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German Pages 235 Year 1996
MICHAEL VIERLING
Lohnsubvention und negative Einkommensteuer
Finanzwissenschaftliehe Forschungsarbeiten FinanzwissenschaftIiches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln Begründet von Günter Schmölders Herausgegeben von Karl-Heinrich Hansmeyer und Klaus Mackscheidt
Neue Folge Band 65
Lohnsubvention und negative Einkommensteuer Wirkungen auf Arbeitsangebot und Wohlfahrt Von
Michael Vierling
DUßcker & Humblot · Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Vierling, Michael: Lohnsubvention und negative Einkommensteuer: Wirkungen auf Arbeitsangebot und Wohlfahrt I von Michael Vierling. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten ; N. F., Bd. 65) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08793-3 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0430-4977 ISBN 3-428-08793-3
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Gedruckt auf alterungs beständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Geleitwort 1991 veröffentlichte eine amerikanische Forschergruppe um G.A. Akerlof als Brookings Papers on Economic Activity ein Gutachten, in dem zum Wiederaufbau in Ostdeutschland ein umfassendes System von Lohnsubventionen empfohlen wurde. Auf Grund der allgemein und überall desolaten Ausgangssituation so ihre Meinung - wäre die Gefahr von Fehlsubventionen besonders gering, während die nicht produktiven Arbeitsplätze allgemein erhalten werden könnten und durch ein eingebautes Abschmelzen der Lohnsubventionen eine Angleichung an normale Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen der Produktivitätsfortschritte erzwungen würde. Auch andere ausländische Beratergruppen setzten sich vehement für Lohnsubventionen ein. Die Mehrheit der deutschen wirtschaftspolitischen Berater - so auch der Sachverständigenrat - waren indes skeptisch gegenüber dem Instrument der Lohnsubventionen: Der amerikanische Vorschlag konnte sich in der Wirtschaftspolitik Deutschlands nicht durchsetzen. Trotzdem war der amerikanische Vorstoß nicht umsonst, denn eine theoretische Diskussion über die Überlegenheit oder Unterlegenheit von Lohnsubventionen im Vergleich zu anderen wirtschaftspolitischen Instrumenten hat er ausgelöst. Die Dissertation von Herrn Vierling darf man zu diesen theoretischen Diskussionsbeiträgen rechnen. In der Arbeit werden zunächst Grundformen der Subventionen beschrieben, die im Verlauf der Untersuchung behandelt werden sollen. Sodann werden die Wirkungen der einzelnen Subventionen auf das Arbeitsangebot geprüft. Die Modelle gehen zunächst von flexibler Arbeitszeitwahl aus, um den Vergleich zwischen Lohnsubventionen und negativer Einkommensteuer in voller Wirkungsbreite durchführen zu können; später folgen dann Modelle mit eingeschränkten Anpassungsmöglichkeiten. Das Grundprogramm der Wirkungsanalyse betrifft die Ausdifferenzierung von Substitutionseffekt und Einkommenset:. fekt bei den Lohnsubventionen und bei der negativen Einkommensteuer. Ein weiterer großer Abschnitt ist den Wohlfahrtswirkungen gewidmet. Hier ist insbesondere die Reichhaltigkeit der Fallstudien hervorzuheben. Den Abschluß der Arbeit bilden die wirtschaftspolitischen Beurteilungen. Sie sind gut nachvollziehbar und beweisen, daß originelle Ergebnisse erarbeitet werden konnten. Insbesondere dem Fazit: "Die Hauptrolle für die Lohnsubven-
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Geleitwort
ti on, die Nebenrolle rur die negative Einkommensteuer" kann auf diese Weise voll zugestimmt werden. Prof Dr. K. Mackscheidt Seminar für Finanzwissenschaft, Universität zu Köln
Inhaltsverzeichnis Einleitung
............. ................... ......... ... ..... .... ........................................................
11
I. Aktualität und Anliegen ...... ........................ ............. ....... ................ ..............
11
II. Problemstellungen der Untersuchung und Abgrenzungsfragen ....................
12
A. Subventions-Grundformen
......... ..................... ...............................................
16
I. Zur Terminologie ..........................................................................................
16
II. Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes
................ ............ ........ .....
17
IIl. Die Einkommensubvention oder negative Einkommensteuer - Grundeinkommen und Senkung des Lohnsatzes ...... ................................ .............. .....
23
IV. Die ModelIierung der Subventions-Grundformen ......... ...............................
26
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
36
I. Das Arbeitsangebot .............. ................ ............................................ .............
36
I. Dimensionen von Arbeitsangebot und Arbeit
36
2. Arbeitszeitwahl und Wahlfreiheit ...........................................................
37
3. Die Bedeutung monetärer Anreize für die Höhe des Arbeitsangebots
38
4. Die Relevanz der Wirkungen von Transferzahlungen auf das Arbeitsangebot .......................................................................................................
41
II. Statische Anreizwirkungen der Subventions-Grundformen .............. ............
44
1. Substitutions- und Einkommenseffekt bei einer Einkommensteuer
45
a) Hicks'scher Substitutions- und Einkommenseffekt
45
b) Slutsky'scher Substitutions- und Einkommenseffekt
46
c) Eine detailliertere Darstellung von Substitutions- und Einkommenseffekt ................................................................................................
48
2. Substitutions- und Einkommenseffekt bei Transferprogrammen ............
51
a) Die Lohnsubvention ........ .................... ...................... .............. .........
51
aa) Substitutionseffekt
53
bb) Einkommenseffekt
55
cc) Gesamteffekt
57
............................................................ .
Inhaltsverzeichnis
8
b) Die Einkommensubvention
60
aa) Substitutionseffekt
62
bb) Einkommenseffekt
63
cc) Gesamteffekt
..............................................................................
67
c) Vergleichende Interpretation von Lohn- und Einkommensubvention anhand der ausgelösten Effekte ... ........... .... ........ ....... ..... ...... ............
70
d) Eine Relativierung der Anreizüberlegenheit der Lohnsubvention im Mehr-Personen-Fall .........................................................................
78
e) Eine neue Interpretation der Lohnsubvention als "negative Freizeitsteuer" ..............................................................................................
80
3. Der Vergleich der "statischen" Arbeitsangebotswirkungen der Steuerund Subventions-Grundformen: Ein schematischer Überblick ...............
82
4. Transferwirkungen bei eingeschränkten Möglichkeiten der Arbeitszeitwahl ........................................................................................................
85
5. Anreizkompatibilität von Lohnsubvention und Lohnbesteuerung unter der Hypothese des "dualen Arbeitsmarkts" ............................................
87
III. Modifizierte Subventionsformen und statische Anreizwirkungen 1. Die Einkommen-Arbeit-Subvention: Der Einbau eines regressiven Elements in die Einkommensubvention .......................................................
90 91
a) Substitutionseffekt
93
b) Einkommenseffekt
94
c) Gesamteffekt
....................................................................................
95
2. Der Einbau eines regressiven Elements in die Lohnsubvention .... .........
97
3. Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention und ihre statischen Anreizwirkungen
99
4. Die differenzierte Einkommensubvention und ihre statischen Anreizwirkungen ....................................................................................................
104
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen .........................................
109
1. Wirkungen bei den Grundformen ...........................................................
109
......................................
121
3. Wirkungen der differenzierten Einkommensubvention ..........................
2. Wirkungen der Über-Teilzeit-Lohnsubvention
123
V. Konsequenzen aus der Verlagerung der Arbeitsangebotskurve bei der Lohnsubvention ....................................................................................................
124
1. Die Herleitung der neuen Arbeitsangebotskurve .................. ..................
124
2. Die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Lohn- und Arbeitgebersubventionen ......................................................................................................
129
3. Lohnsubvention und gesetzliche oder tarifliche Mindestlöhne
132
Inhaltsverzeichnis
9
C. Wohlfahrtswirkungen ..................................................................................... 135 I. Von der Arbeitsangebots- zur Wohlfahrtsanalyse
........................................
I. Slutsky-Substitutionseffekte mindern das Wohlfahrtsniveau
135
................. 138
2. Eine erste Hypothese: Wohlfahrtsüberlegenheit der Lohnsubvention über die negative Einkommensteuer ....................................................... 142 11. Ansätze zu einer Systematisierung und Erklärung der "vergleichenden" Wirkungen von Lohnsubventionen und negativen Einkommensteuern auf die individuelle Wohlfahrt .................................................................................. 146 1. Einkommen und Freizeit als "normale" Güter bei "mittiger" Lage der Indifferenzkurvenschar und "symmetrisch" verlaufenden Indifferenzkurven ..........................................................................................................
147
2. Einkommen und Freizeit als "normale Güter" im Fall nicht-homothetischer Präferenzen bei "nicht-mittiger" Lage der Indifferenzkurvenschar oder nicht "symmetrisch" verlaufenden Indifferenzkurven .....................
157
3. Einkommen oder Freizeit als "Grenzfall" oder als inferiores Gut
.......... 167
4. Zwischenfazit: Einflußfaktoren auf die Über- oder Unterlegenheit einer Maßnahme ..................................................... ......................................... 170 III. Das Problem der Lage der Transfergeraden .................................................. 173 1. Überlegungen zum Wohlfahrtsvergleich bei Negative-Einkommensteuer-Tarifen mit Steuerkomponente ...................... ............ ......................... 2. Die "uneigentlichen" Lohnsubventionen im Wohlfahrtsvergleich
176
......... 180
IV. Transfereffizienz und die Präferenz des Transfergebers ...............................
181
1. Die Präferenz des Transfergebers: Förderung von Arbeit und Einkommen statt von Freizeit ............................................................................. 182 2. Zweifel an der unterstellten Transfergeberpräferenz und Grunde filr die empirische Dominanz von Einkommen- statt Lohnsubventionen ..........
187
V. Gesamtwirtschaftliche sowie fiskalische Kosten und Nutzen der Subventionen ................................................................................................................ 191 1. Kosten und Nutzen bei den Grundformen Lohn- und Einkommensubvention ................................................................................................... . 191 2. Kosten und Nutzen der Über-Teilzeit-Lohnsubvention
203
a) Vollständig elastische Arbeitsnachfrage ........................................... 205 b) Nicht vollständig elastische Arbeitsnachfrage .................................. 206 3. Kosten und Nutzen der differenzierten Einkommensubvention ............. 207 4. Gesamtwürdigung von Über-Teilzeit-Lohnsubvention und differenzierter Einkommensubvention ................................ ...................................... 209 D. Verteilungspolitische Wirksamkeit und Zielkonflikte
.................................. 211
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Inhaltsverzeichnis
E. Ein kombiniertes Transfersystem mit abgegrenzten Adressatenkreisen: Möglichkeiten und Grenzen eines sozialpolitischen Reformprojekts
214
F. Fazit: Die Hauptrolle f'ür die Lohnsubvention, die Nebenrolle f'ür die negative Einkommensteuer ............................................................................... 218 Literaturverzeichnis
220
Sachwortregister .................................................................................................. 231
Einleitung I. Aktualität und Anliegen Lohnsubvention und negative Einkommensteuer als Instrumente von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind in den neunziger Jahren in Deutschland zu neuer Aktualität gelangt und wurden zum Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen. Die Lohnsubvention wurde, angestoßen von einem US-amerikanischen Vorschlag,1 als Mittel zur Rettung von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern befurwortet oder abgelehnt. Die negative Einkommensteuer wurde und wird als Ergänzung oder Alternative zum aktuellen und als reformbedürftig angesehenen Sozialsystem diskutiert, an die sich vielerlei verschiedene auf erhöhte Effizienz und Gerechtigkeit zielende Erwartungen knüpfen. Während die Idee der Lohnsubvention klare Unterstützung und Gegnerschaft hervorrief, zeigt sich an dem Projekt der negativen Einkommensteuer ein allgemeines vages Interesse, weil anscheinend nicht das Projekt an sich, sondern erst jeder konkretere Vorschlag, Aufschluß über Vorteile und Kosten, Gewinner und Verlierer, verschaffen kann. Viel bemerkenswerter aber ist, daß die aktuelle Debatte über die beiden Ideen - mit einer Ausnahme 2 und im Unterschied zur Behandlung der Themen in den USA in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten - bisher völlig unverbunden verläuft, daß die Problemkreise erörtert werden, als seien sie voneinander unabhängig. These der vorliegenden Arbeit ist dagegen, daß Lohnsubvention und negative Einkommensteuer instrumentelle Alternativen mit unterschiedlichen Wirkungen bei der Verfolgung bestimmter gleichartiger Ziele darstellen: Sie sollen beide "anreizfreundlich" sozialpolitische Leistungen gewähren, die positive Wirkungen auf die Arbeitsleistung und Beschäftigung sowie auf das individuelle und gesellschaftliche Wohlergehen ("Wohlfahrt") ausüben. Also sind sie danach zu beurteilen, welche der beiden Optionen die höhere Ziel(e)-Erreichung(en) erwarten läßt. Dabei ist einerseits die erhebliche Beschränkung sowohl bei den behandelten Fragestellungen als auch bei den verwendeten Analysetechniken zu Akerlofu.a.,1991. Scharpf, 1994, schlägt im Kontext der Diskussion um die negative Einkommensteuer eine als "Aufstockung niedriger Erwerbseinkommen" bezeichnete Lohnsubvention vor. I
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Einleitung
betonen. Andererseits wird der Anspruch erhoben, nicht nur auf weitere Forschungsnotwendigkeiten hinzuweisen, sondern trotz aller Einschränkungen auch schon überzeugende Argumente für die relative Überlegenheit - hier sei die Hypothese formuliert - des Instruments "Lohnsubvention" nennen zu können. Die negative Einkommensteuer als konkurrierendes Transfersystem zur Lohnsubvention bietet sich für eine Gegenüberstellung auch deswegen an, weil ihre Eigenart, mit steigendem Erwerbseinkommen die Transferbeträge zu reduzieren, auch die tatsächlich existierenden kumulierten Transfertarife in Deutschland und in anderen Staaten kennzeichnee Auch wenn die negative Einkommensteuer als solche nicht verwirklicht ist, so bildet sie doch mit ihrem positiven Grenzsteuersatz einen Bezugspunkt zur Erklärung auch von Wirkungen auf Arbeitsangebot und Wohlfahrt, die von dem bestehenden "Bündel" von Transferprogrammen hinsichtlich des Niveauaspekts (als Ergebnis der Gesamtheit aller Grenzeffekte) und unter Vernachlässigung der chaotischen Belastungsspitzen 4 ausgehen. So sei hier, sehr grob pauschalierend, die These aufgestellt, daß die Wirkungsanalyse von negativen Einkommensteuern auf Arbeitsangebot und Wohlfahrt auch die Wirkungen des bestehenden Transfersystems näherungsweise abbildet. Damit ist der Vergleich zwischen den "Prototypen" Lohnsubvention und negative Einkommensteuer nicht nur ein Vergleich zwischen zwei gleichermaßen "fiktiven" Projekten, sondern rückt an den Vergleich von Lohnsubventionswirkungen mit denen des tatsächlich geltenden Transfersystems heran.
11. Problemstellungen der Untersuchung und Abgrenzungsfragen Die wirtschaftswissenschaftliche Beschäftigung mit Transfermodellen wie der Lohnsubvention und der negativen Einkommensteuer muß sich auf viele Fragenkreise erstrecken. Der Finanzwissenschaftier wird vor allem an eine Untersuchung der fiskalischen, allokativen, distributiven und stabilisierungspolitischen Aspekte dieser finanzpolitischen Instrumente denken, wobei sich ihm Analyseverfahren auf mikro- und makroökonomischer Ebene anbieten. Die weitgehende Beschränkung der vorliegenden Arbeit auf allokative Fragen, die mit mikroökonomischem Instrumentarium behandelt werden, resultiert aus der Einsicht, daß erstens eine umfassende "Ökonomik" von Lohnsubvention und negativer Einkommensteuer ein entweder zu weitgestecktes und daher zu umfangreiches oder aber zu oberflächliches Forschungsprojekt sein müßte und daß zweitens einige andere wichtige Schwerpunkte der vergleichenden Trans-
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V gl. Browning/Browning, 1983, S. 255 f., 265 f. Vgl. Gandenberger, 1989, S. 96-101.
II. Problemstellungen der Untersuchung und Abgrenzungsfragen
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ferforschung in den letzten Jahren und Jahrzehnten bereits größere wissenschaftliche Beachtung gefunden haben: Exemplarisch ist etwa bei der Lohnsubvention an die makroökonomisch-stabilisierungspolitische Forschung5 zu denken, die sich z. B. der Themenfelder "allgemeine versus marginale bzw. selektive Lohnsubvention" und "Lohn- versus Kapitalsubvention" annimmt, ferner an die empirisch-Iändervergleichende Forschung,6 die quantitative Wirkungen vorgeschlagener und bestehender Programme schätzt, mißt und vergleicht. Im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung wurde zu Beginn der neunziger Jahre und noch in jüngster Zeit das Thema "Lohnsubventionen in den neuen Bundesländern?" besonders heftig diskutiertY Eher noch breiter wurden seit den fiinfziger und sechziger Jahren die wirtschaftstheoretischen und -politischen Aspekte von negativen Einkommensteuern erforscht. 9 Deutlich stärker als fiir die Lohnsubvention gilt hier, daß Arbeitsangebots- und Wohlfahrtswirkungen zu den etablierten Forschungsgegenständen gehören. Daher kommt in der vorliegenden Arbeit auch der Wirkungsanalyse der Lohnsubvention ein tendenziell höheres Interesse und ein geringfilgig breiterer Raum zu - manche zu Vergleichszwecken herangezogenen Negative-Einkommensteuer-Wirkungen ermangeln doch eines gewissen "Neuigkeitswerts". Eine weitere Eingrenzung erfahrt das Thema durch die Konzentration auf die Angebotsseite des Arbeitsmarkts, eine Schwerpunktsetzung, die mit der An5 Als Auswahl wichtiger Beiträge: Pigou, 1927; Kaldor, 1936; BailyrTobin, 1977; Kesselman/WilliamsonlBerndt, 1977; FethkelPolicano/Williamson, 1979; Perloff, 1982; Whitley/Wilson, 1983; JackrnanILayard, 1986; Fehr, 1989; Lopez, 1990; Mangan, 1990; Puhakka/Wright, 1991; Carter, 1992; Bohlen, 1993. 6 Zu den zentralen Beiträgen zählen u.a.: Rea, 1974; Haveman/Christainsen, 1978; Kopits, 1978; Calame, 1979; Layard, 1979; Schmid, 1979; Bishop, 1982; OECD, 1982; Schwanse, 1982; SemlingerlLücker, 1983; Rajan, 1985; Lassnigg, 1991; Hughes HallettIMa, 1993; Scholz, 1994. 7 Zu nennen sind in erster Linie: Akerlofu.a., 1991; DIW, 1991; Donges, 1991; Engels, 1991; HatziuslLatsch, 1991; KromphardtlKraft, 1992; BeggIPortes, 1992; Kantzenbach, 1992; Lenk, 1992; Hoffmann, 1993; Rabe, 1993; Bellmann, 1994; Siebert, 1994; Sinn, 1994. 8 Daß der Vorschlag, in den neuen Bundesländern Lohnkosten zu subventionieren, von der wissenschaftlichen Kontroverse abgesehen, in Deutschland keinen größeren Widerhall fand, liegt nach Sinn, 1994, S. 34, auch daran, daß der Vorschlag in der Öffentlichkeit nicht verstanden worden sei und daran, daß der Begriff "Lohnsubvention" Aversionen wecke. Demnach hätte die Etikettierung des gleichen Vorschlags als "Arbeitsplatzförderung" oder "Beschäftigungshilfen" die öffentliche Unterstützung verstärkt. Vgl. auch Andel, 1977, S. 491. 9 Hier sei nur auf die beiden "Ahnen" der verschiedenen Spielarten von negativen Einkommensteuern, Rhys-Williams, 1953 und Friedman, 1971 (Übersetzung, Original von 1962) verwiesen.
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Einleitung
fangsvennutung gerechtfertigt sei, die Arbeitsnachfrage-Auswirkungen der Lohnsubvention seien vergleichsweise eindeutiger - Ausweitung der Arbeitsnachfrage bei lohnsubventionsbedingter Senkung der Lohnkosten mit Ausnahme der Situation "keynesianischer Arbeitslosigkeit" -, während Auswirkungen negativer Einkommensteuern auf die Arbeitsnachfrage gar nicht unmittelbar zu erkennen sind, sondern auf ganz andere Weise "indirekt" zu ennitteln wären. Demgegenüber erscheint die Möglichkeit einer Analyse der Anreizwirkungen der beiden Instrumente auf das Arbeitsangebot reizvoller, vor allem auch wegen der sich anbietenden Gegenüberstellung mit modifizierten und integrierten Transfersystemen. Demgemäß soll hier mit einfachem und partialanalytischem wohlfahrtsökonomischem Instrumentarium unter der Annahme von Sicherheit, vollständiger Infonnation lO und Rationalität bei den Akteuren in überwiegend komparativ-statischer Analyse gezeigt werden, wie verschiedene Typen von Lohnsubventionen und vergleichbaren negativen Einkommensteuern modelliert werden können, welche Wirkungen sie auf individuelles Arbeitsangebot und Wohlfahrtsniveau hervorrufen und welche Kosten für sie anfallen, um so die relative Wohlfahrtsüber- bzw. -unterlegenheit der einzelnen Varianten zu ennitteln. Dabei wird die Analyse von Arbeitsangebot und Wohlfahrt des Haushalts idealtypisch mit der des Individuums gleichgesetzt, so daß alle differenzierenden Aspekte von Familienarbeitsangebot und -wohlfahrt oder von geschlechts- oder altersspezifischen Merkmalen unberucksichtigt bleiben. Die analytische Beschränkung zeigt sich auch in der Ausklammerung der Frage nach der Finanzierung der Transfers - das Erkenntnisinteresse begnügt sich hier schon mit den Staatsausgaben bzw. -einnahmeverzichten -, von der Diskussion der weitere Problernkomplexe aufwerfenden integrierten Steuer-/Transfermodelle wird also abgesehen; allenfalls mag man sich mit dem banalen Hinweis, die entstehenden Kosten eines neuen Transferprogramms könnten durch die wegfallenden Kosten von aktuell vorhandenen, dann aber überflüssig gewordenen, anderen Programmen finanziert werden, abfinden. Wenn im folgenden gleichwohl immer wieder die Rede von "Steuersätzen" bzw. "-komponenten" o.ä. sein wird, so hat dies nichts mit Staatseinnahmen zur
10 Wenn das betroffene Individuum die relevanten Steuer- und Transfertarife nicht kennt oder die Auswirkungen von Änderungen bei Lage und Verlauf der Budgetgerade oder von eigenen Verhaltensänderungen nicht wahrnimmt, dann kann es keine optimale Einkommen-Freizeit-Wahl treffen, dann können z.B. hohe aber unerkannte Grenzsteuersätze das Arbeitsangebot weniger begrenzen als niedrige aber im Bewußtsein verankerte Grenzsteuersätze. V gl. Aaron, 1973, S. 37 f.
11. Problemstellungen der Untersuchung und Abgrenzungsfragen
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Finanzierung von Staatsausgaben zu tun, sondern kennzeichnet den Abbau von Transferbeträgen mit steigenden Markteinkommen bzw. -löhnen. 11 Der Verfasser bekennt sich zum durchgehend herangezogenen nicht-empirischen Untersuchungsverfahren. Empirische Studien zu Transferwirkungen - erinnert sei nur an die Auswertungen der US-amerikanischen Experimente mit negativen Einkommensteuern oder vergleichende europäische Studien zur Arbeitsmarktpolitik - liegen in großer Zahl und in hohen Detailliertheitsgraden vor,12 wobei die Unterschiede in den untersuchten Sachverhalten, den Untersuchungsdesigns, den ermittelten Ergebnissen und deren Interpretationen jeweils recht stark ausfallen, so daß es kaum möglich erscheint, die vorliegenden Erfahrungen auf einem gemeinsamen "Nenner" zu vereinen. Bei aller Vielgestaltigkeit ergeben die Ergebnisse empirischer Forschungen allerdings keine Evidenz dafür, daß die theoretisch-qualitativen Tendenzaussagen zur Richtung von Änderungen des Arbeitsangebots als Reaktion auf die in der vorliegenden Arbeit diskutierten Transferschemata etwa durch "die Wirklichkeit" widerlegt seien.
11
Vgl. Kesselman, 1973a, S. 61.
12 Zu den wichtigsten Studien gehören: KalachekiRaines, 1970; Marmor, 1971;
Ashenfelter/Heckman, 1973; Greenberg/Kosters, 1973 und andere Beiträge in Cain/Watts (Hrsg.), 1973; Garfinkel/Haveman, 1974; Hausman, 1975; Keeley u.a., 1978; Schmid/Semlinger, 1979; Keeley, 1981; Danziger/Jakubson, 1982; OECD, 1982; Halberstadt u.a., 1984; MarshalI, 1984; Bassi, 1985; Betson/v.d.Gaag, 1985; Moffitt, 1986; Beenstock, 1987; Gottschalk, 1988; Haveman/Hollister, 1991; Besley/Coate, 1992; Fortin u.a., 1993; Haveman/Scholz, 1994.
A. Subventions-Grundformen I. Zur Terminologie Lohnsubvention und negative Einkommensteuer werden in der vorliegenden Arbeit in ihrer Eigenschaft als Transfers für Individuen bzw. private Haushalte untersucht. Zwar kann die Lohnsubvention grundsätzlich auch als Arbeitgebersubvention vergeben werden und zwar gehört zur negativen Einkommensteuer auch ein "positiver" Steuerbereich, aber im folgenden wird gesondert darauf hingewiesen, wenn von letzteren Aspekten die Rede sein soll; der eigentliche Instrumentenvergleich erstreckt sich auf den Vergleich von (Sozial-)Transfers. Diese zeichnen sich als idealtypisches Gegenstück zu Steuern durch die Hingabe eines geldwerten Vorteils vom Staat an private Haushalte ohne eine Gegenleistung aus, soweit zugestimmt wird, daß in der Befolgung von Transferauflagen zur Erlangung von Transfers keine Gegenleistung zu sehen ist. In diesem Verständnis kann ein Transfer (eine Subvention) die Wohlfahrt eines Empfängers so wenig mindern wie eine Steuer die Wohlfahrt des Besteuerten erhöhen kann. Von der Finanzierung der Transfers und von der Verwendung der Steuern werde dabei abgesehen. Mit der Zugrundelegung des weiten Subventionsbegriffs, der auch Sozialtransfers umfaßt, sei um Verständnis dafür geworben, daß nur wenig zur terminologischen Vereinheitlichung beigetragen werden kann: Die Begriffe Transfer und Subvention werden synonym verwendet, die negative Einkommensteuer wird auch als Einkommensubvention bezeichnet, und die Lohnsubvention wird letztlich als negative Freizeitsteuer neuinterpretiert werden. Die vorherrschende Argumentation im Rahmen des Einkommen-Freizeit-Modelis läßt einige dieser Bezeichnungen als unbefriedigend erscheinen: Wenn die beiden abgetragenen GUter Einkommen und Freizeit sind, dann können durch Verschiebungen und Drehungen der Budgetgerade neben Pauschalsteuern und transfers ohne weiteres Einkommen- und Freizeitsteuern sowie Einkommenund Freizeitsubventionen abgebildet werden. Doch die Darstellung des Lohnsatzes im Einkommen-Freizeit-Modell als Betragswert der Steigung der Budgetgerade fUhrt dazu, daß eine Lohnsubvention durch eine Drehung der Budgetgerade als Verbilligung oder Subventionierung des Einkommens gegenUber der Freizeit abgebildet wird.
H. Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes
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In der Konsequenz ruft die alternative Bezeichnung der negativen Einkommensteuer als Einkommensubvention eine Verwechslungsgefahr mit der Lohnsubvention hervor. Die Einkommensubvention oder negative Einkommensteuer verbilligt nicht eindeutig das Einkommen, sondern gewährt ein Pauschal-Transfereinkommen und erhöht den Preis des Erwerbseinkommens. Sie subventioniert das Einkommen nur insofern, als sie einen bestinunten Einkommensbetrag auszahlt, sie stellt insofern das Gegenteil einer Subventionierung von Einkommen dar, als sie die Entscheidung filr eine Erzielung von Arbeits- bzw. Erwerbseinkommen verteuert. Insoweit sie derart die Freizeitwahl begünstigt, hat sie also eher Freizeitsubventions-Charakter.
II. Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes Lohnsubventionsprogramme treten in durchaus unterschiedlichen Ausgestaltungen aufund setzen bei den verfolgten Zielen verschiedene Schwerpunkte; als gemeinsames Merkmal bleibt, " ... daß staatliche Zahlungen an Gruppen des privaten Sektors gewährt werden, die im Zusammenhang mit dem Lohnsatz stehen."1 In dieser weiten Defmition umfassen Lohnsubventionen neben Transfers an Unternehmen, mit denen über eine Lohnkostenentlastung eine Beschäftigungsausweitung beabsichtigt ist, auch lohnsatzergänzende Zahlungen an Arbeitnehmer, mit denen sowohl sozial- als auch arbeitsmarktpolitische Ziele verfolgt werden. 2 Wenn auch die folgenden Wirkungsanalysen größtenteils von einer Auszahlung der Lohnsubvention an den Arbeitnehmer ausgehen, so spielt die Frage nach dem Auszahlungsempfl1nger doch eine geringere Rolle als zunächst erwartet werden könnt(': Die Wirkungen nach Ablauf sämtlicher Anpassungs- und Überwälzungsprozesse hängen weniger davon ab, an welche Seite die eigentliche Auszahlung erfolgt, sondern viel stärker von den Preis- bzw. Lohnelastizitäten auf den Marktangebots- und -nachfrageseiten sowie von den institutionellen Marktgegebenheiten. Für das Verständnis von zentraler Bedeutung ist, daß die Begriffe "Lohn" und "Lohnsatz" den gleichen Gegenstand bezeichnen sollen, mit "Lohnsubvention" ("wage subsidy", "employment subsidy", ähnlich auch "employment tax credit") also entsprechend eine "Lohnsatzsubvention" gemeint ist. 3 Subventioniert wird Hübler, 1980, S. 6. Vgl. Hübler, 1980, S. 6 f.; vgl. HavemanlChristainsen, 1977, S. 7. 3 Natürlich wirkt sich filr den Arbeitnehmer eine x-prozentige Erhöhung seines Lohnsatzes auch als eine x-prozentige Erhöhung seines Lohneinkommens aus. JedenI
2 Vierling
18
A. Subventions-Grundfonnen
hier demnach nicht etwa das (Lohn-)Einkommen als Ganzes, vielmehr ergibt sich dieses erst aus der Entscheidung des Individuums über die Höhe seines Arbeitsangebots beim subventionierten Lohnsatz. Die wichtigen Parameter eines Lohnsubventionsprogramms sind der durch die Subvention garantierte Mindestlohn, der Subventions-Abbausatz mit steigendem Marktlohnsatz und die Höhe des Marktlohns, ab dem keine Subventionierung mehr erfolgt. 4 Die Analyse der Arbeitsangebots- und (individuellen) Wohlfahrtswirkungen der Lohnsubvention kann, soweit sich die Lohnsubvention wenigstens teilweise als Lohnsteigerung beim Arbeitnehmer niederschlägt, analog zur Analyse der Wirkungen von Erhöhungen des Lohnsatzes pro Zeiteinheit vorgenommen werden: 5 Idealtypisch erhöht die Lohnsubvention den Lohnsatz des Individuums in gleicher Weise wie eine - z.B. tarifvertragliche - Lohnerhöhung. Gleichermaßen kann die Lohnbesteuerung - eine "negative Lohnsubvention"- als Lohnsenkung interpretiert werden. Dabei unterstellt diese Modellierung eine Auszahlung der Lohnsubvention nicht an den Arbeitgeber, sondern an den Arbeitnehmer. 6 Die Entsprechung von Lohnsubventionierung und Lohnerhöhung setzt fiIr die Ableitung gleicher Wirkungen voraus, daß mit der Subventionierung und! oder Lohnerhöhung weder eine besondere Anerkennung fiir vergangene noch ein besonderer Anspruch auf zukünftige Leistungen verbunden ist, daß mit anderen Worten der erhöhte Lohn fiIr die unter Intensitäts-, Qualifikations- und denkbaren anderen Gesichtspunkten gleichen Arbeitsmerkmale wie vor der Erhöhung gezahlt wird. Ein weiterer "ceteris-paribus-Aspekt" und damit eine weitere Voraussetzung rur Wirkungs identität ist die Unabhängigkeit des Marktlohns von der Subventionierung, eine Bedingung, die an späterer Stelle der vorliegenden Arbeit aufgegeben werden wird. Konkret soll damit hier ausgeschlossen werden, daß der von den Unternehmen zu zahlende Marktlohn wegen der den Arbeitskräften von staatlicher Seite zusätzlich gewährten Lohnkomponente etwa aufgrund marktlicher Anpassungsprozesse flillt. Konsequenz aus der analytischen Gleichsetzung von Lohnsubvention und Lohnerhöhung ist, daß die Arbeitsangebotswirkungen der Lohnsubventionierung durch die konventionelle (unkompensierte) Arbeitsangebotskurve befalls ist die Lohn(satz)subvention, werde sie nun an den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber ausgezahlt, streng zu unterscheiden von der Lohnsummensubvention, bei der dem Arbeitgeber ein x-prozentiger Anteil seiner Gesamtlohnkosten erstattet wird. Vgl. Kesselman/WiIliamsoniBemdt, 1977, S. 340. 4 Vgl. BrowningfBrowning, 1983, S. 267. 5 Vgl. Killingsworth, 1983, S. 429. 6 Für einen Überblick über die Fonnen von Lohnsubventionen als "Arbeitgebersubventionen": vgl. Rehn, 1980, S. 550 f.
H. Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes
19
schrieben werden, die die Mengenreaktion (Arbeitszeitangebot) auf Preisänderungen (Lohnsatz) wiedergibt und die sich graphisch als Gesamtheit der Tangentialpunkte aller Lohngeraden (oder Lohnstrahle f als geltende Budgetgeraden mit den jeweils höchsten erreichbaren Indifferenzkurven ermitteln läßt. Hier muß nun an die Ungewißheit über den Verlauf der Arbeitsangebotskurve erinnert werden: Ob und in welchen Segmenten sie steigend und! oder fallend verläuft, steht nicht fest. Damit kann nicht nur keine Voraussage über das Ausmaß der Arbeitszeitänderung bei einer Lohnänderung gemacht werden, sondern noch nicht einmal eine über die Richtung dieser Änderung des Arbeitsangebots: Je nach der Elastizität des Arbeitsangebots in bezug auf den Nettolohn8 kann entweder eine Erhöhung oder eine Verringerung des Arbeitsangebots aus einer Lohnerhöhung resultieren. 9 (Abb. Al) Lohnsatz
Arbeitsangebot
Abbildung Al: Beispiel einer Arbeitsangebotskurve: Mit steigendem Lohnsatz zunächst fallender, dann steigender, dann wieder fallender Verlauf Quelle: nach HoyerlRettigIRothe, 1993, S. 121
Diese Aussage steht allerdings im Widerspruch zur neoklassischen Theorie des Arbeitsangebots, dergemäß das Arbeitsangebot eine eindeutig steigende Funktion des Lohnsatzes ist. Die neoklassische Grenznutzenschule schildert, verkürzt dargestellt, das vom Individuum gewählte Arbeitsangebot als den Punkt, in dem das mit der Arbeitszeit ansteigende Grenzleid der Arbeit gerade
Elliott, 1991, S. 34. Gandenberger, 1989, S. 105. Vgl. Rothschild, 1963, S. 55.
20
A. Subventions-Grundfonnen
gleich hoch ist wie der mit der Arbeitszeit abnehmende Grenznutzen der aus dem Arbeitseinkommen gekauften Güter. 1O Folge einer Lohnerhöhung ist dann, daß der Grenznutzen einer zusätzlichen Arbeitsstunde ansteigt, weil mit dem Lohn rur jede Arbeitsstunde jetzt mehr Güter als vorher erworben werden können, so daß das Arbeitsangebot gesteigert wird, bis es wieder zum Ausgleich von Grenzleid und Grenznutzen kommt. 11 Die verbreitete Kritik an dieser Hypothese über den Verlauf des Arbeitsangebots moniert, der Einkommenseffekt der Lohnerhöhung werde ignoriert; außerdem wird das Konzept kardinaler Nutzenmessung im allgemeinen und das erste Gossen'sche Gesetz abnehmenden Grenznutzens im besonderen angegriffen. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle der im "theoretischen Vorfeld" apriori unbestimmte Verlauf der Arbeitsangebotskurve l2 - ganz oder teilweise "vorwärts" oder "rückwärts" geneigt, alternativ als "typisches" (steigendes) oder "atypisches" (fallendes) Arbeitsangebot bezeichnet. Die Diskussion der darur bestimmenden, da in die gegenläufigen Richtungen weisenden Substitutionsund Einkommenseffekte der Lohnsubvention (Lohnerhöhung) wird weiter unten)) aufgegriffen. Nun können natürlich Plausibilitäten über einen abschnittsweise unterschiedlichen Verlauf der Arbeitsangebotskurve und damit auch über die Höhe der gewählten Einkommen angeruhrt werden: 14 Im Bereich sehr niedriger Lohnsätze wird möglicherweise gar keine Arbeitsleistung angeboten. In Übereinstimmung mit dem neoklassischen Konzept kann angenommen werden, daß ein allzu niedriger Lohnsatz dem Individuum die Mühe selbst der ersten Arbeitsstunde nicht entgelten kann. Folglich bietet das Individuum erst ab einem nach subjektiven Kriterien definierten Mindestlohnsatz (reservation wage, Akzeptanzlohn) überhaupt Arbeitsleistung an. Über das Ausmaß des Arbeitsangebots bei diesem MindestIohnsatz wird meist angenommen, es müsse weit über einer NormalVolIzeitarbeit liegen, damit sich das Individuum überhaupt den einem Existenzminimum entsprechenden Konsumstandard leisten könne. 15 Dieser Sprung des Arbeitsangebots von Null auf (Über-)Vollzeitarbeit bei einer bestimmten Lohnhöhe erscheint interpretationsbedürftig: Wenn das Individuum auch noch auf anderes Einkommen neben dem Arbeitseinkommen zurückgreifen kann (z.B. aus Vermögen), dann wird sein Arbeitsangebot bei stei-
10 II
12 13
14 15
Vgl. Felderer/Homburg, 1994, S. 67. Vgl. Felderer/Homburg, 1994, ebd. Vgl. auch Scitovsky, 1952, S. 89 f. 1m Abschnitt B.II.2.a). Vgl. auch v. Almsick, 1981, S. 157. Vgl. Rothschild, 1963, S. 57.
11. Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes
21
gendem Lohn beim Erreichen des Akzeptanzlohns nur in ganz geringem Umfang einsetzen - die Arbeitsangebotskurve beginnt also nicht mit einem Sprung. Wenn - wovon im weiteren immer ausgegangen werden soll - das Arbeitseinkommen aber die einzige Einkommensquelle des Individuums darstellt, dann wird die existenznotwendige Dringlichkeit des Arbeitsangebots bei einem relativ niedrigeren Akzeptanzlohn gegeben sein, unterhalb dessen auch bei höchstem Arbeitsangebot kein Überleben möglich wäre, bei dessen Erreichen aber ein Überleben mit höchstem Arbeitsangebot möglich ist. Hier kann der Sprung in der Arbeitsangebotskurve nachvollzogen werden, stellt sich das Individuum bei fehlender Überlebenschance doch "am besten", wenn es gar kein Arbeitsleid auf sich nimmt. Diese etwas "modellradikal" anmutenden Überlegungen seien in der Weise verwertet, daß zu der Einsicht gelangt werden kann, daß der Akzeptanzlohn um so niedriger liegt, je vollständiger dem Individuum andere Möglichkeiten der Einkommenserzielung (Vermögen und vermögensgleiche Rechte gegen Staat, kollektive Sicherungssysteme oder Familie, Vertrauen auf den Bezug von Geschenken) neben dem Erbringen von Arbeitsleistung versperrt sind. Bei über dem subjektiven Mindestlohnsatz immer weiter steigendem Lohn, so mag spekuliert werden, wird das Arbeitsangebot des Individuums allmählich in Richtung Normal-Vollzeitarbeit zurückgehen, da der höhere Lohn eine gewisse Freizeit-Erholung bei ungeschmälertem Einkommen ermöglicht. Als Reaktion auf weitere Lohnerhöhungen sind nun eine Reduzierung, ebenso wie ein Beibehalten oder eine Ausdehnung des Arbeitsangebots genauso gut begründbar: Wenn etwa historisch-soziologische Evidenz dafUr spricht, daß in modemen Industriegesellschaften fUr viele Individuen erreichte und erreichbare Konsumstandards einen zentralen Leistungsanreiz darstellen, dann erscheint nachvollziehbar, daß diese Individuen innerhalb eines gewissen Intervalls von Lohnerhöhungen ihren Einkommens- und Konsumstandard sichern, indem sie ihr Arbeitsangebot einschränken, daß sie aber bei stärkeren Lohnerhöhungen die Chance wahrnehmen, in ein konsumdefmiert "höheres Milieu" überzusiedeln, indem sie ihr Arbeitsangebot konstant halten, ja sogar ausweiten. 16 An solchen Versuchen der Annäherung an einen wahrscheinlichen Verlauf individueller Arbeitsangebotskurven - bei steigendem Lohn abschnittsweise rückwärts und vorwärts geneigt - muß unbefriedigend bleiben, daß die "Milieuschwellen"ein sehr vages Konzept sind, kaum zu quantifizieren sind und fiir den einen höher oder niedriger liegen als fUr den anderen. Auch kann kritisch nachgefragt werden, ob überhaupt wahrnehmbare Schwellen existieren oder ob sich nicht vielmehr der Milieuübergang kontinuierlich statt sprunghaft vollzieht.
16
Vgl. Rothschild, 1963, S. 56 (
22
A. Subventions-Grundformen
Noch grundsätzlicher kann bezweifelt werden, ob die Vorstellung einer Mehrarbeit bei Lohnerhöhung zum Zweck des "konsum-sozialen" Aufstiegs in die einfache (statische) Arbeitsangebotskurve integriert werden sollte, wenn dieses Phänomen nicht "rückwärts" gelesen werden kann, wenn also Lohnsenkungen innerhalb bestimmter Bereiche eben nicht Anlaß zu Arbeitszeitreduktionen zum Zweck eines "konsum-sozialen" Abstiegs sondern im Gegenteil Anlaß zu durchgehender Arbeitszeiterhöhung zur Verteidigung des Konsumstandards sind. Es erscheint doch ratsam, den "statischen" Verlauf der Arbeitsangebotskurve nicht mit "dynamischen" Erklärungsmomenten des Arbeitsangebots zu befrachten. Jedenfalls läßt sich aus den vorangehenden Überlegungen ableiten, daß eine individuelle Arbeitsangebotskurve wahrscheinlich keinen einheitlichen Neigungsgrad, noch nicht einmal eine einheitliche Neigungsrichtung aufweist. 17 Über den wahrscheinlichen Verlauf aggregierter Arbeitsangebotskurven können dann auf dieser Grundlage, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtige Aussagen gemacht werden, da sich die Reaktionen im Aggregat abschwächen oder aufwiegen können: Bei einer Lohnerhöhung, die ein Individuum zu einer Arbeitsangebotssteigerung anspornt, nimmt ein anderes Individuum sein Arbeitsangebot möglicherweise zurück; eine unelastische Arbeitsangebotsreaktion eines Arbeitsanbieters als Antwort auf einen höheren Lohnsatz kann mit dem überhaupt erst einsetzenden Arbeitsangebot eines anderen Arbeitsanbieters, dessen subjektiver Mindestlohn nun errreicht oder überschritten wird, zusammentreffen. Mit den vorangegangenen nicht sehr ergiebigen Mutmaßungen wurde der Analyse der Wirkungen auf das Arbeitsangebot noch nicht vorgegriffen, es wurde eher die interessanteste der Fragen umschrieben, die sich aus der Lohnerhöhung ergibt. Denn die Wirkungen auf die anderen Parameter sind eher eindeutig: Für ihre Transfereigenschaft ist es konstitutiv, daß die Lohnsubvention soweit der Lohnsatz des Individuums nicht zu hoch filr eine Subventionierung ist - das individuelle Wohlfahrtsniveau erhöht. Ebenso wird mit der Verbilligung des Guts Einkommen eine Mehmachfrage nach dem "Gut" Einkommen zu erwarten sein; daß die Einkommenswahl durch eine Lohnerhöhung etwa absolut reduziert werden könnte (Einkommen als Giffen-Gut) ist um so weniger vorstellbar, je mehr die "Platzhalterfunktion" von Einkommen rur alle (Konsum-) Güter neben dem einzigen weiteren Gut Freizeit bedacht wird.
17 Gandenberger, 1989, S. \05, 110, faßt die Ergebnisse empirischer Untersuchungen so zusammen, daß für den bei der Sozialtransferanalyse allein relevanten Bereich der unteren bis mittleren Arbeitslöhne regelmäßig "normale" ("typische") Reaktionen des Arbeitsangebots nachgewiesen würden.
III. Die Einkommensubvention oder negative Einkommensteuer
23
ill. Die Einkommensubvention oder negative Einkommensteuer Grundeinkommen und Senkung des Lohnsatzes
Die Einkommensubvention als Gegenstück zur Lohnsubvention ist vor allem unter dem Begriff "negative Einkommensteuer" bekannt geworden. Im folgenden werden die beiden Begriffe zwar synonym verwendet, doch sei eingangs noch einmal darauf verwiesen, daß die negative Einkommensteuer die umfassende Integration von Steuer- und Transfersystem verwirklicht, also neben dem Bereich der Netto-Transfers auch einen - hier weitgehend ausgeblendeten - Bereich der Netto-Besteuerung festlegt, während die Einkommensubvention eigentlich nur einen Teil dieses Konzepts umschließt, da sie sich mit der Frage nach der Netto-Besteuerung nicht befaßt. Die Eigentümlichkeit der negativen Einkommensteuer besteht darin, daß ein mit einem Grundfreibetrag versehener linear-progressiver Einkommensteuertarif unter der Schwelle des Grundfreibetrags fortgesetzt wird, wobei dort jedoch keine Steuern erhoben, sondern Transfers (also "negative Steuern") ausgezahlt werden. l ! Im idealtypischen Fall wird dabei der einheitliche Grenzsteuersatz beibehalten, was jedoch für Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags - bei unbesteuertem Markteinkommen - faktisch einen Grenzabbausatz auf den Transfer oder in alternativer Betrachtung - bei einheitlichem Transferbetrag - einen Grenzsteuersatz auf das Markteinkommen bedeutet. 19 Mit dieser Ergänzung der Einkommensteuer um eine "negative" Komponente wird die sozialpolitische bzw. redistributive Funktion des Einkommensteuersystems betont, wird also idealtypisch das Rechtfertigungsprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfiihigkeit durch ein entsprechendes Prinzip der Transfergewährung nach der Bedürftigkeit ergänzt. 20 Die zentrale Frage bei der Ausgestaltung ist, ob schon das garantierte Grundeinkommen oder aber erst die Transfergrenze durch die als (sozio-kulturelles) Existenzminimum definierte Einkommenshöhe festgelegt sein soll:21 Im ersten Fall wird die "Armutslücke" (als Differenz zwischen dem Markteinkommen und der Armutslinie des Existenzminimums) schon bei einem Markteinkommen von Null vollständig geschlossen, so daß die Transferschwelle erst bei über der Armutslinie liegenden Gesamteinkommen erreicht wird,22 im zweiten Fall wird die 18 Vgl. Pahlke, 1976, S. 220; vgl. Metze, 1982, S. 792. Ein negatives Vorzeichen haben die Zahlungen also nur aus der Perspektive des (leistenden) Staats, vgl. Koch, 1981, S.145. 19 Vgl. Rea, 1974, S. 240. 20 Vgl. Metze, 1982, S. 791, 798; vgl. Pflihler, 1972/1973, S. 251. 21 Vgl. Metze, 1982, S. 791 ff.; vgl. Hansmeyer, 1969, S. 328. 22 Zur negativen Einkommensteuer vom Typ der "social dividend": vgl. Rhys-Williams, 1953, S. 121; Molitor, 1973, S. 42 ff.
24
A. Subventions-Grundfonnen
"Annutslücke" durch Einkommenstransfers nicht vollständig, sondern nur zu einem bestimmten Anteil geschlossen/ 3 so daß die Transfergrenze mit der Armutslinie zusammenfallt. Vorstellbar sind auch Zwischenlösungen, bei denen das Grundeinkommen zwar unter, die Transfergrenze aber über der Annutslinie (Existenzminimum) liegt.24 Beide Varianten bedeuten eine Verlagerung der ursprünglichen Budget- bzw. Lohngerade, so daß zum einen ftlr Empflinger, deren Markteinkommen gleich Null ist, ein garantiertes Grundeinkommen gewährt wird, das als maximaler Transfer das minimale Gesamteinkommen darstellt/ 5 und zum anderen ftlr Empfanger mit von Null aus steigenden Markteinkommen abnehmende Transferzahlungen bei gleichzeitig zunehmenden Gesamteinkommen gewährt werden. 26 Dabei werde unterstellt, daß kein anderes Einkommen als Arbeitseinkommen und der Einkommenstransfer erzielt werden kann. Der Anteil, zu dem die Lücke zwischen Grundeinkommen und Transfergrenze geschlossen wird, ist durch den (hier als einheitlich unterstellten) Grenzsteuer- bzw. -transferabbausatz definiert. Ein vollständiges Schließen der Armutslücke rur alle Individuen mit Einkommen unterhalb der Armutsschwelle in der Weise, daß alle bis und nur bis auf das Niveau der Armutsschwelle gehoben würden, würde einen extremen GrenzTransferabbausatz von hundert Prozent (und bei einheitlicher Weiterfilhrung in die Besteuerungszone einen ebensolchen Grenzsteuersatz) implizieren. 27 Die erreichte absolute Einkommensgleichverteilung wäre aber von dem Umstand begleitet, daß jedes Individuum ein Arbeitsangebot von Null wählen würde. 2x Das deutsche Sozialhilfesystem, ergänzt um einige andere Sozialleistungen, entspricht als reines Transfersystem der Idee der vollständigen Auffilllung einer Bedürftigkeitslücke bei einer Anrechnung eigener Einkünfte von annähernd hundert Prozent und bietet so einen starken Anreiz zur Nullarbeit. 29 Je niedriger in einer Einkommensubvention dieser Abbausatz gewählt wird dieser deutlich unter hundert Prozent liegende Abbausatz ist ja gerade der "Fortschritt" der negativen Einkommensteuer gegenüber dem Sozialhilfesy-
23 Zu Modellen des "poverty gap type" (Kausemann, 1983, S. 137): vgl. Friedman, 1971, S. 245 f.; Lampman, 1965, S. 526 f.; Boskin, 1967, S. 353; Molitor, 1973, S. 39 f. 24 Vgl. den "L"-Plan von TobinlPechman/Mieszkowski, 1967, S. 5,26 f.; vgl. Otten, 1977, S. 177-181. 25 Boadway/Wildasin, 1984, S. 449. 26 Vgl. Zeckhauser, 1971, S. 326; vgl. Browning, 1973, S. 38. 27 vgl. Tobin, 1966, S. 35. 28 Vgl. Diamond, 1968, S. 294 f.; Green, 1968, S. 284. 29 V gl. Mitschke, 1995, S. 77 f.
III. Die Einkommensubvention oder negative Einkommensteuer
25
stem30 -, desto eher kann erwartet werden, daß die Empflinger ein Arbeitsangebot, das immerhin größer als Null ist, wählen werden31 und daß von verschieden hohen Lohnsätzen auch unterschiedliche Motivationswirkungen auf die Individuen ausgehen. 32 Die Darstellung der negativen Einkommensteuer im Einkommen(Y)-Freizeit(L)-ModeII zeigt die geltende Budgetgerade bei negativer Einkommensteuer N als flacher verlaufend als die ursprüngliche Budget- (Lohn-) Gerade B, worin die Besteuerung zusätzlicher Arbeitsstunden, also die Senkung des "Grenzlohnsatzes", zum Ausdruck kommt. 33 (Abb. A2) Ein Grenzentzugssatz von hundert Prozent wäre als in Höhe des Mindesteinkommens parallel zur Abszisse verlaufende Gerade abzubilden. 34
G
~----------------------------------~~--------L
Abbildung A2: Drei Lohngeraden und ihre Transfergeraden unter der gleichen negativen Einkommensteuer
Eine graphische Veranschaulichung der negativen Einkommensteuer muß das Problem berücksichtigen, daß eine bestimmte Einkommenshöhe, die zum Empfang eines bestimmten Transferbetrags berechtigt, je nach erzieltem Lohnsatz mit unterschiedlichem zeitlichen Arbeitsaufwand verbunden ist. Ein und dieselbe negative Einkommensteuer wird daher fiir jeden einzelnen Lohnsatz un-
30 31
32 33 34
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
GreenILampman, 1967, S. 123. Green, 1968, S. 284. Zeckhauser/Schuck, 1970, S. 123. Browning, 1973, S. 39. Weeber, 1992, S. 59.
26
A. Subventions-Grundfonnen
terschiedlich abgebildet, damit nicht etwa gleiche Einkommenshöhen mit ungleichen Beträgen subventioniert werden. Abb. A2 zeigt drei unterschiedliche Lohnsatz-Geraden B I bis 3, die alle der gleichen negativen Einkommensteuer N unterworfen sind. Die verschiedenen lohnsatzabhängigen Darstellungen N I bis 3 der negativen Einkommensteuer setzen alle bei Null-Arbeit im Punkt des garantierten Mindesteinkommens G an und schneiden die jeweils dazugehörige Lohngerade bei der Einkommenshöhe des einheitlichen festgelegten Grundfreibetrags F (als der Einkommenshöhe, bei der weder Transfers empfangen noch Steuern gezahlt werden). Während das Konzept der Lohnsubvention am Lohnsatz anknüpft und damit den dem Subventionsgeber im Vorfeld unbekannten fälligen Subventionsbetrag von der Arbeitszeitentscheidung des Individuums abhängig macht, legt die Einkommensubvention fur jede erzielbare Einkommenshöhe einen bestimmten Subventionsbetrag fest. So befindet also bei der Lohnsubvention der Subventionsgeber über die Höhe des subventionierten Lohnsatzes, der dem Individuum als Grundlage fur seine Arbeitsangebotsentscheidung dienen soll, während bei der Einkommensubvention der Subventionsgeber über die Höhe des subventionierten Einkommens befindet und damit - eher unbeabsichtigt und dennoch systematisch - eine Anpassungsreaktion bei der Arbeitsangebotsentscheidung und damit beim Markt- und subventionierten Einkommen des Individuums hervorruft. Wie fur die Lohnsubvention gilt auch ftir die negative Einkommensteuer, daß sie als Transfer dem Empfänger zu einem höheren oder doch jedenfalls nicht geringeren Wohlfahrtsniveau verhilft. Die Einkommenswirkungen dagegen sind nicht eindeutig: Obwohl die Intention der Einkommensubvention darin besteht, das Einkommen des Empfängers zu erhöhen, kann bei Vorliegen einer gewissen Freizeitpräferenz des Empfängers die Einkommenswahl sogar reduziert werden, wobei Einkommen nicht notwendigerweise ein inferiores Gut sein müßte. Auf diese Besonderheit der negativen Einkommensteuer wird bei der Diskussion der statischen Transferwirkungen noch näher eingegangen.
IV. Die ModelIierung der Subventions-Grundformen In der Folge werden einfache kleine Modelle eingefuhrt, um die Einkommens- und Lohnbeihilfen zu formalisieren. Dabei werde das Einkommen des Individuums nach Subventionierung in Abhängigkeit von den Arbeitsstunden, dem Marktlohnsatz und den jeweiligen Parametern der Maßnahme gesetzt. J5
35
Vgl. Kesselman, 1969b, S. 277 f.; vgl. auch GarfinkeI, 1973, S. 447 f.
IV. Die Modellierung der Subventions-Grundfonnen
27
Ohne jegliches Hilfsprogramm ist die Budgetlinie des Individuums dann wie folgt definiert:
r=W(K-L) wobei Y das Einkommen, W den Marktlohnsatz, K die Gesamtstundenzahl pro Periode und L die als Freizeit genutzten Stunden dieser Periode bezeichnet. Eine Einkommensubvention hat dann die folgende allgemeine Form:
1; = G + r - T( r) ,T S G wobei Yi das Gesamteinkommen bei Einkommensubvention und G das garantierte Mindesteinkommen bei einem Arbeitsangebot von Null bezeichnet. T(Y) stellt als "Steuerkomponente" den Transferabbau in Abhängigkeit vom Arbeitsbzw. Markteinkommen dar. Bei Anwendung eines Steuersatzes a i auf das Arbeitseinkommen gilt dann:
1; = G + r - air
~
1; = G + (I -
~
al)r
1; = G + (I - al )W( K - L). Nun gibt es eine Einkommenshöhe ("Grundfreibetrag", "Transfergrenze"36, "Gleichstandsgrenze"37, "Break-Even-Punkt"38 oder "Break-Even-Einkommen") YI , bei bzw. ab der das Individuum einen Nettotransfer von Null erhält, bei der die "Steuerkomponente" die "Garantiekomponente" also aufgezehrt hat (T(Y~ = G).39 Das Break-Even-Einkommen liegt um so weniger über dem garantierten Grundeinkommen, je höher der Transfer-Abbausatz ist, je stärker sich also die Gerade der negativen Einkommensteuer der Horizontalen annähert. Es läßt sich durch Gleichsetzen der Budgetlinie mit Transfer und derjenigen ohne Transfer ermitteln: 40
36 37 3K
39 40
V gl. Metze, 1982, S. 791. SiebertlStähler, 1994, S. 4. Rea, 1971, S. 64. Vgl. Kesselman, 1973a, S. 63; vgl. Boadway/Wildasin, 1984, S. 449. V gl. auch Green. 1968, S. 282 f.
28
A. Subventions-Grundfonnen
Y=Y;
~
W(K - L) = G+(I-a;)W(K - L)
W( K - L) - (1- a; )W( K - L) = G
~ ~
W(K - L)[I-(I- a;)] = G
~
W(K-L)a;=G
~
G K-L=Wa; Y= W(K - L)
~
G Y=WWa;
~
y=Q
Damit gilt also:
y,·1
,also
G rur y~-
W(K- L)
G + (I -
a;
)W( K- L)
Die Transferhöhe, also der Betrag der negativen Einkommensteuer, bestimmt sich filr Y< G/a; als: G+{I-a)Y - Y= G+ Y -aY - Y= G-aY I I I ,
also als Differenz zwischen garantiertem Grundeinkommen und (positiver) Einkommensteuer bzw. als:
also als durch den Steuersatz festgelegter Anteil der Differenz zwischen Break-Even-Einkommen und Markteinkommen. 41
41
Vgl. Killingsworth, 1983, S. 362.
IV. Die Modellierung der Subventions-Grundfonnen
29
Ein bestimmtes Schema einer negativen Einkommensteuer ist dann etwa dadurch bestimmt, daß zu einem beliebigen Lohnsatz (Lohngerade) eine NegativeEinkommensteuer-Gerade eingezeichnet wird, wobei eine Entscheidung über zwei der vier Parameter "Transferhöhe bei einem bestimmten Markteinkommen (YrY)", "garantiertes Grundeinkommen (G)", "Break-Even-Einkommen (Gla;)" und "Transfer-Abbausatz (aj ) (auf das Einkommen)" getroffen werden muß, womit dann auch die Höhe der beiden anderen Parameter determiniert ist,42 da nur zwei Parameter unabhängig voneinander gewählt werden können43 . Zum Beispiel läßt sich aus der Transferhöhe Yr Y = 1,5 beim Markteinkommen Y = 2, das beim Lohnsatz W = 0,8 durch ein Arbeitsangebot von (K-L)j = 2,5 erreicht wird, in Verbindung mit einem Grundeinkommen G = 2,5 der Abbausatz a j und das Break-Even-Einkommen Gla j errechnen: Dann gilt: 1; = 2 + 1,5 = 3,5 Aus 1; = G+(I-aj)W(K - Lt folgt: 3,5=2,5+(I-aj)xO,8 x 2,5 (::)
1 = 2-2aj 2aj = 1
aj =0,5
Also beträgt das Break-Even-Einkommen G = 2,5 = 5. aj
0,5
Damit ist der Tarif der negativen Einkommensteuer auch filr jeden anderen Lohnsatz gegeben, da das Grund- und das Break-Even-Einkommen sowie der Abbausatz unverändert sind. Dennoch ist die Gerade der negativen Einkommensteuer durchaus verändert, da ein unveränderter Abbausatz bei jedem anderen Lohnsatz eine unterschiedliche Steigung der Negative-EinkommensteuerGeraden bedeuten muß, weil auch die dazugehörigen Lohngeraden unterschiedliche Steigungen aufweisen. 44 Eine Lohnsubvention ist zu verstehen als ein Lohnzuschlag, durch den ein Mindestlohnsatz bei Marktlohnsätzen bis zu Null hinunter sichergestellt wird. 45 Bei der Lohnsubvention wird der gesamte Subventionsbetrag von dem Arbeitsangebot des Individuums abhängig gemacht:
42 43 44 45
Vgl. Metze, 1982, S. 792. Vgl. Browning, 1973, S. 38; vgl. Boadway/Wildasin, 1984, S. 449. Vgl noch einmal Abb. A2. Vgl. Kesselman, 1969a, S. 702.
A. Subventions-Grundformen
30
wobei
[g+(I-aw)W]
den subventionierten (Gesamt-)Lohnsatz
Ws
bezeich-
net. 46 Es flillt auf, daß Yw Yj (mit Klammem um die Garantie- und die BesteuerterLohn-Komponenten) entspricht. Der Parameter g tritt hier als garantierter Mindestlohnsatz auf fiir ein Individuum, das zum Marktlohnsatz Null arbeitet. Beim Marktlohnsatz größer Null erhält das Individuum außerdem den nichtsteuerlichen Anteil (l-aw ) dieses Marktlohnsatzes W, wobei aw' die Steuer auf den Marktlohnsatz, kleiner Eins ist. Der Abbausatz wird also unter 100% festgesetzt, um dem Arbeitsanbieter den Anreiz zu belassen, an dem Arbeitsplatz mit dem höchsten fiir ihn erreichbaren Marktlohnsatz zu arbeiten. 47 ,48 Der Break-Even-Lohnsatz W' kann entsprechend dem Break-Even-Einkommen ermittelt werden: Y=~
~
W(K - L) = [g+(I-aw)W](K - L) W= g+(I-aw)W W-(I-aw)W= g W(I-I+aw)=g
~
w=L aw
~ ~ ~
,also
Lohnsätze, die bei oder über g/aw liegen, werden in dem Programm also nicht subventioniert. 49
Kesselman, 1973a, S. 65. Vgl. Kesselman, 1969a, S. 702; vgl. Browning/Browning, 1983, S. 267. 48 In der Literatur werden auch Modelle vorgestellt, die die Lohnsubvention nicht über Einkommens- sondern über Nutzenvariationen definieren, da sie die Break-EvenNiveaus an Nutzen- statt an Einkommensarmut ausrichten wollen. Vgl. HurdlPencavel, 1981, S. 194 ff. 49 Vgl. Kesselman, 1971, S. 3. 46
47
IV. Die ModeJlierung der Subventions-Grundfonnen
Somit gilt bei Lohnsubvention: Yw = {
31
W(K -L)
[g+(l-a w )W](K - L)
Die Transferhöhe pro Arbeitsstunde, also der Zuwachs beim Stundenlohn, bestimmt sich für W (K-L)* negative Grenzsteuersätze folgen, wobei auch in diesem Bereich die Durchschnittsteuersätze auf das Arbeitseinkommen positiv sind, ist der Bereich (K-L) < (K-L)* von positiven Grenzsteuersätzen gekennzeichnet. l64 Der Substitutionseffekt der Einkommen-Arbeit-Subvention begünstigt im "flacheren" Abschnitt der Budgetlinie, wenn also eine geringe Stundenzahl gearbeitet wird, demnach die Freizeitwahl, begünstigt aber im "steileren" Abschnitt der Budgetlinie, wenn also eine hohe Stundenzahl gearbeitet wird, die Einkommenswahl. Also herrscht über die "Richtung" der Wirkung des Substitutionseffekts rur die Arbeitszeitwahl des Individuums so lange keine Gewißheit, wie dessen Präferenzen und Gesamt-Einkommenseffekt nicht bekannt sind. 165
b) Einkommenseffekt
Bei der Einkommen-Arbeit-Subvention hat der aus dem pauschalzahlungsbedingten und dem reinen Einkommenseffekt kombinierte Gesamt-Einkommenseffekt grundsätzlich einen gleichartigen allgemeinen Disincentive-Einfluß wie bei der Einkommensubvention. 166 Nun kann aber das Ausmaß des freizeit-ilirdemden Einkommenseffekts im Vergleich zur Einkommensubvention vermindert werden, wenn etwa die gekrümmte Budgetlinie an der Budgetgerade der Einkommensubvention bei der Nullarbeit ansetzt und bei der Vollzeittätigkeit in sie einmündet, so daß sie also in dem gesamten dazwischenliegenden Bereich "unterhalb" der Budgetgerade der Einkommensubvention verläuft. Da also der Steuersatz oder Transfer-Abbausatz a eine degressive Funktion der Arbeitsstunden ist, flillt der Einkommenseffekt im Vergleich zu der Einkommensubvention geringer aus, wenn von der Vollzeitarbeit nach unten ab-
164
165 166
Vgl. Kesselman, 1969b, ebd. Kesselman, 1969b, S. 280 f. Vgl. Kesselman, I 969b, S. 279.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
95
gewichen wird bzw. wenn von der Nullarbeit nach oben abgewichen wird: Indem das Individuum seine Arbeitszeit von der Vollzeitarbeit aus vermindert oder von der Nullarbeit aus vermehrt, ist es mit einem höheren Durchschnittsteuersatz auf das Arbeitseinkommen konfrontiert als bei der Einkommensubvention, folglich ist sein Netto-Pauschaltransfer und damit sein Einkommenseffekt kleiner als ohne das regressive Tarifelement. 167 Auf diese Weise würde bei einer Einkommen-Arbeit-Subvention schon über die Komponente des Einkommenseffekts zu geringeren Arbeits-Disincentives als bei einer Einkommensubvention beigetragen.
c) Gesamteffekt
Die Unsicherheit über die Richtung des Substitutionseffekts bei der Einkommen-Arbeit-Subvention resultiert unmittelbar daraus, daß das Ausmaß des Einkommenseffekts bzw. die Weise, in der er sich in der Nutzenfunktion des Individuums niederschlägt (z.B. überproportionale Einkommens- oder Freizeit-Expansion), unbekannt ist. 168 Der durch immer weiter fallende Grenzsteuersätze charakterisierte Transfertarif der Einkommen-Arbeit-Subvention ist nur die notwendige, nicht aber eine himeichende Bedingung filr eine geringere Arbeitszeiteinschränkung als sie von der Einkommensubvention zu erwarten wäre. Grundsätzlich kann der im Vergleich zur Einkommensubvention verkleinerte Einkommenseffekt durch den Substitutionseffekt derart "unterstützt" werden, daß die Arbeitszeit gar nicht reduziert wird (Abb. B22). Der Substitutionseffekt kann aber auch in die Richtung der Freizeitausdehnung wirken (Abb. B23). So stellt sich etwa die Frage, wie eine relativ hohe Pauschalzahlungskomponente, wie sie etwa in der Literatur zur Einkommen-Arbeit-Subvention vorgeschlagen wurde,169 den Arbeitsameiz für einen Geringverdiener beeinflußt. Wenn nicht eine ganz erhebliche Einkommenspräferenz in Form einer weit überproportionalen Einkommens-Expansion vorliegt, bestUnde im Fall einer hohen Pauschalzahlungskomponente eindeutig die Gefahr, daß der im Bereich höherer Arbeitszeiten durch den regressiven Tarifverlauf ausgelöste arbeitszeiterhöhende Substitutionseffekt gar nicht wirksam werden könnte, da der erhebliche Einkommenseffekt die Arbeitszeit schon so weit reduzieren würde, daß das Individuum mit dem flacheren Abschnitt der Budgetlinie konfrontiert wäre
167 Vgl. Kesselman, 1969b, S. 279. 168 Vgl. Kesselman, 1969b, S. 282. 169 Perl man, 1968, S. 290.
96
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
und damit einern Substitutionseffekt, der die Arbeitszeit noch weiter reduziert, unterliegen würde. 170
~~~~~~
________
~
_______ L
Abbildung B22: Aufrechterhaltung der Vollzeitarbeit bei Einkommen-Arbeit-Subvention
Abbildung B23: Zurücknahme der Arbeitszeit auf Null bei Einkommen-Arbeit-Subvention
170
V gl. Kesselman, 1969b, S. 282.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
97
Sollte also der Pauschalzahlungsbetrag relativ groß sein, der oben schon angesprochene Minderbetrag des Einkommenseffekts der Einkommen-ArbeitSubvention gegenüber der Einkommensubvention aber relativ geringfilgig, dann flUlt dieser geringfilgige Anreizvorteil der Einkommen-Arbeit-Subvention weniger stark ins Gewicht als der erhebliche Anreiznachteil durch den verschärften Substitutionseffekt. (Abb. B23) Wenn nach der vorstehenden Betrachtung auch der Hypothese zugestimmt werden kann, daß die ArbeitszeitlFreizeit-Entscheidung bei einer EinkommenArbeit-Subvention zu "Randlösungen" tendiert, so kann doch jedenfalls beim Vorliegen einer hohen Pauschalzahlungskomponente erwartet werden, daß die von dem Individuum letztlich gewählte "Randlösung" nicht der Punkt der Vollzeitarbeit, sondern der der Null-Arbeit sein wird, ein Punkt, an dem der Substitutionseffekt wegen des hohen Grenzsteuersatzes von jedem Arbeitsangebot abschrecken wird. 17I (Abb. B23) Damit hätte das modifizierte Transferschema nicht zu der angestrebten Verstärkung des Arbeitsanreizes beigetragen, sondern zum genauen Gegenteil. Aber auch wenn hier offen bleiben muß, wie groß die Wahrscheinlichkeit einer im Vergleich zur Einkommensubvention weiter reduzierten Arbeitszeitwahl allgemein ausfallen mag, so gilt es immerhin zu beachten, daß die Einkommen-Arbeit-Subvention im Rahmen der "Logik der Einkommensubvention" der einzige Transfertarif ist, der wenigstens die Möglichkeit bietet, daß das Arbeitsangebot nicht zurückgenommen wird. 112 (Abb. B22) 2. Der Einbau eines regressiven Elements in die Lohnsubvention Zur stärkeren Förderung des Arbeitsanreizes kann auch bei der Lohnsubvention an die Einftlhrung eines degressiven Taritbestandteils mit regressiver Wirkung gedacht werden. So könnte entweder der garantierte Mindestlohnsatz g eine mit steigender Arbeitszeit zunehmende Funktion, oder der Steuers atz a eine mit steigender Arbeitszeit abnehmende Funktion sein, wobei die erste Lösung noch erwünschter scheinen mag, da sie - indem sie den Effektivlohnsatz filr Individuen mit niedrigen Marktlohnsätzen stärker steigen ließe - filr diese Individuen "ergiebiger" wäre und da sie sie auf diese Weise filr Vollzeitarbeit stärker "belohnen" würde. 173 ,174 Jedenfalls wäre der Lohnsatzzuschlag filr geringe Arbeits-Stundenzahlen niedriger als bei der (einfachen) Lohnsubvention
171
112 173 174
Vgl. Kesselman, 1969b, ebd. Vgl. Perlman, 1968, S. 294; 1969, S. 75. Vgl. Kesselman, 1969b, S. 282. Zur Erinnerung: Gestalt der Lohnsubvention: Yw = [g+(l-aw)W](K-L).
7 Vierling
98
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
und nähme mit den Arbeitsstunden so weit zu, daß er bei hohen Stundenzahlen den Zuschlag bei der (einfachen) Lohnsubvention überträfe. Wenn in eine Lohnsubvention eine regressive Komponente eingebaut wUrde, so wUrde der Arbeitsanreiz im Vergleich zur Einkommen-Arbeit-Subvention verstärkt, da hier wegen des Fehlens eines pauschalzahlungsbedingten Einkommenseffekts die über den Substitutionseffekt eintretende positive Anreizwirkung der Regressivität auf das Arbeitsangebot nicht ausgeschaltet bzw. nicht so stark gemindert werden könnte. Der verbleibende Einkommenseffekt nämlich fiele besonders im Bereich unterdurchschnittlichen Arbeitsangebots relativ niedrig aus. Die das Arbeitsangebot begünstigende Wirkung des Substitutionseffekts würde gegenüber der Einkommen-Arbeit-Subvention ebenfalls gesteigert, da der relative Preis des Einkommens im Verhältnis zur Freizeit aufgrund des schon von der ersten Arbeitsstunde an negativen Grenzsteuersatzes geringer wäre als bei der Einkommen-Arbeit-Subvention. Ein Nachteil des "regressiven" Verlaufs gegenüber der "einfachen" Lohnsubvention könnte allerdings darin vermutet werden, daß nach der Eintuhrung des Programms die regressive Wirkung des Substitutionseffekts gerade Einkommens-Arme, die ja vielfach nur teilzeitbeschäftigt sind, und sich daher im Vergleich zur "einfachen" Lohnsubvention möglicherweise nur niedrigeren Grenztransfersätzen gegenübersehen, lediglich zu einer vergleichsweise geringtugigen Erhöhung ihrer Arbeitszeit veranlassen könnte. Dem im Vergleich zur "einfachen" Lohnsubvention weniger arbeitszeitilirdemden Substitutionseffekt bei Geringverdienern steht allerdings auch ein vergleichsweise geringerer freizeitrurdemder Einkommenseffekt gegenüber, so daß tur diese Individuen keine allgemeine Arbeitsanreiz-Unterlegenheit der Lohnsubvention mit regressivem Tarifelement behauptet werden kann. Vielmehr zeigt Abb. B24, daß tur Individuen mit geringem Arbeitszeit-Niveau die recht schwache Wirkung des Einkommenseffekts gegenüber der schon sehr stark greifenden Wirkung des Substitutionseffekts klar in den Hintergrund tritt, ja daß sogar eher mit einem höheren Arbeitsangebot als bei der "einfachen" Lohnsubvention zu rechnen ist. Für Individuen dagegen, die vor der Subventionierung immerhin schon so viel Arbeit anboten, daß sie durch die Lohnsubvention mit regressivem Element einen höheren Grenztransfersatz erzielen als bei der "einfachen" Lohnsubvention, wirkt neben der Verringerung des Einkommenseffekts auch noch zusätzlich der viel stärkere Substitutionseffekt auf ein erhöhtes Arbeitsangebot hin.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
99
y
Abbildung 824: Vergleich der Wirkungen von "einfacher" Lohnsubvention und Lohnsubvention mit "regressivem" Element auf das Arbeitsangebot bei niedrigem Arbeitszeitniveau
3. Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention und ihre statischen Anreizwirkungen Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Lohnsubvention mit regressivem Tarifelement weist der Vorschlag einer Lohnsubvention auf, die erst filr Arbeitsstunden über einer bestimmten Mindest-Teilarbeitszeit P der zugrundeliegenden Basisperiode K einsetzt 175 - im folgenden als "Über-Teilzeit-Lohnsubvention" bezeichnet. Überstunden über die Normal-Vollarbeitszeit F hinaus sollen im Programm der Über-Teilzeit-Lohnsubvention aber auch nicht subventioniert werden. Sie variiert insofern die Lohnsubvention mit regressivem Tarifelernent, als sie zu deren "Linearisierung" auf einem niedrigeren Niveau von Transferbeträgen und individueller Wohlfahrt fUhrt. Demnach kann ein Individuum innerhalb einer Periode K maximal filr eine Stundenzahl (F-P) die Lohnsubvention, also den Lohnsatz Ws = g+(l-a)W, beziehen. 176 Nun seien die Arbeitsstunden (K-L) in H umbenannt. Dann beträgt das Einkommen des Individuums bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention: 177
175 176
V gl. Kesselman, 1971, S. 2. Kesselman, 1971, S. 2 f.
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
100
für W ~ .! und / oder H < P a
WH Y.w
WP+w..(H-
=
w( H -
F+
p)
p) + w..( F - p)
für W< .! und P ~ H ~ F a für W < .! und H > F a
Am Anfang der Betrachtung stehe ein Individuum, dessen Arbeitsangebot mit dem Lohnsatz im Lohnsatz-Bereich von W bis Ws zunimmt, in Abb. B25 als von rechts nach links steigender "Preis-Konsum-Pfad" zwischen den Lohngeraden von W und Ws dargestellt. 178 y
L Abbildung 825: Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention bei steigender Arbeitsangebotskurve Quelle: Kesselman, 1971, S. 4
KV ist die Budgetgerade ohne Lohnsubvention, KM diejenige mit Lohnsubvention. Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention setzt am Punkt P' der AusgangsBudgetgeraden an, also bei einer Arbeitszeit von P Stunden, so daß sich die geknickte Budgetgerade bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention KP'X ergibt. Die grafische Darstellung entspricht exakt einer Abbildung von Lohnprämien filr Über-
177
17S
Kesselman, 1971, S. 3. Vgl. Kesselman, 1971, S. 3 f.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
101
stunden;79 nur setzt eben die Lohnsatzsteigerung nicht bei "Über-Vollzeit", sondern schon bei "Über-Teilzeit" ein. Da zunächst einmal bei beiden Subventionsfonnen ("nonnale" und "ÜberTeilzeit-") der gleiche Subventionssatz ftlr subventionierte Arbeitsstunden gelten soll, verläuft P'X parallel zu KM: Der Übergang von einer Lohnsubvention zu einer Über-Teilzeit-Lohnsubvention ist also gleichbedeutend mit einer Pauschal-Einkommenssenkung ohne Veränderung der relativen Preise von Einkommen und Freizeit, wenn die Arbeitszeit zwischen P und F liegt.180 Da Freizeit nach wie vor als nonnales (nicht-inferiores) Gut angenommen wird, wählt das Individuum mit Lw bei der Über-Teilzeit-Lohnsubvention weniger Freizeit als mit Ls bei der Lohnsubvention. Mit anderen Worten flillt bei der Über-Teilzeit-Lohnsubvention das Arbeitsangebot höher aus, sofern wenigstens P Stunden angeboten werden (Abb. B25). Stattdessen kann die Arbeitsangebotskurve des Individuums auch im Lohnsatz-Bereich von W bis Ws "rückwärts geneigt" verlaufen, in Abb. B26 veranschaulicht mit einem von links nach rechts steigenden "Preis-Konsum-Pfad" zwischen den Lohngeraden von Wund Ws.' 8I y
L
Abbildung B26: Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention bei fallender Arbeitsangebotskurve Quelle: Kesselman, 1971, S. 4
179 Vgl. Brown, 1980, S, 8 ( 180 Kesselman, 1971, S. 3 f. 181 Vgl. Kesselman, 1971, S. 4.
102
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
Mit der dem vorigen Fall entsprechenden Argumentation kann nun gezeigt werden, daß das Arbeitsangebot bei der Über-Teilzeit-Lohnsubvention höher ist als bei der Lohnsubvention: Wieder macht sich der Einkommenseffekt als Rückgang der Freizeitwahl beim Übergang von der Lohnsubvention zur ÜberTeilzeit-Lohnsubvention bemerkbar. Trotz der "Rückwärtsneigung" der Arbeitsangebotskurve kann das Arbeitsangebot bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention sogar über dem Ausgangsarbeitsangebot liegen; jedenfalls liegt es links von T, dem Schnittpunkt der geknickten Budgetgerade bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention mit dem "Preis-KonsumPfad", da die geknickte Budgetgerade der Über-Teilzeit-Lohnsubvention im Bereich von T steiler verläuft als die durch T verlaufende Lohngerade. 182 Denn die Über-Teilzeit-Lohnsubvention-Budgetgerade schneidet in T die Indifferenzkurve, die von der durch T verlaufenden Lohngerade in T tangiert wird. Wegen ihrer negativen Steigung kann die Über-Teilzeit-Lohnsubvention-Budgetgerade eine höhere Indifferenzzkurve nur links von T tangieren. Über einen stärkeren Substitutionseffekt schafft die durch T verlaufende Über-Teilzeit-Lohnsubvention also einen höheren Arbeitsanreiz und ein höheres Wohlfahrtsniveau als eine durch T verlaufende "normale" Lohnsubvention. Wesentlich fiir die bisherige Untersuchung ist, daß das Individuum bei ÜberTeilzeit-Lohnsubvention seine Einkommens-Freizeit-Kombination auf dem Abschnitt P'X wählt. Eine hinreichende, wenn auch nicht notwendige Bedingung dafiir ist, daß das Individuum bei Abwesenheit jeglicher Subvention mindestens P Arbeitsstunden anbietet. \83 Liegt dieses subventionslose Angebot niedriger als P, so ist ohne Kenntnis der Präferenzen ungewiß, ob die Wahl des Individuums bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention die gleiche bleibt wie in der subventionslosen Situation oder aber ob sie auf einen Punkt des Abschnitts P'X fiUIt, ob das Individuum also in die Subvention "hineingezogen" wird. Oben wurde nachgewiesen, daß die Lohnsubvention bei sowohl "vorwärts" als auch "rückwärts" geneigtem Arbeitsangebot hinsichtlich der Arbeitsanreize der Einkommensubvention überlegen ist. Die nun ermittelten Ergebnisse zeigen, daß die Über-Teilzeit-Lohnsubvention die Lohnsubvention hinsichtlich der Arbeitsanreize übertrifft, sofern die Individuen mindestens P Arbeitsstunden anbieten. Also kann mit dieser Einschränkung (mindestens P Arbeitsstunden) die Über-Teilzeit-Lohnsubvention auch gegenüber der Einkommensubvention als hinsichtlich der Arbeitsanreize eindeutig überlegen bezeichnet werden. 184 Bemerkenswert ist neben dem Arbeitsanreiz-Vorteil der Über-Teilzeit-Lohnsubvention gegenüber der "Grundform" auch der Kostenaspekt: Bei jeder Höhe 182 183 184
Vgl. Kesse1man, 1971, S. 4. Kesselman, 1971, S. 5. Vgl. Kesselman, 1971, ebd.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
103
des Arbeitsangebots muß bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention ein geringerer Transferbetrag aufgebracht werden. Dann liegt eine Erkenntnis nahe, die die allokativen Vorzüge der Über-Teilzeit-Lohnsubvention noch unterstreicht: Das Transfersystem einer "normalen" Lohnsubvention (positiver Substitutionseffekt auf das Arbeitsangebot), verbunden mit dem Steuersystem einer Pauschalsteuer (alleiniger positiver Einkommenseffekt auf das Arbeitsangebot),18s ist graphisch genau gleich wie die Über-Teilzeit-Lohnsubvention abzubilden. Insofern kann die Über-Teilzeit-Lohnsubvention in der Tat als "normale" Lohnsubvention, die, einer den Arbeitsanreiz noch weiter optimierenden Pauschalsteuer unterliegend, erheblich zur Selbstfmanzierung herangezogen wird, interpretiert werden. 186 In der bisherigen Betrachtung wurde der zweite Knick in der Budgetgerade der Über-Teilzeit-Lohnsubvention ignoriert, ein Knick, der in dem Punkt liegt, der einem Arbeitsangebot von F Stunden entspricht. 187 Da die Budgetgerade "jenseits" dieses Knicks flacher verläuft, fällt die Einkommen-freizeit-Wahl eines Individuums aber eher auf einen Punkt auf dem Abschnitt "diesseits" des Knicks oder auf den Punkt des Knicks selbst. Leicht könnten diese Modellbetrachtungen auch auf die Idee einer "ÜberVollzeit-Lohnsubvention" (Subventionierung nur der Arbeitszeit über F), die bisher ja ausgeschlossen sein sollte, übertragen werden. Ein derartiges Setzen von Anreizen zu Überstunden mag arbeitsmarktpolitisch unerwünscht sein. Rein "technisch" besteht aber kein Zweifel, daß solche Prämien fUr Überstunden das Arbeitsangebot zu Über-( -Vollzeit-)Stunden stimulieren werden. 188 Der unmittelbare Vergleich der Über-Teilzeit-Lohnsubvention mit der Lohnsubvention mit regressivem Element in Abb. B27 zeigt die Ähnlichkeit der zu erwartenden Wahlreaktionen: Im Bereich niedriger Arbeits-Stundenzahlen löst die Über-Teilzeit-Lohnsubvention keinen Arbeitsangebotseffekt aus, während bei der "regressiven" Lohnsubvention jeweils gegenläufige und betragsmäßig gering ausfallende Substitutions- und Einkommenseffekte auftreten. Mit zunehmender Arbeits-Stundenzahl "zieht" plötzlich bei der Über-TeilzeitLohnsubvention die Subvention das Individuum zu verstärktem Arbeitsangebot, während bei der "regressiven" Lohnsubvention der stetig steigende Grenztransfersatz zunächst vor allem mit seinem immer stärkeren Substitutionseffekt "greift" und das Arbeitsangebot zunehmen läßt, allerdings dann auch von einem 18S Mit der Einschränkung, daß der Steuerbetrag bei niedrigeren Arbeitszeiten, so lange die Pauschalsteuer also den Subventionsbetrag noch überstiege, nur so hoch ist wie der Subventionsbetrag. 186 Vgl. auch Larnpman, 1983, S. 69 f. 187 Kesselman, 1971, S. 5. 188 Vgl. Rothschild, 1963, S. 56.
104
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
immer größeren Einkommenseffekt begleitet wird, der die Angebotssteigerung in Grenzen hält. y
"_~_.....l",,:-
___
Lohnsubvention mit regressivem Tarifelement Über-Teilzeit-Lohnsubvention Lohnsubvention
L Abbildung B27: Die Über-Teilzeit-Lohnsubvention und die Lohnsubvention mit regressivem Tarifelement
Bei insofern nicht grundsätzlich voneinander abzuhebenden Arbeitsangebotswirkungen ist die Über-Teilzeit-Lohnsubvention jedenfalls das kostengünstigere Instrument. 4. Die differenzierte Einkommensubvention und ihre statischen Anreizwirkungen Um die mit einer Einkommensubvention verbundenen möglichen ArbeitsDisincentive-Wirkungen zu vermindern, ist ein weiterer Ansatz zur Hilfe rur Einkommensarme entwickelt worden,189 der hier als differenzierte Einkommensubvention bezeichnet werden soll. Er ähnelt insofern der Einkommen-ArbeitSubvention, als er ähnliche Wirkungen auf das Arbeitsangebot hervorruft und deren gekrümmten Tarifverlauf abschnittweise "linearisiert". Dabei geht es um ein Modell der Einkommensubvention, bei der einem Bezieher eines Niedrig-Markteinkommens ein Transferbetrag GI nur dann ausgezahlt wird, wenn er eine bestimmte Mindeststundenzahl pro Tag oder Woche
189 Vgl. Kesselman, 1971, S. 8 ff.
III. Modifizierte Subventionsfonnen und statische Anreizwirkungen
105
arbeitet. Ein solches Zeitminimum werde hier als die Vollzeitarbeit F festgesetzt, also etwa auf die 40-Stunden-Woche. 190 Zusätzlich ist bei der differenzierten Einkommensubvention ein arbeitszeitunabhängiger Transferbetrag Go eingebaut, der denjenigen, die nicht arbeiten können oder sollen oder wollen, ein Grundeinkommen sichert, der aber, wenn auch mit steigender Arbeitszeit immer weiter reduziert, auch den arbeitenden Individuen gewährt wird. (Abb. B28) y
E
L
Abbildung 828: Differenzierte Einkommensubvention Quelle: Kesselman, 1971, S. 9
Damit beträgt das Gesamteinkommen Yc bei differenzierter Einkommensubvention: 191
~ = (1- a )WH + Go + {OGI
filr H< Fund filr
H~
F.
Folglich ergibt sich als geknickte Budgetgerade der differenzierten Einkommensubvention in der Graphik die Linie KABCD. Offensichtlich unterscheidet sich die differenzierte von der Standard-Einkommensubvention darin, daß bei der Standard-Einkommensubvention (hier: Budgetgerade KAECD) der Gesamttransfer voraussetzungslos ausgezahlt wird, also der Teil GI nicht vom Arbeitsangebot abhängig gemacht wird. Wenn die in der Standardanalyse der Ein190 191
Kesselman, 1971, S. 8. Vgl. Kesselman, 1971, ebd.
106
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
kommensubvention ermittelten ungünstigen Anreizwirkungen von Pauschalzahlung und Steuersatz a bedacht werden, so stellt sich jetzt die Frage, welche abweichenden Wirkungen davon ausgehen, wenn ein Teil G) des Garantiebetrags vom Ausmaß des Arbeitsangebots abhängig gemacht wird; es interessiert also, ob diese Besonderheit der differenzierten Einkommensubvention in statischer Betrachtung die Disincentive-Wirkungen der Einkommensubvention begrenzen oder sogar beseitigen kann. 192 Das "Break-Even-Einkommen" eines Individuums ist bei dem subventionslosen Einkommen erreicht, das genauso hoch ist wie das Einkommen bei differenzierter Einkommensubvention, graphisch zu bestimmen am Schnittpunkt der Budgetgerade bei differenzierter Einkommensubvention mit der steuer- und transferlosen Lohngeraden. 193 Diese Lohngerade setzt in K an, ihre Steigung beträgt -Wo Je nach den relativen Größen von Go, G), a, F und W kann der "Break-Even"-Punkt nun entweder auf der Strecke AB oder CD in der Abbildung liegen. Das "Break-Even"-Einkommen beträgt dann Y) * = Ge/a, wenn der Punkt auf AB liegt, oder Y2* = (Go+G)Ya, wenn er auf CD liegt. Es ist aber auch möglich, daß die steuer- und transferlose Lohngerade jede der Strecken AB, BC und CD schneidet, so daß sich filr das Individuum beide "Break-Even"Punkte bzw. -Einkommen Y) * und Y2* ergeben.'94 Wegen des zusätzlichen Anteils G) am Pauschaltransfer könnte die differenzierte Einkommensubvention als Sonder- oder Extremfall der Über-TeilzeitLohnsubvention angesehen werden, denn sie entspricht dem Fall, daß die gesamten Lohnzuschläge erst beim Arbeitsangebot F statt schon über das gesamte Intervall von P bis F hinweg gewährt werden. 195 Nun sollen die Anreizwirkungen bei der differenzierten (KABCD) mit denen bei der Standard-Einkommensubvention (KAECD) verglichen werden, um so über den Umweg der schon erkannten Disincentive-Wirkungen der StandardEinkommensubvention die differenzierte Einkommensubvention indirekt mit der subventionslosen Situation vergleichen zu können. Ein erster betrachtenswerter Fall ist der eines Individuums, das bei der Standard-Einkommensubvention F oder mehr Arbeitsstunden anbietet, also einen Punkt auf der Strecke CD in der Abbildung wählt. Es zeigt sich, daß der gewählte Punkt bei differenzierter Einkommensubvention der gleiche ist wie bei der Standard-Einkommensubvention; also sind die Wirkungen der differenzierten und der Standard-Einkommensubvention auf das Arbeitsangebot identisch,
192 193 194 195
Vgl. Kesselman, 1971, S. 9. KesseIman, 1971, ebd. Vgl. KesseIman, 1971, ebd. KesseIman, 1971, S. 9 f.
III. Modifizierte Subventionsformen und statische Anreizwirkungen
107
wobei beide hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen der subventions losen Situation unterlegen sind. 196 Der zweite Fall ist der, daß ein Individuum bei einer fiktiven Standard-Einkommensubvention, die nur den Pauschaltransfer Go gewährt, weniger als F Arbeitsstunden wählt, was einem Punkt auf der Strecke AB in einem Subventionsprogramm mit Budgetgerade KABQ entspräche. Die schon oben unterstellte Nicht-Inferiorität von Freizeit hat zur Konsequenz, daß das Individuum bei der Standard-Einkommensubvention, die den Pauschaltransfer GO+G I gewährt, zwangsläufig einen Punkt auf der Strecke EC wählt. 197 Keine eindeutige Aussage über die Lage des Punkts der Wahl ist dagegen möglich, wenn stattdessen, ausgehend von einer Standard-Einkommensubvention mit Pauschaltransfer Go, eine differenzierte Einkommensubvention in Höhe eines zusätzlichen Betrags von GI fur ein Arbeitsangebot von F Stunden und darüber gewährt wird, doch wächst die Wahrscheinlichkeit, daß dieses GI zu einem Arbeitsangebot von F Stunden fuhrt (Unterfall a) und nicht das unterhalb von F Stunden liegende Arbeitsangebot unverändert läßt (Unterfall b), - je höher der Betrag von GI ist, - je näher B am angenommenen gewählten Punkt auf AB liegt und - je weniger "steil" die Indifferenzkurven verlaufen. 19s Die Ergebnisse beider Unterfälle in diesem zweiten Fall sprechen der differenzierten Einkommensubvention also geringere Arbeits-Disincentive-Wirkungen zu als der Standard-Einkommensubvention; dennoch ist zu fragen, ob fur wenigstens eines der Ergebnisse die Arbeits-Disincentive-Wirkung, die der Einkommensubvention zuzusprechen ist, vollständig aufgehoben werden kann. Noch einmal sei an den Unterfall b erinnert, in dem der Arbeiter bei der differenzierten Einkommensubvention weniger als F Stunden arbeitet: Obwohl das Arbeitsangebot größer ist als es bei der Standard-Einkommensubvention (mit Go + GI) wäre, ist es doch kleiner als in der völlig subventions losen Situation, einfach weil sich das Individuum verhält, als würde es mit einer Standard-Einkommensubvention KABQ (mit Go) konfrontiert l99 • Im Unterfall a veranlaßt GI das Individuum, F Stunden zu arbeiten. So arbeitet es jedenfalls mehr als bei der Standard-Einkommensubvention, ja hier besteht sogar eine Möglichkeit, daß die differenzierte Einkommensubvention zu einem höheren Arbeitsangebot fuhrt, als es in der subventionslosen Situation
196 197 198 199
Vgl. Kesselman, 1971, S. 10. Kesselman, 1971, S. 10. Vgl. Kesselman, 1971, S. 10 f. Vgl. Kesselman, 1971, S. 11.
108
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
vorliegt.2°O Diese Möglichkeit widerspricht nicht "nonnalen" Präferenzen des Individuums, allerdings erscheint die Wahrscheinlichkeit nicht allzu hoch, was in der graphischen Analyse nachvollzogen werden kann: Die letzten beiden oben genannten Bedingungen, die es wahrscheinlicher machen, daß GI ein Arbeitsangebot von F Stunden hervorruft, legen gleichzeitig ein relativ hohes Arbeitsangebot auch bei subventions loser Situation nahe: 201 Wenn der Punkt der Wahl bei Standard-Einkommensubvention KABQ auf AB nahe an B liegt, dann ist es wahrscheinlich, daß der Substitutions- und der Einkommenseffekt, die beide das Arbeitsangebot gegenüber der subventionslosen Situation venninderten, ihren Ausgang von einem "links" von B und C liegenden Arbeitsangebot nahmen. Wenn die Indifferenzkurven flach verlaufen, dann ist es wahrscheinlich, daß der Substitutionseffekt von der subventions 10sen Situation zur Situation bei Standard- und bei differenzierter Einkommensubvention so stark ausfällt, daß das Arbeitsangebot bei subventionsloser Situation "links" von Bund C lag. Auch hier lassen sich mit Hilfe eines unmittelbaren graphischen Vergleichs der differenzierten Einkommensubvention mit der Einkommen-Arbeit-Subvention (Abb. B29) die Ähnlichkeiten der zu erwartenden Wahlreaktionen herausstellen: Im unteren Bereich der Arbeits-Stundenzahlen vennindem bei der differenzierten Einkommensubvention sowohl Substitutions- als auch Einkommenseffekt das Arbeitsangebot noch weiter, während die Einkommen-ArbeitSubvention das Arbeitsangebot sogar tendenziell auf Null zurückfUhrt:. Mit zunehmender Zahl der Arbeitsstunden "zieht" plötzlich bei der differenzierten Einkommensubvention der erhöhte arbeitszeitabhängige Pauschaltransfer das Individuum zum Vollzeit-Arbeitsangebot, während bei der EinkommenArbeit-Subvention der sinkende Einkommenseffekt und der vom positiven in den negativen Bereich umschlagende Grenzsteuersatz mit seinem das Arbeitsangebot zunehmend begünstigenden Substitutionseffekt das Individuum dazu bringt, tendenziell Vollzeitarbeit anzubieten. Bei diesen recht ähnlichen Wirkungen auf das Arbeitsangebot ist immerhin bemerkenswert, daß bei der differenzierten Einkommensubvention nur geringere Transferbeträge aufgebracht werden müssen.
200 Kesselman, 1971, ebd. 201 Vgl. Kesselman, 1971, S.ll.
109
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
y
~....~---
differenzierte Einkommensubvention
L VoI1zeitarbeit Abbildung B29: Differenzierte Einkommensubvention und Einkommen-Arbeit-Subvention
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen 1. Wirkungen bei den Grundformen Während die Lohnsubvention der Einkommensubvention, was die statischen Anreizwirkungen betrim, überlegen ist, ergibt sich im Vergleich der beiden Instrumente im Hinblick auf die langfristig-dynamischen Anreizwirkungen unter Berücksichtigung von Anpassungsprozessen und Fristigkeiten ein eher differenziertes Bild, da hier beide Instrumente sowohl mehrere Vor- als auch Nachteile aufweisen. 202 Ein erster Ansatz zur "Dynamisierung" der Wirkungsanalyse kann darin bestehen, ganz einfach erst einmal die Zeitkomponente einzufilhren und mit der Berücksichtigung von Anpassungsprozessen bzw. -zeiträumen über die komparativ-statische Analyse hinauszugehen. Diese modifizierte Sichtweise erlaubt es, sich die in der "statischen" Analyse festgestellten Anreizeffekte nicht als unmittelbar und vollständig eintretend, sondern sich die genannten Effekte als sich allmählich und in kleineren Schritten vollziehend vorzustellen. Dabei ist noch einmal zu betonen, daß jedenfalls nicht Substitutions- und Einkommenseffekte hintereinander, sondern vielmehr simultan ablaufen, so daß eine Wirkungsana202
Vgl. Kesselman, 1969b, S. 283.
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
110
lyse, die die Zeitkomponente berücksichtigt, die unterschiedliche Gesamtwirkung von Lohn- und Einkommensubvention der Richtung nach schon vom Anfang des Anpassungsprozesses an erkennt. Selbstverständlich kann nicht allgemein entschieden werden, welcher Anpassungszeitraum anzusetzen wäre; er kann je nach Individuum zwischen extrem kurz und beträchtlich lang liegen. "Dynamische" Veränderungen (im engeren Sinne) der (Arbeits-) Anreizstruk-
tur ergeben sich aber aus Veränderungen der Bedingungen, die es Individuen
ermöglichen, höhere Marktlohnsätze zu erzielen, in erster Linie also aus QualifIkationsverbesserungen der Individuen, sowie aus Veränderungen der zugrundeliegenden Nutzenfunktionen - Veränderungen, die sich auch erst mittel- bis langfristig ergeben können. 203 Mit anderen Worten wird in "dynamischer" Betrachtung der bislang als objektiv vorgegebene Lohnsatz durch das Individuum gestalt- bzw. beeinflußbar,204 sei es durch Aus- oder Weiterbildung oder durch die erbrachten und zu erwartenden Leistungen des Individuums am Arbeitsplatz. Ebenso können die Präferenzen nicht mehr, wie noch in (komparativ-) statischer Analyse, als gegeben und unveränderlich angesehen werden;205 insbesondere ist auf die wechselseitige Beeinflussung von (veränderten) Lohn- oder Budgetgeraden und Präferenzen zu achten. Daher muß untersucht werden, welche Wirkungen die Gewährung von Transfers nach den bei den Programmtypen auf Qualifikationsniveaus, erzielte Marktlohnsätze und Einkommen-freizeit-Präferenzen ausübt, mit deren Veränderungen Anpassungen beim Arbeitsangebot der Individuen verbunden sein können. Wie bei der Einkommensubvention wird auch bei der Lohnsubvention das Individuum wegen der Steuer- bzw. Abbaukomponente generell nicht in vollem Umfang, sondern nur (l-a)-fach von einer Lohnsatzerhöhung, filr die es sich qualifiziert hat, profitieren, was seinen Antrieb zur "Investition" in das eigene "Humankapital", also zur Höherqualifizierung, bremsen kann. 206 Auch kann eine verminderte regionale und sektorale Mobilität befUrchtet werden, da Lohnsatzunterschiede vermindert werden. Diese Schwächung des Ameizes zu Ausund fortbildung, also zur Verbesserung der individuellen Qualifikation, oder des Ameizes zu Mobilitätsbereitschaft, letztlich also zur Erzielung eines höheren Marktlohnsatzes, ist ein nicht zu unterschätzendes Problem, das sich filr alle Transfersysteme stellt. 207 Immerhin wird das Individuum bei jedem Transfer-
203 204 205 206 207
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Kesselman, 1969b, S. 283. Elliott, 1991, S. 34. EhrenberglSmith, 1991, S. 180. Lindbeck, 1994, S. 74; vgl. Haveman, 1975, S. 124. Perlman, 1968, S. 298; vgl. Zeckhauser/Schuck, 1970,S. 129.
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
111
programm den Anreiz spüren, den höchsten Lohnsatz zu erzielen, der mit seiner QualifIkation vereinbar ist. 208 Die Frage der Erhöhung der quantitativen wie qualitativen Arbeitsleistung des Individuums in dynamischer Sicht wirft jedenfalls komplexe Probleme auf. Eine Vermutung geht dahin, daß von der Einkommenserhöhung bei jeder Art der Subvention günstige Wirkungen ausgehen. 209 Ausgehend von der Beobachtung, daß Gesundheitsmängel und Einkommensarmut sowie schlechter Ausbildungsstand und Einkommensarmut stark miteinander korrelieren, wären solch günstige Wirkungen dann zu erkennen, wenn sich die Begünstigten mit den Mitteln aus der Subvention bessere Gesundheitsversorgung, Ernährung, Wohnverhältnisse und Ausbildung leisten würden, was ihnen die Möglichkeit eröffnete, gegenwärtig und zukünftig mehr und bessere Arbeitsleistung anzubieten. 210 Im einzelnen könnte fiIr die Einkommensubvention wie folgt argumentiert werden: Das zusätzliche Einkommen aufgrund der negativen Einkommensteuer löst bei den Empfängern einen "Produktivitätseffekt,,211 aus, da sie das Zusatzeinkommen fiIr eine Verbesserung ihres Gesundheitszustands (durch höherwertige Ernährung, Wohnung und medizinische Versorgung) und ihres QualifIkationsniveaus (durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahrnen) verwenden, so daß ihre Fehlzeiten abnehmen, ihre "Produktivität" aber zunimmt und folglich auch ihr erzielter Marktlohnsatz ansteigt. Der gestiegene Marktlohn ist wie die Lohnsubvention und wie jede andere Lohnerhöhung als eine Rechtsdrehung der Budgetgerade (vor negativer Einkommensteuer) in ihrem Abszissenschnittpunkt darstellbar. Mit der Lohngerade dreht sich aber auch die Gerade der negativen Einkommensteuer, da ja der "Steuersatz" a und das "Break-even-Einkommen" Y' unverändert bleiben. 212 Nun ist zu fragen, ob der durch die negative Einkommensteuer ausgelöste "statische" Rückgang des Arbeitsangebots durch die "dynamische" Verschiebung der geknickten Budgetgerade verstärkt, unverändert gelassen, gemildert, neutralisiert oder sogar überaufgewogen wird. Theoretisch ist all dies möglich, wobei hier nur die beiden Extremfiille des noch weiter reduzierten
208 Vgl. Kesselman, 1969b, S. 283. 209 Kesselman, 1969b, S. 283. 210 Boskin, 1967, S. 355 ff. Kesse\man, 1969c, gibt zu bedenken, daß die Korrelation kein Beleg rur eine eindeutige Kausalitätsrichtung von Armut zu schlechten Wohn-, Ausbildungs- und Gesundheitsverhältnissen ist, so daß durch Einkommenserhöhungen den Mängeln nicht notwendigerweise abgeholfen wird. 211 Vgl. Boskin, 1967, S. 355 f. 212 Dies übersieht Otten, 1977, S. 69 fT., so daß er die von Boskin dargestellte Idee der dynamischen Erhöhung des Arbeitsangebots durch die negative Einkommensteuer kritiklos übernimmt und auch graphisch (S. 71) falsch belegt.
112
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
(Abb. B30) und des im Vergleich zum Ursprungsangebot erhöhten Arbeitsangebots (Abb. B31) graphisch veranschaulicht seien. y
~-----------------------------------~~------------
L
Abbildung B30: Weiterer Rückgang des Arbeitsangebots bei Einkommensubvention nach Produktivitätseffekt
y
~
_______________~_______________~~_______________ L
Abbildung B31: Absolute Zunahme des Arbeitsangebots bei Einkommensubvention nach Produktivitätseffekt
Diese Unbestimmtheit hat ihre Ursache in der Ungewißheit über die relativen Stärken der nach der Lohnerhöhung relevanten Substitutions- und Einkommens-
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
113
effekte213 sowie in der Ungewißheit über die mögliche Realisierung eines Haushaltsoptimums nicht mehr auf dem (neuen) "Ast" der negativen Einkommensteuer, sondern auf dem (neuen) "Ast" der Lohngerade. Insofern entspricht die Unsicherheit über die Veränderung des Arbeitsangebots bei einer Lohnerhöhung unter Einbeziehung einer Negative-Einkommensteuer-Komponente exakt der im Abschnitt A.II. "Die Lohnsubvention - Erhöhung des Lohnsatzes" beschriebenen Unsicherheit über die Anpassungsrichtung des Arbeitsangebots. Immerhin ist sichergestellt, daß der Substitutionseffekt der Lohnerhöhung dem vorausgegangenen die Freizeitwahl begünstigenden Substitutionseffekt der negativen Einkommensteuer entgegenwirkt. Festzuhalten bleibt damit, daß nach Berücksichtigung "dynamischer" Anpassungsprozesse der Einkommensubvention nicht mehr eine eindeutige Reduzierung des Arbeitsangebots angelastet werden kann. Als nächstes sind die dynamischen Anreizwirkungen, die von einer Lohnsubvention ausgehen, zu prüfen. Auch die Lohnsubvention filhrt als Transferprogramm zu einer Einkommenserhöhung beim Empfänger und löst den bei der Einkommensubvention beschriebenen Produktivitätseffekt aus, der im Erzielen eines höheren Lohnsatzes resultiert. Im Unterschied zur Einkommensubvention ist hier jedoch der Einkommenszuwachs meist höher; präziser ausgedrückt: Nur in den weniger typischen Fällen, daß eine Lohnsubvention zum selben Einkommenszuwachs filhrt wie eine negative Einkommensteuer, wird der Produktivitätseffekt beim Individuum gleich hoch ausfallen, sein Marktlohn also in gleicher Weise ansteigen. Derartige Fälle sind insofern untypisch, als sie den Vergleich einer hohen negativen Einkommensteuer mit einer niedrigen Lohnsubvention voraussetzen, wobei letztere mit einem geringeren Transferbetrag und dem Erreichen eines geringeren individuellen Wohlfahrtsniveaus verbunden ist. Schon bei weniger stark reduziertem Transfer und Wohlfahrtsniveau bewirkt der Substitutionseffekt der Lohnsubvention nicht nur eine relative Arbeitszeit- sondern auch eine relative Einkommenserhöhung im Vergleich zur negativen Einkommensteuer. Allerdings unterliegt auch der gestiegene Marktlohn, sofern er nicht bereits den "Break-Even-Lohnsatz" erreicht hat, noch der Lohnsubvention, was die Budgetgerade in ihrem Abszissenschnittpunkt (einkommens- und wohlfahrtserhöhend) noch weiter nach "rechts" dreht. Weder fi1r die Lohnerhöhung noch fi1r die Subventionierung dieses erhöhten Lohnsatzes können nun wiederum eindeutige Aussagen über die Änderungsrichtung des Arbeitsangebots gemacht werden, da Substitutions- und Einkommenseffekte in die einander entgegengesetzten Richtungen wirken. Doch unzweifelhaft fällt das Arbeitsangebot auch nach dynamischer Anpassung bei der 213
V gl. Pahlke, 1976, S. 228.
8 Vierling
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B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
Lohnsubvention relativ höher aus als bei der Einkommensubvention, wirkt sich doch die Lohnerhöhung aufgrund des isolierten "dynamischen" Produktivitätseffekts bei beiden Transferschemata zwar apriori unbestimmt, aber doch in beiden Fällen gleichgerichtet aus, so daß der in der "statischen Analyse" ennittelte relative Unterschied hinsichtlich des Arbeitsangebots erhalten bleibt. Wird nun nicht mehr nur auf die Idee abgestellt, der Einkommenszuwachs rufe im Ergebnis letztlich Lohnsatzerhöhungen hervor, so kann auch gefragt werden, wie der - durch den Transferabbau gebremste, aber nicht beseitigte Anreiz zur Lohnsatzsteigerung durch Höherqualifizierung unter beiden Transfersystemen vergleichend auf das Arbeitsangebot wirkt. Mit anderen Worten interessiert nun, wie stark ein Anreiz zur Einkommenserhöhung, die ft1r die Lohnsatzerhöhung als Ursache und Voraussetzung angesehen wird, durch die Transferprogramme beeinflußt wird. Dabei kann nun ebenfalls auf das soeben ennittelte Ergebnis zurückgegriffen werden, daß das "dynamische Element" die "statische" stärkere Begünstigung des Arbeitsangebots durch die Lohnsubvention im Vergleich zur negativen Einkommensteuer nicht aufhebt oder ins Gegenteil verkehrt. Wichtig ist gerade hier der obige Hinweis, daß eine Lohnsubvention häufig zu einem stärkeren Einkommenszuwachs filhrt als eine "konkurrierende" negative Einkommensteuer, und dies sogar in Verbindung mit einem geringeren Transferaufwand und! oder unter Inkaufnahme eines niedrigeren Wohlfahrtsniveaus, erst recht also bei gleichem (oder höherem) Transfer und! oder gleichem (oder höherem) Wohlfahrtsniveau. Ein verstärkter Einkommenszuwachs aber bedeutet einen stärkeren "Produktivitätseffekt" und damit eine erheblichere Steigerung des Marktlohns (und ein erhöhtes Wohlfahrtsniveau) einschließlich weiterer Lohnsubventionierung (so lange der Lohn noch den Break-Even-Lohnsatz unterschreitet). Wiederum kann daraus keine eindeutige Konsequenz ft1r das Arbeitsangebot gezogen werden; allerdings ist die im Vergleich zur negativen Einkommensteuer deutlichere Lohnerhöhung jedenfalls nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anreizschädlich; vielmehr wirkt der Substitutionseffekt immer stärker auf ein höheres Arbeitsangebot hin und vielmehr können die mit der Lohnerhöhung verbundenen Produktivitätserhöhungen kaum mit nur geringem oder unregelmäßigem Arbeitsangebot zusammen gedacht werden. In diesem Fall wirken die dynamischen Anpassungseffekte also auf eine verstärkte "Selbstalimentierung" des Transferprogramms hin (d.h. auf relative Transfenninderung und Wohlfahrtserhöhung), ohne das Arbeitsangebot klar zu vennindem, während fUr die Einkommensubvention, bei der es zu keiner "Selbstalimentierung" kommt, der relative Arbeitsanreiz-Nachteil der "statischen Analyse" bestehen bleibt. Natürlich ist zu fragen, ob der beschriebene Produktivitätseffekt überhaupt eintritt bzw. in welchem Maße er wirksam wird. Damit es gerechtfertigt er-
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
115
scheint, von einem nennenswerten Produktivitätseffekt zu sprechen, müßte eine gewisse empirische Evidenz dafilr aufgezeigt werden, daß sich Einkommensarme in einer schlechteren Wohn- und Gesundheitssituation befmden als der Bevölkerungsdurchschnitt, und zusätzlich noch dafilr, daß sie mit Einkommenszuwächsen gerade diesen Mängeln abhelfen würden. Falls die erste dieser beiden Voraussetzungen zutrifft, könnte auch erwartet werden, daß es nicht allzu geringer Einkommenserhöhungen bedarf, um einen Produktivitätseffekt "anzustoßen",214 so daß sich wiederum das Instrument der Lohnsubvention empfehlen würde. Einstweilen dürfen Zweifel erhoben werden, ob die Situation und das Verhalten der Einkommensarmen mit dem Konzept des Produktivitätseffekts von Einkommenszuwächsen zutreffend abgebildet werden: Weder ist die Annahme besonders überzeugend, daß Einkommenszuwächse - und etwa gar in fast vollem Umfang - von den Emptangern filr die beschriebenen "Humankapitalinvestitionen" verwendet werden, noch kann etwa vom Vorliegen eines echten Aus- und Fortbildungsmarkts die Rede sein, auf dem sich QualifIkationsverbesserungen "kaufen" ließen. 215 Eine ganz ähnliche "dynamische" Anpassungsreaktion wird als "Investitionseffekt,,216 beschrieben, womit im Grunde der Produktivitätseffekt gemeint ist, der bei den Kindern der Transferemptanger durch bessere Lebens- und Ausbildungsverhältnisse induziert wird - gewissermaßen ein erst in längerfristiger Perspektive, nämlich in der nächsten Generation, Wirkung entfaltender Produktivitätseffekt. Die Vorbehalte gegen dieses Deutungsmuster der dynamischen Wirkung von Einkommenszuwächsen entsprechen den beim Produktivitätseffekt angeführten; hinzu kommt noch das Problem, inwieweit bei Eltern wirksam gewordene Anreizsysteme und Einstellungsänderungen sich in gleicher Weise auch bei ihren Kindern auswirken werden. Als ein dritter, wieder etwas originellerer Effekt, der gleichzeitig mit dem Produktivitätseffekt eintreten kann, wird schließlich der "restricted-activity"-Effekt 217 genannt, bei dem darauf abgestellt wird, daß ein einkommensarmes Individuum wegen der oben beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen nur eine so begrenzte Arbeitsstundenzahl pro Periode anbieten kann, daß es gar kein Haushaltsoptimum im Sinne eines Tangentialpunkts einer Indifferenzkurve mit seiner Budgetgerade erreichen kann, sondern nur einen Schnittpunkt. Erst mit der oben behaupteten Verbesserung seines Gesundheitsniveaus mit den Mitteln aus dem Einkommenszuwachs kann es ein höheres Arbeitszeitangebot pro 214 Vgl. Kesselman, 1969c, S. 412, der die Ausreichendheit des Zusatzeinkommens rur signifikante Produktivitätseffekte in Frage stellt. 215 Vgl. Kesselman, 1969c, S. 411. 216 Boskin, 1967, S. 357. 217 Boskin, 1967, S. 356 f.
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
116
Periode gesundheitlich verkraften, was ihm zwar vielleicht noch nicht zu einem Tangentialpunkt verhilft, aber doch zu einem Schnittpunkt bei höherem Wohlfahrtsniveau. Jedenfalls läge ein gesteigertes Arbeitsangebot aufgrund "dynamischer" Transferwirkungen vor, allein abhängig von der Transferhöhe, nicht aber von dem angewandten Transfersystem. Wenn allerdings die Lohnsubvention - wie oben anband des Produktivitätseffekts gezeigt - nach den statischen und dynamischen Reaktionen zu einem höheren Einkommenszuwachs und einer noch weiter verbesserten Gesundheit fUhrt als die negative Einkommensteuer, dann kann eher von ihr als von der negativen Einkommensteuer erwartet werden, daß sie eine auf Gesundheitsmängeln beruhende Arbeitszeiteinschränkung völlig aufhebt. (Abb. B32) y
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Abbildung B32: Eingeschränktes Arbeitsangebot wegen "restrictedactivity"-Effekt (a), geminderte Einschränkung nach Einkommenszuwachs (b) und Aufhebung der Einschränkung nach verstärktem Einkommenszuwachs (c); d: maximal mögliches Arbeitsangebot bei keiner gesundheitlichen Einschränkung
Zu den Zweifeln, ob das Individuum den Einkommenszuwachs fUr die Gesundheitsverbesserung verwendet, tritt hier noch das wichtige methodische Problem, daß mit dem "restricted-activity"-Argument von der anfangs getroffenen Annahme einer Optimierung des Individuums unter alleiniger Beschränkung durch die vorgegebene Budgetgerade, also durch objektive Umstände, abgegangen wird. Eine etwaige Beschränkung der Wahlmöglichkeit beim Arbeitsangebot wurde zwar bewußt ausgeklammerr l8 , kann jedoch, soweit sie auf vom Indi218
Siehe den Abschnitt B.1.2. "Arbeitszeitwahl und Wahlfreiheit".
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
117
viduum nicht zu beeinflussende Umweltzustände zurückzufilhren ist, auch analytisch behandelt werden. 219 Mit dem "restricted-activity"-Argument jedoch würden insofern subjektive Elemente eingebracht, als der Gesundheitsstand ja als durch individuelle Einkommensverwendungsentscheidungen beeinflußbar angesehen wird und deshalb nur schlecht der "objektiven Sphäre" der Budgetrestriktion zugeordnet werden kann. Insofern wäre die Entscheidung, zur Schonung eines etwa angeschlagenen Gesundheitszustands nur eine begrenzte Stundenzahl zu arbeiten, im Rahmen der individuellen Präferenzen zu modellieren und könnte als (unbeschränkte) Optimierung des Individuums, also als Tangentiallösung an der gegebenen Budgetgerade, aufgefaßt werden. 220 Hier werde daher vorgeschlagen, persönliche bzw. subjektive Besonderheiten eher in die Nutzenfunktion, also in das Indifferenzkurvensystem, aufzunehmen als in eine veränderte effektive Budgetgerade. Dann äußert sich die Überwindung eines "restricted-activity"-Effekts nicht mehr in der Aufhebung gegebener Arbeitszeitgrenzen mit zunehmender Annäherung an die Tangentiallösung, sondern in modifizierten, das Arbeitsangebot mehrenden, Präferenzen. 221 Die Diskussion der angefilhrten "dynamischen" Effekte hat die These der Arbeitsanreiz-Überlegenheit der Lohnsubvention gegenüber der negativen Einkommensteuer weiter untermauert. Wenn allerdings mit einem Sozialprogramm hauptsächlich die erwähnten "dynamischen" Änderungen (Gesundung! Qualifizierung) und nicht in erster Linie Einkommenstützung bzw. eine Erhöhung des Arbeitsangebots angestrebt werden, sei zu bedenken gegeben, daß statt Einkommen- oder Lohnsubventionen besser auf direktem Wege Programme in den Bereichen Ernährung, Gesundheits- und Wohnungsversorgung und Ausbildung durchgefilhrt werden könnten. 222 In der Debatte um die Abweichungen der dynamischen von den statischen Wirkungen bei Transferprogrammen wird auch angefiihrt, der Einkommenseffekt eines Programms müsse sich auf mittlere bis längere Sicht nicht unbedingt arbeitsangebotsmindernd auswirken. 223 Demnach nimmt mit Einkommenszuwächsen in den Perioden t-2 und t-l die Arbeitsmotivation in der Periode t zu, weil das Interesse an weiteren Einkommenserhöhungen erwacht ist, weil ein Bedürfuis entsteht, den erhöhten Lebensstandard und die Verfilgung über die zusätzlich erworbenen Vermögensgegenstände abzusichern und weil sich auch ein über die Verwendung von Zusatzeinkommen der Vorperioden verbesserter Ge-
219 220 221 222
223
Siehe den Ansatz im Abschnitt B.IIA. Vgl. auch Kesselman, 1969c, S. 412. Vgl. Kesse\man, 1969c, S. 412. Vgl. Kesselman, 1969b, S. 283; 1969c, S. 411. V gl. Conlisk, 1968, S. 324.
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
118
sundheitszustand positiv auf die Motivation zu arbeiten auswirkt. 224 Dies läßt sich anhand einer Erhöhung der Pauschalzahlungskomponente im Modell der Einkommensubvention veranschaulichen. 225 Dabei wird die Arbeitszeit in der Periode t, At, als eine Funktion der Pauschalzahlung G, des effektiven Lohnsatzes nach Einkommenssubvention (l-a)W und einer Motivationskomponente Mt dargestellt. Die Motivationskomponente wird als Funktion der Einkommen in den beiden Vorperioden Yt - 1 und Yt-2 dargestellt und das Einkommen in der Periode t, Yt, wie bisher, wobei (K-L)t = At: At =bo +~G+~(I-a)W +b3 Mt
mit bl < 0, ~ > 0
Mt = Co + cl1;-1 + c21;-2 1; = G + (1- a)WAt
mit Cl' C2 > 0
Die erste Gleichung stellt das Arbeitsangebot At als negativ von G, in unbestimmter Weise von (l-a) W (negativer Substitutions- versus positiver "reiner" Einkommenseffekt) und positiv von Mt abhängig dar, wobei die oben angefilhrten Motivationsbegründungen in das positive b3 Eingang fmden. Die zweite Gleichung zeigt die Motivationskomponente als positiv abhängig von den Einkommen der Vorperioden. Eine Erhöhung der Pauschalzahlungskomponente G filhrt nach der ersten Gleichung und in statischer Analyse über den (Pauschalzahlungs-)Einkommenseffekt also zu einem verminderten Arbeitsangebot. In eine "dynamisierte" Betrachtung müssen dagegen über die zweite und die dritte Gleichung die Wirkungen aus Vorperioden einbezogen werden. Dann lautet das Arbeitsangebot in dynamischer Betrachtung Ad : Ad = bo + blG +b2(1- a)W + b3 {cO + cl[G + (1- a)WAd ] + c2[G + (1- a)WAd ]) = bo +bP + ~(I- a)W + ~co
+ ~Cl[G +(1- a)WA.! ]+b3c2[G + (1- a)WAd ] =
= bo + bp + b2(1- a)W + b3cO + ~cP + b3cl (l- a)WAd
+ ~c2G + ~c2(1- a)WAd
Ad
-
b3cl (l- a)WAd
-
b3c2(1- a)WAd = bo +bP +b2(I-a)W +b3cO + ~cP + ~c2G
Ad [ 1- b3cl(l- a)W - b3c2(1- a)W] = bo + ~co + G[bl + ~(Cl +c2)] + b2(1- a)W
224 Vgl. Conlisk, 1968, S. 325. Die "Gesundheitskomponente" des Motivationseffekts entspricht im großen und ganzen dem Boskin'schen "restricted-activity-Effekt". 225 Vgl. Conlisk, 1968, S. 324 f.
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
119
Nun kann keine eindeutige Aussage mehr über die Veränderungsrichtung des Arbeitsangebots nach einer Erhöhung der Pauschalzahlung G gemacht werden: Der Nenner, 1 - b3(c) +c2)(l-a)W, mag größer oder kleiner als Null sein, und auch das Vorzeichen des Einflußfaktors auf G, b l + b3(c\ +c2)' ist unbestimmt, da b) negativ und b3(c\ +c2) positiv ist. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die "statische" Reduzierung der Arbeitszeit durch den (Pauschalzahlungs-)Einkommenseffekt - kenntlich gemacht durch b\ - über einige Perioden hinweg "dynamisch" durch eine motivationsbedingte Ausdehnung der Arbeitszeit - kenntlich gemacht durch b3(c\ +c2) überkompensiert werden kann, durchaus aber nicht muß. 226 Es muß allerdings gefragt werden, warum die dynamische Motivationswirkung eines Einkommenszuwachses gerade an einer Variation der Pauschalzahlung G abgelesen werden soll. Zum einen ist die Einfilhrung und Auswirkung einer negativen Einkommensteuer nicht auf die Wirkung der Pauschalzahlung zu reduzieren, da diese nur eine Komponente des (Netto-)Einkommenseffekts ist und dieser nur eine Komponente des Gesamteffekts. Auch die Heranziehung des (Hicks'schen) Netto-Einkommenseffekts wäre unzweckmäßig, da damit Wohlfahrts-, nicht aber (Geld-)Einkommensänderungen, gekennzeichnet werden. Auskunft über den Einkommenszuwachs gibt allein der auf das Gut "Einkommen" bezogene Gesamteffekt, dessen Motivationswirkungen aber anders zu formalisieren wären als hier oben dargestellt. Als wesentlicher Vorbehalt gegen die obige Präsentation des Motivationdurch-Einkommenserhöhung-Arguments ist also vorzubringen, daß die Pauschalzahlung oder auch der Netto-Einkommenseffekt nicht nur die Einkommenserzielung, sondern ebenso die Freizeitwahl absolut "verbilligt" und damit das Preisverhältnis zwischen Einkommen und Freizeit unverändert läßt, so daß ungeklärt erscheint, warum sich die Zusatz-Motivation bei beliebigen Nutzenfunktionen überproportional zugunsten des Einkommens und damit der Arbeitszeit im Vergleich zur Freizeit auswirken sollte. Die Pauschalzahlung ist im allgemeinen geeignet, über Gewöhnungs- und Erfahrungsprozesse die Einkommens- aber auch die Freizeitpräferenz tendenziell zu stärken, ohne daß es zu einer systematischen Verschiebung der relativen Präferenz käme. Insofern könnten, bezogen auf einen Einkommenseffekt (oder auch eine alleinige Pauschalzahlung), keine von den statischen Wirkungen abweichenden dynamischen Arbeitsangebotswirkungen erwartet werden. Also muß der ja durchaus plausible Gedanke der Motivationswirkung einer Einkommenserhöhung von dem Ein-
226
Vgl. Conlisk, 1968, S. 326.
120
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
kommens-(im Sinne von Wohlfahrts-) Effekt gelöst und auf die Netto-Einkommenserhöhung aus dem Gesamteffekt bezogen werden. Wird ein solches korrigiertes Argument einer Motivationswirkung der Einkommenserhöhung nun tUr eine vergleichende Wirkungsanalyse bei der Lohnsubvention bemüht, so kann als Ausgangspunkt die obige Feststellung gewählt werden, daß die Lohnsubvention in der Regel zu einem stärkeren Einkommenszuwachs fUhrt als die Einkommensubvention. Soweit dies zutriffi:, darf dann auch auf eine stärkere Motivationswirkung der Lohnsubvention auf das Arbeitsangebot geschlossen werden. Damit kann dann auch von einer "dynamischen" Arbeitsanreiz-Überlegenheit der Lohnsubvention gegenüber der negativen Einkommensteuer gesprochen werden. Auf mittlere bis lange Sicht sind nun die unterschiedlichen statischen Substitutionseffekte und Gesamt-Anreizeffekte von Lohn- und Einkommensubventionen sicherlich ganz besonderer Beachtung wert, dann nämlich, wenn sie entsprechend unterschiedliche "dynamische" Präferenzänderungen erzeugen. 227 Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnert, daß filr die statische Analyse konstante Präferenzen Voraussetzung sind, daß mit der dynamischen Analyse dagegen die (mittel- bis langfristige) Beeinflussung der Präferenzen, ausgelöst etwa durch veränderte Umstände und die eingetretene Gewöhnung daran, erfaßt werden soll. So läßt sich das Motivation-durch Einkommenserhöhung-Argument besonders gut nachvollziehen: Die vergleichsweise stärkere Einkommenserhöhung der Lohnsubvention löst auf Dauer bei dem Individuum eine Präferenzänderung zugunsten von Arbeit und Einkommen aus, die sich in einem nun verringerten Einkommenseffekt bei der Freizeit und einem nun erhöhten Einkommenseffekt beim Einkommen niederschlagen könnte. Die "statische" Anpassung der Arbeitsleistung des Individuums mag als Folge daraus auch mit seinen Chancen tUr eine "dynamische" Verbesserung seines Marktlohnsatzes zusammenhängen. "Tugenden" bzw. Einstellungen wie Arbeitszuverlässigkeit und eine Neigung zur wirtschaftlichen Verbesserung aus eigener Kraft sind häufiger bei Individuen zu konstatieren, die regelmäßig arbeiten, als bei solchen, die eher gelegentlich arbeiten,228 und sind jedenfalls notwendige Voraussetzungen filr möglicherweise erzielbare Lohnsatzsteigerungen am Arbeitsmarkt. Dabei stellt es bei diesen rein "qualitativen" Überlegungen kein Problem dar, daß die Präferenzen unter Geringverdienem divergieren und vielleicht in den seltensten Fällen einer so einfachen Präferenzordnung ent-
227 Vgl. Kesselman, 1969b, S. 283. 228 Vgl. Kesselman, 1969b, ebd.
IV. Dynamische Anreizwirkungen der Subventionen
121
sprechen, wie sie in der bisherigen Analyse zur Veranschaulichung zugrundegelegt wurde. 229 Da die Einkommensubvention bei einem Empflinger zur Verringerung seines Arbeitsangebots filhrt, ja sogar zur "extremen" Reaktion eines völligen Rückzugs von der Arbeitstätigkeit ftlhren kann, entwickeln sich die Fähigkeiten und Präferenzen dieses Individuums mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls und dauerhaft "weg" von der Arbeit. 230 Sicherlich trägt also die "statische" Ermunterung zur Reduzierung oder Einstellung des Arbeitsangebots durch die Einkommensubvention in keiner Weise dazu bei, daß die Empflinger ihre beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen etwa ausbauen, um auf diese Weise in Einkommensklassen oberhalb der Armutslinie aufzusteigen. 231 So kann die Einkommensubvention an keiner Ursache von Armut ansetzen - sie verschärft die Ursache eher -, sondern lediglich das Symptom - den Einkommensmangel - therapieren. 232 Die Lohnsubvention dagegen eröffnet in dem Maße, wie sie den Empflinger veraniaßt, sich "statisch" aufVollzeitarbeit zuzubewegen, auch die Möglichkeiten zu "dynamischen" Verbesserungen der oben beschriebenen Arf33, also zur Entwicklung einer stärkeren Arbeits- und Einkommensneigung statt der starken Freizeitorientierung. So ist durchaus vorstellbar, daß ehemals durch ausgeprägte Freizeitpräferenz charakterisierbare einkommensarme Individuen aufgrund von lohnsubventions-induzierten Arbeitszeiterhöhungen Arbeitseinstellungen und -tugenden (stärkere Arbeits- und Einkommensorientierung) gewinnen, die sie selbst nach einem eventuellen Wegfallen der Subvention beibehalten. 2. Wirkungen der Über-Teilzeit-Lohnsubvention Eine Über-Teilzeit-Lohnsubvention löst möglicherweise nach einer gewissen Zeitspanne Präferenz- und (oder) Qualiftkationsänderungen aus, woraus sich auch Variationen im Arbeitsangebot und im erzielten Marktlohnsatz W des Individuums ergeben. 234 Wenn hier auch auf Spekulationen über Präferenzänderungen verzichtet wird, so kann doch immerhin gesagt werden, daß die Höhe des Netto-Mehrverdienstes aus einem erzielten höheren Marktlohnsatz das Bestreben eines Individuums, diesen höheren Marktlohnsatz zu erzielen - z. B. durch Höherqualifizierung oder intensivere Stellensuche -, jedenfalls beeinflußt. 229 230 231 232 233 234
Kesselman, 1969b, S. 283 f. Vgl. Anderson, 1987, S. 379. Vgl. Kesselman, 1969a, S. 70 I. Vgl. Kesselman, 1969a, S. 70 I. Vgl. Kesselman, 1969b, S. 284. Kesselman, 1971, S. 5.
122
B. Wirkungen auf das Arbeitsangebot
In der Folge soll filr Lohnsubvention und Über-Teilzeit-Lohnsubvention also gerade der Abstand zwischen Brutto- und Netto-Mehrverdienst bei steigendem W betrachtet werden, da dieser Abstand die dynamischen Anreizeffekte wesentlich bestimmt. 235 Bei der Lohnsubvention ist das Individuum mit einem geminderten dynamischen Anreiz konfrontiert, da ihm nur der Anteil (J-a) einer erzielbaren Marktlohnsatzerhöhung verbleibt; bei der Über-Teilzeit-Lohnsubvention dagegen erhält der Arbeiter die gesamte Marktlohnsatzerhöhung filr bis zu P gearbeitete Stunden, und der Anreiz zur Marktlohnsatzerhöhung wird nur bei über P hinausgehenden Arbeitsstunden gemindert. 236 Nun scheint die Annahme naheliegend, daß ein Arbeiter, dem es gelingt, seinen Marktlohnsatz zu steigern, diesen rur die Gesamtzahl seiner Arbeitsstunden steigert. Der sich daraus ergebende dynamische (durchschnittliche) "Gesamt-Disincentive" d bei Über-TeilzeitLohnsubvention, wobei P -:; H -:; Fund W< g / a ,
ist dann wegen des "Disincentive"-freien Bereichs bis P kleiner als der dynamische "Disincentive" a bei der Lohnsubvention. 237 Daraus folgt, daß ein jeweils gleich hoher dynamischer "Disincentive" bei der Über-Teilzeit-Lohnsubvention mit einem höheren Steuersatz a vereinbar ist als bei der Lohnsubvention. 238 Mit dem höheren a und folglich niedrigeren "BreakEven"-Lohnsatz g/a ermöglicht die Über-Teilzeit-Lohnsubvention eine anreizunschädliche Verkleinerung des Bereichs von nettosubventionierten Lohnsätzen, die ja zwischen dem garantierten Mindestlohnsatz g und dem "BreakEven"-Lohnsatz g/a liegen,239 und damit eine Verbilligung des Transferprogramms. Vorteilhaft ist auch, daß die Über-Teilzeit-Lohnsubvention filr Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeiter (Arbeitsangebot zwischen Null und wenig über P) wegen der Dominanz des "Disincentive"-freien Bereichs bis P nur sehr geringrugige dynamische "Disincentives" setzt und sie gleichzeitig auch nur in geringem Ausmaß subventioniert. 240
Vgl. Kesselman, 1971, S. 5. KesseIman, 1971, ebd. Hier sei an die Einkommenshöhe bei Über-Teilzeit-Lohnsubvention erinnert: Yw = WH rur H