, die als rechtliche oder tatsächliche Voraussetzung die Kündigung vorbereiten.306 3. Zwischenergebnis Die Regelungen in ABRL und EZRL betreffen ein breites Spektrum an arbeitsrechtlichen Vorschriften, die teilweise in Sondergesetzen, teilweise im BGB oder nur durch Richterrecht und Grundrechte geregelt sind. Dabei fällt der Blick insbesondere auf den Maßregelungs- und Sonderkündigungsschutz im TzBfG und im BEEG, PflegeZG, FPflZG und ggf. MuSchG während für den überwiegenden Rest der Richtlinienrechte nach allgemeinen Regeln § 612a BGB einschlägig ist.

IV. Schutz des Arbeitnehmers bei Rechtswahrnehmung Der Schutz vor Viktimisierung bzw. Benachteiligung aufgrund der Wahrnehmung dieser Richtlinienrechte ist in ABRL und EZRL auf mehrere Vorschriften verteilt. 1. Benachteiligungsschutz der Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL Die erste und zentralste Vorschrift für den Schutz des Arbeitnehmers ist Art. 17 ABRL. Die Regelung zum Schutz vor Repressalien bei Rechtswahrnehmung wird teilweise als Selbstverständlichkeit bezeichnet, die keinen Umsetzungsbedarf hervorruft.307 Art. 14 ist ihr Äquivalent in der EZRL. Wegen der zentralen Rolle des Repressalienschutzes als Bezugspunkt von Begründungspflicht und Beweiserleichterung lohnt sich dennoch eine vertieftere Untersuchung etwaiger Umsetzungsbedarfe.308 Zu beachten ist dabei das Prinzip der Mindestharmonisierung,309 wodurch selbst bei unterschiedlichen Regelungsinhalten im Vergleich zur deutschen Rechtslage kein Handlungsbedarf entsteht, wenn der Mindestschutzstandard der Richtlinie nicht unterschritten wird.

306

APS/Rolfs, MuSchG, § 17 Rn. 73 f.; ErfK/Schlachter, MuSchG, § 17 Rn. 10. EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 17 Rn. 1; Picker, ZEuP 2020, 305, 319; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415. 308 So nur zu Art. 17 ABRL auch Schubert, AuR 2022, 115, 119. 309 Erwägungsgrund 47 ABRL sowie Art. 20 Abs. 1,2 ABRL. 307

176

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

a) Regelungsgehalt Das Viktimisierungsverbot in Art. 14 EZRL entspricht den Formulierungen in Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 11 RL 2000/78/EG, Art. 24 RL 2006/54/EG, sodass es naheliegt, die Vorschriften auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH unter anderem in den Rs. Hakelbracht und Coote zu interpretieren.310 Art. 24 RL 2006/54/EG und die Rechtsprechung des EuGH enthalten dabei vor allem in zwei Punkten Erweiterungen des Schutzes: Zunächst wird der gebotene Viktimisierungsschutz auf einen weiteren Personenkreis neben der eigentlich diskriminierten Person ausgedehnt.311 Dabei geht es um eine weite Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs, nach der auch Unterstützer erfasst sind. Arbeitnehmervertreter meint hingegen nach der nationalen Rechtsordnung zuständige Mitglieder kollektiver Organe, in Deutschland primär Mitglieder des Betriebsrats oder entsprechender Vertretungsorgane.312 Zum anderen besteht der Schutz auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fort.313 Gleiches lässt sich auf Art. 17 ABRL übertragen. Beide sehen ein rechtsschutzbezogenes Benachteiligungsverbot vor, während Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL die eigentliche Wahrnehmung von Richtlinienrechten absichert.314 Der Rechtsschutzbezug ist dem klaren Wortlaut nach auch weit zu verstehen: Erfasst sind einerseits interne Beschwerden, aber auch gerichtliche Verfahren.315 Die Differenzierung zwischen Benachteiligungen einerseits und negativen Konsequenzen andererseits dient ersichtlich dazu, eine möglichst große Vielzahl von Maßnahmen zu erfassen. Die Benachteiligung muss nach dem Wortlaut „durch den Arbeitgeber“ erfolgen. Eine solche Begrenzung enthält die Variante der „negativen Konsequenzen“ nicht. Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL schützen nur die Wahrnehmung von Richtlinienrechten, wobei nicht jede Art der Rechtswahrnehmung genügt: Die Mitgliedsstaaten sind nur verpflichtet, den Arbeitnehmer bei der Einreichung einer Beschwerde oder einem Verfahren, das auf die Wahrnehmung der Richtlinienrechte gerichtet ist, zu schützen. Dem reinen Wortlaut nach ist es nicht erforderlich, dass die negativen Konsequenzen wegen der Einreichung einer Beschwerde beim Arbeitgeber auch von diesem selbst ausgehen. 310 EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 3; zur Auslegung des diskriminierungsrechtlichen Viktimisierungsschutzes auch EUArbRK/Mohr, RL 2006/54/EG, Art. 24 Rn. 2. 311 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, NZA 2019, 1041, 1042 (Rn. 35) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6. 312 Sprenger, EuZA 2020, 48, 52. 313 EuGH, Urt. v. 20. 06. 2019 – Rs. C-404/18 (Hakelbracht), ECLI:EU:C:2019:523, NZA 2019, 1041, 1042 (Rn. 29) = AP Richtlinie 2006/54/EG Nr. AP 6; EuGH, Urt. v. 22. 09. 1998 – Rs. C-185/97 (Coote), ECLI:EU:C:1998:424, NZA 1998, 1223, 1224 (Rn. 25). 314 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 17 f. 315 EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 3; Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 49.

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

177

b) Implikationen für den Maßregelungsschutz im deutschen Recht § 612a BGB enthält mit dem Begriff „Maßnahme“ eine entsprechend weite Regelung. Nach gängiger Ansicht ist auch das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, dessen Adressat an sich nur der Arbeitgeber ist, nicht darauf begrenzt – vielmehr können auch Dritte, sofern sie vergleichbare Funktionen ausüben, sowie Betriebsparteien an das Maßregelungsverbot gebunden sein.316 Damit ist der Richtlinienstandard gewahrt. § 612a BGB schützt bei jeder Geltendmachung von Rechten und geht insofern über Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL hinaus. Auch im Übrigen setzten Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL einen Kausalzusammenhang zwischen Rechtswahrnehmung und negativer Folge voraus. Dies kommt in der Formulierung „denen sie ausgesetzt sind, weil sie (…)“317 zum Ausdruck. Welche Anforderungen daran genau zu stellen sind, ergibt sich weder aus dem Regelungsinhalt noch aus den Erwägungsgründen. Insofern besteht für die Mitgliedsstaaten ein Gestaltungsspielraum. Anhaltspunkte dafür, dass das überzeugende Verständnis des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB dem Mindestschutzstandard der Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL widerspricht, sind nicht ersichtlich. Schnittmengen zwischen dem nach Art. 14 EZRL geforderten Schutz bestehen auch zum Beschwerderecht des § 84 BetrVG, das auch ein Viktimisierungsverbot enthält, während in Betrieben ohne Betriebsrat § 612a BGB angewendet werden kann.318 Dass im deutschen Recht ein grundlegender Schutz für den Arbeitnehmer oder Arbeitnehmervertreter besteht, der Beschwerde einreicht oder Klage erhebt, beantwortet aber noch nicht die Frage, inwiefern auch die weite Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs durch den EuGH bei § 612a BGB oder § 84 Abs. 3 BetrVG berücksichtigt werden kann. § 16 Abs. 1 S. 2 AGG setzt die von dieser Rechtsprechung geforderte Erweiterung auf Dritte, die den Arbeitnehmer unterstützen, um.319 Dabei geht der deutsche Gesetzgeber über das hinaus, was notwendig ist, denn § 16 Abs. 1 S. 1 AGG betrifft die Wahrnehmung aller Rechte aus dem AGG, nicht bloß die Einreichung einer Beschwerde oder Klage. Da in § 612a BGB keine vergleichbare Regelung vorgesehen ist, und der Begriff des Arbeitnehmers auch wegen der Legaldefinition in § 611a BGB nicht methodengerecht auf Unterstützer ausgedehnt werden kann, besteht Handlungsbedarf für den Gesetzgeber: Es muss sichergestellt werden, dass sich der Maßregelungsschutz im deutschen Recht für die Einreichung einer Beschwerde oder eines Verfahrens auch auf Dritte erstreckt, die den Arbeitnehmer dabei unterstützen. Zwar wird der Dritte mit der 316 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 4; MüKo/Müller-Glöge, BGB, § 612a Rn. 4; Staudinger/ Richardi/Fischinger, BGB, § 612a Rn. 7; HWK/Thüsing, BGB, § 612a Rn. 5; KR/Treber/ Schlünder, BGB, § 612a Rn. 5; APS/Linck, BGB, § 612a Rn. 3,4; DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 10; NK-BGB SchR/Klappstein, BGB, § 612a Rn. 7. 317 Im Englischen: „resulting from“; im Spanischen: „resultantes de“: im Französischen: „résultant [de]“. 318 Treichel, DGB-Gutachten, S. 63. 319 Dazu Kapitel 1, C.III.1.

178

3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

Unterstützung auch eigene (Grund-)Rechte ausüben. Da sich der deutsche Gesetzgeber mit § 16 Abs. 1 S. 2 AGG bereits für eine ausdrückliche Erweiterung entschieden hat, spricht das Gebot der transparenten Richtlinienumsetzung jedoch für eine entsprechende gesetzliche Ergänzung. Keine Schwierigkeiten bereitet demgegenüber der weite zeitliche Schutzbereich des sekundärrechtlichen Viktimisierungsschutzes. So ist auch im deutschen Recht etwa die Erteilung eines schlechten Arbeitszeugnisses nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage ein Fall des § 612a BGB.320 Auch Maßnahmen nach Ende des Arbeitsverhältnisses können damit gegen das Maßregelungsverbot verstoßen. Laut Richtlinien genügt es, wenn der Arbeitnehmer „mit dem Ziel die Einhaltung der durch diese Richtlinie gewährten Rechte durchzusetzen“ eine Beschwerde einreicht oder ein Verfahren einleitet. Wenn das Recht tatsächlich bestehen muss, wie es für § 612a BGB erforderlich ist,321 würden Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL in einem Punkt deutlich über das deutsche Maßregelungsverbot hinausgehen und folglich zumindest teilweise einen weiteren Schutz verlangen, als er nach gegenwärtigem Recht gegeben ist. Entscheidend ist, dass Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL nur eine Rechtsdurchsetzung vor zuständigen Stellen schützen,322 die von den Richtlinienrechten an sich zu trennen ist. Der Mindestschutz, den die Mitgliedsstaaten danach einzuführen haben, betrifft nur die Wahrnehmung von Klage und Beschwerdemöglichkeiten, die auf die Durchsetzung von Richtlinienrechten gerichtet sind. Dies ist im Schutzumfang des § 612a BGB enthalten, wobei der Schutz in Grenzen des Rechtsmissbrauchs auch unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage gilt.323 Dies greift erst recht für die bloße Beschwerde beim Arbeitgeber. Sich an den Arbeitgeber zu wenden ist daher im Regelfall unabhängig von den Erfolgsaussichten eine zulässige Rechtswahrnehmung. c) Beziehung zwischen Art. 14 und Art. 11 EZRL Ein Verbot der Schlechterstellung von Arbeitnehmern aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme eines Urlaubs gemäß Art. 4, 5 und 6 oder einer Arbeitsfreistellung nach Art. 7 oder aufgrund der Inanspruchnahme der Rechte gemäß Art. 9 ist in Art. 11 EZRL geregelt. Eine vergleichbare Regelung enthält die ABRL nicht. Es fragt sich, wie die Beziehung der Regelungen untereinander zu verstehen ist, und welche Implikationen dies für das deutsche Recht hat.

320

DHSW/Kraushaar/Däubler, BGB, § 612a Rn. 9. Siehe oben Kapitel 1, A.I.2.b). 322 Siehe dazu bereits Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 17. 323 Dazu bereits Kapitel 3, A.III.1. 321

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

179

aa) Meinungsstand im Schrifttum Zu beachten ist zunächst, dass der Schutzbereich von Art. 11 und Art. 14 EZRL nicht identisch ist: Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 11 EZRL bestimme sich wie beim Diskriminierungsschutz im engeren Sinne danach, ob eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern in vergleichbaren Situationen ohne Rechtfertigung durch ein legitimes Ziel, welches im Übrigen in verhältnismäßiger Weise verfolgt wird, gerechtfertigt ist.324 Dafür spricht auch, dass bei einem Verständnis von Art. 11 EZRL als Benachteiligungsverbot im Sinne des Art. 14 die Regelung überflüssig wäre. Der Regelungsgehalt ist jedoch vergleichbar, weil es sich auch bei Art. 11 EZRL um ein Schlechterstellungsverbot handelt.325 Im Unterschied zum rechtsschutz- und beschwerdebezogenen Maßregelungsverbot in Art. 14 EZRL erfasst Art. 11 EZRL jedoch die Wahrnehmung der eigentlichen Richtlinienrechte und ähnelt daher von der Schutzrichtung Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL, nur dass hier keine Begrenzung auf Kündigungen gegeben ist. Ein Besserstellungsgebot lässt sich Art. 11 EZRL nicht entnehmen.326 Art. 11 EZRL entspricht der vorherigen Regelung in § 5 Abs. 4 Alt. 1 RV zur RL 2010/18/EU.327 Der dort geforderte Schutz vor Benachteiligungen wegen Rechtswahrnehmung wird nach einer Auffassung jedenfalls über § 612a BGB im deutschen Recht abgebildet.328 Mit Bezug auf Art. 9 EZRL mag im Zusammenhang mit § 9a TzBfG auch das spezielle Maßregelungsverbot des § 5 TzBfG eine Rolle spielen. Die Übrigen einschlägigen Gesetze (BEEG, PflegeZG, FPflZG, MuSchG) enthalten kein spezielles Maßregelungsverbot. Eine grundlegende Überschneidung mit dem verhaltensbezogenen Regelungsansatz eines Maßregelungsverbots zuerkennend, wird vereinzelt nur eine § 16 AGG entsprechende Norm für ausreichend gehalten, da § 612a BGB auf Maßnahmen und Vereinbarungen beschränkt sei.329 Auch nach Ansicht von Treichel reicht Art. 11 EZRL jedoch deutlich über den Maßregelungsschutz im deutschen Recht hinaus, da es im Unterschied zu § 612a BGB nicht darauf ankomme, ob dem Arbeitnehmer das Recht tatsächlich zustehe.330 Dass die Schutzbereiche von Maßregelungsverbot und Diskriminierungsverbot nicht identisch seien, habe der Gesetzgeber auch in den Regelungen der §§ 4, 5 TzBfG klar erkannt: § 4 TzBfG regele die „Schlechterbe324

EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 11 Rn. 6. Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 44 erklärt die Verwendung des Begriffs Diskriminierung damit, dass die Zuständigkeit der Gleichbehandlungsstelle in Art. 15 EZRL begründet werden solle. 326 EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 11 Rn. 4. 327 Stoye/Thoma, ZESAR 2020, 10, 17; EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 11 Rn. 1; Roetteken, ZTR 2022, 340, 351. 328 Vgl. Dahm, EuZA 2011, 30, 42. 329 Roetteken, ZTR 2022, 340, 351. 330 Treichel, DGB-Gutachten, S. 60; Treichel, NZFam 2021, 433, 437 f.; Treichel, AuR 2022, 248, 251. 325

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

handlung“ wegen Teilzeit/Befristung, § 5 TzBfG – als lex specialis zu § 612a BGB – die Benachteiligung wegen der Inanspruchnahme der Rechte (nach dem TzBfG).331 Entsprechend könne § 4 TzBfG als Orientierung bei der Umsetzung des Art. 11 dienen.332 Demgegenüber sieht Graue den Änderungsbedarf an einer anderen Stelle:333 Das Schlechterstellungsverbot solle durch Aufnahme der Inanspruchnahme der einschlägigen Rechte in § 2 AGG sichergestellt werden. So könne das Sanktionsgebot des Art. 13 durch eine Klarstellung von § 15 AGG realisiert werden. Art. 14 der EZRL wäre durch das Maßregelungsverbot in § 16 AGG hinreichend ausgefüllt. In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag zu einem vorgehenden Entwurf zur EZRL, § 1 AGG solle um das Merkmal „familiäre Bindungen“ ergänzt werden.334 Eine Orientierung am Diskriminierungsschutz im nationalen Recht besteht in einer Stärkung der Kompetenzen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hinsichtlich des Schutzes vor Benachteiligungen bei der Ausübung von Richtlinienrechten.335 bb) Kritische Würdigung Die Einschätzung von Treichel betrifft zwei unterschiedliche Fragen. Zum einen ist zu klären, ob und welche Vorschrift des deutschen Rechts einen Anhaltspunkt für die Richtlinienumsetzung bietet. Zum anderen ist fraglich, ob Art. 11 EZRL materiell über den einschlägigen Schutz im deutschen Recht hinausreicht. Treichel ist insofern beizupflichten, dass im Ergebnis keine Ergänzung des § 2 AGG erforderlich ist. Dies liegt aber nicht daran, dass dies nicht zur Umsetzung der Richtlinie genügen würde. Vielmehr wird verkannt, dass das Maßregelungsverbot in § 612a BGB, im Unterschied zu § 4 TzBfG,336 keine Vergleichsgruppenbildung erfordert.337 Art. 11 EZRL spricht davon, dass dem Arbeitnehmer keine Nachteile durch „Beantragung oder Inanspruchnahme“ der Rechte entstehen dürfen. Bei Auslegung der Bestimmung ergibt sich kein generelles Verbot von Benachteiligungen bei nur vermeintlich zustehenden Rechten. Schon bei Vergleich mit der englischen Sprachfassung zeigt sich, dass nur die Beanspruchung der Rechte im von der Richtlinie vorgegebenen Rahmen gemeint ist.338 In den Erwägungsgründen wird 331

Treichel, DGB-Gutachten, S. 60. Treichel, DGB-Gutachten, S. 60; Treichel, NZFam 2021, 433, 436. 333 Graue, ZESAR 2020, 62, 71. 334 Dahm, EuZA 2011, 30, 43; ganz ähnlich nun auch Nebe/Gröhl/Thoma, ZESAR 2021, 157, 162. 335 Nebe/Gröhl/Thoma, ZESAR 2021, 210, 214 ff. 336 ErfK/Preis, TzBfG, § 4 Rn. 26. 337 Insofern auch Roetteken, ZTR 2022, 340, 351. 338 Im Englischen: „Member States shall take the necessary measures to prohibit less favourable treatment of workers on the ground that they have applied for, or have taken, leave provided for in Articles 4, 5 and 6 or time off from work provided for in Article 7, or that they have exercised the rights provided for in Article 9.“; ohne Anhaltspunkte für einen anderen 332

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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deutlich, dass die Beantragung der Rechte nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers ein selbstständiges Recht darstellt („Recht auf (…) Beantragung flexibler Arbeitsregelungen gemäß dieser Richtlinie“).339 Zutreffend ist, dass nach dem doppelten Schutzzweck des Maßregelungsverbots im deutschen Recht der rechtswidrige Arbeitnehmerwille nicht geschützt wird, und dass die Ausübung nur vermeintlich bestehender Rechte nicht schutzwürdig ist.340 Hier besteht mit der nationalen Rechtslage kein Konflikt. Es handelt sich nicht um eine Konstellation, in der der Arbeitnehmer ein vermeintlich bestehendes Recht ausübt. Dass der Unionsgesetzgeber das Antragsrecht als selbstständig schützenswertes Recht sieht, ist bei der Umsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen. Das Antragsrecht wäre bei seiner Einführung im deutschen Recht damit selbstständiges „Recht“ im Sinne des Maßregelungsverbots. Die Antragstellung ist auch dann eine zulässige Rechtsausübung, wenn der Arbeitgeber den Antrag ablehnt. Ein anderes Verständnis würde die Arbeitnehmer davon abhalten, Rechte geltend zu machen. Davon abzugrenzen ist der Fall, in dem der Arbeitnehmer eigenmächtig aufgrund eines ihm angeblich zustehenden Freistellungsanspruchs der Arbeit fernbleibt. Daher geht Art. 11 EZRL nicht über das hinaus, was der deutsche Maßregelungsschutz in § 612a BGB, § 5 TzBfG ohnehin gewährleistet. Daran ändert auch deren Begrenzung auf Maßnahmen oder Vereinbarungen nichts,341 denn im Kontext des Maßregelungsschutzes sind diese Begriffe weit auszulegen,342 um nicht atypischen Benachteiligungsformen Raum zu geben. Eine Aufnahme der Rechte aus der EZRL in den Katalog des § 1 AGG würde den Unterschieden zwischen Diskriminierungs- und Benachteiligungsschutz im deutschen Recht zuwiderlaufen.343 Zutreffend ist zwar, dass etwa Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme oder Vaterschaftsurlaub bereits als Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne von § 1 AGG untersagt sein können.344 Insofern gibt es Überschneidungen zwischen Diskriminierungs- und Maßregelungsschutz.345 Dies betrifft aber nicht die weiteren Rechte der EZRL, insbeInhalt auch die französische Fassung: „Les États membres prennent les mesures nécessaires pour interdire tout traitement moins favorable des travailleurs au motif qu’ils ont demandé ou ont pris un congé prévu aux articles 4, 5 et 6 ou se sont absentés du travail conformément à l’article 7 ou au motif qu’ils ont exercé les droits prévus à l’article 9.”; sowie die spanische Fassung: „Los Estados miembros adoptarán las medidas necesarias para prohibir que los trabajadores reciban un trato menos favorable por haber solicitado o disfrutado uno de los permisos contemplados en los artículos 4, 5 y 6, o el tiempo de ausencia del trabajo previsto en el artículo 7, o por haber ejercido los derechos previstos en el artículo 9.“ 339 Erwägungsgrund 41 EZRL. 340 Dazu Kapitel 1, A.I.2.b). 341 Anders v. Roetteken, ZTR 2022, 340, 351. 342 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 8. 343 Dazu Kapitel 1, C. 344 Vgl. Treichel, DGB-Gutachten, S. 60. 345 Dazu auch Kapitel 2, C.II.3.c).

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

sondere nicht Regelungen für pflegende Angehörige. Durch die Aufnahme eines Merkmals wie „familiäre Bindungen“ in § 1 AGG würde ein vieldeutiger Begriff eingeführt, mit dem erhebliche Rechtsunsicherheit entstünde. Insbesondere haben Benachteiligungsschutz wegen der Wahrnehmung von Rechten und geschlechtsbezogene Diskriminierung nicht den gleichen Anknüpfungspunkt.346 Eine katalogartige Aufnahme aller Richtlinienrechte in § 1 AGG würde die systematische Unterscheidung zwischen Diskriminierungsschutz im engeren Sinne und dem Schutz vor Sekundärbenachteiligungen wegen der Ausübung von Rechten konterkarieren. Im Ergebnis würde in § 1 AGG ein unsystematischer Mischtatbestand entstehen, der zugleich Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz im engeren Sinne enthält. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des AGG zur Umsetzung der Vorgaben zum Schutz bei Rechtswahrnehmung überzeugt daher nicht. d) Zwischenfazit Die deutsche Rechtslage genügt grundsätzlich den Anforderungen der Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL, da Klagen und Beschwerden für sich genommen dem Maßregelungsschutz unterliegen, wenn sie nicht rechtsmissbräuchlich sind. Allerdings ist der persönliche Anwendungsbereich wie bei Art. 24 RL 2006/54/EG im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH auch auf Dritte auszuweiten, die den Arbeitnehmer bei einer Beschwerde oder einer gerichtlichen Wahrnehmung der Richtlinienrechte unterstützen. Art. 11 EZRL löst hingegen keinen zusätzlichen Änderungsbedarf im deutschen Recht aus. 2. Besonderheiten beim Schutz vor maßregelnden Kündigungen Wie auch Art. 12 Abs. 1 EZRL im Verhältnis zu Art. 14 EZRL,347 regelt Art. 18 Abs. 1 ABRL einen speziellen Fall des allgemeinen Viktimisierungsverbots. Diese Schutzrichtung zugrunde gelegt eine Überflüssigkeit der Vorschrift zu konstatieren,348 greift jedoch zu kurz. Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL verbieten bestimmte Arten von Maßnahmen, die ein hohes Maß an einschneidender Wirkung haben. a) Regelungsgehalt des Kündigungsverbots In der Systematik der Richtlinien dient die Abfassung der Regelung in Abs. 1 in einem anderen Artikel ersichtlich auch dazu, einen abgrenzbaren normativen Anknüpfungspunkt für die Beweiserleichterung und Begründungspflicht zu schaffen. Ferner illustriert die Stellung des Maßregelungsverbots auch eine Abweichung im 346

Vgl. insofern auch Treichel, DGB-Gutachten, S. 60. Dazu EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 4. 348 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 1.

347

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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Regelungsgehalt im Vergleich zu Art. 17 ABRL, Art. 14 EZRL, da nur Kündigungen und „Maßnahmen gleicher Wirkung“ erfasst sind. Die Regelungen sind als sekundärrechtliche Konkretisierung des in Art. 30 GRCh enthaltenen Rechts auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung einzustufen.349 Der Wortlaut der Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL gibt wenig Aufschluss über die Tatbestandsvoraussetzungen des Kündigungsverbots. Im Zusammenhang mit den Beweiserleichterungen deuten die Gesetzgebungsmaterialien für ABRL und EZRL auf Anforderungen hin, die sich im regelnden Teil der Richtlinien nicht wiederfinden. Nach dem Kommissionsvorschlag zur EZRL muss nachgewiesen werden, dass die Entlassung aus anderen objektiven Gründen erfolgt sei.350 Eine ähnliche Wendung findet sich im Vorschlag zur ABRL: Danach ist es als Rechtsfolge der Beweiserleichterung Sache des Arbeitgebers, nachzuweisen, dass die Entlassung oder nachteilige Behandlung auf objektiven Gründen beruht.351 Letztere Formulierung deutet darauf hin, dass sich Viktimisierung für Rechtswahrnehmung aus Sicht der Kommission nicht als „objektiver Grund“ darstellt. Dies zugrunde gelegt, liegt ein subjektives Verständnis des Kausalzusammenhangs zwischen Rechtswahrnehmung und Maßnahme zumindest nicht fern. Dann würde es sich um „Motivkündigungsschutz“ handeln.352 Nach der Passage im Kommissionsvorschlag für die EZRL wird die Viktimisierung allerdings als einer von anderen möglichen objektiven Gründen genannt. Die Bedeutung der Formulierung „objektiver Gründe“ wird nicht näher erläutert, zumal diese nicht im verfügenden Teil der Richtlinie enthalten ist. Die Richtlinien sprechen übereinstimmend davon, dass „der Arbeitgeber nachzuweisen hat, dass die Kündigung aus anderen als den in Abs. 1 angeführten Gründen erfolgt ist“ (Art. 18 Abs. 3 ABRL)353 bzw. „dem Arbeitgeber der Nachweis obliegt, dass die Kündigung aus anderen Gründen erfolgt ist“ (Art. 12 Abs. 3 EZRL)354. Dies spricht dafür, dass „objektive Gründe“ in den Materialien eher negativ zu verstehen ist. Gemeint sind Gründe, die nicht in der Viktimisierung des Arbeitnehmers bestehen, also alle anderen Gründe für die Kündigung außer „Rechtswahrnehmung“. Unter Berücksich349

Callies/Ruffert/Krebber, GRCh, Art. 30 Rn. 6. Kommission, Vorschlag v. 26. 04. 2017, COM(2017) 253 final, S. 17. 351 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 17; vgl. insofern auch PARL-E, S. 19. 352 Diesen Begriff verwenden etwa Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 26); Marhold/Fuchs/Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht, S. 194. 353 Im Englischen „(…) it shall be for the employer to prove that the dismissal was based on grounds other than those referred to in paragraph 1.“; im Französischen: „(…) il appartienne à l’employeur de prouver que le licenciement était fondé sur d’autres motifs que ceux visés au paragraphe 1.“; im Spanischen: „(…) corresponda al empleador demostrar que el despido se ha basado en causas distintas de las previstas en el apartado 1.“. 354 Im Englischen: „(…) it shall be for the employer to prove that the dismissal was based on other grounds.“; im Französischen: „(…) il incombe à l’employeur de prouver que le licenciement était fondé sur d’autres motifs.“; im Spanischen: „(…) corresponderá al empleador demostrar que el despido se ha basado en motivos distintos.“. 350

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

tigung der grundrechtlichen Wertung aus Art. 30 GRCh können freilich nur angemessene, legitime Gründe gemeint sein.355 Nähere Anforderungen an den Kausalzusammenhang zwischen Arbeitnehmerverhalten und Arbeitgebermaßnahme sehen die Richtlinien nicht vor. Die Umschreibung der Rechtsfolge („untersagen“356) lässt einen gewissen Deutungsspielraum offen. Der vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eingebrachte Vorschlag einer Klarstellung, dass maßregelnde Maßnahmen des Arbeitgebers nichtig sind,357 fand im weiteren Verfahren keine Berücksichtigung. Allerdings ist aufgrund der Bedeutung des Effektivitätsgrundsatzes für die Sicherung der Ausübung der Richtlinienrechte von einer Verpflichtung zur Einführung eines gesetzlichen Verbots solcher Maßnahmen mit damit verbundenem Unwerturteil und Nichtigkeitsfolge auszugehen. b) Kündigungen sowie vorbereitende Maßnahmen Entsprechend dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 ABRL können drei verschiedene Arten von Maßnahmen unter den besonderen Schutz fallen. Die Richtlinie spricht von Kündigung oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung sowie jegliche Vorbereitung auf eine Kündigung. Art. 12 Abs. 1 EZRL nennt demgegenüber den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung nicht. aa) Auslegung von „Vorbereitung auf eine Kündigung“ (1) Wortlaut Dem Wortlaut lassen sich keine konkreten Eingrenzungen hinsichtlich der Art der Vorbereitungshandlungen entnehmen. Demgemäß liegt eine weite Auslegung des Begriffs nahe. Eine entsprechende, möglichst weite Definition der Kündigungsvorbereitung erfasst alle Maßnahmen, die die Kündigung eines konkreten Arbeitnehmers fördern oder ermöglichen.358 Die dritte Alternative bezieht sich nur auf Kündigungsvorbereitung, nicht auf die Vorbereitung von Maßnahmen gleicher Wirkung, was sich durch verschiedene Sprachfassungen der Richtlinie fortschreibt.359 Für ein weiteres Verständnis, das

355

Dazu Kapitel 3, A.III.2. Im Englischen: „prohibit“; im Spanischen: „prohibir“; im Französischen: „interdire“. 357 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme v. 23. 05. 2018, Abl. EU C 283/39, Ziffer 4.4.5. 358 Ähnlich EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 1; vgl. auch Bayreuther, NZA 2017, 1145, 1146. 359 Im Englischen: „(…) to prohibit the dismissal or its equivalent and all preparations for dismissal of workers, (…)“; im Französischen: „(…) pour interdire le licenciement de travailleurs ou son équivalent, ainsi que tous préparatifs en vue du licenciement, (…).“; im Spa356

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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auch die Vorbereitung von Maßnahmen gleicher Wirkung in den Schutzbereich aufnimmt, könnte die Regelungstechnik der Aufzählung sprechen, wenn deutlich wird, dass sich die letzte Alternative auf die beiden vorgegangenen beziehen soll. Einen Anhaltspunkt bietet höchstens die Verwendung der Konjunktion „oder“ zwischen Kündigung und Maßnahmen gleicher Wirkung, während „sowie“ zur Abgrenzung der Vorbereitungshandlungen verwendet wird. Bei Konsultation anderer Sprachfassungen wird jedoch deutlich, dass damit kein unterschiedlicher Regelungsinhalt verbunden ist: Da die Konjunktionen austauschbar sind und daher keine Anzeichen dafür bestehen, dass Alt. 3 auf Alt. 1 und 2 bezogen ist. Auch in den Erwägungsgründen wird – wie im Normtext – nur die „Vorbereitung einer Kündigung“ erwähnt.360 Es handelt sich also augenscheinlich nicht um ein bloßes Regelungsversehen. Daraus folgt, dass Alt. 1 und Alt. 3 zusammenhängen. Es handelt sich diesbezüglich schlicht um eine missglückte Regelung. (2) Entstehung der Norm In der EZRL wird in den Erwägungsgründen auf eine Entscheidung des EuGH verwiesen, die den Willen des Gesetzgebers bei der Formulierung der Norm beleuchten könnte.361 Der EuGH hat in Paquay die Planung eines endgültigen Ersatzes zur Nachbesetzung des Arbeitsplatzes als Teil der Vorbereitungen für eine Kündigung eingeordnet.362 Genauer gesagt hat der Gerichtshof entschieden, dass nach Art. 10 der RL 92/85/EWG vor Ablauf der Schutzzeit getroffene Maßnahmen zur Vorbereitung einer Kündigungsentscheidung während der Schutzzeit verboten sind.363 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Rechtsausschuss im europäischen Parlament, anstatt der recht vage formulierten Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ein echtes und in vielen Punkten der deutschen Rechtslage entsprechendes Maßregelungsverbot in die ABRL einfügen wollte: „Kündigung oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung sowie jegliche Vorbereitung auf eine Kündigung oder sonstige Benachteiligungen oder weniger vorteilhafte Behandlungen von Arbeitnehmern zu untersagen und für rechtsunwirksam zu erklären, wenn diese Maßnahmen damit begründet werden, dass die Arbeitnehmer die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte in Anspruch genommen haben. Der Arbeitgeber liefert ausreichende Informationen zu den Gründen für die Kündigung, ansonsten gilt die Kündigung als rechtsunwirksam. Die

nischen: „(…) el despido o su equivalente, así como cualquier acto preparatorio para el despido de trabajadores (…).“. 360 Erwägungsgrund 43 ABRL. 361 Erwägungsgrund 41 EZRL. 362 EuGH, Urt. v. 11. 10. 2007 – Rs. C-460/06 (Paquay), ECLI:EU:C:2007:601, Rn. 33. 363 EuGH, Urt. v. 11. 10. 2007 – Rs. C-460/06 (Paquay), ECLI:EU:C:2007:601, Rn. 38.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

erforderlichen Maßnahmen umfassen auch das Recht auf Wiederherstellung des Beschäftigungsverhältnisses und auf Entschädigung.“364

Während der erste Teil der Verpflichtung in der Rechtsfolge den Wirkungen der §§ 612a, 134 BGB entspricht, geht die Abhängigkeit der Wirksamkeit der Kündigung von der Bereitstellung ausreichender Informationen deutlich über das in Deutschland bestehende Schutzniveau hinaus. Dass es die Regelung nicht durch das weitere Gesetzgebungsverfahren geschafft hat, lässt vermuten, dass dies als zu weitgehend empfunden wurde. Auffallend ist, dass in der nicht aufgenommenen Formulierung der Begriff der Vorbereitungshandlung auf „sonstige Benachteiligungen“ ausgedehnt wurde. Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass die Beschränkung auf Kündigungsvorbereitung dem Willen des Gesetzgebers entspricht. (3) Systematik und Regelungszweck Denkbar ist zunächst, dass sich die Auslegung des Begriffs der Kündigungsvorbereitung durch den EuGH in der Rs. Paquay zur Ausfüllung des Begriffs auf Art. 18 Abs. 1 Alt. 3 ABRL übertragen lässt.365 Im deutschen Recht hat sich diese Rechtsprechungslinie, nach der etwa die Suche nach Ersatzarbeitskräften während der Schutzzeit rechtswidrig ist, in § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG niedergeschlagen. Auch mit Bezug zur Umsetzung der EZRL, die in Art. 12 Abs. 1 eine vergleichbare Formulierung bzgl. Vorbereitungsmaßnahmen enthält, wird eingewandt, dass es dem Unionsgesetzgeber und dem EuGH in der Rs. Paquay nicht um das Verbot von Vorbereitungsmaßnahmen per se gehe, sondern um eine Verhinderung einer Aushebelung des Kündigungsverbots durch eine während der Mutterschutzzeit vorbereitete Kündigung.366 Dieser Zweck kann im Kontext der EZRL sinnvoll gewahrt werden, da dort längere Freistellungszeiten vorgesehen sind.367 Unklar bleibt, welche Bedeutung dem Verbot der Kündigungsvorbereitung im Zusammenhang mit der ABRL zukommt. Da eine Aushebelung des Kündigungsschutzes während einer Freistellungszeit nicht zu befürchten steht, kommt dem Rechtsbegriff der „Vorbereitung“ eine andere Schutzdimension zu. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Unionsgesetzgeber, anders als in der EZRL,368 die Entscheidung des Gerichtshofs nicht in den Erwägungsgründen erwähnt.369 Die in der Stellungnahme des Rechtsausschusses vorgeschlagene Erweiterung zeigt deutlich, welche Anforderungen im Gesetzgebungsverfahren an die Vorbereitungshandlungen gestellt wurden. So wer364 Europäisches Parlament, Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 27. 09. 2018, 2017/ 355(COD), S. 51. 365 Für eine Übertragung wohl EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 1; vgl. zu Art. 12 Abs. 1 EZRL EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 5; sowie Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 45. 366 Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 367 Näher Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 368 Erwägungsgrund 41 EZRL. 369 Erwägungsgrund 43 ABRL.

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den die Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit „sonstigen Benachteiligungen“ genannt, woraus folgt, dass auch in der Vorbereitungshandlung selbst nach der Vorstellung des Rechtsausschusses eine Benachteiligung liegen muss.370 Dies setzt sich in den Erwägungsgründen der ABRL fort: Dort ist die Rede von einem Schutz der Arbeitnehmer vor der Vorbereitung einer Kündigung, weil sie versucht haben, die Richtlinienrechte wahrzunehmen.371 Dies ist auch keine zu restriktive Interpretation, da der Rechtsausschuss eine deutliche Ausweitung des Schutzes vorgeschlagen hat, die letztlich nicht aufgenommen wurde. Bei einem Verhalten des Arbeitgebers handelt es sich folglich nur dann um Kündigungsvorbereitung im Sinne des Art. 18 Abs. 1 ABRL, wenn die Handlung oder das Unterlassen den Arbeitnehmer rechtlich oder faktisch benachteiligt. Art. 12 Abs. 1 EZRL ist hingegen im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu interpretieren, sodass die Mitgliedsstaaten sämtliche Kündigungsvorbereitungen während der Freistellungszeiten zu untersagen haben. bb) Kündigungen nach Ende des Freistellungszeitraums Bei den Freistellungsansprüchen in der EZRL stellt sich die Frage, ob bei Art. 12 Abs. 1 eine Kündigung „wegen Inanspruchnahme der Rechte“ auch noch dann angenommen werden kann, wenn der Freistellungszeitraum abgelaufen und der Arbeitnehmer zur Arbeit zurückgekehrt ist.372 Dem reinen Wortlaut nach spricht nichts für eine Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Art. 12 Abs. 1 EZRL auf den Zeitraum vor oder während der Inanspruchnahme eines der Richtlinienrechte. Eine Kündigung wegen Inanspruchnahme der Rechte ist auch nach Ende der Freistellungszeit möglich. In den Erwägungsgründen zeichnet sich ein umfassender Schutz für den Arbeitnehmer ab, wenn er seine Rechte „wahrgenommen hat“.373 Es besteht daher kein Anlass, die Bestimmung des Art. 12 Abs. 1 ABRL derart restriktiv zu verstehen. Der Arbeitnehmer ist demnach im mitgliedsstaatlichen Recht auch vor Kündigungen aufgrund der Rechtswahrnehmung nach Ende des Freistellungszeitraums zu schützen. cc) Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung Zwischen Art. 18 Abs. 1 ABRL und Art. 12 Abs. 1 EZRL besteht neben dem situationsangepassten Verständnis des Begriffs der Kündigungsvorbereitung noch ein weiterer Unterschied: Der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung findet sich

370 Europäisches Parlament, Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 27. 09. 2018, 2017/ 355(COD), S. 51. 371 Erwägungsgrund 43 ABRL. 372 Stoye/Thoma, ZESAR 2020, 10, 17. 373 Erwägungsgrund 41 EZRL.

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nicht in Art. 12 Abs. 1 EZRL. Auch in den Erwägungsgründen bleibt er unerwähnt.374 (1) Auslegung Begrifflich abgegrenzt von Kündigungen und Vorbereitungsmaßnahmen nennt die Richtlinie „Maßnahmen gleicher Wirkung“ – ein Begriff der im Zusammenhang mit der Begründungspflicht nach Art. 18 Abs. 2 ABRL wieder auftaucht und deren sachlichen Geltungsbereich mitbestimmt. Seine Bedeutung ist noch nicht umfassend geklärt. Dem Wortsinn nach hat die gleiche Wirkung wie eine Kündigung nur diejenige Maßnahme, die die gleichen Rechtsfolgen auslöst. Demnach wären jedenfalls alle Maßnahmen des Arbeitgebers erfasst, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben. Aus weiteren Sprachfassungen der Richtlinie ergibt sich nichts anderes. Dort ist die Rede von Äquivalenten zur Kündigung.375 Das Konzept der Maßnahmen gleicher Wirkung war bereits im Kommissionsvorschlag enthalten: Dort wird von Entlassung oder negativen Konsequenzen mit gleicher Wirkung gesprochen, wie z. B. bei einem Abrufarbeiter, der keine Arbeitsaufträge mehr erhalte.376 Dies spricht dafür, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade nicht ausschlaggebendes Merkmal von Maßnahmen gleicher Wirkung ist.377 Die Einführung des Begriffs der Maßnahmen gleicher Wirkung steht auch im Zusammenhang mit Art. 17 ABRL, der einen Schutz vor jedweden negativen Konsequenzen enthält und somit in der Breite eine stärkere Rechtswirkung entfaltet. Demgegenüber ist die Aufzählung in Art. 18 Abs. 1 ABRL eine inhaltliche Eingrenzung, wobei das Sanktionierungsverbot alle in der Richtlinie enthaltenen Rechte erfasst, nicht deren gerichtliche Durchsetzung. Maßnahmen gleicher Wirkung sind eine selbstständige Tatbestandsalternative im Verhältnis zur Kündigung und deren Vorbereitung. Entscheidend ist, dass die Maßnahme einer Kündigung gleichwertig ist.378 Für eine „gleiche Wirkung“ ist zu fordern, dass der soziale Einschnitt der Kündigung vergleichbar sein muss.379 Dies ist der Fall, wenn die Vertragsbeziehung durch die Maßnahme so verändert wird, dass die Hauptpflichten des Arbeitsvertrages mindestens suspendiert sind und der Arbeitnehmer also keinen Lohn mehr erhält. So liegt der Fall nämlich bei der Nichtzuweisung von Arbeit, den der Unionsgesetzgeber 374

Vgl. Erwägungsgründe 41, 42 EZRL. Im Englischen: „(…) to prohibit the dismissal or its equivalent and all preparations for dismissal of workers, (…)“; im Französischen: „(…) pour interdire le licenciement de travailleurs ou son équivalent, ainsi que tous préparatifs en vue du licenciement, (…).“; im Spanischen: „(…) el despido o su equivalente, así como cualquier acto preparatorio para el despido de trabajadores (…).“. 376 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 18. 377 Siehe auch Erwägungsgrund 43 ABRL. 378 Erwägungsgrund 44 ABRL. 379 Vgl. Erwägungsgrund 43 ABRL. 375

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ausdrücklich nennt.380 Auf die Rechtswirkung der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kommt es nicht an. Ein hinreichender Einschnitt der Maßnahme ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Handlung des Arbeitgebers einkommensrelevant ist und jedenfalls mittelbar zu einem vollständigen Ausbleiben des Lohns führt. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Lohn dauerhaft ausbleibt. Eine Maßnahme gleicher Wirkung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Gefährdung der Existenz für einen begrenzten Zeitraum einer Kündigung entspricht. Die Gefährdung der Existenz als Definitionsmerkmal würde aber geringfügig Beschäftigte oder Nebenjobber mit anderen Einkommensquellen unter Umständen nicht hinreichend erfassen. Dabei handelt es sich jedoch häufig um Personen, die in atypischen Beschäftigungskonstellationen tätig sind (Crowd- und Gigworker), welche die ABRL gerade schützen will. Es muss aus Schutzzweckgesichtspunkten genügen, wenn die Lebensgrundlage des Arbeitnehmers beeinträchtigt wird. Daher ist die Maßnahme gleicher Wirkung als Verhalten zu definieren, das die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten mindestens suspendiert und so zu einer der Kündigung vergleichbaren Beeinträchtigung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers führt. (2) Einordnung gängiger Arbeitgebermaßnahmen Dies zugrunde gelegt, stellt sich die Frage, welche Arbeitgebermaßnahmen im deutschen Recht, außer der in dem Erwägungsgründen bereits genannten Einstellung des Abrufs von Abrufarbeitern, unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung fallen. (a) Aufhebungsverträge Ein Aufhebungsvertrag bedarf zur Wirksamkeit der Zustimmung beider Parteien. Auch wenn die Rechtswirkung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer Kündigung entspricht, ist ein Vertrag schon begriffslogisch keine Maßnahme. Darüber hinaus ist Voraussetzung für die Maßregelungsschutzbestimmungen stets ein Kausalzusammenhang zwischen Maßnahme und negativer Folge, den der Arbeitnehmer durch seine Zustimmung unterbrechen würde. Ein Verbot maßregelnder Vereinbarungen wie in § 612a BGB kennt Art. 18 Abs. 1 ABRL nicht. Weil der Arbeitnehmer zustimmt, disponiert er selbst über den finanziellen Einschnitt durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In seiner Macht liegt es auch, sich vor der Unterschrift, spätestens aber vor dem vereinbarten Beendigungsdatum, eine alternative Einkommensquelle zu verschaffen. Für eine Erfassung von Aufhebungsverträgen könnte jedoch eine zum Teil vertretene Auslegung des Art. 30 GRCh sprechen. Danach schließt der Begriff der Entlassung auch Eigenkündigungen und Auflösungsvereinbarungen mit ein, wenn

380

Erwägungsgrund 43 ABRL.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

sie maßgeblich vom Arbeitgeber veranlasst sind.381 Dafür spreche, dass Arbeitnehmer bei Aufhebungsverträgen nicht weniger schutzwürdig seien. Ferner sei eine Rechtsprechung des EuGH zur Massenentlassungsrichtlinie übertragbar,382 nach der eine vom Arbeitgeber veranlasste Vertragsbeendigung ohne Einverständnis des Arbeitnehmers eine Entlassung sei, mit Einverständnis jedoch nicht.383 Gegen ein solches Verständnis spricht jedoch nicht nur, dass im Primärrecht zwischen „Beendigung“ (Art. 156 Abs. 1 lit. d AEUV) und „Entlassung“ unterschieden wird, die Begriffe folglich nicht deckungsgleich sind.384 Auch nach der Entscheidung des EuGH in Pujante Rivera schließt eine Zustimmungsmöglichkeit des Arbeitnehmers im Ergebnis eine Subsumtion unter den Entlassungsbegriff aus.385 Vom Entlassungsbegriff erfasst sein können zustimmungspflichtige Änderungen der Arbeitsbedingungen, die bei Nichtannahme durch den Arbeitnehmer die Beendigung des Vertrags zur Folge haben.386 Unterschreibt der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag nicht, besteht das Arbeitsverhältnis fort. Dass der Arbeitnehmer die Mitwirkung verweigern kann, ist ein wesentlicher Unterschied zu einseitigen Maßnahmen. Der Arbeitgeber wird dadurch gezwungen, eine Kündigung auszusprechen, wenn er die Vertragsbeziehung weiterhin beenden möchte. Diese ist unzweifelhaft von Art. 18 Abs. 1 ABRL erfasst. Damit besteht die Schutzbedürftigkeit eben nicht im gleichen Umfang. Die Regelung in Art. 18 Abs. 1,2 ABRL soll ersichtlich nur Maßnahmen erfassen, die in der alleinigen Initiative des Arbeitgebers liegen und denen der Arbeitnehmer ohne Möglichkeit der Zustimmung ausgeliefert ist.387 Dafür spricht auch die Möglichkeit eines Begründungsanspruchs. Wirkt der Arbeitnehmer nämlich an der „Maßnahme“ mit, dürften ihm die Gründe hinreichend bekannt sein. Aufhebungsverträge fallen daher nicht unter Maßnahmen gleicher Wirkung.

381 EUArbRK/Schubert, GRCh, Art. 30 Rn. 3 m. w. N.; so jüngst auch Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 441. 382 Herangezogen werden die Entscheidungen EuGH, Urt. v. 11. 11. 2015 – Rs. C-422/14 (Pujante Rivera), ECLI:EU:C:2015:743, Rn. 48 ff.; EuGH, Urt. v. 21. 09. 2017 – Rs. C-429/16 (Ciupa), ECLI:EU:C:2017:711 Rn. 38; EuGH, Urt. v. 21. 09. 2017 – Rs. C-149/16 (Socha), ECLI:EU:C:2017:708, Rn. 35. 383 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 441; EUArbRK/Schubert, GRCh, Art. 30 Rn. 3. 384 Callies/Ruffert/Krebber, GRCh, Art. 30 Rn. 4; Pechstein/Nowak/Häde/Kocher, GRCh, Art. 30 Rn. 15. 385 EuGH, Urt. v. 11. 11. 2015 – Rs. C-422/14 (Pujante Rivera), ECLI:EU:C:2015:743, Rn. 50. 386 EuGH, Urt. v. 21. 09. 2017 – Rs. C-429/16 (Ciupa), ECLI:EU:C:2017:711, Rn. 35 ff. 387 Vgl. Erwägungsgrund 43 ABRL.

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(b) Nichtverlängerung eines befristeten Vertrags § 612a BGB erfasst nach der Rechtsprechung auch die Nichtverlängerung eines befristeten Vertrages.388 Allerdings ist der Arbeitgeber nicht durch das Maßregelungsverbot verpflichtet, einen Folgevertrag abzuschließen – der Verstoß kann aber Schadensersatzansprüche begründen.389 Im deutschen Recht ist eine Nichtverlängerungsmitteilung teilweise in Tarifverträgen vorgesehen.390 Nach der Rechtsprechung des BAG handelt es sich weder um eine Kündigung, noch um eine vergleichbare Maßnahme, da der Arbeitgeber nur verfahrensmäßig bessergestellt werde und eine Prüfung der sachlichen Berechtigung wie bei einer Kündigung gerade nicht erfolge.391 Es wird gerade kein Wille zur Vertragsbeendigung zum Ausdruck gebracht.392 Die Argumentation bei Aufhebungsverträgen zugrunde gelegt, lässt sich auch die Subsumtion der Nichtverlängerung einer Befristung mit der Begründung ablehnen, dass sich der Arbeitnehmer freiwillig auf den zeitlich begrenzten Vertrag eingelassen hat. Die Verlängerung eines befristeten Vertrages ist eine Vereinbarung, die der Zustimmung beider Parteien bedarf.393 Der Einschnitt einer Nichtverlängerung ist zwar einer Kündigung vergleichbar, wenn der Arbeitgeber sich gegen eine Verlängerung entscheidet. Eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 18 Abs. 1 ABRL liegt darin jedoch begriffslogisch nicht. (c) Anfechtung des Arbeitsvertrages Ob auch die Anfechtung des Arbeitsvertrages – etwa wegen arglistiger Täuschung – unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung fallen kann, stößt im ersten Moment auf Skepsis.394 Es fragt sich allerdings, auf welcher Grundlage die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber aus „vorgeschobenen“ Gründen vom Anwendungsbereich der Regelungen des Art. 18 ABRL ausgenommen werden sollte. Die Anfechtung ist eine Möglichkeit der einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, die nach der Lehre vom fehlerhaften 388

BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 321 (Rn. 40) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23. 07. 2020 – 5 Sa 283/19, BeckRS 2020, 20859, Rn. 21; vgl. auch BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 (Rn. 23) = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18. 389 So schon BAG, Urt. v. 14. 02. 2007 – 7 AZR 95/06, NZA 2007, 803, 806 (Rn. 23) = BAGE 121, 247 = AP BGB § 612a Nr. 18; sowie BAG, Urt. v. 21. 09. 2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317, 322 (Rn. 43, 45) = AP Nr. 20 zu § 612a BGB im Wege der Analogie zu § 15 Abs. 6 AGG. 390 APS/Backhaus, TzBfG, § 14 Rn. 287. 391 BAG, Urt. v. 28. 10. 1986 – 1 ABR 16/85, NZA 1987, 530, 531 = AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 32. 392 APS/Backhaus, TzBfG, § 14 Rn. 287; BAG, Urt. v. 28. 10. 1986 – 1 ABR 16/85, NZA 1987, 530, 531 = AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 32. 393 Allg. Meinung, stellv. ErfK/Müller-Glöge, TzBfG, § 14 Rn. 88. 394 Junker, ZfA 2021, 281.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

Arbeitsverhältnis unter wertender Modifizierung der Rechtsfolge des § 142 Abs. 1 BGB die Beendigung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft bewirkt.395 Damit entspricht der soziale Einschnitt dem einer Kündigung, sodass auch die Anfechtungserklärung eine Maßnahme gleicher Wirkung sein kann. Mit Blick auf die übrigen Voraussetzungen und Schranken des Anfechtungsrechts wäre die Bedeutung der „maßregelnden Anfechtung“ jedoch überschaubar: Anfechtungsgründe sind regelmäßig von grundsätzlicher Bedeutung, weshalb die Anfechtung innerhalb festgelegter Fristen (§§ 121, 124 BGB) erklärt werden muss. Besteht ein Anfechtungsgrund, bilden die Rechtsgrundsätze der Verwirkung (§ 242 BGB) eine Schranke für dessen Ausübung, wenn er erst später Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erhält.396 Einen bestehenden Anfechtungsgrund „aufzusparen“, um ihn im Falle einer zulässigen Rechtsausübung gegen den Arbeitnehmer einzusetzen, unterliegt daher unabhängig vom Maßregelungsverbot zeitlichen Grenzen. (d) Abmahnungen Teilweise wird vertreten, auch eine Abmahnung falle unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung.397 Eine Abmahnung fällt ohne Zweifel unter den Begriff der Kündigungsvorbereitung. Allerdings führt sie noch nicht zu einem der Kündigung vergleichbaren Eingriff. Die Einordnung als Maßnahme gleicher Wirkung lässt sich nur mit einem verfehlten Verständnis des Erwägungsgrundes 43 ABRL erklären, der allerdings in Wahrheit klar zwischen Vorbereitungshandlungen und Maßnahmen gleicher Wirkung unterscheidet. Dass Kündigungsvorbereitung zugleich auch eine Maßnahme gleicher Wirkung ist, lässt sich weder den Erwägungsgründen noch dem verfügenden Teil der Richtlinie entnehmen. c) Bedeutung für das deutsche Recht In Deutschland wird der Schutz vor maßregelnden Kündigungen primär von § 612a BGB abgesichert. Insofern besteht mit der Doktrin des tragenden Beweggrunds bereits eine mitgliedsstaatliche Ausgestaltung des Kausalzusammenhangs, die es erlaubt von „Motivkündigungsschutz“398 zu sprechen. aa) Konsequenzen für § 612a BGB Während nach Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL keine näheren Anforderungen an die Ausgestaltung des Kausalzusammenhangs bzw. die Berück395

ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 395; MüKo/Spinner, BGB, § 611a Rn. 554. BAG, Urt. v. 28. 05. 1998 – 2 AZR 549/97, NZA 1998, 1052, 1055; BAG, Urt. v. 11. 11. 1993 – 2 AZR 467/93, NZA 1994, 407, 409; MüHB-ArbR/Benecke, § 38 Rn. 39. 397 Riesenhuber, EU-ArbR, § 14 Rn. 71; Picker, ZEuP 2020, 305, 319. 398 So zu Art. 18 ABRL Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 26); Marhold/Fuchs/ Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht, S. 194. 396

B. Maßregelungsschutz in ABRL und EZRL

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sichtigung plausibler Alternativbegründungen im nationalen Recht vorgesehen sind, ist davon auszugehen, dass das deutsche Maßregelungsverbot mit seiner weiten inhaltlichen Erfassung ansonsten rechtmäßigen Verhaltens des Arbeitgebers den unionsrechtlichen Anforderungen genügt. Einerseits erscheint „selbstverständlich“, dass der Regelungsgehalt des Kündigungsverbots mit § 612a BGB bereits im deutschen Recht verwirklicht ist.399 Dies gilt erst recht, soweit für die Ausübung eines Rechts ein absolutes Kündigungsverbot wie § 18 BEEG greift. Andererseits fällt etwa das Sammeln von Informationen in Vorbereitung auf den Ausspruch einer Kündigung nicht unter den Begriff der Maßnahme bzw. der Benachteiligung.400 Im Rahmen des deutschen Rechts sieht § 612a BGB folglich keinen umfassenden Schutz vor jeglichen Vorbereitungshandlungen vor. Dieser wäre jedoch unionsrechtlich auch gar nicht erforderlich.401 Soweit die Maßnahme des Arbeitgebers, die in Vorbereitung einer Kündigung erfolgt, mit Nachteilen des Arbeitnehmers verbunden ist, ist sie von § 612a BGB erfasst: Die Abmahnung verstößt, wenn tragender Beweggrund die Maßregelung für zulässige Rechtswahrnehmung ist, gegen § 612a BGB und ist rechtswidrig. Bezogen auf das deutsche Recht soll aber auch die Betriebsratsanhörung vom Begriff der Kündigungsvorbereitung in Art. 18 Abs. 1 ABRL erfasst sein.402 Die Betriebsratsbeteiligung ist zwar regelmäßig Kündigungsvoraussetzung, dient jedoch nicht dazu, dem Arbeitnehmer zu schaden: Vielmehr handelt es sich um eine Vorschrift des präventiven Kündigungsschutzes, die letztlich eine Möglichkeit schaffen soll, einen bereits gefassten Kündigungsentschluss des Arbeitnehmers zu dessen Gunsten abzuändern.403 Wenn das Unionsrecht die Anhörung des Betriebsrats in einem solchen Fall verbieten würde, wäre dem Arbeitnehmer gerade nicht geholfen. Eine Subsumtion der Betriebsratsanhörung unter „Kündigungsvorbereitung“ im Sinne des Art. 18 Abs. 1 ABRL impliziert darüber hinaus eine Auslegung des Unionsrechts anhand der Maßstäbe und Kategorien des nationalen Rechts. Die Norm fordert nur einen Schutz vor belastenden Vorbereitungshandlungen. Dieser wird bereits durch die §§ 5 TzBfG, 612a BGB abgebildet. Folglich ist das Verbot von Vorbereitungshandlungen in Art. 18 Abs. 1 ABRL im vorgegebenen Umfang bereits im deutschen Recht verankert. bb) Erforderliche Änderungen durch Art. 12 Abs. 1 EZRL Der nach Art. 12 Abs. 1 EZRL erforderliche Schutz vor Kündigungsvorbereitung vor und während der Freistellungszeiten wird nicht vollständig im deutschen Recht abgebildet. Demgemäß müssen die einschlägigen besonderen Kündigungsverbote 399 400

2023. 401

Kolbe, EuZA 2020, 35, 42. Diller, NZA 2006, 569, 570; BeckOGK/Benecke, BGB, § 612a Rn. 25, Stand 01. 06.

Dazu Kapitel 3, B.IV.2.b)aa). EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 1. 403 Schaub/Linck, § 124 Rn. 1.

402

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

(§ 5 PflegeZG, §18 BEEG) entsprechend ergänzt404 bzw. die im Zuge des Vaterschaftsurlaubs ggf. neu zu schaffenden Kündigungsverbote entsprechend ausgestaltet werden.405 Nach hier vertretener Auffassung besteht jedoch kein Änderungsbedarf aufgrund von Art. 12 Abs. 1 i. V. m. mit den Rechten aus Art. 9 ABRL,406 da die Inanspruchnahme flexibler Arbeitsbedingungen keine echte Freistellung betrifft. Vielmehr zielt Art. 9 EZRL erkennbar nur auf eine Flexibilisierung durch Änderung der Arbeitsmuster ab, wie sich aus Art. 9 Abs. 3 EZRL ergibt. Der Begriff der Vorbereitungshandlungen aus der EZRL hat eine eigene Bedeutung, soweit echte Freistellungszeiten in Rede stehen.407 Insofern gilt, dass auch Art. 12 Abs. 1 EZRL zum Schutz der Wahrnehmung der Rechte aus Art. 9 EZRL nur einen Schutz vor belastenden Vorbereitungshandlungen verlangt. Für den Zeitraum nach Ende der Freistellung ist allerdings ebenfalls ein Schutz vor maßregelnden Kündigungen erforderlich. Die Intensität und genaue Realisierung dieses Kündigungsschutzes zu regeln, obliegt jedoch der Gestaltungsautonomie der Mitgliedsstaaten. Kündigungen wegen der zulässigen Inanspruchnahme eines Rechts wären jedenfalls von § 612a BGB bzw. § 5 TzBfG erfasst,408 weswegen kein Umsetzungsbedarf besteht. Entsprechendes gilt für Kündigungen im Vorfeld einer Freistellung, etwa, nachdem der Arbeitnehmer diese erst beantragt,409 soweit dies nicht ohnehin schon durch die einschlägige Sonderregelung abgedeckt ist (vgl. etwa § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG). d) Benachbarte Vorschriften und Umsetzungsbedarf Art. 16 ABRL bedeutet keinen Änderungsbedarf, da der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 48 ArbGG und §§ 17a ff. GVG die Streitbeilegungsvorgabe erfüllt.410 Es spricht viel dafür, dass die durch das Maßregelungsverbot festgelegte Rechtsfolge zumindest im Ansatz den Anforderungen genügt, die das Sekundärrecht in Art. 17 ABRL und Art. 13 EZRL und die Rechtsprechung an wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen stellen.411 Die Frage bedarf für die hier zu erörternden Beweiserleichterungen keiner weiteren Diskussion, da die Sanktionen

404

Treichel, NZFam 2021, 433, 434; Graue, ZESAR 2020, 62, 69. Treichel, DGB-Gutachten, S. 58; Stiegler, NZA 2021, 469, 474. 406 Entgegen Treichel, NZFam 2021, 433, 439; Treichel, DGB-Gutachten, S. 109. 407 Dazu Kapitel 3, B.IV.3.b)aa). 408 Zur Auffangfunktion des § 612a BGB mit Blick etwa auf das BEEG schon Kapitel 3, B.III.2.b). 409 Burkert-Vavilova, DB 2023, 895, 897. 410 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415. 411 EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 5; wohl auch Kreßel, ZfA 2021, 312, 337, der aber meint, der Gesetzgeber werde „nachrüsten“ müssen. 405

C. Repressalienschutz der WBRL

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über den reinen Viktimisierungsschutz hinausgehen und somit keine unmittelbare Relevanz für Beweiserleichterung und Begründungspflicht haben. Art. 15 EZRL sieht eine Zuständigkeit der Gleichbehandlungsstellen für etwaige Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Ausübung von Richtlinienrechten vor, sodass der Gesetzgeber nach Art. 4 VRUG im deutschen Recht Anpassungen der §§ 27 ff. AGG vorgenommen hat.412 3. Zwischenergebnis Die Maßregelungsverbote der Richtlinien lösen hauptsächlich aufgrund von § 612a BGB nur begrenzten Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber aus. Ergänzt der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der EZRL die nach gegenwärtigem Recht thematisch einschlägigen Spezialgesetze, werden jedoch die Kündigungsverbote der § 18 BEEG, § 5 PflegeZG um ein § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG entsprechendes Verbot der Kündigungsvorbereitung ergänzt werden müssen. Im Rahmen der Durchsetzung von Richtlinienrechten vor Gericht oder durch Beschwerde ist der persönliche Anwendungsbereich des Maßregelungsschutzes im deutschen Recht auf Dritte, die den Arbeitnehmer dabei unterstützen, auszudehnen. Festzuhalten ist, dass das deutsche Maßregelungsverbot nicht nur aufgrund seines weiten Anwendungsbereichs über die sekundärrechtlichen Anforderungen hinausgeht. Teilweise vorhandene Redundanzen der Regelungen in Art. 12 Abs. 1, 11, 14 EZRL sowie Art. 17, 18 Abs. 1 ABRL lassen sich durch die Funktion ergänzender Vorgaben als Anknüpfungspunkt für die noch zu untersuchenden Begründungspflichten und Beweiserleichterungen erklären.

C. Repressalienschutz der WBRL Vor Inkrafttreten der WBRL bestand für das Phänomen des Whistleblowings eine erhebliche Rechtsunsicherheit,413 obwohl die Rechtsprechung Leitplanken für die Handhabung in der Betriebs- und Kündigungspraxis aufgestellt hatte.414 Die Richtlinie fungiert als geordneter Rahmen und soll zugleich den Schutz des Hinweisgebers sicherstellen.

412

Dazu noch Kapitel 6, A.III.2. Fischer-Lescano, AuR 2016, 4, 5 f. m. w. N.; vgl. Becker, Whistleblowing, S. 14. 414 Deshalb an der Notwendigkeit einer Kodifikation der Rspr. zweifelnd Simonet, RdA 2013, 236, 238. 413

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

I. Regelungsgehalt der WBRL Hauptzweck der Richtlinie ist die Förderung der effektiven Geltung des Unionsrechts.415 Es geht darum, durch eine Verbesserung der Hinweisgeber-Infrastruktur die Meldebereitschaft zu erhöhen.416 Sie folgt – wie auch ABRL und EZRL – dem Prinzip der Mindestharmonisierung.417 1. Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes Die Union hat den Anwendungsbereich der WBRL nur aufgrund fehlender Kompetenz, nicht aus sachlichen Gründen auf Unionsrechtsverstöße beschränkt.418 Den persönlichen Anwendungsbereich regelt Art. 4 WBRL. Zwar wird der Hinweisgeberschutz im Arbeitsverhältnis besonders virulent. Der persönliche Anwendungsbereich der WBRL erfasst jedoch neben Arbeitnehmern einen weit größeren Personenkreis.419 Die Aufzählung von Arbeitnehmern, Selbstständigen und weiterer Teilnehmer des Wirtschaftslebens ist nicht abschließend. In Art. 4 Abs. 1a) WBRL wird auf den primärrechtlich-unionalen Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV verwiesen.420 Im deutsche Recht ist zu beachten, dass der Arbeitnehmerbegriff der WBRL über § 611a BGB hinausgeht.421 Art. 4 Abs. 4 WBRL erstreckt den Schutz auch auf Mittler, Dritte und juristische Personen im Eigentum des Hinweisgebers, die mit Hinweisgebern in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden können (explizit auch Verwandte und Kollegen). Unklar ist die Bedeutung der Formulierung aus den Erwägungsgründen, dass nur bei einem beruflich bedingten Machtungleichgewicht ein Bedürfnis für Repressalienschutz bestehe.422 Das Erfordernis einer „beruflichen Abhängigkeit“ wird zwar in den nachfolgenden Erwägungsgründen immer wieder betont,423 findet sich aber im Normtext des Art. 4 WBRL in keiner Weise wieder: Die Rede ist nur noch von einem „beruflichen Kontext“. Selbst in den Erwägungsgründen wird die Formulierung relativiert, soweit hervorgehoben wird, dass bei den durch die Richtlinie ebenfalls geschützten Dritten nicht zwangsläufig eine wirtschaftliche 415

Dazu Kommission, Mitteilung an das EU Parlament v. 23. 08. 2018, COM(2018) 214 final, S. 3 f.; Schröder, ZRP 2020, 212. 416 Metzner/Gloeckner, CCZ 2021, 256. 417 Erwägungsgrund 104 WBRL. 418 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 205. 419 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1202; MüHB-ArbR/Reichold, § 54 Rn. 41a; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849; Degenhardt/ Dziuba, BB 2021, 570, 573; Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 433. 420 Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 242. 421 Preis/Sagan, Der Arbeitsvertrag, Whistleblowing Rn. 13. 422 Erwägungsgrund 36 WBRL. 423 Etwa in Erwägungsgrund 39 WBRL.

C. Repressalienschutz der WBRL

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Abhängigkeit bestehen muss.424 Insgesamt ist das Kriterium der beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit für sich genommen nur begrenzt als Anwendungsparameter des Art. 4 WBRL geeignet und keine Voraussetzung des persönlichen Anwendungsbereichs. Der Schutz der Art. 19, 20 WBRL reicht demnach in persönlicher Hinsicht deutlich über § 612a BGB und damit über das Arbeitsrecht hinaus.425 2. Meldekanäle und Offenlegungsmöglichkeit Hinweise auf unionsrechtswidriges Verhalten werden durch die Richtlinie auf drei Wegen ermöglicht: Offenlegung sowie interne und externe Meldekanäle.426 Dabei stellt die Richtlinie ein klares Rangverhältnis zwischen den Arten des Hinweisgebens auf. Die Offenlegung im Sinne des Art. 15 WBRL soll erkennbar nur das letzte Mittel sein, wenn der Hinweisgeber alle anderen Optionen ausgeschöpft hat.427 Das Rangverhältnis wird durch offene Formulierungen der einschlägigen Richtlinienbestimmungen und Ausnahmen aufgeweicht.428 Einrichtung von Meldekanälen für Hinweisgeber ist für Staat und Privatwirtschaft mit hohen Kosten verbunden.429 Die Union verspricht sich im Ergebnis jedoch durch Ermutigung der Hinweisgeber und der Meldung von Rechtsverstößen in kontrollierten und regulierten Systemen erheblichen Nutzen für die Gesamtrechtsordnung und das Gemeinwohl.430 In Deutschland lag der Schwerpunkt der Betrachtung des Phänomens Whistleblowing auf dessen Grundrechtsrelevanz, nicht auf dem Nutzen als Mittel zum Zweck der Rechtsdurchsetzung.431 Das Thema ist politisch kontrovers. Bislang national etablierte Grundsätze, wie etwa der mögliche Vorrang der internen Meldung aufgrund arbeitsvertraglicher Treuepflicht,432 werden durch die Richtlinie in Frage 424

Erwägungsgrund 40 WBRL. Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 130; Gerdemann, SR 2021, 2, 8; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 157. 426 Dilling, CCZ 2019, 214, 215; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 242; umfassend zur praktischen Einrichtung von Hinweisgebersystemen etwa Lüneborg, DB 2022, 375, 375 ff. 427 Dilling, CCZ 2019, 214, 215. 428 Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 243. 429 Dilling, CCZ 2019, 214; kritisch zur Aufspaltung von Hinweisgebersystemen in intern und extern Metzner/Gloeckner, CCZ 2021, 256, 259; zu den Mitarbeiterschwellen des Anwendungsbereichs der WBRL für Konzerne m. w. N. Holle, ZIP 2021, 1950, 1951 ff. 430 Erwägungsgründe 5 – 18 WBRL; Dilling, CCZ 2019, 214; kritisch bzgl. fehlender finanzieller Anreize für Hinweisgeber Schmolke, ZEuP 2022, 82, 85. 431 Uhlmann, U.C. Davis Journal of International Law & Policy 2020, 149, 191; vgl. BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3475, das jedenfalls festhält, dass Eigenschaft der Zeugenaussage als staatsbürgerliche Pflicht nicht ignoriert werden dürfe. 432 Nach der Rspr. gilt kein allgemeiner Vorrang der internen Meldung, jedoch erwachsen aus arbeitsvertraglichen Treue- und/oder Verschwiegenheitspflichten besondere Rechtmäßigkeitsanforderungen an die externe Meldung, dazu eingehend BAG, Urt. v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2007, 427, 430; in Umsetzung von BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 425

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

gestellt.433 Die Richtlinie ist, entgegen den ursprünglichen Vorstellungen der Kommission,434 hinsichtlich eines Vorrangverhältnisses zwischen internen und externen Meldekanälen ambivalent.435 Art. 7 Abs. 2 WBRL entfaltet für das Verhältnis zwischen interner und externer Meldung keine Rechtswirkung.436 Ob ein pauschales Alternativverhältnis zwischen interner und externer Meldung eine Umsetzungsoption für die Mitgliedsstaaten ist, ist zu bezweifeln. Eine solche Alternativität ignoriert die Interessen der Arbeitgeber und ist insofern mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh) bedenklich.437 Hier zeigt sich bereits die hohe rechtspolitische Sprengkraft der Thematik: Im Schrifttum wird sogar davor gewarnt, dass ohne einen klar definierten Vorrang der internen Meldung Hinweisgeber in persönlich schwer zumutbare Abwägungsentscheidungen gezwungen und dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet werde.438 Weitere Unstimmigkeiten im Verhältnis zur Rechtslage vor Umsetzung der WBRL ergeben sich im Kontrast zu § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG: Während das Geschäftsgeheimnisgesetz die übrigen Regelungen des Arbeitsrechts unberührt lässt, werden bei Einhaltung der Vorgaben der WBRL jegliche Konsequenzen für den Hinweisgeber untersagt.439 Da Hinweisgeber sich durch die Offenlegung oder Meldung Strafbarkeitsrisiken aussetzen, bestehen zwangsläufige Wechselwirkungen auf Rechtfertigungsebene im Strafrecht.440 Damit ist klar, dass im Zuge der Umsetzung der WBRL schwierige Richtungsund Abwägungsentscheidungen durch den nationalen Gesetzgeber zu treffen waren. Dass sich unter anderem Deutschland bei der Abstimmung im Rat enthalten hat, verwundert nicht.441 Der Rechtsrahmen für Whistleblowing in der WBRL war schon aufgrund seiner Komplexität in Deutschland nicht ohne gesetzliche Regelungen in transparenter Weise umsetzbar.442

2049/00, NJW 2001, 3475; im Ergebnis ist daher de lege lata ein innerbetrieblicher Hinweis nur in Ausnahmefällen verzichtbar, Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 435; für einen Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe unter Vertrauensschutzgesichtspunkten Preis, Prinzipien, S. 590; Müller, NZA 2002, 424, 432; Berkowsky, NZA-RR 2001, 1, 16. 433 Schmolke, NZG 2020, 5, 9; Gerdemann, SR 2021, 89, 91. 434 Kommission, Mitteilung an das EU-Parlament v. 23. 08. 2018, COM(2018) 214 final, S. 9. 435 Buchwald, ZESAR 2021, 69, 72; vgl. auch Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 436; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1851; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 126; für eine nationale Ausgestaltung mit Anreizen für eine vorrangige interne Meldung Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420. 436 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 86. 437 Buchwald, ZESAR 2021, 69, 74. 438 Ullrich, NZWiSt 2019, 65, 71. 439 Ullrich, WiJ 2019, 53, 61. 440 Dazu eingehend Leite, GA 2021, 129, 132 ff. 441 Schmolke, NZG 2020, 5, 9. 442 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 98 f.

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II. Einordnung des Hinweisgeberschutzes Zu klären ist, inwiefern es sich bei den Schutzvorschriften für Hinweisgeber um Viktimisierungsschutz im Sinne von ABRL und EZRL, bzw. um Maßregelungsschutz vergleichbar mit § 612a BGB handelt. 1. Struktur des Repressalienschutzes in der WBRL Die Verhinderung und wirksame Bekämpfung von Repressalien ist partieller Funktionsgarant der Hinweisgebersysteme insgesamt.443 Werden Hinweisgeber Benachteiligungen ausgesetzt, schreckt dies andere potenzielle Hinweisgeber ab, Gesetzesverstöße aufzudecken.444 Dass Hinweisgeber in der Praxis Repressalien befürchten müssen, kann als empirisch gesichert gelten.445 Neben dem Schutz des (gutgläubigen) Hinweisgebers vor Haftung und Bekanntwerden seiner Identität greift ein zwingendes Verbot von Repressalien gegen den rechtmäßig handelnden Hinweisgeber in Art. 19 WBRL, sofern dessen Identität doch aufgedeckt wird.446 Art. 5 Nr. 11 definiert Repressalien als direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Art. 19 WBRL bezieht sich auf die Definition in Art. 5 Nr. 11 WBRL, es folgt eine beispielhafte und nicht abschließende Aufzählung.447 Diese legt ein weites Verständnis des Begriffs der Repressalien nahe: Art. 19 erfasse auch die Nichterlangung von Vorteilen, auf die kein Anspruch bestehe, zum Beispiel Versagung einer Beförderung, Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags oder Leistungsbeurteilungen.448 Darüber hinaus ist in Art. 19 WBRL bereits der Versuch einer Benachteiligung untersagt. Art. 21 Abs. 1 WBRL setzt den Regelungsansatz des Art. 19 WBRL fort.449 Nicht nur wird die Maßnahme des Arbeitgebers als unwirksam eingestuft; Art. 23 Abs. 1 lit. b) & c) WBRL fordert auch, dass die Mitgliedsstaaten den Unternehmen bei solchen Benachteiligungen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen auferlegen.450 Hinsichtlich der Sanktionseinführung kommt den Mitgliedsstaaten

443 Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2479; ähnlich Metzner/Gloeckner, CCZ 2021, 256, 259; vgl. auch Scheicht/Loy, DB 2015, 803, 806. 444 Andreis, European Papers 2019, 575, 582; Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019, 12, 18. 445 Kölbel, Whistleblowing, S. 115 ff. 446 Dilling, CCZ 2019, 214, 215. 447 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 109; Schmolke, NZG 2020, 5, 7. 448 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 438. 449 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 109. 450 Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131.

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hoher Gestaltungsfreiraum zu.451 Auch die Interessen des (angeblichen) Rechtsverletzers werden durch die Richtlinie bedacht. Der Schutz vor unwahren Hinweisen und unredlichen Whistleblowern (etwa durch Art. 22 f. WBRL) ist im deutschen Recht etwa durch bereits vorhandene Straftatbestände (z. B. §§ 163, 186 f. StGB) und durch das Deliktsrecht sichergestellt.452 Darüber hinaus ergänzt Art. 21 WBRL den Repressalienschutz in Abs. 6 – 8 um weitere Vorgaben. So sind nach Abs. 6 geeignete Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien zu schaffen, die einstweiligen Rechtsschutz einschließen. Erwägenswert erscheint insbesondere die Einführung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs des gekündigten Hinweisgebers, der im einstweiligen Rechtsschutz geltend gemacht werden kann.453 Abs. 7 beinhaltet eine umfassende Haftungsfreistellung von Hinweisgebern, die sich an die Vorgaben der WBRL halten, während Abs. 8 eine weitere Rechtsweggarantie und die Verpflichtung zur Schaffung eines Kompensationssystems enthält. 2. Begrenzte Parallelen zum Diskriminierungsrecht Nach einer verbreiteten Einschätzung im Schrifttum verfolgt der Repressalienschutz der WBRL einen dem Diskriminierungsrecht vergleichbaren Ansatz,454 da der Benachteiligungsschutz des Einzelnen im Mittelpunkt steht. Dafür spricht auch, dass im Kommissionsentwurf zur WBRL eine den Diskriminierungsrichtlinien vergleichbare Beweiserleichterung mit vorgelagerter Glaubhaftmachungspflicht des Hinweisgebers vorgesehen war, die in der endgültigen Fassung der Richtlinie entfallen ist.455 Gegen eine Parallelausrichtung des Hinweisgeberschutzes zum Diskriminierungsschutz wird angeführt, dass es beim Whistleblowing nicht um „angeborene“ Merkmale, sondern um die Erreichung eines Fernziels („Legalität“) gehe, weshalb eine Betrachtung des Phänomens unter dem ansonsten wünschenswerten Gleichbehandlungszweck nicht angezeigt sei.456 Dies setzt sich in der WBRL fort. Ein Vergleich zu anderen Personen ist für die Feststellung einer Benachteiligung des Hinweisgebers nicht erforderlich.457 Der Repressalienschutz für Hinweisgeber ist, im Unterschied zum Diskriminierungsschutz, verhaltens-, nicht personenbezogen.458 Dem ist zuzustimmen. Es bestehen Unterschiede zwischen Repressalienschutz und Diskriminierungsschutz im eigentlichen Sinne. Im Ergebnis gilt daher für den 451

Stappers, ERA Forum 22 (2021), 87, 98. Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 130 f. 453 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 436, sowie 450 f. zu einem nach Art. 30 GRCh gebotenen Wiedereinstellungsanspruch neben einer Entschädigung. 454 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966; Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 71; vgl. auch Gerdemann, RdA 2019, 16, 25; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 433. 455 Dazu Preis/Sagan, Der Arbeitsvertrag, Whistleblowing Rn. 18; Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005. 456 Forst, EuZA 2013, 37, 62. 457 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 112; Riesenhuber, FS Martinek, 673, 676. 458 Riesenhuber, FS Martinek, 673, 676. 452

C. Repressalienschutz der WBRL

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Ansatz in der WBRL Vergleichbares wie beim Verhältnis zwischen Diskriminierungs- und Maßregelungsschutz im deutschen und europäischen Recht:459 Es bestehen tatbestandliche Unterschiede, jedoch auch signifikante Gemeinsamkeiten zwischen den Rechtsinstituten, sodass sich der Repressalienschutz im weiteren Sinne durchaus als Diskriminierungsschutz im Sinne eines Benachteiligungsschutzes bezeichnen lässt. Dass Diskriminierungsschutz im engeren Sinne und Repressalienschutz nicht gleichbedeutend sind und folglich ein „diskriminierungsrechtlicher Ansatz“ nur schwer angenommen werden kann, zeigt sich jedoch darin, dass Diskriminierung in Art. 19 lit. h WBRL als Regelbeispiel einer Repressalie aufgeführt ist. 3. Anknüpfungspunkte im deutschen Recht Vor der Umsetzung der WBRL bestand im Arbeitsrecht außerhalb einiger Spezialgesetze kein umfassender Hinweisgeberschutz.460 a) § 612a BGB Nach der überwiegenden Ansicht im Schrifttum wurde das Repressalienverbot jedoch im deutschen Recht grundsätzlich durch § 612a BGB abgebildet,461 der auch im Zuge der Umsetzung der WBRL in den Fokus der Diskussion gerückt ist.462 Die Relevanz des Maßregelungsverbots für den Hinweisgeberschutz wird auch dadurch deutlich, dass bei vergangenen Reformbestrebungen zum Hinweisgeberschutz § 612a BGB als normativer Anknüpfungspunkt gewählt wurde.463 Dies gilt zumindest dann, wenn es sich beim Hinweisgeber um einen Arbeitnehmer im Sinne des § 611a BGB handelt. Weil der für die WBRL einschlägige unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV weitere Personengruppen erfasst, stellt ein derartig umfassender Repressalienschutz ein Novum im deutschen Recht dar.464 Art. 4 WBRL erfasst weiterhin auch Personen, die nicht unter den Begriff des Arbeitnehmers fallen. Allgemein eignet sich § 612a BGB als umfassendes Benachteiligungsverbot daher zum Schutz vor Repressalien,465 die Norm ist aber aufgrund ihres beschränkten persönlichen Anwendungsbereichs limitiert. Die Beweisnot beim

459

Dazu eingehend Kapitel 1, C. Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 572. 461 Schmitt, NZA-Beil. 2020, 50, 56 f.; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965; vgl. auch Fischer-Lescano, AuR 2016, 4, 5; Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 116; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 438. 462 KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 3. 463 Dazu umfassend Becker, Whistleblowing, S. 142 ff. 464 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 115. 465 Brungs, Whistleblowing, S. 400 f. 460

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Maßregelungsverbot ist hauptsächlicher Faktor für die geringe praktische Relevanz des § 612a BGB beim Repressalienschutz de lege lata.466 Abgesehen von den Unterschieden im Anwendungsbereich, ist jedoch vor einer eingehenderen Betrachtung der neuen Beweiserleichterung zu klären, wie sich die tatbestandlichen Voraussetzungen zwischen Repressalienschutz und Maßregelungsverbot im deutschen Recht zueinander verhalten. Die Interessenlage ist nämlich auf den ersten Blick verschieden. Während beim einfachen Maßregelungsverbot der dagegen verstoßende Arbeitgeber kaum schutzwürdig erscheint, ist der Hinweisgeberschutz in der WBRL insgesamt bemüht, die Interessen des Unternehmens oder der Institution zu wahren, die den Unionsrechtsverstoß zu verantworten hat. Dies zeigt sich auch durch das eben geschilderte Rangverhältnis zwischen Hinweiskanälen und Offenlegung. aa) Begriff der Repressalien aus der WBRL im Vergleich zu § 612a BGB Auch der Begriff der „Maßnahme“ in § 612a BGB wird überwiegend weit verstanden.467 Problematisch im Verhältnis zu § 612a BGB könnte der Begriff des „ungerechtfertigten Nachteils“ aus Art. 5 Nr. 11 WBRL sein. Arbeitgeber könnten demnach den Einwand erheben, dass der Nachteil des Hinweisgebers gerechtfertigt ist.468 Kritischer Punkt ist der Kausalzusammenhang zwischen Meldung oder Offenlegung und benachteiligender Maßnahme. Gerade dafür enthält die Richtlinie jedoch keine genaueren Vorgaben.469 Die Möglichkeit eines gerechtfertigten Nachteils nach Art. 5 Nr. 11, 21 Abs. 1, Abs. 5 WBRL könnte allerdings einen Kontrast zum Maßregelungsverbot im deutschen Recht bilden, da innerhalb der Definition des Art. 5 Nr. 11 WBRL ein aus anderen Gründen gerechtfertigter Nachteil von vornherein keine Repressalie darstellt. Wäre dies der Fall, würde § 612a BGB deutlich über das Repressalienverbot der WBRL hinausgehen, da das Maßregelungsverbot im deutschen Recht auch eingreifen kann, wenn ein ansonsten rechtmäßiges Verhalten vorliegt.470 Dagegen spricht jedoch die Auslegung des Art. 21 Abs. 5 WBRL anhand der Erwägungsgründe. Erwägungsgrund 93 WBRL konkretisiert den Kausalitätsmaßstab.471 Die Rechtsfolge des Art. 21 Abs. 5 WBRL wird damit umschrieben, dass die Prozessgegner nachweisen müssten, dass ihr Vorgehen in keiner Weise mit der erfolgten Meldung oder Offenlegung in Verbindung gestanden habe.472 Obwohl die 466

Gerdemann, SR 2021, 89, 90 f. ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 8; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 11. 468 Dilling, CCZ 2021, 60, 65. 469 Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 190. 470 Dazu Kapitel 1, B.I.1., III., IV. 471 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 111; Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 43. 472 Erwägungsgrund 93 WBRL; vgl. EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 56. 467

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Formulierung im Normtext im Trilog-Verfahren geändert wurde, wurde der Erwägungsgrund nicht angepasst, weshalb keine Bedeutungsänderung in der Neufassung des Art. 21 Abs. 5 WBRL („zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“) intendiert gewesen sei.473 Hieraus folge, dass eine Benachteiligung auch dann unzulässig sei, wenn das Whistleblowing nur einer unter mehreren Gründen für die ergriffene Maßnahme war.474 Auf der anderen Seite spricht Erwägungsgrund 44 WBRL von einem engen Zusammenhang zwischen Rechtswahrnehmung und Benachteiligung, was dem weiten Verständnis nach dem Erwägungsgrund 93 WBRL widerspricht, nach dem bereits eine Aufnahme der Rechtswahrnehmung in einem Motivbündel für eine Repressalie ausreichen kann.475 Zwar lässt sich argumentieren, dass der Hinweisgeber auch hinreichend geschützt ist und Missbrauchsrisiken des Repressalienschutzes minimiert werden, wenn für den Kausalzusammenhang gefordert wird, dass die Meldung oder Offenlegung mindestens tragender Beweggrund der Benachteiligung ist.476 Eine solche Position überträgt jedoch nur eine für das deutsche Maßregelungsverbot entwickelte Auslegung des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB auf eine unionsrechtliche Bestimmung, ohne nähere Anhaltspunkte dafür, dass der Unionsgesetzgeber diese zugrunde gelegt hat. Im Gegenteil: Während der „enge Zusammenhang“ in Erwägungsgrund 44 WBRL eine recht unpräzise Umschreibung darstellt, sollte der vergleichsweise klare und im Hinblick auf den Repressalienbegriff und Art. 21 WBRL konsistente Erwägungsgrund 93 WBRL die Auslegung der Legaldefinition von Repressalien in Art. 5 Abs. 1 Nr. 11 und der Bestimmungen in Art. 21 Abs. 1,5 WBRL leiten. Zuzugeben ist, dass die Anforderungen an den Kausalzusammenhang eher vage formuliert sind. Dabei gilt jedoch eine zentrale Maßgabe nach den Erwägungsgründen: Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn eine Meldung oder Offenlegung in keiner Weise die Entscheidung für die nachteilige Maßnahme beeinflusst hat, also „die Benachteiligung ausschließlich auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“.477 Die Argumentation von Brobeil widerspricht gerade dem Schutzzweck des § 612a BGB, deren Tatbestandsvoraussetzungen sie auf Art. 21 Abs. 5 WBRL übertragen will: Es sei dem Arbeitgeber bei einem den Erwägungsgründen entsprechenden Verständnis des 473

Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 112. Ebenda; so auch Siemes, Whistleblowing-Richtlinie, S. 104 f.; EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 56.; Riesenhuber, FS Martinek, 673, 686; Riesenhuber, EU-ArbR, § 15 Rn. 61; Gerdemann, RdA 2019, 16, 26; Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 434; Dilling, CCZ 2019, 214, 219; Johnson, CCZ 2019, 66, 67. 475 Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 198: in diesem Sinne auch Schmidt, Regelungsoptionen, S. 156. 476 Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 200 ff.; in diesem Sinne bereits Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 574; für eine Berücksichtigung des Erhalts einer umfassenden Handlungsfreiheit des Unternehmens auch Schmidt, Regelungsoptionen, S. 156 f. 477 Erwägungsgrund 93 Satz 2 WBRL – Hervorhebung ergänzt. 474

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

Kausalzusammenhangs unmöglich, seiner Beweislast zu genügen, weil nie ausgeschlossen werden könne, dass die Hinweisgeberstellung seine Entscheidung mitbeeinflusst haben könne.478 Dann seien aber arbeitgeberseitige Maßnahmen aus hinreichend gerechtfertigten Gründen vom Repressalienverbot erfasst.479 Gerade dies ist jedoch eine charakteristische Ausprägung der Wertung des § 612a BGB. Daher ist der Repressalienschutz, den Art. 21 Abs. 5 WBRL absichert, mit einem höheren Schutz als § 612a BGB verbunden, da Alternativbegründungen bereits dann unerheblich sind, wenn die Stellung als Hinweisgeber einen weiteren Grund für die Maßnahme gebildet hat. Es genügt also, nachzuweisen, dass die Hinweisgeberstellung überhaupt die Entscheidung beeinflusst hat. Bei § 612a BGB muss die Rechtsausübung hingegen tragender Beweggrund sein – ist sie dies nicht, schadet eine entsprechende Motivation in einem Motivbündel nicht.480 bb) Sorgfaltsanforderungen und subjektiver Horizont des Hinweisgebers Die WBRL schützt auch denjenigen Hinweisgeber, der einem vermeidbaren Erlaubnisirrtum unterliegt.481 Nur gutgläubig handelnde Hinweisgeber genießen Repressalienschutz.482 Weniger klar ist, welche Anforderungen an den subjektiven Horizont des Hinweisgebers zu stellen sind, damit dieser noch als gutgläubig gelten kann. Dies betrifft den Fall des vermeidbaren Irrtums.483 Die Motivation des Hinweisgebers spielt hingegen (gemäß der Formulierung in Erwägungsgrund 32 S. 5 WBRL) keine Rolle.484 Allerdings steht den Mitgliedsstaaten frei, diese zu berücksichtigen, soweit dadurch nicht der Mindestschutzstandard der Richtlinie unterschritten wird.485 Verbreitet wird angenommen, dass der Schutz des Hinweisgebers nur bei grober Fahrlässigkeit entfallen soll.486 Im deutschen Recht betrifft die Frage nach den Sorgfaltsanforderungen an den Hinweisgeber einen Konflikt der Interessen des Hinweisgebers mit dem arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmegebot: Nach heute überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung stellt eine leichtfertige oder nicht bewusst unwahre Anzeige von (in Wahrheit nicht gegebenen) Gesetzesverstößen keine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem 478

Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 201. Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 201. 480 Dazu Kapitel 1, B.I., IV. 481 Ausdrücklich Erwägungsgrund 32 WBRL; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 244. 482 Dilling, CCZ 2019, 214, 219; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 244. 483 Forst, EuZA 2020, 283, 297. 484 Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 573; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Riesenhuber, FS Martinek, 673, 682; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1668; kritisch insofern Preis, Prinzipien, S. 593; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 967. 485 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 428. 486 Forst, EuZA 2020, 283, 297; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 427. 479

C. Repressalienschutz der WBRL

205

Arbeitgeber dar.487 Die Bedeutung der Art. 6, 8 und 10 EMRK für den Hinweisgeberschutz nach der WBRL erscheint ohnehin insofern begrenzt, als dass sich ihr mit Blick auf Art. 30 GRCh auslegungsleitender Charakter darauf beschränkt, dass Grundrechtsausübung allenfalls unter sehr strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen als Kündigungsgrund herangezogen werden kann.488 Das Repressalienverbot der WBRL stellt an sich schon einen präzisieren und strengeren Schutz dar. Im Kern kann allerdings auch der nicht zur Offenlegung Berechtigte unter den Schutz der WBRL fallen. Es liegt zunächst nahe, darin einen Kontrast zu § 612a BGB zu sehen, da die Vorschrift grundsätzlich erst und nur eingreifen kann, wenn das geltend gemachte Recht objektiv besteht.489 Das Maßregelungsverbot schützt nur die Wahrnehmung objektiv bestehender Rechte ohne Rücksicht auf die subjektive Motivation des Arbeitnehmers. Auch verstößt der Versuch einer Benachteiligung nicht gegen § 612a BGB, soweit er nicht schon die Rechte des Arbeitnehmers beschneidet. Insoweit geht das Repressalienverbot der WBRL über das Maßregelungsverbot im deutschen Recht hinaus.490 Die Zulässigkeit des Handelns des Hinweisgebers ist jedoch eine Vorfrage im Verhältnis zur Prüfung, ob das Maßregelungsverbot eingreift. Dass Letzteres erst der Fall sein kann, wenn klar ist, dass der Hinweisgeber durch die Meldung keine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat,491 bedeutet keinen Wertungswiderspruch. b) Benachteiligungsschutz in Spezialgesetzen In Ermangelung eines umfassenden Hinweisgeberschutzes bestand, außer § 612a BGB und weiteren Maßregelungsverboten nur in einigen Sondergesetzen rudimentärer Hinweisgeberschutz.492 So schaffen etwa die § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 3 KWG, § 4d Abs. 1 FinDAG, §§ 13, 27 AGG und §§ 84 ff. BetrVG, einen Rahmen für Hinweise auf Rechtsverstöße, während § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG, § 48 GWG, § 23 Abs. 3 WpHG bereits Vorschriften zum Benachteiligungs-

487 EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08 (Heinisch), NZA 2011, 1269, 1273 (Rn. 82 ff.); bestätigt in EGMR, Urt. v. 16. 02. 2021 – 23922/19 (Gawlik), NJW 2021, 2343, 2346 (Rn. 75 f.); ErfK/Preis, BGB, § 611a Rn. 819; Ulber, NZA 2011, 962; anders Windel, AP BGB, § 626 Nr. 235, unter III.3., grundsätzlich zustimmend, aber kritisch dagegen; Forst, NJW 2011, 3477, 3480; ursprünglich sah das BAG in der Anzeigenerstattung durch den Arbeitnehmer noch eine erhebliche Pflichtverletzung BAG, Urt. v. 05. 02. 1959 – 2 AZR 60/ 56, NJW 1961, 44, 45 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10, wobei die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3475 einen Paradigmenwechsel ausgelöst hat. 488 Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 445 f. 489 Dazu bereits Kapitel 1, A.I.2.b). 490 Stuke/Fehr, BB 2021, 2740, 2743; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966. 491 Preis/Sagan, Der Arbeitsvertrag, Whistleblowing Rn. 18; vgl. BeckOK-ArbR/Joussen, BGB, § 612a Rn. 15a. 492 Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 87; Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2476.

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3. Kap.: Maßregelungsschutz im Unionsrecht

schutz vorsehen.493 Die Umsetzung der WBRL in einem neuen Stammgesetz könnte die Relevanz dieser Vorschriften entweder schmälern oder sie als leges speciales sogar obsolet werden lassen. c) Kündigungsschutz des Hinweisgebers durch das BAG In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte spielte sich der Schutz des Hinweisgebers im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG) ab. Nach dem BAG seien die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dahingehend zu konkretisieren, dass sich die Anzeige des Arbeitnehmers nicht als unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellen dürfe.494 Die geringe Regelungsdichte für Hinweisgeberschutz führte zu einer kasuistischen Fortentwicklung eines Standards im Laufe der Jahre durch das BAG.495 Der Prüfungsmaßstab der Rechtsprechung beinhaltet eine umfassende Gesamtwürdigung verschiedener Sachverhaltselemente, einschließlich der Motivation des Hinweisgebers, was zur Konsequenz hat, dass das Ergebnis (die letztendliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Meldung) für den Hinweisgeber nur schwer abzusehen ist.496 Während die mangelnde Vorhersehbarkeit aus Arbeitnehmersicht misslich ist, und dazu geeignet, einen Hinweisgeber von der Meldung abzuhalten, gelten dafür die allgemeinen Beweismaßstäbe innerhalb des Kündigungsschutzgesetzes (§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG), soweit dieses anwendbar ist. Insofern besteht für den Hinweisgeberschutz keine vergleichbare Beweisnot, außer der Kündigende stützt sich auf § 612a BGB.497 Dies gilt nicht für Maßnahmen unterhalb der Intensität einer Kündigung und außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG.498 Weiterhin setzt sich die Beweisnot auch in Rechtsbereichen außerhalb des Arbeitsrechts ohne ein § 612a BGB vergleichbares Maßregelungsverbot fort.499

III. Zwischenergebnis Der Repressalienschutz in der WBRL weist nur begrenzt Parallelen zum Diskriminierungsrecht auf. Für das deutsche Recht zeichnen sich einige Paradigmenwechsel angesichts des vormals fragmentarischen Hinweisgeberschutzes ab. Da die 493

Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1202. BAG, Urt. v. 03. 07. 2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2007, 427, 430. 495 Gerdemann, SR 2021, 89, 91: umfassend zur Rechtsprechungsentwicklung Feldner, Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel, S. 137 ff. 496 Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 572. 497 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 118. 498 Vgl. schon Brungs, Whistleblowing, S. 423. 499 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 119. 494

C. Repressalienschutz der WBRL

207

WBRL eigene Maßstäbe für die Schutzwürdigkeit des Hinweisgebers aufstellt, die bis zur Umsetzung im Hinweisgeberschutzgesetz nicht vollständig im deutschen Recht wiedergegeben wurden (Berücksichtigung der Motivation des Hinweisgebers bei der Prüfung der Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung, sowie Schutz des gutgläubigen Hinweisgebers im Hinblick auf seine Berechtigung zur Meldung/Offenlegung), sind die Möglichkeiten zur stimmigen Integration in die bisher geltenden Maßregelungsschutzvorschriften zweifelhaft. Das deutsche Recht kannte auch vor Umsetzung der Richlinie einen Schutz vor Repressalien in Ansätzen, der allerdings verschiedene Schutzansätze verfolgte. Die Reibungen zwischen deutscher Rechtslage vor der WBRL und den inhaltlichen Anforderungen des Sekundärrechtsakts bestätigen jedoch, dass an einer Neuregelung des Bereichs kaum ein Weg vorbeigeführt hat.

4. Kapitel

Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen A. Unionsrechtliche Grundlagen I. Überblick Die Festlegung einer dem Rechtswahrnehmer günstigen Beweislastverteilung wird im Sekundärrecht in unterschiedlichen Regelungssträngen teilweise parallel vorangetrieben.1 Trotz einiger Unterschiede der Normen handelt es sich um einen richtlinienübergreifenden Regelungsansatz. 1. Zweistufige Regelung mit vorgeschalteter Begründungspflicht In Anknüpfung an den „Schutz vor Benachteiligung oder negativen Konsequenzen“ in Art. 17 sieht Art. 18 Abs. 3 ABRL eine zweistufige Beweiserleichterung vor, die im Wesentlichen dem Ansatz älterer Richtlinien zu Diskriminierungsschutz und Beweislast entspricht.2 Außerhalb des § 16 Abs. 3 AGG sind die Auswirkungen der Übertragung einer solchen Beweiserleichterung auf den Maßregelungsschutz weitgehend ungeklärt. Die Umsetzung stellt – wenn und soweit sie durch den Gesetzgeber erfolgen muss – im deutschen Recht eine Herausforderung dar, da bereits die systematische Einordnung und Handhabung des § 22 AGG mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist.3 Die Vorschrift stellt nach einer in der Literatur verbreiteten Auffassung eine misslungene Norm dar.4 Dies verwundert angesichts der schon auf europäischer Ebene erheblich voneinander abweichenden Sprachfassungen der einschlägigen Richtlinienbestimmungen nicht.5 Ferner sieht Art. 18 Abs. 2 vor, dass der Arbeitnehmer, sollte er den Verdacht haben, dass er für die Wahrnehmung der in der Richtlinie garantierten Rechte gekündigt wird, vom Arbeitgeber eine schriftliche Begründung verlangen kann. Da im 1

Dies bemerken auch Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 72 f. Kolbe, EuZA 2020, 35, 42; BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 2, Stand 01. 06. 2023. 3 Dazu Kapitel 2, B.III. 4 Richardi, NZA 2006, 881, 886; Windel, RdA 2011, 193; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 2; vgl. zudem Bruns, FS Leipold, 1043, 1050. 5 Dazu Stein, NZA 2016, 849, 851. 2

A. Unionsrechtliche Grundlagen

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deutschen Recht gegenwärtig nur in wenigen Ausnahmefällen Begründungspflichten vorgesehen sind,6 wirkt ein derartiger Begründungsanspruch fremd. Auf die mit einer Ausweitung der Begründungspflichten verbundenen Reibungen im prozessualen und materiellen Recht wird im aktuellen Schrifttum bereits deutlich hingewiesen.7 Auch im Diskriminierungsrecht existiert keine generelle Offenlegungspflicht für die Motive des Arbeitgebers.8 Die Kombination aus Beweiserleichterung und Begründungspflicht war bereits in Art. 17 des ersten Kommissionsvorschlags enthalten.9 Die Kommission hat die Idee einer „shared burden of proof“ schon in der Frühphase der Richtlinienentstehung eingeführt.10 Am Grundkonzept hat sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wenig geändert: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss des europäischen Parlaments billigte die Regelung als „sinnvolles Schutzinstrument“ und sah bezüglich der Beweiserleichterung nur für die Verdeutlichung der vorgelagerten Rechtsfolge der Unwirksamkeit maßregelnder Handlungen Klarstellungsbedarf.11 Der Ausschuss der Regionen wollte lediglich den Begriff der „Tatsachen“ durch „Indizien“ ersetzen, um die Anforderungen an den Arbeitnehmervortrag weiter abzusenken.12 In Art. 12 Abs. 3 EZRL ist eine weitere zweistufige Beweiserleichterung vorgesehen, die beinahe identisch zu der Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL ist. Im Unterschied zu Art. 18 ABRL beschränkt sich Art. 12 EZRL auf Kündigungen, der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung kommt nicht vor. In der Vorgängerrichtlinie war in § 5 Nr. 4 der beigefügten Rahmenvereinbarung zumindest vorgesehen, dass die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Benachteiligung oder Kündigung aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme des Elternurlaubs von den Mitgliedsstaaten ergriffen werden sollten. Zur Umsetzung wurde eine beweisrechtliche Anpassung des § 612a BGB oder wenigstens des BEEG vorgeschlagen, nach der im Wesentlichen die Beweisverteilung des § 22 AGG eingreifen sollte.13 In den Materialien zur EZRL wird anerkannt, dass hohe beweisrechtliche Hürden von Klagen abschrecken und so zu einer ge-

6 Kolbe, EuZA 2020, 35, 43; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165; Picker, ZEuP 2020, 305, 320. 7 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 2; Kolbe, EuZA 2020, 35, 43; Picker, ZEuP 2020, 305, 320; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 73. 8 Grobys, NZA 2006, 898, 901. 9 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final. 10 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment v. 02. 12. 2017, SWD(2017) 478 final, S. 44. 11 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme v. 23. 05. 2018, Abl. EU C 283/39, Ziffer 4.4.5. 12 Europäischer Ausschuss der Regionen, Stellungnahme v. 25. 10. 2018, Abl. EU C 387/ 53, Änderung 25. 13 Dahm, EuZA 2011, 30, 43 f.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

ringeren Verfahrenszahl führen.14 Zudem zieht der europäische Gesetzgeber in den Erwägungsgründen eine Parallele zur Rechtsprechung des EuGH,15 die bezüglich der Vorgängerrichtlinie den Schutz vor Sanktionen des Arbeitgebers wegen der Wahrnehmung von Richtlinienrechten betont.16 Das Thema Mutterschutz war bereits vor Schaffung der EZRL auf der arbeitspolitischen Reformagenda der Kommission. Die Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 sollte überarbeitet werden.17 Der Vorschlag wurde nach einem seit mehreren Jahren ergebnislosen Gesetzgebungsprozess mit der Begründung einer beabsichtigten Erweiterung des regulatorischen Ansatzes zurückgenommen.18 In Art. 12a des Kommissionsentwurfs war eine zweistufige Beweiserleichterung vorgesehen.19 Diese bezog sich allerdings auf die Wahrung aller in dem Vorschlag vorgesehenen Rechte und nicht auf den Fall, in dem die Arbeitnehmerin für die Wahrnehmung von Richtlinienrechten Nachteilen ausgesetzt ist. Stattdessen enthielt Art. 12b eine Definition und ein Verbot von Viktimisierung, also Benachteiligung als Reaktion auf Rechtsausübung.20 Dabei beließ es der Entwurf und verzichtete darauf, die zweistufige Beweiserleichterung auf den Schutz vor Benachteiligungen wegen Rechtswahrnehmung zu erstrecken. Dass die Kommission mit der EZRL an den zurückgenommenen Entwurf der Mutterschutzrichtlinie anknüpft,21 zeigt, dass sich der rechtspolitische Ansatz in Bezug auf den Schutz für Viktimisierung bei der Wahrnehmung von Richtlinienrechten verändert hat. 2. Abweichender Ansatz der WBRL Bei Repressalien gegen Hinweisgeber werden ebenfalls falsche Gründe vom Arbeitgeber vorgeschoben,22 die Grundsituation der Beweisnot bei § 612a BGB schreibt sich hier fort.23 Art. 21 Abs. 5 WBRL sieht zugunsten des Repressalien ausgesetzten Hinweisgebers vor, dass die andere Partei die Beweislast für die Kausalität zwischen Hinweis oder Offenlegung und Repressalie zu tragen hat.24 Sie könnte innerhalb der umfangreichen WBRL die größten rechtlichen und praktischen 14 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment v. 26. 04. 2017, SWD(2017) 202 final, S. 174. 15 Erwägungsgrund 41 EZRL. 16 EuGH, Urt. v. 11. 10. 2007 – Rs. C-460/06 (Paquay), ECLI:EU:C:2007:601, Rn. 33, 47. 17 Kommission, Vorschlag v. 03. 10. 2008, COM/2008/0637 final. 18 Kommission, Pressemitteilung v. 01. 07. 2015, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/ commission/presscorner/detail/de/IP_15_5286 (zuletzt 06. 12. 2022). 19 Kommission, Vorschlag v. 03. 10. 2008, KOM/2008/0637 final, S. 17. 20 Ebenda. 21 Kommission, Vorschlag v. 26. 04. 2017, COM(2017) 253 final, S. 1. 22 Johnson, CCZ 2019, 66, 67. 23 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965. 24 Forst, EuZA 2020, 283, 299; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 245.

A. Unionsrechtliche Grundlagen

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Folgen haben, was durch Art. 21 Abs. 7 WBRL noch verstärkt wird.25 Danach entfaltet ein einmal etablierter Status als rechtmäßiger Hinweisgeber Rechtswirkungen für sämtliche Folgeverfahren: Der Whistleblower kann Klageabweisung beantragen und haftet für sein Verhalten. Im Schrifttum wird die Regelung zur Beweislast teilweise als problematisch eingestuft, unter anderem weil der entlastende Beweis nicht immer leicht zu führen sein wird und die Möglichkeit besteht, dass Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren durch Ausnutzen der Hinweisgeberstellung einen unbilligen Vorteil erlangen.26 Insofern könnte sich Art. 21 Abs. 5 WBRL stark zulasten der Arbeitgeber auswirken, womit sie praktischen Handlungsbedarf in Gestalt von Präventionsstrategien hervorruft.27 Die Missbrauchsgefahr wird insbesondere in der prozesstaktischen Nutzung der Hinweisgeberstellung gesehen.28 Der beschränkte Anwendungsbereich der Beweislastregel mildert allerdings das Missbrauchspotenzial.29 Diskontinuität zur ABRL und EZRL besteht bereits darin, dass Art. 21 Abs. 5 WBRL ohne vorgelagertes Vorbringen von Tatsachen auf einer ersten Stufe auskommt. In ABRL und EZRL ist die Rechtsfolge an besondere Bedingungen geknüpft. Die beiden Richtlinien betreffen klassische Bereiche des (europäischen) Arbeitsrechts. Demgegenüber ist die Beweiserleichterung zugunsten des Hinweisgebers in der WBRL nicht auf arbeitsrechtliche Konstellation beschränkt, sondern greift darüber hinaus für sämtliche Bereiche des Wirtschaftslebens. Schon bei einem Überblick über die Regelungen lassen sich mehrere Herausforderungen bei der Umsetzung im deutschen Recht ausmachen. Die Regelung zum Hinweisgeberschutz betrifft eine Sonderkonstellation, bei der große Schnittmengen zum arbeitsrechtlichen Maßregelungsschutz bestehen. Die Beweiserleichterungen in ABRL und EZRL werfen in Funktionsweise und Tatbestandsmerkmalen schon auf Ebene der Richtlinien selbst eine Vielzahl von Einzelfragen auf. Der Ursprung der Regelungen zeigt in anschaulicher Weise eine „themenübergreifende Prägekraft des Diskriminierungsrechts“30. Art. 18 PARL-E sieht eine Art. 18 ABRL entsprechende Regelung vor. Dies zeigt, dass die Kommission den darin zum Ausdruck gebrachten Regelungsansatz auch in Zukunft weiterverfolgt.31 Die Hauptauswirkungen dieser Entwicklung sind im Arbeitsrecht zu verorten, reichen aber durch den Hinweisgeberschutz darüber hinaus.

25

Gerdemann, RdA 2019, 16, 26; Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 965. Garden/Hiéramente, BB 2019, 963, 966; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 245. 27 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1207. 28 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204. 29 Johnson, CCZ 2019, 66, 71. 30 Winter, NZA-Beil. 2020, 58. 31 Gräf, ZfA 2023, 209, 242 f. 26

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

II. Ursprung des zweistufigen Regelungsansatzes Leitbild und Inspiration für die zweistufige Beweiserleichterung ist das europäische Diskriminierungsrecht.32 1. Modifizierte Übertragung aus dem Diskriminierungsrecht Das konkrete Vorbild sieht die Kommission in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/ EG.33 Sie hebt die Bedeutung der Danfoss-Entscheidung des EuGH hervor,34 die die Geltung des Effektivitätsgrundsatzes für die Beweislastverteilung bei Geschlechtsdiskriminierung betont.35 Die Argumentation in der Begründung der Richtlinie, nach der eine volle Beweisbelastung des Klägers die effektive Rechtsdurchsetzung beeinträchtige, sei auf die Notwendigkeit wirksamer Mittel zur Durchsetzung der in der vorgeschlagenen Richtlinie vorgesehenen Rechte in einer vergleichbaren Situation übertragbar, in der die Information über die Gründe für das Handeln des Arbeitgebers allein in dessen Händen liege.36 Die Kommission nahm in diesem Frühstadium noch nicht ausdrücklich zur Begründungspflicht Stellung – der Gedanke klingt jedoch bereits in der Wendung „Information über die Gründe“37 an. Die Begründungspflicht, wie sie in Art. 18 Abs. 2 ABRL aufgenommen wurde, stellt eine grundsätzliche Neuerung auf Ebene des europäischen Arbeitsrechts dar.38 Konkrete Vorbilder im Diskriminierungsrecht finden sich nicht,39 zumal der EuGH in Meister einen vorprozessualen Auskunftsanspruch bei Geschlechtsdiskriminierung verneint hat.40 Die Kommission hat also mit einer Begründungspflicht für Kündigungen und „Maßnahmen gleicher Wirkung“, die als Anspruch des Arbeitnehmers ausgestaltet ist, Neuland betreten. Dennoch war das deutsche Fachinteresse an der Richtlinie und insbesondere am Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung wäh32 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415; Kolbe, EuZA 2020, 35, 42; Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1033. 33 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment v. 02. 12. 2017, SWD(2017) 478 final, S. 44; heute findet sich die entsprechende Regelung in Art 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG v. 05. 07. 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), Abl. L 204/23. 34 Ebenda. 35 EuGH, Urt. v. 17. 10. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU:C:1989:383, Rn. 14. 36 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment v. 02. 12. 2017, SWD(2017) 478 final, S. 44. 37 Im Original: „information on the reasons for employers’ actions“, Kommission, Staff Working Document Impact Assessment v. 2. 12. 2017, SWD(2017) 478 final, S. 44. 38 Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 39 Grobys, NZA 2006, 898, 901; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; Picker, ZEuP 2020, 305, 320. 40 EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 46).

A. Unionsrechtliche Grundlagen

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rend des Gesetzgebungsverfahrens auf Unionsebene zunächst überschaubar und konzentrierte sich, neben der Frage des persönlichen Anwendungsbereichs, auf die beiden materiellen Hauptelemente der Mindestanforderungen und Informationsrechte.41 2. Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat die Beweislastverteilung, die in den Richtlinienregelungen zum Ausdruck kommt, für Fälle der Entgeltdiskriminierung entwickelt, weil auch im europäischen Recht von dem Grundsatz auszugehen ist, dass die Parteien die ihnen jeweils günstigen Tatsachen beweisen müssen.42 Das Danfoss-Urteil formuliert eine Umschichtung der Beweislast in Lohndiskriminierungsfällen aufgrund des Informationsgefälles hinsichtlich der Lohnpolitik des Arbeitgebers.43 Dem liegt eine schon in früherer Rechtsprechung etablierte Verteidigungsmöglichkeit gegen Diskriminierungsvorwürfe zugrunde, wenn das Unternehmen darlegt, dass die Maßnahme auf objektiv gerechtfertigten Gründen beruht – das Unternehmen muss also darlegen, dass objektive Gründe für die Differenzierung bestehen.44 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz, der betont, dass die Beweiserleichterung weder die Wirkung einer vollständigen Beweislastumkehr, noch einer Diskriminierungsvermutung habe und deshalb auch nicht dem Unionsgesetzgeber vorgreife.45 Die Anknüpfung an das Informationsgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Umstand, dass eine mittelbare Diskriminierung in Rede stand, führte dazu, dass nicht nur der Nachweis der Motivation des Arbeitgebers, sondern auch der ungleichen Behandlung selbst erleichtert wird.46 Die Danfoss-Entscheidung enthält zwar keine generelle Regelung zur Beweislastverteilung, entwickelt jedoch ein Grundkonzept, welches die praktische Wirk-

41 Mit einer frühen und umfassenden Einschätzung des Vorhabens nur Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369. 42 Preis/Sagan/Grünberger/Husemann, EU-ArbR Rn. 5.300. 43 EuGH, Urt. v. 17. 10. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU:C:1989:383, Rn. 10 ff. 44 EuGH, Urt. v. 13. 05. 1986 – Rs. C-170/84 (Bilka), ECLI:EU:C:1986:204, NZA 1986, 599, 599 (Rn. 31); fortgeführt in EuGH, Urt. v. 27. 06. 1990 – Rs. C-33/89 (Kowalska), ECLI: EU:C:1990:265, Rn. 16; sowie EuGH, Urt. v. 07. 02. 1991 – Rs. C-184/89, ECLI:EU:C: 1991:50, Rn. 15; vorher hatte der Gerichtshof keine ganz klare Linie im Hinblick auf die Beweissituation: Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 13; vgl. EuGH, Urt. v. 31. 03. 1981 – Rs. C-86/80 (Jenkins), ECLI:EU:C:1981:80, Rn 10 ff. 45 Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 31. 05. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU:C:1989:228, Rn. 41. 46 Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 207; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 20; Röthel, NJW 1999, 611, 612 f.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

samkeit des Diskriminierungsrechts sicherstellen soll.47 Das Beweiskonzept bei Lohndiskriminierung hat der Gerichtshof selbst wie folgt auf den Punkt gebracht:48 „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kehrt sich die Beweislast jedoch um, wenn Arbeitnehmer, die dem ersten Anschein nach diskriminiert sind, sonst kein wirksames Mittel hätten, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen. Wenn eine Maßnahme, die zwischen den Beschäftigten nach ihrer Arbeitszeit unterscheidet, tatsächlich mehr Personen des einen oder anderen Geschlechts benachteiligt, ist diese Maßnahme daher als ein Verstoß gegen das von Art. 119 EWGV verfolgte Ziel anzusehen, sofern der Arbeitgeber sie nicht durch objektive Faktoren rechtfertigen kann, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tu haben.“

Voraussetzung für die Erleichterung ist stets ein hinreichend gewichtiges Informationsgefälle. Besteht dieses nicht, etwa, wenn statt allgemeiner Lohnpolitik nur ein konkreter Entgeltbestandteil an zwei Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts ausgezahlt wird,49 werden die Grundsätze nicht übertragen.50 Die von den Entscheidungen Danfoss und Enderby geschaffene Grundlinie setzt sich in der Rechtsprechung des EuGH seither anhand verschiedener sekundärrechtlicher Regelungen fort.51 3. Sekundärrechtliche Vorgängerregelungen Der europäische Gesetzgeber hat in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH die Idee einer Beweiserleichterung in zwei Schritten ins Diskriminierungsrecht übernommen.52 a) Einschlägige Richtlinien Die sekundärrechtliche Verankerung findet sich im Diskriminierungsrecht in fünf verschiedenen Richtlinien, die nicht mehr alle in Kraft sind. Der zweistufige Regelungsansatz war schon in dem bereits außer Kraft getretenen Art. 4 Abs. 1 der Beweislastrichtlinie (97/80/EG) enthalten, die durch die Art. 19 Abs. 1 der 47

Stein, NZA 2016, 849, 850. EuGH, Urt. v. 27. 10. 1993 – Rs. C-127/92 (Enderby), ECLI:EU:C:1993:859, NZA 1994, 797, 798 (Rn. 14). 49 EuGH, Urt. v. 26. 06. 2001 – Rs. C-381/99 (Brunnhofer), ECLI:EU:C:2001:358, NZA 2001, 883, 886 (Rn. 56). 50 EuGH, Urt. v. 26. 06. 2001 – Rs. C-381/99 (Brunnhofer), ECLI:EU:C:2001:358, NZA 2001, 883, 8867 (Rn. 58). 51 EuGH, Urt. v. 31. 05. 1995 – Rs. C-400/93 (Royal Copenhagen), ECLI:EU:C:1995:155, AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 68, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 30. 03. 2000 – Rs. C-236/98, ECLI: EU:C:2000:173, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 10. 03. 2005 – Rs. C 196/02, ECLI:EU:C:2005:141, AP EG Art. 141 Nr. 14, Rn. 74; siehe auch EuGH, Urt. v. 03. 10. 2006 – Rs. C-17/05 (Cadman), ECLI:EU:C:2006:633, Rn. 31. 52 Stein, NZA 2016, 849, 849 f. 48

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Gleichbehandlungsrichtlinie (2006/54/EG) abgelöst wurde. Zwischenzeitlich wurde eine entsprechende Regelung in Art. 10 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG), Art. 8 Abs. 1 der Antirassismusrichtlinie (2000/43/EG), sowie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/113/EG eingefügt. Zu untersuchen ist, ob zwischen den diskriminierungsrechtlichen Beweiserleichterungen und den Neuregelungen Unterschiede bestehen, die die Umsetzungsverpflichtung beeinflussen können. Es hat sich gezeigt, dass die Beweiserleichterung und allgemein das Beweisrecht beim Diskriminierungsrecht zentral dessen praktische Wirksamkeit mitbestimmt.53 b) Vergleich zu den Regelungen in ABRL und EZRL Schon vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die Normen der Diskriminierungsrichtlinien mit einem Vergleich zu den Neuregelungen, um etwaige abweichende oder neue Regelungsinhalte festzustellen. Bestehen Unterschiede der Neuregelungen zu den Vorbildregelungen aus dem Diskriminierungsrecht, ist im Vorfeld zur eigentlichen Auslegung der Regelungselemente zu klären, inwiefern mit ggf. abweichenden Formulierungen Unterschiede im Regelungsgehalt verbunden sind. aa) Formulierung der Diskriminierungsrichtlinien Wie die nachfolgende Übersicht mit zwei der fünf relevanten Richtlinienregelungen in direkter Gegenüberstellung zu den Beweiserleichterungen in ABRL und EZRL zeigt, ist der Wortlaut der Beweiserleichterung auf der Seite der Diskriminierungsrichtlinien konsistent. Zusammengefasst lauten die eben genannten Regelungen in allen fünf Richtlinien in vereinfachter Form wie folgt: „Die Mitgliedstaaten (…ergreifen…) die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“

Zwischen den verschiedenen Diskriminierungsrichtlinien bestehen – obwohl die Regelungen in einem Zeitraum von fast zehn Jahren erlassen worden sind – in der deutschen Sprachfassung nur geringe Wortlautabweichungen: So sprechen Art. 19 Abs. 1 RL 2006/54/EG und Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 97/80/EG davon, dass sich die Person auf Klägerseite für „beschwert“ halten müsse. Art. 8 Abs. 1 der 2000/43/EG, Art. 10 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie und Art. 9 Abs. 1 2006/54/ EG verwenden in diesem Kontext jedoch den Begriff „verletzt“. Aus den anderen

53

Windel, RdA 2011, 193, 198.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Sprachfassungen ergibt sich eine entsprechend einheitliche Terminologie.54 Dabei zeigt sich, dass die deutsche Sprachfassung mit der Wendung des „glaubhaft Machens“ einen Ausreißer im Vergleich zu den übrigen Fassungen darstellt. Die dort verwendeten Begriffe könnten trefflich auch mit „präsentieren“, „darlegen“ oder höchstens „belegen“ übersetzt werden. bb) Partielle Übereinstimmung des Wortlauts Auffallend sind deutliche Abweichungen der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL in der Terminologie, die sich über verschiedene Sprachfassungen der Richtlinien konsequent fortsetzen. Keine Unterschiede im Anwendungsbereich ergeben sich insofern, als er sich auf Vorgehen vor „Gerichten und anderen zuständigen Stellen“ erstreckt. Während die Diskriminierungsrichtlinien auf erster Stufe in der deutschen Fassung noch davon sprechen, dass die Person „Tatsachen glaubhaft machen“ müsse, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, sprechen die Neuregelungen auch in er deutschen Fassung davon, dass die Arbeitnehmer „Tatsachen anführen“ müssen, die auf eine Benachteiligung wegen Rechtsausübung schließen lassen.55 Bei Konsultation anderer Sprachfassungen der Neuregelungen 54 Am Beispiel der Beweislastrichtlinie, aber auch weitestgehend richtlinienübergreifend lauten die anderen Sprachfassungen in gekürzter Form im Englischen „(…) when persons who consider themselves wronged (…) establish (…) facts from which it may be presumed that there has been direct or indirect discrimination, it shall be for the respondent to prove that there has been no breach of the principle of equal treatment.“; im Französischen: „(…) dès lors qu’une personne s’estime lésée par le non-respect à son égard du principe de l’égalité de traitement et établit. (…) des faits qui permettent de présumer l’existence d’une discrimination directe ou indirecte, il incombe à la partie défenderesse de prouver qu’il n’y a pas eu violation du principe de l’égalité de traitement.“; im Spanischen: „(…) cuando una persona que se considere perjudicada por la no aplicación, en lo que a ella se refiere, del principio de igualdad de trato presente (…) hechos que permitan presumir la existencia de discriminación directa o indirecta, corresponda a la parte demandada demostrar que no ha habido vulneración del principio de igualdad de trato.“. 55 Art. 18 Abs. 3 ABRL: im Englischen „(…) when workers referred to in paragraph 2 establish, before a court or other competent authority or body, facts from which it may be presumed that there has been such a dismissal or equivalent measures (…)“; im Französischen: „(…) lorsque les travailleurs visés au paragraphe 2 établissent, devant une juridiction ou un autre organisme ou autorité compétent, des faits laissant présumer qu’un tel licenciement ou des mesures équivalentes a eu lieu (…)“; im Spanischen: „(…) cuando los trabajadores a los que se hace referencia en el apartado 2 prueben ante un tribunal u otra autoridad u organismo competente unos hechos que permitan presuponer que ha tenido lugar ese despido o esas medidas equivalentes (…)“; Art. 12 Abs. 3 EZRL im Englischen „(…) where workers who consider that they have been dismissed on the grounds that they have applied for, or have taken, leave provided for in Articles 4, 5 and 6 establish, before a court or other competent authority, facts capable of giving rise to a presumption that they have been dismissed on such grounds (…)“; im Französischen „(…) les travailleurs qui considèrent qu’ils ont été licenciés au motif qu’ils ont demandé ou pris un congé prévu aux articles 4, 5 et 6 établissent, devant une juridiction ou une autre autorité compétente, des faits laissant présumer qu’ils ont été licenciés pour de tels motifs (…)“; im Spanischen: „(…) cuando los trabajadores que consideren que han sido despedidos por haber solicitado o disfrutado uno de los permisos previstos

A. Unionsrechtliche Grundlagen

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und der älteren Richtlinien finden sich jedoch kaum Abweichungen im Wortlaut („establish facts“; „presentar (…)“ etc.) im Vergleich zu den Diskriminierungsrichtlinien. Dort bringen die Begriffe der unterschiedlichen Sprachfassungen („to establish“ lässt sich in dem Kontext mit „nachweisen“ übersetzen, während im Spanischen „presentar“ in diesem Kontext eher „vorbringen“ bedeutet) bereits Schwierigkeiten in der Interpretation mit sich.56 Dass die deutsche Fassung nicht mehr den Begriff der Glaubhaftmachung verwendet, gleicht den Wortlaut eher den übrigen Sprachfassungen der Richtlinien an. Die nunmehr verwendete Formulierung kommt dem ursprünglichen Konzept des EuGH, nach dem der Arbeitnehmer nur den Anschein einer Diskriminierung zu belegen hat, näher. Bei der Übernahme in die Beweislastrichtlinie (97/80/EG) war diese Formulierung durch „glaubhaft machen“ ersetzt worden, sodass Anlass bestand, von einem abweichenden Regelungsinhalt im Vergleich zur EuGH-Rechtsprechung auszugehen.57 Dies ist bei ABRL und EZRL nicht der Fall. Die Unterschiede im Wortlaut hinsichtlich der Funktion der ersten Stufe der Beweiserleichterungen verlieren bei Konsultation der anderen Sprachfassungen an Bedeutung: in der englischen Fassung heißt es „facts from which it may be presumed“, was sich von den Diskriminierungsrichtlinien zu den Neuregelungen fortsetzt. Der Richtlinienwortlaut ist wegen der Gleichrangigkeit verschiedener Sprachfassungen unter Umständen nur in Kombination mit anderen Auslegungsparametern aussagekräftig.58 Welchen Regelungsgehalt die einzelnen Tatbestandselemente aufweisen und was dies für die Richtlinienumsetzung in Deutschland bedeutet, ist daher genauer zu klären. Zwar kann angesichts der Wortlautunterschiede im Vergleich zu den Diskriminierungsrichtlinien nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der europäische Gesetzgeber dasselbe regeln wollte. Allerdings spricht auch der Wille des Unionsgesetzgebers, der eine Kontinuität zu den diskriminierungsrechtlichen Beweiserleichterungen herstellen will, dafür, dass keine Abweichung zum Inhalt der Diskriminierungsrichtlinien gewollt ist. Dafür sprechen die Erwägungsgründe der ABRL59 und der EZRL60, die nur das Ergebnis der Beweiserleichterung betonen und en los artículos 4, 5 y 6 establezcan ante un tribunal u otra autoridad competente unos hechos que permitan presuponer que han sido despedidos por estos motivos (…)“. 56 Stein, NZA 2016, 849, 851. 57 Stein, NZA 2016, 849, 850. 58 EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982 – Rs. C-283/81 (CILFIT), ECLI:EU:C:1982:335, NJW 1983, 1257. 59 Erwägungsgrund 44 ABRL: „Die Beweislast dafür, dass die Kündigung oder die gleichwertige Benachteiligung nicht erfolgt ist, weil der Arbeitnehmer seine ihm aufgrund dieser Richtlinie zustehenden Rechte wahrgenommen hat, sollte beim Arbeitgeber liegen, wenn der Arbeitnehmer vor einem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle Tatsachen anführt, die darauf schließen lassen, dass ihm aus solchen Gründen gekündigt oder er einer gleichwertigen Benachteiligung ausgesetzt worden ist. Es sollte den Mitgliedstaaten offenstehen, diese Regel in Verfahren nicht anzuwenden, in denen ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde oder Stelle den Sachverhalt untersuchen müsste, insbesondere in

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

ansonsten keine Hinweise auf einen abweichenden Regelungswillen im Vergleich zu den Diskriminierungsrichtlinien enthalten. Dies tritt bereits im Kommissionsvorschlag zur EZRL von 2017 besonders deutlich hervor. Dort wird für das besondere Viktimisierungsverbot (Art. 11 EZRL) darauf hingewiesen, dass nach der Gleichbehandlungsrichtlinie bereits eine entsprechende Beweiserleichterung gilt – die Regelung in Art. 12 EZRL ziele darauf ab den bisher bestehenden Schutz beizubehalten und auszudehnen.61 Im Gesetzgebungsprozess der ABRL wurde schon früh und ausdrücklich auf die Kontinuität und Vergleichbarkeit der Interessenlage hinsichtlich der dem Arbeitnehmer verborgenen Gründe hingewiesen.62 Auch nach Inkrafttreten der ABRL wird hinsichtlich der Beweiserleichterung eine eindeutige Fortsetzung des Regelungsansatzes des Art. 12 EZRL, der seinerseits auf den diskriminierungsrechtlichen Bestimmungen wie Art. 19 RL 2006/54/EU, Art. 8 2000/ 43/EU und Art. 10 RL 2000/78/EU beruht, gesehen.63 Ein deutlicher Unterschied im Wortlaut ergibt sich allerdings bei dem Anknüpfungspunkt der Beweiserleichterungen. Die Diskriminierungsrichtlinien beziehen sich auf das „Vorliegen einer Diskriminierung“ und auf zweiter Stufe eine „Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“, während ABRL und EZRL sich in der deutschen Fassung auf das Vorliegen von anderen Gründen für die Schlechterstellung beschränken. In den Materialien der Richtlinien und in den Erwägungsgründen finden sich keine Hinweise darauf, dass die Wortlautabweichung hinsichtlich der Beweiserleichterung unbeabsichtigt war. Daher kann diesbezüglich nicht davon ausgegangen werden, dass keine von den Diskriminierungsrichtlinien abweichende Regelung gewollt war.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung Festzuhalten ist, das deutliche Kontinuitäten der Beweiserleichterungen in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL bestehen. Der Unionsgesetzgeber hat den ReSystemen, wo eine Kündigung zuvor bereits von einer derartigen Behörde oder Stelle genehmigt werden muss.“. 60 Erwägungsgrund 42 EZRL: „Die Beweislast, dass die Kündigung nicht aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub oder Urlaub für pflegende Angehörige nach dieser Richtlinie erfolgt ist, sollte beim Arbeitgeber liegen, wenn der Arbeitnehmer vor Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen anführt, die darauf schließen lassen, dass die Entlassung aus den genannten Gründen erfolgt ist.“. 61 Kommission, Vorschlag v. 26. 04. 2017, COM(2017) 253 final, S. 16 f. 62 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment, Interinstitutional File v. 22. 12. 2017, 2017/0355(COD), S. 44. 63 Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/ 1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=10060& langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 72.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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gelungsansatz jedoch nicht unverändert übernommen. Hinzugekommen ist insbesondere eine Begründungspflicht für Arbeitgeber, deren Voraussetzungen und Wechselwirkungen zur Beweiserleichterung im Zuge der Ermittlung des Regelungsgehaltsgenauer zu beleuchten sind.

I. Begründungsanspruch Rechtspolitischer Hintergrund des Regelungsansatzes einer Begründungspflicht ist unter anderem Kap. 2 Art. 7 lit. b ESSR,64 das Arbeitnehmern neben einem „Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist“ auch das Recht zuspricht, vor der Kündigung die Gründe zu erfahren. Das Recht auf Begründung soll nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers auch dazu dienen, den Übergang in sichere Arbeitsformen zu fördern.65 1. Erfasste Maßnahmen des Arbeitgebers Die Regelung in Art. 18 Abs. 2 ABRL erfasst in sachlicher Hinsicht diejenigen Maßnahmen, auf die sich auch das spezielle Viktimisierungsverbot in Art. 18 Abs. 1 ABRL bezieht. Die englische Fassung der Regelung spricht zwar bei Art. 18 Abs. 3 ABRL66 von „measures with equivalent effect“ und nicht nur von „its equivalent“. Ein Unterschied im Regelungsgehalt liegt darin aber wohl kaum. Insofern sei auf obige Ausführungen zur Begriffsbedeutung verwiesen.67 Dass nun behauptet wird, auch Abmahnungen könnten die Begründungspflicht auslösen,68 ist aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung einer Abmahnung für die soziale Lebensgestaltung im Vergleich zur Kündigung nach oben genannten Grundsätzen nur schwer einzusehen. Dies ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang zu Abs. 1, nach dem erkennbar nicht jede Vorbereitung auf eine Kündigung erfasst sein soll: Die Richtlinie meint mit Maßnahmen gleicher Wirkung nicht jedwede Maßregelung. Vielmehr muss diese an die Intensität einer Kündigung heranreichen.69 In den Fokus rückt damit insbesondere der vom Unionsgesetzgeber genannte Fall

64

Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; Picker, ZEuP 2020, 305, 321. Erwägungsgrund 36 ABRL. 66 Im Englischen: „Workers who consider that they have been dismissed, or have been subject to measures with equivalent effect, (…)“; im Französischen: „Les travailleurs qui considèrent qu’ils ont été licenciés ou ont fait l’objet de mesures d’effet équivalent (…)“; im Spanischen: „Los trabajadores que consideren que han sido despedidos, o que han sido objeto de medidas con un efecto equivalente, (…)“. 67 Kapitel 3, B.IV.2.b)cc). 68 Picker, ZEuP 2020, 305, 319. 69 Erwägungsgrund 43 ABRL. 65

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

eines Abrufarbeiters, der infolge der Wahrnehmung seiner Rechte nicht mehr zur Arbeit abgerufen wird.70 Während in der ESSR nur von Kündigungen die Rede ist, erstreckt sich die Begründungspflicht in Art. 18 Abs. 2 ABRL auch auf „Maßnahmen gleicher Wirkung“. In Art. 12 Abs. 2 EZRL findet der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung ebenso wenig Erwähnung wie der Begriff der Vorbereitung einer Kündigung.71 Die Begründungspflicht in Art. 12 Abs. 2 EZRL bezieht sich demnach nur auf Kündigungen. Dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 S. 2 EZRL ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass im Falle der Inanspruchnahme von flexiblen Arbeitszeitregelungen nach Art. 9 EZRL kein Anspruch auf schriftliche Begründung besteht und auch die Beweiserleichterung nach Art. 12 Abs. 3 EZRL nicht eingreift. Der Grund für diese Entscheidung des Unionsgesetzgebers ist jedoch nicht zu erkennen.72 2. Voraussetzungen Die Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL stellen keine voraussetzungslose Begründungspflicht für angebliche Maßregelungen auf. Die zentrale Tatbestandsvoraussetzung der Begründungspflicht ist der Verdacht des Arbeitnehmers. Je nachdem, welche Anforderungen hieran zu stellen sind, wird die praktische Reichweite definiert; die Gefahr der Regelung wird in der (ggf. versehentlichen) Schaffung einer nahezu allgemeinen Begründungspflicht gesehen.73 a) Ausgangspunkt: bloßer Verdacht Dem Wortlaut und Wortsinn der Regelungen nach, ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer den subjektiven Eindruck hat, gemaßregelt worden zu sein. Der Arbeitnehmer muss nur der Ansicht sein, dass er aufgrund der Inanspruchnahme seiner Rechte gekündigt wurde. Ein Vergleich mit fremdsprachigen Fassungen der ABRL,74

70 Erwägungsgrund 43 ABRL; siehe auch Kommission, Staff Working Document Impact Assessment, Interinstitutional File v. 22. 12. 2017, 2017/0355(COD), S. 44. 71 Vgl. auch Erwägungsgrund 41 EZRL. 72 Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 46. 73 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 2; vgl. auch Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165. 74 Im Englischen „Workers who consider that they have been dismissed, or have been subject to measures with equivalent effect, on the grounds that they have exercised the rights provided for in this Directive, (…)“; im Französischen: „Les travailleurs qui considèrent qu’ils ont été licenciés ou ont fait l’objet de mesures d’effet équivalent au motif qu’ils ont exercé les droits prévus par la présente directive (…)“; im Spanischen: „Los trabajadores que consideren que han sido despedidos, o que han sido objeto de medidas con un efecto equivalente, por haber ejercido los derechos contemplados en la presente Directiva, (…)“.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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sowie der EZRL75 ergibt nichts anderes. Der Verdacht muss sich auf die Ausübung der Richtlinienrechte beziehen. Die Begründungspflicht ist damit anlassbezogen. Die Anlassbezogenheit der Begründungspflicht wird aber durch die niedrige tatbestandliche Schwelle für deren Auslösung relativiert. Ob der Arbeitnehmer wirklich einen Verdacht hat, lässt sich schwer feststellen und könnte bedeuten, dass in Zukunft alle Kündigungen begründet werden müssen, sobald der Verdacht einer Maßregelung vorgebracht wird.76 Eine so stark subjektive Voraussetzung birgt die Gefahr einer ausufernden Begründungspflicht für Kündigungen und gleichintensive Maßnahmen. Die Schaffung von Ausnahmen oder Begrenzungen des Begründungsanspruchs ist in Art. 18 Abs. 2 ABRL, anders als bei Art. 12 Abs. 2 EZRL, nicht vorgesehen. Eine tatbestandliche Begrenzung oder Ausnahme würde eine Unterschreitung des Schutzstandards der Richtlinie darstellen. b) Einschränkende Auslegung der Voraussetzungen Picker hält die abweichenden tatbestandlichen Anforderungen zwischen Art. 18 Abs. 3 ABRL und vorprozessualer Begründungspflicht für besonders ungünstig: Warum der europäische Richtliniengeber die Anforderungen der prozessualen Beweiserleichterung nicht auf den vorprozessualen Auskunftsanspruch übertragen und so einen systemkonformen Gleichlauf von vorprozessualem Auskunftsanspruch und prozessualer Darlegungs- und Beweislast ermöglicht habe, sei schwer zu begreifen.77 Die teleologische Grundlage in der ESSR richtig verortend, hofft er auf eine Korrektur durch den Unionsgesetzgeber oder zumindest eine restriktive Interpretation durch den EuGH, die wenigstens den Anfangsverdacht einer verbotenen Maßregelung verlangt.78 In eine ähnliche Richtung geht auch die Forderung nach einem hinreichend konkreten Arbeitnehmervortrag, der auf einen Zusammenhang zwischen der Rechtsausübung und der Kündigung hindeutet, bevor die Begründungspflicht überhaupt ausgelöst wird.79 Es hat sich gezeigt, dass eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung außer dem subjektiven Verdacht des Arbeitnehmers nicht vorgesehen ist. Eine solche könnte 75 Im Englischen: „Workers who consider that they have been dismissed on the grounds that they have applied for, or have taken, leave provided for in Articles 4, 5 and 6, or have exercised the right to request flexible working arrangements as referred to in Article 9 (…)“; im Französischen: „Les travailleurs qui considèrent qu’ils ont été licenciés au motif qu’ils ont demandé ou ont pris un congé prévu aux articles 4, 5 et 6 ou au motif qu’ils ont exercé le droit de demander une formule souple de travail visée à l’article 9 (…).“; im Spanischen: „Los trabajadores que consideren que han sido despedidos por haber solicitado o disfrutado uno de los permisos previstos en los artículos 4, 5 y 6, o por haber ejercido el derecho a solicitar las fórmulas de trabajo flexible al que se refiere el artículo 9 (….)“. 76 Kolbe, EuZA 2020, 35, 43. 77 Picker, ZEuP 2020, 305, 321. 78 Picker, ZEuP 2020, 305, 321. 79 Kreßel, ZfA 2021, 312, 337; in diese Richtung schon Kolbe, EuZA 2020, 35, 43.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

sich aber aus der norminternen Systematik des Art. 18 ABRL ergeben. So wird gegen die Befürchtung einer nahezu allgemeinen Begründungspflicht, wie sie bei einigen Autoren vorherrscht,80 eingewandt, dass sich eine hinreichende tatbestandliche Begrenzung bereits aus dem zwangsläufig erforderlichen Zusammenhang mit der Ausübung von Richtlinienrechten ergebe.81 Insofern sei im Rahmen der Beweiserleichterung auf der ersten Stufe nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer nur den Informationsanspruch geltend gemacht habe,82 eher seien schon konkrete Indizien, wie ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Rechtsausübung erforderlich.83 c) Stellungnahme Für eine Eingrenzung des Begründungsanspruchs durch zusätzliche Anforderungen an die Anfrage des Arbeitnehmers besteht keine Rechtsgrundlage. Eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung wie einen bestimmten objektiven Maßregelungsverdacht hat der Unionsgesetzgeber nicht vorgesehen. Er müsste dafür erneut tätig werden. Dies ist jedoch auch zur Verhinderung einer ausufernden Auskunftspflicht nicht erforderlich. Der Zusammenhang zur Ausübung der Richtlinienrechte begrenzt den Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht. Die Kombination der Abs. 2 und 3 soll eine effektive tatbestandliche Begrenzung der Begründungspflicht auf die Fälle erzeugen, in denen die finanzielle Situation und damit die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers durch die Maßnahme dergestalt eingeschränkt wird, dass die Wirkung einer Kündigung gleichkommt. Demnach ist die Begründungspflicht bereits nicht „allgemein“. Ohne eine solche Beschränkung wäre die Richtlinie überschießend umgesetzt. Das bedeutet auch, dass die Mitgliedsstaaten frei darin sind, einen entsprechenden Zusammenhang bei der Umsetzung der Begründungspflicht zu betonen. Diese Grundsätze können die Mitgliedsstaaten bei der Gestaltung der Umsetzungsregelungen berücksichtigen. Klarstellende Regelungen zum Zusammenhang zur Rechtsausübung dürfen jedoch nicht als zusätzliche (objektive oder subjektive) Tatbestandsvoraussetzungen des Begründungsanspruchs ausgestaltet sein. 3. Rechtsfolgen Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL sehen als Rechtsfolge vor, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe für die Kündigung oder Maßnahme 80

Kolbe, EuZA 2020, 35, 43; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165; EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 2; vgl. Picker, ZEuP 2020, 305, 320. 81 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; zustimmend Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 73. 82 So schon Picker, ZEuP 2020, 305, 320. 83 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 73.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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gleicher Wirkung schriftlich mitteilt. Offen ist, welche Anforderungen die Richtlinien an diese Rechtsfolge im Einzelnen stellen. a) Inhaltliche Anforderungen an die Begründung Auch im Sprachvergleich fordern die Regelungen in ABRL und EZRL nur, dass der Arbeitgeber „hinreichend genau bezeichnete Gründe“ anführt.84 In weiteren Dokumenten aus den Gesetzgebungsverfahren wird auf die Notwendigkeit der Darlegung „stichhaltiger“85 oder „triftiger“86 Gründe verwiesen. Während letztere Formulierung eher auf eine materiell-rechtliche Begründetheitsanforderung hinweist, ist die Formulierung die letztlich in Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL aufgenommen wurde, als Maßstab für den Substantiierungsgrad der Begründung zu deuten. Es reicht dem Wortsinn nach nicht aus, wenn der Arbeitgeber irgendeine Begründung für die Maßnahme gibt. Vielmehr müssen die Kündigungsgründe hinreichend genau bezeichnet sein. Da der Wortlaut der Richtlinie die Art der Gründe nicht näher spezifiziert, kann „Gründe“ auch als Verpflichtung zur Schilderung der Motive für die streitgegenständliche Maßnahme verstanden werden.87 Angesichts des Zusammenhangs zu Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL ist jedoch wahrscheinlicher, dass die Formulierung „Gründe“ nicht zwangsläufig die Motivation des Arbeitgebers miteinschließt.88 Das Merkmal „hinreichend genau“ könnte zunächst im Wege einer weiten Auslegung verstanden werden, nach der die Darlegung nur eine gerichtliche Über84 Art. 18 Abs. 2 ABRL im Englischen: „(…) may request the employer to provide duly substantiated grounds for the dismissal or the equivalent measures. The employer shall provide those grounds in writing.“; im Französischen: „(…) peuvent demander à leur employeur de dûment justifier le licenciement ou les mesures équivalentes. L’employeur fournit ces motifs par écrit.“; im Spanischen: „(…) podrán pedir al empleador que proporcione, las causas debidamente fundamentadas del despido o de las medidas equivalentes. El empleador proporcionará dichos motivos por escrito.“; Art. 12 Abs. 2 EZRL im Englischen: „(…) may request the employer to provide duly substantiated reasons for their dismissal. With respect to the dismissal of a worker who has applied for, or has taken, leave provided for in Article 4, 5 or 6, the employer shall provide reasons for the dismissal in writing.“; im Französischen: „(…) peuvent demander à leur employeur de leur fournir les motifs dûment étayés de leur licenciement. En ce qui concerne le licenciement d’un travailleur qui a demandé ou a pris un congé prévu à l’article 4, 5 ou 6, l’employeur fournit les motifs du licenciement par écrit.“ ; im Spanischen: „(…) podrán pedir al empleador que fundamente debidamente las causas del despido. Respecto al despido de un trabajador que haya solicitado o disfrutado un permiso previsto en los artículos 4, 5 y 6, el empleador proporcionará dichos motivos por escrito.“. 85 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 16, dort Art. 17 Abs. 2; Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 23. 05. 2018, 2017/0085(COD), S. 28. 86 Rat, Interinstitutionelles Dossier, 2017/0355 (COD) v. 14. 06. 2018, S.18. 87 Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/ 1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=10060& langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 71. 88 Dazu schon Kapitel 3, B.IV.2.a).

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

prüfung möglich machen muss.89 Wann die Gründe hinreichend genau sind, ließe sich auch aus Sicht des Arbeitnehmers beurteilen: Demnach sei die Voraussetzung erfüllt, wenn die Darlegung des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer die Kündigungsgründe nach objektiven Maßstäben transparent mache, so dass ihm – erforderlichenfalls mit rechtskundiger Unterstützung – eine Einschätzung dazu möglich sei, ob die Arbeitgeberkündigung auf unzulässigen Gründen beruhe und die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz Aussicht auf Erfolg verspreche oder nicht.90 Schon da es sich um eine vorprozessuale Aufklärungspflicht handelt, ist nicht allein auf die gerichtliche Überprüfbarkeit abzustellen. Im Prozess besteht aufgrund der durch beiderseitigen Parteivortrag bedingten umfassenderen Tatsachenlage eine andere Situation. Das erforderliche Maß der Genauigkeit bestimmt sich daher eher nach der Funktion des Begründungsanspruchs. Sprenger ist insofern zuzustimmen, dass die Mitteilung eine Prüfung der Erfolgsaussichten ermöglichen muss. Jedenfalls dürfte Anforderung des Unionsrechts sein, dass ein schlichter Verweis auf eine Tatsachenlage, die dem Kündigungsentschluss (angeblich) zugrunde liegt („Auftragsrückgang“ etc.) keine hinreichend substantiierte Begründung darstellt. Die Begründung muss vielmehr einen Kontext zum Vorwurf des Arbeitnehmers herstellen und die Leitkriterien der Entscheidung im Einklang mit den Anforderungen des nationalen Rechts darlegen. Der Arbeitgeber muss den geäußerten Viktimisierungsverdacht in der Begründung damit entkräften. Der Verweis auf einen beliebigen anderen Kündigungsgrund, ohne einen Bezug auf den Vorwurf des Arbeitnehmers herzustellen, reicht nicht aus. Denn die Begründungspflicht steht in einem funktionalen Zusammenhang zur Beweiserleichterung (Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL).91 Sie bezwecke, die Beweislastregelung überhaupt operabel zu machen, da anders als beim Diskriminierungsschutz bei Viktimisierung kein „Merkmal“ der Person einen ersten Anhaltspunkt bildet.92 Eine Mitteilung „irgendeines“ Kündigungsgrundes ohne Bezug zum konkret erhobenen Vorwurf nutzt dem Arbeitnehmer wenig. Funktion der Begründungspflicht ist es daher auch, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, zum Vorwurf der Maßregelung Stellung zu nehmen und den Verdacht des Arbeitnehmers durch Mitteilung der Kündigungsgründe zu entkräften. Eine allgemeine Mitteilungspflicht ohne Maßregelungsbezug ist weder zweckdienlich noch unionsrechtlich geboten. Die Begründungspflicht dient zur Ausräumung oder Bestätigung eines Maßregelungsverdachts. Der Begriff der „hinreichend genau bezeichneten Gründe“ in Art. 18 Abs. 2 ABRL ist vor dem Hintergrund dieses Zwecks zu verstehen – er beschränkt sich nicht auf Kündigungsgründe im Sinne des deutschen Arbeitsrechts oder auf Gründe im Sinne der Art. 18 Abs. 1 ABRL, Art. 12 Abs. 1 EZRL.

89

Riesenhuber, EU-ArbR, § 24 Rn. 46. EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 6. 91 So zu Art. 18 Abs. 3 ABRL Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 92 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 90

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Der Einwand, dass die Begründungspflicht bei Probezeitkündigungen im deutschen Recht leerlaufe,93 verfängt nicht, da dennoch der notwendige Bezug zur Rechtsausübung hergestellt werden kann, auch wenn sich die Begründung im Übrigen darauf beschränkt, dass keine Kündigungsgründe im Sinne des KSchG zur Rechtmäßigkeit der Kündigung notwendig sind. Für den Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfüllt die Begründungspflicht dennoch ihren Zweck, da der Arbeitgeber zwar keine Kündigungsgründe mitteilen muss, aber der Arbeitnehmer mit der Begründung und ggf. weiteren Tatsachen wie einer zeitlichen Nähe zwischen Rechtsausübung und Kündigung einen Vortrag zusammenstellen kann, der für die Beweislastregel in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nützlich ist.94 Selbst im Kleinbetrieb hat der Arbeitgeber regelmäßig zumindest eine rudimentäre Erklärung für seine Maßnahme, mag diese auch nur darin bestehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweist, dass es sich um eine Probezeitkündigung handelt, die keiner weiteren Begründung bedarf.95 Gegen einen solchen funktionalen Zusammenhang spricht am ehesten eine Besonderheit des Art. 12 EZRL. Art. 9 EZRL wird nur in Art. 12 Abs. 2 EZRL genannt, nicht in Abs. 3. Demnach wäre nur die Einführung einer Begründungspflicht für Kündigungen bei Wahrnehmung der Rechte aus Art. 9 EZRL Teil des unionsrechtlichen Mindeststandards, nicht jedoch die Einführung einer Beweislastregel (Art. 12 Abs. 3 EZRL).96 Es besteht damit eine Begründungspflicht unabhängig von einer Beweiserleichterung, sodass das Funktionalitätsargument in diesem Umfang leerläuft. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung lässt sich aber weder aus einem Bedeutungsunterschied des Art. 9 EZRL im Vergleich zu den übrigen Richtlinienrechten noch aus den Erwägungsgründen erkennen. Die Auslegung nach dem Funktionszusammenhang tritt darüber hinaus auch nicht in Konflikt mit der übergeordneten rechtspolitischen Zielsetzung des Kap. 2 Art. 7 lit. b ESSR. Die ESSR zielt in diesem Punkt darauf ab, Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung in Kenntnis der Gründe zu setzen.97 Die Begründungspflichten nach Ausspruch der Kündigung in ABRL und EZRL stehen hingegen im Kontext des Viktimisierungsschutzes und sind Komplementärregelungen der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL. b) Form Im Sprachvergleich eindeutig ist die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Gründe für die Kündigung schriftlich darzulegen. Die Bedeutung des Wortes „schriftlich“ 93

Etwa EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 2. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 95 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 96 Graue, ZESAR 2020, 62, 70. 97 Kap. 2 Art. 7 lit. b ESSR: „Bei jeder Kündigung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zuvor die Gründe zu erfahren, und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist.“. 94

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

wird in den Erwägungsgründen nicht genauer spezifiziert.98 Es mag sein, dass der Unionsgesetzgeber nur einen Verweis auf eine mündliche Kündigungsbegründung, die ihrerseits wieder Beweisprobleme verursachen kann, vermeiden wollte. Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil die Begründungspflicht systematisch im Kontext der zweistufigen Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL steht. Zu klären bleibt allerdings, ob „schriftlich“ im Sinne der Art. 18 Abs. 2 ABRL und Art. 12 Abs. 2 EZRL auch die Erteilung der Begründung in elektronischer Form mit einschließt, also etwa per E-Mail. In Art. 3 ABRL wurde eine gesonderte Regelung für „gemäß dieser Richtlinie“ erforderliche Informationen geschaffen. Die elektronische Erteilung ist alternativ zur Papierform nach Art. 3 S. 2 ABRL möglich, wenn die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält. Es fragt sich daher, ob „Informationen“ im Sinne des Art. 3 ABRL auch die Begründung nach Art. 18 Abs. 2 ABRL erfasst. Dafür spricht zunächst, dass die Regelung im allgemeinen Teil der ABRL steht und als solche „vor die Klammer gezogen“ ist. Allerdings befindet sich die Begründungspflicht im Abschnitt „Horizontale Bestimmungen“, deren Zweck die Ergänzung aller übrigen Bestimmungen ist, welche hinter die Klammer gezogen sind.99 Klar ist, dass der Unionsgesetzgeber mit Art. 3 ABRL primär auf die schriftliche Information über die wesentlichen Arbeitsbedingungen abzielt.100 Zudem liegt Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL das gleiche Regelungskonzept zugrunde. In der EZRL gibt es keine Art. 3 ABRL vergleichbare Regelung. Dies spricht dafür, dass die Regelung in Art. 3 ABRL nicht für den Begründungsanspruch greift. Eine elektronische Erteilung der Begründung ist daher in den Richtlinien nicht vorgesehen. c) Frist Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL sehen keine konkrete Frist für die Darlegung der Gründe vor. In der Stellungnahme des Rechtsausschusses zur EZRL findet sich folgender Änderungsvorschlag: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (…) haben ein Recht darauf, vom Arbeitgeber zu verlangen, dass er stichhaltige Kündigungsgründe anführt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, diese Gründe zeitnah schriftlich darzulegen.“101

Außer einer Klarstellung der Ausgestaltung der Begründungsanfrage als Anspruch, woran auch in der letztlich in Kraft getretenen Fassung keine Zweifel bestehen, spezifiziert die Formulierung eine Pflicht zur zeitnahen Beantwortung der 98

Vgl. Erwägungsgrund 41 EZRL; Erwägungsgrund 43 ABRL. Riesenhuber, FS Hopt 2020, 1009, 1030. 100 Erwägungsgrund 24 ABRL. 101 Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 23. 05. 2018, 2017/0085(COD), S. 28; Hervorhebung nachträglich ergänzt. 99

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Anfrage. Dass in der Richtlinie keine darauf hindeutende Formulierung aufgenommen wurde, legt den Schluss nahe, dass der Unionsgesetzgeber hinsichtlich der näheren zeitlichen Eingrenzung der Antwortpflicht den Mitgliedsstaaten größtmöglichen Umsetzungsspielraum lassen wollte. In der Stellungnahme des Rechtsausschusses zum Kommissionsvorschlag für die ABRL, in dem die Begründungspflicht in der Form stand, die letztlich verabschiedet wurde, waren noch weitere Rechtsfolgen und Verschärfungen vorgesehen: So sollten die Mitgliedsstaaten die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage so lange aussetzen, wie der Arbeitgeber keine ordnungsgemäße Begründung geliefert hat.102 Darüber hinaus wollte der Rechtsausschuss offenbar auch weitere Kündigungen während des in Art. 18 Abs. 3 ABRL adressierten Gerichtsverfahrens verbieten.103 Diese Verschärfungen haben es, obwohl sie die Konsequenzen einer Nichterteilung oder einer nicht rechtzeitigen Erteilung der Begründung drastisch verschärfen würden, nicht in die verabschiedeten Fassungen der Richtlinien geschafft. Während die Aussetzung der Klageerhebungsfrist nur einer von vielen denkbaren Wegen zur Stärkung des Begründungsanspruchs ist, ist die Nichtaufnahme einer Verpflichtung zur zeitnahen Begründung misslich. Ermöglichen Mitgliedsstaaten in ihren Umsetzungsgesetzen den Arbeitgebern die Möglichkeit durch „Hinhalten“ und andere Verzögerungstaktiken die Mitteilung der Gründe zu umgehen oder so weit zu verzögern, dass der Arbeitgeber von einer Klage absieht, ist nämlich zweifelhaft, ob dies überhaupt eine effektive Umsetzung des Begründungsanspruchs darstellt. 4. Zwischenfazit Die Union hat in ABRL und EZRL klar für eine Ausweitung der vorprozessualen Informationspflichten mit einer niedrigen tatbestandlichen Schwelle votiert, sie verfolgt einen richtlinienübergreifenden Regelungsansatz. Die Umsetzungsverpflichtung im in der Richtlinie festgelegten Umfang wird somit zwangsläufig praktische Veränderungen herbeiführen. Die Kombination der Abs. 2 und 3 der Richtlinien sollen effektive tatbestandliche Begrenzungen der Begründungspflicht auf die Fälle erzeugen, in denen finanzielle Situation und damit die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers durch die Maßnahme dergestalt eingeschränkt wird, dass die Wirkung einer Kündigung gleichkommt. Die Begründungspflicht stärkt allgemein die Rechtsposition des Arbeitnehmers und übt Rechtfertigungsdruck auf den Arbeitgeber aus. Wegen der potenziell großen praktischen Relevanz der Begründungspflicht ist ein methodisch sensibler Ansatz bei der Integration ins deutsche Recht gefragt, der das mit jeder bedeutenden Änderung einhergehende Maß an Rechtsunsicherheit unter Wahrung des Arbeitnehmerschutzstandards der Richtlinie minimiert. 102 103

Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 27. 09. 2018, 2017/355(COD), S. 51. Stellungnahme des Rechtsausschusses v. 27. 09. 2018, 2017/355(COD), S. 52.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

II. Beweiserleichterung 1. Anwendungsbereich und erfasste Maßnahmen Die Art. 12 Abs. 3 EZRL, Art. 18 Abs. 3 ABRL erfassen der Sache nach nur Verfahren vor einem Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde oder Stelle. Dass die Beweiserleichterung unmittelbare Rechtswirkung nur im Rahmen gerichtlicher oder behördlicher Verfahren entfalten kann, ist selbstverständlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Regelung in Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL auch vor den Gleichbehandlungsstellen nach Art. 15 derselben Richtlinie greift. Die weite Fassung bewirkt eine Geltungssicherung der Beweiserleichterung in allen Verfahren vor staatlichen Stellen – auch wenn im Einzelfall die staatliche Stelle nicht die Definition einer Behörde erfüllt, die von Staat zu Staat abweichen kann und in der Richtlinie nicht eigens festgelegt wird. Dafür spricht auch die Ausnahmemöglichkeit für Verfahren, in denen der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (Art. 18 Abs. 5 ABRL, Art. 12 Abs. 5 EZRL).104 Der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung findet auch in Art. 12 Abs. 3 EZRL keine Erwähnung. Im Unterschied zur Begründungspflicht in Art. 18 Abs. 2 ABRL nimmt Art. 18 Abs. 3 ABRL im ersten Hs. zwar ebenfalls auf Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung Bezug. Die Rechtsfolge der Beweislastumkehr im zweiten Hs. bezieht sich aber nur darauf, dass der Arbeitgeber nachzuweisen habe, dass die Kündigung aus anderen Gründen erfolgt sei. Dem Wortlaut nach wären Maßnahmen gleicher Wirkung damit nicht vollumfänglich Gegenstand der Beweiserleichterung. Fraglich ist, ob und inwiefern Maßnahmen gleicher Wirkung von den Begünstigungen der Norm erfasst sind. Die Formulierung der Regelung könnte zunächst bedeuten, dass zwar eine Erleichterung des Arbeitnehmervortrags für Maßnahmen gleicher Wirkung greifen soll, aber in diesen Fällen nur nicht die Rechtsfolge der Beweislastumkehr eintreten soll. Dies spricht dafür, dass die Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL nur für Kündigungen gilt.105 Aus den Erwägungsgründen der Richtlinie ergibt sich zunächst nichts anderes. Aufschlussreich ist der Vergleich zur Parallelregelung in der EZRL. Art. 12 Abs. 3 EZRL bezieht sich nur auf Kündigungen, Maßnahmen gleicher Wirkung bleiben unerwähnt. Der insoweit identische Regelungsansatz und die zweimalige Verwendung derselben Formulierung könnte dafür sprechen, dass sich die Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL ebenfalls nur auf Kündigungen bezieht. Allerdings wollte die Kommission das Konzept einer „shared burden of proof“ erkennbar auch in den Fällen einführen, in denen nur eine Maßnahme gleicher

104

Dazu auch Erwägungsgrund 44 ABRL, die die Ausnahmemöglichkeit auf sämtliche Behörden oder Stellen erstreckt, nicht nur „Behörden“. 105 So im Ergebnis auch Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415; Picker, ZEuP 2020, 305, 321.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Wirkung vorliegt.106 Dies ergibt sich auch aus den Erwägungsgründen.107 Die Festlegung, dass der Arbeitnehmer Tatsachen vortragen muss, um einen Rückschluss auf eine Maßregelung zu erzeugen, dient nur dazu, die Rechtsfolge der Beweislastumkehr auszulösen. Dass der Gesetzgeber den Nachweis eines Maßregelungsanscheins als eigenständige Privilegierung einführen wollte, ist unwahrscheinlich. Dies wäre nämlich auch dahingehend widersprüchlich, dass Maßnahmen gleicher Wirkung gerade auszeichnen, dass die Beeinträchtigung der sozialen Lebensgestaltung mit der Kündigung vergleichbar ist. Nimmt man an, dass Art. 18 Abs. 3 ABRL nur auf erster Stufe auch für Maßnahmen gleicher Wirkung gilt, hätte dies zur Konsequenz, dass für Maßregelungen vergleichbarer Intensität gerade unterschiedliche Beweisanforderungen gelten. Auch die Begründungspflichten greifen bei Maßnahmen gleicher Wirkung. Diese Pflicht dient der Vorbereitung und Ermöglichung eines Arbeitnehmervortrags, der hinreichende Anhaltspunkte für eine Viktimisierung aufweist.108 Würde die Rechtsfolge der Beweislastumkehr nicht für Maßnahmen gleicher Wirkung greifen, würde die Begründungspflicht insofern leerlaufen. Darüber hinaus bezieht sich Art. 18 Abs. 1 ABRL sowohl auf Kündigungen als auch auf Maßnahmen gleicher Wirkung. Dass die Beweiserleichterungen jeweils in weiteren Absätzen derselben Vorschrift stehen, spricht für einen engen inhaltlichen Zusammenhang – eine abweichende Rechtsfolgenanordnung würde dem widersprechen. Darüber hinaus wäre ein umfassender und effektiver Schutz des Arbeitnehmers vor Viktimisierungsmaßnahmen, die eine der Kündigung vergleichbare Zäsur für die soziale Lebensgestaltung zur Folge haben, nicht gewährleistet, wenn der Kern- und Bezugspunkt des besonderen Schutzes – die Beweislastumkehr – ausgerechnet nicht greifen würde. Für ein Redaktionsversehen spricht auch, dass im Entwurf der PARL in Art. 18 Abs. 3 die Beweiserleichterung auf Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung erstreckt werden soll.109 Im Ergebnis greift die Rechtsfolge der Beweislastumkehr trotz des irreführenden Wortlauts daher sowohl für Kündigungen als auch für „Maßnahmen gleicher Wirkung“ im Sinne der ABRL. 2. Tatbestand und Rechtsfolgen der Beweiserleichterungen a) Bezugspunkt der Beweiserleichterungen Der Sache nach betreffen auch die diskriminierungsrechtlichen Beweiserleichterungen zunächst die Verknüpfung der Schlechterstellung mit einem der verpönten Merkmale.110 Zu klären ist aber noch, ob die Beweiserleichterung den gesamten 106 Kommission, Staff Working Document Impact Assessment, Interinstitutional File v. 22. 12. 2017, 2017/0355(COD), S. 44, dort Fn. 103. 107 Erwägungsgrund 44 ABRL. 108 Siehe oben unter Kapitel 4, B.I.2. 109 PARL-E, Art. 18 Abs. 3, S. 41. 110 Stein, NZA 2016, 849, 855.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Maßregelungstatbestand erfasst, oder ob nur eine oder mehrere Einzelvoraussetzungen erfasst sind. Bei Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL beschränkt sich die Beweiserleichterung auf der zweiten Stufe dem Wortlaut nach auf die Frage, aus welchen Gründen die Maßnahme des Arbeitgebers erfolgt. In jedem Fall umfasst ist die Beziehung zwischen Rechtsausübung und Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung. Damit besteht ein Unterschied im Regelungsgehalt im Vergleich zu den Diskriminierungsrichtlinien, bei denen die Beweislastumkehr allgemein auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz Bezug nimmt. Dafür spricht, dass sich der Wortlaut der Richtlinien „aus anderen Gründen“ auf ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal bezieht.111 Im Unterschied zu den Diskriminierungsrichtlinien ist die zweistufige Beweiserleichterung in ABRL und EZRL an eine Begründungspflicht gekoppelt, nach der der Arbeitgeber die Gründe für seine Maßnahme dem Arbeitnehmer offenlegen muss. Aus der funktionalen Kopplung lässt sich ableiten, dass die Begründungspflicht einen Bezug zum Gegenstand der Beweiserleichterung aufweist. Die Funktionsweise der zweistufigen Beweiserleichterung vor Augen, liegt der Schluss nahe, dass sich die verschiedenen Absenkungen der Anforderungen auf dasselbe Tatbestandsmerkmal bezieht. Die Begründung für das Arbeitgeberverhalten und die Beweiserleichterung betrifft im Kern die Frage, ob der Arbeitgeber die Kündigung aufgrund der Ausübung von Richtlinienrechten ausgesprochen hat. Beweisthema ist daher, ob die Ausübung von Richtlinienrechten ursächlich für die Kündigung war, bzw. ob die Kündigung oder Maßnahme aus anderen objektiven Gründen zulässig war.112 Selbst die Diskriminierungsrichtlinien, bei denen die Formulierung des Beweisthemas sehr viel offener ist, lässt sich nicht ohne weiteres von einem unionsrechtlichen Gebot einer Beweiserleichterung für die objektive Benachteiligung, geschweige denn den gesamten Diskriminierungstatbestand sprechen. Denn dort gilt in Anschauung der Rechtsprechung des EuGH eine Rechtslage, nach der die Beweiserleichterung des § 22 AGG grundsätzlich den Kausalzusammenhang, ansonsten aber alle Merkmale erfasst, bei denen die Beibehaltung der Grundregel der Beweislast aufgrund des Informationsgefälles den Prozesserfolg vereiteln würde.113 Festzuhalten ist, dass sich die Beweiserleichterungen in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL darauf bezieht, festzustellen, ob die Rechtsausübung der Grund für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung war. Im deutschen Recht (maßgeblich § 612a BGB) betrifft dies den Kausalzusammenhang zwischen Maßnahme und Rechtsausübung.

111

Dazu Kapitel 4, A.II.3.b)bb). Vgl. EUArbRK/Sprenger, RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 7. 113 Dazu bereits Kapitel 2, B.III.1.a).

112

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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b) Anforderungen an das Vorbringen auf der ersten Stufe Zu klären bleibt, welche Voraussetzungen die Mitgliedsstaaten nach den Vorgaben der Richtlinien aufstellen können, bevor die Rechtsfolge der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL ausgelöst wird. aa) Mosaikprinzip der Operabilität In den Gesetzesmaterialien der ABRL findet sich, in Übereinstimmung mit den Erwägungsgründen und dem Wortlaut der Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL nur die Formulierung, dass der Arbeitnehmer seine Behauptung „mit Tatsachen belegen“ können muss.114 Welche Tatsachen dafür in Betracht kommen, wird jedoch nicht weiter spezifiziert. Dies verwundert nicht, hängt doch von den Umständen des Einzelfalls ab, welche Anhaltspunkte der Arbeitnehmer für eine Maßregelung auf erster Stufe anführen kann. Vergleichbar in deutschen Recht könnten die einen Erfahrungssatz begründenden Tatsachen beim Anscheinsbeweis sein.115 Ein zeitlicher Zusammenhang kann auch als Indiz auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung herangezogen werden.116 Weiterhin lässt sich ein objektiver Bezug zur Rechtswahrnehmung jedenfalls dann problemlos herstellen, wenn diese mit schriftlicher Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber dem Arbeitgeber verbunden war, wobei hier im Einzelnen die typischen Schwierigkeiten des Zugangs und der Kenntnis eintreten können. Dem Arbeitgeber ist es ein leichtes, die Kenntnis von einer Rechtswahrnehmung abzustreiten und so jeglichen Zusammenhang zur Maßnahme zu negieren. Darüber hinaus wird der Arbeitnehmer aber kaum Anhaltspunkte für die objektiven und subjektiven Gründe der Maßnahme haben.117 Zwar wird der Maßregelungsverdacht regelmäßig eine Grundlage im Geschehensablauf haben. Dies muss sich jedoch nicht zwangsläufig auf Tatsachen, nach allgemeinem Verständnis also beweiszugängliche Umstände, konkretisieren. In Betracht kommen etwa ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung, oder missbilligende Äußerungen des Arbeitgebers im Vorfeld der Maßnahme. Dabei entfaltet letzteres eher stärkere Aussagekraft, während der zeitliche Zusammenhang für sich genommen nur wenig belastbar ist. Da es dem Arbeitnehmer praktisch nur selten gelänge, die Rechtsfolgen der Beweiserleichterung auszulösen, kommt hier der Begründungspflicht besondere Bedeutung zu.118 Wenn die Begründung des Arbeitgebers kein Eingeständnis der 114

Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 17. Dazu Kapitel 2, C.I. 116 Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/ 1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=10060& langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 73. 117 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415 f. 118 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 115

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Viktimisierung enthält, wovon im Regelfall zumindest bei einem rechtlich beratenen Arbeitgeber auszugehen sein wird, ist die Begründung für sich genommen auch nur wenig aussagekräftig. Faktisch wird der nach den unionsrechtlichen Beweiserleichterungen auf der ersten Stufe erforderliche Anschein der Maßregelung häufig nur durch ein Zusammenspiel mehrerer Tatsachen erzeugt werden können. Kurzum handelt es sich damit, bei Anlegung deutscher Kategorien des Prozessrechts, um eine klassische Indizienbeweissituation. Eine schematische Darstellung der in Betracht kommenden Tatsachen ist nur schwer möglich. Während eine Begründung, die die aus Arbeitgebersicht einschlägigen Kündigungsgründe darlegt, für sich genommen nur geringen Aussagegehalt für den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung hat, liegt der Fall anders, wenn der Arbeitgeber überhaupt nicht auf eine rechtmäßige Begründungsanfrage reagiert. Im Diskriminierungsrecht besteht keine gesonderte Auskunftspflicht, was zunächst dafür spricht, dass eine Nichterteilung auch nicht als Indiz im Rahmen der zweistufigen Beweiserleichterung herangezogen werden kann.119 Die Verweigerung von Auskünften durch den Arbeitgeber kommt für den EuGH jedoch als relevanter Gesichtspunkt zum Nachweis von Hilfstatsachen in Betracht, die Indiz für eine Diskriminierung sprechen.120 Schon ohne einen expliziten Auskunftsanspruch mag die Weigerung des Arbeitgebers daher gewisse Indizwirkung entfalten, wobei sich der EuGH dabei reichlich unklar ausdrückt.121 Die mit der fehlenden Begründungspflicht in den Diskriminierungsrichtlinien verbundenen Reibungen bei der Berücksichtigung einer Auskunftsverweigerung als Indiz werden durch die Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL vermieden. Mit einer gesondert geregelten Begründungspflicht wird deren Nichtbefolgung unweigerlich zum starken Indiz für eine Viktimisierung. Ebenfalls Aussagekraft für den Kausalzusammenhang im Diskriminierungsrecht entfalten widersprüchliche oder wechselnde Begründungen.122 Wenn die Begründung des Arbeitgebers Lücken und Ungereimtheiten in der Tatsachenschilderung aufweist, kann insofern die Beantwortung der Anfrage nach Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL selbst als Hilfstatsache herangezogen werden. bb) Geringere Anforderungen an den Vortrag Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Anforderungen an den Arbeitnehmervortrag nach dem Standard der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL zu stellen sind. 119 BAG Urt. v. 15. 12. 2016 – 8 AZR 418/15, BeckRS 2016, 119064, Rn. 48; BAG, Urt. v. 25. 04. 2013 – 8 AZR 287/08, BeckRS 2013, 68457, Rn. 60. 120 EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493. 121 Kritisch insofern Thüsing/Stiebert, EuZW 2012, 464, 465. 122 BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345, 1349 (Rn. 49) = BAGE 142, 158.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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(1) Kein Erfordernis einer Beweismaßsenkung bezüglich der Hilfstatsachen Unklar ist etwa, ob Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL eine Absenkung des Beweismaßes für die vorgebrachten Tatsachen fordern. (a) Regelungsgehalt der Vorgängervorschriften Bei den Diskriminierungsrichtlinien wird vertreten, dass das im Rechtsraum des Common Law im Vergleich zum deutschen Recht niedrigere Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit verbindlich festgelegt werden sollte.123 Diese Auslegung der Diskriminierungsrichtlinien, nach der eine Beweismaßsenkung auch für die Hilfstatsachen selbst notwendig ist, beruht vor allem auf einer engen Interpretation der deutschen Fassung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG, Art. 10 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EU, Art. 8 Abs. 1 der 2000/43/EG, sowie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/113/EG, nach der die Tatsachen bloß „glaubhaft gemacht“ werden müssen. Dabei ist unter Zugrundelegung anderer Sprachfassungen124 ein Erfordernis der Absenkung der Beweisanforderungen hinsichtlich der Tatsachen selbst nicht mehr feststellbar. Zwar kann aus der englischen Fassung das englische Regelbeweismaß herausgelesen werden,125 die spanische Fassung scheint aber keine besonderen Anforderungen an den Vortrag der Indiztatsachen zu stellen.126 Dies ergibt im Kontext der Diskriminierung, bei Zugrundelegung des Sphärengedankens,127 auch Sinn. Für eine Absenkung der Anforderungen besteht kein Bedürfnis, wenn der Arbeitnehmer die entsprechenden Tatsachen bereits zur Verfügung hat. Möglich ist also, dass die Formulierung der deutschen Sprachfassung auf das (vergleichsweise hohe) Regelbeweismaß in Deutschland Rücksicht nimmt. Dementsprechend würden die Diskriminierungsrichtlinien in Deutschland eine Absenkung des Beweismaßes auf überwiegende Wahrscheinlichkeit auch hinsichtlich der Indiztatsachen selbst erforderlich machen.128 Dagegen wird eingewandt, dass dies den Wortlaut der deutschen Fassung übermäßig stark betone.129 Ferner sei auch der Rechtsprechung

123

MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3; ErfK/Schlachter, AGG, § 22 Rn. 3; Stein, NZA 2016, 849, 850 f.; Uffmann, ZfA 2022, 51, 66; Windel, RdA 2007, 1, 2. 124 Am Beispiel der RL 2006/54/EG im Englischen: „(…) establish, before a court or other competent authority, facts from which it may be presumed that there has been direct or indirect discrimination (…)“; im Französischen: „(…) et établit, devant une juridiction ou une autre instance compétente, des faits qui permettent de présumer l’existence d’une discrimination directe ou indirecte (…)“; im Spanischen: „presente, ante un órgano jurisdiccional u otro órgano competente, hechos que permitan presumir la existencia de discriminación directa o indirecta“. 125 Stein, NZA 2016, 849, 851. 126 So auch Stein, NZA 2016, 849, 851. 127 Vgl. SSP/Suckow, AGG, § 22 Rn. 14; Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 139. 128 Stein, NZA 2016, 849, 855. 129 Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 129

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

des EuGH zu den Diskriminierungsrichtlinien keine dementsprechende Auslegung zu entnehmen.130 Eine unionsrechtliche Notwendigkeit einer Beweismaßsenkung für die Indizien besteht nicht. Zwar sind die Hilfstatsachen naturgemäß nicht vollständig aussagekräftig für den Kausalzusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeit bzw. Rechtsausübung und Benachteiligung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass deshalb für die Tatsachen selbst geringere Anforderungen zu gelten hätten. Ein in anderen Mitgliedsstaaten geringeres Regelbeweismaß ist für die Auslegung von Unionsrecht ebenso wenig ausschlaggebend, wie für ebendiese Mitgliedsstaaten ein im Vergleich höheres Regelbeweismaß in Deutschland. Der Umstand erklärt einige Anwendungsschwierigkeiten im deutschen Recht,131 beeinflusst aber nicht den Regelungsgehalt einer sekundärrechtlichen Norm. Sowohl im Diskriminierungsrecht als auch bei den Neuregelungen ergibt sich für den jeweiligen Kausalzusammenhang unter Berücksichtigung des in anderen Mitgliedsstaaten geltenden Beweismaßes keine Notwendigkeit einer Beweismaßsenkung für die Tatsachen, die die Grundlage der ersten Stufe bilden. Nur die deutsche Fassung der Diskriminierungsrichtlinien weicht mit dem Begriff „glaubhaft machen“ ab.132 Im Diskriminierungsrecht wird zudem eine Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses herangezogen, nach der eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zu fordern ist,133 was zum Teil zum Anlass genommen wird, zu folgern, dass der Unionsgesetzgeber dieses Beweismaß habe festsetzen wollen.134 Diese Formulierung ist aber längst nicht in allen Sprachfassungen der Stellungnahme enthalten.135 Selbst wenn, wäre noch nicht ersichtlich, warum dieser Stellungnahme allein ein so großer Klarstellungseffekt zukommen sollte, dass er die Auslegung verbindlich festlegt.136 Weil alle Sprachfassungen der Richtlinien für die Mitgliedsstaaten gleichermaßen verbindlich sind,137 ist nicht davon auszugehen, dass der Begriff eine Beweismaßsenkung für die Hilfstatsachen bedeutet. Denn nationale Bedeutungszuschreibungen sind für die Bedeutung sekundärrechtlicher Begriffe nicht maßgeblich, da sich diese im Grundsatz unionsautonom bestimmen.138 130

Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 172. Vgl. MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3. 132 Dazu Kapitel 4, A.II.3.b). 133 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung“ v. 28. 04. 1997, ABI. EG 1997 Nr. C 133, S. 35. 134 Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 189 f.; im Ergebnis auch Peick, Darlegungsund Beweislast nach § 22 AGG, S. 198. 135 Dazu eingehend schon Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 322 f. 136 Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 322 f. 137 Dies folgt aus Art. 1 VO Nr. 1v. 15. 04. 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die EWG, ABl. 1958, 17/385; in der Fassung der VO (EU) Nr. 517/2013 v. 13. 05. 2013, ABl. 2013 L 158/1, siehe EU-Methodenlehre/Schilling, § 23 Rn. 27. 138 Schliemann, NZA-RR 2021, 401, 407. 131

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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(b) Übertragung auf die Neuregelungen Obwohl keine grundlegende Abweichung im Regelungsgehalt der Diskriminierungsrichtlinien zu erkennen ist, spricht der deutsche Wortlaut der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nicht mehr für eine solche Beweismaßsenkung. Wie bereits gezeigt, ist durch ABRL und EZRL der Regelungsansatz der Diskriminierungsrichtlinien im Wesentlichen übernommen worden, es besteht aber im deutschen Wortlaut der Unterschied, dass der Begriff der Glaubhaftmachung durch „anführen“ ersetzt wurde. Weitere Sprachfassungen enthalten – ähnlich wie bei den Diskriminierungsrichtlinien – keine Hinweise auf ein abgesenktes Beweismaß.139 Demnach ist äußerst fraglich, ob die auf einer engen Wortlautauslegung der deutschen Fassung der Diskriminierungsrichtlinien beruhende Auffassung, die eine Beweismaßsenkung für die Indiztatsachen selbst auf den Begriff der Glaubhaftmachung stützt, überhaupt auf die Neuregelungen übertragen werden könnte. Ein anderes Verständnis, nach dem der Unionsgesetzgeber schon im Diskriminierungsrecht ein allgemein abgesenktes Beweismaß auch für die Hilfstatsachen regeln wollte,140 würde in die Beweiserleichterung eine ungeschriebene Regel hineininterpretieren, nach der sich das festzulegende Beweismaß immer an einem auf nationaler Ebene geringeren Beweismaß orientieren muss. Selbst wenn der Unionsgesetzgeber bei der Schaffung der zweistufigen Beweiserleichterungen ein geringeres Regelbeweismaß in anderen Mitgliedsstaaten zugrunde gelegt haben sollte, folgt nicht ohne Weiteres daraus, dass dieses Verständnis als Teil des Mindeststandards umgesetzt werden muss. Für die Mitgliedsstaaten sind Richtlinien gleichermaßen verbindlich. Dieses Prinzip würde unterlaufen, wenn ein Mitgliedsstaat das Beweismaß aufgrund eines abgesenkten oder erhöhten Regelbeweismaßes in anderen Mitgliedsstaaten anpassen muss. Zu beachten ist, dass das in anderen Staaten geringere Beweismaß, wie die von Thüsing herangezogene Zusammenfassung des Preponderance-Standards im Common Law von Denning („more probable than not“),141 allgemein im Zivilrecht gilt.142 Ohne einen entsprechenden Anhaltspunkt im Wortlaut der Richtlinie („glaubhaft machen“ o. ä.) auf erster Stufe besteht daher kein Anlass, von einer Absenkung des Beweismaßes als Regelungsinhalt auszugehen. So liegt der Fall bei Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL. Ansonsten wäre nicht klar, warum sich die Festlegung eines geringeren Regelbeweismaßes auf die erste Stufe der Beweiserleichterungen beschränken sollte. Dass der Unionsgesetzgeber ein bestimmtes Beweismaß allgemein festlegen wollte, also über einen Teil einer abgestuften Be-

139

Siehe oben Kapitel 4, A.II.3.b). So MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 2; in diese Richtung auch Thüsing/Stiebert, EuZW 2012, 464, 465. 141 High Court of Justice, King’s Bench Division, Urt. v. 25. 07. 1947, 2 All E.R. 372 (Miller v. Minister of Pensions), Rn. 373 f. 142 Brinkmann, Beweismaß, S. 11. 140

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

weiserleichterung hinaus, ist aufgrund der verschiedenen Regelbeweismaße der Mitgliedsstaaten kaum plausibel. Auch der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit kann kein anderes Ergebnis bewirken, denn er ist begriffslogisch erst anwendbar, wenn das fragliche Regelungselement Teil des Unionsrechts ist.143 Zwar ist die Beweiserleichterung im Diskriminierungsrecht teleologisch mit dem Umstand der effektiven Durchsetzbarkeit desselben verbunden,144 was sich auch auf die Art. 18 Abs. 3 ABRL und Art. 2 Abs. 3 EZRL übertragen lässt. Dass in Benachteiligungsfällen an die Darlegungslast des Klägers keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind, ist schon aufgrund des Informationsgefälles, das die Beweiserleichterungen adressieren, klar vorgegebenes Ergebnis. Davon ist die Frage des Beweismaßes als Regelungsgegenstand der Beweiserleichterungen jedoch zu trennen. Der effet utile bewirkt eine weite und klägerfreundliche Auslegung, aber keine inhaltliche Erweiterung des Regelungsgehalts der Beweiserleichterung selbst. Nach dem oben gesagten spricht mehr dafür, dass der Unionsgesetzgeber keine Beweismaßsenkung bezüglich der Indiztatsachen selbst geregelt hat. Den Mitgliedsstaaten bleibt eine Absenkung des Beweismaßes für die Tatsachengrundlage auf erster Stufe als teilweise Umsetzung der Beweiserleichterung im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit aber weiterhin möglich. (2) „die darauf schließen lassen“ Die Grundlinien der obigen Argumentation lassen sich auch auf die Anforderungen von Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL an den Rückschluss auf den Kausalzusammenhang anhand des Arbeitnehmervortrags auf erster Stufe der Beweiserleichterung übertragen. (a) Wortlaut Die verschiedenen Sprachfassungen sprechen teilweise von „Vermutung“, teilweise davon, dass ein Rückschluss auf etwas gezogen werden muss.145 Regelungsgegenstand ist also eine Plausibilitätsbewertung anhand des vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachenmaterials. Welcher Grad der Plausibilität erforderlich ist, wird nicht genau festgelegt. Dem Wortlaut der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL lässt sich nicht entnehmen, welche Art der Beweiserleichterung für den Rückschluss auf den Kausalzusammenhang anhand der vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachen einzuführen ist. Aus der Formulierung ergibt sich unmittelbar nur, dass der Arbeitnehmer Tatsachen anführen muss. Ein gesonderter Vortrag be-

143

So auch Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 172. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 31. 05. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU:C:1989:228, Rn. 39; vgl. EuGH, Urt. v. 17. 10. 1989 – Rs. C-109/88 (Danfoss), ECLI:EU:C:1989:383, Rn. 10 ff. 145 Siehe oben unter Kapitel 4, A.II.3.b). 144

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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züglich der Aussagekraft dieser Tatsachen („die darauf schließen“) ist dem Wortlaut nach nicht erforderlich. (b) Entstehungsgeschichte und Systematik Die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluss darüber, welche Rechtswirkung bezüglich des Arbeitnehmervortrags auf der ersten Stufe intendiert ist. Dies verwundert nicht, ist doch der Regelungsansatz bereits aus den Diskriminierungsrichtlinien bekannt. Auf Ebene des europäischen Rechts wird davon gesprochen, dass der Kläger, damit die Beweislast umgekehrt werde, zunächst einen Anscheinsbeweis erbringen, d. h. das Gericht davon überzeugen müsse, dass er anscheinend diskriminiert worden sei.146 Der Begriff des Anscheinsbeweises ist in diesem Kontext nicht mit dem Anscheinsbeweis im Sinne des deutschen Zivilprozessrechts gleichzusetzten. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Geschehensablauf, den der Arbeitnehmer mit seinem Tatsachenvorbringen skizziert, in irgendeiner Weise typisch sein muss, um einen Rückschluss auf eine Maßregelung zuzulassen und so die Rechtsfolge der Beweislastumkehr auszulösen. Tatsachenvortrag und Plausibilitätsbeurteilung sind separate Regelungselemente. Die Regelung teilt die Darlegungslast nach Sphären auf, die erste Stufe betrifft die Sphäre des Arbeitnehmers. Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer im Prozess auch zur Aussagekraft der Tatsachen vortragen muss. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt die Darlegung eines ersten Anscheins einer Diskriminierung.147 Es muss folglich zumindest nicht der vollständige Beweis des Kausalzusammenhangs erbracht werden – ansonsten wäre die zweite Stufe der Beweiserleichterung zwecklos. Eine klare Festlegung hinsichtlich einer spezifischen Art der Beweiserleichterung lässt sich den Urteilen des EuGH jedoch nicht entnehmen.148 Hinsichtlich der genauen Vorgaben im Sekundärrecht bestehen jedoch bereits bei den Diskriminierungsrichtlinien unterschiedliche Auffassungen: Etwa für Dammann ist eine Beweismaßsenkung für den Kausalzusammenhang nicht der festgelegte Mindeststandard auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung.149 Die bereits genannte Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses wird als Argument dafür angeführt, dass keine Senkung des Beweismaßes gewollt war.150 Dagegen spricht allerdings, dass der Unionsgesetz-

146 Farkas/O’Farrell, Umkehr der Beweislast, S. 5; EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 3. 147 EuGH, Urt. v. 27. 10. 1993 – Rs. C-127/92 (Enderby), ECLI:EU:C:1993:859, NZA 1994, 797, 798 (Rn. 14); EuGH, Urt. v. 31. 05. 1995 – Rs. C-400/93 (Royal Copenhagen), ECLI:EU:C:1995:155, AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 68, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 26. 06. 2001 – Rs. C-381/99 (Brunnhofer), ECLI:EU:C:2001:358, NZA 2001, 883, Rn. 53. 148 So auch Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 172. 149 Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 292 ff. 150 Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 173.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

geber dessen Empfehlung gerade nicht gefolgt ist.151 Klar ist jedenfalls, dass kein endgültiger Nachweis für den Kausalzusammenhang erbracht werden muss. Darüber hinaus hat der Unionsgesetzgeber betont, dass die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, weiterhin der einschlägigen einzelstaatlichen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten obliege.152 Dies spricht eher dafür, dass in der Bestimmung keine Festlegung hinsichtlich des Beweismaßes getroffen wird.153 Keinesfalls geben die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL zwingend vor, dass eine Vermutung für den Kausalzusammenhang einzuführen ist, die dann schlicht vom Arbeitgeber widerlegt werden muss. Dies entspräche im deutschen Recht einer Vermutung im Sinne des § 292 ZPO. Allerdings zeigt Art. 15 Abs. 1 lit. a ABRL, dass dem Unionsgesetzgeber die Regelungsmethode der widerleglichen Vermutung unabhängig von der nationalen Begriffsbedeutung bekannt ist. Diese hat er beim Viktimisierungsschutz gerade nicht gewählt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Vermutungsregelung keine geeignete Umsetzungsoption darstellt, da Wahlfreiheit hinsichtlich des Umsetzungsmittels besteht, solange der Mindestschutzstandard gewahrt ist. Die differenzierte Herangehensweise an die Verbesserung der Beweissituation innerhalb der horizontalen Bestimmungen der ABRL zeigt jedenfalls, dass der zweistufige Regelungsansatz einen von Vermutungen abzugrenzenden Inhalt hat. (c) Sinn und Zweck Ein mögliches Ergebnis einer Betrachtung des Gesetzeszwecks ergibt sich aus dem Bericht der Expertengruppe zur Umsetzung der ABRL: Das zweistufige Verfahren in Art. 18 Abs. 3 ABRL und vergleichbaren Bestimmungen in den Diskriminierungsrichtlinien beruhe auf der Prämisse, dass das Beweismaß um einen Anschein der Maßregelung darzulegen geringer sei als das normale Beweismaß.154 Andernfalls sei die praktische Wirksamkeit der Bestimmung gefährdet, da der Arbeitnehmer anfangs immer noch die volle Beweislast trage. Gleichzeitig betont der Bericht, dass die Tatsachenbewertung und damit das Beweismaß nicht harmonisiert sei und also die Frage, inwiefern dazu eine Regelung getroffen wird, der Gestal-

151

Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 290. Erwägungsgrund 30 RL 2006/54/EU. 153 Vgl. Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=100 60&langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 73. 154 Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/ 1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=10060& langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 73. 152

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tungsfreiheit der Mitgliedsstaaten innerhalb ihrer Rechtssetzungsautonomie im Prozessrecht verbleibe. Dies stützt im Ergebnis die hier vertretene Ansicht zum Beweismaß im Hinblick auf die Hilfstatsachen: Eine Regelung, ein konkretes Beweismaß für den Kausalzusammenhang einzuführen, enthalten Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nicht. Folgt man dem nicht,155 legt die Gesamtschau der Argumente am ehesten noch den Schluss nahe, dass zwar im Vergleich zum jeweiligen Regelbeweismaß ein geringeres Beweismaß eingeführt werden sollte, dies aber keine zwingende Gestaltung ist.156 Dass nach der Logik der Bestimmung auf der ersten Stufe ein geringeres Beweismaß gilt, überzeugt nicht. Es wäre unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen praktischen Wirksamkeit gerade verfehlt anzunehmen, dass das Unionsrecht die Einführung einer bestimmten Kategorie der Beweiserleichterung für jeden Mitgliedsstaat gleichermaßen verbindlich fordert. Wie oben gezeigt, führt dieser Ansatz bei verschiedenen Regelbeweismaßen zu Unstimmigkeiten. Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten sorgt bei der Auslegung der Regelung für eine gewisse Ambivalenz. Es gibt mehrere richtlinienkonforme Gestaltungsmöglichkeiten. Wegen der unterschiedlichen Ausgangssituation der mitgliedsstaatlichen Prozessrechte fordert das Unionsrecht weder eine allgemeine Beweismaßsenkung auf überwiegende Wahrscheinlichkeit noch einen anderen konkreten Grad der richterlichen Überzeugung. Der Aussagegehalt beschränkt sich darauf, dass eine Plausibilitätsbeurteilung des Kausalzusammenhangs anhand des Vorbringens des Arbeitnehmers vorzunehmen ist. Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer Tatsachen anführen muss, die auf einen Kausalzusammenhang hindeuten. Über den bloßen Tatsachenvortrag hinaus muss der Arbeitnehmer darlegen, inwiefern die Tatsachen für einen Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung sprechen. Denn der Zweck der vorgeschalteten Stufe ist es, dem Arbeitnehmer im Vorfeld der Festlegung der letztendlichen Beweislast die Darlegung seiner Sicht zu ermöglichen, die das Gericht daraufhin würdigt. Damit einher geht, dass die erste Stufe – sollte es dem Arbeitnehmer gelingen, die Tatsachengrundlage hinreichend darzulegen – nicht automatisch zur Rechtsfolge der Beweislastumkehr führt, sondern erst nach einer Plausibilitätsprüfung des Gerichts.157 155 So wohl Marhold/Fuchs/Friedrich, Europäisches Arbeitsrecht, S. 194, die eine „Glaubhaftmachung“ auf erster Stufe des Art. 18 Abs. 3 ABRL für erforderlich halten. 156 Dafür Kommission, Report of the Expert Group on the Transposition of Directive (EU) 2019/1152 on transparent and predictable working conditions in the European Union, 2021, abrufbar hier https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=89&furtherNews=yes&newsId=100 60&langId=en (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 73. 157 Vgl. schon kritisch zur Entscheidung BAG, Urt. v. 21. 01. 2021 – 8 AZR 488/19, NZA 2021, 1011, 1020 (Rn. 58), in der ein solcher „Automatismus“ bei § 22 AGG anklingt Uffmann, ZfA 2022, 51, 67 f.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

(3) Zwischenergebnis Eine Festsetzung eines für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Beweismaßes auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung enthalten die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nicht. Die Beweiserleichterungen fordern auf erster Stufe eine Vorabbeurteilung des Kausalzusammenhangs anhand vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachenmaterials und anhand der Darlegung eines Kausalzusammenhangs durch den Arbeitnehmer, die naturgemäß noch nicht die endgültige Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des Viktimisierungsverbots trägt, sondern eine vorläufige Einschätzung der Kausalitätsbeziehung zwischen Rechtsausübung und Kündigung/ Maßnahme gleicher Wirkung ermöglicht. cc) Vorgaben für die Berücksichtigung des Gegenvortrags Entscheidend für die Funktionalität der Regelung ist aber die Aufteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen den Parteien, besonders bezüglich der Möglichkeiten der Entkräftung des Anscheins einer Viktimisierung auf der ersten Stufe. Aus Sicht des Arbeitgebers ist von besonderer Bedeutung, inwiefern vor Auslösung der Rechtsfolge der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL sein Gegenvorbringen zu berücksichtigen ist. Dabei ist zwischen Gegenvortrag hinsichtlich der vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachen und der Möglichkeit einer Entkräftung der sich daraus ergebenden Kausalitätswahrscheinlichkeit zwischen Rechtsausübung und Kündigung zu unterscheiden. (1) Entkräftung des „Anscheins“ Die Frage der Berücksichtigung des Gegenvorbringens wurde bereits bei der Umsetzung der Diskriminierungsrichtlinien aufgeworfen. Zu klären ist inwiefern die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL hierzu unionsrechtliche Vorgaben treffen. (a) Stand der Rechtsprechung des EuGH Aus der Rechtsprechung des EuGH zum Diskriminierungsrecht ergibt sich kein klares Bild. Zwar wird verschiedentlich von einer „Gesamtwürdigung“ bei der Prüfung der Voraussetzungen der Beweislastumkehr gesprochen.158 Bei Klärung der Frage, ob es genügend Indizien gebe, um die Tatsachen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen, als nachgewiesen ansehen zu können, seien alle Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu berücksichtigen.159 Dies bezieht sich jedoch nicht zwangsläufig auf eine Entkräftung des „Anscheins“ eines Kau158 EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 50); EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C: 2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 42, 44 f.). 159 EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 42).

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salzusammenhangs auf erster Stufe durch neuen Tatsachenvortrag des Arbeitgebers. Bei der „Gesamtwürdigung des Sachverhalts“ in der Rechtsprechung des EuGH geht es um Verhalten des Arbeitgebers, das vom Gericht dahingehend zu würdigen ist, ob es einen Anschein einer Diskriminierung begründet. So können die Weigerung der Zurverfügungstellung von Informationen und die Reaktion des Arbeitgebers auf belastende Indizien auf erster Stufe der Beweiserleichterung herangezogen werden.160 Der Fokus liegt auf dem Tatsachenvorbringen des Arbeitnehmers: Ihm obliege es, bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft zu machen oder Beweise vorzubringen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen.161 Der Gerichtshof zieht Grenzen für die Möglichkeit der Entkräftung dieser Tatsachen.162 Gegenstand ist und bleibt aber der Vortrag des Arbeitnehmers: Nur wenn die betroffene Arbeitnehmerin solche Tatsachen glaubhaft mache oder solche Beweise vorbringe, kehre sich die Beweislast um, und es obliegt dem Beklagten, nachzuweisen, dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliege.163 In der Lesart des Gerichtshofs ist eine Entkräftung des Arbeitnehmervortrags, also auch der Vermutung des Kausalzusammenhangs, auf erster Stufe nicht ausgeschlossen.164 Bezugspunkt bleibt aber stets ein vom Kläger erhobener Vorwurf, etwa dass sich der Arbeitgeber nicht von den streitgegenständlichen homophoben Äußerungen distanziert habe.165 In ähnlichem Zusammenhang hat der Gerichtshof gerade betont, dass „die dem Arbeitgeber vorgeworfenen Tatsachen“ glaubhaft seien und auf der anderen Seite (d. h. auf der zweiten Stufe der Beweiserleichterung) zu beurteilen sei, ob die Beweise, die er zur Stützung seines Vorbringens, dass er den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt habe, ausreichend seien.166 Dies zeigt, dass der EuGH tendenziell keine klare Trennung zwischen einer Entkräftung der Tatsachengrundlage, also der Indizien und dem „Anschein“ des 160 EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 44, 45). 161 EuGH, Urt. v. 19. 09. 2018 – Rs. C-41/17 (González Castro), ECLI:EU:C:2018:736, NZA 2018, 1391, 1394 (Rn. 74); EuGH, Urt. v. 19. 10. 2017 – Rs. C-531/15 (Otero Ramos), ECLI:EU:C:2017:789, NZA 2017, 1448, 1451 (Rn. 68); EuGH, Urt. v. 21. 07. 2011 – Rs. C104/10 (Kelly), ECLI:EU:C:2011:506, BeckRS 2011, 81408, Rn. 30. 162 Ausdrücklich EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C: 2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 49). 163 EuGH, Urt. v. 19. 10. 2017 – Rs. C-531/15 (Otero Ramos), ECLI:EU:C:2017:789, NZA 2017, 1448, 1451 (Rn. 70). 164 EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 49 f.); vgl. insofern auch Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, 203 f.; EuGH, Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-54/07 (Feryn), ECLI:EU:C:2008:397, NZA 2008, 929, 931 (Rn. 30, 33 f.). 165 EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 49). 166 EuGH, Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-54/07 (Feryn), ECLI:EU:C:2008:397, NZA 2008, 929, 931 (Rn. 33 f.).

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Kausalzusammenhangs auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung vornimmt. Während die Frage der Berücksichtigung von Gegenvorbringen in Bezug auf die Vermutung auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung im Diskriminierungskontext von BAG und EuGH bislang kaum dezidiert behandelt wurde,167 haben sich Gerichte im Vereinigten Königreich explizit zu dieser Frage geäußert.168 Die Rechtsprechung der verschiedenen Fachgerichte ergibt aber ebenfalls kein einheitliches Bild: Einerseits lässt sich Ilgen v. Wong die klare Aussage entnehmen, dass der Vortrag des Beklagten bei der Prüfung der ersten Stufe keinerlei Berücksichtigung findet, mit Ausnahme widersprüchlicher Erklärungen des Arbeitgebers, die als Tatsachen zur Begründung der Vermutung herangezogen werden können.169 Während der Rechtsprechung des BAG in Meister (bezüglich der Zugrundelegung des Arbeitnehmervorbringens und der Indizwirkung widersprüchlicher Begründungen)170 zumindest Anhaltspunkte für gewisse Parallelen zu entnehmen sind,171 lässt sich auch nach der konkreten Art des Vorbringens differenzieren: Gegenvortrag mit unmittelbarem Bezug auf die vom Kläger vorgebrachten Indiztatsachen sei auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung zu berücksichtigen, während davon unabhängige Erklärungsansätze erst auf der zweiten Stufe bei voller Beweislast des Arbeitgebers zu berücksichtigen seien.172 Soweit dazu die Entscheidung Laing v. Manchester City Council herangezogen wird,173 aus der sich ergebe, dass bei einer zu strengen Unterscheidung zwischen erster und zweiter Stufe durch die Verweigerung der Beibringung von Gegenindizien eine künstliche Aufteilung des Tatgeschehens entstehe, wenn ein Umstand nicht zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung diene, sondern sich nur auf den Klägervortrag zur Begründung der Vermutung beziehe,174 kann dem nicht gefolgt werden. Die Entscheidung betont gerade, dass die Lockerung der schematischen Betrachtung in zwei Stufen es in einigen Fällen rechtfertigt, direkt auf die zweite Stufe der Beweiserleichterung – und damit auf die Prüfung des gesamten Tatgeschehens unter Beweislast des Arbeitgebers – zu springen.175 167

Zur Position des BAG bei § 22 AGG Kapitel 2, B.III.3.a). Dazu schon Stein, NZA 2016, 849, 853. 169 England and Wales Court of Appeal (Civil Division), Urt. v. 18. 02. 2005, [2005] EWCA Civ 142, A2/2004/1141 (Igen v. Wong), Rn. 18. 170 BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345 = BAGE 142, 158. 171 Stein, NZA 2016, 849, 853. 172 Stein, NZA 2016, 849, 853; ähnlich Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 201. 173 UK Employment Appels Tribunal, Urt. v. 28. 07. 2006, [2006] UKEAT 0128_06_2807 (Laing v. Manchester City Council). 174 Stein, NZA 2016, 849, 853. 175 UK Employment Appels Tribunal, Urt. v. 28. 07. 2006, [2006] UKEAT 0128_06_2807 (Laing v. Manchester City Council), Rn. 73 f.; besonders klar ergibt sich diese Rechtsansicht aus Rn. 76 f.: „Indeed, it is important to emphasise that it is not the employee who will be disadvantaged if the Tribunal focuses only on the second stage. Rather the risk is to an employer who may be found not to have discharged a burden which the Tribunal ought not to have placed on him in the first place. That is something which tribunals will have to bear in 168

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

243

(b) Auslegung der Neuregelungen Nach dem klaren Wortlaut der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL ist Grundlage der Vermutung, bzw. der Vorbewertung auf der ersten Stufe das Vorbringen des Arbeitnehmers. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Arbeitgeber keine Gegenindizien vorbringen kann. Denn gelingt dies, läge der Fall in dem die vom Arbeitnehmer angeführten Tatsachen eine Diskriminierung vermuten lassen gerade nicht vor.176 Ein Recht auf so umfassenden Gegenvortrag hat der EuGH nicht anerkannt. Der zweistufige Regelungsansatz ist weder im Diskriminierungsrecht noch bei Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL so zu verstehen, dass auf erster Stufe der Beweiserleichterung der gesamte Gegenvortrag des Arbeitgebers zu berücksichtigen ist. Vielmehr verpflichtet der EuGH die Gerichte nur zu einer umfassenden Würdigung des Tatsachenmaterials, dass eine Vermutung stützen könnte. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Entscheidung der Frage, ob ein Kausalzusammenhang zwischen Rechtswahrnehmung und Kündigung bestand, praktisch nie unter der vollständigen Beweislast des Arbeitgebers entschieden würde. Dagegen spricht der dem zweistufigen Regelungskonzept zugrundeliegende Sphärengedanke.177 Schon bei der deutschen Umsetzung der Diskriminierung würde die der zweistufigen Regelung zugrunde liegende Risikoverteilung umgangen, sollte der Arbeitgeber ein „Recht auf Gegenschlag“ haben, bevor die Rechtsfolge der Beweiserleichterung ausgelöst ist.178 Sinn der Regelung ist es schließlich, aus den vom Kläger vorgebrachten Anhaltspunkten Rückschlüsse zu ziehen, ohne eine vollumfängliche Beurteilung des beidseitigen Vorbringens vornehmen zu müssen. Für die Beurteilung des gesamten Vorbringens der Gegenseite soll schließlich, wenn die Voraussetzungen auf erster Stufe vorliegen, die Beweislastumkehr greifen. Das Vorbringen des Arbeitgebers bei der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung anhand des Arbeitnehmervortrags zu berücksichtigen, würde daher der Beweiserhebung und -würdigung anhand der als Rechtsfolge vorgesehenen Beweisverteilung vorgreifen. Damit wäre eine größtmögliche praktische Wirksamkeit der zweistufigen Regelung gerade nicht erreicht. Nach alledem ist den Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL unter Berücksichtigung des Effet-utile-Grundsatzes die Aussage zu entnehmen, dass der mind if they miss out the first stage. Moreover, if the employer’s evidence strongly suggests that he was in fact discriminating on grounds of race, that evidence could surely be relied on by the Tribunal to reach a finding of discrimination even if the prima facie case had not been established. The Tribunal cannot ignore damning evidence from the employer as to the explanation for his conduct simply because the employee has not raised a sufficiently strong case at the first stage. That would be to let form rule over substance.“ 176 Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 326; Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 306. 177 Erwägungsgrund 44 ABRL; Erwägungsgrund 42 EZRL. 178 Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 326; so auch Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 307 f.; vgl. auch zu der Vorgängerregelung in § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Arbeitgeber auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung kein Recht auf Entkräftung des Kausalzusammenhangs hat, wie er sich aus den vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachen ergibt. Daher ist Beurteilungsgrundlage auf erster Stufe nur das Tatsachenvorbringen des Arbeitnehmers. (c) Waffengleichheit Dies könnte das den Beweiserleichterungen übergeordnete Gebot der prozessualen Waffengleichheit verletzen. In der Auslegung des EGMR besagt dieser in Art. 6 EMRK verwurzelte Grundsatz, dass die Prozessparteien ihre Interessen unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen effektiv vertreten und sich dabei Gehör verschaffen können müssen.179 Entscheidend ist, dass die Prozessbedingungen nicht für eine Partei einen bedeutenden Nachteil im Verhältnis zum Prozessgegner bewirken.180 Der Grundsatz ist im Primärrecht in Art. 47 Abs. 2 GRCh niedergelegt, wobei der EuGH dabei die vom EGMR entwickelten Kriterien einfließen lässt.181 Für eine Möglichkeit zur Entkräftung des Kausalzusammenhangs auf der ersten Stufe spricht auch, dass das von dem zweistufigen Regelungsansatz erzielte Gleichgewicht zwischen den Parteien gerade auch dadurch bewirkt wird, dass die Beweislast des Arbeitnehmers erleichtert wird, aber der Arbeitgeber nicht deshalb aufgrund bloßer Anschuldigungen verklagt zu werden droht.182 Allerdings sehen die Neuregelungen im Unterschied zu den Diskriminierungsrichtlinien einen besonders geregelten Begründungsanspruch vor. Dieser besteht, wie bereits dargelegt, nicht schon bei einer bloßen Anschuldigung,183 belegt aber, dass der Unionsgesetzgeber gerade die für den Arbeitnehmer verfügbaren Tatsachen durch erweiterte vorprozessuale Begründungspflichten ausweiten wollte. Im Gegensatz zum Diskriminierungsrecht ist auch hier zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer außer den Begründungen des Arbeitgebers in Maßregelungssituationen ohnehin wenig Tatsachen zur Verfügung stehen mit dem er seinen Vortrag zur Auslösung der Rechtsfolge der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL stützen kann.184 Indizien, die mit der Antwort des Arbeitnehmers auf die zur Lösung dieses Problems eingeführte Begründungsanfrage nach Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL zusammenhängen, stehen ohnehin in direktem Bezug zum Kausalzusammenhang, da der Arbeitgeber die Gründe für seine Maßnahme im Kontext zum Maßregelungsvorwurf erörtern muss. Der Unionsgesetzgeber hat erkennbar auf die ansonsten dünne Tatsachenlage auf Seiten des Arbeitnehmers reagiert und einen dezidierten Auskunftsanspruch geschaffen, der es ermöglichen soll, ggf. in Kombination mit anderen 179

EGMR, Urt. v. 27. 06. 1968 – 1936/63 (Neumeister), BeckRS 1968, 105102, Rn. 102. EGMR, Urt. v. 27. 10. 1993 – 37/1992/382/460 (Dombo), NJW 1995, 1413 (Rn. 33). 181 Pechstein/Nowak/Häde/Nehl, GRCh, Art. 47 Rn. 60. 182 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 12. 01. 2012, Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:8, Rn. 22. 183 Dazu bereits Kapitel 4, B.I.2.b). 184 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416 f. 180

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Indizien eine gewisse Kausalitätswahrscheinlichkeit zu belegen. Der Arbeitgeber erhält daher bereits im vorprozessualen Stadium Gelegenheit zur Erwiderung auf den Vorwurf. Damit sind die Voraussetzung der Waffengleichheit von im Wesentlichen gleichen Bedingungen durch die Möglichkeit, bereits vor Prozessbeginn durch eine konsistente Gegendarstellung auf den Vorwurf des Arbeitnehmers zu reagieren, gewahrt. (2) Entkräftung der angeführten Tatsachen Von der Berechtigung zum Vorbringen von Gegenindizien zu trennen ist grundsätzlich die Frage, inwiefern der Arbeitgeber wenigstens die vom Arbeitnehmer vorgebrachten Tatsachen bestreiten kann. (a) Abgrenzung zwischen Hilfstatsache und eigentlichem Beweisthema Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Entkräftung der Tatsachen, die der Arbeitnehmer zur Glaubhaftmachung im Sinne der Diskriminierungsrichtlinien vorbringt, durch Gegenvorbringen des Arbeitgebers grundsätzlich möglich.185 Trägt der Arbeitnehmer etwa wahrheitswidrig vor, die Kündigung sei in einem „verdächtig“ nahen zeitlichen Zusammenhang zur Rechtsausübung erfolgt, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber vor Auslösung der Rechtsfolge der Beweiserleichterung berechtigt ist, dies zu bestreiten und darzulegen, dass in Wahrheit mehrere Monate zwischen Rechtsausübung und Kündigung vergangen sind. Die Tatsachengrundlage in Maßregelungsfällen ist damit mit der Aussage über den Kausalzusammenhang verknüpft. Daher ist auch wenig überraschend, dass das BAG im Diskriminierungsrecht zum Teil kaum sprachlich zwischen Indizien und deren Implikationen für den Kausalzusammenhang unterscheidet,186 obwohl eine solche Differenzierung in der unionsrechtlichen Grundlage angelegt ist. Doch droht damit auch im Hinblick auf die Hilfstatsachen selbst eine Situation „in der der Arbeitgeber seine gesamten Gegengründe gegen eine (…) Benachteiligung in diesem Rahmen“187 vorbringt? Dagegen spricht, dass die Hilfstatsachen für sich genommen einem Beweis zugänglich sind, obwohl sie nur eine Aussagekraft für den Kausalzusammenhang haben. Dies gilt sogar für die widersprüchliche oder unlogische Begründung: Regelmäßig ist die Hilfstatsache die schriftliche Begründung selbst, der Arbeitnehmer muss aber auch vortragen, inwiefern sie im Kontext anderer 185

EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 49); vgl. insofern auch Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, 203 f.; EuGH, Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-54/07 (Feryn), ECLI:EU:C:2008:397, NZA 2008, 929, 931 (Rn. 30, 33 f.). 186 Etwa mit der Formulierung, dass zunächst der Arbeitnehmer die Verantwortung habe „das Gericht von „Indizien, also von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung zu überzeugen“, BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345, 1348 (Rn. 48) = BAGE 142, 158; klarer hingegen BAG, Urt. v. 25. 04. 2013 – 8 AZR 287/08, BeckRS 2013, 68457, Rn. 37 am Ende. 187 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Umstände für einen Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Maßnahme spricht. Letzteres betrifft allerdings den Kausalzusammenhang auf erster Stufe, der Arbeitgeber hat insofern kein Recht auf Gegenschlag. Ein Angriff auf die Hilfstatsache wäre in diesem Fall erfolgreich, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer vorgebrachte Begründung als Fälschung entlarvt und er nachweist, dass eine Begründung mit dem (angeblich falschen und widersprüchlichen) Inhalt nie erfolgt ist. (b) Auswirkungen des Gebots der Waffengleichheit im Prozess Zu bedenken ist, dass die Rechtsfolge der Beweislastumkehr eine Belastung der Arbeitgeber darstellt. Hat der Arbeitgeber keine Gelegenheit, unwahre (Hilfs-)Tatsachen zu bestreiten und auf erster Stufe auch kein Recht, das Gegenteil vorzutragen, könnte er sich bei hinreichend schlüssigem Arbeitnehmervortrag praktisch kaum gegen den Eintritt der Rechtsfolge der Beweislastumkehr wehren. Die zweistufige Regelung sieht gerade keine voraussetzungslose Beweislastumkehr auf den Arbeitgeber vor. Eine Beschränkung jeglicher Möglichkeiten des Bestreitens führt vor allem dann zu unstimmigen Ergebnissen, wenn die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Tatsachen nicht der Wahrheit entsprechen. Verletzt wäre das Gebot der Waffengleichheit jedenfalls, wenn der Arbeitgeber keinerlei Gelegenheit mehr bekäme, die vom Arbeitnehmer angeführten Tatsachen zu bestreiten und das Gericht vom Gegenteil zu überzeugen. Nach der Risikoallokation der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL wäre dies jedoch im Rahmen der Gesamtwürdigung auf der zweiten Stufe der Beweiserleichterung möglich. Die Tatsachen sind doppelrelevant. Einmal werden sie der gerichtlichen Vorabbeurteilung eines Anscheins der Viktimisierung zugrunde gelegt, wie sie sich aus dem Vortrag des Arbeitnehmers ergeben. Zum anderen sind sie, wenn die Voraussetzungen der ersten Stufe erfüllt sind, im Rahmen der Beweislast des Arbeitgebers relevant. Gerade diese Doppelrelevanz spricht dafür, dass nach der Konzeption der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL ein Bestreiten der Tatsachengrundlage der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung möglich sein muss. Da das Gebot der Waffengleichheit verbietet, dass die Gegenseite einmal etablierte Tatsachen ohne „Recht auf Gegenschlag“ hinnehmen muss, wenn damit einseitig nachteilige Rechtsfolgen verbunden sind, wären die Einwände gegen die Hilfstatsachen auf zweiter Stufe der Beweiserleichterung zu berücksichtigen. Um dem Gebot der Waffengleichheit zu genügen, müsste der Rechtsfolge der Beweislastumkehr damit nachträglich die Grundlage entzogen werden, wenn ein Bestreiten der Tatsachengrundlage auf erster Stufe unmöglich wäre. Dies würde die Regelung und die gerichtliche Prüfung verkomplizieren und im Ergebnis nichts anderes bewirken als eine Bestreitensmöglichkeit auf erster Stufe. Insofern droht eine „künstliche Aufteilung des Sachverhalts“188. 188

Stein, NZA 2016, 849, 853.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Keinesfalls ist aber möglich oder notwendig, dass jeder Beklagtenvortrag, der sich auf die vom Kläger vorgebrachten Indizien bezieht, auf erster Stufe zu berücksichtigen ist.189 Denn dies würde in Richtung einer Entkräftung des Aussagegehalts der Hilfstatsachen für den Kausalzusammenhang führen. Vielmehr dürfen und müssen nur die Hilfstatsachen als selbstständige, dem Beweis zugängliche Umstände angegriffen werden können. Zwar zwingt der Grundsatz der Waffengleichheit im Prozess nicht zu einer Berücksichtigung auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung. Dies ist zur Wahrung der in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten inneren Systematik der Regelung allerdings vorzugswürdig. Von zentraler Bedeutung ist, dass es zu keiner inhaltlichen Prüfung der Gründe des Arbeitgebers für die Maßnahme auf der ersten Stufe kommt. Bezogen auf Geschlechtsdiskriminierung wäre damit in der Konstellation der Frage nach der Schwangerschaft im Vorstellungsgespräch nicht jeder Beklagtenvortrag bezüglich des Gesprächsinhalts Gegenstand der Prüfung auf der ersten Stufe,190 sondern nur, ob überhaupt eine solche Frage gestellt wurde. (3) Zwischenergebnis Praktisch ist dem Arbeitgeber nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL damit beispielsweise in folgendem Umfang Gegenvortrag zu ermöglichen: – Behauptet der Arbeitnehmer, die Kündigung sei zwei Tage nach Rechtswahrnehmung erfolgt, dürfte dies der Arbeitgeber bestreiten und darlegen, dass in Wahrheit mehrere Wochen dazwischen lagen. – Behauptet der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber habe auf seine Begründungsanfrage nicht reagiert, dürfte der Arbeitgeber dies bestreiten und darlegen, dass er seiner Auskunftspflicht genügt hat. – Behauptet der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber habe sich bei verschiedenen Gelegenheiten der Begründung seines Vorgehens selbst widersprochen, könnte der Arbeitgeber etwa einen anderen Gesprächsinhalt bei der auffälligen Gelegenheit beweisen. Dies verhindert, dass die Auferlegung der Beweislast nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL auf einer unwahren Tatsachengrundlage erfolgt. Der Gegenvortrag bezüglich der einzelnen Tatsache beeinflusst die Vorabprüfung des Kausalzusammenhangs im Übrigen nicht. Bringt der Arbeitnehmer zur Begründung der Vermutung nur (unwahre) Behauptungen vor, ist nach der Wertung des Unionsgesetzgebers und der Rechtsprechung des EuGH der Eintritt der Rechtsfolge der Beweislastumkehr nicht gerechtfertigt, da ansonsten keinerlei Unterschied zu einer vollen Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang bestünde.

189 190

So aber Stein, NZA 2016, 849, 853. Dafür Stein, NZA 2016, 849, 853.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Die Regelungen enthalten – ebenso wie ihre diskriminierungsrechtlichen Vorbilder – keine feste Vorgabe für die Mitgliedsstaaten, ein bestimmtes Beweismaß vorzusehen. Vielmehr ist die gerichtliche Würdigung des Kausalzusammenhangs auf erster Stufe auf den Vortrag des Arbeitnehmers zu beschränken, wobei der Arbeitgeber die (Hilfs-)Tatsachen bestreiten können muss. Nur wenn dies gelingt und der Wegfall der entsprechenden Tatsache in der Gesamtschau bewirkt, dass die Vorprüfung des Anscheins der Viktimisierung negativ ausfällt, tritt die Rechtsfolge der Beweislastumkehr nicht ein. c) Rechtsfolgen Gelingt dem Arbeitnehmer der hinreichende Nachweis, wechselt der Fokus auf den Arbeitgeber. aa) Regelungsgehalt Dem Wortlaut der deutschen Fassung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nach ist nicht klar erkennbar, wie weit die Pflicht, andere Gründe für die Kündigung nachzuweisen, reicht. Im Vergleich zu den anderen Sprachfassungen191 wird die von den Richtlinien geforderte Rechtsfolge deutlich, da insbesondere die englische Fassung explizit von „beweisen“ spricht. Erforderlich ist daher, dass dem Arbeitgeber die Beweislast für die Gründe der Kündigung auferlegt wird. Dies entspricht der Rechtsfolge, die in den Diskriminierungsrichtlinien vorgesehen ist.192 Zudem wurde in einer früheren Fassung der ABRL die Übersetzung „Beweislastregelung“ verwendet, um die Norm zu umschreiben.193 Dies setzt sich bis heute in Art. 18 Abs. 4 ABRL fort, der den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gibt, günstigere Beweislastregelungen vorzusehen. Bei der Ermittlung der beabsichtigten Rechtswirkung bestehen damit wenig Zweifel: Da auch im Unionsrecht eine Parallele zur 191 Art. 18 Abs. 3 ABRL im Englischen „(…) it shall be for the employer to prove that the dismissal was based on grounds other than those referred to in paragraph 1.“; im Französischen: „(…) il appartienne à l’employeur de prouver que le licenciement était fondé sur d’autres motifs que ceux visés au paragraphe 1.“; im Spanischen: „(…) corresponda al empleador demostrar que el despido se ha basado en causas distintas de las previstas en el apartado 1.“ ; Art. 12 Abs. 3 EZRL im Englischen: „(…) it shall be for the employer to prove that the dismissal was based on other grounds.“; im Französischen: „(…) il incombe à l’employeur de prouver que le licenciement était fondé sur d’autres motifs.“; im Spanischen: „(…) corresponderá al empleador demostrar que el despido se ha basado en motivos distintos.“. 192 EuGH, Urt. v. 16. 07. 2015 – Rs. C-83/14 (CHEZ), ECLI:EU:C:2015:480, Rn. 85; EuGH, Urt. v. 25. 04. 2013 – Rs. C-81/12 (ACCEPT), ECLI:EU:C:2013:275, NZA 2013, 891, 894 (Rn. 55) m. w. N.; EuGH, Urt. v. 10. 07. 2008 – Rs. C-54/07 (Feryn), ECLI:EU:C: 2008:397, NZA 2008, 929, 931 (Rn. 32); BAG, Urt. v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1401 (Rn. 54) = BAGE 155, 149. 193 Ausschuss der Ständigen Vertreter, Interinstitutionelles Dossier v. 14. 06. 2018, 2017/ 0355 (COD), S. 31.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Grundregel der Beweislast angelegt ist,194 handelt es sich bei der vorgesehenen Rechtsfolge um eine Beweislastumkehr. Für das deutsche Recht bedeutsam ist die Kontinuität zum Diskriminierungsrecht auch dadurch, dass Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL, ebenso wie etwa die Beweiserleichterungen in Art. 8 RL 2000/43/EG, Art. 10 RL 2000/78/EG, Art. 19 RL 2006/54/EG,195 eine Umkehr objektiver Beweislast und subjektiver Beweisführungslast fordern. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die zweite Stufe den Arbeitgeber vor allem zur Darlegung von Gründen verpflichtet, um die Informationsasymmetrie zu überwinden. Beweislast meint also für das deutsche Recht in erster Linie Beweisführungslast,196 und nur sekundär auch die objektive Feststellungslast. Im deutschen Recht ist eine Umkehr der objektiven Beweislast auch deshalb erforderlich, weil nur so eine effektive Geltung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL sichergestellt werden kann. Denn der Beklagte wird nur so wenig wie möglich zur Sachverhaltsaufklärung beitragen, wenn im Falle der Nichterweislichkeit der Tatsache der Kläger bei einer Beweislastentscheidung unterliegt.197 So liegt der Fall auch bei einer Umsetzung der Neuregelungen ohne Umkehr der objektiven Beweislast. bb) Nachschieben von Gründen Es fragt sich, ob den Regelungen eine Aussage für die praktisch durchaus vorstellbare Situation zu entnehmen ist, in der der Arbeitgeber im Prozess „neue“ Gründe für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung benennt. (1) Nachträgliche Begründungen im deutschen Recht Nach der Rechtsprechung des BVerfG zu § 611a BGB a. F. ist das Nachschieben von Gründen in Anschauung des Art. 3 Abs. 2 GG nur in begrenztem Umfang zulässig: Ein nachträglich vorgebrachter Grund für die Bevorzugung eines Bewerbers des anderen Geschlechts könne nur dann als „sachlich“ im Sinne der Vorschrift angesehen werden, wenn besondere Umstände erkennen ließen, dass der Arbeitgeber diesen Grund nicht nur vorgeschoben habe.198 Nach der Entscheidung sind nachträglich vorgebrachte Begründungen für eine Diskriminierung je nach Einzelfall „besonders kritisch“ zu würdigen, etwa wenn eine Überschneidung des Differen194 Ausdrücklich etwa EuGH, Urt. v. 27. 10. 1993 – Rs. C-127/92 (Enderby), ECLI:EU:C: 1993:859, NZA 1994, 797, 798 (Rn. 13). 195 APS/Preis, lit. J Rn. 73a; vgl. zu § 611a BGB a. F.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 337; Hanau, FS Gnade 1992, 351 ff. 196 So schon früh zum Diskriminierungsrecht Binkert, JZ 1979, 747, 749. 197 Vgl. zu § 611a BGB a. F. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 338; zustimmend und zu § 22 AGG Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 300. 198 BVerfG, Beschl. v. 16. 11. 1993 – 1 BvR 258/86, BVerfGE 89, 276, 290 = AP BGB § 611a Nr. 9.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

zierungsgrundes mit geschlechtstypischen Sachlagen besteht (etwa, wenn bekannterweise mehr Frauen oder Männer erfasst werden).199 Dies wird nach der herrschenden Meinung auf § 22 AGG übertragen,200 was angesichts des funktionalen und inhaltlichen Gleichlaufs der Normen überzeugt. Zwar wird durch die Grenzen des Nachschiebens von Gründen der Nachweis entlastender Elemente bei feststehenden Diskriminierungsanzeichen erschwert – der Arbeitgeber ist aber mit eventuellen Rechtfertigungsgründen nicht präkludiert.201 Dafür spricht auch, dass keine allgemeine Pflicht zur Offenlegung jeglicher Motive angenommen werden kann.202 Das Maßregelungsverbot ist ein allgemeines Diskriminierungsverbot, das allerdings in Funktion und Voraussetzungen einige signifikante Unterschiede zum Diskriminierungsschutz im engeren Sinne aufweist.203 Diese Unterschiede kommen beim Nachschieben von Gründen zum Tragen. Nach der hier vertretenen Auffassung spielen Alternativbegründungen im Rahmen des Kausalzusammenhangs insofern eine Rolle, dass sie bei der Bestimmung der Beweggründe in die Gesamtabwägung einfließen können – das Bestehen eines Rechtfertigungsgrundes schließt das Eingreifen des Maßregelungsverbots für sich genommen aber nicht aus.204 Entscheidend ist, ob die legitime Begründung für die Maßnahme hinter einer tragenden Maßregelungsmotivation zurücktritt. Bei der Gesamtwürdigung der Beweggründe lässt sich das verfassungsrechtliche Gebot einer kritischen Würdigung nachgeschobener Gründe auffangen. Die Anzeichen eines vorgeschobenen Grundes können sich, wie im Diskriminierungsrecht aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. Als Beispiel lässt sich der „auf Vorrat“ vorbehaltene (berechtigte) Kündigungsgrund nennen, der nach Rechtswahrnehmung eingesetzt wird. Zwar unterliegt die Ausübung des Kündigungsrechts in einem solchen Fall durch Art. 12 Abs. 1 GG, § 242 BGB zeitlichen Grenzen, nach denen der Arbeitgeber zur zeitnahen Entscheidung über die Ausübung des Kündigungsrechts verpflichtet ist.205 Allerdings wirkt unabhängig von der Berechtigung der „später“ erklärten Kündigung ein längerer Zeitraum zwischen dem Verhalten, das den Kündigungsgrund auslöst, und dem Ausspruch der Kündigung als Indiz für eine Maßregelung auf erster Stufe der Beweiserleichterung. (2) Vorgaben in ABRL und EZRL Ungeklärt ist, inwiefern die Richtlinien ABRL und EZRL ein Nachschieben von Gründen zulassen, bzw. ob dazu überhaupt eine Regelung getroffen wird. Als Rechtsfolge ist nur vorgesehen, dass der Arbeitgeber beweisen und folglich auch 199

Ebenda. BeckOGK/Benecke, AGG, § 22 Rn. 56, Stand 01. 06. 2023; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 116; APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a. 201 Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 117 f. 202 Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1326. 203 Dazu ausführlich Kapitel 1, C. 204 Dazu Kapitel 1, B.III. und IV. 205 BAG, Urt. v. 31. 01. 2019 – 2 AZR 426/18, NZA 2019, 893, 897 ff. (Rn. 32, 81) m. w. N. 200

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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darlegen muss, dass andere Gründe als die Rechtswahrnehmung für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung bestehen. Darin enthalten ist die Möglichkeit, und – um negative prozessuale Folgen abzuwenden – die Notwendigkeit, Alternativbegründungen vorzubringen. In Anbetracht der Begründungspflicht erscheint fraglich, ob der Arbeitgeber an die einmal vorgebrachte Begründung gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden und also hinsichtlich weiterer Kündigungsgründe im Prozess präkludiert ist. Dafür enthalten weder der Wortlaut noch die Gesetzesmaterialien von ABRL und EZRL Anhaltspunkte, sodass zunächst davon auszugehen ist, dass der europäische Gesetzgeber diesen Punkt nicht geregelt hat. Allerdings genügt der Arbeitgeber seiner vorprozessualen Aufklärungspflicht im Idealfall mit einer vollständigen und umfassenden Darlegung der Kündigungsgründe im Einzelfall, die Bezug auf den Maßregelungsvorwurf nimmt.206 Bei einer Anwendung beim deutschen Maßregelungsverbot in § 612a BGB könnte sich eine Diskrepanz zwischen den in der ersten Begründung vorgebrachten Kündigungsgründen und im Prozess nachgeschobenen Gründen in der Gesamtwürdigung je nach Einzelfall zulasten des Arbeitgebers auswirken. 3. Zwischenfazit Das Unionsrecht fordert eine Beweiserleichterung, die im ersten Schritt eine Vorprüfung des Arbeitnehmervortrags bezogen auf den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung vorsieht und im zweiten Schritt die Beweislast diesbezüglich umkehrt. Die Regelungselemente müssen in einem funktionalen Zusammenhang stehen, um den Mindestschutzstandard des Unionsrechts zu realisieren. Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL verlangen daher eine Vorabbeurteilung des Kausalzusammenhangs anhand des Vortrags des Arbeitnehmers. Dabei kann der Arbeitgeber die der Beurteilung zugrundeliegenden Hilfstatsachen, nicht aber deren Aussagekraft für den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Maßnahme gleicher Wirkung bestreiten. Fällt die Plausibilitätsprüfung positiv aus, kehrt sich die Beweislast für den Kausalzusammenhang um. Nicht erforderlich ist, dass das Beweismaß für den Kausalzusammenhang auf erster Stufe abgesenkt wird. Den Mitgliedsstaaten steht diese Option aber offen.

III. Richtlinienkonformität des deutschen Rechts Die Neuregelungen treffen in Deutschland beim Maßregelungsverbot auf eine Rechtslage, in der Erleichterungen der Beweisnot durch Richterrecht, bzw. der 206

Dazu Kapitel 4, B.I.2.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Anwendung von Generalklauseln im prozessualen Kontext gehandhabt werden.207 Ob und inwiefern der Gesetzgeber tätig werden muss, hängt davon ab, wie weit die Umsetzungspflicht auch bei einer durch Richterrecht (teilweise) richtlinienkonformen Rechtslage reicht. Dabei ist für die konkret in Rede stehenden Beweiserleichterungen beim Maßregelungsschutz zu klären, inwiefern diese bereits den von den Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL geforderten Mindeststandard abbilden. 1. Unionsrechtskonforme Rechtslage durch Richterrecht Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind Adressat der Richtlinien die Mitgliedsstaaten, die die Verpflichtung haben, ein vom Sekundärrechtsakt vorgegebenes Ergebnis im nationalen Recht zu implementieren (obligation de résultat).208 Innerstaatlichen Stellen kommt bei der Umsetzung Wahlfreiheit hinsichtlich Form und Mittel zu. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, da bereits der Wortlaut des Primärrechts klarstellt, dass nicht zwingend ein Parlamentsgesetz erforderlich ist. Wahlfreiheit haben nämlich die „innerstaatlichen Stellen“, also weder der Gesetzgeber im Speziellen noch der Mitgliedsstaat im Allgemeinen, da dieser ohne seine Organe und Behörden keinen eigenen Willen zur Richtlinienumsetzung bilden kann.209 Der Umsetzungsakt muss gleichrangig zu demjenigen Rechtsakt sein, der bisher die Materie regelt.210 Dem nationalen Gesetzgeber kommt keine über die Umsetzungspflicht hinausgehende Umsetzungsprärogative zu.211 Allerdings sind die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Umsetzungsfreiheit verpflichtet, diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zweckes am geeignetsten sind.212 a) Transparenz- und Rechtssicherheitsgebot Im Regelfall ist eine gesetzgeberische Modifikation der nationalen Rechtsordnung zur Richtlinienumsetzung erforderlich – eine Ausnahme kommt nur dann in 207

Dazu eingehend Kapitel 2, C. Ehricke, EuZW 1999, 553, 555. 209 Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 202. 210 EuGH, Urt. v. 06. 05. 1980 – Rs. C-102/79 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C: 1980:120, Rn. 10; EuGH, Urt. v. 15. 10. 1986 – Rs. C-168/85 (Kommission/Italien), ECLI: EU:C:1986:381, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 03. 03. 1988 – Rs. C-116/86 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1988:111, Rn. 14. 211 Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 204. 212 Statt vieler EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006 – Rs. C212/04 (Adeneler), ECLI:EU:C: 2006:443, Rn. 93 m. w. N.; früh bereits EUGH, Urt. v. 08. 04. 1976 – Rs C-48/75 (Royer), ECLI:EU:C:1976:57, NJW 1976, 2065, 2067; kritisch dazu Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, AEUV, Art. 288 Rn. 132. 208

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

253

Betracht, wenn der normative Gehalt der Richtlinie bereits fest in die nationale Rechtsordnung integriert ist.213 Bei Richtlinien, die subjektive Rechte enthalten, fordert das Gebot zur transparenten Richtlinienumsetzung zudem, dass der Richtlinienstandart in einem allgemeinen rechtlichen Rahmen hinreichend und klar im nationalen Recht verankert ist, sodass der Einzelne sich darauf berufen kann.214 Insofern ist die Freiheit der Mitgliedsstaaten bei der Wahl des Umsetzungsmittels eingeschränkt.215 Dabei erfordere die Umsetzung einer Richtlinie keine förmliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Rechtsvorschrift, da der Umsetzung dieser Richtlinie je nach ihrem Inhalt durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein könne.216 Wenn der Unionsgesetzgeber aber vorsieht, dass eine Regel „nach innerstaatlichem Recht“ einzuführen ist, sei offensichtlich eine ausdrückliche Vorschrift zu schaffen.217 Während Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung von Richtlinienbestimmungen, die subjektive Rechte verleihen, nicht genügen,218 ist zweifelhaft, ob eine dem Standard der Richtlinie genügende Rechtsprechung dem Transparenzgebot und der Pflicht zur klaren und vollständigen Richtlinienumsetzung genügt. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Aufnahme eines Umsetzungshinweises im nationalen Gesetz – eine Pflicht, die seit längerer Zeit in allen Richtlinien vorgesehen ist.219 Allgemein ist erforderlich, dass Richtlinien „genau und eindeutig“ umgesetzt werden.220 Dies verlangt von den Mitgliedsstaaten exakte Antworten auf die Fragen, die durch die unionsrechtliche Regelung aufgeworfen werden.221

213

Dauses/Ludwigs/v. Danwitz, EU-Wirtschaftsrecht, B. II. Rn. 43. EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 17); EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:1995:263, NVwZ 1996, 367, 368; in diesem Sinne auch EuGH, Urt. v. 23. 3. 1995 – Rs. C-365/93 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:1995:76, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas Torgau), ECLI:EU:C:2012:71, EuZW 2012, 459, 461 (Rn. 60). 215 EuR-Handbuch/König/Kleinlein, § 2 Rn. 52. 216 EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas Torgau), ECLI:EU:C:2012:71, EuZW 2012, 459, 461 f. (Rn. 60 f.); in diese Richtung auch EuGH, Urt. v. 23. 05. 1985 – Rs. C29/84 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:1985:229, BeckRS 2004, 72968, Rn. 22 f.; EuGH, Urt. v. 09. 09. 1999 – Rs. C-217/97 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C: 1999:395, EuZW 1999, 763, 765 (Rn. 31 f.); EuGH, Urt. v. 26. 06. 2003 – Rs. C-233/00 (Kommission/Frankreich), ECLI:EU:C:2003:371, BeckRS 2004, 75283 Rn. 76. 217 EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012 – Rs. C-204/09 (Flachglas Torgau), ECLI:EU:C:2012:71, EuZW 2012, 459, 462 (Rn. 61). 218 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, AEUV, Art. 288 Rn. 122; Callies/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Rn. 38 m. w. N. auf die st. Rspr. des EuGH. 219 Streinz/Schröder, AEUV, Art. 288 Rn. 77; so auch in Art. 21 Abs. 2 ABRL, Art. 20 Abs. 3 EZRL. 220 EuGH, Urt. v. 28. 02. 1991 – Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C: 1991:87, NVwZ 1991, 973, 976 f. (Rn. 73). 221 Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 261. 214

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

b) Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum Transparenz und Rechtsicherheit sind Teil des anwendbaren Beurteilungsmaßstabs für die Frage, inwiefern richterrechtlich anerkannte Grundsätze bei der Umsetzung von Richtlinien einen Umsetzungsbedarf ausschließen können, bzw. inwiefern richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Rechtsordnung der Umsetzungspflicht genügt. aa) Position des EuGH Der EuGH verfolgt diesbezüglich einen restriktiven Ansatz, nach dem schon Rechtsprechung, die nicht als Richterrecht einzustufen ist, nicht bewirken kann, dass eine hinreichende Verankerung des Richtlinienschutzstandards im nationalen Recht gegeben ist. In der Entscheidung Kommission/Griechenland hat der EuGH eine höchstrichterliche Rechtsprechung für zur Umsetzung ungenügend befunden.222 Für die Erfüllung des Erfordernisses der Rechtssicherheit sei von besonderer Bedeutung, dass die Rechtslage für den Einzelnen hinreichend bestimmt und klar sei und ihn in die Lage versetze, von allen seinen Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.223 Daraus wird abgeleitet, dass die Umsetzung durch Rechtsprechung jedenfalls bei mangelnder Rechtssicherheit für den Einzelnen ungeeignet ist.224 Eine spätere Entscheidung (Urteil Klauselrichtlinie – Kommission./.Niederlande) stellt klar, dass eine bestehende nationale Rechtsprechung, die innerstaatliche Rechtsvorschriften in einem Sinn auslege, der als den Anforderungen einer Richtlinie entsprechend angesehen werde, nicht die Klarheit und Bestimmtheit aufweisen könne, die notwendig seien, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.225 Dies lässt sich jedoch nicht vollständig verallgemeinern, da die Umsetzungsverpflichtung sonst dazu führen würde, dass zu jeder Richtlinienbestimmung die gesetzgeberische Schaffung oder Änderung einer Norm erforderlich wäre. Dass dies nicht von Art. 288 Abs. 3 AEUV gefordert wird, erkennt der EuGH (in ständiger Rechtsprechung) selbst an.226 Schon 222 EuGH, Urt. v. 19. 09. 1996 – Rs. C-236/95 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C: 1996:341, BeckRS 2004, 75319, Rn. 12 f. 223 EuGH, Urt. v. 19. 09. 1996 – Rs. C-236/95 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C: 1996:341, BeckRS 2004, 75319, Rn. 13; unter Verweis auf eine länger etablierte Rechtsprechung in EuGH, Urt. v. 23. 05. 1985 – Rs. C-29/84 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C: 1985:229, BeckRS 2004, 72968, Rn. 23, EuGH, Urt. v. 09. 04. 1987 – Rs. C-363/85 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1987:196, Rn. 7, 30. 05. 1991 – Rs. C-59/89 (Kommission/ Deutschland), ECLI:EU:C:1991:225, NVwZ 1991, 868 (Rn. 18). 224 EuR-Handbuch/Riemen, § 14 Rn. 25. 225 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 21). 226 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 21); Callies/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Rn. 32 ff. m. w. N.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

255

in den Schlussanträgen des Generalanwalts kam zum Ausdruck, dass nur unter besonders strengen Voraussetzungen in Ausnahmefällen von einem ausdrücklichen Umsetzungsakt abgesehen werden könne.227 Zudem hat der Gerichtshof in der Entscheidung Kommission/Italien den Erlass einer Generalklausel in Kombination mit einigen spezifischen Vorschriften als ausreichend angesehen,228 jedenfalls sofern die Zielerreichung gesichert sei.229 Bei der damit aufgeworfenen Frage, welche Anforderungen in Grenzfällen an den ausdrücklichen Umsetzungsakt zu stellen sind, scheint der Gerichtshof aber relativ großzügig zu sein: Es genüge zur Umsetzung, wenn der Anhang einer Richtlinie in den Gesetzesmaterialien wiedergegeben werde, wenn diese nach der nationalen Rechtstradition ein wichtiges Auslegungsmittel darstellen und sichergestellt sei, dass die Allgemeinheit leicht davon Kenntnis erlangen könne.230 In jüngerer Zeit hat der EuGH unter Fortführung der skeptischen Betrachtungsweise in einem Fall, der Verwaltungsvorschriften betraf, die aus früheren Urteilen bekannte Formel wiederholt, nach der der Richtlinieninhalte „mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden müssen, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen.“231 Die endgültige Klärung der Frage, wann Generalklauseln und ihre Interpretation durch Gerichte zur Umsetzung von Richtlinien genügen, also eine bestimmte, klare und durchschaubare Rechtslage schaffen, ist noch nicht durch den EuGH erfolgt.232 Es bestehen aber immerhin stimmige Leitlinien. bb) Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung Allgemein ist ein Tätigwerden des Gesetzgebers spätestens dann unumgänglich, wenn im nationalen Recht die Contra-legem-Grenze einer richtlinienkonformen Auslegung entgegensteht.233 Grundsätzlich gilt aber ein „Beurteilungsspielraum, den das nationale Recht dem nationalen Gericht einräumt“234. Die richtlinienkonforme

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Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano v. 23. 01. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C:2001:50, Rn. 18. 228 EuGH, Urt. v. 26. 10. 1983, Rs 163/82 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1983:295, BeckRS 2004, 71882, Rn. 1. 229 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Bievert, AEUV, Art. 288 Rn. 28. 230 EuGH, Urt. v. 07. 05. 2002 – Rs. C-478/99 (Kommission/Schweden), ECLI:EU:C: 2002:281, EuZW 2002, 465, 466 (Rn. 22 f.). 231 EuGH, Urt. v. 30. 06. 2016 – Rs. C-648/13 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C:2016:490, Rn. 78 f.; EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-648/13 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C: 2013:855, Rn. 101, 105 m. w. N. 232 Siems, ZEuP 2002, 747, 752. 233 Grundlegend EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006 – Rs. C212/04 (Adeneler), ECLI:EU:C: 2006:443, Rn. 110. 234 St. Rspr seit EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984 – Rs C-14/83 (v. Colson u. Kamann), ECLI:EU: C:1984:153, NJW 1984, 2021, 2022, sowie EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984 – Rs. C-79/83 (Harz), ECLI:EU:C:1984:155, Rn. 28; fortgeführt in EuGH, Urt. v. 15. 05. 1986 – Rs. C-222/84

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Auslegung in den Grenzen der allgemeinen Rechtsgrundsätze (wie etwa Rechtssicherheit und Rückwirkungsverbot) ist eine Pflicht der nationalen Gerichte, wenn der Richtlinienstandard nicht fristgerecht umgesetzt wurde.235 Das nationale Gericht müsse seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinie ausrichten, um so dem Unionsrecht zur größtmöglichen praktischen Wirksamkeit zu verhelfen.236 Durch Grenzen der allgemeinen Rechtsgrundsätze wird die in anderem Zusammenhang verwendete Contra-legem-Grenze etwas aufgeweicht: Gemeint ist keine harte Wortlautgrenze,237 vielmehr müsse das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung der Auslegungsmethoden alles tun, was in seiner Zuständigkeit liege, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimme.238 Im deutschen Recht werden die Grenzen vor allem durch „richtlinienkonforme Rechtsfortbildung“ ausgereizt. Diese ist nach unionsrechtlichen Maßstäben Teil der richtlinienkonformen Auslegung, schon weil die Differenzierung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung in einigen Mitgliedsstaaten unbekannt ist.239 Zwar kann der Richter nicht eigene Wertungen anstatt der gesetzgeberischen Entscheidung einfließen lassen – eine richterliche Fortentwicklung des Rechts bleibt jedoch in Grenzen des Gesetzeszwecks, der gesetzgeberischen Wertentscheidung und Methodik möglich, ohne dabei in Gestaltungsspielräume des demokratisch gewählten Gesetzgebers einzugreifen.240 Da die Anforderungen an Rechtssicherheit und Transparenz primär durch eine gesetzgeberische Umsetzung gewahrt werden können,241 aber gleichzeitig auch die Gerichte durch Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet werden, wirkt sie wie ein Umsetzungsmittel,242 jedenfalls wenn die Umsetzungsfrist vom Gesetzgeber ungenutzt (Johnston), ECLI:EU:C:1986:206, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004 – Rs. C-397/01 bis C403/01 (Pfeiffer u. a.), ECLI:EU:C:2004:584, Rn. 113 f. 235 EuGH, Urt. v. 16. 06. 2005 – Rs. C105/03 (Pupino), ECLI:EU:C:2005:386, Rn. 44; zustimmend stellvertretend Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 265. 236 EuGH, Urt. v. 19. 01. 2010 – Rs C-555/07 (Kücükdeveci), ECLI:EU:C:2010:21, ZIP 2010, 196, 198 f. (Rn. 48); EuGH, Urt. v. 0510.2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.), ECLI:EU:C:2004:584, Rn. 113 f. 237 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, AEUV, Art. 288 Rn. 134. 238 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006 – Rs. C212/04 (Adeneler), ECLI:EU:C:2006:443, Rn. 111; EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.), ECLI:EU:C: 2004:584, Rn. 115 ff.; EuGH, Urt. v. 08. 05. 2019 – Rs. C-486/18 (Praxair), ECLI:EU:C: 2019:379, NZA 2019, 1131, 1132 (Rn. 36 f.); vgl. EuGH, Urt. v. 17. 04. 2018 – Rs. C-414/16 (Egenberger), ECLI:EU:C:2018:257, NZA 2018, 569, 573 (Rn. 71); zustimmend BAG, Urt. v. 25. 06. 2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 1620 ff. (Rn. 49). 239 Thüsing, ZIP 2004, 2301, 2305. 240 BVerfG, Beschl. v. 25. 01. 2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193, 210. 241 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 17). 242 Groeben/Schwarze/Hatje/Geismann, AEUV, Art. 288 Rn. 55.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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abgelaufen ist. Eine Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung entbindet den Gesetzgeber aber nicht von der Umsetzungspflicht, wenn die nationale Regelungssituation eine gesetzliche Regelung nach methodischen und verfassungsrechtlichen Maßstäben erfordert.243 Die richtlinienkonforme Auslegung kann als Korrektiv im Falle einer defizitären Umsetzung durch den Gesetzgeber wirken.244 cc) Meinungsstand im Schrifttum Während das Urteil Klauselrichtlinie zum Teil auf vollumfängliche Zustimmung stieß,245 wurde die Entscheidung vor allem im Verbraucherrecht zum Anlass genommen, eine skeptische Grundhaltung zur Etablierung des Richtlinienstandards durch Rechtsprechung einzunehmen.246 Der EuGH habe dem Grenzen gesetzt, aber eine entsprechende Richtlinienumsetzung nicht völlig ausgeschlossen.247 (1) Restriktive Ansätze Für Franzen genügt der Verweis auf mitgliedsstaatliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht zur Umsetzung, da der Rechtsprechung in Deutschland lediglich eine Leitbildfunktion zukomme und nicht das erforderliche Mindestmaß an Transparenz zeige.248 Ein Verweis auf richtlinienkonforme Auslegung zur Umsetzung sei weder geboten noch ausreichend.249 Gesetzgeberische Umsetzungsmaßnahmen wären demnach nur dann verzichtbar, wenn das nationale Recht bereits vollumfänglich der Richtlinie entspricht. Das Gebot der Rechtssicherheit wird als besonders wichtige Wertung herangezogen: Jedenfalls eine Rechtsfortbildung contra legem überschreite den in der Rechtsprechung des EuGH anerkannten Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte und könne demnach durch eine Richtlinienumsetzung durch Rechtsprechung ebenso wenig umgangen werden, wie durch reine Verwaltungspraxis, was sich auch nicht durch Verweis auf eine richtlinienkonforme Auslegung rechtfertigen lasse.250 Darüber hinaus sei im deutschen Recht auch die verfassungsrechtliche Dimension im Hinblick auf Verfahrens- und Freiheitsrechte nicht außer Acht zu lassen: Im Zusammenspiel mit den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten mache dies etwa eine 243

Röthel, NJW 1999, 611, 614; in diese Richtung auch Heß, JZ 1995, 150, 151; Nettesheim, AöR 1994, 261, 287 f.; Gellermann, Beeinflussung des dt. Rechts durch Richtlinien, S. 108; vgl. auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 269 ff. 244 Beispielsweise BAG, Urt. v. 25. 06. 2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613, 1620 ff. (u. a. Rn. 50, 69). 245 Reich, EWiR, 969, 970. 246 Leible, EuZW 2001, 437, 439. 247 Streinz, JuS 2001, 1113, 1114. 248 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 365. 249 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 365 f.; so auch Dreher, EuZW 1997, 522, 523 f. 250 Röthel, NJW 1999, 611, 614.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

gesetzgeberische Regelung anstatt einer verfassungskonformen Auslegung im Bereich der Beweiserleichterung des § 611a BGB a. F. unumgänglich.251 Herrmann hält den Schluss, dass Richterrecht generell zur Richtlinienumsetzung ungeeignet ist, für vorschnell.252 Die Zulässigkeit der Umsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht setze allerdings vor dem Hintergrund des Transparenzgebots voraus, dass in den Gerichtsentscheidungen selbst deutlich gemacht werde, dass es sich um eine richtlinienkonforme Auslegung der Generalklausel handele.253 Dennoch bestünden bei einem solchen Vorgehen methodische und verfassungsrechtliche Bedenken:254 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung überlagere die methodologischen Vorteile des Richterrechts und beraube es damit zugleich seiner Besonderheiten. Die Generalklausel wandele sich zu einer schlichten Verweisungsnorm. Zwar erlaube auch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot dem Gesetzgeber die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln, diese Erlaubnis stehe allerdings unter dem Vorbehalt der Unmöglichkeit einer konkreten Normierung. Der dem Gesetzgeber diesbezüglich zustehende Einschätzungsspielraum finde dort eine Grenze, wo die Richtlinie die Möglichkeit einer genaueren Fassung einer Regelung belege. Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass in der Regel eine Rechtsangleichung über Generalklauseln schon wegen Fehlens eines nach den Richtlinien erforderlichen Umsetzungshinweises ausscheidet.255 (2) Grundsätzliche Möglichkeit der Umsetzung durch Richterrecht Innerhalb einer breiten Strömung im Schrifttum fällt der Blick auf die Rolle der Rechtsprechung bei der Etablierung des unionsrechtlich gebotenen Rechtszustands in verschiedenen Nuancen weniger streng aus. Der Gesetzgeber kann demnach auf eine richterliche Rechtsangleichung vertrauen, wozu die Gerichte umgekehrt auch berechtigt seien.256 Die Umsetzung durch Richterrecht im Rahmen der Konkretisierung von Generalklauseln kann eine hinreichend konkrete Richtlinienumsetzung darstellen.257 Die Notwendigkeit der spezialgesetzlichen Verankerung basiere auf der falschen Annahme der Gesetzeskenntnis des Einzelnen. Die dogmatische Herleitung eines Rechtssatzes ist demnach für die hinreichende Verankerung zu vernachlässigen, weshalb Gründe des effektiven Rechtsschutzes, sowie der Publizität, Transparenz und Rechtssicherheit und somit auch die Effektivität des Gemeinschafts251

Röthel, NJW 1999, 611, 614. Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 232; ähnlich Streinz/Schröder, AEUV, Art. 288 Rn. 78. 253 Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 244. 254 Herrmann, Richtlinienumsetzung, S. 252. 255 Streinz/Schröder, AEUV, Art. 288 Rn. 78 unter Fn. 212. 256 Bayreuther, EuZW 1998, 478, 479; so auch Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877, 879 f. 257 Siems, ZEuP 2001, 686, 694. 252

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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rechtes nicht entgegenstünden.258 Im Grundsatz sei die Umsetzung einer Richtlinie so zu gestalten, dass deren praktische Wirksamkeit durch eine bestimmte, klare und durchschaubare Rechtslage gesichert ist – ein Verständnis, dass stets detaillierte Regelungen verlange, setze aber die Richtertätigkeit mit der eines Subsumtionsautomaten gleich.259 Insbesondere könne der Aspekt der Rechtssicherheit auch gebieten oder es zumindest nahelegen, dass in den Fällen, in denen der Wortlaut der Richtlinie bereits durch die Auslegung eines bestehenden nationalen Gesetzes abgedeckt sei, dieses unverändert zu lassen und auf eine richtlinienkonforme Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu vertrauen.260 (3) Vermittelnde und differenzierende Ansätze Gegen diese recht weitgehende Auffassung wird eingewandt, dass sich die unionsrechtskonforme Rechtslage für den Bürger nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergebe.261 Eine gesetzgeberische Anpassung des nationalen Rechts sei daher nur dann verzichtbar, wenn die Auslegung des bereits geltenden nationalen Rechts die Grenzen von Wortlaut und -sinn einhalte, da der EuGH nach ständiger Rechtsprechung keine wörtliche Übernahme verlange.262 Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung fehlt es an der nötigen Umsetzungstransparenz nur, wenn es sich bei der fraglichen Rechtsprechung um reines oder fast reines Richterrecht, d. h. freie Rechtsfindung abseits der Gesetzesauslegung handele.263 „Reines Richterrecht“ wird demnach wie eine bloße Verwaltungspraxis behandelt. Für eine Parallele zwischen Verwaltungspraxis und „reinem Richterrecht“ wird die nicht mit der Verkündung eines Gesetzes vergleichbare Bekanntmachung und die fehlende allgemeine Bindungswirkung von Gerichtsentscheidungen im deutschen Recht angeführt.264 Dennoch bleibt es bei diesem Verständnis möglich, dass ein gesetzgeberisches Einschreiten zur Richtlinienumsetzung nicht erforderlich ist, wenn die Rechtsprechung im Rahmen der Gesetzesauslegung agiert.265 Auch Prechal beschreibt den Konflikt zwischen dem Umstand, dass die Rechtssetzung Alltag nationaler Gerichte ist, aber auf der anderen Seite vage formulierte nationale Normen (also etwa Generalklauseln), die durch Rechtsprechung

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Siems, ZEuP 2002, 747, 751. Siems, ZEuP 2002, 747, 752 f. 260 Jarass, EuR 1991, 211, 218; Ulmer, EuZW 1993, 337, 339; z. B. mit dem Vorschlag einer richtlinienkonformen Auslegung des § 611a BGB a. F., statt einer gesetzgeberischen Intervention Bleckmann, DB 1984, 1574, 1576; ferner Hergenröder, FS Zöllner, 1139, 1152; Sack, WrP 1998, 241, 243. 261 Lubitz, Privatrechtsangleichung, S. 79. 262 Lubitz, Privatrechtsangleichung, S. 79. 263 Latzel, EuR 2015, 415, 424. 264 Latzel, EuR 2015, 415, 424. 265 Latzel, EuR 2015, 415, 424. 259

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

konkretisiert werden müssten, nur selten genügten.266 Daher hänge die Frage der Rolle nationaler Rechtsprechung einmal vom Grad der Unklarheit der Rechtslage, andererseits aber auch von Öffentlichkeit und Vorhersehbarkeit des Fallrechts der Rechtsprechung ab.267 In Anschauung der zwischen Mitgliedsstaaten abweichenden Veröffentlichungsregelungen für Gerichtsentscheidungen und deren unterschiedlich gehandhabte Bindungswirkung äußert sie sich eher skeptisch, da der EuGH letztlich auf die Kenntnisnahmemöglichkeit des Individuums aus dem Rechtstext selbst abstelle.268 Dass der Konflikt über die Reichweite einer richtlinienkonformen Auslegung durch die Rechtsprechung und dem Gebot der Rechtssicherheit keine binäre Antwort hat,269 erkennt auch Franzen, der zur Lösung eine Anwendung der Grundsätze der praktischen Konkordanz vorschlägt.270 c) Kritische Würdigung Das Problem der Rolle nationalgerichtlicher Rechtsprechung bei der Umsetzung von Richtlinien lässt sich anhand von zwei Relationen darstellen. Zunächst ist die Relation zwischen Auslegung und Rechtssetzung von Bedeutung. Für einige der zu diesem Komplex vertretenen Positionen kommt es entscheidend darauf an, ob es sich bei dem Entscheidungselement um ein Auslegungsergebnis oder um einen von der Rechtsprechung selbst aufgestellten richterrechtlichen Grundsatz handelt. Für die Abgrenzung zwischen richterlicher Rechtsschöpfung und Rechtserkenntnis durch Auslegung existieren keine völlig eindeutigen Kriterien.271 Dies verdeutlicht sich besonders bei Normen mit weitem Anwendungsbereich. Die Konkretisierung von Generalklauseln ist einerseits Gerichtsalltag und zählt wohl unbestritten zur Gesetzesanwendung.272 Richterrechtlich geprägte Rechtsprechungslinien werden aber gerade auch auf Generalklauseln gestützt.273 Auslegung und Rechtsschöpfung anhand allgemeiner Grundsätze gehen ineinander über. Die Praktikabilität der von Latzel vorgeschlagenen Differenzierung erscheint wegen der unklaren Abgrenzungskriterien fraglich. Im zweiten Schritt fällt der Blick auf die Beziehung zwischen Rechtsnorm und deren Auslegung. Gerichte sind in der Lage, nationale Rechtsnormen auch durch Auslegung so anzuwenden, dass zu einem etwaigen Richtlinienschutzstandard kein 266

Prechal, Directives in EC Law, S. 79. Prechal, Directives in EC Law, S. 79. 268 Prechal, Directives in EC Law, S. 81. 269 Siehe insofern auch Staudinger, WM 1999, 1546, 1547 ff. 270 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 368. 271 Linsenmaier, RdA 2019, 157, 158. 272 Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2410. 273 Vgl. Linsenmaier, RdA 2019, 157, 159.

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B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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wesentlicher Unterschied mehr besteht. Der Schutzstandard ist dann allerdings in der Norm selbst verwirklicht – so liegt in dieser Konstellation gar kein Verweis auf Rechtsprechung zur Richtlinienumsetzung vor. Das nationale Recht reflektiert vielmehr nach der Auslegung der Gerichte schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist den Standard der Richtlinie.274 Ist dies nicht der Fall und wird der nationale Gesetzgeber nicht (ausreichend) tätig, besteht über die richtlinienkonforme Auslegung die Möglichkeit und im Rahmen der methodischen Grenzen die Pflicht der nationalen Gerichte, einen richtlinienkonformen Rechtszustand nach Ablauf der Umsetzungsfrist herzustellen.275 Die Frage, wann nationale Rechtsprechung vor Ablauf der Umsetzungsfrist den Schutzstandard der Richtlinie hinreichend sicher und transparent widerspiegelt, hat keine schematische Lösung. Die Formel des EuGH, nach der der Richtlinieninhalt „mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden müssen, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen“276, mag als Richtschnur dienen. Dass Rechtsprechung pauschal unberücksichtigt bleibt und aus Transparenz- und Rechtssicherheitsgründen stets gesetzgeberisches Eingreifen notwendig ist, entspricht nicht der weiteren Fassung des Art. 288 Abs. 3 AEUV. Die in der Literatur vorgeschlagene Differenzierung zwischen Richterrecht und Gesetzesauslegung gestaltet sich als schwierig, bei den Generalklauseln ist sie fast unmöglich. Der EuGH hat zu der Frage der Reichweite des Gebots der transparenten Umsetzung keinen völlig widerspruchsfreien Ansatz. Die Konkretisierung von Generalklauseln durch die Rechtsprechung kann einen Grad der Verfestigung erreichen, der bewirkt, dass eine Kodifikation des Rechtssatzes zwar eine unmittelbarere demokratische Legitimation erzeugt, aus Sicht des Rechtsanwenders aber nur eine deklaratorische Festschreibung darstellt. Wenn die Nationalstaaten auch im Falle einer jahrelang etablierten Rechtslage gezwungen wären, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, bliebe von der Umsetzungsmittelfreiheit nicht mehr viel übrig. Der Gesetzgeber muss also zur Umsetzung von Richtlinien im Falle einer ständigen Rechtsprechung, die den Schutzstandard der Richtlinie wahrt oder darüber hinausgeht nicht zwangsläufig einschreiten. Wenn der Erlass einer Generalklausel ausreichen kann, um den Schutzstandard einer Richtlinie zu wahren, muss das erst recht für etablierte Rechtssätze gelten, die infolge der gerichtlichen Konkretisierung von Generalklauseln dem Schutzstandard der Richtlinie entsprechen. In diesen Fällen besteht keine Gefahr für die Rechtssicherheit, die den entscheidenden Maßstab bildet277.Vergleichbares gilt grundsätzlich auch, wenn 274 Vgl. zu einem parallelen Argument bei der richtlinienkonformen Auslegung Groeben/ Schwarze/Hatje/Geismann, AEUV, Art. 288 Rn. 55 m. w. N. 275 Dazu noch Kapitel 6, A.I. 276 EuGH, Urt. v. 30. 06. 2016 – Rs. C-648/13 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C:2016:490, Rn. 78 f.; EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013 – Rs. C-648/13 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C: 2013:855, Rn. 101, 105 m. w. N. 277 In diesem Sinne deutlich die Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano v. 23. 01. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C:2001:50, Rn. 36.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

im nationalen Recht durch die Auslegung und ggf. rechtsfortbildende Anwendung konkreterer Normen ein richtlinienkonformer Rechtszustand erzeugt wurde. Das nationale Recht ist in diesen Fällen bereits richtlinienkonform. Wegen der fehlenden Präjudizienbindung im deutschen Recht mag aber dennoch ein Bedarf für eine ausdrückliche gesetzliche Regelung bestehen. Die „Umsetzung“ von Richtlinien durch Verweis auf eine durch Richterrecht in der nationalen Rechtsordnung etablierte Rechtslage ist demnach nur in engen Grenzen möglich.

2. Umsetzungsbedarf und Transparenzgebot bei „horizontalen Bestimmungen“ Voraussetzung für die durch Rechtssicherheits- und Transparenzgebot erhöhten Anforderungen an die Art des Umsetzungsakts ist, dass die fragliche Richtlinie subjektive Rechte gewährt.278 Dies erfüllen ABRL und EZRL.279 Allerdings richten sich die horizontalen Bestimmungen, die in der ABRL einen eigenen Abschnitt bilden, nur auf die Absicherung ebendieser Rechte. Eine auf den ersten Blick nicht völlig fernliegende Schlussfolgerung ist es daher, für die in der Systematik der Richtlinien selbst nachgeordneten Bestimmungen nur geringe Anforderungen an die Transparenz und Rechtssicherheit der Umsetzung zu stellen. Dies wäre aber nicht sachgerecht. Die horizontalen Bestimmungen sind zwar der Normierungsreihenfolge nach, aber nicht in der Bedeutung für die Rechtsposition des Einzelnen, nachgeordnet. Viktimisierungsschutz ist Arbeitnehmerschutz. Die entsprechenden Grundsätze und Kündigungsverbote der Richtlinien betreffen daher Rechtspositionen des Einzelnen.280 Der Schutz vor Maßregelungskündigungen findet seine Fortsetzung im Prozess und wird durch besondere Beweiserleichterungen effektuiert. Hierbei enthält mindestens der Begründungsanspruch ein weiteres subjektives Recht des Einzelnen. Dessen funktionale Verbindung mit der Beweiserleichterung macht deutlich, dass auch auf Grundlage der Auslegung nach der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts die Voraussetzungen der Rechtssicherheit und Transparenz auch für die Umsetzung der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL gelten. Bezüglich der Vorgaben zum Diskriminierungs- und Kündigungsschutz in der EZRL ist mitunter zu lesen, es bestehe kein Handlungsbedarf, weil das deutsche Recht bereits die inhaltlichen Anforderungen der EZRL abbilde: Einer Ausdehnung bedürfe es nicht, weil es der Einführung neuer Freistellungsansprüche laut den Autoren nicht bedarf.281 Dies offenbart nicht nur ein Missverständnis der Bedeutung 278

EuR-Handbuch/König/Kleinlein, § 2 Rn. 52. Zu den Richtlinienrechten im Überblick Kapitel 3, B.III. 280 Zu diesen eingehend Kapitel 3, B.III. 281 BDA, Stellungnahme v. 01. 06. 2021 https://www.bundestag.de/resource/blob/859824/ b9d9f2b4e7c49ce56b4f78f6fd211f4c/100-Sitzung_07-06-2021_Wortprotokoll-data.pdf, S. 55 (zuletzt am 30. 06. 2023). 279

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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der Schutzvorgaben in der Systematik der Richtlinie selbst. Vielmehr wird auch das Ausmaß der von der Richtlinie intendierten Mindestharmonisierung verkannt. Ist das Recht eines Mitgliedsstaates in einem oder mehreren Punkten bereits richtlinienkonform, bedeutet dies nicht, dass der Mitgliedsstaat von einer Umsetzungspflicht bezüglich der die Rechtswahrnehmung absichernden Bestimmungen frei wird. Ansonsten ist abzusehen, dass gerade keine europaweite Mindestharmonisierung des Diskriminierungs- und Kündigungsschutzes erzielt wird, wenn das Schutzniveau (wie eigentlich typisch) von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat schwankt. 3. Beweiserleichterungen beim allgemeinen Maßregelungsverbot Die für § 612a BGB in Betracht kommenden Beweiserleichterungen bilden den von den Richtlinien vorgesehenen Mindestschutzstandard nicht ab. a) Zum Anscheinsbeweis Die Grundsätze des Anscheinsbeweises sind Teil der richterlichen Beweiswürdigung, sie bewirken weder eine Veränderung des Beweismaßes, noch der objektiven Beweislast.282 Letzterer Gesichtspunkt ist entscheidend, da im deutschen Recht eine Umkehr sowohl der konkreten Beweisführungslast, als auch der objektiven Beweislast erforderlich ist.283 Zu klären bleibt, ob das Rechtsinstitut im Einzelfall nicht wenigstens im Ergebnis an die vorgesehenen Rechtsfolgen heranreicht.284 Dafür spricht zunächst, dass der Arbeitnehmer im ersten Schritt ebenfalls nur erste Anhaltspunkte für die fragliche Tatsache vorbringt. Da die Regelungselemente der ersten und zweiten Stufe in einem funktionalen Zusammenhang stehen müssen, genügt der Anscheinsbeweis allerdings für sich genommen nicht den Anforderungen der Richtlinien. Die Möglichkeit eines erleichterten Gegenbeweises, der im Erfolgsfall ein Zurückfallen der vollständigen Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitnehmer bewirkt, entspricht ebenfalls nicht der Lastenverteilung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL. Darüber hinaus ist der Anscheinsbeweis aufgrund der Bindung an Erfahrungssätze nur in einer begrenzten Zahl von Fällen anwendbar. Zwar sind Erfahrungssätze auch bei individuellen Vorgängen und subjektiven Tatsachen denkbar.285 Die Bindung des Rechtsinstituts an Erfahrungssätze bleibt jedoch auch bei einer weiten Auslegung bestehen. Damit geht beträchtliche Rechtsunsicherheit einher. Dies zeigt bereits die Kontroverse um die Fallgruppe der „zeitlichen Nähe“ als hinreichenden Erfahrungssatz. Hinzu kommt, dass selbst bei abgesenktem Beweismaß bei plausiblen Alternativbegründungen die Möglichkeit 282

Dazu Kapitel 2, C.I.1.; schon bei § 22 AGG unterscheidet sich die Rechtsfolge grundlegend vom Anscheinsbeweis, so stellvertretend Schulze, Beweislastregel des § 22 AGG, S. 312; sowie Wörl, Beweislast nach dem AGG, S. 71 f. 283 Dazu Kapitel 4, B.II.2.c). 284 Dafür etwa Schilling, Maßregelungsverbot, S. 181. 285 Dazu Kapitel 2, C.I.2.b).

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

eines abweichenden Geschehensablaufs immer in Betracht kommt und damit eine Erschütterung des Anscheinsbeweises in der Regel leichtfallen wird. Zwischen dem Anscheinsbeweis und den nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL geforderten Grundsätzen besteht daher im Regelfall selbst bei extensiver Auslegung kein Ergebnisgleichlauf. b) Partieller Ergebnisgleichlauf durch abgestufte Darlegungsund Beweislast Im Gegensatz zum Anscheinsbeweis sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein Erfahrungssatz besteht – folglich kommt ihnen eine Auffangfunktion zu.286 Dennoch genügt die schlüssige Behauptung von Interessen oder Beweggründen, eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers auszulösen.287 Dies kommt der ersten Stufe der Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL jedenfalls in hier vertretener Auslegung sehr nahe, weil gerade eine vorläufige Plausibilität aus dem Arbeitnehmervortrag entnommen werden können muss, damit den Arbeitgeber billigerweise die Rechtsfolge der sekundären Darlegungslast trifft. Aufgrund der zweistufigen Struktur der sekundären Darlegungslast, die erst ein Vorbringen des Arbeitnehmers erfordert und dann im zweiten Schritt dem eigentlich nicht darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgeber die Darlegungs- und Substantiierungslast auferlegt, besteht eine gewisse Ähnlichkeit zum zweistufigen Ansatz. In der Rechtsfolge wird aber nur ein Teil der unionsrechtlich gebotenen Rechtslage realisiert. Ein Ergebnisgleichlauf zwischen unionsrechtlich vorgegebener Rechtslage und den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast könnte aber etwa entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt. Denn dann gilt der Vortrag des Arbeitnehmers zum Kausalzusammenhang als zugestanden und ist in der Folge nicht mehr beweisbedürftig.288 Verweigert der Arbeitgeber die Mitwirkung gänzlich, geht die Folge des § 138 Abs. 3 ZPO noch über eine Umkehr der Beweislast hinaus. Trägt der Arbeitgeber jedoch im Maße des Zumutbaren aus seiner Sphäre vor, bleibt es im Übrigen bei der vollen objektiven Beweislast des Arbeitnehmers. Den Arbeitgeber trifft eine umfassende Erwiderungs- bzw. Vortragspflicht. Damit wird das Informationsgefälle zumindest auf Ebene der Vortragspflichten überwunden. Dass keine Umkehr der objektiven Beweislast eintritt, die eine Beweislastentscheidung zulasten des Arbeitgebers im Falle eines non liquet sicherstellt, wirkt sich nicht in allen Fällen praktisch aus. Eine Absenkung des Beweismaßes für den Kausalzusammenhang insgesamt ist ein zweischneidiges Schwert, da dies nicht nur dem Arbeitnehmer zugutekommen kann.289 Die Auswirkungen der abgestuften 286

Dazu Kapitel 2, C.III. Dazu Kapitel 2, C.II.2. 288 Dazu Kapitel 2, C.II.2.b). 289 Dazu Kapitel 2, C.II.3. 287

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Darlegungs- und Beweislast in Kombination mit einer Beweismaßsenkung für den Kausalzusammenhang sind im hohen Maße einzelfallabhängig. Das Gericht kann im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis den Arbeitgeber zum erforderlichen Vortrag anhalten.290 Die Prozessleitungsbefugnis kann aber nach wie vor an der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast selbst nichts ändern, sondern nur die Parteien zur Erfüllung ihrer Darlegungs- und Beweislast anhalten und dieser einen geordneten Rahmen geben.291 Jeweils für sich genommen sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast und eine Absenkung des Beweismaßes keine hinreichende Realisierung des unionsrechtlichen Mindeststandards. Allerdings ist die Anwendung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast bei § 612a BGB geeignet, in Einzelfällen eine Situation herbeizuführen, die der unionsrechtlich gebotenen Beweislastverteilung im Ergebnis entspricht. c) Notwendigkeit einer gesetzlichen Beweiserleichterung Insgesamt besteht keine hinreichend gefestigte Rechtslage, die in Klarheit und Verbindlichkeit einer gesetzlichen Regelung gleichkommt, auf die der Gesetzgeber statt einer eigenen Regelung verweisen könnte.292 Dies variiert für einzelne Regelungselemente, die zumindest in Teilen den vom Unionsrecht vorgegebenen Ergebnissen nahekommen. Richterrechtlichen Beweiserleichterungen kann über den Einzelfall hinaus ein Moment der Rechtsunsicherheit zukommen.293 Selbst, wenn eine Beweismaßsenkung für den Kausalzusammenhang im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ausdrücklich von einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen würde, bestünden Zweifel, ob der Richtlinienstandard gewahrt ist. Dadurch würde die Funktionsfähigkeit der Regelung durch richterliche Entscheidung im Einzelfall bestimmt, ohne dass in Fällen der Nichterweislichkeit eine klare Umkehr der Beweislast die Entscheidung vorgibt. Eine Regelung zur objektiven Beweislast ist nicht verzichtbar: Die Beweislastverteilung ist als abstrakte Prozessrisikozuweisung von enormer praktischer Bedeutung, weil der Richter auch in Fällen eines non liquet zur Entscheidung des Falles berufen und verpflichtet ist.294 Die sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen sind mehrgliederig und funktional an die Begründungspflicht nach Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL gekoppelt.295 Keine der richterrechtlich anerkannten Beweiserleichterungen sieht eine solche Begründungspflicht vor. Im Bereich der Abrufarbeit muss der Arbeit290

Dazu GMP/Schleusener, ArbGG, § 56 Rn. 7; ErfK/Koch, ArbGG, § 56 Rn. 3. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1; MüKo/Fritsche, ZPO, § 139 Rn. 2. 292 So zu Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL i. E.: Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 26); Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415; Buschmann, AuR 2022, 343, 346; Kolbe, EuZA 2023, 3, 20. 293 Vgl. zur der Rechtsfigur der „Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr“ Katzenmeier, FS Prütting 2018, 361, 371. 294 Ascheid, Beweislastfragen, S. 3 ff. 295 Dazu Kapitel 4, B.I.2.a) und II.2.b)aa). 291

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

geber nach gegenwärtigem Recht auch auf entsprechende Anfrage nicht begründen, warum er einen konkreten Arbeitnehmer nicht abgerufen hat. Eine generelle Begründungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer, sei sie auch auf Maßregelungen beschränkt, kennt das deutsche Recht nicht.296 Ausnahmen gelten nur, wenn eine hinreichende Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch besteht. Kündigungen müssen nur in besonders geregelten Fällen (etwa § 626 Abs. 2 S. 3 BGB, § 1 Abs. 3 S. 1 letzter Hs. KSchG, § 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG),297 gegenüber dem Arbeitnehmer begründet werden – die Begründungspflicht ist die Ausnahme, nicht die Regel.298 Die unionsrechtliche Begründungspflicht ist daher im deutschen Recht umzusetzen.299 Es spricht viel dafür, dass der Mindestschutzstandard der Richtlinie auch angesichts des Transparenzgebots fordert, dass die Regelung als funktionale Gesamtheit im nationalen Recht implementiert wird. Selbst bei einem weiten Verständnis der Begründungsanfragemöglichkeiten des Arbeitnehmers bei Kündigungen300 ist nicht sichergestellt, dass die unionsrechtlichen Mindestvorgaben eingehalten werden. Dass der Gesetzgeber die vergleichbaren Regelungen im Diskriminierungsrecht in § 22 AGG geregelt hat, spricht ebenfalls dagegen, dass er nun auf ein Einschreiten zur Umsetzung verzichten kann. Darüber hinaus wäre die sachliche Reichweite der Regelung, insbesondere des Begriffs der Maßnahmen gleicher Wirkung, ebenfalls erst noch durch die Rechtsprechung zu bestimmen. Eine transparente und rechtssichere Umsetzung der Vorgaben scheidet ohne eine gesetzliche Regelung aus. Die mit einem Verzicht auf gesetzgeberisches Eingreifen einhergehenden Risiken durch Rechtsunsicherheit müssten anderenfalls die Prozessparteien tragen. An diesem Ergebnis ändert sich auch unter Berücksichtigung der vom Unionsgeber eröffneten alternativen Umsetzungsmöglichkeiten nichts. Zwar ermöglichen Art. 21 Abs. 5 ABRL, Art. 20 Abs. 5 EZRL die Umsetzung der Richtlinienvorgaben durch die Sozialpartner über Kollektiv- bzw. Tarifverträge. Die Umsetzung durch auch für Außenseiter geltende Tarifverträge ist möglich.301 Da die Allgemeinverbindlichkeit etwaiger tarifvertraglicher Regelungen zur Umsetzung der Richtlinien im System des deutschen Tarifrechts die Ausnahme und nicht die Regel ist, scheidet eine vollständige Umsetzung der Richtlinienvorgaben durch die Sozialpartner jedenfalls faktisch aus.302 Eine Umsetzung der Beweiserleichterung ist auch in Verfahren vor staatlichen Stellen mit Amtsermittlungsbefugnissen verzichtbar (Art. 18 296

HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 3, Kapitel 15 Rn. 3. Siehe dazu auch HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 3, Kapitel 15 Rn. 5, mit einer umfassenden Aufzählung weiterer Beispiele. 298 Kolbe, EuZA 2020, 35, 42 f.; Picker, ZEuP 2020, 305, 320; Kreßel, ZfA 2021, 312, 337; Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 299 Früh bereits Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165; jüngst auch May, BB 2022, 2232, 2234. 300 Dazu noch Kapitel 5, A. 301 EuGH, Urt. v. 18. 12. 2008 – C-306/07 (Ruben Andersen), ECLI:EU:C:2008:74, NZA 2009, 95. 302 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 21 Rn. 2. 297

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

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Abs. 5 ABRL, Art. 12 Abs. 5 EZRL). Da im Arbeitsgerichtsprozess der Amtsermittlungsgrundsatz nur im Beschlussverfahren (§ 83 ArbGG) greift, und auch im Übrigen für Wahrnehmung der Richtlinienrechte keine behördlichen Verfahren vorgesehen sind, ist die Ausnahmemöglichkeit zu vernachlässigen. 4. Umsetzungsbedarf unter Berücksichtigung weiterer Schutzvorschriften Zu klären bleibt, wie die Beweissituation mit Blick auf die zur Umsetzung von ABRL und EZRL relevanten Sondergesetze ausgestaltet ist, und ob Umsetzungsbedarf durch die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL besteht. a) Spezielle Maßregelungsverbote und Sonderkündigungsschutz Die Beweisschwierigkeiten bei § 5 TzBfG sind identisch zu § 612a BGB, da der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für alle Voraussetzungen trägt.303 Ob und inwiefern der Anscheinsbeweis Anwendung findet, ist – wie bei § 612a BGB auch – nicht unumstritten, dies lässt sich jedoch bejahen, wenn ein Erfahrungssatz besteht.304 Eine ähnliche Situation scheint zunächst auch im BEEG zu bestehen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen des § 18 BEEG trägt der Arbeitnehmer.305 Im Übrigen gelten allerdings die allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess, sodass der Arbeitgeber die Beweislast für die Zulässigkeitserklärung der Behörde und für rechtfertigende Kündigungsgründe trägt.306 Für § 612a BGB wird im Kontext des BEEG, vertreten, dass eine Umkehr der Beweislast auf den Arbeitgeber greift.307 Dies ist aus den oben genannten Gründen abzulehnen.308 Es gelten die allgemeinen Möglichkeiten zur Linderung der Beweisnot,309 insbesondere die Grundsätze des Anscheinsbeweises bei hinreichender Indizienlage.310 Soweit angenommen wird, dass in allen wesentlichen Bestandteilen und im Ergebnis durch eine „tatsächliche Vermutung“ der Rechtsfolge des § 22 AGG entsprechende Beweiserleichterung für die Beschränkung der Kündigungsmög303

HK-TzBfG/Joussen, TzBfG, § 5 Rn. 20. HK-TzBfG/Joussen, TzBfG, § 5 Rn. 21. 305 APS/Rolfs, BEEG, § 18 Rn. 33; ErfK/Gallner, BEEG, § 18 Rn. 16; KR/Bader/Kreutzberg-Kowalcyk, BEEG, § 18 Rn. 73; Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 25 f.; Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 26. 306 Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, BEEG, § 18 Rn. 38. 307 Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 8; BWV/Schneider, BEEG, § 18 Rn. 26. 308 Dazu Kapitel 2, B.IV. 309 Dazu Kapitel 2, C. 310 Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, BEEG, § 18 Rn. 29; vgl. LAG Niedersachsen, Urt. v. 12. 09. 2005 – 5 Sa 396/05, NZA-RR 2006, 346, 348, wo das Indiz eines engen zeitlichen Zusammenhangs herangezogen wird; Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 26. 304

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

lichkeit nach § 612a BGB Anwendung findet,311 ist dem zu widersprechen. Dies entspricht einer Analogie, deren Voraussetzungen nicht gegeben sind.312 Vergleichbares gilt auch für die Rechtswahrnehmung im PflegeZG und FPflZG. Der Arbeitnehmer trägt nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des besonderen Kündigungsverbots, während der Arbeitgeber die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 PflegeZG beweisen muss.313 Darüber hinaus ist jedoch auch ein Rückgriff auf § 612a BGB möglich, wenn die Rechtswahrnehmung vom Sonderkündigungsschutz nicht erfasst wird.314 Auch hier gelten die bereits beschriebenen allgemeinen Möglichkeiten der Beweiserleichterung. Soweit der Vaterschaftsurlaub im MuSchG umgesetzt wird, könnte auch der Ansatz des § 17 MuSchG für die Absicherung von Richtlinienrechten Bedeutung erlangen. Neben der Zugehörigkeit zum geschützten Personenkreis und der Schwangerschaft, Fehlgeburt oder Entbindung muss die Arbeitnehmerin bei § 17 MuSchG nachweisen, dass der Arbeitgeber positive Kenntnis von der Schwangerschaft hatte, wobei ihr die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugutekommen können.315 Zu beachten ist jedoch, dass die Mitteilung des relevanten Umstands an den Arbeitgeber nach Zugang einer Kündigung binnen zwei Wochen nachgeholt werden kann. Dabei muss die Arbeitnehmerin darlegen und beweisen, dass die Mitteilung dem Arbeitgeber zugegangen ist, sowie ggf. den Zugang der Kündigung des Arbeitgebers zu einem bestimmten Zeitpunkt, der für den Beginn der ZweiWochen-Frist entscheidend ist.316 b) Abgleich mit den Anforderungen der Richtlinien Soweit die Beweissituation der Rechtslage bei § 612a BGB entspricht, ist eine gesetzgeberische Umsetzung der neuen Beweiserleichterung für Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL erforderlich. Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL erfasst nur Kündigungen. Anpassungsbedarf für Maßnahmen unterhalb der Intensität der Kündigung besteht daher insgesamt nicht. Allerdings findet das allgemeine Maßregelungsverbot auch dann Anwendung, wenn der zeitliche Anwendungsbereich des besonderen Kündigungsschutzes nicht eröffnet ist. Generell ist mit Blick auf die einschlägigen besonderen Kündigungsverbote anzumerken, dass die für § 612a BGB typische Beweisnot aufgrund der abweichenden Tatbestandsvoraussetzungen nicht in demselben Umfang besteht. Bei dem Sonderkündigungsschutz muss der Arbeitnehmer im Regelfall nur darlegen, dass die 311

BWV/Schneider, BEEG, § 18 Rn. 25; Rancke/Rancke, BEEG, § 18 Rn. 8. Dazu Kapitel 2, B.IV. 313 APS/Rolfs, PflegeZG, § 5 Rn. 37 f.; NK-ArbR/Müller, PflegeZG, § 5 Rn. 18 f. 314 MAH-ArbR/Betz, § 45 Rn. 71. 315 APS/Rolfs, MuSchG, § 17 Rn. 155 f.; DHSW/Velikova/Briegel, MuSchG, § 17 Rn. 29. 316 APS/Rolfs, MuSchG, § 17 Rn. 156 m. w. N.

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Kündigung während des geschützten Freistellungszeitraums erfolgt ist. Dies fällt dem Arbeitnehmer nicht schwer. Ist dieser Beweis erbracht, besteht kein Bedarf mehr für eine Beweislastumkehr im Sinne der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL: Die Kündigung ist unwirksam. Ausnahmen von diesem absoluten Kündigungsschutz werden nur unter Behördenbeteiligung möglich. Wenn der deutsche Gesetzgeber die Richtlinienrechte der EZRL in das bisherige System des Sonderkündigungsschutzes in § 18 BEEG, § 17 MuSchG und § 5 PflegeZG (i. V. m. § 2 Abs. 3 FPflZG) integriert, besteht in Teilen bereits ein hoher Schutzstandard: Wenn der zeitliche Anwendungsbereich eines Sonderkündigungsverbots für die Ausübung der Richtlinienrechte eröffnet ist, wäre eine Beweiserleichterung insofern nicht erforderlich,317 da die Sonderkündigungsverbote in ihrem begrenzten Anwendungsbereich als Regelungsinstrument über die Vorgaben des Art. 12 Abs. 3 EZRL hinausgehen.318 Die Begründungspflicht aus Art. 12 Abs. 2 EZRL steht in einem funktionalen Zusammenhang zur zweistufigen Beweiserleichterung.319 Soweit keine zweistufige Beweiserleichterung erforderlich ist, entfällt bei den besonderen Kündigungsverboten die Notwendigkeit eine spezialgesetzliche Begründungspflicht vorzusehen. Das Kündigungsverbot in Art. 12 Abs. 1 EZRL betrifft jedoch nicht nur Kündigungen, die während der Freistellungs- bzw. Schutzzeiten ausgesprochen wurden.320 Daher würde ein absolutes Kündigungsverbot während gewisser Zeiten in Verbindung mit einem behördlichen Verfahren, wie es bereits in § 18 Abs. 1 BEEG vorgesehen ist, nur einen Teil der Vorgabe des Art. 12 Abs. 3 EZRL umsetzen.321 Jedoch ist der Umsetzungsbedarf mit Blick auf Art. 12 EZRL geringer, bzw. in gewissem Umfang nicht vorhanden. Im Ergebnis ähnlich könnte es sich auswirken, wenn Benachteiligungen bereits zusätzlich zu § 612a BGB als Diskriminierungen nach §§ 1, 7 AGG untersagt wären,322 da dann § 22 AGG unmittelbar Anwendung findet. Die Bedeutung der Anwendung des AGG für den Schutz der Rechtswahrnehmung dürfte aber überschaubar sein: Die Merkmale im Sinne des § 1 AGG bilden die Ausübung aller in der EZRL vorgesehenen Rechte nicht hinreichend ab.323 Ein Verweis auf die Beweiserleichterung des § 22 AGG entlastet den Gesetzgeber daher nicht von seiner Umsetzungspflicht, zumal Maßregelungs- und Diskriminierungsschutz im engeren Sinne zwar inhaltliche Schnittmengen aufweisen, aber im nationalen Recht abgrenzbare Rechtsinstitute mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Funktionen sind.324 317 Für eine Umsetzung der Richtlinienvorgaben über eine § 18 Abs. 1 Satz 4 bis 6 BEEG entsprechende Regelung als Alternative zu einer Beweiserleichterung wie § 22 AGG Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 318 Anders wohl DHSW/Velikova, BEEG, § 18 Rn. 1; vgl. BWV/Brose, Einl. Rn. 71. 319 Dazu Kapitel 4, B.I.3.a) und II.2.b)aa). 320 Dazu Kapitel 3, B.IV.2.b). 321 Vgl. Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 322 Dazu schon Kapitel 3, B.IV.1.c)bb). 323 Dazu schon Kapitel 3, IV.1.c); vgl. auch Treichel, DGB-Gutachten, S. 60, 77. 324 Dazu Kapitel 1, C.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

c) Bedeutung von Transparenzgebot und Regressionsverbot Bei Richtlinien, die subjektive Rechte enthalten fordert das Gebot zur transparenten Richtlinienumsetzung, dass der Richtlinienstandard in einem allgemeinen rechtlichen Rahmen hinreichend und klar im nationalen Recht verankert ist, sodass der Einzelne sich darauf berufen kann.325 Gegen die Feststellung, dass die Vorgaben im Bereich des Sonderkündigungsschutzes bereits einen Teil der Vorgaben des Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL übersteigen und daher während der Freistellungszeiten kein Anpassungsbedarf besteht, spricht, dass es sich um einen abweichenden anderen Schutzansatz im Vergleich zu § 612a BGB handelt. Bei einer Umsetzung müssten die vorhandenen Regelungen so ergänzt werden, dass auch die Kündigungen nach Ende des Freistellungszeitraums aufgrund der Rechtsausübung unter der günstigen Beweislastverteilung untersagt sind. Allerdings wäre es verfehlt, aus dem Transparenzgebot eine Verpflichtung zum Abweichen vom Sonderkündigungsschutz in den jeweiligen Bereichen anzunehmen, nur weil dieser keine zweistufige Beweiserleichterung vorsieht. Dafür sprechen zwei Gründe. Zunächst gilt auch im Rahmen der transparenten Richtlinienumsetzung, dass die Mitgliedsstaaten einen Ausgestaltungsspielraum für die Etablierung des Schutzstandards haben. Die Berücksichtigung der in dem jeweiligen Mitgliedsstaat geltenden Besonderheiten bei der Umsetzung ermöglicht einen vom Regelungsansatz der Union abweichenden, aber de facto effektiven Schutz. Darüber hinaus spricht auch der Rechtsgedanke des Regressionsverbots (für die EZRL in Art. 16 Abs. 2 geregelt) dagegen, dass Deutschland aufgrund von Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL dazu verpflichtet wäre, den in den relevanten Spezialgesetzen geregelten Sonderkündigungsschutz zugunsten einer Kombination von Begründungspflicht und Beweiserleichterung aufzugeben. Der Regelungsgehalt des Regressionsverbots wird zwar hinsichtlich der dadurch berührten autonomen Gestaltungsspielräume der Mitgliedsstaaten kontrovers diskutiert. Vom EuGH werden Regressionsverbote eher restriktiv ausgelegt: Eine Absenkung ist nach dem Gerichtshof nur dann relevant, wenn der Schutz durch die nationale Regelung insgesamt abgesenkt wird.326 Dies wird im Schrifttum dergestalt ausgelegt, dass einerseits nur erhebliche Verschlechterungen von Repressionsverbotenen untersagt werden können, andererseits auch Verbesserungen an anderer Stelle die ursprüngliche Verschlechterung durch die Umsetzung ausgleichen können.327 In der ABRL wird dem Regressionsverbot in Anlehnung an die EuGH-Entscheidung in Sachen Angelidaki nur als transparenz325 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), ECLI:EU:C: 2001:257, EuZW 2001, 437, 438; EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/ Deutschland), ECLI:EU:C:1995:263, NVwZ 1996, 367, 368; Preis/Sagan/Sagan, EU-ArbR, Rn. 1.119. 326 Vgl. EuGH Urt. v. 23. 04. 2009 – Rs. C-378 – 380 (Angelidaki), ECLI:EU:C:2009:250, Rn. 140; dazu Franzen, EuZA 2010, 306, 335; EUArbRK/Kolbe, RL EU 2019/1152, Art. 20 Rn. 3; kritisch insbesondere Kreßel, ZfA 2021, 312, 338, der wohl meint, Art. 20 ABRL sei kompetenzwidrig. 327 Kerwer, EuZA 2010, 255, 263; Kreßel, ZfA 2021, 312, 338.

B. Der Komplex aus Begründungspflicht und Beweiserleichterung

271

erhöhende Maßnahme verstanden, die keine Absenkung des Schutzstandards an sich verbiete, sondern nur, diese mit der Umsetzung von Unionsrecht zu begründen.328 Dies zugrunde gelegt, wäre ein Abweichung vom strengen zeitlich limitierten Sonderkündigungsschutz zur Herstellung von Vergleichbarkeit zur unionsrechtlich gebotenen Rechtslage eine erhebliche Absenkung des Schutzniveaus, die in Konflikt mit dem Regressionsverbot auch in seiner engen Auslegung tritt. Vielmehr scheint eine ergänzende Anpassung der Vorgaben notwendig, da nicht für alle Kündigungen wegen der Rechtsausübung ein besonderes Kündigungsverbot greift. 5. Zwischenfazit Selbst bei unumstrittener und anerkannter Geltung der Beweiserleichterungen bei § 612a BGB wäre der vom Unionsrecht geforderte Rechtszustand nach dem aktuellen Stand der Rechtsprechung nicht vollständig erreicht. Auf Grundlage einer Beweismaßsenkung kann zwar durch eine Abstufung der Darlegungs- und Beweislast in Einzelfällen ein Rechtszustand ohne Verstoß gegen die rechtsmethodischen Grenzen der Auslegung geschaffen werden, der dem durch die Richtlinien vorgegebenen Ergebnis nahekommt. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit ist eine gesetzliche Beweiserleichterung vorzugswürdig. Sie ist auch im Bereich der Richtlinienrechte unionsrechtlich geboten, da von einer hinreichend sicheren Verankerung der zu schaffenden Rechtslage in der nationalen Rechtsordnung nicht gesprochen werden kann. Der Gesetzgeber kann sich daher nicht durch (auch nur partiellen) Verweis auf Richterrecht oder richterliche Rechtsfortbildung seiner Umsetzungsverpflichtung entziehen. In einzelnen Spezialgesetzen wird ein Teil des gebotenen Viktimisierungsschutzes und der Regelungen des Art. 12 Abs. 3 EZRL durch Sonderkündigungsverbote abgebildet, die in ihrem Anwendungsbereich einen noch stärkeren Schutz gewährleisten, als er durch Art. 12 Abs. 3 EZRL erforderlich wäre. Es besteht dennoch Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, da der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich nicht genügt, um den Richtlinienstandard vollständig abzubilden. Daher kommt zum Teil die Integration, bzw. Ausweitung bestehender Sonderkündigungsverbote in Betracht, die mit ihrem absoluten Kündigungsschutz während bestimmter Zeiträume über den durch die Richtlinien gebotenen Viktimisierungsschutz einschließlich der Regelung in Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL hinausgehen, sollte ihr Anwendungsbereich für die Rechte aus der EZRL eröffnet werden. Über den für die Umsetzung der EZRL relevanten Sonderkündigungsschutz hinaus fehlt es jedoch an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die auch nur einen Teil der Beweiserleichterung im nationalen Recht realisiert.

328

EUArbRK/Kolbe, RL EU 2019/1152, Art. 20 Rn. 3.

272

4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber Im Gegensatz zu den zweistufigen Beweiserleichterungen in ABRL und EZRL sieht Art. 21 Abs. 5 WBRL eine Beweislastumkehr ohne weitere Voraussetzungen vor, wenn ein Hinweisgeber geltend macht, infolge der Wahrnehmung der durch die WBRL verliehenen Möglichkeiten zur Meldung oder Offenlegung von Unionsrechtsverstößen benachteiligt worden zu sein. Die Grundsituation der Beweisnot des Hinweisgebers, der regelmäßig keine Einblicke in die Handlungsgründe des Gegners hat, entspricht im Wesentlichen der Situation bei § 612a BGB. Es überrascht daher nicht, dass auch der Beweislastregel in Art. 21 Abs. 5 WBRL eine notwendige Kompensationsfunktion für eine Beweisnot zugesprochen wird.329 Innerhalb des Art. 21 WBRL kommt ihr eine zentrale Bedeutung zu.330

I. Persönlicher Anwendungsbereich Art. 21 Abs. 5 WBRL erwähnt selbst nur den Hinweisgeber als Begünstigten der Beweiserleichterung. Allerdings wird in Art. 21 Abs. 1 WBRL explizit der in Art. 4 WBRL genannte Personenkreis in den Schutz der Abs. 2 bis 8 einbezogen. Dass in den einzelnen Absätzen des Art. 21 teilweise „Hinweisgeber“ und teilweise „die in Art. 4 genannten Personen“ erwähnt wurden, belegt eine eigenartige Regelungstechnik, bedeutet aber keine inhaltliche Differenz. Entsprechend der Festlegung in Art. 21 Abs. 1 WBRL kann daher auch die Beweislastregel des Art. 21 Abs. 5 WBRL den in Art. 4 Abs. 4 genannten Personen zugutekommen. Dies leuchtet für die Gruppe der Kollegen des Hinweisgebers (Art. 4 Abs. 4 lit. b) WBRL) ein: Wird der Repressalienschutz insgesamt auf sie erstreckt, wäre es widersprüchlich, wenn ausgerechnet die Beweislastumkehr, der beim Hinweisgeberschutz eine Schlüsselrolle zukommt,331 im Prozess eines Arbeitskollegen, der aufgrund einer Verbindung zum Hinweisgeber benachteiligt wurde, nicht gelten sollte.332

II. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich Im Verhältnis zu ABRL und EZRL beachtlich ist der weite Anwendungsbereich der Beweiserleichterung, der sich nicht auf Kündigungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung beschränkt. Wie bei § 612a BGB wären damit alle Maßnahmen erfasst, die sich nachteilig auf die Rechtsstellung des Hinweisgebers auswirken. Eine Erheb-

329

Etwa Stappers, ERA Forum 22 (2021), 87, 98. Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 431. 331 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 111. 332 So auch Siemes, CCZ 2022, 7, 11.

330

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber

273

lichkeitsschwelle ist nicht vorgesehen. Deren Einführung würde eine Unterschreitung des Schutzstandards bedeuten. Die Beweiserleichterung findet dem Wortlaut nach in Gerichtsverfahren oder „Verfahren vor einer anderen Behörde“ statt. Inhaltlich gilt damit zunächst nichts anderes als schon bei ABRL und EZRL. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beweiserleichterung in Strafverfahren zur Anwendung kommen kann.333 Allerdings ist in Art. 21 WBRL keine Ausnahmemöglichkeit für Verfahren vorgesehen, in denen der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Darüber hinaus wird der Repressalienschutz einschließlich der Beweislastumkehr auf „Abhilfemaßnahmen einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren“ erstreckt (Art. 21 Abs. 6 WBRL). Dies spricht dafür, dass der Anwendungsbereich der Beweiserleichterung weit auszulegen ist und also situationsbezogen und flexibel auch bei Streitigkeiten hinsichtlich der Haftung des Hinweisgebers (Art. 21 Abs. 7 WBRL stellt den Hinweisgeber weitgehend frei) und bei dessen Schadensersatzforderungen gegen das Unternehmen anzuwenden ist.334 Unklar ist, wie lange die Vermutungswirkung eingreifen kann.335 Die Regelung selbst enthält keine zeitliche Begrenzung. Warum ein Hinweisgeber, der Jahre später einer Repressalie ausgesetzt ist, weniger schutzwürdig sein sollte, ist nicht ersichtlich. Eine zeitliche Limitation des Anwendungsbereichs der Regelung durch die Mitgliedsstaaten würde im Zweifel den Schutzstandard der Richtlinie unterschreiten und den gemeldeten Personen oder Unternehmen die Möglichkeit einer legalen „späten Rache“ einräumen.

III. Funktionsweise 1. Darlegungs- und Beweislast des Hinweisgebers Die Beweisführung ist für den Hinweisgeber aufgrund vorgeschobener Gründe und Verschleierung der wahren Gründe insbesondere hinsichtlich der Kausalität zwischen Hinweisgeberstellung und Maßnahme des Unternehmens problematisch.336 Sie ist an sich nur dann ohne Probleme möglich, wenn die Gegenseite offenlegt, dass die Eigenschaft als Hinweisgeber Auslöser für die Benachteiligung war.337 Diese im Ausgangspunkt schwierige Beweislage besteht auch in anderen Rechtsordnungen, in denen das Phänomen Whistleblowing bereits seit längerer Zeit gesetzlich geregelt ist. Beispielsweise muss der Arbeitnehmer im US-Recht nur im Sinne eines Prima-facie-Beweises nachweisen, dass die Offenlegung zumindest auch 333

EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 44. Gerdemann, SR 2021, 89, 105. 335 Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 574. 336 Becker, Whistleblowing, S. 140; Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 207. 337 Brungs, Whistleblowing, S. 397. 334

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

kausal ist, sodann muss der Arbeitgeber versuchen, dies zweifelsfrei zu widerlegen, andernfalls entscheidet ein Gericht, wobei das Regelbeweismaß im Common Law (überwiegende Wahrscheinlichkeit) gilt.338 Zweck des Art. 21 Abs. 5 WBRL ist die Überwindung der Beweisnot beim Kausalzusammenhang – dieser ist Gegenstand der Beweiserleichterung.339 Die Formulierung der Norm spricht unter Abgleich mit der Fassung des Erwägungsgrunds 93 WBRL dafür, dass der Kausalzusammenhang einziger Bezugspunkt der Beweislastumkehr ist und also der Hinweisgeber nach allgemeinen Regeln das Vorliegen eines Nachteils/die Benachteiligung beweisen muss.340 Also muss der Whistleblower nachweisen, dass er eine Meldung oder Offenlegung vorgenommen und anschließend einen Nachteil erlitten habe.341 Im Vergleich zu den diskriminierungsrechtlichen Beweisvorgaben gelten demnach strengere Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Benachteiligten.342 Es greift keine zweistufige Beweiserleichterung, auch wenn das Diskriminierungsrecht in dieser Hinsicht im Gesetzgebungsverfahren als Vorbild diskutiert wurde.343 Der Hinweisgeber genügt seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er nachweist, (1) eine Meldung gemacht oder eine Information offengelegt zu haben, (2) benachteiligt worden zu sein und (3) einen Zusammenhang der Benachteiligung mit der Meldung oder Offenlegung behauptet.344 Letztere Voraussetzung ergibt sich aus der deutschen Fassung des Art. 21 Abs. 5 S. 1 WBRL. In der englischen Fassung tritt das Element eines behaupteten Zusammenhangs bereits nicht explizit hervor,345 ergibt sich aber im Gesamtbild der Formulierung aus dem Sinnzusammenhang. Weitere Anforderungen für den Vortrag des Hinweisgebers sieht Art. 21 Abs. 5 WBRL nicht vor. Insbesondere entfällt in der 338

Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing, S. 113 ff. Siemes, Whistleblowing-Richtlinie, S. 104; Ullrich, WiJ 2019, 53, 61; Degenhardt/ Dziuba, BB 2021, 570, 573; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Gerdemann, SR 2021, 2, 14; Riesenhuber, EU-ArbR, § 15 Rn. 61; Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 207; EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 43. 340 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 439. 341 Siemes, Whistleblowing-Richtlinie, S. 104; vgl. dazu auch Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 15. 02. 2019, C62/155, unter Ziffer 7.1. 342 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 439; Preis/Sagan, Der Arbeitsvertrag, Whistleblowing Rn. 18; vgl. zu einer Vorfassung Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006, zweifelnd, ob eine solch strenge Beweislastumkehr tatsächlich notwendig sei; vgl. ablehnend bzgl. einer strengen Beweislastumkehr für den Hinweisgeberschutz auch Brungs, Whistleblowing, S. 405 f. 343 Etwa Kommission, Vorschlag v. 23. 04. 2018, COM(2018) 218 final, 2018/0106 COD, S. 31; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 15. 02. 2019, C62/155, unter Ziffer 7.1. 344 So im Wesentlichen auch Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 119; Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 208. 345 „In proceedings before a court or other authority relating to a detriment suffered by the reporting person, and subject to that person establishing that he or she reported or made a public disclosure and suffered a detriment, it shall be presumed that the detriment was made in retaliation for the report or the public disclosure.“. 339

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber

275

WBRL auch die Formulierung „glaubhaft machen“, die in Erwägungsgrund 95 der Richtlinie 2019/366/EU noch verwendet worden war und eine Parallele zur zweistufigen Beweiserleichterung suggerierte. Demgegenüber ist in der WBRL nur noch erforderlich, dass der Hinweisgeber seine Benachteiligung darlegt.346 Es wäre verfehlt, in die Beweiserleichterung des Art. 21 Abs. 5 WBRL eine „erste Stufe“ im Sinne einer tatbestandlichen Schwelle für die Auslösung der Beweislastumkehr hineinzuinterpretieren.347 Insofern ist auch die Rede davon, dass der Hinweisgeber Indizien für eine Benachteiligung darlegen müsse,348 irreführend. Ein Erfordernis einer „Glaubhaftmachung“349 sieht die Richtlinie nicht vor. Vielmehr genügt, bei Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast im Übrigen, die bloße Behauptung eines Kausalzusammenhangs. Dies wird sich regelmäßig konkludent aus den Klageanträgen und dem übrigen Vortrag des Klägers ergeben. Insofern begünstigt die Regelung des Art. 21 Abs. 5 WBRL den Hinweisgeber stärker als dies für Arbeitnehmer nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL der Fall ist. Es besteht auch kein Auskunftsanspruch, der einer Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL entsprechenden Begründungspflicht nahekommt, weil bei Art. 21 Abs. 5 WBRL keine tatbestandliche Schwelle zu überwinden ist. 2. Beweislast des Prozessgegners Art. 21 Abs. 5 WBRL führt zu einer vollständigen Umkehr der Beweislast für den Kausalzusammenhang.350 Zur Entkräftung der Vermutung in Art. 21 Abs. 5 S. 1 WBRL spezifiziert Art. 21 Abs. 5 S. 2 WBRL, dass nachzuweisen ist, dass die Benachteiligung auf „hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte“.351 Je nach Gestaltung des Kausalzusammenhangs und prozessualen Besonderheiten im jeweiligen Mitgliedsstaat kann die Ausgestaltung der Rechtsfolge unterschiedlich ausfallen. Entscheidend ist nach hier vertretenem Verständnis nur, dass sich die Beweislast des Prozessgegners darauf erstreckt, nachzuweisen, dass die Hinweisgeberstellung bei der Benachteiligung keine Rolle gespielt hat.352 Der Nachweis,

346

Erwägungsgrund 93 Satz 2 WBRL. Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 208; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 161. 348 In diese Richtung Schlachter/Lehnart, EuZA 2022, 431, 434. 349 Dafür wohl EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 47. 350 EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 50 m. w. N. 351 Im Englischen: „In such cases, it shall be for the person who has taken the detrimental measure to prove that that measure was based on duly justified grounds.“; im Französischen: „En pareil cas, il incombe à la personne qui a pris la mesure préjudiciable d’établir que cette mesure était fondée sur des motifs dûment justifiés.“; im Spanischen: „En tales casos, corresponderá a la persona que haya tomado la medida perjudicial probar que esa medida se basó en motivos debidamente justificados.“. 352 Dazu Kapitel 3, C.II. 347

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

dass die Maßnahme gegen den Hinweisgeber überwiegend auf gerechtfertigten Gründen beruht,353 reicht insofern nicht aus.

IV. Bedeutung für das deutsche Recht Eine besondere Relevanz der neuen Beweislastregel ist in arbeitsrechtlichen Bestandsstreitigkeiten zu erwarten.354 Im Arbeitsrecht wirkt sich der durch die Richtlinie geforderte Repressalienschutz maßgeblich als Sonderkündigungsschutz aus.355 Dies gilt vor allem auch dann, wenn der Hinweisgeber in einem Kleinbetrieb beschäftigt ist. Der Hinweisgeberschutz kann nicht durch die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG eingeschränkt werden.356 1. Belastung des (mutmaßlichen) Rechtsverletzers Im Schrifttum wurde vor Inkrafttreten der WBRL gegen eine Beweislastumkehr im Unterschied zu einer abgestuften Beweislastregel vorgebracht, dass dadurch ein Ungleichgewicht zulasten des Arbeitgebers entstehe.357 a) Whistleblowing als Vorwand Auch das durch die Beweislastregel abgesicherte Schutzsystem der WBRL könnte als Vorwand des angeblichen Whistleblowers eingesetzt werden, um eine rechtliche Handhabe gegen jegliche Benachteiligung zu haben, obwohl diese eigentlich aus ganz anderen Gründen (zu Recht) erfolgt.358 Es besteht damit das Risiko eines „faktischen Kündigungsschutzes“ durch taktische Nutzung der Hinweisgeberstellung.359 Befürchtet wird, dass Hinweisgeber einen „regelrechten Freischein und nahezu bedingungslosen Schutz“ erhalten, wodurch die Interessen des Geschäftsherrn nicht hinreichend gewahrt würden.360 Insgesamt bestehe daher ein hohes

353

Schmidt, Regelungsoptionen, S. 163. Johnson, CCZ 2019, 66, 69. 355 Gerdemann, SR 2021, 2, 13. 356 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 118. 357 Brungs, Whistleblowing, S. 405 f. 358 Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131. 359 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201, 1204; Teichmann, GA 2021, 527, 535; Dohrmann, RdA 2021, 326, 331; in diese Richtung auch Taschke/Pielow/Volk, NZWiSt 2021, 85, 91; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 165; vgl. schon Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1006. 360 Teichmann, GA 2021, 527, 536; in diese Richtung auch Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 574 („Kündigungsschutz mit Selbstbedienungsmentalität“); ähnlich schon Thüsing/ Rombey, NZG 2018, 1001, 1005. 354

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber

277

Missbrauchspotenzial,361 weswegen die Richtlinie über das Ziel eines effektiven Hinweisgeberschutzes hinausgehe.362 Zur Minderung dieses Risikos wird daher vorgeschlagen, den in Erwägungsgrund 44 WBRL erwähnten engen Zusammenhang zwischen Meldung und Benachteiligung auch in die Sanktionsvorschrift aufzunehmen.363 Alternativ wird vorgeschlagen, nach der Motivation des Hinweisgebers zu differenzieren,364 obwohl diese auf Ebene der Richtlinie keine Rolle spielt.365 Dazu eröffne Art. 23 Abs. 2 WBRL einen entsprechenden Gestaltungsspielraum.366 Ob dies erforderlich ist, kann allerdings bezweifelt werden. Ohnehin bestehen nach dem System der WBRL zahlreiche Anforderungen an rechtskonformes Verhalten von Hinweisgebern, sodass das Risiko bösgläubiger Ausnutzung des Hinweisgeberschutzes überschaubar ist.367 Empirische Evidenz für die Ausnutzung einer entsprechenden Beweislastumkehr in anderen Rechtsordnungen existiert nicht.368 b) Schwierigkeit des Gegenbeweises In den meisten Fällen stelle es sich für das Unternehmen als schwierig dar, den Zusammenhang zwischen Meldung und Repressalie zu widerlegen.369 Dies erinnert zunächst an die Situation bei der Anwendung des KSchG vor Erlass der WBRL, nach der dem Arbeitgeber bei der Entlassung von „böswilligen“ Hinweisgebern der Beweis der Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung nicht zwangsläufig leicht gefallen ist.370 Nach der neuen Rechtslage dürfte es dem Arbeitgeber aber noch schwerer fallen, der Beweislast zu genügen: Ein abschließender Beweis dafür, dass die Hinweisgeberstellung die Entscheidung nicht beeinflusst habe, sei unmöglich, daher sei eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast perspektivisch sinnvoller.371 361 Teichmann, GA 2021, 527, 532; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Johnson, CCZ 2023, 39, 42. 362 Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850. 363 Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131 364 Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 245. 365 Siehe oben Kapitel 3, C.II.3.a)bb). 366 Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241, 245. 367 Gerdemann, SR 2021, 2, 14; sowie zu den Schutzvoraussetzungen für Hinweisgeber Gerdemann, SR 2021, 89, 97 f.; gegen die Annahme eines hohen Missbrauchsrisikos auch Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 156 f. 368 Gerdemann, SR 2021, 2, 14. 369 Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665, 1670; vgl. dazu bereits Thüsing/Rombey, NZG 2018, 1001, 1005. 370 Eufinger, DB 2018, 891, 896. 371 Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 574; in diese Richtung, aber statt einer bloßen Abstufung die Regelung einer Erschütterungsmöglichkeit der Kausalitätsvermutung durch positiven Nachweis anderer Kündigungsgründe befürwortend Feldner, Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel, S. 294.

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4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Widerlegung der Vermutung können auch durch eine Interferenz von Daten- und Hinweisgeberschutzrecht entstehen: Sofern das entsprechende Unternehmen seinen datenschutzrechtlichen (bußgeldbewährten) Löschungspflichten nachkomme, bestehe bei entsprechend weiten zeitlichen Abständen die Gefahr, dass die Fall/Personalakte des Hinweisgebers, die eine Entkräftung der Vermutung ermöglicht, gar nicht mehr existiere.372 Auf der anderen Seite ist darauf zu achten, dass die Ressourcendivergenz zwischen Hinweisgeber und Unternehmen angemessen ausgeglichen wird, damit das Machtungleichgewicht nicht den Prozessausgang bestimmt.373 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber auch ein als Teil des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) bzw. der Unternehmerfreiheit nach Art. 16 GRCh geschütztes Interesse an der Aufklärung von Rechtsverstößen im Unternehmen haben.374 c) Berechtigung und Verhältnismäßigkeit der Regelung Bereits gezeigt wurde, dass die Regelung des Art. 21 Abs. 5 WBRL in zweierlei Hinsicht Bedenken auslöst: Einmal ist fraglich, ob die Entkräftung der Vermutung überhaupt in allen Anwendungsfällen möglich ist. Andererseits wird in der weitgehenden Rechtsfolge eine willkommene Gelegenheit für böswillige Denunzianten gesehen. Zu letzterem ist zu entgegnen, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowohl auf unionsrechtlicher als auch auf nationaler Ebene anerkannt ist,375 und damit bereits im Recht selbst ein rudimentärer Schutzmechanismus gegen eine missbräuchliche Nutzung der für den Hinweisgeber günstigen Beweisverteilung besteht. Eine Betonung eines Missbrauchsschutzes bei der Umsetzung der Beweiserleichterung durch gesonderte Regelungen376 gibt demnach eine Rechtslage wieder, die ohnehin besteht. Für eine Erhöhung der Anforderungen an den Vortrag des Hinweisgebers selbst besteht bei der nationalen Umsetzung kein Raum, da dies den Schutzstandard der Richtlinie unterschreiten würde. Auch Art 23 Abs. 2 WBRL, der den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eröffnet, nachgewiesenermaßen bösgläubig handelnden Hinweisgebern Sanktionen aufzuerlegen, gibt bei der Umsetzung des Art. 21 Abs. 5 WBRL keine Handhabe, die Anforderungen an den Vortrag zu erhöhen. Die Regelung bezieht sich in der Logik der Art. 19 ff. WBRL auf eine ex-post

372 373

219. 374

Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126, 131. Dohrmann, RdA 2021, 326, 332; vgl. in diesem Sinne schon Dilling, CCZ 2019, 214,

Eufinger, DB 2018, 891, 895. Statt vieler grundlegend EuGH, Urt. v. 05. 7. 2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), ECLI:EU: C:2007:408, EuZW 2007, 641, 642 (Rn. 38); bestätigt in EuGH, Urt. v. 28. 01. 2016 – Rs. C50/14 (CASTA), ECLI:EU:C:2016:56, EuZW 2016, 299, 303 (Rn. 65); zur Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots im Unionsarbeitsrecht m. w. N. Kamanabrou, EuZA 2018, 18, 19 ff. 376 Dafür etwa Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303, 307; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 165. 375

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber

279

Sanktionierung. Eine Unterschreitung der Regelungsvorgaben an anderer Stelle der Richtlinie ist keine „Sanktion“ im Sinne des Unionsgesetzgebers. Im Verhältnis zu Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL ergibt sich kein Wertungswiderspruch durch die strengere Beweislastregel: Im Vergleich zur Ausübung der in ABRL und EZRL vorgesehenen Rechte, ist der Interessenkonflikt in der Whistleblowingkonstellation besonders drastisch. Der Schutz des Hinweisgebers ist zur Realisierung des Kernanliegens der WBRL von zentraler Bedeutung. Folglich erscheint eine strengere Beweislastumkehr ohne vorgeschaltete erste Stufe ein geeignetes Mittel, im Prozess den besonders gefährdeten Hinweisgeber zu schützen.377 Die Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers erscheint demgegenüber weniger gewichtig. Ohnehin gilt für Unionsakte in ständiger Rechtsprechung des EuGH ein besonderer Maßstab der Verhältnismäßigkeit: Der Rechtsakt ist wegen des Ermessens des Unionsgesetzgebers nur dann unverhältnismäßig, wenn er zur Erreichung seines Ziels offensichtlich ungeeignet ist.378 Dies ist bei der Beweislastregel des Art. 21 Abs. 5 WBRL nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich bei der Beweislastumkehr um eine greifbare Willensentscheidung und damit Risikobewertung des Unionsgesetzgebers, dass die Unsicherheit bei der Frage, ob es sich bei einem Verhalten im Zusammenhang mit der Stellung als Hinweisgeber um eine verbotene Repressalie handelt, letztlich zulasten der den Hinweisgeber benachteiligenden Stelle gehen soll. Dies gilt auch für das Risiko, aufgrund von anderweitig zu löschenden Daten in Erklärungsnot für eine Maßnahme zu geraten und für die Schwierigkeiten, nachzuweisen, dass die Hinweisgeberstellung die Entscheidung über die belastende Maßnahme nicht beeinflusst hat. Per se unmöglich ist die Erbringung dieses Nachweises nicht. 2. Konsequenzen der Beweislastumkehr für Kündigungen Damit würde sich die Regelung zur Umsetzung des Art. 21 Abs. 5 WBRL in die Reihe der besonderen Beweisvorgaben außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes einreihen. Das Verbot von Repressalien erfasst Kündigungen nur als eine der vielen denkbaren Sanktionen gegen den Hinweisgeber. Obwohl im Unterschied zu den Regelungen aus ABRL und EZRL in Art. 21 WBRL gerade keine vorgeschaltete Begründungspflicht vorgesehen ist, wird teilweise in der Beweislastumkehr die Gefahr der Entstehung einer ebensolchen Pflicht gesehen: Es stelle sich die Frage, ob dies zu einer Begründungspflicht von Maßnahmen führe, die bislang in der Regel

377 Eine Beweiserleichterung zu diesem Zweck für ausreichend hält Feldner, Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel, S. 293 f. 378 EuGH, Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C: 2002:74, EuR 2003, 80, 90 (Rn. 123); EuGH, Urt. v. 12. 11. 1996 – Rs. C-84/94 (Vereinigtes Königreich/Rat), ECLI:EU:C:1996:431, NZA 1997, 23, 27 (Rn. 57).

280

4. Kap.: Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Beweiserleichterungen

keiner besonderen Rechtfertigung bedurft hätten, wie zum Beispiel einer Probezeitkündigung.379 Die Reibungen der Beweislastregel des Art. 21 Abs. 5 WBRL mit den Grundsätzen der „begründungslosen“ Probezeitkündigung im deutschen Recht sind nicht gravierend. Zum einen greift das Maßregelungsverbot auch in der Probezeit, und auch hier kann und muss der Arbeitgeber, bei Anwendung der oben dargestellten Beweiserleichterungen, zu seinen Beweggründen im Prozess vortragen. Darüber hinaus ist die Annahme eines Wertungswiderspruchs zum deutschen Recht bei Probezeitkündigungen verfehlt. Denn dies impliziert, dass sich die unionsrechtliche Regelung des Art. 21 Abs. 5 WBRL überhaupt mit der deutschen Kategorie der Kündigungsgründe befasst. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr kann sich der nach Art. 21 Abs. 5 WBRL beweisbelastete auf jegliche legitimen Gründe für die Maßnahme stützen, solange er nachweist, dass die Meldung oder Offenlegung das Handeln nicht mitbeeinflusst hat. Es bedarf daher auch nach Umsetzung der WBRL keines Kündigungsgrundes bei Probezeitkündigungen, sondern nur des Nachweises, dass die nicht Meldung oder Offenlegung, sondern ausschließlich andere Gründe ausschlaggebend für die Maßnahme waren. 3. Umsetzungsbedarf Art. 21 Abs. 5 WBRL ist strenger und für den Arbeitgeber potenziell einschneidender als der bisherige Repressalienschutz im deutschen Recht. Innerhalb der drei untersuchten Richtlinien ist Art. 21 Abs. 5 WBRL mit Abstand die weitestgehende Beweiserleichterung. Sie löst Umsetzungsbedarf im deutschen Recht aus.380 Insbesondere ist festzuhalten, dass Art. 21 Abs. 5 WBRL in der Rechtsfolge den oben diskutierten Beweislastregelungen entspricht, aber einen weiteren persönlichen Anwendungsbereich und abweichende Voraussetzungen aufweist. Eine richtlinienkonforme Auslegung oder eine Berufung auf richterrechtliche Beweiserleichterungen zu dem nach geltendem Recht bestehenden Hinweisgeberschutz kommt schon aufgrund der Komplexität der Materie nicht in Betracht,381 wenngleich im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzrechts durch die bestehende Beweislast des Arbeitgebers für Kündigungsgründe der Umsetzungsbedarf innerhalb des Geltungsbereichs der Beweislast des Arbeitgebers für Kündigungsgründe hinsichtlich Art. 21. Abs. 5 WBRL zumindest relativiert wird.382 Insoweit gilt, dass der Maßregelungsschutz für Hinweisgeber im Vergleich zum gegenwärtigen Recht besonders außerhalb des KSchG besondere Bedeutung entfalten wird. Darüber hinaus bestehen aber inhaltliche Unterschiede zwischen dem Maßregelungsverbot im deutschen 379 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 430; Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 573; Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850; Stuke/Fehr, BB 2021, 2740, 2743. 380 So stellvertretend Johnson, CCZ 2019, 66, 69. 381 Ähnlich Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 122. 382 Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20.

C. Beweiserleichterung für Hinweisgeber

281

Recht und dem Schutz für Hinweisgeber nach Art. 21 WBRL, der auch von den Regelungen in ABRL und EZRL abweicht, was bei der Umsetzung der WBRL ins deutsche Recht berücksichtigt werden muss.

5. Kapitel

Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht A. Reibungen durch die Begründungspflicht Die Begründungspflicht erlaubt es dem Arbeitnehmer im vorprozessualen Stadium Rechtfertigungsdruck auf den Arbeitgeber auszuüben. Dieser Ansatz tangiert verschiedene systematische und praktische Fragestellungen.

I. Kein Wertungswiderspruch zum Diskriminierungsrecht Weder in der Rechtsprechung des EuGH, noch in den Diskriminierungsrichtlinien, die als Vorbild für die zweistufigen Beweiserleichterungen herangezogen wurden, besteht eine vergleichbare vorprozessuale Begründungspflicht.1 Der EuGH hat einen vorprozessualen Aufklärungsanspruch des Arbeitnehmers für Art. 10 RL 2000/78/EU explizit abgelehnt, aber gleichzeitig die Nichterteilung einer Auskunft als „Indiz“ für eine Diskriminierung zugelassen.2 Daraus wird zum Teil gefolgert, dass die Begründungspflicht in Art. 18 Abs. 2 ABRL in Konflikt mit dem Diskriminierungsrecht trete.3 1. Aufklärungspflichten im Diskriminierungsrecht Teilweise wird ein Aufklärungsanspruch im Diskriminierungsrecht mit der Argumentation befürwortet, dass insbesondere in der Bewerbungssituation eine signifikante Beweisnot des Klägers bestehe, die zu „Klagen ins Blaue“ verleite.4 Besonders für etwaige Ansprüche außenstehender Bewerber sei die (gesetzgeberische) Einführung eines Auskunftsanspruchs die einzige Möglichkeit, eine effektive 1

Dazu schon Kapitel 4, A.II.1. EuGH, Urt. v. 19. 04. 2012 – Rs. C-415/10 (Meister), ECLI:EU:C:2012:217, NZA 2012, 493, 494 (Rn. 46); EuGH, Urt. v. 21. 07. 2011 – Rs. C-104/10 (Kelly), ECLI:EU:C:2011:506, BeckRS 2011, 81408, Rn. 38. 3 Picker, ZEuP 2020, 305, 320 f.; Kolbe, EuZA 2020, 35, 43. 4 Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 40; Hanau, FS Gnade, 351, 362. 2

A. Reibungen durch die Begründungspflicht

283

Geltung des Gleichbehandlungspostulats herbeizuführen.5 Auch wird eingewandt, dass die Berücksichtigung der Nichtbeantwortung einer Anfrage als „Indiz“ nur dann folgerichtig sei, wenn ein Anspruch bestehe – denn ansonsten handele der Arbeitgeber im Rahmen der zulässigen Ausübung seiner Rechte.6 Ein anderes Verständnis würde einen faktischen Aufklärungsanspruch bewirken. Die Probleme eines Auskunftsanspruchs im Diskriminierungsrecht werden deutlich, wenn man bedenkt, dass die Ansprüche eben nicht nur das laufende Arbeitsverhältnis betreffen, sondern auch von Außenstehenden geltend gemacht werden können: Der Arbeitgeber wäre ansonsten verpflichtet, gegenüber einer Vielzahl von Bewerbern, ohne dass diese konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten vorbringen müssten, die Gründe für seine Einstellungsentscheidung zu offenbaren.7 Dieses Argument wurde jedoch bereits in einem Entwurf der Union und im Schrifttum rezipiert: Eine inhaltliche und personale Begrenzung des Auskunftsanspruchs würde den Bedenken einer ausufernden Auskunftspflicht und dem Interesse unbeteiligter Bewerber an Daten- und Persönlichkeitsrecht hinreichend Rechnung tragen.8 Festzuhalten ist jedoch, dass sich der deutsche Gesetzgeber gegen eine solche Aufklärungspflicht im Bereich des AGG entschieden hat. 2. Abweichende Interessenlage Für Kolbe tritt die Begründungspflicht grundsätzlich in einen Wertungswiderspruch zum unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz, der keinen allgemeinen Auskunftsanspruch des vermeintlichen Opfers kenne, sondern für die Beweiserleichterung stets inkriminierende Indizien verlange.9 Die Situation des Diskriminierten sei qualitativ mit der des gemaßregelten Arbeitnehmers vergleichbar, da insbesondere der diskriminierte Stellenbewerber die Gründe für seine Ablehnung nicht erfahre.10 Insofern sei der Schutz für vermeintlich gemaßregelte Arbeitnehmer strenger als der für (an sich noch schutzwürdigere) Opfer von Diskriminierung, weswegen die Regelung systematisch unstimmig sei. Es lässt sich zwar nicht bestreiten, dass die Begründungspflicht nicht durch Indizien bedingt ist. Wie Kolbe selbst argumentiert, ist aber die Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL am Diskriminierungsrecht orientiert.11 Deren praktische Re5

Hanau, FS Gnade, 351, 361 f. Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 662. 7 Grobys, NZA 2006, 898, 903. 8 Hanau, FS Gnade, 351, 362; Däubler/Beck/Beck, AGG, § 22 Rn. 40. 9 Kolbe, EuZA 2020, 35, 43; so auch Picker, ZEuP 2020, 305, 320. 10 So die Ansicht des Verfassers Picker bei Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 72; Picker, ZEuP 2020, 305, 320 f. 11 Kolbe, EuZA 2020, 35, 42. 6

284

5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

levanz zweifelt er an, weil der Arbeitnehmer keine tatsächlichen Anhaltspunkte haben werde, die dafür sprächen, dass er gekündigt worden sei, weil er etwa Informationsansprüche geltend gemacht habe.12 Diese Argumentation scheint widersprüchlich, soweit man davon ausgeht, dass diese Interessenlage gerade die Einführung einer Begründungspflicht rechtfertigt: In der Maßregelungssituation hat der Arbeitnehmer dann wenigstens die Begründung als Basis einer Tatsachenargumentation – dies ist Grundvoraussetzung, um die Rechtsfolgen des Art. 18 Abs. 3 ABRL überhaupt auslösen zu können.13 Der Regelungsansatz der ABRL weicht in diesem Punkt vom Diskriminierungsschutzrecht ab, knüpft aber an eine abweichende Interessen- und Umstandslage an und ist deshalb nicht widersprüchlich oder unsystematisch.14 Selbst bei dem Diskriminierungsvorwurf eines außenstehenden Bewerbers hat dieser zumindest die Stellenanzeige, um seinen Vorwurf zu untermauern – ein vergleichbarer Anknüpfungspunkt fehlt regelmäßig in Maßregelungsfällen.15 3. Kritische Würdigung Die Situation der Maßregelung für die Wahrnehmung von Rechten aus ABRL oder EZRL setzt eine bestehende Rechtsbeziehung zwischen den Parteien voraus. Insofern bestünde keine Gefahr einer unüberschaubaren Vielzahl von Anspruchstellern, aber auch kein Bedürfnis dafür, die Auskunftspflicht zu begrenzen. Damit ist ein Teil der Frage, ob die Begründungspflicht in Art. 18 Abs. 2 ABRL und Art. 12 Abs. 2 EZRL einen Wertungswiderspruch zu den Diskriminierungsrichtlinien auslöst, bereits beantwortet. Diskriminierungsschutz im engeren Sinne erfasst einen größeren Personenkreis. Daher erscheint die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, eine solche Pflicht bei einer personell auf eine überschaubare Anzahl beschwerter Personen begrenzten Norm vorzusehen, noch nicht widersprüchlich. Auch die ansonsten bestehende Parallelität der Beweislastregelung zu den Diskriminierungsrichtlinien und der Ursprung aus der Rechtsprechung des EuGH lassen dies in keinem anderen Licht erscheinen. Zuzugestehen ist, dass diskriminierte Arbeitnehmer nicht weniger schutzwürdig sind und dass von außen häufig keine Kenntnisnahme der Gründe der Benachteiligung möglich ist.16 Daraus lässt sich jedoch kein Wertungswiderspruch ableiten. Schon dadurch, dass bei Diskriminierung im engeren Sinne ein zumindest abstrakter Vergleichsbezug zu Nicht-Merkmalsträgern gegeben sein muss, fällt es dem Opfer von Diskriminierung nicht genauso schwer, Indizien vorzutragen, als demjenigen, 12

Kolbe, EuZA 2020, 35, 42. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416; so auch die Ansicht des Verfassers Rathmann bei Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 72. 14 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 15 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 16 So die Ansicht des Verfassers Picker bei Picker/Rathmann, RdA 2022, 61, 72. 13

A. Reibungen durch die Begründungspflicht

285

der aufgrund einer einmaligen Rechtswahrnehmung entlassen wird. Dies liegt daran, dass das Opfer von Diskriminierung zumindest ein verpöntes Merkmal, das in seiner Person verwirklicht ist, in den Kontext einer arbeitgeberseitigen Maßnahme setzen kann. Viktimisierung für Rechtswahrnehmung betrifft ein Verhalten im beruflichen Kontext und keine Eigenschaft der Person.17 Die Indizienlage ist bei Viktimisierung daher zwangsläufig weniger günstig als bei Diskriminierung im engeren Sinne. Darüber hinaus ist mit einem angeblichen Wertungswiderspruch zwischen Diskriminierungs- und Viktimisierungsschutz das Argument der Operabilitätssicherung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL noch nicht widerlegt.

II. Kein unauflösbarer Konflikt mit Lastenverteilung im deutschen Recht In Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL ist erstmalig ein Begründungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bei Maßregelungsverdacht im vorprozessualen Stadium vorgesehen.18 Bislang sind vorprozessuale Begründungspflichten die Ausnahme und nicht die Regel.19 Eher schon kann der Arbeitgeber gehalten sein, den Arbeitnehmer aus Rücksichtnahme vor einer belastenden Maßnahme anzuhören, wenn unklar ist, ob dem Arbeitnehmer ein geltend gemachtes Recht tatsächlich zusteht.20 Von einer Angabe von Gründen im Kündigungsschreiben wird Arbeitgebern regelmäßig abgeraten.21 Daher erzeugt die Regelung im deutschen Recht und im Verhältnis zur gängigen Praxis Spannungen.22 1. Kritik am Regelungsansatz Kolbe sieht einen Konflikt zur Beweisverteilung im Kündigungsschutzrecht vor allem darin, dass der Arbeitgeber – im Unterschied zur eigentlich im Prozess geltenden Beweisverteilung – dazu verpflichtet werde, Unwirksamkeitsgründe auszuräumen.23 In Einzelfällen anerkannte Begründungspflichten änderten daran nichts – deren Verallgemeinerung erzeuge einen Wertungswiderspruch. Ähnlich äußert sich Picker, der auch darauf hinweist, dass gerade die Begründungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer bzw. dem Betriebsrat im Kündigungsschutzrecht nur in einer begrenzten Zahl von gesetzlich geregelten Sonderfällen 17

Zur Abgrenzung schon Kapitel 1, C.I. und II. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 19 Kolbe, EuZA 2020, 35, 42 f.; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1165; Picker, ZEuP 2020, 305, 320; Kreßel, ZfA 2021, 312, 337. 20 ErfK/Preis, BGB, § 612a Rn. 5; KR/Treber/Schlünder, BGB, § 612a Rn. 13. 21 Domke/Deniz, DB 2016, 297, 298. 22 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18, Rn. 2; Kolbe, EuZA 2020, 35, 43. 23 Kolbe, EuZA 2020, 35, 43. 18

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

(§ 622 Abs. 2 S. 3 BGB, § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sowie § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG) vorgesehen sei.24 Entsprechend müsse im Kündigungsrechtsstreit der Arbeitnehmer rechtsvernichtende Einwendungen gegen die Kündigung darlegen und gegebenenfalls beweisen. Diese gerechte Verteilung der prozessualen Darlegungs- und Beweislastverteilung im Kündigungsrechtsstreit werde durch die neu eingeführte vorprozessuale Begründungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 18 Abs. 2 ABRL konterkariert.25 Kreßel hält die Regelung, wenn keine Eingrenzung des Tatbestands durch Erhöhung der Anforderungen an den Arbeitnehmervortrag zur Auslösung der Begründungspflicht erfolgt,26 für einen gravierenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die nationale Rechtsordnung, der weder erforderlich noch angemessen sei, da der Schutz des Arbeitnehmers bereits ausreichend sichergestellt sei.27 Die Analyse von Preis/Morgenbrodt rückt demgegenüber den Begründungsanspruch in ein positiveres Licht. Den Ausnahmecharakter und die Reibungen zu geltenden Grundsätzen zur Kenntnis nehmend, verweisen sie darauf, dass Widersprüche zur geltenden Praxis im deutschen Recht hinzunehmen seien, um die zweistufige Beweiserleichterung in Art. 18 Abs. 3 ABRL überhaupt operabel zu machen.28 Der Arbeitnehmer sei auf die Offenlegung der unternehmerischen Entscheidung angewiesen, um die – im Ergebnis günstige – Beweiserleichterung auslösen zu können, weil außer der Begründung wenig Anhaltspunkte für einen ersten Vortrag bestünden. Insofern sei die Ausweitung der vorprozessualen Begründungspflicht zur Bewältigung der prozessualen Beweisnot erforderlich und die Regelung in Art. 18 Abs. 2 ABRL in der Gesamtschau stimmig. 2. Grenzen der Begründungsfreiheit Der Grundsatz der Begründungsfreiheit wird im deutschen Recht bereits verschiedentlich durchbrochen. Stellenweise wird auch eine allgemeine Begründungspflicht im prozessualen und vorprozessualen Kontext für möglich gehalten. a) Aufklärungspflichten im Zivilprozess Die Pflicht zur Begründung von Kündigungen löst zunächst Reibungen im Verhältnis zur Debatte um die Zulässigkeit von Aufklärungspflichten der nicht-beweisbelasteten Partei aus.29 Einige Stimmen im Schrifttum befürworten eine allge24

Picker, ZEuP 2020, 305, 320. Kritisch auch May, BB 2022, 2232, 2234. 26 Dazu schon Kapitel 4, B.I.2.b). 27 Kreßel, ZfA 2021, 312, 337. 28 Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 416. 29 Vgl. Kolbe, EuZA 2020, 35, 43.

25

A. Reibungen durch die Begründungspflicht

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meine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht risikobelasteten Partei.30 Sie ergebe sich aus analoger Anwendung des § 138 ZPO und diene vor allem in Fällen, in denen die risikobelastete Partei keinen Zugang zum Prozess- und Beweismaterial habe, der Wahrheitsfindung und Rechtsdurchsetzung.31 Dagegen wird vor allem vorgebracht, dass es an einer Grundlage für die Analogiebildung fehle.32 Ferner träte eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht in Widerspruch zum Nemo-tenetur-Grundsatz und wird deshalb abgelehnt.33 Dies gilt auch im Arbeitsrecht.34 In der Prozesssituation ist der Arbeitgeber danach im Grundsatz nicht verpflichtet, die Unwirksamkeitsgründe, die der Arbeitnehmer vorbringen will, durch Tatsachenvorbringung zu untermauern, weil er nicht darlegungs- und beweisverpflichtet ist.35 Dass der Arbeitgeber von sich aus keine Kündigungsgründe offenbaren muss,36 beruht damit auf der allgemeinen Wertung, dass niemand gezwungen werden soll, gegen seine eigenen Interessen zu handeln. Darüber hinaus kann die Rechtsprechung im Einzelfall auf andere Rechtsinstitute, wie die sekundäre Darlegungslast zurückgreifen.37 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich insbesondere die Rechtsprechung nahezu einhellig gegen eine solche Aufklärungspflicht ausgesprochen hat.38 Vereinzelt bedient sich die Rechtsprechung auch allgemeiner Formulierungen, nach denen jede Partei in zumutbarer Weise dazu beizutragen habe, dass der Prozessgegner in die Lage versetzt werde, sich zur Sache zu erklären und den ggf. erforderlichen Beweis anzutreten.39 Dies wird im Schrifttum zum Teil zum Anlass genommen, eine Trendwende in der Rechtsprechung festzustellen oder zumindest zu prognostizieren.40

30

Grundlegend Stürner, Aufklärungspflicht, S. 85 ff.; zustimmend Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 11; Katzenmeier, JZ 2002, 533, 538 ff.; Schlosser, JZ 1991, 599, 607 ff. 31 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 11. 32 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 133; in diesem Sinne auch BeckOK-ZPO/v. Selle, ZPO, § 138 Rn. 4. 33 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 110 Rn. 9; vgl. Anders/Gehle/Anders, ZPO, § 138 Rn. 8. 34 Preis, NZA 1997, 1256, 1269. 35 Preis, NZA 1997, 1256, 1269. 36 MüHB-ArbR/Greiner, § 110 Rn. 36. 37 Koller, TranspR 2014, 316, 318; vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 10a. 38 St. Rspr., stellvertretend BAG, Urt. v. 20. 11. 2003 – 8 AZR 580/02, 2004, 2848 (2851); BGH, Urt. v. 26. 10. 2006 – III ZB 2/06, NJW 2007, 155, 156 (Rn. 7); BGH, Urt. v. 12. 11. 1991 – KZR 18/90, NJW 1992, 1817, 1818 = BGHZ 116, 47. 39 BGH, Urt. v. 15. 10. 2002 – X ZR 132/01, NJOZ 2003, 141. 142; bestätigt in BGH, Urt. v. 14. 11. 2006 – X ZR 34/05, NJW-RR 2007, 488, 489 (Rn. 9) = BGHZ 169, 377. 40 Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 34d.

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

b) Vorprozessuale Aufklärungspflichten Gegen die Ablehnung einer prozessualen Aufklärungspflicht wird allerdings eingewandt, dass die Probleme in der Sache nur auf andere Rechtsbereiche und Rechtsinstitute (wie eine weitgehende Anerkennung materiellrechtlicher Aufklärungspflichten und der Anwendung der Grundsätze der Beweisvereitelung) verschoben würden.41 Auch die ausufernde Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast zeige, dass es an der Zeit für einen Paradigmenwechsel beim RegelAusnahme-Verhältnis bei vorprozessualen Mitwirkungspflichten sei.42 Weiterhin weist Stadler darauf hin, dass die fortschreitende Entwicklung des europäischen Wirtschaftsrechts ohnehin zu einer Ausdehnung von Auskunfts- und Rechenschaftspflichten führt.43 Darüber würden die Mitwirkungspflichten der Parteien in Teilgebieten des europäischen Wirtschaftsrechts (etwa im Kartell- und Immaterialgüterrecht) ohnehin stetig ausgeweitet, obwohl der deutsche Gesetzgeber diese nur punktuell umsetze.44 Zwar wird ein Anhaltspunkt für eine andere Haltung des deutschen Gesetzgebers zum Teil in § 142 ZPO, der die Pflicht zur Urkundenvorlage ausdehnt, gesehen.45 Das Problem an dieser Vorschrift ist, dass sie eine prozessuale Mitwirkungspflicht ohne Grundlage im materiellen Recht statuiert und auch dann greift, wenn sich eine Urkunde bei einer nicht beweisbelasteten Person befindet.46 Sie statuiert allerdings keine allgemeine Aufklärungspflicht, sodass ihr Aussagegehalt für die Zwecke der Diskussion begrenzt ist.47 Im anglo-amerikanischen Rechtsraum sind umfassende vorprozessuale Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten in einem festgelegten Rechtsrahmen (pre-trial discovery) vorgesehen.48 Ob daraus ein Argument für oder gegen eine allgemeine vorprozessuale Aufklärungspflicht gezogen werden kann, erscheint allerdings zweifelhaft. So bestehen im Rahmen der vorprozessualen Sachverhaltsermittlung gleichermaßen, wenn nicht sogar im höheren Maße Risiken des Missbrauchs.49 Darüber hinaus tritt die Anerkennung einer allgemeinen vorprozessualen Aufklärungspflicht auch in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass im deutschen Zivilrecht die Darlegungs- und Beweislast gesetzlich festgelegt ist – daher wäre dies zwangsläufig mit Rechtsunsicherheit verbunden.50 Die Festlegung der objektiven

41

Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 11. Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 34d. 43 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 11. 44 Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138 Rn. 11. 45 Waterstraat, ZZP 2005, 459, 482. 46 HdB-Beweislast/Prütting, Bd. 1, Teil 3, Kapitel 21 Rn. 19 f. 47 HdB-Beweislast/Prütting, Bd. 1, Teil 3, Kapitel 21 Rn. 19 f.; vgl. zudem BGH, Urt. v. 26. 10. 2006 – III ZB 2/06, NJW 2007, 155, 156 (Rn. 7). 48 Dazu m. w. N. Nagel/Gottwald/Gottwald, Rn. 10.22 ff. 49 HdB-Beweislast/Prütting, Bd. 1, Teil 3, Kapitel 21 Rn. 16. 50 HdB-Beweislast/Prütting, Bd. 1, Teil 3, Kapitel 21 Rn. 17. 42

A. Reibungen durch die Begründungspflicht

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Beweislast und die damit verbundene gesetzgeberische Risikozuweisung werde durch Zuerkennung einer vorprozessualen Aufklärungspflicht ausgehöhlt.51 c) Materiell-rechtliche Auskunftsansprüche Die Frage, ob eine vorprozessuale Aufklärungspflicht anzuerkennen ist, ist mit dem Ausmaß und Umfang materiell-rechtlicher Begründungsansprüche des Arbeitnehmers und korrespondierender Pflichten des Arbeitgebers verknüpft.52 Arbeitnehmern bleiben nach geltendem Recht die unternehmensinternen Erwägungen, die zur Entlassung geführt haben, unbekannt.53 Besonders relevant ist dies bei der ordentlichen Kündigung vor dem Ablauf der Sechs-Monats-Frist in § 1 Abs. 1 KSchG, sowie bei der Probezeitkündigung, die auch ohne einen Kündigungsgrund wirksam ist.54 Im Bereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist anerkannt, dass der Arbeitgeber die Gründe für differenzierendes Verhalten offenlegen muss.55 Ferner kommt nach Rechtsprechung des BAG in der Prozesssituation eine Offenlegungspflicht beim Kündigungsschutz nach § 242 BGB in Betracht, wenn der Arbeitnehmer keine Möglichkeit hat, zur inneren Tatsache der Auswahlentscheidung vorzutragen.56 Es handelt sich hierbei um eine Ausstrahlung des Grundsatzes von Treu und Glauben in der Prozesssituation. Die Aufklärungspflichten dienen der Vermeidung sinnloser Gerichtsverfahren.57 Eine allgemeine Aufklärungspflicht für das Kündigungsmotiv wird aber nur vereinzelt befürwortet.58 Zum Teil wird dem Arbeitnehmer anhand der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB auf Grundlage einer vertraglichen Nebenpflicht ein Anspruch auf Mitteilung der Kündigungsgründe zugestanden.59 Dagegen lässt sich zwar anführen, dass der Gesetzgeber nur in einer begrenzten Zahl von Fällen einen Begründungsanspruch vorge-

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MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 133. Vgl. Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 36. 53 MüHB-ArbR/Wank, § 110 Rn. 36. 54 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 2. 55 BAG, Urt. v. 05. 03. 1980 – 5 AZR 881/78, NJW 1980, 2374, 2375 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urt. v. 09. 09. 1981 – 5 AZR 1182/79, NJW 1982, 461, 461 f. = AP Nr. 117 zu Art. 3 GG. 56 BAG, Urt. v. 19. 01. 1995 – 8 AZR 914/93, NZA 1996, 585, 589. 57 Wilken, Maßregelungsverbot, S. 177; darüber hinausgehend wird sogar die Frage aufgeworfen, warum es keinen generellen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch gebe: Gottwald, FS Prütting 2018, 297, 304. 58 Otto, FS Wiese, 353, 372 f. 59 APS/Preis, 1. Teil, lit. D. Rn. 26; MAH-ArbR/Ulrich, § 43 Rn. 97; APS/Vossen, KSchG § 1 Rn. 116; KR/Rachor, KSchG, § 1 Rn. 251. 52

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

sehen hat.60 Andererseits handelt es sich bei der Annahme einer solchen Nebenpflicht, die auch zur Vermeidung von potenziell sinnloser Gegenwehr des Arbeitnehmers durch Schaffung einer Einschätzungsmöglichkeit der Prozesschancen dienen kann,61 gerade um eine dem System des BGB immanente Form des Interessenausgleichs im Schuldverhältnis über die §§ 241 Abs. 2, 242 BGB. Grundsätzlich ist ein solcher Anspruch also auch außerhalb der gesetzlich geregelten Mitteilungspflichten auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 626 Abs. 2 S. 3 BGB, bzw. einer vertraglichen Nebenpflicht gegeben.62 Zwar können die Regelungen in § 626 Abs. 2 BGB, insbesondere die Ausschlussfrist, nicht ohne weiteres auf andere Kündigungs- oder Beendigungstatbestände übertragen werden.63 § 626 Abs. 2 S. 3 BGB bildet jedoch die Interessenlage des Begründungsanspruchs auf Grundlage der §§ 242, 241 Abs. 2 BGB vollständig ab und mag insofern zur inhaltlichen Ausfüllung der vertraglichen Nebenpflicht herangezogen werden. 3. Einschätzung der Konsequenzen der Begründungspflicht Der Kommissionsvorschlag beschreibt Art. 18 ABRL als funktionale Gesamtheit, nach der Arbeitnehmer, wenn sie der Ansicht sind, durch die Kündigung gemaßregelt worden zu sein, in den Genuss der Beweiserleichterung kommen sollen.64 Der Zusammenhang von Begründungspflicht und Beweiserleichterung wird bereits aus der Norm selbst deutlich. Der Einschätzung von Preis/Morgenbrodt ist beizupflichten. Die Argumentation mit einem Konflikt zu den bislang geltenden Grundsätzen im Kündigungsrecht bzw. bzgl. vorprozessualer Erklärungspflichten im Allgemeinen ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig ist aber ein Begründungsanspruch kein völliger Fremdkörper im deutschen Recht, wenn er als materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch ausgestaltet wird. Die neue Pflicht wird sich demnach in die Reihe der bislang geltenden gesetzlichen und in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmeregelungen einreihen. Sofern Umsetzungsbedarf besteht, darf der Gesetzgeber zwar keine zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Begründungsanspruch einführen, aber die im Wege der vorzugswürdigen funktionsbezogenen Auslegung der Begründungspflicht bestehenden inhaltlichen Grenzen klarstellend hervorheben. Insbesondere kann der zur Geltendmachung des Begründungsanspruchs notwendige Zusammenhang zur Rechtsausübung in der nationalen Umsetzung betont, und der Inhalt des Begründungsanspruchs unter Berücksichtigung der Anforderungen des deutschen Rechts klarer ausgestaltet werden. Bei Kündigungen in der Probezeit oder im Kleinbetrieb könnte der Gesetzgeber den

60

Schaub/Linck, § 123 Rn. 58. Vgl. APS/Preis, 1. Teil, lit. D. Rn. 26. 62 APS/Preis, 1. Teil, lit. D. Rn. 26. 63 ErfK/Niemann, BGB, § 626 Rn. 203 f. 64 Kommission, Vorschlag v. 21. 12. 2017, COM(2017) 797 final, S. 18. 61

A. Reibungen durch die Begründungspflicht

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Arbeitgeber etwa zu einer schriftlichen Erklärung derjenigen Motive verpflichten, die ihn zur Kündigung bewogen haben. Die Regelung in Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL ist nicht unverhältnismäßig. Auch im Unionsrecht gilt ein Rechtsmissbrauchsverbot.65 Bei einer vollständigen Umsetzung in Deutschland verbleiben zum Schutz des Arbeitgebers die §§ 242, 226 BGB. Danach stellt es Rechtsmissbrauch im engeren Sinne dar, wenn der Beanspruchung eines Rechts kein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt und diese somit nur den Zweck haben kann, der Gegenseite zu schaden.66 Sowohl auf nationaler als auch auf Unionsebene sind rechtsmissbräuchliche Begründungsanfragen ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer darf den Begründungsanspruch nicht ohne einen hinreichenden Anlass „aufs Blaue“ gegen den Arbeitgeber geltend machen. Dass der Schutz des Arbeitnehmers nicht ausreichend gesichert ist, folgt bereits aus dem ohne weiteres kaum überwindbaren Informationsgefälle. Insofern lässt sich eine Wertung aus dem Recht des Ausforschungsbeweises übertragen: Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis kann eben nicht schon dann angenommen werden, wenn eine Partei sich auf eine Tatsache beruft, deren Kenntnis für sie unmöglich ist.67 So liegt der Fall bei Viktimisierung. Darum führt auch der Verweis auf eine (absolute) Selbstbelastungsfreiheit nicht weiter, zumal der Arbeitgeber aus rein pragmatischen Gründen wohl kaum einfach eine Maßregelung oder anderweitige rechtswidrige Motivation zugeben wird. Darüber hinaus besteht in der Anwendungssituation der Begründungspflicht – der Aussprache einer Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung – ohnehin aufgrund des Einschnitts in die Vertragsbeziehung und in den meisten Fällen in den Lebensunterhalt des Arbeitnehmers hohes Konfliktpotenzial. Der Ausspruch von Kündigungen ist zwar Arbeitgeberalltag. Allerdings ist die Vorstellung, dass die Regelung zu einer übermäßigen Belastung der Arbeitgeber führt, schon deshalb unzutreffend, weil der Arbeitgeber in solchen Situationen mit Gegenwehr rechnen kann und muss. Dies gilt auch in Kleinbetrieben. In größeren Unternehmen wird die Rechtsgrundlage für den Ausspruch einer Kündigung in der Praxis häufig mit Rechts- und Personalabteilung und ggf. sogar externen Rechtsberatern abgestimmt. Eine Offenlegungspflicht stellt daher keine übermäßige Belastung dar.

65 Statt vieler grundlegend EuGH, Urt. v. 05. 07. 2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), ECLI:EU: C:2007:408, EuZW 2007, 641, 642 (Rn. 38); bestätigt in EuGH, Urt. v. 28. 01. 2016 – Rs. C50/14 (CASTA), ECLI:EU:C:2016:56, EuZW 2016, 299, 303 (Rn. 65); zur Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots im Unionsarbeitsrecht m. w. N. Kamanabrou, EuZA 2018, 18, 19 ff. 66 MüKo/Schubert, BGB, § 242 Rn. 240; Jauernig/Mansel, BGB, § 242 Rn. 38. 67 BGH, Urt. v. 10. 01. 1995 – VI ZR 31/94, NJW 1995, 1160, 1161; BGH, Beschl. v. 21. 04. 2015 – II ZR 126/14, BeckRS 2015, 10923 (Rn. 17); siehe auch Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 Rn. 8d m. w. N.

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

III. Zwischenfazit Die vorprozessuale Aufklärung hat nur auf Anfrage des Arbeitnehmers zu erfolgen, sodass auch nach der ABRL keine Pflicht für den Arbeitgeber besteht „von sich aus“68 vorprozessual zu informieren. Die Richtlinie schafft damit für die Beweislastverteilung im deutschen Recht keine unauflösbaren Wertungswidersprüche, sondern schafft nur eine weitere, wenngleich potenziell weitreichende Ausnahme von den weiterhin geltenden Grundsätzen. Unverhältnismäßig ist die Regelung nicht. Allgemein lässt sich auch festhalten, dass das Unionsrecht für bestimmte Bereiche bereits umfangreiche Mitwirkungspflichten der Gegenseite vorsieht, die der deutsche Gesetzgeber auch sektorspezifisch umgesetzt hat.69

B. Zweistufige Beweiserleichterung I. Ursachen der Widersprüche Da die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL eine Übertragung einer ursprünglich diskriminierungsrechtlichen Beweiserleichterung auf den Viktimisierungsschutz enthalten, lohnt sich eine Betrachtung des § 22 AGG als Blaupause zur Umsetzung des zweistufigen Regelungsansatzes.70 Die Vorschrift ist gesetzgeberisch misslungen.71 Dies verwundert angesichts der schon auf europäischer Ebene erheblich voneinander abweichenden Sprachfassungen der einschlägigen Richtlinienbestimmungen nicht.72 Die Schwierigkeiten bei der Einführung einer zweistufigen Beweiserleichterung bestehen im Wesentlichen in der unklaren Rolle des Beweismaßes, womit die rechtliche Ausgestaltung der „ersten Stufe“ unmittelbar zusammenhängt. Zum anderen ist es problematisch, wenn bei Prozessbeginn noch offen ist und sich erst im Laufe des Verfahrens herauskristallisiert, wer letztlich objektiv beweisbelastet ist. 1. Unstimmigkeiten durch Beweismaßveränderung Der Regelungsansatz in § 22 AGG ist problembehaftet, weil damit eine Beweislastumkehr an eine davon selbstständige Beweisführung mit reduziertem Be68

MüHB-ArbR/Wank, § 110 Rn. 36. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, § 138, Rn. 11. 70 Vgl. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 415. 71 Richardi, NZA 2006, 881, 886; Windel, RdA 2011, 193; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 2; vgl. zudem Bruns, FS Leipold, 1043, 1050; weiterführend zu einer etwaigen Überschreitung des Mindestschutzstandards im Bereich des allgemeinen Zivilrechts Boesche, EuZW 2005, 264, 265. 72 Dazu Stein, NZA 2016, 849, 851. 69

B. Zweistufige Beweiserleichterung

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weismaß auf erster Stufe geknüpft wird, was eine bis zur Einführung des § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. systemfremde Regelungstechnik darstellt.73 a) Unterschiedliche Beweismaße für denselben Umstand Der Beklagte muss den vollen Beweis dafür erbringen, dass keine Diskriminierung vorliegt.74 Bezüglich desselben Tatbestandsmerkmals gelten damit unterschiedliche Beweismaße. Dies ist nicht zuletzt deshalb problematisch, weil Beweiserhebung und Würdigung in der Praxis nicht selten in einem Akt zusammenfallen.75 Dass der Richter bezüglich ein und derselben Tatsache in einem „Verlauf“ der Prüfung zwischen zwei verschiedenen Überzeugungsgraden unterscheiden muss, bewirkt praktische Schwierigkeiten.76 Dies gilt insbesondere, weil nach dem BAG bereits auf der ersten Stufe eine „Gesamtwürdigung“ der Umstände durchzuführen ist. Zwar wird die Möglichkeit einer „Gegenglaubhaftmachung“ des Beklagten verneint – bei einer Gesamtwürdigung des Prozessstoffs findet ein Ausschluss von Gegenvorbringen aber bereits begrifflich nicht statt. Die Wurzel des Problems ist das – im internationalen Vergleich – hohe Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung: Ist das Beweismaß bereits auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit herabgesetzt, beschreibt die erste Stufe eine Selbstverständlichkeit und stellt eine meist ohnehin bestehende Beibringungspflicht klar.77 Eine Beweismaßmodifikation nach dem Vorbild des § 22 AGG könnte auch Potenzial für Fehlentscheidungen schaffen. In der Verhaltensforschung anerkannt ist die Tendenz, Informationen so auszuwählen und zu bewerten, dass die eigene Überzeugung bestätigt wird („confirmation bias“/Bestätigungstendenz/-fehler).78 Insbesondere werden häufiger ambivalente Sachverhaltselemente als Bestätigung einer einmal gewonnenen Überzeugung gesehen.79 Selbst, wenn also eine zeitlich nachgelagerte Beweiswürdigung bezüglich des Kausalzusammenhangs durchgeführt würde, könnte die Erfüllung der vollen Beweislast durch den Arbeitgeber praktisch erschwert sein. Er muss den Richter nicht nur von einer bereits gewonnenen „überwiegenden Überzeugung“ abbringen, sondern darüber hinaus den vollen Beweis des Gegenteils erbringen, wobei auf beiden Stufen der gesamte Prozessstoff berücksichtigt wird.80

73

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 336 f.; JurisPK-BGB/Overkamp, AGG, § 22 Rn. 2. Dazu Kapitel 2, B.III.3.b). 75 Stein, NZA 2016, 849, 855. 76 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 336 f. 77 Stein, NZA 2016, 849, 851; MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3. 78 Grundlegend Watson, The Quarterly Journal of Experimental Psychology 20 (1968), 273; dazu erläuternd Pohl, Cognitive Illusions, S. 79 ff. 79 Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, S. 178 ff. 80 Dazu Kapitel 2, B.III.3. 74

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

b) Unklare Konsequenzen einer Begrenzung der Beurteilungsgrundlage Notwendig im deutschen Recht ist eine Absenkung der klägerischen Darlegungslast, um die Vorbeurteilung der Kausalität auf der ersten Stufe praktisch durchführbar zu machen. Darüber hinaus löst das zweistufige Regelungsmodell aber Unstimmigkeiten mit den klassischen Kategorien und Abläufen des Zivilprozesses aus. Beweismaß bezeichnet allgemein den Grad der Überzeugung von einer tatsächlichen Behauptung, der dafür erforderlich ist, dass der Richter sie seiner Entscheidung zugrunde legen darf.81 Eine Beweismaßsenkung entfaltet in erster Linie rechtliche Wirkung, wenn die fraglichen Tatsachen beweisbedürftig sind,82 es sich also um „zu beweisende Tatsachen“83 handelt.84 Dies zeigt auch der gesetzlich geregelte Fall der Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO), wo das abgesenkte Beweismaß auch den Gegenbeweis mit umfasst.85 Nach hier vertretener Auffassung gibt das Unionsrecht allerdings vor, dass auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung kein Recht auf das Vorbringen selbstständiger Gegenindizien des Kausalzusammenhangs zwischen Rechtsausübung und Kündigung auf erster Stufe besteht. Für die Hilfstatsachen selbst könnte eine Beweismaßsenkung im deutschen Recht zielführend sein, da der Prozessgegner diese bestreiten kann. Für die Rückschlüsse aus den Indiztatsachen auf den Kausalzusammenhang ist der Vortrag des Arbeitgebers allerdings nicht von Belang, sodass eine Beweismaßsenkung bei einem engen Begriffsverständnis als nicht zielführend eingestuft werden könnte: Wenn Gegenvorbringen nicht zu berücksichtigen ist, ist nicht ersichtlich, gegenüber was die Wahrscheinlichkeit einer Maßregelung überwiegen sollte. Zu klären bleibt damit, welche Erleichterungen zugunsten des Arbeitnehmers auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung außer einer Absenkung der Darlegungslast im Einklang mit den Grundsätzen des deutschen Zivilprozesses geschaffen werden sollten. 2. Flexible Beweislast Dass über die konkrete Beweisführungslast hinaus auch die objektive Beweislast im Laufe des Prozesses auf die andere Partei wechseln kann, ist für sich genommen ungewöhnlich. Zum einen ist die Beweislast im Normalfall feststehender Teil des materiellen Rechts. Wer die objektive Beweislast trägt, muss daher im Regelfall nicht im Vorfeld vom Richter entschieden werden. Auch entfällt ein Vorteil der statisch feststehenden objektiven Beweislast: Die Beweislastverteilung ermöglicht den 81

Saenger/Saenger, ZPO, § 284 Rn. 15; allgemein zum Beweismaß schon Kapitel 2, A.I.2. Dies folgt aus der allgemeinen zivilprozessualen Relationstechnik, statt vieler MüKo/ Prütting, ZPO, § 284 Rn. 9 ff. 83 Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 12. 84 In diesem Sinne auch Musielak/Voit/Foerste, ZPO § 286 Rn. 17: „Grad der richterlichen Erkenntnis, der erreicht sein muss, damit der Beweis gelingt“. 85 Musielak/Voit/Huber, ZPO, § 294 Rn. 2. 82

B. Zweistufige Beweiserleichterung

295

Parteien vor Prozessbeginn eine klarere Einschätzung der Risiken. Diese wird durch eine gesetzliche Beweiserleichterung, bei der nicht klar ist, wer am Ende beweisbelastet ist, unsicherer. Erschwerend hinzu kommt, dass die Auslösung der Beweislastumkehr von einer Vorabprüfung abhängig ist, die ihrerseits auf Grundlage möglicherweise streitiger Tatsachen erfolgt. Inhalt der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ist der gesamte Prozessstoff.86 Damit ist zwangsläufig eine gewisse Aufweichung einer Trennung zwischen zwei Stufen einer Beweiserleichterung verbunden. Eine isolierte Beweiserhebung über die Indiztatsachen ist nicht unmöglich, setzt aber gleichzeitig eine aktivere Rolle des Richters in der Abschichtung des Prozessstoffs entsprechend den Voraussetzungen der Beweiserleichterung voraus. 3. Gesetzliche Vermutung als nur eingeschränkt taugliche Umsetzungsoption Um eine klassische gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO einzuführen, müsste man die Tatsachengrundlage benennen und die Plausibilitätsprüfung regeln, um dann die Rechtsfolge („wird vermutet“) anzuordnen. Ein Zwischenschritt einer Plausibilitätsprüfung ist nicht vorgesehen und die Rechtsfolge der Beweislastumkehr nicht mehr anzuordnen, weshalb schon § 22 AGG keine solche Vermutung ist.87 Eine Umsetzung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL durch eine gesetzliche Vermutung wäre im Ergebnis der Wirkung einer vollständigen Umkehr der objektiven und subjektiven Beweislast vergleichbar. Dies fordern die Richtlinien jedoch nicht.88 Dass der zweistufige Ansatz zu den „konstruktiv kompliziertesten Beweislastregelungen des Arbeitsrechts“89 zählt, würde durch die Einführung einer Art „modifizierter“ Vermutung mit vorgeschalteter Wahrscheinlichkeitsprüfung unterhalb der Regelungsintensität einer vollständigen Beweislastumkehr auch nicht geändert. 4. Bedeutung für die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL Gegenüber den Diskriminierungsrichtlinien beschränken sich die Neuregelungen klar auf den Kausalzusammenhang als Beweisthema. Die Regelung des § 22 AGG ist erheblicher Kritik ausgesetzt. Sie ist dogmatisch nur schwer einzuordnen.90 Die

86

Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 286 Rn. 6. Dazu Kapitel 2, B.III.2.b). 88 Zur Umsetzungsperspektive einer vollständigen Beweislastumkehr sogleich unter II.3. 89 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 334. 90 Exemplarisch MüKo/Thüsing, AGG, § 22 Rn. 3; dazu bereits eingehend Kapitel 2, B.III.2. 87

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Wortwahl des Gesetzgebers trägt nicht zur Rechtsklarheit bei.91 Eine Umsetzung durch schlichten Verweis auf § 22 AGG ist daher denkbar,92 erscheint daher aber wenig befriedigend. Dies gilt umso mehr, weil die sekundärrechtlichen Grundlagen nicht vollständig deckungsgleich sind. Ob das Verständnis der wohl herrschenden Meinung und Rechtsprechung zu § 22 AGG zu den umfangreichen Möglichkeiten der Wiederlegung des Anscheins einer Diskriminierung auf erster Stufe der Beweiserleichterung zu unionsrechtskonformen Ergebnissen für Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL führt, ist zu bezweifeln. Eine den Richtlinienbestimmungen genügende Abschichtung des Risikos besteht insbesondere nicht, weil der Arbeitgeber nach wohl herrschender Auffassung seinen gesamten Gegenvortrag zur Widerlegung der „Vermutung“ vorbringen kann. Darüber hinaus geht der Begründungsanspruch aus Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL über die bloß mittelbare Dokumentationsobliegenheit im deutschen Diskriminierungsrecht hinaus und müsste folglich gesondert geregelt werden. Durch einen schlichten Verweis auf § 22 AGG würde keine Vereinfachung stattfinden, sondern ein weites Einfallstor für Rechtsunsicherheit der Prozessparteien geschaffen.

II. Möglichkeiten zur Ausgestaltung im deutschen Recht Im deutschen Recht kommen mehrere richtlinienkonforme Gestaltungsmöglichkeiten zur Umsetzung in Betracht, die im Folgenden erläutert werden. 1. Vorläufige Überzeugung nach Wahrscheinlichkeitsprüfung Orientiert an der zweistufigen Struktur der Beweiserleichterung bietet eine an § 22 AGG orientierte Beweiserleichterung eigener Art die meisten Vorteile. Hierbei besteht Gelegenheit, die Probleme des § 22 AGG durch Übernahme der unionsrechtlichen Vorgaben zu beheben.

91 Thüsing/Stiebert, EuZW 2012, 464, 465; sowie im Hinblick auf die zeitgleiche Verwendung der Begriffe „Indizien“ und „vermutet“ BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 22 Rn. 5. 92 Dafür Graue, ZESAR 2020, 62, 66; für eine Orientierung an §§ 16, 22 AGG im Gesetzgebungsverfahren zur ABRL etwa auch DGB, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 20. Juni 2022 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts 20/1636 vom 15. 06. 2022, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/899204/4f2e6abaa6846e84d9a1943 c00e2364d/SN-DGB-data.pdf (zuletzt am 30. 06. 2023).

B. Zweistufige Beweiserleichterung

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a) Parallelen zum Anbeweis und zur „vorläufigen Überzeugung“ Sowohl bei der vorläufigen Prüfung nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL als auch beim Indizienbeweis wird aufgrund von Hilfstatsachen auf das Vorliegen einer weiteren Tatsache geschlossen.93 Allerdings unterscheiden sich die Rechtsfolgen grundlegend. Beim Indizienbeweis entfällt die Beweisbedürftigkeit der Haupttatsache, während sich bei den unionsrechtlich vorgegebenen Regelungen erst die Beweislast umkehrt. Dies ergibt angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten der Verteidigung auch Sinn: Beim Indizienbeweis kann sich der Prozessgegner bereits umfassend wehren, bevor die Beweisbedürftigkeit entfällt.94 Dies schließt die Beibringung von Gegenindizien, Gegenvortrag bezüglich der Überzeugungskraft der klägerisch vorgebrachten Indizien und den unmittelbaren Gegenbeweis gegen die zu beweisende Haupttatsache mit ein.95 Diese Möglichkeiten wären bei einer Umsetzung, die Elemente des Indizienbeweises beinhaltet, gerade darauf zu begrenzen, dass der Arbeitgeber nur die Indiztatsachen, die der Arbeitnehmer vorgebracht hat, zu bestreiten. Denn der Indizienbeweis ist keine Beweiserleichterung, sondern eine Notwendigkeit, wenn die indizierte Tatsache nicht unmittelbar bewiesen werden kann. Auch außerhalb der besonderen Beweisführung mittels Glaubhaftmachung ist eine vor der finalen Beweiswürdigung gewonnene Ansicht des Gerichts über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer bestimmten Tatsache jedoch auch in Fällen des unmittelbaren Beweises keine dem deutschen Zivilprozess völlig fremde Kategorie. So betrifft die konkrete Beweisführungslast gerade die Konstellation „in der das Gericht bereits eine vorläufige Überzeugung vom Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache gewonnen hat, einen Beweis antreten muss, um den Prozess zu gewinnen“96. Auch die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen „grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer non-liquet-Situation im Übrigen voraus“.97 Dieser „Anbeweis“ könne sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 Abs. 4 ZPO ergeben.98 Die Situation eines „Anbeweises“ anhand der Parteivernehmung oder des Wortbeitrags aufgrund derer einer gewisse Wahrscheinlichkeit einer Tatsache hergeleitet wird, erfüllt die unionsrechtliche Vorgabe – mit dem Unterschied, 93

Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 211. Dazu Kapitel 2, B.II. 95 HdB-Beweislast/Laumen, Bd. I, Teil 3, Kapitel 18 Rn. 34. 96 MüKo/Prütting, ZPO, § 286 Rn. 106 97 BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, 203 (Rn. 35) = AP Nr. 21 zu § 612a BGB; Hervorhebung ergänzt. 98 Ebenda; siehe zudem BGH, Urt. v. 12. 12. 2019 – III ZR 198/18, NJW 2020, 776, 777 (Rn. 20) m. w. N. 94

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

dass bezüglich des Kausalzusammenhangs etwaiger Gegenvortrag einstweilen dabei außer Acht zu lassen ist. Entsprechendes gilt für eine Parallele zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO. Das reduzierte Beweismaß des § 294 ZPO gilt auch für eine etwaige Gegenglaubhaftmachung.99 Die unionsrechtlich vorgegebene Begrenzung der Möglichkeit des Gegenvortrags müsste also auch bei einem Verweis auf § 294 ZPO durch Verwendung des Begriffs der Glaubhaftmachung besonders geregelt werden. Vor diesem Hintergrund hat der zweistufige Regelungsansatz mit der echten Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO wenig gemein.100 Darüber hinaus mag eine Begrenzung auf präsente Beweismittel dazu geeignet sein, dem Arbeitnehmer zusätzliche Hürden bei der Beweisführung in den Weg zu legen, anstatt ihm zu helfen.101 Allerdings besteht eine oberflächliche Parallele der unionsrechtlich gebotenen Rechtslage zu den Fällen der Glaubhaftmachung, in denen die Möglichkeiten des Gegenvortrags und damit das rechtliche Gehör des Gegners aus einem besonderen Beschleunigungsinteresse begrenzt sind (§ 920 Abs. 2 sowie §§ 935, 936, 920 Abs. 2 ZPO).102 Dies zeigt, dass eine Beweismaßsenkung unabhängig von der Beweisbedürftigkeit einer Tatsache rechtliche Wirkung entfalten kann. b) Reduziertes Beweismaß im Rahmen einer vorläufigen Überzeugung mit beschränkter Tatsachengrundlage Die Neuregelung ließe sich demnach als „Wahrscheinlichkeitsprüfung (vergleichbar mit einer vorläufigen Schlüssigkeitsprüfung“103 ausgestalten, bei der der Richter allein anhand der vom Arbeitnehmer dargelegten und ggf. bewiesenen Tatsachen eine Prüfung der Kausalitätswahrscheinlichkeit vornimmt. Die eigentliche Schlüssigkeitsprüfung hat mit dem geforderten Vorgehen allerdings nur wenig gemeinsam, da einmal die Indizien aufgrund des Gebots der prozessualen Waffengleichheit bestritten werden können müssen, andererseits aber auch der Fokus auf einer Verteilung der Beweislast für ein Tatbestandsmerkmal liegt. Die Regelung wäre, wie schon § 22 AGG,104 in einzelnen Regelungselementen mit dem Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises vergleichbar, nur dass kein Erfahrungssatz bestehen muss. Vielmehr genügt ein hinreichendes Indizienvorbringen im Einzelfall, um einen „Anschein“ einer Kausalitätsbeziehung im Sinne einer vorläufigen Wahrscheinlichkeitsbeurteilung darzulegen. Eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung hat keinen zwingenden Bezug zum Beweismaß, da dieses zentral das „Fürwahr-halten“ des Richters betrifft und nicht ein Wahrscheinlichkeitsurteil im ei99

MüKo/Prütting, ZPO, § 294 Rn. 23; Zöller/Greger, ZPO, § 294 Rn. 2. So schon zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB a. F. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 101 Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 336. 102 MüKo/Prütting, ZPO, § 294 Rn. 12. 103 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 104 Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG, S. 211. 100

B. Zweistufige Beweiserleichterung

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gentlichen Sinne.105 Dies lässt sich zwar übertragen. Der Richter muss jedoch naturgemäß keine „volle vorläufige Überzeugung“ erlangen. Unter Berücksichtigung der Intention des Unionsgesetzgebers, gilt es, eine Vorab-Entscheidung über die Verteilung der Beweislast zu ermöglichen. Entsprechend dem Beweismaß im engeren Sinne, also dem erforderlichen Grad der Überzeugung für eine beweisbedürftige Tatsache, lässt sich daher für die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung auf erster Stufe durchaus sagen, dass der Richter im Sinne einer Beweismaßsenkung nicht „voll“ überzeugt sein muss und dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt. Dies scheint im Wesentlichen dem Standpunkt von Prütting zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a. F. zu entsprechen, der einerseits betont, dass es sich bei der Regelung um eine zeitlich abgestufte Beweisverteilung mit einer Beweismaßsenkung auf der ersten Stufe gehandelt habe,106 aber auch ausschließt, dass der Arbeitgeber zum Vorbingen der gesamten Gegengründe auf erster Stufe berechtigt sei.107 Wenn der Arbeitnehmer aufgrund der vorgebrachten Indizien es nicht schafft, den Richter vorläufig davon zu überzeugen, dass eine Maßregelung eher wahrscheinlich (mit anderen Worten: überwiegend wahrscheinlich) ist, erscheint die Rechtsfolge der Beweislastumkehr nicht gerechtfertigt.108 Anders als bei § 22 AGG wird bei einer Wahrscheinlichkeitsprüfung mit begrenzter Tatsachengrundlage nicht der gesamte Prozessstoff zugrunde gelegt. Der Richter muss sich hier nicht anhand desselben Tatsachenmaterials einmal eine überwiegende und sodann eine volle Überzeugung von den Beweggründen bildet. Dadurch werden eventuelle Bestätigungstendenzen abgemildert. Technisch gesehen ist die erforderliche Regelung allerdings weniger als eine Beweismaßsenkung im engeren Sinne, da es sich nur um eine funktional stimmige Definition des Überzeugungsgrades im Rahmen einer vorläufigen Wahrscheinlichkeitsprüfung handelt. Zur erforderlichen Abschichtung des Prozessstoffs bietet jedoch § 56 ArbGG, bzw. § 139 ZPO ausreichende Handhabe. Insbesondere ist eine abgestufte Aufteilung der Darlegungslast und der konkreten Beweisführungslast möglich,109 und in den genannten Grenzen auch realisierbar. c) Keine Notwendigkeit einer Beweismaßsenkung für die Hilfstatsachen Eine Beweismaßsenkung für die Hilfstatsachen fordert das Unionsrecht nicht.110 Zu klären bleibt, ob dies in Anbetracht der Möglichkeit, die Hilfstatsachen zu bestreiten, für eine möglichst effektive Umsetzung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL wünschenswert ist. Die Hilfstatsachen betreffen – dies ist dem Informationsgefälle in der Maßregelungssituation geschuldet – vornehmlich äußere Umstände. Im Gegensatz zum subjektiv geprägten Kausalzusammenhang sind die 105

Dazu Brinkmann, Beweismaß, S. 57. Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1326. 107 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 108 Vgl. schon zu § 611a Abs, 1 Satz 3 BGB Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1323 f. 109 Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1321. 110 Dazu Kapitel 4, B.II.2.b)bb)(1). 106

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Hilfstatsachen, wie etwa enge zeitliche Nähe, leichter und sehr viel klarer zu beweisen, bzw. zu widerlegen. Hinzu kommt, dass auch Hilfstatsachen nach Auslösung der Rechtsfolge der Beweislastumkehr innerhalb der richterlichen Beweiswürdigung eine Rolle spielen können. Einer der Kritikpunkte an § 22 AGG ist, dass bezüglich desselben Tatbestandsmerkmals zwei unterschiedliche Beweismaße gelten.111 Wäre das Beweismaß für die Hilfstatsachen abgesenkt, entstünde eine solche Situation wegen der Möglichkeit der Berücksichtigung der Indizien nach Auslösung der Rechtsfolge aufs Neue. Insgesamt sprechen die besseren Gründe dagegen, für die Hilfstatsachen selbst ein abgesenktes Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit festzulegen. 2. Beweismaßsenkung insgesamt Einerseits könnte eine Herabsenkung des Beweismaßes für den Kausalzusammenhang auf überwiegende Wahrscheinlichkeit vorgenommen werden. Bei der Umsetzung in § 612a BGB wäre dies dadurch klarzustellen, dass sich das Beweismaß auf eine auf erster Stufe geforderte „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ bezieht. Dies stellt keine Unterschreitung des Mindestschutzstandards der Richtlinien dar, da eine Regelung zum Beweismaß auch auf der zweiten Stufe der Beweiserleichterung nicht getroffen wird.112 Andererseits würde bei gleichzeitiger Umsetzung einer Beweislastumkehr auch die Beweissituation für den Arbeitgeber deutlich verbessert,113 wenn dabei das Problem des „hochschnellenden“ Beweismaßes durch eine Gesamtabsenkung behoben werden soll. Die Aufteilung zwischen erster und zweiter Stufe würde verschwimmen. Die erste Stufe der Beweiserleichterung wäre in diesem Fall nahezu sinnlos, wie dies schon in Rechtsordnungen mit geringerem Regelbeweismaß der Fall ist114. Darüber hinaus dient die Beweismaßsenkung auf überwiegende Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG lediglich als Basis für das Eingreifen weiterer richterrechtlicher Beweiserleichterungen.115 Diese Ausgangssituation bestünde bei einer klaren gesetzlichen Beweislastumkehr nicht. Eine Beweismaßsenkung für Kausalzusammenhang insgesamt auf überwiegende Wahrscheinlichkeit erscheint nur zweckdienlich, wenn auf der ersten Stufe eine andere Regelung getroffen wird oder ein noch geringeres Beweismaß als überwiegende Wahrscheinlichkeit gilt. Bei letztgenannter Alternative würde die Situation eines „hochschnellenden“ Beweismaßes aber nicht behoben. Dies ist bei einer klaren Beschränkung der Möglichkeit des Gegenvortrags unter Berücksichtigung der möglichen Bestätigungstendenzen auch nicht notwendig. Denn bei Umsetzung anhand der unionsrechtlichen Vorgabe stellt die erste Stufe und 111

Dazu Kapitel 5, B.I.1.a). Ebenda. 113 Vgl. schon Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339. 114 Stein, NZA 2016, 849, 851. 115 Dazu Kapitel 2, C.II.2.c). 112

B. Zweistufige Beweiserleichterung

301

die diesbezüglich gebildete Überzeugung nur eine Vorprüfung anhand des Arbeitnehmervortrags dar. Auf zweiter Stufe sind aufgrund der breiteren Tatsachengrundlage naturgemäß andere Ergebnisse möglich. 3. Vollständige Beweislastumkehr Die Mitgliedsstaaten sind nach dem Prinzip der Mindestharmonisierung (Art. 20 Abs. 2 ABRL, Art. 16 Abs. 1 EZRL) zur überschießenden Umsetzung in Gestalt einer vollständigen Beweislastumkehr berechtigt. Dafür spricht zunächst, dass dadurch die Probleme des zweistufigen Regelungsansatzes im deutschen Recht vollständig vermieden würden. Dies gilt auch für die Einführung der kontroversen Begründungspflicht, für die das Bedürfnis entfiele. Weiterhin würde der Regelungsansatz in ABRL und EZRL im Ergebnis der vollständigen Beweislastumkehr in Art. 21 Abs. 5 WBRL angepasst. Da zugunsten von Hinweisgebern im Vergleich zur ABRL und EZRL, strengere Anforderungen für den Kausalzusammenhang gelten müssen, hat eine Angleichung eine gewisse Logik: Wenn doch für den sehr viel schwerer zu widerlegenden Umstand der Beeinflussung der Entscheidung als Teil eines Motivbündels eine vollständige Beweislastumkehr gilt, müsste dies erst recht für § 612a BGB gelten. Denn dort kann sich der Arbeitgeber schon durch den Nachweis, dass die Rechtswahrnehmung nicht tragendes Motiv war, entlasten. Das Argument, dass eine Beweislastumkehr für die Motivation dem Arbeitnehmer nichts nutze, weil der Arbeitgeber ohnehin für legitime Gründe der Benachteiligung beweisbelastet sei,116 führt angesichts der zweistufigen Struktur und deren Bedeutung im deutschen Recht an der Sache vorbei. Nicht nur wird die Konstellation der Nichterweislichkeit durch eine Beweislastumkehr stimmig gelöst. Vielmehr tritt die Rechtsfolge der Beweislastumkehr nur ein, wenn der Richter bereits eine vorläufige Überzeugung von der behaupteten Motivation gewonnen hat. Zweifelhaft ist auch, ob damit der Grundsatz der Waffengleichheit gewahrt wäre, da bereits der bloße Benachteiligungsvorwurf des Arbeitnehmers eine umfassende Beweisbelastung auslösen würde.117 Die Ergebnisparallelen zu bürgerlich-rechtlichen Gefährdungshaftungstatbeständen wird schon bei Diskriminierung nicht für gerechtfertigt gehalten.118 Dies gilt erst Recht für das Maßregelungsverbot, bei dem es sich zwar im weiteren Sinne auch um Diskriminierungsschutz handelt, dessen Unwerturteil aber weniger stark ist, als die sogar in Art. 3 Abs. 3 GG besonders

116

Vgl. Windel, RdA 2011, 193, 196. Zum Diskriminierungsrecht grundlegend Prütting, FS 50 Jahre BAG, 1311, 1324; sowie EUArbRK/Mohr RL 2006/54/EG, Art. 19 Rn. 3, der meint, der Rechtsprechung des EGMR in EGMR, Urt. v. 27. 10. 1993 – 37/1992/382/460 (Dombo), NJW 1995, 1413 und des BVerfG, Beschl. v. 21. 02. 2001 – 2 BvR 140/00, NJW 2001, 2531 sei zu entnehmen, dass eine vollständige Umkehr der Beweislast gegen den Grundsatz der Waffengleichheit verstoße. 118 Hanau, FS Gnade, 351, 360 f. 117

302

5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

betonte Diskriminierung wegen der Anknüpfung an verpönte Merkmale.119 Da plausible Alternativbegründungen des Arbeitgebers bei § 612a BGB auch nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, ist eine Beweislastumkehr ohne tatbestandliche Mindestschwelle auch nicht interessengerecht, da bei einer abgestuften Beweiserleichterung höherer Differenzierungsspielraum für unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen besteht. Mit einer vollständigen Beweislastumkehr würde der Gesetzgeber gerade den Generalverdacht zum Ausdruck bringen, der in den kritischen Stellungnahmen zu den Neuregelungen teilweise befürchtet wird. Schließlich soll nicht verschwiegen werden, dass der Unionsgesetzgeber einen Auskunftsanspruch, den schon Hanau für das Diskriminierungsrecht statt einer vollständigen Beweislastumkehr vorgeschlagen hat,120 nunmehr im Maßregelungskontext in Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL tatsächlich eingeführt hat. Die Operabilität der Beweiserleichterung wird dadurch gefördert.121 Eine darüberhinausgehende Beweislastumkehr erscheint deshalb verzichtbar. Die tatbestandliche Schwelle für die Auslösung der Beweislastumkehr beugt einerseits Missbrauch vor. Andererseits bedingt die Beschränkung der Tatsachengrundlage, dass den Arbeitnehmer keine übermäßigen Darlegungs- und Substantiierungsanforderungen treffen, um eine überwiegende Überzeugung im Rahmen der Vorprüfung herbeizuführen. Entscheidend ist allein, dass eine Maßregelung nach den Angaben des Arbeitnehmers plausibel erscheint.

III. Zwischenfazit Nach alledem würde folgende Rechtslage den Anforderungen der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL vollständig genügen: – Der Arbeitnehmer muss Hilfstatsachen darlegen und diese (nur) im Bestreitensfall zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen. – Anhand dieser Tatsachen nimmt das Gericht eine Plausibilitätsprüfung eigener Art im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Rechtswahrnehmung und Maßnahme vor, wobei Erklärungsansätze, Kündigungsgründe, Einlassungen zu Beweggründen oder Gegenindizien des Arbeitgebers außer Betracht bleiben. – Ergibt sich danach eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs, wechselt die subjektive und objektive Beweislast diesbezüglich auf den Arbeitgeber. Dabei gilt das Regelbeweismaß.

119

Dazu Kapitel 1, C. Hanau, FS Gnade, 351, 362. 121 Dazu bereits Kapitel 4, B.I.3.a); B.II.2.b)aa); sowie schon oben unter Kapitel 5, A.

120

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

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C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung Die Richtlinien sehen für unterschiedliche Sachbereiche teilweise nur gering, teilweise stark abweichende Beweiserleichterungen vor. Im deutschen Recht gibt es neben einem allgemeinen Maßregelungsverbot verschiedentlich Normen mit identischem Regelungsgehalt. Es bietet sich zunächst eine Umsetzung der Beweisanforderungen in Spezialgesetzen (etwa im BEEG oder NachwG) an. Dieser Ansatz stößt aber an seine Grenzen, wenn die Richtlinienrechte in der nationalen Rechtsordnung durch Richterrecht oder verfassungsrechtliche Wertungen abgebildet werden. Die Umsetzung abweichender Beweisanforderungen in den jeweiligen Sondergesetzen tangiert darüber hinaus grundlegende systematische Fragestellungen, die insbesondere wegen des fragmentarischen Rechtszustands des deutschen Arbeitsrechts relevant werden. Im Kern geht es dabei um die „wertungsmäßige Folgerichtigkeit“122 des Beweisrechts. Der dem Maßregelungsverbot zugrundeliegende Rechtsgedanke differenziert nicht zwischen Rechtswahrnehmung „erster und zweiter Klasse“. Weil aber die Durchsetzbarkeit des Maßregelungsverbots mit den beweisrechtlichen Anforderungen steht und fällt, könnte genau dies die Konsequenz der abweichenden Richtlinienvorgaben bei punktueller Umsetzung der neuen Beweiserleichterung in Einzelgesetzen sein. Für den Maßregelungsschutz bei der Wahrnehmung von Rechten, die nicht Gegenstand einer der Richtlinien sind, gälten weiterhin die hohen Anforderungen, sodass sich die einheitliche Wertung des Maßregelungsverbots nicht auf den Bereich der Beweislast erstreckt. Dieses Problem wurde bislang kaum umfassend behandelt, jedoch von Benecke angerissen, wenn sie darauf hinweist, dass mit § 16 AGG eine erhebliche Besserstellung gegenüber denjenigen Arbeitnehmern erfolge, deren Rechtsdurchsetzung nicht das AGG betreffe.123

I. Abtrennung der Umsetzung der WBRL Denkbar wäre eine Ergänzung des § 612a BGB um eine Begründungspflicht und Beweiserleichterung.124 Die Richtlinien verlangen aber erstens nur, dass eine Begründung bei Maßregelungsverdacht für die Wahrnehmung der zugesicherten Rechte erfolgen muss. Zweitens müssen die Maßnahmen auch mit der Wirkung einer Kündigung vergleichbar sein. Eine schlichte Ergänzung des § 612a BGB, ohne Eingrenzung auf Kündigungskonstellationen oder Fälle ähnlicher Intensität und die in den Richtlinien enthaltenen Rechte, wäre damit eine überschießende Umsetzung, die zur Wahrung des Mindeststandards nicht erforderlich ist. 122

Begriff von Canaris, Systemdenken, S. 13. Benecke, NZA 2011, 481, 486. 124 Eine Umsetzung des Art. 18 ABRL in § 612a BGB hat bisher nur Schubert, AuR 2022, 115, 119 vorgeschlagen. 123

304

5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Die Beweislastregel in Art. 21 Abs. 5 WBRL folgt einem anderen Ansatz als die Regelungen der ABRL und EZRL.125 Dies legt bereits nahe, eine eigene Beweisvorschrift für Hinweisgeber zu schaffen, die nicht von „fremden“ Regelungsansätzen beeinflusst wird. Die Aufnahme einer „ersten Stufe“, die die Darlegungslast des Hinweisgebers über das von Art. 21 Abs. 5 WBRL vorgegebene Maß erhöht, wäre, entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung,126 auch eine Verletzung der Umsetzungspflicht. Darüber hinaus würden die Grenzen des Transparenzgebots durch eine Verwässerung der eindeutig formulierten Beweislastumkehr durch eine vorgeschaltete erste Stufe strapaziert, sei sie auch nur deskriptiv bezüglich der Tatsachen, die der Hinweisgeber darlegen und beweisen muss. Ohnehin wurde im Zuge der Debatte zur Umsetzung der WBRL die Einführung eines neuen Stammgesetzes bevorzugt.127 Dafür spricht auch der weitere persönliche Anwendungsbereich im Vergleich zu ABRL und EZRL. Für das Arbeitsrecht würde zwar der fragmentarische Rechtszustand durch eine Regelung in einem Spezialgesetz weiter erhalten, was eine Regelung eines Hinweisgeberschutzes in einem Arbeitsgesetzbuch wünschenswert erscheinen lässt.128 In dieser Hinsicht ließe sich der Hinweisgeberschutz auch in § 612a BGB aufnehmen,129 zumal Art. 21 WBRL nicht nur Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung, sondern alle Benachteiligungen aufgrund der Rechtswahrnehmung verbietet. Nach Inkrafttreten der Richtlinie erscheint dies jedoch zweifelhaft: Selbst wenn ein Arbeitsgesetzbuch in greifbare Nähe rückte, wäre die Aufnahme der Vorgaben der WBRL ohne Ausdehnung auf weitere Personengruppen darin ihrerseits eine systematisch unstimmige Teilregelung einer übergeordneten Regelungsmaterie. Aus demselben Grund ist auch eine Aufhebung arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen wie § 17 Abs. 2 ArbSchG unter gleichzeitiger Aufhebung spezialgesetzlicher Vorgaben für Meldungen (§ 4d FinDAG, § 23 VAG) außerhalb des Arbeitsrechts unter Zusammenführung in einem Regelungswerk130 abzulehnen. Schließlich ist auch der nach Art. 21 Abs. 1 WBRL einzuführende Repressalienschutz aufgrund der Parallele zur Diskriminierung im engeren Sinne, nach der es für einen Verstoß genügt, wenn die Hinweisgeberstellung auch nur in einem Motivbündel enthalten ist, ein Grund, nicht das Maßregelungsverbot in § 612a BGB als Anknüpfungspunkt zu wählen.131 Eine § 612a BGB entsprechende Regelung würde den Schutzstandard der WBRL auch mit erweitertem persönlichen Anwendungsbereich nicht hinreichend umsetzen. Die besseren Gründe sprechen dafür, die Be125

Dazu Kapitel 4, C.III. Etwa Degenhardt/Dziuba, BB 2021, 570, 574. 127 Stellvertretend Teichmann, GA 2021, 527, 536. 128 Brungs, Whistleblowing, S. 431; Becker, Whistleblowing, S. 163. 129 Dafür plädierte schon vor Erlass der WBRL Brungs, Whistleblowing, S. 433. 130 Dafür Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 434. 131 Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 433; im Ergebnis auch Schmidt, Regelungsoptionen, S. 167; siehe dazu schon Kapitel 3, C.II. 126

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

305

weislastregel des Art. 21 Abs. 5 WBRL getrennt von den anderen Beweiserleichterungen in einem Stammgesetz zum Hinweisgeberschutz zur regeln.

II. Begrenzung auf die Absicherung der Richtlinienrechte Die durch ABRL und EZRL tangierten zahlreichen Spezialgesetze könnten jeweils mit einem den Anforderungen der Art. 18 ABRL und Art. 12 EZRL entsprechenden Komplex aus Begründungspflicht und Beweislastregel versehen werden. 1. Anpassung zahlreicher Spezialgesetze So bietet sich bei § 5 TzBfG, wenn der Gesetzgeber die neuen Vorgaben für Abrufarbeit in § 12 TzBfG umsetzt, eine solche Ergänzung an. Einige Kündigungsschutzvorschriften statuieren einen gesonderten Motivkündigungsschutz für die Wahrnehmung eines bestimmten Rechts. Eine § 11 TzBfG entsprechende Vorschrift, die ein Verbot von Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung enthält und als solche eine Grundlage für Begründungspflicht und Beweislastregel legt, könnte etwa für die neuen Vorgaben für Abrufarbeit eingeführt werden. Vergleichbar könnten auch im NachwG und in den weiteren sowohl für die Nachweispflichten als auch die materiellen Mindestanforderungen einschlägigen Spezialgesetzen besondere Maßregelungsverbote mit beschränktem sachlichem Anwendungsbereich geschaffen werden. Auch im Kontext der Umsetzung der EZRL wurden diverse Einführungsmöglichkeiten der Beweislastregel in Spezialgesetzen diskutiert. Besonders für die Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs ist an eine Anpassung des MuSchG zu denken.132 Diesbezüglich wäre eine Umsetzung der Beweislastregel durch Verweis auf § 22 AGG denkbar.133 Dies gilt auch für den Änderungsbedarf im BEEG.134 Alternativ zu einer Beweislastregel wird sogar die Einführung einer behördlichen Zulässigerklärung der Kündigung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub erwägt.135 Die § 18 BEEG, § 5 PflegeZG bewirken einen weitergehenden Schutz im Vergleich zum Maßregelungsverbot, da die Kündigung im Verbotszeitraum trotz bestehender legitimer Kündigungsgründe untersagt ist.136 Dabei ist das Ausmaß der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers deutlich geringer, sodass eine Beweiserleichterung insofern nicht erforderlich wäre. Die Sonderkündigungsverbote würden als Regelungsinstrument über Vorgaben der Richtlinien 132

Dazu schon Kapitel 3, B.III.2.a)bb). Graue, ZESAR 2020, 62, 66. 134 Graue, ZESAR 2020, 62, 68. 135 Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 136 Dazu Kapitel 3, B.IV.2.c). 133

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

hinausgehen, wenn sie auf die Richtlinienrechte und auf Kündigungsvorbereitung erstreckt würden. Eine entsprechende Ergänzung der § 18 BEEG, § 5 PflegeZG (ggf. in Verbindung mit § 2 Abs 3 FPflZG) in Kombination mit der Einführung von Art. 12 Abs. 2 EZRL genügenden Begründungsansprüchen wäre damit eine mögliche Teilumsetzung des Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL.137 Eine Zwischenstellung nimmt demgegenüber § 17 MuSchG ein. Die Kenntnis des Arbeitgebers der Schwangerschaft ist für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes entscheidend. Orientiert sich der Gesetzgeber für die Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs an dieser Norm, bestünde womöglich keine Situation, in der eine Regelung zu Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL entbehrlich wäre. Dies wird jedoch durch die Möglichkeit kompensiert, das den Sonderkündigungsschutz auslösende Ereignis nachträglich bekanntzugeben. Erfolgt eine nachträgliche Mitteilung an den Arbeitgeber, ist die Kündigung unwirksam, wenn die entsprechenden Zeiten berührt sind. § 17 MuSchG enthält bereits eine Erstreckung des Schutzes auf Kündigungsvorbereitung. Nur nach Beendigung des Schutzzeitraums gibt es keinen speziellen Kündigungsschutz, sodass zu klären sein wird, inwiefern dies durch Gesetzesänderung sichergestellt werden kann. Mit einer Modifikation der genannten Spezialgesetze wären die Beweislastregeln zumindest zur Absicherung der Ausübung eines Teils der in EZRL und ABRL enthaltenen Rechte umgesetzt. 2. Kein zwingender Anpassungsbedarf bei § 612a BGB Während für die Umsetzung der EZRL hauptsächlich arbeitsrechtliche Sonderregelungen in Einzelgesetzen einschlägig sind, ist dies besonders bei der ABRL außerhalb des TzBfG nicht der Fall. Deutlich wird dies bei solchen Regelungen, die bislang nur durch die Auslegung von Generalklauseln anerkannt sind. Dies ist etwa bei Art. 9 ABRL der Fall.138 Entsprechendes gilt, wenn der Richtlinienstandard bereits über andere Regelungen des allgemeinen Zivilrechts abgebildet wird. Letzteres ist etwa bei § 275 Abs. 3 BGB der Fall, soweit die EZRL besondere Freistellungsansprüche zuspricht, die bislang noch nicht spezialgesetzlich geregelt wurden.139 Dies allein bedeutet jedoch noch nicht, dass eine Anpassung des deutschen Rechts in § 612a BGB erfolgen muss. Eine denkbare Umsetzungsoption wäre auch, die bislang ungeschriebenen Rechtsgrundsätze zu kodifizieren und die jeweiligen Einzelregelungen mit Begründungspflicht und Beweislastregel auszustatten. Alternativ könnte eine Umsetzung in § 612a BGB erfolgen, wobei der sachliche Anwendungsbereich durch eine Katalognorm auf die in ABRL und EZRL vorgesehenen Rechte, sowie auf Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung begrenzt wird. Bislang dem deutschen Recht fremd, aber über Art. 12 Abs. 5 EZRL, 137

In diese Richtung auch Treichel, DGB-Gutachten, S. 109 f. Preis/Morgenbrodt, ZESAR 2020, 409, 411. 139 Dazu Kapitel 3, B.III.2.a)bb). 138

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

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Art. 18 Abs. 5 ABRL möglich, wäre eine Einrichtung einer staatlichen Stelle, an die sich Arbeitnehmer mit einem Maßregelungsvorwurf in Bezug auf Richtlinienrechte wenden können. Soweit diese befugt ist, daraufhin den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln,140 wäre die Einführung der Beweiserleichterungen nach Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL und mithin auch der Begründungspflichten entbehrlich.

III. Fehlende wertungsmäßige Folgerichtigkeit Eine Einführung von speziellen Regelungen für die jeweiligen Richtlinienrechte hätte eine erhebliche Besserstellung der Arbeitnehmer bei der Wahrnehmung dieser Rechte beim Schutz vor Sanktionsmaßnahmen zur Folge. Damit würde der Maßregelungsschutz also für einzelne Bereiche des Arbeitsrechts erheblich aufgewertet, während die Ausgangssituation der Beweisnot und deren Auflösung durch richterliche Intervention im Einzelfall über die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast, einschließlich des Anscheinsbeweises, kaum verbessert würde. Es würde keine Rechtssicherheit erzeugt, sondern vielmehr eine Rangordnung der Maßregelungsverbote nach Ausmaß des gesetzlich vorgesehenen Schutzes im Beweisrecht. Damit einher geht eine Abwertung der nicht im Sekundärrecht geregelten Arbeitnehmerrechte, deren Ausübung durch dasselbe Maßregelungsverbot abgesichert wird. Die Grundwertung des § 612a BGB differenziert nicht zwischen Rechten erster und zweiter Klasse. Eine Umsetzung in Einzelgesetzen, bzw. beschränkt auf die Richtlinienrechte, wäre daher vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm nicht folgerichtig. Folgerichtigkeit ist kein bloßes wissenschaftliches Ideal, sondern Teil der ethischen Grundlage des Rechts selbst.141 Hinzu kommt, dass es bei der Richtlinienumsetzung eine weitere Rechtszersplitterung durch die Schaffung neuer arbeitsrechtlicher Einzelgesetze zu vermeiden gilt.142 § 612a BGB ist selbst eine überschießende Umsetzung der Diskriminierungsrichtlinien.143 Diese Entscheidung des nationalen Gesetzgebers könnte durch eine Erweiterung der ebenfalls nur für Richtlinienrechte geltenden Beweiserleichterungen konsequent fortgesetzt werden. Demnach spricht bereits auf Ebene des einfachrechtlichen Maßregelungsverbots viel für eine Umsetzung, die nicht zwischen Richtlinienrechten und sonstigen Rechten des Arbeitnehmers differenziert.

140 EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 3; vgl. EUArbRK/Mohr, RL 2000/ 78/EG, Art. 10 Rn. 2. 141 Canaris, Systemdenken, S. 13. 142 Preis, RdA 1995, 333, 342. 143 Dazu Kapitel 1, C.I.

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IV. Einheitlichkeit des Schutzes als Verfassungsgebot Im Falle einer Minimalumsetzung wäre die Beweissituation und damit das Schutzniveau für die Wahrnehmung von Richtlinienrechten erheblich besser als bei den übrigen Rechten des Arbeitnehmers. 1. Paralleles Problem bei der Umsetzung der WBRL Eine vergleichbare Situation wurde bereits im Zusammenhangmit der Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie identifiziert: Dort hat die Union den sachlichen Anwendungsbereich nur aufgrund fehlender Kompetenz, nicht aus sachlichen Gründen auf Unionsrechtsverstöße beschränkt.144 Dementsprechend entstünden bei einer 1:1Umsetzung der WBRL Diskrepanzen in der Behandlung von Whistleblowern, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden und solchen, die Verstöße gegen das nationale Recht melden, was nicht durch einen hinreichenden sachlichen Grund zu rechtfertigen sei und deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße:145 Welchem öffentlichen Interesse mit einer derart materiell widersprüchlichen Rechtslage gedient sein solle, lasse sich selbst bei extensivster Interpretation der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative beim besten Willen nicht ausmachen. Eine „noch zulässige unionsrechtlich induzierte Ungleichbehandlung“ sei daher nicht mehr gegeben, eine 1:1-Umsetzung verstoße daher zwangsläufig gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Willkürverbot. Dieser Art von Argumentation scheint auch das Bundesjustizministerium aufgeschlossen gegenüberzustehen.146 Die Entwurfsverfasser haben bemerkt, dass eine 1:1 Umsetzung mit unauflösbaren Wertungswidersprüchen verbunden wäre.147 2. Verfassungsrechtliche Implikationen einer Begrenzung auf Richtlinienrechte Es stellt sich daher die Frage, ob eine Gleichbehandlung durch Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten wäre. Dies setzt zum einen voraus, dass Art. 3 Abs. 1 GG der richtige Prüfungsmaßstab ist, zum anderen, dass die Voraussetzungen einer Grundrechtsverletzung vorliegen, insbesondere also das Fehlen eines ausreichenden 144

Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 205. Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 210; mit Bedenken hinsichtlich einer 1:1-Umsetzung auch Piel, AuR 2021, 389; vgl. auch Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2477; in diese Richtung auch Scheer/Frei, DRiZ 2021, 452; Brobeil, Auswirkungen der RL 2019/1937, S. 43; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 81 ff.; ausführlich und m. w. N. Colneric/ Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 149 ff.; anders EUArbRK/Fest, RL (EU) 2019/1937, Art. 2 Rn. 47; sowie Feldner, Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel, S. 320 f. 146 HinSchG-RefE-I, S. 30; HinSchG-RegE, S. 33; eingehend zu dieser Problematik Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204. 147 HinSchG-RefE-I, S. 30, siehe auch HinSchG-RegE, S. 33. 145

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

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sachlichen Grundes für die Differenzierung. Kernproblem ist, ob eine Ungleichbehandlung überhaupt relevant und an den nationalen verfassungsrechtlichen Maßstäben zu prüfen ist, wenn sie durch die Umsetzung sekundärrechtlicher Vorgaben entsteht. a) Prüfungsmaßstab Im Kontext des Problemkreises der Inländerdiskriminierung finden sich zentrale Entscheidungen des BAG, BVerwG und BGH, die jeweils unterschiedliche Nuancen zur Lösung des Konflikts beitragen.148 Inländerdiskriminierung meint eine Situation, in der aufgrund in der Regel strengerer nationaler Vorgaben rein innerstaatliche Sachverhalte anders behandelt werden als solche mit grenzüberschreitendem Bezug.149 Inländer rügen eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu EU-Bürgern. Während das BAG diese Ungleichbehandlungen uneingeschränkt an den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen scheint,150 ist für den BGH, soweit das innerstaatliche Recht Inländer strenger als Unionsangehörige behandele, eine solche Ungleichbehandlung hinzunehmen, wenn sie in Einklang mit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG stehe.151 Das BVerwG misst dagegen in diesem Zusammenhang gerügte Ungleichbehandlungen an Art. 3 Abs. 1 GG unter Anwendung der „neuen Formel“,152 nach der sie jedenfalls dann gerechtfertigt werden können, wenn zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die Differenzierung rechtfertigen.153 Das BVerfG hat in einer steuerrechtlichen Entscheidung mit der Formulierung, dass der Gesetzgeber zur Beseitigung einer Ungleichbehandlung durch zwei unterschiedliche Normgeber nicht verpflichtet sei,154 in eher beiläufiger Art eine Verkürzung des Problems zum Ausdruck gebracht die sich, wie die Entscheidungen der Fachgerichte zeigen, kaum durchhalten lässt.155 Mit Blick auf die hier zu prüfende Mindestharmonisierung ist bei der Feststellung des Prüfungsmaßstabs auch die neuere Rechtsprechung des BVerfG zu beachten: Wo nationales Recht nicht durch Unionsrecht überlagert wird, ist es nach den Maßstäben

148

Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 206. Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Holoubeck, AEUV, Art. 18 Rn. 28; ausführlich zur Definition Heber, EuZW 2022, 53, 53 f. 150 BAG, Urt. v. 25. 01. 2018 – 6 AZR 791/16, NZA 2018, 1200, 1204 (Rn. 27). 151 BGH, Beschl. v. 19. 09. 2013 – IX AR (VZ) 1/12, NJW 2013, 3374, 3377 (Rn. 31). 152 BVerwG, Urt. v. 31. 08. 2011 – 8 C 9/10, NVwZ-RR 2012, 23, 27 (Rn. 41 ff.). 153 Etwa BVerfG, Beschl. v 07. 07. 2009 – 1 BvR 1164/07, BVerfGE 125, 199 f.; BVerfG, Beschl. v. 13. 02. 2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, 144 m. w. N.; zur Rechtsprechungsentwicklung statt vieler Sachs/Nußberger, GG, Art. 3 Rn. 12 ff. 154 BVerfG, Beschl. v. 08. 06. 2004 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 439; differenzierend insofern schon Schilling, JZ 1994, 8, 11. 155 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 206. 149

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

des Grundgesetzes auszulegen; wenn doch, ist die GRCh maßgeblich.156 Soweit eine Richtlinie nur Mindestvorgaben macht, fällt eine überschießende Umsetzung in die nationale Prärogative – sie ist insofern nicht am Maßstab der Grundrechtecharta zu messen.157 Etwas anderes mag gelten, wenn das jeweils einschlägige unionsrechtliche Fachrecht konkrete Anhaltspunkte für einen an der GRCh ausgerichteten stärkeren Grundrechtsschutz bietet, als die (weiterhin anwendbaren) nationalen Grundrechte gewährleisten.158 Bei den Richtlinien der ABRL und EZRL sind solche Anhaltspunkte nicht ersichtlich, zumal die zu diskutierenden Ungleichbehandlungen erst bei punktueller Umsetzung im nationalen Recht sichtbar werden. Es liegt daher nahe, „unionsrechtlich induzierte Ungleichbehandlungen“ als einheitliches Rechtsproblem159 am Maßstab des nationalen Gleichheitssatzes zu messen.160 Im Hinblick auf die konkreten Anforderungen an die Prüfung gelte es praktische Konkordanz zwischen den in Konflikt tretenden Verfassungspositionen der nur über das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung im Rahmen des Art. 23 GG eingeschränkten nationalen Rechtssetzungsautonomie einerseits und dem Gleichheitssatz andererseits herzustellen.161 Damit verbiete sich sowohl die eine Extremposition – die Relegation des nationalen Gesetzgebers zum rechenschaftsbefreiten Vollzugshelfer der EU – als auch die andere – die gleichheitsrechtlich induzierte, faktische Pflicht zur Vollharmonisierung durch die Hintertür.162 Aus Sicht der Autoren bestimmt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz bei unionsrechtlich bedingten Ungleichbehandlungen vorliegt, nach der Willkürformel des BVerfG. Die Anwendung eines strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Sinne der „neuen Formel“ führe zwangsläufig dazu, dass Art. 3 Abs. 1 GG in einer die Autonomie des deutschen Gesetzgebers beeinträchtigenden Weise zu einer übermäßigen Ausweitung des Unionsrechts über die eigentlichen Regelungskompetenzen hinaus gehe.163 Bei der Anwendung der Willkürformel bedeute die Herstellung praktischer Konkordanz aber auch, dass die unionsrechtliche Kompetenzverteilung für sich genommen keinen sachlichen Grund zu Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung darstellen könne.164 156 BVerfG, Beschl. v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314; BVerfG, Beschl. v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300. 157 Vgl. EuGH, Urt. v. 08. 11. 2012 – Rs. C-40/11 (Iida), ECLI:EU:C:2012:691, NVwZ 2013, 357, 361 (Rn. 79 f.); deutlich auch EuGH, Urt. v. 21. 12. 2016 – Rs. C-201/15 (AGET Iraklis), ECLI:EU:C:2016:972, Rn. 62; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 276/17 (Recht auf Vergessen II), NJW 2020, 314; EUArbRK/Schubert, GRCh, Art. 51 Rn. 25. 158 BVerfG, Beschl. v. 06. 11. 2019 – 1 BvR 16/13 (Recht auf Vergessen I), NJW 2020, 300, 304 (Rn. 65); ErfK/Schmidt, GG, vor Art. 1 Rn. 87. 159 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 207. 160 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 206 ff. 161 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 209; in diesem Sinne auch Mangoldt/Klein/Starck/Wollenschläger, GG, Art. 3 Rn. 221 in Bezug auf Inländerdiskriminierung. 162 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 209. 163 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 209. 164 Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, NVwZ 2021, 204, 209.

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

311

b) Verfassungsrechtliche Grenzen nationaler Regelungsautonomie Der Analyse der Autoren ist insbesondere auch hinsichtlich der klaren Benennung der in Konflikt tretenden Interessen beizupflichten. Wegen der nationalen Rechtssetzungsautonomie und Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedsstaat und Union ist die willkürliche Ungleichbehandlung auch dann untersagt, wenn sie durch eine inhaltliche Begrenzung des Unionsrechts im Vergleich zu nationalen Rechten entsteht. Die Herstellung von Folge- und Systemgerechtigkeit ist eine anerkannte Ausprägung von Art. 3 Abs. 1 GG,165 jedenfalls soweit es sich um ein und denselben Normgeber handelt. Grundsätzlich ist das Gleichbehandlungsgebot auch „kompetenzakzessorisch“,166 weswegen eine Ungleichbehandlung zweier verschiedener Hoheitsträger nicht zwangsläufig gleichheitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen muss. Zu weitgehend ist jedoch die Annahme, aufgrund der nationalen Regelungsautonomie fehle es per se an einer Vergleichbarkeit unionsrechtlich geprägter und national geregelter Sachbereiche, weswegen der Tatbestand des Art. 3 GG nicht eröffnet sei.167 Gegen eine solche abstrakte Berücksichtigung der nationalen Regelungsautonomie spricht, dass der nationale Gesetzgeber gerade an die Grundrechte gebunden ist. Diese Grundrechtsbindung besteht auch, wenn er Sekundärrecht umsetzt, das seinen Gestaltungsspielraum nicht vollständig determiniert. Jede Schlechterstellung aufgrund von nachteiligen nationalen Vorschriften außerhalb des Anwendungsbereichs einer Richtlinie über Art. 3 Abs. 1 GG an den Standard des Unionsrechts anzugleichen, würde jedoch die kompetenzielle Begrenzung des Unionsrecht und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aushöhlen. Daher erscheint auch die Beschränkung auf willkürliche Ungleichbehandlungen bei einer 1:1-Umsetzung im nationalen Recht sinnvoll. Zu beachten ist, dass die Aussage des BVerfG, dass der deutsche Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen durch unterschiedliche Normgeber verpflichtet sei,168 in der Konstellation der arbeitsrechtlichen Mindestharmonisierung an ihre Grenzen geführt wird. Normgeber ist bei nicht ohne weiteres unmittelbar geltenden Richtlinien der nationale Gesetzgeber, der vollumfänglich an die Grundrechte gebunden ist. Die Entscheidung des BVerfG betraf dagegen eine Abweichung zwischen EstG und einer EU-Verordnung. Da das europäische Sekundärrecht keine allgemeinen Maßregelungsschutzvorschriften und Beweiserleichterungen enthält, sondern diese jeweils nur zur Absicherung anderer Rechte vorsieht, kann auch nicht davon gesprochen werden, dass aufgrund einer 165 Mangoldt/Klein/Starck/Wollenschläger, GG, Art. 3 Rn. 199 f.; vgl. Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 3 Rn. 34. 166 ErfK/Schmidt, GG, Art. 3 Rn. 15. 167 Vgl. Albers, JZ 2008, 708, 713 f. 168 BVerfG, Beschl. v. 08. 06. 2004 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 439; vgl. unter Verweis auf diese Entscheidung eine Anwendung des Gleichheitssatzes im Hinblick auf die Umsetzung der WBRL ablehnend, m. w. N. Feldner, Kündigungsschutz für Whistleblower im Wandel, S. 320 f.

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Prüfung des nationalen Maßregelungsschutzes anhand des Art. 3 Abs. 1 GG nach Umsetzung des Minimalstandards der Richtlinien die nationalen Gestaltungsspielräume beschnitten werden. Insofern besteht auch ein bedeutsamer Unterschied zur Konstellation der Inländerdiskriminierung, bei der die Befürchtung einer Beeinträchtigung der nationalen Rechtssetzungsautonomie gerade darin begründet liegt, dass der Gesetzgeber trotz eigener Kompetenz letzten Endes Entscheidungen anderer Mitgliedsstaaten über Art. 3 GG zu übernehmen verpflichtet wird.169 Denn die strengeren inländischen Vorgaben zugunsten der günstigeren Regelungen in anderen Mitgliedsstaaten zu beseitigen wäre Konsequenz der uneingeschränkten Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG. Bei der erweiterten Umsetzung eines Mindeststandards liegt der Fall anders. Es geht um eine Ausdehnung eines von der Union für einen begrenzten Anwendungsbereich vorgegebenen Rechtszustandes um eine konsequente und wertungsmäßig stimmige Korrektur der Auswirkungen kompetenzieller Schranken der Union im nationalen Recht zu ermöglichen. An der inhaltlichen Beschränkung des Sekundärrechts ändert sich nichts. Dies gilt auch bei richtlinienkonformer Auslegung etwaiger überschießender Umsetzungsakte, bei denen der Unionsrechtsstandard als Auslegungsgesichtspunkt berücksichtigt werden kann, aber nicht muss.170 c) Ungleichbehandlung Zur Feststellung einer Ungleichbehandlung bedarf es mindestens zwei vergleichbarer Gruppen innerhalb eines gemeinsamen Oberbegriffs, die im Hinblick auf ein Differenzierungskriterium unterschiedlich behandelt werden.171 Durch eine Umsetzung der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL in den durch das Unionsrecht harmonisierten Sachbereichen entstehen dadurch, dass im Arbeitsrecht die Mehrzahl von Arbeitnehmerrechten nicht von den Richtlinien erfasst sind, zwangsläufig mehrere Gruppen von Arbeitnehmern, die ihnen zustehende Rechte ausüben. Ist ein national zugesichertes Recht Ausprägung eines unionsrechtlichen Mindestschutzstandards, kämen die dieses ausübenden Arbeitnehmer im Prozess in den Genuss einer speziellen Beweiserleichterung, die die ansonsten typische Beweisnot beim Maßregelungsverbot behebt. Auf der anderen Seite verbleiben Arbeitnehmern, die bislang nur national festgelegte und nicht sekundärrechtlich determinierte Rechte ausüben, nur die bislang anerkannten, aber in hohem Maß einzelfallabhängigen und insofern rechtsunsicheren richterrechtlich anerkannten Beweiserleichterungen. Damit bestünde im Falle einer auf die Richtlinienrechte beschränkten Umsetzung eine Situation, in der für den Schutz gemaßregelter Arbeitnehmer unterschiedliche gesetzliche Beweismaßstäbe anzulegen wären. Eine Ungleichbehandlung läge vor. 169

Riese/Noll, NVwZ 2007, 516, 520. Calliess/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Rn. 85. 171 Allg. Meinung, statt vieler Dreier/Heun, GG, Art. 3 Rn. 24. 170

C. Wertungswidersprüche durch eine Minimalumsetzung

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d) Keine Rechtfertigung Nach der Willkürformel des BVerfG ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt“.172 Es sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, die eine Schlechterstellung im Maßregelungsschutz derjenigen Arbeitnehmer begründen könnten, die rein national verankerte Rechte wahrnehmen. Dies wird besonders durch die ABRL deutlich. Die Richtlinie soll einen Mindeststandard an materiellen Arbeitsbedingungen sicherstellen. Schützenswerte Interessen des Arbeitgebers, die eine Ausdehnung der unionsrechtlich gebotenen Vorgaben auf alle Rechte des Arbeitgebers rechtfertigen können,173 sind nicht ersichtlich – die Wertung des Maßregelungsverbots und die Notwendigkeit ihrer effektiven Geltung auf Ebene des Beweisrechts greift ohne Abstufungen für Rechtswahrnehmungen aller Art. Der einzige „Grund“ für die durch eine Minimalumsetzung entstehende Ungleichbehandlung ist der Umstand, dass ein Teil der Rechte dem europäischen Mindestschutz im Arbeitsrecht unterfällt. Insofern unterscheidet sich die Situation, in der die Union einen vorhandenen Kompetenztitel zur Schaffung einheitlicher Maßstäbe zum Schutz vor Maßregelungskündigungen nicht nutzt,174 im Ergebnis nicht von der Situation bei der WBRL, in der die Kompetenzen des Unionsgesetzgebers die Reichweite des Hinweisgeberschutzes begrenzen. Zwar besteht mit § 16 Abs. 3 AGG bereits eine Situation, in der für einen begrenzten, unionsrechtlich determinierten Sachbereich eine günstigere Beweissituation für den Arbeitnehmer im Vergleich zu § 612a BGB besteht. Während eine besondere Verwerflichkeit der Diskriminierung im engeren Sinne noch als Grund für diese Abweichung in Betracht kommt, besteht für die in ABRL und EZRL enthaltenen Rechte im Vergleich zum übrigen national determinierten Arbeitsrecht keine vergleichbare Grundlage für eine ungünstigere Beweissituation. Im Einzelfall mag eine Situation bestehen, die einen stärkeren Schutz der Wahrnehmung bestimmter Rechte durch eine weitergehende Beweislastumkehr rechtfertigt. Durch die Minimalumsetzung würde jedoch der Schutz der nur national abgesicherten Rechte im Vergleich zu unionsrechtlich geprägten Rechte ohne sachlichen Grund faktisch abgewertet. Damit entstünde eine willkürliche Schlechterstellung derjenigen Arbeitnehmer, die sich auf nicht in den Richtlinien niedergelegte Rechte berufen. Folglich würde eine Umsetzung unter Begrenzung der Beweiserleichterungen auf die in den Richtlinien enthaltenen Rechte Art. 3 Abs. 1 GG verletzen.

172

Grundlegend BVerfG, Urt. v. 23. 10. 1951 – 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14, 52. Vgl. etwa zu in Betracht kommenden Differenzierungsgründen hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs bei der Umsetzung der WBRL: Schmolke, NZG 2020, 5, 10; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 89 ff. 174 Dazu Kapitel 3, A.IV. 173

314

5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

V. Zwischenfazit Eine überschießende Umsetzung der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL in § 612a BGB ohne Beschränkung auf die in der ABRL und EZRL enthaltenen Rechte ist notwendig und sachgerecht. Damit geht, in Ermangelung einer systematisch-schlüssigen Kodifikation in einem Arbeitsgesetzbuch, in begrenztem Umfang Anpassungsbedarf im Bereich des spezialgesetzlichen Maßregelungsschutzes und Sonderkündigungsschutzes einher, der im Folgenden behandelt wird. Die Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie sollte einschließlich der Beweislastregelung in Art. 21 Abs. 5 WBRL in einem eigenen Stammgesetz erfolgen.

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL Die unionsrechtlich gebotene Rechtslage lässt sich nach wie vor durch systematisch stimmige Änderungen im Arbeitsrecht in Gesetzesform bringen. Die inhaltlich auf Richtlinienrechte beschränkten Beweiserleichterungen und Benachteiligungsverbote treffen im deutschen Recht auf ein allgemeines arbeitsrechtliches Maßregelungsverbot und zahlreiche speziellere Vorschriften.

I. Umsetzung in § 612a BGB Die Lösung zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung liegt in einer überschießenden Umsetzung, die die günstigen Regelungen der Art. 18 ABRL, Art. 12 EZRL auf alle Rechte des Arbeitnehmers erstreckt. Dies wirft jedoch, unabhängig von der sachlichen Reichweite und Formulierung der Norm, mit Blick auf die zahlreichen spezialgesetzlichen Maßregelungsverbote und Sonderkündigungsschutzvorschriften einige Folgefragen auf. 1. Umsetzung der neuen Vorgaben in einer Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts Eine Umsetzung der Vorgaben in verschiedenen Gesetzen wäre jedenfalls für die ausschließlich individualschützenden Vorschriften nur im Falle einer einheitlichen Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts nicht erforderlich. In einem Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes175 könnte die von der ABRL geforderte Kombination von nachweisrechtlichen Formvorschriften und Bestimmungen zum Arbeitsvertragsrecht, die aufeinander aufbauen, problemlos integriert werden, ohne dass es einer Anpassung einer Vielzahl von spezialgesetzlichen Maßregelungsver175

Preis/Henssler, NZA-Beil. 2007, 6, 6 ff.

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL

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boten bedürfte. Vergleichbares gilt auch für die im Zuge der Umsetzung der EZRL relevanten Sondergesetze, lediglich Art. 21 Abs. 5 WBRL sollte in einem Sondergesetz umgesetzt werden. Der Diskussionsentwurf von Preis/Henssler enthält in § 9 ein Maßregelungsverbot,176 das um eine Beweiserleichterung ergänzt werden könnte. Dass der Gesetzgeber in nächster Zeit ein Großprojekt wie die einheitliche Kodifikation des Arbeitsrechts angeht, wäre zwar wünschenswert, ist aber unwahrscheinlich.177 Dies wird sich auch durch die neuen Richtlinien nicht ändern. In Abwesenheit einer solchen Gesamtkodifikation gilt: Aufgrund des Transparenzgebots besteht für spezielle Regelungsmaterien je nach konkreter Regelungssituation auch das Bedürfnis nach einem speziellen Benachteiligungsschutz für Rechtswahrnehmung.178 Dieser spezielle Benachteiligungsschutz muss mit den allgemein einzuführenden Beweiserleichterungen synchronisiert werden.

2. Relevanz besonderer Maßregelungsverbote Mit § 612a BGB besteht jedoch schon ein allgemeines Maßregelungsverbot für das gesamte Arbeitsrecht, dass spezialgesetzliche Wiederholungen des Grundsatzes ohne materiell-rechtliche Abweichung redundant erscheinen lässt. Ein Eingreifen der Kollisionsregel „lex specialis derogat legi generali“ setzt voraus, dass bei zwei Normen mit gleichen Voraussetzungen eine der Normen noch ein zusätzliches Kriterium im Tatbestand aufweist – ist dies der Fall, verdrängt die speziellere Norm in ihrem Anwendungsbereich die allgemeinere.179 Eine Integration der Beweisvorgaben in § 612a BGB führt damit zwangsläufig zu Konflikten, weil der Schutzgehalt der allgemeinen Vorschrift den der speziellen übersteigt. Die weiteren Maßregelungsverbote in Einzelgesetzen sind spezieller, weil sie im Vergleich zum allgemeinen Maßregelungsverbot einen beschränkteren Tatbestand haben. Das zusätzliche Merkmal ist, wenn die spezialgesetzlichen Vorschriften nicht ohnehin abweichende oder zusätzliche Voraussetzungen im Vergleich zu § 612a BGB aufstellen, jedenfalls in der tatbestandlichen Begrenzung der „Rechte“ auf das jeweilige Gesetz zu sehen. Insofern wäre die Anwendung von § 612a BGB auch in der durch neuartige Beweiserleichterungen modifizierten Fassung im Anwendungsbereich der speziellen Maßregelungsverbote ausgeschlossen. ABRL und EZRL bieten die Gelegenheit zu einem Paradigmenwechsel: Durch Beweiserleichterung und Begründungspflicht könnte ein einheitlicher hoher Schutzstandard eingeführt werden, der bedarfsorientiert bei speziellen Interessenlagen gelockert werden kann, wenn ein hinreichender sachlicher Grund für die Differenzierung besteht. Beispielsweise sind Fälle denkbar, in denen es keiner vorgeschalteten Begründungspflicht bedarf. 176

Preis/Henssler, NZA-Beil. 2007, 6, 9. ErfK/Preis, BGB, § 611 Rn. 1. 178 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154. 179 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 465. 177

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Bei einer Umsetzung der Neuregelungen in § 612a BGB bestehen für die bereits vorhandenen Maßregelungsverbote im Wesentlichen zwei Optionen, die den durch den lex-specialis-Grundsatz entstehenden Konflikt auflösen. Wenn überhaupt keine Abweichung vom Regelungsgehalt des § 612a BGB besteht und die spezielle Regelungsmaterie auch nicht aus anderen Gründen eine eigene Schutzvorschrift sinnvoll erscheinen lässt, ist das spezielle Maßregelungsverbot redundant und könnte gestrichen werden. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, gilt es den Schutzstandard an die Neufassung des § 612a BGB im erforderlichen Umfang anzupassen. Dies kann durch einen Verweis auf die Neuregelung oder durch eine Wiederholung der neuen Regelungsinhalte erfolgen. Es gibt keine schematische Lösung für alle spezialgesetzlichen Vorschriften, vielmehr muss der Anpassungsbedarf für jede einzelne Vorschrift ermittelt werden. Bei einer überschießenden Umsetzung der Vorgaben in § 612a BGB wird der Gesetzgeber aber um (teils nur klarstellende) Modifikationen der § 18 BEEG, § 5 PflegeZG, und ggf. § 17 MuSchG nicht umhinkommen, wenn die bisherigen Ansätze des Sonderkündigungsschutzes beibehalten werden sollen. Weil im geschützten Zeitraum bereits ein stärkerer Schutz greift als mindestens erforderlich, entstünde insofern kein Widerspruch, da eine an sich strengere Vorschrift zum Kündigungsschutz mit höheren beweisrechtlichen Hürden verbunden wäre, als das allgemeine Maßregelungsverbot. Im Zuge der erforderlichen Ergänzungen sollte jedoch zur transparenten, gleichmäßigen und vollständigen Umsetzung der erhöhte allgemeine Schutzstandard berücksichtigt werden. 3. Wiederkehrender Regelungsansatz Weil in anderen Richtlinien vergleichbare Regelungen zur Begründung von Kündigungen vorgesehen sind, und die einzelnen in der ABRL vorgesehenen Rechte einen weiten Bereich zwischen Unterrichtungspflichten und materiellen Mindestvorgaben umspannen, wäre es auch weil die Union das Regelungskonzept aus Begründungspflicht und Beweislastregel weiter verfolgt, eine plausible Möglichkeit für den deutschen Gesetzgeber, die „Flucht nach vorne“ anzutreten und die Umsetzung in § 612a BGB zu wählen. Die von der Kommission vorgeschlagene neue Richtlinie im Bereich der Plattformarbeit entspricht in Art. 17, 18 Abs. 1 PARL-E in allen wesentlichen Punkten der Regelung in Art. 18 Abs. 1, 17 ABRL. Dies belegt, dass es sich bei dem Regelungsansatz des Maßregelungsschutzes durch eine Begründungspflicht und zweistufige Beweiserleichterung nicht bloß um einen Gesetzgebungstrend im Jahr 2019 handelt, sondern auch in Zukunft im europäischen Arbeitsrecht mit vergleichbaren Regelungen zu rechnen ist. Aus diesem Umstand allein folgt weder eine direkte noch eine mittelbare Pflicht für den deutschen Gesetzgeber, die Regelungen überschießend umzusetzen. Gleichsam einer Ergänzung der verfassungsrechtlichen Argumentation bedeutet dies jedoch, dass durch eine überschießende und gleichmäßige Regelung in § 612a BGB mit Blick auf zukünftige Richtlinien eine klare und unionsrechtskonforme Rechtslage geschaffen wird. Dies

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL

317

gilt umso mehr, wenn zukünftige Richtlinien die Frage der Umsetzung zweistufiger Beweiserleichterungen und Begründungspflichten immer wieder für verschiedene arbeitsrechtliche Spezialmaterien aufwerfen. 4. Einheitliche Beweiserleichterungen für alle Arbeitgebermaßnahmen Das Unionsrecht fordert im Wesentlichen nur einen (Motiv-)Kündigungsschutz.180 Orientiert sich die Umsetzung an diesem Mindeststandard, bliebe die unklare Beweissituation beim Maßregelungsverbot bei Maßnahmen unterhalb der Intensität einer Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung bestehen. Es wäre abzusehen, dass Diskussionen um eine Anwendung der günstigeren Beweismaßstäbe auf Maßnahmen von geringerer Intensität entstehen. Damit wäre zwangsläufig Rechtsunsicherheit verbunden. Wird die Beweiserleichterung allerdings auf sämtliche Maßnahmen und Vereinbarungen ausgedehnt, wäre der unsichere Rechtszustand hinsichtlich der Anwendung des Anscheinsbeweises und ansonsten einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast beendet. Durch eine Ausdehnung einer klaren gesetzlichen Regelung könnte die Beweisnot beim Maßregelungsverbot flächendeckend beendet und eine klare Rechtslage geschaffen werden. Geboten ist dies aber nicht. Weil die Begründungspflicht die Operabilität der Beweiserleichterung absichert,181 erscheint es auf den ersten Blick nicht sinnvoll, nur die Beweiserleichterung auf alle Benachteiligungen zu erstrecken. Dass bei Kündigungen und gleichartigen Maßnahmen im deutschen Recht ein besonderes Bedürfnis für eine Mitteilung der Gründe besteht, ist durch die Wirkungsintensität der Maßnahme zu erklären und durch den Umstand, dass die Kündigung regelmäßig nicht begründet werden muss. Dies dokumentieren bereits bestehende Ausnahmeregelungen wie § 626 Abs. 1 S. 3 BGB. Die Begründungspflicht trägt nur einen Teil zur Schaffung einer Tatsachengrundlage bei, die dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Darlegungslast auf der ersten Stufe ermöglicht. Die Beweiserleichterung hilft dem Arbeitnehmer auch ohne vorgeschaltete Begründungspflicht bei weniger eingreifenden Maßnahmen. Mit einer Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs würden die bisher in Betracht kommenden Beweiserleichterungen abgelöst. Auch ohne die Begründungspflicht bietet eine gesetzliche Regelung einer „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ einen höheren Standard an Verbindlichkeit und Arbeitnehmerschutz, als er bislang vorhanden ist. Die bestehende Rechtsunsicherheit bezüglich Beweismaß, sekundärer Darlegungslast und der Grundsätze des Anscheinsbeweises entfällt. Die vorprozessuale Begründungspflicht löst im deutschen Recht unbestreitbar Reibungen aus. Die Ausnahme zu geltenden Grundsätzen ist soweit erforderlich hinzunehmen, sollte aber nicht weiter ausgedehnt werden. Obwohl die Bedenken hinsichtlich einer „allgemeinen Begründungspflicht für Kündigungen“ nicht ziel180 181

Zu Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL Preis/Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 26). Dazu bereits Kapitel 4, B.I.3.a) und II.2.b)aa).

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

führend und im Ergebnis überzogen sind,182 stellt die Begründungspflicht eine Belastung für die Arbeitgeber dar. Bei Maßnahmen mit geringerer Eingriffsintensität würde die Belastung noch weiter erhöht, da dann die Begründungspflicht in einer kaum überschaubaren Vielzahl von Fällen im Raum steht. Ein aufgrund der Rechtswahrnehmung verweigerter Händedruck ist zwar von der missbilligenden Wertung des Maßregelungsverbotes erfasst,183 aber es erscheint nicht gerechtfertigt, dem Arbeitgeber eine Begründungspflicht für solche Maßnahmen aufzuerlegen. Dies lässt sich auf andere geringfügige Benachteiligungen, in denen allerdings die Berufung auf das Maßregelungsverbot nicht nahezu ausgeschlossen erscheint, übertragen. Wie gezeigt, sprechen die überzeugenden Gründe gegen eine objektive Begrenzung des Maßregelungsverbots nach Kriterien der Adäquanz oder Erheblichkeit.184 Dies bedeutet aber auch, dass bei Maßnahmen von geringer Intensität ein Risiko besteht, dass der Arbeitgeber pauschalen Maßregelungsvorwürfen querulatorischer Arbeitnehmer ausgesetzt sein könnte. Die tatbestandlich leicht ausgelöste Begründungspflicht hätte das Potenzial, so zu einer kaum begründbaren Belastung für Arbeitgeber zu werden. Das Risiko des Missbrauchs des Begründungsanspruchs ist nur hinzunehmen, wenn es um die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers geht. Bei Sachverhalten von geringerem Gewicht überwiegen jedoch die Risiken des Missbrauchs und die damit verbundenen Belastungen, sodass in einer Angemessenheitsprüfung die Interessen der Arbeitgeber den Vorzug erhalten müssten. Bei Übertragung der Vorgaben ins deutsche Recht ist zu beachten, dass die Beweiserleichterung ein ansonsten nie überwindbares Informationsgefälle auszugleichen sucht, dass bei allen Maßnahmen besteht. Die Begründungspflicht sollte demgegenüber nur als Funktionsgarant für besonders schwerwiegende Maßnahmen dienen. Im Ergebnis sollte daher die unionsrechtliche Wertung, dass die Begründungspflicht nur bei Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung gilt, unverändert übernommen werden. Die zweistufige Beweiserleichterung sollte dagegen korrespondierend zur aktuellen Fassung des § 612a BGB auf sämtliche Maßnahmen des Arbeitgebers ausgedehnt werden.

II. Umsetzung der Begründungspflicht Gegen eine Erweiterung eines an § 626 Abs. 2 S. 3 BGB orientierten Mitteilungsanspruchs auf die ordentliche Kündigung und Maßnahmen gleicher Wirkung, ergänzt durch den Maßregelungsverdacht als Tatbestandsvoraussetzung,185 spricht, dass sich § 622 BGB nicht mit „Maßnahmen gleicher Wirkung“ befasst. Die Norm 182

Dazu Kapitel 5, A.II. Zu den niederschwelligen Maßregelungen schon Kapitel 1, A.I.2.c) und d). 184 Dazu Kapitel 1, A.I.2.c) und d). 185 Maul-Sartori, NZA 2020, 1161, 1165. 183

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL

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betrifft nur Kündigungen. In ihr eine Erweiterung auf andere Maßnahmen vorzusehen, wäre systematisch unstimmig. Ansonsten stellt die Formulierung in § 626 Abs. 2 S. 3 BGB ein mögliches Vorbild für die Neuregelung dar. Bei näherer Betrachtung bestünden bei einer 1:1-Übernahme der Regelung im Vergleich zu den Anforderungen der Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL einige Unstimmigkeiten. Zum einen spricht § 626 Abs. 2 S. 3 BGB nur davon, dass „auf Verlangen“ des Arbeitnehmers eine Mitteilungspflicht besteht. Die Richtlinienvorgaben sind, entgegen der weit verbreiteten Befürchtung im Schrifttum, nicht so zu verstehen, dass die Begründungspflicht voraussetzungslos ist.186 Darüber hinaus besteht aufgrund der (teils berechtigten, teils überzogenen) Befürchtungen des Missbrauchs der Begründungspflicht durch bösgläubige Arbeitnehmer das Bedürfnis nach einer deutlich klareren und inhaltlich engeren Regelung als § 626 Abs. 2 S. 3 BGB, der in der von Maul-Sartori vorgeschlagenen Variante, hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen („auf Verlangen“) über das unionsrechtlich Erforderliche hinausgehen, und andererseits hinsichtlich des Anwendungsbereichs (keine „Maßnahmen gleicher Wirkung“) dahinter zurückbleiben würde. § 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG wurde ebenfalls zur Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 EZRL vorgeschlagen.187 Ob ein Formerfordernis, nach dem die Kündigung der Schriftform bedarf, den Anforderungen des Art. 12 Abs. 2 EZRL entspricht, ist fraglich. Ein solches Formerfordernis, so ließe sich argumentieren, geht über den Schutzstandard des Art. 12 Abs. 2 EZRL hinaus, da der Arbeitgeber bereits ohne Aufforderung einen Grund angeben muss. Allerdings sieht das Unionsrecht vor, dass der Arbeitnehmer die Begründung vom Arbeitgeber einfordern können muss. Mangels überzeugender Vorbilder wäre die Begründungspflicht daher neu zu entwerfen, wobei besonders unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsprävention darauf zu achten ist, dass kein ausufernder Begründungsanspruch geschaffen wird. 1. Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs Bei der Regelung, welche Maßnahmen des Arbeitgebers einen Begründungsanspruch des Arbeitnehmers auslösen, besteht Gelegenheit, den für das deutsche Arbeitsrecht neuen Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ mit einer Legaldefinition zu versehen. Dabei gilt es, keine abschließende Definition in einem Katalog, sondern eine hinreichend weite, aber dennoch präzise Umschreibung des unionsrechtlich geforderten Standards zu formulieren. Die Auslegung hat ergeben, dass eine Maßnahme gleicher Wirkung bereits gegeben sein kann, wenn sie die Lohnzahlungspflicht mindestens suspendiert und so zu einer der Kündigung vergleichbaren Beeinträchtigung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers führt.188 Es kommt darauf an, dass sie Auswirkungen der Maßnahme einer Kündigung ver186

Dazu eingehend unter Kapitel 4, B.I.2. Treichel, DGB-Gutachten, S. 59. 188 Dazu Kapitel 3, B.IV.2.b)cc). 187

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

gleichbar sind, nicht darauf, ob die Rechtswirkung zu einer Kündigung identisch ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Einkommen, dass der Arbeitnehmer mit der Tätigkeit erzielt hätte, durch die Maßnahme entfällt. Damit fallen sämtliche einseitigen Möglichkeiten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, aber auch sonstige Maßnahmen, die zwar nicht zu einer Beendigung des Vertrags aber zu einem auf absehbare Zeit vollständigen Ausbleiben der Vergütung führen, unter den Rechtsbegriff. Entscheidend ist, dass die Wirkung der Maßnahme kausal auf einem Verhalten des Arbeitgebers beruht. Dies versucht die folgende Legaldefinition zum Ausdruck zu bringen. (…) Maßnahme des Arbeitgebers, die zum Ausbleiben des Arbeitsentgelts und so zu einer der Kündigung vergleichbaren Beeinträchtigung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers führt (Maßnahmen gleicher Wirkung).

2. Formulierung Entsprechend der im BGB gebräuchlichen Sprache wird ein gesetzlich festgelegter Anspruch mit den Worten „kann verlangen“ zum Ausdruck gebracht. Schwieriger gestaltet sich die Wortwahl bei der Formulierung der Tatbestandsvoraussetzung des Maßregelungsverdachts. Naheliegend ist es, den Wortlaut der Richtlinie partiell zu übernehmen und an § 612a BGB anzupassen: Arbeitnehmer, die der Ansicht sind, dass ihnen aufgrund der zulässigen Wahrnehmung von Rechten gekündigt worden ist oder dass sie deshalb Maßnahmen mit gleicher Wirkung ausgesetzt sind (…).

Um klarzustellen, dass es sich nicht um eine anlass- und voraussetzungslose Begründungspflicht handelt, empfiehlt sich daher – unter Beibehaltung § 612a BGB als neuer Abs. 1 – folgende Formulierung, die auch die Rechtsfolge hinsichtlich Form und Frist präzisiert: Hat der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Kündigung oder einer Maßnahme gleicher Wirkung den Verdacht, dass diese wegen einer zulässigen Rechtsausübung ergriffen wurde, kann er vom Arbeitgeber eine unverzügliche schriftliche Begründung verlangen.

Während die Schriftform von Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL vorgegeben ist, erfordern die Regelungen nicht die unverzügliche Mitteilung der Gründe. Für eine kurze Frist sprechen bei der Integration ins deutsche Recht allerdings das Beschleunigungsinteresse in Kündigungssituationen, die Frist des § 4 KSchG, sowie die hohe Bedeutung der Arbeitgebermaßnahme für das Fortkommen des Arbeitnehmers. Über diese Rahmenbedingungen der Begründungserteilung hinaus, empfiehlt sich, den erforderlichen Inhalt der Begründung im Vergleich zu Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL genauer festzulegen. Bei Integration der Begründungspflicht ins deutsche Recht sollte auch das herrschende Verständnis des Kausalzusammenhangs bei § 612a BGB zugrunde gelegt werden, um eine möglichst

D. Gesetzgebungsvorschlag zu den Vorgaben in ABRL und EZRL

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effektive Umsetzung sicherzustellen. Eine Pflicht zur Auflistung der objektiven Kündigungsgründe hilft dem Arbeitnehmer, der einen Kontext zur Rechtsausübung herstellen will und muss, vergleichsweise wenig. Sinnvoller ist es, den Arbeitgeber zu verpflichten, auch zu seinen Beweggründen Stellung zu nehmen, die den Kündigungsentschluss getragen haben. Der objektive Kündigungsgrund und das korrespondierende subjektive Motiv werden damit Gegenstand des Begründungsanspruchs. Erweiternd kommt hinzu, dass sich der Arbeitgeber auch konkret zum Vorwurf des Arbeitnehmers einlassen müssen sollte. Zur Konkretisierung des Inhalts der Begründung sollte folgende Klarstellung aufgenommen werden: Die Begründung muss sich auf den Maßregelungsvorwurf beziehen und die Gründe für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung oder jedenfalls die Beweggründe für die Kündigung angeben.

Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass objektiven „Gründen“ auch ein Beweggrund korrespondiert,189 der damit zum Ausdruck gebracht wird. Die Alternativität zwischen Gründe[n] für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung oder Beweggründen für die Kündigung nimmt Rücksicht auf die Situationen, in denen eine Kündigung keiner objektiven Begründung bedarf. Dies stellt klar, dass der Begründungsanspruch auch dann besteht, wenn die Kündigung in der Probezeit und/ oder im Kleinbetrieb erfolgt. Der Arbeitgeber kann sich nicht mit dem Verweis, dass es zur grundlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt ist, entlasten. Vielmehr muss er dem Arbeitnehmer in der Probezeit oder im Kleinbetrieb mindestens seine Motive schriftlich darlegen. Er ist jedenfalls verpflichtet, sein Verhalten dahingehend zu erklären, dass nicht die zulässige Rechtsausübung die Kündigung bedingt hat. Hierin liegt keine Sachgrundbindung „durch die Hintertür“: Auch außerhalb des Anwendungsbereich des KSchG Rahmen des Mindestkündigungsschutzes kann sich der Arbeitgeber dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt sehen, wenn kein „irgendwie einleuchtender Grund“ besteht.190 Durch die Begründung wird daher zur Realisierung des Schutzzwecks des Maßregelungsverbots bei ernsthaft einschneidenden Maßnahmen vom Arbeitnehmer nur eine Verschriftlichung eines ethischen Minimums verlangt, das die Rechtsordnung ohnehin von jedem Arbeitgeber fordert. Eine unverhältnismäßige Belastung liegt darin nicht. 3. Folgen bei Verletzung der Begründungspflicht Mit der Einführung einer Begründungspflicht auf Anfrage des Arbeitnehmers betreffen die Konsequenzen für den Arbeitgeber einerseits die an die Begründungspflicht anknüpfende Beweiserleichterung, andererseits aber auch die allgemeinen zivilrechtlichen Folgen bei Verletzung einer Rechtspflicht. So kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Pflicht aus 189 190

Dazu Kapitel 1, B.IV. Preis, NZA 1997, 1256, 1266.

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

einem gesetzlichen Schuldverhältnis in Betracht, sofern dem Arbeitnehmer ein nachweisbarer Schaden aufgrund der Pflichtverletzung entstanden ist.191 Abgesehen von den allgemeinen zivilrechtlichen Konsequenzen kann eine Nichtbefolgung der Begründungspflicht vom Arbeitnehmer jedenfalls als Anhaltspunkt auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung herangezogen werden.192 Aus dem Schweigen auf ein berechtigtes und gesetzlich vorgesehenes Auskunftsersuchen bei einer im Zusammenhang mit einer Rechtsausübung erfolgten Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung entsteht der Eindruck, dass es keine legitimen Gründe für besagte Maßnahme gab. Ignoriert der Arbeitgeber die Geltendmachung des Begründungsanspruchs, profitiert der Arbeitnehmer im Prozess.

III. Neufassung einer Beweiserleichterung Unter Berücksichtigung des § 22 AGG als Blaupause für die Umsetzung bieten sich einige Klarstellungen der vom Unionsrecht geforderten Rechtslage an. Zu beachten ist etwa, dass die Beweislastumkehr in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nur den Kausalzusammenhang betrifft, was in der Umsetzung deutlicher hervorgehoben werden sollte. Hinsichtlich der Rechtswirkung sind die Grundsätze des deutschen Zivilprozesses zu berücksichtigen. 1. Formulierung Der Vorschlag in „verständlicher Prozesssprache“, nach dem Abs. 1 wie folgt lauten könne „Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass die Benachteiligung wegen eines der in § 1 genannten Gründe überwiegend wahrscheinlich ist“,193 nimmt weder auf die zweistufige Grundstruktur der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL Rücksicht, noch ist im Ergebnis vorgesehen, dass dem Arbeitgeber die Beweislast auferlegt wird. Zwar werden die Voraussetzungen der Norm deutlich klarer als bei § 22 AGG umschrieben. Der zweistufige Regelungsansatz der Diskriminierungsrichtlinien, insbesondere die Rechtsfolge der Beweislastumkehr, kommt allerdings nicht vollständig zum Ausdruck. Darüber hinaus wäre sie bei einer Übernahme für die Vorgaben beim Maßregelungsschutz missverständlich und zu weitreichend, da die Beweislastregel nur für den Kausalzusammenhang und nicht auch für die übrigen Voraussetzungen des § 612a BGB (wie das Vorliegen eines Nachteils) greifen muss.

191 Vgl. zur Verletzung des Anspruchs aus § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Hs. KSchG MAH-ArbR/ Ulrich, § 43 Rn. 239. 192 Dazu Kapitel 4, B.II.2.b)aa). 193 BeckOK-ArbR/Roloff, AGG, § 22 Rn. 7.

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Schon früher wurde bezüglich § 611a BGB a. F. versucht, die europäischen Vorgaben zum Diskriminierungsrecht an die Sprache des deutschen Zivilrechts anzugleichen:194 „Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer Tatsachen darlegt, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als wahrscheinlich erscheinen lassen, dann trägt der Arbeitgeber die (volle) Beweislast“.195

Durch § 611a Abs. 1 Satz 3 werde also vor allem Behauptungs- und Beweislast ausnahmsweise getrennt und verschiedenen Seiten zugewiesen.196 Zur Klarstellung des Beweisthemas empfiehlt sich in der Beweiserleichterung auch eine Kodifizierung der Doktrin des tragenden Beweggrunds. Eine angepasste Regelung auf Basis des obigen Vorschlags könnte wie folgt lauten: Wenn der Arbeitnehmer im Streitfall Tatsachen darlegt [und (ggf.) beweist], nach denen wahrscheinlich ist, dass die Benachteiligung wegen der zulässigen Rechtsausübung erfolgt ist, muss der Arbeitgeber beweisen, dass die zulässige Rechtsausübung nicht tragender Beweggrund für die Maßnahme oder Vereinbarung war.

Die Wendung und (ggf.) beweist ist verzichtbar, da sie nur eine Rechtslage wiedergibt, die ohnehin schon besteht. Auch darüber hinaus lässt sich die Formulierung vereinfachen, etwa indem auf den Begriff der Benachteiligung verzichtet wird. Dies vermeidet die bei § 22 AGG bestehenden Streitigkeiten über das Beweisthema auf erster Stufe. Die Regelung könnte daher lauten: Wenn der Arbeitnehmer im Streitfall Tatsachen darlegt, nach denen wahrscheinlich erscheint, dass die zulässige Rechtsausübung tragender Beweggrund für die Maßnahme oder Vereinbarung war, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass sie nicht tragender Beweggrund war.

2. Angleichung des persönlichen Schutzbereichs Zur Berücksichtigung der weiten Auslegung des beschwerde- und verfahrensbezogenen Viktimisierungsschutzes in der Rechtsprechung des EuGH ist der Maßregelungsschutz auf diejenigen Personen zu erweitern, die den Arbeitnehmer hierbei unterstützen.197 § 16 Abs. 1 S. 2 AGG bietet sich als Regelungsvorbild an, wobei eine Übertragung auf § 612a BGB Gelegenheit für einige Klarstellungen bietet. Der Schutz für Dritte, die den Arbeitnehmer unterstützen ist allerdings nach Art. 17 ABRL und Art. 14 EZRL nur für die Erhebung einer Beschwerde oder die Einleitung eines Verfahrens erforderlich. Angesichts der berechtigten Sorgen hinsichtlich einer zu weitreichenden Ausdehnung des schützenswerten Personenkrei194 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 339; vgl. mit einer ähnlichen Wortwahl Boesche, EuZW 2005, 264, 267. 195 Ebenda. 196 Ebenda. 197 Dazu Kapitel 3, B.IV.1.a) und b).

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

ses198 gilt es einer zu weiten Fassung der Vorschrift entgegenzuwirken. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Unterstützer des Arbeitnehmers in aller Regel mit ihrer Unterstützungshandlung selbst Rechte, zumindest Grundrechte, ausüben und daher Repressalien bereits ohnehin von § 612a BGB erfasst sein dürften. Zur transparenten Richtlinienumsetzung der Art. 17 ABRL und Art. 14 EZRL wäre aber eine gesetzliche Regelung erforderlich, weil der deutsche Gesetzgeber mit § 16 Abs. 1 S. 2 AGG bereits eine Vorschrift mit ähnlicher Schutzrichtung erlassen hat. Außerhalb des Anwendungsbereichs des AGG ist damit nicht klar, inwiefern Unterstützern akzessorischer Maßregelungsschutz zugutekommt. Daher sprechen die besseren Gründe gegen eine 1:1-Übertragung des § 16 Abs. 1 S. 2 AGG, sondern für eine inhaltliche Beschränkung auf Rechtsschutz, bzw. Beschwerden. Darüber hinaus weicht der Wortlaut des § 16 Abs. 1 S. 2 AGG von der Sprache des BGB in einer Weise ab, die bei einer schlichten Übertragung Unklarheiten zu erzeugen geeignet ist. Vornehmlich sollte also der weiter gefasste Begriff „Beschäftigte“ aus dem AGG durch den in § 612a BGB verwendeten Begriff „Arbeitnehmer“ ersetzt werden. 3. Vorschlag für § 612a BGB n. F. Der folgende Vorschlag versucht, einige der Unklarheiten der §§ 22, 16 Abs. 1 Satz 2 AGG zu vermeiden, ohne dabei die Vorgaben der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL zu unterschreiten und der Grundstruktur der zweistufigen Beweislastregel eigener Art abzuweichen. (1) Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Gleiches gilt für Personen, die den Arbeitnehmer bei einer auf die Ausübung seiner Rechte gerichteten Beschwerde oder einem Verfahren unterstützen oder als Zeugen aussagen. (2) Wenn der Arbeitnehmer im Streitfall Tatsachen darlegt, nach denen wahrscheinlich erscheint, dass die zulässige Rechtsausübung tragender Beweggrund für die Maßnahme oder Vereinbarung war, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass sie nicht tragender Beweggrund war. (3) Hat der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Kündigung oder anderen Maßnahme des Arbeitgebers, die zum Ausbleiben des Arbeitsentgelts und so zu einer der Kündigung vergleichbaren Beeinträchtigung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers führt (Maßnahme gleicher Wirkung) den Verdacht, dass sie ergriffen wurde, weil er seine Rechte in zulässiger Weise ausgeübt hat, kann er eine unverzügliche schriftliche Begründung verlangen. Die Begründung muss sich auf den Maßregelungsvorwurf beziehen und die Gründe für die Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung oder jedenfalls die Beweggründe angeben.

198

Vgl. etwa BeckOGK/Benecke, AGG, § 16 Rn. 11, Stand 01. 06. 2023.

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IV. Folgeänderungen bei spezialgesetzlichen Maßregelungsverboten Welche Anpassungen auf Grundlage dieses Gesetzgebungsvorschlags für § 612a BGB n. F. bei spezielleren Schutzvorschriften erfolgen sollte, wird im Folgenden anhand der für die Rechte aus ABRL und EZRL, sowie anhand einiger weiterer ausgewählter Maßregelungs- und Benachteiligungsverbote erörtert. 1. Rein individualschützende Maßregelungsverbote Während sich grundsätzlich zwei Kategorien von Maßregelungsverboten unterscheiden lassen, je nachdem, ob sie nur den einzelnen Arbeitnehmer, oder (auch) eine bestimmte Funktion oder kollektive Form der Rechtsausübung schützen,199 lassen sich innerhalb der ersten Kategorie wiederum zwei Unterarten abgrenzen. Abgrenzungskriterium ist, ob sich die Vorschrift im Wesentlichen auf eine Inhaltswiedergabe des allgemeinen Maßregelungsverbots beschränkt, oder ob sie darüberhinausgehende Regelungen treffen. a) § 5 TzBfG und vergleichbare Regelungen Die Vorschrift hat den gleichen Inhalt wie § 612a BGB.200 Daher ist eine Möglichkeit, die Norm zu streichen, sodass im Wirkungsbereich des TzBfG keine Verdrängungswirkung der spezielleren Norm mehr greift. Ob die Norm aber verzichtbar ist, kann jedoch aufgrund des Gebots der transparenten Richtlinienumsetzung bezweifelt werden.201 Dieses fordert eine gewisse sachlich-thematische Nähe des Benachteiligungsverbots zum Regelungsstandort des Rechts, dessen Ausübung gegenüber dem Arbeitgeber abgesichert werden soll.202 Auf der anderen Seite lässt sich einwenden, dass redundante Regelungen keinen echten Mehrwert für den Arbeitnehmer bringen. Darüber hinaus sei das allgemeine Maßregelungsverbot ebenfalls eine Umsetzung gleichbehandlungsrechtlicher Richtlinien, während die Teilzeit- und Befristungsvorgaben im sekundären Unionsrecht eine § 5 TzBfG entsprechende Regelung nicht erforderten.203 Wenn derselbe Rechtsgrundsatz wie das Maßregelungsverbot immer wieder in verschiedenen Sekundärrechtsakten niedergelegt wird, besteht kein echter Transparenzgewinn bei der Umsetzung, wenn der identische Grundsatz bereits allgemein im nationalen Recht verankert ist. Das Problem entsteht durch den kaum überblickbar komplizierten Regelungszustand des deutschen Arbeitsrechts. Die Spezialgesetze wirken teilweise wie in sich geschlossene Regelungssysteme, sodass das 199

Dazu Kapitel 1, A.II. Dazu Kapitel 3, B.III.1.c). 201 Vgl. Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154. 202 Preis/Ulber, ZESAR 2011, 147, 154. 203 MHH/Herms, TzBfG, § 5 Rn. 3. 200

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

Vorhandensein des Maßregelungsverbotes im BGB nicht zwangsläufig eine ausreichende Nähe zur Regelungsmaterie der Richtlinie aufweist. Daher ist bei der Umsetzung von Begründungspflicht und Beweislastregel im TzBfG als sicherster Weg von einer Streichung der Norm abzusehen. Vielmehr ist eine Ergänzung vorzunehmen, die den neuen Schutzstandard beim Maßregelungsverbot reflektiert. Ein neuer zweiter Satz könnte in § 5 TzBfG wie folgt lauten: § 612a Abs. 2 und Abs. 3 BGB finden entsprechende Anwendung.

Mit einem solchen Verweis auf die Neuregelungen wird die Transparenzlücke behoben, da auf die günstigeren Normen explizit verwiesen wird. Alternativ könnte § 5 TzBfG wie § 612a BGB ergänzt werden. Ein Transparenzmehrwert im deutschen Recht durch diese Regelungstechnik erscheint aber mehr als fraglich. Zudem reflektiert der Verweis auf das im übrigen Arbeitsvertragsrecht geltende BGB nur ein wiederkehrendes Regelungselement im gegenwärtigen deutschen Arbeitsrecht. Vergleichbare Verweise sollten in die übrigen, hinsichtlich der Doktrin des tragenden Beweggrunds zu § 612a BGB inhaltsgleichen besonderen Maßregelungsvorschriften, wie etwa § 11 TzBfG und § 7 Abs. 7 S. 3 ArbZG oder § 127 Abs. 4 SeeArbG aufgenommen werden. b) § 16 AGG, § 21 GenDG Unklar ist, ob § 16 Abs. 3 AGG und § 21 Abs. 2 GenDG dahingehend geändert werden sollten, dass ein Verweis auf § 612a Abs. 2, Abs. 3 BGB n. F. den Verweis auf § 22 AGG ersetzt. Ein Verweis auf eine Norm außerhalb des Gesetzes in § 612a BGB n. F. wäre unstimmig, da das Gesetz selbst schon eine vergleichbare zweistufige Beweiserleichterung enthält. Für eine Ersetzung durch einen Verweis auf die hier vorgeschlagenen Regelungen sprechen verschiedene Gründe. Zum einen besteht ein inhaltlicher Unterschied zwischen Maßregelungsschutz und Diskriminierungsschutz im engeren Sinne.204 Gleichzeitig bestehen keine Unterschiede im Regelungsgehalt zwischen dem Kern des Maßregelungsverbots in § 16 Abs. 1 AGG und § 612a BGB in der gegenwärtigen Fassung, § 16 AGG dehnt den Schutz durch Ergänzungen nur noch weiter aus.205 Dies reflektiert die auch auf Ebene des Unionsrechts bestehende Unterscheidung zwischen primärer Diskriminierung und sekundärer Viktimisierung. Daher wäre ein Verweis auf die neuen Vorgaben keine bloße unsystematische Abweichung im AGG, sondern würde für die Beweismaßstäbe zwischen beiden Rechtsinstituten Stringenz schaffen. Darüber hinaus ist zwar der Regelungsansatz der neuen Beweiserleichterungen in Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL ohne inhaltliche Abweichung dem Diskriminierungsrecht entnommen. Die Begründungspflicht ist jedoch nicht in § 22 AGG enthalten, sodass ohnehin ein gesetzgeberischer Eingriff notwendig wäre. Zum letzten ist festzuhalten, dass schon 204 205

Dazu Kapitel 1, C. Zum Ganzen Kapitel 1, C.III.

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deshalb zugunsten eines Verweises auf § 612a BGB n. F. erfolgen sollte, weil die hier vorgeschlagene Neufassung einige der Probleme und Unklarheiten des § 22 AGG vermeidet. Insbesondere wird die unklare Formulierung auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung („Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist (…)“) vermieden. Damit würde ein Verweis auf § 612a n. F. zur Rechtsklarheit beitragen. 2. Benachteiligungsverbote mit Kollektivbezug Verschiedentlich enthält das BetrVG Vorschriften zum Benachteiligungsschutz, deren Verhältnis zum Maßregelungsverbot nicht immer klar ist. a) §§ 78 S. 2; 84 Abs. 3 BetrVG § 78 S. 2 BetrVG ist ein spezialgesetzliches Maßregelungsverbot.206 Der Schutz erfasst die konkrete Person in ihrer Rechtsstellung,207 es handelt sich nicht um reinen Organschutz. Die Beweisnot und Interessenlage entspricht der Situation bei § 612a BGB,208 was sich auch darin zeigt, dass das BAG hier eine abgestufte Darlegungsund Beweislast ausdrücklich anerkannt hat.209 Somit wäre die Vorschrift wie § 5 TzBfG zu behandeln. Umstritten ist jedoch, ob § 78 S. 2 BetrVG auch den Betriebsrat als Organ schützt,210 und daher eine andere Regelung vorzugswürdig wäre. Durch die Entscheidung des BAG, die einen doppelten Schutzzweck in § 78 S. 2 BetrVG sieht, besteht eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Übertragung einer rein individualschützenden Regelung. Obwohl im Betriebsverfassungsrecht im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber verschiedentlich Auskunftsansprüche vorgesehen sind (etwa § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG), wäre der Verweis auf eine Begründungspflicht im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer systematisch unstimmig. Zudem kann der Arbeitgeber dem Betriebsrat ohnehin nicht „kündigen“, sodass der Mehrwert des Komplexes aus Beweislastregel und vorgeschalteter Begründungspflicht fraglich wäre. Es sprechen daher deutliche Gründe dagegen, die Neuregelungen auf das Verhältnis zwischen den Betriebspartnern auszudehnen. Ohnehin spricht viel dafür, dass ein etwaiger Organschutz durch § 78 S. 2 BetrVG – auch in der Form, in der ihn das BAG zu sehen scheint – nur mittelbar ist: Das Organ wird 206

APS/Künzl, BetrVG, § 78 Rn. 37; vgl. Purschwitz, Das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot in § 78 BetrVG, S. 41. 207 Richardi/Thüsing, BetrVG, § 78 Rn. 20. 208 Ob die Voraussetzungen besonders im Hinblick auf den Kausalzusammenhang kongruent sind, mag allerdings bezweifelt werden, dazu eingehend Purschwitz, Das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot in § 78 BetrVG, S. 80 ff. 209 Dazu schon Kapitel 2, C.II.3.a) 210 Dafür BAG, Urt. v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1211 (Rn. 32) = BAGE 148, 299; HdB-Beweislast/Gäntgen, BGB, § 612a Rn. 9; a. A. GK-BetrVG/Kreutz, § 78 Rn. 22.

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5. Kap.: Herausforderungen bei der Integration ins deutsche Recht

dadurch geschützt, dass seine Mitglieder auf persönlicher Ebene vor Repressalien geschützt werden. Im Fokus stünde demnach klar der Schutz der Person. Über die Frage der Schutzrichtung hinaus bestehen auch tatbestandliche Abweichungen im Vergleich zu § 612a BGB: § 78 S. 2 BetrVG richtet sich nicht nur an den Arbeitgeber, sondern an jedermann.211 Darüber hinaus geht § 78 S. 2 BetrVG über § 612a BGB hinaus, indem er auch Begünstigungen untersagt, wenn sie in Verbindung mit der Betriebsratstätigkeit stehen. Sinnvoll erscheint daher ein Verweis, der klarstellend nur die Maßnahmen des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern betrifft, die ihre Rechte auf ungestörte Verrichtung der Aufgaben der betrieblichen Mitbestimmung ausüben. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit über die Streitfrage der zweifachen Schutzrichtung ist daher eine wie folgt lautende Ergänzung des § 78 BetrVG um einen Satz 3 wünschenswert, der hervorhebt, dass es um personellen, nicht kollektivrechtlichen Schutz geht: Für die in Satz 1 genannten Personen gilt § 612a BGB entsprechend.

§ 84 Abs. 3 BetrVG ist demgegenüber eindeutig ein Sonderfall des § 612a BGB,212 der ausschließlich den Arbeitnehmer schützt. Unter Berücksichtigung des eben Gesagten sollte die Vorschrift daher wie § 5 TzBfG ergänzt werden. b) § 20 Abs. 1,2 BetrVG Bei der Wahl des Betriebsrats besteht ein besonderer Schutz vor Eingriffen. Die Norm schützt die Abhaltung von Betriebsratswahlen als solche,213 es handelt sich um eine „materielle Wahlschutznorm“214. Sie ist allerdings nicht nur gegen den Arbeitgeber, sondern gegen jedermann gerichtet.215 Das Verhältnis zu § 612a BGB ist nicht vollständig geklärt. Bei Verletzung des § 20 Abs. 1 S. 2 BetrVG wird zugleich auch ein Verstoß gegen § 612a BGB angenommen.216 Dass eine überwiegende kollektive Schutzdimension gegeben ist, zeigt sich bereits darin, dass Verstöße nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG strafbewehrt sind. Obwohl § 20 Abs. 1 S. 2 BetrVG ein der einzelnen Person zugeordnetes Recht sichert, ist daher stark zu bezweifeln, ob überhaupt ein Spezialitätsverhältnis zu § 612a BGB besteht. Bezüglich Abs. 2 wird angenommen, dass es sich nicht um ein Maßregelungsverbot handele, da die lediglich nachträgliche Zufügung von Nachteilen, die das Wahlverhalten nicht mehr beeinflussen könne, nicht erfasst sei.217 Für derlei Ver211

Richardi/Thüsing, BetrVG, § 78 Rn. 20; APS/Künzl, BetrVG, § 78 Rn. 35. ErfK/Kania, BetrVG, § 84 Rn. 8; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 84 Rn. 18; BeckOKArbR/Werner, BetrVG, § 84 Rn. 12; NK-ArbR/Diller, BetrVG, § 84 Rn. 26. 213 HWK/Reichold, BetrVG, § 20 Rn. 1. 214 Rieble, ZIP 2009, 1593, 1600. 215 HWK/Reichold, BetrVG, § 20 Rn. 2; Rieble, ZIP 2009, 1593, 1600. 216 Düwell/Brors, BetrVG, § 20 Rn. 4. 217 GK-BetrVG/Kreutz, § 20 Rn. 30. 212

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halten seien die §§ 612a, 134 BGB einschlägig.218 Anders liege der Fall aber, wenn durch die Androhung eines solchen Nachteils die Wahl selbst verhindert werden solle.219 Klar ist jedenfalls, dass der Schutz der kollektiven Willensbildung den Schutzzweck der Vorschrift prägt und also die Übertragung einer rein individualschützenden Norm wie ein Fremdkörper wirken würde. Ein Spezialitätsverhältnis zu § 612a BGB besteht nicht. Damit besteht für § 20 BetrVG kein Bedürfnis für eine Anpassung, was sich etwa auch auf die § 20 Abs. 1,2 MitbestG, § 9 DrittelBG, § 2 Abs. 3 SprAusG übertragen lässt.

V. Angleichung ausgewählter Sonderkündigungsschutzvorschriften Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL kennt den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung nicht. Daher ist eine Umsetzungsoption, die weder einer Minimalumsetzung noch einer überschießenden Erstreckung der Begründungspflicht und Beweislastregel im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gleichkommt, ein modifizierter Verweis auf die Neufassung des § 612a BGB n. F. mit der Maßgabe, dass die neuen Vorschriften für Kündigungen Anwendung finden. Dies schließt für die jeweiligen Rechte durch das lex-specialis-Prinzip eine Ausdehnung der Neuregelungen auf Maßnahmen gleicher Wirkung für die Umsetzungsakte der EZRL gemäß der Entscheidung des Unionsgesetzgebers aus. Unter Berücksichtigung des bereits bestehenden Sonderkündigungsschutzes ist jedoch eine differenzierte Betrachtung erforderlich. 1. § 18 BEEG Zwar ist zur Umsetzung des Sonderkündigungsschutzes bei Freistellungszeiten eine Art. 12 Abs. 3 EZRL entsprechende Beweiserleichterung nicht erforderlich.220 Allerdings verlangt Art. 12 Abs. 1 EZRL auch einen Schutz vor Kündigungsvorbereitung, der über den Schutzgrad des allgemeinen Maßregelungsverbots im deutschen Recht hinausgeht.221 § 18 BEEG enthält, im Gegensatz zu § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG, keine Passage zum Schutz vor Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers, sodass eine vergleichbare Regelung einzuführen wäre. Art. 12 EZRL sieht keine Verpflichtung vor, für Kündigungsvorbereitungshandlungen eine Begründungspflicht und Beweislastregel einzuführen. Allerdings differenziert Art. 12 EZRL in der Intensität des Schutzes vor Repressalien durch die Verpflichtung zur Einführung ebensolcher Regelungen nicht zwischen Kündigungen während und nach Ende des Freistellungszeitraums. Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL fordern einen effektiven Schutz vor 218

GK-BetrVG/Kreutz, § 20 Rn. 30; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 20 Rn. 22. Richardi/Thüsing, BetrVG, § 20 Rn. 22. 220 Dazu bereits eingehend Kapitel 3, B.IV.2.c). 221 Ebenda. 219

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maßregelnden Kündigungen auch nach Ende des Freistellungszeitraums. § 18 BEEG schützt nicht vor Kündigungen nach Ende des Freistellungszeitraumes; mangels spezialgesetzlichem Maßregelungsverbot im BEEG greift hier gegenwärtig § 612a BGB.222 Dies bedeutet aber auch, dass nach hiesigem Gesetzgebungsvorschlag § 612a Abs. 2, 3 BGB n. F. Anwendung finden würden, die den Schutzstandard des Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL erfüllen. § 18 BEEG entfaltet keine Sperrwirkung als lex specialis für Kündigungen, die von ihm gar nicht erfasst werden. Die vollständige Erfüllung der Richtlinienvorgaben durch eine über den Schutzstandard hinausgehende Regelung wäre demnach an sich sichergestellt. Allerdings ist nicht gesichert, dass eine solche „aufgespaltene“ Realisierung des Schutzstandards auch den Anforderungen an eine transparente Richtlinienumsetzung genügt. Zwar ist der deutsche Gesetzgeber nicht verpflichtet, vom Sonderkündigungsschutz für Freistellungszeiten abzuweichen und ihn durch Einführung einer Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL entsprechenden Regelung zu unterschreiten. Allerdings ist schon aus Gründen der Rechtsklarheit für nach Ende des Freistellungszeitraums erklärte Kündigungen eine Regelung wünschenswert, die in transparenter Weise auf den nach § 612a BGB n. F. erhöhten generellen Schutzstandard auch im Bereich des BEEG verweist. § 18 Abs. 1 BEEG ließe sich demnach durch einen neuen Satz 7 ergänzen: Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung trifft.

Darüber hinaus wird folgender Abs. 3 eingefügt: Im Übrigen findet § 612a BGB Anwendung.

2. § 5 PflegeZG (teilw. i. V. m. § 2 Abs. 3 FPflZG) Entsprechendes lässt sich in § 5 PflegeZG, auf den § 2 Abs. 3 FPflZG verweist, regeln. Demnach wäre folgende Änderung wünschenswert: § 5 Abs. 1 wird um folgenden Satz 2 ergänzt: Dies gilt entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung trifft.

Darüber hinaus wird folgender Abs. 3 eingefügt: Im Übrigen findet § 612a BGB Anwendung.

3. § 17 MuSchG Sollte sich der Gesetzgeber in Zukunft noch für eine Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs anlässlich der Geburt des Kindes im MuSchG entscheiden, könnte der Sonderkündigungsschutz auf die Zeit der Freistellung anlässlich der Geburt des 222

Ebenda.

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Kindes für den zweiten Elternteil ausgedehnt werden. Durch § 17 Abs. 1 Satz 3 MuSchG bereitet der Schutz vor Kündigungsvorbereitung im Rahmen des MuSchG keine größeren Probleme. Für Kündigungen nach Ende des geschützten Zeitraums gilt jedoch dasselbe wie bei § 18 BEEG. Danach würde ein Verweis auf § 612a BGB aus den bereits genannten Gründen sinnvoll erscheinen, wenn der Kündigungsschutz für Vaterschaftsurlaub in den bisherigen Abs. 1 integriert wird. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die rechtliche und tatsächliche Ausgangssituation bei einer nur zehntägigen Freistellung im Sinne des Art. 4 EZRL von dem zeitlich umfassenden Schutz für Mütter unterscheidet. Dies überträgt sich auch auf die Struktur des § 17 Abs. 1 MuSchG, der auf die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Schwangerschaft abstellt, aber eine nachträgliche Mitteilung binnen 14 Tagen ermöglicht (§ 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG). Eine solche Regelung erscheint unter Berücksichtigung der bisher erarbeiteten Umsetzungsvorschläge nicht sachgerecht. Vielmehr könnte ein neuer Abs. 1a des § 17 MuSchG wie folgt lauten: Kündigungen und Maßnahmen zu ihrer Vorbereitung während der Inanspruchnahme der Vaterschaftszeit anlässlich der Geburt sind unzulässig. Im Übrigen findet § 612a BGB Anwendung.

Danach würde während der Freistellungszeit ein absolutes Kündigungsverbot gelten, während für die übrigen Fälle der Viktimisierung wegen Inanspruchnahme des Rechts § 612a BGB in der hier vorgeschlagenen Fassung, samt Begründungspflicht und Beweiserleichterung eingreift. Für einen behördlichen Erlaubnisvorbehalt wie § 17 Abs. 2 MuSchG besteht bei einer dem Mindestschutzstandard entsprechenden Freistellung an nur zehn Arbeitstagen kein Bedarf.

6. Kapitel

Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL Während der deutsche Gesetzgeber die Frist zur Umsetzung der EZRL zunächst ungenutzt hat verstreichen lassen, wurde auf die ABRL innerhalb der Umsetzungsfrist reagiert. Weder das Umsetzungsgesetz zur ABRL,1 noch das VRUG enthalten eine Regelung zur Umsetzung von Begründungspflicht und Beweiserleichterung. Es stellt sich die Frage, wie im Bereich der ABRL und EZRL außer durch ein den Mindestanforderungen des Unionsrechts genügendes Gesetz richtlinienkonforme Ergebnisse geschaffen werden können.

I. Möglichkeiten richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung Unter Privaten gelten Richtlinienrechte im Falle einer defizitären Umsetzung nicht unmittelbar, sind aber im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen.2 1. Methodische Grenzen Dies scheidet nur aus, wenn das nationale Recht so eindeutig gefasst ist, dass eine Berücksichtigung der unionsrechtlichen Normen die Grenzen der methodengerechten Auslegung überschreitet.3 Bei einer zu weitreichenden richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung besteht die Gefahr, dass die Grenzen zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienrechte verwischen.4 Ungeklärt und umstrit1 Auf dieses Umsetzungsdefizit weisen etwa Buschmann, AuR 2022, 343, 346; Preis/ Schulze, NJW 2022, 2297, 2301 (Rn. 26) und Kolbe, EuZA 2023, 3, 20 hin. 2 Eingehend zu den Fallgestaltungen Streinz/Schröder, AEUV, Art. 288 Rn. 98 ff. m. w. N. zur Rspr. des EuGH. 3 Dazu schon Kapitel 4, B.III.1.c)bb). 4 Preis, NZA 2006, 401, 404; Grundmann, ZEuP 1996, 399, 417; Klumpp, NZA 2005, 848, 849; Auer, NJW 2007, 1106, 1108; vgl. auch Thüsing, ZIP 2004, 2301, 2305.

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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ten ist es, welcher Maßstab für die Feststellung einer planwidrigen Regelungslücke als Grundlage für eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zu stellen ist. Während auf der einen Seite bereits ein Widerspruch zwischen unionsrechtlich geforderter und national gegebener Rechtslage die Gerichte zur Rechtsfortbildung berechtigen soll und so die Feststellung der Regelungslücke anhand der gesamten Rechtsordnung festgemacht wird,5 fordern andere, dass sich dies allein anhand der Maßstäbe des nationalen Rechts bestimmt.6 Wesentlicher Punkt des eher restriktiven Standpunkts ist, dass die Unionsrechtswidrigkeit des nationalen Rechts keine zusätzlichen Möglichkeiten zur Rechtsfortbildung schafft.7 Dem Verbot des Judizierens contra legem im nationalen Recht verbleibe kein Raum, wenn der nationale Souveränitätsverzicht anhand von Art. 23 GG übersteigert werde.8 Bei der Feststellung der Planwidrigkeit lässt sich nach dem Vorhandensein eines Umsetzungswillens des nationalen Gesetzgebers differenzieren.9 Entsprechend eines vergleichbaren Ansatzes in der Rechtsprechung des EuGH10 hat das BAG im Rahmen dieser Differenzierung einen Umsetzungswillen des Gesetzgebers als Ausprägung der unionsrechtsfreundlichen Auslegung nach Art. 4 Abs. 3 EUV schlicht unterstellt.11 Dies zog einige Kritik auf sich und wurde in Teilen auch wieder verworfen.12 Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet nicht dazu, eine unionsrechtlich gebotene Rechtslage unter Verletzung der Grenzen von Wortlaut und Systematik im nationalen Recht herzustellen.13 Auch für Vertreter einer eher weiten Ansicht, nach der sich die „Lücke“ nach der Gesamtrechtsordnung, nicht nach den 5 Herresthal, JuS 2014, 289, 293; Canaris, FS Bydlinski, 47, 85; Preis/Sagan/Sagan, Rn. 1.154; in diese Richtung auch Auer, NJW 2007, 1106, 1108; vgl. auch EU-Methodenlehre/Roth/Jopen, § 13 Rn. 54; ähnlich wohl auch BAG, Urt. v. 24. 03. 2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538, 543 f. (Rn. 58 f.). 6 Höpfner/Rüthers, AcP 2009, 1, 35 f.; BAG, Urt. v. 17. 11. 2009 – 9 AZR 844/08, AP BUrlG § 11 Nr. 65, Rn. 30 ff.; Konzen, FS Birk, 439, 453; eingehend auch EUArbRK/Höpfner, AEUV, Art. 288 Rn. 86 m. w. N. 7 Thüsing, ZIP 2004, 2301, 2305; Höpfner/Rüthers, AcP 2009, 1, 35 f. 8 Konzen, FS Birk, 439, 453. 9 BGH, Urt. v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 429 (Rn. 23 ff.); BGH, Urt. v. 21. 12. 2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073, 1076 (Rn. 31 ff.); BGH, Urt. v. 08. 01. 2014 – V ZB 137/12, NVwZ 2014, 1111, 1112 (Rn. 11); BGH, Urt. v. 07. 05. 2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, 2648 (Rn. 22 ff.); ferner auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 269 ff. 10 EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.), ECLI:EU:C: 2004:584, Rn. 112; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1993 – Rs. C-334/92 (Wagner Miret), ECLI:EU:C: 1993:945, Rn. 20 f. 11 BAG, Urt. v. 24. 03. 2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538, 543 f. (Rn. 58 f.). 12 Kritisch stellvertretend Huber, EuR 2021, 696, 710 ff.; noch für einen „hypothetischen Umsetzungswillen“ BGH, Urt. v. 21. 12. 2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073, 1076 (Rn. 34); BGH, Urt. v. 07. 05. 2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, 2648 (Rn. 22); anders: BGH, Urt. v. 08. 01. 2014 – V ZB 137/12, NVwZ 2014, 1111, 1112 (Rn. 11); BAG, Urt. v. 17. 11. 2009 – 9 AZR 844/08, AP BUrlG § 11 Nr. 65, Rn. 24 ff. 13 Huber, EuR 2021, 696, 707.

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

nationalen Maßstäben bestimmt, scheidet eine richtlinienkonforme Auslegung aus, wenn sich der Gesetzgeber nach klaren Anhaltspunkten bei einer Umsetzungsmaßnahme bewusst gegen einzelne Regelungen entschieden hat.14 Nach verfassungsrechtlichen Maßstäben ist eine Rechtsfortbildung nur dann zulässig, wenn „Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst“ werden, ohne dass dabei der klare Wille des Gesetzgebers ignoriert wird oder „die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen“.15 Eine Überschreitung der Grenzen stelle es etwa dar, wenn das Gericht eine gesetzgeberische Grundentscheidung durch ein eigenes Regelungsmodell ersetze, das der Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt habe.16 Letztere Entscheidung betraf zwar einen Fall, in dem der Gesetzgeber von den Gestaltungsspielräumen einer Richtlinie Gebrauch gemacht hat, und nicht die Verletzung einer Umsetzungsfrist. Die Kernaussage lässt sich jedoch auf die hiesige Konstellation übertragen. Die Annahme, dass sich bei der Befugnis zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung das Vorliegen einer Regelungslücke allein nach den Maßstäben des nationalen Rechts bestimmt, ist zu restriktiv. Sie verkennt, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien selbst Rechtsanwender ist.17 Andererseits darf eine klare Entscheidung gegen eine Umsetzung einer Richtlinienvorgabe nicht durch die Rechtsprechung umgangen werden, da ansonsten der Grundsatz der Gewaltenteilung tangiert und die demokratische Legitimation des Gesetzgebers unterlaufen würde.18 Sinnvoll scheint es daher danach abzugrenzen, ob der Gesetzgeber sich ausdrücklich und bewusst gegen die Umsetzung einer Richtlinienbestimmung entschieden hat – nur dann ist eine richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung gesperrt.19 Dies wahrt die Grenzen, die das BVerfG für richtlinienkonforme Auslegung gezogen hat. Gleichzeitig trennt die Berücksichtigung des Gesetzgeberwillens die richtlinienkonforme Auslegung von einer unmittelbaren Wirkung.20

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Herresthal, EuZW 2007, 396, 400; Preis/Sagan/Sagan, Rn. 1.154. St. Rspr.: BVerfG, Beschl. v. 23. 05. 2016 – 1 BvR 2230/15, NJW-RR 2016, 1366, 1369 (Rn. 39, 41); BVerfG, Beschl. v 26. 9. 2011 – 2 BvR 2216/06, NJW 2012, 669 (Rn. 45 f.); BVerfG, Beschl. v. 25. 01. 2011 – 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193, 210. 16 BVerfG, Beschl. v. 06. 06. 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774, 780 (Rn. 76). 17 Herresthal, EuZW 2007, 396, 400. 18 BVerfG, Beschl. v. 23. 05. 2016 – 1 BvR 2230/15, NJW-RR 2016, 1366, 1369 (Rn. 36 f.); BVerfG, Beschl. v. 26. 09. 2011 – 2 BvR 2216/06, NJW 2012, 669 (Rn. 43 f.). 19 Preis/Sagan/Sagan, Rn. 1.154; Herresthal, EuZW 2007, 396, 400. 20 Herresthal, JuS 2014, 289, 294; Preis/Sagan/Sagan, Rn. 1.154. 15

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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2. Ermittlung des Gesetzgeberwillens bei der Umsetzung der ABRL Über den Grund der Übergehung der zweistufigen Beweiserleichterung bei der Richtlinienumsetzung lässt sich nur mutmaßen. Laut Gesetzesentwurf handelt es sich um eine 1:1-Umsetzung der Vorgaben der ABRL.21 Diese Aussage steht im starken Kontrast zur fehlenden Umsetzung der Beweiserleichterung und Begründungspflicht in Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, obwohl dieses Umsetzungsdefizit schon in der Verbändekonsultation etwa vom Deutschen Anwaltverein gerügt wurde.22 Dabei ist wahrscheinlich, dass aufgrund des in vielen Punkten schon richtlinienkonformen nationalen Rechts verbleibende Umsetzungsbedarfe bei den diese Rechte absichernden horizontalen Bestimmungen verkannt wurden.23 In Betracht kommen im wesentlichen zwei Fehlschlüsse, denen der Gesetzgeber unterlegen sein könnte. Zunächst liegt angesichts der teilweise im Schrifttum geäußerten Meinung, bei § 612a BGB bestehe eine Rechtslage, die ohnehin § 22 AGG entspreche,24 nahe, dass der Gesetzgeber fälschlich davon ausgegangen ist, dass das deutsche Recht bereits richtlinienkonform sei. Auf der anderen Seite ist denkbar, dass die teilweise schon vorhandene Richtlinienkonformität hinsichtlich einiger materieller Mindestarbeitsbedingungen den Gesetzgeber dazu verleitet hat, anzunehmen, dass die horizontalen Bestimmungen keinen Umsetzungsbedarf mehr auslösen können.25 Eine explizite Entscheidung gegen die Umsetzung des Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL in Kenntnis der bestehenden Umsetzungspflicht ist nicht ersichtlich. Vielmehr besteht nicht nur nach den Maßstäben des Sekundärrechts, sondern auch unter Berücksichtigung des Willens des deutschen Gesetzgebers zur vollständigen (1:1) Richtlinienumsetzung eine planwidrige Regelungslücke. Der Wille zur vollständigen Richtlinienumsetzung war bereits nicht mehr nur hypothetisch, sondern tatsächlich vorhanden, wofür auch die umfassenden Regelungen zur Umsetzung der Richtlinienrechte sprechen. Dementsprechend steht grundsätzlich der Weg zur richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung offen. Allerdings ist auch die bislang anerkannte Rechtslage, welche die Neuregelungen im Wege der Rechtsfortbildung modifizieren sollen, von Bedeutung. Denn auch andere Entscheidungen des Gesetzgebers außerhalb der Entscheidung für oder gegen eine (teilweise) Richtlinienumsetzung können bei der Frage, ob die contra-legem-Grenze mit der Rechtsfortbildung überschritten wird, nicht außer Acht gelassen werden. 21

BTDrucks. 20/1636, S. 2. Stellungnahme des Verbandes Deutscher Anwaltsverein durch den Ausschuss Arbeitsrecht zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen im Zivilrecht v. 08. 02. 2022, S. 8, abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetze/Stellungnahmen/um setzung-der-arbeitsbedingungenrichtlinie-im-zivilrecht-dav.pdf;jsessionid=46975F3D2201 0D6C1F4EC08ABFB50FD9.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 30. 06. 2023). 23 Dazu Kapitel 4, B.III.2. 24 Däubler/Beck/Deinert, AGG, § 16 Rn. 48. 25 Dazu Kapitel 4, B.III.2. 22

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

3. Richtlinienkonforme Auslegung im Einzelnen Bereits nach gegenwärtigem Recht könnte unter Anwendung der in der Rechtsprechung des BAG abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Bereich der Diskriminierungsrichtlinien eine zumindest im Ergebnis richtlinienkonforme Rechtslage erzeugt werden, die § 22 AGG nahekommt.26 Eine Anwendung der Generalklausel „abgestufte Darlegungs- und Beweislast“ in richtlinienkonformer Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO wurde bereits zur Bewältigung des Problems diskriminierender Kündigungen vorgeschlagen, auf die § 22 AGG wegen § 2 Abs. 4 AGG keine Anwendung findet.27 a) Beweiserleichterung An diese Möglichkeiten zur Beweiserleichterung kann die Rechtsprechung im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung ansetzen. Dies lässt sich im deutschen Recht über eine modifizierte Anwendung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast realisieren. Als Folge der auf erster Stufe erfolgreichen Plausibilitätsprüfung ist nicht nur eine Umkehr der konkreten Beweisführungslast, sondern auch der objektiven Beweislast für den Kausalzusammenhang zu fordern.28 Dabei finden die bereits dargestellten Grundsätze zur Integration des zweistufigen Regelungsansatzes ins deutsche Recht Anwendung. Folglich geht die unionsrechtlich zu schaffende Rechtslage über den bisher anerkannten Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hinaus. Damit greift für den Maßregelungsschutz bei Wahrnehmung von Richtlinienrechten in unionsrechtskonformer Auslegung der Generalklausel der abgestuften Darlegungs- und Beweislast bei § 138 Abs. 2 ZPO im Wesentlichen die Rechtslage, die Grundlage einer gesetzlichen Regelung wäre:29 Der Arbeitnehmer muss nur einen Anbeweis eines Kausalzusammenhangs erbringen (Absenkung der Darlegungslast). Ist der Vortrag überwiegend plausibel, wobei der Arbeitgeber keine Gegengründe vorbringen, sondern nur die Hilfstatsachen bestreiten kann (Absenkung des Beweismaßes und Beschränkung des Gegenvortrages), wechselt über die konkrete Beweisführungs- und Darlegungslast hinaus bezüglich des Kausalzusammenhanges auch die objektive Beweislast auf den Arbeitgeber. Im Vergleich zum Normalfall der abgestuften Darlegungs- und Beweislast beschränkt sich die Beweismaßsenkung auf den Vortrag einer Partei. Eine Gesamtwürdigung des Prozessstoffs findet zunächst auf erster Stufe nicht statt und es erfolgt auf zweiter Stufe auch eine Umkehr der objektiven Beweislast. Letzteres tritt zwar in 26

Vgl. APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a, 74. APS/Preis, 1. Teil, lit. J Rn. 73a, 79; Preis, ZESAR 2007, 308, 309; dazu Kapitel 2, C.II.3.c). 28 Dazu Kapitel 4, B.II.2. 29 Dazu Kapitel 5, B.III. 27

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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Widerspruch zur Grundregel der Beweislast bei § 612a BGB und zur Entscheidung des Gesetzgebers, davon keine Abweichungen zu treffen. Allgemein haben richterrechtliche Beweislastumkehrungen in der Vorschrift des § 630h BGB, die jahrelang etablierte Rechtsprechung zur Umkehr der Beweislast im Arzthaftungsprozess kodifiziert,30 jedoch ein gewisses Moment der Billigung durch den Gesetzgeber erfahren. Richterliche Abweichungen von der Grundregel der Beweislast verstoßen damit nicht per se gegen die contra-legem-Grenze – erst recht nicht, wenn die Gerichte zur Schaffung einer unionsrechtskonformen Rechtslage in diesem Punkt verpflichtet sind. Damit bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen eine richtlinienkonforme Auslegung in Gestalt einer Umkehr der objektiven Beweislast als Teil einer modifizierten abgestuften Darlegungs- und Beweislast bei § 612a BGB. Nach hier vertretener Auffassung ist die richtlinienkonforme Auslegung der bestehenden Möglichkeiten der Beweiserleichterung bei Wahrnehmung der in ABRL und EZRL enthaltenen Rechte im Wege der verfassungskonformen Auslegung auf Kündigungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung als Reaktion auf die Wahrnehmung sonstiger Rechte auszudehnen. Besondere Bedeutung entfaltet sie bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG. Doch auch nach Ablauf der Wartezeit und in größeren Betrieben bleibt das Maßregelungsverbot relevant. Für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 612a BGB in diesen Fällen bleibt ebenfalls Bedarf, denn bei etwa bestehenden Kündigungsgründen bleibt die Generalklausel anwendbar.31 b) Richtlinienkonformes Verständnis bestehender Begründungspflichten Die Begründungspflicht stellt eine wesentliche Neuerung dar, löst aber angesichts einiger bereits in der Rechtsprechung anerkannter und teilweise gesetzlich geregelter Begründungspflichten keine unauflösbaren Wertungswidersprüche aus.32 Bestehende Begründungsansprüche wie §§ 626 Abs. 2 S. 3 BGB, § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG, § 22 Abs. 3 BBiG und § 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG können im Wege der richtlinienkonformen Auslegung an den durch Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL geforderten Rechtszustand angepasst werden. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber bei der Darlegung der „Gründe“ zu dem der Begründungsanfrage immanenten Maßregelungsvorwurf Stellung nimmt.33 Die Grenzen des Wortlauts der bisher gesetzlich vorgesehenen Mitteilungspflichten werden durch ein solches Verständnis nicht überschritten, obwohl die Bedeutung des Begriffs „Kündigungsgrund“ in § 626 Abs. 2 S. 3 BGB abgewandelt wird. Entsprechendes gilt für § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG. Bei der Wahrnehmung von Richtlinienrechten wäre damit eine richtlinienkonforme Auslegung bereits bestehender Begründungsansprüche bei Kündigungen möglich. 30

BTDrucks. 17/10488, S. 27. Dazu Kapitel 1, B.IV.3.b). 32 Dazu Kapitel 5, A. 33 Dazu Kapitel 4, B.I.3.a).

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

Dass der Gesetzgeber Ausnahmen von einem ungeschriebenen Grundsatz geschaffen hat, bedeutet nicht, dass die richterrechtliche Anerkennung vorprozessualer Begründungspflichten die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreitet. Dies entspricht der Situation bei richterrechtlichen Beweislastverschiebungen. Auch ist die entsprechende Anwendung bestehender Begründungspflichten außerhalb ihres konkreten Anwendungsbereichs nach geltendem Recht nicht ausgeschlossen.34 Der Zweck der Funktionalitätssicherung besteht auch dann, wenn die Beweiserleichterung selbst nur in richtlinienkonformer Auslegung gilt. Auf diese Weise wird dem Effet-utile-Grundsatz Genüge getan und das Ziel der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL erreicht. Alternativen zur rechtsfortbildenden Entwicklung einer Begründungspflicht außerhalb spezialgesetzlicher Vorgaben sind nicht ersichtlich. Ein richtlinienkonformer Rechtszustand unter Berücksichtigung des Ziels der Begründungspflicht könnte nur im Wege einer „überschießenden“ richtlinienkonformen Rechtsfortbildung geschaffen werden: Zwar verlangen die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL gerade keine vollständige Umkehr der Beweislast, ohne dass die Voraussetzungen der ersten Stufe erfüllt sind. Nur wenn der Arbeitgeber die vollständige Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang trägt, fällt der Zweck des Begründungsanspruchs fort. Denn beim Verbleib einer ersten Stufe als tatbestandliche Schwelle ist nicht sichergestellt, dass der Arbeitnehmer entsprechend dem Mindestschutzstandard der Richtlinien in effektiver Weise die Rechtsfolge der Beweislastumkehr auslösen kann. Eine allgemeine Begründungspflicht für Kündigungen besteht nur auf Grundlage der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers.35 Dieser Anspruch ist nach den Vorgaben des Unionsrechts richtlinienkonform auszulegen und insbesondere auch auf Maßnahmen gleicher Wirkung zu erstrecken. Nach Zugang einer Kündigung oder Kenntniserlangung von einer Maßnahme gleicher Wirkung können Arbeitnehmer daher eine schriftliche Mitteilung der Gründe, das heißt im Wesentlichen der objektiven Gründe und der Beweggründe für die Maßnahme beim Arbeitgeber verlangen. Besteht keinerlei Bezug zu einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers, wäre die Geltendmachung des Begründungsanspruchs rechtsmissbräuchlich. Der Arbeitgeber muss auf die Begründung reagieren, indem er zum Vorwurf der Maßregelung Stellung nimmt. Kommt der Arbeitgeber einer Begründungsaufforderung nicht nach, kann dies als Indiztatsache im Prozess im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast in richtlinienkonformer Auslegung herangezogen werden. Gleiches gilt für in sich widersprüchliche Begründungen oder sich aufgrund der Begründung im Vergleich zu sonstigen Umständen des Einzelfalls ergebende Unstimmigkeiten.36

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So zu § 626 Abs. 2 S. 3 BGB: APS/Preis, 1. Teil, lit. D. Rn. 26. Dazu Kapitel 4, B.III.3.c). 36 Dazu Kapitel 4, B.II.2.b)aa).

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A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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4. Zwischenfazit Insgesamt kann damit nach Ablauf der Umsetzungsfristen im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, soweit erforderlich, durch richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung über § 138 ZPO und §§ 242, 241 Abs. 2 BGB bei § 612a BGB und jeweils einschlägigen spezielleren Maßregelungsverboten ein richtlinienkonformer Rechtszustand geschaffen werden. Durch Ausdehnung auf Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der ABRL und EZRL werden im Wege der verfassungskonformen Auslegung weitere Wertungswidersprüche im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG vermieden.

II. Umsetzungspflicht des Gesetzgebers und richtlinienkonforme Auslegung Die defizitäre Umsetzung der ABRL und die verspätete Umsetzung der EZRL wirft die Frage auf, inwiefern der nationale Gesetzgeber noch zur Umsetzung verpflichtet ist, wenn die Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung besteht, und welche Gelegenheiten sich für die Befolgung fortbestehender Umsetzungspflichten anbieten. 1. Weiterbestehende Pflicht zur Schaffung gesetzlicher Beweiserleichterung Rechtsgrundlage der richtlinienkonformen Auslegung die Umsetzungsverpflichtung nach Art. 288 Abs. 3 AEUV selbst (in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV).37 Damit stellt sie zumindest auch einen Umsetzungsakt des auslegenden Gerichts dar. Mit Ablauf der Umsetzungsfrist sind alle staatlichen Stellen zur Herstellung eines unionsrechtskonformen Rechtszustands verpflichtet.38 Dies gilt auch für den Gesetzgeber selbst: Wenn die Pflicht für den primär verpflichteten Gesetzgeber mit Ablauf der Umsetzungsfrist enden würde, wäre die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts gerade dann gefährdet, wenn eine gesetzliche Regelung zur Herstellung von Rechtssicherheit und Transparenz notwendig ist. Dafür spricht auch die praktische Ausgestaltung des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 f. AEUV, die dem Mitgliedsstaat bereits im Vorverfahren nach Ablauf der 37

EuGH, Urt. v. 10. 04. 1984 – Rs. C-14/83 (von Colson und Kamann), ECLI:EU:C: 1984:153, Rn. 15; EuGH, Urt. v. 05. 10. 2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer u. a.), ECLI:EU:C:2004:584, Rn. 113; EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006 – Rs. C212/04 (Adeneler), ECLI: EU:C:2006:443, Rn. 113; EuGH, Urt. v. 15. 09. 2011 – Rs. C-53/10 (Müksch), ECLI:EU:C: 2011:585, Rn. 32 ff.; grundlegend insofern auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 247 ff.; zustimmend Herrmann, Richtlinienumsetzung, 108 ff.; für eine Beschränkung der Rechtsgrundlage auf Art. 288 Abs. 3 AEUV Calliess/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Abs. 3 Rn. 79 f. auch m. w. N. zum Meinungsstand. 38 Dazu Kapitel 4, B.III.1.

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

Umsetzungsfrist einer Richtlinie noch die Möglichkeit gibt, das Umsetzungsdefizit zu beseitigen.39 Alle drei Gewalten bleiben umsetzungsverpflichtet, wobei alle mitgliedsstaatlichen Stellen verpflichtet sind, die Umsetzungsdefizite anderer Stellen ggf. zu kompensieren.40 Dies spricht klar dafür, dass der Gesetzgeber auch nach Ablauf der Umsetzungsfristen trotz der Möglichkeit der richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet bleiben kann, eine gesetzliche Regelung zu erlassen.41 Dies gilt sogar dann, wenn eine unmittelbare Geltung der Richtlinie in Betracht kommt.42 Soweit vereinzelt angenommen wird, die Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung mache eine gesetzgeberische Anpassung entbehrlich,43 wird verkannt, dass Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen einen Grad der Transparenz und Rechtssicherheit erreichen kann, der einem Parlamentsgesetz gleichkommt.44 Da es sich bei der richtlinienkonformen Auslegung immerhin trotzdem um Richtlinienumsetzung handeln kann, beurteilt sich die Frage, wann eine solche Auslegung für die Legislative entpflichtend ist, im Einzelfall.45 Ob und inwiefern der Gesetzgeber nach Ablauf der Umsetzungsfrist noch eine defizitäre Rechtslage richtlinienkonform ausgestalten muss, richtet sich spiegelbildlich danach, wann vor Ablauf der Frist die Grundsätze der Transparenz und Rechtssicherheit gewahrt sind. Die Möglichkeit der richtlinienkonformen Auslegung löst daher eine bestehende Umsetzungsverpflichtung des nationalen Gesetzgebers nicht pauschal ab, sondern tritt vielmehr zu dieser hinzu. Anderes mag gelten, wenn die richtlinienkonforme Auslegung durch ständige Rechtsprechung einen Grad der Verfestigung der Rechtslage und Transparenz erreicht, der eine gesetzliche Regelung der sekundärrechtlich einzuführenden Rechtslage rein deklaratorisch erscheinen lässt.46 39

Calliess/Ruffert/Cremer, AEUV, Art. 258 Rn. 5. Burger, DVBl. 2013, 1431, 1435 f. 41 Deutlich wird dies etwa in EuGH, Urt. v. 10. 05. 2001 – Rs. C-144/99 (Kommission/ Niederlande), ECLI:EU:C:2001:257, EuZW 2001, 437, 438 (Rn. 21); EuGH, Urt. v. 25. 07. 1991 – Rs. C-208/90 (Emmott), ECLI:EU:C:1991:333, Rn. 20 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006 – Rs. C212/04 (Adeneler), ECLI:EU:C:2006:443, Rn. 116; ausdrücklich etwa Reich/Rörig, EuZW 2002, 87, 89; Burger, DVBl. 2013, 1431, 1435 ff. 42 EuGH, Urt. v. 25. 07. 1991 – Rs. C-208/90 (Emmott), ECLI:EU:C:1991:333, Rn. 20 ff.; EuGH, Urt. v. 06. 05. 1980 – Rs. C-102/79 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C:1980:120, Rn. 12; EuGH, Urt. v. 01. 03. 1983 – Rs. C-301/81(Kommission/Belgien), ECLI:EU:C: 1983:51, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 11. 08. 1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:1995:263, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 02. 05. 1996 – Rs. C-253/95 (Kommission/ Deutschland), ECLI:EU:C:1996:188, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 17. 09. 1997 – Rs. C-54/96 (Dorsch), ECLI:EU:C:1997:413, Rn. 44. 43 Hendler, DVBl. 2012, 532, 538; in diesem Zusammenhang differenzierend Lau, DVBl. 2012, 678, 685; eingehend zu diesem Themenkreis m. w. N. Burger, DVBl. 2013, 1431, 1432. 44 Dazu Kapitel 4, B.III.1. 45 Burger, DVBl. 2013, 1431, 1436. 46 Kapitel 4, B.III.1.c); anders insofern Burger, DVBl. 2013, 1431, 1438, der meint, eine höchstrichterliche Rechtsprechung sei generell untauglich. 40

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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Obwohl eine richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung nach Ablauf der Umsetzungsfrist geeignete Mittel sind, den unionsrechtlich geforderten Rechtszustand in der Rechtsprechung zu realisieren, steht fest, dass der Gesetzgeber die Richtlinie nicht in hinreichend transparenter und rechtssicherer Weise umgesetzt hat, wozu er verpflichtet war.47 Im Falle von Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL gilt damit in Fortsetzung der Rechtslage vor Ablauf der Umsetzungsfristen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht über einen Verweis auf die Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung entlasten kann. 2. Weitere Konsequenzen der Nichtumsetzung Offen ist, inwiefern der hier vorgeschlagene Weg zur richtlinienkonformen Auslegung und Rechtsfortbildung von den Gerichten eingeschlagen wird. Ignoriert ein Gericht bei einer Kündigung infolge der Wahrnehmung von Richtlinienrechten die unionsrechtlich gebotene Rechtslage kommen Staatshaftungsansprüche des Bürgers aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Betracht, sofern infolge der Nichtbeachtung des Richtlinienrechts durch die Gerichte ein Schaden entstanden ist. Dasselbe gilt, wenn es sich wegen vermeintlicher Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung gezwungen sieht, die Grundregel der Beweislast bei § 612a BGB für den Kausalzusammenhang anzuwenden oder der Beweisnot mit unzureichenden Beweiserleichterungen wie dem Anscheinsbeweis zu begegnen. Allerdings ist die notwendige Schwelle des Verschuldens denkbar hoch.48 Darüber hinaus bewirkt das Spruchrichterprivileg in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB überwiegend einen Haftungsausschluss. Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 f. AEUV durch die Kommission oder durch andere Mitgliedsstaaten zur Durchsetzung der horizontalen Bestimmungen der ABRL erscheint unwahrscheinlich, da Deutschland immerhin die Nachweispflichten und materiellen Mindestanforderungen umgesetzt hat. Darüber hinaus besteht angesichts der bestehenden Beweiserleichterungen bei § 612a BGB ein gewisser Prüfungsaufwand für die Feststellung, dass der Gesetzgeber die Umsetzungspflicht verletzt habe. Bei Nichteinhaltung der Umsetzungsfrist kommt jedenfalls im Vertikalverhältnis den dem Einzelnen zustehenden Rechtspositionen ausnahmsweise unmittelbare Wirkung zu, wenn die sekundärrechtlichen Normen unbedingt gelten und hinreichend bestimmt gefasst sind.49 Dies gilt nicht nur im Falle der vollständig fehlenden Umsetzung, sondern auch bei einem defizitären, weil nicht vollständigen Umset-

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Dazu Kapitel 4, B.III.2. – 4. Dazu etwa Frenz/Götzkes, EuR 2009, 622, 642. 49 Statt vieler und m. w. N. zur unmittelbaren Direktwirkung insbesondere im europäischen Arbeitsrecht Wank, RdA 2020, 1, 2 ff. 48

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

zungsakt.50 Eine unmittelbare Geltung scheidet allerdings aus, wenn die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung besteht.51 Dies ist hier der Fall. Eine Regelung nach hier vorgeschlagener Geltungsreichweite könnte etwa im Zuge der weiteren Umsetzung der EZRL eingeführt werden. Sollte der PARL-E als neue Unionsrichtlinie in Kraft treten, bestünde im Zuge der Umsetzung erneut Gelegenheit, die Rechtsunsicherheit für das Beweisrecht bei maßregelnden Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zu beenden.

III. Das „Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz“ Nach Ablauf der Umsetzungsfrist der EZRL am 01. 08. 2022 greifen die eben dargestellten Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung, wenn auch in geringerem Umfang: Eine richtlinienkonforme Auslegung ist insbesondere nicht erforderlich, soweit das deutsche Recht durch absolute Kündigungsverbote während Freistellungszeiten schon über den Schutzstandard des Art. 12 EZRL hinausgeht.52 1. Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes Der Grundtendenz folgend, dass das deutsche Recht überwiegend bereits den Anforderungen der Richtlinie genügt,53 sieht das VRUG nur punktuelle Anpassungen der einschlägigen Gesetze zu Freistellungszeiten vor. Außer den aufgrund von Art. 9 EZRL aus Sicht des Gesetzgebers notwendigen Anpassungen wurde in Art. 3 und Art. 2 VRUG eine mit Blick auf die Vorgaben des Art. 12 EZRL relevante Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes im PflegeZG und FPflZG aufgenommen. Über die in Art. 9 Abs. 2 EZRL enthaltenen Rechte hinaus enthält der Entwurf für diejenigen Arbeitnehmer in Kleinbetrieben, die mit ihrem Arbeitgeber eine Freistellung nach dem PflegeZG oder FPflZG vereinbaren, Regelungen zum Kündigungsschutz während der jeweils vereinbarten Freistellungszeiten.54 Der geschützte Personenkreis und sachliche Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 PflegeZG wird erweitert, ohne dass eine zeitliche Ausdehnung des Kündigungsverbots geregelt wird.55 Sonderkündigungsschutz während der jeweiligen Freistellungszeiten geht über bloßen Maßregelungsschutz im deutschen Recht hinaus, eine Umsetzung von 50 Callies/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Rn. 54 ff.; EUArbRK/Höpfner, AEUV, Art. 288 Rn. 34. 51 Callies/Ruffert/Ruffert, AEUV, Art. 288 Rn. 53; EUArbRK/Höpfner, AEUV, Art. 288 Rn. 30; anders Canaris, FS Bydlinski, 47, 55. 52 Dazu Kapitel 3, B.IV.2.c). 53 VRUG, S. 2; zu den Richtlinienrechten und ihrem Änderungspotenzial für das deutsche Recht überblicksartig Kapitel 3, B.III.2. 54 VRUG, S. 7 f. 55 Gläser, ArbRAktuell 2022, 419, 420.

A. Maßregelungsschutz für Rechte aus der ABRL und EZRL

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Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL ist insofern nicht erforderlich.56 Zu beachten ist jedoch, dass Art. 12 Abs. 1 EZRL mehr fordert als bloß einen Kündigungsschutz während der Freistellungszeiten. So ist insbesondere keine Begründungspflicht oder Beweiserleichterung in dem Fall vorgesehen, in dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach dem Ende einer Freistellungszeit kündigt, um den Arbeitnehmer nachträglich zu sanktionieren. In der vorgesehenen Anpassung des § 5 PflegeZG ist außerdem der Zeitraum des Sonderkündigungsschutzes auf die Freistellungszeit selbst begrenzt, sodass dem Arbeitnehmer im Zeitraum zwischen Beantragung der Freistellung und Beginn der Freistellungszeit – im Unterschied zu anderen Gesetzen (§ 18 BEEG, § 17 MuSchG) – nur das allgemeine Maßregelungsverbot verbleibt. Folglich besteht bei Kündigungen vor und nach Ende der Freistellungszeiten auch bei teilweise richtlinienkonformem Sonderkündigungsschutz ein Umsetzungsdefizit hinsichtlich Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL.

2. Ausweitung der Kompetenzen der Gleichbehandlungsstelle Bemerkenswert ist, dass sich der Gesetzgeber, während er die weiteren Bestimmungen zum Schutz der Rechtsausübung ansonsten weitgehend übergeht, der Umsetzung des Art. 15 ERZL besonders angenommen hat. Art. 4 VRUG ergänzt § 27 AGG um ein explizites Beschwerderecht für Arbeitnehmer bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Hinblick auf die Wahrnehmung von Richtlinienrechten. Dabei stellt der Gesetzesentwurf auch auf das „Maßregelungsverbot des Art. 11 der Richtlinie“ ab.57 Damit folgt der Gesetzgeber zumindest dem Ansatz nach einer Argumentationslinie, die den Schutz für Rechtswahrnehmung am nationalen Diskriminierungsrecht ausrichten will.58 Der Hinweis im VRUG auf Art. 11 EZRL wirft die Frage auf, ob die Möglichkeit des Arbeitnehmers, im Falle einer mutmaßlichen Maßregelung die Antidiskriminierungsstelle einzuschalten eine Alternative zur Einführung einer Beweiserleichterung und einer korrespondierenden Begründungspflicht sein könnte. Nach Art. 12 Abs. 5 EZRL sind die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, Absatz 3 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle obliegt. Eine Umsetzung der beweisrechtlichen Vorgaben wäre nur verzichtbar, wenn eine Behörde mit entsprechenden Amtsermittlungsbefugnissen ausgestattet wäre.59 Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine Einrichtung, die Arbeitnehmern im Einzelfall (§ 27 Abs. 2 AGG) unterstützend zur Hilfe kommt, indem sie 56

Dazu Kapitel 3, B.VI.2.c). VRUG, S. 19. 58 Deutlich insofern Nebe/Gröhl/Thoma, ZESAR 2021, 210, 214 ff.; zur Einordnung des Art. 11 EZRL siehe Kapitel 3, B.IV.1.c). 59 EUArbRK/Sprenger RL (EU) 2019/1158, Art. 14 Rn. 7; vgl. EUArbRK/Kolbe, RL (EU) 2019/1152, Art. 18 Rn. 3; EUArbRK/Mohr, RL 2000/78/EG, Art. 10 Rn. 2 ff. 57

344

6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

Arbeitnehmer informiert, Beratungsangebote anbietet und vermittelt sowie eine gütliche Lösung des mit Diskriminierung verbundenen Konflikts anstrebt. Eine gesetzliche Befugnis zur Aufklärung des Sachverhalts und damit einhergehende Ermittlungsbefugnisse hat sie nicht; im Gegenteil: Der Gesetzgeber des AGG hat bewusst einen rein zivilrechtlichen Ansatz verfolgt.60 An diesen Befugnissen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird durch die Neuregelung in § 27 AGG nichts geändert. Eine Umsetzung des Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL wird in der Folge nicht verzichtbar. 3. Keine vollständige Richtlinienumsetzung Für weite Teile der Rechtswahrnehmung ist der Arbeitnehmer damit auf § 612a BGB und die dort bestehende unklare Beweislage verwiesen, soweit nicht ein zeitlicher Sonderkündigungsschutz für die Wahrnehmung von Richtlinienrechten eingreift. Die Annahme, dass das deutsche Recht bereits weitgehend richtlinienkonform sei,61 erweist sich daher bezüglich Art. 12 EZRL in Teilen als unzutreffend. Die EZRL ist damit nicht vollständig umsetzt. Im Übrigen besteht die Verpflichtung zur richtlinien- und verfassungskonformen Auslegung des § 612a BGB.62

IV. Zusammenfassung In richtlinienkonformer Auslegung können daher bestehende Begründungsansprüche dem Arbeitnehmer bei einem Maßregelungsverdacht zu Hilfe kommen. Die zweistufige Beweiserleichterung ist über die vom BAG anerkannte abgestufte Darlegungs- und Beweislast in ergänzter bzw. modifizierter Form im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu realisieren. Entsprechend sind bestehende Begründungsansprüche richtlinienkonform auszulegen und im Übrigen rechtsfortbildend neu zu gestalten. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung betrifft nur die in den Richtlinien niedergelegten Rechte. In verfassungskonformer Auslegung sollten dieselben Maßstäbe auch für Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung für die Wahrnehmung sonstiger Rechte, die nicht Gegenstand von ABRL und EZRL sind, angewandt werden.

60

BeckOGK/Benecke, AGG, § 25 Rn. 12, Stand 01. 03. 2022. VRUG, S. 2. 62 Für eine analoge Anwendung des § 16 AGG und § 134 BGB mit Blick auf Kündigungen: v. Roetteken, ZTR 2022, 340, 351 f. 61

B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber

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B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber Mit Ausnahme der Einrichtung interner Meldekanäle für juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern war die WBRL bis zum 17. 12. 2021 umzusetzen. Nach langem Ringen, einem Regierungswechsel und intensiver Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist lange nach Ablauf der Umsetzungsfrist erst am 02. 07. 2023 ein Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten.63 Zu klären ist, inwiefern die Regelung in § 36 Abs. 2 HinSchG den Anforderungen des Art. 21 Abs. 5 WBRL genügen und was die Überschreitung der Umsetzungsfrist für die gerichtliche Praxis hinsichtlich der Beweissituation bei Hinweisgebern im Arbeitsrecht bedeutet.

I. Hintergrund Wie bereits herausgearbeitet, rechtfertigen es die Unterschiede zwischen Art. 21 WBRL und dem arbeitsrechtlichen Maßregelungsschutz im deutschen Recht, die Struktur der Beweislastregel zur Umsetzung des Art. 21 Abs. 5 WBRL nicht dem hier vorgeschlagenen Standard in § 612a BGB n. F. anzugleichen. Hiervon abgesehen, wird die Beweiserleichterung für Hinweisgeber am heftigsten diskutiert. Dennoch blieben bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist noch viele Fragen offen, insbesondere war unklar, ob der Entwurf überhaupt den Schutzstandard der Richtlinie vollständig umsetzen würde.64 Die Kritik im Schrifttum ist bis heute nicht abgerissen. Der Grund für das Scheitern des Referentenentwurfs im Jahr 2021 waren erhebliche Bedenken innerhalb der Fraktion der CDU/CSU hinsichtlich einer unverhältnismäßigen Belastung der Unternehmen.65 Da es sich um eine dringende Aufgabe nach der Bundestagswahl 2021 handelte,66 wurde die Umsetzung der WBRL im Koalitionsvertrag zwischen den Fraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen mit einem Versprechen einer rechtssicheren und praktikablen Umsetzung bedacht.67 Die Fassung des § 36 Abs. 1 HinSchG setzt zunächst die Vorgabe des Art. 19 WBRL in einem spezialgesetzlichen „Maßregelungsverbot, das nicht nur Arbeitnehmer erfasst“68 um. Der Regelungsansatz der WBRL wird hinsichtlich des Re63

Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden v. 31. 05. 2023, BGBl. I, Nr. 140 v. 02. 06. 2023. 64 Etwa Dilling, CCZ 2021, 60, 67. 65 Gerdemann, NJW 2021, 3489. 66 Deinert/Kittner, RdA 2021, 257, 267. 67 Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen abrufbar unter https://www. bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2 021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 111. 68 Burg/Medem/Hütter-Brungs/Pötters/Fütterer/Forst, NZA 2021, 449, 450.

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

pressalienschutzes weitgehend übernommen: So gibt § 3 Abs. 6 HinSchG die Legaldefinition der Repressalien aus Art. 5 Nr. 11 WBRL wieder. Daran anknüpfend ist in § 36 Abs. 1 HinSchG unter der Überschrift „Verbot von Repressalien“ ein Benachteiligungsverbot mit einer Beweislastumkehr geregelt. Diese wurde im Gesetzgebungsverfahren unter Einschaltung des Vermittlungsausschusses weiter an den Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 WBRL angepasst. Bei der Umsetzung in einem neuen Stammgesetz bestand außerdem weitgehend Konsens, dass hinsichtlich der teilweise differierenden Vorgaben des erst 2019 in Kraft getretenen Geschäftsgeheimnisgesetzes Folgeänderungsbedarf zur Angleichung der beiden Schutzinstrumente besteht.69 Vergleichbares gilt für die bislang vorhandenen Regelungen zum Hinweisgeberschutz in Spezialgesetzen.70

II. Die Beweislastumkehr bei Repressalien Auch nach mehrfacher Überarbeitung bleibt die Regelung hinter den Erwartungen aus dem Koalitionsvertrag, im Ergebnis aber nicht hinter den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 21 Abs. 5 WBRL zurück. 1. Begrenzung des Anwendungsbereichs Kern der Überarbeitung der Entwürfe zum Hinweisgeberschutzgesetz war nicht der Repressalienschutz.71 Auch der Gesetzgeber erkannte das Problem der wertungsmäßigen Folgerichtigkeit mit Blick auf die Besserstellung des Hinweisgebers bei der Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht im Verhältnis zu Verstößen gegen nationales Recht.72 Er hat sich für einen Kompromiss in § 2 HinSchG entschieden. Demnach wurden um „Wertungswidersprüche zu vermeiden und die praktische Anwendung für hinweisgebende Personen ebenso wie für interne und externe Meldestellen handhabbar zu gestalten, insbesondere das Strafrecht und bestimmte Ordnungswidrigkeiten einbezogen und die durch die HinSch-RL vorgegebenen Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf korrespondierendes nationales Recht ausgeweitet“73. Es handelt sich – nach wie vor – um eine überschießende Umsetzung,74 obwohl der HinSchG-RegE gegenüber den Vorentwürfen deutlich „unternehmerfreundlicher“ ausgestaltet ist.75 69 Colneric/Gerdemann, WBRL-Umsetzung, S. 72; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 422, 434 f.; MüHB-ArbR/Reichold, § 54 Rn. 41a; Schröder, ZRP 2020, 212, 215. 70 Dazu Kapitel 3, C.II.3.b). 71 Ausführlich zu den Änderungen im Vergleich zum ersten Referentenentwurf Gerdemann, ZRP 2022, 98; Thüsing, DB 2022, 1066. 72 Dazu Kapitel 5, C.IV.1. 73 HinSchG-RegE, S. 33. 74 Reufels/Osmakova, ArbRB 2022, 147, 150. 75 Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1171 f.

B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber

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Der Gesetzgeber hat bestehende Möglichkeiten ausdifferenzierterer Regelungen zur Beweissituation nicht ausgeschöpft, und etwa nicht genau geregelt, wer die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 2 HinSchG eröffnet ist.76 Positiv hervorzuheben ist aber, dass der Gesetzgeber, trotz verbliebener berechtigter Kritikpunkte durch Nichtnutzung rechtspolitischer Gestaltungsmöglichkeiten,77 dennoch einige Richtungsentscheidungen getroffen hat. So besteht bei der Umsetzung das Problem, inwiefern der Hinweisgeberschutz – und damit auch die Beweislastregel des Art. 21 Abs. 5 WBRL für gutgläubige Dritte gilt, wenn der Hinweisgeber selbst bösgläubig ist, und ob umgekehrt bösgläubige Dritte aus dem Schutz herausfallen, wenn der Hinweisgeber gutgläubig ist.78 Für einen Schutz des Dritten unabhängig vom Hinweisgeber spreche die effektive Realisierung des in Art. 1 WBRL festgelegten Ziels der Richtlinie und die fehlende Zurechenbarkeit des Hinweisgeberverhaltens.79 Nach anderer Auffassung können Dritte im Sinne des Art. 4 Abs. 4 WBRL weder gut- noch bösgläubig sein, da Mittler und andere verbundene Personen nicht imstande seien, eine solche Überzeugung im Zeitpunkt der Meldung durch den Hinweisgeber zu bilden, weswegen die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 lit. a) WBRL auf Dritte nicht sachgerecht sei.80 Der Gesetzgeber hat sich in § 34 HinSchG deutlich für eine Beurteilung nach dem subjektiven Horizont des Dritten entschieden. Nicht mit den Vorgaben des Art. 21 WBRL vereinbar ist es, eine starre zeitliche Begrenzung des Repressalienschutzes in das HinSchG aufzunehmen.81 Eine zeitliche Angleichung an die Löschfrist des § 11 Abs. 5 HinSchG mag dem Arbeitgebern die Widerlegung der „vermuteten“ Repressalie erleichtern, zumal die Überwindung des Informationsgefälles gerade bei der Dokumentation einer Meldung besondere Be-

76

Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 27; ders., DB 2023, 1537, 1544 f. Stellvertretend Dzida/Seibt, NZA 2023, 657. 78 Forst, EuZA 2020, 283, 297; dazu auch Siemes, CCZ 2022, 7, 12. 79 Forst, EuZA 2020, 283, 298. 80 Siemes, CCZ 2022, 7, 11. 81 Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1171; unter Verweis auf Deutsches Institut für Compliance, Stellungnahme v. 11. 05. 2022, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2022/Downloads/0511_Stellungnahme_DICO_Hin SchG-E.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 7; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme v. 17. 05. 2022, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Stellungnahmen/2022/Downloads/0517_Stellungnahme_DAV_HinSchG-E. pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 30 f.; Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme v. 17. 05. 2022, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Ge setzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2022/Downloads/0517_Stellungnahme_BRAK_Hin SchG-E.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 10; Bundesverband der Unternehmensjuristen, Stellungnahme v. 11. 05. 2022, abrufbar unter https://www.bmj.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2022/Downloads/0511_Stellungnahme_ BUJ_HinSchG-E.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 4. 77

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

deutung hat.82 Allerdings fehlt einer zeitlichen Begrenzung des Repressalienschutzes, einschließlich der Beweislastregel,83 die sekundärrechtliche Grundlage. Der Schutz vor „Bestrafung“ aufgrund einer rechtmäßigen Nutzung der Meldungs- und Offenlegungsmöglichkeiten der Richtlinie unterliegt keinen gesondert vorgesehenen zeitlichen Grenzen. Der erforderliche enge Zusammenhang zur Rechtswahrnehmung kann auch bei „später Rache“ des Arbeitgebers vorhanden sein. Eher eine Verlängerung der Löschfrist wäre sachgerecht,84 wenn man die praktischen Durchsetzungsmöglichkeiten der Ansprüche des Hinweisgebers für die effektiven Geltung verbessern und zugleich sicherstellen will, dass der Arbeitgeber genügend Informationen zur Verfügung hat, um die Vermutung zu widerlegen. Der Erwägungsgrund 44 WBRL spezifiziert nicht, dass es sich um einen zeitlichen Zusammenhang handeln muss. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Repressalie nur durch Zeitablauf entfällt. Dies wäre vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots für Art. 21 WBRL auch kaum zielführend, da Arbeitgeber sonst durch bloßes Abwarten den Maßregelungsschutz umgehen können. 2. Unklare Vermutungsregelung In § 36 Abs. 2 S. 2 HinSchG wird neben dem Beleg „hinreichend gerechtfertigter Gründe“ zur Widerlegung der Vermutung eines Kausalzusammenhangs zwischen Meldung/Offenlegung und Maßnahme des Arbeitgebers eine weitere Möglichkeit zum „Gegenangriff“ angeführt: Die Vermutung ist dem Wortlaut nach auch dann widerlegt, wenn bewiesen wird, dass die Maßnahme „nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruht“. Gegenstand des Art. 21 Abs. 5 WBRL ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers einerseits der Kausalzusammenhang zwischen Meldung/Offenlegung und Maßnahme, andererseits aber auch die „ungerechtfertigte Benachteiligung“.85

82 Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1171; eine ausführliche Dokumentation ist ohnehin zur Erhaltung der Verteidigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers anzuraten: Nießen, RFamU, 2022, 399, 404; vgl. auch Dzida/Seibt, NZA 2023, 657, 664; Johnson, CCZ, 2023, 39, 43. 83 In diese Richtung wohl Dzida/Seibt, NZA 2023, 657, 661 f.; ähnlich auch Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 28. 84 Für eine mindestens vierjährige Frist in § 11 Abs. 5 HinSchG-RegE unter Berücksichtigung der allgemeinen Verjährungsregeln Bundesverband der Unternehmensjuristen, Stellungnahme v. 11. 05. 2022, abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsver fahren/Stellungnahmen/2022/Downloads/0511_Stellungnahme_BUJ_HinSchG-E.pdf?__blob= publicationFile&v=2 (zuletzt am 30. 06. 2023), S. 4; für eine flexible Löschfrist Thüsing/Musiol/Peisker, ZGI 2023, 63, 64 f. 85 HinSchG-RegE, S. 95.

B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber

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a) Kritik an der Definition der Repressalien Unklarheit entsteht auch durch den Begriff der Repressalien selbst, der in § 3 Abs. 6 HinSchG im Wesentlichen die Definition der WBRL übernimmt.86 Auch in der Formulierung des § 36 Abs. 2 HinSchG wird deutlich, dass das Ministerium die Definition von Repressalien in Art. 5 Nr. 11 WBRL zugrunde gelegt hat, da der Entwurf den beruflichen Kontext der Maßnahme als Tatbestandsvoraussetzung der Beweiserleichterung aufnimmt. Auch bleiben neuere Entwicklungen wie die Rechtsprechung des EGMR im Fall Gawlik unberücksichtigt. Obwohl der EGMR sich nicht zum Rangverhältnis zwischen interner und externer Meldung äußert,87 bestünde Gelegenheit für den Gesetzgeber, die Frage der Nachforschungspflichten von Hinweisgebern vor Meldung klar zu regeln.88 Außerdem gehe aus der Fassung der Beweislastumkehr im Entwurf nicht klar hervor, dass sie entsprechend den Vorgaben der Richtlinie auch gilt, wenn Unternehmen im Zusammenhang mit der Meldung oder Offenlegung Forderungen gegen den Hinweisgeber stellen.89 Weiterhin würden die beweisrechtlichen Vorgaben zum einstweiligen Rechtsschutz, die nicht den Vorgaben der WBRL entsprechen, nicht adressiert.90 b) Keine klare Definition des Kausalzusammenhangs § 36 Abs. 2 HinSchG nutzt die Einführung einer Vermutung als Umsetzungsoption. Dies ist sachgerecht, da es sich um eine einfache Beweislastumkehr ohne vorgeschaltete Anforderungen an das Vorbringen des Klägers handelt. Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 21 Abs. 5 WBRL wurde weitgehend (mit kleineren Änderungen der Zeitform) übernommen und geringfügig ergänzt. Die WBRL hat den Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und Nutzung der Hinweisgeberrechte nur hinsichtlich der Maßgabe definiert, dass schon die Mitberücksichtigung der Hinweisgeberstellung einen solchen Zusammenhang begründet.91 Da der deutsche Gesetzgeber seinen Umsetzungsakt sehr nah an die Begriffe der Richtlinie anlehnt, verpasst er die Gelegenheit zur Klarstellung dieser Vorgabe. Misslich ist vor allem, dass der Wortlaut der deutschen Umsetzung eine Deutung ermöglicht, die eine Rechtfertigungsmöglichkeit einer Benachteiligung unabhängig vom Kausalzusammenhang ermöglicht. Der Wortlaut stützt, dass eine Maßnahme zwar mit der Hin-

86 Dazu Dilling, CCZ 2021, 60, 65; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 172; kritisch auch Bayreuther, DB 2023, 1537, 1544. 87 Kritisch zur Entscheidung Gawlik etwa Happ/Feldner, jurisPR-Compl 1/2022, Anm. 1, unter D. 88 Gerdemann, NJW 2021, 2324, 2327. 89 Gerdemann, SR 2021, 89, 105; insofern auch Dilling, CCZ 2022, 145, 150. 90 Gerdemann, SR 2021, 89, 105. 91 Dazu Kapitel 3, C.II.3.a)aa).

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

weisgeberstellung zusammenhängen, aber dennoch gerechtfertigt sein kann.92 Eine Abgrenzung zwischen einer Rechtfertigungsmöglichkeit und dem Kausalzusammenhang ist praktisch nur schwer realisierbar,93 und auch in der Konzeption des Repressalienschutzes nicht vorgesehen.94 Unklar ist in § 36 Abs. 2 HinSchG etwa, ob Wille zur Benachteiligung aufgrund der Hinweisgeberstellung bereits den Kausalzusammenhang verwirklicht, wenn er nur Teil eines Motivbündels ist oder er innerhalb eines Motivbündels tragender Beweggrund sein muss.95 In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird davon gesprochen, dass ein hinreichend gerechtfertigter Grund bereits dann vorliegen könne, wenn das Verhalten des Arbeitgebers „in erster Linie“ aus anderen, objektiv nachvollziehbaren Gründen erfolgt sei, etwa wenn ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten tragender Beweggrund der Maßnahme gewesen sei.96 Die Folge der Formulierung des Gesetzes ist eine Interpretation, die die Verteidigungsmöglichkeiten des Unternehmens erweitert: Eine Repressalie sei auch dann zu verneinen, wenn bei einem Motivbündel im Hinblick auf den „neutralen“ Grund andere Belegschaftsmitgliedern genauso behandelt würden, wie der Hinweisgeber,97 bzw. wenn der Arbeitgeber trotz eines bestehenden Kausalzusammenhangs nachweisen könne, dass seine Maßnahme ungeachtet dessen gerechtfertigt sei.98 Dies entspräche aber gerade nicht den Anforderungen der Richtlinie. Hätte sich der deutsche Gesetzgeber für eine (unionsrechtlich gebotene) Klarstellung des Kausalzusammenhangs in Anlehnung an das Diskriminierungsrecht des AGG entschieden, hätte die Regelung wie folgt lauten können: Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit, so wird vermutet, dass die Benachteiligung nicht nur aus hinreichend gerechtfertigten Gründen erfolgt ist.

Ob eine Übernahme der Aufteilung in Art. 21 Abs. 5 WBRL in Rechtfertigungsgründe und Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinne erforderlich ist, mag bezweifelt werden.99 Die Formulierung „wegen“ entspräche jedenfalls dem auch für den Repressalienschutz in der WBRL erforderlichen Standard im Diskriminierungsschutz, der in § 3 Abs. 1 AGG abgebildet wird. Gleichzeitig wäre die Vermutung klar und deutlich auf dieses Tatbestandsmerkmal begrenzt. Ergänzend wird eine Eingrenzung des Begriffs der Benachteiligung unter Bezugnahme auf die

92 Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 28; ders., DB 2023, 1537, 1544 f.; BeckOK-ArbR/ Bruns, HinSchG, § 36 Rn. 8. 93 In diese Richtung Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1168 f. 94 Dazu Kapitel 3, C.II.3.a)aa). 95 Gerdemann, ZRP 2021, 37, 39; Schmidt, Regelungsoptionen, S. 172. 96 HinSchG-RegE, S. 96; darauf für die Auslegung abstellend BeckOK-ArbR/Bruns, HinSchG, § 36 Rn. 7. 97 Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 28. 98 Bayreuther, DB 2023, 1537, 1544 f. 99 Ähnlich Thüsing/Musiol/Peisker, ZGI 2023, 63, 66.

B. Beweislast bei Maßnahmen gegen Hinweisgeber

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Aufzählung des Art. 19 WBRL für sinnvoll gehalten.100 Eine solche Aufnahme von Regelbeispielen typischer Benachteiligungen mag einen transparenzsteigernden Effekt haben. Ob damit allerdings auch mehr Rechtssicherheit verbunden ist, ist angesichts der ohnehin denkbaren Vielzahl verschiedener Benachteiligungen zu bezweifeln. Ein Vergleich zu anderen Personen wie im Diskriminierungsrecht ist für eine Benachteiligung im Sinne des § 36 HinSchG nicht erforderlich.101 c) Weitere Anhaltspunkte In der Terminologie des Schadensersatzrechts, das mit § 37 HinSchG um einen neuen (verschuldensunabhängigen) Anspruch ergänzt wird,102 bezieht sich die Beweislastumkehr nur auf den haftungsbegründenden Tatbestand.103 Zur praktischen Handhabung des Kausalzusammenhangs führt der Gesetzgeber aus: „Im Rahmen der Beweiswürdigung kann das Gericht auch Umstände wie eine Geringfügigkeit der gemeldeten Verstöße, den erfolgreichen Abschluss des Verfahrens (etwa durch Abhilfe der gemeldeten Missstände) oder die Tatsache, dass die Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, keine Kenntnis von der Meldung hatte, berücksichtigen. Bei der Frage der Kausalität dürfte auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes und der Benachteiligung zu berücksichtigen sein.“104

Mit diesen Ausführungen hat der Gesetzgeber die Unklarheiten bei der Auslegung des Kausalzusammenhangs anhand der unionsrechtlichen Vorgaben nicht behoben, sondern eher verschärft. Die Aufzählung von objektiven Sachverhaltselementen, die in der Beweiswürdigung des Gerichts eine Rolle spielen können, mag zwar der praktischen Handhabung dienlich sein. Das richtlinienkonforme Verständnis, nach dem bereits die Mitberücksichtigung der Hinweisgeberstellung den Kausalzusammenhang erfüllt,105 findet jedoch keine Erwähnung. Zweifelhaft ist, ob Kenntnis oder Unkenntnis von der Hinweisgeberstellung angesichts der weitreichenden Verschuldens- und Kenntniszurechnung im deutschen Recht eine Repressalie im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausschließen kann. Eine klare Richtungsentscheidung und nähere Definition des Kausalzusammenhangs lässt auch die Gesetzesbegründung vermissen. Das Potpourri an Tatsachen, die relevant sein können, 100

Miege/Ahrens, CCZ 2022, 171, 176. Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 27. 102 Näher zu Fragen der Schadensberechnung bei der Nichtverlängerung von befristeten Verträgen und zur Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB für Hinweisgeber Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1169 f. 103 So auch Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167, 1169; zum Gegenstand des Art. 21 Abs. 5 WBRL siehe schon Kapitel 4, C.III.1. 104 HinSchG-RegE, S. 96. 105 Dazu schon Kapitel 3, C.II.3.a) m. w. N.; dafür weiter auch Thüsing/Musiol/Peisker, ZGI 2023, 63, 66; anders aber Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20, 28; anders wohl auch Bruns, NJW 2023, 1609, 1615 (Rn. 43). 101

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

werden die Gerichte innerhalb der unweigerlich vorzunehmenden Gesamtwürdigung nur mit der klaren Vorgabe des Unionsgesetzgebers, dass die Stellung des Hinweisgebers in keiner Weise die Entscheidung beeinflusst haben darf, einer eigenen Interpretation zuführen müssen.106 Repressalienschutz ist, mit Blick auf das deutsche Recht, Maßregelungsschutz. Die bei § 612a BGB gültige Aussage, dass auch „ansonsten rechtmäßiges“ Verhalten untersagt sein kann, lässt sich ohne Abstriche auf die Situation des Hinweisgebers, der mit einem bestehenden, aber nur vorgeschobenen Grund gekündigt wird, übertragen. Dies zugrunde gelegt, ist aber nicht davon auszugehen, dass sich die Anwendung des § 36 HinSchG sich der Anwendung des § 612a BGB annähern wird. Eine systematisch stimmige und unionsrechtskonforme Auslegung des § 36 HinSchG kombiniert den Schutzzweck des Maßregelungsverbots mit dem subjektiven Kausalitätsverständnis des AGG. Ergebnis dieser Auslegung wäre ein besonders strenges Maßregelungsverbot, in dem die Rechtswahrnehmung schon innerhalb eines Motivbündels und nicht bloß als tragender Beweggrund die Rechtsfolgen der Norm auslöst, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen. Dieses dem Diskriminierungsrecht entsprechende Kausalitätsverständnis mag schließlich auch Anreize für Unternehmen bedeuten, anonyme und vertrauliche Meldewege zu etablieren – hat das Unternehmen von der Hinweisgeberstellung keinerlei Kenntnis, fällt auch der Nachweis leicht, dass diese die Entscheidung über die belastende Maßnahme nicht beeinflusst hat.107

III. Richtlinienkonforme Auslegung Eine den Anforderungen des Art. 21 Abs. 5 WBRL entsprechende richtlinienkonforme Interpretation des § 36 Abs. 2 HinSchG kann eben geschilderten Unklarheiten der Beweislastumkehr insbesondere im Hinblick auf den Kausalzusammenhang und damit das die praktischen Verteidigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers vermeiden. Für in der Zeit ab Ablauf der Umsetzungsfrist bis zum Inkrafttreten des HinSchG aufgetretene Whistleblowing-Fälle mag die richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Maßregelungsschutzes eine noch höhere Bedeutung entfalten. Unabhängig davon ob für die einzelnen Rechte aus der WBRL eine unmittelbare Wirkung in Betracht kommt,108 was auch im Hinblick auf Art. 21 Abs. 2 – 7 WBRL für möglich gehalten wird,109 kann und muss in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten § 612a BGB jedenfalls in richtlinienkonformer Auslegung um eine Umkehr der Beweislast für den Kausalzusammenhang ergänzt werden.110 Auch eine richt106

Vgl. Fuhlrott/Henckel, ArbRAktuell 2022, 441, 444. Thüsing/Musiol/Peisker, ZGI 2023, 63, 66. 108 Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475, 2477. 109 EUArbRK/Fest, RL 2019/1937/EU, Art. 21 Rn. 54 f. 110 Croonenbrock/Hansen, ArbRAktuell 2022, 139, 140 f.; Gerdemann, NJW 2021, 3489, 3494; vgl. im Umkehrschluss auch LAG Nürnberg, Urt. v. 24. 02. 2021 – 3 Sa 331/20, BeckRS 2021, 13407 (Rn. 35). 107

C. Gesamtbetrachtung

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linienkonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 KSchG wird für notwendig gehalten.111 Dieser spielt in der Entscheidung des LAG Nürnberg, die eine Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang bei § 612a BGB vor Ablauf der Umsetzungsfrist völlig zu Recht ablehnt,112 nur insofern eine Rolle, als es sich um eine Probezeitkündigung gehandelt hat. Eine inhaltliche Überschneidung besteht dahingehend, dass die Sanktionierung für zulässige Rechtswahrnehmung nach Maßgabe der WBRL keine Kündigung rechtfertigen kann. Insofern beeinflusst das Verbot aus Art. 21 Abs. 1 WBRL in richtlinienkonformer Auslegung § 1 Abs. 1 KSchG. Soweit die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung die Fälle von Repressalien gegen Arbeitnehmer im deutschen Recht erfassen und richtlinienkonform ausgelegt werden, besteht im Bereich der Beweislast für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1 KSchG kein Bedarf: Der Arbeitgeber ist ohnehin bzgl. der Kündigungsgründe beweisbelastet. Außerhalb des KSchG ist in richtlinienkonformer Auslegung des § 612a BGB auch ein strengerer Maßstab für den Kausalzusammenhang anzulegen, nachdem es genügt, wenn die zulässige Rechtsausübung Teil eines Motivbündels ist. Es fällt in diesem Zusammenhang erneut auf, dass der Gesetzgeber die Vorgabe des Art. 21 Abs. 5 WBRL und den dazugehörigen Repressalienbegriff ohne nähere Klarstellung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen übernommen hat. Mit § 36 des HinSchG ist zwar die WBRL in einem entscheidenden Punkt umgesetzt, es bleiben aber – zum Nachteil des rechtssuchenden Hinweisgebers – eine Vielzahl von Fragen offen, die mit einer klareren Festlegung der Voraussetzungen des Repressalienschutzes abschließend hätten geklärt werden können.

C. Gesamtbetrachtung Es hat sich gezeigt, dass bei der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben eine differenzierte Lösung für das Problem der Beweisnot beim Maßregelungsschutz zu suchen ist. Die Vereinheitlichung der Beweislastregelungen ist nur bis zu einem gewissen Punkt zielführend, da die Vorgaben der WBRL von denen der ABRL und der EZRL abweichen. Während für den Hinweisgeberschutz durch eine separate Beweislastumkehr in einem neuen Stammgesetz eine modifizierte, aber statische Beweislastverteilung geschaffen wird, beinhaltet die hier vorgeschlagene Modifikation des § 612a BGB erheblichen Handlungsspielraum für den Richter. Durch die Neuregelungen werden Vorgaben geschaffen, die eine Herausforderung für das System der Beweiserleichterungen im deutschen Recht darstellen. Die Fehler, die bei der Umsetzung der diskriminierungsrechtlichen Vorgaben in § 22 AGG gemacht wurden, lassen sich jedoch vermeiden. Der kritischen Grundtendenz in weiten Teilen des Schrifttums bezüglich der Neuregelungen in Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 111 112

Croonenbrock/Hansen, ArbRAktuell 2022, 139, 140 f. LAG Nürnberg, Urt. v. 24. 02. 2021 – 3 Sa 331/20, BeckRS 2021, 13407 (Rn. 35).

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6. Kap.: Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfristen

Abs. 2, 3 EZRL ist nicht zu folgen. Die Regelungen sind rechtspolitisch stimmig, lassen sich ins deutsche Recht integrieren und erzeugen – bei korrekter und rechtssicherer Umsetzung durch den Gesetzgeber – keine unlösbaren Probleme für die Arbeitgeber oder den Arbeitsgerichtsprozess. Soweit der Unionsgesetzgeber den Maßregelungsschutz im Allgemeinen verbessern will, ohne die speziellen Bedürfnisse von Hinweisgebern in den Blick zu nehmen, offenbaren sich ein klarer Trend und ein damit verbundenes rechtspolitisches Problem. Die höhere Regelungsdichte bei Beweiserleichterungen im Rahmen des Maßregelungsschutzes ist symptomatisch für die fortgesetzte Tendenz der Europäisierung des Arbeitsrechts und benachbarter Rechtsbereiche. Der Kern der Herausforderung für den Gesetzgeber sind Reibungen zwischen unionsrechtlich geprägter Mindestharmonisierung für einzelne Sachbereiche und dem zersplitterten Regelungszustand des deutschen Arbeitsrechts. Diese werden besonders beim Maßregelungsverbot offenbar. Hinzu kommt, dass eine einheitliche Regelung des Maßregelungsschutzes auf Unionsebene zumindest möglich erscheint, aber bislang noch nicht erfolgt ist.113 Die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes führt bei der punktuellen Umsetzung gerade der Mindestarbeitsbedingungen zu Reibungen zwischen unionsrechtlichen Prämissen des Schutzes und dem Ist-Zustand der Grundpfeiler des deutschen Arbeitsrechts. Ohne umfassendes Eingreifen des Gesetzgebers, das das deutschen Arbeitsvertragsrecht an die neuen sekundärrechtlichen Vorgaben anpasst, droht der ohnehin unbefriedigende Rechtszustand widersprüchlicher und unstimmiger zu werden. Das Ergebnis eines unzureichenden gesetzgeberischen Eingreifens ist nun bei der (Nicht-)Umsetzung der Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL zu sehen. Die Gerichte sind aufgerufen und im Stande eine klare Rechtslage zu schaffen und die bislang so unbefriedigende Beweissituation beim Maßregelungsverbot in richtlinien- und verfassungskonformer Auslegung aufzulösen. Dies bringt zwangsläufig einige Schwierigkeiten mit sich, da die Gerichte etwa den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung entsprechend der Anforderung des Sekundärrecht für das deutsche Recht zu definieren verpflichtet sind. Das Fehlen einer gesetzlichen Beweiserleichterung bringt für den jeweiligen Einzelfall Rechtsunsicherheit mit sich. Dies liegt daran, dass sich richtlinienkonforme Rechtsprechung für diejenigen Bereiche erst etablieren muss, in denen nicht ohnehin ein über das Maßregelungsverbot hinausgehender Sonderkündigungsschutz besteht. Bis dies geschehen ist, müssen die Unsicherheiten der Beweissituation die Prozessparteien leiden. Diese Unsicherheiten liegen darin, dass der Bestand des Maßregelungsschutzes und die anwendbaren Beweiserleichterungen für sich genommen schon einen – für eine vermeintlich selbstverständliche Regelung – unerwartet hohen Grad an Komplexität aufweisen. Gleiches gilt für die unionsrechtlichen Beweiserleichterungen und die Integration der dort bestehenden Maßstäbe in bestehende Beweiserleichterungskonzepte im deutschen Recht. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Ansprüchen des Unionsrechts wenigstens im Nachgang noch ge113

Dazu Kapitel 3, A.IV.

C. Gesamtbetrachtung

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nügt. Im Zuge der Umsetzung von Art. 18 PARL-E besteht dazu voraussichtlich erneut Gelegenheit, sollte die Richtlinie verabschiedet werden. Die Entwicklungen im Sekundärrecht lösen bei Zugrundelegung der hiesigen Vorschläge keinen Paradigmenwechsel für die Zentralstellung des Richters aus. Durch komplexe Beweiserleichterungen wird der Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der richterrechtlichen Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast begrenzt. Je nachlässiger der Gesetzgeber mit der Pflicht zur vollständigen und transparenten Richtlinienumsetzung umgeht, desto mehr gewinnt die richtlinienkonforme Auslegung im Beweisrecht an Bedeutung. Die Schlüsselrolle für die Handhabung der Beweiserleichterungen liegt beim Richter. Der berühmte Satz von Gamillscheg „Der Richter ist der eigentliche Herr des Arbeitsrechts.“114 behält seinen Wahrheitskern auch angesichts der zunehmenden Europäisierung arbeitsrechtlicher Beweismaßstäbe für den Maßregelungsschutz. Die Bedeutung der richterlichen Einschätzung für den Arbeitsgerichtsprozess wird aber dadurch nicht gemildert, sondern eher in unionsrechtlich geordnete Bahnen gelenkt und gestärkt.

114

Gamillscheg, AcP 164 (1964), 386, 388.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen 1. § 612a BGB schützt die Willensfreiheit des Arbeitnehmers und zugleich die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Es handelt sich um eine arbeitsrechtliche Generalklausel, die jede zulässige Rechtsausübung, einschließlich der Grundrechtsausübung des Arbeitnehmers, absichert. 2. Der Regelungsgehalt des § 612a BGB ließe sich auch über §§ 138, 242 BGB abbilden, allerdings kommt der Vorschrift eine sinnvolle klarstellende Funktion als Bestandteil allgemeinen Arbeitnehmerschutzes zu. Der Maßregelungsschutz über § 612a BGB und über diverse spezialgesetzliche Maßregelungsverbote wird für die Wahrnehmung einzelner Rechte in Gestalt von Sonderkündigungsschutz verschärft und ergänzt. 3. Obwohl der Kausalzusammenhang in § 612a BGB mit der Rechtsprechung rein subjektiv zu verstehen und nicht durch objektive Hilfskriterien begrenzt ist, gelten praktisch hohe Anforderungen für den Arbeitnehmer. Weil dieser die Motive des Arbeitgebers nur schwerlich nachvollziehen kann, stellt der volle Beweis, dass die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers tragender Beweggrund der Maßnahme gegen ihn war, eine schwer überwindbare Hürde dar. 4. Das Maßregelungsverbot ist ein allgemeines Benachteiligungs-/Diskriminierungsverbot. Zwischen Maßregelungsverbot und Diskriminierungsschutz im engeren Sinne (also im Sinne der europäischen Diskriminierungsrichtlinien, die in Deutschland maßgeblich im AGG umgesetzt sind) bestehen jedoch bedeutende funktionale Unterschiede. 5. Zentral ist für beide Schutzregimes der Begriff der Benachteiligung. Dieser ist beim Maßregelungsverbot nicht gleich definiert, weil nicht nur abweichend an ein Verhalten angeknüpft wird, sondern auch, weil keine Rechtfertigungsmöglichkeit besteht. Auch die subjektiven Anforderungen an den Kausalzusammenhang zwischen verpöntem Merkmal/Rechtswahrnehmung und Maßnahme unterscheiden sich grundlegend. 6. Bei § 612a BGB lassen rechtmäßige Alternativbegründungen nicht die Benachteiligung entfallen, sondern sind auf Ebene des Kausalzusammenhangs bei der Feststellung zu berücksichtigen, welcher der Beweggründe für das Verhalten tragend war. 7. Dem Arbeitnehmer kommen zudem entweder die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugute, oder den Arbeitgeber trifft eine sekundäre Darlegungslast, wobei für den Kausalzusammenhang bei § 612a BGB das abgesenkte Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gilt. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen

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und der sekundären Darlegungslast greifen auch für Maßnahmen unterhalb der Intensität einer Kündigung, wobei das Bestehen eines hinreichenden Erfahrungssatzes eine Anwendung der sekundären Darlegungslast ausschließt. 8. Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich kein einheitliches und umfassendes Beweiserleichterungskonzept bei § 612a BGB. Klar ist, dass der Anscheinsbeweis am ehesten zur Linderung der Beweisnot herangezogen wird. Darüber hinaus ergibt sich aus der Rechtsprechung des BAG, dass den Arbeitgeber eine sekundäre Darlegungslast treffen kann. 9. Im Primärrecht besteht ein rechtsschutzbezogener Maßregelungsschutz als Ausprägung des Art. 47 GRCh. Es handelt sich um einen verallgemeinerbaren Rechtsgedanken, der sogar über das Arbeitsrecht hinaus reicht. Durch die sekundärrechtlichen Vorgaben für Repressalien und insbesondere Kündigungsschutz wird dieser weiter konkretisiert. Insofern ist Maßregelungsschutz auch eine Ausprägung des Art. 30 GRCh. 10. ABRL und EZRL enthalten eine inhaltsgleiche Regelung zum persönlichen Anwendungsbereich, die die ohnehin vorhandene Tendenz der Europäisierung der nationalen Arbeitnehmerbegriffe durch den EuGH im Sekundärrecht festigt und billigt. 11. In sachlicher Hinsicht decken die Regelungen zum Schutz der zulässigen Rechtsausübung in beiden Richtlinien im deutschen Recht ein breites Spektrum an spezialgesetzlich im BGB geregelten und teilweise nur richterrechtlich anerkannten Rechten ab. Neu ist der Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“, der im Sinne des Unionsgesetzgebers Maßnahmen meint, die die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten mindestens suspendieren und so zu einer der Kündigung vergleichbaren Beeinträchtigung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers führen. Die Regelungen zum Viktimisierungsschutz in ABRL und EZRL lösen nur begrenzten Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber aus. 12. Das deutsche Arbeitsrecht bleibt hinter den Vorgaben der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL zurück, da die bislang anerkannten Beweiserleichterungen bei § 612a BGB nicht den unionsrechtlichen Mindeststandard abbilden und kein spezieller Begründungsanspruch bei einem Maßregelungsverdacht besteht. Die Schaffung einer gesetzlichen Beweiserleichterung zur transparenten und rechtssicheren Umsetzung der Richtlinien ist im deutschen Recht unverzichtbar. 13. Die Bedenken im Schrifttum gegen den einzuführenden Begründungsanspruch (Art. 18 Abs. 2 ABRL, Art. 12 Abs. 2 EZRL) sind teils inhaltlich unzutreffend, teilweise überzogen und verkennen insgesamt die Beweisnot des Arbeitnehmers, sowie das Interesse an einer effektiven Durchsetzung des Unionsrechts. 14. Die Begründungspflicht stellt keine näheren Tatbestandsvoraussetzungen außer dem Verdacht des Arbeitnehmers auf. Aus dem funktionalen Zusammenhang der Begründungspflicht zur Beweiserleichterung bei Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung ergibt sich jedoch, dass auch ein Zusammenhang zur Rechtsaus-

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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen

übung bestehen muss. Ohne einen solchen Zusammenhang wäre die Berufung auf den Begründungsanspruch rechtsmissbräuchlich. Inhaltlich muss die schriftliche Begründung nicht nur irgendeinen Kündigungsgrund nennen, sondern einen Bezug zum Maßregelungsvorwurf herstellen. 15. Dazu ist eine Beweiserleichterung einzuführen, die im ersten Schritt eine Vorprüfung des Arbeitnehmervortrags bezüglich des Kausalzusammenhangs zwischen Rechtsausübung und Kündigung oder Maßnahme gleicher Wirkung vorsieht und im zweiten Schritt die Beweislast diesbezüglich umkehrt. Die Regelungselemente müssen in einem funktionalen Zusammenhang stehen, um den Mindestschutzstandard des Unionsrechts zu realisieren. 16. Auf der ersten Stufe der Beweiserleichterung wird eine Prüfung anhand des primär vom Arbeitnehmer beigebrachten Tatsachenmaterials erforderlich. Eine Beweismaßsenkung fordern die Art. 18 Abs. 3 ABRL, Art. 12 Abs. 3 EZRL nicht. Jedoch sprechen die besseren Gründe für eine Auslegung, nach der Gegenvortrag des Arbeitgebers im Hinblick auf den durch die Tatsachen indizierten Kausalzusammenhang ausgeschlossen ist. Die Tatsachen selbst kann der Arbeitgeber aber bestreiten. 17. Sachgerecht ist eine überschießende Umsetzung der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL ohne Beschränkung auf die in der ABRL und EZRL enthaltenen Rechte in einer einheitlichen Regelung in § 612a BGB, an der sich der Maßregelungsschutz im deutschen Arbeitsrecht insgesamt ausrichtet. Dies ist zur Vermeidung willkürlicher Benachteiligungen nach Art. 3 Abs. 1 GG erforderlich und entspricht dem Gebot wertungsmäßiger Folgerichtigkeit. 18. Daher sollte § 612a BGB um eine Regelung zur Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs, eine Begründungspflicht für Kündigungen und Maßnahmen gleicher Wirkung und um eine zweistufige Beweiserleichterung für sämtliche Maßnahmen und Vereinbarungen ergänzt werden. Dies setzt den Mindestschutzstandard der unionsrechtlichen Regelungen um und erweitert zugleich den sachlichen Anwendungsbereich der Beweiserleichterung, um die gegenwärtigen Probleme bei der Beweisführung umfassend zu lösen. 19. Ergänzend sind bei inhaltsgleichen oder funktional äquivalenten Vorschriften Verweisungen auf die Neuregelungen aufzunehmen, um eine einheitliche Anwendung der neuen Beweissituation sicherzustellen. Mit Blick auf den für die Umsetzung der EZRL einschlägigen Sonderkündigungsschutz, der prinzipiell über den unionsrechtlich geforderten Schutzstandard für Viktimisierung hinausgeht, wären weitere Ergänzungen und Klarstellungen erforderlich. 20. Die Beweiserleichterung in Art. 21 Abs. 5 WBRL löst ebenfalls Umsetzungsbedarf im deutschen Recht aus. Die Vorschrift hat allerdings einen weiteren persönlichen Anwendungsbereich und abweichende Voraussetzungen im Vergleich zu Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL. Die Umsetzung der Beweislastregelung in Art. 21 Abs. 5 WBRL sollte daher in einem eigenen Stammgesetz

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen

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erfolgen. Weil die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich über das Arbeitsrecht hinausgeht, verfangen die Bedenken einer Verfestigung der Rechtszersplitterung insofern nicht. Dies gilt umso mehr, weil die Vorgaben der Beweiserleichterung auch deutlich von dezidiert arbeitsrechtlichen Regelungen der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL abweichen. 21. Während der Gesetzgeber zur Umsetzung der Beweisvorgabe des Art. 21 Abs. 5 WBRL zumindest den richtigen Ansatz verfolgt, bleibt er eine Umsetzung der Art. 18 Abs. 2, 3 ABRL, Art. 12 Abs. 2, 3 EZRL weitestgehend schuldig. Bis dahin obliegt es vor allem den Arbeitsgerichten den unionsrechtlichen Beweiserleichterungen im Wege der richtlinien- und verfassungskonformen Auslegung zur Geltung zu verhelfen. Eine gesetzliche Regelung wäre aber nicht nur unionsrechtlich geboten, sondern auch zur Schaffung von Rechtssicherheit dringend erforderlich.

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Stichwortverzeichnis Abgestufte Darlegungs- und Beweislast – Definition und Anwendung bei § 612a BGB 119 ff. – im Kontext der richtlinienkonformen Auslegung 336 f. – im Kontext des Umsetzungsbedarfs 264 ff. Anscheinsbeweis – Anwendung bei § 612a BGB 108 ff. – Definition 104 ff. – im Kontext des Umsetzungsbedarfs 263 f. Arbeitnehmerbegriff 147 ff.

Hinweisgeberschutz – Beweiserleichterung 272 ff. – Regelungsgehalt 195 ff. – Umsetzung im HinSchG 345 ff. Horizontale Bestimmungen 146 f., 226

Benachteiligungsbegriff – bei § 612a BGB 50 f., 74 – im Diskriminierungsrecht 71 ff. Beweislastumkehr – als Vorgabe im Sekundärrecht 248 f. – Definition 88 ff. Beweismaß – als Regelungsgehalt des Sekundärrechts 233 ff. – Beweismaßsenkung 99, 124 ff., 294, 298 ff. – Definition 87

Maßnahmen gleicher Wirkung 187 ff. Materielle Mindestanforderungen 160 ff. Mindestkündigungsschutz 120, 129, 132 Mittelbare Benachteiligungen 75 ff.

Gleichbehandlungsgrundsatz 115 Gleichheitssatz 74, 310 ff.

55 ff., 74 ff.,

Kausalzusammenhang – als Thema der Neuregelungen 202 ff., 229 f. – bei § 612a BGB 45 ff. Kodifikation 314 f. Kündigungsvorbereitung 184 ff.

Nachweispflichten

159

Operabilitätssicherung

231, 302, 317

Diskriminierung – Beweiserleichterung in § 22 AGG 93 ff. – Definition und Abgrenzung zu Maßregelung 71 – Einfluss auf unionsrechtliche Gesetzgebung 136 ff.

Plattformarbeit 147, 156, 316 Prozessuale Waffengleichheit 244 ff., 298

ESSR

Sekundäre Darlegungslast siehe Abgestufte Darlegungs- und Beweislast Sonderkündigungsschutz 174 ff., 267 ff.

145, 219 ff.

Freistellungszeitraum

187, 270, 329 ff.

Generalklauseln – und § 612a BGB 30 ff. – zur Richtlinienumsetzung

255 ff.

Richterrecht 252 ff. Richtlinienkonforme Auslegung

332 ff.

Tragender Beweggrund siehe Kausalzusammenhang Transparenzgebot 252 ff., 262, 270 ff.

386

Stichwortverzeichnis

Ungleichbehandlung – im Kontext des § 612a BGB siehe Benachteiligung – unionsrechtlich induzierte Ungleichbehandlung 308 ff. Unmittelbarkeitszusammenhang siehe Kausalzusammenhang Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz 342 ff.

Wahrscheinlichkeitsprüfung

295 ff.

Zweistufige Beweiserleichterung – Integration ins deutsche Recht 290 f. – Regelungsgehalt der sekundärrechtlichen Bestimmungen 228 ff. – Umsetzungsvorschlag 314 ff. – Ursprung des Regelungsansatzes 212 – vorgeschaltete Begründungspflicht 219 ff., 265 f., 318 ff.