Wirkungen des Krieges auf Rechtsverhältnisse der Elektrizitäts- und Gaswerke [Reprint 2021 ed.] 9783112509128, 9783112509111


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Wirkungen des Krieges auf Rechtsverhältnisse der Elektrizitäts- und Gaswerke [Reprint 2021 ed.]
 9783112509128, 9783112509111

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Wirkungen des

Krieges aus Rechtsverhältnisse der Elektrizitäts- und Gaswerke Zur Frage der Tariferhöhungen, Bezahlung

vereinbarten Mindestverbrauches trotz Verbrauchseinschränkung, Beschlagnahme elektrischer Maschinen

Von

Dr. iur. Fritz Böckel RechtSanwatt am Gemeinsch. Thür. OberlandeSgericht Jena

^7

1918

München, Berlin und Leipzig S. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier)

Druck von Dr; F. P. Datiern & Tie. (Arthur Sellier) München-Freising.

Lerrn Major d. L. z. D.

August Kronbiegel-Collenbusch in dankbarer Verehrung gewidmet.

Vorwort Die in der vorliegenden Schrift vereinigten Abhandlnngen sind erwachsen aus Anregungen, die ich meiner militärischen Laufbahn ver­ danke. Der strenge Lehrmeister Krieg hat ja fast allen, die für das Vaterland den feldgrauen Rock angezogen haben, auch — meist freilich viel

zu teuer bezahlt — einen Gewinn an geistigen und seelischen Gütern gebracht.

Wie arm steht jetzt mancher Reiche mit seinen Reisen vom Nordkap bis zu den Pyramiden, mit all seiner Bädekerweisheit vor dem in Mühe und Schweiß, in Not und Entbehrungen erworbenen geographischen Wissen seines Acker­

knechtes oder Handwerkers, der in Ost und West, von Riga bis an die Maze­ donische Front, von der Nordsee bis zum Adriatischen Meer, Land und Leute kennen gelernt hatl

Was ist der viel erfahrene große Dulder

Odysseus gegenüber so manchem schlichten deutschen Feldgrauen? Zu der Erweiterung des äußeren Gesichtskreises trat eine innere Bereicherung, eine Umwertung nicht aller, aber doch vieler Werte.

Ungezählte, für die bisher der Ruf nach Rückkehr zur Natur vergeblich erklungen war, hat der Krieg zur Natur zurückgebracht. Wer trotz Erschöpfung vor Nässe und Kälte den ersehnten Schlaf nicht fand, weiß

ein Dach über dem Kopf zu schätzen, weiß, was für ein „Luxus"' ein Bett ist. Wer die Entbehrungen der Front beim schnellen Vormarsch durchgemacht hat, weiß, was ein Stück Brot bedeutet und wie die einfachste Verpflegung daheim um ihrer Regelmäßigkeit willen zurückersehnt wurde. Nicht weil ich mir einbildete. Außerordentliches erlebt zu haben, im Gegenteil, nur als einen bescheidenen Beitrag dafür, wie der Krieg

den äußeren und inneren Gesichtskreis der Feldgrauen zu erweitern vermochte, glaube ich, im Vorwort, das ja für persönliche Mitteilungen außerhalb der strengen Sachlichkeit des wissenschaftlichen Werkes bestimmt ist, von meinem militärischen Entwicklungsgang reden zu dürfen. Nur als ein Beispiel dafür, wie der Krieg den Einzelnen, der schon festge­ wurzelt und fertig erschien, herumgeworfen und in immer neue Ver­

hältnisse, belehrend und bereichernd, geführt hat. Der ungediente Landsturmmann lernte die Freuden der Ausbildung

38—40 jähriger Männer als Rekruten kennen. Zu einem aktiven Regiment im serbischen Feldzug an die Front entsandt, den Anstrengungen des Feldzuges nicht gewachsen, lag er drei Monate in Lazaretten und tat

so Einblick in das Sanitätswesen, vom Feldlazarett hinter der Front, über Lazarettschiff und Lazarettzug bis zu den Errungenschaften einer

6 modernen Klinik. Beim Ersatztruppenteil eröffnete sich dem Akademiker der Schreibstubendienst. Bei der Rentenabteilung konnte der Jurist

den von der Volksschule gekommenen Kameraden in den oft kaum leserlichen Berichten der Ärzte die Fremdworte entziffern helfen, mit denen die Heilkunde sich als eine Geheimkunde dem profanum vulgris zu verhüllen scheint. Das Generalkommando versetzte den Gefreiten zum Landsturmbataillon. Dort wurde der Rechtsanwalt Militärgerichts­

schreiber bei dem Gericht der Kommandantur eines Gefangenenlagers. Der Gefreite mit der Unterschristenmappe Monate lang täglich zum Vor­ trag beim General, bis ein Referendar als Gerichtsoffizier sein Vor­

gesetzter wurde! Aus dem Barackenlager im landwirtschaftlich reichen Flachlande in das Häusermeer des hungrigen Berlin. Zum Kriegs­ ministerium, Kriegsamt, Kriegsrohstoffabteilung. Die Fülle der Kriegs­ rohstoffgesetzgebung tat sich dem nacheinander in verschiedenen Sektionen beschäftigten Beamtenstellvertreter auf. Vom Kriegsministerium in das Reichsamt des Innern — nach der Teilung und Umgestaltung dieser Behörde das Reichswirtschaftsamt — als Abteilungsleiter beim Treu­ händer für das feindliche Vermögen (Bundesratsverordnung vom 19. April 1917 RGBl. S. 363). Als rechtskundiger Mitarbeiter der Sektion El der Kriegsrohstoff­ abteilung (für Elektrizität, Gas und Wasser) lernte ich die Bedürfnisse und Rechtsstreitfragen der Elektrizitäts- und Gaswerke kennen, die mich

zu den hier vorliegenden Betrachtungen geführt haben.

Die Aufsätze

entstammen also zwar dienstlichen (aber auch außerdienstlichen) An­ regungen; sie bedeuten jedoch nicht die amtliche Stellungnahme der genannten Diensfftelle. Sie sind nur private, außerdienstliche Arbeit.

Die Entlassung aus dem Heeresdienste ermöglicht mir auch eine Widmung dieser Schrift und damit ein Urteil über einen Mann, der mein Vorgesetzter war. Ich verehre in dem unermüdlich tätigen Leiter der Personalabteilung der Kriegsrohstoffabteilung des Kgl. Preußischen Kriegsministeriums, Herrn Major z. D. Kronbiegel-Collenbusch, das Muster eines Offiziers und eines gerechten und wohlwollenden Vor­ gesetzten, der beste Menschenkenntnis mit dem Geschick verbindet, sich über

Personen und Verhältnisse ein eigenes sicheres Urteil zu schaffen. Ihn kennen gelernt zu haben, gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner militärischen Dienstjahre, in deren trüben Tagen mich das Wort

des alten Herrn Vergil zu trösten pflegte:

olim meminisse iuvabit. Jena, Kriegsweihnachten 1917.

Fritz Böckel.

Inhaltsverzeichnis. Borwort.............................................................................................................. 1« Tariferhöhungen trotz Vertrages? Ein Beitrag zur Lehre von der clausula rebus sic stantibus......................................................................... § 1. Einleitung..............................................................................................

Seite 5 9 9

1. Kapitel. Der Streit um die Klausel.

§ 2. § 3. § § § §

4. 5. 6. 7.

Die clausula rebus sic stantibus........................................................... 11 Die Ablehnung der Klausel durch die Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs ................................................................................................12 Die Ablehnung der Klausel durch das Reichsgericht .... 13 Gefolgschaft des Reichsgerichts in der Literatur................................ 16 Zusammenfassung der herrschenden Meinung..................................... 19 Ergebnis....................................................................................................20

2. Kapitel. Hilfeversuche in der Literatur.

§ § § § § §

8. Starke........................................................................................................... 21 9. Die Lehre Dernburgs.................................................................................25 10.Oertmann ......................................................................................... 27 11. Haußmann.................................................................................................29 12.Crome...........................................................................................................33 13. Silberschmidt.Schmeißer..............................................................................37

3. Kapitel. Tariferhöhungen mit Hilfe der Klausel. § § § §

14. 15. 16. 17.

Einleitung ................................................................................................ 40 Die Klausel in der Rechtsgeschichte...................................................... 42 Die Klausel im BGB...................................................................................45 Anerkennung der Klausel in der Rechtsprechung ............................ 49 4. Kapitel. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts.

§ § § §

18. 19. 20. 21.

Einleitung ................................................................................................ 55 Die von Starke angeführten Urteile des Reichsgerichts ... 55 Weitere Zugeständnisse des Reichsgerichts........................................... 60 Tariferhöhungen mit Hilfe des § 157 BGB.......................................... 65

8 5. Kapitel.

Sette

Fremde Rechte.

§ 22.

Vorbemerkung............................................................................................... 67

§ 23. § 24.

Die Rechtslage nachCode civil................................................................68 Die Rechtslage inOsterreich-Ungarn...........................................................70

§ 25.

Schluß................................................................................................................75

II. Die Bezahlung vereinbarte« Mindestverbrauchs trotz BerbranchseinschrLnkung

III

.......................................................................................................................77

Die Beschlagnahme elektrischer Maschinen, Transformatoren «nd Apparate.

Anhang............................................................................................................................ 89 I,

1. Die Bekanntmachung über Beschlagnahme und Bestandserhebung für elektrische Maschinen, Transformatoren und Apparate vom 15. Juni 1917................................................................................................ 97

2. Die amtlichen Erläuterungen dazu....................................................... 100

n. 1. Die Bekanntmachung über Beschlagnahme und Bestandserhebung von Lokomobilen vom 20. Juni 1917..................................................102

2. Die amtlichen Erläuterungen dazu........................................................106

I. Tariferhöhungen trotz Vertrages? Ein Beitrag zur Lehre von der clausula rebus sic stantibus.

§1.

Einleitung. Im Frieden haben die Elektrizitäts- und Gaswerke regelmäßig

mit ihren Großabnehmern langfristige Lieferungsverträge zu einem

im voraus festgelegten Preise abgeschlossen, z. B. die Stadtverwabtungen mit den Gaswerken über die Beleuchtung der Straßen. Da es sich um dauernde Abnahme einer großen Menge handelte, wurden den Verbrauchern äußerst günstige Preise zugestanden. Aber auch der Kleinverbraucher erzielte, wenn er sich zur Abnahme bestimmter Mindestmengen verpflichtete, vorteilhaftere Bedingungen als bei einem

nicht nach unten begrenzten Verbrauch. In beit meisten Fällen konnte das Werk aus wirtschaftlichen Erwägungen den Anschluß überhaupt nur vornehmen, wenn ihm durch die Pflicht zur Abnahme der Mindestmenge Deckung des Kostenaufwandes gewährleistet wurde. Da kam der Krieg und in seiner Folge eine Steigerung der Kohlew-

preise bis zu 100 o/o und mehr, der Preise anderer Betriebsstoffe um mehrere 100 o/o und eine ebenfalls außerordentliche Steigerung der Löhne. Dazu legte er den Werken die Ehrenpflicht auf, für die

Familien ihrer eingezogenen Angestellten weiter zu sorgen. Ein Ende dieses Wachsens der Geschäftsunkosten ist noch nicht abzusehen.

Crome („Der Konzessionsvertrag und seine Ausführung im Kriege. Ein Beitrag zur Lehre von der Unerschwinglichkeit der Leifhmg")1) beleuchtet (S. 2) wie folgt:

den Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse

„Wenn die Kohlen, die ein Gaswerk zu verarbeiten gezwungen ist, im Jahre 1916 um durchschnittlich 10 Mk. pro Tonne mehr

kosteten, als zu Friedenszeiten, wofür sie aber in der Qualität wesent*) Im „Archiv für die Zionistisch« Praxis" Bd. 115 S. 1 ff.

10 lich geringer waren, so leuchtet ohne weiteres ein, daß die Gaspreise erhöht werden müssen, um die Gaslieferung mit den erhöhten Pro­ duktionskosten in Einklang zu setzen. Ähnlich verhält es sich mit der Lieferung von Elektrizität. Man vergegenwärtige sich die Sachlage! Es ist ausgerechnet, daß beim Gaswerk der Stadt Berlin aus einer Tonne Kohlen neuester Förderung nur etwa 280 bis 285 Kubikmeter reines Kohlengas gewonnen werden konnten, gegenüber einer Pro­ duktion von 320 bis 325 Kubikmeter bei den früher verwendeten Kohlen. Das macht also ein Sinken der Gasproduktion um zirka 121/2 o/o aus. Wenn ein städtisches Gaswerk sonst jährlich rund eine Million Tonnen Kohlen verarbeitete, so muß es jetzt, um die gleiche Menge Gas zu erhalten, statt einer Million rund 1150000 Tonnen Kohlen verarbeiten. Wenn nun der Preis der Tonne, wie erwähnt, um 10 Mk. stieg, so ergibt sich daraus eine Steigerung der Herstellungskosten allein am Rohmaterial um rund 12 Millionen Mark (Berlin. Tagebl. 10. März 1916 Nr. 129). Dazu kommt dann noch die Erhöhung der Löhne, bei teilweise ganz ungeübtem neuen Personal, die Unterstützung der Familien der eingezogenen Ange­ stellten, die außerordentliche Steigerung der übrigen Betriebsmittel (an Putz- und Schmiermitteln, Ersatzteilen usw.), kurz der ganzen Unterhaltung des Werks, endlich die geringere und wesentlich gering­ wertigere Ausbeute an Koks mit ähnlichen Mehr- resp. Fehlbeträgen." Solche Umwälzung der wirtschaftlichen Grundlagen hat alle dem Vertragsabschluß zugrunde gelegten Berechnungen umgestürzt. Wenn die Werke zu den vereinbarten Preisen weiter zu liefern gezwungen sein sollten, so bedeutet das unabsehbare wirtschaftliche Schädigungen, vielleicht den Zusammenbruch manchen Werkes. Die Großabnehmer dagegen haben fast immer im Hinblick auf die allgemeine Erhöhung der Erzeugungskosten ihre Preise erhöht, die Mehrzahl von ihnen auch ansehnliche Kriegsgewinne erzielt. Ein Teil von ihnen hat sich auch nicht der Einsicht in die veränderte Lage der Werke verschlossen und, nach dem Vorbild mancher staatlichen Verwaltung, schon aus Billigkeitsrücksichten eine Erhöhung der Preise bewilligt. Es erhebt sich aber die Frage: Können die widerstrebenden Abnehmer noch auf jene Friedensverträge pochen? Oder ist das Werk berechtigt, unter Hinweis auf die Umstürzung der Bertragsgrundlagen voy dem Ver­ trage zurückzutreten? Die Vertragsauflösung würde ja freie Bahn für einen neuen Vertragsabschluß zu höheren Preisen schaffen.

11 1. Kapitel.

Der Streit um die Klausel. §2.

Die clausula rebus sic stantibus. In den „Gedanken und Erinnerungen" (Bd. 2 S. 258) sagt Bismarck über den Dreibund: „Die Internationale Politik ist ein flüssiges Element, das unter Umständen zeitweilig fest wird, aber bei Veränderungen der Atmosphäre in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückfällt. Die clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, die Leistungen bedingen, stillschweigend ange­ nommen. Der Dreibund ist eine strategische Stellung, welche ange­ sichts der zur Zeit seines Abschlusses drohenden Gefahren ratsam und unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen war."

Was bedeutet die clausula rebus sic stantibus? Das Reichsgericht bestimmt sie als „den stillschweigenden Vorbehalt gleich bleibender Verhältnisse" (Warneyer, Rechtsprechung Bd. 4 S. 246, s. unten § 20IV S. 64). Regelsberger nennt sie „den Vorbehalt veränderter Umstände" (Sicherheit für betagte oder bedingte Forderungen" in Jherings Jahrbücher Bd. 40 S. 473, s. unten § 5 VI S. 18). Wir verstehen darunter die Annahme, bei allen gegenseitigen Verträgen sei stillschweigend vorausgesetzt, daß nicht nach Ver­ tragsabschluß und vor Erfüllung eine wesentliche Veränderung der Vertragsgrundlagen eintrete, die entschuldbarerweise bei Vertrags­ abschluß nicht in Rechnung gestellt worden ist. Die Geltung einer solchen Klausel wird im Staats- und Völker­ recht allgemein anerkannt. ?) In unserem Fall handelt es sich aber durchweg um privatrecht­ liche Verträge, auch wenn sie mit Körperschaften des öffentlichen Rechtes abgeschlossen sind. Sie unterstehen dem allgemeinen bürger­ lichen Recht, unter Umständen dem Handelsrecht. Es ist also zu prüfen, ob unser geltendes Privatrecht die Klausel anerkennt. Über die praktische Bedeutung der Klausel gerade für unsere Kriegszeit sagt Cohen, „Die Windscheidsche Voraussetzung infolge des Krieges rediviva!" (IW. 1916 S. 109 ff.): „Die geradezu unzähligen Streitigkeiten, welche insbesondere in der kaufmännischen

a) Näheres s. bei Kaufmann, „Das Wesen des Völkerrechts u. die clausula rebus sic stantibus", Tübingen 1911.

12 Welt betreffs der Einwirkung des Weltkrieges auftauchen, bilden im wesentlichen einen Bestandteil der Kontroversen über das innere Wesen und die innere Berechtigung der clausula. Man darf weiter­ gehend sagen: daß man zu einer richtigen Beurteilung der Kriegs­ einwirkungen erst gelangen kann, wenn man eine zutreffende ,Dia­ gnose' für das verhältnismäßig noch ganz junge Rechtsinstitut der ,clausula' gefunden haben wird." 8 3Die Ablehnung der Klausel durch die Gesetzgeber des

Bürgerliche« Gesetzbuchs.

I. Die Motive zum ersten Entwurf des BGB. erklärten sich wiederholt (Bd. 2 S. 199 und S. 315) gegen die Klausel. Sie betonten, daß die Vorschrift des § 458 Entw. 1, jetzt 610:

„Wer die Hingabe eines Darlehens verspricht, kann im Zweifel das Versprechen widerrufen, wenn in den Vermögens­ verhältnissen des anderen Teiles eine wesentliche Verschlech­ terung eintritt, durch die der Anspruch auf die Rückerstattung gefährdet wird"

nur eine vereinzelte Ausnahmebestimmung sei, die nicht einmal auf naheliegende Fälle der Kreditzusage, z. B. beim Kaufe, erstreckt werden dürfe?) II. Diese, wie Stammler (Recht der Schuldverhältnisse §28 S. 92) treffend bemerkt, „allzu kühle Stellung" gegenüber wesentlichen Veränderungen der Vertragsgrundlagen teilte die zweite Kommissioy zwar nicht, sondern schuf den allgemeinen Grundsatz des jetzigen § 321 BGB.: „Wer aus einem gegenseitigen Vertrage vorzuleisten ver­ pflichtet ist, kann, wenn nach dem Abschlüsse des Vertrags in den Vermögensverhältnissen des anderen Teiles eine wesentliche Verschlechterung eintritt, durch die der Anspruch auf die Gegen­ leistung gefährdet wird, die ihm obliegende Leistung verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie geleistet wird." *) S. dazu auch unten §41 S. 13. ’) Wie sehr diese Behandlung der Kreditzusage dem bisherigen Recht widersprach, zeigt u. a. die Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts v. 2. Nov. 1877 in Bd. 23 S. 137 ff. und in SeusfArch. Bd. 34 S. 5 ff. Nr. 5; s. auch die in SeusfArch. angeführten früheren Erkenntnisse.

13 Sie betonte aber bei dieser schon in der Wirkung nur auf ein Zurückbehaltungsrecht abgeschwächten Anerkennung der Klausel, daß es sich nur um einen Sonderfall handle und sie grundsätzlich an dem Standpunkt der ersten Kommission, nämlich der Ablehnung einer allgemeinen Geltung der Klausel, festhalte (Protokolle Bd. 2 S. 4 ff.). §4-

Die Ablehnung der Klausel durch das Reichsgericht. Unter Berufung auf die Äußerungen der Gesetzgeber hat sich das Reichsgericht wiederholt gegen die Klausel als „den still­ schweigenden Vorbehalt gleich bleibender Verhältnisse" *) ausgesprochen. Darunl wird eine ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts in dieser Frage angenommen.?) I. So bemerkt der 2. Zivilsenat in der Entscheidung vom 11. April 1902 (Bd. 50 S. 255ff.): „Die Ausführungen, daß nach dem Rechte des BGB. einer Veränderung in der Vermögenslage des einen Kontrahenten an sich kein Einfluß auf die Verpflichtung des anderen Kontrahenten eingeräumt sei, wenn nicht einer der Ausnahmefällc der §§ 321 und 610 BGB. vorliege, lassen eine Ver­ letzung des Gesetzes nicht erkennen. Das BGB. hat einen Satz des Inhaltes, daß jeder Vertrag oder doch das Termingeschäft als mit der clausula rebus sic stantibus abgeschlossen anzusehen sei, nicht ausgenommen. Mit Bezug auf § 458 des Entwurfes I, dem im wesentlichen der § 610 BGB. entspricht, haben die Motive zum Entwurf I an einer anderen Stelle — Bd. 2 S. 199 — ausdrücklich ausgeführt: „den Rücktritt wegen veränderter Umstände — clausula rebus sic stantibus — läßt der Entwurf nur in einem Falle zu, nämlich bei dem Vertrage, durch welchen die Hingabe eines Darlehens versprochen wird". Von der II. Kommission — Protokolle Bd. 1 S. 631 — wurde die Klausellehre in dem durch § 321 BGB. bezeichneten Umfange und mit der dort bezeichneten Wirkung auch auf den Fall der Verpflichtung zur Vorleistung aus einem gegen­ seitigen Vertrage ausgedehnt. Die bezogenen Beratungen hierüber und die Beratungen der II. Kommission zu § 485 Entwurf I — 1) S. Warneyer, Rechtsprechung Bd. 4 S. 246 (unten S. 64). 2) Weitere Ablehnungen der Klausel s. in den Entscheidungen des RG.: IW. 1916 S. 1184 Nr. 2 (unten § 19 II 2 S. 58) u. IW. 1905 S. 168 Nr. 5 (unten § 20II1 S.61); Warneyer, Rechtsprechung Bd. 2 S. 61 Nr. 65 (unten § 20II1 S. 62) u. Bd. 4 S. 246 Nr. 223 (unten § 20IV S. 64); ferner IW. 1902 Beilage S. 230 Nr. 93 (2. ZS. Urt. v. 11. April 1902).

14 Protokolle Bd. 2 S. 47 — lassen aber unzweideutig erkennen, daß es sich hier nicht um Anwendung eines allgemeinen Prinzipes auf zwei konkrete Tatbestände handelte, sondern um die singuläre Nor­ mierung lediglich jener besonders gearteten Verhältnisse. Allerdings wird noch, wie bereits die Motive zu Entwurf I — Bd. 2 S. 199 — hervorgehoben haben, in jedem Einzelfalle weiter zu prüfen sein, ob nicht nach der Absicht der Parteien der Rücktritt wegen veränderter Umstände der einen oder anderen Partei zustehen soll, und es wird bei dieser Prüfung nach § 346 HGB. auf die im Handels­ verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche, sowie nach § 157 BGB. auf das, was Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Ver­ kehrssitte fordert, Rücksicht zu nehmen sein" (S. 257). II. Im Urteil vom 28. Januar 1905 (Bd. 60 S. 58) erklärt der 7. Zivilsenat sogar: „Es herrscht darüber kein Streit, daß die sog. clausula rebus sic stantibus im allgemeinen weder nach dem Code civil noch nach dem BGB. Anspruch auf Geltung hat, daß also insbesondere eine ungünstige Änderung in der Vermögenslage des einen Kontrahenten dem andern grundsätzlich noch kein Recht gibt, von dem Vertrage zurückzutreten. Nur ausnahmsweise wird einer solchen Änderung ein Einfluß auf die Gültigkeit oder Wirksamkeit des Vertrages eingeräumt (vgl. §§ 321, 610 BGB.; Crome, System des deutschen bürgerlichen Rechts Bd. 1 § 78 Anm. 5)." Das Reichs­ gericht schließt daran aber die bedeutsame Einschränkung: „Damit ist jedoch die Prüfung nicht ausgeschlossen, ob nicht im einzelnen Falle oder auch bei einer ganzen Gattung von Verträgen nach der Absicht der Parteien und nach der Natur der Verträge ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände gegeben ist. Vgl. Motive zum 1. Entwurf des BGB. Bd. 2 S. 199; Entsch. des RG. in Zivilsachen Bd. 50 S. 257. Hierbei wird bei Handelsgeschäften auf die im Handelsverkehre herrschenden Gewohnheiten und Gebräuche und überhaupt auf das, was Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte fordern, Gewicht zu legen sein (Art. 278, 279 ADHGB., §§ 133, 157 BGB., Art. 1156 Code civil)."3)

III. Am schärfsten tritt der Standpunkt des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 21. März 1916 (Bd. 88 S. 172 ff.) in die Erscheinung. Der 2. Zivilsenat sagt da: „Allerdings wird mehrfach in der Literatur und auch von den Gerichten ausgeführt, daß, wenn 3) Weitere Ausführungen dieses Urteiles s. unten § 19II1 S. 57.

15 der Marktpreis gewisse Grenzen übersteigt, der Deckungskauf dem Verkäufer billigerweise nicht mehr zugemutet werden könne, ohne Rücksicht auf die Lehre von Unmöglichkeit und Unvermögen, kraft § 242 BGB. nach Treu und Glauben nicht mehr von ihm zu fordern sei. Diese Ansicht ist aber jedenfalls in der Anwendung auf den Großhandel zu verwerfen. Die Befreiung des Verkäufers aus solchem Grunde wird durch die Regel auf Treu und Glauben nicht gerechtfertigt; sie würde auch in aufgeregten Zeiten die Erhaltung eines geeigneten Wirtschaftslebens unmöglich machen." — „Im Groß­ handel, in dem die Ware von Hand zu Hand geht, sind das Interesse des Verkäufers und das des Käufers der Regel nach von gleicher Art und auch von gleichem Betrage" (S. 175). Der Verkäufer wird „weder kraft der Regel der §§ 275, 279 BGB. noch kraft § 242 BGB. von der Lieferung befreit, wenn im Großhandel marktgängige Ware verlauft und der Marktpreis in einem außerordentlichen, bis dahin nicht für denkbar erachtetem Maße gestiegen ist. Im Gegenteil gilt für solche Geschäfte der Grundsatz, daß der Verkäufer niemals von der Lieferung frei wird, solange die Ware am Markte gehandelt wird und zu haben ist. Kein noch so außerordentliches Steigen des Preises befreit den Verkäufer, solange ein wirklicher Marktpreis besteht, zu dem die Ware zwischen verschie­ denen Verkäufern und Käufern gehandelt wird und in einer für die Vertragsleistung genügenden Menge käuflich ist" (S. 177). Das Reichsgericht bürdet also dem Verkäufer das Risiko jedes unvorhergesehenen und unabsehbaren Steigens des Preises auf, zu dem er sich einzudecken hat.

IV. Entsprechend dieser ständigen Ablehnung der Klausel *) hat das Reichsgericht in dem Urteil des 3. Zivilsenats vom 4. Mai 1915 (IW. 1915 S. 700 Nr. 6) es auch abgelehnt, dem Mieter eines Zirkusgebäudes ein Rücktrittsrecht von dem Mietverträge wegen *) Aus der Gefolgschaft des Reichsgerichtes in der Rechtsprechung sei hier nur hingewiesen auf das Urteil des Oberlandesgerichts zu Rostock v. 8. Juli 1915 (Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Bd. 31 S. 180): „An sich berührt der Ausbruch des Krieges vorher geschlossene Lieferungsverträge nicht; ihre Gültigkeit ist von dem Fortbestand derjenigen Verhältnisse, unter denen sie geschlossen sind, nicht abhängig." Wenn das OLG. (S. 181) unter Berufung auf RG. 57, 119 bemerkt, die Steigerung des Handelspreises um 70% reiche nicht aus, um die durch die erhöhten Anschaffungskosten bewirkten Schwierig­ keiten nach der Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleichachten zu müssen, so ist das juristisch folgerichtig. Die Klausel steht aber auf einem ganz anderen Boden als dem der Unmöglichkeit der Leistung.

16

Kriegsausbruchs zu gewähren. „Ein Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände ist in dem BGB. im allgemeinen nicht gegeben und könnte hier nur dann anerkannt werden, wenn es als stillschweigend vereiwbart anzusehen wäre (RG. 50, 255; 60, 56; 62, 268; IW. 1908, 711; 1913, 194; WarnRspr. 1911 S. 245 Nr. 223). Dem Vorder­ richter ist aber darin beizupflichten, daß auch bei weitester Berück­ sichtigung der in den §§ 133, 157 BGB. ausgesprochenen Grundsätze aus denk Vertrage nicht entnommen werden kann, daß der Kläger zurücktreten könne, wenn er wegen eines Krieges das Zirkusgebäude nicht mehr mit Gewinn benutzen könnte." Gegen diese Entscheidung machte Hachenburg (IW. 1915 S. 750) Bedenken dahin geltend: „Zu entscheiden bleibt aber noch die Frage, wo die Grenze der Erfüllungsmöglichkeit zu ziehen ist. Darüber, ob nicht die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche Umgestaltung die Erfüllung als eine dem Verpflichteten nicht mehr zumutbare und daher für ihn, weil unerschwinglich, nicht mehr mög­ liche erscheinen läßt, hat sich das RG. noch nicht ausgesprochen. Das vorliegende Urteil darf nicht hierfür verwertet werden." 8 5.

Gefolgschaft des Reichsgerichts in der Literatur. Wie das Reichsgericht den Gesetzgebern des BGB., so folgt die Literatur dem Reichsgericht. Gegen die Annahme der Klausel sprechen sich u. a. aus: I. Planck (Kommentar zum BGB. zu § 157 Anm. 6 a, 4. Auf­ lage 1913 S. 407) stellt als Rechtsgrundsatz nur auf: „Eine clausula rebus sic stantibus im allge­ meinen ist dem BGB. fremd." Im übrigen beschränkt er sich darauf, Abweichungen davon in der Rechtsprechung zusammenzustellen: „Dagegen findet sich in mannigfacher Anwendung auf der Grundlage des § 157 der Satz ausgesprochen, daß ein Vertragsteil infolge ver­ änderter Umstände an sein Versprechen nicht mehr gebunden sei: RG. 60, 59 (Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen Fusion der Versicherungsgesellschaft mit einer anderen); RG. 62, 267; HansGZ. 1907 H. 147 (wegen polizeilicher Versagung der Anbringung des zu liefernden bzw. zu vertreibenden Gegenstandes); RG. 65, 188; 66, 389x); IW. 1905, 168; Warneyer 1909 Nr. 65; 1911 Nr. 223 (Minde­ rung der Unterhaltspflicht, wenn sich die Vermögensverhältnisse des x) Betr. Anfechtung des Kreditkaufs wegen Irrtums nach § 119 Abs. 2 BGB.

17 Ehemannes verschlechtern); RG. in SeuffBl. 74, 238 (wegen ver­ ringerter Kreditwürdigkeit); RG. 78, 385 (wegen Zerstörung des guten Einvernehmens und des Vertrauens bei langdauernden Bezugs­ verpflichtungen). Vgl. auch BayOLG. im Recht 1912 Nr. 368; RG. das. 1913 Nr. 464, 534 2); IW. 1913, 194 u. a. m." II. Enneccerus (Bürgerliches Recht II 2 § 264 IV, 6.-8. Auflage, 1911 S. 110): „Das BGB. kennt kein allgemeines Rücktrittsrecht wegen veränderter Umstände. Zwar lassen sich Fälle denken, in denen die Aufrechterhaltung des Vertrages für die Zukunft gegen eine nach Treu und Glauben erfolgende Aus­ legung des Vertrages verstieße, aber diese Fälle sind nicht unter den Gesichtspunkt des Rücktrittsrechts zu bringen." III. C r o m e (System des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. I § 78 I und Anm. 5 S. 339) erkennt die clausula rebus sic stanti­ bus nur in der Begrenzung auf die §§ 321, 610 BGB. an. „In anderen Fällen (z. B. §§ 519, 528, 529 ff., 605 Ziff. 1, 626 ff.) wird wegen veränderter Umstände ein Rücktritts-, Rückforderungs- oder Kündigungsrecht zugestanden." 2 3) IV. Nach Endemann (Lehrbuch des Bürger!. Rechts I § 63, 2 b Anm. 19, 8. Auflage S. 290 f.) „können bloß einseitig geäußerte oder geheime Voraussetzungen keine Anerkennung finden, sonst würde das Verkehrsvertrauen untergraben. Wenn A bei Bestellung eines Schrankes erzählt, er wolle diesen seiner Nichte zum Hochzeitstage schenken, so ist dieser Zweck keineswegs dem Inhalte des Vertrages einverleibt, A kann die Annahme nicht deshalb ablehnen, weil jene Nichte vor der Hochzeit gestorben ist. Das kann auch nicht durch die Unterstellung einer unentwickelten oder stillschweigenden Bedingung gerechtfertigt werden". Die .clausula rebus sic stantibus erkennt auch er nur „für eine auf längere Zeit und erhebliche Beträge abge­ stellte Kreditzusage" an, da sie nach dem Inhalt des Vertrages, wie ihn beide Teile gemeint haben und verstehen mußten, von der Wahr­ heit der angegebenen und der Fortdauer der beim Bertragschluß vor­ handenen, als Grund der Kreditzusage dienenden Vermögensverhält­ nisse des Kreditempfängers abhängig ist". Später (§ 106 Anm. 16 S. 619) macht er ein Zugeständnis, das er aber gerade für unseren Fall nicht gelten lassen will: „Da alle Schuldverhältnisse der Auslegung nach Treu und Glauben unter2) Offenbar Druckfehler. 3) Den Stellungswechsel Cromes bei den Konzessionsverträgen s. unten § 12 S. 33.

Böckel, Wirkungen des Krieges auf Rechtsverhältnisse usw.

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18 liegen, muß bei jedem Vorverträge die Berufung darauf zugelassen werden, daß das Bestehen auf dem Abschlüsse des Hauptvertrages unter den wesentlich geänderten Umständen unredlich wäre. Keines­ wegs genügt aber jedes Ereignis, dessen früherer Eintritt oder dessen Kenntnis (wie eine Zollerhöhung; eine Preissteigerung; die Versetzung des Käufers; eine Erbschaft, die die Vermögensverhältnisse umgestaltet usw.) den Verpflichteten von dem Vertragsschlusse abge­ halten hätte; der Vorsichtige mag sie zur ausdrücklichen Bedingung erheben." V. Nach Matthias (Bürgerl. Recht Bd. I § 90 I, 5. Auf­ lage 1910 S. 223) hat das BGB. mit Recht die Klausel „nicht allgemein proklamiert, sondern nur in mehreren Einzelfällen anerkannt" (z. B. §§ 321, 325, 326, 626, 605 Ziff. 1, 723, 610). Doch gibt er eine wichtige Erweiterung, auf die unten § 9 III S. 27 zurückzukommen ist. VI. Schroff hat sich auch Regelsberger gegen die Annahme der Klausel, „den Vorbehalt veränderter Umstände", erklärt („Sicher­ heit für betagte oder bedingte Forderungen" in Jherings Jahr­ büchern Bd. 40 S. 473). Ihm ist der Vorbehalt „ein für die Sicherheit des Rechtsverkehrs sehr bedenklicher Satz. Als Regel kann der Satz heutzutage als überwunden betrachtet werden. Aber in einer beschränkten Anwendung ringt er sich wieder zur Anerkennung durch". Diese Ausnahme sieht Regelsberger in den §§ 321, 610 BGB. Charakteristisch für die Auffassung des großen Pandektisten ist der Satz, der sich in einer anderen Abhandlung desselben Bandes findet. Zur „Einrede des nicht erfüllten Vertrags" bemerkt er (a. a. O. S. 271): „Man sollte sich einen Standpunkt zweimal überlegen, der zu dem traurigen Ergebnis führt, daß berechtigte Ansprüche an der Klippe des vermeintlichen non possumus scheitern und daß frivolen Schuldnern in die Hände gearbeitet wird." VII. Als Gegner der Klausel an sich erscheint auch LGRat Silberschmidt („Die clausula rebus sic stantibus im BGB." in Seufferts Blättern für Rechtsanwendung Bd. 67 S. 149 ff.).4) Er meint, daß die §§ 321 und 610 BGB. auf keinen, im Einzel­ fall anwendbaren gemeinsamen Rechtssatz des BGB. zurückzuführen seien. Insbesondere der § 321 BGB. „enthält eine Ausnahmebe­ stimmung, die nur Platz greifen kann, wenn alle im Gesetze bestimmten 4) Gegner -er Klausel ist auch Haußmann, „Die Zumutbarkeit der Leistung bei Veränderung der Vertragsgrundlagen. Zur Lehre von der clausula rebus sic stantibus" (IW. 1916 S. 634 ff.; s. aber auch unten § 11 S. 29 ff.)

19 Voraussetzungen gegeben sind und die nicht anzuwenden ist, solange dies nicht der Fall ist. Eine ausdehnende Auslegung ist damit Don selbst ausgeschlossen. Ebenso auch eine analoge Anwendung". Dem Hinweis Stammlers (s. unten § 15 IV S. 45) und Kuhlenbecks (f. unten § 9 II S. 26) auf die Bestimmungen über das Rücktrittsrecht aus wichtigem Grunde beim Dienst-, Werk-, Miet- und Pachtver­ träge versagt er Gefolgschaft, da diese Bestimmungen mit § 321 oder der Klausellehre... „gar nichts zu tun" hätten?)

8 6. Ausammenfaffnng der herrschenden Meinnng. Den gegenwärtigen Stand der herrschenden Meinung über eine Veränderung der Vertragsumstände stellt Starke in seiner Schrift: „Lieferungsverträge unter Einwirkung des Krieges" (2. Auflage, 1917) S. 9 zutreffend dahin dar: „Aus dem Prinzip der Vertrags­ geltung folgt bereits, daß die Wirksamkeit von Lieferungsverträgen durch eine Veränderung der bei chrem Abschluß herrschenden Um­ stände nicht beeinträchtigt wird. Die Aufgabe von Verträgen ist gerade, die kommenden Verhältnisse zu regeln, sich nicht von ihnen treiben zu lassen. Insbesondere Veränderung der Wirtschaftsverhält­ nisse rechtfertigt nicht, an dem Bestände von Verträgen zu rütteln. Weder nach deutschem noch nach österreichischem Recht kann ange­ nommen werden, daß die sog. Klausel „rebus sic stantibus" still­ schweigend den Abmachungen der Parteien zugrunde zu legen ist (vgl. RG. 50, 257ff.; 60, 58ff.; 62, 267ff.; 65, 188; 66, 132ff.; 70, 86; IW. vom 15. Sept. 1916 S. 1184 s. und 1. Nov. 1916 S. 1408 f. und ÖstOGEntscheidung (Nowak) Bd. 13 Nr. 1377). Andererseits ist aber der entwickelte Grundsatz nicht ohne Schran­ ken. Gerade der gegenwärtige Krieg hat Umwälzungen hervorgerufen, welche zuvor begründete Rechtsverhältnisse in ihren Grundlagen ver­ wandelt haben. Einem früheren Vertragswillen kann aber nicht die Macht zugesprochen werden, eine ganz neue Entwicklung unter seine Fesseln zu zwängen. Nach einem doppelten Gesichtspunkt ist die Einschränkung vorzunehmen. Sie ergibt sich einmal aus den Absichten der Parteien, die mehr oder minder deutlich in den Verträgen selbst zur Äußerung kommen. Die Verwirklichung dieser Absichten erfordert einen Tat­ bestand, der, erklärt oder unerklärt, von den Parteien zur °) Wie Silber schmidt selbst helfen will, s. unten § 13 S. 37. 2*

20 Grundlage ihrer Vertragsregelung genommen ist. Treten in diesem Tatbestand wesentliche Änderungen ein, so ist durch Auslegung des gemeinsamen Vertragswillens festzustellen, ob für diesen Fall die Parteien eine Aufrechterhaltung des Vertrages noch gewollt haben würden. Für solche Auslegung bieten die §§ 133, 157 BGB. und Art. 278 österr. HGB., § 103, 3. Teil z. ABGB. genügende Hand­ habe. Zum anderen ergibt sich die Einschränkung daraus, daß die Änderung der Vertragsumstände den Zweck des Vertrages vereiteln kann." Das führt Starke weiter aus (s. unten 8 8 S. 21).

§7.

Ergebnis. Wenn die Werke zu einer Tariferhöhung schreiten wollen, müssen sie berechtigt sein, von den noch laufenden langfristigen Lieferungs­ verträgen zurückzutreten. Für ein solches Begehren vermissen wir eine klare, zweifelsfreie Bestimmung im Gesetz. Dem Verlangen nach Tariferhöhung, das sich nicht auf einen ausdrücklichen Vorbehalt in den Verträgen gründet, steht vielmehr anscheinend die entschiedene ständige Ablehnung der Klausel durch das Reichsgericht entgegen, ebenso die Gefolgschaft des Reichsgerichts in der Literatur. Die Rechtsprechung der unteren Gerichte folgt natürlich im allgemeinen dem Reichsgerichts) Danach scheint die Aufgabe sich dahin zu beschränken: Ist es möglich, das Reichsgericht von seinem Standpunkt abzubringen? Ist die Ablehnung der Klausel durch die herrschende Meinung be­ gründet? Einer ständigen Rechtsprechung des RG. und der herrschenden Meinung entgegenzutreten, um eine Änderung in einer Frage von irgendwelcher grundsätzlichen Bedeutung herbeizuführen, dürfte in Friedenszeiten reizen, wären ihre Aussichten auch nur gering. In der Kriegszeit aber, wo jede Kraft und Fähigkeit da eingesetzt werden soll, wo sie einen Erfolg zu schaffen vermag, würde einem solchen Unterfangen wohl der Hinweis begegnen, ob nicht aussichtsvollere und dringendere Aufgaben der Erledigung harren. Im vorliegenden Fall dürfte nun die Dringlichkeit der Frage der Tariferhöhung außer jedem Zweifel stehen. Handelt es sich doch nicht bloß um eine Forderung des Gerechtigkeitsgefühles, sondern

i) S. z. B. oben § 4IV Anm. 4 S. 15.

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auch um die wirtschaftliche Notlage eines erheblichen und wichtigen Teiles unseres Wirtschaftslebens. Aber auch die Aussichten sind derart, daß es sich verlohnt, der Aufgabe nachzugehen. Denn die oben wiedergegebenen Äußerungen des Reichsgerichts und der Literatur haben den Fall, der uns be­ schäftigt, noch nicht ins Auge gefaßt. Weiter aber bieten sie bereits so bedeutsame Zugeständnisse, daß schon an ihnen der Hebel mit Aussicht auf Erfolg scheint angesetzt werden zu können. Darüber hinaus ergeben sich aber bei näherer Prüfung der Rechtsprechung und der Literatur weitere Zugeständnisse. Diese ent­ kleiden die grundsätzliche Verneinung der Klausel ihrer praktischen Bedeutung. Sie eröffnen einer neuen, unvoreingenommenen Prüfung der alten Lehre freie Bahn. Die Hilfsversuche zeigen uns außerdem neue Wege zu dem Ziele, das uns die Notlage der Elektrizitäts- und Gaswerke klar vor Augen stellt.

2. Kapitel.

Hllfeversuche in der Literatur. 8 8.

Starke. I. Die Einschränkungen, die Starke „Lieferungsverträge unter Einwirkung des Krieges" gegenüber der Ablehnung der Klausel fest­ stellen mußte (s. oben § 6