Gleichheit und Differentiation: Die Duale Einkommensteuer und der Gleichheitssatz [1 ed.] 9783428548293, 9783428148295

Zum Ende des 20. Jahrhunderts etablierte sich insbesondere in den nordischen Staaten das Modell einer Dualen Einkommenst

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German Pages 651 Year 2016

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Gleichheit und Differentiation: Die Duale Einkommensteuer und der Gleichheitssatz [1 ed.]
 9783428548293, 9783428148295

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Schriften zum Steuerrecht Band 123

Gleichheit und Differentiation Die Duale Einkommensteuer und der Gleichheitssatz

Von Ulli Andreas Konrad

Duncker & Humblot · Berlin

ULLI ANDREAS KONRAD

Gleichheit und Differentiation

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 123

Gleichheit und Differentiation Die Duale Einkommensteuer und der Gleichheitssatz

Von Ulli Andreas Konrad

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 19 Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-14829-5 (Print) ISBN 978-3-428-54829-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84829-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Den Anstoß für das Thema der vorliegenden Untersuchung gaben die unter dem Begriff der Dualen Einkommensteuer zusammengefassten Reformen der Steuerordnungen in Nordeuropa und die daran orientierten Reformpläne in Deutschland, wonach bei Kapitalerträgen ein besonderer, nicht progressiver Einkommensteuersatz zur Anwendung kommen sollte. Die daraus folgende Rechtsfrage, ob und inwieweit eine entsprechende Rechtslage mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot vereinbar wäre, bildet den Gegenstand der Untersuchung, die diese Frage mit wissenschaftlichen Mitteln einer Entscheidung zuführen sollte. Bei dem Unternehmen, das hierfür eher mit dem Rasiermesser als mit dem Hammer der Urteilsfindung eine möglichst kritikfeste Grundlage freizulegen suchte, zeigte sich eine Vielzahl von Aspekten und Perspektiven, die eine gewisse Komplexität des Gedankengangs und der Sprache erforderlich zu machen schien. Es bleibt mir zu hoffen, mit den folgenden Überlegungen Erkenntnisse zur Möglichkeit und Legitimität einer Gesetzeskritik im Rahmen eines demokratisch verfassten Staatswesens und zur Entscheidbarkeit der konkreten Rechtsfrage zumindest gefördert zu haben. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die Arbeit im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Schön für die Betreuung des Vorhabens, insbesondere während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München, sowie Herrn Prof. Dr. Horst Eidenmüller für die Erstellung des Zweigutachtens. Karlsruhe, im Oktober 2015

Ulli Andreas Konrad

Inhaltsübersicht

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

43

A. Das Thema der steuerlichen Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Anlage der folgenden Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Erster Teil



Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik 

53

1. Kapitel

Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen   53

A. Die liberalistische Gleichbehandlung der Einkommensquellen  . . . . . . . . . . 53 B. Die interventionistische Privilegierung der Arbeitseinkommen . . . . . . . . . . . 56 C. Das Ideal einer globalen Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 D. Die Rückkehr zur Schedule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 E. Die Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 F. Die duale Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

2. Kapitel

Die Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe  79

A. Voraussetzungen einer verfassungsrechtlichen Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Bestimmung eines adäquaten Theorierahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

8 Inhaltsübersicht Zweiter Teil



Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik 

106

3. Kapitel

Die systematische Situation des Rechtssystems  106

A. Standortbestimmung des verfassungsrechtlichen Auftrages . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Äußeres Rechtssystem: Einheit und Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 C. Die innere Ordnung des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

4. Kapitel

Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung  129

A. Bedeutung der funktionalen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 B. Ambivalenz des Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 C. Demokratische Differenzierungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 D. Die Grundrechte als legitimationserhaltende Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . 161 E. Das Gebot gleichmäßiger Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 F. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Dritter Teil



Zum Maßstab gleichheitsrechtlicher Kritik 

214

5. Kapitel

Dogmatische Übersetzung der Gleichheit  214

A. Die Bedeutung der Dogmatik für die kritische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 214 B. Die Verfassungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

6. Kapitel

Dogmatische Integration der Wirtschaft  276

A. Systematische Stellung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 B. Anbindung an wirtschaftliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 C. Festlegungen durch die Steuer als politische Intervention . . . . . . . . . . . . . . 391 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Inhaltsübersicht9

7. Kapitel

Maßstab der Integration – das Einkommen  415

A. Die verfassungsrechtliche Relevanz des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 B. Steuerwissenschaftliche Qualifikation des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . 417 C. Politische Selektion der Steuerquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 D. Quantifizierung des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Vierter Teil



Zum Inhalt gleichheitsrechtlicher Kritik 

457

8. Kapitel

Adäquate Ausgestaltung des Steuergesetzes  458

A. Qualifikation des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 B. Die Quantifizierung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 C. Die Verteilung der Besteuerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

9. Kapitel

Kohärente Ausgestaltung des Steuergesetzes  494

A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 B. Die synthetische Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 C. Der Dualismus der Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 D. Das objektive Nettoprinzip und das Verbot der Doppelbesteuerung  . . . . . . 502 E. Die gesetzgeberische Entscheidung im Internationalen Steuerrecht . . . . . . . 504 F. Systeminterne Kompensationshandlungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

10. Kapitel

Rationalität und Authentizität der Gesetzgebung  512

A. Rechtfertigung einer differenzierten Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 B. Kompensierende Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Zusammenfassung und Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

43

A. Das Thema der steuerlichen Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Die Ungleichbehandlung von Einkünften als steuerrechtliches Grundproblem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Die zugrundeliegenden Ordnungs- und Bewertungsstrukturen  . . . . . . . 44 III. Annäherung an den Begriff der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Mehrdeutigkeit der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Ungleichbehandlung als Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Ungleichbehandlung als Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Ungleichbehandlung als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 B. Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Anlage der folgenden Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Erster Teil



Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik 

53

1. Kapitel

Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen   53

A. Die liberalistische Gleichbehandlung der Einkommensquellen  . . . . . . . . . . 53 I. Der Income Tax Act von 1799 als systematischer Ausgangspunkt . . . . 53 II. Frühe Legitimitätszweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Liberalität des Quellenabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Die interventionistische Privilegierung der Arbeitseinkommen . . . . . . . . . . . 56 I. Qualitative Bewertung der Einkommensquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Einführung progressiver Steuersätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Höhepunkt der politischen Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 IV. Der französische Sonderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Das Ideal einer globalen Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Vorläufiger steuerpolitischer Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Verlagerung des Schwerpunktes auf die Progressivität . . . . . . . . . . . . . 62 D. Die Rückkehr zur Schedule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Privilegierung kapitalbasierter Einkünfte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Systemwechsel in den nordischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

12 Inhaltsverzeichnis III. Diskrete Reformmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Reformdruck im Bereich der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . . . . 67 E. Die Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Frühe Schedularisierungstendenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Die preußische Einkommensteuer als steuerpolitischer Kompromiss . . 70 III. Dualismus der Einkommensermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 IV. Einzelmaßnahmen im Bereich der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . 72 V. Einführung einer abgeltenden Quellensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 F. Die duale Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Die duale Einkommensteuer als bewusster Systemwechsel . . . . . . . . . . 75 II. Reformüberlegungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Umsetzung in dem Entwurf des Sachverständigenrates . . . . . . . . . . . . . 76 IV. Motive für eine Reformierung des Ertragsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Kapitel

Die Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe  79

A. Voraussetzungen einer verfassungsrechtlichen Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Die Ausbildung eines rationalen Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Rechtfertigungsbedarf und Kritikfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Autonome Kritik und zeitgemäße Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Steuerliche Gerechtigkeit als historische Tatsache . . . . . . . . . . . . 80 2. Verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Voraussetzungen für eine normative Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Komponenten einer spontanen Neuordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Spontaneität eines rationalen Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Die beschränkte Signifikanz von Wissenschaft und Politik . . . . . . . . . . 85 1. Defizitäre Homogeneität wissenschaftlicher Erkenntnis . . . . . . . . . . 85 a) Fehlendes Entscheidungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Mangelnde Integrität einer wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Defizitäre Regelhaftigkeit politischer Argumentation . . . . . . . . . . . . 87 a) Das Politische als indifferenter Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Dispersion des Entscheidungsprozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Kompromisscharakter der Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Politik als ungeordnete Begründung von Geltungshoheit . . . . . . 91 aa) Rhetorischer Charakter der Politik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Kompetenzkonflikte innerhalb der Steuerwissenschaften . . . 92 III. Leistungsfähigkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik  . . . . . . . . . . . . . 94 1. Kritische Lage des Rechtssystems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Legitimitätsdefizit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Inhaltsverzeichnis13 a) Kritische Relativierung des Rechtssystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Kritik rechtlicher Semantik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Normativität von Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 B. Bestimmung eines adäquaten Theorierahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Alternative Methoden der Regelbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Defizite realistischer und rationalistischer Regelbildung . . . . . . . . . . 99 2. Regelhafte Rückführung auf Systemelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Die Systemtheorie als geeigneter verfassungsrechtlicher Ordnungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Lösungspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Zweiter Teil



Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik 

106

3. Kapitel

Die systematische Situation des Rechtssystems  106

A. Standortbestimmung des verfassungsrechtlichen Auftrages . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Äußeres Rechtssystem: Einheit und Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Recht als wahrnehmbare Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Epistemische Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Normative Kohärenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 IV. Kritische Relevanz des äußeren Systemcharakters . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Die innere Ordnung des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Rechtsbildung: Freiheit als sinnstiftende Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Gefahr eines wissenschaftlichen Fehlschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Exklusivität der Rechtsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Begründungsbedürftigkeit von Rechtsbildung  . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Freiheit als Geltungsgrund der Rechtsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Rechtliche Kompetenz und ethische Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Intersubjektive Pflicht und reflexive Kompetenz. . . . . . . . . . . . . 115 b) Gesetz als Vermittler von Freiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Analyse der Freiheit als aktiv und passiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Folgerungen: Prioritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Abwertung sozialer Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Ökonomische Priorität von Zugriffsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Rechtsfindung: Autonomie der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Die Rechtsfindung als Voraussetzung einer Kritik . . . . . . . . . . . . . . 122

14 Inhaltsverzeichnis 2. Rechtliches Urteil und wissenschaftliche Begründung . . . . . . . . . . . 122 a) Konsequenzen der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Bildung und Begründung einer Regel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Begriffsgeschichtliche Ableitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Skepsis gegenüber begrifflichen Ableitungen . . . . . . . . . . . . 126 3. Der Zweck im rechtlichen Urteil und in der politischen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Kapitel

Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung  129

A. Bedeutung der funktionalen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 B. Ambivalenz des Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Verfassung als Legitimationsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Formalität des Rechtsstaates  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 C. Demokratische Differenzierungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Kritikfähigkeit rechtsstaatlicher Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Souveränität als Ausdruck legitimierter Entscheidungskompetenz . . 132 2. Heteronome Ableitung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . 133 a) Politische Rezeption sozialer Differenzierungen. . . . . . . . . . . . . . 133 b) Naturrechtliche Adaption idealer Maßstäbe  . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Autonomisierung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Verrechtlichung des politischen Entscheidungsprozesses. . . . . . . 135 b) Kritikfähigkeit demokratischer Gesetzgebung  . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Unteilbarkeit der Souveränität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Begründung einer kritischen Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Defizite demokratischer Souveränität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Anknüfungspunkt einer verfassungsrechtlichen Kritik und Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Rechtlicher Maßstab einer Legitimationskritik. . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Wissenschaftlicher Grund einer Legitimationskritik . . . . . . . . . . . 140 2. Epistemisches Defizit der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Relativismus emanzipierter Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Versuche einer prozeduralen Legitimation  . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Grundproblem der intersubjektiven Urteilsbildung  . . . . . . . . . . . 144 3. Rationalitätsdefizit der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Politisierung der Willensbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Juridifizierung rhetorischer Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Gerechtigkeitsdefizit der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Die kritische Situation positiver Rechtssetzung. . . . . . . . . . . . . . 148

Inhaltsverzeichnis15 b) Naturgesetzlicher Fehlschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Mangelhafte Prämisse der Beweisführung. . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Fehlerhafte Alternativenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Naturrecht als adäquate Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Informationsdefizit politischer Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . 151 bb) Integration außerrechtlicher Informationen durch die Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5. Authentizitätsdefizit der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Kompetenzverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Delegation der inhaltlichen Besetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Fehlerhafte Repräsentation in der Rechtssetzung . . . . . . . . . . 154 b) Integration durch Gewährleistung eines diskursiven Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Effektuierung der Teilnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Maßgrößen effektiver Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 cc) Bedarf nach einer staatlichen Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 D. Die Grundrechte als legitimationserhaltende Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . 161 I. Grundrechte als Form rechtsstaatlicher Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Grundrechte als Kompetenzen zur Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Verlagerung der Rechtsfindung auf den Verfassungsrechtsstreit . . . . . . 164 1. Konfusion von Rechtsanwendung und Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . 164 2. Neutralisierung des normativen Gehaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 IV. Leistungsfähigkeit von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 E. Das Gebot gleichmäßiger Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Gleichheit und verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Bedarf nach einer funktionalen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Rekonstruktion einer einheitlichen Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Gleichheit und soziale Kohäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Egalisierung als Teilhabevoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Einheitlichkeit der Willensbildung und soziale Kohäsion . . . . . . 172 b) Egalisierende Intervention als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Verhältnis von Gleichbehandlung und Gleichstellung. . . . . . 173 bb) Solidarität als vermittelnde rechtliche Kompetenz . . . . . . . . . 175 2. Gleichheit als Anspruch oder Belastungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Zuteilung oder Umverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Verteilung und Korrekturbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Zurechenbarer Status als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Neutrale ökonomische Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Soziale Stratifizierung und Zurechnungsausschluss . . . . . . . . 181

16 Inhaltsverzeichnis dd) Ökonomische Ungleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ee) Soziale Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 ff) Operationalisierung von Korrekturmaßnahmen . . . . . . . . . . . 187 3. Wirksamkeit der Umverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Gleichheit und interne Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Epistemische Korrekur am Maßstab der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . 190 2. Epistemische Defizite der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Gleichheit und Identität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Gleichheit und Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Präskriptive Grundlage des Gleichheitsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Erweiterung des logischen Modelles. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Abstraktheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Kohärente Geschlossenheit des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Die Legalität als Grund der Gleichheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Verweisung auf getroffene Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 196 cc) Gleichheit als Form juristischer Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . 196 dd) Temporale und lokale Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Korrektiv des epistemischen Defizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Alternative Begründung wahrer Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Mängel der Korrespondenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Kohärentismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV. Gleichheit und externe Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Individualisierung der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Berichtigung der Legalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Intersubjektiver Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Personalisierung der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Neutralisierung der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Inhaltliche Gleichheit: Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Abstraktheit des Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Anbindung an adäquate Sachgesetzlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 210 V. Gleichheit und politische Adhäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Standardisierung der politischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Installation eines Argumentationsgleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . 212 F. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Inhaltsverzeichnis17 Dritter Teil



Zum Maßstab gleichheitsrechtlicher Kritik 

214

5. Kapitel

Dogmatische Übersetzung der Gleichheit  214

A. Die Bedeutung der Dogmatik für die kritische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Dogmatik als Vermittlung von Recht und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 214 II. Herausbildung und Integration von Wahrheitswerten . . . . . . . . . . . . . . . 215 B. Die Verfassungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Dogmatisierungen der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Die Dogmatik des Gleichheitssatzes im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Adhäsion: Gleichheit als Gebot politischer Vernunft . . . . . . . . . . . . 218 a) Rechtssetzung und Begründung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichheit im Gesetz. . . . . . 218 bb) Sachgerechtigkeit und prozedurale Gleichheit . . . . . . . . . . . . 219 b) Maßstab formaler Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Die Ambiguität der Willkürformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Normativität des Zweckmäßigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 (1) Maßstabslose politische Neuverhandlung . . . . . . . . . . . . 222 (2) Fundierung in der personalen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . 223 (3) Funktionaler Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Rationalisierung als Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 dd) Die „neue Formel“ als Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Funktionale Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (2) Politische und rechtliche Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . 228 (3) Übersetzung in eine zweigliedrige Begründungsstruktur  230 c) Rechtfertigungsmöglichkeiten   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Rechtfertigung als formalisierter politischer Diskurs. . . . . . . 231 bb) Rechtliche Kohärenz und politische Rechtfertigung . . . . . . . 232 (1) Systementscheidung oder begründete Modifikation . . . . 232 (2) Funktionale Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Prognosespielraum / Kontrollpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 dd) Geltungskraft wirtschaftswissenschaftlicher Argumente . . . . 235 ee) Die Topologie der Leistungsfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Die Herkunft des Topos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (a) Undifferenzierte Ableitung aus der Umwelt . . . . . . 238 (b) Mehrdeutige Interpretation innerhalb einer differenzierten Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (c) Funktionale Stellung als rechtlicher Repräsentant der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (2) Die wirtschaftliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

18 Inhaltsverzeichnis (a) Objektivierung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . 240 (b) Reduzierung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . 241 (c) Angleichungen an die Bemessungsgrundlage . . . . . 242 (d) Neutralität der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . 243 (3) Die rechtliche Verfestigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (a) Die Rhetorik der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 244 (b) Ambivalenz der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 245 (c) Personalisierung der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . 247 (4) Die sozialstaatliche Neuausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (a) Reduzierung zur Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (b) Unverfügbare Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (c) Bedürfnis als Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (5) Die Verwendung als politisches Argument . . . . . . . . . . . 251 2. Kohärenz: Gleichheit als Gebot der Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . 252 a) Übersetzung der Kohärenz in verbindliche Prinzipien. . . . . . . . . 252 b) Reichweite der Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Bereichsspezifische Anwendung des Gleichheitssatzes. . . . . 252 bb) Kohärenz im Steuerrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 c) Verbindlichkeit der Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Kohärenz nur als heuristisches Mittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Kohärenz als relativierende Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . 257 cc) Kohärenz als legitimierte Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Adäquanz: Gleichheit und das Gebot sachgerechter Regeln  . . . . . . 259 a) Verbindlichkeit außerrechtlicher Informationen . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Offenheit der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Realitätsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 aa) Verbindlichkeit der Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 bb) Erkennbarkeit der Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 d) Gebot der Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 e) Rechtssetzungskompetenz und Rechtsanwendungsgleichheit . . . . 265 aa) Effektivität der Regelanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Suspension ineffektiver Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 cc) Differenzierung zwischen verschiedenen Formen der Ineffektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (1) Defizite in der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (2) Strukturell bedingte Anwendungsdefizite . . . . . . . . . . . . 268 (3) Regelkonformität der Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . 269 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 4. Kohäsion: Gleichheit und das Gebot kompensatorischer Maßnahmen . 271 a) Ansätze einer positiven Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Die verfassungsrechtliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

Inhaltsverzeichnis19 6. Kapitel

Dogmatische Integration der Wirtschaft  276

A. Systematische Stellung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Bestimmung systematisch anschlussfähiger Differenzierungen . . . . . . . 276 II. Verfassungsrechtlich verbindliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . 277 B. Anbindung an wirtschaftliche Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Grund einer dogmatischen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Bedarf nach einer epistemologischen Grundlegung der Wirtschaft . 278 a) Gefahr unkritischer Identifikation mit den Wirtschaftswissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Wissenschaft als selbständiges Teilsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Äußeres Wirtschaftssystem: Allokation und Distribution . . . . . . . . . 280 a) Wahrnehmbarkeit der Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Allokation und Distribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Historische und wissenschaftliche Alternativenbildung . . . . . 282 b) Relevanz der äußeren Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Inneres Wirtschaftssystem: Knappheit und Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Knappheit als Grund der Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Knappheit und Reichtum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Knappheit als Ausgangspunkt wirtschaftlicher Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Die Struktur der Knappheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) Konsum als Repräsentant einer Leerstelle . . . . . . . . . . . 287 (3) Repräsentanten der Knappheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 cc) Unverfügbarkeit des Motivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Kompensation durch Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (2) Vermeidung durch Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (a) Offenheit der Nachfrageseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (aa) Qualität und Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (bb) Extensität und Intensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (cc) Akkumulation von Größen . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (dd) Quantifizierung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . 295 (b) Schließung über die Angebotsseite . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Produktion / Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Die Unzulänglichkeit der Allokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Reflexion der Distribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (1) Die Unterscheidung Produktion / Konsum . . . . . . . . . . . . 298 (2) Der Konsum als Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (3) Produktion als Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 cc) Das Kapital: Produktion in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (1) Die leitenden Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (2) Kategorie des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

20 Inhaltsverzeichnis (3) Produktivität des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (4) Ambivalenz des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (5) Einführung der Zeitdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (6) Gemeinsamer Nenner der Kapitalismustheorien  . . . . . . 306 (7) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 dd) Einschluss und Ausschluss der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (1) Die Knappheit der Arbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (a) Ausschluss der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (b) Ambivalenz der Arbeit   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (c) Integration der Arbeit   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (2) Humankapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (3) Die ausgeschlossenen Dritten: Fähigkeiten und Konsum . 311 (a) Reformulierung des Humankapitalmodelles . . . . . . . 311 (b) Arbeit und Fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (c) Arbeit und Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Die binäre Handlungsform des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . 314 aa) Wirtschaft als Wahlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 bb) Ordinalität zwischen Disjunktion und Zwecksetzung . . . . . . 316 cc) Zweckrationales Normenprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (1) Ausgangspunkt: Rationalität als unmittelbare Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (2) Relevanz für die verfassungsrechtliche Bewertung . . . . 318 (a) Dogmatische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (b) Ökonomische Maximierung und rechtliche Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (3) Widerstreit und Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (a) Effizienz und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (b) Missverständnisse des Effizienzkriteriums . . . . . . . . 323 (c) Kompetenzzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (4) Widerstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (a) Versuche einer Integration rechtlicher Positionen . . 325 (b) Arrows Unschärfetheorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (c) New Welfare Economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 (d) Normative Präferenzen in der Steuerwirkungslehre . 329 (e) Die normative Bedingtheit ökonomischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (5) Vertikale Verteilung von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (a) Relativierung des Maximierungsgebotes . . . . . . . . . 330 (b) Soziale Einbindung der Zweckmäßigkeitsprüfung . . 332 (6) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 4. Das Geldmedium als beobachtbare Größe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 a) Geld als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine dogmatische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Inhaltsverzeichnis21 b) Einordnung in die Eigentumsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Der synthetische Gehalt des Geldes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 aa) Die repräsentative Funktion des Geldes. . . . . . . . . . . . . . . . . 335 bb) Geld als Negation des Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 cc) Geld als soziale Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 d) Die Manipulation des Repräsentanten – Kapital   . . . . . . . . . . . . 339 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 II. Grenzen einer dogmatischen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Verfassungsrechtliche Relevanz von Steuerwirkungen . . . . . . . . . . . 341 a) Adäquanz und Rationalität von Steuerwirkungen. . . . . . . . . . . . . 341 b) Dogmatische Übersetzbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 c) Dogmatische Integrierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2. Die wirtschaftliche Reformulierung rechtlicher Differenzierungen . . 344 a) Der Maßstab der Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 aa) Neutralität als Ausdruck von Gleichbehandlung . . . . . . . . . . 344 bb) Der systematische Stellenwert der Neutralität . . . . . . . . . . . . 345 cc) Neutralität als Charakteristikum eines adäquaten Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (1) Neutralität als Ausdruck integrierbarer Sachgesetzlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (2) Neutralität als Ausdruck autonomer Sachgesetzlichkeit . 346 dd) Entscheidungsneutrale Steuersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 b) Signifikanz rechtlicher Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Signifikanz externer Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Signifikanz interner Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Gestaltungsmöglichkeiten gegen eine Steuerbelastung . . . . . . . . . . . 350 a) Steuervermeidung als Folge aneutraler Besteuerung . . . . . . . . . . 350 aa) Struktur und Beschreibung der Steuervermeidung. . . . . . . . . 350 bb) Interterritoriale Faktormobiltät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 (1) Mobilität als Grund qualitativer Differentiation . . . . . . . 352 (2) Die Kapitalmobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 (a) Die Mobilitätsthese im Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 (b) Empirische Zweifel an der Mobilitätsthese . . . . . . . 355 (c) Mobilität und Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . 356 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 (3) Die Arbeitsmobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 cc) Intertemporale Konsummobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (1) Steuerliche Behinderung des Kapitalkreislaufes . . . . . . . 358 (2) Diskriminierung der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (3) Berücksichtigung im Tatbestandsmodell . . . . . . . . . . . . . 360 (4) Empirische Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 (5) Identifikation der Kapitalkomponenten . . . . . . . . . . . . . . 362

22 Inhaltsverzeichnis dd) Substitution Arbeit-Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 (1) Zweideutige Situation der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 (2) Zweideutige Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 363 (3) Zweideutige Handlungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 (4) Zweideutige empirische Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . 365 ee) Finanzierungsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 (1) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 (2) Unausweichlichkeit der Finanzierungsneutralität . . . . . . 367 (3) Modelle einer finanzierungsneutralen Besteuerung . . . . 368 (4) Finanzierungsneutralität der Dualen Einkommensteuer . 369 ff) Investitionsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 gg) Besteuerung im riskanten Milieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (1) Die ex-ante-Perspektive des Rechts angesichts der wirtschaftlichen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (2) Die Umweltabhängigkeit des Wirtschaftssystems . . . . . . 372 (3) Unwägbarkeiten des Modelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (4) Insignifikanz inframarginaler Renditen für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 (5) Beschränkte Aussagekraft des Modelles . . . . . . . . . . . . . 374 hh) Umqualifikation der Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 b) Die Steuerüberwälzung als Kompensation der Rechtsfolge . . . . . 376 aa) Einfluss auf den Bewertungsmaßstab. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 bb) Steuerinzidenz als Indikator der Belastungsgröße . . . . . . . . . 378 cc) Relative Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 dd) Alternative Inzidenzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 c) Steuerentziehung und Schattenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 aa) Die Exit-Option als qualitative Unterscheidung. . . . . . . . . . . 380 bb) Kosten der Verifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 cc) Die Bedeutung der Schattenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 4. Gestaltungsmöglichkeiten durch eine Steuerbelastung  . . . . . . . . . . . 383 a) Produktivität und Redistribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 b) Verteilungswirkung von Steuerreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 5. Die Signifikanz von Steuerwirkungen für die Geltung von Steuernormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 a) Ausgangsthese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Wissenschaftliche Bedenken gegen die Verbindlichkeit von Steuerwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 c) Systematische Konfusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 aa) Die Folgen selbstreferentieller Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . 387 bb) Defizite des rechtlichen Konditionalprogrammes . . . . . . . . . 388 d) Systematischer Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 aa) Die Wahl als anbindungsfähige wirtschaftliche Kategorie. . . 389 bb) Gleichmäßige Behandlung der Wahlentscheidungen . . . . . . . 389 cc) Überforderung des Tatbestandsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

Inhaltsverzeichnis23 C. Festlegungen durch die Steuer als politische Intervention . . . . . . . . . . . . . . 391 I. Grund der Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 1. Ausgangsfrage – Auswirkungen auf den verfassungsrechtlichen Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 2. Funktion der Steuer als anbindungsfähige Determinante . . . . . . . . . 392 a) Der Steuerstaat als notwendige Folge der gesellschaftlichen Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 b) Steuer als Mittel zur politischen Reformulierung wirtschaftlicher Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 c) Politische Reflexionen: Interventionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 d) Wirtschaftliche Reflexionen: Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Funktion und Funktionalität der Steuer – wider das Äquivalenzprinzp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 a) Die Besteuerung als Preisproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 b) Wirtschaftliche Determination der steuerlichen Zwangsabgabe . . 396 aa) Defizite des äquivalenztheoretischen Preismodells . . . . . . . . 396 bb) Defizite der Legitimationsalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 c) Wirtschaftliche Interpretation der steuerlichen Zwangsabgabe . . 398 aa) Entwertung der politischen Normenbildung. . . . . . . . . . . . . . 398 bb) Abgeleitete Legitimation der Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . 400 cc) Äquivalenz und Leistungsfähigkeit als integrierbare Sachstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 II. Grenzen dogmatischer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 1. Der Steuertatbestand als konditionales Programm . . . . . . . . . . . . . . . 402 2. Die integrative Form des Steuertatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 3. Die rechtliche Vermittlung des steuerlichen Zugriffs . . . . . . . . . . . . 404 a) Politische Schranken des Rechts als Sachstruktur . . . . . . . . . . . . 404 b) Die territoriale Beschränkung politischer Beschreibungsformen . 405 c) Die personale Bindung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 aa) Generalität des Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 bb) Die Kategorie des Staatsbürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 cc) Person und Territorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 4. Übersetzbarkeit in den rechtlichen Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 a) Staatsbürgerschaft als Besteuerungsgrund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 b) Adäquanz lokalisierbaren Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 aa) Entpersonalisierte Zurechnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 bb) Wohnsitz- und Quellenprinzip – habitant und bourgeois? . . . 412 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

24 Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel

Maßstab der Integration – das Einkommen  415

A. Die verfassungsrechtliche Relevanz des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 I. Systematische Bedeutung des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 II. Funktionale Bedeutung des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 B. Steuerwissenschaftliche Qualifikation des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. Das Produktionsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 1. Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 a) Periodizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 b) Typizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 a) Reflexivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 b) Differentialität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 c) Potentialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 II. Das Vermögensparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 1. Das Vermögen als Indifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 2. Periodisierung des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 3. Die Unzulänglichkeiten der Vermögensform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 a) Insignifikanz des Vermögens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 b) Realität der Vermögensidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 c) Das Identifikationsproblem   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 aa) Definitionsprobleme bei der Bestimmung der Vermögenseinheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 bb) Definitionsprobleme bei Rechnungslegungsstandards . . . . . . 426 d) Das Wertproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 aa) Ambivalenz der Wertermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 bb) Horizontaler Marktwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 cc) Vertikaler Ertragswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 e) Das Abgrenzungsproblem gegenüber dem Konsum . . . . . . . . . . . 429 aa) Einbeziehung der Haushaltssphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 bb) Einbeziehung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 cc) Unzulässige Analogisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 f) Abgrenzung gegenüber der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 g) Übergang: Qualifikation des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 III. Das Distributionsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 IV. Die Verweisung auf den Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 1. Der Ausschluss der Akkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 a) Verdeckung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 b) Unvollständigkeit der Nutzenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 c) Reformulierung der Nutzenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 2. Die Rückbeziehung auf die Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

Inhaltsverzeichnis25 a) Charakterisierung der Geldrechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 b) Reduzierung auf ein Nutzenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 V. Die Markteinkommenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 1. Ausschluss des Konsums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 2. Ausschluss des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 C. Politische Selektion der Steuerquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 I. Steuerquelle zwischen Freiheit und Bindung des Gesetzgebers . . . . . . 440 II. Quellenmonismus und Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 III. Wahl zwischen Produktion und Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 IV. Wahl innerhalb der Produktionssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 D. Quantifizierung des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 I. Diskriminierungspotential der Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 II. Differenzierung zwischen Stromkonzept und Vermögenskonzept . . . . . 444 1. Pluralismus der Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 2. Cash-Flow-Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 a) Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 b) Die Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 c) Formen der cash-flow-Steuer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 III. Quantifizierung und inflationsbedingte Entwertung . . . . . . . . . . . . . . . . 450 1. Neutralisierung der Inflation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Systematische Zurechnung der Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 a) Konsum als Bezugspunkt der Inflation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 b) Scheingewinne als Scheinproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 c) Inflation und Finanzkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 3. Neutralitätsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 4. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Vierter Teil



Zum Inhalt gleichheitsrechtlicher Kritik 

457

8. Kapitel

Adäquate Ausgestaltung des Steuergesetzes  458

A. Qualifikation des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 I. Die Typologie des geltenden Einkommensteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . 458 1. Einkunftsarten als Einkunftsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 2. Die Rekonstruktion der wirtschaftlichen Faktoren  . . . . . . . . . . . . . . 459 3. Alterseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

26 Inhaltsverzeichnis II. Die Rekonstruktion im Konzept der Dualen Einkommensteuer . . . . . . 461 1. Die Abkehr vom synthetischen Einkommensbegriff . . . . . . . . . . . . . 461 a) Implementierung der Schedule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 b) Die Verwirklichung der Schedule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 2. Die Durchführung des dualen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 a) Konfundierte Einkommen als Problemfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 b) Lösungsmodelle am Beispiel der norwegischen Steuerreform . . 463 c) Paradigmenwechsel durch den Sachverständigenrat . . . . . . . . . . . 464 aa) Verlagerung der Dualität in das Kapitaleinkommen. . . . . . . . 464 bb) Die Quantifizierung der Dualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 B. Die Quantifizierung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 I. Der Vermögensvergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 1. Der steuerfremde Ursprung des steuerrechtlichen Vermögensvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 2. Manipulationsanfälligkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 3. Fiktionalität und Regelungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 II. Das Gewinnkonzept des geltenden Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 1. Betriebswirtschaftliche Gewinnbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 a) Die aktualisierten Entscheidungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 b) Der potentielle ökonomische Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 2. Der Vermögensvergleich bei betrieblichen Einkünften . . . . . . . . . . . 472 a) Unentschiedenheit des Vermögensvergleichs. . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Beschleunigung des Steuerzugriffs: Das Anschaffungskostenprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 c) Verzögerung des Steuerzugriffs: Das Realisations- und Imparitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 d) Immaterielle Wirtschaftsgüter und Humankapital . . . . . . . . . . . . . 476 3. Die vermögensmäßige Erfassung privater Kapitaleinkünfte . . . . . . . 478 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 III. Überschussrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 1. Betriebliche Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 a) Hybride Ermittlungsform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 b) Nivellierende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Private Kapitalerträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 a) Imparität von Einnahmen und Aufwendungen. . . . . . . . . . . . . . . 481 b) Private Kapitaleinkünfte als hybride Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . 482 c) Homogene Ermittlung der Alterseinkünfte  . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 3. Kosten zur Bildung von Humankapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 a) Ermittlungskonzept bei Arbeitseinkünften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 b) Ambiguität der Arbeitseinkünfte: Haushalts- oder Produktionseinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484

Inhaltsverzeichnis27 c) Systematische Einordnung: Subjektives oder objektives Nettoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 d) Qualifikation von Investitionen in die Arbeitskraft . . . . . . . . . . . 486 aa) Dogmatische Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 bb) Systematische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 4. Alterseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 a) Rechtslage vor dem Alterseinkünftegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 b) Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 IV. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 C. Die Verteilung der Besteuerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 9. Kapitel

Kohärente Ausgestaltung des Steuergesetzes  494

A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 B. Die synthetische Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 I. Synthetische Einkommensteuer als verfügbares oder verbindliches Prin­ zip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 II. Alternative Ableitungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 1. Nominalistische Interpretation des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . 495 2. Finanzverfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 3. Realistische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 4. Zirkuläre Argumentation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 C. Der Dualismus der Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 I. Der Dualismus zwischen Qualifizierung oder Quantifizierung . . . . . . . 498 II. Dualismus als Diskriminierung der Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 1. Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung als Indikator für einen unsicheren Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 2. Dualismus als Ungleichheit in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 3. Dualismus der Tarife als Kompensation einer dualistischen Einkünfteermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 D. Das objektive Nettoprinzip und das Verbot der Doppelbesteuerung  . . . . . . 502 I. Entlastung von Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 II. Beschränkte Geltung im Bereich der Alterseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . 503 E. Die gesetzgeberische Entscheidung im Internationalen Steuerrecht . . . . . . . 504 I. Tarifunterschiede und internationales Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 II. Entscheidung für eine offene Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 F. Systeminterne Kompensationshandlungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 II. Die zwischenstaatliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

28 Inhaltsverzeichnis III. Die binnenrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 1. Die Sicht der Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 2. Analyse der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 3. Kompensation durch einen differenzierenden Tarif . . . . . . . . . . . . . . 510 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 10. Kapitel

Rationalität und Authentizität der Gesetzgebung  512

A. Rechtfertigung einer differenzierten Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 I. Mögliche Rechtfertigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 II. Wirtschaftswissenschaftliche Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 1. Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 a) Verhältnis zur adäquaten Bemessungsgrundlage. . . . . . . . . . . . . . 513 b) Verhältnis zum kohärenten Ausschluss des Konsums . . . . . . . . . 513 2. Neutralität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 III. Wirtschaftspolitische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 B. Kompensierende Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 I. Ungleichverteilung der Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 1. Allgemeine statistische Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 2. Einkünftespezifische Ungleichverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 II. Kompensation durch eine progressive Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Zusammenfassung und Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

AA Akademieausgabe Abh. kgl. sächs. Ges. Wiss., Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesell  philol.-hist. Cl. schaft der Wissenschaften, Philologisch-Historische Classe ABl.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Account. Eur.

Accounting in Europe

Account. Rev.

Accounting Review

AcP

Archiv für civilistische Praxis

Acta Philos. Fennica

Acta Philosophica Fennica

Acta Sociol.

Acta Sociologica

AEMR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

a. F.

alte Fassung

AJDA

Actualité Juridique – Droit Administratif

Akron Tax J.

Akron Tax Journal

Am. Anthropol.

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Am. Econ. Ass. Papers Proc. American Economic Association Papers and Proceed­ ings Am. Econ Ass. Q.

American Economic Association Quarterly

Am. Econ. Rev.

American Economic Review

Am. J. Econ. & Sociol.

American Journal of Economics and Sociology

Am. J. Math.

American Journal of Mathematics

Am. J. Philology

American Journal of Philology

Am. J. Sociol.

American Journal of Sociology

Am. L. Rev.

American Law Review

Am. Math. Mon.

American Mathematical Monthly

Am. Psychol.

American Psychologist

Am. Sociol. Rev.

American Sociological Review

an.

année, anno

Anm. Verf.

Anmerkung des Verfassers

Ann. Am. Acad. Polit. &   Soc. Sci.

Annals of the American Academy of Political and Social Science

30 Abkürzungsverzeichnis Ann. d’hist. écon. et sociale Annales d’histoire économique et sociale Ann. N. Y. Acad. Sci.

Annals of the New York Academy of Sciences

Ann. Phil.

Annalen der Philosophie

Ann. Rev. Sociol.

Annual Review of Sociology

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Appl. Econ. Q.

Applied Economics Quarterly

Arch. Finan.

Archivio Finanziario

Arch. Hist. Exact Sci.

Archive for History of Exact Sciences

Arch. parl.

Archives parlamentaires

Arch. philos. Droit

Archives de Philosophie du Droit

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Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

ASA

Archiv für Schweizerisches Abgaberecht

Asia Pac. Tax. Bul.

Asia Pacific Tax Bulletin

ASwSp

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik

Aufl. Auflage Aust. Account. Rev.

Australian Accounting Review

Aust. Tax Forum

Australian Tax Forum

Bay. Ak. Wiss.,   Abt. Math.-Nat.

Bayerische Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Abteilung

BB Betriebsberater BC

Bilanzbuchhalter und Controlling

B. C. L. Rev.

Boston College Law Review

Begr. Begründer Ber. Verh. kgl. sächs. Ges.   Wiss., math.-phys. Cl.

Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Mathematisch-Physische Classe

BFH Bundesfinanzhof BFHE

Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

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Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis

BG

Schweizerisches Bundesgericht

BGBl. Bundesgesetzblatt BIFD

Bulletin for International Fiscal Documentation

BJOAF

Bochumer Jahrbuch für Ostasienforschung

bk. book BMF

Bundesministerium der Finanzen

Brit. J. Polit. Sci.

British Journal of Political Science

Abkürzungsverzeichnis31 Brit. J. Sociol.

British Journal of Sociology

Brook. J. Int’l L.

Brooklyn Journal of International Law

BSFP

Bulletin de la Société française de Philosophie

BStBl. Bundessteuerblatt BT-Drucks. Bundestagsdrucksache B.T.R.

British Tax Review

Bul. Int’l Tax.

Bulletin for International Taxation

BVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

c. caput Cal. L. Rev.

California Law Review

Cambridge J. Econ.

Cambridge Journal of Economics

Carnegie-Rochester Conf.   Ser. Public Pol.

Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy

Cath. U. L. Rev.

Catholic University Law Review

Cato J.

Cato Journal

CC

Conseil constitutionnel

ch. chapter chap. chapitre Chap. L. Rev.

Chapman Law Review

Class. Q.

Classical Quarterly

Col. L. Rev.

Columbia Law Review

Comp. Polit. Stud.

Comparative Political Studies

Computational Econ.

Computational Economics

Const. Polit. Econ.

Constitutional Political Economy

Contemp. Econ. Pol’y

Contemporary Economic Policy

Corn. L. Rev.

Cornell Law Review

Cort. cost.

Corte costituzionale della Repubblica italiana

CPPJ

Cahiers de Philosophie Politique et Juridique

C. R. Soc. Sci. et Lett.   De Varsovie

Comptes Rendues des Séances de la Société des Sciences et Lettres de Varsovie

D. Digestae D&Q

Diritto e questioni publichi

dass. dasselbe DB

Der Betrieb

ders. derselbe

32 Abkürzungsverzeichnis DF

Droits Fondamentaux

d. h.

das heißt

dies. dieselbe(n) DJT

Deutscher Juristentag

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

DK Diels-Kranz DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DStJG

Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft

DStR

Deutsches Steuerrecht

DStRE

Deutsches Steuerrecht / Entscheidungsdienst

DStZ / A

Deutsche Steuerzeitung / Ausgabe A

Duke L. J.

Duke Law Journal

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

DVjs

Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte

DZPhil.

Deutsche Zeitschrift für Philosophie

ebd. ebenda Econ. & Philos.

Economics and Philosophy

Écon. & Prévision

Économie et Prévision

Écon. appl.

Économie appliquée

Econ. Hist. Rev.

Economic History Reviews

Econ. Int.

Economia Internazionale

Econ. J.

Economic Journal

Econ. Letters

Economics Letters

Écon. Pol.

l’Économie Politique

Econ. Pol’y

Economic Policy

Econ. Studies

CESifo Economic Studies

Econom. Econometrica ed.

editor / editeur / editore

edd. editori eds.

editors / editeurs

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EJP

European Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Abkürzungsverzeichnis33 Engl. Hist. Rev.

English Historical Review

EStG Einkommensteuergesetz ET

European Taxation

EuGH

Europäischer Gerichtshof

Eur. Econ. Rev.

European Economic Review

Eur. J. Econ. & Soc. Systems European Journal of Economic and Social Systems Eur. J. L. & Econ.

European Journal of Law and Economics

Eur. J. Philos.

European Journal of Philosophy

Eur. Law J.

European Law Journal

Eur. Sociol. Rev.

European Sociological Review

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f. folgende(r) FAJ

Financial Analyst Journal

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff. folgende FG Finanzgericht Finn. Econ. Papers

Finnish Economic Papers

Fla. Tax Rev.

Florida Tax Review

Fn. Fußnote FR Finanz-Rundschau franz. französisch FS Festschrift G. Gesetz GA Generalanwalt Games Econ. Beh.

Games and Economic Behavior

Gazz. Uff.

Gazetta Ufficiale

Geneva Pap. Risk Ins.

Geneva Papers on Risk and Insurance Theory

Geo. L. J.

Georgetown Law Journal

GG Grundgesetz Goethe-Jb. Goethe-Jahrbuch GRBS

Greek, Roman, and Byzantine Studies

grdl. grundlegend grds. grundsätzlich GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GS Gedächtnisschrift Harv. Int’l. L. J.

Harvard International Law Journal

34 Abkürzungsverzeichnis Harv. J. L. & Public Pol’y

Harvard Journal of Law & Public Policy

Harv. L. Rev.

Harvard Law Review

Harv. Theol. Rev.

Harvard Theological Review

HdStW

Handwörterbuch der Staatswissenschaften

Herv. Verf.

Hervorhebung durch den Verfasser

HGB Handelsgesetzbuch Hist. & Theory

History and Theory

Hist. Polit. Econ.

History of Political Economy

HPE

Hacienda Pública Española

Hrsg. Herausgeber Husserl Stud.

Husserl Studies

HZ

Historische Zeitschrift

Ind. L. J.

Indiana Law Journal

Ind. Relat.

Industrial Relations

InfoPhilo

Information Philosophie

Intertax

International Tax Review

Int’l Econ. Pol’y Brief

International Economy Policy Brief

Int’l Econ. Rev.

International Economic Review

Int’l J. Const. L.

International Journal of Constitutional Law

Int’l Tax & Public Finance

International Tax and Public Finance

Iowa L. Rev.

Iowa Law Review

IRS

Internal Revenue Service

IStR

Internationales Steuerrecht

IWB

Internationale Wirtschafts-Briefe

Jahrb. Natl. Stat.

Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik

J. Am. Hist.

Journal of American History

J. Am. Tax. Assoc.

Journal of the American Taxation Association

J. Appl. Econom.

Journal of Applied Econometrics

JbFSt

Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht

JbSozW

Jahrbuch für Sozialwissenschaft

J. Conflict Resolut.

Journal of Conflict Resolution

J. Econ. Inequality

Journal of Economic Inequality

J. Econ. Integration

Journal of Economic Integration

J. Econ. Lit.

Journal of Economic Literature

J. Econ. Method.

Journal of Economic Methodology

J. Econom.

Journal of Econometrics

Abkürzungsverzeichnis35 J. Econ. Perspect.

Journal of Economic Perspectives

J. Econ. Psychol.

Journal of Economic Psychology

J. Econ. Surveys

Journal of Economic Surveys

J. Econ. Theory

Journal of Economic Theory

J. Ethics

Journal of Ethics

J. Eur. Econ. Assoc.

Journal of the European Economic Association

J. Financ.

Journal of Finance

J. Financ. Econ.

Journal of Financial Economics

J. Financ. Quant. Anal.

Journal of Financial and Quantitative Analysis

Jg. Jahrgang J. Gen. Philos. Sci.

Journal for General Philosophy of Science

J. Hell. Stud.

Journal of Hellenic Studies

J. Human Res.

Journal of Human Resources

J. Inst. Theor. Econ.

Journal of Institutional and Theoretical Economics

J. Int’l Account. Audit. &  Tax.

Journal of International Accounting, Auditing & Taxation

J. Int’l Econ.

Journal of International Economics

J. Legal Pluralism &    Unofficial L.

Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law

J. Legal Stud.

Journal of Legal Studies

J. Macroecon.

Journal of Macroeconomics

J. Mon. Econ.

Journal of Monetary Economics

J. Money, Credit, Banking

Journal of Money, Credit & Banking

J. Philos.

Journal of Philosophy

J. Polit. Econ.

Journal of Political Economy

J. Polit. Philos.

Journal of Political Philosophy

J. Public Econ.

Journal of Public Economics

J. Public. Econ. Theory

Journal of Public Economic Theory

J. Roy. Anthropol. Inst.

Journal of the Royal Anthropological Institute

J. Soc. Biol. Struct.

Journal of Social and Biological Structure

J. Socio-Econ.

Journal for Socio-Economics

J. Symbolic Logic

Journal of Symbolic Logic

J. Theory Soc. Behav.

Journal for the Theory of Social Behaviour

JuS

Juristische Schulung

J. Value Inq.

Journal of Value Inquiry

J. World Hist.

Journal of World History

JZ Juristenzeitung

36 Abkürzungsverzeichnis Kgl. Königlich KoR

Zeitschrift für internationale und kapitalmarktorientierte Rechnungslegung

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

L&A

Logiques et analyses

Labour Econ.

Labour Economics

Law & Philos.

Law and Philosophy

Law & Pol’y Int’l Bus.

Law and Policy in International Business

Law & Soc. Rev.

Law & Society Review

lib. liber litt. litterae liv. livre LPA

Les Petites Affiches

LTP

Laval théologique et philosophique

MA Musterabkommen Macoecon. Dynam.

Macroeconomic Dynamics

McGill L. Rev.

McGill Law Review

Mich. L. Rev.

Michigan Law Review

Mich. St. Int’l L.

Michigan State Journal of International Law

ML

Meiggs / Lewis

Monatsh. Math.

Monatshefte für Mathematik

Mt

Evangelium secundum Matthaeum

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

MwStSystRL

Richtlinie 2006 / 112 / EG des Rates vom 28.  November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystem-Richtlinie)

no numéro Nat’l Tax J.

National Tax Journal

NBER

National Bureau of Economic Research

NBER Macroecon. Ann.

NBER Macroeconomics Annual

N. C. L. Rev.

North Carolina Law Review

ND Nachdruck N. D. L. Rev.

North Dakota Law Review

Neue H. Philos.

Neue Hefte für Philosophie

Abkürzungsverzeichnis37 New Ger. Crit.

New German Critique

N. F.

Neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

no. numero Nord. J. Polit. Econ.

Nordic Journal of Political Economy

NOU

Norges offentlige utredninger

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

N. Y. Rev. Books

New York Review of Books

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

ORDO

Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft

Or. L. Rev.

Oregon Law Review

ÖStZ

Österreichische Steuer-Zeitung

Ot.pr. Odelstingsproposisjoner Ot.prp. Odelstingproposisjon OVG Oberverwaltungsgericht Ox. Econ. Papers

Oxford Economic Papers

Oxford U. Commw. L. J.

Oxford University Commonwealth Law Journal

p. part P. Acad. Polit. Sci. NYC

Proceedings of the Academy of Political Science in the City of New York

P. Aris. Soc.

Proceedings of the Aristotelian Society

P. Brit. Acad.

Proceedings of the British Acadamy

Perspect. Polit.

Perspectives on Politics

Philos. & Phenomen. Res.

Philosophy and Phenomenological Research

Philos. & Public Aff.

Philosophy and Public Affairs

Philos. Issues

Philosophical Issues

Philos. Rev.

Philosophical Review

Philos. Sci.

Philosophia Scientiae

Philos. Stud.

Philosophical Studies

PiR

Praxis der Internationalen Rechnungslegung

Polit., Philos. & Econ.

Politics, Philosophy & Economics

Polit. Sci. Q.

Political Science Quarterly

Preuß. Preußisch

38 Abkürzungsverzeichnis PrGS

Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten

Publ. Am. Econ. Assoc.

Publications of the American Economic Association

PVS

Politische Vierteljahresschrift

Q. J. Austrian Econ.

Quarterly Journal of Austrian Economics

Q. J. Econ.

Quarterly Journal of Economics

qu. quaestio RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Ration. & Soc.

Rationality and Society

R.C.A.D.I.

Recueil des Cours de l’Académie de Droit Interna­ tional de la Haye

RCÉ

Regards croisés sur l’économie

RDP

Revue du Droit Public et de la Science Politique

RDT

Rivista di Diritto Tributario

REL

Revue Économique de Louvain

Res. Econ. Anthropol.

Research in Economic Anthropology

RESS

Revue Européenne des Sciences Sociales

Res. Soc. Strat. Mobil.

Research in Social Stratification and Mobility

Rev. dir. trib.

Revista di diritto tributario

Rev. dr. pub.

Revue du droit public

Rev. écon.

Revue économique

Rev. Econ. Studies

Review of Economic Studies

Rev. Educ. Res.

Review of Educational Research

Revenue L. J.

Revenue Law Journal

Rev. Financ. Studies

Review of Financial Studies

Rev. franç. sociol.

Revue française de sociologie

Rev. OFCE

Revue de l’Observatoire Français des Conjonctures Économiques

Rev. phil.

Revue de philologie, de littérature et d’histoire anciennes

Rev. Polit.

Review of Politics

Rev. Soc. Econ.

Review of Social Economy

RF

Rivista di filosofia

RFC

Revue fiscale canadienne

RFDC

Revue française de droit constitutionnel

RFÉ

Revue française d’économie

Abkürzungsverzeichnis39 RFFP

Revue française de finances publiques

RFH Reichsfinanzhof RFSP

Revue française de science politique

RG Rechtsgeschichte RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RIDÉ

Revue internationale de droit économique

RIDU

Rivista Internazionale dei Diritto dell’Uomo

RIEJ

Revue interdisciplinaire d’études juridiques

RIFD

Rivista internazionale di filosofia del diritto

RIP

Revue international de philosophie

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RJ

Rechtshistorisches Journal

RJF

Revue de Jurisprudence Fiscale

RMM

Revue de Métaphysique et de Morale

RPÉ

Revue de Philosophie Économique

RPFÉ

Revue Philosophique de la France et de l’Étranger

Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RStBl. Reichssteuerblatt RV 1919

Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919

Rz. Randziffer S.

Satz / Seite(n)

sc. scilicet Scan. J. Econ.

Scandinavian Journal of Economics

Schweizer Monatsh.

Schweizer Monatshefte

Sci. Context

Science in Context

Slg. Sammlung Soc. Choice & Welfare

Social Choice and Welfare

Soc. contemp.

Sociétés contemporaines

Soc. Econ. Rev.

Socio-Economic Review

Sociol. & Soc.

Sociologie et Société

Soc. Philos. & Pol’y

Social Philosophy and Policy

Soc. Res.

Social Research

Soc. Sci. Inform.

Social Science Information

Southern Econ. J.

Southern Economic Journal

40 Abkürzungsverzeichnis Stan. L. Rev.

Stanford Law Review

Stbg Steuerberatung StbJb. Steuerberater-Jahrbuch StGH Staatsgerichtshof St.prp. Stortingsproposisjoner StR Steuer-Revue StuB

Steuern und Bilanzen

StuW

Steuer und Wirtschaft

StWG

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft

t. Tome Tax L. Rev.

Tax Law Review

Tax Notes Int’l

Tax Notes International

Tax Policy & Econ.

Tax Policy and the Economics

Tb.

liber Tobiae

Theor. & Soc.

Theory and Society

Tul. L. Rev.

Tulane Law Review

Tz. Teilziffer u. a.

und andere / unter anderem

U. Chi. L. Rev.

University of Chicago Law Review

U. Colo. L. Rev.

University of Colorado Law Review

U. Fla. L. Rev.

University of Florida Law Review

U. Penn. L. Rev.

University of Pennsylania Law Review

UStG Umsatzsteuergesetz utg. utgiver v.

vom / von

v. a.

vor allem

Va. L. Rev.

Virginia Law Review

Vand. L. Rev.

Vanderbilt Law Review

Va. Tax. Rev.

Virginia Tax Review

VerwArch. Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche VJSchrStFR

Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht

Vol. Volume(n) Vulg. Vulgata

Abkürzungsverzeichnis41 VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

Wall St. J.

Wall Street Journal

Wash. L. Rev.

Washington Law Review

Whittier L. Rev.

Whittier Law Review

Wisc. L. Rev.

Wisconsin Law Review

Yale Econ. Essays

Yale Economic Essays

Yale Law J.

Yale Law Journal

z. B.

zum Beipiel

ZfB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

ZfbF

Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

ZfhF

Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung

ZfN

Zeitschrift für Nationalökonomie

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZfS

Zeitschrift für Soziologie

ZfSocW

Zeitschrift für Socialwissenschaft

ZgS

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

ZPE

Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik

ZphF

Zeitschrift für philosophische Forschung

ZphK

Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik

Z. Rechtssoziol.

Zeitschrift für Rechtssoziologie

ZSteu

Zeitschrift für Steuern & Recht

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik „[…], ÉGALITÉ, […].“1

A. Das Thema der steuerlichen Ungleichbehandlung I. Die Ungleichbehandlung von Einkünften als steuerrechtliches Grundproblem Als zum Ende des letzten Jahrhunderts der deutsche Finanzwissenschaft- § 1‌ ler Fritz Neumark in einer kritischen Zusammenschau die bisherige Entwicklung der Einkommensbesteuerung anhand konkreter Problemkreise darzustellen versuchte, schienen ihm insbesondere drei Themen dauerhaft diskussionsbedürftig zu sein. Als Auswahlkriterium diente ihm dabei nicht nur die Bedeutung der jeweiligen Sachproblematik, sondern auch die diesen zugrunde liegenden methodischen Fragestellungen.2 Der erste dieser Themenkomplexe betrifft die sinnvolle Bestimmung der steuerlichen Subjekte, und dabei insbesondere auch die Frage, ob und inwieweit zivilrechtliche Zurechnungsformen im Bereich des Steuerrechts angemessen nachzuvollziehen seien. Ein zweiter Bereich gilt der Frage, ob bei der Festlegung des Steuergegenstandes inflationsbedingte Scheingewinne berücksichtigt oder möglicherweise nivelliert werden sollten, womit gleichzeitig der Maßstab eines demgegenüber realistischen und entsprechenden Gewinnbegriffes vorausgesetzt wird.3 Der letzte Fall schließlich bezieht sich auf die kontroverse und wechselvolle Bewertung einer steuerlichen Ungleichbehandlung von verschiedenen Einkommensquellen, die sich insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Kapital- und Arbeitseinkünften konzentriert.4 Wird in allen genannten Fällen vordergründig einer wirtschaftlichen Unterscheidung gefolgt, so betreffen sie doch hintergründig auch immer zugleich eine kom1  Robespierre,

in: arch. parl., première série, t. 21, S. 236 (249). in: Schultz, Zehnten, S. 232 ff. 3  Bzw. damit möglicherweise auch auf die Frage einer neutralen Besteuerung verwiesen wird, vgl. zu den Zusammenhängen D. Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Bd. 4, S. 979–995, sowie näher unten § 381. 4  Neumark, in: Schultz, Zehnten, S. 232 (237). Diese Entwicklung hob Neumark bereits in: ders., Theorie, S. 31, als charakteristisches Merkmal der modernen Einkommensteuer hervor. 2  Neumark,

44

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

plexe politische Diskussion, so dass damit zugleich steuerpolitisch die Frage nach ihrer Zweckmäßigkeit und verfassungsrechtlich die nach ihrer Zulässigkeit im Raume steht. Diese Problemlage trifft insbesondere auf die in der jüngeren Zeit wieder aktuell gewordenen Überlegungen nach einer begünstigenden Besteuerung von Kapitaleinkünften in Form einer Dualen Einkommensteuer zu, die politisch gefordert und ökonomisch begründet aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken entstehen lassen, ob zwischen verschiedenen Einkommensformen von Seiten des Gesetzgebers unterschieden werden darf, oder gegebenenfalls sogar muss. II. Die zugrundeliegenden Ordnungs- und Bewertungsstrukturen § 2‌

So heterogen diese dogmengeschichtliche Stoffsammlung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, so wegweisend erweist sie sich doch für die folgenden Ausführungen. Das liegt nicht nur daran, dass sie mit dem zuletzt genannten Thema, der ungleichen Behandlung verschiedener Einkunftsarten, gerade den Untersuchungsgegenstand der Arbeit vorgibt. Vielmehr benennt sie darüber hinaus mit den weiteren der genannten Problemfeldern zugleich die drei für die steuerwissenschaftliche Beurteilung zunächst als maßgeblich angesehenen Ordnungskriterien, die der wissenschaftlichen Beschreibung ebenso wie auch der juristischen Bewertung von Steuersystemen zugrunde liegen: Zum einen die geschlossene Argumentation innerhalb des Rechtssystems in der Form der Kohärenz, die nicht nur eine angemessene Ausbildung der Steuerordnung ermöglicht, sondern darüber hinaus auch verfassungsrechtlich gebotene Selbstbindungen des Gesetzgebers zu begründen geeignet scheint5; dem gegenüber die kritische Befragung dieser geschlossenen Beschreibungsform auf ihre Reichweite und Beschränkbarkeit im Hinblick auf eine außerrechtliche und hierbei insbesondere als ökonomisch vorausgesetzte Umwelt, sofern diese einen Anspruch auf die auch verfassungsrechtlich gebotene Adäquanz rechtlicher Differenzierungen erhebt; und schließlich die übergreifende Reflexion dieser beiden grundlegenden Strukturen in einer verfassungsrechtlichen Bewertung als bereits anfänglich rechtmäßige oder zumindest nachträglich gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Die praktische Relevanz der genannten Problemkreise wird durch die Rechtsprechung des BVerfG im Bereich des Steuerrechtes bestätigt. Rekapituliert man allein die grundlegenden Entscheidungen der letzten Jahre, so lässt sich mit guten Gründen eine gewisse Unsicherheit sowohl im Hinblick auf das Verhältnis 5  Dafür steht die frühe Entscheidung des BVerfG v. 24. Januar 1963 – 1  BvR  845 / 58  –, BVerfGE  13, 331 (340), wonach sich der Gesetzgeber zivilrechtliche Differenzierungen für die steuerlichen Belastungsentscheidungen zurechnen lassen muss.



Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik45

von Kohärenz und Adäquanz der Steuerordnung untereinander feststellen, aber auch darüber hinaus im Hinblick auf die Grenzen, die die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers gegenüber einer juristischen Aufarbeitung wechselweise beschränken. Ob etwa die Bewertungsvorschriften des Bilanzrechts nicht mehr adäquat6 oder noch folgerichtig7, ob Sonderbelastungen gewerblicher Einkünfte als gesetzgeberische Systementscheidungen noch hinzunehmen sind8 oder deren Entlastung zwar nicht folgerichtig, aber jedenfalls argumentativ gerechtfertigt werden kann9, und aus welchen Quellen schließlich die zugrunde gelegten Bewertungskriterien abgeleitet werden, ist nicht stets eindeutig zu bestimmen gewesen.10 Dies rechtfertigt es, die Geltung einfordernden verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht nur zu dokumentieren und anzuwenden, sondern ihre Geltung auch zu begründen. Ausgehend von dieser Situation wird es die Aufgabe der folgenden Überlegungen sein, diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu entwickeln und anzuwenden. III. Annäherung an den Begriff der Ungleichbehandlung 1. Mehrdeutigkeit der Ungleichbehandlung Steht im Mittelpunkt nicht nur dieser Fragestellungen der folglich voraus- § 3‌ setzungsvolle Streitgegenstand der Ungleichbehandlung, mag es an dieser Stelle zur Bildung eines nur zweckmäßigen Vorverständnisses sinnvoll sein, sich seinem Begriff zunächst in semantischer Hinsicht anzunähern. Der Begriff der Ungleichbehandlung erscheint, um die Problematik der Unterscheidung zwischen verschieden Einkunftsarten zu kennzeichnen, gegenüber der von Neumark andernorts gebrauchten Formulierung der „qualitativen Differentiation“11 vorzugswürdig. Der Grund für dieses Urteil liegt in dem äquivoken Charakter begründet, der dem Begriff der Differenzierung zueigen ist, und der ihn ungeeignet macht, die Erkenntnis- und die Bewertungs6  BVerfG v. 7.  November 2006  – 1  BvL 10 / 02  –, BVerfGE 117, 1, zur Wertermittlung bei der Erbschaftsteuer. 7  BVerfG v. 12.  Mai 2009  – 2  BvL 1 / 00  –, BVerfGE 123, 111, zum Passivierungsverbot bei Jubiläumsrückstellungen. 8  BVerfG v. 15. Januar 2008 – 1 BvL 2 / 04 –, BVerfGE 120, 1, zur Gewerbesteuer. 9  BVerfG v. 21.  Juni 2006  – 2  BvL  2 / 99  –, BVerfGE  116, 164, zu § 32c EStG a. F. 10  So etwa das Résumé von Hey, DStR 2009, 2561 (2562). 11  So die Formulierung Neumarks, in: Interventionsstaat, S. 391 (393), sowie ders., in: Theorie, S. 31, im Unterschied zur am „emploi des revenues“ orientierten quantitativen Differenzierung in der Ausprägung der progressiven Besteuerung. Zu dieser Unterscheidung ferner: Neumark, Arch. Finan., vol. 1 (1950), S. 238 (240), sowie bereits Seligman, income tax, S. 21, 29 ff.

46

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

ebene der Ungleichheit auseinander zu halten. Denn die Differenzierung betrifft sowohl die nur theoretischen Interessen genügende deskriptive Feststellung eines bestehenden Unterschiedes, ohne dass daraus notwendigerweise auch eine praktische Konsequenz gezogen würde, als auch eben diese ergebnisbezogene Bewirkung eines Unterschiedes. Diese Mehrdeutigkeit wird demgegenüber in dem Begriff der Ungleichbehandlung aufgelöst. Sie findet ihre Entsprechung in dessen jeweiligen Wortbestandteilen, durch die der praktische Charakter rechtlicher Regelungsabsicht mit einer maßstabsbildenden Qualifikation verbunden wird, um als solcher selbst den reflektierenden Wertungsprozess zu bezeichnen und in Gang zu setzen. Aus diesem Grund ist der Begriff der Ungleichbehandlung nicht nur geeignet, in repräsentativer Weise die genannte thematische Trias von Adäquanz, Kohärenz und Reflexion in sich aufzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Es wird damit auch der gehobene Stellenwert des Gleichheitsgebotes für die Gestaltung der Steuerordnung erkennbar. 2. Ungleichbehandlung als Diskriminierung § 4‌

Soweit die Wirkungsweise der Rechtsfindung betroffen ist, auf die es als Gegenstand der folgenden Untersuchung im Besonderen ankommt, entspricht ihr, wie an systematisch geeigneter Stelle noch ausführlicher darzustellen sein wird, ihrem Wesen nach allein die genannte praktische Form. In der Tat liegt das Charakteristische und gleichzeitig Problematische des fraglichen Phänomens einer ungleichen Besteuerung nicht so sehr in der allein betrachtenden, theoretischen Unterscheidung12 verschiedener Einkommensquellen als Anknüpfungspunkt des steuerlichen Tatbestandes, sofern dieser keine ausschließende und damit wertende Wirkung im Sinne eines enumerativen Kataloges zukommt13, wie man sie etwa im Falle des § 2 Abs. 1 EStG im deutschen oder noch deutlicher des schedularen Schemas im britischen Steuerrecht14 antrifft, sondern eben gerade in der Praxis der Belastungsfolgen, also in der in diesem Sinne hervorgehobenen unglei12  „Theoretisch“ hier allerdings nicht so sehr im ursprünglichen aristotelischen Sinne der spontan agierenden θηωρία, wie bei Aristoteles, Nic. Eth. A 1095b 19, als vielmehr ganz in der modernen analysierenden Bedeutung, vgl. etwa Heidegger, in: Vorträge, S. 41 (51), verstanden. 13  Burns / Krever, in: Thurony, tax law, Vol. II, S. 495 (497). 14  Grdl. Brown v. National Provident Inst., [1921] 2 AS. Cas. 222, 227; zur keinesfalls unumstrittenen „source theory“: Barker, 46 Cath. U. L. Rev. 7, 13–24 (1996); Tiley, revenue law, S. 130; Weisflog, in: FS Tipke, S. 537 (544); vgl. demgegenüber als Gegenmodell z. B. die Generalklausel in sec. 61a I.R.C. (USA): „gross income means all income from whatever source derived, including (but not limited to) the following items […].“



Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik47

chen Behandlung. Es wird dann nicht nur in der Betrachtung des tatsächlichen oder normativen Umfeldes kein Unterschied festgestellt, sondern es soll auch im Ergebnis kein Unterschied gemacht werden: der Unterschied soll folgenlos bleiben.15 Sofern die Praxis als die regelgeleitete Bewirkung von Zwecken gelten kann16, kennzeichnet die Praxis der Gleichheit somit gerade die Geltung einer wirkungslosen Regel. Mit dem Verweis auf diese spontane Natur der Gleichbehandlung wird aber zugleich das Problem deutlich, ob die Frage der Gleichheit rational überhaupt zu beantworten ist, oder ob sie sich am Ende als eine nur entscheidbare erweist.17 Dieser Schwierigkeit sieht sich eine rechtswissenschaftliche Untersuchung nicht nur bei der Bestimmung ihres Gegenstandes gegenüber, sondern betrifft auch ihren methodischen Ansatz, sofern sie selbst auf eine Streitentscheidung ausgelegt ist und sich nicht nur durch sich selbst rechtfertigen will. 3. Ungleichbehandlung als Kategorisierung In dieser Hinsicht vermittelt der zweigliedrige Begriff der Ungleichbe­ § 5‌ handlung neben der klarstellenden Festlegung der Bezugsqualität als Praxis weiterhin mit seiner Qualifikation im ersten Teil aber noch eine weitere Einsicht. Im Hinblick auf die zumindest in ihrer deskriptiven Funktion notwendig relative Struktur jeder Gleichheitsbetrachtung18 besteht die Möglichkeit einer maßstabsbildenden Kategorisierung. Diese hängt von dem Bezugsobjekt innerhalb des systematischen Verwendungszusammenhanges ab, ob sich also im hier relevanten Fall von Steuersystemen die Diskriminierung auf die Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit der Festlegung des Steuerobjektes oder auf deren Quantifizierung beschränkt, oder sich darüber hinaus in der Tariffunktion fortsetzt.19 Die übliche, zum Schlagwort entwi15  Zu diesem praktischen Verständnis von Gleichheit Menke, Spiegelungen, S. 22. Jedenfalls insofern ist vielleicht die in der französischen Diskussion übliche Terminologie, die vom Phänomen der discrimination fiscale des revenues spricht (vgl. Neumark, in: Schultz, Zehnten, S. 232 (237); Trotabas / Cotteret, droit fiscal, Rz. 20), noch deutlicher, allerdings weniger durch die darin liegenden interpretatorischen Möglichkeiten, als durch die Vermittlung der damit verbundenen Assoziationen. 16  Kant, AA VIII, 275 (Über den Gemeinspruch), um damit die noch ältere aristotelische Unterscheidung zwischen intensionaler πράξις und intentionaler ποίησις aufzunehmen, auf die in anderem Zusammenhang noch zurückzukommen sein wird (unten § 75). 17  So Stoll, ÖStZ 1989, 188 (189), da „etwas prinzipiell Unentscheidbares vor­ liegt, andernfalls wäre die Entscheidung schon entschieden und müsste nur noch ,erkannt‘ werden“ (Luhmann, Recht, S. 308). 18  Dann, in: Brunner u.  a., Grundbegriffe, Bd. II, S. 995 (997); Menne, Ratio, Bd. 4 (1961), S. 43 (51); Podlech, Gehalt, S. 29 ff. 19  So auch Baade, Einkommensbesteuerung, S. 285.

48

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

ckelte, pauschale Unterscheidung zwischen einem Schedulensystem und dem System einer Gesamteinkommensteuer20 bildet diese ideale Mehrfachbezüglichkeit nur ungenügend ab. Denn die Einheitlichkeit des Tarifs auf der Grundlage eines umfassenden Einkommensbegriffs als Kennzeichen der Gesamteinkommensteuer21 stellt nach diesem Maßstab lediglich eine graduelle Abkehr vom Ideal einer einheitlichen Besteuerung22 dar, das sich bis hin zum extremen Schedulensystem, das also eine differenzierte Behandlung enumerierter, diskreter Einkunftsarten sowohl hinsichtlich ihrer Bestimmung als auch ihrer tariflichen Belastung vorsieht, modifizieren lässt. 4. Ungleichbehandlung als Rechtsproblem § 6‌

Und es ist schließlich ein Drittes, das der Begriff der Ungleichbehandlung in seiner sprachlichen Gestalt als Kompositum zu verdeutlichen vermag. Denn es sind nicht Zustände, sondern Handlungen, die den Gegenstand rechtlicher Beurteilungen bilden, und durch deren Vermittlung im Wege der Zurechnung Verantwortlichkeiten begründen.23 Die Voraussetzungen hierfür festzusetzen entspricht der wesentlichen Funktion des Rechtssystems, eine vorgefundene Zuteilung als ungerecht sowohl sachlich zu kritisieren als auch persönlich zu individualisieren.24 Wenn die deutsche Verfassungsrechtsordnung in Art. 3 Abs. 1 GG die Rechtfertigungsbedürftigkeit jeder Ungleichbehandlung selbst als forder- und einklagbar bestimmt, so wird spätestens mit dieser positiven Festlegung einer verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit das Phänomen der discrimination fis­ cale nicht nur einer Bewertung fähig, sondern bedürftig. Der Begriff der Ungleichbehandlung beinhaltet damit auch die Voraussetzungen dafür, dasjenige rechtliche Problem als solches zu formulieren, das es im Folgenden zu erörtern gilt.

bei Plasschaert, Types, S. 3. concept, S. 28; J. Lang, Bemessungsgrundlage, S. 218; Plas­schaert, Types, S. 3; Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8 Rz. 1; Zolt, 16 Va. Tax Rev. 39, 41 f. (1996). 22  Eines „uniform treatment“ i. S. v. Zolt, 16 Va. Tax Rev. 39, 52 (1996). 23  Dupuy, in: Alland / Rials, dictionnaire, S. 1341 (1345 f.). 24  Aristoteles, Nic.  Eth. Ε  1134a 33–34: „τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ πλέον αὑτῷ νέμειν τῶν ἁπλῶς ἀγαθῶν, ἔλαττον δὲ τῶν ἁπλῶς κακῶν“ („dieses [d. h. ungerecht zu handeln] bedeutet sich selbst mehr an Gutem und weniger an Schlechtem zuzuteilen“); ­Pellissier, principe d’égalité, S. 6. 20  Beispielhaft 21  K. Holmes,



Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik49

B. Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung Mit diesen Vorbemerkungen sind einerseits die thematischen Grenzen ge- § 7‌ zogen und die begrifflichen Marken gesetzt für die folgende Untersuchung, wie auch anderseits die dabei anzuwendende duale Methodik angedeutet, die als wissenschaftliche Erkenntnisbildung und als rechtliche Streitentscheidung beständig zwischen Analyse und Bewertung, zwischen Wissen und Urteil zu oszillieren hat.25 Ob dabei eine endgültige wissenschaftliche Beurteilung erreichbar ist, oder aber ein nur wissenschaftlich fassbarer Begriff der Gleichheit sich in normativer Hinsicht als „bambinesco desiderio“26 erweist, und sich der Pessimismus, wie er gegenüber der Vorstellung einer steuerlichen Gerechtigkeit in der geschichtlichen Wahrnehmung als „constat d’impuis­ sance“ vorgebracht wird27, bewahrheitet, ist dabei durchaus fraglich. Denn in beiden Arbeitsfeldern, d. h. bei der praktischen Durchsetzung festgelegter Handlungsanweisungen ebenso wie bei der theoretischen Bereitstellung von Urteilsgründen, bewegt man sich auf streitbehaftetem Terrain, das eines belastbaren Fundamentes bedarf. Um so mehr ist damit das kritische Augenmerk zu richten auf die jeweilige Bedingung der Möglichkeit einer recht­ lichen und insbesondere verfassungsrechtlichen Bewertung selbst wie ihrer fachlichen, rechtlichen und insbesondere außerrechtlichen Variablen.

C. Anlage der folgenden Untersuchung Dieses Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Fundierung und § 8‌ Darstellung einerseits und rechtlicher Bewertung und Entscheidung andererseits bildet damit das Grundmuster der folgenden Untersuchung. Leitend wird hierbei der Gedanke der Kritik sein, indem er einerseits die Aufgabe einer verfassungsrechtlichen Bewertung beinhaltet, andererseits aber auch die dabei gebotene Objektivität nicht nur gegenüber ihrem Gegenstand, sondern auch gegenüber dem eigenen Standpunkt vermittelt. Daher sind zunächst in dem ersten Teil ausgehend vom Thema der Ungleichbehandlung in grundsätzlicher Weise die Möglichkeiten einer solchen verfassungsrechtlichen Kritik aufzuzeigen. Als Ausgangspunkt ist hierbei die Relativierung des eigenen Standpunktes in seiner geschichtlichen Bedingtheit zu wählen. Denn thematische Unterscheidungen sind ebenso wie die kritischen Maßstäbe notwendigerweise durch Entwicklungen begründet und auf Entwicklungen hin angelegt. Soweit sie historisch aktuell wurden, sind sie möglicherUnterscheidung zwischen analysis und valuation: White, grounds, S. 2 ff. die kritische Kennzeichnung Croces, in: ders., cultura, S. 171, der die Gleichheit nur als „concetto aritmetico e geometrico“ akzeptiert. 27  Piétri, justice, S. 5. 25  Zur 26  So

50

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

weise nicht nur Ausdruck einer festgelegten und unverfügbaren Urteilsbildung, sondern geben möglicherweise auch selbst den Grund ab, um die Reichweite und den Inhalt einer angemessenen kritischen Bewertung zu bestimmen. Diese Erwägungen rechtfertigen daher das Vorgehen, im ersten Kapitel als geschichtlichen Rückblick die Formen steuerlicher Diskrimi­ nierungen, seien sie qualitativ als quellen- oder quantitativ als tarifbezogene Differenzierungen, im Bereich der Einkommensteuer darzustellen (§ 14‒ § 35), um daraufhin im zweiten Kapitel aber auch das Ausmaß ihrer Begründungsfähigkeit zu bestimmen (§ 36‒§ 56). § 9‌

Diese Kritik wird die Notwendigkeit aufzeigen, die historische Entwicklungslinie mit ihren nur zeitgemäßen Vorstellungen von zweckmäßiger und gebotener Besteuerung im Sinne eines kritikfähigen rationalen Steuersystems zu durchbrechen. Die Voraussetzungen für die Ausgestaltung eines solchen Programms bedarf aber aus epistemologischen Gründen einer Korrektur in Richtung einer Vermittlung der insoweit prägenden Alternativen, die man mit den Vorstellungen eines empirischen Realismus einerseits und eines subjektiven Rationalismus andererseits sinnvoll bezeichnen kann. Denn Rationalisierung lässt sich nicht lediglich als voraussetzungsloser und bindungsfreier Argumentationsraum verstehen, wie er für den (steuer-)politischen Diskurs charakteristisch ist, sondern als Form einer gesellschaftlichen Ausdifferenzierung, die innerhalb der jeweiligen Teilsysteme, betreffen sie nun die Wirtschafts- und Rechtsordnung, die politische Vermittlung oder die wissenschaftliche Reflexion, Handlungsmöglichkeiten ebenso begründet wie begrenzt. Weder die wissenschaftliche Reflexion noch die politische Diskussion vermitteln allein die notwendige Homogeneität, um als kritischer Grund dauerhaft überzeugende Bewertungen zu ermöglichen (§ 41‒§ 46). Gleiches gilt auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung, solange sie sich nur an formalen Regelungsprogrammen und deren Interpretationen orientiert (§ 47‒§ 51). Dass die Verfassung einen kritischen Maßstab formu­ liert, garantiert angesichts ihres eigenen relativen Standortes noch nicht dessen inhaltliche Umsetzbarkeit. Diese kritische Situation erfordert, auch soweit es für die Bewertung einer Steuerordnung geboten ist, vielmehr eine detaillierte Analyse, die zwischen jeweiliger Stabilisierung der betroffenen Teilsysteme und der Verarbeitung wirtschaftlich oder politisch aufgegebener Differenzierungen wechselt. Kritische Bewertungen setzen stets eine Wertordnung voraus, die diese nicht nur identifiziert, sondern, um sinnvoll zu werden, in kritischer Absicht ihren ihnen gemäßen Ort zuweist (§ 52‒§ 55).

§ 10‌

Um diesen Grund einer Kritik im zweiten Teil zu bestimmen, bedarf zunächst das Rechtssystem selbst einer entsprechenden gewichtenden Einordnung, sofern es letztlich sowohl als Ausgangspunkt wie auch als Gegenstand der verfassungsrechtlichen Kritik dient. Es sind daher im dritten Kapitel in detaillierter Weise die funktionalen Möglichkeiten des Rechtssystems



Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik51

als äußerer und innerer Ordnung darzustellen (§ 57‒§ 76) und diese darauf aufbauend im vierten Kapitel in ein Verhältnis zu setzen zu den gesetzgeberischen und politischen Einflussmöglichkeiten im Bereich der Rechtsbildung (§ 77‒§ 85). Ist diese genuiner Gegenstand einer verfassungsrecht­ lichen Kritik, so sind die Gründe dafür darzulegen, mit welchem Recht die Souveränität des demokratischen Gesetzgebers und die Legitimität seiner Entscheidungen durch eine gerichtliche oder wissenschaftliche Autorität in Frage gestellt werden kann. Dies führt letztlich zu einer Analyse der strukturellen Mängel demokratischer Willensbildung (§ 86‒§ 103) und der Möglichkeiten, diese Mängel mit verfassungsrechtlichen und insbesondere grundrechtlichen Mitteln zu korrigieren (§ 104‒§ 110). Vor diesem Hintergrund sind die funktionalen Interpretationsmöglichkeiten des Gleichheitsrechts zu entwickeln (§ 111‒§ 145), welches nach der zu entwickelnden These die Defizite der demokratischen Willensbildung in sich aufnimmt und im Wege eines subjektiven Interventionsrechts auszugleichen versucht. Sind alle diese Erwägungen gedanklich der juristischen Aufarbeitung § 11‌ zuzuordnen, die nach einem Grund der verfassungsrechtlichen Kritik fragt, ist im Anschluss daran im dritten Teil der Arbeit der Maßstab einer solchen Kritik zu entwickeln. Das ist richtigerweise eine Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Dogmatik, die den Grund einer Rechtsfindung in ein entsprechendes Anwendungsprogramm zu übersetzen hat (§ 146‒§ 147). Im fünften Kapitel ist daher zunächst auf der Grundlage der genannten funktionalen Inhaltsbestimmung des Gleichheitsrechts dessen dogmatisch darstellbarer Gehalt festzustellen und mit den Ergebnissen der bisherigen Grundrechtsdogmatik abzugleichen (§ 148‒§ 199). In einem sechsten Kapitel wird diese dogmatische Arbeit auf den Bereich der Wirtschaft übertragen und überprüft, inwieweit Strukturen des wirtschaftlichen Systems in das Rechtssystem integriert werden können (§ 200‒§ 336). Dabei wird es insbesondere darauf ankommen, sich die Frage zu stellen, inwieweit die Strukturen des ökonomischen Systems und die Begriffe und Methoden seiner wissenschaftlichen Darstellung innerhalb der rechtlichen Adaption Sinn machen können oder sollen: Der Konsum etwa als primärer Referenzpunkt des wirtschaft­ lichen Systems rechtfertigt und erfordert eine andere Steuerordnung als das produktive Einkommen. In diesem Sinne ist das Unterscheidungsmaterial, das uns die ökonomische Theorie vermittelt, zu sichten und zu verorten. Das betrifft insbesondere die Differenzierungen zwischen Produktion und Konsum, Kapital und Arbeit sowie zwischen Vermögen und pekuniärer Transaktion, die sich in der Form der horizontalen Schicht des Austausches und der vertikalen Einbindung in Form von Produktionsfaktoren als Lösungen der grundlegenden Problematik der Knappheit herausbilden. In dieser funktionalen Einordnung stellt das Geldmedium einen besonderen Informationsträger der wirtschaftlichen Kommunikationsformen dar, dessen Stellung

52

Einleitung: Themen einer verfassungsrechtlichen Kritik

sich damit als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine adäquate Übersetzung in andere Systemformen, d. h. insbesondere des Rechts wie der vermittelnden Politik erweist. Eine Korrespondenz zwischen rechtlicher Form und wirtschaftlicher Substanz, die für die Bildung eines gleichheitsrechtlichen Maßstabes relevant sein kann, ist aber nicht nur auf einer ersten kausalen und allein auf Seiten des Rechts adaptierenden Ebene möglich, sondern auch im Hinblick auf die Rückwirkungen von Rechtsfolgen auf die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten. Diese Steuerwirkungen haben ein erhebliches Differenzierungspotential, das nicht nur eine bedeutende positive wirtschaftswissenschaftliche Reflexion provoziert, sondern als Realität des Zielsystems der Wirtschaft für die Bestimmung oder die Interpretation des rechtlichen Tatbestandes Relevanz besitzen kann. Dazu sind die Gründe und Formen dieser Reaktionen und Antizipationen der steuerpflichtigen Wirtschaftssubjekte näher zu untersuchen, die darin möglichen Gründe für quellenspezifische qualitative Differentiationen auszumachen, und schließlich ihre Relevanz für die Ausgestaltung des Rechtssystems wie für eine rechtliche Bewertung zu klären. § 12‌

In diesem Zusammenhang ist der Begriff des Einkommens im siebten Kapitel als Repräsentant dieser Vermittlungen und als Gegenstand der verfassungsrechtlichen Bewertung von steuerlichen Belastungssystemen einzuführen und nach Maßgabe der dargestellten wirtschaftlichen Differenzierungen daraufhin zu untersuchen, in welcher Form er in adäquater Weise verbindliche wirtschaftliche Vorgaben aufnehmen kann, um damit der gesetzgeberischen Gestaltung entzogen zu sein (§ 337‒§ 384). Dabei wird es vor allem darum gehen, konkret zu untersuchen, in welcher Form und in welchem Ausmaß das Steuerrecht die Differenzierungen, wie sie im Zusammenhang mit der Darstellung des wirtschaftlichen Systems als anbindungsfähige Informationen identifiziert wurden, insbesondere im Rahmen der Quantifizierung der Bemessungsgrundlage übernimmt oder von ihnen abweicht, um auf der Grundlage dieses Befundes die Modifikationen bewerten zu können, die durch eine Revision am Leitbild eines dualen Einkommensbegriffes bedingt sind.

§ 13‌

Daran schließt sich in dem vierten Teil die eigentliche verfassungsrechtliche Subsumtion an, indem auf der Grundlage des erarbeiteten kritischen Maßstabes das Modell des geltenden Einkommensteuerrechts und das Besteuerungsmodell der Dualen Einkommensteuer bewertet werden, um somit zu einem abschließenden Urteil zu kommen (§ 385‒§ 449).

Erster Teil

Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik Caesar non est supra grammaticos.1

1. Kapitel

Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen A. Die liberalistische Gleichbehandlung der Einkommensquellen I. Der Income Tax Act von 1799 als systematischer Ausgangspunkt Am Beginn der modernen Geschichte der Einkommensteuer steht in Groß- § 14‌ britannien mit Pitts „Income Tax Act“ von 17992 ein Steuersystem, das dem bereits beschriebenen3 Ideal einer undifferenzierten Einheitsbesteuerung sehr nahe kommt.4 So wurde die Steuerschuld der Einkommensteuer in ihrer ursprünglichen Form dadurch bestimmt, dass auf der Grundlage einer additiv berechneten Bemessungsgrundlage eine für das Gesamteinkommen formell gleiche Tarifhöhe festgelegt wurde.5 Was man dabei rückblickend als scheduläres Element ansehen könnte, insbesondere die im überkommenen englischen Steuerwesen im „tripple assessment“6 formalisierte und daraus über1  Kant,

AA VIII, 40. c. 13, dazu: Dowell, history, vol. II, S. 224–228; Sabine, history, S. 26–35; Soos, origins, S. 147–152; zur Geschichte ausführlich: O’Brian, 41 Econ. Hist. Rev. 1 (1988). 3  Vgl. oben § 5. 4  Likhovski, B.T.R. 2005, S. 158 (163); A. Wagner, Steuergeschichte, S. 220: „wirkliche Personaleinkommensteuer“. Dies entsprach auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Pitt wandte sich eindeutig gegen eine differenzierte Tariffunktion für unterschiedliche Einkommensformen, vgl. das Zitat bei Weisflog, in: FS Tipke, S. 537 (547, Fn. 41). 5  Schremmer, Industrialisierung, S. 22. 6  Zur Wirkungsweise des triple assessment: Schremmer, Industrialisierung, S. 17; zur systematischen Einordnung als Vermögenssteuer: Harris, income tax, S. 384 ff. 2  39 Geo. III.,

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

nommene Unterteilung der Einkunftsquellen in „heads“ and „cases“7, kam demgegenüber allein ein Erkenntniswert für die Identifizierung der erfassten Einkunftsquellen zu, führte aber nicht zu einer quellenspezifisch unterschiedlichen Belastungshöhe. Greift man daher die Unterscheidung auf, die in der Einleitung als für die Bewertung relevante Differenzierungsform herausgestellt wurde, so lässt sich die Struktur dieser frühen Einkommensteuer in der Weise charakterisieren, dass die englische Income Tax zwar wirtschaftlich vorgegebene Unterscheidungen anerkannte, aber selbst keinen Unterschied machte. Interpretiert man diese systematische Ordnung am Maßstab der geschichtlich wirksamen Zusammenhänge, so erscheint die darin verwirklichte rechtliche Gleichbehandlung aller Einkommensquellen insofern folgerichtig, als sie nicht zuletzt die beherrschenden Konstellationen innerhalb der politischen Landschaft, aber auch die sozialen und ökonomischen Grundvorstellungen der damaligen Zeit widerspiegelt. Im Hinblick auf die beiden systematisch verfügbaren Gestaltungsmöglichkeiten für eine differenzierte Besteuerung, nämlich einer qualitativen Unterscheidung der Einkommensquellen und der quantitativen Tarifgestaltung, war die steuersystematische Entscheidung in zweifacher Weise dahingehend vorgeprägt8, dass einerseits jede quantitative Differentiation im Wege progressiver Stufung des Steuertarifes der liberalen Wirtschafts-, jede qualitative Differentiation zwischen verschiedenen Einkommensformen der liberalistischen Rechtsideologie verdächtig war.9 Die qualitative und quantitative Einheitssteuer entsprach der politischen Mode. II. Frühe Legitimitätszweifel § 15‌

Bereits in dieser frühen Phase, als die Bemühungen um die Herausbildung einer systematischen Form der Einkommensteuer besonders ausgeprägt waren, wurde in der parlamentarischen Auseinandersetzung die Legitimität einer strikt formalen Gleichbehandlung aller Einkommensformen angezweifelt. Denn diese nivelliere die beachtlichen realen wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Einkunftsquellen bestünden, sofern man den als richtiger aufgefassten Maßstab des jeweiligen Vermögensbestandes zugrunde lege, so dass namentlich Kapitaleinkünfte ohne Rechtfertigung bevorzugt würden.10 Dieses Argument, das sich inso7  Dazu im Einzelnen Likhovski, B.T.R. 2005, S. 158 (161 f.), und Soos, origins, S.  148 ff. 8  Neumark, Arch. Finan., vol. 1, S. 238 (239). 9  Zu dieser sinnvollen, letztlich auf Croce zurückgehenden Unterscheidung zwischen ökonomischem liberismo und politischem liberalismo: Petrucciani, modelli, S. 175 ff. 10  So argumentierte namentlich Tierney als damaliger Wortführer der Whig-Opposition, dass „making income the standard of wealth“ eine materielle Ungleichbehandlung begründe (zitiert bei: Sabine, history, S. 29).



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen55

fern als erheblich erweist, als es die Möglichkeit einer inhaltlichen Richtigkeit der gesetzlichen Unterscheidungen voraussetzt, um damit am Maßstab einer sachlogischen Vorbedingung eine materielle Bindung des Gesetzgebers zu fordern, weist einerseits ideengeschichtlich zurück, andererseits sozialpolitisch in die Zukunft. Der dahinter stehende Grundgedanke war bereits angelegt in der sozialphilosophischen Begründung einer Steuerordnung innerhalb der frühen Aufklärung11, die aus der standesgemäßen idlety der Kapitaleigner ein differenzierteres Belastungsschema ableitete. Als sozial­ politische Forderung jedoch sollte sie sich erst wesentlich später im Zusammenhang mit der aufkommenden Arbeiterbewegung in der Form eines so­ zialen Auftrags an eine interventionierende Staatstätigkeit durchsetzen. III. Liberalität des Quellenabzugs Gleichwohl blieb auch in der folgenden politisch aktualisierten Entwick- § 16‌ lung die formale Gleichbehandlung der diskret bestimmten Einkommensquellen das bestimmende politisches Dogma der englischen Steuergesetzgebung. Die in diesem Sinne nur neutrale Wirkung, die der Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsquellen zukam, galt so auch für die nur wenig später durch das Gesetz des Ministers Addington von 180312 eingeführte und im Grundsatz bis 2003 gültige13 Unterteilung der verschiedenen Einkunftsarten in sogenannte schedules, die, vergleicht man sie mit der Generalklausel der Pitt’schen Steuer, den wesentlichen Vorteil bot, Einkünfte unverbunden der jeweiligen diskreten Quelle zuzuordnen, ohne eine personalisierte Gesamtveranlagung vorauszusetzen.14 Auch diese Struktur verfolgte damit zunächst nur administrative Ziele15, indem sie gegenüber der unpopulären Steuerveranlagung der Pitt’schen Steuer16 den Vorzug eines anonymisierten Quellenabzuges bot, die keine weitergehenden verifizierenden Maßnahmen von Seiten der staatlichen Behörden erforderte.17 Motivie11  Hobbes,

Leviathan, S. 387. Geo. III, c. 122; dazu: Dowell, history, vol. II, S. 230 f.; Soos, origins, S.  152 ff.; A. Wagner, Steuergeschichte, S. 221; Weisflog, FS Tipke, S. 537 (543). 13  Die schedules wurden im Zuge des tax law rewrite-Projekts mit dem Income Tax Act 2005 aufgehoben; zur bis dahin geltenden Ausgestaltung: Nightingale, taxation, S.  71 f.; Williams, principles, S. 12–23. 14  Daunton, trusting, S. 5; Likhovski, B.T.R. 2005, S. 158 (163). 15  Barker, 46 Cath. U. L. Rev. 7, 19 (1996); Neumark, Theorie, S. 179; Plas­ schaert, Types, S. 50. 16  Likhovski, in: B.T.R. 2005, S. 158 (163); vgl. auch die Zitate bei Sabine, history, S. 30 f., und Stebbings, B.T.R. 1998, S. 651, Fn. 3. 17  Dowell, history, vol. II, S. 239; Jeffrey-Cook, B.T.R. 2003, S. 247 (249); Steb­ bings, B.T.R. 1998, S. 651 (664); A. Wagner, Steuergeschichte, S. 221. 12  43

56

1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

rend wirkten hierbei die anhaltenden, von einem liberalistischen Staatsverständnis getragenen Bedenken gegenüber einer Beeinträchtigung der Privatsphäre, die eine Steuerveranlagung notwendigerweise mit sich brachte.18 Der Einkünftekatalog beabsichtigte damit insbesondere, ebenso wie die frühere income tax, explizit nicht eine unterschiedliche Belastungshöhe der einzelnen Einkunftsarten.19 Und ganz im Sinne dieser Tradition lehnte schließlich auch Premierminister Peel noch bei der Wiedereinführung der Income Tax im Jahre 1842 kategorisch jede Form von qualitativer Differentiation zwischen den unterschiedlichen Einkommensarten ab.20

B. Die interventionisitische Privilegierung der Arbeitseinkommen I. Qualitative Bewertung der Einkommensquellen § 17‌

Diese Politik der formalen Gleichbehandlung sah sich jedoch spätestens ab der Mitte des Jahrhunderts einer wachsenden und wirkungsvollen Kritik ausgesetzt. Den Hintergrund bildete die dringlicher werdende soziale Frage und die damit vordrängende Idee einer realen Gleichstellung insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen, die der Einkommenserzielung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zugrunde lagen. Die Wahrnehmung dieser gesellschaftlichen Unterschiede erforderte in bewusster Abgrenzung zur liberalistischen Vorstellung einer gesellschaftlichen Selbstorganisation eine staatliche Intervention durch Maßnahmen begünstigender Diskriminierung.21 Das steuerrechtliche Instrumentarium bot für dieses Programm zwei unterschiedlichen Differenzierungsformen an, die diskrete Privilegierung einzelner Einkommensformen oder die vertikale Diskriminierung der Einkommenshöhe, die beide auf einer einheitlichen politischen Motivation beruhten.22 Im Hinblick auf die erste Möglichkeit bildete sich die Überzeugung heraus, dass eine inhaltliche Unterscheidung der Einkunftsarten nicht nur aufgrund der empirischen Ausgangslage der Steuer18  F. K.

Mann, Ideale, S. 202 ff. wurde etwa der Freibetrag für „earned income“ auf Pitts Kritik hin auch auf das kapitalbasierte „unearned income“ ausgedehnt, vgl. Jeffrey-Cook, B.T.R. 2003, S. 247 (249). Es ist insofern zumindest missverständlich, wenn Barker, 46 Cath. U. L. Rev. 7, 12 f. (1996), die Income Tax von 1803 der „comprehensive tax“ von 1799 als schedulär gegenüberstellt. 20  Peel, speeches, vol. IV, S. 15: „If there is to be an Income-tax at all it must be uniformly laid upon all income, and in no case whatever can I allow a distinction to be drawn.“ 21  Neumark, Arch. Fin., vol. 1 (1950), S. 238 (239). 22  De Viti de Marco, Grundlehren, S. 207 f. 19  So



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen57

pflichtigen, sondern auch auf normativer, kompensationsfähiger Basis zu treffen sei, wie sie in den begrifflichen Alternativenbildungen der damaligen steuerpolitischen Diskussion (productive / passive – property / industrial – permanent / precarious – lazy / industrious income23) repräsentiert wurde. Den Beziehern von Kapitaleinkünften, darunter insbesondere den Grundeigentümern und den Rentenbeziehern, „ceux qui s’enrichissent en dormant“24, sollte ihr leistungslos bezogenes Einkommen entsprechend höher belastet werden. Für die von der sozialpolitischen zu trennenden wissenschaftlichen Überzeugungsbildung lag die Begründung für diese Ungleichbehandlung zum einen, und vornehmlich, in der Sicherheit der kapitalbasierten Einkommen, die äquivalenztheoretisch eine höhere Beitragspflicht, gerechtigkeitsorientiert eine höhere Beitragsfähigkeit rechtfertige. Daneben wurde aber b ­ ereits ein sehr moderner Gedanke vorgebracht, der auch die ökonomische ­Reak­tionsmöglichkeit der Steuerpflichtigen auf die Besteuerungslast in die reformpolitischen Erwägungen miteinbezog.25 Alle auf dieser Grundlage erhobenen Forderungen nach einer Revision der Steuerstruktur beschränkten sich aber ausdrücklich auf die Formen qualitativer Differenzierung. Jede Art von progressiver Staffelung nach der Einkommenshöhe wurde in dieser frühen politischen Gemengenlage demgegenüber als Ausprägung einer sozialistischen Ideologie gekennzeichnet und aus diesem Grunde noch verworfen.26 II. Einführung progressiver Steuersätze Auch diese Motivlage änderte sich allerdings in der Folge der engen § 18‌ Verbindung von steuerlicher Systematik und deren Auswirkungen auf die politisch-ökonomischen Verhältnisse weiter durch die als soziale Frage in das politische Bewusstsein getretenen gesellschaftlichen Differenzen. Erst vor diesem Hintergrund sind die äußerst dynamischen und grundlegenden steuerpolitischen Entwicklungen in den europäischen Industriestaaten nach 23  Likhovski, B.T.R. 2005, S. 158 (172). Diese Differenzierung ist freilich nicht ganz neu. Braudel, civilisation matérielle, vol. II, S. 272, etwa zitiert einen niederländischen Steuererlass aus dem Jahr 1699, in dem „Kapitalisten“ eine vergleichsweise höhere Steuerlast auferlegt wird. 24  So die vielzitierte Charakterisierung von F. Mitterrand in einer Fernsehdiskussion im Jahre 1989, nach Virard, comment, S. 255. 25  Neumark, Arch. Fin., vol. 1 (1950), S. 238 (243), allerdings mit gegenüber den heutigen Mobilitätsargumenten umgekehrten Vorzeichen, wonach sich eine Privilegierung der Arbeitseinkünfte durch die insofern niedrigere Entziehungsgefahr begründen ließe. Andererseits wurden auch wirtschaftspolitische und steuerökonomische Bedenken gegen eine verschärfte Verpflichtung der Kapitaleinkommen vorgebracht, wonach eine Überwälzung der auf Kapitaleinkommen lastenden Steuer auf den Schuldner zu befürchten sei. 26  Daunton, trusting, S. 85.

58

1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

1848 erklärbar, die sich, soweit es die steuerliche Systematik betrifft, niederschlugen in einer wachsenden Tendenz, bei der Ermittlung der Steuerschuld nicht nur qualitative Differenzierungen im Bereich der Bemessungsgrundlage, sondern auch quantitative Unterscheidungen des anzuwendenden Steuersatzes vorzunehmen.27 Während sich noch die Wiedereinführung der Einkommensteuer in England 1842 auf die Freistellung eines Grundfreibetrages beschränkte28, war es, neben den noch näher darzustellenden Entwicklungen in den deutschen Staaten, hierbei insbesondere die vielfach als Vorbild dienende italienische Imposta sui redditi di ricchezza mobile, die die qualitative Differentiation von Kapital- und Arbeitseinkünften neben einem abgestuften Steuersatz einführte.29 Die einheitliche Tendenz dieser Reformgesetzgebungen war es also, zum einen zumindest materiell kapitalbasierte Einkommen in verstärkten Maße zur Abgabenleistung heranzuziehen, zum anderen eine progressive Ausgestaltung des Steuertarifs nicht mehr generell zu tabuisieren. III. Höhepunkt der politischen Auseinandersetzung § 19‌

In England, das aufgrund seiner ökonomischen Vorreiterstellung im Mittelpunkt auch der sozialpolitisch motivierten Reformdiskussionen stand, erreichte die anhaltende steuerpolitische Auseinandersetzung30 schließlich ihren vorläufigen Höhepunkt in der Berufung der Selected Committees in den Jahren 1852 und 1853 unter dem Vorsitz des namengebenden Radikalen J. Hume, die über die notwendigen und möglichen Änderungen der Einkommensteuer mit dem Ziel einer weitergehenden Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen und der Gewährleistung einer größeren sozialen Ausgewogenheit beraten sollten.31 Es sind dabei v. a. die Stellungnahmen dreier Komiteemitglieder bzw. hinzugezogener Fachleute, die in diesem Zusammenhang von Interesse sind, sofern sie ein Licht werfen auf die Diskus­sionslage und die herrschenden Vorstellungen hinsichtlich der Schnittstelle zwischen ökonomi27  Vgl. Ardant, histoire, vol. II, S. 363 ff.; zur politischen Erklärung der Differenzierungsformen vgl. de Viti de Marco, Finanzwirtschaft, S. 123 ff. (zur Progression) und S. 203 ff. (zur „fundus-Lehre“). 28  Seligman, 9 Am. Econ. Ass. Q. 1, 42 (1908). Zu einer ersten Progression kam es erst durch die Ausdehnung der steuerpflichtigen Einkommen im Jahre 1853, dazu: Vocke, Geschichte, S. 583. 29  Vom 14. Juli 1864: Gegenüber reinen Kapitalrenten wurden gemischte Einkünfte unter Abzug von 2 / 8, reine Arbeitseinkommen unter Abzug von 3 / 8 besteuert, vgl. A. Wagner, Steuergeschichte, S. 437; Ardent, histoire, vol. II, S. 374; 415 ff.; Neumark, Theorie, S.  386 ff.; Wueller, 4 Polit. Sci. Q. 555, 557 ff. (1939). 30  Vgl. die Diskussionen im Zuge des Budget 1845 (Peel) und 1848 (Russel) bei Sabine, history, S. 63. 31  Zu dieser sog. Hume-Kommission: Sabine, history, S. 67 ff.



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen59

schen Überzeugungen und den politischen Idealen von einer gerechten Besteuerung. Es handelt sich dabei zum einen um die Stellungnahme von Hume selbst, ferner die John Hubbards und schließlich die J. St. Mills. Hume stützte die anzustrebende Begünstigung von „precarious income“ nicht so sehr auf den Gesichtspunkt der sozialen Zweckmäßigkeit, sondern formal auf den der Vereinheitlichung der Einkommensberechnung, indem der Besteuerung ausschließlich kapitalisierte Werte des zufließenden Einkommens zugrunde liegen sollten.32 Gerade die formale Gleichbehandlung der Einkommensformen im Rahmen ihrer Ermittlung begründe eine materielle Diskriminierung von Kapitaleinkünften. Die Vorschläge Hubbards und Mills andererseits stimmen zumindest, was die Methode der Differenzierung betrifft, darin überein, dass sich die steuerliche Bemessungsgrundlage deutlicher an der Einkommensverwendung auszurichten habe, sie unterscheiden sich jedoch in der Begründung. Die Begünstigung von Arbeitseinkommen rechtfertigte Hubbard mit der geringeren Disponiblität gegenüber Kapitaleinkommen, da etwa pauschalisiert 40 % zum Aufbau einer Versorgungsrente verwendet würden.33 Mills Auffassung schließlich entsprach der aus seinen Principles bekannten Rechtfertigung einer Ausgabensteuer. Insgesamt waren die Beiträge daher geprägt von dem Ziel, den steuerlichen Eingriff nicht als neutrales und undifferenziertes Medium zu tabuisieren, sondern als anpassungsfähiges und anpassungsbedürftiges Instrument zu interpretieren. Die Ergebnisse dieser Kommission stießen zwar zunächst von Seiten der Regierung auf praktische Bedenken, wie sie im Zusammenhang mit der Steuererhebung gesehen wurden.34 Auch die englische Einkommensteuer folgte aber schließlich der seit Mitte des 19. Jh. anhaltenden sozialen Kritik35, und sah schließlich im Jahre 1907 unter Asquith mit der Kategorisierung von earned und unearned in­ come eine qualitative Differenzierung der Einkommensteuer vor. Im Unterschied dazu entsprach für die amerikanische Steuerpolitik diese Unterscheidung stets einem weitgespannten ideologischen Hintergrund36, so dass die Steuergesetzgebung der USA bis zur Einführung der Bundeseinkommensteuer im Jahre 1912 von dem Grundsatz geprägt war, Arbeit nicht, und Vermögen nur proportional zu besteuern.37 32  Daunton,

trusting, S. 92; Vocke, Geschichte, S. 564 ff. trusting, S. 93 f. 34  Ardant, histoire, vol. II, S. 383. 35  Daunton, in Tiley, studies, S. 3 (11); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik Disraelis am ersten Haushalt Gladstones im Jahre 1853: Jeffrey-Cook, B.T.R. 2003, S. 247 (251), und Gladstones Gründe, an der Gleichbehandlung festzuhalten, bei Daunton, in: Tiley, studies, S. 3 (12). 36  Hierzu Kornhauser, 70 Ind. L. J. 119 (1994). 37  Zur Verteidigung Spahr, 1 Pol. Sci. Q. 400 (1886); zur redistributiven Motivation der income tax andererseits: Avi-Yonah, 60 Tax L. Rev 1, 11 (2007). 33  Daunton,

60

1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

IV. Der französische Sonderweg § 20‌

Gegenüber der vornehmlich von liberalen und liberalistischen Vorstellungen beeinflussten Diskussion, wie sie für die angelsächsischen Steuerordnungen typisch ist, weist die Entwicklung der französischen Einkommensbesteuerung einige Besonderheiten auf.38 Auch sie war zwar Gegenstand intensiver politischer Auseinandersetzungen. Allerdings waren angesichts des spätestens seit dem Jahr 1830 stets immanenten sinistrisme39 der französischen Politik die innerhalb des Liberalismus wirksamen Unterscheidungen nur von beschränkter Relevanz. Prägend waren demgegenüber bereits bei der Einführung einer Einkommensteuer die entsprechenden Forderungen der radikalen Linken sowie der sozialistischen Partei auf der einen und den am traditio­ nellen Realsteuersystem der aus Revolutionszeiten stammenden „quatre vieilles“40 festhaltenden Traditionalisten der rechten Parteien auf der anderen Seite.41 Im Hintergrund dieser Diskussion wirkte dabei in erheblichem Maße der Einfluss, den das gleichzeitig staatspolitische wie auch in Art. 13 der Dé­ claration des Droits de l’Homme et du Citoyen von 1789 verfestigte verfassungsrechtliche Ideal der égalité ausübte. Im speziellen steuerpolitischen Kontext äußerten sich die progressiven Forderungen daher nicht nur im Sinne einer formellen Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen, sondern vielmehr in der dreifachen Devise von discrimination42, progressivité und minimum d’existence.43 Damit prägte die steuerpolitische Debatte in Frankreich eine spezifische reformatorische Komponente, die eine praktische Einigung der verschieden politischen Lager lange Zeit verhinderte. So endete sie letztlich erst in der kompromisshaften44 Reformgesetzgebung unter Cailleux unter den besonderen Bedingungen der Kriegsjahre zwischen 1914 und 191745, die auf 38  Neumark,

Theorie, S.  278 ff. Begriff, den Thibaudet, in: idées, S. 33 ff., zur Kennzeichnung der politischen Landschaft Frankreichs seit 1830 einführte. 40  Sc. die contribution foncière (Grund- und Gebäudesteuer), die contribution (personelle-)mobilière, die impôts des patentes und der impôt des portes et fenêtres (Tür- und Fenstersteuer). Hinzu kam 1872 die taxe sur le revenu des valeurs mobi­ lières (vgl. Neumark, Theorie, S. 281). 41  Vgl. Isaia, in: ders. / Spindler, histoire, vol. II, S. 15–35. 42  Renoult, in: J. O. Débats, Chambre des Députés, séance du 16 juillet S. 1790: „La discrimination des revenus que le parti républicain a toujours réclamée, esti­ mant que les contribuables qui vivent des produits de leur travail ont droit à un traitement fiscal plus favorable que les contribuables qui tirent leurs ressources de revenus de capiteux.“ 43  Isaia, in: ders. / Spindler, histoire, vol. II, S. 29. 44  Isaia, in: ders. / Spindler, histoire, vol. II, S. 16. 45  Loi du 29 Mars 1914 concernant la contribution foncière des propriétés bâties et non bâties et l’impôt sur le revenu des valeurs mobilières francais et etrangeres. 39  Ein



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen61

einem analytischen System von acht „impôts cédulaires“ gründete.46 Das Gebot der discrimination äußerte sich dabei in einem Dreistufentarif je nach Zuordnung der cédules zu Kapital-, Arbeits- oder gemischten Einkünften.47 Der „Impôt génerale sur le revenue“ von 1917 trat dabei als Ergänzungssteuer zur Höherbelastung größerer Einkommen im Hinblick auf die proportional besteuernden cédules hinzu.48 Im Jahre 194849 wurde dieses Schedulensystem schließlich zugunsten einer Zweiteilung von taxe proportionnelle und surtaxe progressive aufgelöst.50 deren Bemessungsgrundlage sich zwar aus einer Einkommenssumme zusammensetzte. Andererseits waren die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aber der taxe proportionelle nicht unterworfen. Zudem sahen die Regelungen jeweils unterschiedliche Berechnungsmethoden für die einzelnen Einkunftsarten vor.51 Das französische Ertragsteuerrecht war in diesem Sinne in erheblichem Maße schedulär strukturiert.

C. Das Ideal einer globalen Einkommensteuer I. Vorläufiger steuerpolitischer Konsens In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich schließlich die § 21‌ Vorstellung, dass eine undifferenzierte tarifliche Gleichbehandlung der Einkunftsarten die konsequenteste Ausgestaltung einer vornehmlich an Gerechtigkeitsidealen gemessen rationalisierten Ertragsbesteuerung darstelle. Die globale Einkommensteuer galt danach gleichsam als Schlussstein und „Ende der Steuergeschichte“52, während scheduläre Steuersysteme im Sinne einer 46  Im Einzelnen: 1. contribution foncière des propriétés non bâties (Grundsteuer); 2. contribution foncière des propriétés bâties (Gebäudesteuer); 3. impôt sur le revenu des valeurs mobilières (Kapitalertragssteuer); 4. impôt sur le revenu des créances, dépôts et cautionnements (Steuer auf Einkünfte aus Schuldforderungen etc.); 5. impôt sur les bénéfices industriel et commerciaux (Gewerbesteuer); 6. impôt sur les bénéfices de l’exploration agricole (Steuer auf Einkünfte aus Landwirtschaft); 7. impôt sur les bénéfices des professions non commerciales (Steuer auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit); 8. impôt sur les traitements publics et privés, les indemnités et émoluments, les salaires, les pensions et les rentes viagères (Steuer auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit); vgl. dazu ausführlich: Isaia, in: ders. / Spindler, histoire, vol. II, S. 35–89. 47  Isaia, in: ders. / Spindler, histoire, vol. II, S. 38. 48  Lemcke, Vorgeschichte, S. 109. 49  Décret n° 48-1986 du 9 décembre 1948, auszugsweise abgedruckt bei Belt­ rame, in: Isaia / Spindler, histoire, vol. II, S. 113–132. 50  Artikel 1er des décret lautete: „Il est établi un impôt sur le revenue des per­ sonnes physiques.“ 51  Plaesschart, Types, S. 268. 52  Dieser Optimismus kommt deutlich zum Ausdruck bei Sylvain Plaesschart in seiner Monographie zu schedulären Steuersystemen, z. B. ders., Types, S.  255 f.:

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

pauschalen und bewussten Differenzierung nach der Einkommensquelle demgegenüber als veraltet und überwunden betrachtet wurden.53 Für diese Bewertung spielten neben einer mit dem Aspekt der Gerechtigkeit argumentierenden Begründung auch praktische und wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle. Denn zum einen stand eine unterschiedliche Ermittlung und Belastung verschiedener Einkommensarten scheinbar der Verwirklichung einer sozialpolitisch gebotenen strengen Progression im Wege.54 Andererseits begründeten die Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich insbesondere im Rahmen der an Bedeutung wesentlich zunehmenden unternehmerischen Einkünfte einstellten, Effizienzverluste durch die erschwerte Administration, aber auch durch verstärkte Steuerplanungsmaßnahmen.55 II. Verlagerung des Schwerpunktes auf die Progressivität § 22‌

Die Verbreitung dieses steuerpolitischen Konzepts einer globalen Einkommensteuer mit einem einheitlichen Steuersatz für alle Einkünfte fand 1989 seinen vorläufigen Abschluss mit dessen Umstzung in der Steuerreform in Portugal. Damit hatten sich zu diesem Zeitpunkt alle OECD-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens förmlich für dieses Besteuerungsideal entschieden. Bestand somit Einigkeit darüber, dass es für eine horizontale Differenzierung zwischen den einzelnen Einkunftsarten, zumindest sofern es sich dabei um eine globale Privilegierung der einen oder anderen Einkommensform handelte, keine überzeugende Rechtfertigung mehr geben könne, so verlagerte sich die steuerpolitische Diskussion mit ihren verteilungs- und je nach der wirtschaftswissenschaftlichen Ideenlage damit übereinstimmenden oder entgegengesetzten wachstumsorientierten Motiven in erster Linie auf die Frage der quantitativen Differentiation, d. h. der absoluten Belastungshöhe, die auf dem Einkommen lastet. Gerade die insoweit prägenden und im neutralen Sinne vorbildlichen Steuerreformen der USA in den zwanziger Jahren unter Finanzminister Mellon, sowie unter den Präsidenten Kennedy in den sechziger und schließlich unter Reagan in „Wij zijn de mening toegedaan dat de overgang naar een globaal systeem een bel­ angrijke stap in de goede richting betekent. In globo beschouwd, blijkt een synthe­ tisch stelsel immers beter dan een gemengd stelsel te voldoen aan de vereisten, die in het huidige tijdsgewricht aan de Inkomstbelastinegen worden gesteld, met name een rechtvaardige verdeling van de belastingdruk, relatieve eenvoud en flexibiliteit als instrument van econmische politiek“ (Herv. Verf.); in diesem Sinne auch Old­ man / Bird, 31 BIFD 439, 439 (1977). 53  Mennel, StuW 1973, 1 (5). 54  Ault / Arnold, income taxation, S. 167. 55  Burns / Krever, in: Thurony, tax law, Vol. II, S. 495 (497).



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen63

den achtziger Jahren bringen diesen Perspektivenwechsel, die den Steuertarif in den Mittelpunkt der Diskussion rückte, zum Ausdruck.56 Besonders im letzteren Falle wird die Verbindung dieser Entwicklung mit den volkswirtschaftlichen Ideen einer angebots- oder nachfrageorientierten Wirtschaftsund Finanzpolitik deutlich. Nach dem Verlust der Geltungshoheit eines keynesianischen konsumorientierten Interventionismus und dem Vordringen neoklassischer gleichgewichtsorientierter Interpretationsmodelle monetaristischer Prägung in der Folge von Schumpeter und Friedman einerseits57 und einer konservativ-liberalen politischen Ökonomie nach Nozick58 andererseits war die direkte Anreizwirkung für die Kapitalakkumulation ein Argument für weitgehende Steuersenkungsprogramme insbesondere in den höheren Tarifbereichen ohne Unterscheidung nach der Qualität der Einkommensquellen.59 Nach der liberalistischen Evidenz der Gleichbehandlung aller Einkommensformen verlor damit auch die sozialpolitische Evidenz der Progression ihre Überzeugungskraft in der steuerpolitischen Diskussion zugunsten einer liberalen Zweckmäßigkeit, die ihren Höhepunkt in der Form des Einheitstarifs findet.60

D. Die Rückkehr zur Schedule I. Privilegierung kapitalbasierter Einkünfte Zeitgleich mit dem Vordringen des Konzeptes einer globalen und neutra- § 23‌ len Einkommensteuer traten freilich gegenläufige Entwicklungslinien auf, die ungeachtet der Evidenz, mit der dieses Konzept den Vorstellungen von einer gerechten Besteuerung zu entsprechen schien, zumindest die ökonomische Zweckmäßigkeit eines Besteuerungssystems mit synthetischer Bemes56  Worthy,

72 N. D. L. Rev. 691 (1996). great transformations, S. 139 ff. 58  Nozick, anarchy, 1974. 59  R. Atkinson, supply-side follies, S. 137 ff. Gleichzeitig ist dieses Reformprogramm ein deutliches Beispiel für die Instrumentalisierbarkeit ökonomischer Argumente im politischen Prozess, wie sie in der Episode zum Ausdruck kommt, wonach der damalige Verantwortliche des präsidialen Budgetbüros, Thomas Stockman, in einem Interview die Zielsetzung der Steuerreform mit den Worten zusammenfasste, dass „Kemp-Roth [d. h. der Economic Recovery Tax Act von 1981, Pub. L. 97-34, 95 Stat. 172, der insbesondere den Spitzensteuersatz von 70 % auf 50 % reduzierte, Anm. Verf.] was always a Trojan horse to bring down the top rate“, dazu ausführlich Prasad, politics, S. 88 ff. 60  Zum Überblick: McNulty, 88 Cal. L. Rev. 2095, 2103 ff. (2000); aus deutscher Sicht ist hierbei die Bewertung des Wissenschaftlichen Beirates beim BMF, in: ders., Entwürfe, 2004, zu nennen; zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einer progressiv ausgestalteten quantitativen Differentiation: Elicker, StuW 2000, S. 3 ff. 57  Blyth,

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

sungsgrundlage in Frage stellten.61 Allgemein lässt sich hierbei eine Tendenz in Richtung zurück zu einer schedulären Fragmentarisierung der Bemessungsgrundlage feststellen, allerdings, was die damit verbundene Belastungsverteilung betrifft, unter umgekehrten Vorzeichen.62 Nicht mehr die Arbeitseinkünfte gelten danach als die zu favorisierende Einkommensart, sondern die investiven und damit kapitalbasierten Einkommensquellen. Zumindest in dieser Hinsicht findet die These von einer zirkulären Evolution des Rechtssystems keine Bestätigung63, treffender wäre vielmehr das Bild von einer umschlagenden Pendelbewegung, das sich fortsetzt bei der wechselvollen Bestimmung von regelhaftem Besteuerungsideal und regelwidrigen Begünstigungen. Insofern stellte die bewusst als Ausnahme und als zweckgerichtete Förderung verstandene Privilegierung des produktiven Kapitals den Ausgangspunkt einer Entwicklung dar, die sich vom Ideal einer Kapitaleinkommensteuer ab- und der Regelhaftigkeit einer Konsumeinkommensteuer zuwandte.64 Gegenüber diesem systematischen Reflexionsprozess waren aber zunächst insbesondere wirtschaftspolitische Erwägungen maßgebend und nur allmählich maßstabsbildend, die im Auftrag einer wachstums­ orientierten Politik und damit ganz den aktuellen Bedürfnissen des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit entsprechend65 die Kapitalakkumulation begünstigen wollten.66 Wenn auch von einer umfassenden Zielsetzung getragen, die sich mitunter den sozialpolitischen Forderungen entgegensetzte, so trafen diese Maßnahmen doch stets auf eine Opposition von Seiten der rechtlich gefestigten, systemprägenden Grundentscheidung für eine einheitliche Einkommensbesteuerung, so dass sie allenfalls als Ausnahmetatbestände wahrgenommen und entsprechend gerechtfertigt wurden. Ein bewusster und das heißt folgerichtiger Systemwechsel stellte sich erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein, begleitet von der wieder aktuell werdenden wissenschaftlichen Diskussion um die ökonomischen Vorzüge einer konsumbasierten Besteuerung, die die ökonomische Motivation als rechtliches Prinzip reformulierte.67 Im Bereich des gesetzgeberischen Reformprozesses waren es, 61  Bavila, ET 2001, S. 211 ff.; J. Lang, in: M. Rose, Steuer- und Sozialsystem, S. 83 (93). Beispielhaft erwähnt sei der Fall Spaniens, das bereits wenige Jahre nach Einführung der globalen Einkommensteuer im Jahr 1978 weitreichende Einschränkungen für Kapital- und Vermögenseinkünfte vorsah, vgl. Selling, RIW 1991, 934 (935); Ortiz Calle, StuW 2010, 121 (123). 62  Tanzi, 26 Brook. J. Int’l L. 1261, 1276 f. (2001). 63  Wie Avi-Yonah, 101 Mich. L. Rev. 2227, Fn. 26 (2003), konstatiert. 64  J. Lang, in: Smekal u. a., Einkommen, S. 143 (151). 65  Vgl. Raupach, in: 63. DJT, Bd II, 1, N 49 (50–52). 66  Deutliches Beispiel für diese Motivlage ist Japan, Ishi, 12 Asia Pac. Tax Bul. 321, 323 ff. (2006); Kaneko, in: Foote, Japan, S. 564 (570). 67  Etwa Andrews, 87 Harv. L. Rev. 113 (1974); Bradford, 16 Tax Notes 715 (1982), sowie insbesondere Meade, structure, passim.



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen65

beginnend mit Belgien, das 1984 eine unterschiedliche Behandlung von Zinsen und Dividenden einführte68, vor allem die unter dem Namen ­„Duale Einkommensteuer“69 firmierenden Steuerreformen in den nordischen Ländern, die einen bewussten Systemwechsel im Verhältnis der Faktorbesteuerung und damit im Verhältnis zum Ideal einer einheitlichen, synthetischen Besteuerung herbeiführten.70 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es hinsichtlich des Begriffes der Dualität insofern ungenau ist, diesen auf eine systemprägende Unterscheidung zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen zu beziehen, steht doch im systematischen Vordergrund das primäre Abscheiden der Kapitaleinkommen von den sonstigen Einkommensquellen, darunter insbesondere den Löhnen sowie den Transferleistungen, und im motivierenden Hintergrund die wirtschaftspolitisch einseitige positive Bewertung der beabsichtigten Kapitalattraktion aus dem Ausland und der Kapitalakkumulation im Inland. II. Systemwechsel in den nordischen Staaten Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieser Reformmaßnahmen der § 24‌ späten 80er und frühen 90er Jahre71 ist darin zu sehen, dass sie den zum Dogma einer synthetischen Einkommensbesteuerung konservierten systematischen Konsens zwischen liberalistischer Gleichbehandlung und sozialpolitischer Progression zugunsten einer liberalen Ausrichtung an die wirtschaftlichen Anforderungen als Sachstruktur wie als Zweckprogramm erneut in Frage zu stellen scheinen, indem sie die besondere Eignung der auf Kapitaleinsatz beruhenden Einkommensformen für wirtschaftspolitische Zielsetzungen zum Ausgangspunkt einer mindestens gerechtfertigten Ungleich­ behandlung machen. Als Motive, die man behutsam von möglichen Rechtfertigungsgründen72 trennen sollte, wirkten bei dieser Reform neben fiska­ 68  Hamaekers,

9 Asia Pac. Tax Bul. 42, 47 (2003); Lesage, mondialisering, S. 102. Überblick vgl. O. Jacobs, Unternehmensbesteuerung, S. 105–111; Spen­ gel, Unternehmensbesteuerung, S. 340–350. 70  Dazu Nordic Council, tax reform, 1993. In neuerer Zeit erfolgte ein solcher systematischer Wechsel in Spanien durch das Gesetz 25 / 2006 v. 28.  November 2006, das die Unterscheidung zwischen „allgemeinen Einkünften“ (renta general) und „Spareinkünften“ (renta de ahorro) auch mit dem Argument einer systematisch folgerichtigen Gleichbehandlung von Kapitalanlagen begründete, vgl. Ortiz Calle, StuW 2010, 121 (123). 71  Zur Entwicklung: Zimmer, in: Wahlgren, S. 393 (407); speziell zu Dänemark: Lotz, in: Nordic Council, tax reform, S. 13 ff.; P. B. Sørensen, in: ders., tax policy, S. 4. 72  Darunter Kompensation der Inflation, Gewährleistung von Neutralität und Vermeidung einer Doppelbesteuerung, vgl. P. B. Sørensen, Finanzarchiv, N.F., Bd. 61 (2005), S. 559 (564 f.). 69  Zum

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

lischen und aufkommensorientierten Erwägungen, wie sie sich auf die Möglichkeiten einer schedulär bedingten Einschränkung von Verlustabzugsmöglichkeiten, insbesondere hinsichtlich privater Schuldzinsen73 konzentrieren, in erster Linie in wirtschaftspolitischer Absicht die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Steuersystems durch die einseitige Entlastung des mobilen Kapitals, in finanzwissenschaftlicher Absicht die gleichzeitig gewährleistete Neutralität der verschiedenen Finanzierungsformen.74 In der spezifisch politischen Diskussion war dieses Konzept damit durch die überzeugende Zielsetzung vermittelbar, eine Anpassung an den internationalen Standortwettbewerb bei gleichzeitiger Konsolidierung oder Steigerung des Aufkommens zu erreichen. Gesichtspunkte aber, die durch die allgemein verstandene Gleichheitsfrage aufgeworfen werden, seien sie rechtlicher oder verteilungspolitischer Natur, blieben dabei weitgehend untergeordnet.75 III. Diskrete Reformmaßnahmen § 25‌

Aber auch in den noch formell vom Prinzip der synthetischen Gleichbehandlung der Einkommensformen geprägten Steuersystemen entwickelten sich seit den 80er Jahren, z. T. aus den gleichen Motiven, zumindest im Bereich von Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen diskrete scheduläre und duale Besteuerungsstrukturen. Dies beruhte im Wesentlichen auf der verbreiteten Einführung von Abschlagsteuern auf Zinsen oder der Freistellung entsprechender Einkünfte.76 So führten Österreich und Italien Abgeltungssteuern auf einem niedrigeren Niveau für Zins- und Dividendeneinkommen ein, Spanien im Jahr 1996 eine proportionale Steuer für Veräuße73  Vgl. für Dänemark: Lotz, in: Nordic Council, S. 13 (16); für Norwegen: Christiansen, CESifo DICE Report 3 / 2004, S. 9 (9); für Schweden: Mutén, in: ders. u. a., Dual Income Tax, S. 7–10; ders., in: Wahlgren, tax law, S. 259 (270); für Finnland: Viherkenttä, IStR 1994, 414 (415). 74  Mutén, in: Wahlgren, S.  259 (270); Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003 / 04, Tz. 585; P. B. Sørensen, Dual Income Tax, S. 7 ff.; Viherkenttä, in: O. Jacobs, Aspekte, S. 117 (133); ders., IStR 1994, S. 414–415. Diese Motive traten in der Diskussion erst später in den Vordergrund, so Christiansen, CESifo DICE Report 3 / 2004, S. 9 (10). Bei der italienischen Dualen Einkommensteuer, eingeführt durch D. Lgs. 18 dicembre 1997 n. 446, stand die Finanzierungsneutralität sowie damit zusammenhängend die Stärkung der Eigenkapitalbasis italienischer Gesellschaften im Vordergrund, Fantozzi, diritto, S. 896. Auch in diesem Fall bediente man sich des Mechanismus, ausgehend von einem Referenzkapital die Standardverzinsung von Eigenkapitalerhöhungen (im Einzelnen dargestellt bei di Tanno, dual income tax, S. 53 ff.) zur Grundlage eines erniedrigten Steuersatzes zu machen. 75  Gjems-Onstad, StuW 2006, 90 (92). Eine Ausnahme stellen die Überlegungen Zimmers, in: Nordic council, tax reform, S. 141 ff., dar. 76  Zur Entwicklung: Carey  u. a., future, 1993.



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen67

rungsgewinne77, die Niederlande im Jahr 2001 ein sog. Boxensystem, das einerseits Arbeitseinkommen progressiv besteuert, Vermögen und Anlagerenditen hingegen auf der Grundlage einer Sollertragsrechnung proportional mit einem Steuersatz von 30 % belastet.78 Im Jahre 2005 wurde von Seiten einer amerikanischen Reformkommission eine niedrige 15 %-ige Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Veräußerungsgewinnen als Reformalternative vorgeschlagen.79 Anders als im Falle der nordischen Reformmodelle, bei denen die Entlastungswirkung auf einem bewussten Systemwechsel beruhte, ist sie in diesen Fällen auf nur diskrete Erscheinungsformen von Kapitaleinkünften für einen ebenso diskreten, häufig allein fiskalpolitischen Zweck beschränkt. Um einen Eindruck von dem Gewicht dieser Entwicklung zu bekommen, kann auf Zahlen einer Statistik aus dem Jahr 2002 verwiesen werden, wonach der Mittelwert der maximalen Einkommensteuersätze für Kapitaleinkünfte mit 29,7 % in Europa sowie Japan und den USA signifikant vom durchschnittlichen allgemeinen Einkommensteuerspitzensatz von 44,2 % abweicht.80 Schließlich wiesen im Jahr 2005 von den damals 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht weniger als 16 eine gegenüber dem Spitzensteuersatz auf Arbeitseinkommen zum Teil erheblich niedrigere tarifliche Kapitalbesteuerung für Zinsen- und Dividenden auf.81 IV. Reformdruck im Bereich der Unternehmensbesteuerung Und so steht auch im Mittelpunkt der neueren Reformdiskussion die § 26‌ Frage, ob und inwiefern eine Gleichbehandlung der Einkunftsarten zweckmäßig ist. Als treibende Kraft wirkt dabei insbesondere der seit der Steuerreform in den USA im Jahre 1986 politisch mehrfach geäußerte Reformdruck jedenfalls auf den Bereich der Unternehmenssteuern. Die Steuerpolitik sieht sich bei der Umsetzung des Reformzieles vor die Wahl gestellt zwischen einer einheitlichen Niedrigbesteuerung aller Einkunftsarten (flat tax82), deren scheinbare Überzeugungskraft aus liberalistischer und liberaler Ortiz Calle, StuW 2010, 121 (123). den Überblick bei Arendonk, in: Essers / Rijkers, notion, S. 103 ff., und Kowallik, IStR 2000, S. 300 ff. 79  President’s Advisory Panel, proposals, S. 157. 80  Schratzenstaller, DIW Vierteljahrshefte 2003, S. 535 (542). 81  Spengel, Gutachten G 66. DJT (2006), G7. 82  Der Begriff ist insofern missverständlich, als sie in der Reformdiskussion häufig mit dem unter dem gleichnamigen Titel veröffentlichten Reformkonzept der amerikanischen Ökonomen Hall und Rabushka, flat tax, 1995, identifiziert wird. Während dieses aber eine R-Cash-Flow-Unternehmensteuer mit einer zinsbereinigten Einkommensteuer verbindet, also im Kern eine Form von Konsumsteuer vor77  Dazu 78  Vgl.

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

Perspektive eine weitreichende Diskussionswelle in Gang gesetzt hat83, oder aber einer differenzierten bzw. einer dualen Einkommensteuer, die eine konsequente Differenzierung zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen vorsieht.84 Dass wirtschaftspolitische Prioritäten nicht nur bei einer Entscheidung für diese Alternativen eine Rolle spielen, sondern auch bei der Entscheidung zwischen diesen Alternativen, wird deutlich, wenn man die Konzepte im Lichte eines erweiterten institutionellen Rahmens und dessen Anforderungen bewertet. So wird mit Blick auf die reformpolitische Zukunft die Abkoppelung der kapitalbezogenen Einkünfte in der Dualen Einkommensteuer auch als geeignetes Modell herangezogen, um als Fernziel eine allokationseffiziente Besteuerung auf internationaler Ebene, insbesondere im europäischen Binnenmarkt, sicherzustellen.85

E. Die Entwicklung in Deutschland I. Frühe Schedularisierungstendenzen § 27‌

Es ist im Hinblick auf diese Entwicklungen erstaunlich, dass sich das erste Einkommensteuergesetz in Deutschland, sc. das Reglement vom 23. Februar 1808 für Ostpreußen86, weder wie das englische Vorbild an einer liberalistischen Gleichbehandlung orientierte, noch eine Unterscheidung der Einkommensquellen nach sozialen und damit erhebungsnahen Kriterien vorsah, sondern, um die wörtliche Formulierung aufzugreifen, danach unterschied, ob das Einkommen aus „Fonds, die dem Perzipienten selbst gehören“ (§ 35a) oder aber „Fonds, die dem Perzipienten nicht ge­ hören“ (§ 35b) stammten. Der Gesetzgeber nahm bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage also eine Einteilung nach Maßgabe des ökonomischen Gehalts der Einkommensquellen je nach ihrer Faktoreneigenschaft schlägt, bezieht sich in der deutschen Reformdiskussion das gleichnamige Reformkonzept auf ein SHS-Modell mit niedrigem einheitlichen Steuersatz (vgl. etwa: Beirat, Gutachten, S. 3; Ganghof, Steuerpolitik, S. 51). 83  Ausgehend von Hall / Rabushka, Wall St. J. Dec. 10, 1981, S. 30, col. 3; als Überblick: Jenn, 43 Tax Notes Int’l 995 (2006); Keen u. a., IMF working paper  06 / 218; in Deutschland repräsentiert dieses Modell insbesondere der Entwurf von P. Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch, 2003; aus ökonomischer Sicht dazu: Fuest, Die Volkswirtschaft 2005, S. 15. 84  Zuletzt im sog. Mirrless-Review zur Reform des britischen Steuerrechts, vgl. Griffith / Hines / Sørensen, in: Mirrlees u. a., Dimensions, S. 914 (981 ff.). 85  Cnossen, Finanzarchiv, N.F., Bd. 56 (1999), S. 18 (46  ff.); Genser / Reutter, Finanzarchiv, N.F., Bd. 63 (2007), S. 436 (454). 86  PrGS 1806–1810, 193–216; dazu: Liesenfeld, Bausteine, S. 26–29; Mathiak, StuW 1995, 352.



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen69

vor, um diese differenziert jeweils mit einem Grenzsteuersatz von 15 % bzw. 20 %87 zu belasten. Im Laufe der weiteren deutschen Reformdebatte begegnet man einer solchen quellenbezogenen Unterscheidung allerdings in Übereinstimmung mit der übrigen europäischen Steuergesetzgebung erst wieder in einem sozialpolitischen Umfeld, die die gesellschaftlichen Folgen der Industrialisierung als soziale Frage wahrnahm. So spiegelte im Jahr 1848 das im Königreich Bayern neben der allgemeinen Einkommensteuer eingeführte Kapitalsteuergesetz den politischen Willen zu einer steuerlichen Begünstigung von Arbeitseinkommen gegenüber Kapitaleinkommen wider88, der Landtag des Großherzogtum Baden beschloss im selben Jahr (obwohl das Gesetz selbst in der Folge der politischen Ereignisse nicht in Kraft getreten ist) die Einführung einer progressiven („wachsen­ den“) Einkommensteuer zusammen mit einer Kapitalrentensteuer.89 Die Revision dieser Gesetzgebung im Jahr 1850 war von der Motivation getragen, für ausländische Investoren zur Repatrisierung von Kapital Steuererleichterungen vorzusehen.90 Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch das österreichische Einkommensteuerpatent vom Oktober 1849 genannt, das ebenso wie die Einkommensteuersysteme der anderen deutschen Länder im Wesentlichen eine Ergänzungsfunktion gegenüber den bereits bestehenden, den Kapitalbesitz (in Österreich insbesondere den an Immobilien) belastenden Ertragsteuersystemen hatte.91 Sozialpolitische Motive begleiteten damit bereits früh die Steuergesetzgebung und fanden langfristigen, wenn auch relativ späten wissenschaftlichen Ausdruck in der politisch aktiven ökonomischen Literatur.92

Mathiak, StuW 1995, 352 (357). sind in diesem Zusammenhang die Einwendungen des Referenten des Einkommensteuergesetzes, wonach die doppelte Besteuerung der Kapitalienbesitzer gerade im Hinblick auf den Unsicherheitscharakter von Kapitaleinkünften ungerechtfertigt sei, vgl. bei Schanz, Finanzarchiv, Jg. 17, Bd. 2 (1900), S. 25 (57). 89  Gesetz v. 4. Juli 1848, Reg.-Bl. XLV, S. 223. 90  Vgl. Lewald, Finanzarchiv, Jg. 3, Bd. 2 (1886), S. 309 (316). 91  Lesigang, Finanzarchiv, Jg. 6, Bd. 2 (1889), S. 74 (101). 92  Insbesondere und beispielhaft in den für den einflussreichen Verein für So­ cialpolitik erstatteten Gutachten, vgl. etwa Nasse, Personenbesteuerung, 1873 (die dritte Frage, die diesem Gutachten zugrunde lag, bringt sowohl die rechtspolitische Motivation wie die diskutierten steuersystematischen Lösungen deutlich zum Ausdruck: „Soll die Steuer eine progressive sein, in welchen Abstufungen und bis zu welcher Grenze hat dann die Steigerung stattzufinden? Und ist hierbei ein Unter­ schied zwischen fundirtem und nicht fundirtem Einkommen zu machen?“) sowie der ergänzenden Stellungnahme von F. J. Neumann, Einkommensteuer, 1874; vgl. auch A. Wagner, Finanzwissenschaft, Bd. II, S. 456, wonach die Differenzierung zwischen fundiertem und unfundiertem Einkommen eine Folge des Postulats einer sozialpolitischen gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei. 87  Nach

88  Interessant

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

II. Die preußische Einkommensteuer als steuerpolitischer Kompromiss § 28‌

Auf dem Feld gesetzgeberischer Reformmaßnahmen fanden diese Entwicklungen ihren nachhaltigen Niederschlag im preußischen Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 189193 unter der Federführung des damaligen Finanzministers Miquel.94 Obwohl formal differenzierend zwischen verschiedenen, inhaltlich am Quellenprinzip95 angelehnten Einkunftsarten96, beruhte dieses Gesetz doch ausdrücklich auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung des Einkommens im Hinblick auf die Belastungsfolge. Dieses Bekenntnis ist freilich mit Blick auf die durch das Ergänzungssteuergesetz vom 14. Juli 189397 eingeführte zusätzliche Belastung von Vermögenswerten zu beurteilen und entsprechend zu relativieren, sofern diese wiederum zumindest auch98 mit der Differenzierung von fundierten und unfundierten Einkünften99 gerrechtfertigt wurde100, wie sie der damals in der finanzwis175; dazu: Dziadkowski, FR 1991, 805 m. w. N. A. Wagner, Finanzarchiv, Jg. 8, Bd. 2 (1891), pp. 71 ff.; Homburg, Steuerlehre, S.  48 f.; Pausch, Johannes Miquel, S. 32 ff. 95  Das Quellenprinzip wurde zuerst von Franz Guth in: ders., Lehre vom Einkommen, S. 62, formuliert und vor allem von Bernhard Fuisting, einem Mitautor des Gesetzesentwurfs, vertreten (vgl. z. B. ders., Steuern, Bd. 4, S. 110); zur Quellen­ theorie allgemein: Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8, Rz. 50 f. 96  So nach § 7 PrEStG 1891: Kapitalvermögen, Grundvermögen, Handel und Gewerbe, gewinnbringende Beschäftigung und Rechte auf periodische Hebungen und Vorteile. 97  PrGS 1893, 134; dazu ausführlich: Thier, Steuergesetzgebung, S. 593 ff. 98  Die Steuer sollte von vornherein auch ertragsunabhängige Vermögenswerte belasten. Sie gründete mithin nicht allein auf der Fundustheorie, so auch Thier, Steuergesetzgebung, S.  597 ff.; Oechsle, BB 1993, 1369 (1371); Wueller, 1 Polit. Sci. Q. 83, 89 (1938): „property tax in rem“. 99  Vgl. Sten. Ber. PrHdA XXVII / 5 1892 / 93, Anl. II, Nr. 6, S. 509–536 (519): „Die Anschauung, dass dem sogenannten fundirten, d. h. auf Besitz gegründeten Einkommen im Vergleiche zu dem Arbeitseinkommen im Allgemeinen eine größere Steuerkraft beiwohne, ist so weit verbreitet und berechtigt, und bedarf einer beson­ deren Begründung an dieser Stelle nicht.“ Als fundiertes Einkommen bezeichnete man solches aus Grund und Boden, aus Betriebseinrichtungen und aus Geldvermögen, also aus Quellen von vermeintlich gesichertem Bestand. Das Arbeitseinkommen, das mit der Erwerbsfähigkeit des damals kaum sozial abgesicherten Einkommensbeziehers stand und fiel, wurde dagegen als relativ unsicher und mithin unfundiert angesehen, vgl. Oechsle, BB 1993, 1369 (1370); die Rechtfertigung war allerdings stets unsicher, Popitz, in: Handwörterbuch, Bd. 3, S. 400 (423): „Offenbar soll keine moralische, sondern eine wirtschaftliche Qualifikation erfolgen.“ 100  Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Ergänzungssteuer-Gesetzes vom 2.  November 1892, Sten. Ber. PrHdA XVII / 5, 1892 / 93, Anlagen II, Nr. 6 S. 509– 536 (519): „sie soll die Unterscheidung in der Heranziehung des fundirten und des nicht fundirten Einkommens zu den Staatslasten herbeiführen, sie soll ferner ergän­ 93  PrGS 1891, 94  Hierzu:



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen71

senschaftlichen Literatur ganz überwiegenden Auffassung entsprach101, aber auch noch in neuerer Zeit etwa in der Rechtsprechung des BVerfG als Rechtfertigungsgrund für eine investive Einkommensformen zusätzlich belastende Vermögens- oder Gewerbebesteuerung anerkannt wurde.102 Eine systematische Verankerung dieser Form einer qualitativen Differentiation im Einkommensteuergesetz selbst erschien Miquel allerdings im Hinblick auf die notwendige Identifizierung der unterschiedlichen Einkommensfaktoren in den real auftretenden und wahrnehmbaren Einkommensströmen als unmöglich.103 Insofern setzte sich die Ungleichbehandlung von Arbeits- und Vermögenseinkünften im Rahmen der Einkommensteuer in Form einer Ergänzungsabgabe als selbständiger Vermögenssteuer fort.104 In der Binnensystematik des Ertragsteuerrechts war damit die Gleichbehandlung der Einkommensformen konserviert, in der Summe blieb eine Unterscheidung bestehen. III. Dualismus der Einkommensermittlung Die Grundentscheidung für eine relative synthetische Einkommensteuer- § 29‌ belastung blieb auch in den unter der Geltung der neuen Reichsverfassung von 1919 vorgenommenen Reformmaßnahmen unangetastet. Diese betrafen nicht so sehr die Fragen der Einkommensbestimmung als die der Einkommensermittlung. Insofern erfolgte zunächst eine systemprägende105 Umforzend eintreten, wo die Form der Einkommensteuer behufs angemessener Erfassung leistungsfähiger Elemente nicht ausreicht, sie soll endlich die Finanzgebahrung des Staates stärken, ihr eine sichere Grundlage geben.“ 101  Etwa bei Jastrow, JbNökuSt, Bd. 59 (1892), S. 161; Schäffle, Steuern, Bd. 1, S. 280 ff., Bd. 2, S. 52 f.; A. Wagner, Finanzwissenschaft, Bd. 2, S. 456. 102  BVerfG v. 24.  Januar 1962  – 1  BvR  845 / 58  –, BVerfGE 13, 331 (348 f.), sowie v. 12.  Oktober 1976 ‒ 1  BvR  2328 / 73  –, BVerfGE 43, 1 (7): „Es ist verfas­ sungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das in der Regel weitgehend ‚leistungs­ los‘ aus dem Vermögen fließende Einkommen durch Einkommen- und Vermögensteu­ er stärker besteuert wird als das Einkommen, das aus der Verwendung der Arbeits­ kraft fließt“; kritisch gegenüber der Funduslehre im Zusammenhang mit der Vermögensteuer etwa Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 776 f. m. w. N. 103  Vgl. Sten. Ber. PrHdA XXVII / 5 1892 / 93, Anl.  II, Nr. 6, S. 509–536 (519 f.): „Die gerechte und gleichmässige Erfassung des fundirten Einkommens würde beim Grundbesitz und Gewerbebetriebe im Wege der Zuschläge zur Einkommensteuer nur zu erreichen sein, wenn es möglich wäre, dasselbe für den einzelnen Steuerpflichti­ gen individuell aus dem Gesamteinkommen auszusondern. Praktisch brauchbare Vorschläge für ein solches Verfahren sind bisher aber nicht bekannt geworden“ (ebd., S. 520). 104  Neumark, in: Schultze, S. 237; Weber-Grellet, BB 1996, 1415 (1417). 105  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8, Rn. 7; J. Lang, Bemessungsgrundlage, S.  36 ff.

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

mulierung durch das Einkommensteuergesetz vom 29. März 1920106 unter Reichsfinanzminister Erzberger107 durch eine weitergehende Adaption der Schanz’schen108 Reinvermögenszugangstheorie.109 Während die folgenden Änderungen im Wesentlichen nur nachrangige Tariffragen betrafen, installierte schließlich das Einkommensteuergesetz von 10. August 1925110 den bis heute geltenden Kompromiss zwischen einer Reinvermögenstheorie, die insbesondere im Bereich der Kapitaleinkünfte auch unregelmäßige Wertänderungen berücksichtigt, und einer deutlicher zahlungsbezogenen Quellentheorie, der damit zumindest im Bereich der Gewinnermittlung das Steuerrecht seither dual strukturiert. Zusammenfassend war damit die systematische Ausgangslage der deutschen Einkommensbesteuerung durchgängig differenzierter Natur: Eine duale Einkommensermittlung, eine materielle Zusatzbelastung von Kapitaleinkommen durch die Vermögensbesteuerung sowie ein quantitativ differenzierender, progressiver Steuertarif. IV. Einzelmaßnahmen im Bereich der Unternehmensbesteuerung § 30‌

Auch im weiteren Verlauf unterlag die deutsche Einkommensteuer den „Verlockungen der Schedule“111. Neben den einkünftebezogenen Differenzierungen im Rahmen der Bemessungsgrundlage112 und der Vermögensteuer, die als Ergänzungssteuer bis zu ihrem Außerkrafttreten zum 1. Januar 1997113 zumindest zu einer wirtschaftlichen Zusatzbelastung führte, waren es insbesondere die Entwicklungen im Bereich zweier Einkunftsquellen, die den festgefügten Grundsatz einer synthetischen Einkommensbesteuerung in Frage stellten und damit die verfassungsrechtliche Frage nach einer gleichheitsrechtlichen Zulässigkeit aufwarfen. Zum einen wurde im Bereich der Unternehmensbesteuerung das Verhältnis der einem formal selbständigen Besteuerungsregime unterworfenen Körperschaften zu den der Einkommensteuer unterliegenden Unternehmensformen differenzierter.114 Die Steuerpolitik im Bereich der Unternehmenssteuern war seit den Steuersenkungspro106  RGBl. I

1920, 359. Homburg, Steuerlehre, S. 50; Kruse, Lehrbuch, Bd. I, S. 9 ff. 108  Formuliert in: Finanzarchiv, Jg. 13, Bd. 1 (1896), S. 1–87. 109  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8, Rz. 50 f.; zu den Abweichungen aber Sava, Dualismus, S. 58 ff. 110  RGBl. I 1925, 189. 111  Faltlhauser, in: FS Ritter, S. 511 ff. 112  Kanzler, FR 1999, S. 363 ff.; Schindler, Fiktion, S. 8–10; Thiel, in: Arbeitsgemeinschaft, Pluralismus, S. 75 (77 ff.); Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 594 f. 113  Infolge des Beschlusses des BVerfG v. 22.  Juni 1995  – 2  BvL  37 / 91  –, BVerfGE 93, 121. 114  Vgl. Wendt, in: FS Friauf, S. 859 ff. 107  Dazu:



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen73

grammen der amerikanischen Regierung Mitte der 1980er Jahre geprägt von der Vorstellung, dass zumindest im Bereich der Körperschaften weitreichende steuerliche Entlastungen aus wirtschafts-, insbesondere standortpolitischen Gründen notwendig seien. Die daraus folgende, als „Tarifspreizung“ gekennzeichnete und diskutierte Abkoppelung des noch mit dem KStG 1977 vorgesehenen tariflichen Gleichlaufs von Körperschaftssteuersatz einerseits und Spitzensteuersatz Gewerbetreibender im Sinne von § 15 EStG andererseits begründete daher ein dauerhaftes, die Steuerpolitik bestimmendes Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat der Gleichbehandlung unternehmerischer Tätigkeit unabhängig von ihrer Rechtsform auf der einen Seite und der Gleichbehandlung der Einkunftsarten im Einkommensteuerrecht auf der anderen Seite.115 Nach den Änderungen durch das Steuerreformgesetz 1990116, die nur zu einer geringfügigen Tarifspreizung von 3 % führten, löste man diesen Zielkonflikt zunächst mit einer Durchbrechung des Prinzips der einheitlichen Belastung des Einkommens, indem gewerb­ liche Einkünfte innerhalb des Einkommensteuerrechts privilegiert wurden: Dem sog. Rittermodell117 folgend sah das Standortsicherungsgesetz 1994118 eine Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte (§ 32c EStG) bei 47 %119 gegenüber einem Körperschaftsteuersatz von 45 %120 vor.121 Auch die Unternehmenssteuerreform 2000, vorbereitet von der im Dezember 1998 eingesetzten „Brühler Kommission“, war von der Zielsetzung geprägt, steuerliche Entlastungen angesichts eines intensivierten Steuerwettbewerbs vorzusehen, der sich insbesondere bei inkorporierten Unternehmensformen etabliert habe. Der folgenden Herabsetzung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 % stand die Entlastung der der Einkommensteuer unterliegenden Unternehmen durch die Möglichkeit, die Gewerbesteuerschuld pauschalisiert auf die tarifliche Einkommensteuer anzurechen, gegenüber (§ 35 EStG).122 Tarifunterschiede wurden so mit Unterschieden bei der Einkommensermittlung 115  Ganghof,

Steuerpolitik, S. 69. v. 25. Juli 1988, BGBl. I, 1093. 117  Vorgestellt in: BB 1990, 2197. 118  Gesetz v. 13. September 1993, BGBl. I, 1569. 119  Art. 1 Nr. 9 Abs. 4 StandortSiG. 120  Art. 2 Nr. 5 lit. a Abs. 1 StandortSiG. 121  Verfassungsrechtliche Zweifel hieran im Hinblick auf das Gebot gleichmäßiger Besteuerung wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren seitens des Bundesrates geäußert, vgl. BT-Drucks.  12 / 4487, S. 52, und lagen auch dem Vorlagebeschlusses des BFH vom 24.  Februar 1998 ‒ X  R  171 / 96  –, BFHE 188, 69, zugrunde; dazu: R. P. Schenke / S. Schenke, NJW 1999, 2573; Wernsmann, NJW 2000, 2078. Das BVerfG hat die Tarifbegrenzung allerdings in seinem Beschluss vom 21. Juni 2006 – 2 BvL 2 / 99  –, BVerfGE 116, 164, im Ergebnis als verfassungsgemäß bewertet. 122  Die Brühler Kommission diskutierte vier Alternativen, dazu Hey, BB 1999, 1192 (1196): 1. Optionsmöglichkeit für die Körperschaftsteuer, 2. Sondertarif für 116  Gesetz

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

verrechnet und dadurch neue Gestaltungsmöglichkeiten eingeführt bzw. bereits bestehende Inkompatibilitäten verstärkt.123 Anders ging man bei der Unternehmenssteuerreform 2008124 vor. Die erneute Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 % wurde mit der betriebssteuerlichen Variante einer Begünstigung thesaurierter Gewinne verbunden (§ 34a EStG), deren vollständige steuerliche Erfassung damit grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entnahme verlagert wird. Wurde so die bislang körperschaftssteuerspezifische Trennung der Vermögenssphären zwischen Gesellschaft und Eigentümer auf den Bereich der Einkommensteuer übertragen, so bedingt diese Einschränkung des Transparenzprinzips neue Grenzziehungen innerhalb der einkommensteuerlichen Systematik, insbesondere im Hinblick auf die Besteuerung von Einzelunternehmern. Insgesamt wird deutlich, in welchem Maße äußere Sachzwänge zu immer neuen Verschiebungen und zu einer wachsenden Komplexität innerhalb der Einkommensteuerordnung führten, die die gleichheitsrechtliche Vorstellung von einem einfachen input-outputVerhältnis der Besteuerung in Frage stellen. V. Einführung einer abgeltenden Quellensteuer § 31‌

Die privaten Kapitaleinkünfte stellen die zweite Einkunftsquelle dar, deren Besteuerung als reformbedürftig betrachtet wurde. In diesem Bereich führte v. a. die Abgeltungssteuer mit Wirkung zum 1. Januar 2009 im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2008125 zu einer Relativierung des Ideals einer synthetischen Einkommensbesteuerung, indem für Kapitaleinkünfte, die dem Quellenabzugsverfahren der Kapitalertragssteuer nach § 43 EStG unterliegen, mit dem Einbehalt die Steuerschuld erfüllt ist (§ 43 Abs. 5 S. 1 EStG). Der Quellenabzug umfasst anders als bisher, als entsprechend der Quellentheorie bei privaten Kapitaleinkünften von Wertveränderungen des Stammrechts abstrahiert wurde, auch die Gewinne, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die der Erzielung von Kapitalerträgen dienen, erzielt werden (§ 20 Abs. 2 EStG). Das selbständige Tarifsystem, das hierdurch für die Mehrzahl der Tatbestände einer Einkunftsart installiert wurde, begründete das Urteil, mit der Abgeltungssteuer lasse sich die Einkommensteuerordnung als eine Art duale Einkommensteuer qualifizieren.126 Der spezifisch nicht entnommene Gewinne, 3. Anrechnung der Gewerbesteuer, 4. weitere Absenkung des Grenzsteuersatzes nach § 32c EStG. 123  Dargestellt in dem kritischen Beitrag von Siegel u. a., BB 2000, 1269; zu den Alternativen bei den Grenzziehungen Bareis, in: FS Wacker, S. 27 (30 ff.). 124  Gesetz v. 14. August 2007, BGBl. I, 1912. 125  Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14. August 2007 (BGBl. I, 1912). 126  Kessler / Eicke, 47 Tax Notes Int’l 837 (2007); Sachverständigenrat, Jahresgutachten  2007 / 08, Tz. 395; Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (547).



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen75

scheduläre Charakter kommt dabei nicht nur in der Absenkung des Steuersatzes für private Kapitaleinkünfte (§ 32d Abs. 1 EStG) zum Ausdruck, sondern auch in den Beschränkungen, Verluste mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten auszugleichen (§ 20 Abs. 6 EStG). Anknüpfend an die Themeneinführung kulminiert auch die Problematik der Abgeltungssteuer in der Fragestellung, ob es sich hierbei lediglich um eine diskrete Durchbrechung der bestehenden Systematik mit einem synthetischen Einkommensbegriff als Ausgangspunkt oder aber um einen nicht folgerichtig ausgestalteten Qualitätswechsel mit einer Schedulisierung als akzeptierter gesetzgeberischer Entscheidung handelt.127

F. Die duale Einkommensteuer I. Die duale Einkommensteuer als bewusster Systemwechsel Am Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts § 32‌ wurde in den nordischen Staaten in der Folge des allgemeinen weltweiten Reformprozesses in der Steuerpolitik das Besteuerungsmodell der dualen Einkommensteuer entwickelt.128 Als bewusste Durchbrechung des bisherigen steuersystematischen Konsenses beschränkte es sich nicht mehr nur darauf, im Wege vereinzelter Korrekturen gewisse Formen von kapitalbasierten Einkünften zweckorientiert einer niedrigeren Tarifbelastung zuzuführen. Vielmehr lag ihm eine systematische Abkehr von der traditionellen synthetischen Einkommensbesteuerung zugrunde, indem im Ausgangspunkt alle Formen von Kapitaleinkommen im Kanon der Einkunftsarten isoliert und einem proportionalen Steuersatz unterworfen werden. Bewusst wird bei der begrifflichen Darstellung des Reformmodells auf die überkommene Differenzierung zwischen Kapital und Arbeit129 als systemprägende Unterscheidung Bezug genommen. Anders als die bisherigen Reformmaßnahmen, die lediglich vereinzelt Sachzwängen folgend Tatbestände modifizierten, wird eine grundlegende ökonomische Struktur zum Ausgangspunkt der Tatbestandsbildung gemacht. Damit stellt dieses Reformmodell qualitativ nicht nur das Ergebnis einer politischen Gestaltung dar, sondern manifestiert eine rechtliche Entscheidung mit systemprägendem Anspruch. 127  In diese Richtung: Englisch, StuW 2007, 221 (223); weiterhin Homburg, DStR 2007, 686, den die Umgehungsmöglichkeiten, die eine Beschränkung allein auf private Finanzkapitaleinkünfte bewirkt, zur einer Kennzeichnung der Abgeltungssteuer als „Duale Einkommensteuer + Dummensteuer“ verleitet (ebd., S. 690). 128  Zur Entwicklung: Zimmer, in: Wahlgren, tax law, S. 393 (407); speziell zu Dänemark: P. B. Sørensen, in: ders., tax policy, S. 4. 129  Eine funktionale Untersuchung dieses Gegensatzes unternimmt Luhmann, in: ders., Wirtschaft, S.  151 ff.

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

II. Reformüberlegungen in Deutschland § 33‌

Die konkreten Möglichkeiten zu untersuchen, ob und wie ein solches Modell in das überkommene System der deutschen Einkommensbesteuerung implementiert werden kann, wie auch die ökonomischen und fiskalischen Wirkungen einer solchen Reform aufzuzeigen und zu bewerten, war Gegenstand eines Sondergutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung130 im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft. In Zusammenarbeit mit zwei Fachinstituten wurde ein entsprechender Entwurf ausgearbeitet131 und im April 2006 veröffentlicht.132 Die darin konkretisierten Vorschläge wurden jedoch von der Bundesregierung im Rahmen des Reformprozesses mit dem Ziel einer Unternehmenssteuerreform letztlich nicht übernommen. Begründet wurde dies damit, dass der Vorschlag „mit einer Vielzahl von Implementierungsproblemen verbunden gewesen wäre und die geschätzten kurzfristigen Mindereinnahmen im zweistelligen Milli­ ardenbereich gelegen hätten.“133 III. Umsetzung in dem Entwurf des Sachverständigenrates

§ 34‌

Der Vorschlag des Sachverständigenrates baut auf der überkommenen Systematik des Einkommensteuerrechts auf und hält im Ausgangspunkt sowohl an der Unterscheidung zwischen betrieblichen und privaten Einkünften, wie auch grundsätzlich an der überkommenen Einteilung in sieben Einkunftsarten fest. Allerdings werden im Bereich der privaten Einkünfte Vermögensänderungen der zur Erzielung dieser Einkünfte eingesetzten Wirtschaftsgüter in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vollständig und uneingeschränkt einbezogen (§ 22 EStG-E). Das charakteristische scheduläre Element der Dualen Einkommensteuer verwirklicht sich im Entwurf des Sachverständigenrates zunächst formal durch die Zusammenführung der kapitalbasierten Einkünfte wie den privaten Einkünften aus Vermietung und 130  Der sich bereits in frühreren Jahresgutachten mit ausführlicher Begründung für dieses Reformmodell ausgesprochen hatte, vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten  2003 / 2004, Tz. 584 ff.; ders., Jahresgutachten  2004 / 2005, Tz. 769; ders., Jahresgutachten 2005 / 2006, Rz. 378 ff.; vgl. auch Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten, S.  11 ff. 131  Es handelte sich dabei um das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München und das Zentrum für Europäische Wirtschafsforschung in Mannheim. 132  Sachverständigenrat, Reform, 2006. 133  So der Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Bundesregierung, BT-Drucks.  16 / 5377, S. 2.



1. Kap.: Die geschichtliche Entwicklung steuerlicher Differenzierungen77

Verpachtung und aus Kapitalvermögen einerseits und dem einer rechnerischen Eigenkapitalverzinsung entsprechenden Gewinnanteil bei betrieb­ lichen Einkünften andererseits in einer besonderen Einkommensgruppe als Kapitaleinkommen (§ 2 Abs. 3 S. 2 EStG-E) und materiell im Bereich der Tarifvorschriften, indem die Proportionalzone, innerhalb derer das Einkommen maximal mit einem besonderen Kapitalsteuersatz belastet wird, durch die Höhe des Kapitaleinkommens definiert wird. Aufwendungen mindern, sofern sie erwerbsbedingt oder als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, weiterhin das zu versteuernde Gesamteinkommen und sind damit uneingeschränkt im Jahr ihrer Entstehung steuerlich wirksam. Im ersten Fall führt allerdings ein vertikaler Verlustausgleich zwischen den Einkommensarten zu einer symmetrischen Erhöhung des im Rahmen der Tarifvorschrift zu berücksichtigen Anteils der entsprechenden Einkommensgruppe in den Folgejahren (§ 2 Abs. 4 EStG). Die in einem schedulären Besteuerungssystem notwendige besondere Behandlung der Verluste wird im Reformentwurf also intertemporal aufgelöst. Zusammengefasst ist das Steuerkonzept einer Dualen Einkommensteuer, so wie es in dem Entwurf des Sachverständigenrates Niederschlag gefunden hat, als eine Nettoertragssteuer mit einer besonderen Tarifbelastung für Erträge aus Investitionen zu charakterisieren. IV. Motive für eine Reformierung des Ertragsteuerrechts Fragt man nach den von den Reformbefürwortern genannten Motiven für § 35‌ diese besondere Ausgestaltung des deutschen Ertragsteuerrechts nach Maßgabe eines gespaltenen Einkommensbegriffs bzw. einer gespaltenen Tariffunktion, so lassen sich neben den allgemeinen wirtschaftspolitischen Er­ wägungen, die gemäß der üblichen wachstumsorientierten Zielsetzung für Investitions- wie Sparanreize134 durch eine fiskalisch begünstigte Kapi­ talakkumulation sprechen, auch die allgemeinen Kriterien des in den Steuer­ wissenschaften üblicherweise Anwendung findenden Besteuerungskanons anführen. Danach sind Reformmaßnahmen in erster Linie an ihren Auswirkungen auf die Effizienz und die Effektivität der Steuerordnung einerseits und andererseits an ihren Verteilungswirkungen bzw. an Gerechtigkeitspostulaten, seien sie rechtlich formuliert oder gesellschaftlich gefordert, zu messen. Im Sinne des ersten Kriteriums wird auf empirischer Basis auf die besondere Mobilität des Kapitals verwiesen135, die es rechtfertige, die faktorspezifische Sensibilität durch eine Rücknahme des Besteuerungsdrucks 134  P. B. Sørensen,

Dual Income Tax, S. 9. in: Wahlgren, S. 259 (270); Sachverständigenrat, Tz. 588; P. B. Søren­ sen, Dual Income Tax, S. 7 ff. 135  Mutén,

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

zu berücksichtigen, sowie in steuersystematischer Hinsicht die besonderen Neutralitätseigenschaften136 eines proportionalen und einheitlichen Tarifs, der sich vor allem im Bereich des Kapitals mit seinen vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten, sei es hinsichtlich der Finanzierung oder der Investi­ tion, als geeignet darstellt. Ein linearer Tarif erlaubt es weiterhin, Kapitaleinkünfte in effektiver Weise an der Quelle zu erfassen137, und damit einerseits die Kosten der Steuererhebung wie auch die Planungs- und Befolgungskosten der Steuerpflichtigen zu reduzieren. Im Grenzbereich zwischen Effizienz- und Gerechtigkeitsaspekten ist schließlich das Argument zu verorten, durch eine Tarifreduzierung würden inflationsbedingte Wertminderungen ausgeglichen.138 Besteht somit zwar durchaus eine weitgehende Einigkeit darüber, dass eine Tarifdifferenzierung politisch zweckmäßig ist, so bleibt doch die Frage offen, ob eine Duale Einkommensteuer den Kriterien einer gerechten und insbesondere einer gleichmäßigen Besteuerungsordnung entspricht und einer verfassungsrechtlichen Kritik Stand hält.

136  Sachverständigenrat, Jahresgutachten  2003 / 04, Tz. 586; P. B. Sørensen, Dual Income Tax, S.  6 f. 137  Mutén, tax law, S. 259 (270). 138  Mutén, tax law, S. 259 (270); P. B. Sørensen, Dual Income Tax, S. 7.

2. Kapitel

Die Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe A. Voraussetzungen einer verfassungsrechtlichen Kritik I. Die Ausbildung eines rationalen Steuersystems 1. Rechtfertigungsbedarf und Kritikfähigkeit a) Autonome Kritik und zeitgemäße Kritik Angesichts der Aufgabe, eine bestimmte Steuerordnung einer kritischen § 36‌ verfassungsrechtlichen Bewertung zuzuführen, beschränkt sich die Bedeutung der geschichtlichen Darstellung nicht auf eine lediglich thematische Einführung. Der letztlich als Prüfungsmaßstab dienenden gleichheitsrecht­ lichen Fragestellung vermittelt sie neben einer inhaltlichen Orientierung zugleich eine wichtige methodische Weichenstellung. Diese folgt aus den Widerständen, die die historische Lage des Bewertungsobjektes dessen von der verfassungsrechtlichen Beurteilung vorausgesetzten Kritikfähigkeit und Kritikmöglichkeit entgegensetzt. Legt man dem Begriff der Kritik ein auch seinerseits geschichtlich entwickeltes Verständnis zugrunde, das sie als Stellungnahme gegenüber jeweils als gesetzt geltenden Tendenzen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen kennzeichnet, sei es in Religion, Wissenschaft oder dem Recht, im Sinne einer Kunst, die darin liegende Fremdbestimmung nicht durch kriterienlose Opposition, sondern durch normative Reflexion zu verhindern1, so werden diese Voraussetzungen zumindest in der hier interessierenden Auseinandersetzung mit den besonderen ideengeschichtlichen Entwicklungen, die die Gleichheitsidee prägen, durchaus fragwürdig. Denn derartige, auf der Ebene der konzeptionellen Abstraktion ablaufende Vorgänge lassen sich nur entweder als narrativ verfügbar rekonstruieren oder als normativ verbindlich interpretieren.2 Während aber 1  Foucault, BSFP, an. 84, n° 2 (avril–juin 1990), S. 35 (38): „l’art de n’être pas tellement gouverné.“ 2  Rochlitz, Études philisophiques, an. 70, n° 2 (2004), S. 404–418; zur kritischen Analyse als entweder normativ selegierend oder legitimierend: Cartier, RFDC, 2006, n° 3, S. 509 (521 ff.).

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

im letzteren Fall eine Tendenz zu einer hypostasierenden Zurechnung droht, so im ersten Fall die einer paralysierenden Relativierung. Mit der erforderlichen kritischen Perspektive, wie sie eine verfassungsrechtliche Bewertung voraussetzt, ist diese Irrationalität aber ebenso unvereinbar wie jene rationale Verbindlichkeit. b) Steuerliche Gerechtigkeit als historische Tatsache § 37‌

Diese Situation trifft auch auf den besonderen Fall der Steuerordnung zu. Rekapituliert man etwa die geschichtliche Darstellung des vorangegangenen Abschnitts, erscheinen die unterschiedlichen Formen und insbesondere auch die Rechtfertigungsversuche einer ungleichen Behandlung von Einkunftsquellen durch eine verhältnisreiche Einbindung in ein dynamisches Ensemble von Einflussfaktoren bestimmt, ob sie nun als politisch, ökonomisch, sozial oder den entsprechenden wissenschaftlichen Beschreibungsformen zugehörig identifiziert werden. Trotz der durch das Rechtssystem vorgegebenen geschlossenen Struktur konkreter Tatbestandsbildungen erfolgte auf wissenschaftlicher und politischer Ebene stets ein intensiver und freier Austausch von Steueridealen3, so dass in diesem systematischen Spannungsfeld Abstraktion und Konkretisierung ein vielschichtiges soziales Verhältnis eingingen. Eine an objektiven Maßstäben ausgerichtete Kritik könnte somit mit der resignierenden Feststellung, steuerliche Gerechtigkeit sei eine historisch relative Tatsache4, die Rechtfertigung allein den sich politisch durchsetzenden gesellschaftlichen Kräften überlassen. In abgeschwächter Form drückt sich diese Haltung in der Feststellung aus, die außerrechtlichen Entwicklungen bestimmten zumindest die die Rechtsbildung leitenden Rechtsüberzeugungen einschließlich der verfassungs- und grundrechtlichen Ebene. So kommt eine verfassungsrechtliche Kritik, die sich auf ein liberales Grundrechtsverständnis stützt, zu anderen Ergebnissen als eine etatistisch geprägte.5 Oder aber es wird alternativ die vermeintlich verbindliche Vorgegebenheit ideengeschichtlicher Entwicklungen selbst wie beispielhaft im Falle der historischen Rechtsschule als selbstverständlich und damit als nicht fragwürdig identifiziert, so dass in der Folge jeder legislative Reformprozess, der bewusst von ihr abzuweichen versucht, sich notwendigerweise in einer Rechtfertigungssituation befindet.6 In beiden Fällen erweist sich dazu die Beiträge bei H. Nehring / Schui, global debates, 2007. Finanzwissenschaft, Bd. II, S. 386; Seligman, income tax, S. 4. 5  Denninger, Menschenrechte, S. 84 ff. 6  In diese Richtung etwa: Colm, 1 Soc. Res. 319, 320 (1934); Baratta, RIFD, vol. 37 (1960), S. 44 (45): „La giuridicità, in quanto normalità, è storicità: la storia […] è esperienza giuridica.“ Es ist ein Vorrecht der darstellenden Kunst, derartige Zweideutigkeiten offenzulassen, wie für den vorliegenden Kontext, der das Verhält3  Vgl.

4  A. Wagner,



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe81

eine kritische Bewertung aber als aussichtslos, wenn sie mangels definierbaren Maßstabes nicht eindeutig oder infolge eines absoluten Maßstabes gerade eindeutig wäre. 2. Verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsauftrag Alle aktiven Rationalisierungsbemühungen erscheinen demnach als Ver- § 38‌ suche einer kritischen Bewertung normativer Differenzierungen, seien sie als geschichtliches Ergebnis vorgegeben oder als in der Geschichte präsent verfügbar, methodisch zunächst durchgängig fragwürdig zu sein.7 Daran vermag auch der formale Rechtfertigungsbedarf nichts zu ändern, wie er aus dem gegebenen modernen konstitutionellen Umfeld folgt. Sowohl die einer Verfassung zugrunde liegende Entscheidung für eine rechtsstaatlich oder grundrechtlich begründete Ordnung des Rechts, wie auch im Besonderen der grundrechtliche Anspruch auf eine gleichmäßige Besteuerung fordern zwar ein Rationalisierungsprogramm jedenfalls formal ein.8 Ob und in welcher Form dieser förmliche Anspruch erfüllt werden kann, bleibt aber zunächst offen. Das unreflektierte Selbstverständnis des Verfassungsrechts als verbindliche Grundordnung allein jedenfalls kann eine ausreichende Rechtfertigung nicht leisten. Das zugrundeliegende Problem der Rechtfertigungs­ fähigkeit bleibt dabei stets insofern relevant, als das Rechtssystem allein keinen Maßstab dafür liefern kann, was als disponible Begründung von unterschiedlichen Rechtsfolgen und was als obligatorische Anweisung für derartige Unterscheidungen gelten kann. Die Relativität oder Absolutheit der darin positionierten Gerechtigkeitsvorstellungen wird spätestens dann bedeutsam, wenn es um die notwendige Gewichtung der politisch zu rezipierenden Kriterien geht.9 Eine verfassungsrechtliche Kritik erweist sich unter diesen Vorzeichen bestenfalls als zeitgemäß.10

nis von offenbarender Historie und gestalteter Ordnung betrifft, an jenem Gemälde Francisco Goyas verständlich wird, das die Interpretationsgeschichte uneindeutig sowohl mit den Titeln „Die Wahrheit, die Zeit und die Geschichte“ wie auch „Allegorie der Verfassung von 1812“ belegte, dazu Glendinning, Goya, S. 80 ff. 7  So etwa Leibholz, Gleichheit, S. 57  ff., um in der Folge für die inhaltliche Bestimmung des Gleichheitssatzes zu einer nur negativen Formulierung als fehlende Rationalität oder als Willkürverbot zu kommen (ebd., S. 118). 8  BVerfG v. 18.  Januar 2006  – 2  BvR  2194 / 99  –, BVerfGE 115, 97 (116): „Die Gewährleistung einklagbarer, auch den Gesetzgeber bindender Grundrechte verbie­ tet es, speziell für das Steuerrecht die Kontrolle verfassungsrechtlicher Mäßigungs­ verbote dem Bundesverfassungsgericht gänzlich zu entziehen.“ 9  Colm, 1 Soc. Res. 319, 322 (1934). 10  Ein Bewusstsein für diesen Makel ist gerade bei den Autoren der kritischen Aufklärung präsent, etwa bei Pascal, in: œuvres, S. 366 (pensées, art. III, 8): „un

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

3. Voraussetzungen für eine normative Kritik a) Komponenten einer spontanen Neuordnung § 39‌

Um auch in materieller Hinsicht den Anforderungen gerecht zu werden, die an die notwendige kritische Entscheidungsbildung zu stellen sind, ist es daher unvermeidlich, zunächst die Voraussetzungen und die Möglichkeiten einer spontanen Neuordnung angesichts des geschichtlichen und des sich darin verwirklichenden gesellschaftlichen Kontextes11 zu klären. Dazu sind im Wesentlichen zwei Komponenten erforderlich: Zum einen bedarf es einer spontanen, d. h. nicht abgeleiteten Bewertungskompetenz, die einen entsprechenden gesicherten Ordnungsrahmen zu entwickeln in der Lage ist. Zum zweiten ist dieser Ordnungsrahmen auf eine selbständige Legitimationsbasis zu stellen, die sich von vorgegebenen Bewertungsmöglichkeiten, sei es in der Form zentralisierender Zurechnungsformen oder einer relativierenden Auflösung von Ereignissen in eine Mehrzahl heterogener Einflussfaktoren emanzipiert. Die Lösung besteht in einer ihrerseits kritischen Fundierung der verfassungsrechtlichen Kritik, die einerseits den Absolutheitsanspruch ideengeschichtlicher Entwicklungen relativiert und andererseits die darin wirksamen Gestaltungskräfte gewichtet. Eine solche Blickrichtung wendet sich zunächst gegen die scheinbar unverfügbare Bindungswirkung geschichtlicher Entwicklungen. War sie bereits der historischen Schule selbst zweifelhaft12, teilt sie doch spätestens seit der Krisenerfahrung des 20. Jahrhunderts das allen empiristischen Tendenzen eigene Problem, angesichts der erfahrenen Kontingenz13 resignieren zu müssen.14 Es ist gerade diese problematische Positivität eines dem naturwissenschaftlichen Kausalitätsdogma verpflichteten Historizismus15, der die Möglichkeit einer kritischen Bewertung bietet, indem die dia-chronisch konstruierte Notwendigkeit der geschichtlichen Erfahrung16 anhand einer synchroniméridien décide de la vérité; un peu d’années de possession, le lois fondamentales changent; le droit a ses époques.“ 11  Voegelin spricht in seiner Theorie geschichtlicher Ordnungen dementsprechend von einem „leap of being“ (z. B. in: collected works, Vol. XV, S. 69). 12  Vgl. dazu die Interpretation der Schriften von Ranke und Droysen bei Gada­ mer, Werke, Bd. I, S. 201–222; Ankersmit, 34 Hist. & Theory 143, 152 (1995). 13  Zu dieser Krisenerfahrung: Laube, Karl Mannheim, S. 48 ff. 14  Cartwright, in: Engel / Daston, inconsistency, S. 19 ff. 15  Mandelbaum, history, S. 42: „Historicism is the belief that an adequate un­ derstanding of the nature of any phenomenon and an adequate assessment of its value are to be gained through considering it in terms of the place it occupied and the role which it played within a process of development.“ 16  Kierkegaard, værker VI, S. 73: „enhver Opfattelse af det Forbigangne, der tilgavns vil have forstaaet det ved at construere det, har kun tilgavns misforstaaet“



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe83

schen Gegebenheit von Strukturzusammenhängen selbständig rekonstruiert wird.17 Der von den Historikern selbst propagierte Perspektivenwechsel von der Geschichte durch die Zeit zu einer Geschichte in der Zeit18 erlaubt es, in konkreter Weise auch die Steuer als historische Erscheinung erst zu konstituieren19, und sich damit nicht in unkritische Abhängigkeiten zu begeben, die die Unschärfe auch verfassungsrechtlicher Diskussionen weitläufig prägen. b) Spontaneität eines rationalen Steuersystems Der geforderte emanzipatorische Schritt besteht also in der Hinwendung § 40‌ von einer „globalen Geschichte“20 zu einer „allgemeinen Geschichte“21, die die serielle Kontinuität erfahrener Entwicklungen durchbricht, deren verschiedene gleichzeitige Schichten aber andererseits auch nicht unverbunden gegenüberstehen.22 Die wissenschaftliche Aufarbeitung des ideengeschichtlichen Kontextes vollzieht sich dabei in einer Darstellung, welche Selek­ tionsentscheidungen im Zusammenspiel der partizipierenden gesellschaftlichen Teilbereiche getroffen werden können und tatsächlich getroffen werden, so dass einmal gerechtigkeitsorientierte Vorstellungen, dann sozial­ („Jede Auffassung des Vergangenen, die diese durch Konstruktion zu verstehen meint, hat sie gründlich missverstanden“); Villey, droits de l’homme, S.  18: „L’historicisme a tué l’histoire.“ 17  Dilthey, Schriften, Bd. VII, S. 254  ff. Zur ideengeschichtlichen Einordnung: Juillard, Mil neuf cent, 2001 / 1, n° 19, S. 5 ff.; zur Bedeutung der diachronen Betrachtungsweise bei Saussure als Ausgangspunkt für die strukturalistische Methode: Pettit, structuralism, S. 5. 18  Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 21. 19  Neumark, Theorie, S. 21. 20  Foucault, l’archéologie, S. 17 f.: „Le projet d’une histoire globale, c’est celui qui cherche à restituer la forme d’ensemble d’une civilisation, le principe – matéri­ el ou spirituel  – d’une société, la signification commune à tous les phénomènes d’une période, la loi qui rend compte de leur cohésion; c’est ce qu’on appelle métaphysiquement le ,visage‘ d’une époque.“ 21  Foucault, l’archéologie, S. 18 f.: „Le problème qui s’ouvre alors  – et qui dé­ finit la tâche d’une histoire générale  – c’est de déterminer quelle forme de relation peut être légitimement décrite entre ces différentes séries [d. h. der Geschichten der Ökonomie, der Institutionen, der Wissenschaften, der Religionen, der Literaturen, Anm. Verf.]; quel système vertical sont-elles susceptibles de former? Quel est, des unes aux autres, le jeu des corrélations et des dominantes? De quel effet peuvent être les décalages, les temporalités différentes, les diverses rémanences […] Une description globale resserre tous les phénomènes autour d’un centre unique – prin­ cipe, signification, esprit, vision du monde, forme d’ensemble –, une histoire géné­ rale déploierait au contraire l’espace d’une dispersion.“ 22  Ganz in diesem Sinne bewegt sich die historiographische Methode der Cambridge Schule, vgl. z. B. die entsprechende Referenz bei Skinner, liberalism, S. 112.

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

ethische Forderungen oder schließlich wirtschaftliche Argumentationen dominierend werden. Die jenen zeitorientierten Darstellungen zugrunde liegende deskriptive Perspektive, an der sich eine resignative Erhöhung oder Relativierung der historischen Vorstellungen von gerechter Besteuerung anknüpfen lässt23, ist damit nicht von vornherein ohne Alternative, ist sie doch auf eine präskriptive Distanzierung von ihrem Gegenstand angewiesen.24 Darin erweist sich das Recht nicht als ein zeitbestimmtes factum, sondern als ein gestaltungsfähiges, zeitgerechtes desideratum25, das sich den tatsächlich getroffenen Selektionsentscheidungen gegenüber behauptet als das Andere ihrer Möglichkeiten, als ihre offenen oder „hidden rationalities“26. Im Hinblick auf das Phänomen der Steuer erlaubt eine entsprechende Unterscheidung zwischen einem interpretierbaren Kalkül und einem zu interpretierendem System27 die Gegenüberstellung von historischem und rationalem Steuersystem.28 Rationale Konzeptionen dieser Prägung, die am Leitbild eines Ideals29 interpretierbar sind30, lösen zwar einerseits Rechtfertigungsmöglichkeiten von deren geschichtlicher Vermittlung, tragen aber andererseits den Wirkungen realer Einflussgrößen bei der Wahrnehmung der erkannten Gestaltungsmöglichkeiten Rechnung. Diese bilden dabei als „esprit général des lois“31 das verbindliche Handlungsfeld, R. Jones in: ders., taxation, S. 88, 145. daher auch die zirkulären Begriffsbestimmungen z.  B. bei Nagel, structures, S. 595: „determinism in history is the thesis that, for every set of human actions, individual or collective characteristics, or social changes that may be of concern to the historian, there is some system which is deterministic with respect to those items“ (Herv. Verf.). 25  Kaufmann, Geschichtlichkeit, S. 31. 26  Hirschman, in: essays, S. 298. In Kosellecks Analyse der Beziehung von geschichtlichem Bewusstsein und rechtlicher Vergewisserung, in: Zeitschichten, S. 338 ff., in der der Frage, ob der einmal konstituierten Geschichte die Gerechtigkeit in einer Weise innewohne, dass sich das Urteil gleichsam aus dem geschichtlichen Sachverhalt selbst ergebe, mit fünf historischen Antworten begegnet wird, ließe sich dieses Konzept als sechste Antwort einordnen. 27  Zu dieser Kategorisierung: Braithwaite, explanation, S. 23. 28  Schmölders, Steuerlehre, S. 209  ff.; sowie ders., in: Beckerath, Handwörterbuch, Bd. X, S. 158 ff. 29  F. K. Mann, Ideale, passim. Beispielgebend und subsumierbar sind hier insbesondere die bekannten Kataloge der Besteuerungsgrundsätze, sei es bei Smith, wealth, S. 887 ff. (book V, ch. II, pt. II), oder auch identisch bereits bei Boisguille­ bert, in: Daire, économistes, S. 208 ff. (le détail de la France). 30  Braithwaite verwendet zur Kennzeichnung einer solchen Interpretationsquelle den Begriff „model“, vgl. ders., explanation, S. 88 ff. 31  Montesquieu, œuvres II, S. 412 (L’espr. des lois XIX, 4): „Plusieurs choses gouvernent les hommes: le climat, la religion, les lois, les maximes du gouverne­ ment, les exemples des choses passées, les moeurs, les manières. D’où il se forme un esprit général qui en resulte.“ 23  Wie

24  Typisch



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe85

deren Kenntnis Voraussetzung für eine emanzipatorische Reformulierung durch den Gesetzgeber ist.32 Der Perspektivenreichtum, über den eine historische Betrachtung informiert, schlägt damit um in ein breites Spektrum an wissenschaftlicher Thematisierung, das die möglichen Einflussfaktoren gleichzeitig isoliert und identifiziert. Was sich dabei im Grunde ereignet, ist der Versuch, die in der geschichtlichen Entwicklung erfahrene Mannigfaltigkeit von Einflussgrößen ihren Platz innerhalb eines emanzipierten und differenzierten Wissenschaftssystems nach Maßgabe eines spontanen Ordnungsmodells neu zuzuweisen. II. Die beschränkte Signifikanz von Wissenschaft und Politik 1. Defizitäre Homogeneität wissenschaftlicher Erkenntnis a) Fehlendes Entscheidungsmodell Ob der angesprochene verfassungsrechtliche und grundrechtliche Anspruch § 41‌ an ein Steuersystem allein dadurch erfüllt werden kann, dass die relevanten sozialen Bindungen im Wege einer wissenschaftlichen Rekonstruktion aufgelöst werden, mag man allerdings aus mehreren Gründen in Frage stellen. Zunächst mangelt es dieser Vorgehensweise an der erforderlichen Entscheidungsform. Wird die Rechtfertigung unvermittelt an die jeweiligen wissenschaftlichen Aufbereitungen sozialer Tatsachen angeschlossen, so erlaubt dies zwar eine entsprechende theoretische Alternativenbildung. Es ist damit aber weder eine praktische Entscheidungsfindung verbunden, noch eine reflektierende verfassungsrechtliche Beurteilung daraus unmittelbar ableitbar. Denn eine Möglichkeit, im Wege der Entscheidungsbildung innerhalb des Wissenschaftssystems zu einer ausgleichenden Verständigung zu kommen, ist mangels eines einheitlichen Bewertungsmodelles nicht erkennbar. Zwar sind die Tendenzen in der neueren Wissenschaftstheorie nicht zu übersehen, die den wissenschaftlichen Prozess selbst von einer Erkenntnis- auf eine Entscheidungsstruktur reduzieren wollen33, um dadurch gerade die angesprochenen entwicklungsgeschichtlichen Bindungen durch autonome Diskontinuitäten aufzulösen. Dabei wird aber stets der hohe Preis deutlich, den die Rechtfertigung aus eigenen Mitteln in der Form von Kohärenzverlusten und Inkommensurabilitäten nicht nur zwischen, sondern bereits innerhalb der einzelnen Wis32  Zu dieser bedeutsamen Wendung im Schlusskapitel des 19. Buches von „De l’Esprit des lois“: Klemperer, Montesquieu, Bd. 2, S. 185. 33  Sei es im Wege eines Konkurrenzmodelles nach Kuhn, structure, 1996, oder eines Diskursmodelles nach Feyerabend, against method, 1975; vgl. dazu Hoynin­ gen-Huene, 33 J. Gen. Phil & Sci. 61 (2002).

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

senschaftsformen fordert34, sofern wissenschaftliche Theoriebildung nur noch ein relativ begründetes Entscheidungsergebnis produziert. Dies betrifft nicht nur, aber insbesondere die im Rahmen dieser Untersuchung bedeutsamen Rationalisierungsbestrebungen im Bereich der Ökonomie.35 Sofern ökonomische Konstanten, die scheinbar unverfügbar dem Gesetzgeber vorgegeben sind, nur noch als wissenschaftliche Argumente und Theorien politisch diskutiert werden können, können sie für das Verfassungsrecht nicht maßstabsbildend sein. b) Mangelnde Integrität einer wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlage § 42‌

Die Heterogenität wissenschaftlicher Aussagen, die somit ein wesentliches Hindernis für das erforderliche Kritikpotential verfassungsrechtlicher Urteilsbildung darstellt, betrifft nicht ledglich den Ausgleich zwischen den jeweiligen wissenschaftlichen Beschreibungen der beteiligten Einflussgrößen. Sie betrifft auch deren interne Integrität und damit den für eine spontane Neuordnung neben der Entscheidungsfähigkeit erforderlichen Geltungsgrund. So war die von wechselseitiger Emanzipation und der darin liegenden Selbstbehauptung geprägte Entwicklung eines ausdifferenzierten Wissenschaftssystems im letzten Jahrhundert begleitet von einer in nahezu allen Fachdisziplinen zu beobachtenden Tendenz zu einer Befragung und letztlich einer Revision der jeweils vordergründig tragenden Grundlagen.36 Die Möglichkeit einer Letztbegründung wissenschaftlicher Systembildungen wurde dadurch zunehmend zweifelhaft und ließ durch den darin zum Ausdruck kommenden Verlust einer einheitlichen Legitimationsgrundlage den historischen Standort als Krisenzeit verstehen.37 Bestätigt wird die These von einer doppelten Krise von Semantik und Pragmatik wissenschaftlich orientierter Entscheidungsfähigkeit durch die Feststellung, dass diese Entwicklung nicht nur auf die hermeneutisch strukturierten Geisteswissenschaften beschränkt blieb, sondern gerade auch die empirisch fundierten bis hin zu den exakten Wissenschaften betraf38, wie etwa die scheinbar rationalistisch gesicherten Disziplinen der Mathematik39 und der Logik40. Als bestim34  Kuhn, structure, S. 102; Feyerabend, against method, S. 52: „the knowledge of today may become the fairy-tale of tomorrow.“ 35  Wie sie etwa in der Kennzeichnung als Rhetorik durch McCloskey, rhetoric, 1985; ders., knowledge, 1994, zum Ausdruck kommt. 36  Heidegger, Sein und Zeit, S. 9, im Zusammenhang einer Rechtfertigung seines Ziels einer „Fundamentalontologie“. 37  Husserl, Krisis, S. 314 ff. 38  Forman, in: v. Meyenn: Quantenmechanik, S. 61 (124). 39  Kline, loss, S. 6: „It is now apparent that the concept of a universally accept­ ed, infallible body of reasoning  – the majestic mathematics of 1800 and the pride of man  – is a grand illusion.“



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe87

mendes Problem erwies sich dabei stets die Unverfügbarkeit der Regelfindung gegenüber dem selbstverständlichen Regelvollzug.41 Die Krise des naturwissenschaftlichen Realismus positivistischer Prägung war damit eher ein Ausdruck des Problems einer rein rationalistischen Begründungsmethode cartesianischer Herkunft42, die sich einheitlich auf die Grundlage der klassisch-aristotelischen, zweiwertigen Logik stützte.43 Der nachhaltige Ver­ lust dieser Selbstgewissheit44 disqualifiziert die Wissenschaften jedenfalls als ungeprüfte Erkenntnisquelle für eine kritische Entscheidungsbildung mit normativer Bindungskraft. 40

2. Defizitäre Regelhaftigkeit politischer Argumentation a) Das Politische als indifferenter Diskurs aa) Dispersion des Entscheidungsprozesses Mangelt es der Wissenschaft an der erforderlichen Entscheidungsfähigkeit § 43‌ für eine kritische Neuordnung des Steuersystems, so gilt Gleiches im Ergebnis auch für die Differenzierungsleistung der Politik. Diese Feststellung folgt zum einen aus der nur heterogenen Umsetzung realer politischer Entscheidungsprozesse, zum anderen aus dem fehlenden materiellen Geltungsgrund politischer Entscheidungsinhalte. Diese Beurteilung ist begründet durch eine Identifizierung der Politik als indifferenten Diskurs, der im Wege opportunistischer Aneignung zwischen den autonom geregelten Diskursformen vermittelt.45 Betrachtet man vor diesem Hintergrund zunächst die Struktur der Politik in seiner Erscheinung als Entscheidungsprozess, so lässt sich zwar zunächst feststellen, dass sich der Politikbegriff geradezu als eine Art Dachkonzept der Sozialwissenschaften entwickelt hat, die sich als 40  Aussagekräftig insofern die Geschichte vom Gespräch zwischen Achill und der Schildkröte bei L.  Carroll, 4 Mind 280 (1896). 41  Lyotard, in: Neue H. Philos., Nr. 26, 1986, S. 1 (2 f.): „Russels Aporie, Hil­ berts Scheitern und Gödels Beweis drücken die Unmöglichkeit dieser Aufgabe aus: das Aufstellen von Regeln vollzieht sich nicht innerhalb solcher Regeln. Für den Logiker ist diese Unmöglichkeit gebunden an die Paradoxie selbstreferentieller Aussagen.“ 42  Morin, méthode, t. 3, S. 15. 43  Günther, Logik, S. 1 ff. 44  Von Aristoteles selbst in: Met. Γ  1005b  11 f. als „βεβαιοτάτη δ’ἀρχὴ πασῶν“ („sicherste von allen Prinzipien“) bezeichnet. 45  Lyotard, différend, S. 183; Rancière, mésentente, S. 55: „La politique n’as pas d’objets ou de questions qui lui soient propres. Son seul principe, l’égalité, ne lui est pas propre et n’a rien de politique en lui-même.“

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

praktische Disziplinen gerade durch den präskriptiven Charakter ihres Untersuchungsgegenstandes auszeichnen.46 Seine besondere Qualität lässt sich insofern als Simulation und Antizipation möglicher sozialer Entscheidungssituationen mit ihrer selektiven und darin präskriptiven Prägung bestimmen.47 Allerdings erschöpft diese Kennzeichnung die systematische Erscheinungsform der Politik nicht. Die Gründe hierfür werden deutlich, wenn man auf das analytische Erklärungspotential einer Unterscheidung aus dem Bereich der politischen Wissenschaften zurückgreift, die zwischen einer institutionalisierten Politik (la politique) und dem Politischen (le politique) als Handlungsform trennt (sog. politische Differenz).48 Während danach die Politik als Rekonstruktion oder nachvollziehende Reaktion auf soziale Ereignisse beschrieben werden kann, ereignet sich im Politischen eine aktive spontane Neuordnung im Wege der Vermittlung.49 Mag das zwar dem politischen Entscheidungsbildungsprozess entsprechen50, so verfügt die Politik aber nicht über ein eigenständiges Entscheidungskriterium51, so dass sie 46  Palonen,

struggle, S. 39. dieser Charakterisierung des Politischen vgl. Lyotard / Thébaud, au juste, S. 64: „[…] toute politique implique la prescription de faire autre chose que ce qui est“; Lyotard / Abbeele, 14 Diacritics 15, 16 (1984); oder auch MacCormick, 83 Corn. L. Rev. 1051, 1063 (1997). 48  Rosanvallon, histoire conceptionelle, S. 14: „En parlant substantivement du politique, je qualifie ainsi tant une modalité d’existence de la vie commune qu’une forme de l’action collective qu se distingue implicitement de l’exercise de la poli­ tique“; zur wirkungsvollen Rezeption dieser Unterscheidung vgl. etwa die Beiträge im Sammelband von Bedorf / Röttgers, Politik, 2010. 49  So etwa die Untercheidung bei Ricœur, in: ders., histoire et vérité, S. 260 (269): „Le politique prend son sens après coup, dans la reflexion, dans la ,respec­ tion‘, la politique se joue à mesure, dans la ,prospection‘, dans le projet, C’est-àdire à la fois dans un déchiffrement incertains des événement contemporains et dans la fermeté des résolutions.“ 50  Ricœur, ebd.: „C’est pourquoi si la fonction politique, si le politique est sans intermittence, on peut dire en un sens que la politique n’existe que dans les grands moments, dans les ,crises‘, dans les ,tournants‘, dans le nœuds de l’histoire.“ 51  Und man kann hier aus der theoretischen Perspektive die provokante Feststellung treffen, dass Kant eine Kritik der politischen Vernunft gerade nicht verfasst hat, und damit begründen, dass politische Äußerungen durch ihre Dispersion geprägt sind, woran eine wissenschaftliche oder zumindest erkenntnistheoretische Festlegung der Politik notwendig scheitern muss, vgl. allerdings auch die Versuche von Arendt, lectures, 1982, und Lyotard, l’enthousiasme, 1986, so ebd., S. 12: „Kant lui-même (?) en général écrit réflexivement (= en critique) sur l’historicopolitique: il détermine la légitimité de ces diverses phrases présentant cet univers, et il suggére des transactions possibles entre elles, c’est-a-dire des ‚passages‘ […].“ Aus diesem letzten Zitat erhellt zugleich, dass die Erneuerung der politischen Philsophie in Europa eng verbunden ist mit einer wissenschaftlichen Interpretation von Geschichte und Gesellschaft, Jacques, politique et sociétés, vol. 22 (2003), S. 99 (106 f.). 47  Zu



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe89

sich entweder in eine scheinbar homogene Ideologie52 oder in heterogene Entscheidungsträger verflüchtigt. Diese analytische Kategorisierung lässt sich schließlich auch durch die verfassungsgeschichtliche Entwicklung bestätigen. So äußerte sich am Anfang des entstehenden politischen Bewusstseins in der griechischen πόλις die Politik gerade als diskursive Konkurrenz innerhalb des öffentlichen Raumes der res publica, der sich für eine allseitige Teilhabe (μέθεξις53) öffnete54, und damit die tabuisierte Verweisung auf eine homogene dirigierende ἀρχή ablöste.55 Auch wenn die Form dieser diskursiven Vermittlung institutionalisiert werden kann, so sind doch diese Formen weder mit der Politik als solcher zu identifizieren, noch auf eine bestimmte Organisation oder eine ökonomische Superstruktur zu reduzieren.56 Die politische Diskussion selbst bleibt vielmehr autonom und immun gegenüber ökonomischen Rationalisierungs- oder ethischen Regulierungsbestrebungen, so dass im Rahmen der politischen Partizipation kein individualistisches ökonomisches Motivationsmodell greift.57 Gerade diese nicht weiter reduzierbare Abwesenheit von Regelhaftigkeit ist es aber, die das Politische als kritische Kompetenz uninteressant macht, es vielmehr selbst dem kritischen Zugriff öffnet. bb) Kompromisscharakter der Steuerpolitik Die Zielrichtung der Politik, unterschiedliche Diskursformen nur formal § 44‌ zusammenzuführen, ohne sie inhaltlich zu prägen, bestimmt ihren Kompromisscharakter in der äußeren Wahrnehmung.58 Dieser manifestiert sich gerade auch im Bereich der Steuerpolitik. Sie ist angesichts der mannigfachen zu berücksichtigenden Entscheidungsvorgaben von einer besonderen Pers52  Freeden, ideologies, S. 76  f.: „ideologies serve as the bridging mechanism between contestability and determinacy, converting the inevitable variety of options into the monolithic certaincy which is the unavoidable feature of a political deci­sion […].“ 53  Die Teilhabe ist bedingungslos und nicht abhängig von einem Rechtsanspruch, Ostwald, in: Robinson, greek democracy, S. 159 (166 f.). 54  Châtelet, in: ders. / Mairet, idéologies, t.  1, S. 159 (166); Vernant, origines, S. 45: „l’art politique est, pour l’essentiel, maniement du langage.“ 55  Rancière, aux bords, S. 229. 56  Hierzu im Bereich der Politikwissenschaften grundlegend: Clastres, société contre l’état, 1974. 57  Schlozman u. a., 25 Brit. J. Polit. Sci. 1 (1995). 58  Bereits Aristoteles gegen Platon, in: Pol. B 1263b 34–36, der ihm den Vorwurf macht, er verfolge in der Politik das Ideal einer vertikalen Vereinheitlichung statt des horizontalen Ausgleichs, „ὥσπερ κἂν εἴ τις τὴν συμφωνίαν ποιήσειεν ὀμοφωνίαν ἤ τὸν ῥυθμὸν βάσιν μίαν“ („wie wenn man einen Zusammenklang in einen Gleichklang verdichtete oder einen Tanz in einen einzelnen Schritt“).

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

pektivenvielfalt gekennzeichnet59, bei der wahlweise oder kumulativ ökonomische, soziale und juristische Argumente adaptiert werden. Deren natürliche Disparität spiegelt sich in der politischen Diskussion regelmäßig wieder in der anfänglichen Formulierung von Zielkonflikten und in der folgenden Bereitschaft, letztlich Kompromisse einzugehen und formulierbar zu machen60, indem die wesentlichen Widersprüche in der einen Beschreibungsform eines rational agierenden Gesetzgebers aufgehen.61 Und schließlich erweist sich vor diesem Hintergrund einerseits die von vielen Seiten erhobene (rechtspolitische) Forderung nach unvermittelter Verständlichkeit von Steuergesetzen als verantwortungslos62, der Zweifel an der Begründungsfähigkeit politischer Entscheidungen63 andererseits als verständnislos, sofern der Zwang als die Negation der Begründungsbedürftigkeit gerade ein nega­ tivum der Politik ist. Als adäquater Gegenstand der Kritik ergibt sich damit nicht der Inhalt der politischen Verhandlung, als vielmehr deren Entscheidungsprozess in der Form demokratischer Willensbildung. Denn die Demokratie ist in diesem Sinne nur eine besonders offene Form des Politischen64, die sich grundsätzlich auf der breitesten Basis der Durchsetzung der öffentlichen Meinung verschreibt.65

59  Vgl. nur Neumark, Grundsätze, 1970, mit seiner Einteilung in fiskalischbudgetäre (S. 47  ff.), ethisch-sozialpolitische (S. 67  ff.) und wirtschaftspolitischen (S. 222) Besteuerungsgrundsätze. Gegenüber dieser integrierenden Zusammenschau ist in der neueren finanzwissenschaftlichen Literatur eine deutliche Entfremdung und eine Tendenz zu einer unabhängigen Bewertung der einzelnen Bereiche bemerkbar, vgl. Elschen, StuW 1991, 99 (100). 60  K. Schmidt, in: Finanzarchiv, N.F., Bd.  19 (1959), S.  204  ff.; Baumgar­ ten / Mückl, Zielkonflikte, 1969; Neumark, Grundsätze, S. 382 ff.; M. Haller, Zielkonflikte, 1973; Scailteur, contribuable, S. 7; grundlegend der Gedanke A. Wagners von einer „doppelten Gerechtigkeit“, einer finanziellen und einer sozialpolitischen, die als normative Vorgaben für ein Steuersystem gleichberechtigt nebeneinanderstehen, so in: ders., Finanzwissenschaft, Bd. II, S. 372 ff. 61  Commaille, l’ésprit sociologique, 1994. Daran knüpft sich die Frage an, ob die institutionalisierte Politik im Parlament ausreichend ist, oder sich der Gefahr von mehr oder weniger gewalttätigen politischen Konsensbildungen außerhalb des Parlaments gegenüber sieht, in diesem Sinne Schmitt, Hüter, S. 147, Kirchheimer, in: ders., Auflösung, S. 91 (93 f.). Eine optimistischere Sichtweise bezüglich der funk­ tionalen Integrationskraft demokratischer Verhandlungen nimmt Smend, in: ders., Abhandlungen, S. 119 (198), ein; kritisch im Lichte der public-choice-Theorie aber: Engel, in: ders. / Morlok, Öffentliches Recht, S. 173 (182 ff.). 62  Krishna, Canadian Income Tax, S. 5. 63  „Zwang bedarf keiner Begründung“, so Tugendhat, in: Wilaschek, Moralbegründung, S. 3 (9). 64  Lefort, essais, S. 17 (25): „La démocratie se révèle ainsi la societé historique par excellence, societé qui, dans sa forme, accueille et préserve l’indétermination, en contraste remarquable avec le totalitarisme […].“



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe91

b) Politik als ungeordnete Begründung von Geltungshoheit aa) Rhetorischer Charakter der Politik Der strukturelle Makel der Politik, eine geordnete Entscheidungsfindung § 45‌ nicht gewährleisten zu können, findet wie im Falle der Wissenschaft in normativer Hinsicht seine Entsprechung im inhaltlichen Mangel an Legitimität. Betrachtet man die Erscheinungsformen des Politischen, wie sie in der Ideengeschichte vertreten werden, sei es als faktische Unterwerfung durch Zwang, als autoritäre Steuerung durch Moral oder als heteronome Vereinnahmung durch Rhetorik66, so wird daran deutlich, dass Politik ihre Legitimität entweder nicht oder nur mit fremdem Mitteln begründet. Um sie begrifflich fassbar zu machen, ist man daher, sofern man sich nicht auf ­eine tautologische Umschreibung dieser Eigenheit, Geltung per se zu beanspruchen, als soziale Macht oder Gewaltsamkeit67 beschränkt, auf formale Unterscheidungen angewiesen, wofür etwa das bekannte Freund / FeindSchema ein prominentes Beispiel darstellt.68 Auch soweit im Zuge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung im politischen Diskurs die Begründungsstrategie einer vorgefundene Meinungen imitierenden Überredung zunehmend durch den Gestus wissenschaftlicher Überzeugungsbildung69 ersetzt wird, disqualifizieren sich doch alle diese Formen gleichermaßen als 65

65  Lefort, l’invention, S. 66; Verba, 21 Tanner Lectures 229 (2000). Die Gleichsetzung von Demokratie und dem Politischen, so z. B. Rancière, haine, S. 40: „Sous le nom de démocratie, ce qui est impliqué et dénoncé, c’est la politique elle-même“, ist freilich vor diesem Hintergrund wenn auch ungenau, so doch zumindest naheliegend. 66  Vgl. dazu R. Burke, 93 Ethics 45 (1982). 67  Etwa M. Weber, in: Politische Schriften, S. 494, wonach „Gewaltsamkeit […] natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates […] wohl aber: das ihm spezifische schließlich“ sei. 68  Schmitt, in: ASwSp 58 (1927), S. 1 (11): „Die reale Freund- und FeindGruppierung ist seinsmäßig so stark und ausschlaggebend, dass der nichtpolitische Gegensatz (sc. der religiöse, moralische oder wirtschaftliche) in demselben Augen­ blick, in welchem er zu dieser Gruppierung führt, seine bisherigen Kriterien zurück­ stellt und den völlig neuen Bedingungen und Konsequenzen des Politischen unter­ worfen wird.“ Es soll bei diesem Zitat allein die Funktionalität des Schemas betont werden, andere Differenzierungen neu zu besetzen bzw. zu instrumentalisieren. Nicht übersehen wird dabei, dass jedenfalls innerstaatlich das Schema derivativ als Vermeidung einer Konfrontation auf den Kompromiss missbraucht werden kann, also als negativum der Kategorie, worauf Böckenförde, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 344 (365), hinweist. 69  Die Einführung dieses Dualismus, präsent seit der Unterscheidung von Parmenides zwischen δόξα und άλήθεια, rechtfertigt sich durch seine kritische Behandlung bei Kant, der sie durch die Attribute der Autonomie, der Begründetheit und der Begründung durch Urteilskraft qualifiziert, vgl. D. Hofmann, Gewissheit, S. 132 ff., insbeson-

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

Maßstab einer verfassungsrechtlichen Kritik. Denn Kritik besteht nicht nur in der schlichten Adaption und / oder Opposition unvereinbarer Diskurse, sondern in deren Reflexion und Ordnung.70 Vor diesem Problem steht innerhalb der verfassungsrechtlichen Reflexion auch die rechtswissenschaft­ liche Selbstbestimmung, sofern sie sich allein auf die formale Argumenta­ tionsform der überzeugendsten Entscheidungsbegründung zurückzieht und die Maßstäbe einer verfassungsrechtlichen Reflexion heteronom bestimmt lässt.71 Um aber die Bedeutung und den Wert von Argumentationen zu bestimmen, und damit zu klären, ob im konkreten Fall schon Recht erkannt oder nur politisch gehandelt wird, und ob Letzteres für die Rechtserkenntnis legitim und relevant werden kann, bedarf es eines anderen Maßstabes als der Durchsetzungskraft im öffentlichen Raum. bb) Kompetenzkonflikte innerhalb der Steuerwissenschaften § 46‌

Ist die Erlangung von Geltungshoheit ein systemprägender Charakter der Politik und die affirmative Behauptung, dass in der Entscheidungsfindung ein bestimmter Diskurstyp Vorrang besitzt, für sie typisch72, so besteht die Gefahr, dass dieser nur formal erhobene Anspruch allein durch die Autorität wissenschaftlicher Inhalte besetzt wird. Wissenschaftliche Aussagen aus unterschiedlichen Quellen und politischer Geltungsanspruch verbinden sich dabei zu einer scheinbar legitimierten Kompetenz. Die daraus folgenden Kompetenzkonflikte sind insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung des an den ausdifferenzierten Bereichen der Rechtsebenso wie der Wirtschaftswissenschaft Anteil nehmenden Phänomens der Steuer auszumachen. Bereits in den 20 / 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in der Fachliteratur eine intensive Diskussion darum geführt, ob und inwieweit Gerechtigkeitsargumenten im Bereich der Finanzwissenschaft Bedeutung zukommen sollte. Auf der einen Seite profilierte sich hierbei eine Neutralitätsthese, die die „Fremdherrschaft“73 ethischer oder rechtlicher Maßstäbe ausschließen wollte74, wie sie gegenüber gerechtigdere S. 134. Damit ist ein Thema berührt, dass in der Frage des Verhältnisses zwischen rechtlicher Beurteilung und wissenschaftlicher Begründung wiederkehren wird. 70  Foucault, BSFP, n° 84 (1990), S. 35 (38). 71  Zu dieser Tendenz: Engel, in: ders. / Héritier, linking, S. 7 (11). 72  Cossa, elementi, S. 78: „Anche in materia fiscale le ragione giuridiche devono prevalere sulle economiche e politiche“; für eine andere Rangordnung A. Wagner, Finanzwissenschaft, Bd. 2, S. 306 ff., wonach das fiskalische Prinzip, ein ausreichendes Steueraufkommen zu gewährleisten, allen Gerechtigkeitserwägungen vorgehe. 73  Sombart, ArchSozG, Bd. 10 (1897), S. 1 (36). 74  So insbesondere Amonn, Jahrb. Natl. Stat., III. F., Bd. 68 (1925), S. 165 ff., und F. K. Mann, in: FS Schanz, Bd. II, S. 112 ff.



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe93

keitsgeleiteten75 Beschreibungen auf der anderen Seite behauptet wurde. Ein Konsens hat sich hierbei nicht eingestellt. Vielmehr wird im aktuellen Umfeld vielfach gar die Sinnhaftigkeit rechtlicher Prinzipienbildung angesichts der vermeintlichen Subtilität wirtschaftswissenschaftlicher Begründungformen problemtisiert, etwa bei der Frage, ob bei der konkreten Ausgestaltung der Belastungsverhältnisse dem Gedanken der Effizienz oder einer wie auch immer im Einzelnen verstandenen Gerechtigkeit der Vorrang zukommen solle.76 Nun ist der in diesen Diskussionen angelegte und stets einseitig vorgebrachte Ideologieverdacht gegenüber den jeweiligen anderen wissenschaftlichen Diskursen77 gerade in der politischen Unentschiedenheit begründet. Die Kontroverse erschöpft sich dabei allerdings nicht allein in der Bestimmung des Bewertungsmaßstabes im Ergebnis, sondern erstreckt sich darüber hinaus auch auf die Ermittlung der zugrundeliegenden Bestimmungsgrößen im Ausgangspunkt, also etwa auf die Fragen, welcher Einkommensbegriff adäquat sei oder wie die Berechnung des Einkommens realitätsgerecht ausgestaltet werden solle. Die Lösungsvorschläge sind hierbei häufig pauschaler Natur, und reichen von optimistischen Positionen, die statisch eine gleichsam prästabilisierte Harmonie konstatieren78, bis hin zu äußerst pessimistischen Ablehnungen jedweder Form von dynamischen Systemabhängigkeiten.79 Bei der Beschäftigung mit der Frage, ob und inwieweit eine Anbindung an ökonomische Argumente gerechtfertigt sei, besteht die Gefahr, sich entweder der Überzeugungskraft politischer Argumentationsformen zu bedienen, oder aber, bei strengerer Bewahrung des wissenschaftlichen Ansatzes, in zirkuläre Begründungsmuster zu verwickeln.80 Die autonome Verengung und die hete75  Aufschlussreich etwa Teschemacher, in: FS Schanz, Bd. II, S. 422 (436  ff.), der aufbauend auf der Kelsenschen Identifikation des Staates mit der Rechtsordnung eine vorrangig normative Bestimmung der Finanzwissenschaft forderte. 76  So dass sich der in der historischen Perspektive zyklisch auftretende Konflikt zwischen ökonomischen und gerechtigkeitsorientierten Besteuerungsidealen, vgl. Scheer, in: Krause-Junk, Steuersysteme, S. 155 (157 ff.), nunmehr dauerhaft institutionalisiert zu haben scheint. 77  Nikolaï, Revue économique, Vol. XXV, no 4, juillet 1974, S. 578 (595), in seiner Bestandsaufnahme der ökonomischen Theorien: „la verité est enfant d’idólogie“. 78  Z. B. F. Wagner, StuW 1992, 2 (8 f.). 79  Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 256. 80  Man mag als ein besonders deutliches Beispiel für diese Tendenz etwa Leffs „Widerlegung“ einer ökonomischen Analyse der Rechtsordnung in: 60 Va. L. Rev. 451, 463 ff. (1974), anführen, die auf der einfachen Feststellung beruht, dass allein in der Tatsache, dass sich die Rechtordnung gesellschaftlich als selbständige Institution entwickelt hat, eine Präferenz der Wirtschaftssubjekte zum Ausdruck komme, die aus diesem Grund einer ökonomischen Kritik notwendig entzogen sei.

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

ronome Weitläufigkeit verfehlen aber beide die notwendige Authentizität einer Problemerfassung. III. Leistungsfähigkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik 1. Kritische Lage des Rechtssystems § 47‌

Um die Aufgabe zu bewältigen, innerhalb der beschriebenen „Polykontextu­ralität“81, sei sie in der deskriptiven Perspektive der wissenschaftlichen Diskurstypen objektiv begründet, oder präskriptiv in den herkömmlichen Disziplinbildungen abgebildet, die je nach den unterschied­ lichen Untersuchungsfeldern sich mit dem Phänomen der Steuer auseinandersetzen, ein rationales Steuersystem kritisch zu organisieren, verbleibt zuletzt die Möglichkeit, diese Organisation durch das Rechtssystem selbst zu leisten, ohne dabei den beschriebenen Defiziten wissenschaftlicher Insignifikanz einerseits und politischer Fremdbestimmung andererseits zu verfallen. Ein erster Befund zur Lage des Rechtssystems liefert allerdings auch in diesem Fall ein pessimistisches Bild. Was zunächst die notwendige Emanzipation vom Geltungsanspruch wissenschaftlicher Argumentation betrifft, so sieht sich gerade die Rechtswissenschaft, und innerhalb dieser im Besonderen die Steuerrechtswissenschaft mit der ihr eigenen engen Beziehung zu wirtschaftlichen Sachverhalten82, einer zunehmend determinierenden oder jedenfalls interpretatorischen Fremdbestimmung durch andere wissenschaftliche Beschreibungsformen gegenüber83, wie sie in der wachsenden „law-and“-Literatur bereits äußerlich in Erscheinung tritt.84 Der Verlust einer einheitlichen legitimatorischen Grundlage, wie sie plakativ, aber problembewusst die wissenschaftstheoretische Reflexion konstatiert85, scheint damit auch die juristische Disziplin zu betreffen. Die Folge ist eine Art von epistemologischer Gefangenheit der einfließenden gesellschaftlichen Teilbereiche, allen voran der besonders differenzierten Wissen81  Zu diesem Begriff: Günther, Beiträge, Bd. II, S. 283 ff.; für ihre Anwendung auf Sozialsysteme Luhmann, Gesellschaft, S. 36 f. 82  Vgl. Prebble, B.T.R. 1994, S. 380 (384). 83  R. Posner, 100 Harv. L. Rev. 761 (1987). 84  Dazu die statistische Analyse bei Ellickson. 21 Harv. J. L. & Public Pol’y 157 (1997); für eine Rechtfertigung der „realist revolution“: Priest, 91 Mich. L. Rev. 1929, 1931 ff. (1993). 85  Lyotard, condition postmoderne, S. 7, 49 ff.; Foucault, mots, passim. Das Bewusstsein dafür war im Übrigen schon vor der sog. „French Theory“ der Nachkriegszeit ausgeprägt und thematisiert, beginnend mit Nietzsche, z. B. in: Studienausgabe, Bd. V, S. 365, und besonders deutlich in der Wissenssoziologie bei Karl Mannheim, in: Wissensoziologie, S. 566 (573).



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe95

schaftslandschaft86, durch die Übernahme blinder Flecke, die die Abgeschlossenheit und Relativität des eigenen Standpunktes zum Ausdruck bringt.87 Normativen Ordnungen droht bei bei dieser Entwicklung neben der interpratorischen Vereinnahmung seitens der Wissenschaften eine entsprechende Verfügbarkeit für politische Zielsetzungen, die eine an einem systematischen Maßstab orientierte Organisation etwa des Rechtssystems erschwert. Will man diese Lage des Rechts zwischen wissenschaftlicher Interpretation einerseits und politischer Determination andererseits überwinden, bedarf es einer genauen Betrachtung, worin sich das Wesen und die Argumentationsformen des Rechts von denen anderer Disziplinen unterscheiden, um einer falschen Denkweise vorzubeugen, die das andere nur als graduelle Abstufung der eigenen Position formuliert und entsprechend bewertet.88 2. Legitimitätsdefizit des Rechts a) Kritische Relativierung des Rechtssystems Nicht nur in diesem allgemeinen Zusammenhang, sondern auch im konkre- § 48‌ ten Kontext der verfassungs- und gleichheitsrechtlichen Diskussion wird die Bedeutung der rechtstheoretischen Bewegung erkennbar, die unter der Sammelbezeichnung der „kritischen Theorie“ die Leistungsfähigkeit rechtlicher Normenordnungen einer Überprüfung zu unterziehen unternimmt. Die vielfältigen und nicht immer einheitlichen Schattierungen dieser Strömung darzustellen und zu bewerten, ist weder möglich noch notwendig. Denn worauf es im vorliegenden Zusammenhang vor allem ankommt, ist die darin angelegte allgemeine Perspektive, bewusst die Lage des Rechtsystems im gesamtgesellschaftlichen Kontext zum Gegenstand kritischer Betrachtung und damit die Leistungsfähigkeit einer normativen Neuorientierung überprüfbar zu machen. Diese Einordnung zielt zum einen auf die damit geforderte Emanzipation normativer Regelungssysteme von einem realistischen Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Provenienz. Zum anderen und geradezu auf der entgegen gesetzten Seite liegt dieser Programmatik aber auch die kritische Abgrenzung gegenüber dem politischen Element einer regellosen Konfliktbe86  Bezeichnenderweise verlaufen die Versuche einer Wiederherstellung dieser einheitlichen Grundlage entlang eines evolutionären Holismus, Serres, Les Cahiers du M.U.R.S., n° 42, 2003, S. 27 (32), wie er in der neueren Geschichtswissenschaft thematisiert wird, vgl. Northrup, 16 J. World Hist. 249 (2005). 87  von Foerster, in: Lischka, Blick, S. 14 ff. 88  Deleuze, bergsonisme, S. 6 f.; Lyotard, différend, S. 180; ganz ähnlich schon: Condillac, œuvre, t. IV, S. 1: „chaque science demande une langue particulière, parc que chaque science a des idées qui lui sont propres.“

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

wältigung zugrunde, gegen die sich neuere Rechtstraditionen abzugrenzen versuchen.89 Als Kernproblem lässt sich dabei die Frage formulieren, ob und inwiefern eine verfassungsrechtliche Norm selbst verbindlich auslegungsfähig ist90, sowie weiterhin, soweit die gesetzgeberische Regelfindung selbst in Frage steht, inwiefern rechtlich eingebundene Konfliktlösungen möglich sind, ohne sich gesetzgeberische Kompetenzen anzumaßen. b) Kritik rechtlicher Semantik § 49‌

Die kritische Beurteilung des Rechts nimmt ihren gedanklichen Ausgangspunkt in der allgemeinen Feststellung, dass sprachliche Äußerungen frei verfügbar sind. Thematisch betrifft dies sowohl den politischen Bereich, soweit die sprachliche Dimension als solche in Frage steht, aber auch den Wahrheitsanspruch der Wissenschaft, der auf den Verweisungsgehalt sprachlicher Zeichen angewiesen ist. Scheint aus der Verfügbarkeit der Sprache ein genuiner Geltungsgrund normativer Regelungswerke zu folgen, so zieht die Kritik aus ihrer Skepsis gegenüber einer sprachlichen Semantik jedoch den Schluss, auch rechtlichen Regelbildungen mangele eine eindeutig festzustellende und begründbare Signifikanz.91 Regelbildung ebenso wie Regelfindung seien eingebettet in eine verfügbare Praxis, wobei es fraglich ist, ob diese Praxis tatsächlich und notwendigerweise sozial sein muss.92 Folgt man dieser Kritik, so würde nicht nur dem Kohärenzanspruch des Rechtspositivismus die logische Grundlage entzogen93, sondern jeder normativen Ordnung. Ferner beschränkt sich die Kritik nicht nur auf den politischen Gehalt von Regeln, sondern ermöglicht auch eine kritische Sicht auf einen anbindungsfähigen Realismus.94 Damit sind aber auch der gängigen gleichheitsrechtlichen Sichtweise Grenzen gezogen, denn mit einer solchen Dekonstruktion der Semantik ist gleichzeitig eine Absage an die Vorstellung verbunden, mögliche Vergleichspaare könnten eindeutig festgelegt werden, ebenso wie an eine im Einzelnen spontane Konstruktion von Regeln, soweit sie einen Rationalitätsanspruch im Sinne einer begründeten Normgebung erhebt.95 89  Kennedy / Belleau, RIEJ, n° 56, 2006, S. 163 (167); zur notwendigen Verbindung zwischen politischer Hermeneutik und der formellen Grammatik des juristischen Diskurses: Lasser, 104 Yale L. Rev. 1325, 1407 (1995). 90  Bobbit, in: Patterson, companion, S. 126 ff. 91  Kripke, Wittgenstein, S. 60; Esfeld, Philos. Sci., n° 9, 2005, S. 31 (32–35). 92  Zweifelnd Otto, in: Nida-Rümelin, Rationalität, S. 247 ff. 93  Yablon, 90 Yale L. J. 613, 624 (1987). 94  Diese Schlussfolgerung vertreten insbesondere Dummett, 68 Philos. Rev. 324 (1959), sowie C.  Wright, in: Vesey, idealism, S. 225 (246). 95  Wittgenstein, Werkausgabe, Bd.  1, S. 372 (Untersuchungen, § 289); ders., Über Gewissheit, § 204.



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c) Normativität von Semantik Weist die skeptische Sichtweise den Anspruch der Semantik zurück, nor- § 50‌ mative Bedeutungen begründen zu können, so ist damit der Geltungsgrund einer Pragmatik eröffnet96, worin die definierende Regelfindung auf einen beschreibenden Regelvollzug zurückgeführt wird.97 Es wäre jedoch ein Missverständnis, würden diese Alternativen mit dem Spannungsfeld zwischen einen nominalistischen Mentalismus, der die Semantik in einer Art geistiger Repräsentation gründet, und einem lediglich die Praxis rezipierenden Naturalismus98 identifiziert. Denn die Regel ist als solche nicht auflösbar oder reduzierbar. Daraus folgt die wesentliche Unterscheidung zwischen der sprachlichen Fassung einer Regelung und der rechtlichen Regelung selbst, die von der sprachlichen Fassung unberührt bleibt und darin nur ihren Ausdruck findet.99 Und so gibt es gerade in der philosophischen Pragmatik Versuche, den sprachlichen Skeptizismus durch ein normatives Fundament zu überwinden100, das zwar regulativ, aber nicht präskriptiv wirkt, das also zwar darlegt, wie, aber nicht, dass etwas zu tun ist.101 Wird diese Vermittlungsfunktion nicht hinreichend berücksichtigt, gerät die normative Begründung ihrerseits in die Gefahr, in die Form der gerade kritisierten metaphysischen Identifikation zurückzufallen.102 Maßgeblich sind hierbei diejenigen Brückenbildungen, die aus der Sprachwissenschaft in der Form der anaphora bekannt sind, und die in der Abgrenzung zu einer deiktischen Verweisungsform, die den Bedeutungsinhalt gerade außerhalb der Sprache sucht103, die Möglichkeit einer interpersonellen Verständigung begründet.104 Sie liegt als Form einer spontanen Bedeutungsbildung der Vorstellung des semantischen Holismus zugrunde und lässt sich wiederum 96  Die man in der entsprechenden Fundstelle bei Wittgenstein, Werkausgabe, Bd. 1, S. 345 (Untersuchungen, § 201), bereits ausgeführt findet, McDowell, 58 Synthese 325, 331 (1984). 97  Peregrin, in: Turner, Semantics / Pragmatics interface, S. 419 (432): „Assigning meaning is specifying a role, or possible roles, within a co-operative enter­prise.“ 98  Esfeld, InfoPhilo 2001, 24 (29). 99  Byrne, 56 Philos. Phenomen. Res. 339, 343 (1996). 100  Ausgangspunkt hier Kripke, Wittgenstein, S. 37: „The relation of meaning and intention to future action is normative“ (Herv. Verf.); daran anschließend: Brandom, making, 1994; zum Problem einer unterstellten Normativität: Rödl, DZPhil., Bd. 48 (2002), S. 762. 101  Glüer / Pagin, 117 Synthese 207 (1999). 102  Darauf bezieht sich die Diskussion zwischen Habermas, in: ders., Rechtfertigung, S. 138 (170 ff.), und Brandom, 8 Eur. J. Philos. 356 (2000). 103  Bühler, Sprachtheorie, S. 102 ff. 104  Brandom, making, S.  473  ff.; Habermas, in: ders., Rechtfertigung, S. 138 (154–156).

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

selbst zurückführen auf eine reflexive Schließung von Kommunikationszusammenhängen.105 Diese Möglichkeiten werden aber in der analytisch orientierten Pragmatik nicht hinreichend reflektiert. Denn das Problematische dieser geschlossenen sprachlichen Vermittlungsform liegt darin, dass der anaphora-Mechanismus allenfalls auf Geltungsfragen antwortet, die inner­ halb eines Kommunikationssystems aufkommen, Inkompatibilitäten zwischen ausdifferenzierten, auf unterschiedlichen Kommunikationsformen basierenden Systemzusammenhängen aber nicht ausgleichen kann. Auch wenn diese Irreduzibilität nicht weiter bestritten wird106, so wird doch auch daraus nicht die Konsequenz gezogen, wonach die Vermittlungswirkung der anaphora allenfalls teilweise zur Anwendung kommen kann, und die Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Teilbereichen daher sprachlos bleiben muss. Erst in einer normativen Wende, die die Regel selbst zum Maßstab von Verständigung erhebt, kann die nur lokale Wirkungsweise der Brückenfunktion überwunden werden. Die Normativität selbst erweist sich daher als geeignete Grundlage, um der Komplexität der heterogenen gesellschaftlichen Einflussfaktoren gerecht zu werden und ihre Ausprägungen kritisch zu bewerten. 3. Fazit § 51‌

Vor dem Hintergrund der und gegenüber den Beobachtungen der neueren Wissenschaftsgeschichte und auch -theorie, die im Widerspruch zu der traditionellen Vorstellung eines linearen, global reflektierten Fortschrittes der Erkenntnisbildung deren Diskontinuitäten und wechselseitigen Unvereinbarkeiten als wesentliches Strukturelement herausstellt, erweisen sich normative Ordnungen als weitgehend immune und leistungsfähige Vermittler zwischen den verschiedenen Einflussgrößen. Für die verfassungsrechtliche Bewertung einer steuerlichen Reformkonzeption mit ihren komplexen Gestaltungsfaktoren ergibt sich die grundsätzliche Möglichkeit, einen kritikfesten Standort festzulegen. Andererseits folgt daraus die Aufgabe, im Wege der Unterscheidung von wirtschaftlichen Zielsetzungen, politischer Gestaltung und rechtlicher Umsetzung die Ausdifferenzierung der jeweiligen Beschreibungsformen mit ihren entsprechenden Institutionalisierungen nachzuvollziehen und neutral zu bewerten. Im Kern geht es mithin um die Zuweisung von Kompetenzen. Verfassungsrechtswissenschaftliche Bewertungen insbe105  Boldini, place, S. 12: „Les objets […] sont definis comme de longues chaînes anaphoriques, et ce que le vocabulaire logique designe comme la reference d’une expression n’est rien d’autre que cette chaîne“, der daran eine konstruktivistische Interpretation anschließt; Brandom, making, S. 465: „No (semantically significant) occruence without (the possibilty of) recurrence.“ 106  Fultner, 108 Philos. Studies 121, 128 f. (2002).



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe99

sondere in einem Grenzbereich von Recht und Wirtschaft, wie er für die Steuerordnung prägend ist, sind ohne diese kompetenzielle Vergewisserung in eigener Sache wertlos. Das gilt auch und erst recht im Hinblick auf die politische Geltungszuweisung, gegen die sie Stellung beziehen will und muss.

B. Bestimmung eines adäquaten Theorierahmens I. Alternative Methoden der Regelbildung 1. Defizite realistischer und rationalistischer Regelbildung Bietet die Irreduzibilität der normativen Form zwar gerade den Grund für § 52‌ die Möglichkeit, zwischen den Geltungsansprüchen der verschiedenen Disziplinen zu vermitteln und deren Widerstreit im Wege der Zuweisung einer relativen Geltung sinnvoll aufzulösen107, so ist damit eine inhaltliche Bestimmung der dabei anzuwendenden Regeln noch nicht verbunden. Betrachtet man die methodischen Alternativen näher, die sich für eine entsprechende Regelbildung anbieten, so lassen sich diese Regeln entweder im Wege einer rezipierenden Rekonstruktion aus, abstrakt formuliert, vorgegebenen Sachstrukturen ableiten, oder aber aktiv auf der Grundlage vernunftmäßiger Begründungen konstruieren. Soweit diese Möglichkeiten erkenntnistheoretisch thematisiert werden, finden sie ihren Ausdruck in den Konzeptionen eines empiristischen Realismus einerseits und eines transzendentalen Ra­ tionalismus anderseits.108 Als Beleg dafür, dass es sich dabei nicht nur um eine sehr spezielle, philosophisch überhöhte Art der Problematisierung handelt, sondern damit ein gesamtwissenschaftliches Problem berührt wird, lässt sich nicht nur auf ihre Bedeutung verweisen, die sie im Zusammenhang mit einer epistemologischen Grundlegung der ökonomischen Hand107  Ihren literarischen Ausdruck findet diese Entwicklung durch die „merkwürdi­ ge“ (so Pohlenz, Hellas, S. 132) Begebenheit, dass Aischylos in den Eumeniden das normative Dilemma Orests, die Paradoxie (Feyerabend, Widerstreit, S. 36) zwischen gebotener Blutrache und verbotenem Muttermord gerade vor dem Areopag lösen lässt. Canaris, JuS 1996, S. 573 ff., interpretiert dieses Geschehen als einen subjektiven „performativen Selbstwiderspruch“ (S. 579) der Erynnien, die ihr Recht behaupten, ohne aber Recht allgemein anzuerkennen, um damit den Diskurs qua Recht als rationelle Relativierung des eigenen Anspruchs zu identifizieren (S. 575). Es geht jedoch um einen objektiven Widerspruch innerhalb des präskriptiven Systems, die eine exogene, politische Lösung fordert, aber möglicherweise dort nicht findet, ­Fi­kentscher, Methoden, Bd. 1, S. 252. 108  Ein Dualismus, der sich als wiederkehrendes Motiv gerade bei logisch orientierten Autoren findet, so Bachelard, nouvel esprit, 1934; Morris, 43 Phil. Rev. 549 (1934); Quine, 60 Philos. Rev. 20, 39 (1951).

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lungsweise109 einnimmt. Die Problematik der akzeptierten Paradoxie110, die diese methodische Spaltung ablöst, erstreckt sich vielmehr auch auf das Rechtssystem.111 Im Anschluss an die Ausführungen zu der kritischen Begründung eines normativen Ordnungsrahmens erweisen sich jedoch beide Möglichkeiten im Ergebnis nicht als zielführend, sofern dem Rationalismus das Defizit einer pragmatischen Sinngefangenheit, dem Realismus das einer semantischen Sinnlosigkeit anhaftet. Die Rechtfertigung einer vermittelnden Ansicht ergibt sich aber gerade bei einer genaueren Betrachtung der methodischen Probleme. Betrachtet man zunächst die realistische Methode, so wurde bei der Ausarbeitung ihrer radikalsten Form, des logischen Empirismus des Wiener Kreises, die eigene Unvollständigkeit deutlich, indem in den charakteristischen Wahrheitstafeln die Möglichkeit eines Dritten neben den binären Aussagemöglichkeiten erkennbar wurde.112 In dieser Problematik liegen der Lösungsmöglichkeiten eines transzendentalphilosophischen Ansatzes begründet, der die horizontale Differenzierung nach Maßgabe des aristotelischen Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten durch eine vertikale, d. h. selbstreferentielle Differenzierung aufhebt.113 Sind Regeln weder empirisch einfach zu rezipieren noch rationalistisch zu konstruieren, so bleibt als Drittes somit nur noch, sie gleichsam im wissenschaftlich Unbewussten, in einer „archäologischen Ebene“, die angelegt ist zwischen rezipierender ­Positivität und spontaner Reflexion, aufzudecken.114 etwa die Bedeutung, die ihr bei F. Knight, risk, S. 201 zugemessen wird. Religion, S. 132. 111  Rogers / Molzon, 90 Mich. L. Rev. 992 (1992); Teubner, 5 Law & Soc. Rev. 727, 732 (1989). 112  Die entscheidende Stelle ist hierbei Wittgenstein, in: Werkausgabe, Bd. 1, S. 46 (Tractatus, 5.101), in der er dem sog. Exklusor die Wahrheitskolumne WFFF zuweist, so dass ¬(p˄q) wahr ist, wenn (¬p)˄(¬q). 113  Philosophiegeschichtlich reicht diese Relativierung der aristotelischen Grundlagen von Cusanus’ Scheidung von ratio (Verstand) und intellectus (Vernunft) (dazu ausführlich in der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Logik: Flasch, Kues, S. 302 ff.) bis hin zu der bewusst kritischen Philosophie, die darauf aufbauend die Zeit und das cogito aus der zweiwertigen Verstandeslogik ausschliesst: Deleuze, in: Philosophie, n° 9, 1986, S. 29 ff. Die transzendentalen Phänomenologien Husserls oder H. Bergsons konkretisieren den Zwiespalt und seine Lösung weiter, indem sie das Welterleben entweder über die selbstreferentielle Ausdifferenzierung der Bewusstseinsakte beschreiben, so Husserl, vgl. Bergmann / G.  Hofmann, 6 Husserl Stud. 155 (1989), oder über die zeitliche Entzerrung auf der Grundlage der Intuition, so H. Bergson, œuvres, S. 1416: „La méthode dont nous parlons permet de dépasser l’idéalisme aussi bien que le réalisme, (…) de dissiper progressivement le obscuri­ tés que l’analyse accumule autour des grands problèmes.“ 114  Foucault, mots, S. 12: „Ainsi entre le regard déjà codé et la connaissance réflexive, il y a une région médiane qui délivre l’ordre en son être même“ (Herv. Verf.). 109  Vgl.

110  Luhmann,



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2. Regelhafte Rückführung auf Systemelemente Die richtige Lösung findet sich mithin in einer perspektivischen Neufor- § 53‌ mulierung, wie sie sich parallel in den formalen Wissenschaften als mehrwertige Logik115 und in den Naturwissenschaften als quantenmechanische Theorie entwickelt hat.116 Es reicht nicht aus, sich bei einer verfassungsrechtlichen Kritik methodisch lediglich mit der präskriptiven Ordnung des rechtlichen Diskurses zu identifizieren117, da das Recht als gesellschaftliches Teilsystem selbst in der Diskussion steht.118 Erforderlich ist vielmehr eine allgemeine Theorie selbstreferentieller Strukturen, die die Unmöglichkeit eines horizontalen Konsenses als Ursache und Wirkung der sozialen Differenzierung erkennt119, um sie auf einer vermittelnden Ebene zusammenzuführen. Die mögliche Alternative besteht dabei in der Ausbildung perspektivisch ausgeschlossener „Rejektionswerte“120, die die einzelnen Teilbereiche von einander abgrenzen und vor inadäquaten Fremdbeschreibungen sichern. Als Folge dieser Einsichten lässt sich formulieren, dass das Verharren im Diskurstyp eines gesellschaftlichen Teilsystems, sei es dem Recht, der Wissenschaft oder der Wirtschaft, stets Gefahr läuft, die notwendigen Anschlussstellen an die Umwelt zu verkennen oder unzureichend einzubinden. Diese Erkenntnis, dass eine adäquate Beurteilung der Sachzusammenhänge eine Beobachterperspektive höheren Grades notwendig macht, worin auch die Form der bloßen Tolerierung eingeschlossen ist, wie sie für den politischen Diskurs charakteristisch ist, zieht nach alledem die Konsequenz aus dem Verlust einheitsstiftender Ideologien einerseits121 und der Mangelhaftigkeit der modernen empiristischen oder rationalistischen Geschichte vom infiniten Regress122, andererseits.

115  Łukasiewicz, in: C. R. Soc. Sci. et Lett. De Varsovie, Cl. III, n°. 23 (1930), S.  51 ff. 116  Heisenberg, Naturbild, S. 21: „Die Naturwissenschaft steht nicht mehr als Beschauer vor der Natur, sondern erkennt sich selbst als Teil dieses Wechselspiels zwischen Mensch und Natur.“ Wissenschaftsgeschichtlich wird dies deutlich in der Ablösung des Positivismus im Sinne von Næss durch Skjervheims Pragmatismus, vgl. Nordenstam / Skjervheim, 4 J. Gen. Phil. Sci. 147, 153 ff. (1973), und Böhler, in: ders. u. a., Wende, S.  261  (267). 117  So etwa in der klassischen Lösung bei Aischylos, vgl. oben Fn. 107. 118  Gegen Lyotard mit Luhmann in diesem Sinne: Rasch, in: 61 New Ger. Crit. 55 (1994). 119  García Amado, in: Droit et société, 1989, n° 11–12, S. 15 (39). 120  Günther, Beiträge, Bd. I, S. 286. 121  Nochmals sei dafür auf Lyotard, condition postmoderne, S. 54 ff., verwiesen. 122  James, essays, S. 104

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

II. Die Systemtheorie als geeigneter verfassungsrechtlicher Ordnungsrahmen 1. Charakterisierung § 54‌

Wie die kritische Theorie sich als sinnvoller methodischer Rahmen für die Grundlegung verfassungsrechtlicher Kritik darstellte, so bietet sich als geeigneter methodischer Ordnungsrahmen, der der Komplexität der beschriebenen Perspektivenvielfalt inhaltlich begrifflich gerecht wird, das Erklärungsmuster an, das mit dem einheitlichen Namen „Systemtheorie“ repräsentiert wird.123 Es wurde ursprünglich dazu entwickelt, um zur Erklärung biologischer Vorgänge abweichend von einem als unzureichend erkannten eindimensional kausalistischen Naturverständnis124 die organischen Wechselwirkungen anhand der Unterscheidung zwischen einem Systemobjekt und der ihm zugeordneten Umwelt beschreiben zu können. Die darin liegende alternative wissenschaftliche Beschreibungsmöglichkeit führte zur Herausbildung eines Theoriemodelles125, das die Geschlossenheit eines Organismus in seiner Abgrenzung zu einem nur diskret wirksamen und stets vermittelten Äußeren begründete.126 Funktionale Geschlossenheit und kognitive Offenheit werden dabei also zusammengedacht, „l’ouvert s’appuie sur le fermée“ in der Kombination einer geschlossenen Konstitution und einer auf Öffnung angelegten Funktionalität.127 Im Anschluss an die Ausführungen des vorangegangenen Abschnitts kann man insofern ideengeschichtlich von einer Ontologisierung der kantischen Erkenntniskritik sprechen, die sich im Besonderen zur Hegelschen Dialektik, die dieses Programm bereits in der Zielsetzung befolgte, insofern abgrenzt, als diese als Identitätsphilosophie die systematischen Unterscheidungen stets auf eine konstituierende Identität zurück bezieht128, während demgegenüber in der 123  Sie vermittle nach Teubner, in: Grimm, Staatsaufgaben, S. 115 (117), die „Ab­ lösung des erkenntnistheoretischen Realismus […] und die Absetzung des methodo­ logischen Individualismus.“ 124  Die Stellung der Biologie beschreibt Grassi / Th. Uexküll, Ursprung, S. 138 ff.; dazu zählt auch die Kybernetik, Ruyer, cybernetique, S. 9: „le sens d’une informa­ tion n’est rien d’autre que l’ensemble des actions qu’elle déclenche et contrôle.“ 125  Paslack, Selbstorganisation, S. 85, spricht von „der dritten grossen wissen­ schaftlichen Revolution“. 126  Grundlegend hierbei die Abkehr von der herrschenden evolutionstheoretischen Formulierung der Biologie durch J. von Uexküll, Umwelt, 1909; zu der weiteren Entwicklung: Bertalanffy, system theory, S. 12 ff. 127  Morin, methode, t. I, S. 201. 128  So die Kritik an der Repräsentationsphilosophie Hegels bei Deleuze, différence, S. 73 f. Andererseits hebt Bergen, l’ontologie, S. 670 den autopoietischen und nicht-identischen Charakter der Dialektik hervor.



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe103

Systemtheorie Differenzierungen spontan erfolgen129 und somit die Identität erst nachrangig über die Differenz vermittelt wird.130 Als Dialektik ohne Synthese131 erfüllt sie damit nicht nur die Anforderungen, wie sie Walter Benjamin an eine kommende Philosophie gestellt hat132, sondern wie sie gerade für eine kritische Würdigung komplexer gesellschaftlicher Sachzusammenhänge notwendig sind. Zumindest Letzteres ist aber das Charakteristikum einer sinnvollen verfassungsrechtlichen Bewertung. 2. Lösungspotential Vermittelt durch die Übertragung dieser Methode von physiologischen § 55‌ Strukturen133 auf sinnhafte und d. h. soziale Phänomene134 entwickelte sich so mit der allgemeinen Systemtheorie eine Form von Universaltheorie135, die im Ausgangspunkt eines einseitig offenen Systemverständnisses136 wiederum in Anlehnung an biologische Forschungen137 kausal-mechanistische Erklä129  Luhmann,

Systeme, S. 26. ist zwar richtig, dass man im Luhmannschen Werk, insbesondere in den „Sozialen Systemen“, vielfach eine identitätsphilosophische Fundierung vorfindet, wie G. Wagner, ZfS, Jg. 23 (1993), S. 275, aufzeigt. Diese ambivalente Situation ist im Übrigen auch bei der Systemtheorie nahe stehenden Wissenschaftlern, wie etwa dem französischen Biologen Henri Atlas, erkennbar (vgl. das Gespräch mit Lucien Sève, in: ders., science, S. 249 ff.) Der entscheidende Punkt jedoch ist, wie G. Wagner selbst anführt, das „Aushalten der Paradoxie“ (ibid, S. 287); zu den Unterschieden zwischen Ontologie und Systemtheorie: Bunge, treatise, vol. 4, S. 3, der freilich die Beziehungen in den Vordergrund rückt, ohne die Notwendigkeit der Differenz hinreichend auszudrücken. Vor diesem Hintergrund ist auch der häufig erhobene Holismus-Vorwurf, etwa bei D. Phillips, holistic thought, S. 45 ff., zu bewerten und als nicht berechtigt zurückzuweisen. 131  Teubner, in: Joerges / ders., Rechtsverfassungsrecht, S. 25 (32). Lyotard, différend, S. 191, repräsentierte dieses Modell eindrücklich im Bild eines „Archipelagos“. 132  Vgl. Benjamin, Schriften, Bd. II / 1, S. 160: „unter der Typik des Kantischen Denkens die erkenntnistheoretische Fundierung eines höhern Erfahrungsbegriffs vorzunehmen.“ 133  So W.  Cannon mit seinem Begriff der selbstinitiierten Stabilisierung physiologischer Zustände, Homeostasis, in: ders., wisdom of body, S. 24. 134  Vgl. etwa Lawrence / Lorsch, organizations and environment, 1967; dies., developing organizations, 1969. 135  Zum Begriff vgl. Gaiser, Potential, S. 6 ff. 136  Grdl. Bertalanffy, Biologia Generalis 1949, Bd. 19, S. 114 ff.; ders., system theory, S.  139 ff.; Buckley, in: ders., Modern Systems Research, S. 490 ff. 137  Maturana / Varela, autopoiesis, 1980; dies., Baum der Erkenntnis, 1987; Vare­ la, principles, 1990; zur Diskussion über das Problem der Übertragbarkeit biologischer Modelle auf soziale Systeme: Rottleuthner, in: Teubner, autopoetic law, S. 97 ff. einerseits und Zeleny, Soziale Systeme, Bd. 1 (1995), S. 179 ff., andererseits. 130  Es

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1. Teil: Zur Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik

rungsmuster im Sinne einer trivialen Maschine v. Försters138 ablehnte. Denn deren Methode, Übergangsstellen zwischen offenen Systemen untereinander auf einfache Mechanismen der Adaption (physikalisch) bzw. Repräsentation (kognitiv) zu reduzieren, litt an dem entscheidenden Defizit, die Existenz und die Bedeutung von identitätsbildenden Strukturen zu verkennen. Es ergab sich also gewissermaßen ein umgekehrtes anaphora-Problem, das die Bewusstseinskomponente als Abgrenzung zum Empirismus vernachlässigt.139 Es wäre allerdings missverständlich, würde man angesichts dieser historischen Entwicklung der Systemtheorie den Vorwurf machen, sie würde nur physiologische oder biologische Erkenntnisse in einer nicht adäquaten Weise hypostasieren.140 Denn sie stellt einerseits eine sinnvolle Lösung einer gesamtwissenschaftlichen Problematik dar, andererseits waren die ihr wesenseigenen Erklärungsmuster in der Ideengeschichte bereits in vielfacher Gestalt präsent. Sie sind Folge und Ausdruck des Bewusstseins, dass die quantifizierende Erfassung der Erfahrung Grenzen hat, sei es in der kantischen Kritik, die das System und den Organismus als Idee eines identifizierbaren Ganzen der quantitativen Erfassung als Aggregat gegenüberstellte141, wie auch in den frühzeitigen Einsichten in die Probleme selbstreferentieller Strukturen, ob nun in der Logik (bei Günther oder Kripke), in der Linguistik (bei Saussure), oder der darauf aufbauenden, revolutionären Entwicklung der modernen Informationstechnologie. Die Geschlossenheit gesellschaftlicher Teileinheiten im Hinblick auf die sie konstituierenden Operationen gegenüber ihrer Umwelt bildete sich damit als Para­digma zur Erklärung der in der philosophischen Reflexion erfahrenen diskursiven Befangenheit aus. Die Systemtheorie führte diese Probleme der Selbstreferenz in ihren verschiedenen Ausprägungen142, d. h. in die Erklärung sinnhafter Systeme ein. Deren theoretischer Apparat ist entsprechend geprägt vom Ringen um eine adäquate Beschreibung realer Phänomene, die sich in Begriffen wie Selbstproduktion, Selbsterhaltung oder Selbsterhaltung widerspiegelt, deren allgemeinste Formulierung aber der Begriff der Selbstreferenz143 darstellt, der insbesondere die gleichzeitige identitätsbildende Reflexion des Gesamtsystems auf sich selbst und 138  Von Foerster, Wissen, S. 206: „Eine triviale Maschine ist durch eine eindeu­ tige Beziehung zwischen ihrem ,Input‘ (Stimulus, Ursache) und ihrem ,Output‘ (Re­ aktion, Wirkung) charakterisiert“; vgl. auch ders., in: Delfin, Bd. 4 (1984), S. 6 (8 ff.), sowie ders., in: Mohlar, Konstruktivismus, S. 42 ff. 139  MacKay, information, S. 36, zur Subjektivität der Informationsverarbeitung. 140  So aber Gutsatz, in: l’auto-organisation, S. 29 (34), gegen die Autonomie-Konzepte Prigogines und Varelas zur Interpretation sozialer Gebilde. Die Ausführungen im Text verstehen sich als Antwort auf seine Frage: „De quel droit théoretique, voire épis­ témologique, peuvent-ils se réclamer pour justifier une telle démarche?“ (ebd., S. 35). 141  Cohn, Dialektik, S. 28; auch zur Kritk an Kant: Toepfer, Zweckbegriff, S. 343. 142  Luhmann, Wirtschaft, S. 48. 143  Teubner, Recht, S. 27.



2. Kap.: Bestimmung eines rationalen Steuersystems als kritische Aufgabe105

die strukturbildende Reflexion der Systemelemente erlaubt.144 Demgegenüber kommt im Konzept der Autopoiesis die beschriebene Gleichzeitigkeit von funktionaler Geschlossenheit und kognitiver Offenheit zum Ausdruck.145 Das erklärte Lösungspotential dieses Erklärungsmodell soll im Folgenden dazu dienen, sich den einseitigen Erklärungsmustern eines rationalistischen Solipsismus ebenso wie denen eines empiristischen Fundamentalismus zu entziehen.

C. Fazit Aus den vorangegangenen Erwägungen ergeben sich damit zwei wesentli- § 56‌ che Folgerungen: Ebenso wie die Überwindung historischer Bindungen im Allgemeinen setzt die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kritik einer gegebenen oder zu gestaltenden Steuerordnung zum einen eine spontane und rationale Rekonstruktion voraus. Zum anderen sind dabei jedoch simplifizierende Modelle, die interpretatorische Festlegungen oder entscheidungsrelevante Bewertungen entweder ungefiltert übernehmen oder pauschal zurückweisen, gleichermaßen abzulehnen. Es besteht insofern ein Bedarf an einer differenzierenden Darstellung, auf deren Grundlage die beteiligten Teilordnungen, d. h. insbesondere Wissenschaft, Politik und Recht, je für sich verstanden, gewichtet, kritisch in ein Verhältnis zueinander gestellt und bewertet werden. Dieser Vorbehalt betrifft auch die Form der Argumentation im weit verstandenen Sinne, die sich etwa als rechtliche stets als solche zu legitimieren hat, um nicht in einem komplexen Raisonnement ideologisch verfügbar zu werden. Die relativierende Erkenntnis von der Ausbildung jeweils identitätsstiftender Merkmale leistet ein Verständnis der vermittelbaren Schichten zwischen den einzelnen Systemen. Die Identifizierung solcher Funktionsbedingungen kann die notwendigen Kriterien liefern, um bestehende Defizite zu benennen und gegebenenfalls zu kompensieren. Das betrifft aber auch die reflexive Bewertung von Systemzusammenhängen, etwa bei der gleichheitsrechtlichen Beurteilung von Steuerordnungen. Daraus ergeben sich die notwendigen Folgen für die Darstellung: Zunächst sind diese systematischen Zusammenhänge analytisch zu differenzieren, um sie dann synthetisch zurückzubeziehen auf die Bewertung, indem Signifikanzen aufgezeigt werden. 144  Bergmann / G.  Hofmann,

6 Husserl Stud. 155 (1989). autopoiesis, S. 78 f.: „An autopoietic machine is a machine organized (defined as a unity) as a network of processes of production (transforma­ tion and destruction) of components that produces the components which: (i) through their interactions and transformations continuously regenerate and realize the net­ work of processes (relations) that produced them; and (ii) constitute it (the machine) as a concrete unity in the space in which they (the components) exist by specifying the topological domain of its realization as such a network.“ 145  Maturana / Varela,

Zweiter Teil

Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik Quid iuris?1

3. Kapitel

Die systematische Situation des Rechtssystems A. Standortbestimmung des verfassungsrechtlichen Auftrages § 57‌

Für die Beurteilung der konzeptionellen Voraussetzungen, die der aufgegebenen Kritik an vorgegebenen gesetzlichen Regelungen zugrunde liegen, kann als Ausgangssituation zunächst festgestellt werden, dass der verfassungsrechtlich formulierte Auftrag zu einer kritischen Bewertung einer vorgefundenen Steuerordnung zwar auf ein grundsätzlich kritikfähiges Objekt trifft, das anhand eines kritischen normativen Maßstabes bewertet werden kann. Gleichzeitig wurde allerdings auch deutlich, dass ein Zugang zu diesem Maßstab nur mittelbar über eine ihrerseits kritische Beurteilung der bestimmenden Einflussfaktoren möglich ist, die die notwendigen Kompetenzen als Grundlage einer kritischen Bewertung begründet. Die bei einer solchen relativierenden Gewichtung zu treffende Kompetenzabgrenzung gilt insbesondere denjenigen Einflüssen, die sich unmittelbar als politische Argumentation oder mittelbar in wissenschaftlichen Argumenten äußern. Gleichzeitig soll sie aber nicht nur der Emanzipation der rechtlichen als angemessenen kritischen Perspektive dienen, sondern erfolgt auch zum Zwecke einer gleichsam juristischen Hygiene. Nur durch ein solches Verständnis vom Recht, das dieses selbst zunächst nur in seiner relativen gesellschaftlichen Funktion positioniert, und damit einen unreflektierten Absolutheitsanspruch verhindert, wird eine fundierte Kategorienbildung ermöglicht, die die aufgegebene Kritik leiten kann. Diese grundsätzlichen Notwendigkeiten sind dogmengeschichtlich repräsentiert in einer mit Kelsen verbundenen systematischen Wende2, die die Geltung präskriptiver rechtlicher Aussagen dadurch bestimmt, dass sie ohne Übersetzung in fremdge1  Kant,

AA  IV, S. 68 (KrV A84 / B115). nuovi studi, S. 201.

2  Bobbio,



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems107

steuerte Diskurse und ohne Interpretation aus diesen autonom Sinn machen, und damit von originär rechtsfindenden wie das Recht anwendenden Instanzen verstanden werden können.3 Die solcherart bezeichnete systemtheoretisch reflektierte Möglichkeit einer verarbeitenden oder kognitiven Offenheit setzt eine funktionale Geschlossenheit des Rechts voraus.4 Damit wird eine Abgrenzung gegenüber dem genannten Gegensatz zwischen einem geschlossenen Monismus einerseits und einem wertoffenen Rechtspluralismus andererseits sowohl möglich als auch notwendig.5 Maßgeblich ist danach allein, dass die systemfremden Elemente ihrerseits mit Bezug auf einen identifizierenden „Code“ übersetzt werden können und damit und darin sinnvoll werden. Das bedingt eine Emanzipation von der politischen δόξα, d. h. dem Glauben, Meinen und Dafür-Halten6, ebenso wie von einer wissenschaftlichen ἐπιστέμη mit ihren Begründungsformen7. Mit dem genannten Dualismus ist die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung aufgezeigt. Denn die identifizierende Emanzipation des Rechts als System macht es zugleich erkennbar als System unter anderen. Diese Emanzipation kann man mit Luhmann gegenüber Kelsen pointiert formulieren als Übergang vom Verständnis des Rechts als System zum Recht im System.8 Auch die verfassungsrechtliche Situation ist von dieser Lagebestimmung § 58‌ nicht ausgenommen. Gerade hierbei wird es notwendig sein, eine Abgrenzung zur politischen Umwelt als Bewertungs- und Kritikobjekt vorzunehmen angesichts der allgegenwärtigen Kompetenzkonflikte, wie sie nicht nur im institutionalisierten Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgetragen werden. Zur Klarstellung sei dabei sogleich betont, dass der positive Kontrollauftrag, wie er aus der grundrechtlichen Forderung etwa des Gleichheitssatzes folgt, diesen Kompetenzkonflikt erst begründet, die Lösungsmöglichkeiten aber grundsätzlich offen lässt. Im Hinblick auf die im ersten Teil der Untersuchung vorgestellten Kriterien der Entscheidung- und der Geltungsmöglichkeit maßstabsbildender Ordnungsrahmen wird es im Folgenden daher zunächst darum gehen, den funktionalen Gehalt des Verfassungsrechts festzustellen, inwiefern der Verfassung als politisches Institut durch die Übernahme rechtlicher Gehalte eine Legitimitationsfunktion zukommen kann. Nur sofern dabei Legitimationsdefizite festzustellen sind, bietet sich 3  MacCormick,

De Lege 1992, 311. Methodenlehre, S. 377. 5  Vgl. Gunnarrson, skatterättvisa, S. 25. In der Tat ist dieses Phänomen allein außerrechtlicher Natur in der sozial bedingten Heterogeneität zu suchen und daher genuin politischer Natur, Griffith, 24 J. Legal Pluralism. & Unofficial L. 1, 38 (1986). 6  Luhmann, Rechtssoziologie, S. 190 ff. 7  Zu diesen Diskursformen: Aristoteles, Eth. Nic. H 1145b 32 – 1146a 7. 8  Losano, sistema, vol. 3, S. 330 f. 4  Larenz,

108

2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

überhaupt ein Anhaltspunkt für eine normative Korrektur gesetzlicher Regeln etwa durch Grundrechte. Gleichzeitig zeigt diese funktionale Begründung des Verfassungsrechts in seiner systematischen Situation die notwendigen Kriterien auf, um die dogmatischen Figuren etwa der Grundrechts­lehre damit abzugleichen, und sie somit in die Kritik einzubeziehen.

B. Äußeres Rechtssystem: Einheit und Kohärenz I. Recht als wahrnehmbare Ordnung § 59‌

Die Vorstellung von einer systematischen Gestalt des Rechts gilt als evident. Sie ist jedenfalls begründet, soweit damit eine Eigenschaft bezeichnet wird, die aus der äußeren Beschreibbarkeit von Normgefügen abgeleitet ist. Denn erst eine Rechtsordnung, die als ein wahrnehmbares und insofern anschlussfähiges Corpus von Regelungen9 organisiert ist, erlaubt in pädagogischer Absicht eine wissenschaftliche Betrachtung ebenso wie sie selbst von ihr ermöglicht wird.10 Diese Wahrnehmbarkeit11 setzt zweierlei voraus: zum einen einen grundlegenden Akt der Abgrenzung zur Festlegung einer erkennbaren Einheit, zum anderen in der Folge nachvollziehbare Entscheidungen zur Gestaltung einer erkennbaren Ordnung.12 Ein verfassungsrechtliches Interesse an dieser äußeren Gestaltung der Rechtsordnung besteht von vornherein aber nur dann, wenn sich daraus auch ein anwendungsorientiertes Entscheidungsprogramm ableiten lässt. Erst wenn die Voraussetzungen der Erkennbarkeit zu einer kritisierbaren Forderung werden können, vermittelt ein solcher innerer Rechtfertigungszusammenhang auch ein allgemein legitimationsbegründendes Verständnis.13 In der Tat wird die Möglichkeit, auf einfachgesetzlicher Ebene rechtliche Systeme nach außen abgrenzbar aufzubauen, als ein verfassungsrechtlich relevantes Argument angesehen, das der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendig Grenzen 9  Francisco

Cuena Boy, Sistema jurídico, S. 35. diesen Zusammenhängen Ernst, in: Engel / Schön, proprium, S. 3 (28 ff.). 11  Für die eine Unterscheidung zwischen Rechtsbegriff und Rechtspraxis irrelevant ist, so dass insofern der Ratschlag Wieackers, Rechtstheorie, Bd. 1 (1970), S. 107 (108), „Einheit und Folgerichtigkeit zunächst nicht dem Gegenstand der Ju­ risprudenz zuzuschreiben, sondern (als Arbeitshypothese) der Methodik der Rechts­ anwendung der Juristen“ unverständlich bleibt. 12  Canaris, Systemdenken, S. 12; so bereits Romano, l’ordinamento, S. 28, wonach dem Begriff des Rechts eine doppelte Bedeutung zukäme: „a) un ordinamento nella sua completezza e unità […] b) un precetto o un insieme di precetti […] che […] diciamo istituzionali, mettendo così in evidenza la connessione che essi hanno con l’ordinamento intero […]“ (Herv. Verf.). 13  Zur konstitutiven Bedeutung von Vorurteilen für Legitimationswirkungen: Beetham, legitimation, S. 20. 10  Zu



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems109

setzen muss, indem dem wesensmäßig pluralistisch geformten politischen Entscheidungsprozess ein wesensmäßig homogenes Rechtssystem entgegengesetzt wird.14 Die Funktionsbedingungen des Rechts äußern sich dann als Forderung nach einer Kongruenz der rechtlichen Teilsysteme in Beziehung auf die innere Einheit.15 Dabei ist sowohl auf die Struktur wie auf die Tragweite dieser Bindungswirkung ein besonderes Gewicht zu legen. Denn es stellt sich die Frage, ob daraus auch ein normatives Kriterium ableitbar ist, oder ob sich die Bedeutung der systematischen Form in der Vermittlung von Wahrnehmbarkeit erschöpft, ohne ein Entscheidungskriterium zu bilden. II. Epistemische Kohärenz Mit dieser Frage, ob letztlich Erkennbarkeit als solche verbindlich werden § 60‌ kann, berührt man den Grenzbereich von wissenschaftlicher Richtigkeit einerseits und juristischem Geltungsanspruch andererseits. Was beide Formen eint, ist die epistemologische Stellungnahme gegenüber einem adäquanztheoretischen Fundamentalismus, der für die jeweiligen Ansprüche allein eine lineare Rückführung auf einen evidenten Ausgangspunkt ausreichen lässt.16 Was die Begründungsform der Kohärenz demgegenüber prägt, ist gerade die Verbindlichkeit inhaltlicher Relevanzzusammenhänge.17 In der Aussagelogik bezeichnet Kohärenz die Qualität eines Ensembles von Aussagen, bei dem diese derart miteinander verbunden sind, dass die Wahrscheinlichkeit einer Aussage bei einer Verbindung mit den anderen Aussagen des Ensembles als Prämissen erhöht wird.18 Maßgebend ist in diesem Falle also eine quantifizierende Wahrscheinlichkeitsbetrachtung. Damit wird die Urteilsbildung aber auf einen versteckten Fundamentalismus der zahlenmäßigen Bestimmung verwiesen. Denn die Rückführung auf eine diskrete Rechengröße 14  Raz,

in: ders., essays, S. 261 (301 f.). Felix, Einheit, S. 162  ff.; konkret zum Steuerrecht: Flume, in: FS Smend, S. 59 (60): „Als ,Recht‘ sind die Steuergesetze Teil der Rechtsordnung und unterliegen damit dem Gesetz der Einheit der Rechtsordnung, dem Gesetz der Kongruenz.“ Diese Kongruenz erweitert sich in dem Wechselspiel von Rechtssetzung und -anwendung, Fuller, morality, S. 81–91. 16  Wie sie bildhaft dargestellt wurde von Neurath, 3 Erkenntnis 204, 206 (1932). Dazu, dass Neurath selbst dabei auf eine kausale Ableitung akzeptierter Axiome nicht verzichten wollte: Hempel, in: R. Haller, Symposion, S. 1 (16 f.); zum epistemologischen Fundamentalismus im Einzelnen und insbesondere im Hinblick auf das angesprochene Regressproblem ausführlich und kritisch: BonJour, structure, S. 3–84. 17  In Abgrenzung zur bloß formalen Kohäsion, vgl. Lyons, semantics, S. 264, einerseits und zur widerspruchsfreien Konsistenz, Bartelborth, Begründungsstrate­ gien, S. 136 andererseits. 18  Lewis, analysis, S. 338; zur Notwendigkeit einer übergreifenden Eigenschaft, die die Bedeutung des Gleichheitsurteils beinhaltet: Olsen, 50 Erkenntnis 279 (1999). 15  Allgemein

110

2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

steht vor dem Problem, wie sie jenseits eines Wahrscheinlichkeitsurteils auch signifikante und gewichtete Resultate im Sinne eines qualitativen Urteils generieren kann. Betrachtet man etwa in dieser Hinsicht das Kriterium des wahrnehmbaren Informationsgehalts innerhalb des Kontextes zusammenhängender Aussagen, so wird für eine quantitative Perspektive bei dem Versuch, die Elemente bei gleichbleibendem summenmäßigen Informationsgehalt zu individualisieren, eine Bewertung der jeweils wahrnehmbaren Information unentscheidbar.19 Wie bei der Heisenberg’schen Unschärferelation sind Wahrnehmung und Bewertung zwei unvereinbare Größen für die analytische Betrachtung der Kohärenz. Aus epistemischer Sicht kommt der Kohärenz daher keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. III. Normative Kohärenz § 61‌

Überträgt man das aussagelogische Modell der Kohärenz aber auf den Anwendungsbereich normativer Sätze, so führt dies zu einem Modell systematischer Rechtfertigung von Normen durch ihre kohärente Einbindung in eine selbstbegründete Ordnung.20 Fraglich und weitreichend sind allerdings die dabei fälligen Modifikationen. Dies betrifft zum einen den genannten wahrscheinlichkeitsbezogenen Gehalt der logischen Betrachtung, der für eine normative Perspektive unangemessen ist. Alternativ könnte man die kohärente Einordnung von Regelungen im Sinne eines normativen Monismus auf die Geltung eines allgemeinen internen Prinzips zurückbeziehen.21 Oder man könnte sich relativierend auf externe Meinungen und Begründungen stützen. Dies wirft allerdings bei einer streng rechtlichen Betrachtung die Frage auf, worauf sich deren Geltung gründet und wie weit ihre Kompetenzen gehen. Diese Zweifel betreffen sowohl entsprechende Institutionen, wie etwa die Stellung des Verfassungsgerichts22, gelten aber auch in methodischer Hinsicht etwa gewissen Tendenzen einer konsequentialistischen Einordnung des Rechts. So ist in diesem Sinne namentlich nach der Auffassung von Raz der Wert der Kohärenz allenfalls ein relativer und jedenfalls in der konkreten Entscheidungssituation begründungsbedürftig23, während namentlich für Levenbook die Kohärenz ein rechtlicher Wert an sich ist, Moretti / Akiba, 154 Synthese 73 (2007). 6 J. Ethics 21 (2002). 21  Raz, in: ders., essays, S. 277 (288); MacCormick, in: Peczenik u. a., theory, S. 235 (243). Letztlich führt dies aber nur tautologisch auf die Rechtsidee selbst zurück, so bei Canaris, Systemdenken, S. 16. 22  Uerpmann: Das öffentliche Interesse, S. 274: „Hinter der Frage nach der Zulässigkeit von Güterabwägungen im Verfassungsrecht erscheint vielmehr die Kom­ petenzfrage danach, wer diese Abwägungen vorzunehmen hat.“ 23  Raz, in: ders., essays, S. 277 (302). 19  Dazu:

20  Radzik,



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems111

dessen Bindungskraft primäre Geltung zukommt, so dass die Kohärenz weitgehend immun gegen jene konsequentialistischen Einschränkungen ist.24 IV. Kritische Relevanz des äußeren Systemcharakters Wie bei dieser Diskussion deutlich wird, ist die Kohärenz als Eigenschaft § 62‌ des äußeren Rechtssystems zwar eine notwendige Voraussetzung für seine Wahrnehmbarkeit. Soweit sie aber in wissenschaftliche Aussagen übersetzt werden soll, kann sie keinen hinreichenden Geltungsgrund gewährleisten, da ihr der notwendige dezisionistische Charakter fehlt. Vielmehr löst sich der äußere Systemcharakter des Rechts allenfalls in Argumentationmuster auf, die als Topoi die verfassungsrechtliche und insbesondere gleichheitsrechtliche Beschäftigung mit der Steuerordnung prägen: das Binnendenken innerhalb der Teilrechtsordnungen25, die monistische und verbindliche Orientierung am Leistungsfähigkeitsprinzip26, das Kohärenzgebot einer folgerich­ tigen Ausgestaltung27, sowie die relativierende ökonomische Prägung und Rechtfertigung rechtlicher Entscheidungen28. Diese Entscheidungsgrößen verbleiben aber nur auf der Oberfläche des äußeren Systems. Ein Verständnis des Rechts als System begründet zwar derartige Argumentationsformen; Geltung erlangen kann ein Argument aber nur, wenn es im System begründet wird. Neben der Signifikanz als wissenschaftliche Wahrnehmbarkeit bedarf es innerhalb des Rechtsdenkens eines Geltungsgrundes, der nicht fremdbestimmt ist, sondern autonom auf die Formen der Selbstbezüglichkeit und Selbstbeobachtung des Rechts verweist. Im Rahmen einer solchen systembezogenen Betrachtung soll im Folgenden zunächst der gleichsam transzendentalen Frage nach der Bedingung der Möglichkeit des Rechtssystems und seiner Handlungsformen nachgegangen werden, um daran anschließend deren Repräsentationen mit wachsendem Konkretisierungsgrad zunächst im verfassungsrechtlichen, grundrechtlichen und gleichheitsrechtlichen Kontext sowie schließlich in der Dogmatik als vermittelnde Form von Recht und Wissenschaft einer kritischen Bewertung zu unterwerfen.

24  Levenbook,

3 Law & Philos. 355 (1984). §§  180 ff. 26  Unten §§  164 ff. 27  Unten §§  130 ff. 28  Unten §§  143 ff. 25  Unten

112

2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

C. Die innere Ordnung des Rechtssystems I. Rechtsbildung: Freiheit als sinnstiftende Einheit 1. Gefahr eines wissenschaftlichen Fehlschlusses a) Exklusivität der Rechtsbildung § 63‌

Um die erforderlichen materiellen Kriterien für eine verfassungsrechtliche Kritik aus der sozialen Funktion des Rechtssystems ableiten zu können, verlagert sich die Perspektive auf dessen innere Ausbildung am Maßstab des bereits begründeten Modells von funktionaler Geschlossenheit einerseits und kognitiver Offenheit andererseits.29 Die daraus folgende Kompetenzabgrenzung schließt insbesondere wissenschaftliche Handlungsformen aus der relevanten Begründung eines rechtlichen Geltungsanspruches aus. Soweit das seinerseits zum Gegenstand kritischer Bewertung gemacht wird, indem der Rechtspraxis die Verwendung esoterischer Begründungsmuster vorgeworfen wird, die sie dem wissenschaftlichen Diskurs entziehe30, wird man das weniger als ein Anzeichen für ein Legitimationsdefizit auf Seiten der Rechtsbildung, sondern eher als Indiz für ein Erkenntnisdefizit auf Seiten der Kommentierung zu bewerten haben. Dies gilt insbesondere mit Bezug auf die autoritäre Maßgeblichkeit von Gerichtsurteilen als „Verfassungsgerichtsposit ivismus“31, die sich nicht der kategorialen Kluft zwischen der juridischen Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht32 und der wissenschaftlich-aussagelogischen Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit bewusst wird.33 Um die Ursache für dieses Defizit deutlich zu machen, kann man eine Parallele ziehen zu der entsprechenden Problematik im Verhältnis anderer 29  Frydman,

in: Kirat / Severin, l’action, S. 25 (31). mag hier auf die bekannte Replik des Chief Justice Coke auf die Bemerkung König Jakob I. verweisen, dass „causes […] are not to be decided by natural reason but by the artificial reason and judgment of law“, Prohibitions Del Roy, 12 Coke Rep. 63, 65, 77 Eng. Rep. 1342, 1343 (1608); zur zweifelhaften Authentizität: Usher, 18 Eng. Hist. Rev. 664 (1903); zur Abkoppelung von Vernunft und Recht in der englischen Naturrechtslehre: Luhmann, RJ 3 (1984), S. 133 (136). 31  Dazu Jestaedt, in FS Isensee, S. 183 ff. Viala, reserves d’interpretation, S. 270, spricht in diesem Zusammenhang von der „logique de circularité“ der Grundrechtsrechtsprechung; zum Prozess der Entdogmatisierung in der Rspr. des BVerfG: Schlink, JZ 2007, 157 (160). 32  Aristoteles, Eth.  Nic. E  1134a  31 / 32: „ἡ γὰρ δίκη κρίσις τοῦ δικαίου καὶ τοῦ ἀδίκου“ („Das rechtliche Urteil besteht in der Unterscheidung des Rechts vom Un­ recht“). 33  Die Kontrollfunktion der Rechtswissenschaft gegenüber möglichen Kompetenzanmaßungen der Verfassungsjudikatur, vgl. Denninger, in: FS Wassermann, S. 279 (285), ist daher weniger innerrechtlich als vielmehr institutionell begründet. 30  Man



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems113

Normensysteme wie der Ethik zu ihrer wissenschaftlichen Beschreibung, in der die Eigenständigkeit und Integrität der Entscheidungskriterien aus der Geltung des Fehlschlussarguments, d. h. des Verbots eines Synkretismus von normativen und deskriptiven Aussagen, gefolgert wird.34 Bei dieser tradtionsreichen Diskussion wird nicht nur im besonderen Maße deutlich, wie normative Regelungen in ihrer systematischen Einbindung für scheinbar übergeordnete epistemische Ebenen unerreichbar bleiben, sondern es wird auch die Ursache für die Verständnisschwierigkeiten erkennbar, die sich nicht zuletzt darin zeigt, dass die dem naturalistischen Fehlschluss zugrundeliegende Handlungsanweisung selbst präskriptiver Art ist35: Vernunftgeleitete Wissenschaft selbst bedarf eines normativen Rasters. b) Begründungsbedürftigkeit von Rechtsbildung Auf einer abstrakten Ebene scheint sich das vielfach vorausgesetzte posi- § 64‌ tive Verhältnis von Normativität und Rationalität zu einem Rangverhältnis in der Weise zu verkehren, dass Letztere auf diese angewiesen ist. Es ist bereits andernorts dargelegt worden, dass zwar die Begründungsfähigkeit36 normativer Aussagen in der dogmatischen Form außer Frage steht37: Für die Formulierung von Handlungsanweisungen lassen sich, jedenfalls nachträglich, stets gute Gründe anführen. Was allerdings im vorliegenden Kontext von Relevanz ist und in Frage steht, ist eine Verständigung über die Voraussetzungen und die Anwendungsfähigkeit rationaler Rechtfertigungen, inwieweit Normativität also darüber hinausgehend begründungsbedürftig ist, und damit zusammenhängend, ob Rationalität selbst als Vermittlerin insoweit selbstgenügsam und begründungsfähig ist, oder aber seinerseits einer normativen Grundlegung bedarf. Denn dann scheidet sie als Maßstab einer Kritik normativer Ordnungen aus. In der Tat wird in diesem Sinne geltend gemacht, dass die Rechtfertigung festgelegter Begründungsstrategien immer außerhalb ihrer selbst liege, und die Strategie, aus der Begründbarkeit eines Ergebnisses auf seine Verbindlichkeit zu schließen, auf einer zirkulären Argumentation beruhe.38 Um diese wichtige Frage einer analytischen Klä34  Moore,

principia, S. 9, in Bezug auf das Prädikat „good“. ARSP 91, 366 (370). 36  Die Unterscheidung zwischen Begründung und Rationalität ist allein eine Frage der Perspektive, wonach rationales Verhalten auch dann möglich ist, wenn die zugrunde liegende Überzeugung nur für den Akteur einen Wahrheitsgehalt hat, Beis­ bart, Handeln, S. 75. 37  Und wie sie auch im positiven Recht zur Begründung von judikativen oder exekutiven Akten angeordnet ist, vgl. J. Lücke, Begründungszwang, S. 1–10. 38  So Kolodny, 114 Mind 509 (2005), in einem Artikel mit dem Titel: „Why be rational?“ 35  Hijikata,

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

rung zuzuführen, unterscheidet etwa Broome in bildhafter Weise zwischen einem narrow scope, wonach Rationalität sich in dem Zusammenhang zwischen zwei Aussagen erschöpft, und einem broad scope, wonach sich der normative Anspruch der Rationalität als Prädikat auf diesen Zusammenhang selbst bezieht39, sodass Widersprüche nur durch andere, etwa moralische oder rechtliche Kommunikationsformen als Gründe gerechtfertigt sein können. Eine strenge Normativität in dem Sinne erforderte es, dass die Notwendigkeit eines Ergebnisses selbst eine hinreichende Begründung ist40, Rationalität also selbstgenügsam ist und daher auch als Handlungsanweisung an die verschiedenen Kommunikationsformen genügen kann. Rationalität steht damit aber einem unüberwindbaren Regressproblem gegenüber, und droht ohne ein normatives, und das heißt wesentlich entscheidendes Fundament zu kollabieren: Eine Ziel-Mittel-Rationalität ist stets abhängig von einer vorausgehenden normativen Positionierung41 und kann der in sie gesetzten Erwartung, eine regelbildende Funktion einzunehmen, nicht gerecht werden. 2. Freiheit als Geltungsgrund der Rechtsbildung § 65‌

Aus dieser systematischen Einordnung des Rechts als einer Verständigungsform, die sich einer kausalen, linearen Erklärung entzieht, ergibt sich zugleich ein wichtiger Hinweis auf seine bestimmenden Charakterzüge, und daraus die Möglichkeit, den fraglichen Geltungsgrund der Rechtsbildung begrifflich zu bestimmen. Danach realisiert sich das Recht nicht durch eine Erkenntnis vermittelnde Unterscheidung, die einer Aussage einen Wahrheitswert beilegt, indem es sie lediglich nachvollzieht, sondern das Recht aktualisiert im Wege der Entscheidungsbildung stets aufs neue eine nicht abgeleitete, sondern eine selbstbestimmte Bewertung, die sich äußeren Umständen allenfalls anpasst, aber nicht angleicht. Damit entspricht es gerade den Voraussetzungen, die Gallie in seiner bekannten Kategorisierung für diejenigen Begriffe identifiziert hat, die sich einer semantischen Bestimmung entziehen und sich allenfalls pragmatisch aktualisieren, sodass ihnen eine wissenschaftlich nicht auflösbare Unbestimmbarkeit zugrunde liegt.42 Davon eignet sich derjenige der Freiheit in besonderem Maße, soweit er im 39  Broome,

116 Mind 359, 363 (2007). 15 Philos. Issues 321, 324 (2005). 41  Hubin, 98 J. Philos. 445 (2001). 42  Gallie formulierte in: 56 P. Aris. Soc. 167, 171 f. (1956), für diese „essentially contested concepts“ folgende Kriterien: 1. Die Zuschreibung eines Wertes; 2. Die Rückführung dieses Wertes auf einen komplexen internen Prozesses zuschreibender Komponenten; 3. Die Abhängigkeit der Erklärung des Wertes von widersprüchlichen Konfigurationen dieser tragenden Komponenten; 4. Die Offenheit des Wertes für Umweltveränderungen. 40  Broome,



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems115

Sinne der Autonomie nicht nur semantisch unbestimmbar ist43, sondern in seiner systematischen Funktion die Dualität rechtlicher Handlungsformen zum Ausdruck bringt44, sowie in seiner transzendentalen Funktion seit jeher den Grund der spontanen Erkenntnisform der Urteilskraft sowie der zeit­ lichen Differenzierung im Gegensatz zur räumlich-logischen Ableitung darstellt.45 3. Rechtliche Kompetenz und ethische Pflicht a) Intersubjektive Pflicht und reflexive Kompetenz Benennt man die Freiheit als Grund der aktualisierenden selbstbestimm- § 66‌ ten Entscheidungsbildung, so wird sie damit von einer anderen transzendentalen Rolle der Freiheit abgegrenzt, die als moralische auftritt und die sich darauf stützt, dass die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit, die sich nicht aus dem Verstand ableiten lässt, in der Gesetzgebung der praktischen Vernunft ihren Grund hat.46 Die Auseinandersetzung mit der ethischen Bedeutung der Freiheit ist nicht allein theoretisch motiviert, sondern leitet ihre Berechtigung zum einen in rein faktischer Hinsicht von der erheblichen Wirkungsmacht der praktischen Philosophie Kants mit ihrem Einfluss auf die Rechtstheorie ab, andererseits aber aus der Möglichkeit, den Geltungsbereich der Ethik und der daraus folgenden Bindungswirkung wie ihr Kritikpotential von der des Rechts abzugrenzen. Was nun beide Konzeptionen eint, ist die Absage an ein kausales Erklärungsmodell für normative Forderungen. Was sie allerdings wesentlich voneinander trennt, ist die konstituti43  Valéry, œuvres, t. II, S. 951: „un de ces détestables mots qui ont plus de va­ leur que de sens“; zur Mehrdeutigkeit bereits Montesquieu, esprit, liv. XI (chap. 2). 44  J. Edwards, 12 Res Publica 277, 283 (2006): einerseits vermittle die Autonomie Rechte, andererseits sei die Autonomie auf Rechtspositionen angewiesen; Schild, in: Schwartländer, Menschenrechte, S. 37 (40): die Gesetzgebung der Autonomie sei aufgrund des universalen Anspruchs des Gesetzes auf die Stellungnahme des anderen angewiesen. Deutlich wird an diesen Positionen der widersprüchliche Ort der Autonomie als rechtlicher Freiheit zwischen empirischer Beschreibung einerseits und rationalisitischem Subjektivismus andererseits, vgl. auch Laupies, liberté, S. 7. 45  H. Bergson, œuvres, S. 113. Zum Zusammenhang zwischen Intuition und du­ rée: Deleuze, in: Merleau-Ponty, philosophes, S. 292. Die Intuition als Vermögen der differenciation gilt danach als Ausprägung der Urteilskraft, wodurch Deleuze an der Kantischen Dualität zwischen Begriff und spontanem Vermögen festhält, Alliez, in: ders., Deleuze, S. 252 f. Darin ist eine qualitative Unterscheidung im Gegensatz zur quantitativen der räumlichen Entzerrung angelegt, Deleuze, bergsonisme S. 31: „c’est une multiplicité interne, de succession, de fusion, d’organisation, d’hétérogéneité, de discrimination qualitative ou de différence de nature, une multi­ plicité virtuelle et continue, irréductible au nombre.“ 46  Vgl. zu dieser Paradoxie Deleuze, Kant, S. 44 ff.

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

ve Bedeutung der personalen Umwelt47 mit der daraus abgeleiteten Pflichtenbindung.48 Im rechtlichen Kontext gibt es keinen Urzustand als unmarkierte Stelle der Freiheit.49 In einer unpersönlichen, aber subjektiven Weise steht die Verwirklichung der Freiheit sich selbst entgegen, indem sie in einem ungebundenen Umfeld sinnlos bleibt.50 Die Frage nach einem faktischen Können spielt hierbei keine Rolle.51 Die Ausbildung der Subjektivität, das Kompetenz erst begründende und damit notwendig reflexive sui iuris52, ist das primäre Ereignis in der Entwicklung der Rechtsordnung.53 Entgegen der gängigen Vorstellung, die das Recht stets im Sinne eines Vertrages versteht, als Vermittlung intersubjektiver abgegrenzter Freiheitssphä­ ren,54 55 kommt dem Anderen dabei nur eine sekundäre Rolle zu : Der Kontraktua47  Das „Soi-même comme un autre“, wie es Ricœur in seinem gleichnahmigen Vortrag, 1990, zum Fundament seiner Ethik macht. Das Raster lässt sich im wissenschaftlichen Kontext weiterführen durch die Kategorisierung von intersubjektiver Rechtfertigung der Moral einerseits und der subjektiven Angabe von Gründen, die der ökonomischen Rationalität wesentlich ist, andererseits, vgl. Forst, Rechtfertigung, S. 25 ff.; kritisch zu dieser Unterscheidung zwischen rational und reasonable aber: Gaus, 3 J. Polit. Philos. 234 (1995). 48  MacCormick, 82 Corn. L. Rev. 1051, 1057 (1997), wonach die autonome individuelle Entscheidung das moralische Urteil konstituiert. 49  Deleuze / Guattari, qu’est-ce que la philosophie?, S. 66: „On ne peut même pas dire ce qui est premier, et tout territoire suppose peut-être un déterritorialisation préalable; ou bien tout est en même temps.“ 50  Cardozo, paradoxes, S. 94: „Liberty as a legal concept contains an underlying paradox. Liberty in the most literal sense is the negation of law, for law is restraint, and the absensce of restraint is anarchy.“ Dem liegt die Formulierung des Paradoxons von der unfreien Befreiung zugrunde, vgl. Berlin, in: ders., liberty, S. 166 (180). Luhmann legt in: RJ 3 (1984), S. 133 (140), dar, wie sich auf der Grundlage dieses paradoxalen Zustandes das Recht gerade aus der Beschränkung der im Naturzustand gegebenen pflichtlosen negativen Freiheitsrechte formiert. 51  Diese Position geht also insofern noch einen Schritt weiter als die von Straw­ sons in dem Essay „Freedom and Resentment“ formulierte, als sie nicht nur das Verhältnis von Können und Sollen umkehrt, sondern dem Sollen noch die Zuschreibung einer Kompetenz vorschaltet. 52  Hanard, droit romain, S. 158. 53  E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, S. 233 (234), auch zur Problematik des Verhältnisses zur an sich subjektblinden Wirtschaft, personifiziert im „Adam-SmithProblem“ als Inkonsistenz der Wirtschafts- und Moraltheorie, vgl. die namensgebende Aufsatzserie von Oncken, ZfSocW, Jg. 1 (1898), 25, 101, 276, sowie aus neuerer Zeit Fitzgibbons, Adam Smith’s system, S. 3 ff.; entschieden gegen eine solche Lesart aber: Vergara, Écon. Pol., n° 11 (juillet 2001), S. 76 ff. 54  Heun, in: Merten / Papier, Handbuch, Bd. II, § 34, Rz. 15. 55  So bei Engel, in: Danwitz u. a., Bericht, S. 7 (64): „Für sich allein kann nie­ mand frei sein. Frei ist man immer nur in Beziehung zu anderen, die diese Freiheit repektieren“; vgl. auch die Rückführung des Rechts δίκαιον auf die Zweiteilung δίχα bei Aristoteles, Eth. Nic. E 1132a 31. Das ist insofern bedeutsam, als das Gerech-



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems117

lismus mag zwar zur Rechtfertigung ethischer Ziele sinnvoll sein, er legt aber keinen rechtlichen Grund. b) Gesetz als Vermittler von Freiheit Allerdings ist auch für die rechtliche Autonomie eine Vermittlungsleistung § 67‌ erforderlich, wenn auch nicht im Wege der kausalen Ableitung, sondern der selbstbestimmten Reflexion. Die intentionale Einwirkung des Einzelnen auf die nicht notwendig personelle Umwelt setzt eine äußere Reduktionsleistung voraus, die die notwenige Positionierung zur Freiheitsentfaltung vorgibt56: „tout le problème de justice peut être considéré comme une question de substitution entre des libertés“57. Erforderlich ist mithin eine Distinktion der persönlichen Freiheitssphären nach einem allgemeinen gleichen Gesetz, allerdings in einem rechtlichen, nicht in einem ethischen Sinne.58 Denn dieses Gesetz muss, anders als im Falle der Ethik, dem Einzelnen nicht unbedingt erreichbar sein, das heißt nicht zum individuellen Handlungsmaßstab werden.59 Die gesetzlichen Unterscheidungen bleiben insofern exogen, Normen sind die Folgen eines Selektionsprozesses aus der sozialen Ordnung heraus.60 Auch das so häufig thematisierte Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit oder zwischen Gerechtigkeit und Gleichheit hat tigkeitsideal des συμφέρον als reflexives Attribut sich gerade nicht in ein antithetisches Verhältnis bringen lässt zum intersubjektiven βλαβερόν, dem Schaden, vgl.  Rancière, mésentente, S. 21 f.: der utilitaristische Austausch und die rechtliche Ordnung sind unvereinbar. 56  Kant, AA VI, 231 (Metaphysik der Sitten, § D): „wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. un­ recht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, i. e. recht.“ 57  Kolm, Rev. fr sc. pol., an. 1985, n° 4, 639 (641). 58  Zum Spannungsfeld zwischen dem gegebenen Ge-Setz als entscheidende lex auf der einen Seite und dem nehmendem Gesetz als Teilhabe vermittelndem νόμος: Schestag, parerga, S. 8. 59  Kant, ebd.; soweit zumindest die Abgrenzung des bloß erlaubten / unerlaubten von der Pflicht / Pflichtwidrigkeit, vgl. Graband, Kant-Studien, Jg. 96, Heft 1 (2005), S. 41 (63). 60  Romano, l’ordinamento, S. 28. Daraus wird die Möglichkeit einer Vorrangstellung der Gleichheit erkennbar, vgl. etwa bei Goethe „Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, dass ich mich subordinieren mag, bringe ich mit“ (Werke, Bd. XII, S. 380). Entgegen der Auffassung von Rudolf Haym bei Suphan, GoetheJb., Bd. 22 (1901), S. 16 (18), kann man diese Stelle vor dem genannten Hintergrund dann doch als eine Auseinandersetzung mit Kant gelten lassen.

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

seinen Grund in dieser Konstellation der externalisierten Selbstbestimmung, der geordneten Spontaneität. c) Analyse der Freiheit als aktiv und passiv § 68‌

Diese besondere reflexive Situation der Freiheit in ihrer rechtlichen Bedeutung bildet den Hintergrund für eine analytische Kategorisierung, die zwischen offensiver positiver und defensiver negativer Freiheit61 unterscheidet, hinsichtlich derer eine Parteinahme die inhaltliche Bestimmung verfassungsrechtlicher Kritik zu präjudizieren geeignet ist. Einer ethischen Betrachtung ist eine solche Differenzierung nicht zugänglich, da die einseitige intersubjektive Pflichtenstellung nur passiver Natur ist. Im Unterschied zur rechtlichen Gesetzmäßigkeit der positiven Freiheit verbleibt dem Handelnden, soweit sich die Freiheit als eine moralische verwirklicht, keine Wahl62, weil er sich der unausweichlichen Pflicht gegenübersieht. Gegenüber dem unbedingten moralischen Gesetz besteht eine defensive Abwehrmöglichkeit vielmehr nur im vollständigen Austritt aus der normativen Ordnung, eine offensive Handlungsmöglichkeit nur in deren Vollzug.63 Während also im ethischen Normengefüge die Rechtsfolge stets vorgegeben ist, bleibt sie im rechtlichen Kontext beeinflussbar und damit kritikfähig. Allerdings bedarf diese Stellungnahme zwingend einer Diskretion, d. h. in Zuweisung konkreter Freiheitsbereiche64 als Kompetenzen gegenüber einer 61  Kant, AA  III, 374 (KrV  A553 f. / B581 f.); Berlin, in: ders., liberty, S. 166 ff.; Bobbio, eguaglianza, S. 45 ff.; MacCallum, 76 Philos. Rev. 312, 314 (1967): „Such freedom is thus always of something (an agent or agents), from something, to do, not do, become, or not become something; it is a triadic relation“ (Herv. Verf.). 62  So dass Kant die Willkür als negative Freiheit, die sich dem Willen gegenüber stellt, zusätzlich in die Differenezierung aufnimmt, Graband, Kant-Studien, Jg. 96, Heft 1 (2005), S. 41 (45). 63  Man kann dabei nicht übersehen, dass Kant, AA VI, 230 f. (Metaphysik der Sitten, § C) bei der Begründung der Rechtslehre die den Anderen einbeziehende Selbstbindung der Freiheit im internen Forum, die keine Alternative als die pflichtgemäße moralische Handlung lässt, aus der Ethik als Maßstab übernimmt, ohne die Alternative Recht / Unrecht anders einzuführen als durch den Appell, diese Selbstbindung bewusstlos zu übernehmen oder eben nicht. 64  Vgl. Nietzsche, KGA VI, 1, S. 77; Montesquieu, l’esprit, liv. XI, ch. 6: „il faut se mettre dans l’esprit ce que c’est que l’indépendance et ce que c’est que la liber­ té. La liberté est le droit de faire tout ce que les lois spermettent.“ Ideengeschichtlich wird diese Freiheitskonzeption jenseits und vermittelnd zwischen der Dichotomie Berlins in einer republikanischen Interpretation basierend auf der Formulierung von Rechtspositionen formuliert: Sartori, theory, S. 307; Skinner, liberalism, S. 19– 21, und i. Ü. schon Hirzel, Ἄγρ. Νόμ., in: Abh. kgl. sächs. Ges. Wiss, philol.-hist. Cl., Bd. XX (1900), S. 1 (40). Diese Interpretation versteht sich gerade als Abkehr zu einer politischen Interpretation, wie sie bis Machiavelli vorherrschend war, vgl. den Dialog zwischen Montesquieu und Machiavelli bei Joly, dialogue, 1964.



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems119

moralischen Vermittlung durch Pflichten65, welche dann sekundär zur Begründung von Verantwortlichkeiten herangezogen werden können. Die Differenzierung zwischen einer realen positiven Handlungsfreiheit, die teilweise rechtlich vermittelt ist, und einer irrealen negativen Freiheit als rechtliche Konstruktion66, löst sich in dieser Weise durch die Erkenntnis auf, wonach auch die negative Freiheit real durch das Recht ist, und woraus sich die Zweiteilung der juristischen Subjektivität in aktiv und passiv67 ergibt. Erst im Anschluss an diese Zweiteilung ist die Vorstellung von einer Verantwortbarkeit zur Begründung eines normativen Programms möglich, das wiederum aufgrund seiner kohärenten Natur auch zur Begründung von Wahrheitsaussagen herangezogen werden kann.68 Aus diesen Erwägungen ergibt sich für die vorliegende Untersuchung zum einen die nicht unwesentliche Feststellung, dass die normative Ordnung rechtlich kritikfähig bleibt. Andererseits blendet eine einseitige liberale Grundlegung des Rechts in fragwürdiger Weise die Möglichkeit aus, Wahrheitswerte der sozialen Ordnung in den rechtlichen Kontext zu integrieren. Eine defensive rechtliche Position kann nur insofern relevant sein, als sie in den funktionalen Zusammenhang des Rechts einbezogen wird, eine Kritik nur, sofern sie in diesem funktionalen Zusammenhang sinnvoll ist. 4. Folgerungen: Prioritäten a) Abwertung sozialer Forderungen Diese Betrachtungsweise, die den grundlegenden funktionalen Wert der § 69‌ Idee der Freiheit für das Rechtssystem so stark betont, führt von selbst zu der hier besonders interessierenden Frage nach dem Ort der Gleichheit in seiner Beziehung zur Freiheit. Es gibt eine weit verbreitete Vorstellung, die dabei einen Vorrang der Freiheit mit der intuitiven Erwägung postuliert, 65  Savigny, System, Bd. I, S. 332 (§ 52); zur Verlagerung des genuin rechtlichen δίκαιον oder ius als juste partage zum νόμος bzw. zur lex in der theologisch-moralischen Interpretation des Rechts: Villey, formation, S. 127: „la loi morale n’est pas le droit“; ferner: Goyard-Fabre, LTP, vol. 49, n° 1, 1993, S. 105 (108 f.). 66  Krebs, in: Merten / Papier, Handbuch, Bd. II, § 31, Rz. 1–6. 67  W. Lang, in: ARSP 88 (2002), 519  ff. Den Zwiespalt zwischen negativem Recht und positivem Privileg sucht Hohfeld, 23 Yale L. J. 16, 32 (1913), durch eine komplemtentäre Pflicht zu vermitteln. Bobbio, l’età, S. 54 f., sieht als ursprüngliche Funktion des Rechts „comprimere non di liberare, di restringere non di allargare gli spazi di liberta.“ 68  Zugrunde liegend der Richtung des normativen Pragmatismus, Brandom, Die Zeit, 12.07.2001, S. 36: „Autorität existiert nur in ihrer ‒ impliziten oder expli­ ziten ‒ Anerkennung als Autorität durch diejenigen, die sich ihr gegenüber verant­ wortlich machen lassen, indem sie selbst (für sich) Verantwortung übernehmen.“

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

dass sich die Gleichheit der Rechtsunterworfenen auch in der gleichen Unfreiheit verwirkliche.69 Einer solchen Prioritätenbildung liegt allerdings ein wesentlicher Kategorienfehler bzw. eine einseitige Kategorienzuordnung zugrunde, sofern dabei der Gleichheit eine beschränkt logische Bedeutung als Relation unterstellt und dem substantiellen Wert der Freiheit untergeordnet wird.70 Durch die latente Parteinahme für die Geltung einer konservativ schematischen Gleichheit wird die Möglichkeit einer progressiv sozialen Wirkung präkludiert, obwohl gerade diese wirtschaftliche Gleichheit als Freiheitsbedingung seit den demokratischen Anfängen anerkannt wird71, um den ambivalenten Freiheitsformen gerecht zu werden, wie sie in Bezug auf die Gleichheitserfordernisse in der Unterscheidung bei Stein zwischen Unabhängigkeit und erfüllter Freiheit deutlich wird.72 Damit finden wir uns wieder bei den Grundlagen für die Herausbildung des modernen dogmatischen Grundrechtsdiskurses, der zwischen einem status passivus und einem status activus zu unterscheiden gelernt hat.73 b) Ökonomische Priorität von Zugriffsrechten § 70‌

Die Leistungsfähigkeit der dahinter stehenden epistemologischen Wendung, die den Begriff der Freiheit nicht offen lässt, sondern nach der Bedingung ihrer Möglichkeit fragt, um sie in der gesetzgebenden Zuordnung von Freiheit als autonomer Entfaltung zu finden, zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der bekannten und unentscheidbaren Diskussion um eine andere Prioritätenbildung, wie sie zwischen kommunitaristischen und libertarianistischen Autoren über die zeitliche oder wertungsmäßige Vorrangigkeit von Rechtspositionen gegenüber einer staatlichen Gestaltungskompetenz geführt wird.74 69  Dürig,

in: Maunz / ders., Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rz. 120 ff. inequality, S. 22; die Diskussion verlagert sich daher in die Semantik der Freiheit, indem die sozio-ökonomische Gleichheit mit der positiven Freiheit identifiziert wird, I.  Carter, libertà eguale, S. 207. 71  Euripides, Hiketides, 352–353: „Καὶ γάρ κατέστησ‘ αύτὸν ἐς μοναρχίαν  /  ἐλευθερώσας τήνδ‘ ἰσόψηφον πόλιν“ („Und ich habe [dem Volk] die Autonomie ge­ geben, indem ich die Gemeinschaft durch gleiche Teilhabe befreite“). 72  L. v. Stein, Geschichte, Bd. I, S. 124 f.; La Torre, ARSP 92 (2006), S. 164. 73  Dem frühen Kommentatoren des Grundgesetzes Dürig scheint diese Mehrdeutigkeit bewusst gewesen zu sein, wenn er die tatsächliche Gleichheit bzw. die Chancengleichheit funktional in der positiven Wirkung der Freiheitsrechte anerkennt und dadurch zu einer Arbeitsteilung zwischen Gleichheit und Freiheit findet, vgl. Dürig, in: Maunz / ders., Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1, Rz. 120. 74  Einerseits beispielhaft K. Kraus, in: Fackel, Nr. 71 (1901), S. 11: „dass jede directe Steuer thatsächlich eine Participation der Allgemeinheit an einem Wertzu­ wachs, der ihr zu danken ist, bedeutet“, und insbesondere Nagel / Murphy, myth, 2002, andererseits Nozick, anarchy, 1974. 70  Sen,



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems121

Für die Steuerrechtsordnung hätte eine einseitige Entscheidung in dieser Auseinandersetzung Konsequenzen, die über die allgemeine Frage hinausgeht, ob der staatliche Zugriff auf die Wirtschaft im Wege der Steuer legitim sei, indem etwa die libertarianistische Position in formaler Weise für ein grundrechtliches Verständnis die Akzeptabilität und Verfügbarkeit einer allein horizontalen Zuordnung von ökonomischen Positionen fordert und die Steuererhebung vor dem Hintergrund der Form der Selbstbeschränkung des wirtschaftenden Subjekts und der Selbstverpflichtung als Steuersubjekt bewertet.75 Im Kern geht es bei dieser Diskussion um die Frage, ob es vorstaatliche Zugriffsprioritäten gebe. Auf sie antworten zwei Geschichten, die Hobbesche von der absoluten Freiheit, die erst durch eine ursprüngliche Beteiligung des Staates am Eigentum gerechtfertigt wird. Die andere Geschichte stammt von John Locke, der für die hier interessierende Frage eine nachrangige Bestätigung überpositiver Rechte fordert.76 Die temporale Formulierung der Positionen entlarvt diese als unangemessene Lösungen für das eigentliche, verdeckte Problem einer notwendigen paradoxiebehafteten Koexistenz, so dass sie der Form nach damit ganz der ursprünglichen Frage Plutarchs nach dem Vorrang des Huhns oder des Eis77 entspricht, oder der mehr rechtlichen Frage bei der Einordnung des Vertrages als Rechtsquelle oder als Faktum.78 Eine angemessene Antwort auf die Ausgangsfrage wäre daher, dass das Eigentum einerseits diskret und absolut ist, anderseits und zugleich aber zugeteilt und damit vermittelt. In dieser synchronisierenden Perspektive erklärt sich auch letztlich der Subjektscharakter des Staates, der gleichzeitig mit dem Rechtsstatus des Individuums auftritt. Die Erkenntnis, dass dem Staat als notwendiges Pendent zum Rechtssubjekt selbst eine Freiheitssphäre zukomme, führt in der dogmatischen Reflexion zu der Wandlung von der gewaltorientierten Subjektionstheorie zur subjektorientierten Subjektstheorie bei der Bestimmung des ius publicum.79 Inwiefern diese Freiheit dann aber konkretisiert werden kann, spiegelt sich erst in der dogmatischen Behandlung des Gleichheitskriteriums wider. 75  Gallo, ragioni, S. 42: Steuer als „autolimitazione della persona titolare dei fondamentali diritti di proprietà e di libertà.“ 76  Für eine differenzierte Betrachtung der Lockeschen Eigentumslehre, insbesondere gegen deren liberalistische Vereinnahmung: Tully, approach, S. 118 ff. 77  Plutarch, moralia III / 2, S. 576 (lib. II qu. III). 78  Eine interessante Konstellation bilden insofern Savigny, System, Bd. I, S. 12 (§ 6), einerseits und der Rechtsrealist M. Cohen, 46 Harv. Law Rev 533 (1933), andererseits. Auf abstrakterer Ebene argumentieren die Vertreter einer naturalistischen These wie etwa Leoni, ARSP (1964), S. 45 ff., der die Rechtsordnung als spontane Produktion der marktgemäß Handelnden, während demgegenüber Irti, l’ordine, S. 39, umgekehrt die Wirtschaft als durch die Bedingungen des Rechts begründet sieht. 79  Zur Krise der Abgrenzungen und zur Maßgeblichkeit der verschiedenen Subjekte vgl. Jestaedt, in: Engel / Schön, proprium, S. 241 (245).

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

II. Rechtsfindung: Autonomie der Urteilskraft 1. Die Rechtsfindung als Voraussetzung einer Kritik § 71‌

Gemessen an der erklärten Zielsetzung, mögliche Kriterien für eine verfassungsrechtliche Kritik aus dem Funktionszusammenhang gesellschaft­ licher Entwicklung zu gewinnen, erscheint das Ergebnis der bisherigen Überlegungen in zweifacher Hinsicht als unbefriedigend. Zum einen ist in struktureller Hinsicht mit der Einführung des Freiheitsbegriffs zwar das Motiv der Rechtsbildung als dessen Geltungsgrund bezeichnet und damit die Möglichkeit einer gegenüber anderen sozialen Teilsystemen selbständigen Bewertung dargelegt. Um aber mögliche Dysfunktionalitäten der Steuerordnung als Anknüpfungspunkt einer kritischen Beurteilung identifizieren zu können, ist es erforderlich, auf dieser Grundlage auch die Wirkungsweise der entsprechenden Handlungsformen des Rechts zu bestimmen. Zum zweiten ist in inhaltlicher Hinsicht zwar in Abgrenzung zu einer nur moralisch argumentierenden Kritik die Möglichkeit einer ab­ ­ wehrenden Stellungnahme als negative Freiheit gegenüber den Unterschei­ dun­ gen, die als Rechtsbildung erkennbar werden, geklärt worden. Angesichts der Ambiguität des rechtlichen Freiheitsbegriffs, der stets auch auf eine gesetzliche Vermittlungsleistung angewiesen ist, bedarf es für die notwendige Emanzipation vom Recht als Gesetz aber noch näherer Ausführungen gegenüber der politischen Handlungsform. Diese orientiert sich an der Aktualisierung des Rechts in der Urteilsbildung als Entscheidungsgrund. 2. Rechtliches Urteil und wissenschaftliche Begründung a) Konsequenzen der Unterscheidung

§ 72‌

Bereits im Rahmen der Ausführungen, die sich mit der inneren Ausbildung des Rechtssystems befassten, wurde der Anspruch wissenschaftlicher Aussagen revidiert, als möglicher Geltungsgrund normativer Bestimmungen zu dienen. Eine entsprechende Konkurrenzsituation ergibt sich im Zusammenhang mit der Rechtsfindung, wenn es darum geht, inhaltliche Aussagen im Rahmen dieser nur formalen Kompetenzverteilung zu treffen. So trifft auch insoweit eine autonomisierende Betrachtung des Rechtssystems von wissenschaftlicher Seite auf Skepsis und provoziert eine alternative und relativierende Grundlegung, deren einheitlicher Charakter sich darin äußert, ihre Inhalte am Maßstab einer Folgenbewertung zu formulieren. Dies gilt sowohl für diejenigen Strömungen, die, wie namentlich die ökonomische Analyse, den Maßstab für die Richtigkeit ihrer Aussagen einer internen ra-



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems123

tionalistischen Konstruktion entnimmt80, wie auch für diejenige, die unter dem Etikett des Rechtsrealismus Rechtsgeltung auf der integrierenden Rekonstruktion externer Daten gründen will.81 Dass es innerhalb dieses methodologischen Widerstreits einer vermittelnden Zwischenlösung bedarf, belegt bereits die Position Jherings, der sich für eine differenzierte Folgenorientierung im Gegensatz zu einem schlichten Folgendiktat aussprach.82 Gegenüber dieser schlagwortartigen Problembenennung ergeben sich bei subtilerer Analyse zwei Lösungsmöglichkeiten. Entweder emanzipiert man die Rechtsfindung von ihren äußeren Bedingungen und begreift ausgehend von dem Zugeständnis an die notwendige Lücke im Urteil die juristische Handlung als eine Kombination aus Spontaneität und Nachbildung, als μιμήσις, demgegenüber die ökonomische Analyse den wissenschaftlichen Anspruch allein der ökonomischen Theorienbildung zugestehen will.83 Oder man geht im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise von einem Gleichlauf von Recht einerseits und folgenorientierter Effizienz andererseits aus, indem man das Recht als Kunst begreift, Ziele mit adäquaten Mitteln zu erreichen.84 Mit dieser Frage nach der Natur des Rechts, ob es sich bei ihm entweder um ein zweckrationales Mittel oder um ein mimetisches Verhalten handelt, begegnet man nicht nur der methodologischen Schlüsselfrage der Rechtswissenschaften, sondern ihrer epistemologischen Grundfrage. Von ihrer Beantwortung hängt auch der kritische Maßstab ab, an dem gesetz­ liche Regelungen zu prüfen sind. 80  Im Sinne der letzteren Sichtweise lässt sich Cohens Diktum vom transzendentalen Unsinn der Jurisprudenz anführen, der sich die Forderung nach einer Rationalisierung des Rechts anschließt: F.  Cohen, 35 Col. L. Rev. 809, 821 (1935). Wenn man darin übereinstimmt, dass die transzendentale Methode eine Antwort auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis geben will, so ist die Rede vom transzendentalen Unsinn freilich eine contradictio in adiecto. 81  Auf der anderen Seite herrscht Unverständnis gegenüber dem Geltungsgrund rechtlicher Bindungen von Seiten des Rechtsrealismus. Entsprechend der vorangehenden Ausformung als moralischer Realismus prägt sie eine Konfusion von präskriptiver und deskriptiver Regelhaftigkeit, vgl. etwa Piaget / Inhelder, psychologie, S. 119, wonach Verbindlichkeiten und Werte durch die Regeln an sich bestimmt seien. 82  Jhering, Zweck, Bd. I, S. 240: „Recht ist das System der durch Zwang gesi­ cherten sozialen Zwecke“ (Herv. Verf.). 83  In dieser Hinsicht kritisch McCloskey, 86 Mich. L. Rev. 752, 763 (1988), unter Hinweis auf den allgemein „rhetorischen Charakter“ der Sozialwissenschaften. Fraglich ist allerdings, ob hier eine Synthese möglich ist oder nicht vielmehr die Differenz ausgehalten werden sollte. 84  Frison-Roche, LPA, n° 99, 2005, S. 15 (16): „Dès lors, rien n’est plus fami­ lière au droit que l’idée comme quoi il faut trouver le moyen le plus efficace pour passer de la règle au résultat concret escompté“; Führ, in: Bizer u. a., Regulierung, S. 91 (95).

124

2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

b) Bildung und Begründung einer Regel aa) Begriffsgeschichtliche Ableitung § 73‌

In geistesgeschichtlicher Hinsicht liegt der darin angelegte Widerstreit als Motiv einer Vielzahl von Unterscheidungen zugrunde, die sich um die Abgrenzung der Vollziehung und Begründung einer Regel von der Bildung dieser Regel als Entscheidung bemühen. Er kommt bereits zum Ausdruck in der aristotelischen Unterscheidung zwischen σοφία und φρόνησις mit der Zuweisung eines regelgeleiteten Diskurses an die σοφία85, findet sich wieder bei Hume in den Erkenntnisformen von sentiment und reason86, und liegt schließlich bei Habermas der Differenz zwischen konsistentem Entscheiden und rationaler Akzeptabilität87 zugrunde. Ein entscheidender Qualitätswechsel erfolgt allerdings mit Kants bedeutender Scheidung des vernunftbezogenen moralischen Fundaments von der spontanen reflektierenden Urteilskraft.88 Denn in diesem Fall wird die insbesondere dem Begriff der φρόνησις und prudentia stets immanente Zweckorientierung eliminiert. Kant ging aber noch nicht so weit, das juristische Urteil von der Regelbildung des Verstandesapparates auszunehmen89 und der Urteilskraft anderes als eine subsumierende Leistung zuzutrauen.90 Diese Wende erfolgt erst mit Savignys Interpretation der reflektierenden Urteilskraft als Grundlage der juristischen Erkenntnisbildung91, die sich einer vernunftgeleiteten Regelbildung gerade 85  Hier besonders der Satz in: Nic. Eth. Z 1140b 29–30: „λήθη τῆς μὲν τοιαύτης ἕξεώς ἐστιν, φρονήσεως δὲ οὐκ ἔστιν“, und der daran anknüpfenden Möglichkeit einer antirationalistischen Kritik bei Heidegger, vgl. Gadamer, in: Pöggeler, S. 169 (171). 86  Hume, treatise, S. 455 ff. (book III, p. I, sec. I). 87  Habermas, Faktizität, S. 243. 88  Es mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, dass Kant in seiner vorkritischen Zeit noch eine ethische Abhandlung mit dem Titel „Kritik des mora­ lischen Geschmacks“ plante (vgl. Beck, commentary, S. 6, Fn. 9), das darauf bezogene Urteilsvermögen jedoch dann erst abgeschieden in der dritten Kritik behandelte. 89  Und damit quer zur naturrechtlichen Äußerlichkeit sein Modell der ethischen Innerlichkeit auf interpersonelle Verhältnisse auszuweiten, vgl. von der Pfordten, Kant-Studien, Jg. 98, Heft 4 (2007), S. 431 ff. 90  Nörr, in: Furmann u. a., Text, S. 395 (397); sehr kritisch daher: St. Brown, 71 Philos. Rev. 33, 43 (1961). Die praktische Urteilskraft ist für Kant nicht mehr als die Anwendung des Sittengesetzes auf eine äußere Handlung (Kant, AA V, 68, KpV § 121). 91  Meder, Urteilen, insbesondere S. 131  ff.; Weitin, RG, Bd. 6 (2005), S. 143 (158); obgleich schon eine deutliche Verbindung zwischen dem ästhetischen und dem moralischen Urteil in der Idee der Achtung deutlich wird, vgl. Kant, AA V, 257 ff. (KdU § 27), und dazu: Sokoloff, 45 Am. J. Pol. Sci. 768, 773 (2001).



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems125

entzieht,92 und mit dem selbstbezüglichen Charakter als Heautonomie93 identifiziert wird. In der Vorstellung vom Recht als zweckentfremdeter Praxis findet nicht zuletzt die allfällige Beobachtung, die der juristischen Tätigkeit eine besondere Kreativität zuschreibt94, seine Erklärung, und das Unbehagen gegenüber der Unzulänglichkeit einer begründenden juristischen Methodenlehre seinen Grund. Denn die Anleitung zur Regelbildung erfolgt nicht vertikal durch lineare Ableitung, sondern vielmehr in horizontaler Ausrichtung durch Akte der Nachahmung und der Nachfolge95, sei es von verfestigten wissenschaftlichen Aussagegehalten als Dogmen oder von gefestigten Urteilssprüchen als Präjudizien, wofür die Begriffe der Gerechtigkeit, der Billigkeit oder auch der guten Sitten allenfalls Ausdruck sind und Repräsentanten darstellen, ohne aber determinierend wirken zu können. Die Urteilskraft beruht ihrem Wesen nach auf einem mimetischen Verhalten96 und verweigert sich damit einseitig kausalen Erklärungsmöglichkeiten.97 92  Zur Kritik an einem Verständnis von Rechtsfindung als einfacher Syllogismus auch: Perelman, droit, S. 101 ff. 93  Zu diesem „Von-Selbst-Rätsel“ rechtlicher Erkenntnisweise bei Savigny: Rückert, JZ 2010, 1 (6). Die Heautonomie unterscheidet sich von der nur relativen Autonomie, die zwingend die Heteronomie des anderen bedingt, Kant, AA  V, 185 f. (KdU Einleitung V.): „Die Urtheilskraft hat also auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, aber nur in subjectiver Rücksicht in sich, wodurch sie, nicht der Natur (als Autonomie), sondern ihr selbst (als Heautonomie) für die Reflexion über jene, ein Gesetz vorschreibt […].“ Prägnanter formulierte es Schiller in seinem Brief an Körner vom 23. Februar 1793 (Werke, Bd. 2, S. 368): „Die Form muß im eigentlichsten Sinne zugleich selbstbestimmend und selbstbestimmt sein; nicht bloße Autonomie, sondern Heautonomie muß da sein.“ 94  Lathomas, in: Noesis, No 8, S. 5. Eine philologische Bestätigung findet diese Beobachtung in der Entwicklung der θέμις als kreatives Urteil, das dem Gesetz vorgängig ist: Hirzel, Themis, S. 162; Mathieu, in: RIFD, vol. 54 (1977), S. 18 (21). Darin liegt der Ursprung eines Topos, sc. die Analogie von richterlicher und literarischer Tätigkeit, etwa bei: Dworkin, empire, S. 52, 228 ff. Zum autopoietischen Charakter des Kunstwerks, das mit der Empirie kommuniziert, sich aber gleichzeitig entzieht: Adorno, Ästhetische Theorie, S. 15. 95  Kant, AA V, 309 (KdU § 47); Nörr, in: Fuhrmann u. a., Text, S. 395 (405). 96  Die Deutungsmöglichkeiten des mimesis-Begriffs sind vielfältig. Worauf es hier ankommt, ist das darin angelegte Verständnis für die Verbindung von rezeptiver Angleichung und aktiver Interpretation, wie sie bei Platon, Pol. 393c 3 zum Ausdruck kommt: „ούκοῦν τό γε ὁμοιοῦν ἑαυτὸν ἄλλῳ ἢ κατὰ φωνὴν ἢ κατὰ σχῆμα μιμεῖσθαί ἐστιν ἐκεῖνον ᾡ ἄν τις ὁμοιοῖ“ („Nun liegt doch darin, dass man sich ei­ nem anderen ähnlich macht nach Stimme oder Ausdruck, eben ein Nachahmen des­ sen, dem man sich ähnlich macht“, Herv. Verf.), und für die Valéry, œuvres, t. I, S. 1357, den Ausdruck der Analogie verwendet: „l’effet doit être de reconstituer chez quelqu’un un état analogue,  – je ne dis pas semblable (puisque nous n’en saurons jamais rien),  – mais analogue à l’état initial du producteur.“ 97  Benjamin, Schriften II / 1, S. 209. Zum Zusammenhang von das Recht begründen­ der Freiheit und Recht erkennender Intuition im zeitlichen Medium bereits oben Fn. 45.

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

Dabei wird deutlich, dass die propagierte Sonderstellung, die für die Auslegung der Steuergesetze mangels einer diskreten Zwecksetzung gelten solle98, sich geradezu als der Normalfall juristischer Auslegung erweist, die sich notwendigerweise nach den eigenen in der Norm angelegten Differenzierungen bestimmt. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist damit richtigerweise nicht nur ein Kriterium für die Auslegung der Steuernormen, sondern deren Verwirklichung als Analogie.99 bb) Skepsis gegenüber begrifflichen Ableitungen § 74‌

Vor diesem Hintergrund mag man mit Recht bezweifeln, ob die Berufung auf einen vernunftgeleiteten deduzierenden Diskurs tatsächlich geeignet ist, die Frage der Rechtsbildung ausreichend zu entscheiden.100 Diese Skepsis sieht sich in Übereinstimmung mit der neueren Tendenz der juristischen Epistemologie, die auch vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der AIForschung101 die Beschränktheit eines regelorientierten und subsumierenden Verständnisses von Recht erkennt und sich demgegenüber an die interne Konstruktion des Rechtswissens hält. Man findet sich damit in einem Diskussionsrahmen wieder, der die deutsche Jurisprudenz bereits vor zweihundert Jahren im Rahmen des Kodifikationsstreits entzweite102, und die ihre Auflösung in der grundlegenden Bedeutung der reflektierenden Urteilskraft für die Rechtserkenntnis findet. Dass sich dieser Widerstreit beharrlich in der juristischen Methodenlehre bis in die heutige Zeit fortsetzt, mag man an den Ausführungen etwa des BVerfG zu den Aufgaben der rechtsanwendenden richterlichen Urteilsbildung erkennen, wenn es ausspricht103, dass es auf der einen Seite die Aufgabe der Rechtsprechung erfordern könne, „Wertvor­ stellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch 98  Kruse, StuW 1990, 322 (323); Lehner, in: FS Tipke, S. 237 (239); Vogel, in: P.  Kirchhof / Isensee, Handbuch, Bd. IV2, § 87, Rz. 73. 99  Für ein Analogieverbot aber u. a. Flume, StbJb  1964 / 65, S. 55 (69); Kruse, Lehrbuch, Bd. I, S. 60 ff. 100  Dem liegt auch die bekannte Wendung Holmes zugrunde, wonach das Recht sich auf die zu erwartenden Entscheidungen der Gerichte beschränke, vgl. 10 Harv. L. Rev. 457, 461 (1897), und ganz in diesem Sinne auch Schmitt, Gesetz, S. 71. 101  Vgl. Bourcier, décision, S. 205–208; Samuel, epistemology, S. 13. 102  Zur Kritik an einem streng regelorientierten Rechtsbegriff vgl. insbesondere Savigny, Vorlesungen, S. 197. Das common law der neueren Zeit (anders das klassische common law, vgl. Postema, 2 Oxford U. Commonw. L. J. 155, 166 (2002)) hat sich die Vorgängigkeit des bestimmenden Urteils stets als Verdienst angerechnet: vgl. Holmes, 5 Am. L. Rev. 1 (1870). 103  BVerfG  v.  14.  Februar 1973  –  1  BvR  112 / 65  –, BVerfGE 34, 269 (287).



3. Kap.: Die systematische Situation des Rechtssystems127

willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidun­ gen zu realisieren“, diese Entscheidung allerdings „nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstel­ lungen der Gemeinschaft“104 zu begründen sei. Folgt man dieser Auffassung, und belässt man es nicht bei der bloßen Begründungsfähigkeit des Urteils, so lässt man der Möglichkeit Raum, Wertungen durch unterschiedlichste Erwägungen des politischen Feldes zu bestimmen. Es spricht demgegenüber viel dafür, den Regelungsinhalt des Gleichheitssatzes auf die Bindungswirkung allein des Rechts und unter Ausschluss vernunftgeleiteter Entscheidungsbegründungen festzulegen. 3. Der Zweck im rechtlichen Urteil und in der politischen Entscheidung Wird die reflektierende Urteilskraft als die spezifische juristische Hand- § 75‌ lungsform identifiziert, so liegt darin auch zugleich eine Stellungnahme gegenüber dem Charakter der politischen Entscheidung begründet. Denn während diese von einem gesetzten Zweck abstrahiert und sich an einer fremdbestimmten bloßen Zweckmäßigkeit orientiert, realisiert die Rechtsfindung vorgegebene Zwecke.105 Bereits bei Aristoteles ist diese Ambiguität erkennbar in der Trennung einer zwecksetzenden ποιήσις von einer allein zweckmäßigen πράξις106, und kann im verfassungsrechtlichen Kontext adaptiert werden durch eine Differenzierung zwischen externen und internen Zielsetzungen.107 Aus dieser Kategorisierung folgt ein kritischer Grund für eine Abgrenzung des rechtlichen Urteils gegenüber der politischen Entscheidung, und damit ein Ausgangspunkt für die kritische Beurteilung verfassungsrechtlicher Kompetenzen, oder konkreter formuliert zwischen recht­ licher Verbindlichkeit und politischer Begründbarkeit als Motive eines Zweckdiskurses, der sich entweder über dogmatische Beschreibungen oder politische Vorgaben in das Recht einschreibt. Politik ist nach allem wesentlich fremdbestimmtes, motiviertes Urteilen, Recht ein autonomer, genuin interner Abgleich der selbstgesetzten Differenzierungen, der sich im verfas104  BVerfG  v.

16.  Juni 1959  –  1  BvR  71 / 57  –, BVerfGE 9, 338 (349). AA V, 226 (KdU § 15); Peter, Urteilskraft, S. 121: „Die Reflexion in Hinblick auf eine Zweckmäßigkeit weist sich als autonom gegenüber Vernunftkom­ ponenten (Wille, Absicht, Begriff eines Zwecks) aus.“ 106  Aristoteles, Eth. Nic. Z 1140b 6–7: „τῆς μὲν γὰρ ποιήσεως ἕτερον τὸ τέλος, τῆς δὲ πράξεως οὐκ ἂν εἴη“ („Das Machen hat einen Zweck außerhalb seiner selbst, das Handeln in sich selbst“) und setzt damit die praktische φρόνησις der rezipierenden wahrheitsverpflichteten ἐπιστήμη einerseits und der bewirkenden zweckgerichteten τέχνη andererseits gegenüber. 107  So etwa unter ausdrücklichem Verweis auf Aristoteles: Huster, Rechte, S. 147. 105  Kant,

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

sungsrechtlichen Kontext in einem Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung der Rechtsordnung widerspiegelt.

D. Zusammenfassung § 76‌

Der Anspruch des letzten Abschnitts war es, eine kritische Analyse des Rechtssystems am Maßstab seiner funktionalen Einbindung in den sozialen Gesamtzusammenhang zu leisten. Der Grund für diese Analyse war die These, dass das Rechtssystem die erforderlichen Komponenten für eine kritische Würdigung einer bestimmten gesetzgeberischen Normenordnung, nämlich einerseits Autonomie und Legitimität gewährleistet. Die Ergebnisse können dabei folgendermaßen zusammengefasst werde: Das Recht emanzipiert sich als spontane soziale Teilordnung sowohl hinsichtlich seiner Motivation, einen Geltungsgrund für die Rechtsbildung zu vermitteln, wie als auch hinsichtlich seiner Fortbildung, die als Grund der Rechtsfindung fungieren, von äußeren Gestaltungseinflüssen. In negativer Hinsicht ist das Recht auf diesen beiden funktionalen Ebenen weder auf wissenschaftliche noch auf ethische oder politische Geltungsgründe oder Handlungsformen reduzierbar. In positiver Hinsicht liegt der selbständige Geltungsgrund des Rechts in der Aktualisierung selbstbestimmter Handlungskompetenzen, seine Handlungsform besteht in der autonomen zwecksetzenden Entscheidung.

4. Kapitel

Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung A. Bedeutung der funktionalen Betrachtungsweise Angesichts des Bewertungsmaßstabs, den das Verfassungsrecht einer kri- § 77‌ tischen Bewertung gesetzgeberischen Handelns vermitteln soll, stellt sich die Frage, wie diese doppelt zirkuläre Situation des Rechtssystems, die objektbezogene Zuordnung von Rechtspositionen und die handlungsbezogene Urteilsfindung innerhalb dieser Differenzierungen, in das politische System der regellosen Entscheidungsfindung integriert werden kann. Denn nur in diesem Fall bieten sich ein allgemeiner Grund und konkrete Anknüpfungspunkte für eine kritische Würdigung. Als Lösung soll im Folgenden stufenweise die These entwickelt werden, dass in der demokratischen Politikform der politische Entscheidungsprozess jene spezifisch juristische Ausgestaltung erfahren hat, wie sie im vorausgehenden Abschnitt als innere spontane Ordnung dargestellt wurde. Stellt die Demokratie zwar insofern die adäquate Gestalt des Rechtsstaats dar, so setzt eine Kritikfähigkeit der durch den Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen Legitimationsdefizite in inhaltlicher Hinsicht voraus, die eine Teilbarkeit seiner Souveränität begründen. Die Funktion der Grundrechte besteht und erschöpft sich in der Stabilisierung dieses Prozesses. Während dabei im Einzelnen die Freiheitsrechte die Transparenz in der Rechtsfindung garantieren, gilt die Gleichheit den Ansprüchen der Adäquanz, Kohärenz, Kohäsion und Rationalität an die Rechtsbildung. Zusammenfassend bestimmt sich somit der einer verfassungsrechtlichen Kritik zugrunde liegende funktionale Gehalt der Grundrechte nach den Anforderungen an eine legitimierte Staatsorganisation.

B. Ambivalenz des Rechtsstaats I. Verfassung als Legitimationsgrund Die Frage nach der funktionalen Lage der Verfassung im Wechselspiel § 78‌ der sozialen Einflussgrößen stellt sich vor diesem Hintergrund aus zwei Gründen: Zum einen in wissenschaftlicher Hinsicht, um angesichts der komplexen gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der betroffenen Teilberei-

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

che von Politik und Recht am Maßstab ihrer Funktionalität Bedeutungsmög­ lichkeiten für einen verfassungsrechtlichen Maßstab abzuleiten. Zum zweiten und darauf aufbauend in juristischer Hinsicht, um aus der Stellung der Verfassung Geltungsmöglichkeiten für eine verfassungsrechtliche Kritik abzuleiten, die also ein zu lösendes Konfliktpotential begründen. Konzentriert man sich zunächst auf den ersten Aspekt, so entspricht der funktionale Gehalt der Institution Verfassung seiner systematischen Ambivalenz: Auf der einen Seite bindet die Verfassung politisches Handeln in stabilisierender Absicht durch ordnende Verfahrensprogramme sowie durch Kompetenztitel, die den Akteuren Gestaltungsmöglichkeiten vermitteln, in die rechtliche Kommunikation ein.1 Dies ist nach dem hier zugrunde gelegten Rechtsbegriff als kompetenzvermittelnde Ordnung auch folgerichtig,2 während gängige andere Rechtsbegriffe wie insbesondere der imperative für das Verfassungsrecht neu zu definieren wären.3 Die rechtliche Einräumung einer Gestaltungskompetenz öffnet auf der anderen Seite aber auch den Raum für normative Festlegungen durch politisch motivierte und vermittelte Unterscheidungen.4 Auf begrifflicher Ebene kommt diese Vermittlungsfunktion in der Charakterisierung des Verfassungsrechts als wesentlich politisches Recht zum Ausdruck.5 Die Verfassung vermittelt in dieser Hinsicht zwischen den als geschlossen konstruierten Sphären von Politik und Recht.6 Daraus folgt 1  Hirzel, Themis, S. 245 f.: „Daher sind die Keime aller Verfassungen Verthei­ lungen (διανομαὶ), mit denen alles Staatsleben bei den Menschen und Göttern be­ gann“; zum ambivalenten Charakter: Cohn, Dialektik, S. 56: „Macht will Dauer, will also die Zukunft bestimmen und bedarf dazu der Ordnung. Jede Ordnung aber er­ kennt in ihrer Regel etwas an, was der Willkür der Gewalt übergeordnet ist.“ 2  Zur Beschränkung und Ermöglichung der Freiheit im Übergang von der griechischen ἐλευθερία zur römischen libertas (vgl. näher: Wirszubski, libertas, S. 13) und dessen späteren konkurrierenden Ausprägungen als gesetzgeberischen Legalismus und der rechtsfindenden rule of law: Sartori, theory, S. 307 f. 3  Wie z. B. Laughlin, idea, S. 43: „The image of law as command must, in this context, be jettisoned: law now presents itself as a species of ‚political right‘.“ 4  Zu dieser Doppelung vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 41, 125; v. Simson, in: FS Loewenstein, S. 459 (464): Perpetuuierung fundamentaler Abwägungen. 5  Triepel, VVDStRL 5 (1929), S. 2 (8). In dieser strengen Alternativität ist der Begriff freilich etwas verkürzend, während angemessener die Unterscheidung erscheint, die in bereits vermittelter Form die alternative Betrachtunsweise ausdrückt in dem Gegensatz von juridifiziertem Verfassungsrecht einerseits und einer politisierten Realverfassung andererseits, so: Leibholz, in: FS Loewenstein, S. 305. Zu den Verwerfungen für den Bereich der repräsentativen Demokratie: Köchler, in: Harpes / Sosoe, Demokratie im Focus, S. 48 ff. 6  Luhmann, Gesellschaft, S. 782; ausführlicher ders., Recht, S. 470  ff., sowie ders., RJ 9 (1990), S. 176 ff.; MacCormick, 82 Corn. L. Rev. 1051, 1060 (1997); über die vielfältigen Vorformen dieser Bindungen des Politischen als legitimierend: Höffe, Poltische Gerechtigkeit, passim. In den ersten Arbeiten Luhmanns erscheint das Recht als der Politik untergeordnet, vgl. Guibentif, in: Arnaud, Luhmann, S. 13



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung131

für die rechtliche Betrachtung ein formeller Geltungsgrund und damit eine Bindungswirkung für politisch induzierte Entscheidungen. Denn beide Sphären binden sich durch die Verfassung jeweils selbst als Rechtsstaat7: Auf politischer Seite wird im Rechtsstaat die Macht im Sinne einer Entscheidungskompetenz zur Autorität8 institutionalisiert.9 Auf rechtlicher Seite wird die zirkuläre Form einer rechtlichen Generierung von Recht durch die politische Motivation bedeutungsvoll und gilt in diesem Sinne das derart produzierte Recht als gerechtfertigt.10 Insofern bietet die systematische Funktion der Verfassung die Möglichkeit eines Legitimationsaustausches. II. Formalität des Rechtsstaates Allerdings begründet die Funktion des Legitimationsaustausches zunächst § 79‌ kein Konfliktpotential und kein Kritikpotential. Denn solange man sich auf diese Art der Juridifizierung des politischen Entscheidungsprozesses mittels des äußeren Systemcharakters des Rechts in der Gestalt des Rechtsstaates (37). Eine entsprechende Phänomenologie mit sieben Kernthemen formuliert Raz, in: Alexander, constitutionalism, S. 152 (153). 7  Kelsen, Rechtslehre, S. 314; Vincesini, droits de l’homme, S. 12. Man trifft hier auf das konstante Hauptproblem der Staatsrechtswissenschaften, den Staat gleichzeitig als Rechtssubjekt und als rechtserzeugendes Subjekt zu verstehen. Die Paradoxie, dass dabei die Regelbildung die gesetzte Regel voraussetzt, verbindet sie mit dem Akt der Rechtsausübung im Allgemeinen (vgl. oben § 73) und der Bildung des Gleichheiturteils im Besonderen (vgl. unten § 127). Und so wie dort ein Analogon in der Kunst bereitsteht, so hier das Analogon der Theologie, vgl. v. Neumann, Der Staat 47 (2008), S. 163 ff. In jedem Fall kann die erforderliche Lösung nur in einer mehrwerigen Logik gefunden werden. 8  Diderot, in: encyclopédie, tome I, S. 898 („autorité“): „L’autorité est commu­ niquée par les lois; le pouvoir par ceux qui en sont dépositaires; la puissance par le consentement des hommes ou la force des armes.“ 9  Zum Verhältnis von Rechtstaat und rule of law: MacCormick, JZ 1984, 65. Damit ist auch das Dilemma der positivistischen deutschen Staatsrechtswissenschaft bezeichnet, die vermeintlich vorgängige politische Staatsgewalt und den Staat als Rechtssubjekt nicht zusammendenken zu können, sofern dessen (Selbst-)Bindung nur als ethisch, nicht aber als rechtlich verstanden werden könne, so Laband, AöR, Bd. 20 (1906), S. 303 (304). Dem liegt jedoch das Vorurteil einer spezifisch ethischen Qualifikation der reflexiven Selbstbindung in der Nachfolge von Kant zugrunde, und auch Jellinek, der den Konflikt durch seine Selbstverpflichtungslehre zu lösen suchte, sah sich folgerichtig veranlasst, mit dem Begriff der Pflicht nach einem tertium zwischen Recht und Ethik zu suchen, um seine Ableitung zu rechtfertigen, vgl. ders., Staatslehre, S. 480 f. 10  Kelsen, Rechtslehre, S. 73: „Denn es ist eine höchst bedeutsame Eigentüm­ lichkeit des Rechts, dass es seine eigene Erzeugung und Anwendung regelt“; zur Kompetenz als wesentlichem Bestandteil rationaler Legitimation: M. Weber, Wirtschaft, S. 125.

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

beschränkt, ist damit eine inhaltliche Festlegung der Ordnungsstrukturen noch nicht verbunden. Das gilt weder für ein Verteilungsprinzip, das dem Einzelnen in Form von Grundrechten Kompetenzen zuteilt, noch für ein Organisationsprinzip im Sinne einer Gewaltenteilung. Solche inhaltlichen Bestimmungen sind allenfalls aus externen Quellen über eine moralische oder ökonomische Vermittlung im Sinne eines bürgerlichen Freiheitsideals erreichbar.11 Für sie mögen diese äußeren Gründe sprechen, eine innere Notwendigkeit bedingt sie nicht. Denn vermittelte allein die rechtsstaatliche Legitimation auch eine inhaltliche Geltung, bestünde weder ein Kontrollbedarf, noch eine Kontrollkompetenz. Der Gesetzgeber wäre vielmehr in der Ausgestaltung des Rechtssystems im Allgemeinen wie des Steuersystems im Besonderen völlig ungebunden. Damit lässt sich die zentrale Frage formulieren, ob und inwieweit dem Kontrollauftrag einer gleichmäßigen Besteuerung im Rahmen der differenzierten Kompetenzordnung des Rechtsstaates ein sinnvoller Gehalt zukommen kann. Dazu bedürfte es eines materiellen Rechtes, durch das die vorrangige Differenzierungshoheit der Politik sinnvoll beschränkt werden kann.

C. Demokratische Differenzierungshoheit I. Kritikfähigkeit rechtsstaatlicher Gesetzgebung 1. Souveränität als Ausdruck legitimierter Entscheidungskompetenz § 80‌

Die Grundlage für eine solche materielle Ergänzung des lediglich formalen Rahmens, in dem der Rechtsstaat Autorität einfordert, bildet das Element der Souveränität im Sinne einer legitimierten Entscheidungsbefugnis.12 Mit der rechtsstaatlichen Autorität verbindet die Souveränität zwar die Aufgabe, die konfliktlösende Funktion der Politik zu gewährleisten. Anders als jene beschränkt sie sich aber nicht nur auf die Form einer streng juristischen Kompetenzabgrenzung, sondern schafft darüber hinausgehend auch die Möglichkeiten für eine inhaltliche Geltung, indem die normativen Festsetzungen auch als gerechtfertigt gelten. Angesichts dieser Einbindung der Legitimationsgründe in den politischen Funktionszusammenhang ergibt sich als richtiger Ausgangspunkt für deren nähere Bestimmung das angesprochedie entsprechende Ableitung bei Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. in: Bobbio u. a., dizionario, S. 909; J.-L. Cohen, in: Raison pu­ blique, n° 5, octobre 2006, S. 31 (32): „C’est dire que la souveraineté ne se réduit pas à un pouvoir, contrôle ou force de facto, mais est également un concept juri­ dique qui implique la capacité à délivrer des ordres légitimes qui font autorité (loi). La souveraineté est donc toujours une question de relation entre la loi et le pouvoir“ (Herv. Verf.). 11  So

12  Matteucci,



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung133

ne offene Feld der politischen Diskussion in seiner vermittelnden Funktion für die gesellschaftliche Ausdifferenzierung.13 Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass die politische Entscheidungsfindung, die in rechtlicher Form auf die Zuordnung von anspruchsbegründenden Positionen ausgelegt ist, außerhalb dieser Vermittlung zunächst auf bereits begründete, sei es ökonomische, sei es traditionsbedingte sonstige Positionierungen angewiesen ist. Die dadurch für die politische Ordnungsfähigkeit vorausgesetzte regulative Idee wird in den formelhaften Gerechtigkeitsbegriffen repräsentiert, wie sie sich ideengeschichtlich herausgebildet haben. Die Entwicklungslinie wird hierbei im Wesentlichen durch zwei Alternativen bestimmt, die entweder eine theoretische Zustandsbeschreibung oder praktische Erkenntnis- oder Handlungsweisen zum Inhalt haben.14 Dieser Alternativität von theoretischer und praktischer Fassung entspricht eine Alternativität der Entscheidungsbildung, ob dieser also eine Verweisung auf eine vorgegebene Struktur zugrunde liegt (φύσις) oder eine reflexive Bestimmung (νόμος). Nur die Letztere wird sich als sinnvoller Legitimationsgrund und damit als Maßstab kritischer Beurteilung erweisen. 2. Heteronome Ableitung des Entscheidungsprozesses a) Politische Rezeption sozialer Differenzierungen Den spezifisch politischen Charakter dieser ersten Gerechtigkeitsform, die § 81‌ sich auf eine Kompetenzordnung im Wege der Erkenntnis stützt, prägt nicht nur die Herkunft einer regelbedürftigen Entscheidungssituation, sondern auch die Form einer Wechselwirkung mit übernommenen, d. h. nicht autonom gesetzten Differenzierungen. Der gedanklich wie auch ideengeschichtlich ursprüngliche Gehalt von Gerechtigkeit im Sinne einer legitimationsvermittelnden Entscheidungsregel liegt in der Regelbildung im Wege der passiven Erkenntnis, indem eine in der natürlichen oder sozialen Umwelt vorgegebene Situation vorgestellt wird, die nicht gestalterisch zu formen, sondern lediglich nachvollziehend zu realisieren ist. Normative Ordnungen sind in diesem Sinne abhängig von einer vorgegebenen Konfiguration. Das betrifft sowohl in persönlicher Hinsicht die Auswahl der Entscheidungsträger, als auch in sachlicher Hinsicht die Bestimmung der geltungsfähigen normativen Inhalte. Verfolgt man diese Situierung weiter, so zeigt sich realebenso wie geistesgeschichtlich eine Abfolge von analogisierenden Über13  Vgl.

oben § 43. zu Anfang in der Stoa bei Chrysipp als „ἐπιστήμη ἀπονεμητικὴ τῆς ἀξίας ἑκάστῳ“ (nach Arnim, in: fragmenta, vol. III, S. 63, Herv. Verf.), und am Ende der antiken politischen Tradition in der Begriffsbeschreibung bei Ulpian zu Beginn der Digesten als „voluntas ius suum cuique triubuendi“ (D. 1, 1, 10, Herv. Verf.). 14  So

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

nahmen fremder Ordnungssysteme, seien sie kosmologischer, sozial-anthropologischer oder religiös-soteriologischer (heilsgeschichtlicher) Natur15, die einerseits personell soziale oder religiöse Autoritäten übernehmen16, wie auch inhaltlich im Wege der Offenbarung sich in rechtlichen Positionen konservieren.17 In dieser Lage verweist die Autorität des Rechtsstaates auf exogene Autoritätsquellen, die ungefiltert übernommen werden. Damit ist aber zum einen die Stabilität der normativen Ordnung, insbesondere durch sich wandelnde soziale, aber auch etwa durch moralische Vorstellungen, bedroht und damit zusammenhängend ihre Legitimationsfähigkeit. b) Naturrechtliche Adaption idealer Maßstäbe § 82‌

Dem grundlegenden politischen Charakter einer fremdbestimmten Ableitung von Legitimitätsgründen bleiben auch diejenigen ideengeschichtlichen Versuche verhaftet, die im Wege der idealistischen Konstruktion eine verfassungsrechtliche Kompetenzordnung schaffen wollen. Dies gilt gleichermaßen für realistische Vorstellungen, die eine vorgestellte kosmische Ordnung wie etwa in einem platonischen Idealstaat repräsentieren wollen, wie auch für nominalistische Gründungsgeschichten aus der Logik eines Naturzustandes, aus dem die normativen Inhalte nur noch abzuleiten sind. Sowohl prozedural im Hinblick auf die Entscheidungsträger durch die Identifizierung eines wahrhaften Feindes, aber auch inhaltlich etwa durch die Bestimmung unverfügbarer Naturrechte ist ihnen eine Orientierung auf den νόμος als κόσμος gemein. Die Umgestaltung der sozialen und hierbei insbesondere auch der wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Vorstellung einer hierarchisch geordneten universitas zur Ausbildung einer differenzierten, partikularisierten societas18 entsprach auch ein Wechsel in der inhaltlichen Vorstellung des Naturzustandes. Die arithmetische Gleichgewichtung der Interessen im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages in der Traditionslinie 15  Zu dieser Einteilung der Rechtskulturen Voegelin, in: ders., works, Vol. XXVII, S.  77 f. 16  Im Sinne einer hierarchischen Gesellschaft, wie sie nach Dumont, homo aequalis, S. 12, geprägt ist von einer „conformité de chaque élément à son rôle dans l’ensemble“; zur trägen sozialen Bedingtheit der Gleichheitsidee insbesondere in der römischen res publica: Bleicken, Freiheit, S. 27. In der mittelalterlichen Gesellschaft kommt es dabei zu schwierigen Abgrenzungen in der Konkurrenz zwischen königlichem und göttlichem Willen als absolute Rechtsquelle, vgl. Bonnet, Les études philosophiques, 2003 / 3-1, n° 66, S. 315 (317). 17  Tugendhat, in: Wilaschek, Moralbegründung, S. 3 (6); so deutlich insbesondere bei Platon, Politeia 331e: „Ὅτι, ᾖ δ᾿ὅς, τὸ τὰ ὀφειλόμενα ἑκάστῳ ἀποδιδόναι δίκαιὸν ἐστι.“ („Dass, so sagte er, jedem das geleistet wird, was ihm geschuldet ist: Das ist das Gerechte.“) 18  Zu diesen Gesellschaftstypen Oakeshott, human conduct, S. 199 ff.



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung135

Hobbes-Rawls-Buchanan ist ihrem Wesen nach eine naturrechtliche Vorstellung, die bei Ersterem prozedural, bei den späteren auch inhaltlich legitimierte Normgehalte zu vermitteln vorgibt. Insofern kann auch eher von einer komparativen als von einer transzendentalen Gerechtigkeitstheorie gesprochen werden.19 Diese Einordnung macht aber auch das entscheidende Problem deutlich: sie stützen sich auf die Menge der Individuen selbst als eine vorrechtliche und vorpolitische Konfiguration20, um eine Legitimationsgrundlage zu konstruieren, die keine primäre rechtliche Kategorie ist. Daraus folgt aber notwendigerweise die kritische Frage nach dem Anspruch auf bzw. die Kompetenz zur Berücksichtigung des Einzelnen bei der politischen Willensbildung. Solche Kompetenzen können aber nicht von außen abgeleitet werden, sondern nur innerhalb des Rechts ausgebildet werden. 3. Autonomisierung des Entscheidungsprozesses a) Verrechtlichung des politischen Entscheidungsprozesses Schafft demgegenüber der funktionale Gehalt der Verfassung zwar in § 83‌ formeller Hinsicht eine Legitimationsgrundlage für demokratisch strukturierte politische Entscheidungen als solche, so trifft das nicht auch zugleich für deren Inhalte zu. Weder der integrierende Bedeutungsgehalt einer symbolischen Institution als Autorität noch die Bindungskraft der spezifisch rechtlichen Kohärenz als Souveränität sind in der kompetentiellen Form der Geltungshoheit angelegt. Diese Situation bildet den Grund, aber auch die Möglichkeit für eine normative Kritik, sofern der zugrunde gelegte Maßstab mit der inneren Legalität als Autonomie, d. h. als Koinzidenz von Normgeber und -adressaten21, nicht realisiert wird. Es war gerade dieser materielle Defekt des Zwiespaltes, der in autokratischen Staatsformen etwa durch das Institut der sog. „Mysterien des Staates“22 dissimuliert wurde, und den der Gedanke der Souveränität zu lösen versuchte.23 Denn der offene und passidieser Einordnung: Sen, justice, S. 96. principes, S. 65. 21  Als definierendes Charakteristikum der Demokratie, so Schmitt, Verfassungslehre, S. 234: „Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungs­ form) ist Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden.“ 22  Kantorowicz, 48 Harv. Theol. Rev. 65 (1955). Dass Bodin staatliche Souveränität bevorzugt monarchischen Staatsformen zuschreiben will, erklärt sich dementsprechend nach Hinsley, sovereignty, S. 125, nicht aus seiner Argumentation, sondern aus seiner Motivation. 23  So Hinsley, sovereignty, S. 125, über Bodins Beitrag zum Problem der Trennung von Gesetzgeber und Adressaten: „He did this by founding both the legality of this power and the wisdom of observing the limitations which hedged its proper use 19  Zu

20  Goyard-Fabre,

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

ve Verweis auf eine externe Konfiguration als Legitimationsgrundlage verliert sich notwendigerweise in einem infiniten Regress und entbehrt daher der notwendigen Stabilität. Die bereits genannte Alternative, wie sie in der genannten voluntativen Fassung des Gerechtigkeitsbegriffes zum Ausdruck kommt, realisiert sich demgegenüber dadurch, dass der konstitutionelle Legitimationstausch nicht nur auf die äußere Systemform des Rechts beschränkt wird, sondern dass darüber hinaus auch die rechtliche Form der Urteilsbildung als selbstbestimmter Setzungsprozess übernommen wird. Nachvollziehbar wird diese Entwicklung durch die Begriffsgeschichte aus der Zeit der Entstehung demokratischer Politikformen. Zum einen wurde das Auftreten des Gesetzesbegriffs selbst im politischen Bewusstsein durch die Differenzierung zwischen einem νόμος ἄγραφος und einem νόμος ἔγγραφος begleitet.24 Wie es die Mehrdeutigkeit dieser Begriffe impliziert, die sowohl einen Akt wie auch ein Resultat bezeichnen, erfolgte der darin liegende Übergang nicht so sehr durch eine Konkretisierung des Norminhaltes, als vielmehr in prozeduraler Weise über eine Öffnung der zuteilenden Entscheidungsmechanismen. Soweit damit die Entscheidungsträger in der Form einer Kompetenzordnung betroffen waren, tritt ein zweites Begriffspaar in Erscheinung, nämlich die Ablösung vom Gedanken des ὅμοιος durch den des ἴσος bzw. daran anknüpfend durch die Institution der ἰσονομία. Während Erstere im Sinne einer Korrespondenz der Entscheidungsmöglichkeiten mit vorgegebenen, konservativen Bestimmungen eine konkrete Vergleichbarkeit der sozialen Situation der Entscheidungsadressaten25 erforderte, betrifft die Letztere die spontane Gleichstellung nach einem abstrakten Gesetz durch die Egalisierung der Entscheidungsträger.26 Während so zunächst die genuupon the nature of the body politic as a political society comprising both ruler and ruled – and his statement of sovereignty was the necessary, only possible, result.“ 24  Jüngst zu der Begriffsgeschichte: Hölkeskamp, in: ZPE, Bd.  132 (2000), S. 73–96. 25  Auch wenn diese bald meritokratisch hinterfragt wurde, vgl. z. B. Euripides, Androm. 699 f.: „σεμνοὶ δ’έν ἀρχαῖς ἥμενοι κατὰ πτόλιν  /  φρονοῦσι δήμου μεῖζον, ὄντες οὐδένες“ („Sie sitzen der Stadt vor und denken Größeres als das Volk, und sind doch nichts“). 26  Boersema, mens mensura, S. 88 f.; Hirzel, Themis, S. 251 f.: „Ὅμοιοι konnten immer nur Wenige sein, ἴσοι konnten Alle werden“ (Herv. Verf.). Danach lassen sich der ἰσονομία zwei Aspekte zuweisen: zum einen die evolutive politische Gleichstellung, wie sie unter diesem Namen bei Herodot, historiarum libri, III, 142, 3 (S. 286), erzählt wird, wenn Maiandrios feierlich die politische Gewalt auf alle Bürger verteilt; vgl. weiter Vernant, origines, S. 52 ff.; Lengauer, in: FS Wirt, S. 53 (73 f.); zum anderen inhaltlich als ursprünglicher Begriff für autonome und spontane Regelbildung als Volksherrschaft, vgl. Vlastos, 74 Am. J. Philology 337 (1953). Bei Platon, Nomoi  V  757b / c, kommt diese Unterscheidung als eine solche zwischen proportionaler Gleichheit und der Gleichheit in der Zugangsmöglichkeit zum Ausdruck in der Darstellung der Institution des täglich durch Los gewählten ἐπιστάτης unter Perikles,



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung137

in rechtliche Zuteilung extern durch eine freie politische Entscheidung vermittelt wurde, besteht nun ein solches Recht selbst in zirkulärer Weise, wodurch sich das Recht in selbstreferentieller Form abschließt.27 Man kann insofern mit einiger Berechtigung von einer prozeduralen Juridifizierung der Politik sprechen, die eine offene Willensbildung ermöglicht.28 b) Kritikfähigkeit demokratischer Gesetzgebung aa) Unteilbarkeit der Souveränität Sofern in der Demokratie die formal verfasste rechtliche Kompetenz, § 84‌ Differenzierungen in der politisch offenen Weise mit Bindungskraft zu versehen, durch das materielle Element der Autonomie als Souveränität komplementiert wird, folgt daraus zunächst ein Mangel an Kritikfähigkeit einer darauf gegründeten normativen Ordnung. Denn ein anderer Geltungsgrund als die selbstbestimmte Kompetenzverteilung lässt sich nicht sinnvoll bevgl. Rhodes, boule, S. 25  ff. Euripides, Hiketides, 406–408: „δῆμος δ’ἀνάσσει διαδοχαῖσιν ἐν μέρει  /  ἐνιαυσίαισιν, οὐχὶ τῷ πλούτῳ διδοὺς  /  τὸ πλεῖστον, ἀλλὰ χὡ πένης ἐχων ἰσον.“ („Das Volk herrscht, in jährlichem Ablauf nach Teilen, wobei dem Reichen nicht der größte Anteil zukommt, sondern dem Armen ein gleicher.“). Schon und noch bei dem Demokraten Isokrates, Areop. 7, 23, werden die modernen Bedenken gegen diesen Absolutheitsanspruch der nombre deutlich in seinem Votum für eine leistungsorientierte Wahl, um der raison Geltung zu verschaffen, „ἐν δὲ τῷ προκρίνειν τοὺς ἐπιεικεστάτους τὸν δῆμον ἔσεσθαι κύριον έλέσθαι τοὺς ἀγαπῶντας μάλιστα τὴν καθεστῶσαν πολιτείαν“ („indem es die fähigsten wählt, hätte das Volk die Macht, diejenigen in Anspruch zu nehmen, die der gesetzten Verfassung am meisten zugetan sind“). 27  Dass hier ein Grundmuster der Rechtsbildung betroffen wird, das auch auf der theoretischen Ebene reflektiert werden kann, wird nicht zuletzt anhand der weiterhin als ungeklärt angesehenen Tatsache deutlich, dass Kelsen zuletzt bei der Frage, wie die Geltungskraft rechtlicher Normen begründet werden kann, von der Vorstellung einer vorgegebenen geltungsvermittelnden Grundnorm abgewichen ist, um sie einem geltungsschaffenden fingierten Willensakt als Ausdruck einer konstituierenden Spontaneität zuzuweisen, zu dieser Entwicklung: Dias, Rechtspositivismus, S. 239. Die Erkenntnis und Akzeptanz einer legitimisierenden Wirkung der Spontaneität in der Rechtsbildung wirkt sich zunehmend auch im instutionellen Bereich aus, indem die politische Rechtsbildung des Gesetzgebers und die juristische Rechtsfindung der Justiz konfundiert werden und auf eine „renversement complet de cette ancienne pyramide“ (Lajoie, minorités. S. 164) hinauslaufen. 28  Womit zugleich ein Überspielen der politischen Substanz durch wissenschaftliche, d. h. insbesondere philosophische Erklärungsmuster verbunden ist. Rancière, mesentente, verweist auf diesen Zusammenhang mit seiner Kategorisierung der ar­ chi-politique bei Platon (ebd., S. 97), die eine feste Zuweisung entsprechend einer sozialen Suprastruktur beinhaltet, der para-politique bei Aristoteles mit seiner konstitutionellen Spontaneität (ebd., S. 108), und schließlich der meta-politique bei Marx als Substitution durch eine sozio-ökonomische Infrastruktur (ebd., S. 120).

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

gründen. Insofern ist das Attribut der Unteilbarkeit, das der politischen Kategorie der Souveränität zukommen soll29, allein analytischer Natur. Dass die Verfassung selbst oder gar die auf deren Grundlage erlassenen Gesetze nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen, stellt einen mit dieser Kernaussage nicht vereinbaren Widerspruch dar.30 Beschränkt man sich hierbei nur auf den besonderen Bereich der Steuergesetzgebung, lässt sich dieses Vorurteil mit der Feststellung veranschaulichen, dass es gerade das parlamentarische Budgetrecht und der korrespondierende Steuervorbehalt waren, die gerade nicht als zu rechtfertigender Eingriff verstanden, sondern vielmehr als ein Schutzinstrument eingerichtet wurden.31 Das nach demokratischen Grundsätzen beschlossene Gesetz stellt demnach jedenfalls aus dieser Perspektive gar nicht ein kritikbedürftiges Problem dar, sondern die Lösung eines historischen Konfliktes. Es bestünde damit nicht nur kein Anlass, sondern bereits kein Grund und damit kein Maßstab für eine verfassungsrechtliche Kritik. bb) Begründung einer kritischen Kompetenz § 85‌

Um die Kritikfähigkeit der positiven Rechtsordnung dennoch zu ermöglichen, bedarf es daher einer näheren Bestimmung, wie die Legitimation demokratischer Willensbildung ausgestaltet ist und wo ihre Grenzen liegen. Erhellend sind dabei insbesondere die literarischen Stellungnahmen, die gerade in der Entstehungszeit des Souveränitätsbegiffs es für unerlässlich erklärten, das Prinzip der Unverfügbarkeit gesetzgeberischer Entscheidungen zu relativieren.32 In diesen Äußerungen lassen sich zwei charakteristi29  Bodin, livres, liv. 1, ch. 10 (S. 221): „Et par ainsi nous conclurons que la première marque du Prince souverain, c’est la puissance de donner loy à tous en general, & à chacun en particulier: mais ce n’est pas assez, car il faut adiouster, sans le consentement de plus grand, ni de pareil, ni de moindre que soi.“ Auch in der jüngst wieder an Intensität gewinnenden Auseinandersetzung mit dem Souveränitätsbegriff erweist sich die Qualität der Unteilbarkeit als eine Konstante, vgl. etwa James, 47 Polit. Studies 457, 464 (1999). 30  Blackstone, commentaries, Vol. I / 2, S. 161: „it can change and create afresh even the constitution of the kingdom and of parliaments themselves […] True it is, that what the parliament doth, no authority upon earth can undo“; Voltaire, in: Œuvres, t. 41, S. 454: „Qui fait les lois peut les changer.“ 31  G. Kirchhof, Beihefter zu DStR 2009, S. 135 (144). 32  So etwa Lord Protector Cromwell in seiner Verteidigung der instrument of government in: Keynon, Stuart Constitution, S. 320: „In every government there must be somewhat fundamental, somewhat like Magna Charta, that should be stand­ ing and be unalterable“; ganz in diesem Sinne aus neuerer Zeit etwa die Beobachtung von Elschen, StuW 1988, 1 (4), dass demokratische Entscheidungsregeln allein nicht ausreichten, um ein gerechtes Steuersystem zu erzeugen.



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung139

sche Züge ausmachen. Zum einen wird der Kritikbedarf in lediglich affirmativer Weise auf die Bindungswirkung gewisser unverfügbarer Prinzipien gestützt. Es liegt also nahe, als Erkenntnisquelle für ein kritisches Geschäft nicht so sehr eine deduzierende Begründung anzuführen, als eine induzierende Rechtsfindung. Bestätigt wird dies durch ein zweites Charakterisitikum dieser Quellen, die die inhaltliche Bestimmung dieser Prinzipien betrifft. Denn sie erschöpfen sich nicht in dem offenen formalen Akt der parlamentarischen Rechtsbildung, sondern folgen aus der Essenz der verfassungsrechtlichen Funktion, d. h. systematische Widersprüche der Rechtsbildung zu verhindern. Diese Wesensmerkmale finden ihre Entsprechung in der teilweise positivierten, teilweise als vorausgesetzt geltenden Bindung des Gesetzgebers, die seinen Geltungsanspruch durch Kompetenzschranken relativieren, und entweder durch die exogene fiktionale Rechtsfindung eines pouvoir constituant33 oder durch eine interne individuelle Rechtsfindung aufgrund grundrechtlicher Kompetenzen oder schließlich nach dem Vorbild einer Unabänderlichkeitsklausel wie in Art. 79 Abs. 3 GG installiert werden.34 Abstrakt ausgedrückt besteht danach ein Bedarf an einer weiteren autonomen und geltungsbegründenden Kompetenz, die eine Verständigung über die rechtliche Form der politischen Entscheidung unter rechtlichen Bedingungen ermöglicht. Aufgrund der Einbindung in die genuin rechtliche Kompetenzverteilung ist damit eine Selbstreferenz erforderlich35, wie sie abstrakt in der Formulierung von der „Gerechtigkeit von Recht“ oder konkreter als Verfassungssouveränität36 zum Ausdruck kommt, und nicht so sehr ein Wert- als ein Geltungsproblem37 betrifft. Die rechtsstaatlichen Entscheidungsregeln selbst bedürfen mit anderen Worten einer garantierenden und Geltung verschaffenden Kompetenz.

33  Vgl. nur Schmitt, Verfassungslehre, S. 76: „Eine Verfassung beruht nicht auf einer Norm, deren Richtigkeit der Grund ihrer Geltung wäre. Sie beruht auf einer, aus politischem Sein hervorgegangenen politischen Entscheidung über die Art und Norm des eigenen Seins.“ 34  Entsprechende selbstreferentielle Einschränkungen sind auch in den Fällen grund- bzw. menschenrechtlicher Gewährleistungen angelegt, so in Art. 18 GG, Art. 17 EMRK und Art. 30 AEMR. 35  Im Unterschied zu einer temporalen Entzerrung, die ihren Anwendungsbereich in den Fällen einer heterogenen Rechtsbildung oder widersprechender einfachgesetzlicher Normen hat, vgl. Fletcher, 85 Col. L. R. 1263, 1272 (1985). 36  So das Konzept einer sich selbst bindenden Volkssouveränität bei: Abromeit, in: PVS, Jg. 36 (1995), S. 49 ff. 37  Luhmann, Rechtstheorie, Bd. 17 (1986), S. 171 (189 f.).

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

II. Defizite demokratischer Souveränität 1. Anknüfungspunkt einer verfassungsrechtlichen Kritik und Korrektur a) Rechtlicher Maßstab einer Legitimationskritik § 86‌

Aus diesem Grund ist es erforderlich, im Wege einer weiter gehenden Darstellung mögliche funktionale Defizite zu identifizieren, die einer demokratisch organisierten Rechtsetzung anhaften, um im Anschluss daran geeignete Anknüpfungspunkte abzuleiten, die einen Bedarf an und die Möglichkeiten für eine Kompensation dieser Geltungsdefizite mit verfassungsrechtlichen Mitteln aufzeigen. Dabei wird insbesondere die Frage zu beantworten sein, ob den Grundrechten in dieser Hinsicht ein nicht nur historisch vermittelter und damit relativer, sondern ein eigenständiger funktionaler und damit kritischer Gehalt zukommen kann. Aus einer rechtlichen Perspektive, die sich dezisionistisch an äußeren Vorgaben orientiert, kann als Maßstab für diese gewissermaßen pathologische Vorgehensweise eine Bestandsaufnahme derjenigen Fälle von kritischen Situationen positiver Normenordnungen dienen, die als Legitimationskrisen zum Gegenstand und zur Grundlage eines gewachsenen Kritikbegriffes geworden sind.38 Dies betrifft zum einen die vornehmlich im religiösen Kontext auftretende Kritik, die bei der sprachlichen Vermittlung moralischer Inhalte die Sicherstellung einer au­ thentischen Quellenlage einfordert. Gegenüber diesem formelle Anforderungen definierenden Kriterium lässt sich sodann als eine inhaltliche eine juri­ dische Kritik feststellen, die den Gerechtigkeitgehalt rechtlicher Normen in Frage stellt. Und schließlich folgt die im wissenschaftlichen Bereich herrschende epistemische Kritik, die den Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Aussagen bezweifelt. Die Berechtigung, dieses Kritikmodell auch im Hinblick auf demokratische Normierungen zugrunde zu legen, liegt in der einheitlichen Tendenz der Positivierung: Einheitlich ist all diesen Erscheinungsformen die bewusste Stellungnahme gegen dem Geltungsanspruch einer nicht autonomen, d. h. positivierten Rangordnung. b) Wissenschaftlicher Grund einer Legitimationskritik

§ 87‌

Aus wissenschaftlicher Perspektive, die sich an der Darstellung von Systemzusammenhängen orientiert, liegt der Ausgangspunkt für die Identifizierung von Dysfunktoinalitäten in der Feststellung, dass die rechtliche Grundlegung des politischen Willensbildungsprozesses über die Vermitt38  Foucault,

BSPF, n° 84 (1990), S. 35 (38 f.).



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung141

lung einer äußeren Ordnung hinausgehend auch die Form des rechtlichen Urteils mit dem darin liegenden spontanen Charakter der (He-)Autonomie übernimmt39, sodass die politische Rechtsbildung der Charakter der Rechtsfindung prägt. Denn aus dieser Lage der demokratischen Rechtsbildung ergeben sich folgenreiche strukturelle Probleme, die ihren Grund in der Unvereinbarkeit von integralem intrasubjektivem Entscheidungsprozess einerseits und der intersubjektiven pluralen Willensbildung der Politik andererseits haben.40 Das spezifisch politische Wesen einer Konfliktlösung durch exogene und plurale Argumentation geht damit nicht verloren zugunsten einer einheitlichen Orientierung an der Kohärenz der bestehenden normativen Ordnung, sondern spaltet sich in zwei Komponenten auf. Inhaltlich übernimmt es die zweckgebundene Entscheidung im Sinne der φρόνησις. In formaler Hinsicht verlagert sich die Entscheidungsbildung in die Öffentlichkeit einer pluralistisch geprägten Diskussion. Das zentrale Problem aber, die Einheitlichkeit der Dezision und die Vielheit der Diskussion in Einklang zu bringen, wird dadurch nicht gelöst. Auch das geltende Verfassungsrecht zeichnet diesen Zwiespalt in seiner Kompetenzordnung nur nach, wenn es die legitimierende Einheit des Staatsvolkes als Träger der staatlichen Souveränitat (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) von der bestimmenden Vielheit des Wahlvolkes als Träger der politischen Gewalt, das nach Maßgabe der arithmetischen Gleichheit individualisiert ist und damit handlungsfähig wird (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), trennt. Dieser Entwicklungsstand lässt eine Identifizierung der Demokratie mit dem Gedanken von System­ einheit als Grundlage normativer Kritik noch nicht zu.41

39  Brunt, in: ders., essays, S. 281 (308). Man kann auch von der Idee eines dritten Konzeptes der Freiheit sprechen, wie es Skinner in der Abgrenzung zu Berlins Dichotomie zum Ausdruck gebracht hat als neo-roman oder republican liberty, die er als die Unabhängigkeit vom Willen anderer charakterisiert, Skinner, 117 P. Brit. Acad. 237 (2002); zurückgehend auf die Politisierung der Freiheit bei Pettit, grdl. ders., 106 Ethics 576, 578 (1996); die integrale Verbindung mit der Idee der Gleichheit betonend: ders., in: Williams, Nomos XLVI, S. 87 (108–110). 40  Herodot, historiarum libri, III, 80, 20 (S. 256): „Τίθεμαι ὦν γνώμην μετέντας ἡμέας μουναρχίην τὸ πλῆθος ἀέξειν· ἐν γὰρ τῷ πολλῷ ἔνι τὰ πάντα.“ („Darum gebe ich nun meine Meinung dahin ab, wir wollen die Alleinherrschaft aufgeben und dem Volk alle Macht überlassen; denn in dem Vielen ist alles enthalten.“) 41  In diese Richtung geht das Sondervotum Brydes zu BVerfG v. 30. Juli 2008  ‒  1  BvR  3262 / 07, 402, 906 / 08  ‒, BVerfGE  121, 317 (380 f.): „Kompromiss ist geradezu Wesensmerkmal demokratischer Politik. Das Bundesverfassungsgericht darf keine Folgerichtigkeit und Systemreinheit einfordern, die kein demokratischer Gesetzgeber leisten kann.“

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

2. Epistemisches Defizit der Demokratie a) Relativismus emanzipierter Politik § 88‌

Der wesentliche Grund für das Legitimitätsdefizit der demokratischen Rechtsbildung lässt sich als epistemisches Problem begrifflich kennzeichnen.42 Es ist Folge der beschriebenen Entwicklung, die die Politik aus ihrer gesellschafltichen Integration löst, indem sie sich von ihren konservativen Einflussfaktoren sowohl hinsichtlich der Entscheidungsprozesse wie auch von den darin vermittelten Inhalten emanzipiert. Soweit dieser Prozess in Form einer Konstitutionalisierung erfolgte oder in ihr Ausdruck gefunden hat, wird zwar die Spontaneität rechtlicher Urteilsbildung der Form nach übernommen, ohne damit aber zugleich die objektive Kohärenz der Rechtsfindung zu übernehmen. Angesichts der fehlenden inhaltlichen Besetzung sowie der Aufspaltung des politischen Entscheidungsprozesses in die Pluralität politischer Gleichheit wird das originär politische Konfliktpotential freigesetzt.43 Der resignierende Eindruck, demokratische Abstimmungsergebnisse seien nicht akzeptable Folgen eines ungeregelten Pluralismus und Relativismus, findet hierin letztlich seinen Grund.44 Soweit diese mit dem äußeren Systemcharakter des Rechts in Widerspruch steht, ist fraglich, ob die Rechtsbildung hierfür haftbar gemacht werden kann. b) Versuche einer prozeduralen Legitimation

§ 89‌

In der Demokratietheorie wird diese Spannung begrifflich repräsentiert als Konflikt zwischen Abstimmung und Richtigkeit, zwischen „nombre et la raison“45. Darin kommt die Skepsis darüber zum Ausdruck, dass die Überantwortung der Rechtsbildung an ungewichtete Einzelentscheidungen keine 42  Zur Diskussion um die epistemische Situation der Demokratie aus theoretischer Sicht: Anderson, 3 Episteme 8 (2006); Ober, democracy, S. 1–38; sowie die Beiträge des Sammelbandes „La sagesse collective“, in: Raison publique, n° 12 (mai, 2010). 43  So Lefort, in: ders., essais, S. 24, in seiner Würdigung des Beitrages Tocquevilles zur Demokratietheorie: „mais autrement importante nous paraît son intuition d’une société affrontée à la contradiction générale que libère la disparition d’un fondement de l’ordre social.“ 44  Symptomatisch und nachhaltig die Kritik von Бердяев, Новое Средневековье, S. 108: „Демократия есть крайний релятивизм, отрицание всего абсолютного. Демократия не знает истины, и потому она предоставляет раскрытие истины решению большинства голосов“ („Demokratie ist äußerster Relativismus, die Ne­ gation des Absoluten. Die Demokratie kennt die Wahrheit nicht, und liefert deshalb die Wahrheitsfindung an die Mehrheit der Stimmen aus“, Herv. Verf.). 45  Guineffey, nombre, S. 59; Rosanvallon, sacre, S. 149 ff.



4. Kap.: Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der politischen Ordnung143

bindungsfähigen Inhalte erzeugen kann, weil die Übereinstimmung der Entscheidungsträger keine Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit bietet.46 Auch wenn die zugrunde liegende Vorstellung, wonach es einen gestuften und privilegierten Zugang zur inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen gebe47, schließlich zugunsten einer arithmetischen Gleichgewichtung der Stimmen überhaupt wie auch für eine Mehrheitsregel48 in Zweifel gezogen wurde49, war sie doch die Ursache dafür, dass eine ausschließliche Orientierung an Mehrheitsentscheidungen lange Zeit in der abendländischen Geschichte auf Ablehnung stieß. Hierfür können in der Tat verschiedene Gesichtspunkte vorgebracht werden. Dazu zählt etwa die epistemologisch begründete Differenz zwischen allgemeingültiger Regel und den individuell verfolgten Partikularinteressen, die sich auch einer vertragstheoretischen Lösung entziehen. Zum zweiten besteht eine realistische anthropologische Skepsis gegenüber der Kompetenz einzelner Teilnehmer, sei es, dass sie sich als unfähig erweisen, bereits ihre eigenen Interessen zu erkennen und zu formulieren, oder dass sie sie jedenfalls nicht antizipierend dem Allgemeininteresse anzugleichen verstehen.50 Schließlich ist in sozialer Hinsicht zu bedenken, dass Partikularinteressen jedenfalls auch teilweise durch eine vorgegebene allgemeine Regel bedingt sein können. So sehr diese Defizite Einfluss nehmen können auf die reale Wahl eines bestimmten Entscheidungsmodells, so ist doch im vorliegenden Zusammenhang das Augenmerk zu richten auf die spezifisch funktionalen Defizite der demokratischen Willensbildung, die auch mit rechtlichen Mitteln lösbar sein müssen, indem sie durch entsprechende normative Instrumente, etwa den Grundrechten, kompensiert werden können.

46  Entgegen der Summenthese von Aristoteles, Pol. Γ  1281a  42–1281b  2: „τοὺς γὰρ πολλοῦς, ὦν ἕκαστός ἐστιν οὐ σπουδαῖος ἀνήρ, ὅμως ἐνδέχεται συνελθόντας εἶναι βελτίους ἐκείνων, ούχ ὡς ἕκαστον άλλ’ ὡς σύμπαντας […]“ („Die Vielen nämlich, von denen nicht jeder von individueller Stärke ist, mögen zusammen besser sein, nicht als einzelner, sondern als Gemeinschaft“); dazu: Waldron, 23 Polit. Theory 563 (1995). 47  Zur Lehre der „sanior pars“: Monahan, parliamentary democracy, S. 133 ff. Das Mehrheitsargument hat sich gegenüber der Vetomöglichkeit von Autoritäten erst etwa im 13. Jahrhundert im kirchlichen Bereich durchgesetzt, vgl. Théry, in: Perrineau / Reynié, dictionnaire du vote, S. 667 (670). 48  Noch Locke lieferte eine naturalistische Begründung der Konsensbildung, hierzu und zur Kritik Waldron, dignity, S. 130 ff. 49  Die epistemologische Grundlage eines solchen „Summenarguments“ ist zum Gegenstand einer intensiven Diskussion geworden, vgl. einerseits Kullmann, Aristoteles, S. 33 ff., andererseits Pincione / Tesón, discourse failure, S. 8 ff. 50  Dazu Somin, 89 Iowa L. Rev. 1287 (2004), der daraus eine Rechtfertigung verfassungsgerichtlicher Intervention ableitet.

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2. Teil: Zum Grund einer verfassungsrechtlichen Kritik

c) Grundproblem der intersubjektiven Urteilsbildung § 90‌

Als maßgebliche Dysfunktionalität lässt sich somit einmal mehr die Inkompatibilität von rechtlicher und damit intrasubjektiver Urteilsbildung und intersubjektiv realisierten Kollektiventscheidungen ausmachen. Denn bei einer Mehrheit von Entscheidungsträgern wird die notwendige Spontaneität der Entscheidungsfindung und die Integrität der Entscheidungsergebnisse nicht gewährleistet. Selbst wenn mit einem erweiterten Kreis von Entscheidungsträgern eine inhaltliche Richtigkeit wahrscheinlicher wird51, so trifft das nicht auch auf die Kohärenz der Entscheidungsinhalte zu.52 Das betrifft nicht lediglich deren axiologische Kohärenz53, sondern bereits die logische Widerspruchslosigkeit der entsprechenden Entscheidungsfindung. Wie bereits in der Vergangenheit mehrfach nachgewiesen wurde, ist in Abstimmungsprozessen keine Transitivität gewährleistet.54 Der Entscheidungsprozess im Wahlmodus kann damit zu paradoxalen Ergebnissen führen55 und lässt Möglichkeiten zur Ergebnismanipulation offen.56 Arithmetische Entscheidungsregeln, die als Auswahlkriterium entweder Einstimmigkeit oder Stimmenmehrheit vorsehen, erlauben einen widerspruchsfreien Konsens daher nur durch eine heteronome Vorentscheidung.57 Die Wahlentscheidung wird in diesem Fall damit auf einen rein formalen Akt beschränkt, der in Form einer Akklamation eine bereits getroffene Entscheidung nachträglich legitimiert.58 Tendenzen einer entsprechenden Entscheidungsstruktur sind auch in der Arbeitsweise der repräsentativen Demokratie wirksam, sei es durch die Parteien als Intermediäre, die diesen Widerspruch institutionalisieren59, indem sie Vorentscheidungen in Form von wählbaren Programmen etwa Grofman u. a., 15 Theory & Decision 261 (1983). Erkenntnis wurde von Pettit, in: 11 Philos. Issues 268 (2001), als „dis­ kursives Dilemma“ in die Diskussion eingeführt. 53  Dazu Cooter / Gilbert, 110 Col. L. Rev. 687, 702 f. (2010). 54  Insbesondere von Condorcet, Essai, 1785, mit dem Nachweis, dass die Forderung nach Transitivität ((A