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German Pages 561 Year 2011
Nietzsches Wissenschaftsphilosophie
Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung Begründet von
Mazzino Montinari · Wolfgang Müller-Lauter Heinz Wenzel Herausgegeben von
Günter Abel (Berlin) · Werner Stegmaier (Greifswald)
Band 59
De Gruyter
Nietzsches Wissenschaftsphilosophie Hintergründe, Wirkungen und Aktualität Herausgegeben von
Helmut Heit Günter Abel Marco Brusotti
De Gruyter
ISBN 978-3-11-025937-7 e-ISBN 978-3-11-025938-4 ISSN 1862-1260 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Nietzsches Wissenschaftsphilosophie : Hintergründe, Wirkungen und Aktualität / edited by Helmut Heit, Günter Abel, Marco Brusotti. p. cm. − (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, ISSN 1862-1260) German and English. Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025937-7 (hardcover : alk. paper) 1. Nietzsche, Friedrich Wilhelm, 1844−1900. 2. Philosophy. 3. Science − Philosophy. I. Heit, Helmut. II. Abel, Günter. III. Brusotti, Marco. B3317.N499 2011 193−dc23 2011033588
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort der Herausgeber Wissenschaft in dem weiten, die Natur-, Geistes-, und Sozialwissenschaften umfassenden Sinne zhlt ohne Zweifel zu den bemerkenswertesten und einflussreichsten Eigentmlichkeiten der modernen Kultur. Die verschiedenen Wissenschaften und das wissenschaftliche Weltbild als ganzes prgen unser Leben in fundamentaler Weise. Besonders seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nehmen die Wissenschaften nicht nur eine epistemische, sondern auch eine lebenspraktisch, technisch und weltanschaulich zunehmend dominierende Rolle ein. Nietzsche hat an dieser Dynamik des wissenschaftlichen Wissens in seiner Zeit regen Anteil genommen und die Ambivalenzen der Wissenschaften sein Leben lang immer wieder philosophisch reflektiert. Dennoch rckt, abgesehen von vereinzelten Studien, Nietzsches Auseinandersetzung mit dem Phnomen ,Wissenschaft’ erst in jngerer Zeit ins Zentrum des Interesses; und erst langsam beginnt man auch außerhalb der Nietzsche-Forschung die Impulse und die Aktualitt Nietzsches fr die Philosophie der Wissenschaften ernst zu nehmen. Philosophisch kommt Wissenschaft fr Nietzsche sowohl als Gebude und Konstruktionsform erkenntnistheoretisch zu qualifizierender Geltungsansprche in Betracht, als auch im Sinne einer historisch situierten und sozial relevanten Kulturtechnik. Diese beiden Aspekte werden in der gegenwrtigen Wissenschaftsphilosophie zumeist getrennt voneinander behandelt, nmlich von einer eher analytisch geprgten Wissenschaftstheorie auf der einen und einer eher historisch, hermeneutisch oder soziologisch verfahrenden Wissenschaftsforschung auf der anderen Seite. Die Vertreter dieser Richtungen stehen sich mit einem gewissen Misstrauen gegenber. Nietzsches Werk, in dem beide Anstze immer wieder variiert und verbunden werden, kann hier helfen, falsche Alternativen zu vermeiden und neue wissenschaftsphilosophische Perspektiven zu erçffnen. Ausgehend von solchen berlegungen bringt der vorliegende Band erstmals ber dreißig Nietzsche-Forscher und Wissenschaftstheoretiker aus aller Welt zusammen, um Nietzsches Wissenschaftsphilosophie in umfassendem Zusammenhang zu behandeln. Den Auftakt der Sammlung machen Texte, die an das Problemfeld ,Wissenschaft’ und seine Stellung im Denken Nietzsches heranfhren (Sektion I). Die Fragen, ob und, wenn ja, in welchem Sinne Nietzsche eine Form des Naturalismus vertreten hat und wie seine Reflexionen die aktuelle Diskussion ber Naturalismus in den Wissenschaften und in der Philosophie befruchten kçnnen, werden in Sektion II erçrtert. Sektion III kreist um die hermeneutisch-philologische und kulturwissenschaftliche Dimension seiner Wissenschaftsphilosophie. Daran anschließend werden Nietzsches Wirkungen
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Vorwort der Herausgeber
in den Einzelwissenschaften und die systematische Bedeutung seiner Philosophie etwa fr Psychologie, Geschichtswissenschaft oder Kosmologie erçrtert (Sektion IV). Den Schluss bilden berlegungen zu Nietzsches Prsenz in der Wissenschaftsphilosophie und sowohl resmierende wie auch programmatische Ausfhrungen zur systematischen Aktualitt seines Denkens (Sektion V). Dass berschneidungen zwischen den Sektionen unvermeidlich und die meisten Beitrge fr mehr als einen der fnf Schwerpunkte einschlgig sind, liegt in der Natur der Sache. Der Band geht auf eine internationale Konferenz zurck, die vom 18. bis 21. Juli 2010 an der Technischen Universitt Berlin abgehalten wurde; eine Auswahl aus den mehr als sechzig Vortrgen wird hier in berarbeiteter Form vorgelegt. Die beraus anregende Tagung wurde dankenswerterweise ermçglicht durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, durch ein Dilthey-Fellowship der VolkswagenStiftung und durch das Innovationszentrum Wissensforschung (IZW) der Technischen Universitt Berlin. Lisa Heller danken wir fr zuverlssige und umsichtige Mitarbeit bei der Organisation und Durchfhrung der Konferenz wie auch bei der Herstellung dieses Bandes. Berlin, im August 2011
Helmut Heit, Gnter Abel, Marco Brusotti
Inhalt
I. Das Problem der Wissenschaften Helmut Heit „Ein Problem mit Hçrnern“ – Nietzsche als Wissenschaftsphilosoph
3
Werner Stegmaier „Wissenschaft“ als Vorurteil. Kontextuelle Interpretation des Aphorismus Nr. 373 der Frçhlichen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Thomas Brobjer Nietzsche’s Last View of Science . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
R. Lanier Anderson The Will to Power in Science and in Philosophy . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Paul van Tongeren Science and philosophy in Nietzsche’s Genealogy of Morality . . . . . . . .
73
II. Fragen des Naturalismus Marco Brusotti Naturalismus? Perfektionismus? Nietzsche, die Genealogie und die Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Rogrio Lopes Methodologischer Naturalismus, epistemische Tugenden und Normativitt bei Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
Joseph Ward The “little independent clockwork”: Nietzsche on science and the will
125
Matthew Meyer Nietzsche’s Naturalism and the Falsification Thesis . . . . . . . . . . . . . . .
135
VIII
Inhalt
Jakob Dellinger „In summa bereitet die Wissenschaft eine s o u v e r n e Un w i s s e n h e i t vor“. Nietzsches Wissenschaftsbegriff zwischen Selbstaufhebung und Wille zur Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
Richard Schacht Nietzsche’s Anti-Scientistic Naturalism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161
III. Hermeneutisch-kulturwissenschaftliche Dimensionen Christian Benne Good cop, bad cop: Von der Wissenschaft des Rhythmus zum Rhythmus der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189
Axel Pichler Unter der Optik des Knstlers? Bedeutung und Topos der Wissenschaft in Nietzsches radikalkritischer Denkbewegung der Orchestikologie . . .
213
Nicola Nicodemo Nietzsches „dichtende Vernunft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
Annamaria Lossi „Zum Mindesten sei das Bekannte leichter erkennbar als das Fremde“: ber das Verhltnis von Philosophie und Wissenschaft bei Nietzsche
239
Andrea Spreafico Wissenschaft als Haltung: Nietzsches Selbstdarstellung als Folgerung aus dem Perspektivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249
Manuel Knoll Nietzsches Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit und seine Tugend der intellektuellen Redlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257
Steffi Hobuß Das Schreiben, das Interpretieren, die Tatsachen: Dekonstruktion und Evidenz bei Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271
Antonia Eder Der Schleier des Realen. Nietzsches frhe Wissenschaftsphilosophie als Kulturwissenschaft par et avant la lettre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
Babette Babich Nietzsches hermeneutische, phnomenologische Wissenschaftsphilosophie. Unzeitgemße Betrachtungen zu Altphilologie und Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291
Inhalt
IX
IV. Einzelwissenschaftliche Auseinandersetzungen John Richardson Nietzsche’s Psychology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315
Marie Fleming Nietzsche on Science and Consciousness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
333
Pietro Gori Nietzsche as Phenomenalist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
345
Michael Stçltzner Taking Eternal Recurrence Scientific: A Comparative Study of Oskar Becker, Felix Hausdorff, and Abel Rey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357
Rdiger Vaas „Ewig rollt das Rad des Seins“: Der ,Ewige-Wiederkunfts-Gedanke‘ und seine Aktualitt in der modernen physikalischen Kosmologie . . . . . . .
371
Wolf Dieter Enkelmann Das „Thier, das versprechen darf“ und die Bedeutung der Glubiger-Schuldner-Beziehung fr Entstehung und Perspektive des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
391
Anthony Jensen Nietzsche’s Critique of Scientific Explanations in History . . . . . . . . . .
401
Christoph Schuringa Nietzsche on history as science . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
411
Andrea Orsucci Die Hierarchie der Wissenschaften in einem Zeitalter des bergangs
423
V. Die systematische Aktualitt Klaus Fischer Nietzsches Wissenschaftsphilosophie: Struktur, Wurzeln, Wirkungen
437
Christine Blttler Nietzsche und die Experimentalisierung des Lebens . . . . . . . . . . . . . . .
455
Tilman Borsche Wozu Wissenschaft? berlegungen zu Fragen der Rangordnung im Wissenschaftsdiskurs nach Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
465
X
Inhalt
Gnter Abel Die Aktualitt der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches . . . . . . . . . . . .
481
Anhnge Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
533
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das Problem der Wissenschaften
„Ein Problem mit Hçrnern“ – Nietzsche als Wissenschaftsphilosoph Helmut Heit Ende August 1886 schickt Friedrich Nietzsche von Sils Maria aus die Vorrede zur neuen Ausgabe der Geburt der Tragçdie an seinen Verleger nach Leipzig und betont: „Dieser ,Versuch‘, zusammengehalten mit der ,Vorrede von Menschl. Allzumenschliches‘, ergiebt eine wahre A u f k l r u n g ber mich – und die allerbeste Vorbereitung fr meinen verwegnen S o h n Zarathustra“ (Bf. an Ernst Wilhelm Fritzsch, 29. 08. 1886, KGB III/3, 237). Nach zhen Verhandlungen ist Nietzsche erleichtert, seine Schriften der Kontrolle seines nicht nur erfolglosen, sondern auch antisemitischen frheren Verlegers Schmeitzner entzogen zu wissen. Durch die erneute Zusammenarbeit mit Ernst Wilhelm Fritzsch und dem Verlag C.G. Naumann erhofft er sich eine entschieden verbesserte Sichtbarkeit und Wirksamkeit seiner Schriften. Zwar erlebt er den enormen publizistischen Erfolg seiner Bcher nicht mehr bewusst mit, aber diese Dynamik setzt bereits gegen Ende der 1880er Jahre ein. Nietzsche nimmt an der langsam steigenden Aufmerksamkeit fr sein Werk regen, wenn auch empfindlichen Anteil. Wie jeder Autor schreibt auch Nietzsche, um gelesen zu werden. Zugleich ist er stets ber Missverstndnisse und Fehldeutungen besorgt. Das Verhltnis zu seinen Lesern, und zu seinen Verlegern, bleibt delikat. Nietzsche glaubt schon zu diesem Zeitpunkt, man werde in Zukunft „alle mçglichen Versuche, mir beizukommen, mich zu verstehen, zu ,erklren‘ usw. machen“ (Bf. an Ernst Wilhelm Fritzsch, 29. 08. 1886, KGB III/3, 237). Die Sorge, womçglich „[v ] e r w e c h s e l t “ (EH Vorwort 1) zu werden, treibt ihn nicht erst am Ende seines Schaffens um. Diese Sorge ist neben dem publizistischen Interesse das zweite zentrale Motiv, seinen bis dato erschienenen Schriften (mit Ausnahme der Unzeitgemßen) fr die Neuausgaben im Jahre 1886/87 neue Vorreden voranzustellen. Unter diesen Vorreden sticht der Versuch einer Selbstkritik zur Geburt der Tragçdie schon durch den Titel besonders hervor.1 Die Rede von einem ,Versuch‘ bringt eine fr Nietzsche nicht immer typische, tastende Vorsicht und Unsicherheit zum Ausdruck; auch die Selbstkritik ist fr den Denker des amor 1
Die Idee zu einer Neuausgabe der Geburt der Tragçdie scheint nicht von Nietzsche, sondern von seinem neuen (alten) Verleger zu stammen; darauf deutet jedenfalls Nietzsches Bemerkung auf einen nicht berlieferten Brief von Fritzsch hin, dies sei „in der That zu erwgen“ (Bf. an Ernst Wilhelm Fritzsch 16. 08. 1886, KGB III/3, 229).
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Helmut Heit
fati kein gngiges Genre. Wie noch in den entsprechenden Passagen aus dem Ecce Homo ist Nietzsche auch in der 1886er Vorrede daran gelegen, seine kritische Distanz zu diesem „unmçgliche[n] Buch“ (GT Versuch 3) deutlich zu markieren und den Text zugleich in den Zusammenhang seiner aktuellen Philosophie zu stellen. Die „z u r c k b l i c k e n d e n und nachtrglichen Vorreden“ von 1886 sind so ausdrcklich nicht etwa als separate Heranfhrungen an die jeweiligen Schriften zu verstehen, sondern sie wollen die Einheit seines Werkes heraus stellen und „das N o t h w e n d i g e im Gange einer solchen Entwicklung deutlich machen“ (Bf. an Ernst Wilhelm Fritzsch, 07. 08. 1886, KGB III/3, 225). Hinsichtlich der Bedeutung der Geburt der Tragçdie in diesem Entwicklungsgang macht Nietzsche zu Beginn des zweiten Abschnitts des Vorworts eine sehr bekannte, aber dennoch rtselhafte Bemerkung: Was ich damals zu fassen bekam, etwas Furchtbares und Gefhrliches, ein Problem mit Hçrnern, nicht nothwendig gerade ein Stier, jedenfalls ein n e u e s Problem: heute wrde ich sagen, dass es das Pr o b l e m d e r W i s s e n s c h a f t selbst war – Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwrdig gefasst. (GT Versuch 2)
Obwohl dieses Zitat in vielen Interpretationen zu finden ist, die sich dem Feld von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie widmen,2 gibt es doch zu allerlei Fragen Anlass, die im Laufe dieses Essays behandelt werden sollen. Erstens, in welchem Sinne bekam Nietzsches „damals“ (1872) das Problem der Wissenschaft zu fassen und was ist von seiner retrospektiven Selbstdeutung „heute“ (1886) zu halten? Zweitens, wie kçnnte der Originalittsanspruch Nietzsches, Wissenschaft „zum ersten Male“ problematisiert zu haben, im Kontext seiner Zeit gerechtfertigt werden? Und drittens, worin besteht nach Nietzsche berhaupt das Problem der Wissenschaft und worin ist die aktuelle Relevanz seiner Auslassungen zu sehen? Ich werde versuchen, diese drei Fragen im Folgenden zu beantworten, aber vorab: Was hat es mit den Hçrner und dem Stier auf sich? In einem Brief an Kçselitz ebenso wie in einer Notiz aus derselben Zeit (NL 1885 – 1886 2[66], KSA 12, 91) hatte Nietzsche diese Metapher schon mit Blick auf sein „erschreckliches Buch“ Jenseits von Gut und Bçse gebraucht: „Mir ist zu Muthe, als htte ich irgend etwas ,bei den Hçrnern‘ gepackt: ganz gewiß ist es kein ,Stier‘. – –“ (Bf. an Heinrich Kçselitz, 21. 04. 1886, KGB III/5, 181 f.). Die Stier- und Hçrner-Metaphern deuten, so Christian Benne, „das zentrale Thema der Tragçdienschrift an – nmlich das Dionysische“ (Benne 2009, 177), da die Dionysoskulte nicht nur aus dem Stieropfer hervorgingen, sondern auch die Hçrner noch lange zu den markantesten Attributen dieses jungen Gottes gehçren.3 Aber auch die nherliegenden Assoziationen zur bulligen Natur, zum 2 3
Vgl. zuletzt Babich (2010). Benne interpretiert die Stier- und Stierkampfmetaphern Nietzsches vor allem im Lichte ihrer Aneignung durch Knstler wie Michel Leiris und Andr Masson.
„Ein Problem mit Hçrnern“ – Nietzsche als Wissenschaftsphilosoph
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Heroismus und zur Gefahr des Stierkampfes scheinen nicht abwegig. In dem offenen, mutig bei den Hçrnern packenden Zugriff, zeigt sich eine „versucherische Tapferkeit“, die nach dem „wrdigen Feinde“ verlangt (GT Versuch 1). Whrend jedoch in dem Brief an Kçselitz offen bleibt, worin das Objekt des intellektuellen Agon besteht, wird in der Vorrede zur Geburt der Tragçdie explizit das ,furchtbare‘ und ,gefhrliche‘ Problem benannt. Und dies ist aus Nietzsches Retrospektive nicht, jedenfalls nicht direkt das Dionysische, sondern: Das Problem der Wissenschaft. Dass Nietzsche „damals“, also in der Geburt der Tragçdie von 1872, das Problem der Wissenschaft bei den Hçrner gepackt habe, kann allerdings mit Blick auf diesen Text verwundern. Behandelt das Buch nicht vielmehr die Entstehung der tragischen Kunst in der frhgriechischen Kultur, die Dichotomie von Apollinischem und Dionysischem, die Rolle des Pessimismus in der vorgeblich lichtvoll-heiteren Welt der Hellenen und vor allem, all dies im Kontext einer reichlich durchsichtigen Parteinahme fr die Sache Wagners? Gerade die Verbindung mit der zeitgençssischen Kunst und einer so allzu konkret und einseitig gefassten Artistenmetaphysik machte fr Nietzsche spter die Schwche dieses Werkes aus.4 Die zeitgençssischen Philologen konnten bekanntlich ohnehin kaum etwas damit anfangen, auch wenn sich Die Geburt der Tragçdie langfristig als „fruchtbares rgernis“ erwies (Latacz 1998). Statt das Problem der Wissenschaft bei den Hçrner zu fassen, scheint sich Nietzsche mit der Geburt der Tragçdie vielmehr in der einzigen wissenschaftlichen Disziplin, die er von der Pike auf gelernt hatte, zu desavouieren. Insofern wirkt die besondere Stellung, die das Wissenschaftsproblem hier im Denken Nietzsches zugewiesen bekommt, durchaus rtselhaft, geradezu wie eine Verkehrung der Tatsachen. Daher soll in einem ersten Schritt die frhe Bedeutung und kontinuierliche Relevanz des Wissenschaftsproblems bei Nietzsche eruiert werden.
Kontinuitten: Wissenschaftsphilosophie im Denken Nietzsches Das Verhltnis des spteren Nietzsche zur Geburt der Tragçdie ist ambivalent. Einerseits wendet er sich ebenso entschieden von dem sprachlich-argumentativen Gestus in diesem „Erstlingswerk“ (GT Versuch 2) ab, wie auch von der doppelten (Selbst-)Verwechslung seiner eigenen Philosophie mit derjenigen 4
Ganz zu Recht betont daher Kçselitz in einem Brief, durch seine Vorrede nehme Nietzsche die Geburt der Tragçdie ihren bisherigen, Wagner-enthusiastischen Lesern aus der Hand, die zusammen mit dem frheren Nietzsche „den deutsche Geist fr ebenso tragçdienschwanger hielten, wie es einst der griechische war“, Statt dessen gebe er die Schrift nun denen, „fr welche Zarathustra bestimmt ist“. Und er fgt hinzu, ihm sei „Ihr Problem der Wissenschaft noch nie so deutlich entgegengetreten, wie aus den ersten 2 Nummern dieser Selbstkritik“ (Bf. von Heinrich Kçselitz 21. 09. 1886, KGB III/4, 219 f).
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Helmut Heit
Schopenhauers und seines eigenen Anliegens mit demjenigen Wagners. Aber zugleich sieht er doch immer wieder und nicht nur in dem „Versuch einer Selbstkritik“ auch Kontinuitten zwischen dieser Schrift und seiner spteren Philosophie. „Das Durchdenken der p r i n c i p i e l l e n Probleme“ schreibt er schon am 13. Juli 1885 an Overbeck, bringe ihn immer wieder „auf dieselben Entscheidungen: sie stehen schon, so verhllt und verdunkelt als mçglich in meiner ,Geburt der Tragçdie‘“ (KGB III/5, 67). Es gilt daher zu klren, worin diese Probleme bestehen und auf welche Entscheidungen sie Nietzsche brachten. Eckhard Heftrich hat sich ausdrcklich die Frage vorgelegt, ob GT als eine „Prfiguration“ von Nietzsches reifer Philosophie gelten kann.5 Persçnlich bleibt das Erstlingswerk ebenso wie die vertrackte Beziehung zu Wagner fr Nietzsche ohnehin zeitlebens relevant. „Von der Frhschrift ist Nietzsche nie mehr losgekommen […]. Die psychologische Verstrickung bereits erklrt die immerwhrende Bindung an das Frhwerk“ (Heftrich 1989, 105 f.). ber die psychologisch-biographische Verbindung hinaus stellt sich jedoch die interessantere Frage nach einer sachlich-philosophischen Kontinuitt. Mit Blick auf diese Frage macht Heftrich darauf aufmerksam, dass „Nietzsches eigene Auslegung der Geburt der Tragçdie als einer Prfiguration“ nur geprft werden kann auf der Basis „einer Vorstellung dessen, was hier vermeintlich oder wirklich prfiguriert wurde: also einer Vorstellung von Nietzsches Philosophie“ (Heftrich 1989, 109).6 Die Hoffnung, hier eine allgemein zustimmungsfhige und zugleich gehaltvolle Vorstellung von Nietzsches Philosophie zu prsentieren, ist wenig realistisch. Da aber das Bemhen darum, solange man ber Nietzsche sprechen will, ebenso unverzichtbar wie anziehend ist, scheint es sinnvoll, sich an seinen eigenen Interpretationshinweisen zu orientieren. Meine Antwort auf die erste Frage ist also eher methodisch-heuristischer Natur: Nietzsches Selbstbeschreibungen und Aufgabenbestimmungen bieten einen Schlssel zum Verstndnis seiner Philosophie; seine Kontinuitt und Einheit stiftenden Selbstdeutungen enthalten, allen Brchen, Entwicklungen, Perioden und Wandlungen zum 5
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Noch im Jahre 2004 diagnostiziert Daniel Came, eine Mehrheit der Nietzsche-Forscher sehe in dem Versuch eher eine unangemessene Vereinnahmung durch den spteren Nietzsche. hnlich wie Heftrich, den er nicht erwhnt, argumentiert indes auch Came dafr, die tatschlichen Kontinuitten im Werk Nietzsches nicht zu unterschlagen, insbesondere, was sein Projekt einer skular-sthetischen „existential theodicy“ betrifft (Came 2004, 66). Heftrich sieht diese philosophische Prfiguration letztlich gegeben und zwar in Nietzsches Gedanken einer sthetischen Rechtfertigung des Daseins (Heftrich 1989, 210 – 26). Obwohl dieser Gedanke sehr eng mit dem Wissenschaftsproblem zusammen hngt, stellt Heftrich den Konnex nicht her. Vielmehr zitiert er zwar die Passage aus dem 2. Abschnitt des Versuchs einer Selbstkritik, aber sein Zitat bricht hinter dem Problem mit Hçrnern ab. Wo Nietzsche dieses Problem beim Namen nennt, stehen bei Heftrich drei Pnktchen (Heftrich 1989, 107).
„Ein Problem mit Hçrnern“ – Nietzsche als Wissenschaftsphilosoph
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Trotz, eine wichtige Wahrheit darber, wie Nietzsches Denken zu verstehen ist.7 Welche Rolle das Problem der Wissenschaft in dieser dynamischen Einheit spielt, ist hingegen noch zu besprechen. Hinsichtlich dieser Thematik muss man konstatieren, dass jedenfalls in der Nietzsche-Forschung viele hinsichtlich der „p r i n c i p i e l l e n Probleme“ im Denken Nietzsches nicht unbedingt an Wissenschaft denken. Außerhalb der einschlgigen Fachgelehrten spielt Nietzsche noch weniger die Rolle eines Wissenschaftsphilosophen: „Nietzsche, though a professor, was a literary rather than an academic philosopher. He invented no technical theories in ontology or epistemology; his importance is primarily in ethics, and secondarily as an acute historical critic“ (Russell 1946, 728). Diese Einschtzung Bertrand Russells ist vielleicht nicht mehr ganz typisch, aber wenn man außerhalb der NietzscheForschung berhaupt auf diesen Denker im Kontext von erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragen Bezug nimmt, so doch eher, um vor den selbstwidersprchlichen Konsequenzen eines arch debunkers (Erz-Entzauberer) zu warnen (Blackburn 2005, 75 – 106). Der neuseelndische Wissenschaftsphilosoph Robert Nola, der sich verschiedentlich und ausfhrlich mit Nietzsche beschftigt hat, resmiert beispielhaft: „Nietzsche’s account falls almost entirely outside the pale of rationality“ (Nola 2003, 463). Aber auch bedeutende Nietzsche-Kenner gehen davon aus, dass er „in seinen naturwissenschaftlichen Ansichten nie ber einen bedauerlichen Dilettantismus hinauskam“ (Janz 1978, I, 319) und somit auch wohl kaum als Wissenschaftsphilosoph in Betracht komme. In der philosophischen Nietzsche-Forschung erscheint er im weitaus berwiegenden Teil der Publikationen vor allem als Kulturphilosoph, als Wert-, als Kunst-, als Lebensphilosoph, als Kritiker des Christentums, als Denker des Tragisch-Existentiellen oder als Verknder des Individualismus. An dieser Beobachtung, die so hnlich schon Alwin Mittasch (1952, XV) machte, hat sich bis heute wenig gendert. Erst in jngerer Zeit deutet sich ein zunehmendes Interesse an der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches an, wie nicht zuletzt die zahlreichen Beitrge in diesem Band dokumentieren.8 7
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Dem entspricht auch Nietzsches eigene Interpretationsmaxime, wonach die Philosophie eines Denkers eine notwendige Einheit bildet, weil und insofern sie einem „immer Bestimmteres verlangenden G r u n d w i l l e n der Erkenntnis“ entspringt (GM Vorrede 2). Vgl. aber auch schon Babich (1994), Babich & Cohen (1999), Moore & Brobjer (2004) oder Gentili & Nielsen (2010). Die Grnde fr dieses berwiegende Desinteresse zu suchen, wrde bedeuten, die Geschichte der Nietzsche-Rezeption im 20sten Jahrhundert zu rekonstruieren. Neben dem spezifischen Stil der Philosophie Nietzsches spielt sicher die schulmßige Differenzierung sogenannter ‘analytischer’ und ‘kontinentaler’ Philosophie eine Rolle. Vor diesem Hintergrund schien die Alternative, entweder „Nietzschean“ oder „anti-Nietzschean“ zu sein – wobei Nietzsche fr letztere bestenfalls eine belebende Funktion haben kçnne „as perpetual antagonist, as combative outsider“
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Helmut Heit
Dabei zeigt sich in Nietzsches rckblickender Perspektive auf Die Geburt der Tragçdie durchaus kein Zerrbild. Das Problem der Wissenschaft ist tatschlich zentral in seinen Gedanken ber die alten Griechen von 1872; es stellt sich jedoch weniger mit der Geburt der Tragçdie, sondern mit ihrem Untergang. Das Furchtbare und Gefhrlich ist aus der Retrospektive der 1886er Vorrede nicht Dionysos und der in diesem mutwilligen Gott sich zeigende destruktiv-schçpferische Pessimismus der Strke. Gefhrlich ist vielmehr Sokrates, dieser „Wendepunkt und Wirbel der sogenannten Weltgeschichte“, dieses „Urbild des theoretischen Optimisten“ und sein unmßiger „Glauben an die Ergrndlichkeit der Natur der Dinge“ (GT 15, KSA 1, 100). Von der Geburt der Tragçdie bis zum „Problem der Sokrates“ in der Gçtzen-Dmmerung hlt Nietzsche an der fundamentalen berzeugung fest, dass dieser Glaube nicht angemessen ist, dass er das Vermçgen des menschlichen Intellekts auf geradezu irrationale Weise berschtzt – das heißt es „a b s u r d v e r n n f t i g zu sein“ (GD Sokrates 10). Auf diese berzeugung wird spter noch einmal zurckzukommen sein. Wenn aber der Glaube an die Vernunft, der die spteren Griechen ebenso wie Nietzsches Gegenwart prgt, nicht aus Vernnftigkeit zu erklren ist, gilt es, andere Ursachen zu finden. Die Erklrung, die Nietzsche immer wieder gibt, lautet: aus Krankheit.9 Diesen Gedanken streicht er auch in dem „Versuch einer Selbstkritik“ heraus, wenn er fragt, ob nicht gerade die „Gengsamkeit und Heiterkeit des theoretischen Menschen“ und der „Sokratismus ein Zeichen des Niedergangs, der Ermdung, Erkrankung, der anarchisch sich lçsenden Instinkte“ sein kçnnte (GT Versuch 1). Seine Vermutung ist, dass die Griechen gerade „in den Zeiten Ihrer Auflçsung und Schwche […] nach Logik und Logisirung der Welt brnstiger, also zugleich ,heiterer‘ und ,wissenschaftlicher‘ wurden“ und dass der „Sieg des O p t i m i s m u s , die vorherrschend gewordene Ve r n n f t i g k e i t “ gerade kein Ausdruck der schçpferischen Gesundheit ist, sondern „ein Symptom der absinkenden Kraft“ (GT Versuch 4). Wenn der theoretische Optimismus auch genetisch aus Schwche, Krankheit und einer drohenden Anarchie der Instinkte zu erklren ist, so erweist er sich in seinen Folgen durchaus als ambivalent. Einerseits begrndet er die erstaunliche Ent-
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(Macintyre 1999, xvii). Ich halte es allerdings weder fr zielfhrend, diese Dichothomie grundstzlich zuzuspitzen und aus dem Nietzscheanismus eine Tugend zu machen, noch ist es sinnvoll, Nietzsche als einen ebenso scharfsinnigen wie gut vernetzten Professor der University of Chicago Law School zu lesen. Vielmehr gilt es zu zeigen, dass man Nietzsche zwar ernst nehmen, aber kein Nietzscheaner sein muss, um durch seine Gedanken klger werden zu kçnnen. „Der Fanatismus, mit dem sich das ganze griechische Nachdenken auf die Vernnftigkeit wirft, verrt eine Nothlage“ (GD Sokrates 10). Inwiefern die sogenannte Entstehung von Philosophie und Wissenschaft in der griechischen Antike tatschlich nicht zu erklren ist aus einer „einmaligen Konstellation von glcklichen Umstnden“ (Sandvoss 1989, 227), sondern vielmehr als Ausdruck einer fundamentalen Krise, habe ich an anderer Stelle ausfhrlich dargelegt (Heit 2007).
„Ein Problem mit Hçrnern“ – Nietzsche als Wissenschaftsphilosoph
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wicklung der abendlndischen Wissenschaft und Kultur, den okzidentalen Sonderweg (Weber 1920), andererseits muss er sich durch die Dynamik seiner eigenen Entzauberungslust schließlich selbst als Glaube durchsichtig werden: „Nun aber eilt die Wissenschaft, von ihrem krftigen Wahne angespornt, unaufhaltsam bis zu ihren Grenzen, an denen ihr im Wesen der Logik verborgener Optimismus scheitert“ (GT 15, KSA 1, 101). Der wissenschaftliche Optimismus scheitert letztlich an der von ihm selbst entfesselten Dynamik. Die Sublimierung des theoretischen Denkens selbst untergrbt die Hoffnung, eine wissenschaftliche Weltauffassung zu generieren, in der sich die Einheit von Vernunft, Tugend und Glck aufweisen ließe. An dieser Selbstaufhebungsfigur zeigt sich, warum Nietzsche in der Wissenschaft nicht nur ein theoretischlogisches, sondern auch ein moralisch-kulturelles Unternehmen sieht. Die Einsicht in die Ambivalenzen der Wissenschaft ist das Produkt ihrer eigenen Entwicklung; die der Wissenschaft eigene Dialektik der Aufklrung zeigt ihre Grenzen und auch die Notwendigkeit einer Aufhebung auf. An der Grenze, wo die wissenschaftliche Logik sich „um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beisst – da“ so glaubte Nietzsche 1872, da „bricht die neue Form der Erkenntniss durch, die t r a g i s c h e E r k e n n t n i s s “ (GT 15, KSA 1, 101). Mit dem Gedanken einer tragischen Erkenntnis haben wir – wie Aldo Venturelli (2003) berzeugend verdeutlicht – eine Verbindung des Dionysischen und des Sokratischen vor uns, die sich sinnfllig in der Figur des „m u s i k t r e i b e n d e n S o k r a t e s “ (GT 17, KSA 1, 111) und spter auch des „Philosophen Dionysos“ (GD Alten 5) zeigt. In dem Gedanken der tragischen Erkenntnis drckt sich die Verbindung von Kunst und Wissenschaft aus, an der Nietzsche zeitlebens festhlt, auch wenn er sich spter von einer „willkrlich“ erscheinenden „Artisten-Metaphysik“ distanziert (GT Versuch 5). Es geht in diesen Bildern letztlich nicht um die Sache Wagners, aber auch nicht um eine romantische Resurrektion des frhgriechischen Dionysios und schon gar nicht um einen absurd gesteigerten Sokratismus, sondern um Aufhebung der Antinomie von Wissenschaft und Kunst in einem geradezu Hegelschen Sinne. Die Idee einer tragischen Erkenntnis speist sich nicht aus einem rckwrtsgewandten romantischen Ideal (GT Versuch 6, 7), sie ist neu und kann „nur aus der Problematisierung der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem radikalen berdenken der abendlndischen metaphysischen Tradition erwachsen“ (Venturelli 2003, 47). Wenn Nietzsche also in dem „Versuch einer Selbstkritik“ konstatiert, das Problem der Wissenschaft kçnne „nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden“, sondern eher von einem „Knstler mit dem Nebenhange analytischer und retrospektiver Fhigkeiten“ (GT Versuch 2), so verweist dies eben nicht auf eine „Vernunftkritik, die sich selbst außerhalb des Horizonts der Vernunft stellt“ (Habermas 1985, 119), sondern auf die imma-
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nente Konsequenz eines redlichen Vernunftgebrauchs.10 Zugleich zeigt sich auch biographisch, dass eine grundlegende Problematisierung der Wissenschaft Nietzsche selbst nur durch den Umweg ber die Kunst mçglich war. So streicht er den notwendigen Charakter der Geburt der Tragçdie heraus und weist ihr einen Platz in der Entwicklung seiner Philosophie zu. Eines der zentralen Probleme Nietzsches in dieser Entwicklung ist und bleibt das Problem der Wissenschaft.
Originalitten: Nietzsche im Kontext des Age of Science Nietzsche beansprucht rckblickend, er habe in der Geburt der Tragçdie „Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwrdig gefasst“ (GT Versuch 2). Damit soll sicher nicht nur die biographische Marginalie ausgesagt werden, dass ihm persçnlich ein Problem erstmals dmmerte, sondern Nietzsche erhebt hier den Anspruch auf eine originre und fundamentale Problematisierung. Exklusive Originalittsansprche dieser Art sind naturgemß schwer zu rechtfertigen. Kritische Analysen der Wissenschaft finden sich in der Geschichte der Philosophie von Platon und Aristoteles ber Newton und Bacon bis zu Hume und Kant immer wieder. Dementsprechend ist die Sekundrliteratur hinsichtlich dieses Anspruchs uneins. Whrend zum Beispiel Stephen Gaukroger notiert, Nietzsche „is right to take the credit for opening up ,the problem of science itself‘“ (Gaukroger 1999, 48) betont Wolfgang Jordan ganz generell, „dass Nietzsche mehr als Zeitphnomen von Bedeutung ist und weniger als originrer Denker“ (Jordan 2006, 9). Tatschlich wurde im 19. Jahrhundert besonders engagiert ber die Reichweite, Geltungsbasis und weltanschauliche Bedeutung der Wissenschaften gestritten. Wie man durch die umfassenden Ergebnisse der Quellenforschung inzwischen sehr gut weiß, hat Nietzsche diese Debatten aufmerksam verfolgt.11 Um Nietzsches Zeitgebundenheit wie auch sein originelles und wegweisendes Potenzial fr unser wissenschaftsphilosophisches Denken zu verstehen, ist eine historische Orientierung nçtig, die im Kontext dieses Essays freilich nur kurz skizziert werden kann. Typischerweise gelten nach dem Zusammenbruch des Hegelschen Idealismus zwei Grndzge als charakteristisch fr die Zeit, in die das geistige Schaffen Nietzsches fllt. „Das allgemeine Bewusstsein des 19. Jahrhundert emanzipierte sich vom Idealismus im Namen von Wissenschaft und Geschichte“ (Schn10 An anderer Stelle habe ich vorgeschlagen, Nietzsche Wissenschaftsphilosophie in diesem Sinne als „Radikalisierung“ der Position Kants zu deuten (Heit 2005). 11 Statt die zahlreichen Studien in diesem Feld auflisten zu wollen, sei nur auf die ntzlichen und bersichtlichen Gesamtschauen von Thomas Brobjer verwiesen (Brobjer 2004, 2008).
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delbach 1983, 49). Es ist das Jahrhundert, in dem die empirischen Naturwissenschaften einen enormen Aufschwung erfahren haben, „es ist aber auch das Jahrhundert des historischen Bewusstseins“ (Orth 1984, 7). Mehr als frhere Jahrhunderte ist das neunzehnte durch die berzeugung geprgt, in einer historischen Dynamik zu stehen, die den zeitbedingten Charakter aller menschlichen Institutionen deutlich herausstellt. Dem entspricht eine dynamische Erfahrungswelt, in der „alles Stndische und Stehende verdampft“ (Marx/Engels 1848, 465). Das bringt euphorischen Fortschrittsoptimismus ebenso mit sich wie nchternen Historismus oder romantische Verklrung vergangener Ruinen. Schon Karl Lçwith bezeichnet die Verbreitung des geschichtlichen Denkens in der Politik-, Geistes- und Sozialgeschichte (Mommsen, Zeller, Marx, Lassalle) oder in der historischen Bibelquellenkritik (Wellhausen, Bauer, Strauss) als die kulturelle Entwicklungslinie des 19. Jahrhunderts (Lçwith 1941, 74 f.). Dabei stellt er zugleich heraus, dass sich das historische Bewusstsein auch auf die Naturwissenschaften erstreckt, wie man an Lamarck und Darwin sieht. Besonders an den Evolutionstheorien zeigt sich die fortschreitende Korrosion der Idee einer Vernunft in der Geschichte (Hegel). Auf diese Weise spanne sich, so Lçwith, eine Brcke zwischen der spekulativen philosophischen Theologie und der destruktiven antichristlichen Philosophie. „Am Anfang und Ende dieser Brcke stehen Hegel und Nietzsche“ (Lçwith 1941, 193). Nietzsche lsst sich so situieren in einem doppelten Spannungsfeld von Historismus und Naturalismus sowie von fortschreitender Einsicht in den fallibel-hypothetischen Charakter der Wissenschaften und gleichzeitigem Siegeszug der naturwissenschaftlichen Weltanschauung. Diese besondere Stellung soll anhand seiner Verbindung zu den Geisteswissenschaften einerseits, wie zu den Naturwissenschaften andererseits erhellt werden. Whrend Nietzsche am Aufschwung der Naturwissenschaften nur als kritischer Beobachter und Rezipient teilnimmt, ist er an der Verbreitung und Gestaltung des historischen Bewusstseins und an der Entwicklung der Geisteswissenschaften durch eigenes Wirken direkt beteiligt. Als klassisch gebildeter Philologe vertritt er eine zu seiner Zeit noch immer, wenn auch bereits im Abstieg begriffene kulturelle Leitwissenschaft (Cancik 1995, 6). Die Kenntnis der griechischen Antike bildet noch den gemeinsamen Fundus der Gelehrten aller Disziplinen. An der Diskussion um ein angemessenes Selbstverstndnis der Geisteswissenschaften hat Nietzsche durch seine philologischen Studien, durch seine Arbeiten zu Strauss und Schopenhauer ebenso wie durch seine çffentlichen (und spter viel gelesenen) Vortrge zur Zukunft unserer Bildungsanstalten und zum Zustand der Philologie regen Anteil. Fr Nietzsches Wissenschaftsphilosophie sind in diesem Kontext zumindest drei Punkte relevant. Das ist erstens der bereits erwhnte Bezug auf die Antike. Nietzsche teilt die seinerzeit allgemein vorherrschende berzeugung, die kulturellen Anfnge der wissenschaftlichen Zivilisation seien vor allem in der griechischen Antike zu finden, er
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deutet diesen Prozess aber von einer Fortschritts- zu einer Dekadenzbewegung um. Damit widerspricht er der ebenso reprsentativen wie einflussreichen These Eduard Zellers, wonach erst die Griechen „jene Freiheit des Denkens gewonnen“ htten, „daß sie sich nicht an die religiçsen berlieferungen, sondern an die Dinge selbst wandten, um ber die Natur der Dinge die Wahrheit zu erfahren“ und wonach erst „der Grieche in der Natur eine gesetzmßige Ordnung zu erblicken, und im menschlichen Leben eine freie und schçne Sittlichkeit zu erstreben imstande ist“ (Zeller 1876, 172 f.). Die Geschichte der abendlndischen Wissenschaft beginnt hingegen Nietzsche zufolge nicht mit freier Erkenntnis der Dinge selbst, sondern mit einer Haltung, die „gewaltherrisch […] mit aller Empirie verfhrt“ (PHG 3, KSA 1, 813) und sich khnen Spekulationen ber eine mutmaßlich „gesetzmßige Ordnung“ der Natur hingibt, die mçglichst als Garant einer schçnen Sittlichkeit dienen soll. Besonders die berzeugung, die Welt sei als ganze in epistemischer wie in normativer Hinsicht letztlich vernnftig, d. h. menschengemß eingerichtet, dokumentiert fr Nietzsche die Absurditt der sokratischen Vernnftigkeit. Zugleich schrft seine alternative Genealogie der griechischen Philosophieentstehung den Blick fr die metaphysischen Elemente in der Geschichte der Wissenschaften. Das zweite Moment im Kontext seiner geisteswissenschaftlichen Situation ist sein konsequenter Historismus. „Was uns ebenso von Kant, wie von Plato und Leibnitz [sic] trennt: wir glauben an das Werden allein auch im Geistigen, wir sind h i s t o r i s c h durch und durch. Dies ist der große Umschwung. Lamarck und Hegel – Darwin ist nur ein Nachwirkung“ (NL 1885 34[73], KSA 11, 442). Damit wendet sich Nietzsche, wie er ausdrcklich anerkennt, im Einvernehmen mit seinen Zeitgenossen gegen die Idee einer vom Resultat zu deutenden kulturellen Erfolgsgeschichte. Seine explizite Auseinandersetzung mit den verschiedenen Spielarten der „h i s t o r i s c h e n K r a n k h e i t “ (HL 10, KSA 1, 329) und seine Gedanken dazu sind gut beforscht. Die Fortsetzung des oben genannten Notats verdeutlicht jedoch, in welchem Sinne seine Kritik weiter reicht als das gngige historische Bewusstsein des 19. Jahrhunderts. „Auch Kant hat die contradictio in adjecto ,reiner Geist‘ nicht berwunden: wir aber – – –“ (NL 1885 34[73], KSA 11, 442). So weitet Nietzsche die Historisierung auf die Geschichte der Wahrheiten und der Wissenschaften aus.12 Demgegenber hatte nicht nur Hegel die mathematischen- und die Naturwissenschaften von vorneherein aus dem Bereich echter Geschichtlichkeit ausgeschlossen. Hierin folgen ihm Du Bois-Reymond und Helmholtz ebenso wie Comte und Dilthey, indem 12 Das hatte Nietzsche auch schon in Menschliches Allzumenschliches getan, wo er den „Mangel an historischem Sinn“ als „Erbfehler aller Philosophen“ bezeichnet, die vom „gegenwrtigen Menschen“ auf die mutmaßlich „unvernderlichen Thatsachen des Menschen“ schließen: „Alles aber ist geworden; es giebt k e i n e e w i g e n T h a t s a c h e n : sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt“ (MA I 2)
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sie letztlich an einer Differenz von Natur und Geschichte festhalten. Der damit einhergehenden Unterscheidung von Naturalismus und Historismus korrespondiert somit die Unterscheidung, wo nicht Gegenberstellung von Naturund Geisteswissenschaften (Troeltsch 1922, 102 – 110). Nietzsche historisiert demgegenber die Wissenschaften nicht nur im Sinne von kumulativer Entwicklung oder falliblem Fortschritt, sondern im Sinne historischer Bedingtheit und Kontingenz. Schon in Wahrheit und Lge hlt er fest, der menschliche Erkenntnisapparat sei „ein Mittel zur Erhaltung des Individuums“ (WL 1, KSA 1, 876) und noch 15 Jahre spter notiert er: „Unsre Bedrfnisse sind es, d i e d i e We l t a u s l e g e n “ (NL 1886 – 1887 7[60], KSA 12, 315). Anders als die kantischen Kategorien sind diese menschliche Bedrfnisse und damit auch die entsprechenden Weltauslegungen einem historischen Wandel unterworfen. Zugleich berhren wir mit dem hier angesprochenen Begriff der Auslegung, nach der Genealogie der Antike und dem epistemologischen Historismus, das dritte geisteswissenschaftlich geprgte Moment der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches: Interpretation. Gegen den Positivismus, welcher bei dem Phnomen stehen bleibt ,es giebt nur Thatsachen‘, wrde ich sagen: nein, gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen. Wir kçnnen kein Factum ,an sich‘ feststellen: vielleicht ist es ein Unsinn, so etwas zu wollen. […] Soweit berhaupt das Wort ’Erkenntniß‘ Sinn hat, ist die Welt erkennbar: aber sie ist anders d e u t b a r, sie hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzhlige Sinne ,Perspektivismus‘ (NL 1886 – 1887 7[60], KSA 12, 315).
In diesem Notat versammeln sich nahezu alle zentralen Elemente der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches.13 Sie richtet sich auf eine berschreitende Weise gegen den zeitgençssischen Positivismus: Dessen Einsicht in die bloße Faktizitt des Daseins ist zwar ein richtiger Standpunkt, aber zugleich einer, bei dem nicht stehen geblieben werden kann. Vielmehr erweist sich auch diese Welt der Fakten, in der wir leben und die uns etwas angeht, als das unentwirrbare Mischprodukt aus einer uns unbekannten Welt und unseren aktiven Auslegungen. Wir leben in Interpretationswelten. „Im Interpretieren wird nicht eine objektiv seiende Welt wiedergegeben bzw. naturgetreu abgebildet, sondern eine Welt als die So-und-So-Welt nach Maßgabe der internen Funktionen des Interpretations-Schemas, aus dem man nicht heraustreten kann, allererst konstruiert“ (Abel 1998, 447). Indem Nietzsche so ber den Positivismus hinausgeht, macht er auch deutlich, inwiefern das Streben, Fakten an sich feststellen zu wollen, gelinde gesagt, „ein Unsinn“ ist, oder eben: „a b s u r d v e r n n f t i g “ (GD Sokrates 10). Der wissenschaftliche Optimismus und Positivismus verstçßt 13 Gleichzeitig ist es, wenn auch in kontextfreier Form, wohl die in der neueren Wissenschaftstheorie bekannteste ußerung Nietzsches: „post-positivism picks up a line of criticism launched by an early antipositivist, Friedrich Nietzsche, who wrote famously: ’facts are precisely what there is not, only interpretations’“ (Zammito 2004, 10).
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somit nicht nur gegen die elementare Regel seriçser Philologie, Interpretation und Text nicht zu verwechseln, sondern stellt sich damit zugleich als ein kulturell problematisches Unternehmen dar. Es ist sicher vor allem die historisch-philologische Schulung, die es Nietzsche erlaubt, das Problem der Wissenschaft auf diese Weise bei den Hçrnern zu fassen. Gleichwohl verweist die interpretationsphilosophische Kritik des Positivismus nicht zufllig auf das zweite, von Schndelbach genannte zentrale Merkmal des 19. Jahrhunderts. Nietzsche hat die wissenschaftlichen Diskurse seiner Zeit aufmerksam verfolgt, auch wenn er in den Naturwissenschaften aufgrund seiner Ausbildung zeitlebens Laie blieb. Zwar plante er schon 1868 gemeinsam mit seinem Freund Erwin Rohde, ein Studium der Naturwissenschaften in Paris, gab das Vorhaben allerdings zugunsten der Professur in Basel auf.14 Auch wenn Curt Paul Janz wohl bertreibt mit seiner Mutmaßung, dieses spter nie nachgeholte Versumnis sei „vielleicht die Tragçdie seines Lebens“ (Janz 1978, I, 319), hat Nietzsche offenbar selbst einen Mangel empfunden. Große Teile seiner Bibliothek und auch seiner Lektren sind naturwissenschaftlichen Inhalts und die Quellenforschung hat inzwischen zahlreiche Verbindungen zwischen Nietzsche und seinem intellektuellen Umfeld herausgearbeitet. Bezeichnend ist auch, dass Nietzsche viele Jahre spter, nmlich nachdem er 1881 den Gedanken der Ewigen Wiederkunft entwickelt, dem Zeugnis von Lou Andreas-Salom zufolge erneut mit dem Gedanken spielte, „an der Wiener oder Pariser Universitt zehn Jahre ausschließlich Naturwissenschaften zu studieren“ (Andreas-Salom 1894, 257). Auch aus diesem Entschluss wurde nichts. Aber noch im Rckblick auf sein bisheriges Lebenswerk, im Ecce Homo schreibt 14 Nachdem Nietzsche schon vorher Paul Deussen von dieser Absicht erzhlt hatte (Bf. an Paul Deussen, 04. 04. 1867, KGB I/2, 207) teilt er Erwin Rohde in einem Brief vom 1.–3. Feb. 1868 seine Paris-Plne mit (KGB I/2, 250), der die Idee begeistert aufnimmt. Seither taucht der Gedanke einer gemeinsamen Studienreise regelmßig auf. Dabei sind die Ambitionen der beiden „Parispilger“ durchaus nicht auf Naturwissenschaften beschrnkt: „Wir wohnen im achten Stock“ malt Rohde das Pariser Leben aus, „geben tglich, wegen mangelnder Subsistenzmittel, einige Stunden (im Tanzen, Griechisch, oder Biertrinken, was man ja jetzt in P. mit Wucht sich anzueignen trachtet) und im Uebrigen l e b e n wir, d. h. saugen mit allen Organen, was Gutes und Wissenswerthes in den Museen, Bibliotheken, und namentlich im Leben sich uns darbietet, ein, entdecken ungezhlte Anecdota, trinken Tag und Nacht Absinth und machen uns deutschen Winkelpedanten so unhnlich wie mçglich“ (Bf. von Erwin Rohde 28. 04. 1868, KGB I/ 3 243 f ). Nietzsche betont demgegenber allerdings auch, man drfe vor und whrend des Aufenthaltes in Paris die „Staatscarrire“ in der Philologie nicht aus den Augen verlieren (Bf. an Erwin Rohde 03./04. 05. 1868, KGB I/2, 276). Diese Karriere ist es auch, die einen Strich durch die Paris-Plne macht: „Wir sind doch recht die Narren des Schicksals: noch vorige Woche wollte ich Dir einmal schreiben und vorschlagen, gemeinsam Chemie zu studieren und die Philologie dorthin zu werfen, wohin sie gehçrt, zum Urvter-Hausrath. Jetzt lockt der Teufel ‘Schicksal’ mit einer philologischen Professur“ (Bf. an Erwin Rohde 16. 01. 1869, KGB I/2, 359 f ).
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Nietzsche ber die Zeit von Menschliches Allzumenschliches: „von da an habe ich in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften, – selbst zu eigentlichen historischen Studien bin ich erst wieder zurckgekehrt, als die A u f g a b e mich gebieterisch dazu zwang“ (EH MA 3). Diese Selbstbeschreibung ist nicht verfehlt, Nietzsche zeigte sich zeitlebens auch an naturwissenschaftlichen Themen interessiert, wie ich im Folgenden an zwei Beispielen illustrieren will. Laut einer Notiz vom April / Mai 1868 nimmt sich der junge Nietzsche vor: „Zu lesen sind: […] Helmholtz ber die Erhaltung der Kraft Berlin 1847. ber die Wechselwirkung der Naturkrfte 1854“ (NL 1868 62[48], KGW I/4, 572). Indes, man weiß, wie es mitunter mit solchen Leselisten geht. Nach der Einschtzung von Sçren Reuter gibt es „keine Anzeichen dafr, das Nietzsche diese Abhandlungen tatschlich gelesen hat“ auch wenn er ihre grundlegenden Ideen durch Langes Geschichte des Materialismus gekannt haben wird (Reuter 2004, 352). Am 5. April 1873 leiht er sich jedoch die Allgemeine Encyklopdie der Physik (Band IX, Leipzig, 1867) aus der Basler Universittsbibliothek (Crescenzi 1994, 422). Dahinter verbirgt sich Hermann von Helmholtz’ Handbuch der physiologischen Optik. Es lsst sich natrlich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob Nietzsche dieses Buch tatschlich gelesen hat, aber die zentralen Einsichten der zeitgençssischen Sinnesphysiologie und auch das Konzept der unbewussten Schlsse waren Nietzsche vertraut.15 Helmholtz fhrt darin aus, die „psychischen Thtigkeiten, durch welche wir zu dem Urtheile kommen, dass ein bestimmtes Objekt von bestimmter Beschaffenheit an einem bestimmten Orte ausser uns vorhanden sei, sind im Allgemeinen nicht bewusste Thtigkeiten, sondern unbewusste“. In diesen unbewussten Prozessen vollziehe sich ein Schluss von einer empfundenen Wirkung auf eine mutmaßliche Ursache dieser Wirkung. Helmholtz zufolge sind diese „unbewussten Schlsse von den Sinnesempfindungen auf deren Ursachen […] in ihren Resultaten den sogenannten Analogieschlssen congruent“ (Helmholtz 1867, 430). Dieser Gedanke hat weitreichende, nicht nur physiologische, sondern auch wissenschaftsphilosophische Konsequenzen. Einerseits folgt daraus, dass schon 15 Schon im November 1870 hatte Nietzsche Helmholtz’ Lehre von den Tonempfingungen entliehen (Crescenzi 1994, 403). Die neueren Entwicklungen in der Physiologie kannte er seit Anfang der siebziger Jahre zudem unter anderem auch durch die Lektren von Hartmanns Philosophie des Unbewussten, Zçllners Arbeit ber die Natur der Kometen und natrlich Langes Geschichte des Materialismus. Den Anstoß fr das Interesse Nietzsches an der Physiologie drfte die Lektre Schopenhauers gegeben haben. Daneben wird Nietzsche auch durch seinen Freund Heinrich Romundt mit Helmholtz bekannt geworden sein, wie Hubert Treiber berzeugend darlegt (Treiber 1994, 3 f ). Reuter geht allerdings davon aus, dass Nietzsche das Handbuch der physiologischen Optik nicht gelesen hat (2004, 356). Siehe neben Treiber und Reuter auch Brobjer (2004, 30 – 33), wobei Brobjer erstaunlicherweise Helmholtz weder hier erwhnt noch in (Brobjer 2008).
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der vordergrndig unvermittelte Prozess der sinnlichen Erfahrung von den aktiven Deutungen des Subjekts durchsetzt ist und nicht etwa erst die auf diese Erfahrungen gesttzte Theoriebildung. Selbst die simpelsten Annahmen ber die Außenwelt und ihre Beschaffenheit entstehen auf der Basis von bertragungen und Verallgemeinerungen. Zum anderen streicht Helmholtz den unabweisbaren Charakter der unbewussten Schlsse am Beispiel verschiedener Reizungen der Netzhaut heraus, die wir in jedem Fall und unweigerlich als Licht wahrnehmen, ganz gleich ob sie durch einen physischen Druck, eine elektrische Reizung oder einfallende Lichtstrahlung verursacht ist. Daher treten die „unbewussten Analogieschlsse […], eben weil sie nicht Acte des bewussten Denkens sind, mit zwingender Notwendigkeit auf und ihre Wirkung kann nicht durch bessere Einsicht in den Zusammenhang der Sache aufgehoben werden“ (Helmholtz 1867, 430). Nietzsche reagiert auf diese berlegungen nicht ohne Vorbehalte und notiert, die „unbewußten S c h l s s e erregen mein Bedenken“; wobei er, wie auch die Hervorhebung zeigt, insbesondere mit den Assoziationen zum logischen Schließen Probleme hat: „Das unbewußte Denken muß sich ohne Begriffe vollziehn, also in A n s c h a u u n g e n “ (NL 1872 – 1873 19[107], KSA 7, 454). Nun ist es eine andere Frage, wie stark Helmholtz selbst die Kongruenz zwischen den Aktivitten der Sinnesorgane und dem logischen Schließen verstanden wissen wollte. Nietzsche jedenfalls bringt den physiologischen Befund, auch unter dem Einfluss Gerbers, in Wahrheit und Lge mit dem „Trieb zur Metaphernbildung“ und der Entstehung von Sprache in Verbindung: „Ein Nervenreiz zuerst bertragen in ein Bild! erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher“ (WL 1, KSA 1, 879). Auf diese Weise gibt er ihm eine nicht nur sprachphilosophische und sthetische Wendung, sondern er zieht auch eine radikale, non-realistische Konsequenz hinsichtlich der Zuverlssigkeit unserer sinnlichen Erkenntnis: „Von dem Nervenreiz aber weiterzuschliessen auf eine Ursache ausser uns, ist bereits das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde“ (WL 1, KSA 1, 878). Die Details dieser sthetischen Physiologie kçnnen hier nicht geklrt werden,16 aber, wie Sçren Reuter ganz zutreffend feststellt, „unabhngig davon, was sich Nietzsche unter unbewussten Anschauungen vorstellt, wird deutlich, dass es nicht darum geht, die Existenz von unbewussten Schlssen zu bezweifeln, sondern darum, sie aus sthetischer Perspektive zu deuten“ (Reuter 2004, 369). Erfahrung ist demnach ein aktiver Prozess, sie enthlt nicht-reduzierbare, historisch und kulturell variable subjektseitige Momente, die Ausdruck der knstlerischen Schçpfungs- und Deutungskraft der Menschen sind. Wir erschaffen und gestalten unsere Erfahrungswelt, auch wenn wir es vorziehen zu glauben, wir wrden sie bloß wahrnehmen und erkennen. In dieser Weise drfte 16 Vgl. dazu Reuter (2009).
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Nietzsche die zeitgençssischen Entwicklungen der physiologischen Wissenschaften als Ressource und Untersttzung seiner sthetischen Interpretationsphilosophie aufgearbeitet haben. Und noch eine bekannte Passage aus Jenseits von Gut und Bçse klingt wie ein spter Nachhall dieser Erwgungen: wir erdichten uns den grçssten Theil des Erlebnisses und sind kaum dazu zu zwingen, n i c h t als ,Erfinder‘ irgend einem Vorgang zuzuschauen. Dies Alles will sagen: wir sind von Grund aus, von Alters her – a n’s L g e n g e w ç h n t . Oder, um es tugendhafter und heuchlerischer, kurz angenehmer auszudrcken: man ist viel mehr Knstler als man weiss (JGB 192).17
Ein zweites Beispiel, um Nietzsche vor der Folie der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts zu konturieren, ist der sogenannte Ignorabimus-Streit, der sich an einer Rede des bereits genannten Emil Du Bois-Reymond vor der Versammlung der deutschen Naturforscher und rzte am 14. 8. 1872 entzndete. Man kann ausschließen, dass Nietzsche diese Diskussion entgangen sein kçnnte. Nietzsche erkundigt sich am 20./21. August 1881 brieflich bei seinem Freund Franz Overbeck, ob es von Du Bois-Reymonds Reden bereits eine Gesamtausgabe gibt (KGB III/1, 118), was darauf deutet, dass er sie zu diesem Zeitpunkt bereits kannte (auch wenn eine zweibndige Gesamtausgabe der Reden erst seit 1886 erscheint). In seiner Bibliothek findet sich eine marginal annotierte Edition der beiden fr den Ignorabimus-Streit relevanten Reden Du BoisReymonds’ aus dem Jahre 1884. Außerdem drfte Nietzsche die ausfhrliche Erçrterung dieses Themas in der vierten Auflage von Langes Geschichte des Materialismus (1882) zur Kenntnis genommen haben, die sich ebenfalls noch in seiner Bibliothek findet. Du Bois-Reymonds Rede ber die Grenzen der Naturerkenntnis ist von besonderer Bedeutung fr das Thema dieses Essays, da an ihr das Selbstverstndnis der Naturforschung als einem hypothetischen Unternehmen deutlich wird. An dem Ignorabimus-Streit lsst sich besonders gut festmachen, was Gregor Schiemann mit dem Begriff des Wahrheitsgewissheitsverlusts als allgemeine Tendenz des bergangs von der Klassik zur Moderne im spteren 19. Jahrhunderts bezeichnet. „Der im klassischen Wissenschaftsbegriff erhobene Wahrheitsanspruch ist fr das moderne Wissenschaftsverstndnis nicht mehr konstitutiv“ (Schiemann 1997, 137). Du Bois-Reymond betont, dass die physikalischen Wissenschaften zwar vordergrndig unser „Kausalittsbedrfnis“ befriedigen, aber letzten Endes nur das „Surrogat einer Erklrung“ liefern, da sie letztlich auf nicht beweisbaren Annahmen beruhen. Ein physikalisches Atom z. B. „ist eine in sich folgerichtige und unter Umstnden, beispielsweise in der Chemie, der mechanischen Gastheorie, ußerst ntzliche Fiktion“ (Du Bois-Reymond 1872, 60). Neben der prinzipiellen Unerkennbarkeit des Wesens von Kraft und Materie sei ebenfalls 17 Zur wissenschaftsphilosophischen Relevanz dieses Aphorismus vgl. Fischer (2001).
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unergrndlich, warum es Bewusstsein gibt. Fr ein an Nietzsche geschultes Gehçr klingt sowohl die Rede von einem psychologischen Bedrfnis nach Kausalitt, welches zudem notwendig unbefriedigt bleibt, wie auch die Auflçsung des physikalischen Atoms zu einer ntzlichen Fiktion sehr vertraut.18 Auch ist sich Nietzsche ber den grundlegend hypothetischen und falliblen Charakter aller Naturerkenntnis im Klaren. „In den Wissenschaften haben die Ueberzeugungen kein Brgerrecht“ referiert er die zeitgençssische Einschtzung in der Frçhlichen Wissenschaft, nur wenn sie „zur Bescheidenheit einer Hypothese“ herabsteigen, kann ihnen „der Zutritt und sogar ein gewisser Werth innerhalb des Reichs der Erkenntniss zugestanden werden“ (FW 344). Sicher verwendet Nietzsche immer wieder Energie darauf, die Unmçglichkeit von (nicht tautologischer) Wahrheit und von Wahrheitsgewissheit heraus zu stellen, aber seine Kritik des theoretischen Optimismus beschrnkt sich nicht darauf. Tte sie dass, wre Nietzsche von den klgeren unter den Positivisten wie Ernst Mach oder eben Du Bois-Reymond kaum zu unterscheiden. Tatschlich hat Nietzsche jedoch schon an dem Urbild des theoretischen Typus gesehen, dass die Einsicht in den hypothetischen, vorlufigen und begrenzten Charakter aller menschlichen Erkenntnis ohne weiteres mit einem unbndigen Willen zur Wahrheit zusammen geht: Der platonische Sokrates sieht bekanntlich seine berlegene Weisheit genau darin, „dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen“ (Platon Apo., 21d), ohne dass dies seinem Streben nach Wahrheit irgendeinen Abbruch tte. Bei Du Bois-Reymond lsst sich eine hnliche Argumentationsfigur beobachten wie in der Apologie des Sokrates, insofern er den hypothetischen Charakter und die beschrnkte Reichweite menschlichen wissenschaftlichen Wissens herausstreicht, gerade um die kulturelle Hegemonie der Wissenschaften zu festigen und die nchtern-bescheidene Ttigkeit des Forschers als Ideal anstndiger Arbeit zu etablieren. Nur im Bewusstsein dieser Grenzen kçnne die praktisch so erfolgreiche Wissenschaft auch in Zukunft ihren kulturellen Nutzen entfalten. Die Selbstbescheidung ist fr Du Bois-Reymond strategisch nçtig, die verschiedenen Spielarten des Supranaturalismus und Irrationalismus und damit das Ende der Wissenschaft zu vermeiden. Er braucht den Agnostizimus, um sich von Idealismus und Religion abzugrenzen und so gerade die Autonomie der Wissenschaft zu strken. Daher sollte man die Rede zwar tatschlich nicht gerade auf eine „diplomatische Argumentationsstrategie“ verkrzen (Reichenberger 2007, 63), aber eine fundamentale Einschrnkung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisprivilegs stellt sie sicher noch weniger dar: 18 Zum Kausalittsbedrfnis und der Kritik an der Kausalitt vgl. FW 112 und FW 127; eine Problematisierung des Atombegriffs findet sich u. a. in JGB 11. Nietzsches Fiktionalismus entfaltete eine Wirkung von Hans Vaihingers Philosophie des Als-Ob bis in die moderne Moralphilosophie.
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Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm gesteckten Grenzen anerkennt, und je demtiger er in seine Unwissenheit sich schickt, um so tiefer fhlt er das Recht, mit voller Freiheit, unbeirrt durch Mythen, Dogmen und altehrwrdige Philosopheme, auf dem Wege der Induktion seine eigene Meinung ber die Beziehung zwischen Geist und Materie sich zu bilden (Du Bois-Reymond 1872, 73).
Das zentrale Anliege dieser berlegung ist es, den berkommenen Dogmatismus und Spiritualismus in seine Schranken zu weisen. Indem Du Bois-Reymond die Grenzen des Naturerkennens definiert, reserviert er nicht etwa einen jenseitigen Raum fr andere Formen des Erkennens, sondern das so bestimmte Terrain potenziellen Wissens der Naturwissenschaftler ist identisch mit dem potenziellen menschlichen Wissen ber die Natur per se. „Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und niemand weiß, wo die Schranke seines Wissens und seiner Macht liegt“ (Du Bois-Reymond 1872, 73). Außerhalb dieser Grenzen ist fr ernsthafte Forscher nichts zu erreichen. Nietzsche widerspricht einer solchen berlegung nicht, vielmehr teilt er ihren anti-metaphysischen, anti-spekulativen und auch anti-klerikalen Impetus. Nietzsche ist Naturalist, insofern er keine esoterischen oder spirituellen Formen der zuverlssigen Welterkenntnis kennt oder propagiert. Mit gewissen Einschrnkungen erkennt er auch das Wissen und die Macht der neuesten experimentellen und empirischen wissenschaftlichen Theorien an, die er mal mehr, mal weniger engagiert rezipiert.19 Aber Nietzsche ist sich zugleich, und mehr als sein Zeitgenosse Du Bois-Reymond, darber im Klaren, dass der Naturforscher nicht einfach das Gegebene zergliedert und aufbaut und so auf dem Wege der Induktion zu sachlichen Urteilen kommt. Ein Blick in die Geschichte nicht nur der antiken, sondern etwa auch der kopernikanischen Wissenschaften zeigt Nietzsche, dass die Naturforscher oft allzu bereitwillig vom Gegenteil des sinnlichen Eindrucks berzeugt sind, um als rechtschaffene Advokaten der Sinne zu gelten. Auch die systematische und theoriegeleitete Produktion von ,Tatsachen‘ in den Experimentalsystemen der Naturforscher zeigt, dass Wissenschaft nicht ohne weiteres mit Sinneserfahrung gleichgesetzt werden kann. Darber hinaus liegen den Wissenschaften trotz ihres hypothetischen Selbstverstndnisses zwei berzeugungen zugrunde, die Nietzsche beide in Frage stellt. Zum einen impliziert die ganze institutionalisierte Anstrengung der Naturforschung die Annahme, dass es den Menschen mçglich ist, relevante, wichtige, ntzliche und womçglich zumindest nherungsweise Wahrheiten zu finden, dass die Welt also auf eine durch Menschen erkennbare Weise be19 In diesem Sinne kann man meines Erachtens mit vollem Recht bei Nietzsche von einem ,non-scientistic naturalism’ sprechen, wie es Richard Schacht in diesem Band tut. An die Gleichzeitigkeit von Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftskritik bei Nietzsche hat sich auch die Debatte um die Rolle des Naturalismus und Positivismus in seinem Denken angeknpft, auf die in diesem Band ebenfalls einige Autoren eingehen. Vgl. dazu grundstzlich Clark (1990) und Cohen (1999).
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schaffen ist. Zum anderen impliziert dieses Streben nach Wahrheit, nach Wahrheit als regulativer Idee, dass es sich dabei um ein erstrebenswertes Ziel, um etwas im Allgemeinen gutes und ntzliches handelt. Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nmlich dass es immer noch ein m e t a p h y s i s c h e r G l a u b e ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht – dass auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch u n s e r Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein Jahrtausende alter Glaube entzndet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit gçttlich ist… (FW 344).
Aktualitten: Das Problem der Wissenschaft In den vorigen Abschnitten habe ich versucht zu zeigen, inwiefern Nietzsche in seinen spezifischen wissenschaftsphilosophischen berlegungen in den Kontext seiner Zeit gehçrt und diesen zugleich berschreitet. Nietzsche teilt das vorherrschende historische Bewusstsein des 19. Jahrhunderts, aber er dehnt die historische Kontextualisierung auch auf die Wissenschaften aus. Er teilt die berzeugung zeitgençssischer Naturforscher, dass Religion und Metaphysik zu Recht an kultureller Deutungsmacht eingebßt haben. Er verfolgt die Entwicklung der Naturwissenschaften mit großem Interesse und macht sich manche ihrer Ergebnisse zu eigen, aber er bestreitet ihr nchtern anti-metaphysisches Selbstverstndnis. Vielmehr sieht er noch in seiner Gegenwart einen sokratischen Optimismus am Werk, der letztlich Ausdruck einer leidenden Kultur ist. Im ersten Abschnitt des „Versuchs einer Selbstkritik“ hat Nietzsche festgehalten, dass mit seiner Arbeit ber die frhgriechische tragische Kunst „dass grosse Fragezeichen vom Werth des Daseins“ gesetzt war. Dieses Fragezeichen wird in zweierlei Richtungen ausdifferenziert. Zum einen und konkret mit Blick auf das Thema der Geburt der Tragçdie heißt das, „Was bedeutet […] der t r a g i s c h e Mythus? Und das ungeheure Phnomen des Dionysischen?“ In diese Richtung, und die positive Antwort ist impliziert, fragt Nietzsche allgemeiner: „Giebt es einen Pessimismus der S t r k e ?“ Die andere Fragerichtung geht auf das, „woran die Tragçdie starb, der Sokratismus der Moral, die Dialektik, Gengsamkeit und Heiterkeit des theoretischen Menschen – wie? kçnnte nicht gerade dieser Sokratismus ein Zeichen des Niedergangs“ sein? Indem er diese zweite Frage, die ebenfalls implizit bejaht wird, auf unsere Gegenwart bezieht, stellt sich ihm das Problem der Wissenschaft: „Und die Wissenschaft selbst, unsere Wissenschaft – ja, was bedeutet berhaupt, als Symptom des Lebens angesehen, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, w o h e r – alle Wissenschaft?“ (GT Versuch 1). Auf diese Weise problematisiert Nietzsche nicht nur Ziel und Zweckmßigkeit, das Wozu unserer Wissenschaftlichkeit, sondern er macht auch ihre Genealogie, ihre kulturellen und psycho-physiologischen Motive zu
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einer fragwrdigen Sache. Diese Problematisierung ist tatschlich radikal und im Kontext des 19. Jahrhunderts mindestens untypisch. Und nur auf der Basis einer solchen Problematisierung kann man vernnftig ber Alternativen zur wissenschaftlichen Weltauffassung nachdenken.20 In einer oben zitierten Passage aus dem Ecce Homo hatte Nietzsche konstatiert, er habe sich nach einem Studium der Naturwissenschaften erst dann wieder historischen Forschungen zugewandt, „als die A u f g a b e mich gebieterisch dazu zwang“ (EH MA 3). Aus der Verbindung historischer und naturwissenschaftlicher Studien mit dem, was Nietzsche seine Aufgabe nennt, ergibt sich die spezifische Eigenart und Relevanz seiner Zugangsweise: Meine Aufgabe, einen Augenblick hçchster Selbstbesinnung der Menschheit vorzubereiten, einen g r o s s e n M i t t a g , wo sie zurckschaut und hinausschaut, wo sie aus der Herrschaft des Zufalls und der Priester heraustritt und die Frage des warum?, des wozu? zum ersten Male a l s G a n z e s stellt –, diese Aufgabe folgt mit Nothwendigkeit aus der Einsicht, dass die Menschheit n i c h t von selber auf dem rechten Wege ist (EH M 2).
hnlich wie in dem „Versuch einer Selbstkritik“ geht es Nietzsche auch hier darum, in die Vergangenheit und die Zukunft zu schauen, die Frage nach dem Woher und dem Wozu zu stellen. Das avisierte Subjekt der Besinnung ist hier allerdings nicht lnger ein Autor und dessen Blick auf ein frhes Buch, sondern die Menschheit. So fhrt die hier gesetzte Aufgabenstellung auch in das bei Nietzsche notorisch problematische Feld der politischen Philosophie. Allerdings ist mit Blick auf Nietzsches berlegungen zur Zukunft der Menschheit hervorzuheben, dass er seine Aufgabe darin sieht, eine Selbstbesinnung der Menschheit vorzubereiten, und nicht etwa darin, das Ergebnis dieser Selbstbesinnung vorweg zu nehmen. Wie freilich die Menschheit als Kollektivsubjekt zur Besinnung kommen soll, bleibt unklar. Der Sache nach setzt der „grosse Mittag“ eine doppelte Emanzipation voraus, indem die Menschheit sich weder der Herrschaft der Priester, das heißt einer Sinnstiftung durch religiçse Jenseitsvertrçstung, noch der Herrschaft des Zufalls, also dem Nihilismus durch das positivistische factum brutum unterwirft. Der Anlass dieser Aufgabenstellung ist die Einsicht, dass die Geschichte der Menschheit kein automatischer Fortschritt ist, ihr Maßstab ist die wissenschaftsexterne Perspektive des Lebens und ihr Ziel ist Aufklrung. Durch den Prozess einer Selbstbesinnung kçnnte die Menschheit das Subjekt ihrer Geschichte werden. Nietzsche situiert die Wissenschaften in einen umfassenderen kulturphilosophischen Kontext und kann so die verschiedenen Formen der Problemati20 In jngerer Zeit hat vor allem Paul Feyerabend ganz im Sinne Nietzsches herausgestrichen, dass eine faire Evaluation der wissenschaftlichen Zivilisation sowohl an eine nchterne Bilanzierung der Nutzen und Kosten wie auch an eine vergleichende Genealogie gebunden ist (Feyerabend 2005, 30).
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sierung von Wissenschaft, die heute zunehmend von getrennten Teildisziplinen behandelt werden, in einen produktiven Zusammenhang stellen. Indem er die epistemischen Geltungsansprche der Wissenschaften ebenso befragt wie ihre historisch-soziale Entstehung und Dynamik und wie auch ihre normativen Voraussetzungen und Konsequenzen, betreibt er Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftsforschung und Wissenschaftsethik zugleich. Abgesehen von einzelnen, gegebenenfalls aktuell weiterfhrenden berlegungen Nietzsches zu spezifischen Themen wie etwa dem Realismusstreit, der Rolle von Metaphern und Interpretationen in der Theoriebildung oder auch der Methodik genealogischer Typologien, ist gerade in diesem umfassenden und vereinigenden Blick ein wichtiges Potenzial Nietzsches zu sehen. Entscheidender ist aber sicher die Aufgabenstellung, die Nietzsche mit diesen Problematisierungen verbindet: Was nur We r t h hat in der jetzigen Welt, das hat ihn nicht an sich, seiner Natur nach – die Natur ist immer werthlos: – sondern dem hat man einen Werth einmal gegeben, geschenkt, und w i r waren diese Gebenden und Schenkenden! Wir erst haben die Welt, d i e d e n Me n s c h e n E t w a s a n g e h t , geschaffen! – Gerade dieses Wissen aber fehlt uns, und wenn wir es einen Augenblick einmal erhaschen, so haben wir es im nchsten wieder vergessen: wir verkennen unsere beste Kraft und schtzen uns, die Contemplativen, um einen Grad zu gering, – wir sind w e d e r s o s t o l z , n o c h s o g l c k l i c h , als wir sein kçnnten (FW 301).
Diesen Gedanken ernsthaft zu erwgen, also sich weder einem mutmaßlichen Nachvollzug des Gegebenen noch einer bloß privaten Willkr zu ergeben, das bedeutet wohl auch heute noch, ein furchtbares und gefhrliches Problem bei den Hçrnern zu fassen.
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„Wissenschaft“ als Vorurteil. Kontextuelle Interpretation des Aphorismus Nr. 373 der Frçhlichen Wissenschaft Werner Stegmaier Im Kontext des Aphorismus Nr. 373 der Frçhlichen Wissenschaft fhrt Nietzsche die „Horizont-Linie[n]“ (KSA 3, 625) seiner Wissenschaftsphilosophie prgnant zusammen. In seiner Aphorismen-Kunst wird die Form der Mitteilung, scheinbar nur literarische Einkleidung, integraler Bestandteil der Mitteilung. Seit die Wissenschaft nicht mehr unkritisch auf eine unabhngig von ihr gegebene Sache setzen kann, ist es nur noch die Sachlichkeit im Sinn der Allgemeingltigkeit ihrer Aussagen, also die Form der Mitteilung, die sie konstituiert, und Nietzsche bringt das in seiner Mitteilung zum Ausdruck. Dabei wird jedes Wort, jedes Zeichen bedeutsam. Durch Anfhrungszeichen im Titel („,W i s s e n s c h a f t ‘ a l s Vo r u r t h e i l “) zeigt Nietzsche an, dass er den Sinn von ,Wissenschaft‘ verschieben wird. Er spricht in einem neuen Sinn von den bis dahin (und noch immer) tabuierten „Gesetzen der Rangordnung“ der „Gelehrte [n]“ und entwirft zunchst eine Wissenschaftsethik: „die eigentlichen g r o s s e n Probleme und Fragezeichen“ der Wissenschaft sollen von denen ferngehalten werden, die nicht den „Muth“, den „Blick“ und den Geist fr sie haben (KSA 3, 624 f.). Nietzsche nimmt dabei keinen theoretisch erhabenen Standpunkt ein, sondern greift nach seiner erklrten ,Kriegs-Praxis‘ persçnlich an, kompromittiert sich selbst – Wissenschaft wird in ihren moralischen Implikationen beobachtbar. Die Rangordnung des philosophischen Blicks auf die Wissenschaft kann nicht allgemeingltig sein, sondern wird von unterschiedlichen ,Geistern‘ unterschiedlich, perspektivisch, wahrgenommen. So ist sie zuletzt eine Frage des ,Geschmacks‘, und die Wissenschaftsethik wird zu einer Wissenschaftssthetik. Bei ihr kommt es darauf an, die ,Welt-Interpretationen‘ zu vervielfltigen, um sie freinander erfahrbar und die ,Musik des Lebens‘ wieder hçrbar zu machen, die, nach Nietzsche, die Philosophie seit Sokrates und Platon geleugnet hat.
1. Methode: Kontextuelle Interpretation Eine kontextuelle Interpretation will nicht lnger „wie plndernde Soldaten verfahren: sie nehmen sich Einiges, was sie brauchen kçnnen, heraus, beschmutzen und verwirren das Uebrige und lstern auf das Ganze.“ (VM 137,
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KSA 2, 436) Sie zieht zur Interpretation von Nietzsches Philosophie nicht Stcke aus verschiedensten Texten zusammen, sondern hlt sich, wie Nietzsche es fr eine Philologie seiner Philosophie nachdrcklich verlangt hat, an die Texte, wie er sie selbst komponierte, um sie in ihren eigenen, internen und externen, Kontexten zu erschließen. Das gilt auch und gerade fr seine Aphorismen und Aphorismen-Bcher. Auch hier muss man zu bestimmten Themen bestimmte Aphorismen auswhlen. Doch die schriftstellerische Form des Aphorismen-Buchs bietet das, da jeder Aphorismus fr sich allein stehen kann, von sich aus an, und durch die Anordnung der Aphorismen verweist sie zugleich auf weitere Kontexte, in denen Nietzsche den jeweiligen Aphorismus verstanden wissen will. Folgt man diesen Kontexten und verfolgt man Nietzsches Begriffsgebrauch in seinem Werk im ganzen, verschwinden die scheinbaren Ambivalenzen und Widersprche, die Nietzsche notorisch zugeschrieben werden, jedoch nur dann auftreten, wenn man sein Philosophieren in kontextunabhngige Systeme zu zwingen sucht, was er entschieden abgelehnt hat. Nietzsches Texte kçnnten interessanter sein als alle Systeme, die wir aus ihnen bilden. Die internen und externen Kontexte von Nietzsches Texten sind jedoch unabgrenzbar, und irgendwo wird man ihre Erschließung abbrechen mssen. Dies gilt nicht nur fr das Lesen von Texten, sondern auch fr das Erleben des Lebens. Es hat nur die Grenzen, die man selbst zieht. Die Grenzen einer Interpretation sind darum die eigenen. Auch eine noch so sorgfltige Philologie von Nietzsches Philosophie wird deshalb nicht vermeiden kçnnen, „eine Interpretation dazwischen zu mengen“ (NL 1888 15[90], KSA 13, 460). Aber sie wird das Dazwischen-Mengen minimieren, indem sie sich so weit wie mçglich von Nietzsches eigenen Kontexten leiten lsst. Im Aphorismus Nr. 373 der Frçhlichen Wissenschaft hat Nietzsche seine Wissenschaftsphilosophie konzentriert exponiert und sie in einer schriftstellerischen Form inszeniert, die plausibilisiert, indem sie nicht definiert, sondern irritiert und fasziniert. Die schriftstellerische Form zeigt, was Nietzsche nicht aussprechen kann oder nicht aussprechen will, worber er schweigt. Eine kontextuelle Interpretation wird sie nicht als ußerliche abtun, sondern ihren ,Fingerzeigen‘ folgen. Die verçffentlichten Texte weisen, wie Claus Zittel es formuliert hat, einen „Reflexionsgrad“ mehr auf als die scheinbar oft klareren nachgelassenen Notate (Zittel 2000, 139). Die Form der Mitteilung ist fr Nietzsche ein integraler Bestandteil nicht nur seiner Wissenschaft, sondern der Wissenschaft berhaupt. Was man die Sache nennt, die eine Wissenschaft vor sich hat, entsteht erst durch Versachlichung, durch dauernde und immer nur begrenzt gelingende Anstrengung individueller Wissenschaftler, zugunsten einer mçglichen Allgemeingltigkeit ihrer Aussagen von ihrer Individualitt abzusehen.1 Wissenschaft konstituiert sich als Form der Mitteilung, als kritische 1
Vgl. Stegmaier (2008, S. 274 f., 432 – 434, 509 – 513).
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Disziplinierung des Zeichengebrauchs.2 Die Bedingungen ihrer Mçglichkeit sind Thema des Aphorismus Nr. 373 der Frçhlichen Wissenschaft. Im V. Buch der Frçhlichen Wissenschaft hat Nietzsche seine AphorismenKunst zur hçchsten Reife gebracht, und der Aphorismus Nr. 373 ist einer der Hçhepunkte dieses Buches.3 Ich kann in diesem kurzen Beitrag nur eine hoch vereinfachte, oberflchliche Interpretation in thetischer Form geben.4 Aber auch das gehçrt zum Thema des Aphorismus.
2. Titel und Thema: Sinnverschiebung der ,Wissenschaft‘ Das erste Zeichen des Aphorismus ist ein Anfhrungszeichen. „,W i s s e n s c h a f t ‘“ steht im Titel und „,wissenschaftlich‘“ im Text auch weiterhin in Anfhrungszeichen (KSA 3, 624 – 626). Nietzsches Anfhrungszeichen kndigen regelmßig Sinnverschiebungen an.5 Thema des Aphorismus ist die Sinnverschiebung oder, mit einem hier nicht gebrauchten Begriff Nietzsches, die Umwertung der Wissenschaft. Wissenschaft garantiert nicht schon, wie man es bisher erwartet hat, allgemeingltige Urteile, sondern ist, eben in Bezug auf diese Erwartung, ein „Vo r u r t h e i l “ (KSA 3, 624).
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Vgl. Stegmaier (2008, 507 – 523). Giorgio Colli nimmt gerade den Aphorismus Nr. 373 als Beispiel dafr, dass das V. Buch der Frçhlichen Wissenschaft die „magische[…] Harmonie“ der ersten vier Bcher nicht mehr erreiche: Whrend, so Colli, der Aphorismus Nr. 373 „grimmig die Wissenschaft kritisiert“, fordere der Aphorismus Nr. 293 „gelassen und scharfsinnig ihre Anerkennung“ (KSA 3, 663). Doch die beiden Aphorismen handeln von etwas anderem: Nr. 293 von der Strenge, Nr. 373 von der Enge der Wissenschaft. Beides widerspricht einander nicht, sondern gehçrt fr Nietzsche zusammen, und auch in Nr. 373 erkennt er die Wissenschaft als solche auch durchaus an. So ist Nr. 373 eher ein Beispiel dafr, dass sich der Sinn eines Aphorismus erst im Kontext mit anderen, hier mit Nr. 360 und Nr. 374, und zugleich aus dem in ihm angeschlagenen Ton erschließt. Eine ausfhrlichere Interpretation im Kontext des V. Buchs der FW erscheint in Stegmaier (2011, Kap. 13.2). Das gilt auch fr die Wendung „wissenschaftlich in eurem Sinne“ in FW 373: „in eurem Sinne“ steht fr eine Sinnverschiebung und damit fr Anfhrungszeichen. Zu Nietzsches Gebrauch der ,Gnsefßchen‘ vgl. Blondel (2000), Derrida (1986), Gebhard (1980), Stegmaier (1994, 77 f.).
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3. Wissenschaftssoziologie: Gesetze der Rangordnung in der Wissenschaft Der Text selbst setzt mit „Gesetzen“ ein („Es folgt aus den Gesetzen“, KSA 3, 624). Gesetze sind schlechthin allgemeingltige Aussagen. Spter greift Nietzsche die mathematischen Physiker dafr an, dass sie „alles Dasein“ aus „den ersten und letzten Gesetzen der Mechanik“ endgltig erklren wollen, was sich in der Tat bald schon als Illusion erwies. Wenn auch er von Gesetzen spricht, nimmt er die „Perspektive“ der Wissenschaft ein und teilt damit ihr „Vo r u r t h e i l “. Er startet vom Standpunkt der Wissenschaft und verschiebt den Sinn von ,Wissenschaft‘ in einer in vielem ungewçhnlichen wissenschaftlichen Argumentation. Er, Nietzsche, spricht von „Gesetzen der Rangordnung“ (KSA 3, 624) ohne Anfhrungszeichen; „d a s P r o b l e m d e r R a n g o r d n u n g “ hat er zuvor als seine „Aufgabe“ gestellt (MA I Vorrede 7, KSA 2, 21).6 Er ordnet, rankt, ratet die „Gelehrten“, seien es Wissenschaftler oder Philosophen, nach dem Maß der ,Geistigkeit‘, der Fhigkeit, souvern mit wissenschaftlichen und philosophischen Unterscheidungen umzugehen. Mit diesem Begriff des Geistes (vgl. Stegmaier 1997) – im Aphorismus erscheint er zuerst in der Wendung vom „geistigen Mittelstande“, dann in der Verbindung „Geisteskrankheit“ (FW 373, KSA 3, 624 f.) – ist er nahe bei Hegel, den er jedoch in JGB 211 als „philosophischen Arbeiter“ eingestuft hat (KSA 5, 144). Rangordnung in der Geistigkeit von Gelehrten stellt die Mçglichkeit der Allgemeingltigkeit in der Wissenschaft in Frage. Danach sehen sich die einen von Problemen bedrngt, die die andern noch nicht einmal sehen. Doch diese andern bestimmen die Maßstbe. Der Druck einer scientific community auf gemeinsame Probleme und Methoden, sie zu lçsen, bringt, wissenschaftssoziologisch betrachtet, einen „geistigen Mittelstand“ hervor, der „Gesetze der Rangordnung“ naturgemß nicht akzeptieren kann. Auf eine geistige Rangordnung, wenn es sie denn gibt, hat jeder von seinem Rang aus eine andere Perspektive,7 und so kann es von ihr kein allgemeingltiges Verstndnis und erst recht keine allgemeingltigen „Gesetze“ geben. Ihre „Gesetze“, wenn es sie denn gibt, sind keine Gesetze einer allgemeingltigen Wissenschaft. Nietzsche kndigt damit schon im ersten Satz eine andere Wissenschaft an. 6 7
Man hat das Problem und den Begriff der Rangordnung, wenn man sie berhaupt beachtet hat, meist politisch verstanden. Wotling, (2010), hat nun ihren physiologischen Sinn entfaltet. Schon Descartes hat seinen Discours ironisch damit erçffnet, dass der gesunde Menschenverstand (bon sens) die bestverteilte Sache der Welt sei, weil jeder glaube, damit gut ausgestattet zu sein und selbst die, die sonst schwer zufriedenzustellen seien, nicht mehr davon wnschten, als sie haben.
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Auch wir wrden es wohl empçrt ablehnen, von „Gesetzen der Rangordnung“ in der Wissenschaft zu sprechen, wenn wir nicht ber Nietzsche sprechen wrden, der davon spricht.8 Denn als an Universitten arbeitende 7und einer mçglichst allgemeingltigen Lehre verpflichtete Wissenschaftler gehçren wir geradezu per definitionem dem „geistigen Mittelstand“ an, der „die eigentlichen grossen Probleme und Fragezeichen gar nicht in Sicht bekommen“ kann (FW 373, KSA 3, 624) und, so Nietzsches nchster Schritt, auch nicht darf. Wir mssen uns selbst zu berwinden versuchen, um Nietzsches Problem auch nur zu sehen. Nietzsche hilft dabei mit.
4. Die eigentlichen großen Probleme und Fragezeichen der Wissenschaft Das ,eigentliche[…] g r o s s e [ … ] Problem[…]‘ der Wissenschaft ist fr ihn eben die „Rangordnung“ (FW 373, KSA 3, 624). Er gebraucht das Prdikat ,groß‘ tausende Male in seinem Werk, weithin (a) im gewohnten Sinn, dem pragmatisch messenden oder quantitativen von ,mehr als blich‘, ,berragend‘, hufig auch (b) in dem emphatisch wertenden oder qualitativen von ,eindrucksvoller‘, ,wirkungsvoller‘, ,bedeutsamer als blich‘. ,Große Menschen‘ in diesem Sinn setzen Maßstbe. Im spten Werk kommt (c) ein dritter, dialektischer Sinn hinzu. Danach ist groß, was auch noch seinen Gegensatz, der es negiert, einbeziehen, fr sich fruchtbar machen und sich dadurch steigern kann, wie z. B. die „grosse Vernunft“ des Leibes die „kleine“ und scheinbar reine Vernunft (Z I Verchter, KSA 4, 39), die „g r o s s e G e s u n d h e i t “ Krankheiten, die sie berwindet (FW 382, KSA 3, 635 – 637; EH Z 2, KSA 6, 337 f.), oder der „grosse Ernst“ der Wissenschaft die Frçhlichkeit, die sie bisher ausgeschlossen hat (FW 382, KSA 3, 637). In diesem Sinn entscheidet die „grosse Entscheidung“ ber die Kriterien der Entscheidung, sie macht „den Willen wieder frei“ (GM II 24, KSA 5, 336), und in diesem Sinn wren dann auch „grosse Probleme“ die, mit denen sich erst entscheidet, was berhaupt als Problem gelten soll, Probleme, die das Problembewusstsein und damit den Problemsteller selbst verndern. Mit dem Wort „eigentlich“ werden die Probleme noch einmal problematisiert. ,Eigentlich‘ ist das eigentliche Philosophen-Wort (so hat es Heidegger gezielt eingesetzt): es verweist auf einen Hintergrunds-Sinn, der den gewohnten Sinn als bloßen Vordergrunds-Sinn erscheinen lsst, ohne dass der Hintergrunds-Sinn selbst in der Regel ausgesprochen wird. Mit ,eigentlich‘ wird etwas 8
Nietzsche wollte eine Vorrede damit einleiten, „daß die Wissenschaft im Bunde mit der Gleichheits-Bewegung vorwrts geht, Demokratie ist, daß alle Tugenden des Gelehrten die R a n g o r d n u n g ablehnen“ (NL 1885 – 1886 2[179], KSA 12,155).
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zum Problem gemacht, ohne dass das Problem benannt, geschweige denn schon eine Lçsung angezeigt wird. Das Wort verweist in einen offenen Problemhorizont. Nietzsche erwhnt die „grossen Probleme“ vier Mal in seinen verçffentlichten Werken (und nur in ihnen),9 ohne dabei je ein konkretes Problem zu benennen. Das spricht dafr, dass es bei den „eigentlichen g r o s s e n Problemen“ um das Problem des Problematisch-Werdens, das Setzen von „Fragezeichen“ berhaupt geht (FW 373, KSA 3, 624). Die Wissenschaft ist Teil des Problems des Problematisch-Werdens, soweit sie verhindert, ,grosse Probleme‘ zu stellen, d. h. sich selbst als Problem zu sehen.
5. Wissenschaftsphilosophie: Mut und Blick fr große Probleme Wenn Nietzsche sagt, durchschnittliche Gelehrte „drfen“ die grossen Probleme und Fragezeichen „gar nicht in Sicht bekommen“, geht er das Problem des Problematisch-Werdens normativ an. Maßstab sind jedoch nicht moralische Normen, sondern die grossen Probleme selbst, die von durchschnittlichen Gelehrten ferngehalten werden sollen. Wer das tun soll, lsst er wiederum offen. Es mssten wohl ihrerseits ,grosse Philosophen‘ sein, von denen Nietzsche im spten Werk nur noch als knftigen spricht, deren Zukunft er beschwçrt im Zweifel, ob es sie jemals geben wird. Nietzsches Norm der Wissenschaft ist die ungewisse Zukunft der Wissenschaft, ihre Fhigkeit, sich ,grossen Problemen‘ zu stellen, die alle bisherige Wissenschaft in Frage stellen kçnnte. Dieser Norm aber werden sich gerade durchschnittliche Gelehrte naturgemß verschließen. So kommen neue wissenschaftsphilosophische Unterscheidungen ins Spiel: „Muth“, „Frchten“ und „Hoffen“, „Bedrfniss“ und „Befriedigung“, „Ruhe“, also Stimmungen, Gefhle, Nçte als individuelle Bedingungen des scheinbar allgemeingltigen wissenschaftlichen Erkennens (FW 373, KSA 3, 625). Wissenschaft ist gegen ihr Vorurteil nicht Herrin ihrer selbst. Nach dem vorausgehenden Aphorismus Nr. 355 verstehen Philosophen und Wissenschaftler unter „,Erkenntniss‘“ (ebenfalls in Anfhrungszeichen) nicht viel anderes als „das Volk“: „etwas Fremdes soll auf etwas B e k a n n t e s zurckgefhrt werden“ aus dem „I n s t i n k t d e r F u r c h t “ heraus. Und so msste Wissenschaftsphilosophie darauf zielen, die Wissenschaftler(innen) nicht nur in ihrem Zeichengebrauch zu disziplinieren, sondern darberhinaus ihre individuellen Krfte ,frçhlich‘ frei- und sie instandzusetzen, gerade das Bekannte und scheinbar Selbstverstndliche „als Problem zu sehen, das heisst als fremd, als 9
Außer in FW 373 in M 127 („Die grossen Probleme liegen auf der Gasse“, KSA 3,117), in FW 345 („die grossen Probleme verlangen alle die g r o s s e L i e b e , und dieser sind nur die starken, runden, sicheren Geister fhig, die fest auf sich selber sitzen“, KSA 3, 577) und in WA 1, KSA 6,14.
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fern, als ,ausser uns‘“ (FW 355, KSA 3, 594). Die Furchtlosigkeit gehçrt, nach dem Titel des V. Buchs der FW, zur Frçhlichkeit der Wissenschaft.
6. Wissenschaftsethik: Moralischer Angriff auf moralische Wissenschaftsphilosophien Und dann greift Nietzsche an, folgerichtig als Individuum ein anderes Individuum. Nach seiner in EH ausdrcklich gemachten „Kriegs-Praxis“ greift er grundstzlich und so auch hier „nur Sachen an, die siegreich sind,“ nur, wo er „keine Bundesgenossen finden wrde, wo ich allein stehe, wo ich mich allein compromittire“, Personen nur, wo er sich ihrer „wie eines starken Vergrçsserungsglases“ bedienen kann, „mit dem man einen allgemeinen, aber schleichenden, aber wenig greifbaren Nothstand sichtbar machen kann“, und nur, „wo jeder Hintergrund schlimmer Erfahrungen fehlt.“ (EH weise 7, KSA 6, 274 f.) Das alles trifft zu auf sein Verhltnis zu Herbert Spencer.10 Nietzsche charakterisiert und stereotypisiert ihn so drastisch („pedantische[r] Englnder“), dass er sich damit selbst kompromittiert und mehr noch durch den „Ekel“, den ihm Spencers Wunsch nach einem Fortschritt der Evolution zum Guten und sein Wille zu „endlicher Versçhnung von ,Egoismus und Altruismus‘“ als „letzten Perspektiven“ erregt (FW 373, KSA 3, 625). Sein Ekel, ein moralischer Affekt, gilt nicht der Person, sondern deren durchschnittlich-moralischen Hoffnungen. Er setzt so offen Moral gegen Moral, aber seine reflektierte, sich ihrer leitenden Affekte bewusste Moral gegen eine unschuldige, unreflektierte Moral oder seine problembewusste gegen eine problemlose Moral: die „R a n g o r d n u n g zwischen Mensch und Mensch“ wird, wie Nietzsche schon in JGB 228 geschrieben hatte, zur Rangordnung „zwischen Moral und Moral“ (KSA 5, 165). Die Rangordnung bekommt einen moralischen Sinn, und die Wissenschaftsphilosophie erweitert sich zur Wissenschaftsmoral.
7. Ethische Mitteilung der Wissenschaftsethik Nach diesem ersten Angriff setzt Nietzsche Auslassungspunkte, sein Zeichen, um den Leser daran zu erinnern, dass er einen Text liest, der ihn irritiert und vielleicht auch schon, durch das Tempo, das er durch immer weiter ausgreifende 10 Die Belege zu Nietzsches Verhltnis zu Herbert Spencer wurden zuletzt von Maria Cristina Fornari aufgearbeitet (Fornari 2005 und Fornari 2006) und von Thomas H. Brobjer zusammengefasst (Brobjer 2008, 219 – 223). Fornari arbeitet auch heraus, worin Spencer Nietzsche zur Kritik eigener Annahmen, also zu Selbstberwindungen, angeregt haben kçnnte. Vgl. dazu auch Ottmann (1999, 130 – 137).
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Stze, einen Satzbruch und einen empçrten Ausruf gewonnen hat, fasziniert hat; er gibt ihm einen Moment, um sich dessen gewahr zu werden, dass da eine Moral aus der Perspektive einer andern Moral beobachtet wird, und dabei zu beobachten, dass er, der Leser, dies wiederum aus der Perspektive seiner Moral beobachtet. So wird sich augenblicklich zeigen, ob er selbst fr oder gegen Spencer Partei ergreift oder, reflektierter, ob er fr oder gegen diese Art von Kriegs-Praxis ist. Nennen wir Ethik die Reflexion von Moralen, auch und gerade der eigenen (statt einer Begrndung allgemeingltiger moralischer Normen im eigenen Interesse),11 so wird hier ein geistvoller Test auf die Geistigkeit der Wissenschaftsethik des Lesers gemacht, ohne dass ihm das gesagt wird.
8. Blindheit der Wissenschaft fr das Problem der Moral Mit dem zweiten Beispiel („Ebenso“) erweitert Nietzsche den Horizont seiner Argumentation von einer wissenschaftlichen Position auf die Position der Wissenschaft berhaupt. Er nhert sich ihr ber den „Glauben“ „so viele[r] materialistische[r] Naturforscher“ „an eine ,Welt der Wahrheit‘“, der durch Kants Kritik theoretisch lngst berwunden ist und mit dem man sich philosophisch nun nicht mehr „zufrieden geben“ kann (FW 373, KSA 3, 625; vgl. FW 109, KSA 3, 467 ff.). Doch dies ist nicht nur ein theoretisches, sondern seinerseits ein moralisches und damit ein ,grosses Problem‘, das man nicht leicht zu Gesicht bekommt. Zuvor, im Aphorismus Nr. 344, hatte Nietzsche, ber Kant hinausgehend, davon gehandelt, dass Wissenschaft als solche „a u f d e m B o d e n d e r Mo r a l “ steht: sofern nmlich auch sie „Selbstlosigkeit“ voraussetzt, ein Selbst, das von sich selbst, von allem, woran es sich selbst kenntlich wird, seinen Bedrfnissen und Nçten, Affekten und Stimmungen, eigenen Vorteilen und eigenwilligen Urteilen zugunsten von ausschließlich allgemein Gltigem absehen soll (KSA 3, 576). Steht die Wissenschaft aber auf demselben Boden wie die Moral, ist sie unvermeidlich blind fr das Problem der Moral und hat an ihr ihre Grenze. Sieht sie dies als Problem, stehen die Kriterien der Wissenschaft und der Moral ihrerseits zur Entscheidung, einer ,grossen Entscheidung‘ ber ihre bisherigen Unterscheidungen.
9. Herausforderung zur Entscheidung ber Welt-Interpretationen Nietzsche nimmt dem Leser die ,grosse Entscheidung‘ nicht ab; er treibt ihn stattdessen wiederum unausgesprochen in eine sorgfltig inszenierte Entscheidungssituation. Er hat sich, so liest es der Leser, in Zorn geschrieben: neuer 11 Vgl. Stegmaier (2008, 543 f., 591 ff.).
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Satzbruch, Gedankenstrich, erregte rhetorische Fragen, auftrumpfende Belehrung, Anrede an die Gelehrten selbst, zu denen auch er, der Leser, gehçren kçnnte („wie? wollen wir uns wirklich dergestalt das Dasein zu einer Rechenknechts-Uebung und Stubenhockerei fr Mathematiker herabwrdigen lassen? Man soll es vor Allem nicht seines v i e l d e u t i g e n Charakters entkleiden wollen: das fordert der g u t e Geschmack, meine Herren, der Geschmack der Ehrfurcht vor Allem, was ber euren Horizont geht!“). Schließlich massive Beleidigungen („das ist eine Plumpheit und Naivett, gesetzt, dass es keine Geisteskrankheit, kein Idiotismus ist“ […] „Eine ,wissenschaftliche‘ Welt-Interpretation, wie ihr sie versteht, kçnnte […] eine der d m m s t e n […] sein“ (FW 373, KSA 3, 625 f.)).12 Nietzsche widerlegt die mathematischen Physiker nicht in ihrem Glauben an eine berechenbare und in ihrer Berechenbarkeit wahren Welt (und uns nicht in unserem Vertrauen auf die mathematischen Physiker), und er kçnnte sie ja auch nur widerlegen, wenn er mehr von der wahren Welt wsste als sie, sondern entwirft lediglich einen weiteren Horizont, in dem die Beschrnktheit jenes Glaubens (und unseres Vertrauens) sichtbar wird. Dies ist dann kein Horizont einer „,Welt der Wahrheit‘“ mehr, sondern einer Welt der Entscheidung zwischen „Welt-Interpretationen“ (FW 373, KSA 3, 625), die zuletzt von individuellen Orientierungen und ihren Bedrfnissen und Nçten abhngen. Nietzsche versetzt den Leser unmittelbar in den Streit konkurrierender Orientierungen, lsst ihn, wie die Sachlage es verlangt, sich selbst entscheiden.
10. Wissenschaftssthetik: Vervielfltigung von Welt-Interpretationen Eine Entscheidung, die keinen allgemeingltigen Kriterien folgt, ist zuletzt Sache des „Geschmacks“. Nietzsche erweitert die Wissenschaftsphilosophie damit nach der Wissenschaftsethik zur Wissenschaftssthetik. Er ruft dazu wiederum moralisch auf („das fordert der g u t e Geschmack“), nimmt die Ethik in die sthetik mit. In der ,Frçhlichkeit‘ des sthetischen Urteils bleibt der ethische Ernst des wissenschaftlichen Urteils erhalten. So aber bekommt die Wissenschaft erst ,Sinn‘: „eine essentiell mechanische Welt wre eine essentiell s i n n l o s e Welt“ (FW 373, KSA 3, 626). Sie bekommt Sinn eben durch theoretisch nicht letztzubegrndende und darum von jedem Wissenschaftler 12 Schon zuvor, in JGB 27, hatte Nietzsche die „,guten Freunde‘“, die es sich mit ihrem Verstndnis „bequem“ machen, weil sie sich seiner allzu sicher sind, gezielt beleidigt („so hat man noch zu lachen; – oder sie ganz abzuschaffen, diese guten Freunde, – und auch zu lachen!“, KSA 5, 45 f.). Im vorbereitenden Notat NL 1885 – 1886, 1[182], KSA 12, 50 f., spricht Nietzsche vom Beleidigen, im verçffentlichten Aphorismus beleidigt er wirklich. Vgl. Stegmaier (2000).
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ethisch zu verantwortende Entscheidungen unter mçglichen und, wie Nietzsche im folgenden Aphorismus Nr. 374 ausfhrt, „u n e n d l i c h e [n] I n t e r p r e t a t i o n e n “ der Welt (KSA 3, 627). Der „I n s t i n k t d e r Fu r c h t “ (FW 355, KSA 3, 594) wird sie zu beschrnken suchen, mçglichst auf eine einzige „WeltInterpretation“. Ein furchtlos-frçhlicher Philosoph wird dagegen auf ihre Vervielfltigung drngen und sich selbst zum „Experiment“ dafr machen (FW 324, KSA 3, 552), wie weit Menschen damit kommen kçnnen, ohne zu verzweifeln und „d i e s e s Ungeheure von unbekannter Welt nach alter Weise sofort wieder zu vergçttlichen“ (FW 374, KSA 3, 627).
11. Perspektiven-Wechsel von der Wissenschaft zur Philosophie Welt-Interpretationen zu beschrnken, ist nach dem Selbstverstndnis der Wissenschaften methodisch zulssig und notwendig, nach dem Selbstverstndnis der Philosophie, jedenfalls Nietzsches Selbstverstndnis als Philosoph, dagegen nicht. Die Beschrnkung wird dann bei ihr, der Philosophie, zur Beschrnktheit, zur moralischen Selbstgerechtigkeit („Dass allein eine Welt-Interpretation im Rechte sei, bei der i h r zu Rechte besteht, bei der wissenschaftlich in e u r e m Sinne […] geforscht und fortgearbeitet werden kann“). Bei genauerem Hinhçren ist Nietzsches Sprache gegenber den Wissenschaftlern denn auch weniger beleidigend, als es scheint: „Idiotismus“ heißt „eigentlich“ genau dies, Beschrnkung auf eine Perspektive, der Geist im zu Beginn des Aphorismus eingefhrten Sinn wird krank, wenn er durch Beschrnktheit in seiner Beweglichkeit gelhmt wird, und Dummheit kçnnte als Perspektiven-Armut besser definiert sein denn als Intelligenz-Defizit (Kluge und Schlaue mssen nicht intelligenter sein als andere, aber mehr Perspektiven haben, um eine Situation berlegen zu bewltigen). Und all dies sagt Nietzsche betont hypothetisch („gesetzt, dass“, „vielleicht“, „kçnnte … sein“). Er steigert noch einmal das Tempo und die Erregung – neue Parenthesen, einander berstrzende rhetorische Fragen – und wechselt dann plçtzlich die Szene: „dies den Herrn Mechanikern in’s Ohr und Gewissen gesagt, die heute gern unter die Philosophen laufen“. Die „Herrn Mechaniker“ sind wohl dieselben Herrn wie zuvor. Aber Nietzsche spricht sie nun nicht mehr an, sondern spricht ber sie als Dritte, er hat sich inzwischen unauffllig von ihnen abgewandt, seinerseits die Perspektive gewechselt. Er spricht nun offenbar als Philosoph zu Philosophen. Dass dem Mechanismus huldigende Wissenschaftler ihren Mechanismus zur Philosophie machen und diese ihrerseits mechanistisch als „Lehre von den ersten und letzten Gesetzen“ verstehen, ist nur fr einen wirklichen Philosophen zu erkennen, und als solcher bedient sich Nietzsche nun ,frçhlich‘ nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch dichterischer Figuren. Er plausibilisiert seine philosophische „Welt-Interpretation“ mit Metaphern des
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Leibes („Wre es umgekehrt nicht recht wahrscheinlich, dass sich gerade das Oberflchlichste und Aeusserlichste vom Dasein sein Scheinbarstes, seine Haut und Versinnlichung am Ersten fassen liesse? vielleicht sogar allein fassen liesse?“). Er deutet nun die Erkenntnis des „Daseins“ als Begegnung von Leibern, und dazu gehçrt all das, wovon er teils gesprochen und was er teils gezeigt hat: Irritation, Emotion, Leidenschaft, Behauptungswille, Wissenschaft nicht als reduzierte Mechanik der Formulierung und Begrndung von „ersten und letzten Gesetzen“, sondern in ihren komplexen „Bedrfnissen“, „Wnschen“ und „Befriedigungen“ (FW 373, KSA 3, 625 f.). Diese Komplexitt der Wissenschaft fordert selbst eine andere Wissenschaft, keine reduktionistische, sondern eine perspektivistische, keine auf eine Methode festgelegte, sondern mit vielfltigen Methoden spielende. Auch sie hat es mit Oberflchen zu tun, weiß aber, dass es nur Oberflchen sind.
12. Die Musik des Lebens Zum Schluss bringt Nietzsche, scheinbar nur als Beispiel, die Musik ins Spiel. An der Oberflche bleibt er bei der Wissenschaftssthetik: Musik, mechanistisch „gezhlt, berechnet, in Formeln gebracht“, verliert offensichtlich den Charakter der Musik, wrde etwas anderes als das, was bisher als Musik verstanden wurde. Ihr Sinn wrde verschoben, wenn nicht verloren. Wie zuerst „,Wissenschaft‘“, so steht jetzt, am Schluss des Aphorismus, „,Musik‘“ in Anfhrungszeichen, wie zuerst von der „Rangordnung“ der Gelehrten, so ist jetzt vom „We r t h einer Musik“ die Rede, wie zuerst von den „eigentlichen g r o s s e n Problemen“, so jetzt „von dem, was eigentlich an ihr [der Musik] ,Musik‘ ist“ (FW 373, KSA 3, 624 – 626). Anfang und Ende des Aphorismus verweisen aufeinander, die Auslassungspunkte am Ende weisen an den Anfang zurck. Die Musik wird darum mehr als nur ein Beispiel sein. Man hat von ihr nur etwas „begriffen, verstanden, erkannt“ (FW 373, KSA 3, 626), wenn man von ihr auch in irgendeiner Weise ,ergriffen‘, ,bewegt‘, leiblich ,mitgenommen‘ wird. Doch das Theoretische, Moralische und sthetische ist darin nicht zu trennen; ,Musik‘ ist im griechischen Sinn die wissenschaftliche und knstlerische Bildung zugleich. So ist sie mehr als Musik, ist Nietzsches Metapher fr einen weniger beschrnkten, vorurteilsfreieren Begriff der Wissenschaft, ihr ins Philosophische verschobener Sinn, fr den er ansonsten den Begriff der ,frçhlichen Wissenschaft‘ hat. Nietzsche lsst auch bei der Musik offen, „was eigentlich an ihr ,Musik‘ ist!…“ (FW 373, KSA 3, 626) Aber er hat es im vorausgehenden Aphorismus Nr. 372, schon gesagt (vgl. Stegmaier 2004): „die Musik des Lebens“, die „ehemals“ „die Philosophen“ hçrten, als sie die Sinne noch „frchteten“, weil sie noch nicht durch „,Ideen‘“ beruhigt, befriedigt, gezhmt waren. Sokrates und Platon, so Nietzsche, zwangen sich, „das Leben“ zu berhçren,
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„insofern Leben Musik ist“ und die Sinne berwltigt, sie „l e u g n e t e [ n]“ sie, und so war es auf Jahrtausende bei der Beschrnkung der Wissenschaft aufs Theoretische geblieben (KSA 3, 623 f.). Im Druckmanuskript des Aphorismus Nr. 373 hatte sich Nietzsche noch direkt auf den Aphorismus Nr. 372 bezogen: „Die Naturforscher des mechanistischen Bekenntnisses leugnen im Grunde gleich allen Tauben, daß es Musik giebt, daß das Dasein Musik ist, selbst daß es Ohren geben drfe … Sie e n t w e r t h e n damit das Dasein.“ (KSA 14, 275). Im verçffentlichten Text sagt er das nicht, sondern zeigt es mit der Musikalitt seines Textes.
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Zittel, Claus (2000): „Nachlaß 1880 – 1885“. In: Henning Ottmann (Hg.): NietzscheHandbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar (Metzler) S. 138 – 142.
Nietzsche’s Last View of Science Thomas Brobjer In this paper I will examine and discuss Nietzsche’s last views and analysis of science as reflected in Gçtzen-Dmmerung, Der Antichrist and Ecce homo, all written during the second half of 1888, and as expressed in his notes from that same year. The project he then worked on, the revaluation of all values – the critique and removal of Christian and modern values – would also, according to Nietzsche, have consequences for our views of truth and science. Nietzsche’s statements regarding science in his last published books are relatively scarce, obscure and in part seemingly contradictory, although this is less true for what he says in Der Antichrist. A possible conclusion from this would be that the late Nietzsche was not concerned with or interested in science, and that his views therefore, indeed, were inconclusive and contradictory (at least in the sense of not having been worked out thoroughly). However, against this stands, as I will show, not only his strong emphasis on accepting reality but also that in his late notes he was concerned with science, and that he seems to have intended to discuss and deal with it and related themes. Nietzsche expresses critique of science, and he is frequently interpreted as an opponent and critic of science.1 However, when we turn to the published works from his last active year, 1888, the picture we get is very different. There he is overwhelmingly positive to science, even while expressing critique and ambivalence, and it seems clear that for him, unlike for so many other thinkers at the end of the nineteenth century, it does not represent the pinnacle of human achievement. When we examine Nietzsche’s view of philosophy, we find that he here too expresses ambivalence, including a severe critique while at the same time regarding it as the highest possible achievement. Largely this is due to the fact that he distinguishes two fundamental forms of philosophy: traditional philosophy and the philosophy of the future (the way it would look like after the revaluation and, of course, closely allied to Nietzsche’s own philosophy). Is that also the case with science? Did Nietzsche attempt to point at a new conception of a new revalued science? I will argue that this is a plausible hypothesis, although less visible in his books than in the notes. Other questions which I will deal with are: What is the nature of this new revalued science? What is the relation between philosophy and science? What is the relation 1
See, for example, discussions and references in Zittel (2000, 355 f.) and Heit (2009, 382 f.).
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between what Nietzsche says of science in his published books and in his notes from 1888? I will also show that there is significantly more, and more interesting, material relating to science in his late notes than in the books. I will list some of the themes present in these notes, but not explicitly present in the books, and briefly argue that it is unlikely that they represent rejected ideas and material. They seem much more like unfinished working material. I will briefly discuss a text Nietzsche planned to write, and wrote a number of notes for, entitled “Science against Philosophy”. Finally I will attempt to say something about what Nietzsche in these notes suggests about the difference between what characterizes science before the revaluation of all values, and after, and summarize this in a table. Let us begin by examining Nietzsche’s statements about science in his late published books.2 His explicit discussions of science in these late books fall into five categories: (i) affirmation of science, (ii) critique of false and imaginary causality, (iii) his identification with science, (iv) critique of badly done science and (v) critique of science (or possibly of contemporary and modern science, but not necessarily of science as such). When we limit our analysis only to Nietzsche’s direct discussions of science in Gçtzen-Dmmerung, we will see that by far the most important are the first two affirmative categories. (i) Nietzsche affirms science, naturalism and empiricism (and the evidence of our senses) and divides statements regarding reality into four categories: science, not yet science (psychology, epistemology), superstition or miscarriage (metaphysics, ethics, and theology) and formal science (logic and mathematics, with no relation at all to reality). In the same section he also writes: “We possess scientific knowledge today to precisely the extent that we have decided to accept the evidence of the senses – to the extent that we have learned to sharpen and arm them and to think them through to their conclusions” (GD Vernunft 3). The connection, for Nietzsche, between science and accepting reality as it is (without falsification, without denial) is a clear and important trope (discussed below), visible throughout the book but especially in his discussions of antiquity: Thucydides as the grand summation, the last manifestation of that strong, stern, hard matter-of-factness instinctive to the older Hellenes. C o u r a g e in face of reality ultimately distinguishes such natures as Thucydides and Plato: Plato is a coward in
2
The Case of Wagner, on the theme of Wagner and modern art and music, contains essentially nothing about scholarship and science. I use the translations of Hollingdale for GD and AC, Duncan Large for EH and Kaufmann’s for JGB and GM. Translations from notes and letters are my own, if not otherwise stated.
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face of reality – consequently he flees into the ideal; Thucydides has h i m s e l f under control – consequently he retains control over things … (GD Alten 2)3
He furthermore highly praises Goethe as “a convinced realist” in what was originally to have been the last three sections of the book (GD Streifzge 49 – 51). (ii) An important theme in Gçtzen-Dmmerung is his critique of false and imaginary causality. Nietzsche has previously said much about causality and especially criticized the concept of cause and effect (as a false separation, forced upon us by our language, of something which instead is necessary, holistic and dynamic). Here in Gçtzen-Dmmerung, however, he focuses on “f a l s e c a u s a l i t y” – typical especially of religious and moral thinking. We have always believed we know what a cause is: but whence did we derive our knowledge, more precisely our belief we possessed this knowledge? From the realm of the celebrated ‘inner facts’, none of which has up to now been shown to be factual. […] There are no spiritual causes at all! The whole of the alleged empiricism which affirmed them has gone to the devil! (GD Irrthmer 3).
“Thus there arises an h a b i t u a t i o n to a certain causal interpretation which in truth obstructs and even prohibits an i n v e s t i g a t i o n of the cause” (GD Irrthmer 4). It is this sort of belief in false and imaginary causality which prevents us from acquiring a realistic understanding of the world. His critique of those who deny cause and effect, or believe in false or imaginary causality is severe and far-reaching. (iii) Although there is a very strong emphasis of seeing and accepting the world as it is in Gçtzen-Dmmerung, his explicit claims to identity or kinship with science are only weakly present. He claims that morality is based on a view of the world which is merely imagined, but as semiotics, as symbol or symptom, it can nonetheless reveal much to the informed [den Wissenden], to which, of course, Nietzsche must be counted (GD Verbesserer 1). Later in the text he refers to “we physiologists”, that is, those who have a realistic and scientific view and knowledge of the world (GD Streifzge 43). However, it is his strong praise of the sophists (and Nietzsche is perhaps the first philosopher ever who praised them so unconditionally) and of Thucydides, which makes it clear that Nietzsche regarded himself as standing in this tradition. (iv) Nietzsche criticizes badly done science and bad science. He criticizes the attempts to prove pity or altruism as valuable and necessary, that which 3
Compare also “Plato versus Homer: that is the complete, the genuine antagonism – there the sincerest advocate of the ’beyond’, the great slanderer of life; here the instinctive deifier, the g o l d e n nature” GM III 25 and EH Schicksal 5, where this is stated even more explicitly: “the kind of man that [Zarathustra] conceives, conceives reality a s i t i s : it is strong enough for that – it is not alienated from it, not at one remove from it […] t h a t i s t h e o n l y w a y m a n c a n h a v e g r e a t n e s s …”.
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undervalues the individual (and the active) (GD Streifzge 37). He harshly criticizes the “frivolous and childish” approach of Lobeck (and other historians). (GD Alten 4). He seems also to claim that the theory of the importance of the environment in sociology, and in general, is bad science (GD Streifzge 44) and that in many cases “d c a d e n c e has gained ascendancy even over the ideals of certain of the sciences” – exemplified by history, sociology, psychology and philosophy (GD Streifzge 37). This seems also be true for his brief reference to Comte and his use of science as a road to faith (GD Streifzge 4). We can compare this with Nietzsche’s view of history. Often it is argued that Nietzsche was skeptical, critical and hostile to historical scholarship, due mainly to his claims in The Use and Abuse of History for Life, but also to later critical comments about historical scholarship and many historians. However, in fact, most of the late Nietzsche’s skepticism and critique in regard to history is really a critique of badly done history – and instead really signifies his belief in the value and importance of historical studies and scholarship. What Nietzsche – educated as a historian – primarily objected to in regard to history was not the new methods introduced at the early part of the nineteenth century, but that history was placed above philosophy – that history and historical scholarship were seen as the goal. He saw this as a reflection of the nihilism which characterized modernity. More specifically, he objected to a number of aspects regarding history and historical scholarship, but most of this is rather the consequence of having accepted the historical revolution than being in contradiction to it – that is, most of his critique is not of historical scholarship but of bad historical scholarship. He was a severe critic of the idea of progress, assumed by almost all major nineteenth century historians (but not by Burckhardt, whom Nietzsche praised as an historian). He regarded most historians as far too idealistic in their views (and still governed by religious faith) and accused them of lacking adequate knowledge of natural science and medicine. Perhaps even more pronounced is that he regarded most historians (and philosophers) to be much more anachronistic than they were aware of, especially in regard to moral and cultural values – he here thus regards them as bad historians according to their own (and his) criteria. Related to this is that he regarded almost all historians as possessing egalitarian and anti-aristocratic values, and therefore only taking the side of the suppressed and failed groups. He objected to the almost exclusive concern with political history by the leading historians,4 and much preferred a broader cultural approach. He questioned both the possibility and the desirability of historical objectivity. He regarded 4
His main objection to the two historians Sybel and Treitschke seems to have been that they were bad historians, that they were too political, too nationalistic (and Treitschke for being anti-Semitic) and that they allowed this to colour and influence their historical accounts.
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history (and science) as by necessity reactive, and he felt that the historians were often indecent, in digging into private worlds or by questioning things greater than their own comprehension.5 But all these objections, with the possible exception of his critical view of objectivity, can be and were stated from within the historical turn which had occurred (Brobjer 2007, 155 – 179). (v) It is not altogether clear whether Nietzsche’s sparse critical statements regarding science in Gçtzen-Dmmerung are such (that is, actually refers to all forms of science), or whether they really refer to German and modern science as forms of bad and misguided science as compared to a possible new or better science. Nietzsche expresses a critique of objectivity, and places against this instead neutrality (GD Deutschen 6). He claims that he, throughout his writings, has “not wearied of expressing the despiritualizing influence of our contemporary scientific pursuits. The harsh Helot condition to which the tremendous extent of science has condemned every single person today” is the reason why there are no great educators any longer (GD Deutschen 3). In line with this, while comparing modernity to the Renaissance, he also seems to criticize our modern “scientificality – acquisitive, economical, machine-minded” (GD Streifzge 37). He seems to be saying that the way we do science today has this effect, but does not discuss alternatives. He also mentions one reason for this; that the great extent and expanse of science today is a cause of this, but he does not discuss what the alternative could be. This seems to imply that Nietzsche accepts that there is an unbridgeable gulf between the scientific mind and the creative mind. He, for example, writes on this theme (without here making it clear which side he stands on): To study ‘from nature’ seems to me a bad sign: it betrays subjection, weakness, fatalism – this lying in the dust before petits faits is unworthy of a c o m p l e t e artist. Seeing w h a t i s – that pertains to a different species of spirit, the a n t i - a r t i s t i c , the prosaic [den Thatschlichen]. One has to know w h o one is … (GD Streifzge 7).
Nonetheless, he seems to claim the importance of both of them, as we will see below, with the scientific attitude as a necessary precondition, but not sufficient for a high culture. Science is a fairly prominent theme in Der Antichrist, but using these statements for determining Nietzsche’s relation to and view of science is complicated by the fact that he uses science as a weapon against Christianity and 5
He criticizes Leopold von Ranke (and Ernst Renan) for claiming to be “objective” historians, and instead sees them as weak personalities, who presents facts, not understanding, and who accept and follow the powerful, including accommodate religious interpretations; GM III 19; EH klug 9 and NL 1884 26[449], KSA 11, 268; and NL 1885 41[16], KSA 11, 689.
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thus his attitude towards science may appear more affirmative than it actually is (in line with “the enemy of my enemy is my friend”). However, that is not necessarily so, and it turns out that his claims here are consistent with his claims in Gçtzen-Dmmerung and Ecce homo (as well as with those in his late notes). Throughout Der Antichrist Nietzsche emphasizes that religion (and priests), idealists and moralists are enemies of science and need faith, that is, that which is the opposite of science. These sorts of people use imaginary science (which is both anthropocentric and lacks all natural causes) and imaginary psychology, and they lack intellectual honesty and intellectual conscience (AC 8, AC 12, AC 13, AC 15, AC 47, AC 48, AC 49, AC 52 and AC 59). (i) In the book, Nietzsche several times highly praises science. For example, in one of the last sections he emphasizes the ancient tradition of science and scholarship, and of accepting the world as it is – which was lost and destroyed by Christianity – with much praise of this lost tradition. The whole labour of the ancient world i n v a i n : I have no word to express my feelings at something so dreadful. […] Every prerequisite for an erudite culture, all the scientific m e t h o d s were already there, the great, the incomparable art of reading well had already been established – the prerequisite for a cultural tradition […] – the s e n s e f o r f a c t s , the last developed and most valuable of all the senses, had its schools and its tradition already centuries old! Is this understood? Everything e s s e n t i a l for setting to work had been devised – methods, one must repeat ten times, a r e the essential, as well as being the most difficult, as well as being that which has habit and laziness against it longest (AC 59).
We can note that what Nietzsche here, as often elsewhere, speaks of is primarily scholarship (in fact, mainly centred on his own fields, classical philology and history), not natural science, although that is likely to have been included. Nietzsche also sets off three sections, 47 – 49, for exclusively discussing the opposition between science and Christianity, where he claims that God and the priests are all afraid of and opposed to truth and science – and faith, so essential to all religions, is questioned and destroyed by science. Instead, lies and imaginary causes are necessary for religion. (ii) The religious establishment denies the “sound conception of cause and effect” [der gesunde Begriff von Ursache und Wirkung] – they want “to destroy the c a u s a l s e n s e [Ursachen-Sinn] of man” (AC 49). He further claims that “sin […] was invented to make science, culture, every kind of elevation and nobility of man impossible” (AC 49) and: When the natural consequences of an act are no longer ’natural’ but thought of as effected by the conceptual ghosts of superstition […] then the precondition for knowledge has been destroyed – t h e n o n e h a s c o m m i t t e d t h e g r e a t e s t c r i m e a g a i n s t h u m a n i t y (AC 49).
Against this Christian conception of science and culture, Nietzsche sets philologists (including himself ) and physicians (the practitioners of both
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categories whom he calls scientists), who are better able to read and interpret reality, and whom St. Paul fought against (AC 47). (iii) Perhaps even more important than the praise of science and his critique of false causality, is Nietzsche’s identification with science in Der Antichrist, his regarding himself as a scientist or scholar, or at least as someone who wants to see reality as it is (as we saw in point ii just above). He claims that those – like Nietzsche himself and his equals (“we”) – who have a scientific character and know the scientific methods, have throughout history been opposed by the church and have received the contempt of the church and the establishment (AC 13). (iv) Nietzsche criticizes badly done scholarship in his critique of Strauss and Renan. (v) Only once in Der Antichrist does he refer to a non-praising aspect of science – that it is typical of the mediocre – “A high culture is a pyramid: it can stand only on a broad base, its very first prerequisite is a strongly and soundly consolidated mediocrity. The crafts, trade, agriculture, s c i e n c e , the greater part of art, in a word, the entire compass of professional activity, are in no way compatible with anything other than mediocrity in ability and desires” (AC 57). This is not a critique of science as such (just as it is not a critique of agriculture) – science, and the associated necessary specialisation, is both necessary and worthy – but not one of the supreme activities of humanity (as claimed by many in the nineteenth century). Above science stands wisdom and the love of wisdom (philosophy), although this is not a line of thought he continues here (but it is a theme he worked on in his late notes). Of the five categories, we see throughout Der Antichrist a strong praise of science (i) and critique of those who deny reality and “the causal sense of man” (ii). His single non-affirmative statement regarding science in Der Antichrist seems to show that he regards science as a necessary but not the highest activity of humanity. All of this is consistent with what we saw in Gçtzen-Dmmerung. In Ecce homo, his direct statements regarding science are relatively rare, and in none of them does he treat it head on.6 He makes the seemingly problematic statement that his affirmative view of life and reality (eternal recurrence and amor fati) is “the m o s t p r o f o u n d , the one which is most rigorously confirmed and sustained by truth and science” (EH GT 2)7 – though his main 6
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The word “Wissenschaft” only occurs in 8 paragraphs in Ecce homo (totally 11 times), the same as in Gçtzen-Dmmerung where it also occurs in 8 paragraphs (13 times) and in Der Antichrist in 13 paragraphs (26 times). However, there are also many relevant discussions where this word does not occur, and these are more frequent in GçtzenDmmerung than in Ecce homo. In section 6 of the Lenzer Heide Entwurf text entitled “European Nihilism” in 16 short sections, written in June 1887, Nietzsche gives two reasons for why eternal recurrence should be regarded as “the most scientific of all hypotheses” (and gives yet another one
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point, that in contrast to the views of Christians and moralists, who deny aspects of reality, his affirmative view which is based on a total acceptance of reality – seems as a possible and valid position. He also, as in Der Antichrist, positively refers to that “an honest, unambiguous, perfectly scientific mentality had been achieved, through immense bravery and self-overcoming” (EH WA 2) in contrast to German philosophy, which, like Christianity, according to him, is based on a denial of science and reality. His only other direct statements concerning science are, like the two already quoted, made in connection with discussing his own earlier books, and these appear contradictory. In his discussions of the second Unzeitgemße Betrachtungen, about historical scholarship, and of Jenseits von Gut und Bçse he refers to and seems to confirm his critique of modern science – primarily that it makes impersonal – while in his discussion of Menschliches, Allzumenschliches (and possibly also of Der Fall Wagner) he claims that science (physiology, medicine, natural science and history) is a healthy antidote to romanticism, idealism and metaphysics. This seems consistent with his view of science as necessary but not sufficient for high culture. However, in Ecce homo, as well as in Gçtzen-Dmmerung and Der Antichrist, he strongly emphasizes, if not science explicitly, than real knowledge (physiology, climate, nourishment etc) and intellectual honesty: “How much truth can a spirit s t a n d , how much truth does it d a r e ? – for me that became more and more the real measure of value.” (EH Vorwort 3). These emphases on hard ‘physiological’ facts and on intellectual honesty constitute two of the most explicit and prominent themes and self-descriptions in the book. From Nietzsche’s letters from the last two years before his collapse, 1887 and 1888, we can see, in line with the above, although not a prominent theme,8 that he consistently refers to science in a positive sense there, and that he regarded his own approach, at least in part, as scientific. He writes to his sister, 14 September 1888, that he in Turin has ample access to recent scholarly or scientific literature (KGB III/5, 428). In an earlier letter, 3 November 1886, he had written to her: “Between us, my dear sister, the way I stand toward life and the task I have to perform, Europe is for me necessary, since it is the seat of science on Earth” (KGB III/3, 278 f.). He writes to Theodor Fritsch, 23 March 1887, that he in serious matters leaves the question of sympathy or antipathy out of the question,
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later on in section 13). The first one is in the new reading of KGW IX/3 (previously published differently in NL 1887 5[71], KSA 12, 211 – 217: “Energie des Stoffes u der Kraft zwingt zu einem solchen Glauben” – where the older (KSA) reading had: “Energie des Wissens und der Kraft zwingt zu einem solchen Glauben”. He thus seems to claim that the concepts of causailty, of energy and of force (including the conservation of energy), and that there are no goals or ends in the universe, points at eternal recurrence. There are only about ten direct references to the word “Wissenschaft” during 1887 and 1888.
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as belongs to scientific and scholarly training, morality and taste (KGB III/5, 45). He accuses the Germans for producing and turning to Kantian philosophy at a time when a scientific manner of thinking was reached in England and France, in a letter to Overbeck, 18 October 1888 (KGB III/5, 453 f.). He was upset with his (former) friend Erwin Rohde’s critical words about H. Taine – “the educator of all the more s e r i o u s scientific and scholarly persons in France”, and he adds in the letter, 11 November 1887, that “those who thus misunderstands this sort of severe and great-hearted spirit” will probably also not be able to understand Nietzsche’s own task (KGB III/5, 195). And finally, in a draft to a letter to Bismarck, from early December 1888, which was to accompany two copies each of his Ecce homo and Gçtzen-Dmmerung, he claims that the latter text contains “the scientific prerequisites of my sort of thinking, stated with every desirable clarity” (KGB III/5, 505). Nietzsche’s view of science in these last books thus appears relatively straightforward. He strongly emphasizes the importance of accepting and knowing “reality”, and thus also of science, and he praises, perhaps higher than any other virtues those of courage and intellectual honesty, both required to see and accept the world as it is. However, he also emphasizes that science can make men “impersonal” and that it does not belong to the highest form of culture. There are many questions which he does not address, such as the relation between art and science, between philosophy and science (although he occasionally refers to this especially when he regards philosophy as closely akin to religion in his discussion of the relation between science and Christianity and in much of his critique of Kant). It also seems that his references to science are relatively conventional in the sense that what he seems to refer to is conventional science and scholarship – he does not explicitly seem to call for a new revalued science. Nietzsche’s general discussion of science in his later notes falls into several periods. Most prominent in his notes since the early 1880s, is an interest in science during the period autumn 1885 – autumn 1886, thereafter yet more distinct during the autumn 1887, and then more than any other time since 1882, in the period end of March-May 1888, and these latter notes were revisited and revised in June and July 1888, mostly in the notebook W II 5, which is also the one which I will primarily be discussing.9 It is, like so many others of his notebooks, filled from back to front, with the penultimate page (which actually is the first written page) dated as “Nizza, 25 March 1888”. A fairly large number of notes have been crossed out by Nietzsche (many of these because they were used for Gçtzen-Dmmerung, but this is not consistently 9
This is a 190 page brown-yellow notebook which he used between 25 March and late May 1888, and which contents can be found in KSA 13, 14[1 – 227]. This notebook has recently been made available in facsimile and diplomatic text in KGW IX/8.
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done, many notes which are similar to what is in Gçtzen-Dmmerung, and other books, have not been crossed out). More importantly, Nietzsche added titles to many of the notes afterwards,10 and thus linked them together, with titles such as; “Critique of Christianity”, “Modernity”, “Art as Countermovement”, “For Die Geburt der Tragçdie”, “Nihilism”, “Philosophy as dcadence”, and the for us here most relevant title “Science and Philosophy”. This editing and linking notes, and striking out superfluous ones, make it apparent that this was active working material during the late spring and summer of 1888. Nietzsche’s discussion of science in the notes from 1888 is significantly more extensive than in the published books,11 especially in the notebook W II 5.12 Not only are there many more, and more extensive, general discussions of science here, he also planned a text or a full chapter dealing with it entitled: “Science against Philosophy” [“Wissenschaft gegen Philosophie”] (NL 1888 14 [169], KSA 13, 355 and NL 16[51], KSA 13, 503), and writes a number of notes under this title, and many further notes are obviously related to this theme during the spring 1888.13 According to Nietzsche, science and scholarship, as well as philosophy, have served under and been deeply affected by religious and moral values (see, for example, NL 1888 11[264], KSA 13, 99). This is something they have in common. But in both of them, this can be overcome, at least in part, by the use of intellectual integrity (see, for example, NL 1888 14 [109], KSA 13, 287). We can thus conclude that science is not just a theme Nietzsche briefly passed by, but it was in fact something he thought and planned to write about. This is an important background for analyzing the published books (but also for themes which went beyond what he had time to publish in the second half of 1888). We must, however, note that Nietzsche did not discuss science in notes from the second half of 1888 (when all three books were written), which was probably due mainly to the fact that he was then working hard on these books, and, 10 Cf. the comment to the note NL 1888 16[51], KSA 13, 503: “Nach diesem Plan wurde W II 5 z. T. rubriziert.” (KSA 14, 767). Among the 12 titles/sections/headings listed in this note, one is “Die Wissenschaft gegen Philosophie”. Compare also 18[17], written 26 August 1888 (KSA 13, 537 f.). Nietzsche thereafter went back to older notes and added titles to them according to this plan. 11 The word “Wissenschaft” (and derivations of it) occurs in 65 paragraphs in the notes from 1888 (and 87 if the autumn of 1887 is included), as compared to in 29 paragraphs in the three books Gçtzen-Dmmerung, Der Antichrist and Ecce homo together. 12 The word “Wissenschaft” (and derivations) occurs in 41 paragraphs in this notebook alone. Themes related to science are, of course, also frequently referred to and discussed also where the word “science” is not present, such as discussions of views of reality, of knowledge and truth and of intellectual integrity etc. 13 Of especial importance are the notes 83, 103, 109, 115, 131, 132, 137, 138, 146 and 153 in notebook W II 5, but also the notes 40, 79, 81, 82, 84, 92, 93, 94, 111, 116, 122, 129, 133, 134, 141, 142, 147, 152, 168, 184, 186 – 189 and 194.
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anyway we have very few notes extant from this period at all. We possess approximately 520 pages of notes from the first half of 1888, and these are mostly real notes and genuine working material which Nietzsche worked with and returned to and revised and edited, including crossing out some which had become superfluous. For the second half of 1888 we possess only about 85 pages of notes altogether, and much of these are directly related to and early versions or varients of texts which were used in Der Fall Wagner, GçtzenDmmerung, Der Antichrist and Ecce homo. This leaves very few relevant notes from the second half of 1888. Some of the content of the notes from the first half of 1888 is present in Gçtzen-Dmmerung, in particular the two main themes: 1. Critique and discussion of the Greeks, which at least in part is discussed in the two chapters “The Problem of Sokrates” and “What I Owe the Ancients”. 2. Discussion of the dichotomy between a “true” and an “apparent” world, which is discussed in the two chapters “Reason” and “Fabel”. These two themes are among the two most discussed themes of those related to science in this notebook, and part of those that appear most developed or finished. It is not altogether surprising that Nietzsche choose them when he selected extracts from his notes to publish in Gçtzen-Dmmerung. 14 However, there are also other important themes related to science in Nietzsche’s notes from 1888 which are not obviously present or covered in the books from 1888. These include: 1. More on the discussion of a battle between science and philosophy (and Nietzsche on the whole sides with science and uses this to criticize traditional philosophy) 2. More on the battle between science and philosophy already among the early Greeks (although this theme is in part present in GçtzenDmmerung), including Nietzsche’s claim that the ancient skeptics were moralists – and against science 3. Concepts as relational rather than as absolutes 4. Science and value(s) 5. The emancipation of science from religion and morality as one of Nietzsche’s counter-movements: “Restoration of the natural” 6. A more consistent discussion of intellectual honesty (as scientificality) than the allusions given regarding it in the three books from 1888 7. A more consistent discussion of “reality” and human knowledge 8. Science as will to power 14 Nietzsche’s first versions of subtitle for Gçtzen-Dmmerung was “Meine Philosophie im Auszug” (NL 1888 19[3 and 5], KSA 13, 542 f.).
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9. The will to truth 10. The value of truth and error Each of these themes would justify close study. We can briefly take one of the smaller of them as example; “concepts as relational”. Nietzsche argues that there is no world in itself, no truth in itself, but that everything is instead relational, and he relates this, in several notes, to his perspectivism. Die Forderung einer a d q u a t e n A u s d r u c k s w e i s e i s t u n s i n n i g : es liegt im Wesen einer Sprache, eines Ausdrucksmittels, eine bloße Relation auszudrcken… Der Begriff “Wahrheit” ist w i d e r s i n n i g … das ganze Reich von “wahr” “falsch” bezieht sich nur auf Relationen zwischen Wesen, nicht auf das “An sich”… Un s i n n : es giebt kein “Wesen an sich”, die Relationen constituiren erst Wesen, so wenig es eine “Erkenntniß an sich” geben kann … (NL 1888 14[122], KSA 13, 303).15
We thus have a number of notes on themes not obviously present in the late books. The most common attitude toward Nietzsche’s late notes today is that they represent discarded material,16 and that they, when not overlapping with what is said in his published books should not be taken as Nietzsche’s view. finally, the Nachlass does present a great deal of philosophical material that never makes its way into the published texts. […] The status of this material has been controversial: should it be used to support interpretations of Nietzsche’s published works? Should its failure to appear in the published works be taken as evidence that Nietzsche definitively rejected the ideas? In many cases, especially in the late Nachlass, it is simply impossible to tell whether an idea was set aside as unworthy or simply never returned to because of Nietzsche’s collapse. For the Nietzsche scholar, this is, I believe, a reason to be extremely cautious in terms of presenting the ideas in the Nachlass as Nietzsche’s ideas. (Had he written something and later added: “but this is wrong!”, we would have a different case, but he rarely does this.) Several years ago, Bernd Magnus drew a distinction between two approaches to Nietzsche’s Nachlass, dividing Nietzsche’s principal commentators into “lumpers” (including Heidegger, Jaspers, Danto, Schacht, Deleuze, and Mller-Lauter), for whom the status of the Nachlass is unproblematic, thus treating it as one at least a par with Nietzsche’s published writings; and “splitters” (including Alderman, Hollingdale, Strong, Montinari, and himself ), who “distinguish sharply between published and unpublished writings.” Since Magnus first drew this distinction, and since the ColliMontinari edition has become the canonical edition, the number of scholars who simply lump all of Nietzsche’s writings together, treating published and unpublished works in the same way, has dwindled to near zero, especially in the English-speaking Nietzsche scholarly community. (Schrift 2011, in print) 15 Other late notes that discusses this theme are, for example, KSA 12, 5[12], 9[40], 10 [202]; KSA 13, 11[73], 14[80, 93, 103 and 184]. 16 See Bernd Magnus who refers to Nietzsche’s notes as “dustbin manuscripts” and in the connecting footnote 23, claims that Nietzsche’s notes are dismissed as “discarded” material (Magnus 1988, 161).
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In general I agree that it is important and relevant to distinguish between what is present in the published books and that which is only present in the notes. However, Schrift’s and Magnus’ views seem overly timid, especially in regard to the notes from 1888, and leading to a far too hesitant use of the notes. This may be true for some earlier notes, but for some of that present in the notes written in 1888 (and not included in the published works, which, after all, are fairly short and focused; one giving extracts from his work, another focusing on Christianity and the last on his own development), Nietzsche simply did not have the time or place to publish much of it, perhaps especially that concerning epistemology and science. Furthermore, for most of the themes I am mentioning here, there is also some overlap with what is said in the published books, and for none of them does it go against what can be found in the books.17 What we can observe is that these notes were working notes in the most obvious sense of being unfinished. Two of the themes which seem most finished he picked up and used (as extracts) in Gçtzen-Dmmerung, although there seems to be more even on these themes than what is present in that book. For example, he discusses in the notes what science would look like if it completely rejects the dichotomy of a “true” and an “apparent” world, which is only hinted at in Gçtzen-Dmmerung. The discussion of almost all the other themes seems incomplete and unfinished, but often highly interesting and relevant. There is in Nietzsche’s writings a dichotomy between “old philosophy”, that which Nietzsche so passionately attacks, and “new philosophy”, the “philosophy of the future” or philosophy after the revaluation, that is, what philosophy would look like after a revaluation of all values (which, presumably, largely overlap with Nietzsche’s own views of philosophy). This is implicitly the main theme in many studies of Nietzsche’s philosophy. In the late notes, there seems to be a similar dichotomy between “old” and “new” science, although here the chasm is not as wide and deep as between the two forms of philosophy, since “old” science is not as decadent as old philosophy, and less determined by moral and religious values, while “new” science seems not quite as supreme and supremely important as the “philosophy of the future”. Some of the things which characterizes “new” science are not really different from what many today would agree with – such as that reality seems to be inherently dynamic and complex, that science should have a close relation to reality, that it should reject metaphysics (belief in a separate “true” world) and contain strong emphasis on intellectual honesty. The situation is further complicated by the fact that Nietzsche uses the term “Wissenschaft” both for that which is under the influence of morality and religion (which I here call “old and contemporary 17 For my arguments that it is reasonable to take these notes seriously, see Brobjer (2006, 278 – 294) and (2011, in print).
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Table 1. Construction from late notes of some of the differences between “old”, prerevaluation, science and “new”, post-revaluation, science. For comparative purposes, some of the related characteristics of “old” or traditional philosophy are also included. “Old” Philosophy
Science before the “revaluation”
Science after the “revaluation”
In the service of morality and religion
Under the influence of morality and religion
Emancipated from morality and religion
Much of “old” philosophy is of bad quality
Much of “old” science is of bad quality. Sociology: governed by herd-values, belief in altruism. History: influenced by nationalism, religion and egalitarian values
–
Assumes reality to be a priori and static
[Reality as semi-dynamic and semicomplex?]
Reality is dynamic and complex
Moralistic
Anthropocentric (without awareness of it)
Anthropocentric (with awareness)
Hostile to reality and the senses
Alienated from reality
Close relation to reality The natural again restored
Two-world dichotomy: “true” and “apparent”
Accepts two-world dichotomy, but speaks only of “apparent” world
Only one world (does not accept the dichotomy)
Concepts, knowledge and truth as absolute
?
Concepts as relational; knowledge and truth as perspectival
Lacks intellectual honesty
Has intellectual honesty
Strong emphasis on intellectual honesty
Wants values to be unconditional
Values as conditional
Values as conditional The natural again restored
Lacks methods to deal with values
?
?
Regards conscious (rational) as better than unconscious Dogmatic
Regards conscious (rational) as better than unconscious
Regards unconscious (not rationalized) as better than conscious Experimental, hypothetical, provisional, a process
Partly experimental and hypothetical
science”) – and for “new” or the future science, which is not – which makes his texts occasionally ambiguous. However, from these many notes it is nonetheless possible to extract some of the properties of “old” and “new” science, which I have summarized in table 1. Although there are many relevant differences, the primary one seems to be that “old” science and scholarship has been under the influence of religion and morality (even if less than the case for “old” philosophy) – this is probably easier to realize in connection with scholarship such as history (and psychology and sociology) than for the natural sciences – while this will not be the case for “new” science. Some but not all the other differences seem to follow from this.
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Another conclusion we can draw from these late notes and table 1 is that his last comments on science in his 1888 books did, in all likelihood, not represent his finalized view of science. Not only did he have more to say (there is more interesting material in the notes than what can be found in the books), but his view of science and its relation to the world and to philosophy and culture seems still to be developing, and seems not to have been thoroughly worked out and finalized.18
Bibliography Brobjer, Thomas (2006): “Nietzsche’s magnum opus”. In: History of European Ideas. Vol. 32, pp. 278 – 294. Brobjer, Thomas (2007): “Nietzsche’s Relation to Historical Methods and Nineteenth Century German Historiography”. In: History and Theory. Vol. 46, pp. 155 – 179. Brobjer, Thomas (2011): “The Place and Role of Der Antichrist in Nietzsche’s Four Volume Project Umwerthung aller Werthe”. In: Nietzsche-Studien. Vol. 40, in print. Heit, Helmut (2009): “Wahrheit”. In: Christian Niemeyer (ed.): Nietzsche-Lexikon. Darmstadt (WBG), pp. 382 – 83. Magnus, Bernd (1988): “The Deification of the Commonplace: Twilight of the Idol”. In: Robert Solomon/Kathleen Higgins (ed.): Reading Nietzsche. Oxford (Oxford University Press), pp. 152 – 181. Schrift, Alan D. (2011 in print): “Nietzsche’s Nachlass”. In: Paul Bishop (ed.): A Companion to Friedrich Nietzsche. Melton (Camden House), in print. Zittel, Claus (2000): “Wissenschaft”. In: Henning Ottmann (ed.): Nietzsche-Handbuch. Stuttgart, Weimar (Metzler), pp. 355 – 356.
18 Acknowledgement: This work has received support from the Swedish Research Council: 2009 – 1547.
The Will to Power in Science and in Philosophy1 R. Lanier Anderson “T h i s w o r l d i s w i l l t o p o w e r – a n d n o t h i n g b e s i d e s ! ” (WP 1067 = NL 1885 38[12], KSA 11, 611; cf. JGB 36); All “life simply i s will to power” (JGB 259); Psychology is “t h e d o c t r i n e o f t h e d e v e l o p m e n t o f t h e w i l l t o p o w e r ” (JGB 23); “What is good? Everything that heightens the feeling of power in man, the will to power, power itself.” (AC 2); “The great and small struggle always revolves around superiority, around growth and expansion, around power – in accordance with the will to power which is the will of life” (FW 349).2 To all appearances, Nietzsche’s will to power doctrine is a sweeping metaphysical theory in the grand tradition of German speculative philosophy. Its apparent pretensions reach into almost all domains of philosophical inquiry, including first philosophy and ontology, the theory of life, psychology, philosophical anthropology, the philosophies of the special sciences, ethics, and even general interpretive reflection about the meaning of life. But of course, the 1
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My first thanks are due to Bernard Reginster, whose ideas about the will to power and whose productive pressure in conversation convinced me that I needed to revisit my earlier interpretation. Special thanks also to Helmut Heit, whose invitation to the Berlin conference on Nietzsches Wissenschaftstheorie provided the occasion for the work. I benefitted greatly from the questions, comments, and suggestions of the conference participants; detailed feedback from Gnter Abel, John Richardson, and Richard Schacht was especially helpful. Thanks are also due to Rolf Peter Horstmann (for early conversations about Abel’s work in this area back in the 1990 s), to Alexander Nehamas (for critical feedback on my earlier view), to Don Rutherford (for conversations about Leibniz and Nietzsche), to Rachel Cristy for research assistance, and to Cristy and Katherine Preston for helpful comments on the text. All works by Nietzsche are cited in the text by the standard abbreviations of their German titles as adopted for this volume. For Nietzsche’s German, I consulted the KSA, and I also made use of the following widely cited English translations, though I occasionally depart from them in the direction of greater literalness without separate notice: FW (1974): The Gay Science (trans. by Walter Kaufmann). New York (Vintage). JGB (1966): Beyond Good and Evil (trans. by Walter Kaufmann). New York (Vintage). GM (1988): On the Genealogy of Morality (trans. by M. Clark and A. Swensen). Indianapolis (Hackett). GD (1954): Twilight of the Idols (trans. Walter Kaufmann). New York (Viking). AC (1954): The Antichrist (trans. by Walter Kaufmann). New York (Viking). WP (1967): The Will to Power (trans. by Walter Kaufmann and R.J. Hollingdale). New York (Vintage). Unless otherwise noted in the references, other translations from the German are mine.
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wider context of Nietzsche’s writings raises doubts about this understanding of his view. Nietzsche ostentatiously declines to write systematic treatises in which his ideas could receive the sustained argumentative development normally thought appropriate for such encompassing theories. When he does give clear arguments, they tend to be aimed instead at rejecting all theories of that type – and not through local objections to specific details, but with sweeping skeptical attacks designed to undermine the very possibility of metaphysical knowledge, either because it is too remote from empirical evidence, or because grand unifying theories overstep the restriction that our knowledge is always constrained by the ineliminable influence of some partial “perspective.” In his more incendiary moods, Nietzsche even deploys a “hermeneutics of suspicion” to suggest that these grandiose claims lack cognitive value altogether and instead amount only to rationalizing expressions of the (usually distasteful) drives or emotional predilections of the philosophers who make them. There are several tempting ways out of the resulting dilemma. Some have argued that, officially, the will to power doctrine is only supposed to make empirical claims about human psychology, all Nietzsche’s more expansive remarks being chalked up to hyperbole (see, e. g., Kaufmann 1974, 178 – 207); others insist that Nietzsche means to make no theoretical claim at all with his talk of will to power, but only to express his values (e. g., Clark 1990, 205 – 244). In earlier work (Anderson 1994), I suggested that the will to power was intended as an account of the unity of the sciences, which aims to establish connections across various different domains of empirical knowledge by identifying a central conceptual structure – based on the concept , or 3 – whose specific forms play a crucial explanatory role in all of them. On that reading, Nietzsche’s doctrine retains its pretensions to offer highly general theoretical claims, but it remains an empirical hypothesis, albeit one of an unusual sort; it is supposed to be an empirical interpretation of the basic conceptual structure of the different special sciences, answerable to their specific results as its data. In this paper, I will try to extend that framework by addressing a basic question about it: Is the resulting theory a bit of philosophy, or is it supposed to be a doctrine within science? Along the way, I will have something more to say about the drive psychology Nietzsche develops under the aegis of the will to power. That psychology clearly served as the “home base” for his development of the idea, from which he exported it to other domains of knowledge. Thus, the role of the will to power in psychological drives crucially shaped Nietzsche’s understanding of the concept’s underlying structure, and thereby also the will to power doctrine as a whole and its distinctive contribution to the special sciences. 3
Angle brackets (‘< >’) indicate the mention of a concept.
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I will say more in a moment about how Nietzsche himself understands the distinction between philosophy and the special sciences that structures my question. But first let me mention a further distinction. Theories can explain phenomena either through claims about their inner natures, or essences, or else, by contrast, they can limit their ambitions to the description of outer relations among things. Traditional metaphysical theories of the grand, overarching sort – and perhaps especially those in the classical German tradition – have often (though not always) taken their stand on the former side of the distinction, exhibiting the “inner,” essentialist structure of explanation. Nietzsche, by contrast, is well known for strong anti-essentialist claims (FW 54; GM I, 13; GD Vernunft, 4 – 5; et passim).4 My thesis will be that Nietzsche intends the will to power as a distinctively philosophical theory, but that its basic structure differs from our stereotype of metaphysical worldviews in being a resolutely anti-essentialist theory of outer relations. In this respect, Nietzsche’s will to power doctrine departs decisively from the great speculative tradition in German metaphysics. As it turns out, this feature of Nietzsche’s doctrine can be traced to the core structure of the will to power concept itself. In that sense, I will suggest, the “anti-metaphysical” character of the will to power as a philosophical doctrine is built into its content, and not just into its form as a methodological doctrine of the unity of science.
1. The Proper Relation of Philosophy to Science in Nietzsche In my view, the advantage of taking the will to power as a doctrine of the unity of science was always that Nietzsche’s view could be seen as a defeasible empirical hypothesis, answerable to concrete results of the special sciences, rather than as a piece of a priori metaphysical speculation. Of course in this case, the data in question are not subjected to mathematical treatment or gathered by means of controlled experimentation, in the mode of the natural sciences. On the contrary, the will to power doctrine is supposed to operate as an interpretation, which aims to unify different scientific results in a common framework and establish meaningful connections among them. Thus, the results of the special sciences serve as data for Nietzsche’s doctrine in much the way textual evidence constrains interpretation in the Geisteswissenschaften; and in fact, Christian Benne (2005) has recently showed us just how extensive Nietzsche’s debt is to this general intellectual model, which he acquired during 4
For a detailed discussion of this anti-essentialist strand in Nietzsche’s thinking (along with an impressive marshaling of the textual evidence belonging to this strand) see the compelling discussion in Poellner (1995, 79 – 111).
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his own scientific training in philology. In my earlier work, I made much – perhaps too much – of this analogy, leaving the impression that the will to power doctrine had no distinctively philosophical standing at all, but was simply meant to be one more particular theory in the special sciences – in this case a theory in one of the interpretive Geisteswissenschaften. That conclusion was hasty, for as Bernard Reginster (2006, 107) has pointed out, Nietzsche was clearly aware of a model theory that is distinctively philosophical (indeed, even frankly metaphysical) in character, but at the same time avowedly interpretive and empirical – viz., Schopenhauer’s interpretation of the inner nature of the world in terms of the will to live. For Schopenhauer, the philosopher aiming to uncover the essence of things should begin from general observations about the world, drawn from the sciences, from world literature, and from “life experience” more generally. Philosophy then offers a general interpretation of these observations by articulating a principle that explains how they hang together. Using this method, Schopenhauer famously interpreted the phenomenal world of representation as the manifestation of an underlying, striving will to live. The world exhibits a great many particular episodes of striving, but these all fit together into a broader pattern under the general principle that things ultimately strive just for there to be ever more of these particular strivings. As a result, Schopenhauer’s principle has a structure parallel to that of higher-order psychological attitudes, which take first-order attitudes as their intentional objects. Just as a person might, for example, have a secondorder desire to have (first-order, particular) desires, so the broad pattern of things in general is that they strive to express more particular strivings. This general principle is meant to unify, and thereby explain, a vast range of phenomena, from gravitational attraction all the way up to complicated psychological life in which the reflexive, higher-order structure of the will to live becomes fully explicit. Given the centrality of Schopenhauer to his philosophical development, Nietzsche was obviously well aware that theoretical speculation can maintain its pretension to offer a general account of the world without giving up on its character as an empirical interpretation. Moreover, this is no idle possibility, for as Reginster (2006, 103 – 47) shows, Nietzsche’s will to power responds fairly directly to just this Schopenhauerian doctrine about the will to life. The will to power, too, has the structure of a higher-order drive, which takes first-order drives as part of its object, and Nietzsche frequently frames his doctrine either as a straightforward replacement for the will to life, or as a corrective specification of what the will to life would really have to amount to; he repeatedly speaks of “the will to power, which is the will of life” (FW 349, my ital.; see also JGB 259). But whereas Schopenhauer’s doctrine posits a second-order striving to strive, Reginster (2006, 103 – 147) shows (with a compelling range of textual evidence) that overcoming resistance is central to Nietzsche’s concept: the will to power is a
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drive that wants not just to have first-order drives, but also to have resistance for them to work against, and furthermore, it wants to overcome that resistance. (I agree with Reginster that developing a response to the pessimism that Schopenhauer derived from his conception of the will to live was a key motivation for the shape of Nietzsche’s proposed replacement.5) Such reflections, however, seem to offer precious little shelter against the worry that Nietzsche’s view is just so much extravagant metaphysical speculation. After all, Nietzsche himself complains about how the German reception of Schopenhauer abandoned his genuine intellectual virtues – “his sense for hard facts, his good will for clarity and reason,… his intellectual conscience, … his cleanliness in questions about the church and the Christian god” – in favor of those “mystical embarrassments and subterfuges in those places where the factual thinker allowed himself to be seduced and corrupted by the vain urge to be the unriddler of the world; [e.g.,] the unprovable doctrine of the O n e W i l l ” (FW 99). Such texts suggest that Nietzsche would have (or anyway, should have) been sensitive about falling prey to the very same charge when it comes to his own doctrine of “one will” (i. e., the will to power). It is therefore tempting for the interpreter to retreat from any overarching philosophical conception of the will to power entirely, and emphasize the modest fallibilism built into the thought that Nietzsche’s doctrine is only an interpretation of the unity of the sciences, and so is answerable to specific scientific results, which are themselves in turn subject to empirical confirmation. But if it is merely such openness to relatively direct disconfirmation that separates Nietzsche’s will to power from Schopenhauer’s will to live, then why not simply return to the idea that the will to power is just one more geisteswissenschaftliche theory with the very same status as the theories from the special sciences that it is supposed to unify?
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The pessimistic consequences follow from the interaction of Schopenhauer’s will to life with his account of desire and suffering. On that Plato-inspired theory, desiring is essentially a form of lack, and it necessarily involves suffering from that lack. The will to live is a higher-order drive that aims to have drives to satisfy. But since all striving involves suffering, we can never be fully satisfied; either our first-order drives will be unsatisfied, or else the will to life itself will be unsatisfied (because all first-order drives are satisfied, and hence it lacks any drives to pursue). Either way, then, we suffer. Nietzsche’s will to power replaces the Schopenhauerian will to life, and its basic theory of conation as lack, with the thought that we have a basic striving not just for the objects of our drives, but also for some resistance against them, which gives us something to overcome. On this picture, resistance is not a source of endless frustration, but part of the very content of what we want in striving.
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I think it is clear that Nietzsche himself would have resisted any such rejection of the distinctive status of philosophy vis vis the special sciences.6 We can see why from his reflections on the relation between philosophy and science in Part VI of Beyond Good and Evil. Famously, Nietzsche opens “We Scholars” (JGB VI) with a complaint about the “unseemly and harmful shift in the respective ranks of science and philosophy” (JGB 204) emerging in his era. Whereas philosophy had formerly been the ruling “queen of the sciences”, by the late nineteenth century, “Science [was] flourishing and her good conscience [was] written all over her face” (JGB 204), and philosophy, by contrast, had sunk to such a pathetic level that it could no longer serve as an effective, orienting intellectual framework for knowledge as a whole. Nietzsche traces a large part of the problem to philosophy’s own abdication of its proper responsibilities. He targets “positivism” as the main offending doctrine, but it is clear from the overall context that his ire was directed not only (and perhaps not even primarily) at avowed positivists such as Comte, Mach, or Avenarius, but much more broadly at the widespread reform movement aiming to bring about a new “scientific philosophy.”7 To see just how broad this movement really was, consider a paradigmatic statement of its leading motif coming even from the pen of a founder of orthodox neo-Kantianism – a remark Nietzsche may even have seen in Hermann Cohen’s introduction to the second edition of Lange’s Geschichte des Materialismus: The transcendental method searches not for the principles of human reason, but for those of scientific validity … Metaphysics must become the critique of cognition [Erkenntnisskritik]. What nature might be does not concern us, insofar as we want to philosophize, and not poetize. But what natural science means, what makes it into science, into cognition which claims the certainty of knowledge, that is the question of the critique of cognition, that is the question of that philosophy which has freed itself from the librarian’s title of metaphysics. (Cohen, in: Lange 1902, I, x–xi).
Nietzsche’s attitude toward this conception of philosophy (as merely the theory of how science gets its validity) is nothing short of contempt: “Philosophy reduced to ‘theory of cognition’ [Erkenntnistheorie], in fact no more than a timid epochism and doctrine of abstinence – philosophy that never gets past the 6 7
I was not always so clear on this point. Here my view has benefitted from productive critical pressure from Alexander Nehamas and Bernard Reginster in conversations over the years. Among the most obvious manifestations of this development was the founding in 1876 (by Richard Avenarius and others) of the Vierteljahrschrift fr wissenschaftliche Philosophie, which provided a venue for work that took a scientific approach to philosophical problems or that developed a scientific conception of the field itself. Many of the most important academic philosophers working in the German speaking world published in the quarterly over its long run.
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threshold and takes pains to deny itself the right to enter – that is philosophy in its last throes, … an agony, something inspiring pity. How could such a philosophy – d o m i n a t e !” (JGB 204). In light of such remarks, it is implausible to read the will to power as just one more theory within the special sciences. It must claim to have the distinctive role of philosophy, through which it shapes the rest of knowledge in a way that incorporates, but is not limited to, the abstinent skeptical and critical modes of philosophizing that Nietzsche criticizes in JGB VI. Still, this result leaves the commentator with a serious theoretical and interpretive problem. Beyond the hyperbolic talk of “domination,” what specific property is actually supposed to mark off the special character of philosophy, as opposed to the sciences? In JGB VI (wir Gelehrten), Nietzsche identifies three main features that separate philosophy from the special sciences. First, it is a “synthetic enterprise” (JGB 204), aiming for a truly comprehensive worldview that unifies the domain of knowledge and even reaches out into practice to offer a comprehensive “judgment… about life” (JGB 205). By contrast, work in the sciences is and ought to be highly specialized. While that specialization permits the discipline, exactness, and professionalized expert judgment in which science takes pride (and rightly so, Nietzsche thinks; see FW 293), it is also profoundly restrictive; specialization narrows one’s outlook and prevents the comprehensive field of vision demanded of philosophy. Second, science promotes a rigorously “disinterested” form of objectivity, which works (as much as possible) to exclude the passions, interests, and valuations of the scholar from her intellectual work (JGB 207; see also JGB 6: “The real ‘interests’ of the scholar therefore usually lie somewhere else – say, in his family, or in making money, or in politics.”). But in philosophy, precisely such affective responsiveness and its resulting valuations are crucial guides offering insight and orientation (GM III 12). Thus, while it is constrained by honesty (JGB 227, 229 – 230) to remain answerable to the data, and so makes indispensable use of objective science as its instrument (JGB 205, 207), philosophical exploration is ineluctably “interested” and personal in a way that the norms of specialized scientific inquiry prohibit: a philosophy is an “involuntary and unconscious memoir” that betrays something about its maker; it “bears decided and decisive witness to w h o h e i s” (JGB 6). Finally, third, Nietzsche insists that both the synthetic comprehensiveness of philosophy and its “interested” orientation are to be deployed in the service of a larger task – creating values: “Their ‘knowing’ is c r e a t i n g , their creating is a legislation, their will to truth is – w i l l t o p o w e r ” (JGB 211). Given these three criteria, it is fairly clear that the will to power is supposed to be a philosophical view, not a particular theory in some special science. First, it clearly manifests a comprehensive ambition to synthesize different domains of knowledge and practice, bringing them into connection under a comprehensive
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view of life. Second, Nietzsche’s own uses of his doctrine, including its use to combat Schopenhauer’s pessimism, and even its deployment to explain philosophical “legislation” in the passage I just quoted (JGB 211; see also JGB 6), provide solid evidence that it manifests an “interested,” evaluatively loaded conception of things, in the way that philosophical outlooks in general are supposed to do. And finally, whatever we make of Nietzsche’s difficult doctrine of “value creation,” we must in any case concede that the ethical deployment of his doctrine – summed up in those ringing early lines from The Antichrist (“What is good? Everything that heightens the feeling of power…, the will to power, power itself ”; AC 2) – at least expresses valuation on Nietzsche’s part just as Clark (1990) has argued, and thus offers as good an example as anything of an attempt at value creation. I conclude that the will to power doctrine was intended as a comprehensive philosophical doctrine, and not a particular, limited theory in one special science. Surely, though, when Nietzsche set out to replace Schopenhauer’s theory of the “O n e W i l l ” (FW 99), he aimed not just to correct its content – by replacing the will to live with the will to power – but also to avoid his own criticisms of Schopenhauer’s metaphysical excesses by offering a theory with a different status. How can the will to power doctrine retain comprehensive philosophical pretensions, while nevertheless accommodating Nietzsche’s own anti-metaphysical scruples?
2. Inner and Outer: the Will to Power as a Concept of Relations I continue to believe that a part of the answer derives from the features emphasized in my previous view – viz., the fallibilism and direct vulnerability to disconfirmation proper to the doctrine understood as an interpretation of conceptual unity among the special sciences. In addition, Nietzsche offers specific arguments against metaphysical aspects of Schopenhauer’s doctrine. One obvious locus of his resistance, for example, takes the form of a purely negative argument against the key premise that there must be some kind of “will,” serving as the “thing-in-itself ” underlying phenomena – that being the most clearly metaphysical moment in his teacher’s theory. Nietzsche is famously skeptical of the very distinction between the “in itself ” and “appearance” at the basis of this move (FW 54; GM III 12; GD Vernunft, GD Fabel; et passim), and he also mounts a penetrating critique that undermines Schopenhauer’s introspective argument for characterizing the “in-itself ” as “will” via analogical extrapolation from our own inner life (JGB 19, et passim). These negative results take important steps to counteract metaphysical overtones in the interpretive account of the world that Nietzsche is constructing partly on the basis of, and partly in response to, Schopenhauer’s picture. After all, introspective insight into
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my own inner nature as will was supposed to provide a suitably incorrigible, cogito-like basis for the assumptions that there is some inner nature of the world to be captured through an overarching philosophical interpretation, and also that it will bear some analogy to willing in our own life. Without prior access to these metaphysical premises, Nietzsche’s philosophical interpretation of the world is bound to be defeasible in a much more radical sense than Schopenhauer’s: it attempts to unify general observations from science and common life absent any advance guarantee that there is a single story to be told encompassing them all, and certainly without any incorrigible starting point describing what they are like. Thus, in line with my earlier interpretation, Nietzsche’s doctrine of the unity of the sciences is much more robustly responsive to empirical evidence than Schopenhauer’s will to live ever pretended to be. But so far, this is just so much skepticism and criticism, of much the sort advocated by those “positivists” and “wissenschaftliche Philosophen” who came under attack in JGB VI (wir Gelehrten). True to his own demands, Nietzsche did not rest content with these skeptical and methodological points. He also aimed to build his resistance against the metaphysical side of Schopenhauer more directly into the content of his doctrine. Not only does he deny that introspection delivers some incorrigible apprehension of a simple power of willing that constitutes my inner nature, or essence, but further, he insists that there are no such inner natures for me (or anything else) to have, and he demands that the will to power interpretation of the world should reflect this state of things. Here, I will argue, Nietzsche’s rejection of traditional metaphysics is supposed to be built down into the very structure of the concept itself. The distinctive character of Nietzsche’s anti-essentialist move becomes clearer through its contrast against what is arguably the paradigmatic metaphysical system for the German philosophical tradition – that of Leibniz. In emphasizing this context, I follow Gnter Abel (1998 [1984]), who revealed complex connections between Nietzsche and Leibniz involving ideas about dynamical force interactions and the basic centers of force that stand in interaction. It is not that Nietzsche is himself a Leibnizian; rather, there are broad structural relations of both parallelism and opposition between the two philosophies, which Abel captures under the slogan that Nietzsche is replacing a monadology of force centers with a “will to power dynamics” (Abel 1998 [1984], 25, et passim). The contrast illuminates the type of anti-essentialism proper to the will to power doctrine. The striking parallel between Leibniz and Nietzsche lies in the foundational importance each attributes to the concept of force as the basic notion explaining the various properties of things. The key contrast concerns their respective understandings of the relation between force and the bearers of force. Crucially,
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in Leibniz’s metaphysics, fundamental reality belongs to substances and their essences; all relations, including those described by active and passive forces, have only a derivative reality as (possibly “well founded”) phenomena of the underlying world of monads. Indeed, one of the primary advantages, for Leibniz, of a physics based on forces over one that appeals only to simple motions was supposed to be that active forces provide a telling indication that ultimate explanation rests on the inner nature of substances, not on mere external relations of motion and position. But this indication only serves to emphasize that from a metaphysical point of view, even the vis viva, which captures the power of a body to act on other bodies through motion, and so is still a fundamentally relational notion, cannot itself have ultimate reality. The active forces of bodies point beyond themselves to truly inner powers that ground them – viz., the active powers of monads, understood in the end by appeal to the determination of the sequence of inner (representational) states of the monad by its essence, or complete concept. For Leibniz, then, what force contributes to physical and metaphysical theory is an expressive indicator of the underlying “inner nature” of substances, which finally allows the metaphysician to found all outer relations whatsoever on the inner, non-relational, essential properties of ultimately real simple substances. From this point of view, Nietzsche’s will to power doctrine can be seen as offering a kind of inverse Leibnizianism. Nietzsche, too, identifies concepts of force and power as his basic notions, and he even sometimes articulates his view in notably Leibnizian-sounding terms: “The world viewed from inside, the world defined and determined according to its ‘intelligible character’ – it would be ‘will to power’ and nothing else –” (JGB 36; my ital.). But whereas Leibniz treats all relations as derivative – mere appearances grounded ultimately on essential properties of monadic substances – Nietzsche insists that it is the relations that are foundational, and that “things” (i. e., “centers of force,” “loci of will to power”) emerge as structures within the pattern of relations, in something like the way the structuralist linguistics defined its objects as nodes determined by patterns of difference relations. A number of scholars have emphasized this primacy attributed to relations by Nietzsche’s doctrine – think, e. g., of Abel’s (1998 [1984]) process model of “will to power dynamics,” and Nehamas’s (1985) focus on the idea that “a ‘thing’ is the sum of its effects” (WP 551 = NL 1888 14[98], KSA 13, 275).8 I will explore this thought in a bit more detail by turning to what I earlier called the “home base” of Nietzsche’s doctrine in moral psychology. My aim is 8
On the same theme, see also WP 557 = NL 1885 – 1886 2[85], KSA 12, 104; WP 558 = NL 1887 10[202], KSA 12, 580; WP 559 = NL 1887 – 1888 11[134], KSA 13, 62; WP 561 = NL 1885 – 1886 2[87], KSA 12, 104 f. and WP 567 = NL 1888 14[184], KSA 13, 370 f.
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to trace some of the consequences of the distinctive Nietzschean move here – viz., construing things as having an “inside” that is itself constituted entirely by outer relations. Nietzsche’s psychology posits a great variety of different attitudes and countenances quite complex relations among them (see Anderson, forthcoming). Here, I will focus mainly on the drive, which plays an undeniably central role. Drives are relatively basic, and certainly the most widespread motivational attitudes in Nietzsche’s theory. They are individuated and distinguished from one another by their pursuit of different aims, promoting characteristic patterns of activity; so, for example, my drive for food aims at eating, my knowledge drive aims at intellectual activity, and so on. Different drives may also exhibit different strengths. Tellingly for our purposes, Richardson’s (1996) important account of Nietzschean drives expressly characterizes the strength of drives in relational terms: there is no absolute measure for the strength of a drive; instead, one drive is stronger than another exactly when it is able to dominate or subsume that other, and in general drives are stronger when they master or incorporate more and stronger drives, and weaker when they are dominated, or when they rule over fewer and weaker drives. Richardson’s account of domination also entails another crucial feature of drives; they are capable of combining with one another to form larger, encompassing structures that also count as drives in their own right, with their own aims and their own new roles in the overall psychological economy. Sometimes this happens when one drive subordinates another, eliminating its aim or integrating it into the original aim of the stronger drive;9 consider, as an example, Nietzsche thought that Eugen Dhring’s drive to know was completely subordinated to a drive for revenge, which shaped all his theoretical activities in accordance with its aim (“that Berlin apostle of revenge”; GM III 14). But drive combination can also occur on less unequal terms, as for example, when my drive for companionship and my eating drive combine to form a new, social eating drive, separated from its constituents by its aiming at its own distinctive pattern of activity (Richardson 1996, 47). The possibility of drive combination highlights an important feature of Nietzsche’s theory – drives often have further drives within them as components, or constituents. In fact, in my own view, Nietzsche goes much further. Not only may drives have further drives as constituents, they must, for Nietzsche is an anti-atomist about psychological 9
Richardson also marks an important distinction between two forms of domination or subsumption: in tyranny, one drive completely destroys the other, or fully co-opts its energy to its own dominant end, thereby eliminating the original aim altogether; in mastery, by contrast, the subordinated drive and its aim remain intact, but they are integrated into a larger structure governed by the dominant aim, within which they play an instrumental role.
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drives, just as he is in physics. (This is the argument of JGB 12: Just as matter – which for Nietzsche is just mass filling space by exercising force through it – is divisible all the way down, so every drive is analyzable into constituent drives: as Nietzsche put it in the notebooks, “All unity is unity o n l y as o r g a n i z a t i o n a n d c o - o p e r a t i o n […] as a p a t t e r n o f d o m i n a t i o n” (WP 561 = NL 1885 – 1886 2[87], KSA 12, 104).10 A final point about the nature of drives comes from important recent work by Paul Katsafanas, who shows that Nietzsche, following a broad nineteenth century tradition that goes back to Schiller and Schopenhauer, crucially distinguishes the aim of a drive from its object. 11 A drive aims at some characteristic pattern of activity, but the activity can focus on any number of different objects. (For instance, my eating drive can focus on the chocolate bar in my pocket, or on the five course meal that I am planning, or just on the proposition that I am no longer hungry.) This distinguishes drives from desires, which in the basic case take a simple, one-place complement. Moreover, the same aim/object structure makes possible the distinctive pattern of psychological explanation through drives, which so often highlights the way a drive continues to strive for its aim, even after it attains its initial object. (So, when my knowledge drive attains its object through the resolution of some particular problem, it does not go away, but continues to pursue its aim by simply identifying a new problem, about which I start writing another paper. As Katsafanas points out, it is for just this reason that drives are so useful for explaining obsessive behavior, and other forms of activity that are less than fully rational.) In sum, drives are diachronically persisting motivational forces that crucially shape psychological life over time, and their aim/object structure gives our motivational life much of its characteristic form. This is why they play such a key explanatory role for Nietzsche. Where does the will to power fit into this psychology of drives? Scholars have offered a wide range of answers in the attempt to balance Nietzsche’s frequent treatment of the will to power as one particular drive among others, against his apparent position that the will to power is a fundamental and ubiquitous principle governing all psychological states. Among the more important ideas are Maudemarie Clark’s (1990) suggestion that the will to power is a higher-order drive,12 whose general status and ubiquity derive from its including other drives among its intentional objects, and the idea of Reginster’s 10 This point about anti-atomism is argued (all too) quickly here given constraints of space, but it receives further treatment, along with a detailed interpretation of JGB 12, in Anderson (forthcoming). 11 For detailed discussion, see Katsafanas (2008, ch. 4) and Katsafanas (forthcoming). I discuss some additional implications of the broad approach in Anderson (forthcoming). 12 In particular, she takes it to be a second-order drive individuated by the aim to secure power in the specific sense of the capacity to satisfy our other drives.
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we saw above, that the will to power aims at overcoming resistance, and thus, at the activity of securing the objects (and pursuing the aims) of more particular, first-order drives across the resistance mounted by the world that separates us from the objects of those drives. The centrality of the will to power for Nietzsche’s psychology emerges clearly in his definition of the science as a “morphology and t h e d e v e l o p m e n t - d o c t r i n e o f t h e w i l l t o p o w e r ” (JGB 23). Part of the motivation for this emphasis on power is to make a place in psychology for “‘wicked’” drives and affects. But the key thought driving Nietzsche’s “immoralist” conclusion here is a different one. That deeper thought concerns “the reciprocal dependence of the ‘good’ and ‘wicked’ drives” on one another (JGB 23). Why is such interdependence a consequence of understanding psychology as a developmental theory of the will to power? One thought might be that the will to power is some kind of “master drive” that provides the inner essence of all other drives, which would themselves be construed as developing out of the will to power in something like the way Rousseau took all our particular passions to be developmental expressions of an Ur-passion of self love (amour de soi). That proposal, however, veers uncomfortably far back in the direction of some underlying, Schopenhauerian “will,” and in addition, it does nothing to explain why psychology is said to be a “morphology.” Following the more fruitful suggestions of Clark, Reginster, and Katsafanas, we can instead take the will to power to be a higher-order drive which takes as its explicit aim a (relatively abstract) pattern of activity that normally characterizes the form of more particular drives. Those first-order drives strive to express a particular pattern of activity directed on some object that is separated from the person by the world; that is, they strive to overcome resistance. Thus, overcoming resistance (sensu Reginster) is proper to the form of drive-motivated action as such. But that very thing, overcoming resistance, can also itself become the aim of a drive, and then, insofar as this more general drive develops (JGB 23, again), separating itself more and more from particular, firstorder drives by pursuing its highly abstract aim with greater explicitness, the drive-motivated activity of the agent will increasingly become organized under this structuring drive. (After all, as we saw, what this abstract drive pursues is just the pattern of activity typical of the general form proper to all drivemotivated activity.) Nietzsche’s proposal is to understand psychology as the theory of the development of the will to power in this sense. It is a theory that explains the emergence of increasing explicitness within drive-motivated activity about what it is actually doing (viz., overcoming resistance), and thence also the increasing organization of such activities as expressions of a separate, emergent will to power drive. Finally, since will to power aims more expressly at something that is the abstract form of drive-motivated action in general, the resulting theory
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simultaneously provides a morphology of the other drives, rendering explicit their basic form as drives, and classifying them according to the different ways they strive to overcome resistance. Thus, psychology, the new queen of the sciences, really is “morphology and t h e d e v e l o p m e n t - d o c t r i n e o f t h e w i l l t o p o w e r ” (JGB 23). In this sense, the will to power serves as a foundational organizing concept for the science of psychology as Nietzsche tried to develop it. I now want to highlight three key features of the structure of this concept, which indicate its characteristic anti-essentialist consequences and thereby distinguish it from the concept of force operating in Leibniz. First, recall Richardson’s insight that the strength of a drive is fundamentally a relational fact about it. What it is for a drive to be strong is for it to stand in a particular kind of relation (domination) to other drives, so in Nietzsche’s psychology, the closely related concepts of strength, force, and power are not intrinsic properties of independent things, or substances, but extrinsic, relational properties that drives possess by virtue of their place in a larger system. Thus, Nietzsche’s “dynamics of power” does not aim to characterize the “inner nature” of substances, as appeals to force did in Leibniz’s system, but instead to describe a system of outer relations. Second, it follows from the account so far that the very aims individuating drives from one another must be largely defined in terms of their mutual relations of opposition. We have seen so far that the will to power, which captures the form of all drive-motivated striving, itself fundamentally aims at overcoming resistance. In my brief account above, I simplified matters by saying that this resistance arises from “the world,” which separates me from the object of my drive. But on Nietzsche’s full picture, of course, “the world” is composed of other drives, and those other drives provide resistance exactly because their aims stand athwart the aim of the drive governing my behavior. In that sense, the aims of the various interacting drives are interdefined, or perhaps better, they are defined through the interactions in which they manifest resistance and its overcoming for one another. This indicates a deeper sense in which the will to power turns out to be a concept of outer relations, and not a concept of inner natures in the echt-metaphysical, Leibnizian sense. A similar point, in fact, emerges already from Kant’s early work on negative magnitudes. Against the Leibnizians, Kant points out that forces can be really opposed to one another, in that they cancel one another’s effects, and that very cancellation shows that the forces in question are positive realities, despite the fact that each has negative magnitude from the point of view of the other. (For example, the wind pushing a boat upstream at five knots is cancelled by the negative magnitude of a five-knot downstream current.) As Kant notes, such real opposition belongs to outer relations among things, by contrast to the logical opposition that characterizes inner natures or essences. In that latter case,
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opposition would amount to conceptual contradiction, and no positive reality could survive it, so if the Leibnizians were right that ultimate reality consisted only of intrinsic, strictly conceptual, inner properties, then real opposition of the sort manifest in negative magnitudes (and interactions among loci of will to power) would be impossible. That is, it is only because we are talking about outer relations, and not metaphysical inner determinations, that genuine resistance (sensu Nietzsche) and its overcoming are even so much as possible. Third, and perhaps most telling of all, recall Nietzsche’s thoroughgoing antiatomism about drives (and loci of will to power generally) (JGB 12). On this view, no drive is ever simple or basic; on the contrary, every drive is composed of drive-shaped constituents, which it integrates by dominating them: again, “All unity is unity o n l y as o r g a n i z a t i o n a n d c o - o p e r a t i o n […] as a p a t t e r n o f d o m i n a t i o n” (WP 561 = NL 1885 – 1886 2[87], KSA 12, 104). So every drive is composed of further drives standing in relations of opposition and/or domination – the very relations we have just seen to be fundamentally characterized by concepts of outer relations, not Leibniz-style concepts of inner natures. That is, even the inner nature itself of Nietzschean loci of will to power is itself characterized in terms of outer relations. So far from giving substances an inner nature, the use of the will to power concept in psychology shows that Nietzsche means to replace inner nature altogether in a system that posits only outer relations, “all the way down.” This is the sort of thing I had in mind when I suggested that Nietzsche’s view advances a sort of inverse Leibnizianism. Of course, psychology is just one special science, not the whole of philosophy. But at the end of JGB 23, whose definition of psychology we canvassed above, Nietzsche famously demands “that psychology shall be recognized again as the queen of the sciences, for whose service and preparation the other sciences exist. For psychology is now again the path to the fundamental problems” (JGB 23). The sense in which this is true, I now submit, is precisely that psychology provides a distinctive domain for working out this concept of will to power. Once he has worked out that concept, Nietzsche is in a position to attempt its export into other domains of knowledge and practice. If the key structural features of the concept prove fruitful in explaining and/or reconceptualizing empirically well supported results in these other domains as well, then the general methodological presumptions in favor of economy of principles and unity in explanation enter the scene, and they exert pressure on theory change in favor of “will to power”-style accounts elsewhere. At that point, the notion transcends its origin in the special science of psychology and becomes the basis for a synthetic, comprehensive philosophical worldview, suitable not just for unifying knowledge, but also for expressing a basic attitude toward the world (through resistance against pessimism, for instance), and perhaps even, who knows, for the creation of values.
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3. Conclusion: Thing-Concepts and Function-Concepts I have been concerned to show how the will to power can legitimately function as a comprehensive philosophical theory even while remaining a defeasible, empirically constrained interpretation of the world. My basic answer has two parts. First, I claim that the will to power doctrine has the methodological status of an empirical interpretation of the conceptual unity of the sciences, rather than that of a speculative metaphysical theory resting on a priori or otherwise incorrigible first premises. Second, I argued that the content of the doctrine, built into the will to power concept itself, abjures the traditional metaphysical effort to represent the inner essences of things in favor of a theory describing patterns of outer relations, which (on the account of Nietzsche I offered) exhaust all that there is to be said. In closing, let me suggest one way in which these two points reinforce one another, based on an insight from one of the most acute observers of scientific developments from the late nineteenth century. As many of you will have noticed, there is a familiar ring to the basic distinction I used to diagnose the anti-essentialism built into the will to power concept – i. e., the distinction between concepts of outer relation and concepts of inner essence. It is based on Ernst Cassirer’s (1910) insight that there is a fundamental distinction of logical form between substance/essence concepts and concepts representing functions or relations. (Cassirer sometimes calls these ‘thing-concepts’ and ‘functionconcepts.’)13 Writing with an additional twenty years of perspective on the developing sciences of Nietzsche’s time, Cassirer offers a compelling case that concepts of relation, or function-concepts, not only carry an expressive power 13 One way to see the relevant distinction appeals to differences between the traditional logic and modern mathematical logic. The traditional logic of concepts focused on relations of “concept containment” among one-place general concepts formed by abstracting from objects to discover their common features, or marks. Relations between concepts are then (standardly) expressed in categorical (subject-predicate) judgments. (For discussion of these ideas and some of their expressive limitations, see Anderson 2004 and Anderson 2005.) As Cassirer noted, this logical system was especially well suited to the traditional substance/essence metaphysics: both its system of concept formation and its basic judgment-form express the possession of a property by a thing, which is central for a system that traces explanation at the most basic level to substances and their essences. By contrast, modern mathematical logic operates as a calculus of concepts whose basic tools include the expression of relations among things, functions mapping one relation to another, and so on; for it, the possession of a property by a thing is just one of the simple relations. The new logic thereby opens up the possibility of a theoretical structure in which relations, rather than things, are taken as the basic target of inquiry. Cassirer, writing at the cusp of these logical developments, points out that we can capture the same point by recognizing a distinction between two basic, logically differentiated kinds of concept formation, which yield thing concepts or function concepts, respectively.
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that differentiates them in principle from thing-concepts, but further, that they are much more accurate to the most advanced theoretical developments of the time. In fact, Cassirer’s suggestions on the point can sound distinctly Nietzschean, and tend to focus on the same relational features that I identified as crucial to the anti-essentialist implications of the will-to-power concept: thus, in Cassirer, “atoms” disappear in favor of “the system of dynamic actions and reactions” (Cassirer 1923 [1910], 159); force itself is “merely the expression of a functional dependence of magnitudes” (Cassirer 1923 [1910], 159); “The ‘thing’ as a passive and indifferent substratum of properties is now set aside. The object is… a sum of actual and possible ways of acting” (Cassirer 1923 [1910], 188). In sum, it is precisely the anti-essentialist features we have seen built into the structure of the will to power as a concept – its relational character, its prioritizing of relations over “things,” its anti-atomism – that enabled it to do as good a job as it did of providing a unifying conceptual framework for the special sciences of the late nineteenth century. Its anti-metaphysical anti-essentialism, directed (in Nietzsche’s mind) against the metaphysical tradition, turns out to be exactly the feature that allows the will to power doctrine to satisfy its synthetic ambitions, and function as a truly comprehensive, genuinely philosophical theory of the unity of the sciences.
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Science and philosophy in Nietzsche’s Genealogy of Morality Paul van Tongeren1 In Ecce Homo Nietzsche looks back at three essays from his Genealogy of Morality analysing them in an extraordinary way. He says that the three essays have the same tripartite structure: an intentionally misleading beginning, followed by an increasing sense of unease ending in a tempo feroce “in which everything rushes ahead in a tremendous tension”, and finally “a n e w truth” becomes “visible every time among thick clouds” (EH GM).2 This description is remarkable because it illustrates how meticulously Nietzsche composed his texts. He carefully structured even those passages that, at first glance, may seem out of control and unrestrained: for example, the outbursts of anger and irritation – “tempo feroce” – that we find towards the end of each essay (such as the tour through the fabric of ideals in GM I 14 and 15, the apotheosis of bad conscience in Christianity in GM II 21 and 22, and his scorn for contemporary science and historiography in GM III 25 and 26). But the passage in EH where Nietzsche describes the essays in GM is intriguing because of another aspect, one that is more important for what I would like to discuss here. According to Nietzsche, there is a deliberate tension between, on the one hand, the ‘calculated’ misleading start of each essay, a start which is called “scientific”, and on the other hand the “n e w truth” that is revealed at the end of each essay. This way the “scientific” start progresses to a “new truth” which is specified as a particular “psychology”: in the first essay this is “the psychology of Christianity”3 in the second “the psychology of the c o n s c i e n c e ” and in the third the “psychology of the priest”. At the end of the passage Nietzsche summarizes the whole of GM saying that it contains “three decisive preliminary studies (“Vorarbeiten”) by a psychologist” (EH GM). So, according to Nietzsche, the three essays each journey from a seductively misleading kind of science, or should we say an (‘ironic’ and ‘deliberately foreground’) appearance of science, a ‘cool’ scientific pose such as contemporary readers would have expected and appreciated and which is therefore ‘holding 1 2 3
I am grateful to NIAS, the Netherlands Institute for Advanced Study, for providing me with the opportunity, as Fellow-in-Residence, to complete this paper. I thank Petry Kievit-Tyson (editor NIAS) for correcting my English. English quotations from Nietzsche’s text are taken from the translation by Walter Kaufmann (New York, Vintage Books, 1967) unless indicated differently. Kaufmann wrongly gives “the birth of Christianity”.
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off ’, appeasing (‘hinhaltend’), to another kind of science (but we might need quotation marks here), or at least to a “n e w truth” (“eine n e u e Wahrheit”) represented by some kind of “psychology”. This psychology is presented as a science that delivers a truth which is unexpected and undesired, which is not superficial (“foreground”) but revealing. Finally, this psychology is indicated as “preliminary”; it knows its own provisionality and because it is able to envisage something else it distinguishes itself from the first type of science, which is more likely to believe it can provide the final answer. Nietzsche’s description of his own book begs the question: what are these two types of ‘science’ between which the Genealogy develops, how do they relate to Nietzsche’s (conception of ) philosophy and what is at stake? I will attempt an answer to this question, albeit in a very modest way: i. e. by reading the Genealogy with this question in mind, and reading rather slowly as Nietzsche recommends in section eight of the Preface.4 In what follows I look at each of the three essays in turn and then at the book as a whole through the lens of Nietzsche’s own retrospective remarks in EH.5 While doing so, I will concentrate on any passages that explore the role of any kind of ‘science’ or philosophy.6
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The perspective I take to the text is also – although only in the background – motivated by contemporary discussions in philosophy about its relation to the sciences (e. g. about the relevance of neuroscience for philosophical anthropology, or of evolutionary biology for moral philosophy). Can Nietzsche’s Genealogy also help us in these discussions about whether or not (and if: how) philosophy should let itself be guided by scientific findings? Maria Christina Fornari (2010) points to Nietzsche’s (and Ricoeur’s) criticism of the retrospective illusion of the bad genealogists, who claim to find the natural origin of morality while in fact being already bound to that morality in their interpretation of nature. I will postpone my answer to this question, however, for another paper. Many existing commentaries to GM (cf. Stegmaier 1994, Leiter 2002, Janaway 2007, Owen 2007, Hatab 2008) do, of course, pay attention to Nietzsche’s retrospect on the book in EH, often in their introductory chapter and/or as an introduction to their commentary on each of the essays; only Conway (2008, 10 – 18) takes it as a guiding principle for his structuring of the text (albeit different from mine), and none of them concentrates on the role of the two kinds of ‘science’, nor does any apply Nietzsche’s interpretation of the three essays to the book as a whole, as I will do in my concluding section. Annamaria Lossi (2010) writes about the relation of science and philosophy in Nietzsche in general, but – apart from the fact that she hardly goes in to GM – she almost only concentrates on Nietzsche’s critique of science, and underestimates the importance of his critique of philosophy for a correct understanding of their relation. An important restriction with regard to the scope of her as well as my paper is that we both do not investigate how Nietzsche’s own reading in philosophy and the sciences might work through under the surface of GM. Werner Stegmaier (1994, 238 – 241) has listed all immediate sources for GM.
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I. Nietzsche’s view of GM as moving from a “foreground” science to a ‘revealing’ science is not immediately apparent when examining the three essays. Although the first essay does appear to go from science to science, deeper analysis reveals this might not actually be the case. It starts, after all, with a critique of the “English psychologists” (GM I 1) or “historians of morality” (GM I 2), who are said to lack the “h i s t o r i c a l s p i r i t ” (GM I 2) and to be psychologically “absurd” (GM I 3). And at the end of the first essay we find a famous note (one of the very few notes in Nietzsche’s writings)7 that can be read as a deliberate evocation of a ‘scientific style’. Here, Nietzsche calls for a scientific investigation into the “h i s t o r y o f t h e e v o l u t i o n o f m o r a l c o n c e p t s” (GM I Note). Therefore, the first essay seems to travel from science to science. However, there are indications that this reading is too predictable, for example, the first note at the end of the essay is clearly not what Nietzsche has meant in EH when he said that the psychological truth should appear at the end of the essay. His “psychology of Christianity” is found in the parts from GM I 6 – 8 on, culminating in GM I 14 – 15, which are far less ‘scientific’ and display the “tempo feroce […] in which everything rushes ahead in a tremendous tension” (EH GM). Second, although Nietzsche addresses his critique in the first few sections to people who (at least to some extent) claim to be scientists (historians, psychologists), his own critique in these sections is not particularly ‘scientific’. He begins with a fairly cautious and ambivalent estimation of their work and gradually becomes more and more critical, but does not really argue in a scientific way. Although he does point to seeming contradictions in what the scientists say (how could the usefulness of something be forgotten by those to whom it is useful?) he first and foremost challenges their claim about the origin of moral values with his own. In other words, instead of usefulness for the ‘moral patient’ (to use today’s terminology), for Nietzsche it is the ‘pathos of distance’ of the ‘moral agent’ which lies at the basis of valuation. We could read this as his (counter-) hypothesis, which is then argued for in the following sections. Nietzsche does indeed then develop an argument that can be called ‘scientific’ to some extent. He refers to several scientific disciplines; he builds an etymological argument in especially GM I 4, 5 and 10 (however problematic); he makes suggestions in the fields of physiology, medicine, psychiatry, cultural anthropology, and mentions the medical biologist Virchow (GM I 5) and the neurologist Mitchell (GM I 6), and he phrases his hypotheses about the history of Judaism and Christianity (in GM I 7 ff.). Aside from the 7
Three other ‘Anmerkungen’ are to be found in WA (9, Nachschrift, and Epilog).
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question of how ‘scientific’ this all is, this can hardly be read as the misleadingly appeasing or luring kind of science he mentions in EH. Thirdly, what Nietzsche does in these sections resembles what he states in the endnote about what should be done for his “academic prize-essay”. Does this mean that, as Dan Conway suggests, Nietzsche claims his own text to be “a presumptive favorite for the prize he has in mind” (Conway 2008, 52)? Or, rather, does it mean that what he wants to be done is something more thorough than what he does in a provisional, suggestive way? Either way, the essay would end with the same kind of ‘science’ it starts with. Therefore, we may ask whether Nietzsche’s call was only meant to produce more evidence for the new truth that he had already made visible. He had, after all, already developed his ‘psychology’ or psycho-physiology of ressentiment (from GM I 10 onwards) specifically his theory on how ressentiment can become creative and productive, a theory in which he alludes to his concept of the will to power (GM I 13) and which culminates in his “psychology of Christianity”, mentioned in EH as the new truth of the first essay. Is the scientific research he calls for in his endnote only meant to blow away the “thick clouds” that at this point may still (partly) obscure that truth? The composition of the first essay turns out to be less clear than Nietzsche suggested in retrospect. But before we move to the second essay I would like to point to two more features of the first essay that could contribute to our understanding of what GM teaches us about science, philosophy and their relationship. With regard to the endnote: on the one hand Nietzsche phrases the question for the prize-essay in terms of the contributions from linguistics and especially etymology for the “history of the evolution of moral concepts”; on the other hand, however, he immediately adds (and expands much longer on) the contributions that other types of science could deliver, namely physiology and medicine. He says: Indeed, every table of values, every ‘thou shalt’ known to history or ethnology, requires first a p h y s i o l o g i c a l investigation and interpretation, rather than a psychological one; and every one of them needs a critique on the part of medical science (GM I Note).
This double message in Nietzsche’s text, which threatens to obscure the plea of the endnote, is symptomatic of the tension between two types of science that almost tore apart the 19th century scientific community (certainly at German universities). This tension between the old sciences of history and philology on one side and the new sciences of physiology and medicine on the other lay at the heart of Turgenjev’s novel Fathers and Sons, a book read by Nietzsche in 1876.8 8
Cf. Zwart 2000. Brown (2004, 63 f.) (who does not mention Nietzsche’s reading of Turgenjev’s novel) shows that a few years later (to be more precise: from 1880 on) the
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Nietzsche frames this tension in an endnote which contains three mentions (at the beginning, in the middle and at the end) of the relation between philosophy and science, but it can equally refer to the two types of science that Nietzsche mentions in EH: the appeasing and luring one in the beginning and the revealing and terrifying one at the end. It might even link these two sources of tension i. e., it might suggest that the luring science at the beginning is philology, whereas the science of psychology at the end is actually physiopsychology. I will return to this in the next section. Finally, I would like to point to one other feature of the first essay, which, in my view, is important for our question and relates the first essay to the others, the third in particular. The topic of the third essay, the ascetic ideal, already appears quite extensively in the first essay.9 It is explicitly mentioned in GM I 6 in a parenthesis on “the hysteria induced by the ascetic ideal”, but from there on until and including GM I 14 Nietzsche describes the way in which ressentiment has created ideals with which it “has hitherto triumphed again and again over all other ideals, over all n o b l e r ideals. –” (GM I 8). This description culminates in the tour through the fabric of ideals in GM I 14. The opposite, noble, ideals are mentioned as “confounded and overthrown” (GM I 11, KSA 5, 274), before they are reintroduced at the end of the essay in terms of the classical or the ancient ideal (GM I 16), in order to allow Nietzsche to conclude in GM I 17 with the evocation of “that greatest of all conflicts of ideals”. In the second essay the discussion of ideals does not play a very significant role. But there are here too some references to the mechanism of ascetic ideal-building in GM II 18 and 22. Also, there is a cry for and problematization of a counter-ideal at the end of the essay (GM II 24) that forms a transition to the third essay that is completely devoted to the problem of the ascetic ideal. Anticipating the discussion of this topic at the end of this paper, I would like to point to a striking mention of this ideal at the beginning of the first essay. Without using the term ‘ideal’, Nietzsche expresses his hope or his wish that the English psychologists will falsify his suspicion against them, and that they will prove to “have trained themselves to sacrifice all desirability to truth, e v e r y truth, even plain, harsh, ugly, repellent, unchristian, immoral truth” (GM I 1). In my view this is a very ambivalent passage: whereas Nietzsche describes his own ideal of the free spirit who is prepared to sacrifice all of his beliefs and prejudices to a truthful pursuit of knowledge, he also describes this ideal in terms of what section III will show to be the ascetic ideal, i. e., “a goal […] so universal that all the other interests of human existence seem, when compared with it, petty and narrow” (GM III 23,
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term “physiology begins to make an increasingly steady appearance” and that GM “has the greatest number of references to physiology”. On the relation between science and the ascetic ideal, mainly in Book V of the Gay Science and GM III (but without taking into account the way this topic runs through the whole of GM), cf. also: Owen (1999).
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KSA 5, 395). At this point I only want to underline that the scientific form of this ideal as it is discussed in the last part of the third essay, is already mentioned at the beginning of the first essay. But before drawing any conclusions on the structure of GM as a whole, let us first turn to the second essay.
II. The structure of the second essay is even more puzzling than that of the first – certainly if one compares it to Nietzsche’s characterization in EH, i. e.: the tripartite structure of an intentional misleading beginning, then a gradually growing unrest which ends in a tempo feroce, and finally “a new truth” becoming “visible […] among thick clouds” (EH GM). We do find the gradually growing unrest ending in a tempo feroce; in fact ferocitas is present from the start through Nietzsche’s representation of the history of violence and cruelty. The sovereign individual only emerges from violent submission and the logic of compensation which “consists in a warrant for and title to cruelty” (GM II 5). This history culminates in the guilt relationship developed by Christianity in which “the maximum god” was “accompanied by the maximum feeling of guilty indebtedness on earth” (GM II 20). Through the moralization of the concept of guilt human existence is to be “considered w o r t h l e s s a s s u c h” (GM II 21). Here bad conscience reaches “its most terrible and most sublime height” (GM II 19) and Nietzsche’s description culminates in the “invincible horror” produced by the “gaze” into “the abysses” of “the most terrible sickness that has ever raged in man” and of the “paroxysms of nonsense” (GM II 22). I quote Nietzsche’s words in order to show his tempo feroce. But what about the misleading cool scientific beginning and the new (psychological) truth at the end? There is in GM II 4, analogous to the first essay, a critique of the unscientific or historically and psychologically unsound hypotheses of “the genealogists of morals” (KSA 5, 297). But unlike the first essay, Nietzsche now encompasses this critique in his own hypothesis on the emergence of conscience. We may consider GM II 1 through to 6 as the first part of the second essay, before the parenthesis in GM II 7; but this first part does not really contrast to the next part starting from GM II 8 on, in which Nietzsche says that he must “return to [his] investigation” (KSA 5, 305). Even less applicable is Nietzsche’s suggestion that the end of each essay is signaled by a new truth becoming visible. At the end of the second essay (GM II 24 f.) we do find the evocation of a new ideal, or rather a plea to those who are strong enough to make an attempt at creating a counter-ideal. But this cannot be seen as the ‘new truth’ of this essay. Rather it – reminds us of a similar plea at the end of the first essay, and predicts the thematization of ideals seen in the
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third essay. In EH, Nietzsche describes the new truth that emerges in the second essay as “the psychology of the c o n s c i e n c e ”, more specifically the idea that conscience is the inverted and interiorized instinct of cruelty: “Cruelty is here exposed for the first time as one of the most ancient and basic substrata of culture that simply cannot be imagined away” (EH GM). However, this ‘new truth’ is developed not so much at the end of the second essay but rather in the middle sections GM II 8 through to 18, and especially 16 – 18; i. e., not after, but before the tempo feroce of GM II 19 – 23. This middle part of the second essay (GM II 8 – 18) clearly is the most important part, also but not only with regard to our search for the meaning of science and philosophy in Nietzsche’s Genealogy. I suggest that in the second essay Nietzsche does not so much progress from (a foreground or superficial) scientificity in the beginning to a (revealing) scientific truth at the end, but rather he weaves this new psychological truth about (bad) conscience into or around his reflections on scientific and philosophical knowledge as we see in the centre of the middle section. The part in which Nietzsche presents and develops his hypotheses on justice, punishment and (bad) conscience, can be divided into three: GM II 8 – 11, GM II 12 – 15 and GM II 16 – 18. Sections 12 – 15 are an aside in Nietzsche’s presentation of his ‘theory’ about how justice (in GM II 8 – 11) and (bad) conscience (in GM II 16 – 18) originated and developed. As several authors have noted,10 this interruption is at the centre of the central sequence of sections of the middle essay of three and is thus located at the very heart of the whole book, and for this reason alone deserves special attention. In these central sections Nietzsche does two things. First he rejects another theory or interpretation, i. e., the ‘moral’ interpretation of the origin and development of justice (punishment), guilt and conscience, such as “the previous genealogists of morals” have presented it. Secondly – and for our framework most importantly- he presents an ontological and epistemological reflection through which he makes it possible to discredit the rejected interpretation and creates room for his own new interpretation. The next paragraph will look at this in more detail. While distinguishing himself from “the previous genealogists of morals”, Nietzsche elaborates on the distinction between, in his terminology, a “thing” (“ein Ding”) and its “purpose” (“Zweck”) or “utility” (“Ntzlichkeit”), i. e. its meaning. Nietzsche seems to ask two different questions regarding this distinction: first, how can you distinguish between the two ‘entities’ and second, is there an explanatory and/or causal relationship between the two and, if so, how does it affect the way they originate and develop? It is important to separate these two questions, because – I think – Nietzsche’s relation to these “previous 10 Cf. e. g. Stegmaier (1994, 70).
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genealogists of morals” is not the same for both. Moreover, the answer to the second question entails a correction to the first. With regard to the first question, the “previous genealogists” are Nietzsche’s antagonists, and there seems to be a relation of perfect inversion between the two: for his antagonists the ‘thing’ seems to refer to appearance; it is characterized as plural, variable and historical. The ‘utility’ or the ‘meaning’, however, refers to the enduring principle underlying all change and variation. To put it differently, it refers to what in traditional metaphysics was called ousia, essence, or form. For these “previous genealogists” therefore, ‘thing’ and ‘meaning’ relate like many and one, changeable and stable, or becoming and being. Nietzsche seems to simply invert these characterizations: the ‘thing’ is “relatively enduring (“[d]auerhaft”)” (GM II 13); the purpose or meaning, however, is extremely fluid. It changes continuously and is given in at least a diachronic plurality, sometimes (“for example, in modern Europe” – GM II 13) also in a synchronic plurality. The answer to the second question (what is the explanatory and/or causal relation between the two?) would for “previous genealogists” immediately be included in the answer to the first, but for Nietzsche this cannot be the case. For these “genealogists” the form, which is the essence of the ‘thing’, is also – as telos – the principle of its realization. Therefore it explains the origins, development and intelligibility of the ‘thing’: “To understand the demonstrable purpose, the utility of a thing, a form or an institution, was also to understand the reason why it originated – the eye being made for seeing, the hand being made for grasping” (GM II 12, KSA 5, 314). This is the traditional metaphysical scheme, which still forms the framework for these seemingly scientific but in fact “na ve genealogists of law and morals” (GM II 13). These alleged scientists are really traditional philosophers, bound to traditional morality. Even when they do no longer believe in eternal metaphysical forms or ideas, they repeat the same structure. If they replace the telos of perfection with that of “adaptation”, or even replace teleological development itself with “the mechanistic senselessness of all events”, it is just the rehashing of an old story under a new guise, that of “most objective sciences” (GM II 12, KSA 5, 315). What is presented as modern, objective science (Nietzsche gives the example “physiology and theory of life”) is, in fact, traditional metaphysical philosophy. There are, however, two ways in which an allegedly new way of thinking can turn out to be a mere imitation of the past. Alongside what we have seen so far (a new interpretation of the old structure, i. e., a new interpretation of the concept ‘form’ while retaining the old structure of form and matter), it is also possible to have an inversion of the old scheme, which – as inversion – copies the inverted. Nietzsche would also fall into this trap if he simply inverted the explanatory relation and explained the form or meaning on the basis of the matter or the (physiological or other) facts. That is what materialism does but,
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as he writes in GM III 16, Nietzsche considers himself to “be the sternest opponent of all materialism” (KSA 5, 377). I think Nietzsche does avoid falling into this trap, by getting rid of the opposition of form and matter altogether, albeit in a rather complicated way. He first replaces ‘utility’ (which had the role of ‘form’ in the traditional opposition) with ‘interpretation’. Instead of the history of a ‘thing’ being the development or realization of a pre-given form, it rather is a history of being “again and again reinterpreted to new ends”. Nietzsche then interprets this series of reinterpretations as a process of being “taken over, transformed, and redirected by some [superior] power”, i. e., as a process of ‘will to power’, the famous concept which in the Genealogy appears for the first time explicitly in this section. But he goes further and inverts the relation between interpretation and will to power. For Nietzsche says that, “everything that occurs [“alles Geschehen”] in the organic world consists of o v e r p o w e r i n g , d o m i n a t i n g , and in their turn overpowering and dominating consist of re-interpretation, adjustment” (GM II 12).11 Will to power is a process of (or a struggle between) interpretations and interpretations are claims to power that oppose each other. Instead of the duality of form and matter, which reduces history to the development of what in principle is already given, Nietzsche presents the will to power which consists of a continuous fight between interpretations that attempt to overpower each other. We are reminded of what has been said in the previous section with regard to the two types of sciences: philology and physiology. Nietzsche seems to not take sides in this 19th century conflict between the old and new sciences, but rather to criticize and reshape both parties. Philological interpretation is challenged by physiological fact-finding, but physiology turns out to be a kind of philology itself; it is an interpretation of the history of interpretations that nature presents. This view can help us interpret Nietzsche’s statement that he is going from a luring but foreground science to a new scientific (psychological) truth. In other words, the foreground science at the beginning claims to be science and to do justice to the facts, but it actually repeats the old philosophical (metaphysical) errors in a seemingly scientific guise. Nietzsche’s psychology at the end, which reveals new truths, is a “morphology and […] d o c t r i n e o f t h e d e v e l o p m e n t o f t h e w i l l t o p o w e r ” and as such “the path to the fundamental problems” (BGE 23). It can be called psychology, physiology, philosophy or any other name, but it is neither philosophy nor science in the old sense of the words.
11 Translation by C. Diethe (1994): On the Genealogy of Morality. Ed. by K. Ansell Pearson. Cambridge (Cambridge University Press).
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III. The composition of the third essay seems clear at first but becomes puzzling if seen in light of Nietzsche’s retrospect account in EH. The third section appears to describe a series of characters representing the ways in which the ascetic ideal presents itself: the artist, the philosopher, the priest and the scientist. Each new character gives a deeper insight into the nihilistic structure of this ascetic ideal. And at both ends of this series we find a single section that concerns the whole essay: GM III 1 gives a kind of overview of the whole essay, possibly as the “aphorism” which according to GM Preface 8 “is prefixed to this essay, the essay itself [being] a commentary on it”,12 and GM III 28 at the end gives the answer to the question which is the title of the essay and the first phrase of its first as well as its second section: “What is the meaning of ascetic ideals?” However, if we try to detect the tripartite structure that Nietzsche mentions in EH, we get lost: maybe we can recognize the “cool, scientific, even ironic, deliberately foreground, deliberately holding off ” beginning in the first two parts: on the artist (especially Wagner) and on the philosopher (especially Schopenhauer). But the tempo feroce, which according to EH is attained at the end of a gradually growing unrest, can be found at least two or even three times: halfway (GM III 14) and at the end (GM III 22) of the part on the priest and then at the end of the last part on the scientist (GM III 26). Moreover, if the new truth revealed in this third essay is the “psychology of the priest”, it is unclear why it is located as the third of four parts instead of at the end of the essay. I am inclined to see the “psychology of the priest”, which we find in GM III 11 – 22, as the middle of the three main parts of the third essay: the philosopher, the priest and the scientist. The first four sections (or the first three, if we take GM III 1 to be the “prefixed” aphorism) are, according to this reading, just an introduction to this main structure. In my view, the section on the priest is both enclosed by and, to some extent, instrumental to the sections on philosophy and science. The suggested composition of these three parts and the importance of this topic (philosophy and science) is confirmed by the fact that the section about the priest (GM III 11 – 22) is interrupted no less than three times by long parentheses on philosophy and science: I refer to GM III 12, 16 and 19/20. Let us look more carefully at what Nietzsche says about science and philosophy here.
12 The question whether this first section or the epigraph from Z has to be seen as the aphorism Nietzsche refers to in the Preface to GM, has evoked a huge discussion, but is irrelevant for my purpose. Cf. for that discussion: Wilcox (1997), Clark (1997), Wilcox (1998), Miklowitz (1999), Marsden (2005), Babich (2006, 179 f.), Janaway (2007, 165 – 185).
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If we consider the sections on the philosopher and the scientist (GM III 6 – 10 and 23 – 27) to be connected by the parentheses in the parts in between the two (GM 12; 16 and 19/20), we could reconstruct the following. In the first part, Nietzsche presents the philosopher as subject to the ascetic ideal. His account, although critical at times, is in general remarkably mild and written in an apologetic tone. Interestingly Nietzsche moves from a description of Kant, via Schopenhauer (GM III 6) to a thesis on “every philosopher” and “every ‘free spirit’” (GM III 7) or about the philosopher, or philosophy in general (GM III 9), or the “philosophers-attitude as such” (GM III 10). In the middle of these five sections Nietzsche speaks on behalf of “we philosophers” (GM III 8) in which he explicitly includes himself as he underlines with autobiographical details. Yes, the philosopher is subject to the ascetic ideal, but he somehow uses it as an instrument in order to make his existence possible and as a disguise behind which he can develop. The main point of criticism is perhaps that he does not acknowledge this, that he suffers from “a lack of any refined experience of himself ” (GM III 6), that he was not able to “‘feel himself ’”, to become “conscious of himself ” (GM III 9), or that he ends up believing that he really was what he represented (GM III 10). We are reminded of the first sentence of the first section of the preface to GM: “We are unknown to ourselves, we men of knowledge”. At the end of this part about the philosopher Nietzsche wonders whether this self-deceiving instrument and disguise (“this gloomy caterpillar form in which alone the philosopher could live and creep about”) is still necessary: “Has all this really a l t e r e d ? Has that many-colored and dangerous winged creature, the ‘spirit’ which this caterpillar concealed, really been unfettered at last and released into the light, thanks to a sunnier, warmer, brighter world? Is there sufficient pride, daring, courage, self-confidence available today, sufficient will of the spirit, will to responsibility, f r e e d o m o f t h e w i l l , for ‘the philosopher’ to be henceforth – p o s s i b l e on earth? … “ (GM III 10)
These questions call forth the hypothesis that the modern scientist might be this liberated philosopher. Nietzsche answers vehemently ‘No’ in GM III 23 – 27. The scientist is not the unfettered and ‘revealed’ philosopher; he is merely the same in a new guise, but perhaps more naive than the philosopher. Without mentioning any science in particular, except historiography in GM III 26, Nietzsche criticizes modern intellectuals, whether scientists or philosophers, as still being subject to the ascetic ideal. Modern science is either (i. e., in the case of the “heedless industry” of these “modest and worthy laborers”) a matter of “self-narcosis” (GM III 23), which was one of the instruments of the ascetic ideal Nietzsche has described before, or (i. e., in case of “the last idealists left among philosophers and scholars”) it is the latest expression of the ascetic ideal: the “faith in truth” (GM III 24). The “seriousness” of the scientists, the “selfbelittlement” of the human being since Copernicus and Darwin, the Kantian
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and neo-Kantian “self-critique of knowledge” (GM III 25): it is, according to Nietzsche, all symptoms of this ascetic ideal. The modern scientist is definitely not the liberated philosopher that Nietzsche referred to at the end of GM III 10. As suggested earlier, the two parts on the philosopher and on the scientist are connected by the series of parentheses that can be found in the part on the priest (GM III 11 – 22), more specifically in GM III 12, 16 and 19/20. In these sections we find what I would term a description of the ambiguities that surround this anticipated or hoped-for philosopher. Several features of this ambiguous character return in the section on the scientist and help to show that this modern scientist is not the anticipated philosopher. Section 12 describes the philosophizing of the ascetic priest with great contempt. At the same time the section emphasizes that, thanks to the perverse inversion of instinctual certainties, there is “no small discipline and preparation of the intellect”: it teaches how “to c o n t r o l one’s Pro and Con” and to employ a “v a r i e t y of perspectives” (GM III 12). It is this perspectivalism that is denied by the faith in truth of the modern scientist (GM III 24). Section 16 contains a long parenthesis on facts and interpretations and connects this part with the central part of the second essay. Feelings of guilt or sinfulness should be understood as an interpretation – a misinterpretation – of yet undefined facts. Nietzsche himself gives a physiological interpretation of these facts and adds that this does not prevent him from being “the sternest opponent of all materialism” (GM III 16). By doing so, he gives an example of what modern scientists are unable to do: their “fatalism of ‘petit faits’” renounces all interpretation and particularly the “forcing, adjusting, abbreviating, omitting padding, inventing falsifying, and whatever else is of the e s s e n c e of interpreting” (GM III 24, KSA 5, 399 f.). In the last one of these three parentheses (starting in GM III 19 and running through to the beginning of GM III 20) Nietzsche speaks on behalf of “us psychologists”, who are clearly to be distinguished from the modern scientists and their “shamefully m o r a l i z e d way of speaking […] their inveterate i n n o c e n c e in moralistic mendaciousness” (GM III 19, KSA 5, 385). Whether they coincide with the longed-for philosophers is yet unclear. But important is that they are being summoned (by themselves) to mistrust themselves: “there is reason enough […] for us psychologists nowadays to be unable to shake off a certain mistrust o f o u r s e l v e s […] we too [might] still [be] victims of and prey to this moralized contemporary taste and ill with it, however much we think we despise it” (GM III 20, KSA 5, 387). This is important because it is characteristic of the liberated philosopher and the real free spirit, just as much as perspectivalism and the readiness to engage in an endless conflict of interpretations. At the end of the part on the scientist, in GM III 27, Nietzsche first speaks in terms of “we more spiritual men of this age” until finally he speaks in the first person singular, doubting whether he is all alone or might have yet unknown friends. And then he comes to his most
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important conclusion, as he indicates in what sense, or to what extent “the [anticipated, longed-for] philosopher [is] henceforth – possible on earth” (GM III 10): only insofar he is aware of the problem which he is, only as the incorporated problem of truth: “What meaning would our whole being possess if it were not this, that in us the will to truth becomes conscious of itself as a problem’” (GM III 27). To conclude, the third essay of the Genealogy not only offers a description of the many forms of the ascetic ideal (as announced in its first section GM III 1) and a diagnosis in terms of nihilism of this ideal (as concluded in its last section: GM III 28), it also offers a psychology of the priest (as Nietzsche claims in EH). Next to all this, but no less importantly, the third essay of the Genealogy is also a pointer to a counter-ideal or, to be more precise, to the inherent difficulty of any counter-ideal.
Conclusion I have attempted to read each of the three essays of the Genealogy through the lens of Nietzsche’s own retrospect in EH. This retrospect has directed our attention to important aspects of the text, but it mainly has done so because of those features that do not seem to fit into Nietzsche’s own reconstruction. In the first essay it is unclear how the plea for scientific research in the endnote relates to what Nietzsche did himself in the text of that same essay. The second essay presents not only a psychology of bad conscience but also a crucial discussion on the relation between science and philosophy and the two types of sciences distinguished in the first essay. Although the third essay appears to be mainly about the ascetic priest, a further analysis reveals that the section on the ascetic priest has another underlying goal, i. e. to indicate how difficult it is for science and/or philosophy to escape from asceticism and nihilism. In conclusion, the issue is whether Nietzsche’s retrospect in EH as applied here to each three specific essays of GM can help us trace a theme line through the book as a whole. It is obvious that in GM Nietzsche aimed to write a different book than for example, Beyond Good and Evil (BGE) to which he added GM as a supplement and clarification (KSA 14, 377): no aphorisms this time, but essays articulated in sections that develop a continuing line of argument (interruptions of which are always indicated explicitly). Each of the essays is meticulously constructed as is the book as a whole. Important topics (such as the theory of ressentiment, the hypothesis of the will to power,13 the nihilistic background of slave morality, bad conscience and ascetic ideals, etc.) are prepared or preluded in one essay then 13 GM I 13; GM II 12 (and 18); GM III 7.
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resumed, developed or elaborated in another and referred back to in the third essay. Stylistic features, such as the cry “Enough! Enough!”, occur in each essay (GM I 14; GM II 25 and GM III 27) and strengthen the unity of the discourse. I pointed already to the fact that ideals are not only the topic of the third essay, but appear time and again throughout the book. In the first and (to a lesser extent) in the second essay we find a critique of ideals as fabricated among slaves. Moreover each of the essays ends with a version of a cry for counterideals. In the first essay this opposite ideal is called problematic (GM I 16), but Nietzsche nevertheless concludes with a firm statement that something like a counter-ideal must be desired, willed, and promoted (GM I 17). The second essay repeats this ‘must’, but in an almost desperate way, while expressing at the same time the fear that the preconditions for it might be impossible today (GM II 24). The last section of the second essay refers in an enigmatic way to someone “with more future”: Zarathustra (GM II 25). The third essay, although it also expresses the longing for an “opposing ideal” (“ein gegnerisches Ideal” GM II 23), in fact problematizes every ideal – for every ideal always denies the reality to which it is opposed. All idealism is dominated by a will to truth that as such is ascetic. In conclusion, what I want to suggest is that the structure that Nietzsche mentions in EH for each of the essays, might also – or even more – refer to this development of the argument in the book as a whole. In the beginning we have the “cool, scientific, even ironic, deliberately foreground, deliberately holding off ” (EH GM) style of someone who is driven by the will to truth and even is prepared “to sacrifice all desirability to truth” (GM I 1). But gradually it becomes clear that “very disagreeable truths are heard grumbling in the distance”.14 Nietzsche’s three psychologies (of Christianity, of conscience and of the priest) are enclosed between the ideal of knowledge as sacrifice of all desirability in the beginning and a critique of this very ideal at the end of the book. The “new truth becomes visible” at the end, when truthfulness draws “its m o s t s t r i k i n g i n f e r e n c e , its inference a g a i n s t itself ” (GM III 27). This new truth reveals that there is no truth beyond this: “that in us the will to truth becomes conscious of itself as a p r o b l e m” (GM III 27). This might also be a reason why Nietzsche calls the essays of GM in EH: “preliminary studies”: “Vorarbeiten”. Psychology, like science and philosophy, can be no more than a prelude. This new truth cannot be further developed and elaborated in a philosophy or a science; it can only be incorporated, as Nietzsche writes in Gay Science 110: “To what extent can truth endure incorporation? That is the question; that is the experiment” (KSA 3, 471). Nietzsche has called GM supplementary to and clarifying for BGE, but this does not mean that it should 14 We may think of the introduction of the will to power in the second essay, and its (interpretationist and perspectivalist) consequences for the will to truth.
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go further than BGE. Also GM still is a prelude to a philosophy of the future, a “Vorarbeit”. At least for ‘us’, there is no science, nor philosophy that goes beyond this point.
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II. Fragen des Naturalismus
Naturalismus? Perfektionismus? Nietzsche, die Genealogie und die Wissenschaften Marco Brusotti Menschliches, Allzumenschliches vertritt eine „historische Philosophie, […] welche gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist“. Diese „allerjngste aller philosophischen Methoden“ – in ihrem Kern eine „C h e m i e der moralischen, religiçsen, sthetischen Vorstellungen und Empfindungen“ sowie der individuell, kulturell und sozial bestimmten „Regungen“ – sei „erst bei der gegenwrtigen Hçhe der einzelnen Wissenschaften“ (MA 1) mçglich. Philosophie, Geschichts- und Naturwissenschaften mssen ineinandergreifen, um gleichermaßen natrliche und historische bzw. kulturelle Entstehungs- und Entwicklungsprozesse zu deuten; es gibt nmlich „k e i n e e w i g e n T h a t s a c h e n “, und gerade weil „der Mensch“ – ja, nicht nur er, sondern alles – „geworden ist“, „ist das h i s t o r i s c h e P h i l o s o p h i r e n von jetzt ab nçthig“ (MA 2). In kritischer Auseinandersetzung nicht nur mit Darwin erhebt die Philosophie von Menschliches, Allzumenschliches den Anspruch, die historistische und die naturalistische Tendenz der Gegenwart eng zusammenzuschließen und weiterzufhren. Dieser Ansatz zu einer Naturalisierung der Geisteswissenschaften, dessen Durchfhrung oft hçchst fragwrdig und bedenklich ausfllt, unterscheidet Nietzsches Philosophie von antinaturalistischen Strçmungen des damaligen Historismus. Sie bestreitet die Existenz von etwas wie einem geisteswissenschaftlichen Sonderbereich und lehnt insofern eine prinzipielle Abgrenzung der Geistes- von den Naturwissenschaften ab. Die Frage, inwieweit diese historische Philosophie bzw. die durch sie versuchten Erklrungen „naturalistisch“ seien, ergibt sich aus Nietzsches eigenem Vokabular.1 Im gegen1
In der Entstehungszeit von Menschliches, Allzumenschliches bemerkt er einmal, die „Empfindungen“, die durch „die naturalistisch historische Erklrung“ verletzt wrden, seien „tief g e w o r d e n , aber nicht immer gewesen“ (NL 1876 – 1877 23[49], KSA 8, 422). Nietzsche verwendet den Ausdruck „Naturalismus“ immer wieder, wenn auch in unterschiedlichen Bedeutungen, manchmal sogar, um die eigene Position zu bezeichnen – etwa als „m o r a l i s t i s c h e [ n] Na t u r a l i s m u s “ (NL 1887 9[86], KSA 12, 380). Nietzsches Gebrauch des Wort- und Begriffsfeldes ,Naturalismus‘/,naturalistisch‘ soll an anderem Ort untersucht werden. – Da einige Texte in diesem Band ausfhrlichere bibliographische Angaben enthalten, sei hier zu Nietzsche und den Wissenschaften lediglich auf drei Aufsatzsammlungen verwiesen: Babich/Cohen (1999), Moore/Brobjer (2004), Gentili/Nielsen (2010).
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wrtigen vielfltigen Gebrauch gehçrt der Fachausdruck „Naturalismus“ jedoch zu einer philosophischen Kultur, der viele Eigenheiten von Nietzsches Denken fremd sind, insbesondere, aber nicht nur, seine oft extrem aggressiven Stellungnahmen zur Wissenschaft berhaupt. Wer ihn mit heute vorherrschenden Varianten von Naturalismus direkt vergleicht, verfhrt letztlich unhistorisch und setzt sich ber diese kulturelle Kluft hinweg. Eine Hauptfrage des methodologischen Naturalismus – ,gibt es zwischen Naturwissenschaften und Philosophie eine Kontinuitt der Methode?‘ – lsst sich jedoch auch in Hinsicht auf die Philosophie von Menschliches, Allzumenschliches stellen. Dabei ist natrlich zu bedenken, dass schon diese die Wissenschaften nicht positivistisch auffasst; und der instrumentalistische, interpretative, konstruktivistische, semiotische, pragmatische Charakter letzterer wird im Laufe der Zeit immer deutlicher hervorgehoben. Sind Nietzsches sptere Anstze seinem Selbstverstndnis nach genauso nahe zu, ja, untrennbar von den Naturwissenschaften wie die „historische Philosophie“? Auch nach den Jahren von Menschliches, Allzumenschliches kommt es Nietzsche auf eine wachsende Integration von Natur- und Geisteswissenschaften an – eher als etwa auf eine naturalistische Ontologie. Sptestens die Genealogie wendet beide Anstze, den naturalistischen und den historistischen, auf die Wissenschaften selbst an: Nietzsche will nicht nur die Geschichts- und Kulturwissenschaften naturalisieren, sondern auch die Naturwissenschaften (eigentlich alle Wissenschaften) historisieren. Wer nur eine dieser Tendenzen einseitig herausarbeitet, mag aus ihm vielleicht jeweils einen Vordenker des analytischen Naturalismus oder einen der Science Studies machen; aber weder die eine noch die andere Aktualisierung wird seinem Denken gerecht. Nietzsche zeigt ein feines Gespr fr wissenschaftliche Umwlzungen, aber eher als neue Errungenschaften einfach zu registrieren oder einzuarbeiten, will er die Agenda selbst diktieren. Dies beabsichtigen auch die zwei ambitionierten Projekte, die der vorliegende Aufsatz in den Blick nimmt. Der siebte Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft, „Etwas fr Arbeitsame“, schließt mit einem Ausblick auf knftige „Cyklopen-Bauten der Wissenschaft“ (FW 7). Einige Jahre spter umreißt die „Anmerkung“, die der ersten Abhandlung der Genealogie beiliegt, ein großangelegtes Forschungsprogramm. Hiernach sollen – und offenbar kçnnen – „[a]lle Wissenschaften“ (GM I Anmerkung) Vorarbeiten fr den Philosophen leisten. Inter- und Transdisziplinaritt sind nicht nur ein praktisches Anliegen, sondern auch theoretisch relevant. Sie sind es heute, weil zu den Forschungsgegenstnden immer mehr Hybriden zhlen, die Fach- und Fachgruppengrenzen sprengen (z. B. eben zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften). Zu Nietzsches Zeiten standen die Beziehungen zwischen den Wis-
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senschaften erst recht im Mittelpunkt der wissenschaftstheoretischen Reflexion.2 In den zu erluternden Texten geht es jedoch eher um das Wechselspiel als um die seinerzeit viel debattierte ,Rangordnung‘ der Wissenschaften – oder um letztere nur in dem Sinn der (nicht nur) damals zentralen Frage nach den Beziehungen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, z. B. zwischen Psychologie und Physiologie. Vor allem aber wandeln diese programmatischen Texte, in denen Nietzsche seine Erwartungen an die Wissenschaften artikuliert, die frhere Vision einer mit den Naturwissenschaften eng verbundenen historischen Philosophie signifikant ab; letztere hat nun in Nietzsches Selbstverstndnis ihre asketischen Zge abgelegt und betrachtet die Wissenschaften weit dezidierter instrumentell und pragmatisch. Wie jede ,vergangene Zukunft‘ sind auch diese phantasievollen, manchmal ausschweifenden Zukunftsvorstellungen in ihrer historischen Begrenzt- und Bedingtheit fr sptere Generationen leicht durchschaubar. Wichtig sind sie trotzdem: Selten legt Nietzsche seine Vorstellungen ber das Zusammenwirken der Wissenschaften und – in der Genealogie – dieser mit der Philosophie so systematisch dar. Zugunsten der zuweilen berzogenen Hoffnungen, die Nietzsches Experimentalphilosophie in die Wissenschaften setzt, darf man seine Wissenschaftskritik nicht vergessen (wie brigens zugunsten des Wissenschaftsphilosophen nicht den Sprachkritiker und -knstler). Abschließend ist also zu fragen, wie diese zuweilen starke Idealisierungen vornehmenden Texte sich zu Nietzsches tatschlicher Vorgehensweise verhalten – sowie zum „Pr o b l e m d e r W i s s e n s c h a f t s e l b s t “, d. h. zu den kritischen Ausfhrungen, in denen Wissenschaft „als problematisch, als fragwrdig gefasst“ wird (GT Versuch 2).
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Zur Debatte stand vor allem eine Annahme: Gibt es eine logische Rangordnung und zugleich eine gesetzmßige Reihenfolge, in der die Einzelwissenschaften im Laufe der Geschichte nacheinander ,positiv‘ werden, d. h. den Status einer echten Wissenschaft erlangen? Bereits Spencer, der dann doch mit einem eigenen Vorschlag hervortrat, hatte zuerst nicht nur Comtes, sondern jeden Versuch zurckgewiesen, eine logische und historische Reihenfolge der Wissenschaften aufzustellen: Letztere – so Spencer – entwickeln sich parallel und in wechselseitigem Austausch, nicht nacheinander. Nietzsche, dem z. B. die Kritik des Comtianers Littr an der von Comtes Originalvorschlag abweichenden Klassifikation der Wissenschaften in Spencers System nicht entgangen sein drfte, enthlt sich der Annahme einer vorbestimmten Entwicklungsreihe (vgl. Littr 1873, S. Vff ). Selbst wenn die vorgeschlagenen alternativen Reihenfolgen einander relativieren und so die ganze Fragestellung allmhlich desavouieren, dauert es lnger, bevor das Problem definitiv von der wissenschaftstheoretischen Agenda verschwindet. – Zur Rangordnung der Wissenschaften vgl. in diesem Band den Beitrag von Orsucci, der zeigt, dass Wilhelm Wundt 1889 – Nietzsche hat die philosophische Szene gerade verlassen – Comtes Idee einer Stufenfolge der Wissenschaften zurckweist.
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I. „Cyklopen-Bauten“ der Wissenschaft: „Etwas fr Arbeitsame“ (FW 7). – Das Studium der „moralischen Dinge“ erçffnet „ein ungeheures Feld der Arbeit“, und der Aphorismus „Etwas fr Arbeitsame“ skizziert ein umfassendes Forschungsvorhaben, zu dessen Verwirklichung es „ganzer Geschlechter und planmssig zusammen arbeitender Geschlechter von Gelehrten“ (FW 7) bedarf. Mit letzteren scheinen zuerst vor allem Historiker gemeint, aber das Blickfeld weitet sich allmhlich aus: auf Wissenschaft berhaupt und auf ein knftiges „Jahrhunderte langes Experimentiren“ (FW 7). Nietzsche beginnt mit einem bescheideneren Desiderat: Er entdeckt einen neuen historiographischen Gegenstand und kndigt eine neue Form von Geschichtsschreibung an. „Bisher hat alles Das, was dem Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte“ (FW 7). Diese ,Farbgeber‘ sind die Leidenschaften, und eine jede Passion muss nun erforscht werden, „ihre ganze Vernunft und alle ihre Werthschtzungen und Beleuchtungen der Dinge“ (FW 7). Wie Paul Res psychologische Beobachtungen hatte die in Menschliches, Allzumenschliches verfochtene „historische Philosophie“ (neben „Vorstellungen“ und „Regungen“) die „Empfindungen“ als Hauptgegenstand. Die frçhliche Wissenschaft fokussiert dagegen die ,Passionen‘. Seit Anfang der achtziger Jahre nmlich versteht Nietzsche seinen eigenen Zustand als eine „neue und unbekannte Leidenschaft“ (NL 1880 7[19], KSA 9, 321), die Leidenschaft der Erkenntnis. Er entwirft fr sich selbst eine individuelle, extrem passionierte Lebensform, und diesem philosophischen Anliegen, die eigene Lebensweise zu gestalten, entspricht der spezifische Charakter dieses Forschungsprojektes. Nietzsches Leitideal ist eine Passion: Deshalb nimmt das Studium der „moralischen Dinge“ hier die Gestalt einer Geschichte der Leidenschaften an. Die neue Geschichtsschreibung greift jedoch viel weiter aus: Sie soll einen berblick ber so disparate Dinge gewhren wie „die verschiedene Eintheilung des Tages“ (FW 7), „die Folgen einer regelmssigen Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe“ (FW 7), „die moralischen Wirkungen der Nahrungsmittel“ (FW 7), die „Erfahrungen ber das Zusammenleben“ (FW 7), die „Dialektik der Ehe und Freundschaft“ und die „Sitten“ (FW 7) verschiedenster Berufsgruppen.3 3
„Selbst eine vergleichende Geschichte des Rechtes, oder auch nur der Strafe, fehlt bisher vollstndig. […]“ (FW 7) Eine solche Geschichte versucht damals Paul Re zu liefern – und spter, in der Genealogie und im Anschluss v. a. an Kohler und Post, auch Nietzsche. Nimmt der Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft also die Genealogie der Moral vorweg? Nicht wirklich: Die Bemerkung deutet einfach darauf hin, dass die Geschichte der Leidenschaften und der ,Existenz-Bedingungen‘, Nietzsches eigentliches Anliegen, erst recht ungeschrieben ist. Vorlufer und Vorbilder, etwa Burckhardts kulturgeschichtliche Ausfhrungen zur griechischen Antike und zur italienischen Renaissance, werden auch sonst nicht genannt.
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Nietzsche stellt nmlich fest, dass nichts, „was bis jetzt die Menschen als ihre ,Existenz-Bedingungen‘ betrachtet haben“ (FW 7), bereits wissenschaftlich erfasst wurde. Die arbeitsamen Gelehrten der Frçhlichen Wissenschaft mssen in planetarischem Ausmaß verwirklichen, was laut Morgenrçthe die sogenannte klassische Erziehung versumt hatte. In dieser letzteren – so Nietzsches ernchterter Rckblick auf die eigene Schulzeit – fehlte die einzig mçgliche Kritik des Nachdenkens ber Moral; es fehlten „jene strengen und muthigen Versuche, in dieser oder jener Moral zu leben“ (M 195); man lernte nichts „von der praktischen Asketik aller griechischen Philosophen“ (M 195), z. B. nicht ihre „Eintheilung des Tages und des Lebens“ (M 195).4 Eben die „verschiedene Eintheilung des Tages“ sowie „die Folgen einer regelmßigen Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe“ (FW 7) will der Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft historisch und vergleichend untersuchen. Diese Art Geschichtsschreibung ist allerdings kein Selbstzweck. Anvisiert wird eine praktisch anwendbare Wissenschaft der Existenzbedingungen und der Lebenstechniken, die auch darber Aufschluss gibt, wie letztere erlernt werden (individuell und kollektiv, ber Generationen hinweg). Zum Beispiel soll eine „Philosophie der Ernhrung“, wie es sie Nietzsche zufolge noch gar nicht gibt, „die moralischen Wirkungen der Nahrungsmittel“ (FW 7) erforschen. (Noch Ecce homo versucht sich an einer solchen Philosophie.) Der Ansatz dieser ,philosophischen‘ Untersuchung ist offensichtlich ein hybrider, geistes- und naturwissenschaftlicher, eine vergleichende historisch-ethnologische und zugleich eine medizinische bzw. ,hygienische‘ Untersuchung. Die zeitgençssischen Wissenschaften, darunter die Geschichte, sollen ein Projekt verwirklichen, das seine ethischen Vorbilder v. a. in der Antike hat. Auch in der Antike mussten die Wissenschaften zur ,Ditetik‘ im Sinn geregelter Lebensfhrung beitragen; und zu ihr zhlen auch die brigen im siebten Aphorismus aufgelisteten Rubriken. Laut „Etwas fr Arbeitsame“ wirken die Naturwissenschaften gerade deshalb entscheidend mit, weil es auf ein praktisch einsetzbares Wissen ankommt: auf die ,Bausteine‘ zu neuen Idealen. Spezifisch ,modern‘, aber auch charakteristisch fr Nietzsche, ist der Beitrag der historischen und ethnologischen Untersuchungen, die ein Korpus von Lebenstechniken zur Verfgung stellen sollen. Das Historische geht ins ,Ditetische‘ ber. Die vergleichenden Untersuchungen sind darauf angelegt, bei der individuellen und allgemeinen Lebensgestaltung mitzuhelfen. Die materielle Geschichte – die vergleichende Geschichte von dem, „was bis jetzt die Menschen als ihre ,Existenz-Bedingungen‘ betrachtet haben“ (FW 7) – 4
Zu M 195 vgl. Brusotti (1997, 256 ff.). Zum Unterschied zwischen der historischen Untersuchung der Moral in der Morgenrçthe und der spteren Genealogie vgl. Brusotti (1997, 246 ff.).
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wird gleichsam durch eine intellektuelle Geschichte ergnzt: durch die Geschichte eben dieser Betrachtungen ber die (tatschlichen und vermeintlichen) Existenz-Bedingungen.5 Es geht um zwei Arten im wesentlichen kausaler Untersuchungen: Einerseits werden etwa die (,moralischen‘) „Wirkungen“ von Nahrungsmitteln und die „Folgen“ bestimmter Lebensweisen erforscht, andrerseits die Ursachen und Wirkungen moralischer Urteile. Zu eruieren ist insbesondere der spezifische Einfluss der jeweiligen Moral auf das Trieb- und Gefhlsleben – in Nietzsches Gleichnis, wie „die menschlichen Triebe je nach dem verschiedenen moralischen Klima“ (FW 7) sich anders entwickelt haben (und entwickeln kçnnten), wobei die „Sonne eines moralischen Grundurtheils und Hauptwerthmessers“ (FW 7) das jeweilige ,moralische Klima‘ prgt – und sich so auf die Triebe, auf ihr ,Wachstum‘ spezifisch auswirkt. Es geht jedoch nicht allein darum, wie die moralischen Urteile das Trieb- und Gefhlsleben beeinflussen, sondern auch um ihre eigenen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen. Wovon hngt es ab, welche moralischen Grundurteile in der jeweiligen Epoche oder Kultur vorherrschen? „[W ]e s s h a l b leuchtet hier diese Sonne eines moralischen Grundurtheils und Hauptwerthmessers – und dort jene?“ (FW 7). Diese Fragen nach Ursachen und Wirkungen moralischer Urteile kçnnen Nietzsche zufolge nur vergleichende empirische Untersuchungen beantworten. Sie mssen die Bandbreite historischer und ethnologischer Variabilitt bestimmen, um mçgliche knftige Entwicklungen vorzubereiten. Vor allem aber mssen die bisherigen Diskurse ber jene ,Existenz-Bedingungen‘ nicht nur registriert und rubriziert, sondern auch evaluiert werden, und zwar zuerst unter einem kausalen Gesichtspunkt; wer in der Art, wie die Menschen ihre „Existenz-Bedingungen“ betrachtet haben, „alle Vernunft, Leidenschaft und Aberglauben“ (FW 7) erforschen will, muss zwischen Vernunft und Aberglauben kritisch, d. h. hier wissenschaftlich, scheiden, genauer: echte und vermeintliche Kausalverhltnisse auseinanderhalten. 5
Nietzsche ist ein aufmerksamer Leser zeitgençssischer ditetischer, hygienischer, medizinischer, gymnastischer Fibeln bzw. Handbcher. In der damaligen medizinischen Literatur ist der Gegensatz zur christlichen, lebens- und kçrperfeindlichen, asketischen Moral fast ein Gemeinplatz. Nicht nur Nietzsche beruft sich auf die Antike. Aber dieses Vorbild hat bei ihm eine spezifische Funktion: Er stellt seine ,Ditetik‘ nicht nur der christlichen, sondern jeder universalistischen Moral gegenber (darin hnelt er etwa Montaigne). Einen eigenen Lebensstil zu finden ist ein noch heute, vielleicht erst recht heute, verbreitetes Anliegen. Aber Nietzsches Idee, die Lebenskunst brauche, wenn auch in den oben erluterten Grenzen, eine wissenschaftliche Grundlage, ist ,naturalistischer‘ als etwa Foucaults ,sthetik der Existenz‘. Man muss in letzterer nicht unbedingt eine Neuauflage von Nietzsches Versuch erblicken, historische Untersuchungen praktisch anzuwenden. Sarasin findet bei Nietzsche wiederum eine ironische Haltung, die er bei Foucault vermisst. Vgl. Sarasin (2002, 217).
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Aus dem historischen Material sind also naturwissenschaftliche Gesetzmßigkeiten zu erschließen, und daraus sollen direkt praktische Anleitungen hervorgehen oder Vorlagen fr knftige Experimente. Die Wissenschaften sollen „[d]ie Gesetze des Lebens und Handelns neu aufbauen“ (M 453); und als „Physiker“ will Nietzsche selbst zum „Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt“ (FW 335) werden. Wie in FW 7 von Wirkungen und Folgen, so ist hier ohne weiteres von Gesetzen die Rede. In diesem Zusammenhang also verwendet Nietzsche Begriffe wie ,Kausalitt‘ und ,Gesetz‘ ohne Vorbehalt, selbst wenn er sie nicht nher erlutert.6 Der Aphorismus unterscheidet drei vorbereitende Aufgaben, zwei interdisziplinre und eine dritte, eher philosophische: Die in Hinsicht 1) auf ihre Wirkungen und 2) auf ihre Ursachen durchleuchteten moralischen Urteile sind anschließend 3) auf ihre Gltigkeit hin zu prfen. „Und wieder eine neue Arbeit ist es, welche die Irrthmlichkeit aller dieser Grnde und das ganze Wesen des bisherigen moralischen Urtheils feststellt“ (FW 7). Das Ergebnis nimmt Nietzsche also bereits vorweg: Jene heterogenen Begrndungen, die bisherigen moralischen Grundurteile und Maßstbe, halten der Kritik s. E. nicht stand. Anders als die historische Rekonstruktion, eine im wesentlichen erst bevorstehende, ja unabschließbare Aufgabe, ist der Nachweis, dass die ,moralischen Vorurteile‘ Irrtmer sind, nicht erst der Zukunft vorbehalten. In Nietzsches Augen haben seine neuesten Schriften – der Zyklus von Menschliches, Allzumenschliches und vor allem Morgenrçthe – die Arbeit im wesentlichen schon geleistet. Wenn der Aphorismus die Kritik der ,moralischen Vorurteile‘ als dritte, besondere Aufgabe anfhrt, geht es also weniger um einen weiteren Schritt, den man erst nach Vollendung jener historischen Untersuchungen gehen kçnne, als um einen logischen Unterschied: Eines ist, Ursachen und Wirkungen moralischer Urteile zu erforschen, ein anderes, die Geltung (,Wahrheit‘ und ,Begrndetheit‘) letzterer in Frage zu stellen. Erst nach den erwhnten drei Vorarbeiten tritt „die heikeligste aller Fragen“ in den Vordergrund, „ob die Wissenschaft im Stande sei, Ziele des Handelns zu geben, nachdem sie bewiesen hat, dass sie solche nehmen und vernichten kann“ (FW 7). Steht dies aber berhaupt zur Debatte? Nietzsche verneint in der Regel, dass Wissenschaft die letzten Ziele geben kann. Schon Morgenrçthe ist hier eindeutig: Im Prinzip kann man unseren „Wissenschaften der Physiologie, Medicin, Gesellschafts- und Einsamkeitslehre“ (d. h. Soziologie und Psychologie) und nur ihnen „die Grundsteine fr neue Ideale“ entnehmen, aber eben nur die „Grundsteine“, „nicht die neuen Ideale selber“; und im aktuellen „Moralische[n] Interregnum“ kçnnen die Wissenschaften selbst jene „Grundsteine“ noch nicht liefern. Sie mssen erst die „Gesetze des Lebens und Handelns neu aufbauen“, und dazu sind sie „ihrer selbst noch nicht sicher genug“ (M 453). 6
Zu diesem Punkt siehe unten S. 108.
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Die heute noch unentdeckten Gesetze werden also erst in einer vielleicht nicht so nahen Zukunft die Grundsteine bilden, auf denen die neuen Ideale dann errichtet werden kçnnen – und dies soll offenbar nicht durch die Wissenschaften selbst geschehen. „Etwas fr Arbeitsame“ (FW 7) nimmt den in Morgenrçthe vorhergesehenen Aufbau gedanklich vorweg. Der Aphorismus weist der Wissenschaft jedoch nicht lediglich die vorbereitende Aufgabe zu, die „Gesetze des Lebens und Handelns neu auf[zu]bauen“ (M 453 zit.). Der Schluss kndigt das Zeitalter an, in dem die Wissenschaft ihre „Cyklopen-Bauten“ (FW 7) errichten wird: Die Frage, ob sie „Ziele des Handelns“ geben kann (FW 7), wird sie durch Experimente beantworten mssen.7 Sie tritt jedoch als die Instanz auf, die es am ehesten vermag. Der siebte Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft ist damit jedoch die Ausnahme, selbst wenn das Neue an der Leidenschaft der Erkenntnis sein soll, dass jetzt „die Erkenntniss mehr sein will, als ein Mittel“ (FW 123). In „Hoch die Physik!“ (FW 335) ist „die Reinigung unserer Meinungen und Werthschtzungen“ (FW 335) das Mittel zur „S c h ç p f u n g n e u e r e i g e n e r G t e r t a f e l n “ (FW 335). „Reinigung“ ist hier epistemisch zu verstehen: als Beseitigung von Irrtum, Aberglauben und Mythologie. Wir mssen „die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden“ (FW 335), wenn wir die werden wollen, „die wir sind, – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sichselber-Schaffenden!“ Kurzum: „wir mssen P h y s i k e r sein, um (…) S c h ç p f e r sein zu kçnnen“ (FW 335). Die „Physik“ – gemeint ist in einem damals nicht unblichen weiten Sinn die Erforschung „alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt“ (FW 335), auch in der historischen, moralischen Welt – wird die neuen „Gtertafeln“ nicht selber erfinden; jeder soll vielmehr seine eigenen, individuellen schaffen. Die neue Synthese von „Physiker“ und „Schçpfer“, von Wissenschaft und Dichtung bzw. Kunst, in der aus letzterer auch und vor allem eine Lebenskunst wird, ist das allgemeine Ziel der Frçhlichen Wissenschaft. „Und wie ferne sind wir noch davon, dass zum wissenschaftlichen Denken sich auch noch die knstlerischen Krfte und die practische Weisheit des Lebens hinzufinden, dass ein hçheres organisches System sich bildet, in Bezug auf welches der Gelehrte, der Arzt, der Knstler und der Gesetzgeber, so wie wir jetzt diese kennen, als 7
Auch in „Vom Ziele der Wissenschaft“ (FW 12; vgl. FW 302) hofft Nietzsche, dass die Zukunft das „ungeheure[] Vermçgen“ der Wissenschaft entdecken wird, „neue Sternenwelten der Freude aufleuchten zu lassen“ (FW 12). Aber dies ist nur eine ihrer mçglichen Wirkungen; „mit der W i s s e n s c h a f t “, heißt es, kçnnen alternative, entgegengesetzte Ziele gefçrdert werden. Das im Titel suggerierte einzige Ziel der Wissenschaft gibt es dem Aphorismus zufolge eigentlich nicht.
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drftige Alterthmer erscheinen mssen!“ (FW 113)8 Die in „Etwas fr Arbeitsame“ (FW 7) heraufbeschworene Wissenschaft der Zukunft ist eher mit diesem ganzen System zu vergleichen als mit dem darin aufgehenden „wissenschaftlichen Denken“ (FW 113); denn sie soll die praktische Weisheit des Lebens nicht nur systematisch erforschen, sondern auch aufbauen. Die Zukunftsvisionen der zwei Aphorismen sind verwandt, aber nicht identisch. Noch Ecce Homo will darauf hin arbeiten, dass „die Menschheit“ in einem knftigen „Augenblick hçchster Selbstbesinnung“ „die Frage des warum?, des wozu? zum ersten Male a l s G a n z e s stellt“ (EH M 2). In „Etwas fr Arbeitsame“ (FW 7) fungiert ,die Wissenschaft‘ (im Singular) als Stellvertreter fr diese Menschheit der Zukunft, d. h., die Wissenschaft stellt und beantwortet hier die genannten Fragen. Warum? Laut Morgenrçthe soll die Leidenschaft der Erkenntnis in einer mçglichen Zukunft planetarische Dimension erlangen und zur treibenden Kraft globaler Experimente werden; sie wird so vielleicht einen tragischen Ausgang der Erkenntnis herbeifhren.9 Der Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft erwhnt die Leidenschaft der Erkenntnis nicht, variiert aber diese Vision. Dies mag der Grund sein, weshalb der Wissenschaft hier die Rolle zukommt, die letzten Ziele des Handelns zu bestimmen. In „Etwas fr Arbeitsame“ werden Nietzsches persçnliche Selbstgestaltungsentwrfe, seine Reflexionen ber eine individuelle ,Dit‘, d. h. Lebensweise, zu einem Arbeitsprogramm fr knftige Generationen. Worauf es hier ankommt, ist koordiniertes menschliches Handeln und Experimentieren in globalem Maßstab. Einiges bleibt auch sonst im Vagen: Es ist ganz allgemein nur von „Gelehrten“ und „Wissenschaft“ die Rede. Die Geisteswissenschaften sind offensichtlich auf die Naturwissenschaften angewiesen, aber der Aphorismus nimmt in der Frage nach deren Beziehung nicht explizit Stellung. Die involvierten Einzelwissenschaften werden nicht angegeben (M 453 listete sie im Gegenteil genau auf ) und deren Kooperation nicht wirklich erlutert. Nietzsche vermisst zwar eine Philosophie der Ernhrung, aber weder fhrt der Aphorismus das ehrgeizige Forschungsprojekt – oder einen Teil davon – als ein philosophisches ein, noch geht es explizit um die spezifischen Aufgaben der Philosophen oder um die Frage, wie Wissenschaften und Philosophie zusammenwirken sollen. Nicht so in der Genealogie: Die lngere Anmerkung am Schluss der ersten Abhandlung macht die Rolle der Philosophie explizit zum Thema: Alle Wissenschaften sollen dem Philosophen vorarbeiten.
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Zu FW 113 vgl. Brusotti (1997, 452 ff., insbes. 454). Vgl. M 45 und M 429.
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II. Das „ursprnglich so sprçde, so misstrauische Verhltniss zwischen Philosophie, Physiologie und Medizin“ (GM I Anmerkung). – Die Geburt der Tragçdie – so der „Versuch einer Selbstkritik“ – habe „Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwrdig gefasst.“ Der Autor habe damit „das P r o b l e m d e r W i s s e n s c h a f t selbst“ entdeckt (GT Versuch 2). Der spte Nietzsche formuliert es neu: „Und die Wissenschaft selbst, unsere Wissenschaft – ja, was bedeutet berhaupt, als Symptom des Lebens angesehn, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, w o h e r – alle Wissenschaft?“ (GT Vorrede 1) Zur Genealogie der Moral, insbesondere deren dritte Abhandlung, will diese schlimmere Frage beantworten – und ebenfalls diejenige nach dem bisherigen „Wozu“ von Wissenschaft. Aber es geht in der Streitschrift auch um ein mçgliches knftiges Wozu der Wissenschaft. Die programmatische Anmerkung mit der die erste Abhandlung schließt, ist hier einschlgig. Zuerst geht es um einen als Preisausschreiben formulierten Vorschlag zur Fçrderung moralhistorischer Studien: um eine „E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e d e r m o r a l i s c h e n B e g r i f f e “, an der die „eigentlichen Philosophie-Gelehrten von Beruf“ ebenso mitwirken sollen wie „Philologen und Historiker“ (GM I Anmerkung). Noch wichtiger als dieses sprach- und begriffsgeschichtliche Projekt, wenn auch kein Gegenstand einer Ausschreibung, ist ein zweites, ebenfalls interdisziplinr angelegtes Vorhaben: eine Kritik „der bisherigen Wertschtzungen“, an der die „Fach-Philosophen“ mit Historikern und Ethnologen, vor allem aber mit „Physiologen und Mediciner[n]“ (GM I Anmerkung) arbeiten sollen. Nietzsche betrachtet sich keineswegs als den einzigen, der ein produktives „Verhltniss zwischen Philosophie, Physiologie und Medicin“ gestiftet habe; er geht im Gegenteil davon aus, den „Fach-Philosophen“ sei es „im Ganzen“ bereits „gelungen […], das ursprnglich so sprçde, so misstrauische Verhltniss zwischen Philosophie, Physiologie und Medicin in den freundschaftlichsten und fruchtbringendsten Austausch umzugestalten“ (GM I Anmerkung). In diesem Punkt sieht sich Nietzsche also keineswegs als Außenseiter; vielmehr konstatiert er ein allgemeines Forschungsklima oder wenigstens eine in der Universittsphilosophie verbreitete Tendenz (wie sie damals etwa in Ribots Revue philosophique ihren Ausdruck findet). Den „We r t h der bisherigen Wertschtzungen“ (GM I Anmerkung) festzustellen ist hiernach ein inter- bzw. transdisziplinres Vorhaben, an dem die Universittsphilosophen ebenso mitwirken sollen wie andere Geistes- und Naturwissenschaftler. „In der That bedrfen alle Gtertafeln, alle ,du sollst‘, von denen die Geschichte oder die ethnologische Forschung weiss, zunchst der p h y s i o l o g i s c h e n Beleuchtung und Ausdeutung, eher jedenfalls noch als der psychologischen; alle insgleichen warten auf eine Kritik von seiten der me-
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dicinischen Wissenschaft.“ (GM I Anmerkung) Diese drei Hauptaufgaben – historisch-ethnologische Zusammenstellung des Materials, physiologische Deutung und medizinische Kritik – sind Voraussetzung zu einer vierten, entscheidenden: Der Philosoph muss das „Pr o b l e m v o m We r t h e “ (GM I Anmerkung) lçsen. Wie die „Entwicklungsgeschichte der moralischen Begriffe“ hat also auch der Versuch, den „We r t h der bisherigen Wertschtzungen“ (GM I Anmerkung) zu bestimmen, lediglich vorbereitenden Charakter. Nietzsche versteht sich selbst als (großen) Psychologen und bekennt sich immer wieder zur Psychologie.10 Hier jedoch wird die Physiologie der Psychologie eindeutig vorgeordnet: Die Wertschtzungen – heißt es im Einklang mit der positivistischen Psychiatrie11 – bedrfen „der p h y s i o l o g i s c h e n Beleuchtung und Ausdeutung, eher jedenfalls noch als der psychologischen“ (GM I Anmerkung).12 Die Abhandlungen implementieren immer wieder physiolo10 Ecce homo nennt die drei Abhandlungen „entscheidende Vorarbeiten eines Psychologen fr eine Umwerthung aller Werthe“ (EH GM; meine Hervorhebung): Sie enthalten jeweils „die Psychologie des Christenthums“, „die Psychologie des G e w i s s e n s “ sowie „die erste Psychologie des Priesters“ (EH GM). Zarathustra sei „der erste Psycholog der Guten“ (EH Schicksal 5), vor Nietzsche sei noch niemand „unter den Philosophen Ps y c h o l o g “ gewesen, noch mehr, es habe vor ihm „noch gar keine Psychologie“ gegeben (EH Schicksal 6). – In Jenseits von Gut und Bçse verlangt Nietzsche als „Psychologe“, „dass die Psychologie wieder als Herrin der Wissenschaften anerkannt werde, zu deren Dienste und Vorbereitung die brigen Wissenschaften da sind“; dies gelte aber nur, wenn man – wie noch nie gewagt – Psychologie „als Morphologie und E n t w i c k l u n g s l e h r e d e s W i l l e n s z u r M a c h t “ betrachte, und diese sei „[e]ine eigentliche Physio-Psychologie“ (JGB 23). 11 „Die psychologische Eintheilung der Geisteskrankheiten ist ungengend.“ (Maudsley 1875, VIII, Zusammenfassung des dritten Kapitels. Siehe auch BN, 378) Maudsleys Unterscheidung zwischen psychologischer und physiologischer Betrachtungsweise kommt bei Nietzsche erst in Zur Genealogie der Moral zu voller Geltung. Aber Maudsley ist eine bedeutende Quelle der Morgenrçthe (vgl. die Nachweise in Brusotti 1997, insbes. 234 ff., 391 ff.), und bereits die Frage, was ein „Wechsel von tiefstem Elend und tiefstem Wohlgefhl physiologisch zu bedeuten habe (ob vielleicht eine maskirte Epilepsie?)“ (M 87), geht mit Maudsley vom methodischen Vorrang der physiologischen Betrachtungsweise gegenber der psychologischen aus. Zu Maudsley als Quelle von M 87 vgl. Brusotti (1997, 392 ff.). 12 Die Anmerkung handelt vom Verhltnis zwischen zwei Wissenschaften, also vom Primat der Physiologie ber die wissenschaftliche Psychologie, nicht von der berlegenheit der ersteren gegenber der traditionellen philosophisch-religiçs-moralischen ,Psychologie‘. Den Gegensatz zwischen „physiologisch“ und „psychologisch-moralisch“ (GM III 17) betont die Genealogie allerdings immer wieder. Eine (asketische) „Religion“ ist – so Nietzsches „allgemeinste Formel“ – ein „aus Mangel an physiologischem Wissen“ missverstandenes „p h y s i o l o g i s c h e s H e m m u n g s g e f h l “, „so dass dessen ,Ursache‘, dessen Remedur auch nur psychologisch-moralisch gesucht und versucht werden kann“ (GM III 17); „physiologisch und nicht mehr psychologisch nachgerechnet“, zeigt sich Schopenhauers Auffassung der Askese, der scheinbare „Selbstwiderspruch“ „Leben g e g e n Leben“, als „ein psychologisches Missverstndniss von Etwas“, „dessen eigentli-
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gische und medizinische Kategorien in die auch sonst spekulative historische Rekonstruktion; und Nietzsche wertet dabei zeitgençssische wissenschaftliche Literatur aus, allerdings eher unsystematisch und z. T. ad hoc. Man kçnnte also leicht einwenden, dass Anspruch und Leistung hier auseinanderklaffen; denn die eigentliche Leistung der ,Streitschrift‘ ist eher interpretativer, ,psychologischer‘ Natur. Trotzdem ist Nietzsches prinzipielle Position klar: Die Physiologie hat die Deutungshoheit, weil jene Ursachen physiologischer Natur sind. Nietzsches Idee, Moralen psychophysiologisch zu deuten und medizinisch zu evaluieren, setzt etwa voraus, dass alle Menschen, die eine bestimmte Moral vertreten, sich durch eine gleichartige psychophysiologische Konstitution auszeichnen. Nietzsche berschtzt hier nicht nur den Forschungsstand, sondern die prinzipiellen Mçglichkeiten in Theorie und Praxis: Er tendiert wie die zeitgençssischen Physiologen dazu, soziologische und kulturelle Kategorien durch medizinische zu ersetzen. Diese physiologische Betrachtung sozialen Lebens ist unzulssig und alles andere als unbedenklich. Jenseits von Gut und Bçse beschreibt zwei komplementre Anstze in der „Naturgeschichte der Moral“: einen entstehungsgeschichtlichen und einen vergleichend-typologischen.13 In der Vorrede der Genealogie bilden genetische, in der Anmerkung wiederum vergleichend-typologische Untersuchungen die Propdeutik der Kritik.14 Nietzsches ,Preisausschreibung‘ hat einen sprach- und che Natur lange nicht verstanden, lange nicht an sich bezeichnet werden konnte, – ein blosses Wort, eingeklemmt in eine alte L c k e der menschlichen Erkenntniss.“ (GM III 13). Der missverstandene „Thatbestand“, auf den das asketische Ideal deutet, ist „eine partielle physiologische Hemmung und Ermdung“, gegen die der „S c h u t z - u n d H e i l - I n s t i n k t [ …] e i n e s d e g e n e r i r e n d e n L e b e n s “ bzw. „die tiefsten, intakt gebliebenen Instinkte des Lebens“ ankmpfen (GM III 13). Diese tiologie ist eben die Antwort auf die Frage, was das asketische Ideal „b e d e u t e t “ (GM III 23). Die „Bedeutung“ dieses Ideals ist demnach zwar ein „Wille“ (GM III 23), dieser soll aber offenbar eher noch Gegenstand der Physiologie sein als der Psychologie. Auf jeden Fall nennt Nietzsche „Was bedeutet aller Ernst?“ – „eine Frage fr Physiologen, wie billig“ – eine „noch grundstzlichere Frage“ als das Problem „was bedeutet das asketische Ideal?“ (GM III 11). Eine psychologische Kategorie wie der „seelische Schmerz“ ist fr Nietzsche ebenfalls „eine Auslegung (Causal-Auslegung) von bisher nicht exakt zu formulirenden Thatbestnden“ (GM III 16), eine „Causal-Auslegung“ allerdings, die „vollkommen noch in der Luft schwebt und wissenschaftlich unverbindlich ist“ (GM III 16), eben weil die physiologischen Vorgnge, zu deren physiologischen „Folgen“ der „seelische Schmerz“ gehçrt, noch unbekannt sind. 13 Vgl. JGB 186. 14 In einer Aufzeichnung vom Herbst 1885 – Frhjahr 1886 gehen der Kritik drei historische Aufgaben voran: Der „gesamte Moral-Codex einer Zeit“, „die gegenwrtig (und in einem begrenzten Culturbereich) herrschende Art der moralischen Abschtzung von Mensch und Handlungen“, der „gegenwrtige[] C h a r a k t e r [ ] der Moral“, sind a) erstens „zu fassen und festzustellen“, b) zweitens (als „S y m p t o m “) zu deuten und auszulegen, c) und drittens genetisch, entstehungsgeschichtlich zu erklren. (NL 1885 – 1886 1[53], KSA 12, 23) Nietzsche hlt hier also Materialbeschaffung (a) und Entste-
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begriffsgeschichtlichen Gegenstand. Im anderen Projekt, in der Kritik der moralischen Wertschtzungen, haben die philologischen, historischen und ethnologischen Disziplinen jedoch eine andere Funktion. Hier geht es darum, das moralhistorische Material zu sammeln, zu vergleichen und zu klassifizieren. Aber Ethnologie und Geschichte stellen lediglich das Material bereit; schon die Aufgabe, das Gesammelte zu vergleichen und typologisch zu klassifizieren, fllt den Naturwissenschaften zu. Das 5. Buch der Frçhlichen Wissenschaft unterscheidet zwischen „Kritik der moralischen Werthurtheile“ und „E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e dieser Gefhle und Werthschtzungen“ (FW 345),15 und die Vorrede der Genealogie zwischen Frage nach dem Werth und Frage nach den Entstehungsbedingungen. Eines ist die „Kritik der moralischen Werthe“ („d e r We r t h d i e s e r We r t h e i s t s e l b s t e r s t e i n m a l i n Fr a g e z u s t e l l e n “), ein anderes die „Kenntniss der Bedingungen und Umstnde (…), aus denen sie gewachsen, unter denen sie sich entwickelt und verschoben haben“ (GM Vorrede 6). Entstehungsgeschichte und Kritik der Moral fallen also nicht zusammen. Zwischen ihnen besteht eine deutliche Rangordnung: Die Entstehungsgeschichte ist lediglich „eins unter vielen Mitteln“, um dann „etwas viel Wichtigeres“ anzugehen: eben die kritische Frage nach dem „We r t h der Moral“ (GM Vorrede 5). Die Fragen nach Entstehung und Wert werden zwar deutlich unterschieden, aber sie sind nicht ohne Beziehung zueinander, sofern beide in der Genealogie einen kausalen Aspekt haben: Es geht jeweils um „Moral als Ursache“ und um „Moral als Folge“, einerseits also um „Moral als Ursache, als Heilmittel, als Stimulans, als Hemmung, als Gift“, andrerseits wiederum um „Moral als Folge, als Symptom, (…) als Krankheit, als Missverstndniss“ (GM Vorrede 6) eines physiologischen Syndroms. Im Sprachgebrauch der Genealogie hngt die „Bedeutung“ immer wieder mit den (physiologischen) Ursachen und der „Werth“ mit den (physiologischen) Wirkungen zusammen.16 Die Frage „unter welchen Bedingungen erfand sich der Mensch jene Werthurtheile gut und bçse?“ erlutert die Vorrede so: „Sind sie ein Zeichen von Nothstand, von Verarmung, von Entartung des Lebens? Oder umgekehrt, verrth sich in ihnen die Flle, die Kraft, der Wille des Lebens, sein Muth, seine Zuversicht, seine Zukunft?“ (GM Vorrede 3). Wertschtzungen werden hier als hungsgeschichte (c) auseinander und unterscheidet deshalb vier „getrennte Aufgaben“; denn d) die Kritik der „gerade jetzt herrschenden Urtheilsweise“ kommt als vierte hinzu. 15 Letztere sei „noch einmal etwas Anderes als die Geschichte der ethischen Systeme“ (FW 345). 16 Die dritte Abhandlung unterscheidet programmatisch Frage nach der Bedeutung und Frage nach den Wirkungen: „Nicht was dies Ideal g e w i r k t hat“, soll das Thema sein, „vielmehr ganz allein nur, was es b e d e u t e t , worauf es rathen lsst, was hinter ihm, unter ihm, in ihm versteckt liegt, wofr es der vorlufige, undeutliche, mit Fragezeichen und Missverstndnissen berladne Ausdruck ist.“ (GM III 23)
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Symptome gedeutet: Die Frage, was sich in ihnen „verrth“, ist eine semiotische und eine kausale: Sie sind „ein Zeichen“, ihre Ursache ist ihre „Bedeutung“, und in der Physiologie geht es um „Bedeutung“ in diesem Sinn. Wer dagegen nach dem „Werth“ der Wertschtzungen fragt („u n d w e l c h e n We r t h h a b e n s i e s e l b s t ?“ (GM Vorrede 3)), fragt nach ihren Wirkungen: „Hemmten oder fçrderten sie bisher das menschliche Gedeihen?“ (GM Vorrede 3). In Zur Genealogie der Moral ist die Entstehungsgeschichte an sich noch keine Kritik, der Hauptunterschied scheint hier allerdings eben, dass die Entstehungsgeschichte mit den Ursachen, die Kritik mit den Wirkungen zu tun hat. Unter der „Kritik von seiten der medicinischen Wissenschaft“ (GM I Anmerkung) versteht die Anmerkung eine durchgehend in physiologisch-medizinischem Vokabular formulierte Einsicht in kausale Zusammenhnge: in die physiologischen Wirkungen moralischer Wertschtzungen. Nachdem die Physiologie die Daten semiotisch gedeutet, d. h. die Wertschtzungen als Symptome auf ihre biologischen, physiologischen Ursachen zurckgefhrt hat, werden die so beleuchteten ,Gtertafeln‘ auf ihre Wirkungen hin befragt. Anders in „Etwas fr Arbeitsame“: Im Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft bildet der Einblick in die Ursachen und Wirkungen moralischer Wertschtzungen eine Propdeutik, bevor die Geltung moralischer Urteile in Frage gestellt wird. Der Nachweis, dass die moralischen Urteile irrtmlich und unbegrndet sind, wird in der Anmerkung der Genealogie dagegen einfach vorausgesetzt – offenbar als bereits erledigte Aufgabe. Die Anmerkung legt also im Vergleich zur Moralkritik, wie Nietzsche sie wirklich bt, eine verkrzte Auffassung vor: Sie zhlt die Argumente gegen die Geltung moralischer Urteile nicht zum anstehenden Pensum (und die Psychologie kaum zu den Organen der Kritik). Die „Kritik von seiten der medicinischen Wissenschaft“ untersucht die Wirkungen der ,Moralen‘ in Hinsicht auf zwei „entgegengesetzte Werth-Gesichtspunkte“: Der eine, der Utilitarismus, hat das „Wohl der Meisten“ zum Maßstab, der andere, Nietzsches elitre Alternative, „das Wohl der Wenigsten“.17 Die „Wenigsten“, auf deren „Wohl“ es hier ankommen soll, gibt es offenbar noch nicht: Das Ziel ist, „einen strkeren Typus herauszubilden“ (GM I Anmerkung), der offenbar noch nicht da ist, „eine an sich mçgliche h ç c h s t e M c h t i g k e i t u n d P r a c h t des Typus Mensch“ (GM Vorrede 6). Der „Ausblick“ der Vorrede (GM Vorrede 7) legt diesen zweiten Wertgesichtspunkt 17 „Die Frage: was ist diese oder jene Gtertafel und ,Moral‘ w e r t h ? will unter die verschiedensten Perspektiven gestellt sein; man kann namentlich das ,werth w o z u ?‘ nicht fein genug aus einander legen. […] Das Wohl der Meisten und das Wohl der Wenigsten sind entgegengesetzte Werth-Gesichtspunkte: an sich schon den ersteren fr den hçherwerthigen zu halten, wollen wir der Naivett englischer Biologen berlassen…“ (GM I Anmerkung)
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nur fragend, jedoch eindringlich, nahe,18 und in der Anmerkung ist er nur ein ebenfalls in Frageform angekndigtes mçgliches Resultat eines noch anstehenden Forschungsprogramms. Aber in der Streitschrift geht Nietzsche umstandslos von jenem zweiten Gesichtspunkt aus. Die Fragen, die er abschließend noch einmal stellt, hat die erste Abhandlung, ursprnglich die ganze Genealogie, eigentlich schon beantwortet: Es gibt zwei Grundtypen von Moral, von denen nur der eine das menschliche Gedeihen fçrdert; zu diesem Grundtypus, und zum ,Wohl der Wenigsten‘, hat sich Nietzsche ohne Vorbehalt bekannt. Die in der Anmerkung geforderte Entscheidung ist eigentlich schon gefallen. Die Anmerkung will die metaethische Frage „unter die verschiedensten Perspektiven“ stellen, aber zur Wahl stehen nur zwei „entgegengesetzte WerthGesichtspunkte“ (GM I Anmerkung), in denen es lediglich auf die Wirkungen der Wertschtzungen ankommt. In heutige Terminologie bersetzt, geht es also um zwei Formen von Konsequentialismus: Utilitarismus und Perfektionismus.19 Seit Rawls ist die Debatte entbrannt, ob und in welchem Sinn bei Nietzsche von letzterem die Rede sein drfe.20 Die Fragen, ob er Naturalist und ob er Perfektionist sei, hngen nicht zwingend zusammen. Aber die Anmerkung, sofern sie den hçheren Typus physiologisch definiert, scheint zu einer (fragwrdigen) naturalistischen Variante von Perfektionismus zu neigen. Es geht jedoch nicht um eine Letztbegrndung dieses Ideals; denn die „Kritik von seiten der medicinischen Wissenschaft“ verfhrt rein zweckrational: Sie klrt nur Wirkungszusammenhnge, d. h., sie stellt lediglich die (angeblichen) ,physiologischen‘ Folgen von Wertschtzungen mit Hinblick jeweils auf den einen und den anderen Wert-Gesichtspunkt fest, ohne zwischen diesen, 18 Zur Entscheidung steht die Frage, welcher Typus bzw. welche Moral „fr hçherwerthig (…) anzusetzen“ ist, „hçherwerthig im Sinne der Fçrderung, Ntzlichkeit, Gedeihlichkeit in Hinsicht auf den Menschen berhaupt (die Zukunft des Menschen eingerechnet)“ (GM Vorrede 6). Beide Typen – der „Gute“ oder der „Bçse“ – sind demnach an ihren jeweiligen Folgen zu messen: Der „Gute“ wird von Nietzsche als Wirkung (als „Rckgangssymptom“), vor allem aber als Ursache betrachtet, die eine Reihe von (unwillkommenen) Wirkungen zeitigt: Er sei „eine Gefahr, eine Verfhrung, ein Gift, ein Narcoticum, durch das etwa die Gegenwart auf Kosten der Zukunft lebte“. „So dass gerade die Moral daran Schuld wre, wenn eine an sich mçgliche h ç c h s t e M c h t i g k e i t u n d Pr a c h t des Typus Mensch niemals erreicht wrde? So dass gerade die Moral die Gefahr der Gefahren wre?…“ (GM Vorrede 6) 19 Nietzsche, fr dessen Genealogie die ,physiologischen‘ Wirkungen der Wertschtzungen so wichtig sind, ist bekanntlich ein scharfer Kritiker gelufiger Formen von Konsequentialismus, z. B. der Beurteilung einer Handlung aus ihren „Folgen“ durch die Utilitaristen. Vgl. etwa NL 1888 14[185], KSA 13, 373ff. 20 Rawls hat seiner Anwendung auf Nietzsche die angelschsische Diskussion veranlasst. Er versteht unter ,Perfektionismus‘ eine Variante von Konsequentialismus. Anders Cavells und Conants Rawls–Kritik (vgl. Conant 2001). Als Konsequentialismus versteht den Perfektionismus auch Thomas Hurka (2007, 9 – 31), aber mit anderem Ergebnis als Rawls (1971).
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d. h. zwischen Utilitarismus und Perfektionismus, zwischen „Wohl der Meisten“ und „Wohl der Wenigsten“, eine Entscheidung zu treffen.21 Dass einer dieser „entgegengesetzte[n] Werth-Gesichtspunkte“, der erstere, an sich „fr den hçherwerthigen“ zu gelten hat, darf gegen die „Naivett englischer Biologen“ (GM I Anmerkung) nicht einfach vorausgesetzt werden. Hier ist, so Nietzsche, eine Entscheidung erst zu treffen – und offenbar auf einer bergeordneten metaethischen Ebene. Die medizinische Kritik hat dementsprechend eine begrenzte Reichweite; denn nur die Wertschtzungen sind konsequentialistisch zu betrachten, nicht die bergeordneten Wert-Gesichtspunkte; zwischen letzteren wird nicht durch konsequentialistische Argumente entschieden. Moral wird naturalistisch und konsequentialistisch betrachtet, aber nicht begrndet. Erst nach Abschluss dieser kausalen Untersuchungen soll der Philosoph, diesmal Nietzsches ,Gesetzgeber‘, die Zgel in die Hand nehmen: A l l e Wissenschaften„ – schließt die Anmerkung – “haben nunmehr der ZukunftsAufgabe des Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph das Pr o b l e m v o m We r t h e zu lçsen hat, dass er die R a n g o r d n u n g d e r We r t h e zu bestimmen hat. (GM I Anmerkung)
Wie lçst der Philosoph dieses Problem? Er – heißt es in Jenseits von Gut und Bçse – muss unter vielem anderen auch Historiker und Kritiker gewesen sein, aber seine eigentliche Aufgabe „will etwas Anderes, – sie verlangt, dass er We r t h e s c h a f f e .“ Dieses „Schaffen ist eine Gesetzgebung“ (JGB 211). Will auch die Anmerkung von der kausalen Erforschung der gegebenen Wertschtzungen die Schçpfung neuer abheben? Der Philosoph soll demnach „das Problem vom Werthe“ lçsen, indem er „d i e R a n g o r d n u n g d e r We r t h e “ (GM I Anmerkung) bestimmt. Aber was heißt hier ,bestimmen‘? (Wissenschaftlich) ,ermitteln‘ oder im Gegenteil ,beschließen‘, d. h. eine Entscheidung treffen? Die Ausdrucksweise suggeriert ersteres, aber letzteres ist gemeint: Der Philosoph kann das „Problem vom Werthe“ nur lçsen, indem er die neuen Werte setzt. Der Philosoph nimmt in der Anmerkung nur diese vornehmere Aufgabe exklusiv fr sich in Anspruch. Nietzsche trennt also die rein philosophische Aufgabe von einer interdisziplinren (philosophisch-wissenschaftlichen): die „R a n g o r d n u n g d e r We r t e “ (GM I Anmerkung I) von der Untersuchung kausaler Zusammenhnge. Ist dies als Zsur zwischen einem naturalistischen und einem nicht naturalistischen Teil seiner Philosophie zu verstehen? Darf man also sagen, er sei Naturalist, wenn er die gegebenen Wertschtzungen erklre, nicht jedoch, wenn er neue schaffen wolle? 21 „Die St e i g e r u n g des Typus verhngnißvoll fr die E r h a l t u n g d e r A r t ?“ (NL 1888 14[182], KSA 13, 369) Dieses „Problem“, der Gegensatz zwischen dem Wohl der Wenigsten und dem Wohl der Meisten, wird fr Nietzsche nach Zur Genealogie der Moral erst recht virulent: als ein „Problem der Oekonomie“, des çkonomischen Sinns der Verschwendung.
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Brian Leiter unterscheidet bei Nietzsche den Humeaner, der Moral in naturalistisch respektablen Begriffen erklren mçchte, und den ,Therapeuten‘, der den Naturalismus zu von diesem unabhngigen Zwecken verwendet und aus Skepsis gegen die berzeugungskraft rationalen Argumentierens eine Vielfalt rhetorischer Mittel einsetzt (vgl. Leiter 2011). Mit dieser Unterscheidung mçchte Leiter den Kritikern seiner minimalistischen naturalistischen Interpretation entgegenkommen: Außer dem ,Naturalismus‘, der Leiter interessiert, gebe es bei Nietzsche auch noch eine ,Therapeutik‘. Nietzsche – so Leiter – will den ,Naturalismus‘ zu Zwecken einsetzen, die diesem nicht inhrent sind, zu ,therapeutischen‘ Zwecken. Tatschlich will Nietzsche die Wissenschaften, die ihm zufolge kein eigenes Ideal haben und insofern keine intrinsischen Ziele, zu Zwecken einsetzen, die vom alten Ideal und von den Wissenschaften selbst unabhngig sind. Leiters Wiedergabe suggeriert aber, dass jene ,therapeutischen‘ Zwecke keine naturalistischen sind. Es handelt sich eigentlich um eine definitorische Frage, aber sie ist nicht ohne Konsequenzen. In der „Anmerkung“ der Genealogie geht es nicht um ein Nebeneinander von ,Naturalismus‘ und ,Therapeutik‘, also nicht um zwei parallele Projekte, sondern um zwei aufeinanderfolgende Phasen desselben Projektes: Folgt hier auf einen ,Naturalismus‘ eine nicht naturalistische ,Therapeutik‘? Wer sich Leiters Sprachgebrauch zu eigen macht und auf die „Anmerkung“ der Genealogie anwendet, muss einen wenig berzeugenden Schluss ziehen: Naturalistisch sind nur die ersten Phasen des Forschungsprogramms, d. h. nur die „Vorarbeiten“, die alle Wissenschaften fr den Philosophen leisten, nicht jedoch die philosophische Hauptaufgabe, die „Zukunfts-Aufgabe“ des Philosophen. Der Teil, den man ,naturalistisch‘ nennt, ist rein instrumentell und der andere, der ,nicht naturalistische‘, dessen Zweck. Die Wertsetzung ist nmlich nicht nur integrierender Bestandteil, sondern Ziel und letzte Rechtfertigung des Zukunftsprojekts. Wenn diese abschließende Phase nicht naturalistisch ist, darf man das ganze Programm nicht naturalistisch nennen. Gehçrt das Schaffen neuer Werte also doch zu Nietzsches Naturalismus? Auf jeden Fall gehçrt es zu seiner Philosophie – und zu Forschungsprogrammen wie denjenigen im Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft und in der „Anmerkung“ der Genealogie. Der Interpret entscheidet hier letzten Endes nur ber den eigenen Sprachgebrauch. Allerdings ist das Schaffen neuer Werte so zentral fr Nietzsches Philosophie, dass es schwer fllt, diese, aber nicht jenes, naturalistisch zu nennen. Entweder ist seine Philosophie im ganzen nicht naturalistisch, oder das Schaffen neuer Werte gehçrt mit zu seinem Naturalismus. Gerade fr einen Naturalisten drfte erstere Option nicht attraktiv sein. Die „Anmerkung“ markiert eine Diskontinuitt, weil die Wissenschaften die neuen Werte weder begrnden kçnnen noch selber schaffen sollen. Kann man sagen, dass Nietzsche damit eine Diskontinuitt zwischen einem naturalistischen und einem nicht naturalistischen Teil seiner Philosophie markiert? Etwa zwi-
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schen einem theoretischen und einem ethischen, der nicht naturalistisch ist? Diese Unterscheidung entspringt einem zu engen Begriff von Naturalismus, die weder Nietzsches philosophischem Selbstverstndnis noch seinem Sprachgebrauch oder seiner Auffassung von Naturalismus gerecht wird. Nietzsche ist kein ethischer Naturalist, wenn man darunter die These versteht, dass die Wissenschaften die neuen Werte begrnden kçnnen. Aber sein Anliegen ist in der „Anmerkung“ gerade nicht, Wissenschaft und Ethik gegeneinander abzukapseln, sondern die Wissenschaften einzubeziehen. In diesem Punkt stimmt die Anmerkung der Genealogie mit dem Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft – bei jeweils anderer Akzentsetzung und bei bedeutenden Unterschieden im einzelnen – weitgehend berein: In „Etwas fr Arbeitsame“ besteht die Hauptfunktion genetisch-kausaler Untersuchungen darin, ein Wissen ber neue Mçglichkeiten zur Verfgung zu stellen und zur Erarbeitung neuer Lebenstechniken beizutragen. hnlich die Anmerkung der Genealogie: Die neuen Werte lassen sich nicht wissenschaftlich begrnden, aber der Nietzschesche Philosoph greift trotzdem auf Forschungsergebnisse zurck, wenn auch nur als ,technisches‘ Instrumentarium, ber das er frei verfgen kann; denn als Gesetzgeber behlt er seine Autonomie. Sptestens seit dem Wanderer betrachtet Nietzsche kausale Untersuchungen als unentbehrliches Hilfsmittel der ethischen Lebensgestaltung. Damit ist natrlich nicht gesagt, dass sie diese Rolle wirklich spielen kçnnen und sollen – geschweige denn die anspruchsvollere, die beide Zukunftsausblicke ihnen programmatisch zuschreiben. Die Nietzsche-Rezeption jedenfalls hat diese Seite weitgehend ausgeblendet. Die Ausgangsfrage war, ob Nietzsche fr sptere Versionen seiner philosophischen Methode weiterhin dieselbe Nhe zu, ja, Untrennbarkeit von den Naturwissenschaften in Anspruch nimmt wie in Menschliches, Allzumenschliches. In seinem Selbstverstndnis ist die Genealogie zwar ebenfalls spekulativ, aber nicht weniger wissenschaftlich und historisch fundiert als die entwicklungsgeschichtlichen Hypothesen, die sie – so die Vorrede – teilweise berichtigt und systematischer weiterentwickelt. Die in der Anmerkung geforderten interdisziplinren Forschungen ber Ursachen und Wirkungen gegebener Moralsysteme bilden nur einen ersten Schwerpunkt, eine, wenn auch unentbehrliche, Propdeutik im Rahmen eines umfassenderen Projekts. Aber sie kommen dem Idealtypus naturalistischer Untersuchungen sehr nahe. Versteht Nietzsche also die gewagten Konstruktionen der Genealogie der Moral wirklich als wissenschaftliche, physiologische, kausale, naturalistische Hypothesen? Die Anmerkung hat in der ,konomie‘ des Buches einen besonderen Stellenwert. Sie bildet gleichsam das Pendant zur Vorrede. Letztere, eine Art Genealogie der Genealogie, zeigt die individuelle, ja idiosynkratische Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Nietzsches Entwicklungshypothesen auf, betont aber zugleich deren im Laufe der Zeit zunehmende systematische Geschlossenheit. Die von Nietzsche vorgeschlagenen
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Hypothesen soll dann – so die „Anmerkung“ – ein großangelegtes interdisziplinres Forschungsprojekt prfen und weiterfhren, in dem die (Universitts-) Philosophen (nur) als Koordinatoren fungieren und zwischen den Einzelwissenschaften ,vermitteln‘. Insofern scheint die „Anmerkung“ die Frage, inwieweit Nietzsche die Hypothesen der Genealogie als wissenschaftliche und inwieweit als philosophische versteht, zwar indirekt, aber klar zu beantworten: Was gleichsam als sein ,philosophisches Apriori‘ begann, kann und soll wissenschaftlich geprft und ausgebaut werden. Die „Anmerkung“ beinhaltet nicht nur als phantasievoller Ausblick auf knftige Weiterfhrungen eine bewusste Idealisierung.
III. Schlußbetrachtung Die zwei Projekte der „Anmerkung“ mçgen also zwar Ergebnisse rationalisieren und verallgemeinern, die die erste Abhandlung im Kern schon erreicht hat; aber es wre gewagt, von dem kurzen Paratext auf letztere zu schließen – oder sogar auf die Genealogie im ganzen. Nietzsches Schreiben unterluft die von ihm auch sonst immer wieder hervorgehobenen methodischen Unterscheidungen. Die Genealogie ist eine „Streitschrift“: Ihr polemischer Duktus, ihre „kriegerische“ (NL 1887 – 1888 11[46], KSA 13, 22) Absicht, wie Nietzsche sich martialisch ausdrckt, verwischt den Unterschied zwischen Entstehungsgeschichte und Kritik. Er versucht tatschlich, genetische Fehlschlsse zu vermeiden, er ist hier aufmerksamer, als mancher denkt; aber in der Durchfhrung gehen Entstehungsgeschichte und Kritik immer wieder nahtlos ineinander ber – oft im selben Satz. Ebenfalls unmçglich ist, sie von der neuen Wertsetzung zu trennen; denn eigentlich sind die drei Abhandlungen bereits vom neuen Standpunkt aus verfasst. Es geht hier dementsprechend weniger darum, die gewonnenen Resultate ber unser schmales Textkorpus hinaus zu verallgemeinern.22 Vielmehr ist noch einmal auf den besonderen Stellenwert der „Anmerkung“ zu achten. In der ,Streitschrift‘ sind die Wissenschaften Gegenstand von Genealogie und Kritik, zugleich aber deren Werkzeug. Die „Anmerkung“ fokussiert auf letzteres und weist ihnen auch in Hinsicht auf die Setzung neuer Werte eine vorbereitende Rolle zu. Mit den epistemologischen Grundlagen und mit der aktuellen kul22 Seit dem Sommer 1876 – heißt es in Ecce homo – „habe ich in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften, – selbst zu eigentlichen historischen Studien bin ich erst wieder zurckgekehrt, als die Aufgabe mich gebieterisch dazu zwang.“ (EH MA 3) Diese Selbststilisierung, so einseitig und bertrieben sie auch sein mag, stimmt mit der „Anmerkung“ der Genealogie weitgehend berein: Der Rckblick fhrt praktisch dieselben Fcher (Geschichte, Physiologie, Medizin) an, rumt den Natur- gegenber den Geschichtswissenschaften ebenfalls einen Vorrang ein und betrachtet die einen wie die anderen als Mittel zu einer ber sie hinausgehenden Aufgabe.
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turellen Bedeutung von ,Wissenschaft‘ befasst sich die Genealogie an anderem Ort: In diesem Sinn sind die drei Abhandlungen gegenber den Wissenschaften viel ambivalenter als dieser Ausblick auf ein kollektives Zukunftsvorhaben. Dass sowohl Die frçhliche Wissenschaft wie auch Zur Genealogie der Moral Forschungsprojekte planen, an denen die Wissenschaften wesentlich beteiligt sind, zeigt auf jeden Fall das nur relative Gewicht erkenntnistheoretischer Einwnde. Die epistemologische Kritik, die das positivistische Verstndnis von Wissenschaft radikal hinterfragt, koexistiert mit den hohen, ja bersteigerten Erwartungen, die Nietzsche an Wissenschaften wie die Physiologie knpft. In dieser Hinsicht ist er weit optimistischer als viele weniger wissenschaftskritisch eingestellte Theoretiker. Nietzsche weist wissenschaftlichen Theorien den ,schwachen‘ Status konventioneller Fiktionen zu. So wesentlich es fr ihn auch ist, gerade in den Wissenschaften metaphysische berreste zu beseitigen, geht seine epistemologische Kritik jedoch nicht so weit, wissenschaftliche Fiktionen und Interpretationen fr praktisch irrelevant zu erklren. Denselben fiktionalen Status, mit dem sich wissenschaftliche Realisten kaum anfreunden kçnnten, haben kausale Begriffe (u. a. ,Erklrung‘). Nietzsche wehrt positivistische Auffassungen von Kausalitt ebenso ab wie jede moralische, theologische, teleologische Deutung der ,Naturgesetze‘. Aber er verneint offensichtlich nicht, dass die Wissenschaften praktisch anwendbare kausale Gesetzmßigkeiten liefern kçnnen. Worauf es in der Kritik metaphysischer berreste zuletzt ankommt, ist die kulturelle Rolle von Wissenschaft, die Nietzsche allerdings immer auch als eine biologische (,physiologische‘) Rolle auffasst. Die Genealogie attackiert ,Wissenschaft‘ (im Singular) als allgemeine moderne Kulturerscheinung: Sie habe eigentlich keine eigenen Ziele und hnge gerade mit ihrem unbedingten Willen zur Wahrheit vom alten ,asketischen‘ Ideal ab. Im Grunde macht die Genealogie den Wissenschaften zum Vorwurf, dass sie so wirken, wie Menschliches, Allzumenschliches es sich noch gewnscht hatte. Der Autor von Menschliches, Allzumenschliches sah sich hier im Einklang mit der kulturellen Entwicklung: In dieser auf sehr eigenwillige Weise von Schopenhauer noch inspirierten Sicht fhren die Wissenschaften zu einer asketischen Lebensform hin, sie, ja, Erkenntnis berhaupt, machen aus dem Philosophen einen abgeklrten freien Geist; und dieser muss, wenn seine Philosophie nicht zur Tragçdie werden soll, frei ber seinen Leidenschaften schweben. Nietzsches eigene „historische Philosophie, […] welche gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist“, will dahin wirken. Dem Autor der Genealogie scheint nun „unsre ganze moderne W i s s e n s c h a f t “ (GM III 23) diese asketische Hinterabsicht und Wirkung zu haben, er diagnostiziert an ihr nicht nur berreste des alten Weltbilds (,Schatten Gottes‘), er sieht vielmehr dessen „Kern“ weiter vorherrschen. Er stemmt sich nun bewusst gegen den in
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Menschliches, Allzumenschliches noch begrßten Trend. Diese Wissenschaftskritik ist eigentlich eine Selbstkritik.23 Die „Anmerkung“ setzt der aktuell vorherrschenden kulturellen Bedeutung von ,Wissenschaft‘ die Rolle entgegen, die Einzelwissenschaften z. T. schon zu Nietzsches Zeit, aber vor allem erst in Zukunft spielen kçnnten. Nietzsche will hier zeigen, dass und wie die Wissenschaften umfunktioniert werden kçnnen: Aus ihnen soll ein Werkzeug zur Schçpfung eines mçglichen neuen Ideals werden, das – so erfhrt man dann in der dritten Abhandlung – der erste echte Gegner des asketischen sein wird. Insofern besteht kein Widerspruch zwischen dem Einwand, dass die moderne Wissenschaft mit ihrem Willen zur Wahrheit dem alten asketischen Ideal dient, und dem Zukunftsprojekt, in dem alle Wissenschaften einer neuen Wertsetzung ,vorarbeiten‘ sollen. Es gibt fr Nietzsche keine von jedem Ideal unabhngige Wissenschaft: Entweder hngt sie vom alten Ideal ab oder mit einem neuen zusammen. Das historische und naturwissenschaftliche Wissen, das die arbeitsamen Gelehrten der Frçhlichen Wissenschaft gewinnen sollen, dient dem Anliegen einer neuen Gestaltung des Lebens bis in die alltglichen Gewohnheiten hinein. In diesem Sinn wird Wissenschaft auch hier gleichsam unter der Optik des Lebens und der Lebenskunst betrachtet – und in Funktion letzterer. Ohne diesen unmittelbaren Zusammenhang mit Nietzsches eigenen ,ditetischen‘ Entwrfen teilt das Forschungsprogramm der „Anmerkung“ die Leitidee, dass eine neue Wertsetzung wissenschaftlicher ,Vorarbeiten‘ bedarf. Diese Leitidee mag problematischer sein als Nietzsches wissenschaftskritische Betrachtungen – seien letztere epistemologischer, historischer, soziokultureller oder ethischer Art. Sie vertrgt sich jedoch mit ihnen – und bildet zugleich ein Gegengewicht. Nietzsches Zukunftsprojekte geben damit die richtige perspektivische Einstellung auf seine wissenschaftskritischen Argumente und erlauben so, deren beabsichtigte Tragweite angemessen einzuschtzen. Diese Zukunftsprojekte bleiben auf je eigene Weise dem frheren Anspruch treu, die historistische und die naturalistische Tendenz der Gegenwart zusammen- und weiterzufhren.
Literatur Babich, Babette/Cohen, Robert S. (Hg.) (1999): Nietzsche and the Sciences. I: Nietzsche, Theories of Knowledge, and Critical Theory. II: Nietzsche, Epistemology, and Philosophy of Science. Dordrecht (Kluwer). Brusotti, Marco 1992: „Die ,Selbstverkleinerung des Menschen‘ in der Moderne. Studie zu Nietzsches ,Zur Genealogie der Moral“‘. In: Nietzsche-Studien. Bd. 21, S. 81 – 136. 23 Vgl. dazu Brusotti (2010). Zur Kritik der modernen Wissenschaft und ihres Willens zur Wahrheit in der Genealogie vgl. Brusotti (1992).
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Marco Brusotti
Brusotti, Marco 1997: Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und sthetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von Morgenrçthe bis Also sprach Zarathustra. Berlin, New York (de Gruyter). Brusotti, Marco 2010: „Kern und Schale. Wissenschaft und Untergang der Religion bei Nietzsche“. In: Carlo Gentili/Cathrin Nielsen (Hg.): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Zur Wissenschaftskritik Nietzsches. Berlin, New York (de Gruyter), S. 67 – 81. Cavell, Stanley (1990): Conditions Handsome and Unhandsome. The Constitution of Emersonian Perfectionism. Chicago, London (Chicago). Conant, James 2001: „Nietzsche’s Perfectionism: A Reading of Schopenhauer as Educator“. In: Richard Schacht (Hg.): Nietzsche’s Postmoralism. Essays on Nietzsche’s Prelude to Philosophy’s Future. Cambridge (Cambridge), S. 181 – 257. Gentili, Carlo/Nielsen, Cathrin (Hg.) (2010): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Zur Wissenschaftskritik Nietzsches. Berlin, New York (de Gruyter). Hurka, Thomas 2007: „Nietzsche: Perfectionist“. In: Brian Leiter/Neil Sinhababu (Hg.): Nietzsche and Morality. Oxford (Clarendon), S. 9 – 31. Leiter, Brian 2011: „Nietzsche’s Naturalism Reconsidered“, erscheint in K. Gemes/J. Richardson (Hg.): The Oxford Handbook of Nietzsche, im Druck. Hier wird Bezug genommen auf die im Internet zugngliche Fassung (Stand: Juli 2011). Littr, mile (1873): La science au point de vue philosophique. Paris (Didier et Cie), BN. Maudsley, Henry (1875): Die Zurechnungsfhigkeit der Geisteskranken. Leipzig (Brockhaus). Moore, Gregory/Brobjer, Thomas (Hg.) (2004): Nietzsche and Science. Aldershot (Ashgate). Rawls, John (1971): A Theory of Justice. Cambridge, Mass. (Harvard). Sarasin, Philipp (2002): „Foucault, Burckhardt, Nietzsche – und die Hygieniker“. In: Jrgen Martschukat (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt am Main, New York (Campus), S. 195 – 218.
Methodologischer Naturalismus, epistemische Tugenden und Normativitt bei Nietzsche Rogrio Lopes 1. Einleitung Ziel meines Aufsatzes ist es, die Frage zu stellen, ob die Art und Weise, wie Nietzsche sich auf das Verhltnis zwischen Philosophie und Wissenschaft bezieht, mithilfe des zeitgençssischen methodologischen Naturalismus beschrieben werden kann. Leiter (2009) hat diese Frage mit einem entschiedenen Ja beantwortet, ohne jedoch die Spannungen, die eine solche Antwort mit sich bringen, ausfhrlich zu diskutieren. Zumindest aus zwei Grnden scheint die Philosophie Nietzsches sich mit der strkeren Version des methodologischen Naturalismus nicht so leicht in Einklang bringen zu lassen: Erstens aufgrund des Prinzips des Willens zur Macht, das die These impliziert, dass das Intentionalittsvokabular primitiver bzw. grndlicher als das physikalistische Vokabular sei, als einer Konsequenz aus der Verwendung des pragmatischen Prinzips der Sparsamkeit auf die ontologische Debatte (JGB 36, KSA 5, 54 f.); zweitens aufgrund Nietzsches Auffassung der spezifischen Aufgabe der Philosophie als einer normativen Aufgabe (JGB 211, KSA 5, 144 f.; GM I Anmerkung, KSA 5, 289). Gegen die starke Interpretation Leiters werden hier die folgenden Thesen vertreten: Nietzsche kann nur insofern als ein Vertreter des methodologischen Naturalismus betrachtet werden, als er der Auffassung ist, dass der Philosoph epistemische Tugenden erst dann gewinnt, wenn er sich mit einer wissenschaftlichen Methode vertraut macht (MA I 256, KSA 2, 212). Das bedeutet, dass er sich zumindest vorlufig den Regeln unterwirft, die innerhalb einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft gelten (MA I 635, KSA 2, 360 f.; JGB 188, KSA 5, 108 ff.). Der Philosoph soll dies tun, um die epistemischen Tugenden zu erlangen, die fr die normative Aufgabe der Philosophie unentbehrlich sind. Diese epistemischen Tugenden sind wesentlich skeptischer Natur. Sie zu kultivieren, bedeutet sicherlich, epistemische Werte zu fçrdern, nicht aber unbedingt fr sie (AC 54, KSA 6, 236 f.), geschweige denn fr ein kausales, bzw. monokausales Erklrungsmodell Exklusivitt beanspruchen zu mssen (JGB 21, KSA 5, 35 f.).
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2. Die Interpretation Leiters In der zeitgençssischen angelschsischen Rezeption Nietzsches gibt es eine zunehmende Tendenz, ihn als einen methodologischen Naturalisten zu betrachten. Es gibt aber keinen Konsens mehr, sobald es um die Frage geht, welche die begrifflichen Implikationen der Verteidigung einer methodologisch-naturalistischen Position im Bereich der Philosophie seien. Mit solcher begrifflichen Schwierigkeit sieht sich aber nicht nur der Nietzsche-Forscher konfrontiert; sie gilt gleichermaßen fr die systematische Diskussion ber die Voraussetzungen verschiedener Naturalisierungsprojekte, die in den letzten Jahrzehnten in der analytischen Tradition wieder aufgetaucht sind (vgl. De Caro/Macarthur 2008). Dass Nietzsche im weiteren Sinne ein Naturalist war, lsst sich nicht mehr bestreiten. Diese minimale Auffassung besagt nur, dass die empirischen Wissenschaften, ihre Resultate sowie ihre Methoden nicht zu vernachlssigen sind. Das ist schon deutlich beim jungen Nietzsche zu erkennen, wie es sich aus seinem im April 1862 niedergeschriebenen Aufsatz Fatum und Geschichte entnehmen lsst: Geschichte u. Naturwissenschaft, die wundervollen Vermchtnisse unsrer ganzen Vergangenheit, die Verknderinnen unsrer Zukunft, sie allein sind die sichern Grundlagen, auf denen wir den Thurm unsrer Spekulation bauen kçnnen. (NL 1862 13[6], KGW I/2, 432)
Auch die amerikanischen Philosophen der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts haben ihre eigene Verpflichtung zum Naturalismus in diesem Sinne verstanden. Fr John Dewey ist ein Naturalist jeder Philosoph, der „Respekt vor den Ergebnissen der Naturwissenschaften hat“ (Dewey 1944, 2). Gegen diese allzu umfassende Bestimmung des Begriffes kçnnte mit Geert Keil eingewendet werden, dass, „[w]enn die Alternative zum Naturalismus Obskurantismus und Wunderglauben lautet, dann … der Naturalismus in einer wissenschaftsgeprgten Kultur alternativlos zu sein“ scheint (Keil 2008, 193). Ein Versuch, Nietzsches Naturalismus mithilfe einer kontrastierenden Liste zu przisieren, wurde von Janaway neuerdings so formuliert: He opposes transcendent metaphysics, whether that of Plato or Christianity or Schopenhauer. He rejects notions of the immaterial soul, the absolutely free controlling will, or the self-transparent pure intellect, instead emphasizing the body, talking of the animal nature of human beings, and attempting to explain numerous phenomena by invoking drives, instincts, and affects which he locates in our physical, bodily existence. […] This is Nietzsche’s naturalism in the broad sense, which will not be contested here. (Janaway 2007, 34)
Brian Leiter hat aber recht, wenn er diesen „Naturalismus im weiteren Sinne“ fr wenig informativ hlt und ihn ironisch als einen „Laundry List Naturalism“ etikettiert (Leiter 2009, 2). Um diese begriffliche Unzulnglichkeit zu vermei-
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den, hat Leiter der Philosophie Nietzsches eine starke Version der Kontinuittsthese zugeschrieben, der zufolge das philosophische Denken in Kontinuitt zur empirischen Forschung aufgefasst werden sollte. Die Kontinuittsthese betrifft sowohl die Methoden als auch die Resultate der empirischen Wissenschaften. Nietzsche sei trotzdem als ein spekulativer methodologischer Naturalist zu betrachten, indem er im Prinzip auch Thesen fr legitim gehalten haben kçnnte, die empirisch noch nicht berprft gewesen wren (Leiter 2009, 3). Das Wesentliche bestehe darin, philosophische Theorien auf dem Modell empirischer Wissenschaften aufzubauen. Das Modell empirischer Wissenschaften wird von Leiter ohne weitere Qualifizierung als kausales Erklrungsmodell verstanden. Die Erklrungsleistung dieses Modells hnge von seiner Fhigkeit ab, die deterministischen und zugleich determinierenden Ursachen zu identifizieren, die fr den Zusammenhang der natrlichen Erscheinungen verantwortlich seien. Im Anschluss an Maudemarie Clarks Interpretation (1990, 105), glaubt Leiter (2009, 26), die Tatsache umgehen zu kçnnen, dass Nietzsche sich ausdrcklich gegen die Verdinglichung der Begriffe gestellt hat, welche er im Aphorismus 21 von JGB der naturalistischen Tendenz seiner Zeit zuschreibt: Man soll nicht ,Ursache‘ und ,Wirkung‘ fehlerhaft v e r d i n g l i c h e n , wie es die Naturforscher thun (und wer gleich ihnen heute im Denken naturalisirt –) gemss der herrschenden mechanistischen Tçlpelei, welche die Ursache drcken und stossen lsst, bis sie ,wirkt‘; man soll sich der ,Ursache‘, der ,Wirkung‘ eben nur als reiner B e g r i f f e bedienen, das heisst als conventioneller Fiktionen zum Zweck der Bezeichnung, der Verstndigung, n i c h t der Erklrung. (JGB 21, KSA 5, 35 f.)
Was die Kontinuitt der Resultate angeht, hat Leiter auf den angeblichen Einfluss hingewiesen, den die deutschen Materialisten der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts auf Nietzsches Philosophie ausgebt htten, insbesondere im Rahmen der Physiologie (Leiter 2009, 4 f ). Es ist sicherlich eine fest etablierte Tatsache der heutigen Nietzsche-Forschung, dass der Philosoph so viel wie mçglich versucht, nicht nur programmatisch, sondern auch praktisch seine eigene philosophische Reflexion in Einklang mit bestimmten, von ihm selbst immer nur fr provisorisch gehaltenen Resultaten der empirischen Forschung zu bringen. Darin besteht keine Kontroverse, auch wenn Leiter kein gutes Beispiel fr seine These ausgewhlt hat. Im Anschluss an Friedrich Albert Lange und anderen Zeitgenossen war Nietzsche ein entschiedener Kritiker des Materialismus seiner Zeit, vornehmlich im Forschungsbereich der Physiologie. Nietzsches Naturalismus war niemals mit einer materialistischen Ontologie zu verwechseln, geschweige denn mit einem ausschließlich physikalistischen Vokabular versehen. Nach seiner Kritik an der Seelen-Atomistik hat Nietzsche im Aphorismus 12 von JGB seine Leser vor solchen voreiligen Schlsse gewarnt: Es ist, unter uns gesagt, ganz und gar nicht nçthig, ,die Seele‘ selbst dabei los zu werden und auf eine der ltesten und ehrwrdigsten Hypothesen Verzicht zu leisten:
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wie es dem Ungeschickt der Naturalisten zu begegnen pflegt, welche, kaum dass sie an ,die Seele‘ rhren, sie auch verlieren. (JGB 12, KSA 5, 27)
Diese ungeschickte Auswahl ist aber symptomatisch fr die grundlegende Voraussetzung der gesamten Interpretation Leiters: eine zu enge, nicht liberale und quasi mechanistische Auffassung der Methode der Wissenschaft, die das letzte Wort ber die Welt hat oder haben sollte, weil sie erklrungsfhig ist. Nietzsche selbst hat eine liberalere, skeptischere und bescheidenere Auffassung dessen gehabt, was die modernen Wissenschaften ausmacht. Das lsst sich durch verschiedene textliche Evidenzen besttigen. Ein aufschlussreiches Beispiel befindet sich in den ersten Zeilen des Aphorismus 344 der Frçhlichen Wissenschaft: In der Wissenschaft haben die Ueberzeugungen kein Brgerrecht, so sagt man mit gutem Grunde: erst wenn sie sich entschliessen, zur Bescheidenheit einer Hypothese, eines vorlufigen Versuchs-Standpunktes, einer regulativen Fiktion herabzusteigen, darf ihnen der Zutritt und sogar ein gewisser Werth innerhalb des Reichs der Erkenntniss zugestanden werden, – immerhin mit der Beschrnkung, unter polizeiliche Aufsicht gestellt zu bleiben, unter die Polizei des Misstrauens. (FW 344, KSA 3, 574 f.)
Diese Tatsache schließt aber keineswegs aus, dass Nietzsche in einem wichtigeren und zugleich innovativeren Sinne eine Version des methodologischen Naturalismus verteidigt hat. Die Schwierigkeit besteht darin, zwischen Materialismus und Naturalismus klar zu unterscheiden, so dass eine eventuelle Verpflichtung zum methodologischen Naturalismus keine ontologische Entscheidung mit sich brchte. Im Folgenden will ich mithilfe einiger kontextueller Informationen dafr argumentieren.
3. „Mit einem Tropfen materialistischen Oeles gesalbt“ zu sein: Nietzsche und ,die verlangte Assimilation des Materialismus‘ in der akademischen Philosophie der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts Das Verhltnis zwischen Philosophie und Wissenschaft neu zu bestimmen, war eine der zentralen Herausforderungen der deutschen akademischen Philosophie der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts, wie Christian Kçhnke (1986) es in seinen Studien ber Entstehung und den Aufstieg des Neukantianismus paradigmatisch gezeigt hat. Der von Helmholtz in Kçnigsberg 1855 gehaltene Vortrag im Andenken an Kant, betitelt ber das Sehen des Menschen, ist aus verschiedenen Grnden ein Wendepunkt in der Diskussion gewesen. Bei diesem populren Vortrag ging es darum, zu beweisen, dass der damalige, in der Nachfolge des Hegelianismus entstandene Streit zwischen Philosophie und Naturwissenschaft kein notwendiger, sondern nur ein historisch-kontingenter Streit war, der durch eine Rckkehr zu Kant berwunden werden kçnne:
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Die principielle Spaltung, welche jetzt Philosophie und Naturwissenschaften trennt, bestand noch nicht zu Kants Zeiten. […] Kants Philosophie beabsichtigte nicht, die Zahl unserer Kenntnisse durch das reine Denken zu vermehren, denn ihr oberster Satz war, dass alle Erkenntniss der Wirklichkeit aus der Erfahrung geschçpft werden msse, sondern sie beabsichtgte nur, die Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu untersuchen, ein Geschft, welches immer der Philosophie verbleiben wird, und dem sich kein Zeitalter ungestraft wird entziehen kçnnen. (Helmholtz 1855, 4 f.)
Fnfundzwanzig Jahre spter konnte Otto Caspari von dieser prinzipiellen Spaltung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft schon als von einem Gespenst der Vergangenheit reden: Es ist wohl eines der erfreulichsten Erzeugnisse der gegenwrtigen Bewegungen der heutigen wissenschaftlichen Epoche, daß die Philosophie von neuem sich der Naturforschung nhern konnte […]. Im Hinblick auf diese neue Wiedervereinigung von Philosophie und Naturforschung ist es indessen von hoher Wichtigkeit, genauer zuzusehen: von welcher Art das geschlossene Bndniß sein muß und vor welchen Fehlern gewarnt werden muß, wenn nicht ein neuer Bruch stattfinden soll. (Caspari 1881, 1)
Was hat sich inzwischen so grndlich gendert? Auf dem Weg zum Neukantianismus hat die deutsche akademische Philosophie unter der Leitung von Friedrich Albert Lange und seiner fr die Zeit einflussreichen Geschichte des Materialismus ein sozusagen naturalistisches Interregnum ausprobiert, so dass die deutschsprachige philosophische Landschaft der sechziger und siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts berraschende hnlichkeiten mit den zeitgençssischen naturalistischen Debatten im Rahmen der postquineschen analytischen Philosophie aufweist. Zwçlf Jahre nach dem Erscheinen des Hauptwerkes von Lange, d. h. im Jahre 1878, hat Hans Vaihinger aus der Perspektive Langes eine sehr przise Diagnose des Zeitgeistes formuliert, die ich nur teilweise wiedergebe: Die Philosophie, hiess es, msse sich an der Naturwissenschaft orientiren; sie msse von unfruchtbaren Speculationen und Schulznkereien zurckkehren auf den realen Boden der positiven Wissenschaften. Kein System werde auf eine allgemeine Geltung Anspruch machen kçnnen, das diese Anforderungen, insbesondere die verlangte Assimilation des Materialismus, nicht erflle; kein Philosoph werde auf den Thron erhoben werden, der nicht ,mit einem Tropfen materialistischen Oeles gesalbt sei.‘[…] – So lautete die Parole der Philosophie und der Naturwissenschaft vor einem bis zwei Decennien. (Vaihinger 1878, 2 f.)
Es gibt keinen Zweifel, dass Nietzsche sich zumindest in dieser Hinsicht als Kind seiner Zeit verstanden hat. Auch er wollte mit einem Tropfen ,materialistischen les‘ gesalbt sein. Ich zitiere aus einer nachgelassenen Aufzeichnung aus dem Jahr 1884: Wenn ich an meine philosophische Genealogie denke, so fhle ich mich in Zusammenhang mit der antiteleologischen, d. h. spinozistischen Bewegung unserer
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Zeit, doch mit dem Unterschied, dass ich auch ,den Zweck‘ und ,den Willen‘ i n u n s fr eine Tuschung halte; ebenso mit der mechanistischen Bewegung (Zurckfhrung aller moralischen und aesthetischen Fragen auf physiologische, aller physiologischen auf chemische, aller chemischen auf mechanische) doch mit dem Unterschied, dass ich nicht an ,Materie‘ glaube und Boscovich fr einen der grossen Wendepunkte halte, wie Copernicus; daß ich alles Ausgehen von der Selbstbespielegung des Geistes fr unfruchtbar halte und ohne den Leitfaden des Leibes an keine gute Forschung glaube. Nicht eine Philosophie als D o g m a , sondern als vorlufige Regulative der Fo r s c h u n g . (NL 1884 26[432], KSA 11, 266)
Bei dieser Debatte um den methodologischen Naturalismus ist die Hauptfrage immer noch dieselbe, nmlich inwieweit wir als Philosophen bereit, aber natrlich auch berechtigt seien, fr eine spezifisch philosophische Methode zu argumentieren. Zwischen unserem und Nietzsches Zeitalter ist der Unterschied bloß terminologischer Natur. Whrend die Philosophen der sechziger und siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in Nachfolge von Lange vom methodologischen Materialismus geredet haben, reden wir heute in Nachfolge von Quine vom methodologischen Naturalismus. Die heutige Terminologie ist eindeutiger, indem sie zumindest im Prinzip ontologisch neutraler ist. Methodologischer Naturalist ist also jeder Philosoph, fr den die Mçglichkeit einer spezifisch philosophischen Methode abzulehnen ist. Diese These hat Nietzsche im Anschluss an Lange tatschlich vertreten. Sie wurde von ihm im ersten Aphorismus von Menschliches, Allzumenschliches I programmatisch formuliert und gegen die dualistische Strategie der Metaphysik gerichtet, die das normative Problem einer Rangordnung der Werte nur auf Kosten ontologischer Dichotomien bewltigt. Ich zitiere nur stckweise aus diesem sehr bekannten Aphorismus: C h e m i e d e r B e g r i f f e u n d E m p f i n d u n g e n . – Die Philosophischen Probleme nehmen jetzt wieder fast in allen Stcken dieselbe Form der Frage an, wie vor zweitausend Jahren: wie kann Etwas aus seinem Gegensatz entstehen […]? Die metaphysische Philosophie half sich bisher ber diese Schwierigkeit hinweg, insofern sie die Entstehung des Einen aus dem Andern leugnete und fr die hçher gewertheten Dinge einen Wunder-Ursprung annahm, unmittelbar aus dem Kern und Wesen des ,Dinges an sich‘ heraus. Die historische Philosophie dagegen, welche gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist, die allerjngste aller philosophischen Methoden, ermittelte in einzelnen Fllen (und vermuthlich wird diess in allen ihr Ergebniss sein), dass es keine Gegenstze sind, ausser in der gewohnten bertreibung der populren oder metaphysischen Auffassung und dass ein Irrthum der Vernunft dieser Gegenberstellung zu Grunde liegt […]. Alles, was wir brauchen und was erst bei der gegenwrtigen Hçhe der einzelnen Wissenschaften uns gegeben werden kann, ist eine C h e m i e der moralischen, religiçsen, sthetischen Vorstellungen und Empfindungen (KSA 2, 23 f.)
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4. Epistemische Normativitt: Sparsamkeit und intellektuelle Disziplin bei Lange und Nietzsche Eine solche naturalistisch-historische Agenda zu verfolgen, setzt berhaupt nicht voraus, dass fr die Philosophie keine spezifische Aufgabe brig bleibt – wie sich brigens auch aus diesem programmatischen Aphorismus entnehmen lsst. Aus der Ablehnung einer spezifischen philosophischen Methodologie eine solche Folgerung ziehen zu wollen, bedeutete fr Nietzsche wie fr Lange ein non sequitur zu begehen, welches wiederum schreckliche Konsequenzen fr die Legitimitt der Philosophie mit sich bringen wrde. Die normativen Ansprche der Philosophie werden von beiden Philosophen nicht bloß zugelassen, sondern sogar immer wieder hervorgehoben. Die Herausforderung bestnde darin, eine naturalistisch-historische Annherung an die normativen Fragen der Philosophie zu entwickeln, die die Lçsungen beider vor- und nachkritischen Traditionen ergnzen oder einfach ersetzen kçnnte. Was die nachkritische Tradition betrifft, ging es bei Lange sowie bei Nietzsche um eine Radikalisierung der kritischen Philosophie durch eine verstrkte Auseinandersetzung mit den Einzelwissenschaften, und vor allem mit der Sinnesphysiologie. Wenn notwendige und allgemeine Strukturen eine konstitutive Rolle in unserer Erkenntnis spielen, so Lange, dann sind solche Strukturen nicht durch eine a priori reflexive oder spezifisch philosophische Methode zu identifizieren, sondern durch ganz konventionelle wissenschaftliche Methoden, wie es aus der folgenden Textstelle Langes belegt wird: Es kann sehr einleuchtend scheinen, dass die Stammbegriffe unserer Erkenntnisse a priori sich auch a priori, durch reine Deduction aus nothwendigen Begriffen mssen entdecken lassen, und dennoch ist solche Annahme irrig. Es ist wohl zu unterscheiden zwischen einem nothwendigen Satz und zwischen dem Nachweis eines nothwendigen Satzes. Nichts ist leichter denkbar, als dass die a priori gltigen Stze nur auf dem Weg der Erfahrung aufzufinden sind; […] Wir sind also in der Auffhrung und Prfung der allgemeinen Stze, welche nicht aus der Erfahrung stammen, lediglich auf die gewçhnlichen Mittel der Wissenschaft beschrnkt. (Lange 1865, 248 f.)
Diese Position Langes spiegelt sich einige Jahre spter in radikalisierter Form im Aphorismus 18 von Menschliches, Allzumenschliches I wider: Wenn einmal die Entstehungsgeschichte des Denkens geschrieben ist, so wird auch der folgende Satz eines ausgezeichneten Logikers von einem neuen Lichte erhellt dastehen: ,Das ursprngliche allgemeine Gesetz des erkennenden Subjects besteht in der inneren Nothwendigkeit, jeden Gegenstand an sich, in seinem eigenen Wesen als einen mit sich selbst identischen, also selbstexistirenden und im Grunde stets gleichbleibenden und unwandelbaren, kurz als eine Substanz zu erkennen.‘ Auch dieses Gesetz, welches hier ,ursprnglich‘ genannt wird, ist geworden: es wird einmal gezeigt werden, wie allmhlich, in den niederen Organismen, dieser Hang entsteht, wie die blçden Maulwurfsaugen dieser Organisationen zuerst Nichts als
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immer das Gleiche sehen, wie dann, wenn die verschiedenen Erregungen von Lust und Unlust bemerkbarer werden, allmhlich verschiedene Substanzen unterschieden werden, aber jede mit Einem Attribut, das heisst einer einzigen Beziehung zu einem solchen Organismus. (MA I 18, KSA 2, 38 f.)
Bei dieser zitierten Textstelle geht es um eine Auseinandersetzung mit Afrikan Spirs Versuch einer Erneuerung der kritischen Philosophie. Afrikan Spir zhlte von Anfang an zu den entschiedensten Gegnern der Naturalisierungsprojekte seiner Zeit, insbesondere im Rahmen der epistemologischen Debatte. Eine naturalistisch-historische Lçsung fr die Normativitt war fr ihn vçllig undenkbar. Das Normative wre immer als Norm eines Erkennenden Subjektes zu rechtfertigen: Der Glaube beruht auf den logischen Gesetzen des Denkens, welche auf Gegenstnde und deren richtige Auffassung sich ursprnglich beziehen und von den bloss physischen oder psychologischen Naturgesetzen desselben durchaus verschieden und unabhngig sind. […] Ja, ohne ein logisches Gesetz kçnnte, wie schon gezeigt, nicht einmal das Bewusstsein von dem Unterschiede wahrer und unwahrer Vorstellungen entstehen. […] Die Verkennung dieses Umstandes ist aber leider in unserer Zeit fast zu einem Dogma erhoben worden. Es ist jetzt eine ausgemachte Sache, dass die Wissenschaft des Geistes ein Zweig der Physiologie sei. Um die Gesetze des Denkens zu erforschen, muss man das Gehirn seciren und allerlei Experimente mit demselben anstellen. So ntzlich und fruchtbar fr die Psychologie ein solches Experimentiren auch ist, fr die Logik und die eigentliche Erkenntnisslehre kann dasselbe nichts beitragen. (Spir 1877, 107 f.)
Es wre aber vçllig falsch, aus dieser Auseinandersetzung Nietzsches mit Spir darauf zu schließen, dass Nietzsche auf eine normative Auffassung der epistemischen Begriffe verzichtet habe. Auch wenn Nietzsche auf biologische und physiologische Mechanismen hinweist, um die Vorgnge zu beschreiben, welche unsere Hauptberzeugungen, Kategorien und Prinzipien hervorgebracht und fixiert haben, argumentiert er doch immer mit der Absicht zu zeigen, dass wir nicht einmal in der Lage sind, sie als epistemisch gerechtfertigt zu betrachten, das heißt, dass wir niemals in der Lage sind, sie auf unsere Erfahrung anzuwenden, ohne diese Erfahrung unmittelbar und grundstzlich zu falsifizieren. Gegen die evolutionre Epistemologie eines Spencers und seinen Versuch einer pragmatischen Reformierung des Wahrheitsbegriffes hat Nietzsche immer wieder betont, dass, eine berzeugung als epistemisch gerechtfertigt zu betrachten, nur weil sie sich aus der Perspektive der Erhaltung der Gattung als biologisch vertrauenswrdig gezeigt hat, bedeuten wrde, einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen: Die gewçhnlichsten Irrschlsse der Menschen sind diese: eine Sache existirt, also hat sie ein Recht. Hier wird aus der Lebensfhigkeit auf die Zweckmssigkeit, aus der Zweckmssigkeit auf die Rechtmssigkeit geschlossen. Sodann: eine Meinung beglckt, also ist sie die wahre, ihre Wirkung ist gut, also ist sie selber gut und wahr. Hier legt man der Wirkung das Prdicat beglckend, gut, im Sinne des Ntzlichen,
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bei und versieht nun die Ursache mit dem selben Prdicat gut, aber hier im Sinne des Logisch-Gltigen. (MA I 30, KSA 2, 50)
Gegen die transzendentale Perspektive und die normativen Ansprche eines Spirs hat Nietzsche andererseits die deskriptiven Mittel der evolutionren Epistemologie eingesetzt. Schon eine Textstelle aus JGB verstrkt meine beiden Thesen ber diese Strategie Nietzsches: … es ist endlich an der Zeit, die Kantische Frage ,wie sind synthetische Urtheile a priori mçglich?‘ durch eine andre Frage zu ersetzen ,warum ist der Glaube an solche Urtheile n ç t h i g ?‘ – nmlich zu begreifen, dass zum Zweck der Erhaltung von Wesen unsrer Art solche Urtheile als wahr g e g l a u b t werden mssen; weshalb sie natrlich noch f a l s c h e Urtheile sein kçnnten! Oder, deutlicher geredet und grob und grndlich: synthetische Urtheile a priori sollten gar nicht ,mçglich sein‘: wir haben kein Recht auf sie, in unserm Munde sind es lauter falsche Urtheile. Nur ist allerdings der Glaube an ihre Wahrheit nçthig, als ein Vordergrunds-Glaube und Augenschein, der in die Perspektiven-Optik des Lebens gehçrt. (JGB 11, KSA 5, 25 f.)
Die Mçglichkeit einer Autonomie der Philosophie, die von Kant eine unzweideutige positive Antwort durch die Verteidigung einer transzendentalen Methode bekommen hat, wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts mit dem zunehmenden epistemischen Prestige der Naturwissenschaften immer mehr in Frage gestellt. Von methodologischer Selbststndigkeit der Philosophie ist bei Lange sowie bei Nietzsche keine Rede mehr. Als eine theoretische Ttigkeit wird die Philosophie im weiteren Sinne als Kritik aufgefasst und in methodologischer Kontinuitt zu den empirischen Wissenschaften gedacht: Nicht ein vçllig verschiedener Ausgangpunkt des Denkens und eine entgegengesetzte Methode verbrgen der philosophischen Kritik ihre Erfolge, sondern einzig und allein grçssere Genauigkeit und Schrfe in der Handhabung der allgemeinen Denkgesetze. Die Metaphysik als Kritik der Begriffe – eine Bedeutung brigens, in der wir das Wort gar nicht mehr anwenden mçchten – muss hçchstens noch schrfer und behutsamer zu Werke gehen, als die philologische Kritik eines berlieferten Textes, als die historische Kritik der Quellen einer Erzhlung, als die mathematisch-physikalische Kritik einer naturwissenschaftlichen Hypothese; im Wesentlichen aber hat sie, wie alle Kritik, mit den Werkzeugen der gesammten Logik, bald der inductiven, bald der deductiven, zu arbeiten, und der Erfahrung zu geben, was der Erfahrung gebhrt, den Begriffen, was den Begriffen gebhrt. (Lange 1865, 261)
Im Allgemeinen gilt es in Langes Rekonstruktion der Geschichte des Materialismus, einerseits die Ansprche der Metaphysik auf Wissenschaftlichkeit entschieden abzulehnen und andererseits ihre Legitimitt als regulatives Ideal fr die Praxis anzuerkennen. Die skeptischen Ergebnisse der Geschichte des Materialismus beruhen auf der Relativitt unseres Wahrnehmungsapparats und auf dem daraus resultierenden anthropomorphischen Charakter aller unserer theoretischen Konstrukte. Diese Ergebnisse sind wiederum gegen die dogma-
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tischen Ansprche der zeitgençssischen Materialisten gerichtet, durch die Naturwissenschaft einen Schlssel fr das Rtsel der Welt finden zu kçnnen. Damit ist Lange jedoch weit davon entfernt, die Verdienste der materialistischen Richtung zu verkennen. Sie bestehen vor allem aus zwei Punkten: Diese langfristige historische Bewegung hat uns erstens eine çkonomische und nchterne Beschreibung der Regelmßigkeit der empirischen Welt und zweitens eine Schule der intellektuellen Sauberkeit und methodischen Disziplin gebracht. Wie wird nun diese philosophische Erbschaft Langes von Nietzsche angewendet? Nietzsche hat die beiden Verdienste der materialistischen Richtung als echte Verdienste anerkannt und sie fr seine eigene Philosophie beansprucht. Er hat einerseits die Sparsamkeit der Hypothesen und Prinzipien als methodologisches Gebot auch fr das Philosophieren angenommen, und andererseits immer wieder markiert, dass die Kultivierung epistemischer Tugenden nur dadurch mçglich ist, dass man sich mit einer wissenschaftlichen Methode vertraut macht. Das ist wiederum erst mçglich, wenn man sich zumindest vorlufig den Regeln unterwirft, die innerhalb einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft gelten, gleichgltig ob es sich um die Zunft der klassischen Philologen oder die der Physiker handelt. In Jenseits von Gut und Bçse wird das pragmatische Prinzip der Sparsamkeit zweimal in Anspruch genommen: einmal gegen die konkurrierende mechanistische Orientierung im Rahmen der Physiologie und ein zweites Mal im Kontext einer ontologischen Diskussion, jedes Mal zugunsten des Willens zur Macht als antimechanistische Gegenhypothese: Die Physiologen sollten sich besinnen, den Selbsterhaltungstrieb als kardinalen Trieb eines organischen Wesens anzusetzen. Vor Allem will etwas Lebendiges seine Kraft a u s l a s s e n – Leben selbst ist Wille zur Macht –: die Selbsterhaltung ist nur eine der indirekten und hufigsten Fo l g e n davon. – Kurz, hier wie berall, Vorsicht vor b e r f l s s i g e n teleologischen Principien! – wie ein solches der Selbsterhaltungstrieb ist (man dankt ihn der Inconsequenz Spinoza’s –). So nmlich gebietet es die Methode, die wesentlich Principien-Sparsamkeit sein muss. (JGB 13, KSA 5, 27 f.) Gesetzt, dass nichts Anderes als real ,gegeben‘ ist als unsre Welt der Begierden und Leidenschaften, dass wir zu keiner anderen ,Realitt‘ hinab oder hinauf kçnnen als gerade zur Realitt unsrer Triebe – denn Denken ist nur ein Verhalten dieser Triebe zu einander –: ist es nicht erlaubt, den Versuch zu machen und die Frage zu fragen, ob dies Gegeben nicht a u s r e i c h t , um aus Seines-Gleichen auch die sogenannte mechanistische (oder ,materielle‘) Welt zu verstehen? […] Zuletzt ist es nicht nur erlaubt, diesen Versuch zu machen: es ist, vom Gewissen der Me t h o d e aus, geboten. Nicht mehrere Arten von Causalitt annehmen, so lange nicht der Versuch, mit einer einzigen auszureichen, bis an seine usserste Grenze getrieben ist (– bis zum Unsinn, mit Verlaub zu sagen): das ist eine Moral der Methode, der man sich heute nicht entziehen darf; – es folgt ,aus ihrer Definition‘, wie ein Mathematiker sagen wrde. (JGB 36, KSA 5, 54 f.)
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Aus den beiden angefhrten Textstellen darf man gegen Brian Leiter (2009, 20) schließen, dass dasjenige Element in der wissenschaftliche Methode, das Nietzsche emulieren will, keineswegs ihr kausales, oder monokausales Erklrungsmodell ist, sondern lediglich das pragmatische Prinzip der Sparsamkeit, das das Geheimnis ihres Erfolges ausmacht. Es ist außerdem wichtig zu bemerken, dass dieses pragmatische Element im Vergleich zur Kultivierung epistemischer Tugenden immer als sekundr betrachtet werden muss: Im Ganzen sind die wissenschaftlichen Methoden mindestens ein ebenso wichtiges Ergebniss der Forschung als irgend ein sonstiges Resultat: denn auf der Einsicht in die Methode beruht der wissenschaftliche Geist, und alle Resultate der Wissenschaft kçnnten, wenn jene Methoden verloren giengen, ein erneutes Ueberhandnehmen des Aberglaubens und des Unsinns nicht verhindern. Es mçgen geistreiche Leute von den Ergebnissen der Wissenschaft l e r n e n so viel sie wollen: man merkt es immer noch ihrem Gesprche und namentlich den Hypothesen in demselben an, dass ihnen der wissenschaftliche Geist fehlt: sie haben nicht jenes instinctive Misstrauen gegen die Abwege des Denkens, welches in der Seele jedes wissenschaftlichen Menschen in Folge langer Uebung seine Wurzeln eingeschlagen hat. […] Desshalb sollte jetzt Jedermann mindestens e i n e Wissenschaft von Grund aus kennen gelernt haben: dann weiss er doch, was Methode heisst und wie nçthig die usserste Besonnenheit ist. (MA I 635, KSA 2, 360 f.; vgl. MA I 256)
Was ich nun zum Schluss nur darstellen, aber keineswegs im Einzelnen ausfhren kann, ist die These, der zufolge sich der Philosoph als derjenige, der sich mit der normativen Frage einer Rangordnung der Werte beschftigt, immer noch bewusst werden muss, dass seine Verpflichtung zu kognitiven Werten und zu epistemischen Tugenden keiner unbedingten Forderung entsprechen kann. Was macht aber dieses Bewusstsein mçglich? Noch einmal die skeptischen Tugenden: Man lasse sich nicht irrefhren: grosse Geister sind Skeptiker. Zarathustra ist ein Skeptiker. Die Strke, die Fr e i h e i t aus der Kraft und berkraft des Geistes b e w e i s t sich durch Skepsis. […] Ein Geist, der Grosses will, der auch die Mittel dazu will, ist mit Nothwendigkeit Skeptiker. Die Freiheit von jeder Art berzeugungen g e h ç r t zur Strke, das Frei-Blicken-k ç n n e n … Die grosse Leidenschaft, der Grund und die Macht seines Seins, noch aufgeklrter, noch despotischer als er selbst es ist, nimmt seinen ganzen Intellekt in Dienst; sie macht unbedenklich; sie giebt ihm Muth sogar zu unheiligen Mitteln; sie g ç n n t ihm unter Umstnden berzeugungen. Die berzeugung als M i t t e l : Vieles erreicht man nur mittelst einer berzeugung. Die grosse Leidenschaft braucht, verbraucht berzeugungen, sie unterwirft sich ihnen nicht, – sie weiss sich souverain. (AC 54, KSA 6, 236)
Deswegen konnte Nietzsche in einer seiner nachgelassenen Aufzeichnungen auch versuchen, das 19. Jahrhundert auf folgende Weise zusammenzufassen: Nicht der Sieg der Wissenschaft ist das, was unser 19tes Jahrhundert auszeichnet, sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methode ber die Wissenschaft. (NL 1888 15[51], KSA 13, 442)
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The “little independent clockwork”: Nietzsche on science and the will1 Joseph Ward Despite the much-touted provenance of the naturalist reading in contemporary English-language Nietzsche studies, the consensus among the majority of Nietzsche scholars today seems to be that Nietzsche is not a scientific naturalist in any straightforward sense.2 At the same time, most will concede that there is an important role in Nietzsche’s mature thinking for some kind of naturalism, according to which Nietzsche aims, as he explicitly proposes in Beyond Good and Evil, to “translate human beings back into nature [Den Menschen […] zurckbersetzen in die Natur]” (BGE 230, KSA 5, 169);3 and further that this is a naturalism not wholly divorced from the practice and theory of the natural sciences in Nietzsche’s day.4 I am in agreement with this consensus, but significant questions remain as to the precise nature of the role of science in Nietzsche’s philosophy. In the present paper I want to propose some routes towards coming to terms with these questions by exploring two specific textual sites which appear to manifest a tension in Nietzsche’s thinking on science, both between the two texts, from Beyond Good and Evil and On the Genealogy of Morals respectively, and within the account given in the latter. These tensions however can, as I will demonstrate below, be resolved, and in the process of reconciling these texts to one another and internally we can come to some substantive conclusions regarding the place of science in Nietzsche’s mature philosophy, which is neither that of a uniquely privileged domain of truth nor that of an unredeemably ascetic practice synonymous with the ascetic ‘will to truth’ and therefore to be rejected wholesale. 1 2 3 4
I would like to acknowledge the support of the Irish Research Council for Humanities and Social Sciences Postdoctoral Fellowship Scheme, which allowed me the time to develop, within the context of a larger project, the ideas expressed in this article. The best known dissenting voice from this consensus in English-language Nietzsche scholarship is Brian Leiter. See in particular his Nietzsche on Morality. All quotations in English are taken from Beyond Good and Evil, trans. R. J. Hollingdale, London (Penguin) 1990, unless otherwise specified. All references to Nietzsche’s original German texts are to the Kritische Studienausgabe (KSA). See for example Christopher Janaway’s careful distinguishing of the precise variety of Nietzsche’s naturalism in (Jannaway 2007). For broadly similar perspectives see Christa Davies Acampora (2004); Richard Schacht (1999); Babette Babich (1994).
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Two accounts: science in the Genealogy and Beyond Good and Evil I will begin by discussing the account of science to be found in the latter sections of the Genealogy’s third essay, an account which will be extremely familiar to most Nietzsche scholars. This third essay is focused on the question of the meaning of ascetic ideals, those ideals which for Nietzsche devalue the present world in the name of some higher world or ‘hereafter’; but much of the essay is also preoccupied with diagnosing the extent of the dominance of ascetic ideals in Western culture. At times, the impression is that this extent is almost total, and that the entirety of European history is essentially animated by the ascetic ideal: “w h e r e ,” Nietzsche asks imploringly at one point, “is the opposing will which expresses an o p p o s i n g i d e a l ?” (GM III 23, KSA 5, 395).5 It is at this juncture that science gets drawn into the fray as a proposed candidate for opposition to the ascetic ideal; Nietzsche goes on to explore in some detail why science cannot lay claim to such an exemption from the ascetic hegemony. Nietzsche claims that contemporary science exists essentially in two forms: either it is nothing but a manifestation of the ascetic ideal, “not the opposite of the ascetic ideal but rather i t s m o s t r e c e n t a n d m o s t r e f i n e d f o r m”; or it is “a hiding-place for all kinds of discontent, lack of conviction, gnawing worm, despectio sui, bad conscience […] none other than the r e s t l e s s n e s s which results from lack of ideals, a form of suffering from a l a c k of any great love, from dissatisfaction with an i n v o l u n t a r y temperance” (GM III 23, KSA 5, 396 f.). Science on this latter view is really just one means amongst others for dealing with the consequences and symptoms which the ascetic ideal has generated in a nihilistic modern age: it generates no resistance against the malady itself and is described as “self-anaesthesis” against the sufferings induced by the dominance of the ascetic ideal in Western culture. I will return to both aspects of Nietzsche’s diagnosis further on and in particular why it is that a species of science should be seen as a form of the ascetic ideal; this relatively brief summary will suffice for the moment. Let us compare this picture with the quite different account of science to be found in Beyond Good and Evil, published a year before the Genealogy; here science is explicitly contrasted with the practice of philosophy. With the philosopher the key question is: which of his or her subterranean drives are secretly responsible for forging a particular philosophy? Any philosophy, Nietzsche contends, derives ultimately from the philosopher’s own drives, such that “in the philosopher […] there is nothing whatever impersonal” (BGE 6).6 On the other hand 5 6
All English translations of this text are from On the Genealogy of Morals, trans. By D. Smith, Oxford (Oxford University Press) 1996, unless otherwise stated. See BGE 3 – 6 for the full account of the philosopher.
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in the case of really scientific men [den eigentlich wissenschaftlichen Menschen] […] there may really exist something like a drive to knowledge [Erkenntnistrieb] there, some little independent clockwork which, when wound up, works bravely on without any of the scholar’s other drives playing any essential part [irgend ein kleines unabhngiges Uhrwerk, welches, gut aufgezogen, tapfer darauf los arbeitet] (BGE 6).
Such an independent drive to knowledge seems difficult to square with the account of science in the Genealogy, where all the versions of science which Nietzsche discusses seem to be entangled with the ascetic ideal or with the vital or emotional needs of the practitioner of science. The “little independent clockwork” is something detached from the world of human passions, drives and ideals, a toy which can run on by itself while not engaging our affective commitments one way or another. It is worth noting also the tone of this passage: cheerful, gently humorous and lightly mocking. In the context of Nietzsche’s many and varied textual styles, such a tone suggests that there is nothing of central significance under discussion here, or rather nothing that Nietzsche sees as particularly threatening or dangerous to Western culture. Contrast this passage with Nietzsche’s despairing question in the Genealogy, cited above, on where we might find any opposition to the ascetic ideal; and indeed the relevant passages of the Genealogy are in general much more highly charged than these relatively sober and patient opening few pages of Beyond Good and Evil. What then makes for such a change both in tone and in content when we come to the Genealogy? Has Nietzsche’s discovery of the dominance of the ascetic ideal, given full expression for the first time in the Genealogy a year later, shown to him that the idea of an independent scientific practice unaffected by any of the scientist’s drives, as described in Beyond Good and Evil, must now be dismissed as a fantasy? We ought not to draw such a conclusion too hastily. The sentence which follows that just quoted from Beyond Good and Evil might give us pause to consider precisely what is distinctive about this “independent clockwork” in relation to the scientist or “scholar”: The scholar’s real ‘interests’ therefore generally lie in quite another direction, perhaps in his family or in making money or in politics; it is, indeed, almost a matter of indifference whether his little machine [seine kleine Maschine] is set up in this region of science or that, whether the ‘promising’ young worker makes himself into a good philologist or a specialist in fungus or a chemist – he is not c h a r a c t e r i z e d [es b e z e i c h n e t ihn nicht] by becoming this or that (BGE 6).
Although it is initially described as a “knowledge drive”, this scientific practice is here once again characterized, as was the case with the “little independent clockwork”, as something quite separate from the person of the scientist: his “little machine”. Indeed it is not really his drive at all; it is manifestly unconnected with the drives which really do motivate his activity, those of money-making or politics. A simple question is at issue here: why does one
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embark on becoming a scientist? The case Nietzsche envisages is simple and surely familiar to us: a young scholar has an easy propensity for scientific practice and therefore makes this practice serve her real non-scientific ends in life, having no particular commitment to scientific activity per se nor to any distinctive value it might possess. Perhaps the simplest way to think of this, in fairly traditional terms, is that the practice of science in this case has little or no direct connection with the will of the scientist;7 instead, the practice of science is pursued and valued instrumentally, as a means to other ends. It is helpful to bear in mind here a distinction between science as a practice and “scientism”, a faith in science or special privileging of the truth claims of science; as has been pointed out, Nietzsche generally does not mark this distinction particularly clearly, although he must often have it in mind.8 The scientific practitioner in this account is someone who has not a trace of ‘scientism’ about them. So there are ultimately two points I want to bear in mind on the basis of these passages in Beyond Good and Evil: (1) There is a kind of (limited) autonomy of scientific practice: once the models and paradigms through which science works have been set up these can be followed by means of a kind of ‘objective’, clockwork process. (2) As a correlative of this, women and men can engage in this practice without having any commitments to the distinctive value of science and without any motivation to practice science for its own sake.9
Science’s “belief in itself ”: truth, “service” and the ascetic ideal Let us now return to the Genealogy to see what model of the scientist Nietzsche has in mind here. In the passage in which science is first posed as a possible opponent of the ascetic ideal Nietzsche makes the following description of modern science: “science today has n o belief in itself, let alone an ideal a b o v e it – and where it survives at all as passion, love, glowing intensity, s u f f e r i n g , it constitutes not the opposite of the ascetic ideal but rather i t s m o s t r e c e n t a n d r e f i n e d f o r m” (GM III 23, KSA 5, 396 f.). Let us note first of all that something like the relation of scientific practice to the will of the practitioner is immediately at stake here: the natural implication of this passage is that the scientist has no belief in science, except in those cases where she comports herself 7
8 9
Of necessity I must leave aside here the question of Nietzsche’s critique of the will; ‘will’ in the context of this article can be taken to mean whatever would stand in, on a suitably revised account, for the function which metaphysics traditionally conceived of as that of willing. For one of the most promising approaches to this issue see Robert Pippin (2003). See David Owen (1999, 172). This ought already to be enough to make us wary of conflating too closely science and the will to truth, as to my mind does Owen (1999).
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towards the practice of science with an attitude of “passion, love, glowing intensity, s u f f e r i n g ” and is thus said to serve the ascetic ideal. In the majority of instances, Nietzsche believes, science is, just as with the “clockwork” mechanism discussed above, not willed for its own sake. The Beyond Good and Evil case can then be subsumed under the first option given here in the Genealogy, since when science is undertaken for the sake of its instrumental value in securing wealth or prowess of some other kind, belief in science is not required, nor any kind of other overarching ideal. Nor is it required when the chief motivation for science is for some activity which will distract us from the distress caused by our exposure to the ascetic ideal in the contemporary West. But this first option, where “belief in science” is not needed, is not Nietzsche’s principle interest in the Genealogy. It may be the case that many scientists are in fact motivated by worldly success of various kinds, and that science can sometimes be used to provide relief from the sufferings of the modern world, but this is irrelevant to the real question at issue for Nietzsche, which is: where do we find alternative ideals to that of asceticism? This is why the tone of this passage is so different from that gentle mockery we found in Beyond Good and Evil: we are now in the ambit of this urgent search for new ideals, and as Nietzsche makes explicit, cases where belief in science is not required (including those where the scientist is intent solely on wealth) simply do not involve an ideal at all. This has implications which are important for interpreting this third essay of the Genealogy as a whole: its claim is not that wherever we in the West are at all motivated in our actions we are motivated by the ascetic ideal (which would be an absurd claim) but rather that wherever we are motivated by an ideal that ideal is, in essence, the ascetic ideal. This in turn throws retrospective light on Nietzsche’s discussion of the need for new ideals at the end of the second essay of the Genealogy: the implication there was that such an ideal might be sought in the words of Zarathustra, thus in the book which bears his name.10 If the ascetic ideal is the one and only ideal in operation, on the other hand, then when scientists are idealists they are ultimately ascetic idealists for Nietzsche: these are cases in which a kind of scientism is at work, a faith in science and moreover one which provides a direct motivation to practice science for the sake of science, positing an intrinsic value for scientific practice. When in this instance the question is raised ‘Why practice science?’ the answer given is not ‘wealth’ or ‘prestige’ but ‘science’ itself, or rather, as we shall shortly see, truth itself (conceived as essentially scientific). As I have just stated, Nietzsche’s claim in the third essay is that the ascetic ideal has run all other ideals out of town, but in order to make this claim plausible he is bound to demonstrate to us that it really does make sense to construe contemporary belief in science, contempo10 See GM II 24 – 25. To explore precisely what form these new ideals might take is a task for another paper, if not a monograph.
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rary ‘scientism’, as ascetic. How does he make this case? The section of the essay following those we have discussed above, section 24, provides the answer: idealistic modern science requires an unconditional faith in the value of truth for its own sake, and this faith is thoroughly ascetic; in fact it is what Nietzsche will later describe as the ‘core’ of the ascetic ideal (GM III 27). This claim in turn is best accounted for by the passage from Book Five of The Gay Science (GS 344) which Nietzsche quotes here in section 24 of the Genealogy: the truthful man, in the bold and ultimate sense presupposed by the belief in science, a f f i r m s i n t h e p r o c e s s a n o t h e r w o r l d from that of life, nature and history; and in so far as he affirms this ‘other world’, what? must he not then in the process – deny its counterpart, this world, o u r world? … The belief upon which our science rests remains a m e t a p h y s i c a l b e l i e f . We seekers after knowledge today, we godless ones and anti-metaphysicians, we too continue to take o u r flame from that fire ignited by a belief which is millennia old, that Christian belief, which was also Plato’s belief, that God is the truth, that the truth is d i v i n e … (GM III 24, KSA 5, 400 f.).11
The claim is, then, that in serving an unconditional will to truth science must share this unconditional valuing of the truth, making the truth into a kind of divinity, at the expense of the real world of “life, nature and history” which may be inimical to the truth in some sense, or to certain models of truth, including some or all of those presupposed by science. So what then is to become of science? Does it belong entirely to the era of the ascetic ideal and its will to truth or can a positive role be found for it under the aegis of a new ideal? Well, what Nietzsche has to say here demonstrates that for him the latter is the case. We should not overlook the importance of the word ‘today’ in the quote above: “science today has n o belief in itself ” (GM III 23, KSA 5, 396; italics mine). The suggestion, which we will see confirmed below, is that there have in fact already been eras in which science was not purely the servant of the ascetic ideal, and from this we can draw another general point of significance for the third essay as a whole: although it often seems in Nietzsche’s account that the ascetic ideal is all-consuming in Western culture, we have to be careful about how we construe the kind of hegemony it exerts. There have been in prior Western history all kinds of resistances and even countermovements to the ascetic ideal (Nietzsche would regard the Renaissance, for example, as one such counter-movement) and they have not necessarily been instantaneously snuffed out. What does seem to be the case, however, is that in the long run the ascetic ideal defeats or incorporates all its rivals and comes to an autocratic dominance; hence Nietzsche’s sense of an ever-deepening decadence, 11 It should be borne in mind throughout the discussion of these passages that both “faith” and “belief ” translate the German “Glaube”: the signification of the latter is broad, encompassing both English terms.
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and ultimately of accelerating nihilism, in the era in which he lives. But the important point to grasp for our purposes here is that science is not in itself the pure product of the ascetic ideal and a phenomenon which must under all circumstances be entirely reduced to that ideal.
Escaping asceticism: science in the service of new ideals This may be all very well, but Nietzsche’s thinking here nevertheless seems to leave us with something of a paradox. There is the tone of an accusation in Nietzsche’s contention that science today has no belief in itself, a sense that science really ought to have such a self-belief. But what is the distinction between this kind of self-belief and the faith in science I have referred to as scientism, the conviction that science has an exclusively privileged mode of access to the truth?12 Is there a sense in which science can believe in itself without falling into what we have just seen is for Nietzsche a fundamentally ascetic will to truth? We will need to follow the historical dimensions of Nietzsche’s account a little further in order to come to terms with this apparent contradiction. Having averred at the end of section 24 that the “will to truth requires critique” and that “the value of truth must for once, by way of experiment, be c a l l e d i n t o q u e s t i o n …” (GM III 24, KSA 5, 401), Nietzsche picks up the theme of science at the beginning of section 25, where he again affirms that science is anything but an “antagonist” of the ascetic ideal and goes on to add: “It is a long time since science has been independent enough for that, it requires a value-ideal, a value-creating power, in whose s e r v i c e it is a l l o w e d t o b e l i e v e in itself [in deren D i e n s t e sie an sich selber g l a u b e n d a r f ] – it never creates values itself ” (GM III 25, KSA 5, 402). The clear implication is that science at one time was “independent enough” to oppose the ascetic ideal. When can this have been? During the Renaissance? The seventeenth century? Whatever era it is that Nietzsche has in mind, the significant claim Nietzsche makes here is that science was, paradoxically, more independent in the service of (“in deren Dienste”) some ideal other than itself: no doubt precisely because to believe solely in itself just meant to believe in the unconditional will to truth and thus to be caught at the very heart of the ascetic nexus. It must therefore be a specifically limited independence that Nietzsche has in mind here: science can believe in itself when it is granted its right to operate by a higher ideal. Two possibilities occur to me here in terms of what might fit Nietzsche’s description, although this is of course somewhat speculative: 1) Science in the Renaissance developed not for its own sake nor for the sake of the love of truth 12 The need for a distinction is particularly acute when we bear in mind that in both instances we are dealing with the same German word: “Glaube”. See above, note 11.
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but in the subsidiary service of the higher ideal which motivated that age: the recapturing of the glories of antiquity in the arts and in culture in general. 2) Science in parts of the seventeenth century was carried out under specifically Christian auspices for the most part, but Christian auspices which were not essentially ascetic but were capable of being turned towards more life-affirming ends, in that scientists were out to explore and demonstrate the glories of God’s Creation and thus of this world, not an after-world, a ‘beyond’. In either case science in the service of such an ideal could be said to have developed a certain independence, such that in the case of the Renaissance anatomy could pursue its enquiries far beyond the ancients (thus rendering some of their beliefs obsolete), and ancient physiologies such as those of Galen could come to be discredited, providing a foundation for modern physiology. And in the second case, science was granted sufficient independence to develop its models of the universe, particularly moving into the eighteenth century, to such an extent that it finally came to question the divinity in whose service it had originally been put into operation.13 If this is what Nietzsche has in mind here, it is a case of a kind of split within the ascetic ideal, where the dogmatic Christianity, which would itself be a prime example of the ascetic ideal at work in Western civilization, grants license to a subsidiary mode of seeking the truth, that of modern science, and that latter mode of truth-seeking finally comes to oppose the former in the name of having gained a better understanding of the universe. By this point, however, science has metamorphosed into something like a pure will to truth; hence Nietzsche describes the culmination of this development in modernity in the later section 27 in the following terms: wherever the spirit [Geist] is at work today, severe, powerful, and without forgery, it dispenses completely with this ideal – the popular term for this abstinence is ‘atheism’ –: e x c e p t f o r i t s w i l l t o t r u t h . But this will, this r e m n a n t of the ideal, is, if one is willing to believe me, the strictest, most spiritual formulation of the ideal itself, absolutely esoteric, stripped of all outworks – not so much its remnant, then, as its c o r e (GM III 27, KSA 5, 409).
So while seventeenth century science may represent for Nietzsche an independent science with the right kind of belief in itself, modern science, or rather scientism – faith in science as the means to truth – is captured for Nietzsche under this description as the bare will to truth stripped of all theological and metaphysical commitments: the core of the ascetic ideal. As such it clearly has no independence: it simply manifests itself as the most stripped down, undisguised version of the ascetic ideal. By contrast, that earlier 13 This is a development which Nietzsche repeatedly recounts, as at GS 356: “The instinct for truth forbids itself the lie of faith in god.” The Gay Science, trans. By Walter Kaufmann, New York (Vintage) 1974. Nietzsche gives a more elaborate account of the same phenomenon in GM III 27.
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form of science, precisely because it was under the control of something other than the bare will to truth, subordinate to a more elaborate set of religious beliefs and prescriptions, had a curious ‘independence’ in the sense that it could find itself disagreeing with the predominant, religious form of the ascetic ideal and therefore creating an internal dissension within the ascetic ideal, provoking the debunking of religion which Nietzsche sees as a vital step on the way to a future in which not only Christianity but also the ascetic ideal itself will eventually come to destroy themselves. As Nietzsche puts it, “morality”, by which he means our Christian and post-Christian morality, absolute embodiment of the ascetic ideal, “will be d e s t r o y e d through the coming to consciousness of the will to truth” (GM III 27, KSA 5, 410), which is, as we have seen, the ‘core’ of the ascetic ideal. This kind of historical perspective points towards a solution to the apparent paradox outlined above: Nietzsche’s accusation that science today is insufficiently independent because it has no belief in itself and the concurrent insistence that pure scientism is thoroughly ascetic and therefore to be rejected. There are two very different ways in which science can be said to believe in itself. One way is for science to believe in itself as the absolute arbiter of truth, and on this analysis it will be diagnosed by Nietzsche as reducing to the pure ascetic will to truth. But science can also believe in itself as an effective means to an end in the service of a higher ideal, generating truths which are not of absolute and uncontestable value but are at the disposal of the higher, ruling, philosophical legislation of values. Such a science gains for itself an independence, an autonomy and a space within which to operate. So how do things stand with science in the final analysis, looking back along the path we have travelled? We started with Beyond Good and Evil’s account of contemporary scientific practice as a “little independent clockwork” which runs along under its own steam and requires no investment in terms of will from the scientist. There was as we saw no reason to believe this account to be incoherent in the light of the analysis of science’s links with asceticism in the Genealogy. And it could in some sense serve at least some of Nietzsche’s ends if a future science were conducted according to this clockwork model, as long as the ideals which actually drove society were quite different, life-affirming ones. Ultimately, however, it seems far more in keeping with Nietzsche’s sense of how good science has been and should be conducted that the scientist have a passionate belief in the value of his task when it is seen in the context of higher ideals which affirm this-worldly existence. It is science conceived along these lines which can take its rightful place in Nietzsche’s philosophy of the future.14 14 This is not to say that only the ‘context’ of scientific practice would be affected in this relation and not its content. The former is the aspect I have concentrated on in this paper, but one should not overlook Nietzsche’s conviction that the paradigms according to
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which science operates are structured at least to some extent by the particular prejudices of social context; hence his diatribe against the post-Darwinian emphasis on ‘adaptation’ at the expense of internal, active force: see in particular GM II 12. So operating under the legislation of Nietzsche’s future philosophers might transform the very practice of science in certain respects as well.
Nietzsche’s Naturalism and the Falsification Thesis Matthew Meyer In her influential but controversial study, Maudemarie Clark (1990) argues for a developmental reading of Nietzsche’s views on truth. Specifically, she contends that although the young Nietzsche was committed to what she calls the falsification thesis or the view that our beliefs, even at their best, falsify a fundamental reality in the form of a thing-in-itself, the later Nietzsche came to abandon the thing-in-itself and eventually the falsification thesis. Because of this, Clark claims that the mature Nietzsche no longer denied truth on the grounds that science and the senses falsify some inaccessible reality, but rather he came to believe that scientific observation represents the primary means for discovering truths that can liberate us from the lies of metaphysics and religion (Clark 1990, 104). Since the publication of her work, a number of commentators have criticized Clark’s developmental scheme.1 Nevertheless, her emphasis on Nietzsche’s naturalism or the belief that a proper understanding of reality is in some way continuous with the natural sciences has attracted much attention.2 The problem with Clark’s developmental scheme is that there is evidence suggesting, both from the late Nachlass and the published works, that Nietzsche remained committed to some version of the falsification thesis throughout his career. As a result, commentators sympathetic to Clark’s naturalist reading have noted the need to reconcile the continued presence of the falsification thesis with his empiricist and naturalist commitments (Hussain 2004, 327). In this paper, I will support the naturalist reading of Nietzsche by showing how the falsification thesis results from his naturalism. To do so, I will follow Hussain in arguing that the tension Clark has constructed between the falsification thesis and Nietzsche’s scientific commitments is misguided. Based on her reading of On Truth and Lies in an Extra-Moral Sense (TL – 1873), Clark understands the falsification thesis as emerging from Nietzsche’s early view that our commonsense-cum-scientific understanding of the world can never adequately characterize a transcendent world of things-in-themselves. In contrast, I will turn to Philosophy in the Tragic Age of the Greeks (PTG – 1873) to develop a framework for understanding Nietzsche’s later philosophy in 1 2
Cf. Anderson (1996); Green (2002); Hussain (2004). For a more nuanced understanding and defense of Nietzsche’s naturalism, see Leiter (2002).
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which the falsification thesis is rooted in Nietzsche’s commitment to Heraclitean becoming or an ontology of dynamic relations that eliminates property-bearing things. According to this view, the falsification thesis is the claim that the structures of language and logic seduce us into hypostatizing property-bearing things (commonsense, scientific, and metaphysical) and therefore seduce us into adopting false beliefs about a reality that is, in fact, bereft of such entities. Because Nietzsche later justifies this ontology of dynamic relations by appealing to developments in the natural sciences in both his lecture notes on pre-Platonic philosophy (PPP) and Human, All Too Human (HaH I – 1878), the falsification thesis can be said to result from his naturalist commitments. After an analysis of these issues in Nietzsche’s pre-Zarathustra writings, I conclude the paper with some reasons for thinking that Nietzsche remains committed to naturalism, an ontology of dynamic relations, and the falsification thesis throughout his postZarathustra publications.
I. Clark’s Understanding of the Falsification Thesis Clark begins her account of Nietzsche’s development with an analysis of TL. According to Clark, the essay not only bridges Nietzsche’s earliest work with his later publications, it has also provided ‘radical interpreters’ such as Jacques Derrida and Paul de Man with support for the claim that Nietzsche denies truth (Clark 1990, 63 ff.). As an opponent of the radical interpretation, Clark sets out to challenge this view. She does so by arguing that although Nietzsche does deny truth in TL, he eventually abandons the views, namely a representational theory of perception and a metaphysical theory of truth, that underwrite the denial of truth and the related falsification thesis in TL. This is because these views are rooted in a belief in a thing-in-itself, and once the mature Nietzsche rejects the thing-in-itself as a contradiction in terms (BGE 16, KSA 5, 29), Clark claims that he ultimately abandons the falsification thesis in the works that follow BGE. Although I will argue that the primary flaw in Clark’s interpretation is the attempt to read Nietzsche’s later views on truth through the lens of TL, I do want to flag one issue concerning her reading of the text. Specifically, in order to secure the claim that Nietzsche’s abandonment of the falsification thesis follows from his rejection of the thing-in-itself, Clark needs to argue that the only basis for the falsification thesis in TL is Nietzsche’s belief in a thing-in-itself. This, however, is not the case. As Clark acknowledges, an argument can be made that Nietzsche believes that concepts falsify reality by treating unequal things as equal (Clark 1990, 77). Even though she argues that Nietzsche’s view here is philosophically suspect, this does not entail, as Clark seems to want us to conclude, that Nietzsche does not hold the view. What this indicates is that TL
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does contain a falsification thesis that has nothing do with the existence of things-in-themselves, and therefore even with the framework of TL in hand, it would still be possible for Nietzsche to reject things-in-themselves and remain committed to some version of the falsification thesis. Indeed, this is not a mere possibility, but Nietzsche seems to adopt a similar position in “‘Reason’ in Philosophy” from Twilight of the Idols (TI – 1888). Because this is a mature work in Clark’s developmental scheme, she has been forced to argue that the falsification thesis does not appear in this section (Clark 1990, 105 ff.). Her efforts on this point, however, have been rightly met with opposition (Green, 2002 and 2005). Similar to TL, Nietzsche again speaks of certain concepts like unity and thinghood involving a “falsification of the senses” (TI Reason 2, KSA 6, 75). If this reading is correct, then Nietzsche does not abandon the falsification thesis in his late works even though he does come to reject the thing-in-itself.3 The aforementioned passage from TI points to a further challenge to Clark’s overall interpretation. Specifically, Nietzsche’s comments in TI explicitly link the falsification thesis to debates in pre-Platonic philosophy, and this suggests that one should turn to PTG, where Nietzsche offers his interpretation of prePlatonic philosophy, for further clarification of the issue rather than relying on a framework derived from TL. As I will argue, the framework from PTG presents a challenge to Clark’s interpretation because Nietzsche combines a rejection of the thing-in-itself with a version of the falsification thesis in his exposition of Heraclitus’ philosophy, and this framework, in turn, forms the basis for the historical philosophy that Nietzsche unpacks in HaH.
II. Heraclitean Becoming and the Falsification Thesis in PTG At the heart of PTG is Nietzsche’s extended treatment of the philosophies of Heraclitus and Parmenides. The account he provides of each is neither a purely scholarly assessment of their teachings nor a mere portrayal of their respective personalities. Instead, Nietzsche’s exposition of these two thinkers can be understood in terms of the rise and fall of tragic philosophy, where the highpoint of such philosophy is reached with Heraclitus’ doctrine of becoming 3
Here it should be noted that I am in agreement with Clark insofar as it is her position that there is no evidence in this passage that the natural sciences falsify reality. However, my reading does diverge from Clark’s insofar as it is her position that this passage does not attest to Nietzsche’s view that our ordinary concept of a thing is a lie (Clark 1990, 107). In short, I hold that Nietzsche appeals to refined sense experience and scientific observation to reject or eliminate the existence of non-interpreted or non-relational commonsense things.
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and this is followed by the beginning of the end of tragic thinking in the form of Parmenides’ doctrine of being. For my purposes, there are two important moves that Nietzsche makes in his exposition of Heraclitus’ philosophy. First, he credits Heraclitus with having eliminated any distinction between a physical and a metaphysical world by doing away with Anaximander’s indefinite (PTG 5, KSA 1, 822), which is, for Nietzsche, a pre-Platonic version of Kant’s thing-in-itself (PTG 4, KSA 1, 819). The second point is that Heraclitus altogether rejects ‘being’ in the name of ‘becoming’. Although one might think that this commits Heraclitus to the simple claim that everything that exists will pass away at some time, a careful reading of the text shows that Nietzsche attributes to Heraclitus a doctrine of becoming that does away with independently existing things (commonsense, scientific, and metaphysical) altogether. Rather than populating the world with properties and property-bearing objects, becoming is the view that the world consists of dynamic relations, where everything exists and is what it is only in relation to something else (PTG 5, KSA 1, 824).4 On my reading, it is this ontology that underwrites a version of the falsification thesis, which I understand to be the view that the structures of language and logic seduce us into adopting false beliefs about reality. This is because the ontology that Nietzsche attributes to Heraclitus construes the world in terms of relations without any pre-existing relata. As Nietzsche’s analysis of Parmenides’ response to Heraclitus makes clear, such a world is literally unthinkable and perhaps even impossible to articulate adequately in language. This is because both thinking and language, so argues Nietzsche, always posit a thing that bears a property, a doer that does a deed, a relatum that enters into a relation. Although Nietzsche’s Parmenides rejects Heraclitus’ ontology precisely because it is unthinkable, Nietzsche defends such an ontology by accusing Parmenides of committing the sin of “logical anthropomorphism” (Glatzeder 2000, 98). The fact that we cannot think an ontology does not entail its falsity; instead, if careful observation of the sensible world reveals only an interplay of dynamic relations, then one can maintain, as Nietzsche does, that thinking is precisely what seduces us into adopting false beliefs about reality. So understood, it is not Nietzsche’s early belief in the thing-in-itself that leads him to adopt the falsification thesis, as Clark would have it, but rather the opposite, namely his rejection of things as such. Moreover, in doing away with the thing-in-itself, Nietzsche’s Heraclitus does away with the appearance-reality distinction characteristic of the metaphysical tradition, thereby prefiguring Nietzsche’s later position on the matter. At the same time, Heraclitus’ rejection of things does create a second distinction between appearance and reality. 4
For more on Nietzsche’s relationalist ontology, see Mittelman (1984), Nehamas (1985, ch. 3), and Poellner (1995, ch. 5).
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However, this difference is not between commonsense-cum-scientific and metaphysical worlds, but rather between a genuine, scientific description of the empirical world and misguided descriptions of the empirical world offered by both the man of commonsense and “folk physicists” like Aristotle, Democritus, and even Newton. It is with the ontology of dynamic relations in hand that Nietzsche can reject these “apparent” worlds as falsifications of the one and only empirical reality, the nature of which lies simply in its Wirken (PTG 5, KSA 1, 824).
III. Natural Science, Heraclitean Becoming, and the Falsification Thesis in PPP and HaH Thus far, I have argued that Nietzsche’s turn to Heraclitean becoming, as an ontology of dynamic relations, goes hand in hand with my construal of the falsification thesis. What now needs to be done is to show that Nietzsche thinks that the natural sciences of his day point to a rebirth of Heraclitean becoming and therefore to show how the falsification thesis emerges from his naturalist commitments. Although these themes come together in the opening stages of HaH, where Nietzsche articulates his Heraclitean commitments in the language of the natural sciences, I first want to highlight two pieces of evidence indicating that Nietzsche had already begun to link his understanding of pre-Platonic philosophy with the natural science of his day well before the publication of HaH. Perhaps the most significant publication that Nietzsche read on these issues was F.A. Lange’s Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (1866). There, Lange makes two points that feed directly into Nietzsche’s attempt to revive Heraclitean thought. First, early modern science can be understood as a revival of Democritean atomism (Lange 1866, 282). Thus, Lange shares with Nietzsche the general view that movements in modern thinking are repetitions of movements in pre-Platonic philosophy. Second, on Lange’s reading, although early modern science initially understood the world in terms of matter and force, recent advances in the natural sciences have reduced all matter to relations of force (Lange 1866, 365). Although Lange sees in such developments a reason for turning to some version of Kantian idealism, it is easy to see how Nietzsche could block such an inference by simply interpreting these developments as a movement from the mechanistic worldview of Democritus (matter and force) to the dynamic worldview of Heraclitus, where everything is simply force (NL 1882 1[3], KSA 10, 9). PPP provides further evidence that Nietzsche interpreted the development of modern natural science in this way. As Anders and Schlechta have
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documented, Nietzsche weaves into his treatment of pre-Platonic philosophy insights and experiments from modern science in order to show the continuity between the two. Specifically, Nietzsche turns to the natural sciences on seven different occasions in PPP, and he does so twice in his lecture on Heraclitus (Schlechta/Anders 1962, 60 ff.). By appealing to the work of Hermann von Helmholtz and Karl Ernst von Br, Nietzsche argues that the main proposition of the natural sciences is that “all things flow” (PPP 60, KGW II/4, 267). On my reading, Nietzsche’s task in HaH is to express what are now his Heraclitean commitments in the language of modern natural science. Although some might find such a reading surprising given that there is no explicit mention of Heraclitus in HaH, Peter Heller (1972) and Britta Glatzeder (2000) have both argued that the distinction Nietzsche establishes in the first aphorism between historical philosophy and metaphysical philosophy should be understood in terms of the pre-Platonic distinction in PTG between Heraclitean becoming and Parmenidean being, respectively.5 Given that Nietzsche clearly sides with historical philosophy over and against metaphysical philosophy in HaH and that he lays out his plans to give an account of various aspects of human life and the world in terms of his historical philosophy, HaH should be interpreted as an exercise in unpacking the consequences of Nietzsche’s initial commitment to Heraclitean becoming. The first piece of evidence for linking the opening section of HaH to debates in pre-Platonic philosophy comes from Nietzsche’s initial statement: “almost all the problems of philosophy once again pose the same form of question as they did two thousand years ago” (HaH I 1, KSA 2, 23). Although an exact reading of the statement would situate these problems in the midst of Hellenistic philosophy, it is more likely that Nietzsche has pre-Platonic debates in mind because he proceeds to raise a problem concerning opposites, and, as Glatzeder has shown, this problem is central to his reading of the debates in prePlatonic philosophy in PTG (Glatzeder 2000, 80 ff.). Another piece of evidence for mapping the historical-metaphysical distinction in HaH onto the distinction between Heraclitus’ and Parmenides’ philosophies in PTG comes from the second aphorism in HaH, where Nietzsche again endorses historical philosophy by asserting that there are no eternal facts because everything has become (HaH I 2, KSA 2, 25). Although this does not establish a clear contrast between becoming and being, there is a further piece of evidence that has been central to the interpretations of Heller and Glatzeder that does do so. In his 1888 reworking of the first aphorism, Nietzsche explicitly contrasts metaphysical philosophy with “an actual philosophy of becoming” that does away with the “in-itself ” and the concept of “being” (cf. KSA 14, 119). 5
AOM 223 also suggests a link between history and Heraclitus’ flux doctrine.
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If it is right to see in Nietzsche’s historical philosophy a revival of Heraclitus’ doctrine of becoming, then a clear link between his Heraclitean commitments and the natural sciences can be easily established. This is because Nietzsche not only titles the first aphorism, “Chemistry of concepts and sensations,” he also claims that historical philosophy can no longer be separated from the natural sciences (HaH I 1, KSA 2, 23). The more difficult task, however, is to show how this historical philosophy, as an expression of a now scientifically grounded doctrine of becoming, gives rise to the falsification thesis. As I have reformulated it above, the falsification thesis states that the structures of language and logic seduce us into adopting false beliefs about reality. In both the original and the revised version of the first aphorism of HaH, Nietzsche makes precisely this point in rejecting metaphysical philosophy. In the original version, he points to a “mistake in reasoning” that led metaphysicians to believe in opposites, and this belief, in turn, developed into the claim that the apparent world must come from a realm of things-inthemselves (HaH I 1, KSA 2, 23). In his 1888 reworking of the aphorism, Nietzsche speaks of philosophers having been seduced by the “popular metaphysics of language,” a seduction which led to fictions such as unegoistic actions and pure reason (cf. KSA 14, 119). Nietzsche furthers his critique of language and logic in the eleventh aphorism, “Language as putative science.” Specifically, he argues that it was a “tremendous error” to have believed that in language one possessed knowledge of the world. This is because language, like logic, “depends on presuppositions with which nothing in the real world corresponds” (HaH I 11, KSA 2, 30 f.). Of course, for Nietzsche to make this claim, he must have some insight into what the world is really like. On my reading, it is impossible that Nietzsche’s talk of a “real world” is referring here to an inaccessible thing-in-itself, as HaH 9 might suggest, precisely because he would have to know what this metaphysical world is like in order to claim that language and logic depend on presuppositions that do not correspond to it. Instead, I claim that Nietzsche’s belief that the sensible world, to which he does have access, is one of dynamic relations underwrites his view that logic and language, in some sense, falsify reality. In PTG, Nietzsche introduced the idea that language and logic falsify reality because there are no self-identical, property-bearing things that exist and persist through time. Although he denies the existence of two qualitatively identical things and rejects diachronic self-identity in the eleventh aphorism of HaH, it is not until the nineteenth aphorism that Nietzsche explicitly denies the existence of synchronically self-identical things by way of a flux ontology. The topic of the aphorism is number and the way in which numbers falsify reality. They falsify reality because they presuppose that there are things. However, there are no things, no existing unities. This is true not only with regard to commonsense things, but the atom of science as well. Although we feel ourselves compelled to
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assume the existence of a substratum that is the subject of motion, Nietzsche claims that, “the whole procedure of science has pursued the task of resolving everything thing-like (material) in motions” (HaH I 19, KSA 2, 40 f.). The nineteenth aphorism is important for a number of reasons. First, it rejects the notion that reality is such that we can count the individuals that comprise it. There are no unities, neither metaphysical substrates nor commonsense things nor scientific atoms. Second, the denial of things is coupled with a positive construal of reality in terms of motions. Although not explicit, the previous denial of unities must mean that these motions are not themselves unities. The likely explanation for this is that Nietzsche thinks of such motions or forces as multiplicities, which is to say that they exist only in relation to other motions. So understood, these motions point back to the doctrine of becoming in PTG and forward to the dynamic ontology of Nietzsche’s later writings. Third, Nietzsche’s language suggests that this construal of reality is justified by the methods and results of the natural sciences, a fact which links Nietzsche’s comments in this aphorism to the chemistry of concepts and sensations of the first aphorism. Finally, this aphorism, along with the others, shows that Nietzsche does subscribe to a version of the distinction between a real and apparent world in HaH. However, the distinction does not run along the lines of a metaphysical world revealed by reason in contrast to an empirical world of the senses, rather the distinction is between a true, scientific description of sensible reality as one of motions and a falsified, anthropomorphized, all-too-human world of anything from commonsense selves and things to scientific atoms that conform to the structures of language, logic, and number.
IV. Natural Science, Heraclitean Becoming, and the Falsification Thesis in Nietzsche’s Post-Zarathustra Works If the argument thus far is correct, a clear connection between Nietzsche’s naturalism and the falsification thesis has been established. However, this has been achieved by analyzing his pre-Zarathustra writings. Because of this, one might doubt Nietzsche’s continued commitment to naturalism and therefore the scientific basis of a Heraclitean ontology that gives rise to the falsification thesis. In this final section, I will briefly defend the view that Nietzsche remains committed to this general framework. After touching upon some textual evidence that supports my case, I will respond to five possible objections that seem to speak against my reading. The most obvious piece of supporting evidence from Nietzsche’s later writings comes from the aforementioned section “‘Reason’ in Philosophy” in TI.
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There we are told that, contrary to what Heraclitus believed, the senses actually provide evidence for Heraclitus’ claim that being is an empty fiction; everything is becoming, and it is only we who falsify reality by hypostatizing the things that populate our commonsense worlds (TI Reason 2, KSA 6, 75). Another piece of evidence from the published works that Nietzsche still adheres to the falsification thesis can be found in the first essay of GM. Similar to the eleventh and nineteenth aphorisms of HaH, Nietzsche contends that language has seduced both moralists and scientists alike into thinking that there are distinct doers and objects behind deeds and effects (GM I 13, KSA 5, 279 f.). Implicit in this claim is Nietzsche’s view that such beliefs are false, and I would argue that the reason why he thinks such beliefs are false is that he is still committed to an ontology that reduces everything to dynamic relations. Further evidence for this reading comes from the opening aphorisms of BGE. Not only does Nietzsche repeat, in the second aphorism of BGE, the question of opposites that opens HaH in rejecting the metaphysician’s thing-initself, he also speaks of falsifying reality through the fictions of logic and number for the purposes of life (BGE 4, KSA 5, 18). Although Nietzsche seems to reduce physics to a mere interpretation in BGE 14, this claim is only directed at the mechanistic physics he rejects. He does not, however, reject or reduce to a mere interpretation the dynamic worldview that he gets from a physicist like Roger Boscovich. This is evidenced by BGE 12, where Nietzsche praises Boscovich for having “taught us to abjure the belief in the last part of the earth that ‘stood fast’ – the belief in ‘substance’, in ‘matter’, in the earth-residuum and particle-atom” (BGE 12, KSA 5, 26 f.). Finally, the Heraclitean view from PTG that there are no things but everything only has relative existence can be found throughout the late Nachlass. Perhaps the most notable of these fragments is Nietzsche’s claim that a thing is a sum of its effects (WP 551 = NL 1888 14[98], KSA 13, 275). The idea is that an effect is (or is the result of ) a relation, and the claim that a thing is a sum of its effects is equivalent to the claim that a thing is a sum of relations. Thus, Nietzsche can say that the world is “essentially a world of relationships” (WP 568 = NL 1888 14[93], KSA 13, 271), and therefore that it is an idle hypothesis to suppose that, “a thing freed from all relationships would still be a thing” (WP 560 = NL 1887 9[40], KSA 12, 353). Here again, it is language and logic that have led to the invention of things that supposedly exist independently of or in addition to their relations (WP 558 = NL 1887 10 [202], KSA 12, 580). Because there are no things in this sense, there is no isomorphism between reality and the structures of thought and language. Thus Nietzsche writes, “Parmenides said, ‘one cannot think of what is not’; – we are at the other extreme, and say ‘what can be thought of must certainly be a fiction’” (WP 539 = NL 1888 14[148], KSA 13, 332).
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Having presented some evidence in support of my view, I now want to turn to the positions that Nietzsche adopts in his later works that seem to controvert my reading. The first potential objection is that the later Nietzsche is a critic of science because he is a critic of the ascetic ideal and he believes that the will to truth that drives scientific research is the latest and noblest manifestation of the ascetic ideal (GM III 24, KSA 5, 398). Even though he does criticize science in this respect, Nietzsche does not criticize science here for misconstruing nature in terms of dynamic relations. Instead, the critique is aimed at the unexamined assumption underlying the scientific project that truth has absolute value. Nietzsche believes that once this assumption is subjected to critical scrutiny, one recognizes that truth does not have absolute value. Instead, both truth and untruth take on a value only in relation to life (BGE 4, KSA 5, 18). Thus, although it is right to say that Nietzsche leaves behind a morality of truth that dictates that we ought to live according to the truth or a de-anthropomorphized conception of reality, it is wrong to think that Nietzsche therefore abandons the view that the natural sciences provide us with a proper understanding of reality in terms of dynamic relations. Nevertheless, one might argue that Nietzsche goes further; he not only rejects the absolute value of truth, but also claims that, “there is no ‘truth’” (WP 616 = NL 1885 – 1886 2[108], KSA 12, 114). Although a ‘radical’ interpreter might want to apply this assertion to all of Nietzsche’s statements, including the claim itself, I argue that Nietzsche’s denial of truth is nothing more than an alternative formulation of his denial of beings or things-in-themselves. On this reading, Nietzsche is not thinking of truth as a value assigned to propositions, but rather as a property assigned to the world, evidenced by his talk of a true versus an apparent world. So construed, Nietzsche’s denial of truth amounts to his denial of the metaphysician’s true world, and this, in turn, amounts to a denial of things-in-themselves. What remains is the apparent world properly described in terms of dynamic relations. This, then, explains why the denial of truth in the aforementioned fragment is preceded by an assertion that Nietzsche takes to be true, namely that the world is ‘in flux’ or a ‘state of becoming’. Here again, it may be objected that Nietzsche does not consider his relational ontology to be true in some objective sense; this, after all, would be a form of dogmatism, and Nietzsche opposes dogmatism with his perspectivism. This objection depends on how Nietzsche’s perspectivism is understood, and I think it is best understood as either equivalent to or compatible with Nietzsche’s relationalist ontology. On the one hand, if perspectivism is the claim that there are no facts but only interpretations (WP 481 = NL 1886 – 1887 7[60], KSA 12, 315), I argue that this is simply an alternative formulation of his relationalist ontology. As the language of the fragment indicates, facts are equivalent to things-in-themselves and their intrinsic properties, whereas interpretations are how ‘things’ relate to or affect some interpreting ‘subject’. On this view, the
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dogmatist believes in facts or things-in-themselves endowed with intrinsic properties (WP 559 = NL 1888 11[134], KSA 13, 62), whereas the perspectivist rejects such entities. In other contexts, Nietzsche’s perspectivism seems to amount to a further claim. Specifically, it seems to be the view that we construct or project – to use the language of Teichmller (1882) – the things and selves that populate our commonsense worlds and ultimately function as objects of knowledge. On this view, the perspectivist is one who understands that things are interpretive constructs – and so falsifications of reality – of either a knowing subject (Teichmller) or the will to power (Nietzsche). In contrast, the dogmatist is simply a realist about such entities. So understood, perspectivism does not reduce Nietzsche’s relationalist ontology to a mere interpretation, but rather presupposes it. That is, it presupposes an ontology that entails an anti-realism about self-identical, independently existing things and selves. Still, one might point to Nietzsche’s repeated comments that seem to relativize the truth of his ontological commitments. Specifically, in replacing the physicist’s talk of nature’s conformity to law with his own doctrine of the will to power, Nietzsche openly acknowledges, even embraces, the interpretive character of his alternative rendering of nature (BGE 22, KSA 5, 37). Although this passage does indicate that the will to power has an interpretive character, it does not reduce Nietzsche’s entire relationalist ontology to an interpretive construct. This is because the will to power is Nietzsche’s attempt to “complete” the force ontology that he inherits from the natural sciences by ascribing an “inner will” to it (WP 619 = NL 1885 36[31], KSA 11, 563). In this sense, Nietzsche’s will to power is distinct from the force ontology of the natural sciences. Thus, I hold that although Nietzsche sees the will to power as a conscious interpretation and anthropomorphization of nature for the purposes of life and even knowledge, he does not also think of the force ontology he inherits from the natural sciences as an interpretive projection. This brings me to a final issue. Perhaps the greatest challenge in the postZarathustra corpus to the naturalist interpretation that I defend – and it also seems to explain the difference between Clark’s construal of the falsification thesis and my own – can be found at the beginning of the second chapter of BGE. There, Nietzsche claims that, “science at its best seeks most to keep us in this s i m p l i f i e d , thoroughly artificial, suitably constructed and suitably falsified world” (BGE 24, KSA 5, 41 f.). At first glance, this passage seems to say that even the physics of Boscovich (science at its best), and therefore the flux doctrine of Heraclitus, falsifies reality. However, I have argued thus far that the commonsense world of property-bearing objects falsifies a scientific world of dynamic relations. If the scientific world of dynamic relations is now said to falsify, it must be a falsification of some further thing. But what could this be?
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The only plausible answer is a metaphysical version of the thing-in-itself. As we have seen, however, Nietzsche rejects the thing-in-itself as early as 1873. The problem that this initial reading creates invites us to take a second look at the passage. Specifically, it should be noted that Nietzsche is not speaking of the natural sciences or Naturwissenschaften in the passage, but rather of science or Wissenschaft. Although it is by no means clear, it could be that Nietzsche is speaking of Wissenschaft here in the traditional sense of episteme or scientia. If this is correct, one could see why, given his commitment to the natural sciences, Nietzsche would think that all Wissenschaft involves falsification. This is because, traditionally, Wissenschaft requires not just a description of the way things are or even a successful prediction of the way things will be, but a systematic account of why things are the way they are, and quite often such a systematic explanation would point back to and depend upon some fundamental or essential feature of the world.6 So understood, Wissenschaft, as the attempt to explain systematically a wide range of phenomena in terms of some fundamental essence, requires the falsification and simplification of reality precisely because the natural sciences endorse an anti-essentialism in which all of nature is reduced to unknowable and inexplicable relations of force.7 Thus, if there is going to be any Wissenschaft at all – perhaps a sort of gay or frçhliche Wissenschaft – one will have to consciously simplify and falsify nature by interpreting it in terms of some intelligible essence. This, I take it, is precisely what Nietzsche does when he claims, in BGE 36, that the world is will to power and nothing besides (BGE 36, KSA 5, 54 f.). That is, he consciously projects a life-affirming interpretation onto nature so that he can then explain a wide variety of phenomena in terms of this fundamental essence.8
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For an account of Wissenschaft in the sense of episteme or scientia that would have been familiar to Nietzsche, see Schopenhauer (1974, section 4). There, Schopenhauer claims that the “why is the mother of all science.” See Poellner (1995, ch. 2) for an account of force as an occult quality and Mittelman (1984) for the claim that becoming makes any sort of “explanatory knowledge” impossible. For a reading that emphasizes the explanatory role of the will to power, but ultimately tries to explain the will to power in terms of natural selection, see Richardson (2004, ch. 1). Here it should also be noted that my reading of the will to power agrees with certain aspects of Clark’s view that the will to power as a cosmological doctrine is a conscious projection of Nietzsche’s own life-affriming values (Clark 1990, 218 ff.).
Nietzsche’s Naturalism and the Falsification Thesis
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V. Concluding Remarks The purpose of this paper has been to develop an alternative framework for understanding the relationship between Nietzsche’s naturalism and the falsification thesis. Rather than tying the falsification thesis to Nietzsche’s belief in things-in-themselves, as Clark does, I have argued that the falsification thesis derives from a relationalist ontology that Nietzsche first articulates in his interpretation of Heraclitus’ philosophy in PTG. Moreover, I have argued that the framework found in PTG, and not TL, should be used to interpret Nietzsche’s later philosophy, evidenced both by the fact that the historical philosophy of HaH can be understood in terms of Heraclitean becoming and by the fact that Nietzsche links his continued commitment to the falsification thesis in TI to his approval of Heraclitus’ rejection of being. Finally, since Nietzsche turns to the natural sciences in works such as PPP and HaH to justify his Heraclitean commitments, Nietzsche’s naturalism can be said to go hand in hand with his commitment to the falsification thesis. Nevertheless, there are some legitimate concerns as to whether Nietzsche remains a committed naturalist throughout his post-Zarathustra writings. I have given some initial reasons for thinking that he does insofar as naturalism amounts to the view that science justifies the belief that the world is best characterized in terms of dynamic relations, but such concerns can only be adequately addressed with a lengthier and more nuanced treatment of the issue.
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„In summa bereitet die Wissenschaft eine s o u v e r n e Un w i s s e n h e i t vor“. Nietzsches Wissenschaftsbegriff zwischen Selbstaufhebung und Wille zur Macht Jakob Dellinger Nach Christopher Janaways Diagnose (2007, 203) hat die insbesondere von Maudemarie Clark (1990) und Brian Leiter (2002) forcierte, ,naturalistische‘ und dezidiert ,anti-radikale‘ Deutung von Nietzsches ,Perspektivismus‘ die vormals gngigeren, strker erkenntnisskeptischen Lesarten mittlerweile ihrer Vormachtstellung beraubt. Die erstaunliche Konjunktur dieses ,naturalistischen‘ Nietzsche-Bildes geht mit einer grundlegenden Neubewertung seines Verhltnisses zur Naturwissenschaft einher: Whrend Interpreten wie Wolfgang Mller-Lauter (1971, 171 f.) oder Josef Simon (1999) zufolge Nietzsches Sprach-, Wahrheits- und Erkenntniskritik auch Objektivittsansprche seitens der Naturwissenschaften betreffen, schreibt Leiter ihm einen ,Naturalismus‘ zu, der deren „objective knowledge of the truth“ (2002, 22) anerkennt. Bei Nietzsches ,Perspektivismus‘, so Clark (1998, 75), handle es sich um ein empirisch-wissenschaftliches Theorem, das als solches den Wahrheitsanspruch der Naturwissenschaft prinzipiell nicht in Frage zu stellen vermçge. Der knappe Rahmen dieses Beitrags gestattet freilich weder eine angemessene Erschließung des umfassenden Problemkomplexes von ,Perspektivismus‘ und ,Wissenschaft‘ noch eine eingehende Diskussion der Arbeiten Clarks und Leiters. Stattdessen soll im Ausgang von einem Nachlassnotat aus dem Zeitraum 1886 – 87 ein Ansatz skizziert werden, wie sich jene von ,naturalistischen‘ Lektren ins Zentrum gerckten Passagen, in denen Nietzsche tatschlich einen Begriff von ,Wissenschaft‘ und wissenschaftlichem ,Willen zur Wahrheit‘ fr sich in Anspruch zu nehmen scheint, im Horizont einer Deutungsperspektive plausibel machen lassen kçnnten, die jegliche, also mitunter auch naturwissenschaftliche Ansprche auf ,objektive Wahrheit‘ von Nietzsches Skepsis betroffen sieht. ,Wissenschaft‘ soll dabei zunchst unter Anfhrungszeichen gesetzt werden, zumal – wie zu zeigen sein wird – durch eine vorschnelle und undifferenzierte Assoziation mit unserem heutigen, vor allem durch die Naturwissenschaften geprgten Wissenschaftsverstndnis wichtige Nuancierungen in Nietzsches Sprachgebrauch unbeachtet bleiben (vgl. Dellinger 2010). Das zu diskutierende Notat lautet wie folgt:
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Jakob Dellinger
Die Entwicklung der Wissenschaft lçst das ,Bekannte‘ immer mehr in ein Unbekanntes auf: sie w i l l aber gerade das Um g e k e h r t e und geht von dem Instinkt aus, das Unbekannte auf das Bekannte zurckzufhren. In summa bereitet die Wissenschaft eine s o u v e r n e Un w i s s e n h e i t vor, ein Gefhl, daß ,Erkennen‘ gar nicht vorkommt, daß es eine Art Hochmuth war, davon zu trumen, mehr noch, daß wir nicht den geringsten Begriff brig behalten, um auch nur ,Erkennen‘ als eine M ç g l i c h k e i t gelten zu lassen – daß ,Erkennen‘ selbst eine widerspruchsvolle Vorstellung ist. Wir b e r s e t z e n eine uralte Mythologie und Eitelkeit des Menschen in die harte Thatsache: so wenig Ding an sich, so wenig ist ,Erkenntniß an sich‘ noch e r l a u b t als Begriff. Die Verfhrung durch ,Zahl und Logik‘ –– durch die ,Gesetze‘ ,We i s h e i t ‘ als Versuch ber die perspektivischen Schtzungen (d. h. ber 8den8 ,Willen zur Macht‘) h i n w e g zu kommen ein lebensfeindliches und auflçsendes Princip, Symptom wie bei den Indern usw. S c h w c h u n g der Aneignungskraft. (NL 1886 – 1887 5[14], KSA 12, 189 f.; Passage in 8 korrigiert nach KGW IX)
In besonderem Maße interessant ist dieses Notat fr eine Untersuchung zu Nietzsches Wissenschaftsbegriff, weil es drei Gesichtspunkte verbindet: Erstens unterwirft er die „Wissenschaft“ hier einem seiner zentralen epistemologischen Kritikmuster, wenn er erklrt, sie gehe „von dem Instinkt aus, das Unbekannte auf das Bekannte zurckzufhren“. Zweitens scheint er die „Wissenschaft“ zugleich als Vehikel seiner Erkenntniskritik in Anspruch zu nehmen, wenn es heißt, sie lçse „das ,Bekannte‘ immer mehr in ein Unbekanntes auf“ und bereite „eine souverne Unwissenheit vor, ein Gefhl, daß ,Erkennen‘ gar nicht vorkommt“. Drittens schließlich akzentuiert Nietzsche die Ambivalenz dieser ersten beiden Gesichtspunkte explizit durch die Hervorhebung der Worte „will“ und „Umgekehrte“ im ersten Satz. Das sich durch diese drei Aspekte erçffnende Spannungsfeld soll im Folgenden analysiert, kontextualisiert und fr eine Annherung an das Problemfeld der ,Wissenschaft‘ im Denken Nietzsches fruchtbar gemacht werden. Dabei soll deutlich werden, 1) dass das fr das Notat leitende Kritikmuster kaum Raum fr einen starken Begriff naturwissenschaftlicher Erkenntnis lsst, 2) dass ,Wissenschaft‘ als Vorbereiterin einer „souvernen Unwissenheit“ nicht zwangslufig oder primr mit naturwissenschaftlicher Welterkenntnis assoziiert werden muss sowie 3) dass dieser Wissenschaftsbegriff im Kontext einer Selbstaufhebungsbewegung zu begreifen ist und somit nicht im Widerspruch zu einer erkenntnisskeptischen Grundhaltung steht, sondern Teil ihres kritischen Kalkls ist.
„In summa bereitet die Wissenschaft eine s o u v e r n e Un w i s s e n h e i t v o r “
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1. ,Wissenschaft‘ als ,Wille zur Macht‘ Wenn es heißt, die ,Wissenschaft‘ gehe vom „Instinkt aus, das Unbekannte auf das Bekannte zurckzufhren“, wird sie im Rahmen jener erkenntniskritischen Grundkonzeption begriffen, die sich bereits im Umfeld von WL am Leitbegriff der Metapher auszudifferenzieren beginnt (vgl. z. B. NL 1872 – 1873 19[228], KSA 7, 490 f.) und im verçffentlichten Werk vielleicht am prominentesten in der Rede vom „Grundwillen des Geistes“ in JGB 230 zum Ausdruck kommt, dessen „Absicht […] auf Einverleibung neuer ,Erfahrungen‘, auf Einreihung neuer Dinge unter alte Reihen [geht]“ (JGB 230, KSA 5, 167). Der insbesondere aus FW 355 bekannten Topos der Rckfhrung des Fremden auf das Bekannte bildet innerhalb der Fragmentgruppe 5 einen Zusammenhang mit den berlegungen des Notats 10, das mit der Frage „Was ist ,erkennen‘?“ (NL 1886 – 1887 5[10], KSA 12, 187) anhebt und zur Antwort gibt: „Zurckfhren von etwas Fremdem auf etwas B e kanntes, Vertrautes.“ (NL 1886 – 1887 5[10], KSA 12, 187). Auch in dieser Aufzeichnung wird jener Vollzug mit der Dimension des Instinktiven verknpft, wenn Nietzsche das Suchen nach Regeln und Regelmßigkeiten, unter die sich das Neue und Befremdliche subsumieren lsst, als „Instinkt des Erkennenden“ begreift und umgehend hinzusetzt, dass „natrlich mit der Feststellung der Regel noch gar nichts ,erkannt‘ ist!“ (NL 1886 – 1887 5[10], KSA 12, 187 f.). Vielmehr liege darin der „Aberglaube der Physiker: wo sie verharren kçnnen d. h. wo die Regelmßigkeit der Erscheinungen die Anwendung von abkrzenden Formeln erlaubt, meinen sie, sei e r k a n n t worden.“ (NL 1886 – 1887 5[10], KSA 12, 188). Ebenso wie in FW 355 sieht Nietzsche den Ursprung dieses Sicherheitsstrebens in einer Furcht vor dem Unbekannten: Sie fhlen ,Sicherheit‘: aber hinter dieser intellektuellen Sicherheit steht die Beruhigung der Furchtsamkeit: s i e w o l l e n d i e R e g e l , weil sie die Welt der Furchtbarkeit entkleidet. D i e Fu r c h t v o r d e m Un b e r e c h e n b a r e n a l s H i n t e r - I n s t i n k t der Wissenschaft. (NL 1886 – 1887 5[10], KSA 12, 188)
Zunchst wird anhand dieser Passagen deutlich, dass Nietzsche z. B. an die Physik denkt, wenn er wissenschaftliche ,Erkenntnis‘ als Rckfhrung des Fremden auf das Bekannte begreift. Dies mag banal erscheinen, ist jedoch im Hinblick auf die noch zu demonstrierende Differenzierung in Nietzsches Wissenschaftsbegriff durchaus bedeutsam. Weiters lsst sich festhalten, dass Nietzsche dieses Verstndnis von ,Erkenntnis‘ mit einer Apostrophierung (im Notat 5[10]) bzw. mit einer gnzlichen Zurckweisung des Begriffs (im Notat 5 [14]) verknpft. Auch die kritische Frage nach dem „Ur s p r u n g u n s r e s B e g r i f f s , E r k e n n t n i s s ‘ “ in FW 355 schließt an die Erklrung aus FW 354 an, wonach wir „gar kein Organ fr das E r k e n n e n , fr die ,Wahrheit‘“ (FW 354, KSA 3, 593) haben. Zwar kçnnte man – einer Lektrestrategie Clarks (vgl.
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z. B. Clark 1990, 132 – 135) folgend – erklren, dass sich diese Zurckweisungen des Erkenntnisbegriffs bloß auf eine etwaige Erkenntnis des kantischen ,Dings an sich‘, nicht aber auf die Objektivitt empirisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnis bezçgen, wenn es etwa in 5[14] heißt: „Wir b e r s e t z e n eine uralte Mythologie und Eitelkeit des Menschen in die harte Thatsache: so wenig Ding an sich, so wenig ist ,Erkenntniß an sich‘ noch e r l a u b t als Begriff“. Doch dies scheint – wenigstens an dieser Stelle – unplausibel. Ganz abgesehen davon, dass bekanntlich auch Kant keine Mçglichkeit einer Erkenntnis des ,Dings an sich‘ kennt und somit fragwrdig wre, worauf sich Nietzsches emphatisches Aufklrungspathos bezçge, ist in unmittelbarem Anschluss von einer „Verfhrung durch ,Zahl und Logik‘“ sowie „durch die ,Gesetze‘“ die Rede. Nietzsche bezieht sich damit also wohl weniger auf genuin kantische Topoi1 denn auf den „Aberglauben der Physiker“ qua „Glaube an das ,Gesetz‘“ aus 5[10]. Somit drfte es weitaus nher liegen, die Rede von einer „Erkenntniß an sich“ im Sinne einer Erkenntnis zu verstehen, die mehr als bloß Rckfhrung des Fremden auf das Bekannte wre. Die Dichotomie von Fremdem und Bekanntem ist reprsentational neutral, d. h. sie impliziert kein ,Außen‘, keine ,vertikalen‘ Referenzen zwischen Interpretament und Gegenstand, sondern nur ,horizontale‘ Relationen zwischen Interpretamenten, so dass man mit Claus Zittel (2000) von Kategorien einer „relationalen Semantik“ sprechen kçnnte. Die zurckgewiesene Mçglichkeit einer „Erkenntniß an sich“ lge somit in einem ber die Relationalitt der je perspektivischen, praktischen Aneignungsinteressen folgenden Auslegungen hinausgehenden, ,objektiven‘ Erfassen von Realitt, von „Wahrheit“ gegenber der „sich immer neu verschiebende[n] Falschheit“ (NL 1885 – 1886 2[108], KSA 12, 114). Eine solche Deutung entsprche nicht nur jener Funktion, die der Zurckweisung des ,an sich‘ in Nietzsches Konzeption des „Perspektivischen“ zukommt,2 sondern auch der berhmten Erklrung, dass „Physik auch nur eine Welt-Auslegung und -Zurechtlegung (nach uns! mit Verlaub gesagt) und n i c h t eine Welt-Erklrung ist“ 1 2
Zur Missverstndlichkeit der Assoziation mit dem kantischen ,an sich‘ vgl. Bittner (1987, 80 f.). „Ein ,Ding an sich‘ ebenso verkehrt wie ein ,Sinn an sich‘, ,eine Bedeutung an sich‘. Es giebt keinen ,Thatbestand an sich‘, s o n d e r n e i n S i n n m u ß i m m e r e r s t h i n e i n g e l e g t w e r d e n , d a m i t e s e i n e n , T h a t b e s t a n d ‘ g e b e n k ç n n e / Das ,was ist das?‘ ist eine S i n n - S e t z u n g von etwas Anderem aus gesehen. Die ,E s s e n z ‘, die ,We s e n h e i t ‘ ist etwas Perspektivisches und setzt eine Vielheit schon voraus. Zu Grunde liegt immer ,was ist das fr m i c h ?‘“ (NL 1885 – 1886 2[149], KSA 12, 140). Riccardis (2009, 175 f.) These, dass es bei Nietzsches Zurckweisung des ,an sich‘ nicht primr um eine „interpretatorische Beziehung“, sondern um eine ontologische Relationalitt ginge, erscheint angesichts solcher Passagen fragwrdig. Mit der Zurckweisung eines ,an sich‘ im Gegensatz zur je perspektivischen Bedeutungskonstitution scheint Nietzsche die Mçglichkeit jeglicher Ontologie zu unterminieren, er „entwirft nicht eine Ontologie des Werdens, er verwirft Ontologie“ (Bittner 1987, 82).
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(JGB 14, KSA 5, 28): Der immer wieder auftretende Topos des Rckzugs auf Auslegungen bzw. Beschreibungen statt Erklrungen lsst sich ebenso in diesem Sinne des bergangs von einer reprsentationalen zu einer relational-kontextualistischen Semantik verstehen (vgl. NL 1885 – 1886 2[89], KSA 12, 105) wie die berhmte Wendung „nicht ,erkennen‘, sondern schematisiren, dem Chaos so viel Regularitt und Formen auferlegen, als es unserem praktischen Bedrfniß genug thut“ (NL 1888 14[152], KSA 13, 333). Analog zur berschrift dieses Notats – „Wille zur Macht als E r k e n n t n i s “ – kçnnte man unter Rckgriff auf Nietzsches ,exoterische‘ Formel also durchaus vom ,Willen zur Macht als Wissenschaft‘ bzw. der ,Wissenschaft als Wille zur Macht‘ sprechen, wenn sie als instinktive Rckfhrung des Unbekannten auf das Bekannte verstanden wird. „Wissenschaft“ in diesem Sinne ist „eine berwltigung der Natur in Begriffen und Zahlen […]. Es giebt nichts darin, was ,objektiv‘ sein will: sondern eine Art Einverleibung und Anpassung, zum Zweck der Ernhrung.“ (NL 1884 26 [448], KSA 11, 269)
2. ,Wissenschaft‘ als ,Wille zum Nichts‘ Angesichts dieser – wohlgemerkt nicht etwa auf das mechanistische Paradigma beschrnkten – erkenntnisskeptischen Perspektive auf die Naturwissenschaft mag erstaunen, dass Nietzsche der ,Wissenschaft‘ zugleich eine gewisse vorbereitende Rolle im Rahmen der Erkenntniskritik zuzuschreiben scheint. Schon der erste Satz des Notats 5[14] macht die darin liegende Ambivalenz offenbar: Das Auflçsungspotential, das der Wissenschaft „in summa“ bzw. ihrer „Entwicklung“ attestiert wird, ist „das Umgekehrte“ dessen, was sie instinktiv „will“, d. h. der zuvor beschriebenen Perspektive auf den „Instinkt“ der Wissenschaft im Sinne des interpretierenden Willens zur Macht diametral entgegengesetzt. Diesen Gegensatz betont Nietzsche auch am Ende des Notats nochmals, wenn er von der „,We i s h e i t ‘“ als „Versuch ber die perspektivischen Schtzungen (d. h. ber den ,Willen zur Macht‘) h i n w e g zu kommen“ spricht: „ein lebensfeindliches und auflçsendes Princip“, eine „S c h w c h u n g der Aneignungskraft“. Auch diese Perspektive auf die ,Wissenschaft‘ im Sinne eines lebensfeindlichen Auflçsungsvollzuges lsst sich in ihren Grundzgen bereits frh nachweisen (vgl. z. B. NL 1870 3[10 – 11], KSA 7, 61 f.) und ist uns im zeitlichen Umfeld des Notats 5[14] vor allem aus den Schlusspartien von GM und dem dort zitierten Aphorismus FW 344 gelufig. ,Wissenschaft‘ wird an dieser Stelle im Sinne eines unbedingten „Willen[s] zur Wahrheit“ begriffen, der nach der Maxime „ich will nicht tuschen, auch mich selbst nicht“ (FW 344, KSA 3, 576) verfhrt. Wenn „es den Anschein haben sollte, – und es hat den Anschein! – als wenn das Leben auf Anschein, ich meine auf Irrthum, Betrug, Verstellung,
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Blendung, Selbstverblendung angelegt wre“ (FW 344, KSA 3, 576),3 msse es sich bei diesem wissenschaftlichen Wahrheitsstreben um ein „lebensfeindliches zerstçrerisches Princip“ (ebd.) handeln. Nietzsche spricht hier von einer in der „Wissenschaft“ waltenden „Polizei des Misstrauens“ und davon, dass die „Zucht des wissenschaftlichen Geistes damit an[finge], sich keine Ueberzeugungen mehr zu gestatten“ (FW 344, KSA 3, 575). Beachtenswert erscheint, dass dieses durch die Verweigerung von berzeugungen bzw. die Auflçsung des Bekannten in das Unbekannte bestimmte Auflçsungspotential kein Moment ,inhaltlicher‘ Welterkenntnis voraussetzt, sondern rein methodisch bzw. formal als Instanz des „Unbedingt-Misstrauischen“ (FW 344, KSA 3, 576) charakterisiert wird. Der Rekurs auf ,Wissenschaft‘ im Sinne eines solchen formalen Misstrauens wre mit der Kritik inhaltlicher naturwissenschaftlicher Erkenntnis als bloßer Rckfhrung des Fremden auf das Bekannte durchaus kompatibel. Es geht hier also vielleicht nicht so sehr um die Ersetzung metaphysischer Scheinwahrheiten durch die wahrhaft wahre, naturwissenschaftlich fundierte Wahrheit, wie es das ,naturalistische‘ Nietzsche-Bild bisweilen suggeriert, sondern kernhaft um ein methodisch-formales kritisches Potential. Nietzsche macht dies auch in GM deutlich, wenn er zwischen „Wissenschaft“ im Sinne einer „eigentliche[n] Wirklichkeits-Philosophie“ und dem „Abgrund des wissenschaftlichen Gewissens“ (GM III 23, KSA 5, 396) unterscheidet, mit dessen „vornehme[n], ausgesuchte[n] Flle[n]“ (GM III 23, KSA 5, 397) er sich augenscheinlich identifiziert. Whrend er gegen jene „Wirklichkeits-Trompeter“ (GM III 23, KSA 5, 396)4 betont, dass „das Wort ,Wissenschaft‘ in solchen Trompeter-Mulern einfach eine Unzucht, ein Missbrauch, eine Schamlosigkeit [ist]“, sei die Wissenschaft im Sinne des „Abgrundes“, d. h. „wo sie berhaupt noch Leidenschaft, Liebe, Gluth, L e i d e n ist […] nicht der Gegensatz jenes asketischen Ideals, vielmehr dessen j n g s t e u n d v o r n e h m s t e Fo r m selber.“ (GM III 23, KSA 5, 396 f.). Nietzsche kontrastiert diese asketische ,Wissenschaft‘, bei der es sich, wie er nochmals ausdrcklich betont, um einen „Abgrund“ (GM III 23, KSA 5, 396) handelt, ebenso gegen den gewçhnlichen Wissenschaftsbetrieb, wenn er gleich anschließend gçnnerhaft und leicht abschtzig von „ehrlichen Arbeitern“ und einem „brave[n] und bescheidene[n] Arbeiter-Volk“ (GM III 23, KSA 5, 397) in der Wissenschaft spricht.5 Der als Form des asketischen Ideals bestimmte Begriff von ,Wissenschaft‘ scheint somit weniger mit inhaltlicher Welterschließung durch die Naturwissenschaft zu tun zu haben als mit jener 3
4 5
Diese Formulierung ist bedeutsam, insofern die auffllige dreimalige Wiederholung des Wortes „Anschein“ die selbstbezgliche Dimension der Problematik unterstreicht: Dass das Leben auf „Anschein“ beruht, ist selbst „Anschein“ – und nicht etwa ,objektive‘ naturwissenschaftliche Erkenntnis. Im Hintergrund steht hier Dhring, vgl. JGB 204 sowie Stegmaier (1994, 194). Bezeichnenderweise deutet Leiter (2002, 21 f.) gerade diese Passage als Indiz fr Nietzsches Hochachtung fr die Naturwissenschaften.
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kritischen Grundhaltung, die Nietzsche auch als ,Misstrauen‘, ,Redlichkeit‘, ,Gewissen‘, oder ,Wahrhaftigkeit‘ anspricht.6 Diese Differenzierung ist fr das Verstndnis der Rolle, die Nietzsche der ,Wissenschaft‘ in diesem Kontext zuschreibt, von grçßter Bedeutung. Assoziiert man ,Wissenschaft‘ ausschließlich mit naturwissenschaftlicher Welterschließung, bleibt nicht nur „das Umgekehrte“ in 5[14] rtselhaft, es lsst sich auch nur schwer verstndlich machen, warum es sich bei ihr um die Speerspitze des asketischen Ideals und eine Verneinung unserer diesseitigen, „unmoralisch[en]“ Welt „des Lebens, der Natur und der Geschichte“ (FW 344, KSA 3, 577) handeln soll – und eben diese Fragen bereiten ,naturalistisch‘ orientierten Interpreten von GM III bisweilen massive Kopfzerbrechen. Versteht man den wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit hingegen im Sinne der ,Polizei des Misstrauens‘, die der das Fremde auf das Bekannte zurckfhrenden, lebensnotwendigen ,Aneignungskraft‘ des Willens zur Macht entgegengesetzt ist, diese Rckfhrungen in Frage stellt und dergestalt das Bekannte immer mehr in ein Unbekanntes auflçst, erklrt sich zwanglos, warum Nietzsche darin ein asketisches und lebensfeindliches Prinzip sieht. Vielleicht ließe sich so auch verstndlich machen, warum Nietzsche in 5[14] das Auflçsungspotenzial in der „Entwicklung“ der Wissenschaft bzw. der Wissenschaft „in summa“ verortet: Wenn er z. B. Boscovich und Kopernikus als „grçsste und siegreichste Gegner des Augenscheins“ (JGB 12, KSA 5, 26) rhmt, hebt er jeweils den negativ-kritischen, berkommene Annahmen, d. h. das vermeintlich ,Bekannte‘ und Sichere auflçsenden Aspekt ihrer Innovationen hervor: „dass die Erde n i c h t fest steht“ bzw. dass wir „dem Glauben an das Letzte, was von der Erde ,feststand‘, abschwçren“ (JGB 12, KSA 5, 26) mssen. Somit kçnnte es sich analog zur in FW 110 skizzierten Genese der Redlichkeit beim Entwicklungsgang der Wissenschaft um eine durch den Konkurrenzkampf wissenschaftlicher Interpretationen geschrte allmhliche Ausprgung des asketischen Willens zur Wahrheit handeln, der sukzessiv vermeintlich ,bekannte‘, als unproblematisch geltende und zur ,erkennenden‘ Aneignung des ,Unbekannten‘ genutzte Interpretationsmuster wie ,Atom‘ oder ,Materie‘ in Frage stellt. Bedeutsam ist diese Differenzierung nicht zuletzt im Hinblick auf den diesem Begriff von ,Wissenschaft‘ korrelierenden Wahrheitsbegriff, den man gemß einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1884 als „[n]egative[n] Charakter der 6
Vgl. Stegmaier (1994, 193). Christian Benne (2005) argumentiert, dass fr Nietzsche bis zuletzt die historisch-kritische Philologie als Leit- und Modellwissenschaft fungiert. Eine Orientierung des Wissenschaftsbegriffs am philologischen Ideal der „E p h e x i s in der Interpretation“ (AC 52, KSA 6, 233) wrde mit der hier skizzierten Deutung insofern bereinstimmen, als es sich auch dabei um eine rein methodisch-formale Disziplin handelt, die keineswegs die Mçglichkeit adquater inhaltlicher Welterkenntnis voraussetzt.
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,Wahrheit‘ – als Beseitigung eines Irrthums, einer Illusion“ (NL 1884 25[165], KSA 11, 58) beschreiben kçnnte. Die Apostrophierung von „Wahrheit“ in diesem Notat lsst sich mit einer etwas spter entstandenen, auch den Begriff der ,Unwissenheit‘ erhellenden Aufzeichnung dahingehend erlutern, dass „die Zerstçrung einer Illusion noch keine Wahrheit ergiebt, sondern nur ein St c k Un w i s s e n h e i t m e h r, eine Erweiterung unseres ,leeren Raums‘, einen Zuwachs unserer ,Oede‘“ (NL 1885 35[47], KSA 11, 533). Wenn die derart korrelierten Begriffe von ,Wissenschaft‘ und ,Wahrheit‘ demgemß wesentlich durch das methodisch-formale Moment des ,UnbedingtMisstrauischen‘ bestimmt sind, unterlge die These Clarks (1990, 183 – 190) einem Missverstndnis, dass Nietzsche mit dem wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit die Mçglichkeit von Wahrheit im Sinne naturwissenschaftlicher Welterkenntnis voraussetzen msse. Auch wre die Rede davon, dass der Wille zur Wahrheit ein zerstçrerisches, auflçsendes und lebensfeindliches Prinzip, ein Wille zum Tode und Wille zum Nichts sei, dann bedeutend radikaler zu verstehen als bloß dahingehend, dass die Naturwissenschaft eine von praktischen Werten freie Natur zeige – jenes ,Nichts‘ wre keineswegs ein bloß axiologisches. Der durch die ,Wissenschaft‘ als ,Polizei des Misstrauens‘ geleitete Auflçsungsvollzug zielte demgemß nicht auf ein zwar lebensfeindliches, aber objektiv wahres naturwissenschaftliches Wissen, sondern auf eine ,souverne Unwissenheit‘, die jedes „,ich glaube, daß das und das so ist‘“ (NL 1887 9[38], KSA 12, 352) problematisch werden lsst. Doch bleibt dabei nicht dennoch ein – wenn auch nicht inhaltliches, sondern methodisch-formales – Objektivittsideal bestehen? Installiert sich hier nicht die ,wissenschaftliche‘ Erkenntniskritik als ,objective truth‘?
3. ,Wissenschaft‘ als „Lebens-berdruß des Lebens selber“ Nietzsche betont in 5[14] explizit den Gegensatz zwischen dem auf Aneignung ausgerichteten „Instinkt“ der ,Wissenschaft‘ und der durch ihre „Entwicklung“ bedingten Auflçsungsbewegung qua „Schwchung der Aneignungskraft“, wenn er akzentuiert, dass es sich dabei um „das Umgekehrte“ handle. Er begreift also – will man sich seiner prgnanten Formelsprache bedienen – die ,Wissenschaft‘ einerseits als ,Wille zur Macht‘ und andererseits als diesem entgegengesetzte ,Willen zur Wahrheit‘ oder ,Willen zum Nichts‘. Doch damit ist die volle Sprengkraft dieser Ambivalenz noch nicht erschlossen, denn wie jene Formeln bereits andeuten, lsst sich die der Aneignungskraft entgegen gesetzte Auflçsungstendenz ihrerseits als Vollzug des ,Willens‘ verstehen. So heißt es in der berhmten Schlusswendung von GM, dass der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit zwar „einen Widerwillen gegen das Leben, eine Auflehnung gegen die grundstzlichsten Voraussetzungen des Lebens“ (GM III 28, KSA 5, 412) be-
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deute, zugleich wird jedoch betont: „aber es ist und bleibt ein W i l l e ! … “ (GM III 28, KSA 5, 412) Der asketische Wille zur Wahrheit bildet zwar einen Gegensatz innerhalb jener erkenntniskritischen Grundkonzeption, die sich hier als eines ,exoterischen‘ Ausdrucks des Willensbegriffs bedient, nicht aber einen Gegensatz jener Konzeption selber, d. h. ein sie sprengendes Phnomen. Es wird nicht „n i c h t “ gewollt, sondern „d a s N i c h t s “ (GM III 28, KSA 5, 412) gewollt, d. h. nicht nur die ,Wissenschaft‘ im Sinne des Aneignungstriebes lsst sich auf ein „Ve r l a n g e n n a c h G e w i s s h e i t “ und „durchaus etwas fest haben zu w o l l e n “ (FW 347, KSA 3, 581 f.) zurckfhren, sondern auch die den auflçsenden Willen zur Wahrheit leitende Maxime des „ich will nicht tuschen“: „,Wille zur Wahrheit‘ als ,ich will nicht betrogen werden‘ o d e r ,ich will nicht betrgen‘ o d e r ,ich will mich berzeugen und fest werden‘, als Form des Willens zur Macht.“ (NL 1885 39[13], KSA 11, 624) Die beiden zuvor differenzierten Aspekte von ,Wissenschaft‘ stehen also zwar im Gegensatz zueinander, lassen sich aber beide als Formen des Willens zur Macht begreifen. Somit handelt es sich beim asketischen Willen zur Wahrheit um einen Willen zur Macht, der sich gegen den Willen zur Macht stellt, oder, wie Nietzsche das „Problem der Wahrhaftigkeit“ in einem Notat aus dem Sptsommer 1885 prgnant zum Ausdruck bringt: gesetzt, wir leben in Folge des Irrthums, was kann denn da der ,Wille zur Wahrheit‘ sein? Sollte er nicht ein ,Wille zum Tode‘ sein mssen? – Wre das Bestreben der Philosophen und wissenschaftlichen Menschen vielleicht ein Symptom entartenden absterbenden Lebens, eine Art Lebens-berdruß des Lebens selber? (NL 1885 40 [39], KSA 11, 649)
Welche eminente Bedeutung der Bewusstwerdung dieser prekren Konstellation des Willens zur Wahrheit als „Lebens-berdruß des Lebens selber“7 fr Nietzsches philosophisches Selbstverstndnis zukommt, zeigt sich beispielhaft in der Frage: „welchen Sinn htte u n s e r ganzes Sein, wenn nicht den, dass in uns jener Wille zur Wahrheit sich selbst a l s Pr o b l e m zum Bewusstsein gekommen wre?“ (GM III 27, KSA 5, 410) Zuletzt wurde vielfach betont, dass damit ausschließlich der Wert des Willens zur Wahrheit, nicht aber dieser selbst oder gar die Mçglichkeit von Wahrheit in Frage gestellt wre.8 Doch schon die Prfiguration der Problematik in WS 43 legt es nahe, darin ein massives, die Mçglichkeitsbedingungen traditioneller philosophischer Diskursformen erschtterndes Dilemma zu sehen: Wenn der Denker qua „Mann ohne Pflicht“ die „P f l i c h t z u r Wa h r h e i t “ in Frage stellt, muss dies zur Folge haben, „dass die Maschine des Denkers nicht mehr recht arbeitet“ (WS 43, KSA 2, 572). Vielleicht handelt es sich also doch um eine fundamentalere, die Mçglichkeit 7 8
Vgl. die Charakterisierung der Askese als „Selbstwiderspruch“ und „,Leben g e g e n Leben‘“ (GM III 13, KSA 5, 365). Vgl. z. B. Leiter (2002, 264 ff.) oder Janaway (2007, 231).
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eines Standpunkts philosophischer Kritik und deren Artikulation berhaupt betreffende methodische Reflexion, die sich auch als Reaktion auf die am Ende des letzten Abschnitts aufgeworfenen Fragen verstehen lsst? Am kompaktesten lsst sich dies vielleicht anhand von FW 344 illustrieren. Nietzsche fragt dort nach der bereits zitierten Erwgung, ob die „Zucht des wissenschaftlichen Geistes“ nicht damit anfinge, sich „keine Ueberzeugungen mehr zu gestatten“, weiter, „ob nicht, d a m i t d i e s e Z u c h t a n f a n g e n kçnne, schon eine Ueberzeugung da sein msse, und zwar eine so gebieterische und bedingungslose, dass sie alle andren Ueberzeugungen sich zum Opfer bringt.“ (FW 344, KSA 3, 575) Mit der Folgerung aus dieser aporetischen Konstellation – „Man sieht, auch die Wissenschaft ruht auf einem Glauben, es giebt gar keine ,voraussetzungslose‘ Wissenschaft.“ (FW 344, KSA 3, 575) – wird die Glaubensfundiertheit der wissenschaftlichen Glaubenskritik zugestanden und die Selbstaufhebung9 des wissenschaftlichen Willens zur Wahrheit als letzte Konsequenz der durch ihn bestimmten Auflçsungsdynamik markiert: Der sich misstrauisch gegen jegliche berzeugungen wendende und dergestalt die ,Aneignungskraft‘ schwchende, alles ,Bekannte‘ auflçsende Wille zur Wahrheit erweist sich, nachdem wir „einen Glauben nach dem andern auf diesem Altare dargebracht und abgeschlachtet haben“ (FW 344, KSA 3, 576) selbst als berzeugungsfundiert, als ,moralisch‘10 bedingt, er wird gegen sich selbst misstrauisch und stellt sich selbst in Frage: „Nachdem die christliche Wahrhaftigkeit einen Schluss nach dem andern gezogen hat, zieht sie am Ende ihren s t r k s t e n S c h l u s s , ihren Schluss g e g e n sich selbst“ (GM III 27, KSA 5, 410). Mit dieser „Ehrfurcht gebietende[n] K a t a s t r o p h e einer zweitausendjhrigen Zucht zur Wahrheit“ (ebd., 409) stellt sich jene radikal erkenntniskritische Konsequenz ein, die Nietzsche in GM durch das berhmte „,Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt‘“ (GM III 24, KSA 5, 399)11 signalisiert und auch am Ende von FW 344 demonstriert: Wenn er zunchst bekennt, „dass es immer noch ein m e t a p h y s i s c h e r G l a u b e ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, – dass auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch u n s e r Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein 9 Stegmaier (1992, 303) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Selbstaufhebung des Verstehen- und Verstanden-Werden-Wollens berhaupt“ und begreift die „souverne Unwissenheit“ als Resultat der „Selbstaufhebung des Erkennens in ein Interpretieren“ (Stegmaier 1992, 317). Fr die Deutung von Nietzsches Hinwendungen zur ,Wissenschaft‘ im Lichte des Selbstaufhebungsmotivs vgl. insbesondere Zittel (1995, 57 – 73). 10 In dieser Hinsicht ist bereits „das Vertrauen auf die Vernunft […] als Vertrauen ein m o r a l i s c h e s Phnomen“ (M Vorrede 4, KSA 3, 15). 11 Wie Stegmaier (1994, 199 – 203) oder Simon (1999, 92 f.) und anders als Christian Niemeyer (1998) erachte ich das Zitat des ,Assassinenspruchs‘ in GM als zwar bewusst ins Paradoxe zugespitzten, aber gerade darin, d. h. in seiner selbstbezglichen Reflexivitt, affirmativen Ausdruck von Nietzsches Erkenntniskritik.
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Jahrtausende alter Glaube entzndet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit gçttlich ist…“ (FW 344, KSA 3, 577), wird damit zunchst neuerlich der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit als Vehikel der ,gottlosen‘ und ,antimetaphysischen‘ Kritik in Anspruch genommen. Eben diese Bindung wird dann jedoch – wie auch nach Dantos (1980, 191 f.) diesbezglicher Kritik an Kaufmann immer noch gerne unterschlagen wird – aufgelçst: „Aber wie, wenn dies gerade immer mehr unglaubwrdig wird, wenn Nichts sich mehr als gçttlich erweist, es sei denn der Irrthum, die Blindheit, die Lge, – wenn Gott selbst sich als unsre lngste Lge erweist? –“ (FW 344, KSA 3, 577) Diese Formulierung ist fr jene Situation, die sich mit der Selbstaufhebung des wissenschaftlichen Willens zur Wahrheit einstellt, zutiefst aufschlussreich: Insofern die Lge zunchst von der Zurckweisung gçttlicher Wahrheit ausgenommen zu werden scheint und dann eben jener Topos nochmals als Lge charakterisiert wird, msste es sich bei einem etwaigen Anschein, dass es sich hier wiederum um eine gçttliche Wahrheit handelt, seinerseits um ein Produkt der fundamentalen Lgenhaftigkeit handeln, die so einerseits in ihrer Fixierung fragwrdig und andererseits gerade dadurch exemplifiziert wird. Nicht umsonst heißt es in GM, dass man sich mit der Aufkndigung des Glaubens an die Wahrheit in „labyrinthischen Fo l g e r u n g e n verirrt“ (GM III 24, KSA 5, 399): Ebenso wie im Falle des „Nichts ist wahr“, das seine unmittelbare Geltung als wahrer Satz selbst aufhebt, sich aber gerade und nur darin entspricht, liegt hier eine Situation vor, in der sich auch die letzte erkenntniskritische Konsequenz nicht mehr ungebrochen als gçttliche Wahrheit behaupten, sondern nur noch durch deren Aufhebung im Rahmen selbstbezglicher Strukturen anzeigen kann.12 Demgemß drfte die „souverne Unwissenheit“ nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie ein ,wissenschaftliches‘ Objektivittsideal im Sinne des asketischen Willens zur Wahrheit intakt ließe. Der ,Wissenschaft‘ kme hier tatschlich eine wesentlich vorbereitende Rolle zu, insofern ihr Wille zur Wahrheit zunchst immer mehr Bekanntes in Unbekanntes auflçst, sich schließlich allerdings als das vermeintlich Bekannteste und Selbstverstndlichste selbst als Problem zum Bewusstsein kommt, so dass sich die ,Unwissenheit‘ letzten Endes nicht mehr einfachhin als objektive ,wissenschaftliche‘ Wahrheit behaupten kann, sondern vielmehr dahingehend als ,souvern‘ erwiese, dass sie sich auch selbst noch mitumfasst, paradoxiert und eben darin entspricht. Und so kçnnte tatschlich gelten: „In summa bereitet die Wissenschaft eine s o u v e r n e Un w i s s e n h e i t vor.“
12 Zum Anzeigecharakter von Nietzsches kritischem Projekt in Verbindung mit der Wahrheitsproblematik siehe Dellinger (2009).
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Nietzsche’s Anti-Scientistic Naturalism Richard Schacht Nietzsche, in my experience, is always having to be rescued from assimilation to ways of thinking that are fundamentally at odds with what I take to be his own. But the cast of characters changes every 15 or 20 years. When I first became aware of him a half-century ago, he was having to be rescued from assimilation to Nazism. Then the pendulum swung, and by the mid-70 s it was from his assimilation to existentialism. Next it was post-structuralism. Now the pendulum has swung yet again, and the problematic association this time around is even stranger. For many of us who have long sought to have him taken seriously in analytical-philosophical quarters, it is no small irony that in at least some such quarters he is coming to be not only taken seriously but also mistaken seriously in this respect, and is deemed to be deserving of being taken seriously only to the extent that he can be (mis-)construed scientistically.
I I have long maintained that Nietzsche’s thinking with respect to human reality may appropriately be broadly characterized as ‘naturalistic’ – as he himself at times characterizes it, even while also deriding simplistic versions of naturalism alternative to his own. ‘Naturalism’ and ‘scientific thinking’ are rightly conceived to be allied. Naturalisms in which scientific thinking is deemed paradigmatic methodologically and decisive substantively may be called ‘scientistic’. Nietzsche’s thinking is far from being hostile to or dismissive of science, his many critical comments with respect to it notwithstanding. Indeed, he attaches great importance to scientific sophistication in philosophical thinking. To make that point, availing myself of an old but still useful English word, I characterize his philosophical thinking generally and his naturalism more particularly as ‘scientian’ (or, one might say, wissenschaftsfreundlich) – by which I mean precisely that: they are intended to be scientifically informed and sophisticated, and importance is attached to that intention. Nietzsche’s kind of naturalism, however, is by no means scientistic (or, so to speak, wissenschaftsbeherrscht). As I understand him, he not only stops well short of ‘scientism’ but also sets himself in resolute opposition to it – in his reinterpretation of human reality as well as in his value theory.
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This is an important distinction. For Nietzsche, as I read him, the kind of philosophy that he wants to be the Philosophie der Zukunft is both selfconsciously interpretive and confidently wissenschaftlich in its own frçhlich, unsystematic and unscientific way, aspiring to forms of humanly possible comprehension of a good many things. He readily allows, and indeed insists, that natural-scientific thinking – both as pursued in the various natural sciences and of a natural-scientifically-modeled character – has a variety of significant roles to play in the ‘future-philosophical’ interpretation and reinterpretation of human reality and of many human phenomena. But for him its roles are supporting rather than leading ones in his kind of philosophy, needing to be supplemented and ultimately guided by modes of philosophical interpretation that are not of an entirely or strictly scientific character. It is when scientific thinking purports or is purported to provide us not only with truths but also with the whole truth – or at any rate with the best it is humanly possible to do along these lines – where reality in general and human reality in particular are concerned, trumping any other sort of philosophical thinking and superseding all others in the interpretation of human reality, that he objects. To anticipate what I shall be arguing in what follows: Nietzsche’s kind of naturalism is one that allies itself but does not identify itself with the sciences. It is as appreciative and determined to take account of scientific inquiry as it is resistant to the idea that there cannot be anything more to human reality and the world of human experience than the natural sciences can tell us about them. Nietzsche does not doubt that the sciences can and do give us knowledge with respect to various phenomena within them and aspects of them that it is capable of bringing into focus and dealing with descriptively and quantitatively. But he does doubt – and indeed dispute – that they can exhaust everything there is to be comprehended in and about them in this manner. I thus shall be discussing something important in Nietzsche’s philosophy of science, in the context of my discussion of his kind of naturalism: namely, the question of what he takes science to be philosophically good for, when both science and philosophy are at their Nietzschean best. And it is part of my argument that for Nietzsche it would be just as unfortunate to underestimate both what it can be at its best and what that can be importantly ‘good for’ for the Nietzschean naturalistic ‘philosopher of the future’, as it would be to overestimate – or mis-estimate – it in both respects. It is well worth recalling that Nietzsche devotes one of the penultimate sections of Also Sprach Zarathustra to a kind of panegyric to Wissenschaft by Zarathustra himself, who describes wissenschaftliches thinking at its best and the associated sensibility as “Muth aber und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten [courage and adventure and pleasure in the uncertain, in the previously undared],” and refers to it as “D i e s e r Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Flgeln und Schlangen-Klugheit [t h i s courage, finally refined, spiritu-
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alized, spiritual, this human courage with eagles’ wings and serpents’ wisdom]” (Z IV Wissenschaft, KSA 4, 377). That is science well and truly emancipated from the ‘asketische Ideal’ and from the shadows of God and Christian morality alike, with which Nietzsche associates certain aspects of its genealogy. What Nietzsche calls “the problem of science” has many aspects. One of them has to do with the (differing) status of the kinds of results obtained and obtainable by way of the various Wissenschaften. Another has to do with their Nutzen und Nachteile fr das Leben in various extra-philosophical human contexts and endeavors. And yet another has to do with their significance in connection with the two fundamental tasks of Nietzsche’s kind of philosophy itself, which revolve around issues of interpretation (and re-interpretation), and issues relating to value and the ‘revaluation of values’. The development of Nietzsche’s thinking with respect to science to some extent tracks the development of his naturalism. While the early Nietzsche had naturalistic tendencies that are already on display in his Wahrheit und Lge and Homers Wettkampf essay fragments, the influence of Schopenhauer’s metaphysics upon him was strong – and, under that same influence, his attitude toward science was mistrustful. So, in Die Geburt der Tragçdie, as he tells us in his 1886 second preface, his interest in it there was to view it “unter der Optik des Knstlers,” which itself was then viewed in the Optik “des Lebens” (BT Attempt 2) – in which “optics” it is seen as yet another of the forms of “illusion” that “life” conjures up to seduce us to “live on,” despite “die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins” (BT 3, KSA 1, 35). The so-called ‘middle Nietzsche’ then swung in the other direction, as he emancipated himself from Schopenhauer (and Wagner) and his naturalistic tendencies came to the fore; and he became as ready as he had earlier been reluctant to allow science to trump other sorts of thinking in our post-Christian and post-metaphysical reinterpretation of ourselves. The swing of the pendulum with respect to science then centered, as Nietzsche’s naturalism matured. He came to understand that a well-developed scientific sensibility, as well as an appreciation of what is to be learned from the emerging life-sciences as well as ‘Physik’, is of great importance for the reinterpretive and revaluative work of the kind of philosopher he wanted to be and of the kind of naturalism he conceived to be needed – and along with it, other forms of sensibility more attuned to different aspects of human reality that are no less crucial to its comprehension. Moreover, he came to see the need to look again at science ‘von den Optik des Lebens’ – but this time in terms of its ‘Genealogie’ and of the kinds of psychological questions its pursuit as a human (and sometimes all-too-human or even pathologically human) activity raises. And he became considerably more thoughtful about its relation to philosophy. I shall have more to say on a number of these matters in what follows.
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II The characterization of Nietzsche as a philosophically ’naturalistic’ thinker is one with which many – in the analytically-minded branch of the philosophical community, at any rate – have come to agree. And I would say: happily so, at long last! But there are many kinds of things called ‘naturalism’ in the philosophical literature; and it would be a mistake to suppose that any one of them in particular is what Nietzsche espoused or was moving toward. Moreover, there are some kinds of ‘naturalism’ of which he himself was quite disdainful, and even scathingly critical: the “mechanistic” kind he calls “der dmmsten” way of assessing and construing music (and not only music) in Die frçhliche Wissenschaft, for example (GS 373, KSA 3, 627), or the kind he attributes to “dem Ungeschick der Naturalisten” in Jenseits von Gut und Bçse, “welche, kaum dass sie an ‘die Seele’ rhren, sie auch verlieren [clumsy naturalists who can hardly touch on ‘the soul’ without immediately losing it]” (BGE 12, KSA 5, 27). So we need to consider what kind of naturalism Nietzsche’s is. This will also prove to be a useful way of framing and approaching the question of his estimation of scientific thinking. Nietzsche himself makes positive use of the language of “naturalism” to characterize his philosophical efforts and projects. So, for example, in a key passage in The Gay Science, he writes: “Wann werden wir anfangen drfen, uns Menschen mit der reinen, neu gefundenen, neu erlçsten Natur zu v e r n a t r l i c h e n ! [When may we begin to n a t u r a l i z e ourselves in terms of a pure, newly discovered, newly redeemed nature!]” – that is, a nature that we have “ganz entgçttlicht [entirely de-deified].” (GS 109, KSA 3, 469). In Jenseits Nietzsche similarly proclaims the “Aufgabe” of “den Menschen nmlich z u r c k b e r s e t z e n in die Natur [t r a n s l a t i n g man back into nature],” and of seeing to it that “der Mensch frderhin vor dem Menschen steht, wie er heute schon, hart geworden in der Zucht der Wissenschaft, vor der a n d e r e n Natur steht [man henceforth stands before man as even today, hardened in the discipline of science, he stands before the r e s t of nature]” – at least in the sense of being “taub gegen die Lockweisen alter metaphysicher Vogelfnger, welche ihm allzulange zugeflçtet haben: ‘du bist mehr! du bist hçher! du bist anderer Herkunft!’ [deaf to the siren songs of old metaphysical bird catchers who have been piping at him all too long, ‘you are more, you are higher, you are of a different origin!’]” (BGE 230, KSA 5, 169). To cite only one further example: Nietzsche wrote in a notebook of 1887 (a year later, and less than two years before the end of his productive life), in an entry entitled “Zum Plane [Toward a Plan]”: “An Stelle der m o ra l i s c h e n We r t h e lauter n a t u r a l i s t i s c h e Werte. Vernatrlichung der Moral. [In place of m o r a l v a l u e s , purely n a t u r a l i s t i c values. Naturalization of morality.]” He significantly adds: “die t ra n s f i g u r i e r t e n Affekte: deren h ç h e r e O r d n u n g ,
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deren ‘G e i s t i g k e i t ’ [the t r a n s f i g u r e d affects: their h i g h e r o r d e r i n g , their ‘s p i r i t u a l i t y’].” (WP 462 = NL 1887 9[8], KSA 12, 342). There is a place for positive conceptions of ‘morality’ and ‘spirituality’ in his thought; but for him the price of their new, post-Christian and post-metaphysical lease on life is their ‘naturalization’, as outcomes of the ‘transfiguration’ of the kind of animality that has become our human reality.
III Brian Leiter has recently sparked a spate of discussion of the topic of Nietzsche’s naturalism in the English-language Nietzsche literature. He too considers Nietzsche to be a kind of ‘naturalist,’ and has much to say about Nietzsche’s naturalism and its relation to the natural sciences. I consider the view of the matter he has been advancing, however, to leave much to be desired. I am in basic agreement with his contention, at the outset of his book Nietzsche on Morality (2002), that Nietzsche belongs “in the company of naturalists like Hume and Freud – that is, among, broadly speaking, philosophers of human nature.” (Leiter 2002, 2 f.). Soon thereafter, however, my problems with his account begin. Leiter goes on to frame his discussion of Nietzsche by “distinguishing between two basic naturalistic doctrines: methodological (or M-Naturalism) and substantive (S-Naturalism).” He characterizes the former “doctrine” as the “view” that “philosophical inquiry should be continuous with empirical inquiry in the sciences.” (Leiter 2002, 3) By this he means: “continuous with the sciences either in virtue of their dependence upon the actual results of scientific method in different domains or in virtue of their employment and emulation of distinctively scientific ways of looking at and explaining things” – that is, as phenomena with “deterministic causes” of the sort encountered in naturalscientific theories and explanations. (Leiter 2002, 5; emphases added.) Nietzsche, for Leiter, is primarily an “M-” or “Methodological” naturalist; and according to him, “the bulk of [Nietzsche’s] philosophical activity” was “devoted to variations on [the] naturalistic project” of “naturalistic explanation” of various human phenomena – that is, as he puts it, “explanation that is continuous with both the results and [the] methods of the sciences.” (Leiter 2002, 11). He further considers Nietzsche to be what he calls a “Speculative MNaturalist,” in the manner of Hume, who (Leiter says) “constructs a ‘speculative’ theory of human nature – modeled on the most influential scientific paradigm of the day.” (Leiter 2002, 4). On the other hand, Leiter asserts (correctly, in this instance), in the course of the same discussion: “There is no evidence that Nietzsche is at all sympathetic” to the sort of “ontological” philosophical “Substantive Naturalism” that is called
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“physicalism,” according to which (in Leiter’s words) “the only things that exist are natural (or perhaps simply physical) things.” (Leiter 2002, 5). In his recent essay “Nietzsche’s Naturalism Reconsidered” (Leiter 2009), however, he refers to what he calls “the ‘ontological’ view that the only things that exist are natural” as “Nietzsche’s main bit of Substantive Naturalism” (Leiter 2009, 5). In this update he makes his version of Nietzsche’s “Speculative Methodological Naturalism” sound more than a little “Substantive” (in his specified “ontological” sense of the term), even if not exactly “physicalist,” when he characterizes it as not merely being among the “speculative theories of human nature” that (quoting) “are informed by the sciences,” but also as being among those that are committed to (quoting again) “a scientific picture of how things work.” (Leiter 2009, 3; emphases added.) Leiter does concede that Nietzsche on occasion departs from this “naturalistic project” of natural-scientifically-modeled “explanation,” and goes off on what he calls the “independent undertaking” of “one who ‘creates’ values.” (Leiter 2002, 11) But that, for Leiter, does not really count as philosophy – even though he grants, in his recent restatement of his account, that Nietzsche himself attached no little importance to it, and that for him “[his] MNaturalism is an instrument in the service of the revaluation of values.” (Leiter 2009, 11) When it comes to “how things work” and what goes on in human life (along with everything else), Nietzsche’s picture of it all (according to Leiter) is “a scientific picture.” Leiter thus in effect construes Nietzsche’s naturalism as a form of scientism, substantively as well as methodologically. I, on the other hand, consider it to be better conceived quite differently, and indeed to serve – perhaps even to have been intended by Nietzsche to serve – as an antidote and corrective to that very kind of (scientistic) naturalism. As I read him, he subscribes to neither of Leiter’s ‘two basic naturalistic doctrines’ – with respect to ‘what exists’ and ‘how things work’, and with respect to seeking to explain everything about them in terms of ‘deterministic causes’ – even though Nietzsche does suppose that everything in the world (human reality included) started out as merely ‘natural’, does contend that philosophical interpretation of everything human (along with everything else) needs to be ‘informed by the sciences’ relevant to them, and does suppose it to be the case that everything about human reality – and everything that goes on in human life and experience – has ‘become’ as it is by way of developments of an entirely mundane character. The varieties of ‘naturalism’ that Leiter identifies are Procrustean Beds that Nietzsche’s kind of naturalism does not fit. Nietzsche’s own kind of naturalism, as I understand it, is to be distinguished from all of them rather than assimilated into any of them, and should be added to the list of possible naturalisms as a significant and promising alternative to the rest.
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IV Christopher Janaway offers a different characterization of ‘Nietzsche’s naturalism in the broad sense’, in his recent book Beyond Selflessness, to which I am much more sympathetic. He writes: [Nietzsche] opposes transcendent metaphysics, whether that of Plato or Christianity or Schopenhauer. He rejects notions of the immaterial soul, the absolutely free controlling will, or the self-transparent pure intellect, instead emphasizing the body, talking of the animal nature of human beings, and attempting to explain numerous phenomena by invoking drives, instincts, and affects which he locates in our physical, bodily existence. Human beings are to be ‘translated back into nature,’ since otherwise we falsify their history, their psychology, and the nature of their value…. (Janaway 2007, 34).
Leiter disparagingly calls this characterization ‘Laundry List Naturalism,’ deeming it a telling criticism to ask: ‘Why are these a set of views a philosophical naturalist ought to hold?’ (Leiter 2009, 2). But Janaway is making no such claim for the characterization he offers. Rather, he is characterizing ‘Nietzsche’s naturalism,’ which may fairly be deemed a set of views that is deserving of consideration in competition with other versions of ‘philosophical naturalism,’ with which it should not be confused, and to which it should not be assimilated – as is arguably happening to it in Leiter’s hands. Janaway’s view of the matter is quite similar to my own, as far as it goes. My main problem with it is that it seems to me not to go far enough. Janaway recognizes that more needs to be said to bring out what is importantly distinctive of Nietzsche’s kind of naturalism in relation to such naturalistic rivals as those Leiter inventories. That, in effect, is what he undertakes to do in the remainder of his discussion, with which I find myself to be in further general agreement – but again, with the same qualification. Most importantly, he rightly observes and stresses that Nietzsche’s methods are often “discontinuous with those of empirical scientific inquiry” rather than modeled on it (Janaway 2007, 39, emphasis added); that “explanatory facts about me, even if somehow located in my psychophysiology, are essentially shaped by culture” (Janaway 2007, 47); and that “If Nietzsche’s causal explanations of our moral values are naturalistic, they are so in a sense which includes within the ‘natural’ not merely the psycho-physiological constitution of the individual whose values are up for explanation, but also many complex cultural phenomena.” (Janaway 2007, 52 – 53, emphasis added.) Janaway here is looking in the right direction; but it seems to me that we need to move even further in that direction in order to bring out the full flavor of Nietzsche’s naturalism. That is what I shall be attempting to make clear and to do in what follows.
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Leiter, in his recent essay, concedes to Janaway that “Nietzsche the naturalist is interested in culture,” but insists that “that should not lead us to lose sight of the role that psycho-physiological causes play in the explanation of morality he proffers” (Leiter 2009, 20). Thus he continues to insist that “Causation, and causal explanation, [are] central to Nietzsche’s naturalism” (Leiter 2009, 21). Nietzsche’s naturalism is again said to involve “offering theories” that “are mainly modeled on science in the sense that they seek to reveal the causal determinants of these phenomena, typically in various physiological and psychological facts about persons.” (Leiter 2009,17). I consider this to be a mis-characterization of the fact that developmental explanation is central to Nietzsche’s naturalism. I believe that we need to move still farther from the natural-scientific paradigm to which Leiter is wedded than Janaway does, even in his proposed liberalized (and pointedly non-scientistic) alternative to Leiter’s position that states: “Nietzsche can be read as a naturalist in that he seeks explanations that cite causes in ways that do not conflict with science.” (Janaway 2007, 52; emphasis added.) It would be better, on my view, to drop the talk of “causes” (even though Nietzsche does use causal language at times, notwithstanding his reservations about the concept of “cause and effect” when strictly speaking). One can rightly and less problematically say instead that Nietzsche seeks explanations and offers interpretations of many sorts – pertaining primarily to human reality – that do not conflict with science and make no reference to anything that is not comprehensible in terms of entirely mundane developments and transformations of its original and fundamental human-animality; and that he can be read as a naturalist in that sense. While there is something “substantive” and “speculatively theoretical” as well as “methodological” about Nietzsche’s kind of naturalism, moreover, the term “doctrine” that Leiter (like so many others) uses in this connection is also inappropriate to Nietzsche’s thinking in all of these respects. His naturalism is not a particular “doctrine” (or set of “doctrines”) of any sort – unless one rather heavy-handedly considers things like the views articulated by Janaway in the passage above to be “doctrines.” In the second preface Nietzsche added in 1886 to his 1872 Geburt Nietzsche says of himself that, while his interpreting “eye” has in the interval become “einem ltern, hundert Mal verwçhnteren, aber keineswegs klter gewordenen Auge [much older, a hundred times more demanding, but by no means colder],” it has not become “fremder” to “jener Aufgabe […] an welche sich jenes verwegene Buch zum ersten Male herangewagt hat, – d i e W i s s e n s c h a f t u n t e r d e r O p t i k d e s K n s t l e r s z u s e h n , d i e K u n s t a b e r u n t e r d e r d e s Lebens [a stranger to the task which this audacious book dared to tackle for the first time: t o l o o k a t s c i e n c e i n t h e O p t i k o f t h e a r t i s t , b u t a t a r t i n t h a t o f l i f e ’ ] (BT Attempt 2) – to which he added, two sections later, “seine schwerste Frage noch [the gravest question of all]”: namely, “Was bedeutet, under der Optik des L e b e n s gesehn, – die Moral?
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[What, seen in the Optik of l i f e , is the significance of morality?]” (BT Attempt 4). One could well take the task of asking and pursuing such questions to be the basic project of Nietzsche’s naturalism more generally. And he clearly did not mean doing so in what Leiter characterizes as “a manner continuous with and modeled on natural-scientific causal thinking,” either when he first ‘tackled’ these questions in 1872 or when he wrote these lines in 1886.
V The interpretation of Nietzsche, of course, is a very tricky business, of which there may well be no end. In my attempts to interpret him over the years, I have come to be guided by a number of general considerations, several of which have particular relevance in the present context. Here are a few of them. Nietzsche says things in various places that are hard to square with any interpretation of his thought that attributes definite positions of one sort or another to him. In trying to decide what to make of them and how much weight to give to them, and in considering what lines of interpretation to favor and disfavor, I believe that considerable weight should be given to pervasive concerns of his that are evident in a broad range of his writings to the very end, even if they are at odds with things he sometimes says. Many assertions are to be found in his writings. Are they always meant to be taken at face value, very literally, prosaically and unqualifiedly if they are not explicitly qualified? In Nietzsche’s case, that can by no means be safely assumed. He was a lover of lively language, powerful rhetoric, deft quips and novel figures of speech. He was also a fiery, no-holds-barred polemicist, who had at least as many incautious and even bloody-minded moments in his published writings (not to mention his notebooks) as he did careful and measured ones. He further was an avowedly experimental thinker and writer. He at times delivers himself of Lehre-like pronouncements that are best regarded as “teachings” and powerful images (which is what they are in Zarathustra). He often also makes makes sweeping generalizations that he does not bother to qualify or take pains to explain as he tries them on for size or employs them for provocative effect. They always need to be taken seriously – but not always in the same way, or as straightforwardly as we tend to suppose a philosopher should want (and ought) to be construed. And in my view it is a mistake to construe such things – even if they occur in published writings – as actual doctrinal commitments and statements of positions he holds, particularly when they are at variance with general tendencies of his thought that are evident in his published writings (especially from Menschliches, Allzumenschliches onward) as well as his notebooks. To understand what Nietzsche’s naturalism amounts to, therefore, it seems to me that one is best guided by a consideration of the kind of “entgçttlicht” (GS
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109) and post-metaphysical way of thinking that animates his discussions of human reality (as well as of life and the world more generally) from beginning to end, and by recalling and reflecting upon instances of it. I shall make my case for my version of it by doing a bit of both.
VI Philosophy, as Nietzsche conceives of and practices it, involves attempting and proposing accounts of various sorts – some “genealogical” or otherwise developmental, others interpretive or otherwise sense-making. They are sometimes – but by no means always, or even for the most part – modeled on natural-scientific modes of explanation, let alone based explicitly upon appeals to results of research of the sorts pursued in natural-scientific disciplines. Indeed, they are typically developed imaginatively and proposed merely hypothetically, in order to help show the plausibility of interpreting all things human naturalistically, as well as of interpretations or evaluations he is advancing more specifically. Nietzsche’s kind of philosophy takes the “Tod Gottes” as its point of departure – by which I take him to mean the demise of the tenability not only of the Judeo-Christian God-idea but also of any other sort of religiously or metaphysically envisioned “higher” and “truer” reality transcending or underlying the reality of the kind of world in which we find ourselves and live our lives, as its point of departure. It is thus committed to the view that “this world” – the kind of world exemplified by what we call “nature” and its transformations – is the only kind of world and reality there is, even if there is no particular configuration of it that is essential or fundamental to it. And it is further committed to what I shall call the general ‘Guiding Idea’ that everything that goes on and comes to be in this world is the outcome of developments occurring within it that are owing entirely to its internal dynamics, and come about (as it were) from the bottom up, through the elaboration or relationally-precipitated transformation of what was already going on and had already come to be. This is my version of Janaway’s summary characterization of the basic outlines of Nietzsche’s kind of naturalism. In Jenseits, speaking of the position he calls “Sensualismus,” Nietzsche writes: “Sensualismus mindestens somit als regulative Hypothese, um nicht zu sagen as heuristisches Princip [Sensualism, therefore, at least as a regulative hypothesis, if not as a heuristic principle]” (BGE 15). This language (quite apart from the question of what he means by “Sensualismus” in the context of this passage) can be usefully employed here. I suggest that for Nietzsche naturalism, so described, is both a “regulative hypothesis” and a “heuristic principle”. As a “regulative hypothesis,” it is the hypothesis that taking this principle as a guiding idea in philosophical
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interpretation and reinterpretation will hold up well (in terms of continuing plausibility, viability and sense-making) as inquiry and reflection proceed. As a “heuristic,” it is the idea that approaching things in this way will be helpful to interpretive and re-interpretive inquiry. Nietzsche’s naturalism, on my account of it, is not wedded to the view that everything that happens in human life and in the development and unfolding of human reality and experience can be adequately explained and fully comprehended in terms of natural-scientific or natural-scientifically-modeled concepts and processes – ‘causality’ first and foremost among them. Leiter observes (Leiter 2009, 21) that Nietzsche – in Der Antichrist – refers to “die Wissenschaft” as “der gesunde Begriff von Ursache und Wirkung” (AC 49), in a very positive way. But Nietzsche does so in the context of a polemic against Christianity, favorably contrasting science’s (relative) ‘healthiness’ to the pathological phenomenon he takes priestly Christianity to be, rather than by way of championing causal scientific “cause and effect” thinking in relation to all alternative modes of philosophical thinking in all contexts. Indeed, he considers the refinement of and reliance upon causal thinking in the sciences is at once their strength and their limitation in their partnership with philosophy in these matters. To be sure, Nietzsche does not doubt for a moment that the developments through which human reality has come to be the very complex and diverse sort of reality it is, and the many different sorts of things that can and do go on in human life, are shot through with necessities, influences, attractions, constraints, reactions, interactions and power-relations of many sorts. What he does doubt is the idea that causal thinking is capable of doing comprehensive justice to all them, or even of being appropriate to many of them. And he would seem to share at least something of the deeper doubt of which he speaks in his remarks relating to Kant’s fundamental insight in his discussion of “Z u m a l t e n P r o b l e m e : ‘ w a s i s t d e u t s c h ? ’ ” in that Fifth Book of Wissenschaft: “als Deutsche zweifeln wir mit Kant an der Letztgltigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und berhaupt an Allem, was sich causaliter erkennen l s s t : das Erkennb a r e scheint uns als solches schon g e r i n g e r e n Werthes [As Germans, we doubt with Kant the ultimate validity of the knowledge attained by the natural sciences and altogether everything that c a n be known causaliter: whatever is knowa b l e [in that sense or way] immediately seems to us less valuable on that account].” (GS 357, KSA 3, 599). (Less valuable than what? Than realities that are more than merely natural – an idea to which Nietzsche to subscribes, but to which he gives a very un-Kantian and entirely naturalistic reinterpretation.)
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VII In any event: Nietzsche’s naturalism might be thought of as an open-minded naturalism, ‘substantively’ speaking – a naturalism that does not dogmatically rule out the possibility of transformational developments in the course of fundamentally natural events that have resulted and may result in forms of life and phenomena that are qualitatively different from their antecedents. And since, for him, this sort of thing would seem to have occurred on multiple occasions in the course of human-natural events, his is what might be called an extended naturalism. It is one that not only “translates man back into nature,” but also takes account of human life as something that has been in significant ways “dis-animalized,” and that has thereby become more – or at any rate, for Nietzsche, qualitively other – than merely “animal.” It attempts to do justice to the various forms of life (experience, activity, objectifications) that have come to be parts of human reality: not only psychological, but also social, cultural, political, moral, religious, artistic, scientific, and philosophical as well. They all, like “der Mensch” himself, are to be at once “translated back into nature” in their origins and basic constitution, and also comprehended in their emergently transformational character – as a kind of “higher nature” showing what some of the things are that our originally merely natural nature had it in it to become. In short: when Nietzsche talks about “translating man back into nature” and coming to terms with what he calls “der schreckliche Grundtext homo natura [the frightening basic text of natural man]” in a manner that is “hart geworden in der Zucht der Wissenschaft [hardened in the discipline of science]” (BGE 230, KSA 5, 169), this does not mean that he is advocating conceiving human reality as it now is to be no different than what it once was, or dealing with it in a purely natural-scientific way. To be “hardened in the discipline of science” for him is rather to be “redlich” – intellectually conscientious, tough-minded, unsentimental, and on guard against wishful thinking. And what interests him most is not simply what this Grundtext was in the first place and what remains of it, but rather the transformability of which it has proven to be capable, and the further transformations of it that may yet be possible. In a sense Nietzsche’s is a rather ‘minimalist’ naturalism, committed to little more than the propositions that the kind of “nature’ or dynamic reality in which we find ourselves is all there is or ever will be to the world – at least in terms of the basic character of what goes on in it; that life is something now going on in it; that human life is an instance of it; and that everything in and about human life is something that has come to be as it is in the course of pre-human and human events, through developments of a purely mundane nature (whatever the particular story about those developments may turn out to be). Yet in another respect his kind of naturalism is robust – in the sense of being attentive and attuned to the already attained and possible further richness and complexity of
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human reality and experience made possible by such transformations of our originally merely animal manner of existence, and determined to make sense of both their richness and their emergence. The naturalism we find in Nietzsche’s writings is thus quite different from the kind of bare-bones naturalism attributed to Nietzsche by Leiter (‘NietzscheLeit’, one might call it), according to which ‘the only things that exist are natural (if not simply physical)’, and everything in and about human reality is to be understood in terms of ‘a scientific picture of how things work’. These are propositions to which I cannot imagine Nietzsche assenting. His own naturalism is much more expansive than this, both substantively (in terms of how he is prepared to talk about what exists and what goes on in the world of human reality) and methodologically (in his ways of approaching and dealing with it all). Consider the world in which we find ourselves – “the world that concerns us” (as Nietzsche puts it). It is as real as we are; and its contents are legion. They include, inter alia, words, languages, books, pianos, guns, trains, operas, symphonies, plays, paintings, sculptures, cities, states, universities, armies, professions, games, laws, religions and moralities – all things that Nietzsche would say ‘exist’, no less formidably than rocks, trees, and hives of bees; but unlike the latter, they are ‘natural’ only in the sense that they are not ‘supernatural.’ The bits and pieces of ‘natural’ or ‘physical’ reality that figure in them may in some sense be what they are ‘made of ’; but what they are is a very different story – or rather, a wide variety of very different stories. The ways in which such things need to be approached and talked about and interpreted in order to be comprehended must be appropriately attuned to these different stories – as Nietzsche tries to be when he deals with them. A barebones naturalist might object: ‘But strictly and philosophically speaking, things of these sorts do not really exist as such; what is really real, and really going on, is only the stuff of which they are made and the causal processes and relations in which they figure’. But to this objection the Nietzschean-naturalistic response would be that that way of thinking is ’wahre Welt’ metaphysics once more; and that, while the kinds of things just mentioned are no ‘things in themselves’, and are what they are only in the context of human life, they also are not ‘mere appearances’ either, in contrast to fantasized ‘things in themselves’ of some sort that are imagined to have a kind of ‘true being’ they lack. They exist no less than does the human world within which they have been engendered; and the engenderment of such things is fundamental to the development and fleshing out of what is more than merely animal about human reality, the this-worldly comprehension of the totality of which is the central task of Nietzsche’s naturalism.
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VIII In the language of Frçhliche Wissenschaft 373, “eine ‘wissenschaftliche’ WeltInterpretation,” and more specifically a ‘wissenschaftliche’ interpretation of human reality as it has “become” within the world, can yield knowledge of it; but without supplementation, like a strictly ‘wissenschaftliche’ interpretation and assessment of “was eigentlich an ihr ‘Musik’ ist” in a piece of music, it would be “a crudity and naivet,” and indeed “eine der dmmsten” of interpretations. For that would be to take what Nietzsche calls “gerade das Oberflchlichste und Aeusserlichste vom Dasein [precisely the most superficial and external aspect of existence]” to be the whole of it. And that would be a great mistake in the case of everything that is meaning-constituted, even if also nature-based and incarnate in one way or another. Nietzsche here has “mechanistic” thinking specifically in mind; but his basic point applies to natural-scientific thinking more generally: such thinking is inherently meaning-blind. It is attuned to observable aspects of things in which any meanings that may be constitutive of them are not to be found; and thus a world conceived accordingly would be “essentiell s i n n l o s e [essentially devoid of meaning]” (KSA 3, 626). It would tune out all of the layerings and texturings of meaning that make so much of what there is and what goes on in our world and about human life the realities they are. This may not matter all that much where the sorts of phenomena are concerned that are the objects of inquiry in the various natural sciences themselves; but it matters a good deal if the same ways of thinking are brought to bear upon things that cannot be at all adequately comprehended without taking account of the kinds of meanings that make sense of them and make them what they are – of which music is Nietzsche’s example here (and of which a great deal of human reality and “the world that concerns us” is his larger primary case in point). So he writes, in exasperation: “Was htte man von ihr begriffen, verstanden, erkannt! Nichts, geradezu Nichts von dem, was eigentlich an ihr ‘Musik’ ist! [What would one have grasped, understood, comprehended of it? Nothing, really nothing of what is ‘music’ in it!]” (GS 373). Nothing, that is, of what makes it what it is, as the kind of thing that has been made out of what it is made of. It is precisely that sort of reality, however, and that sort of difference, where human reality and all that figures in it that is no longer merely natural, to which Nietzsche considers it most important for us as philosophers to be sensitive – and for us as developers of a sophisticated philosophical naturalism to be attentive. To be sure, the case of music is a rather special one, in a number of respects; and it is undoubtedly true that there is much about human reality that can be more usefully and importantly illuminated by scientific inquiry – in ways that have significance for its Nietzschean-philosophical interpretation and comprehension – than “what is ‘music’ in music”. It also must be granted that there is
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much even about music that can very usefully be learned by approaching it not only with the sort of refined and cultivated musical sensibility Nietzsche considers to be needed to understand this, but also with a variety of very different sensibilities that can be brought to bear upon the many aspects of the phenomenon of music – some physical-scientific, physiological, neurological and psychological, others anthropological, cultural, historical, biographical, sociological, and even technological. This serves to illustrate and help make an important point about Nietzsche’s kind of naturalism. He himself makes it in the well-known passage in the Third Essay of his Genealogy of Morals, in which he writes, with respect to the necessary “Zucht und Vorbereitung des Intellekts zu seiner einstmaligen ‘Objektivitt’ [discipline and preparation of the intellect for its future ‘objectivity’],” that “j e m e h r Augen, verschiedne Augen wir uns fr dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollstndiger wird unser ‘Begriff ’ dieser Sache, unsre ‘Objektivitt’ sein [the m o r e eyes, different eyes, we can use to observe one thing, the more complete our ‘concept’ of this thing, our ‘objectivity,’ will be]” (GM III 12). Why? Not merely for self-expressive or creative purposes, but rather “so dass man sich gerade die Ve r s c h i e d e n h e i t der Perspektiven und der Affekt-Interpretationen fr die Erkenntniss nutzbar zu machen weiss [so that one knows how to make precisely the v a r i e t y of perspectives and affective interpretations useful in the service of knowledge]” (GM III 12). I take the differing sorts of sensibilities I have just mentioned to be paradigmatic examples of the “m o r e eyes, different eyes” he is talking about here. And I take him to consider the kind of sensibility he associates with natural-scientific thinking to be one of them that is very definitely needed – but by no means the only one.
IX This important passage is highly relevant to the question of the ‘methodology’ of Nietzsche’s naturalism. Indeed, it may be his single best statement of it. It connects in an interesting way with a somewhat earlier reflection, in the first edition of Wissenschaft, in which he is discussing both the genealogy of “scientific thinking” and some of the ways in which it needs to be supplemented. He begins by observing, “Es gehçrt so viel zusammen, damit ein wissenschaftliches Denken entstehe [So many things must come together for scientific thinking to originate],” and then remarks that, “In ihrer Vereinzelung [As long as they were still separate],” it was often the case that “sie haben als Gifte gewirkt [their effect was that of poisons]”; but ‘wo sie innerhalb des wissenschaftlichen Denkens sich gegenseitig beschrnken und in Sucht halten [when integrated into scientific thinking they hold each other in check]” they are able to work together to produce very different results. What is of particular interest
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for present purposes is his concluding observation: “wie ferne sind wir noch davon, dass zum wissenschaftlichen Denken sich auch noch die knstlerischen Krfte und die practische Weisheit des Lebens hinzufinden, dass ein hçheres organisches System sich bildet [even now the time seems remote when artistic energies and the practical wisdom of life will join with scientific thinking to form a higher organic system],” in which they complement and supplement each other (GS 113). This sounds very much like an early recipe for the kind of thinking that would characterize Nietzsche’s “Philosophie der Zukunft.” To cite just one further case in point: in the remarkable “Anmerkung” at the end of the First Essay of Genealogie, Nietzsche provides what I take to be an excellent example of the kind of thing he is talking about in Section 12 of the Third Essay. As in the book itself, the topic of the note is “moralischen Begriffe”, which he proposes to approach – in keeping with his commitment to “h i s t o r i s c h e P h i l o s o p h i r e n” (HaH I 2) and to a (naturalistic) reinterpretation of all things human – in terms of their “Entwicklungsgeschichte”. In the Anmerkung he suggests that this is a matter that “verdient ebenso sehr die Aufmerksamkeit der Philologen und Historiker als die der eigentlichen PhilosophieGelehrten von Beruf [deserves the attention of philologists and historians as well as that of professional philosophers]”; and that “Andrerseits ist es freilich ebenso nçtig, die Teilnahme der Physiologen und Mediciner […] zu gewinnen [it is equally necessary to engage the interest of physiologists and doctors]” when proceeding to a (naturalistic) revaluation of the “We r t e der bisherigen Wertschtzungen,” because “die Frage: was ist diese oder jene Gtertafel und ‘Moral’ w e r t h ? will unter die verschiedensten Perspektiven gestellt sein [the question: what is the v a l u e of this or that table of values and ‘morals’? should be viewed from the most diverse perspectives]” (GM I 17 Note). The immediate task of Nietzsche’s kind of philosophers, “nachdem es ihnen im Ganzen gelungen ist, das ursprnglich so sprçde, so misstraurische Verhltniss zwischen Philosophie, Physiologie und Medicin in den freundshaftlichsten und fruchtbringendsten Austausch umzugestalten [ after transforming the originally so reserved and mistrustful relations between philosophy, physiology, and medicine into the most amicable and fruitful exchange],” would be to act as “Frsprecher und Vermittler [advocates and mediators]” between these “verschiedensten Perspektiven” and what can be discerned by way of these differing sensibilities, then to draw upon them to develop a more comprehensive reinterpretation and revaluation of the values and morals in question, and ultimately to proceed to what he calls “die Zukunfts-Aufgabe des Philosophen,” for which “alle Wissenschaften haben nunmehr … vorzuarbeiten [all the Wissenschaften have from now on to prepare the way]”: namely, “das Pr o b l e m v o m We r t e ” and of “die R a n g o r d n u n g d e r We r t e .” (GM I 17 Note). One could hardly ask for a more revealing indication of the character and larger agenda of Nietzsche’s naturalism.
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I might add that, as a bonus, this Note also makes it clear that Nietzsche thinks that, their fundamentally “interpretive” character notwithstanding, there are at least some Wissenschaften – ranging from philology and history to “die medicinischen Wissenschaft” and physiology – that can and do come up with forms of something deserving to be called knowledge of aspects of human reality: and knowledge that he considers to be of relevance to the tasks of his kind of philosophy at that. On the other hand, it further makes clear that some but not all of these forms of knowledge of things relevant to the comprehension of human reality are not of a natural-scientifically-modeled causal sort – and thus that his naturalistic reinterpretation of human reality must be understood and conceived accordingly.
X Nietzsche’s kind of naturalism is thus centrally concerned with developmental questions – that is, with the respects in which human reality has become something significantly different from the sort of merely biological affair he presumes it to have been in the first place. His “translation” of der Mensch “back into nature” involves more than his rejection of the idea of any loftier origin, and his insistence upon the point that human reality remains a piece of nature, however radical its transformations may have been and may ever be. It also involves the ascertainment and comprehension of the character and extent of those transformations that turned out to be humanly possible in the course of human events. His interest in the ‘Ent-Tierung’ or ‘dis-animalization’ of der Mensch is as strong and as important as his emphasis upon our fundamental ‘animal’ nature and his interest in the respects in which it continues to constrain and shape human life. Both are central themes and issues of his naturalism. Being able to make developmental sense of them is important to him both to strengthen the case for the sufficiency of naturalism to account for even the loftiest forms of our spirituality, and also to contribute to our understanding of what we have to work with and deal with as we concern ourselves with the further ‘enhancement of life’ and address ourselves to the all-important Nietzschean question of ‘what might yet be made of man’. Nietzsche’s conception of our attained human reality is as much social and cultural as it is psychological and physiological; and his naturalism is attuned as much to the emergent possibility and indispensability of the former dimensions, and to developments with significant consequences at those levels, as it is to traits and dispositions of the latter sort, and to questions of their differences and mutability. The ‘methodology’ of his naturalism, such as it is, was a work in progress throughout his all-too-brief productive life; but its most salient feature is the multi-perspectival character noted above, and its flexibility reflecting his
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recognition of the differing strategies required to bring these different sorts of phenomena into focus and to comprehend them, both individually and collectively. At times he makes much of physiological as well as psychological considerations and conjectures; but it would be a mistake, in my view, to take everything he says when he does so doctrinally, in view of his penchant for hyperbole and evident concern to counter strongly the long-standing tendency of philosophers to be oblivious to the relevance of psychological and physiological considerations to the things about ourselves that they tend to esteem most highly. Nietzsche’s methodology thus of necessity involves employing and drawing upon a multiplicity of differing perspectives, ‘optics’ and sensibilities in its interpretive attempt to broaden and deepen our understanding of ourselves and of the human possibilities that have come to be realized and expressed in things as diverse as differing psychological types and traits, cultures and sub-cultures, societies and institutions, arts and literatures, morals and values, and kinds of thinking and knowing. But it does not merely collect and synthesize them, and so at this level can hardly even be called a ‘methodology’ at all: for here its task is the creative development of more comprehensive interpretations that are informed by but also differ from its gatherings from and by means of such lower-level and more narrowly perspectival optics and sensibilities. Nietzsche’s naturalism is anticipated and nicely illustrated in three of his early writings, particularly when taken together: the “Wahrheit und Lge” essay, the “Homers Wettkampf ” fragment, and Geburt. It is on full view in the passages that book-end the three-part Menschliches, in which he made his philosophical debut in earnest. In the final section of Der Wanderer und sein Schatten, its third installment, he sounds the second of the central themes just mentioned: “Dem Menschen sind viele Ketten angelegt worden, damit er es verlerne, sich wie ein Tier zu gebrden [Many chains have been laid upon man so that he should no longer behave like an animal]” (WS 350). And at the very outset of the work he makes several fundamental points that are crucial to it. In the first of them he proclaims “Naturwissenschaft” to be “die allerjngste aller philosophischen Methoden,” to which the kind of philosophy he is advocating and contrasting with “metaphysische Philosophie” needs to ally itself, and from which it “gar nicht mehr getrennt […] zu denken ist [can no longer be separated]” (HaH I 1). He calls this kind of philosophy “historische Philosophie”, for the reason he explains in the next section. Philosophers must “learn” and take seriously something they have long been reluctant to acknowledge: “dass der Mensch geworden ist,” as has the “Erkenntnissvermçgen [faculty of cognition].” Indeed, he here writes, “Alles […] ist geworden; es giebt k e i n e e w i g e n T h a t s a c h e n : sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt . – Demnach ist das h i s t o r i s c h e P h i l o s o p h i r e n von jetzt ab nçtig und mit ihm die Tugend der Bescheidung. [Everything has become: there are n o e t e r n a l f a c t s , just as there are no absolute truths. Consequently what is
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needed from now on is h i s t o r i c a l p h i l o s o p h i z i n g , and with it the virtue of modesty.]” (HaH I 2). “Historical philosophizing” is philosophizing in a way that is mindful that “everything has become”, and is concerned to be attentive to the developmental character of whatever it deals with, human reality – the central focus of this section – in particular. It is significant that Nietzsche insists upon the relevance and importance of ‘Naturwissenschaft’ in this undertaking. It is also significant that it is “historische” (rather than simply “wissenschaftliche”) philosophizing that he is calling for. The ‘becoming’ or development of things is held to be crucial to their comprehension and proper assessment; and by his use of the term “historical” Nietzsche is indicating that, while the kinds of development the natural sciences can deal with must be taken into account by philosophers from now on, they are not necessarily the only kinds of development that may need to be reckoned with. Indeed, he is saying even more than that. He is making the point that, where all things human in particular are concerned, the kinds of development to which we should be attentive to are at least often developments of a historical (as well as possibly a biological or psychological) character. And that means availing ourselves not only of “the youngest of all philosophical methods” – that is, those of natural-scientific inquiry – but also of other “philosophical methods” that may be needed to comprehend developments having a historical character. (Chief among them, for him, are those of his kind of psychologist, of the interpreter of texts, of the linguist, and of the historian.) That is what Nietzsche spent much of his time doing in the vast number of reflections of which the rest of Menschliches consists, as well as the two aphoristic volumes that followed it (Morgenrçthe and Wissenschaft). And that is what he continued to do in the books following Zarathustra, to the end. Few of the developments he discusses lend themselves at all well to causal analysis and interpretation – even though there are points in his discussions of some of them when he avails himself of causal language. His proposed interpretations and explanations do certainly involve ideas of influences of many sorts; but as a moment’s reflection on the kinds of developments and phenomena we find him talking about makes clear, natural-scientifically-modeled causalism is ill-suited to many of those that he considers to have been most significant and deserving of attention. They include many social and cultural phenomena that are normatively structured or consequential, and that make a considerable difference to how things go in human lives when they are internalized. Indeed, the model of such causalism is ill-suited to the understanding of the crucially important human phenomenon of such internalization itself as well.
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XI Leiter contends that “explaining morality [singular!] in naturalistically respectable terms” is the main focus of Nietzsche’s “naturalistic project” (Leiter 2009, 11) and of “the bulk of his philosophical activity.” (Leiter 2002, 11). It would be far more accurate and appropriate to say that Nietzsche’s “naturalistic project” (and the focus of the bulk of his philosophical activity) is the reinterpretation of human reality in terms he considered to be naturalistically respectable – and along with it what he considered to be modern-day Western morality, a variety of other sorts of morality, and a vast array of other (predominantly social, cultural and psychological) phenomena and developments that have figured significantly in the shaping human life at various junctures in the course of human events. I shall elaborate upon this point in a manner that has significant implications for the understanding of Nietzsche’s kind of naturalism, by availing myself of the notion of sensibilities (Sensibilitten) associated with human cultures and cultural phenomena. My point in doing so is that his kind of naturalism must be conceived in such a way that it does justice to and makes sense of this crucially important human phenomenon, which – to my way of thinking, both in fact and for him – is central to human life and the key to understanding something very important about our attained human reality. Nietzsche would seem to have discovered the usefulness of term “Sensibilitt” itself only rather late; but he does use it, in a relevant way, in his encomium to Bizet’s opera C a r m e n in his late book T h e C a s e o f Wa g n e r [CW, 1888], writing: “a different sensibility [eine andere Sensibilitt]” than Wagner’s finds expression in this work – and one that indeed had not previously found expression at all in European classical music. He refers to it and characterizes it as “this more southern, [sun-]browned, [sun-]burned sensibility [dieser sdlicheren, brauneren, verbrannteren Sensibilitt].” (CW I, 2) Sensibilities (and the kindred phenomenon of mentalities) play a crucial role in Nietzsche’s philosophical psychology and anthropology. They figure significantly for him in the understanding of how human conduct has come to differ from “behaving like an animal” (in his phrase). They also are what he is getting at in much of his talk about various human ‘types,’ and are what he has in mind when he observes (in G ç t z e n - D m m e r u n g ) “welche Naivett es berhaupt ist, zu sagen ‘so und so s o l l t e der Mensch sein [how na ve it is altogether to say: ‘Man o u g h t to be such and such’]” and continues: “Die Wirklichkeit zeigt uns einen entzckenden Reichtum der Typen, die ppigkeit eines verschwenderischen Formenspiels und –Wechsels [Reality shows us an enchanting wealth of types, the abundance of a lavish play and change of forms]” (TI V 6). Nietzsche’s interest in the phenomenon of diverse sensibilities – and in the conditions of their possibility, their variability, and their importance in human
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life – made its first appearance, in striking fashion, in Geburt. There he is concerned with the ‘birth’ or emergence and development not only of ‘tragedy’ as a dramatic-literary genre but more importantly of tragedy as a cultural and human-spiritual phenomenon, and of the sensibility associated with it that was both expressed in and cultivated by that genre and culture. He also is concerned with the differing cultural phenomena and sensibilities that gave birth to it that he calls ‘Apollinian’ and ‘Dionsysian,’ as well as with the phenomenon and sensibility that he associates with Socrates that resulted in its demise, and prepared the way for the subsequent emergence of those associated with science, on the one hand, and (implicitly, at any rate) with Christianity on the other. Nietzsche’s naturalism is concerned centrally with the identification and comprehension of such sensibilities and associated forms of experience and activity, showing that they can plausibly and convincingly be viewed as humanhistorical, socio-cultural and psychological phenomena that have emerged and developed under circumstances and in ways that may be made sense of in entirely mundane terms. They may be developmentally related to basic human capacities and dispositions (as Apollinian and Dionysian arts and sensibilities are purported to have developed out of the human phenomena of dreaming and intoxication), or to each other (as the tragic are purported to have been been ‘born out of the spirit of music’ and through the coupling of the Dionysian and Apollinian), or under the influence upon prior sensibilities and disposition of certain social constraints, group dynamics, seductive attractions and the like; and Nietzsche shows considerable imagination in the accounts he proposes of the cases he considers. Sensibilities are complex configurations of dispositions, attitudes, beliefs, valuations and interpretive tendencies that are powered (as it were) by one’s affective resources and that may be channeled at least to some extent by inherited but humanly variable traits, but that are also strongly scripted culturally, reflecting elements of cultural formations to which one has been exposed and that one has internalized. They are bound up with forms of life and cultural constructs (practices, traditions, institutions, artifacts, symbols, texts) of which they are the internalization, and yet which in a larger sense are their expressions and elaborations, each informing and sustaining the other. This is the two-sided coin that has made and continues to make human reality human rather than merely natural, even though all such phenomena themselves are the products of transformations of the originally merely natural. It is always our affects that are expressing themselves in whatever we may do, for Nietzsche; but they do so through our sensibilities, which not only inform but also transform our affects in their manner of expression. Such transformations can be particularly dramatic when other aspects of our human-psychological repertoire come into play, of which our capacities for what Nietzsche calls the ‘internalization’,
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‘redirection’ and ‘sublimation’ of our basic drives and dispositions are of particular importance. At the level of particular individuals who acquire them, for Nietzsche, human beings tend to live their lives and conduct themselves in ways reflecting the sensibilities they come to have by a combination of nature and nurture. Yet sensibilities are suggested to be modifiable within the course of one’s life, if one has experiences or encounters ‘educators’ or ‘seducers’ sufficiently powerful to make deep and lasting impressions. Indeed, Nietzsche further envisions a type of human being able to attain a measure of self-mastery, autonomy and creativity sufficient to fashion a distinctive sensibility of one’s own, working with but transforming the sensibility (or sensibilities) one had previously acquired, and thus becoming a self-creating “artist of one’s own life”, and “giving style to one’s character” (in several of his well-known formulations). Nietzsche also considers it humanly possible for a single human being to develop a multiplicity of sensibilities, rather in the manner of becoming multilingual, and to be able to shift from one to another in appropriate contexts, or even to play them off against each other, or draw upon various of them together when that proves advantageous or illuminating. That is an ability that he takes to be of particular importance and value for a philosopher; but it also is of importance for anyone who lives in a number of different ‘worlds’, each of which requires that one have and operate out of an appropriately different sensibility or mentality.
XII Nietzsche delights in exploring the many sensibilities and mentalities that he notices, many of which relate in significant ways to issues he pursues across the spectrum of his philosophical interests. His explorations of them as such are not part of his kind of naturalism. What is an important part of it (as I have been stressing) is his interpretation and explanation of them as human phenomena, one and all: forms of human life, anchored in and emerging out of aspects of our human-animal nature, by way of historical developments of a social and cultural nature. It will be both helpful and illuminating to consider further cases and types of cases in point, which include the sort of sensibility Nietzsche associates with modern-day Western morality among a great many others. (In what follows immediately below, I will assume sufficient familiarity with Nietzsche’s texts to render detailed references and citations unnecessary.) Those he actually discusses in Genealogie – which are related ‘genealogically’ to it but are not identical with it – are among them as well: the paired but contrasting ‘master’ and ‘slave’ sensibility-types in the First Essay, the contrasting autonomous ‘sovereign
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individual’ and self-lacerating ‘bad conscience’ sensibility-types in the Second, and the contrasting ‘ascetic’ and ‘artistic’ sensibility-types in the Third. Other related but distinct examples are the sensibility-types associated with the ‘Sittlichkeit der Sitte [the ethicality of mores or customs]’ the ‘Herdentier’ mentality that is akin to it, and the cluster of ‘higher’ sensibilities that Nietzsche associates with the notion of ‘higher moralities’ and also considers (along with their genealogies) in the last Part of Jenseits under the rubric of its title “Was ist vornehm? [What is noble/distinguished?]” (BGE IX). I have already mentioned the quite different variety of sensibilities with which Nietzsche is concerned in Je n s e i t s . Another Greek instance that initially attracted his attention at about the same time is the ‘agonistic’ or competitive sensibility he discusses in the fragment ‘Homers Wettkampf,’ cultivated and made possible by the Greek institution of the ‘contest.’ Other early case studies showing his developing and expanding interest in such phenomena are the three types of historical sensibility whose ‘uses and detriments for life’ he considers in Nutzen und Nachteil; and the three modern-day ‘images of man’ and types of cultural sensibility he distinguishes in Schopenhauer als Erzieher and names after Rousseau, Goethe and Schopenhauer. The third of them itself is suggested to draw upon three others to which it is genealogically related, which Nietzsche associates with the figures of “jene wahrhaften M e n s c h e n , j e n e N i c h t m e h r - Ti e r e , d i e P h i l o s o p h e n , K n s t l e r u n d H e i l i g e n” (SE 5, KSA 1, 380). (His rapturous elaboration of the sensibility he here calls “Schopenhauerean,” which revolves around “der Grundgedanke der K u l t u r ” as “die Vo l l e n d u n g d e r N a t u r ” and nature’s “Erlçsung von sich selbst [redemption from itself ]” (SE 5, KSA 1, 382), is quite evidently his own at the time, rather than Schopenhauer’s own actual sensibility, from which it could hardly have been more different.) In subsequent writings Nietzsche identifies, explores and sometimes undertakes to account for the emergence of a host of other sensibilities and sensibility-types, in his consideration (for example) of ‘hçhere und niedere Cultur,’ ‘Vçlker und Vaterlnder,’ and different sorts of artistic, religious, intellectual, ethnic and even gender sensibility, as well as the various forms of moral and ethical, ascetic and aesthetic sensibility mentioned above. All are grist for the mill of his naturalism, in the double sense that they are among the kinds of human phenomena to the richness and diversity of which his naturalism must be able to do justice, and to the emergence and development of which his naturalism must be able to address itself satisfactorily, making sense in entirely mundane terms of their having gotten going in human life and become parts of human reality surpassing their humble allzumenschlich human origins. Human beings thus are not merely capable of entering into broader and narrower historically developed, frequently socially contextual and always culturally textured forms of life, and of acquiring the associated sensibilities and
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mentalities (just as they are not merely capable of learning a language, using it, and acquiring the sensibilities characteristic of it). We must do so, for we have lost the ability to live otherwise as we have gained these capacities. That is both our unique strength as a species and our great vulnerability – for which reason Nietzsche constantly characterizes man by such phrases as ‘the most endangered animal’, ‘the unfixed animal’, ‘the most de-natured animal’, and ‘the animal that has strayed most dangerously from its old instincts’. Nonetheless it is in this way and by these means, on his view, that humankind has bootstrapped itself from animality to human reality; and they have come to be as much a part of human reality as the use of the rich and complex forms of language they require and continue to engender. Moreover, for Nietzsche, just as they have been the means and medium of all previous ‘enhancements of life,’ versions of them will play the same sort of role in any to come – just as they or others of the kind have long figured and are likely to continue to figure significantly in any developments detrimental to human flourishing and to the prospects of what he calls ‘higher humanity’.
XIII I have dwelt upon the phenomenon of sensibility because of its ubiquity in Nietzsche’s writings and thinking with respect to human reality, its resulting significance for the understanding of his kind of naturalism, and its implications for the partnership of Nietzsche’s kind of philosophy and natural-scientific inquiry and thinking. For Nietzsche no naturalism is tenable that ignores or cannot do justice to this dimension and character of human reality. It is for this reason that he is so scornful of some versions of naturalism. His is intended to have no such shortcoming – which is why his ‘translation of man back into nature’ is only its beginning, and must not be simplistically understood. And it is also why causalism is ill-suited to describe its ‘methodology.’ The transformations of human reality associated with this phenomenon that Nietzsche considers to warrant his talk of its ‘dis-animalization’, and that resulted in human beings becoming not only social but also cultural animals, are not the end of the story for him. So, for example, he considers the “sovereign individual” to be capable of a kind of autonomy and responsibility that differ significantly from anything of which humanity that has only attained the capacity to substitute the “Sittlichkeit der Sitte” (GM II 2) for the imperatives of undomesticated “homo natura” (BGE 230); and the “Mensch der Zukunft” he envisions at the conclusion of the Second Essay of Genealogie (GM II 24), made possible by the profound changes he discusses earlier in that Essay but whose ‘grossen Gesundheit’ and ‘schçpferische Geist’ sets this type even above and beyond the “sovereign individual”, as well as all ‘Herdentier’ humanity and the self-
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tormenting type in whom the phenomenon of ‘schlechtes Gewissen’ is wreaking its ultimately fruitful havoc, is taken by Nietzsche to represent what would be the fulfillment of the “great promise” for which that phenomenon opens the way. Indeed, he goes so far as to say that, with its appearance, “der Aspekt der Erde sich damit wesentlich vernderte [the aspect of the earth was thereby essentially altered]” (GM II 16, KSA 5, 323). Nietzsche’s naturalism must be conceived in such a way as to incorporate these exceptional human possibilities, as well as those that are more commonplace. And in dealing with them, even more than in dealing with the phenomenon of sensibility and the varieties of sensibility that are the conditions of their possibility and emergence, the kinds of scientific thinking and explanation pursued in or modeled on natural-scientific inquiry are likely to be able to play no more than a supporting role. It is just such a role that Nietzsche envisions for such inquiry in a famous passage in Die frçhliche Wissenschaft in which he at once celebrates and embraces it and also gently puts it in the place he considers appropriate to it where what matters most to him is concerned. It bears the charming heading “H o c h d i e P h y s i k ! ” He writes, of the “higher humanity” to which he aspires and would have us aspire: “Wir aber w o l l e n D i e w e r d e n , d i e w i r s i n d ,” which for him involves both the autonomy of the “sovereign individual” and the creativity of the “man of the future,” as his explication of this line shows: “die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selberSchaffenden!” But then he immediately continues: Und dazu mssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Notwendigen in der Welt werden: wir mssen P h y s i k e r sein, um, in jenem Sinne, S c h ç p f e r sein zu kçnnen […] Und darum: Hoch die Physik! Und hçher noch das, was uns zu ihr z w i n g t – unsre Redlichkeit! (GS 335, KSA 3, 563 f.)
Knowledge of “alles Gesetzlichen und Notwendigen in der Welt” will not suffice to enable one actually to live one’s life autonomously and creatively, and certainly will not suffice to determine what someone doing so should actually do or create; but Nietzsche clearly thinks that it can and will be indispensably helpful. It will not suffice to enable such autonomy and creativity to be comprehended as human possibilities – which for him is one of the crucial challenges and tasks of his kind of philosophy, his reinterpretation of human reality, and his naturalism. But here too, he considers it a needed partner – where human reality is concerned, a junior partner in the end, but a partner nonetheless. There are things about human reality the Naturwissenschaften can discover and know as completely as human beings can know them – and there are things about it that they are not well positioned to deal with at all, let alone understand adequately. The latter, for Nietzsche, include things that are of great importance for its comprehension. The naturalism he advocates is one that is able to accommodate
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their reality and possibility. That is why it must be scientian, but is not and cannot be scientistic.
Works Cited Janaway, Christopher (2007): Beyond Selflessness. Reading Nietzsche’s ‘Genealogy’. New York (Oxford University Press). Leiter, Brian (2002): Nietzsche on Morality. London (Routledge). Leiter, Brian (2009): “Nietzsche’s Naturalism Reconsidered”. In: John Richardson/Ken Gemes (eds.): Oxford Handbook of Nietzsche. Oxford (Oxford University Press).
III. Hermeneutisch-kulturwissenschaftliche Dimensionen
Good cop, bad cop: Von der Wissenschaft des Rhythmus zum Rhythmus der Wissenschaft Christian Benne Wo nach Nietzsches Verhltnis zur Wissenschaft gefragt wird, muss zuallererst von Philologie die Rede sein.1 Durch sie gert Nietzsche berhaupt an die Wissenschaft; Philologie wird – im Guten wie im Schlechten – zum Maßstab, an der andere Wissenschaften, an der auch Philosophie und Theologie gemessen werden (vgl. Benne 2005). Nietzsche blieb auf philosophischem Gebiet Autodidakt, der im Gegensatz zu vielen anderen Autodidakten weder besonders belesen war, noch Grundtexte der Philosophiegeschichte besonders gut kannte, dem viele philosophische Subdisziplinen und Probleme fremd waren2. Seine geistigen Exkursionen in Anthropologie, Ethnologie oder Naturwissenschaften seit den 70er Jahren gingen gewçhnlich von philologischen Fragestellungen aus. Ein radikaler Bruch mit der Philologie hat bei Nietzsche folglich nie stattgefunden3. Dass sich die Vorstellung eines solchen Bruches bis heute gehalten 1 2
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Fr wichtige Anregungen und Gesprche danke ich Friederike Gnther, Hans Ulrich Gumbrecht, Michael Kardamitsis, Melanie Mçller und Thomas Schirren. Gewiss, eine Ausbildung in Klassischer Philologie umfasste auf dem Gebiet der antiken Philosophie zumindest auch immer eine Einfhrung in Grundfragen der Philosophie. In Nietzsches stark an textkritischen Fragen ausgerichtetem Studium spielte sie aber eine untergeordnete Rolle. Mit moderner Philosophie war Nietzsche oft nur aus zweiter oder dritter Hand vertraut. Insgesamt lassen sich vier verschiedene Phasen in Nietzsches Verhltnis zur Philologie unterscheiden (die vermutlich, aber das wre nher zu untersuchen, in engem Zusammenhang mit seinem Interesse fr andere Wissenschaften stehen): Der junge, vielversprechende Schler und Student, der nichts sehnlicher wnscht als einen philologischen Lehrstuhl und als grçßtes Talent seiner Generation gilt (1); der jung berufene Basler Professor, der von den banalen Realitten des Faches enttuscht, unter Vorlesungsdruck und angesichts begriffsstutziger Schler zunehmende Zweifel am Sinn einer Ttigkeit entwickelt, die schon seine Beschftigung mit zeitgençssischer Philosophie, namentlich Schopenhauer, und sthetik, namentlich Wagner, seit den spten Studienjahren genhrt hatte (2) – in diese Phase fallen die unfertigen Reflexionen und Aufzeichnungen zur geplanten Unzeitgemßen Betrachtung Wir Philologen. Als Nietzsche selber kein Philologe mehr war, hat er die Philologie nur noch gefeiert. Der Bruch mit Wagner lutet die nchste Phase ein (3), nmlich eine erneute Hinwendung zur Philologie als Vorbild fr die „kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden“, die es gelte „hçher zu schtzen, als die beglckenden und blendenden Irrthmer, welche metaphysischen und knstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen.“ (MA I, KSA 2, 25) – es ist die Phase, in der Nietzsche das gute vom schlechten Lesen
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hat, geht im Wesentlichen auf drei Grnde zurck. Zum ersten eignete sie sich wie kaum ein zweites als Strukturelement der Biographik, beginnend schon mit Elisabeths Hagiographie. Selbst Janz hat sich davon noch nicht gelçst (vgl. etwa Janz 1978, Bd. 1, 173 ff.): so musste der erkennbare Wandel Nietzsches Mitte der 70er Jahren nicht mehr allein auf die Distanzierung zu Wagner zurckgefhrt werden, sondern konnte vornehmlich jener staubtrockenen Disziplin angelastet werden, mit der man sich dann praktischerweise nicht auch noch auseinandersetzen musste. Zum zweiten, und das darf man durchaus als Ironie der Geschichte bezeichnen, hat ausgerechnet ein philologischer, genauer: ein editionshistorischer Fehlbefund zur Befestigung des Mythos vom Bruch mit der Philologie beigetragen. Von der Großoktavausgabe bis hin zu Schlechtas verbreiteter Edition werden die Notizen zu Wir Philologen so ediert und abgedruckt, dass sie von echten Werken Nietzsches, etwa den aphoristischen Bchern, faktisch ununterscheidbar sind und flschlicherweise als sein letztes Wort zur Philologie gelten. Zum dritten und letzten fllt es aus philosophischer Sicht schwer, der Philologie tatschlich einen hohen systematischen Rang in Nietzsches Denken zuzuweisen, kme dies doch einer Privilegierung des skeptischkritischen Nietzsche und somit eines Standpunktes gleich, den sowohl große Teile der Philosophie wie der populren Nietzscherezeption seit jeher zu berwinden suchen. Nietzsche fragte – in unbewusster Nachfolge von Friedrich Schlegels Philosophie der Philologie – wieder nach dem Verhltnis von Philosophie und Philologie und damit nicht allein nach ihren je unterschiedlichen Erkenntnisinteressen, sondern auch ihren je unterschiedlichen Erkenntnisweisen. Was eigentlich bedeutet seine viel beschworene ,gute‘ Philologie: erkennt der Philologe anders, wissenschaftlicher oder besser als der Philosoph? Zielt Philologie berhaupt auf Erkenntnis ab? Von welchem privilegierten Standpunkt aus lsst sich all dies beurteilen? Am Beispiel der Rolle des Rhythmus und der Zeitorganisation von ußerungen und ihrer Interpretation sollen diese Fragen und damit die Bedeutung der Philologie fr Nietzsches Denken verhandelt werden. Es zeigt, wie Nietzsches Reflexion der Philologie zur Reflexion von Wissenschaft und ihrer Grenzen an sich gert. Nietzsche hat fr die Lektre seiner eigenen Schriften immer wieder ,Philologie‘ und die philologische Kunst des guten Lesens eingefordert. Die Lehrunterscheidet und sich wie sein Lehrer Ritschl zum ,alten Philologen‘ stilisiert, der von der Hçhe seiner Kenntnisse und Fertigkeiten auch andere Disziplinen und Geisteshaltungen beurteilen kann (z. B. MA I, KSA 2, 359 f.). In einer letzten Phase betont Nietzsche zwar noch immer diesen ambivalenten Charakter der Philologie als Instrument in der Hand des freien Geistes und Bundesgenossin gegen ,Hinterweltler‘ aller Art einerseits, andererseits steht sie nun aber auch schon Pate bei der Identifizierung des asketischen Ideals; ihr Skeptizismus ist auch ein Nihilismus, wenngleich auch ein zu Zeiten notwendiger.
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sthle zur Beschftigung mit seinem Werk, die Nietzsche voraussah, waren philologische, nicht philosophische, nmlich Lehrsthle zur Exegese des Zarathustra. Gerade wenn es um Fragen der Textauslegung geht, beruft sich Nietzsche fast immer auf seine philologische Schulung. Der philologische Zugriff auf seine Texte ist bei diesem Autor also offensichtlich schon mitkalkuliert, was die Lektreschwierigkeiten erheblich potenziert. Ein einziger Halbsatz mag gengen, um in den reflexiven und selbstreflexiven Charakter des philologischen Nachdenkens ber Nietzsche einzufhren. In Ecce Homo ist an einer Stelle wie beilufig die Rede von „ein[em] Leser, wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen“ (EH Bcher 5, KSA 6, 305). Der mich liest: Nietzsche mçchte nicht interpretiert, sondern gelesen werden. Jedem nur halbwegs aufmerksamen Leser Nietzsches fllt die Diskrepanz auf zwischen der Definition von Interpretation als Vergewaltigung und Ausdruck des Willens zur Macht einerseits und der Feier subtiler, aufnahmefhiger und taktvoller Lektre auf der anderen Seite. Nietzsche beruft sich hufig auf das gute Lesen, die gute Philologie; fr die Lektre seiner eigenen Schriften fordert er sie sogar unmissverstndlich ein (vgl. Benne 2005). Ein Leser, wie ich ihn verdiene: Lesen und Philologie auf einen Text anzuwenden bedeutet schon ein Werturteil und eine Auszeichnung. Die zunehmende Beliebigkeit bei der Wahl ihrer Objekte hatte Nietzsche der zeitgençssischen Philologie ja vorgeworfen. Deshalb sind es auch die guten alten Philologen, auf die Nietzsche sich beruft, im Unterschied zu den schlechten, die eben auch nicht ihren Horaz lasen, sondern etwa in der Edition rein technische Probleme lçsten. Schließlich wre zu bedenken, dass Nietzsche Horaz nennt und keinen beliebigen antiken oder modernen Philosophen. Horaz, den Klassiker der Klassiker und Meister aller Genres, geschult an langer Tradition, Autor einer schriftsprachlichen Kultur, in der die Mndlichkeit der griechischen Poesie noch lebendig ist, der Verfasser einer Poetik, die zugleich und vielleicht in erster Linie eine Theorie zum Umgang mit Dichtung berhaupt und zudem ein eigenstndiges Kunstwerk ist (vgl. Fuhrmann 1992, 126), ein Autor schließlich, dessen Harmonie und Simplizitt trgerisch sind und in Wahrheit mehr verbergen als enthllen: der seine wahre Schwierigkeit zum bestgehteten Geheimnis machte. Man wird zugeben mssen, dass Nietzsche sich selber nicht immer an seine eigenen Vorgaben hlt. Zwischen subtilen Lektren finden sich auch gengend ,vergewaltigende‘ Interpretationen. Dahinter steht weniger ein quod licet Iovi non licet bovi. Vielmehr entwickelt Nietzsche im Umgang mit Texten (und anderen Phnomenen) eine Strategie, die der verbreiteten Verhçrtechnik der god cop/bad cop-Routine gleicht, sattsam bekannt durch das Hollywood-Kino. Ein Verdchtigter wird im Wechsel einem brutal-bedrohlichen sowie einem einfhlsamen, kumpelhaften Verhçr unterzogen, bis er sich irgendwann çffnet. Ist der Text der Verdchtigte, so ist der Philologe bei Nietzsche gleichsam der good cop. Seine besten Resultate erreicht er allerdings nur in Zusammenarbeit mit
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dem Philosophen, dem bad cop, dem Herren ber eine breite Palette von Zwangsanwendungen4. Ihr Ziel ist dasselbe: den Delinquenten, den Text zum Sprechen zu bringen. Die Wahl der Mittel ist es nicht. Die Methodik des guten und des bçsen Vernehmers im Film (und wahrscheinlich auch in der Realitt) unterscheidet sich nur oberflchlich durch Gewaltanwendung. Die subtilere und augenscheinlich auch effektivere Botschaft geht von ihrer ungleichen Zeitçkonomie aus. Ausnahmslos agiert der bad cop rascher als der good cop, dessen Bewegungen nicht nur langsamer, sondern auch gemessener sind. Der good cop geht auf das Zeitbedrfnis seines Gesprchspartners ein und setzt Gesprchszsuren nach Bedarf. Der bad cop lsst sein Gegenber kaum selbst zum Sprechen kommen. Hufig wird der eigenen Position mit akzentuierenden Faustschlgen auf Tisch oder Kçrper Nachdruck verliehen, was zu einer mechanischen, z. T. stakkatohaften Zeiteinteilung gegenber der rhythmisch variableren des good cop fhrt. Dieses Bild lsst sich hinbernehmen in die Rekonstruktion gnoseologischer Unterschiede von Philosophie und Philologie bzw. von schlechter und guter Philologie. Aufmerksamkeit gegenber und variable Handhabung temporaler Verhltnisse gehçren dabei zweifellos zu den wichtigsten Faktoren. Philologie scheint bei Nietzsche zu einem großen Teil die Kunst der Zeitbeherrschung zu beschreiben. Der Philologe ist, im weitesten Sinne, der Meister der Tempi und Rhythmen, einer Artistik der Wiederholung und der Variation in der Gleichfçrmigkeit. Das gilt nicht nur fr den jungen Nietzsche, der noch Beruf und Handwerk des Philologen ausbt, sondern erst recht fr den spteren und spten, der hier in erster Linie interessiert.5 So verwundert es nicht, dass Nietzsche gerade diese Eigenschaft des Philologen seinen eigenen Lesern ans Herz legt. „Philologie ist die Kunst, in einer Zeit, welche zu viel liest, lesen zu lernen und zu lehren. Allein der Philologe liest langsam und denkt ber sechs Zeilen eine halbe Stunde nach.“ (NL 1876 19[1], KSA 8, 332). Der Philologe ist der „Lehrer des langsamen Lesens“ und „Freund des lento“ (M Vorrede, KSA 3, 17) freilich nicht in erster Linie, um mit zivilisationskritischer Gebrde die hektische Moderne durch Entschleunigung zu 4
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Erinnert sei an die alte Streitfrage, auf welches Stck Text Nietzsche sich in GM Vorrede 8 beziehe, wenn er von einem Aphorismus spricht, an dem er in GM III eine Musterauslegung demonstrieren wolle: auf GM III 1 oder das vorangestellte Zarathustra-Zitat? Die richtige Antwort ist: auf beide good cop/bad cop. Die einschlgige Forschung, von der diese Studie sehr profitiert hat, konzentriert sich zumeist auf den jungen Nietzsche statt, wie hier, danach zu fragen, inwieweit die philologischen Lehr- und Wanderjahre in das Hauptwerk hineinragen. (Vgl. insbesondere Bornmann 1989, Porter 2000, Emden 2002, Babich 2005, Gnter 2008; unverzichtbare Grundlage sind natrlich die Editionen und Bearbeitungen von Nietzsches Philologica durch Fritz Bornmann und Mario Carpitella in der KGW). Siehe aber auch die Beitrge Mattenklott (1997 und 2007), denen sich dieser Aufsatz verpflichtet fhlt.
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unterlaufen – das ist hçchstens willkommener Nebeneffekt. Vielmehr ermçglicht allein die herabgesetzte Gesamtgeschwindigkeit eine temporale Binnendifferenzierung bei der Lektre; alles gleichmßig langsam zu lesen wre gewiss ebenso verfehlt, wie alles gleichmßig schnell zu lesen. In der Schilderung eines schlechten Lesers heißt es: Beachten Sie wie schnell er liest, wie er die Seiten umschlgt – genau nach der gleichen Sekundenzahl Seite fr Seite. Nehmen Sie die Uhr zur Hand. Es sind lauter einzelne wohlberdenkbare Gedanken schwerere leichtere – und er hat fr alle Einen Genuß! Er liest sie d u r c h , der Unglckliche, als ob man je GedankenSammlungen durchlesen drfte! (NL 1879 47[7], KSA 8, 619)
Der Begriff des Genusses ist hier zentral. Das Unvermçgen, Bcher im angemessenen Tempo zu lesen, hat Auswirkungen auf das Vermçgen, Texte in ihrer ganzen Flle zu wrdigen: Ein Missverstndniss ber sein Tempo zum Beispiel: und der Satz selbst ist missverstanden! Dass man ber die rhythmisch entscheidenden Silben nicht im Zweifel sein darf, dass man die Brechung der allzustrengen Symmetrie als gewollt und als Reiz fhlt, dass man jedem staccato, jedem rubato ein feines geduldiges Ohr hinhlt, dass man den Sinn in der Folge der Vocale und Diphthongen rth, und wie zart und reich sie in ihrem Hintereinander sich frben und umfrben kçnnen: wer unter bcherlesenden Deutschen ist gutwillig genug, solchergestalt Pflichten und Forderungen anzuerkennen und auf so viel Kunst und Absicht in der Sprache hinzuhorchen? (JGB 246, KSA 5, 189)
Auch die musikalische Begrifflichkeit, derer sich Nietzsche hier wie an vergleichbaren Stellen bedient, bezieht sich fast immer auf die Tempi, die Zeitçkonomie in der linearen Abfolge der Tçne; andere musikalische Wirkungsmittel, die ebenfalls fr die Prosodie relevant sind (Akzentuierungen, Tonhçhen) werden kaum erwhnt. Wer die musikalische Dimension missachtet, brauche sich etwa dem Zarathustra gar nicht erst zu nhern: „ich glaube absolut nicht daran, daß Jemand heute im Stande ist, seinen Gesammt-Ton klingen zu hçren: auch setzt sein Verstehen eine solche philologische und mehr als philologische Arbeit voraus, wie sie heute Niemand daran setzen wird, aus Mangel an Zeit.“ (NL 1885 38[15], KSA 11, 615) Philologie ist unabdingbare Voraussetzung des Zeitverstndnisses, das dem „Gesammt-Ton“ zugrunde liegt. Mangel an Zeit verweist auf den Mangel an Zeitempfinden. In der Gçtzendmmerung, im nheren Umfeld des eingangs kommentierten Zitats, in dem Nietzsche sich mit Horaz verglich, heißt es: Man wird, bis in meinen Zarathustra hinein, eine sehr ernsthafte Ambition nach r ç m i s c h e m Stil, nach dem „aere perennius“ im Stil bei mir wiedererkennen. – Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Berhrung mit Horaz. Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzcken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. (GD Alten 1, KSA 6, 154 f.)
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Immer wieder Horaz: er zeichnet sich als Schlsselfigur zum philologischen Geheimnis ab, auf das sich Nietzsches Kodierung seiner Texte bezieht. Was heißt es genau, Horaz und Nietzsche so zu lesen, wie die guten alten Philologen? Nietzsche hebt das „artistische Entzcken“ hervor, ein Entzcken an subtiler knstlerischer Technik, am Stil, nicht am Inhalt. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Hinweise auf Tempi und Zeiteinteilung heißt gut lesen wohl in erster Linie rhythmisch und metrisch subtil zu genießen. Nietzsche hat sich nicht nur bereits frh mit horazischer Metrik befasst (z. B. NL 1872 – 1873 19[323], KSA 7, 518), sondern seit der Studienzeit umfangreiche und akribische metrische und rhythmische Studien betrieben, die zu einer folgenreichen Entdeckung fhrten, die sich leider bis heute nicht mit seinem Namen verbindet: Rhythmus und Metrik waren in der Antike nicht nur auch, sondern ausschließlich an zeitçkonomische, quantitierende Kriterien gebunden. Von Studien seines Lehrers Ritschl ausgehend ist es tatschlich kein anderer als Nietzsche gewesen, der zuerst erkannte und schon 1871 formulierte, dass es sich beim Iktus, dem angenommenen ,Schlag‘, mit dessen Hilfe man die antiken Metren akzentuierend skandieren und rezitieren lehrte, um eine philologische Fiktion handelte.6 In der Standardauffassung antiker Metrik und Rhythmik des 19. Jahrhunderts war das quantitierende Prinzip der antiken Metrik, das es in modernen, insbesondere akzentuierenden Sprachen wie dem Deutschen nicht gibt, natrlich bekannt, aber man konnte sich nicht vorstellen, dass rhythmische Verschiebungen, Metren und Verse allein durch Lngen und Krzen ausgedrckt 6
Schon in einem Brief an Erwin Rohde vom November 1870 verkndet Nietzsche, eine neue Metrik entdeckt zu haben (KGB II/1, 159; vgl. Porter 2000, 134 f.; ferner Gnther 2008, 12). Im Gercke/Norden von 1912, dem Standardwerk, das den Stand der philologischen Wissenschaft ber alle Disziplinen hinweg aufbereitete, ist diese neue Metrik noch nicht bercksichtigt – das wird erst in spteren Ausgaben der Fall sein. In seinem Kapitel zur griechischen Metrik nennt der Wilamowitz-Schler Paul Maas nun Nietzsche zwar als einen derjenigen Theoretiker, der seit Bentley, dem Begrnder der modernen Metrik, diese „bedeutend gefçrdert“ htte (Gercke/Norden 1927, Teil 7, 2), auf den Hçhepunkt sei sie freilich mit Wilamowitz’ Griechischer Verskunst von 1921 gekommen (vgl. Wilamowitz 1962). Dieses Werk besteht jedoch hauptschlich aus Einzelstudien, in denen es auch keine konsequente Ablehnung der Iktustheorie gibt. Maas’ eigene Arbeit ist theoretisch wesentlich stringenter. Maas kannte zu diesem Zeitpunkt Nietzsches bereits verçffentlichte metrische Vorlesungen, manche Wendungen in seiner Darstellung haben verdchtige Anklnge an sie. Da Maas unmittelbar vor Nietzsche nur noch Gottfried Hermann und August Boeckh nennt, gibt er die entscheidende Rolle Nietzsches fr die radikale Auffassung der griechischen Metrik als rein quantitierender zwischen den Zeilen allerdings zu. Wesentlich auch seine, ebenfalls Nietzsche folgende, Unterordnung der Metrik unter die Rhythmik: „Metrik als Kunst nennen wir die Regelung des natrlichen Sprachrhythmus im literarischen Kunstwerk; wir wrden also besser Rhythmik sagen.“ (In: Gercke/Norden 1927, Teil 7, 1). Grundlegend dazu schon Bornmann (1989).
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wurden. So galt der Rhythmus zwar „als Vereinigung oder Anordnung von Zeitmomenten zu einer einheitlichen Gruppe“, die Einheit des Taktes beruhe allerdings „auf der strkeren Intension, mit welcher ein Zeitmoment ber die anderen hervorgehoben wird: es beherrscht hierdurch die brigen, macht sie von sich abhngig und hlt sie zusammen.“ Diese strkere Intension ist eben der angenommene Iktus, der nicht durch Tonhçhe oder Zeitdauer, sondern „in der grçßeren Kraft“ besteht, mit der er gesprochen wird; dazu gibt es noch einen sog. Nebeniktus in anderen Takten (Rossbach 1854, 22 ff.) – die Beeinflussung durch aus den germanischen Sprachen bertragene Vorstellungen eines dynamischen Akzents ist unbersehbar. Aus der Orchestik stammen ursprnglich die Begriffe der Arsis und Thesis, die sich auf die Tanzschritte beziehen, die den Rhythmus bilden: der singende Chor setzt nach dieser Auffassung den Fuß gleichzeitig mit der Silbe auf die Erde, die den Hauptiktus trgt (der Thesis), die sich abwechselt mit der Nebeniktussilbe (Arsis), in der der Fuß zu neuem Schrittansatz wieder gehoben wird. Die Anzahl der Schritte entspricht der Anzahl der Takte einer rhythmischen Reihe (daher die Bezeichnung poffls fr den ganzen Takt). Nach zeitgençssischer Vorstellung geriet zunchst die Orchestik mit der Konsequenz in Vergessenheit, dass sich schließlich der Sprachgebrauch umkehrte; die Iktussilbe wurde nun zur Arsis, die anderen Silben zur Thesis – diese Verwendung ist bis zu Nietzsche noch die ausschlaggebende (Rossbach 1854, 22 ff.). Friedrich Ritschl hatte sich gegen „Die Anwendung unserer Tactgesetze auf den antiken Rhythmus“ – so ein Titel aus seinen Opuscula – gewendet. (Ritschl 1978, Bd. V, 592 – 594) Er ging sogar noch weiter: 1. antike und moderne Musik mssten rhythmisch nicht unbedingt bereinstimmen. 2. Taktgleichheit (bzw. Gleichtaktigkeit) sei keine unabdingbare Voraussetzung von Musik – dagegen sprchen Chorle des Mittelalters bzw. italienische Volkslieder, die er vergleichshalber studiert habe (ein brigens sehr innovativer Ansatz). 3. Die Auffassung, dass die Metrik der Poesie und die Musik quantitativ-rhythmisch deckungsgleich sind, sei philologisch nicht bewiesen. Im Gegenteil scheint es ihm sogar evident, dass „eine absolute mathematisch-exacte Ausgleichung der Sylbengrçssen in der Metrik“ (Ritschl 1978, Bd. V, 594) nicht existieren kçnne, sondern nur analog zu den streng mathematischen Verhltnissen der modernen Musik gebildet worden sei. Neben dem Prinzip der Taktgleichheit griff er vor allem die Vergewaltigung sprachlichen Materials durch vorgefasste Festlegung des Metrums an, so auf seinem Spezialgebiet der Plautus-Philologie die „wachsende Manie […] berall anapstische Verse finden zu wollen“ und durch die Setzung von Ikten scheinbar zu beweisen. Der „feinfhlige Kenner“ kçnne das nur als „Mishandlung“ empfinden. (Ritschl 1978, Bd. III, 145) In seinen philologischen Aufzeichnungen folgt Nietzsche Ritschl zunchst, mit fast wçrtlichen Anleihen. Auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Musik und Poesie interessieren ihn; das Projekt seiner frhen Philologica kçnnte
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man ja als den Versuch bezeichnen, den mndlichen und letztlich musikalischen Ursprung von Literatur herauszuarbeiten. Bezeichnend die folgende Stelle, bei der zunchst unklar ist, ob es um Poesie, Prosa oder Musik geht: Mathematisch genau sind n i e zwei Takte gleich: je geistiger das Darzustellende erfaßt ist, um so feiner individualisirt sich der Takt, einmal seiner Dauer nach ( !cyc0), dann seinen Icten nach (nach seiner Deklamation) und drittens in der Dauer seiner einzelnen Theile. In Reihen und Perioden steigert sich nun diese Individualitt, die architektonische Starrheit ist der Tod des Vortrags. Deshalb darf der Dirigent keine Maschine, kein Chronometer sein. Das richtige Erfassen vom Tempo eines f o l g e n d e n Musikstcks ist eine psychologische Erkenntniß: das innerste Wesen der zwei auf einander folg. Tonstcke spricht sich im Gefhl des verschieden gewhlten Taktes aus. (KGW II/3, 205)
Schon hier, an einer Stelle, an der Nietzsche den Iktus noch nicht aufgegeben hat, deutet sich der Gegensatz an, der dann entscheidend wird: zwischen dem mechanisch-regelmßigen Chronometer und einem variablen Taktverstndnis, das Lngen und Krzen subtil und individuell einsetzt und interpretiert. Inspiriert ist es von der Verbindung von Musik und Poesie im Gesang. Mit einigem Recht kann man behaupten, dass Nietzsches Interesse an Wagner auch philologischer Natur war – so wie Ritschl rhythmische Phnomene auf seiner italienischen Reise studierte, lernte Nietzsche ber das Wesen des Sprachrhythmus aus der modernen Musik dazu. Whrend Ritschl den Iktus jedoch nie ganz aufgibt, was bei ihm zu einer strengen Unterscheidung von Rhythmus und metrischen Formen fhren muss, geht Nietzsche einen konsequenteren Weg und verzichtet am Ende auf das gesamte metrische Gerst aus Arsis, Thesis und poffls. Es ist diese Ablehnung, Rhythmus und Takt als anthropologische Konstanten aufzufassen, die ihn zur Eigengesetzlichkeit antik-quantitierender Metrik im Unterschied zur akzentuierenden Metrik moderner Sprachen wie dem Deutschen fhrt. Rhythmus und Zeiteinteilung erscheinen, genau wie die ihnen gewidmete Wissenschaft, als eminent kultur- und sprachabhngige Phnomene. Fr Nietzsche ist das Metrum „die Darstellung des Rhythmus in der Sprache“ (KGW II/3, 121) bzw. schafft, in der avancierten Version, eigene knstliche Rhythmen, die mit in der Natur vorkommenden (also universalen) Rhythmen nichts zu tun haben. In seiner „Theorie der quantitirenden Rhythmik“ wird nun jede Beziehung von Versfßen und Takteinheiten radikal abgelehnt. Deren Gleichsetzung in der Iktustheorie sei die Geschichte der modernen Rhythmik, whrend es historisch falsch sei, dass die zeitmessende Rhythmik auch akzentuierend sein msse (KGW II/2, 269). Die Ablehnung der Iktustheorie bedeutet nicht, dass Griechen und Rçmer nicht betont htten; im Gegenteil. „Die Griechen u. Rçmer recitirten ihre Verse mit den Wortaccenten, aber mit schrfstem Gefhl fr gleiche Zeiten.“ Der Vortrag der Modernen ist dagegen „leidenschaftlicher“, weil die Akzentuierung
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berhandgenommen hat. Dafr fehlt ihnen der antike „Genuß an Zeitproportionen“; durch unsere starre, mechanische Taktauffassung – Takt ist etwas, das sich gleichfçrmig wiederholt – seien wir nicht mehr so „feinfhlig“ (KGW II/3, 399 ff.). In der Vorlesung „Rhythmische Untersuchungen“ wird die Durchsetzung des Iktus als vom Wortakzent ausgehende Verfallsgeschichte erzhlt, weil das „seelische Leben des Wortes“ darauf reduziert wurde und die komplexen Zeitverhltnisse in Vergessenheit gerieten (KGW II/3, 307): „die neue Accentsilbe saugt alles Leben in sich, whrend um sie herum alles verkmmert. Die Worte ußern sich jetzt durch Explosionen, die auf e i n e n Punkt gedrngte p h y s i s c h e A n s p a n n u n g fehlt dafr den andren Punkten. So entsteht eine neue Art Rhythmus, keine Zeitwechselwelle, sondern St r k e w e c h s e l wellen.“ (KGW II/3, 308) Noch prziser und wiederum ausgehend von der musikalischen Entwicklung: Wenn die Erfinder der Oper glaubten, im Recitativ den Usus der Griechen nachzuahmen, so war dies eine idyllische Tuschung. Die griechische Musik darin die idealste, daß sie auf Wortbetonung, berhaupt auf das sorgfltige bereinstimmen der kleinen Willensregungsspitzen im Worte mit den Arsen gar keine Rcksicht nimmt. Sie kennt berhaupt das musikalische Accentuiren nicht: die Wirkung beruht im Z e i t r h y t h m u s und d e r M e l o d i e , nicht im Rhythmus der St r k e n . Der Rhythmus wurde nur e m p f u n d e n , er kam nicht durch die B e t o n u n g zum Ausdruck. Vielmehr b e t o n t e n sie nach dem G e d a n k e n g e h a l t e . Hçhe und Tiefe der Note, These oder Arse des Taktes hatten mit ihm nichts zu thun. Dagegen war das Gefhl fr die To n l e i t e r n und die Z e i t r h y t h m e n auf das Feinste entwickelt. (NL 1871 9[111], KSA 7, 316)7
Nun erst lsst sich auch die Bedeutung von Horaz und der Horazphilologie zur Unterscheidung guter und schlechter Philologie ermessen. Der Erfinder der Iktustheorie (die Rckbertragung des akzentuierenden Prinzips auf die antike Rhythmik) war kein anderer als Richard Bentley, der bedeutende englische Theologe und einer der Kirchenvter der modernen historisch-kritischen Philologie, in deren Tradition Nietzsche ja durchaus selber stand. „Horaz“, so ist in den Notizen zu Wir Philologen zu lesen, „ist durch Bentley vor einen Richterstuhl gestellt, den er abweisen msste. […] Das Verfahren bei Horaz hat etwas 7
Zum Verzicht auf Arsis und Thesis vgl. auch Paul Maas in Gercke/Norden (1927, Teil 7, 3): „Die Grnde sind: erstens, daß ,Hebung‘ und ,Senkung‘ in der deutschen Rhythmik die dynamisch hervorgehobenen und die unbetonten Silben bedeutet, eine Unterscheidung, die es in der griechischen Metrik nicht gibt; zweitens, daß Arsis bei griechischen Metrikern gerade umgekehrt das bedeutet, was wir (bei der blichen Verwechslung von ,kurz‘ und ,unbetont‘) ,Senkung‘, ,Thesis‘, was wir ,Hebung‘ nennen mßten; drittens, daß diese Ausdrcke auch in ihrer originalen Bedeutung fr eine wissenschaftliche Metrik unbrauchbar sind, weil sie als Einheit nicht die organischen Elementargruppen, sondern mechanisch getrennte Teile derselben, die ,Fße‘ voraussetzen; viertens und hauptschlich, daß durch die sowieso notwendige sachgemße Benennung […] jener ganze Begriffskomplex berflssig wird.“
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Schulmeisterliches, nur dass nicht Horaz selbst censirt werden soll, sondern seine berlieferer; in Wahrheit und im Ganzen trifft es aber Horaz.“ (NL 1875 3[31], KSA 8, 23). Nicht Bentleys philologischer Scharfsinn, den Nietzsche anerkennt, trgt die Schuld an der Kritik, sondern ein Umstand, der eng mit der Sprachspezifik der antiken Literatur zu tun hat. Bentleys Horaz-Ausgabe von 1711 (hier: Bentley 1728) war berchtigt fr ihren Mangel an poetischem Einfhlungsvermçgen. Noch in den Briefen an Emil Fuchs aus den spten 80er Jahren greift Nietzsche das Thema der Iktustheorie und die Kritik an Bentley auf.8 Es sind Briefe, die er unter anderem zeichnet als „Dr. Friedrich Nietzsche, weiland Prof. der klassischen Sprachen, insgleichen der Metrik“ (!). Als Gegenpol zu Bentley hebt er in diesen Briefen fr die rhythmische Beurteilung von Horaz ausgerechnet Augustinus hervor: „Lesen Sie, ich bitte, ein Buch, das Wenige kennen, Augustinus de musica, um zu sehen, wie man damals Horazische Metren verstand und genoß, wie man dabei ,taktierte‘, welche Pausen man einschob u.s.w. (Arsis und Thesis sind bloße Taktirzeichen)“ (Bf. an Carl Fuchs, Mitte April 1886, KGB II/3, 179). In der Tat ist Augustinus’ Frhwerk damals nur wenigen Experten bekannt. Ein zeitgençssisches Standardwerk zur rçmischen Literaturgeschichte, das Nietzsche mit Sicherheit gekannt hat, fhrt De Musica zum grçßten Teil auf frhere Quellen wie Terentius Varro und Terentianus Maurus zurck, deren eigene Werke zu Rhythmik und Metrik nicht berliefert sind. Augustinus’ Lehrbuch reprsentiert gleichsam die Spitze des Eisberges, einen Hinweis auf das verlorene philologische Wissen des Altertums (Teuffel 1872, 274 f., 893 f. u. 1006) – und damit einen Leitfaden zu Nietzsches ,guten alten Philologen‘. So kann der Platoniker Augustinus paradoxerweise zu jenen gezhlt werden, die ihren Horaz auf eine Weise lasen, wie der Antiplatoniker Nietzsche selbst gelesen werden wollte.9 Das Buch, mit dem sich Nietzsche offenbar schon als Student beschftigte, besteht aus pdagogischen Lehrer-Schler-Dialogen, die in stupendem Detail hochkomplizierter metrischer Analysen die sinnlich-musikalische Feinheit der antiken Sprachbehandlung demonstrieren – unter anderem an horazischen Versen (Augustinus de Mus., IV.17, 282 ff.). Die Hauptlehre von De Musica besteht in der strikten Trennung der Begriffe Rhythmus, Metrum
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Etwa den Brief von Ende August 1888: „Daß es außer dem Wortaccent noch einen andern Accent gegeben habe, dafr fehlt bei den Rhythmikern (zum Beispiel Aristoxenos) jedes Zeugniß, jede Definition, selbst ein dazugehçriges Wort. – Arsis und Thesis wird erst seit Bentley in dem flschlichen Sinne der modernen Rhythmik verstanden, – die Definitionen, die die Alten von diesen Worten geben, sind vçllig unzweideutig.“ (Bf. an Carl Fuchs, Ende August 1888, KGB II/5, 403) Freilich spielt der christlich-platonische Augustinus in De Musica erst im 6. und letzten Buch dieses Werks eine Rolle.
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und Vers.10 Entscheidend fr alle Differenzierungen ist einzig und allein das Zeitmaß; durchgehend wird an das Ohr des Hçrers appelliert, an den Genuss der Lngen und Krzen. Der Schler (und der Leser) wird mit einer berwltigenden Flle an metrischen Varianten konfrontiert, insbesondere wenn man die Mçglichkeit von Pausen, die Vermischung von Versfßen oder die Lngenauflçsung mitbercksichtigt. Nach dieser Lektre hat jeder gesprochene oder geschriebene Satz seine Unschuld verloren. Der Schler der Dialoge wird darauf eingestellt, Verse wie Musik unabhngig von ihrer Semantik zu analysieren. Nietzsches berhmtes, mittlerweile totzitiertes Wort, dass es keine allein seligmachende Interpretation gebe, stammt aus eben jenem Brief an Emil Fuchs, in dem der Unterschied der antiken und modernen Rhythmik diskutiert wird (KGB III/5, 400). Es geht hier also nicht vorrangig um die semantische Interpretation, sondern um die simple Feststellung der bei Augustinus im Detail dargestellten Tatsache, dass auf ein- und denselben Vers immer eine Vielzahl metrischer Schemata anwendbar ist, da er rhythmisch und metrisch verschieden gelesen werden kann. So wird, angelehnt an die Musik, auch fr den Bereich der Sprache eine Trennung des inhaltlich-semantischen vom sprachmusikalischen Bereich, dem Genuss der Zeitproportionen vollzogen. Darin besteht jenseits der Iktustheorie die eigentliche Revolution Nietzsches aus wissenschaftshistorischer Sicht. Wo sein Lehrer Ritschl metrische Probleme noch mithilfe von Grammatik und Sinn zu lçsen versuchte11, trennt Nietzsche beide Sphren dergestalt, dass fr die Auslegung nicht so sehr entscheidend ist, was gesagt worden ist, sondern vor allem wie und von wem. Was uns zuerst und unmittelbar affiziert, sind die suprasegmentalen Eigenschaften der Sprache, die sich nicht auf den 10 Kapitel 2 im 3. Buch: „[…] omne metrum etiam rhythmus sit, non omnis rhythmus etiam metrum. Item omnis versus etiam metrum sit, non omne metrum etiam versus. Ergo omnis versus est rhythmus et metrum“ (Augustinus de Mus., III.2, 168), d. h. jedes Metrum hat Rhythmus, aber nicht unbedingt umgekehrt; jeder Vers hat ein Metrum, aber nicht unbedingt umgekehrt; jeder Vers weist also Rhythmus und Metrum auf. Im gesamten Werk sind fr die Bestimmung rhythmischer oder metrischer Gegebenheiten ausschließlich Silbenlngen von Bedeutung. Im 1. Kapitel des 2. Buches findet sich eine interessante Diskussion unterschiedlicher Interpretationen von Silbenzeitmaßen durch den Grammatiker bzw. Musiker: dieser halte sich an den musikalischen Rhythmus, whrend sich jener nach tradierten Ausspracheregeln und Versformen richte, weil er „scripta custodit“, also die Schriften und Regeln der Alten zu hten habe (Augustinus de Mus., III.2, 96). Dieser individuelle Spielraum bei der Interpretation ist es natrlich, der Nietzsche interessieren muss, wie ihm berhaupt auch die Behandlung metrischer Fragen aus dem Geist der Musik gelegen kommt. Augustinus’ Begriff der Musik als „scientia bene modulandi“ (Augustinus de Mus., III.2, 24) ist im brigen sowohl auf Gesang wie auf Tanz bezogen und bezeichnet ebenfalls in erster Linie die richtige Gestaltung von Lngen und Krzen. 11 „Rhythmus und Metrum der Verse ergibt sich, sobald man erkannt hat, was ihnen grammatisch Noth tut.“ (Ritschl 1978, Bd. 1, 272).
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Sinn oder das Wort verkrzen lassen. Der sthetische Reiz von Dichtung liegt gerade darin „daß die Takte und die Worte sich nicht decken. Das Gegenteil gilt fr unrhythmisch.“ (KGW II/3, 209). Rhythmus ist die Spannung zwischen, nicht notwendigerweise die Korrelation von Sinn und seiner Entfaltung in der Zeit (dazu grundlegend Gumbrecht 1988). Wenn bei Nietzsche, in Christian Emdens pointierter Formulierung, jede „direkte Korrespondenz zwischen Rhythmus/Versmaß und inhaltlicher Bedeutung“ (Emden 2002, 228) wegfllt, hat dies Implikationen weit ber die scheinbar allzu trocken-gelehrsamen und rein technischen Probleme der Metrik hinaus. In letzter Konsequenz steht das semiotische Verstndnis von Sprache in toto infrage. Ein Phnomen wie der Rhythmus lsst sich mit herkçmmlicher Zeichentheorie nicht erfassen. Gut hundert Jahre nach Nietzsche hat der franzçsische Literaturtheoretiker, Bibelbersetzer und Lyriker Henri Meschonnic,12 z. T. offenbar von Nietzsche angeregt, die ungebhrliche Vermengung von Rhythmik und Metrik auf den Platonismus zurckgefhrt. In Abkehr von der ionischen Philosophie, so Meschonnic, werde ein kontinuierliches Phnomen in diskontinuierliche, messbare Einheiten aufgespalten. Als Metrum wird Rhythmus Form und trgt zur Auffassung von Sprache als Zusammensetzung diskreter, diskontinuierlicher Einheiten bei. Statt des Gesamtphnomens gilt schon ein Teil als Ganzes der Sprache, bis hin zum semiotischen Begriff des Signifikanten. Die Beschftigung mit dem Rhythmus enthlt deshalb eine „Kritik des Zeichens“ (Meschonnic 1997, 612, v. a. Meschonnic 1982). Es gelte den Rhythmusbegriff neu zu entwerfen, von der einseitigen Verbindung mit der Rede zu lçsen und an die Schrift zu binden. „Der Rhythmus ist nicht mehr der Wechsel von betontem und unbetontem Takt auf der lautlichen Ebene; der Rhythmus ist die Organisation der Bewegung der Rede in der Schrift durch ein Subjekt. Diese Organisation kann bis zu einer Poetik des Rhythmus in einem Diskurssystem gehen.“ (Meschonnic 1997, 613). Die Herstellung einer Oralitt, einer Leiblichkeit der Sprache ist folglich nicht an Mndlichkeit gebunden und entfaltet sich womçglich erst recht eigentlich in der Schrift. Die Aporien des Subjektbegriffs lassen sich unterlaufen durch die Definition des Subjekts als das, was „sich seinen eigenen Rhythmus schafft“ (Meschonnic 1997, 617).13 Diese, explizit als aristotelische Alternative gemeinte Theorie Meschonnics14 çffnet durch ihre erstaunlichen Parallelen die Augen auch fr Nietzsches An-
12 Zu Meschonnic vgl. Trabant (1990) sowie den Nachruf von Thouard (2009). 13 „Ni copie du sens ni symbolisation, le rythme est un reprsentant non smiotique du sujet qui est antrieur au sens.“ (Meschonnic 1982, 98 f.). 14 Meschonnic ging speziell mit Blick auf den Rhythmus von einem bahnbrechenden Aufsatz Benvenistes aus (Benveniste 1951) und erweiterte ihn hin zu einer Kritik an der Trennung der Vernunftkategorien. Im Anschluss daran will er Rhetorik, Poetik, Ethik und Politik im aristotelischen Sinne neu integriert sehen. Von der Transformation des
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liegen. Wenn der Takt, wie Nietzsche selbst notiert, „die ursprnglichste Zeitempfindung“ zu sein scheint, nmlich „die Fo r m d e r Z e i t selbst“ (NL 1981 9[116], KSA 7, 318), konnte er natrlich nicht verschwinden: die Verfallsgeschichte, die mit der Betonung der Akzentsilbe einhergeht, bezeichnet in erster Linie das schwindende Bewusstsein von der zeitorganisierenden, also der eigentlich knstlerischen Form der Poesie. Die neue Rolle der Akzentuierung hat damit einen zunchst unerwarteten Effekt. Durch ihre Bindung an das akzentuierte Wort, und damit an das Grundelement von Syntax und Semantik, werden in der Rezeption zunehmend Grammatik und Sinn gegenber dem sthetischen Vergngen an den suprasegmentalen Phnomenen privilegiert. Bald bernimmt das Auge, das die zu akzentuierenden semantischen Einheiten leicht identifizieren kann, auch die Aufgaben des Ohrs, das jenseits der Hermeneutik noch der Musik gefolgt war. Poesie wird Literatur. Dadurch wird auch die knstlerisch-integrative Bedeutung der Zeitorganisation aufgelçst, die ursprnglich nicht darin liegt, rhythmische Phnomene mit semantischen zu verbinden, sondern berhaupt erst eine in sich geschlossene und gegliederte Entitt, eine wahrhafte Zeitçkonomie, einen ,Leib‘, zu erzeugen, dem als Ganzem anschließend zwar Bedeutungen zugewiesen werden kçnnen, der sich aber nicht auf diese Bedeutungen reduzieren lsst.15 In diesem Sinn gibt es ein volleres ,Verstehen‘ als jenes, dass lediglich auf die Extraktion von Bedeutung abzielt: „Ein Missverstndnis ber sein Tempo zum Beispiel: und der Satz selbst ist missverstanden“ (s. o.: JGB 246). Man kçnnte nun behaupten, dass die Philologie seit jeher nichts anderes tue; und in der Tat gehçrt es zu ihrem Selbstverstndnis, im Unterschied zur Philosophie die ,Form‘ literarischer Werke besonders zu bercksichtigen. Allerdings liegt in diesem Formbegriff immer schon der Bezug auf den ,Inhalt‘. Literaturwissenschaftler sind erst dann richtig glcklich, wenn ,Form‘ und ,Inhalt‘ eindeutig korrelieren.16 Nietzsche geht es gerade ums Gegenteil, nmlich Rhythmusbegriffs wird dadurch nicht allein die Reform der Literaturwissenschaft, sondern letztlich die Vernderung der gesamten Gesellschaft erwartet. 15 Die Leiblichkeit, die von der temporalen Organisation der Schrift hervorgebracht wird, ist fr Nietzsche eine durchaus nicht nur metaphorische: „Was sich am schlechtesten aus einer Sprache in die andere bersetzen lsst, ist das tempo ihres Stils: als welcher im Charakter der Rasse seinen Grund hat, physiologischer gesprochen, im Durchschnittstempo ihres ,Stoffwechsels‘.“ (JGB 28, KSA 5, 46) 16 Besonders einflussreich war und ist die Vorstellung verschiedener „Schichten“ (lautlicher, semantischer usw.) des sprachlichen Kunstwerks, die bis ins letzte Detail aufeinander beziehbar sein mssen. Wie ein Wunder besttigt sich diese Vorannahme der Interpretation dann auch immer wieder in dem (identitts-) philosophisch verbrmten Sinne, der ihm unter anderem von Roman Ingarden zugesprochen worden ist: „Aus der Materie und Form der einzelnen Schichten ergibt sich ein wesensmßiger innerer Zusammenhang aller Schichten miteinander und eben damit auch die formale Einheit des ganzen Werkes.“ (Ingarden 1968, 11)
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die Fhigkeit, die Musik eines Textes unabhngig von seinem Gehalt zu genießen. Lyrik kann uns selbst dann berhren, wenn sie in einer uns unbekannten Sprache vorgetragen wird. Oder, um ein Beispiel aufzugreifen, das bei Nietzsche stndig unausgesprochen im Hintergrund steht: wer die Musik Wagners verehrt, muss seinen Libretti nicht notwendigerweise gleiche Verehrung zuteil werden lassen. Anspruchsvolle Dichtung rein semantisch auszulegen, entsprche dem Versuch, Wagner nur zu lesen, nicht zu hçren. Der Widerspruch zwischen beiden Domnen kann eine weitaus grçßere Wirkung entfalten als ihr oberflchlicher Zusammenhang. Dieser Wirkung sich zu çffnen macht ohne Zweifel Nietzsches ,guten Philologen‘ aus. Dergleichen stellt natrlich einen revolutionierenden Anspruch an den philosophischen und wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Ihn einzulçsen ist in der Literaturwissenschaft in den vergangenen Jahren vor allem unter dem Schlagwort der ,Prsenz‘ versucht worden (Gumbrecht 2004), verstanden als radikale Abkehr von hermeneutischen Strategien, die die Sinnlichkeit von Texten, Kunstwerken, Sportereignissen usf. zur alleinigen Produktion von Sinn missbrauchen. Nietzsches ,gute Philologie‘ passt jedoch nur mit Einschrnkungen in dieses Paradigma, und zwar hauptschlich aus zwei Grnden. Erstens wird die „presence“ hufig als Garant einer „immediacy“ (Gumbrecht 2004, xiv) verstanden, die der Materialitt der Erscheinungen in ihrer ganzen Flle dadurch Gerechtigkeit widerfahren lsst, dass sie die Erlebnishaftigkeit des Erlebnisses beschreibt, die den Erlebenden auf eine Weise ergreift, die sich nie vollstndig erklren lsst. Ergriffenheit und Unmittelbarkeit der Wirkung kennzeichnen rhythmische und zeitçkonomische Phnomene aber aus Nietzsches Sicht gerade nicht. Wer hauptschlich an die Tragçdienschrift denkt, wird sich verwundert die Augen reiben, doch tatschlich gehçrt der Rhythmus – entgegen der landlufigen Vorstellung – nicht zu den dionysischen Phnomenen, die den Menschen berwltigen, sondern zur apollinischen Sphre. Der Rhythmus als artistisches Phnomen schafft keine Trancezustnde fr die ungestalte Masse, sondern ist Medium der Individuation und Differenzierung.17 Er gehorcht architektonischen Prinzipien, er baut aus den Tçnen Muster aus Zeit; nicht gleichfçrmig, denn das wre unknstlerisch, aber doch so, dass erst durch ihn die Tçne in eine (zeitliche) Ordnung gebracht werden. Musik entsteht aus der apollinischen Dressur des Dionysischen, der Takt wird zur Bndigung der Melodie, zur „Schranke der Musik, gegen ihre grçßte Wirkung“ (NL 1871 9 [116], KSA 7, 317). In einem der wichtigen Briefe an Emil Fuchs von Ende 17 „Der Rhythmus ist ein Versuch zur Individuation.“ (KGW II/3, 338). Er hat begrenzende, bauende und bildende Funktion, „indem er in den Zeitstrom der Musik rumliche Grenzen einfgt und diese durch den Taktschlag wahrnehmbar macht“ (Gnther 2008, 28). Er bndigt gleichsam die dionysische Musik, verstanden als schopenhauer’sche Willensregung (Gnther 2008, 30).
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1888 erlutert Nietzsche sogar mit zum Teil wçrtlichen Anleihen an sein philologisches Jugendwerk, wie die antike Zeit-Rhythmik die Aufgabe hatte, Affekte zu beherrschen und Leidenschaften zu zgeln, also letztlich in die Sphre des Ethos gehçre, whrend die barbarische reine Affekt-Rhythmik wie in der deutschen Sprache nur noch zur Pathologie tauge (Bf. an Carl Fuchs, Ende August 1888, KGB III/5, 403 – 405). Die antike Dichtung ist nicht weniger leidenschaftlich, aber sie vermochte die Leidenschaften zu einem knstlerischen Ausdruck zu verdichten. Die leidenschaftliche Dichtung der Moderne ist dann streng gesehen rousseauistisch, mangelhaft aus rein knstlerischer Sicht. Sie gibt dann von sich aus und schon aus diesem Grund unknstlerischen, nur an Bedeutung interessierten Rezeptionsweisen Vortrieb. Hinzu kommt zweitens, dass der Begriff der Prsenz hufig im Dienst einer konsequent antiszientistischen Einstellung steht. Eine wissenschaftliche Annherung an ein Phnomen wie den Rhythmus wre demzufolge kontraproduktiv, es msse vielmehr darum gehen, sich ihm emphatisch anzuverwandeln, selbst knstlerisch in ihm aufzugehen. Nietzsches eigene Position ist indes um einiges schrfer und provozierender als die bloße Negation von Wissenschaft. Gerade sein Philologiebegriff gibt Anlass zu einer Przisierung, die ber den Begriff der Prsenz, wie er sich heute eingebrgert hat, hinausgeht. Wenn Rhythmus Resultat eines kunstfertigen Bauvorgangs ist, gehçrt zu seinem vollendeten Genuss nmlich das Wissen um die Prinzipien dieser Bauttigkeit. Ein nur auf Unmittelbarkeit angelegtes Verstndnis des Rhythmus schçpft sein sthetisches Potential nicht aus: die Fhigkeit, Noten zu lesen, macht uns nicht automatisch zu besseren Hçrern, aber sie kann uns ein volleres, beglckenderes Musikerlebnis verschaffen. Schon in Augustinus’ Lehrbuch gehçren die rechte Bildung und das kulturell erworbene Wissen der philologischen Regeln zu den Grundvoraussetzungen echten Verstndnisses von Versen. Die Entscheidung fr ein metrisches Schema bei der Interpretation rhythmisch mehrdeutiger Verse kann nicht allein der jeweiligen Stimmung obliegen, sondern speist sich aus der Einsicht in die metrischen Mçglichkeiten und rhythmischen Spielrume. Die Empirie des „sensus audientium“ funktioniert nicht ohne zuvor erworbene „humanitas“ (De Musica, 282 ff.). Der didaktische Ehrgeiz des Lehrers in Augustinus’ Dialog richtet sich darauf, dem Schler zu vermitteln, dass sein Erleben umso sinnlicher und komplexer sein wird, je mehr er von der Sache versteht. Die Persçnlichkeit des Schlers und seine Fhigkeit, Kunst zu erleben, entwickeln sich nur in dem Maße seiner Schulung.18 Gewiss, das Wissen darf niemals an die Stelle des Erlebens treten. Das Ideal des Philologen ist hier noch 18 Dies ist bereits das Thema der Basler Bildungsvortrge (ausfhrlich dazu auch Gnther 2008). Die rousseauistische Vorstellung einer angeblich freien und natrlichen Persçnlichkeitsentwicklung hat Nietzsche immer abgelehnt. Die wichtigen und so umstrittenen Zchtungsvorstellungen des Sptwerks haben hier ihren Ursprung.
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immer eher das des Virtuosen als des Musikhistorikers, aber jedenfalls schwcht die bung nicht das Ohr, sondern schrft es; sie ist das Gegenteil eines Dekadenz- oder Verfallsymptoms.19 Der spte Nietzsche, der das langsame Lesen und den Respekt vor den Tempi der verschiedenen Autoren und Literaturen lehrt, knpft dort an, wo der philologische Lehrer aufgehçrt hatte. Seine Aufforderung zum guten Lesen galt zunchst den Basler Schler und Studenten. Die Lektre antiker Literatur ist, wie man z. B. in der philologischen Encyklopaedie von 1871 erfhrt, an das Wissen um ihren mndlichen Charakter (und damit das Wissen um ihre rhythmischen Eigenarten) geknpft (KGW II/3, 373). An anderer Stelle heißt es in den Philologica: „Die Aufgabe eine hohe: ein metrisches Schema genießen zu lernen. In unsrer modernen Bildung nichts hnliches, man mßte nur das Trommelschlagen lernen.“ (KGW II/3, 134 f.). Lesen lernen ist auch eine Praxeologie, eine bung; das liegt ja im Begriff der Kunst (als techn) des Lesens. Es bedeute deshalb unter anderem Abstand zu gewinnen zum maschinenhaft gleichfçrmigen „Conjekturenwebstuhl“ (NL 1872 – 1873 19[58], KSA 7, 438), um zu jener Variabilitt zu gelangen, die das laute Lesen in der Antike gekennzeichnet hatte. Noch in Jenseits von Gut und Bçse wird das (laute) Lesen „mit all den Schwellungen, Biegungen, Umschlgen des Tons und Wechseln des Tempo’s“ (JGB 247, KSA 5, 190 f.) gefeiert, das zumal in Deutschland verloren gegangen sei. Wissenschaftliche Reflexion und Erlebnis, das wre die Pointe, sind einander nicht feindlich gegenber gestellt, sondern bedingen einander. Die Philologie ist selber Bundesgenossin bei der Aufwertung der Prsenz gegenber dem Sinn, namentlich wenn sie auf das Materielle der Edition und die ganze Flle der berlieferung abzielt.20 Wenn Nietzsche aus seinem philologischen Studium heraus zunehmend Prsenzphnomene gegenber dem Sinn in Anschlag bringt, muss dieser selbst nicht unbedingt aufgegeben werden. Die Wissenschaft entdeckt in Auseinandersetzung mit anderen wissenschaftlichen Positionen die Prsenz des Rhythmus und macht sie dadurch erlebbar. Der Rhythmus wird seinerseits produktiv. Er teilt die Zeit ein, weil Wçrter, Silben und Laute keine Zeit an sich haben: eine Idealisierung der Zeit, die einer idealisierten Perzeption entspricht (Porter 2000, 151). Er ist damit abstrakt und 19 Schon Westphal unterscheidet die musischen bzw. praktischen Knste wie Musik, Orchestik und Poesie von den apotelestischen Knsten der Architektur, Plastik und Malerei. Die musischen Knste sind dadurch definiert, dass neben den schçpferischen Akt noch die Leistung eines Sngers, Schauspielers usw. treten msse, damit sie in die Welt kommen. Fr alle Formen dieser praktischen Darstellung bildet der Rhythmus ihr zentrales Band, Bewegung und Zeit sind ihre „allgemeine abstracte Form“ (Westphal 1863, 7). 20 In diesem Sinne mçchte ich Gumbrecht (1988 und 2003) mit und zum Teil gegen Gumbrecht (2004) lesen.
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konstruktiv, nicht etwas Vorgefundenes, sondern eine Hilfe, um die Natur zu bezwingen (KGW II/3, 309). Seine Reflexion bedarf allerdings der Vermittlung der Sinne, der sthetischen Grundeinstellung im weitesten Sinne. Wie das „Trommelschlagen“ zeigt, darf die wissenschaftliche Aneignung nie eine rein intellektuelle sein. Lesen lernen heißt ja, dass es keinen intersubjektiven Weg gibt, keine Schemata, die einfach im Sinne allgemeingltiger Gesetze anzuwenden wren. Nicht die Wissenschaft ist das Problem, sondern ein eingeschrnkter Wissenschaftsbegriff, der im Namen von Ratio und strenger Empirie in unangemessener Weise auf Erfahrung, auf ars und techn verzichtet (oder vorgibt es zu tun, denn sie sind selbst aus der strengsten Naturwissenschaft nicht wegzudenken, sonst wre ja jeder nur fleißige Physiker und Chemiker automatisch Nobelpreiskandidat). Der Antiszientismus stçßt unnçtigerweise mit der science auch den scholarship vor den Kopf, statt sich seiner als Bundesgenossen zu versichern. Wissenschaft als vorgeblicher Selbstzweck ist eine Form des Nihilismus, wie Nietzsches Analyse des asketischen Ideals in der Genealogie der Moral deutlich gemacht hatte. In der Hand des freien Geistes kann sie jedoch zum anspruchsvollen, fein justierten Instrument der Komplexittssteigerung werden. Sie abzuschaffen ist nicht zwangslufig Zeichen der Strke. Richtig verstanden vermag Wissenschaft am Ende sogar in doppelter Hinsicht produktiv zu werden. Zum einen zeigt der ihr eingebaute Zuwachs an Erfahrungswissen, dass sie auch zum Begriff der Bildung in Beziehung steht – Augustinus’ humanitas. Bildung und Erziehung als Einpflanzung und bung ist das große Thema der Bildungsvortrge aus dem Vor- und Umfeld der Tragçdienschrift (z. B. CV 2, KSA 1, 685). Rhythmus spielt dabei naturgemß eine zentrale Rolle, denn rhythmische Bewegungen und wiederkehrende Handlungen sind bekanntlich wichtige Hilfsmittel zur Gewçhnung. Diesem Begriff, der bei Nietzsche entsprechend positiv belegt ist, ist der negative der Gewohnheit entgegengesetzt, der interessanterweise wiederum auf abstumpfender, rein mechanischer und allzu regelmßiger Wiederholung beruht. Es gibt schon frh Anzeichen dafr, dass Gewohnheit Ausdruck physiologischer Ermdung sein kann, die durch die berftterung mit immer denselben Reizen hervorgerufen wird – auch in bildender Kunst und in Musik wird der gleichmßige Rhythmus in diese Richtung gedeutet, whrend Variabilitt als „Lust am Leben“ erscheint (NL 1875 9[1], KSA 8, 143 f.).21 Unter dem Einfluss der neueren Vçlkerkunde 21 Gewohnheit steht auch an erster Stelle der Faktoren, die den vielbeschworenen Wahrheitssinn der Gelehrten ausmachen, gefolgt von „Flucht vor der Langenweile“ und „Broderwerb“ (NL 1873 29[10], KSA 7, 626 f.). Vgl. wiederum NL 1875 9[1], KSA 8, 143 f.: „Physiologisch beruht die Abstumpfung auf der Wiederholung desselben plçtzlichen Eindrucks, durch leere Zwischenzeiten unterbrochen. Ein Gitter, welches Sonnenstrahlen durchlßt; das Auge hlt den plçtzlichen Wechsel von Hell und Dunkel nicht aus, den starken Reiz und den fast vçlligen Mangel desselben. Alle Empfindung in
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und Ethnologie (etwa Bagehot 1874) lernt Nietzsche dann ab Mitte der 70er Jahre Gewohnheiten als das Produkt von Moralen und Gesetzen schtzen, die den Zweck haben, instinktive Handlungsweisen heranzuzchten, die kulturprgend werden (vgl. etwa NL 1880 4[67], KSA 9, 115). Zum anderen fhrt ein komplexerer Begriff der Wissenschaft den Philologen von der Wissenschaft in die eigene schriftstellerische Produktion. Die Wissenschaft vom Rhythmus ndert den Rhythmus der Wissenschaft. „Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, man ist es vielleicht noch, das will sagen, ein Lehrer des langsamen Lesens: – endlich schreibt man auch langsam.“ (M Vorrede 5, KSA 3, 17). Das Ideal wre das souverne Subjekt, das auf der Grundlage der Wissenschaft diese transzendiert, indem es sich im Sinne Meschonnics seinen eigenen Rhythmus schafft. Das ist der eigentliche Sinn des berhmten Satzes aus Nietzsches nachgereichtem Vorwort zur Tragçdienschrift, dem Versuch einer Selbstkritik: „Sie htte s i n g e n sollen, diese ,neue Seele‘“ (GT Versuch 3, KSA 1, 15). Nietzsche hat hier noch keine „e i g n e Sp r a c h e “ gefunden und hantiert stattdessen mit „Schopenhauerischen und Kantischen Formeln“, um etwas Neues auszudrcken, fr das sie nicht zureichend waren (GT Versuch 5, KSA 1, 19). Die Geburt der Tragçdie scheint nun „schlecht geschrieben“, d. h. „schwerfllig, peinlich, bilderwthig und bilderwirrig, gefhlsam“ usw. – und nicht zuletzt „ungleich im Tempo“ (GT Versuch 3, KSA 1, 14). Damit ist nicht stumpfe Regelmßigkeit gemeint, sondern der artistische zeitçkonomische Zusammenhang eines Gesamttons, die rhythmische Souvernittserklrung. Das Wesen von Rhythmus und Musik der Sprache Nietzsches muss aus den Schriften seit Mitte der 70er Jahre ergrndet werden. Insbesondere ist den zahllosen Hinweisen auf den Zarathustra nachzugehen; auch der Versuch schließt mit einem langen Zarathustra-Zitat. Allerdings gilt es ein zunchst scheinbar unberwindbares Problem zu lçsen. Der junge Nietzsche war ja berzeugt, dass der eigentlich knstlerische Anspruch der antiken, insbesondere der griechischen Literatur nur klanglich einzulçsen war. Wenn aber das „Verstndlichste an der Sprache […] nicht das Wort selber“ ist, „sondern Ton, Strke, Modulation, Tempo, mit denen eine Reihe von Worten gesprochen werden“, wie lsst sich diese „Musik hinter den Worten“ berhaupt in die Schrift bertragen? Nietzsche notiert sich an dieser Stelle, dass es eben auf „die Leidenschaft hinter dieser Musik“, auf „die Person hinter dieser Leidenschaft“ (Meschonnics durch den Rhythmus konstituiertes Subjekt)22 ankomme, auf der Form eines gleichmßigen Rhythmus, das fast Leere und Volle wechselt wie am Gitter. Daher Ermdung.“ 22 In Critique du Rythme weist Meschonnic sogar explizit auf die Tragçdienschrift hin und verbindet den Subjektbegriff mit dem Individuationsbegriff, d. h. dem principium individuationis, das zur apollinischen Domne gehçrt und das ja die „Person hinter der
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„alles das also, was nicht g e s c h r i e b e n werden kann“ (NL 1882 3[1] 296, KSA 10, 89). In der Tat liegt Nietzsches Ambition als Dichter nun genau darin, die eigene Behauptung durch die Entwicklung einer Artistik des Stils zu widerlegen, die das leisten soll, wozu eine akzentuierende Sprache wie das Deutsche theoretisch eigentlich gar nicht fhig sein drfte, nmlich eine unerhçrte rhythmisch-temporale Variationsbreite zu bieten, die von der abgenutzten Alltagssprache oder der fossilierten Begriffsdichtung der akademischen Philosophie gleich weit entfernt ist. Nietzsche hebt das vor allem fr den Zarathustra immer wieder hervor: „Dass dergleichen gerade in deutscher Sprache mçglich war, blieb zu beweisen: ich selbst htte es vorher am hrtesten abgelehnt.“ (EH Bcher 4, KSA 6, 304) Hier spricht zweifelsohne der „Prof. der klassischen Sprachen, insgleichen der Metrik“ (s. o.: Bf. an Carl Fuchs, Mitte April 1886, KGB II/3, 179).23 Rhythmus und Zeitçkonomie erlangen fr Nietzsches schriftstellerisches Werk deshalb ihre berwltigende Bedeutung, weil sie dem Medium der Schrift durchaus entgegenkommen. Auf musikalische Wirkungsmittel wie Melodie oder Harmonik kann der Sprachartist nur schwer zurckgreifen. Dabei ist zu bedenken, dass der Begriff des Rhythmus ursprnglich durchaus nicht allein auf temporale Phnomene angewendet wurde. Er bezeichnete auch die Darstellung von Bewegungen in unbewegten Kçrpern und Statuen, besitzt zumindest auch eine rumlich ausdrckbare Dimension. „Die unmathematische Schwingung der Sule in Pstum z. B.“, so notiert schon der junge Nietzsche, „ist ein Analogon zur Modifikation des Tempos: Belebtheit an Stelle eines maschinenhaften Bewegtseins.“ (NL 1875 5[86], KSA 8, 63)24 Daraus folgt ja, dass Rhythmus nicht nur ber das Ohr, sondern auch ber das Auge wahrnehmbar ist, ja: dass das Auge, wenn es dem Rhythmus der Prosa folgt, selber zum metaphorischen Ohr werden kann. Nicht in der vornehmlich mndlichen Poesie der Griechen sucht Nietzsche deshalb seine Vorbilder, sondern in einer ,Literatur‘, die den Schritt zur Moderne, den Schritt von der oraten zur literaten Kultur schon vollzogen hatte, bei den Lateinern. Horaz (aber auch den von Nietzsche oft gefeierten Tacitus und Leidenschaft“ mithilfe der rhythmischen Formung der Leidenschaft erst konstituiert. (Meschonnic 1982, 90 ff.). 23 Speziell fr den Zarathustra wre noch eine weitere antike Tradition zu bedenken und endlich einmal zu untersuchen, in der die Wahl der sprachlichen und metrischen Mittel bewusst nicht zum Inhalt passt, etwa in der Parodie. Aristophanes gehçrte zu Nietzsches meistgeschtzten Autoren. Deutlicher kann man auf die Differenz von Sinn und der „Musik“, die ihn trgt, nicht hinweisen: mit dem berhmten „incipit parodia“ hat Nietzsche den Zarathustra angekndigt (vgl. FW Vorrede und FW 342, KSA 3, 346 und 571). 24 Nietzsche nimmt hier Bezug auf eine Beobachtung Jacob Burckhardts aus dem Cicerone ber die unmathematische Linienfhrung der Sulen, die er nun auf seinen eigenen Begriff des Rhythmus anwendet (vgl. Burckhardt 1978, 4).
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Sallust) war es gelungen, das Entscheidende der Musik in die Schrift zu transportieren: „Wer htte je an einem Griechen schreiben gelernt! Wer htte es je o h n e die Rçmer gelernt!“ (GD Alten 2, KSA 6, 155).25 Nietzsche kann als Stilist nun doch Musiker sein. Prosa ist Musik nicht als Abbildung oder Nachahmung musikalischer Muster, sondern unter der Leitidee, dass „der Text selbst die Musik selbst erst konstituiere“ (Babich 2009, 67, vgl. ferner die erweiterte englische Fassung in Babich 2005). Der literarische Text ist Medium nicht nur des Gedankens, sondern auch einer Musik ,dahinter‘, die weit mehr als bloße Begleitmusik ist: Ich sage zugleich noch ein allgemeines Wort ber meine K u n s t d e s S t i l s . Einen Zustand, eine innere Spannung von Pathos durch Zeichen, eingerechnet das tempo dieser Zeichen, m i t z u t h e i l e n – das ist der Sinn jedes Stils; und in Anbetracht, dass die Vielheit innerer Zustnde bei mir ausserordentlich ist, giebt es bei mir viele Mçglichkeiten des Stils – die vielfachste Kunst des Stils berhaupt, ber die je ein Mensch verfgt hat. G u t ist jeder Stil, der einen inneren Zustand wirklich mittheilt, der sich ber die Zeichen, ber das tempo der Zeichen, ber die G e b r d e n – alle Gesetze der Periode sind Kunst der Gebrde – nicht vergreift. (EH Bcher 4, KSA 6, 304)
An diesem Zitat aus einem der letzten großen Texte Nietzsches beweist sich einmal mehr, wie das Subjekt (der „innere Zustand“) tatschlich erst durch die Kunst des Stils, darunter als wesentlichem Bestandteil ihrer Zeitçkonomie, hervorgebracht wird – gleichsam im Akt der Kommunikation selbst (daran drften Luhmann-Adepten ihre helle Freude haben). Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Trinitt aus Zeichen, Tempo und Gebrde. Ihr nachzugehen ist fr die Nietzscheforschung das Gebot der Stunde. Wenn heute auch weitgehend Konsens darber besteht, Nietzsche nicht einfach mit Blick auf den propositionalen Gehalt zu lesen, so hat sich die Forschung symptomatischerweise doch allzu stark vom Begriff des Zeichens leiten lassen. Die stilistische Kunst der Tempi, Rhythmen und Gebrden hat keine vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden – die Nietzscheforschung unterscheidet sich darin freilich kaum vom Forschungsstand bei anderen Autoren. Die erste entscheidende Frage wre, welche kompensatorischen Techniken Nietzsche im Blick hatte, um das subtile System der Krzen und Lngen in moderner deutscher Prosa zu ersetzen. Durch welche konkreten sprachlichen und nicht-sprachlichen Mittel manifestieren sich Tempi (und damit Lngen und 25 Der Hinweis auf das „aere perennius“ bei Nietzsche (s. o.) – ein Zitat aus Horaz’ Carm. III.XXX (vgl. Bentley 1728, 241 f.) bekrftigt die ,bauenden‘ Eigenschaften des Stils durch die architektonische Metaphorik der gesamten Ode, in der Horaz die Dauerhaftigkeit seiner Dichtung mit den Pyramiden vergleicht. Mit Hinblick auf Nietzsches rçmisch inspirierten Stilbegriff und seiner Verbindung zur Subjektkonstruktion lohnte eine grndliche, literarhistorisch angelegte Arbeit, die bei dem großen Buch von Melanie Mçller (Mçller 2004) anzusetzen htte.
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Krzen) bei verschiedenen Autoren, Literaturen, bei Nietzsche selbst? Zwei eng zusammengehçrende Bereiche kommen unmittelbar infrage: Syntax und Interpunktion. Die Interpunktion ist ja in besonderer Weise geeignet, zwischen pragmatischen Funktionen mndlicher Rede einerseits und schriftsprachlicher Syntax andererseits zu vermitteln, ist sie doch ber die Markierung phonetischer Anweisung hinaus immer auch eine syntaktische Analyse von Sprache (vgl. Maas 1992). Unter der berschrift „Kraft des Rhythmus“ hieß es schon in Nietzsches Rhythmischen Untersuchungen: „da der ganze Leib eine Unzahl von Rhythmen enthlt, so wird durch jeden Rhythmus wirklich ein direkter Angriff auf den Leib gemacht. Alles bewegt sich plçtzlich nach einem neuen Gesetz: nicht zwar so, daß die alten nicht mehr herrschen, sondern daß sie bestimmt werden.“ (KGW II/3, 322). Nietzsche gibt mehrere Hinweise darauf, dass insbesondere die Zeichensetzung eine reale Wirkung auf den Leib entsprechend empfnglicher Gemter ausbt: „Kommata, Frage- und Ausrufezeichen, und der Leser sollte seinen Kçrper dazu geben und zeigen, daß das Bewegende auch bewegt.“ (NL 1879 47[7], KSA 8, 619). Kein philosophischer Autor vor Nietzsche hat solche Perioden gebaut, die sich dem Punkt systematisch verweigern, um mithilfe von komplexen Hypotaxen, Einschben sowie entsprechenden Kommata, Gedankenstrichen, Auslassungspunkten rhythmische Kadenzen zu markieren. Der Leser und Vorleser Nietzsches braucht einen langen Atem.26 Heinz Schlaffer, dessen Analysen zu Nietzsches Interpunktion beraus bedenkenswert sind, ist keineswegs zuzustimmen, diese als Emphatisierung des Stils auf Kosten des Gehalts zu diskreditieren, die letztlich die Fundamente der Zivilisation untergrbt (Schlaffer 2007). Das Gegenteil ist der Fall: das Abendland, das Schlaffer verteidigen will, stirbt eher durch die Abwehr der Ethik der Prsenz. Nietzsches variable Tempi und seine konstanten Hinweise auf sie haben ber die rhetorische Wirkungssthetik hinaus die wichtige Aufgabe, den Leser zum Hçrer und zum Philologen zu erziehen, ihm den Respekt fr grundlegende Prinzipien hermeneutischer Billigkeit, fr die Anerkennung der individuellen Eigenschaften eines Textes oder einer Kultur einzupflanzen. Sie zielen auf den good cop. Wer durch eigene Gedankenlosigkeit oder Insensibilitt den Rhythmus eines Satzes ignoriert (und sei es nur als schlechter Philologe), etwa durch die mechanische Anwendung allgemeiner Prinzipien oder durch allzu große Hast, tut dies auf die Gefahr hin, ihn und damit sich selber zu verfehlen. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die verschiedensten Bereiche sind bei Nietzsche Legion. Sie umfassen auch den Wissenschaftsbegriff selbst, um zum letzten Mal auf dieses Thema zurckzukommen. Im Aphorismus „Wis26 In mehreren Vortrgen, die meines Wissens noch nicht publiziert sind, hat Paul van Tongeren bereits weitreichende Untersuchungen zu Nietzsches realem und metaphorischem Gebrauch des Fragezeichens angestellt, ein vielversprechender Anfang.
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senschaft“ als Vorurtheil der Frçhlichen Wissenschaft dient das Beispiel der Musik als Warnung vor einer Erforschung der Welt, die sich nur an Zhl- und Messbares hlt. Wer den Wert der Musik nur danach ermessen wrde, was von ihr „berechnet“ werden kçnne, htte ganz und gar nicht „begriffen, verstanden, erkannt“, was eigentlich Musik an ihr sei (FW 373, KSA 3, 624 ff.). Das liegt nicht allein am subjektiven Charakter des Empfindens oder der Interpretation, sondern daran, dass sich kontinuierliche, nicht auf Zeichen reduzierbare Phnomene wie der Rhythmus und seine Wirkungen der Berechnung grundstzlich verweigern. Wissenschaft, das ist die Lehre von Nietzsches ,guter Philologie‘, ist keine Fortschrittsgeschichte: die Gelehrten des Altertums waren ihren methodenstolzen Abkçmmlingen des 19. Jahrhunderts in manchen Belangen berlegen. Wissenschaft sollte deshalb nicht nur die Domne von Rationalitt und Empirismus bezeichnen, sondern auch den individuellen Vorgang der Aneignung von Erfahrungswissen, von Einbung und Gewçhnung, von Bildung. Nicht jedermann vermag sie auf gleiche Weise zu beherrschen. Gute und schlechte Philologie verweist auch auf gute und schlechte Wissenschaft (vgl. auch Gnther 2010). Speziell bezogen auf Rhythmus und Zeitçkonomie ergeben sich weiterfhrende Fragen, die ber Nietzsche hinausweisen. Die Literaturwissenschaft hat ihr Selbstverstndnis dahingehend zu berprfen, ob sie die Differenzierung von sthetischem Genuss und Sinnproduktion gengend bercksichtigt, nicht zuletzt in ihren Ausbildungen. Doch auch fr andere Wissenschaften (und die Darstellung ihrer Resultate) mçgen rhythmische und zeitçkonomische Aspekte als Provokation dienen. Gibt es eine Prosodie der Wissenschaftssprache? Welche Rolle hat die Performanz und der Rhythmus wissenschaftlicher Darstellung fr den Erfolg und die Wirkung der hinter ihnen stehenden ,Subjekte‘? Mssen wir eine Praxis des lauten Lesens entwickeln, ehe wir ber ihre Resultate weiterreden? Nicht nur als ,philologische Frage‘ (vgl. Schwindt 2009) wre zu untersuchen, wie die ewige Wiederkehr unter der Problematik der Taktgleichheit zu beurteilen ist. Sie msste, wie alles in diesem Beitrag, um eine genuin philosophische Perspektive ergnzt werden. Die Rolle des bad cop – sie ist ja genauso unverzichtbar wie jene des good cop! – sei freilich Berufeneren berlassen.
Literatur Augustinus, Aurelius (de Mus.): Œuvres de Saint Augustin. Bd. VII. Dialogues Philosophiques. IV De Musica Libri Sex/La Musique (lat./fr.). Paris (Descle, de Brouwer et Cie), 1947. Babich, Babette (2005): „The Science of Words or Philology: Music in The Birth of Tragedy and the Alchemy of Love in The Gay Science“. In: Rivista di estetica. Bd. 28 (1), XLV, S. 47 – 78.
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Unter der Optik des Knstlers? Bedeutung und Topos der Wissenschaft in Nietzsches radikalkritischer Denkbewegung der Orchestikologie Axel Pichler Jacques Derrida schreibt in Otobiographies, einem seiner wenigen sich ausschließlich Nietzsche widmenden Aufstze: „Nietzsche hat so ziemlich alles gesagt […] und notwendigerweise kontradiktorisch (er hat die miteinander unvertrglichsten Dinge gesagt und gesagt, daß er sie sagt)“ (Derrida/Kittler 2000, 34). Diese ußerung – bei der es sich, nebenbei bemerkt, wohl um einen der wenigen wenn nicht gar den einzigen Nietzsche-Kommentar Derridas handelt, dem Nietzsche-Exegeten verschiedenster philosophischer Traditionen zustimmen wrden – bringt eine in der Forschung weit verbreitete Ansicht ber Nietzsches Werk auf den Punkt: es sei gekennzeichnet von unauflçsbaren Paradoxien und daher per se widersprchlich.1
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In einem Gesprch hat Jakob Dellinger diese einleitende Deskription des status quo der Nietzsche-Exegese zu Recht als zu stark aus einer eurozentristischen Perspektive erfolgend kritisiert. Whrend in Europa – insbesondere in Deutschland und Frankreich – besagte Charakterisierung Nietzsches sptestens in den dreißiger Jahren mit Karl Jaspers Nietzsche-Monographie einsetzte (vgl. Jaspers 1981, insbesondere 12) und von diesem Augenblick an regelmßig als zentrales Charakteristikum wiederkehrte, bietet die angloamerikanische Nietzsche-Deutung ein anderes Bild: Seit der Rehabilitierung Nietzsches durch Autoren wie Walter Kaufmann und Arthur C. Danto, die den als gefhrlichen Amoralisten und Vorlufer des Faschismus diffamierten Denker wieder salonfhig machten, zeichnet sich in manch angloamerikanischen Exegesen eine Tendenz zur Glttung potentieller Widersprche von Nietzsches Philosophie aus. Jngst manifestiert sich diese Tendenz in den Arbeiten von Autoren wie Maudmaire Clark und Brian Leiter, die versuchen, Nietzsche in zeitgençssische philosophische Debatten zu reinskribieren. Vgl. auch Reckermann (2003, 142). Ein reprsentatives Beispiel einer zum angloamerikanischen Prozedere alternativen Umgangsweise mit Nietzsches Paradoxien findet sich in Werner Stegmaiers Aufsatz „Philosophischer Idealismus“ und die „Musik des Lebens“. Zu Nietzsches Umgang mit Paradoxien (vgl. Stegmaier 2004, 90 – 128). Auch dieses Paper çffnet mit der Konstatierung besagter Ambivalenz und der mit dieser einhergehenden Paradoxien sowie der daraus hervorgehenden Forderung, durch Interpretation zur Eindeutigkeit zu gelangen (vgl. Stegmaier 2004, 90). Jedoch schließt Stegmaier im Interpretationsprozess die Paradoxie nicht notorisch aus, sondern versteht sie als integrativen Bestandteil von Nietzsches Denken: „Paradoxie ist jenseits ihrer rhetorischen Verwendung eine Form des logischen Widerspruchs, durch die man gezielt irritierenden Doppelsinn erzeugen kann, nmlich
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Als Folge dieses Konsens der Forschungsgemeinschaft hat sich diese ber einen langen Zeitraum damit begngt, Nietzsches Werk besagte Paradoxien und eine daraus folgende Polysemantizitt zu attestieren, um sich im Anschluss daran auf die Untersuchung von Detailproblemen zurckzuziehen. In den letzten beiden Jahrzehnten hingegen nehmen die Versuche zu, diese Paradoxien und Polyvalenzen mittels textnaher Lektren und unter Einbeziehung von Nietzsches eigenen Metareflexionen zu berwinden. Die hier erfolgende Untersuchung des Status der Wissenschaft in Nietzsches Werk positioniert sich jenseits dieser Tendenzen, indem sie auf eine Lesart von dessen Philosophie rekurriert, deren Fokus primr auf der Deskription des methodischen Prozederes von Nietzsches Schriften liegt. Diese Lesart wird von der Hypothese getragen, dass es sich bei Nietzsches Denken nicht um eine Philosophie im herkçmmlichen Sinne handelt, also um eine kohrente Beschreibung und Erklrung des Seins (als Metaphysik oder Ontologie), sondern um ein Vollzugsdenken, das solche traditionellen Weltauslegungen einer radikalen Kritik unterzieht. Gesttzt wird diese Hypothese von zwei zentralen Charakteristika von Nietzsches Schriften, die zugleich als Auslçser von dessen Aporien betrachtet werden kçnnen. Dazu zhlen deren Asystematik, die Nietzsche selbst als regelrechten methodologischen Imperativ expliziert hat – man denke an die Gçtzen-Dmmerung, wo es heißt: „Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.“ (GD Sprche 26, KSA 6, 63) – sowie seine diesen Imperativ konsequent realisierende aphoristisch-essayistische Schreibpraxis.2 Eingedenk dieser beiden zentralen Spezifika bedient sich dieses Paper einer innovativen Lektremethode, die es erlaubt, das asystematisch verstreute Material der nietzscheschen Schriften zu ordnen, ohne dabei auf jene traditionellen Systematisierungsweisen zurckzugreifen, die Nietzsche selbst explizit verab-
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dadurch, daß eine Unterscheidung auf sich selbst angewendet wird.“ (Stegmaier 2004, 92). Whrend Nietzsches Verstndnis des Aphorismus, sein Ort in der Gattungsgeschichte desselben und auch die Bedeutung dieser Form im Kontext von Nietzsches Denken bereits gut erforscht sind – einen guten Einstieg in diese Thematik sowie einen konzisen Einblick in den Forschungsstand bietet das gleichnamige Lemma in Van Tongeren/ Schank/Siemens (2004, 76 – 81) – bleibt die tatschliche Deskription und Analyse der in den lngeren Textpassagen Nietzsches, welche den Rahmen des traditionellen Aphorismus sprengen und zum Kurzessay tendieren, angewandten Verschriftlichungstrategien, d. h. das Zusammenspiel von Argumentation, rhetorischen Kunstgriffen und literarischpoetischen Stilmitteln, weiterhin ein Desiderat der Nietzsche-Forschung. Eine derartige Analyse kçnnte – in Anknpfung an die vorwiegend historisch ausgerichtete NietzschePhilologie und Exegese – wesentliches zum Verstndnis textueller Modi der Wissensproduktion und Kritik beitragen und solcher Art auch fr den gegenwrtigen philosophischen Diskurs von großem Nutzen sein.
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schiedet hat; eine Lektremethode, die, gerade weil Nietzsche seine vermeintlichen Paradoxien bewusst ausspricht, diesem nicht von Anfang an unterstellt, blindlings in einen Irrationalismus gelaufen zu sein, durch den „die Kritik der Moderne zum ersten Mal auf die Einbehaltung ihres emanzipatorischen Gehaltes“ (Habermas 1985, 166) verzichtet, sondern unter Bercksichtigung der – sich nicht zuletzt in den vermeintlichen Paradoxien ausdrckenden – Singularitt des nietzscheschen Denkens eine ,Neu‘-Beschreibung desselben wagt. Diesen interpretativen Ansatz mçchte ich als ,aktualisierende‘ Lektremethode bezeichnen. Diese bercksichtigt den singulren Charakter des nietzscheschen Denkens, indem sie die in seinen Schriften anzutreffenden ußerungen einer temporren ,Ahistorisierung‘ unterzieht; statt sich erneut hierarchischen Strukturierungs- oder historischen Erklrungsversuchen hinzugeben, vollzieht diese Lesart eine rein heuristische Synchronisierung der eigentlich diachronen ußerungen und Aphorismen Nietzsches. Sie versucht so der Singularitt seiner ußerungen durch eine primre Fokussierung auf deren formale Struktur zu entsprechen. Dabei bedient sie sich einer adaptierten Variante des diskursanalytisch-archologischen Analyseinstrumentariums, wie es Michel Foucault in der Archologie des Wissens entwickelt hat. Diese Methode entspricht den zuvor erarbeiteten Forderungen an eine fr Nietzsches Denken adquate hermeneutische Methode aufgrund des ihr zugrunde liegenden Telos, „erneut jene vçllig fertiggestellten Synthesen, jene Gruppierungen in Frage [zu] stellen, die man gewçhnlich vor jeder Prfung anerkennt, jene Verbindungen, deren Gltigkeit ohne weiteres zugestanden werden.“ (Foucault 1981, 34) Es ist in dem hier gegebenen Rahmen leider nicht mçglich, im Detail auf die notwendigen Adaptionen der Foucaultschen Diskursanalyse einzugehen. Jedoch erscheint die Transposition einer eigentlich historiographischen bzw. wissenssoziologischen Methode in die Texthermeneutik aufgrund der Tatsache, dass die Archologie sich auch in ihrer ursprnglichen Form als Denk-Geschichte mit historischen Texten beschftigt, mehr als gerechtfertigt zu sein (vgl. Pichler 2010, 39 – 53). Die solcher Art fr texthermeneutische Zwecke gereinigte diskursanalytisch-archologische Methode erlaubt es, Nietzsches Aphorismen und Fragmente wie einen Diskurs3 im Foucaultschen Sinne zu lesen. So 3
Jede Applikation des in den letzten Jahrzehnten inflationr gebrauchten ,Diskurs‘-Begriffes sieht sich mit dem Problem seiner aus dieser Weitlufigkeit entspringenden Polysemie konfrontiert. Diese Unschrfe rhrt von Foucaults eigener, zahlreiche semantische Verschiebungen unternehmenden, „wilde[n] Bentzung“ (Foucault 1981, 48) des Terminus her. Aus diesem Grunde beschrnkt sich das hiesige Paper ausschließlich auf den Diskursbegriff der Archologie des Wissens. Deren Polysemie engt Foucault dort wie folgt ein: „Hinsichtlich des Terminus Diskurs, den wir hier mit verschiedenen Bedeutungen benutzt und abgenutzt haben, kann man jetzt den Grund seiner Uneindeutigkeit verstehen: auf die allgemeinste und unentschiedenste Weise bezeichnete er eine Menge von sprachlichen Performanzen. […] Schließlich – und diese Bedeutung hat schließlich
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wird es mçglich, zerstreute und auf den ersten Blick unzusammenhngende Aphorismen jenseits herkçmmlicher Schematisierungen in sogenannte diskursive Formationen zusammenzufassen: In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein hnliches System der Streuung beschreiben kçnnte, in dem Fall, bei den Objekten, den Typen der ußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmßigkeit […] definieren kçnnte, wird man bereinstimmend sagen, dass man es mit einer diskursiven Formation zu tun hat (Foucault 1981, 58).
Eine erste direkte Folge dieser Lektremethode betrifft den Status von Nietzsches Nachlass. In den letzten Jahrzehnten hat aufgrund von dessen vermeintlicher Gleichwertigkeit mit den zu Nietzsches Lebzeiten verçffentlichten Texten die willkrliche, selten methodologisch reflektierte Auswahl von Textstellen aus Nietzsches so umfangreichem Nachlass zur Sttzung von Deutungen von dessen Gesamtwerk stetig zugenommen. Entgegen dieser Tendenz kommt ihm in der vorliegenden Interpretation nur eine sekundre, beinahe illustrative Rolle zu. Primre Ursache dafr ist das Foucaultsche Konzept der „Aussage“4, welche das Fundament seiner Archologie bildet und das sich von smtlichen gngigen sprachphilosophisch-linguistischen Modellen unterscheidet. Die der foucaultschen „Aussage“ inhrente immense Bedeutung der die einzelne Aussage jeweils umgebenden diskursiven Raumabschnitte schließt die Einbeziehung diskursiv potentiell anders lokalisierter Textstellen grundstzlich aus. Zustzliche Rechtfertigung erhlt dieses Prozedere durch die Nietzsche-Philologie selbst. Zahlreiche Nietzsche-Exegeten haben jngst auf die gewichtigen, insbesondere formal-sthetischen Differenzen zwischen den zu Nietzsches Lebzeiten verçffentlichten oder in einer publikationsreifen Fassung vorliegenden Schriften und den Notaten aus dem Nachlass hingewiesen.5
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berwogen […] wird der Diskurs durch eine Menge von Zeichenfolgen konstituiert, insoweit sie Aussagen sind, das heißt insoweit man ihnen besondere Existenzmodalitten zuweisen kann.“ (Foucault 1981, 156). „Die Aussage […] kann sein: erstens eine Funktion der Art und Weise, wie ein Gegenstandsbereich oder eine Sinn-Dimension sich çffnet […], sozusagen eine Bedingung der Mçglichkeit von Referenz und/oder Bedeutung; zweitens eine Funktion der Positionen, die sie den Aussage-Subjekten jeweils einrumt […]; drittens eine Funktion des reelen oder verbalen […] Kontextes […], in dem sie auftaucht und der nicht zusammenfllt mit den Kontext-Regeln der Syntagmatik oder Pragmatik […]; und viertens muß die Aussage-Funktion die Bedingung erfllen, eine materielle Existenz zu haben […], die ihr eine minimale Identitt gewhrt.“ (Frank 1984, 230 f.). So schreibt Werner Stegmaier in einer Sammelrezension zu jngeren Monographen zu Nietzsches Philosophie der Kunst, in der er die gegenwrtige Forschungspraxis rekapituliert: „Nietzsche hat seine Gedanken in seinen Notizen vorlufig oft noch thetisch und eben dadurch scheinbar definitiv formuliert. So scheinen sie seine wahren Meinungen widerzugeben. Htte es sich dabei um seine wahren Meinungen gehandelt, wre kein Grund ersichtlich, warum Nietzsche sie nicht auch so htte mitteilen sollen. Er hat jedoch im verçffentlichten Werk ausdrcklich darauf aufmerksam gemacht, daß er auf
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Wendet man sich ausgerstet mit diesem Analyse-Instrumentarium schließlich jenem Teilgebiet der Philosophie Nietzsches zu, das am Ende des 19. Jahrhunderts als prima philosophia betrachtet wurde – die Rede ist hier von der Erkenntnistheorie –, so besttigt sich der eingangs prognostizierte Bruch des nietzscheschen Denkens mit der ihn umgebenden zeitgençssischen philosophischen Praxis: Es zeigt sich, dass von Nietzsches Frhschriften an die fr jede Erkenntnistheorie konstitutiven diskursiven Gegenstnde ,Wahrheit‘ und ,Erkenntnis‘ einem allumfassenden Destruktionsprozess anheimfallen, wodurch sich Nietzsches Denken in eine offensichtliche Opposition zur ansonsten im 19. Jahrhundert blichen Tendenz zur Letztbegrndung stellt.6 Die hier nur angedeutete diskursanalytisch-archologische Analyse des epistemologischen Wissens Nietzsches mndet in die Feststellung, dass in jenem Augenblick, in dem die abendlndische Philosophie im Rahmen ihrer erkenntnistheoretischen Bemhungen versuchte, ein endgltiges Fundament des Wissens zu stiften, im Werk Nietzsches eine radikale Zurckweisung dieses Projektes erfolgt. Damit stellt sich jedoch zugleich jene Frage, deren Beantwortung hufig in den bekannten Irrationalismus-Vorwurf gegenber Nietzsche mndet. Es handelt sich dabei um das in keiner Nietzsche-Deutung fehlende Problem der self-refutation, das sich wie folgt formulieren lsst: Wie ist es Nietzsche mçglich, einerseits smtliche gngigen Vorstellungen von Erkenntnis und Wahrheit zu zerstçren, ohne sich andererseits durch deren Zerstçrung selbst den Boden unter den Fssen zu entziehen oder einfacher, welcher epistemologische Status kommt Nietzsches Aussagen selbst zu?7
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definitive, d. h. von allen Kontexten gelçste, abstrakt definierte Begriffe verzichten wolle, auf abstrakte Begriffe fr etwas, das sich nicht abstrakt definieren lasse, ohne dadurch schon seinen Sinn zu verschieben oder zu verlieren.“ (Stegmaier 2005, 352). Vgl. auch Zittel (2000b, 138 – 142). Nietzsches Denken bedient sich zum Zwecke dieser Destruktion variabler Modi, von denen zumindest drei erwhnt werden sollen: Bereits in den Frhschriften kommt es zu einer Virtualisierung der Erkenntnis durch Erzhlungen wie die Fabel am Anfang von ber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne, in der das rechtfertigende Finden der Wahrheit zum bloß poetischen Akt „kluge[r] Thiere“ (WL 1, KSA 1, 875) depotenziert wird. Der daraus resultierende Fiktionalismus zieht sich durch das Gesamtwerk Nietzsches. Einen weiteren regelmßig anzutreffenden Destruktionsmodus bildet eine Form des Denkens, die sich auf eine historisierende Argumentation sttzt und die von Nietzsche im Sptwerk unter dem Namen Genealogie zusammengefasst worden ist. Den dritten Modus und zugleich Hçhepunkt des nietzscheschen Destruktionsprozesses bildet die von der Forschung lange Zeit vernachlssigte, jngst jedoch wieder rehabilitierte Selbstaufhebungsfigur (vgl. Zittel 1995). Fr eine ausfhrlichere Darstellung dieser Praktiken siehe Pichler (2010, 67 – 87). Die einschlgige Nietzsche-Literatur behandelt diese Frage zumeist im Rahmen ihrer Erluterung von Nietzsches Perspektivismus. Dabei wird der Perspektivismus meist als Nietzsches Alternative zu den von ihm destruierten epistemologischen Modellen gelesen. Eine diskursanalytisch-archologische Lektre zeigt jedoch, dass diese Lesart, die unter anderem von Nietzsche-Interpreten wie Maudemarie Clark, Volker Gerhardt oder
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Die Antwort auf diese Frage und die damit einhergehende Zurckweisung des Paradoxie-Vorwurfes fhrt uns direkt zur Definition von Nietzsches radikalkritischer Denkbewegung als ,Orchestikologie‘. Eine erste Annherung an dieselbe kann mittels des Versuches einer Gesamtordnung des zerstreuten Gedankenmaterials von Nietzsches verçffentlichen Schriften erfolgen. Eingedenk der Resultate der diskursanalytisch-archologischen Lektre ergibt sich dabei folgendes Bild: Anstelle eines einheitlichen und homogenen Systems, das aus dem Zentrum einer positiven Epistemologie entspringt, begegnet man in den autorisierten Schriften Nietzsches der Dissipation verschiedener, sich teilweise widersprechender diskursiver Formationen, die um ein entleertes Zentrum – Nietzsches ,Erkenntnistheorie‘ – kreisen. Die aphoristisch-fragmentarische Schreibweise erlaubt es diesem Denken, trotz der radikalen Destruktion aller mçglichen Fundamente im Rahmen der (Selbst) Aufhebung der Epistemologie, diese positiven Diskurse zu erzeugen. Diese, traditionelle Sprechweisen simulierenden, diskursiven Formationen – zu ihnen gehçren unter anderem die Hypothese des „Willens zur Macht“ sowie smtliche zur Entleerung der Epistemologie verwendeten diskursiven Formationen – stehen jedoch selbst bestndig in Gefahr durch ein In-Kontakt-Treten mit dem erkenntnistheoretischen Diskurs aufgelçst zu werden.
Friedrich Kaulbach praktiziert wird, nicht haltbar ist: Wie anhand des Auftauchens der Selbstaufhebungsfigur im epistemologischen Diskurs Nietzsches gezeigt werden kann, ist dessen Entleerung endgltig. Es ist somit Nietzsches Denkbewegung nicht mehr mçglich, irgendeine positive epistemologische Theorie zu etablieren. Diese Unmçglichkeit trifft auch den Perspektivismus. Ich lese diesen daher in Anschluss an Nehamas und Zittel als eine literarisch-sthetische Praxis. Im Rahmen derselben kann die positiv nicht mehr formulierbare Bedingtheit jeglicher Erkenntnis mit Hilfe stilistischer Markierungen gezeigt werden, ohne so in einen Selbst-Widerspruch zu verfallen. Vgl. Nehamas (2002) und Zittel (2000a). Nietzsche bereitet auf diesem Wege die gegenwrtig viel diskutierte und hçchst fruchtbare Verabschiedung des traditionellen Dualismus Essentialismus/Relativismus vor. Wie Gnter Abel mehrfach gezeigt hat, ist „[m]it dem Essentialismus auch der Relativismus diskreditiert und gescheitert“ (Abel 2004, 57). Inwiefern Nietzsche jedoch bei der tatschlichen Ausarbeitung eines diesbezglichen positiven Ansatzes hilfreich sein kann, obwohl sein sptes Sprach- und Zeichendenken die dafr notwendigen Prmissen offensichtlich beinhaltet (vgl. Abel 2004, 57 – 59 und Pichler 2010, 115 – 131), ist in Anbetracht der in seinen Schriften im Vordergrund stehenden Kritik mehr als fragwrdig. Wie bereits erwhnt, bleibt in seinen Post-Zarathustra-Schriften, auf die sich die hier gegebene Deskription der Orchestikologie auch beschrnkt, der Ort der traditionellen Erkenntnistheorie nach deren Zurckweisung und Auflçsung verwaist. Dies bedeutet aber nicht, dass Nietzsches Denkbewegung kein positives Wissen mehr produziert. Auch Nietzsches spte Schriften erzeugen in bereinstimmung mit dessen bereits erwhnter Sprachphilosophie Formen temporr gltigen und stark kontextabhngigen Wissens. Dieses wird jedoch nicht in einer positiven Metatheorie begrndet und zusammengefasst.
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Aufgrund dieser Eigenheit soll ihnen der Name ,virtuelle Ontologien‘ gegeben werden. Darunter sind all jene durch den diskursanalytisch-archologischen Blick gesondert isolierbaren diskursiven Formationen, die sich jenseits des entleerten epistemologischen Diskurses konstituieren und solcher Art den Anschein positiver Aussagen erwecken, zu verstehen. Die durch eine Begegnung mit der universalen Auflçsungstendenz von Nietzsches epistemologischem Denken jeder Zeit mçgliche Aufhebung dieser Diskurse bedingt ihren bloß ,virtuellen‘ Status. Zugleich gelingt es Nietzsche durch die Vielzahl dieser in sich kohrenten, jedoch gegenber den anderen diskursiven Formationen teilweise oppositionellen ,virtuellen Ontologien‘, den Verlust herkçmmlicher Legitimationsweisen zu berbrcken. Derartig lçst sich auch das Problem der self-refutation auf: Die besagte Paradoxie entsteht aus dem bersehen des bloß virtuellen Charakters der Positivitten in den der Epistemologie fernen diskursiven Formationen. In Anbetracht des virtuellen Charakters von Nietzsches Schreiben und der darin dominierenden kritischen Opposition zu den herkçmmlichen philosophischen Modellen erscheint es sinnvoll, im Falle von Nietzsche nicht von einer Philosophie als systematischer ,Lehre‘, sondern von einer radikalkritischen Denkbewegung zu sprechen. Um deren Besonderheit gegenber allen ,fundamentalistischen‘ philosophischen Theorien zu betonen, wird ihr hier der Name ,Orchestikologie‘ gegeben. Den Anstoß zu diesem Neologismus verdankt dieses Paper Stellen aus Nietzsches Werk selbst, wie jener aus der Gçtzen-Dmmerung, in der es heißt, „dass Denken gelernt sein will, wie Tanzen gelernt sein will, a l s eine Art Tanzen…“ (GD Deutschen 7, KSA 6, 109). Der Begriff selbst setzt sich zusammen aus altgriechisch oqwgtijg, womit in Griechenland die Tanzkunst bezeichnet wurde, und dem allbekannten Logos. Das Bild des Tanzes vereinigt die herausragenden Besonderheiten von Nietzsches Praxis der fragmentarischen Schrift: Wie in einem modernen Tanz, der vom bestndigen Wechsel zwischen strengen Schrittvorgaben und freier Improvisation seine Charakteristika erhlt, die nur whrend ihres Vollzugs sichtbar sind, baut Nietzsche eine Vielzahl sich teilweise widersprechender diskursiver Formationen auf, mit deren Hilfe gngige Konzepte und Theorien kritisiert werden, um am Ende dieses Prozesses sich selbst aufzuheben. Nietzsches Denken transzendiert auf diesem Wege die so streng gezogenen Grenzen von Kunst, Philosophie und Wissenschaft und schafft durch diese bertretung die Mçglichkeit fr Formen radikaler und universaler Kritik. Dabei verlsst die Orchestikologie jedoch nicht den Boden vernnftigen Denkens, sondern zeigt diesem Denken seine eigenen Grenzen auf, um dann an jenem Punkt an dem „die Logik sich an [ihren] Grenzen um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beisst“ (GT 15, KSA 1, 101) als letzte Konsequenz selbst zu verschwinden.
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In welchem Verhltnis steht nun aber die soeben beschriebene orchestikologische Denkbewegung zu traditionellen Formen der Wissenschaftlichkeit und welchen Kriterien folgt sie? Dass auch in Nietzsches Schriften solche Kriterien existieren, legen Textstellen, wie der bekannte 59. Abschnitt aus Der Antichrist, nahe, in dem festgestellt wird, dass „die Methoden […] das Wesentliche, auch das Schwierigste“ (AC 59, KSA 6, 248) sind. Den besten Einstieg zur Analyse dieses Verhltnisses der Methoden der Orchestikologie sowie der diesen zugrunde liegenden Kriterien zu traditionellen Formen der Wissenschaftlichkeit bietet jener Aphorismus aus dem 5. Buch der Frçhlichen Wissenschaft, der zugleich den Willen zur Wahrheit in einer Przision verhandelt, wie sie in Nietzsches Werk selten anzutreffen ist, und der den Titel „Inwiefern auch wir noch fromm sind“ trgt (vgl. FW 344, KSA 3, 574 – 577). Dieser seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der gelehrten Auseinandersetzung um Nietzsches Wissenschaftsphilosophie stehende Text liefert den Nachweis, dass die vermeintliche Voraussetzungslosigkeit aller Wissenschaften – also auch der positivistischen – eine bloß scheinbare ist. Auf eine Detailanalyse des diese Voraussetzungslosigkeit insgeheim verhindernden Willens zur Wahrheit kann hier verzichtet werden,8 spielt doch die Einsicht in seine eigene moralische Bedingtheit eine wesentliche Rolle bei der Selbstaufhebung der traditionellen Wahrheit- und Erkenntnis-Konzeptionen, der damit einhergehenden Entleerung des epistemologischen Diskurses und somit bei der Konstituierung des orchestikologischen Denkens selbst.9 Ich mçchte hier hingegen die Aufmerksamkeit auf die in diesem Aphorismus konstatierte Abhngigkeit der Wissenschaft von der Moral lenken: Wenn jedes Denken notwendig auf epistemisch nicht gerechtfertigten Voraussetzungen basiert, muss auch die Orchestikologie solche besitzen. Im Gegensatz zu den positivistischen Wissenschaften – und auch zu einem Großteil traditioneller nichtpositivistischer Philosopheme – macht sich die Orchestikologie dieses Phnomen jedoch zu Nutze: Im vollen Bewusstsein ihrer eigenen Bedingtheit verzichtet sie einfach auf feste Kriterien fr ihr methodisches Prozedere und ersetzt diese durch ein bloß transitorisches, vom jeweiligen Problem abhngiges Ethos. Man kann dabei von einem regelrechten ,Ethos der Methode‘ sprechen. Sehr aufschlussreich fr diesen Themenkreis ist das sechste, „wir Gelehrten“ betitelte Hauptstck von Jenseits von Gut und Bçse. Bereits dessen erster 8 9
Eine zwar nicht mehr ganz aktuelle, jedoch hervorragende Einfhrung zur Problematik des Willens zur Wahrheit findet sich in Werner Stegmaiers Interpretation von Zur Genealogie der Moral. Vgl. Stegmaier (1994, 192 – 205). Darauf haben bereits Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklrung hingewiesen. Dort es heißt es im Anschluss an ein Zitat aus FW 344 (vgl. KSA 5, 577): „Noch die Wissenschaft also verfllt der Kritik an die Metaphysik. Die Leugnung Gottes enthlt in sich den unaufhebbaren Widerspruch, sie negiert das Wissen selbst.“ (Adorno/ Horkheimer 1988, 123).
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Aphorismus (JGB 204, KSA 5, 129 – 132) unterstreicht den hohen Anspruch, den die Philosophie in Nietzsches Denkbewegung zu erfllen hat: Die Philosophen der Zukunft haben sich sowohl von den positivistischen Wissenschaften als auch von der zeitgençssischen philosophischen Praxis mit ihrem Schwerpunkt – der Erkenntnistheorie – abzusetzen. Methodologisch manifestiert sich dieser Bruch in der Forderung nach einer neuen – Nietzsche spricht im Aphorismus 209 von einer „mnnlichen“ (JGB 209, KSA 5, 141) – Skepsis; einer Skepsis jedoch, die sich von jeglicher Form der in den positiven Wissenschaften so hochgehaltenen Epoch entfernt, und die Nietzsche daher im 210. Aphorismus auch als Kritik bezeichnet. Die diese Kritik tragenden Philosophen der Zukunft kennzeichnen sich durch eine „Sicherheit der Werthmaasse, die bewusste Handhabung einer Einheit von Methode, den gewitzten Muth, das Alleinstehn und Sich-verantworten-kçnnen; ja, sie gestehen bei sich eine L u s t am Neinsagen und Zergliedern und eine gewisse besonnene Grausamkeit zu, welche das Messer sicher und fein zu fhren weiss, auch noch, wenn das Herz blutet.“ (JGB 210, KSA 5, 143) Am Ende desselben Aphorismus unterstreicht Nietzsche jedoch, dass dieser neue Kritizismus zwar eine notwendige, jedoch noch keine hinreichende Bedingung der von ihm imaginierten kommenden Philosophen ist, denn „unsre neuen Philosophen werden trotzdem sagen: Kritiker sind Werkzeuge des Philosophen und eben darum, als Werkzeuge, noch lange nicht selbst Philosophen!“ (JGB 210, KSA 5, 144).10 Dies besttigt einerseits das bereits von Babette Babich seit lngerer Zeit hervorgehobene Charakteristikum des nietzscheschen Denkens, welches in Opposition zur „modernen Konstellation, die die Philosophie bestenfalls als Handlanger der Wissenschaft begreift, […] die Frage nach der Wissenschaft als eine philosophische auf[wirft]“ (Babich 2010, 129): Traditionelle und zeitgençssische wissenschaftliche Methoden dienen Nietzsches Philosophie nur als Werkzeuge, sie sind immer nur Modi, niemals jedoch Telos seines Denkens. Andererseits fhrt das Ende des 210. Aphorismus von Jenseits von Gut und Bçse auch zu der Frage nach den dort verschwiegenen weiteren Aufgaben der kommenden Philosophen. Worin bestehen nun diese? Bereits der 211. Aphorismus liefert eine Antwort auf diese Frage; die zentrale Aufgabe des neuen Philosophen lautet: „dass er We r t h e s c h a f f e .“ (JGB 211, KSA 5, 144). Damit verweist der Text jedoch direkt auf ein zentrales Phnomen der Orchestikologie: die virtuellen Ontologien. Bei diesen handelt es sich nmlich um nichts anderes als die Grundlage temporrer und transitorisch gltiger Wertssysteme. Sie liefern als solche zugleich die von Nietzsche im Aphorismus „Inwiefern auch wir noch fromm sind“ fr jegliches Denken als unausweichlich gekennzeichneten Grundberzeugungen. 10 In Betreff des Zusammenspiels von Gottestod, Skepsis und Nihilismus im 6. Buch von Jenseits von Gut und Bçse siehe auch Sommer (2010, 17 – 29).
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Das Funktionieren dieser virtuellen Ontologien als transitorische Grundlagen ebenso temporrer ,Ethoi der Methode‘ ließe sich hervorragend anhand der in „wir Gelehrten“ dominierenden virtuellen Ontologie des Willens zur Macht veranschaulichen. Aus Platzgrnden muss hier leider auf eine genauere Analyse dieser tatschlichen Umsetzung verzichtet werden. Aus dem hier Dargelegten lsst sich folgendes Fazit ber den Status der Wissenschaftlichkeit von Nietzsches Denken ziehen: In Nietzsches Denkbewegung der Orchestikologie kommt den Methoden der zeitgençssischen Wissenschaften eine bloß instrumentelle Bedeutung zu. Sie sind nur Mittel zur Erfllung der zentralen Aufgaben einer Philosophie der Zukunft, deren eigentliches Telos zwischen Kritik und Wertschaffung changiert. Die zur Erfllung dieser Aufgabe verwandten Methoden berschreiten dabei durch ihre Konstitution virtueller Ontologien eindeutig den im zeitgençssischen Denken erlaubten Rahmen der Wissenschaftlichkeit. Derartig berwindet das orchestikologische Denken die bliche Opposition von wissenschaftlichem und sthetischem Diskurs und konstituiert sich als ein genuin philosophisches. Dieser philosophische Diskurs unterscheidet sich von den gngigen Formen philosophischen und wissenschaftlichen Denkens nicht nur durch den Einbezug und die performative Umsetzung sthetischer Kategorien und Methoden, sondern auch dadurch, dass er die letzte Konsequenz aus seiner Kritik am Willen zur Wahrheit zieht und sich in einer bis dato unbekannten Radikalitt dazu entschließt „zur Bescheidenheit […] eines vorlufigen Versuchs-Standpunktes, einer regulativen Fiktion herabzusteigen“ (FW 344, KSA 3, 574).11 Eingedenk dieses Status von Nietzsches orchestikologischem Denken mçchte ich mit den Folgen dieser kurzen Skizze fr die Bestimmung des Ortes der zeitgençssischen Wissenschaft innerhalb von Nietzsches Philosophie im Ganzen schließen. In Anknpfung an Nietzsches der Geburt der Tragçdie 1886 vorangestellten „Versuch einer Selbstkritik“ und der dort zu findenden Charakterisierung des Textes als ersten Anlauf „d i e W i s s e n s c h a f t u n t e r d e r O p t i k d e s K n s t l e r s z u s e h n , d i e Ku n s t a b e r u n t e r d e r d e s L e b e n s … “ (GT Versuch 2, KSA 1, 14), hat sich die Nietzsche-Exegese allzu lange bei der vermeintlich zentralen Perspektivenverschiebung von der Wissenschaft 11 Obwohl dieses Prozedere Nietzsches den Eindruck erwecken mag, dass erst das orchestikologische Denken die immer schon an die Wissenschaften gestellten Forderungen tatschlich erfllt, handelt es sich bei der Orchestikologie dennoch nicht um eine Wissenschaft im herkçmmlichen Sinne. Eine gravierende Differenz besteht darin, dass das orchestikologische Denken sich nicht der Illusion hingibt, jemals sich selbst vollstndig durchsichtig zu sein. Es sei hier nur auf den bekannten Aphorismus „Etwas fr Arbeitsame“ aus der Frçhlichen Wissenschaft verwiesen, welcher eine kurze Skizze des schier unendlichen, fr eine derartige Durchsichtigkeit jedoch notwendig zu leistenden Forschungsprogramms liefert. Vgl. FW 7, KSA 3, 378 – 380.
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ber die Kunst zum Leben aufgehalten und viel zu wenig auf die drei Auslassungspunkte am Ende des Absatzes geachtet.12 Wie aus den bisherigen Ausfhrungen dieses Papers hervorgegangen sein sollte, handelt es sich bei dieser Verschiebung nur um einen der zahlreichen Perspektivenwechsel, welche den Blick auf die zeitgençssische Wissenschaft bestimmen. Eine andere dieser zahlreichen Perspektiven13 auf die Wissenschaft ist die hier bereits dargelegte der kommenden Philosophen, deren Denken neuen Idealen folgt, die im 5. Buch der Frçhlichen Wissenschaft in folgendes Bild gefasst werden: „[I]ch wsste nicht, was der Geist eines Philosophen mehr zu sein wnschte, als ein guter Tnzer. Der Tanz nmlich ist sein Ideal, auch seine Kunst, zuletzt auch seine einzige Frçmmigkeit, sein ,Gottesdienst‘…“ (FW 381, KSA 3, 635). In diesem multiperspektivischen Reigen des sich durch ihn zur Orchestikologie wandelnden Denkens Nietzsches hat die Wissenschaft nicht mehr die Position einer herausragenden Theorieform zur Produktion von legitimiertem Wissen inne, sondern wandelt sich in eine von vielen, bloß historisch gltigen Kulturtechniken, deren Anwendungen sich in partiellen Instrumentalisierungen erschçpfen.14
Literatur Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (2001): Dialektik der Aufklrung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main (Fischer). Abel, Gnter (2004): Zeichen der Wirklichkeit. Frankfurt am Main (Suhrkamp). Babich, Babette (2010): „Das ,Problem der Wissenschaft‘ oder Nietzsches philosophische Kritik wissenschaftlicher Vernunft“ (bers. von Cathrin Nielsen). In: Carlo Gentili/Cathrin Nielsen (Hg.): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Berlin, New York (de Gruyter), S. 123 – 169. Derrida, Jacques/Kittler, Friedrich (2000): Nietzsche – Politik des Eigennamens. Wie man abschafft, wovon man spricht. Berlin (Merve). Foucault, Michel (1981): Archologie des Wissens (bers. von Wolfgang Kçppen). Frankfurt am Main (Suhrkamp). Frank, Manfred (1984): Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt am Main (Suhrkamp). Gentili, Carlo (2010): „Die Wissenschaft und der ,Schatten Gottes‘“. In: Carlo Gentili/ Cathrin Nielsen (Hg.): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Berlin, New York (de Gruyter), S. 233 – 243. 12 Darauf verweist auch Claus Zittel in seinen Beitrgen zu „Leben“ und „Perspektivismus“ im Nietzsche-Handbuch: „Wie die Pnktchen am Satzende klarmachen, kann der Wechsel in der Betrachtung immer weiter fortgesetzt werden, z. B. die Kunst unter der Optik der Wissenschaft, d. h. physiologisch in Blick genommen werden.“ (Zittel 2000c, 300). 13 Der 344. Aphorismus der Frçhlichen Wissenschaft nennt zum Beispiel Leben, Natur und Geschichte (vgl. FW 344, KSA 3, 577) als Gegen-Perspektiven zur Wissenschaft. 14 Ich danke Tobias Endres fr das orthographische und inhaltliche Lektorat dieses Textes.
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Habermas, Jrgen (1985): Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt am Main (Suhrkamp). Jaspers, Karl (1981): Nietzsche. Berlin, New York (de Gruyter). Nehamas, Alexander (2002): Nietzsche. Life as Literature. Cambridge, London (Cambridge University Press). Pichler, Axel (2010): Nietzsche, die Orchestikologie und das dissipative Denken. Wien (Passagen). Reckermann, Alfons (2003): Lesarten der Philosophie Nietzsches. Ihre Rezeption und Diskussion in Frankreich, Italien und der angelschsischen Welt 1960 – 2000. Berlin, New York (de Gruyter). Sommer, Andreas Urs (2010): „Gott – Nihilismus – Skepsis. Aspekte der Religions- und Zeitkritik bei Nietzsche“. In: Carlo Gentili/Cathrin Nielsen (Hg.): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Berlin, New York (de Gruyter), S. 17 – 29. Stegmaier, Werner (1994): Nietzsches „Genealogie der Moral“. Darmstadt (WBG). Stegmaier, Werner (2004): „,Philosophischer Idealismus‘ und die ,Musik des Lebens‘. Zu Nietzsches Umgang mit Paradoxien“. In: Nietzsche-Studien. Bd. 33, S. 90 – 128. Stegmaier, Werner (2005): „Nietzsches Philosophie der Kunst und seine Kunst der Philosophie. Zur aktuellen Forschung und Forschungsmethodik“. In: NietzscheStudien. Bd. 34, S. 90 – 128. Tongeren, Paul van/Schank, Gerd/Siemens, Hermann (2004 Hg.): Nietzsche-Wçrterbuch. Bd. 1. Berlin, New York (de Gruyter). Zittel, Claus (1995): Selbstaufhebungsfiguren bei Nietzsche. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann). Zittel, Claus (2000a): Das sthetische Kalkl von Nietzsches „Also sprach Zarathustra“. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann). Zittel, Claus (2000b): „Nachlaß 1880 – 1885“. In: Henning Ottmann (Hg.): Nietzsche Handbuch. Stuttgart (Metzler), S. 138 – 142. Zittel, Claus (2000c): „Perspektivismus“. In: Henning Ottmann (Hg.): Nietzsche Handbuch. Stuttgart (Metzler), S. 299 – 301.
Nietzsches „dichtende Vernunft“ Nicola Nicodemo – Indem wir uns selbst erkennen und unser Wesen selber als eine wandelnde Sphre der Meinungen und Stimmungen ansehen und somit ein Wenig geringschtzen lernen, bringen wir uns wieder in’s Gleichgewicht mit den Uebrigen [unseren Freunden]. (MA I 376, KSA 2, 263)
1. Ausgangspunkt Wie bei jedem Philosophen spielt auch bei Nietzsche die Bestimmung der Vernunft im Prozess des Denkens bzw. im Lebensprozess eine bedeutende Rolle. Von Die Geburt der Tragçdie bis hin zu den Sptwerken bildet die Kritik der Vernunft und der Wissenschaft einen markanten Wesenszug der Philosophie Friedrich Nietzsches und ihr wurde in der Nietzsche-Forschung zwar zunehmend Beachtung geschenkt.1 Es fehlt aber trotzdem noch eine Arbeit, welche die Vernunft in Nietzsches Philosophie in systematischer Weise analysiert. Die gegenwrtige Nietzsche-Forschung ist zwar einig, die Vernunft bei Nietzsche nicht mehr auf einer rein metaphysischen Ebene zu untersuchen, und weist ihr eine leitende, regulative und auf vor-kognitive leibliche Prozesse sowie auf die „Perspektiven-Optik“ des Lebens angewiesene Funktion zu. Dennoch bleibt das Hauptaugenmerk in der vorliegenden Sekundrliteratur entweder auf ideologische, kulturkritische und moralische Implikationen der Vernunft gerichtet, oder sie ist auf Nietzsches Sptwerk beschrnkt.2 Die aufschlussreichen und fr das Sptwerk entscheidenden Betrachtungen ber die Vernunft in Menschliches, Allzumenschliches, Morgenrçthe und Die frçhliche Wissenschaft wurden hingegen vernachlssigt.3
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Ausgehend von Karl Jaspers und Martin Heidegger bis hin zu Werner Stegmaier, Gnter Abel und Volker Gerhardt – um nur einige der bedeutendsten Interpreten und Denker anzufhren – wurden verschiede Aspekte der Vernunft bei Nietzsche hervorgehoben: ihre „Auflçsung“ (Jaspers 1936) und „Fluktuanz“ (Stegmaier 1992); ihre „dichtende“ (Heidegger 2008), „interpretatorische“ (Abel 1990) und schließlich „lebensdienliche“ (Gerhardt 2006) Eigenschaft. Dennoch findet man im Nietzsche-Handbuch (Ottmann 2000) kein eigenes Stichwort zum Thema „Vernunft“. Insbesondere auf Zarathustras vierte Rede „von den Verchtern des Leibes“ (Z I Verchtern, KSA 4, 39 – 41), sowie auf den spten Nachlass der Jahre zwischen 1884 – 1888. Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Peter Heller (1972) und Marco Brusotti (1997).
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Ich mçchte im Folgenden versuchen, Nietzsches berlegungen aus seiner psychologischen Hinwendung zur philosophischen Kritik mit Hilfe eines ,genealogischen‘ Gedankengangs zu skizzieren. Ziel ist es, den dichtenden Grundzug der Vernunft und zugleich ihre lebensdienlichen, physiologischen und kulturellen Aspekte hervorzuheben, und ausgehend von diesem Standpunkt, einige Denkanstçße zur Aktualitt Nietzsches zu geben.
2. Nietzsches anthropologische Stellung in Bezug auf Vernunftkritik und Erkenntnisprozess In dem Artikel zum Stichwort „Vernunft; Verstand“ im Historischen Wçrterbuch der Philosophie schreibt van Tongeren, dass Nietzsche sich anders als die Philosophen des 19. Jahrhunderts nicht kritisch mit der Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand auseinandersetzt. Aus Nietzsches Sicht sind Vernunft, Verstand und Intellekt nicht wesentlich zu unterscheiden. „Nietzsche kritisiert neben der berbewertung von Vn. und Vs. bei Sokrates, Platon und Descartes vor allem Kants Begriff der Vn. (gelegentlich. Vs.) als eines (selbst-)kritischen Vermçgens sowie den hegelianischen Begriff der Vn. als des Prinzips aller Wirklichkeit. In beiden sieht er vor allem Symptome einer Unterwerfung des Denkens unter Moral und Religion.“ (van Tongeren 2007, 827) Eine solche Kritik gewinnt ab Menschliches, Allzumenschliches wesentlich an Bedeutung und wird auch auf neuen historisch-anthropologischen Fundamenten entwickelt. In der dabei ausgefhrten Chemie der moralischen, religiçsen, sthetischen Vorstellungen und Empfindungen geht Nietzsche davon aus, dass die philosophischen Probleme und zwar insbesondere das Problem des Werdens – dieselbe Form der Frage annehmen, wie vor zweitausend Jahren: „wie kann Etwas aus seinem Gegensatz entstehen, zum Beispiel Vernnftiges aus Vernunftlosem […] Logik aus Unlogik […] Wahrheit aus Irrthmern?“ (MA I 1, KSA 2, 23) Die sichere philosophische Methode, um dieser Frage nachzugehen, ist Nietzsche zufolge die historische Philosophie, welche nach ihm „gar nicht mehr getrennt von der Naturwissenschaft zu denken ist“ (MA I 1, KSA 2, 23). Durch diese „allerjngste aller philosophischen Methoden“ lsst sich ermitteln, „dass es keine Gegenstze sind, ausser in der gewohnten bertreibung der populren oder metaphysischen Auffassung und dass ein Irrthum der Vernunft dieser Gegenberstellung zu Grunde liegt“ (MA I 1, KSA 2, 23). Worin der Irrtum besteht, wird exemplarisch im Aphorismus 18 von Menschliches, Allzumenschliches und spter auf radikale Weise im Aphorismus 344 der Frçhlichen Wissenschaft erklrt: – Die erste Stufe des Logischen ist das Urtheil; dessen Wesen besteht, nach der Feststellung der besten Logiker, im Glauben. Allem Glauben zu Grunde liegt die
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E m p f i n d u n g d e s A n g e n e h m e n o d e r S c h m e r z h a f t e n in Bezug auf das empfindende Subject. Eine neue dritte Empfindung als Resultat zweier vorangegangenen einzelnen Empfindungen ist das Urtheil in seiner niedrigsten Form. – Uns organische Wesen interessirt ursprnglich Nichts an jedem Dinge, als sein Verhltniss zu uns in Bezug auf Lust und Schmerz. (MA I 18, KSA 2, 39)
Dieser Vorgang vollzieht sich in demjenigen, den Nietzsche mit Blick auf seine zeitgençssische Wissenschaft „d i e L o g i k d e s Tr a u m e s “ (MA I 13, KSA 2, 32) nennt: im Traum verarbeitet der Verstand in Zusammenarbeit mit der Phantasie die aus der ußeren Welt erworbenen Empfindungen zu bestimmten Gestalten. Die Phantasie schiebt nun dem Geist fortwhrend Bilder vor „– das heisst die vermeintliche Ursache wird aus der Wirkung erschlossen und n a c h der Wirkung vorgestellt“ (MA I 13, KSA 2, 34). Daraus lassen sich fr Nietzsche die ursprnglichen Irrtmer alles Organischen feststellen (vgl. MA I 18, KSA 2, 38 – 40), und zwar der Glaube an unbedingte Substanzen, an gleiche Dinge und schließlich an die Freiheit des Willens, welche sich zugleich als Grundirrtmer der Metaphysik erweisen. Nietzsche vertritt infolgedessen die These, dass „Alles aber geworden ist; es giebt k e i n e e w i g e n T h a t s a c h e n : sowie es keine absoluten Wahrheiten giebt. – Demnach ist das h i s t o r i s c h e P h i l o s o p h i r e n von jetzt ab nçthig und mit ihm die Tugend der Bescheidung.“ (MA I 2, KSA 2, 25) Unter diesen Bedingungen kçnne der stetige und mhsame Prozess der Wissenschaft zu einer „E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e d e s D e n k e n s “ (MA I 16, KSA 2, 37) fhren, dessen Resultat nach Nietzsche folgender Satz sein kçnnte: Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrthmern und Phantasien, welche in der gesammten Entwickelung der organischen Wesen allmhlich entstanden, in einander verwachsen und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden, – als Schatz: denn der We r t h unseres Menschenthums ruht darauf. (MA I 16, KSA 2, 37)
Durch sein demaskierendes Verfahren enthllt Nietzsche nicht nur, dass unser gesamtes Wissen auf „Unreinheit des Denkens“ (MA I 33, KSA 2, 53) beruht; er betont auch dessen Notwendigkeit fr das Leben. Nietzsche greift aber noch tiefer ins menschliche Wesen und bringt damit die „u n l o g i s c h e [ n ] G r u n d s t e l l u n g [des Menschen] z u a l l e n D i n g e n “ (MA I 31, KSA 2, 51) ans Licht. Durch die historische Philosophie, und zwar durch eine Kritik nicht der reinen, sondern historischen, – im Sinne einer auf ihre psychologischen und physiologischen Wurzeln zurckgefhrte – Vernunft, gelangen wir nmlich zur folgenden nicht nur gnoseologisch, sondern auch anthropologisch 4 relevanten be-
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Die anthropologische Bestimmung, die Nietzsche seiner Philosophie im fnften Buch der frçhlichen Wissenschaft – „Wir kçnnen nicht um unsere Ecke sehen“ (FW 374, KSA 3, 626) – zugrunde legt, macht meines Erachtens den Anfang von der in Menschliches,
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ngstigenden Selbsterkenntnis: „Wir sind von vornherein unlogische und daher ungerechte Wesen, u n d k ç n n e n d i e s s e r k e n n e n : diess ist eine der grçssten und unauflçsbarsten Disharmonien des Daseins.“ (MA I 32, KSA 2, 52)
3. Wissenschaft als Kunst: Denken als Bilderdenken Obwohl die Naturwissenschaften sich auf die strengsten Methoden einer kritischen Vernunft sttzen und damit die theoretische Basis ausmachen, welche die Akribie der historischen Philosophie gewhrleistet, sind sie gleich allen berkommenen Sitten und Wahrheiten auch unlogischer Natur. Mittels ihrer strengsten Methoden stçßt dann die Wissenschaft selbst an ihre unlogischen Grenzen: „Bei allen wissenschaftlichen Feststellungen [Zahlen, Raum, Zeit] rechnen wir unvermeidlich immer mit einigen falschen Grçssen.“ (MA I 19, KSA 2, 40; vgl. auch MA I 32). Wie „die Welt n i c h t der Inbegriff einer ewigen Vernnftigkeit ist“ (WS 2, KSA 2, 540) und die Vernunft „nicht allzu vernnftig ist“ (ebd.), genauso ist Wissenschaft „nicht allzu vernnftig“, d. h. sie sttzt sich auf unlogische Prmissen. In Nietzsches Begriff der Vernunft und der Wissenschaft treten an die Stelle der Logik die Physiologie und die Kunst bzw. die Einbildungskraft. Wie er von 1872 – 73 an und insbesondere in Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne hervorzuheben versucht (vgl. dazu auch FW 110 – 112), setzen Vernunft und Wissenschaft physiologische, unbewusste Prozesse sowie die Einbildungskraft voraus. Nietzsche betont dabei mehrmals und auf verschiedene Weise die außerordentliche Produktivitt des Intellekts als Bilderleben bzw. Bilderdenken5. Infolgedessen erachtet Nietzsche synthetische Urteile als falsch, weil in ihrem Wesen eine Metonymie liege. Der Mensch werde damit zu einem „k n s t l e r i s c h s c h a f f e n d e [ n ] Su b j e k t “ (WL 1, KSA 1, 883; vgl. MA I 166, KSA 2, 156 und MA I 221, KSA 2, 183) und der Begriff zum „R e s i d u u m e i n e r M e t a p h e r “ (WL 1, KSA 1, 882), so, dass die Wahrheit also nicht mehr von einem transzendentalen oder transzendenten Prinzip gewhrleistet wird. Sie entsteht aus der Not des Menschen, sich gegenber anderen Individuen zu erhalten und gesellschaftlich zu leben6. Sie bringt nicht das „Ding an sich“ zum
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Allzumenschliches festgestellten Selbsterkenntnis der „u n l o g i s c h e [ n ] Gr u n d s t e l l u n g [des Menschen] z u a l l e n D i n g e n “ (MA I 31, KSA 2, 51). Siehe: Notizbuch 1872 – 1873 19[70]ff. – [237], besonders 19[242]: „Wir leben und denken unter lauter Wirkungen des Un l o g i s c h e n , in Nichtwissen und Falschwissen.“ (KSA 7, 496). Siehe WL 1: „Soweit das Individuum sich gegenber andern Individuen erhalten will, benutzte es in einem natrlichen Zustande der Dinge den Intellekt zumeist nur zur Verstellung: weil aber der Mensch zugleich aus Noth und Langeweile gesellschaftlich und heerdenweise existiren will, braucht er einen Friedensschluss und trachtet darnach dass wenigstens das allergrçbste bellum omnium contra omnes aus seiner Welt verschwinde.
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Ausdruck, sondern „die Metamorphose der Welt in den Menschen“ (WL 1, KSA 1, 883). Sie beruht lediglich auf einem bertragungsprozess von einer Sphre in eine ganz andere und fremde. „Wozu es aber jedenfalls einer frei dichtenden und frei erfindenden Mittel-Sphre und Mittelkraft bedarf.“ (WL 1, KSA 1, 884) Sie stellt nicht die wahre Welt vor: Sie ist Verstellung. Laut Nietzsche besteht also zwischen Subjekt und Objekt keine notwendige Kausalitt, „sondern hçchstens ein sthetisches Verhalten[…].“ (WL 1, KSA 1, 884) Wenn aber Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches das konsequente kritische Denken preist, die Kunst zur Abendrçte (vgl. MA I 223, KSA 2, 186) verurteilt und im Einklang mit Goethe bejubelt als „,Vernunft und Wissenschaft des Menschen a l l e r h ç c h s t e Kraft‘“ (MA I 265, KSA 2, 220); wenn des Weiteren fr ihn die Wahrheit die Frucht ist, „welche er [der Mensch] vom Baum der Erkenntnis zu schtteln wnscht“ (MA I 264, KSA 2, 219), so ist er sich jedoch dennoch auch dessen bewusst, dass selbst die Philologie, mag sie auch die allerbeste Wissenschaft sein, eine Kunst ist: „die Kunst des richtigen Lesens“ (MA I 270, KSA 2, 223), d. h. „des richtigen Schließens“ (MA I 270, KSA 2, 223). Man muss deshalb weder verwundert noch enttuscht sein, wenn Nietzsche im Aphorismus 344 in Die frçhliche Wissenschaft die moralische sowie sthetische Natur der Wissenschaft und der Wahrheit ein fr alle Mal bestimmt.
4. Die dichtende Vernunft Was die Ablehnung der tradierten Auffassung der Vernunft und zugleich eine neue Aufwertung derselben betrifft, bieten Nietzsches Betrachtungen in der Morgenrçthe sicher etwas Neues. Dass Nietzsches geistiges Szenarium sich dabei verndert hat, liegt schon von Anfang an nahe.7 Statt Vernunft und Wissenschaft preist Nietzsche jetzt als „die Gçtter[n], die in u n s sind“ (M I 35, KSA 3, 44) Vernunft und Erfahrung, oder genauer gesagt „unsere[r] Vernunft und unsere[r] Erfahrung“8 (M I 35, KSA 3, 44). Was jetzt in den Mittelpunkt seines Philosophierens gerckt wird, ist das Erleben und zwar das Experimentieren als
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Dieser Friedensschluss bringt aber etwas mit sich, was wie der erste Schritt zur Erlangung jenes rthselhaften Wahrheitstriebes aussieht. Jetzt wird nmlich das fixirt, was von nun an ,Wahrheit‘ sein soll d. h. es wird eine gleichmssig gltige und verbindliche Bezeichnung der Dinge erfunden und die Gesetzgebung der Sprache giebt auch die ersten Gesetze der Wahrheit“ (KSA 1, 877). Siehe M I 8, KSA 3, 21. In Die Geburt der Tragçdie bekommt Erfahrung eine ontologische Bedeutung als Moment der Ekstase, durch die das Individuum das Ur-Eine und zwar das Wesen der Welt und des Daseins wahrnimmt. Ab Menschliches, Allzumenschilches wird Erfahrung dagegen als dasjenige individuelle Moment konzipiert, in dem Moral, Religion, Kunst usw., d. h. das Leben, jemandem zum Problem wird, wie Nietzsche meiner Auffassung nach in der Vorrede zur zweiten Auflage von Die frçhliche Wissenschaft exemplarisch erklrt.
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lebensphilosophisch auszeichnende Haltung. In der Tat muss man laut Nietzsche anerkennen, dass „es keine alleinwissendmachende Methode der Wissenschaft“ gibt. „Wir mssen versuchsweise mit den Dingen verfahren“ (vgl. M V 432, KSA 3, 266). Infolgedessen hat „die Erkenntniss sich in uns zur Leidenschaft verwandelt“ (M V 429, KSA 3, 264); sie ist „[d ] i e n e u e L e i d e n s c h a f t “ (M V 429, KSA 3, 264).9 Darber hinaus berlegt und entwickelt Nietzsche auf maßgebende Weise in einem der lngsten und prgnantesten Aphorismen der Morgenrçthe, dem mit „E r l e b e n u n d E r d i c h t e n “ betitelten Aphorismus 119, die Bedeutung der Vernunft – und der Phantasie – im Erkenntnisprozess. Er fhrt uns vor Augen, dass „unsere Triebe […] nichts Anderes thun, als die Nervenreize interpretiren und nach ihrem Bedrfnisse deren ,Ursachen‘ ansetzen“ (M II 119, KSA 3, 113). Demzufolge sind „auch unsere moralischen Urtheile und Wertschtzungen nur Bilder und Phantasien ber einen uns unbekannten physiologischen Vorgang […], eine Art angewçhnter Sprache, gewisse Nervenreize zu bezeichnen […] [und] all unser sogenanntes Bewusstsein [ist] ein mehr oder weniger phantastischer Commentar ber einen ungewussten, vielleicht unwissbaren, aber gefhlten Text“ (M II 119, KSA 3, 113) Wie wre aber das berhaupt mçglich? Dadurch, dass „die dichtende Vernunft […] verschiedene Ur s a c h e n fr die selben Nervenreize sich v o r s t e l l t . […]– Was sind denn unsere Erlebnisse? Viel m e h r Das, was wir hineinlegen, als Das, was darin liegt! Oder muss es gar heissen: an sich liegt Nichts darin? Erleben ist ein Erdichten? –“ (M II 119, KSA 3, 113 f.). Bei diesem Aphorismus fllt unmittelbar auf, dass nach Nietzsche Erlebnis bzw. Erfahrung nicht „die objektive Erkenntnis der Erscheinungen“ (wie bei Kant: KrV B246) konstituiert. Sie ist vielmehr das konstitutive Moment der individuellen Begriffsbildung eines Erkenntnishorizonts, in dem immer die individuelle Handlung bezweckt wird. Hier geht es Nietzsche nicht um den transzendentalen, sondern um den individuellen Charakter sowohl der Erkenntnis als auch der Handlung. Die Vernunft bzw. der Intellekt wird damit nicht als metaphysische, vom Leib abgetrennte Instanz, sondern als rein leibliches Werkzeug – zustndig fr die Reinigung, Ordnung, Verstrkung, Schwchung und das Auslçschen der uns innewohnenden und in uns gegeneinander kmpfenden Triebe und Gefhlsregungen – angesehen. In dem den Trieben bevorstehenden Kampf „[muss] unser Intellect Partei nehmen“ (M II 109, KSA 3, 99; Hervorhebung v. Vf.). 9
Es ist die Erlçsung dieser Leidenschaft und nicht mehr die Suche nach Wahrheit, die den Erkennenden antreibt. Die Leidenschaft der Erkenntnis wird also zum Merkmal des Knstler-Philosophen und dient zur Unterscheidung zwischen ihm und dem Wissenschaftler (Vuarnet 1986; Brusotti 1997). Aus diesen Grnden bildet sie einen Schlsselbegriff der nietzscheschen Aufklrung. Nietzsche versucht eine berwindung des Rationalismus durch die Einfhrung der Leidenschaft in das Denken (vgl. VM 98, KSA 2, 417 f.).
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Die Vernunft ist eben deshalb unentbehrlich und entscheidend, um die „S e l b s t - B e h e r r s c h u n g u n d M s s i g u n g “ (M II 109, KSA 3, 96) zu erreichen und zwar, um den „S i e g b e r d i e K r a f t “ (M V 548, KSA 3, 318) zu erringen: […] und doch ist, wenn der Grad von Ve r e h r u n g s w r d i g k e i t festgestellt werden soll, nur d e r G r a d d e r Ve r n u n f t i n d e r K r a f t entscheidend […] – nmlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie n i c h t a u f We r k e , sondern a u f s i c h a l s We r k , verwendet, das heisst auf seine eigene Bndigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zustrçmen von Aufgaben und Einfllen. (M V 548, KSA 3, 318 f.; vgl. NL 1877 22[58], KSA 8, 387 f.).
Indem Nietzsche das Denken auf einen physiologischen Vorgang (vgl. Gerhardt 1984) eines organischen Wesens und zwar des Menschen zurckfhrt, bringt er ebenfalls Vernunft, Verstand, Intellekt mit dem Gehirn in Verbindung. Im Gehirn vollzieht sich der beraus komplexe 10 Verlauf des Denkens, wie am exemplarischen Fall am Ende des Aphorismus 111 in Die frçhliche Wissenschaft zum Ausdruck kommt: Der Verlauf logischer Gedanken und Schlsse in unserem jetzigen Gehirne entspricht einem Processe und Kampfe von Trieben, die an sich einzeln alle sehr unlogisch und ungerecht sind; wir erfahren gewçhnlich nur das Resultat des Kampfes: so schnell und so versteckt spielt sich jetzt dieser uralte Mechanismus in uns ab. (FW 111, KSA 3, 472)
Inwiefern dieser durchaus komplexe Prozess zustande kommt, wird im Aphorismus 333 in Die frçhliche Wissenschaft am Beispiel des Erkennens ausgefhrt: Bevor ein Erkennen mçglich ist, muss jeder dieser Triebe [ridere, lugere, detestari] erst seine einseitige Ansicht ber das Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermçge der Gerechtigkeit und des Vertrags kçnnen alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. (FW 333, KSA 3, 558 f.)
Obgleich Nietzsche sich in diesem Aphorismus unklar und unbestimmt ausdrckt, indem er berdies Erkennen und zwar intelligere als „nur ein g e w i s s e s Ve r h a l t e n d e r Tr i e b e z u e i n a n d e r “ (FW 333, KSA 3, 559) definiert, kann man trotzdem hierbei aufzeigen, dass sich ein Teil „unseres geistigen Wirkens“ (FW 333, KSA 3, 559) nur mittels einer dichtenden Vernunft vollzieht.
10 Schon seit Anfang der siebziger Jahren hebt Nietzsche die Bedeutung des Gehirns im Denkprozess hervor: „[…]Einen k n s t l e r i s c h e n Vo r g a n g o h n e G e h i r n zu denken ist eine starke Anthropopathie: aber ebenso steht mit dem Willen, der Moral usw.“ (NL 1872 – 1873, 19[79], KSA 7, 446).
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Da keine Erkenntnis ohne Vernunft zustande kommt und die Vernunft ein Vorstellungsvermçgen im Sinne eines Interpretierens der Triebe sowie des Kampfes der Triebe gegeneinander ist, kommt der dichtenden Vernunft jene Fhigkeit zu, die Gefhlsregungen zu einer Eintracht zu fhren. Die Vernunft ist insofern dichtend, als sie nicht wesentlich von Sinnlichkeit und Einbildungskraft getrennt oder ihnen entgegengesetzt und weder als diskursives noch als intuitives Vermçgen im Sinne der bisherigen Philosophie, sondern als sinnlich schaffende Fhigkeit des Leibes, als performatives Vermçgen gedacht wird. Sie sttzt sich auf die „u n l o g i s c h e [ n ] Gr u n d s t e l l u n g [des Menschen] z u a l l e n D i n g e n “ (MA I 31, KSA 2, 51) und von diesem anthropologischen Standpunkt aus, indem sie „verschiedene Ur s a c h e n fr die selben Nervenreize sich v o r s t e l l t “ (M II 119, KSA 3, 113), interpretiert sie zugleich die Nervenreize, d. h. weist ihnen einen Sinn und Wert zu. Damit lsst sie das Individuum sein immer labiles Gleichgewicht bzw. seine Selbstbeherrschung gewinnen. Unter diesen Bedingungen kçnnte die dichtende Vernunft nun meines Erachtens als Organ des Ausgleichs der Mchte ausgelegt werden. Sie ist jene „hçchste[n] Vernunft“,11 welche dem Individuum ermçglicht, sich kritisch gegenber sich selbst und seiner Kultur zu stellen, jeweils sein inneres Chaos nach seinen Bedrfnissen zu einer Bildeinheit zu bringen und damit dem Leben einen Sinn zu verleihen. Sie versetzt die Menschen in die Lage, die Tragik des Lebens – seines januskçpfigen Charakters aus Bejahung und Verneinung, Auseinandersetzung und Konfrontation, Aporie und Missverstndnis, Tuschung und Enttuschung – nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu erfahren, zu verklren, mithin zu „rechtfertigen“ und schließlich zu bejahen. Ist man sich erst darber im Klaren, kann man Nietzsches frçhliche Wissenschaft als „Kunst der Transfiguration“ bzw. als stndige Umsetzung seines Zustands „in die geistigste Form und Ferne“ (FW Vorrede 3, KSA 3, 349) und in diesem Sinne als Lebensgestaltung d. h. als Sinnstiftung des Lebens verstehen. Die dichtende Vernunft ist nun eine einverleibte und mithin eine sthetische Vernunft: Sie ist die Vernunft des Leibes,12 oder genauer gesagt, eine aus 11 Wie Nietzsche in einer Notiz aus dem Jahr 1875 schreibt, ergibt sich das Verhltnis von Kunst und Wissenschaft in der „hçchste[n] Vernunft“, die er „in dem Werk des Knstlers“ sieht (vgl. NL 1875 3[75], KSA 8, 36). Die Wissenschaft alleine – so lautet eine Notiz aus dem Jahr 1880 – „kann n i c h t b e f e h l e n , Weg weisen: sondern erst wenn man weiß wohin?, k a n n sie ntzen“ (NL 1880 – 1881, 8[98], KSA 9, 403). 12 berlegungen im Sinne von einer Auffassung des Leibes als Organismus durchziehen Nietzsches ganzes Werk und zeichnen vor allem seine mittlere Phase aus. Im Sommer 1875 schreibt Nietzsche am Ende seiner „S c h l u s s - B e t r a c h t u n g “ (NL 1875, 9[1], KSA 8, 178) ber das Buch von E. Dhring Der Wert des Lebens: „Der Mensch scheint eine Mehrheit von Wesen, eine Vereinigung mehrerer Sphren, von denen die eine auf die andere hinzublicken vermag“ (ebd., 181). Diese ontologische Betrachtung wird von Nietzsche im Laufe seines Denkens auf einer physiologischen Ebene weiter entwickelt wie zum Beispiel in einer Notiz aus 1881, 11[182], KSA 9, 509 – 512, wo er der Leib als
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eigener Erfahrung sinnstiftende Vernunft im Dienste des Leibes. Auch wenn in diesem Zusammenhang einer solchen Vernunft nicht ein rationales Denken entspringt, handelt es sich immerhin zweifellos um ein vernnftiges Denken, das zu einem vernnftigen Handeln fhrt: „Die f r e i e s t e H a n d l u n g ist die, wo unsre eigenste strkste feinstens eingebte Natur hervorspringt und so, daß z u g l e i c h u n s e r I n t e l l e k t seine d i r i g i r e n d e Hand zeigt. – Also die w i l l k r l i c h s t e und doch v e r n n f t i g s t e Handlung!“ (NL 1883 7[52], KSA 10, 258). Ihr kann man auch eine regulative Geltung einrumen, insofern sie (individuelle) Gesetze im Dienste des Leibes bzw. des Lebens (vgl. NL 1881, 11[243], KSA 9, 533) schafft, die auch als allgemeine gesellschaftliche Konventionen wirken kçnnen. Wie Nietzsche 1883 – 84 notiert: „An Stelle der Grundwahrheiten stelle ich Grundwahrscheinlichkeiten – v o r l u f i g a n g e n o m m e n e Richtschnuren, nach denen gelebt und gedacht wird“ (NL 1883 – 1884 24[2], KSA 10, 644) Daher liegen die Normen, welche die Vernunft dem Menschen fr seine Handlungen zur Verfgung stellt, nicht von vornherein wie angeboren in der Vernunft selbst, sondern werden aus den jeweiligen Erfahrungen immer wieder neu erschlossen. Deshalb regulieren die Normen das menschliche Handeln, insofern, als sie es bestimmen und gleichzeitig von ihm bestimmt bzw. korrigiert oder abgelehnt werden. Auf Grund ihrer sinnstiftenden Fhigkeit und Ausgleichsfunktion kommt der Vernunft nicht nur theoretische, sondern auch ethische Bedeutung zu. Im Gegensatz zum Nietzsche unterstellten Irrationalismus oder sthetizismus erweist sich unter diesen Bedingungen das menschliche Leben als derjenige Gestaltungsprozess, der ohne eine dichtende Vernunft nicht zustande kommen kann.
Organismus betrachtet, vorkommt und spter in Also sprach Zarathustra in die anthropologisch prgnante Formel umgedeutet: „Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne“ (Z I Verchtern, KSA 4, 39) d. h. – wie Nietzsche spter in Jenseits von Gut und Bçse zum Ausdruck bringt – der Leib „ist ja nur ein Gesellschaftsbau vieler Seelen“ (JGB 19, KSA 5, 33), welche ihrerseits von Nietzsche „als Gesellschaftsbau der Triebe und Affekte“ (JGB 12, KSA 5, 27) gedeutet werden. „Am Leitfaden des Leibes erkennen wir den Menschen als eine Vielheit belebter Wesen, welche theils mit einander kmpfend, theils einander ein- und untergeordnet, in der Bejahung ihres Einzelwesens unwillkrlich auch das Ganze bejahen“ (NL 1884, 27[27], KSA 11, 282). Ist der Leib ein hochkompliziertes dynamisches System von Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen, welche hauptschlich auf einer physiologischen unbewussten pre-rationalen Ebene vorkommen, ist auch die Erkenntnis ein hoch komplexer dynamischer relationskonstruktiver Prozess: „es giebt kein ,Wesen an sich‘, die Relationen constituiren erst Wesen, so wenig es eine ,Erkenntnis an sich‘ geben kann…“ (NL 1888 14[122], KSA 13, 303).
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5. Die kulturelle Kraft und Wirkung einer dichtenden Vernunft Dass die dichtende Vernunft nicht lediglich eine erkenntnistheoretische oder ethische, sondern auch eine kulturelle Leistung erbringen kann, lsst sich wohl an zwei Aphorismen erklren. Im Aphorismus 276 von Menschliches, Allzumenschliches macht Nietzsche das Verhltnis zwischen Mikrokosmus und Makrokosmus der Cultur deutlich: Die besten Entdeckungen ber die Cultur macht der Mensch in sich selbst, wenn er darin zwei heterogene Mchte waltend findet. Gesetzt, es lebe Einer eben so sehr in der Liebe zur bildenden Kunst oder zur Musik als er vom Geiste der Wissenschaft fortgerissen werde, und er sehe es als unmçglich an, diesen Widerspruch durch Vernichtung der einen und volle Entfesselung der anderen Macht aufzuheben: so bleibt ihm nur brig, ein so grosses Gebude der Cultur aus sich zu gestalten, dass jene beiden Mchte, wenn auch an verschiedenen Enden desselben, in ihm wohnen kçnnen, whrend zwischen ihnen versçhnende Mittelmchte, mit berwiegender Kraft um nçthigenfalls den ausbrechenden Streit zu schlichten, ihre Herberge haben. Ein solches Gebude der Cultur im einzelnen Individuum wird aber die grçsste Aehnlichkeit mit dem Culturbau in ganzen Zeitperioden haben und eine fortgesetzte analogische Belehrung ber denselben abgeben. Denn berall, wo sich die grosse Architektur der Cultur entfaltet hat, war ihre Aufgabe, die einander widerstrebenden Mchte zur Eintracht vermçge einer bermchtigen Ansammelung der weniger unvertrglichen brigen Mchte zu zwingen, ohne sie desshalb zu unterdrcken und in Fesseln zu schlagen. (MA I 276, KSA 2, 227 f.)
In diesem Zusammenhang muss man auf „die Verbindlichkeit der Vernunft“ zurckgreifen, um „[d]ie Gesetze des Lebens und Handelns neu aufzubauen“ (M V 453, KSA 3, 274) und zwar, laut der Absicht von Die frçhliche Wissenschaft: „B e s c h r n k e n wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und Werthschtzungen und auf die S c h ç p f u n g n e u e r e i g e n e r G t e r t a f e l n : […]wir mssen P h y s i k e r sein, um, in jenem Sinne, S c h ç p f e r sein zu kçnnen“ (FW 335, KSA 3, 563). Fr die Ausfhrung dieser Aufgabe sind aber große „Baumeister“ nçtig, ber deren Mangel in Europa seiner Zeit Nietzsche sich beklagt: „[…]jetzt erlahmt die bauende Kraft; der Muth, auf lange Fernen hin Plne zu machen, wird entmuthigt; die organisatorischen Genies fangen an zu fehlen: – wer wagt es nunmehr noch, Werke zu unternehmen, zu deren Vollendung man auf Jahrtausende r e c h n e n msste?“ (FW 356, KSA 3, 596). Es bleibt mithin nichts anders brig, als mit neuen Lebenssituationen zu experimentieren: „Wir sind Experimente: wollen wir es auch sein!“ (M V 453, KSA 3, 274).
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6. Zur Aktualitt Nietzsches Wenn zuletzt gleichermaßen Nietzsches Anspruch, „d i e W i s s e n s c h a f t u n t e r d e r O p t i k d e s K n s t l e r s z u s e h n , d i e Ku n s t a b e r u n t e r d e r d e s L e b e n s … “ (GT Versuch 2, KSA 1, 14), wie auch seine Aufgabe, den Tod Gottes zu verkndigen, ernst zu nehmen sind; wenn die Wissenschaft sich als auf einer dichtenden Vernunft beruhend und im Dienste eines experimentellen Lebens auffassen lsst, dann kann „Grundsatz der Vernunft nicht mehr sein, zum Bedingten das Unbedingte zu finden“ (Abel 1990, 115). Die dichtende Vernunft ist nicht wie im Sinne von Martin Heidegger eine „irgendwie grundlos auf sich gestellte Vernunft“ (Heidegger 2008, 584), deren Charakter „der prexistente, d. h. vor-gebildete und voraus-bestndige Charakter der Seinsbestimmungen, der Schemata“ (Heidegger 2008, 528) ist. Sie ist nicht abzuwerten, denn sie kann nicht dichterisch sein, weil sie nach Heidegger metaphysisch ist, d. h. sie „denkt das Seiende im Ganzen nach seinem Vorrang vor dem Sein.“ (Heidegger 2008, 430). Die dichtende Vernunft hat im Gegenteil ihre Daseinsberechtigung als menschliche leibliche Vernunft. Sie interpretiert die Wirklichkeit nach Menschenmaß und hat als Aufgabe die Selbstbeherrschung, die Lebensgestaltung und die Lebenssteigerung des Menschen. In diesem Zusammenhang kann man nicht mehr von Wahrheit im metaphysischen Sinne sprechen, sondern stattdessen von Wahrhaftigkeit oder vielmehr von einem ,Fr-wahr-halten‘. Die Wahrheit gilt daher als lebensdienliche, ja lebensnotwendige Fiktion,13 welche geschichtlich, psychologisch und physiologisch bedingt und bedingend, nicht aber die Entfaltung eines absoluten, bestndigen, jenseitigen, ewigen, festgestellten, die Geschichte, die Welt und das Leben begrndenden Seins ist. Und insofern ergibt sie sich als lebensdienliche Interpretation. Daher lsst sich Nietzsches Sptwerk und die heute in der NietzscheForschung herrschende Interpretationstheorie meines Erachtens besser verstehen, wenn dem Gedanken Beachtung geschenkt wird, den Nietzsche unter der dichtenden Vernunft in der sogenannten mittleren Periode seines Philosophierens entworfen hat. Schließlich besteht meines Erachtens Nietzsches Aktualitt in dem Versuch, auf der Grundlage eines vernnftigen Denkens, „eine befreiende philosophische Wissenschaft“ (MA I 27, KSA 2, 48) zu erreichen, die uns ermçglicht, „in Betreff einer unmetaphysischen Gesinnung der Menschheit“ (MA I 21, KSA 2, 42 f.) „çkumenische […] Ziele“ (MA I 25, KSA 2, 46) zu setzen.14 Darin liegt der Anspruch auf ein Wissen, das weder ausschließlich philosophisch noch ausschließlich wissenschaftlich ist, sondern aus dem Austausch und der Aus13 Das gilt vor allem fr den spten Nietzsche: „Wahrheit ist das, was einer bestimmten Lebensform aus ihrer Perspektive am dienstlichsten scheint“ (JGB 4, KSA 5, 18). 14 Siehe dazu: Stegmaier (1992, 58 – 64).
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einandersetzung der verschiedenen Wissenschaften entsteht. In diesem Sinne kçnnte Nietzsches Begriff der dichtenden Vernunft im Rahmen der zeitgençssischen Philosophie des Geistes besser untersucht und entfaltet werden und zugleich auf sie wirken.
Literatur Abel, Gnter (1986): „Wissenschaft und Kunst“. In: Mihailo Djuric/Joseph Simon (Hg.): Kunst und Wissenschaft bei Nietzsche. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann), S. 9 – 25. Abel, Gnter (1990): „Interpretatorische Vernunft und menschlicher Leib“. In: Mihailo Djuric/Joseph Simon (Hg.): Nietzsches Begriff der Philosophie. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann), S. 100 – 130. Abel, Gnter (1998): Nietzsche. Die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr. Berlin, New York (de Gruyter). Babich, Babette (2010): „Das ,Problem der Wissenschaft‘ oder Nietzsches philosophische Kritik wissenschaftlicher Vernunft“ (bers. von Cathrin Nielsen). In: Carlo Gentili/Cathrin Nielsen (Hg.): Der Tod Gottes und die Wissenschaft. Berlin, New York (de Gruyter), S. 123 – 169. Borsche, Tilman/Gerratana, Federico/Venturelli, Aldo (Hg.) (1994): ,Centauren-Geburten‘. Wissenschaft, Kunst und Philosophie beim jungen Nietzsche. Berlin, New York (de Gruyter). Brusotti, Marco (1997): Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und sthetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von Morgenrçthe bis Also sprach Zarathustra. Berlin, New York (de Gruyter). Gentili, Carlo/Gerhardt, Volker Gerhardt/Venturelli, Aldo (Hg.) (2003): Nietzsche – Illuminismo – Modernit. Firenze (Leo S. Olschki). Gerhardt, Volker (1988): Pathos und Distanz. Studien zur Philosophie Friedrich Nietzsches. Stuttgart (Reclam). Gerhardt, Volker (1984): „Von der sthetischen Metaphysik zur Physiologie der Kunst“. In: Nietzsche-Studien. Bd. 13, S. 374 – 393. Gerhardt, Volker (2006): Friedrich Nietzsche. Mnchen (Beck). Heidegger, Martin (2008): Nietzsche. Stuttgart (Klett-Cotta). Heller, Peter (1972): ,Von den ersten und letzten Dingen‘. Studien und Kommentar zu einer Aphorismenreihe von F. Nietzsche. Berlin, New York (de Gruyter). Jaspers, Karl (1936): Nietzsche. Einfhrung in das Verstndnis seines Philosophierens. Berlin, Leipzig (de Gruyter). Meyer, Theo (1993): Nietzsche und die Kunst. Tbingen, Basel (Francke). Ottmann, Henning (Hg.) (2000): Nietzsche Handbuch. Stuttgart, Weimar (Metzler). Reschke, Renate (Hg.) (2004): Nietzsche. Radikalaufklrer oder radikaler Gegenaufklrer? Berlin (Akademie). Stegmaier, Werner (1992): Philosophie der Fluktuanz. Dilthey und Nietzsche. Gçttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). Stegmaier, Werner (2008): „Nietzsche: Umwertung (auch) der Affekte“. In: Hilge Landweer/Ursula Renz (Hg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein. Berlin, New York (de Gruyter), S. 525 – 545. Tongeren, Paul van (2007): „Art. Vernunft; Verstand“. In: Historisches Wçrterbuch der Philosophie. Bd. 11, S. 839.
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Venturelli, Aldo (2003): Kunst, Wissenschaft und Geschichte bei Nietzsche. Berlin, New York (de Gruyter).
„Zum Mindesten sei das Bekannte leichter erkennbar als das Fremde“: ber das Verhltnis von Philosophie und Wissenschaft bei Nietzsche Annamaria Lossi „Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft auf dem falschen Weg erkennt, dass sie gar nicht auf dem richtigen Weg ist.“ (Drr 2008, 17)
1. Nietzsche lebt im Zeitalter der Wissenschaft als dem Wahrheitsparadigma par excellence. Der aufsteigende Weg zum positivistischen Status einer Schritt fr Schritt wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnis erweist sich im 19. Jahrhundert als die von Optimismus begleitete Chance, zu einem allwissenden Status fortzuschreiten. Unter dem Namen „Wissenschaft“ bestimmt die Erbschaft dieser im 19. Jahrhundert vollzogenen zukunftsglubigen Annhrung an das Wissen noch unser ,sptaufklrerisches‘ Zeitalter in einem wechselhaften, mal epigonalen, mal programmatischen Sinne. Das, was als vernnftig erscheint, ist eben das, was sich sowohl logisch als auch einsichtig und auf einer theoretischen wie praktischen Ebene als wnschbar erweist. Diese Auffassung von Wissen besttigt ein mit der Aufklrung zur Geltung gekommenes Grundvertrauen auf die Vernunft und ihre Fhigkeiten: die stets zu verbessernde Erkenntnis in Richtung eines fortschreitenden Weges der Menschheit. Das Grundvertrauen auf die Vernunft bleibt somit in der Wissenschaft unbefragt. Es wirkt, indem es sich in die Hlle der Wahrheit kleidet, es wirkt gleichsam unterirdisch. Selbst wenn also der Glaube an die Vernunft als Voraussetzung des wissenschaftlichen Verfahrens fungiert, wird dieser Glaube als ein solcher dem wissenschaftlichen Mensch nicht bewusst. Er gilt vielmehr als grundstzlich dazu fhig, seine Welt und seine Mitmenschen durch eine rational begrndete und rational agierende Forschung zu entrtseln. Die auf diese Weise im Rahmen einer praktischen Konstellation gesammelten Informationen, deren quantitativer Charakter die wissenschaftliche Erkenntnis sichert, treten als die erhoffte endgltige Klrung der menschlichen Lebensfragen auf. Statt einer Kritik im kantischen Sinne, die versucht, die Grenzen der Wissenschaft abzustecken, um ihren Zustndigkeitsbereich hervorzuheben, erscheint die Philosophie der Wissenschaft bei Nietzsche in diesem Kontext als eine Hermeneutik der Wissenschaft im eminent epistemologischen Sinne. Denn
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ber Kants philosophische Erwartungen und Entzweiungen hinaus weisen Nietzsches Analysen der Wissenschaft und der Mçglichkeitsbedingungen der Erkenntnis auf einen weiteren Horizont, insofern sie eng mit seinen Gedanken zur Kunst und zur Moral, zur Kultur und zur Geschichte verbunden sind. Das Netz der Andeutungen und Bilder, das Nietzsche beispielsweise in seinem gedanklichen Gebude zum „Willen zur Macht“ entfaltet, lsst sich nur andeutungsweise auf die fr das 20. Jahrhundert typische Debatte um die Wissenschaft und ihre Grundlagen beziehen, von der aus es zu einer Widerlegung bzw. Entkrftung des wissenschaftlichen Anspruchs kommen soll.1 Zwar werden bereits von ihm die Einseitigkeit und Begrenztheit des wissenschaftlichen Erkenntnismodells von Welt und Mensch thematisiert. Es geht Nietzsche jedoch darum, das Wissen als eine ebenso vielschichtige wie nachhaltige Interpretation des Lebens im Ganzen infrage zu stellen und als solche vor allem in ihrem Verhltnis zur Philosophie und zur Wahrheitsauffassung zu beleuchten. Dass die Wissenschaft sich auf einen Glauben an die Vernunft sttzt, nach dem eine der Vernunft gemße Methode eine durchaus erkennbare Wirklichkeit nach sich zieht, wird von Nietzsche genealogisch hinterfragt. Er geht auf die Grundlagen einer solchen Methode ein und zeigt, dass die Methodologie des wissenschaftlichen Zugangs zum Seienden alles anderes als neutral – bzw. ,wissenschaftlich‘ im noch heute geltenden Sprachgebrauch – ist. Es ist entscheidend, dass Nietzsche in seiner die Wissenschaft enthllenden Analyse keine ,wissenschaftliche‘ Einstellung im engeren Sinne vertritt. Damit ist gemeint, dass er seine Philosophie als Philosophie und nicht als eine fr Wissenschaft pldierende Theorie des modernen Denkens auffasst. Philosophia ist keine ancilla scientiae – so kçnnte man den berhmten, von Papst Gregorius IX (1227 – 1241) berlieferten Satz philosophia ancilla theologiae umformulieren. Die Perspektive Nietzsches, aus der die ganze Problemkonstellation der Wissenschaft im Zeitalter des Positivismus zu entfalten ist, ist eben eine ganz und gar philosophische und sie geschieht um des Wissens willens. Das heißt, dass sich die Annherung an die Wissenschaft in der Richtung einer Besinnung auf das Wissen und dessen Herkunft vollzieht, die rein philosophisch zu denken ist. 1
Man denke hier nur an Heideggers Analyse der Technik, Gadamers radikale Kritik am ,Wissenschaftsbegriff‘ im Falle der Geisteswissenschaften oder an Eugen Finks Unterscheidung zwischen Philosophie und Wissenschaft als einer Unterscheidung zwischen ihren Gegenstandsbereichen: Whrend die Wissenschaften einen vorgegebenen Gegenstandsbereich haben, ist der Philosophie kein Gegenstand einfach gegeben. Daher schreibt Fink: „Die Einzelwissenschaften beziehen sich auf Gegenstnde, die vor der wissenschaftlichen Zuwendung schon vorgegeben sind, vorausliegen […]. Die Einzelwissenschaften finden in der thematischen Zukehr zu ihrem Gegenstand diesen schon als vorhanden und bekannt […] als namentlich gekannt in einer vorwissenschaftlichen Kenntnis.“ (Fink 1985, 10). Eine solche, gegen die Wissenschaft als Paradigma des Weltzugangs gerichtete Einstellung ist in Nietzsches Ansatz zweifellos in nuce enthalten.
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Sofern sich die Wissenschaft als ein methodologisch vernunftgemßer Zugang zum Seienden darstellt, bleibt die Erkenntnis also an einen Wahrheitsbegriff gebunden, der sich alles andere als voraussetzungslos erweist. Die unterstellte Neutralitt und Selbstverstndlichkeit der wissenschaftlichen Methode weisen auf die Voraussetzungen des Vorhandenseins und der Objektivierbarkeit von Wirklichkeit hin, die von der Wissenschaft nicht eigens thematisiert werden kçnnen, sondern eine philosophische Besinnung erfordern. Nietzsche bezieht also zu einer neu zu formulierenden Integritt des philosophischen Denkens Stellung, indem er den Begriff der Wissenschaft vom Leben her beleuchtet. Die Erçrterung einiger Passagen aus der Frçhlichen Wissenschaft, vor allem aus dem fnften, 1887 hinzugefgten Buch, wird zeigen, wie die Vernunft bei Nietzsche in ihrer zweideutigen Valenz infrage gestellt wird: So wird zum einen die angebliche Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft vor dem Hintergrund der sie untergrndig leitenden menschlichen Triebe, unter die von Nietzsche auch die Vernunft gezhlt wird,2 ausgelotet. Die Vernunft kann somit nicht mehr als bloßes Werkzeug des wissenschaftlichen Erkennens gelten. Zum anderen wird sie als ,Trieb zur Erkenntnis‘ aufgefasst, der dazu betrgt, die Wissenschaft als ,Produkt‘ eines Bedrfnisses des Lebens nach Schutz und Sicherheit erscheinen zu lassen. Damit wird wiederum ihre begrenzte Valenz als ,Wahrheit‘ offenkundig. Es soll gezeigt werden, wie Nietzsche die Konstellation der Wissenschaft als eines menschlichen Vertrauens auf die Erreichbarkeit der Wahrheit, als positive, dem Auge des Menschen mçgliche Erschließung des Seienden, zu erschttern vermag und inwiefern er die Zweideutigkeit, ja noch mehr: die darin verborgene Vielseitigkeit eines wissenschaftlichen Blicks zum Vorschein bringt.
2. Nietzsches philosophische Annhrung an die Wissenschaft vollzieht sich zunchst in einem umfangreicheren Kontext, der zwar die Wissenschaft mit einbezieht, jedoch als Bestandteil einer radikalen und umfassenden ,Umdrehung‘3 2
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ber die Vernunft als „eigene[n] neuer Trieb“ schreibt Nietzsche: „[…] handelte die Menschheit wirklich nach ihrer Vernunft d. h. nach der Grundlage ihres M e i n e n s und W i s s e n s , so wre sie lngst zu Grunde gegangen. Die Vernunft ist ein langsam sich entwickelndes Hlfsorgan, was ungeheure Zeiten hindurch glcklicherweise w e n i g Kraft hat, den Menschen zu bestimmen, es arbeitet im D i e n s t e der organischen Triebe, und emancipirt sich langsam z u r G l e i c h b e r e c h t i g u n g mit ihnen – so daß Vernunft (Meinung und Wissen) mit den Trieben kmpft, als ein eigener neuer Trieb – und spt, ganz spt z u m b e r g e w i c h t .“ (NL 1881 11[243], KSA 9, 533). Zum Grundmotiv der ,Umdrehung‘ in Nietzsches Philosophieren verweise ich auf meine Studie Nietzsche und Platon. Begegnung auf dem Weg der Umdrehung des Platonismus, 2006.
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der Perspektive auf das Wissen berhaupt. Eine Philosophie der Wissenschaft bei Nietzsche ist nur durch den Rekurs auf eine, rckblickend ebenfalls genealogisch4 geprgte, Destruktion und Rekonstruktion des Verstndnisses von Wissenschaft durchzufhren. Genealogie bei Nietzsche wird verstndlich, wenn man sie auf einen Begriff von Aufklrung bezieht. Nach diesem Begriff geht es zum einen um Entlarvung5 und Desillusionierung6 dessen, was als ,wahr‘ und ,wirklich‘ erscheint. Denn die Vernunft verfgt ber das Mittel der Destruktion, das uns dazu befhig, die Realitt in ihrer Unbestndigkeit zu durchschauen. Genealogie heißt bei Nietzsche jedoch noch mehr. Neben der destruierenden Ttigkeit, die eines der Bestandteile ihres Verfahrens darstellt, schließt dieser Begriff zum anderen die Mçglichkeit ein, die Diskontinuitt bzw. kontinuierliche Prozessualitt des die Wirklichkeit ausmachenden Werdens aufzuzeigen. Es ist in Nietzsches Augen gewissermaßen naiv, sich mit dem bloßen Abbau zufriedenzugeben. Vielmehr gilt es, die Entlarvung des schon Entlarvten bzw. die Desillusionierung des schon Desillusionerten immer aufs Neue weiterzutreiben, um dem Werden Rechnung zu tragen. Eben darin besteht die Arbeit einer Philosophie, die sich mit Wissenschaft, d. h. mit der Aktualisierung des destruierenden Prozesses der Illusionen, des Aberglauben, der sinnlichen Sicherheiten durch die Vernunft, nicht befriedigen lsst. Und eben das macht den weiteren Schritt aus, den die Frçhliche Wissenschaft gegenber den frheren, gegenber Menschliches, Allzumenschliches und Morgenrçthe, darstellt. Zwar geben sich die ersten zwei Bcher der Frçhlichen Wissenschaft als Fortfhrung der oben genannten Werke im Sinne einer physio-psychologischen Analyse zu erkennen, aber die Rede von der Wissenschaftlichkeit als solcher wird ab dem dritten Buch, das die Vorankndigung des berhmten Satzes „Gott ist todt“ enthlt (FW 108, KSA 3, 467), im Lichte einer unterirdischen, keineswegs selbstverstndlichen Ttigkeit der Vernunft durchgefhrt. Der hier herangezogene Aufklrungsbegriff Nietzsches nhert sich eher der dialektischen Methode, wie sie in der 1947 von Horkheimer und Adorno formulierten Dialektik der Aufklrung zum Ausdruck gebracht wurde.7 Es geht
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Zur Bedeutsamkeit der Genealogie in Nietzsches Kontext schreibt Foucault: „Faire gnalogie […] de la connaissance ne sera jamais partir la quÞte de l’origine, […] ce sera au contraire s’attarder aux mticulosits et aux hasards des commencements.“ (Foucault 1971, 150). Dazu hat sich Foucault kritisch geußert. Vgl. Foucault (1971, besonders 148 ff.). Das ist Eugen Finks Kennzeichnung von Nietzsches genealogischem Verfahren. Fink geht auf Nietzsches Auffassung von Wissenschaft ein und versteht sie als Verfahren zu einer Moral und Kunst demaskierenden Ttigkeit (Fink 1968, 45). Nietzsche ist nicht umsonst der am hufigsten zitierte Autor in der Dialektik der Aufklrung. Zur Nietzsche-Rezeption bei Horkheimer und Adorno s. auch Rath (1987).
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darum, die ,andere Seite‘ der Vernunft zu zeigen8, es geht darum, genauer auf die vielschichtigen, unterirdisch wirkenden menschlichen Triebe einzugehen, um die aufklrungsbedrftige Vernunft philosophisch zu erhellen. Bevor Nietzsche dem schon erschienenen Werk das fnfte Buch und die Vorrede hinzufgt, schreibt er in einer anderen, der 1886 formulierten Vorrede zur dritten Ausgabe der Geburt der Tragçdie: „Wozu, schlimmer noch, w o h e r – alle Wissenschaft?“; und gleich danach: „Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus?“ (GT Versuch, KSA 1, 12 f.). Auf diese Fragen gibt Nietzsche zunchst mit seinem Titel eine aufschlussreiche Antwort: Wissenschaft ist nach ihm zunchst einmal eine „frçhliche“. Das Adjektiv, das Nietzsche fr sein der Wissenschaft gewidmetes Buch whlt, bleibt zunchst ebenso erstaunlich wie rtselhaft. Es stammt von den provenzalischen Troubadours des 12. Jahrhunderts, die ihre poetische Kunst als gaya scienza bezeichneten.9 Fnf Jahre nach der Verçffentlichung der Frçhlichen Wissenschaft schreibt Nietzsche in der Vorrede zur Genealogie der Moral, die Heiterkeit sei mit einem „langen, tapferen, arbeitsamen, und unterirdischen Ernst“ verbunden (GM Vorrede 7, KSA 5, 255). Heiterkeit und Ernst scheinen in dieser Weise verbunden zunchst unverstndlich. Nietzsche verbindet hier jedoch die Leichtigkeit der wissenschaftlichen Ttigkeit mit dem Ernst der philosophischen Aufgabe: Heiterkeit und Ernst bilden den Weg zu einem immer wieder neuen Blick auf das Leben. Mit diesen beiden, vordergrndig widersprchlichen Modi der Seele versucht der Philosoph eine Aufgabe zu umreißen, die darin bestehen soll, „alles als werdend zu verstehen, uns als Individuum zu verleugnen, mçglichst aus v i e l e n Augen in die Welt sehen, l e b e n i n Trieben und Beschftigungen, um damit sich Augen zu machen, z e i t w e i l i g sich dem Leben zu berlassen, um hernach zeitweilig ber ihm mit dem Auge zu ruhen“ (NL 1881 11[141], KSA 9, 494 f.). Die Wissenschaft ist eine dieser menschlichen Ttigkeiten: In ihr ist die „Leidenschaft der Erkenntniß“10 (NL 1881 11[141], KSA 9, 495) am Werk, und mit Wissenschaft – so Nietzsche in der Genealogie der 8 Zu diesem Thema im Rahmen einer konsequenten Analyse der Dialektik der Aufklrung verweise ich auf Gentili (2003). 9 Es ist an dieser Stelle vielleicht aufschlussreich daran zu erinnern, dass die Wissenschaftsauffassung Nietzsches eher mit der Literatur und mit dem Fragen nach dem Verhltnis von Wissenschaft und Literatur zu tun hat, wie Gnter Figal in seinem Nachwort zur Frçhlichen Wissenschaft zeigt. Im Kapitel ber die Frçhliche Wissenschaft von Ecce Homo schreibt Nietzsche: „gaya scienza: fast in jedem Satz derselben halten sich Tiefsinn und Muthwillen zrtlich an der Hand. Ein Vers, welcher die Dankbarkeit fr den wunderbarsten Monat Januar ausdrckt, den ich erlebt habe – das ganze Buch ist sein Geschenk – verrth zur Genge, aus welcher Tiefe heraus hier die ,Wissenschaft‘ f r ç h l i c h geworden ist.“ (EH FW, KSA 6, 333) Und auch im Aphorismus 377 der Frçhlichen Wissenschaft nennt er seine „geheime Weisheit“ eine „gaya scienza“ (KSA 3, 628). 10 Vgl. hierzu Brusotti (1994).
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Moral – „ist immer noch ein m e t a p h y s i s c h e r G l a u b e [gemeint], auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht“ (GM III 24, KSA 5, 402). Was genau kommt in dieser auf den ersten Blick so widersprchlichen Assoziation einer ,Frçhlichen Wissenschaft‘ zum Vorschein? Worin besteht die angedeutete Leichtigkeit, ja beinahe Gewichtslosigkeit, Heiterkeit und Gedankenlosigkeit, die die Wissenschaft anstelle des gewohnten strengen Ernstes charakterisieren soll, den Nietzsche statt dessen fr die philosophische Aufgabe reklamiert? Unter dem Titel der „Frçhlichen Wissenschaft“ erscheint zunchst ein Buch, das einen Bruch ankndigt und zugleich einen Abstand zu dem erkennen lsst, was blicherweise als Wissenschaftlichkeit gilt: das Wiedererkennen von ,Tatsachen‘. Mit der Formulierung ,frçhliche Wissenschaft‘ konturiert Nietzsche seine Behauptung, dass die sich als rein theoretisch verstehende Wissenschaft auf einen Glauben, ein Vertrauen, eine berzeugung, d. h. auf ganz unwissenschaftliche Voraussetzungen zurckgefhrt werden muss. Er setzt den Horizont des seit Jahrhunderten als absolut betrachteten Wissens wieder der Mçglichkeit des Erstaunens, der Großartigkeit des anfangenden Blicks auf die Wirklichkeit aus. Wie alles menschliche Wissen, ist auch die Wissenschaft den Begierden, Unsicherheiten, Schwchen und Gewohnheiten des menschlichen Bewusstseins ausgeliefert und durch sie bestimmt. Nur in einer solchen „frçhlichen“ Abstandnahme lsst sich die Wissenschaft als eine solche erklren11 und interpretieren. Wenn Wissenschaft zu betreiben heißt, das Seiende in seiner objektivierten und objektivierbaren Form zu erforschen, dann erscheint dieser wissenschaftliche Weg des Forschens als das eigentlich Fragwrdige. Eine Philosophie der Wissenschaft in diesem skizzierten Sinne erweist sich somit eher als eine Besinnung auf Genese und Herkunft des Status der Wissenschaft als darauf, diesen genau zu umreißen. Wie Nietzsche selbst an einer Stelle suggeriert, geht es der Wissenschaft darum, das Fremde durch das Bekannte zu ersetzen und so zum Objekt der Wissenschaft zu machen. So wird im fnften Buch der Frçhlichen Wissenschaft gesagt, dass die Erkenntnis, genauer die wissenschaftliche Erkenntnis, darin verwurzelt sei, „das Fremde als Objekt“ zu denken. Der hier in voller Lnge zitierte Aphorismus 355, der dem Ursprung unseres „Erkenntnis“-Begriffes gewidmet ist (vgl. FW 355, KSA 3, 593 – 595), macht deutlich, wie Nietzsche dies mittels einer sprachlichen Analyse des Wortes „Erkenntnis“ aufzeigt: — Ich nehme diese Erklrung von der Gasse; ich hçrte Jemanden aus dem Volke sagen ,er hat mich erkannt‘ —: dabei fragte ich mich: was versteht eigentlich das Volk unter Erkenntniss? was will es, wenn es ,Erkenntniss‘ will? Nichts weiter als dies: etwas Fremdes soll auf etwas B e k a n n t e s zurckgefhrt werden. Und wir 11 „Se la scienza vuol chiarire, e chiarirsi, le ragioni della sua seriet nei bisogni e nei godimenti della vita umana, deve anzitutto recedere da questa seriet e cercare di essere ,gaia‘: ci significa anche spensierata, temeraria, avventuriera.“ (Stegmaier 2007, 80).
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Philosophen – haben wir unter Erkenntniss eigentlich m e h r verstanden? Das Bekannte, das heisst: das woran wir gewçhnt sind, so dass wir uns nicht mehr darber wundern, unser Alltag, irgend eine Regel, in der wir stecken, Alles und Jedes, in dem wir uns zu Hause wissen: – wie? ist unser Bedrfniss nach Erkennen nicht eben dies Bedrfniss nach Bekanntem, der Wille, unter allem Fremden, Ungewçhnlichen, fragwrdigen Etwas aufzudecken, das uns nicht mehr beunruhigt? Sollte es nicht der I n s t i n k t d e r F u r c h t sein, der uns erkennen heisst? Sollte das Frohlocken des Erkennenden nicht eben das Frohlocken des wieder erlangten Sicherheitsgefhls sein?… Dieser Philosoph whnte die Welt ,erkannt‘, als er sie auf die ,Idee‘ zurckgefhrt hatte: ach, war es nicht deshalb, weil ihm die ,Idee‘ so bekannt, so gewohnt war? weil er sich so wenig mehr vor der ,Idee‘ frchtete? – Oh ber diese Gengsamkeit der Erkennenden! man sehe sich doch ihre Principien und Weltrthsel-Lçsungen darauf an! Wenn sie Etwas an den Dingen, unter den Dingen, hinter den Dingen wiederfinden, das uns leider sehr bekannt ist, zum Beispiel unser Einmaleins oder unsre Logik oder unser Wollen und Begehren, wie glcklich sind sie sofort! Denn ,was bekannt ist, ist erkannt‘: darin stimmen sie berein. Auch die Vorsichtigsten unter ihnen meinen, zum Mindesten sei das Bekannte l e i c h t e r e r k e n n b a r als das Fremde; es sei zum Beispiel methodisch geboten, von der ,inneren Welt‘, von den ,Thatsachen des Bewusstseins‘ auszugehen, weil sie die u n s b e k a n n t e r e Welt sei! Irrthum der Irrthmer! Das Bekannte ist das Gewohnte; und das Gewohnte ist am schwersten zu ,erkennen‘, das heisst als Problem zu sehen, das heisst als fremd, als fern, als ,ausser uns‘ zu sehn… Die grosse Sicherheit der natrlichen Wissenschaften im Verhltniss zur Psychologie und Kritik der Bewusstseins-Elemente – u n n a t r l i c h e n Wissenschaften, wie man beinahe sagen drfte – ruht gerade darauf, dass sie das Fr e m d e als Objekt nehmen: whrend es fast etwas Widerspruchsvolles und Widersinniges ist, das Nicht-Fremde berhaupt als Objekt nehmen zu w o l l e n … (FW 355, KSA 3, 594 f.)
Das Gewçhnliche als das Bekannte nennt Nietzsche den „Irrthum der Irrthmer“. Denn jenseits aller Selbstverstndlichkeit erscheint das Gewçhnliche weit davon entfernt, das Bekannte zu sein: Es ist eher das Fragwrdigste, eben weil es als das Selbstverstndliche erscheint. Die Wissenschaft befragt nicht das Gewçhnliche, sondern das, was ihr als Fremdes begegnet. Das Gewçhnliche als solches rckt in den Hintergrund, es ist das Feste und Sichere und darin wissenschaftlich uninteressant. Die modernen Wissenschaftler handeln, als ob sie immer schon wssten, womit sie es zu tun haben, und lassen das Gewçhnliche als das bereits Bekannte außer Acht. In dieser Hinsicht verfahren sie wie die Geometer im sechsten Buch der Politeia, wo Platon den Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie erlutert. Ihre Voraussetzungen (hypotheseis) sind auch die Grundlagen jeder Wissenschaft im modernen Sinne: Man fragt nicht nach ihnen, oder besser gesagt: Sobald man nach den Voraussetzungen fragt, verlsst man den Rahmen der Wissenschaft. Die Unselbstverstndlichkeit ist hingegen das, was fr die Philosophie konstitutiv ist und sie ausmacht. Nietzsches Befragung geht subtil vor: Die Wissenschaft gehçrt zu den menschlichen, allzumenschlichen Wissenserscheinungen und ruht auf menschlichen Bedrfnissen auf. Die neutrale Auffassung von Wissenschaft bedarf einer Befreiung
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von den Tuschungen des Rationalismus und Historismus, sie bedarf einer „Umdrehung“.
3. Die Wissenschaft gehçrt als solche in den vielschichtigen Zusammenhang der menschlichen Lebensdarstellungen. Sie ist demnach als eine mçgliche Interpretation des Lebens zu verstehen. Und dennoch ist sie zu seinem Wahrheitsparadigma schlechthin avanciert. Die genealogische Analyse des modernen wissenschaftlichen Denkens zielt bei Nietzsche darauf, das menschlich, allzumenschliche Bedrfnis dieser Wahrheit zu enthllen: Der Mensch hat eine logische Welt erkannt, eben weil er diese Welt so errichtet hat, dass sie ihm erlaubt, Dinge als Objekte in ihr zu entdecken. Die vernunftgeleitete Methode der Wissenschaft vergisst ihre innere Motivation und wird damit dem Leben fremd. Aufgabe der Philosophie ist daher die „Umdrehung“ dieser Voraussetzungen. Nietzsche zielt damit auf eine Umgestaltung des sogenannten „kontemplativen“ Menschen – er ist das eigentliche Thema der Frçhlichen Wissenschaft –, der die logisierte Welt unbefragt lsst, als ob die Logik eine Voraussetzung des Denkens berhaupt wre oder sogar die Voraussetzung des Denkens, wie es in der positivistischen Einstellung der modernen Wissenschaft geschieht. Das Bekannte ist das, was wir nicht eigens hinterfragen und was auf diese Weise zum Fundament des Wissens wird. Die Wissenschaft schließt also die Augen vor dem Boden ihres eigenen Wissens, wie Nietzsche einige Jahre spter schreibt: „Es giebt, streng geurtheilt, gar keine ,voraussetzungslose‘ Wissenschaft, der Gedanke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch: eine Philosophie, ein ,Glaube‘ muss immer erst da sein, damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen Sinn, eine Grenze, eine Methode, ein Re c h t auf Dasein gewinnt. (Wer es umgekehrt versteht, wer zum Beispiel sich anschickt, die Philosophie ,auf streng wissenschaftliche Grundlage‘ zu stellen, der hat dazu erst nçthig, nicht nur die Philosophie, sondern auch die Wahrheit selber a u f d e n K o p f z u s t e l l e n “ . (GM III 24, KSA 5, 400)
In diesen Zeilen tritt die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Philosophie und damit ihr jeweiliges Verhltnis zur Wahrheit zutage, genauer: Die verkehrte Beziehung, die zwischen Wissenschaft und Philosophie und wiederum zwischen Wahrheit als Ziel und Wahrheit als Voraussetzung des wissenschaftlichen Verfahrens besteht. Wenn die Wissenschaft auf Tatsachen basiert, sollte danach gefragt werden, was ,Tatsachen‘ berhaupt sind. In Nietzsches hermeneutischer Auffassung von Wahrheit sind Tatsachen gerade Nichtwahrheiten. Deshalb ist es nçtig, Tatsachen als interpretationsbedrftig zu verstehen. Die positivistische Wissenschaft begrndet ihren Anspruch auf ewige Gltigkeit
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damit, dass sie Meinungen zu Tatsachen erklrt. Tatsachen sind jedoch noch immer ,Schatten Gottes‘, und Nietzsche schreibt dazu in der Frçhlichen Wissenschaft, dass „wir […] auch noch seinen Schatten besiegen [mssen]“ (FW 108, KSA 3, 467). Die positivistische Wissenschaft ist ,falsch‘, insofern sie diese grundstzliche Verwechslung nicht anerkennt. Nietzsches gedanklicher Anstrengung und philosophischer Bemhung, welche durch ihr genealogisches Verfahren die Kontingenz alles Wissens betont, liegt dagegen der Anspruch auf Wahrheit als einem Weg zur Verdeutlichung zugrunde, und darin der Versuch, das Leben stets neu und anders zur Geltung zu bringen. Sein genealogisches und darin ,umkehrendes‘ Verfahren fhrt zu einer Hermeneutik der Wissenschaft als grundstzlicher Besinnung auf das menschliche Wissen. Die Selbstverstndlichkeit der modernen theoretischen Welt wird somit zur ersten und leitenden Fragestellung des modernen Philosophen; er zielt darauf, ihre unhinterfragten Voraussetzungen sowie ihre unbegrenzte Vernunftglubigkeit infrage zu stellen. Wenn es wahr ist, dass erst die Philosophie der Wissenschaft Richtung und Sinn verleiht, kann die Philosophie selbst als eine sich in sich ,umkehrende‘ verstanden werden: Damit das Wissen wieder philosophia wird, d. h. Liebe zum Wissen um dessen Grenzen und ihrer berwindung willen, muss sich die Philosophie allererst selbst berwinden. Die neue geistige Haltung – fhig und willens, eine Blickwendung auf das Wissen selbst zu vollziehen – bestnde nach Nietzsche gerade darin, die Dinge unter vielen Perspektiven zu betrachten, um sie berhaupt vor den Blick bringen zu kçnnen. Wie er mit einer fast Husserlschen Terminologie sagt: „Aufgabe: die Dinge s e h e n , w i e s i e s i n d ! M i t t e l : Aus hundert Augen auf sie sehen kçnnen, aus v i e l e n Personen!“ (NL 1881 11[65], KSA 9, 466). Von hier aus lsst sich die philosophische Auffassung der Wissenschaft bei Nietzsche durchaus als eine ,epistemologische‘ umreißen, d. h. als eine, die sich auf den Aufbau von Wissen konzentriert. Der destruierende und zugleich konstruktive Charakter eines unvermeidlich im Werden lokalisierten Wissens bestimmt eine Philosophie der Wissenschaft dadurch als Hermeneutik, dass die Interpretation die ,Wahrheit‘ des methodologischen Verfahrens der Wissenschaft neu verortet. In Nietzsches Perspektive ist diese ,genealogische Hermeneutik‘12 der kulturellen Bildung und des Wachstums des menschlichen Lebens aus der Moral heraus zu fassen. Moral bedeutet hier keine Kodifizierung der Sittlichkeit, sondern eher das Setzen von Werten. Der genealogisch geprgte Versuch zu einer solchen Hermeneutik der Wissenschaft wird in Nietzsches Denken dort erkennbar, wo das Setzen eines Wertes als eine bloß mçgliche, jedoch zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt relevante Interpretation aufgefasst wird. 12 Eine kluge Interpretation der Philosophie der Wissenschaft bei Nietzsche findet sich in B. Babich (1994, vor allem 200 ff.).
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Aus dieser Perspektive kann das Verhltnis von Wahrheit und Interpretation anders verstanden werden denn als eine Außerkraftsetzung von ,Wahrheit‘ um willen der ,Interpretation‘. Sie verleiht der Wahrheit vielmehr selbst eine zentrale Bedeutung fr einen Verstndnishorizont, in dem sich das Leben nur in der Interpretation darstellt. Die Wissenschaft ist Interpretation, sofern sich ihre Wahrheit im Rahmen der Interpretation als dem umfangreicheren Horizont des Lebens, d. h. des Werdens berhaupt, abspielt. In einem solchen Horizont werden die originren Nçte des Menschen, die u. a. auch zur Wissenschaft fhren, beleuchtet und in ihrem ursprnglichen Gewicht hervorgehoben. Nur durch dieses philosophische Befragen und Hinterfragen kommt das nur scheinbar „leichter als das Fremde“ erkennbare Bekannte, von dem Nietzsche im Aphorimus 355 der Frçhlichen Wissenschaft spricht, in seiner Fragwrdigkeit zur Geltung. Nur die Vielfalt des mçglichen Interpretierens bringt die ,Wahrheit‘ als ein Lebensbedrfnis des Menschen ans Licht und lsst sie als ein solches bestehen – denn Wahrheit bei Nietzsche besagt nichts anderes als Interpretation.
Literatur Babich, Babette (1994): Nietzsche’s Philosophy of Science. New York (State University of New York Press). Brusotti, Marco (1994): Die Leidenschaft der Erkenntnis. Philosophie und sthetische Lebensgestaltung bei Nietzsche von ,Morgenrçthe‘ bis ,Also sprach Zarathustra‘. Berlin, New York (de Gruyter). Gentili, Carlo (2003): „Nietzsche nella Dialettica dell’Illuminismo“. In: Carlo Gentili/ Volker Gerhardt/Aldo Venturelli (Hg.): Nietzsche, Illuminismo, Modernit. Firenze (Leo. S. Olschki Editore) S. 65 – 76. Drr, Hans-Peter/Panikkar Ramon (2008): Liebe – Urquelle des Kosmos. Freiburg (Herder). Figal, Gnter (2000): Nachwort zur Frçhlichen Wissenschaft. Stuttgart (Reclam), S. 313 – 325. Fink, Eugen (1968): Nietzsches Philosophie. Stuttgart (Kohlhammer). Fink, Eugen (1985): Einleitung in die Philosophie. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann). Foucault, Michel (1971): „Nietzsche, la gnalogie, l’histoire“. In: Suzanne Bachelard (Hg.): Hommage Jean Hyppolite. Paris (Presses Universitaire de France). Lossi, Annamaria (2006): Nietzsche und Platon. Begegnung auf dem Weg der Umdrehung des Platonismus. Wrzburg (Kçnigshausen & Neumann). Rath, Norbert (1987): „Zur Nietzsche-Rezeption Horkheimers und Adornos“. In: Willem van Reijen/Schmid Noerr Gunzelin (Hg.): Vierzig Jahre Flaschenpost. „Dialektik der Aufklrung“ 1947 bis 1987. Frankfurt am Main (Fischer), S. 73 – 110. Stegmeier, Werner (2007): „Gaia scienza, arte della filosofia“. In: Francesco Totaro (Hg.): Verit e prospettiva in Nietzsche. Roma (Carocci Editore).
Wissenschaft als Haltung: Nietzsches Selbstdarstellung als Folgerung aus dem Perspektivismus Andrea Spreafico Die Wahrheit als Produkt Das Thema des Lebens ist in Nietzsches Philosophie zentral, obwohl das Wort ,Leben‘ selten erklrt wird. Der Begriff ,Leben‘ kommt in Nietzsches Werk zwar nicht hufig vor, dass aber Reflexionen ber das Leben seine Arbeit durchziehen, ist nicht zu bezweifeln. Dieses Nachdenken ber das Leben wird in Also sprach Zarathustra im Kapitel „Von der S e l b s t - b e r w i n d u n g “ als Gesprch mit einer fiktiven Lebensfigur inszeniert. In seiner berhmten Erzhlung berichtet Zarathustra, wie das Leben ihn anspricht, um sich selbst darzustellen: Sie wird von Zarathustra den Weisesten mitgeteilt. Der Perser erklrt ihnen, dass das, was sie fr eine reine Wissenschaft halten, der Effekt ihres Willens zur Macht sei. Diese triebhafte Dimension der Erkenntnis gehçre zu ihnen als lebendige Wesen und das Leben selbst htte diesen strukturellen Willen zur Macht bewiesen: „Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Fssen deines Willens zur Wahrheit!“ (Z II Selbstberwindung, KSA 4, 148). Da, „wo Leben ist, da ist auch […] Wille zur Macht“ (Z II Selbst-berwindung, KSA 4, 149), und da jede Philosophie das Produkt einer lebendigen Ttigkeit ist, ist jede Philosophie das Produkt der herrschenden Instinkte der Erkennenden, die diese Philosophie entwickelt haben. In Gçtzendmmerung wird die Wahrheit, der vorangehenden Argumentation entsprechend, als Ergebnis von Instinkten bezeichnet. Die Philosophie Sokrates’, in deren System die Vernunft den hçchsten Platz einnehme, wird hier zusammen mit der Philosophie Platons als Verfalls-Symptom, als Werkzeug der Auflçsung der prsokratischen griechischen Gesellschaft bezeichnet. Der Verfall dieser Gesellschaft liege in den Eigentmlichkeiten der Aristokratie begrndet und habe in Sokrates‘ Philosophie seine theoretische Entsprechung gefunden. Die Aristokratie habe ihre eigenen Idiosynkrasien in denjenigen Sokrates’ wiedererkannt und folglich dessen Versuch, seine eigene Idiosynkrasie zu berwinden, als eine allgemeine Rettungsmçglichkeit bernommen.
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„Der Fanatismus“, schreibt Nietzsche, „mit dem sich das ganze griechische Nachdenken auf die Vernnftigkeit wirft, verrth eine Nothlage“ (GD Sokrates 10, KSA 6, 72). Sokrates ist die Figur, die eine epochale und notwendige Wendung vermittelt, wobei Sokrates nicht Gestalter ist, sondern Symptom. Sokrates ist nur ein Mensch, der gegen eine Aristokratie kmpft, der er nicht angehçren kann. Die Verehrung der Vernunft und ihre sokratische Thematisierung seien die Mittel im Kampf des Sokrates. Ein Kampf, den Sokrates verstehe, aber nicht verwalte: „[E]r begriff, dass s e i n Fall, seine Idiosynkrasie von Fall bereits kein Ausnahmefall war“ (GD Sokrates 9, KSA 6, 71). Hier wird also eine Abstraktion, Sokrates’ Lehre, als Produkt eines lebendigen Konflikts verstanden. Sokrates’ Lehre ist, nach Nietzsche, als Wirkung der herrschenden Instinkte des Philosophen zu verstehen. Alle Lehren und Wahrheiten msse man als Produkte von Instinkten, die sich im Einzelnen zeigen, innerhalb des Kontextes der materiellen Ttigkeit des Einzelnen verstehen. In der Geschichte, wie im Fall der Erkenntnis nach Zarathustra, ist der Mensch – auch der ausgezeichnete Mensch – nicht Tter, sondern Produkt. Der Erkennende wird nicht als Subjekt, sondern als „Fußstapfen“, Symptom, Werkzeug oder Streitobjekt eines grçßeren Erfordernisses betrachtet; er kann nicht ber das Leben urteilen, sondern ihm nur dienen oder es bekmpfen. Alles, was das Leben bekmpft, gehçrt im Werk Nietzsches in die Kategorie des Nihilismus. Die Frage ist dann: Hat diese Symptomkette auch Gltigkeit fr Nietzsche als Schriftsteller? Dient Nietzsches Werk dem Leben oder bekmpft es das Leben? Und wovon ist es dann ein Symptom?
Dem Leben dienen Im Aphorismus „Unser Fragezeichen“ in Die frçhliche Wissenschaft stellt Nietzsche die Frage nach dem Wert seines Werks mit tapferer Ehrlichkeit. Nach Nietzsches Vorstellungen kennt der Erkennende zwei Haltungen: Verehrung und Skepsis. Die zweite treibt die Philosophie an: „So viel Misstrauen, so viel Philosophie“, wohingegen die Verehrung dazu fhre, „Werthe zu erfinden, welche den Werth der wirklichen Welt b e r r a g e n sollten“ (FW 346, KSA 3, 580). Dies ergebe sich aus dem anmaßenden Glauben, dass unsere in der Welt entstanden Vorstellungen einen grçßeren Wert haben kçnnten, als ihr Ursprung, dass ,Mensch‘ und ,Welt‘ zwei verschiedene Sachen seien und dass der Mensch Richter der Welt sein kçnne. Nietzsche zhlt sich zu den Skeptikern, die diese dualistische Vorstellung in Frage stellen. „[W]ir lachen schon, wenn wir, Mensch u n d Welt‘ nebeneinander gestellt finden, getrennt durch die sublime Anmassung des Wçrtchens ,und‘!“ (FW 346, KSA 3, 581). Das Lachen bezieht sich auf die Haltung einer frçhlichen Wissenschaft, die auf die Frage nach dem Wert der Erkenntnis fr die „Erhaltung der menschlichen Gattung“ (FW 1,
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KSA 3, 369) einfach lacht, da sie versteht, dass die Antwort nicht dem Einzelnen gehçren kann. Die Frage kann aber doch vom Einzelnen gestellt werden und Nietzsche hat keine Hemmung, sie zu stellen, ohne sie zu beantworten. Er fragt, ob der Argwohn des Gegensatzes „Welt-Mensch“ nicht selbst nihilistisch sei, wobei er diese Dualitt, die uns als Vorstellung das berleben sichere, in Frage stellt. Wenn die falsche Vorstellung in der Vergangenheit das berleben der Menschheit gesichert hat, warum sollte der Zweifel an dieser Vorstellung dann dem Leben dienen? Diese Frage beantwortet Nietzsche nicht, gemß der Idee der Verantwortungslosigkeit einer frçhlichen Wissenschaft. Sein Fragezeichen ist ein logisches Fragezeichen: „,entweder schafft eure Verehrungen ab oder – e u c h s e l b s t !‘ Das Letztere wre der Nihilismus; aber wre nicht auch das Erstere – der Nihilismus?“ (FW 346, KSA 3, 581). Obwohl deutlich wird, dass die Verehrung des Gegensatzes ,Mensch – Welt‘ nicht dem Leben dient, weil sie ihre eigene Zugehçrigkeit zur Welt verneint und insofern nihilistisch ist, wird jedoch nicht auf die gleiche Weise deutlich, dass der Argwohn dem Leben dient. Das heißt, dass man den Dualismus Mensch – Welt der Welt gemß verneinen kann, aber auch, dass sich die Skepsis der Geschichte gemß nicht als richtig erwiesen hat. Die Skepsis kann nicht als die alte Wahrheit, als adaequatio intellectus et rei, begrndet werden. Worin begrndet sich dann die Parteiname fr die Skepsis gegen die Verehrung alter Wahrheiten, fr den Perspektivismus und gegen den Dualismus Mensch – Welt? Wenn die Erkenntnis nicht auf der Realitt des Bekannten beruht, wie kann man sie dann bewerten?
Die Haltung der Naturwissenschaften, die Pose der Geisteswissenschaften und das eigene Fatum In den Aphorismen 230 und 231 in Jenseits von Gut und Bçse, die wenige Monate vor dem Aphorismus Unser Fragezeichen geschrieben wurden, setzt sich Nietzsche mit dem Problem der Erkenntnis aus der Perspektive der Grausamkeit der menschlichen Natur auseinander. Redlichkeit, Liebe zur Wahrheit, Liebe zur Weisheit, Aufopferung fr die Erkenntniss, Heroismus des Wahrhaftigen, – es ist Etwas daran, das Einem den Stolz schwellen macht. Aber wir Einsiedler und Murmelthiere, wir haben uns lngst […] berredet, […] dass auch unter solcher schmeichlerischen Farbe und bermalung der schreckliche Grundtext homo natura wieder heraus erkannt werden muss. Den Menschen nmlich zurckbersetzen in die Natur; ber die vielen eitlen und schwrmerischen Deutungen und Nebensinne Herr werden, welche bisher ber jenen ewigen Grundtext homo natura gekritzelt und gemalt wurden; machen, dass der Mensch frderhin vor dem Menschen steht, wie er heute schon, hart geworden in der Zucht der Wissenschaft, vor der a n d e r e n Natur steht. (JGB 230, KSA 5, 169).
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Die ganze Bandbreite der Erkenntnis des Menschen aus der Verehrung wird hier in die Kategorie der „bermalung“ geordnet; sie gehçre zur menschlichen Eitelkeit, zum Versuch, die menschliche Ttigkeit zu loben. Die Naturwissenschaften lehrten uns eine andere Haltung dem Problem der Natur des Menschen gegenber als diejenige, die die Geisteswissenschaften bisher eingenommen haben. Die ehrliche Haltung der Naturwissenschaften wird hier nicht weiter thematisiert, aber als Gegenmittel gegen die Pose der Geisteswissenschaften dargestellt, die in der Selbstvorstellung des Menschen als Gottes Lieblingssohn verhaftet seien. Die Naturwissenschaften spielen hier eine Rolle als Typologie der Untersuchung. Diese Typologie wird in Der Antichrist noch mit einem malerischen Bild ausgefhrt: A l l e Methoden, a l l e Voraussetzungen unsrer jetzigen Wissenschaftlichkeit haben Jahrtausende lang die tiefste Verachtung gegen sich gehabt, auf sie hin war man aus dem Verkehre mit ,honnetten‘ Menschen ausgeschlossen, – man galt als ,Feind Gottes‘, als Verchter der Wahrheit, als ,Besessener‘. Als wissenschaftlicher Charakter war man Tschandala. […] Zuletzt drfte man, mit einiger Billigkeit, sich fragen, ob es nicht eigentlich ein sthetischer Geschmack war, was die Menschheit in so langer Blindheit gehalten hat: sie verlangte von der Wahrheit einen p i t t o r e s k e n Effekt, sie verlangte insgleichen vom Erkennenden, dass er stark auf die Sinne wirke. Unsre B e s c h e i d e n h e i t gieng ihr am lngsten wider den Geschmack. (AC 13, KSA 6, 179)
Die wissenschaftliche Bescheidenheit, die zuwenig „pittoresk“ war, sei die Ursache dafr gewesen, dass Wissenschaftler in der Vergangenheit verachtet worden seien. Die Bescheidenheit ist aber ein notwendiger Aspekt jenes Verstndnisses, das einem anderen Interessensfeld angehçrt: dem wissenschaftlichen Verstndnis. Man bemerkt, dass Nietzsches Neigung zu den Naturwissenschaften eher in den Bereich des Geschmacks als in denjenigen der Wahrheit gehçrt und dass sie oft im Kontext der menschlichen Natur auftaucht. Auch vier Jahre vor diesen Aphorismen finden wir ein Lob auf die Physik als Haltung. Im Aphorismus Hoch die Physik! im vierten Buch von Die frçhliche Wissenschaft beweist Nietzsche die Unmçglichkeit einer epistemologischen oder moralischen Rechtfertigung unserer eigenen Aktionen und schließt: B e s c h r n k e n wir uns also auf die Reinigung unserer Meinungen und Werthschtzungen und auf die S c h ç p f u n g n e u e r e i g e n e r G t e r t a f e l n : – ber den ,moralischen Werth unserer Handlungen‘ aber wollen wir nicht mehr grbeln! […] Wir […] w o l l e n D i e w e r d e n , d i e w i r s i n d , – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu mssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der Welt werden: wir mssen P h y s i k e r sein, um, in jenem Sinne, S c h ç p f e r sein zu kçnnen, – whrend bisher alle Werthschtzungen und Ideale auf Un k e n n t n i s s der Physik oder im W i d e r s p r u c h mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und hçher noch das, was uns zu ihr z w i n g t , – unsre Redlichkeit! (FW 335, KSA 3, 563 f.)
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Die Naturwissenschaft ist auch hier eine Haltung des Erkennenden. Sie beweist nicht viel, außer der Mçglichkeit, eine Erkenntnis zu entwickeln, die der Mensch in ihrer Notwendigkeit anerkennen kann, eine Erkenntnis, die die Menschen gegenber den ungeschçnten Grundtext ihrer Natur stellt. Warum sollte man aber wiederum eine Haltung fçrdern, die letztendlich willkrlich scheint, wenn sie weder ihre Wahrheit noch ihren Dienst am Leben beweisen kann? Nietzsche hat diese Frage am Ende des schon zitierten Aphorismus 230 in Jenseits von Gut und Bçse – wo er fr eine Enthllung des schrecklichen Textes „Homo Natura“ pldiert – folgendermaßen gestellt: Warum wir sie whlten, diese tolle Aufgabe? Oder anders gefragt: ,warum berhaupt Erkenntniss?‘ – Jedermann wird uns darnach fragen. Und wir, solchermassen gedrngt, wir, die wir uns hunderte Male selbst schon ebenso gefragt haben, wir fanden und finden keine bessere Antwort… (JGB 230, KSA 5, 169 f.)
Keine bessere Antwort als diejenige, die im folgenden Aphorismus gegeben wird. Das Lernen verwandelt uns […] Aber im Grunde von uns, ganz ,da unten‘, giebt es freilich etwas Unbelehrbares, einen Granit von geistigem Fatum, von vorherbestimmter Entscheidung und Antwort auf vorherbestimmte ausgelesene Fragen. Bei jedem kardinalen Probleme redet ein unwandelbares ,das bin ich‘ […]. Spter – sieht man in ihnen nur Fusstapfen zur Selbsterkenntniss, Wegweiser zum Probleme, das wir s i n d , – richtiger, zur grossen Dummheit, die wir sind, zu unserem geistigen Fatum, zum Un b e l e h r b a r e n ganz ,da unten‘. (JGB 231, KSA 5, 170)
Seine eigene intellektuelle Ttigkeit als ein Schicksal zu verstehen, ist die letzte Folgerung, die Nietzsche aus seiner Anerkennung der perspektivischen Dimension der Erkenntnis zieht. Sein eigenes Fatum ist also das, was Nietzsches Arbeit bedingt. Nietzsches Werk ist nicht das Ergebnis eines Strebens nach der Wahrheit oder einer moralischen Pflicht, dem Leben zu dienen, sondern es ist vielmehr das Symptom seines Fatums. Was Nietzsches Werk jedoch vom Bereich der Poesie unterscheidet, ist die Tatsache, dass er dieses Fatum nicht nur postuliert und akzeptiert, sondern auch untersucht. Auf dieser Untersuchung beruht seine Glaubwrdigkeit. Wenn man nun eine Weltanschauung nicht auf Gott oder eine der Gottesvorstellung entsprechende Lehre zurckfhren will und wenn man eine Wahrheit als die eigene Wahrheit denken muss, dann kann man entweder schweigen oder man muss sie sich wie ein Schicksal vorstellen – wobei ich betonen mçchte: ein Schicksal nicht das Schicksal. Dies macht Nietzsche in zweierlei Hinsicht im Jahr 1888, in Gçtzendmmerung und in Ecce Homo. In Gçtzendmmerung schließt er seine Polemik gegen die Philosophie, die fr ihn mit der Psychologie der Sokratesfigur anfngt und mit den ,Streifzgen eines Unzeitgemssen‘ endet, mit der Einordnung seiner eigenen Person in die Geschichte der Kultur berhaupt ab. Er formulierte dabei einen neuen Begriff des Altertums und leitet darum mit seinen Arbeiten den Beginn einer erneuten
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Renaissance ein. Man kann sagen, dass Gçtzendmmerung der Ort ist, an dem Nietzsche im Kapitel „Was ich den Alten verdanke“ sein historisches Recht postuliert, eine Wahrheit zu behaupten; dieses Recht beruht laut Nietzsche auf „Mehrwert“ gegenber Goethe. „Ich war der erste, der […] jenes wundervolle Phnomen ernst nahm, das den Namen des Dionysos trgt […]. Ich zweifle in der That nicht daran, dass Goethe etwas Derartiges grundstzlich aus den Mçglichkeiten der griechischen Seele ausgeschlossen htte. Fo l g l i c h v e r s t a n d G o e t h e d i e G r i e c h e n n i c h t .“ (GD Alten 4, KSA 6, 158 f.) In Ecce Homo wird dieses Recht untersucht und erklrt. Die Objekte dieser Untersuchung sind die Produkte des Autors und der Autor selber, d. h. eine Erkenntnis und ihr Ausgangspunkt.
Die Bedingungen einer Weltanschauung Nach einer Erklrung im Vorwort ber den Sinn seines ganzen Werkes, geschieht es eben im Namen von „Fatum“ und „Leben“ – d. h. im Namen der zwei Elemente, die Nietzsches Diskurs ber den Grund der Erkenntnis polarisieren –, dass Nietzsche im Kapitel „Warum ich so weise bin“ mit einer Darlegung seines Standpunktes beginnt. „Das Glck meines Daseins, seine Einzigkeit vielleicht, liegt in seinem Verhngniss: ich bin, um es in Rthselform auszudrucken, als mein Vater bereits gestorben, als meine Mutter lebe ich noch und werde alt. Diese doppelte Herkunft […] erklrt jene Neutralitt, jene Freiheit von Partei im Verhltniss zum Gesammtprobleme des Lebens“ (EH weise 1, KSA 6, 264). Dieses Kapitel erklrt, welche Art von lebendigem Wesen Nietzsche ist; es beschreibt also die Bedingungen von Nietzsches Diskurs ber das Leben. Die Untersuchung des Lebens kann aber, wie bereits erklrt, das Leben nicht nur als bloßes Objekt betrachten; sie muss es gleichzeitig als ihre eigene Bedingung auffassen – als Toter kann man selbstverstndlich nicht eine Untersuchung fhren. Die Selbstdarstellung ist also ein notwendiges Element eines Wissens, das voraussetzt, dass jedes Wissen durch einen lebendigen Standpunkt bedingt ist. Sie ist aber nicht als Autobiographie gedacht. Zuerst beschreibt Nietzsche seine Natur, d. h. sich als „Un b e l e h r b a r e n ganz ,da unten‘“ und gibt danach dem Leser die Bedingungen an, die die Entwicklung dieses Fatums erlaubt haben. Das Kapitel „Warum ich so klug bin“ macht eben dieses in seinen ersten drei Paragraphen: Es findet in der Dit, der Auswahl des Wohnorts und der Art der Erholung heraus, was fr Nietzsche „gesetzlich“ und „notwendig“ ist, um zu werden was man ist. Dit, Auswahl des Wohnort und die Art der Erholung werden nicht beschrieben, um die Neugier des Leser zu befriedigen, sie sind vielmehr die Elemente des Lebens, die die (lebendige) intellektuelle Ttigkeit bedingen. Dieses Kapitel fngt nicht zufllig mit den Worten an: „Warum ich Einiges m e h r weiss?“, und erwhnt die dualistische Rechtferti-
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gung des Wissens als Gegensatz zu seiner perspektivischen Rechtfertigung: „Ich habe nie ber Fragen nachgedacht, die keine sind […]. Eigentliche religiçse Schwierigkeiten […] kenne ich nicht aus Erfahrung.“ (EH klug 1, KSA 6, 278). Das Thema ,Gott‘ spielt bei Nietzsche als Autor keine Rolle. Nietzsche schreibt, was er schreibt, weil er es als sein Schicksal versteht; er hat aber dieses Schicksal nicht, weil ein Gott dies bedingt htte, sondern weil er zum Beispiel Wagner getroffen hat, weil er bestimmte Dinge gegessen hat, an bestimmten Orten gewohnt und sich auf bestimmte Weise erholt hat. In diesem Sinne ist das Kapitel „Warum ich so klug bin“ aus Ecce Homo das programmatische Beispiel einer perspektivischen Philosophie der Zukunft, die sich die Haltung der Naturwissenschaft als ihr Untersuchungsobjekt einverleibt und sich als bedingtes Produkt eines bestimmten Standpunktes versteht und diesen Standpunkt folglich rechtfertigen muss.
Nietzsches Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit und seine Tugend der intellektuellen Redlichkeit1 Manuel Knoll Zusammen mit dem Sophisten Protagoras, der seine Lehren vom Perspektivismus des Wissens und vom Relativismus der Wahrheit bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. formulierte, zhlt Nietzsche zu den radikalsten abendlndischen Kritikern der menschlichen Erkenntnis (Platon Tht, 151d-179d). In vorliegendem Aufsatz kann Nietzsches Erkenntnistheorie natrlich nicht umfassend interpretiert werden. Ziel ist es auch nicht, die Argumente von seiner Kritik der Korrespondenztheorie der Wahrheit (Wahrheit als adaequatio rei et intellectus) zu untersuchen.2 Stattdessen reflektiert der Aufsatz ber die Frage, wie Nietzsche das Verhltnis von Wahrheit und Moral bzw. von Ethik und Erkenntnis begreift. Dazu soll in einem ersten Schritt analysiert werden, warum fr Nietzsche der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit im moralischen Willen zur Wahrhaftigkeit wurzelt und was er an ihm und an dem Glauben an den Wert der Wahrheit kritisiert. In einem zweiten Schritt mçchte der Aufsatz zeigen, dass Nietzsches Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit durch seinen eigenen Willen zur Wahrhaftigkeit motiviert ist. Damit stellt sich drittens die Frage, ob sich seine Kritik in Folge dessen in Widersprche verstrickt und ob Nietzsches Position konsistent ist. Bei der Untersuchung dieser Fragestellung wird eine erste Interpretation von Nietzsches eigenem Willen zur Wahrhaftigkeit gegeben, der seiner Tugend der intellektuellen Redlichkeit gleichkommt. Auf dieser Grundlage versucht der Aufsatz abschließend einen Beitrag zur aktuellen Debatte ber Nietzsches Gerechtigkeitsbegriff zu leisten, in der Chiara Piazzesi treffend die Relevanz der Gerechtigkeit fr die ethischen Probleme der Erkenntnis verdeutlicht.3 Der Aufsatz mçchte zeigen, dass Nietzsches Tugend der intellektuellen Redlichkeit ein zentraler Bestandteil seiner ,Ethik der Er1 2 3
Diese Arbeit entstand an der Fatih University, 34500 Bykcekmece, Istanbul. Ich danke herzlich Andreas Urs Sommer fr seine scharfsinnige Kritik und seine wertvollen Anregungen und Hinweise. Vgl. zu beidem Grimm (1977) und Clark (1990). Piazzesi untersucht zudem das spannungsvolle Verhltnis von Liebe und Gerechtigkeit und kann dabei auch verschiedene Zusammenhnge mit anderen zentralen Themen von Nietzsches Denken herausarbeiten (Piazzesi 2010). Vgl. zu einer Skizze der Debatte ber Nietzsches Gerechtigkeitsbegriff und zu einem berblick ber die Forschungsliteratur Knoll (2009, 156 – 158).
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kenntnis‘ ist, die ein Denken fordert, das seinen Gegenstnden so weit wie mçglich Gerechtigkeit zuteil werden lsst.
1. Die Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit und am Glauben an deren Wert In seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral ußert Nietzsche: „Der Wille zur Wahrheit bedarf einer Kritik“ (GM III 24, KSA 5, 401).4 Zentral fr diese Schrift ist Nietzsches Aufruf zum Kampf gegen das „asketische Ideal“. Darunter versteht er vor allem die christliche Interpretation und Wertung des menschlichen Lebens, die dieses zu einem Jenseits in Beziehung setzen und von dorther verneinen (GM III 23 und 28, KSA 5, 395 – 398 und 411 f.). Nietzsche fragt, ob das gegnerische Ideal in der modernen Wissenschaft zu finden ist. Seine Antwort fllt negativ aus, weil er die Wissenschaft selbst als die jngste und vornehmste Form des asketischen Ideals begreift. Dies begrndet er damit, dass die Voraussetzung der Wissenschaft ihr Glauben an den Wert der Wahrheit ist, der dem Glauben an das asketische Ideal gleichkommt (GM III 24 – 27, KSA 5, 398 – 411). Dieses Urteil ist nicht leicht nachvollziehbar. Zugrunde liegt ihm Nietzsches Gedanke, dass der Wille zur Wahrheit im moralischen Willen zur Wahrhaftigkeit wurzelt bzw. im moralischen Willen nicht zu tuschen. Bereits in seiner frhesten erkenntnistheoretischen Schrift ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinne 5 von 1873 begreift Nietzsche die Wahrheit und den Wahrheitstrieb im Zusammenhang mit der Lge und der Tuschung. Ausgangspunkt seiner berlegungen sind die Konsequenzen, die die Evolutionstheorie fr das menschliche Erkenntnisvermçgen hat.6 Haben sich die
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Vgl. JGB 1 und 2, KSA 5, 15 – 17. Vgl. zu dieser unverçffentlichten Schrift und zur Rolle, die Gustav Gerbers Sprachtheorie fr sie spielt: Hçdl (1997). Nietzsche wurde durch Gerbers 1871 erschienenes Werk Die Sprache als Kunst nicht nur inspiriert, sondern bernahm auch wçrtlich Passagen aus ihm. Nietzsche hat sich bereits in jungen Jahren viel mit Darwin und dem Darwinismus auseinandergesetzt und etliche Schriften zu diesem Thema studiert (vgl. hierzu Choung 1980, 62 ff.). Wie das Verhltnis von Nietzsche und Darwin verstanden werden muss, ist in der Literatur umstritten. Im Gegensatz zur lteren Literatur kommt Werner Stegmaier zu dem Ergebnis: „Nietzsche war, was den wissenschaftlichen Gehalt von Darwins Evolutionstheorie betrifft, trotz einiger Einwnde entschiedener Darwinist in allen Phasen seines Schaffens“ (Stegmaier 1987, 269). Auch wenn Nietzsche seine Vorbehalte und Einwnde in Aphorismen mit plakativen berschriften wie Anti-Darwin ußert, die ihn „schließlich doch als Anti-Darwinisten erscheinen“ lassen, treffen sie „die wissenschaftliche Evolutionstheorie jedoch durchweg nicht im Kern, jedenfalls nicht in ihrem heute erforschten Sinn“ (Stegmaier 1987, 271). Vgl. zur neuesten Literatur zum Ver-
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Menschen als Nachfahren des Affen und als „kluge Thiere“ zu verstehen, dann mssen sie sich von einigen der bedeutendsten religiçsen und philosophischen berzeugungen des Abendlandes verabschieden (WL 1, KSA 1, 875 f.). Weder kann der Mensch weiterhin als das Ebenbild Gottes angesehen werden noch die Vernunft als ein gçttliches Element im Menschen, das es dem Philosophen erlaubt, die Wahrheit ber die gesamte Wirklichkeit zu erkennen.7 In Folge der Evolutionstheorie wird es notwendig, den menschlichen Intellekt und damit die Sprache und die Wissenschaft aus biologischer Perspektive zu verstehen. Der Intellekt ist das Mittel zur Selbsterhaltung des „Mngelwesens“8 Mensch, dem ein „Kampf um die Existenz mit Hçrnern oder scharfem Raubthier-Gebiss zu fhren versagt ist“ (WL 1, KSA 1, 875 f.). Mit der Vergesellschaftung der Menschen mussten einheitliche und gltige sprachliche Bezeichnungen der Dinge „erfunden“ und „fixirt“ werden (WL 1, KSA 1, 877). Im Zusammenhang damit entstanden die „ersten Gesetze der Wahrheit“ und der „Contrast von Wahrheit und Lge: der Lgner gebraucht die gltigen Bezeichnungen, die Worte, um das Unwirkliche als wirklich erscheinen zu machen; er sagt z. B. ich bin reich, whrend fr diesen Zustand gerade ,arm‘ die richtige Bezeichnung wre“ (WL 1, KSA 1, 877). Nach Nietzsches frher „Genealogie“ des Wahrheitsbegriffs entstand dieser im Zusammenhang mit dem knstlerischen Trieb des Menschen, Wçrter und Begriffe zu bilden (WL, KSA 1, 883, 887). Die Wçrter sind letztlich nur Metaphern fr die Dinge, deren Wesen dem Menschen unzugnglich und unerkennbar ist. Die Begriffe der menschlichen Sprache sind nicht imstande, so das Fazit von Nietzsches Argumentation, die Wahrheit ber die Dinge zum Ausdruck zu bringen (vgl. M II 118, KSA 3). In nominalistischer Tradition versteht Nietzsche die Wçrter als konventionelle Zeichen fr die individuellen Dinge.9
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hltnis von Nietzsche und Darwin Sommer (2010), und eine Reihe von anderen Beitrgen in demselben Band. Vgl. zur Gçttlichkeit der menschlichen Vernunft etwa Platon (Rep, 518e); vgl. Platon (Rep, 490b), und Aristoteles (Nik. Eth, 1177b 27 ff.), sowie Aristoteles (Met, 1074b 15 ff.). Die Auffassung, dass die Vernunft die gesamte Wirklichkeit zu erkennen erlaubt, ist von Platon und Aristoteles bis hin zum Deutschen Idealismus fr das abendlndische philosophische Denken grundlegend. Die These vom Menschen als Mngelwesen wird inhaltlich zum ersten Mal in der Anthropologie des Sophisten Protagoras formuliert (Platon Prot, 321a–d). Der Ausdruck „Mngelwesen“ stammt von Gottfried Herder. Von Arnold Gehlen wird er in seinem Hauptwerk verwendet, um die Sonderstellung des Menschen in der Natur auf den Begriff zu bringen (Gehlen 1986). Rdiger Grimm erklrt ber Nietzsches Essay ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinne: „In this brief essay, Nietzsche embraces a rigorous nominalism (reminiscent of David Hume), and makes the point that language, by its very nature, is incapable of telling us anything about things as they really are“ (Grimm 1977, 94). Philosophiegeschichtlich betrachtet wird die Position des Nominalismus von Wilhelm von Ockham begrndet. Ockham erlangte seine Bedeutung vor allem dadurch, dass er den Jahr-
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Das Leben in der Gesellschaft verpflichtete die Menschen, wahrhaftig zu sein, das heißt die gngigen Metaphern fr die Dinge zu gebrauchen. Da die Begriffe nicht die Wahrheit ber die Dinge erfassen, werden die vergesellschafteten Menschen verpflichtet, nach einer „festen Convention zu lgen“ (WL 1, KSA 1, 881). Im Lauf der Jahrhunderte vergaßen die Menschen, dass sie nach einer festen Konvention logen und dachten, sie sagten mit den Begriffen die Wahrheit ber die Dinge. Ihre Vergesslichkeit wurde zur Ursache dafr, dass sie das „Gefhl der Wahrheit“ ausbildeten (WL 1, KSA 1, 881). Aus der Verpflichtung zum Gebrauch der konventionellen Metaphern entstand nach Nietzsche auch eine „moralische auf Wahrheit sich beziehende Regung“ (WL 1, KSA 1, 881). Inhalt dieser Regung ist es, die Begriffe gemß den gngigen Bedeutungen zu gebrauchen und dabei nicht zu lgen oder zu tuschen. Das gilt sowohl fr den Bau der Begriffe in der Alltagssprache als auch in der Wissenschaft. Ein zentraler Aphorismus, der Nietzsches spte Reflexionen ber den wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit formuliert, trgt den Titel „I n w i e f e r n a u c h w i r n o c h f r o m m s i n d “ (FW 344, KSA 3, 574 – 577).10 Der Aphorismus steht im fnften Buch der Frçhlichen Wissenschaft, das Nietzsche erst der zweiten Auflage von 1887 hinzufgte. Gegenstand seiner Ausfhrungen ist die Wissenschaft, ber die er erklrt, sie sei keineswegs voraussetzungslos. Vielmehr setze sie den Wert der Wahrheit als ihren obersten Wert voraus. Ihren Glauben an diesen Wert hinterfrage sie jedoch trotz all ihres professionellen Zweifelns und Misstrauens nicht. Genau dies tut dagegen Nietzsche in seinem Aphorismus. Damit stellt er den Glauben an den Wert der Wahrheit erstmals in der Geschichte der Philosophie – so zumindest sein Selbstverstndnis – in Frage (vgl. JGB 1, KSA 5, 15). In seinem Argument leitet Nietzsche den wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit von dem moralischen Willen ab, nicht zu tuschen. Die logische Prmisse von Nietzsches Argument ist, dass der Wille zur Wahrheit auf zwei Weisen interpretiert werden kann: Erstens als vorteilsorientierter Wille, sich hunderte whrenden Streit um die Universalien, die Allgemeinbegriffe, zugunsten des Nominalismus entschied (vgl. zum Universalienstreit Libera 2005). Vor Beginn des Universalienstreits herrschte lange das durch Platon und Augustinus geprgte begriffsrealistische Verstndnis vor, dem zufolge den Allgemeinbegriffen als platonischen Ideen oder Gedanken Gottes eine selbststndige, den Einzeldingen vorrangige Wirklichkeit zukommt. Nach Ockham dagegen entspricht den Allgemeinbegriffen nichts an sich selbst bestehendes Reales. Stattdessen versteht er sie lediglich als natrliche Zeichen fr die individuellen Dinge der Welt. Die Konsequenz seiner Lehre war, dass die aristotelische Einheit von Sprache von Welt aufgelçst und das philosophische Denken mit einer unhintergehbaren Differenz von Begriff und Wirklichkeit konfrontiert wurde (vgl. hierzu Ockham 1987, 16 f.; vgl. dazu Beckmann 1995). 10 Vgl. zu diesem Aphorismus und zu einer hnlichen Rekonstruktion von dessen zentralem Argument Clark (1990, 185 ff.).
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nicht tuschen zu lassen. Dieser Wille ist mit der Annahme begrndet, dass es schdlich und gefhrlich ist, getuscht zu werden. Zweitens lsst sich der Wille zur Wahrheit moralisch interpretieren als Wille, nicht zu tuschen. Letzterer Wille begreife den Willen, sich nicht tuschen zu lassen, ein. Die erfahrungsabhngige Prmisse von Nietzsches Argument ist, dass Wahrheit und Unwahrheit beide gleichermaßen ntzlich sind.11 Aus dieser Prmisse folgt fr ihn, dass der Glaube an den Wert der Wahrheit nicht aus einem Ntzlichkeitskalkl heraus entstanden sein kann. Im Gegenteil, dieser Glaube besteht trotz der fr Nietzsche bewiesenen Tatsache, dass der „Wille zur Wahrheit“ auch unntz und gefhrlich ist. Die erste Konklusion seines Arguments lautet daher: Folglich bedeutet ,Wille zur Wahrheit‘ nicht ,ich will mich nicht tuschen lassen‘, sondern – es bleibt keine Wahl – ,ich will nicht tuschen, auch mich selbst nicht‘: – und hiermit sind wir auf dem Boden der Moral. Denn man frage sich nur grndlich: ,warum willst du nicht tuschen?‘ namentlich wenn es den Anschein haben sollte, – und es hat den Anschein! – als wenn das Leben auf Anschein, ich meine auf Irrthum, Betrug, Verstellung, Blendung, Selbstverblendung angelegt wre (FW 344, KSA 3, 576).
Offenbar nimmt Nietzsche in seinem Argument Gedanken aus ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinne wieder auf. So beruht fr ihn der Wille zur Wahrheit auf der alten moralischen Konvention, nicht zu lgen oder zu tuschen, die fr ihn keine verbindlichen Grnde beanspruchen kann. Diese moralische Konvention sieht er in seiner Sptphilosophie als Teil der jdischchristlichen Auslegung und Verneinung der diesseitigen Welt an, die er als „asketisches Ideal“ bezeichnet. Whrend der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit den Willen bedeutet, nicht zu tuschen und zu lgen bzw. wahrhaftig zu sein, ist das Leben fr Nietzsche auf Irrtum, Betrug und Verstellung angelegt. Das Leben, die Natur und die Geschichte sind nicht moralisch. Daraus folgt, dass der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit das Leben und die diesseitige Welt verneint und wie das asketische Ideal eine andere fiktive Welt bejaht. Das ist sein zentraler Kritikpunkt. Nietzsche kritisiert den wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit also aus der wissenschaftsexternen Perspektive des Lebens, das den Maßstab und den positiven Bezugspunkt seiner Kritik darstellt (FW 344, KSA 3, 576 f.). 11 Bereits in der 1886 erschienenen Schrift Jenseits von Gut und Bçse erklrt Nietzsche: „Gesetzt, wir wollen Wahrheit: w a r u m n i c h t l i e b e r Unwahrheit? Und Ungewissheit? Selbst Unwissenheit?“ (JGB 1, KSA 5, 15). Zudem: „Bei allem Werthe, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wre mçglich, dass dem Scheine, dem Willen zur Tuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein fr alles Leben hçherer und grundstzlicher Werth zugeschrieben werden msste“ (JGB 2, KSA 5, 16 f.). Vgl. MA I 34, KSA 2 und FW 287, KSA 3 sowie JGB 4, KSA 5. Vgl. hierzu und zu weiteren Textstellen aus dem Nachlass Claudia Ibbeken (2008, 61, 63, 65, 67).
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Whrend der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit auf dem moralischen Willen zur Wahrhaftigkeit beruht, basiert dieser wiederum wie die gesamte abendlndische Moral auf der christlichen Gottesvorstellung. Letztere hat ihrerseits Wurzeln im Platonismus. So erklrt Nietzsche bndig: „Christenthum ist Platonismus fr’s ,Volk‘“ (JGB Vorrede, KSA 5, 12). Die religiçsen und metaphysischen Wurzeln des Willens zur Wahrheit benennt Nietzsche in einer Textpassage aus Inwiefern auch wir noch fromm sind, die er in der 1887 erschienenen Genealogie der Moral komplett zitiert: Es ist kein Zweifel, der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne, wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt, b e j a h t d a m i t e i n e a n d r e We l t als die des Lebens, der Natur und der Geschichte; und insofern er diese ,andre Welt‘ bejaht, wie? muss er nicht ebendamit ihr Gegenstck, diese Welt, u n s r e Welt – verneinen?… Doch man wird es begriffen haben, worauf ich hinaus will, nmlich dass es immer noch ein m e t a p h y s i s c h e r G l a u b e i s t , auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, – dass auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch u n s e r Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein Jahrtausende alter Glaube entzndet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato’s war, dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit gçttlich ist… (FW 344, KSA 3, 577; vgl. GM III 24, KSA 5, 400 f.).
Der Glaube an den Wert der Wahrheit ist fr Nietzsche engstens mit dem religiçsen Glauben an die Existenz Gottes verknpft und hat letztlich seine Wurzeln in der Metaphysik Platons. Die Existenz Gottes wird vom Christentum als die Wahrheit, im Sinne der absoluten Offenbarungswahrheit, postuliert (vgl. Hrle 2009). Aus dem christlichen Wahrheitsbegriff leitet sich die ethische Forderung der Wahrheitsliebe ab, das heißt die Forderung, gemß den in Offenbarung und Glauben begrndeten und deshalb ,wahren‘ sittlich-religiçsen Normen zu leben. Das ist das christliche Verstndnis von Wahrhaftigkeit. Fr Nietzsche ist der Glaube an den christlichen Gott sptestens seit dem 19. Jahrhundert „unglaubwrdig geworden“ (FW 343, KSA 3, 573). Als Ursache dieser Entwicklung sieht er letztlich den christlichen Willen zur Wahrhaftigkeit an, der die Belege fr die „Ungçttlichkeit des Daseins“ nicht mehr ignorieren kann (FW 357, KSA 3, 600). In diesem Zusammenhang lobt Nietzsche seinen philosophischen Lehrer Schopenhauer, dem er „Rechtschaffenheit“ und einen „unbedingte[n] redliche[n] Atheismus“ attestiert. Unmittelbar darauf spricht er von einer „zweittausendjhrigen Zucht zur Wahrheit, welche am Schlusse sich die L g e im Glauben an Gott verbietet“ (FW 357, KSA 3, 600). Diese Aussage wiederholt und zitiert er wiederum in der Genealogie der Moral, so wie auch die folgende Textpassage: Man sieht, w a s eigentlich ber den christlichen Gott gesiegt hat: die christliche Moralitt selbst, der immer strenger genommene Begriff der Wahrhaftigkeit, die Beichtvter-Feinheit des christlichen Gewissens, bersetzt und sublimirt zum wissenschaftlichen Gewissen, zur intellektuellen Sauberkeit um jeden Preis (FW 357, KSA 3, 600; vgl. GM III 27, KSA 5, 409).
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Wie das Christentum nach Nietzsche als Dogma an seiner eigenen Moral zugrunde ging, erwartet er, dass es in den nchsten 200 Jahren auch noch als Moral zugrunde gehen wird: „Nachdem die christliche Wahrhaftigkeit einen Schluss nach dem andern gezogen hat, zieht sie am Ende ihren s t r k s t e n S c h l u s s , ihren Schluss g e g e n sich selbst; dies aber geschieht, wenn sie die Frage stellt ,w a s b e d e u t e t a l l e r W i l l e z u r Wa h r h e i t ? ‘“ (GM III 27, KSA 5, 410). Nietzsches Antwort lautet: Aller Wille zur Wahrheit bedeutet einen Willen zum Nichts, eine Verneinung des Lebens und der Welt.12 Das verdeutlicht, warum er die Wissenschaft selbst als die jngste und vornehmste Form des asketischen Ideals begreift. Genealogisch betrachtet liegt dem Willen zur Wahrheit nach Nietzsche ein Wille zur Macht zugrunde. Diesen Gedanken, den er bereits im Zarathustra ußert, fhrt er detailliert in der Genealogie der Moral aus, in der er den Willen zur Wahrheit auf den Willen zur Macht der Priesterschaft, der Schwachen und der Leidenden zurckfhrt (Z II Selbst-Ueberwindung, KSA 4, 146).
2. Die Tugend der Redlichkeit als Motiv fr die Kritik am Willen zur Wahrheit Nietzsches Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit ist letztlich durch seinen eigenen Willen zur Wahrhaftigkeit motiviert. Whrend sich Nietzsche vom Glauben an den christlichen Gott geistig befreien wollte und konnte, war dies bei seinem Willen zur Wahrhaftigkeit nicht der Fall. Es gibt eine Reihe von Belegen dafr, dass ihm das sehr wohl bewusst war. So beklagt er in der Frçhlichen Wissenschaft, den allermeisten Menschen fehle das „i n t e l l e c t u a l e G e w i s s e n “ (FW 2, KSA 3, 373). Damit meint er, dass es die allermeisten Menschen nicht „verchtlich“ finden, „diess oder jenes zu glauben und darnach zu leben, o h n e sich vorher der letzten und sichersten Grnde fr und wieder bewusst worden zu sein und ohne sich auch nur die Mhe um solche Grnde hinterdrein zu geben“. An diese Kritik anschließend betont er, es sei „d a s Ve r l a n g e n n a c h G e w i s s h e i t “, das „die hçheren Menschen von den niederen scheidet!“ (FW 2, KSA 3, 373; vgl. FW 335, KSA 3, 560 – 564). Nietzsches Ausfhrungen ber das „i n t e l l e c t u a l e G e w i s s e n “ und „d a s Ve r l a n g e n n a c h G e w i s s h e i t “ drften die Tugend der Redlichkeit erlutern, von der er in Jenseits von Gut und Bçse sagen wird: Redlichkeit, gesetzt, dass dies unsre Tugend ist, von der wir nicht loskçnnen, wir freien Geister – nun, wir wollen mit aller Bosheit und Liebe an ihr arbeiten und 12 Bemerkenswert ist, dass er trotz seiner scharfen Kritik in der Genealogie der Moral vorsichtig ußert, seine Aufgabe sei es, den Willen zur Wahrheit „versuchsweise einmal in Fr a g e z u s t e l l e n “ (GM III 24, KSA 5, 401).
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nicht mde werden, uns in u n s r e r Tugend, die allein uns brig blieb, zu ,vervollkommnen‘ (JGB 227, KSA 5, 162).
Im Einklang damit erklrt Nietzsche in Ecce home, sein Zarathustra sei „wahrhaftiger als sonst ein Denker“. Allein seine Lehre habe „die Wahrhaftigkeit als oberste Tugend“ (EH Schicksal 3, KSA 6, 367). Im Zarathustra fhrt er aus: „Nichts nmlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit“ (Z IV Menschen 8, KSA 4, 360, vgl. Z I Hinterweltlern, KSA 4, 36 f.).13 Diese Aussagen belegen, wie hoch Nietzsche den Wert der „intellektuellen Rechtschaffenheit“ veranschlagt, um es in der Terminologie von Max Weber auszudrcken, der stark von Nietzsche inspiriert und beeinflusst war (Weber 1917, 601).14 In Anbetracht der angefhrten Belege stellt sich die Frage, ob sich Nietzsches allgemeine Kritik am wissenschaftlichen Willen zur Wahrheit mit seinem eigenen redlichen Willen zur Wahrhaftigkeit vereinbaren lsst und ob seine Position konsistent ist. In der Vorrede zur Morgenrçthe erklrt Nietzsche, dass in diesem Buch der „Moral das Vertrauen gekndigt“ wird – und zwar „A u s M o r a l i t t ! “ (M Vorrede 4, KSA 3, 16).15 Gegen diese Aussage kçnnte mit Jrgen Habermas sofort einwendet werden, sie sei wie Nietzsches selbstbezgliche Kritik der Vernunft aporetisch und widersprchlich (Habermas 1989, 120 f., 129, 144 f.). Nietzsche selbst ußert in der Vorrede ausdrcklich, mit ihrer Kritik der Moral aus Moralitt stelle seine Morgenrçthe einen Widerspruch dar. Er betont jedoch sofort, dass er sich davor nicht frchtet. Was sich in ihm vollziehe, sei in eine Formel gebracht: „d i e S e l b s t a u f h e b u n g d e r M o r a l “ (M Vorrede 4, KSA 3, 16). Nietzsche war sich – wie bereits erwhnt – bewusst, dass er in diesem Prozess, der sich in ihm und durch ihn vollzog, nicht frei war. So erklrt er in diesem Zusammenhang: Aber es ist kein Zweifel, auch zu uns noch redet ein ,du sollst‘, auch wir noch gehorchen einem strengen Gesetz ber uns, – und dies ist die letzte Moral, die sich auch uns noch hçrbar macht, die auch wir noch z u l e b e n wissen, hier, wenn irgendworin, sind auch wir noch M e n s c h e n d e s G e w i s s e n s : dass wir nmlich nicht wieder zurckwollen in Das, was uns als berlebt und morsch gilt, in irgend etwas ,Unglaubwrdiges‘, heisse es nun Gott, Tugend, Wahrheit, Gerechtigkeit, Nchstenliebe; dass wir uns keine Lgenbrcken zu alten Idealen gestatten (M Vorrede 4, KSA 3, 16). 13 Die oben anfhrten Textpassagen legen wie auch andere nahe, dass Nietzsche „Wahrhaftigkeit“ und „Redlichkeit“ synonym verwendet. Vgl. dazu Clark (1990, 241); Lampert (1986, 3, 205); Lampert (1993, 9, 277, 293, 319); dagegen White (2001, 64 f.). 14 Vgl. zu Nietzsches Einfluss auf Max Weber Germer (1994) und Peukert (1989) sowie Schwaabe (2010). 15 In Ecce homo spricht Nietzsche im Zusammenhang mit der Bedeutung des Namens „Zarathustra“ von der „Selbstberwindung der Moral aus Wahrhaftigkeit“ (EH Schicksal 3, KSA 6, 367).
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Was sich in Nietzsches Kritik des Willens zur Wahrheit vollzieht, ist – um es mit Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu sagen – die Aufklrung ber die Aufklrung, die „Reflexion der Wissenschaft auf sich selbst“. Daher stellt Nietzsche fr die beiden kritischen Theoretiker das „Gewissen der Aufklrung“ dar (Adorno/Horkheimer 1987, 139).16 Wird jedoch Nietzsches eigener redlicher Wille zur Wahrhaftigkeit nicht auch von der Kritik betroffen, die er an diesem grundstzlich bt? Macht er sich nicht selbst der Verneinung der diesseitigen Welt und des Lebens schuldig? Dagegen muss eingewendet werden, dass Wahrhaftigkeit nicht gleich Wahrhaftigkeit ist. Nietzsche spricht in der Vorrede von Menschliches, Allzumenschliches explizit vom „Luxus m e i n e r Wahrhaftigkeit“, und hebt dabei das Wort „meiner“ hervor (MA I Vorrede 1, KSA 2, 14).17 In der Morgenrçthe, in der er verschiedene Stufen der „Wa h r h a f t i g k e i t “ unterscheidet, bezeichnet er die Redlichkeit als „eine der jngsten Tugenden“ und als eine „w e r d e n d e Tu g e n d “18, die „weder unter den sokratischen noch unter den christlichen Tugenden vorkommt“ und die „wir fçrdern oder hemmen kçnnen, je nachdem unser Sinn steht“ (M V 456, KSA 3, 275; vgl. M V 536 und 556, KSA 3, 306 und 325 sowie Z I Hinterweltlern, KSA 4, 37). Nicht jeder wissenschaftliche Wille zur Wahrheit lsst sich auf den christlichen Willen zur Wahrhaftigkeit und die christliche Moralitt reduzieren.19 Die Wissenschaft, die Nietzsche vor Augen hat, ist eine frçhliche Wissenschaft, die ihre Rechtfertigung darin findet, dass sie dem Leben dient bzw. ntzt.20 Wie bereits darlegt, kann der wissenschaftliche Wille zur Wahrheit nach Nietzsche auf zwei Weisen interpretiert werden: Erstens als vorteilsorientierter Wille, sich nicht tuschen zu lassen, und zweitens als moralischer Willen, nicht zu tuschen. Nietzsches Tugend der Redlichkeit zielt nicht darauf ab, nicht zu tuschen und nicht zu lgen. Vielmehr liegt ihr ein Wille zugrunde, sich nicht tuschen zu lassen und den Gegenstnden der Erkenntnis gerecht zu werden, soweit das bei aller interpretierenden Bemchtigung mçglich ist. Nietzsches Redlichkeit ist sowohl eine Tugend des Willens als auch eine dianoetische Tugend, d. h. eine Tugend des 16 Nietzsche selbst erklrt, dass seine Schriften „eine Schule des Verdachts“ genannt wurden (MA I Vorrede 1, KSA 2, 13). Diese Geisteshaltung ist fr das Denken der Aufklrung charakteristisch. 17 Vgl. Fn 13. 18 In FW 110, KSA 3, 469 – 471 gibt Nietzsche eine Genealogie der Redlichkeit. Vgl. hierzu White (1991, 66 – 72). 19 Dafr kçnnte etwa das naturgemße Streben nach Wissen angefhrt werden, das nach dem berhmten Anfangssatz der Metaphysik des Aristoteles allen Menschen zu eigen ist (Aristoteles Met, 980a 21). 20 Diese Perspektive auf die Wissenschaft liegt bereits seiner zweiten Unzeitgemßen Betrachtung zugrunde, die nach dem Nutzen und Nachteil der Geschichtswissenschaft fr das Leben fragt (HL, KSA 1; vgl. GM III 24, KSA 5, 401).
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Denkens, die sowohl mit der Leidenschaft der Erkenntnis als auch mit deren Folgerichtigkeit zusammenhngt (M V 482, KSA 3, 286; Z I Hinterweltlern, KSA 4, 36 f.; vgl. FW 107, KSA 3, 464 f. und Gerhardt 2006, 175).
3. Nietzsches Tugend der intellektuellen Redlichkeit und seine Ethik der Erkenntnis Nietzsches Tugend der Redlichkeit fordert vor allem intellektuelle Redlichkeit und damit eine dauernde und konsequente Reflexion und Selbstreflexion. Ein redliches Denken hat sich selbst immer zu hinterfragen und muss sich vor den Meinungen hten und davor, dass diese zu einem Glauben und damit zu berzeugungen21 erstarren. Meinungen und berzeugungen haben letztlich ihren Ursprung in den menschlichen Leidenschaften und sind daher einseitige und ungerechte Perspektiven, die den Dingen nicht gerecht werden (MA I 637, KSA 2, 362). Ein redliches Denken muss in Bewegung bleiben und darf sich nicht zu einem philosophischen System verfestigen. Pointiert formuliert Nietzsche: Nie Etwas zurckhalten oder dir verschweigen, was gegen deinen Gedanken gedacht werden kann! Gelobe es Dir! Es gehçrt zur ersten Redlichkeit des Denkens. Du musst jeden Tag auch deinen Feldzug gegen dich selbst fhren (M IV 370, KSA 3, 244).
In der geistigen Auseinandersetzung und dem unablssigen Krieg der Gedanken triumphiert die Tugend der Redlichkeit selbst dann noch, wenn der eigene „Gedanke unterliegt“ (Z I Krieg, KSA 4, 58). Nietzsches Tugend der intellektuellen Redlichkeit ist ein zentraler Bestandteil von seiner „Ethik der Erkenntnis“22. Diese ist das Resultat seiner Reflexionen ber die ethischen Probleme der Erkenntnis, an die im 20. Jahrhundert Heidegger und Adorno anknpfen.23 Die zentrale Tugend von Nietz21 Eine berzeugung ist nach Nietzsche „der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntnis im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein“ (MA I 630, KSA 2, 356). 22 Eine ausfhrliche Untersuchung von Nietzsches Ethik der Erkenntnis, die in vorliegendem Aufsatz nur skizziert werden kann, leistet Chiara Piazzesi (2010). Im Einklang damit spricht Louis Godbout davon, bei Nietzsche zeichne sich „une nouvelle thique de la pense“ ab. Als franzçsische Quellen von Nietzsches Begriff der Redlichkeit fhrt er Montaigne, Pascal und La Rochefoucauld an (Godbout 2008). 23 Fr Heidegger war das Denken in den frhgriechischen Anfngen der abendlndischen Philosophie noch nicht von der Ethik geschieden. Ihm zufolge bedeutet Denken fr Parmenides ein aufnehmendes In-die-Acht-nehmen und Vorliegenlassen des von sich aus Vorliegenden (vgl. Heidegger 1984, 124 ff.; vgl. dazu Schçnherr-Mann 1996, 55 – 57). Adorno kritisiert den Machtanspruch, den das vorherrschende Identittsdenken gegenber seinen Gegenstnden bekundet und pldiert in seiner „Moral des Denkens“ dafr,
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sches Ethik der Erkenntnis ist nicht bloß die Redlichkeit, sondern auch die Gerechtigkeit, die eng mit ihr verknpft ist (vgl. FW 114, KSA 3, 474). Bereits Friedrich Kaulbach hebt hervor, dass fr Nietzsche „philosophisches Erkennen der Forderung der Gerechtigkeit zu gengen habe“ (Kaulbach 1981, 59; vgl. Kaulbach 1980). Diese Forderung bringt Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches zum Ausdruck: Es giebt freilich auch eine ganz andere Gattung der Genialitt, die der Gerechtigkeit; […]. Ihre Art ist es, mit herzlichem Unwillen Allem aus dem Wege zu gehen, was das Urtheil ber die Dinge blendet und verwirrt, sie ist folglich eine G e g n e r i n d e r U e b e r z e u g u n g e n , denn sie will Jedem, sei es ein Belebtes oder Todtes, Wirkliches oder Gedachtes, das Seine geben – und dazu muss sie es rein erkennen; sie stellt daher jedes Ding in das beste Licht und geht um dasselbe mit sorgsamem Auge herum. (MA I 636, KSA 2, 361; vgl. M V 539, KSA 3, 308 und Petersen 2008)
Diese Textpassage verdeutlicht die Bedeutung, die der Gerechtigkeit im Erkenntnisprozess zukommt. Denken wird gerecht, wenn es ihm gelingt, den Sachen, die erkannt werden sollen, gerecht zu werden. Dieses Ziel wird vom wissenschaftlichen Streben nach Erkenntnis keineswegs immer erreicht. Das lsst sich – um nur einige von vielen mçglichen Beispielen anzufhren – an den moralischen Termini veranschaulichen, mit denen der klassische Philologe und Aristotelesforscher Eckart Schtrumpf die von ihm abgelehnte unitarische Interpretationsmethode kritisiert. Diesem Ansatz wirft er vor, von ihm werde „ein System konstruiert“, das die Gedanken des Aristoteles „verstmmelt“. Zudem sei dieser Ansatz dazu gezwungen, die Aussagen des Aristoteles „zu verkrzen, zurechtzubiegen, gewaltsam umzudeuten“ (Schtrumpf 1991, 61 f. [Fn. 4]).24 Nietzsche kritisiert die Theologen fr ihr „Un v e r m ç g e n z u r P h i l o l o g i e “, das sich daran zeigt, dass sie ihren Gegenstand „zurechtmachen“ und die Tatsachen nicht ablesen kçnnen, „o h n e sie durch Interpretation zu flschen“ (AC 52, KSA 6, 233). Dem „Wille[n] zum System“ wirft Nietzsche grundstzlich einen „Mangel an Rechtschaffenheit“ vor (GD Sprche 26, KSA 6, 63). Derartige Vorwrfe kçnnen verdeutlichen, dass moralische Fragen nicht bloß im Bereich des zwischenmenschlichen Handelns, sondern auch im Bereich der Erkenntnis im Verhltnis des Denkens zu seinem Gegenstand relevant sind. Wie aber kann das Denken seinem Gegenstand, den es erkennen will, mçglichst gerecht werden? Der beste Weg dazu besteht fr Nietzsche darin, dass es in Bewegung bleibt und mçglichst viele verschiedene Perspektiven auf eine
dass sich dieses von der Herrschaft und der Gewalt emanzipiert und versucht, seinen Gegenstnden gerecht zu werden (vgl. Knoll 2000). 24 Vgl. zu einer Kritik an Schtrumpfs Position Knoll (2011). Zu Schtrumpfs Erwiderung auf diese Kritik und zu meiner erneuten Replik siehe: Zeitschrift fr Politik, Heft 3 und 4 (im Erscheinen).
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Sache zu gewinnen versucht (vgl. MA I 638, KSA 2). Gelingt ihm dies, dann nhert sich das Denken einer objektiven Erkenntnis an: Es giebt n u r ein perspektivisches Sehen, n u r ein perspektivisches ,Erkennen‘; und j e m e h r Affekte wir ber eine Sache zu Wort kommen lassen, j e m e h r Augen, verschiedne Augen wir uns fr dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollstndiger wird unser ,Begriff‘ dieser Sache, unsre ,Objektivitt‘ sein (GM III 12, KSA 5, 365, vgl. auch KSA 5, 364).
Geistige Beweglichkeit und ein multiperspektivischer Zugang zum Gegenstand sind fr Nietzsche jedoch nicht ausreichend. Das Denken bedarf noch einer weiteren dianoetischen Tugend, der Tugend der intellektuellen Tapferkeit: Wie viel Wahrheit e r t r g t , wie viel Wahrheit w a g t ein Geist? Das wurde fr mich immer mehr der eigentliche Werthmesser. Irrthum (– der Glaube an’s Ideal –) ist nicht Blindheit, Irrthum ist Fe i g h e i t … Jede Errungenschaft, jeder Schritt vorwrts in der Erkenntnis f o l g t aus dem Muth, aus der Hrte gegen sich, aus der Sauberkeit gegen sich (EH Vorwort 3, KSA 6, 259; vgl. dazu Clark 1990, 196 f.).
Offensichtlich liegt es Nietzsche fern, die Mçglichkeit jeglicher Wahrheit und die Legitimitt jedes willentlichen Strebens nach ihr zu verwerfen. Es geht ihm in seiner Wissenschaftsphilosophie auch keineswegs bloß um Fragen der Macht und der Machtsteigerung. Vielmehr fordert seine Ethik der Erkenntnis, dass sich das Denken seinen Gegenstnden nicht bloß bemchtigt, sondern ihnen im Denken auch – so weit als mçglich – gerecht zu werden versucht. Trotz seiner scharfen Kritik an der Korrespondenztheorie der Wahrheit und an der metaphysischen Hoffnung auf eine Wahrheit ber die Dinge an sich, versucht Nietzsche letztlich durch perspektivische Interpretationen die Wahrheit ber die Gegenstnde seines Denkens zu erlangen. Diesem Streben liegt sein eigener redlicher Wille zur Wahrhaftigkeit zugrunde, der tapfer jeder Verfhrung widerstand, sich tuschen zu lassen.
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Das Schreiben, das Interpretieren, die Tatsachen: Dekonstruktion und Evidenz bei Nietzsche Steffi Hobuß 1. Aktuelle Debatten um Evidenz Sowohl ideologiekritische Anstze, dekonstruktive Lektren und diskurstheoretische berlegungen verbindet aktuell das Nachdenken ber die Spannung zwischen Dekonstruktion und Evidenz: Beinhaltet schon der Begriff der Evidenz zwar einen Hinweis auf eine sichtbare, unmittelbare Gewissheit, die aber andererseits stets in jeweilige kulturelle, soziale oder diskursive Zusammenhnge eingebettet ist, wre auch der Begriff der Dekonstruktion nicht einfach dem Denken der Evidenz entgegenzusetzen. Gleichwohl besteht eine Spannung zwischen der dekonstruktiven Einsicht in die kulturelle Konstruktion von Wahrheitseffekten mit dem Bemhen, Naturalisierungen sichtbar zu machen, und der Erkenntnis der anhaltenden Wirkungsmacht und damit Realitt eben jener historisch gewordenen materiellen und kategorialen Welt (vgl. Thomas/ Hobuß/Kruse/Hennig 2011). Nietzsches Kritik an einem naiv realistischen Wirklichkeitsverstndnis ist von ihm differenziert und durchaus widersprchlich formuliert worden und kann fr jene aktuellen Konfliktlinien gewinnbringend interpretiert werden: Argumentationen aus den aktuellen Debatten in Teilen der Geistes- und Kulturwissenschaften fallen hinter Nietzsches Gedanken zu dieser systematischen Fragestellung zurck. Um dieses zentrale Motiv der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches umfassend zu entfalten, msste sowohl eine Lektre der einschlgigen Passagen aus den frheren Schriften Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne und Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben vorgenommen werden, um von dort aus die Weiterfhrung von Nietzsches Gedanken zu diesem Punkt in der Frçhlichen Wissenschaft und der Gçtzen-Dmmerung diskutieren. In Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne interessiert in einem ersten Schritt Nietzsches Sprachphilosophie, besonders in ihren Konsequenzen fr die Gegenberstellung des vernnftigen und des intuitiven Menschen. Unter anderem zeigt ein berblick ber unterschiedliche Interpretationen von Nietzsches Auffassung, der Mensch als vernnftig sprechender sei gezwungen, im „Begriffsgespinst“ (WL 2, KSA 1, 887) der Sprache zu bleiben, Mçglichkeiten und Schwierig-
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keiten der Aktualisierung Nietzsches auf.1 Eine hnliche Rolle spielen zweitens unterschiedliche Interpretationen der Rolle der Geschichte in Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben. Drittens wre die Rolle der Grammatik in ihrer Verkçrperung kategorialer Systeme zu untersuchen, wenn Nietzsche sie in der Frçhlichen Wissenschaft als „Volks-Metaphysik“ (FW 354, KSA 3, 593) bezeichnet, und die Vernderung des Gedankens in weiteren spteren Schriften, vor allem der Gçtzen-Dmmerung. Vor diesem Hintergrund lassen sich lohnend aktuelle Nietzsche-Interpretationen analysieren, die sich in unterschiedlicher Weise auf seine Betonung des Einzelfalls gegenber der Gattung oder eines Ursprnglichen gegenber den Wahrheitskonstruktionen beziehen. Wie wird Nietzsche ins Spiel gebracht, wenn es darum geht, genealogische oder kulturalisierende Argumentationsweisen zu etablieren oder zu kritisieren, die gleichwohl nicht darauf verzichten, Figuren der Evidenz zu verwenden? Und wie kann diese Evidenz gedacht werden? Hier muss ich mich der Begrenzung wegen auf einige Hinweise beschrnken.
2. Verlust des Realen? Am Institut fr Kulturwissenschaften (IfK) Wien gibt es beispielsweise das Forschungszentrum „Kulturen der Evidenz“, dessen initiale Tagung 2008 nach „Schaupltzen der Evidenz“ suchte, und weitere Veranstaltungen fragten nach dem „Einbruch des Realen“. Hervorgehoben wurde hier, dass die aktuelle Situation aus der Perspektive der Wissenschaftsphilosophie gekennzeichnet sei durch „Gewinne“ und „Verluste“. Diese çkonomische Einschtzung zhlte als „Gewinne[n] der Erkenntnis“ (IfK Wien 2008, 1) mehrere Erkenntnisfortschritte auf, die seit dem linguistic turn und durch den Konstruktivismus gewonnen worden seien: erstens das Wissen um die Medialitt unserer Sicht auf die Ordnung der Dinge, zweitens die Einsicht, dass Diskurse ber die empirische Wahrnehmung von Sachverhalten entscheiden, und drittens die Kenntnis von Regeln, nach denen Bildwelten des Wissens in den Naturwissenschaften erzeugt werden. Diesen aktuellen Gewinnen werden nun aber auch „Verluste“ (IfK Wien 2008, 1) gegenbergestellt und als Preis betrachtet, den die Gewinne offensichtlich gekostet haben. Und als solche „Verluste“ werden aufgefhrt: Das Reale gebe es „nur noch“ in Anfhrungszeichen, „nackte Tatsachen“ kmen „nur noch“ in ironischen Redewendungen vor, die Geschichte erscheine „nur noch“ als Angelegenheit narrativer Strategien, und Handlungsfelder seien „nur noch“ als Rume der Rhetorik zu denken. Eine Nummer der Zeitschrift fr Kultur1
Das kann ich an dieser Stelle nur behaupten; eine ausfhrliche Interpretation und Begrndung ist einer umfassenderen Untersuchung vorbehalten.
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wissenschaften thematisiert in ihrem Titel die „Sehnsucht nach Evidenz“ (Harrasser/Lethen/Timm 2009), und es wird gefragt, ob die „Widerstndigkeit der Gegenstnde“ verschwunden sei, und wie denn „eine eigenstndige Dynamik der Dinge und Situationen“ wissenschaftlich gedacht werden kçnne (IfK Wien 2008, 1). Programmatisch formuliert es ein Text des IfK Wien: In den Kulturwissenschaften herrscht Einigkeit darber, dass der Eindruck von ,Unmittelbarkeit‘ nur so lange besteht, solange kein Wissen ber die Inszenierungsbedingungen der Phnomene, die soziale Codierung der eigenen Wahrnehmung und die mediale bzw. technische Zurichtung der Dinge vorliegt. […] Die Vermutung, dass die Gegenstnde der Wissenschaft sowohl konstruiert als auch daseiend, unvermittelt und vermittelt, robust und fragil, knstlich und „natrlich“ sind, berhrt ein gemeinsames Erkenntnisinteresse von Wissenschaftsforschung und Kulturwissenschaften. Beide scheinen nun vor der Herausforderung zu stehen, ohne Preisgabe der Evidenzskepsis den Blick fr die Eigenlogik der Dinge […] zu schrfen. Die Errungenschaften des ,linguistic turn‘ und des Konstruktivismus sollen nicht unter dem Vorzeichen eines naiven postsemiotischen Zugangs ad acta gelegt werden. (IfK Wien 2010, ohne Seitenangabe)
Programmatisch wird hier ein doppeltes Ziel formuliert: Zum einen soll keine Rckkehr zu einem naiven Realittsverstndnis erfolgen, zum anderen soll gleichwohl gefragt werden kçnnen, was „das Reale“ sein kann, das uns zustçßt und dem wir eine Eigenlogik zuschrieben.2 Sowohl die Rede von „Gewinnen und Verlusten“, die „nur-noch“-Formulierungen in der Aufzhlung der Verluste und die Formulierungen ber die „Gegenstnde der Wissenschaften“ kçnnen vor dem Hintergrund der Gedanken Nietzsches differenzierter untersucht werden, als es zum Teil zur Zeit in der Fortfhrung der Debatte geschieht. Die Formulierungen wie „Das Reale gibt es ,nur noch‘ in Anfhrungszeichen“ zeigen durch das ,noch‘, dass das ,nur‘ hier als defizitres ,nur‘ im Sinne von ,bloß‘ gebraucht ist, dass also etwas vermisst wird, etwas fehlt. Es kçnnte aber auch als kritisches ,nur‘ verstanden werden, d. h. im Sinne von: ,anders lsst es sich nicht denken; anders kann es gar nicht sein‘. Das wre Nietzsches Perspektive, die hier geltend zu machen wre.3
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Vgl. dazu auch Harrasser, Lethen und Timm (2009), die diese doppelte Programmatik an Roland Barthes’ Mythen des Alltags anknpfen, wo es einerseits um Entmythologisierung und andererseits um das Bemhen geht, die historisch gewordene, materielle Welt ernst zu nehmen (Harrasser/Lethen/Timm 2009, 8). Das hier angesprochene kritische ,nur‘ steht damit in einer engen Parallele zum Begriff der grammatischen Stze bei Wittgenstein, die keine empirischen Erkenntnisse ausdrcken, sondern explizite oder implizite Regeln unseres Sprachgebrauchs und daher hufig mit der Reaktion verbunden sind: „Ich kann mir das Gegenteil davon nicht vorstellen“. Vgl. Wittgenstein (PU 251).
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3. „Thatsachen“ gibt es nicht Die widerspruchsvolle Bezugnahme auf etwas Evidentes, auf Tatsachen oder Tatbestnde, zieht sich durch Nietzsches ganzes Werk; in spten Fragmenten berwiegen diejenigen Formulierungen, die die Existenz von Tatsachen in Frage stellen. So im Nachlass vom Herbst 1885, wo Nietzsche schreibt, die „Welt, die u n s e t w a s a n g e h t , ist falsch, d. h. kein Thatbestand“ (NL 1885 2[108], KSA 12, 114). Nun kçnnte man meinen, hier wrde entweder die Existenz von etwas in der Welt berhaupt geleugnet, oder dass die ,wahre Welt‘, die in einem Gegensatz zur falschen stehe, verborgen bleiben msse. Freilich wren das Missverstndnisse: Denn zum einen ist hier von der „Welt, die uns etwas angeht“ die Rede, und dann ist es in der Folge wichtig, wie Nietzsche hier das „falsch“ erlutert, es bedeutet fr ihn nmlich, die Welt sei immer „,im Flusse‘, etwas Werdendes“, „eine sich immer neu verschiebende Falschheit“ (NL 1885 2 [108], KSA 12, 114). Das „falsch“ ist hier also kein simpler Gegensatz zu ,wahr‘ oder ,richtig‘; es geht Nietzsche nicht darum, die Kritik an einem Falschen im Dienste der Aufdeckung eines Wahren zu betreiben, sondern es geht hier um die Betonung des Prozessualen.4 Und im Nachlass von 1887 schreibt Nietzsche, „gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen“ (NL 1887 7[60], KSA 12, 315). Diese gegen positivistische Auffassungen adressierte Bemerkung setzt mit dem Hinweis auf die Interpretationen eine Linie fort, die sich seit dem Frhwerk und der frhen Sprachphilosophie in Nietzsches Schriften findet. Was bedeutet es, dass wir als Philosoph_innen Gefangene „in den Netzen der Sp r a c h e “ (NL 1872 – 1873 19[115], KSA 7, 463) sind?
4. Einige Aspekte von Nietzsches Sprachphilosophie In seiner frhen Sprachphilosophie, wie sie in den Texten von 1870 – 1873/74 erscheint, entwickelt Nietzsche unterschiedliche, zum Teil widersprchliche Sprachursprungstheorien, die sich als Ausgangspunkt nehmen lassen, um nach Weisen der Interpretation und Mçglichkeiten der Aktualisierung Nietzsches zu fragen. Zunchst gibt es in den Fragmenten, die gleichzeitig zur Geburt der Tragçdie entstehen, die Auffassung von der Sprache als einer in der apollinischen Sphre stattfindenden analogen Ableitung aus der „dionysischen Musik“. In Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne vertritt Nietzsche dann die
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Ganz hnlich, aber ohne Bezugnahme auf Nietzsche, formuliert es Gernot Kamecke: „Auch der Wissenschaftler kann mit den Worten spielen, aber er muss wissen, was richtig ist: Er muss sich als Subjekt im Prozess einer Wahrheit konstituieren“ (Kamecke 2009, 24).
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These, unsere Sprache entstehe durch die willkrlichen bertragungen von Nervenreizen in Bilder, die dann in Wçrter bertragen wrden. Michel Haar hat die These vertreten, diesen beiden Konzeptionen sei es gemeinsam, dass die Sprache von einem „ursprnglichen sthetischen Element“ (Haar 1999, 65) hergeleitet werde, und dass diese ursprngliche Herleitung letztlich in Nietzsches gesamter Philosophie bestehen bleibe: Die Sprache geht aus Traumttigkeiten hervor, die sich selbst vergessen oder auslçschen zugunsten der substantiellen Identitten, die die Wçrter dann suggerieren. Insofern sind die Wçrter nicht Imitationen eines Ursprnglichen, sie sind ja keine mimetischen Abbilder, aber sie seien, so Haar, auch keine bloßen Konventionen, denn da sei immer „eine dunkle, unterdrckte Anspielung“ (Haar 1999, 65) auf das Ursprngliche. Das Vergessen komme durch die kollektive, soziale Wiederholung der konventionellen Metaphern zustande; gleichwohl sei dessen Auslçschung niemals komplett: Die Wçrter verbergen ihm zufolge immer Reste ihres Ursprungs. Haar untersucht in seinem Text unterschiedliche Mçglichkeiten, diese Ursprungsreste mit Hilfe stilistischer Verfahren wieder zu revozieren, und unterscheidet dabei zwischen Nietzsches berlegungen ber das Wesen der Sprache einerseits und den Implikationen von Nietzsches eigenem Schreiben und seiner Sprecherposition andererseits: Die Wçrter verbergen Reste von knstlerischer Intensitt, welche das Schreiben oder der ,gute Stil‘ wiederbeleben soll, indem er mit dem antiknstlerischen und metaphysischen Charakter der Herdenkommunikation bricht. (Haar 1999, 67)
Hier wird deutlich, wie sich seine Interpretation und Auffassung strker auf die erste Sprachentstehungstheorie der Geburt der Tragçdie sttzt, die interessanterweise im Werk der Folgejahre nicht vçllig verschwindet, und auch zeitgleich mit Ueber Wahrheit und Lge und noch spter prsent bleibt. So ist es als irritierend empfunden worden – whrend Haars Interpretation sich darauf sttzen kann –, dass es in der vierten Unzeitgemßen Betrachtung. Wagner in Bayreuth heißt, die Sprache der Gegenwart sei erkrankt; ursprnglich vermochte sie starken Gefhlsregungen in aller Schlichtheit zu entsprechen, aber um „das Reich des Gedankens zu erfassen“, habe sie sich davon immer weiter entfernt: Nun sei „die Sprache berall eine Gewalt fr sich geworden, welche nun wie mit Gespensterarmen die Menschen fasst“; nun „erfasst sie der Wahnsinn der allgemeinen Begriffe“, wenn sich die Menschen nur verstndigen wollen; und Nietzsche beklagt schließlich das „Leiden der C o n v e n t i o n “: „des Uebereinkommens in Worten und Handlungen ohne ein Uebereinkommen des Gefhls“ (WB 5, KSA 1, 455). Das wre eine Passage, auf die sich diejenige Interpretation berufen kann, die geltend machen mçchte, wir mssten mit Nietzsche nach den Resten des nicht vçllig vergessenen Ursprungs am Grund der Wçrter suchen. Gegen diese Interpretationslinie lsst sich aber geltend machen, dass zwar seit der Tragçdi-
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enschrift die Idee einer ursprnglichen Differenz oder Kluft zwischen Ursprung und Wçrtern, zwischen Wahrheit und Schein, durchgehend eine wichtige Rolle spielt, dass diese Differenz aber ihre Rolle und Bedeutung fr Nietzsche ndert, und das berhrt die ihm manchmal zugeschriebene Absicht, weiter einen Ursprung reaktivieren zu wollen. Lacoue-Labarthe hat in seiner Lektre Der Umweg (Lacoue-Labarthe 2003) seinen Ausgangspunkt von eben dieser Diagnose genommen, dass das ganze Argumentationsgerst der Tragçdienschrift auf der ursprnglichen Differenz oder „Kluft“ (Lacoue-Labarthe 2003, 139) zwischen Wahrheit und Schein beruht. Und auch er verweist darauf, dass es in Nietzsches frheren Texten die unterschiedlichsten Bestimmungen des Verhltnisses von Sprache und Musik sowie von Sprache und Wahrheit gibt. In den ganz frhen Texten von 1869/70 wird noch das sprachliche Symbol als Zeichen der Wahrheit begriffen, diese Symboltheorie wird aber bald zugunsten des Metaphernbegriffs aufgegeben. Auch nach Lacoue-Labarthe ist die Untersuchung der Musik und der Sprache in der Tragçdienschrift von einer „Sehnsucht nach Nhe des Unmittelbaren, nach Prsenz“ (Lacoue-Labarthe 2003, 150) geleitet. Scheint hier also die Suche nach einer unmittelbaren Prsenz durch, die Nietzsche gern revozieren mçchte? Es gibt eine ganze Reihe von Mçglichkeiten, mit dieser „Heterogenitt“ (Derrida 2003, 203), diesen Spannungen oder Widersprchen im Sptwerk umzugehen und entsprechend viele Interpretationsvorschlge. In einer kleinen Typologie lassen sich die folgenden Interpretationsmçglichkeiten unterscheiden: 1. Man kann mit Nietzsches Entwicklung seiner Gedanken argumentieren; sehr direkt geschieht dies bei Colli im Nachwort zu Wahrheit und Lge, wo er damals schrieb, Nietzsche habe sich hier auf der Ebene des Denkens „noch unreif“ gezeigt, der Text drcke „ein Schwanken und eine theoretische Unsicherheit“ aus (KSA 1, 918). Diese Interpretation scheitert aber daran, dass die unterschiedlichen Weisen der Bezugnahme auf die Wahrheit, auf Prsenz oder Ursprung sich nicht in eine chronologische Sortierung bringen lassen. 2. Ein immer wieder formulierter Vorwurf, es ließen sich eben bei Nietzsche immer beliebige Textstellen nehmen und beliebig interpretieren, bleibt unbefriedigend. 3. An dritter Stelle gibt es die schon genannten Interpretationen, die die Seite betonen, dass Nietzsche versucht habe, Techniken der Darstellung zu finden, die der ursprnglichen Prsenz, dem Realen wieder zu seinem Recht verhelfen sollen, auch wenn die Reste durch Konventionen, Vergessen und Gewçhnung kaum noch sichtbar sind. 4. Viertens wre die Betonung der gegenteiligen Seite der Spannung zu nennen: Hier wird die Gefangenschaft in den „Netzen der Sprache“ so stark gelesen, dass Nietzsche im Extremfall als Relativist erscheint, der „Thatbe-
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stnde“ und „Thatsachen“ berhaupt leugnet und nur noch von Interpretationen sprechen mag. Daraus folgen dann diejenigen Positionen, die das ,Reale‘ ohne Anfhrungszeichen sowie die Tatsachen vermissen und geltend machen wollen wie dies im eingangs zitierten IfK-Programm referiert wird. 5. Der Vollstndigkeit halber seien hier noch die Interpretation in der Linie der Habermas’schen Tradition angefhrt, die auf dem letztgenannten vierten Typ aufbauen. Einmal davon ausgegangen, dass Nietzsche ausschließlich die Ebene der Konventionen und Interpretationen denkt, wird dann z. B. der wichtige Abschnitt 354 aus der Frçhlichen Wissenschaft, in dem die Grammatik als „Volks-Metaphysik“ bezeichnet wird, so gelesen, dass es aus den „Schlingen der Grammatik“ kein Entkommen gebe (KSA 3, 593). Dann folgt der Vorwurf des Widerspruchs: Die Stze Nietzsches nhmen doch gerade die Grammatik in Anspruch, deren metaphysische Implikationen sie leugnen oder anzweifeln wollen. Hier liege eine „Selbstbestreitung“ (Garbrecht 2002, 70) der Grammatik vor durch Stze, die deren Gesetzen widersprchlicherweise noch gehorchten, und Nietzsches Sprachphilosophie fhre an eine Grenze, die zu durchdringen es letztlich keine Mçglichkeit gebe.5 6. Die produktivste Weise, mit den angeblichen Widersprchen umzugehen, ist sicher diejenige, Nietzsches unterschiedliche Sprecherpositionen in den jeweiligen Texten zu entfalten. Aus welcher Richtung, aus welchem Schema heraus wird jeweils gesprochen? Fr die hier behandelte Thematik bedeutet das: Es ist ein wichtiger Tatbestand, dass – darauf ist mehrfach hingewiesen worden – die Geburt der Tragçdie und Ueber Wahrheit und Lge mit unterschiedlichen Begriffen der „bertragung“ arbeiten. In der Tragçdienschrift finden bertragungen statt von dem Ur-Einen zur Musik als dessen Abbild und dann zu dessen Widerschein in Traumbildern. In Ueber Wahrheit und Lge gibt es „bertragungen“ als Sprnge von der Reizempfindung zum Bild und dann zur Lautgestalt des Wortes, d. h. das Modell wird gleichsam umgekehrt. Ich schlage vor, dem Hinweis6 auf die Texte zur Rhetorik zu folgen, die in den Jahren 1873 – 1875 entstanden sind, um Licht auf die widersprchlichen Konzeptionen zu werfen, die hier aus unterschiedlichen Sprecherpositionen vom Begriff der bertragung und der Bezugnahme auf eine ursprngliche Prsenz entwickelt werden. Im Rahmen der Texte zur Rhetorik unterscheidet Nietzsche grundstzlich zwischen einer generellen Rhetorizitt aller Sprache und aller Erkenntnis, die daher eine notwendige Rhetorizitt sei, und einer spezifisch erzeugten, beab5 6
Dieser Interpretationstyp legt darber hinaus ein Verstndnis von Dekonstruktion zugrunde, das dem hier verwendeten nicht entspricht, vgl. z. B. Garbrecht (2002, 69). Vgl. ausfhrlich Lacoue-Labarthe (2003) und Ellrich (1994).
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sichtigten Rhetorizitt rhetorischer Tropen im engeren Sinne. Lesarten im Sinne von Dekonstruktionen im Anschluss an Derrida wrden hier freilich geltend machen kçnnen, dass auch die spezifische Rhetorizitt im zweiten Sinne ein unkontrollierbarer Prozess ist; eine Konsequenz, die Nietzsche mçglicherweise zurckgewiesen htte (vgl. Ellrich 1994, 198). Es scheint eher so zu sein, dass fr Nietzsche in diesen Texten von 1873 – 75 die gewçhnliche Sprache aufgrund ihrer rhetorischen Verfasstheit an Wirkungen interessiert ist, die es nicht erlauben, irgendwelche ,Tatsachen‘ außerhalb dieser Rhetorizitt zu erfassen. Er spricht hier von einer Sprache, die auf doxa, nicht auf episteme gerichtet ist. Und diese Sprache, die auf die Vermittlung von doxa zugeschnitten ist, lsst die Unterscheidung zwischen doxa und episteme erstens zu, und zweitens lsst sie sie ihrerseits als rhetorische Unterscheidung sichtbar werden, bzw. erzwingt sie sie geradezu als spezifischen Effekt ihrer Vorgehensweise (vgl. Ellrich 1994, 198). Und dieses Modell zerstçrt die Mçglichkeit, noch kontrolliert von einer Unterscheidung zwischen einer auf ,das Wesen der Dinge‘ oder ,das Reale‘ gehenden Erkenntnis und einer an Effekten interessierten rhetorischen Sprachverwendung Gebrauch machen zu kçnnen: Nietzsche trifft diese Unterscheidung, um den ontologischen Schein der Sprache zu kritisieren, aber er dementiert sie zugleich, denn unter der Perspektive einer generalisierten Rhetorik ist diese Unterscheidung, die vermeintlich ber den Trug der Rhetorik aufklrt, selbst ein trgerisches Konstrukt, weil es die Wesenhaftigkeit der Dinge noch unterstellt. (Ellrich 1994, 198)
Das aber bedeutet, eine ,Metaphysik der Prsenz‘, die in manchen Texten vorhanden zu sein scheint, wird zumindest in den Texten zur Rhetorik eher zitiert denn affirmiert. Insofern zitieren die Bemerkungen ber die Rhetorik nur noch dekonstruktiv die Figur einer „ursprnglichen Differenz oder Kluft“ zwischen Wahrheit und Schein. Das bedeutet, Nietzsche verwendet eine Figur, die es ihm ermçglicht, den ontologischen Schein der Sprache zu kritisieren, die zugleich aber der scheinbaren Konsequenz entgeht, eine simpel ber den Schein aufklrende Position einnehmen zu mssen. Derrida hat dies fr Nietzsches Behandlung der Wahrheit, aber auch des Geschlechts und der Kastration (als Praktik des Ausschneidens und Verneinens) folgendermaßen formuliert: Die Heterogenitt des Textes beweist dies wohl: Nietzsche machte sich nicht die Illusion – er analysierte sie im Gegenteil – zu wissen, worin die Wirkungen namens Frau, Wahrheit, Kastration oder die ontologischen Wirkungen von Gegenwart oder von Abwesenheit bestanden. Er hat sich sehr wohl vor der berstrzten Ablehnung gehtet, die bedeutet htte, einen einfachen Diskurs gegen die Kastration und ihr System aufzurichten. Ohne diskrete Parodie, ohne Strategie der criture, ohne Differenzierung oder Sonderung der Federn […], luft die Umkehrung mit der lrmenden Verkndung der Antithese wieder auf das gleiche hinaus. Daher die Heterogenitt des Textes. (Derrida 2003, 203)
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Als „Sonderung der Federn“ kann auch die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen den beiden Figuren Nietzsches verstanden werden: der einen, die den Schein der Sprache kritisiert, und der anderen, die darauf verzichtet, in einer einfachen Ablehnung oder Aufklrung eines ,Realen‘ in einem naiven Sinne zu bestehen. Und aus dieser Perspektive wird sich sagen lassen, dass es „keine Thatsachen“ gibt in dem Sinne eines naiv angenommenen ,Realen‘, und trotzdem kann von „Thatsachen“ und „Thatbestnden“ die Rede sein.7
Literatur Danto, Arthur C. (1979): „Nietzsche und der Semantische Nihilismus“. In: Alfredo Guzzoni (Hg.): 90 Jahre philosophische Nietzsche-Rezeption. Kçnigstein (Hain), S. 140 – 154. Derrida, Jacques (2003). „Sporen. Die Stile Nietzsches“. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Berlin, Wien (EVA), S. 183 – 224. Ellrich, Lutz (1994): „Der Ernst des Spiels. Zu drei Versuchen einer dekonstruktiven Nietzsche-Lektre“. In: Josef Kopperschmidt/Helmut Schanze (Hg.): Nietzsche oder „Die Sprache ist Rhetorik“. Mnchen (Fink), S. 197 – 218. Gadamer, Hans-Georg (1999): „Zwischen Wort und Begriff. Nietzsche und die Metaphysik“. In: Manfred Riedel (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“: Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken. Kçln (Bçhlau), S. 15 – 23. Garbrecht, Oliver (2002): Rationalittskritik der Moderne: Adorno und Heidegger. Mnchen (Herbert Utz). Haar, Michel (1999): „Nietzsche und die Sprache“. In: Manfred Riedel (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“: Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken. Kçln (Bçhlau), S. 63 – 75. Harrasser, Karin/Lethen, Helmut/Timm, Elisabeth (2009): „Das Gewicht der Welt und die Entlarvung der Ideologie. Zur Einleitung“. In: Karin Harrasser/Helmut Lethen/ Elisabeth Timm (Hg.): Sehnsucht nach Evidenz (Zeitschrift fr Kulturwissenschaften 1/2009). Bielefeld (Transcript) S. 7 – 10. Institut fr Kulturwissenschaften (IfK) Wien (2008): Schaupltze der Evidenz. Auf: http://alt.ifk.ac.at/dl.php/0/122/PRHFleck%20und%20Kulturwissenschaften.pdf (Stand: 24. 06. 2011). Institut fr Kulturwissenschaften (IfK) Wien (2011): Kulturen der Evidenz. Die Wirklichkeit der Kulturwissenschaften. Auf: http://www.ifk.ac.at/index.php/63.html (Stand: 24. 06. 2011). Kamecke, Gernot (2009) „Spiele mit den Worten, aber wisse, was richtig ist! Zum Problem der Evidenz in der Sprachphilosophie“. In: Karin Harrasser/Helmut Lethen/Elisabeth Timm (Hg.): Sehnsucht nach Evidenz (Zeitschrift fr Kulturwissenschaften 1/2009). Bielefeld (Transcript) S. 11 – 26. 7
Wie Benne deutlich macht, ist es erst die wissenschaftliche Reflektion, die die Prsenz entdeckt. Wie er am Beispiel der wissenschaftlichen Rekonstruktion der antiken Zeitçkonomie und der Idealisierung der Zeit darlegt: Erst diese wissenschaftlichen Reflektionen fhrt dazu, dass hier etwas erlebt werden kann. Vgl. dazu den Beitrag von Benne in diesem Band.
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Knodt, Reinhard (1999): „Vom Schweigen und Vergessen“. In: Manfred Riedel (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“: Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken. Kçln (Bçhlau), S. 227 – 236. Lacoue-Labarthe, Philippe (20039: „Der Umweg“. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Berlin, Wien (EVA), S. 125 – 163. Musner, Lutz (2009): „Kultur als Textur des Sozialen“. In: Karin Harrasser/Helmut Lethen/Elisabeth Timm (Hg.): Sehnsucht nach Evidenz (Zeitschrift fr Kulturwissenschaften 1/2009), Bielefeld (Transcript), S. 99 – 102. Nancy, Jean-Luc (2003): „,Unsre Redlichkeit!‘ (ber Wahrheit im moralischen Sinn bei Nietzsche)“. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Berlin, Wien (EVA), S. 225 – 248. Ries, Wiebrecht (1999): „sthetische Hermeneutik der Welt. Nietzsches Versuch einer ,neuen Auslegung allen Geschehens‘“. In: Manfred Riedel (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“: Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken. Kçln (Bçhlau), S. 39 – 53. Simon, Josef (1999): „Der Name ,Wahrheit‘. Zu Nietzsches frher Schrift ,ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinne“. In: Manfred Riedel (Hg.): „Jedes Wort ist ein Vorurteil“: Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken. Kçln (Bçhlau), S. 77 – 93. Thomas, Tanja/Hobuß, Steffi/Kruse, Merle-Marie/Hennig, Irina (2011): Dekonstruktion und Evidenz. Ver(un)sicherungen in Medienkulturen. Sulzbach (Helmer). Wittgenstein, Ludwig (PU) (1984): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main (Suhrkamp) [Zitiert wird wie allgemein blich nach der Nummer des Abschnitts].
Der Schleier des Realen. Nietzsches frhe Wissenschaftsphilosophie als Kulturwissenschaft par et avant la lettre Antonia Eder Ein epistemologisches Dilemma treibt die Kulturtheorie in regelmßigen Abstnden um: In welchem Verhltnis stehen Wissen und Wirklichkeit? Semiotik und Ding? Sprache und Materie? Performanz, Referenz, Evidenz? Kurz: etwas wie Konstruktivismus und Reales zueinander? Irritierenderweise beziehen sich beide, eigentlich so unvereinbaren Strçmungen auf das Werk Friedrich Nietzsches und dessen ausgewiesenen Platz in der kulturtheoretischen Moderne qua spezifischer Antimodernitt. Die Skepsis Nietzsches gegenber einer gltigen Wirklichkeit oder gar Wahrheit, die unter seiner sthetisch-philosophischen Perspektive zuverlssig anfngt, zu oszillieren, sich zu pluralisieren, hlt seiner Skepsis einer humanisierten Zeichen- und Denkordnung gegenber die meist polemisch-kritische Waage. Wie und aus welchen (guten) Grnden die angedeuteten Lager der gegenwrtigen kulturtheoretischen Debatte sich also beide auf das Werk Nietzsches beziehen lassen, mçchte ich anhand einiger frher Texte Nietzsches verfolgen.
I. Realos – „und alle Zeichen trgen“ (Schiller) Die kulturwissenschaftliche Debatte der letzten Jahrzehnte war auf Effekte der Selbstreferenz von Texten, Sprache und kulturellen Symbolisierungen gerichtet. Es ging vor allem darum, die gesellschaftliche und geschichtliche Bedingtheit von Zeichenprozessen und der sich daraus ergebenden Objektkonstitutionen vor Augen zu fhren. Diese Akzentsetzung, die sich unter den Sammelbegriff ,Konstruktivismus‘ fassen lsst, fordert ihren Preis. Der linguistic turn und seine Nachfolgeformationen provozierten mit der Akzentuierung der ,Signifikantenseite‘ von kultureller und wissenschaftlicher Produktion, dass deren ,Gegenstandsseite‘ aus dem Blickfeld geriet. Dass Wirklichkeit gerade nicht vorgefunden werden kann, sondern durch Zeichen konstituiert ist, dass diese Zeichen folglich keine Abbildfunktion gegenber den bezeichneten Dingen ausben, bildet einen Generalnenner der poststrukturalistisch beeinflussten Reflexionen ber Kultur. Diese Herangehensweise lsst die Dimension der Fremdreferenz von Zeichensystemen in den Hintergrund treten, erzeugt eine gewisse Verle-
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genheit, was die Frage nach dem Realen unabhngig von der jeweiligen kulturellen Symbolwelt betrifft, und luft dadurch Gefahr, den epistemischen Graben zwischen harten Fakten der Sciences und den soften Skills der Humanities zu vertiefen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich hier indessen nicht um ein spezifisch postmodernes Dilemma, sondern um einen Zwiespalt, der die gesamte Moderne begleitet und wesentlich ltere Wurzeln hat. Es bildet geradezu die Signatur der Moderne, dass sie ihren großen Erfolgen in der Praxis eine tiefe Skepsis hinsichtlich der Erkennbarkeit der ,Dinge an sich‘ und der Zugnglichkeit der Natur durch den Menschen entgegenstellt. Die kulturellen Selbstdiagnosen der Moderne werden von einem Narrativ dominiert, das einerseits von der wachsenden Autonomie des Subjekts und der Kultur als selbstgeschaffener menschlicher Bedeutungswelt Zeugnis gibt, andererseits aber in seinem pessimistischen Gegensinn eine (oft literarisch ausgestaltete) Geschichte vom Verlust der Referenz, vom Verfall der Nhe zu den Dingen und von einer Entwirklichung der Erfahrung erzhlt. Dieses gespaltene Narrativ prgt auch den Begriff des Realen in der Moderne, das kaum anders als paradox zu haben ist: als etwas, das sich im Prozess seiner Aneignung entzieht, das zur Symbolisierung und Reprsentation drngt, aber durch beide immer zugleich verstellt wird – sowohl Matrix als auch Hindernis kultureller Bedeutungsproduktion. Im Spannungsverhltnis des Realen zu seiner Verfgbarmachung lagert diese Fragestellung eines kultursemiotischen Ansatzes: Wie ist kulturelle Fremdreferenz organisiert und wie funktioniert sie auch und gerade in ihren Paradoxien? Um dieser Frage nachzugehen, sollen im Folgenden einige ,Schaupltze des Realen‘, seiner begrifflichen Fassung und metaphorischen Modellierung in Texten Nietzsches aufgesucht werden – man stçßt dabei auf eine buchstblich kulturwissenschaftliche Gemengelage aus wissenschaftstheoretischen, wahrnehmungsgeschichtlichen, sthetischen, sozio- und ethnoarchologischen sowie nicht zuletzt literarischen Epistemen. Die Kritik an einem affirmativ konstruktivistischen Wirklichkeitsbegriff formuliert Nietzsche in provokantem Erstaunen: „Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an aeternae veritates durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit dem er sich ber das Thier erhob: er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntniss der Welt zu haben“ (MA I 11, KSA 2, 30). Dass die Sprache privilegierendes Instrument zur Welterkenntnis sei, bersteigt noch einmal die ,natrliche‘ Distinktionslogik: Mensch ¼ 6 Tier qua Sprache.1 Doch in der Sprache die Erkenntnis zu haben, zeichnet Sprache nicht bloß als Instrument fr den Zugang zur Erkenntnis aus, 1
Vgl. zur Distinktion von Mensch und Tier seit der Aufklrung (Condillac, Herder, Rousseau) in ihrem Verhltnis zur Sprachfhigkeit: Oschmann (2007, 253 ff.).
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sondern darber hinaus als Hybris: Sprache wird zum Behltnis von Welt, Sprache ist geronnenes Weltwissen. Doch der Mensch hatte vergessen, dass er die Sprache einst als eine „eigene Welt neben die andere“ gestellt hatte, der umgekehrt „Nichts in der wirklichen Welt entspricht“ (MA I 11, KSA 2, 30 f.). Die Parameter „Sprache“, „Nichts“ und „wirkliche Welt“ sollen meine folgenden berlegungen strukturieren. Dabei beziehe ich mich auf Texte, die alle etwa Mitte der 1870er Jahre entstanden sind und eine frhe Auseinandersetzung Nietzsches mit den Phnomenen Wirklichkeit und Konstrukt, Reales und Schein verfolgen; genauer beziehe ich mich auf: Die Geburt der Tragçdie, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben und auf den Aphorismus „Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft“.
II. Existenz und Kunst. Die Geburt der Tragçdie Nietzsche hatte schon in der Geburt der Tragçdie, seinem „wissenschaftlichen Selbstmordkommando“ (Landfester 2000, 99), kein Geheimnis aus dem sicheren Scheitern an der wirklichen Welt gemacht: „Das Allerbeste ist […] nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist […] bald zu sterben“ (GT 3, KSA 1, 35) – gbe es da nicht die Kunst. In Krze: Den Ursprung der attischen Tragçdie als hçchste Form der Kunst sieht Nietzsche im tiefen Pessimismus des frhen Griechentums. Die vielgerhmte „Heiterkeit“ (GT 3, KSA 1, 35) der griechischen Welt ist ein apollinisches Kunstprodukt, gewonnen aus der stndigen berwindung des dionysischen Schreckens, den dieses „zum Leiden so einzig befhigte Volk“ (GT 3, KSA 1, 36) sehr genau empfand. Diese verhllende berwindungsgeste gert als griechische Tragçdie, als „Verbildlichung dionysischer Weisheit durch apollinische Kunstmittel“ (GT 22, KSA 1, 141) zur berlebensstrategie: Der Grieche kannte und empfand die Schrecken und die Entsetzlichkeiten des Daseins: um berhaupt leben zu kçnnen, musste er vor sie hin die glnzende Traumgeburt der Olympischen stellen. Jenes ungeheure Misstrauen gegen die titanischen Mchte der Natur, jene ber allen Erkenntnissen erbarmungslos thronende Moira, jener Geier des grossen Menschenfreundes Prometheus, jenes Schreckensloos des weisen Oedipus, jener Geschlechtsfluch der Atriden, der Orest zum Muttermord zwingt, kurz jene ganze Philosophie des Waldgottes, sammt ihren mythischen Exempeln […] wurde von den Griechen durch jene knstlerische M i t t e l w e l t der Olympier fortwhrend von Neuem berwunden, jedenfalls verhllt und dem Anblick entzogen. (GT, KSA 1, 35 f., [Hervorh. A. E.])
Hlle und Schleier, „Oberflche“ und „Falten“, „Form“ und „Haut“ sind die zentralen Begriffe, die sich noch im Rckblick der Frçhlichen Wissenschaft als „Olymp des Scheins“ auf die Tragçdienschrift ber die „Ti e f e “, ber den
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Abgrund, und zwar ber den Abgrund des Realen spannen, ihn unsichtbar werden lassen und dem „Anblick“ entziehen: „Diese Griechen waren oberflchlich – aus Tiefe!“ (FW Vorrede 4, KSA 3, 352). ber diesen Schein, der damit vor allem ein augenscheinlicher ist, generiert die griechische Tragçdie nichts weniger als menschliche Existenz. In der Geburt der Tragçdie erlçst den dionysischen Helden aus dem Zustand der tiefsten, tatenlosen Trostlosigkeit, ausgelçst durch die dionysische Erkenntnis, der Chor: In der Bewusstheit der einmal geschauten Wahrheit sieht jetzt der Mensch berall nur das Entsetzliche oder Absurde des Seins, […] jetzt erkennt er die Weisheit des Waldgottes Silen: es ekelt ihn. Hier, in dieser hçchsten Gefahr des Willens, naht sich als rettende, heilkundige Zauberin, die Ku n s t ; sie allein vermag jene Ekelgedanken ber das Entsetzliche oder Absurde des Daseins in Vorstellungen umzubiegen, mit denen sich leben lsst: diese sind das E r h a b e n e als die knstlerische Bndigung des Entsetzlichen und das K o m i s c h e als die knstlerische Entladung vom Ekel des Absurden. Der Satyrchor des Dithyrambus ist die rettende That der griechischen Kunst (GT 7, KSA 1, 57).
Entscheidend fr dieses sthetische Lebenskonzept aber ist, dass die Wirklichkeit stets neu hereinbrechen kann; die latent drohende und epiphan einbrechende (dionysische) Prsenz des Schreckens fordert die iterative Verhllung durch (apollinische) Reprsentation. Nietzsche wiederum enthllt in der Geburt der Tragçdie die Abhngigkeit der Signifikanten (Tragçdie) von den bezeichneten Realitten (Tragisches). Das Reale bleibt latent und stçrt als momenthafter Riss, als exzentrische Grçße die Konsistenz der Sprach- und Erkenntnissysteme, die sich um seine Bestimmung bemhen (vgl. Vom Nutzen und Nachtheil). Was intradiegetisch die Konfrontation von Realem und Kultur in der Geburt der Tragçdie zur wirkungssthetischen berlebensform werden lsst, wird zudem produktionssthetisch zur Methode. Nietzsches Tragçdienschrift – hierin kulturwissenschaftlich avant la lettre – leitet nmlich die Entstehung der attischen Tragçdie in performativer Wende aus dem Ritual der Dionysien her.2 Er postuliert in der Auffhrungspraxis des Dionysoskultes eine pragmatisch historische und sthetische Funktion, die vor allem radikale Kulturkritik ist. Doch nicht nur der Inhalt seiner These, sondern auch sein wissenschaftlicher Zugang sind dabei an den Sinnen ausgerichtet. Nietzsche erweitert den Kulturbegriff, indem er sich nicht mehr auf Schrift und Sprache beschrnkt, sondern Sichtbares, Hçrbares, Fhlbares in seine berlegungen einbezieht. Wenn Riten und Rhythmen, Auffhrungspraxis und Musik des Dionysoskultes zum Ausgangspunkt von Kulturphilosophie werden, ist Kultur fr den Altphilologen Nietz2
Hierzu und zu Ablauf und Auffhrungspraxis des Tragçdienagons whrend der Dionysien, vgl. Mller (2002, vor allem 146 f.).
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sche lngst nicht mehr nur ein Korpus aus Texten, sondern eine synsthetische Gemengelage aus verschiedensten Eindrcken, die er – am ehesten wohl kulturwissenschaftlich – ausbeutet. Nietzsche bezieht sich neben den wenigen berlieferten Schriftzeugnissen in der Tradition von Altertumsforschern und Archologen eben auch auf Gegenstnde, Artefakte, Dinge – und damit auf das Material einer Kultur. Ein Material, das nun wiederum von Nietzsche als Anzeichen gelesen und mit Zuschreibungen versehen wird. Er begibt sich selbst in die Kulturproduktion qua Zeichen. Ein Umstand, den der abschließend behandelte Text Zur Sprache als vermeintliche Wissenschaft thematisiert.
III. Existenz und Geschichte: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben In seiner zweiten unzeitgemßen Betrachtung bt Nietzsche grundlegend Geschichtskritik, ja Gedchtniskritik. Zentral wird dabei das Problem, wie die dominant gewordene Zeichenwelt der Historie in eine lebensstiftende, lebenswrdige Welt verwandelt werden kann. Die Antwort ist zunchst eindeutig: gar nicht. Am unversçhnlichsten formulieren es in diesem Text Nietzsches „berhistorische Menschen“ (HL 1, KSA 1, 256). Diese Menschen, die die „Weisheit“ besitzen, dass „das Vergangene und das Gegenwrtige […] Eines und dasselbe“ sind, qult die „Uebersttigung“ an dieser Weisheit und darin packt sie abgrundtiefer „Ekel“, denn: Nichts lebt, das wrdig Wr deiner Regungen, und keinen Seufzer verdient die Erde. Schmerz und Langeweile ist unser Sein und Koth die Welt – nichts Anderes. (HL 1, KSA 1, 256).
Ein nietzscheanisch drastischer Ekel, der wiederum in die Nhe des dionysischen Helden der Geburt der Tragçdie fhrt. Jenen hatte seine Einsicht in die Welt mit hnlichem Ekel erfllt und ihn in Analogie zu Hamlet an einem, ihm ohnehin vergeblich scheinenden Handeln gehindert: [B]eide haben einmal einen wahren Blick in das Wesen der Dinge gethan, sie haben e r k a n n t , und es ekelt sie zu handeln; denn ihre Handlung kann nichts am ewigen Wesen der Dinge ndern, sie empfinden es als lcherlich oder schmachvoll, dass ihnen zugemuthet wird, die Welt, die aus den Fugen ist, wieder einzurichten. Die Erkenntnis tçdtet das Handeln, zum Handeln gehçrt das Umschleiertsein durch die Illusion – das ist die Hamletlehre […]; nicht das Reflectiren, nein! – die wahre Erkenntniss, der Einblick in die grauenhafte Wahrheit berwiegt jedes zum Handeln antreibende Motiv, bei Hamlet sowohl als bei dem dionysischen Menschen. (GT 7, KSA 1, 56 f.)
Es ist dieser unversçhnliche „Gegensatz[…] von Leben und Weisheit“ (HL 1, KSA 1, 257), der den berhistorischen Menschen „gar keine Verfhrung mehr
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zum Weiterleben und zur Mitarbeit an der Geschichte verspren [lsst], dadurch dass [sie] die Eine Bedingung alles Geschehens, jene Blindheit und Ungerechtigkeit in der Seele des Handelnden, erkannt“ haben (HL 1, KSA 1, 254). Nietzsches Argumentationsfigur funktioniert letztlich aber versçhnlich und baut die anthropologisch nçtige Brcke: Fr ihn ist auch das Erkennen dem Prinzip des Lebens unterworfen. Selbst wenn ein Erkennen originr gegen das Leben angeht, hlt es dort inne, wo es droht, dieses Leben und „sich selbst mit“ (HL 1, KSA 1, 330) zu vernichten. Nietzsche rumt einen selbsterhaltenden status quo des Systems ein, der folgende Bewegung erlaubt: Wenn schon nicht Verwandlung durch Handlung, so gibt es doch einen Weg zurck ins Ungebrochene, Unvermittelte, ins Reale, denn: Wir kçnnen vergessen! Vergessen wird in der zweiten unzeitgemßen Betrachtung zum generischen Potential erklrt, das das „verzehrende historische Fieber“ (HL 1, KSA 1, 246) der Zeichen senken kann. Die Bewegung des Vergessens, die ars oblivionalis (Eco 1988), gert zur Notwendigkeit – oder in den Worten einer Zeichenbeauftragten ersten Ranges, Renate Lachmanns: Eine Geschichtsschreibung, „vor der alle Zeichen als gleichbedeutend erscheinen, dient, da sie den kulturellen Wert des Vergessens vergisst, nicht mehr der Selbstmodellierung der Kultur, sondern wird […] zu deren Bedrohung“ (Lachmann 1991, 115). Es gilt also, auch bei Nietzsche, nicht nur zu unterscheiden, sondern zu selektieren. Denn wie es ber das beneidenswerte „Glck des Thieres, als des vollendeten Cynikers“ (HL 1, KSA 1, 249 f.) heißt: Es ist wahr: erst dadurch, dass der Mensch denkend berdenkend, vergleichend, trennend, zusammenschliessend jenes unhistorische Element einschrnkt, erst dadurch dass innerhalb jener umschliessenden Dunstwolke ein heller, blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch die Kraft, das Vergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehenen wieder Geschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in einem Uebermaasse von Historie hçrt der Mensch wieder auf, und ohne jene Hlle des Unhistorischen wrde er nie angefangen haben und anzufangen wagen. Wo finden sich Thaten, die der Mensch zu thun vermçchte, ohne vorher in jene Dunstschicht des Unhistorischen eingegangen zu sein? (HL 1, KSA 1, 252 f. [Hervorh. A.E.])
Nietzsche beschreibt den Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben als genau diese Gratwanderung zwischen Erinnern und Vergessen. Er ergreift in seinem Text mit berhmt berchtigt polemischer Finesse Partei fr die „Fhigkeit, in einem bestimmten Grade unhistorisch empfinden zu kçnnen“, die er fr die „wichtigere und ursprnglichere“ hlt, denn aus dieser Qualifikation kann erst „Rechtes, Gesundes und Grosses“ (HL 1, KSA 1, 252) hervorgehen. Allerdings auch Ungerechtes: Denn der Handelnde ist in dieser „Dunstschicht“ der Tat ebenso „wissenlos“ wie „gewissenlos“, er zeigt sich „ungerecht gegen das, was hinter ihm liegt und kennt nur Ein Recht, das Recht dessen, was jetzt
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werden soll“ (HL 1, KSA 1, 254) – so steht das Werden als Recht per se nicht zuletzt im Zeichen hoch ambivalenter Irrelationalitt. Doch das schmlert nicht seinen ,gesunden‘ Realittsgehalt, denn Fakt ist: „Zu allem Handeln gehçrt Vergessen“ (HL 1, KSA 1, 250). Die „umhllende […] Atmosphre“ des Unhistorischen, in der „Leben allein erzeugt“ (HL 1, KSA 1, 252) wird, steht wiederum in bildreicher Verwandtschaft zu dem von Schopenhauer entliehenen „Schleier der Maja“ (GT 1, KSA 1, 29) aus der Geburt der Tragçdie. Auch diese hatte ja das apollinische „Umschleiertsein durch die Illusion“ (GT 7, KSA 1, 57) als konstitutives Moment der Tat postuliert. Per „Schleier“, „Dunstwolke“, „Dunstschicht“ oder „umhllender Atmosphre“ gelingt es also eine Folie vor das Reale zu projizieren – Kunst wird damit zum berlebenstraining. In Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben ermçglicht der Schleier des Vergessens gar die Produktion von Realem. Denn umgeben von dieser Dunstschicht, werden „Thaten“ mçglich, werden Handlungen und „Leben“ geschaffen, die wieder eine „wirkliche Welt“ ins Recht setzen. Neben diese Varianten, nmlich: a) Leben als Effekt von Kulturkonstruktion und b) ttiges Leben als produktives Vergessen, tritt in dem dritten zu behandelnden Text nun ein klarer Kontrast: Es werden zwei Parallelwelten postuliert – die eine „wirkliche […] Welt“ und eine ganz „eigene Welt“, die der „Cultur“ (MA I 11, KSA 2, 30 f.).
IV. Existenz und Sprache: Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft Nietzsche beantwortet im 11. Aphorismus der ersten und letzten Dinge eine „Frage“, die aus dem Vorangehenden 10. herberragt – wie nmlich „unser Weltbild so stark sich von dem erschlossenen Wesen der Welt unterscheiden kçnne“, das man der „Physiologie und der Entwickelungsgeschichte der Organismen und Begriffe berlassen“ (MA I 10, KSA 2, 30) habe –, mit einer Potenzierung dieser Frage (MA I 10, KSA 2, 30). Diese Potenz entsteht in der aporetischen Begegnung zwischen dem „Wesen der Welt“ und den Begriffen als „a e t e r n a e v e r i t a t e s “ (MA I 10, KSA 2, 30). In Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft arbeitet Nietzsche stark mit metaphorischen Modellierungen, ein Verfahren, das in der Sprache etwas wie Material evozieren kann: Hier sind es markante Bilder der Topographie und der Anthropologisierung sowie die strukturelle Einbettung des Themas auf der Metaebene der Faktur. Erstens zur Topologie: Die Rede ist gleich zu Beginn von zwei, „neben“ einander gestellten Welten. Hier wird ein eigener „Ort“ der Sprache angenommen. Geschieden vom Realen der „brige[n] Welt“ kann sich „Cultur“ (MA I 11, KSA 2, 30) entwickeln; und in ihrer Folge brigens erst das Paradigma der „Vernunft“, dem wohlgemerkt „Nichts in der wirklichen Welt entspricht“, das sich aber irreversibel als Folge eines „ungeheuren Irrthum[s]“ in
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dieser „eigene[n] Welt“ der Kultur festgesetzt hat (MA I 11, KSA 2, 30 f.). Diese parallele Welt, die doch bloß auf „jenem Glauben an die Sprache beruht“ (MA I 11, KSA 2, 31), wird von dem Menschen allerdings „fr so fest“ gehalten, dass er meint, von dort aus die „brige Welt aus den Angeln“ heben zu kçnnen (MA I 11, KSA 2, 30). Nietzsche erschafft durch sprachbildliche Topologie neben der begriffskonstituierten Wissenswelt, die er zwangslufig sehr anschaulich schildern kann, eine „wirkliche“, „brige Welt“ ausgerechnet ex negativo. Gerade die Welt, ber die nichts gesagt wird, ist von bestechender Evidenz. Zweitens finden sich Bilder der Anthropologie: Nietzsche zitiert die sthetisierung der Entwicklung des Menschen als Abgrenzung vom „Thier“ (MA I 11, KSA 2, 30) – dieses Bild funktioniert traditionell als Erhebung ber das Kreatrliche durch sthetik und „Wissenschaft“. Dieser humanistische „Stolz“ auf das „hçchste Wissen“ macht den Menschen vor allen anderen „Dingen“ und allererst dem „Thier“ zum „Herrn“ (MA I 11, KSA 2, 30 f.). Die anthropologischen Abstandhalter evoziert Nietzsche ber Differenz, das der affirmativen Abbildfunktion von Zeichen entgegenstehende Prinzip. Die Sprachwelt postuliert nicht allein die „Gleichheit von Dingen“ untereinander, sondern darber hinaus die „Identitt“ des „Dinges“ mit seinem bezeichnenden Begriff (MA I 11, KSA 2, 31). Nietzsche stlpt diese Welt um, indem er in ihr das ,NichtIdentische‘ artikuliert.3 Drittens alludiert er den Bereich der (Genie)sthetik: Der „Sprachbildner“ tritt explizit an, nicht etwa, „um den Dingen eben nur Bezeichnungen“ (MA I 11, KSA 2, 31) zu geben, sondern er kann als Genius, als schçpferischer Geist „das hçchste Wissen ber die Dinge mit den Worten“ ausdrcken. In der Sprache liegt die Erkenntnis. Dass sie darin liegen muss, klingt an, wenn die „Voraussetzungen“ dieser Welt des Wissens in den Blick geraten als VorausSetzungen und damit als zwangs-, besser kreislufig immer schon „gefundene Wahrheit“ (MA I 11, KSA 2, 30). ber diese Strategien werden Bilder des Realen in einem skripturalen Raum aufgerufen: zwei Welten, Mensch, Tier, Dinge und all dies „in verschiedenen Puncten der Zeit“ (MA I 11, KSA 2, 30) – damit sind es nicht zuletzt bewegte Bilder, realistische Bilder. Der „Sprachbildner“ Nietzsche wird aktiv und stellt hier mçglichst ,real‘ grundierte Gedankenkonstrukte her. Besonders prgnant lsst sich Nietzsches Vorgehen an einem vierten und letzten Merkmal zeigen: der mathematischen Figur. Ich beziehe mich auf den letzten Satz des Textes: Ebenso steht es mit der M a t h e m a t i k , welche gewiss nicht entstanden wre, wenn man von Anfang an gewusst htte, dass es in der Natur keine exact gerade Linie, keinen wirklichen Kreis, kein absolutes Grçssenmaass gebe (MA I 11, KSA 2, 31).
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Vgl. zum Begriff des Nichtidentischen Adorno (1966).
Der Schleier des Realen
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Eine treffsichere und erst auf den zweiten Blick verwirrende Metalepse: Ein Wissen, das durch die eigene Entstehung produktiv wird (gerade Linie, wirklicher Kreis etc.), kann sich zwar nachtrglich als Konstrukt erkennen – und damit einen Schritt aus dieser Konstruktion heraustreten; nur aber, indem es diese „gefundene Wahrheit“ fr diesen Schritt nutzt, um sich umgehend in den nchsten Ring von Konstruktionen zu begeben. Damit kann die „Mathematik“, ebenso wie jede andere wissenschaftliche Konstruktion seine Gemachtheit, seine Bedingung als Faktur nie verlassen. Ebenso holt sich Nietzsches Text, indem er sprachlich abgefasst ist, selbst ein. Die Sprache ist deshalb zwangslufig eine „vermeintliche Wissenschaft“, weil sie immer schon die „Welt“ der Wissenschaft selbst ist – ob als Semiotik, Mathematik, Logik etc.; und indem sie aus sich heraus tritt, tritt sie zugleich wieder in sich ein. Denn: Kultur kann kein Objekt jenseits eines Erkennens sein, da dieses Erkennen selbst immer schon kulturell codiert ist – kurz: Nietzsche demonstriert furios eine selbstreferenzielle Inkonsistenz.
V. Schluss – oder: „Nicht an seiner eignen Loslçsung hngen bleiben“4 Das Reale erscheint bei Nietzsche als massive Prsenz, die nie vollends von einer Reprsentation eingeholt werden kann. Die aktuelle Kulturtheorie umkreist diesen Umstand mit Begriffen wie Epiphanie, Plçtzlichkeit, das „Tragische“5, Einbruch, Katastrophe, Riss. Damit wird dem Phnomen Rechnung getragen, dass das Reale zwar nicht als Generator ,richtigen‘ Wissens auftreten kann, aber doch in bestimmten außerordentlichen Augenblicken ein Versagen der Signifikation auslçsen kann: ein (zumindest fr den Moment) irreparables Scheitern der Sinnkonstruktion, ein Riss in der sprachlichen Reprsentation von Wirklichkeit. Dieses Erlebnis zeichnen die Geburt der Tragçdie und die zweite Unzeitgemsse Betrachtung als unsagbar und verstçrend. Die nicht-verschleierte Wirklichkeit konfrontiert den Menschen mit dem Unnennbaren. Nicht zuletzt in diesen sprach-losen Situationen kommen bei Nietzsche der Tanz, das Vergessen und die Ekstase ins nicht ganz ungefhrliche Spiel. Diese frhen Schriften Nietzsches tragen kulturtheoretisch hochaktuelle Konflikte aus, deren Fronten nie eindeutig zwischen Pldoyer, vernnftigem Rausch, Skepsis, psychologischem oder rhetorischem Affekt verlaufen. Er steht damit gerade nicht vermittelnd zwischen Ding und Zeichen, zwischen Abgrund und Schleier, zwischen Realem und Konstrukt, sondern postuliert deren epistemologische Aporie als Widerspruchsartistik. Indem er die Spannung zwischen 4 5
JGB, KSA 5, 59. Zuletzt Bohrer (2009).
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Realem und dessen Verfgbarmachung nicht nur thematisiert, sondern in strukturellen Metalepsen diese Widerstndigkeit in seine Texte aufnimmt, wird der als notwendig deklarierte Ausschluss von Kultur und Realem zu einem nietzscheanisch durchaus gelingenden Scheitern: „Der grosse Dichter schçpft n u r aus seiner Realitt – bis zu dem Grade, dass er hintendrein sein Werk nicht mehr aushlt…“ (EH klug 4, KSA 6, 287). – Nietzsches dichtende Synthetik hngt als realer Schleier zwischen Realitt und Realitt.
Literatur Adorno, Theodor W. (1966): Negative Dialektik. Frankfurt am Main (Suhrkamp). Bohrer, Karlheinz (2009): Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. Mnchen (Hanser). Eco, Umberto (1988): „An Ars Oblivionalis? Forget it!“. In: PMLA. Bd. 103, S. 254 – 261. Lachmann, Renate (1991): „Die Unlçschbarkeit der Zeichen: Das semiotische Unglck des Mnemonisten“. In: Anselm Haverkamp/Renate Lachmann (Hg.): Gedchtniskunst. Raum – Bild – Schrift. Studien zur Mnemotechnik. Frankfurt am Main (Suhrkamp), S. 111 – 141. Landfester, Manfred (2000): „Nietzsches Geburt der Tragçdie. Antihistorismus und Antiklassizismus zwischen Wissenschaft, Kunst und Philosophie“. In: Achim Aurnhammer (Hg.): Mehr Dionysos als Apoll. Frankfurt am Main (Klostermann), S. 89 – 112. Mller, Enrico (2002): „,Aesthetische Lust‘ und ,dionysische Weisheit‘. Nietzsches Deutung der griechischen Tragçdie“. In: Nietzsche-Studien. Bd. 31, S. 134 – 153. Oschmann, Dirk (2007): Bewegliche Dichtung. Sprachtheorie und Poetik bei Lessing, Schiller und Kleist. Mnchen (Fink).
Nietzsches hermeneutische, phnomenologische Wissenschaftsphilosophie. Unzeitgemße Betrachtungen zu Altphilologie und Physiologie Babette Babich Nietzsche gehçrt zu den wichtigsten unter jenen Philosophen, die man als Wissenschaftsphilosophen in einem breit-angelegten und somit explizit kontinentalen Sinne als Wissenschaftsphilosophen bezeichnen kann.1 Doch dies gilt gerade nicht ohne einen gewissen Zwang zur Apologie der Begriffsverwendung: entweder will man die Wissenschaftsphilosophie auf einer Metaebene betreiben (und dann kann man eine Vielzahl von Gelehrten darunter summieren, einschließlich Goethe, Hegel und viele andere) oder, und dieses kommt eher vor, ist Nietzsche aufzuputzen und zu gltten, um ihn in diese Rubrik zu bringen. Es ist dann dies und jenes wegzuerklren, gemß der anstndigen Etablierung in einem bereits vorgeprgten wissenschaftsphilosophischen Verstndnis, ganz ordentlich, fachgemß. Hier sollte man jedoch nicht vergessen, dass es noch nicht lange her ist, als Arthur Danto betonen musste, Nietzsche sei „als“ Philosoph zu betrachten, was nur unter gewissen Schwierigkeiten im Sinn der etablierten ,mainstream-‘, oder ,analytischen‘ Philosophie mçglich ist, jener philosophischen Richtung, die bis heute definiert, wer ,richtig‘ oder philosophisch respektabel philosophiert (Danto 1998 [1965]). Im deutschen Sprachraum hat Jrgen Habermas, fast zur gleichen Zeit wie Danto, durch altmodischere Denker der kritischen Schule wie Jacob Taubes und Theodor Adorno selber dazu motiviert, seinen Lesern in den 1960ern geglaubt versichern zu kçnnen, dass Nietzsche doch endlich „nichts Ansteckendes mehr“ an sich habe (Habermas 1968, 257). Ein Wort, das in dem Sinne gewirkt hat, dass Nietzsche aus dem Umkreis der Frankfurter Schule bis heute verbannt werden konnte. Und in den dreissiger Jahren, hat auch Martin Heidegger in einem tief ironischen Sinne fast die gleiche Geschichte seinen Studenten noch damals erzhlen kçnnen. Aehnlich wie bei Danto und Habermas, so blhte auch in der Zeit von Heideggers Nietzsche-Vorlesungen eine damals weit verbreitete Gelehrtenmeinung, wonach, so Heidegger, der: „Nietzsche kein strenger Denker [sei], sondern ein Dichterphilosoph. Nietzsche 1
Siehe dazu Babich (2009a, 210 – 232). In diesem Sinne sollten wir Nietzsche an vorderster oder fhrender Stelle unter die kritischen Wissenschaftsphilosophen einreihen. Man vergleiche dazu die ersten beiden Abstze in: Babich (2010b, 344 – 353).
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gehçrt nicht zu den Philosophen […]“ (Heidegger 1961, 13 – 14). Und in der Tat, hçren wir dieses Urteil schon von Nietzsche selber, er sei ja kein Philosoph, sondern – und er pflegt immer ein reduzierendes ,nur‘ einzurcken – nur ein Dichter. Dieses Urteil scheint womçglich im Bezug auf die Wissenschaftsphilosophie in noch hçherem Maße gltig. Wie steht es also mit Nietzsche „als“ Wissenschaftsphilosoph? Hat Nietzsche mit Wissenschaft in irgendeinem Sinne zu tun? Und wichtiger noch: braucht die Wissenschaftsphilosophie Nietzsche berhaupt? Zureichende Antworten sind hier nicht zu erwarten, stattdessen versuchen wir, uns lediglich an die Fragen anzunhern in dem wir berwiegend bei seiner eigenen Fachdisziplin bleiben , die Altphilologie, und dazu Evolutionswissenschaft, Physiologie, und Archologie.
ber die Methode in der Philologie: Nietzsches Philologie und die Evolutions-Wissenschaft Als Radikalisierung von Kants Epistemologie sowie seiner Wissenschaftsphilosophie2 exponiert Nietzsche die Frage der Wissenschaft in kritischem Sinn, indem er die Ressourcen der Kunst als eine ihrer selbst bewusste und unschuldige Illusion aus dem ausdrcklich methodologischen Grund in Anschlag bringt, dass „das Problem der Wissenschaft […] nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden“ kann (GT Versuch 2, KSA 1, 13). Als organisiertes Wissen sowie insbesondere als Lehr- oder Forschungsprozess, der sehr oft spezifisch mit der Welt der Erfahrung befasst ist, sei es die natrliche oder die soziale Welt, wird gemeinhin das, was wir „Wissenschaft“ nennen, als eine Frage von methodischer und systematisierender Analyse aufgefasst. Konsequent korrespondiert im Kontext seiner frhen Reflexionen auf sein erstes Buch ber die griechische Tragçdie und Kunst das, was Nietzsche spter „das Problem der Wissenschaft“ nannte, die Frage nach dem spezifisch szientifischen Charakter der Wissenschaft. Daher wirft Nietzsches Wissenschaftsphilosophie die Frage auf: was macht Wissenschaft zu Wissenschaft? Aus eben diesem Grund beginnt Nietzsches erstes Buch mit der Frage nach der sthetischen Wissenschaft, betrachtet als Wissenschaft berhaupt, sowie, ganz im Geist Kants, in Bezug auf den Fortschritt, den sie als Wissenschaft macht. Aus eben demselben Grund exponiert Nietzsches Antrittsvorlesung in Basel die Frage nach der Wissenschaft der Philologie in agonalen Begriffen. Er begreift damit die Philologie als eine Disziplin, die im Kampf mit sich selbst liegt, indem er sich mit nichts weniger als der wissenschaftlichen Methodologie der 2
Siehe weiter, noch einmal, Babich (2010b) sowie dazu Babich (2010c).
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Altphilologie als solcher befasst.3 ,Methode‘ selbst und so wie Nietzsche sie insbesondere als eine absichernde und kritisch entscheidende Gewissheitsgarantie fr historische und textkritische Kritik beschwçrt,4 bezieht sich auf die sehr spezifische, intern selbstreferentielle und damit inhrent sich selbst festigende Basis der philologisch historischen (oder genealogischen) textfokussierten Forschung, die mit Karl Lachmann beginnt, der gemeinhin als der Urheber der philologischen Methode5 und der Textkritik6 angesehen wird; und deren Linie von dort bis zu Nietzsches Lehrer Friedrich Ritschl fhrt. Tatschlich war die Methode der Textkritik, die von Lachmann zunchst auf die Edition klassischer Texte angewandt wurde, Jahre hindurch weiterhin von Interesse in der Erforschung von Mittelalter und Renaissance (Kristeller 1981). Dies impliziert das sich intensivierende Interesse an der Rolle von Lachmanns philologischer Methode und die Geschichte der wissenschaftlichen Klassifizierungen (Ginzburg 2004), insbesondere die Beziehung zwischen Stemmata und Kladistik (also zwischen Philologie und Evolution). Daher macht Darwin in seinem Werk Die Entstehung der Arten die Bemerkung, die er dann durch mehrer Seiten entwickelt: „Es wird die Mhe lohnen, diese Ansicht von der Klassifikation durch einen Vergleich mit den Sprachen zu erlutern“ [It may be worthwhile to illustrate this view of classification, by taking the case of languages].7 Ein Hinweis, der von August Schleicher, einem Freund des Zoologen und sogenannten ,Deutschen Darwin‘ Ernst Haeckel gebhrend aufgegriffen worden ist (Schleicher 1873). Indem er den Zusammenhang zwischen Philologie und der Entwicklungsgeschichte in der Evolution herausarbeitet, bietet William Robins eine nietzscheanische Kritik auf (ohne freilich in diesem direkten Zusammenhang
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So lesen wir in seiner Antrittsvorlesung Homer und die klassische Philologie: „Die gesamte wissenschaftlich-knstlerische Bewegung dieses sonderbaren Centauren geht mit ungeheurer Wucht, aber cyklopischer Langsamkeit darauf aus, jene Kluft zwischen dem idealen Altertum – das vielleicht nur die schçnste Blthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Sden ist – und dem realen zu berbrcken; und damit erstrebt die klassische Philologie nichts als die endliche Vollendung ihres eigensten Wesens, vçlliges Verwachsen und Einswerden der anfnglich feindseligen und nur gewaltsam zusammengebrachten Grundbetriebe.“ (KGW II/1, 253). „Nachdem die geschichtliche Kritik sich mit voller Sicherheit der Methode bemchtigt hat, scheinbar konkrete Persçnlichkeiten verdampfen zu lassen, ist es erlaubt, das erste Experiment als ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Wissenschaft zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, ob es in diesem Falle gelungen ist.“ (KGW II/1, 255). Siehe dazu die Beitrge in Schmied-Kowarzik (1995), insb. Hoenigswald (1995). Zu Lachmanns Methode siehe Timpanaro (2004). In noch allgemeinerem Sinne siehe Glucker (1996). Darwin (1867, 494). Siehe weiter Babich (2010b).
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Nietzsche in Anspruch zu nehmen),8 wonach die genealogische Methode oder die Textkritik, ebenso wie die historisch kritische Methode als Kondensat der gelehrten Forschung „von dem editorischen Urteil abhing, welche Lesarten ,Irrtmer‘ waren und welche nicht. Diese Schwierigkeit war das grçßte praktische Hindernis fr die Lachmannsche Methode – verschiedene Herausgeber der selben Tradition konnten ber die grundlegendsten Entscheidungen in Unstimmigkeit sein. Die Identifizierung von Irrtmern, selbst von offensichtlich herausragenden, ist die Angelegenheit von Kompetenz, Intuition und einer Deduktion des Augenblicks, und demgemß variiert sie deutlich zwischen einem Kritiker und dem nchsten“ (Robins 2007, 92).
Obwohl Robins spter Nietzsches Rolle in der Philologie des 19. Jahrhunderts klar notiert, scheint es bei ihm an einer nheren Kenntnis von Nietzsches Texten zur Philologie zu fehlen, eine seltsame Naivitt bei einem Autor, der ausgerechnet ber die Verbindung zwischen philologischen Traditionen und der Entwicklung der Evolutionslehre schreibt.9 Nichtsdestoweniger markiert das Problem des Urteils des Editors, selbst wenn seine Aussagen auf das Feld von sthetik oder Stil hin abzuschweifen scheinen, den springenden Punkt, an dem philologisch gestimmte Nietzscheforscher schon aus Nietzsches Antrittsvorlesung die Homerische Frage wiedererkennen mçgen. Nietzsches Antrittsvorlesung bietet daher – und dies war, im Rckblick betrachtet, ein sehr gewagter Gegenstand, erst recht, wenn man ihn in zu Beginn einer Professur zur Sprache brachte – nichts weniger als eine Kritik der Philologie als einer Wissenschaftsdisziplin, sowohl politisch intern und intrinsisch als auch als Wissenschaft im strengsten Sinne selbst. Dies ist der Grund, weshalb Philologen wie Viktor Pçschl oder auch Hugh Lloyd-Jones10 und William Arrowsmith11 dazu tendierten, ihr Augenmerk auf Nietzsches Kritik der klassischen Philologie in seiner Strenge und als einer Wissenschaft zu richten. Tatschlich kann die These gewagt werden, dass Nietzsche, der seine Kritik an der eigenen Disziplin sehr pdagogisch nahm (siehe Babich 2009b) – er htte doch eine Parallele zu seinem Versuch einer Selbstkritik sogar noch fr seine Antrittsvorlesung schreiben kçnnen –, auch hier, schon in seiner Vorlesung aus dem Jahr 1869, die Frage der Wissenschaft als Wissenschaft selbst exponierte, indem er Lachmanns Homerische Frage als eine Frage aufwarf. Man soll sich nicht tuschen: Nietzsches Annherungsweise, die die Homerische Frage selbst in Frage stellt, ist ein seltenes Phnomen. Wie die Jdische 8 Dieses zu sagen heisst nicht, dass Robins Nietzsche nicht in seinem Aufsatz zitiert, denn genau das tut er in der Tat, wobei er eher Nietzsches Einsicht wieder entdeckt, ohne sie freilich als solche zu kennzeichnen und von seinen eigenen Thesen zu unterscheiden. 9 Robins bezieht sich hiermit auf Porter (2000). 10 Siehe Lloyd-Jones’ Reszension ber Flashar, hier Lloyd-Jones (1998) und, insb. ber Ritschl, Lloyd-Jones (1987). 11 Siehe Arrowsmith (1973/1974) sowie Pçschl (1979).
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Frage, die Irische Frage, die Frauenfrage (und Foucault wird die Problematisierung des Knaben als das was wir hier die Knabenfrage in seiner Geschichte der Sexualitt unter dem Titel Der Gebrauch der Lste hinzufgen (Foucault 1989)), wird die Homerische Frage kaum je als Frage stehen gelassen, sondern sie wird immer gelçst, auf die eine oder die andere Weise, noch bevor irgendein Gelehrter, der ber sie schreibt, auch nur beginnt, ber sie zu reflektieren. Auch heute neigt man eher dazu die Frage nicht zu stellen, vor allem weil man meint sie sei endgltig gelçst, indem man zeigen kann dass es einen hçchstpersçnlichen, individuellen Homer gegeben hat.12 Doch fr Nietzsche geht es, obwohl dies eher ,schrg‘ (in intentione obliqua) gesagt ist, wie manches bei Nietzsche, und obwohl er hier keine klare und direkte Behauptung trifft, um die Sprache selbst und dazu um deren Musikalitt am bergang zu einer Schriftkultur.13
ber das Stil-Urteil in Kunst und Wissenschaft In Nietzsches Baseler Vorlesung ist die entscheidende Frage eben die Homerische Frage, indem Nietzsche die exemplarische Anwendung solcher „sthetischer“ und stilistischer Probleme als eine Kritik des gelehrten Urteils charakterisiert: geht es doch um jene Homerische Frage, wie sie in der Tradition erçrtert und diskutiert wurde, die nicht nur auf Lachmann (und auf Goethe und Schiller) zurckfhrt, sondern ebenso auf den berhmten ersten Philologen Friedrich August Wolf, wobei Nietzsche seine Hçrer daran erinnert, dass jene Frage sich tatschlich aus der philologischen Tradition der antiken Griechen selbst herleitet: „Der Hçhepunkt, den die literaturhistorischen Studien der Griechen und somit das Centrum derselben, die Homerfrage erreichten, war das Zeitalter der großen Alexandrinischen Grammatiker“ (KGW II/I, 255). Fr Nietzsche ist es gerade der springende Punkt in seiner genealogischen Lesart seiner eigenen Disziplin aus, dass die klassifikatorischen Grundlinien der antiken Grammatiker nach wie vor das Rahmengerst der modernen philologischen Wissenschaft ausmachen. Was Nietzsche „aesthetische Wissenschaft“ nannte (GT 1, KSA 1, 25), ermçglichte die Identifikation von Typen (von 12 Siehe, spezifisch dazu, die Arbeit des allzu frh gestorbenen Lachterman (1991), sowie Benne (2005, 297 ff.) und im allgemeinen Thiel (2008) und Lohmann (1970), Latacz (2003) sowie Schadewaldt (1944 und 1975) sowie Bannert (1979) (vergl. hier Nietzsches parodierende Fragen: „Wo hlt sich doch der liebe Mann auf ? Warum blieb er denn so lange incognito? A propos wissen Sie mir nicht eine Silhouette von ihm zu bekommen?“ Nietzsche, (KGW II/1, 268)). Weiterhin noch: Landfester (2004, hier insb. 495 – 496 ff.). 13 „Giebt es charakteristische Unterschiede zwischen den Aeusserungen des genialen Individuums und der dichterischen Volksseele?“ (KGW II/I, 260).
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Texten, Autoren, Knstlern, Kunstwerken und selbst Stdten), im Sinn einer streng wissenschaftlichen Verfahrensweise. Es ist nicht zufllig so, dass das Urteil ber den „Stil“ auch der Schlssel zu Nietzsches fundamentaler Kritik des empirischen und historisch-archologischen Vorgehens ist, nicht weniger als die auf Texte begrndeten oder hermeneutischen Dimensionen der philologischen Forschung, wenn wir uns nur den Konflikt der Disziplin ins Gedchtnis rufen, der klassischerweise auf den Streit zwischen Friedrich Ritschl und Otto Jahn zurckgefhrt wird, ganz in dem Sinne, wie wir diesen Gegensatz am Anfang herauszuarbeiten suchten.14 An dieser Stelle ist es bedeutsam, auf den Sachverhalt hinzuweisen, dass die Ritschl-Schule nicht weniger als 36 Universittsprofessoren und 38 Lyzeumsoder Gymnasiallehrer hervorbrachte, unter denen Nietzsche nur als einer unter anderen galt.15 Und wenn Nietzsches spezifische methodische Sensibilitten auf Ritschls Seminare zurckgefhrt werden kçnnen,16 so ist es auch von Bedeutung, dass Nietzsches akademisches Studium ihn im Sog der berhmt berchtigten Ritschl-Jahn-Kontroverse in agonalen Konkurrenzsituationen des akademischen Lebens schulte. Nietzsches sptere Provokation gegenber der historisch-kritischen Methode wuchs aus dieser formierenden Erfahrung heraus, wie Nietzsche sie aus Lachmanns eigenen rigorosen Sensibilitten interpretierte17 – ganz so, wie dies Wilamowitz spter tun sollte – als den Imperativ, weiter zu gehen als Lachmann selbst. Dies bedeutete in Nietzsches Fall nichts weniger als 14 Obwohl es evident ist, dass der ursprngliche Disput zwischen Ritschl und Jahn eher ,kollegial‘ (will sagen: politisch) motiviert war als substantiell, wurde er danach aber in einer allzu substantiellen innerdisziplinren Unterscheidung fest verortet. Heute unterscheidet die Philologie streng zwischen textkritischen Lektren von Annherungen aus der Geschichte und archologischen oder kunstgeschichtlichen Annherungen, wobei sie alle einen gewissen Positivismus favorisierieren, der als das nach wie vor einflußreiche Erbe von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff angesehen werden kann, der ein Schler von Jahn war und der deshalb versuchte, Nietzsches anfngliche Nhe zu Jahn, oder seine Prgung durch ihn, zu unterdrcken. Vgl. Babich (2010b, 321 – 322 sowie 371 – 372) und Babich (2009b, 177 – 178). 15 Siehe dazu Ribecks 2 Bnde (1878 – 1881). Siehe weiter hin Bontempelli (2004). Zu Methode siehe hier noch einmal die Beitrge zu Schmied-Kowarzik (1995). Und weiter noch, als Beitrag zur Philologie, Gadamer (1960). 16 Obwohl ohne Bezug auf Jaspers, dafr aber mit eine Besprechung Andlers, zeigt uns Benne, dass die Beziehung zwischen Nietzsche und Ritschl weitere Forschung verdient: Benne (2005, 46 f.). Siehe breiter noch Brobjer (2007). 17 Die textkritische Methodologie, bemerkt Robins, beruht sich auf „editorial judgment about which readings were ,errors‘ and which were not. This difficulty has always been the biggest practical obstacle for the Lachmannian method – different editors of the same tradition could disagree about even the most basic decisions. The identification of errors, even of apparently egregious ones, is a matter of competent, intuitive, and ad hoc deduction, and accordingly, varies considerably from one critic to the next (Quentin; Kristeller; Salemans, Building Stemmas).“ (Robins 2007, 92).
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den Weg der Rckkehr zu den Quellen unserer textkritischen Methodologie in der spezifisch genealogischen Hinterlassenschaft der Homerischen Frage selbst.18 Als eine buchstbliche Kritik des antiken Urteilsvermçgens betrifft Nietzsches reflexiver Einblick in die philologischen Klassifizierungen von Stilarten die subjektive Rolle des Geschmacks und die Kritik der Urteilskraft an sich. Wenn Nietzsche selbst eine sehr eigenstndige Position gegenber der Homerischen Frage einnimmt, indem er die mndliche Tradition hervorhebt (was berraschenderweise viele Altphilologen heute zu tun verfehlen), so enthlt eben diese Unterscheidung zwischen Subjektivitt und Objektivitt eine doppelte Anspielung auf den Komplex von Urteilskraft und Geschmack in der Homerischen Frage als solcher und in der Disziplin der Altphilologie berhaupt. Doch fr Nietzsche ist diese Frage eher eine Frage der mndlichen berlieferung gegenber der Schriftkultur. Deshalb fllt auf, dass er Texte nach spezifisch textkritischen Lesarten auswhlt. Die Vorannahme gelehrter Experten orientiert sich um eine solche Urteilskraft und objektive Unterscheidung: dieses Urteil ist die sthetische Basis zu der Fhigkeit von Gelehrten, ein Fragment nach Stilbegriffen zu identifizieren. Und im Fall der klassischen oder mittelalterlichen oder Nordischen Philologie ist es eben solch ein Urteil, das die gelehrte Expertise auf die Probe stellt – und es gibt eine Flle von kuhnianischen Paradigma-Schwierigkeiten, die in eben dieser Problematik impliziert sind. Aus diesen Grnden macht die empirische Applizierbarkeit und sthetische Substanz aus der klassischen Philologie eine Wissenschaft, so wie sie auch Archologie und Kunstgeschichte zu Wissenschaften formt, aber nur in sthetischer Betrachtung, formal, in morphologischer Redeweise, hnlich wie die Darwinsche Evolution – und dies ist zweifellos die hçchst kritische Herausforderung, die gegen die Darwinsche Evolutionstheorie nicht von christlichen Fundamentalisten, sondern vom dialektischen Materialismus erhoben wird.19 Der eigentliche Gesichtskreis der Debatte, die die philologische Quintessenz der Homerischen Frage betrifft, der Punkt, an dem Nietzsche in seiner Antrittsvorlesung ber Lessings Laokoon hinauszugehen sucht, in dem Sinne, wie er an Erwin Rohde schrieb, kann daher schwerlich in der Weise, wie manche Forscher argumentieren, auf seine Faszination durch Wagner oder auf irgend ein anderes Motiv außerhalb der Philologie – und zwar der Philologie in ihrer strengst mçglichen Artikulationsform – zurckgefhrt werden. Von Anfang an war Nietzsche wissenschaftlich mit der ,mndlichen Tradition‘ befasst, und dementsprechend mit den Schwierigkeiten, die selbst schon unseren Zugang zu 18 Es ist auffllig, dass bezogen auf Nietzsche und sein ,Schicksal‘, Ulrich von WilamowitzMoellendorff diese Empfindung letztlich teilte. Siehe noch einmal Benne (2005, 296 f.). 19 Levins and Lewontin (1985) ebenso wie Sheehan (1985) und Woods/Grant (2002). Siehe als bersicht immer noch Allen (1975).
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den Texten als Texten erschweren, also zu den Texten selbst, wie der spte Pierre Hadot, Ivan Illich, Walter Ong, und andere wie Erik Havelock auf der Basis der empirischen Beweise Milman Parrys und Alfred Lords argumentiert haben. So bewegte sich nmlich jene mndliche Tradition immer auf dem Kurs, den Nietzsche ihren „gefhrlichen Weg“ nannte, gefhrlich in philologischer Betrachtungsweise, weil er eben in den verschwiegenen Smpfen einer Text-Tradition enden wrde. Was Nietzsche den „Geist der Musik“ nennt, kreist, wie wir in seiner Antrittsvorlesung mit Zielrichtung gegen Lachmann selbst lesen, ganz um diese spte und komplexe Frage.20 Nietzsches Frage, die er im Blick auf den Stil in seiner Antrittsvorlesung aufwirft, und die Humes Frage hinsichtlich der Normierung des (guten bzw. schlechten) Geschmacks vergleichbar ist, kçnnte zum Zweck unserer Beschftigung mit der sthetischen Wissenschaft in der Altphilologie ebenso wie in der Kunst und de facto auch der Wissenschaft reformuliert werden. Philologie, widme sie sich nun dem klassischen Altertum oder der Moderne, hngt ebenso wie die Kunstgeschichte von der Fhigkeit des Kenners ab, Stilformen zu unterscheiden und zuzuschreiben. Daher ist es kein Zufall, dass das theoretische oder ,wissenschaftliche‘ Studium der Kunst in derselben Periode aufblhte und dieselbe sthetisch wissenschaftliche Tradition zu ihrem Hçhepunkt fhrte, und dass Nietzsche, wobei auch hier wiederum die Relevanz von Jahn namhaft gemacht werden kann, mit dem Rang von Gottfried Sempers Arbeit ber den Stil vertraut wurde, die die Hierarchie von Disziplinen, wie sie Nietzsche als essentiell fr die Praktik des Philologie identifiziert, von der Archologie ber die Geschichte bis zu naturwissenschaftlichen und mathematischen Disziplinen detailliert entwickelte.21 Der Einfluss jenes Buches von Semper aus dem Jahr 1860 ist ebenso offensichtlich in Nietzsches Das griechische Musikdrama von 1869; insbesondere zeigt sich dies klar in Nietzsches seinerzeit und noch heute einschneidender erster Referenz auf die Polychromie in der Antike (und gegen eine heute immer noch prsente Aura des Winckelmannschen Weiß).22 Ergnzend zu Semper und anderen ist es sinnvoll, an dieser Stelle zu wiederholen, dass das theoretische oder „szientifische“ Studium der Kunst dieselbe Terminologie in Anwendung bringt, eine Begrifflichkeit, die man tatschlich auch in
20 Siehe dazu Gnther (2010), sowie Babich (2007). 21 Siehe Semper (1860 – 1863). Zu den breiten wissenschaftstheoretische Frage des Stils siehe Babich (2003, 76 und 81). 22 GMD, KSA 1, 531; vgl. KSA 7, 15. Siehe fr eine Besprechung zu Nietzsche und der Farbe in der antiken Plastik den Aufsatz: Babich (2008, insb. 135 – 136). Mallgrave (1996, 348 ff.) betont Nietzsches (von Wagner unabhngige) Lektre von Semper fr seine Schrift: Das griechische Musikdrama (Mallgrave 1996, 350, vgl. Venturelli 2004, 193).
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der modernen Wissenschaftsphilosophie finden kann, im Werk von Ludwig Fleck ebenso wie von Feyerabend und Kuhn.23 Wie werden Stilarten, so wichtig fr Kuhn und Fleck, kanonisiert? Was macht, um damit zu beginnen, die Mçglichkeit ihrer Wiedererkennbarkeit aus? Letztlich, so argumentiert Nietzsche, ist Stil auf der Grundlage hçchst vielfltiger vorgegebener kanonischer Geschmacksregister wirkungsvoll, und zwar von Geschmacksregistern sowohl kollektiver wie auch individueller Art. Das Ergebnis im Fall der Homerischen Frage: der individuelle Dichter, seine „Persçnlichkeit“ (in dem Sinne, wie Nietzsche von ihr spricht), bringt die hçchst spezifizierbare, identifizierbar Autorenidentitt hervor: Homer selbst, sei es als Individuum oder als ,Volksseele‘. Der wissenschaftliche Schlssel zur Altphilologie als einer strengen Wissenschaft des institutionalisierten Geschmacks und Schmeckens besteht, so haben wir notiert, darin, dass Altphilologie, ebenso wie Archologie, die Schulung des autoritativen Vermçgens des Experten ist, Stile zu identifizieren, antike Texte in ihrem chronologischen Kontext zu verorten und zugleich zwischen antiken Artefakten zu unterscheiden und, vor allem, sie nach den Kategorien der Experten zu beurteilen. – Und wozu sonst bençtigen wir denn solche Experten, wenn nicht zur Zertifikation? Daher wissen wir, was wahr und was unwahr ist, was authentisch und unauthentisch, was gut und schlecht, ob es einen Homer gegeben hat oder nicht. (Es hat. So meinen wir zu wissen.) Und dies ist zugleich die Art und Weise, in der archologische und textliche Entdeckungen gemacht werden. Doch, indem man die Fhigkeit des Philologen beschwçrt, Stile unterscheiden zu kçnnen, so Nietzsches springender Punkt – und dies ist der selbe intrikate Punkt, der Nietzsche wiederum dazu fhrt, Rohde gegenber seine unvermeidbar „Bestrzung“24 in dieser Hinsicht zu erkennen zu geben – zeigt sich, dass diese Fhigkeit auf keinerlei weiteren methodischen oder ,szientifischen‘ Maßstben beruht als eben auf dem sthetischen Urteil als solchem, das dabei mit all seinen Strken und Schwchen genommen wird. Als eine streng wissenschaftliche Verfahrensweise machte die Disziplin, die Nietzsche „aesthetische Wissenschaft“ nannte (GT I, KSA 1, 25), die Identifikation von Arten von Texten wie Autoren, Kunstwerken wie Stdten, um von Knochenfunden ganz zu schweigen, erst mçglich. In diesem Sinne ist es nicht zufllig, dass das Urteil ber den ,Stil‘ auch der Schlssel zu Nietzsches fun23 Ich diskutiere diese Konstellation an verschiedenen Orten, aber vgl. hier: Babich (2001). Wie ich in Babich 2010d zeige, ist diese historisch ,szientifische‘ Stil-Orientierung nach wie vor im Begriff, die gegenwrtige Kunstgeschichte zu dominieren. 24 In seinem Brief an Rohde vom 16. Juni 1869 schreibt Nietzsche „Ich fhle mich unter der Maasse meiner geehrtesten Collegen so recht fremd und gleichgltig“ (Bf. an Rohde, 16. 06. 1869, KGB II/1, 16).
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damentaler Kritik des empirischen und historisch-archologischen Vorgehens ist, nicht weniger als die auf Texte begrndeten oder hermeneutischen Dimensionen der philologischen Forschung, wenn wir uns den Konflikt der Disziplin ins Gedchtnis rufen, der klassischerweise dem Streit zwischen Ritschl und Jahn zugeschrieben wird, ein Fach- oder Gelehrten-Gegensatz, wie am Anfang betont worden ist.25 Aber das alles ist eben fr Nietzsche zuletzt nur eine Geschmacksfrage. Nietzsche verzichtet niemals auf diese stilistische Einsicht in die fundamental sthetische Grundlage der Philologie und somit in die Begrndung der Wissenschaft als ganzer. Daher beginnt Nietzsche Die Geburt der Tragçdie damit, dass er die ,Wissenschaft‘ der sthetik als solche beschwçrt. In der Tat, ruft sein Also sprach Zarathustra sowohl seine Antrittsvorlesung wie auch die anfngliche Emphase auf den Geschlechts-Kampf, den dichterischen ,Zwist des Liebenden‘, in seinem ersten Buch in Erinnerung, wenn Nietzsches Zarathustra warnt (wiederum mit einem Echo auf Humes Standardisierung des Geschmacks und ebenso wie Kants kritische Philosophie der Urteilskraft): „Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken“ (Z II, Erhabenen, KSA 4, 150). Nietzsche betont immer wieder, dass statt unserer „kleinen Vernunft“ (wie er unser ,hçheres‘ kognitives Vermçgen oder die Vernunft nach Kants Kritik der reinen Vernunft beschreibt – und damit die Fhigkeiten und Grenzen unsere menschlichen Vernunft, wobei wir hier sofort ahnen kçnnen, dass Nietzsche diese Kritik kritischer fortschreibt als Kant selbst), es unsere „grossen Vernunft“ sei, wie er unseren Leib samt seiner Beschaffenheiten beschreibt: unseren Wahrnehmungsapparat (wie wir unsere Sinne ganz zu Recht nennen, wiederum mit all ihren Grenzen oder Einschrnkungen), die uns am unmittelbarsten an das heranfhrt, was wir Wahrheit nennen – und Wahrheit ist hier ein bevorzugtes erkenntnistheoretisches Wort Nietzsches – so weit sie uns irgendwie angeht.
Von „ko-Physiologie“ zu Zukunfts-Physiologie Nietzsches ,ko-Physiologie‘26 schließt seine Befassung mit der Welt als Lebewesen ein, sowohl leiblich als auch spirituell, im Sinn eines reflexiven Engagements, das Nietzsche mit den Mitteln der wissenschaftlichen Physiologie des 25 Selbst wenn es offensichtlich ist, dass der Disput zwischen ihnen nicht eigentlich substantiell war, war er in jedem Fall im Sinne eines positivistischen Klassizismus geprgt. Dies bestimmt, wie weiter oben angedeutet (Fussnote 14), das immer noch fortgesetzte philologische Erbe von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848 – 1931). 26 Ich beziehe mich hier auf einem Terminus den ich in meinem Buch zu Nietzsches Wissenschaftsphilosophie eingefhrt habe, genauer Kapitel 3: „ber die çkophysiologische Grundlegung des Wissens: Nietzsches Epistemologie“ (Babich 2010a, 103 f.).
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19. Jahrhunderts interpretierte und das die Basis von Einsichten ist, die bis heute noch wissenschaftlich bedeutsam bleiben. Aber Nietzsche erwartete noch mehr von der Physiologie, denn er wollte eben, was die Wissenschaft, woran uns bereits Hegel erinnert, uns nicht geben kann. Wo Nietzsche meinte, dass die Physiologie eine wohl-artikulierte Wissenschaft der Interaktion zwischen Ernhrung und der spezifischen Konstitution des Einzelnen geben sollte, haben wir stattdessen und de facto nur eine verallgemeinernde Wissenschaft von Ernhrungswerten, standardisiert bis zu dem Ausmaß, dass ein medizinischer Praktiker einfache Vorschriften ber das Gewicht treffen kann und dass man unschwer annimmt, dieselbe Ernhrung oder dieselbe Medizin seien fr alle physiologischen Typen geeignet. Natrlich, und das wissen wir (was nicht besagt, dass die entsprechenden Standards der Studien mittlerweile schon verbessert wren), wird dies faktisch dort hoch problematisch, wo wissenschaftliche Studien einfach generalisieren oder Mnner und Frauen gleich behandeln. Andere kritische Studien haben provokativ gezeigt, dass Frauen (und sogar Kinder und ltere) gleich behandelt werden, oftmals um eine vergleichsfhige Reihenfolge differenzieller Studien zu gewinnen, die dann Fallarten des standardisierten mnnlichen Erwachsenen bilden.27 Nach Nietzsche msste sich ein Zukunfts-Physiologe der den Namen eines Wissenschaftlers wirklich verdienen sollte, wohl an jeden Einzelnen, jedes Individuum anpassen: nicht nur ,sex/gender‘, sondern Herkunft, Ernhrungs-Geschichte whrend seines ganzen Lebens und vielleicht auch noch die Parameter der Mutter, das athletische Verhalten usw. mssten in Erwgung gezogen werden. Wir sind, obwohl Kuren hierzulande zumeist von den Krankenkassen bezahlt werden, immer noch weit entfernt davon, solch eine Wissenschaft wirklich entwickelt zu haben. Stattdessen haben wir, und dies ist aber durchaus kein Zufall, das, was Patrick Heelan „tragbare Laboratorien“ nennt, entwickelt. Und dabei passen wir uns, um ber Heelans Gedanken hinauszugehen, im Richtungssinn der modernen Technologie („der Gerte“ hier im Sinn von Gnther Anders „sind die Begabten [,whiz-kids‘] von Heute“ [Anders 1980, 40]) unsererseits an diese tragbaren Laboratorien an. Daher habe ich unter Bezugnahme auf Martin Heidegger (und Alphonso Lingis) ber die Phnomenologie der leibhaften Projektion geschrieben (vgl. Babich 1999). Heelans eigene Beispiele, die er weitgehend von James Gibson ausgehend hermeneutisch fortsetzt, beziehen sich auf unsere allzumenschliche Not, unsere Wahrnehmung umzustellen, wenn wir, um Gibsons und Heelans Beispiel zu erwhnen, als Piloten in Dsenflugzeugen fliegen und auch noch landen zu wollen (vgl. Heelan 2009, 467 ff.; vgl. auch Gibson 1979 and Heelan 1983). Langdon Winner nimmt dieselbe durchaus perspektivistische Beobachtung in seinem Buch ,Der Wal und der Reaktor‘ auf, in dem er das Beispiel von John Glenn behandelt, der die Erde 27 Siehe z. B. Arain (2009); Ortona (2008) sowie die Beitrge in Franconi (2010).
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umrundete und ber die auffllend Trivialitt seiner visuelle Wahrnehmungserfahrung reflektierte (Winner 1986, 3). Dasselbe Phnomen kann man auch in unserer Wahrnehmung elektronischer Medien erkennen: wir richten unsere perzeptiven Fhigkeiten nach der Klarheit oder den Grenzen der Auflçsung und auch der Flachheit der so genannten hochauflçslichen Bildschirme, die fr unsere Fernsehgerte, unsere Ipads und Computer und ebenso unsere Kameras hergestellt werden. Die „Hochauflçslichkeit“, um die es hier geht, wrde bei Ingmar Bergmans Filmen oder sogar fr Ansell Adams Fotografien nicht als photographische Schrfe wirken.28 Im Gegenteil. Also tendiert unsere Technologie zu einer Standardisierung, will heissen von unsere Seite: einer Anpassung, die im Gegensatz steht zu dem, was Nietzsche gewnscht haben wrde, wenn es um den spezifischen Stoffwechsel von spezifischen Individuen geht. Ein einziges Klima (die mit Klimaanlage ausgestatteten Gebude der westlichen Welt) muss immer und berall gelten (vor allem: man kann die Temperatur nach eigenem Bedrfnis einstellen, aber nicht den Mechanismus bzw. das Funktionieren der Klimaanlage) und ebenso wird unser Ideal der Ernhrung und der Gesundheit standardisiert (und auch hier im Rahmen den Mechanismus des Ernhrungs- und Einkaufsindustrien, kann man eher dieses als jenes vorbereitete Gericht verzehren, man kann einen Burger oder eine Pizza whlen, oder etwas grnen Salat, innerhalb der Standardisierung des Warenangebots in Supermrkten oder Restaurants – wenn man nicht die Mhe auf sich nimmt, einen Laden mit gesunden Nahrungsmitteln oder einen Grnen Markt aufzusuchen, und Monsanto und die internationale Pharmazeutische Industrie tendieren nun in Gestalt des Codex Alimentarius dazu, auch diese Option auszuschalten). Indem Nietzsches Denken in einer faszinierenden Weise Heideggers Analyse des In-der-Welt-Seins, aber auch die Unterscheidung des spten Heidegger zwischen Erde und Welt, zusammen mit dem Hçlderlinschen Topos des Wohnens antizipiert, ist es von Anfang an auf den Einfluss des Leibes auf den Geist und daher auch auf den Einfluss von Atmosphre und Ort gestimmt. Doch Nietzsche lenkt sein Augenmerk auch auf leibliche Differenzen sowie Empfindsamkeiten, eben in ihrer genauen Variabilitt, wie sie wissenschaftliche und medizinische Konventionen herausfordern mssen. Nietzsches springender Bergsteiger in der Schweiz – wir kçnnen an das Unglck seines einstigen Freundes, Paul Re denken – ist nicht Francesco Petrarca, der am 26 April 1336 28 Ich sage dies angesichts des jngsten Berichts, dass Kodak damit aufgehçrt hat, Kodachrome-Filme herzustellen, mit all den Problemen, die dies mit sich bringt und ohne die Komplikationen der Versicherung einer rumlichen Wahrnehmung in der Fotografie damit auch nur zu berhren, ein Problem, das sich auch auf die bertragung der vermeintlich realen Welt bezieht. Dabei kann ich hier leider nicht den entscheidenden Punkt mitthematisieren, den Merleau-Ponty im Blick auf die Geschichte der Malerei oder der Skulptur und Architektur etc. behandelt hat.
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den Mont Ventoux bestiegen hat, so wie ihn Jakob Burckhardt als den „frhesten unter den Modernen“ beschrieben hat, wobei hier ,modern‘ im aufgeklrten Sinne von Kants ,interesselosem Anschauen‘ zu verstehen ist, das „die Gestalt der Landschaft als etwas mehr oder weniger Schçnes wahrgenommen und genossen hat“ (Burckhardt 1930, 211). Wichtig ist es, wenn man eine nach Nietzsche zu erreichende ZukunftsPhysiologie akzentuiert, dass man dabei bemerkt, wie der Tibetanische Sherpa, zwar mit doppelter Last, und doppelt so schnell wie anderen Bergsteiger aus anderen Lndern, egal ob Deutsche oder Japaner, in der Tat nicht mit den heutigen Aspiranten auf die Rolle des jeweils aktuellsten, Rekorde brechenden Abendlnders, der Abendlnderin zu verwechseln ist, der/die auf dem Gipfel des Mount Everest steht. Erstens weil man dazu neigt, die Sherpas berhaupt nicht zu den Bergsteigern zu zhlen (es ist so, als ob sie nicht dabei sind, whrend dieses oder jenes „weiße“ Team seine Gipfeljagd vollzieht)29 aber zweitens ist dieser Unterschied rein physiologisch bedingt: Denn obwohl wir wissen, dass Enzyme sowie bestimmte Gene die angeblich die angeborene Anpassung an das Leben in großen Hçhen erlauben, sind wir immer noch weit davon entfernt, dies auch medizinisch aufgeklrt zu haben. Ich selber finde es durchaus berzeugend, mit einer Besinnung auf das einzusetzen, was Tenzing Norgay (1914 – 1986) sagt, wenn er meint, dass statt unserer normalen DurchschnittsMenschlichkeit oder mit Nietzsche zu reden, unsere „Mittelmssigkeit“ man eher eine „ber“- Menschlichkeit brauche – und zwar auf Dauer: das heißt hier frohe Grundstimmung, Gutmtigkeit, Kameradschaftlichkeit, Geselligkeit und vor allem Großzgigkeit oder Selbstlosigkeit Voraussetzungen fr den Erfolg in den Bergen auf Hçhen von 6000 – 7000 m seien.30 29 Siehe dazu aber den Bericht von Carsten Holm ber die Errungenschaft, als Erster den Mount Everest bestiegen zu haben. Sie wird dem berhmten Neuseelnder Edmund Hillary und dem allerdings weit weniger berhmten Sherpa Tenzing Norgay zugesprochen (vgl. Holm 2003). 30 „You cannot be a good mountaineer, however great your ability, unless you are cheerful and have the spirit of comradeship. Friends are as important as achievement. Another is that teamwork is the one key to success and that selfishness only makes a man small. Still another is that no man, on a mountain or elsewhere, gets more out of anything than he puts into it.“ (Tenzing, 1955). Siehe dazu auch das von seinen Enkeln Judy & Tashi Tenzing verfaßte Buch, Tenzing/Tenzing (2003). Alphonso Lingis bringt phnomenologische Betrachtung auf die politische Seite von Ethik wenn er weiter in seinem Werk The Imperative dazu schreibt: „if he is loyal in some ways and disloyal in others that is because of the laws of his gods formulated in remote antiquity and because of the laws of those others who combatted those gods with the alien gods of venality, that he is blind now because those who have conquered Nepalese and world economy have ruled it in such a way that he was not able to acquire high altitude goggles and no teacher was sent to his village to tell him of the perils far above its altitudes. We have to answer for what the British did on their own in the Indian subcontinent two centuries ago. One does not find oneself in a world of one’s making, one finds oneself a Briton in some Indian
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Gegen, aber ebenso mit Feuerbach, kçnnen wir Nietzsches bevorzugte Instantiierung, dass man das wird, was man ißt,31 und sein Provoziertsein durch die gewçhnliche Lesart dieses Satzes erkennen, die uns daran erinnert, dass der Italiener Cornaro Neurastheniker gewesen ist, doch dass es eine weitreichende Differenz ausmacht, zu bemerken, dass ein englischer, deutscher oder franzçsischer Neurastheniker jeweils einen anderen Typus darstellen, und dazu auch verschiedene Kçrpertypen usw. Jener Luigi Cornaro (1467 – 1565), der praktizierte, was er predigte und der im Alter von 98 Jahren starb, ist einer der Vter der neuzeitlichen Gerontologie, und die Wissenschaft von der Lebensverlngerung durch eingeschrnkte Dit hat sich seither nicht vom Kernbestand seiner Prinzipien entfernt. Noch immer gilt: esst weniger, dann werdet ihr lnger leben.32 In diesem Sinne, dominiert Cornaros Annherung nach wie vor die professionelle Welt von Medizin und Ernhrung. Der entscheidende kritische Punkt, den Nietzsche gegen Cornaro vorbringt, enthlt eine wissenschaftliche und eine praktische Kritik – und eine kritische Reflexion, die fr jeden ntzlich ist, der an Dit, theoretisch oder praktisch, interessiert ist: Der biedere Italiener sah in seiner Dit die Ur s a c h e seines langen Lebens: whrend die Vorbedingung zum langen Leben, die ausserordentliche Langsamkeit des Stoffwechsels, der geringe Verbrauch, die Ursache seiner schmalen Dit war. Es stand ihm nicht frei, wenig o d e r viel zu essen, seine Frugalitt war n i c h t ein ,freier Wille‘: er wurde krank, wenn er mehr ass. Wer aber kein Karpfen ist, thut nicht nur gut, sondern hat es nçthig, o r d e n t l i c h zu essen. Ein Gelehrter u n s r e r Tage, mit seinem rapiden Verbrauch an Nervenkraft, wrde sich mit dem rgime Cornaro’s zu Grunde richten. Crede experto – (GD Irrthmer 1, KSA 6, 88 f.).
Nietzsches entscheidender Punkt dringt sodann zum Herzstck seiner Kritik der Kausalitt vor: „Grund dafr: die Verwechslung der Folge mit der Ursache“ (GD Irrthmer 1). Und hier drfen wir Nietzsche unterbrechen (ganz natrlich tut er dies selbst: genau so natrlich machen wir alle mit). Denn in der Tat ist eben dieser Fehler die Grundlage sowohl vieler Politik sowie der Werbung an sich und als solcher. Analysiert von Max Horkheimer und Theodor Adorno sowie Jean Baudrillard und Jacques Ellul, wobei Ellul treffend die Werbung als subcontinent. One is always with a Sherpa youth on some expedition.“ Lingis (1998, 140). 31 Feuerbach bernimmt dieses Wort von Jakob Moleschotts Lehre der Nahrungsmittel: „Der Mensch ist, was er ißt.“ Fr diesen Zusammenhang ist erschließend Gedike (1784) ber das Verhltnis von Essen und Sein, sowie Brillat-Savarin (1825). Siehe dazu auch: Rawidowicz (1931) sowie Wartofsky (1977) und Hymers (2006). Siehe zu Nietzsche und Feuerbach Brown (2004) and Wahl (1998) sowie Ridley (1980). Thomas Brobjer gibt Nietzsches Feuerbach-Lektre wieder in Brobjer (2003). 32 Siehe den Nachdruck von Cornaros Tratatto de la Vita Sobria (1558), verçffenlicht als Cornaro (2005).
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Propaganda bezeichnet (und dazu ist auch wieder Gnther Anders erwhnenswert) (Ellul 1976, Anders 1980), funktioniert Werbung33 heute als strkster oder besser gesagt: als der wirkungsvollste von Nietzsches vier großen Irrtmern. In anderen Worten: dieser ,Irrtum‘ ist nichts anderes als der illusorische Grund, auf dem wir unsere moderne, kapitalistische Verbraucher-Gesellschaft errichtet haben. Wenn wir nicht von dem lvulkan, der vom Grund des Meeres aus in den Golf von Mexico hinein explodiert, erfahren bzw. den Erdbeben Japans und der radiokativen Wirkung seiner zerstçrten Nuklearreaktoren; wenn wissenschaftliche Details zurckgehalten oder verwirrt, wenn geologische Analysen klassifiziert werden: in solche, die allgemein publik gemacht werden und andere, die der Geheimhaltung unterliegen; wenn wir nicht die toten Tiere sehen (da BP sie von Meer und Strnden, bevor sie noch offiziell gezhlt werden kçnnten, aufsammelt oder sogar noch im Wasser zersprengt wie im Fall von Walen, und so hnlich im Fall Japans Reaktorenkrise), dann gibt es dies alles auch gar nicht. So meinen wir. Und schlimm ist nur, was uns auch unsere Naturwissenschaftler als schlimm erklren. Wo gesagt wird, dass eine bestimmte Schtzung der Menge des vom Meeresgrund austretenden ls nicht mçglich ist, lassen wir dieses Problem unbercksichtigt, weil wir dazu neigen, anzunehmen, dass es eine „geringere“ Menge sei oder zumindest nicht so gravierend, – ein absurdes Kalkl. Und im Fall Japan, wie im Fall Tschernobyl, sagen wir, dass gar nichts da ist, dass alles gar nicht so schlimm ist, was leicht zu tun ist, weil Strahlung, genau so wie bei Handys usw, anscheinend unsprbar sind. Doch die Tendenz, als inexistent anzunehmen, was wir nicht wahrnehmen, verglich Nietzsche kritisch mit „der akustischen Tuschung, dass wo Nichts gehçrt wird, a u c h N i c h t s d a i s t … “ (EH Bcher 1, KSA 6, 300).34
Parodie als Kritik und als eine Art die Wahrheit zu sagen Nietzsches kritische Wissenschaftstheorie verunsichert uns, gerade wo wir heute noch nach Berechenbarkeit verlangen. Wo ich schon in ,Nietzsches Wissenschaftsphilosophie‘ Nietzsches detaillierte Kritik dazu untersucht habe d. h., Mathematik als Vermenschlichung, unsere Menschlichen-Wahrnehmungsschwche als das, was nicht aufgehoben werden kann, weder durch unser Wissen darum noch durch unsere Gerte, so dass Nietzsche noch mals von den Wis33 Siehe vor allem die Beitrge in Willems (2002). 34 Breiter: „Wofr man vom Erlebnisse her keinen Zugang hat, dafr hat man kein Ohr. Denken wir uns nun einen ussersten Fall, dass ein Buch von lauter Erlebnissen redet, die gnzlich ausserhalb der Mçglichkeit einer hufigen oder auch nur seltneren Erfahrung liegen, – dass es die e r s t e Sprache fr eine neue Reihe von Erfahrungen ist. In diesem Falle wird einfach Nichts gehçrt, mit der akustischen Tuschung, dass wo Nichts gehçrt wird, a u c h Ni c h t s d a i s t … “ (EH Bcher 1, KSA 6, 300)
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senschaften insgesammt als Vermenschlichung sprechen konnte, und die Machtansprche der Wissenschaft, vor allem der Naturwissenschaften gerade anstelle der Religion, usw thematisierte). Hier, aber zum Schluss, wie oben am Anfang, mçchte ich bei seiner eigenen Fachdisziplin bleiben, weil seine fachbezogenen Beispiele und Hinweise uns oft ungewohnt vorkommen. An anderem Ort habe ich vorgeschlagen, dass wir uns weitergehend auf die phnomenologische und archologische Modalitt der Vergegenwrtigung bei Nietzsche beziehen sollten, so wie Nietzsche sie angeblich im Bezug auf seine eigene wissenschaftlich philologische Prgung praktizierte.35 Denn, und hier nur als Beispiel, wie Nietzsches anscheinend seltsame persçnliche Untersuchungen zum Satyrendasein: ganz nackt und voll erregt, gemss Satyrdarstellungen auf griechischen Vasen, und vielleicht noch nach seiner Forschungsinteresse an musikalischen Phrasierungen in der Antike, wie er sie damals in seinen Briefen an Carl Fuchs artikulierte (Bf. an Fuchs, 26. 8. 1888, KGB III/5, 399 f., vor allem Bf. an Fuchs, vermutlich Ende August 1888, KGB III/5, 403 f.), ihn dazu brachten, im Takt zu tanzen, so hat er seine Forschung fortgesetzt, und zwar mit seiner eigenen Person. So hnlich, schlage ich vor, wrde eine experimentelle Archologie oder Anthropologie wohl heute Alltagsgegenstnde nachbauen oder Feuer vorbereiten mit den dortigen bzw. damaligen Arbeitstechniken. Daher ist es meines Erachtens nicht unmçglich, dass so eine phnomenologische Untersuchung hinter dem relativ peinlich und ja apokryphen Bericht stehen mag, dass Nietzsche in seinem Raum im Obergeschoss in Turin nackt getanzt htte – vollstndig erregt, um das Detail, das von dem Augenzeugen, der uns dies mitteilt hinzugefgt wird, zu nennen. Und fr mich ist ein anderes Detail eher als diese Unanstndigkeit von Gewicht. Denn, so hçren wir auch, er spielte dabei auf der Flçte – wiederum in der Art der Satyrdarstellungen auf griechischen Vasen. So meine ich, wie man es auch von Nietzsche selbst schon hçren kann, der sich, wie wir sahen, als Wissenschaftler betrachtete und als solcher uns daran erinnerte: „die Wissenschaft wchst, die Gelehrtesten von uns sind nahe daran zu entdecken, dass sie zu wenig wissen. Aber schlimmer wre es immer noch, wenn es anders stnde, – wenn wir z u v i e l wssten“ (FW 381, KSA 3, 635). So lesen wir Nietzsches wiederholte Worte zur Ernhrung sowie wiederum zum Tanzen, denn „Kraft ist das, was ein guter Tnzer von seiner Nahrung will, – und ich wsste nicht, was der Geist eines Philosophen mehr zu sein wnschte, als ein guter Tnzer. Der Tanz nmlich ist sein Ideal, auch seine Kunst, zuletzt auch seine einzige Frçmmigkeit, sein ,Gottesdienst‘ … (FW 381) Als wissenschaftliche Gelehrte in diesem Sinne „brauchen [wir] mehr, wir brauchen auch weniger“ (FW 381), wie Nietzsche im folgenden, vorletzten Absatz der Frçhlichen Wissenschaft mit dem Titel Die grosse Gesundheit erklrt: 35 Babich (2004) sowie Babich (2011b). Weiter noch dazu: Babich (2011a).
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„wir bedrfen zu einem neuen Zwecke auch eines neuen Mittels, nmlich einer neuen Gesundheit“ (FW 382, KSA 3, 635 f ), und dazu noch „das Ideal eines menschlich-bermenschliches Wohlseins und Wohlwollens, das oft genug u n m e n s c h l i c h erscheinen wird“ (FW 382, KSA 3, 637). Wobei er noch parodistisch, nachhallend an seinen vorigen Hinweis auf „begeisterte alte Esel … und Jungfern, welche durch die sssen Gefhle der Tugend erregt werden: und ,das habe ich gesehn‘ – also sprach Zarathustra“ (FW 381, KSA 3, 635), vorschlgt: „zum Beispiel, wenn neben dem ganzen bisherigen Erden-Ernst […] vielleicht d e r g r o s s e E r n s t erst anhebt, das eigentliche Fragezeichen erst gesetzt wird, das Schicksal der Seele sich wendet, der Zeiger rckt, die Tragçdie b e g i n n t … “ (FW 382, KSA 3, 637)
Und hier haben wir eine echte Nietzsche-Philologie, eine Philologie von Nietzsche selbst vor uns, der fr seine Leser nmlich „die Tugenden des rechten Lesens – oh was fr vergessene und unbekannte Tugenden!“ (FW 383, KSA 3, 637) betont. Daher bricht er auf und sagt uns eben so wie an sich selbst gerichtet: „Nein! Nicht solche Tçne!“ (FW 383, KSA 3, 638). Als Erwiderung hçren wir ein „Wohlan!“ (FW 383) – wie wir das „Wohlan!“ wieder polemisch auf die ,moderne Wissenschaft‘ noch einmal in seiner Zur Genealogie der Moral hçren werden, deutlich genug und mit einem Selbst-Zitat aus seiner eigenen Frage an die Wissenschaft, die als allererste zu fragen ist: „(Wissenschaft als Problem gefasst; was bedeute Wissenschaft? – vergl. dazu die Vorrede zur ,Geburt der Tragçdie‘.)“ (GM III 25, KSA 5, 403). Darauf folgt noch einmal, eine Einladung zum Tanzen und dann zum Schluss heißt es: Aber was ihr zu hçren bekommt ist wenigstens neu, und wenn ihr’s nicht versteht, wenn ihr den S n g e r missversteht, was liegt daran! Das ist nun einmal ,des Sngers Fluch‘. Um so deutlicher kçnnt ihr seine Musik und Weise hçren, um so besser nach seiner Pfeife – tanzen. Wo l l t ihr das? … (FW 383, KSA 3, 638) — bersetzung, unter Mitwirkung der Verfasserin, von Harald Seubert
Literatur Allen, Garland E. (1975): Life Science in the Twentieth Century. New York (Wiley). Anders, Gnther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen: ber die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. Munich (Beck) Arain, F. A. u. a. (2009): „Sex/Gender Medicine. The Biological Basis for Personalized Care in Cardiovascular Medicine“. In: Circ J. Bd. 73(10), S. 1774 – 82. Arrowsmith, William (1973/1974): „Nietzsche: Notes for ,We Philologists‘“. In: Arion n.s. Bd.1/2, S. 279 – 380.
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IV. Einzelwissenschaftliche Auseinandersetzungen
Nietzsche’s Psychology John Richardson 1. Problems about Science and Truth Nietzsche has an uneasy and conflicted relation to science. He attacks it forcefully and on many grounds – but as we know he also expresses quite positive views of it. My first project is to sketch an account of his overall position on science, and on the closely associated topic of truth. I will argue that not only is Nietzsche principally favorable towards science, but that he makes it – in particular one branch of it, psychology – the project that will save us from nihilism. So our future runs through it. Science can play this role despite how its will to truth has been a main contributor to nihilism, because there’s a way (Nietzsche thinks he has found) to ‘heal’ it of its life-depressing features. We do so by embedding this project within certain new values Nietzsche ‘creates’; my second main aim it to give an account of these values, and to situate them within Nietzsche’s broader view of values. I want to map the very large-scale logic of Nietzsche’s thinking on truth and values – or rather to offer a certain hypothesis as to what this logic is. Psychology, we’ll see, brings these two topics of truth and values into closest relation. For psychology, properly done, finds out the truth about values, and in particular about the value of truth. It is in this role that it is the culminating science, so properly the ‘queen’ of the sciences, as he famously puts it in BGE 23. By understanding its proper role as such, we see the fuller shape of his ‘theory of science’, and resolve those apparent conflicts in his views of it. These conflicts at first look utter and irresolvable. Sometimes he judges science [Wissenschaft] to be misguided and worthless, yet elsewhere he puts it near the heart of his own identity and allegiance. The first key to understanding this division is a simple, even trivial point. As with every important term Nietzsche uses, we need to be alert for a dual usage of ‘science’. We must distinguish: i) ‘science’ referring to the prevailing practice – to what has been called science so far, and ii) ‘science’ referring to a reformed practice that makes it what it has long claimed and aspired to be – to what science can be, and should become. It is one of Nietzsche’s characteristic idiosyncrasies, I suggest, that he uses many or indeed all terms – all important ones that is – in these dual senses. And he does so without, for the most part, flagging when he’s doing so – for example
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by appending either ‘so far’ or ‘as it can be’ when he speaks of (e. g.) science. I think there are various reasons he proceeds so. For one thing he very often wavers between understanding himself as destroying (and replacing) an existing practice, or as revising it. (Think of philosophy, morality, the human.) This ambivalence is inevitable given how he wants to push his criticisms down to the very roots – to see them as radical. By coming to the roots he reaches where these practices are fully at issue. So he wavers between two ‘meanings’ for the term for the practice – two ideas of what’s ‘essential’ to it. i) Sometimes science (e. g.) is defined by what’s attacked in its current practice. The rejected features are essential to it, and hence the attacks are deadly. ii) But sometimes science is instead defined by worthy ambitions not yet realized – before Nietzsche that is. And then ‘beneath’ these errors there is a positive project he claims to fulfill. The way he allows words to bear both senses – in different contexts, even in the same case, explains I think a remarkable portion of the apparent contradictions we find in his texts.1 Let’s pursue this point about dual usage into some basic questions that arise for Nietzsche’s view of science. These concern truth, and science’s relation to truth. He sees science as defined by its pursuit of truth (e. g. GS 344). So we must try to determine: whether/how Nietzsche values science as a means to truth. And we can analyze this problem into these sub-questions: 1) whether (and how) Nietzsche values truth, and 2) whether Nietzsche judges science to be a good means to truth. Each of these is a complex, vexed question in its own right, but both are crucially affected by the fact that Nietzsche subjects ‘truth’ to the same dual handling as ‘science’: he sometimes denounces truth, sometimes affirms it, depending upon whether he takes his critiques to bear on essential or on secondary aspects of the practice. And the latter likewise depends on whether ‘truth’ is defined by the prevailing conception of truth, or by aspirations buried in it. I will argue that Nietzsche’s principal view of science and truth is positive: science does give (a kind of ) truth, and this truth is good. The main challenges 1
The point, though simple, has complex connections. It reflects Nietzsche’s theory of language – his views about how words mean. They do have their meanings both from history and prospectively, in both directions from the moment in which we use them. Nietzsche gives up the usual philosopher’s effort to specify his/her words’ meanings by current definition (which aspires to be explicit and precise). His words are about social practices whose meanings have been shaped from the past by their development. But these practices are willful and directed, and in the open-ended manner of will to power: that is, their aims are not fixed and bounded, but project their own amendment and improvement. They have in prospect a higher potential that also gives meaning to the practice. Nietzsche’s main allegiance, I think we can see, is to these prospective meanings, so that he mainly wants to see science (e. g.) to mean what it best can be.
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to my yes-yes position are: 1) Nietzsche’s attacks on the possibility or value of truth, and 2) Nietzsche’s attacks on science’s ability to find truth. 1) I can’t rehearse all the variety of attacks Nietzsche makes against the value of truth.2 Sometimes he suggests the very notion of truth is incoherent – and elsewhere that truth is unachievable. But I think the attacks most important to him are directed at the value of truth, or at the value of the effort at truth. And in my view the key statement of this attack – or rather challenge – occurs in the well-known sections near the end of GM III, where the ‘will to truth’ is diagnosed as yet another manifestation of the ‘ascetic ideal’. (So the will to truth belongs to ‘morality’, Nietzsche’s favorite target.) And as ascetic, the will to truth is hostile to life, hinders its ability to thrive or grow. So the lesson seems to be: avoid it (willing truth). Nietzsche thinks the asceticism of our truth-aim shows up in many different places, for example in a) its effort to still the passions (for the sake of objectivity), b) its intent to refrain from acting on the world in order to match or mirror it, and c) its intent to subordinate one’s individuality to a collective, long-term enterprise (to play a small role in something immense). In all of these ways, the objective stance required for science involves a kind of ‘unselfing’ that detaches us from our personal projects. And most damaging in this respect is the reflexive application of science, where its objective eye is brought to bear on the scientist’s own (and our) values. For insofar as we understand our values scientifically, we are outside of and alienated from them. And precisely this is the large-scale culture-historical problem we face: that science is exposing the roots and aims of morality, undermining it, and pushing us towards a nihilistic inability to value – to care very much about anything. So what we need at this historical moment, it seems, is something quite antithetical to science and its will to truth. It seems we need new values that renounce the ascetic and moral will to truth (and science). The new values, it seems, will be of something quite different from truth. In response to this I will argue (in chapter 3) that Nietzsche retains the will to truth as a crucial component of the values he advocates. Science – a certain kind of psychology – is part of the new ideal he advocates to us, and it is so that we can do this science, that the new values are needed. So an 1888 note says about the ‘yessaying type’ of the present: “one must grasp the e n o r m o u s f a c t that a g o o d c o n s c i e n c e o f s c i e n c e exists” (NL 1888 14[156], KSA 13, 340). 2) In addition to these doubts against truth (or the effort at truth), Nietzsche raises doubts against science’s aptitude for truth. It’s not even any good for truth, it seems. Again I can only catalogue his principal arguments: i) science expresses special interests; ii) science rests on unexamined premises; iii) science relies on 2
I treat truth at length in ch. 4 of my (Richardson 1996).
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metaphors (e. g. a ‘law’ of nature) and fictions; iv) science can’t explain, only describe; and v) science can only deal with quantities, can’t grasp qualities. I think the last of these gets the most to the heart of Nietzsche’s complaint against science: in insisting on a quantitative understanding, it can’t grasp the crucial character of the world, its point of view and meaning, as will. So GS 373 speaks of “‘[s ] c i e n c e ’ a s p r e j u d i c e ”, due to the “insistence by the intellectual middle class” that “the only rightful interpretation of the world should be one to which [t h e y ] have a right […] one that permits counting, calculating, weighing, seeing, grasping, and nothing else” (GS 373). But, Nietzsche continues, a “‘scientific’ interpretation of the world, as you understand it, might be one of the s t u p i d e s t of all possible interpretations of the world […] [A]n essentially mechanistic world would be an essentially m e a n i n g l e s s world” (GS 373).3 Quantities don’t bring us to the insides of things, their perspectivity and willfulness. But we must read this in light of the distinction drawn above: all these attacks are directed against ‘science so far’. In their cumulative criticisms they project a ‘new science’ that would emerge by learning these various lessons. This positive view of truth and science is especially dominant in the late works and notes. In BGE 204 he calls himself “a scientific man”. And the key to these positive views, I will now try to show, is his conception of psychology, as the truth-giving science crucial to his own thinking. It’s with respect to psychology that the main issues about truth come to a head, are faced, and resolved. So it’s here we can study his resolution of what he sees as his main philosophical problem, and as our main cultural concern.
2. The new Psychology The simple methodological point I’ve made about science and truth applies also to psychology: Nietzsche’s wildly contrary judgments of it reflect mainly his oscillation between identifying ‘psychology’ with what it has been, and with a new practice he anticipates – and indeed begins to carry out. He is highly critical of “psychology so far [bisherige Psychologie]” (BGE 47; WP 692 = NL 1888 14[121], KSA 13, 301). He says that it has been “rudimentary” (NL 1888 14[125 and 129], KSA 13, 306, 310) and “na ve” (NL 1888 14[126], KSA 13, 308). BGE 229 calls us to chase away “the clumsy psychology of before [von Ehedem]”. And I think he also means psychology as it 3
Note how ‘science’ is in scare quotes here: Nietzsche means science as done so far. WP 565 (NL 1886 – 1886 6[14], KSA 12, 238) says that “knowledge [Erkenntnis]” applies to quantities whereas qualities are individual and inescapably perspectival.
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has been when in Twilight of the Idols he groups it with metaphysics, theology, and epistemology as “pre-science” (TI Reason 3). He claims himself to finally put psychology on the right footing: “What philosopher before me was a p s y c h o l o g i s t instead of its opposite, a ‘higher fraud’, an ‘idealist’? Psychology did not exist until I appeared” (EH Fate 6). He claims, that is, to be the first (true) psychologist, founding a new practice;4 he takes great pride in himself as such. If there is a science he practices, it can only be psychology. And the way Nietzsche revises science, generally, is by making this revised psychology its ‘queen’, as he puts it in the famous paragraph Beyond Good and Evil 23. Psychology came to the front of Nietzsche’s mind as he was writing this book; the word is scarcely used before this point (1885 – 86). And this paragraph plays a crucial strategic role within BGE: positioned at the end of Part I, it sets the stage for all the rest of the book. It sums up how ‘the prejudices of the philosophers’ are exposed and the way opened up to a new philosophical practice. Here’s how the paragraph begins and then ends: All psychology so far has got stuck in moral prejudices and fears; it has not dared to descend into the depths. […] Never yet did a d e e p e r w o r l d of insight reveal itself to daring travelers and adventurers, and the psychologist who thus ‘makes a sacrifice’ – it is n o t the sacrifizio dell’ intelletto, on the contrary! – will at least be entitled to demand in return that psychology shall be recognized again as the queen of the sciences, for whose service and preparation the other sciences exist. For psychology is now again the path to the fundamental problems. (BGE 23).
This paragraph can show us how to organize a great amount of what Nietzsche says/thinks about science, as I’ll later try to show. But first we need to see what the new psychology will be. What, first, does Nietzsche mean by ‘psychology’ in general – whether old or new? Psychology treats why people do things, the reasons for actions, the explainers of behavior. I think it’s important that it does more than simply ‘describe’, which is the most, we’ve seen, that a merely quantitative science can do. Moreover psychology treats these explainers ‘in the abstract’, i. e. not in particular cases, but in types. So TI attacks “Colportage [book-peddlar] –Psychologie”, psychologizing “in the act”, in individual cases; the psychologist “never works ‘from nature’ […] … only the g e n e r a l case enters his consciousness’. (TI Skirmishes 7; cf. NL 1887 9[110], KSA 12, 398.) So psychology delineates ‘psychological types’ and explains behavior by these. Notice how extremely often ‘Psychologie’ occurs in phrases like “psychology of the ‘improver’ of humans” (TI Improvers 5), “of the redeemer” (AC 28), “of the priests” (AC 49), “of ‘belief ’” (AC 50). 4
BGE 12 speaks of “… citizens’ rights in science. When the n e w psychologist puts an end to the superstitions which have so far flourished . . . around the idea of the soul”.
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Also qua science, psychology rests on a basic theory about these explainers: what kinds of things they are, and how they explain. So it depends (each particular psychology does) on a particular ontology for this class of entities that explain our behavior. Such a theory is also present in our commonsensical accounts of others and ourselves; it’s contained in our very vocabulary for thinking about people. This background theory we all operate with in explaining people’s behavior can also be called a ‘psychology’. And Nietzsche does also use the term in this further sense – not for the science but for this commonsensical ‘theory’ of ourselves.5 What are the crucial changes Nietzsche means to make in the science of psychology, to correct the errors he finds in ‘psychology so far’? 1) Perhaps the most vital change is a change in spirit (as it were): a new degree or kind of honesty. 6 Honesty in general, let’s say, is recognizing (becoming aware of, articulating) one’s own motives. Such honesty has always been a virtue in science, of course – it belongs to the scientific method to root out subjective biases that would distort one’s view and theory. But Nietzsche wants to make it the chief virtue, and to give it a particularly aggressive form: the psychologist must be more than just willing to acknowledge why one does (what one does), he/she needs a passion to discover and ‘bring to light’ one’s reasons and values, against the prevailing and default tendency to conceal them. 2) The new psychology’s greater honesty is manifested in one crucial breakthrough: it exposes the moral aims and reasons in what we do – and the reasons behind these moral aims. This is Nietzsche’s chief claim to new insight: he sees the moral roots of traditional psychology, sees how they have distorted it. This is the change in psychology he most often stresses. “The power of moral prejudices has penetrated deeply into the most spiritual world, which would seem to be the coldest and most devoid of presuppositions, and has obviously operated in an injurious, inhibiting, blinding, and distorting manner.” (BGE 23).7 Morality misleads psychology above all by its will/need to find responsible and guilty, and to punish: “The whole doctrine of the will, this most fateful f a l s i f i c a t i o n in psychology so far, was essentially invented for the end of punishment” (WP 765 = NL 1888 15[30]2, KSA 13, 425). To ground 5 6 7
EH CW 3 says that a race’s psychology is the measure of its cleanliness. TI errors 3 says that the “oldest and most enduring psychology […] considered all events to be deeds, all deeds to be the result of a will”. BGE 227: “Honesty, supposing that this is our virtue from which we cannot get away, we free spirits – well, let us […] not weary of ‘perfecting’ ourselves in o u r virtue, the only one left us.” See also e. g. D 456, BGE 295. BGE 47 says that psychology so far has ‘suffered shipwreck’ because it believed in opposite moral values. WP 271 says that psychology has been corrupted by the predominance of moral values (NL 1888 14[108], KSA 13, 286).
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responsibility (the old) psychology has needed to posit explainers with certain features. This has let it to construct a standard picture of the logic of action. Such psychology looks for: 2. i) a faculty of will, as this is usually understood, i. e. a capacity for deliberation issuing in acts of c h o i c e , which directly explain what’s then done. Morality’s aim to find us responsible and punishable crafts this conception of why we act. Its interest is to induce us to think not just one another but also o u r s e l v e s culpable in our actions – in our actions both done and prospective. This interest focuses the explanation for the act in punctate events of choice: these explain it all by themselves. And these choices are themselves explained as due solely to that persisting faculty – its persistence allows the person to be punished after those events are long past. “Whenever a particular state of affairs is traced back to a will, and intention, or a responsible action, becoming is stripped of its innocence. The notion of will was essentially designed with punishment in mind, which is to say the d e s i r e t o a s s i g n g u i l t ” (TI Errors 7) There are a couple special features of this faculty that deserve mention. 2. ii) This faculty must operate consciously. “The entire theory of responsibility depends upon the na ve psychology that the only cause is will and that one must know oneself to have willed in order to believe in o n e s e l f as cause.’ (WP 288 = NL 1888 14[126], KSA 13, 308). 2. iii) This faculty must operate freely, and not be compelled to its choice by other factors. For it needs to be the last explainer of the action, so that responsibility settles in it, and is not diffused to further (prior) causes. “People were considered ‘free’ so that they could be judged and punished, so that they could be g u i l t y” (TI Errors 7). Nietzsche of course rejects nearly all of this. The new science of psychology needs a new basic theory of its entities. It needs to be informed, above all, by the recognition of what v a l u e s really are, and the role these play in explaining, and giving meaning to, what we do. Nietzsche thinks of his Genealogy of Morality as doing psychology in this favored new way, as he says in EH: “A psychologist’s three crucial preparatory works for a revaluation of all values. – This book contains the first psychology of the priest” (EH GM). Begin with (ii) how the new psychology greatly downgrades consciousness. WP 434 speaks of “[t]he rudimentary psychology that considered only the c o n s c i o u s motives of men, as causes, that took ‘consciousness’ for an attribute of the soul, that sought a will (i. e., an intention [Absicht]) behind all action” (NL 1888 14[128], KSA 13, 310). Nietzsche thinks the main or even sole explainers of actions are unconscious factors. They are unconscious not by being purely mechanistic, however; they are studied by psychology, as ‘affects’, and not by physiology (which treats ‘organic functions’) (cf. NL 1888 13[3], KSA 13, 214 f.). They are willful and intentional, but in broader senses than allowed in
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morality’s psychology. They are ways of meaning, and they give meaning principally in their willing and valuing. This unconscious willing has (i) a different logic than the faculty of will that morality imagines. It is not, like a faculty, a capacity at the disposal of the person him/herself. Indeed it is not something single in the individual, but multiple – separately present in the many particular drives that constitute the person. These compete with one another to move the body – or rather they’re the body’s own many competing dispositions. What the body does is in each case explained by multiple wills, with ‘responsibility’ diffused among them. Moreover they explain the doing not by way of punctate choices, but by (as it were) a rising or falling effort against other drives. This effort happens in the body itself, of course, and thereby also in the doing itself (whereas the choice was thought to precede the deed). Nevertheless they do explain the doing, by giving its meaning: what it means to do. These wills not only share ‘responsibility’ with one another, they also (iii) disperse it beyond the person him/herself. For Nietzsche thinks of these wills as pieces, within the individual, of larger social and cultural phenomena. My drives come to me from my parents, friends, and all the culture around me. Hence psychology needs to operate at a social and historical level, as well – to explain why just these wills and aims occur in a population, so producing its characteristic types of individuals. It studies, in other worlds, the values general in a society, which collect, in different combinations and strengths, in particular individuals. 3) Beyond this different account of the general logic of will, Nietzsche has of course a more specific proposal. Will has, in particular, the character of will to power, i. e. it has a deeper aim and point than all its particular ones. The latter are themselves somehow ‘for the sake of ’ power: “To understand [psychology] as morphology and e v o l u t i o n - d o c t r i n e [ E n t w i c k l u n g s l e h r e ] o f t h e w i l l t o p o w e r, as I do – nobody has yet come close to doing this even in thought” (BGE 23); (much less incorporated it into his/her will and values). And an 1888 note: “Psychology (doctrine of affects) as morphology of the will to power’ (NL 1888 13[3], KSA 13, 214).8 But how will the new psychology study these newly-clarified entities? What’s its method for identifying these explainers? Psychology studies wills, which are perspectival, and hence not just quantities but qualities. There is a first-personal ‘what it’s like’ or ‘how it looks/feels’ that’s essential to these wills. Hence to do psychology, to grasp these qualities, one requires first-personal acquaintance 8
WP 692 says that the “w i l l of psychology so far” is an “unjustified generalization”, which abstracts away “its content, its Wohin?” (NL 1888 14[121], KSA 13, 301); this is not will to life but will to power.
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with those wills oneself. Psychology sees-and-feels how a kind of action would, in a kind of circumstances, be done with a certain will. Hence we might call Nietzsche’s method ‘perspectival’, in that it involves occupying perspectives, and experiencing/noticing their involvements in one another.9 So for example the famous diagnosis in GM I of Christian morality as rooted in ressentiment, depends on Nietzsche’s confidence in his own ability to occupy feelingly (and imaginatively) the Christian stance, and to identify the contribution in it of that reactive attitude. (See how the opening of EH stresses his ability to see from both above and below, capacities he thanks his father and mother for.) And he conveys this psychological insight to us only insofar as we occupy these stances ourselves. For he studies these wills/values not in their role in his own life, but ‘in the abstract’, as part of the common emotive equipment everyone takes on in the culture. This way the new psychology vitally occupies perspectives involves a kind of ‘subjectivity’ at odds with the ‘objectivity’ called for by ‘science so far’. It precludes the mathematical determination of explainers as quantities.
3. What’s Psychology for? I’ve tried to sketch some main features of the new psychology Nietzsche advocates – as a science, with its ontology and methodology. These are some of the ways this science must be changed, to escape the second set of objections above – those against its adequacy for truth, its ability to find truth. But what about his attacks on the value of truth itself, and on the effort at truth? Given that a new psychology could ferret out truths about why we act and value as we do – should we want it to? Here we return to psychology’s role in that dramatic historical story Nietzsche tells; we’ve seen its main line: that we live in the nihilistic age that results from morality’s self-undermining. Morality undercuts itself, and we lose the only values (action-guiding rules, maxims, ideals) we have had. We are at risk of losing purpose altogether – of ceasing to care much for anything. And psychology, we should now see, is the ‘cutting edge’ of this large cultural-historical process. Psychology is the very point at which ‘morality undermines itself ’ – so the culmination and focus of that enormous cultural-historical process. Nietzsche’s broad story is that morality generates the will to truth, which then exposes the faulty justifications and motives for morality. The important work occurs not in refutations of arguments (e. g. for the existence of God, or the objectivity of moral values) but in exposures of the reasons and motives for moral values. These 9
“My writings speak only of my own experiences [Erlebnissen] – fortunately I have experienced much” (NL 1886 – 1887 6[4], KSA 12, 232).
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values become unbelievable – cease to impel us – when we see their why. Hence morality is undermined finally by precisely the kind of psychologies of it Nietzsche offers. These expose morality’s real aims. And in doing so psychology exposes errors embedded in these aims, errors which, as itself a will to truth, it rejects.10 However the will to truth, offshoot of morality, seems to undercut itself as well, by the same kind of discovery. For psychology finds that its own will to truth, like morality, is ‘ascetic’ and hostile to life. This ascetic character occurs already, we’ve seen, in the way it ‘takes a step back’ in its effort to study. And it takes its most heightened form in psychology’s power to undermine values, to depress our willful effort at things. As we understand values we step out of them, we suspend their force. Psychology, cutting edge of the will to truth, seems most of all to land and keep us in a nihilistic alienation from values. Thus the impression of many has been that Nietzsche expects the truth-aim to be jettisoned along with morality. I think, instead, the will to truth – in the form of psychology in particular – is crucially retained by Nietzsche, and in fact serves as the way out of nihilism (which we would otherwise lack). He thinks the will to truth can and must survive the collapse of moral values. For, firstly, the point is not to create new values out of nothing; we can’t give ourselves, from scratch, the passion for them (as Pippin (2010) persuasively develops). Instead we must learn to transmute existing passions/wills. So it’s very important that the destruction of morality not lay the ground quite bare – we need something to survive it, something we can develop. We need, that is, some passion to help carry us out of the withering of morality. And it is psychology, I suggest, that Nietzsche expects will so serve us: it is the life-buoy that we hold fast to from the old values, and that lets us save ourselves from nihilism. So we find a way to use this last force in morality to energize a new project. But how can psychology – ultimate form of the will to truth – play this role, when it has that ascetic and life-denying character? Nietzsche claims to see a way to make the will to truth something healthy, to make it ‘further life’. Psychology, exposing the ascetic and ‘anti-life’ motives in this will itself, can be a means of its self-healing. By seeing this influence, we can work against it – can revise our will to truth so that it doesn’t express this ascetic will. We can cultivate instead certain ‘healthy’ motives that will also bears. Nietzsche notices the experience of growth and power involved in his overcomings of values. So will to truth has healthy sources too, which can be 10 See how Nietzsche collects many diagnoses under the heading “psychology of error”: TI Errors 6; WP 664 (NL 1883 – 1884 24[9], KSA 10, 647); WP 666 (NL 1886 – 1887 7[1], KSA 12, 247); NL 1888 16[85 and 86], KSA 13, 515; NL 1888 18[17], KSA 13, 537.
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favored and furthered. For example we can will truth not from fear, but in courage – which indeed has been an element in the will to truth all along. See the important section ‘On Science’ in Zarathustra. Here the “conscientious one [Gewissenhafte]” attributes science to the long-standing motive of fear – fear of “beasts”, including “the beast within”: “This long and ancient fear, finally become refined, spiritual, intellectual – today, it seems to me, it is called: ‘s c i e n c e’” (Z IV Science, KSA 4, 377). But Zarathustra replies that he’ll turn this ‘truth’ on its head: courage has been the prehistory of humans. “T h i s courage, finally become refined, spiritual, intellectual, this human courage with eagle’s wings and serpent’s cleverness: t h i s , it seems to me, today is called – ”(Z IV Science, KSA 4, 377). At this moment he’s interrupted by the group, who complete the thought with ‘Zarathustra’. But surely Zarathustra himself was going to say ‘science’. Nietzsche’s point is to insist on healthy motives at the root of science – not a reactive and defensive fear, but an active courage striving for more – whose potential can be taken up and best realized now.11 Above all, I claim, this healthy motive in the will to truth finds fruition for Nietzsche in the use of psychology for a campaign of freedom. 12 Psychology exposes the motives in the values we live by, and exposes in particular how these motives were embedded by social, historical processes around and behind us. This ‘genealogy’ makes possible for us what was never so before: we can judge whether we concur with those motives – and can work to change those values insofar as we do not concur. Psychology can show, in the most famous case, how ressentiment helps motivate the values we have grown up into. It makes it possible for us to free ourselves from this foreign constraint – to recraft our values for ourselves. By seeing these truths about our values – all the ways they’ve been shaped by other forces – we take a kind of power over those forces, we grow by overcoming them. So the will to truth survives, amended. And it recognizes the new psychology as its own highest form. Now the will to truth comes into its own, its asceticism subordinated in a more positive project. GS 123 says that it’s only today that knowledge becomes an end in itself, not just a means – that it becomes something more than an ethos: a passion. The will to truth now separates itself as an autonomous and ruling drive. So it realizes something it contained all along, the basic aim in scientific method.13
11 So EH Preface 3: “How much truth does a spirit e n d u r e , how much truth does it d a r e ? More and more that became for me the genuine measure of value Error (belief in the ideal) is not blindness, error is c o w a r d i c e . ” Also EH BT 2. 12 I develop this in ch. 2 §4 of my (Richardson 2004), and in my (Richardson 2009). 13 See WP 457 (NL 1888 15[52], KSA 13, 442 ff.) and WP 466 (NL 1888 15[51], KSA 13, 442).
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4. Psychology as Queen of the Sciences Let’s return to the question in what sense psychology is supposed to be the ‘queen’ of the sciences, as we saw Nietzsche puts it in BGE 23. How does it ‘rule’ the other sciences? What kind of priority is it now supposed to have? Even if we go along with the idea of a new science of psychology, it seems misguided to try to make this alter the character of the sciences generally. Indeed we’ve seen reasons to doubt the new psychology is a science at all: it relies on the scientist’s subjectivity, and seems not sufficiently objective. It treats the ‘qualities’ of things, and not quantities as the other sciences try to do. If Nietzsche wants to amend the other sciences by making them more like psychology in these respects – that looks worrisome. How would chemistry (e. g.) profit by engaging the subjectivity of the chemist – his/her experience of viewpoints or wills? An extension of the new psychology’s method to other sciences would seem to depend on supposing that the entities treated by chemistry (e. g.) are likewise perspectival – wills that need to be ‘occupied’ in order to be fully understood. Of course Nietzsche does sometimes extend his will to power doctrine beyond humans and even beyond living organisms generally, to apply to physical forces. And if this is his considered view, he would give psychology the priority that Aristotle attributes to metaphysics: it identifies the ultimate being (substance for Aristotle, but will to power for Nietzsche), which the other sciences then give specifications of. But I doubt many of us are persuaded that chemistry or physics would improve, if it took its objects to be wills to power. So perhaps (we should hope) it’s not that psychology alters how the other sciences are done. Perhaps it ‘rules’ them just in the sense that it uses the results of the other sciences. So we might read BGE 23’s image of psychology as the fruit of the tree of sciences, which grow outward toward it and find their highest value in it. But I do think Nietzsche also wants the new psychology to affect how the other sciences are done. This is not, though, by giving them its own ontology, but by diagnosing them – and showing them how to diagnose themselves. Nietzsche expects this diagnosis to improve how the other sciences are done – improve them both as science, but more importantly as practices within the personal lives of scientists. Psychology studies what motivates science – what motivates the scientist’s pursuit of science. We need a ‘psychology of the scientific needs’ (NL 1885 – 1886 2[117], KSA 12, 120; NL 1886 – 1887 5[50], KSA 12, 203). And Nietzsche thinks this reveals the same kinds of moral motives as we’ve seen shaped our usual psychology. Indeed he thinks that science’s conceptions of physical things have their origins in that prevailing view of ourselves as discretely causal (hence punishable) wills. Science models its entities after that view, so
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that it likewise tends to ‘harden’ them, to suppose them well-bounded, discrete, persisting – to treat them as ‘atoms’ of some kind. When we see how it is a moral need (to assign responsibilities) that lies behind this atomization of the world, we distrust it. And Nietzsche wants psychology to teach the chemist and physicist to mistrust it, themselves, so that their practice of science is informed by the recognition of certain temptations and biases, likely at work in themselves, as well as in current theory. Beyond this, and maybe more plausibly, psychology will also inform the scientist of certain ‘occupational hazards’ – ways the commitment to science can harm him/her personally. As we’ve seen, the scientist’s effort at objectivity threatens a de-selfing: absorption in questions of objective fact can express and reinforce an avoidance of existential questions, of questions about oneself. Even if psychology’s diagnoses do not change the scientist’s practice, they can change the place of this practice in his/her life – and help the scientist to realign it within a healthier personal project. With all of these criticisms, then, Nietzsche means not to ruin the will to truth that impels toward science, but to make it healthy, by overcoming these moral/ascetic sources. WP 594: “science acquires a new charm after morality has been eliminated” (NL 1883 – 1884 24[18], KSA 10, 656).
5. Not just Psychlogist but Philosopher We’ve seen that psychology – as will to truth – is the passion we find left to us from morality, to build into healthier, post-moral values. But it’s still vague just how this ‘healing’ of the will to truth – this annulment or (at least) containment of its ascetic, anti-life tendency – is supposed to work. It’s also unclear who or what is supposed to carry out this ‘healing’. According to Nietzsche it’s not the psychologist him/herself, but the philosopher. We need to locate this new character, and see how he/she works. Nietzsche views himself as chiefly a philosopher, I think. Although he claims to make a great advance within science, as a psychologist, and although this advance informs his philosophizing, the latter is his most important work, and also the place he (thinks he) completes himself as a person. And the philosopher’s main work, he claims, is to ‘make new values’ – something psychology itself can’t do. This has always been the main work of philosophers, who have never been ‘just’ scientists (and not impelled ‘just’ by the will to truth). This stress on creation mixes an artistic element into philosophy – and into Nietzsche’s conception of the new philosophers in particular. It may seem to involve the priority of art over science – that the philosopher (the human ideal) ‘makes things up’ instead of seeking truths. And indeed Nietzsche’s stress on art,
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so often at science’s expense, has been read as renouncing the truth-project of philosophers before him. I will try to show though that this artistic side to philosophy does not make the philosopher any less committed to truth. The new philosophers’ creations will be informed and oriented by science – by psychology in particular.14 And the point of art is to help our passion for truth be liveable – indeed not just liveable but life-enhancing, empowering. So Nietzsche’s art is his creation of values that let us best cultivate that passion for the truth. These values that Nietzsche creates lie in a different place than we expect. The values he mostly talks about are values he (thinks he) discovers, and describes as scientist (psychologist). So we must distinguish, in Nietzsche’s references to value, between those in which he creates, and those in which he tries to – claims to – tell the truth. For psychology can’t itself create values, but it can discover them: it describes and explains the values already ‘causing’ behavior. For this it relies, we’ve seen, on first-personal acquaintance with the values and wills it studies. But it then ‘steps back’ to see these as kinds, explained by other factors (as the Christian value of love is explained by priestly hate). Psychology studies these values, it doesn’t endorse them; it tells truths about them without valuing them so itself. Most broadly, Nietzsche thinks, psychology discovers, and will continue to confirm, that human and indeed animal behavior is best explained by wills aiming at power, basically valuing power. So when the philosopher ‘creates values’, it is not the value of power. Nietzsche thinks he reads this value off the world, and that an honest psychology will concur. This aim (power, growth) is the principal character of the drives – the willful dispositions – that explain what we do. Nietzsche suggests, to each of us his readers, that we ourselves already have this composition, this deep aim built into us. And because he discovers it in us already (he thinks), he can use it as a basis for argument, as a criterion for judging other and alterable values we may hold. When he appeals to it, it is only as to something we already value. Nor, when the philosopher (Nietzsche) creates values, is it the value of truth. Nietzsche relies, we’ve seen, on the established character of this value – the strength of the passion for truth, passed on to us from morality. Truth, as the kernel of the ascetic ideal, is indeed the crucial and distinctive human value. And it is only because we already care about truth, though partly for the wrong reasons, that his answer to the problem of nihilism can work. So Nietzsche thinks he finds, not creates, both of these values he so stresses: the value of power, the value of truth. He discovers them in (and only in) our valuing of them. However he also thinks he finds a deep and debilitating 14 See BGE 210 on critical science as a tool of philosopher.
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conflict between these two values. He finds, as we’ve seen, that the will to truth has helped push us towards the nihilistic loss of values that now threatens us. The values Nietzsche creates, by contrast, are values which, he suggests, can enable us to pursue the passion for truth in a way that serves our underlying will to power. He creates values that let that passion for truth carry out its devastating genealogies of values, without depressing and weakening us. He creates the values that make possible a ‘gay science’ – gayety even in seeing through values and overcoming them. So what values do we need, in order to live with as much as possible of that psychological truth? What values could keep the will to truth, in its sharpened and aggressive form, as psychology, from having the ascetic and life-undermining effects it has had so far? I think the key point in the new values Nietzsche ‘creates’ is the ‘saying Yes’ to everything, the universal affirmation.15 It is this overall or ultimate positive view, that lets us take joy in diagnosing and exposing the truth about ourselves (our values). It allows us to love even the ugly truths. It keeps the insight from alienating us from what it exposes. This ‘universal Yes’ is the heart of the crucial ‘new values’ Nietzsche means to create. Adopting these values will let us love what we come to understand – though not in a way that blunts the diagnostic critique. We love these things in the very badness we expose in them, and finding out its particular manner of badness is the way to find out just how it is also, more deeply good. This universal Yes is a kind of theology of life, that finds all life good and indeed holy. Now I have said that Nietzsche considers himself to ‘create’ rather than discover this value of saying Yes – to offer it to us as an answer to the conflict between the two values he claims are built into us, power and truth. But I think he is somewhat divided here. He sometimes tries out arguments to show that this value – saying Yes – is also already present in us, indeed present in us at a founding level that gives it authority. He tries out ways to show that we already do say Yes, deep down, and that we just need to reflect this in the rest of our valuing. Nietzsche’s main such attempt is the idea that there is a point of view of ‘life itself ’, a kind of undermost aiming and valuing in it, and that what this values is precisely life: life wants only to have ‘more’ life, so that for it all life is good.16 But here I want to focus what is perhaps Nietzsche’s more promising line, and the one that fits better into the rest of his views. (Given the rest, how can he believe in a point of view of ‘life itself ’?) This abandons effort to give any prior 15 I elsewhere (unpub.) call this his value monism: it is the view that ‘everything is good’ – a positive valuing of everything. 16 I develop this line of argument in my (Richardson forthcoming).
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reality to the value of saying Yes: it’s not already something we want, even unbeknownst to ourselves. Instead, as I’ve said, Nietzsche sees himself as ‘creating’ this value, and doing so for a certain purpose, in response to a problem he thinks we’ll acknowledge. But this avowal that he creates it poses certain puzzles about this value – in particular: how can we believe it if he tells us he has made it up? This special status of the value is reflected, I think, in a certain ambiguity as to just what this value is. I’ve called the value ‘saying Yes’ or ‘universal affirmation’, which is viewing everything as good. So the value is not the firstorder ‘everything is good’, but the valuing of things so; the value is a way of valuing, and so second-order. Nietzsche makes this clear in all the strategies and exercises he offers to help us achieve this valuing. The principal of these exercises employs the idea of eternal return: by striving to will each and every thing to be eternal, we inculcate in ourselves the habit of valuing Nietzsche advocates. He commends this value to us not by trying to show us that everything is good, but by such indirections. Of course this universal Yes mustn’t blunt our critical eye: the new psychology looks always for the unacceptable – for what needs to be overcome. The constant aim is to grow, to become different, to be better than the present which is ‘not good enough’. But this destroying bent of the will to truth (as of the will to power) is contained within – or one always comes back to – a gladness in everything, even (and most importantly) in the case of the weakness and sickness one discovers in oneself, in the world. This prevents that diagnostic exposure from disenchanting the world, and robbing it of value. Perhaps we should think of this Yes-valuing as operating in a particular context or situation: in the stance in which we ‘look back’ at something already done, already extant, and assess it. Perhaps it’s not meant to intrude on the prospective stance in which we assess what’s to be done – there we continue to find bad things, there we continue to ‘say no’. So the critical eye dominates in psychology’s prospective effort to find out the truth about our values, and Nietzsche preaches a merciless exposure of the sick and petty in them. And the affirmative view comes afterwards, as it were, in the moment of reflection on what we now see exposed before us – these ugly new truths. (“Truth is ugly [hsslich]” WP 822 = NL 1888 16[40]6, KSA 13, 500).) Nietzsche wants to say Yes in that reflective moment, because this timely Yes can prevent the diagnosis from spoiling what it reveals. It lets us find beauty in life even as ugly. Nietzsche offers this new value to us tentatively, ‘as experiment’: to be tried out to see whether it furthers us, and life. Hence this value he takes himself to create – the universal Yes – is to be judged by the standards of the two chief values he believes we already have. These are power – valued at the bottom in all our drives – and truth – valued in us as heirs of the long cultural process that made us humans. We should value saying Yes, because we already do, and must,
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value these other things, and because saying Yes is the best way to keep these two values from defeating one another – the best way to bring them into fruitful interplay. Let’s come back finally to the questions of science and truth. Nietzsche thinks, I suggest, that the highest power lies in living with the most truth – so long as that truth is used to free ourselves from hindering values, in an affirmative project (a way to grow). We grow by seeing how much of the truth about our values we can incorporate. When Nietzsche speaks of how life depends on error and falsehood, this only makes clearer the extent of the accomplishment, the power, in seeing through that error nevertheless, and living with more and more truth. In his early writings Nietzsche insists that the ‘knowledge-drive’ needs to be limited or restricted, for the sake of a healthy culture.17 I suggest that later on Nietzsche thinks he has a way to avoid this – a way to give the will to truth the most unrestricted scope, yet without making it life-hostile. We can do so with the value of saying Yes. But what about that value itself: is it off-limits to the will to truth, or can it be safely exposed to it? I’ve said that Nietzsche mainly conveys this new value not as any kind of thesis, but in stories, images, tasks, riddles, that are not evaluable as true or false. He refrains from presenting things’ goodness as a value ‘really there’ in them independently of our valuing. What he claims to be true is not that all things are good, but that we can solve a deep problem by learning to value them so. As experiments, these new values are to be tested by whether they indeed have these effects. Of course these new values are also subject to psychological scrutiny and diagnosis, but Nietzsche thinks they will withstand it. The motives for these new values aren’t such that exposure will deflate them, he thinks. The will to truth can live with these values and still respect itself, indeed respect itself the more because the values make its own asceticism liveable. They give the will to truth the opportunity of the very widest scope of exercise, and let it be what it best can be.
Bibliography Breazeale, Daniel (1979): Philosophy and Truth: Selections from Nietzsche’s Notebooks of the Early 1870’s. Atlantic Highlands (NJ) (Humanities Press International). Pippin, Robert B. (2010): Nietzsche, Psychology, and First Philosophy. Chicago (University of Chicago Press). Richardson, John (1996): Nietzsche’s System. Oxford (Oxford University Press). Richardson, John (2004): Nietzsche’s New Darwinism. Oxford (Oxford University Press). 17 See the notes collected by Breazeale as Philosophy and Truth (1979).
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Richardson, John (2009): “Nietzsche’s Freedoms”. In: Ken Gemes/Simon May (eds.): Nietzsche on Freedom and Autonomy. Oxford (Oxford University Press). Richardson, John (forthcoming): ‘Nietzsche’s Value Monism: Saying Yes to Everything’.
Nietzsche on Science and Consciousness Marie Fleming Friedrich Nietzsche is currently celebrated as a naturalist in several philosophical quarters. Moreover, he himself lays claim to that designation in his description of his “task”. His aim, he says in 1886, is “to translate humanity back into nature […] to make sure that, from now on, the human being will stand before the human being, just as he already stands before the r e s t of nature today, hardened by the discipline of science” (BGE 230).1 Nietzsche’s task, in other words, involves a decisive rejection of the metaphysical game of imagining that the human being (more specifically, its supposedly immortal soul) comes from a place “higher” than, and “different” from, the natural world. An “insane task” this naturalizing, he comments, but precisely what knowledge is for (BGE 230). This famous passage is rightly interpreted as a statement of Nietzsche’s desire to do philosophy without appeal to anything even remotely related to religion and the supra-natural. But, as forthright as he seems in his praise of science, in the same year, 1886, in his retrospective comments on his first book, he refers to the “p r o b l e m o f s c i e n c e ” (BT Attempt 2).2 In 1886 Nietzsche seems to be sending contradictory messages: he claims both that science is somehow the key to a naturalized humanity and that science itself is a “problem.” This apparent contradiction begins to dissolve, however, once we place it in the context of his engagement with the “problem of consciousness,” as he describes it in 1887 (GS 354).3 In this paper I treat both problems – science and consciousness – as integrally linked to Nietzsche’s 1
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English translations of Nietzsche’s works (unless stated otherwise) are taken from the following editions: Aaron Ridley and Judith Norman (eds.) (2005): The Anti-Christ, Ecce Homo, Twilight of the Idols and Other Writings. Cambridge. Rolf-Peter Horstmann and Judith Norman (eds.) (2002): Beyond Good and Evil. Cambridge. Raymond Geuss and Ronald Speirs (eds.) (1999): The Birth of Tragedy. Cambridge. F. N. (1982): Daybreak (trans. by R. J. Hollingdale). Cambridge. Bernard Williams (ed.) (2001): The Gay Science. Cambridge. F. N. (2006): The Pre-Platonic Philosophers (trans. and ed. by Greg Whitlock). Urbana. Adrian Del Caro and Robert Pippin (eds.) (2006): Thus Spoke Zarathustra. Cambridge. F. N. (1983): Untimely Meditations (trans by R.J. Hollingdale). Cambridge. Nietzsche claims that the problem of science becomes recognizable once we draw on the optics of the artist. Some readers interpret such passages as a privileging of the aesthetic over the scientific; see esp. Babich (1994). The reference to the problem of science occurs in the fifth book of GS. The first four books of GS appeared in 1882; the fifth book was added in the 1887 edition.
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project of naturalization. In each case, the question concerns the de-deification of nature in the interests of a human knowing. In what follows I address the issues at hand rather than take sides in the recent debates concerning what Nietzsche means by science. These debates tend to gravitate toward the question of which scholarly endeavors he includes under the category of science. Does he restrict himself to the natural sciences or does he have a broader understanding of Wissenschaft? In my view, that question is not his main concern. As I discuss below, what interests Nietzsche is the “factual sense” and the extent to which that sense can be incorporated into any Wissenschaft, be it philosophy or physics. The question of Nietzsche’s position on consciousness demands a different strategy. I will advance the argument that his thinking on that “problem” is related in a highly specific sense to the philosophical context of the late nineteenth-century, in particular to his troubled reception of the philosophy of Eduard von Hartmann.
Problem of science Nietzsche’s interest in science began at least as early as 1865 when he discovered the work of the renowned physicist, Hermann von Helmholtz (cf. Whitlock 2006, 62). A year later he was eagerly reading Friedrich Albert Lange’s Geschichte des Materialismus and calling the author “an extremely enlightened Kantian and naturalist scientist” (Bf. to Gersdorff, August 1866, KGB I/2, 159). In 1867 – 68 Nietzsche was also very attentive to Friedrich Ueberweg’s Grundriss der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart (cf. Brobjer 2008, 49). These influences converge in a series of lectures, “The Pre-Platonic Philosophers” (1869 – 1872),4 in which Nietzsche provocatively situates Socrates among the true “discovers” and individualists in the period leading up to Plato (PPP V, 150 f.). He acknowledges Thales, the mathematician and astronomer, as the first philosopher, quotes Helmholtz in scientific support of Heraclitus’s intuition that there is “no thing” of which we may say, “it is” (PPP V, 62), and comments on the materialist significance of the thought of Democritus (PPP V, 126 – 130). This early enthusiasm for science is in sharp contrast to Nietzsche’s later view that modern science participates in the general cultural antipathy toward the senses associated with the ascetic ideal. According to Nietzsche, the ascetic ideal, as it pertains to Western culture, is an outcome of Christianity, with its foundations in Platonism, and stands for a fundamental and pervasive hostility to everything sensual, bodily and instinctual. This area of his thinking assumes 4
References to the Pre-Platonic Philosophers are to the 2006 edition of Greg Whitlock; regarding the dates of the lectures, see the translator’s preface.
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great importance in his later writings and has attracted much attention in the literature. I want to ask a question that is less frequently raised: what exactly is he striving for? For an answer, an indisputable source has to be an 1888 passage from The Anti-Christ which evokes the passion of Nietzsche’s early thoughts on science and the ancient world. In the 1888 passage, written just before the end of his active career, Nietzsche laments: “The entire work of the ancient world i n v a i n” (AC 59). Here he is referring to the loss to us of the “sense for facts” that he sees as having been a vital part of the pre-Christian worlds of the Greeks and Romans. “All the presuppositions for a scholarly culture, all the scientific m e t h o d s were already there, the great incomparable art of reading well had already been established – this presupposition for the tradition of culture, for the unity of science; natural science was on the very best path, together with mathematics and mechanics” (AC 59). It could hardly be plainer. For Nietzsche, the “s e n s e f o r f a c t s ,” a late development of the human species, is the “most valuable of all the senses” and expressed through scientific methods. These methods “a r e the essential thing” (AC 59). He thinks that this factual sense has fallen victim to a Christianized – i. e. deified – culture that devalues the testimony of the senses, but that there are signs of our having won back some of what was there before. Nonetheless, the passage transmits an overwhelming feeling of loss and a great uneasiness about whether we can ever get close to what the ancients had, let alone move beyond them. Nietzsche is making a number of critical points: the sense for facts is the most valuable of the senses; scientific methods are the way in which this special sense is expressed; only through incredibly hard work can we even begin to recover territory in knowledge that was put in place, but then lost, over two thousand years ago. A similar line of thinking can be found elsewhere in Nietzsche’s writings. For example, he asks in 1882, “To what extent can truth stand to be incorporated?” and then declares that that incorporation is the experiment (GS 110). Here, again, he is evidently referring to the possibility of the recovery and further development of the factual sense. In Nietzsche’s view, we cannot grasp the factual sense, or even appreciate what it means to have all but lost it until we understand the more general devaluation of the testimony of the senses. This claim would hold regardless of which scholarly endeavors one includes under the category of science: it applies whether one aligns oneself with the natural sciences or whether one has a broader understanding of Wissenschaft. The source of the cultural malaise, according to Nietzsche, is first and foremost, Christianity, but also Plato, and the whole tradition of “reason” in philosophy (TI Reason). This “reason” he puts in quotation marks, to indicate that it is not reason that he is complaining about, but that reason that aspires to be “pure,” that longs to forget its “lowly” origins in sensuality.
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What, then, would be necessary for this factual sense to develop and flourish? For a start, it would require the rendering ineffectual of such imaginings as a “true world,” God, a priori knowledge, all talk of “immediate certainties.” The task of de-deification is enormous, but one might expect to make some progress toward that goal by working to establish the natural origins of human knowing, by showing that knowledge develops in the interests of sensual needs and that science is strengthened to the extent that it accepts the testimony of the senses. All such questions Nietzsche pursues in earnest from 1881, and increasingly so in relation to the problem of consciousness.
Problem of consciousness Nietzsche develops his theory of consciousness in his later work. However, he had been drawn to the subject many years earlier, albeit in a different form and with an emphasis on what remains below the threshold of consciousness. In 1865 he was ecstatic upon his discovery of Arthur Schopenhauer’s philosophy of the will, and from 1869 he became intensely interested in Hartmann’s highly influential Philosophy of the Unconscious. 5 We can certainly find indications in The Birth of Tragedy (1872) that Nietzsche is working from some of this material, for example, in his attention to physiologically-conceived art drives and in his reference to an Ur-Eine. 6 He soon begins to distance himself from Schopenhauer, but continues to hold him in high regard. Hartmann, however, is a more problematic figure. Nietzsche initially receives him with great enthusiasm, but within a short time comes to see him as standing for precisely what needs to be challenged.7 5
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Hartmann’s Philosophie des Unbewussten (hereafter PU1) appeared in 1868 (with publication date 1869); a slightly expanded edition was published in 1870, a twovolume edition (hereafter PU2) in 1876. Eventually a third edition was released in three volumes. By 1882, there were nine editions. A twelfth edition appeared in 1923. For critical discussion of Hartmann’s philosophy, see Gardner (2010). For Nietzsche’s early reception of Hartmann, see Gerratana (1988); cf. Wolff (1956, 43 – 45). See Liebscher (2010) for Nietzsche’s views on the unconscious. Jensen (2006) examines the relation between Nietzsche and Hartmann. See Nietzsche, On the uses and disadvantages of history for life (HL 9). Cf. his comments in NL 1873 29[52]: “Die Menschheit zur B l a s i r t h e i t zu fhren ist das Hartmannsche Ziel: dann allgemeiner Selbstmord: von der Majoritt der Menschen ausgefhrt! Dann kippt die Welt um und versinkt wieder ins Meer des Nichts. Aufgabe der nchsten Generationen, durch Hingabe an den Weltprozess d. h. Bejahung des Willens zum Leben die Blasirtheit einzuleiten!” (KSA 7, 650). Important features of Nietzsche’s critique of Hartmann appear to be in place by 1871, if not earlier. See NL 1870 – 1871 7[100], KSA 7, 161, where he does not name Hartmann, but is almost certainly making reference to him.
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I read Nietzsche’s 1887 reference to the problem of consciousness (GS 354)8 as a way of coming to terms with questions that had been preoccupying him for some time, and more specifically, as a response to Hartmann.Granted, in the texts that are important sources of information for Nietzsche’s views on consciousness (GS 11, 354, 357), Hartmann is named in only one, GS 357, where he is called a “rogue” and treated with irony and condescension. But this apparently deliberate strategy, to treat Hartmann as a joker, belies Nietzsche’s deep concerns about Hartmann’s “philosophical pessimism” (NL 1887 – 1888 11[61], KSA 13, 30).9 In fact, in the texts in question (GS 11, 354, 357), Nietzsche seems, whether intentionally or not,10 to have incorporated Hartmann into the argument, so that his own position on consciousness unfolds as if he is addressing Hartmann.11 The difference in views between Nietzsche and Hartmann is substantial, but begins, like many important differences, from what the parties have in common. For example, when Nietzsche refers to the complex reality of instincts and drives that are “mirrored” by consciousness (GS 354), he can be seen as reflecting his agreement with Hartmann that consciousness emerges out of an initial unconscious.12 The problem of consciousness, says Nietzsche, is that of the “becoming conscious of something.” Why is it that we need to become conscious of something? After all, he maintains, “we could think, feel, will, remember, and also ‘act’ in every sense of the term, and yet none of all this would have to ‘enter our consciousness’ […] All of life would be possible without, as it were, seeing itself in the mirror” (GS 354). Consciousness 8 Nietzsche refers to the “problem of consciousness” in 1887. More than a century later, in 1991, and again, in 1995, the same words were used (McGinn 1991; Chalmers 1995; Metzinger 1995), to name a complex set of issues that have since become a major focus of philosophical concern. Present-day deliberations on consciousness place Nietzsche’s thinking in a new light. For recent discussions of his views on consciousness, see Schlimgen (1999); Abel (2001); Poellner (2004); Emden (2005); Katsafanas (2005); Leiter (2007); Liebscher (2010). 9 For Nietzche’s published later comments on Hartmann, see BGE 204; GS 357; TI skirmishes 16. 10 I suspect that Nietzsche decided to deny Hartmann the benefit of having his ideas seriously represented. Cf. his note NL 1887 – 1888 11[61]: “Ich verachte diesen Pe s s i m i s m u s d e r S e n s i b i l i t t : er ist selbst ein Zeichen tiefer Verarmung an Leben. Ich werde nie zulassen, dab solch ein magerer Affe wie Hartmann von seinem ‘philosophischen Pessimismus’ redet. –” (KSA 13, 30). 11 In 1883 Nietzsche spent considerable time on Hartmann’s Phnomenologie des sittlichen Bewusstseins. Nietzsche’s many notes on the book include page references and paraphrases. See, esp. NL 1883, 7[2], 7[10], 7[213 – 222], 7[224], 7[251], 7[270], 7[272], KSA 10, 236, 241, 308 – 12, 319, 324. 12 In an early note (NL 1873 19[107], KSA 7, 454), Nietzsche comments that it is only the thought in the last stage of its development that makes its way into consciousness. Cf. Hartmann PU1, 246 f.
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becomes a problem, according to Nietzsche, once we realize how much we can do without it. If we can do without it, then why do we have it? His thinking thus gestures toward a problem addressed by Hartmann, but one to which he urgently wants a non-Hartmannian solution. Like Hartmann, Nietzsche believes that mental events can be processed in the unconscious, so that there would have to be some explanation over and above such processing, to explain the emergence and development of consciousness. Hartmann’s Philosophy of the Unconscious aims to answer that question by reconciling the will and the idea, Schopenhauer and Hegel. For Hartmann, Schopenhauer identifies an indisputable fact in his claim that the endless willing at the level of the unconscious is the cause of human suffering. But if the will is the cause of suffering, what, then, would count as a remedy? It is at this point that Hartmann separates himself from Schopenhauer, who can provide no more than temporary relief from the will, and turns to Hegel’s view of the world and human existence as a historically developing Absolute. In Hartmann’s terms, the problem identified by Schopenhauer is finally resolved through a general consciousness that comes to understand the world as something that ought not to be and brings it to an end (PU2 II, 396 – 404, 435 – 439).13 This resolution requires that the idea (Vorstellung), which exists in “inseparable unity” with the will in the unconscious, achieve ever greater independence from the will. According to Hartmann, this independence of the idea cannot take place in the unconscious because an unconscious idea is never free from unconscious will. By contrast, consciousness can receive an idea without at the same time having to will it. Consciousness, he maintains, can be explained in terms of no other purpose than to make possible the “progressive e m a n c i p a t i o n of the intellect.” Without some such explanation, he thinks, there would be no point to the creation of consciousness – it would be “superfluous [berflssig]” (PU1, 329). It is not clear how the idea can become increasingly independent of the will, given that it is “inseparably” united with the will in the unconscious. But, leaving that problem to one side, we are still left with the question of what it is that thrusts the idea out of the unconscious. The force that moves the idea into consciousness cannot emanate from the idea itself. Hartmann explicitly states that such a possibility does not exist. He reasons that thinking or representing is “self-contained”: it has “no interest,” it does not will and has no need for willing. Since the idea is “absolutely indifferent” in relation to its own being, the willing that brings thought into existence must come from outside the representation. He concludes that the end-directed willing behind the liberation of the idea must originate in the unconscious. In this argument for unconscious motivation, Hartmann maintains that the unconscious must “know” the state 13 For early versions of these sections, see PU1, 633 – 638, 660 – 663.
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to be “negated” and that the only way it can get this “knowledge” is through “feeling” the content of that state as “torment” and willing its negation (PU1, 329 f.; PU2 II, 185). Nietzsche agrees with Hartmann that unconscious drives and instincts have a powerful influence on conscious activity. But he fully rejects the view that the intellect can gain increasing independence from the unconscious. In a wellknown passage from Daybreak (D 109) Nietzsche presents the intellect as a problem-solving capacity that is routinely called into service by some drive suffering under the pressure of an advancing rival drive. On this account of competing drives, the intellect is never free from a substantial amount of interaction with the world of the instincts. But this interaction between instinct and intellect is precisely the relation that Hartmann believes can be steadily weakened in favor of the intellect. These contrasting views on the intellect reduce to starkly different positions on consciousness. For Hartmann, consciousness is “teleologically posited by the unconscious, i.e, i n t e n d e d for the sake of a higher end” (PU2 II, 183). Nietzsche, on the other hand, holds that consciousness “mirrors” mental events. In opposition to Hartmann, he maintains that, if every aspect of our mental life, from thinking to “acting,” can and does take place without any such “mirroring,” we have to conclude that consciousness is, in fact, “basically s u p e r f l u o u s [in der Hauptsache b e r f l s s i g ]” (GS 354, KSA 3, 590). Nietzsche undercuts Hartmann’s argument for an emancipated intellect and casts serious doubt on the wisdom of Hartmann’s call for the “total surrender of the personality to the world-process for the sake of its goal, world-redemption” (PU1, 638).14 However, there is a question that, so far, remains unaddressed: why, exactly, did consciousness emerge out of the initial unconscious? Nietzsche’s refutation of Hartmann’s theory of the intellect does not resolve that issue. In fact, consciousness appears to be even more of an enigma than it was earlier. Why is there a consciousness which, apparently, has no adaptive advantage for the organism? The question is crucial, since for Nietzsche, no less than for Hartmann, there has to be a purpose, and a significant one, to explain the emergence of consciousness. To confront Hartmann effectively, then, Nietzsche must develop his own response to the question of the “what for?” of consciousness. He now turns to a line of thinking that can be traced to Hartmann’s own teaching on the relation of consciousness and language.15 According to Hartmann, language is a “work of the masses, the people”; it is created out of the “Masseninstinkt”; and its 14 In HL 9 Nietzsche quotes and ridicules this passage from Hartmann. 15 Crawford (1988) demonstrates Hartmann’s importance for Nietzsche’s early thinking on language.
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development is a condition of the coming into existence of conscious thought (PU1, 227 – 232).16 Nietzsche’s strategy is suggested in his reference to the “incomparable insight” of Leibniz, “that consciousness [Bewusstheit] is merely an accidens of the power of representation [ein Accidens der Vorstellung] and not its necessary and essential attribute” (GS 357, KSA 3, 598). This reference, if applied to Hartmann (whose name appears later in GS 357) suggests that Hartmann mistakenly understands consciousness as a “necessary and essential attribute” of the idea (Vorstellung) rather than as something belonging to it more or less by chance. In any event, Nietzsche turns the problem of consciousness into a question of the kind of practice that would have allowed consciousness to develop beyond a more or less a chance happening in the evolutionary process. Thus, whereas Hartmann explains the creation of consciousness in terms of its mission, intrinsic to representation, to allow for the emancipation of the intellect, Nietzsche claims that consciousness has grown in proportion to the ability of the individual to communicate and “i n g e n e r a l h a s d e v e l o p e d o n l y u n d e r t h e p r e s s u r e o f t h e n e e d t o c o m m u n i c a t e ” (GS 354). In a sense Nietzsche’s naturalization of consciousness gives it a mundane role. It is “really just a net connecting one person with another.” For the earliest humans, it was useful only between persons, especially those who commanded and those who obeyed. “That our actions, thoughts, feelings, and movements – at least some of them – even enter into consciousness is the result of a terrible ‘must’ which has ruled over man for a long time” (GS 354). Moreover, consciousness (Bewusstsein) is “only one state of our spiritual and psychic world (perhaps a sick state)” (GS 357, KSA 3, 598). In Nietzsche’s view, consciousness is far from being the “kernel” of the human being, something “abiding, eternal, ultimate, most original in him” (GS 11), as traditional philosophy would have it, and it is also far from having the lead role in the grand world tragedy that Hartmann anticipates. But Nietzsche’s aim is not just to suggest that consciousness might not be the healthy state that Hartmann imagines it to be. Rather his ultimate target seems to be Hartmann’s central claim that the developing consciousness is the answer to the deep-seated problem of suffering. According to Nietzsche, not only is there no basis for that claim, but the “growing consciousness” is actually a danger, in Europe a “sickness” (GS 354), the exact opposite of what Hartmann is contending. Nietzsche reasons as follows: consciousness comes into existence as a consequence of language, and it 16 Hartmann begins this discussion by quoting Schelling: “Da sich ohne Sprache […] berhaupt kein menschliches Bewusstsein denken lsst, so konnte der Grund der Sprache nicht mit Bewusstsein gelegt werden.” Nietzsche’s fragment, “Vom Ursprung der Sprache” (1869 – 70), (cf. Crawford 1988, Appendix A, 224 – 226) concludes with the same quotation from Schelling.
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is something that continues to develop; as it develops, it becomes increasingly removed from the world; everything entering consciousness is thereby transformed into something “shallow, thin, relatively stupid, general, a sign, a herd-mark” (GS 354). For Nietzsche, the complex reality of instincts and drives that constitute the body is inevitably sacrificed to a herd-instinct that becomes ever stronger, as consciousness continues to grow. Thus, while one’s actions are always profoundly personal and absolutely individual,17 i. e., bodily, the nature of our “animal consciousness” only allows us to bring to consciousness that which is “non-individual” and “average” in ourselves,a “surface- and sign-world” (GS 354). From that perspective, Hartmann’s Hegelian solution to the problem of the will gives voice to the herd and offers a modern version of the ascetic ideal. Nietzsche, who values a “pessimism of s t r e n g t h” (BT Attempt 1), refers to Hartmann’s philosophy as a “p e s s i m i s m o f s e n s i b i l i t y” and a sign of an “extreme impoverishment of life” (NL 1887 – 1888 11[61], KSA 13, 30).
Concluding remarks Nietzsche’s naturalism takes its inspiration from the “sense for facts” which he sees as a core value of science in the ancient world of the Greeks and Romans. His central concern is the recovery and further development of that factual sense which, he believes, went into decline with the general devaluation of the senses in a Christianized culture. The problem of consciousness is initially the question of its purpose. However, in his argument that consciousness is a consequence of the development of language and the “need to communicate,” Nietzsche brings to the fore a whole host of observations on the deleterious effects of the growing consciousness. As consciousness grows, it becomes ever more general and abstract, in contrast to the body (Leib), which remains profoundly personal and individualistic. Consciousness thus becomes increasingly out of touch with the body and with the testimony of the senses anchored in the body. The problem of consciousness is ultimately its deep antipathy to the senses, thus its inherent resistance to all things human, including a science based on the sense for facts. Whereas Nietzsche offers the example of the ancient world as pointing in the direction of a resolution to the problem of science, his stand on consciousness is without any such signpost of what might be concretely 17 Here Nietzsche understands “individual” in the sense of “body [Leib]” as the term appears in Thus Spoke Zarathustra (e. g. Z I Hinterweltlern, Z I Verchtern, Z I Tugend). Abel (2001, 31 – 34) discusses the significance of “Leib-Organisation” in Nietzsche’s thinking on consciousness. As Abel argues, for Nietzsche, as well as for Kant and Schopenhauer, the “body [Leib]” is not the body from the outside, but from the inside, precisely what is one with that human being.
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achieved. There is no grand view of what might be, only a working out of the problem, bit by bit, with joyfulness in all and any victories, large or small. He is especially motivated to argue that the natural origins of knowledge must apply to logic (GS 111) and to Kant’s “pure” concepts of the understanding (BGE 11), moreover, that we are all the wiser for attending to the senses which do not lie “when they show becoming, passing away, and change” (TI Reason 2). “And what excellent tools for observation we have in our senses!” he exclaims, “We have science these days precisely to the extent that we have decided to a c c e p t the testimony of the senses […] Everything else is deformity and pre-science” (TI Reason 3).
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Nietzsche as Phenomenalist? Pietro Gori In 1913 Hans Kleinpeter, an Austrian scholar mostly known for his popularisation of Ernst Mach’s epistemology1, published a book titled Der Phnomenalismus. Eine naturwissenschaftliche Weltauffassung. In this text he described a new worldview grounded on the ideas of Mach, whose development started in the 19th century with the work of other authors who played a significant role in the history of the philosophy of science, such as Goethe, Avenarius, Clifford, Pearson, Stallo, – and Friedrich Nietzsche. The idea that Nietzsche could fall within this field of study was something quite new in the first years of the reception of his thought,2 but despite its originality, the most important Nietzsche scholars neglected Kleinpeter’s writings. My aim here is to analyze his primary claim about Nietzsche, i. e. the idea that “Mach und Nietzsche sind beide Phnomenalisten, beide haben die gleichen Prinzipien der Erkenntnislehre” (Kleinpeter 1913a, 143).
1. Kleinpeter’s claim Kleinpeter immediately realized that Nietzsche could be described as a “pure phenomenalist” when he first read a quotation from one of Nietzsche’s writings.3 Moreover, it was the idea that it could be possible to compare Nietzsche’s thoughts with Mach’s epistemology that excited his interest in the 1
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Little biographical information is available on Kleinpeter, since his contribution to the 20th century philosophy has not been as important as that of Mach or Petzhold. In the
sterreichisches Biographisches Lexikon, one only finds that he was born in Friedland (Bohemia) in 1869 and died in Linz-Niedernhart in 1916 (the same year as Mach), and that he was a high school teacher of Mathematics, Physics and Philosophy. One can find something more in the well known book that Lenin published in 1909 against the Empirio-criticism, where he writes that Kleinpeter was “an accredited disseminator of Machism: a pile of articles on Mach’s views in philosophical journals, both in German and in English, translations of works recommended by Mach with introductions by Mach – in a word, the right hand of the ‘teacher’” (Lenin 1947, 261). An exception could be Hans Vaihinger, who discusses Nietzsche in the last section of his book Die Philosophie des Als-Ob (published in 1911 but written more than thirty years earlier). So he wrote to Elisabeth Fçrster-Nietzsche on 9. 11. 1912 (see Gori 2011). The four letters that Kleinpeter sent to Elisabeth are now at the Goethe-Schiller Archive (Weimar).
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former’s philosophy. Thus, in 1911 Kleinpeter started working on Nietzsche, and he did not forget to inform Mach about what he found, as can be seen in a letter that he sent to him at the end of that year.4 Even though he wrote that it was “by chance” that he read Nietzsche for the first time, and that he found out for himself that what his contemporaries were writing about him was not entirely true, it is nonetheless very likely that someone told him about Nietzsche before this ‘discovery’. Someone like Ferdinand Schiller, for instance, who was a great admirer of Nietzsche’s philosophy (see Stack 1982) and who in 1911 met Kleinpeter at the International Congress of Philosophy held in Bologna.5 Whatever the origin of his interest in Nietzsche, during that year Kleinpeter started working with his writings with the aim of showing that the first reception of his thought was incomplete, above all because no one was discussing Nietzsche’s theory of knowledge.6 Between 1912 and 1913, Kleinpeter published several articles in which he presented the main claims that he later included in Der Phnomenalismus, and stressed the point that Nietzsche was not a philosopher in the ‘old’ meaning of this term, rather the forerunner of a new perspective of thought (the ‘phenomenalistic’ one) that at the present time is known as one of the first attempts to develop a scientific philosophy. 7 In his articles, Kleinpeter is plainly concerned with the correspondence between Nietzsche’s philosophy and Mach’s major claims, and presents for the first time the idea that they were both phenomenalists: Nietzsche ist so gut Phnomenalist als Mach, und auch er bricht mit der unendlichen Gewohnheit aller Philosophen, etwas rein Begriffliches als real zu nehmen; Realitten sind ihm nur die Empfindungen. (Kleinpeter 1912a, 7)
To properly understand on which grounds Kleinpeter builds his thesis, it is necessary to know what he is talking about when he says ‘Phenomenalism’. Kleinpeter uses this word to define a new theory of knowledge, whose main outcome is the rejection of the mechanical worldview.8 Moreover, this theory of 4 5
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The letter has been written on 25. 11. 1911. See Heller (1964, 69) and Gori (2011). Kleinpeter started corresponding with Schiller after their first meeting, and most probably the idea that one could find in Nietzsche’s writings “eine Vorahnung der relativistischen Auffassung der Logik” has been suggested by the latter (Kleinpeter to Mach, 25. 11. 1911. See Gori 2011). See Kleinpeter (1912a, 5). This is another topic that he stresses in the letter he sent to Elisabeth on 9. 11. 1912. In his Allgemeine Erkenntnislehre, Moritz Schlick deals with this perspective, with some critical remarks on Mach’s phenomenism and Kleinpeter’s popularization of it. See Schlick (1918, 554). See Kleinpeter (1913a, 5 – 6): “Mach war der erste, der erkannte, dass das damalige mechanistische Weltbild zu einer logischen Deduktion aller physikalischen Wahrheiten nicht ausreichend ist. Und da schlug er – inmitten einer Zeit, die glubig zur
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knowledge follows from an interpretation of the philosophy of Kant, with the aim of giving an answer to the question of the “thing in itself ”. Very briefly, the basic ideas of the phenomenalistic worldview are two: a) The sensations are the ground of our knowledge; b) The scientific concepts (but one can also say this of all concepts) are only labels and symbols and any ‘truth’ has only a relative meaning. These ideas follow from the main statements presented by Mach and they can be understood only if one knows the proper definition of the concepts he uses. For example, what does he (and Kleinpeter) mean with “sensations”? Is it a purely empiricist concept? Or is it the sign of an idealistic worldview (as Lenin claims)? Many papers have been written on this topic, and still the distinction between sensations and elements that Mach presents in his Analyse der Empfindungen (1886) is not completely clear. Unfortunately, there is not space to address these questions here; thus, I will rather try to explain Kleinpeter’s view with just his words. With regard to the first point, in his book from 1913 he writes that the phenomenalistic theory of knowledge is grounded on the certainity of immediate experiences (“unmittelbare Erfahrung”), and refers to one of Goethe’s statements that he found very close to both Mach and Nietzsche’s observations: “Die Sinne trgen nicht” (Kleinpeter 1913a, 68 – 69). Kleinpeter thus states that a phenomenalist thinks that any knowledge comes from our sensory experience and that one must consider its testimony as “true” and reject the value of any kind of logical concept.9 In fact, the words we use are but labels and symbols created by our intellect to gather together many sensations and this – according to Mach’s principle of the economy of thought – makes possible the easier transmission of knowledge. In his book, Kleinpeter summarizes these ideas by claming that “die Voraussetzung fr die Entwicklung der phnomenalistischen Weltanschauung bildet die Erkenntnis von der Unmçglichkeit einer rein logischen Ableitung der Welt und ihrer Erscheinungen” (Kleinpeter 1913, 193). There is not enough space here to discuss whether Kleinpeter is upholding a pure empiricism or not; one can simply say that he rejects any logicism and thus tries to describe the creation of a new theory of truth that is not far from the perspective of Pragmatism. Kleinpeter knew this, and explicitly admitted this connection in an important passage that must be quoted: Kant hatte zuerst alle menschliche Wissenschaft als Schçpfung der Verstandes bez. der Vernunft betrachten gelernt; ist aber dabei in den schweren Fehler verfallen, daß er die Resultate der Arbeit dieser Vermçgen als unbedingt giltig angesehen hatte,
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mechanischen Weltanschauung aufsah – eine p h n o m e n a l i s t i s c h e Na t u r a n s c h a u u n g s w e i s e vor, d. h. eine Beschrnkung auf Beschreibung der reinen Erfahrung”. This “truthfulness” can obviously be defined in simply a relative way.
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whrend hierber erst der folgenden Erfahrung das entscheidende Wort zukommt. Das hat dann mit aller Klarheit E. Mach in seinen naturwissenschaftlicherkenntniskritischen Arbeiten dargelegt. Schlagen wir nun den Nachlaß Nietzsches auf, so finden wir in ihm denselben Gang der Erkenntnis skizziert. Der Kern dieser biologischen Erkenntnistheorie, die in naturwissenschaftlichen Kreisen, ferner in den philosophischen Gedankenrichtung des Pragmatismus bereits ber zahlreiche Anhnger verfgt, liegt darin, daß die Wissenschaft nicht als eine Sammlung von Gesetzesparagraphen aufzufallen ist, […] sondern daß das Wesen ihrer Begriffe darin besteht, den Menschen zur denkenden Ttigkeit anzuleiten. (Kleinpeter 1912b, 100)
In this excerpt, Kleinpeter summarizes the historical development of the new epistemology. Mach, Nietzsche and Pragmatism play the leading roles in this overcoming of Kantian philosophy and its idea that the concepts have an absolute value by taking on a biological theory of truth, i. e. the idea that our knowledge is but a tool to help human beings orientate themselves in the world. The Phenomenalistic worldview thus follows from these two premises (which are, of course, strictly connected): if one admits that the sensations are the ground of our knowledge, then one must deny the value of any purely logical description of the world and consequently uphold a new notion of truth. To be a pure phenomenalist one must agree with those statements, and this is exactly what Kleinpeter thinks about Nietzsche. In the writings on which he concentrates (mostly in the Nachlass), Kleinpeter finds several statements concerning both the sensations and the relative value of the logical ‘truth’ and this is enough for him to assert that Nietzsche’s thought was far from any 19th century metaphysical philosophy. But this idea doesn’t exhaust Kleinpeter’s reading of Nietzsche. As I have mentioned, his main aim was to show how important Mach’s epistemology has been for the history of contemporary philosophy and he thus argued that most of the authors involved in the development of modern science shared his teacher’s perspective. ‘Phenomenalism’ is but a name that Kleinpeter uses to define the worldview that arose from the 19th century scientific debate and stress its philosophical relevance (Kleinpeter 1913a, III). The reference to Nietzsche helps Kleinpeter demonstrate this last statement since he knows that Nietzsche was neither a scientist nor a thinker interested in pure theoretical investigations. Nietzsche was a philosopher – though of a new kind (Kleinpeter 1912a, 5) – and this for Kleinpeter meant that he was concerned with the relationship between human beings and the external world and was thus able to understand the practical implications of any new worldview. Nietzsche was interested in the outcomes of the new scientific investigations, and he agreed with many of them, but his thought cannot be reduced to these topics. Thus, he played a peculiar role in the history of Phenomenalism:
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Mach, Stallo, Clifford, Kirchhoff, Pearson u. a. bemhten sich, eine metaphysikfreie Wissenschaft herzustellen. […] Die Schwierigkeit, die hier liegt, und die Bedeutung derselben fr die Philosophie hat vielleicht kein Denker so tief durchschaut als Nietzsche. Auf die Suche nach der Wahrheit zog er aus, und er war bekanntlich ein so grimmer Anhnger derselben, daß er gegen seine nchsten Gesinnungsgenossen mit groben Worten zu Felde zog (Kant, Schopenhauer, Darwin). Aber er fand die Wirklichkeit nicht, bezw. er fand, daß sie berhaupt nicht zu finden ist, daß die Welt der Logik eine Welt des Scheines ist. (Kleinpeter 1913a, 95)
2. Why is Nietzsche a Phenomenalist? In a letter he sent to Mach on 22. 12. 1911, Kleinpeter sums up his ideas on Nietzsche: [Nietzsche] spricht es zunchst als eine Vermutung aus, dass sich ‘die’ Materie auf Empfindung und alles auf Empfindung und Vorstellung msse zurckfhren lassen. Spter werden die Ausdrcke entschiedener. Er bedauert den Tiefstand menschlicher Kultur, weil nur die Gebildetsten einsehen, dass es keine Sache gibt. […] Er tritt ganz unzweideutig fr die Auffassung der Substanzbegriffe als Gedankensymbole auf. Gegen eine “Welt an sich” hinter den Erscheinungen spricht er sich wiederholt aus. […] Er ist vielleicht der radikalste Vertreter des Relativismus in der Erkenntnistheorie. […] Der Pragmatismus ist schon ganz bei Nietzsche enthalten. Die Wahrheit der Kategorien der Logik erblickt er in ihrer Ntzlichkeit zur Fçrderung unserer Einsicht und unseres Handels, in letzter Linie zur Fçrderung des Organismus. (See Gori 2011)
Kleinpeter tries to show to his friend and teacher that one can easily find in Nietzsche’s writings many statements that are in compliance with his epistemology, and thus that Nietzsche is more noteworthy than he thinks. These observations clearly show that both Kleinpeter and Mach were not interested in Nietzsche before 1911, most probably because the reception of his works during those years was concerned with merely metaphysical and aesthetic questions.10 For the first readers and admirers of Nietzsche, he was a philosopher of art and music, the author of the philosophical poem Also sprach Zarathustra and not much more. But a good understanding of his texts, even a brief reading of his notebooks reveal ‘another’ Nietzsche, a thinker whose philosophy was grounded on the most recent theoretical investigations. More precisely, he could be seen as the forerunner of a purely antimetaphysical worldview, whose main outcome was the rejection of the “old tables of truth”. 10 This explains the critical remark one finds in the second edition of the Analyse der Empfindungen (Mach 1900 I, 12). See also Gori (2009a, XXXII-XXXIII).
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Let’s now see which proofs Kleinpeter offers to demonstrate his claims. First, one must consider whether one can find a kind of ‘sensualism’ in Nietzsche or not, to satisfy the first condition necessary to be a good phenomenalist. According to Kleinpeter, there is no problem in claiming this since there are several passages in which Nietzsche shows his belief in the value of sensations as the ground of our theoretical experience: “Ich habe nichts als Empfindung und Vorstellung” urteilt Nietzsche im Jahre 1872.11 Die Empfindung ist nicht Resultat der Zelle, sondern die Zelle ist Resultat der Empfindung, d. h. eine knstlerische Projection, ein Bild. Das Substantielle ist die Empfindung, das Scheinbare der Leib, die Materie.” […] Hier haben wir also ganz klar den Machschen Ausgangspunkt von der Empfindung als Grundelement fr uns. (Kleinpeter 1913b, 31)
Kleinpeter quotes other notes like these and compares them directly with Mach’s statements on the same topic. In his opinion, these excerpts prove that Nietzsche was a sensualist la Mach. However, such a claim is not so easy to make as Kleinpeter would have it. The interpretation of Nietzsche’s statements on sensations is something on which scholars still do not agree, a problem not easily resolved.12 On the other hand, one must admit that Nietzsche’s later claim that our “senses don’t lie” (GD Vernunft 2, KSA 6, 75) sounds very similar to Goethe’s statement and is in compliance with Mach’s idea that our intellect falsifies the sensory data and creates a purely logical world. With regard to the note quoted by Kleinpeter, one must consider that it was written fifteen years before Gçtzen-Dmmerung and that it should be first compared with the main work of Afrikan Spir (see Schlechta/Anders 1962, 148). However, even though one cannot be certain in claming that Nietzsche gave to the term sensation the same meaning as Mach (at least not in all his writings), it is nonethless true that one finds in the former’s notebooks many passages in which he refers to the senses as the starting point of our relationship with the external world and that during the last years of his thought he stated many times that our knowledge was but the interpretation our brain makes of the sensory data – i. e. a falsification of their testimony (see Gori 2009b, 126 ff.). Thus, one cannot completely disagree with Kleinpeter on the first point. As regards the second condition, the relative value of any ‘truth’, Kleinpeter thinks that this follows from the first one, since the idea that our knowledge is grounded on our sensations is the opposite of saying that the logical concepts are absolutely true. As Mach writes, the notions we use in science are mere symbols, labels useful for sharing our knowledge. In Nietzsche one can find many statements like this, from the observations written in ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinn on the metaphorical value of our ‘truths’, to the 11 We now know that this note is from 1973. See NL 1973 26[11], KSA 7, 574. 12 One can finds an account of this question in Small (1999) and Riccardi (2011).
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ideas published in Menschliches, Allzumenschliches, in Die frçhliche Wissenschaft or in his 1880s notebooks. The rejection of logicism is one of the topics Kleinpeter stresses most in his book from 1913: Nietzsche sagt, daß die Logik die Wirklichkeit flscht, daß wir durch unsere Art der Auffassung die Wirklichkeit ‘logisieren’. Die Begriffe, die wir uns ersinnen, existieren nicht in der Wirklichkeit, und es entspricht ihnen auch kein Ding, sondern sie sind nur Mittel, um unsere Erlebnisse angenhert reproduzieren zu kçnnen. (Kleinpeter 1913a, 83 – 84)
This is of the greatest importance for Kleinpeter, since an antimetaphysical worldview can be grounded only on the idea that there is nothing that has an absolute value (concepts, things, etc.). Thus, if one finds in Nietzsche the idea that the words we use are but symbols to simplify the reality, and that they are ‘true’ as far as they are ‘useful’, this makes him a good phenomenalist. Furthermore, as mentioned, Kleinpeter not only finds a correspondence between Nietzsche’s arguing against the truthfulness of the logical notions and Mach’s statements on the economy of thought; he also goes on to claim that they both presented a peculiar theory of knowledge which was grounded on a biological perspective. That is to say that both Mach and Nietzsche though that the development of human intellect has been useful for the preservation of the species and that the way we think (i. e. the way our brains process the sensory data) helps human beings to win the struggle for life (see Mach 1923, 245 – 265; ˇ apek 1968; Gori 2009a, 64 ff.). Thus, one FW 110 f., KSA 4, 469 – 472; C must not only compare Nietzsche with Pragmatism, but also with Goethe and Darwin: Wie fr Goethe und Darwin ist fr Nietzsche der Mensch ein ttiges und kmpfendes Wesen, die Erkenntnisse sind ihm Urteile und die Urteile Mittel im Lebenskampf. […] Damit kommt Nietzsche auf die biologische Grundlegung der Erkenntnislehre, auf den Wahrheitsbegriff des Pragmatismus. Darin liegt die Bedeutung der neuen instrumentalen Theorie der Wissenschaft. (Kleinpeter 1913a, 209)
This is something quite new in the history of Nietzsche reception. Scholars began dealing with his theory of truth only after many years; during the first period of reception one can hardly find someone who looked at it as a significant feature of his thought. Moreover, the relationship between Nietzsche’s ideas on knowledge and the theory of evolution has been established during the last decades, but at the beginning of the 20th century it would not have been easily accepted. Kleinpeter knew that he was presenting an unknown image of Nietzsche, and repeated it throughout his writings, with the express aim of showing the members of “the circle of the official philosophy” that until that day no one had really understood the deepest meaning of his thought (Kleinpeter 1912a, 5). According to him, the philosophy one finds in
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Nietzsche’s writings is in compliance with the conclusions of modern epistemology, and one can even define it as a good overcoming of Kant’s philosophy. Thus, Nietzsche didn’t just foreshadow phenomenalism, rather he was one of the main exponents of this worldview: ‘Jedes Wort ist eine Metapher’, ‘alle Erkenntnis ein Gleichnis’. D e r S c h e i n w i r d e i n e N o t w e n d i g k e i t ; das ergibt sich aus der Natur des Erkenntnisvorganges. In diesem Sinne ist daher alle Erkenntnis relativ; eine absolute, unbedingte Wahrheit ist nicht nur unerreichbar, sondern auch undenkbar, logisch unmçglich. Nietzsche zerstçrt Kant a priori und verwandelt seine Lehre in einen Relativismus. Nietzsches Verdienst um die Erkenntnistheorie beschrnkt sich nicht auf diese Umdeutung der Kantschen Lehre; er wurde auch der Schçpfer einer neuen positiven auf der Biologie basierten Erkenntnistheorie. […] Nietzsche ist kein Vorlufer des Phnomenalismus mehr, er ist selbst schon einer seiner bedeutendsten Vertreter. (Kleinpeter 1913a, 27)
3. Conclusion What is new in Kleinpeter’s reading of Nietzsche is the perspective from which he looked at him. Kleinpeter was not a scholar interested in the ‘classic’ history of philosophy; his fields of study were rather physics and mathematics, and he tried to show how deeply the outcomes of modern epistemology could affect the cultural plane. Thus, when he read Nietzsche his background was completely different from that of Windelband or Wilamowitz-Moellendorf (the two scholars that he criticizes in Kleinpeter 1912a). According to Kleinpeter, Nietzsche is closer to Albert Lange than to Schopenhauer: in his notebooks one finds many observations that can be seen as a development of the philosophy of Locke, Berkeley and Hume rather than the expression of a metaphysical perspective, and for that reason he can be compared with the forerunners of the newly born scientific philosophy (i. e. Ernst Mach and the pragmatists). This side of Nietzsche’s thought is something that at the beginning of the 20th century was not well known, and – according to Kleinpeter – the reason is that no one read his Nachlass. In Nietzsche’s notebooks, Kleinpeter finds ‘another’ philosopher, maybe the ‘real’ Nietzsche, and thus claims that one must deeply study these texts to provide a good interpretation of his thought. One of the problems with Nietzsche is that he wrote his books in a metaphorical language which can hardly be understood (Kleinpeter 1912a, 6) and one can therefore find the real content of his thought only by looking under the surface of the words. This cannot be done without referring to the notes that Nietzsche wrote throughout his life, which are clearer than the aphorisms of his main works and much more understandable that the poetic lines of his Zarathustra. Thus, Kleinpeter is the forerunner of a new way of reading Nietzsche, a way characterized by a greater attention to the Nachlass, now seen as the necessary starting point for a study aimed at both giving meaning to the most obscure
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passages of the published text and understanding the deepest content of his philosophy. Nun ist es trotzdem mçglich, den tieferen Sinn [von Nietzsches] Gedankenarbeit zu erfassen. Das kommt daher, weil von einer ganz anderen Seite her dieselbe Reformation des philosophischen Gedankens in Angriff genommen und im Zusammenhang mit klaren wissenschaftlichen Betrachtungen durchgefhrt wurde, nmlich von E. Mach und einigen andern Naturforschern und Mathematikern, die aus dem Wesen der positiven Wissenschaft heraus die Notwendigkeit einer vçlligen Umkrempelung der bisher gelufigsten philosophischen Grundanschauungen erkannten. (Kleinpeter 1912a, 6)
By claiming that Nietzsche was a good phenomenalist, Kleinpeter shows his being ‘untimely’, i. e. the fact that he foreshadowed the development of contemporary philosophy. A philosophy that is starting from pure theoretical assumptions could lead us to a new relationship with the outer world and therefore to a renewal of our way of both arguing and acting. In fact, Kleinpeter describes the phenomenalistic worldview as a wide perspective involving both the theoretical and the practical plane, and Nietzsche is a good example for him to show how deeply science and philosophy can be related. This is the most interesting point of his investigation, the main contribution to the history of the reception of Nietzsche in the early 20th century. Of course, one can discuss whether Kleinpeter’s observations on Nietzsche’s sensualism are right or not, or say that he’s not been as great interpreter of his thought as Lçwith, Jaspers or Heidegger, but from his marginal point of view Kleinpeter foreran some outcomes of the most recent studies on Nietzsche. During the last few decades, scholars involved in the research on the sources of Nietzsche’s thought have shown that he was interested in the natural sciences and that some of his most important philosophical ideas were grounded on what he read in scientific journals (see Mittasch 1950 and Mittasch 1952; Babich/Cohen 1999; Small 2001). They also (but only in the most recent years) dealt with his relationship to Mach and confirmed some of Kleinpeter’s claims, e. g. the fact that both Nietzsche and Mach presented a biological theory of truth and rejected the metaphysical side of modern science (see Hussain 2004; Gori 2009a and Gori 2009b). Of course, Nietzsche’s interest in the scientific debate and his (direct or indirect) relationship with some of the main scientists of his time do not mean that his thought can be reduced to a mere interpretation of scientific research, nor that his aim was to uphold a scientific worldview (i. e. that he was a pure phenomenalist), but one must admit that it all played a significant role in the development of his philosophy. Moreover, one must say that the contextualization of Nietzsche in the late 19th century philosophical debate is of the greatest importance to understand his thought since those decades were a very rich period with regard to cultural life in which science played a fundamental role. Thus, even though he was an original thinker, many of the ideas that Nietzsche
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shares with the scholars that Kleinpeter indicates as the forerunners of the phenomenalistic worldview were most probably “in the air”13, and it is very likely that he simply read them in a book or journal and assimilated them into his own philosophy. Kleinpeter wrote all of this between 1912 and 1913, many years before the first scholars involved in a both historical and philological investigation of Nietzsche’s thought. One can disagree with him in claiming that Nietzsche was a phenomenalist in the strict sense, but there is no doubt in stating that he joined the debate of his era and that his philosophy was grounded on some of the main questions of the 20th century debate: Wir haben im Pragmatismus wie in der Erkenntnislehre Machs wahrhaft neue Erkenntnisse vor uns, die einem gefunden Boden entwachsen sind und die bestimmt erscheinen, die herkçmmlichen Anschauungen der historischen Philosophenschulen von Grund aus umzustrzen. Die Geschichte dieses Ringens wird die Geschichte der Philosophie des 20. Jahrhunderts sein. (Kleinpeter 1912c, 407)
Kleinpeter looked at both Pragmatism and the philosophy of Ernst Mach as the reference points for the development of contemporary philosophy, and if one thinks about what happened after his death one can say that he was not completely wrong (just consider that the Vienna Circle – a turning point in the history of thought – rose from the Association Ernst Mach). On the other hand, one knows that the philosophy of the last century is grounded on many more perspectives that these, so Nietzsche’s thought had many sources. Nevertheless, Nietzsche’s being in compliance with the epistemological conclusions of several important scholars of the late 19th century is one of the elements that allow us to argue (with Kleinpeter) that he took part in the renewal of the Western worldview.
Literatur Babich, Babette/Robert Cohen (eds.) (1999): Nietzsche, Epistemology, and Philosophy of Science. Nietzsche and the Sciences II. Dodrecht, London, Boston (Kluwer). ˇ apek, Milicˇ (1968): “Ernst Mach’s Biological Theory of Knowledge”. In: Synthese. C Vol. 18(2), pp. 171 – 191. Gori, Pietro (2009a): Il meccanicismo metafisico. Scienza, filosofia e storia in Nietzsche e Mach. Bologna (Il Mulino). Gori, Pietro (2009b): “The Usefulness of Substances. Knowledge, Science and Metaphysics in Nietzsche and Mach”. In: Nietzsche-Studien. Vol. 38, pp. 111 – 155. Gori, Pietro (2011): “Drei Briefe von Hans Kleinpeter an Mach ber Nietzsche”. In: Nietzsche-Studien. Vol. 40, pp. 290 – 298. 13 In the Preface to the first edition of his Mechanics, Mach writes that some of the ideas presented in that book have been discussed by other scholars such as Richard Avenarius (Mach 1883).
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Heller, Karl Daniel (1964): Ernst Mach: Wegbereiter der modernen Physik. Wien, New York (Springer Verlag). Hussain, Nadeem (2004): “Reading Nietzsche through Ernst Mach”. In: Thomas Brobjer/Gregory Moore (eds.): Nietzsche and Science. Aldershot (Ashgate), pp. 111 – 129. Kleinpeter, Hans (1912a): “Die Erkenntnislehre Friedrich Nietzsches”. In: Wissenschaftliche Rundschau 3/1912, pp. 5 – 9. Kleinpeter, Hans (1912b): “Nietzsche als Schulreformer”. In: Bltter fr deutsche Erziehung 14/1912, pp. 99 – 101. Kleinpeter, Hans (1912c): “Der Pragmatismus im Lichte der Machschen Erkenntnislehre”. In: Wissenschaftliche Rundschau 20/1912, pp. 405 – 407. Kleinpeter, Hans (1913a): Der Phnomenalismus, eine naturwissenschaftliche Weltauffassung. Leipzig (Barth). Kleinpeter, Hans (1913b): “Ernst Mach und Friedrich Nietzsche”. In: Neue Freie Presse 17423, pp. 31 – 32. Lenin, Vladimir (1947): Materialism and Empirio-criticism; Critical Comments on a Reactionary Philosophy (transl. by A. Fineberg). Moscow (Foreign Languages Publishing House). Mach, Ernst (1883): Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt. Leipzig (Brockhaus). Mach, Ernst (1900): Die Analyse der Empfindungen und das Verhltnis des Physischen zum Psychischen. 2nd edition. Leipzig (Barth). Mach, Ernst (1923): Populr-wissenschaftliche Vorlesungen. 5th edition. Leipzig (Barth). Mittasch, Alwin (1950): Friedrich Nietzsche Naturbeflissenheit. Heidelberg (Springer). Mittasch, Alwin (1952): Friedrich Nietzsche als Naturphilosoph. Stuttgart (Krçner). Riccardi, Mattia (2011): “Nietzsche’s Sensualism”. In: European Journal of Philosophy, forthcoming. Schlechta, Karl & Anni Anders (1962): Friedrich Nietzsche. Von den verborgenen Anfngen seines Philosophierens. Stuttgart, Bad Cannstadt (Fromann). Schlick, Moritz (1918): “Allgemeine Erkenntnislehre”. In: Friedrich Stadler/Hans Jrgen Wendel (eds.): Moritz Schlick Gesamtausgabe. Wien, New York (Springer). Small, Robin (1999): “We Sensualists”. In: Babette Babich/Robert Cohen (eds.): Nietzsche, Epistemology, and Philosophy of Science. Nietzsche and the Sciences II. Dodrecht, London, Boston (Kluwer). Small, Robin (2001): Nietzsche in Context. Aldershot (Ashgate). Stack, George (1982): “Nietzsche’s Influence on Pragmatic Humanism”. In: Journal of the History of Philosophy 20/4, pp. 369 – 406. Vaihinger, Hans (1919): Die Philosophie des Als-ob. Berlin (Reuther).
Taking Eternal Recurrence Scientific: A Comparative Study of Oskar Becker, Felix Hausdorff, and Abel Rey Michael Stçltzner Nietzsche’s relationship to the empirical sciences and the relevance of his work for an epistemology of science, however broadly conceived, have remained contentious. The eternal recurrence of the same, the self-declared “Grundconception” (EH Z 1)1 of the Zarathustra and Nietzsche’s late work in general, is a case in point. While most interpreters consider it a stillborn idea on the factual level – viewing it instead as an intuition, if not a mystical revelation, bearing deep ethical or existential insights – there have been quite a few attempts to spell out Nietzsche’s thought in terms of the respective contemporary science. The present paper intends to give a comparative study of three such attempts that were not penned simply by dogged followers of Nietzsche or scientific outsiders, but by three eminent scientist-philosophers at various stages of their academic careers. All three motivate their endeavor by Lou Andreas-Salom’s oft-quoted biographical remarks according to which Nietzsche had seriously intended to embark on physical studies in order “to find a scientifically unassailable foundation for his thought”; but he quickly reached the conclusion that this was “unfeasible on the basis of atomism” (Andreas-Salom 1894, 256 f.).2 While Nietzsche had derived the bulk of his knowledge about physics and cosmology from popular or even maverick sources – even if measured against the standard of the day –, all three authors discussed in the present paper proudly point to the most recent advances in classical mechanics, statistical physics or mathematical logic, and accordingly go far beyond Nietzsche’s actual discussion of eternal recurrence. I shall start with the latest and philologically most ambitious attempt, the paper “Nietzsches Beweise fr seine Lehre von der ewigen Wiederkunft” (Nietzsche’s proofs for his doctrine of eternal recurrence) written by the logician and phenomenologist Oskar Becker (1889 – 1964) in 1936. Based on a detailed interpretation of Nietzsche’s then published writings and an analysis of his intellectual sources, Becker claims that one can reconstruct two valid proofs for
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For the historical background of the idea of recurrence in Nietzsche and its reception, see Stegmaier (2004, esp. 37 – 49). All translations are mine. Quoted according to Stegmaier (2004, 44).
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eternal recurrence, a physical-cosmological and a logical-mathematical one.3 These proofs constitute the starting point of the present paper, and I will use the two other works, albeit written before Becker’s paper, as their counterpoints and conclude that both proofs that Becker reconstructs from Nietzsche require substantial qualification or specification in order to arrive at a meaningful thought experiment, let alone a valid philosophical argument. In 1927, the French physicist and philosopher Abel Rey (1873 – 1940) published a sizeable book Le retour ternel e la philosophie de la physique that won Becker’s praise (cf. Becker 1936, 50 fn). Other than Becker’s primarily deterministic and Newtonian reading of Nietzsche’s physical-cosmological proof of eternal recurrence, Rey builds his analysis upon the probabilistic foundation of the second law of thermodynamic developed by James C. Maxwell, Ludwig Boltzmann, and others during the final decade of Nietzsche’s life. Although Rey’s philosophical ambitions reach far beyond Becker’s reconstructive project – which makes the book’s line of though pretty vague at places – the comparison sheds lights on the deep conceptual problems of the physical-cosmological proof and Becker’s reconstruction of it. The third author, Felix Hausdorff (1868 – 1942), remains unmentioned both by Becker and Rey, even though he had written on eternal recurrence still during Nietzsche’s lifetime and had subsequently become a notable mathematician and Becker’s colleague at the University of Bonn. As regards his writings, he led a double life: The mathematician Hausdorff earned his habilitation with works on the mathematics of celestial mechanics and became one of the pioneers of set theory and topology. The literate, critic and philosophical writer Paul Mongr – as common in those days, the pseudonym was well-known to most readers – published, apart from several articles, two sizable books dedicated to Nietzschean themes: Sant’ Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras (Sant’ Ilario. Thoughts from the landscape of Zarathustra, 1897) that at the surface appeared as one of many emulations of Nietzsche’s Zarathustra; and Das Chaos in kosmischer Auslese (The chaos in cosmic selection, 1898) that pursued more specific philosophical ambitions, in which eternal recurrence played a significant role. Reading Becker’s reconstruction of Nietzsche’s logical-mathematical proof from this perspective reveals at least two implicit assumptions that are not of an exclusively mathematical nature. Both the criticisms of Rey and Hausdorff-Mongr ultimately show that Becker’s reconstruction does not amount to the intended objectivation of eternal recurrence, but relapses to a distinction between two different kinds of 3
In 1936, Becker actually identified three proofs, but he considers the first one as too vague for further analysis. I am unable to enter into the question whether Becker’s detailed reconstruction meets the philological standards of today’s Nietzsche scholarship and have limited myself to a verification of the passages used in my own argument.
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temporality that Becker had already taken up in his earlier book Mathematische Existenz (Mathematical Existence, 1927) – a book that repeatedly quotes Hausdorff ’s set-theoretic works.4 The fact that Becker does not mention Hausdorff-Mongr in 1936 indicates, to my mind, a political subtext of his project to take eternal recurrence scientific. For a scientific philosopher and philosophical logician who, to a growing extent, was favorably disposed towards the NS regime and wanted to claim authority as regards its principal philosopher, it was impossible to cite the work of a prominent, though not publicly well-known, Jewish mathematician.5
1. Becker’s early phenomenological approach The main thesis of Becker’s Mathematische Existenz was that phenomenological analysis decides the debate about the foundations of mathematics in favor of intuitionism. Yet Becker’s philosophical aspirations went beyond a justification of Brouwer’s brand of constructivism, and he provided a detailed account of the role of historicity and temporality in mathematics that built upon the works of Edmund Husserl and Martin Heidegger. Not only was the Cantorian continuum incomprehensible to human understanding, but in a phenomenological perspective any countable mathematical sequence an (n!1) – gained, e. g., by repeatedly tossing a coin – represented a genuinely temporal process whose future was as open as that of a sequence of historical events. “Mathematics thus receives an ‘anthropological’ foundation. Not a duly ordered ‘objective’ Universe that, in the traditional sense, exists ‘in itself ’, but the life of each individual … is the ontic basis even for the mathematical.” (Becker 1973, 196) While accordingly any mathematical sequence referred to historical time, and was irrepeatable in its actual progress, natural time (Naturzeit) turned out to be the domain of eternal recurrence and obeyed a different principle of temporality (Zeitigung). The characteristic trait of natural time as opposed to historical time consists in the possibility of a recurrence of the same, the repetition of the same event. Historical time, in contrast, does not know of recurrence; to put it bluntly, one could say: (true) future excludes (true) recurrence. […] Strictly speaking in this way (in historical time) the category of the same [Gleichen] is excluded as well, there exists only the equal [Nmliches] (the identical in the strict sense). In both cases time acts as a principium individuationis, but in different ways. Natural time allows the reoccurrence of the exactly same […] ‘at different times’. […] Empirically exact samemess is never realized, but is is (ideally) possible. (Becker 1973, 224 f.) 4 5
Cf. Becker (1973, 175, 356 and 359). In a later paper, Becker (1942) combines his reverence for Nietzsche with an explicit endorsement of racist ideology.
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I have emphasized the distinction between historical and natural time in Becker’s early work because, in his 1936 article, Becker shifts eternal recurrence from the borderline between the anthropological and the natural into objective nature itself. In Mathematische Existenz he had refrained from such a move by distinguishing recurrence and actual repetition – a difference that he illustrated at the musical phenomenon of a reprise (cf. Becker 1973, 318). Becker’s attempt to take Nietzsche’s eternal recurrence scientific, accordingly, leads him at least partially outside the domain of phenomenology.
2. The physical-cosmological proof – in Becker’s reconstruction Suppose the Universe is [(i)] finite, admits [(ii)] only a finite number of positions (i. e. the possible positions in space form a discrete manifold), accordingly there exists [(iii)] only a finite number of ‘material’ atoms, which have to be thought of a centers of force (in the sense of Boscovich), and … only finitely many increments of force (energy)6 are possible [they are of (iv) finite amount and (v) discrete] – then one obtains a merely finite number of possible combinations among those elements that determine the world state [Weltzustand], thus only a finite number of possible world states. If one assumes additionally [(vi)] that a given world state uniquely determines the next one (i. e., there exists an exact and not only a statistical causal nexus), then a strictly periodic course of the world’s events is absolutely necessary. For after the exhaustion of all possible world states, one of them necessarily has to recur. Since this state now has a uniquely determined sucessor, which has one in turn, the world states follow one upon another in the determined succession as long as the one that has first recurred, recurs again, and so on. (Becker 1936, 43)
Becker considers this proof as valid if one additionally makes the concept of ‘successor’ sufficiently precise by understanding time itself as discontinuous. This move is not absolutely necessary “because a discrete constitution of space anyhow only admits of discontinuous motions.” (Becker 1936, 45) To my mind, Becker underestimates the problem. For in classical mechanics – and Becker explicitly assumed the Laplacian determinism characteristic of that theory – motions can become infinitely fast or infinitely slow such that without an independent discretization of time, recurrence might fail. On the whole, Becker remains extremely cautious whether the above-listed assumptions of Nietzsche’s proof “obtain in the real world. To decide this question is a matter for extensive physical research. Nietzsche’s line of proof accordingly represents a mere program, the bold sketch of a possible proof for his doctrine” – a sketch that possesses, to be sure, “a direct phenomenological (resp. psychological) significance” (Becker 1936, 45). 6
In 19th century Germany, force (Kraft) was often used to denote the physical quantity of energy. Becker follows Nietzsche, and of course Leibniz and Helmholtz, in this respect and I will follow suit as long as no ambiguities arise.
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3. Eternal recurrence in a probabilistic world The uniqueness of the causal nexus among all world states played a decisive role in Becker’s reconstruction of Nietzsche’s argument. But Becker was well aware that Laplacian determinism had become untenable in 20th century physics. Thus he also provided a modified argument in which condition (vi) was weakened in the sense that nature must not avoid the recurrence of a given world state A by availing itself of an ever increasing force (energy) to forever avoid recurrence to A. In this modification, the path of recurrence from A to A does not necessarily lead through the same intermediate states B,C,D, …, but may take arbitrary paths. “In this case merely the law of chance reigns, that is, it takes place what is predicted by the calculus of probability. And this indeed predicts, for finitely many possible states A,B,C, … of the world, that ultimately each single one recurs – even though not the regular course of states that constantly repeats itself in identical cycles.” (Becker 1936, 50) By means of this modification, Becker relates, one also goes along with “a doctrine that Nietzsche put forward at places, to wit, that in physics truth [Wahrheit] has to give way to probability [Wahrscheinlichkeit].” (Becker 1936, 50) In the now modified proof, Becker alludes to the picture drawn by Boltzmann’s statistical mechanics: a random motion of a large number of single atoms for which the laws of mechanics still hold true. Space itself remains continuous in statistical mechanics even though the late Boltzmann contemplated a discontinuous conception of time (cf. Stçltzner 1999). Boltzmann succeeded in giving a statistical derivation of the second law of thermodynamics, i. e., the claim that any physical system approaches a state of higher and higher entropy. His derivation was not free of additional assumptions and conceptual difficulties, and it provoked a variety of objections that forced Boltzmann to constantly adapt his line of reasoning. The most famous ones are the reversibility paradox and the recurrence problem. Why, so Boltzmann’s Viennese colleague Josef Loschmidt, is it possible to derive a result concerning the irreversibility of all natural processes, and at bottom the direction of time, from a theory, Newtonian mechanics, that is completely invariant against the simultaneous reversal of the motion of all particles in the Universe? Boltzmann accepted the idea that the world states corresponding to the reversed motion indeed existed, but in our world they were vastly less probable than those corresponding to the course of world states in accordance with the second law of thermodynamics. The direction of time accordingly was a macroscopic property based upon the second law, not a property of the single atoms. More relevant for Becker’s reconstruction of Nietzsche’s argument however is Poincar’s famous recurrence theorem that Ernst Zermelo developed into an objection against Boltzmann’s derivation. In a closed system of finitely many interacting mass points, any given world state (i. e., any given point in phase
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space) necessarily recurs after a finite time – or more precise it comes arbitrarily close (in terms of the phase space metric) to the original state. Boltzmann countered the objection by pointing to the extremely long recurrence times. Already for systems of a few mass points and pretty large distances, the recurrence times exceed the present age of the Universe. If one assumes, as did Becker and most of his contemporaries, that the Universe was infinite in time, one might think that Poincar’s theorem indeed validates Nietzsche’s idea. But it turns out that the time scale of Poincar recurrence is much larger than the time scale on which, according to the second law of thermodynamics, every closed system reaches thermal equilibrium, such that no recurrence occurs. Or put differently, recurrence does not prevent cosmic heat death. It is true, Boltzmann’s probabilistic second law admits exceptions from this tendency to equilibrium, and fluctuations will persist even after the system has reached equilibrium. And Boltzmann even speculated that, in an infinite Universe, these fluctuations could amount to entire regions of space and determine their respective direction of time. While Becker merely ponders about a probabilistic modification of Nietzsche’s line of reasoning, the probabilistic perspective effectively shaped Rey’s analysis. Rey considered the doctrine of eternal recurrence as the necessary consequence of the crisis of physics in the second half of the 19th century, when the conception championed by Newton and Laplace according to which the Universe represented a gigantic mechanical machine, was crushed by the work of Sadi Carnot and Rudolf Clausius. Eternal recurrence, in this historical longue dure, amounts to a gigantic extension of the Carnot cycles to the Universe as a whole (cf. Rey 1927, 272, 267 and 278). As does the principle of conservation of energy, eternal recurrence represents a gigantic extrapolation from our empirical knowledge (cf. Rey 1927, 301). Rey, accordingly, does not take eternal recurrence as a possible objection against the second law of thermodynamics, but as a necessary postulate of the kinetic theory of gases. (cf. Rey 1927, 304) The fact that, in an infinite Universe, even the most improbable event can in principle recur infinitely often, does not create any problems. Within a sufficiently long period of time we find every recurrence cycle however 10 improbable it may be. Even an unimaginably long cosmic period of 1010 centuries is nothing compared to the infinite duration of the Universe. On the other hand, each event that occurs only once in every century, that is, at best 10 once during a man’s lifetime, repeats itself 1010 times during the same cosmic period, hence unimaginably often (cf. Rey 1927, 306). This shows what Rey takes as the basic philosophical lesson of recurrence: it renders the relationship between subject and object more precise. This relationship is initially determined by a series of antitheses: “Inconscienceconscience; dterminisme-libert; inertie-activit; […] hasard-finalit; dductible-intuitif: causalit fonctionelle-causalit efficient.” It appears that “retour
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ternel-vieillissement; rversibilit-irrversibilit” (Rey 1927, 285 f.) would represent just another pair. But if one understands eternal recurrence in the sense of statistical mechanics, the contradiction between purely mechanical, (apparently) reversible cycles, among them the planetary orbits, and the constantly progressing stream of consciousness in Bergson’s sense disappears. As a consequence of the radically different time scales, eternal recurrence becomes the measure of the objective: there exists no evolution, but only astronomical revolutions; nothing comes into being and nothing gets lost (cf. Rey 1927, 307 f.). On the other hand, the impossibility of eternal recurrence on the human scale, the empirical validiy of the second law of thermodynamics, constitutes the measure of the subjective. Eternal recurrence thus dwells at the border line between two different though not mutually contradictory realms: the subjective and the objective. Rey’s justification of this distinction by their different modes of temporality leads back to the distinction between historical time and natural time that Becker had advocated in Mathematische Existenz, but that he abandoned – or at least put aside – in his later attempt to objectify Nietzsche’s eternal recurrence.
4. The logical-mathematical proof – in Becker’s reconstruction Given the manifold physical presuppositions of Nietzsche’s first argument and the difficulties to obtain clarity about them, Becker is very glad that Nietzsche has also provided a logical-mathematical proof that is entirely independent of them and “fully developed in all its decisive elements” (Becker 1936, 52). In a nutshell, if there were an end state of the world, or an equilibrium of force (energy), it should have already been reached. Nietzsche’s argument can be found, among others, in the following aphorisms quoted by Becker (1936, 51 f.): Man gehe einmal rckwrts. Htte die Welt ein Z i e l so msste es erreicht sein: gbe es fr sie einen (unbeabsichtigten) E n d z u s t a n d , so mßte er ebenfalls erreicht sein.[…] (NL 1881 11[292], KSA 9, 553) Wre ein Gleichgewicht der Kraft irgendeinmal erreicht worden, so dauerte es noch: also ist es nie eingetreten. Der augenblickliche Zustand w i d e r s p r i c h t der Annahme […,] denn bis jetzt ist schon eine Unendlichkeit verflossen. Wenn das Gleichgewicht mçglich wre, so mßte es eingetreten sein (NL 1881 11[245], KSA 9, 534).
Becker’s reconstruction of the argument rests upon two basic distinctions. 1. A regressus in infinitum and a progressus ex infinito are not the same. Thus one cannot infer the impossibility of the latter from the impossibility of the former. 2. Progressus in infinitum and progressus ex infinito are different; thus it is not possible to infer the impossibility of a progressus ex infinito usque ad certam finem
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(resp. nunc) from the fact that a progressus in infinitum usque ad certam finem (resp. nunc) is inconsistent (Becker 1936, 55).
The first distinction expresses the directedness of time, which, for the phenomenologist Becker, represents a basic property of the concept of time that allows us to conceive being in its presentness. The second distinction, which Nietzsche failed to draw, concerns the absence of a beginning and the absence of an end. To Becker’s mind, both the end of a sequence without a beginning and the beginning of a sequence without an end can be thought without contradiction. Is seems at first glance that Becker is not at all in a position to accept Nietzsche’s line of reasoning. For if an end, or an equilibrium of force, have already been reached because all possible states have already been realized, the past eternity presents itself to us as an actual infinity – not as a Cantorian continuum, it is true, but neither as a countable series of elapsed world states. Becker shows, however, that for the constructivist there exists one and only one possibility to accept the apparently paradoxical and unimaginable concept of a progressus ex infinito usque ad certam finem, “by setting up the infinite course of the world as strictly periodic. For a strictly periodic process can be inverted in thought [vorstellungsmßig] because it consists of course of finite periods (e. g., a b c), which, each in itself, are invertible (into c b a).” (Becker 1936, 57) Then, and only then, is it possible to invert the regressus in infinitum ‘cba, cba, cba, …,’ (symbolically ‘ … abc, abc, abc.’) into a progressus ex infinito usque ad finem (symbolically ‘!… abc, abc, abc.’), by simply inverting the direction in all single finite recurrence periods that taken together make up the infinite course of the world. The first distinction between regressus in infinitum and progressus ex infinito can thus be bridged (cf. Becker 1936, 57). Since in this way the progressus ex infinito usque ad nunc has become thinkable, the Universe has no beginning either: “In a periodic process no point is distinguished, neither among the homologue points of distinct periods, […] nor among the points within the same period. […] Empty time [leere Zeit] itself can be depicted as a process with an ‘infinitely small’ or minimal period ‘…aaaaaaa…’, akin to the ticking of a pocket watch.” (Becker 1936, 59) Becker emphasizes that recurrence not only affects ‘gnoseological’ or ‘phenomenological’ matters, but the ontological state of affairs: “the ‘ontic’ structure of the periodic course of the world is not conceived under the picture of an oscillation (a sinus curve), but of a circle. As Nietzsche put it: ‘Die Zeit selber ist ein Kreis’” (Becker 1936, 58; quote from Z III Rthsel 2, KSA 4, 200). To my mind, however, Becker justifies the ontic structure of the course of the world at least partly by a transcendental argument. For he argues that the past of the Universe can only be thought if it is exclusively composed of finite periods. And this argument rests upon at least two presuppositions, above and !
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beyond Becker’s rejection of the Cantorian continuum. They hark back to the physical assumptions of the first proof that Becker, rightly, considered as difficult to verify. First, the world states are discrete because otherwise the problem to think the past course of events would persist despite periodization. Second, Becker must reject his own probabilistic modification of the physical-cosmological proof and return to a unique causal nexus within all sequences of world states ‘abc etc’. For if after a finite time the world state a would be reached again, but this time along a path different from ‘bc, etc’, the simple inversion of the period as a whole would not be possible and the state a would be distinguished among the world states, against Becker’s declared intention. If, moreover, recurrence were to hold only up to a given small distance in the sense of Poincar’s theorem, then Becker would not be able to iterate his argument infinitely because the small distances could add up to macroscopic dimensions, and the difference marked by the first distinction (between regressus in infinitum and progressus ex infinito) would remain unbridged. If one takes into account that Boltzmann used statistical mechanics to define the direction of time as a macroscopic concept, this failure does not strike as a surprise. Hence, it becomes clear that the logical-mathematical proof is far less independent from the physical facts than Becker claims.
5. Hausdorff-Mongr’s analysis Already in 1893, the freshly minted Doctor of Mathematics Felix Hausdorff realized the untenability of Nietzsche’s argument that the finite number of possible world states could only be exhausted [erfllt] by infinite time if the course of world events was periodic. In a letter to the editor of the Nietzsche papers Kçselitz, the literate and admirer of Nietzsche7 – under the pseudonym Paul Mongr – sketched a dimensional argument about time and space, only to realize in the course of his subsequent mathematical career that it could not be made rigorous and that the point remained surprisingly difficult to pin down against the backdrop of the recent progresses in mathematics. In Sant’ Ilario, Mongr describes eternal recurrence as “a mysterium that excites even as a mere possibility. […] We are not infringing upon this ‘abysmal thought’, if we reject its superficial proof.” (Hausdorff 1897, 448) Mongr’s 1900 paper “Nietzsches Lehre von der Wiederkunft des Gleichen” (Nietzsche’s doctrine of eternal recurrence of the same), takes a much more critical tack against “all those attempts to decipher the enigma of the world with the key of some circle-sphere-ring symbolism.” (Hausdorff 1900, 897) “I do not believe 7
For the close connections between Hausdorff-Mongr’s and the Nietzsche Archive, cf. Stegmaier (2004, 66 – 70).
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that eternal recurrence can be upheld in the usual form, but I do not think that modern philosophy is already beyond thinking such speculations through for their pros and cons. […] If anything, philosophy would be entitled to declare itself as not competent in this case and pass the files on eternal recurrence on to the natural sciences.” (Hausdorff 1900, 897 f.) And this instance decides against eternal recurrence: “within a system left to itself, perfectly cyclic processes are impossible. The cosmos ‘ages’, provided that it is indeed a system left to itself.” (Hausdorff, 1900, 900) Within mechanics recurrence is “extremely improbable, […] it is effectively a statistical and not a deductively necessary result. Here periodicity of the course of the world is at least possible, approximate periodicity, according to a recent theorem of mechanics even certain, but only for a system of finite dimensions and velocities – hence assumptions which are unlikely to be fulfilled for the Universe.” (Hausdorff 1900, 900 f.) Hausdorff was well aware of the mathematical subtleties of Poincar recurrence. And in the Sant’ Ilario – as poetic as the book comes across at many places –, he explicitly characterizes mathematics as the “self-critique of science.” (Hausdorff 1897, 436). In Das Chaos in kosmischer Auslese, he uses a variety of mathematical arguments – some of whom can be made precise while others remain programmatic – for the reductio ad absurdum of any realist metaphysics that postulates a world of ‘things-in-themselves’ independently of our consciousness. “To this end, we take an arbitrary property affecting our world of consciousness, transfer it without modification into the absolutely real and attempt to modify it as strongly as possible, leaving the empirical effect as prescribed and unchanged.” (Hausdorff 1898, 602) In a formal perspective, the objective of this variation is to establish the maximal ambiguity – ideally even an infinite degeneracy – of the absolutely real world for a given empirical content falling into our consciousness.8 Also Nietzsche’s idea of eternal recurrence is treated as a possibility of the transcendent world. More specifically, Mongr investigates the case that we stride along a segment AB of the temporal line (Zeitlinie) in the opposite direction BA. “Can the temporal distance BA be deduced from AB by any inversion of the processes in our consciousness, on the basis of any physiological, chemical or mechanical investigations? … This would amount to a triumph of materialism, the perfect art of intertranslation between processes in consciousness and dynamical equations.” (Hausdorff 1898, 620) And we would not need consciousness to reduce the chaotic manifold of the things-inthemselves, in the sense of a cosmic selection, to the world as it empirically appears to us. 8
As it happens in the case of a scale-invariance of the entire Universe, i. e., if all measures are multiplied by the same factor; cf. Hausdorff (1898, 605).
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Through a detailed though not fully rigorous mathematical critique, Mongr shows that this inversion is not possible. If we subdivide the segment AB in very small parts (1,2,3,…,n–1,n), then we obtain by simple inversion the segment (n,n–1,…,3,2,1), from which we can recover BA in the limit of n!1. But to this end we have to go through the world state as a whole as it is reflected in our consciousness. For “the world state represents an exhausted [erfllte] temporal segment of length zero, while the moment represents an empty” (Hausdorff 1898, 606) one. This transition would require effectively controlling a plethora of complex processes, let alone if we require that it preserves any relationships of higher order, such as spatial shape and the contiguity of interconnected processes, relationships which are required for an organized and conscious being. The materialist translator accordingly must possess an ideal world formula that compensates for the fact that all recurrence arguments are local if not explicitly point-wise. And thus Hausdorff concludes: Out of the same material of world states we can construct two worlds which, understood as purely mechanical phenomena, only differ in their sign , which are seen from the outside by all means identical, and which nonetheless do not permit beings woven into their inner connection any communication across the border. […] As subjective bearers of time we are interlaced into the positive direction of time and excluded from the negative one. (Hausdorff 1898, 622)
Hausdorff-Mongr accordingly insists upon Becker’s first distinction (between regressus in infinitum and progressus ex infinito), and the inversion is not easier for the case of a merely finite segment rather than the unidirectional infinity discussed by Becker. Mongr’s argument, even though far from being mathematically rigorous, seems to me a valid criticism of Becker’s reconstruction of Nietzsche’s logical-mathematical proof. And Hausdorff ’s explication of the concept world state shows that Becker only understands it as a point, rather than corresponding to what Hausdorff has called moment. More generally, Mongr advocates a conception of consciousness that is opposed to Becker’s rejection of the Cantorian continuum. “What is contained in a single moment, is never representation [in the sense of Kant]; the simplest action of consciousness always presupposes infinitely many moments in continuous succession, in short a continuum of world states.” (Hausdorff 1898, 607). From the perspective of our consciousness the inversion is impossible, in a transcendent perspective it is trivial. The observer in the absolute world sees “the persisting substrate of development and change that bears in itself the possibility of an eternal recurrence of the same, […] the reservoir of being whose reality is neither diminished by the lapse of time nor exhausted by the millionfold repetition of this process.” (Hausdorff 1898, 626) Eternal recurrence thus illustrates the atemporality of the temporal substrate. Mongr finally emphasizes the difference between his analysis and Nietzsche’s argument. The latter “refers to the inner structure of the timeline
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(which he imagines as closed and self-recurring), ours holds for each single segment, irrespective of its content. Nietzsche’s hypothesis […] finally succumbs to the judgment of experience, our theorem only talks about a transcendent possibility.” (Hausdorff 1898, 632 f.). Thus in contrast to Becker’s hope, the logical-mathematical proof cannot make up for the lacking physical-cosmological support of Nietzsche’s eternal recurrence. If we accept with Hausdorff the transcendent nature of eternal recurrence, what remains of it basically dwells in the domain specified by Rey, the borderline between the subjective (consciousness) and the objective (nature). Becker’s phenomenological program could not be pleased by such an outcome.
6. Envoi: Eternal recurrence as a thought experiment In this paper I have compared the reconstructions of two different lines of argument that Nietzsche has provided for the eternal recurrence of the same. None of them turned out to be conclusive in the end, there was no straightforward proof or refutation, but through the auhors’ adoption of modern mathematics and physics they have provided more specific insights into basic philosophical problems than does taking eternal recurrence merely as a mystery prompting ethical or phenomenological reflections. What all three authors aspire at is, to my mind, to instantiate Nietzsche’s claim as a thought experiment. Let me explain. The tradition of scientific and philosophical thought experiments is much older than the term itself – which goes back to Hans Christian Ørsted, but has been shaped primarily by Ernst Mach and Albert Einstein. Both the scientific and the philosophical traditions of thought experiments are strongly influenced by prominent examples, ranging from Galileo’s falling bodies to Putnam’s brains in the vat. Thought experiments have always figured prominently where real experiments could not be performed, not least in all brands of physical cosmology. Measured against the speculations of his contemporaries, Nietzsche’s eternal recurrence is not that outlandish – if we set aside its aphoristic presentation. Only during the 20th century has physical cosmology become a science on a par with the other disciplines of physics (cf. Kragh 1999). Thus the projects of Hausdorff, Rey, and Becker were honest attempts at clarification and not simply motivated by their enthusiasm for Nietzsche. Among philosophers, there exists a large variety of opinions whether thought experiments are simply colorful arguments, whether they allow us to intuit Platonic truths, or whether they are merely intuition pumps.9 Yet questions of validity only make sense, once a thought experiment is sufficiently 9
For an overview, see the collection of Horrowitz and Massey (1991).
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specified. Doing so the three scientist-philosophers discussed in the present paper have taken distinct routes that were motivated by their overall philosophical agenda, be it Becker’s constructivism and phenomenology, Rey’s treatment of Cartesian dualism, and Hausdorff ’s “considered empiricism” (cf. Epple 2006). The comparative study has shown that one may take Nietzsche’s eternal recurrence scientific – at least for the sake of philosophical reflection, but only after an appropriate specification, e. g., of the notion of world state. It is true, for present-day scientific cosmologists, Nietzsche’s eternal recurrence has lost virtually all interest. This only speaks for its close connection to the history of empirical science.
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„Ewig rollt das Rad des Seins“: Der ,Ewige-Wiederkunfts-Gedanke‘ und seine Aktualitt in der modernen physikalischen Kosmologie Rdiger Vaas „…es kehret alles wieder. Und was geschehen soll, ist schon vollendet.“ (Friedrich Hçlderlin, Empedokles)
Die Vorstellung von einer Ewigen Wiederkehr des Gleichen ist uralt. Friedrich Nietzsche hat sie bernommen, radikalisiert und vor allem ihre anthropologischen, psychologischen und existenziellen Aspekte ausgelotet, im Nachlass aber auch als physikalische Hypothese formuliert. Nachdem das physikalische Weltbild der Statistischen Mechanik die Ewige Wiederkehr noch zu Nietzsches Lebzeiten denkbar oder sogar wahrscheinlich machte – allerdings unter anderen Prmissen –, geriet sie in der Kosmologie mit der Entdeckung der Expansion und Evolution des Alls sptestens seit den 1960er-Jahren in Misskredit, weil sie mit der Urknall-Hypothese kaum zu vereinbaren schien. Umso berraschender ist es daher, dass in der aktuellen physikalischen Kosmologie eine zeitliche und / oder rumliche Ewige Wiederkehr erneut unvermeidlich erscheint – jedenfalls im Rahmen mehrerer unabhngiger und berdies konkurrierender kosmologischer Modelle, die die Urknall-Theorie erweitern. Dies bedeutet auch eine neue Aktualitt Nietzsches: Der ,Ewige-Wiederkunfts-Gedanke‘ und seine Implikationen sind wichtiger denn je fr ein Verstndnis der Welt, in der wir leben.
1. Nietzsches ,Gedanke der Gedanken‘: Die Ewige Wiederkunft des Gleichen 1.1. Die Niederkunft der Wiederkunft Das neue Schwergewicht: die ewige Wiederkunft des Gleichen. Unendliche Wichtigkeit unseres Wissen’s, Irren’s, unsrer Gewohnheiten, Lebensweisen fr alles Kommende. Was machen wir mit dem Reste unseres Lebens – wir, die wir den grçssten Theil desselben in der wesentlichsten Unwissenheit verbracht haben? Wir lehren die Lehre – es ist das strkste Mittel, sie uns selber einzuverleiben. Unsre Art Seligkeit, als Lehrer der grçssten Lehre,
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notierte Friedrich Nietzsche „Anfang August 1881 in Sils-Maria, 6000 Fuss ber dem Meere und viel hçher ber allen menschlichen Dingen! –“ (NL 1881 11[141], KSA 9, 494). Noch Jahre spter erinnerte er sich in seiner Autobiographie Ecce Homo, wie er „an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wlder“ ging: „bei einem mchtigen pyramidal aufgethrmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke“ (EH Bcher Z 1, KSA 6, 335). Bereits vier Wochen spter begann er mit der Skizze eines neuen Werks, in dem er „Fi n g e r z e i g e z u e i n e m n e u e n L e b e n “ darstellen wollte, und das er mit dem Arbeitstitel „Mittag und Ewigkeit“ berschrieb (NL 1881 11[195], KSA 9, 519), woraus sich spter in anderer Form sein Buch Also sprach Zarathustra entwickelte. Doch Nietzsche zçgerte. Er wollte zunchst „nichts verlauten lassen“ und sich „in einer unerschtterlichen Ruhe erhalten“, wie er am 14. August 1881 an Heinrich Kçselitz schrieb (KSB 6, 112), und gestand diesem Monate spter in einem Brief vom 25. Januar 1882, dass er „noch nicht reif genug“ fr den Gedanken sei, ein Gedanke, „der in der That ,Jahrtausende‘ braucht, um etwas zu w e r d e n . Woher nehme ich den Mut ihn auszusprechen!“ (KSB 6, 159; vgl. NL 1881 11[158], KSA 9, 503). Sich selbst mahnte Nietzsche: Hten wir uns, eine solche Lehre wie eine plçtzliche Religion zu lehren! Sie muß langsam einsickern, ganze Geschlechter mssen an ihr bauen und fruchtbar werden, – damit sie ein großer Baum werde, der alle noch kommende Menschheit berschatte (NL 1881 11[158], KSA 9, 503).
Er „rang nach dem Muth“, diesen Gedanken „sich selbst und den Menschen als unumstçßliche Wahrheit in seiner ganzen Tragweite zu gestehen“, beschrieb er spter Lou Andreas-Salom, die von Nietzsche im August 1882 eingeweiht worden war. „Unvergeßlich sind mir die Stunden, in denen er ihn mir zuerst, als ein Geheimnis, als Etwas, vor dessen Bewahrheitung und Besttigung ihm unsagbar graue, anvertraut hat: nur mit leiser Stimme und mit allen Zeichen des tiefen Entsetzens sprach er davon“ (Andreas-Salom 1894, 255; kritisch dazu Brusotti 1997, 373 f.). Was dann folgte, lsst sich als eine behutsam stufenweise Annherung verstehen, eine langsame und raffinierte publizistische Vorbereitung. Die Frçhliche Wissenschaft vom August 1882 schließt mit dem ,Gedanken der Gedanken‘ und dem Auftritt Zarathustras (fast wçrtlich spter in dessen Vorrede bernommen), wobei der Gedanke aber von einem Dmon im Konjunktiv geußert wird (FW IV 341, KSA 3, 570). Auch im Sommer 1883 betont Nietzsche den Schrecken des Gedankens – „ein Wirbel wird es selbst deinen Gebeinen sein und Erbrechen deinem Magen“ (NL 1883 12[6], KSA 10, 401) – und will ihn im Herbst 1883 noch nicht im 3. Teil des Zarathustra aussprechen, nur vorbereiten (NL 1883 16[63], KSA 10, 520). Zwar berlegt Nietzsche es sich anders, doch wird der Gedanke in dem im Mrz 1884 erschienenen Werk zunchst als „Rthsel“
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eingefhrt, mit dem sich Zarathustra den Gedanken selbst klarmachen muss (Z III, KSA 4, 199 – 202, 274). Dann sind es seine Tiere, die ihm sein „grosses Schicksal […], das noch keines Menschen Schicksal war“, mitteilen, „d e r L e h r e r d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t “ zu sein (Z III Genesende, KSA 4, 275 f.). Seine Tiere sind es auch, die den Gedanken zunchst nher erlutern, bis Zarathustra sich dazu bekennt (vgl. Z III Genesende, KSA 4, 275 ff.).1 Im selben Jahr plant Nietzsche ein weiteres Buch mit dem Titel „Die ewige Wiederkunft“ (NL 1884 25[227], KSA 11, 73) beziehungsweise „Philosophie der ewigen Wiederkunft“ (NL 1884 26[259], KSA 11, 218). Auch in den folgenden Jahren, das belegt Nietzsches Nachlass, bleibt das Thema prsent. So ist „D i e n e u e We l t - C o n c e p t i o n “ noch im Frhjahr 1888 ein Gegenstand intensiver Erçrterung (NL 1888 14 [188], KSA 13, 374ff ) und war fr Nietzsche keineswegs nachrangig oder gar berwunden, obschon im noch publizierten Werk kein Thema mehr. Fr Nietzsche – dessen Zarathustra einen „Abgrund der Zukunft“ erçffnen soll, aus dem der Leser „mit einem andern Gesichte wieder zur Welt“ zurckkommt (so in einem Brief an Erwin Rohde vom 22. Februar 1884, KSB 6, 479) – ist die Lehre der Wiederkehr „der We n d e p u n k t d e r G e s c h i c h t e “ (NL 1883 16[49], KSA 10, 515), der, so in in einem Brief an Franz Overbeck „die Geschichte der Menschheit in zwei Hlften spaltet“ (an Overbeck 8. 3. 1884, KSB 6, 485). In Ecce Homo, von Giorgio Colli im Nachwort als „berreizte Betrachtung der eigenen Person“ gewertet (KSA 6, 456), schreibt Nietzsche sogar: „Es ist kein Augenblick in dieser Offenbarung der Wahrheit, der schon vorweggenommen, von Einem der Grçssten errathen worden wre“ (EH Bcher Z 6, KSA 6, 343).2 1
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Es ist unklar, ob Nietzsche „Wiederkunft“ und „Wiederkehr“ exakt synonym verwendet hat. Der erste Begriff ist jedenfalls signifikant hufiger; er kommt im gesamten Werk ab 1881 insgesamt 109 Mal vor, als Gedanke 23 Mal, als Lehre 22 Mal. „Wiederkehr“ dagegen erscheint 33 Mal, als „ewige Wiederkehr“ 8 Mal, als Lehre 2 Mal (Ottmann 2000, 223). Fr eine Nichtaustauschbarkeit der Begriffe hat Michael Skowron argumentiert: „Die Zuordnung der Wiederkunft zur Zukunft und der Wiederkehr zur Vergangenheit ergibt sich auch aus der Betrachtung der Wortfamilien, denen beide Worte zugehçren. Whrend die Wiederkunft zur Wortfamilie von Zukunft, Rckkunft, Ankunft, Herkunft und den entsprechenden Verben mit der Wurzel ,kommen‘ gehçrt, steht die Wiederkehr neben Worten wie Heimkehr, Rckkehr, Einkehr, Umkehr mit den entsprechenden Verben und ihrer Wurzel ,kehren‘. Wiederkehren ist ein wiederholtes Umschlagen, Werden oder Kehren von solchem, das schon war, Wiederkommen ein zukunftsorientiertes wiederholtes auf uns Zu-, bei uns An- und zu uns Her- und Zurckkommen von solchem, das noch aussteht“ (Skowron 2004, 79). Freilich ist der Grundgedanke uralt und findet sich nicht nur in der asiatischen Religion und Philosophie, sondern auch im antiken Griechenland, vielleicht bei den Pythagorern und dem von Nietzsche verehrten Heraklit, die Quellenlage ist unklar, recht deutlich in der Stoa (siehe z. B. Harders 2007 und schon Borges 1936). Sicherlich sind die Prmissen andere als bei Nietzsche, und wie ,exakt‘ die Wiederkehr gedacht wurde, lsst sich auch schwer sagen. Doch schon vor Nietzsches Vision bei Sils-Maria wurde ber unendliche
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1.2. Nietzsches Physik der Ewigen Wiederkunft Der Gedanke beziehungsweise die Lehre von der Ewigen Wiederkunft erscheint in Nietzsches publiziertem Werk kryptisch und vielseitig interpretierbar,3 wobei sich verschiedene Deutungen keineswegs alle notwendig gegenseitig ausschließen. Nietzsche beschftigten vor allem die anthropologischen, psychologischen und existenziellen Aspekte (EH Bcher Z 6, KSA 6, 344 f.), etwa die Frage nach einer hçchsten Bejahung („Amor fati“, NL 1881 16[22], KSA 9, 664). Insofern ist die Ewige Wiederkunft sicherlich ein Gedankenexperiment (aber mehr als nur eine Spielerei). Sie ist als Gegenentwurf zur Parusie, der einmaligen, nicht sinn- und ziellos gedachten Wiederkunft von Jesus Christus, auch eine Provokation. Und sie lsst sich als regulative Idee betrachten, die das Leben und eine neue Ethik prgen und prfen soll. Darber hinaus ist die Ewige Wiederkunft auch als metaphysische Annahme interpretierbar (insofern sie nicht verifizierbar ist) und / oder als eine physikalische Hypothese. Tatschlich stehen fr Nietzsche die physikalisch-kosmologischen Aspekte im Nachlass eindeutig im Vordergrund, obwohl er dazu nie etwas verçffentlicht hat – was nicht heißt, dass er es nicht vorhatte. Er betrachtete die Ewige Wiederkunft (trotz oder sogar gerade wegen seiner vielfachen Wissenschaftskritik) als die „w i s s e n s c h a f t l i c h s t e aller mçglichen Hypothesen“ (NL 1886 – 1887 5 [71], KSA 12, 213). Um sie zu erhrten, hatte er sogar erwogen, „an der Wiener oder Pariser Universitt zehn Jahre ausschließlich Naturwissenschaften zu studieren. Erst nach Jahren absoluten Schweigens wollte er dann, im Fall des gefrchteten Erfolges, als der Lehrer der ewigen Wiederkunft unter die Menschen treten“, erinnerte sich Lou Andreas-Salom (1894, 257). Bereits in Basel hatte Nietzsche viel naturwissenschaftliche Literatur gelesen (das zeigen unter anderem Dokumente der Zentralbibliothek-Ausleihe), aber auch spter (teils noch in Nietzsches Bibliothek in Weimar belegbar). So entlieh er sich von Kçselitz im April 1881, noch vor der Vision von Sils-Maria, Robert
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Wiederholungen des Gleichen spekuliert, so in L’ternit par les asters (1872) von LouisAuguste Blanqui und in den 1779 posthum publizierten Dialogues Concerning Natural Religion von David Hume, die Nietzsche in einer deutschen bersetzung kannte. Darin heisst es: „Instead of supposing matter infinite, as Epicurus did; let us suppose it finite. A finite number of particles is only susceptible of finite transpositions: And it must happen, in an eternal duration, that every possible order or position must be tried an infinite number of times. This world, therefore, with all its events, even the most minute, has before been produced and destroyed, and will again be produced and destroyed, without any bounds and limitations. No one, who has a conception of the powers of infinite, in comparison of finite, will ever scruple this determination“ (Hume 1779, 58 f.). Z.B. Abel (1984); Becker (1963); Dries (2008); Gerhardt (2000); Harders (2007); Kain (1983); Knodt (1987); Loeb (2006); Loeb (2010); Lçwith (1935); Niemeyer (2007); Ottmann (1987); Small (2006); Villwock (2001).
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Mayers Buch Die Mechanik der Wrme (in dem der Energieerhaltungssatz beschrieben ist). Und nach seiner Vision kaufte er sich unter anderem Die Kraft von Johann Gustav Vogt (Leipzig 1878) und die Zweitauflage von Johann Carl Friedrich Zçllners Buch Ueber die Natur der Cometen (Leipzig 1870, 2. Aufl. 1872, 3. Aufl. 1883), das er ab 1872 schon in Basel entliehen hatte. Diese populrwissenschaftlichen Bcher von Vogt und Zçllner waren es auch, aus denen Nietzsche die Prmissen entnahm, beziehungsweise entwickelte, die seiner Argumentation – und eben nicht bloßen Behauptung – fr die Ewige Wiederkunft zugrunde lagen (vgl. Harders 2007; Loeb 2006; Small 2006; Small 2010). Nietzsches Prmissen, die durchaus physikalisch-kosmologisch gemeint waren, lassen sich folgendermaßen rekonstruieren: (1) unendliche (unbegrenzte) Zeit in Vergangenheit und Zukunft, (2) endliche und unvernderliche Quantitt der Materie, und (3) unbegrenzter, aber endlicher Raum. Fr die unbegrenzte Zeit spricht Nietzsche zufolge ihre mathematische Beschreibung als potenzielle Unendlichkeit,4 zumal es bei einem absoluten Anfang einen Widerspruch zum Satz vom zureichenden Grunde und also einen willkrlichen Abbruch und somit keine wissenschaftliche berprfbarkeit gbe, sondern der Glaube an einen Schçpfergott notwendig wrde (NL 1881 11[311], KSA 9, 561).5 Die endliche Materie beziehungsweise Energie – sowohl in der Menge als auch in der Zahl der Zustnde6 – war bei Nietzsche nicht als klassischer Atomismus gedacht, stattdessen ging er – angeregt von Rugjer Josip Bosˇkovic´ – von „Kraftzentren“ aus (Nheres bei Abel 1984, 83 ff.). Damit verband er auch eine endliche Gesamtenergie oder Kraft des Universums, nahm weder eine unendlich kleine noch unendlich große Materiedichte an und auch keine fortwhrende Neuschçpfung, da diese dem Satz vom zureichenden Grund und Energieerhaltungssatz widersprechen wrde und zu einer unendlichen Menge in unendlicher Zeit fhren msste.7 Daraus folgerte er, dass ein (thermodynamisches) Gleichgewicht und ein Aufhçren von Vernderungen unmçglich sei, denn sonst wre es in unendlicher Zeit lngst erreicht worden.8
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Vgl. NL 1883 16[63], KSA 10, 521; NL 1888 14[188], KSA 13, 375. Ein non sequitur, zumindest aus heutiger Perspektive, da absolute Anfangskosmologien keines Schçpfers bedrfen (siehe z. B. Hawking 1988; Vilenkin 2006; McInness 2012; Vaas 2011c). Vgl. NL 1881 11[245], KSA 9, 534; NL 1881 11[269], 544; NL 1881 11[305], 558; NL 1888 14[188], KSA 13, 376. Vgl. NL 1881 11[213], KSA 9, 525; NL 1881 11 [245], 534; NL 1886 5 [54], KSA 12, 205. Vgl. NL 1881 11[245], KSA 9, 534; NL 1885 35[55], KSA 11, 537; NL 1888 14[188], KSA 13, 375.
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Der endliche Raum ist Nietzsche zufolge nçtig, um eine vçllige Zerstreuung oder ein Totlaufen der Krfte zu verhindern (NL 1885 35[54], KSA 11, 536). In Anlehnung an die unter anderem von Bernhard Riemann entwickelte nichteuklidische Geometrie (dessen Habilitationsvortrag von 1854, Ueber die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen, war 1868 aus dem Nachlass gedruckt worden) erschienen endliche und zugleich unbegrenzte, weil positiv gekrmmte Rume mçglich (wie ihnen 1917 dann Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativittstheorie ein modernes physikalisches Fundament gab). So schrieb Nietzsche am 23. Juli 1885 an Kçselitz, er halte einen „,endlichen‘ d. h. bestimmt gestalteten R a u m fr unabweislich“ (KSB 7, 69). Aus diesen Prmissen folgerte Nietzsche – unter der zustzlichen Annahme, dass nicht einfach der Zufall regiert, sondern es universelle, ewige Naturgesetze gibt (NL 1881 11[311], KSA 9, 560 f.) –, dass sich endliche Materie- und Energiezustnde in unendlicher Zeit unendlich oft wiederholen. Alle Mçglichkeiten beziehungsweise Zustnde mssen also unendlich oft realisiert werden.9 Dies ist die Konsequenz einer ziel- und sinnlosen, blinden, aber nicht rein zuflligen oder gesetzlosen Kombinatorik. Wenn die Welt als bestimmte Grçße von Kraft und als bestimmte Zahl von Kraftcentren gedacht werden darf – und jede andere Vorstellung bleibt unbestimmt und folglich unbrauchbar – so folgt daraus, daß sie eine berechenbare Zahl von Combinationen, im großen Wrfelspiel ihres Daseins, durchzumachen hat. In einer unendlichen Zeit wrde jede mçgliche Combination irgendwann einmal erreicht sein; mehr noch, sie wrde unendliche Male erreicht sein. Und da zwischen jeder ,Combination‘ und ihrer nchsten ,Wiederkehr‘ alle berhaupt noch mçglichen Combinationen abgelaufen sein mßten und jede dieser Combinationen die ganze Folge der Combinationen in derselben Reihe bedingt, so wre damit ein Kreislauf von absolut identischen Reihen bewiesen: die Welt als Kreislauf der sich unendlich oft bereits wiederholt hat und der sein Spiel in infinitum spielt (NL 1888 14[188], KSA 13, 376).
2. Statistische Mechanik: Wiederkunft und Entropie Nietzsche besaß, das zeigen seine Notizen, ein gutes Gespr fr die Probleme und Implikationen der Thermodynamik, obwohl er nur ein eingeschrnktes Verstndnis von ihr hatte und ihre Fundierung durch die Statistische Mechanik nicht mehr rezipieren konnte. Die maßgeblich von Robert Mayer, Hermann von Helmholtz, Nicolas Lonard Sadi Carnot, Rudolf Clausius, James Clerk Maxwell und Ludwig Boltzmann entwickelte Thermodynamik (vgl. Brush
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Vgl. NL 1881 11[148], KSA 9, 498; NL 1881 11[152], KSA 9, 500; NL 1888 14 [188], KSA 13, 376.
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1983; Carroll 2010) hat bis heute eine zentrale Rolle in der Diskussion um die Ewige Wiederkunft in Philosophie, Physik und Kosmologie. Zwar scheint der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (thermische Energie ist nicht in beliebigem Maß in andere Energiearten umwandelbar; die Entropie als physikalisches Maß fr die Unordnung nimmt statistisch nicht ab) eine Ewige Wiederkehr auszuschließen, doch ist das in endlosen Zeitrumen keineswegs zwingend der Fall. Dies wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt. So gelangen dem 1890 von Jules Henri Poincar verçffentlichten Wiederkehrtheorem zufolge bestimmte Systeme in endlicher Zeit beliebig oft an einen Zustand zurck, der einem frheren Zustand sehr nahe kommt. (Es sind geschlossene dynamische Systeme, genauer: durch Differentialgleichungen beschriebene autonome Hamiltonsche Systeme in mindestens drei Dimensionen, deren Phasenraum ein endlichen Volumen hat.) Poincar-Wiederkehrzeiten sind in der Regel extrem lang – fr ein makroskopisches Objekt typischerweise 1024 Sekunden (zum Vergleich: der Urknall geschah vor etwa 4·1017 Sekunden). Bei speziellen Randbedingungen kçnnen die Wiederkehrzeiten allerdings sehr viel krzer sein (Crutchfield u.a. 1986). Zeit ist in einem als ewig und statisch konzipierten Universum ohnehin kein begrenzender Faktor. Schon zuvor hatte Johann Josef Loschmidt (1876) argumentiert, dass aus einer symmetrischen Dynamik eigentlich keine irreversiblen Prozesse resultieren kçnnen.10 Denn die bekannten fundamentalen Naturgesetze sind zeitumkehrinvariant, das heißt symmetrisch bezogen auf die Zeit – sie enthalten keinen Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit. Dies scheint im Widerspruch mit dem Zweiten Hauptsatz zu stehen, demzufolge die Entropie statistisch nur zunehmen kann, bis sie ein Maximum erreicht. Aber auch das ist eine probabilistische Aussage. So machte Boltzmann in seiner Ergoden-Hypothese, die spter durch die Quasi-Ergodenhypothese eingeschrnkt wurde, bereits vor Poincar deutlich, dass der Zweite Hauptsatz mit einer Ewigen Wiederkehr keineswegs unvertrglich ist. Die Quasi-Ergodenhypothese der Statistischen Mechanik (Birkhoff 1931, von Neumann 1932) besagt: Thermodynamische Systeme verhalten sich in der Regel extrem chaotisch (,molekulares Chaos‘), sodass bei gegebener Energie alle Phasenraum-Volumenelemente des Systems ber einen langen Zeitraum verteilt gleich wahrscheinlich sind und die Trajektorie jedem Punkt im Phasenraum beliebig nahe kommt. Der ursprngliche Ergodenhypothese von Boltzmann (1871) und Maxwell (1879) zufolge sollte die Bahn des Systems sogar jeden Punkt erreichen. Somit geschieht praktisch alles, was mçglich ist – und zwar mit beliebig langer Zeit beliebig oft. (Zu einer Ergodizittsbrechung kann es allerdings durch Phasenbergnge kommen, also bei spontanen Symmetriebrechungen, die zu disjunkten Bereichen im Phasenraum fhren.) 10 Ein bis heute umstrittenes Problem, siehe Mersini-Houghton/Vaas (2012).
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Auch spter (Boltzmann 1896, 773), gegen einen Einwand von Ernst Zermelo, betonte Boltzmann den statistischen Charakter der Thermodynamik – dass nmlich „der zweite Hauptsatz vom molekulartheoretischen Standpunkte ein bloßer Wahrscheinlichkeitssatz ist“. Daher kann sich zwar lokal oder sogar global ein thermodynamisches Gleichgewicht einstellen, doch dies ist nicht notwendig stabil. Lokale Fluktuationen erzeugen ein neues Ungleichgewicht und gleichsam zufllige Inseln der Ordnung. Tatschlich interpretierte Boltzmann (1895) das beobachtbare Universum als eine solche Schwankung im Chaos eines unendlichen und ewigen Kosmos – als „Weltinsel“, wie es Alexander von Humboldt im ersten Band von Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung (Humboldt 1845, 92) nannte. Diese Idee kommt Nietzsches Vorstellung von der Ewigen Wiederkehr durchaus nahe, obwohl sie auf anderen physikalischen Prmissen basiert (dem Atomismus, der Erreichbarkeit eines Gleichgewichts, allerdings nur vorbergehend, und einem ungekrmmten unendlichen Raum).
3. Die Ewige Wiederkunft in der modernen Kosmologie 3.1. Drei Arten der Wiederkunft von allem, was mçglich ist In der modernen Kosmologie kann sich eine Ewige Wiederkunft des Gleichen raumzeitlich prinzipiell auf drei Arten vollziehen: Als repetitive globale Zustandswiederholung in der Zeit, wie Nietzsche sie sich vorstellte; als periodische lokale Wiederholung im unendlichen Raum (wobei die temporale Vergleichbarkeit irrelevant ist, weil aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit keine universelle Gleichzeitigkeit existiert); und als raumzeitliche Verzweigung und somit Vervielfachung des Gleichen. In allen Fllen wrden im Rahmen der physikalischen Randbedingungen alle mçglichen (finiten) Zustnde und Ereignisse realisiert, wie Nietzsche es ebenfalls dachte, wobei indeterministische Entwicklungen (etwa ber akausale „Quantensprnge“) die Variationsbreite zwar vergrçßern, nicht aber raumzeitliche Wiederholungen verhindern kçnnen. Wenn also eine Ewige Wiederkunft der Fall ist, dann hat jeder von uns nicht nur unendlich viele identische Doppelgnger in Raum und / oder Zeit, sondern es existieren berdies alle physikalisch mçglichen Varianten von ihnen. Und dieser Text ist dann selbstverstndlich ebenfalls keineswegs einzigartig und originell.
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3.2. Urknall, Oszillationen und Wrmetod Das wissenschaftliche – und in der Folge auch naturphilosophische – Weltbild nderte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts drastisch. Zum einen stellte die Quantentheorie mit der Heisenbergschen Unschrferelation und den verschrnkten Zustnden den ontologischen Determinismus und die Lokalitt infrage (ob diese wichtigen Prinzipien der klassischen Physik wirklich ungltig sind und wie die Quantenrealitt zu interpretieren ist, wird allerdings bis heute kontrovers diskutiert; siehe z. B. Vaas 2001a, Vaas 2004a). Zum anderen revolutionierten die Spezielle und die Allgemeine Relativittstheorie die Auffassungen von Raum, Zeit, Masse, Energie und Gravitation und schufen die mittlerweile hervorragend besttigten Grundlagen fr die moderne Kosmologie. Seit Albert Einstein (1917) die Allgemeine Relativittstheorie auf das Universum als Ganzes anwandte, wurde deutlich, dass der Raum unter realistischen Bedingungen nicht statisch sein kann, sondern entweder kollabiert oder – wie astronomische Messungen der Galaxienbewegungen bald besttigten – expandiert. Damit wurde es problematisch, ob und inwiefern sich der Erste und Zweite Hauptsatz der Thermodynamik berhaupt noch auf das All als Ganzes anwenden lassen. Das stellte auch eine Ewige Wiederkunft infrage. Dem Standardmodell der Kosmologie zufolge ist das beobachtbare Universum weder statisch noch ewig, sondern entstand vor endlicher Zeit mit dem Urknall: vor etwa 13,7 Milliarden Jahren. Seither dehnt es sich aus und verndert sich irreversibel. Aus geringen Dichteschwankungen des Urgases formten sich Sterne und Galaxien. Aber diese werden nicht ewig leuchten, sondern wieder erlçschen. Die ferne Zukunft wird daher anders aussehen als die Vergangenheit – egal, ob sich das Universum ewig ausdehnt und alles nach und nach zerfllt, oder ob es sich irgendwann wieder zusammenzieht und gleichsam selbst verschlingt (Vaas 2012b). Freilich kann auch im Rahmen dynamischer Raumzeit-Modelle ber eine Ewige Wiederkunft spekuliert werden. Tatschlich hat Georges Lematre schon 1933 ein Phçnix-Modell vorgeschlagen, demzufolge ein rumlich geschlossenes Universum aufgrund seiner berkritischen Materiedichte zu einem Endknall kollabiert und daraufhin in einem nchsten Urknall wie Phçnix aus der Asche aufs Neue entsteht, expandiert, wieder in sich zusammenstrzt, sich erneut ausdehnt und immer so weiter (der Begriff ,Urknall‘, ,big bang‘, wurde allerdings erst spter geprgt). Aus dieser universalen Wiederkehr wrde aber nur unter zustzlichen Bedingungen wie einer endlichen Zahl verschiedener mçglicher Zustnde auch eine – mindestens lokale – Ewige Wiederkunft des Gleichen folgen. Doch thermodynamische Abschtzungen von Richard Chase Tolman (1934) machten bald deutlich, dass sich ein solches oszillierendes Universum nicht unendlich oft perpetuieren kann. Denn mit jedem neuen Zyklus msste sich das Verhltnis von Strahlung zu Materie erhçhen, also auch
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die Entropie, sodass jeder Zyklus etwas lnger andauern wrde als sein Vorgnger. Somit bruchte sich die Reihe der Zyklen weder ewig in die Vergangenheit zu erstrecken noch in die Zukunft. Inzwischen zeigten astronomische Messungen allerdings, dass die Materiedichte keineswegs ausreicht, um einen knftigen Kollaps der Raumzeit zu bewirken. Im Gegenteil, der Weltraum scheint sich seit etwa sechs Milliarden Jahren sogar immer schneller auszudehnen. Wenn auf großen Skalen sowohl die Allgemeine Relativittstheorie gilt als auch das Kopernikanische Prinzip (Homogenitt und Isotropie der Materieverteilung und Naturgesetze), dann lsst sich die beschleunigte Expansion gegenwrtig nur durch eine effektiv antigravitativ wirkende Dunkle Energie erklren, deren Natur allerdings rtselhaft ist (Vaas 2012b). Die einfachste Hypothese dafr ist die schon von Einstein (1917) eingefhrte Kosmologische Konstante, doch es gibt viele weitere Anstze. Von der Natur der Dunklen Energie hngt entscheidend die knftige Entwicklung des Alls ab. Es gibt eine verwirrende Flle neuer Mçglichkeiten: So kçnnte der Weltraum ewig (beschleunigt) weiter expandieren oder doch kollabieren oder sich sogar fçrmlich selbst zerreißen, gleichsam bewegungslos einfrieren, seinen Energiezustand plçtzlich ndern oder sich durch ein Wurmloch in ein anderes Universum oder in die Vergangenheit katapultieren (Vaas 2012b). Welche Mçglichkeit zutrifft, lsst sich gegenwrtig nicht entscheiden. (Selbst eine positive Kosmologische Konstante macht eine ewige Expansion nicht zwingend, falls es weitere Effekte gibt, die letztlich berwiegen.) Die Existenz der Dunklen Energie birgt auch die Mçglichkeit fr eine Ewige Wiederkunft – wie es außerdem mehrere ambitionierte, noch spekulative und voneinander unabhngige (und somit miteinander konkurrierende) Erklrungsmodelle fr den Urknall tun. Tatschlich lsst sich die ferne Zukunft wohl nur mithilfe eines besseren Verstndnisses der Vergangenheit prognostizieren. Und in der Mehrzahl der hypothetischen kosmologischen Szenarien scheint eine (lokale, nicht unbedingt globale) Ewige Wiederkunft des Gleichen sogar unvermeidlich zu sein. Diese Aktualitt des Wiederkunfts-Gedankens ist nicht nur ein zustzliches Argument, ihn philosophisch und physikalisch ernst zu nehmen sowie eingehender zu erforschen, sondern kann auch dazu motivieren, Nietzsches weiterfhrende berlegungen hierzu gleichsam im neuen (oder wiederkehrenden) Licht zu rezipieren und zu vertiefen – existenzielle, anthropologische und ethische Aspekte inbegriffen. 3.3. Doppelgnger und die Wiederkehr der Wiederkehr Erste Wiederkehr-Gedanken im Rahmen der relativistischen Kosmologie eines nicht-oszillierenden Universums haben George Ellis und Geoffrey Brundrit (1979) publiziert. Etwas verkrzt lautet ihr Argument: Wenn (1) das Weltall
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homogen ist, auch hinsichtlich der Naturgesetze, (2) der Raum unendlich groß ist (flach oder hyperbolisch) und (3) keine kompakte Topologie besitzt, (4) die Menge mçglicher Lebensformen, Molekl-Konfigurationen und so weiter finit ist wie auch (5) deren Grçße (aufgrund des Partikelhorizonts), dann muss es unendlich viele Galaxien und sogar exakte Doppelgnger von uns und alle mçglichen Varianten geben, da die Wahrscheinlichkeit ihrer Entstehung grçßer als Null ist. (Die Unschrferelation ndert nichts an der Argumentation, auch wenn sie gegen einen Determinismus spricht, also gegen stets eindeutige Entwicklungen.) Die Wiederkehr-Implikation wre vermeidbar, wenn das Kopernikanische Prinzip falsch (also das Weltall inhomogen) ist oder wenn der Raum eine kompakte Topologie hat (also endlich ist) oder wenn Leben nicht physikalisch beziehungsweise gemß wissenschaftlich beschreibbarer Wahrscheinlichkeiten entsteht. Unabhngig davon – aber nicht notwendig im Widerspruch dazu – wurde der Wiederkehr-Gedanke 2001 von Jaume Garriga und Alex Vilenkin wiederentdeckt.11 Ihr Argument: Wenn (1) die Raumzeit unendlich ist und wenn (2) die Unschrferelation der Quantentheorie gilt, sodass es effektiv nur diskrete physikalische Zustnde gibt und damit eine finite Zahl verschiedener Zustnde in einem endlichen Volumen, dann ist alles physikalisch Mçgliche auch wirklich; somit werden alle endlichen Zustnde realisiert, und zwar sogar unendlich oft. Prmisse (2) ist nach dem gegenwrtigen Kenntnisstand sogar gltig, wenn es sogenannte verborgene Variablen gbe, die eine deterministische Struktur ,unterhalb‘ der Quanten-Beschreibungsebene reprsentieren. Prmisse (1) trifft nicht nur fr einen unendlichen Raum mit einer Materiedichte von hçchstens dem kritischen Wert zu, sondern folgt auch aus dem Szenario der Kosmischen Inflation, insofern diese zukunftsewig ist. Die Inflation fhrt zu einer exponentiellen Expansion, was zahlreiche kosmologische Probleme lçst und selbst eine anfnglich kleine Raumregion riesig und geometrisch nahezu flach macht (Vaas 2008a). Wenn die Inflation nur lokal aufhçrt (etwa aufgrund eines Zerfalls des sie antreibenden Felds, was der Materieentstehung eines Urknalls entsprche), bilden sich zahllose endliche Blasenuniversen im ringsum exponentiell weiterexpandierenden inflationierenden Vakuum. Diese sich viel langsamer ausdehnenden Blasenuniversen kçnnen rumlich geschlossen sein und von innen dennoch unendlich erscheinen. Dies wre Garriga und Vilenkin (2001) zufolge hinreichend fr Prmisse (1), selbst wenn andere Blasenuniversen unterschiedliche Naturkonstanten oder -gesetze htten und dort keine Wiederkehr ,unserer‘ Zustnde mçglich wre.12 11 Siehe auch Knobe/Olum/Vilenkin (2006); Vilenkin (2006); Vaas (2001b). 12 Kritische berlegungen bei Coule (2003); Ellis/Stoeger (2009).
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Unabhngig davon, ob durch die Inflation Myriaden von Blasenuniversen mit anderen physikalischen Bedingungen entstehen oder nicht, ist gemß des Szenarios der Kosmischen Inflation unser beobachtbares All nur ein winziger Teil eines gigantischen Universums; und dies wre wiederum nur ein Blasenuniversum unter potenziell unendlich vielen, falls die Inflation zukunftsewig ist (selbst wenn sie einen ,globalen‘ Anfang besitzt). Damit sind alle physikalisch mçglichen finiten Varianten realisiert, und zwar (mindestens potenziell) unendlich oft. Zur Illustration stelle man sich unendlich viele rumlich finite Halma-Spiele vor – hier mssen sich alle mçglichen Stellungen der Figuren zueinander auch unendlich oft wiederholen. Max Tegmark (2004) hat sogar die Distanz unseres nchsten persçnlichen Doppelgngers abgeschtzt, der bis zur Quantenebene genau mit uns identisch ist: unvorstellbare, aber doch endliche 10 hoch 10 hoch 29 Meter. Und die nchste exakte Doppelgnger-Erde mit einer Umgebung von 100 Lichtjahren ringsum wre 10 hoch 10 hoch 91 Meter entfernt, das nchste Doppelgnger-Hubble-Volumen (ein Raum so groß wie unser beobachtbares All) 10 hoch 10 hoch 115 Meter. Diese Duplikate befinden sich also, wenn es sie gibt, weit jenseits unseres kosmischen Horizonts (gut 1026 Meter – eine einfache, keine doppelte Hochzahl!), sodass keine Kontaktaufnahme mçglich ist. 3.4. Zufllige Fluktuationen Der Urknall, darber besteht inzwischen konzeptuell Konsens, braucht weder singulr noch der absolute Anfang von allem zu sein (Vaas 2012a). Er kçnnte auch ein bergang gewesen sein. Doch wovon? Vielleicht gab es zuvor ein ewiges statisches Universum oder ein oszillierendes oder ein aus der Unendlichkeit kollabierendes. Oder eines mit umgekehrtem Zeitpfeil. Oder ein Vakuum-Zustand ohne Zeitpfeil, also ohne eine makroskopische beziehungsweise irreversible Zeitrichtung. Vielleicht fhren ,berschwellige‘ Fluktuationen in einem solchen Quanten- oder Stringvakuum immer wieder zu Big Bangs und somit zu fortan ganz oder weitgehend unabhngigen Universen mit eigenen Zeitpfeilen.13 Jedes wre eine Art Pseudo-Anfang (Vaas 2004b; Vaas 2009a) – allerdings nicht aus dem ,Nichts‘, denn auch ein Vakuum ist schon ,etwas‘, ist kreativ und dynamisch. Wenn das Vakuum mit einer Grundenergie erfllt ist, etwa durch die Kosmologische Konstante, wird es ber lange Zeitrume betrachtet schçpferisch. Dabei kçnnen neue „Insel-Universen“ entstehen (Dutta & Vachaspati 2012), hnlich wie es sich schon Boltzmann (1895) vorstellte. Regionen ver13 Vgl. Tryon (1973); Veneziano/Gasperini (2011); Susskind (2006); Douglas (2012); Mersini-Houghton (2012); Vaas (2004b).
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gleichbar dem beobachtbaren Universum sind dann zwar selten, aber aufgrund der langen Zeitrume quasi unvermeidlich, und somit auch eine Ewige Wiederkunft. Quantenkosmologische Prozesse spielen außerdem in der fernen Zukunft eines ewig und beschleunigt expandierenden Universums eine Rolle, weil dann selbst der leere Raum noch eine Energie beziehungsweise Temperatur hat (Gibbons & Hawking 1977) – in der Grçßenordnung von 10-33 Elektronenvolt beziehungsweise 10-29 Kelvin. In einem solchen de-Sitter-Universum msste sich aufgrund zuflliger Quantenfluktuationen ein Universum wie unseres (sogar mit einer inflationierenden Vergangenheit) wieder und wieder bilden – das drfte allerdings unvorstellbare 10 hoch 10 hoch 56 Jahre dauern (Carroll & Chen 2004; Carroll 2010). Freilich haben Fluktuationsmodelle – und das gilt schon fr Boltzmanns ursprngliche Vorstellung – auch konzeptuelle Probleme.14 So bleibt es unverstndlich, warum eine statistische Fluktuation so langlebig ist. Immerhin sind rund 13,7 Milliarden Jahre seit dem Urknall verstrichen. Viel wahrscheinlicher wre es, dass die spontane Fluktuation erst letzten Donnerstag oder vor wenigen Sekunden zustande kam – mit all den Pseudospuren einer vermeintlichen Vergangenheit: etwa der Kosmischen Hintergrundstrahlung vom Urknall, Fossilien von Dinosauriern oder Erinnerungen an frhere Steuererklrungen. Kurz: Ein solches Schwindel-Universum – oder nur ein einziges Gehirn, in dem sich eine solche Pseudowelt manifestiert – sollte sich sehr, sehr viel hufiger zufllig bilden als ein hoch strukturiertes, geordnetes Weltall von mindestens 100 Milliarden Lichtjahren Durchmesser. Hinzu kommt, dass Lebensformen ,vor‘ dem Maximum einer Fluktuation die Zeitrichtung vielleicht gerade umgekehrt erleben mssen als ,nach‘ ihr. Ob die Hypothese der Kosmischen Inflation diese Probleme lçst, ist umstritten, sie kann aber auch mit Fluktuationsmodellen kombiniert werden. So ist gemß dem Modell des Recycling-Universums ein energiereiches Vakuum sogar Ausgangspunkt lokal beginnender neuer Phasen der Kosmischen Inflation, die ab einem bestimmten Schwellenwert jeweils potenziell unendlich viele weitere Blasenuniversen erzeugt (Garriga & Vilenkin 1998). Denkbar ist eine Wiederkunft berdies im Hinblick auf eine Art Abnabelung neuer Universen. Dies kçnnte immer dann geschehen, wenn sich Schwarze Lçcher bilden. Falls sich dabei die Naturkonstanten ndern, ist eine Wiederkehr des Gleichen allerdings unwahrscheinlich, selbst wenn bestimmte Werte gleichsam selektiv verstrkt oder stabilisiert wrden (Smolin 1997; Smolin 2012). Andererseits ist ein lokaler Gravitationskollaps mçglicherweise Auslçser einer (weiteren) Phase der Inflation oder, extrem spekulativ, von kosmischen 14 Vgl. von Weizscker (1939); Albrecht/Sorbo (2004); Vaas (2008a), Vaas (2009); De Simone u. a. (2010).
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Ingenieuren technisch erzeugbar, um Nachfolge-Universen zu erschaffen (Vaas 2009c) – sie wren dann womçglich nicht nur ,Produkte‘, sondern sogar ,Produzenten‘ einer Ewigen Wiederkehr. 3.5. Zeitliche Zyklen Zyklische Kosmologien in der Tradition des oszillierenden Phçnix-Modells werden neuerdings ebenfalls wieder diskutiert. Sie beruhen auf ganz unterschiedlichen theoretischen Annahmen. Doch wenn die Raumzeit jeweils unendlich ist und die Quantentheorie nur diskrete endliche Zustnde zulsst, erlauben oder implizieren auch diese Modelle eine Ewige Wiederkunft. Im Rahmen der Loop Quantum Cosmology, die sich auf die hypothetische Theorie der Schleifen-Quantengravitation (Loop Quantum Gravity) sttzt, sind singularittsfreie Ur-/Endknall-Abfolgen eines rumlich geschlossenen Universums mçglich (Ashtekar/Pawlowski/Singh 2006). Besonders realistisch sind solche Modelle noch nicht, vor allem im Hinblick auf die Entropie-Produktion, und es gibt auch nichtzyklische Varianten. Aber es wird immerhin bereits deutlich, dass sich die Singularitten der Allgemeinen Relativittstheorie berwinden lassen. Ein anderes Wiederkehr-Szenario, vergleichbar mit dem rhythmischen Klatschen zweier Hnde, ist das Modell des Zyklischen Universums, das im Rahmen der String-Kosmologie formuliert wurde, effektiv aber auch ohne Stringtheorie-Annahmen auskommt.15 Hier lsst sich unser beobachtbares Universum als Teil eines unendlichen vierdimensionalen expandierenden Branen-Universums interpretieren, das durch eine fnfte Raumdimension von (mindestens) einem anderen Branen-Universen getrennt ist. Die Branen entfernen sich periodisch voneinander und nhern sich wieder – in der Grçßenordnung von Trillionen Jahren. Jede Branen-Kollision entspricht einem Urknall. Die Entropie nimmt in den Branen zwar zu, doch die Entropiedichte wird aufgrund der Expansion wieder verdnnt, sodass eine Ewige Wiederkunft beliebig großer endlicher Zustnde im Vergleich zum Phçnix-Modell mçglich zu sein scheint. Im Modell der Konformen Zyklischen Kosmologie (Penrose 2010; Vaas 2010a) kommt es nicht zu einem Kollaps und Endknall, sondern das Universum expandiert immer weiter und schneller. Doch wenn sich die gesamte Materie in der fernen Zukunft dieses approximativen de-Sitter-Universums (de Sitter 1917ab) auflçst, kann die Entleerung kurioserweise aufgrund einer konformen Umskalierung (Verschwinden des Metrik-Tensors) und temporren Zeitlosigkeit der Flle eines neuen Urknalls entsprechen einschließlich einer 15 Siehe Steinhardt/Turok (2007); Steinhardt (2012); Vaas (2002).
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effektiven Entropie-Reduktion – unabhngig davon, ob der Weltraum endlich oder unendlich groß ist. Diese Abfolge von Urknall und Entleerung whrt vielleicht ewig. Ferner wurde spekuliert, dass unter sehr exotischen Bedingungen das beobachtbare Universum knftig in ein Wurmloch und darin ber eine Zeitschleife in die Vergangenheit geraten kçnnte (Big-Trip-Modell) und seinen eigenen Urknall erzeugt (Yurov/Moruno/Gonzlez-Daz 2006; Vaas 2010b). Falls diese Entwicklung selbstkonsistent ist, msste die Zeit kreisfçrmig sein (wenn auch nicht unbedingt global, also das gesamte Universum oder Multiversum betreffend), wie Nietzsche spekulierte – und die Wiederkunft des Gleichen wre sich selbst verursachend und erhaltend.
4. Offene Fragen und ein Resmee Aus kosmologischer Perspektive ist Nietzsches Gedanke der Ewigen Wiederkunft des Gleichen aktueller und plausibler denn je, auch wenn seine Argumentation und seine Prmissen nicht mehr unbedingt alle akzeptiert werden kçnnen. Ob die Zeit unbegrenzt in Vergangenheit und Zukunft ist, bleibt unklar (jedenfalls braucht der Urknall nicht der absolute Anfang von allem zu sein). Die endliche und unvernderliche Quantitt der Materie wird im gegenwrtigen Standardmodell der Elementarteilchen und im Rahmen der Quantentheorie anders betrachtet; aber die diskrete, nicht kontinuierliche Verteilung physikalischer Zustnde und Ereignisse und damit deren endliche Zahl in endlichem Volumen ist viel besser fundiert als es Nietzsche ahnen konnte. Und ein unbegrenzter, aber endlicher Raum ist nach wie vor mçglich, allerdings bleiben seine Geometrie und Topologie unklar (Vaas 2011b), und im Gegensatz zu Nietzsches Auffassung ist ein unendlicher Raum (und sei es nur intrinsisch) keineswegs mit einer Ewigen Wiederkunft unvereinbar, sondern macht diese in raumzeitlicher Perspektive – im Gegenteil – sogar wahrscheinlicher. Selbst wenn unser Universum und damit auch unser eigenes Schicksal unvermeidlich der Ewigen Wiederkunft unterliegen, bleiben viele Fragen und Probleme offen – nicht nur in existenzieller und ethischer Hinsicht. So sind auch im Rahmen der Ewigen Wiederkunft große Rtsel zum Thema Zeit ungelçst (z. B. Vaas 2008a): Ist sie fundamental (irreduzibel) oder emergent? ,Luft‘ sie linear, periodisch oder gar kreisfçrmig? Oder ,vergeht‘ sie berhaupt nicht, sondern ist eine Illusion, das heißt bloß subjektiv? Leben wir beispielsweise in einer Art ,Block-Universum‘, wie es die Raumzeit-Interpretation der Relativittstheorie nahe legt? Wre also das ,Sein‘ grundlegend, wie schon Parmenides meinte, oder doch ein bestndiges ,Werden‘, wie Heraklit dachte und mit ihm Nietzsche? Herrscht ein strikter ontologischer Determinismus,
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oder gibt es absolute, weder verursachte noch erklrbare Zuflle – also womçglich eine Verzweigung der Zeiten oder ein ,wachsendes Block-Universum‘? Und wie lassen sich Identittsbedingungen ber die Zeit hinweg formulieren, inwiefern ist die Wiederkehr des Gleichen also nicht nur eine des hnlichen – selbst bei lokaler Ununterscheidbarkeit? Antworten auf diese schwierigen Fragen sind freilich keine Voraussetzung dafr, ob die Ewige Wiederkunft der Fall ist und inwiefern man das nachweisen kçnnte. Der Wiederkunfts-Gedanke ist keineswegs nur fr Physik, Metaphysik, Epistemologie und Wissenschaftstheorie relevant. Wenn er wahr ist, impliziert dies einige Versionen eines theoretischen Nihilismus; daraus folgt allerdings noch kein existenzieller Nihilismus (Vaas 2008b; Vaas 2011c). Auch der von Nietzsche diagnostizierte und kritisierte „europische Nihilismus“ (NL 1886 – 1887 5[71], KSA 12, 211) ist davon unabhngig. Die Konferenz Nietzsches Wissenschaftsphilosophie im Juli 2010 in Berlin setzte vier programmatische Schwerpunkte: Aktualitt, Rezeption, Inhalt und Kontext. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft spielt in allen vier Hinsichten eine Rolle: Er ist in der modernen physikalischen Kosmologie aktueller und irritierender denn je; er wird daher auch von Kosmologen und Naturphilosophen inzwischen wieder rezipiert beziehungsweise sollte es verstrkt werden; er ist inhaltlich noch genauer zu spezifizieren, besonders hinsichtlich der ihm zugrunde liegenden Prmissen und der kritischen Analyse ihrer Plausibilitt sowohl in philosophischer als auch in physikalischer Hinsicht; und der wissenschaftliche und philosophische Kontext der gegenwrtigen berlegungen ist zwar anders als bei Nietzsche oder vor ihm, doch scheinen die Implikationen hnlich und ebenso radikal zu sein. Nietzsche hat also zu Recht – und mit einer Intensitt wie niemand vor und nach ihm – existenzielle, anthropologische, ethische und sthetische Aspekte und Konsequenzen aufgesprt, expliziert und reflektiert. Seine berlegungen sind nach wie vor von großer Bedeutung. Das unterstreicht auch die moderne Kosmologie – und zeigt, dass es eine, vielleicht sogar ewige, Wiederkehr der Hypothesen und Konzeptionen gibt.16
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Das „Thier, das versprechen darf“ und die Bedeutung der Glubiger-Schuldner-Beziehung fr Entstehung und Perspektive des Denkens Wolf Dieter Enkelmann In der Genealogie der Moral bindet Nietzsche das Denken in einen çkonomischen Wirkungszusammenhang ein. Souvernitt, Individualitt, Freiheit, die Existenz von Rechtssubjekten und die Gerechtigkeit berhaupt, aber auch etwa die Differenzierung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die lebensçkonomische Urbarmachung dieser Zeitunterscheidungen fhrt Nietzsche auf ein „Vertragsverhltnis zwischen Glubiger und Schuldner“ (GM II 4, KSA 5, 298) zurck. So kann es nicht berraschen, dass auch das Denken in dieser Kreditbeziehung seinen Ursprung findet. Nicht jedes vielleicht, aber doch das Denken, das sich zum Schçpfer einer Welt zu machen vermochte, die sich gleichsam von Gott verlassen sehen msste, wrde diese Kunst infolge des sinistren Zaubertricks eines belwollenden Geistes wieder aus ihr verschwinden. Auf einen Schlag wre sie all dessen enteignet, was ihr ber Jahrhunderte, ja Jahrtausende immer mehr zur heutigen Gestalt verholfen hat, die durchgreifend von den Schçpfungen dieses Denkens bestimmt ist und mittlerweile nahezu allen auf Erden die mal beglckende und zu oft aber auch furchtbare Erfahrung einer gemeinsamen globalen Kultur beschert hat. Eigentlich fr philosophische konomik zustndig, steht Wissenschaftsphilosophie zwar nicht direkt im Mittelpunkt meiner Forschungsarbeit. Ganz ohne wissenschaftstheoretische berlegungen geht es aber auch in diesem Fachgebiet nicht. Die Wirtschaftsphilosophie liefert nun auch den Grund, sich mit Nietzsches Gedanken eines ,Thiers, das versprechen darf‘, zu beschftigen. Denn das hat fr die konomik, philosophisch gesehen, grundlegende Bedeutung. Man hçrt derzeit hufig von der Vertrauenskrise der Wirtschaft reden. Die Weltfinanzkrise der vergangenen Jahre wurde in der Tat durch nichts anderes als den Verlust an, wie sich herausstellte, unbegrndetem Vertrauen ausgelçst. Vertrauen grndet immer in Versprechungen. Nur, wo etwas versprochen wurde oder man meinte, sich etwas versprechen zu drfen, kann es zu Vertrauenskrisen kommen. Und nur, wo so viele Handlungs- und Entwicklungsperspektiven in der Spekulation auf die Vertrauenswrdigkeit des investierten Vertrauens (vgl. Luhmann 1973) grnden, wie das in der modernen konomie – und zwar insgesamt, nicht nur auf den Kapitalmrkten – alltgliches Geschft ist, kçnnen solche Krisen zu derartigen Folgen fhren.
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Wissenschaftsphilosophie ist in diesem Kontext nur mittelbar und nur in Hinsicht auf die Wissenschaftlichkeit speziell der çkonomischen Wissenschaften ein Thema, da allerdings durchaus notwendigerweise. Zum Ersten rumen gelegentlich sogar Betriebswirte Zweifel an der Wissenschaftlichkeit ihrer Kunst ein. Nun msste das andererseits ja vielleicht auch gar nicht sein. Ein gutes intellektuelles Handwerk ist auch aller Ehren wert, und man kann sich sehr fragen, ob wirklich berall alles besser geworden ist durch die Verwissenschaftlichung, die wir heute allerorten beobachten. Da herrscht also durchaus Klrungsbedarf. Zum Zweiten hat man mit der Frage nach der Form der Wissenschaftlichkeit natrlich immer zu tun, wenn ein Thema auch noch philosophisch bearbeitet werden soll, das in einschlgigen Wissenschaften bereits in mehr oder weniger guten Hnden ist. Wirtschaftsphilosophie fgt den Wirtschaftswissenschaften nicht nur inhaltlich etwas hinzu – wie etwa die Wirtschaftsethik eine Art moralischen berbau –, sondern wirft vor allem Fragen nach der Methodik und der Begriffsbildung auf. So lsst sich ja philosophisch etwa auch Nietzsches Werk sowohl inhaltlich als auch methodisch noch als Wissenschaft akzeptieren und rezipieren, whrend es nach den Maßgaben anderer Fcher allein schon der Form wegen bestenfalls noch als Literatur durchginge. Hinsichtlich der Wirtschaftswissenschaften nun gibt es einen Widerspruch zwischen çffentlicher Einschtzung und interner Problemstellung: Die çffentlichen Diskurse werden stark von der Furcht vor zu viel konomie bestimmt, davor also, dass die Effizienzkalkle çkonomischer Rationalitt in immer mehr Lebensbereiche vordringen. Intern indes stellt sich eher die provokante Frage, ob in der konomik im Allgemeinen nicht zu wenig oder womçglich sogar berhaupt noch nicht çkonomisch gedacht wird. So lebt die Wissenschaft der Wirtschaft etwa in der Weise, wie sie fr ihre Gesetzesverstndnisse auf naturwissenschaftliche Vorgaben rekurriert (vgl. Brodbeck 1998), noch sehr unbeeintrchtigt im mechanistischen Weltbild. Bertram Schefold zum Beispiel kann daher zu der berzeugung gelangen, dass es etwa in der Antike noch gar keine vernnftige „Theorie der Wirtschaft im Sinne einer Kausalanalyse des Ablaufs autonomer Wirtschaftsprozesse“ htte geben kçnnen, „weil das Vorbild einer ausgearbeiteten Mechanik in der Physik fehlte“ (Schefold 1992, 20). Nach philosophischem Erkenntnisstand verweigern die Wirtschaftswissenschaften der konomie mit dieser Rckfhrung auf ein mechanistisches Kausalittsdenken als Existenzvoraussetzung ihrer szientifischen Rationalisierbarkeit allerdings eher im Gegenteil eine authentische çkonomische Begriffsbildung.1 Nmliches gilt fr die gngige funktionalistische Analyse çkonomischer Prozesse, die zugegebenermaßen naheliegt. Denn die Praxis ist verstndlicherweise berzeugt, dass ihr am besten gedient ist, wenn sie erfhrt, was man im 1
Vgl. Brodbeck (1998); Derrida (1993); Enkelmann (2010).
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System der Kausalitt wollen kann und wie sich, was man will, am besten ins Werk setzen lsst. So stellt sich die konomik durchgngig als Theorie der Opportunitt dar. Auch da lsst sich fragen, ob das wirklich alles ist und alles abdeckt, was die politische konomie und ihre Kultur ausmacht.2 Wie dem auch sei, man kann sicher nicht aus dem Wissen um die Funktionen sowie aus dem praktischen Nachweis der Stimmigkeit der theoretischen Analysen schon automatisch auch darauf rckschließen, dass man damit auch sicher sein kann, zuverlssig zu begreifen, was da berhaupt funktioniert. Entsprechend fragt etwa Jacques Derrida in seiner Dekonstruktion des konomischen nicht danach, wie konomie funktioniert, sondern: „Was ist die konomie?“ (Derrida 1993, 16) Auch Nietzsche beschrnkt sich natrlich nicht auf eine funktionalistische Analyse. Und er warnt ausdrcklich davor, aus der Einsicht in den Nutzen den Rckschluss zu ziehen, dass dieser Nutzen auch der Grund ist, warum, was sich als ntzlich erweist, berhaupt entstanden ist (vgl. GM II 12, KSA 5, 314). Wenn man sich einen Begriff von Nietzsches Methode, dem konomischen auf die Spur zu gehen, bilden will, dann wird man sie am ehesten wohl dramatisch nennen mssen. Außerdem behandelt Nietzsche die konomie nicht einfach nur als ußerlich vorhandenen Gegenstand. Er stellt vielmehr bereits das Denken selbst und damit auch die Wissenschaft generell in einen çkonomischen Kontext. Das gibt es heute auch bei anderen. Die konomie des Denkens thematisieren z. B. Georg Franck in seiner konomie der Aufmerksamkeit (Franck 1998) oder Boris Groys in seinem Versuch einer Kulturçkonomie (Groys 2004, 146 ff.). Und ber die Spekulation auf ihre Ntzlichkeit ist das çkonomische Kalkl in den Wissenschaften sowieso latent allgegenwrtig. Aber wie macht es Nietzsche? Er ist ja zunchst einmal auf die Wissenschaft nicht nur gut zu sprechen. Er bezeichnet sie „als Mittel der Selbst-Betubung“ von „Leidenden, die es sich selbst nicht eingestehn wollen“ und „nur Eins frchten: zum Bewusstsein zu kommen“ (GM III 23, KSA 5, 397 f.). Wissenschaft im Blindflug also und das, wenn Nietzsche mit seiner konomie des Leidens richtig liegt, zum Zweck, sich das Gegenteil einzuhandeln: Viel wissen, um nichts mehr zu merken – und ohne das zu merken. Ist in dieser Tuschung die Akkumulation des Wissens der Preis, der zu zahlen ist, um weiter unbeschadet im Unwissen leben zu kçnnen, oder ist dieses der Preis fr jene? ber die Liebhaber von Wahrheit und Gedankenfreiheit folgt dann sogleich der weitere Einwand: „Das sind noch lange keinen freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit […] Nichts ist diesen […] sogenannten ,freien Geistern‘ gerade fremder als Freiheit und Entfesselung […], in keiner Hinsicht sind sie […] fester gebunden“ als „im Glauben gerade an die Wahrheit […]“. Und: „Es ist immer noch ein metaphysischer Glaube, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht […],“ nmlich, „dass Gott die Wahrheit ist, dass die 2
Vgl. Priddat (2009), Hnaff (2009).
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Wahrheit gçttlich ist […], weil Wahrheit als Sein, als Gott, als oberste Instanz selbst gesetzt wurde, weil Wahrheit gar nicht Problem sein durfte.“ Daraus folgt: „Der Wille zur Wahrheit bedarf einer Kritik“. Und, jetzt kommt die çkonomische Wende, „der Werth der Wahrheit ist versuchsweise einmal in Frage zu stellen“ (GM III 24, KSA 5, 399 – 401). Wozu ist sie gut? Was ist sie wert? Der kritische Ansatz zielt also nicht darauf, ob hier irgendetwas falsch oder richtig ist, sondern auf die Wertschçpfung der Wahrheit oder zumindest darauf, was sie als solche so wertvoll macht. Und es kommt noch bitterer: „Alle Wissenschaft […] ist heute darauf aus, dem Menschen seine bisherige Achtung vor sich auszureden, wie als ob dieselbe Nichts als ein bizarrer Eigendnkel gewesen sei“. Doch auch hier wieder eine, diesmal berraschende, çkonomische Wende: „[M]an kçnnte sogar sagen, sie habe ihren eigenen Stolz, ihre eigene herbe Form von stoischer Ataraxie darin, diese mhsam errungene Selbstverachtung des Menschen als dessen letzten, ernstesten Anspruch auf Achtung bei sich selbst aufrecht zu erhalten (mit Recht […]: denn der Verachtende ist immer noch Einer, der ,das Achten nicht verlernt hat‘ …).“ (GM III 25, KSA 5, 404 f.).
Sich selbst zu verachten, alle Mhe also darauf zu verwenden, den Respekt gegenber sich selbst aufs Spiel zu setzen, heißt, sich preiszugeben. Denn alles individuelle Sein hngt doch an der Anerkennung seiner selbst. Dies dennoch anzustreben, als vollendete, also freieste Form, seinem Bedrfnis nach Selbstachtung auch noch ber die Selbstbehauptung hinaus gerecht zu werden – auch so etwas ist, ob gewollt oder nicht, eine wechselweise Aufrechnung von Aufwand und Ertrag, eine Effizienzkalkulation. Was nun die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft angeht, wie sollte man da Nietzsche nicht folgen? Sollte es ernst damit sein, dass Wissen mehr ist als Glauben, dann ist der Glaube an die Wissenschaft und die Wahrheit in der Tat zuallererst in Frage zu stellen. Im Allgemeinen ist sich die Wissenschaft ihrer selbst und ihrer Gte allerdings heutigentags doch vielleicht ein bisschen sehr sicher. Sie stellt vieles in Frage, einschließlich ihrer Erkenntnisse, nur nie sich selbst. Bei aller Akribie, die immanent in die Selbstreflexion, in die berprfbarkeit ihrer Methoden und Ergebnisse investiert wird, sehen sich die Wissenschaften doch im Dienst an einer Rationalitt, die und deren Sinn als solche nicht in Frage gestellt werden. Das Irrationale findet sich nur noch zum Gegenstand szientifischer Beobachtung und Therapie verußert, sodass sich niemals die Frage nach einer etwaigen Irrationalitt der Rationalitt oder nach der Unvernnftigkeit der Vernunft selber stellt. Die Folge ist zumindest eine vollstndige Wehrlosigkeit gegenber der Gefahr einer selbstreferentiellen, zirkulr in sich geschlossenen und tautologischen Selbstbesttigung. Entsprechend zielt Nietzsche nicht darauf ab, der Wissenschaft den Garaus zu machen, zugunsten irgendeiner Alternative, die auf Wahrheit verzichten kann. Vielmehr erçffnet er ihr die Chance, ihre Wissenschaftlichkeit zu sichern oder berhaupt
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erst einzulçsen. Die Frage ist allerdings, ob sie auf diese Weise dann nicht doch nur umso mehr auf ein Glauben im Sinne einer Spekulation auf eine Wahrheit verwiesen ist, die es mçglicherweise nicht gibt und im besten Fall allein aufgrund und kraft dieser Spekulation eintritt und zu gewinnen ist. Was die Selbstenteignung der Menschheit durch die Wissenschaft angeht, von der Nietzsche spricht, so sehen wir in den Objektivismen der gegenwrtigen wissenschaftlichen Rationalitt den Menschen ja tatschlich tendenziell nur noch als Faktor oder Gegenstand mehr oder weniger deterministischer Kausalitten vorkommen. Ein prgnantes Beispiel fr solche Entußerung des Subjektiven ins Objektive gibt Ray Kurzweil3, einer der Hohepriester in der Szene der Technik-Euphoriker. Er spekuliert darauf, nchstens einmal den Inhalt seines Hirns mittels einer Verbindung von Genetik, Nanotechnologie und knstlicher Intelligenz auf einen Computer hochladen zu kçnnen, damit dieser in Zukunft statt seiner – auch ihn – denkt (vgl. Hntzschel 2010, 14). Auf der anderen Seite erleben wir ein weltweites Aufhebens um die Menschenwrde und mehr noch um die absolute Notwendigkeit, die ein gutes Handeln der Menschheit fr den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, hat (vgl. Leggewie/Welzer 2009). Wichtiger und bedeutender waren wir nie – uns. Und das verdanken wir den Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts. Doch das hat auch ohnedies seine Logik. Werte sind niemals statische Bestnde, sondern manifestieren sich immer in dynamischen Prozessen des Wertzuwachses durch Wertinfragestellung. Das ist schon deshalb unausweichlich, weil nur so die Gleichgltigkeit berwunden werden kann. Damit nimmt jede Wertschtzung und Wertschçpfung ihren Anfang. Die Frage ist dann nur, ob das auch ber ein neuerlich nihilisierendes Nullsummenspiel hinausfhrt. Und was folgt fr Nietzsche? Nun, was bei Nietzsche ja folgen muss, nmlich die Frage: „Wozu Mensch berhaupt?“ (GM III 28, KSA 5, 411). Diese Frage ist nun niemals mit nur theoretischen Erklrungen, Begrndungen und Angaben von Zwecken zufriedenstellend beantwortet, sondern findet immer erst in einem real evidenten Bedeutungs- und Selbstgewinn an echter oder wenigstens eingebildeter Menschwerdung berzeugende Antwort. Setzt man diese Frage in den Nukleus auch alles wissenschaftlichen Bestrebens, dann ist eben auch die Wissenschaft ein Teil dieser unumgnglichen Gewinnspekulation, die die Menschheit – bereits seit Aristoteles – ist.4 Aber Nietzsche stellt den çkonomisch-szientifischen Zusammenhang auch noch sehr viel direkter, wçrtlicher her: Preise machen, Werthe abmessen, quivalente ausdenken, tauschen – das hat in einem solchen Masse das allererste Denken des Menschen proccupiert, dass es in 3 4
Vgl. Kurzweil (2005); vgl. auch www.singularity.com. Vgl. Aristoteles (1973, Politik I 2) und (1985, Nik. Eth., X 7 – 9); sowie Enkelmann (2006).
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einem gewissen Sinne d a s Denken ist. […] Der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, welches Werthe misst, werthet und misst, als das ,abschtzende Thier an sich‘. (GM II 8, KSA 5, 306).
Wollte man dieses Preise machen, Werthe abmessen, quivalente ausdenken, Tauschen, das das allererste Denken des Menschen proccupiert hat, als eine Besessenheit oder Korruption der Menschheit deuten, verfehlte man die doch tiefere Bedeutung des Gedankens der Prokkupation. Denn man htte dann genau genommen eher mit einer Post-Okkupation zu tun. In Form der Prokkupation ist das Preise machen, Werthe abmessen, quivalente ausdenken, Tauschen das, woraus und wodurch sich der Mensch zu allererst zum Menschen macht. Die besagte Prokkupation bezeichnet diese çkonomischen Kalkle als den Ursprung seines Wesens. Er erwirtschaftet sich, seine Existenz, seine Realitt und seine Eigenart. – Wie kommt Nietzsche zu dieser Aussage? Und vor allem: Was heißt das fr das Denken? Und was ist das fr ein Denken, von dem er hier spricht? Wird diese çkonomische Kondition dem wahren Wesen des Denkens gerecht? Immerhin hat Platon ja mal eine Tradition von großer Wirkmchtigkeit begrndet, die das wahre Denken erst jenseits des Schielens auf çkonomische Kalkle beginnen lsst (vgl. Hnaff 2009, 48 ff.). Dieses „abschtzende Thier an sich“ ist eine andere Formulierung fr das „Thier, das versprechen darf“, mit dem er die ganze zweite, die zentrale Abhandlung der Genealogie der Moral einleitet. Und dieses „Thier, das versprechen darf“, wiederum ist eine bersetzungen des Aristotelischen zoon logon echon, des Lebewesens, das Sprache hat. In dieser Form verwirklicht das zoon politikon – salopp bersetzt, der Brger und zugleich Aristoteles’ Definition des Menschen – sein Wesen. ber den Menschen weiß man nach Aristoteles ansonsten aber je erst, was er ist, „wenn seine Entwicklung zum Abschluss gelangt ist“ (Aristoteles 1973, Politik I 2, 1253a) und er sich ber diese Entwicklung sich abgewonnen hat. Das zoon politikon ist also weniger durch seine biologische Naturvorgabe als dadurch bestimmt, was es aus sich macht und entstehen lsst. Damit wird ihm sein Wnschen und Wollen zum eigentlichen Ursprung. Und alles andere, was ihm aus der Naturgeschichte mitgegeben ist, gert ihm kraft seines Wnschens zu einer, wenn man so will, bloßen Ressource der Erfllung seiner Spekulation auf seine Mçglichkeiten. Dieses zoon politikon, diese Wunschgeburt, ,verwirklicht‘5 sich nun nach Aristoteles als Lebewesen, das Sprache hat. Das unterscheidet es vom Tier, das
5
Der Begriff der Verwirklichung passt hier, nimmt man es genau, nur bedingt und findet auch nur Verwendung, weil die Wirklichkeit seit der Ablçsung des çkonomie-affinen, wenn nicht çkonomischen Paradigmas der Gegebenheit, das noch die mittelalterliche Scholastik prgte, durch das Kausalittsdenken der vorherrschende Begriff der Existenzgewissheit und -versicherung ist (vgl. dazu Enkelmann 2010, 67 ff.). Genau ge-
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zwar eine Stimme habe, um Schmerz und Lust auszudrcken, aber keine Sprache, um das Ntzliche vom Schdlichen, das Gerechte vom Ungerechten und berhaupt das Gute vom Schlechten zu unterscheiden (vgl. Aristoteles 1973, Politik I 2, 1253a) sowie aus diesen Unterscheidungen Schlsse zu ziehen und Entscheidungen folgen zu lassen, statt auf Schmerz und Leid nur mehr oder weniger mechanisch nur zu reagieren. Diese Unterscheidungen, zu denen sich das zoon logon echon befhigt, bleiben dem, was es ansonsten ist, nicht ußerlich, sondern werden bestimmend fr sein Wesen. Aus den Wertschtzungen wird damit Wertschçpfung. Aber wie? Nietzsche nennt das „Thier, das versprechen darf“, in das er dieses Sprache habende Lebewesen bersetzt, auch „das souveraine Individuum“ oder „der Freigewordene“ (GM II 2, KSA 5, 293). Und es ist nichts anderes als allein dieses Versprechen, das frei macht, Souvernitt beschert und das Tier, das der Natur seiner Gattung folgt, zu einem Menschen, zu einem Wesen individuell besonderer Selbstbestimmung werden lsst. Zugleich erfordert das Versprechen aber auch, sich die entsprechende Freiheit zu nehmen. Das bedeutet, das Kunststck zu vollbringen, sich gewissermaßen zuvorzukommen und bereits so frei zu sein, wie man doch erst werden will. Genau das bietet das Versprechen aber an, das in seinem spekulativen Charakter so merkwrdig Sein und Nichtsein, Bereicherung und Verarmung, nichts und doch etwas haben, in sich verbindet und zugleich die Gegenwart aus ihrer Bindung an die Vergangenheit lçst, indem es das Verhltnis zwischen Gegenwart und Zukunft zur konstitutiven Realitt erhebt. Worin nmlich hat das Versprechen, das so viel zu bewirken vermag, selbst seinen Grund? Im Wnschen. Wer nichts zu wollen hat, dem bedeutet das Versprechen wenig, jedenfalls nichts fr ihn Erfreuliches, nichts, was ihm Hoffnung macht. Dessen Versprechen bedeutete nur dem etwas, dessen Willen der derart Willenlose anheimgegeben ist. Wo aber das Begehren gegenber der Daseinserhaltung und Selbstbehauptung den Primat zu erringen vermag, da scheiden sich die Zeiten. Da zhlt der Gegenwart die Zukunft allemal mehr, als zu erhalten, was ist – und bereits schon in diesem Augenblick mehr einmal war. Dieses „Thier, das versprechen darf“, das ist „der ,freie‘ Mensch, der Inhaber eines langen unzerbrechlichen Willens […], der wie ein Souverain verspricht, […] der sein Wort giebt als Etwas, auf das Verlass ist, weil er sich stark genug weiss, es selbst gegen Unflle, selbst ,gegen das Schicksal‘ aufrecht zu halten“. Und weiter: „eben so nothwendig wird er seinen Fusstritt fr die schmchtigen Windhunde bereit halten, welche versprechen, ohne es zu drfen, und seine Zuchtruthe fr den Lgner, der sein Wort bricht, im Augenblick schon, wo er es im Munde hat. Das stolze Wissen um das ausserordentliche Privilegium der Ve r a n t w o r t l i c h k e i t , nommen verwirklicht sich das zoon politikon als zoon logon echon gerade nicht. Eher ergibt es sich.
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[…] ist [ihm] zum Instinkt geworden, zum dominierenden Instinkt.“ (GM II 2, KSA 5, 294)
Das zoon logon echon, das sein Wort gibt und beim Wort zu nehmen ist, das sich von sich etwas verspricht und sich somit bei sich verschuldet, das anderen etwas verspricht und ihnen erlaubt, sich etwas von ihm zu versprechen, – das ist von Nietzsche her gesehen der Aristotelische Begriff des homo oeconomicus. Dieser Spekulant auf seine Zukunft verwirklicht sein Wesen in einer Welt unaufhaltsam wuchernder in- oder expliziter Glubiger-Schuldner-Kontrakte, die Nietzsche als das „ursprnglichste Personen-Verhltniss“ (GM II 8, KSA 5, 305), als den Humus der Menschwerdung also, bezeichnet sowie als Anbeginn der Gerechtigkeit (vgl. GM II, KSA 5, 306) und eben des Denkens. Es beginnt damit, dass „dem, der verspricht, ein Gedchtnis zu machen ist“, auf welche Weise auch immer. Denn: Der Schuldner, um Vertrauen fr sein Versprechen der Zurckbezahlung einzuflçssen, um eine Brgschaft fr den Ernst und die Heiligkeit seines Versprechens zu geben, um bei sich selbst die Zurckzahlung als Pflicht […] einzuschrfen, verpfndet Kraft eines Vertrags dem Glubiger fr den Fall, dass er nicht zahlt, Etwas, das er sonst noch ,besitzt‘, […] zum Beispiel seinen Leib oder sein Weib oder seine Freiheit […], selbst sein Seelen-Heil.“ (GM II 5, KSA 5, 299).
Letzteres ist, entre parenthse gesagt, eigentlich ein interessanter Gedanke, wenn man sich einmal einen vernnftigen Begriff vom sogenannten seelenlosen Kapitalismus machen wollte. Aber, wie dem auch sei: Ohne Gedchtnis vermag kein Versprechen zu halten, was es verspricht. Diese Form des Wissens gewinnt hier eine existenzielle Bedeutung. Und damit sind wir auch schon im Denken, und zwar gleichfalls nicht im Sinne einer Ttigkeit, der man, wenn man’s denn kann, sozusagen außerdem noch nachzugehen im Stande ist. Vielmehr hngt die Existenz der Glubiger wie der Schuldner als das, was sie sind, davon ab. Beide wissen nichts um ihr Verhltnis und noch nicht einmal, wie sie sich fhlen oder wie sie ihre Gefhle deuten sollen, wenn sie sich als das, was sie sind und was sie werden wollen, nicht denken kçnnen. Schon das Versprechen, mit dem das alles anfngt, ist bereits als solches mehr ein Gedanke, grndend in einer Idee, einer Hoffnung, als gesicherte und verfgbare Realitt. Wesentlicher also als das regulative Moment normativer Selbstkontrolle, fr die das Gedchtnis steht, ist also noch ein anderes Moment: nmlich das spekulative. Die denkende Erkenntnis, die hier begrndet wird, ist eine, die Wahrheiten schafft, also nicht nur bereits vorhandene Realitten auf ihren Wahrheitsgehalt hin berprft oder diesen unter Beweis stellt. In diesem Gedanken findet sich, abschließend bemerkt, auch, wie Gunnar Heinsohn und Otto Steiger gezeigt haben (vgl. Heinsohn/Steiger 2006), der eigentliche Entstehungsgrund des Kreditwesens des Geldes, welches damit in
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sehr unmittelbarer Beziehung zur Chance steht, das Wnschenswerte gegenber den Daseinszwngen zu emanzipieren. Denn in diesem Versprechen und dem Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird, nimmt alles Handeln seinen Anfang, das mehr ist als ein quasikausalmechanisches Weitermachen mit dem, was je schon war. Diese grundlegende Kreditbeziehung alles Entstehenden6 ist die Brutsttte der Handlungsfreiheit, in Nietzsches Terminologie: des Willens zur Macht. Entsprechend erfllt sich auch fr Nietzsche das Versprechen trotz seinen Schuldverpflichtungen weniger in der Domestizierung des Menschen als zuvçrderst in einer weitreichenden Entfesselung seines Wesens. – Und was anderes ist das Denken? Was anderes ist die „Gabe des Denkens“ (Derrida 1993, 19)? Schon die Geschichten, die Diogenes Laertius um die erste Philosophie ranken lsst, wie etwa die um Thales, der zum Gespçtt der Umstehenden ber seine Gedankenspekulationen in einen Brunnen stolperte (vgl. Diogenes Laertius, 1967), veranschaulichen bildhaft, dass Heraklits Empfehlung, sich dem Logos anzuvertrauen (vgl. Heraklit 1951, 22 B 1 u. 2), der Vernunft nicht schon automatisch gehobene normative Geltungsansprche einhandelt. Vernunft ist eine Risikoinvestition. Sie bewhrt sich allein im Ausmaß, in dem sie der Welt und dem, der auf sie setzt, zu einem Gewinn wird, Glck bringt oder zumindest Horizonte einer mçglichern Welt aufzeigt, die allein aus dieser Spekulation auf die Kraft des nirgends gegebenen, aber allerorten sich erdenkenden und sich von sich etwas versprechenden Denkens entsteht.
Literatur Aristoteles (1973): Politik (hg. u. bers. v. Olof. Gigon). Mnchen (dtv). Aristoteles (1985): Nikomachische Ethik (hg. u. bers. v. E. Rolfes). Hamburg (Meiner). Brodbeck, Karl-Heinz (1998): Die fragwrdigen Grundlagen der konomie. Eine philosophische Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaften. Darmstadt (WBG). Derrida, Jacques (1993): Falschgeld. Zeit geben I. Mnchen (Fink). Diogenes Laertius (1967): Leben und Meinungen berhmter Philosophen. Hamburg (Meiner). Enkelmann, Wolf Dieter (2010): Beginnen wir mit dem Unmçglichen. Jacques Derrida, Ressourcen und der Ursprung der konomie. Marburg (Metropolis). Enkelmann, Wolf Dieter (2006): „Europa – nichts als ein Versprechen. Eine Nacherzhlung“. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift fr europisches Denken. Bd. 60, Jg. 692, S. 1104 – 1112. Franck, Georg (1998): konomie der Aufmerksamkeit. Mnchen, Wien (Hanser).
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Vgl. Platon (1993, 245c-e), dessen Gedanke vom Anfang nichts anders als Spekulation desselben auf dessen Erfolg ist. hnlich J. Derridas Begriff der Gabe, die es gibt, indem es sie nicht gibt (Derrida 1993, 26).
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Groys, Boris (2004): ber das Neue. Versuch einer Kulturçkonomie. Frankfurt am Main (Fischer). Hntzschel, Jçrg (2010): „Apps fr den Notarzt und Tankstellen im All. Hier wird die Zukunft aus Pappe und Lego gebaut: Ein Besuch an der kalifornischen SingularityUniversity“. In: Sddeutsche Zeitung. Nr. 162, 17./18. 7. 2010, S. 14. Heinsohn, Gunnar/Otto Steiger (2006): Eigentum, Zins und Geld. Ungelçste Rtsel der Wirtschaftswissenschaft. Marburg (Metropolis). Hnaff, Marcel (2009): Gabe, Geld und Philosophie. Der Preis der Wahrheit. Frankfurt am Main (Suhrkamp). Heraklit (1951): Fragmente. Zitiert nach Hermann Diels/Walther Kranz (Hg.): Die Fragmente der Vorsokratiker. Zrich (Weidmann). Kurzweil, Ray (2005): The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology. New York (Penguin). Leggewie, Claus/Welzer, Harald (2009): Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie. Frankfurt am Main (Fischer). Luhmann, Niklas (1973): Vertrauen. Stuttgart (UTB). Platon (1990): „Phaidros“ (bers. v. Friedrich Schleiermacher und D. Kurz). In: Gnter Eigler (Hg.): Platon. Werke in acht Bnden – Griechisch und Deutsch. Bd. 5. Darmstadt (WBG), S. 1 – 193. Priddat, Birger P. (2009): Wirtschaft durch Kultur. Marburg (Metropolis). Schefold, Bertram (1992): „Aristoteles: Der Klassiker des antiken Wirtschaftsdenkens“. In: Bertram Schefold (Hg.): Vademecum zu einem Klassiker des antiken Wirtschaftsdenkens. Dsseldorf (Wirtschaft und Finanzen/Handelsblatt), S. 19 – 69.
Nietzsche’s Critique of Scientific Explanations in History Anthony Jensen Studies that treat Nietzsche’s views on history and science have focused mainly on our cultural and spiritual relation to the past.1 Historiography is either useful or disadvantageous according to how it is put in the service of cultural enhancement, according to how it serves ‘life’. And because our relationship to our past is one that simultaneously shapes and is shaped by the historiographer, historiography itself contributes to the ongoing construction of values essential to the future of our cultural life in a way science – at least the variety of facthording scientism Nietzsche derides – cannot. While this existential disjunction between science and history is without question an important motif in Nietzsche’s writing, one that links him closely to later thinkers like Heidegger, Foucault, De Man, and the great Post-Modern historiographer Hayden White (White 1973, 331 – 374), its predominance in the scholarship has precipitated a near total disregard of Nietzsche by analytically-minded philosophers of history.2 There the focus is typically not history’s cultural importance, but a cluster of epistemological questions about the possibility of objectivity, the character of judgment, and the logic of historical explanation; that is, whether and in what ways historiography can be ‘scientific’. And Nietzsche is thought to have contributed nothing on those topics. I will redress this disregard here by expositing Nietzsche’s critique of the predominant 19th and early 20th Century paradigm of scientific-historical explanation. I will show that Nietzsche’s thought contains the materials for a serious critique of the logic of scientific historical explanation from the standpoint, first, of his notion of radical singularity and, second, of his skepticism about the causal connection between mental and physical events. If Nietzsche is correct on these two points, then the oft-trumpeted contention – in his day and in ours – that historical and scientific explanations share an identical methodology is jeopardized. Before presenting Nietzsche’s critique of ‘scientific-history’, let us first articulate exactly what the scientific-historic method explanation meant. As 1
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Among very many of these, some of the more prominent are Coe/Altmann (2005 – 2006, 116 – 28); Pienia˛z˙ek (2003, 139 – 48); Margreiter (2002, 140 – 154); Zuckert (1976, 55 – 82); Jhnig (1970, 223 – 236); Reinhardt (1960, 296 – 309); Schlechta (1958, 42 – 70). Arthur Danto, who among all analytic meta-historians cannot be considered an amateur of Nietzsche, only bothers to name him on seven out of 437 pages of his analysis of historical knowledge. Danto (1985, 33, 304, 317 f, 324, 342, 371).
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H.T. Buckle, whom Nietzsche considers a representative of scientific history (GM I 4),3 once wrote, “I have long been convinced that the progress of every people is regulated by principles – or, as they are called, Laws – as regular as those which govern the physical world” (Semmel 1976, 373). For Buckle, history was the attempt to explain historical events in terms of regular laws, rather than simply chronicle facts one after another (Buckle 1871). The status of those laws, however, was not easily characterized. Before him, Herder ‘felt himself into’ (einfhlen) the laws that move historical peoples and cultures by means of the empathy generated from reflections upon his own psychological development. Hegel saw the progressive unfolding of absolute Geist as the law ruling the unfolding of successive historical epochs. And Marx presented the past and future development of human society in terms of the laws of the evolution of class and economic structures. Apart from these theorists, practicing disciples of Auguste Comte’s 1844 Discours sur l’Esprit positif sought not to discover such grandiose laws as much as to assume and apply the laws generated by fields whose proper concern it was to discover them. Sociology, economics, and empirical psychology were viewed as having provided laws by which historians could explain the behaviors of historical agents and predict, at least to some degree, how other agents would behave given sufficiently similar conditions. Comte wrote, “I shall bring factual proof that there are just as definite laws for the development of the human race as there are for the fall of a stone” (Levy-Bruhl 1905, 270). In this respect, historical explanation mimics the scientific insofar as it attempts to deduce and predict the occurrence of particular events from general laws. And such confidence was not confined to the 19th century. In the words of J.B. Bury, “though she may supply material for literary art or philosophical speculation, [history] is a science, no less and no more” (Bury 1903, 42). From E.H. Carr we hear, “the study of history is a study of causes” (Carr 1987, 87). Aviezer Tucker has recently advocated the coupling of historiography and scientific methodology insofar as both rely upon abductive inferences to the most probable explanations in terms of Bayesian probability theory (Tucker 2004, 46 – 91; see also Newall 2011, 178). Yet the most eloquent and influential expression of the scientific character of historical explanation, and the one that most closely defines Nietzsche’s concern, was given by C.G. Hempel. “The explanation of the occurrence of an event of some specific kind E at a certain place and time consists, as it is usually expressed, in indicating the causes or determining facts of E” (Hempel 1942, 36). Consider the following illustration. Julius Cesar, as any chronicle can tell us, crossed the Rubicon on January 10, in the year 49 BCE. However, in order to explain this event the scientific-historian resorts quite automatically to a variety 3
Nietzsche owned David Asher’s translation of Buckle’s (1867), Geschichte der Civilisation in England, Leipzig und Heidelberg (C.G. Winter).
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of causal laws. Caesar crossed the Rubicon because of his greed, because of his lust for power, because he secretly hated the Republic, because at that moment he had sufficient monies and legions at his command to capture and hold Rome, etc.. While each of these – and no doubt a good many others – may have been necessary of themselves to have brought about the event, the precise combination of these along with the precisely given circumstances is regarded as the sufficient condition. While the historian will rarely trumpet these as laws proper, they do in fact function as such in their explanations of the event. The historian deduces the particular action Caesar performed from the laws of military science (what is a sufficient number of legions to hold Rome?), laws of psychology (to what lengths will greed and avarice lead a powerful man? –and why will his soldiers follow him?), and laws of political science (how much political antagonism between ruling parties is necessary to cause revolution?). Although this brief sketch certainly omits any number of initial conditions – it perhaps goes without saying that historical events are over-determined – any professional historian would have to articulate a set of conditions of this type to have sufficiently explained the event in question and to predict future cases with relative success when conditions are proximally identical. No working historians consider such predictions inviolable, of course; it is enough if the explanation stands consistent with what we should reasonably expect given proximally similar circumstances. Scientific-history thus fulfills its task when it has explained a particular event by means of deduction from universal or at least very typical empirical observations which, by way of induction, they call laws or else – la Popper – trends (Popper 1957). And this clearly seems to be the way Nietzsche thinks about the explanatory theory assumed by scientific-history. In fact, Nietzsche just names “historical sense” in The Birth of Tragedy as that “which insists on strict psychological causality” (GT 23, KSA 1, 145), citing the historian’s presumption that there must be some psychological law under which any particular Ancient figure was acting such that we can explain his or her action. Without the law, the explanation of the particular dissolves into the unscientific acceptance of ‘miracles’ occurring throughout the course of history. In 1872, Nietzsche is mainly critical of the scientific view, opposing his intuitive vision of the birth of tragedy out of the spirit of music to the sociologically or ethnographically-colored explanations popular in his day and in ours that eschew the mystical origins of myth in favor of a naturalistic description of an individual’s or a culture’s tendencies. Irrespective of the success of his own explanation of tragedy, Nietzsche has the materials in his thought to form two serious critiques of scientific-historical explanation. The first concerns his view of singularity.
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No one who judges, ‘in this case everyone would have to act like this’ has yet taken five steps toward self-knowledge. For he would then know that there neither are nor can be actions that are all the same, – that every act ever performed was done in an altogether unique and unrepeatable way, and that this will be equally true of every future act, – that these prescriptions of action […] relate only to their rough exterior, – that these prescriptions may yield an appearance of sameness, but only just an appearance… (FW 335, KSA 3, 562 f.).
If Nietzsche holds that events in nature, including the sorts of activities that historians write about, are thoroughly singular, then our attempts to articulate a law of the sort ‘if conditions X and Y are present, then result Z will follow’ are doomed to identify as ‘X’ or ‘Y’ conditions and ‘Z’ effects what is in reality ever non-identical. Such a hypothetical identifies merely similar conditions as being able to bring about a result that is itself merely similar to previous results that were themselves never identical to begin with. If similar events are identified only by way of poetical rather than referential thinking – by synecdoche or metonymy – then for the scientific-historian there arises the demand to either cease universalizing singularities or else relinquish the hope that historical explanations are logically justified. This is, for Nietzsche, fundamentally dissimilar from the natural-scientific attempt to explain its phenomena precisely insofar as its objects or events explananda share common features which allow them to be generalized ceteris paribus under covering laws. That is, while every scientist surely recognizes the singularity of stones or flowers, inasmuch as no two phenomena ‘X’ and ‘X1’ can possibly have identical complete descriptions, their deductive laws are univocally constructed upon whatever shared qualities these entities are said to have. What inconsistence is there after all between the activities of man and the course of events? I am particularly struck by the fact that historians […] cease to instruct as soon as they begin to generalize, betraying in their obscurity the sense of their weakness. In other disciplines, generalizations are the crucial factor since they contain the laws. But if such assertions as that cited are meant to be valid laws, then we could reply that the historian’s work is wasted. For whatever truth is left in such statements, after subtracting that mysterious and irreducible residue we mentioned earlier, is obvious and even trivial since it is self-evident to anyone with the slightest range of experience (HL 6, KSA 1, 291 f.).
The singularity of every event that has ever come to pass prohibits the scientifichistorian’s hope in ascribing laws or even trends of sociology, psychology, economics, and the like as a mechanism to satisfactorily explain the event in question. “Just as we understand characters only imprecisely, so do we also understand facts: we speak of identical characters, identical facts: n e i t h e r e x i s t s” (WS 11). The second critique of the possibility of scientific historical explanation concerns the causal connection between intentions and actions. The history of human actions are held to be different from chronicles of wholly naturalistic
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mechanisms precisely insofar as the former are presumed to be the function of thought processes and the latter are not. As Collingwood puts it, “For history, the object to be discovered is not the mere event, but the thought expressed in it.”4 For most historians those thoughts are both regular and explicable. “The idea that people do things for a reason…,” the historian Geoffrey Roberts writes, “that it is possible to construct an evidence-based account of why past actors acted as they did is, for most of us, plain common sense” (Roberts 1996, 222). Combining this new requirement of a motivational psychology with our previous definition of scientific history, we might now say that explanations of historical events must not only draw upon laws, but must draw upon whatever laws or trends may reasonably be assumed to govern the ‘inner’ or ‘motivational’ side of human activity. Nietzsche’s view of motivation is too complex to discuss in any detail here.5 But it is apparent that Nietzsche thinks either that although we cannot know for certain which wills are dominant behind any given action, wills are causally efficacious, or else that there is in fact no act of will motivating action. In support of the former claim we read, “Sometimes it overcomes us […] an indignation when we hear a naturalistic historical explanation. Such feelings prove nothing; they’re only something further to be explained. Feelings b e c a m e deep, but were not always; and even the highest culmination corresponds to no real cause; they are imaginary” (NL 1876 23[49], KSA 8, 422).6 In support of the latter claim, consider the following statement from Twilight. The will does not do anything anymore, and thus it does not explain anything anymore either – it just accompanies processes, but it can be absent as well. […] Not to mention the ‘I’! That has become a fairy tale, a fiction, a play on words: it has stopped thinking, feeling, and willing altogether!… What follows from this? There are no mental causes whatsoever! (GD Irrthmer 3)7 4
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Due to the ‘inner’ component to human actions, which for him are freely determined, Collingwood held that history can never approach the scientific criteria of deductive laws. Collingwood (1946, 282 – 302). Nietzsche would have agreed with the general contention that the construction of behavioral laws as explanatory mechanisms in history was impossible, but would have rejected Collingwood’s rather simplistic ascription of self-determination and freedom to historical agents. Among recent views that state a similar problematic, see Katsafanas (2005, 1 – 31); Welshon (1998, 39 – 48); Acampora (2006, 314 – 333); Golomb (1999, 1 – 19). See also EH klug 9: “…an incredible multiplicity that is nonetheless the converse of chaos – this was the precondition, the lengthy, secret work and artistry of my instinct. Its h i g h e r p r o t e c t i o n manifested itself so strongly that I had absolutely no idea what was growing inside me, – and then one day all my capabilities suddenly l e a p t o u t , ripened to ultimate perfection.” (KSA 6, 294). See also GD Irrthmer 8: “N o b o d y is responsible for people existing in the first place, or for the state or circumstances or environment they are in. The fatality of human
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Whichever of these two options Nietzsche intended, even a minimalist version of his view of motivational efficacy asserts the opacity of our mental states, to both external observers and also to ourselves. “Willing strikes me as, above all, something c o m p l i c a t e d ” (JGB 19). “We are unknown to ourselves, we knowers, we ourselves, to ourselves” (GM Vorrede 1). On the basis of his prohibition of any straightforward attribution of ‘thought-side’ causes, Nietzsche again has a serious and unique critique of the scientific-historian’s hope of explaining events by applying laws of psychological motivation to particular historical agents. Let us reconsider our explanation of Caesar’s crossing the Rubicon because of his ambition, greed, lust for power, etc. While this is too simplistic to serve as a sufficient condition, nearly every historian since Caesar himself has cited a similar dynamic of psychological causes as necessary grounds for his action. Nietzsche’s view of the opacity of mental states thwarts the historian’s certainty that these precise drives were at play just before Caesar’s decision. It is a merely empathetic analogy – a sort of einfhlen – to move from an observation of typical attributions of the motivations behind human actions to an explanation of a specific and unique historical instance. Even if the historian cites Caesar’s own claim that these were in fact his motivations, there is little compulsion to trust the diagnosis. Would any psychologist trust at face value such an explanation of motivation? If we do not know ourselves, we knowers, how much more poorly must we grasp the deep psychological motives of long-dead historical agents? Historical explanations of events thus resolve into “opinions about supposed actions and their supposed motives, which in turn give rise to further opinions and actions […]. All historians speak of things which have never existed except in imagination” (M 307). Historians who maintain that the intellectual or ‘thought’ side of deliberative action contains the necessary condition for explaining events by deduction under law presume both that there is a ‘thought’ side to every meaningful human action and that those thoughts can be deciphered by rudimentary psychological laws. The objection Nietzsche’s philosophy invites is that if the transparency of the particular is necessary to order it under the appropriate general law – that this action really was done out of this particular psychological motivation ‘p’ and that actions done out of ‘p’ result in consequences ‘q’ – then the failure to reliably ascribe the motivation for the activities to their historical agents renders scientific-historical explanations of those events similarly unreliable. Since scientific explanations of historical existence cannot be extricated from the fatality of everything that was and will be. People are n o t the products of some special design, will, or purpose […]. We have invented the concept of ‘purpose’: there a r e no purposes in reality …A person is necessary, a person is a piece of fate, a person belongs to the whole, a person only i s in the context of the whole…”
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events require that the agent’s actions have an ‘inner’ or ‘thought-side’ component, Nietzsche’s position on the opacity of mental states poses a serious threat to the viability of that same sort of explanation. Yet it would be a mistake to think the scientific-historian is defeated by these two objections. Few, if any, professional historians would concede that their explanations assume an identity of past events such that some manner of universal law could be adduced. Historians, unlike scientists, really are not concerned with the unity of characters or events foremost, but their differences. They admit a general similarity between emperors or political revolutions, and do so implicitly by using those general terms; but they hardly fall into any ‘seduction of grammar’. Moreover, few historians would assert ex cathedra that the motivation they identify behind a particular action could be the only one possible. Granted that historians sometimes engage in armchair psychological diagnoses, theirs are hardly worse off than the explanations found in the writings of sociologists or economists. The way out, for most philosophers of history since Popper, is simply to admit that laws of history may not exist – and if they do, we may be too obtuse to apprehend them. But trends certainly do exist and can be confirmed by rudimentary observation. It is a matter of probability – as Hume or Bayes might say – not proof, that historical personages are motivated to act in ways roughly similar to the ways we do today. But what, then, compels our acceptance of historical explanation? This is where Nietzsche’s criticism of scientific historical explanation is most condemnatory. If explanation is to compel assent logically only by means of deducing particulars from universals, and if we substitute trends as an impoverished version of laws, then why should we hope that trends compel understanding as well? Under Hempel’s model, we have only successfully explained event ‘q’ by having identified the ‘p’ that stood as its sufficient condition, whether ‘p’ be a set of purely material considerations or else a presumptive ‘thought-side’ motivation. However, if ‘p’ could only occur once then we no longer have ‘p’ exactly, just a number of variables which, while they bear a family resemblance to ‘p’, are really not ‘p’. The absolute singularity of events in history, including the unique emotions that motivate unique historical agents, precludes the possibility of appealing to the same logical compulsion presumed in the explanations of positive science. If Nietzsche is correct, then our acceptance of an historical explanation is not and cannot be compelled by a logical deduction between the law and the explanandum. But it is at the same time entirely obvious that we in fact do accept certain historical explanations and reject others. The question becomes, ‘why are we convinced by certain historical explanations but remain unconvinced by others?’ In place of the compulsion of logic, Nietzsche claims that in fact a certain feeling of pleasure is attained when we order a phenomenon previously unfamiliar to us under what we feel is familiar. “[T]he first idea that can
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familiarize the unfamiliar feels good enough to be ‘considered true’. Proof of p l e a s u r e (‘strength’) as the criterion of truth” (GD Irrthmer 5).The pleasure we feel by having explained away the unfamiliar is the physiognomic award for an increase of power. “’The proof of power’: i. e., an idea is proved true by its e f f e c t – […] Here the sudden feeling of power than an idea arouses in its originator is everywhere accounted proof of its v a l u e : – and since one knows no way of honoring an idea other than by calling it ‘true’ […] – How else could it be so effective?” (NL 1888 14[57], KSA 13, 245).8 A revolution, for example, is attributed to feelings of repression in the lower classes – as if there is a simple and universal phenomenon called the ‘lower classes’, as if that simple and universal phenomenon always has transparent motivation called ‘repression’ that the trained historian can somehow apply to the universal phenomenon ‘revolution’. If we follow Hempel’s positivist model, then the singularity of historical cases would preclude the possibility of explanation. Under Nietzsche’s model, however, such an explanation would satisfy the inquirer were he or she empathetically familiar with that proximal feeling of repression and feel wellpleased that the situation is sufficiently well in hand. Explanation is not a proof by logical deduction, then, but a psychological expression of what the drives that constitute the subjectivity of a particular historian are already disposed to accept. Nietzsche continues in GD: So we are not looking for just any type of explanatory cause, we are looking for a c h o s e n , p r e f e r r e d type of explanation, one that will most quickly and reliably get rid of the feeling of unfamiliarity and novelty, the feeling that we are dealing with something we have never encountered before, – the m o s t c o m m o n explanation. – Result: a certain type of causal attribution becomes increasingly prevalent, gets concentrated into a system, and finally emerges as d o m i n a n t , which is to say it completely rules out o t h e r causes and explanations. – The banker thinks immediately of his ‘business’, the Christian of ‘sin’, the girl of her love. (GD Irrthmer 5).
In explaining historical events, then, we do indeed seek for causal principles that are sufficiently regular so as to function as laws or at least trends, as scientific history maintains. Yet because we are not compelled to accept the truth of such an explanation logically due to the singularity and opacity problems Nietzsche poses, then we must search within the realm of psychology for a reason why we are compelled to accept such explanations-under-law at all. Nietzsche’s answer is that historical explanations that deduce the qualities of an unfamiliar event from a regularly observed pattern that is intimately familiar to the individual judging agent produces a feeling of satisfaction or empowerment, which is thereafter stamped with the determination ‘true’.
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See also FW 355.
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I have investigated Nietzsche’s critique of the so-called scientific-historiography from an epistemological standpoint. I have shown that Nietzsche acknowledges that the scientific-historians of his day were indeed trying to explain historical events by way of ordering the particular event in question under a general law or trend, and that that general sentiment is still in relative vogue today. I have shown, further, that within his own philosophy, in particular his conception of event-singularity and of the opacity of mental states, lay the tools that entail an abiding critique of the scientific-historical position. And I have shown that for Nietzsche history does explain its objects by appeal to general laws, but does so by means of satisfying certain drives and inclinations in its readers. History does not, as the scientific-historians believed, explain by means of logical demonstration. I hope to have accomplished a second, less tangible goal in this paper, namely, to have shown that Nietzsche must be taken seriously for his metahistory. Not only should continental theorists be interested in his remarks about the role of power or history’s effects on culture, though both are central issues. Nietzsche’s meta-historical remarks must also be considered from the standpoint of more analytically-inclined philosophy of history, as an abiding critique of objectivity, of the construction of laws, and, as we have explicated here, of the possibility of explaining historical events by appeal to laws.
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Nietzsche on history as science Christoph Schuringa From his earliest writings to his very last, Nietzsche shows a persistent interest in the question of how, and to what ends, history should be studied. In his second Untimely Meditation he takes a critical attitude toward the excessive pursuit of historical study in his own time, characterizing it as a “historical sickness” (HL 10, KSA 1, 329). In his own later work, however, he makes widespread use of history for philosophical ends, notably in his histories of morality and religion. The relationship between these approaches, early and late, has been characterized by Karl Schlechta, and others following him, as a revaluation or Umwerthung in Nietzsche’s estimation of history, the early Nietzsche being generally critical of historical study (geschichtsfeindlich), the later Nietzsche valuing history more highly (Schlechta 1958). This characterization seems to me to be seriously mistaken. The early Nietzsche is not simply critical of historical study as such, as a careful reading of the Untimely Meditation will show. Rather, Nietzsche consistently here, and throughout his work, places emphasis on the uses that can be made of historical study if this study is made to serve the right ends. I shall argue that the primary target of Nietzsche’s criticism in HL is not history per se but, as he puts it, “the demand that history should be a science” (HL 4, KSA 1, 271). In this way, a different Umwerthung altogether can be seen to emerge in Nietzsche’s thought on the value and nature of historical study. This revaluation takes place in relation specifically to the scientific status of history, and ways of pursuing it which ascribe such a status to it, not in relation to the value of history itself. Such a shift seems to be initiated by the opening aphorism of Human, All Too Human, where Nietzsche calls for a “historical philosophy” that “can no longer be thought of as separate from natural science” (HaH I 1). This commitment seems to be an enduring one for the remainder of Nietzsche’s output. It should be noted at the outset that the apparent shift in Nietzsche’s views on the scientificality of history cannot be explained away by appeal to the multiple meanings of the term Wissenschaft, notoriously much broader than the English ‘science’; as we shall see, he makes explicit reference to what we can call the ‘exact’ sciences (mathematics and natural science) in the relevant discussions both before and after the shift. It will be my contention that the early and late positions can be seen to be consistent with one another once we identify a development in what Nietzsche allows to count as ‘science’. This development is complex and not straightfor-
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wardly linear; there is no decisive moment of Umwerthung (and the seeds of the later conception can be found to be sown in the earlier work). I will begin by outlining Nietzsche’s objections against history as science in HL. I shall then examine the conception of history as science at work from HaH onwards. Finally, I will raise various problems about this conception in the light of Nietzsche’s remarks about nature and science in other contexts. My brief account will inevitably leave out much that is important, but will, I hope, capture something central to Nietzsche’s development.
1. Against history as science: the second Untimely Meditation The first two Untimely Meditations are strongly critical in tone – Nietzsche would later describe them as “warlike” and “attempts at assassination” (EH UM 1 & 2, KSA 6, 316 f.). In the case of the first Meditation, the target is clear: what Nietzsche characterizes rather unfairly as the self-satisfied, self-deceiving Christianity of David Friedrich Strauss. (This seems particularly unjust in light of Nietzsche’s proximity in On the Genealogy of Morality and elsewhere to the type of naturalizing, ‘disenchanting’ accounts of religious phenomena exemplified by Strauss in his Life of Jesus.)1 The critical target of HL is less obvious, since, unlike the other Meditations, it does not deal with a named person. The subject matter is, clearly enough, the historische Bildung of contemporary Germany, which Nietzsche characterizes as the “oversaturation of an age with history” (HL 5, KSA 1, 279). The target of his critique is not simply the pursuit of historical knowledge itself, however. He regards historische Bildung, significantly, not as a vice but as a “hypertrophied virtue” (HL Preface, KSA 1, 246): it is a plant that has turned into a weed. Pace Schlechta and others, Nietzsche is not simply geschichtsfeindlich here, as would be surprising for someone trained as a classical philologist and whose first published work, The Birth of Tragedy, took a historical subject matter (whatever its present-directed purposes).2 The clue to what is wrong with such a reading is contained in the title of the Meditation itself: “On the uses and disadvantages of history for life.” History is not harmful for life per se, but it becomes so if pursued in the wrong way. And this is not simply a matter of pursuing one kind of history rather than another. 1 2
See Lanfranconi (2000, 98 f.), for a persuasive account of an Umwerthung of Strauss in Nietzsche’s estimation from HaH onwards. Furthermore, texts and fragments showing Nietzsche’s appreciation of the potential value of historical study appear remarkably early in the Nachlaß. See, e. g., the text “Fatum und Geschichte” from 1862 (KGW I/2, 430 – 437), and the fragment 16[17] from 1863 – 64 (KGW I/3, 291).
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In identifying what Nietzsche has in mind as the right way of pursuing history, commentators are often tempted to refer to his tripartite division of the modes of history into “monumental,” “antiquarian” and “critical” and to ask which of these Nietzsche is singling out for praise.3 But Nietzsche is emphatic that all three modes of history are useful for life if pursued in their proper places and according to their proper function, as is reinforced by Jçrg Salaquarda’s careful textual study of the preparatory notes for the Meditation, where this nuanced Nietzschean position can be seen being gradually worked out (Salaquarda 1984). Salaquarda’s analysis is valuable in showing that Nietzsche, in his notes, at first operated with a simple dichotomy between “monumental” (or, interchangeably, “classical”) and “antiquarian” history, where the former was simply valued positively and the latter negatively. Nietzsche then comes to his subtler position, which recognizes that it is the function that each type of history serves that is at issue, a development that involves the introduction of the third, “critical,” kind of history. Nietzsche’s real critical target, then, is neither history per se nor one or more of the modes of history he proposes. I propose that the ultimate target can be identified as the demand that history be made scientific. Nietzsche’s criticisms of this demand occur in three different sections of the Meditation. Thus, he writes at HL 1: History become pure, sovereign science would be for mankind a sort of conclusion of life and a settling of accounts with it. […] Insofar as it stands in the service of life, history stands in the service of an unhistorical power, and, thus subordinate, it can and should never become a pure science such as, for instance, mathematics is (KSA 1, 257).
Again, at HL 4, he asks what has gone wrong with the relationship between history and life. The answer he gives to his own question is that a “mighty, hostile star” has been interposed between history and life. We see “a gleaming and glorious star interposing itself, the constellation really has been altered – b y s c i e n c e , b y t h e d e m a n d t h a t h i s t o r y s h o u l d b e a s c i e n c e ” (KSA 1, 271). Lastly, at HL 10, Nietzsche contends, in opposition to claims to deliver history with a scientific status, that history should be subject to the “eternalizing powers of art and religion.” (KSA 1, 330). What is less clear is what exactly Nietzsche has in mind as constituting the Wissenschaftlichkeit that he disapproves of in the study of history. At least two candidates emerge with some clarity from the remarks that Nietzsche makes:
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While perhaps the most obvious choice is to identify Nietzsche with critical history (see, e. g., Breazeale 2000), some have seen him as an advocate of monumental history (Ottmann 1987, 36; Jensen 2008, 227).
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Hegelian philosophy of history4 and the historicism of Ranke.5 (Ranke, although not mentioned by name in HL, is the “celebrated historical virtuoso” of HL 6, as is confirmed by the quotation given there from Ranke’s Die rçmischen Ppste in den letzten vier Jahrhunderten.)6 It is important to emphasize the distinctness of these targets. While some commentators speak, confusingly, of ‘Hegel’s historicism’ (e. g. Beiser 1993; Forster 1998), it is advisable to keep Hegelianism in the philosophy of history and the phenomenon of historicism in German historiography firmly separate (see Jordan 1998). Ranke should properly be seen as largely reacting against Hegelianism.7 It is possible that the distinction between the two was to an extent blurred in Nietzsche’s own mind (Raulet 2000, 185), or he may have seen both tendencies as manifestations of an underlying trend. For present purposes, however, it remains useful to treat them separately, since Nietzsche’s objections can be seen to fall into two categories, anti-Hegelian and anti-Rankean. Nietzsche has two basic objections against Hegelian philosophy of history and its claims to be ‘scientific’. Namely, it posits ‘laws of history’ the existence of which Nietzsche denies. Further, it sees history as a progressive movement towards a goal; for Nietzsche there is no such goal. Taken together, these views lead to two harmful consequences: what Nietzsche calls the “idolatry of the factual” (HL 8, KSA 1, 309) – acquiescence in whatever exists because it is supposed to exist out of necessity – and epigonism (the belief that one stands at the end of history; HL 8, KSA 1, 307). The latter is notoriously lampooned by Nietzsche as Hegel’s alleged belief that world history culminated in his own 4
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Nietzsche’s attack on Hegelianism is largely effected through his critique of Hartmann’s supposed “parody” of Hegelianism in his Philosophie des Unbewussten. This strategy is motivated by Nietzsche’s view that Hartmann undermines the Hegelian by showing its inevitable consequences: “Hartmann is important because he deals a deathblow to the idea of a world process simply by being consistent” (NL 1873 29[52], KSA 7, 648). Anthony K. Jensen rightly emphasizes the importance of Nietzsche’s engagement with the methods and aims of philology as background to his reflections on historiography. I do not, however, wish to follow him in identifying Nietzsche’s principal targets in HL with the respective schools of the philologists Boeckh and Hermann (Jensen 2008). That I do not think that these rival camps can be mapped onto the categories of “antiquarian” and “critical,” as Jensen contends, follows from what I say above about how Nietzsche arrives at these categories. Cf. HL 6, KSA 1, 291; Ranke (1867 – 1890, Vol. XXXVII, 23). In a text from the 1830 s, for example, Ranke attacks the type of philosophy of history he associates with Hegel in scathing terms: “Es ist oft ein gewisser Widerstreit einer unreifen Philosophie mit der Historie bemerkt worden. Aus apriorischen Gedanken hat man auf das geschlossen, was da sein msse. Ohne zu bemerken, daß jene Gedanken vielen Zweifeln ausgesetzt seien, ist man daran gegangen, sie in der Historie der Welt wiederzusuchen. Aus der unendlichen Menge der Tatsachen hat man alsdann diejenigen ausgewhlt, welche jene zu beglaubigen schienen. Dies hat man wohl auch Philosophie der Geschichte genannt.” (Ranke 1964 – 1975, Vol. IV, 86).
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existence in Berlin (HL 8, KSA 1, 308). A different kind of objection to the scientific aspirations of history seems to be much more aptly directed at Ranke than at Hegel. This is the criticism of the demand for unbounded ‘objectivity’, an objectivity that, lacking all criteria of selection and treating all data as equally relevant, would end in utter indiscriminacy as to the objects of history – in Nietzsche’s image, it would end with the historian dredging up the slime at the bottom of the sea for signs of his own existence (HL 9, KSA 1, 312 f.). In part, admittedly, these criticisms are directed at the consequences of such ‘scientific’ approaches, not at those approaches themselves. But Nietzsche supplies further criticisms of the approaches themselves, especially in the notebooks. History simply isn’t like this, and even if it were, we could not know about it, since we are merely “earthly fleas”, not “governors of the world” (NL 1873 29[74], KSA 7, 662).
2. History as science: Human All Too Human Given Nietzsche’s opposition to the demand that history be made scientific in the Untimely Meditation, he makes what seems like a startling announcement at the beginning of his next published work after the Meditations, Human All Too Human. Here Nietzsche bewails the lacks of historical sense of all philosophers hitherto and calls for a new kind of philosophy which he calls “historical philosophy [das historische Philosophiren]”, a “method” in philosophy that he says has recently come into being (HaH I 1, KSA 2, 23 f.). This new method stands opposed to the old ‘metaphysical’ philosophy. Whereas metaphysical philosophy attempts to discover the eternal realities that stand behind the world of appearance, historical philosophy eschews any such attempt to get at the unchanging. It acknowledges that the world is one of flux, and that the contradictions manifested in that flux are not to be explained by resorting to fixed, stable entities that stand in opposition to each other. It is significant that the repudiation of metaphysical philosophy and the demand for historical philosophy corresponds closely to a turn away from Schopenhauer’s stated views on the subject. Schopenhauer had used precisely the same phrase, das historische Philosophieren, to characterize an approach to philosophy which he condemned.8 As he put it in The World as Will and Representation (I, §53): anyone who imagines that the inner nature of the world can be historically comprehended, however finely glossed over it may be, is still infinitely far from a philosophical knowledge of the world. […] Such historical philosophizing 8
This was noted by Heller (1972, 6). See also the discussion in Lanfranconi (2000, 86 – 90).
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[historisches Philosophieren] in most cases furnishes a cosmogony admitting of many varieties, or else a system of emanations, a doctrine of diminutions, or finally, […] conversely, a doctrine of a constant becoming, springing up, arising, […] or some other drivel of this kind. (Schopenhauer 1969, Vol. I, 273)
For Schopenhauer, the proper objects of philosophical contemplation were the unchanging and eternal, not the fleeting and transitory. This view, according to Nietzsche, could be traced back to a wrong turning taken in philosophy in the period before Plato; in his Philosophy in the Tragic Age of the Greeks and in his lectures on Pre-Platonic philosophy, he makes it clear that he regards Parmenides as the culprit for the turn toward metaphysical philosophy (PTAG 10, KSA 1, 843 f.). Parmenides originates the tradition of looking for the true nature of things behind the world, positing a stable realm of ‘being’ to serve as the ground and explanation of all ‘becoming’.9 The hero of these texts on pre-Platonic philosophy is evidently Heraclitus, whom Nietzsche singles out for praise repeatedly (and continues to do into his late work, e. g. TI Reason 2; EH BT 3). For Heraclitus, the nature of the world consists not in some grounding element (e. g. water, as it had been for Thales) but in the conflictual play of the apparent world itself (PTAG 5 – 6, KSA 1, 822 – 830). That Nietzsche closely identifies his “historical philosophy” with a Heraclitean “philosophy of becoming” is made manifest in the revised version of HaH I 1 he produced in 1888, where the phrase “historical philosophy” is replaced by “philosophy of becoming [Philosophie des Werdens]” (KSA 14, 119). On Nietzsche’s reading, Heraclitus’ key insight was that we should not look behind the realm of flux for a ‘true’ world which contained stable objects capable of explaining that flux; we should accept the flux itself, in its everchanging forms, as our object of investigation. We should not think of Nietzsche’s endorsement of Heraclitean doctrines in HaH as appearing totally ex nihilo, however. The seeds of an Umwerthung towards a Heraclitean view of history had, in fact, been sown in earlier texts. In HL Nietzsche had described “the doctrines of sovereign becoming, of the fluidity of all concepts, types and species” in a double-edged way as “doctrines which I consider true but deadly” (HL 9, KSA 1, 319).10 Their deadliness here motivated him to advise against embracing them and to advocate counteracting 9 This doctrine is most fully developed in Plato’s philosophy. For a locus classicus, see Timaeus, 27d: “What is that which always is and has no becoming, and what is that which becomes but never is? The former is grasped by understanding, which involves a reasoned account. It is unchanging. The latter is grasped by opinion, which involves unreasoning sense perception. It comes to be and passes away, but never really is.” See also Philebus, 53c; Theaetetus, 152d-e; Sophist, 248a; Republic, 7.521d. 10 Cf., however, the more straightforwardly critical remarks about the doctrine of becoming in SE 4, where Nietzsche writes, e. g.: “In becoming, everything is hollow, deceptive, shallow and worthy of our contempt.” (KSA 1, 374).
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them with the “eternalizing forces” of art and religion. Significantly, the Heraclitean doctrine of becoming was at this stage already aligned in Nietzsche’s mind with a certain conception of science, a conception that is evidently not the one he has in mind when criticizing the demand to make history scientific earlier in the Meditation. “Science,” he writes, “considers the only right and true way of regarding things, that is to say the only scientific way, as being that which sees everywhere things that have been, things historical, and nowhere things that are, things eternal” and “seeks to abolish all limitations of horizon and launch mankind upon an infinite and unbounded sea of light whose light is knowledge of all becoming” (HL 10, KSA 1, 330). This conception of science is more fully worked out in HaH. Here history and science become intimately linked. That “historical philosophy” has aspirations to scientific status is affirmed repeatedly in the text. Thus, in HaH I 1, we are told that historical philosophy “can no longer be thought of as separate from natural science,” and that “all we require […] is a c h e m i s t r y of the moral, religious, and aesthetic conceptions and sensations” (KSA 2, 23 f.); at HaH I 16 it is claimed that “the steady and laborious progress of science […] will one day celebrate its greatest triumph in a h i s t o r y o f t h e g e n e s i s o f t h o u g h t ” (KSA 2, 37); at HaH I 37, “there rules that science which asks after the origin and history of the so-called moral sensations” (KSA 2, 59 f.). At HaH I 416, history is referred to as a constituent part of “science” (KSA 2, 274). Furthermore, Nietzsche closely linked Heraclitus’ conception of the world with the latest developments in the natural sciences. Thus, in his lectures on prePlatonic philosophy, he cites a recent lecture by the entomologist Karl Ernst von Baer to lend credence to Heraclitus’ philosophy (Baer 1862). Nietzsche borrows an example from von Baer that is intended to suggest that our perception of the world as containing stable, unchanging entities is an illusion brought about by the peculiarities of our organization as organisms. The example asks us to consider, in turn, a human life that is radically accelerated (say 1,000-fold) and one that is radically decelerated (again, say 1,000-fold). In a life decelerated 1,000-fold, but with the same number of heart beats as a normal life (the heartrate being correlated, according to von Baer, with rate of perception), what seem to us like stable objects will be perceived as constantly undergoing change. This raises the possibility that all objects we perceive as stable mask changes that we do not observe simply due to the way we are organized as perceiving creatures (KGW II/4, 267 – 270). It may be questioned whether von Baer’s thought experiment is sufficient to show that our perception of the world misleads us into supposing that things are more stable than they are, or whether it merely raises such a possibility without settling the matter. It is clear, however, that Nietzsche himself regarded a scientific view of the world as delivering a world of Heraclitean flux.
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3. History as science and Nietzsche’s conception of nature The project of ‘historical philosophy’ inaugurated in HaH is one that Nietzsche pursues through later texts, such as Daybreak, The Gay Science, Beyond Good and Evil and, in particular, On the Genealogy of Morality and The Antichrist. Specifically, these texts take up the projects of delivering histories of morality and of religion with the aim of dispelling their claims to a Wunder-Ursprung. It needs to be argued first of all that these approaches are genuinely historical in intent. Some commentators continue to regard them, in particular the narratives offered in the Genealogy, as being fictional or hypothetical in nature. This view often, though not necessarily, goes together with the view that ‘genealogy’ must be some kind of special ‘method’ or ‘argument form’.11 The denial that Nietzsche’s genealogies are meant to be historical is unfounded for a number of reasons. First of all, Nietzsche himself characterizes his genealogical approach as getting away from the hypothetical nature of the accounts of Paul Re and his English forerunners and as being an attempt to get at the “real h i s t o r y o f m o r a l i t y,” the “morality that has really existed, really been lived” (GM Preface 7, KSA 5, 254). Furthermore, Nietzsche demonstrably relied heavily on historical sources for the examples he uses in his genealogies.12 Finally, a consideration of what the genealogies are meant to achieve will show that they must be historical in intent. The claim that ‘genealogy’ is a particular method or argument form that is imbued, thanks to its special structure, with a power of its own to critique or ‘debunk’ its object, e. g. morality, can itself be shown to be mistaken by, again, appealing to things Nietzsche himself says. A genealogy tells a narrative about how, say, our morality has come to be. Were such a narrative to have the function, by itself, of debunking that morality, it would commit a genetic fallacy. Nietzsche himself repeatedly points out his awareness of such a fallacy (e. g. GS 345), and emphasizes that a history of moral valuations and its critique are distinct projects.13 Ultimately, Nietzsche has the intention to bring them 11 Treatments of genealogy as if it were a “method” are rife in the literature; the efforts of Raymond Geuss to point out that, for Nietzsche at least, there is no special method with this name seem to have been to little avail (Geuss 1999, 1). For a recent consideration of the “philosophical function” of genealogy, see Guay (2006). 12 In particular the work of Albert Hermann Post. See Stingelin (1991) for evidence of Nietzsche’s practice of excerpting from Post’s work. 13 GS 345: “I have scarcely detected a few meager preliminary efforts to explore the history of the origins of these feelings and valuations (which is something quite different from a critique and again different from a history of ethical systems)” (KSA 3, 578). Cf., from the Nachlaß, e. g.: “Die Geschichte der bisherigen Werthschtzungen und ihrer Grnde ist etwas anderes als die Schtzung selber” (NL 1883 16[33], KSA 10, 511). “Die Frage nach der Herkunft unserer Werthschtzungen und Gtertafeln fllt ganz und gar nicht mit deren Kritik zusammen, wie so oft geglaubt wird: so gewiß auch die Einsicht in
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together, with the genealogy forming the preparation for the critique that takes place in the “revaluation of all values.” The genealogy cannot by itself effect this critique. The subversive or debunking power of the genealogy resides, rather, in its capacity to show the adherent of the morality in question (or whatever the object of the genealogy happens to be) that he or she had (tacitly or otherwise) held that morality to be justified by a Wunder-Ursprung inconsistent with the genealogical story. The genealogical story shows that the object in question in fact has many, disparate antecedents which have become conjoined at various points in history in a contingent and haphazard manner. Nietzsche’s genealogies are not, then, to be regarded as belonging to a different genus from other historical narratives that he gives. Indeed, in his notebooks of the period of GM in which he is sketching out his genealogical project he never uses the term ‘genealogy’, but repeatedly refers to the need for a ‘history of valuations’.14 It is particularly clear in the case of Nietzsche’s histories of Christianity that accounts are being offered that are, at least in principle, verifiable. Where his approach is more problematic is where appeals are made to periods which are, by Nietzsche’s own account, situated in pre-history rather than in a documented period (e. g., much of the narrative of GM II). Nietzsche thus sometimes frustrates himself in his aim to get away from the hypothetical accounts offered by Paul Re, which rely on Darwinian constructions rather than appeal to historical fact. For instance, he repeatedly calls for an Entstehungsgeschichte des Denkens (“history of the genesis of thought”), using this term in HaH and again in a note from 1885.15 Such a ‘history’ would seem to constitute an exercise in what is effectively evolutionary epistemology.16 It is very difficult to see how such a history could be documented, since it seeks to make claims of a highly sceptical nature about earlier stages in the development of our faculty of cognition itself. Leaving aside these epistemological problems about Nietzsche’s narratives, however, their aspiration, for the most part, to be historical is evident. This historical intent can be closely tied to a scientific intent, in the postUmwerthung sense outlined above. One very important feature Nietzsche’s narratives possess has been pointed out by numerous commentators: they are meant to have a naturalizing component.17 Here Nietzsche’s conception of
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irgend eine pudenda origo fr das Gefhl eine Werthverminderung der so entstandenen Sache mit sich bringt und gegen dieselbe eine kritische Stimmung und Haltung vorbereitet.” (NL 1885 – 1886 2[189], KSA 12, 160). See NL 1883 8[15], KSA 10, 337; NL 1883 16[33], KSA 10, 511; NL 1884 26[130], KSA 11, 184; NL 1884 26[164], KSA 11, 192. HaH I 16, 18; NL 1885 40[27], KSA 11, 643. For a discussion of this, see Poellner (1995, 138 – 49). See e. g. Cox (1999); Leiter (2002); Williams (2002, 22): “Genealogy is intended to serve the aims of naturalism (and was understood to do so by Nietzsche, who first applied the term ‘genealogy’ in this sense).”
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history is crucial, for it is this that tells us that a naturalistic account must take a historical form. If the world under consideration is regarded as one of Heraclitean flux, then any examination of it must proceed, in accordance with the principles of historical philosophy set out in HaH, by examining the way things have come to be, always guarding against the temptation to see things as they are around us as determined to be so by unchanging entities in the world beyond. What should not be forgotten is that Nietzsche, in announcing his naturalizing project, is explicit about the picture of nature that he has in mind – and this is one far removed from that of contemporary ‘naturalism’ as a philosophical project. Nietzsche’s naturalistic project is specifically, as he puts it, to “‘n a t u r a l i z e’ humanity in terms of a pure, newly discovered, newly redeemed nature” – and this is contingent upon our completing our “dedeification of nature” (GS 109, KSA 3, 469). The nature we are to be translated back into will not be, for Nietzsche, nature as standardly conceived by the natural science of his day (and as it is, perhaps, still generally considered today). Nietzsche’s radical conception of nature is highlighted when at GS 109 he goes so far as to claim that even matter itself is “as much of an error as the God of the Eleatics” (KSA 3, 468); in other places, he strikes right at the heart of the conception of nature as bound by laws by suggesting that this very idea is an anthropomorphic fiction.18 His ‘naturalized’ history is, thus, certainly not to be thought of as gaining its scientific status from a capacity to make predictions from general laws. Nevertheless, history has become for Nietzsche a scientific pursuit in the sense that it is indistinguishable from the study of nature. Quite how Nietzsche’s picture of nature is meant to function is a difficult matter that can only be tackled in conjunction with an examination of his more general epistemological views, in particular his perspectivism; this question is not, however, the one at issue here.
Conclusion From HaH onward, I have argued, Nietzsche offers a highly original conception of history as scientific, that is, as capturing the Heraclitean flux that nature (as Nietzsche wants to conceive it) exhibits. This conception can be accommodated alongside his critique in his early work of scientific models of history since the claims to scientificality in play there appeal to a metaphysical picture which he 18 In some places, e. g. GS 109, Nietzsche’s objection seems to be simply against “laws” in nature viewed as “commanding” nature, where this notion of command is thought of in too anthropomorphic a sense. In other places, however, he seems more far-reachingly sceptical about the very notion of a law in nature (see e. g. NL 1886 – 1887 7[14], KSA 12, 299; NL 1883 15[50], KSA 10, 493; BGE 22).
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seeks to dismantle in the period from HaH onward. Serious questions remain over how the conception of nature in play in the later thought might work; it is, nevertheless, the conception we should expect given the more general antiPlatonic, perspectivistic trend of his thinking. Once we take note of the endorsement of his Heraclitean conception of nature (and thus of science) which takes place from HaH onwards, the apparent shift in Nietzsche’s views on the prospects of a ‘scientific’ history can be seen to turn about this axis. The result is that Nietzsche’s early and late views can be seen to be consistent with one another. His complaints both against the teleological, nomological commitments of Hegel’s approach to history and against the ‘objective’ aspiration of Ranke’s remain in force in his later work. The critique of teleology is itself a central plank of Nietzsche’s advocacy of a philosophy of becoming – becoming never attains a final state;19 Nietzsche’s enduring critiques of ‘objectivity’ hardly require mention. Nietzsche’s early critique, then, is ultimately complemented, not contradicted, by the scientific aspirations of ‘historical philosophy’.
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Die Hierarchie der Wissenschaften in einem Zeitalter des bergangs Andrea Orsucci 1. ber das ganze 19. Jahrhunderts war in der deutschen Kultur der Austausch zwischen Philosophie und Naturwissenschaften besonders rege. Um zu verstehen, welche Bedeutung Nietzsche der Auseinandersetzung mit den Wissenschaften beimisst, ist – so lautet die These meines Beitrags – von der Wahrnehmung auszugehen, die er von seinem Zeitalter hat. Er sieht immer raschere unerwartete Umwlzungen im Gange, die Wirtschaft und Politik, soziale Verhltnisse und das wissenschaftliche Weltbild so radikal ergreifen, dass man nicht mehr nur von einem vorhersehbaren Fortschritt, sondern von einem plçtzlichen bergang zu einer ganz neuen Kultur sprechen muss. Die Originalitt seiner Gedanken tritt vor dem Hintergrunde der weitlufigen Diskussion hervor, die damals in Deutschland um die Klassifizierung der Wissenschaften ausgetragen wurde. Die Universittsphilosophie, von Dilthey bis Windelband, tut sich schwer, eine Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, die fr Nietzsche auf der Hand liegt: Der gewaltige Wissenszuwachs, der auch die Wechselbeziehungen zwischen den Disziplinen nicht unberhrt lassen kann, vereitelt jeden Versuch, letztgltige Prinzipien zu formulieren, nach denen ein fr allemal eine Hierarchie der Wissenschaften aufzustellen wre. Philosophie und Geisteswissenschaften wurzeln, nach Dilthey, „in der Tiefe und Totalitt des menschlichen Selbstbewusstseins“ (Dilthey 1962a, 6) und bilden „ein eigenes Reich von Erfahrungen, welches im inneren Erlebnis seinen selbststndigen Ursprung und sein Material hat“ (Dilthey 1962a, 9). Auf Grund dieses ihres besonderen Charakters bestehe ihre Aufgabe darin, „die Idealitt des Lebens, die an eine gerechte Wrdigung der geistigen Tatsachen gebunden ist, der Sittlichkeit, Religion und Kunst“ zu bewahren (Dilthey 1962b, 236). Gegen eine solche Auffassung stellt sich 1894 Windelband, der Dilthey vorwirft, die Wissenschaften anhand „eines sachlichen Einteilungsprinzips“, eines vagen Gegensatzes zwischen ,Natur‘ und ,Geist‘, zu gliedern und anzunehmen, „daß die Tatsachen der sogenannten Geisteswissenschaften lediglich durch innere Wahrnehmung begrndet“ seien (Windelband 1924, 142 f.). Dagegen spricht sich Windelband fr ein „formales Einteilungsprinzip“ der
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Wissensbereiche auf Grund des „Charakters ihrer Erkenntnisziele“ aus. Doch auch in seiner Auffassung der Geisteswissenschaften ist die von Dilthey so genannte „Totalitt der Menschennatur“ (Dilthey 1962a, 6) das zentrale Argument. Windelband erlutert die Vorgehensweise der Geisteswissenschaften am Beispiel des ,Historikers‘. Nicht anders als ein Knstler in seinem „sthetischen Schaffen“, sehe der Historiker sich vor die Aufgabe gestellt, „irgendein Gebilde der Vergangenheit in seiner ganzen individuellen Ausprgung zu ideeller Gegenwrtigkeit neu zu beleben“ (Windelband 1924, 150). Windelbands Ausfhrungen ber Erkenntnismethoden werden auf diesem Wege zu einem Nachdenken ber die menschlichen Fhigkeiten der knstlerischen „Phantasie“ und der „Anschaulichkeit“. Um die Besonderheit der „ideographischen Wissenschaften“ zu verstehen, sei von „unserem Verstndnis des wirklichen Menschenlebens“ auszugehen (Windelband 1924, 157), von unserem Hang, allen Wert in das Einmalige und Individuelle zu setzen. Windelband verschiebt mithin in seiner Erwiderung auf Diltheys Einleitung den Akzent von Fragen der Erkenntnistheorie auf Motive der auch seinem Gegner vertrauteren philosophischen Anthropologie. Wer sich nicht berzeuge, dass „alle lebendige Wertbeurteilung des Menschen an der Einzigkeit des Objekts hngt“, werde auch nicht imstande sein, die Wesensverwandtschaft aller Geisteswissenschaften zu erkennen. Unser dringendes ,Individualittsbedrfnis‘ treibe uns dazu, „Persçnlichkeiten“ und Ereignisse der Vergangenheit mit ,Wehmut‘ zu betrachten und zu transfigurieren. Denn „alles Interesse und Beurteilen, alle Wertbestimmung des Menschen [bezieht sich] auf das Einzelne und das Einmalige […]. In der […] Unvergleichlichkeit des Gegenstandes wurzeln alle unsere Wertgefhle“ (Windelband 1924, 155).1 Zwar verwirft Windelband Diltheys These, ein besonderes Vermçgen, die „innere Wahrnehmung“, sei die gemeinsame Grundlage der Geisteswissenschaften. Dennoch stellt er in seiner Rektoratsrede von 1894, in der es ihm um „eine rein methodologische Einteilung der Erfahrungswissenschaften“ geht (Windelband 1924, 144), Themen in den Vordergrund (Anschauung, sthetisches Vermçgen, Hingabe an das ,Geheimnis‘ der Individualitt), die eher in das Feld der Anthropologie gehçren. Diese Inkongruenz bemerkt Rickert in seiner Gedchtnisschrift ber Windelband (1915), in der er auch auf dessen Rede von 1894 eingeht. Hier werde, stellt er missbilligend fest, der Versuch unternom1
Vgl. auch: „Darum bleibt fr uns in allem historisch und individuell Erfahrenen ein Rest von Unbegreiflichkeit – etwas Unaussagbares, Undefinierbares. So widersteht das letzte und innerste Wesen der Persçnlichkeit der Zergliederung durch allgemeine Kategorien, und dies Unfaßbare erscheint vor unserem Bewußtsein als das Gefhl der Ursachlosigkeit unseres Wesens, d. h. der individuellen Freiheit“ (Windelband 1924, 159).
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men, aus einer Analyse der menschlichen Vermçgen ein Einteilungsprinzip der Wissensbereiche abzuleiten: Bei Windelband erzeuge „die Gegenberstellung von Gesetz und ,Form‘ ein Mißverstndnis […], so als konzipiere man die Geschichte […] eher als knstlerische Intuition denn als Wissenschaft“ (Rickert 1929, 19).
2. Sowohl Dilthey als auch Windelband ziehen am Ende, wo es um die Verteidigung der Geisteswissenschaften geht, sehr deutliche Trennlinien und bergehen die Berhrungspunkte und Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Fachbereichen. Ganz anders hatte Helmholtz, in seiner 1862 gehaltenen Rede ber die Hierarchie der Wissenschaften, die Dinge gesehen: „Die Annalen der Wissenschaft sind reich an Beweisen solcher Wechselverhltnisse, die zwischen den scheinbar entlegensten Gebieten eingetreten sind“ (Helmholtz 1896, 183). Interdisziplinre ,Anleihen‘ und ,bergnge‘ seien immer hufiger zu beobachten. Die Physiologie – insbesondere im Anschluss an Brckes Forschungen zur Phonation – finde in der allgemeinen Linguistik Niederschlag. Die vergleichende Sprachwissenschaft stelle der Kulturgeschichte neue Interpretationsmodelle zur Verfgung. Die Physik, indem sie die Klangphnomene erforsche, und die Physiologie der Sinnesorgane, die in den Sinneswahrnehmungen ein Spiel von Auslegungen und „unbewußten Schlssen“ entdecke, verbinden sich mit der sthetik und der Psychologie.2 Wie Helmholtz, der das „Ineinandergreifen“ und die Kontakte auch zwischen weit voneinander ab liegenden Wissenschaften hervorgehoben hatte, sieht auch Wundt, 1889, die Wissenschaften in einem vielfltigen Geflecht gegenseitiger Abhngigkeiten. Comtes strenge Ordnung der Wissensbereiche stellt er in Frage, da die verschiedenen Wissensformen, seiner Meinung nach, keine „continuerliche Stufenfolge“ bilden, in der „jede von den vorangegangenen abhngig, von den nachfolgenden aber unabhngig“ wre (Wundt 1889, 18). Vielmehr gebe es zwischen ihnen mannigfache, wandelbare Verbindungen, die sich einer systematischen Erfassung entziehen: „In Wahrheit befinden sich die Wissenschaften nicht in einem einseitigen, sondern in einem vielseitigen Verbande, der unter Umstnden jede zu einem Hlfsmittel der andern machen 2
An anderen Stellen seiner Rede nimmt Helmholtz dagegen eher traditionelle Betrachtungsweisen auf, die spterhin von Dilthey, aber auch von Windelband aufgegriffen werden. Die „moralischen Wissenschaften“ bzw. die „Geisteswissenschaften“ beruhen, seiner Ansicht nach, auf „eine[r] fein und reich ausgebildete Anschauung der Seelenbewegungen des Menschen, welche letztere wieder nicht ohne eine gewisse Wrme des Gefhls und des Interesses an der Beobachtung der Seelenzustnde Anderer zu erreichen sein mçchte“ (Helmholtz 1896, 172 f.).
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kann“ (Wundt 1889, 21). Physik und Chemie, z. B., bedrfen der Sttze der Mathematik, kçnnen aber auch ihrerseits eine propdeutische Funktion in der Mathematik wahrnehmen, indem sie helfen, bestimmte Probleme deutlich zu machen. Das System der Wissenschaften entwickele sich, anders als Comte dargestellt habe, in Gestalt eines komplizierten Netzes von „Wechselbeziehungen“, die oftmals zu neuen und unerwarteten Zusammenschlssen „zwischen bisher fern liegenden Gebieten“ (Wundt 1889, 21 f.) fhren.
3. Das Problem der Klassifizierung der Wissenschaften wurde, wie wir gesehen haben, in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts auf sehr verschiedene Weise betrachtet.3 Die Standpunkte lassen sich zwei entgegengesetzten Grundtendenzen zuordnen. Die einen bedienten sich bei der Abgrenzung der Fachgebiete gewissermaßen einer ,Rhetorik der Innerlichkeit‘; die anderen verwiesen auf die Vergeblichkeit des Versuchs, strenge Kriterien der Grenzziehung aufzufinden. Auch Nietzsche widmete den interdisziplinren Beziehungen seine Aufmerksamkeit. In seiner Auseinandersetzung mit diesem Thema bestreitet er schon in Menschliches, Allzumenschliches, dass die Einteilung der Wissenschaften nach Maßgabe einer philosophischen Anthropologie erfolgen kçnne – will sagen: auf Grund einer notwendigen Entsprechung zwischen bestimmten Wissensbereichen und gewissen mentalen Prozessen. Bei seinen erkenntnistheoretischen berlegungen zur Gliederung der Wissensbereiche geht er vielmehr von einer Diagnose des besonderen Charakters seiner Zeit aus, die er von brsken und unerwarteten Neuerungen gekennzeichnet sieht. Die ,Unordnung‘ und ,Grung‘ einer bergangsepoche macht, seiner Meinung nach, auch die traditionelle Gegenberstellung von Natur- und Geisteswissenschaften hinfllig, die nicht lnger als streng zu trennende Methodenkomplexe und Forschungsbereiche unter dem maßgebenden Gesichtspunkt unserer Subjektivitt (unserer ,Werte‘) zu betrachten seien. Wiederholt hebt Nietzsche, nach 1875, hervor, dass der Rhythmus der Umwlzungen in den verschiedensten Erfahrungsgebieten eine starke Beschleunigung erfahre. Diejenigen, die „in dieser zerbrechlichen zerbrochnen Uebergangszeit“ die Natur dieser Vernderungen begreifen wollen, werden zu „Heimatlosen“ und zu skeptischen „Kinder[n] der Zukunft“ (FW 377, KSA 3, 628 f.). „Wir Neuen, Namenlosen […], wir Frhgeburten einer noch unbewiesenen Zukunft“, heißt es in FW, sehen „ein noch unentdecktes Land vor uns […], dessen Grenzen noch Niemand abgesehn hat“ (FW 382, KSA 3, 635 f.). 3
Vgl. Dierse (2003); Scholtz (1991); Orsucci (1994 – 1995, 92 – 114).
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Reinhart Koselleck hat gezeigt, „daß sich die Zuordnung von Erfahrung und Erwartung im Laufe der Geschichte verschoben und verndert hat“. Carl Schmitts Gegenberstellung ,Feind‘-,Freund‘ wird von Koselleck bernommen, um eine Theorie der Geschichte zu formulieren, die den Antagonismus zwischen Vergangenheit und Zukunft, der von einer zur anderen Epoche sich in verschiedener Gestalt zeige, zu einer maßgeblichen historiographischen Kategorie erhebt (vgl. Orsucci 2008). Nietzsche ist der Chronist einer Zeit, in der – mit Koselleck zu sprechen – „die Differenz zwischen berkommener Erfahrung und neu zu erschließender Erwartung“, zwischen „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ im bermaß wchst (Koselleck 1979, 354 – 361). In Nietzsches Schriften ist, ab Mitte der 70er Jahre, immer wieder von dem tiefgehenden historischen Umbruch die Rede, der die im Laufe der Vergangenheit langsam zusammengetragenen Erfahrungen gehaltlos und unntz werden lasse: „Denn man darf von der Zukunft der Menschheit nicht zugleich alles Das erwarten, was ganz bestimmte Bedingungen irgend welcher Vergangenheit allein hervorzubringen vermochten […]. So wird es nie wieder einen religiçs umgrnzten Horizont des Lebens und der Cultur geben.“ (MA 234, KSA 2, 195) Die Zeiten, befindet Nietzsche, erlauben es nicht, sich mit sich selbst zu beschftigen und den Blick abzuwenden von den grundstrzenden Entwicklungen, die er im Gange sieht. In einem Brief vom April 1883 schreibt er: „Aber gewiß ist, daß ich europische Anarchien und Erdbeben in ungeheurem Umfange v o r a u s s e h e “ (Bf. an Schmeitzner 2. 4. 1883, KSB III/1, 355 f.). Die Metapher des Erdbebens gebraucht er auch im dritten Teil des Zarathustra: „Das Erdbeben nmlich – das verschttet viel Brunnen, das schafft viel Verschmachten: das hebt auch innre Krfte und Heimlichkeiten an’s Licht. / Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Vçlker brechen neue Quellen aus“ (Z III Tafeln 25, KSA 4, 265). Die Gewalt dieses Bebens bringt das erstarrte Alte ins Wanken: „Diese lange Flle und Folge von Abbruch, Zerstçrung, Untergang, Umsturz, die nun bevorsteht: […] endlich erscheint uns der Horizont wieder frei […], jedes Wagniss des Erkennenden ist wieder erlaubt, […] u n s e r Meer liegt wieder offen da“ (FW 343, KSA 3, 573 f.).
Im Angesicht dieser Situation erscheint es Nietzsche unverstndlich, ja ein Ausdruck der Schwche zu sein, wenn die Philosophen sich immer noch mit abstrakten Verfahrensfragen und Analysen des Erkenntnisvermçgens abgeben. Was not tue, sei eine aufmerksame, sei es auch zunchst nur partielle, Beschreibung der faktischen Vernderungen, ein ,Sich-ffnen‘ gegen das Unerwartete, ohne weiterhin im vestibulum der Gnoseologie Zeit zu verlieren: „Ein Werkzeug kann nicht seine eigene Tauglichkeit k r i t i s i r e n : der Intellekt kann nicht selber seine Grenze“ (NL 1885 – 1886 2[132], KSA, 12, 133) bestimmen. „Gegen die erkenntnißtheoretischen Dogmen tief mißtrauisch“ (NL 1885 –
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1886 2[161], KSA 12, 143).4 Es sei auch nicht die Zeit, in „Gesammt-Betrachtung[en]“ (N 1885 – 1886, 2 [155], KSA 12, 142) auszuruhen, und niemand brauche ,Priester‘, die die Vorzge der ,menschlichen Natur‘ anpreisen und daraus ein sacrarium machen, in dem man Zuflucht vor den Unbilden der Zeit suche. Im fnften Buch der Frçhlichen Wissenschaft und in Jenseits von Gut und Bçse, wo die Analyse des Kulturbergangs („Wir Europer von bermorgen“ JGB 214, KSA 5, 151) vertieft wird, verschrft Nietzsche auch seine Anwrfe gegen „diese[n] Rest Philosophie von heute“, die „Spott und Mitleiden gegen sich rege macht“, da sie darauf verzichte, die Zeichen der vorgngigen Vernderungen zu lesen: „Philosophie auf ,Erkenntnisstheorie‘ reduzirt, thatschlich nicht mehr als eine schchterne Epochistik und Enthaltsamkeitslehre: eine Philosophie, die gar nicht ber die Schwelle hinweg kommt […] – das ist Philosophie in den letzten Zgen, ein Ende, eine Agonie, Etwas das Mitleiden macht“ (JGB 204, KSA 5, 131 f.). In den 70er und 80er Jahren feiert die Erkenntnis der Naturvorgnge derartige Triumphe, dass sie, wie Du BoisReymond es 1880 ausdrckt, „selber an manchen Punkten beim Philosophieren angelangt ist“ (Du Bois-Reymond 1880, 161). Zu gleicher Zeit, so erkennt Nietzsche, werden die Philosophen, statt aus den ,neuen Quellen‘ zu schçpfen, zu „Spezialisten“ (JGB 204, KSA 5, 131) und schrnken die Sphre ihrer Untersuchungen immer weiter ein. Doch eben der bergangscharakter der Epoche, mit dem Reichtum der neu aufkommenden Probleme, mache ihre ,Geistesbungen‘ sinnlos, diese ihre „fleissigste und peinlich-gewissenhafteste Analysis und Selbstprfung des Intellekts“ (FW 374, KSA 3, 626).
4. Drei Aphorismen aus Menschliches, Allzumenschliches – 248 und 257 des ersten Teiles sowie 185 des zweiten – zeigen, wenn sie zusammen gelesen werden, wie Nietzsche seine berlegungen zum bergangscharakter der Epoche mit einer Reflexion ber die Hierarchie der Wissenschaften verbindet. Der erste Aphorismus beschreibt eine Zeit der tiefen Krise: „Unsere Zeit macht den Eindruck eines Interim-Zustandes; die alten Weltbetrachtungen, die alten Culturen sind noch theilweise vorhanden, die neuen noch nicht sicher […] und daher ohne Geschlossenheit und Consequenz. Es sieht aus, als ob Alles chaotisch wrde, das Alte verloren gienge, das neue nichts tauge und immer schwchlicher werde.“ (MA 248, KSA 2, 206). Das Einbrechen des Neuen, das die Ideologien und die sozialen wie die politischen Verhltnisse auf das heftigste erschttere („Wir 4
Und weiter: „[…] war es nicht etwas sonderbar, zu verlangen, dass ein Werkzeug seine eigne Trefflichkeit und Tauglichkeit kritisiren solle?“ (M Vorrede 3, KSA 3, 13).
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schwanken, aber es ist nçthig, dadurch nicht ngstlich zu werden“ (MA 248, KSA 2, 206)), ergreift auch die Wissenschaften. Die allgemeine Unsicherheit und Verwirrung macht nicht nur den Prozess der Zivilisation komplizierter und zugleich interessanter, sondern umfasst auch die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens: „jetzt […] leben wir noch im Jugendzeitalter der Wissenschaft […]. Fast in allen Wissenschaften ist die Grundeinsicht entweder erst in jngster Zeit gefunden oder wird noch gesucht“ (MA 257, KSA 2, 212). In dem durchbrechenden Neuen also, „welches immer mchtiger die neuere Zeit gegen alle frheren abhebt“, und kraft dessen „zum ersten Male zwischen Natur und Geist, Mensch und Thier, Moral und Physik die alten Mauern zerbrochen“ werden (VM 185, KSA 2, 461), sieht Nietzsche die Ursache des Schwankens der Hierarchie der Wissenschaften, die von zwei Seiten bedroht ist. Einerseits werden ab Mitte des 19. Jahrhunderts die einzelnen Disziplinen in ihren Paradigmen erschttert, andererseits werden – im Laufe weniger Jahrzehnte – die berkommenen Abgrenzungen zwischen verschiedenen Wissenschaften und Zustndigkeiten hinfllig. Was Nietzsche ber das ,System des Wissens‘ im Ganzen denkt, ber die andauernden Umwlzungen in smtlichen Forschungsbereichen, die Auflçsung der Trennungslinien zwischen Erfahrungsbereichen und Disziplinen, gehçrt keineswegs zum Gemeingut der damaligen Universittsphilosophie. hnliche Thesen sucht man in den kanonischen Texten zum Thema der Klassifizierung der Wissenschaften, in den Werken Zellers, Diltheys und Windelbands, vergebens.
5. Nietzsches Wahrnehmung vom Zerbrçckeln der fr so bestndig gehaltenen „alten Mauern“ unter dem Druck des wissenschaftlichen Fortschritts hat ihren Vorlufer in Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus, wo es mit Bezug auf die neuen Ausblicke der Naturwissenschaften heißt: „Man kann den Dualismus von Geist und Natur kritisch zersetzen […]; man kann vom Standpunkt der Naturwissenschaft aus als Axiom hinstellen, dass sich schliesslich auch das Geistesleben als ein Produkt der allgemeinen Naturgesetze msse begreifen lassen“ (Lange 1877, 313). Und diese Worte Langes – die sich im Hinblick auf den Aphorismus VM 185 (KSA 2, 460 f.) als bedeutsam erweisen – sind nur der Auftakt zu einer grndlichen Ermittlung all der Wege, auf denen das strmische Fortschreiten der Wissenschaften zu unerwarteten Zusammenschlssen zwischen bisher streng voneinander geschiedenen Disziplinen fhrt. Erst krzlich, sagt Lange, seien die „Funktionen des lebendigen Organismus“, ausgehend von Fragen des Stoffwechsels, in das Gesichtsfeld der Chemie und der Physik geraten. Eine zunehmend als ,Psychophysik‘ und ,Moralstatistik‘ aufgefasste Psychologie bediene sich der Mittel der Mathematik und der Me-
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chanik. Zwischen physischer Anthropologie, Darwinscher Evolutionslehre und Kulturgeschichte seien stabile Brcken geschlagen worden (vgl. Lange 1877, 312 f.). Die Antithese von ,Natur‘ und ,Geist‘ sei durch solche interdisziplinren Synergien in Frage gestellt. Ebenfalls in diese Richtung, hebt Lange an anderer Stelle seines Werkes hervor, gehe Helmholtzens physiologische Optik. Dessen Forschungen nmlich haben ergeben, dass sowohl die Wahrnehmung von Gegenstnden und Entfernungen wie auch die Farbempfindungen auf Erfahrung und Erlernen beruhen und das Ergebnis eines Zusammenspiels von Interpretationen und „Analogieschlssen“ seien. „Das Sehen selbst“, fasst Lange die Helmholtzsche Erkenntnis zusammen, „ist ein Schliessen, und der Schluss vollzieht sich in Form einer Gesichtsvorstellung, wie er sich in andern Fllen in der Form sprachlich ausgedrckter Begriffe vollzieht.“ (Lange 1877, 425) Die physiologische Optik zeige also, „dass der Kçrper ohne das Bewusstsein logische Operationen vollziehen kann, die man bisher nur dem Bewusstsein glaubte zuschreiben zu drfen“. Mithin habe die Physiologie, besonders dank Helmholtzens, die eingefahrene Trennung von ,Natur‘ und ,Geist‘ hinter sich gelassen: „Es ist keine Kluft in unserem Wesen anzunehmen. Wir haben nicht einzelne Functionen […] einer physischen, andere einer geistigen Natur zuzuschreiben“ (Lange 1877, 427). Nietzsche schließt sich dieser Auffassung, dass die Sphren der Natur und der Kultur nicht strikt voneinander zu trennen seien, an und gibt ihr sogar durch Prgung von Oxymora sprachlichen Ausdruck. Von einer „Na t u r g e s c h i c h t e v o n P f l i c h t u n d R e c h t “ (M 112, KSA 3, 100) ist bei ihm die Rede, ebenso von einer „C h e m i e der historischen […] Vorstellungen“ (MA 1, KSA 2, 24). Von dem Biologen Wilhelm Roux bernimmt er den Terminus „Hypertrophie“, um ihn im Zusammenhange mit Christentum und Buddhismus zu verwenden (FW 347, KSA 3, 583). An anderen Stellen greift er auf die Lehren Darwins (M 426, KSA 3, 261 f ) und Roux’ Zelltheorien5 zurck, wo es um das Verstndnis des Griechentums geht. Bei dem Botaniker Karl Ngeli entlehnt er den Begriff des ,Idioplasmas‘, dessen Definition in seine Reflexionen ber die Geschichte eingeht als „Kraft des Geistes, Fremdes sich anzueignen“ (JGB 230, KSA 5, 167, vgl. Orsucci 2003, 435 – 37). Er spricht von „Gewohnheiten unserer Sinne“ (M 117, KSA 3, 110), von „uralte[n] Gewohnheiten der Empfindung“ (MA 16, KSA 2, 37), und sieht in „Gefhlen“ die Spur seit Vorzeiten verinnerlichter „Urtheile[n]“ (M 99, KSA 3, 89). Die bergnge zwischen ,Physischem‘ und ,Psychischem‘ zeigen sich ihm in der „Intellektualitt des S c h m e r z e s “ (NL 1886 – 1887 7 [48], KSA 12, 5
„A l s o E i n f l u ß d e r R e i z e a u f d i e s c h n e l l e r e A s s i m i l a t i o n – in der Moral: Vermehrung der Macht da, wo eine Flle f e i n s t e r Ve r l e t z u n g e n vorkommen und dadurch das Bedrfniß der A n e i g n u n g gesteigert wird. (Vielmehr mit fremden auslndischen Vorstellungen – Griechen)“ (NL 1883 7[95], KSA 10, 274).
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311) und in der Wahrnehmung berhaupt: „Es giebt gar keine anderen als moralische Erlebnisse, selbst nicht im Bereiche der Sinneswahrnehmung“ (FW 114, KSA 3, 474).
6. Um die Zeichen der bergangszeit zu lesen, tauge, so Nietzsche, weder des ,Spezialisten‘ „berschtzung des Winkels, in dem er sitzt und spinnt“, noch die Rhetorik des „gewandten, ,vielgewendeten‘ Litteraten […], der eigentlich Nichts i s t , aber fast Alles ,reprsentirt‘“ (FW 366, KSA 3, 615), und genauso wenig die „Philosophen-Wuth der Verallgemeinerung“ (VM 5, KSA 2, 382), die Genge finde an „jenen glnzenden Lufterscheinungen, die man ,philosophische Systeme‘ nennt“ (VM 31, KSA 2, 393). Mit seiner Forderung, dass in einem Moment grçßter Verunsicherung der Philosoph das Einreißen von ,Schranken‘ zu lehren und den interdisziplinren Austausch anzutreiben habe, folgt Nietzsche wiederum Lange, der in seiner Geschichte des Materialismus erinnert hatte: „Die Specialforschung macht vorsichtig; sie macht aber auch bisweilen engherzig und arrogant“. Darum werde, je hçher das Spezialistentum sich entwickele, desto dringender die oftmals vernachlssigte Aufgabe, die erworbenen Spezialkenntnisse miteinander reagieren zu lassen: „Am verderblichsten ist aber eine solche Arroganz, wenn es sich gar nicht darum handelt, neue Ansichten aufzustellen, sondern lediglich anerkannte, von den Specialforschern selbst gelehrte Tatsachen in einen neuen Zusammenhang zu bringen, sie mit Tatsachen aus einem andern Gebiete zu weittragenden Schlssen zu combiniren“ (Lange 1877, 140 f.). Diese Worte Langes beschreiben genau Nietzsches Verfahren und kçnnten seiner Genealogie der Moral vorangestellt werden. Denn eben diese Schrift ist, nicht minder als Diltheys Einleitung von 1883 und Windelbands Rektoratsrede Geschichte und Naturwissenschaft von 1894, ein ,programmatischer Text‘, der grundstzlich vor Augen bringen will, welcher Gewinn zu ziehen sei aus Kombinationen und „weittragenden Schlssen“ im Sinne Langes und der Erschließung neuer Forschungsfelder, die berhaupt erst durch die neuartigen ,Kontaminationen‘ zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sich aufgetan haben. Die Genealogie der Moral stellt in ihren programmatischen Grundzgen den Versuch dar, sich dem Szenarium zu entziehen, das die Aphorismen 204 und 205 in JGB beschreiben: „[…] der Thurmbau der Wissenschaften ist in’s Ungeheuere gewachsen“, der Philosoph wird „schon als Lernender mde“, „[lsst] sich irgendwo festhalten und ,spezialisiren‘“ und gelangt nimmermehr zu „berblick, Umblick, N i e d e r b l i c k “ (JGB 205, KSA 5, 132). Der „historische[r] Instinkt“, das „nçthige[s] ,zweite[s] Gesicht‘“, das in Zur Genealogie der Moral (GM II 4, KSA 5, 297) postuliert wird, verlangt das
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Betreten neuer Forschungsgebiete, auf denen weder ,Geist‘ noch ,Natur‘ ausschließlich vorherrschen. Wenn man ergrnden wolle, wie es mçglich gewesen ist, „ein Thier heranzchten, das versprechen darf“ (GM II 1, KSA 5, 291), msse man in Betracht ziehen, wie „die Curve der menschlichen Schmerzfhigkeit“ im Laufe der kulturellen Entwicklung betrchtlich sinke (GM II 7, KSA 5, 303) und wie unsere Gefhle, je nach der verschiedenen „Auslegung“ (GM III 17, KSA 5, 380), den ,Sublimirungen‘ und ,Subtilisirungen‘, die sie in dem einen und dem anderen Kulturzustand erfahren, „Form-Verwandlungen“ (GM II 3, KSA 5, 294) unterworfen sind, die ihre „Richtung“ und Natur vçllig verndern. Nietzsche lsst bei der Behandlung solcher Fragen die herkçmmliche Unterscheidung der Natur- von den Geisteswissenschaften hinter sich, bringt disparate Standpunkte zur Deckung und unternimmt Streifzge in die verschiedensten Forschungsgebiete. Die genealogische Methode soll neuartige Kombinationen von Evolutionstheorien und Rechtswesen, Sinnesphysiologie und Religionsgeschichte, Wirtschaftswissenschaft und Mythenforschung zustande bringen. Nietzsche ist sich also durch und durch bewusst, dass in einer Epoche rasanten wissenschaftlichen Fortschritts die neuen Entdeckungen stets als „grenzberschreitende Innovationen“ auftreten, die eine „allseitige Osmose“ bewirken: „Denn alle Wissenschaften leben weiterhin von ihren Grenzberschreitungen […]. Jede Innovation konstituiert neue Gemeinsamkeiten aller Wissenschaften“ (Koselleck 1991, 115 f. und 118). In einer Zeit, in der, wie heutzutage, das Fachwissen mit schwindelerregender Geschwindigkeit zunimmt, kommt es immer hufiger zu berraschenden ,Dialogen‘ und komplizierten ,Symbiosen‘ zwischen Disziplinen, die zuvor keinerlei Kontakt miteinander hatten. Das ,System der Wissenschaften‘ zerfllt in bergangszeiten, um in vernderter Gestalt neu zu erstehen. So ist in den letztvergangenen Jahrzehnten die Genetik auf Felder vorgedrungen, die ehedem der Linguistik angehçrten. Zwischen Biologie und Religionswissenschaft sind, wie u. a. Walter Burkert zeigt, ertragreiche Verbindungen gestiftet worden. Und die Kulturgeschichte empfngt, wofr die Studien von Jared Diamond (1998) und John McNeill (2000) Beispiele sind, zunehmend Impulse von den Naturwissenschaften („Astronomie, Klimakunde, kologie, Evolutionsbiologie, Geologie und Palontologie“). Austausch und ,Kontaminationen‘ zwischen den Wissenschaften finden also in der Gegenwart in dichter Folge statt. Nicht anders als heute verursachten in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts die strmischen Entwicklungen – man denke an die damalige Physik, an die Biologie – einige Verwirrung in der Definition der Fachbereiche samt ihrer jeweiligen Zustndigkeiten. Nietzsches damalige Reflexionen sind ein noch heute aktueller Beitrag zum Problem der Hierarchie der Wissenschaften in einem Zeitalter des bergangs.
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V. Die systematische Aktualitt
Nietzsches Wissenschaftsphilosophie: Struktur, Wurzeln, Wirkungen Klaus Fischer 1. Nietzsche ber die Wissenschaft Fr Nietzsche entsprechen die Begriffe der Wissenschaft nicht dem, was man blicherweise Wirklichkeit nannte: Wir operiren mit lauter Dingen, die es nicht giebt, mit Linien, Flchen, Kçrpern, Atomen, theilbaren Zeiten, theilbaren Rumen–, wie soll Erklrung auch nur mçglich sein, wenn wir alles erst zum B i l d e machen, zu unserem Bilde! Es ist genug, die Wissenschaft als mçglichst getreue Anmenschlichung der Dinge zu betrachten, wir lernen immer genauer uns selber beschreiben, indem wir die Dinge und ihr Nacheinander beschreiben. Ursache und Wirkung: eine solche Zweiheit gibt es wahrscheinlich nie – in Wahrheit steht ein continuum vor uns, von dem wir ein paar Stcke isoliren; so wie wir eine Bewegung immer nur als isolirte Puncte wahrnehmen, also eigentlich nicht sehen, sondern erschliessen. (FW 112, KSA 3, 473)
Nietzsche misstraut zutiefst den begrifflichen Mitteln, mit denen Wissenschaftler und Philosophen bisher versuchten, die Wirklichkeit einzufangen, abzubilden oder zu erklren. Was ist der Grund seines generellen Misstrauens? Er liegt sicherlich nicht allein darin, dass es in der Tat Begriffe der Wissenschaft gab (und gibt), denen in der Natur ungeachtet ihrer Ntzlichkeit beim Modellieren der Wirklichkeit wissentlich nichts entspricht: Punktmassen, ideale Gase, reibungslose Flssigkeiten, die Zahl i, Vektorpotentiale. Nietzsches Analyse greift tiefer. Er fragt, wie denn berhaupt die Begriffe entstehen, die wir benutzen, um Stze zu bilden und uns mit anderen zu verstndigen. In seinem Essay ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinn hat Nietzsche hierauf eine Antwort gegeben, die Quine ebenso gefallen htte wie sie von Platon verdammt worden wre. „Unsere heiligsten berzeugungen, unser Unwandelbares in Hinsicht auf oberste Werte sind Urteile unserer Muskeln“ (NL 1887 – 1888 11[376], KSA 13, 169), heißt es zunchst im Nachlass der achtziger Jahre. Und im genannten Essay findet man die Anwendung auf die Sprache: Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. Von dem Nervenreiz aber weiterzuschliessen auf eine Ursache ausser uns, ist bereits das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde. Wie drften wir, wenn die Wahrheit bei der Genesis der Sprache, der Gesichtspunkt der Ge-
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wissheit bei den Bezeichnungen allein entscheidend gewesen wre, wie drften wir doch sagen: der Stein ist hart: als ob uns ,hart‘ noch sonst bekannt wre, und nicht nur als eine ganz subjektive Reizung! (WL 1, KSA 1, 878)
Wir erfahren also aus unseren Wahrnehmungen nicht, wie die ußere Welt „wirklich“ ist, sondern bewegen uns gewissermaßen „im Kreis“, indem wir Sinnesreize mit anderen Sinnesreizen verknpfen und unsere sich hierauf grndenden Urteile als „Erkenntnisse“ bezeichnen. Dieses Verfahren ist insofern legitim, als es ein notwendiger Bestandteil menschlicher Praxis ist und dem Erfolg des Individuums oder der Art dient. Wagen die „Erkenntnistheoretiker“ – jene „scharfsinnigen Kçpfe, die nicht genug gelernt haben und welche vermeinen, hier wenigstens kçnne ein Jeder von vorne anfangen, hier genge die ,Selbstbeobachtung‘“ (NL 1880 3[58], KSA 9, 63) allerdings den Sprung von der menschengemachten Welt der subjektiven Relationen zu den „wirklichen“ Dingen, Prozessen und ihren Beziehungen, dann begeben sie sich ins Reich der Phantasie, der Fiktion, der Metapher. Das ,Ding an sich‘ (das wrde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfasslich und ganz und gar nicht erstrebenswerth. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdruck die khnsten Metaphern zu Hlfe. (WL 1, KSA 1, 879)
Nietzsche bezeichnet das Produkt dieser Ttigkeit als „ntzliche Flschung“. Wer sich ber den Charakter dieses Produkts nicht im Klaren ist – wie nach Nietzsche viele Philosophen – unterliege einer Selbsttuschung. Sehr deutlich wird die Flschung der Wirklichkeit in der Art und Weise, wie Menschen Allgemeinbegriffe bilden. Jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, dass es eben nicht fr das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich fr zahllose, mehr oder weniger hnliche, d. h. streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Flle passen muss. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen. (WL 1, KSA 1, 879 f.) Das Material der Sinne vom Verstande zurechtgemacht, reduzirt auf grobe Hauptstriche, hnlich gemacht, subsumirt unter Verwandtes. Also: die Undeutlichkeit und das Chaos des Sinneseindrucks wird gleichsam l o g i s i r t . (NL 1887 9[106], KSA 12, 395)
Doch warum verfahren die Menschen so? Erkennen sie den darin liegenden Fehler nicht? Warum erliegen sie dem Zwang nach einer – zuweilen grotesken – Vereinfachung der Realitt? Nach Nietzsche kçnnen sie gar nicht anders. Wir sehen uns einem Naturprozess gegenber: dem allgemeinen Phnomen der Evolution unserer Erkenntnisfhigkeit, die ungesteuert und unmotiviert abluft, wie sie ablaufen muss. Dabei gibt es auch nach Nietzsche – was oft bersehen wird – eine Entwicklung zum weniger Falschen hin. Nietzsche schließt,
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daß die allgemeinsten Begriffe, als die f a l s c h e s t e n , auch die ltesten sein mssen. ,Sein‘, ,Substanz‘ und ,Unbedingtes‘, ,Gleichheit‘, ,Ding‘ –: das Denken erfand sich zuerst und zu ltest diese Schemata, welche thatschlich der Welt des Werdens am grndlichsten widersprachen, aber ihr von vornherein, bei der Stumpfheit und Einerleiheit des anfnglichen, noch unterthierischen Bewußtseins, zu entsprechen s c h i e n e n : jede ,Erfahrung‘ schien sie immer von Neuem und sie ganz allein zu unterstreichen. Die Gleichheit und hnlichkeit wurde allmlig, mit der Verschrfung der Sinne und der Aufmerksamkeit, mit der Entwickelung und dem Kampfe des vielfltigsten Lebens, immer seltener zugestanden. […] Allmlig vervielfltigte sich dergestalt die ,Außenwelt‘ (NL 1885 38[14], KSA 11, 613).
Diese allgemeine Entwicklung zu differenzierteren Wahrnehmungen und Begriffen, die nur vom großen Strom der Geschichte abhngig ist, wird nach Nietzsche aber durch besondere Prozesse moduliert, die von spezifischen politischen oder sozialen Bedingungen abhngig sind. Die große Simplifikationsmaschine in unserem Kopf wird strategisch eingesetzt und im Sinne der Machterweiterung von Einzelnen oder Gruppen instrumentalisiert. Die Folge ist eine Politisierung der Wahrheit, eine weitere Stufe im Prozess der Verzerrung der Wirklichkeit, die – in den Hnden der Philosophen – zu einer Flschung großen Stils werden kann. Wir stoßen hier auf die soziologische Dimension der Sprachentwicklungsund Erkenntnistheorie Nietzsches. Einer der grundlegenden Prozesse zur Konsensbildung beruht nach ihm auf dem „Herdentrieb“ des Menschen, also den Notwendigkeiten und Vorteilen der sozialen und politischen Organisation. Die zur Sicherung des Friedens in Kauf zu nehmenden Zwnge sozialer und politischer Organisation erfordern ein leistungsfhiges Kommunikationsmedium, das zumindest eine Koordination der frs Zusammenleben relevanten Vorstellungen der Beteiligten leistet. Dieses Medium muss praktikabel und stabil sein, um seine Aufgabe erfllen zu kçnnen. Seine Entwicklung, also die Herausbildung einer Sprache und ihrer Werkzeuge, bedeutet Festlegung, Standardisierung und Normierung. Da sich die begrifflichen Mittel der Sprache mit den individuellen Vorstellungsinhalten verbinden, fhrt die Entwicklung dieses sozialen Kommunikationsmediums notwendig zur Schematisierung, Vereinfachung, Zurechtbiegung der rohen individuellen Vorstellungen. Der „Friedensschluss“, der den bellum omnium contra omnes beendet, bringt aber etwas mit sich, was wie der erste Schritt zur Erlangung jenes rthselhaften Wahrheitstriebes aussieht. Jetzt wird nmlich das fixirt, was von nun an ,Wahrheit‘ sein soll, d. h. es wird eine gleichmssig gltige und verbindliche Bezeichnung der Dinge erfunden und die Gesetzgebung der Sprache giebt auch die ersten Gesetze der Wahrheit“ (WL 1, KSA 1, 877). Der Sprachbildner war nicht so bescheiden, zu glauben, dass er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er drckte vielmehr, wie er whnte, das hçchste Wissen ber die Dinge mit den Worten aus; in der That ist die Sprache die erste Stufe der Bemhungen um die Wissenschaft. Der G l a u b e a n d i e g e f u n d e n e Wa h r h e i t
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ist es auch hier, aus dem die mchtigsten Kraftquellen geflossen sind. (MA I 11, KSA 2, 30 f.)
Mit fortschreitender Differenzierung von Gesellschaften verlagert sich der Prozess der Wahrheitsfestlegung, also der „Flschung der Wirklichkeit“ mehr und mehr auf die einzelnen Teile – soziologisch „Subsysteme“ – der Gesellschaft, die wiederum in kleinere Einheiten untergliedert werden kçnnen. Auch die Wissenschaft ist nur ein Teil des Ganzen und von ihrer Erkenntnissituation her nicht besonders privilegiert. „Der Gelehrte ist das Heerdenthier im Reiche der Erkenntniß, welcher forscht, weil es ihm befohlen und vorgemacht worden ist“ (NL 1884 26[13], KSA 11, 153). Die Wahrheit, die er sucht und findet, besteht nicht in der objektiven Darstellung der Wirklichkeit, sondern im Flschungsideal der Gruppe, Kaste oder ,Schule‘, der er angehçrt. Die Mittel, die er zur Durchsetzung seiner Ansprche und zur Widerlegung Andersdenkender einsetzt, entsprechen nicht den hehren Idealen der unvoreingenommenen Wahrheitssuche, sondern eher denen einer Religion oder Sekte. Der Philosoph im Kampf mit anderen Philosophen: / : er sucht sie dahin zu drngen, als Anarchisten, Unglubige, Gegner der Autoritt zu erscheinen / In summa: soweit er k m p f t , kmpft er ganz wie ein Priester, wie eine Priesterschaft. (NL 1888 14[194], KSA 13, 380)
Nietzsche hat diesen soziologischen Aspekt des ,Flschungsprozesses‘ der Wirklichkeit, der spter bei Kuhn sehr bedeutsam werden wird (wenngleich dieser zu seiner Analyse eine andere Sprache benutzen wird), nicht weiter ausgearbeitet. Ihm kommt es auf den grundstzlichen Aspekt an, der hinausluft auf eine unberbrckbare Kluft zwischen der Erlebniswelt des einzelnen Menschen und den „Begriffs-Netzen“, die die Philosophen „ber den bunten Sinnen-Wirbel – den Sinnen-Pçbel, wie Plato sagte – warfen“ (JGB 14, KSA 5, 28). Die Philosophen haben den Widerspruch erkannt, aber sie suchen den Grund fr ihn an der falschen Stelle: in der Sinnlichkeit. Dies ist verstndlich, meint Nietzsche, denn andernfalls wren sie gezwungen, ihre Begriffsmonumente dem Urteil eben dieser Sinne und damit dem Orkus zu berlassen. Alles, was Philosophen seit Jahrtausenden gehandhabt haben, waren Begriffs-Mumien; es kam nichts Wirkliches lebendig aus ihren Hnden. […] Nun glauben sie Alle, mit Verzweiflung sogar, an’s Seiende. Da sie aber dessen nicht habhaft werden, suchen sie nach Grnden, weshalb man’s ihnen vorenthlt. ,Es muss ein Schein, eine Betrgerei dabei sein, dass wir das Seiende nicht wahrnehmen: wo steckt der Betrger?‘ – ,Wir haben ihn. schreien sie glckselig, die Sinnlichkeit ist’s! Diese Sinne, d i e a u c h s o n s t s o u n m o r a l i s c h s i n d , sie betrgen uns ber die w a h r e Welt. Moral: loskommen von dem Sinnentrug, vom Werden, von der Historie, von der Lge, – Historie ist nichts als der Glaube an die Sinne, Glaube an die Lge.‘ (GD Vernunft 1, KSA 6, 74)
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Es ist die gleiche Vernunft, die den Irrglauben ber die wirklichkeitsdarstellende Funktion der Sprache erzeugte, die nun auch ein groteskes Fehlurteil ber die Sinne spricht. Die ,Vernunft‘ ist die Ursache, dass wir das Zeugniss der Sinne flschen. Sofern die Sinne das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, lgen sie nicht […]. Die ,scheinbare‘ Welt ist die einzige: die ,wahre Welt‘ ist nur hinzugelogen… (GD Vernunft 2, KSA 6, 75)
Der Grundfehler sowohl der Philosophen als auch eines großen Teils der Wissenschaft besteht darin, die Wirklichkeit als etwas Fertiges anzusehen, das man in einem fertigen Begriffsnetz einfangen kçnne. Auch diesen ontologischen Irrtum fhrt Nietzsche auf die Entstehung der Sprache zurck, in der „der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er fr so fest hielt, um von ihm aus die brige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen.“ (MA I 11, KSA 2, 30) Die Philosophen, mit der mçglichen Ausnahme von Heraklit, haben diesen ontologischen Ursprungsfehler niemals erkannt, geschweige denn korrigiert. Sie „pflegen sich vor das Leben und die Erfahrung – vor Das, was sie die Welt der Erscheinung nennen – wie vor ein Gemlde hinzustellen, das ein fr allemal entrollt ist und unvernderlich fest den selben Vorgang zeigt“ (MA I 16, KSA 2, 36). Dabei haben sie „die Mçglichkeit bersehen, dass jenes Gemlde – Das, was jetzt uns Menschen Leben und Erfahrung heisst – allmhlich g e w o r d e n ist, ja noch vçllig im We r d e n ist und deshalb nicht als feste Grçße betrachtet werden soll“ (MA I 16, KSA 2, 36). Diese Idee gilt fr Nietzsche auch fr die „chemischen Qualitt[en]“ (die Formeln der Chemie) und fr die sogenannten ,Gesetze der Natur‘. „Das B l e i b e n d e ist nur vermçge unserer groben Organe da“ (NL 1881 11[293], KSA 9, 554). Was folgt daraus fr Nietzsche fr die Wahrheit der Stze, die mit Hilfe solcher Begriffsnetze gebildet werden? Was ist Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, bertragen, geschmckt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dnken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Mnzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Mnzen, in Betracht kommen. (WL 1, KSA 1, 880 f.)
Die Worte, die wir erfinden, die Begriffe, die wir benutzen, die Stze, die wir mit Hilfe der Begriffe bilden, haben keine andere Rechtfertigung als ihren Nutzen fr das Leben. „Der Intellekt und die Sinne sind ein vor allem v e r e i n f a c h e n d e r Apparat. Unsere f a l s c h e , verkleinerte, l o g i s i r t e Welt der Ursachen ist aber die Welt, in der wir leben kçnnen (NL 1885 34[46], KSA 11, 435). Die Verirrung der Philosophie ruht darauf, daß man, statt in der Logik und den Vernunftkategorien Mittel
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zu sehen, zum Zurechtmachen der Welt zu Ntzlichkeits-Zwecken (also ,principiell‘, zu einer ntzlichen F l s c h u n g ) man in ihnen das Criterium der Wahrheit resp. der R e a l i t t zu haben glaubte. Das ,Kriterium der Wahrheit‘ war in der That bloß die b i o l o g i s c h e N t z l i c h k e i t e i n e s s o l c h e n S y s t e m s p r i n c i p i eller Flschung : und da eine Gattung Thier nichts Wichtigeres kennt als sich zu erhalten, so drfte man in der That hier von ,Wahrheit‘ reden. Die Naivett war nur die, die anthropocentrische Idiosynkrasie a l s M a ß d e r D i n g e , als Richtschnur ber ,real‘ und ,unreal‘ zu nehmen: kurz, eine Bedingtheit zu verabsolutiren. (NL 1888 14[153], KSA 13, 336)
Wir benutzen unsere Begriffe, die zunchst nur unsere persçnlichen sind, die aber teils durch Verstndigung, teils durch Konflikt und Zwang zu Begriffen der Gruppe oder der ganzen Spezies werden, um uns in der Welt zu orientieren, um zu leben; aber der Erfolg, also das Leben, ist kein Argument fr die Wahrheit unserer Begriffe: Wir haben uns eine Welt zurecht gemacht, in der wir leben kçnnen – mit der Annahme von Kçrpern, Linien, Flchen, Ursachen und Wirkungen, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Inhalt: ohne diese Glaubensartikel hielte es jetzt Keiner aus zu leben! Aber damit sind sie noch nichts Bewiesenes. Das Leben ist kein Argument; unter den Bedingungen des Lebens kçnnte der Irrthum sein. (FW 121, KSA 3, 477 f.).
An anderer Stelle wird dies nher erlutert und mit dem „Willen zur Macht“ begrndet. „Der ganze Erkenntniß-Apparat ist ein Abstraktions- und Simplifikations-Apparat – nicht auf Erkenntniß gerichtet, sondern auf Bemchtigung der Dinge (NL 1884 26[61], KSA 11, 164). Dies schließt auch die Ttigkeit der Sinne ein: Das Auge, wenn es sieht, thut genau dasselbe, was der Geist tut um zu b e g r e i f e n . Es vereinfacht das Phnomen, giebt ihm neue Umrisse, hnelt es frher Gesehenem an, fhrt es zurck auf Frher-Gesehenes, bildet es um, bis es faßlich, brauchbar wird. Die Sinne thun dasselbe wie der ,Geist‘: sie bemchtigen sich der Dinge, ganz so wie die Wissenschaft eine berwltigung der Natur in Begriffen und Zahlen ist. Es giebt nichts darin, was ,objektiv‘ sein will: sondern eine Art Einverleibung und Anpassung, zum Zwecke der Ernhrung. (NL 1884 26[448], KSA 11, 269)
Unser Erkenntnisapparat steht folglich unter dem Imperativ des berlebenskampfes, nicht des objektiven Erkennens. Die Leistungsfhigkeit unserer Sinne ist auf unsere Umgebung und auf unsere Ziele abgestimmt. Wenn wir unsre Sinne um das Zehnfache verschrften oder abstumpften, wrden wir zu Grunde gehen. Die Art des Sinnes steht im Verhltnis zu einem Mittler von Erhaltungs-Mçglichkeit. […] unsre Existenz-Bedingungen schreiben die allgemeinsten Gesetze vor, innerhalb derer wir Formen, Gestalten, Gesetze sehn d r f e n … (NL 1886 – 1887 6[8], KSA 12, 236)
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Nietzsche dramatisierte diese Einsicht, die die evolutionre Erkenntnistheorie fast ein Jahrhundert spter auf andere Weise wiedergewonnen hat (vgl. Lorenz 1973), indem er an die Stelle des berlebens den Machtwillen setzte. Der ,Wille zur Wahrheit‘ entwickelt sich im Dienste des ,Willens zur Macht‘: genau gesehen ist seine eigentliche Aufgabe, einer bestimmten Art von Unwahrheit zum Siege und zur Dauer zu verhelfen, ein zusammenhngendes Ganzes von Flschungen als Basis fr die Erhaltung einer bestimmten Art des Lebendigen zu nehmen. (NL 1885 43[1], KSA 11, 699)
Auch das „Ich“ ist nach Nietzsche eine solche lebensfçrdernde Vereinfachung. Diese Idee, dass der Irrtum, also die besondere Perspektive, die Simplifizierung, die Fiktion und die Illusion zu den Bedingungen des Lebens zhlen kçnnten, also die Notwendigkeit des Scheins, die Unverzichtbarkeit der Fiktionen hat Nietzsche an anderer Stelle beschrieben. In Aphorismus 110 im dritten Buch von Die Frçhliche Wissenschaft heißt es: Der Intellect hat ungeheure Zeitstrecken hindurch Nichts als Irrthmer erzeugt; einige davon ergaben sich als ntzlich und arterhaltend: wer auf sie stiess, oder sie vererbt bekam, kmpfte seinen Kampf fr sich und seinen Nachwuchs mit grçsserem Glcke. Solche irrthmlichen Glaubensstze, die immer weiter vererbt und endlich fast zum menschlichen Art- und Grundbestand wurden, sind zum Beispiel diese: dass es dauernde Dinge gebe, dass es gleiche Dinge gebe, dass es Dinge, Stoffe, Kçrper gebe, dass ein Ding Das sei, als was es erscheine, dass unser Wollen frei sei, dass was fr mich gut ist, auch an und fr sich gut sei. Sehr spt erst traten die Leugner und Anzweifler solcher Stze auf, – sehr spt erst trat die Wahrheit auf, als die unkrftigste Form der Erkenntniss. Es schien, dass man mit ihr nicht zu leben vermçge, unser Organismus war auf ihren Gegensatz eingerichtet; alle seine hçheren Functionen, die Wahrnehmungen der Sinne und jede Art von Empfindung berhaupt, arbeiteten mit jenen uralt einverleibten Grundirrthmern. Mehr noch: jene Stze wurden selbst innerhalb der Erkenntniss zu den Normen, nach denen man ,wahr‘ und ,unwahr‘ bemaß – bis hinein in die entlegensten Gegenden der reinen Logik. Also: die K r a f t der Erkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung. Wo Leben und Erkennen in Widerspruch zu kommen schienen, ist nie ernstlich gekmpft worden; da galt Leugnung und Zweifel als Tollheit. (FW 110, KSA 3, 469)
In seiner spten Philosophie kommt Nietzsche sogar zu einer Auffassung, die die Tuschung, die Illusion, den Schein, ja die Lge nicht nur als notwendige Instrumente des Lebens ansieht, sondern sie ausdrcklich bejaht und in ihnen den Angelpunkt des geistigen Daseins des Menschen vermutet. So gesehen, kann Nietzsche es als glcklichen Umstand bezeichnen, daß der „ungeheure[n] Irrthum“, der in dem Glauben an die Sprache liege, den Menschen erst heute aufdmmert – „zu spt, als dass es die Entwickelung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder rckgngig machen kçnnte“ (MA I 11, KSA 2, 31). Der wahre Abschluss der Philosophiegeschichte wre somit gewissermaßen eine Philosophie des Scheins; die Einsicht in seine Unentbehrlichkeit und Be-
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rechtigung. „Der letzte Philosoph […] beweist die Notwendigkeit der Illusion“ (NL 1872 19[36], KSA 7, 428). Nietzsche vertritt also einen darwinistischen Standpunkt, der noch einmal dadurch radikalisiert ist, dass er zum einen die ,Erkenntnis‘ auf die jeweils ,erkennende‘ Species relativiert, und dass er zum zweiten in Rechnung stellt, dass selbst noch unter dieser Beschrnkung Erkenntnis nicht mehr bedeutet als aktuelle Ntzlichkeit einer Einsicht, eines Satzes in einem bestimmten Umfeld, einer bestimmten Situation, im Kontext eines bestimmten internen psychischen und physiologischen Milieus, einer bestimmten sensorischen und mentalen Ausstattung, einer bestimmten Veranlagung (den Begriff der genetischen Struktur kannte Nietzsche natrlich noch nicht). In der wundervollen Anfangspassage von ber Wahrheit und Lge im außermoralischen Sinn macht Nietzsche klar, wie bedeutungslos die menschliche Erkenntnis, wie nichtig die ,Wahrheit‘ des Menschen im kosmischen Maßstab ist, wie maßlos sein Anspruch, ,Wirklichkeit‘ und ,Schein‘ zu unterscheiden. Doch man darf sich von Nietzsches Rhetorik nicht blenden lassen. Hinter all den Flschungen, Verirrungen und Selbsttuschungen der Philosophen und Wissenschaftler, die Nietzsche mit brillanten, zuweilen bersteigerten Formulierungen brandmarkt, flackert wie ein Irrlicht das Motiv der Wahrheitssuche – die Mçglichkeit des Findens zumindest einer Art von Wahrheit. Wenn das Bleibende nur vermçge unserer groben Organe da ist, wenn wir die Vernderungen in der chemischen Konstitution wegen ihrer Feinheit oder Allmhlichkeit aktuell nicht wahrnehmen kçnnen, wenn uns der Vernderungen in den Naturgesetzen aufgrund unserer unvollkommenen Meßmethoden entgehen, dann kçnnen wir dem Abhilfe verschaffen, indem wir unsere Sinne durch neue Instrumente verfeinern und erweitern, indem wir genauere Messungen durchfhren, ber einen lngeren Zeitraum beobachten usw. Wir kçnnen zwar auf diese Weise nicht zur Wahrheit vorstoßen, aber wir kçnnen vielleicht das Ausmaß an Falschheit in unseren Urteilen verringern.In einem Fragment des Nachlasses hat Nietzsche diesen Gedanken wie folgt ausgedrckt: Der Irrthum ist die Voraussetzung des Erkennens. Theilweises Beharren, relative Kçrper, gleiche Vorgnge, hnliche Vorgnge – damit v e r f l s c h e n wir den wahren Tatbestand, aber es wre unmçglich, von irgendetwas zu wissen, ohne ihn erst so verflscht zu haben. Es ist nmlich so zwar jede Erkenntniß immer noch falsch, aber es giebt doch s o ein Vo r s t e l l e n , und unter den Vorstellungen wieder eine Me n g e G r a d e des Falschen. Die Grade des Falschen festzustellen und die Nothwendigkeit des Grundirrthums als der Lebensb e d i n g u n g d e s v o r s t e l l e n d e n S e i n s – Aufgabe der Wissenschaft. Nicht wie ist der Irrtum mçglich, heißt die Frage, sondern: w i e i s t e i n e A r t Wa h r h e i t t r o t z der fundamentalen Unwahrheit im Erkennen berhaupt m ç g l i c h ? (NL 1881 11[325], KSA 9, 567 f.).
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Aus dieser wichtigen Einsicht hat Nietzsche jedoch – im Gegensatz zu Popper – keine weitergehenden methodologischen Konsequenzen gezogen. Den Motor, der die Bewegung des Erkennens zum weniger Falschen antreibt, sah Nietzsche in der Wissenschaft. Um ihn zur vollen Wirkung zu bringen, muss sich die Wissenschaft allerdings von dem alten Flschungsideal der Philosophie: dass das Ziel der Erkenntnis eine verborgene Welt von Ideen sei, dass die wahre Wirklichkeit hinter den Erscheinungen liege (das „Ding an sich“) und dass die Sinnenwelt nur Trug sei, befreien. Denn nach Nietzsche gilt: „Sofern die Sinne das Werden, das Vergehn, den Wechsel zeigen, lgen sie nicht“ (GD Vernunft 2, KSA 6, 75). Doch die Wissenschaft scheint sich ihrer Strke bisher nicht bewusst zu sein. Nietzsche registriert „mit Erstaunen, daß die Wissenschaft sich heute resigniert, auf die scheinbare Welt angewiesen zu sein: eine wahre Welt – sie mag sein, wie sie will, gewiss haben wir kein Organ der Erkenntniß fr sie.“ (NL 1888 14[103], KSA 13, 280). Wenn der „S c h e i n […] die wirkliche und einzige Realitt der Dinge“ ist (NL 1885 40[53]), KSA 11, 654) dann kann die Ttigkeit der Erkenntnis, und damit die Aufgabe der Wissenschaft nur in der przisen Beschreibung dieses „Scheins“ bestehen. Und der Zugang zu diesem Schein erfolgt einzig ber die Sinnlichkeit. Wir kçnnen diesen Zugang verbessern, indem wir unsere Sinne technisch aufrsten. Genau dies folgert auch Nietzsche: Wir besitzen heute genau so weit Wissenschaft, als wir uns entschlossen haben, das Zeugnis der Sinne a n z u n e h m e n , – als wir sie noch schrfen, bewaffnen, zu Ende denken lernten. Der Rest ist Missgeburt und Noch-nicht-Wissenschaft: will sagen Metaphysik, Theologie, Psychologie, Erkenntnistheorie. O d e r Formal-Wissenschaft, Zeichen-Lehre (GD Vernunft 3, KSA 6, 76; vgl. auch JGB 14, KSA 5, 28).
In der immer genaueren Erfassung dieses Scheins, also dessen, was von der herkçmmlichen Erkenntnistheorie die ,Oberflche der wahren Wirklichkeit‘ genannt wurde, liegt die Strke der Wissenschaft, „also wo gezhlt, gerechnet, getastet, gesehn werden kann, wo Quantitten c o n s t a t i e r t werden kçnnen“ (NL 1886 – 1887 5[16], KSA 12, 190). Dass Nietzsche selbst die Frchte dieser Forschung weniger schtzte als die von ihm als unerreichbar erkannten Trauben der alten Philosophie, erscheint dabei allerdings als inkonsequent. Thatschlich ist uns Alles, was gezhlt und gegriffen werden kann, wenig werth: wo man n i c h t hinkommt mit dem ,Begreifen‘, das gilt uns als ,hçher‘. Logik und Mechanik sind nur auf das O b e r f l c h l i c h s t e anwendbar: eigentlich nur eine Schematisir- und Abkrzungskunst, eine Bewltigung der Vielheit durch eine Kunst des Ausdrucks, – kein ,Verstehen‘, sondern ein Bezeichnen zum Zwecke der Ve r s t n d i g u n g . Die Welt auf die Oberflche reduziert denken heißt: sie zunchst ,begreiflich‘ machen. Logik und Mechanik berhren n i e die Urschlichkeit – (NL 1886 – 1887 5[16], KSA 12, 190).
Doch welches Produkt unseres Erkenntnistriebes wrde den „Willen zur Macht“, die Fhigkeit zur Umgestaltung der Wirklichkeit nach unseren Zwe-
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cken besser ausdrcken kçnnen als die Mechanik? Und gehçrt die Kategorie der Ursache nicht zur alten Philosophie, zu jenem System von Flschungen, das sich die Erkenntnis der verborgenen Wirklichkeit zum Ziel gesetzt hat?
2. Wurzeln: Nietzsche und die Wissenschaftsmethodologie seiner Zeit Nietzsches Philosophie der Wissenschaft hat einen historischen Hintergrund. Mit der Entdeckung des Energiesatzes (der Erhaltung und Transformierbarkeit der Krfte) in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts war das Ende der Physik der Imponderabilien und zugleich auch das Ende der romantischen Naturphilosophie gekommen. Die in der Folge entstehende Thermodynamik hatte Implikationen, die der klassischen Mechanik widersprachen (Irreversibilitt gewisser Vorgnge; 2. Hauptsatz der Wrmelehre). Als in den siebziger Jahren die Theorie des Elektromagnetismus durch Maxwell zum Abschluss gebracht wurde, verfgte die Physik der Zeit Nietzsches ber drei grundlegende Theorien, die nicht aufeinander zurckgefhrt werden konnten, sondern sich teilweise sogar zu widersprechen schienen. Es gelang der Physik bis zum Ende des Jahrhunderts nicht, eine neue einheitliche Grundlage der physikalischen Naturbetrachtung zu finden. Keinem der verfgbaren Kandidaten – Klassische Mechanik, Energetik, elektromagnetisches Weltbild – gelang es, die Schwierigkeiten (Interpretation der kinetischen Gastheorie, Deutung der Entladungsphnomene in Gasrçhren, Widersprche in der therphysik, wie sie das Michelson-Morley-Experiment von 1887 dokumentierte) zu beseitigen. Im Gegenteil – anstatt zu konvergieren, schienen die Ergebnisse und die theoretischen Anstze immer weiter zu divergieren. Whrend man sich der experimentellen Basis der drei Teilbereiche der Physik sicher zu sein glaubte, schien der theoretische berbau Elemente der Beliebigkeit zu beinhalten. Deutlicher ausgedrckt, man hatte den Eindruck, dass die Physiker die Phnomene aus Fiktionen, Konventionen, Modellen, dichterischen Erfindungen einer bestimmten Art abzuleiten versuchten. Diese Sachlage war mit einer realistischen, reprsentationalen Wissenschaftsauffassung schwer zu vereinbaren und fhrte etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Renaissance einer empiristischen Wissenschaftsauffassung, die die Forderung enthielt, sich in der Theorienbildung auf eine Systematisierung der erfahrungsmßig (experimentell, instrumentell) gewonnenen ,Daten‘ zu beschrnken (Jean Joseph de Fourier, Carl Gustav Jacobi, William Macquorn Rankine, Robert Mayer, Gustav Kirchhoff, James Clerk Maxwell). Die Grundstze, durch die sich der Forscher leiten lassen sollte, waren Einfachheit und Sparsamkeit (,Ockhams Rasiermesser‘). Der Vernunft, der im antiken Empirismus (Aristoteles, Stoa) zumindest noch die Aufgabe zugewiesen wurde, die Sinne beim Vorstoß zu allgemeinen Erkenntnissen anzuleiten, verblieb in
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der Sicht des neuen Empirismus die Rolle eines Buchhalters der Phnomene. Ganz im Geiste dieses Ideals hatte Gustav Kirchhoff 1877 der Mechanik die Aufgabe gestellt, „die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollstndig und auf die einfachste Weise zu beschreiben“. (Kirchhoff 1877, 1). Bereits 26 Jahre vorher hatte Robert Mayer, einer der Erfinder des Prinzips der Erhaltung der Energie in ihren verschiedenen Manifestationen, dem empiristischen Geist der Wissenschaft dieser Zeit vielleicht den vollkommensten Ausdruck gegeben: Ist einmal eine Thatsache nach allen ihren Seiten hin bekannt, so ist sie eben damit erklrt und die Aufgabe der Wissenschaft ist beendigt […] Es mssen nmlich die nchstliegenden und hufigsten Naturerscheinungen mittelst der Sinnwerkzeuge einer sorgfltigen Untersuchung unterworfen werden, die so lange fortzufhren ist, bis aus ihr Grçssenbestimmungen, die sich durch Zahlen ausdrcken lassen, hervorgegangen sind. Diese Zahlen sind die gesuchten Fundamente einer exakten Naturforschung […] Alle spekulativen Operationen selbst der glnzendsten geistigen Kapazitten, die, statt von den Thatsachen als solchen Besitz zu ergreifen, sich ber dieselben erheben wollten, [haben] bis jetzt nur taube Frchte getragen. (Mayer 1851, 138 f.).
Diese spekulativen Elemente, auf die der mathematische Physiker gleichwohl bei der Formulierung der Naturgesetze nicht verzichten konnte, waren willkrlich und austauschbar; nur ihre Systematisierungsleistung, ihre mathematische Eleganz und ihre deduktive Kraft konnten sie rechtfertigen. Aber auch die einfachen Tatsachen hatten ihren Abbildcharakter verloren. Hermann von Helmholtz hatte in seiner berhmt gewordenen Abhandlung ber Die Tatsachen in der Wahrnehmung aus dem Jahre 1878 eine unaufhebbare Differenz zwischen Ding und Wahrnehmung konstatiert. Unsere Wahrnehmungen seien keine Abbilder, sondern nur Zeichen des Wahrgenommenen. Denn vom Bilde verlangt man irgendeine Art der Gleichheit mit dem abgebildeten Gegenstande, von einer Statue Gleichheit der Form, von einer Zeichnung Gleichheit der perspektivischen Projektion im Gesichtsfelde, von einem Gemlde auch noch Gleichheit der Farben. Ein Zeichen aber braucht gar keine Art der hnlichkeit mit dem zu haben, dessen Zeichen es ist. Die Beziehung zwischen beiden beschrnkt sich darauf, daß das gleiche Objekt, unter gleichen Umstnden zur Einwirkung kommend, das gleiche Zeichen hervorruft und daß also ungleiche Zeichen immer ungleicher Einwirkung entsprechen. (Helmholtz 1998, 153).
Ihre Grundlage hatten diese berlegungen in den Ergebnissen zur Physiologie der Wahrnehmung, die Johannes Mller, der Lehrer von Helmholtz, erzielt hatte. Nach Mllers Gesetz der spezifischen Sinnesenergien hngt die Modalitt der Empfindung „unmittelbar allein davon ab, welche Region des Zentralorgans in einen entsprechenden Erregungszustand versetzt ist, unabhngig von den ußeren Ursache, die die Erregung bewirken“ (Schlick, in: Helmholtz (1998), 199). „Dieselben therschwingungen, welche das Auge als Licht fhlt, fhlt die
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Haut als Wrme. Dieselben Luftschwingungen, welche die Haut als Schwirren anfhlt, fhlt das Ohr als Ton“ (Helmholtz 1998, 151). Das hervorstechendste Merkmal des neuen Empirismus im spten 19. Jahrhundert ist ein Anti-Realismus, der nicht mehr davon ausgeht, dass die von der Wissenschaft postulierten Theorien die innere Struktur der Wirklichkeit darstellen (Rey 1908). Dieser Empirismus nimmt fr sich nur noch in Anspruch, Modelle der Wirklichkeit zu konstruieren, die tatsachenadquat sind; ob sie wahr sind, wissen wir nicht, da es viele Mçglichkeiten der mathematischen Modellierung der gleichen Menge an Tatsachen gibt. Bereits in seinen Vorlesungen ber analytische Mechanik in Berlin 1847/48 hatte Carl Gustav J. Jacobi der mathematischen Physik die Aufgabe gestellt, ihre Stze aus Prinzipien abzuleiten, die sich nur durch ihre Einfachheit und Plausibilitt rechtfertigen kçnnen, aber mathematisch betrachtet den Status von Konventionen haben (vgl. Jacobi 1996, XLVII, 3, 5). In der wirkungsmchtigen Leipziger Antrittsvorlesung Ueber die Principien der Galilei-Newton’schen Theorie von Carl Neumann aus dem Jahr 1869 wird eine Auffassung vom Wesen mathematisch-physikalischer Theorien vertreten, in der „willkrliche Hypothesen“ an die Natur herangetragen werden. Es sind „subjective, aus uns selber entsprungene Gestaltungen, welche (von willkhrlich zu whlenden Principien aus, in streng mathematischer Weise entwickelt) ein mçglichst treues Bild der Erscheinungen zu liefern bestimmt sind“ (Neumann, nach: Jacobi (1996), LIII). Die Bewhrung im Empirischen kann nie zu dem Nachweis fhren, ,dass diese Principien die einzig mçglichen sind, dass neben dieser Theorie keine zweite denkbar ist, welche den Erscheinungen entspricht‘; von einer ,objectiven Wirklichkeit oder wenigstens allgemeinen Notwendigkeit‘ dieser Prinzipien kçnne daher keine Rede sein. (Neumann, nach: Jacobi, (1996), LIII).
In seiner Tbinger Antrittsvorlesung von 1865 hatte Neumann die Aufgabe der Physik dahingehend bestimmt, „alle Erscheinungen […] auf mçglichst wenige unbegreiflich bleibende Dinge zurckzufhren“ (Neumann, nach: Jacobi (1996), LII, Anm. 168). Bernhard Sticker hat die Situation der physikalischen Weltbetrachtung gegen Ende des 19. Jahrhunderts wie folgt beschrieben: Die Welt, auf die sich die Aussagen der Naturforschung, insbesondere der Physik, am Ende des 19. Jhs. beziehen, ist eine weitgehend mathematisierte Welt, eine Welt der Modelle, der Abstraktionen, der statistischen und stochastischen Aussagen, eine Welt, die durch den fortschreitenden Verlust der Bedeutung des sinnlich Anschaubaren gekennzeichnet ist […] Dadurch ist eine Naturauffassung, wie sie noch am Anfang des Jahrhunderts mit dem Vertrauen auf das ,Zeugnis der Sinne‘ mçglich war, der Boden entzogen worden […] die vertraute Euklidische Struktur des Raumes war zweifelhaft geworden, die Bestndigkeit aller Formen und Arten hinfllig, der Glaube an das Uhrwerk, vom Schçpfer aufgezogen, zerstçrt, der Traum von der Welt als einem lebendigen Organismus jh unterbrochen. Zurck blieben abstrakte Modellvorstellungen ber eine methodisch gereinigte Wirklichkeit, die sich als sehr geeignet erwiesen, um die Natur und ihre Krfte dem Menschen in ungeahntem
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Maße nutzbar zu machen, die aber nach einem Gesetz der Komplementaritt offenbar den Verzicht auf das Verstndnis des eigentlichen Wesens dieser Natur notwendig machten (Sticker 1965, 160 f.).
3. Wirkungen: Nietzsches legitime Erben Erkenntnistheoretisch in der „Genealogie“ von Nietzsche stehen in erster Linie jene der neueren Philosophen, die antirealistische, antiplatonistische, konstruktivistische, pragmatische, evolutionre, darwinistische, und (obwohl einige dieses Prdikat nicht akzeptieren wrden) relativistische Konzeptionen vertreten. In Europa sind dies zum Beispiel M. Heidegger, J. P. Sartre, J. Derrida und M. Foucault, sowie alle modernen Dekonstruktivisten und Postmodernisten (dazu: Manschot 1987). In Amerika wre jene Linie hervorzuheben, die vom autochthonen amerikanischen Pragmatismus (William James, John Dewey), zu W. v. O. Quine, H. Putnam, D. Davidson und zum Neopragmatismus fhrt (Rorty 1970, 8). Eine weitere wichtige erkenntnistheoretische Linie fhrt vom Neukantianismus und Nietzsche zu Hans Vaihinger und zu der durch diesen initiierten Bewegung der ,Als-Ob-Philosophie‘ (Fiktionalismus). Diese Tradition floss (mit anderen Quellen wie E. Mach, B. Russell, G. Frege, L. Wittgenstein, H. Poincar, P. Duhem, A. Rey) in den Logischen Positivismus ein, der seinerseits die Ausgangspunkte des Denkens von Karl Popper und Paul Feyerabend bestimmt hat. Diese Richtung interferiert ab den sechziger Jahren mit der Arbeit von Thomas S. Kuhn und der durch dessen Arbeit beflgelten wissenschaftssoziologischen Schule, die durch eigenstndige Einflsse geprgt war (J. B. Conant), zum Teil aber auch auf europische Quellen zurckgeht (z. B. Ludwik Fleck, der seinerseits durch F. A. Lange, E. Mach, W. Wundt, L. Lvy-Bruhl u. a. beeinflusst war). Eine andere, gleichwohl an vielen Stellen mit schon genannten Richtungen verwobene Verbindungslinie fhrt ber die Sprachphilosophie. Fr Nietzsches Ideen lassen sich Analogien vor allem in jenen Spielarten der Linguistik, Rhetorik und Sprachphilosophie finden, die die weltbildbestimmende und wahrnehmungskonstituierende Rolle der Sprache betonen (E. Sapir, B. L. Whorf, W. v. O. Quine), die Funktion rhetorischer Strategien bei der Aushandlung von Geltungsansprchen (von ,Wahrheit‘) fr essentiell halten (R. N. Gilbert & M. Mulkay; Karin Knorr-Cetina) und im Ergebnis zu einer radikal nominalistischen (konstruktivistischen) Position kommen. Eine vierte Entwicklungslinie fhrt zu den modernen konstruktivistischen Spielarten der Erkenntnistheorie (E. von Glasersfeld, H. von Foerster, P. Watzlawick), die teilweise stark biologistisch geprgt sind (H. Maturana). Darin trifft sie sich mit der evolutionren Erkenntnistheorie (K. Lorenz), die allerdings
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zumeist nicht konstruktivistisch ist. Auch zu ihr ließe sich ber die Idee der berlebensrelevanz der kognitiven Leistungen und Funktionen eine Verbindung zu Nietzsche herstellen. Eine fnfte, ebenfalls vielfach verwobene, Linie fhrt (wiederum nicht im strikten Sinne einer „bernahme“ oder direkten Beeinflussung, genealogisch) von Nietzsche zu den soziologisch orientierten Wissenschaftsauffassungen, die den Wissenschaftsprozess als vornehmlich durch soziale Faktoren gesteuert ansehen und in denen die Erzeugung eines wissenschaftlichen Konsenses – und damit die Produktion von „Wahrheit“ – in erster Linie als sozialer Prozess verstanden wird (Barry Barnes, Harry Collins, Andrew Pickering, Bruno Latour, Steve Woolgar, David Bloor, Thomas S. Kuhn, Ludwik Fleck). Da Nietzsche ein sehr vielschichtiger Denker war, ließen sich weitere Entwicklungslinien, die zum Beispiel ber die Kulturtheorie oder die politische Theorie fhren kçnnten, leicht finden. Auch Denker wie A. N. Whitehead, die die schçpferische Kraft der Natur, ihre Unabgeschlossenheit, ihren Prozesscharakter betonen, befinden sich in einem wichtigen Punkt mit Nietzsche im Einklang. Wir wollen diesen Linien hier jedoch nicht nachgehen und uns auf einen punktuellen Vergleich mit einem der bekanntesten Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts, den man bisher eher als Antipoden Nietzsches angesehen hatte, beschrnken. Ein solcher Vergleich wurde bisher noch nicht versucht und erscheint auch zunchst als wenig Erfolg versprechend – im Gegensatz zu einem ebenfalls mçglichen Vergleich nietzscheanischer Ideen mit denen des wissenschaftstheoretischen Antirealismus (T. S. Kuhn, P. K. Feyerabend), des modernen Dekonstruktivismus (J. Derrida, M. Foucault, F. Lyotard), des Postmodernismus, des Neopragmatismus (R. Rorty) oder des Naturalismus (W. v. O. Quine). Unser Begriffsraster zur Definition eines nietzscheanischen Standpunktes in der modernen Wissenschaftstheorie besteht aus folgenden Komponenten: Antirealismus, Konstruktivismus, Pragmatismus, Antiplatonismus, (linguistischer) Relativismus, Evolutionismus und Darwinismus (Philosophie und Wissenschaft als Ausdruck des menschlichen und insbesondere auch des sozialen Lebens).
4. Eine seltsame Verwandtschaft: Karl Popper und Friedrich Nietzsche Wenn wir den Gang der modernen Wissenschaftstheorie ab den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrachten, so finden wir eigentlich nur einen wichtigen Anti-Nietzscheaner, der zugleich Realist, Platonist, Anti-Pragmatist und Anti-Relativist war – nmlich Karl Popper. Popper war allerdings Darwinist, aber er zog aus der ,Fitness‘, also der Passung, dem Erfolg einer Hypothese
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andere Schlsse als Nietzsche. Wie weit die Unterschiede auf der Ebene der Rhetorik, der Dramaturgie und der Einstellungen zu verorten sind, wre zu untersuchen. Dazu einige Beispiele. Popper verstand sich nicht als ,Konstruktivist‘, obwohl er davon ausging, dass wir unsere Theorien frei erfinden – also konstruieren, was sonst? Natrlich ist die Konstruktion nicht beliebig: wir kçnnen unsere Erfahrungen (die ,Natur‘) nicht in jedes Schema pressen. Aber welcher Konstruktivist htte dies je behauptet? Poppers Konstruktivismus wird dadurch abgefedert, dass ,die Natur‘ im wissenschaftlichen Experiment unsere Konstruktionen scheitern lassen kann. Aber dies heißt wiederum nicht, dass uns die Natur auf jede unsere Fragen, oder auch nur auf die meisten, eine eindeutige Antwort gibt. Dies bedeutet, dass wir einen betrchtlichen konstruktiven Spielraum fr die Formulierung unserer Theorien haben. Wie groß dieser ist, wissen wir nicht, denn dazu mssten wir in der Lage sein, unsere Theorien mit ,wahren Darstellungen‘ der Wirklichkeit zu vergleichen. Ein anderes Beispiel. Wo Nietzsche dramatisch von ,ntzlichen Flschungen‘ redet, spricht Popper positiv von ,vorlufigen Hypothesen‘, die vermutlich alle von der zuknftigen Wissenschaft falsifiziert und durch bessere, ,weniger falsche‘ Hypothesen ersetzt werden – ohne dass dies auf Kosten des Informationsgehalts gehen darf. Da mit jeder neuen Hypothese die Hoffnungen ihrer Proponenten verbunden sind, beweist auch Popper die ,Notwendigkeit der Illusion‘ und des ,Scheins‘. In gewissem Sinne auch die Unentbehrlichkeit der ,Flschung‘, insofern der Wissenschaftler nicht selten bewusst Idealisierungen und Vereinfachungen einfhrt, von denen er weiß, dass sie falsch sind. Der ,Hrtetest der Illusion‘ besteht bei Popper im wissenschaftlichen Experiment, bei Nietzsche in der lebenserhaltenden und machterweiternden Praxis der Art (die im brigen nicht identisch sein muss mit einer in diesem Sinne erfolgreichen Praxis der vielen Individuen, aus denen eine Art besteht). Hierin scheint zunchst ein Unterschied zu Poppers szientifischer Testtheorie zu bestehen, aber es sei daran erinnert, dass auch Popper in seiner mittleren Periode (vgl. Popper, 1973) auf die Vorstellungen der evolutionren Erkenntnistheorie zurckgriff, weil seine ursprngliche Hoffnung, die Idee einer Annherung an die Wahrheit ließe sich logisch explizieren, die fachliche Kritik nicht berstand. Die ,szientifische‘ Wendung bei Popper, verglichen mit Nietzsche, besteht wiederum darin, dass wir (als Wissenschaftler) nicht mehr unsere Hypothesen (Illusionen, Flschungen) verkçrpern. Wir sind nicht bereit, fr sie zu sterben – im Gegenteil: wir lassen unsere Theorien fr uns sterben und erfinden eine neue, bessere als Ersatz. Im Gegensatz zu Nietzsche ist Popper Realist und gemßigter Platonist, bzw. ein ,modifizierter Essentialist‘. Wo Nietzsche Erkenntnis als „Flschung d e s V i e l a r t i g e n u n d Un z h l b a r e n z u m G l e i c h e n , h n l i c h e n , A b z h l b a r e n “ (NL 1885 34[252], KSA 11, 506) bestimmt, wrde Popper
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(zumindest in einigen Fllen) von einer hypothetischen Klassifikation sinnlich scheinbar verschiedener Dinge und Prozesse reden, hinter denen mçglicherweise die gleichen (real existierenden) theoretischen Entitten stehen. Da sich die Wirklichkeit (einschließlich der Naturgesetze und der theoretischen Entitten) bei Nietzsche in stndigem Fluss befindet, kann er diese Lçsung nicht akzeptieren. Allerdings gibt es auch bei Popper keine Wiederholungen von Ereignissen, bzw. Replikationen von Objekten im strikten Sinne. „Alle Wiederholungen, die wir erleben, (sind) annhernde Wiederholungen […]. Zwei Dinge sind immer nur in gewisser Hinsicht hnlich“ (Popper 1969a, 374). Die Konstatierung einer Wiederholung oder einer hnlichkeit setzt nach Popper die „Einnahme eines Standpunktes oder ein bestimmtes Interesse oder eine Erwartung voraus“ (Popper 1969a, 375 f.). Popper ist in der Verfolgung dieser Idee sehr radikal. Er behauptet, dass sich fr jede gegebene endliche Gruppe oder Menge von Dingen, mag sie noch so regellos zusammengestellt sein, bei einiger Geschicklichkeit Standpunkte finden lassen, von denen aus alle zu der Menge gehçrenden Dinge hnlich (oder teilweise gleich) sind. Das bedeutet, dass jedes beliebige Ding oder Ereignis als ,Wiederholung‘ jedes beliebigen anderen angesehen werden kann, wenn man nur den geeigneten Standpunkt einnimmt (Popper 1969a, 376).
Klarer und extremer kann man die Grundidee des Konstruktivismus eigentlich nicht formulieren. Diese Prmisse hat eine Konsequenz von ungeheurer Tragweite, wie sie auch Nietzsche nicht radikaler formuliert hat: „Wir bewegen uns immer in Theorien, sogar dann, wenn wir die trivialsten singulren Stze aussprechen“ (Popper 1969a, 377). Und Theorien, so lesen wir etwas vorher, „berschreiten stets den Bereich jeder mçglichen Erfahrung“ (Popper, 1969a, 376). Nietzsche drckte diesen Gedanken etwas anders aus: „D a s v e r n n f tige Denken ist ein Interpretiren nach einem Schema, welches w i r n i c h t a b w e r f e n k ç n n e n .“ (NL 1886 – 1887 5[22], KSA 12, 194). Fr Popper wie fr Nietzsche besteht die Konsequenz ihrer philosophischen Arbeit in der Einsicht, „d a ß w i r d i e Wa h r h e i t n i c h t h a b e n “ (NL 1880 3 [19], KSA 9, 52), oder an anderer Stelle: „Die bestgeglaubten a priorischen ,Wahrheiten‘ sind fr mich – A n n a h m e n b i s a u f w e i t e r e s “ (NL 1884 26 [12], KSA 11, 152). Beiden scheint es allerdings mçglich, Schattierungen innerhalb des Bereichs der ntzlichen Flschungen festzustellen, das heißt „Grade des Falschen“ (s. o.) zu bestimmen und infolgedessen das „weniger Falsche“ vorzuziehen und das „Falschere“ zu eliminieren. Dies ist nichts anderes als das Poppersche Prinzip der Falsifikation (vgl. Popper 1969), angewandt auf den Prozess, in dem die Wissenschaftler zur Lçsung von Problemen vorlufige Hypothesen aufstellen, testen, verwerfen und durch bessere ersetzen (und so weiter ad infinitum). Wir kçnnen schließen, dass Popper nicht als Antipode Nietzsches bezeichnet werden kann, da in wesentlichen Punkten bereinstimmung zwischen
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ihnen besteht. In anderen Punkten gibt es Differenzen. Popper bleibt trotz allem Realist (Platonist) und er verwirft das pragmatistische Wahrheitskriterium (vielleicht nur aus Missverstndnis). Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Denkern besteht in ihren grundlegenden Motivationen und Zielsetzungen, vielleicht auch Hoffnungen. Whrend Popper an den Zielen der Aufklrung festhlt, bilden diese fr Nietzsche nurmehr Objekte seines Hohns. Aber man kann dies auch anders sehen, denn natrlich klrte auch Nietzsche auf: ber die Illusionen der bisherigen Philosophie, die politische Dimension der Wahrheit, die Ntzlichkeit des Irrtums, die biologische Natur des Erkennens, die Nichtexistenz einer ,wahren Wirklichkeit‘. Diese Aufklrung erfolgte allerdings auf eine Weise, die nur noch zerstçrerisch wirkte und in den Nihilismus zu mnden schien. Wir haben zu zeigen versucht, dass dieser Eindruck falsch ist. Poppers Methodenlehre wurde in den siebziger und achtziger Jahren von seinen eigenen Schlern heftig kritisiert und von einigen so weit modifiziert, dass nicht nur der hypothetische Realismus und der modifizierte Essentialismus (Platonismus) aufgegeben wurde, sondern eine Bewegung hin zum Pragmatismus, Pluralismus und sogar zum Kulturrelativismus erfolgte (vgl. dazu Overington 1985).
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Nietzsche und die Experimentalisierung des Lebens Christine Blttler Der Test ist kein neues Phnomen, doch er hat eine enorme Ausdehnung erfahren wie nie zuvor, in allen Bereichen, nicht nur prominent in Ausbildung, Marktforschung und Wissenschaft. Es ist der Test, der einen bisher beispiellosen Diskurs von Zeugenschaft, Evidenz und Wissen markiert. In The Test Drive unterscheidet Avital Ronell zwei Register: eines, das dem Test Resultate, Sicherheiten und gar Wahrheit verspricht, die man kalkulieren und auf die man zhlen kann. Das andere Register des Tests unterluft gerade dies, indem es dauernd Resultate, Sicherheit oder Wahrheit demontiert. Wenn das erste Register auf Besttigung zielt, mag das zweite an Karl Poppers Falsifikation gemahnen. Doch das Risiko, wie es im Aufbrechenden und Grenzberschreitenden des zweiten Registers liegt, macht Ronell bei Nietzsche aus. Bei diesem lsst sich im Testen allerdings ein weiterer Punkt finden, der ihn noch deutlicher von Popper unterscheidet: es ist die epistemologische Relevanz auch des context of discovery, welche in der aktuellen Wissenschaftsforschung wieder Beachtung findet. Im Folgenden soll betrachtet werden, welche Rolle bei Nietzsche das Experiment in der Wissensgewinnung einnimmt und wie sich sein Experimentverstndnis im Kontext der aktuellen wissenschaftsphilosophischen Diskussion verorten lsst. Es wird sich zeigen, wie er eine Problematisierung des Experiments als ausgezeichneter Test- und Erkenntnisform vorwegnimmt und der darin angelegten Ambivalenz Ausdruck gibt. Heute hat in den Science Studies das Experiment Konjunktur. Experimentieren ist ein intervenierendes Verfahren, bei dem Gegenstnde nicht nur beobachtet, sondern manipuliert werden, um ber diese Gegenstnde Wissen zu gewinnen. So hatte dies schon Francis Bacon um 1620 in seinem Novum Organum formuliert. Die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts hat sich allerdings lange nicht fr das Experiment interessiert. Das erstaunt, wenn man bedenkt, dass die klassischen wissenschaftstheoretischen Anstze, sowohl der logische Empirismus wie der kritische Rationalismus, auf einer empiristischen Basis funktionierten, welche theoretische Behauptungen letztlich durch Erfahrung gerechtfertigt sieht. Es erstaunt aber nicht, wenn man bercksichtigt, dass zwischen Beobachtung und Experiment kaum unterschieden wurde und wenn man sich klar macht, dass in diesen Anstzen dem Experiment lediglich die Aufgabe zukam, eine vorher bestehende Theorie zu besttigen oder sie zu falsifizieren (Weber 2005, 127 f.). Dies entspricht allerdings einem einseitigen Verstndnis des Experiments, denn dieses dient seit Bacon dazu, neues Wissen
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zu generieren, das nicht schon in einer vorangehenden Theorie vorgedacht wurde.1 Deshalb unterscheidet Friedrich Steinle das theoriegeleitete vom explorativen Experiment (Steinle 1998). Dieses genuine Forschungsexperiment, dem eine eigene schçpferische, wissensgenerierende und innovative Funktion zukommt, steht seit Ian Hackings Buch Representing and Intervening von 1983 zunehmend auch im Interesse nicht nur wissenschaftshistorischer sondern genauso wissenschaftsphilosophischer Studien. Maßgeblich wirkte Hackings folgende Formel: „Experimentation has a life on its own“ (Hacking 1983, 149 f.). Mittlerweile lsst sich in den Science Studies von einem experimental turn sprechen, der das explorative Experiment mit seiner epistemischen Offenheit favorisiert, und wofr sich auch schon ein Schulname etabliert hat: New Experimentalism (Ackermann 1998).
,Experimental-Philosophie‘ Nun gibt es allerdings Stimmen, welche die experimentelle Wende schon bei Nietzsche ansetzen, wie Ronell. Dass der Experimentbegriff bei Nietzsche eine besondere Stellung einnimmt, ist der Forschung bereits mehrfach aufgefallen, nicht zuletzt durch einen Hinweis von Nietzsche selbst, der bemerkt, er lebe eine „Experimental-Philosophie“ (NL 1888 16[32], KSA 13, 492). Karl Lçwith hat diese Bezeichnung bernommen und Nietzsches Denken gesamthaft als Experimentalphilosophie gefasst, dargelegt besonders in seinem Buch ber Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Lçwith insistiert auf dem grundstzlichen Experimentalcharakter von Nietzsches Philosophieren, es sei ein „systematischer Versuch, aber kein unerprobtes System“ (Lçwith 1956, 116). „Der systematische Charakter seiner Philosophie geht aus der bestimmten Art und Weise hervor, wie Nietzsche sein philosophisches Experiment ansetzt, aushlt und durchfhrt, der aphoristische aus dem Experimentieren als solchem.“ (Lçwith 1956, 111) Dabei sieht Lçwith auch Kritik und Skepsis „im Dienst der Erprobung“ (Lçwith 1956, 112) stehen. Friedrich Kaulbach widmete Nietzsches Experimentalphilosophie 1980 ein ganzes Buch. Er geht noch ber Lçwith hinaus, indem er Nietzsches Philosophieren explizit als eine ,Methode des Experimentierens‘ darstellt. Bei Kaulbach 1
Vgl. die drei Stufen im Zusammenspiel von Sinnen und Verstand in der Erfahrung bei Bacon: die sich selbst berlassene Erfahrung, die nicht viel zustande bringt, und die bei der sinnlichen Wahrnehmung stehen bleibt; dann diejenige, die sich zwar Werkzeugen bedient, welche die Erkenntnisgewinnung untersttzen, aber immer noch zufllige Erfahrung ist und ein „einfaches kunstloses Forschungsverfahren“ (inveniendi modum simplicem et inartificiosum) zur Folge hat; und schlussendlich die herausgeforderte Erfahrung, die mit Methode und Kunstfertigkeit angegangen wird (Bacon 1990, 174 – 177).
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macht Folgendes die Aufgabe der Experimentalmethode aus: eine „Weltinterpretation zu rechtfertigen und sicherzustellen. Sie ist eine Methode der Erkenntnis der jeweils einem Seins- und Willenscharakter angemessenen und fr ihn sinnmotivierenden Welt.“ (Kaulbach 1980, 185) Mit diesem Verstndnis zielt das Experiment zwar nicht mehr auf abstrakte Objektivitt, doch wird ihm nur der theoriegeleitete Aspekt bzw. der context of justification zugestanden. Auch Volker Gerhardt bleibt diesem wissenschaftsphilosophisch lange dominanten Experimentbegriff verhaftet, wenn er die wesentlichen Verfahrenselemente des Experimentierens mit Hypothesenbildung und Erprobung bezeichnet.2 Hier soll Nietzsches Experimentbegriff, dem diese Anstze nur zum Teil gerecht werden, weiter ausgefhrt werden. St e r b l i c h e S e e l e n ! – […] Jetzt darf die Menschheit warten, jetzt hat sie nicht mehr nçthig, sich zu berstrzen und halbgeprfte Gedanken hinunterzuwrgen, wie sie ehedem musste. […] Wir haben den guten Muth zum Irren, Versuchen, Vorlufig-nehmen wieder erobert – es ist Alles nicht so wichtig! – und gerade desshalb kçnnen Individuen und Geschlechter jetzt Aufgaben von einer Grossartigkeit in’s Auge fassen, welche frheren Zeiten als Wahnsinn und Spiel mit Himmel und Hçlle erschienen sein wrden. Wir drfen mit uns selber experimentiren! Ja die Menschheit darf es mit sich! Die grçssten Opfer sind der Erkenntniss noch nicht gebracht worden […]. (M V 501, KSA 3, 294)
Diesen Aphorismus spitzte einst Michel Foucault folgendermaßen zu: „das Wissen fordert uns heute auf, an uns selbst zu experimentieren und das Subjekt der Erkenntnis zu opfern“ (Foucault 2002, 189). An derselben Stelle schreibt Foucault auch vom großen Wissen-Wollen (vouloir-savoir); die Geschichte zeige, dass es keine Erkenntnis gibt, die nicht auf Ungerechtigkeit basiert. Dieses Wissen-Wollen hat Nietzsche seinerseits als den „Trieb zur Erkenntnis“ diagnostiziert, eine Leidenschaft, die sich nicht um gerecht oder ungerecht kmmert, und die auch ihren Preis fordert: D i e n e u e L e i d e n s c h a f t . – […] unser Tr i e b z u r E r k e n n t n i s s ist zu stark, als dass wir noch das Glck ohne Erkenntniss oder das Glck eines starken festen Wahnes zu schtzen vermçchten […]. Die Unruhe des Entdeckens und Errathens ist uns so reizvoll und unentbehrlich geworden, wie die unglckliche Liebe dem Liebenden wird: welche er um keinen Preis gegen den Zustand der Gleichgltigkeit hergeben wrde; – ja, vielleicht sind wir auch u n g l c k l i c h Liebende! Die Erkenntniss hat sich in uns zur Leidenschaft verwandelt, die vor keinem Opfer erschrickt und im Grunde Nichts frchtet, als ihr eigenes Erlçschen […]. Vielleicht selbst, dass die Menschheit an dieser Leidenschaft der Erkenntniss zu Grunde geht! – auch dieser Gedanke vermag Nichts ber uns! […] Ja, wir hassen die Barbarei, – 2
Anhand von zehn Punkten ,rekonstruiert‘ Gerhardt ein Modell von Nietzsches Experimental-Philosophie: 1. als Philosophie; 2. als Wissenschaft; 3. als Kritik; 4. als Lehre; 5. als Anthropologie; 6. als Existenzphilosophie; 7. als exemplarisches Philosophieren; 8. als praktische Philosophie; 9. als sthetische Philosophie; 10. als Metaphysik (Gerhardt 1986).
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wir wollen Alle lieber den Untergang der Menschheit, als den Rckgang der Erkenntniss! (M V 429, KSA 3, 264 f.)
Der Trieb zur Erkenntnis schrecke vor keinem Opfer zurck, er sei bereit, sich selbst zu opfern wie die ganze Menschheit. Foucault las dies bekanntlich als Kritik am humanistischen Ideal und forderte ein Aufwachen aus dem anthropologischen Schlaf. Die ,Entwurzelung der Anthropologie‘, welcher sich sein Denken und das einiger seiner Zeitgenossen widmete, sieht er mit Nietzsche beginnen. Dieser hat nicht nur den Menschen angesichts des bermenschen verschwinden lassen, wie ein Gesicht am Meeresrand. Foucault gewahrt bei Nietzsche auch, wie er die menschliche Identitt systematisch zersetzt und das Wissenssubjekt geopfert habe. Nicht zu unterschtzen ist, wie die Naturwissenschaften mit der Aussicht auf objektive Wahrheit locken – nicht als ein Versuch, sondern als Versuchung (Blttler 2010). Sie trifft die Suchenden an einem wunden Punkt, ihrer heftigen „Begierde nach dem Glck der Erkennenden“ (M V 450, KSA 3, 273). Dem Erkenntnistrieb sind die Menschen zwar ausgeliefert, sie kçnnen aber einen praktischen Umgang mit ihm finden, gerade ber das Experiment. In Denken und Schreiben praktiziert Nietzsche selbst eine experimentelle Methode, die er ausdrcklich ans Leben bindet. Kaulbach ist zuzustimmen, dass es sich bei Nietzsches Einsatz des Experiments um eine Methode der Erkenntnis handelt. Anstatt auf die Sinnhaftigkeit des Moments zu fokussieren, wird hier der Weg ber das ,Leben‘ genommen.
,Experimentalisierung des Lebens‘ Mit Experimentalisierung des Lebens wird ein Prozess bezeichnet, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ganz Europa einsetzte und Wissenschaften, Knste und Technik neu konfigurierte (Rheinberger/Hagner 1993). Dies ist im Zusammenhang zu sehen mit der neuen Disziplin der Biologie, die sich anders als die auf Mechanik fokussierte Physik mit Lebewesen beschftigt, die geprgt sind von verschiedenen Prozessen und grundlegender Kontingenz. Besonders die neue, von Claude Bernard begrndete Physiologie setzte auf Eingriffe an lebenden Organismen. Mit der Wendung von der Experimentalisierung des Lebens richtet sich der von der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung etablierte Fokus in seiner historiographischen und theoretischen Aufarbeitung auf die Unternehmungen im Labor. Whrend dort der Blick auf Instrumente, Gebude und Techniken fllt, bildet sich am Schnittpunkt von Biologie und Philosophie, Literatur und Kunst das ,Lebensexperiment‘ heraus, fr das paradigmatisch Nietzsche stehen kann. Reflektiert setzte er sich bestimmten Wahrnehmungen, Erfahrungen und Gedanken aus und machte sich das eigene Leben zum Versuchsgelnde (Ronell 2005, 10). Wie im Labor ist dieses situiert und begrenzt
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(die Basis bilden Erfahrungen des eignen Lebens, nicht ein allgemeinen Rsonieren ber das Leben an sich), es kommt eine Methode wie das Experiment zum Einsatz, und es kommen Techniken zur Anwendung, die Foucault spter Selbsttechniken nennt. „Wie viel Wahrheit e r t r g t , wie viel Wahrheit w a g t ein Geist?“ – dies wurde fr mich der eigentliche Werthmesser. […] Eine solche Experimental-Philosophie, wie ich sie lebe, nimmt versuchsweise selbst die Mçglichkeiten des grundstzlichen Nihilismus vorweg: ohne daß damit gesagt wre, daß sie bei einem Nein, bei einer Negation, bei einem Willen zum Nein stehen bliebe. Sie will vielmehr bis zum Umgekehrten hindurch – bis zu einem d i o n y s i s c h e n Ja s a g e n zur Welt, wie sie ist (NL 1888 16[32], KSA 13, 492)
Die Wahrheit soll sich an der Wirkung zeigen, die sie am eigenen Leben zeitigt, die Geltung wird gleichsam mit dem eigenen Leben bezeugt: I n m e d i a v i t a . – Nein! Das Leben hat mich nicht enttuscht! Von Jahr zu Jahr finde ich es vielmehr wahrer, begehrenswerther und geheimnissvoller, – von jenem Tag an, wo der grosse Befreier ber mich kam, jener Gedanke, dass das Leben ein Experiment des Erkennenden sein drfe – und nicht eine Pflicht, nicht ein Verhngniss, nicht eine Betrgerei! – Und die Erkenntniss selber: mag sie fr Andere etwas Anderes sein, zum Beispiel ein Ruhebett oder der Weg zu einem Ruhebett, oder eine Unterhaltung, oder ein Mssiggang, – fr mich ist sie eine Welt der Gefahren und Siege, in der auch die heroischen Gefhle ihre Tanz- und Tummelpltze haben. „Das Leben ein Mittel der Erkenntniss“ […]! (FW 324, KSA 3, 552 f.)
,Leben‘ ist ein vieldeutiger und umstrittener Grundbegriff Nietzsches. Hier soll er weder in seiner Breite untersucht noch an die vorherrschende lebensphilosophische Interpretation angebunden werden. ,Leben‘ als „verselbstndigtes Schlagwort“ richtete sich zu Nietzsches Zeit allgemein „gegen Erstarrung, Dekadenz, gegen eine als lebensfeindlich entlarvte Zivilisation“ und wurde zu einem Kampfbegriff gegen einen fr mechanistisch gehaltenen Denkstil der modernen Naturwissenschaften (Schloßberger 1998, 151); die neue Disziplin der Biologie, aber auch die Wissenschaften vom Menschen wie Physiologie und Psychologie konnten demgegenber ein anderes Modell erçffnen, das sich an Lebensprozessen orientierte. Nietzsche ttigte umfangreiche wissenschaftliche Lektren, wie sie besonders im Nachlass dokumentiert sind, und wie sie auch Spuren in seinem Werk hinterlassen haben. Rckblickend erklrt er, er htte in seiner Basler Zeit „nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften“ (EH MA 3, KSA 6, 325). Dass das Leben als psychophysische Einheit, und in der Konsequenz auch das darauf bauende Wissen, wesentlich leibhaft ist, betonte Nietzsche immer wieder. Ur s p r u n g d e r E r k e n n t n i s s . – […] die K r a f t der Erkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung. […] Der Denker: das ist jetzt das Wesen, in dem
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der Trieb zur Wahrheit und jene lebenerhaltenden Irrthmer ihren ersten Kampf kmpfen, nachdem auch der Trieb zur Wahrheit sich als eine lebenerhaltende Macht b e w i e s e n hat. Im Verhltniss zu der Wichtigkeit dieses Kampfes ist alles Andere gleichgltig: die letzte Frage um die Bedingung des Lebens ist hier gestellt, und der erste Versuch wird hier gemacht, mit dem Experiment auf diese Frage zu antworten. Inwieweit vertrgt die Wahrheit die Einverleibung? – das ist die Frage, das ist das Experiment. (FW 110, KSA 3, 469 ff.)
Lebenssteigerung Indem Nietzsche das Leben als Mittel der Erkenntnis fasste, implementierte er den Gedanken des Lebens als Experiment des Erkennenden. Mit dem Experiment werden damit Leben und Erkenntnis mit einer Erfahrung verkoppelt, die es nur als Herausforderung gibt. Das Experiment markiert bei Nietzsche nicht nur eine Prfung, vielmehr verbindet er es auch mit einem Aktivwerden von Krften, die Herausforderung kann etwas freisetzen, was vorher nicht da war. Dieses Experiment zeigt sich offen gegenber einer ungewissen Erfahrung und einer entsprechenden erfahrungsbedingten Erkenntnis, wie es die heutige Wissenschaftsforschung vom explorativen Experiment kennt: Es will zwar eine Erfahrung erwirken, doch diese ist weder inhaltlich definiert noch auf ein bestimmtes Resultat festgelegt. Bei Nietzsche gilt auch bezglich des Experiments, dass grundstzlich alles daran gemessen wird, ob es dem Leben dient oder schadet, ob es Leben affirmiert oder negiert. Wenn hier von Lebensexperiment die Rede ist, zielt dies auf einen Begriff von Lebendigkeit, der die elementare Wahrnehmung, ein Lebewesen zu sein, weit bersteigt. Er unterscheidet sich auch von der passiven Erfahrung eines Lebewesens, dem Ereignisse nur zufllig widerfahren. Vielmehr rckt die Erfahrung in die Nhe der „Lebendigkeit menschlichen Tuns“, wobei ,Kraft‘ als sthetisch-anthropologischer Grundbegriff zum Zuge kommt: „als Lebendiges ist das menschliche Tun nicht Verwirklichung eines Zwecks, sondern Ausdruck von Kraft“ (Menke 2008, 118). Dieser Ausdruck von Kraft findet sich auch in der Lebenssteigerung, die experimentell befçrdert wird. Denn mit dem Experiment ist immer eine Praxis verbunden, eine Vernderung, auch wenn sie (noch) nicht zielgerichtet ist, ein Eingriff seitens der Forschenden in eine bereits bestehende, ,natrliche‘ Umgebung: Experimente beruhen auf einer Technologie des Eingreifens (Hacking 1983). Wenn Nietzsches Experimental-Philosophie nicht bei einem Willen zum Nein stehen bleibt (vgl. oben), weist dies bereits auf den Willen zur Macht, der sich als Kraft ausdrckt. Nach Pierre Klossowski hat Nietzsche die puissance exprimentale, die Experimentalkraft, aus den Naturwissenschaften bernommen, aber nicht als einen Forschungszweck (wie in der angewandten Forschung), vielmehr als ein Mittel, ein Instrument zur Umwertung der Werte und des Lebens (Klossowski 1969, 216 f.), was sich auch im Prinzip der Lebens-
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steigerung manifestiert. Dass sich Leben nicht darin erschçpft, sich bloß zu erhalten, sondern dass es seine Grenzen bersteigen, sich verschwenden kann, markiert eine Alternative zum Prinzip der Selbsterhaltung (Schloßberger 1998, 159). Selbsttechniken bzw. Existenzknste (arts d’existence), wie sie beim Lebensexperiment zum Einsatz kommen, legen nicht nur Verhaltensregeln fest, Menschen suchen damit auch „sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen“, „das gewisse sthetische Werte trgt und gewissen Stilkriterien entspricht.“ (Foucault 1993, 18) Wohl nicht zufllig leitet Foucault seine diesbezglichen Untersuchungen mit einer Selbstreflexion ein, die das offene Experimentieren aufnimmt. So bezeichnet er seine Arbeit am „lebende[n] Kçrper der Philosophie“ als einen Versuch, nmlich die „verndernde Erprobung seiner selber“, die wiederum als „eine bung seiner selber, im Denken“ zu verstehen sei (Foucault 1993,16). Auch der bung eignet, wie dem Experiment, eine Ambivalenz (Menke 2003), sie kann immer umschlagen in Dressur, da sie das Subjekt sowohl im Umgang mit Apparaten zu trainieren aber auch zu unterwerfen vermag. Das Lebensexperiment will dem Leben etwas abgewinnen, abfordern und sogar abzwingen, durchaus methodisch und kunstvoll. Erst eine forcierte Erfahrung, wie sie in solcher Herausforderung des Lebendigen stattfindet, konnte bei Nietzsche zu wahrem Wissen fhren. Ronell bezeichnet das Experiment auch als „crucial access code“ (Ronell 2005, 160), um Nietzsches Auffassung von (frçhlicher) Wissenschaft zu verstehen. Es findet sich hier ein Erkenntnismodell, das seine Resultate nicht als gesicherte Ergebnisse eines kontrollierten Wissenssystems gelten lassen will. In diesem Sinn kann Nietzsche auch die Gattung Mensch als Experimentalmaterial aufs Spiel setzen und die Verschwendung von Menschenleben bewusst thematisieren. Dies geht zusammen mit seinem ,Grundsatz‘: „wie die Natur sein: zahllose Wesen zum Opfer bringen k ç n n e n , um Etwas mit der Menschheit zu erreichen. […] W i s s e n s c h a f t ist eine g e f h r l i c h e Sache: und bevor wir nicht ihrethalben verfolgt werden, ist es Nichts mit ihrer ,Wrde.‘“ (NL 1884 25 [309], KSA 11, 91 f.)3 3
Die Selektion, auf die Nietzsche zielt, ist allerdings nicht diejenige Darwins, die er mit dem ,Herdendenken‘ verschworen sieht. Die Kategorie der Zeit, mit der Leben gefasst werden kann, diese durchgngige Historisierung, die auch das Denken betrifft, hat Nietzsche in einem anderen Aphorismus eingefangen: „wir glauben an das Werden allein auch im Geistigen, wir sind historisch durch und durch. Dies ist der große Umschwung. Lamarck und Hegel – Darwin ist nur eine Nachwirkung.“ (NL 1885 43 [73], KSA 11, 442). Das ist eine der wenigen Stellen, an denen Nietzsche Lamarck erwhnt; çfter, und auch aufflliger – gerade unter dem Stichwort ,Anti-Darwin‘ –, taucht Darwin auf: nicht als Gegenspieler Lamarcks, sondern in einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner Theorie. Nietzsche opponiert besonders gegen die ,ntzliche‘ ,selection of the fittest‘, in der „Darwin mit seiner Schule“ „die Selektion zu Gunsten der Strkeren, Besser-Weg-
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Dieser Aspekt des Experiments markiert einen monstrçsen Anspruch und ein gewaltsames Vorgehen. Es lsst an Bacons natura vexata (gequlte Natur) denken, an die Qual, die der Natur zugefgt werden muss, um ihr die Geheimnisse zu entlocken. Hier ist es die eigene menschliche Natur, die gewaltsam herausgefordert und getestet wird. Darin sprt Nietzsche eine Ambivalenz des Experiments auf und bringt sie zum Ausdruck: nicht nur indem es gnadenlos prft und selektioniert, auch indem es Unvorhergesehenes und Neues auch im Sinne der Steigerung provoziert und ermçglicht, bt es auf seinen Gegenstand Druck oder sogar Gewalt aus. Damit diagnostiziert Nietzsche in dem heute epistemologisch favorisierten explorativen Experiment neben dem erçffnenden und ermçglichenden Aspekt auch einen gewaltvollen. Mit dem Experimentieren als menschlichem Handeln wie Erkennen konfrontiert er die epistemologische Ebene mit der ethischen. Von der Biologie bernimmt er mit dem Experiment ein epistemologisches Paradigma, das er als Instrument fr seine eigene Erkenntnisfindung und -kritik einsetzt. Indem Nietzsche versucht, das Experiment bzw. die experimentelle Methode fr seine Philosophie produktiv zu machen, gibt er der mit dem Experiment verbundenen Faszination und Gestaltungsmacht, Gewalt und Grausamkeit Ausdruck. Wenn er damit das Experiment im Spannungsfeld von Epistemologie und Ethik situiert, markiert er es auch in demjenigen von Genesis und Geltung. An seinem Experimentbegriff lsst sich ersehen, wie dem praktischen Entstehungszusammenhang genauso epistemologische Relevanz zukommt wie dem Begrndungszusammenhang: dem Experiment in seiner Funktion, neue und eigene Erfahrungen berhaupt erst herauszufordern und zu ermçglichen, sowie dem Experimentieren selbst in seiner Prozesshaftigkeit und seiner praktischtechnischen Verfasstheit, werden auf der Basis erfahrungswissenschaftlichen Wissens ein schçpferischer und wissensgenerierender Charakter zugesprochen.
Literatur Ackermann, Robert (1989): „The New Experimentalism“. In: British Journal for the Philosophy of Science. Bd. 40, S. 185 – 190. Bacon, Francis (1990): Neues Organon (lat.-dt.). Hg. v. Wolfgang Krohn. Hamburg (Meiner). gekommenen, den Fortschritt der Gattung“ (NL 1888 14[123], KSA 13, 303) habe sehen wollen, wo doch, so Nietzsche, die „Erblichkeit so capriciçs“ sei, und „in dem Kampfe um das Leben, der Zufall den Schwachen so gut dient, wie den Starken“ (NL 1888 14 [133], KSA 13, 315); „– was ist zuletzt ,ntzlich‘? Man muß fragen ,in Bezug worauf ntzlich?‘“ (NL 1886 – 1887 7[25], KSA 12, 304). Zum Verhltnis NietzscheDarwin s. Schloßberger (1998, 152 – 163); Skowron (2008); Gerhardt/Reschke (2010, 31 – 149).
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Wozu Wissenschaft? berlegungen zu Fragen der Rangordnung im Wissenschaftsdiskurs nach Nietzsche Tilman Borsche I. Kritik der Wissenschaft Wissenschaft als Nachfolger der Religion im 19. Jahrhundert und heute Die sich als modern verstehenden neuen Wissenschaften zur Zeit Nietzsches sind die empirischen Natur- und Sozialwissenschaften. Sie verstehen ihresgleichen als die moderne Form von Wissenschaft, indem sie die Gewissheiten der noch immer dominierenden alten Wissenschaften in Frage stellen. Ihre Kritik betrifft vor allem die Theologie, die Philosophie sowie, um Nietzsches eigene Vergangenheit gleich hier einzubeziehen, stellvertretend fr die spter so genannten Geisteswissenschaften, auch die Philologie. Nach und nach erobern und besetzen die neuen Wissenschaften die vormaligen Gebiete der alten und ordnen sie neu. Der Sieg in diesem Eroberungszug ist schon im 19. Jahrhundert offenkundig, er ist vollstndig und offenkundig irreversibel. Es gibt heute keine gesellschaftlich ernst genommene Stimme mehr, die in dem Feld, dessen legitime Bearbeitung die empirischen Natur- und Sozialwissenschaften seither fr sich allein in Anspruch nehmen, deren Autoritt und alleinige Zustndigkeit bestreiten wrde: in dem weiten Feld der Weltbeschreibung und der Welterklrung. Wenn man im Rahmen dieser Entwicklung mit Auguste Comte die positiven Wissenschaften als Nachfolgeinstanzen von Theologie und Metaphysik versteht, dann kann man leicht feststellen, dass die neue Wissenschaft sich wie eine Staatsreligion mit globalem Anspruch nicht nur geriert, sondern als solche tatschlich Anerkennung findet. Es werden unglaubliche Summen zur Verehrung der neuen Gçtter aufgebracht, und zwar so, wie das schon immer war, in der Hoffnung, dass ihr gewissenhafter Dienst uns, den opferbereiten Beitrags- und Steuerzahlern, ntzen werde.
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These: Nietzsches kritische Haltung zur Wissenschaft Nietzsche erkennt keineswegs als Erster, aber doch hellsichtiger als die meisten seiner Zeitgenossen die Funktion der neuen Wissenschaften als Metaphysikbzw. Religionsersatz. Die Wissenschaften des 19. Jahrhunderts beantworten die alten Fragen der Religion bzw. der Metaphysik auf neue Weise, oder sie verweigern die Antwort, oder sie verschieben die Fragen – und das alles mit einer Autoritt, die sich mehr und mehr dem Zweifel enthoben whnt. Zwar weiß das gebildete Publikum im Prinzip um die Grenzen und die Endlichkeit des menschlichen Denkens auch in der Gestalt wissenschaftlicher Erkenntnis, aber es glaubt an die Gewissheit und verlsst sich auf die Sicherheit von deren Ergebnissen. Ein Großteil unserer modernen Lebenspraxis beruht wesentlich auf diesem Glauben.1 Allein die moderne Wissenschaft genießt unseren Kredit und unser Vertrauen, wenn es um die Frage geht, welche Fragen im Prinzip beantwortet werden kçnnen und welche nicht bzw. welche Fragen anders gestellt werden mssen: „Nicht metaphysisch, sondern wissenschaftlich“, so lautet die formelhafte Auskunft. Nietzsche steht dieser zeitgemßen Vorrangstellung der neuen Wissenschaften von Anfang an kritisch gegenber, und er bleibt bis zum Ende bei seiner kritischen Haltung. Seine Haltung zum Wissenschaftsdiskurs der eigenen Zeit ist dadurch charakterisiert, dass er nicht nur in der Religion oder in der Metaphysik, sondern auch in den neuen Wissenschaften kein Vehikel zu letzten Wahrheiten sieht. Auch der Glaube an die Wissenschaft(en) ist noch zu berwinden. Zunchst aber ist er als ein Glaube zu erkennen. In vorliegendem Beitrag mçchte ich daher folgende auf Nietzsches Texte bezogene These entwickeln, belegen, erlutern sowie ihre allgemeine wissenschaftsphilosophische Relevanz aufzeigen und verdeutlichen: Die kritische Haltung zur Rolle der Wissenschaft ist Nietzsches erster eigenstndiger philosophischer Gedanke, sie begleitet ihn durch alle Phasen seines philosophischen Denkens. Der Autor wechselt die Form und die Strategie der Darstellung, die kritische Botschaft bleibt die gleiche: Die Wissenschaft kann vielerlei sein, vielerlei Zwecken dienen, aber sie ist kein neues Vehikel zu letzten Wahrheiten. Folglich hat sie ihren Wert nicht in sich selbst, sondern immer nur relativ zum Nutzen und Nachteil derer, die sie betreiben bzw. von ihr betroffen sind, und das sind wir alle. Nietzsche ist damit, denke ich, dem Wissenschaftsdiskurs seiner Zeit weit voraus. Reflektierte Wissenschaftler der Gegenwart dagegen 1
Ich folge dem Sprachgebrauch Nietzsches, wenn ich hier von Glauben spreche. Nietzsche bewegt sich dabei im Rahmen der kantischen Unterscheidung der drei Modi des Frwahrhaltens in der Kritik der reinen Vernunft, B 848 – 855. Der in den modernen Wissenschaften blich gewordene Begriff des Wissens wird in der Regel sehr viel weiter gefasst; man kann daher von (vielen) verschiedenen Formen des Wissens sprechen.
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drften wenig Probleme haben, sich seine philosophische Grundposition zu eigen zu machen. Schon dieser Umstand spricht fr die Aktualitt dessen, was auf dieser Tagung ,Wissenschaftsphilosophie‘ Nietzsches genannt wird. Belege aus der frhen Zeit (WL) Seit seiner Wiederentdeckung und mit dem Beginn seiner leichten Zugnglichkeit in der Kritischen Gesamtausgabe von Colli und Montinari hat der frhe Entwurf ber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne eine erstaunliche Karriere gemacht. Heute ist er hufig der erste – und bisweilen bleibt er der einzige – Text des Philosophen, den neugierige Nietzscheanfnger lesen. Ein Grund dafr mag in seiner Krze liegen, ein anderer in der suggestiven Kraft und dem weit reichenden Anspruch seiner Argumente. Beachtung bei den erfahrenen Nietzschelesern findet er vor allem deshalb, weil hier – quasi in nuce – die wichtigsten der spter ausfhrlich entwickelten kritischen Argumente gegen die seinerzeit schon keineswegs mehr kritiklos hingenommenen, aber doch noch weitgehend das çffentliche Bewusstsein dominierenden Lehren der ,traditionellen’ Philosophie mit Hilfe prgnanter neuer Bilder identifiziert und zugleich als Folgen irregeleiteter Grundannahmen diagnostiziert werden. Hier wie auch sonst hufig formuliert Nietzsche seine kritischen Argumente vorzugsweise durch Rekurs auf wissenschaftliche Errungenschaften der jngsten Zeit. Damit greift er auf ein Vokabular zurck, das bei kritisch gesinnten zeitgençssischen Lesern in hohem Ansehen steht, und instrumentiert seine Kritik mit Argumenten, die bei denselben Lesern unhinterfragt plausibel klingen. Fr den ersten Eindruck sieht alles danach aus, als werde hier die populre Kritik der Philosophie (wie in anderen Kontexten auch der Religion) seitens der modernen Wissenschaft in journalistisch dramatisierten Worten nur wiederholt. Eine wissenschaftsinterne Widerlegung von Nietzsches Argumenten verfehlt daher das Ziel einer philosophischen Kritik. Zu wenig Beachtung findet hingegen der Umstand, dass derselbe Text ber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne die gleiche Kritik mit entsprechenden Argumenten – mutatis mutandis – auch gegen die Anmaßungen der Wissenschaften selbst richtet. Die Kritik der ,philosophischen’ Erkenntnismçglichkeit, die im Vordergrund des Textes steht und die der Leser als Erstes wahrnimmt,2 richtet sich gegen den Wahrheitsanspruch aller menschlichen
2
„Ueberhaupt aber scheint mir die richtige Perception – das wrde heissen der adquate Ausdruck eines Objekts im Subjekt – ein widerspruchsvolles Unding: denn zwischen zwei absolut verschiedenen Sphren wie zwischen Subjekt und Objekt giebt es keine Causalitt, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern hçchstens ein s t h e t i s c h e s
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Erkenntnis, mithin auch gegen den Wahrheitsanspruch einer vermeintlich ,wissenschaftlichen’ Erkenntnis. Um das zu zeigen, geht Nietzsche in zwei Schritten zu Werk: Auf den ersten zehn Seiten des Textes wird der kantische Rettungsversuch der (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnis gegen den „Idealismus“ der vormaligen Metaphysik aufgenommen und noch berboten: „Das Wort Erscheinung“, ein Grundbegriff der kantischen Wissenschaftsphilosophie, enthlt, so stellt der Autor fest, „viele Verfhrungen, weshalb ich [ein seltenes Wort in diesem Text!] es mçglichst vermeide“ (WL 1, KSA 1, 884). Es suggeriert, dass zwischen Erkennendem und Erkanntem eine stabile, verlssliche, berprfbare, eben erkenntnisbegrndende Relation bestehe, eine Relation, die in dem, was die neuzeitliche Wissenschaft als Naturgesetze bezeichnet, ihren festen Grund habe. Nietzsches exaltierter Wille zur Wahrheit, sein hypercartesianischer Drang zum Zweifel begngt sich nun nicht mit diesem neuzeitlichen, seinerzeit von Kant gegen die Skepsis Humes erfolgreich verteidigtem Erkenntnisgrund. Seine Kritik beginnt mit folgender Diagnose des wissenschaftsglubigen Zeitgeistes: „Es hat gewiss jeder Mensch, der in solchen [metaphysikkritischen] Betrachtungen heimisch ist, gegen jeden derartigen Idealismus ein tiefes Misstrauen empfunden, so oft er sich einmal recht deutlich von der ewigen Consequenz, Allgegenwrtigkeit und Unfehlbarkeit der Naturgesetze berzeugte; er hat den Schluss gemacht: hier ist alles, soweit wir dringen,“ – Letzteres ist das Refugium der alten Lehre von den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfhigkeit vor und mit Kant – „so sicher, ausgebaut, endlos, gesetzmssig und ohne Lcken; die Wissenschaft wird ewig in diesen Schachten mit Erfolg zu graben haben und alles Gefundene wird zusammenstimmen und sich nicht widersprechen“ (WL 1, KSA 1, 885). Doch die Kritik dieser traumhaften Idylle des wissenschaftlichen Bewusstseins folgt sogleich. Sie beginnt mit der Frage, wie wir denn ein Naturgesetz als solches diagnostizieren kçnnen. Und sie mndet in der Feststellung, dass die Erkenntnis eines Naturgesetzes auch nicht auf festeren Fßen steht als die metaphysische Erkenntnis eines Naturdinges (diese verstanden als die Erkenntnis eines ,Dinges an sich’). Denn ein Naturgesetz ist uns nicht an sich bekannt, sondern nur in seinen Wirkungen d. h. in seinen Relationen zu anderen Naturgesetzen, die uns wieder nur als Relationen bekannt sind […]; nur das, was wir hinzubringen, die Zeit, der Raum, also Successionsverhltnisse und Zahlen sind uns wirklich daran bekannt. […] Alle Gesetzmssigkeit, die uns im Sternenlauf und im chemischen Process so imponirt, fllt im Grund mit jenen Eigenschaften zusammen, die wir selbst an die Dinge heranbringen, so dass wir damit uns selber imponiren.“ (WL 1, KSA 1, 885 f.)
Verhalten, ich meine eine andeutende Uebertragung, eine nachstammelnde Uebersetzung in eine ganz fremde Sprache.“ (WL 1, KSA 1, 884).
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Ist diese Kritik der Naturgesetze, der Essenz der modernen Naturwissenschaften, einmal akzeptiert, dann hat das Rckwirkungen nicht nur auf die Philosophie, sondern auch auf die Wissenschaften selbst, mit Rekurs auf welche die gngigen oder auch nur die vermeintlichen Lehren der Philosophie zunchst auf plausible Weise kritisiert wurden. Den Wissenschaften, die dem „Idealismus“ der Philosophie den kritischen Spiegel entgegenhalten, wird nun im Spiegel der Wissenschaftskritik der gleiche „Idealismus“ vorgehalten, gegen den sich daher auch das gleiche „tiefe Misstrauen“ des Autors richtet. Das Ergebnis dieser frhen Untersuchung klingt sehr theologisch. Theologisch im Sinn einer philosophischen Tradition, die in einer gewissen Hinsicht als erkenntnisskeptisch zu qualifizieren wre und die von Augustin (und frher) ber Cusanus und Herder, um nur einige wenige, mir vertraute Stationen zu nennen, bis Nietzsche und bis in die Gegenwart reicht. Begriffliches Denken, d. h. diskursives menschliches Denken, reicht an die Wahrheit der Dinge nicht heran, auch nicht an die Wahrheit von Naturgesetzen. Die besondere theologische Pointe dieser Position liegt weniger in einer Depotenzierung der menschlichen Leistungsfhigkeit als in der trçstlichen Einsicht bzw. Versicherung, dass unser Denken einer solchen Leistung gar nicht bedarf. Damit richtet es sich gegen eine andere theologische Position, nach welcher Gott unus ex nostris sei, d. h. seine Vernunft nicht verschieden von unserer (der allgemeinen menschlichen) Vernunft, nur grçßer und weiter reichend (Leibniz3 u. a.). An dieser erkenntnisskeptischen Position wird Nietzsche bis zum Ende seines Denkweges festhalten. Einige markante (und bekannte) Stationen seines weiteren Weges mçchte ich in den folgenden Abschnitten in Erinnerung rufen. Belege aus der mittleren (,wissenschaftsorientierten‘) Phase Eingeleitet werden soll dieser berblick mit einem Verweis auf das Erste Hauptstck von Menschliches, Allzumenschliches I, dem ersten Buch der neuen Autorschaft Nietzsches in den Jahren nach der Großen Genesung oder seit dem Beginn seiner aphoristischen, durch ein intensives Studium der Naturwissenschaften inspirierten Autorschaft (1879). Der Name der Philosophie steht hier nach wie vor, und an dieser nominellen Hierarchie wird sich fr ihn auch nichts ndern, an der „Spitze der gesammten Wissenspyramide“ (MA I 6, KSA 2, 27). Doch gerade deshalb atmet das, was gewçhnlich unter Philosophie verstanden wird, am allerwenigsten den „G e i s t d e r W i s s e n s c h a f t “, wie es im Titel des Aphorismus heißt. Philosophie wird hier der Kunst gleichgestellt, die „dem Leben und Handeln mçglichste Tiefe und Bedeutung geben“ will, whrend die 3
Vgl. Leibniz (1999, 468, Zeile 4): „[Deus] … quasi unus ex nostris, id est Mens quaedam“.
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Wissenschaft „Erkenntniss und Nichts weiter“ sucht (MA I 6, KSA 2, 28). Der Geist der Wissenschaft findet sich demnach eher in den „kleinsten Gebiete[n]“ des Wissens, denn dort wird so weit wie mçglich „sachlich“ und „unpersçnlich“ geforscht. In diesem Geist glaubt die Wissenschaft auch heute noch, sich durch Spezialisierung am besten verwirklichen zu kçnnen. Je grçßer und weit reichender aber die Problemstellung, d. h. je weniger „wissenschaftlich“, desto mehr drngt sich die Frage hinein, „wozu? zu welchem Nutzen?“ (MA I 6, KSA 2, 27). Wenn aber auch Fragen dieser Art wissenschaftlich behandelt werden sollen, dann, so die wissenschaftsphilosophische Einsicht Nietzsches, die er hier verteidigt, dann muss die Philosophie historisch werden: „Demnach ist das historische Philosophiren von jetzt ab nçthig und mit ihm die Tugend der Bescheidung“ (MA I 6, KSA 2, 25). Spter ist es die Psychologie, die „wieder“ diese Aufgabe der Ersten Philosophie bernehmen soll (JGB 23, KSA 5, 39). In beiden und allen anderen Fllen aber geht es darum, den Anspruch der vormaligen Philosophie auf letzte allgemeine Wahrheiten aufzugeben und der Zeitlichkeit und Bedingtheit aller bestimmten Erkenntnis im Denken gebhrenden Raum zu gewhren. – Diese Forderung ist nicht neu, sie wird aber von Nietzsche auf neue Weise und in dramatischer Pose auf alles Wissen, insbesondere auch auf die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften bezogen. Zur nheren Charakterisierung dieser neuen Vorrangstellung der einzelnen Wissenschaften gegenber der Philosophie in ihrer traditionellen Gestalt sei hier auch noch auf die Rolle der Philologie verwiesen, die nicht nur Nietzsches eigene wissenschaftliche Domne war, sondern von vielen Zeitgenossen auch als eine Leitwissenschaft des 19. Jahrhunderts verstanden und anerkannt wurde. Den Aphorismus, der den Titel trgt „Die Kunst, zu lesen“, schließt Nietzsche mit den Worten: „Alle Wissenschaft hat dadurch erst Continuitt und Stetigkeit gewonnen, dass die Kunst des richtigen Lesens, das heisst die Philologie, auf ihre Hçhe kam.“ (MA I 270, KSA 2, 223). Diese Kunst musste ber Jahrhunderte und viele Generationen hinweg gelernt und eingebt werden, wie die Logik oder „Die Kunst, zu schliessen“ auch (MA I 271, KSA 2, 223). Warum sind es nicht die Naturwissenschaften, nicht einmal die Mathematik, die „Wissenschaftlichkeit“ in das Denken bringen,4 sondern die Kunst der Philologie? Der Grund liegt darin, dass einzig die Philologie (als eine der Textwissenschaften) die Unergrndlichkeit der Gegenstnde der Erkenntnis einerseits und andererseits die konstitutive, aber unauslotbare Funktion des Subjekts im Prozess des Erkennens reflektiert. Auch die Philologie kann uns von den Quellen des Irrtums nicht gnzlich lçsen, sie soll und will das aber auch gar nicht mehr. Nietzsche spricht hier von dem „mhsame[n] Process der Wissenschaft, welcher zuletzt einmal in einer Entstehungsgeschichte des Denkens seinen hçchsten 4
Das hatte noch Kant im Geist der neuzeitlichen Naturwissenschaft eines Galilei gefordert: Vgl. Kant (1786, Vorrede, A VIII).
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Triumph feiert“: Das Erkannte ist ein kontingentes und vernderliches Resultat seiner Geschichte. „Das, was wir jetzt die Welt nennen, ist das Resultat einer Menge von Irrthmern und Phantasien, welche in der gesammten Entwickelung der organischen Wesen allmhlich entstanden, in einander verwachsen und uns jetzt als aufgesammelter Schatz der ganzen Vergangenheit vererbt werden – als Schatz: denn der Werth unseres Menschenthums ruht darauf.“ So erzhlt Nietzsche hier in der Bildersprache des zeitgençssischen Darwinismus eine plausible „wissenschaftliche“ Entstehungsgeschichte des Denkens (MA I 16, KSA 2, 37), die, berzeugender als alle bekannten anderen Geschichten ihrer Art, bis auf Weiteres vielleicht lebensdienlich sein mag, am Ende aber doch „bedeutungsleer“ bleiben wird (MA I 16, KSA 2, 38). Quelle aller Irrtmer, aber auch Ort aller bedingten Wahrheiten ist, ganz wie es fr die Entstehung des Denkens schon in WL skizziert wurde, die Sprache. Sprache ist nicht nur der Schlssel zur Welt im Denken, sondern nach Nietzsches genealogischen Reflexionen „in der That“ auch „die erste Stufe der Bemhung um die Wissenschaft. Der Glaube an die gefundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die mchtigsten Kraftquellen geflossen sind.“ Und er fhrt fort: „Glcklicherweise ist es zu spt,“ als dass die Einsicht dieses Irrtums „die Entwickelung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder rckgngig machen kçnnte. – Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen Nichts in der wirklichen Welt entspricht, z. B. auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identitt des selben Dinges in verschiedenen Puncten der Zeit: […] Ebenso steht es mit der Mathematik.“ (MA I 11, KSA 2, 31). Die Unwirklichkeit beider zeigt sich natrlich nur, wenn und insofern sie zum Zweck der Naturerkenntnis auf Dinge und Ereignisse der Welt angewandt werden. Aber genau das ist es, was die moderne Wissenschaft lehrt und praktiziert. Nietzsche wiederum fordert uns nicht dazu auf, die Wissenschaft(en) aufgrund ihrer, philosophisch verstanden: unvermeidlichen Unwahrheit grundstzlich zu verndern, sondern vielmehr dazu, sie besser zu verstehen, ihre zweckorientierten „erdichteten“ Voraussetzungen zu erkennen und anzuerkennen. Das Kriterium der Wahrheit ist fr ihn das „Leben“, nher die Lebensdienlichkeit. Politisch zu klren bleibt, welches oder wessen Leben gemeint ist und was diesem gemeinten Leben dienen kçnnte. Auch an dieser Stelle erweisen sich philosophische Fragen als Wozu-Fragen. Die Maske Zarathustra und Belege aus der spten Phase Also sprach Zarathustra wird gewçhnlich nicht als ein Werk der Wissenschaftsphilosophie gelesen. Dennoch finden sich auch hier aufschlussreiche Hinweise zum Thema. Das beginnt schon mit dem ungewçhnlichen Untertitel: Ein Buch fr alle und keinen. Fast alle Interpreten des Textes erwhnen an irgendeiner
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Stelle diesen Untertitel und setzen die in ihm ausgedrckte Paradoxie zu argumentativen Zwecken ein. Soweit ich sehe, geschieht das immer beilufig. Und keine der damit angesprochenen Erklrungen des Untertitels wirkt berzeugend.5 Einer befriedigenden Erklrung am nchsten kommt Werner Stegmaier, wenn er schreibt: „Nach Nietzsche mißversteht sich […] die Philosophie, wenn sie Lehren geben will; Lehren ,fr Alle‘ wren Lehren fr ,Keinen‘.“ (Stegmaier 2000, 205) Zarathustra tritt auf als Lehrer der Philosophie, doch Philosophie ist nicht lehrbar. Als Lehrer spricht Zarathustra fr alle, und eben deshalb erreicht er keinen. Ein bedenkenswerter, aber seinerseits erluterungsbedrftiger Vorschlag. Der Untertitel hat einen Ort im Text, der in keinem der mir bekannten Kommentare zur Erluterung erwhnt wird: Ich zitiere aus Z IV, „Vom hçheren Menschen“, Abschnitt 1.: „Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da […] [stellte ich] mich auf den Markt. Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem.“ (KSA 4, 356)6 Diese Stelle spricht fr den Vorschlag Stegmaiers, sie muss fr ein angemessenes Verstndnis des Untertitels und zum Verstndnis von Nietzsches Begriff der Philosophie herangezogen werden. Der an diesen und weiteren Stellen explizit gemachte, aber im gesamten Text permanent praktizierte wesentliche Hçrerbezug trennt die Philosophie (qua Philologie oder Textwissenschaft) von den sich an der Mathematik orientierenden Natur- und anderen empirischen Wissenschaften der Zeit. Die Philosophie spricht (immer nur) zu einigen Menschen, jedes philosophische Wort reflektiert das Vorverstndnis seiner Hçrer bzw. Leser. Es ist dem Wort und seiner Bedeutung wesentlich, (s)einen Ort und (s)eine Zeit zu haben. Philosophie kann – nach Nietzsche – ihren bzw. einen Anspruch auf raum- und zeitlose, universelle Geltung nicht rechtfertigen; und sollte das einrumen. (Das besagt die von Nietzsche geforderte neue „Bescheidung“.) Diese kritische Selbstreflexion des wissenschaftlichen Denkens lsst sich an einem locus classicus der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches, dem Aphorismus 1 der Frçhlichen Wissenschaft, demonstrieren. Unter dem Titel „Die Lehrer vom Zwecke des Daseins“ wird hier in paradigmatischer Gestalt die bekannte Religions- und Moralkritik Nietzsches entwickelt: Der Genealoge sieht ber die 5
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Vgl. z. B. Gerhardt (2000, 9); Salaquarda (2000, 73); Pieper (1990, 12 f.). Diskussionswrdig scheint mir die These Alexander Nehamas zu sein, dessen Kommentar das problematische Verhltnis von Zarathustra und seiner Hçrerschaft zum zentralen Thema seiner Interpretation macht. Nietzsche inszeniert, so Nehamas, sein Zarathustra-Drama nur zu dem Zweck, dem Leser seines Buches die Unlehrbarkeit der Botschaft Zarathustras vor Augen zu fhren. Vgl. Nehamas (2000, 189), der Verweis auf den Untertitel steht als Fazit am Ende des Textes. Auch die Umkehrung gibt zu denken: Der hsslichste Mensch sagt zu Zarathustra: „Du warntest […] nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art“ (Z IV Mensch, KSA 4, 330).
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historischen Tragçdien von Religionen und Moralen „,Wellen unzhligen Gelchters‘“ (ein problematisches Aischylos-Zitat!) „hinwegschlagen“ (FW I 1, KSA 3, 372). Diesen Tragçdien stellt er als Zugang zur „letzten Befreiung und Unverantwortlichkeit“ eine knftige „,frçhliche Wissenschaft‘“ (FW I 1, KSA 3, 370) entgegen. Diese freie Form des Denkens, so argumentiert der Haupttext des einleitenden und damit richtungweisenden Aphorismus 1 von Buch I der Frçhlichen Wissenschaft, durchbricht den tragischen Kreislauf der Religionen. Wie gelingt ihr das? Nietzsche gibt auch hier konkrete Anweisungen, und zwar vorerst und bahnbrechend mit Hilfe einer weniger berlegten als sich berlegen dnkenden, zeitgeistkonformen wissenschaftlichen Feststellung: „Es versteht sich von selber,“ schreibt er, „dass auch diese Tragçdien im Interesse der Art arbeiten, wenn sie auch glauben mçgen, im Interesse Gottes und als Sendlinge Gottes zu arbeiten. Auch sie fçrdern das Leben der Gattung, indem sie den Glauben an das Leben fçrdern.“ (FW I 1, KSA 3, 371) So argumentiert Nietzsche, wie gesagt, im Haupttext. Doch das ist nicht sein letztes Wort. Auch dieser Aphorismus endet wie so viele seiner Art nach einem letzten Gedankenstrich mit eine Peripetie: „Oh versteht ihr mich, meine Brder?“ Plçtzlich spricht der Autor seine Leser an wie Zarathustra seine Hçrer: als eine kleine Gruppe geistesverwandter Individuen, die Ohren haben zu hçren: „Auch wir haben unsere Zeit!“ (FW I 1, KSA 3, 372). Seine Brder verstehen, dass auch die Lehre von der Arterhaltung als die große moderne Welle der Metaphysikkritik eine Flut ist, der eine Ebbe folgen wird, und die dereinst ihre Zeit gehabt haben wird.7
II. Zur Rangordnung der Wissenschaften Philologie Nietzsches ,Wissenschaftsphilosophie‘, die sich stets als Kritik, und zwar einerseits als Kritik der Religion, der Philosophie und der Metaphysik versteht, ohne den jeweiligen Feind einer genaueren Untersuchung zu wrdigen, andererseits aber auch als Kritik der Wissenschaft(en) seiner Gegenwart artikuliert, nimmt ihren Anfang in der Philologie, und zwar in einem doppelten Sinn. Philologie ist Nietzsches eigenes Wissenschaftsfeld, in dem er Anerkennung sucht, das Beste zu leisten hofft und die er darber hinaus als die hçchste in der Rangordnung der Wissenschaften ansieht. Vom Studium der Griechen (als 7
Fast erbrigt es sich, diese Wissenschaftskritik mit bekannten Stellen aus den spteren Schriften, etwa aus Jenseits von Gut und Bçse, zu belegen: „Es dmmert jetzt vielleicht in fnf, sechs Kçpfen, dass Physik auch nur eine Welt-Auslegung und -Zurechtlegung (nach uns! mit Verlaub gesagt [will sagen: in unserem Interesse]) und n i c h t eine WeltErklrung ist“ (JGB 14, KSA 5, 28) usw.; vgl. auch JGB 22 und JGB 23.
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seinem Begriff der Philologie) ausgehend, hoffte er einst, eine umfassende Zeitkritik entwerfen zu kçnnen, die dem Gesamtkunstwerk Wagners einen philosophisch-historischen Rahmen liefern sollte (GT). Bekanntlich scheiterte dieses Projekt. Nicht nur hat die akademische Zunft der Philologen ihren unbotsamen Zçgling exkommuniziert, auch Wagner ließ sich nicht durch den jungen Freund verorten und dadurch vereinnahmen. Spter fasste Nietzsche dieses Drama (s)eines unzeitgemßen Auftretens in ein berhmt gewordenes Bild: Selbst aufgeklrte Zeitgenossen, „welche nicht an Gott glaubten“, verhielten sich wie die Brger, die „am hellen Vormittage“ auf dem Markt beisammenstanden, als „der tolle Mensch“ „eine Laterne anzndete“ (FW III 125, KSA 3, 480). Nietzsches Lebenswerk kann als eine philosophische Antwort auf diese seine eigene Lebenssituation gelesen werden: Seine philologischen Studien fhren ihn zu der irritierenden Einsicht, dass die hochgelobte Wissenschaft der Philologie des 19. Jahrhunderts die Griechen in Wahrheit nicht versteht, nicht verstehen kann. Fr den jungen Gelehrten spricht das noch nicht gegen die Philologie, wohl aber gegen diejenigen, die sie betreiben. Er selbst entwirft daher ein wahreres Gegenbild der Griechen, das er in der vorklassischen Zeit zu finden hofft: „Das 5te und 6te Jahrhundert sind jetzt zu entdecken“, notiert er in dieser Absicht (NL 1875 3[70], KSA 8, 34). Doch diese „wahren“ Griechen kamen nicht zur Blte, die Entdeckung der Wissenschaft durch Sokrates hat ihre Blte verhindert: Das rckblickende Urteil des resignierten Philologen ist bekannt: „in einer Nacht war die bis dahin so wunderbar regelmssige, aber freilich allzu schleunige Entwickelung der philosophischen Wissenschaft zerstçrt“ (MA I 261, KSA 2, 216). Mit anderen Worten: Auch Nietzsches mit viel Akribie und Begeisterung entworfenes Gegenbild der „wahren“ Griechen ließ sich als Lehre nicht verifizieren, nicht durchsetzen, es fand keine Anerkennung. Die Arbeit an dem lange geplanten Text Wir Philologen gab er auf. Diese Erfahrung mit der Philologie wird fr Nietzsche das Muster seiner Kritik, aber auch seiner kritischen Wrdigung der Leistungen aller anderen Wissenschaften abgeben. Der philosophische Vorrang der Philologie als Textwissenschaft vor den sich als positive oder objektive Wissenschaften verstehenden Naturwissenschaften bleibt dabei fr ihn unangefochten gltig. Historie Gleichen Rang mit der Philologie kann allenfalls die Wissenschaft der Historie beanspruchen, insofern der Historiker seine wissenschaftlichen Aussagen in kritischer Distanzierung seiner selbst und seiner Zeit philosophisch reflektiert. Die reflektierte Geschichtswissenschaft weiß, dass ihre Darstellung gerade nicht sagen oder zeigen kann, „wie es eigentlich gewesen ist“, nach dem fr die
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positive Geschichtswissenschaft richtungweisenden Wort des Historikers Leopold Ranke, sondern dass sie die Geschichte immer nur aus einem Interesse der Gegenwart heraus als Antwort auf Fragen eben dieser Gegenwart entwirft. Schon die Wahl der Beschreibungskategorien, erst recht die Themenstellung, die Epocheneinteilung etc., all das bestimmt die Form der historischen Darstellung entscheidend, und all das ist dem Historiker durch seine Zeit und seine eigene Prgung vorgegeben. Gegenstnde und Methoden der Historie haben ihren Ort, ihre Zeit, und sie verndern sich. „Es ist gar nicht abzusehen, was Alles einmal noch Geschichte sein wird“, so lautet der Kernsatz der Geschichtsphilosophie Nietzsches (FW I 34, KSA 3, 404). Nietzsches allgemeine, eher diskursphilosophisch zu nennende berlegungen, die das Feld der Geschichte gewissermaßen von außen konstituieren, drfen freilich – auch hier – nicht verwechselt werden mit einer methodischen Grundlegung der positiven Geschichtswissenschaft. Nach solchen berlegungen allein kann man keine Wissenschaft von der Geschichte betreiben, wenn diese denn wahre von falschen Aussagen ber historische Gegenstnde nach berprfbaren Kriterien soll unterscheiden kçnnen. Ohne ihre Beachtung aber, und darin liegt die wissenschaftsphilosophische Botschaft Nietzsches fr das Feld der Historie, droht die Geschichtswissenschaft in dogmatischer Erstarrung zu versinken, indem sie nicht nur ihre Ergebnisse fr gewiss, weil methodisch gesichert, sondern auch ihre Themen, Daten und Probleme fr unbedingt relevant und allgemein gltig hlt. Jedenfalls erscheint es mir wichtig, im Blick zu behalten, dass die wissenschaftsphilosophischen Prliminarien der Geschichtswissenschaft nach Nietzsche auf einer vor- oder außerwissenschaftlichen Ebene angesiedelt sind und nicht als historische Aussagen mit positiv-wissenschaftlichem Wahrheitsanspruch gelesen sein wollen. So sind denn auch Nietzsches originelle Beitrge zu einer philosophischen Reflexion der Geschichte weniger in der breit angelegten Gegenwartsanalyse der Zweiten Unzeitgemßen Betrachtung zu finden, die aus dem Leitgedanken einer Hypertrophie des historischen Sinnes entwickelt wurde, als vielmehr in einigen verstreuten Aphorismen philosophiekritischer Schriften der spteren Jahre, wie dem erwhnten Aphorismus 34 der Frçhlichen Wissenschaft. ,Lebensphilosophie‘ Krude Philosophiegeschichtsschreibung platziert Nietzsche in die Rubrik Lebensphilosophie. Treffend an dieser Rubrizierung ist die Tatsache, dass Nietzsche den Begriff des Lebens hufig als einen zentralen Gegenbegriff gegen den Begriff des Seins der metaphysischen Tradition einsetzt und dass er ebenfalls sehr hufig auf Beispiele aus den zeitgençssischen Lebenswissenschaften rekurriert, die seinerzeit – nach Darwin und Hckel – eine hnlich dominierende
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Stellung im çffentlichen Diskurs genossen, wie das heute auch wieder der Fall ist. Insbesondere werden biologische Erkenntnisse gerne fr eine genealogische Kritik einzelner Moralvorstellungen herangezogen. Immer wieder versucht Nietzsche die Annahme plausibel zu machen, dass der Ursprung unserer Moralvorstellungen nicht in einer bernatrlichen Vernunft, sondern im natrlichen Verhalten der Tiere bzw. des Menschen als eines natrlichen Lebewesens liege, dass die Vorschriften der Moral sich mithin einer Beurteilung und Bewertung natrlicher Triebe verdankten (explizit z. B. M I 26, KSA 3, 26 f.). Insbesondere gilt das auch fr das menschliche Streben nach Erkenntnis, das Nietzsche, den Erçffnungssatz der Metaphysik des Aristoteles umdeutend, als Neigung einiger weniger Menschen diagnostiziert. Er beschreibt sie als eine Neigung, die sich – wie bei dem Autor selbst – bis zur rcksichtslosen Leidenschaft steigern kann: als „Leidenschaft der Erkenntnis“; doch kommt diese eher selten vor und ist nicht allgemeine menschliche Natur. Noch hufiger aber findet sich umgekehrt die Zurckweisung der moralischen Verurteilung von „bçse“ genannten Handlungen mit dem Argument, dass sie natrlich und damit diesseits von gut und bçse anzusetzen seien. Unsere interpretierende Bewertung eines Geschehens als gut oder bçse beginnt schon mit seiner Identifizierung und seiner Benennung. Dieser kritische Einsatz biologischer Begriffe, Lehren und Weltbilder als Gegenmittel gegen tradierte philosophische Begriffe, Lehren und Weltbilder – Begriffe gegen Begriffe, Urteile gegen Urteile also – macht Nietzsche aber nicht zu einem Lebensphilosophen (was immer das heißen mag). Seine in anderen Zusammenhngen ebenso entschieden geußerte, mitunter beißende Kritik an biologistischen Weltanschauungen spricht fr sich.8 Psychologie. Physik Zum Abschluss dieses kurzen tour d‘horizon mçchte ich zwei Wissenschaften erwhnen, die von Nietzsche immer wieder als Kandidaten gehandelt werden, wenn es um die Frage geht, welche Wissenschaft dazu berufen sei, die Philosophie als Grundwissenschaft abzulçsen. Liegt der Akzent auf der Philosophie als Selbst-Erkenntnis, dann erweitert sich die Philosophie zur Psychologie: „Denn Psychologie ist nunmehr wieder der Weg zu den Grundproblemen.“9 Selbstverstndlich zielt das nicht auf die naturwissenschaftlich bzw. empirischsozialwissenschaftlich orientierte Psychologie der Gegenwart, die ihren Stolz darein setzt, alle Reste von Introspektion aus der Wissenschaft zu vertreiben. 8 9
Vgl. zu diesem Thema die sehr ausgewogene Darstellung in Stegmaier (1987). So lautet der Schlusssatz des ersten Hauptstcks von Jenseits von Gut und Bçse (JGB 23, KSA 5, 39), vgl. dazu den Beitrag von Richardson in diesem Band.
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Eher geht es um eine Physio-Psychologie der „großen Vernunft des Leibes“, die hier nicht nher erçrtert werden kann. hnliches gilt fr die Physik, die im Aphorismus „Hoch die Physik!“ (FW IV 335, KSA 3, 560) gepriesen wird. Auch hier geht es um Selbsterkenntnis, aber mehr noch, das ist der Unterschied zwischen Psychologie und Physik: es geht um Selbstgestaltung: „Wir mssen Physiker sein, um […] Schçpfer sein zu kçnnen, – whrend bisher alle Werthschtzungen und Ideale auf Unkenntnis der Physik oder im Widerspruch mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik! Und hçher noch das, was uns zu ihr zwingt, – unsre Redlichkeit!“ (FW IV 335, KSA 3, 563 f.). Auch dieses Lob einer bestimmten Wissenschaft hat zuerst und vor allem polemische Bedeutung. Es richtet sich gegen diejenigen, die nie darber nachgedacht haben, „wie berhaupt jemals moralische Urteile entstanden sind“, und daher Allgemeingltigkeit fr ihre moralischen Gebote beanspruchen. Demgegenber dient Physik – nicht nur auf dem Gebiet der Natur, sondern auch auf dem Gebiet der Moral – „der Reinigung unserer Meinungen und Werthschtzungen“. Dadurch erst werden wir frei fr die „Schçpfung neuer eigener Gtertafeln“ (FW IV 335, KSA 3, 562 f.). Auch hier also sind es nicht Lehrstze der Physik, die Nietzsche zu bernehmen empfiehlt, vielmehr geht es ihm um die befreiende Wirkung der wissenschaftlichen Methode der (Selbst-)Beobachtung. Rangordnung der Wissenschaften Am Schluss dieses Abschnitts sei ein kurzes und vorlufiges Fazit zur Frage der Rangordnung der Wissenschaften nach Nietzsche erlaubt: Je mehr Selbstreflexion und je mehr genealogisches Bewusstsein bei einem Wissenschaftler anzutreffen ist, desto philosophischer (ranghçher im Sinne Nietzsches) wird seine Wissenschaft ausfallen. Je enger der Ausschnitt von Welt, der behandelt wird, umrissen, und je besser er abgrenzt ist, je leichter die untersuchten Prozesse objektivierbar und wiederholbar sind, desto wissenschaftlicher wird ihre Darstellung ausfallen. Welche dieser beiden Seiten als hçherrangig gilt, hngt allerdings von der Perspektive der Fragestellung ab. Dem Wissenschaftshistoriker zeigt sich, aus der Perspektive seines Erkenntnisinteresses, noch ein anderes Bild. Er konstatiert, dass es fr verschiedene Epochen der Wissenschaftsgeschichte charakteristisch ist – eben dadurch sind es Epochen –, dass sie jeweils verschiedene Leitwissenschaften zum Vorbild nehmen. Als Kriterium fr die jeweilige Wahl lsst sich rckblickend hufig nur ein Staunen erregender Fortschritt in dem Bereich der Wissenschaft konstatieren, der daraufhin zur Leitwissenschaft avanciert. Oder anders: Diejenigen Wissenschaften werden als Leitwissenschaften anerkannt, die jeweils die „besten“ Antworten auf drngende Fragen der Zeit zu geben vermçgen. Die „beste Antwort“ ist hier eine rheto-
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rische Kategorie: Sie muss berzeugen, von exemplarischer Bedeutung sein und sich als bertragbar auf andere Felder des Wissens erweisen, sich also durch ein hohes Transferpotential auszeichnen. Dennoch gilt nicht, wie Kritiker hufig vermuten: Was sich durchsetzt, sei deshalb ,wahr‘. Das bestreitet Nietzsche ausdrcklich, beispielsweise im historischen Vergleich von Christentum und Epikureismus. Die Anerkennung einer besonderen Wissenschaft als Leitwissenschaft einer Epoche hat sich seither mehrfach wiederholt. Im 20. Jahrhundert kennen wir z. B. Mathematik, Linguistik und die Lebenswissenschaften in dieser Rolle. Das aber bedeutet: Eine natrliche Rangordnung gibt es nicht, Rangordnungen bilden sich historisch. Als ranghçher anerkannt werden solche Wissenschaften, die sich unter kontingenten Bedingungen – notwendigerweise immer nur hier und jetzt, an gewissen Orten, fr eine gewisse Dauer – durchsetzen und behaupten. Fr die positiven Wissenschaften gilt: Je mehr Wissenschaft (je niedriger die philosophische Rangstufe nach Nietzsche), desto weniger werden Wozu-Fragen gestellt. Die Philosophie hingegen (auch als Psychologie oder Physik), verstanden als die „Spitze der gesammten Wissenspyramide“, fragt berall Wozu? (vgl. MA I 6, KSA 2, 27 f.).
III. Wissenschaftsphilosophie Nietzsches Botschaft, das Resultat seiner radikalen Leidenschaft der Erkenntnis, bleibt berall die gleiche: Kritik aller Lehre oder Kritik der Wissenschaft, insofern sie als Weltanschauung, als neue Dogmatik verstanden wird. Besonders prgnant zusammengefasst ist diese Botschaft in den sechs großen „Hten wir uns!“ zu Beginn des 3. Buchs der Frçhlichen Wissenschaft: „Hten wir uns, zu denken, dass die Welt ein lebendiges Wesen sei.“ „Hten wir uns schon davor, zu glauben, dass das All eine Maschine sei“. Und weiter: „Hten wir uns, ihm Herzlosigkeit und Unvernunft oder deren Gegenstze nachzusagen.“ „Hten wir uns, zu sagen, dass es Gesetze in der Natur gebe.“ Und schließlich: „Hten wir uns, zu sagen, dass Tod dem Leben entgegengesetzt sei.“ „Hten wir uns, zu denken, die Welt schaffe ewig Neues.“ (FW III 110, KSA 3, 467 f.) Diese Warnungen schließen keineswegs aus, dass es sinnvoll sein kann, unter bestimmten Umstnden, in bestimmten Kontexten, lebendige und mechanische Prozesse, Vernunft und Unvernunft, Leben und Tod zu unterscheiden, Naturgesetze zu bestimmen und nach Neuem in der Welt zu suchen. Diese Warnungen richten sich gegen den unreflektierten Glauben an die Großen Erzhlungen, wie sie spter genannt wurden, die unsere berlieferung prgen. Belege e contrario zu dieser Lesart gibt Nietzsche im folgenden 4. Buch der Frçhlichen Wissenschaft. In diesem Buch spricht er konsequenter und gedrngter als sonst irgendwo (die Reden unter der Maske Zarathustras ausgenommen) als
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Ja-sagender, indem er seinen Lesern Ratschlge fr das gute Leben gibt. Doch es sind keine moralischen Ratschlge. Sie richten sich nicht an alle, nicht an die Vielen, sondern nur an seine Brder, seine Freunde, an Gleichgesinnte. Es sind auch weniger Ratschlge als Mitteilungen, Erfahrungsberichte, Exempel. Der erfreuliche Inhalt mag die Vermutung nahelegen, hier sei eine „persçnliche Providenz“ am Werk oder das Spiel des Zufalls. Daher fllt der Autor sich selbst ins Wort, ußert Zweifel an „dieser Fingerfertigkeit unserer Weisheit“ „im Auslegen und Zurechtlegen der Ereignisse“ (FW IV 277, KSA 3, 521 f.). Was er referiert, sind mçgliche Auslegungen: Experimente, die sich nur bewhren kçnnen, wenn sie gewagt werden; die aber auch scheitern kçnnen; das ist ein Erbstck der modernen Wissenschaft. Jede dieser kleinen Lehren – kurze Gewohnheiten ihres Autors – erçffnet ihren eigenen Horizont, ist eine selbstgengsame narrative Miniatur. Ihre Bedingungen, ihre Voraussetzungen, ihre Semantik gelten nur fr sie selbst. Man kann die jeweiligen Spielsteine aber immer auch anders setzen; und das geschieht – in einem anderen Aphorismus. Vernetzt ist jeder einzelne Aphorismus mit allen anderen Aphorismen, und zwar nicht durch die Gerste eines Systems oder durch allgemeine Prinzipien, sondern durch die Verwendung gleicher Namen. Doch das wre wieder ein Thema fr sich: „Die Worte bleiben: die Menschen glauben, auch die damit bezeichneten Begriffe!“ (NL 1885 – 1886, 1[98] KSA 12, 34). Wissenschaft ist auch heute noch genau dann gefhrlich und destruktiv, weil verblendet, wenn sie wie die Religion, die Nietzsche kritisiert, dogmatisch denkt, ewige Wahrheiten behauptet und deren Geltung mit ihrer Autoritt durchzusetzen versucht. Reflektierte Wissenschaft, wie ich sie nannte, ist heute aber weit von solchem Treiben und von solchen Ansprchen entfernt. Sie ist sich der Bedingtheit ihrer Aussagen und Ergebnisse bewusst, die keine kontextfreien Wahrheiten behaupten, sondern aus disziplinierter Perspektive Zusammenhnge beobachten und diese aufzeichnen. Ihre Kriterien sind der Nutzen und Nachteil, die Folgen und Folgerungsmçglichkeiten fr uns, fr andere, fr die Welt. Taten sind niemals folgenlos, so wenig wie Ereignisse. Aber schon die Frage, ob etwas eine Tat oder ein Ereignis ist, ist nicht primr eine Frage der Wissenschaft, sondern der philosophischen Semantik. Die Frage nach der Wissenschaft ist im Grunde niemals von der allgemeineren, weil grundlegenden Frage nach dem Wozu der Wissenschaft zu trennen. Eine solche Trennung, die im Alltag der Wissenschaft in aller Regel praktiziert wird, setzt stillschweigend voraus, dass das Wozu der Wissenschaft als bereits geklrt anerkannt ist (beispielsweise per Arbeitsvertrag des Wissenschaftlers) und deshalb momentan im Hintergrund bleiben kann. Aber nicht auf Dauer. Wozu-Fragen sind die Sache der Philosophie.
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Literatur Gerhardt, Volker (2000): „Die Erfindung eines Weisen“. In: Volker Gerhardt (Hg.): Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Berlin (Akademie-Verlag), S. 1 – 15. Kant, Immanuel (1781/87): „Kritik der reinen Vernunft“. In: Preußische Akademie der Wissenschaften (Hg.) (1968): Kants Werke. Akademie-Textausgabe. Berlin, New York (de Gruyter). Kant, Immanuel (1786): „Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft“. In: Preußische Akademie der Wissenschaften (Hg.) (1968): Kants Werke. AkademieTextausgabe. Berlin, New York (de Gruyter). Leibniz, G. W. (1999): „Philosophische Schriften“. In: Ders.: Smtliche Schriften und Briefe. Hg. von der BBAW und AWGç (Akademie-Ausgabe). Reihe VI: Band 4. Berlin 1999. Nehamas, Alexander (2000): „For whom the Sun shines: A Reading of Also sprach Zarathustra“. In: Volker Gerhardt (Hg.): Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Berlin (Akademie-Verlag), S. 165 – 190. Pieper, Annemarie (1990): Ein Seil geknpft zwischen Tier und bermensch“. Philosophische Erluterungen zu Nietzsches erstem ,Zarathustra‘. Stuttgart (Klett-Cotta). Salaquarda, Jçrg (2000): „Die Grundconception des Zarathustra“. In: Volker Gerhardt (Hg.): Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Berlin (Akademie-Verlag), S. 69 – 92. Stegmaier, Werner (1987): „Darwin, Darwinismus, Nietzsche. Zum Problem der Evolution“. In: Nietzsche-Studien. Bd. 16, S. 264 – 287. Stegmaier, Werner (2000): „Anti-Lehren. Szene und Lehre in Nietzsches Also sprach Zarathustra“. In: Volker Gerhardt (Hg.): Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Berlin (Akademie-Verlag), S. 191 – 224.
Die Aktualitt der Wissenschaftsphilosophie Nietzsches Gnter Abel Aktualitt I: Wissenschaft und die Formen des Wissens: I.1. Formen von Wissen; I.2. Leben und Wissenschaft. – Aktualitt II: Philosophie und Wissenschaften: II.1. Nietzsches Stellung zur Wissenschaft; II.2. Philosophie und Neurowissenschaften – Aktualitt III: Wissenschaft und Realismus: III.1. Nichtrealismus in Bezug auf wissenschaftliche Theorien; III.2. Interner Realismus; III.3. Zeichen-interpretativer und perspektivischer Realismus. – Aktualitt IV: Wissenschaft des Lebendigen: IV.1. Trias von Bewusstsein, Sprache und Natur; IV.2. Prinzip des Kontinuums; IV.3. Prozess-Modell; IV. 4. Funktionale Organisation. – Aktualitt V: Wissenschaft und Kunst: V.1. Wissenschaft als Zeichen- und Interpretations-Kunst; V.2. Kunst als kognitive Ttigkeit; V.3. Kunst und Leben.
Aktualitt I: Wissenschaft und die Formen des Wissens 1. Formen von Wissen In einem ersten Schritt mçchte ich Nietzsches Wissenschaftsphilosophie hinsichtlich ihres Wissensbegriffs auf einem Spektrum unterschiedlicher Formen von ,Wissen‘ verorten. Innerhalb dieses Spektrums verkçrpert das ,szientifische bzw. wissenschaftliche‘ Wissen eine wichtige Form von Wissen, nicht die berhaupt einzige, gar die einzig legitime. Wie im Folgenden im Einzelnen zu sehen sein wird, spielt dieser Aspekt der Betrachtung im Blick auf Nietzsches Wissenschaftsphilosophie und deren Aktualitt eine Schlsselrolle. In puncto Wissen fllt zunchst auf, wie vielfltig und weit gespannt die Bedeutung des Wortes ,Wissen‘ ist. Das Wort ist ber den Bereich der Wissenschaften, der Technologien, der Philosophie und der Knste hinaus in lebensweltlichen Zusammenhngen und in unterschiedlichen Kontexten anzutreffen. Das Spektrum der Wissensformen reicht von alltglichem und lebensweltlichem Wissen (z. B. wissen, wie man eine Haustr çffnet und wie man seinen Tag organisiert) bis hin zu knstlerischem Wissen (z. B. wissen, wie man etwas darstellt und zum Ausdruck bringt, etwa in Musik, Tanz oder Malerei) und zu szientifischem Wissen (z. B. wissen, wie man eine Untersuchung methodisch geordnet durchfhrt, etwa in den Naturwissenschaften, in der Mathematik oder in den Sozialwissenschaften).1 1
Zum Folgenden vgl. detailliert Abel (2011a); vgl. auch Abel (2008).
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Zunchst (1) kann man zwischen einem engen und einem weiten Begriff von Wissen unterscheiden: Der enge Begriff von Wissen meint Erkenntnis, die an methodisch geordnete Verfahren sowie an Begrndung, Wahrheit, Rechtfertigung und Beweisbarkeit gebunden ist. Von diesem Wissen gilt, dass man ber es sprechen kçnnen muss und dass es mitteilbar, tradierbar, intersubjektiv berprfbar und salva veritate substituierbar ist. Dieser Begriff von ,Wissen‘ ist vornehmlich fr die Wissenschaften kennzeichnend. Der weite Begriff von Wissen meint zum einen (a) die Fhigkeiten, angemessen zu erfassen, worum es jeweils geht und wovon etwas (z. B. eine Geste, ein Bild oder ein Satz) handelt. Zum anderen (b) meint der weite Begriff den Bereich des basalen menschlichen Kçnnens, menschlicher Kompetenzen, Fhigkeiten, Fertigkeiten, Praktiken und Kenntnisse. In diesem weiten Sinne des Ausdrucks ist Wissen nicht-suspendierbarer Bestandteil der Faktizitt eines jeden menschlichen Handelns, Denkens, Sprechens und Wahrnehmens. Mit diesem weiten und basalen Bereich von Wissen sind wir nicht nur im Alltag (z. B. in alltglichen Praktiken und im Gewusst-Wie), sondern auch in den Wissenschaften und in den Knsten bestens vertraut. In Bezug zum Beispiel auf die Physik ist in solch weiter Rede von Wissen auch die Kompetenz gemeint, eine wissenschaftliche Beobachtung durchfhren, eine Experimentalanordnung bewerkstelligen, einen mathematischen Formalismus verwenden und ihn auf die Welt der physikalischen Objekte und Ereignisse anwenden zu kçnnen. Sodann (2) kçnnen in heuristischer Einstellung Formen von Wissen unterschieden werden, wie beispielsweise: alltgliches Wissen („wissen, wo der nchste Briefkasten ist“); theoretisches Wissen („wissen, dass 2 + 2 = 4 ist“); Handlungswissen („wissen, wie man ein Automobil steuert“); Orientierungswissen („wissen, was man in einer gegebenen Situation zu tun oder zu unterlassen hat“). Mit diesen unterschiedlichen Formen von Wissen sind wir bestens vertraut. In der Regel verstehen wir uns direkt auf sie, in unseren Lebenswelten ebenso wie in den Wissenschaften und in den Knsten. Dieser Befund trifft auch auf die drei im Folgenden knapp skizzierten Komponenten zu, die sich quer durch den engen und weiten Sinn von Wissen ebenso ziehen wie durch die angefhrten unterschiedlichen Formen von Wissen.2 Die drei beraus relevanten Querschnitts-Begriffspaare sind: (a) Kçnnen und Wissen bzw. Knowing-How und Knowing-That; (b) begriffliches und nichtbegriffliches Wissen; und (c) implizites und explizites Wissen. Diesen Formen von Wissen und ihren Wechselspielen mssen wir im Denken ber Wissen und Wissenschaften einen angemessenen Platz verschaffen. Die klassische Episte2
Die Eigenprofile und die Wechselspiele der unterschiedlichen Wissensformen zu klren, ist Gegenstand einer systematischen und reflektierten Wissensforschung. Zu diesem Programm vgl. Abel (2011a).
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mologie hat aufgrund ihrer primren Orientierung am Knowing-That, mithin am sprachlich-propositionalen und expliziten Wissen, fr diese QuerschnittsPaare weder einen signifikanten Ort vorgesehen noch ist sie fr die von ihnen mçglicherweise ausgehenden Revisionen der Epistemologie offen. Verstreut in Nietzsches Schriften findet sich eine Flle von Beschreibungen der skizzierten unterschiedlichen Formen von Wissen. Zugleich ist Nietzsche ein Meister der Reflexion auch auf die Wechselspiele der verschiedenen Wissensformen, zum Beispiel des Zusammenspiels von bildlichem, musikalischem und sprachlichem Wissen in den Knsten ebenso wie in den Lebensformen und in den Wissenschaften. 2. Leben und Wissenschaft Das Spektrum der Wissensformen schließt, wie betont, neben dem szientifischen Wissen eine Reihe anderer Wissensformen von vornherein und gleichberechtigt mit ein. Szientifisches Wissen ist eine beraus wichtige und gut gesicherte Form unseres Wissens. Sie ist aber nicht die berhaupt einzige, gar die metaphysisch einzig seriçse. Je nach Zweck und Prferenz dessen, woran wir jeweils interessiert sind, lassen sich zum Beispiel praktisches, moralisches, sthetisches Wissen leicht in ihrer ebenfalls zentralen Rolle fr unser Welt-, Fremd- und Selbstverstndnis auszeichnen. Die Betonung der Pluralitt der Wissensformen tut dem ,szientifischen Wissen‘ keinen Abbruch in Bezug auf dessen zumal heute hohe Relevanz in der wissenschaftlich-technischen Welt. Aber die Einsicht in die Irreduzibilitt unterschiedlicher Wissensformen fhrt dazu, szientifische Stze stets mit dem Index versehen zu mssen: „in szientifischer Perspektive betrachtet und formuliert“. Das szientifische Wissen ist kein Wissen-ex-cathedra, das in der Sache definitiv und fr alle endlichen Geister absolut verpflichtend wre. Es ist nicht nur legitim, den Unterschied zwischen szientifischem und nicht-szientifischem Wissen zu betonen und nicht-szientifische Formen von Wissen als genuine Formen von Wissen anzuerkennen. Es ist darber hinaus wichtig, die Frage nach dem Verhltnis dieser beiden (sowie anderer) Formen von Wissen als eine wichtige Frage einzustufen im Blick zum einen auf die Phnomene des Wissens und zum anderen hinsichtlich eines umfnglichen Verstndnisses der Formen, Dynamiken und Praktiken von Wissen. Fr Nietzsches Stellung zu dem Spektrum der unterschiedlichen Wissensformen ist charakteristisch, dass er einen epistemischen und einen normativen Vorrang der lebenspraktischen Formen von Wissen vor den theoretischen sieht. Diese Einstellung gilt fr Nietzsche auch im Blick auf die Wissenschaften im engeren Sinne. Wissenschaft ist trotz ihrer beraus wichtigen Stellung nicht einfach ein oberster und fragloser Wert, sie zu betreiben nicht gleichsam kate-
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gorisch geboten. Vielmehr ist fr Nietzsche kennzeichnend, dass er umgekehrt nach der Rolle und Funktion der Wissenschaften im und fr das Leben fragt. Nietzsche stellt die (fr einen metaphysischen Szientisten geradezu blasphemische) Frage nach dem Wert der Wissenschaft. In dieser Frage ist Leben ,Gattung (genus)‘, Wissenschaft ,Art (species)‘, – nicht umgekehrt! Dass das Verhltnis von Leben und Wissenschaft Nietzsche zufolge so zu verstehen ist, manifestiert sich unter anderem in lebenspraktischen und existenziellen Fragen wie diese fr Menschen charakteristisch sind (und etwa in der anorganischen Natur, z. B. bei Steinen oder Dachziegeln, nicht anzutreffen sind). So betreffen existentielle und moralische (und auch religiçse) Erfahrungen und Fragen Dimensionen und Fragen unter anderem danach, wie ich mein Leben richtig fhre und wie ich z. B. mit Liebe, Eifersucht, Krankheit oder Tod umgehe. Dies sind keine Fragen eines theoretischen Wissens, die etwa, vermittels eines metaphysischen (oder theologischen) Call-Centers, aus dem Reich theoretischer Propositionen und Gedanken beantwortet werden kçnnten. Der existentielle und moralische Mensch ist nicht als ein Mensch vorzustellen, der ber ein Arsenal existentieller und moralischer theoretischer Wahrheiten verfgt. Er verfgt, im glckenden Falle, vornehmlich ber das lebenspraktische Knowing-How3, das ihm hilft, sein Leben zu fhren, mit seinem Leben klar zu kommen. Das Knowing-How der richtigen Weise, sein Leben zu fhren, kann als die hçchste und anspruchsvollste Form des fr Menschen mçglichen lebenspraktischen Wissens und Kçnnens angesehen werden. Da andere Personen in solches Gelingen stets bereits mit einbezogen sind (weil nicht einer allein und nur fr sich sein Leben richtig fhren kann) wird auch deutlich, in welch grundlegendem Sinne das Knowing-How auch als ein ausgezeichneter Schauplatz der Conditio Humana angesehen werden kann. In diesem Sinne kann die auf das Leben gerichtete Philosophie gleichsam als die ,letzte‘ Metaphilosophie angesehen werden. Die Frage nach dem kognitiven Status, nach der kausalen Rolle und nach dem Wert der Wissenschaften ist aus der Sicht von Nietzsches Denken in genau diesem Setting zu verorten. In diesem Sinne geht es in Nietzsches Philosophie der Wissenschaften nicht einfach nur um die Methodologie der Wissenschaften und nicht nur um die Strategien epistemologischer Rechtfertigung im Sinne einer Wissenschaftstheorie.
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Vgl. Abel (2010) und Abel (2011b).
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Aktualitt II: Philosophie und Wissenschaften 1. Nietzsches Stellung zur Wissenschaft „Wissenschaft […] entsteht […] wenn die Gçtter nicht gut gedacht werden“, so lautet eine pointierte und aufschlussreiche Formulierung Nietzsches (NL 1875 6 [4], KSA 8, 97). Hinter dieser Formulierung steht das Bild, dass Menschen, gepaart mit ihrer theoretischen Neugierde, auch dann beginnen, Wissenschaft zu treiben, wenn ihre metaphysische Daseinsfrsorge nicht mehr durch die Gçtter garantiert gedacht wird. Dann gilt es – so kçnnte man abkrzend sagen – die Welt auch mittels der Wissenschaften verstndlich zu machen und zu erklren, mit dem Ziel, auch kraft der Wissenschaften den Herausforderungen begegnen zu kçnnen, denen sich der Mensch in der und durch die Welt ausgesetzt sieht. Zwar erscheint Nietzsche die zu seiner Zeit dominierende Form wissenschaftlichen Denkens, die Mechanistik, eine oberflchliche Betrachtungsweise, die mit ihren Lehrstcken weit davon entfernt ist, an den Grundcharakter der die Natur ausmachenden Geschehensprozesse, an die innere Natur der Geschehensvollzge, und das heißt: an die dynamisch-energetischen Willen-zurMacht-und-Interpretations-Prozesse heranzureichen. Aber dies bedeutet keineswegs, dass Nietzsche gegen Wissenschaft berhaupt eingestellt wre. Auch die mechanistische Weltbetrachtung hat Nietzsche zufolge ihre Vorzge, z. B. den, dass sie die Teleologie auszuschließen trachtet. Außerdem verkçrpert die Mechanistik nur eine, nicht die einzig mçgliche Version von Wissenschaft. Nietzsches eigene Naturphilosophie gehçrt in die von Leibniz ihren Ausgang nehmende Tradition des Dynamismus und Energetismus, die im bergang von der klassischen Galilei-Newtonschen zur modernen Physik unseres Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielte. Grundstzlich und positiv sieht Nietzsche die Wissenschaften als ein Bestandteil derjenigen menschlichen Aktivitten, in denen das Pathos des Erkennens, die Leidenschaft der Erkenntnis motivierend ist.4 Wenn es von der Wissenschaft heißt, dass sie eine „berwltigung der Natur in Begriffen und Zahlen“ (NL 1884 26[448], KSA 11, 269) ist, dass die Naturwissenschaft „mit ihren Formeln die b e r w l t i g u n g der Naturkrfte lehren“ und „nicht eine „wahrere“ Auffassung an Stelle der empirisch-sinnlichen setzen [will] (wie die Metaphysik)“ (NL 1884 27[36], KSA 11, 284), so ist dies nicht so zu verstehen, als wende sich Nietzsche damit gegen die Wissenschaft und rechne mit ,objektiven‘ und ,wahren‘ Weisen des Erkennens, in denen die Natur, quasi unschuldig die Augen aufschlagend, ,rein gegeben‘ werden kçnne. 4
Im Folgenden greife ich auf Materialien zurck, die ich auch in Abel (1986, 10 ff.) verwandt habe.
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Eine metaphysisch orientierte Erkenntnis, die so etwas als mçglich behauptet, ist nicht nur revisionr gegenber unserem tatschlichen System der Welt-undSelbst-Interpretation (mit letztlich nihilistischen Konsequenzen). Sie verkennt auch die nicht-eliminierbare Verstrickung in den Irrtumscharakter eines jeden Welt- und Selbstbezugs. Unsere Formen des Erkennens sind einerseits nicht auf das Erfassen der „letzte[n] Wahrheit“ (NL 1881 11[162], KSA 9, 504), des ewigen Flusses aller Dinge, eingerichtet, sondern unvermeidlich in den Irrtum verstrickt. Andererseits jedoch ,gibt‘ es, ebenso unvermeidlich, Realitt als Realitt fr uns endliche Geister stets nur in solchen Prozessen perspektivierenden, bermchtigenden und interpretierenden Organisierens und Konstruierens. Und diese Prozesse beginnen bereits auf der Ebene der Sinnesttigkeit (bei Auge, Ohr, Tastsinn), sind dann in dem, was wir Verstand, Kognition und Geist nennen, anzutreffen und finden schließlich auch in den Wissenschaften eine Fortsetzung. In diesem Sinne gehçrt Wissenschaft zu denjenigen Ttigkeiten, mit deren Hilfe die Macht des Menschen erhçht wird. Auch in dieser Hinsicht ist Wissenschaft in Nietzsches Sicht durchaus positiv zu bewerten. Nietzsche hat zwischen den Resultaten der Wissenschaften und seiner eigenen neuen Auslegung allen Geschehens als Willen-zur-Macht-und-Interpretations-Prozesse keinen Gegensatz gesehen. Das Verhltnis beider ist vielmehr so aufzufassen, dass es sich um unterschiedliche Interpretationen der gleichen Vorgnge handelt.5 So gelangt sowohl die neuzeitliche naturwissenschaftliche Betrachtung der Naturvorgnge am Leitfaden der Idee der Gesetzmßigkeit als auch Nietzsches Naturauffassung am Leitfaden der Willen-zur-Macht-Prozesse zu dem Ergebnis, dass es in der Natur einen berechenbaren Verlauf gibt. Freilich macht auch hier der Unterschied in der Interpretation erst den Sinn: notwendig und berechenbar sind die Naturvorgnge in Nietzsches Sicht nicht, weil Gesetze in ihnen herrschen, sondern „weil absolut die Gesetze f e h l e n , und jede Macht in jedem Augenblick ihre letzte Consequenz zieht“ (JGB 22). beraus kompliziert ist dann Nietzsches Verhltnis zur Wissenschaft im Rahmen des Programms einer ,frçhlichen Wissenschaft‘ und vor allem im Zusammenhang der Wiederkunftslehre. Doch darauf mçchte ich hier nicht nher eingehen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Nietzsche sich der Wissenschaften des çfteren bedient, sie durchaus positiv einstuft, jedoch ihrem drohenden Szientismus nicht verfllt, d. h. nicht der Verfhrung erliegt, die Wissenschaften als unsere neue Metaphysik, als die auf die innerweltlich vorhandenen Fakten bezogene Skularisierung der frheren Metaphysik fester Entitten, wahrer Welten und wahren Wesens anzusehen. Wissenschaftliche Theorien und prmissenfolgerndes Schließen im Sinne des formellen Denkens kçnnen Nietzsche zufolge nicht die Funktionsstelle philosophischer Grundlegung besetzen. Dies ist der Fall, auch wenn gerade Nietzsche es ist, der den hypothetischen und experi5
Siehe dazu im Einzelnen Abel (1998).
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mentellen Charakter der Wissenschaften auch fr die Philosophie reklamiert und herausgestellt hat. Bezogen auf Nietzsches eigene Experimentalphilosophie, ebenso wie in Hinsicht auf die Fragen einer Physiologie des Leibes sowie einer Physiologie der Kunst, ist es daher nicht nur so, dass Nietzsche eine positive Haltung gegenber den Wissenschaften einnimmt, sondern umgekehrt steht man nicht selten vor dem Problem, die naturalistischen und physio-physikalischen Verlockungen, an die Nietzsche hin und wieder bedrohlich nahe herandenkt, abzuwehren. Hier muss Nietzsche zum Teil mit sich selbst gegen sich selbst gelesen werden. Die Grenze der Leistungskraft der Wissenschaft tritt vornehmlich auch dann in den Blick, wenn deutlich wird, dass Wissenschaft ihre Funktionsstelle nicht auf der Ebene der ursprnglichen Welt- und Sinn-Erzeugung und nicht auf der Ebene der normativen Praxis-Orientierung haben kann. Wissenschaft „hat viel Nutzen gebracht“, aber sie „kann n i c h t b e f e h l e n , Weg weisen: sondern erst wenn man weiß wohin?, k a n n sie ntzen“ (NL 1880 – 1881 8 [98], KSA 9, 402). Dieser Gesichtspunkt lsst sich wie folgt przisieren: (a) Die Wissenschaft sowie deren Anwendung qua Technik hat dem Menschen viel Nutzen gebracht, insofern sie seine Mchtigkeit innerhalb der Natur, der er selbst zugehçrt, zu steigern geholfen hat und weiterhin zu steigern hilft; (b) dazu gehçrt auch die metaphysik-kritische Funktion der Wissenschaft (ohne diese freilich ihrerseits im Sinn eines neuen Aberglaubens zu hypostasieren); (c) Wissenschaft kann zwar zur Destruktion traditionaler Weltbilder beitragen, aber sie selbst ist ihrer Natur nach – da sie nicht auf der ursprnglichproduktiven Ebene der Welt-und-Sinn-Erzeugung angesiedelt ist – nicht in der Lage, diese Funktionsstelle zu besetzen oder gar eine neue zu schaffen; ein wissenschaftliches Weltbild (mit dem Ziel der lebensweltlichen und normativen Orientierung unserer Handlungen) kann es daher nicht geben; so droht Wissenschaft, in ihrem Status falsch verstanden, letztlich in nihilistische Konsequenzen zu fhren, ist selbst aber unfhig, genau diese Konsequenzen zu berwinden oder gar die Basis eines post-nihilistischen Welt-und-Selbst-Verstndnisses zu abzugeben; (d) Wissenschaft ist in diesem Sinne sekundr gegenber dem Logischen sowie dem sthetischen und dem Ethischen6 ; Wissenschaft setzt eine Welt bereits als vorhanden voraus, whrend vor allem Logik und sthetik die konstituierende Grenze eben dieser Welt und dieses Sinns 6
Unter dem Logischen ist diejenige Grenze der Welt und des Sinns zu verstehen, die, im Sinne Kants, Hegels oder Wittgensteins, vor jeder So-und-so-Erfahrung liegt. Solche Rede von philosophischer Logik ist intern mit derjenigen von philosophischer sthetik verknpft. sthetik ist darin nicht als Theorie der Knste im engeren Sinne, sondern vor allem als erfahrungs-, sinn- und gestalt-konstituierende Organisations- und Wahrnehmungslehre aufzufassen. Die Ebene des Logischen und des sthetischen besitzt auf diese Weise eine Prioritt gegenber den Wissenschaften und den Knsten im engeren Sinne. Vgl. dazu im einzelnen Abel (1987).
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bilden und ausmachen; und (e) Wissenschaft treiben heißt hçchstens (in Kantischer Terminologie gesprochen) einem hypothetischen, nicht aber einem kategorischen Imperativ folgen. Auf die Frage, ob Wissenschaft sein soll, kann nicht die unbedingte Antwort im Sinne eines kategorischen ethischen Gebotes gegeben werden. Wird jedoch gefragt, ob das Logische und das sthetische sein sollen, so ist leicht einsichtig, dass der Hinweis auf einen bloß hypothetischen Charakters deshalb unzulnglich wre, weil, aufgrund der Fundamentalstellung des Logischen und sthetischen, eben dies unsere Welt erst gar nicht zu ihrer Individuation kommen lassen oder sie gleichsam zunichte machen wrde. Ist es, so kçnnte man schlicht fragen, je einem lebenden Wesen gelungen, eine Welt zu haben, ohne beim Zustandekommen bzw. der Individuation dieser seiner Welt logisch-sthetische Prozeduren im Einsatz zu haben? Ein solches Lebewesen wre nicht Lebewesen der uns bislang bekannten Art, wre nicht lebensfhig und auch nicht denkbar (denn es msste eine epistemische Situation vorausgesetzt werden, die nicht unsere, nicht diejenige endlicher Geister ist). Die quasi transzendentale Funktionsstelle des Logisch-sthetischen mit einer lediglich hypothetischen Verbindlichkeit ausstatten zu wollen, wre eine versteckte Variante des metaphysischen Traums, aus der epistemischen Interpretativitt unseres Welt-, Fremd- und Selbstverstndnisses als solcher heraustreten zu wollen. Das Verhltnis von Wissenschaft und Kunst wird uns unter Punkt V nher beschftigen. Doch hier bereits seien einige Aspekte festgehalten, die im Blick auf Nietzsches Verstndnis von Wissenschaft aufschlussreich sind. Zunchst ergibt sich, dass beide, Wissenschaft und Kunst, menschliche Ttigkeiten sind, dass beide auf der Ebene der Welt-Interpretationen und des Wirklichkeitsbezuges eine wichtige Funktion haben, dass zwischen beiden keine logische Lcke besteht, dass beide vielmehr als zwei unterschiedliche Weisen der Welt-, Fremdund Selbstinterpretation (neben zum Beispiel Religion oder Moral) angesehen werden kçnnen. Doch whrend die Wissenschaft im wesentlichen auf die Ebene buchstblich zu verstehender und in vielen Fllen mathematisch formulierter Aussagen ber eine bereits als vorhanden vorausgesetzte, eine vorfabrizierte fertige Welt fokussiert und begrenzt ist, ist Kunst im Sinne ursprnglich-produktiven Ttigseins an der vorgngigen bzw. vor-wissenschaftlichen Individuation und Fabrikation eben dieser Welt und an der Form der Welt- und Selbstinterpretation in einem Maße beteiligt, das ber die Mçglichkeiten der auslegenden Wissenschaften hinausgeht. Die sich in dieser Hinsicht ergebene Prioritt der Kunst vor der Wissenschaft sowie die auf das Verhltnis beider zu dem grundlegenderen Begriffspaar von Logischem und sthetischem bezogene Asymmetrie ( – jede Wissenschaft ist eine Kunst, aber nicht jede Kunst ist eine Wissenschaft – ) ndert jedoch nichts daran, dass die Beziehung der Wissenschaften und der Knste im engeren Sinne so verstanden wird, dass zum einen Wissenschaft als Kunst, zum anderen Kunst als kognitiv relevante Ttigkeit aufgefasst werden kann.
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2. Philosophie und Neurowissenschaften Aus Nietzsches Sicht kommt vieles, wenn nicht alles darauf an, den Menschen zu „naturalisieren“. Das klingt nach einem szientifischen Naturalismus, mithin nach dem Programm, nur das am Menschen als wesentlich und real zu nehmen, was einer Beschreibung und Erklrung durch die Wissenschaften zugnglich ist und in das Weltbild der Wissenschaften passt. Alles andere, so behauptet ein streng szientifischer Naturalismus, gehçrte in das Reich der Illusionen und Selbsttuschungen, denen der Mensch ausgesetzt ist und die es, so heißt es dann oftmals, zu berwinden gelte. Was also liegt heute daher nher als die „Naturalisierung“ im Sinne der gegenwrtigen neurobiologischen Hirnforschung zu verstehen, mithin das Verhltnis von Philosophie und Neurowissenschaft zugunsten der Neurowissenschaften zu entscheiden? Im Blick auf Nietzsches diesbezgliche Auffassung der Naturalisierung wre dies ein folgenschweres Missverstndnis. Bei aller Hochschtzung fr physiologische und neurobiologische Aspekte ist Nietzsche nicht ein Vertreter einer reduktionistischen „Neurophilosopie“ (Churchland), wie diese heute gerne propagiert wird. So wie Nietzsche in Richtung Darwinismus die These vertreten hat, dass Darwin „den Geist vergessen habe“, so kçnnte man Nietzsches Position gegenber einer reduktionistischen Neurophilosophie in die These kleiden, dass auch die Hirnforschung den „Geist vergessen“ habe, ja deutlicher noch, dass sie den Geist an der falschen Stelle suchte, nmlich unter der Schdeldecke, in den neuronalen Assemblies des Gehirns, wo das, was wir Geist nennen, seinen Ort doch von Anfang an und konstitutiv in der Beziehung eines Ich zu anderen Personen und zur Welt hat, mithin im Kern Beziehung ist und auch nur in Beziehungen existiert. Im Folgenden mçchte ich einige methodologische Reflexionen zum Verhltnis von Philosophie und Neurowissenschaften einbringen, die zwar primr aus der zeitgençssischen Diskussion stammen, in denen jedoch nicht eine szientistische Reduktion des Menschen auf das naturwissenschaftliche Weltbild, sondern eine Komplementaritt zwischen Philosophie und Neurowissenschaften vertreten wird. Ich denke, dass Nietzsche einem solchen Bild htte zustimmen kçnnen. Jedenfalls finden sich – allerdings wie stets sehr verstreut und bloß fragmentarisch – in Nietzsches Schriften eine Flle von Belegen fr die im Folgenden vorgetragenen Thesen, die fr das Verhltnis von Philosophie und Wissenschaften ebenso von grundlegender Bedeutung sind wie im Blick auf die mçgliche Aktualitt von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie. Bis heute in den Neurowissenschaften wie in der Philosophie ungeklrte Fragen sind: Wie ist es mçglich, dass ein physischer Organismus Bewusstsein ausbildet? Sind Bewusstsein, mentale Zustnde und Prozesse (wie z. B. Gedanken, berzeugungen, Wnsche) nichts anderes als Zustnde und Prozesse unseres Gehirns? Sind wir es als Personen und Akteure, die denken und ent-
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scheiden und sich freuen, oder ist es unser Gehirn, das denkt und entscheidet und sich freut? Und wre letzteres der Fall: was folgte daraus fr unser Menschenbild? Hinsichtlich des Verhltnisses von Philosophie und Neurowissenschaften sind einige weit verbreitete und tief sitzende Missverstndnisse zu beseitigen. Mindestens drei solcher Missverstndnisse lassen sich ausmachen. Im Folgenden nenne ich jeweils zunchst die These und werde anschließend zu jeder der Thesen kurz und in einer Weise Stellung nehmen, von der ich unterstelle dass Nietzsche ihr htte zustimmen kçnnen (ohne dass ich die Flle von NietzscheBelegen zur Sttzung dieser Annahme hier im Einzelnen ausbreite, – was den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen wrde). Die Thesen speisen sich aus dem Buch des Neurowissenschaftlers Maxwell R. Bennett und des Philosophen Peter M. S. Hacker: „Philosophical Foundations of Neuroscience“ (Hacker 2003) sowie aus der Diskussion der Position dieser beiden Autoren mit Auffassungen Daniel Dennetts und John Searles in dem Buch „Neuroscience and Philosophy. Brain, Mind, and Language“ (Searle 2007). Allerdings unterscheide ich mich von den Positionen von Bennett/Hacker in mancherlei Hinsicht grundlegend. Insbesondere pldiere ich – in bereinstimmung mit Nietzsche – explizit dafr, dass Philosophie keine Strategie der Immunisierung gegenber den Wissenschaften verfolgen sollte. Tte die Philosophie dies, wrde sie den gleichen Fehler machen wie umgekehrt der neurowissenschaftliche Reduktionismus. Es ist hçchste Zeit, dass wir uns aus dem Wrgegriff dieser Entgegensetzung befreien. Ich bin daher nicht der Auffassung, dass Philosophie sich einzig auf das Geschft einer Analyse der Begriffe beschrnken sollte. Dem entsprechend fallen meine Antworten auf die im Folgenden diskutierten Thesen teils anders aus als diejenigen von Bennett/Hacker. Und meine spteren Ausfhrungen in Punkt IV.1. (zum Verhltnis von Bewusstsein, Sprache und Natur) werden zeigen, dass die Antworten sich deutlich auch von den Auffassungen von Daniel Dennett und von John Searle unterscheiden. Ich teile keineswegs die Ansicht dieser beiden Autoren, dass neurowissenschaftliche Durchbrche in Sachen menschlicher Geist die Philosophie gleichsam in den Ruhestand versetzen werde. Hier kommen drei der von prominenten Vertretern der gegenwrtigen Neurowissenschaften (wie Edelman, Crick, Tononi, Zeki, Glynn, und vielen anderen) vorgebrachten Thesen sowie meine jeweils kurzen und im Lichte von Nietzsches Denken erfolgenden Kommentare: These 1: Die Philosophie ist hinsichtlich der Themen und Erfolge der Neurowissenschaften schlicht irrelevant. Kommentar: Zunchst ist zu klren, was es heißt, „Philosophie zu treiben“. Lediglich zwei Aspekte seien herausgestellt: (i) Philosophie liefert grundbegriffliche Klrungen der jeweils in Frage stehenden Begriffe, Theorien und Hypothesen. Zweck solcher Klrungen ist die
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Vermeidung von Begriffsverwirrungen und methodologischen Unklarheiten. Die Philosophie liefert keine empirischen Forschungsresultate. Beispiel: wenn der Hirnforscher an einer neurowissenschaftlichen Erklrung fr z. B. „Bewusstsein“ oder „Wahrnehmung“ oder „Aufmerksamkeit“ oder „Gedchtnis“ oder „Denken“ interessiert ist, dann unterstellt er natrlich, dass er weiß, woran genau er interessiert ist und wonach genau er sucht. Das aber heißt, dass er die Unterschiede zwischen „Bewusstsein“, „Wahrnehmung“, „Gedchtnis“, „Denken“ mçglichst klar vor Augen haben sollte. Anderenfalls wsste er ja nicht wirklich, wonach er sucht, auf welche Fragen seine Ergebnisse Antworten sind und wie er seine Resultate einordnen soll. Im neurowissenschaftlichen Forschen selbst ist mithin lngst schon der Sinn und die Bedeutung solcher Grundbegriffe, ihrer Verwandtschaften wie ihrer Unterschiede (implizit oder explizit) vorausgesetzt. Ist das aber der Fall, dann ist die genannte These 1 schlicht falsch. (ii) In der Philosophie sind wir (in Erweiterung rein begrifflicher Analysen) nicht nur an den Begriffen, sondern vornehmlich auch an den Phnomenen, des nheren an der Phnomenalitt unserer Erfahrungen und Intuitionen interessiert. Ja, wir nehmen diese sogar als die Ausgangspunkte fr unsere Reflexionen. Die genuin ,philosophische Methode‘ besteht (im Unterschied zu einer rein ,szientifischen Methode‘) meines Erachtens – und Nietzsche wrde sicherlich zustimmen – vor allem auch darin, das tiefsitzende Geflecht der Intuitionen und phnomenalen Erfahrungen zu beschreiben, zu verdeutlichen, zu klren und es (in gegebenen Grenzen) erforderlichenfalls kritisch auf den Prfstand zu stellen. Die Phnomenalitten und Intuitionen eliminieren oder sie auch nur als ,Illusionen‘ und ,Selbsttuschungen‘ brandmarken zu wollen, liefe letztlich auf eine Destruktion unserer Erfahrung hinaus. Zudem msste eine zufriedenstellende Neurowissenschaft erklren, wie es berhaupt zur Ausbildung und zu der signifikanten Rolle dieser doch scheinbar berflssigen ,Illusionen‘ hat kommen kçnnen und wieso diese ,Illusionen‘ sich so hartnckig und argumentativ so erfolgreich (in Form z. B. von Diskussionen, Vortrgen, Bchern, etc.) gegen ihre neurowissenschaftliche Elimination zur Wehr setzen.7 These 2: Philosophie und Neurowissenschaften beschftigen sich mit ein und denselben Problemen. Kommentar: Offenkundig beschftigen Philosophie und Neurowissenschaften sich nicht mit denselben Problemen. Zwischen den beiden Disziplinen handelt es sich (wie Bennett und Hacker mit Recht betonen) nicht um ein Verhltnis der Identitt, sondern um eines der Ergnzung und der Komplementaritt. Auch in Nietzsches Schriften werden Philosophie und Wissenschaften an keiner Stelle gleichgesetzt. So geht, am Beispiel des ,Bewusstseins‘ formuliert, ein Neurowissenschaftler z. B. der Frage nach, wo ,Bewusstsein‘ im 7
Auch in diesen Kontext gehçrt Nietzsches subtile Frage: „Wo z u berhaupt Bewusstsein, wenn es in der Hauptsache b e r f l s s i g ist?“ (FW 354, KGW V/2, 272).
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Gehirn seinen neuronalen Auftritt hat. In der Philosophie dagegen fragen wir unter anderem, worin der Unterschied zwischen Bewusstsein und Wahrnehmung besteht und wie wir uns das Verhltnis von Verstand und Sinnlichkeit zu denken haben. Details dieses Verhltnisses sind hier nicht auszubuchstabieren. Denn es kommt im Augenblick vor allem darauf an, den Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft zu markieren. Gleichwohl sei angemerkt, dass Nietzsche (zusammen mit Kant und Husserl) zu denjenigen Autoren gehçrt, die zum Verhltnis von sensorisch-perzeptiver Erfahrung und kognitiven Aktivitten eine Flle aufschlussreicher und erhellender berlegungen vorgelegt haben. These 3: Die Probleme der Philosophie werden durch die Neurowissenschaften gelçst. Kommentar: Da sich die Neurowissenschaften in dem skizzierten Sinne gar nicht mit Kernproblemen der Philosophie beschftigen, kçnnen die Probleme der Philosophie auch nicht durch die Neurowissenschaften gelçst werden. Die Neurowissenschaften mssten sich zu diesem Zwecke mit genuin philosophischen Fragen befassen, wie z. B. den Fragen nach dem Verhltnis von Meinen, Glauben und Wissen, nach der Geltung von z. B. arithmetischen und/oder sprachlichen Regeln, oder gar nach der Geltung von solch bahnbrechenden Geistes-Leistungen wie etwa des von Kurt Gçdel formulierten Unvollstndigkeitssatzes. Der bestmçgliche neurowissenschaftliche Blick in Einsteins Gehirn oder das bestmçgliche EEG oder fMRT von Kurt Gçdel just im Moment der Formulierung seines Satzes wrde uns keine Grnde dafr liefern, dass die spezielle Relativittstheorie und der Gçdel-Satz zu Recht Geltung besitzen. Wie aber sollten die Neurowissenschaften dann in der Lage sein, solche und vergleichbare Fragen der Philosophie zu beantworten?! Das anzunehmen, wre Wissenschafts-Mythologie, wre Wissenschafts-Aberglaube. Das Verhltnis zwischen Philosophie und Wissenschaft (wie hier am Fallbeispiel der Neurowissenschaften erlutert) als ein Verhltnis nicht der Identitt, sondern als eines der Komplementaritt und der Differenz exponiert zu haben, ist nicht die geringste der Aktualitten von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie. Eine weitere Aktualitt tritt in den Blick, sobald wir das Verhltnis von Wissenschaft und Realismus betrachten.
Aktualitt III: Wissenschaft und Realismus Nietzsches Verstndnis ,wissenschaftlicher Theorien‘ kann als eine anti- bzw. als eine nicht-realistische Konzeption angesehen werden. Darber hinaus lsst sich seine Version von ,Realismus‘ zunchst mit Hilfe von Hilary Putnams Konzept des „internen Realismus“ beschreiben, um von dort aus zu einer Radikalisierung in einem fr Nietzsche kennzeichnenden zeichen-interpretativen und perspek-
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tivischen Realismus zu gelangen. Im Folgenden wird jeder dieser drei Aspekte im Rekurs auf zeitgençssische Positionen jeweils kurz przisiert. 1. Nichtrealismus in Bezug auf wissenschaftliche Theorien Unter „wissenschaftlichem Realismus“ wird eine Position verstanden, die (etwa bei R. N. Boyd, J. Leplin, I. Hacking und dem frhen H. Putnam), bei allen Unterschieden im einzelnen, durch die folgenden Aspekte8 gekennzeichnet ist (die ihrerseits alle unter der von R. N. Boyd und H. Putnam formulierten Rahmenansicht stehen, dass Realismus die einzige Auffassung sei, „that doesn’t make the success of science a miracle“ (Putnam 1975a, 73)): (i) wissenschaftliche Theorien sind zumindest approximativ wahr, „verisimilar“; (ii) ihre zentralen Termini sind referenziale Termini, d. h. sie referieren auf etwas; (iii) der Erfolg einer Theorie (in puncto Voraussage) erklrt sich aus der Wahrheit der Theorie; (iv) die Geschichte der Wissenschaften kann als ein Progressus hin auf die wahre Darstellung der physikalischen Welt angesehen werden; (v) die theoretischen Ansprche wissenschaftlicher Theorien lassen sich streng bivalent entscheiden, d. h. sie sind definitiv entweder wahr oder falsch; (vi) Theorien machen Existenzannahmen; (vii) erfolgreiche Voraussage bedeutet zugleich erfolgreiche Referenz; (viii) Ziel der Wissenschaft ist die wahre Darstellung der Strukturen der physikalischen Welt. Im Sinne dieser Merkmalliste ist Nietzsche nicht Anhnger der Position des wissenschaftlichen Realismus. Kennzeichnend ist fr Nietzsche zunchst ein Anti- bzw. Nichtrealismus in Bezug auf wissenschaftliche Theorien (wie dieser heute etwa bei L. Laudan, B. C. van Fraassen, der Sache nach aber auch schon frher bei C. G. Hempel, W. V. O. Quine, P. Duhem vertreten wird). Bei allen Unterschieden zwischen den Autoren im Einzelnen sind fr diese Position unter anderem die folgenden Aspekte kennzeichnend: (i) das Wissen, das in wissenschaftlichen Theorien formuliert wird, ist pragmatischer und instrumentalistischer Natur; (ii) es gibt Diskontinuitten und Brche in der Geschichte der Wissenschaften und in der Geschichte der Theorien, und eine strenge Stabilitt der Referenz der zentralen Termini einer wissenschaftlichen Theorie ber die wissenschaftlichen Revolutionen hinweg scheint nicht bewahrt werden zu kçnnen; (iii) die Wahrheit einer wissenschaftlichen Theorie erklrt nicht auch schon deren Erfolg; (iv) um akzeptiert zu werden, muss eine wissenschaftliche Theorie nicht unbedingt wahr, sondern vor allem von organisierender Kraft sein, d. h. aufschlussreiche und einfache systematische Verbindungen zwischen Sachverhalten formulieren, mit der empirischen Erfahrung bereinstimmen und erfolgreiche Voraussagen ma8
Vgl. Leplin (1984, 1 f.). – In den folgenden Punkten III.1 und III.2. greife ich auf Material zurck, das ich bereits verwandt habe in Abel (1992).
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chen kçnnen; (v) nicht weil wissenschaftliche Theorien approximativ wahr sind, kçnnen sie erfolgreiche Erklrungen und Voraussagen liefern, sondern eine wissenschaftliche Hypothese kann akzeptiert werden, wenn sie unter gegebenen Bedingungen erfolgreich erklrt und prognostiziert. 2. Interner Realismus Einen wichtigen, weil weiterfhrenden Schritt in der Realismusdebatte stellt die von Hilary Putnam eingefhrte Unterscheidung zwischen „metaphysischem“ und „internem“ Realismus dar. Bezogen auf diese Unterscheidung ist Nietzsches Wissenschaftsphilosophie entschieden auf der Seite des internen Realismus anzusiedeln. Putnams wie Nietzsches zentraler Punkt ist, dass das, was real ist und woraus die Welt besteht, nicht unabhngig von dem verwendeten grundbegrifflichen System gefasst und individuiert werden kann. Diese Sicht ist gegen den metaphysischen Realismus resp. gegen die externalistische Perspektive gerichtet, deren „favorite point of view is a God’s Eye point of view“ (Putnam 1981, 49). Die Unterscheidung zwischen metaphysischem und internem Realismus hilft, die Engfhrung der Realismusdebatte auf die Frage nach dem Status der in wissenschaftlichen Theorien behaupteten Referenzen und Entitten aufzubrechen und die genuin philosophische Dimension der Frage wiederzugewinnen. Diese bezieht sich nicht nur auf den Status wissenschaftlicher Theorien, sondern auf die Frage, was es heißt, ber ein Welt- und Selbstverstndnis zu verfgen, und wie es zu denken ist, dass unsere Erfahrung so ist wie sie ist. Internalisten – zu denen Nietzsche zu rechnen ist – lehnen den metaphysischen Realismus ab. Unter „metaphysischem Realismus“ ist eine Position zu verstehen, die die folgenden Thesen (oder zumindest eine signifikante Anzahl unter ihnen) fr sinnvoll hlt: (i) dass die Welt als eine geist- und schemaunabhngige Welt besteht; (ii) dass zwischen intrinsischen und (bloß) projizierten Eigenschaften unterschieden werden kann; (iii) dass es die Welt selbst (und nicht unser Denken und Sprechen) ist, die sich in Gegenstnde und Arten einteilt; (iv) dass die Objekte der Außenwelt an-sich-seiende Gegenstnde sind; (v) dass strenge Bivalenz herrscht; (vi) dass Wahrheit ein radikal nicht-epistemischer Begriff und als realistische Korrespondenz zu konzipieren ist; (vii) dass es, zumindest im Prinzip, so etwas wie ,Die Eine Wahre Beschreibung Der Welt‘ gibt; (viii) dass ein externer (sprach- und schema-unabhngiger) Standpunkt theoretisch sinnvoll unterstellt und eingenommen werden kann. Diese Posi-
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tionen kçnnen, betrachtet man den gegenwrtigen Stand der Diskussion, als gescheitert angesehen werden.9 In Abbreviatur lauten die Befunde, die zugleich den internalistischen und des nheren dann den auch fr Nietzsches Sicht der Wissenschaften kennzeichnenden interpretatorisch-konstruktbildenden Charakter eines jeden Weltverstndnisses hervortreten lassen: (i) Jede So-und-so-Welt steht unter einer Deskription und Interpretation, deren Regeln sie instantiiert. (ii) Die Dichotomie zwischen intrinsischen und projizierten Eigenschaften lsst sich nicht explizieren, zumal dann nicht, wenn das Zuschreiben von Eigenschaften als ein Applizieren von Prdikaten zu fassen ist. Und wenn zwischen intrinsischen und projizierten Eigenschaften unterschieden wird, so ist eben das Setzen eines solchen Schnittes offenkundig ein Akt der Interpretation. (iii) Nicht teilt die Welt sich selbst in Gattungen, Arten und Objekte ein, sondern wir nehmen mit Hilfe organisierender Prdikate und unter Zweckgesichtspunkten solche Einteilungen vor. Ordnung und Einheit reduzieren sich in diesem Sinne zu einem Vorgang klassifizierender Interpretation. (iv) Absolute Realitt kann es unter den Bedingungen der Endlichkeit nicht geben. (v) Vornehmlich die Analyse vager Stze zeigt, dass strenge Bivalenz nicht durchgngig gegeben ist. (vi) Die Korrespondenztheorie der Wahrheit ist gescheitert, da: die Reprsentationsfunktion der Zeichen nicht im Rekurs auf bereinstimmung und/oder hnlichkeit geklrt werden kann; unser Geist immer nur Vorstellungen und Wçrter mit anderen Vorstellungen und Wçrtern vergleicht; es zu jeder Referenzrelation viele gleichwertige Erfllungsrelationen gibt. Im internen Realismus wird Wahrheit als „some sort of (idealized) rational acceptability“ behandelt (Putnam 1981, 49; vgl. auch Putnam 1981, 55 f.). (vii) Es gibt viele Deskriptionen derselben Gegenstnde und dieselben Gegenstnde kçnnen als Modell fr Theorien fungieren, die untereinander unvereinbar sind. (viii) Der Gottesgesichtspunkt ist nicht nur nicht zu haben, ist nicht nur kontingenterweise, sondern systematisch ausgeschlossen. Diese aus der Kritik am metaphysischen Realismus negativ gewonnenen Aspekte (i-viii) sind bereits auch positiv fr die internalistische Perspektive selbst kennzeichnend. Hinzu treten des weiteren die folgenden Gesichtspunkte: (ix) „the ,makers-true‘ and the ,makers-verified‘ of our beliefs lie w i t h i n and not o u t s i d e our conceptual system“ (Putnam 1987, 43). (x) An den Erfahrungsgegenstnden kçnnen wir nicht trennscharf zwischen dem Gegebenen und dem Hinzugefgten unterscheiden. (xi) Der interne Realismus bewahrt unseren Common-Sense-Realismus (d. h. die Auffassung, dass es z. B. Sthle und Tische gibt). (xii) Innerhalb der Abhngigkeit der Objekte von den grundbegrifflichen Schemata kann angegeben werden „what matches what“, d. h. in diesem se9
Vgl. dazu im Einzelnen und zusammenfassend Abel (1988). Im Folgenden wird auf Materialien zurckgegriffen, die auch in dieser Abhandlung verwendet wurden.
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kundren Sinn gibt es Korrespondenz und die Mçglichkeit zu sagen, dass die Gegenstnde „are as much made as discovered, as much products of our conceptual invention as of the ,objective‘ factor in experience, the factor independent of our will“ (Putnam 1981, 54). (xiii) Vor allem die folgenden Dichotomien werden zurckgewiesen: subjektiv vs. objektiv; projiziert vs. intrinsisch; Behauptungsbedingungen vs. Wahrheitsbedingungen (vgl. Putnam 1987, 27 – 32). (xiv) Betont wird der Unterschied zwischen „p“ und dem bloßen „Ich denke, dass p“ (vgl. Putnam 1983, 225). (xv) Der interne Realismus ist vereinbar mit grundbegrifflicher Relativitt („conceptual relativity“, vgl. Putnam 1987, 17 f. und Putnam 1990, Xf.). Aber der interne Realismus bezeichnet sich selbst explizit als einen Realismus. Damit ist eine Auffassung gemeint, die „takes our familiar commonsense scheme, as well as our scientific and artistic and other schemes, at face value, without helping itself to the notion of the thing ,in itself‘“ (Putnam 1987, 17). In Kontrast zum metaphysischen Realismus, der weniger eine empirische Theorie, sondern ein Modell ist (und zwar ein Modell „of the relation of any correct theory to all or part of THE WORLD“ (Putnam 1978, 123)), ist der interne Realismus in einer Hinsicht eher eine empirische Theorie. Auch dieser Dimension wrde Nietzsche, denke ich, zustimmen. Eine Flle von Belegen, die hier nicht ausgebreitet werden kçnnen, weisen Nietzsche als einen internen Realisten aus. 3. Zeichen-interpretativer und perspektivischer Realismus Fr Nietzsches Wissenschaftsphilosophie ist kennzeichnend, dass sie die ltere Entgegensetzung von Idealismus und Realismus als ganze zurcklassen mçchte. Dies erfolgt vor allem dadurch, dass der Boden der Zeichen- und Interpretationsverhltnisse jenseits, oder besser: diesseits dieser Entgegensetzung betreten wird. Auf der Basis dieser Verhltnisse wird ein Sinn von Realitt und Realismus konzipierbar, der deutlich ber das hinausgeht, was innerhalb der IdealismusRealismus-Dichotomie und angesichts des Scheiterns der Position des metaphysischen Realismus als Rckzugs-Realismus (z. B. als hypothetischer Realismus) mçglich ist. Zeichen besitzen nur dann semantische Merkmale (Bedeutung, Referenz, Wahrheits- und Erfllungsbedingungen), wenn ihnen eine Interpretations-Praxis bereits zugrunde liegt, kraft deren diese Merkmale umgrenzt werden.10 Wenn es sich nun um Zeichen handelt, deren semantische Merkmale auf einer fraglos eingespielten Interpretations-Praxis beruhen, d. h. wenn nach der Bedeutung und Referenz dieser Zeichen nicht eigens gefragt wird, es sich mithin um direkt verstandene und direkt verwendete Zeichen handelt, dann sind diese 10 Zum Folgenden siehe auch Abel (1999, 48 ff.).
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Zeichen intern zugleich die wirklichkeits- und realittshaltigsten Zeichen berhaupt (vgl. Abel 1995, 265 ff. und 279 ff.). Denn dann verhlt es sich so, wie die Zeichenfunktionen es artikulieren, d. h. man bençtigt dann nicht noch einen zweiten Schritt, um zur Realitt zu kommen. Man fragt dann nicht noch einmal, ob den Zeichen auch tatschlich etwas Reales entspricht. Auf diesen Zusammenhang bezogen besitzt das traditionelle Realismus-Problem einen lediglich sekundren Status. Es tritt berhaupt erst auf, wenn jemand die semantischen Merkmale der Zeichen nicht mehr direkt versteht. Liegt dagegen ein bis auf weiteres fraglos funktionierendes Eingespieltsein der Interpretations-Praxis vor, dann ist darin ineins auch die Welt- und Realittshaltigkeit der Zeichen gegeben, dann nehmen die Zeichen auf das Bezug, worauf sie Bezug nehmen, und dann sind die Erfllungs- oder Wahrheitsbedingungen der Stze, in denen die Zeichen verwendet werden, erfllt. Die entscheidende Frage ist nicht „Wie gelingt es unseren Zeichen, sich an der Welt festzuhaken?“ Entscheidend ist vielmehr die eigentmliche Erfahrung, dass im gelingenden und erfolgreichen Vollzug des durch eine eingespielte Interpretations-Praxis geregelten Gebrauchs der symbolisierenden und in sich perspektivischen und perspektivierenden Zeichen Welthaltigkeit gegeben ist. Wir befinden uns mithin gar nicht in einer Situation, in der wir erst noch zur Welt und zur Wirklichkeit kommen mssen. Denn im eingespielten Zeichengebrauch sind Welt und Wirklichkeit in einem unberbietbaren Sinne prsent. Wirklicher als wirklich kann die Wirklichkeit nicht sein. Das ist, was ich den zeichen-interpretativen und perspektivischen Realismus nennen mçchte. Dass die menschliche Interpretations-Praxis çffentliche, perspektivische und ineins welthaltige, inhaltsvolle Praxis ist, zeigt sich etwa auch daran, dass die Fhigkeit, eine semantische Charakterisierung der Ausdrcke und Stze unserer Sprache zu geben, mit der Fhigkeit verbunden ist, Angaben, ber die als normal zugrunde gelegte Welt machen zu kçnnen. Dies heißt zugleich, dass die Bedeutung und Referenz der in unseren Stzen verwendeten Wçrter (wie „Hase“ oder „rot“) nicht in einem analytisch-definitorischen Sinne festgelegt werden, wie dies in den Definitionen der Logik und Mathematik der Fall ist. Vielmehr gehen in die Bestimmung der Semantik und Pragmatik der Ausdrcke unsere zeichen-interpretativen und perspektivischen sowie perspektivierenden Annahmen ber die Welt, ber Hasen oder ber das Rotsein von Tomaten, mit ein. Dass dies so ist, sieht man auch daran, dass sich in Wçrterbchern fr die natrlich-sprachlichen Ausdrcke keine Definitionen, sondern Erluterungen etwa dergestalt finden, dass das Wort „Rotkehlchen“ Singvçgel meint, deren Stirn und Kehle rostrot ist. Sofern die perspektivierenden Zeichen direkt verstanden werden, mssen sie nicht erst noch mit der Welt und dem Sinn verbunden werden. Diese Verbindung ist vielmehr in der Tiefe einer eingespielten Zeichen-und-Interpretations-Praxis, mithin im gelingenden und erfolgreichen Verwenden und Verstehen der Zeichen stets bereits vorausgesetzt und in An-
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spruch genommen. In diesem Sinne kçnnen wir hier geradezu von einem VollRealismus sprechen. Die Relativitt – so mçchte ich zugespitzt formulieren – unserer Welten auf die Zeichen-und-Interpretations-Praxis und auf die fr diese grundcharakteristische Perspektivitt sichert den Realismus unserer Welt, in der wir leben, und vermeidet einen nicht-explizierbaren Relativismus. Das ltere Konfrontations-Modell von Idealismus und Realismus wird hier mithin durch ein zeichen- und interpretationsphilosophisches Drehtr-Modell ersetzt. In letzterem ist Realismus in einer eminent strkeren Weise konzipierbar, als dies in ersterem Modell mçglich ist.
Aktualitt IV: Wissenschaft des Lebendigen 1. Trias von Bewusstsein, Sprache und Natur Meines Erachtens kann man wohlbegrndet die beiden folgenden Fragen stellen: (a) ob Nietzsche eigenstndige und wichtige Aspekte in die gegenwrtigen philosophischen und wissenschaftlichen Diskussionen um das Verhltnis von Bewusstsein, Sprache und Natur einzubringen hat; und (b) ob Nietzsches Denken am Ende gar als ein Prfstein fr Theoreme auch der gegenwrtigen Wissenschaft und Philosophie des Geistes angesehen werden kann. Erstere Frage ist klar mit „Ja“ zu beantworten. Die Entwicklung, die zu einem „Ja“ auch auf die zweite Frage fhrt, steht noch aus bzw. bevor. In letzter Hinsicht erwarte ich eine hnliche Entwicklung wie sie im Falle von Edmund Husserl glcklicherweise inzwischen stattgefunden hat. Husserl hat es inzwischen geschafft, in Sachen Philosophie des Geistes nicht bloß ein Beitrger neben anderen zu sein. Vielmehr gilt er heute selbst bei orthodoxen Vertretern der analytischen Philosophie des Geistes als ein Autor, an dessen Analysen und Befunden sich auch die gegenwrtig zur Diskussion gestellten Theoreme mssen messen lassen kçnnen.11 Es wre zu wnschen, dass Nietzsches Denken in eine vergleichbare Rolle gert. Warum? Die Antwort ist wie folgt einfach: Bewusstsein, Sprache und Natur sind grundlegende Themen im Denken Nietzsches. Die entsprechenden Prozesse, mentalen Zustnde und Phnomene sind Gegenstand feinsinniger Analysen. Ihre genaue Rekonstruktion und Erçrterung fhrt in das Zentrum von Nietzsches Philosophieren.12 Auch in der gegenwrtigen Philosophie sind diese Forschungsfelder von kardinaler Bedeutung. Nach dem „linguistic turn“ und der Dominanz der Sprachphilosophie whrend der letzten Jahrzehnte hat die Philosophie, zumal 11 Als Beleg fr diese These siehe die Beitrge in dem Band Frank/Weidtmann (2010). 12 Zu den Details der im vorliegenden Punkt IV erçrterten Aspekte vgl. ausfhrlicher Abel (2001).
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die analytisch orientierte, das Bewusstsein wiederentdeckt. Bewusstsein ist zu einem Schlsselthema in der gegenwrtigen Philosophie des Geistes aufgestiegen. Das ist ein durchaus bemerkenswertes Phnomen, hatte doch vor allem die Bewusstseinsphilosophie bislang eine schlechte Presse und galt sie doch als berwunden. Da jedoch jeder von uns glaubt, Bewusstsein zu haben, und da die Existenz von Bewusstsein sowie die Frage, wie dieses sich in unser wissenschaftliches Bild von der Natur einfgt, große Rtsel darstellen, ist die neuerliche Renaissance der Bewusstseinsproblematik auch wiederum nicht verwunderlich. Die Trias von Bewusstsein, Sprache und Natur (des nheren: Gehirnfunktionen) wird heute innerhalb der Philosophie und den Wissenschaften, insbesondere den Neurowissenschaften, der Psychologie, der Linguistik und der Informatik ebenso wie an den Schnittstellen dieser Disziplinen, das heißt in den Kognitionswissenschaften, heftig und kontrovers diskutiert. Beleg dafr ist die Flut jngster Publikationen zum Thema Bewusstsein.13 Weltweit wird in Forschungsprogrammen an der Lçsung des Rtsels des Bewusstseins gearbeitet, das in dem aufschlussreichen Faktum gesehen wird, dass physio-physikalische Organismen Bewusstsein und Geist besitzen.14 Dabei spielen physikalische, physiologische, neuronale, biologische und evolutionre Aspekte heute eine besonders wichtige Rolle. Die Rede ist z. B. von einer „Neurobiologie des Bewusstseins“ (P. S. Churchland 1995) oder gar von einer „neuen Physik des Bewusstseins“ (Penrose 1994). Es geht hier mithin nicht bloß um einzelne Interpretamente oder wissenschaftliche Hypothesen und Theorien, sondern im Kern um das Verhltnis von Philosophie und Wissenschaften. Nietzsches Wissenschaftsphilosophie liefert dabei nicht nur wichtige Einsichten in das in Frage stehende Sachthema. Sie liefert zugleich Einsichten in Nietzsches eigenes Konzept von Wissen und Wissenschaften. Im Folgenden mçchte ich daher ein weiteres praktiziertes bzw. angewandtes Stck von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie vorfhren. Verstreut in Nietzsches Schriften finden sich vielfltige berlegungen zu den Feldern Bewusstsein, Sprache und Natur sowie zu deren Zusammenhang. So werden in puncto Bewusstsein sowohl dessen Genese und Reichweite als auch die unterschiedlichen 13 Beispiele sind: Block/Flanagan/Gzeldere (1997); Rosenthal (1991); Metzinger (1995); Esken /Heckmann (1998); Dennett (1991); Flanagan (1992); Searle (1992); McGinn (1991) und Lycan (1987). 14 Berhmt geworden ist das „Ignorabimus“ von Nietzsches Zeitgenosse, dem Physiologen Emil Du Bois-Reymond, der es grundstzlich nicht fr mçglich hlt, dass aus dem Zusammenwirken verschiedener Atome Bewusstsein entsteht. Du Bois-Reymond wollte darlegen, „dass nicht allein bei dem heutigen Stand unserer Kenntnis das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklrbar ist, was wohl jeder zugibt, sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen nicht erklrbar sein wird.“ (Du Bois-Reymond 1872, 65).
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epistemischen Leistungen des Bewusstseins-Subjekts, des Ich, thematisch. Zu den Leistungen gehçren z. B. die Abgrenzung zum Bereich des Nichtbewussten, das Wahrnehmen, das bewusste Denken, das Erkennen und Wiedererkennen, das Assoziieren und Klassifizieren, die Begriffe, die Urteile, die Intentionalitt und die Funktionalitt des Bewusstseins. Hinzu treten Nietzsches Betrachtungen zu einzelnen phnomenologischen Feldern, wie dem Gedchtnis, der Erinnerung, subjektiv-qualitativen Erfahrungen (etwa einer musikalischen Klangerfahrung), dem Text-, Natur-, Person- und Handlungsverstehen. Bei alledem tritt Nietzsche als jemand auf, der auch die Grenzen des Bewusstseins und die mit einer Hypostasierung des Bewusstsein-Modells verbundenen Gefahren kritisch vor Augen fhren mçchte. Aber Nietzsche ist kein reduktiver Eliminationist, d. h. er vertritt nicht die (in gegenwrtigen Diskussionen vorgebrachte) These, dass mentale und bewusste Zustnde und Prozesse letztlich nichts anderes als physikalische Zustnde und Prozesse sind, die wir lediglich (und verfhrt durch unsere Alltagspsychologie) als mentale und bewusste Zustnde und Phnomene deuten. Mentale Zustnde gibt es dieser irrefhrenden Auffassung zufolge ebenso wenig wie es Gespenster oder Dmonen gibt.15 Nietzsche dagegen ist Realist des Bewusstseins. Bewusstsein zu leugnen, wre ein Zeichen mangelnder Realittswahrnehmung. Nicht eigens betont zu werden braucht, dass die Rolle der Sprache und das Verstndnis der Natur ebenfalls einen hohen Stellenwert im Denken Nietzsches besitzen.16 In Sachen Sprache geht es dabei vor allem um das tatschliche Sprechen, die Verstndigung zwischen Personen und die Funktion der „Grammatik“ fr das menschliche Welt-, Fremd- und Selbstverstndnis. Und die Naturprozesse werden bei Nietzsche als die dynamischen Prozesse eines komplexen Zusammenspiels von Krftezentrierungen aufgefasst. Dass diese neue Auslegung der Wirklichkeit durch Nietzsche mit den Wissenschaften kompatibel ist, wurde bereits hervorgehoben. Das Problem des Bewusstseins umfasst weit mehr Aspekte als nur die, die uns im Rahmen der Leib-Seele-Problematik vor die Alternative zu stellen scheinen, entweder eine Spielart des Dualismus oder einen szientistischen reduktiven Monismus vertreten zu mssen. Das Leib-Seele- bzw. das GehirnBewusstsein-Problem kçnnte am Ende gerade deshalb als unlçsbar erscheinen, weil es in einem begrifflichen Rahmen gefangen ist, der solche Nichtlçsbarkeit nahelegt oder gar zur Folge hat. 15 Vgl. gegenwrtig vor allem die Positionen von P.M. Churchland (1995), Churchland (1989) und Churchland (1986). – Nicht uninteressant ist daran zu erinnern, dass die Position des eliminativen Materialismus auch von Autoren vertreten wird, bei denen man dies zunchst nicht vermutet, wie etwa von Paul Feyerabend und Richard Rorty. Vgl. Feyerabend (1963) und Rorty (1965). 16 Zu Nietzsches Programm einer neuen Auslegung der Wirklichkeit vgl. Abel (1998).
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Will man hier weiterkommen, so ist der Versuch zu machen, die Architektur des begrifflichen Rahmens selbst und ber eine ,szientistische Wissenschaft des Bewusstseins‘ hinaus so zu verndern, dass das Problem des Bewusstseins ein Stck weit aufgelçst werden kçnnte, – durch Angabe von Bedingungen, unter denen es nicht mehr auftreten kann. In Nietzsches Schriften finden sich Interpretamente, die sowohl fr das Profil seiner eigenen Wissenschaftsphilosophie charakteristisch als auch im Hinblick auf die skizzierten Sachaspekte aufschlussreich sind. Einige dieser Interpretamente werden in den folgenden Abschnitten rekonstruiert und diskutiert. Dies erfolgt unter den Stichwçrtern „Prinzip des Kontinuums“ (2), „Prozess-Modell“ (3) und „funktionale Organisation“ (4). In allen Punkten handelt es sich um die bislang skizzierte Wissenschaftsphilosophie Nietzsches im praktischen Einsatz. 2. Prinzip des Kontinuums Angesichts der skizzierten Herausforderungen in puncto Theorie des Bewusstseins ist der Versuch zu machen, die Frage nach dem Bewusstsein jenseits der Dichotomien von Dualismus und Monismus sowie von Mentalismus und Materialismus/Physikalismus zu stellen. Erforderlich ist eine adualistische Sichtweise. Nietzsche vertritt eine solche Auffassung. Er geht von einem kontinuierlichen Spektrum dessen aus, was auf die eine oder andere Weise existiert bzw. geschieht, vom ußersten Rand des Anorganischen ber das Organische bis zu mentalen Zustnden, Bewusstsein, Sich-bewusst-werden, kognitiven und anderen geistigen Aktivitten und zu Handlungsentwrfen und deren Ausfhrung. Das Organische erscheint so als entwicklungsgeschichtliche und kontinuierliche Vorstufe des Bewusstseins. Die Nietzsche-Welt ist eine Welt solcher Kontinuumsverhltnisse. Der Mensch ist ihr zufolge „n i c h t nur ein Individuum, sondern das Fortlebende Gesammt-Organische in Einer bestimmten Linie“ (NL 1886 – 1887 7[2], KSA 12, 251). Dieser Gesichtspunkt ist in Nietzsches Wissenschaftsphilosophie von zentraler Relevanz. Er lsst sich sowohl vom Standpunkt der bislang erreichten Entwicklung als auch von deren Anfang her darstellen. Vom erreichten Entwicklungsstand aus zurckblickend ist Nietzsche zufolge der Charakter ,geistig‘ und ,intelligent‘ zu nennender ,lebendiger‘ Aktivitten in unterschiedlichen Erscheinungsformen bis hinunter ins Organische zu finden. So setzt Nietzsche zufolge die Welt des Organischen in ihren Prozessen bereits „f o r t w h r e n d e s Interpretiren“ (NL 1885 – 1886 2[148], KSA 12, 140), mithin ein im weiten Sinne ,geistiges‘ Ttigsein nach Art etwa des Lokalisierens, Wahrnehmens, Abgrenzens, Einordnens oder Taxierens voraus. Diese Sicht schließt auch die Mçglichkeit ein, dass das Ich des Bewusstseins und vornehmlich das ,Selbst‘ des menschlichen Leibes in einem bestimmten Sinne auf
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die Prozesse des Organischen Einfluss nehmen und z. B. den motorischen Apparat dergestalt beeinflussen kçnnen, dass eine bestimmte Absicht (etwa: die Geldbçrse in die Jackettasche zu stecken; oder: ein Taxi zu nehmen, um Onkel Paul zu besuchen) in die entsprechenden Kçrperbewegungen umgesetzt bzw. durch diese realisiert wird. In solchen Fllen ist mentale Verursachung gegeben. Bei Nietzsche spielt diese Komponente eine wichtige Rolle auch im Zusammenhang der Frage, ob und gegebenenfalls wieweit bestimmte Gedanken inkorporiert, „einverleibt“, d. h. organisch und fr die Organisation von Erfahrung leitend gemacht werden kçnnen oder nicht.17 Vom Anfang der Entwicklung her gesehen heißt dies, dass der Mensch als eine bestimmte Verkçrperung aller „lteren Werthschtzungen“, d. h. aller bereits im Organischen anzutreffenden bzw. organisch gewordenen und von dort aus an der Organisation von Erfahrung beteiligten ,intelligenten‘ Aktivitten angesehen werden kann. In diesem Sinne kommt es Nietzsche zufolge darauf an, den Menschen „zurck[zu]bersetzen in die Natur“ (JGB 230, KSA 5, 169). Da es sich jedoch bei den natrlichen Prozessen im Bereich des Organischen im weitesten Sinne um ,geistige‘ Prozesse handelt, enthlt, wie bereits betont, dieses Programm der Naturalisierung des Menschen eine Abgrenzung sowohl gegenber der Position transzendenter Metaphysik als auch gegenber einem biologistischen Naturalismus. Es geht um eine Naturalisierung jenseits der Dichotomie beider. Hinsichtlich des expliziten Auftretens von Bewusstsein nimmt Nietzsche erklrtermaßen Bezug auf die Wissenschaften seiner Zeit, insbesondere auf die Physiologie und die Tiergeschichte (vgl. FW 354). Das Auftreten von Bewusstsein im engeren Sinne bewusster mentaler Zustnde und Prozesse (von phnomenaler Bewusstheit bis hin zu bewusstem Denken und Selbstbewusstsein sowie der Mçglichkeit zu individuellen Handlungsentwrfen) erscheint in dieser Perspektive als etwas, das entwicklungsgeschichtlich erst spt eintritt und dem bestimmte phylogenetische und ontogenetische Differenzierungen im Bereich des Organischen vorausgegangen sind. Insofern ist das Kontinuum-Modell stets in seiner Verbindung mit dem Entwicklungs- bzw. dem Evolutionsgedanken zu sehen. Da Bewusstsein im engeren Sinne des Sich-bewusst-werdens nicht im gesamten Spektrum vom Anorganischen bis zu handlungsorientierendem Selbstbewusstsein, z. B. nicht bei Steinen und Kristallen anzutreffen ist, ist mit der Rede von ,Bewusstsein‘ zugleich ein graduelles Phnomen bezeichnet. So kann man Tieren z. B. durchaus bestimmte elementare Formen von Bewusstheit (etwa phnomenales Diskriminieren und Gewahrwerden von etwas) zusprechen, whrend Sich-be17 Zum Thema „Einverleibung“ in dieser Perspektive vgl. z. B. NL 1887 9[151], KGW VIII/2, 88; NL 1886 – 1887 6[13], KGW VIII/1, 243 und NL 1881 11[141], KGW V/ 2, 392.
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wusst-werden sowie Selbstbewusstsein im engeren Sinne und explizite intentionale Handlungsentwrfe erst bei Menschen anzutreffen sind. Wichtig ist daher, dass das Kontinuum-Modell weder einfach mit einem Monismus-Modell gleichgesetzt noch einfach als die berwindung des Dualismus-Modells angesehen wird. Es geht nicht um Verhltnisse der Reduktion des Bewussten auf das Organische oder um wechselseitige Deckungsgleichheit beider und auch nicht um eine Ableitung des einen aus dem anderen, etwa unter Zuhilfenahme von Brckenprinzipien zur berwindung der vermeintlichen Kluft, der berhmten „Erklrungslcke“ zwischen dem Organischen und dem Bewussten, dem Physischen und dem Mentalen. Einer der Vorteile von Nietzsches Wissenschaftsphilosophie und hier des nheren des Nietzscheschen Kontinuum-Modells besteht darin, dass in letzterem Rahmen die kontrovers diskutierte Frage der Erklrungslcke („explanatory gap“18) eine vernderte Form annimmt. Nicht mehr geht es um berbrckungsverhltnisse zwischen getrennten Bereichen. Vielmehr reduziert sich auf der Innenseite der kontinuierlichen Entwicklungen vom Organischen ins Bewusste und Selbstbewusste die Frage der Erklrungslcke auf die (freilich nicht minder hartnckige) Frage, wie es zu denken ist, dass die impliziten ,geistigen‘ und ,intelligenten‘ Formen des Lebendigen in explizite Formen, des nheren in Bewusstsein, Geist, Denken und Selbstbewusstsein bergehen. Wenn im Zuge des Vorgangs, dass ,etwas ins Bewusstsein‘ tritt, zugleich auch ein Ich bzw. ein Subjekt des Bewusstseins hervortritt, bedeutet dies innerhalb des Kontinuum-Modells, dass sich aus dem kontinuierlichen Geschehensstrom und dem Kontext heraus zugleich auch erst das umgrenzt, was dann als bewusstes und indexikalisches Ich, sprachlich als Personalpronomen ,ich‘, des nheren als „essential indexical“19, angesehen wird. Es heißt nicht, dass es ein unabhngig vom Geschehensstrom existierendes Einzelding ,Ich‘ gibt, das dem Bewusstsein-von-etwas vorhergeht. Im Zusammenhang des Kontinuum-Modells rhmt Nietzsche den „vorausfliegenden Argwohn“ von Leibniz (FW 354, KSA 3, 590).20 Dieser hatte vor-bewusste intelligente Aktivitten, „kleine Perzeptionen (petites perceptions)“, angenommen, die fr das, was in anorganischen, organischen und anderen Lebensvollzgen geschieht, beraus wirksam sind, ohne jedoch explizit ,ins Bewusstsein‘ treten zu mssen, d. h. ohne dass es berhaupt eines expliziten Bewusstseins im engeren Sinne des Bewusst-seins-von-etwas, des Sich-bewusstwerdens oder des bewussten Denkens bedrfte. Ein Beispiel hierfr wre etwa das nicht-bewusste Empfinden bzw. Aufnehmen vieler visueller Reize, die, 18 Vgl. das Argument der Erklrungslcke in Levine (1997). 19 Zu dieser Figur vgl. Perry 1993, vor allem Kap. 2. 20 Zur historischen Verortung von Nietzsches Bewusstseinsbegriff vgl. Schlimgen (1999, Kap. I und II) und Simon (1984).
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obwohl sie nicht explizit ins Bewusstsein treten, gleichwohl unsere Orientierung in der Welt, z. B. beim berqueren einer stark befahrenen Straße, in einem erheblichen Maße mitgarantieren. Vor solchem Hintergrund ist Nietzsches berlegung zu verstehen, dass wir „denken, fhlen, wollen, uns erinnern, […] ebenfalls „handeln“ in jedem Sinne des Wortes [kçnnten]: und trotzdem brauchte das Alles nicht uns „in’s Bewusstsein zu treten“ (wie man im Bilde sagt). Das ganze Leben wre mçglich, ohne dass es sich gleichsam im Spiegel she: wie ja thatschlich auch jetzt noch bei uns der bei weitem berwiegende Theil dieses Lebens sich ohne diese Spiegelung abspielt“ (FW 354, KSA 3, 590). Steckt in solchen Formulierungen nicht ein Kategorienfehler, gar ein naturalistischer Fehlschluss in Bezug auf das Bewusstsein? Wie kann man denken, fhlen oder wollen, ohne dass dies ins Bewusstsein treten msste? Zwei Antworten bieten sich an: (a) Innerhalb eines Kontinuum-Modells wird eine solche Auffassung sinnvoll konzipierbar, sobald die vor-bewussten und organischen Lebensvollzge ihrerseits bereits als dynamische Prozesse nicht bloß toter Materie, sondern lebendiger Krfte und in diesem Sinne vieler ,lebendiger Intelligenzen‘ und ,geistiger Wesen‘ angesehen werden. Setzt man nun diese vor-bewussten, aber bereits ,intelligenten‘ Prozesse als basal und prformierend an, so wird die angefhrte Redeweise sinnvoll mçglich.21 (b) Mit Erfolg machen wir einen Unterschied zwischen ,bewussten‘ und ,nicht-bewussten‘ bzw. ,unbewussten‘ mentalen Zustnden, z. B. zwischen bewussten und nicht-bewussten Wnschen und berzeugungen. Letzterer Bereich ist umfnglicher als ersterer. Niemand von uns kennt die Gesamtheit derjenigen Wnsche und berzeugungen, die in ihm stecken und wirksam sind, ohne jeweils explizit ins Bewusstsein zu treten. Dass es sich so verhlt, wird deutlich, wenn nher nachgefragt wird, was alles an nicht-bewussten mentalen Komponenten in einem bestimmten Meinen, Glauben oder berzeugtsein (z. B. dann, wenn ich glaube, dass ein bestimmtes Gerusch ber den Wolken von einem Flugzeug herrhrt) bereits vorausgesetzt ist (im Beispiel etwa die berzeugungen, dass Flugzeuge ber den Wolken fliegen kçnnen, dass Gerusche auch dann wahrnehmbar sind, wenn der Verursacher aktuell nicht sichtbar ist usf.). 21 Selbst noch Nietzsches Formulierung, dass das ›bewusste Denken‹ als ein bestimmtes „Verhalten“ der „Triebe“ zueinander angesehen werden kçnne (JGB 36, KGW VI/2, 50 f.), ist nicht als ein biologistisch-physikalistischer Naturalismus misszuverstehen. Vgl. dazu Abel (1998, 55 f.). Der Biologismus- und Physikalismus-Verdacht wird durch die These unterlaufen, dass auch bei den ›Trieben‹ von einer Art ›Geistigkeit‹ und ›Vernnftigkeit‹ auszugehen sei. Die Triebe sind in ihren Aktivitten nicht blind. Sie sind, so kçnnte man sagen, vielmehr stndig damit beschftigt zu perspizieren, wahrzunehmen, einzuordnen, auszugrenzen, zu intensivieren, zu prferieren oder zu vernachlssigen, – kurz: im weitesten Sinne ›geistige‹ und ›intelligente‹ Ttigkeiten auszufhren.
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Die Unterscheidung zwischen nicht-bewussten und bewussten mentalen Zustnden spielt auch in der gegenwrtigen Philosophie des Geistes und des nheren in der wissenschaftlichen Bewusstseinsforschung eine Rolle. Sie tritt in genau dem Maße in den Blick, in dem uns etwas ,ins Bewusstsein tritt‘. Denn ineins damit stellt sich der Verweis auf das ein, was als nicht-bewusst mental und als ein Bereich oder Geschçpf ohne Bewusstsein gilt. Eine zufriedenstellende Theorie des Bewusstseins muss diese Differenz erklren kçnnen (vgl. Van Gulick 1995, 80). In dieser Sichtweise ist es sinnvoll, einen ,bewussten mentalen Zustand‘ zu definieren als „mentalen Zustand, dessen wir uns bewusst sind“ (vgl. Van Gulick 1995, 80). Im Rahmen dieser Auffassung haben einige zeitgençssische Autoren, vor allem David Rosenthal und in gewisser Weise auch Daniel Dennett, vorgeschlagen, einen bewussten mentalen Zustand (z. B. einen Wunsch) als einen mentalen Zustand anzusehen, der von einem nicht-bewusst mentalen „Gedanken hçherer Ordnung“ (Rosenthal) oder, wie in Dennetts Theorie der „mehrfachen Entwrfe (multiple drafts)“, durch einen nicht-bewussten mentalen Zustand bzw. Prozess der Intentionalitt begleitet und bestimmt wird.22 In diesen Theorien wird mit einer bestimmten Form von Ordnungs- bzw. von Organisations-Hierarchien gearbeitet. Mit deren Hilfe sollen ,bewusste mentale Zustnde‘ im Rekurs auf ,nicht-bewusste mentale Zustnde‘ erklrt werden. Diese Modelle, obzwar der Kritik ausgesetzt, lassen sich durchaus in das Kontinuum-Modell einfgen. Rumt man dem vor-bewussten mentalen und dem organischen Bereich eine starke und prformierende Rolle auch fr die explizit bewussten mentalen Zustnde und Prozesse ein, und fgt man die weitere berlegung hinzu, dass das Bewusstsein selbst nicht in der Lage ist, eine ,objektive Ursache‘ fr seine eigene Entstehung anzugeben – denn genau dazu muss Bewusstsein, dessen Entstehung erklrt werden soll, bereits vorausgesetzt werden – so ist der Hintergrund fr die bereits erwhnte und provozierende Formulierung Nietzsches umrissen: „Wo z u berhaupt Bewusstsein, wenn es in der Hauptsache b e r 22 Vgl. Dennett (1991). Vgl. Rosenthal (1995, 423 – 438), wo Rosenthal auch sein Verhltnis zur Position Dennetts diskutiert. Rosenthal stellt sich die Sachlage so vor, dass man dann, wenn man x wnscht, gleichzeitig den „Gedanken“ hat, dass man x wnscht. Diese Sicht enthlt ein deutliches Element vor-bewusster, aber simultaner Selbstbezglichkeit. Dennetts „multiple drafts“-Modell lsst sich verbinden mit der heute vorherrschenden Sicht innerhalb der Hirnforschung in Bezug auf das emergente Auftreten von Bewusstsein. Dieses wird als eine Folge des Zusammenspiels und der Wechselwirkungen von hochkomplexen Organisationsformen und vieler miteinander vernetzter Teilkomponenten des Gehirns insgesamt angesehen. Es wird nicht mehr nach einem speziellen Organ des Bewusstseins, etwa nach Descartes’ berhmter Zirbeldrse oder einem modernen Analogon, gesucht. Bewusstsein erscheint auch nicht als eine Eigenschaft einzelner Teilsysteme. In diesem Sinne wird auch nicht mehr von dem einen festen Punkt oder dem einen fixen Ort des Bewusstseins ausgegangen.
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f l s s i g ist?“ (FW 354, KSA 3, 590). Nietzsches Antwort auf diese Frage besteht in der These, dass Bewusstsein „eigentlich nur ein Verbindungsnetz zwischen Mensch und Mensch“ ist, und dass es sich auch „nur als solches hat […] entwickeln mssen“ (FW 354, KSA 3, 591). Diesem Aspekt soll hier nicht nher nachgegangen werden. Vielmehr sollen die beiden auch in puncto Wissenschaften des Lebendigen fr Nietzsche wichtigen Aspekte herausgearbeitet werden: zunchst (Abschnitt 3), dass und in welchem Sinne das KontinuumModell um ein Prozess-Modell zu ergnzen ist; sodann (Abschnitt 4), dass und in welchem Sinne der Gesichtspunkt der funktionalen Organisation von grundlegender Bedeutung ist. 3. Prozess-Modell Im Hinblick auf eine adualistische Konzeption des Zusammenhangs von Organischem und Bewusstem, Physikalischem und Mentalem, ist von großer Bedeutung, dass als ,Bausteine‘ der Natur und des Lebendigen auch bei Nietzsche nicht ,Dinge‘ im Sinne Raum-Zeit-Stellen besetzender ,materieller Kçrper‘, sondern ,Ereignisse‘ resp. ,Prozesse‘ angenommen werden.23 Dieser bergang vom Ding-Modell in das Ereignis- resp. Prozess-Modell ist in Bezug auf die Bewusstseins-Problematik sowie das Verhltnis von Organischem und Bewusstem, von Physikalischem und Mentalem, von grçßter Wichtigkeit. Die Problemlagen ndern sich, je nachdem, ob das Ding- oder das Prozess-Modell zugrunde gelegt wird. Im letzteren Falle stehen die Chancen fr eine adualistische (weder dualistische noch reduktionistische) Sicht deutlich besser als in ersterer Perspektive. Bewusste und nicht-bewusste mentale Zustnde und Vorgnge lassen sich nicht nach dem Ding-Modell und seinem Paradigma materieller Kçrper konzipieren. Nietzsches Welt- und Naturbegriff ebenso wie seine Konzeption des Lebendigen kçnnen mit Rekurs auf die hochkomplexen dynamischen Wechselwirkungen vieler ,lebendiger‘ und ,intelligenter‘ Krfte-Organisationen charakterisiert werden. In Nietzsches neuer Auslegung der Wirklichkeit werden diese prozessualen Krfte-Organisationen als Willen-zur-Macht-Krfte qualifiziert. Der genaue Sinn dieser Charakterisierung ist hier nicht im Einzelnen darzulegen.24 Hinzuweisen ist lediglich auf die Schwierigkeit einer jeden Form von Ereignis- resp. Prozess-Philosophie, die darin liegt, dass der dynamische bergang von einem Zustand in einen nchsten weder im Modus und den Elementen des Ausgangszustandes noch in denen des Abschlusszustandes beschrieben und erfasst werden kann. Dies betrifft zugleich die Frage nach dem 23 Vgl. dazu im Einzelnen Abel (1985). 24 Vgl. dazu ausfhrlich Abel (1998).
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Vollzugs- resp. Geschehens-Charakter dessen, was passiert, die Frage also nach dem prozessualen „Werden“, das in Nietzsches Welt- und Naturauffassung von herausragender Bedeutung ist. Die Nietzsche-Welt ist eine Welt von Prozess-Gegenstnden. In dieser Auffassung trifft sie sich mit Vorstellungen der modernen Physik. Unter Berufung auf die Entwicklungen in den Wissenschaften ist in unserem Jahrhundert die Auffassung leitend geworden, dass Dinge/Objekte als Ereignis-Sequenzen konzipierbar sind, dass Ereignisse die letzten ,Bausteine‘ des Universums sind, die ihrerseits nicht mehr den kategorialen Status von Dingen haben.25 Den mikrophysikalischen Strukturen eignet, obwohl noch als Partikel bezeichnet, kaum etwas, was sie mit den makroskopischen Kçrpern, dem Paradigma der Ding-Ontologie, vergleichbar macht. Ein Ding/Objekt im Sinne der modernen Physik wird als eine Serie zeitlich miteinander verknpfter Ereignisse konzipiert, die untereinander art-identisch sind. Die physikalische Identitt von Einzeldingen ber eine Zeitstrecke beruht dann auf der ArtIdentitt der beteiligten Ereignisse. Der bergang vom Ding- in das Ereignis- resp. Prozess-Schema ist auch unter sprachphilosophischem Vorzeichen geboten. Im Bereich der analytisch orientierten Philosophie ist nach Vorarbeit von Hans Reichenbach vor allem durch Donald Davidson gezeigt worden, dass die logische Form eines großen Teils der Stze unserer natrlichen Sprache ohne die Annahme von ,Ereignissen‘ als genuiner Individualien nicht konstruiert werden kann.26 Dies betrifft z. B. die Verhltnisse der Zeitfolge, der Kausalitt, der Erklrung oder der Handlung. Wenn wir Stze wie „Die Party fand zunchst im Haus statt und breitete sich dann in den Garten aus“ verstehen, so ist in solchem Verstndnis stillschweigend vorausgesetzt, dass es Ereignisse resp. Prozesse (im Beispiel: Partys) und nicht nur Dinge, mit bzw. an denen sich etwas abspielt, gibt. Der bergang in das Prozess-Modell hat kritische Konsequenzen nicht nur in Bezug auf Status und Rolle des ,Ding‘-Begriffs, sondern auch hinsichtlich des Sinns der Rede von ,Subjekt‘. Eine nicht unwichtige Frage ist, ob bei Prozessen stets auch Subjekte der Prozesse angenommen und vorausgesetzt werden mssen oder ob auch von subjektlosen Prozessen ausgegangen werden kann, ob, mit einer Formulierung Nietzsches gesprochen, Prozesse selber Dasein haben (vgl. NL 1885 – 1886 2[151], KSA 12, 140). Vor dem Hintergrund des KontinuumModells und angesichts der berlegung, dass Nietzsche zufolge im Bewusstsein 25 Vgl. Abel (1985, insbes. 159 ff.). 26 Vgl. Reichenbach (1947, § 48, 266 – 274, hier vor allem 268). Durch den Existenzoperator, dem die Variable in Handlungs- und Ereignisstzen ihre Gebundenheit verdankt, ist ausgeschaltet, dass durch Stze wie z. B. dem in von Wright (1963, 24) als generische Propositionen aufgefassten „Brutus ksste Caesar“ beliebig viele Ereignisse beschrieben werden kçnnen. An diesen Schachzug Reichenbachs knpft Davidson an. Vgl. Davidson (1967, 117) und Davidson (1969, 164 f.).
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stets nur ein begrenzter Ausschnitt von Wirklichkeit prsent bzw. reprsentiert ist, kommt dieser Frage eine grundlegende Bedeutung zu, auch im Hinblick auf das Verhltnis von Organischem und Bewusstem, von Physikalischem und Mentalem. Wissenschaft, zumal Wissenschaft des Lebendigen, hat in Nietzsches Sicht Prozesswissenschaft, nicht Dingwissenschaft zu sein. Mit dem Auftreten von Bewusstsein tritt zugleich auch das Ich bzw. das Subjekt des Bewusstseins auf den Plan. Dies ist ein interner Effekt des Umstands, dass ich es bin, der sich in dem jeweiligen Bewusstseins-Zustand befindet, und dass ich es in der Ersten-Person-Perspektive bin, dem die Bewusstseins-Inhalte verfgbar sind. Sobald ,etwas ins Bewusstsein tritt‘ bzw. Bewusstsein ,Bewusstsein-von-etwas‘ ist – und Bewusstsein ist stets Bewusstseinvon-etwas, mithin durch Intentionalitt gekennzeichnet – ist damit zugleich das Ich bzw. das Subjekt des Bewusstseins gesetzt. Dieses Ich manifestiert sich etwa in Form des Aspekts, dass ich mir den Inhalt des Bewusstseins auch anders vorstellen, anders sortieren und anders gewichten kçnnte. Auch die Psychologie hat mithin, als Wissenschaft, Prozesswissenschaft zu sein. Im Rekurs auf das Ereignis/Prozess-Modell und unter Einschluss der Figur subjektloser Ereignisse lassen sich jedoch zugleich die Annahmen verstndlich machen, (a) dass das innerhalb des Bewusstseins auftretende Ich bzw. Subjekt bereits von einem Geflecht subjektloser Prozesse abhngig ist, und (b) dass Zustand und Phnomen des Bewusstseins bereits auf nicht-bewussten mentalen Zustnden und darber hinaus auf nicht-bewussten Prozessen und Ereignissen genealogisch aufruhen. In dieser Perspektive kçnnte es gelingen zu verdeutlichen, dass beide Gesichtspunkte, sowohl das Ich bzw. Subjekt des Bewusstseins (im Sinne der Mir- bzw. Einer-bestimmten-Person-Zugehçrigkeit) als auch die Figur subjektloser Prozesse, miteinander vereinbar sind. Dies markiert einen aufschlussreichen Aspekt in Bezug auf die Position Nietzsches. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie die beiden Gesichtspunkte verstanden werden. Dies sei nher verdeutlicht. Wichtig ist zunchst, dass das Ich bzw. Subjekt des Bewusstseins erst im Zuge des Auftretens von Bewusstsein ins Spiel kommt. Nicht jedoch wird es als ein bereits vor-bewusstes, als ein bestimmtes, festes, stabiles und vorab existierendes Ich bzw. Subjekt angesehen, das dann in einem sekundren Sinne unter anderen Eigenschaften auch diejenige besitzt, Bewusstsein zu haben und dieses zu leiten. In einer solchen Sicht wren Bedingendes und Bedingtes verkehrt. Man wre dem verfhrerischen Schluss erlegen, ein dem Sich-bewusst-werden zugrunde liegendes Etwas voraussetzen zu mssen, das dann Bewusstsein hat und das Trger des Bewusstseins, des Denkens und der Gedanken ist. In diesem Zusammenhang ist an die kritische Position Kants zu erinnern, der in seiner Paralogismenlehre betonte, dass das Ich des „Ich denke“ keine objektivierbare substantia cogitans, nicht ein bestimmtes Etwas sei, und darin bereits der gleichen Auffassung wie Nietzsche ist. Kant fasste das Ich als Prinzip derjenigen
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Bewegung, in der es zur Bestimmung von Objekten innerhalb der Grenzen der Erfahrung kommt. Nietzsche hat das im engeren Sinne wichtige Verhltnis von ,Ich‘ und ,Denken‘ in der berhmten Kantischen Formulierung des „Ich denke“ einer Kritik unterzogen. Sie mndet in die Betonung des Prozess- resp. EreignisCharakters dieser Vorgnge. Nietzsches Kritik erfolgt, indem er den Vorgang, der in der Formel „Ich denke“ zum Ausdruck gebracht werden soll, in die darin inkludierten „verwegenen Behauptungen“ zerlegt, deren Begrndung seiner Auffassung nach „schwer, vielleicht unmçglich“ ist. Als solche Behauptungen werden angefhrt: „dass i c h es bin, der denkt, dass berhaupt ein Etwas es sein muss, das denkt, dass Denken eine Thtigkeit und Wirkung seitens eines Wesens ist, welches als Ursache gedacht wird, dass es ein „Ich“ giebt, endlich, dass es bereits fest steht, was mit Denken zu bezeichnen ist, – dass ich weiss, was Denken ist“ (JGB 16). Es ist Nietzsche zufolge eine „Flschung des Thatbestandes“ zu sagen: „das Subjekt „ich“ ist die Bedingung des Prdikats „denke“.“ (JGB 17; vgl. JGB 54). Man schließe hier „nach der grammatischen Gewohnheit“. Von hier aus kann man zu der (fr eine umfngliche Wissenschaft und Philosophie des Lebendigen wichtigen) Frage weitergehen, ob nicht das „Ich denke“ durch ein „es denkt“ zu ersetzen ist. Dieser Vorschlag geht bekanntlich auf Georg Christoph Lichtenberg zurck, der als Autor fr Nietzsches Auffassung von den Mçglichkeiten und Grenzen der Sprache von großer Bedeutung war.27 Nietzsche hlt es zunchst fr wichtig, dieses „es“ nicht mehr einfach mit dem alten „ich“ gleichzusetzen. Sodann aber betont er, dass „schon mit diesem „es denkt“ zu viel gethan“ ist: „schon dies „es“ enthlt„ – und auf diese Weise kommt neben dem Prozess-Charakter auch der Interpretations-Charakter des Vorgangs in den Blick – “eine A u s l e g u n g des Vorgangs und gehçrt nicht zum Vorgange selbst.“ (JGB 17). In dieser Perspektive kann man sagen, dass der Rekurs auf den Prozess-Charakter auch das mit dem indexikalischen Wort ,Ich‘ bezeichnete bewusste und selbst-bewusste Subjekt unterluft bzw. diesem stets bereits vorausliegt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Vorstellung der Einheit von Mentalem und Physikalischem jetzt in gnstigerem Licht. Der Verdacht einer Kategorien-kontamination, der so lange nicht zu beheben ist, wie allein Ding-Individualien den Bezugsrahmen abgeben, scheint durch den bergang in das Ereignis- Schema gebannt, und eine adualistische Theorie ist nicht mehr an das Prokrustesbett des Bewusstseins-Subjekts gefesselt. Erst ein Prozess-EreignisIndividualien ansetzender Bezugsrahmen erçffnet diese Mçglichkeit. Auf diese Weise wird der Weg fr die Mçglichkeit freigegeben, bewusste und nicht-bewusste mentale Zustnde und Ereignisse/Prozesse in ihrer adualistischen Zu27 Vgl. dazu Stingelin (1996).
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sammengehçrigkeit mit organischen und leiblichen Ereignissen/Prozessen zu sehen.28 Vorausgesetzt ist, dass die adualistische Theorie nicht auf streng gesetzesartige, nomologische Determination, Ableit- und Prognostizierbarkeit im Sinne von strikt allquantifizierten Wenn-Dann-Aussagen fixiert ist, und dass Ereignisse/Prozesse als die ,Bausteine‘ bzw. Basisargumente auch in Bezug auf das Organische, des nheren der Neurophysiologie des Gehirns akzeptiert und durchgefhrt werden. 4. Funktionale Organisation Von grundlegender Bedeutung fr Nietzsches Wissenschaft des Lebendigen im Sinne des Verstndnisses des Organischen ebenso wie des Bewussten ist der bergang vom Modell des Organismus zu dem der funktionalen Organisation. Darin mçchte ich eine der Pointen von Nietzsches Wissenschaft und Philosophie des Lebendigen sehen. Der Organismus bzw. das Organische wird bei Nietzsche als eine Organisationsstruktur konzipiert, in der sich Bewusstheit, das Sich-bewusst-werden und alle weiteren mentalen Zustnde und Prozesse bis hin zum bewussten Denken (einschließlich der fr das Bewusstsein und sein Ich so wichtigen Aspekte der Einheit, der Dauer und der Stabilitt) als emergente Eigenschaften und Folgen des vielfltigen und hochkomplexen Zusammenwirkens der vielen die Organisation ausmachenden und deren Funktionalitt garantierenden Bestandteile des Gesamtsystems ergeben.29 Es ist das Gesamtgeflecht einer Organisation, das Zusammenspiel aller seiner Bestandteile, das (in einem Kontinuum- und Emergenz-Modell gedacht) die implizite ,lebendige und intelligente Geistigkeit‘ schon des Organischen schließlich als explizites Bewusstsein ebenso wie das sich darin selbst bewusst werdende Denken und das Ich des Bewusstseins hervortreten und agieren lsst. Wichtig ist dabei zunchst, dass es bei Nietzsche (anders als in der platonistischen und auch noch in der aristotelischen Betrachtungsweise) nicht mehr um das Verhltnis von Allgemeinem und Besonderem bzw. Einzelnem geht. Vielmehr wird dieses Verhltnis durch das von Teil und Ganzem ersetzt. So kann man sagen, dass es das Zusammenspiel der vielen Teile, und Nietzsche zufolge des nheren der vielen Teil-Krfteorganisationen ist, als dessen emergenter Effekt sich zunchst eine Stufe des Gewahrwerdens bzw. der Bewusstheit 28 Eine attraktive Version adualistischer Theorie stellt Donald Davidsons Konzept des „anomalen“ oder „gesetzlosen Monismus“ dar, dem zufolge alle Ereignisse physikalische Ereignisse, nicht aber alle Ereignisse mentale Ereignisse sind, und mentale Ereignisse sich einer rein physikalistischen Erklrung und Prognostizierbarkeit entziehen, weshalb es keine strikten psycho-physischen Gesetze geben kçnne. Vgl. Davidson (1970, 214 f.). 29 Vgl. dazu im Einzelnen Abel (1998, 110 – 129). Zu Nietzsches Auffassung des Organismus vgl. Mller-Lauter (1978).
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und sodann auch explizites Bewusstsein, Sich-bewusst-werden und bewusstes Denken einstellen. Eine solche Sicht zeigt eine gewisse Nhe zu der heute in den Neurowissenschaften, speziell in der Hirnforschung vertretenen und allgemein akzeptierten Auffassung, dass Bewusstsein und andere mentale Zustnde und Prozesse wie Wahrnehmen, Vorstellen, Denken, Lernen, Erinnern und Handlungsentwrfe nicht an einem lokalisierbaren Ort oder gar, wie bei Descartes, von einem spezifischen Organ, der berhmten Zirbeldrse, ausgefhrt werden (die Descartes zufolge im mittleren Gehirnventrikel schwebt und die sie umgebenden Geister steuert). In der heutigen Hirnforschung werden bewusste ebenso wie nicht-bewusste mentale Zustnde vielmehr als Ergebnisse der hochkomplexen Organisation und Dynamik von Gesamtkomplexen, des nheren von neuronalen Konfigurationen und „assemblies“ konzipiert.30 Diese Auffassung auch Nietzsches ist verbindungsfhig mit dem Modell der „mehrfachen Entwrfe (multiple drafts)“, das innerhalb der Wissenschaft des Bewusstseins von Daniel C. Dennett entwickelt worden ist (vgl. Dennett 1991, Kap. 5). Dennett sieht darin ein Alternativmodell zur Cartesianischen Konzeption des Bewusstseins, zu dem, was er den Mythos des „Cartesianischen Theaters“ nennt. Descartes vertrat, wie erwhnt, eine zentralistische Auffassung hinsichtlich der Frage, wo der Sitz des Bewusstseins und bewusster Erfahrung im Gehirn sei. Die Zirbeldrse stellte fr ihn das Zentrum im Gehirn dar, gleichsam die innere Station, bei der alle Sinnesreize eingehen, um von dort dann in einer spezifischen Transaktion ,ins Bewusstsein‘ des Individuums transformiert zu werden oder nicht. Wichtig ist an diesem Bild fr den hier erçrterten Zusammenhang vor allem die Auffassung, dass das Gehirn ein Zentrum hat und dass genau dieses Zentrum der kausale Ausgangspunkt fr das Auftreten von Bewusstseinsinhalten sowie bewusster Erfahrungen ist. Dieses Cartesianische Bild eines speziellen, fr das Bewusstsein und seine Inhalte kausal verantwortlichen Zentrums im Gehirn hat das Nachdenken ber das Bewusstsein in der Neuzeit stark beeinflusst und auch gefangen gehalten. Dennett zitiert zustimmend William James, der 1890 schrieb: „There is no cell or group of cells in the brain of such anatomical or functional preeminence as to appear to be the keystone or center of gravity of the whole system“ (Dennett 1991, 101). Unter dem „multiple drafts“-Modell ist demgegenber die Auffassung zu verstehen, dass „all varieties of perception – indeed, all varieties of thought or mental activity – are accomplished in the brain by parallel, multitrack processes of interpretation and elaboration of sensory inputs.“ Dabei sind, so Dennett, die in das Nervensystem eintretenden Informationen „under continuous ,editorial revision‘.“ (Dennett 1991, 111). Im einzelnen handelt es sich 30 Vgl. z. B. die von Wolf Singer herausgegebenen und eingeleiteten Sammelbnde Singer (1992) und Singer (1994) sowie Singer (1998).
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um hochkomplexe Prozesse, von deren Verstndnis wir in den Neurowissenschaften heute, trotz der enormen Fortschritte in jngster Zeit, noch weit entfernt sind. Wichtig fr den hier erçrterten Zusammenhang ist jedoch vor allem, dass die Vorstellung einer Zentralperspektive bzw. eines inneren Beobachtungs- und Verarbeitungszentrums in Bezug auf das, was dann als Inhalt ins Bewusstsein tritt oder nicht, grundstzlich verabschiedet worden ist.31 Hinzu tritt im „multiple-drafts“-Modell die Auffassung, dass das, was man den ,Strom des Bewusstseins‘ nennt, nicht als eine einzige und vereinheitlichte bzw. einheitliche Sequenz, sondern als ein Prozess von „mehrfachen Entwrfen (multiple drafts)“ angesehen werden kann, in deren Verlauf, wie Dennett betont, Inhalte auftreten, revidiert werden, ihren Einfluss auf andere Inhalte strken oder verlieren, von lngerer oder krzerer Wirkdauer sind, Spuren im Gedchtnis hinterlassen oder auch nicht (vgl. Dennett 1991, 134 ff.). Auch diese Sicht weist eine Nhe zu Nietzsches diesbezglichen Auffassungen auf. Doch das ist hier nicht im Einzelnen zu erçrtern. Wichtig ist vor allem, dass es in der Hauptsache auf die funktionalen Prozesse des hochkomplexen Zusammenwirkens der involvierten Teilsysteme ankommt. Dieser Aspekt ist vornehmlich aus Nietzsches Sicht zu betonen. In Bezug auf das Organische ist wichtig, dass das funktionale Profil des Gesamtgeflechts der Aktivitten abhngig vom vielfltigen Zusammenwirken der Teile gedacht wird. Dies schließt in Nietzsches Bild vom Funktionieren der Krfte-Organisationen auch die berlegung ein, dass die jeweils dominanten bzw. ,regierenden‘ Krfte, d. h. die vorherrschend organisierenden Krfte, zugleich auch von den funktionalen Teilkrften und in diesem Sinne auch von den ,Regierten‘ und deren Konstellationen abhngig sind. Prozessuale Organisation ist Nietzsche zufolge Grundvorgang alles Wirklichen und Lebendigen. ,Leben‘ ist fr ihn zu definieren als „eine dauernde Form von Pr o z e ß der K r a f t f e s t s t e l l u n g e n , wo die verschiedenen Kmpfenden ihrerseits ungleich wachsen“ (NL 1885 36[22], KSA 11, 560). Es sind genau diese dynamischen Prozesse der Organisation, die in der Binnenstruktur aller organisierten Wesen, mithin vornehmlich auch im 31 Von der Cartesianischen Vorstellung eines Zentralpunktes im Gehirn ist das zu unterscheiden, was heute in der Hirnforschung als „representational metalevel“ bezeichnet wird. Darunter wird die These verstanden, dass „brains that have consciousness possess a representational metalevel at which internal states are explicitly represented; they have what one might call an ›inner eye‹ function. They can compare protocols of their own performance with incoming signals and derive from the outcome of these ›internal deliberations‹ decisions for future acts.“ (Singer 1998, 1829). Diese interne Metafunktion ermçglicht, so Wolf Singer, mit grçßerer Flexibilitt auf sich ndernde Bedingungen und Situationen antworten zu kçnnen. Darin liegt ein Unterschied zwischen Gehirnen mit Bewusstsein und solchen ohne Bewusstsein. Aus der Perspektive der Evolutionstheorie wrde man sagen, dass darin einer der evolutionren Vorteile von Wesen mit Bewusstsein gegenber solchen ohne Bewusstsein liegt.
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Bereich des Organischen, fortwhrend stattfinden. Dabei drfen die Teile der Organisations-Gebilde nicht als atomistische Elemente vorgestellt werden. Vielmehr geht es, wie betont, um den Ereignischarakter der jeweiligen Zustnde und Prozesse, um wirk-relationale Geschehensvollzge. Diese kçnnen weder von einem Konzept gegeneinander isolierbarer fester Einzelelemente noch im alleinigen Rekurs auf das Ursache-Wirkung-Schema, der in den Naturwissenschaften blichen Form der Beschreibung, zufriedenstellend erfasst werden. Die zentrale Stellung des Aspekts der funktionalen Organisation bei Nietzsche legt es nahe, seine Auffassung als eine Version des Funktionalismus zu charakterisieren. Innerhalb der heutigen Philosophie des Geistes wird unter Funktionalismus die These verstanden, dass mentale Zustnde und Prozesse die funktionale Organisation eines Systems betreffen und in funktionaler Terminologie beschrieben und erklrt werden kçnnen. Dies betrifft vor allem die Frage der funktionalen Rolle, die ein bewusster oder ein nicht-bewusster mentaler Zustand und Prozess innerhalb eines Organisations-Gefges (z. B. im Bereich des Organischen oder des Bewussten oder in anderen mentalen Systemen) ausbt und spielt. Eine wichtige Frage in Bezug auf den Funktionalismus bei Nietzsche ebenso wie in den gegenwrtigen Wissenschaften des Lebendigen und des Geistes ist, ob die funktionalen Rollen teleologisch zu verstehen sind oder nicht. Fr Nietzsche ist dies ein grundlegendes Thema.32 In einer teleologischen Deutung schließt die Frage nach der funktionalen Rolle eines Zustandes die These ein, dass diese Rolle nicht einfach bloß ausgebt wird, sondern in einem normativen Sinne ausgebt werden soll. In den gegenwrtigen Debatten werden diesbezglich vor allem zwei Positionen vertreten. Manche meinen, so R. Van Gulicks Kennzeichnung, das teleologisch-normative Element betreffe den „Ursprung der Struktur und die Rolle“, die dieses Element „im Selektions- oder Gestaltungsprozess spielte“; andere Autoren sind der Auffassung, dass es in dem, was ein Teilsystem innerhalb der Gesamtorganisation tut, um die Art und Weise gehe, wie dieses „zum Wohlbefinden oder zur rechten Arbeitsweise des Systems, von dem es ein Teil ist, beitrgt.“ (Van Gulick 1995, 86 f.). Nietzsches Position in dieser Frage ist deutlich der zweiten Gruppe zuzuordnen. Auf der Ebene der Frage nach der Selbstregulation und der Funktionalitt der Krfte-Organisationen stellt sich auch fr Nietzsche das Problem der Zwecke und der Zweckmßigkeit. In den Prozessen der Krfte-Organisation geht es ihm zufolge um Vorgnge der Optimierungen der Krfteverhltnisse, und zwar sowohl auf der Makroebene der Gesamtorganisation als auch auf der Mikroebene der daran beteiligten Teilsysteme bzw. Teilkrfte. Dem Bewusstsein erscheint das vielfltige Zusammenspiel der Krfte-Organisation im nachhinein als ,zweckmßig‘. Aber dies meint bei Nietzsche keine Teleologie in der Sache 32 Vgl. dazu und zum Folgenden Abel (1998, vor allem 122 ff.).
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bzw. in den Prozessen, sondern lediglich etwas nachtrglich und gleichsam epiphnomenal Zweckmßig-Scheinendes. 33 Entscheidend ist, dass Zweck und Zweck zweierlei ist, je nachdem, ob er im Sinne einer starken Teleologie exogenen Bewirkens oder im Sinne der endogenen, sich aus den tatschlichen Krfteverhltnissen ergebenden Funktionalitt und Regularitt aufgefasst wird. Erst retrospektiv, erst von einem nachtrglich betrachtenden Auge werden diese Zusammenhnge dann als ZweckmßigkeitsGefge gedeutet. Eine solche Deutung jedoch geht an dem Vollzugscharakter der Prozesse selbst vorbei. Zweck und Zweckmßigkeit sind nach Nietzsche bereits Folgeerscheinungen, die vom Bewusstsein retrospektiv und flschlicherweise als bewegende, treibende Momente hinter das Geschehen selbst platziert, gleichsam dahintergedichtet werden. Zweckmßigkeit wird als eine sich epiphnomenal einstellende Konsequenz, nicht als Motiv angesehen. Dies gilt nicht nur fr die Entstehung von Zweckmßigkeits-Relationen, sondern auch fr deren ausgebildeten funktionalen Zustand. Selbst in Bezug auf scheinbar vollendete Zweckmßigkeits-Organisationen drfen Nietzsche zufolge Zweck und Zweckmßigkeit nicht mit den bewegenden Krften selbst verwechselt werden. Organisation und Dynamik der komplexen Krfte-Prozesse selbst vollziehen sich Nietzsche zufolge auf ateleologische Weise. Da es sich jedoch um Organisationen und damit um funktionale Ordnungen handelt, bleibt der Anschein von Zweckmßigkeit gar nicht aus. Doch wie sollte ein in seiner Realisation noch ausstehender Zweck ,hinter‘ das Geschehen als dessen bewegende Kraft gelangen? In dieser Frage liegt die logische Kernschwierigkeit jeder teleologischen Erklrung. In Nietzsches Sicht ist die scheinbare Zweckmßigkeit „nur ein A u s d r u c k fr eine Ordnung von Machtsphren und deren Zusammenspiel“ (NL 1887 9[91], KSA 12, 386). Diese Sicht der Dinge ist (a) auch in den heutigen Wissenschaften des Lebendigen relevant und (b) nicht nur fr Nietzsches „neue Auslegung der Wirklichkeit“ kennzeichnend, sondern zugleich auch einer jener Prfsteine (von denen ich eingangs dieses Kapitels sprach), an denen sich gegenwrtige Positionen und Theoreme der Philosophie des Geistes mssen messen lassen kçnnen.
33 Vgl. dazu und zum Folgenden Abel (1998, 120 – 125). Vgl. NL 1884 25[437], KSA 11, 128 und NL 1884 25[427], KSA 11, 12 f.
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Aktualitt V: Wissenschaft und Kunst Einer auch heute noch weit verbreiteten Auffassung zufolge ist das Verhltnis von Wissenschaft und Kunst am Leitfaden des Gegensatzes beider zu bestimmen.34 Und allzu leicht gelangt man dann dahin, nicht nur einen methodischen Unterschied, sondern sogar eine logische Kluft zwischen Wissenschaft und Kunst zu behaupten. Doch das Klischee einer solchen Dichotomie lsst sich nicht wirklich explizieren. Darber hinaus und grundstzlich ist es deshalb unmçglich, hier eine logische Lcke und ein Gegensatzverhltnis zu konstruieren, weil beide, Wissenschaften und Knste, als menschliche Ttigkeiten Spezifikationen des ursprnglich-einheitlichen Welt- und Selbst-Verstndnisses des Menschen sind. Bei allen Unterschieden zwischen Wissenschaft und Kunst (z. B. in der Wahl der methodischen Mittel oder in der Darstellungsform) ist auch von Nietzsches Denken her zu betonen, dass Wissenschaften und Knste letztlich auf ein und demselben Boden stehen. Dieser Boden ist bei Nietzsche wesentlich durch das bestimmt, was Nietzsche in seiner Perspektivismus- und Interpretationsphilosophie ausgefhrt hat. Die Frage nach dem Verhltnis von Wissenschaft und Kunst kann daher auf der Basis des Perspektive- sowie vor allem des Zeichen- und Interpretationsgedankens entfaltet werden.35 Wissenschaft und Kunst kçnnen als unterschiedliche Weisen des Interpretierens, als Versionen der Welt- und Selbst-Interpretation konzipiert werden. In Bezug auf Nietzsches Philosophie waren diese Zusammenhnge lange Zeit nicht zuletzt deshalb verdeckt, weil die wissenschafts-kritische Komponente ganz im Vordergrund der Nietzsche-Auslegung stand. Nietzsches Verhltnis zur Wissenschaft ist jedoch – wie im vorliegenden Beitrag durchgngig zu sehen war – ungleich differenzierter und kann nicht einfach auf Wissenschaftskritik, gar Ablehnung, reduziert werden. So soll im abschließenden Punkt V des vorliegenden Beitrags das Verhltnis von Wissenschaft und Kunst bei Nietzsche in drei Schritten erçrtert werden: (1) Wissenschaft als Zeichen- und Interpretations-Kunst; (2) Kunst als kognitive Ttigkeit; und (3) Kunst und Leben. 1. Wissenschaft als Zeichen- und Interpretations-Kunst Der innere Zusammenhang von Wissenschaft und Kunst tritt auch zutage, sobald die Einsicht, dass jeder gehaltvolle Begriff unter der Bedingung der Anschauung und der Sinnlichkeit (und in diesem Sinne: der sthetik) steht, dazu 34 Bei den im folgenden Punkt V vorgetragenen berlegungen greife ich auch auf Material zurck aus Abel (1986, 13 ff.). 35 Zu der zentralen Stellung der Zeichen- und Interpretationsproblematik im Denken Nietzsches vgl. Abel (1998, 133 – 184).
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fhrt, die Anschauung zur Grundlage auch der Naturbetrachtung zu machen. Diese Perspektive ist vor allem von Goethe entwickelt worden, der so zu seiner Auffassung gelangte, dass die Gesetze in der Kunst und in der Wissenschaft letztlich die gleichen sind und eine Einheit bilden. Anschauung, Morphologie und Metamorphose-Gedanke sind Interpretamente, die die Einheit von Wissenschaft und Kunst verdeutlichen und damit auch der Naturbetrachtung eine zutiefst sthetische Dimension zusprechen. Oder umgekehrt: letztlich besteht kein Gegensatz zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Kunst und Erkenntnis. Das Problem der Einheit der Natur, das Kant und den Transzendentalismus bedrngte, kann in Goethes Auffassung gar nicht mehr auftreten. Denn Goethe bençtigt, aufgrund der ganzen Architektonik und der Grundfiguren seiner Weltbetrachtung, zur Herstellung der Einheit der Natur kein fiktives Als-ob, keinen sthetischen Schein. Ist die Anschauung Basis auch der Naturbetrachtung, dann wird konsequenterweise nicht der Kantischen reflektierenden Urteilskraft, sondern der Goetheschen anschauenden Urteilskraft (vgl. Goethe 1820) der Vorzug gegeben. Intern ist mit dem Moment der Anschauung auch das des Holismus verknpft. Wissenschaft muss Kunst sein, „wenn wir von ihr irgendeine Art von Ganzheit erwarten“. Und dies ist eben, wie Goethe in der Farbenlehre betont, deshalb der Fall, weil „im Wissen sowohl als in der Reflexion kein Ganzes zusammengebracht werden kann“ (Goethe 1810, 41). In all den genannten Hinsichten ist eine Nhe zwischen Goethe und Nietzsche unverkennbar, und es ist bekannt, dass Nietzsche Goethe außerordentlich hochschtzte. Die Momente der Anschaulichkeit, der Sinnlichkeit, der Ganzheit, der Teil-Ganzes-Relation, der Metamorphose (letztere aufgefasst als Um-Gestaltung im Sinne von Um-Interpretation) und der Morphologie sind auch in Nietzsches Wirklichkeitsauffassung von zentraler Bedeutung. Was den morphologischen Ansatz betrifft, so steht dieser in Nietzsches Sicht nicht in einer Opposition zum physiologischen. Beispielsweise fasst Nietzsche die gesamte Psychologie, die sich mit der Welt der Triebe und Affekte (die letztlich auf die Willen-zur-Macht-Prozesse zurckzufhren sind) beschftigt, als „Morphologie und E n t w i c k l u n g s l e h r e d e s W i l l e n s z u r M a c h t “ (JGB 23). Der Tatsache, dass der knstlerischen Ttigkeit, dem Knstlerischen und sthetischen, nicht nur eine emotive, sondern eine intern kognitive, eine welt-, sinn-, gestalt- und form-organisierende Kraft zukommt, entspricht umgekehrt, dass wissenschaftliche Erkenntnis eine ganze Reihe knstlerischer Momente voraussetzt. Dies ist vor allem dort der Fall, wo neue Entdeckungen gemacht werden, die stets ein hohes Maß an Phantasie, Einbildungskraft, Einfallsreichtum und spielerischer Flexibilitt voraussetzen.36 Ebenso wie Wissenschaftler die kognitiven und erkenntnismßigen Komponenten der Knste oftmals unter36 Zur Entdeckung von Neuem und zu Grundzgen einer Philosophie der Kreativitt vgl. Abel (2006).
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schtzen oder im Zuge ihrer Vorurteile erst gar nicht bemerken, unterschtzen umgekehrt die Knstler oftmals, wie Nietzsche betont, „was fr Phantasie jede grçßere Erkenntniß zur Voraussetzung hat“ (NL 1880 4[213], KSA 9, 153). Goethe bildet auch hier fr Nietzsche eine rhmliche Ausnahme. „Goethe wußte es, was zum wissenschaftlichen Menschen gehçrt: er ist ein Ideal, in dem alle menschlichen Tchtigkeiten sich vereinigen wie alle Strçme im Meer“ (NL 1880 4[213], KSA 9, 153). Und in der Tat hat Goethe immer wieder auf die zentrale Rolle der Einbildungskraft vornehmlich auch fr den großen Naturforscher hingewiesen (vgl. z. B. Goethe 1896, 192 f.). Die Einbildungskraft ist ein beurteilendes, regel-gebendes und regel-befolgendes produktives Vermçgen, das in Wissenschaft und Kunst gleichermaßen vorauszusetzen und unentbehrlich ist. Dass Nietzsche hier unter Berufung auf Goethe zu einer Verteidigung des wissenschaftlichen Menschen gegen die Vorurteile der Knstler gelangt, steht nicht im Widerspruch zu anderen ußerungen, in denen das Auftreten des wissenschaftlichen Menschen verglichen mit dem Knstler als ein „Zeichen einer gewissen Eindmmung und Niveau-Erniedrigung des Lebens“ (NL 1888 14[84], KSA 13, 263) bezeichnet wird. Zwei Unterschiede sind zu beachten und der Gegensatz lçst sich auf. Zunchst (a) ist der Unterschied zwischen dem Ideal des wissenschaftlichen Menschen und dem, wie Nietzsche sich ausdrckt, bloßen Geistesarbeiter zu beachten. Nietzsche fragt die Knstler, warum sie den wissenschaftlichen Menschen „nach den Arbeitern des Geistes“ beurteilen. „Wir beurtheilen euch ja auch nicht nach euren Farbenreibern und Statisten“ (NL 1880 4[213], KSA 9, 153). Sodann (b) ist ein Unterschied in der Ebene der Betrachtung zu betonen zwischen den beiden Begriffspaaren ,Wissenschaft und Kunst‘ und ,Logik und sthetik‘. Auf der erstgenannten Ebene sind beide, Wissenschaft und Kunst im Sinne menschlicher Ttigkeiten, gleichrangig. Auf der zweiten und tiefer liegenden Ebene dagegen kommt Wissenschaft im engeren Sinne noch gar nicht vor, da es auf ihr eo ipso nicht bzw. noch nicht um Theorien, Beweise und prmissenfolgernde Schlsse, sondern um diejenigen Grundkategorialisierungen geht, die berhaupt erst um- bzw. ausgrenzen, was als seiend bzw. nicht-seiend und was dann berhaupt als wahr bzw. falsch gelten kann. Mithin sollte man von dieser Ebene aus auch keine Polemik gegen die Wissenschaft fhren. Polemik und Kritik wren erst dann angebracht, wenn Wissenschaft sich, irrtmlicherweise, als Substitut des Logischen und sthetischen missverstnde und dann, irrtmlicherweise, fr ihren Szientismus kategorialen Status beansprucht. Whrend man also gemeinhin gewçhnt ist, das Verhltnis von Wissenschaft und Kunst von ihrem Gegensatz her zu bestimmen (– Kunst wird dann geradezu dadurch definiert, dass sie keine Wissenschaft ist, und umgekehrt –), hat sich das Bild jetzt grndlich gendert. Wir stehen gleichsam am anderen Ende der Betrachtung und kçnnen geradezu sagen: Wissenschaft ist auch nur eine
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Kunst. Diese zunchst berraschende These Nietzsches lsst sich, unter Heranziehung einiger Auffassungen Nelson Goodmans, unter vier Gesichtspunkten przisieren. Zunchst (a) ist zu beachten, dass die Vorgehensweisen, Dekomposition und Aufbau bzw. die Organisation des Materials, in beiden Ttigkeiten durchaus hnlich sind. Dies gilt unabhngig davon, dass das Resultat der Wissenschaft, im Unterschied zur Kunst, „a literal, verbal or mathematical, denotational theory“ ist (Goodman 1978, 107). In beiden Bereichen, in Wissenschaften und Knsten, sind Prozeduren z. B. des Zerlegens, der Neu-Ordnung, der Vereinfachung, der Subsumption, der Ausgrenzung, der Komplettierung, der Hervorhebung, der Bevorzugung, des Wiedererkennens, mithin des Re-identifierens, zentral. Sodann (b) ist zu bedenken, dass die Wissenschaft in ihrem Sprach- und Zeichengebrauch keineswegs immer buchstblich verfhrt und sich eben dadurch von der Kunst unterscheidet, der als Mittel auch fiktive, nicht-sprachliche und metaphorische Modi der Bezugnahme zur Verfgung stehen. Goodman erinnert an den Gebrauch der Metapher auch in den Wissenschaften, z. B. bei einem so grundlegenden Vorgang wie dem des Messens, „when a numerical scheme is applied in a new realm“ (Goodman 1978, 107) oder z. B. in der Rede von ,Schwarzen Lçchern‘, ,Urknall‘ oder ,Teilchen mit Charme‘. Schließlich (c) wird von hier aus auch deutlich, dass keine logische Kluft zwischen Wissenschaft und Kunst am Leitfaden der Alternative ,faktisch‘ versus ,fiktional‘ errichtet werden kann. Nur auf den ersten Blick und nur fr ein naives Verstndnis scheint es so, als ob allein die Wissenschaft in einem Wirklichkeitsbezug stehe, whrend die Kunst auf die Hervorbringung fiktiver Welten, auf die Produktion von Scheinwelten hinauslaufe, und als ob Wissenschaft, im Unterschied zur Kunst, den Rahmen ihrer abgesicherten Beweisbasis nicht berschreite. Aber man beachte zum Beispiel die beiden folgenden Aspekte: Zum einen sind es vornehmlich die beiden strengsten, reinsten und wissenschaftlichsten aller Vernunftdisziplinen, die Mathematik und die formale Logik, die fortwhrend fiktive Welten produzieren (vgl. NL 1885 34 [249], KSA 11, 505). Zum anderen akzeptiert die Wissenschaft durchaus eine Theorie, die „vastly outreaches its evidential basis if that theory promises to exhibit an underlying order, a system of deep and simple systematic connections among what had previously been a mass of disparate and multifarious facts“ (Hempel 1966, 132, hier zitiert nach Goodman 1968, 225). Und endlich (d) zeigt sich nicht zuletzt auch am Gesetzesbegriff, dass Wissenschaft als eine Kunst, und zwar eine spezifische „Interpretationskunst“ (JGB 22) angesehen werden kann. Dies wird etwa deutlich, wenn Nietzsche, der alte Philologe, im Zusammenhang der von den Physikern so betonten „Gesetzmssigkeit der Natur“ auf „schlechte Interpretations-Knste“ hinweisen kann. Die Gesetze der Natur, die wissenschaftlichen Gesetze, bestehen nur dank
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einer bestimmten „Ausdeutung“. Sie sind Nietzsche zufolge „kein Thatbestand, kein „Text“ (JGB 22), sondern Interpretationen, die als Verallgemeinerungen ber einer in der Regel drftigen und ungenauen Summe von Beobachtungen formuliert worden sind. Gemessen an der tatschlichen Komplexitt und Individualitt der einzelnen Geschehensprozesse (z. B. eines Organismus oder im Universum) stellen die wissenschaftlichen Gesetze (z. B. der Biologie oder der Astronomie) abstrahierende Simplifizierungen dar. Diese Auffassung Nietzsches trifft sich mit der Einschtzung Nelson Goodmans. Treten bei genauer Beobachtung zu viele und widerspenstige Informationen und zu pedantische Daten auf, dann sind wir geneigt, die „nearest amenable and illuminating lie“ zu whlen. Die meisten wissenschaftlichen Gesetze sind von solcher Art: „not assiduous reports of detailed data but sweeping Procrustean simplifications“ (Goodman 1978, 121). Goodman nennt als Beispiel v = p . t, Nietzsche nennt als Beispiel die chemische Verbindung des Wassermolekls: Wasser = H2O. Das Gleichheitszeichen (das „=“) ist, mit Nietzsches Formulierung, „vollends unmçglich genau zu machen“ (NL 1881 11[149], KSA 9, 499). Doch wohlgemerkt: solche berlegungen sind nicht als Kritik an der Wissenschaft berhaupt zu lesen, und sie machen natrlich die wissenschaftlichen Gesetze nicht ,falsch‘. Aber sie stellen eine Kritik an dem metaphysischen Anspruch der Wissenschaft dar, ,alles Wesentliche‘ und ,Die Eine Letzte Wahrheit‘ ber die tatschlichen Vorgnge der Wirklichkeit formulieren zu kçnnen. Die Sprachen der Wissenschaften bzw. die wissenschaftlichen Sprachen wollen die Bedeutung und den Sinn von Aussagen fest-stellen, d. h. nach ,wahr‘ oder ,falsch‘ eindeutig, mithin unter Eliminierung von Unbestimmtheit und Vagheit der Bedeutung, fest-schreiben. Darin steckt zunchst ein Unterschied zur natrlichen Sprache, fr die etwa Unbestimmtheit, die nicht-exakte Umgrenzung der Bedeutung, Vagheit, Unvollstndigkeit, Ungesttigtheit und das Erfordernis nach spezifizierender Bestimmung und Przisierung durchaus charakteristisch sind. Diese Merkmale sind auch bei anderen Modi natrlichen Zeichen- und Interpretationsgebrauchs, z. B. bei Bildern, Musik, Gestik oder Mimik anzutreffen. Eine solche Abweichung der wissenschaftlichen Sprachen von der Eigenart natrlicher Sprachen und Symbolschemata zu konstatieren, stellt, fr sich genommen, weder einen Vorteil fr noch einen Vorbehalt gegenber dem Erklrungsanspruch der Wissenschaft dar. Schwieriger jedoch wird die Sache durch den hier deutlich werdenden grundstzlichen Aspekt, dass eine vollstndige Positivierung sprachlicher wie nicht-sprachlicher, buchstblicher wie metaphorischer, wortsprachlicher wie formalisierter Zeichen und Ausdrcke ipso facto nicht zu haben ist. Dies ist unter anderem deshalb nicht mçglich, weil weder die Semantik noch die Pragmatik eines Zeichens und Ausdrucks etwas Fixes, etwas Fest-Stehendes ist und weil, um mit einer Formulierung Quines zu sprechen, das Problem der bersetzung und der mit dieser verbundenen Unbestimmtheit nicht erst in Bezug auf eine fremde, sondern bereits in der eigenen
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Sprache, „at home“ beginnt (Quine 1969, 46). Jeder Ausdruck sprachlicher oder nicht-sprachlicher Art ist einerseits immer schon vom Charakter des Interpretierens, und er gewinnt andererseits seine Bestimmtheit erst im Zuge der (z. B. Vagheiten erluternden) Interpretation. Einen weiteren und grundlegenden Hinweis darauf, dass Wissenschaft als eine Kunst verstanden werden kann, liefert die folgende berlegung Nietzsches. Nietzsche hebt einmal hervor, dass neben dem Physiker und seiner Rede von der „Gesetzmssigkeit der Natur“ jemand kommen kçnnte, „der, mit der entgegengesetzten Absicht und Interpretationskunst, aus der gleichen Natur und im Hinblick auf die gleichen Erscheinungen“ (JGB 22) zu einer anderen Deutung ein und derselben Vorgnge gelangen kçnnte. Im vorliegenden Falle geht es Nietzsche um den bereits erwhnten Gedanken, dass Notwendigkeit und Berechenbarkeit in der Natur nicht deshalb anzunehmen seien, weil in der Natur Gesetze herrschen, sondern im Gegenteil gerade deshalb, weil die Gesetze, aufgefasst als Vorschriften, gerade fehlen und die Vorgnge nur deshalb so sind, wie sie sind, weil, so Nietzsches Deutung, die Willen-zur-Macht-Relationen, die die Naturprozesse ausmachen, vom Charakter der Ausnahmslosigkeit und der Unbedingtheit sind. Der Punkt, auf den allein es in unserem Zusammenhang ankommt, lsst sich zuspitzen: ein und dasselbe Material instantiiert unterschiedliche, sogar gegenstzliche und einander ausschließende Interpretationen bzw. Theorien. Ein und dasselbe Datenmaterial ist gegenstzlicher Deutung zugnglich. Einander ausschließende Theorien kçnnen sich auf dieselben Daten sttzen. Dies ist – so lsst sich von Nietzsche her ebenso wie in der Perspektive heutiger Wissenschaftstheorie sagen – eine natrliche Konsequenz des Allgemeinheits-, sprich: des „Unterbestimmtheits“-Charakters wissenschaftlicher Theorien,37 des Projektions-Charakters von Prdikaten und Eigenschaften sowie der Interpretations-Abhngigkeit und der Interpretations-Bedrftigkeit von Tatsachen, Daten und Theorien. Dieser Befund impliziert nicht nur eine Akzentverschiebung innerhalb eines gleichwohl stabil bleibenden Rahmens. Er fhrt vielmehr zu einer grundlegenden und folgenreichen Umstellung der zugrundeliegenden Perspektive dessen, was es heißt, ber ein Welt-und-SelbstVerstndnis zu verfgen. 2. Kunst als kognitive Ttigkeit Als eine Art Komplementrstck zu der berlegung, dass Wissenschaft als eine Kunst verstanden werden kann, lsst sich das bekannte Diktum des englischen Landschaftsmalers John Constable lesen: „Painting is a science … of which 37 Die „Unterbestimmtheit“ wissenschaftlicher Theorien ist vor allem von W.V.O. Quine herausgestritten worden, vgl. Quine (1951).
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pictures are but the experiments.“ (Leslie 1951, zit. nach Goodman 1968, 33). Malerei sei, so Constable, „an inquiry into the laws of nature“ und sollte auch als eine solche betrieben werden. Warum also, fragt der Maler, kann Landschaftsmalerei nicht „be considered as a branch of natural philosophy“? (Leslie 1951, zit. nach Gombrich 1960, 33).38 Kunst rckt damit in den Rahmen der Erforschung und Darstellung der Wirklichkeit. Fr die These, dass in den Knsten Verfahren anzutreffen sind, die den Charakter wissenschaftlicher Experimente haben, gibt es zahlreiche Beispiele. Eines der bekanntesten ist die Einfhrung der Standardperspektive in der Malerei der Renaissance.39 Dies darf natrlich nicht so verstanden werden, als ahmten die Knste wissenschaftliche Verfahren nach. Das hat es zwar auch gegeben. Aber der Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, ist eher der umgekehrte, dass knstlerische Vorgehensweisen aus sich heraus kognitiv bedeutsam sind und nicht selten in ihren Prozeduren den Wissenschaften vorangehen. Paul Feyerabend (1984, 48 f.) fhrt drei Beispiele an, wo im Bereich der Knste Konzeptionen vorweggenommen wurden, die erst erheblich spter Eingang in die Wissenschaften gefunden haben: (1) Die Konzeption des Raumes als etwas von den in ihm enthaltenen Gegenstnden Unabhngiges wird in der Malerei und Architektur der Renaissance lange vor Newton eingefhrt; (2) Die Darstellung von Individualitt und Sozialitt erfolgte in Dichtkunst, Epos und Drama lngst vor und eindringlicher als in wissenschaftlicher Psychologie und Soziologie; (3) Selbst logische Schemata, z. B. der modus tollens, treten, lange bevor sie zu formal-logischen Prozeduren des Schließens im Sinne der logike techne werden, in der Tragçdie auf. Zu Zeiten des erwhnten Constable wurden Experimente vor allem mit Farbskalen in Bezug auf Eigenarten der Reprsentation gemacht. Die Maler standen vor dem Problem, das Verhltnis zwischen der Lokalfarbe und der feingestuften Farbskala so zu fassen, d. h. in ein bersetzungsverhltnis zu bringen, dass das Bild seinen Eindruck von Tiefe und Licht hervorbringt (vgl. Gombrich 1960, 46). Daran zeigt sich, dass es in der Reprsentation nicht um ein Kopieren der Natur, sondern um die Herstellung der denotativen Kraft eines Bildes, um Produktion der Referenz vermittels der darstellerischen Mittel geht. Und von genau diesem Punkt aus ergibt sich der nchste Schritt und die grundlegende Einsicht, dass dieser experimentierende Charakter der Knste, die Art und Weise, wie z. B. ein Bild seine Materialien gliedert, unterscheidet und verbindet, sowie seine form- und gestaltbildende Kraft zu entfalten und nachhaltig zu verankern vermag, Auswirkungen auf die Art und Weise haben kann, 38 Vgl. die Erluterungen Gombrichs (1960, 46 ff.). 39 Vgl. dazu Feyerabend (1984, 17 – 23), der am Beispiel Brunelleschis nachweist, dass eine solche perspektivische Versuchsanordnung alle Eigenschaften eines wissenschaftlichen Experiments besitzt.
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wie von da an Wirklichkeit gesehen, gelesen, organisiert, neu-interpretiert wird. Auf diese Struktur bezogen leistet ein Bild, „like a crucial experiment“, eine „genuine contribution to knowledge“ (Goodman 1968, 33). Die auf solche (und andere) Weisen evozierte sthetische und emotive Erfahrung kann eine zugleich kognitive, welt-und-selbst-interpretierende Erfahrung sein, die den Gebrauch unserer Zeichen- und Interpretationssysteme erweitert und verndert, sowohl in Bezug auf das spezifische Verstndnis von Kunstwerken als auch hinsichtlich des menschlichen Welt-und-Selbst-Verstehens berhaupt.40 Eine Dichotomie von Wissenschaft und Kunst, errichtet am Leitfaden der Dichotomie von Erkenntnis und Gefhl, lsst sich nicht aufrechterhalten, sobald sthetische und emotive Erfahrung konstruktiv in die Voraussetzungen des Erkennen-Kçnnens eingehen. Dieser Aspekt wird bei Nietzsche noch dadurch verstrkt, dass er den sthetischen Zustand (in dem sich ein „berreichthum“ von Mitteln der Artikulation und der Mitteilung und eine hohe Sensibilitt „fr Reize und Zeichen“ entsprechen) als die „Quelle der Sprachen“, aller Arten von Sprachen, der „Tonsprachen“ ebenso wie der „Gebrden- und Blicksprachen“ (NL 1888 14[119], KSA 13, 297), kurz: aller Zeichensysteme auffasst. Aus der sthetischen Erfahrung41 heraus entstehen berhaupt erst die Mçglichkeiten einer dann im Rahmen dessen, was wir ,Erkennen‘ nennen, zentralen Artikulierbarkeit, Mitteilbarkeit und Verstndigungsfhigkeit. Diese Abhngigkeit kçnnte man die sthetische Wurzel des perspektivischen Erkennens nennen. Zwischen der sthetischen Erfahrung, in die emotive, sinnliche und affektive Komponenten eingehen, und der Erkenntnis eine Kluft errichten zu wollen, wre eine seltsam anmutende Strategie, wo doch Erkenntnis ohne sinnliche sthetik weder durchfhrbar noch artikulierbar wre, letztere mithin in ersterer immer schon vorausgesetzt ist. Erkenntnis ist, Nietzsches Auffassung zufolge, zudem eine genealogisch erst sehr spt, erst am Ende des Organischen auftretende Ttigkeit des Menschen, deren letzte Bedingungen der Mçglichkeit in sthetischen Zustnden der den Menschen ausmachenden Leib-Organisation liegen. Zugleich ist damit gesetzt, dass (a) die Verstrickung von Irrtum und Schein unvermeidlich ist fr jede Art von bestimmter und perspektivischer Erkenntnis und dass (b) die Mçglichkeiten des Erkennens schon von ihrer Genese her bei weitem nicht auf den begrifflichen, diskursiven und urteilsgrammatischen Bereich des Verstandesdenkens im engeren Sinne eingeschrnkt werden kçnnen. So sind sensorisch-perzeptuales Wissen und Erkennen nicht nur genuine Formen von Wissen und Erkennen. In vielen Hinsichten sind sie geradezu konditional fr das Verstandesdenken und dessen Rechtfertigungen. 40 Vgl. in diesem Sinne auch Goodman (1968, 248). 41 Vgl. dazu Abel (1998, 72 – 81).
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Zusammenfassend kann man sagen, dass der Unterschied zwischen Wissenschaft und Kunst von einer bloß externen Differenz, von einem bloß ußeren Nebeneinander von Wissenschaft und Kunst, zu einer internen Differenz in den jeweiligen Zeichen- und Interpretationsfunktionen wird. Diese Position trifft sich mit der Position der allgemeinen Symboltheorie, wie sie Nelson Goodman vertreten hat. Eingedenk des Unterschiedes, dass in der Zeichen- und Interpretationsphilosophie nicht so sehr (wie bei Goodman) die Symbolsysteme als Systeme, sondern die Verschrnkung von Zeichenfunktionen und Interpretationspraktiken im Vordergrund steht, ergibt sich der folgenden Befund: Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft ist nicht der zwischen „feeling and fact, intuition and inference, delight and deliberation, synthesis and analysis, sensation and cerebration, concreteness and abstraction, passion and action, mediacy and immediacy, or truth and beauty“, sondern vielmehr „a difference in domination of certain specific characteristics of symbols“ (Goodman 1968, 264). Diese Differenzen auszubuchstabieren ist Desiderat und Herausforderung einer umfnglichen Zeichen- und Interpretationsphilosophie. 3. Kunst und Leben Festzuhalten ist also, dass es (bezogen auf die Ebene menschlicher Ttigkeiten und des grundstzlichen Zeichen- und Interpretationscharakters in der Erschließung und Darstellung der Wirklichkeit) keine logische Lcke und keinen dichotomischen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Kunst gibt. Anders jedoch wird die Sachlage, sobald wir von der Kunst im engeren Sinne von Kunstwerken in die bereits skizzierte ursprnglich-produktive knstlerische Ttigkeit auf der Ebene des Logischen und sthetischen bergehen. Auf dieser Ebene der ursprnglichen Welt- und Sinngestaltung ist in dem bereits erwhnten Sinne von einer Prioritt des Knstlerischen vor der Wissenschaft auszugehen. Diesen Punkt mçchte ich abschließend in zwei Hinsichten weiter verdeutlichen: zunchst im Sinne einer Konsequenz, die sich aus der Preisgabe der Idee eines metaphysischen Ansich ergibt; sodann durch eine Erluterung der These Nietzsches, „daß die Kunst m e h r w e r t h ist als die Wahrheit“ (NL 1888 17[3], KSA 13, 522). Die Rede vom ,Ansichsein‘ der Dinge bzw. von Dingen-an-sich kann, strenggenommen, sinnkritisch nicht expliziert werden. Deshalb ist es nicht nur so, dass wir in dem Vorgang, den wir Erkenntnis nennen, niemals ein Ansich antreffen, sondern die Annahme eines Ansich selbst erweist sich als sinnwidrig, als sinn-los. „Gesetzt aber sogar, es gbe ein An-sich, ein Unbedingtes, so kçnnte es eben darum n i c h t e r k a n n t w e r d e n ! Etwas Unbedingtes kann nicht erkannt werden: sonst wre es eben n i c h t unbedingt!“ (NL 1885 – 1886 2 [154], KSA 12, 141). Erkennen ist immer „sich-irgend-wozu-in-Bedingung-
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setzen“ (NL 1885 – 1886 2[154], KSA 12, 142). Das Erkennen-Wollen eines Ansich ist selbst-destruktiv bzw. es treibt den Erkennenden stets erneut in die selbstqulerischen Vorwrfe eines naturalistischen Fehlschlusses. Erkenntnis kann von Nietzsche her aufgefasst werden als Klrung eben dieser Vorgnge des Sich-in-Beziehung/Bedingung-Setzens, mithin letztlich als Klrung der Zeichen- und Interpretationsverhltnisse. Daher auch geht es im Erkennen um das Verhltnis bedingender bzw. bestimmender und bedingter bzw. bestimmter Interpretation zueinander, nicht um Adquatheit mit den Sachen selbst (vgl. NL 1888 14[122], KSA 13, 301). Mit Bezug auf das Problem der Erkenntnis nimmt das Verhltnis von Kunst und Wissenschaft jetzt folgende Gestalt an: Der Mensch „findet zuletzt in den Dingen nichts wieder als was er selbst in sie hineingesteckt hat: das Wiederfinden heißt sich Wissenschaft, das Hineinstecken – Kunst, Religion, Liebe, Stolz“ (NL 1885 – 1886 2[174], KSA 12, 154). Obzwar das Hinein-Interpretieren (Kunst) tieferliegender ist als das Heraus-Interpretieren (Wissenschaft), betont Nietzsche doch ausdrcklich, dass zu beiden, zum Hineinstecken wie zum Wiederfinden, „guter Muth“ (NL 1885 – 1886 2[174], KSA 12, 154) gehçre und dass mit beiden leidenschaftlich fortzufahren sei. Auf die Frage, ob und warum der Mensch Wissenschaft bençtige, kçnnte man geradezu antworten: weil er auch erst im Wiederfinden etwas ber sich und darber erfhrt, was er zuvor alles hineininterpretiert hat. Wissenschaft ist so gesehen also aufschlussreich, nicht in Bezug auf die ,wahre Natur der Sachen selbst‘, sondern hinsichtlich der Stellung des Menschen zu seinen Gegenstnden und darin zu sich, zu anderen Personen und zur Welt. Worauf Wissenschaft also letztlich stçßt, das sind die welt-, sinn-, gestalt-und formproduzierenden Strukturen des Knstlerischen und Logischen selbst. Der ratio essendi nach fhrt dieses Bild auf eine bestimmte Genealogie. Am Anfang steht das Knstlerische und das Logische. Dann folgt die Wissenschaft mit ihren Hypothesen sowie das formelle Verstandesdenken mit seinen methodischen Verfahren. Am Ende stehen sthetische Experimentalkulturen. Dazwischen liegt, Nietzsche zufolge, der Weg vom Dichten, vom MetaphernBilden ber die Allgemeinheit der Begriffe, ber die Hypothesen und Theoriebildungen der Wissenschaften bis, im ungnstigen Falle, hin zu Gehusen bloß noch grauer Begriffe und, Nietzsche zufolge sowie geschichtlich gesprochen, der Weg von einer vor-metaphysischen Welt- und Selbst-Auslegung ber die Metaphysik in den sich vollendenden Nihilismus und von dort zu einem neuen post-nihilistischen, nach-metaphysischen und wesentlich sthetischen Welt-und-Selbst-Verstndnis. Vor solchem Hintergrund lsst sich die erwhnte provokante Formulierung Nietzsches, „daß die Kunst mehr werth ist als die Wahrheit“, in mehrfacher Weise przisieren. Bei Nietzsche selbst steht diese Formulierung zunchst in einem Kontext, der der Wahrheitsproblematik ihre vormalige Spitzenstellung nimmt. Die
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Wahrheit ist, wie Nietzsche im Rckblick auf seine Tragçdienschrift in der Sptzeit schreibt, „nicht als oberstes Werthmaaß, noch weniger als oberste Macht“ (NL 1888 17[3], KSA 13, 522) zu konzipieren. „Der Wille zum Schein, zur Illusion, zur Tuschung, zum Werden und Wechseln (zur objektiven Tuschung) gilt hier als tiefer, ursprnglicher, metaphysischer als der Wille zur Wahrheit, zur Wirklichkeit, zum Sein: – letzteres ist selbst bloß eine Form des Willens zur Illusion.“ (NL 1888 17[3], KSA 13, 522). Der Wille, um jeden Preis zur Wahrheit zu gelangen, hat eine lebensverneinende Konsequenz, whrend die Kunst sich Nietzsche zufolge „als einzig berlegene Gegenkraft gegen allen Willen zur Verneinung des Lebens“ (NL 1888 17[3], KSA 13, 522) erweist. In Hinsicht auf die Bejahung des Daseins und die Steigerung des Lebens steht die Kunst daher fr Nietzsche deutlich hçher im Kurs als die Wahrheit, ist mehr wert als diese. Dies lsst sich anhand der folgenden weiteren Komponenten verdeutlichen. (i) Kunst ist an der Herausbildung des hçheren Typus Mensch beteiligt, ja dieser selbst ist wesentlich Knstler. Der „hçchste Mensch“ wrde sich durch die „grçßte Vielheit der Triebe“ auszeichnen, und zwar wrde er diese in der „relativ grçßten Strke, die sich noch ertragen lßt“ verkçrpern (NL 1884 27[59], KSA 11, 289). Diese wesentlich sthetischen Zustnde haben, technisch gesprochen, keine Wahrheitstafel, d. h. die Wahr-Falsch-Unterscheidung kann hier gar nicht zur Anwendung kommen. Denn es geht um das Verhltnis der form-undgestalt-produzierenden Triebe zueinander, nicht aber um ein Verhltnis von Aussage und Sachverhalt. (ii) In allen nicht-sprachlichen sowie in den nicht-gegenstndlichen sprachlichen Interpretationen spielt die Wahrheit im Sinne der Aussagenwahrheit keine Rolle (vgl. Goodman 1978, 19). Nur der geringste Teil der die Welt ausmachenden Interpretationen hat eine Wahrheitstafel, kann ,wahr‘ oder ,falsch‘ sein. (iii) Es gibt Situationen, in denen es lebenssteigernder ist, sich der fiktiven Verschçnerung anheim zu geben, statt die Verblendungen – um der Wahrheit willen – abzustreifen. (iv) Insofern Kunst wesentlich Daseinsbejahung ist, blockiert sie den Weg in ein Jenseits und nçtigt in eine vollstndige Diesseitigkeit, deren Form sie zur Darstellung bringt, zeigt. 42 (v) Kunst geht prinzipiell ber die Feststellung von bereinstimmungen zwischen Satz und Sachverhalt sowie ber die Idee einer Objektivitt, einer Wahrheit ,in der Sache‘ hinaus. In ihr ist lngst erkannt und praktiziert, dass eine solche Forderung sinn-widrig ist und in Bezug auf die Darstellung des Wirklichkeitsbezuges verabschiedet werden sollte. 42 Zu dem von hier aus fr die sthetik wichtigen Verhltnis von Sagen und Sich Zeigen vgl. Abel (1999, Kap. 8).
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(vi) Kunst ist damit umfassender als die auf die urteilsgrammatische Aussageform beschrnkte diskursive Wahrheit, in der die Unterscheidung wahr/ falsch auf Aussagen bezogen ist. Um eine Welt-und-Selbst-Interpretation zu charakterisieren und als gelungen oder als nicht-triftig zu qualifizieren, ist der Rekurs auf Wahrheit im Sinne der Aussagenwahrheit bei weitem zu wenig. Hier sind noch andere und grundlegendere Komponenten gefragt, vor allem natrlich die sthetisch-logischen Interpretationseigenschaften.43 Kunst macht keine Aussagen. Sie steigert das Leben und ist, gerade in ihrem sinn-logischen und sinn-generierenden Status, lebens- und daseinsbejahend. Vollendete Kunst ist in Nietzsches Sicht der Dinge notwendigerweise ußerste Daseinsbejahung, ist, so kçnnte man sagen, diesseitiges Zeigen. (vii) Dies verweist darauf, dass Kunst vom Charakter ursprnglich-produktiver Welt-Organisation und vom Charakter der Logik des Sinns ist. (viii) Diese Organisationsleistung bezieht sich auf den ganzen und konstitutiven Bereich vor-begrifflichen Denkens. Die Wahrheitsfrage tritt darauf bezogen berhaupt erst sehr spt auf, erst nachdem das Knstlerische, als logischer Formierungs- und Gestaltungsprozess, eine Welt geformt hat, auf die wir dann Aussagen, Hypothesen und ganze Theorien applizieren kçnnen. (ix) Die Funktion der basal-knstlerischen Ttigkeit ist in diesem Sinne kategorial, d. h. sie liegt vor der Spezifitt einer Erfahrung, und Kunst ist an der Umgrenzung dessen, was dann als ,wahr‘ oder ,falsch‘ und als ,seiend‘ oder ,nicht-seiend‘ gilt, maßgeblich beteiligt. (x) Das Knstlerische bezieht sich nicht nur auf den Bereich des Denkens im engeren Sinne des bewusst werdenden Denkens, sondern bereits auf die Sinnesttigkeiten, auf die Lebensform und auf jenes Denken, das stndig in und mit uns statthat, ohne jedes mal explizit ins bewusst werdende Denken, in die „kleine Vernunft“ des Verstandes und des Selbstbewusstseins zu treten. (xi) Kunst bringt die Struktur des erzeugten Sinns des Lebensvollzugs zur Darstellung, ins Bild, in den Klang, in die sinnliche Anschauung, in die Praxis und, wenn man so will und paradox gesprochen, auch erst auf den Begriff. (xii) Whrend die so verstandene Kunst wesentlich sinn-, welt-, form- und gestalt-bildend ist, hat der Wahrheitsdrang, gar der absolute, der eine Welt erreichen mçchte, die nur durch Eine wahre Theorie beschrieben werden kann, letztlich nihilistische Konsequenzen. Am Ende eines absoluten Wahrheitsstrebens steht nicht die reine Gegebenheit einer „interpretationslosen Welt“, sondern, da das Wesentliche der Welt, ihre Relativitt nmlich, zum Verschwinden gebracht werden soll, Welt aber immer nur in und als Relativitt ,ist‘, das Nichts. 43 Vgl. Goodman (1978, 109 u. 120 f.), der als neuen Grundbegriff die „Richtigkeit (rightness)“ einer Welt-Version einfhrt. „Rightness“ umfasst, neben der Wahrheit, „standards of acceptability that sometimes supplement or even compete with truth where it applies, or replace truth for nondeclarative renderings“ (Goodman 1978, 110).
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(xiii) Immer wenn es sich um eine So-und-so-Welt, mithin um eine bestimmte Welt handelt, haben Interpretationen, Prozesse des Gestalt-Schaffens und Projektionen von Prdikaten und Eigenschaften bereits stattgefunden. Deren Angemessenheit bemisst sich nicht an irgendeiner vorgegebenen Adquatio in der Sache, sondern vielmehr an dem Grad der Vertrglichkeit mit den bisherigen quasi organisch gewordenen und die Erfahrung organisierenden Interpretationen und deren Organisationskraft in Bezug auf Intension und Extension der Interpretamente. Auch wird die Idee der ,Wahrheit in der Sache‘ durch die umfassendere Vorstellung einer zeichen- und interpretations-logischen und sthetischen Effektivitt ersetzt. (xix) Kunst ist schließlich auch insofern „mehr werth“ als die Wahrheit, als die Kunst, aufgrund der angefhrten Komponenten, die unterschiedlichen Formen von Metaphysik unterluft, mithin den orthodox metaphysischen Verlockungen den Boden entzieht. Kunst ist notgedrungen gegen eine Metaphysik des Dualismus, des Unbedingten und der Transzendenz eingestellt. Denn Nietzsche zufolge verbaut sie den Weg zu diesen kraft ihrer Betonung der Diesseitigkeit, der Relativitt und der Immanenz. Und sie geht ber die an der Form der Grammatik des Urteils orientierte Sprach-Metaphysik hinaus, insofern Urteils- bzw. Aussagen-Wahrheit fr eine Welt-und-Selbst-Interpretation bei weitem zu wenig ist. (xx) Schließlich ist auf den grundlegenden Wechsel in Nietzsches Auffassung des Verhltnisses von Kunst und Wahrheit zwischen der Tragçdienschrift und der Sptzeit hinzuweisen. Die Geburt der Tragçdie „glaubt an die Kunst auf dem Hintergrund eines anderen Glaubens: daß es n i c h t m ç g l i c h i s t m i t d e r Wa h r h e i t z u l e b e n ; daß der ,Wille zur Wahrheit‘ bereits ein Symptom der Entartung ist“ (NL 1888 16[40], KSA 13, 500). Spter dagegen, auf dem Boden der Willen-zur-Macht- und der Interpretations-Lehre, wird ,Wahrheit‘ selbst als Interpretation und damit nicht mehr rest-ontologisch verstanden. Kunst ist dann nicht mehr Kompensation einer nicht ertragbaren ,Wahrheit‘, sondern diejenige organisierende welt-, sinn-, form- und gestalt-schaffende Kraft, die jeder Mçglichkeit einer So-und-so-Wirklichkeit stets bereits vorausliegt und mithin auch in jeder ,Wahrheit‘ bereits vorausgesetzt werden muss.
Literaturverzeichnis Abel Gnter (2006): „Die Kunst des Neuen. Kreativitt als Problem der Philosophie“. In: Gnter Abel (Hg.): Kreativitt (= Kolloquiums-Vortrge des XX. Deutschen Kongresses fr Philosophie, TU Berlin, September 2005). Hamburg (Meiner Verlag), S. 1 – 21. Abel, Gnter (1985): „Einzelding- und Ereignis-Ontologie“. In: Zeitschrift fr philosophische Forschung. Bd. 39, S. 157 – 185.
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Gnter Abel
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Anhnge
Quellen Grundstzlich werden die Schriften Nietzsches, zusammen mit der Nummer des Aphorismus, nach den unten stehenden Siglen nachgewiesen; in Klammern sind die englischen Siglen angegeben, sofern sie von den deutschen abweichen. Gegebenenfalls klrt eine rçmische Ziffer und/oder eine Abkrzung der Kapitelberschrift darber auf, aus welchem Abschnitt der jeweiligen Schrift zitiert wird. Texte aus dem Nachlass werden durch die Nummern, die Colli und Montinari den Notaten gegeben haben, und durch das Jahr der Niederschrift nachgewiesen. Bei lngeren Abschnitten und grundstzlich bei allen Zitaten aus dem Nachlass wird zudem der entsprechende Band und die Seitenzahl der Kritischen Studienausgabe (KSA) genannt. Texte Nietzsches, die nicht in der KSA enthalten sind, werden nach der KGW oder der BAW angegeben. Nietzsches Briefe sind mit Datum und Adressat nach der KGB ausgewiesen. Bei den englischsprachigen Beitrgen finden sich Hinweise zu den verwendeten bersetzungen jeweils im Text.
Siglen AC CV 2 DD DS EH FuG FW (GS) GD (TI)
Der Antichrist. Fluch auf das Christentum Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten Dionysos-Dithyramben David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller (UB I) Ecce Homo Fatum und Geschichte Die frçhliche Wissenschaft Gçtzen-Dmmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert GM Zur Genealogie der Moral GT (BT) Die Geburt der Tragçdie HL Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben (UB II) HkP Homer und die klassische Philologie IM Idyllen aus Messina JGB (BGE) Jenseits von Gut und Bçse M (D) Morgenrçthe. Gedanken ber moralische Vorurteile MA (HaH) Menschliches, Allzumenschliches (Teil I und II) NL Notat oder Fragment aus dem Nachlass PHG Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen
534 SE UB (UM) VM (AOM) VP (PPP) WA (CW) WB WL (TL) WM (WP) WS Z
Quellen
Schopenhauer als Erzieher (UB III) Unzeitgemße Betrachtungen (Teil I–IV) Vermischte Meinungen und Sprche (MA II) Die vorplatonischen Philosophen Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem Richard Wagner in Bayreuth (UB IV) Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischen Sinne Der Wille zur Macht Der Wanderer und sein Schatten (MA II) Zarathustra (Buch I–IV)
Download der vollstndigen Liste unter http://refworks.reference-global.com/ Xaver/extern/10.1515_NO/statics/NO_Siglen.pdf
Ausgaben KSA
Friedrich Nietzsche. Smtliche Werke. Kritische Studienausgabe. (15 Bnde). Hg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Mnchen (dtv) und Berlin / New York (de Gruyter) 1980. KGW Friedrich Nietzsche. Werke. Kritische Gesamtausgabe. (geplant ca. 50 Bnde). Begrndet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergefhrt von Wolfgang Mller-Lauter, Karl Pestalozzi und anderen. Berlin / New York (de Gruyter) 1967 ff. KGB Friedrich Nietzsche. Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe. (24 Bnde). Begrndet von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, weitergefhrt von Norbert Miller und Annemarie Pieper. Berlin / New York (de Gruyter) 1975 ff. BAW Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke (nach 5 Bnden abgebrochen). Hg. v. Hans Joachim Mette, Karl Schlechta und Carl Koch. Mnchen (Beck) 1933 – 44, Mnchen (dtv) 1994.
Sachregister adaequatio intellectus et rei 251 Anthropologie (anthropology) 55, 74f., 180, 189, 259, 288, 306, 424, 426, 430, 457f. Anti-Realismus 145, 448 Aphorismus, aphoristisch (aphorism, aphoristic) 17, 25–28, 30, 32–36, 82, 85, 92, 94f., 97–99, 104, 107f., 115f., 118f., 140–143, 153, 179, 190, 192, 209, 214–216, 218, 220–223, 226, 229–231, 234, 243f., 250–253, 260, 283, 287, 352, 363, 368, 411, 428f., 431, 443, 456, 457, 461, 469f., 472f., 475, 477, 479, 533 Appearance, s. Schein Art, artistic, artistisch, s. Kunst Askese, asketisch (asceticism, ascetic) 85f., 93, 95f., 101f., 110f., 125f., 129–133, 154f., 157, 159, 183, 317, 324f., 327, 329, 331 Asketische Ideale (ascetic ideals) 77, 82, 85, 110, 126–133, 144, 154f., 163, 190, 205, 258, 261, 263, 317, 328, 334, 341 Aufgabe (task) 21, 28, 46f., 61, 97f, 103f., 106f., 109, 113, 119, 129, 133, 140–142, 164, 168f, 173, 176, 178, 185, 203f., 209, 221f., 231, 234f., 243f., 246f., 253, 263, 333, 336,, 403 423f., 431, 439, 443–448, 455, 457, 470 Aufklrung (enlightenment) 9, 21, 152, 220, 230, 239, 242f., 265, 278f., 282, 334, 453 Belief in science, s. Glaube an die Wissenschaft Bewusstsein (consciousness) 10–12, 18, 20, 29, 120, 123, 133, 157, 159, 201, 220, 230, 244f., 284, 319, 321, 333f., 336–341, 363, 366–368, 393, 424, 430, 439, 467f., 477, 481, 489–492, 498–514 Big Bang, s. Urknall
Bildung (education) 11, 35, 42, 189, 203–205, 210, 247, 412 Biologie, biologisch (Biology, biological) 74, 104, 110, 120, 177, 179, 259, 348, 351–353, 396, 432, 449, 453, 458f., 462, 476, 499, 502, 504, 519 Body, s. Leib Causality, s. Kausalitt Causation, s. Verursachung Certainty, s. Gewissheit Chaos, chaotisch (chaos, chaotic) 153, 232, 358, 366, 377f., 405, 428, 438 Chemie, chemisch (chemistry, chemical) 14, 17, 91, 118, 141f., 226, 326, 366, 417, 426, 429f., 441, 444, 468, 519 Christentum, christlich (Christianity, christian) 7, 11, 20, 43f., 46–48, 51, 59, 73, 75–78, 86, 96, 101, 114, 130, 132f., 158f., 163, 165, 167, 170f., 181, 198, 258, 261–263, 265, 297, 323, 328, 334f., 341, 374, 408, 412, 419, 430, 478 Coincidence, s. Zufall Consciousness, s. Bewusstsein Conviction, s. berzeugung Cosmology, s. Kosmologie Cosmos, s. Kosmos Cruelty, s. Grausamkeit Culture, s. Kultur Dance, s. Tanz Darwinismus, darwinistisch (darwinism, darwinistic) 134, 258, 297, 419, 430, 444, 449f., 471, 489 Decision, s. Entscheidung Dekonstruktion (deconstruction) 271, 277f., 393, 449f. Delusion, s. Tuschung Determinismus, determiniert, deterministisch (determinism, deterministic, determined) 51, 64, 69, 115, 162, 165f., 173, 323, 358, 360–362, 374,
536
Sachregister
378f., 381, 385, 395, 402f., 405, 408, 420, 510 Ding an Sich (Thing-in-itself ) 62, 118, 135–138, 141, 143, 146, 150, 152, 228, 268, 282, 374, 438, 445, 468 Dionysisch 4f., 9, 20, 181, 202, 274, 283–285, 459 Discovery, s. Entdeckung Dogma, Dogmatismus, dogmatisch (dogmatism, dogmatic) 19, 118, 120f., 132, 144f., 172, 263, 475, 478f. Doubt, s. Zweifel Drive, s. Trieb Dualismus, Dualitt, dualistisch (dualism, duality, dualistic) 81, 118, 218, 250f., 254, 369, 429, 500f., 503, 506, 509f. 527 Economy of thought, s. konomie des Denkens Empirie, empirisch (empiricism, empirical) 11f., 19, 40f., 56–59, 63, 69f., 96, 114f., 121f., 135, 139, 142, 149, 152, 165, 167, 203, 205, 210, 272f., 296–298, 300, 345, 347, 357, 359, 362f., 366, 369, 402f., 446–448, 455, 465, 472, 476, 485, 491, 493, 496 Entdeckung (discovery) 127, 194, 234, 299, 324, 336, 346, 371, 432, 446, 455, 474, 516 Entropie (entropy) 361, 376f., 380, 384f. Entscheidung (decision) 6, 29, 32–34, 105f., 116, 203, 216, 253, 294, 296, 397, 406, 512 Epistemologie, epistemisch (epistemic) 5, 12, 22, 98, 113, 119–123, 146, 218f., 278, 282, 292, 300, 386, 456, 462, 482f., 488, 494, 500 Erfahrung (experience) 11, 16, 19, 31, 58, 83, 94, 117, 119–121, 137, 151, 162, 166, 171–173, 181f., 205, 229f., 233, 255, 282, 292, 296, 305, 323f., 326, 347f., 350, 368, 391, 404, 423, 427, 430, 439, 441, 451f., 455f., 458–462, 474, 479, 484, 487, 491–494, 496f., 500, 502, 509, 511, 522, 526f.
Erkenntnis (knowledge) 7, 9, 12, 16–19, 30, 35, 40–42, 44, 46, 48f., 52, 56, 60f., 65f., 69, 77, 79, 83f., 86, 94, 98f., 102, 110, 116f., 119, 127, 130, 141, 145f., 149, 150–156, 162, 171, 174f., 177, 185, 190, 217f., 220, 229f., 232f., 239–241, 244f., 249–254, 257, 265–268, 271f., 277f., 282–285, 288, 318, 325, 331, 333, 335f., 339, 342, 346–348, 350f., 352, 354, 357, 362, 394, 398, 401, 404, 412, 415, 417, 428, 430, 438, 443–446, 451, 457–460, 466–468, 470, 476, 478, 482, 485f., 516, 522–524 Erkenntnistheorie, epistemologisch (epistemology, epistemologic) 7, 13, 40, 51, 60, 79, 109–111, 120, 150, 217–221, 239, 247, 252, 257, 281, 289, 319, 345, 348f., 352, 354, 357, 401, 409, 419f., 424, 439, 443, 445, 449, 451, 455, 462, 484 Erklrung (explanation) 8, 17, 57, 64, 66, 69f., 91, 110, 115, 123, 142, 146, 151–153, 165–168, 170, 179, 182, 185, 214, 244, 254, 321, 338, 395, 401–408, 416, 437, 465, 472f., 489, 491, 494, 503, 507, 510, 514 Eternal recurrence, s. ewige Wiederkehr Ethics of science, s. Wissenschaftsethik Ethik, ethisch (ethics, ethic, ethical) 7, 22, 25, 31–34, 40, 55, 62, 95, 103, 105f., 108, 111, 183, 200, 209, 233f., 257, 262, 266–268, 303, 357, 368, 374, 380, 385f., 392, 418, 462, 487f. Evidenz (evidence) 40, 50, 56–58, 62f., 76, 116, 135, 137, 139f., 142–144, 165, 271–273, 281, 288, 405, 418, 455 Evolution 11, 31, 74–76, 120f., 258f., 292–294, 297, 322, 340, 351, 363, 371, 402, 430, 432, 438, 449f., 499, 502, 512 Evolutionre Erkenntnistheorie (evolutionary epistemology) 120, 419, 443, 449, 451 Ewige Wiederkehr, Wiederkunft (eternal recurrence) 14, 45f., 210, 330,
Sachregister
357–363, 365–369, 371, 373–381, 383–386, 456, 486, Experience, s. Erfahrung Experiment, experimentell (experiment, experimental) 19, 34, 52, 57, 86, 94, 97–99, 120, 131, 140, 169, 229, 234f., 293, 306, 330f., 335, 358, 368, 374, 417, 446, 451, 455–462, 479, 482, 487, 521f. Explanation, s. Erklrung Fact, s. Tatsache Faith in science, s. Glaube an die Wissenschaft Flschung (falsification) 40, 135–139, 141–143, 145–147, 320, 350, 438–440, 442–446, 451f., 509 Fatum, Schicksal (fate) 14, 41, 101, 114, 251, 253– 255, 264, 297, 307, 373, 385, 397, 406, 412, 533 Fiktion, fiktional (fiction, fictional) 17f., 110, 115f., 141, 143, 194, 222, 235, 318, 405, 418, 420, 438, 443, 446, 449, 518 Fiktionalismus (fictionalism) 18, 217, 449 Force, s. Kraft Form of life, s. Lebensform Fortschritt (progress) 11-13, 21, 31, 42, 73, 79,177, 210, 272, 292, 336, 359, 363-365, 395, 402, 417, 423, 429, 432, 462, 477, 493, 512 Freiheit (freedom) 12, 19, 83, 123, 227, 254, 325, 391, 393, 397–399, 405, 424 Gedankenexperiment (thought experiment) 358, 368, 374, 417 Geisteswissenschaften (humanities) 11, 13, 57f., 91f., 99, 125, 240, 251f., 282, 423–426, 431f., 465 Geltung (validity) 10, 22, 60, 97, 104, 117, 159, 171, 233, 239, 368, 399, 449, 459, 462, 472, 479, 492 Genealogie, genealogisch (genealogy, genealogical) 12f., 20–22, 73f., 79f., 91, 108f., 117, 163, 170, 175, 182f., 217, 226, 240, 242, 246f., 259, 263, 265, 272, 293–295, 325, 329, 418f.,
537
432, 449f., 471f., 476f., 508, 522. 524 Gerechtigkeit (justice) 79, 81, 171f., 180, 183f., 202, 231, 257f., 264, 267, 391, 398 Geschichtsschreibung (historiography) 73, 83, 94f., 286, 401f., 409, 414, 475 Geschichtswissenschaft (history) 42–46, 52, 109, 265, 401–405, 411–421, 407–409, 474f. Geschmack (taste) 25, 33, 47, 56, 84, 252, 297–300 Gesellschaft, gesellschaftlich (society, social) 65, 97, 125, 133f., 172, 178–184, 201, 228, 233, 249, 259–261, 281, 305, 316, 322, 325, 402, 440, 465 Gesetz (law, principle) 34f., 80, 97f., 106, 119f., 145, 150, 152, 173, 195, 205f., 208f., 229, 233f., 252, 254, 259, 264, 277, 303, 318, 348, 358, 361–363, 402–409, 414, 420, 425, 439, 441, 447, 449, 468, 478, 486, 510, 516, 518–521 Gewissheit (certainty) 17f., 60, 157, 263, 271, 293, 396, 406, 437f., 465f. Glaube an die Wissenschaft (belief, faith in science) 20, 128–132, 158, 244, 262, 393f., 466 Grausamkeit (cruelty) 78f., 221, 251, 462 Griechen, griechisch (Greeks, greek) 8f., 11f., 14, 20, 35, 49, 94f., 135, 183, 191, 194, 196f., 206–208, 219, 249f., 254, 266, 283f., 292, 295, 298, 306, 335, 341, 416, 430, 473f. Hegelianismus (Hegelianism) 116, 226, 341, 414 Hierachie, s. Rangordnung Historiography, s. Geschichtsschreibung Historische Philosophie (historical philosophy) 91–94, 110, 118, 137, 140f., 147, 178, 226–228, 411, 415–418, 420f. History of science, s. Wissenschaftsgeschichte Humanities, s. Geisteswissenschaften
538
Sachregister
Hypothese, hypothetisch (hypothesis, hypothetical) 11, 17–19, 34, 39, 45, 52, 56f., 75, 78f., 83, 85, 108f., 115f., 121–123, 143, 170, 214, 218, 315, 368, 371, 374, 376f., 380, 383f., 386, 404, 418f., 448, 450–453, 457, 486, 488, 490, 494, 496, 499, 524, 526 Ideal (Ideals) 9, 18, 41f., 73, 77f., 82, 85f., 94f., 97f., 102, 105, 107, 111, 121, 126f., 129, 131–133, 155f., 159, 190, 203, 206, 223, 252, 264, 268, 293, 302, 306f., 317, 323, 325, 327, 423, 440, 445, 447, 458, 477, 517 Idiosynkrasie, idiosynkratisch (idiosyncrasy, idiosycratic) 108, 249f., 315, 442 Individualitt (individuality) 7, 26, 196, 317, 334, 341, 438, 391, 424, 507, 509, 519, 521 Infinity, s. Unendlichkeit Instinkt (instinct) 8, 30, 34, 40f., 79, 84, 102, 114, 132, 150f., 153, 156, 167, 184, 206, 245, 249f., 334, 337, 339, 341, 398, 405, 431 Instrumentalismus, instrumentalistisch (instrumentalism, instrumentalistic) 65, 82, 92, 108, 128f., 215, 217, 223, 351, 493 Instrument, s. Werkzeug Intellektuelle Redlichkeit (intellectual honesty), s. Redlichkeit Interdisziplinr 97, 100, 106, 108, 109, 425f., 430f. Interesse (interest) 3, 7, 15, 20, 39, 47, 61f., 77, 127, 129, 152, 163, 172, 175–177, 180, 182f., 189f., 196, 227, 273, 293, 306, 317, 321, 334, 336, 338, 345f., 348f., 353, 369, 411, 424f., 452, 473, 475, 477 Interpretation (interpretaion) 7, 13f., 17, 22, 25, 32–34, 41, 43, 50, 56f., 58f., 62f., 66, 70, 76, 79–81, 84, 86, 110, 143–147, 155, 162f., 166, 168–171, 174–180, 182, 191, 199, 201, 203, 210, 213, 235, 240, 246–248, 257f., 267–268, 271f., 274–277, 318, 347, 350, 352f., 357,
385, 425, 430, 457, 459, 472, 485f., 488, 495–498, 509, 511, 515f., 518–520, 523–527 Interpunktion (punctuation) 209 Justice, s. Gerechtigkeit Justification, s. Rechtfertigung Kampf (struggle, fight) 4f., 55, 81, 155, 163, 178, 183, 230–232, 250, 258f., 292, 300, 351, 439f., 442f., 459f., 462 Kausalitt 17f., 40f., 44f., 79f., 96f., 102–104, 106, 108, 110, 113, 122, 167–169, 171, 173, 177, 179,184, 229, 304, 326, 360–362, 365, 378, 392f., 395f., 399, 401, 403–405, 408, 467, 484, 507, 511 Knowledge, s. Erkenntnis Komplexitt (complexity) 35, 51f., 172, 205, 519 Konstruktivismus, konstruktivistisch (constructivism, constructuvistic) 92, 272f., 281f., 287, 289, 359, 364, 369, 449–452 Kontingenz, kontingent (contingency, contingent) 13, 116, 247, 419f., 458, 471, 478, 495 Kçrper, s. Leib Kosmologie, kosmologisch (cosmology, cosmological) 146, 357f., 360, 365, 368f., 371, 374f., 377–386 Kosmos, kosmisch (cosmos, cosmic, cosmical) 358, 362, 366, 378, 381–383, 444 Kraft (force) 8, 15–17, 22, 46, 63f., 66, 68, 71, 99, 103, 107, 122f., 134, 139, 142, 145f., 150, 153, 155f., 158, 195, 209, 229, 231, 234, 241, 286, 304, 306, 324–326, 338, 360f., 363f., 375f., 398f., 417, 421, 430, 440, 443, 447, 450, 459f., 467, 471, 487, 493, 514, 516, 521, 525, 527 Kultur, kulturell (culture, cultural) 5, 7, 9, 11f., 14, 16, 18, 20f., 42–47, 53, 75, 79, 91f., 96, 102, 110f., 114, 126f., 130, 132, 167f., 172, 175, 177–184, 191, 196, 203, 206f., 209, 223, 225f., 232, 234, 240, 247, 253, 271f., 281f., 284–290, 295, 317f.,
Sachregister
322f., 330f., 334f., 341, 349, 352f., 391, 393, 401–403, 409, 423, 425, 427f., 430, 432, 453 Kulturtheorie (cultural theory) 92, 94, 187, 271–273, 281f., 284f., 289, 317, 393, 425, 430, 432, 450 Kunst, knstlerisch, artistisch (art, artistic) 5, 7, 9f., 16, 20, 25, 27, 35, 43, 44f., 47f., 96, 98, 111, 132, 168, 176, 178, 181–183, 189–194, 197, 201–206, 208, 216, 219, 222f., 228f., 232, 234, 240, 242f., 258f., 275,283f., 287, 292f., 295–299, 306, 327f., 333, 335f., 349f., 366, 371, 391f., 402, 413, 417, 423–425, 445f., 458, 461, 469f., 474, 481, 487f., 515–518, 520–527 Language, s. Sprache Law, s. Gesetz Law of nature, s. Naturgesetz Leben (life) 12, 14, 20f., 25f., 35f., 41f., 45f., 55, 58f., 61–63, 66, 80, 95–103, 111, 121f., 128, 130, 140, 143–146, 153–157, 163–166,, 168–174, 176f, 180–185197, 205, 213, 222f., 225, 227, 229, 232–235, 240f., 243, 246f., 249– 251, 253f., 258, 260–263, 265, 271f., 283–287, 296, 300f., 303f., 317, 322–324, 327–331, 336f., 339, 341, 351–353, 358f., 371f., 374, 381, 385, 391–393, 401, 412f., 417, 423, 427, 439, 441–444, 450, 455f., 458–462, 469, 471, 473, 475, 478f., 483f., 504, 512, 515, 517, 523, 525–527 Lebensform (form of life) 94–96, 98, 103, 108, 110f., 172, 181, 183, 235, 371, 381, 383, 483, 526 Lebenswissenschaft (life science) 7, 95–99, 108, 111, 163, 230, 475f., 478, 483f., 498 Leere (emptiness, void) 156, 205f., 364, 383 Leib, Kçrper (body) 29, 35, 64, 114, 118, 167, 192, 200f., 207, 209, 225, 230, 232f., 300, 302, 304, 322, 341f., 350, 398, 430, 437, 442–444, 461, 477, 487, 500f., 506f., 522
539
Leidenschaft (passion) 35, 61, 67, 94, 94, 96, 98f., 110, 122f., 127–129, 154, 203, 206f., 230, 243, 266, 317, 320, 324f., 327–329, 335, 457, 476, 478, 485, 523 Life, s. Leben Life science, s. Lebenswissenschaft Logik, logisch (Logic, logically) 8f., 16, 40, 68, 70, 78, 93, 120f., 136, 138, 141–143, 150, 152, 213, 219, 226, 228, 231, 239, 245f., 251, 260, 289, 315, 321f., 342, 346–351, 357f., 363, 395, 401, 404, 407–409, 430, 441, 443, 445, 449, 451, 455, 470f., 487f., 497, 507, 514f., 517f., 521, 523f., 526 Machtwille, s. Wille zur Macht Materialismus, materialistisch (materialism, materialistic) 32, 80f., 84, 115–118, 122, 297, 366, 500f. Materie (matter) 17, 19, 66, 80f., 95, 118, 122, 138f., 143, 155, 201, 216, 281, 349f., 375f., 374, 379, 384f., 420, 504 Mathematik, mathematisch (mathematics, mathematical) 12, 28, 33, 40, 57, 70, 121f., 195f., 207, 245, 288f., 298, 305, 323, 335, 345, 352, 357–360, 363, 365–368, 375, 411, 413, 426, 429, 447f., 470–472, 478, 481f., 488, 497, 518 Mechanismus, mechanisch, mechanistisch (mechanism, mechanistic) 17, 33, 34–36, 77, 80, 115f., 118, 120, 122, 129, 139, 143, 153, 164, 174, 192, 231, 302, 318, 321, 346f., 392, 404f., 459, 485 Mental states (mentale Zustnde) 406f., 409, 489, 498, 500–502, 504–506, 508–511, 513 Metaphysik, methaphysisch (metaphysics, metaphysical) 5, 9, 12, 20, 40, 46, 51, 55–60, 62–64, 68–71, 80f., 110, 114, 118, 121, 128, 130, 132, 135f., 138–142, 146, 154, 163–165, 167, 170, 173, 178, 189, 214, 220, 225–227, 230, 235, 262, 268, 272, 275, 277f., 319, 326, 333, 348f.,
540
Sachregister
352f., 366, 374, 386, 393, 415f., 420, 445, 457, 465f., 468, 473, 475f., 483–488, 494–496, 502, 519, 523f., 525, 527f. Methode, methodisch (method, methodical) 6, 28, 35, 42, 44f., 52, 57, 60, 63, 69f., 91f., 101, 108f., 113–116, 118f., 121–123, 142, 154–156, 161, 165–168, 173, 175, 177–179, 189, 192, 210, 214f., 220–222, 226, 228, 230, 240–242, 245–247, 252, 267, 284, 292–294, 296f., 299, 320, 322f., 325f., 335, 392–394, 401f., 414f., 418, 424, 426, 432, 444f., 446, 448, 453, 456–459, 461f., 475, 477, 481f., 484, 489, 491, 515, 524 Methodologie (methodology) 119, 175, 177f., 184, 240, 292, 296f., 323, 401, 446, 484 Metrik, Metrum (metric, meter) 194–200, 203f., 207, 362, 384 Misstrauen (mistrust) 84, 116, 123, 154–156, 163, 176, 250, 260, 283, 327, 437, 468f. Moderne, modern (modernity) 17f., 39f., 42f., 46, 48, 70, 80, 83f., 95, 110f., 116, 126, 128–130, 132, 139f., 180, 182f., 189, 191f., 194–199, 203f., 207f., 215, 219, 221, 240, 245–247, 258, 281f., 295, 298f., 301, 303, 305, 334, 341, 348, 352f., 366, 368, 371, 376, 378f., 386, 391, 401, 449f., 459, 465–467, 469–471, 473, 479, 485, 505, 507 Musik (music) 25, 35f., 40, 164, 174f., 180f., 193, 195–199, 201f., 204–208, 210, 213, 234, 274, 276f., 284, 295, 298, 306f., 349, 360, 403, 481, 500, 519 Natur 4, 12f., 19, 22, 41, 43, 49, 52, 57f., 60, 63f., 68f., 74, 81, 102, 114, 125, 130, 139, 144, 145, 153, 155f., 164, 170, 172, 182f., 196, 205, 223, 233, 251–254, 259, 261f., 282f., 288, 318f., 333, 360f., 368, 404, 415f., 418, 420f., 423f., 428–432, 437, 442, 447–453, 461f., 468, 476f., 485–487, 490, 498–502, 506f., 516, 518, 520, 524
Naturalismus, naturalistisch (naturalism, naturalistic) 5, 11, 13, 18f., 40, 71, 89, 91f., 96, 102, 105–108, 111, 113–120, 125, 135f., 139, 142, 145, 147, 149, 154f., 161–178, 180–185, 271, 333f., 341, 340f., 379, 403–405, 412, 419f., 446, 450, 487, 489, 502, 504, 524 Naturgesetz (laws of nature, natural law) 28f., 110, 120, 376f., 380f., 429, 441, 444, 447, 452, 468f., 478, 518, 520f. Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich (natural science) 7, 11f., 13–15, 17f., 20f., 42, 44, 46, 52, 57, 60, 91–93, 95, 97, 99, 103, 108–111, 114, 116–118, 121f., 135–137, 139–142, 144–147, 149f., 152–156, 162, 165, 171f., 174, 178f., 184f., 189, 205, 226, 228, 251–253, 255, 272, 298, 306, 334f., 342, 345, 348, 353, 366, 374, 392, 404, 411, 417, 420, 423, 426, 429, 431–432, 458–460, 465, 460–470, 472, 474, 476, 481, 485f., 489, 513 Negation (negation) 203, 339, 459 Nihilismus, nihilistisch (nihilism, nihilistic) 21, 42, 45, 48, 82, 85, 126, 131, 190, 205, 221, 250f., 315, 317, 323f., 328f., 386, 395, 453, 459, 486f., 524, 526 Normativitt, normativ (normativity, normative) 12, 22, 30, 113, 118–121, 123, 179, 398f., 483, 487, 513 Notion of science, s. Wissenschaftsbegriff Objektivitt, objektiv (objectivity, objective) 13, 42f., 61, 80, 128, 144, 149, 152–154, 156, 159, 175, 230, 241, 244, 268, 297, 317, 323, 326f., 359f., 363, 368, 395, 401, 409, 415, 421, 440, 442, 448, 457f., 474, 477, 485, 496, 505, 508, 525 konomie des Denkens (economy of thought) 347, 351, 393 konomie (economics) 43, 106, 108, 391–393, 396, 398, 402, 404 Ontologie, ontologisch (ontology, ontological) 7, 55, 79, 92, 113, 115f.,
Sachregister
118, 122, 136, 138f., 141–145, 147, 152, 165f., 214, 219, 221f., 229, 232, 278, 320, 323, 326, 364, 379, 385, 432, 441, 507, 527 Optik (optics) 111, 121, 163, 168f., 178, 213, 222f., 225, 235, 333, 430 Ordnung (order) 12, 164, 202, 230f., 272, 367, 378, 425, 495, 505, 514, 518 overcoming, s. berwindung Passion, s. Leidenschaft Performativ (performative) 222, 232, 284 Perspektivismus, perspektivisch (perspectivism, perspectival) 13, 25, 35, 50, 111, 144f., 149f., 152f., 217f., 223, 249, 251, 253, 255, 257, 268, 301, 420f., 447, 481, 496f., 515, 522 Pessimismus (pessimism) 5, 8, 20, 59, 62, 69, 243, 283, 337, 341 Phnomenologie (phenomenology) 301, 308, 337, 342, 360, 369, 421 Philologie, philologisch (philology, philological) 5, 11, 14, 26, 44, 58, 76f., 81, 100, 103, 121f., 127, 155, 176f., 189–198, 201–204, 206, 209f., 214, 216, 229, 267, 284, 291–300, 306–307, 354, 357f., 412, 414, 465, 470, 472–474, 518 Philosophy of Language, s. Sprachphilosophie Philosophy of science, s. Wissenschaftstheorie Physik, physikalisch (physics, physical) 15, 17f., 28, 33, 64, 66, 97f., 113, 114f., 121f., 138f., 143, 145, 151f., 163, 166f., 173, 175, 185, 205, 252, 326f., 334, 345f., 352, 357f., 360–363, 365, 368, 371, 374–382, 385f., 392, 401f., 425f., 429, 432, 446–448, 458, 473, 476–478, 482, 485, 487, 493, 499f., 501, 506–510, 518, 520 Physiologie, physiologisch (physiology, physiological) 15–17, 20, 28, 41, 46, 75–77, 80f., 84, 93, 97, 100–105, 108–110, 115, 118–120, 122, 132, 167f., 175–178, 201, 205, 223, 226–228, 230–233, 235, 287,
541
291f., 300f., 303, 321, 336, 366, 425, 430, 432, 444, 447, 458f., 487, 489, 499, 502, 516 Positivismus, positivistisch (positivism, positivistic) 13f., 18f., 21, 60, 63, 92, 101, 110, 220f., 239f., 246f., 274, 296, 300, 408, 449 Pragmatismus (pragmatism) 347-349, 351, 354, 449f., 453 Praxis, praktisch (practice, practical) 18, 25, 31f., 72, 61, 69, 92, 95–98, 99, 102, 109f., 115, 121, 125-129, 133, 152f., 156, 170, 176, 181, 204, 210, 217–219, 221, 239, 282, 294, 296, 304, 311, 315f. 318f., 326f., 340, 348, 353, 377, 392, 293, 402, 418, 438, 451, 457f., 460, 462, 483, 487, 496–498, 501, 526 Principle, s. Gesetz Probability, s. Wahrscheinlichkeit Progress, s. Fortschritt Promise, s. Versprechen Psychologie, psychologisch (psychology, psychological) 6, 18, 40, 42, 44, 52, 55f., 58, 64–69, 73–79, 81f., 84-86, 93f., 97, 100–102, 104, 120, 163, 167f., 172, 175, 177–181, 196, 226f., 235, 242, 245, 253, 289, 315, 317–331, 360, 371, 374, 402–408, 425, 429, 445, 459, 470, 476–478, 499, 500, 508, 516, 521 Rangordnung (hierarchy, ranking) 25, 28f., 31, 35, 93, 103, 106, 118, 123, 176, 369, 465, 473, 477f. Rationalitt, rational (rationality) 7, 52, 66, 107, 210, 233, 239, 308, 392, 394f., 495 Realitt, real (reality) 39–41, 45–49, 51f., 61, 64, 68f., 84, 86, 117, 122, 127–130, 135–139, 141–146, 152, 161–163, 165f., 168, 170–174, 177, 179–181, 183–186, 189, 192, 209, 242, 251, 260, 271, 272f., 276–279, 281–284, 286–290, 293, 302, 324, 330, 337, 341, 346, 351f., 360, 366–368, 389, 395, 396–398, 404–406, 408, 413, 416, 418, 438, 442, 445, 452, 486, 489, 494, 495–497, 518, 528, 530
542
Sachregister
Reason, s. Vernunft Rechtfertigung (justification) 6, 107, 216, 252, 255, 265, 441, 482, 484, 522 Redlichkeit, Intellektuelle Redlichkeit (honesty, intellectual honesty) 44, 46f., 49, 51f. 61, 155, 185, 251f., 263–267, 280, 320, 477 Reduktion, reduktionistisch (reduction, reductionistic) 35, 385, 489, 503, 506 Relativittstheorie (theory of relativity) 376, 379f., 384f., 387, 492 Revaluation, s. Umwertung Rhetorik (rhetoric) 169, 200, 272, 277–279, 426, 431, 444, 449, 451, 530 Rhythmus (rhythm) 189f., 192, 194–200, 202–212, 284, 309, 426 Schein (appearance) 62, 73, 77, 80, 138, 181, 185, 276, 278f., 283f., 352, 404, 415, 440, 443–445, 516, 522 Schicksal, s. Fatum Scientific community, s. wissenschaftliche Gemeinschaft Selbsterkenntnis (self-awareness) 228, 253, 477 Semiotik (semiotics) 41, 281, 289 Sensualismus (sensualism) 170, 350, 353, 355 Sinne (senses) 19, 35f., 40, 44, 52, 135, 137, 142f., 205, 315f., 321, 334–336, 341f., 347, 350, 430, 438–446, 448 Skepsis, Skeptizismus (scepticism) 107, 123, 149, 190, 221, 224, 250f., 281f., 289, 456, 468 Society, social s. Gesellschaft Souvernitt (sovereignity) 391, 397 Sprache (language) 16, 34, 36, 50, 160, 193–196, 198–203, 206f., 209, 211f., 229f., 258–260, 271, 274–279, 281–285, 287–289, 293–295, 305, 310f., 340, 342, 396f., 437, 439–441, 443, 449, 453, 468, 471, 481, 490, 497–500, 507, 509, 519f., 522, 528
Sprachphilosophie (philosophy of Language) 218, 271, 274, 277, 279, 449, 498 Strke (strength) 8, 18, 20, 123, 149, 197, 205f., 275, 299, 445, 512, 525 Stil (style) 7, 75, 86, 182, 193f., 208f., 275, 294–296, 298f., Strength (Strke) 65, 68, 86, 171, 177, 184, 322, 328, 341, 408 Struggle, s. Kampf Subjekt (subject) 16, 21, 70, 83, 119f., 144f., 200, 206, 208, 210, 216, 227, 229, 250, 274, 282, 297, 362, 391, 395, 412f., 415, 457f., 461, 467, 470, 500, 503, 507–509 Tanz (dance) 199, 219, 223, 289, 306f., 459, 481 Task, s. Aufgabe Taste s. Geschmack Tatsache (fact) 39, 43, 48, 51, 68, 81f., 86, 115f., 138, 142, 144f., 147, 168, 199, 215, 253, 261, 316, 327, 338, 353, 359, 362, 364, 367, 404, 419, 423, 475, 516 Tuschung (delusion) 118, 197, 232, 246, 258, 261, 305, 393, 443, 454, 525 techn 204f. Technik (technology) 194, 208, 240, 276, 311, 395, 458f., 487 Teleologie 80, 110, 122, 134, 421, 513f. Teleologie, teleologisch (teleology, teleological) 485, 513f. tempo feroce 73, 75, 78f., 82 Tempus 192–194, 204, 208f., 211 Test (test) 32, 452, 455, 463 Theorie (theory) 42, 55–62, 64f., 67, 69–71, 76, 79f., 85, 102, 125, 136, 161, 165, 191, 196, 200, 218., 240, 315f., 320f., 327, 336, 339, 346–348, 351, 353, 358, 360–362, 371, 384, 392f., 402f., 427, 446, 448, 450, 455f., 461, 487, 493, 496, 501, 505, 509f., 518, 526 Theory of relativity, s. Relativittstheorie Thermodynamik (thermodynamics) 358, 361–363, 375–379, 388f., 446 Thing-in-itself, s. Ding an Sich
Sachregister
Thought experiment s. Gedankenexperiment Time, s. Zeit Tool, s. Werkzeug Tragçdie (tragedy) 8, 14, 20, 110, 181, 283–285, 287, 292, 307f., 340, 403, 521 Transzendentalismus, transzendental (transcendentalism) 60, 121, 148, 228, 230, 364, 488, 516 Trieb (drive) 16, 56, 58f., 65–69, 86, 96, 114, 122, 126f., 144, 167, 182, 230–233, 241, 243, 259, 322, 325, 328, 330f., 336f., 339, 341, 406, 408f., 455, 457f., 460, 463, 476, 504, 516, 525 Trust, s. Vertrauen Truthfullness, s. Wahrhaftigkeit Truth, s. Wahrheit Tugend (virtue) 8f., 29, 47, 59, 68, 123, 165, 179, 178, 227, 257, 263–266, 268f., 307, 320, 412, 341, 470 bermensch 458 berwindung (overcoming) 46, 58, 67–69, 72, 147, 230, 247, 249, 283, 324f., 327, 329, 348, 352, 503 berzeugung (conviction) 8, 11f., 19f., 120, 123, 126, 131, 133, 154, 158, 244, 259, 266, 392, 437, 489, 504 Umwertung (revaluation) 27, 39f., 51f., 163, 166, 176, 236, 321, 411, 419, 460 Unbewusst (unconscious) 15f., 52, 61, 190, 228, 233, 321f., 336–339, 342, 414, 504 Unendlichkeit (infinity) 363, 375, 382 Universum (universe) 46, 132, 359–362, 364, 366, 369, 375, 377–380, 382–386, 389, 507, 519 Urknall (Big Bang) 371, 377, 379–385, 387–390, 518 Validity, s. Geltung Value, s. Wert Verfall (decay) 218, 249, 282, 347 Vernunft (reason) 8f., 11, 29, 49, 59f., 84, 94, 96, 118, 137, 141f., 158, 225–235, 239–243, 249f., 259, 264,
543
287, 300, 335, 347, 394, 399, 441., 443, 446, 469, 471, 476–478, 526 Versprechen (promise) 185, 391, 396–399, 432, 518 Vertrauen (trust) 33, 158, 241, 244, 264, 391, 398–400, 406, 448, 466 Verursachung (causation) 168, 502 Virtue, s. Tugend Void, s. Leere Voraussetzungslosigkeit 220, 241 Wahrhaftigkeit (truthfullness) 155, 157f., 235, 257f., 262–265, 268 Wahrscheinlichkeit (probability) 361, 381, 402, 407 Weltanschauung (worldview) 11, 57, 61, 69, 139, 143, 253f., 342, 345–349, 351–354, 476, 478 Werkzeug (tool, instrument) 61, 70, 83, 109, 111, 121, 166, 190, 205, 221, 230, 241, 249f., 282, 328, 342, 348, 409, 427f., 439, 443f., 456, 458, 460, 462 Wertschçpfung (creation of value) 69, 328, 394f., 397 Wert (value) 7, 18, 20, 22, 39, 42, 46, 48-52, 56, 61f., 69, 75f., 100f., 103109, 111, 113, 116, 118, 123, 126, 128–131, 133, 144, 156f., 161, 163f., 166f., 169, 171, 176, 178, 182, 210, 221f., 232, 250, 252, 257f., 260–262, 264, 286, 315-317, 320–331, 341, 347f., 350f., 381, 383, 394-396, 401, 406, 411-413, 419, 424, 426, 437, 460f., 466, 471, 483f., 496 Wille (will) 29, 31, 102f., 118, 153, 156f., 214, 231, 245, 247f., 257f., 260–265, 267f., 304, 387, 397, 454, 459f., 485f., 506, 516, 520, 525, 527 Wille zum Leben (will to life) 58f., 322, 336 Wille zum Nichts (will to nothing) 153, 156, 263 Wille zur Macht (will to power) 49, 55–59, 61–64, 66–71, 76, 81, 85f., 113, 122, 145f., 150f., 153, 155157, 191, 218, 222, 236, 240, 249, 263, 316, 322, 326, 329f., 386, 399,
544
Sachregister
442f., 445, 460, 485f., 501, 516, 520, 527f., 530, 534 Wille zur Wahrheit (will to truth) 18, 50, 61, 85f., 110f., 117, 125, 128, 130–133, 144, 149, 155–159, 220, 222, 249, 257f., 260–265, 315, 317, 323–327, 329–331, 394, 443, 468, 525, 527 Wissenschaftliche Gemeinschaft (scientific community) 28, 76, 113, 122 Wissenschaftssthetik (aesthetics of science) 25, 33, 35 Wissenschaftsbegriff (notion of science) 17, 149–151, 155, 205, 209, 240 Wissenschaftsethik (ethics of science) 22, 25, 31–33
Wissenschaftsgeschichte (history of science) 22, 477 Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftstheorie (philosophy of science) 4f., 7, 10f., 13, 22, 25f., 30f., 33, 162, 220, 268, 271f., 291f., 299f., 305, 345, 386, 391f., 450, 455, 467f., 471–473, 478, 481, 484, 489, 492, 494, 496, 499, 501, 503, 520 Worldview, s. Weltanschauung Zufall (coincidence) 21, 298, 301, 376, 462, 479 Zweifel (doubt) 5, 30, 56, 117, 131, 142, 162, 171, 189, 193, 202, 251, 262, 264, 317, 326, 339, 354, 392, 403, 414, 443, 466, 468, 479
Personenregister Abel, Gnter 13, 55, 63f., 218, 225, 235f., 337, 341f., 374f., 481f., 484–487, 493, 495–498, 500, 504, 506f., 510, 513–516, 522, 525 Acampora, Christa Davies 125, 405 Ackermann, Robert 456 Adorno, Theodor W. 220, 242, 265f., 288, 291, 304 Aischylos 473 Albrecht, Andreas 383 Alderman, Harold 50 Allen, Garland 297 Altman, Matthew D. 401 Anaximander 138 Anders, Anni 139, 350 Anders, Gnther 301, 305 Anderson, R. Lanier 55f., 65f., 70f., 135 Andreas-Salom, Lou 14, 357, 372, 374 Arain, Faisal A. 301 Aristoteles (Aristotle) 10, 139, 259, 265, 267, 326, 395–397, 446, 476 Arrowsmith, William 294 Ashtekar, Abhay 384 Augustinus, Aurelius 198f., 203, 205, 260 Avenarius, Richard 60, 345, 354 Babich, Babette 4, 7, 82, 91, 125, 192, 208, 221, 247f., 291–294, 296, 298–301, 306, 333, 353 Bacon, Francis 10, 455f., 462 Baer, Karl Ernst von 417 Bagehot, Walter 206 Bannert, Herbert 295 Barnes, Barry 450 Bauer, Bruno 11 Becker, Oskar 357–365, 367–369, 374 Beckmann, Jan P 260 Beiser, Frederick C. 414 Benne, Christian 4, 57, 155, 189, 191, 279, 295–297 Bennett, Maxwell R. & 490f. Bentley, Richard 194, 197f., 208
Benveniste, mile 200 Bergson, Henri 363 Berkeley, George 352 Birkhoff, George David 377 Bismarck, Otto von 47 Bittner, Rdiger 152 Bizet, Georges 180 Blackburn, Simon 7 Blttler, Christine 455, 458 Block, Ned 139, 372, 385f., 499 Blondel, ric 27 Bloor, David 450 Bohrer, Karlheinz 289f. Boltzmann, Ludwig 358, 361f., 365, 376–378, 382f. Bontempelli, Pier Carlo 296 Borges, Jorge Luis 373 Bornmann, Fritz 192, 194 Borsche, Tilman 465 Bosˇkovic´, Rugjer Josip (Boscovich) 118, 143, 145, 155, 360, 375 Boyd, Richard N. 493 Breazeale, Daniel 331, 413 Brillat-Savarin, Jean-Anthelme 304 Brobjer, Thomas 7, 10, 15, 31, 39, 43, 51, 53, 91, 296, 304, 334 Brodbeck, Karl-Heinz 392 Brown, Richard S. G. 47, 76, 304 Brundrit, Geoffrey B. 380 Brush, Stephen G. 376 Brusotti, Marco 6, 91, 95, 99, 101, 225, 230, 243, 372 Buckle, Henry Thomas 402 Burckhardt, Jacob 42, 94, 207 Burkert, Walter 432f. Bury, John Bagnell 402 Caesar, Julius 403, 406, 507 Cancik, Hubert 11 ˇ apek, Milicˇ 351 C Carnot, Nicolas Lonard Sadi 362, 376 Caro, Mario de 114, 333 Carr, Edward Hallett 402 Carroll, Sean M. 377, 383
546
Personenregister
Caspari, Otto 117 Cassirer, Ernst 70f. Cavell, Stanley 105 Chalmers, David J. 337 Chen, Jennifer 383 Choung, Dong-Ho 258 Churchland, Patricia S. 489, 499f. Churchland, Paul M. 489, 500, Clark, Maudemarie 19, 55f., 62, 66f., 82, 115, 135–138, 145–149, 151f., 156, 213, 217, 257, 260, 264, 446 Clausius, Rudolf 362, 376 Clifford, William 345, 349 Coe, Cynthia 401 Cohen, Hermann 60 Cohen, Robert S. 7, 19, 91, 353 Colli, Giorigo 27, 50, 276, 373, 467 Collingwood, Robin George 405 Collins, Harry M. 450 Comte, Auguste 12, 42, 60, 93, 402, 425f., 465 Conant, James B. 105, 449 Conway, Daniel W. 74, 76 Cornaro, Louis 304 Coule, David H. 381 Cox, Christoph 419 Crescenzi, Luca 15 Crick, Francis 490 Crutchfield, James 377 Danto, Arthur C. 50, 159f., 213, 291, 401 Darwin, Charles 11f., 83, 91, 258f., 293, 349, 351, 430, 461f., 475, 489 Davidson, Donald 449, 507, 510 Deleuze, Gilles 50 Dellinger, Jakob 149, 159f., 213 Demokrit (Democritus) 139, 334 Dennett, Daniel C. 490, 499, 505, 511f. Derrida, Jacques 27, 136, 213, 276, 278f., 392f., 399, 449f. Descartes, Ren 28, 226, 505, 511 Dewey, John 114, 449 Diamond, Jared 432f. Dierse, Ulrich 426 Dilthey, Wilhelm 12, 423–425, 429, 431 Diogenes Laertius 399 Dionysos 8f., 254
Douglas, Michael R. 382 Dries, Manuel 374 Du Bois-Reymond, Emil 12, 17–19, 428, 499 Duhem, Pierre 449, 493 Dhring, Eugen 65, 154, 232 Drr, Hans-Peter 239 Dutta, Sourish 382 Eco, Umberto 286 Edelman, Gerald M. 490 Eder, Antonia 281 Einstein, Albert 368, 376, 379f., 492 Ellis, George F. R. 380f. Ellrich, Lutz 277f. Ellul, Jacques 304f. Emden, Christian J. 192, 200, 337 Engels, Friedrich 11 Enkelmann, Wolf Dieter 391f., 395f. Epple, Moritz 369 Esken, Frank 499 Feuerbach, Ludwig 304 Feyerabend, Paul K. 21, 299, 449f., 500, 521 Figal, Gnter 243 Fink, Eugen 240, 242 Fischer, Klaus 17, 437 Flanagan, Owen 499 Fleck, Ludwik 299, 449f. Fleming, Marie 333 Foerster, Heinz von 449 Fornari, Maria Cristina 31, 74 Forster, Michael N. 414 Fçrster-Nietzsche, Elisabeth 345 Foucault, Michel 96, 215f., 242, 295, 401, 449f., 457–459, 461 Fourier, Jean Joseph de 446 Franck, Georg 393 Franconi, Flavia 301 Frank, Manfred 216, 498 Fraassen, Bas C. van 493 Frege, Gottlob 449 Freud, Sigmund 98, 165, 208 Fritsch, Theodor 46 Fritzsch, Ernst Wilhelm 3f. Fuchs, Emil 198f., 202f., 207, 306 Fuhrmann, Manfred 191 Gadamer, Hans-Georg
240, 296
Personenregister
Galen 132 Galilei, Galileo 448, 470, 485 Garbrecht, Oliver 277 Gardner, Sebastian 336 Garriga, Jaume 381, 383 Gasperini, Maurizio 382 Gaukroger, Stephen 10 Gebhard, Walter 27 Gedike, Friedrich 304 Gehlen, Arnold 259 Gentili, Carlo 7, 87, 91, 243 Gercke, Alfred 194, 197 Gerhardt, Volker 217, 225, 231, 266, 374, 457, 462, 472 Germer, Andrea 264 Gerratana, Federico 336 Geuss, Raymond 333, 418 Gibbons, Garry 383 Gibson, James 301 Gilbert, R. Nigel 449 Ginzburg, Carlo 293 Glasersfeld, Ernst von 449 Glatzeder, Britta 138, 140 Glucker, John 293 Glynn, Ian 490 Godbout, Louis 266 Gçdel, Kurt 492 Goethe, Johann Wolfgang von 41, 183, 229, 254, 291, 295, 345, 347, 350f., 516f. Golomb, Jacob 405 Gombrich, Ernst 521 Gonzlez-Daz, Pedro F. 385 Goodman, Nelson 518f., 521–523, 525f. Gori, Pietro 345f., 349–351, 353f. Grant, Ted 132, 166, 297 Green, Michael Steven 135, 137 Gregorius IX 240 Grimm, Rdiger H. 257, 259, 349 Groys, Boris 393 Guay, Robert 418 Gulick, Robert van 505, 513 Gumbrecht, Hans Ulrich 189, 200, 202, 204 Gnther, Frederike Felicitas 189, 194, 202f., 298 Gzeldere, Gven 499 Haar, Michel
275
547
Habermas, Jrgen 9, 215, 264, 277, 291 Hacker, Peter M.S. 490f. Hacking, Ian 456, 460, 493 Haeckel, Ernst 293 Hagner, Michael 458 Hntzschel, Jçrg 395 Harders, Gerd 373–375 Hrle, Wilfried 262 Harrasser, Karin 273 Hartmann, Eduard von 15, 334, 336–341, 414 Hatab, Lawrence J. 74 Hausdorff, Felix (Paul Mongr) 357–359, 365–369 Hawking, Stephen W. 375, 383 Heckmann, Heinz-Dieter 499 Heelan, Patrick A. 301 Heftrich, Eckhard 6 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 11f., 28, 291, 301, 338, 402, 414f., 421, 461, 487 Heidegger, Martin 29, 50, 225, 235f., 240, 266, 291f., 301f., 353, 359, 401, 449 Heinsohn, Gunnar 398 Heit, Helmut 8, 10, 39, 55 Heller, Karl Daniel 346 Heller, Peter 140, 225, 415 Helmholtz, Hermann von 12, 15f., 116f., 140, 334, 360, 376, 425, 447f. Hempel, Carl Gustav 402, 407f., 493, 518 Hnaff, Marcel 393, 396 Hennig, Irina 271 Heraklit (Heraclitus) 137–141, 143, 145, 147, 334, 373, 385, 399, 416f., 421, 441 Herder, Johann Gottfried 259, 282, 402, 469 Hobuß, Steffi 271 Hçdl, Hans Gerald 258 Hollingdale, Reginald J. 40, 50, 55, 125, 333 Holm, Carsten 303 Horaz 191, 193f., 197f., 207f. Horkheimer, Max 220, 242, 265, 304 Humboldt, Alexander von 378 Hume, David 10, 165, 259, 298, 300, 352, 374, 407, 468 Hurka, Thomas 105
548
Personenregister
Hussain, Nadeem 135, 353 Husserl, Edmund 359, 492, 498 Hymers, John 304f Ibbeken, Claudia 261 Ingarden, Roman 201 Jacobi, Carl Gustav 446, 448 Jhnig, Dieter 401 James, William 358, 446, 449, 511 Janaway, Christopher 74, 82, 114, 125, 149, 157, 167f., 170 Janz, Curt Paul 7, 14, 190 Jaspers, Karl 50, 213, 225, 296, 353 Jensen, Anthony K. 336, 401, 413f. Jordan, Stefan 4141 Jordan, Wolfgang 10 Kain, Philip Joseph 374 Kamecke, Gernot 274 Kant, Immanuel 10, 12, 32, 47, 68, 83, 116f., 121, 138, 152, 171, 226, 230, 240, 292, 300, 303, 341f., 347, 349, 352, 367, 468, 470, 487, 492, 508, 516 Katsafanas, Paul 66f., 337, 405 Kaufmann, Walter 40, 55f., 73, 132, 159, 213 Kaulbach, Friedrich 218, 267, 456–458 Keil, Geert 114 Kirchhoff, Gustav R. 349, 446f. Kleinpeter, Hans 345–354 Klossowski, Pierre 460 Knobe, Joshua, Olum, 381 Knodt, Reinhard 374 Knoll, Manuel 257, 267 Knorr-Cetina, Karin 449 Kohler, Jos. 94 Kçhnke, Klaus Christian 116 Kopernikus, Nikolaus 83, 118, 155 Kçselitz, Heinrich 4f., 365, 372, 374, 376 Koselleck, Reinhart 427, 432f. Kragh, Helge 368f. Kristeller, Paul Oskar 293, 296 Kruse, Merle-Marie 271 Kues, Nikolaus von 469 Kuhn, Thomas S. 299, 440, 449f. Kurzweil, Ray 395
Lachmann, Renate 286, 293–296, 298 Lacoue-Labarthe, Philippe 276f. Lamarck, Jean-Baptiste de 11f., 461 Lampert, Laurence 264 Landfester, Manfred 283 Landfester, Ulrike 295 Lanfranconi, Aldo 412, 415 Lange, Friedrich Albert 15, 17, 60, 115, 117–119, 121f., 139, 334, 352, 429–431 Lassalle, Ferdinand 11 Latacz, Joachim 5, 295 Latour, Bruno 450 Laudan, Larry 493 Leggewie, Claus 395 Leibniz, Gottfried Wilhelm 12, 55, 63f., 68f., 340, 360, 469, 485, 503 Leiter, Brian 74, 107, 113–116, 123–125, 135, 149, 154, 157, 165–169, 171, 173, 180, 213, 337, 419 Lematre, Georges 379 Lenin, Vladimir I. 345, 347 Leplin, Jarrett 493 Leslie, Charles R. 521 Lethen, Helmut 273 Levine, Joseph 503 Levins, Richard 297 Lvy-Bruhl, Lucien 449 Lewontin, Richard 297 Lichtenberg, Georg Christoph 509 Liebscher, Martin 336f. Lingis, Alphonso 301, 303f. Littr, mile 93 Lloyd-Jones, Hugh 294 Lobeck, Justus Florian 42 Locke, John 352, 458 Loeb, Paul S. 374f. Lohmann, Dieter 295 Lopes, Rogerio 113 Lorenz, Konrad 443, 449 Loschmidt, Johann Josef 361, 377 Lossi, Annamaria 74, 239 Lçwith, Karl 11, 353, 374, 456 Luhmann, Niklas 208, 391 Lycan, William G. 499 Lyotard, Jean-FranÅois 450 Maas, Utz 194, 197, 209 Macarthur, David 114
Personenregister
Mach, Ernst 18, 60, 345 –354, 368f., 449 Magnus, Bernd 50f. Mallgrave, Harry Francis 298 Man, Paul de 136, 401 Manschot, Henk 449 Margreiter, Reinhard 401 Marsden, Jill 82 Marx, Karl 11, 402 Mattenklott, Gert 192 Maturana, Humberto 449 Maudsley, Henry 101 Maxwell, James Clerk 358, 376f., 446 Mayer, Robert 375f., 446f. McGinn, Colin 337, 499 McInness, Brett 375 McNeill, John 432f. Menke, Christoph 460f. Mersini-Houghton, Laura 377, 382 Meschonnic, Henri 200, 206f. Metzinger, Thomas 337, 499 Meyer, Matthew 135 Miklowitz, Paul S. 82 Mitchell, Weir 75 Mittasch, Alwin 7, 353 Mittelman, Willard 138, 146 Moleshott, Jakob Mçller, Melanie 189, 208 Mommsen, Theodor 11 Montaigne, Michel de 96, 266 Montinari, Mazzino 50, 467 Moore, Gregory 7, 91 Mulkay, Michael 449 Mller, Enrico 284 Mller, Johannes 447 Mller-Lauter, Wolfgang 50, 149, 510 Ngeli, Carl 430 Naumann, Carl G. 3 Nehamas, Alexander 55, 60, 64, 138, 218, 472 Neumann, Carl 448 Neumann, John von 377 Newall, Paul 402 Newton, Isaac 10, 139, 362, 448, 521 Nicodemo, Nicola 225 Nielsen, Cathrin 7, 91 Niemeyer, Christian 158, 374 Nola, Robert 7 Norden, Eduard 194, 197
549
Ockham, Wilhelm von 259f., 446 Olum, Ken D. 381 Ørstedt, Hans-Christian 368 Orsucci, Andrea 93, 423, 426f., 430 Orth, Ernst Wolfgang 11 Ortona, Elena 301 Oschmann, Dirk 282 Ottmann, Henning 31, 225, 373f., 413 Overbeck, Franz 6, 17, 47, 373 Overington, Michael 453 Owen, David 74, 77, 128 Parmenides 137f., 140, 143, 266, 385, 416 Pawlowski, Tomasz 384 Pearson, Karl 345, 349 Pearson, Keith Ansell 81, 87 Penrose, Roger 384, 499 Perry, John 503 Petersen, Jens 267 Peukert, Detlev 264 Piazzesi, Chiara 257, 266 Pichler, Axel 213, 215, 217f. Pickering, Andrew 450 Pienia˛z˙ek, Pawel 401 Pieper, Annemarie 472 Pippin, Robert B. 128, 324, 333 Platon (Plato) 10, 12, 18, 20, 25, 35, 40f., 59, 114, 130, 159, 167, 226, 241, 245, 249, 257, 259f., 262, 334f., 396, 399, 416, 437, 440, 453 Poellner, Peter 57, 138, 146, 337, 419 Poincar, Jules Henri 361f., 365f., 377, 449 Popper, Karl R. 403, 407, 445, 449–453 Porter, James 192, 194, 204, 294 Pçschl, Viktor 294 Post, Albert Hermann 94, 418 Priddat, Birger P. 393 Protagoras 257, 259 Putnam, Hilary 368, 449, 492–496 Quine, Willard van Orman 449f., 493, 519f.
118, 437,
Ranke, Leopold von 43, 414f., 421, 475 Rankine, William Macquorn 446 Rath, Norbert 242 Raulet, Grard 414 Rawidowicz, Simon 304
550
Personenregister
Rawls, John 105 Reckermann, Alfons 213 Re, Paul 94, 302, 418f. Reginster, Bernard 55, 58–60, 66f. Reichenbach, Hans 507 Reinhardt, Karl 401 Reschke, Renate 462 Reuter, Sçren 15f. Rey, Abel 357f., 362f., 368f., 448f. Rheinberger, Hans-Jçrg 458 Ribeck, Otto 296 Ribot, Thodule 100 Riccardi, Mattia 152, 350 Richardson, John 55, 65, 68, 146, 315, 317, 325, 329, 476 Rickert, Heinrich 424f. Ridley, Hugh 304, 333 Riemann, Bernhard 376 Ritschl, Friedrich 190, 194–196, 199, 293f., 296, 300 Roberts, Geoffrey 405 Robins, William 293f., 296 Rohde, Erwin 14, 47, 194, 297, 299, 373 Ronell, Avital 455f., 458, 461 Rorty, Richard 449f., 500 Rosenthal, David M. 499, 505 Rossbach, August 195 Rousseau, Jean-Jacques 67, 183, 282 Roux, Wilhelm 430 Russell, Bertrand 7, 449 Salaquarda, Jçrg 413, 472 Sallust 208 Sandvoss, Ernst R. 8 Sapir, Edward 449 Sarasin, Philipp 96 Sartre, Jean Paul 449 Schacht, Richard 19, 50, 55, 125, 161, 468 Schadewaldt, Wolfgang 295 Schefold, Bertram 392 Schiemann, Gregor 17 Schiller, Ferdinand 346 Schiller, Friedrich 66, 281, 295, 345 Schlaffer, Heinz 209 Schlechta, Karl 139f., 190, 350, 401, 411f. Schleicher, August 293 Schlick, Moritz 346, 447
Schlimgen, Erwin 337, 503 Schloßberger, Matthias 459, 461–462 Schmeitzner, Ernst 3, 427 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 293, 296 Schmitt, Carl 427 Schndelbach, Herbert 11, 14 Scholtz, Gunter 426 Schçnherr-Mann, Hans-Martin 266 Schopenhauer, Arthur 6, 11, 15, 58f., 62f., 66, 82f., 101, 110, 114, 146, 163, 167, 183, 189, 202, 262, 287, 336, 338, 341, 349, 352, 415f. Schrift, Alan D. 50f. Schuringa, Christoph 411 Schtrumpf, Eckart 267 Schwaabe, Christian 264 Schwindt, Jrgen Paul 210 Searle, John R. 490, 499 Semmel, Bernard 402 Semper, Gottfried 298 Sheehan, Helena 297 Simon, Josef 149, 158, 383, 503 Singer, Wolf 511f. Singh, Parmpreet 384 Sitter, Willem de 383f. Skowron, Michael 373, 462 Small, Robin 350, 353, 374f., 421f. Smolin, Lee 383 Sokrates (Socrates) 8f., 13, 18, 25, 35, 49, 226, 249f., 474 Sommer, Andreas Urs 221, 257, 259 Sorbo, Lorenzo 383 Spencer, Herbert 31f., 93, 120 Spir, Afrikan 120f., 350 Spreafico, Andrea 249 Stack, George 346 Stallo, John 345, 349 Stegmaier, Werner 25–28, 32f., 35f., 74, 79, 154f., 158, 213f., 216f., 220, 225, 235f., 244, 258, 357, 365, 472, 476 Steiger, Otto 29, 398, 476, 487 Steinhardt, Paul 384 Steinle, Friedrich 456 Sticker, Bernhard 448f. Stingelin, Martin 418, 509 Stoeger, William R. 381 Stçltzner, Michael 357, 361 Strauss, David Friedrich 11, 45, 412
551
Personenregister
Strong, Tracy B. 50 Susskind, Leonard 382 Tacitus 207 Taine, Hippolyte 47 Tegmark, Max 382 Teichmller, Gustav 145 Tenzing, Judy 303, Tenzing, Norgay 303 Tenzing, Tashi 303 Terentianus Maurus 198 Terentius Varro 198 Teuffel, Wilhelm Sigmund 198 Thiel, Rainer 295 Thomas, Tanja 271 Thouard, Denis 200 Timm, Elisabeth 273 Timpanaro, Sebastiano 293 Tolman, Richard Chase 379 Tongeren, Paul van 73, 209, 214, 226 Tononi, Giulio 490 Trabant, Jrgen 200 Troeltsch, Ernst 13 Tryon, Edward 382 Tucker, Aviezer 402 Turgenjev, Ivan Sergejewitsch 76 Turok, Neil 384 Ueberweg, Friedrich
334
Vaas, Rdiger 371, 375, 377, 379–386 Vachaspati, Tanmay 382 Vaihinger, Hans 18, 117, 345, 449 Veneziano, Gabriele 382 Venturelli, Aldo 9, 298 Vilenkin, Alexander 375, 381, 383 Villwock, Peter 374 Virchow, Rudolf 75 Vogt, Johann Gustav 375 Wagner, Richard 5f., 9, 40, 46, 49, 82, 163, 180, 189f., 196, 202, 255, 275, 297f., 474
Wahl, Wolfgang 304 Ward, Joseph 125 Wartofsky, Marx 304 Watzlawick, Paul 449 Weber, Marcel 455 Weber, Max 9, 264 Weidtmann, Niels 498 Weizscker, Carl Friedrich von 383 Wellhausen, Julius 11 Welshon, Robert C. 405 Welzer, Harald 395 Westphal, Rudolf 204 White, Alan 264f. White, Hayden 401 Whitehead, Alfred North 450 Whorf, Benjamin Lee 449 Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich 352 Wilcox, John T. 82 Willems, Herbert 305 Williams, Bernard 333, 419 Windelband, Wilhelm 352, 423–425, 429, 431 Wittgenstein, Ludwig 273, 449, 487 Wolff, Hans M. 336 Woods, Alan 297 Woolgar, Steve 450 Wotling, Patrick 28 Wright, Georg Henrik von 507 Wundt, Wilhelm 93, 425f., 449 Yurov, Artyom V.
385
Zeki, Semir 490 Zeller, Eduard 11f., 429 Zermelo, Ernst 361, 378 Zittel, Claus 26, 39, 152, 158, 217f., 223f. Zçllner, Johann Carl Friedrich 15, 375 Zuckert, Catherine 401 Zwart, Hub 76