138 8 208MB
German Pages 722 [724] Year 1919
Lehrbuch des
Deutschen Strafrechts. Von
Dr. Franz v. Liszt, ord. Professur der Rechte in Berlin,
« . und 22. völlig durchgearbeitete Auflage (37.—40. T a u s e n d ! .
Berlin und Leipzig,
1919.
Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. T«rauk G . J. G8>chen'sche Verlagsbandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung G e o r g Reimer — Karl J. Trübner — V e i t & Comp.
—
Alle Hechte vorbehalten.
Vorwort zur 21. und 22. Auflage. Schon vor etwa zwei Jahren war die 20. Autlage dieses Buches erschöpft. Der rechtzeitigen Neubearbeitung stellten sich unübersteigliche Hindernisse in den Weg. Zunächst mußte die bereits begonnene 11. Auflage meines Völkerrechts fertig gestellt werden. Kaum war das erreicht (das Vorwort ist vom Dezember 1917), da machte mir eine schwere Erkrankung lange Monate hindurch jede wissenschaftliche Betätigung unmöglich. Ein anastatischer Neudruck mußte einstweilen die Lücke ausfüllen. Erst im Frühsommer 1918 konnte ich mit den Vorarbeiten beginnen, die sich diesmal zeitraubender gestalteten als sonst. Die strafrechtliche Literatur ist gerade während der Kriegsjahre besonders fruchtbringend gewesen. Neben den Neuaullagen der Kommentare von Frank (1914), Olshausen-Znoeigert (1916) hat sie uns den neuen, im ganzen vorzüglichen Kommentar von Schmarls (1914) gebracht. Dazu kamen das Lehrbuch von Wachenfeld (1914), ME Mayers tiefgründiges Werk „Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts" (1915) und Köhlers mehr umfang- als inhaltsreiches „Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil" (1917). Von diesen Werken hatte meine letzte, im September 1913 abgeschlossene Auflage noch keines berücksichtigen können. Ihre sorgfältige Durcharbeitung brachte reiche Anregung, gab vielfachen Anlaß zur Überprüfung der von mir bisher vorgetragenen Ansichten und nötigte fast in jedem Paragraphen zu Zusätzen und Abänderungen. Dennoch habe ich die Anlage des Buches (von der Umstellung der beiden ersten Abschnitte der Einleitung abgesehen) beibehalten können. Und trotz der nicht unbeträchtlichen Ver« mehrung des Inhalts ist es durch sparsamere Anordnung des Satzes gelungen, den Umfang um etwa einen Druckbogen zu verringern. Der Druck hatte mit den bekannten Schwierigkeiten zu kämpfen. Und wenn es der bewährten Druckerei von Lippert & Co.
IV
Vorwort zur 21. und 22. Auflage.
in Naumburg a/S. im allgemeinen auch gelungen ist, ihrer Herr zu werden, so muß doch die freundliche Nachsicht des Lesers manche Unebenheiten des Satzes entschuldigen. Besonders störend war für die Korrektur die andauernde Unsicherheit und Langsamkeit der Postverbindung. Doppelten Dank schulde ich daher meinen jungen Freunden, Herrn Dr. Eberhard Schmidt (Assistenten des kriminalistischen Instituts der Universität Berlin) und Herrn Rechtsanwalt Oborniker für ihre freundliche Unterstützung, dem letzteren auch für die Herstellung der Register. Der Druck des besonderen Teils war schon weit vorgeschritten, als die Novemberrevolution einsetzte und mit der Beseitigung der Monarchie die Strafdrohungen gegenstandslos machte, die zu deren Schutz bestimmt waren. Ich habe, von anderen Erwägungen abgesehen, schon im Interesse der Geschlossenheit des Systems es für richtiger gehalten, diese von der Gesetzgebung noch nicht zum Ausdruck gebrachten Änderungen auch im letzten Viertel des Buches unberücksichtigt zu lassen. Die notwendigen Streichungen wird der Leser selbst leicht vornehmen können. Die Strafgesetze der Revolutionszeit konnten, teilweise wenigstens, noch bei der Korrektur erwähnt werden. Die neue Auflage geht in einem Zeitpunkt hinaus in die Öffentlichkeit, in dem wieder einmal die Umgestaltung unseres Strafgesetzbuchs in greifbare Nähe gerückt scheint. Daß es mir, wenn die seit Jahren gehegte Hoffnung sich erfüllt, noch vergönnt sein wird, das seit 1881 eingeführte, jetzt in 40000 Exemplaren verbreitete Buch dem Strafrecht der Zukunft anzupassen, wage ich nicht zu hoffen. Darum wollte ich diesem Vorwort, das vielleicht zugleich ein Schlußwort ist, das Verzeichnis der mir bekannt gewordenen Übersetzungen beifügen. Sind sie doch auch zugleich ein Beweis des Ansehens, dessen sich bis zum Kriegsausbruch die deutsche Strafrechtswissenschaft im Ausland erfreute. Daß sie dieses heute verlorene Ansehen wiedergewinnen wird, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft. Glücklich das Geschlecht, das die Wiederaufrichtung der internationalen Arbeitsgemeinschaft auch auf dem Gebiet der Wissenschaft erlebt! S e e h e i m a. d. Bergstraße, den 1. April 1919. Dr. Franz v. Liszt
Übersetzungen. 1. Ins P o r t u g i e s i s c h e von José Hygino Duarte P e r e i r a . 2 Bände. Rio de Janeiro 1899 (bei F. Briguiet). 2. Ins N e u g r i e c h i s c h e von Konstantin A. K y p r i a d e s . 2 Bde. X. Bd. 1900, 2. Bd. 1914. 3. Ins S e r b i s c h e von Mil. R. W e s n i t s c h . Belgrad 1902. 4. Ins R u s s i s c h e von F. E l i a s c h e w i t z . Moskau 1903. 5. Ins J a p a n i s c h e von O k a d a , A b i c o , S u n i . 2 Bände. Tokio 1903. 6. Ins F r a n z ö s i s c h e von René L o b s t e i n mit einem Vorwort von E. Garçon. 2 Bände. 1. Bd. 1 9 1 1 , 2. Bd. 1913 (Paris bei V. Giard et E. Brière). 7. Ins S p a n i s c h e von Quintiliano S al d a ñ a (Madrid bei Hijos de Reus). 1. Bd. 1914. Ein 2. und 3. Band dürften während des Krieges erschienen sein.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung. Seite
§
i.
D e r B e g r i f f d e s S t r a f r e c h t s u n d d i e A u f g a b e des L e h r b u c h s . I. Das Strafrecht als die rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates. II. Die Kriminalpolitik. III. Die Geschichte. IV. Die Quellen des Strafrechts
i
I. Die antisoziale Bedeutung des Verbrechens und die soziale Funktion der Strafe.
§ §
§ §
2.
Das S t r a f r e c h t als R e c h t s g ü t e r s c h u t z . I. Die Rechtsordnung. II. Das Verbrechen. III. Die Strafe. IV. Sekundäre Natur des Strafrechts 3. D i e U r s a c h e n und d i e A r t e n d e r K r i m i n a l i t ä t . I. Der Begriff der Kriminologie. II. Akute und chronische Kriminalität. III. Der „Verbrechertypus". IV. Die soziologische Auffassung des Verbrechens 4. D i e kriminalpolitischen Forderungen der Reformb e w e g u n g . I. Der Grundgedanke. II. Seine Einzelanwendung. III. Die Schranken des Zweckgedankens 5. D e r S t r e i t d e r S t r a f r e c h t s s c h u l e n . I. Der Gegensatz der beiden Richtungen. II. Die Milderung des Gegensatzes. III. Die legislativen Ergebnisse
3
8 12 19
II. Geschichte und Literatur des Strafrechts.
§
6.
§
7.
§
8.
§
9.
§ 10.
Allgemein-geschichtliche Einleitung. I. Rechtsvergleichung und Kriminalpolitik. II. Der soziale Charakter der ursprünglichen Strafe. III. Die staatliche Strafe. IV. Der Zweckgedanke in der Strafe 26 D a s S t r a f r e c h t d e r R ö m e r . I. Bis zum 7. Jahrhundert der Stadt. II. Die Zeit des Quästionenprozesses. III. Die Kaiserzeit 29 Das mittelalterlich-deutsche Strafrecht. Erster Abs c h n i t t . Das frühere Mittelalter: Bis zum 13. Jahrhundert. I. Ursprünglicher Charakter. II. Das Kompositionensystem. III. Die öffentliche Strafe. IV. Der Zerfall der fränkischen Monarchie. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Das spätere Mittelalter: Vom 13. bis ins 16. Jahrhundert 33 D i e p e i n l i c h e G e r i c h t s o r d n u n g K a r l s V. I. Die italienischen Juristen des Mittelalters. II. Die populär-juristische Literatur Deutschlands. III. Deutsche Gesetzgebungen; insbesondere die Schwarzenbergischen Arbeiten. IV. Die Entstehungsgeschichte der PGO. V. Ihre Bedeutung 39 D a s g e m e i n - d e u t s c h e S t r a f r e c h t . I. Die Gesetzgebung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. II. Die gemeinrechtliche Wissenschaft. III. Die Rechtspflege. IV. Die Gesetzgebung seit 1750 43
Inhaltsverzeichnis.
VII Seite
§ Ii. § 12.
§ 13.
§ 14. 5 15.
§ 16. § 17.
D a s Z e i t a l t e r d e r A u f k l ä r u n g . I. Die literarische Bewegung. II. Anerkennung der neuen Gedanken durch die Gesetzgebung W i s s e n s c h a f t u n d G e s e t z g e b u n g b i s z u m J a h r e 1870. I. Die Wissenschaft des Strafrechts. II. Die Geschichte der deutschen Strafgesetzgebung: Erster Abschnitt. Die deutschen Strafgesetzbücher vor 1851. Zweiter Abschnitt. Das preußische Strafgesetzbuch von 1851. Dritter Abschnitt. Die deutsche Landesstrafgesetzgebung nach 1851 Die E n t s t e h u n g und W e i t e r b i l d u n g des Reichsstrafg e s e t z b u c h s . I. Fehlgeschlagene Versuche. II. Das R S t G B für den Norddeutschen Bund. III. Das R S t G B . IV. und V . Spätere Abänderungen. V I . Die Novelle vom 19. Juni 1912 Die übrigen Reichsstrafgesetze Literatur des R e i c h s s t r a f rechts und seiner Hilfsw i s s e n s c h a f t e n . I. Textausgaben. II. Systematische Darstellungen. III. Kommentare. I V . Abhandlungen allgemeineren Inhalts. V . Zeitschriften. V I . Spruchsammlungen. V I I . Strafrechtsfälle. V I I I . Hilfswissenschaften Die deutschen Strafgesetzentwürfe. I. Die Vorarbeiten. II. Der Vorentwurf. III. Der Gegenentwurf. IV. Der Kommissionsentwurf Die außerdeutsche Strafgesetzgebung. I. ÖsterreichUngarn. II. Die Niederlande. III. Der skandinavische Norden. IV. Der europäische Osten. V. Der europäische Südosten. V I . Die Schweiz. V I I . Frankreich, Belgien, Luxemburg, Monaco. V I I I . Die iberische Halbinsel. I X . Die italienische Halbinsel. X . Die Staaten mit englisch-amerikanischem Recht. X I . Die mittel- und südamerikanischen Staaten. X I I . Die Türkei. X I I I . Die hinterasiatischen Staaten
49
52
59 63
70 73
76
III. Die Quellen des Reichsstrafrechts. § 18.
§ 19.
§ 20.
§ 21.
§ 22.
§ 23.
D a s S t r a f g e s e t z . I. Norm und Strafgesetz. II. Das gesetzte Recht als einzige Quelle der Strafrechtssätze. III. Gesetz, Verordnung, Vertrag. I V . Begriff des Gesetzes. Druckfehler und Redaktionsversehen. V. Die gesetzlichen Quellen. V I . Blankettgesetze 83 Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. I. Beginn und Ende ihrer Herrschaft. II. Die sog. rückwirkende K r a f t der Strafrechtssätze. III. Anwendung des mildesten Gesetzes 87 Das sachliche G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze. R e i c h s r e c h t u n d L a n d e s r e c h t . I. Der Grundsatz. II. Die reichsrechtlich nicht geregelten „Materien". III. Weitere Beschränkungen der Landesgesetzgebung. I V . Die Ausführungsgesetze der Einzelstaaten 91 Das räumliche Geltungsgebiet der Straf rechtssätze. G r u n d s ä t z l i c h e E r ö r t e r u n g . I. Begriff des internationalen Strafrechts. II. Die Prinzipien des internationalen Strafrechts. III. Die moderne Gesetzgebung 94 F o r t s e t z u n g . D i e d e u t s c h e R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. Der Ausgangspunkt. II. Der strafrechtliche Begriff des Inlands. III. Im Auslande begangene Übertretungen. IV. Verbrechen und Vergehen im Auslande. V. Besondere Bestimmungen. V I . Die Entwürfe 97 Fortsetzung. Internationale Rechtshilfe. I. Die Auslieferung als A k t der internationalen Rechtshilfe. II. Die deutschen Auslieferungsverträge. Das Asylrecht politischer Verbrecher und die belgische Attentatsklausel 102
VIII
Inhaltsverzeichnis. Seite
§ 24.
§ 25.
Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. I. Staatsrechtliche und II. völkerrechtliche Befreiungen. III.Die Militärpersonen F r i e d e n s r e c h t u n d K r i e g s r e c h t . I. Das allgemeine Kriegss t r a f r e c h t ( § 4 E G ; M i l S t G B ; § 30 P r e ß g . ) . I I . D i e Ü b e r t r e t u n g der im Einzelfall erlassenen Vorschriften (Belagerungszustandsg e s e t z v o n 1 8 5 1 ; E r m ä c h t i g u n g s g e s e t z v o n 1914)
105
107
Allgemeiner Teil. Erstes
Buch.
Das Verbrechen. § 26. § 27.
D e r B e g r i f f d e s V e r b r e c h e n s . I. scheinungsformen. III. Kriminelles Die D r e i t e i l u n g der S t r a f t a t e n . Dreiteilung des geltenden Rechts. teilung
Begriffsmerkmale. II. ErUnrecht und Polizeidelikt I. G e s c h i c h t l i c h e s . I I . D i e I I I . A n w e n d u n g der Drei-
110
113
I. Abschnitt.
Die Verbrechensmerkmale. I. Das Verbrechen als Handlung. § 28.
§ 29.
§30. § 31.
Der Allgemeinbegriff der Handlung. I. Die Willensb e t ä t i g u n g . I I . D e r E r f o l g . I I I . B e z i e h u n g d e s E r f o l g s auf die W i l l e n s b e t ä t i g u n g I. D a s T u n . I. Die Körperbewegung. II. Die Verursachung. III. Folgesätze. IV. Einschränkungen und Ausnahmen. V . Geschichte der Frage. V I . D e r Stand der Ansichten . . 2. D a s U n t e r l a s s e n . I . B e g r i f f d e r U n t e r l a s s u n g . I I . D i e r e c h t s widrige Unterlassung. I I I . D i e K a u s a l i t ä t der Unterlassung D i e H a n d l u n g i m A u f b a u d e r T a t b e s t ä n d e . I. Die Ausführungshandlung. II. Vorsatz und Fahrlässigkeit. III. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit. I V . Zeit und O r t der Handlung
115
11g 125
129
II. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. § 32.
§ 33. § 34. § 35.
Die R e c h t s w i d r i g k e i t als B e g r i f f s m e r k m a l . I. Begriff der Rechtswidrigkeit. II. Abgrenzung der rechtmäßigen und rechtswidrigen Handlung. I I I . W e g f a l l der Rechtswidrigkeit. I V . Geschichtliche Entwicklung D i e N o t w e h r . I. G e s c h i c h t e . I I . D i e M e r k m a l e d e s B e g r i f f e s . III. Überschreitung der Notwehr D e r N o t s t a n d . I. Geschichte. II. Begriff. I I I . D a s geltende Recht, insbesondere das B G B Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit. I. Amtspflicht. II. Besondere Berechtigung. III. D a s richtige Mittel zum richtigen Z w e c k . I V . Einwilligung des V e r l e t z t e n . V . Selbstverletzung. V I . Wahrheitsgetreue Kammerberichte
132 136 140
144
III. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. §36.
D e r S c h u l d b e g r i f f . I. Schuld im weiteren und im engeren Sinn. II. Geschichte des Schuldbegriffs. I I I . Schuldfreies U n r e c h t
150
Inhaltsverzeichnis.
IX Seite
§ 37.
§ 38. § 39. § 40. § 41. § 42.
§ 43.
Die Zurechnungsfähigkeit. I. Die Zurechnungsfähigkeit als normaler Zustand. II. Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit im R S t G B . III. Die actiones liberae in causa. IV. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit und die Teilnahme . . D i e F ä l l e d e r Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t . I. Fehlende geistige Reife; Jugend und Entwicklungshemmung. II. Fehlende geistige Gesundheit. III. Bewußtseinsstörungen D e r V o r s a t z . I. Begriff. II. Die Arten. III. Die Subsumtion unter das Gesetz F o r t s e t z u n g . D e r I r r t u m . I. Begriff und Einfluß auf den Vorsatz. II. Wesentlicher und unwesentlicher Irrtum. III. Aberratio ictus und error in persona D a s B e w u ß t s e i n der R e c h t s w i d r i g k e i t . I. Der Grundsatz. II. Folgesätze. III. Ausnahmen D i e F a h r l ä s s i g k e i t . I. Geschichte. II. Begriff. III. Einfluß des Irrtums. IV. Die fahrlässigen Vergehen in der Reichsgesetzgebung. V. Fahrlässigkeit in bezug auf einzelne Vergehensmerkmale. VI. Grade der Fahrlässigkeit D i e V e r s c h u l d u n g b e i P r e ß v e r g e h e n . I. Die Unzulänglichkeit der allgemeinen Grundsätze. II. Der verantwortliche Redakteur als Täter. III. Die preßrechtliche Fahrlässigkeit
156 160 163 168 172
175
178
IV. Das Verbrechen als strafbares Unrecht. § 44.
§ 45.
U n r e c h t und V e r b r e c h e n . I. Bürgerliches und peinliches Unrecht. II. Die Tatbestandsmäßigkeit. III. Bedingungen der Strafbarkeit im eigentlichen Sinne. IV. Prozeßvoraussetzungen D e r A n t r a g d e s V e r l e t z t e n . I. Geschichte und Stand der Gesetzgebung. II. De lege ferenda. Die beiden Gruppen der Antragsvergehen. III. Der Antrag im geltenden Reichsrecht
181 185
II. Abschnitt.
Die Verbrechensformen. I. Vollendung und Versuch des Verbrechens. § 46.
§47. § 48.
D e r B e g r i f f d e s V e r s u c h e s . I. Vollendetes und versuchtes Verbrechen. II. Geschichte des Versuchsbegriffes. III. Vorbereitung und Ausführung. IV. Arten des Versuches. V. Unmöglichkeit des Versuches. VI. Strafbarkeit des Versuches . 191 D e r „ u n t a u g l i c h e V e r s u c h " . I. Geschichte der Frage. II. Der Grundsatz 197 D e r R ü c k t r i t t v o m V e r s u c h . 1. Seine Bedeutung. II. Rücktritt beim beendeten und beim nichtbeendeten Versuch. III. Freiwilligkeit des Rücktritts. IV. Der Rücktritt als Strafaufhebungsgrund 201 II. Täterschaft und Teilnahme.
§ 49.
§ 50. § 51.
Ü b e r b l i c k und G e s c h i c h t e . I. Die Grundgedanken des geltenden Rechts. II. Die Geschichte der Frage. III. Die akzessorische Natur der Teilnahme. IV. Begünstigung; Komplott und Bande. V. Die notwendige Teilnahme. VI. Die Entwürfe 204 1. D i e T ä t e r s c h a f t . I. Begriff. II. Sog. mittelbare Täterschaft. III. Mittäterschaft. IV. Nebentäterschaft 208 2. D i e T e i l n a h m e . I. Anstiftung. II. Beihilfe 213
X
Inhaltsverzeichnis. Seite
§ 52.
§ 53.
D i e T e i l n a h m e . F o l g e s ä t z e . I. Vorsätzliche Teilnahme an vorsätzlicher Handlung. II. Strafbarkeit der Haupthandlung. III. Unselbständigkeit der Teilnahmehandlung. IV. Mehrfache Beteiligung an demselben Vergehen. V. Einschränkungen des Grundsatzes 216 Die Teilnahme. Einfluß persönlicher Verhältnisse. I. Folgerung aus der unselbständigen Natur der Teilnahme. II. S t G B . § 50. III. Andere Fälle 220 III. Einheit und Mehrheit der Verbrechen.
§ 54. § 55. § 56. § 57.
E i n h e i t u n d M e h r h e i t d e r H a n d l u n g e n . I. Der Grundgedanke. II. und III. Die Fälle der Handlungseinheit . 222 H a n d l u n g s m e h r h e i t und Verbrechenseinheit. I. Der Begriff. II. Die Anwendungsfälle. III. Das sog. Kollektivverbrechen 224 D i e V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Die richtige Auffassung. II. Der 1. Fall. Scheinbare Gesetzeskonkurrenz. III. Der 2. Fall. Die scheinbare Verbrechenskonkurrenz (Idealkonkurrenz) . . 228 D i e V e r b r e c h e n s m e h r h e i t . I. Der Rückfall. II. Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (Realkonkurrenz) 232
Zweites
Buch.
Die Strafe mit Einschlufs der sichernden Mafsnahmen. 1. § 58.
D e r B e g r i f f d e r S t r a f e . I. Die Begriffsmerkmale. Strafe und sichernde Maßnahmen. II. Folgerungen aus dem Begriff. III. Disziplinarstrafe. Ordnungsstrafen. Polizeistrafe
234
II. Die Strafarten (Das Strafensystem). § 59. § 60. § 61.
§ 62. § 63. § 64. § 65. § 66.
D a s S t r a f e n s y s t e m des g e l t e n d e n R e c h t s und der Entwürfe. I. Haupt- und Nebenstrafen. Nachstrafen. II. Das System der Strafmittel im R S t G B . III. Die Entwürfe Die Todesstrafe. I. Geschichte. II. Anwendungsgebiet. III. Vollzug der Todesstrafe D i e F r e i h e i t s s t r a f e . I h r e G e s c h i c h t e . I. Die alten Zuchthäuser II. Der Beginn der Reform. III. Der Streit der Systeme in Nordamerika. IV. Der Sieg der Einzelhaft. V. Das sog. irische System und die bedingte Entlassung. VI. Das Reformatorysystem (Elmira). V I I . Der Strafvollzug und die Reichsgesetzgebung Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung. I. Die Arten. II. Ihre Unterschiede. III. Vollzug der Freiheitsstrafe D i e G e l d s t r a f e . I. Anwendungsgebiet. II. Reichsstrafgesetzbuch. III. Nebengesetze . N e b e n s t r a f e n an d e r F r e i h e i t . I. Polizeiaufsicht. II. Überweisung an die Landespolizeibehörde. III. Ausweisung. . . E h r e n s t r a f e n . I. Der Verweis. II. Nebenstrafen. III. Aberkennung einzelner Ehrenrechte. V. Nachverfahren . . . . Die sichernden M a ß n a h m e n der d e u t s c h e n E n t w ü r f e . I. Erziehungsmaßregeln gegen Jugendliche. II. Das Arbeitshaus. III. Wirtshausverbot und Trinkerheilanstalt. IV. Ver-
238 240
244 247 250 251 254
XX
Inh alts Verzeichnis.
Seite
Währung bei fehlender oder verminderter Zurechnungsfähigkeit. V . Sicherungshaft gegen gewerbs- und gewohnheitsmäßige Verbrecher
257
Anhang. § 67.
Die Buße.
I. Ihr Anwendungsgebiet.
II. Ihr Wesen . . . .
§ 68.
D i e r i c h t e r l i c h e S t r a f z u m e s s u n g . I. Absolute und relative Strafdrohungen. II. Die Strafrahmen des heutigen Rechts. III. Die Strafzumessung. I V . Strafänderung. V. Strafumwandlung. Straf anrechnung S t r a f ä n d e r u n g : 1. S t r a f s c h ä r f u n g . I. Allgemeines. II. Die Rückfallsschärfung. III. Die Entwürfe . . . . S t r a f ä n d e r u n g : 2. S t r a f m i l d e r u n g . I. Allgemeine Milderungsgründe. Jugend, Versuch, Beihilfe. II. Besondere Milderungsgründe. Die „mildernden Umstände" S t r a f U m w a n d l u n g . I. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe. II. Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine andere. III. Umwandlung der Einziehung in Geldstrafe . . A n r e c h n u n g auf die v e r w i r k t e S t r a f e . I. Anrechnung der Untersuchungshaft. II. Anrechnung der im Auslande vollzogenen Strafe. I I I . Erwiderung oder Aufrechnung • . . Zusammentreffen mehrerer S t r a f t a t e n („reale K o n k u r renz"). I. Notwendigkeit einer Milderung des Häufungsprinzips. II. Die Gesamtstrafe. III. und I V . Abweichungen. V . Besondere Bestimmungen der Nebengesetze
258
I I I . Das Strafmaß im Gesetz und Urteil.
§ 69. § 70. § 71. § 72. § 73.
IV. Der W e g f a l l des staatlichen
§ 74.
§ 75. § 76. § 77. § 78.
260 263 263 265 267
268
Strafanspruchs.
Die S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e im a l l g e m e i n e n . I. Der Begriff. II. Der Tod des Schuldigen. III. Die tätige Reue. IV. Gute Führung des Verurteilten. Bedingte Verurteilung, Rehabilitation 271 Die Begnadigung. I. Begriff, Geschichte und Aufgabe. II. Wirkung. Arten. III. Die Träger des Begnadigungsrechts. IV. Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsansprüche 273 D i e V e r j ä h r u n g i m a l l g e m e i n e n . I. Rechtsgrund der Verjährung. II. Ihre Wirkung. III. Ihre Geschichte 276 Die VerfolgungsVerjährung. I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung. I V . Ruhen und V . Wirkung der Verjährung 278 D i e V o l l s t r e c k u n g s V e r j ä h r u n g . I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung der Verjährung. IV. Verjährung der Nebenstrafen. V . Verjährung in den Nebengesetzen 280
Besonderer Teil. Die einzelnen Verbrechen und ihre Bestrafung. § 79.
Ü b e r s i c h t d e s S y s t e m s . I. Begriff des Rechtsgutes. II. Rechtsgüter des einzelnen. III. Rechtsgüter der Gesamtheit . . . 282
XII
Inhaltsverzeichnis. Seite
Erstes Buch.
Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt. Strafbare Handlungen g e g e n L e i b und L e b e n . 80.
A l l g e m e i n e s . I. Der Rechtsbegriff „Mensch". und III. Gefährdung von Leib und Leben
II. Verletzung
286
I. Die Tötung. § 81. § 82.
§ 83. § 84. § 85. § 86.
B e g r i f f und A r t e n d e r T ö t u n g . I. Begriff. II. Die Handlung. III. Die Arten der Tötung 288 D i e v o r s ä t z l i c h e g e m e i n e T ö t u n g . G e s c h i c h t e . I. Römisches Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Karolina. IV. Das gemeine Recht. V. Die neuere Gesetzgebung. VI. Das Merkmal der Überlegung 289 Die vorsätzliche gemeine Tötung. Das geltende Recht. I. Mord und Totschlag. II. Mildere und III. schwerere Fälle des Totschlags 291 D i e K i n d e s t ö t u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Gegenstand und IV. Subjekt der Tötung. V. Strafe 293 D i e T ö t u n g auf V e r l a n g e n . I. Geschichte. II. Geltendes Recht. III. Bestrafung 295 D i e f a h r l ä s s i g e T ö t u n g . I. Geschichte. II. Geltendes Recht 297 II. Die Körperverletzung.
§ 87. § 88.
§ 89.
G e s c h i c h t e und B e g r i f f . I.Geschichte. II. Begriff der Körperverletzung. III. Die Widerrechtlichkeit; insbesondere Einwilligung des Verletzten D i e A r t e n d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g . I. Die leichte vorsätzliche, II. die gefährliche Körperverletzung. III. Die Mißhandlung Pflegebefohlener. IV. Die schwere Körperverletzung. V. Die Körperverletzung mit tötlichem Ausgange. VI. Die fahrlässige Körperverletzung. VII. Die Körperverletzung im Amt und die Mißhandlung militärisch Untergebener V e r f o l g u n g und B e s t r a f u n g . I. Antragserfordernis. II. Antragsberechtigung. III. Buße. IV. Erwiderung (Retorsion)
297
300 304
III. Die Gefährdung von Leib und Leben. § 90. § 91. §92. § 93.
1. D i e A u s s e t z u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Bestrafung 2. D i e V e r g i f t u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Bestrafung 3. D e r R a u f h a n d e l . I.Geschichte. II. R S t G B § 227, 1. Absatz. III. R S t G B § 227, 2. Absatz 4. D e r Z w e i k a m p f . I. Geschichte und systematische Stellung. II. Begriff des Zweikampfes. III. Die Herausforderung zum Zweikampf. IV. Bestrafung. V. Der Zweikampf aus militärdienstlicher Veranlassung
305 307 309
311
IV. Die Abtreibung. § 94.
I. Geschichte.
II. Begriff.
III. Die Arten
316
XIII
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Zweiter Abschnitt. Strafbare H a n d l u n g e n g e g e n
unkörperliche
Rechtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. §
95 G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f d e r B e l e i d i g u n g . I. Injuria und Beleidigung. II. Der Begriff der Ehre. III. Die Handlung. IV. Die Rechtswidrigkeit 32 t § 96. D i e A r t e n d e r B e l e i d i g u n g . I. Die einfache Beleidigung. II. Die üble Nachrede. III. Die Verleumdung. IV. Die Kreditgefährdung. V. Die sog. Beleidigung Verstorbener 329 § 97. V e r f o l g u n g u n d B e s t r a f u n g d e r B e l e i d i g u n g . I. Der Wahrheitsbeweis. II. Das Antragserfordernis. III. Erwiderung. IV. Privatgenugtuung 332 II. Strafbare Handlungen gegen die Freiheit. §
98.
§
99.
§ 100. § 101. § 102.
Begriff der Freiheitsverbrechen. I. Die persönliche Freiheit. II. Die Arten ihrer Verletzung. III. Die Mittel der Verletzung: Gewalt, Drohung, List, Mißbrauch der Amtsgewalt Geschichte der F r e i h e i t s v e r b r e c h e n . I. Das crimen vis. II. Das A L R . III. Das R S t G B . IV. Bekämpfung des Kegerhandels x. D i e N ö t i g u n g . I. Begriff. II. Die Nötigungsmittel. III. Widerrechtlichkeit der Nötigung. IV. Versuch und Vollendung. V . § 153 der Gewerbeordnung 2. D i e F r e i h e i t s b e r a u b u n g (oder E i n s p e r r u n g ) . I. Der Begriff. II. Die Mittel und III. die Vollendung der Freiheitsberaubung. IV. Die Bestrafung 3. D e r M e n s c h e n r a u b . I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der eigentliche Menschenraub. III. Der Kinderraub. IV. Sklavenraub und Sklavenhandel
335 338 340 342 343
III. Strafbare Handlungen gegen Sittlichkeit uhd Schamgefühl. § 103. § 104. § 105. § 106. § 107. § 108. § 109.
§ 110. § in.
Ü b e r s i c h t . I. Das geschützte Rechtsgut. II. Der Begriff der unsittlichen Handlung. III. Geschichtliche Übersicht . . . 1. D i e E n t f ü h r u n g (oder d e r F r a u e n r a u b ) . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten 2. D i e N ö t i g u n g z u r U n z u c h t ( i n s b e s o n d e r e d i e N o t z u c h t ) . I. Geschichte. II. Die Fälle des R S t G B . . . . 3. U n z u c h t u n t e r M i ß b r a u c h e i n e s A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e s . I. Geschichte. II. Die Fälle des R S t G B . . 4. D i e V e r f ü h r u n g z u m B e i s c h l a f . I. Die Erschleichung des Beischlafs. II. Die Verführung eines unbescholtenen jungen Mädchens 5. K u p p e l e i , Z u h ä l t e r e i und F r a u e n h a n d e l . I. Geschichte. II. Begriff der Kuppelei. III. Ihre Arten. IV. Die Zuhälterei. V. Der Frauenhandel 6. V e r l e t z u n g d e s S i t t l i c h k e i t s g e f ü h l s . I. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses. II. Verbreitung unzüchtiger Schriften. III. Schriften, die das Schamgefühl verletzen. IV. Mitteilungen aus nichtöffentlichen Gerichtsverhandlungen . . . 7. D i e w i d e r n a t ü r l i c h e U n z u c h t . I. Geschichte. II. Geltendes Recht 8. D i e B l u t s c h a n d e . I. Begriff. II. Geschichte. III. Geltendes Recht
347 350 354 356 358 359
365 368 370
Inhaltsverzeichnis.
XIV
Seite IV.
§ 112. § 113. § 114. § 115. § 116.
Strafbare Handlungen
gegen Familienrechte und Ehe).
(Personenstand
Ü b e r s i c h t . I. Personenstand. I I . Namenrecht. I I I . Rechtsverhältnisse zwischen E l t e r n und Kindern und zwischen Ehegatten I . D i e V e r l e t z u n g d e s P e r s o n e n s t a n d e s . I. Geschichte und B e g r i f f . I I . D a s geltende R e c h t . I I I . § 68 des Personenstandsg 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n b e i S c h l i e ß u n g d e r E h e . I . Die Eheerschleichung. I I . Amtsdelikte bei Schließung der E h e 3. D i e m e h r f a c h e E h e . I. Begriff und Geschichte. I I . Das geltende R e c h t 4. D e r E h e b r u c h . I. Geschichte. I I . Begriff. D a s geltende Recht
371 372 374 375 377
V. Strafbare Handlungen gegen die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl.
§ 117. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Geschichte der Religionsvérgehen. I I . Der Gegenstand des Strafschutzes. I I I . Reichsrecht und Landesrecht § 118. D i e e i n z e l n e n R e l i g i o n s v e r g e h e n . I. Gotteslästerung. I I . Beschimpfung v o n Religionsgemeinschaften. I I I . Beschimpfender Unfug. I V . Störung des Gottesdienstes. V . Störung des Gräberfriedens
379
382
VI. Hausfriedensbruch und Verletzung fremder Geheimnisse.
§ 119. § 120.
1. D e r H a u s f r i e d e n s b r u c h . I. Geschichte. I I . Begriff. III. Arten 2. D i e V e r l e t z u n g f r e m d e r G e h e i m n i s s e . I. Allgemeines. I I . Verletzung des Briefgeheimnisses. I I I . Offenbarung von Privatgeheimnissen
385 388
VII. Störung des persönlichen Rechtsfriedens durch Bedrohung.
§ 121.
1. Begriff des Rechtsfriedens. I I . Die Bedrohung in der Geschichte und I I I . im geltenden R e c h t
392
Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Urheberrechte und Erfinderrechte. § 122.
§ 123.
§ 124.
1. D i e V e r l e t z u n g d e s s c h r i f t s t e l l e r i s c h e n u n d k ü n s t l e r i s c h e n U r h e b e r r e c h t s (mit Einschluß d e s V e r l a g s r e c h t s ) . I. Das schriftstellerische Urheberrecht. II. D a s Verlagsrecht. I I I . D a s künstlerische Urheberrecht . . . . 2. D i e V e r l e t z u n g d e s g e w e r b l i c h e n Urheberrechts. I. Verletzung des Urheberrechts an (Geschmacks-) Mustern und Modellen. II. Verletzung des Patentrechts. III. Verletzung des R e c h t s an Gebrauchsmustern 3. D e r u n l a u t e r e W e t t b e w e r b u n d v e r w a n d t e D e l i k t e . I. Allgemeiner Begriff. II. Das G v o m 7. Juni 1909. III. Verrat von Geschäftsgeheimnissen außerhalb des unlauteren Wettbewerbs. I V . Schutz des Firmen- und Namenrechts (des R e c h t s auf Warenbezeichnungen)
394
398
400
XV
Inhaltsverzeichnis.
Seit*
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Vermögensrechte. § 125.
Übersicht. I. Schutz der dinglichen Rechte, II. der Zueignungsrechte, III. der Forderungsrechte. IV. Delikte gegen das Vermögen überhaupt. V. Ergänzende Strafdrohungen 408 I. Strafbare Handlungen gegen dingliche Rechte.
§ 126.
1. D e r D i e b s t a h l . Geschichte. I. Das römische Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Italiener. IV. Die 410 PGO. V. Das gemeine Recht und die Landesgesetzgebung § 127. D e r B e g r i f f d e s D i e b s t a h l s . I. Begriffsbestimmung. II. Die fremde bewegliche Sache. III. Der Gewahrsam. IV. Das Wegnehmen. V . Die Zueignungsabsicht. VI. Versuch und Vollendung. VII. Der Verletzte 412 § 128. D i e A r t e n des D i e b s t a h l s . I. Der einfache Diebstahl. II. Der schwere Diebstahl. III. Diebstahl im Rückfall. IV. Der räuberische Diebstahl. V. Der Familien- und Hausdiebstahl. VI. Die Notentwendung 419 § 129. D e m D i e b s t a h l v e r w a n d t e F ä l l e . I. Gebrauchsanmaßung. II. Besitzentziehung. III. Forst- und Felddiebstahl. IV. Zueignung von Munition. V. und VI. R S t G B § 370 Ziff. 1 und 2. V I I . Der Mundraub. V I I I . Der Futterdiebstahl . 425 § 130. 2. D e r R a u b . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten des Raubes. IV. Nebenstrafe 429 § 131. 3. D i e U n t e r s c h l a g u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten der Unterschlagung. IV. Depotg. vom 5. Juli 1896 432 § 132. 4. D i e S a c h b e s c h ä d i g u n g . I.Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten 435 § 133. 5. D i e E n t z i e h u n g e l e k t r i s c h e r A r b e i t . I. Das Rechtsgut. II. und III. Die beiden Fälle 438 II. Verletzung von Zueignungsrechten. § 134.
I. Verletzung des Jagdrechts. II. Verletzung des Fischereirechts. III. Verletzung des Bergrechts
§ 135.
1. D e r V e r t r a g s b r u c h . I. Geschichte. II. Das geltende Recht 443 2. D i e U n t r e u e . I. Geschichte. II. R S t G B § 266. III. Die Untreue nach den Versicherungsgesetzen. IV. Das Hypothekenbankg. vom 13. Juli 1899. V. Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 und G betr. die Privatversicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901; VI. Genossenschaftsg. vom 1. Mai 1889. V I I . Börseng. vom 8. Mai 1908 . . . . 444 3. D e r B a n k b r u c h . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten des Bankbruchs. IV. Verwandte Vergehen nach der Konkursordng. V. Strafdrohungen des Handelsgesetzbuchs und VI. des Depotg. von 1896 447 4. D i e V o l l s t r e c k u n g s V e r e i t e l u n g 454
439
III. Strafbare Handlungen gegen Forderungsrechte.
§ 136.
§ 137.
§ 138.
IV. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen überhaupt. § 139.
1. D e r B e t r u g . G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . des Betruges. II. Die Begriffsmerkmale
I. Geschichte
455
Inhaltsrerzeichnis.
XVI
Die A r t e n des B e t r u g e s . X. Einfacher Betrug. II. Betrug im Rückfall. I I I . Versicherungsbetrug. IV. Der Notbetrug. V. Das betrügerische Kurstreiben § 141. 2. Die E r p r e s s u n g . I. Geschichte. I I . Begriff. I I I . Die Strafe der Erpressung S 142. 3. S t r a f b a r e A u s b e u t u n g a n d e r e r . Allgemeines, a) Die Übervorteilung Minderjähriger. I. Grundsätzliche Bedeutung. I I . Übervorteilung Minderjähriger § 143. F o r t s e t z u n g , b) D e r W u c h e r und verwandte F ä l l e . I. Geschichte. I I . Der Kreditwucher. I I I . Der Geschäftsoder Sachwucher IV. Mit dem Wuchergesetz zusammenhängende Strafdrohungen. V. Abzahlungsgeschäfte. VI. Verleitung zu Börsenspekulation § 144. 4. D i e G e f ä h r d u n g des Vermögens, a) Das G l ü c k s spiel. I. Begriff. I I . Die Arten § 145. b) Die ö f f e n t l i c h e Ausspielung ( L o t t e r i e ) . I. Geschichte und systematische Stellung. II. R S t G B § 286 I I I . Prämienpapiere: G vom 8. Juni 1871 § 146. c) G e f ä h r d u n g durch K o n t e r b a n d e § 147. 5. D i e S a c h h e h l e r e i ( P a r t i e r e r e i ) . I. Geschichte. I I . Begriff. I I I . Die Strafe. IV. Die Steuerhehlerei § 140.
Seite
461 465 466
468 472 474 476 477
Fünfter Abschnitt.
Die durch das Mittel des Angriffs gekennzeichneten Straftaten. I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Reichsstrafgesetzbuchs.
§ 148. § 149. § 150.
§ 151.
§ 152. § !53§ 154. § !55-
Allgemeines. I. Die Terminologie des RStGB. I I . Grundcharakter der Gruppe. I I I . Der Begriff der Gemeingefahr. IV. Seine Verwendung im Gesetz 1. B r a n d s t i f t u n g und Ü b e r s c h w e m m u n g . I. Geschichte der Brandstiftung. I I . und I I I . Begriff und Arten der Brandstiftung. IV. Die Überschwemmung 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n gegen den E i s e n b a h n - und Telegraphenbetrieb. I. Gefährdung des Eisenbahnbetriebes. I I . Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage. I I I . Nebenstrafen. IV. Schutz der unterseeischen Kabel: G vom 21. November 1887 3. B e s c h ä d i g u n g von W a s s e r b a u t e n usw.; G e f ä h r d u n g der S c h i f f a h r t . I. Zerstörung oder Beschädigung von Wasserbauten. I I . Strafbare Handlungen an Schiffahrtszeichen. I I I . Stranden- oder Sinkenmachen eines Schiffes 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n in bezug auf a n s t e c k e n d e K r a n k h e i t e n . I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. I I . Verletzung der Anordnungen bei Viehseuchen 5- V e r g i f t u n g von B r u n n e n und G e b r a u c h s m i t t e l n . I. Geschichte und systematische Stellung. I I . Das geltende Recht 6. N i c h t e r f ü l l u n g von L i e f e r u n g s v e r t r ä g e n . I. Geschichte. I I . Begriff . ' . . . . 7- V e r l e t z u n g der R e g e l n der B a u k u n s t
483 484
489
492 494 49S 496 497
I I . Mißbrauch von Sprengstoffen.
§ 156.
I. Das G vom 9. Juni 1884 im allgemeinen. II. Die von ihm bedrohten strafbaren Handlungen. I I I . Nebenstrafen und objektive Maßregeln. IV. Begehung im Ausland
498
Inhaltsverzeichnis.
XVII Seite
III. Die Warenfälschung. 5 157.
I. Systematische Stellung. II. Geschichte. III. Das Nahrungsm i t t e i g . v o m 14. M a i 1 8 7 g . I V . B l e i - u n d z i n k h a l t i g e G e g e n s t ä n d e : G v o m 25. J u n i 1887. V. Gesundheitsschädliche F a r b e n : G v o m 5. J u l i 1887. V I . W e i n g . v o m 7. A p r i l 1909 B r a u s t e u e r g . v o m 1 5 . Juli 1909. V I I I . Künstliche Süßs t o f f e : G v o m 7. J u l i 1902. I X . B u t t e r g . v o m 1 5 . J u n i 1897 X . S c h l a c h t v i e h - u n d F l e i s c h b e s c h a u g . v o m 3. J u n i 1900
500
IV. Strafbare Handlungen an Geld. § 158.
§ 159.
G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. G e s c h i c h t e II. Ihre Stellung im System. der sog. Münzverbrechen. I I I . Die Geldzeichen D i e A r t e n d e r G e l d v e r b r e c h e n . I. D i e e i g e n t l i c h e M ü n z fälschung. II. D a s Verbreiten v o n gefälschten Geldzeichen. I I I . S t G B § 148. I V . M ü n z v e r r i n g e r u n g . V . V o r b e r e i t u n g s handlungen. V I . Verwandte Übertretungen. V I I . Der Schutz v o n R e i c h s k a s s e n s c h e i n e n u n d R e i c h s b a n k n o t e n : G vom 26. M a i 1885 u n d v o m 2. J a n u a r 1 9 1 1
506
508
V. Strafbare Handlungen an Urkunden. § 160.
§ 161.
§ 162.
§ 163.
Allgemeines. I. Geschichte und systematische Stellung der Urkundenverbrechen. II. Begriff der Urkunde. III. Die Arten der Urkunde 1. D i e e i g e n t l i c h e U r k u n d e n f ä l s c h u n g . I. D i e H a n d lung. II. Die Absicht. III. Die Arten. IV. Vollendung. V. Bestrafung 2. D i e Falschbeurkundung (insbesondere die sogen a n n t e i n t e l l e k t u e l l e U r k u n d e n f ä l s c h u n g ) . I. L e g i s lativer Grundgedanke. II. Das geltende Recht 3. D i e ü b r i g e n U r k u n d e n v e r b r e c h e n . I. Urkundenunterdrückung. II. Grenzverrückung. III. Strafbare Handlungen an Stempel-, Post- und Telegraphenwertzeichen. IV. Schutz der Versicherungsmarken. V . Strafbare Handlungen an Steuer- und Zollzeichen, V I . an Legitimationspapieren, V I I . in bezug auf Gesundheitszeugnisse
Zweites
512
515
518
520
Buch.
Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.
Die Verbrechen gegen den Staat. § 164.
§ 165.
Überblick. I. Begriff und Arten der Staatsverbrechen. II. Hoch- und Landesverrat. Majestätsbeleidigung. I I I . Verl e t z u n g s t a a t s b ü r g e r l i c h e r R e c h t e . I V . A n g r i f f e auf f r e m d e Staaten 1. D e r H o c h v e r r a t I. B e g r i f f . II. Arten. III. Vorbereitungshandlungen. I V . Beschlagnahme des V e r m ö g e n s .
V. L i S i t , Strafrecht.
21. Aufl.
II
526 529
XVIII
Inhaltsverzeichnis. I
$ 166.
§ 167.
§ 168. $ 169.
§ 170.
2. D e r L a n d e s v e r r a t . I . Der Begriff im allgemeinen. I I . Der militärische, I I I . der diplomatische Landesverrat. I V . B e schlagnahme des Vermögens. V . Der Kriegsverrat. V I . G vom 5. April 1888. V I I . Die Nichterfüllung von militärischen Lieferungsverträgen 3. A u s s p ä h u n g u n d V e r r a t m i l i t ä r i s c h e r G e h e i m n i s s e . I . Begriff des militärischen Geheimnisses. I I . Ausspähung. I I I . Verrat. I V . Weitere strafbare Handlungen. V. B e gehung i m Auslande 4. D i e M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g . I . Begriff. I I . Tätlichkeiten. I I I . Einfache Beleidigung 5. S t r a f b a r e Handlungen gegen staatsbürgerliche R e c h t e . I . Geschichte. Die Entwürfe. I I . Strafbare Handlungen gegen gesetzgebende Versammlungen, I I I . gegen das politische Wahl- und Stimmrecht 6. S t r a f b a r e Handlungen gegen fremde Staaten. I . Übersicht. I I . Die einzelnen Fälle
Seite
533
539 543
546 549
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. § 171. 5 172. § I73§ 174.
§ 175. § 176.
1. G e w a l t s a m e r E i n g r i f f i n A m t s h a n d l u n g e n . I . Allgemeines. I I . Widerstand. I I I . Tätlicher Angriff. I V . Nötigung. V. Aufruhr. V I . Auflauf 2. G e w a l t g e g e n F o r s t - o d e r J a g d b e a m t e und die i h n e n g l e i c h g e s t e l l t e n P e r s o n e n . I . Begriff. I I . Arten. I I I . Bestrafung 3- D i e B e f r e i u n g v o n G e f a n g e n e n . I . Begriff und systematische Stellung. I I . Geschichte. I I I . Arten 4. D i e S t ö r u n g d e s ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s . I . Begriff des öffentlichen Friedens. I I . Geschichte der strafbaren Friedensstörungen. I I I . Die einzelnen Fälle des geltenden Rechts 5. D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n . I. Begriff und systematische Stellung. I I . Die strafbaren Aufforderungen im R S t G B . I I I . Die übrigen Fälle. I V . Der Duchesneparägraph 6. M i ß a c h t u n g d e r S t a a t s g e w a l t . I . Staatsverleumdung. I I . Amtsanmaßung. I I I . Der B r u c h amtlicher Verwahrung. I V . Beschädigung von Bekanntmachungen. V. Verletzung von Hoheitszeichen. V I . Amtssiegelbruch. V I I . Pfandbruch. V I I I . Übertretungen: Mißbrauch des roten Kreuzes nach dem G vom 22. März 1902. Trachten und Abzeichen der Krankenpflege nach dem G vom 7. September 1 9 1 5 .
552 555 557
559 563
568
D r i t t e r Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsverwaltung. § 177.
Ü b e r s i c h t . I . Die Aufgaben der Staatsgewalt. I I . I h r Schutz durch die Strafgesetzgebung. I I I . Die Einteilung dieser Gruppe
573
I. Strafbare Handlungen im Amte. § 178. § 179.
G e s c h i c h t e und Begriff. I. Begriff der Amtsverbrechen. I I . Ihre Geschichte. I I I . Begriff des B e a m t e n . I V . Einteilung der Amtsverbrechen D i e e i n z e l n e n A m t s v e r b r e c h e n . I . B e s t e c h u n g . I I . Rechts-
574
XIX
Inhaltsverzeichnis.
Seite
beugung. I I I . Verbrechen bei T r a u u n g und Eheschließung. I V . Bedrückung der Staatsbürger. V . A m t s m i ß b r a u c h i m Strafverfahren. V I . Urkundenverbrechen. V I I . Amtsunterschlagung. V I I I . Gebührenüberhebung. I X . Diplomatenverbrechen. X . S t r a f b a r e H a n d l u n g e n der Post- und Telegraphenbeamten. X I . Der P a r t e i v e r r a t . X I I . Strafbare Pflichtverletzung des Amtsvorgesetzten
577
II. Die falsche Aussage (die sog. Eidesverbrechen). § 180. § 181.
G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I . Geschichte. I I . Systematische Stellung der Eidesverbrechen Das geltende Recht. I . Die A r t e n der Eidesverbrechen. I I . S t r a f e r m ä ß i g u n g . S t r a f a u f h e b u n g . Nebenstrafen . . .
586 588
III. Strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege. $ 182. § 183. § 184.
1 . D i e f a l s c h e A n s c h u l d i g u n g . I . S y s t e m a t i s c h e Stellung. I I . Geschichte. I I I . Geltendes R e c h t 2. B e g ü n s t i g u n g u n d H e h l e r e i . I . Geschichte. I I . Begriff u n d Arten. I I I . Die B e g ü n s t i g u n g im geltenden R e c h t . I V . Die Hehlerei 3. D i e ü b r i g e n V e r g e h e n g e g e n d i e Rechtspflege. I . Eidesbruch. I I . Veröffentlichung der A n k l a g e s c h r i f t . I I I . Verletzung der Dingpflicht. I V . Unterlassung der A n zeige. V . Veraltete Strafdrohungen
594 597
601
IV. Vergehungen gegen die Wehr- und Volkskraft des Staates. § 185.
¡j 186.
1 . S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e W e h r k r a f t . I . Falschwerbung. I I . Verleitung zur F a h n e n f l u c h t . I I I . Untauglichmachung. I V . Betrügliche U m g e h u n g der Wehrpflicht. V . Verletzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. V I . Verletzung des Kriegsleistungsg. V I I . Übertretung des Festungsrayong. V I I I . Übertretung des K r i e g s h a f e n g . I X . Brieftaubenverkehr im Kriege 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e V o l k s k r a f t . I . Allgemeines. I I . § 144 S t G B . I I I . D i e g e s c h ä f t s m ä ß i g e A n werbung zur A u s w a n d e r u n g . I V . Die gewerbepolizeilichen S t r a f d r o h u n g e n des G v o m 9. J u n i 1897. V . D e r F r a u e n handel
604
608
V. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des Preß- und des Vereinswesens. § 187.
. Liszt Das d e u t s c h e Reichspreßrecht 1880. v. L i s z t V ö l k e r r e c h t : v. Liszt Das Völkerrecht s y s t e m a t i s c h dargestellt. 11. Aufl. 1918. v. L i s z t A u f s ä t z e : V. Liszt Strafrechtliche Aufsätze u n d V o r t r ä g e I . u n d I I . B d . 1905. LO: Landesordnung. Mayer: M. E. Mayer D e r allgemeine Teil des d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s 1915Merkel: Merkel L e h r b u c h des S t r a f r e c h t s 1889. M e r k e l - L i e p m a n n : Merkel-Liepmann Die Lehre v o n Verbrechen u n d S t r a f e 1912. MilStGB: Militärstrafgesetzbuch f ü r d a s Deutsche Reich. M i t t e i l u n g e n : Mitteilungen d e r I n t e r n a t i o n a l e n kriminalistischen Vereinigung seit 1889. Mommsen: Mommsen Römisches S t r a f r e c h t 1899. ÖRE: Österreichischer R e g i e r u n g s e n t w u r f . Österreichischer Vorentwurf. ÖVE: Olshausen: Olshausen K o m m e n t a r 10. A u f l 1916. Die kleineren Ziffern bezeichnen die N u m m e r n d e r angezogenen N o t e . Oppenhoff: Oppenhoff K o m m e n t a r 14. Aufl. 1901 herausgegeben v o n Delius. Ö s t e r r e i c h i s c h e Z: Österreichische Zeitschrift f ü r S t r a f r e c h t , herausgegeben v o n Löffler. OT: E n t s c h e i d u n g e n des Berliner O b e r t r i b u n a l s . P e r n i c e L a b e o : Pernice M- Antistius Labeo I I . B d . 2. Aufl. 1895. PGO: Peinliche Gerichtsordnung Karls V. R: E n t s c h e i d u n g e n des Reichsgerichts; zitiert n a c h B a n d u n d Seitenzahl d e r v o n den Mitgliedern des Gerichtshofes herausgegebenen Sammlung. Reform: Aschrott u n d v. Liszt Die R e f o r m des Reichsstrafgesetzbuchs. Kritische Besprechung des Vorentwurfs zu einem S t r a f gesetzbuch f ü r das Deutsche Reich u n t e r vergleichender Berücksichtigung des österreichischen u n d schweizerischen V o r e n t w u r f s , Berlin 1910. RGBl: Reichsgesetzblatt. RMilG: E n t s c h e i d u n g e n des Reichsmilitärgerichts. RStGB: Reichsstrafgesetzbuch. Sammlung: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in d e u t s c h e r Übersetzung ( J . G u t t e n t a g ) . Schsp: Schwabenspiegel. Ausgabe von Laßberg. Schwartz: Schwartz D a s S t G B f ü r das Deutsche Reich. Mit K o m m e n t a r 1914. S c h w e i z e r Z.: Schweizerische Zeitschrift f ü r S t r a f r e c h t . S o e r g e l - K r a u s e : J a h r b u c h des Strafrechts u n d Strafprozesses, herausgegeben seit 1906 von Soergel u n d Krause. Ssp: Sachsenspiegel. Ausgabe von Homeyer. S t e n g l e i n N e b e n g e s e t z e : 4. Aufl. 1911 bis 1913. StG: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender D a r s t e l l u n g I. B d . 1894 (herausgegeben v o n V. Liszt); I I . J3d. 1898 (herausgegeben v o n v. Liszt u n d Crusen). StGB: Strafgesetzbuch. S t o o ß L e h r b u c h : Stooß L e h r b u c h des österreichischen S t r a f r e c h t s . 2. Aufl. 1913StPO: S t r a f p r o z e ß o r d n u n g f ü r das Deutsche Reich. SRE: Schweizer Regierungsentwurf (1918). VD: Vergleichende Darstellung des deutschen u n d a u ß e r d e u t s c h e n Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechts-
XXVI
Abkürzungen.
r e f o r m 1905ff. (Allg. T . : Allgemeiner Teil. Bes. T..: Besonderer Teil). VE: Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch. Bearbeitet v o n d e r hierzu bestellten Sachverständigenkommission. Veröffentlicht auf A n o r d n u n g des R e i c h s j u s t i z a m t s . Berlin 190g. Wach: Wach H a n d b u c h des Zivilprozesses I 1885. W a c h e n f e l d : Wachenfeld L e h r b u c h des deutschen S t r a f r e c h t s 1914. WV: W ö r t e r b u c h des Verwaltungsrechts. Herausgegeben von V. Stengel, 1889/90; 1. B d . 2. Aufl. herausgegeben von Fleischmann 1911 ff. Z (ohne Z u s a t z ) : Zeitschrift f ü r die g e s a m t e Strafrechtswissenschaft, seit 1881. Z o r n S t a a t s r e c h t : 2. Aufl. I . B d . 1895; I I . B d . 1897. ZPO: Zivilprozeßordnung f ü r das Deutsche Reich.
Allgemeine Bemerkung. U m einerseits wiederholte A n f ü h r u n g v o n längeren, i n d e m vorstehenden Verzeichnisse nicht a n g e f ü h r t e n Büchertiteln zu vermeiden, andererseits die A u f f i n d u n g des vollständigen Büchertitels zu erleichtern, h a b e ich dem N a m e n des Verfassers in der K l a m m e r d e n P a r a g r a p h e n des Lehrbuchs a n g e f ü g t , zu d e m das W e r k vollständig g e n a n n t ist. „ H e i m b e r g e r (Lit. zu § 49)" b e d e u t e t also, d a ß der vollständige Titel der gem e i n t e n Heimbergerschen Schrift sich in d e n L i t e r a t u r a n g a b e n zu § 49 f i n d e t .
An meine Leser, insbesondere an meine jungen akademischen Freunde, richte ich die dringende Bitte, mich auf Irrtümer und Druckfehler wie bisher so auch fernerhin gütigst aufmerksam machen zu wollen. Meines besonderen Dankes dafür mögen sie nach wie vor versichert sein.
Einleitung. * i.
Oer Begriff des Strafrechts und die Aufgabe des Lehrbuchs.
I. Strafrecht1) ist d e r I n b e g r i f f d e r j e n i g e n s t a a t l i c h e n R e c h t s r e g e l n , d u r c h d i e an d a s V e r b r e c h e n als T a t b e s t a n d die S t r a f e als R e c h t s f o l g e g e k n ü p f t wird.2) Als der dem Strafrecht eigenartige Tatbestand bildet das V e r b r e c h e n eine besondere Unterart des Unrechts (des Deliktes), d. h. der schuldhaften, rechtswidrigen Handlung. Und als die dem Strafrecht eigenartige Rechtsfolge unterscheidet sich die S t r a f e von andern Rechtsfolgen des Unrechts dadurch, daß sie einen v o m Staate gegen den Schuldigen verhängten eigenartigen Eingriff in dessen Rechtsgüter darstellt. Verbrechen und Strafe sind demnach die beiden Grundbegriffe des Strafrechts. Damit ergibt sich als die nächste Aufgabe der Strafrechtswissenschaft: in rein juristisch-technischer Betrachtung, gestützt auf die S t r a f g e s e t z g e b u n g , Verbrechen und Strafe als begriffliche Verallgemeinerungen ins Auge zu fassen; die einzelnen Vorschriften des Gesetzes, bis zu den letzten Grundbegriffen und Grundsätzen aufsteigend, zum geschlossenen System '} S t r a f r e c h t i m o b j e k t i v e n Sinn, auch peinliches Recht, Krinlinalrecht genannt. Im s u b j e k t i v e n Sinne bedeutet Strafrecht das R e c h t zu strafen (jus puniendi), also das R e c h t , Strafe anzudrohen, sowie im Einzelfall sie zu verhängen und zu vollstrecken. A l s S t r a f a n s p r u c h bezeichne ich dieses Recht in seiner Anwendung auf den Einzelfall. Zu beachten ist, daß von einem staatlichen Straf r e c h t im subjektiven Sinne nur unter der Voraussetzung gesprochen werden kann, daß die an sich schrankenlose S t r a f g e w a l t des Staates in kluger Selbgtbeschränkung V o r a u s s e t z u n g u n d I n h a l t ihrer Betätigung (Verbrechen und Strafe) bestimmt hat. Ganz ebenso Mommsen 56 (daß das Strafrecht entstanden sei durch gesetzliche Beschränkung der an sich unbeschränkten magistratischen Koerzitionsgewalt, bildet den Grundgedanken seines Buchs). Wie überhaupt „ d a s R e c h t die Politik der G e w a l t " ist (V. Ihering), so ist das staatliche R e c h t zu strafen die r e c h t l i c h b e g r e n z t e Strafgewalt des Staates (unten § 6 III). Die Begrenzung wird durch das Strafrecht im objektiven Sinne gebildet. 2) „ S t r a f e " ist hier in dem weiteren, auch die „sichernden Maßnahmen" umfassenden Sinne zu verstehen. v. L i s z t ,
Strafrecht.
21. A u f l .
1
2
§ !•
Der Begriff des Strafrechts und die Aufgabe des Lehrbuch«.
zu entwickeln; im besonderen Teile des Systems die e i n z e l n e n Verbrechen und die auf diese gesetzten Strafen, im allgemeinen Teile den Begriff d e s Verbrechens, d e r Strafe überhaupt darzustellen. Als hervorragend p r a k t i s c h e Wissenschaft, stets für die Bedürfnisse der Rechtspflege arbeitend und aus dieser immer neue Befruchtung schöpfend, muß die Rechtswissenschaft die eigentlich s y s t e m a t i s c h e Wissenschaft sein und bleiben; denn nur die Ordnung der Kenntnisse im System verbürgt jene sichere, immer bereite Herrschaft über alle Einzelheiten, ohne welche die Rechtsanwendung stets Dilettantismus bleibt, jedem Zufall, jeder Willkür preisgegeben. Das Lehrbuch beschränkt sich auf die Darstellung des im D e u t s c h e n R e i c h e g e l t e n d e n Strafrechts. Und zwar in erster Linie des b ü r g e r l i c h e n Strafrechts , während das Militärstrafrecht nur in seinen äußersten Umrissen dargestellt werden kann. Das außerdeutsche Strafrecht und das Strafrecht der deutschen Einzelstaaten bleibt für das System außer Betracht. II. Über das geltende Strafrecht hinaus führt uns die Erkenntnis der Strafe als eines in die Hand des Staates gelegten M i t t e l s z u r B e k ä m p f u n g des Verbrechens. Diese Erkenntnis legt uns die Frage nach dem Rechtsgrund und den Zielen der staatlichen Strafgewalt, aber auch nach dem Ursprung und der Eigenart des Verbrechens nahe. Die wissenschaftliche Lösung dieser Frage ist Aufgabe der auf K r i m i n o l o g i e und P ö n o l o g i e gestützten Kriminalpolitik. Sie gibt uns den Maßstab für die Wertschätzimg des Rechts, welches gilt, und sie deckt uns das Recht auf, welches gelten sollte; aber sie lehrt uns auch, das geltende Recht aus seinem Zweck heraus zu verstehen und seinem Zweck gemäß im Einzelfalle anzuwenden. Die leitenden Grundsätze der Kriminalpolitik durften daher, ebenso wie die Geschichte des Strafrechts, in diesem Lehrbuche nicht übergangen, sie mußten aber, wie diese, in die Einleitung verwiesen werden, deren e r s t e r A b s c h n i t t d e r Kriminalpolitik gewidmet ist. 3 ) III. Die G e s c h i c h t e des Straf rechts wird nur so weit herangezogen, als es notwendig ist, um das geltende Recht als ein geschichtlich gewordenes und weiter sich entwickelndes zu begreifen. Ihr Platz ist im z w e i t e n A b s c h n i t t e der Einleitung. IV. Nicht in das System des Straf rechts, sondern ebenfalls in die Einleitung, gehört die Lehre von den Q u e l l e n des Strafrechts und dem H e r r s c h a f t s g e b i e t e der Strafrechtssätze, die im wesent3 ) Die Umstellung der beiden ersten Abschnitte der Einleitung beruht auf einer Anregung Freudenthals Z 39 217.
§ 2.
Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz.
3
liehen nicht auf strafrechtlichen, sondern auf staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen beruht. Von dem Herrschaftsgebiete der Quellen handelt der d r i t t e A b s c h n i t t der Einleitung. 4 )
I. Die antisoziale Bedeutung des Verbrechens und die soziale Funktion der Strafe. § 2. Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz. Literatur. Z u r R e c h t s p h i l o s o p h i e : Ahrens Naturrecht 1 338. v. Ihering Der Z w e c k i m R e c h t 3. A u f l . 1893 1 99. D a z u Hurwicz Rudolf v. Ihering und die deutsche Rechtswissenschaft. Berliner Seminarabhandlgn N. F . 6 4. H e f t 1 9 1 1 . Kelsen Hauptprobleme der Staatsrechtslehre 1 9 1 1 . Stammler Theorie der Rechtswissenschaft 1 9 1 1 . Müller-Eisert G S 84 67. Binder Rechtsnorm und Rechtspflicht 1912. — Z u r N o r m e n t h e o r i e : Binding Die Normen (insb. 1 2. A u f l . 1890 S. 328, 338). Thon Rechtsnorm und s u b j e k t i v e s R e c h t 1878. v. Liszt Z 3 1, 6 663 (Aufsätze 1 126, 212), 8 134. Höpfner Z 23 623. Mayer 175. Kohlrausch (Lit. zu § 36) 45. v. Bar Gesetz 1 22. Affolter L A 23 361. Holder G S 77 273. Kelsen 270. Binder 25. Baumgarten A u f b a u 210. Vgl. auch die Zusammenstellung bei Kitzinger G S 55 1 (23 Note 2). — O p p e n h e i m Die O b j e k t e des Verbrechens 1894. ötker Z 17 493. ME. Mayer (Lit. zu § 32) 66. Hegler (Lit. zu § 21) 36. Hold von Ferneck (Lit. zu § 32) 1 182. Hirschberg Die Schutzobjekte der Verbrechen (v. Lil. H e f t 113) 1910. Jacobs S c h u t z o b j e k t und T a t o b j e k t Straßburger Diss. 1914. •— Kantorowicz Rechtswissenschaft und Soziologie 1911. Sternberg D a s Verbrechen in K u l t u r und Seelenleben der Menschheit 1912. V. Hentig Strafrecht und Auslese 1914.
I. Die Rechtsordnung. Das Recht ist die Ordnung der im Staate organisierten Gesellschaft; mit der Entwicklung des Staates ändert es im Lauf der Jahrhunderte Wesen und Gestalt. Im neuzeitlichen Staat, der, mit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts einsetzend, durch die Herausbildung einer über den einzelnen stehenden herrschaftlichen Staatsgewalt (als Befehls- und Zwangsgewalt) sich kennzeichnet, ist das Recht ein S y s t e m v o n Z w a n g s n o r m e n geworden, die nicht nur den einzelnen, sondern (im modernen Verfassungsstaat) auch die Staatsgewalt selbst binden (oben § 1 Note 1) und so die Erreichung der gemeinsamen Ziele gewährleisten. Als Privatrecht regelt es die Beziehungen der einzelnen zueinander; als öffentliches Recht die Beziehungen zwischen diesen und der Staatsgewalt, deren Befugnisse es zugleich umgrenzt, indem es dem Staatsbürger (lie Mitwirkung bei der Bildung des Staatswillens sichert. Hier wie dort regelt es menschliche Lebensbeziehungen. ') Diese Lehre wird meist als erster Teil des Systems behandelt; die A b weichung ist ohne wesentliche B e d e u t u n g .
4
§ 2.
Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz.
1. Der S t a a t ist, wie jede Gesellschaft, ein Z w e c k v e r b a n d v o n M e n s c h e n , der gemeinsamen Verfolgung gemeinsamer Zwecke d i e n e n d ; seine Rechtsordnung soll die E r r e i c h u n g der Verbandszwecke gewährleisten. Hinter d e m Staate s t e h t , als sein T r ä g e r , d a s S t a a t s v o l k , die, in v i e l f a c h e n , neben- und durcheinander liegenden Schichten gelagerte G e s a m t h e i t der zur Gesellschaft verbundenen einzelnen Menschen. A l l e s R e c h t ist mithin u m der Menschen willen da. E s bezweckt den S c h u t z m e n s c h l i c h e r L e b e n s i n t e r e s s e n . Interessenschutz ist d a s Wesen des R e c h t s ; der Z w e c k g e d a n k e die d a s R e c h t erzeugende K r a f t . Die durch d a s R e c h t geschützten Interessen nennen wir Rechtsgüter.1) R e c h t s g u t i s t d a s r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e . Alle Rechtsgüter sind L e b e n s i n t e r e s s e n , Interessen des einzelnen oder der Gemeinschaft. Nicht die Rechtsordnung erzeugt d a s Interesse , sondern d a s L e b e n ; aber der Rechtsschutz erhebt d a s Lebensinteresse zum R e c h t s g u t . Persönliche Freiheit, Hausrecht, Briefgeheimnis, Urheber- und Erfinderrechte waren Lebensinteressen, lang, ehe sie durch die Verfassungsurkunden gegen willkürliche Eingriffe der Staatsgewalt oder durch die Strafgesetze gegen Verletzung von seiten einzelner sichergestellt wurden. D a s Bedürfnis erzeugt den Schutz, und m i t den wechselnden Interessen wechselt Zahl und A r t der Rechtsgüter. D a m m wurzeln die Rechtsnormen letzten Grundes in d e m Wissen wie in den religiösen, sittlichen und ästhetischen Anschauungen des Staatsvolkes; sie finden hier ihren festen, bodenständigen H a l t und empfangen hier den A n t r i e b z u r E n t w i c k l u n g . D a s R e c h t ist eine Kulturerscheinung und unlöslich m i t der G e s a m t k u l t u r verbunden. 2 ) 2. Die A b g r e n z u n g der Machtkreise, den S c h u t z dieser und die Zurückweisung jener Interessen übernimmt der über den einzelnen stehende allgemeine W i l l e : er löst sie in der R e c h t s o r d n u n g : in der Scheidung der berechtigten von den unberechtigten Interessen. Die Rechtsordnung grenzt die Machtgebiete voneinander a b ; sie b e s t i m m t , wieweit der Wille sich frei betätigen, wieweit er insbesondere fordernd oder versagend in die Willenskreise anderer Rechtsgut ist nicht ein Gut d e s R e c h t s (wie Binding u. a. annehmen), sondern ein durch das Recht anerkanntes und geschütztes Gut d e r M e n s c h e n . Es kann, braucht aber nicht, durch die Gewährung eines subjektiven Rechts geschützt zu sein. Vgl. Merkel-Liepm. 84. — Abweichend Ötker 495: Rechtsgüter sind die vom Recht angestrebten Zustände. Ahnlich Gerland V D . Allg. T. 1 203 und Hirschberg. Irrtümlich Frank Einleitende Bestimmungen V : nicht dem Staat, sondern dem Recht wird im Text der Rechtsschutz als Aufgabe gestellt. Gegen ihn auch Mayer 23. *) Das ist der Grundgedanke von ME. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen (v. Lil. Heft 50) 1903.
§ 2.
Das Stiafrecbt als Rechtsgüterschutz.
5
Rechtssubjekte übergreifen d a r f ; sie gewährleistet die Freiheit, d a s Wollen-Dürfen und verbietet die W i l l k ü r ; sie erhebt die Lebensbeziehungen z u Rechtsbeziehungen, die Lebensinteressen zu Rechtsgütern; sie s c h a f f t , Rechte und Pflichten an bestimmte Voraussetzungen knüpfend, aus d e m Lebensverhältnis das Rechtsverhältnis. Gebietend und verbietend, ein bestimmtes Handeln oder Nichthandeln unter bestimmten Voraussetzungen vorzeichnend, sind die Normen der Rechtsordnung der Schutzwall der Rechtsgüter. Der Rechtsschutz, den die Rechtsordnung den Lebensinteressen gewährt, ist N o r m e n s c h u t z . „ R e c h t s g u t " und „ N o r m " sind die beiden Grundbegriffe des Rechts. 3 ) II. Das Verbrechen. 1. T r o t z der zunehmenden Erstarkung der Staatsgewalt steht die staatliche Friedensordnung m i t ihren rechtlichen Geboten und Verboten im täglichen K a m p f m i t den Schwächen und Leidenschaften der Menschen. D e m Recht tritt das Unrecht gegenüber; bald als trotzige A u f l e h n u n g des einzelnen gegen die Rechtsordnung oder als hinterlistige U m g e h u n g ihrer Normen, bald als sorglose Nichtachtung der an den Verkehr gestellten Anforderungen. Stets ist d a s Unrecht seiner E r s c h e i n u n g nach Rechtswidrigkeit, Übertretung eines staatlichen Gebots oder Verbots. A b e r d a m i t ist sein wesentlicher I n h a l t nicht bezeichnet. Dieser liegt in d e m Angriff auf die rechtlich geschützten Interessen anderer, sei es einzelner, sei es der Gesamtheit selbst; das Unrecht ist Verletzung oder doch Gefährdung von Rechtsgütern. So wie das R e c h t nicht nur den Staat, sondern in letzter Linie die im Staate geordnete Gesellschaft schützt, so richtet sich das Unrecht nicht nur gegen jenen, sondern in seinem Endziel gegen diese. Darin liegt d i e a n t i s o z i a l e B e d e u t u n g des Unrechts. 2. D a s Gesagte gilt in verstärktem Maße von dem Verbrechen. A u c h dieses ist Unrecht; eine durch besondere A r t m e r k m a l e (dar3) Mein Ausgangspunkt in Beziehung auf die allgemeine Rechtslehre ist mithin derselbe wie derjenige BindingS. Aber sofort trennen sich unsere Wege. Blnding hat sowohl in seinen „ N o r m e n " als auch in seinem Handbuche 1 155, ohne dem Rechtsgüte, dessen Schutz zu d i e n e n die Norm berufen ist, weitere Beachtung zu schenken, in durchaus einseitiger und willkürlicher Weise den Begriff der Norm zum Angelpunkte des ganzen strafrechtlichen Systems gemacht. Vgl. darüber v. Liszl Z 6 672 (Aufsätze 1 222), 8 134. — Der Grundfehler der Normentheorie liegt in der rein formalistischen Auffassung des Delikts als einer Verletzung der Gehorsamspflicht (Normen 1 § 45), wobei die Richtung des Verbrechens gegen die Lebensbedingungen der rechtlich geordneten Menschengemeinschaft völlig in den Hintergrund tritt. Von den
Anhängern der Normentheorie (Finger, Nagler, ötker u. a.) hat Beling Verbrechen S. 1 1 5 , indem er an Stelle der einzelnen Nonnen die „Normalität der Handlung" zum Ausgangspunkt nimmt, die Bindingsche Normentheorie völlig preisgegeben.
6
§ 2.
Das Strafrecht als Rechtsgiiterschutz.
über unten § 26) ausgezeichnete Untergruppe der Gattung. Auch das Verbrechen ist seiner Erscheinung nach Rechtswidrigkeit, seinem Wesen nach aber ein für besonders gefährlich erachteter Angriff auf die Rechtsgüterwelt. Wer in dem Verbrechen nur die Verletzung der dem Staate geschuldeten Gehorsamspflicht erblickt (Binding), der wird dem Wesensgehalt des Mordes oder des Landesverrates nicht gerecht. Das Verbrechen ist a n t i s o z i a l e H a n d l u n g wie jedes Unrecht; ein Angriff auf die Gesellschaft selbst, auch wenn es unmittelbar gegen Rechtsgüter des einzelnen sich wendet. Darum mündet die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens zwar einerseits in die allgemeine Rechtslehre und die Rechtsphilosophie, andererseits aber auch in die Gesellschaftswissenschaft (Soziologie). III. Die Strafe.
Hinter den Normen der Rechtsordnung steht d i e Z w a n g s g e w a l t d e s S t a a t e s . Die Rechtsnormen sind Zwangsnormen; die Rechtsordnung ist nicht nur Friedensordnung, sondern auch Kampfordnung. Wo dem staatlichen Befehl der Gehorsam verweigert wird, greift die Staatsgewalt (man denke an die Sicherheitspolizei in allen ihren Zweigen) zwingend ein. Dem geschehenen Unrecht gegenüber verwendet sie den Erfüllungszwang (Zwangsvollstreckung) und den Zwang zur Wiederherstellung der gestörten Ordnung oder zur Entschädigung in Geld. Dem begangenen V e r b r e c h e n gegenüber versagen aber diese Formen des staatlichen Zwangs. Der Mord läßt eine Wiederherstellung ebensowenig zu, wie, nach unserer heutigen Anschauung, eine Entschädigung in Geld. Hier greift die Staatsgewalt zu einem neuen, in Laufe der Jahrhunderte herausgebildeten Mittel: zur Androhung und zum Vollzug der öffentlichen Strafe als e i n e s d e n V e r b r e c h e r v o n S t a a t s w e g e n t r e f f e n d e n Ü b e l s an Leben oder Freiheit, an Ehre oder Vermögen. Den R e c h t s t i t e l für diese Maßnahme nimmt der Staat einerseits aus der Notwendigkeit der Strafe für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung und damit für die Sicherheit der Gesellschaft; andererseits aus der, wenn auch beschränkten, Eignung der Strafe für die Erreichung dieses Ziels. Die Eignung der Strafe erhellt gerade aus der Vielseitigkeit der Wirkungen, die sie, bei zweckgemäßer Ausgestaltung, zu erzielen vermag. 1 ) 1. W a r n e n d und a b s c h r e c k e n d tritt die Strafdrohung zu den Geboten und Verboten der Rechtsordnung hinzu. Dem rechtlich gesinnten Bürger zeigt sie in eindringlicher Form, welchen Wert 4) Hier soll meine Ansicht im Zusammenhange vorgetragen werden. Streit der Strafrechtstheorien behandelt § 5.
Den
§ 3.
Das Strafrecht als Rechtsgüterschutz.
7
der Staat seinem Befehle beilegt (die Strafdrohung als „Mißbilligung" der Zuwiderhandlung, als Ausdruck des rechtlichen und sozialen „Unwerturteils"); weniger feinfühligen Naturen stellt sie als Folge ihres rechtswidrigen Verhaltens ein Übel in Aussicht, dessen Vorstellung als Gegengewicht den verbrecherischen Hang niederhalten soll. In der einen wie in der andern Richtung aber wendet sich die Strafdrohung an die G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen (Generalprävention). 2. Aber die ganze ihr eigentümliche Kraft entfaltet die Strafe im Strafvollzug, in der Bewährung des Willens der Rechtsordnung durch den S t r a f z w a n g . E r wirkt: a) Auf die G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen, indem er einerseits durch seine a b s c h r e c k e n d e K r a f t die verbrecherischen Neigungen im Zaume hält und andrerseits d u r c h d i e w i e d e r h o l t e u n d v e r s t ä r k t e M i ß b i l l i g u n g die rechtliche Gesinnung der Staatsbürger stärkt und sichert (Generalprävention); b) ebenso auf den V e r l e t z t e n , dem er überdies die G e n u g t u u n g gewährt, daß der gegen ihn gerichtete rechtswidrige Übergriff nicht ungeahndet bleibt; c) ganz besonders auf den V e r b r e c h e r selbst (Spezialprävention). Je nach Inhalt und Umfang des Strafübels kann das Schwergewicht der Wirkung, die durch den Strafvollzug auf den" Verbrecher ausgeübt wird, verschieden sein. o) Die Aufgabe der Strafe kann dahin gehen, den Verbrecher wieder zu einem brauchbaren Gliede der Gesellschaft zu machen (künstliche Anpassung, Adaption). Es kann sich dabei in erster Linie um die Kräftigung der erschütterten Hemmungsvorstellungen oder um die umgestaltende Einwirkung auf den Charakter des Täters handeln; dementsprechend kann man Abschreckung oder Besserung als die angestrebte Wirkung der Strafe unterscheiden. ß) Die Aufgabe der Strafe kann aber auch dahin gehen, dem für die Gesellschaft unbrauchbar gewordenen Verbrecher die physische Möglichkeit zur Begehung weiterer Verbrechen auf immer oder auf Zeit zu entziehen, ihn aus der Gesellschaft auszuscheiden (künstliche Selektion). Man spricht hier von der Unschädlichmachung des Verbrechers. Je nachdem im gegebenen Falle die eine oder die andre Wirkung der Strafe zum Zweck gesetzt wird, gestaltet sich demnach der Vollzug der Strafe in verschiedener Weise. Insbesondere wird es die beabsichtigte Wirkung auf den V e r b r e c h e r (die S p e z i a l prävention) sein, die Inhalt und Umfang der Strafe bestimmt. Die Forderung der Krimmalpolitik geht dahin, die Eignung der Strafe ils Mittel zum Zweck möglichst auszunutzen und sie nach den Be-
8
§ 3-
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
dürfnissen des E i n z e l f a l l e s zu gestalten. Aber die a l l g e m e i n e Anlage der Strafgesetzgebung wird bei der Aufstellung der verbrecherischen Tatbestände wie bei der inhaltlichen Bestimmung der Strafe auch die über den Verbrecher hinausgreifenden Wirkungen der Strafdrohung wie des Strafvollzuges (die G e n e r a l prävention) nicht aus den Augen verlieren dürfen. IV. In allen seinen Formen aber, trotz seiner Eigenart, ist das Strafrecht R e c h t , das heißt Interessenschutz. Nicht die Art der geschützten Interessen, die den verschiedensten Rechtsgebieten angehören können, sondern die Eigenart des Schutzes macht das Wesen des Strafrechts aus. Vermögens- und Familienrechte, Leben und Staatsgebiet, die Stellung des Staatsoberhauptes wie die politischen Rechte des Bürgers, die Interessen der Staatsverwaltung und die der Handelsgesellschaften, die Geschlechtsehre des Weibes und die Sicherheit des Verkehrs — alle Interessen ohne Ausnahme können des verstärkten Schutzes teilhaftig werden, den die Strafe verleiht., In allen Rechtsgebieten tritt das Strafrecht ergänzend und sichernd hinzu („sekundäre", „komplementäre", „sanktionierende" Natur der Strafrechtssätze).
§ 3.
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
I. Die zielbewußte Verwertung der Strafe als einer Waffe der Rechtsordnung in ihrem Kampfe gegen das Verbrechen ist unmöglich ohne die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens in seiner tatsächlichen, äußeren E r s c h e i n u n g und in seinen inneren, aus den Tatsachen zu erschließenden U r s a c h e n . Diese kausal erklärende „Lehre vom Verbrechen" kann als Kriminologie (Ätiologie der Kriminalität) bezeichnet werden. 1 ) •) E s ist der Fehler der älteren, dem 18. Jahrhundert angehörenden Dichtung der Kriminalpolitik (vgl. unten § n ) , daß ihrem stolzen G e b ä u d e der feste Unterbau mangelt. Dieser wurde erst möglich m i t der naturwissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen (Anthropologie im weitesten Sinne) einerseits, einer sicheren Methode (Statistik) für die Gesellschaftswissenschaft andrerseits. Jene altere, rationalistische R i c h t u n g der Kriminalpolitik findet ihren A b s c h l u ß in den Arbeiten v o n J. Bentham (f 1 8 3 2 ) . Gesamtausgabe von Bowring 11 B d t . 1 8 4 3 . Seine Lehre ist v o n Dumont in ein S y s t e m gebracht, und dieses ist von Beneke ins Deutsche übersetzt worden: Grundsätze der Zivil- und Kriminalgesetzgebung aus den Handschriften J. B.S 2 B d e . 1 8 3 0 . Später ist die Kriminalpolitik, wenn auch stets von einzelnen weitergepflegt (so von Berenger
und Bonneville de Marsangy in Frankreich, von Örsied in Dänemark, vor Mittermaier und v. Holtzendorff in Deutschland, von Wahlberg in Österreich),
ebensosehr durch die Träumereien der philosophischen wie durch die Selbstgenügsamkeit der geschichtlichen und die U n f r u c h t b a r k e i t der reinjuristischer! Rechtsschule in den Hintergrund gedrängt worden, um erst im letzten Vierte1, des T 9 . Jahrhunderts zu neuer B l ü t e zu gelangen.
§ 3-
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
9
Innerhalb der Kriminologie kann man weiter unterscheiden die Kriminal-Biologie (oder - A n t h r o p o l o g i e ) und die KriminalSoziologie. Die e r s t e r e hat das Verbrechen als Ereignis im Leben des E i n z e l m e n s c h e n zu schildern, den Hang zum Verbrechen (penchant au crime) in seiner individuellen Gestaltung und seinen individuellen Bedingungen zu untersuchen; sie zerfällt in die Kriminal-Somatologie (Anatomie und Physiologie) und die KriminalPsychologie. Aufgabe der Kriminal-Soziologie dagegen ist es, das Verbrechen zu schildern als Ereignis des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebens, es zu untersuchen in seiner sozialen Gestaltung, sowie in seiner sozialen Bedingtheit. Man muß sich aber darüber klar bleiben, daß der G e g e n s t a n d der Untersuchung ein und derselbe, und nur die M e t h o d e eine verschiedene ist: dort die systematische Einzelbeobachtung, hier die systematische Massenbeobachtung. Denn das Verbrechen als Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens setzt sich zusammen aus einer Anzahl von e i n z e l n e n Verbrechen; und j e d e s von diesen ist nur ein Teil eines s o z i a l e n Phänomens. Und man darf nicht vergessen, daß nur die V e r b i n d u n g beider Methoden, so daß die Ergebnisse der einen durch die der andern gegenseitig geprüft und ergänzt werden, zu richtiger Erkenntnis des Verbrechens führen kann. 4 ) 2 ) Aus der Nichtberücksichtigung der im T e x t gemachten Erwägungen erklärt sich die heute im wesentlichen überwundene Spaltung der Kriminologie in zwei Richtungen, die anthropologische einerseits, die soziologische andrerseits. — Aus der reichen Literatur können hier nur einzelne bahnweisende Schriften hervorgehoben werden, i . Die systematische Einzelbeobachtung beginnt mit der p s y c h o l o g i s c h e n Schilderung einzelner merkwürdiger Verbrechen. Hierher gehört der sog. alte P i t a v a l , 1735/43 in Paris v o n Gayot de Pitaval (f 1743) herausgegeben, vielfach nachgeahmt; so: Der neue P i t a v a l von Hitzig und Höring 60 Bde. 2. A u f l . i 8 5 7 f f . Geschichten aus dem alten Pitaval usw. herausgegeben von Paul Ernst 3 Bde. 1910. Vgl. auch unten § 15 V I I (Der Pitaval der Gegenwart). Unter den zahlreichen Arbeiten aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ist Feuerbachs Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Kriminalrechtsfälle i82Sf. auch heute noch mustergültig. In Auswahl herausgegeben von v. Scholz 2 Bde. 1913. A u c h die Arbeiten über G e f ä n g n i s w e s e n (siehe unten § 61) enthalten viel Einschlagendes. — Mit der Geschichte des b e r u f s m ä ß i g e n Verbrechertums beschäftigt sich das große Werk von Avi-Lallemant Das deutsche Gaunertum in seiner sozialpolitischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände 1858/62. Seine heutige Gestalt schildern u. a. Valentini Das Verbrechertum im preußischen Staate 1869. Schräder Das Verbrechertum in Hamburg 1879. Starke Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854 bis 1878, 1S84. QS Die Verbrecherwelt von Berlin 1886 (SA aus Z 4, 5, 8). Wertvoll die Verwaltungsberichte des Berliner Polizeipräsidiums (1871 bis 1900) 1882, 1892, 1902. Vgl. Lindenau Z 22 287, 24 381. Über K r i m i n a l i s t i k v g l . unten § 15 Note 12. — Die A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e des Verbrechers wurde insbesondere von medizinisch-naturwissenschaftlicher Seite eifrig gepflegt. Vgl. die Lit.-Angaben über P s y c h i a t r i e unten § 15 V I I I 2. A u s Untersuchungen über Verbrechergehirne und Mörderschädel (Schwekendiek, M. Benedikt u. a.) entwickelte sich in Italien die von dem Mediziner C. Lombroso (t 1909; v g l .
IO
§ 3.
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
II. Die Betrachtung lehrt, daß jedes einzelne Verbrechen durch das Zusammenwirken zweier Gruppen von Bedingungen entsteht, Sommer Z 31 125) begründete, von den Juristen E. Ferri und R. Garofalo ge-
führte „kriminal-anthropologische Schule". Hauptwerke dieser durch das Festhalten des anthropologischen Verbrechertypus gekennzeichneten Richtung: Lombroso L'uomo delinquente 1. Aufl. 1878, 5. Aufl. 1896; deutsch von Frankel 1887. Ferri I nuovi orizzonti del diritto e della procedura penale 1881, von der 3. Aufl. ab unter dem Titel: Sociologia criminale; deutsche Übersetzung von Kurella (nach der 4. Aufl.) unter dem Titel: Das Verbrechen als soziale Erscheinung 1896. Garofalo Criminologia 2. Aufl. 1890; französische Bearbeitung in 4. Aufl. 1895. Zusammenfassend: Wlllffen Psychologie des Verbrechers 2 Bde. s. a. (in Langenscheidts Enzyklopädie). Derselbe Gaunerund Verbrechertypen 1910. Kauffmann Die Psychologie des Verbrechens 1912. Kurella Anthropologie und Strafrecht 1912. — Zeitschriften: Archivio di psichiatria, antropologia criminale e scienze penali, seit 1880 von Lombroso und seinen Freunden herausgegeben; Archives de l'anthropologie criminelle et des sciences pénales, seit 1886. Verhandlungen der internationalen kriminalanthropologischen Kongresse zu Rom 1885, Paris 1889, Brüssel 1892 (Rosenfeld Z 13 161), Genf 1896 (Nücke Z 17 390), Amsterdam 1901, Turin 190O, Köln 1912. Über den Einfluß der Vererbung vgl. Homburger Z 35 1. Literaturübersicht bei Kötscher Jahresberichte über usw. Neurologie und Psychiatric. Heft 16 1913. — 2. Die Kriminalstatistik hat sich erst allmählich und noch immer nicht vollständig von der Justizstatistik losgelöst. Begründer (neben Guerry) der BelgierQuetelet (f 1874) ; zunächst 1836 in seinem Buche Sur l'homme et le développement de ses facultés ou Essai de physique sociale, dann in einer Reihe von Schriften. — Hauptwerk für Deutschland: A. V. Öttingen (t 1905) Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik 1. Aufl. 1868/69, 3. Aufl. 1882. V. Mayr Statistik und Gesellschaftslehre 1 2. Aufl. 1914, 2 1897, 3 1909ff. (aus Marquardsen Handbuch des öffentlichen Rechts). Band 3 i enthält die Moralstatistik mit Einschluß der Kriminalstatistik. Derselbe Z 32 33. — Die amtlichen statistischen Veröffentlichungen in Frankreich seit 1827 (für 1825). Für das Deutsche Reich seit 1883 (für die Jahre i882ff.) die mustergültig gearbeitete Reichskriminalstatistik. Dazu Aschrott Z 35 507. Seit 1901 die Kriminalstatistik für Heer und Marine. Außerdem die Justiz- und Gefängnisstatistiken der deutschen Einzelstaaten. — Ferner: Rettich Die württembergische Kriminalität 1895. A. Meyer Die Verbrechen in ihrem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen im Kanton Zürich 1895. Berg Getreidepreise und Kriminalität (Berliner Seminarabhdlgn. 1 2) 1902. Weidemann Die Ursachen der Kriminalität im Herzogtum Sachsen-Meiningen (daselbst 2 1) 1903. Blau Kriminalstatistische Untersuchung der Kreise Marienwerder und Thorn (daselbst 2 2) 1903. Petersilie Untersuchungen über die Kriminalität in der Provinz Sachsen (Beilage zu GS 64) 1904. Dochow Die Kriminalität im Amtsbezirk Heidelberg (Berliner Seminarabhandlgn. 5 1) 1906. Galle GS 71 321, 72 42 (Kriminalität der Provinz Schlesien), v. Liszt Festschrift für den 26. d. Juristentag (Aufsätze 2 433) 1902. Bonger Criminalité et conditions économiques 1905 (dazu Kitzinger K V S 47 149). Seuffert Untersuchungen über die örtliche Verteilung der Verbrechen im Deutschen Reich, herausgegeben von Friedeberg (V. Lil. Heft 75) 1906. Sauer Frauenkriminalität im Amtsbezirk Mannheim (v. Lil. Heft 146) 1912. Wadler Z 31 499, 653. Herz Verbrecher und Verbrechertum in Österreich 1908. Stöwesand Die Kriminalität in der Provinz Posen. GS 77 Beilageheft. Finkelnburg Die Bestraften in Deutschland 1912. Löwe Arbeitslosigkeit und Kriminalität (Berliner Seminarabhdlgn 3. Folge 1 4) 1914. Beßler Die Kriminalität Westpreußens (v. Lil. Heft 188) 1915. Forcher Statistische Monatsschrifc 1909 (Rückfall). Über die Einwirkung des Weltkriegs auf die Kriminalität vgl. die von Weber Z 38 732 verzeichnete Lit. Finger GS 85 450.
§ 3-
Ursachen und die Arten der Kriminalität.
der individuellen Eigenart des Verbrechers einerseits, der diesen umgebenden äußeren, physikalischen und gesellschaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Verhältnisse andrerseits. Je nach d e m Verhältnisse der beiden Gruppen zueinander ändert sich Erscheinung und B e d e u t u n g des Verbrechens. 1. D i e ä u ß e r e V e r a n l a s s u n g ü b e r w i e g t . In augenblicklicher, leidenschaftlicher E r r e g u n g oder unter d e m E i n f l u ß drückender N o t l a g e wird der bisher unbescholtene T ä t e r zu d e m Verbrechen hingerissen, d a s , seiner dauernden E i g e n a r t f r e m d , eine vereinzelt bleibende, bitter bereute Episode in seinem Leben bildet (das, nicht sehr glücklich, sogenannte G e l e g e n h e i t s - oder A u g e n b l i c k s verbrechen; „ a k u t e K r i m i n a l i t ä t " ) . 2. B e i g e r i n g f ü g i g e m ä u ß e r e n A n l a ß erwächst d a s Verbrechen a u s d e r d a u e r n d e n E i g e n a r t , der tiefgewurzelten A n lage des Verbrechers, dessen eigenstes Wesen es uns enthüllt. Brutale Roheit, fühllose Grausamkeit .beschränkter Fanatismus,, gedankenloser Leichtsinn, unüberwindliche Arbeitsscheu, T r u n k s u c h t , geschlechtliche L a s t e r h a f t i g k e i t führen durch zahlreiche Zwischenstufen z u zweifellos psychopathischen Zuständen. Unmöglich ist es, diese Fälle unter d e m N a m e n des G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e n s zusammenzufassen. Richtiger spricht m a n v o n Z u s t a n d s v e r b r e c h e n („Charakter- oder Tendenzverbrechen", „ c h r o n i s c h e r K r i m i n a l i t ä t " ) . A l s eine besonders häufige und gefährliche Unterart erscheint d a s g e w e r b s m ä ß i g e (berufsmäßige, professionelle) Verbrechen, d a s weit über den Kreis der Vermögensdelikte hinausgreift. Innerhalb der Zustandsverbrecher sind die B e s s e r u n g s f ä h i g e n und die U n v e r b e s s e r l i c h e n zu unterscheiden. 3 ) III. Schon aus d e m Gesagten erhellt, d a ß jede rein biologische Auffassung des Verbrechens, d . h . seine ausschließliche A b l e i t u n g aus der körperlichen und geistigen E i g e n a r t des Verbrechers verfehlt ist. Und daraus folgt m i t zwingender Notwendigkeit die, auch aus anderen Gründen sich ergebende, Unmöglichkeit eines e i n h e i t l i c h e n anthropologischen V e r b r e c h e r t y p u s . Die wissenschaftliche Forschung h a t bisher bei den Zustandsverbrechern z w a r zahlreiche A t y p i e n (Abweichungen v o m normalen T y p u s ) , insbesondere bei erblich Belasteten, aber keinen T y p u s des Z u s t a n d s v e r ') Die Klarlegung der Verbrechensarten nach ihren Ursachen ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Kriminologie. Die Unterscheidung der Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher führt hauptsächlich auf Wahlberg (f 1901) zurück. Vgl. über ihn Tschubinsky Z 23 64. Auch meine Dreiteilung knüpft an Wahlberg (nicht an die Italiener) an, geht aber über ihn hinaus. Vgl. mein Programm von 1882 (Aufsätze 1 126) und mein Gutachten an den Brüsseler Kriminalanthropologen-Kongreß 1892. Dazu Olrik Z 14 76 (Auszug aus einer größeren dänischen Arbeit). Vgl. dagegen: Högel Die Einteilung der Verbrecher in Klassen (Kritische Beiträge Heft 2) 1908.
12
§ 4- Die kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart.
brechers ergeben. D a m i t fällt die Lehre Lombrosos und seiner A n hänger in sich zusammen. 4 ) I V . D e r Einfluß der gesellschaftlichen Faktoren tritt aber erst durch die E r w ä g u n g in d a s rechte L i c h t , d a ß die im Augenblicke der T a t vorhandene Eigenart des Verbrechers aus der angeborenen Anlage weiterentwickelt und b e s t i m m t worden ist durch die ihn v o n der Geburt an umgebenden äußeren Verhältnisse. Mit dieser Erkenntnis eröffnet sich die Möglichkeit einer, wenn auch beschränkten, E i n w i r k u n g auf die in d e m heranwachsenden Menschen etwa schlummernden verbrecherischen Neigungen (durch sittliche, geistige und insbesondere auch körperliche Erziehung). A b e r viel mehr n o c h : gerade die maßlos, in D i c h t u n g wie Wissenschaft, überspannt? Lehre von der erblichen B e l a s t u n g , von den Sünden der V ä t e r , die an den Kindern heimgesucht werden, — erschließt uns, richtig a u f g e f a ß t , den B l i c k in eine bessere Z u k u n f t . Wenn E l t e r n , deren Lebens- und Z e u g u n g s k r a f t durch die s i e umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse erschöpft ist, ihren Kindern die „ p s y c h o p a thische Minderwertigkeit", die geschwächte W i d e r s t a n d s k r a f t im K a m p f u m s Dasein, als fluchbringendes E r b t e i l hinterlassen, dann dürfen wir die wissenschaftlich begründete Überzeugung hegen, d a ß alle unsere sozialpolitischen Maßregeln in verstärkter K r a f t den N a c h k o m m e n zugute k o m m e n werden. Ungleich tieferdringend und ungleich sicherer als die Strafe und jede ihr v e r w a n d t e Maßregel w i r k t die Sozialpolitik als Mittel zur B e k ä m p f u n g des Verbrechens, d a s , wie Selbstmord, Kindersterblichkeit und alle übrigen sozialpathologischen Erscheinungen, in den die aufeinanderfolgenden Geschlechter bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen seine tiefste Wurzel hat;') § 4.
Die kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart.
Literatur. V. Liszt Der Zweckgcdauke im Strafrecht 1882 (Z 8 1; Aufsätze 1 126). Derselbe Kriminalpolitische Aufgaben 1889 bis 1892 (Z 9 452, 737, 10 51, 12 171; Aufsätze 1 290). Derselbe Strafrechtliche Aufsätze und Vorträgt 2 Bde. 1905. Derselbe Handbuch der Politik 2. Aufl. 1914 3 195. Aschaffenburg Das Verbrechen und seine Bekämpfung 2. Aufl. 1906. Die Mitteilungen der I K V i889ff. Dazu Kitzinger Die IKV. Betrachtungen über ihr Wesen und ihre bisherige Wirksamkeit 1905. Yamaoka Grundzüge der Strafpolitik 1909. ') Meine Stellung zu Lombroso habe ich schon Z 9 462 (Aufsätze 1 296) bestimmt gekennzeichnet. 5) Vgl. v. Liszt Z 20 161, 23 203 (Aufsätze 2 284, 433). Derselbe Das Verbrechen als sozialpathologische Erscheinung 1898 (Aufsätze 2 230). Diese, „soziologische" Auffassung des Verbrechens kann heute als die allgemein herrschende bezeichnet werden. Von dieser Grundauffassung wird auch die 1889 von v. Liszt, Prins und van Hamel gegründete „Internationale kriminalistische Vereinigung" geleitet. Daß sie die Bedeutung der Eigenart des Verbrechers nicht übersieht, dürfte der Text zur Genüge ergeben.
§ 4-
Die kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart.
13
I. Der K a m p f der Rechtsordnung gegen d a s Verbrechen kann m i t Aussicht auf E r f o l g nur d a n n g e f ü h r t werden, wenn einerseits die Ursachen des Verbrechens und andrerseits die W i r k u n g e n genau erkannt werden, die die staatliche Strafe zu erzielen v e r m a g . Deshalb ist die moderne Kriminalpolitik jüngeren A l t e r s . Sie ents t a m m t d e m letzten V i e r t e l des 19. Jahrhunderts. Sie h a t sich gleichzeitig m i t der Sozialpolitik und i m engen A n s c h l u ß an sie entwickelt. Während aber der Sozialpolitik die Beseitigung oder doch die Beschränkung der gesellschaftlichen Bedingungen des Verbrechens zufällt, h a t es die Kriminalpolitik m i t d e m e i n z e l n e n V e r b r e c h e r zu tun. Sie ist in erster Linie B e k ä m p f u n g d e s V e r b r e c h e n s d u r c h i n d i v i d u a l i s i e r e n d e E i n w i r k u n g auf d e n V e r b r e c h e r . Sie verlangt i m allgemeinen, d a ß d i e s o z i a l e Abwehr überhaupt, d a ß die Strafe als Zweckstrafe (oben § 2 I I I ) i n s b e s o n d e r e , s i c h i n A r t u n d M a ß d e r E i g e n a r t d e s V e r b r e c h e r s a n p a s s e , den sie durch Eingriff in seine Freiheit v o n der künftigen B e g e h u n g weiterer Verbrechen abhalten will. In dieser Forderung liegt einerseits der sichere M a ß s t a b für die kritische W ü r d i g u n g des geltenden R e c h t s , andrerseits der A u s g a n g s p u n k t für die E n t w i c k l u n g des Programms einer Gesetzg e b u n g der Z u k u n f t . Dieses kriminalpolitische P r o g r a m m , d a s heute noch der Durchführung harrt, gipfelt in den beiden von m i r schon 1882 aufgestellten Forderungen: B e s s e r u n g d e r b e s s e r u n g s f ä h i g e n und U n s c h ä d l i c h m a c h u n g d e r u n v e r b e s s e r l i c h e n V e r b r e c h e r . Die Zweckstrafe ist nach den verschiedenen A r t e n der K r i m i n a l i t ä t (oben § 3) verschieden zu gestalten und auszubauen. A u s diesem Grundgedanken ergibt sich eine ganze Reihe von Folgesätzen. II. E s ist begreiflich, d a ß die kritische B e t r a c h t u n g des geltenden R e c h t s zunächst v e r n e i n e n d e Gestalt amiahm. Den B e ginn der R e f o r m b e w e g u n g kennzeichnete der Kampf gegen die, unsere heutige Strafrechtspflege beherrschende, kurze Freiheitsstrafe, die in ihrer heutigen Anwendungsweise weder bessert noch abschreckt noch unschädlich m a c h t , d a f ü r aber nur zu leicht den Neuling dauernd in die B a h n des Verbrechens weist. D a r a u s eri(ab sich die vielfach auf Irrwege gedrängte Forderung, die kurze Freiheitsstrafe möglichst durch andre Maßregeln (Zwangsarbeit ohne Einsperrung, Ehrenhaupts trafen, insbesondere Verweis, ferner Wirtshausverbot, Hausarrest, ja sogar Prügelstrafe) zu ersetzen oder durch Verschärfungen ihr die abschreckende K r a f t zurückzugeben. 1 ) ') Insbesondere Rosenfeld Welche Strafmittel können an die Stelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe gesetzt werden? (Abhandlungen des Krim. Sem. 2) ISCIO. Heilborn Die kurze Freiheitsstrafe (Kritische Beiträge Heft 2) 1908. —
14
§ 4'
Die kriminalpolitischen Forderungen der Gegenwart.
A a s der langen Reihe p o s i t i v e r Vorschläge können hier nur die wichtigsten kurze Erwähnung finden. 1 . Unsere heutige Gesetzgebung macht von dem Kampfmittel der Strafe überreichlichen Gebrauch. E s wäre zu überlegen, ob der alte Satz „minima non curat praetor" nicht wieder, sei es als prozessualer Rechtssatz (Durchbrechung des Legalitätsprinzips), sei es als materiellrechtliche Regel (Straflosigkeit bei Geringfügigkeit der Verletzung) Aufnahme zu finden verdiente. Erweiterte Anwendung der Buße auf privatrechtlichem Gebiete (vgl. B G B § 847) würde manche Strafklage überflüssig machen, das Sühneverfahren vor Schiedsmännern zahlreichen Verurteilungen vorbeugen. Von besonderer Wichtigkeit aber ist die A u s s c h e i d u n g d e r Ü b e r t r e t u n g e n aus dem Gebiete des kriminellen Unrechts. 8 ) 2. In besonders berücksichtigungswerten Fällen soll dem Gelegenheitsverbrecher die Möglichkeit geboten werden, durch einwandfreies Verhalten den Vollzug der erkannten Strafe abzuwenden. Das ist die sog. bedingte Verurteilung mit oder ohne Friedensbürgschaft, die, alter deutscher Rechtsanschauung durchaus entsprechend, sich nicht nur im heutigen englisch-amerikanischen Recht seit längerer Zeit findet, sondern auch in Belgien, Frankreich, sowie in den meisten andern Staaten eingeführt ist. In den deutschen Einzelstaaten ist sie als bedingte Begnadigung seit 1895 im Verordnungswege zugelassen worden.') 3. Bei jugendlichen Verbrechern ist solange als möglich die Freiheitsstrafe durch erziehende Maßregeln zu ersetzen. Daher die Einzelforderungen: Hinaufrücken der Strafmündigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr, Beseitigung des Unterscheidungsvermögens, reichsrechtliche Regelung der Fürsorgeerziehung, Ausdehnung dieser auch auf die Fälle sittlicher Verwahrlosung. Von diesen Forderungen ist die letzte auf Grund des Art. 1 3 5 E G zum Ü b e r den Verweis vgl. die Zusammenstellung bei Ellinger (Lit. zu § 64). — Ü b e r die Prügelstrafe vgl. v. Liszt Aufsätze 2 350. Goldschmidt V D Allg. T. 4 424. Begr. 35. Feder Die Prügelstrafe 1911. Sie ist als peinliche, gegen Personen niederen S t a n d e s verwendete, Strafe in den deutschen S t a a t e n teils vor, teils nach 1848 beseitigt worden, fandet sich a b e r noch als Disziplinarstrafini £tel in den S t r a f a n s t a l t e n von Preußen, Sachsen, H a m b u r g , L ü b e c k , Mecklenburg, S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t , Oldenburg. Vgl. u n t e n § 26. Verhandlungen der I K V in Mitteilungen 7 186, 8 289, 12 200. Verhandlungen des 26. d. Juristentages. Frank Studien zum Polizei s t r a f r e c h t 1897. Derselbe Z 18 733. 8) Vgl. u n t e n § 74 IV. Generalregister der Z 1 135, 2 87. v. Liszt V D Allg. T. 3 1. Bgr. 130. Klee W V 1 384. Herrnstadt Das I n s t i t u t der bed. Begnadigung. 2. Aufl. 1912. — A n w e n d u n g des G r u n d g e d a n k e n s auf Trinker: Bauer D a s Pollard-System u n d seine E i n f ü h r u n g in Deutschland 1910. •— Über die Friedensbürgschaft vgl. v. Liszt Z 9 773 (Aufsätze 1 379). Bgr. 46. Matter Die F r i e d e n s b ü r g s c h a f t als S t r a f ä q u i v a l e n t . Züricher Beiträge zur Rechtswissenschaft. 28. H e f t . 1910.
§ 4BGB
in
Die kriminalpolitischcn Forderungen der Gegenwart.
fast sämtlichen
deutschen
Besonders wichtig das preußische 4. der
Gesetzgebung
Eigenart
tragen.5) weim die bote
dem
(nicht
Dem
und
Rechtsprechung
dem
Motiv)
Bewußtsein Die
zu
unbedingte
Schwierigkeiten. spricht
dagegen
stößt
auf
Erweiterte gerade
hier
Die
erfüllt
haben mehr
Verbrechers
Androhung
wenn
der sie
und
gebracht
der
Verwird
kurzen praktische
Geldstrafe den
ver-
Vermögens-
verhältnissen des Verurteilten a n g e p a ß t und U m w a n d l u n g in heitsstrafe möglichst ausgeschlossen
zu es,
Todesstrafe der
überwindliche
Anwendung Erfolg,
bisher
genügt
Gebote
Verschärfung
kaum
als
Rechnung
gegenüber
Erinnerung
worden.
1900.4)
2. J u l i
der staatlichen
lebendiger
bei Mord ist völlig v e r k e h r t . Freiheitsstrafe
des
„Augenblicksverbrecher"
Hemmungsvorstellung
(Abschreckung).
Einzelstaaten
Gesetz v o m
15
Frei-
ist.")
5. Sobald durch die T a t des Verbrechers ein festgewurzelter v e r brecherischer H a n g bekundet wird ( „ Z u s t a n d s v e r b r e c h e r " ; gereux"), bedarf
es d e r
Sicherung der
„étatdan-
Rechtsordnung durch
Un-
4 ) B e s t e Textausgabe mit K o m m e n t a r von- Aschrott 3. Aufl. 1 9 1 7 . Ü b e r ) Bei der Unterlassung: Der Nichtvornahme der vom Recht geforderten Tätigkeit. T. L i s 2 t ,
Strafrecht.
21. Aufl.
9
§ 31-
Die Handlang im Aufbau der Tatbestände.
d i e n t er d a z u , die strafbare Versuchshandlung von der straflosen Vorbereitungshandlung abzugrenzen (unten § 46); hier, u m die Täterhandlung v o n der Teilnahme zu unterscheiden (unten § 50). 2. Die Rechtsfolgen des Unrechts sind aber nicht n u r an die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g g e k n ü p f t . A u c h wer den andern zu dieser Ausführungshandlung veranlaßt ( A n s t i f t u n g , m i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t ) , oder wer ihm bei dieser Hilfe leistet ( B e i h i l f e ) , ist f ü r den eingetretenen E r f o l g verantwortlich. Dagegen bleiben die V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n des Täters selbst i m allgemeinen straflos. I I . Die H a n d l u n g ist eine v o r s ä t z l i c h e , wenn bei der Willensbetätigung der E r f o l g vorausgesehen w u r d e ; sie ist eine f a h r l ä s s i g e „ wenn der (unerwünschte) E r f o l g nicht vorausgesehen wurde, aber h ä t t e vorausgesehen werden können und sollen. Die beiden Begriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit knüpfen unmittelbar an den Handlungsbegriff a n , haben also an sich m i t der Rechtswidrigkeit d e r Handlung nichts zu tun. A b e r wenn schon der A u s d r u c k Fahrlässigkeit ein gewisses Werturteil über die Handlung in sich schließt, so werden b e i d e Begriffe dadurch u m g e s t a l t e t , d a ß sie nach dem geltenden R e c h t auf d a s Verbrechen als r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g bezogen werden müssen. Sie können daher erst n a c h der Lehre von der Rechtswidrigkeit behandelt werden. I I I . A u c h die Lehre von der E i n h e i t und der M e h r h e i t d e s V e r b r e c h e n s m u ß aufgebaut werden auf dem Handlungsbegriff. A b e r der naheliegende Satz, d a ß bei Handlungseinheit auch Verbrechenseinheit gegeben ist, und d a ß Verbrechensmehrheit eine Mehrheit von Handlungen voraussetzt, wird durch die Bestimmungen des geltenden Rechts vielfach umgestaltet. Es empfiehlt sich daher, auch diese Modalitäten des Handlungsbegriffs, Handlungseinheit und Handlungsmehrheit, erst an späterer Stelle z u besprechen. I V . Die Frage nach Ort und Zeit der begangenen Handlung taucht auf, sobald Willensbetätigung und E r f o l g , Ursache und Wirkung, örtlich und zeitlich auseinanderfallen. Ein Beispiel f ü r diese „Distanzverbrechen" bietet der F a l l , d a ß A den in Berlin lebenden B d u r c h einen in München geschriebenen und von h i e r nach Berlin geschickten Brief beleidigt. Die Frage wird v o n besonderer Wichtigkeit, wenn die Willensbetätigung i m Inlande v o r genommen, der E r f o l g aber i m Auslande eingetreten ist oder u m gekehrt; sowie, wenn in der Zeit zwischen der Willensbetätigung und dem E i n t r i t t des Erfolges eine Änderung der Strafgesetzgebung stattgefunden hat. Sie spielt auch im Strafprozeß für den „ G e richtsstand der begangenen T a t " eine wichtige Rolle und kehrt i m Privatrecht und im Zivilprozeß wieder.
§ 31-
Die Handlung im Aufbau der Tatbestände.
131
Die Antwort auf diese überaus bestrittene, im Gesetz nicht gelöste Frage ist wohl zugunsten der Willensbetätigung zu beantworten. Gehandelt ist also d o r t , wo und zur Z e i t , zu welcher die W i l l e n s b e t ä t i g u n g vorgenommen wordenist.*) Die folgerichtige Durchführung dieses Satzes ergibt: 1. B e i den (echten oder unechten) U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n entscheidet Zeit und Ort, wann und wo das unterlassene T u n vorzunehmen war. 2. F ü r jeden der T e i l n e h m e r an einer strafbaren Handlung ist Zeit und O r t s e i n e r Willensbetätigung maßgebend. 4 ) 3. Dagegen entscheidet bei Begehung der T a t d u r c h e i n e n a n d e r n , mag dieser unzurechnungsfähig oder getäuscht oder gezwungen sein, O r t und Zeit der von d i e s e m vorgenommenen Willensbetätigung. Wenn ich durch einen Blödsinnigen einen jenseit der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen lasse, so habe i c h ihn jenseit der Grenze weggenommen.®) 4. D a die Eigenart der V e r s u c h s h a n d l u n g in der Gefährdung b e s t e h t (unten § 46), ist die T a t dort und dann begangen, wo die gefährdende Willensbetätigung stattgefunden hat.") 5. E i n e als juristische E i n h e i t zu betrachtende Handlungsreihe, z. B . das fortgesetzte oder fortdauernde Verbrechen (unten § 55), darf auch in bezug auf unsere F r a g e nicht in ihre unselbständigen Teile auseinandergerissen werden. E s ist überall dort begangen, wo ein solcher Teil gesetzt worden ist, und während der ganzen Dauer der Haadlungsreihe. E i n dadurch veranlaßter Zwiespalt zwischen fremdem und einheimischem R e c h t e ist zugunsten des letzteren, zwischen späterem und früherem R e c h t e zugunsten des milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt).') ®) Drei Hauptansichten stehen einander gegenüber. 1. F ü r die im T e x t vertretene T ä t i g k e i t s - oder A u f e n t h a l t s t h e o r i e (der Standort des T ä t e r s entscheidet) vgl. vor allem Kitzinger. Ferner Allfeld 1 7 3 , V. Bar Gesetz 1 1 4 2 ,
Beling Z 17 315, Bierling, Finger 1 327, Frank § 3 IV, Hälschner 1 152, Merkel-
Liepmann 3 5 1 , Seuffert S t G 1 1 7 ; die meisten Vertreter des internationalen Privatrechts. — 2. Den Erfolg oder doch den nächsten Zwischenerfolg lassen entscheiden: Häberlin GA 25 432, Neumeyer S t r a f b a r e r B a n k r o t t 1 8 9 1 S. 1 5 7 (vgl. aber Z 17 291). Bei tödlicher Verwundung ist mithin diese und n i c h t der eingetretene Tod maßgebend. „Theorie der langen H a n d " oder „der Zwischenwirkung". — 3. Die Rechtsprechung erklärt zumeist, wenn a u c h mit Beschränkung auf den Begehungsort, beide Teile der Handlung als gleichberechtigt („Einheitstheorie"). So insbesondere das Reichsgericht, zuletzt 2 3 1 5 5 , wie das RMilGericht (18 189). E b e n s o B g r . 8; Binding 1 416, Hegler (Lit.
zu § 21) 47, v. Hippel Z 37 1, Köhler (Lit. zu § 21) 110, v. Lilienthal Festgabe
270, Schwartz § 3 Note 6 (der die „ W i r k u n g e n " nicht aber den „ E r f o l g " zur Tätigkeit rechnet, formell also die erste Ansicht vertritt), Wach 1 465, Wachetljeld99; von den Zivilprozessualisten Hellwlg, Schmidt, Stein u. a. Der Schweizer R E Art. 8 und der österreichische R E § 8 1 haben diese Ansicht ausdrücklich sanktioniert; der K E h a t sich (abweichend vom V E ) angeschlossen. D i e U n möglichkeit, sie auf das Gebiet des internationalen Privatrechts zu übertragen, spricht gegen ihre Richtigkeit. — Die interessante Schrift von Heymann will die Rechtswidrigkeit nach dem Ort des Erfolgs, die Schuld nach dem Ort des Aufen haltes beurteilt wissen. B e i Widerspruch beider R e c h t e findet das mildere Gesetz Anwendung. Dieser letzte, nicht beweisbare S a t z weist auf die Willkürlichkeit des Lösungsversuches hin. «) Abweichend R 25 424. R i c h t i g Allfeld 1 7 5 , 233. ' ) Dagegen Allfeld 174. •) Abweichend R 30 98. ' ) E b e n s o Allfeld 1 1 8 . Dagegen Kitzinger O r t und Zeit 233, V D 1 2 1 3 .
,9*
132
§ 32.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
6. Für die durch den Inhalt einer Druckschrift begründeten Delikte ( P r e ß d e l i k t e ) hat das G. vom 13. Juni 1902, der herrschenden Anschauung entsprechend, den Ort des Erscheinens grundsätzlich für maßgebend erklärt.*)
II. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. § 32.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
Literatur. Torp Z 23 84. Kohlrausch Irrtum und Schuldbegriff im Strafrecht 1903. Hold von Ferneck Die Rechtswidrigkeit 1. Bd. 1903, 2. Bd. 1905. Dazu Graf ZU Dohna Z 24 53. ME. Mayer Rechtsnormen und Kulturnormen (V. Lil. Heft 50). 1903. Graf ZU Dohna Die Rechtsvvidrigkeit als allgemein gültiges Merkmal im Tatbestand strafbarer Handlungen 1905. Dazu Kohlrausch Z 25 656. Zitelmann Ausschluß der Widerrechtlichkeit 1906. Bierling (Lit. zu § 28) 3 170. Heimberger V D Allg. T. 4 1. Derselbe Zur Lehre vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit (geschichtlich) 1907. Hofheinz Verletzung und Gefährdung usw. (v. Lil. Heft 79) 1907. v. Bar Gesetz 3 1. Fischer Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts 1911. Nagler in der Festschrift fürBinding 1911 2 273. Dazu Kriegsmann Z 33 726. Sauer Z 33 785 (auf Stammlerscher Grundlage). Horstmann und Fuchs bei Aschaffenburg 10 153 und 513. Beling Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht 1913. Kitzinger Die Verhinderung strafbarer Handlungen durch Polizeigewalt 1913I. D a s V e r b r e c h e n i s t a l s U n r e c h t , w i e d a s p r i v a t r e c h t l i c h e D e l i k t , s c h u l d h a f t e rechtswidrige H a n d l u n g . 1 ) Dieses rechtliche Unwerturteil ü b e r die T a t u m f a ß t ein d o p p e l t e s . 1 . F o r m e l l rechtswidrig ist die H a n d l u n g als Übertretung e i n e r s t a a t l i c h e n N o r m , eines G e b o t e s o d e r V e r b o t e s d e r R e c h t s ordnung. 2. M a t e r i e l l r e c h t s w i d r i g i s t d i e H a n d l u n g a l s gesellschaftsschädliches (antisoziales oder d o c h a s o z i a l e s ) Verhalten. D i e r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g i s t e i n A n g r i f f auf d i e d u r c h die R e c h t s n o r m e n geschützten Lebensinteressen des einzelnen oder der G e s a m t h e i t , m i t h i n die V e r l e t z u n g o d e r G e f ä h r d i m g eines R e c h t s g u t e s . 2) D i e s e r S a t z b e d a r f a b e r einer e i n s c h r ä n k e n d e n E r l ä u t e r u n g 8) So schon V. Liszt Preßrecht § 41, Aufsätze 1 64, 2 299. Verhandlungen des 25. D. Juristentags 1900 (Gutachten von Kronecker und v. Liszt). Maßgebend ist für mich die Grundauffassung, die das Wesen des Preßdeliktes in der rechtswidrigen öffentlichen Gedankenäußerung, seine eigenartige Erscheinungsform mithin in der Veröffentlichung (dem Erscheinenlassen) erblickt. *) Das Verbrechen i s t (nach unserm Werturteile) rechtswidrig, nicht aber b e w i r k t es eine Rechtswidrigkeit. In Bindings Normentheorie bildet diese Verwechslung den Ausgangspunkt für eine Reihe von folgenschweren Irrtümern. *) Als H a n d l u n g (oben §§ 27ff.) ist ein Verbrechen nur denkbar an Gegenständen der Sinnenwelt, an Menschen oder Gegenständen. Diese müssen daher in irgendeiner Beziehung zu dem Rechtsgute stehen, als dessen Verkörperungen erscheinen, damit die an ihnen begangene Handlung rechtswidrig sein kann. Dieser Gedanke, von Birnbaum 1834, Schütze 1869 ausgesprochen, von mir Z 6 663 (Aufsätze 1 212) scharf betont, bildet den Gegenstand der zu § 2 er
§ 32.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
133
(oben § 2). Die Lebensinteressen z u schützen, ist die n ä c h s t e A u f g a b e der Rechtsnormen. Durch die sorgfältigste A b g r e n z u n g der Lebensinteressen, die durch den ihnen gewährten R e c h t s s c h u t z z u Rechtsgütern erhoben w e r d e n , kann aber der Widerstreit der Interessen, die Kollision der Rechtsgüter, nicht völlig ausgeschlossen werden. Der Z w e c k des menschlichen Z u s a m m e n l e b e n s , dessen Erreichung zu gewährleisten die letzte und h ö c h s t e A u f g a b e der Rechtsordnung bildet, verlangt, d a ß in einem solchen Widerstreite d a s minderwertige Interesse geopfert werde, wenn nur u m diesen Preis das mehrwertige Interesse erhalten werden kann. D a r a u s f o l g t : die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes ist n u r d a n n materiell r e c h t s w i d r i g , wenn sie den Zwecken der d a s Zusammenleben regelnden Rechtsordnung widerspricht; sie ist, trotz ihrer R i c h t u n g gegen rechtlich geschützte Interessen, materiell r e c h t m ä ß i g , wenn und soweit sie jenen Zwecken der R e c h t s ordnung und somit des menschlichen Zusammenlebens selbst entspricht. Dieser materielle ( a n t i s o z i a l e ) Gehalt des Unrechts ist unabhängig von seiner richtigen W ü r d i g u n g durch den Gesetzgeber (er ist „ m e t a j u r i s t i s c h " ) . Die Rechtsnorm findet ihn vor, sie s c h a f f t ihn nicht.*) Formelle und materielle Rechtswidrigkeit können sich d e c k e n ; sie können aber auch auseinanderfallen. E i n solcher W i d e r spruch zwischen d e m materiellen Gehalt der Handlung und ihrer positivrechtlichen Würdigung ist nicht zu v e r m u t e n ; aber er ist nicht ausgeschlossen. L i e g t e r v o r , s o i s t d e r R i c h t e r d u r c h d a s G e s e t z g e b u n d e n ; die K o r r e k t u r des geltenden R e c h t s liegt jenseits der Grenzen seiner Aufgabe. 4 ) II. Um die Abgrenzung der rechtmäßigen von der rechtswidrigen wähnten Schriften von Oppenheim und Hirschberg. Vgl. auch Beling Verbrechen 209, Gerland GS 59 92. *) Wohl aber enthält die Rechtsnorm die ausdrückliche Erklärung, daß eine Handlung Unrecht sei. Diese Erklärung kann auch erst durch die Strafdrohung selbst gegeben sein; so auch Frank gegen Binding, nach dem alle Nonnen dem ungesetzten Recht angehören. *) Es ist das Verdienst von Dohna, Hegler Z 36 19, Kohlrausch, Mayer 13, 57, 177, Torp u. a., auf den materiellen Gehalt des Unrechts scharf hingewiesen und f ü r die Abgrenzung der rechtmäßigen und der rechtswidrigen Handlung einen festen Maßstab gesucht zu haben. Abschließende Ergebnisse haben diese Untersuchungen nicht geliefert. Vgl. auch Mifiika (Lit. zu § 36). — Dagegen wird die streng formale Auffassung neuerdings wieder vertreten von Allfeld 177, v. Bar 5, Baumgarten Aufbau 210, Beling Verbrechen 137, 141, Fischer 110, Frank VD Allg. T. 5171, Fuchs, Graf Gleispach (Lit. zu § 131), Heimberger VD Allg. T. i 4, Köhler 98, Löffler VD Bes. T. 5 246. Vgl. auch Kelsen Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (1911) 370. Sie übersieht, daß die positivrechtliche Regelung gerade dieser Materie zahlreiche Lücken aufweist, deren Ausfüllung nur durch ein außergesetzliches Prinzip möglich wird. Vgl. auch Binding Lehrb. 1 55.
134
§ 32.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
Handlung vornehmen z u können, m u ß das G e s a m t g e b i e t der Rechtsordnung wie der staatlichen Willensbetätigung i m Reich wie in den Einzelstaaten in B e t r a c h t gezogen werden. 1. Jeder Rechtssatz des öffentlichen oder des bürgerlichen R e c h t s , der die Verletzung oder Gefährdung eines (eigenen oder fremden) Rechtsgutes g e b i e t e t oder e r l a u b t , stempelt diese dadurch zur rechtmäßigen Handlung und schließt d a m i t die Möglichk e i t aus, sie unter den Tatbestand einer S t r a f t a t z u subsumieren (so ausdrücklich K E ) . 2. F e h l t es an einem solchen R e c h t s s a t z , so ist der m a t e r i e l l e G e h a l t der in Frage stehenden Handlung zu untersuchen. Für diese kritische P r ü f u n g sind zwei Grundsätze maßgebend. a) E s kann sein, d a ß die A u f f a s s u n g des Gesetzgebers aus d e m Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen erschlossen werden kann. A u s diesem kann sich ergeben, d a ß die Verfolgung eines bestimmten Zweckes als berechtigt anzusehen ist. Daraus f o l g t : ist die vorgenommene Handlung das a n g e m e s s e n e (richtige) M i t t e l zur Erreichung dieses, v o m Gesetzgeber als b e r e c h t i g t (richtig) a n e r k a n n t e n Z w e c k e s , so ist sie rechtmäßig, m a g sie auch scheinbar den Tatbestand einer S t r a f t a t erfüllen. b) Versagt dieser erste Grundsatz,, so ist die A n g e m e s s e n h e i t der Handlung i m Hinblick auf den (empirisch gegebenen) Zweck des staatlich geregelten Zusammenlebens zu prüfen. V o n diesem Standpunkte aus kann die W a h r u n g eines mehrwertigen Interesses auf K o s t e n des minderwertigen gerechtfertigt erscheinen. 3. Die unter 2 aufgestellten Grundsätze sind auch d a n n anzuwenden, wenn durch l a n d e s r e c h t l i c h e Rechtsnormen oder Verwaltungsvorschriften ein reichsrechtlicher Tatbestand seiner Rechtswidrigkeit entkleidet werden soll. O b z. B . durch die Geschäftsordnimg der Volksvertretung eines Einzelstaates die gewaltsame Entfernung eines Abgeordneten aus d e m Sitzungssaal ( S t G B § 105) gerechtfertigt werden kann, hängt d a v o n a b , ob darin noch ein richtiges Mittel zur Erreichung des zweifellos berechtigten Zweckes (ungestörter A b l a u f der Verhandlung) erblickt werden kann. Die Frage ist wohl zu verneinen. 8 ) I I I . Die Gründe, durch welche die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes gerechtfertigt wird (Rechtfertigungsgründe) werden *) Vgl. Hamm u n d von Scfioenen D J Z 17 649, 804; Horstmann ( f ü r Ver-
neinung) ; Fuchs; Heinemann D J Z 18 856. Viel weitergehend in der Zulassung landesrechtlicher Rechtfertigungsgründe Goldschmidt J W 4 1 562. Nach R 47270 ist Ausschluß eines Abgeordneten nach § 64 der Geschäftsordnung f ü r das preuß. Abg.Haus zulässig. Ebenso Frank 4, Abschnitt I I I .
§ 32.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
jjij
in den §§ 33 bis 35 einzeln besprochen. Hier seien einige allgemeine Sätze vorangeschickt. 1. Die Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedarf als selbstverständlich keiner besonderen Hervorhebung im Gesetze (daher im G E überall gestrichen). Dennoch hat der Gesetzgeber d a s M e r k m a l d e r R e c h t s w i d r i g k e i t in d e n b e s o n d e r e n T a t b e s t a n d einzelner V e r b r e c h e n aufgenommen.6) Hier bedarf es daher auch ausdrücklicher Feststellung der Rechtswidrigkeit im Urteile. Der Grund dieser abweichenden Behandlung liegt einmal darin, daß nach Ansicht des Gesetzgebers gerade bei diesen Straftaten die Abgrenzung der nicht rechtswidrigen von den rechtswidrigen Fällen besondere Schwierigkeiten bietet; dann aber auch in der, gerade hier betonten, reichsrechtlichen Zulassung einer landesrechtlichen Erlaubnis (,.Befugnis") zur Vornahme solcher Handlungen (Halten von Glücksspielen usw.). 2. Soweit die Rechtswidrigkeit der Handlung ausgeschlossen ist, ist s t r a f b a r e T e i l n a h m e an der (rechtmäßigen) Handlung begrifflich unmöglich.7) 3. Sobald die Handlung über das Gebiet der Rechtmäßigkeit hinausgreift, ist sie b e z ü g l i c h d i e s e s Ü b e r m a ß e s (soweit es ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Tötung oder Körperverletzung in Überschreitung eines Züchtigungsrechts nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt oder seinem Umfang, sind daher nach den allgemeinen Bestimmungen des StGB zu bestrafen. 4. Von den unter III 1 erwähnten Ausnahmefällen abgesehen, ist nach geltendem Recht die Rechtswidrigkeit der Handlung ohne Rücksicht auf einen etwaigen Irrtum des Täters streng o b j e k t i v zu prüfen und festzustellen. Vgl. darüber unten § 41 II. IV. Die Anerkennung des Satzes, daß die Rechtswidrigkeit Begriffsmerkmal des Verbrechens ist, sowie die genauere Erfassung derjenigen Umstände, d i e der Handlung die Eigenschaft der Rechtswidrigkeit entziehen, ist das Ergebnis einer langsamen, noch immer nicht abgeschlossenen Entwicklung. D a s r ö m i s c h e R e c h t kennt eine Reihe von e i n z e l n e n hierher gehörigen Fällen, unter denen Notwehr, Notstand, sowie das Tötungsrecht gegenüber d e m nächtlichen Dieb und dem auf frischer Tat ertappten Ehebrecher hervorragen; aber vergebens suchen wir nach einer allgemeinen Regel. Ja, auch die grundsätzliche Auffassung der ausdrücklich behandelten Fälle ist bei den römischen Juristen durchaus schwankend, meist sogar geradezu verfehlt; nicht die R e c h t s w i d r i g k e i t , sondern die S t r a f b a r k e i t des Tuns wird als «) S t G B §§ 123, 124, 239, 240, 246, 291, 303, 305, 339, 353a; auch 299, 300 u. a. Nach Mayer 12 ist dafür nur das stilistische Empfinden maßgebend. Ähnlich wie der Text Fuchs. Abweichend Wachenfeld 158 (die Hinzufügung habe nur subjektive Bedeutung). ') Ebenso (für StGB § 52) R 31 395.
136
§ 33-
Notwehr.
ausgeschlossen betrachtet, weil der erforderliche dolus fehle. Ebenso verhält es sich mit dem m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e n R e c h t . Neben einer immer eingehenderen Behandlung der Notwehr in den Quellen des späteren Mittelalters und der Hervorhebung einzelner Notstandsfälle spielt insbesondere das im weiten Umfange anerkannte Tötungsrecht eine hervorragende Rolle. Dies ist auch der Standpunkt der mittelalterlich-italienischen Wissenschaft, der PGO und des auf dieser sich aufbauenden gemeinen Rechts, wenn auch einzelne Schriftsteller, wie JSF. Böhmer, wenigstens beim Totschlag, zwischen Ausschluß der Rechtswidrigkeit und mangelndem Vorsatz unterscheiden. Nur die N o t w e h r wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus der Verbindung mit der Tötung gelöst, begrifflich abgegrenzt und in den allgemeinen Teil des wissenschaftlichen Systems, sowie der Gesetzbücher gestellt. Ihr folgt der N o t s t a n d , aber ohne bisher zu befriedigendem Abschluß zu gelangen. Die übrigen Ausschließungsgründe harren zum weitaus größten Teile der begrifflichen Klarlegung. Die Gesetzbücher verzichten darauf, sie festzustellen, und die Wissenschaft muß sich gestehen, daß ihre Ergebnisse auch heute nur teilweise für gesetzgeberische Verwertung reif sind.8)
§ 33.
Die Notwehr.
Literatur. Außer den zu § 32 angegebenen Schriften: Ötker VD Allg. T . 2 255. V. Bar Gesetz 3 125. Hold V. Ferneck Rechtswidrigkeit 2. Bd. 1905. — Löffler Z 21 537. Ötker Über Notwehr und Notstand nach den §§ 227, 228, 904 B G B 1903. Schleifenbaum Begriff und Bedeutung des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs in § 227 B G B (v. Lil. Heft 54) 1904. Neubecker D J Z 10 146. Gegen ihn Eitzbacher daselbst 239. Lampson Beitrag zur Feststellung des Notwehrbegriffs usw. Jenaer Diss. 1906. Rosenfelder Erfordernis des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs im Falle der Notwehr. Würzburger Diss. 1906. Jaeger Das Anwendungsgebiet der Notwehr. Heidelberger Diss. 1906. Baumgarten Notstand und Notwehr 1911. Graf zu Dohna Z 33 125. Petri Z 33 175 (Militärrecht). — Langenbach Die Vorbereitung und Ausübung der Notwehr durch Schutzmaßregeln. Gießener Diss. 1907. Kowirk Notwehrrecht der Militärpersonen. Straßburger Diss. 1910. — Über das römische Recht Pernice Labeo 2 73, Mommsen 620; über die Quellen der Bambergensis Brunnenmeister (oben § 9 Note 6) 177; Knetsch Der Begriff der Notwehr usw. Jenaer Diss. 1906. Über das kanonische Recht Hinschius 5 940. Über den Sachsen Spiegel: Keller Der Beweis der Notwehr (v. Lil. Heft 57) 1904. i . Die Notwehr ist zu allen Zeiten, wenn auch in verschiedenem Umfange, als rechtgemäße, nicht nur als nichtstrafbare Handlung anerkannt worden. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Cicero von der „non scripta, sed nata l e x " spricht oder Geib sagt, die Notwehr habe keine Geschichte. Genauere Betrachtung zeigt jedoch, daß das geschriebene Recht der Notwehr eine ebenso* reiche wie beachtenswerte Entwicklungsgeschichte durchgemacht hat. Das römische Recht bietet uns zwar zahlreiche Quellenstellen, die von ?der gewaltsamen Zurückweisung gewaltsamen Angriffes auf Leib und Leben handeln, läßt aber trotz allgemeiner Wendungen (vim vi repellere licet) 8) Mayer 274 teilt die R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e (nicht erschöpfend) ein in: 1. Bekämpfung des Unrechts (Rechtspflege, Notwehr, Selbsthilfe); 2. Wahrung berechtigter Interessen (Verletzung des Einwilligenden, Heilung des Widerstrebenden, Erziehung): 3. Privilegien. Er unterscheidet von ihnen die E n t s c h u l d i g u n g s g r ü n d e : Not, Irrtum, Befehl des Vorgesetzten, durch welche nicht die Rechtswidrigkeit, sondern die Schuld ausgeschlossen wird (S. 300). Auch Goldschmidt (unten § 34) erblickt in dem Notstand ein „Schuldproblem".
§ 33-
Die Notwehr.
137
d e n allgemeinen Begriff d e r N o t w e h r vermissen. E b e n s o ist a u c h im ä l t e s t e n deutschen R e c h t die N o t w e h r noch n i c h t losgelöst von R a c h e u n d Tötungsrecht. Aber dennoch t r i t t uns bereits im späteren Mittelalter, i n d e r italienischen Wissenschaft wie in der volkstümlichen R e c h t s l i t e r a t u r Deutschlands, in S t a d t r e c h t e n u n d Rechtsbüchern, eine so durchgebildete u n d a u s g e f ü h r t e Darstellung d e r N o t w e h r entgegen, wie wir sie in den übrigen allgemeinen Lehren des S t r a f r e c h t s ohne jede A u s n a h m e nicht wiederfinden. So k o n n t e Schwarzenberg in den Art. 139 bis 145 u n d 150 m i t lehrbuchartiger Breite u n d B e s t i m m t h e i t n i c h t n u r den Begriff der N o t w e h r feststellen u n d die Beweisführung regeln, sondern a u c h Einzelfragen, wie Notwehr „gegen einem W e i b s b i l d e " u n d Ablenkung des Schlags bei N o t w e h r (im Anschlüsse a n 1. 45 § 4 D. 9, 2), erledigen. Auch er k e n n t übrigens, wie das g e s a m t e Mittelalter, n u r N o t w e h r zur R e t t u n g v o n Leib u n d Leben u n d b e h a n d e l t sie als Fall d e r straflosen Tötung. D a s gemeindeutsche R e c h t d e h n t e allmählich die Zulässigk e i t der Notwehr auf Angriffe gegen a n d e r e Rechtsgüter a u s , insbesondere gegen Vermögen und E h r e (so übereinstimmend Böhmer, Etlgau, Koch u. a.) u n d arbeitete a n der genaueren Feststellung der einzelnen Begriffsmerkmale. Gegen E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s w u r d e die Notwehr, die bisher stets im Anschlüsse a n die T ö t u n g b e h a n d e l t zu werden pflegte, a u s dieser V e r b i n d u n g gelöst u n d i h r die ihr gebührende Stellung im allgemeinen Teile des S y s t e m s angewiesen. So bei Globig und Huster 1783, Erhard 1789, Tittmann 1798. Feuerbachs Ansehen v e r s c h a f f t e dieser Auffassung den Sieg. Auch die Gesetzg e b u n g (mit Ausnahme der französischen) schloß sich ihr a n , nachdem bereits A L R 517 die Notwehr in die Einleitung zu den „ P r i v a t v e r b r e c h e n " gestellt h a t t e . Der V E (§ 66) hält, wie B G B § 227, den v o m R S t G B aufgestellten Begriff f e s t (Bgr. 241). Ebenso G E u n d K E , I I . N o t w e h r 1 ) ( S t G B § 53) i s t d i e z u r A b w e h r e i n e s g e g e n wärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderliche Verteidigung durch Verletzung des Angreifers. 1. Angriff i s t jede vorsätzliche Gefährdung eines bestehenden rechtlich geschützten Zustandes durch positive Tätigkeit.2) a) D e r A n g r i f f m u ß r e c h t s w i d r i g (nicht n o t w e n d i g s t r a f b a r ) s e i n . D a h e r i s t N o t w e h r n i c h t m ö g l i c h g e g e n ü b e r d e m in r e c h t mäßiger Amtsausübung befindlichen B e a m t e n , gegenüber der A u s ü b u n g eines Z u c h t r e c h t s u s w . ; n i c h t m ö g l i c h g e g e n ü b e r d e r N o t w e h r h a n d l u n g s e l b s t o d e r d e r N o t s t a n d s h a n d l u n g (vgl. § 34 N o t e 1 ) . W o h l a b e r w i r d N o t w e h r in d e m A u g e n b l i c k e b e r e c h t i g t , in d e m eine Überschreitung den an sich rechtmäßigen Angriff zu einem rechtswidrigen m a c h t , also auch gegenüber einer Überschreitung der Notwehr. Handelt der Untergebene auf Befehl des Vorgesetzten J ) Der Ausdruck „ N o t w e h r " f i n d e t sich nach Geyer zuerst im W i e n e r S t a d t r e c h t von 1221, ist a b e r jedenfalls älter. Über die friesischen Quellen His (Lit. zu § 8 I) 74. Vgl. auch Landfrieden von 1235: ,,. . . nisi in c o n t i n e n t i a d t u t e l a m corporis sui vel b o n o r u m suorum vim vi repellat, q u o d d i c i t u r n o t w e r e . " — Eine Erweiterung des Begriffs e n t h ä l t M i l S t G B § 124. a ) Nicht die bloße B e h a u p t u n g eines bestehenden Z u s t a n d e s ; u n t e r l a s s e n e Zahlung der Schuld, N i c h t r ä u m u n g der W o h n u n g n a c h Ablauf des Mietsv e r t r a g s usw. genügen n i c h t ; so auch R 19 298.
13»
§ 33-
Die
Notwehr.
(unten § 35 Note 1), so ist nur diesem, nicht aber jenem gegenüber Notwehr möglich. Gestattet ist Notwehr gegenüber rechtswidrigen Angriffen solcher Personen, denen, wie dem Staatshaupt, dem Volksvertreter, dem Gesandten (oben § 24), nur ein persönlicher Strafausschließungsgrund zur Seite steht. Auch gegen den von einem Strafunmündigen oder einem Geisteskranken ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich; dasselbe gilt bei einem Irrtum des Angreifers, der diesen die Rechtswidrigkeit des Angriffs nicht erkennen ließ. Dagegen begründet der selbständige Angriff eines (nicht etwa von einem Menschen gehetzten) Tieres nach geltendem Recht nicht Notwehr, sondern Notstand.®) Ob der Angriff v o r h e r g e s e h e n war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen v e r s c h u l d e t war oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte gleichgültig. Wer den andern, etwa den Geisteskranken, zum Angriff gereizt hat, geht dadurch des Notwehrrechts auch dann nicht verlustig, wenn sein Vorsatz auf Tötung in Notwehr gerichtet war (anders beim Notstand, unten § 34 III 1). b) Der Angriff muß ferner g e g e n w ä r t i g sein, d. h. unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen haben. Es braucht daher einerseits der B e g i n n des Angriffes nicht abgewartet zu werden,4) während anderseits auch der bereits begonnene, aber noch f o r t g e s e t z t e Angriff abgewehrt werden kann. Ausgeschlossen ist Notwehr dagegen: «) Gegenüber einem e r s t in der Z u k u n f t d r o h e n d e n Angriffe. Schutzmaßregeln gegen künftige Verletzungen, wie Fußangeln, Selbstgeschosse, Wolfsgruben, sind, w e n n sie erst im Augenblicke des Angriffs tätig werden, gestattet, soweit sie nicht die G r e n z e n d e r e r f o r d e r l i c h e n V e r t e i d i g u n g überschreiten (vgl. auch StGB § 367 Ziff. 8). ß) Gegenüber dem b e e n d e t e n Angriffe, d. h. sobald nach 3 ) Die alte Streitfrage ist jetzt durch BGB §§ 227 und 228 endgültig entschieden. Vgl. v.Liszt Deliktsobligationen 87. Freilich in wenig befriedigender Weise. Denn nur für die Notstandshandlung, nicht für die Notwehr, verlangt BGB die Wahrung eines überwiegenden Interesses. Das Kind, das mein Eigentum bedroht, darf ich mithin ohne weiteres, den Hund nur bei überwiegendem ^Interesse niederschießen. Nach Bindirtg Grundriß 190, Frank § 53 I, Mayer 278, Otker VD 2 264 soll BGB § 228 für das Strafrecht ohne Bedeutung sein; dagegen spricht der von dem BGB gesuchte enge Anschluß
a n d a s S t r a f r e c h t . V g l . Fischer
220. Graf zu Dohna (Lit. zu § 32) 131,
Löffler,
Würzburger (Lit. zu § 34) 27 wollen BGB § 228 analog auch auf Geisteskranke anwenden; mit Recht aber weigert sich die gem. Meinung, diese als Sachen anzuerkennen. Mit dem Text Schwartz § 53 Note 2. 4 ) Laesio inchoata nicht erforderlich. PGOArt. 140: „ist auch mit seiner Gegenwehr, bii er geschlagen wird, zu warten nicht schuldig." Die Bambergen sis fügte {Azo folgend) hinzu: „als etliche unverständige Leut" (auch das Bamberger Stadtrecht) „meinen."
§ 33-
Die Notwehr.
139
den Bestimmungen des geltenden Rechts die Vollendung der Verletzung als eingetreten anzunehmen ist. Da der Diebstahl nicht schon mit der Ergreifung der Sache, sondern erst mit dem Bruche des Gewahrsams vollendet wird, ist Notwehr gegen den flüchtigen Dieb so lange zulässig, als der Gewahrsam des Inhabers noch nicht völlig gebrochen ist. 5 ) c) Der Angriff muß sich gegen einen b e s t e h e n d e n Z u s t a n d richten. Unter den angegriffenen Rechtsgütern macht das Gesetz keinen Unterschied. Es ist unrichtig, die Notwehr auf Angriffe gegen Person und Besitz beschränken zu wollen: auch zum Schutze aller anderen Rechtsgüter, sei es des Einzelnen, sei es der Gesamtheit, ist Notwehr (mit Einschluß der Nothilfe) zulässig.') Abzulehnen ist das Notwehrrecht gegenüber den „illoyalen Handlungen" des § 826 B G B . 2. Die Verteidigung. a) Sie muß g e g e n d e n A n g r e i f e r s e l b s t , sie darf nicht gegen Dritte (objektiv) sich richten. Verletzung Dritter zum Zwecke der Verteidigung kann nur als Notstandshandlung straflos sein; dagegen fällt die Verletzung der einem Dritten gehörenden Angriffsmittel noch in den Begriff der Notwehr. 7 ) b) Sie darf die G r e n z e n des unbedingt Notwendigen nicht überschreiten. Das Maß der „erforderlichen" Verteidigung (moderamen inculpatae tutelae) liegt in der Heftigkeit des Angriffs. Wahrung eines überwiegenden Interesses wird mithin für die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung nicht gefordert.8) Ist nach Lage der Sache (objektiv) die Abwehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich, so kann auch das unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden. Subsidiarität der Verteidigungshandlung ist nicht erforderlich. Durch die Möglichkeit der Flucht wird die Rechtmäßigkeit der Notwehrhandlung nicht ausgeschlossen.') ') Ist dieser gebrochen, so kann Selbsthilfe (unten § 35 II 1) gestattet sein. Vgl. B G B § 859. Abweichend Allfeld 184, Frank § 53 I, Köhler 351, Mayer 278, Sctmartz § 53 Note 2 e, Wachenfeld 117. Vgl. Günther 3 1. Hälfte 245. •) So gegenüber einem Ehebruch, einem Sittlichkeitsdelikt, einer Steuerhinterziehung; nicht gegenüber einfachem Ungehorsam. Bedenklich R 48 215: Notwehr gegenüber Gefährdung eines bestehenden Verlöbnisses. *) Ebenso die gem. Meinung. Dagegen will van Calker Z 12 443 die Willensrichtung des Täters entscheiden lassen. Ebenso Binding Grundriß 1189, Frank § 53 II und Z 14 360, Schwartz § 53 Note 3 a, Wachenfeld 118. R 21 168 geht auf die Hauptfrage gar nicht ein. 9) Ebenso RMilG 17 58. Die Anerkennung eines uneingeschränkten Notwehrrechts ist leider auch in den deutschen V E § 66 übergegangen. Ebenso G E und K E . Anders S R E Art. 32 und Ö R E § 12. ötker will Notwehr und Unfugabwehr trennen und bei dieser Proportionalität fordern (zustimmend Mayer 281); die Unterscheidung ist aber nicht durchführbar. •) Vgl. P G O 140. Mit dem Text Allfeld 186, Binding 1 732, Finger 1
140
§ 34-
Der Notstand.
c) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigener, sondern als N o t h i l f e auch zum Schutze fremder Rechtsgüter gestattet. Die Beschränkung auf eine Bedrohung der „Angehörigen" (wie beim Notstande, unten § 34) ist hier unserm Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verletzung des Angreifers als rechtswidrige Handlung den allgemeinen Regeln. D o c h b l e i b t n a c h § 53 A b s . 3 S t G B die d u r c h B e s t ü r z u n g , F u r c h t o d e r S c h r e c k e n h e r b e i g e f ü h r t e Überschreitung („Exzeß") der Notwehr s t r a f l o s ; es liegt hier zwar eine an sich rechtswidrige Handlung, zugleich aber auch ein persönlicher Strafausschließungsgrund vor. 10 ) Auf andre als die angeführten Gründe der Überschreitung, insbesondere auf die positiven oder sthenischen Gemütsbewegungen, wie Jähzorn, Liebe zu dem Angegriffenen bei Nothilfe usw., darf die Straflosigkeit nicht ausgedehnt werden. Über die Putativnotwehr vgl. unten § 41 Note 4. § 34.
Der Notstand.
Literatur. Ötker VD Allg. T. 2 328. v. Bar Gesetz 3 220. Die zu § 33 angeführten Abhandlungen. Rud. Merkel Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen 1895. Auer Der strafrechtliche Notstand und das BGB. Würzburger Preisschrift 1903. Wünburger Das Recht des strafrechtlichen Notstandes vor und nach dem Inkrafttreten des B G B (v. Lil. H e f t 48) 1903. Kühn Die Pflichtenkollision im Strafrecht. Leipziger Diss. 1908. Neubecker Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung 1. Bd. 1910. Adler Unverschuldetes Unrecht 1910. Derselbe Z 31 914. Michailoff Der strafrechtliche Notstand. Züricher Diss. 1910. Ebner Z 33 59- Wertvoll Goldschmidt Der Notstand. Ein Schuldproblem 1913 (Österreichische Z 4 129) und dazu Kriegsmann Z 35 316. Jabinski Zur dogmatischen Kritik der Notstands- und Notwehrhandlungen. Leipziger Diss. 1914. Mintschew Der strafrechtliche Notstand. Neuchäteler Diss. 1914. — Simonson Z 5 467. (Mignonettefall) und dazu Z 5 650. — Pernice Labeo 2 66. Mommsen 653, 830. Hinschius Kirchenrecht 5 941. 1. Die Entwicklung des Notstandsbegriffes ist bis auf den heutigen Tag zurückgeblieben hinter derjenigen der Notwehr. Das r ö m i s c h e Recht erwähnt einzelne Fälle (lex Rhodia u. a.); die d e u t s c h e n Quellen gedenken des wegfahrenden Mannes und der Bedürfnisse der schwangeren Frau, des Mundraubes und anderer Fälle (Ssp. 2 68); und auch das k a n o n i s c h e Recht ist trotz der scheinbar allgemeinen Fassung seiner Vorschriften (necessitas non h a b e t legem) über dürftige Einzelbestimmungen nicht hinausgekommen. Die P G O verweist in Art. 166 vom „Stehlen in rechter Hungersnot", durch die der Täter, um sich, Weib oder Kinder zu retten, etwas von essenden Dingen zu 390, Frank § 53 II, Schwartz § 53 Note 3 a ; auch Bgr. 244. Abweichend R 16 69 sowie van Calker 25, v. Hippel Z 16 603. 10 ) Der also nur demjenigen zugute kommt, in dessen Person er vorliegt, mag dieser Täter, Teilnehmer oder Nothelfer sein (unten § 44 II). V E § 66 läßt bei Überschreitung allgemein Strafmilderung zu; h a t der Täter in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung gehandelt, so ist er straflos. Ebenso K E , während GE an dem geltenden Rechte festhält.
§ 34-
Der Notstand.
141
stehlen geursacht würde, auf den R a t der Rechtsverständigen (vgl. auch. A r t . 175). Auch das g e m e i n e Recht berücksichtigt nur die Erhaltung des Lebens auf Kosten fremden Vermögens. Noch A L R 1115 bestimmt, daß, wenn jemand etwas entwendet, um sich oder andere aus dringender Leibes- oder Lebensgefahr zu retten, der Fall vom Richter höheren Orts zur Begnadigung angezeigt werden solle. Erst die Philosophen, insbesondere Kant und Hegel, kehren zu dem Regelfall zurück, in dem Leben gegen Leben steht (das Brett des Karneades). Code pénal 1810 Art. 64 und Preußen 1851 § 40 kennen nur den psychischen Zwang durch Bedrohung, und ihnen folgt Bayern 1861. Das R S t G B hat neben der „Nötigung" den „Notstand im engeren Sinn" anerkannt, dadurch aber den einheitlichen Begriff in zwei verschieden behandelte Unterbegriffe zerrissen. In der Wissenschaft ist Begriff und Behandlung des Notstandes bestritten. N a c h der Anschauung der älteren naturrechtlichen Schule erscheint im Notstande die Rechtsordnung selbst als aufgehoben (so Grotius, Pufendorf, Wolff, Fichte, Grolman, V. Wächter). Später gewann die, im Anschlüsse an Kant, von Feuerbach und andern vertretene Ansicht, daß der durch den Notstand verursachte unwiderstehliche Zwang die Zurechnungsfähigkeit ausschließe, die Herrschaft in Gesetzgebung und Wissenschaft (so neuerdings Baumgarten A u f b a u 127, 235 und Schwartz § 52 Note 1, § 54 Note 2). Die heutige Auffassung geht davon aus, daß das Wesen des Notstandes in einem Widerstreit berechtigter Interessen besteht, von denen jedes nur auf Kosten des andern erhalten werden kann. Nach allgemeinen Grundsätzen („Prinzip des überwiegenden Interesses", „Güterabwägungstheorie") muß die Wahrung des m e h r w e r t i g e n Interesses auf Kosten des minderwertigen als rechtmäßig erscheinen (oben § 32 I). Diesen Standpunkt hat B G B in den §§ 228 und 904 eingenommen. Es gewährt zugunsten des Gefährdeten ein Notrecht; daher ist auch Teilnahme Dritter an der Notrechtsausübung rechtmäßig und dieser gegenüber Notwehr des Besitzers ausgeschlossen. B G B gewährt aber das Notrecht nur für den Eingriff in Sachgüter und läßt die Streitfrage im übrigen offen. Die §§ 52 und 54 S t G B unterscheiden nicht. Die Durchführung des Prinzips des überwiegenden Interesses scheitert daran, daß dann die einheitliche Bestimmung des Gesetzes zerrissen, für einen Teil der Fälle das Notrecht angenommen, für den andern Teil geleugnet werden müßte. 1 ) Es bleibt also nur übrig, entweder für a l l e Fälle der §§ 52 und 54 ein Notrecht anzunehmen oder dieses für a l l e Fälle zu leugnen. Beide Auffassungen führen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die allgemeine Leugnung des Notrechts verweist die Lehre vom strafrechtlichen Notstand in den Abschnitt von den Strafausschließungsgründen und vermag die Straflosigkeit der Teilnehmer nicht zu rechtfertigen. Es empfiehlt sich daher, solange der durchaus unbefriedigende Stand der Gesetzgebung unverändert bleibt, i n a l l e n F ä l l e n des N o t s t a n d s ein N o t r e c h t anzunehmen.2) *) So in der T a t R 23 115; dazu Beling Z 18 274. — Dazu kämen dann noch die milder bestraften Notdelikte nach dem Gesetz vom 19. Juni 1912 (Notentwendung § 248a und Notbetrug § 264 a). s ) Ebenso in der Hauptsache Allfeld 188, van Calker 27; ebenso Jabinski und Mintschew. Dagegen die herrschende, aber recht verworrene Meinung: Beling Verbrechen 53, 62, Bierling (Lit. zu § 28) 201, Binding 1 766, Finger 1 418, Fischer, Frank §§52 III, 54 III, Merkel-Liepm. §§ 56—60 (unklar), R. Merkel 32, Neubecker 183, Wachenfeld 122 (der zwar die Rechtswidrigkeit für ausgeschlossen hält, dennoch aber ein Notrecht leugnet). Eingehend v. Bar und Otker, besonders aber Goldschmidt, der, soweit ein Notrecht nicht gegeben ist, einen die Pflichtwidrigkeit ausschließenden Entschuldigungsgrund annimmt.
§ 34* Der Notstand.
142
V E § 67 hat sich auf diesen Standpunkt gestellt (Bgr. 246). Die N o t standshandlung ist n i c h t w i d e r r e c h t l i c h , wenn sie der Wahrung eines überwiegenden Interesses dient. Der Notstandsbegriii wird einheitlich gefaßt und auf die Rettung der Person (nicht bloß Leib und Leben) wie des Eigentums (nicht auf andere Rechtsgüter) ausgedehnt; die Nothilfe wird allgemein, nicht bloß zugunsten der Angehörigen, zugelassen. Nicht gestattet ist die Notstandshandlung, wenn die Gefahr nur gering ist, oder wenn, soweit es sich nur um die Rettung von Eigentum handelt, der von der Handlung zu erwartende Schaden unverhältnismäßig größer ist als die Gefahr. G E wie K E halten an dieser Auffassung fest; letzterer verlangt beim eigentlichen Notstand, nicht bei der Nothilfe, unverschuldete Gefahr. Nothilfe darf nach dem t i E auch die Interessen des Gefährdeten selbst verletzen, nicht aber gegen dessen Willen geleistet werden (ärztlicher Eingriff usw.). Beachtenswert S R E 33.
II. Notstand ist ein Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, aus dem es keine andre Rettung gibt, als die Verletzung von rechtlich geschützten Interessen eines andern. D e r Notstand ist mithin ein Fall der Interessenkollision. Die Notstandshandlung erscheint als W a h r u n g eigner (bei Nothilfe auch fremder) unmittelbar gefährdeter Interessen durch Verletzung berechtigter Interessen anderer Personen. Von N o t w e h r (oben § 33) und Selbsthilfe (unten § 35 II 1} unterscheidet sich die Notstandshandlung dadurch, d a ß jene d a s R e c h t dem U n r e c h t gegenüber zu verteidigen oder wiederherzustellen b e s t i m m t sind, während diese das R e c h t auf Kosten eines andern R e c h t s wahren will. Stets v e r l a n g t der Notstand die Kollision b e r e c h t i g t e r Interessen. H a t die Rechtsordnung dem gefährdeten Interesse ihren Schutz entzogen, so ist auch der Begriff des Notstandes ausgeschlossen. Der zum Tode Verurteilte kann sich nicht auf Notstand berufen. In allen Fällen ist die Notstandshandlung nur erlaubt, wenn die Gefahr auf anderem Wege nicht abgewendet werden konnte (Prinzip der S u b s i d i a r i t ä t ) . II. Die Voraussetzungen dieses Notrechts sind heute teils i m B G B , teils im S t G B umschrieben. 1. Im Anschluß an die Bestimmungen über N o t w e h r g e s t a t t e t B G B § 228 d i e B e s c h ä d i g u n g o d e r Z e r s t ö r u n g e i n e r f r e m d e n gefahrdrohenden Sache, wenn die Notstandshandlung zur A b wendung der Gefahr erforderlich ist, und der Schaden nicht außer Verhältnis z u der Gefahr steht. Die Gefahr m u ß durch die Sache selbst d r o h e n : durch d a s angreifende Tier, den s t r o m a b w ä r t s treibenden K a h n , d a s baufällige Haus. Psychische Einwirkung der Sache (unsittliches Gemälde) genügt nicht.*) Gegenwärtigkeit der Gefahr (im Gesetze nicht erwähnt) m u ß gefordert werden. Die A r t des bedrohten R e c h t s g u t e s ») Köhler 365.
§ 34.
Der Notstand.
143
i s t gleichgültig; Nothilfe uneingeschränkt gestattet. H a t der H a n delnde (nicht notwendig der Gefährdete) die Gefahr schuldhaft v e r u r s a c h t , so handelt er nach der herrschenden (allerdings bedenklichen) Ansicht trotzdem nicht rechtswidrig, ist daher n i c h t strafbar. 4 ) 2. W e i t e r greift das durch § 904 B G B eingeräumte Notrecht. Einwirkung auf eine fremde neutrale Sache (Beschädigung, Zerstörung, Gebrauch, Verbrauch) ist gestattet, wenn von ihr keine Gefahr d r o h t , die Einwirkung aber zur A b w e n d u n g einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber d e m aus der Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnism ä ß i g groß ist. Beispiele bieten die B e n u t z u n g eines fremden K a h n s zur R e t t u n g eines Ertrinkenden, eines fremden Pferdes, u m den A r z t z u dem Verunglückten herbeizuholen. Der T ä t e r ist ersatzp f l i c h t i g ; aber er handelt in A u s ü b u n g seines R e c h t s : Der W i d e r stand des Eigentümers darf daher, wenn nötig m i t Gewalt, gebrochen werden. Welcher A r t das gewahrte Interesse ist, bleibt auch hier gleichgültig; Nothilfe ist uneingeschränkt gestattet. 3. Dagegen g e s t a t t e t § 54 S t G B nur eine solche Handlung, die ,,in einem unverschuldeten, auf andre Weise nicht zu beseitigenden N o t s t a n d z u r R e t t u n g a u s e i n e r g e g e n w ä r t i g e n Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden i s t " . Lebensgefahr ist Gefahr des Todes, Leibesgefahr die G e f a h r einer nicht unerheblichen Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. D a s Gesetz versagt also bei Gefahr für andere Rechtsgüter, wie Freiheit, E h r e , Sittlichkeit usw., dem Notstande seine A n e r kennung, soweit der Angriff nicht zugleich gegen L e i b oder Leben gerichtet ist. § 54 gestattet ferner die Nothilfe nur zur R e t t u n g der nächsten A n g e h ö r i g e n . 5 ) Dagegen wird, abweichend von 4) Vgl. v. Liszt Deliktsobligationen § 94. — Wenn es sich um die Abwehr von Wildschaden handelt, kann § 228 durch die Landesgesetzgebung ausgeschlossen werden; so preußische Jagdordnung vom 15. Juli 1907. ®) Der 2. Abs. des § 52 gibt eine für alle Abschnitte des StGB maßgebende Begriffsbestimmung der Angehörigen: „Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte." V e r w a n d t e sind die von demselben Stammvater abstammenden Personen. Ehelichkeit der Geburt ist nicht erforderlich. V e r s c h w ä g e r t sind der eine Ehegatte einerseits und die Verwandten des andern anderseits; das Verhältnis wird weder durch den Tod eines Ehegatten, noch durch die Scheidung der Ehe dem Bande nach gelöst. So auch R 3 4 419. Die A d o p t i o n ist als rechtliches Verhältnis nach dem B G B zu beurteilen. Ob dagegen das dauernde, durch den Erziehungszweck bedingte Verhältnis von P f l e g e e l t e r n zu Pflegekindern vorliegt, bestimmt sich nach Lage des tatsächlichen Falles; ebenso R 8 4 161. V e r l o b u n g setzt ein gegenseitiges ernstliches Eheversprechen voraus; ebenso R 28 230, 85 49.
144
§ 35-
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
den Fällen unter i und 2, Wahrung eines überwiegenden Inter•esses nicht gefordert; um mich gegen eine Gesundheitsverletzung zu schützen, darf ich einen unbeteiligten Dritten töten. Verschuldung des Notstandes schließt das Notrecht aus. Der Notstand ist verschuldet, wenn der zurechnungsfähige Täter voraussah oder voraussehen konnte, daß die Gefahr eintreten und nur durch Eingriff in fremde Rechtsgüter abzuwenden sein werde; er haftet im ersten Fall wegen vorsätzlicher, im zweiten wegen fahrlässiger Verletzung. Die Berufung auf Notstand ist in einer Anzahl von Fällen solchen Personen nur in beschränktem Umfang gestattet, die berufsmäßig verpflichtet sind, Leibes- und Lebensgefahr auf sich zu nehmen: so dem Soldaten (MilStGB § 49 Abs. 1 vgl. mit §§ 84 bis 88), dem Schiffsmann (Seemannsordnung 1902 § 41), dem Bergführer, Feuerwehrmann, Arzt, Krankenwärter usw.') 4. Das S t G B hat in § 52 überflüssigerweise 7 ) auch noch dem Genötigten ein Notrecht ausdrücklich eingeräumt. Nötigung liegt vor, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, die mit einer (unverschuldeten) gegenwärtigen, auf andre Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen 8 ) verbunden war, zu dem Eingriff in fremde Rechtsgüter genötigt worden ist. 8 ) § 35.
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
Literatur. Überhaupt: Heimberger V D Allg. T. 4 1, 15. — Zu I: Kleinfeiler V D Allg. T. 1 269. v. Bar Gesetz 3 89. Van Calker Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen 1891. Reichmutti Das Recht der Forstbeamten zum Waffengebrauche in Deutschland 1908. •) Walter Die Furcht vor persönlicher Gefahr nach § 49 MilStGB. Breslauer Diss. 1900. Ötker 370. Gegen die Ausdehnung Frank § 54 IV. Mit dem T e x t Mayer 302. ') War nämlich die Gewalt u n w i d e r s t e h l i c h , d. h. hat sie, jeden Widerstand ausschließend, unmittelbar auf die Bewegungsmuskeln gewirkt, so entfällt der Begriff der Handlung (oben § 28 I) und damit der des Verbrechens. G e f a h r f ü r L e i b o d e r L e b e n begründet aber schon nach § 54. S t G B das Notrecht. Anders freilich, wenn man § 52 auch auf v e r s c h u l d e t e N o t bezieht (so Allfeld 192, Schwartz § 52 Note 1); dagegen aber spricht die Analogie aus § 54 S t G B . — Über die Begriffe Gewalt und Drohung vgl. unten 5 98. 8) Nicht des Drohenden selbst (Drohung mit Selbstmord); richtig Schwartz § 52 Note 3; dagegen R 38 127, Finger 1 426, Frank § 52 I, Mayer 314. ») Vgl. auch S t G B §§ 148, 157, 313 sowie MilStGB § 130. Ferner HandelsGB §§ 7ooff. über die große Haverei, Seemannsordnung 1902 § 87 A b s . 2, § 17 Postg. 1871, § 9 Strandungsordnung 1874, § 67 Abs. 2 Personenstandsg. 1875 nach Art. 46 I I I E G zum B G B . Da hier die Rechtswidrigkeit •der Rechtsverletzung ausdrücklich ausgeschlossen ist, kann von Strafbarkeit keine Rede sein.
§ 35-
Die
übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
145
ME. Mayer in der Festschrift für L a b a n d 1908. Thielke Gehorsam und Schuld des S t a a t s b e a m t e n und des Soldaten bei gesetzwidrigem Befehl des Vorgesetzten. Königsberger Diss. 1 9 1 1 . Thiessen Die strafrechtlichen Wirkungen des rechtwidrigen Befehls im S t a a t s - und Militärdienst. Königsberger Diss. 1 9 1 1 . Heilborn Festschrift für Gierke 1 9 1 1 . Battenberg Das auf Befehl begangene Verbrechen (v. Lil. H e f t 189) 1 9 1 6 . —• Zu I I 1 : Günther 3 1. Hälfte 2 1 7 . V. Liszt Deliktsobligationen 85. Riso D a s R e c h t der E i g e n m a c h t 1900. — Zu I I 2 : Finger Das Züchtigungsrecht und dessen Mißbrauch 1888. Kaufmann Das Züchtigungsrecht der E l t e r n und Erzieher 1 9 1 0 . Derselbe Schweizer Z 25 329. Gelder Die Straftferkeit der Erwachsenen bei Züchtigung des ungezogenen Jugendlichen (v. Lil. H e f t 196) 1 9 1 8 . Vgl. auch Ahlers GA 63 2 1 6 . — Zu I I 3 : Laß Das Strafrecht der Berufsgenossenschaften 1 9 0 1 . Lehmann Z 22 2 1 8 (Das autonome Strafrecht öffentlichrechtlicher Verbände). Leist Untersuchungen zum inneren Vereinsrecht 1904. — Zu I I I : V. Lilienthal Die pflichtmäßige ärztliche Handlung (Festgaben für EJ. Bekker) 1899. Finger Z 20 1 2 . Heimberger Strafrecht und Medizin 1899. Rieh. Schmidt Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes 1900. v. Bar Festgabe für Regelsberger 1 9 0 1 und G S 60 8 1 . Karding Straflose vorsätzliche Körperverletzung bei Bewegungsspielen 1902. v. Liszt Z für ärztliche Fortbildung 1. B a n d 1904. Radbruch Geburtshilfe und Strafrecht 1907. Kahl Z 29 3 5 1 . Schmitt Z 31 467. — Über Vivisektion: v. Hippel V D Bes. T . 2 2 4 8 . — Zu I V : Gerland VD Allg. T . 2 487. Klee GA 48 1 7 7 , 337, 49 246, 50 364. Büdinger Die"Einwilligung zu ärztlichen Eingriffen 1905. Holer Die Einwilligung des Verletzten (Züricher Beiträge H e f t 1 3 ) 1906. Zitelmann Ausschluß der Rechtswidrigkeit 1906. Ahrens Geschäftsführung ohne Auftrag als Strafausschließungsgrund (v. Lil. H e f t 1 0 1 ) 1909. Hartwig Die Körperverletzung eines Einwilligenden nach dem R S t G B . Leipziger Diss. 1 9 1 2 (GA 82 3 0 1 , •83 27). Wilhelm Operationsrecht des Arztes und Einwilligung des Patienten 1 9 1 2 . — Zu V : v. Bar Gesetz 3 23, 47. v. Liszt V D Bes. T . 5 1 3 3 . Bernstein Die Bestrafung des Sebstmordes und ihr E n d e (V. Lil. H e f t 78) 1907. Jul. Meyer Der Selbstmord sowie Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord. R o stocker Diss. 1907. Hafter bei Aschaffenburg8 397. — Zu V I : Müller Die Immunität der parlamentarischen Berichterstattung. Heidelberger Diss. 1906. Kleinfeiler V D Allg. T . 1 334.
Von den zahlreichen Fällen, in denen kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Vorschrift der Rechtsordnung die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen betrachtet werden muß, können hier nur die wichtigsten Erwähnung finden. Bei dem heutigen Stande der Gesetzgebung und Wissenschaft bietet die Abgrenzung fast überall bedeutende Schwierigkeiten, und nur mit vorsichtiger Zurückhaltung kann die Aufstellung allgemeiner Grundsätze erfolgen. I. Die pflichtgemäße, d. h. die durch die Rechtsordnung gebotene Handlung, ist stets rechtmäßig. Man denke an das Gebiet des Erfüllungszwanges, an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme, Verhaftungen, Strafvollstreckung; an Rechtsgüterverletzungen im Kriege oder bei inneren Unruhen; an die landesrechtliche Befugnis der Wachen (preuß. Dienstvorschrift vom 19. März 1914), der Post-, Zoll- und Steuerbeamten, der Strafanstalts- und Gefängnisbeamten zum Waffen gebrauche, an MilStGB § 124 usw. 1 . Das gilt zunächst von A m t s p f l i c h t u n d D i e n s t p f l i c h t . 2. E s gilt ferner auch von den dem e i n z e l n e n auferlegten Pflichten, so v. L i s z t , Strafrecht. 21. Aufl.
IO
146
§ 35-
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
der Anzeigepflicht ( S t G B § 139, bei ansteckenden K r a n k h e i t e n ) , der Zeugenpflicht usw. 3. D e r B e f e h l d e s V o r g e s e t z t e n an den Untergebenen schließt für diesen die Rechtswidrigkeit der auf Grund des Befehles vorgenommenen Handlung soweit aus, als die Rechtsordnung die unbedingt verbindende K r a f t des Befehles a n e r k e n n t ; ' ) doch kann der Befehlende als mittelbarer T ä t e r (unten § 50 I I ) s t r a f b a r sein.
I I . Die Handlung ist rechtmäßig, wenn sie kraft besonderer Berechtigung und innerhalb deren Grenzen vorgenommen wurde. Die verschiedensten F ä l l e gehören hierher: 1. Die S e l b s t h i l f e in allen ihren F o r m e n (insbesondere die eigenmächtige Pfändung), soweit das geltende P r i v a t r e c h t sie e r l a u b t ; mag es sich um Abwehr einer drohenden Gefahr, um die Wiederherstellung eines zerstörten Zustandes oder u m die Sicherung oder Duichsetzung eines Anspruchs handeln. 4 ) 2. E r z i e h u n g s - und Z u c h t g e w a l t , wie sie den E l t e r n gegen das K i n d , dem Lehrer gegen den Schüler, dem Lehrherrn gegen den Lehrling (Gewerbeordng. § 1 2 7 a ) , n i c h t aber dem Dienstherrn gegen das Gesinde ( E G zum B G B Art. 95) zusteht. B e i Mangel besonderer Vorschriften entscheidet die Angemessenheit des Mittels. Zu beachten ist, daß die Ausübung dieses R e c h t s , dauernd oder vorübergehend, von dem B e r e c h t i g t e n dritten Personen (von den E l t e r n dem Erzieher) übertragen, daß ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines mutwilligen K n a b e n durch belästigte Vorübergehende) die Zustimmung des B e r e c h t i g t e n vorausgesetzt werden kann. 3 ) 3. Das D i s z i p l i n a r s t r a f r e c h t , das den öffentlichrechtlichen wie den privatrechtlichen Verbänden gegen ihre Mitglieder eingeräumt ist. 4. W e i t e r sei erinnert an das Bergungsrecht nach Strandungsordnung 1874 §§ 4 f f . ; an das Prisen- und B e u t e r e c h t im Seekriege; an die vorläufige F e s t n a h m e eines auf frischer T a t betroffenen oder verfolgten Verbrechers ( S t P O § 127); an H a n d e l s G B § 708, B G B §§ 867, 962, 1 0 0 5 ; an die Ausflüsse des Hausrechts, die Tötung von jagenden Hunden u. a. mehr. 4 ) 5. E s gehört hierher endlich auch die W a h r u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r e s s e n nach S t G B § 193, § 14 Abs. 2 Wettbewerbsges. 1909, § 824 Abs. 2 B G B .
I I I . Eine besondere Gruppe bilden jene Eingriffe in rechtlich *) So teilweise M i l S t G B § 47, Scemannsordnung 1902 §§ 34, 41. V g l . schon Theresiana Art. 11 § 8 und ähnlich B a y e r n 1751 1 1 § 32. Auch G V G § 147 bindet den S t a a t s a n w a l t an die dienstlichen Weisungen seines Vorgesetzten. Nach v. Bar, Battenberg (mit verfehlter Berufung auf § 51 S t G B ) und ME. Mayer 334 ist nicht die Rechtswidrigkeit der T a t , wohl aber die Schuld des T ä t e r s ausgeschlossen. E i n e pflichtgemäße Handlung ist a b e r niemals rechtswidrig. R i c h t i g Wachenfeld 133. Unhaltbar Frank 4. Abschn. I I I , der hier einen nur subjektiv wirkenden Rechtfertigungsgrund a n n i m m t , und d a m i t den streng objektiven Begriff der Rechtswidrigkeit sprengt. *) B G B §§ 2 2 9 bis 231, 8 5 9 t . Vgl. E G zum B G B Art. 89. 3 ) E i n allgemeines R e c h t zu stellvertretender Züchtigung g i b t es n i c h t . Viel zu weit Geider, der, in Anlehnung an Hegler Z 30 19, 184, das „ P r i n z i p des wahren W o h l s " entscheiden l ä ß t . Mit dem T e x t R 33 32, R M i l G 18 2 1 9 ; Mayer 297. *) Hierher gehört auch das Tötungsrecht des E h e m a n n e s gegenüber dem auf der T a t ergriffenen Ehebrecher, das, von Bambergensis 145 (nicht P G O ) ausdrücklich anerkannt, noch gegen Anfang des 19. J a h r h u n d e r t s wenigstens in den Lehrbüchern eine Rolle spielt. Preußen 1721 g a b auch noch dem V a t e r das R e c h t , die unkeusche T o c h t e r und ihren Verführer zu t ö t e n . V g l . Günther 3 1. H ä l f t e 237.
§ 35-
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
geschützte Interessen, die sich als das angemessene Mittel zur Erreichung eines staatlich anerkannten Zweckes d a r s t e l l e n .
Sie s i n d
nach allgemeinem Grundsatz (oben § 32 II) als r e c h t m ä ß i g e Handlungen anzusehen, können also niemals unter den Begriff einer Straftat fallen. 1. Hierher gehören die vielbesprochenen Eingriffe in die körperliche Integrität, die, von Ärzten oder Nichtärzten, zu H e i l z w e c k e n oder zu diagnostischen, kosmetischen oder wissenschaftlichen Zwecken vorgenommen werden. Aus den staatlichen Veranstaltungen (der Unterrichtsverwaltung wie der Gesundheitspflege) ergibt sich, daß der Staat die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit als berechtigten Zweck anerkennt und fördert. Die zur Erreichung dieses Zweckes nach den Regeln der Hygiene und der Heilkunde vorgenommenen Handlungen (Körperverletzungen, Nötigungen, Freiheitsentziehungen) sind daher r e c h t m ä ß i g , mögen sie gelingen oder (ein Fall, der meist übersehen wird) mißlingen. Irreführend ist die Behauptung eines ärztlichen „Berufsrechts", nichtssagend die Berufung auf ein „Gewohnheitsrecht", eine völlige Verkennung des Problems die Schlußfolgerung aus der Fassung der einschlagenden Verbrechensdefinitionen. Der Rechtsgrund zu solchen Eingriffen liegt in der staatlichen Anerkennung des angestrebten Z w e c k e s ; ihre Schranke in der Angemessenheit des M i t t e l s , die sich aus den Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Kunst ergibt. Die Einwilligung des Verletzten vermag die Rechtmäßigkeit des Eingriffs ebensowenig zu begründen, wie der von ihm erteilte Auftrag oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag; aber die Angemessenheit des Mittels wird ausgeschlossen durch den widerstrebenden Willen des verfügungsfähigen Kranken, beziehungsweise seines Vertreters.8) 2. Auch die übrigen hier einschlagenden Fragen sind aus demselben Gesichtspunkt zu beurteilen. So die Erhaltung des Lebens der Mutter durch Bewirkung einer Frühgeburt oder durch Zerstücke6) Die Ansichten über die Begründung der Straflosigkeit in diesen Fällen gehen weit auseinander. 1. Man leugnet den B e g r i f f d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g , weil Heilbehandlung o b j e k t i v etwas anderes sei als Gesundheitsbeschädigung oder Mißhandlung. So Stooß, und diesem folgend v. Bar, Beling Verbrechen 151, Binding Lehrb. 1 53, Frank 17. A b s c h n . II, Heimberger, Kitzinger G S 55 87, Kohlrausch (Lit. zu § 36) 97, Löffler V D Bes. T . 5 24^, Mayer 294. Gegen diese Ansicht Finger (auch 1 407) sowie R 25 375. — 2. Man n i m m t an, d a ß die R e c h t s w i d r i g k e i t der an sich gegebenen Körperverletzung durch die E i n w i l l i g u n g d e s V e r l e t z t e n beseitigt werde. So auch R 25 375, 38 34. V g l . dazu unten Note 7. — 3 Die im T e x t vorgetragene Ansicht wird vertreten von Allfeld 201, Graf zu Dohna, Finger, v. Lilienthal, R. Schmidt; im wesentlichen auch von Binding Grundriß 198. — Die E n t w ü r f e schwanken. K E h a t auf Wunsch der ärztlichen Sachverständigen von jeder ausdrücklichen R e g e l u n g abgesehen. 10*
§ 35-
148
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
*ung der Frucht im Mutterleibe (Perforation). Freilich bleiben Zweifel und Bedenken. Die Untersuchung am lebenden Tier zu wissenschaftlichen Zwecken (Vivisektion) ist durch den staatlich anerkannten Zweck wissenschaftlicher Forschung gedeckt, soweit sie den Anforderungen der wissenschaftlichen Methode entspricht und zwecklose Grausamkeit vermeidet; die Untersuchung am lebenden Menschen dagegen steht im Widerspruch mit den heute anerkannten Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung, soweit sie eine Gefährdung des Lebens in sich schließt. Die Gewährung der Euthanasie (Sterbehilfe) kann nur in den engsten Grenzen als rechtmäßig angesehen werden.*) Die rituelle Beschneidung der Juden ist durch deren Anerkennung als Religionsgesellschaft mit anerkannt; ebenso, von besonderen Bestimmungen abgesehen, das Schächten der Tiere. Verschieden von diesen Fällen, in denen die Annahme der Rechtmäßigkeit auf nicht immer zweifelsfreien Schlußfolgerungen beruht, sind die vom Gesetz ausdrücklich angeordneten Eingriffe: Impfzwang, Zwangsbehandlung mit Salvarsan usw. 3. Der aufgestellte Grundsatz greift noch viel weiter, ist aber freilich in dem Zusammenhang seiner Anwendungsgebiete noch so gut wie gar nicht untersucht. Aus der staatlichen Zulassung eines G e w e r b e s folgt allgemein (vgl. oben unter 1), daß die mit dem regelmäßigen Betriebe verbundenen Gefährdungen nicht rechtswidrig sind.*) Verletzungen bei gestatteten Bewegungsspielen sind nicht rechtswidrig, wenn die anerkannten Spielregeln beobachtet sind. Wird die Niederlassung eines B e t t e 1o r d e n s staatlich genehmigt, so ist das Betteln seiner Mitglieder nicht rechtswidrig. Die staatliche Genehmigung einer L o t t e r i e oder einer Ausspielung (BGB § 763) macht es unmöglich, das Vertreiben oder Ankaufen der Lose als Delikt zu behandeln (vgl. unten § 145). Über die Konzessionierung des Bordellbetriebes vgl. unten § 108. Erlaubt der Staat die Erstrebung günstigerer Arbeitsbedingungen oder eines billigeren Ankaufspreises, so kann, wenn das Mittel ein angemessenes ist, der angestrebte V e r m ö g e n s v o r t e i l kein rechtswidriger sein; die Annahme einer Erpressung ist mithin ausgeschlossen (unten §§ 139, 141).8) IV. Die Einwilligung des Verletzten schließt die Rechtswidri^keit der Verletzung nur soweit aus, als die Rechtsordnung dem «) Vgl. Elster Z 36 595, Köhler 400, Mayer 290. ) Richtig Mayer 128. Unricht'g ist es, mit Köhler 177 die Gefährdung oder m i t Goldschmidt die Verschuldung als ausgeschlossen zu betrachten. 8 ) Beachtenswert R 36 334: ein nicht pflichtwidriges Verhalten kann niemals verschuldeten Notstand begründen; 37 150: ein durch erlaubtes Ge werbe verursachter Lärm, der die Grenzen des ordnungsmäßigen Betriebes nicht überschreitet, fällt nicht unter S t G B § 167 (Störung des Gottesdienstes) 7
§ 35Träger
des
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit. Rechtsgutes
die
Verfügungsgewalt
über
g e r ä u m t h a t , w e i l n u r sein I n t e r e s s e in F r a g e s t e h t .
149
dieses
ordnung dies g e t a n , ist aus d e m ganzen Z u s a m m e n h a n g e der setzlichen
Bestimmungen,
ständen zu entnehmen. aufstellen wollen.*)
oder
nicht
nur
aus
den
Gesichtspunkte
ge-
Verbrechenstatbe-
V e r f e h l t ist es, hier allgemeine
privatrechtliche
ein-
O b die R e c h t s -
Grundsätze
heranziehen
Die W i r k s a m k e i t der V e r f ü g u n g ist nicht nach
zu
Privat-
r e c h t , s o n d e r n n a c h S t r a f r e c h t , u . z. n a c h A n a l o g i e d e r §§ 5 5 b i s 5 7 , im Einzelfall zu prüfen.10) V.
Die
Selbstverletzung
sollte
grundsätzlich
ebenso
beurteilt
werden, wie die m i t E i n w i l l i g u n g des Verletzten v o n einem D r i t t e n begangene H a n d l u n g . rechtliche
Bedeutung
D e n n h i e r w i e d o r t h a n d e l t es s i c h u m der von
dem
gehenden V e r f ü g u n g über dieses. sächlichen
Gesichtspunkten
Träger
des
Rechtsgutes
die aus-
Doch hat das Gesetz, von neben-
geleitet,
die
Grenzlinie
dort
vielfach
anders b e s t i m m t als hier.11) •) So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, eine rechtswidrige, auch wenn milder bestrafte, H a n d lung ( S t G B § 216), während Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, der Freiheit, der Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten die rechtswidrige E i g e n a r t verlieren. Besonders bestritten ist die F r a g e bezüglich der Körperverletzung (vgl. unten § 87). Sicher ist es, daß die oft herangezogenen Quellenstellen des römischen R e c h t s (1. 1 § 5 D . 47, 10) eine durchaus beschränkte Bedeutung haben, und daß der S a t z „Volenti non fit i n j u r i a " in dieser Allgemeinheit auch für das römische R e c h t u n h a l t b a r ist. So auch Pertlice 2 82. Die F r a g e kann nur vom S t a n d punkte des jeweils geltenden R e c h t s aus befriedigend gelöst werden, und dieses wechselt m i t den Zeitanschauungen. Dem mittelalterlichen Rechtsgefühl widerstrebte die Verpfändung des Leibes, der Freiheit, der E h r e („Schelmenschelten") usw. durchaus nicht. Ältere Gesetze schlössen wohl ausdrücklich die Berücksichtigung der Einwilligung a u s ; so Theresiana Art. 3 § 16 und ebenso noch Österreich 1 8 5 3 § 4. '•) E b e n s o Mayer 290; R 41 392. Dagegen die „ R e c h t s g e s c h ä f t s t h e o r i e " von Zitelmann und Frank Vierter A b s c h n i t t I I I ; m i t ihnen auch Metz Zur F r a g e der Einwilligung des Verletzten im S t r a f r e c h t . R o s t o c k e r Diss. 1 9 1 3 . " ) Das wichtigste Beispiel b i e t e t die heute fast allgemein anerkannte Straflosigkeit des S e l b s t m o r d e s . Das römische R e c h t bestraft den Selbstmordversuch nur, wenn von Soldaten begangen (1. 6 § 7 D . 49, 16). I m deutschen Mittelalter ist schimpfliches Begräbnis die regelmäßige Strafe des Selbstmörders. So in England noch bis 1822. Das gemeine R e c h t (PGO 135) h ä l t an dem unehrlichen Begräbnis des Selbstmörders und an der willkürlichen Bestrafung des Selbstmordversuches fest (Preußen 1620) und wird darin noch im 18. J a h r h u n d e r t von Philosophen der Wolffschen Schule sowie von Soden, Wieland, Grnelin, Quistorp u. a. unterstützt. E r s t unter dem Einflüsse Montesquieus und Voltaires, Beccarias und Hümmels t r i t t in der zweiten H ä l f t e des Jahrhunderts ein Umschwung der Anschauungen ein. Doch l ä ß t noch das Joseph. S t G B den Selbstmörder „durch den Schinder einscharren" und verhängt bei versuchtem Selbstmord Gefängnis bis zur Besserung. I n Preußen wurde trotz der bekannten Ansichten Friedrichs II. der Selbstmordversuch erst 1796 für straflos erklärt (vgl. A L R 803 bis 805). Seit dem bayrischen S t G B 1 8 1 3 verschwindet die Strafdrohung gegen Selbstmord allmählich aus den Gesetzbüchern. In Braunschweig wurde noch 1828 die Verscharrung
§ 36.
Der Schuldbegriff.
VI. An dieser Stelle sind endlich auch noch Art. 22 Abs. 2 der Reichsverfassung sowie StGB § 12 über die Straffreiheit der Parlamentsberichte zu erwähnen. Um die uneingeschränkte Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlungen und damit die fortwährende Wechselwirkung zwischen der Volksvertretung und der Meinung der Wähler zu sichern, bestimmt das Gesetz, daß wahr heitsgetreue (mündliche oder schriftliche) Berichte a) über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages, b) über Verhandlungen eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, mithin auch der sogenannten objektiven Verfolgung nicht unterzogen werden können.12)
III. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. § 36.
Der Schuldbegriff.
Literatur. Löffler Die Schuldformen des Strafrechts 1 1895. Liepmariti Z 1 4 446. Kohlrausch (Lit. zu § 32); dazu Goldschmidt G A 5 1 340. Radbruch Z 2 4 333. Mificka Die Formen der Strafschuld und ihre gesetzliche Regelung 1903. ME. Mayer und Graf zu Dohna (Lit. zu § 32). Graf zu Dohna GS 65 304. Bierling Juristische Prinzipienlehre B 237. Frank Aufbau des Schuldbegriffes. In der Gießener Festschrift 1908. Dazu Kriegsmann Z 28 713, ötker G S 72 161, Finger GS 72 249. Mittermaier Kritische Beiträge zur Lehre von der Strafschuld 1909. v. Bar Gesetz 2 1 und dazu Kriegsmann Z 29 493. Rilmelin Das Verschulden im Straf- und Zivilrecht 1909. Kohlrausch Sollen und Können durch den Nachrichter vollzogen (Scholz Merkwürdige Strafrechtsfälle 2 1841 S. 186). — Versuch des Selbstmordes ist noch nach dem heutigen englischamerikanischen Recht strafbar; Anstiftung und Beihilfe war vielfach in den deutschen LandesStGBüchern und ist heute in einer Anzahl von außerdeutschen Gesetzen und Entwürfen als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht. Vgl. dazu v. Liszt V D Bes. T. 5 133 und unten § 85. G E § 257 bedroht die Anstiftung zum Selbstmord, noch weiter gehen S R E Art. 102 und ÖRE § 290. — Man denke weiter an die S e l b s t v e r s t ü m m e l u n g , die in S t G B § 142 als Vereitelung der Wehrpflicht unter Strafe gestellt ist. Die Beschädigung eigener Sachen kann nach S t G B § 304 strafbar sein. Die Gefährdung des eigenen Lebens ist vielfach polizeilich bedroht. l a ) Soweit das Recht eine g ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e R e c h t l o s i g k e i t kennt, ebensoweit schließt diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung völlig fremd Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers, die noch Feuerbach, Grolman u. a. milder bestraft wissen wollten, unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht; man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht des mittelalterlichdeutschen Rechts; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner nach zahlreichen Reichsund Landesgesetzen des 16. Jahrhunderts, die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 usw. Noch 1804 wurden in Kurbaden alle „ Jauner" auf 3 Jahre für rechtlos erklärt (Archiv des KrRechts 6 x. Stück 139).
§ 36- Der Schuldbegriff. als Grundlagen der strafrechtlichen Zurechnung. In der Festgabe für Güterbock 1910. Derselbe Reform 1 17g. Gallirier Die Bedeutung des Erfolges in den Schuldformen des geltenden StGB. (v. Lil. H e f t 116) 1910. van Calker, Hold von Ferneck, Graf zu Dohna, Tesar, Mittermaier, Rosenfeld, ME. Mayer, Z 32 I 57. ?49> 323> 379> 4I5> 466, 492. Beling Unschuld, Schuld und Schuldstufen im VE 1910. Sturm Die Schuldarten und der VE (v. Lil. H e f t 122) 1910. Lacmann Z 31142. Karl Schmitt Über Schuld und Schuldarten (v. Lil. H e f t 120) 1910. Hold von Ferneck Die Idee der Schuld 1911. Hurwicz Z 33 813. Kraus und Kullmann bei Aschaffenburg 9 321, 10 471. Breslauer Die Abgrenzung der strafrechtlichen Schuldformen. Heidelberger Diss. 1 9 1 1 . Kaufmann Das Verschuldungsprinzip im Strafrecht 1912. Freitag Das Schuldproblem im Strafrecht und seine Kritiker. Göttinger Diss. 1912. Goldschmidt (Lit. zu § 34). V. Hippel (Lit. zu § 39). Binding Normen 2. — R. Loening Geschichte der strafrechtlichen Zurechnungslehre. 1. Band Die Zurechnungslehre des Aristoteles 1903. Dazu Kraus GS 65 153 und Lasson GA 51 232. Engelmann Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung 1895. Dazu R. Loening KVS 38 226 und Liepmann (Lit. zu § 41). Oppermann Die Schuldlehre der Karolina. Leipziger Diss. 1904. Kollmann Z 34 605 (Karolina) und Z 35 46 (versari in re illicita).
I. Wie das privatrechtliche Delikt ist auch das kriminelle Unrecht s c h u l d h a f t e Handlung. Nicht nur o b j e k t i v muß der Erfolg auf die Willensbetätigung des Täters zurückgeführt werden können (oben § ¿8 I I I ) ; auch s u b j e k t i v muß die Verknüpfung gegeben sein in dem Verschulden des Täters. 1. Schuld im weitesten Sinne ist die Verantwortlichkeit des Täters f ü r d i e v o n i h m b e g a n g e n e r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g . Das Schuldurteil spricht die auf die begangene T a t gesetzte Unrechtsfolge aus und knüpft sie an die Person des Unrechttäters. Zu dem rechtlichen Unwerturteil über die T a t t r i t t das über den Täter. In diesem weiten Sinne finden wir den Begriff in dem Schuldspruch der Geschwornen, der auch die Verursachung des Erfolges durch den Täter und die Rechtswidrigkeit der T a t umfaßt. Die Wissenschaft, die die Merkmale des Deliktsbegriffes getrennt betrachtet, nimmt den Schuldbegriff in einem engeren, nur die subjektive Beziehung zwischen Tat und Täter umfassenden Sinn.1) Diese Beziehung muß an die k o n k r e t e T a t anknüpfen, aber zugleich über sie hinausweisen, indem sie die T a t als den Ausdruck der E i g e n a r t d e s T ä t e r s kennzeichnet und so den metajuristischen Gehalt der Schuld klarlegt. 2 ) *) Franks Schuldlehre, die im übrigen mit der des Textes sich deckt, hält die beiden Werturteile, das über die T a t (Rechtswidrigkeit) und das über den Täter (Schuld) nicht genügend auseinander. Das erste muß feststehen, ehe das zweite erörtert werden k a n n ; dieses aber ist an sich unabhängig von jenem. *) In derselben Richtung bewegen sich die Untersuchungen von Graf zu Dohna, Exner, Kohlrausch, Liepmann, Kollmann, MifiSka, Radbruch, Tesar. Dagegen beschränken Baumgarten, Beling, Bierling, Frank, ME. Mayer, Mittermaier den Schuldbegriff streng auf die Einzeltat.
152
§ 36.
Der Schuldbegriff.
Die s u b j e k t i v e Beziehung zwischen T a t und T ä t e r kann n u r eine p s y c h o l o g i s c h e sein; 3 ) ob sie aber gegeben ist, b e s t i m m t die R e c h t s o r d n u n g in w e r t e n d e r (normativer) B e t r a c h t u n g . N a c h ihr ist schuldhafte Handlung die v o r s ä t z l i c h o d e r f a h r lässig begangene (rechtswidrige) Handlung des schuldf ä h i g e n Menschen.4) Der Schluß aus der s y m p t o m a t i s c h e n B e d e u t u n g der schuldhaften H a n d l u n g auf die E i g e n a r t des T ä t e r s ergibt den materiellen Inhalt des Schuldbegriffs; er liegt in der aus der begangenen Tat (dem antisozialen Verhalten) erkennbaren asozialen Gesinnung des Täters; also in der Mangelhaftigkeit des durch das Zusammenleben der Menschen im S t a a t e geforderten sozialen P f l i c h t g e f ü h l s und in der d a d u r c h hervorgerufenen antisozialen Motivation (der den Zwecken der Gemeinschaft widersprechenden Zwecksetzung). 5 ) 2. Die in d e m Schuldurteil enthaltene Zurechnung setzt m i t hin ein Doppeltes v o r a u s : a) D i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t (Schuldfähigkeit) des Täters. Diese ist gegeben m i t jenem psychischen Z u s t a n d des T ä t e r s , der i h m die Möglichkeit sozialen Verhaltens g e w ä h r l e i s t e t ; also m i t seiner allgemeinen D e t e r m i n i e r b a r k e i t durch die N o r m e n des sozialen Verhaltens, mögen diese den Gebieten der Religion, der Sittlichkeit, der K l u g h e i t u s w . oder d e m Gebiete d e s R e c h t s angehören (unten §§ 37, 38). b) D i e Z u r e c h e n b a r k e i t d e r T a t . Diese; ist gegeben, wenn der T ä t e r entweder die antisoziale B e d e u t u n g seines Verhaltens g e k a n n t h a t (unten § § 3 9 — 4 1 ) , oder wenn er sie hätte k e n n e n k ö n n e n u n d s o l l e n (unten § 42); wenn er also, trotz seiner a l l gemeinen Determinierbarkeit, im Einzelfall durch die Normen des sozialen Verhaltens nicht determiniert worden ist. D a m i t i s t s ) Das psychologische Schuldmoment kann im Wollen, im Vorstellen oder im Gefühl gesucht werden. Eine starke Strömung der jüngsten Literatur betont das „emotionelle" Element im Schuldbegriff. So van Calker, Exner, Hold von Ferneck, Mittermaier, Tesar. In Wahrheit lassen die psychischen Funktionen sich nicht voneinander trennen. *) Zurechnungsfähigkeit und Zurechenbarkeit sind die beiden Schuldeiemente. 6 ) Die Fassung „asozial" deckt sowohl den Fall des Vorsatzes, der positiv gerichteten antisozialen (gesellschaftsfeindlichen) Gesinnung, als auch den Fall der Fahrlässigkeit, der Gleichgültigkeit gegenüber den Anforderungen des sozialen Zusammenlebens. — In der Fehlerhaftigkeit der Zwecksetzung liegt das „normative Schuldelement". Auf Umwegen gewinnt es Ooldschmidt, indem er der Rechtsnorm die Pflichtnorm, der Rechtswidrigkeit die Pflichtwidrigkeit an die Seite stellt. Vgl. gegen ihn Frank und Kriegsmann. — Mit dem Text van Calker Z 32 157; v. Lilienthal Z 38 255: Schuld ist Nichtanpassung an die Forderungen, die Staats- und Gesellschaftsordnung stellen; Gerland (Lit. zu § 5) 39: Schuld ist „Charaktereignung zu rechtswidriger Handlung".
§ 36.
D e r Schuldbegriff.
153
die Grundlage für die beiden Schuldarten des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit gegeben. 3. Der Begriff der Schuld, in diesem Sinne genommen, ist völlig unabhängig von der Hypothese der W i l l e n s f r e i h e i t (oben § 6 Note 1). Er verlangt nichts als die unbestreitbare und unbestrittene Voraussetzung, daß alles menschliche Verhalten durch Vorstellungen, mithin auch durch die allgemeinen Vorstellungen der Religion, der Sittlichkeit, des Rechts usw. bestimmt (determiniert) und bestimmbar sei. Aber auch zu der in dem Schuldurteil weiter gelegenen r e c h t l i c h - s o z i a l e n M i ß b i l l i g u n g der Tat und des Täters ist der Determinismus durchaus berechtigt, während diese Berechtigung dem Indeterminismus völlig mangelt. Denn nur jener vermag die einzelne Tat zu der ganzen psychologischen Persönlichkeit des Täters in Beziehung zu setzen; nur er gelangt zu einem M a ß s t a b f ü r die S c h u l d , die steigt und sinkt, je nachdem die T a t mehr oder weniger A u s d r u c k d e r b l e i b e n d e n E i g e n a r t des Täters ist; nur er führt mithin zu einer brauchbaren Unterscheidung innerhalb der Verbrecher nach der Intensität ihrer verbrecherischen (asozialen) Gesinnung (oben § 3) und damit zu einer festen Grundlage für die Kriminalpolitik. II. Der uns heute selbstverständlich klingende Satz, daß Schuld B e griffsmerkmal des Verbrechens, daß ohne Schuld keine Strafe möglich sei, ist das Ergebnis einer langen, bisher wenig beachteten und auch gegenwärtig nicht abgeschlossenen E n t w i c k l u n g . E r s t allmählich n i m m t der Begriff des Unrechts das Merkmal der Verschuldung in sich a u f ; an der Vertiefung der Schuldlehre bemißt sich der Fortschritt des Strafrechts. W i e es der religiösen Auffassung nicht widerstrebt, daß die Sünden der V ä t e r heimgesucht w e r d e n an K i n d und Kindeskindern, wie in den Trauerspielen der A l t e n das blindwaltende Schicksal und in der Literatur unserer T a g e das Gesetz der Vererbung die Stelle der Verschuldung vertritt, so kennt auch das älteste R e c h t aller Völker Strafe ohne Schuld. N a c h römischem Sakralrecht erregt die zufällige Rechtsverletzung in gleicher Weise den durch Sühne abzuwendenden Zorn der G ö t t e r wie die vorsätzliche, und noch die deutschen Volksrechte kennen die auf Geschlechter sich vererbende Blutschuld der Familie. A b e r mehr und mehr legt das römische Recht, unter dem E i n f l u ß der griechischen Ethiker, das entscheidende Gewicht auf den rechtwidrigen W i l l e n und gerät dadurch i n scharfen Gegensatz zu der uralten, im germanischen Rechtsbewußtsein fortlebenden „ E r f o l g h a f t u n g " , der die ganze spätere Geschichte der Schuldlehre bestimmt ( L ö j f l e r ) . 1. Dies zeigt sich zunächst in der Behandlung d e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t . D a s ältere römische R e c h t scheint an der Bestrafung des u n m ü n d i g e n Diebes keinen A n s t o ß genommen zu haben. D a s spätere römische und das kanonische R e c h t halten an der Straflosigkeit des infans (bis zum vollendeten 7. Jahre) fest. Darüber hinaus f i n d e t bei Verbrechen der impuberes P r ü f u n g des einzelnen Falles statt. In den deutschen Volksrechten wird bei Rechtsverletzung durch Jugendliche vielfach die Zahlung des Friedensgeldes ausgeschlossen. Die sächsischen Quellen des späteren Mittelalters lassen Kindern
15.4
§ 36-
Der Schuldbegriff.
gegenüber wenigstens die peinliche Strafe entfallen (vgl. z. B. Ssp. 2 65, 1; Knapp 7). Die P G O schließt in Art. 164 gegen junge Diebe (unter 14 Jahren) nur die Todesstrafe aus, soweit nicht besondere Ursachen vorliegen, und anerkennt den Satz „Malitia supplet a e t a t e m " ; Art. 179 verweist bei Jugend der Übeltäter ganz allgemein auf den R a t der Rechtsverständigen. Gesetzgebung und Wissenschaft des gemeinen Rechts schwanken, halten aber im allgemeinen an der Straflosigkeit der Kinder fest; dieser Ansicht folgt die große Mehrzahl der neueren Gesetzgebungen, wenn auch unter verschiedener Bestimmung der Mindestgrenze. Auf die Aufstellung einer Mindestgrenze verzichtete das französische Recht gänzlich, um in jedem Einzelfalle das Unterscheidungsvermögen feststellen zu lassen; ihm folgten Preußen 1851 und Bayern 1861. Dagegen ist das S t G B wieder zu der Auffassung des römisch-kanonischen und des gemein-deutschen Rechts zurückgekehrt. — Auch die Anerkennung der G e i s t e s k r a n k h e i t brach sich erst allmählich Bahn. Über das römische Recht, nach dem „fati infelicitas" teilweise entschuldigt, vgl. Pernice Labeo 2 234. Ssp. 3 3: „ Ü b e r rechten Toren und über sinnlosen Mann soll man nicht richten". P G O Art. 179 verweist bezüglich des Täters, welcher „Jugend oder anderer Gebrechlichkeit halber wissentlich seine Sinne nicht hätte", auf den R a t der Rechtsverständigen. 2. Noch länger dauerte es, bis die Z u r e c h e n b a r k e i t des Erfolges an das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit geknüpft und die Tragweite dieser beiden Begriffe bestimmt wird. Das spätere römische Recht hatte den d o l u s des Täters („die unsittliche, auf eine bestimmte Rechtswidrigkeit gerichtete Absicht", Pertlice 2 153, Hinschius 5 921) zu einem Begriffsmerkmal des Verbrechens erhoben, während germanischer Anschauung die Haftung für „Ungefährswerke" durchaus entsprach. Das italienische Mittelalter nahm den römischen Dolusbegriff auf. Aber germanische Rechtsanschauung und die Bedürfnisse des Rechtslebens drängten dazu, auch für den bloß vorausgesehenen, nicht aber beabsichtigten, Erfolg den Täter haftbar zu machen (vgl. über diese Entwicklung die bahnbrechende Darstellung Löfflers). So entsteht der Satz (zuerst bei BernardllS Papiensis, in seiner summa decretalium 1191 bis 1198; Löffler 139), daß bei einem „versari in re illicita" des Täters der nicht beabsichtigte, aber voraussehbare (und darum vom Täter vermutlich vorausgesehene) Erfolg zuzurechnen sei. Aus diesem von den italienischen Praktikern viel erörterten Satz entwickelt sich der gemeinrechtliche dolus indirectus. An den Spanier Covarruvias (j 1577) lehnen sich Carpzov und Böhmer (eventuelle Einwilligung in den vorausgesehenen Erfolg). Die Diss. von v. NettelbladtGläntzer De homicidio ex intentione indirecta commisso (1753, 3. Aufl. 1772) bringt, unterstützt von der Wolffschen Schule, der „einwilligenden Schuld" den Sieg in Wissenschaft und Gesetzgebung. Feuerbachs culpa dolo determinata ist ihre Weiterbildung. Bayern 1751, A L R 27, das geltende Recht Rußlands und Österreichs (vgl. Z 8 348) verwenden den dolus indirectus. Vergebens kämpfen die hegelisierenden Kriminalisten des 19. Jahrhunderts für die Reinhaltung des römischen Dolusbegriffs. Die Gesetzgebung, die ihnen scheinbar folgt, kehrt, weit über das gemeine Recht hinausgehend, in einer ganzen Reihe von Fällen zu der reinen Erfolghaftung zurück (der Erfolg als Bedingung schwererer Strafbarkeit, vgl. unten Noten 10 und 11), und in der Wissenschaft gewinnt die „Vorstellungstheorie" (unten § 39 Note 2) gerade seit den letzten Jahren immer breiteren Boden. Das f a h r l ä s s i g e Verbrechen als solches ist dem römischen Strafrechte auf allen Stufen seiner Geschichte unbekannt geblieben. 6 ) Zu jedem Ver•) Pernice Labeo 2 244 (erste Aufl.). Mommsen 89. — Gegen die Ansicht
§ 36.
Der Schuldbegriff.
ISS
brechen wird dolus gefordert. Die mittelalterlich-italienische Wissenschaft versöhnt diese römische Strenge mit der germanischen Erfolghaftung (statuta per Italiam puniunt factum, non animum), indem sie einerseits nur die kulpose, nicht die zufällige, Verursachung bestraft, andrerseits die culpa zur allgemeinen, wenn auch milder bestraften, Schuldform erhebt. Gestützt auf sie, erörtert PGO in Art. 146 (im Anschlüsse an 1. 9 § 4 und 1. 11 pr. D. g, 2) das Wesen der fahrlässigen Tötung. Dieser Artikel sowie die Art. 136, 138, 180 bilden die Grundlage, auf welcher das gemeine Recht weiter arbeitet. Zu jedem Verbrechen wird böser Vorsatz, dolus, erfordert. Bei Fahrlässigkeit liegt ein quasicrimen vor, das lediglich mit willkürlicher Strafe belegt werden kann. So z. B. Preußen 1620 und ähnlich noch Bayern 1813. So ist die Culpa zur allgemeinen Schuldform erhoben, ohne aber begriffliche Abgrenzung zu finden. Auch heute noch steht, wie wir sehen werden (unten § 42), der Begriff des fahrlässigen Verbrechens, der in seiner Allgemeinheit den romanischen Rechten gänzlich fremd geblieben ist, durchaus nicht fest.
I I I . Den Satz, daß nur der zurechenbare Erfolg strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht, hat auch noch das geltende Reichsrecht durch vereinzelte Ausnahmen durchbrochen. 1 . Allerdings dürfen die zahlreich in den strafrechtlichen Nebengesetzen sich befindenden Präsumtionen der Schuld7) zu diesen Ausnahmen nicht gerechnet werden. Denn wenn das Recht bis zum Beweise des Gegenteils die Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) als erwiesen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem Angeschuldigten aufbürdet, so erkennt es dadurch an, daß ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Bestrafung n i c h t eintreten kann und soll. 2. Auch die in einzelnen Nebengesetzen sich findenden Bestimmungen, die, von jedem Verschulden absehend, die Strafe als O r d n u n g s s t r a f e lediglich an das Vorliegen des objektiven Tatbestandes knüpfen, 8 ) gehören nicht zu den Ausnahmen. Denn von einer k r i m i n e l l e n Strafe ist bei diesen „Formaldelikten" keine Rede») 3. Dagegen bilden die durch den Erfolg qualifizierten Delikte eine wichtige Ausnahme. Nach geltendem Recht tritt nämlich in von Binding, daß die culpa lata des röm. Rechts Vorsatz mit Abzug des gemeinen Motives sei, vgl. die zwingende Darstellung bei Löffler 110. — Über die Entwicklung der Fahrlässigkeit bis zur Karolina vgl. Beschütz (V. Lil. Heft 76) 1906. ') Nach Goldschmidt (oben § 26 Note 6) sind die unter 1 und 2 erwähnten Rechtssätze aus dem verwaltungsrechtlichen Charakter der Finanzdelikte zu erklären. — Beispiele bieten außer den Zoll- und Steuergesetzen: Handelsgesetzbuch § 315; Rinderpestg. 1878 § 3 Abs. 2; Erwerbsgenossenschaftsg. 1889 §§ 142, 144; Flaggeng. 1899 § 23. Besonders wichtig und interessant Preßg. 1874 §§ 20 und 21; vgl. darüber unten § 43. •) Vgl. § 137 Abs. 1 Vereinszollg. 1869; § 114 Branntweinsteuerg. 190; § 46 Zuckersteuerg. 1891; § 50 Zuwachssteuerg. 1911. — Übereinstimmend R, zuletzt 30 363. Vgl. Isaac Z 21 654. •) Vgl. v. Bar Gesetz 2 476. Wolf) Strafe ohne Schuld in deutschen Abgabengesetzen. Gießener Diss. 1913.
i56
§ 37-
Die Zurechnungsfahigkeit.
einer Reihe von Fällen schwerere Strafe ein, wenn durch eine an sich schuldhafte Handlung ein unverschuldeter schwererer Erfolg herbeigeführt wurde. Die schwerere Strafe wird hier also verhängt, auch wenn in Beziehung auf den schwereren Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit des Täters gegeben war. 10 ) Daß dieser Überrest der alten Erfolghaftung weder dem heutigen Rechtsbewußtsein noch den Grundsätzen einer vernünftigen Kriminalpolitik entspricht, sollte keinem Zweifel unterliegen. 11 ) § 37.
Die Zurechnungsfähigkeit.
Literatur. V. Lilienthal VD Allg. T. 5 i . Derselbe bei Aschaffenburg 5 257. — Berner Grundlinien der kriminalistischen Imputationslehre 1843. v. Liszt Z 17 70 (Aufsätze 2 214) und über die hier anknüpfende Polemik v. Liszt Z 18 229. Gretener Die Zurechnungsfähigkeit als Gesetzgebungsfrage 1897; dazu Zürcher Schweizer Z 11 51, sowie Gretener Die Zurechnungsfähigkeit als Frage der Gesetzgebung. Eine Replik 1899. Derselbe Die Zurechnungsfähigkeit in V E 1910. Ötker GA 47 321. v. Bar Gesetz 2 1. v. Hippel Z 32 99. Mezger Z 33 159. Märchen Die strafrechtliche Bedeutung der Trunkenheit usw. Kostocker Diss. 1914. Zaitzeff Die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit bei Massenverbrechen 1912. — Weitere Lit. oben § 4 Note 7. Über Trunkenheit und Trunksucht: Heimberger, Kohlrausch Z 32 563, 645. Kitzinger österreichische Z 1 429.
I. Zurechnungsfähigkeit ist (oben § 36 I 2) die (allgemeine) Fähigkeit zu sozialem Verhalten, d. h. z u e i n e r Z w e c k s e t z u n g , die den E r f o r d e r n i s s e n des s t a a t l i c h e n Z u s a m m e n l e b e n s d e r M e n s c h e n e n t s p r i c h t . Die Fähigkeit zu sozialem Verhalten schließt nicht nur die Fähigkeit zur richtigen Erkenntnis der sozialen Anforderungen, sondern auch die weitere Fähigkeit in sich, dieser Erkenntnis gemäß zu handeln. Nur soweit diese Fähigkeit 10 ) S t G B §§ 118, 178, 220, 221, 224, 226, 227, 229, 239, 251, 307, 312, 314 bis 316, 321 bis 324, 326 bis 328, 340 u. a . ; Sprengstoffg. 1884 § 5 Abs. 2; Ansteckungsstoffg. 1876 § 5; Rinderpestg. 1878 § 4; Nahrungsmitteig. 1879 §§ 12 bis 14; Sklavenraubg. 1895 § 1 Abs. 2. — Thomsen Über den Versuch der durch eine Folge qualifizierten Delikte 1895. Dazu Finger K V S 38 415. Cohn Der schwere Erfolg als gesetzlicher Grund erhöhter Strafbarkeit (V. Lil. Heft 112) 1910. Radbruch VD Allg. T. 2 227. — Die im Text vertretene Ansicht ist gem. Meinung; vgl. Löffler 266. Für sie auch in feststehender Rechtsprechung R . Dagegen verlangen Fahrlässigkeit in Beziehung auf den Erfolg: Binding 1 366 und Lehrb. 1 19, 28, Hälschner 1,326, 2 28, 819. — Z u beachten ist in diesen Fällen die Möglichkeit einer Idealkonkurrenz mit Tötung und Körperverletzung; richtig Frank 16. Abschn. IV, dagegen Löffler 270. Über die Behandlung dieser Fälle vgl. unten § 46 Note 8. 11 ) Versuch einer Rechtfertigung bei Finger Der objektive Tatbestand als Strafzumessungsgrund 1888. Ferner Kohler bei Klee (Lit. zu § 46) und dieser selbst; Liepmann Einleitung 74, v. Rohland VD Allg. T. 1 375. Dagegen bahnbrechend H. Seuffert Verhandlungen der I K V in Straßburg 1900 und Bremen 1902 (Mitteilungen 9 und 10). Die Entwürfe (VE § 62, K E § 22) lassen Straferhöhung nur eintreten, wenn der Täter den Eintritt des Erfolges voraussehen konnte.
§ 37-
Die Zurechnungsfähigkeit.
vorhanden oder beizubringen ist, kann antisoziales Verhalten zur Schuld zugerechnet werden. W o die „soziale Anpassungsfähigkeit" völlig und dauernd fehlt, hat es keinen Sinn mehr, durch die in Strafdrohung und Strafvollzug enthaltene Motivsetzung motivieren zu wollen. i . Die Zurechnungsfähigkeit setzt mithin voraus, d a ß die Psyche des Täters über den zur sozialen Vollwertigkeit erforderlichen Reichtum an Vorstellungen verfügt, d a ß die Verknüpfung der Vorstellungen in normaler Weise und mit normaler Geschwindigkeit erfolgt, d a ß die Gefühlsbetonung der Vorstellungen und d a m i t die motivierende K r a f t der allgemeinen, rechtlichen, sittlichen, religiösen usw. Normen dem Durchschnittsmaß entspricht, d a ß Richtung und Stärke der Willensimpulse nichts wesentlich Abnormes bieten. Denn d a wir nur aus unserm Bewußtsein auf das der andern Menschen schließen, nur aus unserer Reaktionsweise die der übrigen vorherberechnen können, ist die Ähnlichkeit des andern mit uns, seine Übereinstimmung m i t dem aus unsrer Erfahrung abstrahierten Typus, Voraussetzung der Zurechnung. In diesem Sinne kann die Zurechnungsfähigkeit bestimmt werden als normale Determinierbarkeit.1) Zurechnungsfähig ist mithin jeder geistig reife und geistig gesunde Mensch bei ungetrübtem Bewußtsein. Normaler Inhalt und normalmotivierende K r a f t der Vorstellungen machen das Wesen der Zurechnungsfähigkeit aus. Mit der Hypothese der Willensfreiheit (oben § 6 II i ) hat der Begriff nichts zu tun. Daraus folgt, d a ß die Aufgabe des Gesetzgebers nicht in der positiven Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit liegt, sondern in der Bezeichnung derjenigen Zustände, welche a u s n a h m s w e i s e die Zurechnungsfähigkeit als a u s g e s c h l o s s e n erscheinen lassen. Auf diesem Standpunkte stehen mit dem geltenden R e c h t auch die S t G E n t w ü r f e . Doch kann aus der negativen Fassung des Gesetzes auf den positiven Begriff der Zurechnungsfähigkeit geschlossen werden. Dieser setzt sich nach dem Ö R E § 3 (ebenso GE § 13 und K E sowie S R E Art. 10) aus den beiden Elementen zusammen: der Fähigkeit, das Unrichtige (Ungesetzliche) der T a t einzusehen und der Fähigkeit, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Das entspricht der oben von mir vertretenen Ansicht. Rein formal kann die Zurechnungsfähigkeit auch bestimmt werden als s t r a f r e c h t l i c h e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t , d. h. als die Fähigkeit zu strafrechtlich relevanten, die strafrechtliche Unrechtsfolge nach sich ziehenden Handlungen. D a m i t ist die Stellung des Begriffs im System der allgemeinen Rechtslehre gegeben. x) Frank § 51 I u n d Mayer 204 fragen: „ w a s h e i ß t n o r m a l ? " weise auf den T e x t . Vgl. a u c h R M i l G 18 49.
I c h ver-
i$8
§ 37-
Zurechnungsfähigkeit.
Z u beachten i s t aber, daß, wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich gleichgültigen Handelns nicht m i t demselben Augenblicke eintritt, sondern hier längere, dort kürzere E n t w i c k l u n g vorangehen m u ß , so a u c h die rechtliche Handlungsfähigkeit auf den verschiedenen Rechtsgebieten (öffentliches Recht, bürgerliches R e c h t , Strafrecht) und deren Untergebieten (Familienrecht, Erbrecht, Forderungsrecht) nicht notwendig mit derselben Lebensstufe erworben wird. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechts bei demselben Menschen in demselben A u g e n b l i c k e bald als vorhanden, bald als fehlend angenommen werden müssen, je nachdem diese oder jene Gruppe v o n strafbaren Handlungen in F r a g e steht (man denke an T ö t u n g einerseits, Staatsverbrechen andrerseits). II. Zu beachten ist ferner die R e l a t i v i t ä t des aufgestellten Begriffs. Zahlreiche Übergangsstufen führen v o n der normalen zur anormalen R e a k t i o n auf äußere und innere Reize. D a h e r ist die starre Scheidung der Verbrecher in zurechnungsfähige und solche, die es nicht sind, und damit die schroffe Gegenüberstellung v o n Strafe und Sicherungsmaßregel wissenschaftlich falsch und praktisch gefährlich. D a m i t ergibt sich die Bedeutung des unserm S t G B im allgemeinen (vgl. aber §§ 57, 217) fremden Begriffs der „verminderten Zurechnungsfähigkeit". 2 ) V E § 63 hat, wie die übrigen E n t w ü r f e , den Begriff aufgenommen. E r ist gegeben, wenn die Zustände, durch welche die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird, in minderem Grade vorhanden sind.
III. D i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t m u ß b e i B e g e h u n g d e r T a t v o r h a n d e n g e w e s e n sein. Später eintretende Zurechnungsunfähigkeit kann nur prozessuale Folgen nach sich ziehen. Maßgebend ist dabei jener Augenblick, in dem die Willensbetätigung stattgefunden hat; gleichgültig der Geisteszustand des Täters in dem Augenblicke, in dem der Erfolg eintritt. 8 ) W i r haben nur diese allgemeine Regel folgerichtig zur Anwendung zu bringen, u m die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sogenannten actiones liberae in causa (seu a d l i b e r t a t e m r e l a t a e ) zu entscheiden. Sie liegen vor, wenn im Zustande der Zurechnungsunfähigkeitdurch T u n oder Unterlassen ein rechtswidriger Erfolg herbeigeführt, dieses Verhalten aber v e r a n l a ß t wurde durch eine i m Zustande der Zurechnungsfähigkeit begangene vorsätzliche oder fahrlässige Handlung (Tun oder Unterlassung). Beispiele: Der Eisen*) Vgl. oben § 4 N o t e 7. Im 1. E n t w . des R S t G B hatte die verminderte Zurechnungsfähigkeit ebenso wie in der Mehrheit der deutschen L a n d e s S t G Bücher ausdrückliche Anerkennung gefunden. Erforderlich ist aber n i c h t nur Strafmilderung, sondern a u c h besondere Behandlung. 3 ) Die Zurechnungsfähigkeit muß, als Schuldelement, wie alle rechtlich erheblichen Umstände v o n A m t s w e g e n festgestellt, ihr Mangel b r a u c h t nicht v o m Angeklagten bewiesen zu werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es nur ( S t P O § 266), wenn ihr Vorhandensein im L a u f e der Verhandlung bestritten wird. Eine Ausnahme von dieser R e g e l t r i t t ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen T ä t e r h a n d e l t : hier m u ß , gegebenenfalls durch eine an die Geschwornen gerichtete Nebenfrage in allen Fällen ausdrücklich festgestellt werden, o b der T ä t e r die z u r Erkenntnis der S t r a f b a r k e i t der begangenen T a t erforderliche Einsicht besessen habe ( S t G B §§ 56 bis 58). Die herrschende A n s i c h t nimmt an, daß in diesem Falle die P r ü f u n g des Unterscheidungsvermögens nur dem erkennenden Richter zustehe (so auch F r a n k § 56 I); es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb sie dem S t a a t s a n w a l t bei der Entscheidung über die Erhebung der K l a g e entzogen sein soll.
§ 37-
Die Zurechnungsfähigkeit.
bahnwärter b e t r i n k t sich in der Absicht, beim Herannahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; die Mutter, die wissen sollte, daß sie im Schlafe sich unruhig hinundherwirft, h a t fahrlässigerweise ihr K i n d zu sich ins B e t t genommen und erdrückt. Insbesondere, aber nicht ausschließlich, sind es Unterlassungen, die in dieser Gestalt begangen werden können; seltener fahrlässige Begehungsverbrechen; a m seltensten und zweifelhaftesten dürften die F ä l l e sein, in denen vorsätzliche Begehung als actio libera in causa erscheint. Aber unmöglich ist das auch n i c h t ; so gut wir den Wahnsinnigen oder Trunkenen als Mittel für unsere Zwecke benutzen können, weil bei ihm die B e s t i m m b a r k e i t durch Vorstellungen zwar regelwidrig, aber nicht ausgeschlossen ist, ebensogut können wir uns selbst im Zustande geistiger Gestörtheit oder T r u n k e n h e i t zur Ausführung vorgefaßter P l ä n e benutzen. Wenn Kausalzusammenhang und Schuld in bezug auf den Erfolg im Einzelfalle gegeben ist, b i e t e t die j u ristische Beurteilung keine weitere Schwierigkeit. I m entscheidenden Augenblicke (und das ist n i c h t der E i n t r i t t des Erfolges, sondern der Anstoß zum Abrollen der Kausalkette) war Zurechnungsfähigkeit vorhanden. I m n ü c h ternen Zustand h a t der W ä r t e r , wachend h a t die Mutter die Ursache zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt. Die Handlung ist in diesem Augenblicke begangen und daher dem T ä t e r zuzurechnen. Und zwar liegt in allen F ä l l e n ein T u n vor, und kein Unterlassen; ganz so, wie wenn ein Fremder den W ä r t e r trunken macht, so daß dieser die Weichen zu stellen unterläßt. 4 )
IV. Ohne Zurechnungsfähigkeit ist Schuld und damit Verbrechen unmöglich; die Zurechnungsunfähigkeit ist S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d . 5 ) Ebendarum ist auch, und an diesem Satze muß ohne Ausnahme festgehalten werden, s t r a f b a r e T e i l n a h m e d r i t t e r P e r s o n e n an der von einem Zurechnungsunfähigen gesetzten Rechtsverletzung begrifflich unmöglich. Wohl aber können dritte Personen als S e l b s t t ä t e r zur Verantwortung gezogen werden.*) *) Vgl. Katzenstein Die Straflosigkeit der actio libera in causa 1 9 0 1 (Berliner Seminarabhdlgn. 1 1). Schmidt Zur Lehre von den sog. actiones liberae in causa. Würzburger Diss. 1908. — Die F r a g e h a t schon das gemeine R e c h t seit Bartolus vielfach beschäftigt. Ganz regelmäßig wird, weil dolus nicht ausgeschlossen sei, S t r a f b a r k e i t angenommen; vgl. z. B . Engau § 4 1 . Die Dissertation von Thomasius D e jure circa somnum et somnia 1686 ging in genauere Kasuistik ein. Schon Preußen 1 6 2 0 droht, wie Damhouder, dem tötenden Schlafwandler willkürliche Strafe, wenn er die Gefährlichkeit seines Zustandes kannte. Die deutschen L a n d e s S t G B ü c h e r , seit A L R , strafen ebenfalls. Dagegen wird seit den vierziger J a h r e n Savignys Ansicht von der S t r a f l o s i g k e i t der actio libera in causa in Sachsen, B a y e r n , besonders aber Preußen (feststehende Rechtsprechung des OT) zur herrschenden, bis sie, etwa seit 1 8 7 1 , wieder von einer entgegengesetzten communis opinio verdrängt wird. Vgl. auch R 22 4 1 3 , R M i l G 17 1 5 6 . Dagegen, aber nicht überzeugend, KatzenStein. Bedenklich B G B § 827, das immer nur für Fahrlässigkeit verantwortlich macht, aber für die strafrechtliche Beurteilung nicht maßgebend i s t . Dazu V. Liszt Deliktsobligationen 49. 6 ) Dagegen nehmen einen bloßen S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d a n : B e g r . 224; von Lilienthal V D Allg. T . 5 3 6 ; Givanovitch Schweizer Z 22 S . 2 5 7 . F ü r den T e x t Beling Unschuld 16, Binding Abhandlungen 1 1 6 0 , Kohlrausch R e f o r m 1 1 8 1 , v. Liszt Z 30 253. •) Vgl. unten § 50 I I . Das gilt von Strafunmündigen ebensogut wie von Wahnsinnigen. Das Reichsgericht h a t den Satz bei letzteren anerkannt (zu-
l6o
§ 38.
§ 38.
D i e Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Literatur. Zu I : Oben § 4 Noten 4 und 7. v. Lilienthal V D Allg. T . 5 103. Ötker GA 47 321. Schmidt Die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht. Göttinger Diss. 1902. Grimm Jugendliches A l t e r als Schuldausschließungsgrund. Münster'sche Diss. 1910. Lehmann Jugendliche als Werkzeug zur Begehung strafbarer Handlungen. Rostocker Diss. 1910. Trajanoff Die Voraussetzungen der Strafbarkeit nach §§ 51, 56 und 58 R S t G B . Gießener Diss. 1912. Hoffmann Der Taubstumme im französischen und im deutschen Recht 1914. — Zu II und I I I : Aschaffenburg V D Allg. T. 1 79. Oben § 15 V I I I 2. Oppler GS 70 387. Schwartzer Die Bewußtlosigkeitszustände als Strafausschließungsgründe 1878. Höpker Anwendung des § 51 S t G B auf die in sinnloser Trunkenheit begangenen dolosen Verbrechen 1899. Mayer bei Aschaffenburg 9 593. Vgl. auch Besonderen Teil (zu S t G B § 361 Ziff. 5).
Die Zurechnungsfähigkeit ist nicht vorhanden: I. Bei fehlender geistiger Reife. 1. Der Mangel der geistigen Reife kann zunächst seine Ursache darin haben, daß die Entwicklung des Täters noch nicht abgeschlossen ist: S t r a f u n m ü n d i g k e i t . 1 ) Das R S t G B hat für die strafrechtliche Beurteilung eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) K i n d h e i t : bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB § 55). Hier bestimmt das Gesetz unbedingte und ausnahmslose Zurechnungsunfähigkeit. Die Folge dieses Grundsatzes ist Ausschluß jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als Verwaltungsmaßregel ist seit der Novelle von 1876 die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt, durch B G B (Art. 34 des EG) auch in eine Familie, zugelassen, wenn das• Vormundschaftsgericht die Begehung einer strafbaren Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt hat. Die Aufsichtspersonen (ebenso dritte Personen) können als Selbsttäter oder nach S t G B § 361 Ziff. 4 und 9 wegen unterlassener Aufsicht, nie aber als Teilnehmer (da ein Verbrechen nicht vorliegt 2 )) zur Verantwortung gezogen werden. b) J u g e n d l i c h e s A l t e r vom vollendeten 12. bis zum vollletzt 21 14), bei Strafunmündigen geleugnet; vgl. unten § 38 Note 4. Olshausen §§ 51 12, 13, 55 5, 6 will in beiden Fällen unterscheiden, ob der Täter imstande war, mit strafrechtlichem Vorsatz zu handeln. Ähnlich v. Lilienthal 107. Aber damit ist die präjudizielle Bedeutung der Zurechnungsfähigkeit verkannt; und die Unterscheidung im Einzelfalle bei Geisteskranken ist dem Gesetze fremd. ') Vgl. dazu B G B § 828. Die entscheidenden Altersstufen sind hier das siebente und achtzehnte Lebensjahr. — V E § § 6 8 bis 70 hat, wie die beiden andern Entwürfe, die untere Altersgrenze auf das 14. Lebensjahr erhöht. Vgl. dazu Bgr. 255. Über den Entwurf von 1912 vgl. oben § 4 Note 4. — Für die Berechnung des Alters ist B G B § 187 Abs. 2 maßgebend; so auch R 35 37. ') Übereinstimmend die gemeine Meinung; Allfeld 132, van Calker 32, Finger 1 215, Frank § 55 I, Mayer 222, Schwartz § 55 Note 2, Wachenfeld 138. Dagegen, im Anschluß an die frühere preuß. Rechtsprechung, R 6 187, 336; v. Bar Gesetz 2 62, Köhler 329, v. Lilienthal 107. Über Olshausen vgl. oben § 37 Note 6.
§ 38.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
«ndeten 18. Lebensjahre. Hier findet Prüfung der zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen Tat, erforderlichen Einsicht in jedem einzelnen Falle statt; sie muß ausdrücklich, gegebenenfalls durch dis Geschwornen (StPO § 298), festgestellt werden.3) Festzuhalten ist, daß nicht Erkenntnis der Strafbarkeit (auch nicht der Rechtswidrigkeit), sondern die zur Erlangung dieser Erkenntnis erforderliche geistige Reife, mithin die M ö g l i c h k e i t des Bewußtseins der Strafbarkeit, verlangt wird. Das ist dasselbe wie das „discernement" des Code pénal, das ,,Unterscheidungsvermögen" des preuß. StGB. Und zwar muß jene Einsicht vorhanden sein, die zur Erkenntnis' der Strafbarkeit gerade der begangenen konkreten Handlung, mithin auch etwaiger erschwerender Umstände, erforderlich ist (oben § 37 I 2) ; sie kann daher bei idealer Konkurrenz für die eine Straftat gegeben sein, für die andere fehlen.4) Trotz vorhandener Einsicht kann die Zurechnungsfähigkeit aus einem andern Grunde, z. B. wegen Trunkenheit, ausgeschlossen sein. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt F r e i s p r e c h u n g ein (StGB 56). In dem Urteil kann die Unterbringung in eine Erziehungsoder Besserungsanstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a Gesagte.6) ß) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so findet eine H e r a b s e t z u n g d e r r e g e l m ä ß i g e n S t r a f r a h m e n statt (StGB •§ 57; vgl. unten § 70 I). Besondere Bestimmung in StGB § 173 (unten § 44 II). 2. Der Mangel der geistigen Reife kann ferner seinen Grund in einer E n t w i c k l u n g s h e m m u n g haben. Den wichtigsten Fall bildet die T a u b s t u m m h e i t , d. h. die auf fehlendem Gehör beruhende Stummheit. Auch hier muß die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen Tat erforderliche Einsicht in jedem einzelnen Falle geprüft und ausdrücklich festgestellt werden (StGB § 58). Auch hier kann trotz vorhandener Einsicht die Zurechnungsfähigkeit durch S t G B § 51 ausgeschlossen sein. Bei Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch •eine Herabsetzung der Strafrahmen nicht ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wä!Ve. 3 ) Der V E hatte die Prüfung im Einzelfall beseitigt, K E kehrt zu dem geltenden Recht zurück. N a c h § 50 des MilStGB ist (mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnende Waffenfähigkeit) •das Alter des Täters o h n e Einfluß auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. «) Ebenso R 47 385. 5 ) Dagegen R 31 161, Köhler 336, Schwartz § 56 N o t e 4; mit dem T e x t
R 2 5 399, 3 3 298, Finger
1 2 1 7 , Frank
§ 56 I I I , Mayer
223, Oetker
R 47 389 erklärt die Einsicht für eine Voraussetzurg freilich die Folgerung aus dieser Auffassung zu ziehen. T. L i S i t , Strafrecht.
21. Aufl.
G A 4 7 322.
der S c h u l d , 11
ohne
IÖ2
§ 38.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Da das Gesetz ausdrücklich nur von T a u b s t u m m e n spricht,, so ist § 58 auf andere Fälle von Entwicklungshemmung wohl nicht anzuwenden (man denke an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit aufgewachsene Menschen usw.);") doch ist selbstverständlich auch hier bei mangelnder Zurechnungsfähigkeit nach § 51 StGB freizusprechen. I I . Bei fehlender geistiger Gesundheit.
Auf Grund fachmännischer Gutachten erklärt § 51 S t G B : „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlurg sich in einem Z u s t a n d e v o n (Bewußtlosigkeit oder) k r a n k h a f t e r S t ö r u n g d e r G e i s t e s t ä t i g k e i t b e f a n d , d u r c h w e l c h e n seine freie W i l l e n s b e s t i m m u n g a u s g e s c h l o s s e n war." 7 ) Der Ausdruck ,,krankhafte Störung der Geistestätigkeit" umfaßt nicht nur die eigentlichen sogenannten G e i s t e s k r a n k h e i t e n , sondern auch E n t w i c k l u n g s h e m m u n g e n (Blödsinn, Schwachsinn) und geistige E n t a r t u n g s z u s t ä n d e (Greisenschwäche), ferner k ö r p e r l i c h e K r a n k h e i t e n im engern Sinne, die mit geistigen Störungen verbunden sind (Fieberdelirien, Nervenkrankheiten), endlich vorübergehende krankhafte Störungen der geistigen Tätigkeit (Intoxikationszustände usw.). Sowie aber nicht jede Störung der vollen körpeiliehen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung der geistigen Tätigkeit die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen; das Mindestmaß, mit dem sich das Recht überhaupt begnügen muß, bildet wie überall die untere Grenze. Darum verlangt StGB § 51 einen solchen Zustand, durch den „ d i e f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g des Täters ausgeschlossen" war. Diese bedeutet auch hier nicht mehr als die normale Bestimmbarkeit durch Vorstellungen. 8 ) Ob durch die von sachverständiger Seite festgestellte geistige Störung die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird oder nicht, hat der Richter nach eigener Prüfung' und unter eigener Verantwortlichkeit zu entscheiden. Das ärztliche Gutachten, das sich auf den 6 ) Dagegen Allfeld 128, Binding 1 221, Finger 1 2 1 9 , ; übereinstimmend v. Bar Gesetz 2 103, Kahl VD Allg. T. 1 23, Mayer 228, Merkel-Liepm. § 20. ') Im wesentlichen übereinstimmend B G B § 827. Über die Verwahrunggemeingefährlicher Geisteskranker vgl. unten § 66. 8 ) In der Fassung des Gesetzes erblickt Baumgarten A u f b a u 112 (wie schon v. Birkmeyer) eine Anerkennung der Willensfreiheit. Dagegen V. Hippel Z 82 123, Mayer 1 1 2 . Sie ist in V E § 63 beibehalten, von K E in Übereinstimmung mit den übrigen Entwürfen, durch eine andere Fassung (vgl. oben § 37 I) ersetzt worden. Die schweizer V E hatten zum Teil auf eine weitere Abgrenzung verzichtet und sich mit der Aufzählung der krankhaften Zustände begnügt („psychologische" oder „medizinische" Methode); d e r Schweizer R E schließt sich aber der herrschenden Auffassung wieder an („gemischte Methode"). K E h a t auch die „Geistesschwäche" aufgenommen-
§ 39.
Der Vors
163
gesamten W o r t l a u t des § 51, m i t h i n a u c h auf die „freie Willensb e s t i m m u n g " zu erstrecker 1 it, bindet ihn nicht und deckt ihn nicht. I I I . A b e r auch d a s Seelenleben des geistig reifen und geistig gesunden M e n s c h e n u n t e r l i e g t S c h w a n k u n g e n , d i e , w e n n a u c h auf p h y s i o l o g i s c h e r G r u n d l a g e r u h e n d , d o c h d i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t a u s s c h l i e ß e n k ö n n e n u n d ü b e r d i e s in u n m e r k l i c h e n Ü b e r gängen auf d a s pathologische G e b i e t hinüberführen. Das S t G B b e z e i c h n e t sie in § 5 1 a l s Z u s t ä n d e v o n „ B e w u ß t l o s i g k e i t " . Genauer sagen wir, d a ß bei hochgradiger T r ü b u n g des B e w u ß t s e i n s , i n f o l g e w e l c h e r die V e r k n ü p f u n g d e r ä u ß e r e n V o r g ä n g e m i t d e m S e l b s t b e w u ß t s e i n n u r u n v o l l k o m m e n s i c h v o l l z i e h t , die r e g e l m ä ß i g e B e s t i m m b a r k e i t durch Vorstellungen gestört, die Zurechnungsfähigkeit mithin ausgeschlossen wird. Hierher gehören O h n m a c h t , Schlaf, Schlaftrunkenheit, hypnotische Suggestion, Trunkenheit.*)
§ 39.
Der
Vorsatz.
Literatur. Außer den zu § 36 angegebenen S c h r i f t e n : Lucas Die subj e k t i v e Verschuldung 1883. Binding N o r m e n 2. Bütiger Z 6 293. Frank Z 10 169. Klee Zur Lehre v o m strafrechtlichen Vorsatz (v. Lil. H e f t 10) 1897. Derselbe Der dolus indirectus als G r u n d f o r m der vorsätzlichen Schuld (Heft 10 der Berliner juristischen Beiträge) 1906. Thyrên A b h a n d l u n g e n (oben § 15 IV) 2. V. Hippel Die Grenzen von Vorsatz u n d Fahrlässigkeit 1903. Derselbe V D Allg. T. 3 373. V. Rohland Willenstheorie u n d Vorstellungstheorie 1904. v. Bar Gesetz 2 273. — Neff Welche B e d e u t u n g ist d e m W o r t , . A b s i c h t " im D. S t G B beizulegen? Freiburger Diss. 1902. Hemmen Ü b e r den Begriff, die A r t e n und den Beweis des dolus n a c h der strafrechtlichen L i t e r a t u r von F e u e r b a c h bis z u m R S t G B (v. LH. H e f t 104) 1909. Exner Österreichische Z 2 419. Breslauer Ü b e r die Abgrenzung der strafrechtlichen S c h u l d f o r m e n . Heidelberger Diss. 1910. — Ü b e r den eventuellen V o r s a t z : V. Lis2t G u t a c h t e n f ü r den 24. D . J u r i s t e n t a g 1 107 (Aufsätze 2 251). Raoul-Duval D u dol é v e n t u e l 1900. v. Bar Gesetz 2 322. Schloß Der dolus event. im geltenden S t r a f r e c h t usw. E r l a n g e r Diss. 1911. Salis Der eventuelle Vorsatz im R e i c h s s t r a f r e c h t . E r l a n g e r Dis. 1912. I . V o r s a t z i s t die d i e W i l l e n s b e t ä t i g u n g b e g l e i t e n d e K e n n t n i s der s ä m t l i c h e n z u m g e s e t z l i c h e n T a t b e s t a n d e g e h ö r e n d e n T a t u m s t ä n d e . D e r V o r s a t z i s t die s c h w e r e r e d e r b e i d e n S c h u l d f o r m e n . Die asoziale G e s i n n u n g d e s T ä t e r s w i r d h i e r d a d u r c h b e k u n d e t , d a ß •) Soweit diese nicht als k r a n k h a f t e S t ö r u n g der Geistestätigkeit a u f gefaßt wird. —• Nach M i l S t G B § 49 b i l d e t (wie bereits im gemeinen Recht) bei Straftaten gegen die P f l i c h t e n der militärischen U n t e r o r d n u n g sowie bei allen in Ausübung des Dienstes begangenen S t r a f t a t e n die selbstverschuldete Trunkenheit keinen S t r a f m i l d e r u n g s g r u n d . — Ganz verfehlt V E § 64, wonach, wenn der Grund der Bewußtlosigkeit selbstverschuldete T r u n k e n h e i t w a r , die für die fahrlässige Begehung der begangenen T a t angedrohte S t r a f e e i n t r i t t . Dazu Bgr. 233. K E h a t die B e s t i m m u n g fallen lassen. — Ü b e r die Verwahrung Trunksüchtiger vgl. u n t e n § 66. K E b e s t r a f t , wie die übrigen E n t würfe, das Sichversetzen in den Z u s t a n d der T r u n k e n h e i t als selbständiges Delikt. 11»
§ 39.
164 der T ä t e r
trotz der
Der Vorsatz.
Erkenntnis
seiner T a t h a n d e l t , d a ß
von
also diese
der antisozialen Erkenntnis
B e g e h u n g der T a t nicht a b g e h a l t e n
Bedeutung
ihn
von
der
hat.
1 . Z u m Begriff des Vorsatzes gehört m i t h i n : a) D i e Vorstellung der T a t
als eines Vorganges der
w e l t oder die Kenntnis der „ T a t u m s t ä n d e "
(unten
Sinnen-
II);
b) Die K e n n t n i s der antisozialen B e d e u t u n g der T a t ; i m Sinne des geltenden R e c h t s die Subsumption der T a t unter das der T a t u m s t ä n d e unter die „ T a t b e s t a n d s m e r k m a l e " 2. D u r c h einen
Irrtum des T ä t e r s in der einen oder
dieser Beziehungen wird der V o r s a t z ausgeschlossen
Gesetz,
(unten I I I ) . andern
(unten § 40).
D a g e g e n ist Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Begriff des V o r satzes grundsätzlich n i c h t erforderlich (unten § 41). I I . Die B e g r i f f s b e s t i m m u n g des Vorsatzes h a t von dem Handlungsbegriff
(oben § 28) auszugehen und zunächst v o n der recht-
lichen W e r t i m g der H a n d l u n g , also von ihrer Rechtswidrigkeit, abzusehen. 1 ) 1. die
Der
Vorsatz
ist
daher
Willensbetätigung
zunächst
begleitende
zu
bestimmen
Vorstellung
als
die
ihres
Erfolges.») Die Rechtfertigung dieser A u f f a s s u n g liegt in dem oben § 28 N o t e 1 Gesagten. Grundsätzlich abweichend Binding und andere, die das Wesen des Vorsatzes in dem Bewußtsein der Normwidrigkeit erblicken und erst in zweiter Linie das „ W o l l e n der H a n d l u n g " berücksichtigen. Dabei wird der Gattungsbegriff zugunsten des Artbegriffs vernachlässigt. a ) Also die Vorstellung, nicht das Wollen des Erfolges: Vorstellungstheorie. H a u p t v e r t r e t e r : Bekker Theorie 1859 S. 278, Zitelmann (Lit. zu § 35), Frank, Klee, Kohler 1 70, v. Lilienthal 37 und Z 15 278, Lucas 13, Wachenfeld; im wesentlichen („Wissentlichkeit") auch Löffler, Miriöka und Thyrin. Das B G B , das überall die H a f t u n g auf das „ K e n n e n " oder „ K e n n e n - M ü s s e n " abstellt, h a t sich der Vorstellungstheorie durchaus angeschlossen. — Unter den Anhängern der Willenstheorie, die zum Vorsatz das W o l l e n der sämtlichen Merkmale, insbesondere des Erfolges verlangt, sind zu nennen: Allfeld, v. Bar, Beling, Bierling, Binding, v. Birkmeyer 1126, v. Hippel, Lammasch (Lit. zu § 17 1) 23, v. Rohland, Rosenfeld, Schwartz (§ 59 N o t e 6). D a s Reichsgericht definiert den Vorsatz mit Vorliebe-als „ B e w u ß t s e i n der K a u s a l i t ä t " (so z. B . R . 1 8 167, 36 402), steht aber grundsätzlich auf dem Boden der Willenstheorie. Ebenso R M i l G 13 97. Gegen die Willenstheorie ist einzuw e n d e n : 1. E s ist eine Vergewaltigung des Sprachgebrauchs, den nicht begehrten, selbst den „ u n a n g e n e h m e n " Erfolg als „ g e w o l l t " zu bezeichnen. S c h e u t die Willenstheorie vor diesem Sprachgebrauch nicht zurück, so dreht sich der ganze Streit nur noch um die Terminologie. Den schlagendsten Beweis d a f ü r liefert V. Hippel selbst, dessen Ergebnis, wie Hafter Schweizer Z 17 186 treffend hervorhebt, auf die psychologische Rechtfertigung der Frankschen Formel hinausläuft. 2. Die Willenstheorie scheitert rettungslos an § 59 S t G B . E s ist unmöglich, zu sagen: der D i e b „ w i l l " , daß die gestohlene Sache eine fremde sei; die Abtreibende „ w i l l " ihre Schwangerschaft usw. Diese Einwendung h a t V. Hippel auch in V D 521 Note 1 und Z 31 573 n i c h t widerlegt. R i c h t i g Binding Normen 2 809. Man kann ihr nur dadurch entgehen, d a ß m a n mit Rosenfeld Z 32 486 das K e n n e n der die T a t begleitenden Umstände
§ 39-
Der Vorsatz.
165
D e r Begriff des Vorsatzes u m f a ß t m i t h i n : a) Die Vorstellung der W i l l e n s b e t ä t i g u n g selbst, sowie d e r U m s t ä n d e , u n t e r d e r s i e v o r g e n o m m e n wurde. b ) Die Voraussicht des E r f o l g e s . c ) B e i Begehungsverbrechen die Vorstellung der K a u s a l i t ä t des T u n s ; bei Unterlassungsverbrechen die Vorstellung der N i c h t h i n d e r u n g des E r f o l g e s . In diesem Bewußtsein liegt der U n t e r schied des Vorsatzes v o m W u n s c h wie v o n der H o f f n u n g ; hier i s t der E i n t r i t t des E r f o l g e s von äußeren U m s t ä n d e n abhängig, die der T ä t e r weder beherrscht noch b e s t i m m t erwarten kann. 2. V o r s a t z liegt d e m n a c h v o r : a) W e n n der E r f o l g beabsichtigt, d . h. d i e V o r s t e l l u n g d e s E r f o l g e s B e w e g g r u n d d e s H a n d e l n s w a r ; wenn der T ä t e r u m der durch die H a n d l u n g zu bewirkenden V e r ä n d e r u n g in der Außenwelt w i l l e n die H a n d l u n g v o r n i m m t ; wenn jene V e r ä n d e r u n g das Z i e l , ihre Herbeiführung den Z w e c k des Handelns bildet, wenn der E r f o l g b e z w e c k t , b e g e h r t , e r s t r e b t w a r . * ) D a b e i i s t es gleichgültig, ob der T ä t e r m i t größerer oder geringerer B e s t i m m t heit auf den E i n t r i t t des E r f o l g e s gerechnet, diesen als notwendig oder als möglich vorausgesehen h a t . Vielfach hat die Reichsgesetzgebung das Merkmal der A b s i c h t in den Tatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. 4 ) In allen diesen Fällen bedarf es sorgfältiger Prüfung des von dem Gesetzgeber mit diesem Worte verbundenen Sinnes. Da und dort bedeutet die „Absicht" des Gesetzgebers nämlich auch (so z. B . in S t G B §§ 266, 346) nichts weiter als die Voraussicht des Erfolges, mithin V o r s a t z schlechtweg. E s muß darum auf den Besondren Teil tinsrer Darstellung verwiesen werden. Bei diesen „Absichtsdelikten" handelt es sich darum, daß ein jenseits des Tatbestandes liegender Erfolg vom Täter angestrebt wird; bei klarem Aufbau der Tatbestände sind sie daher überflüssig. Zu beachten ist, daß die Erreichung eines ersten Zweckes (Tötung des B) auch Mittel zu Erreichung eines weiteren Zweckes (Beerbung des B) von dem W o l l e n des Erfolges unterscheidet. Aber dann bleibt immer noch der Einwand zu 1 bestehen. V E und K E vertreten die Willenstheorie. Der GE § 20 steht auf dem Boden der ME. Mayerschen „Motiventheorie" (vgl. Mayer 240), die eine Synthese der beiden Theorien versucht: „Vorsätzlich handelt, wer s i c h d u r c h d i e V o r s t e l l u n g der zum gesetzlichen Tatbestand der strafbaren Handlung gehörigen Tatumstände n i c h t von ihrer Begehung a b h a l t e n läßt." Damit ist aber nicht der Inhalt des Vorsatzes, sondern nur der Grund für seine höhere Strafbarkeit angegeben. a ) Übereinstimmend die Entwürfe sowie im allgemeinen das Reichsgericht. Bedenklich jedoch R 24 255, 27 241 (Absicht gleich Voraussicht des Erfolges als eines notwendigen). Dagegen hält Binding Normen 2 1 1 5 1 daran fest, daß beide Begriffe gleichbedeutend sind. Richtig Gerland (Lit. zu § 5) 46: Absicht ist Zweckvorstellung, Vorsatz ist Kausalvorstellung. ') Vgl. StGB §§ 124, 143, 146, 242, 249, 263, 265, 266, 267, 268, 272, -74, 307. 34 6 , 349- — S t G B §§ 129, 147, 151. ^77, 191, 235, 267, 270, 273. — S t G B §§ 87, 146, 229, 234, 236, 237, 252, 257, 298, 307, 333, 334, 343. — S t G B §§ 81, 105, 114, 122, 159.
i66
§ 39.
Der Vorsatz.
sein kann; daß also der Begriff der Absicht durch eine über sie hinausführende weitere Absicht nicht ausgeschlossen wird. 6 )
b) Vorsatz liegt weiter vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolges vorausgesehen hat, ohne daß diese Voraussicht Beweggrund seines Handelns war. Wer weiß, daß seine Beteiligung an der Kriegsanleihe eines von Deutschland bekämpften Staates dessen Verteidigungskraft erhöhen werde, hat vorsätzlichen Landesverrat begangen, auch wenn es i h m nur u m den Gewinn aus der Beteiligung zu tun war; wer sich bewußt ist, daß die auf ein Schiff verladene Sprengmaschine den Tod v o n Menschen nach sich ziehen werde, hat diese vorsätzlich getötet, auch wenn er die Handlung nur u m der Versicherungss u m m e willen unternommen h a t t e ; die Frauensperson, welche weiß, daß sie syphilitisch erkrankt ist, und dennoch aus Gewinnsucht den Beischlaf vollzieht, kann sich der vorsätzlichen Gesundheitsbeschädigung schuldig machen usw.
Dabei ist zu unterscheiden: a) Vorsatz ist unbedingt gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolges f ü r s i c h e r hielt (direkter Vorsatz); ß) bedingt dann, wenn er ihn nur für m ö g l i c h hielt (eventueller Vorsatz); nämlich unter der Voraussetzung, daß der Täter den Eintritt des Erfolges n i c h t a b g e l e h n t hat, also zu dem (assertorischen) Urteil n i c h t gelangt ist: „der Erfolg wird nicht eintreten". Erwartet der Täter, im Vertrauen auf seine Geschicklichkeit, auf sein Glück usw., d a ß der Erfolg n i c h t eintreten werde (man denke an den Tellschuß, an eine Gletschertour), so kann von Vorsatz keine Rede sein. Gelangt der Täter zu einem bejahenden Urteil („der Erfolg kann eintreten") oder aber gelangt er zu einem Urteil überhaupt nicht, obwohl er die Möglichkeit des Erfolgseintrittes vorausgesehen h a t (Schlag mit dem Maßkrug), so liegt eventueller Vorsatz vor. Derselbe Gedanke läßt sich auch in den Satz kleiden: eventueller Vorsatz liegt bei Vorstellung des Erfolges als eines möglichen dann vor, wenn die Uberzeugung von dem notwendigen Eintritte des Erfolges den Täter von der Begehung der Handlung nicht abgehalten hätte (Franksche. Formel).') 5 ) Eingehend darüber RMilG 19 39. «) Sie ist auch v o n Anhängern der Willenstheorie (V. Hippel, V. Rohland) aufgenommen worden. Gegen sie Baumgarten Aufbau 133. Gegen die neue Fassung v. Hippels (VD 506) vgl. Bgr. 208 N o t e 4, Baumgarten 137. — Durch meine erste Fassung soll gezeigt werden, daß die Vorstellungstheorie ohne Anleihe bei den Gegnern zu einer Begriffsbestimmung des event. Vorsatzes gelangen kann; m i t der Willenstheorie hat sie nichts zu tun. Gebilligt wird sie v o n Baumgarten 131, 143. —• In der Sache selbst herrscht fast allgemeine Übereinstimmung. Vgl. neuerdings Binding Normen 2 859. Vielfach spricht m a n von „Billigung" des Erfolges, von seiner „Aufnahme in den Willen" usw. Vgl. R 21 420, 33 4; RMilG 3 296, 6 114, 8 215, 17 268 (Franksche Formel). D o c h lehnt R 31 211 grundsätzlich den „generellen Eventualdolus" ab. —
§ 39-
Der Vorsatz.
Aus d e m Gesagten ergibt sich a u c h , d a ß zu d e m Verletzungsvorsatz d e r Gefährdungsvorsatz als eventueller h i n z u t r e t e n k a n n u n d u m g e k e h r t , w ä h r e n d ihr Z u s a m m e n b e s t e h e n im direkten Vorsatz begrifflich unmöglich ist. Ganz ebenso v e r h ä l t es sich m i t d e m Vorsatz der T ö t u n g u n d d e m d e r Körperverletzung.')
I I I . Der bisher erörterte Vorsatzbegriff, der sich auf die Tat lediglich im Sinne des natürlichen Handlungsbegriffes bezieht, ist rechtlich farblos und paßt in völlig gleicher Weise auf die rechtmäßige wie auf die rechtswidrige Handlung. Erst durch seine Beziehung auf die antisoziale Bedeutung der Tat erlangt der Vorsatzbegriff im strafrechtlichen Sinne seine abschließende Bestimmung. 1 . Der Vorsatz könnte und sollte demnach bestimmt werden als das Bewußtsein des Täters, daß seine Tat verletzend oder gefährdend in r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e n , sei es eines e i n z e l n e n , sei es der G e s a m t h e i t , e i n g r e i f t . Das geltende Recht hat in § 59 einen teilweise abweichenden Standpunkt eingenommen. Es verlangt das Bewußtsein des Täters, daß seine Tat unter einen der Tatbestände falle, an die das Gesetz die Rechtsfolge der Strafe knüpft (wesentlich verschieden von dem Bewußtsein der Strafbarkeit). Das mag durch den Gedanken gerechtfertigt werden, daß durch die feste Umschreibung der mit Strafe bedrohten Tatbestände die, im Einzelfalle vielleicht schwierige, Untersuchung des antisozialen Charakters der Tat überflüssig gemacht werden soll. Wie dem auch sei, jedenfalls zwingt uns § 59 zu der oben an die Spitze gestellten Begriffsbestimmung: Vorsatz ist die Kenntnis der zum gesetzlichen Tatbestande gehörenden Tatumstände. 2. Zum Vorsatz gehört mithin nicht nur die Kenntnis der sämtlichen Umstände der konkreten Tat, sondern auch das Wissen,8) Als Gegner des eventuellen Vorsatzes wären zu n e n n e n : v. Bar Gesetz 2 203, 322, Exner, Löffler, Mificka, Stooß Z 15 199 (daher a u c h die Schweizer E n t würfe). Auch nach Kohlrausch R e f o r m 1 204 p a ß t d e r eventuelle Vorsatz nicht m e h r in den Vorsatzbegriff. — In der R e c h t s p r e c h u n g h e r r s c h t vielfach die Neigung, das Gebiet des eventuellen Vorsatzes auf Kosten der Fahrlässigkeit zu erweitern, das scire debuisse ac potuisse m i t d e m scivisse zu verwechseln. Vgl. v. Liszt Aufsätze 2 251. Durchwegs k o r r e k t R M i l G ; zuletzt 14 35. •— Eventueller Vorsatz g e n ü g t d o r t nicht, wo das Gesetz ein H a n d e l n „wider besseres Wissen" v e r l a n g t . E b e n s o m i t der gemeinen Meinung R , zuletzt 32 302. E r g e n ü g t ferner d o r t nicht, wo eine b e s t i m m t e „ A b s i c h t " , also das Bezwecken des Erfolges (siehe oben N o t e 4), erforderlich ist. Vgl. a u c h Ruih Z 34 416. ') Die F r a g e ist also nach Lage des Einzelfalles zu entscheiden u n d eventuell Idealkonkurrenz i S t G B § 73) a n z u n e h m e n . Abweichend R 28 200, nach dem der T ö t u n g s v o r s a t z den der Körperverletzung notwendig in sich schließt. Die Frage wird wichtig f ü r das Verhältnis der Vergiftung zur T ö t u n g , für den Fall des R ü c k t r i t t s v o m Versuch, f ü r den B u ß a n s p r u c h usw. E b e n s o RMilG 20 93 für den T e x t : Frank § 216 I I I , Wachenfeld 3 1 6 N o t e 2. 8 ) Das StGB v e r w e n d e t den A u s d r u c k „wissentlich", bez. „wider besseres Wissen", zumeist in Beziehung auf einzelne Verbrechensmerkmale. Vgl. §§ 144. 153. 257, 273, 275; 1 3 1 , 1 7 1 , 338; 164, 187, 189, 278; 127, 259, 345, 353.
§ 4°-
Fortsetzung.
Der Irrtum.
daß diese „Tatumstände" zu einem „gesetzlichen Tatbestand" gehören, also die B e g r i f f s m e r k m a l e der verbrecherischen Handlung erfüllen. Der Vorsatz erfordert mit andern Worten die richtige Subsumption der Tatsachen unter das Gesetz (unten § 40). D e r T ä t e r
muß wissen, daß die von ihm entwendete Sache eine fremde, das gefälschte Schriftstück eine Urkunde, die von ihm beförderte Handlung Unzucht ist. Das sind aber alles Verbrechensmerkmale, die nicht mehr der Handlung als sinnfälligem Ereignis, sondern ihrer rechtlichen Bedeutung angehören.') Auch hier gilt das oben unter II 2 Gesagte. E v e n t u e l l e r V o r s a t z liegt vor, wenn der Täter das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals als möglich erkannt und nicht abgelehnt hat. 3. Dagegen erstreckt sich der Vorsatz nur auf den o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d der e i n z e l n e n S t r a f t a t ; nicht auf deren s u b j e k t i v e n Tatbestand, auf die a l l g e m e i n e n Begriffsmerkmale einer jeden Straftat, und nicht auf ihre Erscheinungsformen. Er hat ferner nichts zu tun mit dem Geltungsgebiet der Strafrechtssätze, mit den außerhalb der Handlung liegenden Bedingungen der Strafbarkeit, mit den Prozeßvoraussetzungen, mit den Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen oder den in den besonderen Tatbestand aufgenommenen Strafmilderungsgründen.") § 40.
Fortsetzung.
Der Irrtum.
Literatur. Außer den zu §§ 39 und 41 angeführten Schriften: v. Bar Gesetz 2 363. v. Hippel Z 35 833. Binding Normen 3. — Pfotenhauer De delicto per errorem in persona commisso 1828. Siegel Verwechslungsfälle bei Anstiftung. Göttinger Diss. 1895. Schweizer Zur Lehre vom Irrtum iin Straf') Die durchaus herrschende Ansicht (mit dem Text Finger 1 246) lehnt das Erfordernis grundsätzlich ab und beschränkt den Vorsatz auf das Wissen der konkreten Tatumstände. Praktische Bedeutung gewinnt die Meinungsverschiedenheit nur, soweit das Gesetz sogenannte „Rechtsbegriffe" verwendet, deren Auffassung bei den Juristen selbst bestritten ist. So z. B. der Begriff der Urkunde. Aber diese Begriffe lassen sich von den übrigen gar nicht sondern. Eine volkstümliche Fassung des Gesetzes würde sie ganz verschwinden lassen. — Binding verlangt zum Vorsatz die Subsumtion unter die dem Strafgesetz zugrunde liegende Norm. Aber wie die Normen lauten (z. B . die der Urkundenfälschung), erfahren wir nicht. Und da nach dem Gesetz das Wissen ganz zweifellos auch der Norm nicht angehörende Strafbarkeitsmerkmale umfassen muß, wie die Aszendenteneigenschaft in § 215, so läßt sich Bindings Ansicht ohne gewaltsame Künstelei (vgl. Normen 3 187) überhaupt nicht durchführen. 10 ) Die schwierige Frage nach dem Irrtum über Strafmilderungsgründe wird im Besonderen Teil wiederholt behandelt werden. Man denke einstweilen an einen Irrtum der Kindesmörderin über die Ehelichkeit oder Unehelichkeit ihres Kindes. Die Berücksichtigung dieses Irrtums würde zu durchaus unbefriedigenden Ergebnissen führen; S t G B § 59 fordert sie auch nicht. Abweichend Allfeld 141, Frank § 59 II, Mayer 328. Vgl. auch Daniel Der Irrtum über Strafminderungsumstände 1911 (im Anschluß an Binding).
§ 4°-
Fortsetzung.
Der Irrtum.
recht. Straßburger Diss. 1906. Quentin Darstellung und Kritik der Lehre vom error in persona vel objecto und der aberratio ictus. Heidelberger Diss. 1907. Ulmer Irrtum und Schuldinhalt im Strafrecht. Leipziger Diss. 1908. Rothkugel Der Irrtum über das Objekt der Straftat. Heidelberger Diss. 1909. Canter Der Einfluß des Rechtsirrtums im Strafrecht 1917. Erlanger Diss. 1916.
I. Aus dem Begriff des Vorsatzes ergibt sich die strafrechtliche Bedeutung eines Irrtums des Täters. 1 ) 1. Da Vorsatz (oben § 39 III 2) Kenntnis der sämtlichen Tatbestandsmerkmale ist, so w i r d d u r c h den Subsumptionsirrtum, d. h. d u r c h i r r t ü m l i c h e Nichtannahme eines T a t b e standsmerkmales (oder e i n e s Strafschärfungsgrundes) d e r V o r s a t z a u s g e s c h l o s s e n . Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn der Täter die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Aszendententotschlag nicht vor, wenn er die Eigenschaft des Erschlagenen als seines Aszendenten nicht kannte. Dagegen bleibt Irrtum in bezug auf die oben § 39 unter III 3 erwähnten Merkmale außer Betracht. Irrtümliche Annahme eines nicht vorhandenen Tatbestandsmerkmales oder Strafschärfungsgrundes dagegen begründet untauglichen Versuch (unten § 47). 2. Ob die irrtümliche Ablehnung der Subsumption der Tat unter das Gesetz auf einer unrichtigen Beurteilung der Tatsachen, oder auf einer irrtümlichen Auffassung der auf diese anzuwendenden Rechtssätze beruht, ist für die rechtliche Tragweite des Irrtums ohne Bedeutung. Die an sich berechtigte Unterscheidung von T a t i r r t u m und R e c h t s i r r t u m findet im Gesetz keine Grundlage. Völlig verkehrt aber ist es, innerhalb des Rechtsirrtums weiter zu unterscheiden zwischen dem Irrtum über Strafrechtssätze und dem Irrtum über andere Rechtssätze, und den letzteren, also den außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum, mit dem Tatirrtum auf die gleiche Stufe zu stellen. Dennoch ist die Meinung weit verbreitet, daß der Tatirrtum und der außerstrafrechtliche Rechtsirrtum den Vorsatz ausschließen, während der strafrechtliche Rechtsirrtum einflußlos bleibt. Diese Unterscheidung scheitert schon daran, daß es rein strafrechtliche Begriffe gar nicht gibt, das Strafrecht als Schutzrecht vielmehr seine Begriffe den übrigen Rechtsgebieten entlehnt. 2 ) Finger 1 §§ 45 bis 47 faßt (im Anschluß an Bitlding) den Irrtum als „Grund ausgeschlossener Zurechnungs-(nicht Delikts-) fähigkeit" auf. Dagegen treffend v. Bar Gesetz 1 361. Nach Binding Normen 3 141 ist die Irrtumslehre ganz unabhängig von der Schuldlehre. Dagegen mit Recht d i e herrschende Ansicht. s ) Trotz allgemeinen Widerspruchs der Literatur hält R an der Unterscheidung fest; so zuletzt 33 241, 37 389, 42 26, verwickelt sich aber dabei in die schwersten Widersprüche. Ebenso RMilG, zuletzt 13 97t 274, 14 278 17 41, 72, 115, 124. Neuerdings auch Schwartz § 59 Note 12. — K E h a t (abweichend von VE § 61) die Unterscheidung (ebenso wie GE § 23) aufgegeben;
170
§ 4°.
Fortsetzung.
Der Irrtum.
I I . Der Irrtum kann aber auch darin bestehen, d a ß b e i r i c h t i g e r S u b s u m p t i o n d e r T a t u n t e r d a s G e s e t z , d . h. unter die Verbrechensmerkmale, der Täter sich über einen der konkreten Tatumstände irrt. E r w e i ß , z. B . d a ß er einen Menschen tötet, h ä l t aber den getöteten A irrtümlich für den B . D e r I r r t u m ist hier gegeben durch die N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen der V o r s t e l l u n g d e s T ä t e r s über die den E r f o l g verursachende oder nichthindernde B e d e u t u n g seiner Willensbetätigung und dem tatsächlichen Verlauf.3) r . Die Vorstellung des Erfolges und der Mittel zu seiner Verursachung oder Nichthinderung kann mehr oder weniger b e s t i m m t sein (dolus determinatus und indeterminatus), wenn sie auch niemals weder g a n z u n b e s t i m m t sein d a r f , noch sämtliche Einzelheiten zu umfassen v e r m a g . Der T ä t e r m u ß die Glieder der durch seine Willensb e t ä t i g u n g angeregten oder nichtgehemmten K a u s a l k e t t e i m a l l g e m e i n e n kennen und ihre W i r k u n g sich vorstellen. Aber das genügt auch. W i e das v o n ihm gegebene G i f t physiologisch w i r k t , w a s sich in der gestohlenen B r i e f t a s c h e findet, wen die von ihm geworfene Sprengbombe treffen wird — d a s b r a u c h t er nicht zu wissen. Die V o r s t e l l u n g des k a u s a l e n V e r l a u f s und dieser selbst, von den durch die Willensbetätigung z u verursachenden oder nichtgehinderten Veränderungen und diese V e r ä n d e r u n g e n selbst müssen sich d e c k e n ; aber nicht in allen, sondern nur in den w e s e n t l i c h e n Einzelheiten. 2. E i n I r r t u m des T ä t e r s über Verlauf und E r f o l g seiner Willensb e t ä t i g u n g schließt daher die Zurechnung z u m V o r s a t z nur dann aus, wenn der Irrtum ein wesentlicher ist. Wesentlich aber ist der Irrtum, w e n n d e n T ä t e r die V o r a u s s i c h t d e s t a t s ä c h l i c h e n Verlaufes von der Begehung der T a t abgehalten haben w ü r d e ; wenn also sein V o r s a t z auch n i c h t als eventueller den t a t sächlichen Verlauf u m f a ß t hat. 4 ) Die Nichtübereinstimmung zwischen d e m vorgestellten und d e m tatsächlich eingetretenen Verlaufe der Handlung schließt dagegen die Zurechenbarkeit der Erfolges zum Vorsatze n i c h t aus, wenn die A b w e i c h u n g nur e i n z e l n e und gegenüber d e m Gesamtbilde der H a n d l u n g nur u n w e s e n t l i c h e P u n k t e betrifft. 5 ) wer nachweislich in dem Glauben gehandelt hat, die T a t sei erlaubt, wird milder bestraft. Vgl. unten § 41 Note 2. 3) Die herrschende Ansicht hält, freilich ohne jede grundsätzliche Auffassung, diesen Irrtum für irrelevant, soweit nicht aberratio ictus (unten III) vorliegt. «) Vgl. auch § 119 B G B . Gegen mich Finger 1 253, v. Hippel 541, 546, 573. Ähnlich wie der Text, trotz seines Widerspruchs, Mayer 332 wie auch Frank § 59 I X . 6) Nach diesem Satze ist auch der nach Weber (1825) benannte dolus
§ 4°-
Fortsetzung.
Der Irrtum.
171
So wäre meines Erachtens vorsätzliche Tötung in folgenden (sehr bestrittenen) Fällen anzunehmen: Der Täter dringt m i t geladenem Revolver auf seine Geliebte ein, in der eingestandenen Absicht, sie zu erschießen; im Ringen berührt die Bedrohte selbst unabsichtlich den gespannten H a h n und wird tödlich getroffen. — A wirft den B über die Brücke, um ihn zu ertränken; B schlägt auf den Brückenpfeiler auf und zerschmettert sich die Schädeldecke. — Der Wildschütze legt auf den Jäger an, u m ihn zu erschießen; dieser m a c h t unwillkürlich einen Seitensprung und stürzt dabei in den Abgrund. Dagegen kann ein Umstand dadurch zu einem w e s e n t l i c h e n werden, daß er, u n t e r A u s s c h l u ß a l l e r a n d e r n e n t s p r e c h e n d e n U m s t ä n d e , m i t vollster Bestimmtheit von dem Vorsatze erfaßt wurde. A, der durch das Telephon dem B eine Beleidigung zurückgeben will, wird aus Versehen m i t C verbunden-und beschimpft diesen. D will seinen Todfeind E töten, hält in der Dunkelheit seinen eigenen Sohn F f ü r den E und t ö t e t den Sohn. In beiden Fällen ist die Annahme eines vollendeten vorsätzlichen Verbrechens m . E. irrtümlich. Ebenso ist vollendeter schwerer Diebstahl ausgeschlossen, wenn der Dieb, in dem verschlossenen Kästchen eine bestimmte Urkunde suchend, hier 10 000 Mk. findet und diese an sich nimmt. I I I . Die aufgestellten Grundsätze reichen völlig aus, um alle Fälle des Irrtums über die verursachende oder nichthindernde Bedeutung der Handlung zu erledigen. E s liegt durchaus kein Grund vor, die dem gemeinen Recht in diesem Gegensatze fremden, erst im 19. Jahrhunderte (durch Pfotenhauer 1828) einander entgegengestellten alten Schulbegriffe der aberratio ictus (sive impetus) und des error in persona (sive objecto) weiter beizubehalten. 6 ) Im Sinne der vorherrschenden Ansicht liegt Abirrung vor, wenn der vorgestellte Erfolg bei einem andern als dem vorgestellten O b j e k t eintritt, und diese Abirrung des Erfolges zurückzuführen ist a u f ä u ß e r e U m s t ä n d e . Hier soll die Zurechnung des eingetretenen Erfolges stets ausgeschlossen sein, vielmehr Zusammentreffen eines versuchten vorsätzlichen m i t einem vollendeten fahrlässigen Verbrechen angenommen werden. Dagegen soll ein I r r t u m (eine Verwechslung) d e s T ä t e r s stets als unwesentlich betrachtet, die Zurechnung generalis zu beurteilen. E r soll vorliegen, wenn der T ä t e r in der irrigen Voraussetzung, das Verbrechen bereits vollendet zu haben, eine weitere Handlung vornimmt, um die Spuren der T a t zu verdecken usw., und d a d u r c h erst den von ihm ursprünglich vorgesetzten Erfolg herbeiführt. Hier f r a g t es sich, 1. ob die sämtlichen Teilakte wegen der Einheit des Erfolges als eine einzige Handlung aufzufassen sind; 2. ob deren Ablauf von der Vorstellung des Täters nur in für diesen unwesentlichen P u n k t e n abweicht. Ist beides der Fall, so bedarf es zur Zurechenbarkeit des Erfolges der Annahme einer besonderen Dolusart nicht; ist es nicht der Fall, so vermag auch diese Annahme die einzelnen selbständigen Akte nicht zu verknüpfen. Die Handlungseinheit wird hier freilich meist gegeben sein. Anders Allfeld 152, v. Bar Gesetz 2 358, Finger 1 263, Frank 6
§ 59 I X , Mayer
330.
) R steht auf dem S t a n d p u n k t e der seit Feuerbach herrschenden Ansicht. Vgl. zuletzt R 19 179. Das gemeine Recht (PGO 145) hat, wie Volksrechte und Rechtsbücher, die Abirrung stets ebenso wie den I r r t u m in der Person behandelt (z. B. Preußen 1721) und regelmäßig in beiden Fällen, gestützt auf Claras und Carpzow (Sächsische Konstit. 4 6), vollendetes vorsätzliches Verbrechen angenommen (milder freilich Damhouder u. a.). Noch Österreich 1852 § 134 stellt beide Fälle, die auch die französische Wissenschaft nicht unterscheidet, ausdrücklich einander gleich. Gegen die Unterscheidung, wie der T e x t , Allfeld 1 5 1 , Beling 60, Finger 1 2 5 5 , Frank § 5 9 I I I , Kohler 1 1 4 2 , Lammasch (Lit. zu § 1 7 I) 33, Rosenfeld Z 3 2 4 9 1 . F ü r sie n e u e r d i n g s v.'Bar G e s e t z 2
366, v. Hippel VD 544.
Lit. bei Binding
Normen 3 227 Note 18.
172
§ 41'
Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit
des Erfolges zum Vorsatze stets gegeben sein, vorausgesetzt, daß die beiden Objekte dem in Frage stehenden Verbrechensbegriffe gegenüber von gleicher strafrechtlicher Bedeutung sind. Diese Unterscheidung krankt schon daran, daß sie die Fälle gar nicht deckt, in welchen der vorgestellte Erfolg an dem vorgestellten Objekt, aber auf einem nicht vorgestellten Wege eingetreten ist. Es fehlt aber auch jeder Grund, die beiden Fälle strafrechtlich verschieden zu behandeln. Ob A, der den B durch das Telephon beschimpfen will, selbst die Nummern verwechselt oder infolge eines Versehens des Beamten falsch verbunden wird, kann keinen Unterschied machen, § 41.
D a s Bewußtsein der Rechtswidrigkeit.
Literatur, v. Bar Gesetz 2 373. Binding Nonnen 3. Liepmann Z 88 21, 39 115, 379, 525. Gegen ihn Engelmann GS 86 161. — Binding Normen 3. Heinemann (Lit. zu § 28). Derselbe Z 13 371. Kohlrausch (Lit. zu § 32). Allfeld Die Bedeutung des Rechtsirrtums im Strafrecht 1904. Köhler Die Strafbarkeit beim Rechtsirrtum 1904. Westerkamp Muß sich der zur strafrechtlichen Verschuldung erforderliche Bewußtseinsinhalt auf die rechtliche oder sittliche Wertung der Tat erstrecken. Marburger Diss.i 1907. PietSCh Unter welchem Gesichtspunkt muß sich der vorsätzlich handelnde Täter die von ihm begangene Tat vorgestellt haben ? Erlanger Diss. 1907. Goerdeler Das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit im Schuldinhalt. Göttinger Diss. 1908. Häselbarth Die Putativnotwehr. Rostocker Diss. 1904. Jerschke Die Putativnotwehr (v. Lil. Heft 124) 1911. I. Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ist nicht Merkmal des Vorsatzbegriffes. 1 ) 1 . E s ist nicht Merkmal des w i s s e n s c h a f t l i c h e n , der lex f e r e n d a g e g e n ü b e r zu v e r t r e t e n d e n V o r s a t z b e g r i f f e s . D i e s e r w ü r d e e r f o r d e r n die K e n n t n i s d e s T ä t e r s v o n d e r R i c h t u n g d e r T a t gegen ein r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e s I n t e r e s s e (oben § 3 9 I I I 1 ) . D a s i s t e t w a s w e s e n t l i c h a n d e r e s , a l s d a s V e r b o t e n s e i n d e r T a t , a l s o ihre R e c h t s w i d r i g k e i t in d e m S i n n e , wie d a s W o r t g a n z r e g e l m ä ß i g g e n o m m e n wird. Von vorsätzlichem B e t r u g kann nur gesprochen werden, w e n n d e r T ä t e r w e i ß , d a ß e r d u r c h seine H a n d l u n g d a s V e r m ö g e n eines a n d e r n b e s c h ä d i g t ; ob er w e i ß , d a ß e r d a m i t e t w a s d u r c h die Rechtsordnung Verbotenes tut, bleibt gleichgültig. 2 . E s i s t n i c h t M e r k m a l des p o s i t i v r e c h t l i c h e n V o r s a t z *) Die Frage ist überaus bestritten. 1. Binding Normen 2 403 verlangt Bewußtsein der Normwidrigkeit. Ihm folgen Finger 1 261 und Ötker. Dabei ist die Scheidung der Normwidrigkeits- und der Strafbarkeitsmerkmale im Sinne BindingS zu beachten. •— 2. Eine andere Gruppe fordert Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, nicht aber der Strafbarkeit; so Allfeld 142, Baumgarten Aufbau 179, Gerland (Lit. zu § 5) 47, Olshausen § 59 Noten 16, 30. — 3. Mit dem Text R, zuletzt 19 253, 20 293, 37 139, RMilG 13 199, 274; ferner v. Bar Gesetz 2 391, Frank § 59 II, Kitzinger GS 55 89, v. Lilienthal 38, Löffler 264, Lucas (Lit. zu § 39) 66, Merkel-Liepm. § 26, Schwartz § 59 Note 7, Weismann Z 1 1 87 Note 196, besonders a.bev Heinemann. — 4. Das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit verlangen v. Hippel VD Allg. T. 3 592, Derselbe Z 31 576, 35 833, Kohlrausch 24, Liepmann 134, ME. Mayer (Lit. zu § 28).
§ 41.
begriffes.
Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit.
Dieser v e r l a n g t
unter das Gesetz.
(oben § 3 9 I I I ) S u b s u m p t i o n d e r
Tat
W e i ß d e r T ä t e r , d a ß seine T a t alle M e r k m a l e
des gesetzlichen T a t b e s t a n d e s e r f ü l l t , so i s t es gleichgültig, o b e r auch weiß, d a ß er d a m i t gegen eine R e c h t s n o r m F ü r die gegenteilige A u f f a s s u n g b i e t e t d a s I I . Der aus d e m
G e s a g t e n folgende
verstoßen
hat.
G e s e t z keine, S t ü t z e . 2 )
Satz, daß das
Merkmal
d e r R e c h t s w i d r i g k e i t ohne R ü c k s i c h t auf den guten oder schlechten Glauben des T ä t e r s s t r e n g objektiv zu prüfen sei, w i r d n a c h verschiedenen R i c h t u n g e n v o n 1.
Irrige
Handlung Das
Annahme,
rechtswidrig
Wahn verbrechen
zwei
Bedeutung. daß
sei,
die
nicht
schadet
(Putativdelikt)
rechtswidrige
dem ist
Täter
nicht
nicht.
Verbrechen,
insbesondere n i c h t v e r s u c h t e s (fehlgeschlagenes) Verbrechen.*) Zwei Fälle sind hier möglich, aber in gleicher Weise zu erledigen. a) Der Täter nimmt irrigerweise die Rechtswidrigkeit einer ü b e r h a u p t nicht rechtswidrigen Handlung an. Die Frauensperson, die mit Angehörigen ihres Geschlechts widernatürliche Unzucht treibt, ist überzeugt, sich einer rechtswidrigen und strafbaren Sodomiterei schuldig zu machen. b) Der Täter nimmt irrigerweise an, daß ein Umstand, d e r d i e R e c h t s w i d r i g k e i t einer im allgemeinen rechtswidrigen Handlung a u s s c h l i e ß t , nicht vorliege, obwohl er im gegebenen Falle tatsächlich vorhanden ist. Der a) Das Erfordernis der Subsumption unter das Gesetz nimmt meiner Ansicht (abgesehen von den Fällen unter I I 2) jede Schärfe; denn die staatlichen Normen decken sich im wesentlichen mit den sittlichen Forderungen. Das polizeiliche Unrecht aber erfordert überhaupt (oben § 26 Note 6) gesonderte Behandlung. Anders, wenn, wie während des Krieges, neue Normen in unübersehbarer Menge sich folgen. Daher bestimmte die B R V vom 18. J a n u a r 1 9 1 7 ( R G B l . S. 58) für die auf Grund des Ermächtigungsgesetzes erlassenen Strafdrohungen, daß das Verfahren einzustellen sei, wenn „der Beschuldigte in unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit der übertretenen Vorschrift die T a t für erlaubt gehalten h a t " . Trotz der prozessualen Einkleidung handelt es sich um die Aufstellung eines Schuldausschließungsgrundes. So auch Binding Leipziger Z 11 297, Goldsctimidt J W 46 182, V. Hippel DStZ 4 24, 697. Dagegen K. Meyer Z 38 360, Feisenberger Z 38 855 (persönlicher Strafausschließungsgrund). Vgl. auch Lobe Leipziger Z 11 225, Schäfer daselbst 11 425. Bei verschuldetem Irrtum finden die allgemeinen Regeln wieder Anwendung. Vgl. R 50 309. — R e c h t unklar K E (oben § 40 Note 2). 3 ) Das Wahnverbrechen wird vielfach mit dem untauglichen Versuch verwechselt; vgl. unten § 47. Auch Binding Normen 3 401 faßt es mit diesem als „umgekehrten I r r t u m " zusammen. — Verschieden von dem Wahnverbrechen ist der V e r b r e c h e r w a h n , bei dem der Täter die Rechtswidrigkeit seiner Handlung kennt, aber, vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewußt über die Rechtsordnung hinwegsetzt. Auch der Verbrecherwahn bleibt, aber aus andern Gründen, ohne Einfluß auf die Beurteilung der T a t . Vgl. M i l S t G B § 48. — Besondere Schwierigkeiten bietet die irrige Nichtannahme der tatsächlich erfolgten Einwilligung des Verletzten, soweit diese überhaupt als rechtlich erheblich erscheint. Folgerichtig (oben § 35 IV) muß sie grundsätzlich als Irrtum über die Rechtswidrigkeit, nicht über ein Tatbestandsmerkmal betrachtet und behandelt werden. Und ebenso ist irrige Annahme der nicht erfolgten Einwilligung nach dem oben I I 2 Gesagten zu berücksichtigen. Aber auch hier kommen wir zu abweichenden Ergebnissen, wenn die Nichteinwilligun.» Tatbestandsmerkmal ist (unten I I I ) .
174
§ 41-
Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeil.
Lehrherr nimmt irrtümlich an, die Grenzen des ihm zustehenden Zuchtrechts überschritten zu haben. 2. I r r i g e A n n a h m e , d a ß d i e r e c h t s w i d r i g e Handl u n g n i c h t r e c h t s w i d r i g sei, n ü t z t dem T ä t e r n i c h t ; der Irrtum über die dem Strafgesetze zugrunde liegenden Gebote oder Verbote kann nur innerhalb des Strafrahmens berücksichtigt werden. Auch hier sind zwei gleich zu behandelnde Fälle zu unterscheiden. a) Der Täter nimmt irrigerweise an, daß eine im allgemeinen rechtswidrige Handlung ü b e r h a u p t nicht rechtswidrig ist. Der Wucherer weiß nicht, daß das Wuchergesetz seine Handlungsweise unter Strafe gestellt h a t ; der Bauernbursche weiß nicht, daß Sodomiterei nicht nur unsittlich, sondern auch rechtswidrig ist. Diese Handlungen sind trotz dieses Irrtums Verbrechen, wie sie es ohne diesen Irrtum wären. b) Der Täter nimmt irrigerweise an, daß die von ihm als im allgemeinen rechtswidrig erkannte Handlung unter eine jener A u s n a h m e n falle, in welchen die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist. Der Täter glaubt sich in Notstand oder einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffe gegenüber (in „Putativnotwehr") zu befinden oder Träger eines Züchtigungsrechts zu sein. Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt dafür, diese Fälle anders zu behandeln als die unter a besprochenen. Auch hier also muß der Irrtum, mag er Tat- oder Rechtsirrtum sein, einflußlos bleiben. 4 ) I I I . Die eben aufgestellte Regel erleidet jedoch eine wichtige, freilich rein positivrechtliche Ausnahme. Ü b e r a l l d o r t , w o d e r G e s e t z g e b e r d a s M e r k m a l d e r R e c h t s w i d r i g k e i t in d e n T a t b e s t a n d eines V e r b r e c h e n s a u f g e n o m m e n h a t , umf a ß t der V o r s a t z , d e r die K e n n t n i s s ä m t l i c h e r Tatbestandsmerkmale v e r l a n g t , auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit.6) i . Diese Aufnahme ist aber in verschiedener Weise erfolgt. a) Vielfach hat der Gesetzgeber die Richtung der Handlung gegen ein bestehendes Recht oder eine Rechtspflicht zum T a t bestandsmerkmal gemacht. So verlangt er zum Diebstahl eine 4 ) Ebenso Köhler 287. Die gemeine Meinung nimmt hier Straflosigkeit an. Ebenso, wenn auch schwankend R. Sehr bestimmt RMilG, zuletzt 11 166, 283, 15 101. Gegen den Text wird besonders auch die Lehre von den „negativen Tatbestandsmerkmalen" (oben § 26 Note 5) verwertet; doch soll den Täter nur der Irrtum über die tatsächliche Lage (irrige Annahme eines gegenwärtigen Angriffs), nicht über die Rechtsnorm (Begriff der Notwehr) schützen. Denselben Standpunkt vertritt der KE. Es ist zuzugeben, daß dieses Ergebnis im allgemeinen dem Billigkeitsgefühl entspricht. Wenn aber der Hasenfuß im Wald von einem harmlosen Wanderer, der ihn nach dem Wege fragen will, einen Angriff befürchtet und ihn daher niederschießt, wird wohl unser Rechtsgefühl die Berücksichtigung dieses Irrtums nicht verlangen. e ) Vgl. oben § 32 Note 6. In dem dort Gesagten liegt auch die einzig mögliche Rechtfertigung dieser Ausnahme. Ebenso, wenn auch unsicher, R, zuletzt 19 209, 20 393. Ähnlich wie der Text auch Frank § 59 III. Dagegen die Meisten. — GE h a t folgerichtig in a l l e n Verbrechenstatbeständen das „rechtswidrig" gestrichen.
§ 42.
Die Fahrlässigkeit.
„fremde" Sache, zum Ehebruch eine bestehende „ E h e " , zum Widerstand gegen die Staatsgewalt „rechtmäßige" Amtsausübung. b) In einer Anzahl von Fällen (so beim Diebstahl und Betrug) ist „rechtswidrige A b s i c h t " Tatbestandsmerkmal. c) Hierher gehört endlich auch die Wendung: „ W e r rechtswidrig u s w . " In a l l e n d i e s e n F ä l l e n m u ß b e i i r r i g e r Annahme des T ä t e r s , daß die R e c h t s w i d r i g k e i t ausgeschlossen sei, die S t r a f b a r k e i t der T a t e n t f a l l e n . Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrtümlicherweise angenommen hat (oben I I 2 b ) , zu dem Eingriff in fremde Rechtsgüter berechtigt gewesen zu sein. Zur Strafbarkeit genügt e v e n t u e l l e r Vorsatz (oben § 39 II). 2. E s ist ferner darauf hinzuweisen, daß einzelne Nebengesetze besondere Bestimmungen über den Einfluß des sogenannten Rechtsirrtums enthalten.*) § 42.
Die Fahrlässigkeit.
Literatur, v. Bar Gesetz 2 435. v. Hippel VD Allg. T. 3 565. Exner Das Wesen der Fahrlässigkeit 1910. Dazu Gutherz bei Groß 39 90; Stooß Schweizer Z 23 391 und Österreichische Z 2 5; Exner (Lit. zu § 39); Kohlrausch Reform 1 208; Körner GS 82 53. Messer bei Aschaffenburg 8 6. Galliner (Lit. zu § 36). Mannheim Der Maßstab der Fahrlässigkeit im Strafrecht (V. Lil. Heft 157) 1912. Köhler Probleme der Fahrlässigkeit im Strafrecht 1912. Gegen ihn Kriegsmann Z 33 739. Beschütz Die Fahrlässigkeit (v. Lil. H e f t 76) 1906. Kuhlmann Die nicht ausdrückliche Fahrlässigkeit im RStGB. MünsterscheDiss. 1912. Kohler GA 62 241. Klee GA 62 394 (preuß. Praxis 1792 bis 1812). Storch Über den Begriff, die Arten und die Bestrafung der Kulpa (v. Lil. H e f t 171) 1 9 1 3 . 1. Der Begriff der Fahrlässigkeit hat sich als z w e i t e S c h u l d f o r m auf dem Gebiete des Strafrechts erst allmählich und langsam entwickelt. E i n z e l n e fahrlässige Verbrechen sind es gewesen (so die fahrlässige Tötung), welche Wissenschaft und Rechtsprechung zumeist beschäftigten. So kann es uns nicht wundernehmen, daß die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen ist, daß der einheitliche Begriff den romanischen Rechten fremd geblieben ist, und daß noch in unserm geltenden Rechte sich verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander vertreten finden. Wesentlich ist dem Begriff der Fahrlässigkeit seit den Schriften der mittelalterlichen Italiener die Beziehung der Schuld auf den eingetretenen Erfolg. Wenn B G B § 276 sagt: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt", so ist damit der Begriff der Fahrlässigkeit nicht erschöpft. Dasselbe gilt gegen die völlig mißglückte Fassung in VE § 60. Erforderlich ist vielmehr noch der Eintritt eines rechtswidrigen E r f o l g e s und die V o r h e r s e h b a r k e i t dieser Wirkung des Verhaltens. Mit andern Worten: Der heutige Begriff des fahrlässigen Vergehens beruht darauf, daß der eingetretene Erfolg nicht als Bedingung der Strafbarkeit (unten § 44 III), sondern als Teil der Handlung selbst aufgefaßt wird. Ebenso KE. Erst damit t r i t t die Fahrlässigkeit als zweite Schuldart •) Vereinszollg. 1869 § 163; Nachdrucksg. 1870 § 18 Abs. 2. Über S t G B § T 93 vgl. unter § 95 IV (Beleidigung).
176
§ 42-
Die Fahrlässigkeit.
a e b e n d e n Vorsatz. Freilich b i e t e t die u n b e w u ß t e Fahrlässigkeit d e r K o n s t r u k t i o n als Schuldform Schwierigkeiten, die n u r ü b e r w u n d e n werden können, w e n n m a n auf den m a t e r i e l l e n G e h a l t d e r S c h u l d (oben § 36 I) zurückg e h t u n d die Nichtvoraussicht des Erfolges als Ausfluß der Gleichgültigkeit des T ä t e r s gegenüber den Anforderungen des sozialen Zusammenlebens betrachtet. 1 ) W e r z u m Vorsatz Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder ähnliches v e r l a n g t (oben § 41 N o t e 1), m u ß fahrlässige Begehung des im übrigen vorsätzlichen Deliktes a n n e h m e n , wenn infolge eines u n e n t s c h u l d b a r e n I r r t u m s jenes Bewußtsein fehlt. D a m i t t r i t t ein zweiter Fahrlässigkeitsbegriff (die „Rechtsfahrlässigkeit") neben den ersten, u n d die Verwirrung wird vollkommen. Vgl. a u c h oben § 41 I I I .
II. Fahrlässigkeit ist formell Nichtvoraussicht des voraussehbaren Erfolges bei Vornahme der Willensbetätigung. V o r a u s s e h bar ist der Erfolg, wenn der Täter ihn h ä t t e v o r a u s s e h e n s o l l e n und können. Fahrlässige Handlung ist mithin die willkürliche Verursachung oder Nichthinderung eines nicht vorausgesehenen, aber voraussehbaren Erfolges. 2 ) Und auch hier muß, wie beim Vorsatze (oben § 39 III), die zweite, wesentlich weitergehende, Fassung neben die erste gestellt werden: Fahrlässigkeit ist das vermeidbare Nichtkennen eines Tatbestandsmerkmales (StGB § 59). Auch der vermeidbare Subsumtionsirrtum begründet mithin Fahrlässigkeit, Dasselbe gilt von der schuldhaften Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit, soweit diese vom Gesetzgeber unter die Begriffsmerkmale aufgenommen ist (oben § 41 III). Zum Begriff der Fahrlässigkeit gehört: 1 . M a n g e l an V o r s i c h t bei der Willensbetätigung, d. h. Außerachtlassung der durch die Rechtsordnung gebotenen und nach Lage der Umstände erforderlichen Sorgfalt. Das Maß der Sorgfalt bestimmt sich dabei a l l g e m e i n nach der o b j e k t i v e n Natur der vorgenommenen Handlung, nicht nach der besonderen Eigenart 1 ) So b e s t i m m t , a b e r m i t einseitiger B e t o n u n g d e r „ G e f ü h l s s c h u l d " , Exner. W e r zur Schuld die k o n k r e t e s u b j e k t i v e Beziehung z u m Erfolg verl a n g t , m u ß d a h i n gelangen, m i t Kohlrausch der Fahrlässigkeit die E i g e n s c h a f t einer Schuldform abzusprechen. Auch Baumgarten A u f b a u 114, 202 weist die Fahrlässigkeit a u s der Verbrechenslehre hinaus. *) Der Begriff der Fahrlässigkeit wird d u r c h d e n des Vorsatzes begrenzt. D a r a u s ergibt sich (vgl. oben § 39): 1. Fahrlässigkeit liegt bei eingetretenem Erfolge vor, wenn der T ä t e r die Möglichkeit des E r f o l g s e i n t r i t t e s sich vorgestellt, a b e r m i t d e m (unrichtigen u n d vermeidlichcn) U r t e i l : „ d e r Erfolg wird n i c h t e i n t r e t e n " ihn a b g e l e h n t h a t . 2. Fahrlässigkeit liegt ferner vor, wenn der T ä t e r die Möglichkeit des Erfolgseintrittes sich ü b e r h a u p t n i c h t vorgestellt h a t (obwohl er sie sich h ä t t e vorstellen können). Auf dieser E r w ä g u n g b e r u h t d i e seit Feuerbach weit v e r b r e i t e t e Unterscheidung von b e w u ß t e r Fahrlässigkeit {erster Fall) u n d u n b e w u ß t e r Fahrlässigkeit (zweiter Fall). Diese Unterscheid u n g ist richtig. Falsch a b e r wäre es, die b e w u ß t e Fahrlässigkeit ais die schwerere S c h u l d f o r m zu b e t r a c h t e n . D e n n d a n a c h w ü r d e der umsichtige T ä t e r , der die e n t f e r n t e s t e n Folgen ängstlich zuvor erwägt, ungleich strenger b e h a n d e l t als d e r gedankenlose B u m m l e r . E b e n s o Allfeld 158. v. Bar Gesetz 2 459, Wachenfeld 164.
§ 42-
Die Fahrlässigkeit.
177
des Handelnden. Die Nichtanspannung der Aufmerksamkeit, die Nichterfüllung des Sollens, erscheint im Sinne der herrschenden Terminologie als ein Willensfehler. 2. Zu dem Mangel an Vorsicht muß aber M a n g e l an V o r a u s s i c h t hinzutreten, d. h. es muß dem Handelnden möglich gewesen sein, den Erfolg als Wirkung der Körperbewegung (wenn auch nur in allgemeinen Umrissen) 8 ) vorherzusehen und das Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale zu erkennen. Bei der Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des H a n d e l n d e n überhaupt und im Augenblicke des Handelns (Aufgeregtheit, Angetrunkenheit), ist sein größerer oder geringerer Scharfblick zagrunde zu legen. Der Maßstab ist hier ein subjektiver, b e s o n d e r e r . Das geistige Können des einzelnen Täters steht in Frage. Wird es bejaht, dann erscheint der Mangel der Voraussicht als ein V e r s t a n d s f e h l e r . 4 ) 3. Damit ist zugleich der m a t e r i e l l e Gehalt der Fahrlässigkeit als Schuldart klargelegt. Er liegt darin, daß der Täter die f ü r i h n erkennbare antisoziale B e d e u t u n g seiner T a t infolge s e i n e r G l e i c h g ü l t i g k e i t g e g e n die A n f o r d e r u n g e n d e s sozialen Z u s a m m e n l e b e n s nicht e r k a n n t hat. III. Die Fahrlässigkeit beruht mithin auf einem Irrtum über die den Erfolg verursachende oder nichthindemde Bedeutung der Willensbetätigung, bzw. auf mangelnder Kenntnis der Tatbestandsinerkmale. Darin liegt ihr Unterschied vom Vorsatz. Aber jener Irrtum und dieser Mangel begründen die Annahme der Fahrlässigkeit nur dann, wenn sie hätten vermieden werden können und sollen. Darin liegt der Unterschied der Fahrlässigkeit vom Zufall. Der I r r t u m schließt mithin die Fahrlässigkeit nur dann aus, wenn er unvermeidbar war, wenn es also dem Täter nach seiner zur Zeit der Tat gegebenen Veranlagung unmöglich war, die Vorstellung von der Bedeutung seiner Willensbetätigung zu gewinnen. Vgl. StGB § 59 Abs. 2. IV. Alle Vorschriften der Rechtsordnung sind an sich der fahrlässigen Übertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Übertretung wird von dem geltenden Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile die Bestrafung fahrlässiger Vergehen eine A u s n a h m e , ') R 19 51, 35 1 3 1 ; R M i l G 6 262, 8 165. E s genügt, daß der T ä t e r den Tod eines' Menschen, wenn auch nicht eines best mmten Menschen, voraussehen konnte; es ist nicht erforderlich, daß Zeit, Ort, die übrigen Einzelheiten des Kausalverlaufes voraussehbar waren. Vgl. oben § 40 II. Bedenklich dagegen R 29 219 und 34 91. *) Die im T e x t vertretene A n s i c h t (Unterscheidung von „ V o r s : c h t " u n d „Voraussicht") teilt auch R in einer Reihe von Entscheidungen, zuletzt 30 25, 50 417, sowie R M i l G 5 15, 1 4 197. v. L i s z t ,
Strafrecht.
21. Aufl.
1 2
§ 43-
I78
Die Verschuldung bei Preßvergehen.
die nur dann als gegeben anzunehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Übertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen ist. 6 ) V. Zum Vorsatz ist Vorstellung s ä m t l i c h e r unter den Verbrechensbegriff fallender Tatbestandsmerkmale (mit Einschluß des Erfolges) erforderlich. Fehlt auch nur eins dieser Begriffsmerkmale in der Vorstellung, so ist der Vorsatz ausgeschlossen, und es kann Fahrlässigkeit vorliegen. Genau betrachtet, würden daher jedem e i n z e l n e n vorsätzlichen Verbrechen begrifflich e b e n s o v i e l e fahrlässige Vergehen entsprechen, als jenes Verbrechen Begriffsmerkmale hat; und nichts würde den Gesetzgeber hindern, nur eins oder das andre der fahrlässigen Vergehen mit Strafe zu belegen, die übrigen aber straffrei zu lassen. So würden der vorsätzlichen Tötung eines Menschen zwei Fälle des fahrlässigen Vergehens entsprechen: I. Der Täter weiß, daß er tötet; aber nicht, daß er einen Menschen vor sich hat. 2. Er weiß, daß er gegen einen Menschen handelt; aber nicht, daß er tötet. Die Gesetzgebung hat von dieser Unterscheidung im allgemeinen keinen Gebrauch gemacht. Wohl aber ist es geschehen bezüglich der Sachhehlerei in § 259 S t G B (unten § 147). VI. G r a d e d e r F a h r l ä s s i g k e i t . Das geltende Recht hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine schwerere dann behandelt, wenn der Täter zu der von ihm außer acht gelassenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war" 6 ) (StGB §§ 222 und 230, Tötung und Körperverletzung). Hierher gehören auch die „ ä r z t l i c h e n K u n s t f e h l e r " . § 43. Literatur,
Die Verschuldung bei Preßvergehen.
v. Liszt P r e ß r e c h t §§ 47 b i s 57.
v. Schwarze-Appetius
Kom-
m e n t a r z u m Preßgesetz. B e a r b e i t e t v o n Wulffen 1914. Loening Di e s t r a f r e c h t l ) Vgl. R 22 43. D a s S t G B b e d r o h t die fahrlässige Begehung m i t S t r a f e a u s d r ü c k l i c h in folgenden Fällen: S t G B §§ 222 u n d 230 T ö t u n g u n d K ö r p e r v e r l e t z u n g ; §§ 121 u n d 347 Entweichenlassen von Gefangenen; § 163 Kalscheid; § 259 P a r t i e r e r e i ; §§ 309, 311, 314, 316, 318, 326, 329 Gemeingefährliche V e r b r e c h e n ; § 345 Vollstreckung einer n i c h t zu vollstreckenden S t r a f e . Dazu t r e t e n verschiedene Nebengesetze. — F ü r den polizeilichen U n g e h o r s a m g e n ü g t i m allgemeinen Fahrlässigkeit; doch bedarf W o r t l a u t u n d Sinn des Gesetzes stets genauer P r ü f u n g . Vgl. Goldschmidt V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t (oben § 26 N o t e 6) 475, 476. 6 ) Die H a n d l u n g m u ß also, wenn a u c h n u r als Hilfsverrichtung, in d e n Kreis d e r A m t s - usw. Geschäfte hineinfallen. Ebenso Wachenfeld 315. Dies ist a u c h bei v e r b o t e n e m Gewerbebetriebe, Kurpfuscherei, M i ß b r a u c h der A m t s gewalt usw. der F a l l ; vgl. R 27 167. E b e n s o Allfeld 158. Wesentlich enger Frank § 222 I I , Schwartz § 222 N o t e 4. Vgl. R 34 65, 36 405 (Gebrauch eines F a h r r a d e s beim Besuche der K u n d e n oder auf dem W e g e von u n d zu d e r A r b e i t ) ; 39 204 (die V o r m u n d s c h a f t als A m t ) .
§ 43-
Die Verschuldung bei Preßvergehen.
179
liehe H a f t u n g des verantwortlichen R e d a k t e u r s 1 889. Ötker Die s t r a f r e c h t l i c h e H a f t u n g des v e r a n t w o r t l i c h e n R e d a k t e u r s 1893. v. Bülow GA 40 241, 43 324 u n d Z 14 643. Klöppel D a s Reichspreßrecht 1894. Wahl Die s t r a f r e c h t l i c h e H a f t u n g des verantwortlichen R e d a k t e u r s n a c h § 21 Reichspreßgesetz. Leipziger Diss. 1904. Lieblich Der v e r a n t w o r t l i c h e R e d a k t e u r u n d seine H a f t u n g nach § 20 Abs. 2 R P r G 1905. Gaze Die strafrechtliche H a f t u n g f ü r P r e ß d e l i k t e 1906. Galli GA 52 161. Appelius Z 27 657. Gusti Die G r u n d b e g r i f f e des P r e ß r e c h t s (Berliner Seminarabhandlgn. 5 4. Heft) 1908 (dazu Tesar bei Groß 89 99). Zimmermann Die Grundbegriffe des belgisch-französischen P r e ß - S t r a f r e c h t s usw. (v. LH. H e f t 81) 1907. Berger D a s P r e ß d e l i k t , sein Begriff, seine rechtliche G e s t a l t u n g und seine Grenzen. Greifswalder Diss. 1910. Marx Die s t r a f r e c h t l i c h e B e d e u t u n g des § 21 des R P r G . E r l a n g e r Diss. 19x1. Binding A b h a n d l u n g e n I 221. Stielmann Z 34 198. — Ü b e r K i n e m a t o g r a p h e n z e n s u r : Hellwig Annalen des deutschen Reichs 1910 (verneint m i t R e c h t die A n w e n d b a r k e i t des P r e ß gesetzes) .
I. Die in den vorhergehenden Paragraphen entwickelten allgemeinen Grundsätze finden zunächst auch auf Preßvergehen Anwendung; d. h. auf d i e j e n i g e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n , deren Wesen in dem M i ß b r a u c h e des R e c h t s der f r e i e n Mein u n g s ä u ß e r u n g d u r c h V e r b r e i t u n g von D r u c k s c h r i f t e n besteht (§ 20 Abs. 1 des Preßgesetzes vom 7. Mai 1874). 1 ) Aber diese allgemeinen Grundsätze reichen den Preßvergehen gegenüber nicht aus. Abgesehen von andern Gründen (man denke z. B. an die Anonymität der periodischen Presse) bewirkt die Umgestaltung, die der Gedanke durch seine Drucklegung erfährt, und das damit gegebene eigenartige Zusammenwirken einer Reihe von Personen (Verfasser, Herausgeber, Redakteur, Verleger, Drucker, Verbreiter), daß den Preßvergehen gegenüber eine E r g ä n z u n g der a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e ü b e r V e r s c h u l d u n g 2 ) d u r c h S o n d e r b e s t i m m u n g e n unerläßlich wird, soll nicht die Strafverfolgung an juristischen Schwierigkeiten scheitern. Das Reichspreßgesetz hat diesem Gedanken Rechnung getragen, indem es die allgemeinen Grundsätze nach zwei Richtungen hin ergänzt. II. Das Reichspreßgesetz hat nach dem Vorbilde anderer Gesetzgebungen in § 20 Abs. 2 die allgemeinen Grundsätze über Verschuldung zunächst durch die A u f n a h m e d e r H a f t u n g des v e r ') In Elsaß-Lothringen gilt d a s P r e ß g . v o m 8. A u g u s t 1898 (oben § 22 I I 7). —• Über den Begriff der D r u c k s c h r i f t vgl. P r e ß g . § 2; dazu G vom 12. März 1884, das S t i m m z e t t e l aus dem Begriff der D r u c k s c h r i f t ausscheidet. Ü b e r d e n Begriff der periodischen D r u c k s c h r i f t vgl. § 7 P r e ß g . Ü b e r das „ V e r b r e i t e n " unten § 109. a ) Nach diesen sind, d a d a s P r e ß d e l i k t als eigenartige G e d a n k e n ä u ß e r u n g , begangen durch V e r b r e i t u n g einer D r u c k s c h r i f t , erscheint, regelmäßig der Verleger oder der „ f e r n e r e " Verbreiter T ä t e r , die übrigen Beteiligten, e n t s p r e chende Verschuldung vorausgesetzt, Teilnehmer. Soweit dagegen die V e r a n t wortlichkeit a n b e s t i m m t e Personen g e k n ü p f t ist, ist s t r a f b a r e T e i l n a h m e dritter ausgeschlossen. So schon v. Liszt P r e ß r e c h t 69. Vgl. österlein Die Ausdehnung des Preßprozesses auf die technischen Arbeiter 1894. 12*
j8q
§ 43.
Die Verschuldung bei Prefivergehen.
antwortlichen Redakteurs einer periodischen Drucks c h r i f t 3 ) ergänzt. D e r verantwortliche R e d a k t e u r m u ß mithin R e d a k t e u r sein, d . h. die B e f u g n i s h a b e n , über die A u f n a h m e eines A r t i k e l s z u entscheiden, A b e r nur jener R e d a k t e u r ist verantwortlicher Redakteur i m Sinne des Gesetzes, der 1. auf der betreffenden N u m m e r der Z e i t u n g oder Zeitschrift als solcher genannt und 2. d a z u bestellt i s t , den Inhalt des B l a t t e s auf seine etwaige strafrechtliche B e d e u t u n g hin zu prüfen und gegebenenfalls die Veröffentlichung zu verhindern. § 20 A b s . 2 kann d e m n a c h keine A n w e n d u n g finden, wenn eines dieser beiden Erfordernisse f e h l t ; es kann in beiden Fällen nur wegen N i c h t b e f o l g u n g des § 7 des Preßg. nach §§ 18 und 19 B e s t r a f u n g eintreten. 4 ) D e m verantwortlichen R e d a k t e u r gegenüber stellt nun d a s G e s e t z die (widerlegliche) V e r m u t u n g s e i n e r Täterschaft bezüglich der durch den Inhalt der periodischen D r u c k s c h r i f t begangenen strafbaren Handlungen auf. Die V e r m u t u n g kann widerl e g t werden durch den v o m A n g e k l a g t e n erbrachten Nachweis oder die durch d a s Gericht von A m t s wegen erfolgte Feststellung, d a ß „besondere U m s t ä n d e " vorliegen, durch „welche die A n n a h m e der T ä t e r s c h a f t ausgeschlossen w i r d " . Unter diesen „besonderen" U m ständen sind die i m E i n z e l f a l l g e g e b e n e n , n i c h t notwendig „ a u ß e r g e w ö h n l i c h e n " U m s t ä n d e z u verstehen, durch welche die K e n n t n i s des verantwortlichen R e d a k t e u r s von dem strafbaren Inhalte der von ihm redigierten N u m m e r oder ein andres T a t b e s t a n d s m e r k m a l (z. B . die Rechtswidrigkeit) ausgeschlossen wird.®) I I I . D a s Reichspreßgesetz h a t aber weiter das System der Fahrlässigkeitsstrafen, verbunden m i t dem sogenannten b e l g i s c h e n S y s t e m d e r s t u f e n w e i s e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t , zur E r g ä n z u n g der allgemeinen Grundsätze herangezogen. Wenn die bei d e r Herstellung und Verbreitung einer Druckschrift strafbaren Inhaltes beteiligten Personen deren Inhalt nicht m i t der erforderlichen A u f m e r k s a m k e i t geprüft haben oder nicht wenigstens durch die N e n n i m g ihres V o r m a n n e s den Nachweis mangelnden eignen Verschuldens erbringen können, so werden sie wegen dieser ihrer Fahrlässigkeit zur V e r a n t w o r t u n g gezogen (§ 21).•) 3 ) Vgl. Preßg. § 8 über die vom Gesetze geforderten Eigenschaften des verantwortlichen Redakteurs. 4 ) Die Ansichten gehen, auch zwischen den Senaten des R, weit auseinander. Die Streitfrage kann hier nicht weiter verfolgt werden. 6 ) Dieser von mir schon 1880 vertretenen Ansicht hat sich, entgegen ältern Entscheidungen, angeschlossen der Beschluß der Ver. Strafsenate 6. Juni 91 22 65. Ferner R 22 221, wohl auch (obwohl noch weitergehend) R 31 211. *) In Wirklichkeit handelt es sich mithin nach der Auffassung des Ge-
§ 44-
Unrecht und Verbrechen.
181
IV. D a s Verbrechen als strafbares Unrecht. § 44. Unrecht und Verbrechen. Literatur. Ü b e r die B e d i n g u n g e n der S t r a f b a r k e i t : Francke GA 20 3 3 . Kitzinger GS 55 i. Kohler GA 49 i. Finger GA 50 3 2 . Blume Tatbestandskomplemente (v. LH. Heft 73) 1906. Binding GS 08 1 (Abhdlgn. 1 97). Laue Das bedingte Verbrechen. Leipziger Diss. 1906. Sommer Das bedingte Verbrechen 1908. (Beide im Anschluß an Binding.) V. Bar Gesetz 3 1 7 . Lazarus Die sogen. Schuld-, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe im Strafprozeß usw. (v. Lil. Heft 1 3 5 ) 1 9 1 1 . Mandel Die sogen, äußeren Bedingungen der Strafbarkeit usw. Erlanger Diss. 1 9 1 2 . — Vgl. auch Höpfner GA 57 2 7 8 . Singewald GS 81 3 3 8 . 1. 1. Verbrechen ist das vom Staate m i t Strafe bedrohte U n recht. Die bisher entwickelte Begriffsbestimmung des Unrechts als der schuldhaften rechtswidrigen Handlung beansprucht Geltung für die sämtlichen Rechtsgebiete. Von allen andern Arten des Unrechts hebt sich das p e i n l i c h e Unrecht, das Verbrechen, scharf ab durch seine eigenartige Rechtsfolge, die Strafe. Aber Strafe und Ersatzpflicht (als die privatrechtliche Unrechtsfolge) schließen sich nicht aus; sie können auch nebeneinander an denselben T a t bestand geknüpft werden. 2. Wenn es aber Tatbestände gibt, die s o w o h l die strafrechtliche a l s a u c h die privatrechtliche Unrechtsfolge nach sich ziehen, so ist damit der Beweis erbracht, daß Verbrechen und bürgerliches Unrecht unmöglich zwei sich ausschließende Begriffe sein können, daß das Verbrechen vielmehr nur durch quantitative Verschieden heiten von dem bloß privatrechtlich relevanten Unrecht sich abhebt. Genauere Betrachtung zeigt, daß der Staat die Präventivfunktion" der Strafe überall da verwendet, wo ihm die Restitutivfunktion des Privatrechts (Erfüllungszwang, Wiederherstellung, Entschädigung) nicht auszureichen scheint, um das Unrecht einzudämmen. Dies ist der Fall: a) Wenn, wie bei Diebstahl usw., dem meist mittellosen Täter gegenüber der Entschädigungszwang versagt. b) Wenn, wie bei Tötung, Notzucht usw., die privatrechtliche Entschädigung eine Ausgleichung der rechtlichen Störung herbeizuführen nicht vermag. c) Wenn die Rechtsordnung dem angegriffenen Rechtsgut, vielleicht in ganz mißverständlicher Auffassung, einen besonders hohen Wert beilegt und daher die Mißbilligung des Angriffs in besonders eindringlicher Form aussprechen will. d) Wenn die Häufigkeit des Angriffs, das Überhandnehmen gewisser Versetzes um die f a h r l ä s s i g e B e g e h u n g der durch den I n h a l t der D r u c k s c h r i f t b e g r ü n d e t e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g ; v. Liszt Preßrecht § 4 7 I I I , §§ 5 1 f. Ebenso Allfeld 1 3 9 , Merkel 292, Rosenfeld Die Nebenklage 1900 S. 1 0 6 . Vgl. auch R 20 45. Dagegen die herrschende Ansicht. Die grundsätzliche Auffassung wird von Wichtigkeit bei der Frage nach dem Antragserfordemis, dem Bußanspruch, der Anwendbarkeit des § 200 StGB usw.
182
§ 44.
Unrecht und Verbrechen.
brechen (Fälschung von Nahrungsmitteln, Schleichhandel, Wucher usw.), das Bedürfnis erweckt, durch strenge Strafdrohung ein genügendes Gegengewicht zu schaffen.
Verbrechen ist mithin, i n h a l t l i c h b e s t i m m t , der für die gegebene Rechtsordnung
nach
Ansicht
des
Gesetzgebers
besonders
gefähr-
liche Angriff auf rechtlich geschützte Interessen.
II. Aber nicht jede unter diesen Begriff fallende Handlung ist s t r a f b a r ; sondern nur jene, die einem der im Gesetze genau umschriebenen und ausschließend aufgezählten Tatbestände entspricht. D a s ist das bereits oben § 26 (Note 4) hervorgehobene Verbrechensmerkmal der Tatbestandsmäßigkeit ( „ T y p i z i t ä t " im Sinne von Beling).1) Durch seine Aufstellung sichert der Verfassungsstaat dem einzelnen Bürger die individuelle Freiheit gegenüber der Willkür der Staatsgewalt; darin liegt die politische Bedeutung des Satzes: nullum crimen sine lege (oben § 18). Der A u f b a u der Tatbestände der einzelnen Verbrechen ruht auf dem v o m Gesetz gebrauchten Tätigkeitswort (töten, nötigen, wegnehmen usw.); dazu tritt die Bezeichnung des Subjekts (meist allgemein bezeichnet: „wer t ö t e t " usw.; manchmal mit Einschränkung auf bestimmte Gruppen wie „Inländer", „eine Schwangere, welche", „ein Beamter, welcher") und des Objekts (wer einen Menschen tötet, eine Frauensperson notzüchtet, eine fremde Sache beschädigt); weitere Modalitäten, wie das Mittel (Gift, Gewalt oder Drohung), Ort und Zeit (in einer Kirche, zur Nachtzeit), Öffentlichkeit usw. können hinzutreten. Verbrechen, deren Tatbestand die Begehung durch ein näher bestimmtes S u b j e k t erfordert, nennt man Sonderdelikte. Der Begriff ist für die Teilnahmelehre von Bedeutung (vgl. unten § 49 I). Regelmäßig ist nun die Strafbarkeit gegeben, der staatliche Strafanspruch entstanden mit der Begehung der t a t b e s t a n d s mäßigen, schuldhaften, rechtswidrigen Handlung. In einzelnen Fällen aber sieht der Gesetzgeber wegen der Persönlichkeit des Täters d i e s e m gegenüber, aber auch n u r i h m gegenüber, von der Bestrafung ab, während er die T a t im übrigen als strafbar betrachtet. Man kann hier von „persönlichen Straffreiheitsgründen" sprechen. Hierher gehören (abgesehen von den oben in § 24 behandelten Fällen): S t G B §§ 53 A b s . 3 (Überschreitung der Notwehr), 173 Blutschande (Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, die das 18. Lebensjahr nicht erreicht haben), 257 (persönliche Begünstigung, gewährt von einem Angehörigen), 247 (Diebstahl oder Unterschlagung, begangen von Verwandten aufsteigender l ) Außerhalb des Tatbestandes im Sinne des Textes liegen daher die unter I I I besprochenen Bedingungen der Strafbarkeit.
§ 44-
Unrecht und Verbrechen.
183
Linie oder von Ehegatten), 209 (Kartellträger usw. beim Zweikampf). Diese persönlichen Strafausschließungsgründe können mit den oben § 26 erwähnten Deliktsausschließungsgründen zu dem Begriff der „Strafausschließungsgründe im w e i t e r e n S i n n e " zusammengefaßt werden; diese treten in scharfen Gegensatz zu den unter § 74 zu erwähnenden Strafaufhebungsgründen. III. In e i n e r R e i h e v o n F ä l l e n h a t d e r G e s e t z g e b e r den E i n t r i t t der S t r a f d r o h u n g abhängig g e m a c h t von dem Vorliegen äußerer, von der tatbestandsmäßigen H a n d l u n g s e l b s t u n a b h ä n g i g e r , z u ihr h i n z u t r e t e n d e r Umstände
(Bedingungen der Strafbarkeit).2)
So ist die Strafbarkeit feindlicher Handlungen gegen befreundete Staaten bedingt durch die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§§ 102 und 103); unterlassene Anzeige eines bevorstehenden Verbrechens unterliegt der Strafe des § 139 nur dann, wenn das Verbrechen oder dessen strafbarer Versuch begangen worden ist; Aufreizung zum Zweikampf fällt unter § 210 nur, falls der Zweikampf stattgefunden hat; zur Strafbarkeit des Raufhandels ist erforderlich, daß durch ihn der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht worden ist (§ 227); die Zahlungseinstellung ist Bedingung der Strafbarkeit beim Bankbruch (§§ 239ff. K O und 5 11 Depotg. 1896); der Ehebruch ist nur strafbar, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist (§ 172); die Strafbarkeit des Ehebetruges ist bedingt durch die Auflösung der Ehe (§ 170).3) Alle diese Bedingungen der Strafbarkeit sind ä u ß e r e U m s t ä n d e , die mit der verbrecherischen H a n d l u n g selbst und deren Bestandteilen n i c h t s z u t u n h a b e n , vielmehr g e t r e n n t von dieser ins Auge gefaßt werden müssen. Daraus ergibt sich eine Reihe wichtiger Folgesätze. 1. Die Schuld als Vorsatz wie als Fahrlässigkeit umfaßt nicht die a u ß e r h a l b d e r H a n d l u n g liegenden Bedingungen der Strafbarkeit. 2
) Verschieden von diesen Fällen sind die. in welchen der E i n t r i t t eines schwereren Erfolges Voraussetzung f ü r die Verhängung einer strengeren Strafe ist. Vgl. oben § 36 Note 10. Hier ist die Handlung strafbar, auch wenn der schwerere Erfolg nicht eintritt. Die unter I I I im Texte aufgestellten Sätze finden hier nur sinngemäße Anwendung. Dasselbe gilt von den Bedingungen erhöhter Strafbarkeit in den §§ 87 Abs. 2, 154 Abs. 2. 8 ) Der Begriff ist als solcher allgemein anerkannt, in seiner Anwendung sehr bestritten. Blume unterscheidet zwischen den Voraussetzungen, deren Eintritt von dem Willen des Täters abhängt („Tatbestandskomplemente") und den „Bedingungen", die seinem Willen entzogen sind (in den §§ 87, 139, 1542, 210, 2171 handelt es sich nach ihm um widerlegl : che Vermutungen des Kausalzusammenhanges). Enger Mandel; gegen ihn Kriegsmann Z 34 760. — Mit BindingS „bedingtem Verbrechen" h a t der Begriff nichts zu tun. Gegen Binding
( a u ß e r v. Beling,
Wach u . a.) b e s o n d e r s Baumgarten
A u f b a u 52.
§ 44-
Unrecht und Verbrechen.
2. Wenn und solange die vom Gesetz aufgestellte Bedingung der Strafbarkeit fehlt, liegt eine strafbare Handlung auch als versuchte nicht vor. Strafbarer Versuch ist daher nur dann anzunehmen und nach § 44 S t G B zu bestrafen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit vorliegt, die Handlung selbst aber nicht bis zur Vollendung gediehen oder fehlgeschlagen ist (vgl. unten § 46 V 1 ) . 3. Wenn und solange die Bedingung der Strafbarkeit fehlt, ist auch die Entstehung des staatlichen Strafans p r u c h e s u n m ö g l i c h , ist die Handlung eben k e i n e s t r a f b a r e im Sinne des Gesetzes. a) Daher kann vor E i n t r i t t der Bedingung (z. B. der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des § 172 StGB) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf deren Einleitung mit rechtlicher Wirkung gestellt werden. Die Antragsfrist beginnt vielmehr beim Ehebruch erst mit der Kenntnis des Verletzten von der Rechtskraft des Scheidungsurteils. 4 ) b) Teilnahme an der Handlung und deren Begünstigung bleiben straflos, wenn die Bedingung der Strafbarkeit nicht eintritt. c) Falsche Anschuldigung liegt nicht vor, wenn nach Inhalt der Anzeige die nach dem Gesetze erforderliche Bedingung der Strafbarkeit fehlt. d) Objektive Maßregeln, wie Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen, sind, da sie die richterliche Feststellung einer strafbaren Handlung zur Voraussetzung haben, unter der gleichen Voraussetzung unzulässig. Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der Handlung; der Anspruch gilt als in diesem Augenblick entstanden. Daher ist die Vornahme v o r b e r e i t e n d e r gerichtlicher oder polizeilicher Schritte auch vor Eintritt der Bedingung rechtlich durchaus möglich. 4. Soweit lediglich die B e g e h u n g d e r H a n d l u n g s e l b s t in Frage steht, bleiben die Bedingungen der Strafbarkeit außer Betracht. a) Die V o l l e n d u n g ist unabhängig von dem Eintritt der Bedingung. b) Für Z e i t und O r t der Begehung ist Zeit und Ort des E i n t r i t t s der Bedingung gleichgültig. c) Die V e r j ä h r u n g des Verbrechens beginnt ihren Lauf ohne Rücksicht auf den Eintritt der Bedingung (unten § 77 II). d) B e g ü n s t i g u n g und nicht Teilnahme liegt vor, wenn dem Täter vor Eintritt der Bedingung, aber nach Begehung der Handlung, Beistand geleistet wurde. 5. Das Vorliegen der erforderlichen Bedingung für die E n t stehung des Strafanspruchs gehört zur S c h u l d f r a g e . Zur urteilsmäßigen Feststellung ist mithin nach § 262 S t P O Zweidrittelmehrheit erforderlich. IV. V o n den B e d i n g u n g e n der S t r a f b a r k e i t , die a l s Anspruchsvoraussetzungen dem materiellen Rechte 4 ) Ebenso auch, trotz der Annahme einer Prozeßvoraussetzung, die gem. Meinung; auch R 37 372. Entscheidend dafür § 61 StGB. Dagegen folgerichtig Frank § 172 I I I , Mittermaier VD Bes- T. 4 100, Schwartz § 172 Note 4.
§ 45-
D e r Antrag des Verletzten.
I85
angehören, sind nach B e g r i f f und W i r k u n g zu scheiden d i e s o g e n a n n t e n Prozeßvoraussetzungen, d . h . die Voraussetzungen für die rechtliche W i r k s a m k e i t der prozessualischen H a n d l u n g e n überhaupt, insbesondere aber für die G e l t e n d m a c h u n g des A n spruches ( „ K l a g v o r a u s s e t z u n g e n " ) . Dieser Begriff gehört a u s schließlich dem Strafprozeßrechte an. E r u m f a ß t außer der Z u ständigkeit des Gerichtes u s w . : den Vorentscheid der Behörden oder Gerichte bei Verfolgung von B e a m t e n ( E G z u m G V G § 1 1 ) , die Voraussetzungen, unter denen gegen Mitglieder einer gesetzgebenden V e r s a m m l u n g während der D a u e r einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet werden kann (RVerf A r t . 3 1 ; E G zur S t P O § 6 Ziff. 1) u. a. Ferner sind hierher auch die sogenannten E r m ä c h t i g u n g s v e r g e h e n ( S t G B §§ 99, 101, 197) zu rechnen. 8 ) Die wichtigste Folgerung aus dieser Unterscheidung besteht auf dem Gebiete des Strafprozeßrechts darin, d a ß bei Mangel einer Bedingung der S t r a f b a r k e i t A b w e i s u n g des A n s p r u c h e s (Freisprechung m i t anspruchvernichtender W i r k u n g ) , bei Mangel einer Prozeßvoraussetzung dagegen Abweisimg der K l a g e (EinsteIlling ohne Vernichtung des Anspruches) einzutreten h a t . § 45.
Der A n t r a g des Verletzten.
Literatur. Allfeld V D Allg. T . 2 161. v. Bar Gesetz 3 293. Ötker R e f o r m I 280. — v. Liszt G S 29 187 (Aufsätze 1 36). Köhler Die Lehre v o m S t r a f a n t r a g (V. Lil. H e f t x8) 189g. Gerland G S 57 81. Eulau Geteilter, bedingter, unter Vorbehalt gestellter Strafantrag (V. Lil. H e f t 60) 1905. Bluhm Die Bestimmungen des R S t G B über den Strafantrag im Verhältnis zu 380 S t P O . Breslauer Diss. 1908. Wallerstein Der Strafantrag und die E r m ä c h t i g u n g zur Strafverfolgung nach deutschem Strafrecht 1908. Flex Der Verletzte im Sinne des § 65. 1914. Cronewitz Die Lehre v o m Strafantrag usw. Erlanger Diss. 1914. Coenders D e r Strafantrag und die P r i v a t k l a g e des Verletzten 1915. Derselbe G S 83 286. Stalder Der Strafantrag im Schweizerischen R e c h t (V. Lil. H e f t 186) 1915. — Vgl. oben § 19 Note 7. 1. Während die P G O nur in vier Fällen: E n t f ü h r u n g , Notzucht, E h e b r u c h und Familiendiebstahl, die Verfolgung v o n A m t s wegen ausschloß, und das gemeine R e c h t nur noch Beleidigung und Kindesunterschiebung hinzufügte, hat die neuere Gesetzgebung in einer rasch anschwellenden Zahl v o n Fällen die Strafverfolgung v o n dem A n t r a g des Verletzten abhängig gemacht. A u f die Reichsgesetzgebung übte a u c h hier das sächsische S t G B 1868 bestimmenden Einfluß. Eine wesentliche Einengung der Antragsberechtigung t r a t durch d i e Novelle v o m 26. Februar 1876 ein (oben § 13 XV); eine kleine Erweiterung brachte die Novelle v o n 1912. Die Antragsfälle des R S t G B sind: §§ 102, 103, 104 (Strafbare H a n d lungen gegen befreundete Staaten), 123 (Hausfriedensbruch), 170, 172, 1 7 9 , ') Auch die E r m ä c h t i g u n g ist, wie der Antrag, Prozeßvoraussetzung. Sie kann aber, im Unterschiede v o m Antrage, niemals zurückgenommen werden; R 33 66. Sie ist auch nicht, wie dieser, befristet; R 18 382. V g l . v. Bar 3 360.
§ 45-
D e r Antrag des Verletzten.
182 (Eheerschleichung, E h e b r u c h , Erschleichung des Beischlafs, Verführung eines j u n g e n Mädchens), 189, 194 bis 196, 232 (Beleidigung und Körperverletzung), 236 237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug gegen Angehörige usw.), 288, 289, 292, 2 9 9 , 300, 301, 302, 3 0 3 ( F ä l l e „strafb a r e n E i g e n n u t z e s " und S a c h b e s c h ä d i g u n g ) , 3 7 0 Ziff. 5 u n d 6 ( G e n u ß m i t t e l und Futterdiebstahl). F e r n e r n a c h d e r N o v e l l e v o n 1 9 1 2 : §§ 1 2 3 A b s . 2, 2 4 7 a , 264a. D a z u zahlreiche F ä l l e in den Nebengesetzen (aufgezählt B e g r . 268 N o t e 2). V E steht i m allgemeinen auf demselben S t a n d p u n k t , erweitert aber d a s A n t r a g s e r f o r d e m i s bei D i e b s t a h l , U n t e r s c h l a g u n g , B e t r u g und dehnt e s auf die neugeschaffene Vermögensbeschädigung aus. E b e n s o K E . — Dagegen ist n a c h § 51 (127) M i l S t G B die Verfolgung eines militärischen Verb r e c h e n s oder V e r g e h e n s u n a b h ä n g i g v o n dem A n t r a g e des Verletzten oder einer andern zum Antrage berechtigten Person. I I . B e i genauerer B e t r a c h t u n g m ü ß t e n de lege ferenda die Antragsv e r g e h e n i n zwei n a c h I n h a l t u n d B e h a n d l u n g w e s e n t l i c h v e r s c h i e d e n e G r u p p e n zerlegt werden.1) 1. G e w i s s e R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u n g e n s i n d n u r d a n n f ü r d i e ö f f e n t l i c h e R e c h t s o r d n u n g v o n B e d e u t u n g , w e n n der V e r l e t z t e sie als Verletzung e m p f i n d e t u n d , d a ß er dies t u t , in v o r g e s c h r i e b e n e r F o r m (durch den „ A n t r a g " a u f V e r folgung) erklärt. Die unzüchtige B e r ü h r u n g eines Mädchens k a n n von der B e r ü h r t e n als Liebkosung oder als tiefste E n t e h r u n g empfunden werden. Hier i s t die Stellung des A n t r a g e s B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t . 2. B e i der zweiten Gruppe der Antragsfälle liegt die S a c h e durchaus anders. M a n denke an die Verführung eines bisher unbescholtenen, noch n i c h t s e c h z e h n j ä h r i g e n M ä d c h e n s ( S t G B § 1 8 2 ) . H i e r i s t d a s I n t e r e s s e des S t a a t e s an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des V e r l e t z t e n a n der N i c h t v e r f o l g u n g (da der „ s t r e p i t u s f o r i " für ihn n u r eine neue Verletzung wäre) schroff gegenüber. U n d der S t a a t verzichtet dem Verl e t z t e n zuliebe a u f die G e l t e n d m a c h u n g seines S t r a f a n s p r u c h e s , solange der V e r l e t z t e n i c h t durch die Stellung des „ A n t r a g e s " erklärt, d a ß das bei i h m v o m S t a a t e vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle n i c h t vorliege. Hier ist der A n t r a g n i c h t Bedingung der S t r a f b a r k e i t der T a t , sondern Voraussetzung d e r G e l t e n d m a c h u n g des staatlichen Strafanspruches, m i t h i n P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g ; sein Mangel n i c h t Strafausschließungsgrund, sondern Hindernis d e r S t r a f v e r f o l g u n g i n d e m o b e n (§ 4 4 I V ) b e s p r o c h e n e n S i n n e ; u n d d i e g a n z e L e h r e von diesen Antragsvergehen würde gar n i c h t ins Strafrecht, sondern in das Strafprozeßrecht gehören.
III. Nach geltendem Recht ist der Antrag stets B e d i n g u n g der S t r a f v e r f o l g u n g , nicht der S t r a f b a r k e i t , mithin Prozeßvoraussetzung, n i c h t A n s p r u c h s v o r a u s s e t z u n g . 2 ) Mangel des Antrages hat nach StPO § 259 Einstellung des Verfahrens, nicht *) V. Liszt A u f s ä t z e 1 8 , 3 6 . Heute herrschende Meinung. Dagegen neuerdings Cronewitz. a ) 1. Ü b e r e i n s t i m m e n d R m i t d e r g e m . M e i n u n g . V g l . Mayer 1 0 1 . 2 . A l s B e d i n g u n g der S t r a f b a r k e i t , m i t h i n dem materiellen R e c h t angehörig, fassen •den A n t r a g a u f : v. Birkmeyer 2 9 , 4 2 3 , Cronewitz, Köhler, Wach V D B e s . T . 8 6 9 . 3 . E i n e m i t t l e r e , s e h r w e n i g k l a r e A n s i c h t v e r t r e t e n i n s b e s . V. Bar, Hälschner 1 7 1 1 , Kitzinger G S 5 5 7 2 , v. Risch G S 3 6 2 5 1 , Schwartz § 61 N o t e 2 sowie (ganz verworren) R M i l G 5 87, 13 81. V E 71 h a t durch die F a s s u n g : „ M a c h t das Gesetz die Verfolgung . . . a b h ä n g i g " jeden Zweifel ausgeschlossen. Bedenklich aber Bgr. 269.
§ 45-
Der Antrag des Verletzten.
187
Freisprechung des Angeklagten zur Folge. Die Lehre vom Antrage gehört mithin ausschließlich dem Prozeßrecht an. 1. Berechtigt zur Antragstellung ist: a) In Ermangelung besonderer gesetzlicher Anordnung 8 ) d e r d u r c h d a s V e r b r e c h e n V e r l e t z t e , d. h. der Träger des durch die strafbare Handlung unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes; so der Eigentümer bei der Sachbeschädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim Hausfriedensbruch usw. Dabei ist der Zeitpunkt der Begehung maßgebend. Doch muß der Verletzte, um antragsberechtigt zu sein, das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben (StGB § 65 Abs. 1). b) D e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r s t a t t des V e r l e t z t e n , wenn dieser geschäftsunfähig oder noch nicht achtzehn Jahre alt ist, oder wenn eine Körperschaft verletzt wurde (StGB § 65 Abs. 2, StPO § 414).*) c) N e b e n d e m V e r l e t z t e n d e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r , wenn ersterer über achtzehn Jahre alt, aber noch minderjährig ist (StGB § 65 Abs. 1), der G a t t e nach § 195 (232), der a m t l i c h V o r g e s e t z t e nach § 106 (232).') In diesen beiden Fällen (b und c) ist der Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend. Ist der gesetzliche Vertreter selbst der Täter oder Teilnehmer, mangelt ihm die Geschäftsfähigkeit, oder unterläßt er es pflichtwidrig, den Strafantrag zu stellen, so wird ein Pfleger zum Zwecke der Antragstellung bestellt. 6 ) Mehrere Antragsberechtigungen, mögen diese mehreren Verletzten (so, wenn e i n Wort mehrere Personen beleidigt hat), oder aber dem Verletzten und dem Nebenberechtigten zukommen, sind voneinander unabhängig. Wenn daher von den mehreren Berechtigten einer die dreimonatige Frist versäumt oder den Antrag zurück») S t B G §§ 102, 103, 104, 170, 182, 189, 196, 288 usw.; Wettbewerbg. 1909 § 12 (mit beachtenswerter Erweiterung der Antragsberechtigung). 4) Vgl. Art. 34 III E G zum B G B . Der unter Pflegschaft stehende Taubstumme übt das Antragsrecht selbständig aus. — Der Vormund eines beschränkt Geschäftsfähigen (BGB §§ 6, 1906) ist nicht antragsberechtigt; R 34 98- Wohl aber der Konkursverwalter. 6) Die Mutter (abgesehen von S t B G § 182) nur in den Fällen der §§ 1684, 1685 B G B . Zu beachten ist (besonders in prozessualer Beziehung), daß auch bei mehrfacher Antragsberecht gung wegen derselben Rechtsverletzung es sich immer nur um e i n e strafbare Handlung, mithin auch nur um e i n e n Strafanspruch handelt, als dessen Träger ausnahmslos der Staat erscheint. o) B G B . § 1909. Ebenso R 35 47, 50 156. Dagegen Olshausetl § 65 Note 7. Die Antragsfrist des § 61 beginnt dann mit dem Tage, an dem der Pfleger von der Handlung und der Person des Täters Kenntnis erhält. Ebenso dann, wenn der von einem Dritten Verletzte geisteskrank, aber noch nicht entmündigt ist. Übereinstimmend R 27 366.
i88
§ 45.
Der Antrag des Verletzten,
n i m m t , so wird hierdurch d a s R e c h t der übrigen n i c h t ausgeschlossen ( S t G B § 62; v g l . auch S t P O § 415).') Die Stellung des A n t r a g e s , d . h. die E r k l ä r u n g , die V e r folgung z u beantragen, kann auch i m A u f t r a g e des Berechtigten durch einen i m Einzelfalle d a z u bevollmächtigten Stellvertreter erfolgen. Verschieden von der V e r t r e t u n g in der E r k l ä r u n g ist die V e r t r e t u n g im W i l l e n , d . h . in der E n t s c h l i e ß u n g über die Stellung des A n t r a g e s . A u c h diese ist zulässig, soweit die W a h r n e h m u n g der durch das Antragsvergehen verletzten Interessen (insbesondere die Vermögensverwaltung) einem D r i t t e n übertragen werden kann und, i m gegebenen F a l l , übertragen worden ist. 8 ) 2. D a s A n t r a g s r e c h t ist befristet. E s e r l i s c h t ( S t G B § 6 i ) , wenn der B e r e c h t i g t e den A n t r a g nicht binnen drei Monaten stellt. Die R ü g e f r i s t l ä u f t unabhängig von etwaiger tatsächlicher Verhinderung des Berechtigten an der Antragsstellung ;•) ihr L a u f beginnt m i t d e m T a g e , an d e m der zum A n t r a g e Berechtigte von der H a n d l u n g und von der Person des T ä t e r s , b z w . der Person auch nur e i n e s an der T a t Beteiligten 1 0 ) K e n n t n i s gehabt h a t ; sie ist, wenn die K e n n t n i s a m 12. F e b r u a r erlangt worden, m i t B e ginn des 12. Mai abgelaufen. Ist die S t r a f b a r k e i t der T a t von einer zu der H a n d l u n g hinzutretenden B e d i n g u n g abhängig, so beginnt die A n t r a g s f r i s t erst m i t d e m E i n t r i t t e der B e d i n g u n g zu laufen (oben § 44 Note 4). 1 1 ) 3. D e r A n t r a g ist unteilbar. Die V e r f o l g u n g findet nach S t G B § 63 gegen sämtliche an der H a n d l u n g Beteiligte (Täter, Teilnehmer) sowie gegen den Begünstiger ( S t G B § 257) s t a t t , auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf B e s t r a f u n g angetragen w u r d e ; und ') Für jeden von mehreren amtlich Vorgesetzten des Beleidigten läuft die Frist selbständig; R 46 203. 8 ) Ebenso R, zuletzt 21 231, mit der gem. Meinung. Dagegen All]eld 279, Binding 1 652, Finger 1 195. — Die Befugnis ist dem Vertreter des im Auslande wohnenden Berechtigten ausdrücklich eingeräumt in § 12 Patentg. 1891 und § 23 Warenzeicheng. 1894. •) Ebenso V. Bar 3 319. Dagegen wird die Frist als tempus utile behandelt von R 27 366; Frank § 61 V I I I , Schwartz § 61 Note 6a; Bgr. 272. 10 ) Vereinigte Strafsenate 9 390; Finger 1 202, Schwartz § 63 Note 1; Bgr. 270. Dagegen Frank § 61 V I I I (der „ T ä t e r " im technischen Sinne nimmt); ferner Allfeld 276, Binding I 639, (die von der Kenntnis des letzten Beteiligten rechnen). u ) Eine wesentliche Veränderung erleidet die Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen (StBG §§ 198, 232; StPO § 428), indem hier der Beklagte bei Verlust seines Rechts verpflichtet ist, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlußvorträge in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatige Frist bereits abgelaufen ist. Eine besondere Bestimmung der Frist findet sich in § 96 der Seemannsordng 1902 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens selbständig.
§ 4 5 - , Der Antrag des Verletzten.
189
die Rücknahme des Antrags gegen den einen hat Einstellung des Verfahrens überhauptzur Folge (StGB § 64 Abs.2). Daher ist die Beschränkung des Antrages auf einzelne der Beteiligten ausgeschlossen, und wenn sie dennoch vorkommt, so muß, je nach der mutmaßlichen Willensrichtung des Antragsberechtigten, der Antrag entweder als rechtsunwirksam oder als gegen alle, auch gegen die nicht genannten Beteiligten, gerichtet, betrachtet werden. Eine scheinbare Ausnahme von der Unteilbarkeit des Antrages findet sich bei den sog. relativen (subjektiven) Antragsvergehen, deren Verfolgung nur, wenn und soweit der Täter zur Zeit der Tat in einem gewissen persönlichen Verhältnisse zum Verletzten stand, durch die Stellung des Strafantrages bedingt ist. 12 ) In diesen Fällen hat Stellung und NichtStellung wie Zurücknahme des Antrages eben nur denjenigen Beteiligten gegenüber rechtliche Bedeutung, denen gegenüber die Handlung zum Antragsvergehen gemacht ist; innerhalb des Kreises dieser Personen greift wieder die allgemeine Regel von der Unteilbarkeit des Antrages ein. 4. Die Z u r ü c k n a h m e des Antrages ist seit dem G vom 26. Februar 1876 nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen 18 ) und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB § 64). 5. Der Antrag muß die A b s i c h t , d i e V e r f o l g u n g h e r b e i zu f ü h r e n , bestimmt zum Ausdrucke bringen (StPO § 156). Daher ist bedingte Antragsstellung, falls es sich um eine echte Bedingung, nicht nur um einen einschränkenden Vorbehalt handelt, ausgeschlossen. Verzicht auf den Antrag ist rechtlich ohne Bedeutung; Widerruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig. 6. Das Antragsrecht ist höchstpersönlicher N a t u r , geht daher auf den Rechtsnachfolger des Verletzten nicht über.14) " ) S t G B §§ 247, 263, 289, 292; D e p o t g . 1896 § 9. 13 ) Diese s i n d : S t G B §§ 102 bis 104, 194, 247, 263, 292, 370; §§ 232 u n d 303, wenn gegen einen Angehörigen v e r ü b t ; §§ 247 a, 264 a (nach der Novelle v o n 1912); ferner Nachdruckg. 1870 § 27; Urheberg. v o m 9., 10. u n d 11. J a n u a r 1876; P a t e n t g . 1891; G e b r a u c h s m u s t e r g . 1891; Warenzeicheng. 1894 §§ 14, 15; Depotg. 1896 § 9; Urheberrechtsg. 1901 § 45, K u n s t - U r h e b e r r e c h t s g . 1907 § 41; W e t t b e w e r b g . 1909 § 22. — Der Minderjährige k a n n den von seinem V o r m u n d e gestellten A n t r a g n a c h erreichter Volljährigkeit z u r ü c k n e h m e n ; R 22 256, RMilG 15 71. — N a c h S t P O § 431 ist die Z u r ü c k n a h m e der P r i v a t k l a g e bis zur V e r k ü n d u n g des Urteils zweiter I n s t a n z g e s t a t t e t . Sie ist n i c h t notwendig Z u r ü c k n a h m e des A n t r a g e s ; a m t l i c h e Verfolgung bleibt d a h e r mögl-ch. Richtig Allfeld 280, Frank § 64 I I , Schwartz § 64 N o t e 4. Dagegen Binding
14
1 650, Finger
1 205.
) W e n n der E r b e in das verletzte R e c h t s o b j e k t s u k z e d i e r t , ist er s e l b s t verletzt u n d d e s h a l b a n t r a g s b e r e c h t i g t . E b e n s o Frank § 61 V ; d a g e g e n Allfeld
274, v. Bar G e s e t z 3 311, Finger
1 195, Köhler
427, Schwartz
§ 61 Note 4c. N a c h V E § 72® dagegen g e h t das R e c h t auf den h i n t e r b l i e b e n e n
§ 45-
190
Der Antrag des Verletzten.
7. Wenn dieselbe T a t ein Antrags- und ein Offizialdelikt in Idealkonkurrenz enthält, so kann wegen des letzteren ohne Antrag verfolgt werden; Rücknahme des gestellten Antrages ist für das Offizialdelikt ohne Bedeutung. 18 ) Ehegatten, die Kinder und in Ermangelung dieser Personen auf die übrigen Verwandten gerader Linie, sowie die Geschwister des-Verletzten über. Eben so KE. ")
Ebenso R
32 280.
II. A b s c h n i t t .
Die Verbrechensformell.1) Literatur. V. Overbeck Die Erscheinungsformen des Verbrechens im L i c h t e der modernen Strafrechtsschule (Kritische Beiträge Heft 4) 1909.
I. Vollendung und Versuch des V e r b r e c h e n s . § 46.
Der Begriff des Versuchs.
Literatur. Frank V D Allg. T. 5 163. v. Bar Gesetz 2 487; dazu Kriegsmann Z 30 542. Graf ZU Dohna Der Mangel am Tatbestand. Festgabe für Güterbock 1910. — Kohler 1 1, 3 220. v. Buri Beiträge 178, 187. James Goldschmidt Die Lehre vom unbeendigten und beendigten Versuch {V. Lil. Heft* 7) 1897. Ötker Z 17 53. Klee Wille und Erfolg in der Versuchslehre (v. Lil. Heft 14) 1898. Finger und Schoetensack in der Festschrift für Binding 1 9 1 1 1 257, 375. Loesch Der Versuch usw. Erlanger Diss. 1911. Stienen Fälle einer begrifflichen Unmöglichkeit des Versuchs. Münstersche Diss. 1 9 1 1 . Derselbe Z 34 459. Loeb Der Versuch im R S t G B . und im V E . Würzburger Diss. 1 9 1 3 . Germann Über den Grund der Strafbarkeit des Versuchs. (Züricher Beiträge Heft 53) 1914. Schüler Der Mangel am Tatbestand (V. Lil. Heft 181) 1914. Cohn Die Revisionsbedürftigkeit des heutigen Versuchsbegriffes (V. Lil. Heft 192) 1916. — Zu I I I : Meyer Der Anfang der Ausführung. Festgabe für Berner 1892. Redslob Versuch und Vorbereitung (v. Lil. Heft 90) 1908. Jüsgen Der Begriff des Unternehmens im R S t G B . Rostocker Diss. 1906. Werneburg GS 86 1 7 (Begriff des Unternehmens). — Zur G e s c h i c h t e d e r V e r s u c h s l e h r e : Pernice Labeo 2 105. Mommsen 97. Brunner 2 558. Knapp 27. Schreuer (Lit. zu § 8 I) 81. Seeger Versuch der Verbrechen nach römischem R e c h t 1879. Derselbe Ausbildung der Lehre vom Versuch in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. Hinschius Kirchenrecht 5 930. — Vgl. Lit. zu §§ 47, 48. I.
Begriffsbestimmung.
1.
Vollendetes
Verbrechen
ist
hafte r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g selbst.
die
tatbestandsmäßige,
schuld-
Die Vollendung setzt mithin
voraus, d a ß sämtliche Merkmale des das Verbrechen
darstellenden
besonderen T a t b e s t a n d e s gegeben sind, d a ß insbesondere der d u r c h das Gesetz zum Begriff dieses Verbrechens geforderte Erfolg eingetreten ist. r ) Vgl. oben § 26 I I . Gegen die Aufstellung dieses Begriffs, den Allfeld, Beling, Wachenfeld u. a. aufgenommen haben, neuerdings Köhler und Mayer. Ersterer spricht von „Unvollständigkeit und Unselbständigkeit", letzterer von „Strafausdehnungsgründen". Aber Vollendung, Täterschaft, Verbrechenseinheit passen unter keinen dieser beiden Ausdrücke. — Auch in diesem Abschnitt darf der oben S. 1 1 5 Note 1 betonte methodische Grundsatz nicht aus den Augen gelassen werden, daß die Erscheinungsformen des Verbrechens auf den Erscheinungsformen der natürlichen Handlung beruhen.
192
§
Der Begriff des Versuchs.
D e r Z e i t p u n k t der Vollendung wird d e m n a c h für jedes Verbrechen nur durch d a s geltende R e c h t b e s t i m m t , d a s n i c h t immer d e n E i n t r i t t des eigentlichen Deliktsübels (die Verletzung bzw. Gefährdung des angegriffenen Rechtsgutes) für maßgebend erachet, sondern vielfach ( „ A b s i c h t s d e l i k t e " ; siehe oben S. 165) schon mit der auf den E r f o l g gerichteten T ä t i g k e i t die Vollendung eintreten l ä ß t . D a r a u s ergeben sich zahlreiche Unklarheiten und Widersprüche. S o i s t der A u g e n b l i c k der Vollendung ein andrer b e i m Diebstahl ( S t G B § 242) als bei der U n t e r s c h l a g u n g ( S t G B § 246), ein andrer bei der Münzfälschung ( S t G B § 146) als bei der Urkundenfälschung ( S t G B § 267). B e i B e s t i m m u n g des Z e i t p u n k t e s der Vollendung bleiben die Bedingungen der S t r a f b a r k e i t außer B e t r a c h t (oben § 44 I I I 4a). 2. Versuchtes Verbrechen ist die auf Erfüllung des Tatbestandes gerichtete Willensbetätigung. a) V e r s u c h liegt z u n ä c h s t v o r , wenn die auf Herbeiführung d e s Erfolges gerichtete (d. h. in der Meinung, d a ß der E r f o l g eintreten werde, unternommene) Willensbetätigung erfolglos geblieben ist. Dieser S a t z wird allgemein anerkannt. b) Versuch liegt aber auch dann v o r , wenn eines der begleitenden Tatbestandsmerkmale (also abgesehen v o m Erfolg), deren Vorliegen oder E i n t r e t e n der T ä t e r angenommen h a t t e , nicht vorgelegen h a t oder n i c h t eingetreten ist. E s ist versuchter Diebstahl, wenn der T ä t e r die v o n i h m weggenommene eigene Sache für eine f r e m d e , versuchter Meineid, wenn er die v o n i h m beschworne wahre T a t s a c h e f ü r unwahr gehalten h a t . Dieser S a t z ist sehr bestritten. E r ergibt sich aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller T a t bestandsmerkmale (oben § 39 III)- 1 ) 3. In beiden Fällen liegt d a s Wesen des Versuches in der Richtung der Willensbetätigung, mithin in der B e z i e h u n g des Geschehenen auf ein Nichtgeschehenes. Diese B e z i e h u n g m u ß s u b j e k t i v gegeben sein in d e m V o r s a t z , mithin der Gefährlichkeit des Täters, so 'daß Versuch einer fahrlässigen S t r a f t a t ausgeschlossen ist; 2 ) x ) Die Gegner nehmen hier P u t a t i v d e l i k t an. So Allfeld 215, V. Bar 2 528, Beling Verbrechen 329, Binding Normen 3 495, van Calker 47, Graf zu Dohna, Finger 1 314, Frank § 43 I (zum Versuch gehört Irrtum über einen zukünftigen Tatumstand), Klee 26, Mayer 346, 364, ötker Z 17 56, Wachenfeld 1 6 7 , 1 7 7 . Im Sinne des Textes Delaquis 1 3 2 , Kriegsmann (Lit. zu § 4 7 ) , v. Lilienthal 33 sowie R in ständiger Rechtsprechung; ebenso Begr. 289. 2 ) Zum Versuche ist V o r s a t z genügend, A b s i c h t , trotz des Wortlauts des § 43, nicht erforderlich, soweit sie nicht auch zur Vollendung notwendig ist. Unklar R 7 119. Jedenfalls genügt unbestimmter (eventueller) Vorsatz; so auch Allfeld 211, Finger 1 310, Schwartz § 43 Note 3, sowie R 12 64, 19 90. Dagegen v. Bar 543, zweifelnd Frank § 43 II 1. Der schwerste der vorgestellten Erfolge ist dann für die Beurteilung maßgebend.
§ 46.
D e r Begriff d e s
Versuchs.
193
und sie muß o b j e k t i v gegeben sein in der M ö g l i c h k e i t , sei es des Erfolgseintrittes, sei es des Vorliegens oder Eintrittes der übrigen Tatbestandsmerkmale, mithin in der Gefährlichkeit der Tat. Aus b e i d e n Merkmalen ergibt sich die Gefährlichkeit der Willensbetätigung als das Wesen des Versuchs. 3 ) Daraus folgt positivrechtlich die Straflosigkeit der Vorbereitungshandlungen wie die mildere Bestrafung des Versuchs. II. Geschichte. Der Versuchsbegriff v e r d a n k t seine Entstehung der • m i t t e l a l t e r l i c h e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t Italiens. Dem r ö m i s c h e n R e c h t ,,fehlt für den Versuch der Begriff wie das technische W o r t " (Mommsen). Dagegen werden schon in den Leges Corneliae e i n z e l n e Versuchs- und Vorbereitungshandlungen m i t der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht. Unter dem Einflüsse der Rhetorik wird, insbesondere seit Hadrian, die subjektive Seite des Verbrechens, die voluntas, im Gegensatz zum exitus, mehr u n d mehr in den Vordergrund gestellt, wohl auch dem flagitium imperfectum ü b e r h a u p t mildere Strafe angedroht (1. 1 § 2 D 47, 11). Aber einen allgemeinen Begriff des Versuches h a t auch das spätrömische Recht nicht gewonnen. Ebensowenig das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Vielfach werden zwar schon in den Volksrechten Angriffe auf Leib und Leben, auch wenn sie ohne Erfolg geblieben, so Messerzücken, Wegsperre, Anlaufen, Wassertauche usw., unter S t r a f e gestellt, aber, wie wir aus dem angedrohten Bußsatze entnehmen können, nicht als Versuchshandlungen, sondern als selbständige Verbrechen, •etwa als Lebensgefährdung, insbesondere aber als F r i e d e n s g e f ä h r d u n g . Dagegen arbeiten die i t a l i e n i s c h e n Schriftsteller an der Verallgemeinerung •des Begriffes. Sie bestimmen den Versuch unter Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg als ein „cogitare, agere, sed non perficere" und verlangen, der damaligen Rechtsanschauung gemäß, im Gegensatz zu den Römern mildere Bestrafung des Versuchs. Ihnen folgen Klagspiegel und Bambergensis. Die PGO gibt im Art. 178 eine durchaus gelungene und ganz allgemeine Begriffsbestimmung: „ I t e m so sich jemand 3 ) Ähnlich, wie schon Feuerbach, auch Allfeld 206, Finger 1 304, Mayer 345 (der Versuch ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt), Merkel 1 3 2 ; auch V. Bar 490 („Eindruckstheorie"), Frank VD 267 (Störung des Rechtsfriedens), ferner, aber mit Betonung der allgemeinen Gefahr, Kohler 1 20, mit Betonung der objektiven Gefährlichkeit des betätigten bösen Willens E. V. Liszt Z 25 24, Wachenfeld 170, 180. Ähnlich auch die Auffassung des Versuchs als Friedensgefährdung in den Quellen des deutschen Mittelalters. — Die grundsätzliche Auffassung wird wichtig für die Beurteilung des untauglichen Versuchs. Vgl. •unten § 47. Abweichend: l . D i e heute wissenschaftlich überwundene Auffassung, nach welcher der Versuch als „teilweise Verwirklichung" der verbrecherischen Absicht erscheint. Sie wird neuerdings vertreten von Binding Normen 3 441. Wer beim Scheibenschießen die Scheibe stets verfehlt, h a t seine Absicht, ins Schwarze zu treffen, nicht „teilweise", sondern gar nicht verwirklicht. Bindings Ansicht vermag dem fehlgeschlagenen Verbrechen nicht gerecht zu werden. — 2. Dieinsbes. durch v. Buri neu begründete, jetzt auch von Delaquis
Jedenfalls ist das Niederschlagungsrecht gehemmt, solange ejne Strafsache beim, Reichsgericht anhängig ist. So R 28 419, Wachertfeld 288. Dagegen R BS 204, sowie Fleischmann, Heimberger, Mayer 552. 4) Vgl. G vom 4. Juli 1879, durch das der Kaiser ermächtigt wird, die Ausübung in Elsaß-Lothringen einem Statthalter zu übertragen. Dazu häufige landesrechtliche Übertragung an die Vorsteher verschiedener Verwaltungszweige (auch in Preußen). 18*
§ 76.
276 IV.
Bei
Die Verjährung im allgemeinen.
Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsan-
sprüche untereinander ist d a v o n auszugehen, d a ß in bezug auf E n t s t e h u n g und Geltendmachung der Strafansprüche die deutschen Staaten zueinander in demselben Verhältnisse stehen, wie die verschiedenen Gerichte desselben Staates. Dieser S a t z ist der Grundgedanke der heutigen Gerichtsverfassung Deutschlands. 1 . L i e g t ein r e c h t s k r ä f t i g e s U r t e i l v o r , so h a t derjenige Einzelstaat das Begnadigungsrecht, dessen Gericht in erster Instanz erkannt hat. 2. Werden durch e i n e strafbare H a n d l u n g mehrere gleichberechtigte G e r i c h t s s t ä n d e in verschiedenen Staaten begründet, so entsteht durch E r ö f f n u n g der Untersuchung nach S t P O § 12 ein ausschließliches Niederschlagungsrecht für den S t a a t , dem das eröffnende Gericht angehört. 6 ) Niederschlagung in einem anderen Staate bleibt von d a a b ohne rechtliche W i r k u n g . 3. Die Verbindung mehrerer zusammenhängender Strafsachen bei demselben Gerichte ( S t P O §§ 4 und 13) begründet mit d e m Augenblicke der Verbindung ein ausschließliches Niederschlagungsrecht bezüglich sämtlicher Strafsachen zugunsten des Staates, dem d a s betreffende Gericht angehört. Niederschlagung in einem anderen S t a a t e ist ohne rechtliche W i r k u n g . Bei nachträglicher Trennung leben die Niederschlagungsbefugnisse in den einzelnen Staaten wieder auf. 8 ) § 76. Literatur.
Die Verjährung im allgemeinen.
Löning V D Allg. T. 1 379.
v. Bar Gesetz 3 381. —
Heinze
HH 2 595. v. Risch Z 9 235. Bitiding 1 816. Hälschner 1 C93. Treude Die Ver-
jährung nach Reichsstrafgesetzgebung. Heidelberger Diss. 1908. Pudor GA 68 183. Lourii Die Kriminalverjährung (v. Lil. Heft 178) 1914.
I. Wenn durch den A b l a u f einer b e s t i m m t e n Reihe von Jahren der privatrechtliche Anspruch aufgehoben oder die Rechtsfolgen einer strafbaren Handlung beseitigt werden, so liegt der Grund für diese Erscheinung und zugleich ihre innere Berechtigung nicht in einer mystischen, R e c h t erzeugenden oder R e c h t vernichtenden K r a f t der Z e i t , sondern darin, d a ß die Rechtsordnung, die n i c h t die folgerichtige Durchführung allgemeiner Grundsätze, sondern die Verwirklichung praktischer Zwecke zur A u f g a b e hat, d e r M a c h t d e r T a t s a c h e n R e c h n u n g trägt. W o h l wäre die Verfolgung *) Selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, daß das Landesrecht des eröffnenden Gerichts überhaupt Niederschlagung zuläßt. •) Die Frage ist bestritten. Für die mehreren deutschen Staaten „gemeinschaftlichen" Gerichte greifen besondere Vereinbarungen der beteiligten Staaten ein.
§ 16.
Die Verjährung im allgemeinen.
277
•and Bestrafung auch der kleinsten Übertretung noch nach einem Menschenalter an sich denkbar; aber die Wirkung, die die Strafe auch in diesem Falle dem Täter, dem Verletzten und allen übrigen gegenüber erzielen könnte, stände außer allem Verhältnisse zu den Schwierigkeiten und Unsicherheiten, welche die Feststellung des Sachverhaltes bietet, zu dem störenden Eingriff in neubegründete, tiefgewurzelte und weitverzweigte Verhältnisse. Die heutige Strafgesetzgebung räumt demnach der Verjährung die Wirkung eines Strafaufhebungsgrundes ein; sie kennt sogar neben der Verjährung der verwirkten, aber noch nicht rechtskräftig festgestellten Strafe ( „ V e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g " ) auch eine Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe ( „ V o l l s t r e c k u n g s verjährung"). Vgl. StGB § 66. II. In ihren beiden Gestalten ist die Verjährung Strafaufhebungsgrund. Sie schließt nicht nur die Verfolgung aus, sondern sie tilgt das staatliche Strafrecht. Als AnspruchsVerjährung, nicht K l a g e v e r j ä h r u n g , gehört sie inhaltlich und ihrer Eigenart nach nicht dem Prozeßrecht an, sondern dem materiellen Recht. l ) Aber sie tilgt nur die R e c h t s f o l g e n der Tat. Diese selbst vermag sie nicht aus der Welt zu schaffen. Auch die verjährte (wie die begnadigte) Tat kann mithin als Grundlage für die Annahme der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit verwertet werden. I I I . Die Verjährung ist dem mittelalterlich deutschen Strafrechte fremd. Auch in der Karolina wird sie mit keiner Silbe erwähnt. Das römische Recht kennt die Kriminalverjährung (abgesehen von den Privatverbrechen) erst seit der lex Julia de adulteriis (16 v. Christus), die f ü r die von ihr mit Strafe bedrohten Verbrechen eine fünfjährige Verjährungsfrist einführte. Später finden wir (abgesehen von den Fleischesverbrechen) allgemein in bezug auf alle crimina publica die zwanzigjährige Verjährungsfrist ausdrücklich anerkannt. Unverjährbar waren auch nach spätrömischem Recht parricidium, suppositio partus und Apostasie. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts findet die Verjährung in de« deutschen Staaten Eingang; so kennt sie Preußen schon 1620, während BadenDurlach sie 1622 beseitigt; 1656 wird sie in Niederösterreich als eine ganz neue, dem bayrischen Recht von 1616 entlehnte Einrichtung bezeichnet (bei Bratsch). Die gemeinrechtliche Wissenschaft erblickt den Rechtsgrund der Verjährung zumeist in der vermuteten Besserung des Verbrechers (Acquisitivverjährung), der sich deshalb weder aus dem Lande geflüchtet noch ein neues Verbrechen *) Daher eventuell freisprechendes Urteil. So auch die herrschende Ansicht; vgl. R 41 152, 167, Beling Z 39 663. Dagegen sieht Frank § 66 II, in der Verjährung ein materiellrechtliches Institut,das aber in der geltenden Gesetzgebung die Eigenschaft einer negativen Prozeß Voraussetzung erhalten h a t ; er verlangt daher eventuell Einstellungsurteil. Zu demselben Ergebnis (Einstellung) gelangen, trotz abweichender Begründung, Mayer 522, Schwartz § 66 Kote 1. Umgekehrt erblickt Binding 1 823 in ihr zunächst nur ein prozessuales Hindernis mit materiellrechtlichen Reflexwirkungen. Gegen die Doppelnatur der Verjährung spricht StPO § 380.
§ 77- Die VerfolgungsYeijährung. begangen, aber auch den Nutzen aus seiner T a t nicht mehr in den Händen haben darf. Vielfach wird bei den schwersten Verbrechen die Verjährung ganz aasgeschlossen. Der Kampf der gesamten Aufklärungsliteratur von S. V. Cocceji u n d Beccaria bis auf Feuerbach und Henke gegen die ihr unerklärliche und auch dem heutigen englischen gemeinen Rechte fremde KriminalVerjährung (Österreich hatte sie 1787 beseitigt, 1803 aber wieder eingeführt) endete damit, d a ß nicht nur die Verjährung der Strafklage neuerdings anerkannt, sondern nach dem Beispiele der französischen Gesetzgebung von 1791 und 1808 auch die (schon früher in der Rechtsprechung sich findende) Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe in die neuere deutsche Gesetzgebung (zuerst Sachsen 1838, n i c h t Preußen 1851 und Österreich 1852) aufgenommen wurde. Doch wurde bei Verbrechen, die mit dem Tode oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht waren, die Verjährung ausgeschlossen (so noch Österreich 1852). Die Reichsgesetzgebung folgt dem französischen Recht. VE §§94 bis 99 hält a n dem geltenden Recht im wesentlichen fest. K E ersetzt die Unterbrechung durch Zulassung einer Verlängerung der Verjährungsfrist. § 77.
Die Verfoigungsverjährung.
Literatur. Solomon Der Beginn der Verfolgungsverjährung. Greifswalder Diss. 1904. Wahlen Der Beginn der Strafverfolgungsverjährung. Rostocker Diss. 1904. Goldmann Die Unterbrechung der Verjährung der Strafverfolgung. Leipziger Diss. 1909. Kreß GS 71 84. Bornhak D JZ 6 489. Ball Die strafprozessuale Behandlung der Verfolgungsverjährung. Würzburger Diss. 1910. Rund Die Verjährung der Strafansprüche gegen den Anstifter und Gehilfen. Würzburger Diss. 1911. I . Die Verjährungsfrist der Strafverfolgung beträgt ( S t G B § 67): 1 . Bei Verbrechen zwanzig Jahre, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus; fünfzehn Jahre, wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von einer längeren als zehnjährigen Dauer (hierher gehört auch die lebenslange Festungshaft); zehn Jahre, wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind. 2. Bei Vergehen fünf oder drei Jahre, je nachdem sie im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatigen Gefängnisstrafe oder aber mit einer milderen Strafe bedroht sind. Ist Geldstrafe angedroht, so beträgt die Frist immer nur drei Jahre, mag auch die ihr entsprechende Freiheitsstrafe drei Monate übersteigen. 3 . Bei allen Übertretungen drei Monate (nach V E § 94 und K E : sechs Monate). F ü r die Berechnung ist das Höchstmaß des Strafrahmens maßgebend: im einzelnen gelten auch hier die oben § 2 7 I I I aufgestellten Grundsätze. Insbesondere ist für die Verjährung von Straftaten Jugendlicher, von Versuch und Beihilfe der nichtverminderte Strafrahmen entscheidend. 1 ) Besondere Verjährungsfristen finden sich in zahlreichen Nebengesetzen, besonders in den Steuergesetzen. Vgl. ferner E G zum StGB § 7, nach dem Zu') Dagegen die gem. Meinung.
Mit dem Text Schwartz § 67 Note 1.
§ 77*
Die Verfolgungsverjährung.
279
-Widerhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefälle in drei Jahren verjähren; Preßg. 1874 § 20 (sechs Monate bei Verbrechen und Vergehen).
II. Der Fristenlauf beginnt mit dem Tage, an dem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges (StGB § 67 Abs. 4). Maßgebend ist also für den Beginn der Verjährung der Augenblick der Willensbetätigung. Dagegen bleibt nicht nur der Eintritt des Schlußerfolges, sondern auch eines etwaigen „Zwischenerfolges" außer Betracht. 2 ) Auch der Eintritt einer Bedingimg der Strafbarkeit (oben § 44) ist ohne Einfluß auf den Beginn der Verjährung. Doch kann unter Umständen das Ausstehen einer Bedingung der Strafbarkeit das R u h e n der Verjährung zur Folge haben. Die Verjährung der A n s t i f t e r - oder G e h i l f e n t ä t i g k e i t be- • ginnt unabhängig von der Tat des Haupttäters. 3 ) Nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 35 Brantweinsteuerg. 1887 (ebenso Zuckersteuerg.) verjähren die den „Brennereibesitzer als solchen" treffenden Strafen (oben § 58 Note 5) zugleich mit der Strafe des Täters. Eine Summe von Einzelhandlungen, die das Recht zur V e r b r e c h e n s e i n h e i t zusammenfaßt (oben § 55), ist auch in bezug auf den Beginn der Verjährung als eine Einheit zu betrachten. So beginnt bei dem f o r t d a u e r n d e n und ganz ebenso bei dem f o r t g e s e t z t e n Verbrechen die Verjährung erst mit dem Abschlüsse der verbrecherischen Tätigkeit (oben § 55 Note 1); dasselbe gilt von dem geschäfts-, gewerbs-, gewohnheitsmäßigen Verbrechen, während bei dem Z u s t a n d s v e r b r e c h e n (z. B. mehrfacher Ehe; vgl. aber S t G B § 171) einzig und allein die verbrecherische Handlung selbst, nicht der herbeigeführte Zustand, maßgebend ist. Die Verjährung der durch den Inhalt einer Druckschrift begangenen P r e ß d e l i k t e beginnt mit dem Beginn der Verbreitung. Bei den U n t e r l a s s u n g s v e r b r e c h e n tritt der Beginn der Verjährung ein, sobald die Verpflichtung zu handeln aufhört. B e s o n d e r e B e s t i m m u n g e n finden sich mehrfach in den Nebengesetzen. Nach § 121 Seemannsordng. 1902 beginnt die Verjährung mit dem *) Bei Brandstiftung durch eine feuergefährliche Anlage beginnt die Verjährung mit dieser zu laufen. — Das Reichsgericht will den ^Beginn der Verjährung, entgegen dem unzweideutigen Wortlaute des Gesetzes, erst von dem Erfolgseintritt an rechnen und nur den „entfernteren Erfolg" außer Betracht lassen. Vgl. R 21 228, 26 261, 42 171. Ebenso Binding Grundriß 305, Olshausen § 67 Note 9. Richtig Allfeld 288, Finger 1579, Frank § 67 II, Kitzinger V D Allg. T. 1 150, Köhler 664, Solomon 12, Schwartz § 67 Note 2. — V E § 95 hat den Zusatz: „ohne Rücksicht usw." gestrichen; K E verlangt Eintritt des Erfolgs. ®) Ebenso Allfeld 233,288, Frank § 67 II, Kitzinger, Rund 30. Dagegen die meisten, so Binding 1 840, Olshausen § 67 16, Schwartz § 67 Note 4, Wachenfeld 294, R 30 301, 41 17; u. z. wegen der unselbständigen Natur der Teilnahme, die aber hier, wo der Erfolg einflußlos bleibt, nicht in Betracht kommen kann.
§ 78.
28o
D i e Vollstreckungsverjährang.
Tage, an dem das Schiff zuerst ein Seemannsamt erreicht. Nach dem Urheberrechtsg. 1901 beginnt die Verjährungsfrist bei Nachdruck mit dem Tage, an dem die Verbreitung zuerst stattgefunden hat (§ 50); bei widerrechtlicher Verbreitung, Aufführung, widerrechtlichem Vortrag mit dem Tage, an dem die widerrechtliche Handlung zuletzt stattgefunden hat (§ 51). Ähnlich Kunstwerkg. 1907 §§ 47, 48. Die Verjährung der Wechselstempelhinterziehungen beginnt nach § 23 des G von 1909 mit dem Schlüsse des Jahres, in dem der Wechsel fällig geworden ist. I I I . Die Verjährung wird unterbrochen d u r c h j e d e H a n d lung des R i c h t e r s , die wegen der begangenen T a t gegen d e n T ä t e r g e r i c h t e t i s t (StGB § 68). Die S t P O hat in den §§ 453 und 459 auch der polizeilichen Strafverfügung und dem Strafbescheide der Verwaltungsbehörden, das Wechselstempelg. 1869 in § 17 jeder amtlichen Handlung die unterbrechende Wirkung beigelegt. D a z u tritt jetzt § 10 des E G zur MilGO. Nur g e g e n d e n T ä t e r a l s T ä t e r e i n e r b e s t i m m t e n T a t g e r i c h t e t e Handlungen, nicht Vorerhebungen, die erst auf die Spur des Täters leiten sollen, unterbrechen die Verjährung; es genügt also nicht die Vorladung als Zeuge, selbst wenn, der Vorgeladene sich bei dieser Gelegenheit schuldig bekennt und darum nicht beeidet wird. Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich des Täters statt, auf den die Handlung sich bezieht. Mit der Unterbrechung beginnt die neue Verjährung. I V . Die Verjährung ruht ( S t G B § 69 in der Fassung des G vom 26. März 1893) während der Zeit, in der auf Grund gesetzlicher Vorschrift (vgl. RVerf. Art. 31) die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. 4 ) Ist (insbesondere) der Beginn oder die Fortsetzung des Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig, deren Entscheidung nur in einem anderen Verfahren erfolgen kann, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung. Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung erforderlich, so wird der Lauf der Verjährung durch den Mangel des Antrages oder der Ermächtigung nicht gehindert. V . Wirkung der Verjährung ist die Beseitigung des Strafanspruchs, nicht die des Verbrechens. Ebendarum kann die Verjährung gegenüber einem von mehreren Teilnehmern eingetreten sein, während die übrigen noch strafbar sind. § 78. I. D i e
Die Vollstreckungsverjährung.
Vollstreckung rechtskräftig erkannter
Strafen
verjährt
( S t G B § 70): 1 . Wenn auf Tod oder lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in d r e i ß i g Jahren; 4)
Nicht bei Geisteskrankheit des Angeklagten: R 52 36.
§ 78.
D i e Vollstreckungsverjährung.
281
2. wenn auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in z w a n z i g Jahren; 3. wenn auf Zuchthaus bis z u zehn Jahren oder F e s t u n g s h a f t von (mehr als) fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf Jahren e r k a n n t ist, in f ü n f z e h n J a h r e n ; 4. wenn auf Festimgshaft oder Gefängnis von (mehr als) zwei bis z u fünf Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als sechstausend Mark e r k a n n t ist, in z e h n J a h r e n ; 5. wenn auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als hundertfünfzig bis zu sechstausend Mark e r k a n n t ist, in f ü n f J a h r e n ; 6. wenn auf H a f t oder Geldstrafe bis z u hundertfünfzig Mark erkannt ist, in z w e i Jahren. 1 ) II. Die Verjährung beginnt m i t dem T a g e , an dem das Urteil rechtskräftig geworden ist ( S t G B § 70). III. Die Verjährung wird unterbrochen durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, der die Vollstreckung obliegt, sowie durch die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten. N a c h der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe beginnt eine neue V e r j ä h r u n g ( S t G B § 72). I V . Die Vollstreckung einer Gesamtstrafe verjährt einheitlich.*) Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung neben einer Freiheitsstrafe erkannten Geldstrafe verjährt nicht früher (vielleicht aber später) als die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ( S t G B § 71). Ebenso verjähren auch die Nebenstrafen, soweit sie ü b e r h a u p t zur Vollstreckung gelangen, m i t der Hauptstrafe. Eine A u s n a h m e stellt d a s Gesetz für die zeitigen Nebenstrafen an der Ehre ( S t G B § 36) und für die Nebenstrafe der Polizeiaufsicht ( S t G B § 38) a u f . Bei beiden beginnt die W i r k u n g des gerichtlichen Erkenntnisses gerade m i t der Verjährung der H a u p t s t r a f e . V . Soweit die Nebengesetze, wie dies insbesondere in den Zoll- und Steuergesetzen der Fall ist, die Verfolgungsverjährung ausdrücklich regeln, ohne die Vollstreckungsverjährung zu erwähnen, muß diese letztere als ausgeschlossen betrachtet werden.*) Dasselbe gilt im gleichen Falle für die der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete (oben § 20 Note 2). Hierher ist auch der vom Gesetzgeber vergessene Verweis zu rechnen. *) Gem. Meinung; Dagegen Frank § 74 IV. ') Dagegen AUfeld 291.
Besonderer Teil. Die einzelnen Verbrechen und ihre Bestrafung. § 79.
Obersicht des Systems.
Literatur. Vgl. die zu § 2 angeführten Abhandlungen. Dazu Philipsborn Die Klassifikation der einzelnep strafbaren Handlungen 1906 (Berliner Seminar abhdlgn 5 2. Heft). Suess in Grünhuts Z 27 391. Misch Der strafrechtliche Schutz der Gefühle (v. Lil. Heft 133) 1911.
I . Den natürlichen, heute in den wissenschaftlichen Darstellungen des Strafrechts allgemein verwendeten Einteilungsgrund des Besondern Teiles unserer Wissenschaft bildet die Verschiedenheit des durch die Strafe geschützten, durch das Verbrechen bedrohten Rechtsgutes, also jener I n t e r e s s e n , die rechtlichen, und zwar strafrechtlichen, Schutz durch die Gesetzgebung genießen. 1 ) Rechtsgut als Gegenstand des Rechtsschutzes ist in letzter Linie stets das m e n s c h l i c h e D a s e i n in seinen verschiedenen Ausgestaltungen. Dieses ist d a s Rechtsgut, d. h. der Kern aller rechtlich geschützten Interessen. E s erscheint entweder als Dasein des als E i n z e l w e s e n betrachteten Menschen oder als Dasein des einzelnen in der G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen. Alle durch das Verbrechen angegriffenen, durch das Strafrecht geschützten Interessen zerfallen demnach in R e c h t s g ü t e r d e s e i n z e l n e n und in R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t . 2 ) Die Durchführung dieser Einteilung findet allerdings ihre Grenze an den durch das geltende Recht gegebenen Verbrechensbegriffen, bei deren Bildung vielfach, insbes. in neuester Zeit, die einfachsten Grundregeln legislativer Technik außer acht gelassen worden sind. Die Wissenschaft muß dieser Tatsache Rechnung tragen; aber gerade darum darf sie auf die Hervorhebung des obersten Einteilungsgrundes nicht verzichten. *) In den heutigen Systemen (auch bei Allfeld) herrscht diese Zweit e i l u n g vor. Dagegen führt die Auszeichnung der gegen die „Gesellschaft" im, Unterschiede vom „Staate" gerichteten Verbrechen (v. Birkmeyer, Wachenfeld n. a.) zu einer Dreiteilung. In die Mittelgruppe pflegt man dann zu stellen: Familien- und Sittlichkeitsdelikte, Straftaten gegen Religion, öffentlichen Frieden, Treu und Glauben im Verkehr sowie die gemeingefährlichen Verbrechen.
§ 79-
Übersicht des Systems.
283
II. Rechtsgüter des einzelnen. W e n n d a s Dasein d e s Einzelwesens Gegenstand des Rechtsschutzes sein soll, so b e d e u t e t d a s : Die Rechtsordnung als Friedensordnung gewährleistet d e m einzelnen die u n g e s t ö r t e Lebensb e t ä t i g u n g . D a s ist d a s oberste Rechtsinteresse des e i n z e I n e n , s e i n R e c h t s g u t . A u s der verschiedenen R i c h t u n g dieser Betätig u n g m u ß sich die E i n t e i l u n g d e r R e c h t s g u t e r d e s e i n z e l n e n ergeben. Der Schutz ungestörter Lebensbetätigung schließt in sich erstens als die Voraussetzung aller menschlichen Betätigung den S c h u t z des körperlichen Lebens, der leiblichen Unversehrtheit. D a s Leben bildet demnach d a s erste und wichtigste aller Rechtsgüter. E r u m f a ß t weiter alle Richtungen der B e t ä t i g u n g , die als höchstpersönliche Äußerungen des Individuums untrennbar m i t diesem verbunden sind. W i r gewinnen eine zweite große Gruppe von Interessen, die als unkörperliche ( i m m a t e r i e l l e ) Rechtsgüter zusammengefaßt werden können. Hierher gehören: 1. Die persönliche Geltung im Kreise der Rechtsgenossen (die E h r e ) ; 2. die persönliche F r e i h e i t ; 3. die freie Verfügung über den eigenen L e i b im geschlechtlichen Verkehr ( G e s c h l e c h t s e h r e ) sowie die W a h r u n g des s i t t l i c h e n Gef ü h l s ; 4. die F a m i l i e n r e c h t e ; 5. die ungestörte B e t ä t i g u n g des r e l i g i ö s e n L e b e n s ; 6. d a s freie Schalten und W a l t e n in H a u s und Hof ( H a u s r e c h t ) sowie die W a h r u n g des persönlichen und geschäftlichen Lebens vor unberufenem Eindringen ( B r i e f g e h e i m n i s usw.); 7. d a s Bewußtsein, in allen Richtungen der B e t ä t i g u n g des Schutzes der Friedensordnung gewiß sein zu dürfen (Rechtsfrieden). V o n den unkörperlichen Rechtsgütern hebt sich eine dritte, v o n ihnen in jeder Beziehung verschiedene Gruppe von Interessen des einzelnen scharf a b : die der Vermögensrechte. Ihr Unterschied von jenen ist m i t d e m Hinweise gekennzeichnet, d a ß sie n i c h t höchstpersönliche, m i t d e m Einzelwesen untrennbar verbundene menschliche Interessen sind: Die in den Vermögensrechten stofflich gebundene B e t ä t i g u n g des einzelnen begründet für diesen eine Herrschaft über Sachen oder Personen, die von ihm losgelöst, Grundsätzliche Bedeutung hat die Frage nur bezüglich der unten im T e x t zu N o t e 3 besprochenen Gruppe. Gegen beide Einteilungen Frank § 1 Note I, weil j e d e s Delikt „in letzter Linie" gegen Interessen des Staates sich wende (so schon Hegler). E r übersieht, daß es sich eben nicht um die mittelbare, sondern um die unmittelbare Richtung des Deliktes handelt. Vgl. oben § 2 II. — V E hatte (Von den Übertretungen abgesehen) eine wenig gelungene Vierteilung in Straftaten gegen den Staat, Einrichtungen des Staates, Person, Vermögen, die i n K E wieder aufgegeben ist.
284
§ 79-
Übersicht des Systems.
auf andere übertragen, in Geld abgeschätzt werden kann. In den Vermögensrechten tritt die Persönlichkeit des Berechtigten gänzlich zurück. Das Rechtsgut des Eigentums ändert sein Wesen nicht, wenn es von dem A auf den B übertragen wird. Dieser ihrer Eigenart entspricht der hochentwickelte, durchaus nicht nur in V e r b o t e n sich erschöpfende Rechtsschutz, welchen die Rechtsordnung den Vermögensrechten gewährt. Zwischen die rein unkörperlichen Rechtsgüter und die Vermögensrechte tritt, den Übergang von den einen zu den anderen vermittelnd, noch eine vierte besondere Gruppe rechtlich geschützter Interessen, die der „Urheber- und Erfinderrechte". Der Schriftsteller, der Künstler, der Erfinder, der Gewerbsmann haben ein Interesse daran, den wirtschaftlichen Ertrag ihrer Tätigkeit für sich zu verwerten. Das Recht gewährleistet ihnen dieses Interesse, indem es einerseits dem „ U r h e b e r " oder „ E r f i n d e r " das ausschließliche Recht einräumt, seine Schöpfung zu verwerten, andrerseits den „ u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b " , der die Früchte fremder Tätigkeit sich anzueignen sucht, allgemein oder doch in bestimmten Erscheinungsformen (Verwendung fremder Warenbezeichnungen) unter Strafe stellt. In allen Fällen ist es die selbsttätige, schaffende Individualität, die in dem Schrift- oder Kunstwerke, in der gewerblichen Erfindung, in dem Muster oder Modelle, ganz ebenso aber auch in dem bei den Abnehmern erworbenen Vertrauen, sich zur Geltung bringt („Individualrechte"). Insoweit berühren sich diese Rechte mit den rein unkörperlichen Rechtsgütern. Aber sie fallen doch mit diesen nicht gänzlich zusammen. Der künstlerische Gedanke bedarf der F o r m , um sich darzustellen; nur an und in dem S t o f f e äußert sich die Schaffenskraft des Geistes; in der Beschaffenheit der W a r e n erkennen wir Geschick und Sorgfalt des Kaufmanns. Mit dieser Versinnlichung der schöpferischen Arbeit ist aber die Möglichkeit einer wenn auch nur teilweisen Loslösung von ihrem Urheber, einer wenn auch unvollständigen Übertragung an andere, einer wenn auch ganz ungenügenden Abschätzung in Geld gegeben. Das von mir verfaßte Werk kann ich als Handschrift dem Verleger zur Vervielfältigung übergeben, mein Geschäft mit Waren und Kundenkreis einem Käufer überlassen. Durch diese Übertragbarkeit nähern sich die ,,Individualrechte" den Vermögensrechten, ohne ganz mit ihnen zusammenzufallen, so daß die Aufstellung einer besonderen Gruppe zur systematischen Notwendigkeit wird. Wir gewinnen hiermit folgende Einteilung der gegen Rechtsgüter des einzelnen gerichteten Verbrechen:
§ 79-
Übersicht des Systems.
285
1. Verbrechen gegen Leib und Leben; 2. Verbrechen gegen unkörperliche Rechtsgüter; 3 Verbrechen gegen Urheber- und Erfinderrechte; 4. Verbrechen gegen Vermögensrechte. Zu diesen vier Gruppen tritt eine fünfte: die durch die Art, insbesondere durch das M i t t e l , nicht durch den G e g e n s t a n d des
Angriffs
gekennzeichneten
Verbrechen:
der
Mißbrauch
staatlicher Einrichtungen, sowie menschlicher Entd e c k u n g e n u n d E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung rechtlich geschützter Interessen. Indem der Staat diese Handlungen mit Strafe bedroht und dadurch eine Gruppe eigenartiger Vergehungen schafft, stempelt er nicht etwa neue, bisher nicht vorhandene oder nicht geschützte Interessen zu neuen Rechtsgütern, sondern er vervollständigt die Rüstkammer der Waffen zum Schutze längst vorhandener und längst, wenn auch ungenügend geschützter Interessen Hierher gehören die gemeingefährlichen Verbrechen sowie der Mißbrauch von Sprengstoffen einerseits, die Waren-, Geld- und Urkundenfälschung andererseits. 3 ) III. Rechtsgüter der Gesamtheit.
Hier können wir drei Gruppen unterscheiden: Die Gesamtheit wird uns dargestellt durch den Staat als solchen; die Betätigung, die Arbeit der Gesamtheit durch die schützende und fördernde Staatsverwaltung. Aber auch die K r a f t , die das Ganze zusammenhält und die einzelnen Glieder in Bewegung setzt: die Staatsgewalt als solche wie in ihren Organen bedarf des rechtlichen Schutzes. Die strafbaren Handlungen gegen die Gesamtheit zerfallen demnach in folgende Unterabteilungen: 1. Verbrechen gegen den Staat (die politischen Verbrechen)' 2. Verbrechen gegen die Staatsgewalt; 3. Verbrechen gegen die Staatsverwaltung. ') Die Notwendigkeit dieser besonderen Gruppe, bei welcher der sonst festgehaltene Einteilungsgrund aufgegeben erscheint, ist vielfach anerkannt worden. Vgl. Feuerbachs „vage", Loenings „vagierende" Verbrechen. Auch Oppenheims (Lit. zu § 2) „Verbrechen mit unbestimmtem Schutzobjekt" gehören, trotz seines Widerspruchs (S 233), hierher. Auch Birtding Lehrb. weicht, trotz seiner Polemik, nur insoweit von mir ab, als er die beiden Untergruppen getrennt beziffert. Anders die in Note 2 erwähnte Auffassung, die gerade auch in diesen Fällen von einer Verletzung „allgemeiner" Interessen spricht.
Erstes Buch.
Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben. § 80.
Allgemeines.
Literatur, v. Liszt VD Bes. T. 5 i . Wachenfeld Die Tötungsdelikte 1909. Vgl. auch die oben § 56 angeführten Arbeiten von Wilhelmi und Freymann.
I. Das Strafrecht gewährt seinen Schutz dem menschlichen Leben nicht nur von der Geburt bis zum Tode, sondern bereits von der Empfängnis ab. Nicht nur der M e n s c h , d. h, das vom Weibe geborene Lebewesen, sondern auch die L e i b e s f r u c h t , das lebende, befruchtete Ei, ist auf allen Stufen seiner Entwicklung gegen rechtswidrige Eingriffe geschützt. 1 ) Die Verschiedenheit dieses Strafschutzes, die am deutlichsten in dem Verhältnis der Kindestötung zur Abtreibung hervortritt, macht es notwendig, Kind und Leibesfrucht, Mensch und Embyro, begrifflich scharf zu scheiden. Mensch i s t d a s v o n M e n s c h e n g e z e u g t e L e b e w e s e n , d a s ein v o m L e b e n d e r M u t t e r u n a b h ä n g i g e s D a s e i n führt. Das selbständige Dasein beginnt aber für das Strafrecht nicht erst, wie nach B G B § 1, „mit der Vollendung der Geburt", also mit der völligen Loslösimg des Kindes von der Mutter, auch nicht schon mit dem Anfange der Ausstoßungsbewegungen (den „Wehen"), sondern mit dem Aufhören der fötalen Plazentaratmung und der Möglichkeit der Atmung durch die Lungen. 2 ) *) Über den Grund dieses Schutzes vgl. unten § 94 Note 1. *) Die Frage ist von praktischer Bedeutung, da zwar fahrlässige Tötung, - nicht aber fahrlässige Abtreibung unter Strafe gestellt ist. Die Ansichten gehen weit auseinander. Vgl. V. Liszt 9. 1. Mit dem Text V. Birkmeyer 1162, Schwartz § 211 Note 2, Wachenfeld 300. — 2. Den Beginn der Wehen lassen entscheiden Frank 16. Abschn. I, Hälschner 2 61, Ophausen § 211 i, WehrIi (Lit. zu § 84)
§ 8o.
Verbrechen gegen Leib und Leben.
Allgemeines.
287
Alles vom Weibe Geborene ist Mensch, auch die sogenannte M i ß g e b u r t , d. h. ein Lebewesen mit regelwidriger Bildung, mag das Fortleben unmöglich sein („Monstrum" i. e. S.) oder nicht (die siamesischen Zwillinge). L e b e n s f ä h i g k e i t ist nicht erforderlich; an dem lebensunfähigen Neugeborenen kann Tötung und Körperverletzung begangen werden, wie an dem sterbenden Greise. II. Das Strafrecht schützt Leib und Leben gegen V e r l e t z u n g wie gegen G e f ä h r d u n g . Die Verletzung ist der L e i b e s f r u c h t gegenüber nur als Tötung strafbar, sei es im Mutterleibe, sei es durch Bewirkung einer vorzeitigen Geburt (unten § 94); dem M e n s c h e n gegenüber kann sie T ö t u n g , d. h. Zerstörung des Lebens (unten §§ 81 bis 86) oder aber K ö r p e r v e r l e t z u n g , d. h. Störung der Lebensfunktionen (unten § § 8 7 bis 89), sein. Verursachung des Todes oder der Körperverletzung durch eine an sich strafbare Handlung wirkt vielfach als erschwerender Umstand (oben § 36 Note 10). III. Gegen Gefährdung ist die L e i b e s f r u c h t durch die Strafdrohungen gegen Bewirkung einer nichttödlichen Frühgeburt geschützt (unten § 94). Dem Menschen gewährt das Strafrecht den Schutz gegen Gefährdung in dreifacher Gestalt: 1. Durch die Strafdrohungen gegen Aussetzung, Vergiftung, Raufhandel, Zweikampf und (soweit Leib und Leben der Schwangeren selbst in Frage steht) Abtreibung; also durch die Aufstellung b e s o n d e r e r G e f ä h r d u n g s d e l i k t e mit eng umschriebenem Tatbestand (unten §§ 90 bis 94) ;3) 2. Durch die Strafdrohungen gegen die g e m e i n g e f ä h r l i c h e n V e r b r e c h e n , sowie g e g e n d i e F ä l s c h u n g s d e l i k t e , deren Bedeutung allerdings in erster Linie das vermögensrechtliche Gebiet betrifft; 3. Durch eine Reihe von p o l i z e i l i c h e n S t r a f d r o h u n g e n , 94, R 9 131, 26 178. — 3. Dagegen verlangen den Austritt irgendeines Körperteils aus dem Mutterleibe Allfeld 377, Binding Lehrb. 1 37, R 1 446. — 4. Austritt des Kopfes verlangt Heimberger V D Allg. T . 4 72 und Österr. Z. 1 163. — V g l . Ahlfeld Nasciturus 1906. 3) Unter diesen findet sich nicht die Gefährdung durch den Geschlechtsverkehr mit infizierten Personen. Erfolgte Ansteckung kann Körperverletzung (unten § 87). sein; aber der Kausalzusammenhang wird nur selten bewiesen werden können. Gerade deshalb empfiehlt sich die Aufstellung eines Gefährdungstatbestandes. Vgl. V. Liszl Aufsätze 2 471, Weiß Schweizer Z 19 56, Mittermaier V D Bes. T . 4 170, v. Lilienthal und Wulften Reform 2 239, 136, Laupheimer Der strafrechtliche Schutz gegen geschlechtliche Infektion 1914. G E § 274 hat im Anschluß an Ö R E und S R E den Tatbestand unter Strafe gestellt. K E schweigt. Der deutsche Entwurf eines G zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1918 folgt jener Anregung. Über ihn vgl. V. Liszt Z 38 190, Mittermaier Z 39 575, Finger GS 86 105, 276, Campe, Lindenau DStrZ 5 77, 80, Ötker Das Recht 22264. Vgl. Verordnung vom 11. Dezember 19x8 (RGBl S. 1431).
288
§ 8l.
Begriff und Arten der Tötung.
die wegen ihrer ebenfalls weitertragenden Bedeutung an anderer Stelle zu behandeln sind. Das gilt insbesondere auch von der Gewerbeordnung und dem HandelsGB, soweit sie Leib und Leben der gewerblichen Arbeiter usw. zu schützen bestimmt sind.
I. Die $ 81.
Tötung.
Begriff und Arten der Tötung.
Literatur. Lit. zu § 80. Dazu North Die Nothilfepflicht im deutschen Strafrecht usw. Tübinger Diss. 1906. Pedotti Die Unterlassung der Nothilfe mit bes. Berücksichtigung des geltenden und künftigen Schweizer Rechts (Züricher Beiträge 40) 1911. Opitz Die Scheidung der vorsätzlichen Tötungsdelikte usw. Breslauer Diss. 1905. Aschaffenburg bei Aschaffenburg 9 644 (über die Entwürfe).
I. Tötung ist die Z e r s t ö r u n g des m e n s c h l i c h e n Lebens. Gegenstand der Tötung ist mithin das vom Weibe geborene Lebewesen, nicht aber die Leibesfrucht (oben § 80 Note 1). G e g e n s t a n d d e r T ö t u n g kann auch der Handelnde selbst sein 1 ), doch ist nach geltendem deutschen Recht nicht nur der Selbstmord, sondern auch Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmorde straflos (oben §35 Note 11). Bestimmung eines nicht Zurechnungsfähigen zum Selbstmord erscheint als mittelbare Tötung (oben § 50 II). Tötung des Kaisers oder des Landesherrn ist unter Umständen als Hochverrat (StGB §§ 80, 81) der engere Tatbestand; ebenso die Tötung im Zweikampf (StGB § 206). II. Die Handlung besteht in der Verursachung des Todes; doch steht auch hier (oben § 29 II) der Verursachung im strengen Sinne die Veranlassung, also das Setzen einer Bedingung, gleich. Das angewendete Mittel ist gleichgültig. Die Tötung braucht nicht durch körperliche Einwirkung, sie kann durch Erschrecken, Verhinderung des Schlafes usw. erfolgen. Doch schließt das Dazwischentreten der freien und vorsätzlichen Handlung eines anderen hier wie sonst die Verantwortung für den Kausalzusammenhang aus (oben § 29 IV). So ist vom Standpunkte des Rechts Tötimg nicht anzunehmen, wenn A durch fortgesetzte Kränkung oder durch Verleumdung den geistesgesunden B dazu treibt, sich den Tod zu geben. Dem Tun steht das Unterlassen gleich, wenn und s o w e i t die Verpflichtimg zum Handeln besteht (oben § 30); wenn die Mutter durch Nichtunterbindung der Nabelschnur oder durch Unterlassung ') Dagegen Wachenfeld 301.
§ 82.
Die rorsätzliche gemeine Tötung,
Geschichte.
289
der Ernährung den Tod des Neugeborenen veranlaßt, so ist sie der Kindestötung schuldig. Nicht genügend dagegen ist an sich die Verletzung der Nothilfepflicht.2) III. Das RStGB unterscheidet zunächst vorsätzliche und fahrlässige Tötung; innerhalb der ersteren tritt neben die gemeine Tötung die Tötung auf Verlangen und die Kindestötung. § 82.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
Literatur. Mommsen 612. Brunnenmeister Das l o t u n g s v e r b r e c h e n in» altrömischen Recht 1887. Reinbrechi D a s Tötungs verbrechen im altfranzüsischen R e c h t . Heidelberger Diss. 1906. — AUfeld Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Karolina 1877. Frauenstädt Blutrache u n d Totschlagsühne 1881. Brunner 2 627. Knapp 170. Harster (Lit. zu § 8 II) 139. — Wachenfeld Die Begriffe v o n Mord und Totschlag sowie Körperverletzung m i t tödlichem Ausgang in der Gesetzgebung seit der Mitte des 18. J a h r h u n d e r t s 1890. I . Schon das älteste römische Strafrecht f a ß t abweichend von den übrigen indogermanischen Rechten die T ö t u n g auf als ein gegen die öffentliche Rechtso r d n u n g gerichtetes Verbrechen, dessen Verfolgung u n d Bestrafung der privaten Willkür entzogen wird (oben § 7 1 ) ; der unmittelbaren körperlichen Tötung, dem caedere, stellt es schon in dem angeblichen Gesetze N u m a s die m i t t e l b a r e H e r b e i f ü h r u n g des Todes, das m o r t i dare oder m o r t i s causam praebere, in d e r B e s t r a f u n g gleich (vgl. aber auch Pernice Sachdeschädigung 148). Seit Sulla r u h t das römische Recht über Tötungen auf der allerdings nach u n d nach sehr erweiterten Lex Cornelia de sicariis et veneficis (D. 48, 8; C. 9, 16), die d e n B a n d i t e n m o r d sowie das Auflauern in mörderischer Absicht, die Verg i f t u n g (mit ihren Vorbereitungshandlungen), die mörderische B r a n d s t i f t u n g , die Bestechung eines Richters oder eines Zeugen in einem Kapitalprozesse u n d zahlreiche andere Fälle m i t der Interdiktion bedrohte. Später wurden die V o r n e h m e n m i t Deportation und Verlust ihres Vermögens, die Geringeren m i t d e m T o d e bestraft. Als besonders schwerer Fall t r a t das parricidium in veränderter Bedeutung als T ö t u n g der nächsten Verwandten hervor (Lex P o m p e i a von 699 a. u . ; D. 48, 9; C. g, 17), deren eigentümliche Strafe, seitdem Konstantin die Sitte der Vorfahren erneuert hatte, die Säckung m i t Schlange, Affe, H u n d u n d H a h n , der culeus, bildete. Seit Hadrian wird in der B e s t r a f u n g zwischen Vorbedacht u n d impetus zu unterscheiden versucht. D a ß die fahrlässige T ö t u n g als solche b e s t r a f t worden sei, ist unrichtig (oben § 36 N o t e 6). I I . D a s frühere d e u t s c h e M i t t e l a l t e r legt, abweichend v o m römischen R e c h t , d a s H a u p t g e w i c h t auf die Unterscheidung innerhalb der Tötungsfälle. So wird n e b e n dem Verwandtenmord (Lex Rib. 69, 2) u n d der T ö t u n g m i t B r u c h eines besonderen Treuverhältnisses besonders der Unterschied v o n M o r d u n d T o t s c h l a g betont. Mord ist die heimliche, hinterlistige, auf diebische A r t (furtivo modo) vollführte Tötung, gekennzeichnet d u r c h d i e Verbergung des Leichnams; Totschlag die Tötung im offenen, ehrlichen K a m p f e , f ü r die einzustehen der Täter sich nicht scheut. Mord wird m i t wesentlich *) Vgl. S t G B § 360 Ziff. 10. I s t infolge der unterlassenen Hilfe, wie d e r Aufgeforderte vorausgesehen h a t oder voraussehen konnte, der Tod eines Menschen eingetreten, so h a f t e t jener f ü r den Erfolg n u r d a n n , wenn seine Verp f l i c h t u n g z u m T u n nicht n u r durch § 360 Ziff. 10 b e g r ü n d e t w a r . T. L i s z t , Strafrecht. 21. Aull. 19
290
§ 82.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
strengerer Strafe belegt als Totschlag. 1 ) Die Strafverfolgung des T o t s c h l ä g e r s liegt bei der Sippe des Verletzten, wie früher die Blutrache; und bis tief in die Neuzeit hinein steht die Ledigung (Totschlagsühne) in dem Ermessen des Verfolgungsberechtigten, während gegen den flüchtigen M ö r d e r im Mordachtsprozeß die V e r f e s t u n g ausgesprochen wird.2) Die Landfrieden haben vielfach den Totschlag ohne weitere Abstufung mit dem Tode bedroht. Aber noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters findet sich vielfach die alte Auffassung wieder (Schsp. 174). Daneben aber dringt bereits die von den italienischen Juristen ausgebildete Unterscheidung von dolus praemeditatus und ímpetus in die deutschen Rechtsaufzeichnungen ein, mit dem deutschrechtlichen Unterschied sich verbindend und verschmelzend.8) Im allgemeinen werden Mord und Totschlag auch in der Bestrafung unterschieden: für jenen das Rad, für diesen das Schwert (vgl. Ssp. II 13). III. Auf deutscher Rechtsanschauung beruht P G O 137: „Und also, daß der Gewohnheit nach ein f ü r s e t z l i c h e r m u t w i l l i g e r M ö r d e r mit dem Rade, und ein ander, d e r ein T o t s c h l a g (unf ü r s e t z l i c h oder) a u s G ä h e i t u n d Z o r n g e t a n , . . . mit dem Schwert vom Leben zum Tode gestraft werden sollen. Und man mag in fürgesetztem Mord, so der an hohen trefflichen Personen, des Täters eigenen Herrn, zwischen Eheleuten oder nahe gesippten Freunden geschieht, durch etlich Leibstraf, als mit Zangen reißen oder Ausschleifung vor der endlichen Tötung um größerer Furcht willen die Strafen mehren." Danach gehört zum Mord der (überlegte) animus necandi; der Totschlag umfaßt die vorsätzliche Körperverletzung mit tödlichem Ausgange, wie die vorsätzliche Tötung im Affekt. 4 ) Die Vergiftung wird in Art. 130 besonders erwähnt. IV. Die gemeinrechtliche Wissenschaft 6 ) pflegte, ohne sich viel um P G O 137 zu kümmern, innerhalb des homicidium dolosum eine Anzahl von besonders schwer zu strafenden Mordfällen hervorzuheben. Regelmäßig unterschied man: a) P a r r i c i d i u m , Verwandtenmord mit vielfachen Abstufungen in der Bestrafung (schon in Sachsen 1572 4 3, ebenso in Preußen 1620 eingehend behandelt); b) h o m i c i d i u m p r o d i t o r i u m , Meuchelmord (bei Etlgauy Böhmer u. a.); c) l a t r o c i n i u m , Straßenraub (nach Carpzov) oder Raubmord (lucri faciendi causa nach Koch, Engau, Böhmer); d) a s s a s s i n i u m , Banditenmord (nach der 1090 entstandenen politischreligiösen Sekte der schiitischen Mohammedaner wird seit dem zwölften Jahrhundert der Auftraggeber assassinator, der Mörder assassinus genannt); die einfache Zusage straft Preußen 1620 als Totschlag; e) v e n e f i c i u m , der Giftmord. Daneben wurde noch das p r o p r i c i d i u m , der Selbstmord, besonders hervorgehoben (oben § 35 Note 1 1 ) . l ) Dreifaches Wergeid bei den Franken; neunfaches bei Alemannen, Friesen, Bayern, Sachsen; bald auch, bes. in den Kapitularien, der Tod: Cap. 596 (Boretius 16). Vgl. Günther 1 182. ') Noch in der Bambergensis, nicht in der PGO. Sie erhält sich dennoch landesrechtlich über das 17. Jahrhundert hinaus. Ausdrücklich noch Hamburg XÖ03.
3 ) Im Anschluß an I. 11 § 2 D. 48, 19. Vgl. Glosse zum Sachsenspiegel, sowie die Stadtrechte von Straßburg 1249, Frankfurt 1297. ') Über die streitige Auslegung dieses Art. vgl. Binditlg Lehrb. 1 25, Kohler (oben § 9 Note 9) zu Art. 137, Löffler (Lit. zu § 36) 164 (Fürsatz = propositum; Gäheit und Zorn = impetus). Dagegen Wachetlfeld (Fürsatz = Tötungswille); Kollmann Z 34 644 (Fürsatz = Absicht). •) Einteilung bei Clarus: 1. Homicidium simplex: a. necessarium, b. c a suale, C. culposum, d. dolosum; 2. Homicidium deliberatum: a. ex proposito, b. ex insidiis, c. proditorie, d. per assassinium.
§ 83.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
D a s geltende Recht.
Frühzeitig beginnen die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorliegen der Verursachung. Die Sächsischen Konstitutionen 4 4 erwähnen den Irrtum in der Person. Auch die Tötung durch Unterlassung wird ausdrücklich geregelt. Der Begriff des Totschlages wurde unter Verwertung des dolus indirectus (oben § 3 6 II 2 ) , wie in der PGO, auf diejenigen Fälle angewendet, in denen nicht Tötungsvorsatz, sondern lediglich feindselige Absicht (der pravus animus Carpzovs) vorlag. So schon in Preußen 1721 sowie in den österreichischen StGBüchem 1 7 8 7 bis 1 8 5 2 und im ALR 8 0 8 . V. Preußen ALR bedroht als Mörder mit der Strafe des Rades von oben herab den, der mit vorher überlegtem Vorsatz zu töten einen Totschlag wirklich begeht. Daneben werden besonders erwähnt der verabredete und der befohlene Mord (839, 849), Banditenmord (854), Raubmord ( 8 5 5 ) , Vergiftung (856), Verwandtenmord (873). Neue Bahnen schlugen der Code pénal sowie das bayrische StGB 1 8 1 3 ein. Der erstere nennt Mord (meurtre) jede vorsätzliche Tötung; Meuchelmord (assassinat) den Mord mit Vorbehalt oder Hinterhalt (avec préméditation ou guet-apens). Bayern 1 8 1 3 stellt Mord und Totschlag scharf gegenüber; ersteren kennzeichnet Vorbedacht beim Entschluß und Überlegung bei der Ausführung, letzteren die aufwallende Hitze des Zorns. Das englische Recht verwendet noch heute den vorbedachten Vorsatz (malice aforethought), aber mit ausgedehntester Verwertung des dolus indirectus, zur Unterscheidung von murder und manslaughter, VI. Für die heutige Gesetzgebung ist die Unterscheidung von Mord und Totschlag nur darum von Wert, weil sie es ermöglicht, die Todesstrafe auf ein kleines Gebiet der Tötungen zu beschränken. Dabei wird regelmäßig der Unterschied zwischen ü b e r l e g t e r und nicht ü b e r l e g t e r Tötung verwendet. So auch das RStGB im Anschluß an Frankreich 1 8 1 0 , Preußen 1 8 5 1 . Die neueren Gesetzbücher (mit Ausnahme von Norwegen 1 9 0 2 ) und die außerdeutschen Entwürfe haben dieses in der Literatur aller Länder überwiegend bekämpfte Unterscheidungsmerkmal mit Recht zumeist aufgegeben und dem Regelfalle der vorsätzlichen Tötung einerseits eine Reihe von erschwerten Fällen, andrerseits die in heftiger Gemütsbewegung ausgeführte Tötung (Totschlag) gegenübergestellt. VE § 2 1 2 hält an der bisherigen Unterscheidung fest, läßt aber bei Mord mildernde Umstände zu; ebenso GE (der aber in § 2 5 3 die Überlegung durch den „Vorbedacht" ersetzt) und KE. § 83.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
D a s geltende Recht.
Literatur. Lit. zu § 8 0 . — Wachenfeld Die Überlegung in unserem heutigen Mordbegriff 1 8 8 7 . Paul Mayer Die Tötung bei Ausführung eines anderen Delikts. Tübinger Diss. 1 9 0 0 . Katzenstein Z 24 5 0 3 . Merzbach Der Mord und seine Behandlung nach geltendem deutschen Recht. Erlanger Diss. 1 9 0 3 . Erlanger Die materiellrechtliche und prozessuale Bedeutung des § 2 1 3 R S t G B (V. Lil. Heft 4 9 ) 1 9 0 3 . I. Nach dem R S t G B liegt Mord (§ 2 1 1 ) vor, wenn der Täter die v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g m i t Ü b e r l e g u n g ; Totschlag (§ 2 1 2 ) , wenn er sie n i c h t m i t Ü b e r l e g u n g ausgeführt hat. Überlegung setzt voraus, daß die auftauchende Vorstellung des begehrten Erfolges nicht sofort den Entschluß bestimmte, sondern den übrigen Vorstellungen, insbesondere den allgemeinen, unser gesamtes Verhalten beherrschenden Vorstellungen der Religion, 19*
§ 83.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Das geltende Recht.
der Sittlichkeit, des Rechts, der Klugheit, Zeit blieb, sich bei der Fassung des Entschlusses zur Geltung zu bringen. 1 ) Sie bezieht sich daher auf die Entscheidung der Doppelfrage: 1. ob, 2. wie gehandelt werden soll; sie ist ein Merkmal des Entschlusses, nicht aber des Vorsatzes; und die Gegenüberstellung von dolus praemeditatus und dolus repentinus mithin irreführend. Nach dem Gesetz wird Überlegung b e i d e r A u s f ü h r u n g verlangt. Durch diese von dem preußischen S t G B abweichende und an das sächsische sich anschließende Fassung wollte der Gesetzgeber betonen, daß eine Tötung, die mit Überlegung beschlossen, aber ohne Überlegung ausgeführt wurde, nicht als Mord, sondern als Totschlag und umgekehrt eine im Affekt beschlossene, aber überlegt ausgeführte Tötung nicht als Totschlag, sondern als Mord aufzufassen und zu bestrafen sei. Bei näherer Betrachtung stellt sich die Abweichung als unwesentlich dar. In beiden Fällen ist die Ausführung des früheren Entschlusses unterblieben, und die Tötung beruht auf einem n e u e n Entschlüsse. Wir können demnach bestimmen: Mord ist die v o r s ä t z l i c h e ü b e r l e g t e , Totschlag die v o r s ä t z l i c h e n i c h t überlegte Tötung.8) Das Merkmal der Überlegung kann bei dem einen der mehreren Beteiligten vorhanden sein, bei anderen fehlen; dann findet StGB§50 Anwendung (oben § 53 Note 3). Die S t r a f e des Mordes ist der Tod; die des Totschlages Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. II. Milder bestraft wird der Totschlag (StGB § 213), wenn der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (oben § 34 Note 5) zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist ( P r o v o k a t i o n ) , oder wenn andere mildernde Umstände vorhanden sind. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten. A u c h hier bleibt der T o t schlag V e r b r e c h e n ; der Versuch ist daher strafbar. „Mißhandlung und schwere Beleidigung" sind nicht im technischen Sinne zu nehmen, auch Ehebruch gehört unter allen Umständen hierher. — „ A u f der l ) R. 42 262: „wenn der Täter bei der Ausführung in genügend klarer E r wägung über den zur Erreichung seines Zweckes gewollten Erfolg der Tötung, über die zum Handeln drängenden oder von diesem abhaltenden Beweggründe sowie über die zur Herbeiführung des gewollten Erfolges erforderliche Tätigkeit handelte." •) Preußisches S t G B . § 175: „ W e r vorsätzlich und m i t Überlegung t ö t e t " . Ebenso die Mehrzahl der übrigen deutschen StGBücher. D a ß die Fassung des R S t G B eine sachliche Änderung nicht bedeutet, wird von R mit der gem. Meinung bestritten. V g l . auch R M i l G 1 7 129: „ D i e zwar mit Überlegung geplante, aber ohne Überlegung ausgeführte Tötung ist nicht Mord, sondern Totschlag." — Doch bleibt der Wortlaut des R S t G B selbstverständlich für die Fragestellung im schwurgerichtlichen Verfahren sowie überhaupt für die Feststellung im Urteile maßgebend.
§ 84.
Die Kindestötung.
293
Stelle" ist nicht örtlich oder zeitlich aufzufassen, sondern bedeutet, wie im S t G B § 199, die Fortdauer der durch die Kränkung hervorgerufenen Gemütsbewegung. — Die „mildernden Umstände" sind erst während der parlamentarischen Beratung des R S t G B aufgenommen worden. Dadurch entsteht ein unlöslicher Widerspruch zu §§ 216 und 217, welche beide höhere Mindestmaße haben.
III. Schwerer bestrafte Fälle (unter A u s s c h l u ß der Strafmilderung des § 213): 1 . Totschlag bei U n t e r n e h m u n g e i n e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g ( S t G B § 214), u m ein ihrer A u s f ü h r u n g entgegentretendes Hindernis z u beseitigen oder u m sich der Ergreifung auf frischer T a t z u entziehen. 2. Totschlag eines V e r w a n d t e n aufsteigender Linie ( S t G B § 215). S t r a f e : Zuchthaus von zehn bis fünfzehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Noch Preußen 1851 hatte die Todesstrafe angedroht. — „Unternehmung" ist gleich Unternehmen (oben § 46 Note 5).®) — Die unternommene Handlung muß objektiv „strafbar" sein, mag auch für den Täter ein Strafausschließungsgrund (z. B. StGB § 247 Abs. 2) vorliegen. — Das „um . . . z u " bezeichnet die Absicht als Beweggrund. — Auf den nicht verwandten Mittäter oder Teilnehmer findet StGB § 50 Anwendung. V E hat den zweiten, K E auch den ersten Fall gestrichen.
§ 84.
Die Kindestötung.
Literatur. Lit. zu § 80. V. Fabrice Lehre von der Kindesabtreibung und vom Kindesmord. 3. Aufl. (herausgegeben von Weber) 1911. Haberda In den Beiträgen zur gerichtlichen Medizin 1. Band 1911. WehrIi Der Kindesmord 1889. Closmann Die Kindestötung 1889. Wainllid Die Kindestötung. Rostocker Diss. 1905. Schneider Vorsatz und Irrtum bei der Kindestötung. Heidelberger Diss. 1907. Ungar Z 34 1. — Knapp 184. Bode G A 61 430 (über die Bestrafung nach Nürnberger Recht). I. Geschichte. Die K i n d e s t ö t u n g , vom römischen Recht nicht besonders hervorgehoben, wird unter dem Einflüsse der Kirche im deutschen Rechte zu einem besonderen, aber im Gegensatze zu den milden Bestimmungen der Bußbücher (die bereits das Motiv der Ehrenrettung betonen) mit erschwerter Todesstrafe (Lebendigbegraben und Pfählen) bedrohten Verbrechen. Die P G O sucht dieser strengen Auffassung vorsichtig entgegenzutreten, wagt aber nicht, sie zu beseitigen. In Art. 131 bestimmte sie: „Welches Weib ihr Kind, das Leben und Gliedmaß empfangen hätte, heimlicher, boshaftiger, williger Weise ertötet, die werden gewöhnlich lebendig begraben und gepfählt. Aber darinnen Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Übeltäterinnen, in welchem Gericht die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, e r t r ä n k t werden. W o aber solche Übel oft geschehen, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des V e r g r a b e n s u n d P f ä h l e n s um mehrerer Furcht willen solcher boshaftigen Weiber auch zulassen oder aber daß vor dem Ertränken die Übeltäterin mit a) Binding 1 29 und Frank § 214 II rechnen hier nur die letzten Vorbereitungshandlungen zum Unternehmen; nach Schwartz § 214 Note 1 ist Unternehmung — Begehung.
294
§ 84.
Die Kindestötung.
glühenden Zangen gerissen werde." Die Rechtsprechung begnügte sich in Oberdeutschland (wo vielfach, wie in Österreich, das Ertränken überhaupt nicht Sitte war) meist mit dem Schwert; anderswo, wie in Breslau (Z 10 13), vollzog man die Pfählung bis ins 17. Jahrhundert tatsächlich, später bildlich (Günther 1 262, 2 68). Sachsen wandte dagegen den culeus an (Const. Sax. 4 3; noch 1734), der 1714 auch in Preußen eingeführt, hier aber 1740 durch die einfache Enthauptung ersetzt wurde. Frühzeitig aber (schon im Anfange des 18. Jahrhunderts) x) bemächtigte sich die naturrechtliche Literatur der psychologischen Untersuchung des Kindesmordes; sie machte eine Reihe von Milderungsumständen geltend, die die Todesstrafe als ungerecht erscheinen lassen, und legte das Hauptgewicht auf die Vorbeugungsmittel. Rasch folgte die Gesetzgebung; schon ein die Todesstrafe einengendes preußisches Edikt von 1765, dann die Theresiana von 1768, die zwar noch Pfählung des Leichnams vorschreibt, aber doch schon die Verhütung des Kindesmordes in den Vordergrund stellt; in völlig bezeichnender Weise aber das ALR von 1794, nach dem (2 20, 902) die Mutter verpflichtet wird, ihre vierzehnjährige Tochter über die Kennzeichen der Schwangerschaft und die Unterbindung der Nabelschnur zu belehren. Doch finden wir hier (wie im C. pénal 1810) noch immer die Todesstrafe, die erst Österreich 1803 und Bayern 1813 beseitigen. Seither behauptet die Kindestötung in der deutschen Gesetzgebung (anders in England und Frankreich) ihre bevorzugte Stellung, wobei eine Minderzahl von Gesetzgebungen (auch Österreich und die Niederlande sowie die französisch-schweizerischen Gesetzbücher) die eheliche Mutter der unehelich Gebärenden grundsätzlich gleichstellt. Ebenso SRE Art. 103. Die deutschen Entwürfe halten an dem geltenden Recht fest. II. Kindestötung ist die v o r s ä t z l i c h e , sei es überl e g t e , sei es n i c h t ü b e r l e g t e T ö t u n g d e s u n e h e l i c h e n K i n d e s d u r c h d i e M u t t e r in o d e r g l e i c h n a c h d e r G e b u r t ( S t G B § 217). Der Ausdruck umfaßt mithin sowohl den Kindesmord wie den Kindestotschlag. Fahrlässige Tötung ist nach S t G B § 2 2 2 zu bestrafen. III. Gegenstand der Tötung ist das Kind, nicht die Leibesfrucht (oben § 80 Note 1). Und zwar das Kind entweder in d e r G e b u r t , d. h. von dem Aufhören der Plazentaratmung bis zur Lösung der physiologischen Verbindung mit der Mutter (Lösung der Nabelschnur) oder g l e i c h n a c h der Geburt. Lebensfähigkeit des Kindes ist nicht erforderlich. Der Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung durch die uneheliche Mutter liegt in den bei der unehelichen ') Schon in Leysers Meditationen. Servin u. a. verlangen sogar völlige Straflosigkeit. Die 1780 von Dalberg, und Michaelis gestellte Preisfrage nach den besten Mitteln zur Verhütung des Kindesmordes rief dann eine ganze Flut von Schriften hervor. Man vgl. insbes. die 1783 anonym erschienene Schrift von Pestalozzi Über Gesetzgebung und Kindesmord. — Der Kindesmord ist zugleich ein Lieblingsvorwurf der schönen Literatur jener Zeit. Beispiele bieten (von Goethes Urfaust abgesehen) Bürgers Des Pfarrers Tochter von Taubenhain (1781) und Schillers Kindesmörderin (1782). Vgl. Max Koch Helferich Peter Sturz 1879 S. 210. Auf der gegnerischen Seite stand J. Moser (Abeken 1 368, 2 164), der die Milde der neueren Gesetzgebung tadelte.
§ 85.
Die Tötung auf Verlangen.
295
Mutter auftretenden Antrieben zur Tötung des Kindes (Furcht vor Schande, Unterhaltssorgen), die unter dem Einfluß des Gebäraktes gesteigerte K r a f t gewinnen können. Daher findet die mildere Behandlung ihre Grenze mit dem Aufhören dieses Zustandes geminderter Zurechnungsfähigkeit („gleich nach der Geburt"). 2 ) Die Ehelichkeit des Kindes ist ohne jede Rücksicht auf zivilrechtliche Präsumtionen ( B G B § 1 5 9 1 ) zu bestimmen. Der Irrtum der Kindesmutter über die Ehelichkeit bleibt einflußlos. 3 ) I V . Täter kann nur die Mutter selbst sein. Aber nicht nur die unverheiratete, sondern auch die verheiratete Frau, wenn sie unehelich gebiert. Die mildere Behandlung der Kindestötung tritt ein, mag die Kindesmutter in der Form der (unmittelbaren oder mittelbaren) Täterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken, während etwa beteiligte Dritte (Täter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu bestrafen sind (oben § 53 II). V. Strafe: Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter zwei Jahren. 4 ) § 85.
Die Tötung auf Verlangen.
Literatur. Die zu § 35 V und § 80 angeführten Schriften. Garrelts Über die Tötung auf Verlangen. Tübinger Diss. 1896. Wiebeck Der Versuch bei der Tötung auf Verlangen. Rostocker Diss. 1900. Hauptmann Über die Betrafung der Versuchshandlung im Falle des § 216 StGB. Breslauer Diss. 1906. Kahle Der Versuch der Tötung auf Verlangen. Rostocker Diss. 1908. Horn Zur Lehre von der Tötung auf Verlangen 1910. Rupp Das Recht auf den Tod. Straßburger Diss. 1913. Mettgenberg Z 27 564. Leppmann Z 82 515. Hartmann bei Grünhut 27 743. I. Geschichte. Die Tötung des Verlangenden wird schon von der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts lebhaft besprochen. Kreß, Böhmer, Engelhard, später Soden u. a. verlangen mildere Bestrafung gegen Carpzov, Mathäus, Leyser, Willenberg. Preußen 1721 läßt die volle Strafe des 2 ) Gegen den Text Wachenfeld 310, nach dem der Zwischenzustand zwischen Frucht und selbständigem Leben des Neugeborenen berücksichtigt wird (und dennoch: „gleich nach der Geburt" ?). — Von der in der früheren Gesetzgebung sich findenden ziffermäßigen Begrenzung hat das R S t G B mit Recht abgesehen. s ) Oben § 39 Note 10. Die Gegner unterscheiden: 1. Bei irrtümlicher Annahme der Unehelichkeit soll § 217 angewendet werden; so Allfeld 386, Binding Lehrb. 132 und Normen 2 990, Frank § 217 V, Olshausen § 217 5, Wachenfeld 313. — 2. Bei irrtümlicher Annahme der Ehelichkeit soll nach Binding der § 211 (212), nach Alfeld, Olshausen, Wachenfeld 313 der § 217 angewendet werden; Schneider will hier Straflosigkeit. — 8. Mit dem Text Katzenstein 561. *) § 213 bleibt unanwendbar. Dagegen (unter willkürlicher Änderung des Gesetzes) Binding Lehrb. 1 3 3 . — D i e Beerdigung oder Beiseiteschaffung der Leiche eines neugeborenen Kindes bedroht StGB § 367 Ziff. 1. Dagegen kennt das R S t G B das gemeinrechtliche Vergehen der Verheimlichung der Schwangerschaft oder der Niederkunft nicht mehr.
296
§
Die Tötung auf Verlangen.
Totschlags eintreten. ALR 834 dagegen bestraft sie wie Beihilfe zum Selbstmord, also wesentlich milder als die vorsätzliche Tötung. Die Mehrzahl der LandesStGBücher (nicht aber Preußen 1851, Österreich 1852, Bayern I86I> folgt diesem Beispiele, wobei die Schwierigkeit, vielleicht Unmöglichkeit der Abgrenzung von der Beihilfe zum Selbstmord den Ausschlag gab. Die Bestimmung des R S t G B ist dem sächsischen Recht (schon 1838) entnommen. Die deutschen Entwürfe halten sie im wesentlichen fest. I I . Unter R S t G B § 2 1 6 fällt d i e v o r s ä t z l i c h e (überlegte oder nicht überlegte) T ö t u n g , z u w e l c h e r d e r T ä t e r d u r c h das a u s d r ü c k l i c h e u n d e r n s t l i c h e V e r l a n g e n d e s G e t ö t e t e n bestimmt worden ist. Der Tod muß also durch den Dritten, er darf nicht durch den Getöteten selbst verursacht sein. Für die Abgrenzung von der straflosen Beihilfe zum Selbstmord wird der Begriff der Ausführungshandlung (oben § 3 1 I) maßgebend; die Undurchführbarkeit der subjektiven Theorie wird hier augenfällig. Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen (oben § 29 I V ) . Selbstmord liegt also vor, wenn der Getötete z. B. freiwillig im Zimmer geblieben war, nachdem auf sein Verlangen der Dritte die Ofenklappen geöffnet hatte. Erforderlich ist das freie und bewußte Verlangen eines zurechnungsfähigen Menschen. 1 ) Der Entschluß zur T a t muß durch den Getöteten in dem Täter hervorgerufen sein: Einwilligung genügt nicht. Die T a t muß daher auch, wie bei der Anstiftung, dem Willen des Verlangenden in allem Wesentlichen (Zeitpunkt, Tötungsmittel usw.) entsprechen. Irrtum des Täters über das Vorliegen des Verlangens bleibt einflußlos. 2 ) Teilnehmer sind nach § 2 1 6 , Mittäter selbständig zu beurteilen. I I I . Strafe: Gefängnis von drei bis zu fünf Jahren. Wegen der Selbständigkeit des Vergehens bleibt der Versuch straflos,3) kann aber als Körperverletzung strafbar sein, wenn mit dem Tötungsvorsatz ein eventueller Körperverletzungsvorsatz verbunden war.4) Da mildernde Umstände nicht vorgesehen *) Maßgebend die Bestimmungen des StGB (§§ 51, 55 bis 58). Ebenso Schwartz § 216 Note 2. Teilweise abweichend Allfeld 382, Binding Lehrb. 1 35, Frank § 216 II, Wachenfeld 309. *) Vgl. oben § 39 Note 10. Dagegen Allfeld 383, Binding Lehrb. 1 35 und Normen 2 990, Frank § 216IV, Olshausen § 216 4, Schwartz § 216 Note 3, Wachenfeld 309, die § 216 auch in diesem Falle anwenden wollen. 8 ) Ebenso R 28 200 mit der herrschenden Ansicht. Über diese näheres bei Wiebeck. Dagegen Hälschner 2 58, Hiicking GA 85 169, Kohler Studien 1 1 2 8 . — V E § 215 erklärt den Versuch ausdrücklich für strafbar. Ebenso (stillschweigend) GE § 255 sowie (ausdrücklich) K E . *) Vgl. oben § 39 Note 7. — Ebenso R 28 200 (oben Note 3), Beling Z 18 285 u. a. Dagegen Allfeld 384, Binding 1 721, Frank § 216 I I I , Kohlrausch (Lit. zu § 32) 98, Olshausen § 216 5, Mettgenberg (da nach § 43 der Vergehensversuch nicht gestraft werden könne); endlich auch alle diejenigen, die bei körperlicher Verletzung des Einwilligenden Straflosigkeit annehmen/so Wachen feld 310. V 1. unten § 87 Note 4.
§ 86. D i e fahrlässige Tötung. § 87. Körperverletzung. Geschichte u. Begriff.
2tyj
sind, kann unter das Mindestmaß von drei Jahren in keinem Falle herabgegangen werden.*)
§ 86.
Die fahrlässige Tötung.
Literatur. Klee GA 62 3 9 4 . I. Die fahrlässige T ö t u n g , als strafbare Handlung dem römischen Strafrechte auch nach Hadrian fremd (oben § 3 6 Note 6 ) , wird in den Quellen des deutschen Mittelalters und von den Italienern vielfach erörtert. So bringt Art. 1 4 6 PGO, mit seiner freien Übersetzung von 1. 9 § 4 und 1. 11 pr. D. 9, 2, deutsche Rechtsanschauungen im römischen Gewände.1) I I . S t G B § 2 2 2 bedroht den, der „ d u r c h F a h r l ä s s i g k e i t den Tod eines Menschen v e r u r s a c h t " . Diese vorsichtige und doch ungenaue Fassung besagt jedoch nichts anderes als: „Wer fahrlässig einen Menschen tötet". Die oben § 8 1 aufgestellten Sätze finden daher uneingeschränkte Anwendung. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; Gefängnis bis zu 5 Jahren, wenn der Täter zu der von ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seilies Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war.8) Nach allgemeinen Grundsätzen (oben § 2 9 III 2) wild die Zurechenbarkeit des Erfolges durch die mitwirkende Fahrlässigkeit eines Dritten oder des Getöteten selbst nicht berührt. Wohl aber hebt das freie und vorsätzliche Handeln eines Zurechnungsfähigen die Verantwortlichkeit für den Erfolg auf.3)
II.
Die
§ 87.
Körperverletzung. Geschichte und Begriff.
Literatur. Löjfler VD Bes. T. 5 2 0 5 . — Rieger Die Kastration in rechtlicher, sozialer und vitaler Hinsicht 1900. — Menne Die Körperverletzung, insbes. die vorschriftswidrige Behandlung und die Körperverletzung Untergebener (V. Lil. Heft 99) 1909. Saraun Die Tätlichkeit als Begriff und als strafrechtlicher Tatbestand 1 9 1 3 . — Jacobsohn Der gesetzliche Schutz des Kindes gegen körperliche Mißhandlung (v. Lil. Heft 160) 1 9 1 2 . Seidel bei Aschaffen5) So die gem. Meinung. Dagegen Allfeld 3 8 3 , Birtding Lehrb. 1 3 5 , Frank § 2 1 6 III, Garrelts, Hücking GA 35 1 6 9 u. a., die hier das Mindestmaß des § 2 1 3 anwenden wollen, da es sich um einen privilegierten Totschlagsfall handle. ') In Sachsen wurde noch im 1 8 . Jahrhundert im Anschluß an Ssp. 2 1 4 , 1, 2 3 8 , 2 49, 1, 2 6 5 und an die sächsischen Konstitutionen 4 11 bei fahrlässiger Tötung, wenn keine Verurteilung zu Leibesstrafe stattfindet, den verfolgenden Verwandten das Wergeid gezahlt (20 Taler für den Mann, 1 0 für die Frau). Sonst wurde wohl auch eine actio legis Aquiliae utilis gegeben. ') Oben § 4 2 Note 6. — Über ä r z t l i c h e K u n s t f e h l e r vgl. oben § 42 VI. R 60 3 7 hat bei einem Heilverfahren nach den Grundsätzen der „christlichen •Wissenschaft" (Gesundbeten) § 2 2 2 angenommen. Vgl. dazu Holl Z 37 4 7 3 , Weber Z 3» 4 4 . 3 ) Verhältnis zu dem (wesentlich strengeren) § 2 2 6 : § 2 2 2 setzt voraus, daß nicht einmal Körperverletzungsvorsatz vorgelegen hat.
298
§ 87.
Körperverletzung.
Geschichte und Begriff.
bürg 9 197. Über Kinderschutz vgl. auch den Kommissionsbericht zur Vorlage von 1909 in Drucksachen des Reichstags 1909/10 Nr. 392 S. 85. — Mommsen 790. Kohler Studien 4. His (Lit. zu § 8 I) 265. Hörster 154 (Lit. zu § 8 II). I. Geschichte. Der Begriff der Körperverletzung als eines selbständigen Vergehens ist dem r ö m i s c h e n Rechte fremd geblieben. Die Körperverletzung geht hier völlig auf in dem unbestimmten und zunächst nur dem Gebiete des zivilrechtlichen Vergehens angehörigen Begriffe der injuria. Zwar hatten die X I I Tafeln bei membrum ruptum Talion angedroht, wenn ein Vergleich nicht zustande kommen sollte (ni cum eo pacit). Aber schon bei os fractum aut collisum trat Geldstrafe ein (300, bzw. 150 As) und ebenso bei allen übrigen Injurien (25 As). Das prätorische Recht setzte an die Stelle dieser festen Bußsätze die zivilrechtliche actio injuriarum aestimatoria. Auch kann unter Umständen das crimen vis gegeben sein. Zur Zeit des Quästionenprozesses werden drei Fälle der injuria als injuriae atroces mit peinlicher Strafe bedroht: das pulsare, verberare und domum vi introire, von denen nur die beiden ersten unter den heutigen Begriff der Körperverletzung fallen würden. Auch den i t a l i e n i s c h e n Praktikern ist infolgedessen das selbständige Vergehen der Körperverletzung fremd. Anders das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Schon die Volksrechte widmen der Körperverletzung die größte Aufmerksamkeit (oben § 8 S. 35). Ihnen folgen die Quellen des späteren Mittelalters. Meist unterschied man die einfachen Schläge (der römischen Realinjurie entsprechend) einerseits, Blutwunden und Verstümmelungen (Lähmungen, debilitationes) andrerseits. Die ersteren wurden niedergerichtlich, die letzteren (auch im Ssp. und in den Landfrieden) mit dem Verlust der Hand bedroht. Daneben waren das Messerzücken usw. besonders hervorgehoben. Trotz des Schweigens der P G O erhielt sich die deutschrechtliche Auffassung, welche die Körperverletzung als selbständiges Vergehen betrachtete und wenigstens in den schwereren Fällen mit peinlicher Strafe belegte, auch zur Zeit des gemeinen Rechts. Die Wissenschaft hielt an dem Vergehen der violatio corporis oder laesa sanitas fest, auch nachdem die Landesgesetzgebung (so schon Bayern 1616, Preußen 1620) begonnen hatte, die romanistische Anschauung zur Geltung zu bringen. Während noch im A L R die Grenzlinie zwischen Beleidigung und Körperverletzung fast völlig verwischt war, fand letztere selbständige Behandlung im österr. S t G B von 1803, im Code pénal und im bayrischen S t G B von 1813. Auch die neuere Gesetzgebung steht auf diesem Standpunkte, ist aber wenig glücklich in ihrem Bestreben, den Begriff der Körperverletzung schärfer zu fassen und die Strafbarkeit der unter ihn fallenden Verletzungen abzustufen, wobei die Schwere des Erfolges, häufig gemessen an der Dauer der verursachten Krankheit und Berufsunfähigkeit, neben der Art der VerÜbung, und zwar ohne Rücksicht auf das Verschulden des Täters, regelmäßig den Ausschlag gibt. Das gilt auch von dem R S t G B . V E §§ 227 bis 232 hat Tatbestände und Strafrahmen erweitert, bringt aber ebensowenig wie G E §§ 265 ff. oder K E wesentliche Neuerungen. Besondere Bestimmungen zum Zwecke des „Kinderschutzes" enthält die Novelle von 1912.
II. i. Körperverletzung ist d i e (widerrechtliche) Störung der körperlichen Unversehrtheit (der Lebensfunktionen) eines anderen. Sie liegt vor, sobald in den im Augenblicke des Handelns gegebenen körperlichen Zustand störend (sei es schädigend, sei es auch fördernd) eingegriffen w i r d ; sie wird dadurch nicht ausgeschlossen, d a ß sie Mittel zu Heilzwecken ist.
§ 87.
Körperverletzung.
Geschichte und Begrift.
299
Doch muß ein gewisser, grundsätzlich nicht näher zu bestimmender, Grad der Störung verlangt werden.1) Schmerzempfindung ist in keinem Falle nötig. Als Körperverletzung erscheinen mithin: das Stoßen und Schlagen (das pulsare und verberare der Römer), Verwundungen (die coups et blessures des C. pénal), Verstümmelung, Lähmung; das Abschneiden von Haaren, Ausbrechen von Zähnen; Verursachung einer körperlichen oder geistigen Krankheit; Herbeiführen von Erbrechen, Durchfall, Samenerguß; das Berauschen, Betäuben (Chloroformieren), Hynotisieren; Erregung von Schmerz; von Unbehagen, Ekel, Abscheu, Furcht, Schrecken und andere seelische Einwirkungen, vorausgesetzt, daß die Störung keine ganz unbedeutende war; unter derselben Voraussetzung störende Einwirkung auf die Sinne (Katzenmusik, blendendes Licht, Gestank, Kitzeln, Kratzen, unzüchtige Berührung); Verursachung von Hunger und Durst. 3 )
Der Erfolg kann unmittelbar durch die eigene Körperbewegung des Täters oder mittelbar durch Benutzung eines Werkzeuges oder durch Hetzen eines Hundes herbeigeführt sein. Dem Tun steht das pflichtwidrige Unterlassen (Entziehung der Nahrung) gleich. 2. Das R S t G B hat den einheitlichen Begriff der Körperverletzung gespalten in zwei schwer auseinanderzuhaltende Unterbegriffe: k ö r p e r l i c h e M i ß h a n d l u n g und B e s c h ä d i g u n g an der Gesundheit. Erstere liegt vor bei Schlagen, Stoßen und anderen unmittelbaren oder mittelbaren ä u ß e r e n Einwirkungen auf den Körper des anderen; letztere dagegen bei Störung i n n e r e r körperlicher Funktionen. Beide Arten treffen häufig in derselben Handlung zusammen. 3 ) 3. Die Körperverletzung erscheint zugleich als Beleidigung (Tätlichkeit), wenn sie bewußter Ausdruck der Nichtachtung ist. In diesem Falle findet § 73 StGB Anwendung. Auch Löffler 213 verlangt „eine erhebliche und nicht bloß vorübergehende Störung" (ähnlich RMilG 15 145); er wendet sich gegen die weite Fassung m e i n e s Begriffes, gibt aber zu, daß sie dem preuß. S t G B . (1851) entspricht; v o n diesem aber hat das R S t G B sie übernommen. 2) Über die Übertragung von Geschlechtskrankheiten vgl. oben § 80 Note 2. Über künstliche Befruchtung, die stets Körperverletzung ist, vgl. Wassermann D S t r Z 4 140. Über Sterilisation vgl. unten § 88 Note 5. a ) Auch B G B §§ 823ff. unterscheidet „ K ö r p e r " und „Gesundheit". Nach der herrschenden Ansicht (auch R) ist körperliche Mißhandlung: jede nicht unerhebliche Störung des Wohlbefindens sowie die entstellende Beeinträchtigung der Unversehrtheit; Gesundheitsbeschädigung: das Verursachen einer Krankheit, oder deren Förderung. Vgl. R 29 58. Diese Ansicht führt in vielen Fällen, insbes. bei dem vielbesprochenen „Zopfabschneiden", zu ganz unbefriedigenden Ergebnissen. Allfeld 393 und Frank § 223 I betrachten daher, sowie R auch die (im Gesetz nicht erwähnte) Verletzung der Integrität als Unterfall der Körperverletzung. R 32 113 schließt aus dem Begriffe der „körperlichen Mißhandlung" die „bloß psychische Einwirkung" aus, durch die „das seelische Wohlbefinden des anderen affiziert" wird. Die Entscheidung ist (trotz Binding 1 43, Frank § 223 I, Löffler 217, Schwartz § 223 Note 1, Wachenfeld 317) völlig unhaltbar. Das „seelische Wohlbefinden" ist ausnahmslos körperlich gebunden; seine Störung ergreift jedesmal auch das leibliche Leben des Angegriffenen.
§ 88. Die Arten der Körperverletzung.
3°o
4. Der Vorsatz der Körperverletzung kann sich mit unbestimmtem (eventuellem) Tötungsvorsatz verbinden; in dem Vorsatz der Tötung wird jener der eventuellen Verletzung meist mitenthalten sein (oben § 39 Note 7). III. Die allgemeinen Grundsätze über die Widerrechtlichkeit der Handlung und über die Gründe, welche diese ausschließen (oben §§ 32 bis 35), finden auch auf die Körperverletzung uneingeschränkte Anwendung. Dies gilt aber auch von jeder Überschreitung der Berechtigung. Schwierigkeiten bietet, abgesehen von den Eingriffen zu Heilzwecken (oben § 35 Note 5), die Einwilligung des Verletzten (oben § 35 Note 9). Die Bestimmungen des StGB geben keinen Anhalt f ü r die (wenigstens in bezug auf schwere Fälle) unserm Rechtsbewußtsein entschieden widerstreitende ) Vgl. auch oben § 89 Note 3.
§ 92.
3- Der Raufhandel.
Strafe n a c h d e m Verschulden zu bemessen, h a t aber m i t diesen Bemühungen n u r teilweise E r f o l g erzielt. Dies gilt auch von § 227 R S t G B , der zwei wesentlich voneinander verschiedene Fälle u m f a ß t , in dem ersten ein Polizeidelikt zum Vergehen m a c h t u n d in dem zweiten gänzlich ungerechtfertigte Bestimmungen t r i f f t . Die E n t w ü r f e h a b e n den zweiten Fall m i t Recht gestrichen.
II. § 227 Abs. I bedroht die Beteiligung am (gefährlichen) Raufhandel. Wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht wird, so ist jeder, der sich an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist. Demnach ist die B e t e i l i g u n g als solche, wenn die übrigen Voraussetzungen zutreffen, als selbständiges Vergehen strafbar; der Eintritt des Todes oder der schweren Körperverletzung ist zur Bedingung der Strafbarkeit gemacht. S c h l ä g e r e i ist der in Tätlichkeiten ausgeartete Streit zwischen mehr als zwei Personen. A n g r i f f ist gleichbedeutend m i t „tätlichem Angrifi" oder ,,Tätlichkeit" in d e m u n t e n § 96 Note 1 erörterten Sinne. „ B e t e i l i g t " ist jeder, der a n dem Orte u n d zur Zeit des Raufhandels persönlich anwesend ist und, sei es psychisch (wie durch Aufreizung usw.), sei es physisch, m i t w i r k t . Dabei m a c h t es, vorausgesetzt, d a ß sich der Raufhandel als einheitlicher Vorgang darstellt, keinen Unterschied, ob die Mitwirkung vor oder nach j e n e m Zeitpunkte s t a t t f a n d , in d e m Tod oder Körperverletzung verursacht w u r d e n . I s t der Urheber der tödlichen oder schweren Verletzung b e k a n n t , so i s t er nach §§ 2 i i f f . , bzw. 224ff. S t G B zu bestrafen. Der E i n w a n d der N o t w e h r schützt wohl gegenüber diesen Strafdrohungen (auch den, der die Schlägerei begonnen h a t ) 1 ) , nicht aber gegenüber § 227 (soweit der T ä t e r nicht ohne sein Verschulden in den R a u f h a n d e l hineingezogen wurde). Jeder s c h u l d h a f t Beteiligte h a f t e t aus § 227, selbst wenn feststeht, d a ß er die Verletzung nicht 2 verursacht h a t ; insbesondere a u c h der Verletzte selbst. ) Die S t r a f e ist Gefängnis bis zu 3 Jahren. Auf B u ß e ist n i c h t zu erkennen, d a der Schuldige nicht wegen Verursachung des Erfolges, sondern wegen des Sondervergehens der Beteiligung a m R a u f h a n d e l b e s t r a f t wird. 3 )
III. Einen schwereren Fall bedroht der 2. Abs. des § 227 StGB. Er setzt voraus, daß durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, dieser Erfolg aber mehreren (vorsätzlichen, nicht fahrlässigen)4) Verletzungen zuzuschreiben ist, die sie nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen verursacht haben. Hier wäre nach den allgemeinen Grundsätzen jeder, dem eine dieser Verletzungen zur Last fällt, 1) RMilG 18 103. ») Vgl. R 82 33. ) u b e r e i n s t i m m e n d Binding L e h r b . 1 7 8 , Frank § 231 I I , Kriegsmann Dagegen R 30 367. Vgl. o b e n § 89 N o t e 3. ») Ü b e r e i n s t i m m e n d Frank § 227 V, Kriegsmann 236. s
218.
§ 93-
4- Der Zweikampf.
311
nach den §§ 2 2 4 bis 2 2 6 zu bestrafen. S t a t t dessen hat der Gesetzgeber einen b e s o n d e r e n S t r a f r a h m e n aufgestellt, der im V e r gleiche m i t den angegebenen Paragraphen einerseits als unverhältnism ä ß i g mild, andrerseits als ungerechtfertigt streng erscheint. . S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen
N o t e 2. «) Dagegen R 1 350, 16 184; Olshausen § 219 2, Schwartz § 219 Note 3; übereinstimmend m i t dem T e x t AUfeld 390, Binding Lehrb. 1 40, Frank § 219 I I , ötker 268. V g l . a u c h oben § 52 V.
320
§ 94-
5-
Abtreibung.
die Anwendung oder Beibringung der Mittel über das Versuchsstadium nicht hinausgelangt, die Abtreibung a b e r auf anderem Wege erfolgt ist.') Doch k a n n dann § 218 anwendbar sein.
3. Abtreibung durch einen Dritten ohne Wissen oder Willen der Schwangeren (StGB § 220). Mangel der Einwilligung begründet ebenso die Strafbarkeit des äters, der mit Wissen der Schwangeren (etwa gewaltsam) handelt, wie Mangel des Wissens bei erfolgter Einwilligung. S t r a f e : Zuchthaus n i c h t unter zwei J a h r e n ; ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn J a h r e n oder lebenslängliches Zuchthaus. •) So die überwiegende Meinung, insbes. im Anschlüsse an O T , R . gegen Beling Verbrechen 262, Binding Lehrb. 1 40, Olshausen § 2 1 9 3.
Da-
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Reehtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. § 95.
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Literatur. Liepmann, v. Lilienthal VD Bes. T. 4 217, 375. — Hitzig Injuria. Beiträge zur Geschichte der Injuria im griechischen Recht 1899. Mommsen 784. Landsberg Injuria und Beleidigung 1886. Leonhard Der Schutz der Ehre im alten Rom 1902. Thiel Injuria und Beleidigung (v. LH. Heft 62) 1905. Mainzer. Die ästimatorische Injurienklage in ihrer geschichtlichen Entwicklung 1908. Brunner 2 671. Günther 3 1. Hälfte 525. Hörster (Lit. zu § 8 II) 164. — Binding (Lit. zu § 93). v. Bülow GS 46 260, 48 1. v. Bar GS 52 81. v. Volkmann Der Begriff der Beleidigung im Sinne des Abschnitts 14 des R S t G B . Hallische Diss. 1896. Kohler GA 47 1, 98. Friedmann ( f 1901) Das Recht der Wahrheit und der Schutz des guten Namens 1901. Lorsch Angegriffene, Destinatare und Gedankenträger bei der Beleidigung. Freiburger Diss. 1904. Askenasy Strafbare Beleidigung trotz Wahrnehmung berechtigter Interessen 1905. Beling Wesen, Strafbarkeit und Beweis der üblen Nachrede 1909. Bickert Objekt der Beleidigung. Erlanger Diss. 1908. Bleeck Die Majestätsbeleidigung (Berliner Seminarabhandlgn 6, Heft 1) 1909. Rogowski Die komische Beleidigung 1911. Eisler Rechtsgut und Erfolg bei Beleidigung und Kreditgefährdung (V. LiII. Heft 140) 1911. Kern Die systematische Abgrenzung der Verbrechenselemente bei der Beleidigung (v. Lil. Heft 144) 1912. HurwiCZ Z 31 873. Leonhard Z 32 65. Sauer Die Ehre und ihre Verletzung. Berliner Seminarabhdlgn 3. Folge 2 i . H e f t 1913. Givanovitch GA61195. Kronecker Reform2 309; Derselbe D J Z 13449. Steiner Der Ehrbegriff im Strafrecht 1915.—Ambach Kollektivinjurien und Injurien gegen Kollektivpersonen. Würzburger Diss. 1904. Ellenbogen Die Kollektivbeleidigung. Würzburger Diss. 1907. v. Niesewand Die Beleidigungsfähigkeit juristischer Personen. Leipziger Diss. 1909. Siess bei Groß 38 1. Bless Die Beleidigung von Personengesamtheiten und von Einzelpersonen durch eine Gesamtbezeichnung 1909. Hammeley Die Kollektivbeleidigung (v. Lil. Heft 121) 1910. —Mieczkowski Das Delikt des § 189 S t G B . Rostocker Diss. 1901. V. Gemmingen-Fürfeld Zur Lehre der Beleidigung Verstorbener (v. Lil. Heft 66) 1905. — Passow Die Kreditgefährdung des § 187 S t G B in historischer, dogmatischer und kritischer Darstellung (v. Lil. Heft 42) 1902. Doehn Z 21 468. — Bartolomäus z 16 399 (zu S t G B § 193). Hofner Die Ehrverletzungen unter dem Schutze des § 193 S t G B usw. mit besonderer Berücksichtigung der Presse 1903. Baumeister Der § 193 mit besonderer Berücksichtigung der preßrechtlichen Verhältnisse. Heidelberger Diss. 1905. Gütte Die Rechtmäßigkeit der Ehrverletzung gemäß § 193. Heidelberger Diss. 1906. Ulrich Die Wahrnehmung berechtigter Interessen usw. Göttinger Diss. 1908. Kronecker GS 38 481. I . Geschichte. Kaum tritt auf einem anderen Gebiete des Strafrechts der Wechsel der Anschauungen, der nicht nur neue Interessen zu Rechtsgütem T. L i s i t , Strafrecht. 21. Aufl.
21
322
§ 95*
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
stempelt, sondern auch anerkannte Rechtsgüter innerlich umgestaltet, so deutlich zutage, wie auf dem Gebiete der gegen die Ehre gerichteten Vergehen. Was wir heute Ehre nennen, und was der Germane von jeher so genannt hat, ist dem r ö m i s c h e n R e c h t stets fremd geblieben. Ihm war Ehre der Vollgenuß der römischen Bürgerrechte (dignitatis illaesae status legibus ac moribus comprobatus), deren Besitz wie Verlust durch festbestimmte Vorschriften genau geregelt und damit dem verletzenden Angriffe Dritter entzogen war. Wörtliche Schmähung von Mann zu Mann faßte es als klagbare Beleidigung nicht auf (Pernice). Nach dem Zwölftafelgesetze ist injuria nur die handgreifliche Beleidigung (Körperverletzung). Das spätere Recht dehnt den Begriff auf jede beabsichtigte Verletzung der Person aus. Das pulsare, verberare wird in der lex Cornelia de injuriis besonders hervorgehoben; ebenso der gewaltsame Hausfriedensbruch (domum vi introire). Aber jeder Angriff auf die Rechtsstellung kann den Magistrat veranlassen, die Klage zu geben; hervorgehoben wird der Versuch, die freie Frau oder den freien Knaben zur Unzucht zu verleiten (adsectari, appellare, comitem abducere). Nach justinianischem Rechte ist in allen Fällen neben der privatrechtlichen die öffentliche Klage zugelassen (§ 10 J . 4, 4; 1. ult. D. 47, 10). Nur in e i n e m Punkte war das römische Recht von jeher empfindlich gewesen. Schon die X I I Tafeln (oben § 7 I) bedrohten es mit kapitaler Strafe, si qnis occentavisset sive carmen condidisset, quod infamiam faceret flagitiumve alteri. 1 ) Und in der Kaiserzeit waren die Ii b e l l i f a m o s i , die meist anonymen Schmähschriften, mit strenger Strafe bedroht (C 9, 36). Anders das d e u t s c h e R e c h t . Für den Germanen wurzelt die Ehre in der Person und mit dieser in der Anerkennung von Seiten der Genossen. Sie kann durch jedes Wort verletzt, aber sie kann auch, wie durch das Schwert, so durch den Spruch der Genossen und die Ehrenerklärung des Gegners wiederhergestellt werden. Die Volksrechte zählen uns die Scheit- und Schimpfwörter mit den auf sie gesetzten Bußen auf; sie schildern uns die verschiedenen tätlichen Angriffe und ergehen sich in behaglicher Breite über die Unterschiede in den Strafen, welche die unzüchtigen Berührungen einer Frau oder eines Mädchens nach sich zogen. Die Quellen des s p ä t e r e n M i t t e l a l t e r s , insbesondere die Stadtrechte, stehen auf dem gleichen Standpunkte; Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung, neben die Zahlung der Geldsumme oder an ihre Stelle tretend, sollen dem Verletzten Genugtuung gewähren. In schweren Fällen werden aber auch (nichtverstümmelnde) Leibesstrafen, Ausstellung am Pranger, gegen Frauen das Lastersteintragen oder ähnliche Übel verhängt. Peinliche Strafe (an Hals und Hand) ist ausgeschlossen. Die PGO, welche die Regelung der niederen Gerichtsbarkeit sich nicht zur Aufgabe gestellt hatte, erwähnt im Art. 1 1 0 (vgl. aber auch Art. 216) nur die S c h m ä h s c h r i f t (Vorwurf eines Verbrechens) und bedroht diese mit der Talion. Das g e m e i n e R e c h t entwickelt, gestützt auf die Reichspolizeiordnungen, die Lehre vom Pasquill (dem das Schandgemälde, die pictura famosa, gleichgestellt wird) weiter, setzt aber an Stelle der Talion willkürliche Strafe, die in schwereren Fällen bis zur Todesstrafe sich steigern kann. Die Landesgesetzgebung des 16. bis 18. Jahrhunderts überläßt zumeist (abweichend Preußen 1620) die Beleidigung dem Privatrechte und betrachtet nur die schwersten Fälle als landgerichtlich. Die Sächsischen Konstitutionen, auch liier vielfach vorbildlich, heben die Berühmung, mit einer Frau oder Jungfrau geschlafen zu haben, besonders hervor (4 45) und gewähren im übrigen J ) E s handelt sich dabei wohl nicht nur um das Aussprechen von Zauberformeln, sondern auch um das Singen von Schmähliedern.
§ 95-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
323
dem Beleidigten das Recht (4 42), auf öffentlichen Widerruf vor Gericht 2 ) und daneben auf willkürliche Strafe bis zur ewigen Landesverweisung zu klagen, wenn er sich nicht bei der bürgerlichen Klage beruhigen will. Vielfach (besonders in den Duellmandaten) wird die peinliche Privatklage durch amtliche Verfolgung verdrängt; wo jene fortbesteht, verjährt sie (in leichteren Fällen) in einem Jahre. Die neuere Gesetzgebung ist in der Behandlung der Beleidigung wenig glücklich gewesen. Sie hat es nicht verstanden, dem Verletzten eine unserem, vielleicht überspannten, Ehrgefühle entsprechende Sühne zu sichern. Dies gilt auch von unserem R S t G B , das den schwierigen Begriff der einfachen Beleidigung unbestimmt läßt, den Beleidigten auf den dornenvollen Weg der Privatklage verweist und den Wahihei tsbeweis uneingeschränkt auch dann zuläßt, wenn Tatsachen des Familienlebens durch die Tagespresse in die Öffentlichkeit gezerrt wurden. In der Unausrottbarkeit des Zweikampfes liegt der unwiderlegliche Beweis für die Unzulänglichkeit unserer Gesetzgebung (abweichend Liepmann). Der Novellen-Entwurf von 1909 wollte aus guten Gründen nicht nur die Beleidigungsstrafen verschärfen, sondern auch den Wahrheitsbeweis einschränken; die Reichstagskommission vermochte sich aber nicht zu einigen und hat in zweiter Lesung alle Vorschläge abgelehnt. V E §§ 259 bis 266 schlägt neue Bahnen ein. Aus dem einheitlichen Begriff der Beleidigung wird die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen als Uflterfall herausgehoben. Die Strafdrohungen sind wesentlich verschärft. Der Wahrheitsbeweis befreit nicht, wenn die öffentliche Beleidigung Verhältnisse des Privatlebens betrifft, die das öffentliche Interesse nicht berühren. Die Kreditgefährdung ist, als zum unlauteren Wettbewerb gehörend, ausgeschieden. Die Aufrechnung ist gestrichen. Die Bestimmungen über Verfolgung und Bestrafung werden im wesentlichen beibehalten. G E §§ 282ff. und K E haben sich im wesentlichen angeschlossen. Doch stellt K E die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten als besonderen Tatbestand zu der „Verletzung fremder Geheimnisse" (unten § 120).
I I . Der Begriff der Ehre. 1. Ehre im Rechtssinne i s t n i c h t d e r d u r c h H a n d l u n g e n D r i t t e r n i c h t v e r l e t z b a r e i n n e r e W e r t des Mens c h e n , s o n d e r n d e s s e n W e r t u n g d u r c h d i e a n d e r e n ; sie i s t d i e G e l t u n g im U r t e i l d e r M i t m e n s c h e n . 3 ) Ehre ist also zunächst eine Tatsache: die durch die Lebensführung erworbene a ) Über die Versuche, dieses Rechtsinstitut wieder zu beleben, vgl. die Verhandlungen des 28. D J T 1906 (Gutachten von Heljritz) und dazu Graf ZU Dohna VD 1 257 sowie Liepmann und v. Lilienthal. s ) Bestritten. 1. Für die im Text vertretene, heute herrschende Auffassung, besoadeisLiepmann 227(Inbegriff derjenigen Eigenschaften eines Menschen, die zur Erfüllung seiner spezifischen Aufgaben unentbehrlich sind), Allfeld 419, Kern („der hypothetische Ehrenwert"), V. Lilientüal 60, Sauer (die „Verkehrsehre" als das Urteil der Gemeinschaft über die Erfüllung der sozialen Pflichten). — 2. Birkmeyer 1169, Kohler 29 u. a. erblicken das Wesen der Ehre in dem sittlichen Werte (der Menschenwürde). Dagegen RMilG 8 132. — 3. Nach Binding Lehrb. 1 135, 141 ist Beleidigung nicht Ehrverletzung, sondern Verletzung des Willens, der auf Ehre hält; anders 1 726. — 4. Ähnlich V. Bar, Wachenfeld 353 (Verletzung des Ehrgefühls) und (abweichend von seiner früheren Ansicht) Frank 14. Abschnitt I (Verletzung des Ehrbewußtseins und Ehrgefühls). 21*
§ 95.
324
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Achtung, die soziale Stellung. Ehre bedeutet aber weiter das Interesse des einzelnen, seiner Lebensführung gemäß geachtet zu werden. Diesem Interesse entspricht die Rechtsordnung nur negativ; nicht durch Gewährung eines Anspruchs auf Achtung, sondern durch das Doppelverbot, der eigenen Mißachtung eines anderen Ausdruck zu geben oder für die Mißachtung des anderen durch Dritte die tatsächliche Unterlage wahrheitswidrig zu schaffen (unten III). Die Geltung aber beruht auf der Anerkennung a) des s i t t l i c h e n W e r t e s (der „Menschenehre"); b) der Erfüllung der durch die Stellung auferlegten Pflichten (des s o z i a l e n W e r t e s ) , sowie des Besitzes derjenigen körperlichen und geistigen Eigenschaften und Fähigkeiten, ohne welche die Erfüllung der übernommenen Pflichten unmöglich ist (der „sozialen Ehre"). Aus dieser für den Begriff der Beleidigung grundlegenden Auffassung folgt die Berechtigung des Begriffs der Standesehre, erklärt sich die ausgezeichnete Stellung der Majestätsbeleidigung (unten § 168). Nach ihr kann zur Ehre auch der K r e d i t (die w i r t s c h a f t l i c h e Seite der Ehre) gerechnet werden, d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Kreditnehmenden. Doch wird der Kredit richtiger zu den vermögensrechtlichen Interessen gestellt. 4 ) 2. Träger des Rechtsgutes der Ehre kann nur d e r l e b e n d e M e n s c h sein. Der Verstorbene ist nicht mehr Rechtssubjekt. Die sog. Beleidigung Verstorbener ist mithin in Wahrheit stets Beleidigung der Überlebenden; und zwar nicht der e i n z e l n e n , etwa antragsberechtigten F a m i l i e n g l i e d e r , sondern der F a m i l i e selbst als Gesamtpersönlichkeit. 6 ) Beleidigung ist dagegen möglich gegenüber dem K i n d e , aber nur, sobald es in irgendeinen Pflichtenkreis, etwa der Schulpflichten, eintritt und das Bewußtsein dieser Pflichten besitzt. Sie ist auch möglich gegenüber dem G e i s t e s k r a n k e n ; einerseits im Hinblick auf 'en früheren Zustand geistiger Gesundheit (Behauptung 4)
Ebenso die herrschende Meinung. Vgl. unten § 96 IV. Bestritten. 1. Ebenso Hälschner 2 199. — 2. Beleidigung des Verstorbenen nehmen an: Amsler Die Möglichkeit einer Injurie an Verstorbenen. Züricher Diss. 1871, Hirschberg (Lit. zu § 2) 125, teilweise Liepmann 340 (Rufgefährdung). — 3. Nach der überwiegenden Ansicht soll S t G B § 189 das „Pietätsgefühl" der Angehörigen schützen. Vgl. Misch (Lit. zu § 117) 96. Diese, auch in der Begründung des S t G B wie des V E vertretene Ansicht, wird durch die Stellung des § 189 (daher Anwendbarkeit des § 193 usw.) widerlegt. Richtig Wachenfeld 367. — 4. Nach Frank § 189 I wird sowohl die Familienehre als auch das Pietätsgefühl verletzt. 5)
§ 95'
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
32S
ehrenrühriger Tatsachen aus seiner Vergangenheit), andrerseits wegen der vielleicht nur teilweisen Umnachtung des Geistes.8) Ebenso ergibt sich aber aus dem Begriffe der Ehre die, auch von der gesamten älteren Literatur gezogene, Folgerung, daß nicht nur der einzelne, sondern auch die Individuengruppen, soweit sie als G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t nach den Vorschriften des Rechts begründet sind, Träger des Rechtsgutes „Ehre" und als solche Gegenstand der „Beleidigung" sein können. Das Reichsstrafrecht hat freilich diese Folgerung nicht gezogen. Von besonderer Anordnung abgesehen, schützt es nur die Ehre des e i n z e l n e n , nicht die der Körperschaft. 7 ) Ausnahmen enthalten: a) StGB §§ 196, 197: Beleidigung von Behörden und politischen Körperschaften; b) StGB § 187: Gefährdung des Kredits von Handelsgesellschaften; c) StGB § 189: Schutz der Familienehre. Dazu käme noch d) § 166: Beschimpfung von Religionsgesellschaften (darüber unten § 118). Für die Klageerhebung ist StPO § 414 Abs. 3 maßgebend. Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Beleidigung von G e s a m t p e r s ö n l i c . h k e i t e n ist die andere Frage nicht zu verwechseln, ob und inwieweit Einzelpersonen durch G e s a m t b e z e i c h n u n g beleidigt werden können. Eine derartige Bezeichnung, wie die „Geistlichkeit Berlins" oder „die braunschweigschen Leutnants", muß als genügend erachtet werden, s o b a l d durch sie einzelne Personen in erkennbarer Weise bezeichnet sind, mag es auch zweifelhaft bleiben, w e l c h e einzelne Person gemeint ist. Dagegen würden a l l g e m e i n e Bezeichnungen, wie „die Juden", „die Deutschfreisinnigen", „die Börsianer", „die Professoren", nicht geeignet sein, eine Beleidigung zu begründen.8) 6) Bestritten. 1. Mit dem Texte im wesentlichen Frank 14. Abschn. I I . — 2. Die gem. Meinung nimmt die Möglichkeit einer Beleidigung in beiden Fällen
an; so R 27 366, Allfeld 422, Binding
Lehrb. 1 139, Kohler 140, Olshausen
§ 185 7, SchwartZ § 185 Note 4. — 3. V. Bar 182 stellt sie für beide in Abrede. — 4. Unklar Liepmann 344, der mit dem Begriffe der „allgemeinen Menschenehre" operiert. — 5. Wachenfeld 354 stellt auf die Fälligkeit ab, den Schmerz zu empfinden. — Wird die Handlung (auch die Tätlichkeit) nur in Gegenwart des Betroffenen selbst vorgenommen, so kann von Beleidigung hier wie stets nur dann die Rede sein, wenn der Ausdruck der Nichtachtung von dem Betroffenen verstanden werden kann. Dagegen freilich R 29 398, R M i l G 14 72. Der Satz „ P a t i quis injuriam etiamsi non sentiat potest" (1. 3 § 2 D . 47, 10) ist mithin zweifellos einseitig. — Das im Texte Gesagte gilt auch für die Majestätsbeleidigung . ') 1. So die gem. Meinung; auch Liepmann 350 und Bgr. 720. — 2. D a gegen van Calker D JZ 7 277 (Beleidigung einer Zeitung), Frank 14. Abschn. II, Hammeley, Hurwicz, Kohler 1 4 1 , v. Niesewand, besonders aber Rosenfeld (oben § 43 Note 6) 101, welche die Beleidigungsfähigkeit wenigstens bei juristischen Personen und ihnen gleichgestellten Körperschaften allgemein annehmen. — 3. V. Bar 189, Binding Lehrb. 1 140, Wachenfeld verneinen sie grundsätzlich. 8) R 23 247. Sehr bedenklich dagegen R 31 185 (Beleidigung der
326
§ 95-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
III. Die H a n d l u n g . Beleidigung ist im allgemeinen j e d e r A n g r i f f auf d i e E h r e e i n e s a n d e r e n . Dabei haben wir zu unterscheiden: 1. Die Ehrverletzung a l s A u s d r u c k d e r N i c h t a c h t u n g (also des eigenen Urteils über den Unwert des anderen). Sie umfaßt: a) Das Absprechen des sittlichen und sozialen Werts (sei es mit, sei es ohne Anführung bestimmter ehrenrühriger Tatsachen), sowie das Absprechen der zur Ausübung des Berufs erforderlichen geistigen wie körperlichen Eigenschaften und Fähigkeiten (nicht aber die Kritik einzelner Leistungen). b) Jedes andere die Mißachtung zum Ausdruck bringende Benehmen, so Schimpfworte und Tätlichkeiten (Realinjurien), grobe Scherze9) (Karikaturen, Verspottungen), schwere Unhöflichkeiten (nicht einfache Verletzung des gesellschaftlichen Anstands), die Zumutung unsittlicher Handlungen, Behauptung ehrenrühriger Tatsachen. Innerhalb der Ehrverletzung kennzeichnet sich die B e s c h i m p f u n g durch die Roheit der Form und die Schwere der Nichtachtung; 10 ) sie kann durch Äußerungen wie durch andere Handlungen erfolgen. 2. Die Ehrgefährdung (Rufgefährdung) als d i e B e h a u p t u n g u n w a h r e r e h r e n r ü h r i g e r T a t s a c h e n (Verleumdung und üble Nachrede). Schließt die Behauptung ein eigenes Urteil des Behauptenden in sich, so ist die Ehrgefährdung z u g l e i c h Ehrverletzung. 11 ) Dem Tun steht die U n t e r l a s s u n g (Nichtannahme der dargebotenen Hand, Nichterwiderung des Grußes) gleich, soweit das Tun als rechtlich geboten (oben § 30) erwartet werden durfte. Der durch die Handlung bewirkte E r f o l g besteht darin, daß ein anderer, sei es der Beleidigte, sei es ein Dritter, mit Willen des Täters von dem Ausdruck der Nichtachtung oder der ehrenrührigen Behauptung Kenntnis nimmt. In diesem Augenblicke tritt die V o l l „Deutschen" in den gemischtsprachigen Bezirken), 38 4 6 (Beleidigung der „Großgrundbesitzer"); RMilG 12 258 (Offiziere und Unteroffiziere eines Regiments) . Gegen die Ausdehnung: Frank 1 4 . Abschn. III, Liepmamt 350, Schwartz § 1 8 5 Note 4 . ») Vgl. R 12 140. Dagegen Liepmantt 2 7 0 . Vgl. besonders Rogowski. 10 ) Vgl. R 28 403. Noch weiter R 31 305 (es genügt der Charakter der behaupteten Tatsachen). Beling Z 18 2 8 5 verlangt den Ausdruck niedriger Gesinnung. u ) Vgl. unten § 9 6 Note 3. Ähnlich wie im Texte V. Lilienthal V D Bes. T. 4 3 7 5 . — Kohler GA 47 1 0 faßt dagegen die Beleidigung in allen Fällen als abstraktes Gefährdungsverbrechen auf. Ebenso Liepmantl 3 6 8 : Beleidigung ist jede „Behandlung, die g e e i g n e t ist, einem Menschen diesen spezifischen Wert für sein eigenes Bewußtsein (Ehrenkränkung) oder das Urteil Dritter (Rufgefährdung) abzusprechen". Ähnlich van Calker 9 1 .
5.
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
327
e n d u n g ein. Das gilt für die mündliche wie für die schriftliche Beleidigung. Bei Übergabe eines Schriftstückes an die Post oder die Telegraphenanstalt oder an den Setzer darf weder ohne weiteres angenommen werden, daß diese Personen den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen haben, noch darf die tatsächlich erfolgte Kenntnisnahme als gleichgültig behandelt werden. Der V e r s u c h der Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar. Nur die vorsätzliche Beleidigung ist strafbar. Der V o r s a t z besteht aber auch hier lediglich in der Kenntnis von der beleidigenden Bedeutung der Handlung. Eine darüber hinausgehende A b s i c h t (animus injuriandi) ist nicht erforderlich. IV. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit und deren Wegfall (oben §§ 32 ff.) beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigung. Insbesondere wird durch die E i n w i l l i g u n g des Verletzten nicht die Rechtswidrigkeit der Beleidigung ausgeschlossen, da die Ehre kein verzieh tbares oder veräußerliches Recht ist; 1 2 ) wohl aber wird es in diesem Falle zumeist an dem Begriffsmerkmal der Mißachtimg sowie an dem erforderlichen Vorsatz fehlen. Dagegen entfällt die Rechtswidrigkeif der Beleidigung, sobald der Handelnde zur Vornahme der Handlung b e r e c h t i g t , oder diese d a s a n g e m e s s e n e M i t t e l z u r E r r e i c h u n g e i n e s a n e r k a n n t e n Z w e c k e s (oben §§ 32 II, 35 II 5) gewesen ist. § 193 soll diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele erläutern, hat aber eben dadurch die Rechtsprechung vielfach irregeführt. Sachlich hat die Sondervorschrift des § 193 die gleiche Wirkung, als wenn das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Tatbestand der Beleidigung ausdrücklich, und zwar schlechthin, aufgenommen worden wäre (vgl. oben § 41 I I I i). 1 3 ) § 193 bestimmt: „Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur i n s o f e r n s t r a f b a r , als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht." «) Dagegen Binding 1 725, Frank 14. Abschn. IV. GE § 287 schließt bei Einwilligung des Verletzten das Antragsrecht aus. ls ) Ähnlich schon das gemeine Recht. — 1. Gegen die im Text vertretene Ansicht von der rein deklaratorischen Bedeutung des § 193 Allfeld 424, Binding Lehrb. 1 152, Frank § 193 I, wohl auch SchwartZ § 193 Note 1, die hier einen Fall der Interessenkollision annehmen. — 2. Richtig dagegen insbes. V. Bar 170, Hälschner 2 184, oishausen § 193 1, im wesentlichen auch Wacfl€nf€ld 358. Vgl. auch R 15 15. — § 193 muß für den Täter gegeben sein, wirkt aber dann auch zugunsten der Teilnehmer; R 29 6.
328
§ 95.
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Zu den im Gesetz erwähnten „ähnlichen Fällen" gehören alle diejenigen, die unter den Grundgedanken des § 193 fallen; beispielsweise sind zu nennen: die Erfüllung der Zeugenpflicht; die Ausstellung eines Dienstzeugnisses; eine im guten Glauben erfolgende Anzeige bei der Behörde; tadelnde Urteile über militärische oder amtliche Leistungen, soweit diese öffentlich stattfinden (Truppenschau, Schwurgerichtssitzung, Geschäftsführung der verantwortlichen Minister); Mitteilungen des Arztes an das Familienhaupt über Krankheiten der Familienmitglieder (vgl. unten § 120 I I I ) ; kaufmännische Auskünfte überhaupt und insbesondere streng sachliche Mitteilungen der sog. „Auskunftsbureaus" an ihre Mitglieder über zahlungsunfähige oder säumige Schuldner 1 4 ) usw. In allen Fällen genügt die Zweckbestimmung der Handlung; Eignung zur Erreichung des Zweckes ist nicht erforderlich. 16 ) Die „Wahrnehmung berechtigter Interessen" d r i t t e r Personen fällt unter § 193 S t G B , wenn und soweit der Handelnde zu der Wahrnehmung b e r u f e n war, wenn auch nicht gerade durch Rechtspflicht (sondern durch nahe Beziehungen als Freund, Kollege, überhaupt aus sittlich gerechtfertigten Beweggründen), und wenn er die Äußerung zum Zwecke der Wahrnehmung dieser Interessen gemacht hat. 1 ') Ein besonderer Beruf der P r e s s e , fremde Interessen wahrzunehmen, besteht nicht; auch der Redakteur n»uß durch persönliche Beziehungen zur Wahrnehmung berechtigt sein. E s ist jedoch (im Gegensatze zum Reichsgericht) daran zu erinnern: 1. daß auch der Redakteur, wie jeder Staatsbürger, zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen persönlich berufen ist; 1 7 ) 2. daß der allgemeine Zusatz „ähnliche F ä l l e " auch dort zutreffen kann, wo eine „Wahrnehmung berechtigter Interessen" geleugnet werden muß. Durch die Schlußworte des § 193 wird der ebenfalls selbstverständliche Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß mit jeder Überschreitung der Berechtigung nach Inhalt oder Form das Gebiet des rechtswidrigen Handelns wieder betreten wird. Von der „Absicht" zu beleidigen, ist aber auch in diesen Worten nicht die Rede; das Bewußtsein der Überschreitung genügt. § 193, der überhaupt keinen neuen Rechtssatz ausspricht, findet auf a l l e Arten der Beleidigung (mit Ausschluß der Tätlichkeiten), insbesondere auch auf die V e r l e u m d u n g Anwendung. Wenn auch eine B e r e c h t i g u n g zur Verleumdung nur ganz ausnahmsweise gedacht werden kann, so darf doch die Möglichkeit einer solchen grundsätzlich (man denke an einen Fall der Notwehr oder des Notstandes) nicht geleugnet werden. 18 ) 1 4 ) Ü ereinstimmend R 37 104, 38 131. — Vgl. R 31 194 (Anbieten eines Geschenkes für eine nichtpflichtwidrige Handlung eines Beamten). 16 ) Ebenso RMilG 15 30, 45, 16 142, 17 27. Gleichgültig ist das Motiv der Äußerung. Vgl. R in J W 46 233 mit Anmerkung von V. Liszt. " ) Übereinstimmend im allgemeinen (im Anschluß an Bülow G S 46 261) R , zuletzt 30 41, 46 151 (Parteiinteresse genügt nicht), 47 170 (nahe persönliche Beziehung erforderlich). RMilG 6 155, 11 6, 250. Unsicher R in J W 45 15365 vgl. dazu Anmerkung von V. Liszt. Dagegen lassen die Wahrnehmung fremder Interessen uneingeschränkt zu: Frank § 193 I I I , Kohler 101. Vgl. auch B G B § 824 I I . " ) R 25 363 gibt zu, daß der Redakteur als Gemeindeangehöriger ein individuelles Interesse an Gemeindeangelegenheiten haben kann. Aber warum nicht auch als Staatsbürger an allgemeinpolitischen Angelegenheiten ? Vgl. v. Lilienihal V D 4 410 sowie R 39 399. " ) Übereinstimmend R 16 139, 34 222, 48 414 (vorausgesetzt, daß sie zum Zweck der Rechtsverteidigung begangen ist), RMilG 16 49; Allfeld 426, Frank § 193 I I , Olshausen § 193 2, Schwartz § 193 Note 2. Dagegen Binding
§ 96.
§ 96.
Die Arten der Beleidigung.
329
Die Arten der Beleidigung.
I. Ehrverletzung ( S t G B § 185) oder Beleidigung i. e. S. i s t d e r A u s d r u c k e i g e n e r M i ß a c h t u n g (oben § 95 III 1), m a g er in der F o r m eines Urteils oder in der F o r m einer das Urteil in sich schließenden Tatsachenbehauptung, d e m Betroffenen oder D r i t t e n gegenüber, erfolgen. Die Ä u ß e r u n g e n : ,,Du bist ein B e t r ü g e r " und ,,Du hast mich betrogen" sind strafrechtlich von durchaus gleicher Bedeutung. Immer aber m u ß es sich u m e i n U r t e i l d e s B e l e i d i g e n d e n s e l b s t , nicht nur u m die Herbeis c h a f f u n g der Grundlage für das Urteil anderer handeln. Darin liegt der Unterschied der Beleidigung im engeren Sinne von der R u f g e f ä h r d u n g (Verleumdung und üblen Nachrede). B e i der Beurteilung der Frage, ob ein Ausdruck der Nichtachtung vorliege, ist die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, d a s persönliche Verhältnis der Beteiligten, nicht etwa ein allgemeiner M a ß s t a b zugrunde zu legen. S t r a f e : a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn mittels einer T ä t l i c h k e i t , d. h. mittels eines gegenwärtigen körperlichen Angriffs 1 ) begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der verschiedene Vorsatz scheidet tätliche Beleidigung und Körperverletzung; ist (was wohl in der Regel der Fall sein dürfte) das Bewußtsein vorhanden, daß die Handlung nach b e i d e n Richtungen hin von Erfolg sein werde, so gibt nach allgemeinen Grundsätzen (StGB § 73) der höhere Strafsatz den Ausschlag.
II. Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede ( S t G B § 186) ist d a s B e h a u p t e n o d e r V e r b r e i t e n v o n n i c h t e r w e i s l i c h w a h r e n T a t s a c h e n in B e z i e h u n g auf e i n e n a n d e r e n , d i e d i e s e n v e r ä c h t l i c h zu m a c h e n oder in der ö f f e n t lichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind. 1. Die üble Nachrede bildet den Gegensatz zum Aussprechen des eigenen, wenn auch auf Tatsachen gestützten Urteils. Sie ist nicht Verletzung, sondern Gefährdung der Ehre (Rufgefährdung), nicht A u s d r u c k der Mißachtung, sondern Mitteilung der tatsächlichen Grundlage, die a n d e r e zur Mißachtung veranlassen kann. Sie k a n n d a h e r nicht g e g e n ü b e r d e m Betroffenen, 2 ) sondern nur in b e z u g auf ihn dritten Personen gegenüber begangen werden, und sie ist v o l l e n d e t m i t der B e h a u p t u n g oder Verbreitung der Tatsache, d. h. sobald die Tatsache zur Kenntnis einer dritten Person gebracht ist. Daher ist ferner — im Gegensatze zu d e m oben Lehxb. 1 155, Hälschner 2 186, Kohler 103, v. Lilienthal Z 20 445 und V D 4 412. V E § 263 und G E § 284 sowie K E schließen die Anwendung aus. ») Übereinstimmend R 28 32; Allfeld 429, Frank § 185 IV, Liepmann 311. Dagegen u. a. Olshausen § 94 2. Der fehlgehende Peitschenhieb ist vollendete tätliche Beleidigung wie der geraubte Kuß. ») Ebenso R 7 285, 29 40.
330
§ 96.
Die Arten der Beleidigung.
unter i Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, f ü r welche die Ä u ß e r u n g berechnet ist, sondern die des unbefangen urteilenden, von jedem Kastengeiste freien Richters maßgebend. E n t h ä l t die Tatsachenbehauptung zugleich den Ausdruck eigener Mißachtung, so ist Idealkonkurrenz von § 186 mit 185 anzunehmen. 3 ) 2. Der Begriff der Tatsache wird hier wie beim Betrug durch einen doppelten Gegensatz bestimmt. Tatsache ist zunächst nur, was der Gegenwart oder der Vergangenheit, nicht aber, was der Z u k u n f t angehört. Dabei sind die Behauptungen des Beleidigers m a ß g e b e n d ; auch etwas Unmögliches kann als Tatsache hingestellt werden. Tatsache ist aber nur, was der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist. Dieser stellt die herrschende Ansicht m i t Recht die Selbstbeobachtung gleich; sie rechnet zu den Tatsachen auch A n sichten und Absichten (z. B . gewinnsüchtige Absicht). 4 ) Die T a t sache ist b e h a u p t e t , wenn sie als Gegenstand eigenen Wissens hingestellt w i r d ; sie ist v e r b r e i t e t , wenn sie als Gegenstand fremden Wissens einem anderen mitgeteilt wird. 5 ) Der Ausdruck „ V e r b r e i t u n g " bedeutet also hier nicht wie sonst (unten § 109 Note 5) Zugänglichmachen an einen nicht begrenzten Personenkreis, sondern schließt auch die ohne den Vorsatz der Weiterverbreitung gemachte, ja selbst die streng vertrauliche Mitteilung in sich. D i e Tatsache m u ß geeignet sein, den anderen, wenn auch nur bei e i n z e l n e n , v e r ä c h t l i c h z u m a c h e n , d. h. ihm die A c h t u n g gänzlich zu entziehen; oder aber, ihn i n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g (bei einem nicht begrenzten Personenkreis) h e r a b z u w ü r d i g e n , d . h. die A c h t u n g vor ihm zu schmälern. D a ß diese Wirkung tatsächlich erfolgt sei, ist nicht erforderlich. Der V o r s a t z des Täters m u ß diese Eignung, sowie die B e ziehung der Tatsache auf den anderen umfassen. 3. D a s Gesetz verlangt nicht Unwahrheit, sondern Nichterweislichkeit der behaupteten Tatsache. Wie die Fassung d e s Nebensatzes ergibt, ist die Nichterweislichkeit der Tatsachen (und zwar i m Augenblicke der Hauptverhandlung) eine außerhalb d e r verbrecherischen Handlung liegende Bedingung der Strafbarkeit (oben § 44 III). D a r a u s folgt, d a ß der Vorsatz des Täters sich nicht auf die „Nichterweislichkeit" zu erstrecken braucht, d a ß mithin, ') § 192 entscheidet die Streitfrage im Sinne des Textes. Ebenso Frank § 186 I. Dagegen Liepmänn 278, Schwartz § 186 Note 9, R 41 61, RMilG ift 249, die § 186 als Unterfall des § 185 betrachten. *) So die gem. Meinung: Frank § 186 I, Hegler V D Bes. T 7 420, Liepmann 255, v. Lilienthal 492; auch R, zuletzt 24 300 (für StGB § 131), 24 105 (für § 263). Vgl. unten § 139 II 1. *) Vgl. RMilG 19 295. Auch, wenn die Tatsache etwa als „unglaublich" bezeichnet wurde; R 38 368.
§ 96.
Die Arten der Beleidigung.
331
trotz irriger Annahme der Erweislichkeit oder trotz einer Nichterweislichkeit, die ohne Verschulden des Täters infolge äußerer Umstände, z. B . des Todes der Augenzeugen, eingetreten ist, der Tatbestand des § 186 gegeben sein kann. 6 ) 4. Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; — b) wenn a) ö f f e n t l i c h , d. h. so, daß die Behauptung einem individuell nicht bestimmten und begrenzten Kreise von Personen zugänglich war,') oder ß) durch V e r b r e i t u n g von S c h r i f t e n , Abbildungen oder Darstellungen begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der Begriff der Verbreitung ist hier i m technischen Sinne (unten § 109) zu nehmen.
I I I . Die Gefährdung der Ehre durch Verleumdung8) (StGB § 187) unterscheidet sich von der üblen Nachrede dadurch, daß x. an die Stelle der „nicht erweislich wahren" Tatsachen „ u n w a h r e T a t s a c h e n " (und zwar unwahr im Augenblicke der Behauptung) treten; daß 2. der Täter „ w i d e r b e s s e r e s W i s s e n " handelt. 9 ) Im übrigen deckt sieh der Tatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede. S t r a f e : Gefängnis geführten erschwerenden Monate. Bei mildernden fängnis ermäßigt oder auf
bis zu zwei Jahren; wenn die oben II zu 4b anUmstände vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Umständen kann die Strafe bis auf einen Tag GeGeldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden.
IV. Gefährdung des Kredits durch Verleumdung (StGB § 187) ist die wider besseres Wissen in Beziehimg auf einen anderen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen, die dessen Kredit (oben § 95 I I 1 a. E.) zu gefährden geeignet 10 ) sind. Durch e ) So die gem. Meinung, wenn auch mit unsicherer Begründung; insbes. R, zuletzt 19 386; RMilG 13 1 2 1 . Übereinstimmend Kern 21. Abweichend Binding Lehrb. 1 159, Beling (1909) 5, van Calker 92 (der eine lediglich prozessuale Bestimmung annimmt). Vgl. Scheibler Das Schuldmoment bei der üblen Nachrede. Würzburger Diss. 1905. ') Lutz Der Begriff der Öffentlichkeit im R S t G B . Gießener Diss. (V. Lil. Heft36) 1901. Ganssioser Der Begriff der Öffentlichkeit im Strafrecht. Münsterer Diss. 1909. /foU Der Begriff der Öffentlichkeit im R S t G B . Erlanger Diss. 1910. ') Seit Feuerbach und Grolmann als „Rufgefährdung" von der Beleidigung als „Ehrenkränkung" unterschieden und als Vorwurf rechtswidriger, bzw. in der Meinung des Publikums herabsetzender, H a n d l u n g e n bestimmt. — Gegen die hier vertretene Auffassung: 1. Diejenigen, die die Beleidigung a l l g e m e i n als Ehrgefährdung bestimmen (oben § 95 Note 11). — 2. Diejenigen, die auch in der Verleumdung eine Ehrverletzung erblicken; so V. Bar 97, Binding Lehrb. 1 159 (Beleidigung qualifiziert durch Rufgefährdung), Wachenfeld 361 u. a. Aber das Untergraben der Ehre ist noch keine Verletzung der Ehre, wenn auch verwerflicher und strafbarer als diese. Auch der Ausdruck „Kreditgefährdung" spricht nicht für die Gegner. ') Eventueller Vorsatz genügt nicht. Ebenso die gem. Meinung (vgl. oben § 39 Note 6). — Über das Verhältnis der Verleumdung zur falschen Anschuldigung siehe unten § 182 I I I . 10 ) Man beachte die pleonastische Wendung: „zu gefährden geeignet". Soll wirklich die Gefahr einer Gefährdung genügen ? — Vgl. auch § 824 B G B . Verwandte Bestimmungen im Wettbewerbg. unten § 124.
§ 97-
332
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
diese B e s t i m m u n g wird auch der K r e d i t von Handelsgesellschaften, obwohl sie Gesamtpersönlichkeiten sind, geschützt. V.
Gefährdung
der
Familienehre
durch
Verleumdung
Ver-
storbener ( S t G B § 189), d. h. Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen u ) durch wider besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von unwahren Tatsachen, die ihn bei seinen L e b zeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wären. „ B e s c h i m p f e n " ist hier nicht i m technischen Sinn (oben § 95 I I I 1 a. E.) z u nehmen, vielmehr bedeutungslos. Antragsberechtigt sind nur die nächsten Angehörigen: leibliche Eltern und Kinder (oben § 90 Note 3) sowie der E h e g a t t e ; der strafrechtliche Schutz ist beschränkt auf jene Familienglieder, die wegen ihres unmittelbaren Zusammenhanges m i t d e m Verstorbenen als durch d a s Urteil über diesen mitberührt betrachtet werden können. (Vgl. oben § 95 Note 5.) S t r a f e : G e f ä n g n i s b i s zu sechs M o n a t e n ; bei mildernden G e l d s t r a f e bis zu neunhundert M a r k .
§ 97.
Umständen.
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
Literatur. Hertel D e r Wahrheitsbeweis bei Injurien u n d seine B e s c h r ä n k u n g e n u s w . B r e s l a u e r Diss. 1902. Gerhard D e r B e w e i s der W a h r h e i t n a c h seiner materiellrechtlichen B e d e u t u n g u n d prozessualen D u r c h f ü h r u n g . W ü r z b u r g e r D i s s . 1902. K o m m i s s i o n s b e r i c h t z u m Novellenentwurf v o n 1909 ia D r u c k s a c h e n d e s R e i c h s t a g e s 1909/10 N r . 392 S . 94. Delaquis (Berliner F e s t g a b e f ü r Gierke 3 155) 1910. Liepmann Österreichische Z 1 205. — Strauß B e i t r ä g e zu § 197 S t G B . B r e s l a u e r D i s s . 1908. Schulte Ö f f e n t l i c h e S t r a f e u n d P r i v a t g e n u g t u u n g bei E h r v e r l e t z u n g e n (v. Lil. H e f t 175) 1913. Ephraim D i e B e l e i d i g u n g gegen einen B e a m t e n in B e z i e h u n g auf seinen B e r u f . R o s t o c k e r D i s s . 1908. — Zu § 199: Kronecker G S 41 192.
I. Mit d e m Beweise der Wahrheit entfällt ohne weiteres die A n n a h m e der in den §§ 186, 187, 189 R S t G B enthaltenen Vergehen, die begrifflich U n w a h r h e i t oder wenigstens N i c h t b e w e i s b a r k e i t der behaupteten oder verbreiteten Tatsachen erfordern. A b e r auch im Falle des § 185 R S t G B schließt die W a h r heit der Tatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) den Begriff der Beleidigung a u s ; es sei denn, d a ß der T ä t e r dem Vorbringen der Tatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung E n t haltendes, hinzugefügt hat ( S t G B § 192). Ist die Tatsache eine kriminell (wenn auch nur nach deutschem Landesrecht) strafbare Handlung, so ist (nach § 190 S t G B ) der Wahrheitsbeweis 11) B e i Verschollenen i s t T o d e s e r k l ä r u n g nügend.
erforderlich, a b e r a u c h ge-
§ 971. a l s
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
erbracht
anzusehen,
wenn
der
333
Beleidigte
wegen
dieser Handlung rechtskräftig verurteilt w o r d e n ; 2. a u s g e s c h l o s s e n ,
wenn
er wegen
ihr
vor
der
Behaup-
tung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist, sei es wegen Mangels an Beweis, sei es wegen eines Deliktausschließungs-, sei es wegen eines Strafaufhebungsgrundes. 1 )
N i c h t hierher gehören
dagegen persönliche Strafausschließungsgründe (oben § 44 II) sowie d a s „ f ü r straffrei E r k l ä r e n " nach § 199 usw. Ist wegen der strafbaren Strafverfahrens bei der
Handlung zur Herbeiführung eines
Behörde
Anzeige
gemacht,
so ist
(nach
S t G B § 191) bis zu dem Beschlüsse, daß die E r ö f f n u n g der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung, m i t dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung innezuhalten. StGB
Inzwischen ruht die Verjährung nach
§ 69.
I I . Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Zurücknahme des Antrages ist zulässig ( S t G B § 194). In bezug auf die Berechtigung zur Antragstellung gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze (oben § 45). Ist eine Mehrzahl von Personen durch eine G e s a m t b e z e i c h n u n g (oben § 95 II 2 a. E.) verletzt worden, so ist jede der erkenntlich bezeichneten Personen antragsberechtigt. Anders liegt die Sache bei Beleidigung einer K ö r p e r s c h a f t . D a für zwei der hierher gehörigen Fälle (§ 189 und 196) im Gesetze besondere Vorschriften ausdrücklich gegeben sind, bleibt nur noch die Gefährdung des Kredits einer Handelsgesellschaft zu erwähnen. Hier kann die Stellung des Antrages (wie die Erhebung der Privatklage) nur von den überhaupt zur Vertretung berufenen Personen ausgehen. Sind Ehefrauen beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehemänner (und Väter) das Recht, auf Bestrafung anzutragen ( S t G B § 195) •') Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf (also nicht in Beziehung auf ihr außerdienstliches Verhalten) begangen ist, so haben außer den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das R e c h t , den Strafantrag zu stellen ( S t G B § 196).») ') Mithin auch dann, wenn Verjährung (oben § 76 Note 3) oder R ü c k t r i t t v o m Versuch angenommen wird. Ebenso v. Bar G S 52 178, Binding 1 826 N o t e 7. Wesentlich enger Frank § 190 II, Olshausen § 190 3, Schwartz § 190 N o t e 2. •—• § 190 findet auch auf § 185 Anwendung. So die gem. Meinung. Dagegen Olshausen § 190 4. *) V g l . A r t . 34 E G zum B G B . E s liegt nicht etwa ein F a l l der sog. ,,mittelbaren Injurie", der injuria mediata oder obliqua des gemeinen Rechts, vor, sondern ein Ausfluß der veralteten Auffassung der eheherrlichen Gewalt. — F ü r den F a l l des § 189 ist § 195 nicht anwendbar. >) Begriff des B e a m t e n unten § 178 III. B e h ö r d e ist der in den Zusammenhang der Staatsverwaltung eingegliederte dauernde Träger staatlicher Rechte und Pflichten; so ver. Strafsenate R 18 246. Begriff des R e l i g i o n s d i e n e r s unten § 174 I I I 5. — Im Falle des § 195 wie i n jenem des § 196 ist
334
§ 97-
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
Nicht Antrags-, sondern E r m ä c h t i g u n g s d e l i k t (oben § 44 Note 5) ist die Beleidigung (StGB § 197), wenn sie begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats oder gegen eine andere politische Körperschaft. 4 ) Veränderungen der Antragsfrist ergeben sich bei w e c h s e l s e i t i g e n B e l e i d i g u n g e n nach § 198 StGB. Ist nämlich bei wechselseitigen Beleidigungen (oben § 89 Note 1) von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, so ist der andere Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schluß der Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.
III. Erwiderung (§ 199 StGB). Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei erklären (oben § 72 III). IV. Auf Buße bis zu sechstausend Mark kann (StGB § 188) auf Verlangen der Beteiligten in den Fällen der §§ 186 und 187 (nicht des § 185) erkannt werden, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Damit ist die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches ausgeschlossen. Neben der Buße kennt das Gesetz (StGB § 200) bei der Beleidigung noch zwei andere Formen der Privatgenugtuung (oben § 58 II 1): 1. Die A u s f e r t i g u n g des S c h u l d u r t e i l e s an den Beleidigten auf Kosten des Verurteilten (vorgeschrieben in allen5) Fällen). 2. Die Befugnis des B e l e i d i g t e n , d. h. desjenigen, der wegen der Beleidigung Strafantrag gestellt oder Privatklage erhoben hat,5) zur ö f f e n t l i c h e n B e k a n n t m a c h u n g der V e r u r t e i l u n g (nicht notwendig bloß des verfügenden Teils) auf Kosten des Verurteilten. Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigungen ohne Rücksicht auf die Art der Beleidigung. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist dazu ist in dem Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Z e i t u n g f ü r die Eigenschaft des Beleidigten der Zeitpunkt der Beleidigung, für die des Antragsberechtigten der Zeitpunkt der Antragsstellung maßgebend; teilweise abweichend Olshausen § 196 5, Schwartz § 196 Note 4 sowie R 19 23 (darnach wäre der zur Zeit der Beleidigung Vorgesetzte antragsberechtigt). Der Antrag kann mithin auch nach dem Tode des Beleidigten gestellt werden. — Mehrere, sei es gleichgeordnete, sei es übergeordnete Vorgesetzte sind nebeneinander selbständig antragsberechtigt. ') Hierher gehören nicht bloß die oben § 24 I 2 genannten gesetzgebenden Versammlungen, sondern auch die übrigen politischen Körperschaften, wie der Bundesrat und die Senate der Hansestädte, sowie die körperschaftlichen Organe der autonomen Verwaltung (Stadtverordnetenversammlung, Kreistag usw.), nicht aber die kirchlichen Körperschaften, Krankenkassen, Handelskammern usw. Ebenso R 33 66. e ) Bestritten. Übereinstimmend R 14 327, 43 173. — Vgl. auch § 23 Wettbewerbg 1909.
§ 98.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
335
o d e r Z e i t s c h r i f t , so ist der v e r f ü g e n d e Teil des Urteils auf A n t r a g des Beleidigten durch die öffentlichen B l ä t t e r b e k a n n t zu machen, u n d zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift u n d in demselben Teile u n d m i t derselben Schrift, wie der A b d r u c k der Beleidigung geschehen.
II. Strafbare Handlungen gegen die Freiheit. § 98.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
Literatur. Rosenfeld V D Bes. T. 5 385. — Schnabel Über die nötigende Gewalt. Züricher Diss. 1899. Knitschky GS 44 249. Thurow (Lit. zu § 141). Kleineberg Die Drohung als Mittel zur Begehung s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n . E r l a n g e r Diss. 1907. Winkler Der Begriff der Gewalt im S t r a f r e c h t (v. Lil. H e f t 85) 1908. Krämer (derselbe Titel) Münstersche Diss. 1909. Müller Gew a l t u n d verwandte Begriffe im R S t G B . Rostocker Diss. 1913
I. Freiheitim Sinne des Strafrechts ist F r e i h e i t d e r W i l l e n s b e t ä t i g u n g (nicht der Willensentschließung), m i t h i n H a n d lungsfreiheit.1) Verletzung der persönlichen Freiheit ist in ebensovielen/ selbständigen Ges t a l t e n möglich, als es besondere Richtungen der Betätigung gibt. Aber n u r d a n n sprechen wir von einem Freiheitsverbrechen i. e. S., wenn die Beschränk u n g oder Entziehung der persönlichen Freiheit nicht das Mittel zur Verletzung a n d e r e r Rechtsgüter darstellt. So erscheint der R a u b (§ 249) wie die Erpressung (§ 2 53) als Vermögensverbrechen; die Erzwingung einer Amtshandlung (§ 114) als W i d e r s t a n d gegen die Staatsgewalt; die Nötigung zur Unterlassung religiöser Handlungen (§ 167) ist ein Vergehen, das „sich auf die Religion b e z i e h t " ; die Verhinderung a n der Ausübung des öffentlichen Wahl- u n d S t i m m r e c h t s (§ 107) Verbrechen „in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher R e c h t e " . Insoweit k a n n m a n von einem „aushilfsweisen", „ s u b s i d i ä r e n " Charakter der Freiheitsdelikte sprechen. 2 ) Dagegen sind die Störung des R e c h t s f r i e d e n s (die Bedrohung), sowie der H a u s f r i e d e n s b r u c h gegen selbständige Rechtsg ü t e r gerichtet.
II. Die Verletzung der Freiheit kann entweder sein: 1 . Verhinderung der Willensbetätigung nach einer bestimmten Richtung hin oder Zwang zur Betätigung in einer bestimmten Richtung: die „ N ö t i g u n g " ; 2. Verhinderung der Willensbetätigung als der freien Bewegung im Räume: die „ F r e i h e i t s b e *) Weitergehend Allfeld 435, Frank 18 Abschn. I, Rosenfeld 393, die auch die Freiheit der Willensentschließung hierher rechnen. Ebenso R 48 346. Dabei ist übersehen, d a ß das Gesetz Nötigung zu einer H a n d l u n g , Duldung oder Unterlassung erfordert. Doch k a n n die Nötigung freilich auch m i t t e l b a r (durch Einwirkung auf die Willensentschließung) erfolgen. Richtig Wachenfeld 340. l ) Vgl. dazu Rosenfeld 394. Unrichtig wäre es aber, daraus die Unmöglichkeit einer Idealkonkurrenz zwischen Freiheitsdelikten i. e. S. u n d jenen a n d e r e n Freiheitsverletzungen ableiten zu wollen.
336
§ 98.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
r a u b u n g " ; 3. die Begründung eigener körperlicher Gewalt über einen anderen, wodurch auch für die Z u k u n f t jede selbständige Willensbetätigung ausgeschlossen w i r d : der „ M e n s c h e n r a u b " , als dessen Unterart der S k l a v e n r a u b erscheint, während der S k l a v e n h a n d e l einen selbständigen Tatbestand enthält. III. Die Mittel der Freiheitsverletzung sind: 1. Gewalt, d . h. die u n m i t t e l b a r e oder mittelbare (durch ein W e r k z e u g vermittelte) A n w e n d u n g physischer K r a f t z u r Ü b e r w i n d u n g e i n e s t a t s ä c h l i c h e n (nicht e t w a bloß beabsichtigten) W i d e r s t a n d e s , m a g dieser durch einen Menschen oder durch einen Gegenstand geleistet werden, m a g er sofort (etwa durch einen betäubenden Schlag auf den K o p f ) gebrochen oder längere Zeit hindurch fortgesetzt worden sein. Gewalt ist unmittelbar Anwendung eigener K ö r p e r k r a f t oder mittelbar E n t f a l t u n g mechanischer oder tierischer K r ä f t e . Sie ist stets gewalttätige Einwirkung auf die Substanz, stets Gewalttätigkeit, niemals a n s i c h Einwirkung auf den Willen oder Z w a n g . Allerdings m u ß die Gewalt Mittel zum Zweck sein; sie m u ß d a z u dienen, die Willensbetätigung des zu Überwältigenden zu beeinflussen. A b e r sie hört darum nicht auf, rohe körperliche K r a f t zu sein. 3 ) E b e n d a r u m kann zwar die G e w a l t sich u n m i t t e l b a r gegen den Körper des zu Vergewaltigenden wenden (Gewalt a n d e r Person); sie kann aber auch auf m i t t e l b a r e m Wege ihr Ziel erstreben (Gewalt g e g e n d i e Person). Dieses ist möglich x. durch Gewalt an d r i t t e n P e r s o n e n , z. B . an dem Führer des B l i n d e n ; 2. durch G e w a l t a n S a c h e n , die einen gewissen Widerstand leisten, z. B . Abschließen der Türe, Zerstören eines Steges, Z e r t r ü m m e r u n g eines Reisewagens, Antreiben der Pferde, Wegnehmen der R u d e r (wohl nicht das Wegnehmen der Stiefel), Aushängen v o n Fenstern und Türen, u m d a s Verlassen einer W o h n u n g zu erzwingen. In beiden Fällen aber m u ß sie darauf gerichtet sein, den Widerstand des z u Vergewaltigenden zu überwinden, daher von diesem als Gew a l t empfunden werden. Die G e w a l t ist eine u n w i d e r s t e h l i c h e ( S t G B § 52), wenn die oben § 34 Note 7 angegebenen Voraussetzungen vorliegen. 2. Drohung, d . i. d a s I n a u s s i c h t s t e l l e n eines Nachteils, dessen V o r s t e l l u n g die freie Willensbetätigung auszuschließen oder doch einzuengen geeignet ist.*) Hierher k a n n gehören: E i n k l a g u n g einer Forderung, Anzeige bei ») Viel enger faßt den Begriff Binding Lehrb. 1 83: Er verlangt, daß Willensbildung oder Willensbetätigung u n m ö g l i c h gemacht werden. «) Der Versuch von R 21 114, 36 384, die Drohung von dem „Paktierern" abzugrenzen, ist mißglückt. Vgl. Frank § 253 II.
§ 98.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
337
der Staatsanwaltschaft, Mitteilung an Verwandte, Veröffentlichung in der Presse usw. Immer aber muß der Nachteil als ein von dem Drohenden selbst (unmittelbar oder mittelbar) zuzufügender in Aussicht gestellt sein (Unterschied der Drohung von der W a r n u n g ) . Die Z u f ü g u n g d e s N a c h t e i l s kann an sich berechtigt oder rechtswidrig sein; die Androhung strafbarer Handlungen bildet, ebenso wie die Bedrohung mit Gewalt, nur eine besondere Art der Drohungen.. Als schwerste Art erscheint die Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Die A n d r o h u n g d e r (an sich berechtigten) Z u f ü g u n g des Nachteils kann ebenfalls unberechtigt sein, wenn sie nicht das angemessene Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes ist. 5 ) Die Drohung braucht nicht ernstlich gemeint, d. h. ihre Ausführung braucht weder beabsichtigt noch möglich zu sein (Drohung mit Verhexung, mit einem ungeladenen Gewehr). Wohl aber muß sie dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen, so daß sie geeignet ist, auf seine Willensentschließung einzuwirken, und der Drohende muß das Bewußtsein dieser Eigenschaft seiner Drohung haben. War sie ernstlich gemeint, von dem Bedrohten aber nicht so empfunden worden, so liegt nur Versuch vor. Auch die Drohung muß stets gegen den in seiner Freiheit zu Verletzenden gerichtet, zur Beeinflussung s e i n e r Willensbetätigung bestimmt und geeignet sein. Aber das Übel, das seine Willensbetätigung beeinflussen soll, braucht nicht unmittelbar ihm selbst, es kann auch gegen andere Personen (mit Ausschluß des Drohenden selbst) sowie gegen Sachen in Aussicht gestellt werden. Die Drohung kann ausdrücklich ausgesprochen oder durch Handlungen (Erheben der Faust, Anlegen des Gewehrs) angedeutet sein. Möglichkeit der Flucht oder des Widerstandes schließt den Begriff der Drohung nicht aus.6) 3. List, d. h. T ä u s c h u n g d e s H a n d e l n d e n ü b e r d i e v e r u r s a c h e n d e B e d e u t u n g s e i n e s T u n s , also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung, Entstellung oder Unterdrückung von Tatsachen. Auch die List kann gegen dritte Personen sich richten (z. B. als Irreführen eines Beamten oder des Leiters einer Irrenanstalt).') 6) V g l . oben § 32 I I . Ähnlich Frank § 253 II, der „verkehrsmäßige" Drohungen ausnimmt. •) Zu beachten ist, daß Gewalt, soweit ihre Fortdauer in Aussicht steht, stets zugleich als Drohung erscheint. ') Schwierigkeiten bieten Betäubung, Berauschung, Narkotisierung, Hypnotisierung usw. Sie werden stets als „ L i s t " aufgefaßt von Hälschtier 2
243, oishausetl
§ 234 5; stets als Gewalt von Allfeld
437, Binding
Lehrbuch 1
83, Frank § 52 I, v. Lilienthal Z 7 373. Richtig ist allein, zu unterscheiden, o b der Z u s t a n d der Betäubung, der stets eine Freiheitsberaubung darstellt, L i s z t , Strafrecht. 21. Aufl.
22
33»
§ gg.
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
4. Bei gewissen Amtsdelikten (StGB § 339) ist Mißbrauch der Amtsgewalt oder A n d r o h u n g eines bestimmten Mißbrauchs den sonst erforderlichen Mitteln: Gewalt und Drohung gleichgestellt. § 99.
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
Literatur d e s S k l a v e n h a n d e l s : Gareis H V 2 553. V. Mörtitz L A 1 3. H. Seuffert Z 1 6 554. Scherling D i e B e k ä m p f u n g v o n S k l a v e n r a u b und S k l a v e n h a n d e l seit d e m A n f a n g e dieses J a h r h u n d e r t s (Bennecke H e f t 8) 1897. Kaysei D i e Gesetzgebung der Kulturstaaten zur Unterdrückung des afrikanischen S k l a v e n h a n d e l s (v. Lil. H e f t 64) 1905. v. Liszt V ö l k e r r e c h t § 3 7 . — Im ü b r i g e n v g l . L i t . zu § 98. 1. D i e v o r g e t r a g e n e A u f f a s s u n g der F r e i h e i t s v e r b r e c h e n , insbesondere die s c h a r f e B e t o n u n g der persönlichen F r e i h e i t als eines R e c h t s g u t e s des e i n z e l n e n R e c h t s g e n o s s e n , i s t w e s e n t l i c h neueren U r s p r u n g s . D a s römische crimen vis, seit d e m E n d e des F r e i s t a a t e s d u r c h die i n n e r e n U n r u h e n entw i c k e l t ( l e x P l o t i a 7 6 V. Chr., leges v o n P o m p e j u s , Cäsar, A u g u s t ) , t r ä g t t r o t z der schwankenden Scheidung von vis publica und p r i v a t a stets politische E i g e n a r t . D i e b a n d e n m ä ß i g e S t ö r u n g des ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s , w e n n a u c h d u r c h A n g r i f f e a u f P r i v a t e , m a c h t sein i n n e r s t e s W e s e n a u s (Mommsen 655). D a s gleiche gilt v o n dem deutschrechtlichen L a n d f r i e d e n s b r u c h , der violatio pacis publicae. D e r P G O i s t der B e g r i f f des F r e i h e i t s v e r b r e c h e n s f r e m d , u n d d a s g e m e i n e R e c h t i s t über eine sehr unsichere u n d u n k l a r e V e r w e r t u n g des c r i m e n v i s n i c h t h i n a u s g e k o m m e n . A u c h d i e E i n s p e r r u n g h a t das s p ä t r ö m i s c h e R e c h t (C. 9, 5 D e p r i v a t i s c a r c e r i b u s i n h i b e n d i s ; Zeno 486) nur als V e r l e t z u n g s t a a t l i c h e r H o h e i t s r e c h t e b e t r a c h t e t u n d d a m i t die A u f f a s s u n g d e r d e u t s c h e n L a n d e s r e c h t e b i s t i e f ins 18. J a h r h u n d e r t hinein (noch die T h e r e s i a n a s p r i c h t v o n d e n P r i v a t k e r k e r n ) beherrscht. S e l b s t ä n d i g e B e d e u t u n g g e w i n n t i m r ö m i s c h e n R e c h t n u r der M e n s c h e n r a u b ( p l a g i u m ) , n a c h d e m eine nach d e m B u n d e s g e n o s s e n k r i e g e erlassene l e x F a b i a (D. 48, 1 5 ; C . 9, 20) d i e V e r s e t z u n g eines Freien i n d e n Z u s t a n d der S k l a v e r e i oder d i e eines U n f r e i e n in A b h ä n g i g k e i t v o n d e m V e r b r e c h e r u n t e r s e l b s t ä n d i g e S t r a f e g e s t e l l t h a t t e (Mommsen 780). S p ä t e r e K a i s e r v e r o r d n u n g e n v e r s c h ä r f t e n die a n f a n g s milden S t r a f e n , b i s K o n s t a n t i n s o g a r d i e T o d e s s t r a f e androhte. D a s d e u t s c h e M i t t e l a l t e r b e s t r a f t e den M e n s c h e n r a u b s c h o n i n d e n V o l k s r e c h t e n (z. B . l e x R i b . 16 das V e r k a u f e n ü b e r d i e Grenze) m i t d e m v o l l e n oder s o g a r m i t m e h r f a c h e m W e r g e l d e , s p ä t e r a u c h m i t d e m T o d e , i n d e m die Q u e l l e n d a s F a n g e n des M a n n e s bald (Ssp. I I 13, 5) d e m T o t s c h l a g e g l e i c h s t e l l t e n , b a l d ( S c h s p . 227) u n t e r d e m E i n f l ü s s e d e s k a n o n i s c h e n R e c h t s a l s s c h w e r s t e n D i e b s t a h l b e z e i c h n e t e n und b e h a n d e l t e n . D a s gemeine R e c h t m u ß t e bei d e m S c h w e i g e n der P G O auf d a s r ö m i s c h e R e c h t z u r ü c k g r e i f e n , h o b a b e r einerseits d e n K i n d e r r a u b , a n d e r e r s e i t s die F a l s c h w e r b u n g d u r c h G e w a l t (Schlag auf den Kopf), D r o h u n g (Zwang zum E i n a t m e n v o n C h l o r o f o r m ) oder L i s t ( T ä u s c h u n g über d i e W i r k u n g ) h e r b e i g e f ü h r t w o r d e n i s t . E b e n s o Schwartz § 234 N o t e 2 (§ 240 N o t e 2 i m W i d e r s p r u c h m i t § 52 N o t e 2). S i c h e r i s t h y p n o t i s c h e S u g g e s t i o n n i c h t G e w a l t ; sie k a n n a b e r T ä u s c h u n g sein. V E § 12 Z i f f . 4 (ebenso G E § 12 Z i f f . 6) l ö s t die S t r e i t f r a g e d u r c h die B e s t i m m u n g , d a ß unter G e w a l t a u c h „ d i e V e r s e t z u n g i n einen Z u s t a n d der B e w u ß t l o s i g k e i t oder W i d e r s t a n d s u n f ä h i g k e i t d u r c h h y p n o t i s c h e o d e r n a r k o t i s c h e o d e r ä h n l i c h e M i t t e l " z u v e r s t e h e n sei. K E s c h l i e ß t sich a n .
§ 99-
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
339
(das plagium militare, das „Leuteauffangen") als ausgezeichnete, meist m i t d e r Schwertstrafe bedrohte Fälle hervor. An klarer, grundsätzlicher Auffassung f e h l t e es aber bis tief ins 18. J a h r h u n d e r t ; noch JSF. Böhmer (ebenso B a y e r n 1 7 5 1 ) behandelt den Menschenraub als Fall des Diebstahls. I I . Bahnbrechend wurde die B e s t i m m u n g des A L R 1077: „ W e r einen Menschen . . . m i t Gewalt f e s t h ä l t , e i n s p e r r t oder wider seinen Willen zu e t w a s n ö t i g t u s w . " D a m i t war n i c h t nur, der Auffassung des früheren deutschen Mittelalters entsprechend, (das ligare der Volksrechte) das Festhalten u n d ähnliches als Angriff auf die persönliche Freiheit des e i n z e l n e n e r f a ß t (13. Abs c h n i t t : „Von Beleidigungen der Freiheit"), sondern auch zuerst der Begriff d e r N ö t i g u n g klar hingestellt. Die wissenschaftliche Bewegung (insbes. Tittmann) folgte dieser Anregung, und d a m i t w a r f ü r die heutige Gesetzgebung d i e Abtrennung des Rechtsgutes der „persönlichen Freiheit" von dem des „öffentlichen F l i e d e n s " f o r t a n als unverlierbarer Gewinn gegeben. I I I . Das geltende Recht rechnet zu den Freiheitsdelikten außer N ö t i g u n g (§ 240) und Freiheitsberaubung (§ 239) auch den Menschenraub (§ 234) u n d den K i n d e r r a u b (§ 235), ferner die E n t f ü h r u n g (§§ 236 bis 238), die besser zu den Sittlichkeitsdelikten gestellt wird (unten § 104), u n d endlich die Bedrohung (§ 241), die in W a h r h e i t gegen den Rechtsfrieden gerichtet ist (unten § 121). D a m i t sind die Freiheitsdelikte erschöpfend geregelt, so daß die Landesgesetzgebung auf diesem Gebiete ausgeschlossen ist, 1 ) V E §§ 234 bis 242 h ä l t grundsätzlich an dem geltenden R e c h t e fest, bringt a b e r auch den Hausfriedensb r u c h (unten § 119) in diesen Zusammenhang. G E §§ 275 bis 281 h a t auch S k l a v e n r a u b u n d Sklavenhandel sowie den Koalitionszwang eingearbeitet, d e n „ K i n d e r r a u b " aber (§ 235) zu den Familiendelikten gestellt. K E weicht v o n V E n u r in Einzelheiten a b . IV. Der Kampf gegen den Handel mit Negersklaven auf offener See (la t r a i t e des noirs) begann m i t dem Ausgange des 18. J a h r h u n d e r t s (Wilberforce 1759 bis 1833) und wurde zunächst von E n g l a n d durch Verträge u n d Gesetze (Aufhebung des Sklavenhandels 1807, d e r Sklaverei durch G von 1833 m i t W i r k u n g von 1843) eröffnet. Auf den Kongressen zu Wien 1814/15 u n d Verona 1822 erklärten die Mächte den Sklavenhandel f ü r eine Verletzung des europäischen Völkerrechts. Aber nur einzelne Staaten gaben dieser E r klärung durch Strafbestimmungen den nötigen N a c h d r u c k ; so Österreich d u r c h ein H o f d e k r e t von 1826 (§ 95 des S t G B von 1852), Frankreich durch G vom 4. März 1831. Neuen Anstoß g a b der zwischen England, Frankreich, R u ß l a n d , Österreich, Preußen abgeschlossene, von Frankreich aber n i c h t ratifizierte, Quintupelvertrag vom 20. Dezember 1841, in den das Deutsche Reich a n Stelle Preußens durch den m i t England geschlossenen Vertrag vom 29. März 1879 eintrat. N u n m e h r begann auch die Gesetzgebung der deutschen Einzels t a a t e n ihre T ä t i g k e i t ; die preußische Vdg. vom 8. Juli 1844, Gesetzein Bremen, H a m b u r g u n d Lübeck (1837), Mecklenburg-Schwerin (1846), Oldenburg (1876) bedrohen den Sklavenhandel m i t teilweise recht strengen Strafen. Durch die Berliner Kongoakte vom 26. F e b r u a r 1885, insbesondere a b e r d u r c h die Brüsseler Generalakte vom 2. Juli 1890 (RGBl 1892 S. 605) wurde der p a m p i von der offenen See auf das Festland ausgedehnt, u m den Sklavenhandel in seiner Wurzel, der Sklavenjagd, zu treffen. D a s bis z u m J a h r e 1895 geltende deutsche R e c h t b o t keine genügende H a n d h a b e zur B e k ä m p f u n g des Sklavenhandels. Die oben erwähnten Landesgesetze f a n d e n in den deutschen Schutzgebieten keine Anwendung. Die selb') Dagegen R 47 52. 22*
34o
§ ioo.
i. Die Nötigung.
ständige Strafgewalt, die hier dem Kaiser und dem Reichskanzler zusteht (oben § 18 Note 4), war gänzlich unzureichend. S t G B § 234 trifft gerade den Tatbestand des Sklavenhandels nicht. Vor allem aber wurde die strafrechtliche Verfolgung der im Innern Afrikas sich abspielenden S k l a v e n j a g d e n dadurch gehemmt, daß diese im Auslande begangen und daher nach gemeinem Recht nur unter bestimmten Voraussetzungen (oben § 22 IV) im Inlande strafbar sind. Mit diesen Erwägungen war nicht nur die Notwendigkeit eines besonderen Reichsgesetzes dargetan, sondern diesem zugleich auch der Inhalt vorgezeichnet. Nach verschiedenen Anläufen ist unter dem 28. Juli 1895 das G betr. die Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels ergangen (unten § 102 IV), das freilich in bedauerlicher Weise die einfachsten Grundsätze gesetzgeberischer Technik außer Augen gelassen hat.
§ 100.
I . Die Nötigung.
Literatur. Außer den unten zu § 141 angeführten Schriften: J. GoldSchmidt Die Strafbarkeit der widerrechtlichen Nötigung nach dem R S t G B 1897. Bollag Die Grenzen der strafbaren Nötigung 1900. Fraenkel Die Delikte der Nötigung, Bedrohung und Erpressung in ihrem Verhältnis zueinander 1901. Schreiner Das Vergehen der Nötigung nach unserem R S t G B . Tübinger Diss. 1901. J. Stern Über das Verhältnis zwischen Nötigung und Erpressung. Berliner Diss. 1901. Schieren Das Vergehen der Nötigung im deutschen Reichsstrafrecht. Heidelberger Diss. 1910. Kronecker Z 3 638. Derselbe GS 32 51. — Zu V : Brütt Das Koalitionsrecht der Arbeiter und seine Reformbedürftigkeit 1903 (Berliner Seminarabhdlgn 2 4. Heft). V. Berlepsch Das Koalitionsrecht der Arbeiter (Soziale Praxis 13) 1904. Heinemann Z 32 192. Roeckner Die strafrechtliche Bedeutung des Streiks (V.Lil. Heft 139) 1911. Maschke Boykott, Sperre und Ausperrung 1911. Brentano Der Schutz der Arbeitswilligen 1912. Schmidt - Ernsthausen Z 34 87. Kollmann Die Entstehungsgeschichte der deutschen Koalitionsgesetze (V. LH. Heft 196) 1916. Derselbe Z 38 583. Krückmann Der Boykott im Lohnkampf 1918.
I. Nötigung ist die E r z w i n g u n g e i n z e l n e r Willensb e t ä t i g u n g e n , einzelner Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen. 1 ) Die Duldung ist eine Unterart des Unterlassens i. w. S.; sie unterscheidet sich von dem Unterlassen i. e. S. dadurch, daß dieses auf einem Wollen, das Dulden auf einem Müssen beruht, daß das Unterlassen, nicht aber das Dulden, einen wenn auch erzwungenen Entschluß voraussetzt (Zwang zum Anhören unzüchtiger Reden). I I . Die Mittel der Nötigung sind nach dem Gesetze: 1 . Gew a l t (oben § 98 I I I x); 2. D r o h u n g (oben § 98 I I I 2), und zwar Da dem geltenden Recht eine scharfe, begriffliche Abgrenzung der Nötigung von der Freiheitsberaubung fremd ist, muß die Möglichkeit einer Idealkonkurrenz beider Delikte behauptet we'rden. Praktisch wichtig, da der Versuch aus § 239 Abs. 1 straflos, der aus § 240 strafbar ist. Vgl. oben § 98 Note 2. Ebenso Frank § 240 V I I , R 31 301. Dagegen wird § 240 (sei es wegen seines „subsidiären Charakters", sei es als die allgemeinere Bestimmung) für ausgeschlossen erachtet von Binding Normen 2 531, R 25 147. Ebenso ist Idealkonkurrenz mit Tötung und Körperverletzung möglich. So auch Frank wie R 33 339.
§ loo.
i. Die Nötigung.
341
B e d r o h u n g m i t e i n e m V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n , 2 ) Neben G e w a l t und Drohung i s t die L i s t a l s Mittel der Nötigung i m Gesetze nicht erwähnt, m i t h i n auch nicht genügend. D e r Beugung des Willens steht die Erschleichung der Einwilligung, der Überw ä l t i g u n g die T ä u s c h u n g nicht ohne weiteres gleich. Dagegen stellt § 339 Mißbrauch der A m t s g e w a l t oder A n d r o h u n g eines bestimmten Mißbrauchs derselben den Nötigungsmitteln des § 240 gleich. III. Die N ö t i g u n g ist nur strafbar, wenn sie widerrechtlich erfolgt; w e n n a l s o e n t w e d e r d e r N ö t i g u n g s z w e c k oder d a s N ö t i g u n g s m i t t e l (oder beides) w i d e r r e c h t l i c h ist. Die Widerrechtlichkeit der N ö t i g u n g entfällt also n u r dann, wenn der T ä t e r nicht nur 1. berechtigt ist, die fragliche H a n d l u n g , D u l d u n g oder Unterlassung z u fordern, sondern wenn er a u ß e r d e m noch 2. zur A n w e n d u n g der von ihm angewendeten Nötigungsmittel berechtigt ist; wenn er also berechtigt ist, zur E r z w i n g u n g der Willensbetätigung G e w a l t anzuwenden, oder aber Handlungen anzudrohen, die, ohne besondere Berechtigung vorgenommen, als Verbrechen oder Vergehen sich darstellen würden. 3 ) A u c h die Nötigung zur Unterlassung einer unsittlichen, ja selbst einer strafbaren Handlung kann danach strafbar sein. 4 ) D u r c h irrtümliche A n n a h m e der Nicht-Widerrechtlichkeit wird die S t r a f b a r k e i t ausgeschlossen (oben § 41 Note 5). Dagegen ist nicht n ö t i g die K e n n t n i s des T ä t e r s , d a ß die von i h m angedrohten Handlungen als Verbrechen oder Vergehen strafbar seien. Das Vorliegen dieses Erfordernisses ist daher o b j e k t i v , nach den konkreten Umständen (vgl. unten § 147 II 1), zu prüfen. I V . D i e Vollendung der N ö t i g u n g tritt nach d e m R S t G B (die L a n d e s S t G B ü c h e r schwankten) erst m i t der erzwungenen Handlung, D u l d u n g , Unterlassung ein; der (strafbare) V e r s u c h beg i n n t schon m i t der A n w e n d u n g von G e w a l t oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung des Erfolges. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. Das Antragserfordernis wurde 1876 gestrichen. 2) N a c h V E § 240 und G E § 277 genügt jede Drohung. Auch K E begnügt sich m i t der Androhung eines rechtswidrigen Verhaltens, verlangt aber (abweichend von V E ) , daß der Genötigte zu der Handlung usw. nicht rechtlich verpflichtet ist. ») So die gem. Meinung. Auch Frank § 240 I (trotz seines Widerspruchs). — Die Sache liegt bei der Nötigung eben wesentlich anders als bei der Erpressung ( S t G B § 253), bei der j e d e Drohung genügt, also auch die Androhung von Nachteilen, zu deren Zufügung der Drohende berechtigt ist. *) So die Rettung des widerstrebenden Selbstmörders. Richtig Allfeld 440, v. Bar Gesetz 3 37, Binding 1 737, Schwartz § 240 Note 3, ausführlich
Bollag 107. Dagegen Kohler GA 49 6, v. Lilienthal Z 20 446, Rosenjeld 515, Wachenfeld 342, Zitelmann (Lit. zu § 35) 118. Zweifelnd Frank § 240 IV.
342
§ IOI.
2. Die Freiheitsberaubung (oder Einsperrung).
V. Die Nötigung zur Arbeitseinstellung.
Die A r b e i t s f r e i h e i t , als die Befugnis zur selbständigen Schließung und Lösung des Arbeitsvertrages, begreift die F r e i h e i t d e r V e r a b r e d u n g m i t a n d e r e n zu g e m e i n s a m e m V o r g e h e n in sich. Daher hat die Gesetzgebung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (England schon 1824; Reichsgewerbeordnung von 1869 § 152) die Koalitionsfreiheit der gewerblichen (nicht der ländlichen) Arbeiter anerkannt und die früher auf solche Verabredungen gesetzte Strafe beseitigt. Andrerseits wurde der Z w a n g zur Teilnahme an einer Verabredung, sowie die H i n d e r u n g des Rücktritts unter besondere Strafe gestellt. So bestimmte § 153 Gewerbeordng: „Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch D r o h u n g e n , durch E h r v e r l e t z u n g oder durch V e r r u f s e r k l ä r u n g bestimmt oder zu b e s t i m m e n v e r s u c h t , an solchen Verabredungen (§ 152) zum Behufe der Erlangung günstiger Lolinund Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu h i n d e r n v e r s u c h t , von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetze nicht eine härtere Strafe eintritt".
Da diese Bestimmung eine schwere und einseitige Benachteiligung der Arbeitnehmer enthielt, erfolgte ihre seit Jahren verlangte Aufhebung durch G vom 22. Mai 1918. Damit ist die Koalitionsfreiheit im vollen Umfang anerkannt, ihr Mißbrauch ausschließlich dem gemeinen Recht unterstellt. 6 ) § 101. Literatur.
2. Die Freiheitsberaubung (oder Einsperrung). Die zu § 98 angegebenen Schriften.
I. Freiheitsberaubung ist d i e , w e n n a u c h v o r ü b e r g e h e n d e , E n t z i e h u n g d e r B e w e g u n g s f r e i h e i t (der Freiheit, den Aufenthaltsort zu ändern). Sie setzt mithin Bewegungsmöglichkeit voraus; wo diese fehlt (Einsperrung eines vom Starrkrampf Befallenen) kann nur untauglicher Versuch vorliegen. Sie unterscheidet sich von der Nötigung dadurch, daß sie nicht Zwang zu e i n e r e i n z e l n e n Handlung, Duldung, Unterlassung ist. 1 ) Der geschichtlichen Entwicklung des Vergehens sich anschließend, hebt das Gesetz (§ 239) als Hauptfall die Einsperrung hervor, d. h. die F e s t h a l t u n g in e i n e m umschlossenen R ä u m e , sei es durch mechanische Gewalt, sei es durch Erregung oder Benutzung von Hemmungsvorstellungen (Furcht, Scham, Irrtum, hypnotische Suggestion). Daß der Raum einen oder *) Gegen die Aufhebung Finger GS 86 274. *) V g l . aber oben § 100 Note 1.
§ 102.
3- Der Menschenraub.
343
mehrere Ausgänge hat, hindert die Anwendung des Begriffes nicht, wenn diese (wie der Täter weiß) dem Eingesperrten unbekannt sind oder vom Täter oder dessen Gehilfen bewacht werden. Neben dem Einsperren wäre das Binden und Fesseln, das Wegnehmen der Leiter, auf der jemand in eine tiefe Grube gestiegen ist, das Versetzen in Starrkrampf, Trunkenheit, hypnotischen Schlaf usw. hervorzuheben.2) Widerrechtlichkeit des Handelns ist auch bei der Freiheitsberaubung Begriffsmerkmal, mithin Bewußtsein derselben erforderlich (oben § 41 Note 5). II. Abweichend von der Begriffsbestimmung der Nötigung zählt das R S t G B in § 239 die Mittel der Freiheitsberaubung nicht auf. Daraus folgt, daß nicht bloß Gewalt oder Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, sondern alle Mittel, die überhaupt geeignet sind, die Handlungsfreiheit eines anderen zu beeinflussen, taugliche Mittel der Freiheitsberaubung sind. Dies gilt daher auch von der L i s t (oben § 98 III 3). III. Die Vollendung tritt mit der Entziehung der Freiheit ein; länger dauernde Freiheitsentziehung begründet ein fortdauerndes Verbrechen. I V . Strafe: a) Für den einfachen Fall: Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren, oder (nach der Novelle von 1912) Geldstrafe bis zu zweitausend Mark. b) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung ( S t G B § 224) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während dieser widerfahrene Behandlung verursacht worden ist: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. c) Ist auf die zu b) angegebene Weise der Tod des der Freiheit Beraubten verursacht worden: Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden U m ständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. Versuch ist im Falle a) straflos, in den Fällen b) und c) strafbar (oben § 46 Note 8). V . Über Freiheitsberaubung durch einen Beamten vgl. S t G B § 341 (unten § 179 IV).
§ 102.
3. Der Menschenraub.
Literatur. Dobbelmann De crimine plagii 1866. Knitschky G S 4 4 249. Haars Menschenraub und Kinderraub. Rostocker Diss. 1899. — L i t . des Sklavenhandels oben zu § 99.
I. Menschenraub i. w. S. ist die r e c h t s w i d r i g e B e g r ü n d u n g k ö r p e r l i c h e r H e r r s c h a f t über einen M e n s c h e n . Darin liegt der Unterschied des Menschenraubes von der Aus*) Dagegen verlangt Binding Lehrb. 1 99 die „mechanische Herstellung eines Hindernisses für die Fortbewegung".
344
§ lo2.
3- Der Menschenraub.
Setzung (oben § 90); jener ist Verletzung der Freiheit, diese Gef ä h r d u n g v o n L e i b und L e b e n . D e r Menschenraub i. w . S. u m f a ß t drei F ä l l e : 1. D e n Menschenraub i. e. S . ; 2. den sog. K i n d e r r a u b ; 3. den Sklavenraub, an den sich der Sklavenhandel anschließt. I I . Menschenraub i. e. S. ( S t G B . § 234) liegt vor, w e n n jem a n d s i c h e i n e s M e n s c h e n d u r c h L i s t , D r o h u n g oder bemächtigt, um ihn in h i l f l o s e r L a g e (oben Gewalt § 90 I I 2) a u s z u s e t z e n o d e r i n S k l a v e r e i , L e i b e i g e n s c h a f t oder in auswärtige Kriegsoder Schiffsdienste zu bringen.1) Die im Gesetze bezeichnete A b s i c h t (gleich Beweggrund) 2 ) ist B e g r i f f s m e r k m a l . Gleichwertige Z w e c k e , z. B . Auslieferung an eine Zigeunerbande oder Gauklergesellschaft, genügen nicht. Die Verwirklichimg der A b s i c h t (also e t w a die vollendete Aussetzung) begründet kein neues D e l i k t (oben (§ 55 II 4). D a s Verbrechen ist v o l l e n d e t m i t der (positiven) E r l a n g u n g der Herrschaft; der V e r s u c h beginnt m i t dem (negativen) Eingriff in die persönliche Freiheit. Der Menschenraub i s t D a u e r v e r b r e c h e n ; erst m i t dem E n d e der erlangten Herrschaft beginnt die Verjährung. S t r a f e : Zuchthaus von einem bis zu fünfzehn Jahren.
I I I . D e r sogenannte Kinderraub ( S t G B § 235) wird begangen dadurch, daß e i n e m i n d e r j ä h r i g e P e r s o n i h r e n Eltern,3) oder ihrem Vormund oder Pfleger4) durch Gewalt, Drohung, List entzogen wird. Die Entziehung kann auch durch rechtswidrige Unterlassung, also etwa durch verweigerte A u s k u n f t über den A u f e n t h a l t , falls eine Rechtspflicht zur E r teilung der A u s k u n f t besteht, begangen werden. 5 ) Im Sinne d e s Gesetzes i s t d a s D e l i k t als Freiheitsdelikt gegen den Minderjährigen, nicht gegen die Familienrechte der Gewalthaber gerichtet; dennoch schließt die Einwilligung dieser die Rechtswidrigkeit des T u n s aus, während die des Minderjährigen gleichgültig ist. Entläuft der Minderjährige selbst (wenn auch auf A n s t i f t e n des Täters), so liegt K i n d e r r a u b n i c h t vor. Kürzer sagt V E § 234 (ebenso G E § 275) „Wer einen Menschen in Sklaverei oder in einen anderen ähnlichen Zustand der Unfreiheit bringt . . .". K E h a t die Bestimmung, da sie durch das Sklavenraubg. überflüssig gemacht sei, gestrichen. Richtiger wäre die Einarbeitung dieses Gesetzes gewesen. «) Dagegen Binditlg Normen 2 602 Note 894. 3) Hier auch Stief-, A d o p t i v - oder-Pflegeeltern (ebenso R 87 1, 48 198), nicht aber Großeltern oder Schwiegereltern. Anders oben § 90 Note 4. Übereinstimmend Allfeld 448; abweichend Binding Lehrb. 1 1 1 5 (nicht die Pflegeeltern) ; Frank § 235 I I I und Schwariz § 235 Note 3 rechnen bloß die leiblichen Eltern hierher. «) Vgl. Art. 34 V I I E G zum B G B . •) R 46 25 hat die Rechtspflicht im allgemeinen verneint; R 37 162 sie unter den besonderen Umständen des Falles angenommen.
J02.
3- Der Menschenraub.
345
T ä t e r können auch die leiblichen Eltern oder der Vormund des Kindes sein, wenn ihnen die Aufsicht über dieses entzogen ist oder nicht allein zusteht. V o l l e n d e t ist der Kinderraub, sobald die Gewalt der Machthaber gebrochen und eine fremde Gewalt begründet ist; 6 ) der V e r s u c h beginnt bereits mit der Anwendung von List, Drohung oder Gewalt. S t r a f e : Regelmäßig Gefängnis, bei mildernden Umständen (Novelle 1912) Geldstrafe bis dreitausend Mark; wenn die Handlung in der A b s i c h t (gleich Beweggrund) geschieht, die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen (d. h. auf Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils gerichteten) oder unsittlichen Zwecken oder Beschäftigungen z u gebrauchen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Der Minderjährige kann nicht selbst als Teilnehmer gestraft werden (oben § 52 V ) ; daher bleibt auch Beihilfe zur Selbstentziehung straflos. — Ergänzende Strafdrohungen finden sich in den meisten landesrechtlichen Fürsorgeerziehungsgesetzen (oben § 4 1 1 3 ) . ' )
IV. Sklavenraub und Sklavenhandel sind durch das G vom 28. Juli 1895 unter Strafe gestellt worden. i . Der Sklavenraub, im Gesetze selbst nicht näher bestimmt, erscheint als ein besonderer Fall des Menschenraubes (oben II). Er ist, wie dieser, rechtswidrige Begründung körperlicher Herrschaft über einen Menschen; er hebt sich aber von den übrigen Fällen des Menschenraubes dadurch ab, daß der Geraubte als S a c h e behandelt wird, daß die angemaßte Herrschaft E i g e n t u m im Sinne des Privatrechts, also grundsätzlich, wie dieses, dauernd und ausschließlich ist. G e g e n s t a n d kann auch der bereits im Zustande der Sklaverei befindliche Mensch sein. Die M i t t e l der Bemächtigung sind die des Menschenraubes: List, Drohung, Gewalt; freiwillige Unterwerfung genügt nicht. Die volle Strafe des Gesetzes trifft bereits die „vorsätzliche Mitwirkung an einem auf Sklavenraub gerichteten Unternehmen". Der Begriff des „ U n t e r n e h m e n s " ist auch hier in seiner allgemeinen Bedeutung zu nehmen (oben § 46 Note 5). Auch die entfernteren Vorbereitungshandlungen fallen demnach unter die Strafe der Vollendung. Zu ihnen gehört als Unterfall die Veranstaltung eines S t r e i f z u g e s zum Zwecke des Sklavenraubes. Täter und Teilnehmer, Anstifter wie Gehilfen, sind in der Bestrafung gleichgestellt. Die allgemeinen Grundsätze über Versuch und Teilnahme sind mithin preisgegeben. S t r a f e : Zuchthaus von einem bis zu fünfzehn Jahren (wie bei voll6) Dagegen R 18 273; Allfeld 448, Frank § 235 II, Schwartz § 235 N o t e 2. F ü r jene Forderung spricht die Gleichstellung m i t der E n t f ü h r u n g (unter. § 104). D a f ü r auch die überwiegende Meinung. ') Sie sind aufgezählt in R 50 21 Noten 1 und 2. F ü r ihre Gültigkeit R 47 52, da die hier bedrohte Handlung sich nicht, wie in § 235, gegen die persönliche Freiheit, sondern gegen die staatliche Zwangsgewalt richte.
346
§ 102.
3- Der Menschenraub.
endetem Menschenraub); gegen die Veranstalter und Anführer des Unternehmens Zuchthaus nicht unter drei Jahren (§ i Abs. i des G). Ist durch einen zum Zweck des Sklavenraubes unternommenen Streifzug der Tod einer der Personen, gegen die der Streifzug gerichtet war, verursacht worden, so ist gegen Veranstalter und Anführer auf Todesstrafe, gegen die übrigen Teilnehmer auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren zu erkennen (§ i Abs. 2). Der Begriff des Streifzuges setzt einerseits eine geordnete bewaffnete Macht, andrerseits Bewegung von Ort zu Ort voraus, mag es auch zu einem Überfall nicht gekommen sein. Verschulden in Beziehung auf den eingetretenen Erfolg ist nicht erforderlich (oben § 36 Note 10); Verursachung genügt. Neben der Freiheitsstrafe i s t auf Geldstrafe bis zu 100000 Mark zu erkennen, k a n n auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht (im Innern Afrikas!) erkannt werden. Auch k a n n auf die Einziehung aller zur Begehung des Verbrechens gebrauchten oder bestimmten Gegenstände erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung einer bestimmten Person nicht ausführbar (von der Unmöglichkeit der Verurteilung trotz Möglichkeit der Verfolgung spricht das Gesetz im Gegensatz zu § 42 S t G B nicht), so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden (§ 3). 2. S k l a v e n h a n d e l , i m G e s e t z s e l b s t n i c h t b e s t i m m t , i s t V e r kauf von S k l a v e n oder deren A n k a u f zum Z w e c k e des V e r k a u f s . 8 ) A n k a u f z u r e i g e n e n A u s n ü t z u n g des E i g e n t u m s g e nügt n i c h t ; ebensowenig unentgeltliche Überlassung. Dem Kauf s t e h t d e r T a u s c h g l e i c h . D a ß d e r H ä n d l e r d e n S k l a v e n s e l b s t ger a u b t , sich seiner also d u r c h L i s t , D r o h u n g o d e r G e w a l t b e m ä c h t i g t h a b e , i s t n i c h t e r f o r d e r l i c h . D e r T a t b e s t a n d i s t also ein v ö l l i g a n d e r e r als der des Menschen-(Sklaven-)raubes. Treibt der Sklavenräuber s e l b s t d e n H a n d e l m i t d e n v o n i h m g e r a u b t e n S k l a v e n , so i s t d e r H a n d e l n i c h t s e l b s t ä n d i g s t r a f b a r (oben § 55 N o t e 5). D a s Verbrechen ist vollendet m i t d e m Bereitstellen zum Verk a u f (dem „ F e i l h a l t e n " ) , b z w . d e m A n k a u f . 3. D i e d e m S k l a v e n h a n d e l d i e n e n d e B e f ö r d e r u n g von Sklaven ist z u m selbständigen Vergehen, m i t Beseitigung der Unterscheidung v o n T ä t e r s c h a f t und T e i l n a h m e , e r h o b e n u n d in d e r S t r a f b a r k e i t dem Sklavenhandel selbst gleichgestellt. S t r a f e z u 2 u n d 3: Wer Sklavenhandel betreibt oder bei der diesem Handel dienenden Beförderung von Sklaven vorsätzlich mitwirkt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft (§ 2). Versuch, auch der Mitwirkung an der Beförderung, ist strafbar. Mitwirkung am S k l a v e n h a n d e l selbst (nicht an der Beförderung) kann nur als Beihilfe gestraft werden. Geldstrafe, Polizeiaufsicht, Einziehung wie oben zu 1 (§ 3). 4. Z u w i d e r h a n d l u n g e n g e g e n d i e vom Kaiser mit Zus t i m m u n g des Bundesrates z u r V e r h ü t u n g des Sklavenraubes und d e s S k l a v e n h a n d e l s e r l a s s e n e n Verordnungen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechstausend Mark oder Gefängnis (§ 4). ») Wesentlich enger Scharling 58. Nach Kaysei 57 wird nur der gewerbsmäßige Sklavenhandel bestraft.
§ 103.
Straftaten gegen die Sittlichkeit.
Übersicht.
347
5. Die Bestimmung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 S t G B findet auf die {unter 1 bis 3) vorbezeichneten Handlungen Anwendung (§ 5); diese sind also ohne Rücksicht auf den Begehungsort und auf die Staatsangehörigkeit des Täters strafbar.
III. Strafbare Handlungen gegen Sittlichkeit und Schamgefühl. § 103. —
Übersicht.
Literatur. Mittermaier VD Bes. T. 4 1. —• Mommsen 682. Brunner 2 658. V. Wächter Abhandlungen 1835. Binding Z 2 450 (Abhandlgn 1 477).
O. Müller
Die lex Heinze. Frei burger Diss. iooo (bringt das legislative Material).
Schlecht GS 60 1.
Bartolomäus Z 25 1237
Schlechtriem
Die strafrechtliche
Bedeutung unzüchtiger Schriften 1907. Burgener Zur Lehre von den Sittlichkeitsdelikten. Insbesondere § 174 R S t G ß . Heidelberger Diss. 1908. Lazarus
Das Unzüchtige und die Kunst 1909. Misch (Lit. zu § 117). Glaser Z 31 379 (über den V E ) .
Ötker in „ D a s R e c h t " 17 11.
V g l . die Lit. zu § 108. — Über
K o n k u b i n a t Harburger Z 4 499, Rosenblatt 5 272, Mittermaier I. D i e
geschlechtliche
Sittlichkeit, d .
h. die
171.
Einhaltung
der
durch Rechtsordnung und Sitte dem geschlechtlichen Verkehr gezogenen Schranken, ist kein um seiner selbst willen geschütztes R e c h t s g u t der Gesamtheit. Der heutige Staat hat in dem Rechtsinstitute der Ehe dem Geschlechtsleben seine Bahnen gewiesen und damit den mächtigsten aller Naturtriebe in den Dienst der gesellschaftlichen Zwecke gestellt; dem außerehelichen Geschlechtsleben widmet er seine Aufmerksamkeit nur, soweit es in den Rechtskreis e i n z e l n e r verletzend eingreift. 1 ) Nach zwei Richtungen hin kann dies der Fall sein: 1. Zunächst verlangt die geschlechtliche Freiheit, d. h. die f r e i e S e l b s t b e s t i m m u n g ü b e r d e n g e s c h l e c h t l i c h e n Verk e h r rechtlichen Schutz; ein eigenartiges, mit dem Rechtsgute der Freiheit verwandtes Interesse, das aber wegen der sozialen Bedeutung des Geschlechtslebens auch mit der Ehre, wegen dessen physiologischer Wichtigkeit (insbesondere für das Weib) auch mit der körperlichen Unversehrtheit in Beziehung steht. Den Übergang von den Freiheits- zu den SittlichkeitsverJ) Allerdings ist der Gesetzgeber mehrfach, so gegenüber der widernatürlichen Unzucht, ganz besonders aber in dem G vom 25. Juni 1900, über diesen Standpunkt hinausgegangen. — Allfeld unterscheidet zwischen der Verletzung der geschlechtlichen Freiheit des e i n z e l n e n und der gegen die G e s a m t h e i t gerichteten Verletzung der Sittlichkeit und des sittlichen Gefühls in geschlechtlicher Hinsicht. Wachenfeld 456 stellt die ganze Gruppe zu den Verbrechen gegen Rechtsgüter der Gesellschaft.
34»
§ 103-
Straftaten gegen die Sittlichkeit.
Übersicht.
brechen bildet die E n t f ü h r u n g . Musterfall für die gewaltsame Verletzung der geschlechtlichen Freiheit ist die N o t z u c h t . Der Gewalt aber steht der M i ß b r a u c h des in besonderen Abhängigkeitsverhältnissen begründeten E i n f l u s s e s , sowie die Benutzimg des I r r t u m s oder der U n e r f a h r e n h e i t des zu mißbrauchenden Opfers (die Verführung) gleich. 2. Neben der geschlechtlichen Freiheit schützt der Gesetzgeber auch das sittliche Gefühl des einzelnen gegen Verletzung durch Ärgernis erregende Handlungen anderer. Das „sittliche Gefühl" umfaßt die Vorstellungen des einzelnen über die dem Geschlechtsleben gezogenen Schranken; Vorstellungen, die nicht rein intellektueller Natur, sondern durch lebhafte Empfindungswerte ausgezeichnet („gemütlich betont") sind. Ausfluß des Sittlichkeitsgefühls ist das Schamgefühl, das mit dem Anblick oder der Vorstellung des entblößten Körpers geschlechtliche Vor Stellungen verknüpft. Erst das G von 1900 hat es für nötig gefunden, das Schamgefühl unter Strafschutz zu stellen. II. Als Verletzung der Sittlichkeit im weitesten Sinn erscheint, der geschlechtlichen Freiheit wie dem Sittlichkeitsgefühl gegenüber, die unsittliche Handlung. Dieser Begriff umfaßt: 1. Den B e i s c h l a f sowie die b e i s c h l a f ä h n l i c h e Handlung. 2. Die u n z ü c h t i g e H a n d l u n g , das ist jede Handlung, die, auf die Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtet oder dem erregten Triebe zum Ausdruck dienend, zugleich den sittlichen Anstand in geschlechtlicher Beziehung, die durch die jeweilige Sitte dem Geschlechtsleben gezogenen Schranken, gröblich verletzt. 2 ) In der Handlung selbst also muß die Beziehung auf das Geschlechtsleben zum objektiven Ausdruck kommen. 3. Die s c h a m l o s e Handlung, d. h. jede Entblößung des Körpers, die, ohne selbst geschlechtliche Beziehung zu haben (Verrichtung der Notdurft, Baden ohne Schwimmhose), in dem Zusehenden geschlechtliche Vorstellungen auslöst. Dem Begriff der unsittlichen oder schamlosen Handlungen entspricht der der unsittlichen oder schamlosen Schrift, Abbildung usw. In allen Fällen aber ist die Grenzlinie des Gestatteten nicht nach den (vielleicht besonders strengen oder besonders milden) Anschauungen einzelner Volkskreise oder gar nach der meist mit Lüsternheit gepaarten Prüderie einzelner, vielmehr stets nur nach dem Maßstabe des das Volk vertretenden Richters zu ziehen. 3 ) 2) Ebenso Frank § 1 7 4 I. Gegen das Merkmal „gröblich" Allfeld 453 und R 32 418. Vgl. unten § 109 Note 3. 3) Die praktische Schwierigkeit liegt darin, daß ein einheitlicher Maßstab, ein „Durchschnittsempfinden der Gesamtheit", ein „normales Allgemeingefühl" (R 32 184) gar nicht vorhanden ist.
§ 103.
Straftaten gegen die Sittlichkeit.
Übersicht.
349
III. Geschichte. Die Anschauungen über die Stellung der staatlichen Strafgewalt zu den Verletzungen der Sittlichkeit haben in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern vielfache Wandlungen durchgemacht. Das r ö m i s c h e R e c h t hat, von vereinzelten Bestimmungen abgesehen, bis in das 8. Jahrhundert der Stadt hinein die Ahndung der Vergehen gegen die Sittlichkeit der Strafgewalt des Hausvatere sowie der zensorischen Rüge überlassen. Erst als die allenthalben im Gefolge von Ehelosigkeit und Kinderscheu eingerissene Verwilderung der Sitten die Grundlagen des Staates zu zerstören drohte, stellte die wesentlich im ö f f e n t l i c h e n Interesse erlassene lex Julia de adulteriis coercendis vom Jahre 17 v . Chr. (D. 48, 5; C. 9, 9), „eine der einschneidendsten und dauerndsten strafrechtlichen Neuschöpfungen, welche die Geschichte kennt" (Mommsen 691), eine Anzahl von Sittlichkeitsvergehen, und zwar adulterium, stuprum, lenocinium, incestus, unter öffentliche Strafe. Ais stuprum wurde der nicht gewaltsame Beischlaf des Mannes mit einer virgo vel vidua honeste vivens, nicht aber der Konkubinat oder der Verkehr mit einer meretrix erklärt. Dem früheren d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r ist der öffentliche Gesichtspunkt bei Bestrafung der Sittlichkeitsvergehen im wesentlichen fremd. Das einfache stuprum wird als Eingriff in die Mundschaft mit einer Buße an die Gewalthaber gesühnt; Todesstrafe dagegen trifft die freie Frau, die bei ihrem Knechte schläft. Auch die Auffassung des k a n o n i s c h e n R e c h t s , das die Uriaittlichkeit als Sünde betrachtete, und bis zu den Gedanken und Wünschen herab unter Strafe stellte, war nicht imstande, den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen und Klarheit über das rechtliche Wesen der Sittiichkeitsvergehen zu verbreiten. So erklären sich die Zustände des s p ä t e r e n M i t t e l a l t e r s mit seinen nicht bloß geduldeten, sondern anerkannten und vielfach mit besonderen Rechten ausgestatteten stadtischen Frauenhäusern. Die P G O bedroht, der deutschrechtlich-kanonischen Auffassung folgend, unter den Sittlichkeitsverbrechen in den Artikeln 116 bis 123 Sodomie, Blutschande, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe und Kuppelei. Ergänzend griffen die Reichsgesetze des 16. Jahrhunderts, besonders die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 ein. Sie bestrafen stuprum voluntarium, fornicatio (cum meretrice), Konkubinat („zur Unehe sitzen"), Halten von Bordellen usw. mit Geldstrafe oder Gefängnis; daneben war bis ins 18. Jahrhundert hinein öffentliche Kirchenbuße für gefallene Mädchen üblich. Auch der geschlechtliche Verkehr zwischen Christen und Juden wurde, wie im späteren Mittelalter, noch zur Zeit des gemeinen Rechts (so von Frölich) „interpretative" als ein Fall der widernatürlichen Unzucht behandelt; doch geriet nach dem Zeugnisse von Koch, Böhmer u. a. die Kapitalstrafe für dieses 'Vergehen schon im 17. Jahrhundert in Vergessenheit. Andrerseits verhängt noch Toskana 1786 harte Strafe. Die Landesgesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts erschöpfte sich in zahlreichen, meist vergeblichen Strafdrohungen gegen Unsittlichkeit, während die Rechtsprechung die strengen Strafen der P G O durch weitgehende Einschränkungen des Tatbestandes zu mildern bestrebt war. So wurde (vgl. oben § 10 III) zur Vollendung bei strafbarem Beischlaf immissio, bei anderen unzüchtigen Handlungen emissio seminis verlangt. Gegenüber der maßlosen Erweiterung der staatlichen Strafdrohungen trat ein Rückschlag im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse der Aufklärungsliteratur ein, die, hauptsächlich vertreten von Voltaire, Hommel, Cella, Soden, Michaelis, aber unter dem Widerspruche von Gmelin, Filangieri u. a., für die Sittlichkeitsvergehen möglichst geringe Strafen verlangte, da durch sie niemand beleidigt, und auch der Staat nicht in Gefahr gebracht
§ 104.
i. Die Entführung (oder der Frauenraub).
werde; dabei machte sich vielfach die, erfahrungsgemäß allerdings wenig zutreffende Ansicht geltend, daß die durch den außerehelichen Geschlechtsverkehr erzielte Nachkommenschaft an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit die im Ehebette erzeugten „blöden und dummen Pflanzen" (Hommel) weit übertreffe. Erst allmählich und nur unter fortwährenden Schwankungen gelang es der Wissenschaft und Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, den richtigen Standpunkt für Auffassung und Behandlung der Sittlichkeitsvergehen zu finden. Doch ist diese Bewegung noch keineswegs abgeschlossen, und insbesondere die Behandlung sowohl der widernatürlichen Unzucht als auch der Kuppelei in dem R S t G B sehr wenig befriedigend. Der leitende Gesichtspunkt muß bleiben: daß nur Verletzungen der g e s c h l e c h t l i c h e n F r e i h e i t oder des s i t t l i c h e n G e f ü h l s Anlaß zu strafrechtlichem Einschreiten geben können. Schon das R S t G B hatte das letztere auf Kosten der ersteren vorzugsweise berücksichtigt. Noch weiter ging auf dieser falschen Bahn das G vom 25. Juni 1900 (lex Heinze, besser wohl lex Hompesch genannt). Hier finden wir neben dem Sittlichkeitsgefühl als neues Rechtsgut das „Schamgefühl"; hier das Arbeitshaus gegen den „Zuhälter", also die Besserungsanstalt für Unverbesserliche; hier die dem polizeilichen Ermessen anheimgegebene „unbestimmte Verurteilung" der Dime zur Anhaltung im Magdalenenhaus. V E §§ 243 bis 258 hat nicht den Mut gefunden, diese Bahnen zu verlassen. Nur das Gewähren von Wohnung an Dirnen bleibt nach § 251 Abs. 2 straffrei. Im übrigen werden die Bestimmungen von 1900 festgehalten. G E §§ 236 bis 252 bringt wesentliche Besserungen in den einzelnen Tatbeständen, läßt aber die Anlage des Abschnittes unverändert. Dasselbe gilt von K E , der, entgegen V E 250, den gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen Frauen unter den Fällen der widernatürlichen Unzucht nicht erwähnt. Das einfache stuprum, d. h. der nicht erschwerte außereheliche Geschlechtsverkehr, bleibt heute allgemein straflos. Die in § 361 Ziff. 6 R S t G B enthaltene Strafdrohung gegen g e w e r b s m ä ß i g e U n z u c h t (Prostitution) verfolgt lediglich sitten- und gesundheitspolizeiliche Zwecke; sie wird daher erst unten § 1 9 0 I V besprochen. Dagegen ist der K o n k u b i n a t z w a r nicht reichsrechtlich, wohl aber nach mehreren Landesrechten 4 ) unter der Voraussetzung strafbar, daß durch fortgesetztes häusliches Zusammenleben zu öffentlichem Ärgernis Anlaß gegeben werde. Doch ist die rechtliche Zulässigkeit landesrechtlicher Strafdrohungen gegenüber der reichsrechtlichen Regelung der „Materie" der Sittlichkeitsverbrechen zu verneinen. 6 )
§ 104.
I. Die Entführung (oder der Frauenraub).
Literatur. Mittermaier V D Bes. T. 4 136. — Brunner 2 666. v. Wächter Abhandlungen 1835. — Villnow GA 24 118. Hälschner 2 241. Gößler Die E n t führung in ihren geschichtlichen Grundlagen. Rostocker Diss. 1903. Heinemann Die Entführung. Heidelberger Diss. 1907. I. Geschichte. Während das r ö m i s c h e R e c h t noch zur Zeit der klassischen Juristen die Entführung lediglich als vis bestrafte, bedrohte Kon 4 ) So in Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig; ebenso in Bayern nach dem G vom 20. März 1882. 6 ) Ebenso Binding Lehrb. 1 196, Frank E G § 2 I I I , Schwartz Note vor § 171, Seuffert S t G 1 101; dagegen (für die Freiheit der Landesgesetzgebung) Harburger Z 4 499, sowie R 33 273 und die bayerische und württembergische Praxis. Vgl. J. Goldschmidt (oben § 26 Note 6) 1902 S. 466.
§ 104.
I. Die Entführung (oder der Frauenraub).
stantin unter dem Einflüsse christlicher Anschauungen den raptus virginum, viduarum vel uxorum, denen schon von Constantinus die sanctimoniales gleichgestellt wurden, mit schwerer Todesstrafe (C. 9, 13). Das d e t i t s c h e M i t t e l a l t e r unterschied zwei Fälle: 1. Den F r a u e n r a u b , d. h. die Entführung wider Willen der Entführten, der mit der Notzucht zusammengestellt wurde (daher auch das Erfordernis der Unbescholtenheit); und 2. die e i g e n t l i c h e E n t f ü h r u n g zum Zwecke der Ehe, die trotz der Einwilligung der unselbständigen Entführten als Eingriff in die Mundschaft an dem Entführer wie an der Entführten selbst bestraft wurde. Ergänzend treten zu diesem zweiten Fall die Strafdrohungen gegen B e f ö r d e r u n g v o n W i n k e l e h e n hinzu (unten § 108). An der Gleichstellung von Frauenraub und Notzucht hielt trotz des Schweigens der P G O das gemeine Recht zunächst fest; so noch ausdrücklich Lübeck 1586 4 7 und Hamburg 1603 4 26. Strafe war allgemein das Schwert. Dagegen schwankten Gesetzgebung und Wissenschaft bezüglich der eigentlichen Entführung. Während Bambergensis 143 ausdrücklich das Schwert angedroht hatte, begnügte sich P G O damit, in Art. 118: „ W e r einem anderen sein Eheweib oder eine unverleumdete Jungfrau gegen des Ehemannes oder des ehelichen Vaters Willen einer unehrlichen Weise entführt, darum kann der Gatte oder Vater, unangesehen ob die Frau oder Jungfrau ihren Willen dazu gibt, klagen usw." — , die Verfolgung von Amts wegen auszuschließen, und verwies im übrigen auf den R a t der Rechtsverständigen. So fehlte dem gemeinen Recht die feste Grundlage. Im allgemeinen hielt man daran fest, daß nur eine persona honesta Gegenstand des Verbrechens sein könne (so Engau, Böhmer u. a.), erklärte aber die Einwilligung der Entführten für gleichgültig und drohte bei ihrer Einwilligung ihr selbst willkürliche Strafe (so schon Kurpfalz 1582 und Preußen 1620 bis A L R 1103). Damit war der wesentliche Unterschied der beiden Fälle verwischt. Weitere Verwirrungen brachte A L R 1095, das die Entführung nicht mehr zu den Fleischesverbrechen, wie das gesamte gemeine Recht, sondern zu den F r e i h e i t s v e r b r e c h e n rechnete. Dem A L R folgen Kleinschroü, Stiibel, Grolman, Tittmann u. a., wie neuerdings auch Binding. Damit war die Gesetzgebung auf die seither nicht mehr verlassene falsche Bahn gedrängt. Statt die beiden schon im deutschen Rechte geschiedenen Fälle auseinanderzuhalten und den einen zu den Familienverbrechen, den anderen neben die Notzucht zu den Sittlichkeitsvergehen zu stellen, pflegt sie beide Fälle zusammenzufassen und sie trotz ihrer hervorragend geschlechtlichen Bedeutung den Freiheitsverbrechen anzureihen. Dies tut auch (wie Preußen) das R S t G B und diesem folgend V E in den §§ 236 bis 238. Ebenso K E . Dagegen hat G E § 238 die Entführung wider Willen (unter Erweiterung des Tatbestandes) zu den Sittlichkeitsdelikten, die Entziehung Minderjähriger (§ 235) zu den Familiendelikten gestellt.
II. Entführung (öder Frauenraub) ist die A n m a ß u n g k ö r p e r l i c h e r H e r r s c h a f t ü b e r e i n e w e i b l i c h e P e r s o n (/.Frauensperson") zum Z w e c k der U n z u c h t oder der Ehe. Sie kennzeichnet sich: 1. Durch den Gegenstand. Nach § 236 kann jede, nach § 237 nur die minderjährige unverehelichte weibliche Person Gegenstand der Entführung sein; Mannbarkeit der entführten Minderjähriger ist nicht erforderlich. 1 ) — Da die Entführung auch im Interesse *) Gem. Meinung.
Anders bei der Notzucht (unten § 105 Note 2).
352
§ 104.
i. Die Entführung (oder der Frauenraab).
eines Dritten möglich ist, kann auch eine weibliche Person dieses Verbrechens sich als unmittelbare Täterin schuldig machen. 2. Durch die Absicht (gleich Beweggrund). Diese m u ß auf U n z u c h t oder E h e , sei es m i t d e m T ä t e r selbst, sei es m i t einem Dritten, gerichtet sein, insoweit also geschlechtlichen Inhalt haben. 2 ) „ U n z u c h t " ist hier, u. z. wegen der Gleichstellung m i t der E h e , als außerehelicher Beischlaf aufzufassen. E n t f ü h r u n g zum Z w e c k e widernatürlicher U n z u c h t kann daher n i c h t n a c h §§ 236 oder 237 g e s t r a f t werden (bestritten). Die A b s i c h t m u ß ferner dahin gehen, die Willensentschließung der E n t f ü h r t e n selbst zu b e s t i m m e n ; A u s übung eines Druckes auf die E l t e r n , d a m i t diese ihre Einwilligung zur E h e geben, genügt nicht. 3 ) Verwirklichung der A b s i c h t k a n n , d a diese nicht begrifflich auf eine strafbare H a n d l u n g gerichtet z u sein braucht, ein zweites D e l i k t (in realer Konkurrenz) begründen. 3. D u r c h die Handlung. D a s Gesetz verlangt , , E n t f ü h r u n g " , also Erlangung unmittelbarer körperlicher Herrschaft. D a s wesentliche Merkmal der E n t f ü h r u n g ist der B r u c h d e s Schutzverhältnisses, unter dem die Entführte bisher stand, und die B e g r ü n d u n g eines V e r h ä l t n i s s e s der A b h ä n g i g keit vom Täter. Jenes Schutzverhältnis kann in der G e w a l t der Eltern oder des Vormundes, in der O b h u t des Pflegers oder des Dienstgebers, aber auch in den Einrichtungen der Staatsgewalt begründet sein. Der Hinweis auf d a s „ W e g n e h m e n " beim Diebstahl (unten § 127 IV) liegt nahe. R ä u m l i c h e E n t f e r n u n g ist nicht notwendig; d a s Zurückhalten genügt. 4 ) E n t f ü h r u n g würde mithin vorliegen, wenn e t w a d e m Gewalthaber der Eintritt in seine eigenen R ä u m e verwehrt wird, oder wenn der T ä t e r durch Täuschung die Eltern zur Abreise (etwa im Luftschiff) b e s t i m m t und m i t d e m Mädchen zurückbleibt. Der B r u c h des bisherigen Schutzverhältnisses, wie die Begründung des neuen Abhängigkeitsverhältnisses m u ß durch die Tätigkeit des Entführers erfolgen. Diese wird durch eine Mitwirkung der Entführten nicht ausgeschlossen; dagegen k a n n von E n t f ü h r u n g keine Rede sein, wenn die „ E n t f ü h r t e " das H a u s ihrer Eltern allein verläßt und sich in die W o h n u n g des „ E n t f ü h r e r s " begibt. 6 ) Die V o l l e n d u n g tritt in beiden Fällen m i t der Begründ u n g d e r ' H e r r s c h a f t des Entführers ein. Erreichung des Zweckes 2) Es läßt Sich denken, daQ die Handlung ausschließlich aus Gewinnsucht (Gewinnung der Mitgift) begangen wurde, und jede geschlechtliche Absicht (des vielleicht impotenten Entführers) ausgeschlossen war. Die systematische Stellung wird aber durch solche Ausnahmefälle nicht berührt. ») Bedenklich (auch nach Frank § 237 III) R 19 159. *) Dagegen Allfeld 452, Frank § 236 I I , Schwartz § 236 Note 1, Wachenfeld 349; auch R 2 9 406.
») Ebenso R 39 214.
§ 104.
i . Die Entführung (oder der Frauenraub).
353
ist nicht erforderlich. Erst mit dem Ende dieser Herrschaft oder dem Aufhören des gebrochenen Schutzverhältnisses beginnt die Verj ä h r u n g s f r i s t 9 ) zu laufen (Dauerverbrechen). III. Der Frauenraub des RStGB umfaßt zwei Fälle: 1 . E n t f ü h r u n g einer w e i b l i c h e n Person gegen ihren W i l l e n (StGB §236) durch L i s t , D r o h u n g oder G e w a l t (oben § 98 III). Die List besteht in der Täuschung über die Tatsache des Entführens; Täuschung über den Zweck der Entführung genügt nicht. Die Mittel müssen der Entführten selbst gegenüber zur Anwendung gebracht werden. Einwilligung der geisteskranken oder nicht vollbewußten Frauensperson ist bedeutungslos; nicht aber die irrtümliche Annahme der Einwilligung. S t r a f e : Wenn die Absicht auf Unzucht gerichtet war, Zuchthaus bis zu zehn Jahren; sonst Gefängnis. Verfolgung nur auf Antrag. Antragsberechtigt die Entführte, bzw. der gesetzliche Vertreter (StGB § 65).
2. E n t f ü h r u n g einer m i n d e r j ä h r i g e n , unverehelichten w e i b l i c h e n Person m i t ihrem W i l l e n , aber ohne E i n w i l l i g u n g d e r E l t e r n oder des Vormundes oder P f l e g e r s 7 ) (StGB § 237). Entführung einer einwilligenden Ehefrau fällt mithin nicht unter § 237. Die Mittel sind im Gesetze nicht bezeichnet. Es ist daher ausdrückliche Feststellung, daß die Entführung durch List, Drohung oder Gewalt stattgefunden habe, nicht erforderlich; doch wird wohl jedes Mittel, durch welches das Herrschafts- und Schutzverhältnis der Eltern oder des Vormundes gebrochen wird, unter einen dieser Begriffe fallen. War jenes rechtliche Verhältnis tatsächlich bereits gelöst, so kann von Entführung keine Rede sein. Die E n t f ü h r t e selbst kann nach der oben § 52 V aufgestellten Regel nicht als Mittäterin oder Teilnehmerin an der Entführung gestraft werden. Ebensowenig ist Teilnahme an Selbstentfernung strafbar. S t r a f e : Gefängnis. Verfolgung nur auf Antrag. Antragsberechtigt hier nur der Gewalthaber; denn nur ihm, nicht der Entführten, steht die Verfügung über das angegriffene Rechtsgut zu. Hat der Entführer die Entführte (vor Rechtskraft des Erkenntnisses) geheiratet, so findet die Verfolgung nur statt (StGB § 238), nachdem die Ehe, wenn auch nicht wegen der Entführung, für nichtig 8 ) erklärt worden ist. Diese Erklärung ist Bedingung der Strafbarkeit. 9 ) Hat nicht der Entführer selbst, sondern der Dritte, in dessen Interesse die Entführung erfolgte, die Entführte geheiratet, so bleibt § 238 anwendbar, wenn der Dritte Mittäter oder Teilnehmer, also „Entführer" im rechtlichen Sinne des Wortes, ist. «) ') 8 ) ')
Ebenso die Antragsfrist: R 43 285. EG zum BGB Art. 34 VIII. Art. 3 4 I X EG zum BGB. Vgl. unten § 1 1 4 Note 3. Gegen den Text die überwiegende Meinung,
v . L i s z t , Strafrecht.
21. Aufl.
23
354
§
§ 105.
I0
5'
z
*
Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
2. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
Literatur.
Mittermaier VD Bes. T. 4 104, 114.
I. Für die Geschichte dieses Begriffes ist in erster Linie die eigentliche N o t z u c h t von Bedeutung. Diese geht zwar im römischen R e c h t , wie die meisten Freiheitsvergehen, in dem weiten Begriffe der vis unter, so daß sie, in gleicher Weise wie an der Frau, auch an dem Manne (etwa als gewaltsame Päderastie) begangen werden kann (1. 3 § 4 D. 48, 6), erscheint aber nach d e u t s c h r e c h t l i c h e r A u f f a s s u n g von jeher als ein durchaus selbständiges, gegen die weibliche Geschlechtsehre gerichtetes Verbrechen („Notnunft"). Ebendarum ist zumeist Unbescholtenheit der Frauensperson erforderlich, während fahrende Weiber (und die „amie", Schsp. 311) sich auch gewaltsame Umarmungen gefallen lassen müssen; die entgegengesetzte Auffassung von Ssp. III 46, 1, die allerdings teilweise auch in den alamanischen Quellen wiederkehrt, ist im wesentlichen vereinzelt geblieben. Aus demselben Grunde liegt ferner die Klage und wohl auch die Urteilsvollstreckung in der Hand der Gezwungenen, deren Ehre hier und da ausdrücklich im Urteil als unverletzt bezeichnet wird. Die Strafe der Notzucht ist nach Ssp. und den Landfrieden (hier oppressio virginis genannt) das Schwert, nach den oberdeutschen Quellen auch das Lebendigbegraben mit und ohne Pfählen. Schwarzenberg steht auch hier auf deutschem Boden. PGO Art. 119 droht die Schwertstrafe dem, der „einer unverleumdeten Ehefrau, Witwe oder Jungfrau mit Gewalt und wider ihren Willen ihre jungfräuliche oder fräuliche Ehre nehme"; bei versuchter Notzucht tritt willkürliche Strafe ein; Verfolgung von Amts wegen ist ausgeschlossen. Das gemeine Recht hält trotz des Widerspruches der von Carpzev geführten sächsischen Schriftsteller an der Auffassung fest, daß nur an einer unverleumdeten Person Notzucht (stuprum violentum im Gegensatz zu fornicatio violenta cum meretrice) begangen werden kann; so noch Preußen 1721, Bayern 1751 und Österreich 1768, während ALR 1058 wenigstens mildere Strafe eintreten läßt, wenn die Person „schon vorher in dem Rufe einer schlechten und liederlichen Lebensart gestanden hat". Neben der Notzucht hebt das gemeine Recht, im Anschluß an die Sächsische Konstitutionen 4 26 und 31, den Beischlaf mit einer geistesgestörten Person oder einem Mädchen unter 12 Jahren als S c h ä n d u n g (stuprum nec voluntarium nec violentum) besonders hervor. Die A u f k l ä r u n g s z e i t zweifelt vielfach (Voltaire, Reder u. a.) an der Möglichkeit einer Notzucht bei ernstlichem Widerstreben des Weibes und straft daher, wie Österreich 1787 § 130, nur, wenn die Tat mit Fesselung, vorgezeigten mörderischen Waffen oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden ist. Erst die Gesetzgebung seit ALR hat auf diese Beschränkung verzichtet, dabei aber häufig die Notzucht nicht als selbständiges Verbrechen, sondern als schwerer bestraften Unterfall der gewaltsamen Unzucht behandelt. So auch RStGB. VE § 243 hat der Notzucht die selbständige Stellung zurückgegeben und sie von Nötigung zur Unzucht, Schändung und Unzucht mit Kindern (§ 244) scharf abgehoben. Ebenso K E . GE § 236 dagegen behandelt die Notzucht wieder als schweren Fall der Nötigung zur Unzucht und trennt die Schändung (§ 237) von der Unzucht mit Kindern (§ 242). II. Das R S t G B unterscheidet: 1 . Nötigung e i n e r w e i b l i c h e n P e r s o n z u r D u l d u n g u n züchtiger Handlungen durch G e w a l t oder durch Drohung mit g e g e n w ä r t i g e r G e f a h r f ü r L e i b oder L e b e n ( S t G B § 1 7 6 Ziff. 1).
§ 105.
2-
Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
355
Nötigung einer männlichen Person, z. B . gewaltsame Manustupration, Erzwingung widernatürlicher Unzucht, kann nur nach § 240 StGB bestraft werden. Unbescholtenheit der weiblichen Person ist nicht erforderlich. Nötigung der Ehefrau durch den Gatten (z. B . zur Duldung widernatürlich unzüchtiger Handlungen) kann strafbar sein. Anders bei der eigentlichen Notzucht, bei der das Gesetz ausdrücklich außerehelichen Beischlaf verlangt; doch kann auch hier immer noch einfache Nötigung (nach § 240 StGB) vorliegen. „Unzüchtige Handlungen" sind in dem oben § 103 II festgestellten Sinne zu nehmen; Entblößung, um die Frau dem Spotte preiszugeben, genügt nicht, wohl aber Nötigung zu lesbischer Liebe. „Gewalt" bedeutet Gewalt an der Person der Überwältigten selbst (oben § 98 III); ebenso muß die angedrohte Gefahr sie selbst betreffen. Gewalt und Drohung müssen das Mittel zur Überwältigung des Widerstandes gewesen sein; vis haud ingrata genügt nicht. Der Vorsatz des Täters muß das Bewußtsein umfassen, daß ihm Widerstand geleistet und dieser durch die Gewalt, bez. Drohung gebrochen werde. Täter kann aus allgemeinen Gründen, nicht nur wegen der Wortfassung des Paragraphen, auch eine weibliche Person sein.1) Als Notzucht hebt das Gesetz (§ 177) die auf die angegebene Art bewirkte N ö t i g u n g z u r D u l d u n g des a u ß e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f s hervor. Identität des Nötigers und des Beischläfers ist nicht erforderlich; da Beischlaf gefordert wird, muß Mannbarkeit der Genotzüchtigten vorliegen. 2 ) Die Vollendung tritt mit der Vereinigung der Geschlechtsteile ein. S t r a f e : a) F ü r den e i n f a c h e n F a l l : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. — b) Für N o t z u c h t : Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. — c) Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus t r i t t (StGB § 178) in den Fällen a wie b ein, wenn durch die Handlung der Tod der verletzten Person verursacht worden ist. In betreff des ursächlichen Zusammenhangs gelten die allgemeinen Grundsätze. Versuch ist auch hier möglich (oben § 46 Note 8).
2. Die sog. unfreiwillige Schwächung oder Schändung, d. h. den M i ß b r a u c h einer in w i l l e n l o s e m oder b e w u ß t l o s e m Z u s t a n d e b e f i n d l i c h e n (nicht einer gefesselten oder sonst wehrlosen)3) o d e r g e i s t e s k r a n k e n weiblichen P e r s o n zum a u ß e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f (StGB § 176 Ziff. 2). *) E b e n s o Allfeld
454, Frank
§§ 176 i , 177 I , Hälschner
2 229,
Wachenfeld
458; dagegen v. Bar Gesetz 2 608, Binding Lehrb. 1 200. Vgl. oben § 50 Note 3. *) Dagegen R 4 23 mit der gem. Meinung. Dafür Hälschner 2 223, 227 sowie das gemeine Recht. — Bei Rücktritt von versuchter Notzucht kann § 176 Zitf. 1 vorliegen (oben § 48 Note 7). 5 ) Anders V E § 244: „eine zum Widerstand unfähige Frauensperson". Ähnlich GE § ¿37 und K E . 23*
356
§
3- Unzucht unter Mifibrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses.
Hier fehlt d a s die Nötigung kennzeichnende Merkmal, d a s Brechen der fremden Widerstandskraft. A b e r diesem s t e h t die Benutzung der Widerstandslosigkeit gleich. Die Einwilligung der mißbrauchten weiblichen Person ist rechtlich gleichgültig, falls sie nicht noch i m verfügungsfähigen Zustande gegeben worden ist. Der E i n f l u ß hypnotischer Suggestion ist nach den Umständen d e s Einzelfalles z u beurteilen. Selbstverständlich m u ß der Täter den Zustand der weiblichen Person g e k a n n t haben. S t r a f e : Für den e i n f a c h e n die weibliche Person mißbraucht, einen willenlosen oder bewußtlosen der Notzucht ein (StGB § 177). —
Fall: wie oben i a . — b) Wenn der Täter nachdem er sie zu d i e s e m Z w e c k e in Zustand v e r s e t z t h a t , so tritt die Strafe c) E r s c h w e r t e r Fall wie oben i c .
3. Vornahme unzüchtiger Handlungen mit Personen unter vierzehn Jahren (an deren Körper) oder deren Verleitung zur V e r Übung oder Duldung 4 ) solcher Handlungen ( S t G B § 176 Ziff. 3 ) ; wegen des v o m Gesetz angenommenen Mangels der Verfügungsfähigkeit dieser Personen den Nötigungsfällen gleichgestellt. Ebendarum aber können K i n d e r unter vierzehn Jahren nicht selbst als T ä t e r oder Teilnehmer zur B e s t r a f u n g gezogen werden. 6 ) Der T ä t e r m u ß das A l t e r des Mißbrauchten gekannt h a b e n ; doch gen ü g t unbestimmter Vorsatz. Der T ä t e r m u ß sich ferner des unzüchtigen Charakters seiner Handlung, also der gröblichen Verletzung der Sittlichkeit (oben § 103 II), b e w u ß t gewesen sein. 6 ) D a s Geschlecht des Täters ist ebenso gleichgültig wie das des Verletzten. T ä t e r können auch die leiblichen Eltern sein. D a ß das K i n d die Handlung als eine unzüchtige erkannt habe, ist nicht erforderlich. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten; im erschwerten Falle wie oben i c . ' )
§ 106.
3. Unzucht unter Mifibrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses.
Literatur. Mittermaier V D Bes. T. 4 128. — Peschke Der Schutz der geschlechtlichen Freiheit in Abhängigkeitsverhältnissen. Würzburger Diss. 1912. 4) Auch „die geduldeten" Handlungen müssen an dem Körper des Kindes vorgenommen sein; ebenso R 2 6 278. 6) Nach der entgegengesetzten Ansicht des R, zuletzt 20 181 (ebenso Binding Lehrb. 1 198), würde gegenseitige Onanie zwischen dreizehnjährigen Knaben strafbar, zwischen fünfzehnjährigen aber straflos sein. Übereinstimmend mit dem Texte die gem. Meinung; insbes. Allfeld 454, V. Bar Gesetz 2 278, Frank § 176 III, Schwartz § 176 Note 4, Wachenfeld 465. — Verleitung durch den Täter liegt auch dann vor, wenn die unzüchtige Handlung durch einen Dritten vorgenommen werden soll; so auch R 20 30. — Der Versuch der Verleitung beginnt mit der Einwirkung auf den Willen; R 31 251. •) Dagegen R 40 326. ') Als „verletzt" kann nicht bloß der verleitete Minderjährige, sondern
§ io6.
3. Unzucht unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses.
357
I. Geschichte. Der Gewalt stellt der Gesetzgeber hier wie sonst (z. B. bei den Amtsverbrechen) den Mißbrauch eines besonderen Vertrauens- oder Gewaltverhältnisscs gleich, das die Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigt. An geschichtlichen Vorbildern fehlt es trotz des Schweigens der PGO nicht. Schon das spätrömische Recht hatte den Vormund bestraft (C 9, 10), der seine Mündel verführte; dieselbe Bestimmung findet sich in Schsp. 349, sowie in den italienischen Statuten (Kohler Studien 5 501) und in der deutschen Gesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts. Auch die Strafdrohung der Sächsischen Konstitutionen 4 25 gegen den Gefängniswärter, der die von ihm zu bewachende Gefangene beschläft, fand vielfache Nachahmung. ALR 1028 hebt daneben noch die Hausbediensteten besonders hervor. GE § 241 h a t dem Mißbrauch eines „Autoritätsverhältnisses" (§ 240) den eines „Abhängigkeitsverhältnisses" (auch wirtschaftlicher Art) an die Seite gestellt.
I I . Das R S t G B (§ 174) rechnet hierher: 1 . Unzüchtige Handlungen von Vormündern mit ihren Pflegebefohlenen, von Adoptiv- und Pflegeeltern (nicht leiblichen Eltern!) 1 ) mit ihren Kindern, 2 ) von Geistlichen, Lehrern, Erziehern 3 ) m i t ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen. Zu den Lehrern gehören auch Privatlehrer, unter Umständen auch die Lehrherren gegenüber den Lehrlingen. 4 ) Erzieher ist auch das Haupt der F a m i l i e , der ein Zögling zur Zwangserziehung übergeben ist. 6 ) Beichtkinder sind nicht besonders geschützt. Die unzüchtigen Handlungen müssen mit den genannten Personen (nicht bloß in ihrer Gegenwart), mithin an d e r e n K ö r p e r 6 ) (wenn auch nicht an ihren Geschlechtsteilen), vorgenommen werden; daher genügen unzüchtige Äußerungen oder Selbstentblößung des Täters nicht. Das Geschlecht des Täters wie des Mißbrauchten ist gleichgültig. 2. Unzüchtige Handlungen von Beamten mit Personen, gegen die sie eine Untersuchung zu führen haben, oder die ihrer Obhut anvertraut sind. 3. Von Beamten, Ärzten oder anderen Medizinalpersonen, die in Gefängnissen oder in öffentlichen (d. h. aus öffentlichen Geldern unterhaltenen), zur Pflege von Kranken, Armen oder anderen Hilflosen bestimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit den in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen. Der Begriff des Beamten ist im technischen Sinne ( S t G B auch diejenige Person in Frage kommen, mit (oder an) welcher dieser die unzüchtige Handlung verübt hat. — Idealkonkurrenz mit § 185 ist möglich; ebenso R 46 302, dagegen R 45 344. !) Wohl aber nach VE § 247, GE § 240 und K E . 2 ) Minderjährigkeit nicht erforderlich; anders die Entwürfe. 3 ) „Erziehung" setzt Leitung und Überwachung der gesamten Lebensführung, nicht nur des Unterrichts, voraus; so auch R 46 344. Der Geistliche hat in der „Christenlehre" die Stellung des Lehrers: R 52 73. 4 ) R 27 130, 35 10. «) R 31 203. «) Ebenso R 49 178.
§ 107. 4- Die Verführung zum Beischlaf.
358
§ 3 5 9 , unten § 1 7 8 III) zu nehmen und umfaßt daher nicht andere in der Anstalt beschäftigte Personen. 7 ) Medizinalpersonen sind die mit Ausübung der Heilkunde betrauten Personen, also auch Heildiener und Heilgehilfen, nicht aber Krankenpfleger. 8 ) Der Begriff des Gefängnisses wird durch den des Gefangenen bestimmt: Vgl. unten § 173 I. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die in dem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Personen können nicht als Teilnehmer zur Strafe gezogen werden. § 107. Literatur. rung 1907.
4. Die Verführung zum Beischlaf.
Mittermaier VD Bes. T. 4 112, 120. Grathwohl Die Verfüh-
I . D a s R S t G B hat in § 1 7 9 einen Fall der Erschleichung des Beischlafes durch Täuschung besonders hervorgehoben: die Verleitung einer Frauensperson zur Gestattung des Beischlafes (durch Vorspiegelung einer Trauung oder) d u r c h E r r e g u n g o d e r B e n u t z u n g e i n e s (anderen) I r r t u m s , in d e m sie d e n B e i s c h l a f f ü r einen ehelichen h i e l t . Von den beiden Möglichkeiten ist nur die zweite für den Begriff des Verbrechens wesentlich. Das Schulbeispiel ist der Fremde, der nächtlicherweise, von der Ehefrau für den Gatten gehalten, dessen Stelle vertritt. Der Irrtum braucht nicht von dem beischlafenden Manne, er kann auch von einer weiblichen Person erregt sein. Vollendet ist das Verbrechen mit dem Beischlafe. Antragsverbrechen. Antragsberechtigt die Verleitete. 1 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. V E § 246 hält an dem bisherigen Tatbestand fest. Ebenso K E . GE § 239 hat ihn etwas erweitert. I I . Dem Irrtum steht die Unerfahrenheit zur Seite (vgl. unten § 1 4 2 I). Darum bedroht § 1 8 2 R S t G B die Verführung eines u n bescholtenen, n o c h n i c h t s e c h z e h n j ä h r i g e n 2 ) Mädchens z u m Beischlafe. Unbescholtenheit ist nicht gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit; jene kann vorhanden sein, während diese, etwa infolge einer Notzucht oder ähnlicher Fälle fehlt, und umgekehrt (das Mädchen ließ sich z. B. widernatürlich mißbrauchen). 3 ) Der Vorsatz des Täters muß die Unbescholtenheit mitumfassen. Verführung setzt voraus, daß die geschlechtliche Unerfahrenheit ®) VE nennt alle „Angestellten". Ebenso GE und K E . «) R 31 246. !) Idealkonkurrenz mit § 185 ist auch hier (oben § 105 Note 7) möglich; ebenso R 24 201 gegen 19 250. l ) Umfaßt auch Mädchen unter vierzehn Jahren; R 46 139. 3 ) Ebenso R 37 94. Mit der Verführung hört die bisherige Unbescholtenheit und damit die Strafbarkeit des weiteren Beischlafs regelmäßig auf; vgl. R in J W 45 500 mit Anmerkung von v. Lilienthal.
§ lo8.
5. Kuppelei. Zuhälterei und Frauenhandel.
359
und geringere sittliche Widerstandskraft des Mädchens mißbraucht und dadurch eine Einwilligung in den Beischlaf erreicht wurde. Die Vollendung tritt erst mit dem Beischlaf ein; der Versuch bleibt straflos. Der Beischlaf muß mit dem Verführenden selbst (mittelbare Täterschaft genügt auch hier) vollzogen werden; Verführung zum Beischlaf mit einem anderen fällt nicht unter § i8z, 4 ) kann aber als Kuppelei erscheinen. Fehlt es an der Verführung, oder war die erste Anregung sogar von der Seite des Mädchens ausgegangen, so kann von Anwendung des § 182 keine Rede sein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern (des Vaters o d e r der Mutter) oder des Vormundes der Verführten ein; denn ihnen, und nicht dem unerfahrenen Mädchen, ist die Wahrnehmung des verletzten Interesses anvertraut. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre. Nach V E § 248 entfällt die Strafbarkeit, wenn der Täter mit der Verletzten die Ehe geschlossen hat. Ebenso nach GE § 243 und K E . § 108.
5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
Literatur. Zu I I und I I I : Mittermaier VD Bes. T. 4 175. — Engels Die Kontroverse über die Vollendung des Delikts bei der Kuppelei 1884. Herr Z 22 193. Bacharach Der Begriff der Kuppelei (V. Lil. Heft 127) 1911. Über den Gesetzentwurf von 1918 vgl. die oben § 80 Note 3 angegebene Literatur. Dazu Haldy Kuppcleiparagraph und Bordellwirt 1914. Ruth DStZ 3 457. — Zu I V ; Mittermaler 187. Herr Z 21 805. Jaffa Der Begriff des Zuhälters im R S t G B 1902 (Berliner Seminarabhdln. 1 5). Schmidt-Ernsthausen Z 24 184. Kaufmann Der Begriff des Zuhälters im R S t G B . Heidelberger Diss. 1906. Härtung GS 72 312, 73 284. — Zu V : Mittermaier 193, Hatzig Z 20 511. Ullmann GS € 4 22. Schrank Der Mädchenhandel und seine Bekämpfung 1904. Schidlof Der Mädchenhandel. Seine Geschichte und sein Wesen 1904. V. Liszt Völkerrecht § 36 II 2. Kitzinger Gesetzgebung und Verwaltung im Kampfe gegen den Mädchenhandel 1908. Derselbe D J Z 12 803. Petters Der Mädchenhandel und seine Bekämpfung nafch geltendem und zukünftigem Reichsstratrecht. Heidelberger Diss. 1911. I. Geschichte. Der Begriff der Kuppelei, d. h. der selbständig strafbaren Unterstützung fremder Unzucht, ist erst seit dem 16. Jahrhundert zur Anerkennung, aber auch im heutigen Rechte noch nicht zur völligen Abklärung gelangt. Das r ö m i s c h e R e c h t der späteren Kaiserzeit bedrohte zwar (insbesondere Novelle 14) die gewerbsmäßige Kuppelei, das Halten von Bordellen, als selbständiges Vergehen, behandelte aber das einfache lenocinium lediglich als Beihilfe zu adulterium und stuprum nach den für diese Handlungen geltenden Bestimmungen, wobei der kuppelnde Ehegatte oder Vater mit besonders schwerer Strafe bedroht wurde. Dem d e u t s c h e n R e c h t des Mittelalters ist der Begriff der Kuppelei im allgemeinen fremd geblieben; wir finden, soweit nicht die Auffassung des späteren römischen Rechts zur Anwendung kommt, lediglich polizeiliche Anordnungen in betreff der im übrigen anerkannten und geregelten Hurenwirtschaft; daneben ist vielfach die B e r e d u n g U n m ü n d i g e r zur Eheschließung gegen den Willen der Gewalthaber, die W i n k e l h e i r a t , die zumeist (so Österreich 1656 Art. 78, 79, 80, Verordnungen im Codex Austriacus von 1550 bis 1703) mit dem zweiten Falle der Entführung (oben § 104 I I I 2) auf eine Stufe gestellt wird, als Eingriff in die 4 ) So die gem. Meinung; auch Binding Lehrb. 1 196. Dagegen Frank § 182 I I , der bei einverständlichem Handeln Mittäterschaft annimmt.
360
§ io8.
5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
Mundschaft, mithin als Familienverbrechen, unter Strafe gestellt. Auch finden wir, so in den Eintragungen des Berliner Stadtbuchs (Festausgabe 1883 S. 201 und 204), daß die Verkuppelung der eigenen Tochter als V e r r a t mit der Todesstrafe, und zwar mit dem Feuertode, belegt wurde. Die P G O unterscheidet einen schworen und leichten Fall (das lenocinium qualificatum und simplex des gemeinen Rechts). Nach A r t . 122 trifft denjenigen, der „sein Eheweib oder Kinder um einicherlei Genuß willen, wie der Namen hätte, williglich zu unkäuschen und schändlichen Werken gebrauchen l ä ß t " , Infamie und Bestrafung „vermöge gemeiner Rechten". Und in Art. 123 wird die einfache Kuppelei mit Leibesstrafe bedroht. Das g e m e i n e R e c h t blieb bei dieser Auffassung stehen. Die n e u e r e G e s e t z g e b u n g teilt sich in zwei Lager. Während die romanischen Rechte nur die Verleitung Minderjähriger bedrohen, bieten die deutschen StGBücher ein buntes Gemisch der verschiedenartigsten, meist kasuistisch gefaßten Bestimmungen, von welchen die des preuß. S t G B , obwohl nicht gerade durch besondere Klarheit ausgezeichnet, mit geringfügigen Abänderungen in das Reichsrecht übergegangen sind und Veranlassung zu einer Reihe der schwierigsten Streitfragen gegeben haben. Auch durch das G von 1900 sind diese nur teilweise beseitigt worden. Der F r a u e n h a n d e l wurde erst durch das G über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897 unter Strafe gestellt. V E § 253 stellt der Kuppelei mit hinterlistigen Kunstgriffen den „Frauenhandel" gleich, während G E §§ 248, 249 beide Tatbestände voneinander trennt. Ihm folgt K E .
II. Begriff der Kuppelei. Nach R S t G B § 180 ist Kuppelei die V o r s c h u b l e i s t u n g zur U n z u c h t durch V e r m i t t l u n g oder durch Gewähr u n g oder V e r s c h a f f u n g von G e l e g e n h e i t . Dabei haben wir als Unzucht nicht nur den a u ß e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f überhaupt, sondern auch die s t r a f b a r e w i d e r n a t ü r l i c h e U n z u c h t zwischen Männern zu verstehen.1) Die Kuppelei ist mithin nicht Teilnahme im Sinne des Strafrechts, sondern s e l b s t ä n d i g e s V e r b r e c h e n . Daraus folgt: 1. Sie setzt keine strafbare Handlung, zu der Hilfe geleistet wird, voraus; ja, gerade in der weitaus größeren Mehrheit der Fälle handelt es sich nur um Beförderung des straflosen außerehelichen Beischlafs. Bei Vorschubleistung zu strafbarer Unzucht entscheidet daher StGB § 73 zwischen Teilnahme an dieser und Kuppelei. 2. Die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unterstützte Unzuchtshandlung selbst vom Gesetze mit Strafe bedroht ist, unabhängig von dem Vorliegen einer Schuld auf seiten der Verkuppelten. 3. Die Kuppelei setzt Vorschubleistung zur Unzucht voraus. *) Dagegen erstreckt die gem. Meinung, so Allfeld 584, Frank § 181 II,. Schwartz § 180 Note 4, Wachenfeld 466 und R 11 4, den Begriff der „ U n z u c h t " auch auf andere, selbst auf nichtstrafbare, unzüchtige Handlungen unter mindestens zwei Personen; doch herrscht vielfache Meinungsverschiedenheit im einzelnen. — V E § 251 h a t die Mittel der Vorschubleistung (unten 3) gestrichen, den Begriff mithin erweitert. Ebenso G E § 248. K E hat die Mittel wieder eingefügt.
§ ioS.
5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
361
Vorschubleistung aber ist die tatsächlich erfolgte, nicht bloß beabsichtigte Herstellung günstigerer Bedingungen zur Unzucht (oben § 51 Note 7). An sich würde jede Einwirkung auf Wille und Vorstellung unter den Begriff fallen: insbesondere auch Beeinflussung durch Beispiel, Bücher, alkoholische Getränke, Schaustellungen usw. Im Sinne des Gesetzes erfüllen aber nur zwei Arten der Vorschubleistung den Tatbestand der Kuppelei: a) Die V e r m i t t l u n g , d. h» die Herstellung persönlicher Beziehungen zwischen den zur Unzucht bereiten Personen (Angabe der Wohnung, Zuführen, Bereithalten von Mädchen in Bordellen usw.), sowie b) die G e w ä h r u n g o d e r V e r s c h a f f u n g v o n G e l e g e n h e i t , d. h. der Räumlichkeit zur Ausübung von Unzucht. Diese kann mithin liegen in dem Vermieten von Wohnungen 2 ) an Prostituierte sowie in Unterlassung der Wohnungskündigung, der Hinderung, der Überwachung, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Strafbarkeit der Unterlassung (oben § 30), vor allem also die Rechtspflicht zum Tun (und die Möglichkeit der Abwendung des Erfolgs) gegeben sind ; 3 ) sie l i e g t iu dem Halten von Bordellen, soweit diese nicht p o l i z e i l i c h g e n e h m i g t sind. 4 ) Die Vollendung ist erst gegeben, wenn durch Vermittlung usw. tatsächlich günstigere Bedingungen für die Unzucht geschaffen sind. Die Verhandlungen des Bordellwirts mit dem Mädchenhändler oder den anzuwerbenden Mädchen erscheinen mithin als Vorbereitungshandlungen zur Vermittlung, der Eintritt der Mädchen in das Bordell dagegen als Vollendung der Kuppelei. Erfolgte Unzucht ist nicht erforderlich. 4. Der Kuppler muß w i s s e n , daß er der Unzucht Vorschub leistet; er muß daher die von ihm beförderte Handlung als eine unzüchtige im Sinne des Gesetzes gekannt haben (oben § 39 III 2). 5. Einmalige gleichzeitige Förderung mehrerer fremder Unzuchtsakte begründet immer nur eine Handlung, mithin ein Verbrechen. In der mehrmaligen Beförderung der Unzucht derselben Personen kann ein fortgesetztes Verbrechen liegen. *) n i c h t nach V E , G E und K E , sofern nicht der Täter mit Rücksicht auf die Duldung der Unzucht einen unverhältnismäßigen Gewinn zu erzielen sucht. Ebenso der Entwurf von 1918. Auch die Literatur verlangt einmütig eine dahingehende Einschränkung des Tatbestandes. 3) Daher Strafbarkeit des nicht hindernden Ehemanns: R 22 332, 48 196 (auch bei widernatürlicher Unzucht der Frau). Dagegen Bitlditlg Lehrb. I.205, Frank §§ 180/181 I I I , Schwartz § 180 Note 5, Wachenfeld 467. — Aber Straflosigkeit bei Nichthinderung der großjährigen Tochter: R 40 165. 4) Ebenso, gegen die gemeine Meinung, Frank § 180 I I I , Mayer 298, Wachenfeld 467. Abweichend die früheren Auflagen dieses Buchs, sowie Schwartz § 180 Note 8. Vgl. oben § 35 III. — Material über diese Frage (insbes. zehn Gutachten deutscher Juristenfakultäten) in: D a s deutsche S t G B und die polizeilich konzessionierten Bordelle 1877.
362
§ Io8. 5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
6. Diejenigen Personen, deren U n z u c h t befördert werden soll, können nach der oben § 52 V aufgestellten Regel sich der Anstift u n g oder Beihilfe zur K u p p e l e i n i c h t schuldig machen. 6 ) Anders dritte Personen, z. B . der Geldgeber oder Weinlieferant des Bordellwirts.®) III. Die Arten der Kuppelei. Der Gesetzgeber h a t nicht die einfache Beförderung fremder Unzucht, sondern nur gewisse schwere Fälle der Kuppelei m i t Strafe bedroht. Diese Fälle sind: 1. Die gewohnheitsmäßig (oben § 55 I I I 3) oder aus Eigennutz betriebene Kuppelei ( S t G B § 180). Eigennutz ist gleichbedeutend m i t gewinnsüchtiger A b s i c h t , d. h. m i t der Absicht, sich einen rechtswidrigen, wenn auch nicht außergewöhnlich hohen V e r m ö g e n s v o r t e i l zu verschaffen. E s genügen also nicht (sinnliche oder ideelle) Vorteile anderer A r t . ' ) Die V o l l e n d u n g tritt mit d e m Vorschubleisten ein, ohne d a ß es zur Unzucht gekommen zu sein braucht; der Versuch bleibt straflos: S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat; daneben Geldstrafe von hundertundfünfzig bis sechstausend Mark, Ehrverlust und Polizeiaufsicht nach Ermessen; bei mildernden Umständen Gefängnis. 2. Die schwere Kuppelei; und zwar ( S t G B § 181): a) Die A n w e n d u n g h i n t e r l i s t i g e r 8 ) K u n s t g r i f f e , u m der Unzucht Vorschub zu leisten; also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher, Unterdrückung oder Entstellung wahrer Tatsachen, z. B , Versetzung in Trunkenh e i t , Verlockung unter d e m V o r w a n d , d e m Mädchen eine A n stellung oder einen Dienstplatz zu verschaffen. A u c h hier gilt f ü r die Vollendung das oben II 3 Gesagte. b) Der F a l l , wenn der E h e m a n n die E h e f r a u , 9 ) oder wenn E l t e r n 1 0 ) ihre Kinder, V o r m ü n d e r ihre Pflegebefohlenen, G e i s t 5 ) Ebenso die gem. Meinung. Dagegen R 23 69, 25 369; von den Schriftstellern Beling Z 18 271. •) Vgl. R 39 44') tiber den Begriff „Vermögensvorteil" siehe unten § 139 II, über den weiteren Begriff „Vorteil" unten § 175 IV. Vgl. auch Simonsotl Der Begriff des Vorteils und seine Stellung im deutschen Strafrecht 1889. — Übereinstimmend mit dem Text Bacharach 42, Binding Lehrb. 1 207; dagegen AUfeld 584, Frank § 181 V (eine meßbare Besserung der Verhältnisse), SchwartZ § 180 Note 6, Wachenfeld 468 (irgend ein Vorteil unter Hintansetzung der Interessen Anderer), sowie R 16 56, 26 40, 41 225 („das nur auf den eigenen Nutzen gerichtete Bestreben, das den Geboten der Moral zuwider nicht die gebührende Rücksicht auf die Interessen anderer nimmt"). 8 ) Die Kunstgriffe müssen, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, der verkuppelten Person gegenüber angewendet werden. Mit ihrer Anwendung liegt bereits strafbarer Versuch vor. •) Eingefügt durch das G von 1900. 10 ) Ebenso zu fassen, wie oben § 102 Note 3. Ebenso bez. der Schwiegereltern R 36 184 und bez. der Pflegeeltern R 46 150. Dagegen rechnen Frank § 181 V und Schwartz § 181 Note 3 nur die leiblichen Eltern hierher.
§ Io8.
5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
363
l i e h e , L e h r e r , E r z i e h e r die von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen verkuppeln. Nicht verwandte können als Teilnehmer strafbar sein (vgl. oben § 49 I i ) . Die Vollendung tritt auch hier mit der Vorschubleistung ein; der Versuch ist strafbar. Der Vorsatz des Täters muß auch seine Stellung zu der verkuppelten Person umfassen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, neben dem auf Geldstrafe von hundertfünfzig bis zu sechstausend Mark erkannt werden k a n n ; Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte hier ausnahmsweise bindend vorgeschrieben. Polizeiaufsicht nach Ermessen. Bei mildernden Umständen im Falle b) (nicht a) Gefängnis; neben diesem Geldstrafe bis zu dreitausend Mark zulässig.
IV. Die Zuhälterei. Däs Wesen des Zuhältertums besteht bei unbefangener Betrachtung in der A u s b e u t u n g des Abhängigkeitsverh ä l t n i s s e s , in dem sich die Kontrolldirne infolge ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung ihrem Beschützer gegenüber befindet. Diesen Sachverhalt hat das G von 1900 völlig verkannt und dadurch, sowie durch die Nebeneinanderstellung zweier ganz verschiedener Fälle (der ausbeuterischen und der kupplerischen Zuhälterei), der Auslegung kaum überwindliche Schwierigkeiten geschaffen. 11 ) 1 . Zuhälter ist zunächst nach § 1 8 1 a die m ä n n l i c h e P e r s o n , die von einer P r o s t i t u i e r t e n unter A u s b e u t u n g i h r e s u n s i t t l i c h e n E r w e r b e s ganz oder teilweise den Lebensunterhalt bezieht (ausbeuterische Zuhälterei). a) Täter kann demnach nur ein Mann sein; doch finden die Grundsätze über mittelbare Täterschaft sowie über Teilnahme auch hier Anwendung. b) Die ausgebeutete weibliche Person muß gewerbsmäßig Unzucht treiben; ob sie der Polizeiaufsicht unterstellt ist oder nicht, bleibt gleichgültig, Gewerbsmäßige Unzucht liegt vor, wenn die Frauensperson sich jedem beliebigen Manne gegen Entgelt preisgibt; das Mädchen, das aus „festem Verhältnisse" einen größerem oder kleineren Teil der Einnahmen bezieht, treibt nicht gewerbsmäßige Unzucht im Sinne des Gesetzes. c) „Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes", d. h. des gegenwärtigen, nicht eines früheren unsittlichen Erwerbs 1S ) setzt hier die gewinnsüchtige, also auf Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils (unten § 139 II 2) gerichtete, Absicht voraus. Der Arzt, den die Dirne für eine Untersuchung bezahlt, der Unterhaltsbeu ) V E § 2 5 4 und K E haben das geltende R e c h t i m wesentlichen übern o m m e n ; G E § 2 4 7 dagegen hat den zweiten F a l l gestrichen. " ) Ebenso R 4 8 4 2 6 .
§ Io8.
364
5. Kuppelei, Zuhälterei und Frauenhandel.
rechtigte, den sie unterstützt, der Hauswirt, der Schneider usw. sind nicht Zuhälter, wenn sie die Lage der Dirne nicht etwa zur Erlangung ungerechtfertigter Bereicherung benutzen.13) d) „ L e b e n s u n t e r h a l t " umfaßt die Mittel nicht nur zu notdürftiger, sondern auch zu behaglicherer Lebensführung. Der unsittliche Erwerb muß eine mehr oder weniger dauernde Einnahmequelle sein; einzelne, wenn auch beträchtliche Zuwendungen genügen nicht.14) 2. Zuhälter ist aber auch der Mann, der einer Lohndirne g e w o h n h e i t s m ä ß i g oder aus E i g e n n u t z in b e z u g auf die A u s ü b u n g des u n z ü c h t i g e n Gewerbes S c h u t z g e w ä h r t oder sonst f ö r d e r l i c h ist (kupplerische Zuhälterei). Es ist gleichgültig, ob ihr der Schutz gegenüber der Polizei oder gegenüber ihren Kunden oder gegenüber anderen Dirnen gewährt wird; wohl aber muß er gewährt werden in bezug auf das unzüchtige Gewerbe selbst. Wenn der Zuhälter durch Vermittlung usw. (oben II 3) der Unzucht Vorschub geleistet hat, so tritt § 181 a in ideelle Konkurrenz zu den §§ 180 und 181. 15 ) S t r a f e : a) Gefängnis nicht unter einem Monat. •—• b) Ist der Zuhälter der Ehemann der Frauensperson, oder hat er sie unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen zur Ausübung des unzüchtigen Gewerbes angehalten, Gefängnis nicht unter einem Jahr. — Neben der Gefängnisstrafe kann auf Ehrverlust erkannt werden; Polizeiaufsicht sowie Oberweisung an die Landespolizeibehörde mit den in § 362 Abs. 3 und 4 vorgesehenen Folgen (Unterbringung in ein Arbeitshaus oder Ausweisung oder beides) zulässig.
V. Der Frauenhandel. Die Anwerbung von Frauen für Bordelle, die als Vorbereitung zur Kuppelei (oben II 3) straflos bleiben müßte, erscheint besonders strafwürdig, wenn die Frauen unter Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe ins Ausland an Orte verschleppt werden, in denen sie dem Schutze ihrer Angehörigen wie ihres Staates entzogen bleiben.18) Diese Erwägung rechtfertigt die Aufnahme einer Strafdrohung gegen den Frauenhandel in das Auswanderungsg. vom 9. Juni 1897 (§ 48). 1. Infolge dieser Verbindung erscheint als Frauenhändel die 13 )
Ebenso im wesentlichen die gem. Meinung. Vgl. R 34 74, 35 92. Es genügt, wenn der Lebensunterhalt nur mittelbar aus dem unsittlichen Erwerb gewonnen wird (so durch Betrieb eines Geschäfts); R 45 264. " ) Ebenso Allfeld 586, Härtung. Dagegen R 34 74, 35 56 (§ 181a als der engere schließt § 180 aus), 39 29 (§ 181 a 2. Satz ist gegenüber § 181 Ziff. 2 der engere §), ebenso Frank § 181a V I ; Schmidt-Ernsthausen 230 und Mittermaier 16 nehmen Alternativität zwischen den §§ 180, 181, 1 8 1 a an; nach SchwartZ § 181a Note 4 schließen die §§ 180 und 181a sich aus, während die §§ 181 und 181 a in Idealkonkurrenz stehen. Diese Meinungsverschiedenheit ist ein Beweis für die innere Unklarheit, unter der die gesetzliche Begriffsbestimmung der Zuhälterei leidet. « ) Weitergehend V E § 253 und G E § 249. Ebenso K E , unter Einarbeitung des Auswanderungsg. 1897. 14 )
§ 109.
6- Verletzung des Sittlichkeitsgefühls.
36s
V e r l e i t u n g einer w e i b l i c h e n P e r s o n z u r A u s w a n d e r u n g , wenn sie a) zu dem Zwecke, sie der gewerbsmäßigen Unzucht zuzuführen, und b) mittels arglistiger Verschweigung dieses Zweckes erfolgt. V e r l e i t u n g ist Hervorrufung des Entschlusses zur Auswanderung, also soviel wie Bestimmung. 17 ) Die V o l l e n d u n g ist mit dem Augenblicke gegeben, in dem das Mädchen, der Einwirkung Folge leistend, auswandert, d. h. das Vaterland mit dem Entschlüsse verläßt, den dauernden Wohnsitz im Ausland zu nehmen; nicht aber bereits mit der Hervorrufung des Entschlusses. Die nähere Bestimmung jenes Zeitpunktes kann Schwierigkeiten bieten; ergänzend greifen die Strafbestimmungen gegen den Versuch ein, der mit der Einwirkung auf das Mädchen beginnt. Die A b s i c h t des Täters muß darauf gerichtet sein, die Frau der gewerbsmäßigen Unzucht zuzuführen; d. h. zu bewirken, daß sie, sei es aus Not, sei es durch böses Beispiel, sei es aus anderen Gründen, der Prostitution anheimfällt. Dieser Zweck muß von dem Täter a r g l i s t i g (oben § 98 III 3) v e r s c h w i e g e n und die Verschweigung das M i t t e l der Verleitung sein. 2. Gleichgestellt ist die v o r s ä t z l i c h e B e f ö r d e r u n g der A u s w a n d e r u n g in Kenntnis des vom Täter arglistig verfolgten Zweckes. Befördern bedeutet auch hier (oben II 3) das Schaffen günstigerer Bedingungen. Die Beförderung muß sich auf die Auswanderung selbst, nicht nur auf die Verleitung beziehen. Insoweit ist also die Unterscheidung von Täterschaft und Beihilfe aufgegeben (oben § 49 I 2). Im übrigen finden die Grundsätze über Teilnahme uneingeschränkte Anwendung (Anstiftung des Verleiters durch den Bordellbesitzer). S t r a f e i n beiden F ä l l e n : Z u c h t h a u s b i s z u f ü n f J a h r e n , d a n e b e n E h r v e r l u s t b i n d e n d v o r g e s c h r i e b e n ; G e l d s t r a f e v o n h u n d e r t u n d f ü n f z i g b i s sechst a u s e n d M a r k s o w i e P o l i z e i a u f s i c h t zulässig. I m z w e i t e n F a l l bei m i l d e r n d e n U m s t ä n d e n G e f ä n g n i s n i c h t u n t e r drei M o n a t e n , d a n e b e n die g e n a n n t e G e l d strafe zulässig. — Der Versuch ist strafbar.18)
§ 109. 6. Verletzung des Sittlichkeitsgefühls. Mittermaier V D B e s . T . 4 204, 1 9 7 . — Binding, Hatzipetros, Schauer, Schlechtriem (Lit. zu § 103). Hälschner 2 694. Köhler GA 45 175* Nagorski D i e S t r a f b e s t i m m u n g e n g e g e n (lie u n z ü c h t i g e n S c h r i f t e n i n g e s c h i c h t l i c h e r D a r s t e l l u n g . H e i d e l b e r g e r D i s s . 1 9 1 1 . Thomsen G S 80 2 4 1 . Dannetl• bäum Z 34 8 1 1 . Hellwig Z 35 469 ( V o r f ü h r u n g v o n F i l m s ) . — Z u I V v g l . insLiteratur.
bes. d i e A n g a b e n Z 8 376, 386, 9 563.
" ) V i e l w e i t e r R 37 333, Allfeld 587. w ) V g l . das Internationale Übereinkommen zur B e k ä m p f u n g des Mädchenh a n d e l s v o m 4. M a i 1 9 1 0 u n d d a s d e u t s c h e A u s f ü h r u n g s g e s e t z d a z u v o m 1 4 . A u g u s t 1 9 1 2 ( R G B l 1 9 1 3 S . 3 1 ) , d a s ( u n r i c h t i g ) eine E r w e i t e r u n g der deutschen Strafdrohungen nicht für nötig hält.
366
§ 109.
6. Verletzung des Sittlichkeitsgefühls.
I. R S t G B § 183 b e d r o h t die öffentliche Erregung eines Ärgernisses durch eine unzüchtige Handlung. D e r B e g r i f f d e r u n z ü c h t i g e n
Handlung ist derselbe wie sonst (oben § 103 II 1, 2); auch die öffentliche Vollziehung des Beischlafes zwischen Ehegatten würde hierher gehören, nicht aber die nur schamlose Handlung (oben § 103 II 3), wie die Entblößung zum Zwecke des Wasserabschlagens. 1 ) Auch m ü n d l i c h e Äußerungen sind ebenso wie Unterlassungen zu den „Handlungen" zu rechnen. 2 ) Ä r g e r n i s ist die Verletzung des sittlichen Gefühls. Der V o r s a t z des Täters muß die Erregung des Ärgernisses mitumfassen. Die Handlung, u. z. diese selbst, nicht etwa nur ihr Bekanntwerden, muß Ärgernis g e g e b e n , d. h. es muß tatsächlich irgend jemand Ärgernis genommen haben, mag dies auch ausschließlich derjenige sein, gegen den die unzüchtige Handlung gerichtet war; es genügt mithin nicht (anders V E 256 und K E ; vgl. aber G E § 250), wenn die Handlung nur g e e i g n e t war, Ärgernis zu erregen, dies aber nicht getan hat. öffentliches Ärgernis ist nicht erforderlich, wohl aber, daß das Ärgernis öffentlich gegeben wurde; die unzüchtige Handlung muß also öf f e n t l i c h , d. h. so vorgenommen worden sein, daß sie von unbestimmt vielen Personen, nicht nur von einem geschlossenen Kreis bestimmter Personen wahrgenommen werden konnte.3) S t r a f e : Gefängnis b i s zu zwei J a h r e n oder Geldstrafe bis zu f ü n f h u n d e r t M a r k ; neben Gefängnis E h r v e r l u s t n a c h Ermessen.
II. Der durch das G vom 25. Juni 1900 wesentlich erweiterte § 184 (dem V E § 257 und K E im wesentlichen folgen, während GE § 251 ihn einschränkt) bedroht jetzt vier, untereinander ganz verschiedene Tatbestände. 1 . D i e Verbreitung unzüchtiger Schriften, Abbildungen,
Dar-
stellungen. Eine u n z ü c h t i g e S c h r i f t usw. (oben § 103 II) ist diejenige, die, auf Erregung des Geschlechtstriebes gerichtet, den sittlichen Anstand in geschlechtlicher Beziehung gröblich verletzt. 4 ) Frank § 183 I verlangt (im Anschluß an Kohler) n u r die „ A b s i c h t , etwas Geschlechtliches zum Ausdruck zu bringen". Ähnlich Schwartz § 183 N o t e 2 R 23 233, 24 365, 28 77. 2 ) Überwiegende Meinung. Dagegen Allfeld 581, Binding L e h r b . 1 214, Frank § 183 I, Kohler GA 45 210, Schwartz § 183 N o t e 1. 3 ) Vgl. unten N o t e 5. 4 ) Auch Frank § 184 I (vgl. oben N o t e 2) v e r l a n g t „ o b j e k t i v i e r t e geschlechtliche A b s i c h t " . R sieht dagegen von i h r a b ; R 21 306, 26 370, 31 261 verzichtet (im Gegensatz zu früheren Entscheidungen) auf „ g r ö b l i c h e " Verletzung; R 37 315 h ä l t sogar eine Abbildung schon d a n n f ü r unzüchtig, wenn sie geeignet (!) ist, das Schamgefühl (!) zu verletzen. Viel zu weit a u c h Frank § 184 I : „eine Schrift, die in ihrem Zusammenhang die Absicht, einen geschlechtlichen Reiz hervorzurufen oder der F r e u d e a m geschlechtlich Obszönen zu genügen, d e r a r t zum Ausdruck bringt, daß sie o b j e k t i v geeignet ist, das gechlechtliche Schamgefühl unbefangener d r i t t e r Personen zu v e r l e t z e n . "
§ I09-
6. Verletzung des SHtlichkeitsgefQhls.
367
Das „Verbreiten" setzt (anders das „Mitteilen") Zugänglichmachen für das Publikum voraus, also für einen nicht geschlossenen Kreis bestimmter Personen.5) Verbreitet ist die Schrift, sobald die Kenntnisnahme e r m ö g l i c h t ist; daß sie bereits erfolgt sei, wird nicht gefordert. Und zwar muß die Schrift usw. selbst verbreitet, d. h. das gedruckte Wort, die bildliche Darstellung als solche zugänglich gemacht werden; das Vorlesen, Nacherzählen usw., also die Mitteilung des Inhalts, genügt nicht. Als Unterfälle des Verbreitens nennt das Gesetz zunächst das F e i l h a l t e n (Bereitstellen zum Verkauf), das V e r k a u f e n (Veräußern) und V e r t e i l e n . Ferner aber auch das „ A u s s t e l l e n oder A n s c h l a g e n an O r t e n , w e l c h e dem P u b l i k u m z u g ä n g l i c h s i n d " . Wer ein Bild an die Straßenmauer malt oder zeichnet, stellt es aus. Jedenfalls aber muß auch der I n h a l t der Schrift usw. der Wahrnehmung des Publikums zugänglich gemacht werden, und es genügt für das Ausstellen z. B. nicht, wenn der Buchhändler in seinen Schaufenstern ein unzüchtiges Buch zugeklappt aufstellt, so daß nur der Titel gelesen werden kann Gleichgestellt ist die H e r s t e l l u n g zum Zwecke der Verbreitung das V o r r ä t i g h a l t e n zu demselben Zwecke, das A n k ü n d i g e n und A n p r e i s e n ; also Handlungen, die meist in das Gebiet der Vorbereitimg fallen. 2. Die entgeltliche Überlassung oder Anbietung einer unzüchtigen
Schrift, Abbildung oder Darstellung an eine Person unter 16 Jahren. Im Unterschiede von dem Falle unter 1 ist also hier ein Zugänglichmachen für das P u b l i k u m nicht erforderlich, u n e n t g e l t l i c h e Überlassung aber nicht genügend. 3. Neu eingefügt wurde 1900 der 3. Fall: Die Ausstellung von Gegenständen,
die zu
unzüchtigem
Gebrauche
bestimmt
sind,
an
dem Publikum zugänglichen Orten, sowie die Ankündigung oder Anpreisung solcher Gegenstände dem Publikum (im Gegensatz zum geschlossenen - Kreis) gegenüber.6) e ) Also soviel wie „Veröffentlichen". Beweis dafür ist, daß § i84selbstdas Ausstellen an „Orten, welche dem P u b l i k u m zugänglich sind", als einen Unterfall der Verbreitung behandelt. Das Nähere bei v. Liszt Preßrecht § 42. Dagegen Schwartz § 110 Note 4. R 21 254, 22 241, 35 159, 49 147 u. a., RMilG 9 105 verlangen „wechselseitige persönliche, eine gewisse Vertrautheit begründende Beziehungen", „ein zur Einheit zusammenfassendes Band", um einen „geschlossenen Kreis" anzunehmen; Allfeld 574, Frank §§ 110 II, 166 I, 183 I schließen sich dem R an. —• Vorführung durch den K i n e m a t o g r a p h e n ist Verbreitung, wie das Vorzeigen eines Lichtbildes: R 39 183. Abweichend Hellwig. Der Filmstreifen kann als Ganzes eine unzüchtige Abbildung sein, auch wenn es die einzelnen Bilder nicht sind: R 47 408. •— G r a m m o p h o n p l a t t e n sind Schriftwerke, so R 47 223, 404 (gegen 46 390); aber das Spielenlassen ist kein Verbre.ten, sondern steht dem Vorlesen gleich. So auch R 46 390, 47 223. •) Schutzmaßregeln gegen Empfängnis und Ansteckung, die auch bei, vor oder nach dem ehelichen Beischlaf verwendet werden, gehören nicht hierher.
368
§ ilo.
7. Die widernatürliche Unzucht.
4. N e u e i n g e f ü g t i s t a u c h d e r l e t z t e F a l l : D i e E r l a s s u n g von ö f f e n t l i c h e n Ankündigungen, welche (in e r k e n n b a r e r W e i s e ) 7 ) dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu tausend M a r k oder eine dieser Strafen. Neben Gefängnis Ehrverlust und Polizeiaufsicht zulässig. III. Der durch das
G vom
b e d r o h t die e n t g e l t l i c h e Schriften, Abbildungen
25. J u n i
Überlassung oder
unter
16
§ 184a
Anbietung
Darstellungen,
züchtig zu sein, das Schamgefühl ( o b e n verletzen, a n P e r s o n e n
1900 e i n g e f ü g t e oder
von
die, ohne un-
§ 103 I 2, I I
3) gröblich
Jahren.
S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. 8 ) I V . D u r c h A r t . I V d e s G v o m 5. A p r i l 1888 w u r d e d e m § 1 8 4 S t G B ein 2. A b s a t z b e i g e f ü g t , d e r s e i t d e m den § 184b bildet.
G v o m 25. Juni
1900
E r b e d r o h t d e n , der aus Gerichtsverhandlungen,
f ü r die wegen G e f ä h r d u n g der Sittlichkeit die Ö f f e n t l i c h k e i t ausgeschlossen w a r , oder aus den diesen Verhandlungen zugrunde liegenden a m t l i c h e n S c h r i f t s t ü c k e n ö f f e n t l i c h Mitteilungen macht, die geeignet sind, Ärgernis zu erregen. 9 ) Besonderes Schweigegebot wird nicht vorausgesetzt. teilung kann mündlich oder schriftlich erfolgen.
Nur
Die
Mit-
vorsätzliche
Mitteilung m a c h t s t r a f b a r ; der Vorsatz m u ß die Öffentlichkeit der Mitteilung sowie ihre E i g n u n g , Ärgernis z u erregen, u m f a s s e n .
Daß
Ärgernis tatsächlich erregt w o r d e n sei, i s t nicht erforderlich. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. § 110.
7. D i e w i d e r n a t ü r l i c h e
Unzucht.
Literatur. Miitermaier V D Bes. T . 4 147. Hirschfeld Die Homosexualität des Mannes und des Weibes 1914. — Hälschner 2 313. Wachenfeld Homosexual i t ä t und Strafgesetz 1901. Derselbe G A 49 37. Kohan-Bernstein Die widernatürliche Unzucht 1909. Hirschfeld bei Groß 38 89. Anderssen Z 31 490. Müller G A 59 1, 224. Nagler G S 82 27, und gegen ihn Numa Prätorius G S 83 99. I. Geschichte. Schon in der Zeit des Freistaates beschäftigte sich die r ö m i s c h e Gesetzgebung mit der wohl.aus Griechenland herübergedrungenen Ebenso Allfeld 583, Binding Lehrb. 1 217, Frank § 184 I I , Schwartz § 184 N o t e 4. Die entgegenstehende Rechtsprechung (R 34 285, 365, 36 312, 37 142, 38 202,40 159; s. auch R 46 6,117) fördert die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten. Daher h a t G E diesen F a l l gestrichen, während V E und K E ihn beibehalten haben. Über den E n t w . von 1918 vgl. oben L i t . zu § 94. ') Ebenso R 36 388. Bedenklich R 3» 313. •) In V E § 257 und K E aufgenommen, von G E gestrichen. ») Vgl. unten § 166 V I . — V E § 258 und G E § 252 wiederholen das geltende Recht. K E h a t die Bestimmung sonderbarerweise unter die A n g r i f f e gegen die Staatsgewalt gestellt.
§110.
7- Die widernatürliche Unzucht.
369
Monstrosa Venus (lex Scatinia von unbekanntem Datum). In der lex Julia wurde sie zum stuprum gerechnet, und die Kaiser drohten Todesstrafe, ubi sexus perdidit locum, ubi Venus mutatur in alteram formam. Auch dem d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r ist die widernatürliche Unzucht nicht fremd geblieben, wie die corpore infames bei Tacitus, Hinweisungen in den Volksrechten und Bestimmungen der Kapitularien bezeugen; später -wird sie vielfach der Ketzerei gleichgestellt. Seiner übertreibenden Strenge gegen die Fleischesvergehen getreu, erklärte das k a n o n i s c h e Recht jede gegen die Regeln der Natur erfolgende Befriedigung des Geschlechtstriebes für verboten. Die P G O droht in Art. n 6 den Feuertod, „ s o ein Mensch mit einem Viehe, Mann mit Mann, Weib mit Weib Unkäusch treiben". Das g e m e i n e R e c h t beschränkt die Feuerstrafe auf die eigentliche Bestialität (so Österreich 1656, anders Preußen 1620 und 1721), erweitert aber den Tatbestand •der strafbaren widernatürlichen Unzucht auf die sodomia contra ordinem naturae, also auf jeden naturwidrigen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Weib, die Onanie, die Leichenschändung usw. Die Literatur der Aufklärungszeit verlangt, teilweise wenigstens (Montesquieu, Hommel gegen Sodetl, Gmelin), Einschränkung der Bestrafung. In dem Josephinischen S t G B 1787 ist Bestialitä t und Unzucht mit dem eigenen Geschlecht unter die „politischen Verbrechen" verwiesen. Dagegen erfordert noch A L R 1069 bei „Sodomiterei und anderen dergleichen unnatürlichen Sünden, welche wegen ihrer Abscheulichkeit hier gar nicht genannt werden können, gänzliche Vertilgung des Andenkens' '; daher wird Verbannung des Täters, bzw. Vernichtung des Tieres angeordnet. In der n e u e r e n Wissenschaft und Gesetzgebung zeigt sich das zum Teil erfolgreiche Bestreben, die widernatürliche Unzucht ganz aus dem S t G B zu verweisen oder doch den Begriff wesentlich einzuschränken. Die romanischen Staaten und die Niederlande bestrafen sie nicht. Auch das Gutachten der preuß. Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen hatte sich vor der Ausarbeitung des Norddeutschen Entwurfes für die Streichung des Verbrechens ausgesprochen.1) Und gewiß mit Recht. Abnorme, sei es angeborene, sei es erworbene, Richtung des Geschlechtstriebes (Perversion im Gegensatz zur Perversität) liegt in zahlreichen Fällen vor. Anzeige erfolgt in einem verschwindenden Bruchteile der Fälle, während die Strafbarkeit der Tat dem Erpressertum eine oft gebrauchte Waffe verleiht. Die Feststellung bietet kaum überwindliche Schwierigkeiten, und die Auslegung des Gesetzes führt zu Willkürlichkeiten, die das Rechtsgefühl auf das Tiefste verletzen. Andrerseits bleiben die gröbsten Ausschreitungen zwischen Mann und Weib straflos. Die geschlechtliche Freiheit wird im Regelfalle nicht verletzt, und die Erregung von Ärgernis ist ohnehin strafbar. Es ist daher zu bedauern, daß V E § 250 die Strafdrohung nicht nur beibehalten, sondern sogar auf den Verkehr zwischen Weib und Weib ausgedehnt hat. K E hat die Ausdehnung wieder gestrichen und verlangt im übrigen ausdrücklich „beischlafähnliche Handlungen". G E § 245 bedroht dagegen nur die widernatürliche Unzucht mit Minderjährigen oder unter Ausbeutung eines Abhängigkeitsverhältnisses sowie die Begehung aus Gewinnsucht; verwendet aber in diesen Fällen Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Ähnlich S R E Art. 169.
II. Begriff. § 175 S t G B bedroht die widernatürliche Unzucht 1. zwischen Personen männlichen Geschlechts (nicht also die les!) Ebenso Allfeld 580, Hälschner 2 239, Sonntag GA 18 15, Stooß Grundxüge 2 265. Zweifelnd Mittermaier 151. Dagegen Wachenfeld, 24 y. Lisrt, Strafrecht. 21. Aufl.
§iii.
37°
8. Die Blutschande.
bische l i e b e oder Tribadie); 2. zwischen Mensch und Tier (Bestialität).
Dabei haben wir unter Unzucht i m ersten Falle nur die
eigentliche Päderastie (den coitus per anum), i m zweiten Falle nur die Vereinigung der Geschlechtsteile zu verstehen. 2 ) S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen V e r l u s t der Ehrenrechte.
§ III.
8. Die Blutschande.
Literatur. Mittermaier V D Bes. T . 4 143. Marcuse in Jurist.-psychiatrische Grenzfragen 1 0 H e f t 3 1915. Hajter Schweizer Z 2 9 126. I. Die B l u t s c h a n d e (Inzest) bildet den Ü b e r g a n g zu den strafbaren Handlungen gegen die Familienrechte. Ihre S t r a f b a r k e i t vom rechtlichen Standpunkte aus ist zweifellos, soweit es sich um den Mißbrauch des dem Aszendenten gegenüber dem Abkömmling zustehenden Einflusses handelt (oben § 103 I). A b e r diesen Standpunkt hat das R S t G B selbst aufgegeben, indem es einerseits nur den Beischlaf bestraft und die schwersten sonstigen Unsittlichkeiten (abgesehen von § 176 Ziff. 3) ungeahndet läßt, andrerseits aber auch den Beischlaf zwischen erwachsenen Geschwistern bedroht und den (achtzehnjährigen) Deszendenten bestraft. Als Z w e c k des Gesetzes kann mithin nur die Verhinderung der Inzucht bezeichnet werden. D a m i t ist aber der Grundgedanke der Sittlichkeitsdelikte preisgegeben. 1 ) I I . Geschichte. Das r ö m i s c h e R e c h t , das nicht den geschlechtlichen Verkehr zwischen Verwandten als solchen, sondern nur den Abschluß der auf ihn abzielenden Ehe unter Strafe stellte, unterschied zwischen incestus juris gentium und juris civilis und rechnete zu ersterem die E h e zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie. Ähnlich stellte das k a n o n i s c h e R e c h t dem incestus juris divini die Blutschande nach Menschensatzung gegenüber; zugleich erweiterte es den Begriff ins maßlose (erst Innozenz I I I . beschränkte 1215 das Eheverbot wieder auf den vierten Grad kanonischer Berechnung) und fügte überdies noch die cognatio spiritualis zur Blutsverwandtschaft hinzu. Frühzeitig findet die kirchliche Anschauung E i n g a n g in das R e c h t des deutschen Mittelalters. R i b . 6g, 2 droht der blutschänderischen E h e Verbannung und Vermögensverlust; zahlreiche Kapitularien schärfen die Eheverbote ein; auf die schwersten Fälle setzen sie die Todesstrafe. Die Bambergensis hatte in A r t . 142 die Strafe des Ehebruchs (das Schwert, unter Umständen m i t Schärfung) angedroht. Dagegen bestimmte P G O 1 1 7 : „ I t e m so einer Unkeusch mit seiner Stieftochter, m i t seines Sohnes E h e w e i b oder mit seiner Stiefmutter treibt, i n s o l c h e n u n d n o c h n ä h e r e n S i p p s c h a f t e n " soll die Strafe nach den geschriebenen Rechten bestimmt werden. Diese Fassung g a b zu mancher Streitfrage Anlaß. N i c h t bloß, o b auch Unzucht unter Geschwistern hierher gehöre, sondern insbesondere auch A r t und Höhe a)" Ebenso Binding Lehrb. 1 204. Wesentlich weiter, aber unter sich abweichend Allfeld 581, Frank § 175 I i , Müller, Nagler, Schwartz § 175 Note 2, Wachenfeld 46 (Annäherung der Geschlechtsteile, coitus per os). R 20 225, 23 289, 3 4 245, 3 6 32 sowie R M i l G 2 36 verlangen beischlafähnliche Handlungen, ohne zu einer festen Abgrenzung des Begriffs zu gelangen. Straflos bleibt auch nach R die wechselseitige Masturbation. ') Für Streichung des Delikts Mittermaier 143. —• B g r . 688 betont die Gefahr für die Nachkommenschaft und für die sittliche Gesundheit des Familienlebens. Ebenso Allfeld 475, der das D e l i k t daher z u den Verbrechen gegen die Familie stellt.
§ 112,
Strafbare Handlungen gegen Familienrechte.
Übersicht.
d e r Strafe war u n d blieb gemeinrechtlich b e s t r i t t e n . Die Sächsischen K o n stitutionen (4 22) bestraften Verwandte a u f - u n d absteigender Linie m i t d e m Schwerte, Seitenverwandte m i t Staupenschlägen u n d ewiger Landesverweisung. Diese auch von Carpzov v e r t r e t e n e Ansicht f a n d überwiegende Billigung (Hamburg 1603, Preußen 1620, Österreich 1656); doch gingen einzelne Gesetzgebungen (Kurpfalz 1582) bis zur Strafe des F e u e r t o d e s . Die Aufklärungszeit zweifelte vielfach a n der S t r a f b a r k e i t der B l u t schande. Die neuere deutsche und die ihr folgende ausländische Gesetzgebung h a t sie beibehalten, während die romanischen H e c h t e , ebenso wie das niederländische StGB, die Blutschande als besonderes Verbrechen gestrichen h a b e n . Die deutschen E n t w ü r f e haben sie, im Anschluß a n das geltende Recht, beibehalten; ebenso S R E Art. J8O, Her sie a b e r richtiger zu den Familiendelikten stellt. I I I . N a c h S t G B § 1 7 3 i s t Blutschande d e r B e i s c h l a f , d . h. die naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile von Personen v e r s c h i e d e n e n G e s c h l e c h t s (nicht a b e r e i n e a n d e r e u n s i t t l i c h e , s e l b s t widernatürliche Handlung): 1 . z w i s c h e n (ehelichen u n d u n e h e l i c h e n ) V e r w a n d t e n a u f und absteigender Linie;2) 2. z w i s c h e n V e r s c h w ä g e r t e n a u f - u n d a b s t e i g e n d e r L i n i e ; 3. z w i s c h e n ( v o l l b ü r t i g e n w i e h a l b b ü r t i g e n ) G e s c h w i s t e r n . 3 ) S t r a f e : Zu 1: Zuchthaus bis zu fünf J a h r e n gegen Aszendenten, Gefängnis bis zu zwei Jahren gegen Deszendenten; zu 2 u n d 3: Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen Fällen E h r v e r l u s t n a c h Ermessen. Der Versuch ist n u r im Falle u n t e r 1, u n d n u r den Aszendenten gegenüber, s t r a f b a r . Verw a n d t e und Verschwägerte absteigender Linie bleiben (wie im gemeinen Recht) straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben, 4 ) während andere Teilnehmer nach allgemeinen Grundsätzen s t r a f b a r sind.
IV. Strafbare Handlungen gegen Familienrechte (Personenstand und Ehe). § 112.
Obersicht.
I . D e r Personenstand ( F a m i l i e n s t a n d ) i s t d a s f a m i l i e n r e c h t l i c h e V e r h ä l t n i s e i n e r P e r s o n z u a n d e r e n P e r s o n e n ; als V o r a u s s e t z u n g w i e I n b e g r i f f d e r F a m i l i e n r e c h t e b e d e u t e t er d i e 2 ) B G B § 1589: Personen, deren eine von der anderen a b s t a m m t , sind in gerader Linie v e r w a n d t . D a s gilt, t r o t z § 1589 Abs. 2, a u c h von dem V a t e r und dessen Aszendenten einerseits, dem unehelichen K i n d e u n d dessen Abkömmlingen andrerseits (BGB § 1310 Abs. 3). 3 ) I r r t ü m l i c h e Annahme des Täters, m i t einer der im Gesetz genannter; Personen zu v e r k e h r e n , begründet untauglichen Versuch (oben § 47); so a u c h R 47 149. ' ) Vgl. oben § 44 I I . Ebenso Binding L e h r b . 1 230, Frank § 173 I I I ; abweichend R 19 391 (sie sind nicht Teilnehmer, sondern O b j e k t e der T a t ) .
24*
372
§113-
l. Die Verletzung des Personenstandes.
rechtliche Stellung, die durch die Zugehörigkeit z u einer bestimmten Familie sowohl den Familiengliedern wie allen Menschen gegenüber begründet wird. Der Personenstand entsteht d u r c h G e b u r t ; er endigt durch den T o d ; er wird geändert durch A n n a h m e an Kindesstatt, Legitimation, Schließung und Lösung der E h e . 1 ) 1. D e r Personenstand ist durch § 169 S t G B gegen Veränderung oder Unterdrückung geschützt. Ergänzend treten die Strafdrohungen des Personenstandsg. v o m 6. Februar 1875 gegen die Verletzung der Anzeigepflicht hinzu (unten § 113). V o n besonderer Wichtigkeit können ferner hier die Strafbestimmungen gegen falsche Beurkundung werden (unten § 162). 2. A b e r auch die den Personenstand begründenden Rechtshandlungen stehen unter strafrechtlichem Schutz. Dies gilt insbesondere von d e m Abschlüsse der Ehe (unten §§ 114, 115). II. Unbekannt ist d e m geltenden R c c h t der strafrechtliche Schutz des Namenrechtes ( B G B § 12). I I I . D a s persönliche Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen den Ehegatten i s t e b e n f a l l s i m w e s e n t l i c h e n
auf den privatrechtlichen Schutz angewiesen. Die schwerste Verletzung der elterlichen Erziehungspflicht bleibt an sich ebenso straflos wie, von der (oben § 104 erwähnten) E n t f ü h r u n g abgesehen, der Eingriff in die elterliche Gewalt. Die Übertretungsstrafen in StGB, § 361 Ziff. 4, 5, 9 und 10 sind im wesentlichen z u m Schutz öffentlicher Interessen erlassen. 2 ) Während V E und im wesentlichen auch K E auf dem Standpunkt des geltenden Rechts verharren, hat der G E §§ 233, 234 die Verletzung der E r • ziehungs- und Unterhaltungspflicht, wie die Pflichtverletzung gegen Schwangere, dem S V E ( S R E Art. 184, 185) und Ö R E folgend, als Vergehen unter Strafe gestellt.
§ 113.
I. Die Verletzung des Personenstandes.
Literatur. Kohlrausch V D Bes. T. 4 465. — Reis Die Unterdrückung und Veränderung des Personenstandes. Tübinger Diss. 1888. Morf Über den reichsrechtlichen Begriff des Personenstandes und über die Personenstandsdelikte. Greifswalder Diss. 1904. I. Geschichte. Die Verletzung des Personenstandes bildet ein besonderes, in dieser weiten Bedeutung erst durch die neuere Gesetzgebung anerkanntes Vergehen. Das römische Recht hat allerdings nicht nur die Kindesunterschiebung (suppositio partus) als unverjährbares Delikt, sondern auch die Anmaßung eines falschen Namens (adseveratio falsi nominis vel cognominis: 1. 13 D. 48, 10) als quasifalsa unter Strafe gestellt. Dabei überwog jedoch das öffentliche Interesse: Publice interest, partus non subjici, ut ordinum dignitas l ) Nach R 34 427, 41 302 begründet auch die uneheliche Vaterschaft einen Personenstand des Kindes. *) Vgl. Duensing Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber Minderjährigen. Ein Versuch zu ihrer strafgesetzlichen Behandlung 1903.
§ U3.
Die Verletzung des Personenstandes.
373
familiarumque salva sit. Dagegen schweigen die Quellen des deutschen Mittelalters (anders der Klagspiegel), und dasselbe t u t die PGO. Das gemeine Recht (z. B. Preußen 1721) hält sich an die römischen Bestimmungen; Österreich 1707 bedroht das ,/Unterstoßen fremder K i n d e r " m i t dem Schwert, und noch A L R 1436 rechnet, wie die Mehrzahl der deutschen Landesstrafgesetzbücher, die Veränderung des Personenstandes zum Betrug. Diese Auffassung ist weniger unrichtig als die Einreihung unter die Fälschungsvergehen. 1 ) Denn das Mittel zur Entziehung der mit dem Personenstande gegebenen Familienrechte ist nicht der Mißbrauch einer Beglaubigungsform, sondern die Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen. Das geltende Recht vertritt die (zutreffende) Auffassung, daß der Personenstand ein selbständiges Rechtsgut i s t ; und die Entwürfe halten daran fest.
II. Verletzung des Personenstandes ist die E r r e g u n g eines dauernden I r r t u m s über die Z u g e h ö r i g k e i t einer Person zu einer bestimmten F a m i l i e (StGB § 169). Sie ist entweder Veränderung, d . h . die Beilegung eines nicht vorhandenen Personenstandes, oder Unterdrückung, d. h. Verheimlichung des wahren Personenstandes. Die Herbeiführung eines Z u s t a n d e s ist erforderlich, aber auch genügend.2) Es genügt nicht, wenn jemand sich in einem Einzelfalle für einen anderen ausgibt (StGB § 360 Ziff. 8) oder den Tod eines anderen oder dessen Verheiratung verheimlicht. Dagegen fällt unter das Gesetz sowohl die Unterdrückung des Personenstandes eines V e r s t o r b e n e n , als auch die Veränderung des eigenen Personenstandes, wenn und soweit 3 ) dadurch der Personenstand anderer lebender Menschen berührt wird. Durch Einwilligung des Betroffenen wird die Strafbarkeit nicht berührt, weil der Personenstand der freien Verfügung seines Trägers nicht untersteht. Als besonders wichtigen Fall hebt der Gesetzgeber, der geschichtlichen Überlieferung folgend, die U n t e r s c h i e b u n g oder v o r s ä t z l i c h e V e r w e c h s l u n g e i n e s K i n d e s h e r v o r , d. h. einer jugendlichen Person, die wegen ihres Alters noch keine klare Kenntnis ihrer eigenen Familienangehörigkeit hat und daher die Pläne des Täters zu zerstören nicht imstande ist. 4 ) >) So Reis. Bedenklich auch Binding Lehrb. 1 233 (Personenstandsfälschung), Kohlrausch 471 (Angriffsobjekt die Beweisbarkeit). 2 ) Ebenso R 36 137. E s handelt sich nicht um ein Dauer-, sondern um ein Zustandsdelikt (oben S. 224). Die Verletzung kann dadurch erfolgen, daß die Mutter einen Dritten als unehelichen Vater bezeichnet: oben § 1 1 2 Note 1. — Bedenklich R 39 252 (Unterdrückung eines bereits unterdrücktes Personenstandes). 3 ) Das totgeborene Kind hat keinen Personenstand: R 43 402. Wenn es aber als lebend in das Register eingetragen wird, kann dadurch der Personenstand eines andern verändert werden. Das wird von Frank § 169 I wohl übersehen. *) Vgl. oben § 90 I i 1. Ebenso Allfeld 468, Frank § 169 I I , Schwartz § 169 Note 4, Wachenfeld 450.
374
§ 114-
2. Strafbare Handlungen bei Schließung der Ehe.
S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; wenn in gewinnsüchtiger Absicht (vgl. unten § 139 II 4) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. V e r s u c h strafbar. Die Verjährung beginnt mit der Handlung selbst, durch welche die Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandse erfolgt. III. § 68 d e s P e r s o n e n s t a n d s g . v o m 6. F e b r u a r 1 8 7 5 b e d r o h t a l s Gefährdung des Personenstandes d i e V e r l e t z u n g d e r in d e n §§ 1 7 b i s 20, 22 b i s 24, 56 b i s 58 dieses G e s e t z e s b e g r ü n d e t e n A n z e i g e pflichten. D o c h t r i t t d i e S t r a f v e r f o l g u n g n i c h t e i n , w e n n die Anzeige, o b w o h l n i c h t v o n d e n z u n ä c h s t V e r p f l i c h t e t e n , d o c h rechtzeitig g e m a c h t worden ist. S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft. § 114.
2. Strafbare Handlungen bei Schließung der Ehe.
Literatur. Kohlrausch VD Bes. T. 4473. — Bittner Die Eheerschleichung. Würzburger Diss. 1907. Cartlier Der Ehebetrug. Gießener Diss. 1909. I. D i e Eheerschleichung (der E h e b e t r u g ) u m f a ß t n a c h S t G B § 170 zwei Fälle:1) 1. Die a r g l i s t i g e V e r s c h w e i g u n g e i n e s gesetzlichen (und z w a r t r e n n e n d e n ) E h e h i n d e r n i s s e s b e i E i n g e h u n g d e r E h e . „ A r g l i s t " i s t (wie b e i m B e t r u g ) T ä u s c h u n g d u r c h V o r s p i e g e lung, Unterdrückung oder Entstellung von Tatsachen.2) 2. D i e a r g l i s t i g e V e r l e i t u n g d e s a n d e r e n T e i l e s z u r E h e s c h l i e ß u n g m i t t e l s einer T ä u s c h u n g , die d i e s e n b e r e c h t i g t , die Gültigkeit der Ehe anzufechten. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten. Auflösung der Ehe aus einem dieser Gründe ist B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t (oben § 44 III).®) A n t r a g sv er g e h e n ; die A n t r a g s f r i s t beginnt zu laufen erst mit der Kenntnis des Berechtigten von dem die Ehe lösenden rechtskräftigen Erkenntnisse (oben § 44 Note 4). Dagegen läuft die V e r j ä h r u n g s f r i s t schon von dem Tage, an dem die Handlung begangen ist, also von dem Tage der Eheschließung (oben § 44 III). II. E s gehören w e i t e r hierher drei Amtsverbrechen, v o n d e n e n d a s letzte nach geltendem R e c h t zu den A m t s d e l i k t e n i m engeren Sinne g e h ö r t : x) V E § 178 faßt zusammen: „Wer einen andern durch arglistige Täuschung zur Eingehung einer nichtigen oder anfechtbaren Ehe bestimmt." Ebenso G E § 230 und K E . a) Vgl. oben § 98 III 3. Ebenso Allfeld 474. Dagegen verlangen Binding Normen 2 605, Frank § 170 I die Absicht oder doch das Bewußtsein, den anderen Teil zu schädigen. Nach SchwartZ § 170 Note 1 ist Arglist „die schlechthin verwerfliche List". 8) Die Streitfrage ist dieselbe wie beim Ehebruch (unten § 116 Note 3). Übereinstimmend Binding Normen 1 130, 2 464; dagegen die meisten, insbes. Allfeld 472, Binding 1 601, Finger 1 120, Frank § 172 III, Wachenfeld 452, R wiederholt, zuletzt 5 261, 22 135, die hierin nur eine Bedingung der Strafverfolgung erblicken.
§ 115-
3- Die mehrfache Ehe.
375
1 . des Standesbeamten, der unter (vorsätzlicher) Außerachtlassung der „indiesem Gesetze und in d e m B ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h e " gegebenen Vorschriften „eine Eheschließung vollzieht" 4 ) {§ 69 des Personenstandsg. vom 6. Februar 1 8 7 5 ) ; 2. des Geistlichen oder Religionsdieners (Begriff unten § 1 7 4 I I I 5), der zur Trauung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei (§ 67 Personenstandsg.; an Stelle des § 3 3 7 S t G B getreten); 5 ) 3. des (Religionsdieners oder) Personenstandsbeamten, der, wissend, daß eine Person verheiratet ist, deren neue Ehe „schließt" 4 ) ( S t G B § 3 3 8 ; unten § 1 7 9 III). In allen Fällen kann überdies Beihilfe zur Doppelehe in Frage kommen. Die Verjährung beginnt (anders nach S t G B § 1 7 1 ) mit der Vornahme der strafbaren Handlung. S t r a f e : Zu 1: Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. Zu 2: Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Zu 3: Zuchthaus bis zu fünf Jahren; Versuch strafbar. Die Strafbarkeit zu 2 entfällt 7 ) im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines der Verlobten. § 115.
3. Die mehrfache Ehe.
Literatur. Mittermaier VD Bes. T. 4 84. — Hälschner GS 22 424. v. Weickhmann (Lit. zu § 21). • Seckel Die Aufhebung und die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nach dem BGB 1900. Thomsen DJZ 14 1433. Hoche Das Verbrechen der Bigamie unter besonderer Berücksichtigung der im Auslande abgeschlossenen bigamischen Ehen. Heidelberger Diss. 1912. Becker Die strafrechtlichen Konsequenzen einer nichtigen Ehe. Münstersche Diss. 1912. I. Geschichte. Die m e h r f a c h e E h e , regelmäßig, aber ungenau, Doppelehe oder Bigamie genannt, ist die Verletzung des Ehebandes durch M i ß b r a u c h d e r E h e s c h l i e ß u n g s f o r m . Im römischen Recht seit Diokletian init Infamie belegt (1. 18 C. 9, 9), ist sie der Auffassung des früheren deutschen Mittelalters als besonderes Vergehen fremd und, soweit nicht das kirchliche Recht eingreift, nur als Ehebruch oder Entführung strafbar (Frauenstädt Z 10 234). Erst die späteren Quellen, z. B. die Stadtrechte von Ripen, Soest, Hamburg, Bremen u. a. aus dem 13. Jahrhundert (Loening Z 5 224, Osenbrüggen Alamannisches Strafrecht 282, Knapp 228 und Z 12 236) sowie die Tiroler Malefizordnung 1499, envähnen die Doppelehe als selbständig strafbare Handlung. Während Bambergensis 146 die Todesstrafe als den kaiserlichen Rechten zuwiderlaufend ausdrücklich ausschloß, bestimmte die PGO in Art. 121, daß die der Doppelehe Schuldigen, „wiewohl die kaiserlichen Rechte auf solche Übeltat keine Strafe am Leben setzen . . . nicht weniger als die Ehe*) Die gesperrten Worte sind eingefügt durch Art. 46 IV E G zum BGB. — Aber auch durch diese erweiterte Fassung werden die Fälle nicht getroffen, im denen eine Ehe deutscher Staatsangehöriger nach dem G vom 4. Mai 1870 im Auslande vor dem deutschen Konsul usw. geschlossen wird. 6 ) Eingearbeitet in GE als § 229. •) Zu BGB § 1317 vgl. § 75 Personenstandsges. ') Art. 46 I I I E G zum BGB. Vgl. oben § 34 Note 9.
3 76
§115.
3- Die mehrfache Ehe.
brüchigen peinlich gestraft werden sollen". Das gemeine Recht verhängte demgemäß die Strafe des Schwertes (so Kurpfalz 1582, Hamburg 1603, Bayern 1616, Preußen 1620, Österreich 1656), verlangte aber, eben wegen der Gleichstellung mit dem Ehebruch, zur Vollendung Vollziehung des Beischlafs (so noch Bayern 1751, Österreich 1786). Auch die gemeinrechtliche Literatur (Koch, Kreß, Böhmer u. a.) hielt an dieser Auffassung fest und dehnte die Strafbarkeit auf das crimen binorum sponsaliorum aus, bis die Aufklärungszeit (von Thomasius bis auf Soden) die Strafbarkeit überhaupt in Frage stellte. Erst mit dem Siege der staatlichen Eheschließung ist die Stellung der mehrfachen Ehe im Systeme gesichert. I I . Doppelehe i s t n a c h S t G B § 1 7 1 S c h l i e ß u n g e i n e r E h e von einem oder mit einem E h e g a t t e n , bevor die frühere Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist.1) V o r a u s g e s e t z t i s t m i t h i n eine d e n g e s e t z l i c h e n V o r s c h r i f t e n ü b e r die F o r m der E h e s c h l i e ß u n g e n t s p r e c h e n d e E h e , m a g diese a u c h n i c h t i g sein. 2 ) N i c h t n u r d e r v e r h e i r a t e t e , s o n d e r n a u c h d e r u n v e r h e i r a t e t e T e i l ist nach d e m einheitlichen Strafrahmen des Gesetzes strafbar.3) Ü b e r d e n B e i h i l f e l e i s t e n d e n R e l i g i o n s d i e n e r oder P e r s o n e n s t a n d s b e a m t e n vgl. oben § 1 1 4 II. V o r s a t z ist erforderlich; eventueller Vorsatz genügt. Der Versuch beginnt mit d e m Anfange der Eheschließungshandlung,4) so d a ß Verlobung, Aufgebot, F a h r t z u m Standesbeamten usw. als s t r a f l o s e V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n erscheinen. Die V o l l e n d u n g i s t m i t d e r d u r c h die E r k l ä r u n g e n d e r V e r l o b t e n { B G B § 1 3 1 7 ) vollendeten Eheschließung gegeben; Geschlechtsgemeinschaft ist n i c h t erforderlich. D i e Doppelehe ist mithin kein D a u e r verbrechen, s o n d e r n ein Z u s t a n d s v e r b r e c h e r n 5 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die V e r j ä h r u n g beginnt, kraft besonderer, aus allgemeinen Grundsätzen (oben § 77 II) nicht abzuleitender, daher auf andere Fälle nicht auszudehnender Vorschrift des Gesetzes, erst mit dem Tage, an dem eine der beiden Ehen aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Vgl. Art 34 V E G zum B G B . Auch eine nach B G B gültige zweite Ehe kann mithin strafbare Bigamie sein. — Kürzer V E § 179: „wer wissentlich eine Ehe eingeht, die für ihn oder den andern Ehegatten eine Doppelehe i s t . " Ebenso G E § 231. K E kehrt zu dem geltenden Recht zurück. s ) Ebenso Frank § 1 7 1 1 , Schwartz § 171 Note 2. Dagegen Wachenfetd 453. 3 ) Wenn ein Gatte (A), nachdem der andere (B) für tot erklärt worden ist, eine neue Ehe (mit C) eingeht, so ist, falls B noch lebt, die neue Ehe nur dann nichtig, wenn beide Gatten bei der neuen Eheschließung wissen, daß B die Todeserklärung überlebt hat. War daher nur A , nicht aber C in bösem Glauben, so wird m i t d e r S c h l i e ß u n g d e r n e u e n E h e die frühere aufgelöst ( B G B § 1348). A kann aber dennoch nach S t G B § 171 gestraft werden, da bei Schließung der neuen Ehe die alte noch nicht aufgelöst war. 4 ) Nach Schwartz § 171 Note 5 beginnt der Versuch für jeden Teil mit dem Beginn seiner Erklärung. ») Ebenso RMilG 19 233.
§ 116.
4. Der Ehebruch.
3 77
§ 116. 4. Der Ehebruch. Literatur. Mittermaier V D Bes. T . 4 9 1 . - - Hälschner G S 22 401. Rosenthal Die Rechtsfolgen des Ehebruchs nach kanonischem und deutschem R e c h t 1880. Bennecke Die strafrechtliche Lehre v o m Ehebruch 1884. Kahn D i e Bestrafung des Ehebruchs in der heutigen Gesetzgebung und de lege ferenda. Tübinger Diss. 1902. Seckel (Lit. zu § 115). Welsch Die Bestrafung des E h e bruchs nach römischem, kanonischem und älterem deutschen Recht. Heidelberger Diss. 1908. Ahrens D a s Ehescheidungserfordernis des § 172 S t G B . Rostocker Diss. 1908. Wolff D a s Rechtsschutzobjekt und das Problem d e r Bestrafung des Ehebruchs. Heidelberger Diss. 1908. Pfeil Der Ehebruch in seiner geschichtlichen Entwicklung und n a c h geltendem Recht 1908. Cohn (Manfred) D a s Problem der Bestrafung des Ehebruchs (V. Lil. H e f t 190) 1916. I. Geschichte. Erst durch die lex Julia de adulteriis v o m Jahre 17 v . Chr. wurde der Ehebruch dem Kreise der v o m r ö m i s c h e n R e c h t e mit öffentlicher Strafe belegten Verbrechen eingefügt (D. 48, 5; C. 9, 9); seit dem 3. Jahrhundert t r i f f t ihn kapitale Strafe. Im übrigen blieb der Gesetzgeber den aus der hausherrlichen Gewalt des Mannes erklärlichen Volksanschauungen t r e u : Nur der Bruch der ehelichen Treue durch die Frau und die Störung fremder Ehe durch den Mann (temerator alienarum nuptiarum), nicht aber der geschlechtliche Verkehr des verheirateten Mannes mit einer unverheirateten weiblichen Person, erschien als adulterium. Die uralte Tötungsbefugnis blieb, wenn auch nur innerhalb enger Grenzen, dem V a t e r sowohl als auch dem Gatten. N a c h Justinianischem R e c h t t r i f f t den Ehebrecher das Schwert; die Ehebrecherin kommt ins Kloster, aus dem sie ihr G a t t e nach zwei Jahren befreien kann (Novelle 134). Seit Konstantin ist das Anklagerecht auf die nächsten V e r wandten beschränkt. A u c h nach der Auffassung des d e u t s c h e n Rechts kann der E h e b r u c h nur von der verheirateten Frau und ihrem Mitschuldigen begangen werden. Von der Strafgewalt des Ehemannes berichtet uns TacitUS Germ. 19. Die Unzucht der B r a u t m i t einem anderen steht dem Ehebruche der Frau gleich. Die Auffassung der K i r c h e , die, von der Bedeutung der Ehe als Sakrament ausgehend, von dem Manne dieselbe Keuschheit forderte wie von der F r a u (c. 4 C. 32 qu. 4), vermochte dem weltlichen Rechte gegenüber nicht durchzudringen, obwohl der Ehebruch zumeist zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gezogen wurde. Ssp. 2 13, 5 setzt wie Schsp. 174 I I I auf die „ o v e r h u r e " das Schwert; meist aber begnügte sich die Rechtsprechung mit willkürlicher Strafe. Die Bambergensis 145 hatte die verschiedenen Fälle noch genau zu trennen versucht; der Mann, der m i t einer Ehefrau die Ehe brach, sollte m i t dem Schwert, dagegen der Ehebruch „ m i t einem ledigen W e i b s b i l d " nur willkürlich gestraft werden, Verfolgung von A m t s wegen nur bei „öffentlichem, unzweifelhaftem, ärgerlichem E h e b r u c h e " stattfinden. P G O 120 begnügte sich mit der Verweisung auf „die Sage unserer Vorfahren und unsere kaiserlichen R e c h t e " . D a m i t war der Landesgesetzgebung freier Spielraum gelassen. Vielfach bemühte sich diese, Mann und W e i b gleichzustellen, und bedrohte auch den Ehemann, der sich mit einem Mädchen verging, m i t dem Schwerte (Z 19 235); so Sächsische Konstitutionen 4 18 (dazu Distel Z 10 431), Preußen 1620, wiederholte österreichische Verordnungen im. 16. und 17. Jahrhundert. Sachsen h a t erst 1783 die Todesstrafe beseitigt. Dennoch war die Rechtsprechung sehr schwankend (praxis incertissima, k l a g t Böhmer), und die Todesstrafe w u r d e wohl nur selten verhängt. Öffentliche Verfolgung blieb ausgeschlossen; nur bei öffentlichem Ärgernis (durch Zusammenwohnen m i t der Beischläferin) wurde nach den RPolizeiordnungen v o n A m t s wegen ein-
37»
§ II6.
4. Der Ehebruch.
geschritten. Noch milder war die Zeit der Aufklärung; sah sie doch in dem Ehebruch nur die Verletzung des aus dem Ehevertrage entspringenden rein privatrechtlichen Anspruches auf ausschließlichen geschlechtlichen Verkehr. Österreich 1787 verwies den Ehebruch unter die „politischen Verbrechen"; auch A L R 1062 ist nur gegen die ehebrecherische Frau streng. Die neuere Gesetzgebung hat, von wenigen Ausnahmen (auch Hamburg 1869) abgesehen, an der Strafbarkeit des Ehebruches trotz der entgegenstehenden schweren Bedenken festgehalten (indem sie die Ehe als Grundlage der staatlichen Ordnung betrachtet), diese aber mannigfach eingeschränkt. Dabei ist insbesondere auf deutschem Boden zumeist übersehen worden, daß die größere Strafwürdigkeit der Frau, dem Ehemann gegenüber, in der perturbatio sanguinis physiologisch begründet ist. V E § 180 und GE § 232 wiederholen das geltende Recht. Nach K E kann von Bestrafung abgesehen werden, wenn zur Zeit der Tat die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben und nach Lage des Falles eine Bestrafung nicht geboten ist. I I . D e r Begriff des Ehebruchs w i r d v o n § 1 7 2 R S t G B als gegeben vorausgesetzt. N a c h allgemeinem Sprachgebrauche wird der Eheb r u c h n u r b e g a n g e n d u r c h B e i s c h l a f (oben § 1 1 1 I I I ) , w ä h r e n d j e d e r a n d e r s a r t i g e , w e n n a u c h s i t t l i c h n o c h so v e r w e r f l i c h e geschlechtliche V e r k e h r m i t P e r s o n e n d e s anderen o d e r d e s s e l b e n G e s c h l e c h t s n i c h t als E h e b r u c h betrachtet wird.1) A u c h der verheiratete Mann, der eine F r a u e n s p e r s o n z u m B e i s c h l a f n ö t i g t ( S t G B § 177) o d e r verleitet ( S t G B § 179), m a c h t s i c h d e s E h e b r u c h s s c h u l d i g ; n i c h t a b e r d e r t m v e r h e i r a t e t e , d e r sich in dieser W e i s e g e g e n eine E h e f r a u v e r g e h t , d e n n i n d i e s e m F a l l e i s t die S c h e i d u n g d e r E h e ausgeschlossen. 2 ) V o r a u s s e t z u n g d e s E h e b r u c h s i s t d a s G e g e b e n s e i n einer m a t e r i e l l b e s t e h e n d e n (also n i c h t n i c h t i g e n ) , w e n n a u c h a n f e c h t b a r e n E h e . 3 ) B e i A u f h e b u n g d e r ehelichen G e m e i n s c h a f t ( B G B § 1575) e n t f ä l l t m i t d e r T r e u p f l i c h t die M ö g l i c h k e i t d e s E h e b r u c h s . D i e V o l l e n d u n g tritt m i t der Vereinigung der Geschlechtsteile ein; Samenerguß ist nicht erforderlich. Der E h e b r u c h ist jedoch nur d a n n s t r a f b a r , wenn w e g e n d i e s e s E h e b r u c h s die Ehe geschieden und d a m i t festgestellt i s t , d a ß er d a s eheliche Z u s a m m e n l e b e n u n m ö g l i c h g e m a c h t hat. 4 ) N a c h B G B § 1565 A b s . 2 i s t d a s R e c h t d e s v e r l e t z t e n E h e g a t t e n Anders das A L R , welches „Sodomiterei und andere unnatürliche Laster" ausdrücklich gleichgestellt hatte. 4) Dagegen (völlig willkürlich) Binding Lehrb. 1 233. 3) Nach SchwartZ § 172 Note 2 ist Ehebruch auch bei der materiell nichtigen Ehe möglich; das ist aber rein privatrechtlich gedacht. Über das Bestehen der Ehe hat der Strafrichter zu entscheiden. 4) Scheidung wegen e i n e s Ehebruchs bedeutet daher Straflosigkeit aller anderen. Ebenso rechtliche Unmöglichkeit der Scheidung. —• Die Scheidung ist Bedingung der Strafbarkeit; vgl. oben § 114 Note 3. Ebenso Cohn. Dagegen die Meisten; so auch Schwartz § 172 Note 1. — Schwierigkeiten entstehen, wenn Doppelehebruch vorliegt. Hier kann der verheiratete Mitschuldige gestraft werden, auch wenn s e i n e Ehe nicht gelöst ist, und sein Gatte keinen Strafantrag stellt. — Tötet der Ehebrecher den verletzten Gatten im Zweikampf, so sichert er sich und der Frau damit die Straflosigkeit wegen Ehebruchs.
§ 117- Geschichte und Begriff der Religionsdelikte.
379
auf Scheidung und damit die Strafbarkeit des schuldigen Teiles ausgeschlossen, wenn jener dem Ehebruche zugestimmt oder sich der Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) schuldig gemacht hat. Der Ehebruch ist A n t r a g s v e r g e h e n . Der Lauf der A n t r a g s f r i s t beginnt mit der Kenntnis von der Rechtskraft des Scheidungsurteils (oben § 44 Note 4), während die V e r j ä h r u n g der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel schon mit der Begehung des Ehebruchs beginnt, allerdings aber nach § 69 StGB während der Dauer des Scheidungsverfahrens ruht. Die Strafe des Ehebruchs beträgt Gefängnis bis zu sechs Monaten.
V. Strafbare Handlungen gegen die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl. § 117.
Geschichte und Begriff.
Literatur. Kahl VD Bes. T. 3 1. Derselbe Festschrift für Brunner 1914 S. 231. Kohler Studien 1 160, 5 596. Wach Deutsche Z für Kirchenrecht 2 ü, 261. Crusert Der strafrechtliche Schutz des Rechtsgutes der Pietät 1890 (Abhdlgn. des Kriminalist. Seminars (Halle a/S) 2 1). V. Rohland Historische Wandlungen der Religionsverbrechen. Festschrift zum Regierungsjubiläum des Großherzogs Friedrich 1902. Buch Die Religionsverbrechen im RStGB. Leipziger Diss. 1903. Belitlg Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften usw. (Festgabe für Dahn) 1905. Freymond Die Religionsdelikte des deutschen RStGB. Leipziger Diss. 1906. Baur Die Religionsvergehen im deutschen Strafrecht. Heidelberger Diss. 1907. V. Tempski Die Religionsvergehen. Heidelberger Diss. 1908. Moser Religion und Strafrecht, insbes. die Gotteslästerung (V. Lil. Heft 110) 1909. Kohlrausch Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften 1908. Wulften Reform 2 120. Feder Die Religionsvergehen im VE (Häringsche Festgabe für v. Liszt S. 54) 1911. Glaser Z 38 825. Misch Der strafrechtliche Schutz der Gefühle (V. Lil. Heft 133) 191 x. Pfeifer Die strafrechtliche Stellung der Geistlichen und Religionsdiener. Freiburger Diss. 1911. Rode Die Gotteslästerung. Rostocker Diss. 1911. Heppacher § 166 RStGB und die Reform. Erlanger Diss. 1912. Wesenberg Der strafrechtliche Schutz der geheiligten Gegenstände (v. Lil. Heft 158) 1912. Ahrens Der strafrechtliche Schutz des religiösen Gefühls im geltenden Recht, im VE und im GE (V. Lil. Heft 159) 1912. Bode Die Religionsdelikte im StGB. Leipziger Diss. 1914. König Die Religionsdelikte nach kantonal schweizerischem Strafrecht (V. Lil. Heft 195) 1917. — E. Merkel Der Leichenraub 1904. Koch Leichnam und Grab im Strafrecht. Rostocker Diss. 1910. Gareis Das Recht am menschlichen Körper (Festgabe für Schirmer) 1910. Petrakos Die Toten im Recht 1905. Mommsen 567, 595. Hinschius Kirchenrecht 4 790. I. Geschichte. Wenige Vergehen bieten der richtigen grundsätzlichen Auffassung und der durch diese bedingten Einreihung in das System größere Schwierigkeiten als die Religionsvergehen; wenige Vergehen haben im Laufe der Jahrhunderte öfter und rascher ihre Eigenart verändert, Umfang und Inhalt gewechselt. 1. Das r ö m i s c h e Recht der republikanischen Zeit kennt keine Religionsverbrechen (deorum injuriae diis cura). Erst den Lehren des J u d e n t u m s entstammt die Auffassung, daß die weltliche Rechtsordnung die Aufgabe habe, die rachsüchtige G o t t h e i t selbst zu schützen gegen frevelnde Beleidi-
§ 117.
Geschichte und Begriff der Religionsdelikte.
g u n g . D a m i t ist G o t t z u m Menschen h e r a b g e w ü r d i g t ; u n d u m die G o t t e s l ä s t e r u n g (Blasphemie) schließen sich eine Anzahl anderer Religionsverbrechen zusammen z u m c r i m e n l a e s a e m a j e s t a t i s d i v i n a e , dem ersten u n d schwersten aller Verbrechen, in seinem T a t b e s t a n d e d e m bürgerlichen Majestätsverbrechen nachgebildet, wie der Begriff des göttlichen Herrschers d e m des irdischen L a n d e s h e r m . D a s ist der S t a n d p u n k t des spätrömischen Rechts, das in Novelle 77 die Gotteslästerung m i t der Todesstrafe belegte, d a m i t d a s L a n d nicht v o m Zorne der unversöhnten G o t t h e i t heimgesucht werde. Auf ihr b e r u h t der Wormser Reichsabschied v o n 1495, auf dem A r t . 106 der P G O f u ß t . Dieser b e d r o h t m i t Strafe a n Leib, Leben oder Gliedern (Verlust der Zunge: Sächsische K o n s t i t u t i o n e n 4 1, Josephina 1707; vgl. Günther 2 62, a b e r auch Z 9 210) denjenigen, „welcher G o t t zumißt, was G o t t nicht bequem ist, oder m i t seinen W o r t e n Gott, was i h m zusteht, abschneidet, die Allmächtigkeit Gottes, seine heilige M u t t e r , die J u n g f r a u Maria, s c h ä n d e t " . D a s gemeine R e c h t weist m a n c h e Schwankungen auf. Zumeist unterschied m a n u n m i t t e l b a r e u n d mittelb a r e Lästerung Gottes u n d b e s t r a f t e die erstere m i t d e m Tode. Daneben finden sich auch, insbesondere in den RPolizeiordnungen von 1530, 154S u n d 1577, zahlreiche Bestimmungen gegen das F l u c h e n u n d S c h w ö r e n . Auch die unterlassene Anzeige w u r d e u n t e r Strafe gestellt. Vergebens t r a t e n die Schriftsteller der Aufklärungszeit (Montesquieu, Quistorp u. a.) f ü r die Straflosigkeit ein. Joseph II. drohte 1787 (nach dem Vorschlage Martinis) m i t Einsperrung ins Tollhaus. E r s t im A L R 217 („Wer d u r c h öffentlich ausgestoßene grobe Gotteslästerungen zu einem Ärgernis Anlaß gibt") f i n d e n wir als neuen Gesichtspunkt die Betonung des r e l i g i ö s e n G e f ü h l s . 2. Seitdem d a s Christentum im römischen Reiche zur S t a a t s r e l i g i o n e r k l ä r t worden (379), wird diese d u r c h strenge Strafdrohungen geschützt. A p o s t a s i e u n d H ä r e s i e erscheinen als politische Verbrechen, wie seit dem J a h r e 425 (Valentinian III.) das B e k e n n t n i s z u m H e i d e n t u m . I m deutschen Mittelalter zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gehörend, wird die K e t z e r e i in d e n weltlichen Quellen meist m i t dem F e u e r t o d e bed r o h t (Ssp. 2 13, 7). Auf alamannischem Boden f a n d die erste Ketzerverb r e n n u n g 1229 s t a t t (Osenbrüggen 90). Auf dem gleichen S t a n d p u n k t e s t e h t die Bambergensis 130. D a s Schweigen der P G O l ä ß t der Landesgesetzgebung freien Spielraum. B r a n d e n b u r g 1582, die Tiroler Landesordnungen, zahlreiche österreichische Verordnungen des 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t s halten a n der Todesstrafe fest. Dagegen will Carpzov nur Landesverweisung. Thomasius b e k ä m p f t schon 1697 die S t r a f b a r k e i t der Häresie. Doch finden sich beide Verbrechen noch in B a y e r n 1751 u n d Österreich 1768. A b e r a u c h das Zeitalter der A u f k l ä r u n g h a t , freilich von anderem S t a n d p u n k t e aus, a n dieser Auffassung festgehalten. I h m ist die Religion der „ L e i t r i e m e n " , m i t d e m d e r S t a a t seine U n t e r t a n e n l e n k t (Sonnenfets). Verbreitung v o n Irrlehren, Verleitung zum Abfall v o m christlichen Glauben werden d a h e r in Österreich 1787, das Sektenstiften in P r e u ß e n 1794 unter Strafe gestellt. P o r t u g a l schützt noch h e u t e die Staatsreligion; Österreich h a t erst durch das G v o m 25. Mai 1868 W a n d e l geschafft. U n d dieselbe Auffassung, wenn a u c h in v e r ä n d e r t e r Gestalt, k e h r t in unseren Tagen wieder bei den Schriftstellern, welche die Religion an sich als „ G r u n d l a g e des Staatslebens" oder als „ K u l t u r g u t " u n t e r strafrechtlichen Schutz gestellt u n d die Gotteslästerung als Vergehen gegen die öffentliche O r d n u n g b e s t r a f t wissen wollen (Wahlberg, Kohler, Kahl). 3. Die richtige Auffassung b e r u h t auf der E r k e n n t n i s , d a ß die A u f g a b e des Staates sich darauf zu beschränken h a t , die F r e i h e i t d e r R e l i g i o n s -
§ 117.
Geschichte und Begriff der Religionsdelikte.
381
Ü b u n g gegen rechtswidrige Verletzung zu schützen. Damit erscheint die schon im Justinianischen Recht (Novelle 123 c. 31) mit kapitaler Strafe bedrohte S t ö r u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s , die turbatio sacrorum, als der Kernp u n k t der Religionsverbrechen. A L R 214 steht bereits teilweise auf diesem Standpunkte. Mit voller Bestimmtheit vertritt ihn der Code pénal. Im 19. Jahrhundert tritt die F r i e d e n s s t ö r u n g mehr und mehr in den Vordergrund. G E § 173 stellt die Religionsdelikte, 'der Anregung Köhls folgend, in diese Gruppe, während V E §§ I 5 5 f f . und ihm folgend K E an dem geltenden Recht festhalten. Daneben kann die G o t t e s l ä s t e r u n g (mit einigen anderen T a t beständen) nur als Verletzung des r e l i g i ö s e n G e f ü h l e s in Betracht kommen; die Erregung eines Ärgernisses ist daher unentbehrliches Begriffsmerkmal (abweichend die Entwürfe).
II. Die Bestimmungen unseres S t G B zerfallen in zwei Gruppen. 1 ) 1. Der strafrechtliche Schutz gilt zunächst der Religionsfreiheit (dem Religionsfrieden), d. h. der freien Betätigung der religiösen Überzeugung innerhalb der bestehenden R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n ; Hinderung ihres Gottesdienstes ( S t G B § 167), Beschimpfung der Gesellschaft ( S t G B § 166, 2. Satz), Unfug in den zu religiösen Versammlungen bestimmten Orten ( S t G B § 166, 3. Satz) werden unter Strafe gestellt. Die Religionsdiener genießen keinen erhöhten Schutz. Die Wegnahme oder Beschädigung von Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind, die Beschädigung von Gegenständen der Verehrung werden strenger bestraft, als wenn andere Sachen in Frage stehen ( S t G B §§ 243 Ziff. 1, 304). 2. Aber auch unabhängig von jeder genossenschaftlich-konfessionellen Grundlage wird das religiöse Gefühl d e s e i n z e l n e n , d . h. die gemütlich betonte Überzeugung (oben § 103 I 2) von einer über dem Menschen stehenden Weltordnung, geschützt; S t G B § 166, 1. Satz bedroht die Gotteslästerung, § 168 die Verletzung des Totenund Gräberfriedens, § 304 die Beschädigung von Grabmälem; auch § 189 (Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen) wird von manchen hierher gerechnet (oben § 95 Note 5). Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Erörterung der im 11. Abschnitte des R S t G B zusammengefaßten Vergehen. III. Die reichsrechtliche Regelung der sog. Religionsvergehen ist abschließend, landesrechtliche Ergänzung rechtsunwirksam. 2 ) Abweichend rechnen die O b j e k t e der „Religionsdelikte" zu den allgemeinen Rechtsgütern namentlich Allfeld, V. Rohland und Kohl (der aber die selbständige Stellung der Gruppe verwirft). — Die Verletzung der Sonntagsruhe, von Binding zu den Religionsdelikten gestellt, hat heute im wesent liehen sozialpolitische Bedeutung. *) Dagegen Binding 1 322.
§ Il8.
382
§ 118.
Die einzelnen Religionsvergehen.
Die einzelnen Religionsvergehen.
I. Gotteslästerung ist nach S t G B § 166 E r r e g u n g e i n e s Ä r g e r n i s s e s d u r c h ö f f e n t l i c h und in beschimpfenden Äußerungen erfolgende Lästerung Gottes.1) Der Gottesbegriff ist nicht i m Sinne einer philosophischen, über Zeit und R a u m sich erhebenden, Verallgemeinerung oder im Sinne des allen christlichen Bekenntnissen mit dem Judentume gemeinsamen Monotheismus, sondern so aufzufassen, wie er von den Gottesgläubigen in und außer den anerkannten Religionsgesellschaften tatsächlich gefaßt wird; 2 ) daher fällt auch die Lästerung des Gottessohnes oder des heiligen Geistes wie des jüdischen Jehovah unter den Begriff der Gotteslästerung. Die Lästerung, d. h. (wie bei der Beleidigung) die Kundgebimg der Nichtachtung, muß ö f f e n t l i c h (oben § 109 I) und in b e s c h i m p f e n d e n , d. h. in solchen mündlichen oder schriftlichen Äußerungen erfolgen, welche die Roheit des Ausdruckes mit dem lästernden Inhalt verbinden. 3 ) Andere Handlungen (vgl. S t G B § 183), insbesondere bildliche Darstellungen, gehören nicht hierher (bestritten). Die Lästerung an sich genügt aber nicht; es muß durch sie vielmehr Ä r g e r n i s e r r e g t , d. h. das religiöse Gefühl, wenn auch nur eines anderen, verletzt werden (vgl. oben § 109 I). Der V o r s a t z m u ß auch dieses Merkmal umfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren.
II.
öffentliche Beschimpfung
einer m i t
Korporationsrechten
innerhalb des Reichsgebietes (nicht der deutschen Schutzgebiete) bestehenden Religionsgesellschaft4) a) als solcher, b) ihrer Einrichtungen oder c) ihrer Gebräuche ( S t G B § 166).5) 1 ) Abweichend V E § 155: „Wer öffentlich und böswillig in beschimpfender Weise Gott lästert." Ebenso G E § 173 und K E . ! ) Übereinstimmend Misch; ferner (aber mit der aus § 166 Satz 2 herübergenommenen Einschränkung auf die a n e r k a n n t e n Gesellschaften) R 6 77 sowie die überwieg. Meinung, insbes. Allfeld 573, Frank § 166 I, Schwariz § 1 6 6 Note 2, Wach 169; dagegen Binding Lehrb. 1 179, Kahl 86, Merkel 371, nach denen nur der allen monotheistischen Religionen gemeinsame Gottesbegriff geschützt sein soll. 3 ) Vgl. oben § 95 Note 10. — Also nicht nur eigentliche Schimpfreden; R 30 194. — Wissenschaftliche Erörterung der Gottesidee bleibt straflos. *) Auch die christlichen Kirchen werden nur geschützt, soweit sie Korporationsrechte besitzen. Die Altkatholiken sind als Zweig der katholischen Kirche in Preußen anerkannt; die griechisch-katholische Kirche besitzt in München Korporationsrechte ( K a h l 41) beide sind daher reichsrechtlich durch § 166 geschützt. Nicht aber die anglikanische Kirche; ebenso Allfeld 574, Binding Lehrb. 1 180, Frank § 166 II. ') V E § 156 hat die „Einrichtungen und Gebräuche" gestrichen und verlangt „böswillige" Beschimpfung. Ebenso G E 174 und K E .
§ Il8. Die einzelnen Religionsvergehen.
383
V o n den E i n r i c h t u n g e n und G e b r ä u c h e n (Sakramente, P a p s t t u m , Zölibat, A b l a ß , Marienkultus, Mönchswesen, Heiligenund Reliquienverehrung) sind die G l a u b e n s s ä t z e (Dreifaltigkeit, Menschwerdung Christi, unbefleckte E m p f ä n g n i s , päpstliche U n fehlbarkeit), die einzelnen tatsächlichen E r e i g n i s s e (Reformation, Vatikanisches Konzil, Abschließung eines Konkordats), ferner die G e g e n s t ä n d e der Verehrung (der „heilige R o c k " zu T r i e r 6 ) , die heiligen S c h r i f t e n , die verehrten P e r s o n e n (Religionsstifter usw.) zu unterscheiden. Doch k a n n deren B e s c h i m p f u n g eine mittelbare Beschimpfung der Religionsgesellschaft selbst enthalten. D e n Äußerungen stehen bildliche Darstellungen hier (anders oben I) gleich. Vorsatz genügt, eine besondere A b s i c h t ist nicht erforderlich. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren. III. Die VerÜbung beschimpfenden Unfugs in (Kirchen oder in) einem (anderen) zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte ( S t G B § 166). Der Schutz der Kultusorte erstreckt sich auf alle bestehender, nicht bloß auf die staatlich anerkannten Religionsgesellschaften. Der Ort m u ß zu religiösen Versammlungen, nicht notwendig zum Gottesdienste, b e s t i m m t sein; tatsächliche B e n u t z u n g genügt nicht. F r i e d h ö f e gehören zu den v o m Gesetze geschützten Orten, wenn und soweit sie zu religiösen Versammlungen b e s t i m m t sind, mögen sie auch im Eigentum politischer Gemeinden stehen. Unter dieser Voraussetzung sind auch zur Feuerbestattung, nicht aber zu konfessionsloser Beerdigung bestimmte Orte hierher zu rechnen. — B e s c h i m p f e n d e r U n f u g ist jedes rohe, der Z w e c k b e s t i m m u n g des Ortes widersprechende, das religiöse Gefühl der V e r s a m m l u n g verletzende Betragen. 7 ) Er m u ß „ i n " einem „ O r t e " , d . h. in einem umgrenzten Räume 8 ) (also nicht auf freiem Felde, auf offener Straße), wenn auch von außen her, verübt sein. D e m T u n steht auch hier d a s rechtswidrige Unterlassen gleich. S t r a f e : wie zu II. IV. Die Störung des Gottesdienstes ( S t G B § 167). 1. Die durch Tätlichkeit (hier gleich Gewalt 9 )) oder D r o h u n g begangene H i n d e r u n g (Verhinderung oder Störung) e i n e s a n d e r e n a n d e r (sei es aktiven, sei es passiven) A u s ü b u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s (gemeinsamer Gottesverehrung) einer i m Staate tatsächlich ') Soweit hier nicht die Reliquienverehrung als solche angegriffen wird: R 24 12. Bedenklich R 22 238. ') Ebenso im wesentlichen R 31 410, 43 166. ') Dagegen R 29 334. •) Weitergehend Kahl 53 (jede körperliche Einwirkung), Frank § 94 I, Schwartz § 167 Note 4. Vgl. aber oben § 96 Note 1.
§ 118.
384 bestehenden
Die einzelnen Religionsvergehen.
Religionsgesellschaft10).
Zwang
zur
Ausübung
des
Gottesdienstes k a n n n u r als N ö t i g u n g s t r a f b a r sein. 2.
Die
vorsätzliche
Verhinderung
oder
Störung
G o t t e s d i e n s t e s 1 1 ) oder einzelner gottesdienstlicher (Taufe,
Trauung
usw.)
einer
solchen
des
Verrichtungen
Religionsgesellschaft
durch
E r r e g u n g v o n L ä r m o d e r U n o r d n u n g i n (einer K i r c h e o d e r in) e i n e m ( a n d e r e n ) z u r e l i g i ö s e n V e r s a m m l u n g e n b e s t i m m t e n O r t e (also n i c h t auf der Straße). Über den Ausschluß der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Daher ist Ehrennotwehr auch gegenüber beleidigenden Äußerungen des Religionsdieners zulässig (vgl. aber oben § 33 Note 7). S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren. Versuch straflos (anders S t G B § 24°)V . D i e Störung der Totenruhe und des Gräberfriedens. Sie wird gerade in den Jugendjahren der Völker mit besonders strengen Strafen belegt. Das r ö m i s c h e Recht hat die sepulchri violatio zum selbständigen Vergehen gemacht (D. 47, 12; C. 9, 19). Zahlreiche Stellen der d e u t s c h e n Volksrechte beschäftigen sich mit der Störung der Totenruhe; das fränkische Recht droht dem Leichenschänder die Friedlosigkeit (wargus sit; oben § 8 Note 2). Vgl. Schreuer (Lit. zu § 8 I) 64. Das spätere M i t t e l a l t e r erwähnt die Beraubung des Toten (den Reraub) besonders. Das g e m e i n e R e c h t hält, trotz des Schweigens der P G O , an der deutschen Auffassung fest und verhängt unter Umständen sogar Todesstrafe (so Preußen 1620). Die n e u e r e Gesetzgebung stellt die „Störung der Totenruhe" (R 12 168) zu den Religionsvergehen. Verletzt ist in Wahrheit das r e l i g i ö s e G e f ü h l (als dessen Unterart das Pietätsgefühl erscheint), u. z. nicht bloß der Hinterbliebenen. Daher ist religiöse Weihe des Grabes gleichgültig. Die F r i e d h ö f e werden überdies durch S t G B §§ 166, 167 geschützt. D a s R S t G B bedroht in § 168: 1. Die unbefugte W e g n a h m e e i n e r L e i c h e aus d e m s a m der dazu berechtigten Leiche
Gewahr-
Person.12)
ist die entseelte
Hülle eines Menschen, solange
der
Z u s a m m e n h a n g zwischen den Teilen des Körpers nicht völlig aufgehoben i s t ; auch die M u m i e , n i c h t die A s c h e des
Verbrannten.13)
Die
Unterschlagung,
Leiche wird
zur
Sache,
an der Diebstahl,
10 ) Die Entwürfe haben diesen Tatbestand gestrichen. " ) Vgl. RMilG 17 41 über den Fall, daß der Vortrag des Geistlichen Inhalt und Form einer Predigt überschreitet. n ) Vgl. § 367 Ziff. 1: Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder H a f t trifft den, der ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder beiseite schafft oder unbefugt einen T e i l e i n e r L e i c h e aus dem Gewahrsame der dazu berechtigten Personen wegnimmt. Dabei ist der im T e x t zu Note 13 gegebene Begriff festzuhalten. Der losgelöste, aller Fleischteile entkleidete Schädel ist kein Leichenteil mehr. V E § 158, G E § 177 und K E haben auch diesen Fall als Vergehen behandelt. — „Beiseiteschaffen" heißt (vgl. unten § 137 Note 8) der Verfügung des Berechtigten entziehen. Teilweise abweichend R 28 119. " ) Eie Entwürfe erwähnen die Asche ausdrücklich. Bezüglich der Mumie mit dem T e x t : Allfeld 576, Misch 185; dagegen Binding Lehrb. 1 185.
§119.
i. Der Hausfriedensbruch.
385
Sachbeschädigung, aber nicht mehr das Vergehen des § 168 möglich ist, sobald sie durch Überweisung an Anatomien usw. Gegenstand des Verkehrs geworden ist. 1 4 ) Die Wegnahme 15 ) muß aus dem G e w a h r s a m (hier nicht im technischen Sinne zu nehmen, sondern gleich Obhut) des dazu B e r e c h t i g t e n stattgefunden haben; fehlt es an einem solchen, wie bei I-eic.hen, die im Walde unbeerdigt vermodern, oder die der Fluß mit sich hinweggeschwemmt hat, oder die in Hünengräbern und Totenstätten gefunden werden, so ist Leichenfrevel unmöglich. Wer den Gewahrsam an der Leiche hat (wie der Direktor einer Klinik), kann wegen Aneignung der Leiche nicht gestraft werden. Wer nur Mitgewahrsam hat (wie nach überwiegender Ansicht der Totengräber), kann alleinigen Gewahrsam sich anmaßen, also „wegnehmen" (unten § 127 III). 2. Unbefugte Z e r s t ö r u n g o d e r B e s c h ä d i g u n g v o n G r ä b e r n , d. h. von Orten, an welchen in kenntlicher Weise die Leiche zur Ruhe bestattet ist. Zu dem Grabe gehören auch der Grabhügel, die Einfriedung, die Anpflanzung (nicht die auf das Grab gelegten Kränze), der Sarg mit dem Leichnam; an sich auch die mit dem Grabe verbundenen Grabdenkmäler, doch ist deren Beschädigung auch nach S t G B § 304 strafbar. 1 6 ) 3. V e r ü b u n g b e s c h i m p f e n d e n U n f u g e s (vgl. oben unter I I I ) a n (nicht notwendig auf) einem G r a b e . Das Grab selbst muß Gegenstand des Angriffes sein. 17 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; daneben nach Ermessen Ehrverlust.
VI. Hausfriedensbruch und Verletzung fremder Geheimnisse. *
§ 119.
I. Der Hausfriedensbruch.
Literatur. Brunner 2 651. Osenbrliggen Die Lehre vom Hausfrieden 1857. Jäger Der Hausfriedensbruch. Tübinger Diss. 1885. Wüest Der Hausfriedensbruch. Berner Diss. 1894. Hälschner 2 144. Heidemann Die widerrechtliche Tat und der schuldhafte Wille beim einfachen Hausfriedensbruch. Greifs14 ) Ebtaso Kahl 64, Allfeld 576; abweichend Binding Lehrb. 1 184, Schwartz § 242 Note 4 (nach ihm ist die Leiche niemals Sache). " ) Nur das Wegnehmen, nicht das Beschimpfen, Verletzen usw. der Leiche (anders die Entwürfe) ist strafbar. Auch nicht die unbefugte Sektion, soweit nicht S t G B § 367 Ziff. 1 vorliegt. !•) Idealkonkurrenz; ebenso R 39 155. — VE, GE und K E haben den. Tatbestand hier gestrichen und zur Sachbeschädigung gestellt. " ) Ebenso R, zuletzt 48 299.
v . L : sz t , Strafrecht.
2 1 . Aufl.
25
§ 1'9-
i . Der Hausfriedensbruch.
-walder Diss. 1896. Zabler Der Hausfriedensbruch nach geltendem Recht. Freiburger Diss. 1900. I. Hausrecht ist d a s r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e an ungestörter Betätigung des eigenen Willens in der eigenen Wohnung und dem umfriedeten Besitze, an d e m f r e i e n S c h a l t e n und W a l t e n in H a u s und H o f ; ein der persönlichen Freiheit verwandtes, aber doch eigenartiges Rechtsgut. 1 ) Dem römischen Recht ist der Hausfriedensbruch als selbständiges Vergehen fremd geblieben, obwohl sich mehrfache Ansätze zu seiner Auszeichnung finden. So hatte die angebliche Lex Cornelia (oben § 7 II a. E.) zu den injurae atroces neben dem pulsare und verberare auch das domum vi i n t r o i r e gezählt. Und in 1. 18 D. 2, 4 findet sich der bezeichnende Satz; domus tutissimum cuique refugium atque receptaculum. Dagegen erscheint das eigenartige Delikt der derectarii, qui in aliena cenacula se dirigunt furandi animo (1. 7 D. 47, 11), als besonderer Diebstahlsversuch. Anders in den Quellen des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s . Hier trägt die Störung des Burg- und Hausfriedens (die Heimsuchung) von allem Anfange an die Kennzeichen eines durchaus eigenartigen, gegen ein selbständiges Rechtsgut gerichteten Vergehens. Mag, wie im früheren Recht, der gewaltsame Überfall mit bewaffnetem Gefolge (hariraida), mag, wie im späteren Mittelalter, das Eindringen des einzelnen besonders hervorgehoben werden: immer ist es die Herrschaft in Haus und Hof, die als Angriffsgegenstand des Vergehens erscheint. „Wir wollen, daß einem jeglichen Bürger sein Haus seine Feste sei", heißt es in zahlreichen Stadtrechten. Bayern 1616 spricht (wie Schsp.) von der Wahrung der „Hausehre". Der Hausfriedensbruch wird jedoch, wenn keine besondere Erschwerung vorliegt, stets nur bürgerlich gestraft und zu der niederen Gerichtsbarkeit gerechnet. Das Schweigen der PGO hat daher guten Grund. Im gemeinen Recht tritt der Hausfriedensbruch in den Hintergrund, ohne jedoch völlig zu verschwinden. Meist faßte man die violatio securitatis als besonders benannten Fall der vis publica auf (Koch, Engau u. a.; Theresiana). ALR 525 behandelte den Hausfriedensbruch zuerst als selbständiges Vergehen. Preußen 1851 hat ihn zu den Freiheitsdelikten, R S t G B zweifellos unrichtig, zu den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung gestellt. Die Entwürfe stellen das Delikt wieder zu den Freiheitsverletzungen. I I . R S t G B § 1 2 3 schützt zunächst das Hausrecht in der Wohnung. Wohnung aber sind jene Räume, die, wenn auch nur teilweise und nur (wie das Hotelzimmer) für kürzere Zeit, Menschen zur ordnungsmäßigen Nachtruhe dienen. 4 ) Ein „Gebäude" ( S t G B § 2 4 3 Ziff. 2) ist nicht erforderlich; auch Schiffe (von K E ausdrücklich genannt), Künstlerwagen, Schäferkarren usw. gehören hierher. Das 1 ) Dagegen rechnet Rosenfeld VD Bes. T. 5 392 im Anschluß an eine in der Literatur vielfach vertretene Ansicht den Hausfriedensbruch zu den Freiheitsdelikten. — Verwandt ist der Feldfrieden (StGB § 368 Ziff. 9, preuß. Feldund Forst-PolG § 9). *) Ebenso Frank § 123 I (der aber zusammengehörige Räumlichkeiten für längeren Aufenthalt fordert und daher den Schäferkarren ausschließt, den Künstlerwagen aber hierher rechnet). Mit dem Text Wachenfeld 482. Dagegen R 12 132, Allfeld 460, Binding Lehrb. 1 121, Schwartz § 123 Note 2. StGB § 306 Ziff. 3 stellt den „Aufenthalt" der „Wohnung" in § 306 Ziff. 2 entgegen.
§ 119-
1. Der Hausfriedensbruch.
387
Gesetz stellt weiter der Wohnung gleich: a) G e s c h ä f t s r ä u m e , d. h. abgeschlossene Räume, in welchen jemand seine regelmäßige Erwerbstätigkeit ausübt (nicht der Straßenbahnwagen); b) das b e f r i e d e t e , d. h. entweder mit der Wohnung zusammenhängende oder von dieser getrennte, aber eingehegte B e s i t z t u m ; c) a b g e s c h l o s s e n e R ä u m e , die z u m ö f f e n t l i c h e n D i e n s t (d. h. der Staatsverwaltung mit Einschluß der Selbstverwaltung) oder V e r kehr 3 ) (z. B. Straßenbahnwagen, Eisenbahnabteile) b e s t i m m t sind. Das Hausrecht steht dem verfügungsfähigen I n h a b e r der Wohnung, bzw. seinem Stellvertreter, 4 ) zu; wenn bestimmte Räume einzelnen Personen zugewiesen sind, haben diese (Hauslehrer, Dienstmädchen, Gäste) das Hausrecht; bei Räumen,die, wie Flure, Treppen, Vorräume u. dgl., zur Benutzung der Inhaber mehrerer Wohnungen bestimmt sind, hat jeder von diesen das (durch die anderen beschränkte) Hausrecht; bezüglich der öffentlichen Räume der, welcher das Verfügungsrecht über sie hat. 5 ) III. Die Fälle des Hausfriedensbruchs. 1. Der einfache Hausfriedensbruch (StGB § 123, 1. Abs.), begangen entweder a) durch w i d e r r e c h t l i c h e s E i n d r i n g e n in die genannten Räume, d. h. durch ein Eingehen 6 ) mit Überwindung eines entgegenstehenden Hindernisses, mag dieses auch nur in dem ausgesprochenen oder vom Täter vermuteten Verbote, also in dem entgegenstehenden (von dem Täter erkannten) Willen des Berechtigten liegen; oder b) dadurch, daß derjenige, der in solchen Räumen ohne Befugnis verweilt, sich trotz Aufforderung des Berechtigten n i c h t e n t f e r n t (gegen den Verweilenden ist Selbsthilfe, z. B. durch Hinauswerfen, zulässig).7) 2. Erschwerter Fall (StGB § 123, 2. Abs.); vorliegend, wenn eine der unter 1 angeführten Handlungen von einer mit W a f f e n v e r s e h e n e n Person oder v o n m e h r e r e n g e m e i n s c h a f t l i c h (oben § 50 Note 13) begangen wird. Das Wort „Waffe" ist im technischen Sinne (oben § 93 II 3) zu nehmen;8) die objektive Gefährlichkeit der Tat entscheidet, Gebrauchsabsicht ist mithin nicht erforder3 ) Die W o r t e „oder V e r k e h r e " sind durch die Novelle von 1912 in § 123, nicht aber in § 124 eingefügt worden. Die Entwürfe enthalten denselben Zusatz. 4) Dieser darf aber nicht dem Willen des Vertretenen zuwiderhandeln, vgl. R 28 269. A u c h Geschäftsführung ohne A u f t r a g ist denkbar. ') Wird ein R a u m zur Abhaltung von Versammlungen, Vergnügungen usw. überlassen, so haben Einberufer und Leiter das Hausrecht; R 24 195. •) N a c h R 39 440 soll schon ein Hineingreifen genügen. ') In öffentlichen Wirtschaften h a t der friedliche Gast, dem der W i r t den Z u t r i t t gestattet, jedenfalls das Recht, eine angemessene Zeit zu verweilen. ») Ebenso Binding Lehrb. 1 124; dagegen R 8 45, Allfeld 462.
2C,*
388
§ I20.
2. Die Verletzung fremder Privatgeheimnisse.
lieh.9) Und ebensowenig, daß der Verletzte das Vorhandensein der Waffe gekannt und sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht gefühlt hat. 10 ) A n t r a g s v e r g e h e n . Antragsberechtigt ist der Träger des Hausrechts; und zwar auch dann, wenn er in der Person seines Stellvertreters in seinem Hausrechte verletzt worden ist. Rücknahme des Antrags (seit 1912) zulässig. — S t r a f e (seit 1912): Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Vgl. auch S t G B § 342.
3. Schwerster Fall: die sog. Heimsuchung (StGB § 124). Er liegt vor, wenn eine Menschenmenge öffentlich sich zusammenrottet und in der Absicht'(gleich Beweggrund), Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sacfien mit vereinten Kräften zu begehen, in die oben genannten Räume (mit Ausnahme der zum öffentlichen Verkehr bestimmten) widerrechtlich eindringt. — M e n s c h e n m e n g e fordert eine, wenn auch ungeordnete, Mehrheit, nicht eine ungemessene Vielheit von Personen; die Umstände des Einzelfalles müssen entscheiden, und jeder Versuch einer ziffermäßigen Abgrenzung ist verfehlt. 11 ) Z u s a m m e n r o t t u n g ist die durch gemeinsame rechtswidrige Absicht (hier der Gewalttätigkeit) zusammengehaltene, nach außen als geschlossene Gruppe hervortretende, räumliche Vereinigung mehrerer Menschen.12) Ö f f e n t l i c h erfolgt die Zusammenrottung, wenn der Anschluß dem Publikum, also nicht einem geschlossenen Kreise bestimmter Personen, freisteht. 13 ) S t r a f e : Gefängnis v o n einem Monate bis zu zwei Jahren. Sie t r i f f t jeden, der an den bezeichneten H a n d l u n g e n „ t e i l n i m m t " , d. h. der sich der R o t t e anschließt und in die W o h n u n g usw. eindringt; vorausgesetzt, d a ß er entweder selbst die A b s i c h t h a t , G e w a l t t ä t i g k e i t e n zu v e r ü b e n oder v e i ß , d a ß diese A b s i c h t b e i a n d e r e n B e t e i l i g t e n v o r h a n d e n ist. 1 4 ) Teilnehmer ist also hier gleichbedeutend m i t T ä t e r .
§ 120. 2. Die Verletzung fremder Privatgeheimnisse. Literatur. Finger V D Bes. T . 8 293. — Gierske Das Recht des Privaten an der eigenen Geheimsphäre 1905. Seréxhe Die Verletzung fremder Geheimnisse (Freiburger Abhdlgn. H e f t 7) 1906. Lindemann Z 27 65. Tesar österr. Gerichts-Zeitung 1912 Nr. 11 bis 14 (über die Entwürfe). Stange Der Geheimnis») Ebenso Schwartz § 123 Note 7. Dagegen Binding Lehrb. 1 303, Frank § 243 V I . 10) R 28 269, 30 78. Dienstliche Verpflichtung zum Waffentragen schließt die Strafschärfung nicht aus; R 82 402. 1 1 ) Nach Frank § 110 II soll es darauf ankommen, daß die Zahl der Beteiligten nicht sofort festgestellt werden kann. 18) Vgl. dazu ME. Mayer V D Bes. T. 1 375, 469. 13 ) Mit der herrschenden Ansicht ist zwischen § 124 und 125 Idealkonkurrenz anzunehmen. Ebenso R 27 28. — Die Entwürfe haben den Paragraphen gestrichen. 14 ) Ebenso R 51 422, Schwartz § 124 Note 2. Dagegen Binding Letatb. 1 125, Frank § 124 I.
§ 120.
2. Die Verletzung fremder Privatgeheimnisse.
389
b r u c h durch Rechtsbeistände. Erlanger Diss. 1912. Humbert Das ärztliche Berufsgeheimnis 1912. — Zu I I : Finger 8 308. Gerhard Der strafrechtliche S c h u t z des Briefes 1905. Tillmanns Das Eröffnen fremder Briefe usw. Leipziger Diss. 1905. Wolcke Der Schutz des Brief- und Telegraphengeheimnisses i m Post- und Telegraphenverkehr. Rostocker Diss. 1905. Kirchholtes Briefs c h u t z und Briefgeheimnis nach geltendem Reichsrecht. Leipziger Diss. 1908. — Z u I I I : Finger 8 345. Liebmann Die P f l i c h t des A r z t e s zur Bewahrung anvertrauter Geheimnisse 2. A u f l . 1890. Placzek D a s Berufsgeheimnis des A r z t e s 3. A u f l . 1909. MittermaierZ 2 1 1 9 7 . Zschock § 300 S t G B . Rostocker Diss. (auch selbständ g erschienen) 1903. Bendix G A 52 1. Jellinek bei Aschaffenb u r g 3 656. Friedersdorf/ Die unbefugte Offenbarung v o n Privatgeheimnissen u s w . Hallische Diss. 1906. Schmidt D a s ärztliche Berufsgeheimnis. Leipziger Diss. 1907. Flesch Das Berufsgeheimnis des Arztes. Leipziger Diss. 1908. Kahl Z 29 351. Wolff Der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses (V. LH. H e f t 86) 1908. Givanovitch G A 57 314. Saater D a s Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz (v. Lil. H e f t 123) 1910. Kronecker Reform 2 337. V. Liszt J W 45 155. I. Das Rechtsgut, gegen das sich die Verletzung fremder Privatgeheimnisse richtet, ist das rechtlich geschützte Interesse an der Wahrung des persönlichen und Familienlebens vor unberufenem Eindringen; also ein eigenartiges, dem Hausrechte verwandtes Rechtsgut. Die freie Betätigung der Persönlichkeit wird gehemmt und gefährdet, wenn jedem Dritten der Einblick offen steht. 1 ) Dieses Rechtsgut hat auch in der neuesten deutschen Gesetzgebung nur in der Gestalt des sogenannten B r i e f g e h e i m n i s s e s , als das Interesse an ausschließlicher Kenntnisnahme von Schriftstücken, ausreichenden Schutz gefunden. Dagegen ist die Verletzung fremder P r i v a t g e h e i m n i s s e nur gewissen Personen gegenüber mit Strafe bedroht, 2 ) während die Verletzung fremder F a b r i k s - und G e s c h ä f t s g e h e i m n i s s e als eine F o r m des unlauteren W e t t b e w e r b s erscheint (unten § 124).
II. Die Verletzung des Briefgeheimnisses. Die strafbare Verletzung des B r i e f g e h e i m n i s s e s , richtiger P o s t geheimnisses, ist schon dem römischen R e c h t nicht völlig fremd geblieben (Paulus sent. 5 25 § 1 ; 1. 38 § 7 D . 48, 19). Über die italienischen Statuten vgl. Köhler Studien 4 396. Gemeinrechtlich wird, trotz des Schweigens der P G O , das Erbrechen von Briefen und Urkunden, die resignatio, zum falsum gerechnet und mit willkürlicher Strafe belegt (Tirol 1532 und 1573, Preußen 1620 und 1721). Auf demselben Standpunkte stehen noch Bayern 1751 u n d Österreich 1768. Eine neue Auffassung wird durch die E n t w i c k l u n g des Postwesens angebahnt. Im 19. Jahrhundert gewinnt der Schutz des Briefgeheimnisses politische F ä r b u n g ; sorgfältig werden die Fälle gesetzlich bestimmt, in welchen der Staatsgewalt der Eingriff in das durch die Verfassungsurkunden für unverletzlich erklärte Briefgeheimnis offen steht, und Übergriffe der P o s t !) V E § 267, 268 hat die Verletzung fremder Geheimnisse an die E h r verletzung angeschlossen. Ebenso G E § 282. K E enthält einen neuen selbständigen A b s c h n i t t „Verletzung fremder Geheimnisse". Dieser beginnt m i t dem neugeschaffenen „ I n d i s k r e t i o n s d e l i k t " , der öffentlichen Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen des häuslichen oder FamiHenlebens, die das öffentliche Interesse nicht berühren. Der Wahrheitsbeweis ist hier ausgeschlossen. D a n n folgen die im T e x t behandelten Tatbestände. 2 ) Ärzten und Hebammen wird schon von der Gesetzgebung des 17. Jahrhunderts (Württemberg. L O von 1621; vgl. Jellinek, Sauter 20) die P f l i c h t der Verschwiegenheit vielfach eingeschärft. — Nach Binding, dem sich Sdüter anschließt, wird hier der Geheimhaltungswille geschützt.
§ I20.
2. Die Verletzung fremder Privatgeheimnisse.
u n d T e l e g r a p h e n b e a m t e n als Amtsvergehen ( S t G B §§ 354 und 355) unter besondere Strafe gestellt.®)
R S t G B § 299 (der Preußen § 280, mittelbar A L R 1370 entnommen ist) bedroht die vorsätzliche und unbefugte E r ö f f n u n g e i n e s v e r s c h l o s s e n e n , nicht zur Kenntnisnahme durch den Täter bestimmten S c h r i f t s t ü c k s („Brief oder andere Urkunde"; letztere nicht im technischen Sinne des § 267 StGB). V e r s c h l o s s e n ist das Schriftstück, wenn die Einsichtnahme durch eine besondere, zu dem Schriftstück hinzutretende Vorrichtung erschwert ist. Die Art des Verschlusses (Kleben, Siegeln, Nähen, Plombieren) ist gleichgültig; dagegen genügt bloßes Zusammenfalten, Einschlagen in Papier (Kreuzbandsendung), einfaches Umwickeln mit Bindfaden nicht. Unverschlossene, aber in verschlossenem Schranke befindliche Schriftstücke gehören nicht hierher. Die Handlung besteht in der Beseitigung (nicht notwendig Verletzung) des Verschlusses; erfolgte oder auch nur beabsichtigte Kenntnisnahme ist weder erforderlich noch (etwa bei Durchleuchtung) genügend. Die Eröffnung muß „unbefugterweise", d. h. r e c h t s w i d r i g , erfolgen; daher ist Bewußtsein der Widerrechtlichkeit erforderlich (oben § 41 Note 5). Über den Wegfall der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze (oben §§ 32ff.). Insbesondere kann ein Erziehungsrecht die Berechtigung zur Eröffnung verleihen. Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Antragsberechtigt ist der E i g e n t ü m e r der verschlossenen Urkunde; bei Sendungen der Absender so lange, bis das Eigentum auf den Adressaten übergeht, also bei Postsendungen bis zur erfolgten Bestellung; später der Adressat. 4 ) — S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
III. Die Offenbarung fremder Privatgeheimnisse. 1. Das R S t G B bedroht in § 300 die u n b e f u g t e O f f e n b a r u n g a n v e r t r a u t e r P r i v a t g e h e i m n i s s e durch b e s t i m m t e P e r sonen. Die zur Verschwiegenheit verpflichteten Personen sind: Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte (nicht Tierärzte), Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie die (auch nur vorübergehend und nicht berufsmäßig zugezogenen) Gehilfen dieser Personen (nicht Krankenpfleger, Naturärzte). 8 ) Die ») Postg. 1871 § 5. Telegrapheng. 1892 § 8. StPO §§ 99 bis 101. K O . § 121. Zu beachten, daß der staatsrechtliche und der strafrechtliche Begriff des Briefgeheimnisses sich nicht decken. Auch die Eröffnung von Paketen fällt untet § 299. — K E bedroht auch die Eröffnung des Verschlusses, unter dem die Schriftstücke aufbewahrt werden; also wohl auch der Kassette, des Schrankes usw. *) Übereinstimmend die gem. Meinung; insbes. Allfeld 464, Frank § 299 IV (der aber neuerdings auf Ausnahmen hinweist), Schwartz § 299 Note 7. Dagegen Binding 1 625, Merkel 349. 6) Erweiterte Fassung in V E § 268, G E § 291 und K E .
§ 120.
2. Die Verletzung fremder Privatgeheimnisse.
391
Pflicht dauert auch nach Aufgeben des Berufes fort. Dritte Personen können Teilnehmer sein. P r i v a t g e h e i m n i s s e sind jene nicht öffentlich bekannten Tatsachen des Privatlebens, an deren Geheimhaltung der, den sie betreffen, Interesse hat. Diese Tatsachen müssen den genannten Personen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut ( B e r u f s g e h e i m n i s s e ) sein. Sie sind a n v e r t r a u t : 1. Wenn sie mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Auflage der Geheimhaltung mitgeteilt sind; 2. wenn der Täter ihre Kenntnis in Ausübung des Amtes, Berufes, Gewerbes erlangt hat. Was der Arzt, der Verteidiger, die Hebamme in ihrer Berufstätigkeit wahrnehmen, ist ihnen anvertraut, braucht ihnen nicht anvertraut z u werden. O f f e n b a r u n g ist Mitteilung unbekannter Tatsachen an andere. Offenkundige Tatsachen (anders bei unbestimmten Gerüchten) können ebensowenig offenbart werden wie Tatsachen, die dem Hörer bekannt sind. Die Offenbarung muß unbefugt, d. h. w i d e r r e c h t l i c h , erfolgen. Die Widerrechtlichkeit wird ausgeschlossen: 1. Durch die Erlaubnis des Betroffenen; 2. durch entgegenstehende Rechtspflicht (Anzeigepflicht, Zeugnispflicht); 3. durch ein entgegenstehendes höheres Interesse (oben §§ 32 bis 35), so wenn der Arzt dem Dienstgeber die syphilitische Erkrankung des Dienstmädchens mitteilt; 4. durch die Wahrung berechtigter Interessen (Einklagung des Honorars).6) Nicht aber durch die Verfolgung rein wissenschaftlicher Interessen (Veröffentlichung von Krankengeschichten, die eine Namensnennung auch nicht erfordern). V o r s a t z ist erforderlich; außerdem Bewußtsein der Widerrechtlichkeit. Die Verfolgung tritt nur auf A n t r a g ein; antragsberechtigt ist der, d e s s e n Geheimnis in Frage steht, dessen Interessen also durch die Offenbarung verletzt werden.7) Zu beachten ist aber die Möglichkeit, daß mehrere Personen „interessiert" und daher antragsberechtigt sein können; also etwa der Vater, der den Arzt zur Tochter gerufen hat, und diese selbst. S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
2. Die Schweigepflicht ist durch die R e i c h s v e r s i c h e r u n g s o r d n u n g 1911 § 141 (vgl. § 145) und durch das A n g e s t e l l t e n v e r s i c h e r u n g s g . 1911 § 349 (vgl. § 353) auf die Mitglieder und •) Der Arzt, der von seinem Recht der Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch m a c h t , fällt nicht unter § 300; R 19 364 m i t der gem. Meinung. — K E e n t h ä l t f ü r solche Fälle eine ausdrückliche Bestimmung. ') Sehr b e s t r i t t e n . 1. N u r den Anvertrauenden halten f ü r berechtigt R 13 60, Binding 1 626, Finger 8 370, Merkel 350, Schwartz § 300 N o t e 5. — 2. Beide sind berechtigt nach Allfeld 465, Frank § 300 V I , Mittermaier 205, Wachenfeld 490. — 3. Nach Sauter ist antragsberechtigt der, in dessen D i e n s t d e r Schweigepflichtige t ä t i g war.
§ 121,
Störung des persönlichen Rechtsfriedens durch Bedrohung.
Angestellten der Versicherungsanstalten ausgedehnt. Sie machen sich s t r a f b a r , wenn sie unbefugt offenbaren, w a s ihnen in amtlicher E i g e n s c h a f t über Krankheiten oder andere Gebrechen Versitherter oder ihre Ursachen bekännt geworden ist. A n t r a g des Versicherten oder der Aufsichtsbehörde erforderlich. S t r a f e : wie zu i .
—
3. Über u n b e f u g t e O f f e n b a r u n g u n d V e r w e r t u n g v o n G e s c h ä f t s - (oder Betriebs-) G e h e i m n i s s e n vgl. unten § 1 2 4 I I 4 und I I I .
VII. § 121.
Störung des persönlichen Rechtsfriedens durch Bedrohung.
Literatur. Glaser Abhandlungen 1858 1 1. Bayrhammer Das Delikt der Bedrohung. Tübinger Diss. 1896. Goehrs Z 14 479. Derselbe Der Rechtsfrieden als besonderes Rechtsgut im modernen Strafrechtssystem und seine Stellung im Reichsstrafrecht 1900. Lifschiitz Z 36 356. Vgl. auch die Lit. zu § 100. I. Rechtsfrieden als R e c h t s g u t des einzelnen ist d a s B e w u ß t s e i n d e r R e c h t s s i c h e r h e i t , das Vertrauen auf die schützende M a c h t der R e c h t s o r d n u n g . 1 ) Der Rechtsfrieden ist v e r l e t z t , sobald dieses Vertrauen, wenn auch nur vorübergehend, durch die Besorgnis vor rechtswidriger G e w a l t gestört w i r d ; er ist g e f ä h r d e t , wenn die nahe Möglichkeit einer Störung jenes Vertrauens gegeben ist. D e m n a c h erscheint die A n d r o h u n g r e c h t s w i d r i g e r Z u f ü g u n g e i n e s N a c h t e i l s als ein selbständiges, gegen ein eigenartiges R e c h t s g u t gerichtetes Verbrechen, als Verletzung des R e c h t s friedens. 2 ) I I . Diese selbständige Stellung hat die Bedrohung erst in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts erlangt. Im römischen Recht war sie nur als injuria strafbar, da das crimen vis stets die Störung des ö f f e n t l i c h e n Friedens verlangte. Im deutschen Mittelalter treten als verwandte Einzelfälle das willkürlich bestrafte F ü r w a r t e n und die mit der Schwertstrafe bedrohte W e g e l a g e r u n g (via lacina im fränkischen Recht, obsessio viarum bei Engau und Böhmer), beide bis ins gemeine Recht erhalten, hervor. PGO 176 kennt gegen Personen, „von denen man sich aus erzeigten Ursachen Übels oder Missetat ') Der Begriff ist hier (anders beim „öffentlichen Frieden", unten § 17 4) zweifellos subjektiv zu nehmen. Ebenso Bgr. 674. 2 ) E s ist daher ebenso unrichtig, die Bedrohung in den Freiheitsverbrechen aufgehen zu lassen, wie Binding, v. Birkmeyer dies tun, als sie lediglich, mit Loerting 107, v. Rohland. (Lit. zu § 28) 7, Rosenfeld VD Bes. T. 5 396, als Gefährdungsvergehen aufzufassen. Für die richtige Ansicht Allfeld 458. Die Entwürfe halten an der Einreihung unter die Freiheitsdelikte fest.
§ 121.
Störung des persönlichen Rechtsfriedens durch Bedrohung.
393
warten m u ß " , nur Sicherungsmaßregeln („Dräubürgen", Friedensbürgschaft), nicht Strafe. Ähnlich auch noch A L R 44. In der Wissenschaft wird -zuerst v o n Tittmann die richtige Auffassung siegreich vertreten.
III. Das RStGB verlangt in § 241 die B e d r o h u n g eines a n d e r e n m i t der B e g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s . 3 ) Daraus folgt, daß zur Vollendung zwar Kenntnisnahme des Bedrohten (und zwar mit Willen des Drohenden) von der gegen ihn gerichteten Drohung (oben § 98 III 2), n i c h t aber tatsächlich erfolgte Störung in seiner Rechtssicherheit erforderlich ist. Die angedrohte Handlung muß sich objektiv (also nach StGB § 1) als ein Verbrechen darstellen; ein Irrtum des Täters über diese ihre Eigenschaft, ist einflußlos. Persönliche Eigenschaften und Verhältnisse des Täters bleiben außer Betracht. Es genügt, wenn das Verbrechen nur mittelbar den Angegriffenen berührt (z. B. Drohung mit der Ermordung eines Angehörigen), vorausgesetzt, daß die Handlung, wenn auch nur vermöge dieser mittelbaren Beziehungen, für den Angegriffenen selbst als eine Störung seines Rechtsfriedens sich darstellt. S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geidstrafe bis zu dreihundert Mark. Antragserfordernis 1876 beseitigt. 3 ) V E § 241: Wer durch gefährliche Drohung (GE § 281: durch Androhung von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen) einen andern in seinem Frieden stört. K E bestraft, „ w e r einen andern durch Drohung mit Gewalt oder mit einem andern rechtswidrigen Verhalten in Besorgnis oder Schrecken versetzt".
Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Urheberrechte und Erfinderrechte. § 122.
I. Die Verletzung des schriftstellerischen und künstlerischen Urheberrechts (mit Einschluß des Verlagsrechts).
Literatur, van Calker Die Delikte gegen das Urheberrecht 1894. E. Müller Das deutsche Urheber- und Verlagsrecht. 1 1901. Allfeld Kommentar zu den beiden Gesetzen (vom 19. Juni 1901) 1902. Derselbe Kommentar zu dem Kunstwerkgesetz (von 1907) 1908. Kohler Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht 1907. Derselbe Kunstwerkrecht 1908. . Grieshammer Die nach dem Gesetz über das Urheberrecht usw. strafbaren Handlungen. E r langer Diss. 1908 (1909). Bockius Die strafrechtliche Bedeutung* der internationalen Verträge über das Urheberrecht usw. Gießener Diss. 1910. v.Hentig Der strafrechtliche Schutz des literarischen Eigentums 1912. v. Lippmantl D J Z 17 882. Stenglein Nebengesetze I 178 (Ebermeyer). v. Liszt Völkerrecht § 32 I I 2.
I. Das schriftstellerische Urheberrecht. 1. B e g r i f f und G e s c h i c h t e . Das'schriftstellerische Urheberrecht ist das r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e d e s V e r f a s s e r s , ü b e r s e i n e g e i s t i g e S c h ö p f u n g n a c h allen R i c h t u n g e n hin m i t A u s s c h l u ß a n d e r e r zu v e r f ü g e n . Der rechtliche Schutz des Urheberrechts ist ebenso neueren Ursprungs wie seine richtige wissenschaftliche Auffassung. Dem römischen und mittelalterlich-deutschen wie auch dem älteren gemeinen Recht unbekannt, entwickelte sich das Urheberrecht allmählich aus den Druckerprivilegien (als gewerblichen Monopolen), die landesrechtlich seit dem 15. Jahrhundert erteilt wurden, aber nur für das betreffende Land Wirksamkeit hatten. Neben ihnen finden sich seit dem 16. Jahrhundert Privilegien, die für einzelne Bücher verliehen werden. Nur mühsam brach sich, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Erkenntnis Bahn, daß der von zahlreichen Schriftstellern von Luther bis auf Kant gebrandmarkte Nachdruck als Eingriff in den Rechtskreis des Verfassers ein staatlich zu ahndendes Vergehen darstelle. Die gemeinrechtlichen Schriftsteller behandelten das plagium litterarium als einen Fall des Diebstahls {Koch unter Berufung auf Thomasius) oder des Betruges (Leyser und viele andere). Noch A L R 1794 hielt an der vermögensrechtlichen Auffassung des Büchernachdruckes fest, den es als strafbaren Eigennutz zwischen der Überschreitung der Taxen beim Verkauf von Lebensmitteln und dem Glücksspiel behandelte, und schützte nur die „Königlichen Untertanen". Erst die Gesetzgebung des Deutschen' Bundes (1837 und später) stellte einheitliche Grundsätze über die Voraussetzungen und die Bestrafung des Nachdruckes auf.
§ 122.
I. Die Verletzung des schriftstellerischen u. künstl. Urheberrechts.
395
Die Wissenschaft arbeitete gleichzeitig an der richtigen Auffassung des geschützten Rechtsgutes; sie verwarf den unbrauchbaren Gedanken eines „geistigen Eigentums"; sie erkannte allmählich, daß dem Urheberrecht, trotz seiner vermögensrechtlichen Seite, wegen seines Zusammenhanges mit der individuellen Schaffenskraft ein Platz außerhalb der Vermögensvergehen gebührt, freilich ohne daß bisher eine Einigung über die richtige Bestimmung dieses Platzes erzielt werden konnte. Unter dem Einflüsse der Wissenschaft nahm die Gesetzgebung unserer Tage einen kräftigen Aufschwung. Das Reichsg. v o m 1 1 . Juni 1870 (nachgebildet dem preußischen G von 1837) stellte die Rechtseinheit auf dem bis dahin landesrechtlichen Gebiete her. An seine Stelle ist das G vom 19. Juni 1901 betr. das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst getreten (in K r a f t seit 1 . J a n u a r 1902). Die Gleichstellung ausländischer Rechtsgüter ist durch die Berner Übereinkunft vom 9. September 1886 ( R G B l 1887 S. 493), betreffend die Bildung eines intarhationalen Verbandes zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst, angebahnt worden. Zur Ausführung der revidierten Berner Übereinkunft vom 1 3 . November 1908 ist das Gesetz vom 22. Mai 1 9 1 0 ( R G B l S. 793) ergangen, durch das die beiden Gesetze von 1901 (vgl. unten II) sowie das Gesetz von 1907 (vgl. unten I I I ) teilweise abgeändert wurden. G E § 292 hat den Tatbestand eingearbeitet.
Das Gesetz schützt: 1. Die Urheber von Schriftwerken und solchen Vorträgen oder Reden, die dem Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unterhaltung dienen; 2. die Urheber von Werken der Tonkunst; 3. die Urheber von solchen Abbildungen wissenschaftlicher und technischer Art, die nicht ihrem Hauptzwecke nach als Kunstwerke zu betrachten sind. Dazu gehören auch plastische Darstellungen (§ 1). Der Urheber hat die ausschließliche Befugnis, das Werk zu vervielfältigen und gewerblich zu verbreiten; das Bühnenwerk oder Werk der Tonkunst öffentlich aufzuführen; das Schriftwerk oder den Vortrag, wenn sie noch nicht erschienen sind, öffentlich vorzutragen (§ 1 1 ) . Der Schutz des Gesetzes erstreckt sich: 1. Auf alle Werke i n l ä n d i s c h e r Urheber, mögen sie im Inlande oder Auslande erschienen sein; 2. auf Werke a u s l ä n d i s c h e r Urheber, wenn sie im Inland erscheinen. E r s c h e i n e n ist soviel wie ausgegeben werden. 2. Die s t r a f b a r e n V e r l e t z u n g e n des U r h e b e r r e c h t s . . a) Die vorsätzliche unbefugte V e r v i e l f ä l t i g u n g oder gewerbsmäßige V e r b r e i t u n g eines geschützten Werkes. b) Die vorsätzliche unbefugte öffentliche A u f f ü h r u n g oder V o r f ü h r u n g eines Bühnenwerkes, eines Werkes der Tonkunst oder einer dramatischen Bearbeitung. c) Der vorsätzliche öffentliche V o r t r a g eines noch nicht erschienenen Werkes. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. .War die Einwilligung des Berechtigten nur wegen der vorgenommenen Änderung erforderlich: Geldstrafe bis dreihundert Mark. Die an Stelle der Geldstrafe tretende Gefängnisstrafe darf sechs Monate, in dem letzt erwähnten Falle einen Monat, nicht
§ 122.
i . Die Verletzung des schriftstellerischen u. künstl. Urheberrechts.
übersteigen. F ü r die Umwandlung in H a f t gelten die allgemeinen Grundsätze (§ 38).
d) Die vorsätzliche unbefugte öffentliche M i t t e i l u n g w e s e n t l i c h e n I n h a l t e s eines geschützten Werkes (§ 39).
des
S t r a f e : Geldstrafe bis fünfzehnhundert M a r k ; die subsidiäre Gefängnisstrafe darf drei Monate nicht übersteigen.
e) Die vorsätzliche oder fahrlässige U n t e r l a s s u n g der Quellenangabe (das Plagiat § 44). S t r a f e : Geldstrafe bis einhundertfünfzig Mark. 3. N e b e n b e s t i m m u n g e n . a) Die Verfolgung tritt in allen fünf Fällen (oben 2) nur a u f A n t r a g ein. Zurücknahme zulässig (§ 45). b) Auf Verlangen des Berechtigten kann neben der Strafe auf eine B u ß e bis zu 6000 Mark erkannt werden. Die Verurteilten haften als Gesamtschuldner. Eine zuerkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Anspruches auf Schadenersatz aus (§ 40). c) Die Strafe der V o l l e n d u n g tritt auch dann ein, wenn das Werk nur zu einem Teile vervielfältigt, verbreitet, öffentlich mitgeteilt, aufgeführt oder vorgetragen worden ist (§ 41). Dagegen bleibt der Versuch straflos. d) Die widerrechtlich hergestellten oder verbreiteten Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen unterliegen der V e r n i c h t u n g , soweit sie sich im Eigentum der an Herstellung oder Vervielfältigung Beteiligten oderihrer Erben befinden. Auf die Vernichtung ist auch dann zu erkennen, wenn die Herstellung oder Verbreitung weder vorsätzlich noch fahrlässig erfolgt, oder die Herstellung noch nicht vollendet ist (§ 42). Statt der Vernichtung kann der Berechtigte verlangen, daß ihm das Recht zuerkannt werde, die Exemplare und Vorrichtungen ganz oder teilweise gegen eine angemessene Vergütung zu übernehmen (§ 43). Die Verfolgung des Rechtes auf Vernichtung wie auf Übernahme muß im Wege des bürgerlichen Rechtsstreites oder im Strafverfahren erfolgen. Besonderer Antrag des Berechtigten ist in beiden Fällen erforderlich; Rücknahme zulässig. Der Berechtigte kann seine Rechte auch im objektiven Verfahren als Privatkläger geltend machen (§§ 46 bis 48). e) Die Strafverfolgung der oben 2 a bis d angeführten Handlungen v e r j ä h r t in drei Jahren (§§ 50, 5 1 , 53). Die Verjährung des Nachdruckes beginnt mit dem Tage, an dem die Verbreitung zuerst stattgefunden h a t ; die der Verbreitung, der Aufführung, des Vortrags mit dem Tage, an dem die widerrechtliche Handlung zuletzt stattgefunden h a t ; in dem oben 2 e angeführten F a l l (in dem die Verjährungsfrist nach allgemeinen Grundsätzen drei Monate beträgt) beginnt sie mit dem Tage, an dem die erste Veröffentlichung stattgefunden hat (§ 53). Der Antrag auf Vernichtung der Exemplare und Vorrichtungen ist so lange zulässig, als solche vorhanden sind (§ 52).
I I . Durch das ebenfalls vom 19. Juni 1901 datierte (1910 ergänzte) G über das Verlagsrecht (an Werken der Literatur oder der Tonkunst) haben die oben unter 2 und 3 angeführten BestimNach § 9 mungen ein erweitertes Anwendungsgebiet erhalten. dieses G kann nämlich der Verleger, soweit der Schutz des Verlags-
§
122.
I. Die Verletzung des schriftstellerischen u. künstl. Urheberrechts.
39/
rechtes es erfordert, gegen den Verfasser, wie gegen Dritte, die Befugnisse ausüben, die zum Schutz des Urheberrechtes durch das Gesetz vorgesehen sind. Zu diesen Befugnissen gehört auch das Recht, Strafverfolgung, Buße, Vernichtung zu beantragen. I I I . D a s künstlerische
Urheberrecht.
1. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f .
D i e beiden G e s e t z e v o m 9. J a n u a r 1 8 7 6
über das U r h e b e r r e c h t an W e r k e n der bildenden K ü n s t e und v o m 10. J a n u a r 1876 über das U r h e b e r r e c h t a n P h o t o g r a p h i e n sind ersetzt durch d a s einheitliche Gesetz v o m 9. J a n u a r 1907 (1910 ergänzt) b e t r e f f e n d das U r h e b e r r e c h t a n W e r k e n der bildenden K ü n s t e und der
Photographie.
Der Urheber eines Werkes der bildenden Kunst (dazu werden nach § 2 auch gerechnet die Erzeugnisse des Kunstgewerbes sowie Bauwerke, soweit sie künstlerische Zwecke verfolgen) hat die ausschließliche Befugnis, das Werk zu vervielfältigen, gewerbsmäßig zu verbreiten und gewerbsmäßig mittels mechanischer oder optischer Einrichtungen vorzuführen. Als Vervielfältigung gilt auch die Nachbildung, bei Bauwerken auch das Nachbauen (§ 15). Den Schutz genießen die Reichsangehörigen für alle ihre Werke, gleichviel ob diese erschienen sind oder nicht; Reichsausländer für jedes im Auslande noch nicht erschienene Werk, das im Inland erscheint (§ 51). 2. D i e s t r a f b a r e n V e r l e t z u n g e n d e s U r h e b e r r e c h t s . a) Die vorsätzliche und unbefugte V e r v i e l f ä l t i g u n g , V e r b r e i t u n g oder V o r f ü h r u n g eines geschützten Werkes (§ 32). Strafe:
G e l d s t r a f e bis zu dreitausend M a r k , i m F a l l e der
Uneinbring-
l i c h k e i t G e f ä n g n i s s t r a f e b i s zu sechs M o n a t e n ; bei u n b e r e c h t i g t e r Ä n d e r u n g a n dem W e r k , seiner Bezeichnung oder der B e z e i c h n u n g des U r h e b e r s strafe bis zu dreihundert M a r k , i m F a l l e der U n e i n b r i n g l i c h k e i t s t r a f e b i s zu einem
Geld-
Gefängnis-
Monat.
b) Die vorsätzliche A n b r i n g u n g des Namens oder einer sonstigen Bezeichnung des Urhebers auf der Vervielfältigung in einer Weise, die zu Verwechslungen Anlaß geben kann, sowie die vorsätzliche und unrechtmäßige V e r b r e i t u n g o d e r ö f f e n t l i c h e A u s s t e l l u n g e i n e s B i l d n i s s e s (§ 33). Strafe:
Geldstrafe
bis
G e f ä n g n i s s t r a f e b i s zu zwei
zu
eintausend
Mark,
bei
Uneinbringlichkeit
Monaten.
c) Die v o r s ä t z l i c h e B e z e i c h n u n g des Werkes mit dem Namen oder dem Namenszug des Urhebers (§ 34). Strafe:
Geldstrafe
b i s zu
dreihundert
Mark;
bei
Uneinbringlichkeit
G e f ä n g n i s s t r a f e b i s zu einem M o n a t .
d) Die unterlassene Q u e l l e n a n g a b e (§ 40). S t r a f e : G e l d s t r a f e bis zu h u n d e r t f ü n f z i g M a r k . hpitsstrafe w o h l 3.
ausgeschlossen.
Nebenbestimmungen.
U m w a n d l u n g in Frei
398
§ 123-
2. Die Verletzung des gewerblichen Urheberrechts.
a) Die Verfolgung tritt in den Fällen unter 2a, b, d nur a u f A n t r a g Zurücknahme zulässig (§ 41). b) Auf Verlangen des Verletzten kann neben der Strafe auf eine B u ß e bis zu 6000 Mark erkannt werden. Die Verurteilten haften als Gesamtschuldner. Die erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Ersatzanspruches aus (§ 35). c) Die Strafbarkeit der oben unter 2 a bezeichneten Handlungen tritt auch bei t e i l w e i s e r Vervielfältigung, Verbreitung oder Vorführung ein (§ 36). Der Versuch ist straflos. d) Über die V e r n i c h t u n g der widerrechtlich hergestellten, verbreiteten oder vorgeführten Exemplare und der dazu ausschließlich bestimmten Vorrichtungen enthalten die §§ 37—39, 42—45 Bestimmungen, die inhaltlich den oben zu I 3d angeführten entsprechen. e) Ebenso decken sich die Bestimmungen der §§ 47—50 über die V e r j ä h r u n g mit den oben zu I 3e angeführten Vorschriften. ein.
§ 123.
2. Die Verletzung des gewerblichen
Urheberrechts.
Literatur. Seligsohn Patentgesetz und Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern 3. Aufl. 1906. Kohler Handbuch des Patentrechts in rechtsvergleichender Darstellung 1900. Allfeld Kommentar zu den Reichsgesetzen über das gewerbliche Urheberrecht usw. 1904. Stenglein Nebengesetze I 116 {Ebermeyer). Damme Das deutsche Patentrecht 1911. I. Verletzung des Urheberrechts an Geschmacksmustern und Modellen, d . h . a n solchen n e u e n u n d e i g e n t ü m l i c h e n V o r b i l d e r n f ü r „kunstgewerbliche" Gebrauchsgegenstände, deren V e r w e n d u n g eine d e n G e s c h m a c k b e f r i e d i g e n d e W i r k u n g z u erzielen b e s t i m m t i s t ; nach d e m G v o m 1 1 . Januar 1876 § 5 begangen durch unbefugte N a c h b i l d u n g eines F l a c h m u s t e r s oder Modelles in V e r b r e i t u n g s absicht. In England und Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts anerkannt, war dem deutschen Rechte der M u s t e r s c h u t z , mit Ausnahme der Länder des französischen Rechts, bis in die letzten Jahrzehnte fremd geblieben. Erst seit der Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Mutterlande führten die lebhaften Bestrebungen der dortigen Industrie zur Erlassung des Reichsg. von 1876. Dieses steht auf streng nationalem Standpunkte und schützt nur die Muster und Modelle inländischer Urheber. Eine Erweiterung ist durch Staatsverträge mit auswärtigen Staaten, allgemein aber durch den Pariser Vertrag vom 20. März 1883, betreffend den Schutz des gewerblichen Eigentums, geschaffen worden, dem das Deutsche Reich durch Erklärung vom 21. März 1903 beigetreten ist. 1 ) Nur g e w e r b l i c h e Muster und Modelle (Geschmacksmuster) werden geschützt; nicht aber künstlerische oder technische Erfindungen. Über die Person des Berechtigten enthält § 2, über Nachbildungen und Vervielfältigungsvorrichtungen § 14 eigenartige Bestimmungen. I I . D i e Verletzung des Patentrechts. 1 ) Vgl. v. Liszt Völkerrecht § 32 II 1. Das Pariser Abkommen ist in Brüssel am 14. Dezember 1900 und in Washington am 2. Juni 1911 revidiert worden (RGBl 1913 S. 209) ; dazu das deutsche Ausführungsg. vom 31. März 1913 (RGBl S. 236).
§ 123-
2. Die Verletzung des gewerblichen Urheberrechts.
399
Der Schutz des gewerblichen Erfinderrechts reiht sich an den Schutz des schriftstellerischen, künstlerischen und kunstgewerblichen Urheberrechts. Früher im Einzelfalle durch Privilegien gewährt, seit dem 18. Jahrhundert in den meisten deutschen Staaten, wenn auch vielfach nur auf dem Wege der Verwaltungsrechtspflege anerkannt, ist er durch das Reichsg. vom 25. Mai 1877, ersetzt durch G vom 7. April 1891, gewährleistet worden, nachdem eine weitverbreitete gegnerische Strömung durch den Umschwung der öffentlichen Meinung seit dem Beginne der sechziger Jahre in den Hintergrund gedrängt worden war.
1 . Strafbare Verletzung des P a t e n t r e c h t s ist gegeben, wenn ein D r i t t e r u n b e f u g t (§ 5) und w i s s e n t l i c h (§ 36) d e n G e g e n s t a n d d e r E r f i n d u n g g e w e r b s m ä ß i g h e r s t e l l t , in V e r k e h r b r i n g t , f e i l h ä l t o d e r g e b r a u c h t (§ 4). Vermögensbeschädigung ist ebensowenig erforderlich wie gewinnsüchtige Absicht. S t r a f e (§ 36): Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre. Antragsvergehen; Rücknahme zulässig. Über die Bestrafung der im Auslande begangenen Handlungen gelten die allgemeinen Grundsätze. Dem Verletzten ist die Befugnis zuzusprechen (§ 36), die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt zu machen (vgl. oben § 58 Note 4). Statt der Entschädigung kann (§ 37) auf Buße bis zu zehntausend Mark erkannt werden. Weiterer Entschädigungsanspruch in diesem Falle ausgeschlossen. Mehrere Verurteilte haften als Gesamtschuldner.
2. Die P a t e n t a n m a ß u n g besteht in der Vorspiegelung des Patentschutzes (§ 40). Sie liegt vor, wenn jemand a) Gegenstände oder deren Verpackung m i t einer Bezeichnung versieht, die geeignet ist, d e n Irrtum zu erregen, d a ß die Gegenstände durch ein P a t e n t geschützt seien; oder b) in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern, auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung anwendet, die geeignet ist, den gleichen Irrtum zu erregen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu eintausend Mark.
Fahrlässigkeit genügt.
3. Hier m a g auch erwähnt werden die Strafdrohung des P a t e n t a n w a l t g . v o m 21. Mai 1900 § 19 gegen den, der, ohne als Patentanwalt eingetragen zu sein, sich als P a t e n t a n w a l t bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber sei als P a t e n t a n w a l t eingetragen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, bei Uneinbringlichkeit Haft.
I I I . D e m Patentgesetz nachgebildet ist d a s G betr. den Schutz von Gebrauchsmustern v o m 1 . Juni 1891. Gebrauchsmuster, i m Gegensatze zu den Geschmacksmustern (oben I), sind (§ 1 ) : Modelle (nicht Flachmuster) von Arbeitsgerätschaften oder Gebrauchsgegenständen oder von deren Teilen, insoweit sie d e m Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen sollen.
400
§124-
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
Wer wissentlich ein (eingetragenes) Gebrauchsmuster in Benutzung nimmt (d. h. das Muster gewerbsmäßig nachbildet oder die durch die Nachbildung hervorgebrachten Gerätschaften und Gegenstände in Verkehr bringt, feilhält oder gebraucht), wird mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (§ 10). Verfolgung nur auf Antrag; Zurücknahme zulässig. Neben der Strafe ist dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist dazu ist im Urteil zu bestimmen. Statt jeder Entschädigung kann auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf Buße bis zu zehntausend Mark erkannt werden. Die zu ihr Verurteilten haften als Gesamtschuldner (§ n ) . Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus.
§ 124.
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
Literatur. Stenglein Nebengesetze I 1024 {Ebermayer). Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. 5. Bd. i907ff. Daniel Darstellung des Verbrechens des unlauteren Wettbewerbes 1900. MM. Kohler Das Verbrechen des unlauteren Wettbewerbs (v. Lil. Heft 32/34) 1901. Bauer Der unlautere Wettbewerb 1902. Schlecht Z 21 83. Bielenberg Die Strafbestimmungen des Gesetzes usw. vom 27. Mai 1896. Marburger Diss. 1904. Müller Der Rechtsschutz gegen die Anschwärzung des Wettbewerbers. Freiburger Diss. 1907. Stark Die Bestechung von Angestellten in Handel und Gewerbe 1909. Schmal Zur Lehre von der Anschwärzung usw. Erlanger Diss. 1911. Kommentar von Pinner und Eyck 2. Aufl. 1910. Kahn 2. Aufl. 1910. Finger 4. Aufl. 1 9 1 1 . — Zu I I I insbes.: Finger VD Bes. T. 8 371. Friedlaender Der strafrechtliche Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse 1903 (Berliner Seminarabhdlgn 2 3). Heller Der strafrechtliche Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses. Leipziger Diss. 1905. Veiel Die strafrechtliche Bedeutung der Unfallversicherungs-Gesetzgebung 1910. Winter Die strafrechtliche Bedeutung des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. E r langer Diss. 1910. — Zu I V : Seuffert Z 15 823. P. Schmidt Das Warenzeichenrecht 1900. A. Seligsohn 2. Aufl. in Gemeinschaft mit M. Seligsohn 1905. Allfeld (Lit. zu § 123) 430. Lobe Die Widerrechtlichkeit bei dem Gebrauch eines Warenzeichens (Festgabe für Binding) 1911. Derselbe § 8 des G usw. (Festgabe für Wach) 1913.
I. Unlauterer Wettbewerb (concurrence déloyale) ist, abgesehen von positivrechtlicher Einschränkung, die m i t u n l a u t e r e n M i t t e l n u n t e r n o m m e n e B e w e r b u n g um A b n e h m e r f ü r selbsterzeugte oder vertriebene Waren. 1. Unlauterer Wettbewerb ist Kundenfang, nicht Betrug. Nicht der Abnehmer, sondern der mitwerbende redliche Verkäufer soll in erster Linie geschützt werden. Und zwar nicht nur in seinem Vermögen. Der Name, den der Gewerbetreibende durch körperliche und geistige Tätigkeit sich erworben, das Vertrauen des Kundenkreises, den er durch geschickte Sorgfalt und Redlichkeit an sein Geschäft geknüpft hat, stellt nicht nur einen vielleicht recht bedeutenden Vermögenswert, sondern als Schöpfung individueller Leistungskraft ein den Urheberrechten gleichwertiges Individual-
§ 124.
D e r unlautere W e t t b e w e r b und v e r w a n d t e
Delikte.
4or
recht dar. Gegen dieses, nicht bloß gegen das Vermögen, richtet sich der unlautere Wettbewerb. 1 ) 2. Der Tatbestand besteht in der Bewerbung um Abnehmer durch unlautere Mittel. Als solche erscheinen: a) Die Verwertung fremder G e s c h ä f t s g e h e i m n i s s e ; b) die a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g (unten § 139 II 2), über das eigene oder das fremde Geschäft; insbesondere die Verwendung fremder eingetragener W a r e n b e z e i c h n u n g e n . N u r zögernd h a t sich die Reichsgesetzgebung zu Strafdrohungen gegen den unlauteren W e t t b e w e r b entschlossen. B i s 1896 war, abgesehen von den Bestimmungen der Versicherungsgesetzgebung (unten I I I ) , nur der Mißbrauch fremder F a b r i k - und Warenzeichen (unten IV) unter Strafe gestellt. Umfassende Regelung brachte erst das ,,G zur B e k ä m p f u n g des unlauteren W e t t bewerbes" v o m 27. Mai 1896, das seit 1. O k t o b e r 1909 durch das umfassendere G v o m 7. Juni 1909 (unten II) ersetzt ist. Neben diesem bleiben die älteren Gesetze in K r a f t . N e u e Bestimmungen zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse enthalten die unter I I I angeführten Gesetze. G E § 342 h a t einen umfassenden T a t b e s t a n d „ V e r r a t von Geschäftsgeheimnissen" aufgestellt.
II. Das G vom 7. Juni 1909 gibt keine allgemeine Begriffsbestimmung des unlauteren Wettbewerbs. Es begnügt sich mit der Aufzählung der einzelnen Fälle. Strafbar ist: r. Die a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g ü b e r d a s e i g e n e G e s c h ä f t oder die u n l a u t e r e R e k l a m e (§ 4). Das Gesetz verlangt unwahre und zur Irreführung geeignete Angaben (tatsächlicher Art, nicht bloß allgemeine Anpreisungen) über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Herstellungsart oder die Preisbemessung von Waren oder gewerblichen (nicht wissenschaftlichen oder künstlerischen, wohl aber landwirtschaftlichen) Leistungen, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlaß oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte; und zwar in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen (nicht nur für einzelne Kunden) bestimmt sind. Die Angaben müssen wider besseres Wissen und in der Absicht gemacht werden, den Anschein 2 ) eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen. Mit der Bekanntmachung oder Mitteilung ist die Vollendung gegeben; gelungene Täuschung ist nicht erforderlich. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahr und Geldstrafe bis fünftausend M a r k oder eine dieser Strafen. — Neben dem Angestellten oder Beauftragten,
>) Ebenso Aufeld, v. Birkmeyer, v. Gierke, Kohler, MM. Kohler u. a. D a g e g e n Binding Lehrb. 1 506. *) D i e Bestimmung findet mithin bei einem wirklich günstigen A n g e b o t keine Anwendung. D a g e g e n R 47 280. T. L i s i t ,
Strafrecht.
21. Aufl.
26
402
§ 124-
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
der solche Angaben in einem geschäftlichen Betriebe gemacht hat, ist der Inhaber oder Leiter des Betriebes strafbar, wenn die Handlang mit seinem Wissen geschehen ist. — Die gleiche Strafe trifft (§ 8) das sogenannte V o r s c h i e b e n o d e r N a c h s c h i e b e n v o n W a r e n , d. h. den Fall, daß jemand bei Ankündigung eines Ausverkaufs Waren zum Verkauf stellt, die nur für den Zweck des Ausverkaufs herbeigeschafft worden sind. — Ergänzend treten in den §§ 6 und 10 Übertretungsstrafen für verschiedene andere Tatbestände hinzu.
2. Die B e s t e c h u n g von A n g e s t e l l t e n oder B e a u f t r a g t e n eines g e s c h ä f t l i c h e n B e t r i e b e s (§ 12); strafbar, wenn sie im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes durch Anbieten, Versprechen oder Gewähren von Geschenken oder anderen Vorteilen („Schmiergeldern") geschieht, um durch unlauteres Verhalten der Angestellten oder Beauftragten bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Bevorzugung für den Bestechenden oder einen Dritten zu erlangen. S t r a f e : Wie zu 1. — Die gleiche Strafe trifft den Angestellten oder Beauftragten, der Geschenke oder andere Vorteile fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, damit er durch unlauteres Verhalten einem anderen beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb eine Bevorzugung verschaffe. Das Empfangene oder sein Wert verfällt dem Staat.
3. Die a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g über ein f r e m d e s G e s c h ä f t (§ 15), auch Anschwärzung, dénigrement, genannt. Genauer: die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen über das Erwerbsgeschäft eines anderen, über die Person des Inhabers oder Leiters des Geschäfts, über die Waren oder gewerblichen Leistungen eines anderen, wenn diese Behauptungen geeignet sind, den Betrieb des Geschäfts zu schädigen. Die Behauptung muß wider besseres Wissen erfolgen (oben § 39 Note 8). Gelungene Schädigung ist ebensowenig wie Schädigungsabsicht erforderlich (Gefährdungsdelikt). Nach dem Wortlaute des Gesetzes kann die Handlung nicht nur von einem geschäftlichen Konkurrenten, sondern auch von Dritten begangen werden. Sie kann mit der Kreditgefährdung in Idealkonkurrenz treten.®) S t r a f e : wie zu 1. Der Inhaber des Betriebs ist neben den Angestellten oder Beauftragten strafbar, wenn dessen Handlung mit seinem Wissen geschah.
4. Der V e r r a t und die u n b e f u g t e V e r w e r t u n g von G e s c h ä f t s g e h e i m n i s s e n (§§ 17—19). Strafbar ist: a) Wer als Angestellter, Arbeiter oder Lehrling eines Geschäftsbetriebes Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihm vermöge des Dienstverhältnisses anvertraut oder sonst zugänglich geworden sind, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt an andere zu Zwecken des Wettbewerbes oder in der Absicht dem *) Ebenso R 31 84 gegen R 31 64.
§ 124-
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
403
Inhaber des Geschäftsbetriebes Schaden zuzufügen, mitteilt (§ 1 7 Abs. 1). Die Unterscheidung der Betriebsgeheimnisse von den Geschäftsgeheimnissen ist ebenso undurchführbar wie die zwischen diesen beiden Begriffen einerseits und den geheimgehaltenen Betriebseinrichtungen und Betriebsweisen andererseits (s. unten III). „Nachahmung" einer „geheimgehaltenen Betriebsweise" ist stets „Verwertung" eines „Betriebsgeheimnisses". Am besten wird die einheitliche Bezeichnung „ G e s c h ä f t s g e h e i m n i s " festgehalten; dieses kann dann bestimmt werden als jede auf Herstellung oder Vertrieb der Waren bezügliche, vor Unberufenen mit Erfolg geheimgehaltene Tatsache, deren Bekanntwerden den Betrieb des Geschäfts schädigen würde. Zu den geschützten Geheimnissen gehören auch die von den Angestellten der Firma selbst überlassenen oder die in deren Dienste gemachten und ihr zukommenden Erfindungen.') Vorsatz ist erforderlich; außerdem die besondere Absicht des Wettbewerbes oder der Schädigung. b) Wer Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, deren Kenntnis er durch eine der im Absatz 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßende eigene Handlung6) erlangt hat, zu Zwecken des Wettbewerbes unbefugt verwertet oder an andere mitteilt (§ 17 Abs. 2). c) Wer die ihm im geschäftlichen Verkehr anvertrauten Vorlagen oder Vorschriften technischer Art zu Zwecken des Wettbewerbes unbefugt verwertet oder an andere mitteilt (§ 18). S t r a f e : wie zu 1.
d) Wer zu Zwecken des Wettbewerbes es unternimmt, einen anderen zu einer der oben a oder c erwähnten Handlungen zu bestimmen (§ 20). S t r a f e : Gefängnis bis zu neun Monaten und Geldstrafe bis zu zweitausend Mark oder eine dieser Strafen. 5. N e b e n b e s t i m m u n g e n . a) Strafverfolgung, abgesehen von den Übertretungstatbeständen, nur auf Antrag. In den oben unter 1 und 2 erwähnten Fällen ist jeder der in § 1 3 bezeichneten Gewerbetreibenden oder Verbände, sonst der Verletzte, antragsberechtigt. Zurücknahme zulässig. Antragsvergehen können im Wege der Privatklage verfolgt werden (§ 22). b) In den oben unter 1 und 2 erwähnten Fällen kann angeordnet werden, daß die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen sei; in dem Fall unter 3 ist dem Verletzten die Publikationsbefugnis zuzusprechen. 4 ) R 82 217. ®) Hierher würde gehören: Der Besuch einer Fabrik unter fremdem Namen, das Ausmieten (détournement) der Angestellten, die heimliche Durchstöberung der Geschäftspapiere aus Anlaß eines Besuches usw. Vgl. B G B § 826.
26*
404
§ 124'
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
Bei Freisprechung kann das Gericht auf Antrag des Freigesprochenen die öffentliche Bekanntmachung anordnen (§ 23). c) Neben der Strafe kann auf Buße bis zu zehntausend Mark erkannt werden (§ 26).
I I I . Die Offenbarung und Verwertung von Geschäftsgeheimnissen außerhalb des unlauteren Wettbewerbs i s t d u r c h d i e in d e r m o d e r n e n
Gesetzgebung vielfach angeordnete behördliche Überwachung der Gewerbebetriebe zu einer schweren Gefährdung der Gewerbetreibenden in dem Genuß ihrer individuellen Leistungen wie in ihren vermögensrechtlichen Interessen geworden. Zahlreiche Gesetze haben sich daher veranlaßt gesehen, jene Handlungen unter Strafe zu stellen, soweit sie von den zur Verschwiegenheit verpflichteten Personen (Beamten, Beauftragten, Sachverständigen) ausgehen. Einheitliche Erfassung des Tatbestandes fehlt. Dazu tritt die Offenbarung der Steuerverhältnisse durch die mit deren Feststellung beauftragten Personen. Auch hier sind bisher nur vereinzelte Ansätze zur strafrechtlichen Erfassung der unbefugten Offenbarung festzustellen. Daher kann die Trennung dieser Gruppe, die der Offenbarung v o n Privatgeheimnissen (oben § 120) verwandt ist, von der ersten, hierher gehörenden, nicht durchgeführt werden. 1. Die R e i c h s v e r s i c h e r u n g s o r d n u n g 1911 §§ 142 bis 145 bedroht die Personen der Versicherungsträger und Versicherungsbehörden, die besonderen Sachverständigen (§ 880) und die Mitglieder der Ausschüsse zur Entscheidung über Einsprüche nach § 1000 Abs. 2 und über Widersprüche nach § 1023 Abs. 1, wenn sie a) ihnen in amtlicher Eigenschaft bekannt gewordene Geschäftsoder Betriebsgeheimnisse unbefugt o f f e n b a r e n oder b) sie unbefugt v e r w e r t e n , um den Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. S t r a f e : zu a: a) Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder Gefängnis. Verfolgung auf Antrag des Unternehmers; ß) Wenn sie es tun, um den Unternehmer zu schädigen oder sich oder anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, Gefängnis, neben dem auf Ehrverlust und Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann. Bei mildernden Umständen ist auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark zu erkennen. Zu b: Gefängnis, neben dem auf Ehrverlust und auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann; bei mildernden Umständen ist auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark zu erkennen. — Vgl. auch § 145 des G.
Dieselben Tatbestände werden in dem A n g e s t e l l t e n v e r s i c h e r u n g s g . 1911 §§ 350 bis 353 mit denselben Strafen belegt. 2. § 145a der G e w e r b e o r d n g . vom 30. Juni (26. Juli) 1900 schützt die Gewerbetreibenden gegen Verrat durch die Sachverständigen, die vor der Entscheidung über die Konzessionserteilung zugezogen werden. a) L e i c h t e r e r F a l l . Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Ge-
§ 124- Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
405
fängnis bis zu drei Monaten, wenn die Genannten u n b e f u g t B e t r i e b s g e h e i m n i s s e o f f e n b a r e n , die k r a f t ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind. Vorsatz erforderlich. Verfolgung nur auf Antrag des Betriebsunternehmers. b) S c h w e r e r F a l l . Gefängnis, neben dem Ehrverlust zulässig ist, wenn die Genannten a b s i c h t l i c h (gleich vorsätzlich) zum N a c h t e i l e d e r B e t r i e b s u n t e r n e h m e r Betriebsgeheimnisse, die k r a f t ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, offenbaren oder g e h e i m g e h a l t e n e B e t r i e b s e i n r i c h t u n g e n o d e r B e t r i e b s w e i s e n unter derselben Voraussetzung n a c h a h m e n , solange diese noch Betriebsgeheimnisse sind. Tun sie dies, um sich oder einem anderen einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vermögensvorteil (unten § 1 3 g I I 4) zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. 3 . A u c h d a s M a r g a r i n e g . v o m 1 5 . J u n i 1 8 9 7 h a t in § 1 5 die durch die polizeiliche Ü b e r w a c h u n g bedrohten Betriebsgeheimnisse unter besonderen S t r a f s c h u t z gestellt. Mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten wird bestraft, wer als Beauftragter der Polizeibehörde unbefugt Betriebsgeheimnisse, die kraft eines Auftrages zu seiner Kenntnis gekommen sind, offenbart oder geheimgehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebsweisen, von denen er k r a f t seines Auftrags Kenntnis erlangt hat, nachahmt, solange diese noch Betriebsgeheimnisse sind. — Verfolgung nur auf Antrag des Betriebsunternehmers. — Dritte Personen können als Teilnehmer strafbar sein. 4. Dasselbe gilt v o n § 2 7 des W e i n g . v o m 7 . A p r i l
1909.
Die zu 2 angegebene Strafe t r i f f t den Sachverständigen, der die Verschwiegenheitspflicht verletzt oder Betriebsgeheimnisse mitteilt oder nachahmt. 5 . N a c h § 8 2 des B e s i t z s t e u e r g . v o m 3 . J u l i 1 9 1 3 wird die unbefugte O f f e n b a r u n g der Vermögens-, E r w e r b s - oder E i n k o m m e n s verhältnisse eines Steuerpflichtigen durch B e a m t e , Angestellte und ehrenamtliche Mitglieder von Behörden oder d u r c h S a c h v e r s t ä n d i g e (§ 82) b e s t r a f t . S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Verfolgung auf Antrag der obersten Landesfinanzbehörde oder des Steuerpflichtigen. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe ausgeschlossen (§ 84). Dieselbe
Bestimmung
findet auf
das
Kriegssteuerg.
vom
2 1 . J u n i 1 9 1 6 entsprechende A n w e n d u n g . 6. Dagegen l e g t d a s U m s a t z s t e u e r g . v o m 2 6 . J u l i 1 9 1 8 § 3 1 A b s . 5 den B e a m t e n und B e a u f t r a g t e n der S t e u e r v e r w a l t u n g die P f l i c h t a u f , über die Einrichtungen und Geschäftsverhältnisse, d i e . d u r c h die A u s ü b u n g ihrer Befugnisse zu ihrer K e n n t n i s
kommen,
Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Mitteilung u n d V e r w e r t u n g der G e s c h ä f t s - und Berufsgeheimnisse zu enthalten. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Verfolgung nur auf Antrag des Unternehmers.
406
§ 124.
Der unlautere Wettbewerb und verwandte Delikte.
7 . Entsprechende Strafdrohungen finden sich zahlreich in den K r i e g s v e r o r d n u n g e n , die die Gemeinbewirtschaftung gewisser Erzeugnisse anordnen. I V . Die gemeinrechtlichen B e s t i m m u n g e n , welche § 287 R S t G B z u m Schutze von Firmen und Namen getroffen hatte, erwiesen sich bald als unzureichend. Die allseitig verlangte und v o r 1870 in mehreren Einzelstaaten schon vorhanden gewesene A u s d e h n u n g auf F a b r i k und W a r e n z e i c h e n ist durch d a s Reichsg. v o m 30. N o v e m b e r 1874 (Markenschutzg.), in weiterem U m f a n g e durch d a s an dessen Stelle getretene G z u m S c h u t z der Warenbezeichnungen v o m 12. Mai 1894, gewährt worden. 6 ) N a c h § 1 dieses Gesetzes kann, wer in seinem Geschäftsbetriebe (wenn auch nicht als Vollkaufmann) zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren anderer sich eines Warenzeichens bedienen will, dieses Zeichen zur E i n t r a g u n g in die (bei d e m P a t e n t a m t geführte) Zeichenrolle anmelden. Die E i n t r a g u n g h a t (§ 12) die Wirkimg, d a ß dem Eingetragenen ausschließlich d a s R e c h t zusteht, Waren der angemeldeten A r t oder deren Verpackung oder U m hüllung m i t dem Warenzeichen zu versehen, die so bezeichneten Waren in Verkehr zu setzen, sowie auf Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen das Zeichen anzubringen. Wegen Verletzung dieses R e c h t s m a c h t sich s t r a f b a r : 1. Wer wissentlich Waren oder deren V e r p a c k u n g oder Umhüllung oder wer Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen a) m i t dem N a m e n oder der F i r m a eines anderen oder m i t einem nach diesem Gesetze geschützten Warenzeichen widerrechtlich versieht oder b) dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält (§ 14). Z u s t i m m u n g des Berechtigten schließt in beiden Fällen die Widerrechtlichkeit aus. S t r a f e : Geldstrafe von hundertfünfzig bis fünftausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Verfolgung nur auf Antrag. Dieser rücknehmbar. 2. W e r z u m Z w e c k der T ä u s c h u n g in Handel und Verkehr a) die unter 1 genannten Gegenstände m i t einer A u s s t a t t u n g , die innerhalb der beteiligten Verkehrskreise als Kennzeichen gleichartiger Waren eines anderen gilt, ohne dessen Genehmigung ver•) Die Übertretungen dieses Gesetzes werden als Fälschungsdelikte aufgefaßt von Binding, van Calker, Merkel, auch von Lenz (Lit. zu § 160) 61. Vgl. aber das oben unter I Gesagte. Richtig Allfeld, Janka, Kohler, Loening u. a. — Die Verwendung eingebürgerter Zeitungstitel ist nicht Mißbrauch voi Warenzeichen, kann aber nach Wettbewerbg. 1909 privatrechtlich haftbar machen.
§ 124-
Der unlautere Wettbewerb und yerwandte Delikte.
407
sieht, oder b) wer zu dem gleichen Zweck derartig gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält (§ 15). S t r a f e : Geldstrafe von hundert bis dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Verfolgung nur auf Antrag. Dieser rücknehmbar. 3. Wer die unter 1 genannten Gegenstände a) mit einem Staatswappen oder mit dem Namen oder Wappen eines Ortes, eines Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes zu dem Zweck versieht, über Beschaffenheit und Wert der Waren einen Irrtum zu erregen, oder b) wer zu dem gleichen Zweck derartig bezeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält (§ 16). S t r a f e : wie zu 1. Verfolgung von Amts wegen. Statt der Entschädigung kann in allen drei Fällen neben der Strafe auf Verlangen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende Buße bis zum Betrage von zehntausend Mark erkannt werden. Die zu dieser Verurteilten haften als Gesamtschuldner. Die Zuerkennung schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§ 18). In dem verurteilenden Erkenntnisse ist (§ 19) auf Antrag des Verletzten bezüglich der im Besitze des Verurteilten befindlichen Gegenstände auf Beseitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung oder, wenn die Beseitigung in anderer Weise nicht möglich ist, auf V e r n i c h t u n g der damit versehenen Gegenstände zu erkennen. — Ferner ist (§ 19) dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten ö f f e n t l i c h bek a n n t zu m a c h e n (oben § 58 Note 4). t>ie Art der Bekanntmachung und die Frist dazu ist in dem Urteil zu bestimmen.
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Vermögensreehte. § 125.
Obersicht.
Bei strenger Durchführung des Systems müßte die Einteilung der Vermögensverbrechen sich an die privatrechtliche Einteilung der Vermögensrechte anschließen. Diese Durchführung scheitert aber an dem geschichtlich gewordenen Stande der Gesetzgebung. 1 ) Eine ganze Reihe von Verbrechen (unten §§ 139 ff.) richtet sich gar nicht gegen einzelne Vermögensrechte, sondern gegen das Vermögen überhaupt, beansprucht also eine besondere Stellung im System. Aber auch der strafrechtliche Schutz der einzelnen Vermögensrechte ist durchaus ungleichmäßig entwickelt. Die Forderungsrechte genießen ihn nur zum Teil. Von den dinglichen Rechten hat ihn nur das Eigentum (von S t G B § 289 abgesehen), und auch dieses nur gegen Aneignung beweglicher Sachen und Sachbeschädigung, nur in einem Falle (StGB § 290) auch gegen rechtswidrigen Sachgebrauch, gefunden. Die wissenschaftliche Darstellung muß dieser Tatsache Rechnung tragen. Dem Eigentum an körperlichen Sachen ist durch das G vom 9. April 1900 das ausschließliche Verfügungsrecht über e l e k t r i s c h e A r b e i t an die Seite gestellt worden. Die Verletzung dieses Rechts wird daher am besten im Anschluß an die Eigentumsdelikte behandelt. I. Die Darstellung des Lehrbuches beginnt mit dem strafrechtlichen Schutz der dinglichen Rechte. 1 . D a s E i g e n t u m kann verletzt werden: a) Durch die B e s c h ä d i g u n g oder Z e r s t ö r u n g der Sache (Sachbeschädigung, S t G B § 303). Dabei wird zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen nicht unterschieden. b) Durch A n e i g n u n g der Sache, d. h. dadurch, daß der Nichteigentümer sich die eigentumsgleiche Herrschaft über die Sache anmaßt. Das geltende Strafrecht schützt nur die beweglichen Sachen gegen Aneignung und überläßt den Schutz der unbeweglichen Sachen J ) Heglers Einteilung (VD Bes. T. 7 407) und Archiv für R. und W.-Philosophie Bd 9 und 10) in Vermögensverschiebungs- und Vermögensentziehungsdelikte verläßt grundsätzlich den Einteilungsgrund des verletzten Rechtsgutes.
§ 125.
Strafbare Handlungen gegen Vermögensrechte.
Übersicht.
409
dem Privatrecht. Die Aneignung kann erfolgen: a. an einer Sache, die der Täter bereits in seinem G e w a h r s a m hat (Unterschlagung, S t G B § 246); ß. an einer Sache, die er erst aus dem Gewahrsam eines anderen w e g n e h m e n muß. Im Falle unter ß liegt Diebstahl (StGB § 242) vor, wenn das Wegnehmen ohne G e w a l t , dagegen Raub (StGB § 249), wenn es mit G e w a l t erfolgte. Ein besonderer Fall des Wegnehmens ist das „Entwenden" in §§ 248a und 370 Ziff. 5. c) Durch G e b r a u c h s a n m a ß u n g , die aber im geltenden Recht nur ausnahmsweise (StGB § 290) strafbar ist. In den drei Fällen unter a bis c ist einerseits der Sachbegriff streng auf die k ö r p e r l i c h e Sache zu beschränken und andrerseits ein T a u s c h w e r t der Sache n i c h t zu fordern. Die hierher gehörenden Verbrechen sind notwendig Sachverbrechen, nicht notwendig Bereicherungsverbrechen (oder Vermögensverbrechen im engeren Sinn). 2. Die Verletzungen des R e c h t s an e l e k t r i s c h e r A r b e i t schließen sich nach der Auffassung des geltenden Rechts 2 ) einerseits an die S a c h b e s c h ä d i g u n g , andrerseits an die A n e i g n u n g (Diebstahl wie Unterschlagung) an. 3. Von den übrigen dinglichen Rechten ist das N i e ß b r a u c h s und das P f a n d r e c h t (durch S t G B § 28g)3) geschützt. II. Besonderen strafrechtlichen Schutz genießen gewisse Zueignungsrechte; so das Jagd- und Fischereirecht. III. Dagegen sind die Forderungsrechte im wesentlichen auf den Schutz des Privatrechts angewiesen. Nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen ist der V e r t r a g s b r u c h strafbar. Dasselbe gilt von der U n t r e u e (StGB § 266) in der Wahrnehmung anvertrauter Vermögensinteressen. Dagegen dienen die Strafdrohungen gegen B a n k b r u c h dem Schutz der gefährdeten Gläubiger. IV. An diese drei, nach der Art der geschützten Vermögensrechte scharf geschienenen Gruppen von strafbaren Handlungen reiht sich eine vierte: Handlungen, die im Einzelfall gegen jedes beliebige Vermögensrecht sich richten können. Sie treten den durch die R i c h t u n g des Angriffs gekennzeichneten Vermögensverbrechen als „vage", nur durch das Angriffsmittel individualisierte Verbrechen gegenüber, wie die gemeingefährlichen Verbrechen und die Fälschungsdelikte den übrigen Verbrechen gegen den einzelnen. T ä u s c h u n g und Z w a n g als Angriffsmittel ergeben die typischen Formen des Betruges (StGB § 263) und der Erpressung (StGB § 253). Dazu kommt als moderne Form die A u s b e u t u n g der Notlage, des Leicht2 ) Ebenso K E ; dagegen haben V E § 1 2 und G E § 1 2 die elektrische Arbeit der beweglichen Sache gleichgestellt. 3 ) Der aber die nichtdinglichen Gebrauchs- und Zurückbehaltüngsrechte gleichstellt.
§ 126.
I. Der Diebstahl.
Geschichte.
sinns, der Unerfahrenheit; insbesondere der Wucher ( S t G B § 302 a ) . 4 ) A n die Verletzungsdelikte reiht sich die V e r m ö g e n s g e f ä h r d u n g (insbes. das Glücksspiel). Und ,die ganze Gruppe wird durch d a s eigenartige Vermögensdelikt der S a c h h e h l e r e i ( S t G B § 259) geschlossen. Die in diese I V . Gruppe fallenden Verbrechen sind grundsätzlich, d. h. soweit der unzweifelhafte Wille des Gesetzes nicht zu anderer Auffassung zwingt, Vermögensverbrechen im engeren Sinn, d. h. sie richten sich gegen das Vermögen als Inbegriff geldwerter Güter. Sie sind eben darum grundsätzlich B e r e i c h e r u n g s verbrechen; d. h. sie verlangen die wenigstens beabsichtigte Verschiebung der Vermögenslage zugunsten des Täters. V . Neben dem Schutz von Leib und Leben bezwecken die Strafdrohungen gegen g e m e i n g e f ä h r l i c h e V e r b r e c h e n ( S t G B §§ 306 bis 330) auch den Schutz des Vermögens. Und dasselbe gilt von einer ganzen Reihe p o l i z e i l i c h e r Strafdrohungen. A u s den bereits (oben § 80 III) angegebenen Gründen sind diese beiden Gruppen aber an anderer Stelle zu behandeln.
I. Strafbare Handlungen gegen dingliche Rechte. § 126. I. Der Diebstahl. Geschichte. Literatur. Mommsen 733. Rosenberger Über das furtum nach klassischrömischem Recht. Züricher Diss. 1879. Bachem Unterschied zwischen dem furtum des römischen Rechts und dem deutschen R S t G B 1880. Maschke Das Eigentum in Zivil- und Strafrecht 1895. — Brunner 2 637. Kohler Studien 4 420. Rllkser Der Diebstahl nach der lex Ribuaria 1913. 1. Der Diebstahl war im klassischen römischen R e c h t lediglich Privatdelikt. Zwar hatten die X I I Tafeln das furtum manifestum, wohl anknüpfend an den indogermanischen Unterschied zwischen handhafter und nichthandhafter Tat, mit kapitaler Strafe belegt, während das furtum nec manifestum mit der poena dupli bedroht war. Auch war das Tötungsrecht des Angegriffenen dem nächtlichen Diebe gegenüber unbedingt, dem Tagesdiebe gegenüber, „si telo se defendit", anerkannt. Aber schon das prätorische Recht kannte nur mehr die Geldbuße: das Vierfache bei f. manifestum und prohibitum, das Zweifache bei f. nec manifestum, das Dreifache bei f. conceptum et oblatum. Das Recht der Kaiserzeit (oben § 7 III) hob einzelne Fälle des Diebstahls als crimina extraordinaria hervor und bedrohte sie mit peinlicher Strafe. Aber im großen und ganzen wurde dadurch nicht viel geändert, wenn nicht die zweifelhafte Überlieferung richtig ist, nach der zu Justinians Zeiten bei jedem Diebstahle (rei ipsius) die Wahl zwischen ziviler Klage (actio) und Verfolgung (crimen) offen stand. «) Vgl. dazu Isopescul-Grecul (Lit. zu § 143) 321.
§126.
I. Der Diebstahl.
Geschichte.
411
Bekannt ist die Begriffsbestimmung, die Paulus in 1. 1 § 3 D 47, 2 g i b t : „ F u r t u m est contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei v e l etiam usus ejus possessionisve." D a n a c h ist Diebstahl jede widerrechtliche, gewinnsüchtige Entwendung einer fremden beweglichen Sache; und der Begriff des furtum umfaßt daher nicht bloß den heutigen Diebstahl, sondern auch den R a u b , die Unterschlagung, den sogenannten Funddiebstahl, die Besitzentziehung, die Gebrauchsanmaßung, sowie einzelne Betrugsfälle. Dem Eigentümer steht die condictio f u r t i v a auf Rückerstattung der Sache, jedem Verletzten die infamierende actio furti zu. Diese letztere wurde versagt: 1. Gegen den Ehegatten (in honorem matrimonii); 2. gegen Hauskinder (wegen der unitas personarum); 3. gegen Sklaven (wegen der Strafgewalt des Hausvaters). Tl. Wesentlich anders behandelt das mittelalterlich-deutsche R e c h t den Diebstahl. Dieser erscheint hier als h e i m l i c h e W e g n a h m e aus fremder Gewere und hebt sich dadurch scharf a b von dem Raube als der o f f e n e n Wegnahme einerseits und der Unterschlagung als dem dieblichen B e h a l t e n gefundener oder sonst an den Täter gelangter Sachen andrerseits, während die Veruntreuung von zu treuer Hemd gegebenen Sachen meist dem Diebstahl gleichgeachtet \rird. Frühzeitig finden wir, insbesondere in den Kapitularien, strenge öffentliche Strafen gegen den Diebstahl angedroht (oben § 8 III). Schon Rib. 79, 1 l ä ß t den auf der T a t ergriffenen D i e b aufknüpfen. Wichtig ist insbesondere ein Kapitular von 779, das den dritten Diebstahl mit dem Strange bedroht. Zahlreich sind die Unterscheidungen innerhalb des Diebstahls und die A b stufungen in der Bestrafung. So ist erschwert der Diebstahl an gewissen, eines höheren Friedens bedürftigen Gegenständen (Pflug auf dem Felde, Vieh, Getreide) oder an befriedeten Orten (Königliche Pfalzen, Kirchen, Mühlen, Schmieden), zu gewissen Zeiten (während des Heer- oder des Dingfriedens, insbesondere aber nächtlicher Diebstahl), der Diebstahl m i t Einbrechen usw. Daneben spielt die allgemeine Unterscheidung von handhafter und nicht handhafter T a t gerade hier eine entscheidende Rolle, und auch der wiederholte Rückfall wird besonders streng bestraft. V o n größter Bedeutung aber ist die das ganze spätere Mittelalter beherrschende Einteilung des Diebstahls nach d e m W e r t des Gestohlenen in einen großen an Hals und Hand und einen kleinen an H a u t und Haar gehenden, wobei die vielfach schwankende Grenze a m häufigsten (so im Schsp. wie in den Reichsgesetzen) fünf Schillinge betrug. Soweit Todesstrafe eintritt, wird sie mit dem Strang vollzogen. I I I . Die i t a l i e n i s c h e Rechtswissenschaft des Mittelalters begnügte sich auch hier im allgemeinen damit, für die von dem deutschen (langobardischen) Rechte beherrschte Rechtsprechung nach Anknüpfungspunkten im römischen Rechte zu suchen. In der Sache ist es deutsches Recht, was sie entwickelt. 1 ) I V . So steht denn auch die P G O in dieser wie in den meisten anderen Fragen durchaus auf dem Boden deutschrechtlicher Auffassung. Sie behandelt den Diebstahl und die verwandten Vergehungen m i t größter Ausführlichkeit in den Artikeln 157 bis 175. Und zwar in folgender Reihenfolge. A r t . 1 5 7 : Der allerschlechteste heimliche Diebstahl unter fünf Gulden (Zwiespiel, event. Kerker). A r t . 158: Der erste öffentliche Diebstahl unter fünf Gulden (Landesverweisung,, bei Besserungsfähigkeit das Vierfache). A r t . 159: Der erste gefährliche Diebstahl (auch unter fünf Gulden) durch Einsteigen oder Brechen „oder m i t W a f f e n , damit er jemand, der ihm Widerstand tun wollt', verletzen
Hörster (Lit. zu § 8 II) 194.
412
§ 127.
Der
Begriff des Diebstahls.
möcht'" (Todes- oder schwere Leibesstrafe). A r t . 160: Der erste große Diebstahl im Werte von fünf Gulden (von der Rechtsprechung wird der Gulden gleich einem ungarischen Dukaten gerechnet) und darüber (Strafe an Leib oder Leben). A r t . 161: Der zweite einfache Diebstahl (Landesverweisung). A r t . 162: Der dritte Diebstahl (ohne daß zwischen Rückfall und Zusammentreffen unterschieden worden wäre); „das ist ein mehrer verleumdeter Dieb und einem Vergewaltiger gleich geachtet" (Todesstrafe). A r t . 164: Junge Diebe unter 14 Jahren sollen ohne besondere Ursache nicht am Leben bestraft werden. A r t . 165: Diebstahl an Gütern, deren nächster Erbe der Täter ist, oder zwischen Mann und Frau (Ausschluß der amtlichen Verfolgung). A r t . 166: Stehlen in echter Hungersnot. Die folgenden A r t i k e l 167 bis 169 behandeln die Entwendung von Früchten auf dem Felde, an Holz und Fischen, und unterscheiden ihn von dem gemeinen Diebstahl. A r t . 170: Die Veruntreuung. A r t . 171 bestimmt den Kirchendiebstahl (an: res sacrae e loco sacro, res^acrae e loco non sacro, res non sacrae e loco sacro), und A r t i k e l 172 ff. stufen die Strafe für ihn ab, indem sie mit dem Feuertode beginnen. V. Diese Bestimmungen bilden die Grundlage des g e m e i n e n R e c h t s . Dieses läßt im allgemeinen Todesstrafe eintreten 1. bei schwerem Diebstahl; 2. bei großem Diebstahl; 3. bei Diebstahl im zweiten Rückfall. Seit dem 18. Jahrhundert wird die Todesstrafe bekämpft und erst beschränkt, dann beseitigt (Friedrich der Große 1743). Auch die n e u e r e G e s e t z g e b u n g hat den gemeinrechtlichen Begriff festgehalten, ohne sich durch die römischen Quellen irreführen zu lassen. Bedenkliches Schwanken herrscht eigentlich nur in bezug auf die Frage, ob zum Begriff des Diebstahls gewinnsüchtige Absicht des Täters gefordert werden soll oder nicht, ob also der Diebstahl als Bereicherungsvergehen oder lediglich als Verletzung des Eigentums aufzufassen ist. K E hat, wie V E § 269, mit dem geltenden Recht die Frage verneint; GE § 297 dagegen (mit der überwiegenden Literatur, Ö R E und SRE Art. 120) verlangt Bereicherungsabsicht und stellt daher die „eigenmächtige Zueignung" (§ 300) neben Diebstahl und Unterschlagung.
§ 127.
Der Begriff des Diebstahls.
Literatur. Außer den zu § 126 angegebenen Schriften: Harburger YD Bes. T. 6 183. — Dickel Tatbestand des Diebstahls nach deutschem Recht. Bonner Diss. 1877. Merkel HH 3 618, 4 405. Ullmann Der dolus beim Diebstahl 1870. Geyer K l . Schriften 327 (diebische Absicht). — Micelli Der Begriff des Gewahrsams im Strafrecht (v. Lil. Heft 72) 1906. W. V. Hippel Der Wasserdiebstahl 1895 (Abhandlgn. des Kriminalist. Seminars 4 1). Doirr Über das Objekt bei den strafbaren Angriffen auf vermögensrechtliche Interessen 1897. Prtihß Das verletzte Schutzobjekt beim Diebstahl. Freiburger Diss. 1902. v. Pradzynski Sachbeschädigung und Aneignung (V. Lil. Heft 88) 1908. Bender Können juristische Personen strafrechtlichen Besitz (Gewahrsam) haben ? (Freiburger Abhandlgn. Heft 14) 1908. Sauer Schließen sich Diebstahl und Sachbeschädigung begrifflich aus ? 1908. Laemmert Der Begriff des Gewahrsams in den §§ 242 und 246 S t G B 1909. Redslob (Der zivilrechtliche Besitz und der strafrechtliche Gewahrsam) Z 30 205. Höpjner Diebstahl und Unterschlagung im V E 1910. v. Lilienthal Z 32 1 (Diebstahl als Bereicherungsdelikt). Eckstein GA 59 414 (Veräußerung fremder Sachen). Derselbe GS 80 283 (Begriff der Zueignung). Sauer GA 63 284 (dasselbe). Zimmer Der Zueignungsbegriff 1913.
I. Diebstahl ist E i g e n t u m s v e r l e t z u n g d u r c h widrige Aneignung einer fremden beweglichen
rechtsSache,
§ 127-
Der Begrifi des Diebstahls.
413
die zu diesem Zwecke durch Wegnahme in den Gewahrsam des Täters gebracht wird. D a s letzterwähnte M o m e n t unterscheidet Diebstahl und Unterschlagung. Nach dieser Begriffsbestimmung wären Diebstahl wie Unterschlagung erst m i t der Aneignung vollendet. D a s geltende R e c h t l ä ß t aber die Vollendung schon m i t der Wegnahme eintreten; Diebstahl ist demnach ( S t G B § 242): W e g n a h m e e i n e r f r e m d e n b e w e g l i c h e n S a c h e in d e r A b s i c h t rechtswidriger Aneignung. II. Gegenstand des Diebstahls ist e i n e f r e m d e b e w e g l i c h e Sache. 1. Eine k ö r p e r l i c h e S a c h e : d. i. der raumerfüllende, räumlich beherrschbare Stoff. Sache ist nicht der M e n s c h , auch nicht, wenn, wie in den deutschen Schutzgebieten, die Haussklaverei rechtlich anerkannt ist. W o h l aber künstliche Ergänzungen des Körpers (der Stelzfuß, die Perücke), soweit sie nicht (wie die künstliche Nase) dem Körper untrennbar einverleibt sind; auch abgetrennte natürliche Körperteile (Zähne, Gallensteine usw.). Die Leiche wird zur Sache, sobald sie in den Verkehr gebracht ist (vgl. oben § 118 Note 14). Sachen sind auch tropf barflüssige oder gasförmige Körper, wie Wasser, 1 ) Gas, warme L u f t , soweit sie in fremdem Gewahrsam sich befinden. Unter den Begriff der Sache fallen dagegen nicht R e c h t e (Forderungen); aber auch nicht K r ä f t e (Energien), wie die Triebk r a f t des Wassers oder Dampfes, die Z u g k r a f t des Ochsen, die elektrische K r a f t , die Arbeit eines Leistungsautomaten. 2 ) Ob die Sache einen Tauschwert h a t oder nicht, ist gleichgültig. 3 ) 2. E i n e - f r e m d e , d. h. in dem Eigentume eines anderen stehende Sache. A n Sachen, die in niemandes E i g e n t u m stehen, ist Diebstahl unmöglich. So an herrenlosen oder v o m Eigentümer aufgegebenen (derelinquierten) usw. Sachen; 4 ) an wilden Tieren in ihrer natürlichen Freiheit (anders an Tieren in eingehegten Tiergärten, Fischen in geschlossenen Privatgewässern; vgl. unten § 134); an einem ausgezogenen und nicht verfolgten Bienenschwarm. Daher kann auch, Ableitung von Bewässerungswasser kann daher Diebstahl sein. Vgl. oben § 20 Note 6. Ebenso Frank § 242 III. Abweichend W. V. Hippel 43. Über Entwendung von Heizdampf vgl. R 44 335. 2) Die vielumstrittene Frage, ob die elektrische Energie eine körperliche Sache sei, ist für das Strafrecht durch das G vom 9. April 1900 im Sinne der herrschenden Ansicht (R 82 165) verneinend entschieden. Vgl. unten § 133. *) So die gem. Meinung. Sehr bedenklich R 10 120 (bezüglich der Sachbeschädigung). Doch kann in diesem Falle die Absicht rechtswidriger Zueignung fehlen. Brotkarten und andere Bezugsscheine auf rationierte Waren fallen als solche unter den Begriff der Sache; so R in ständiger Rechtsprechung. Vgl. R 5 1 914) So Sachen, die in den im Mietshause aufgestellten Müllbehälter geworfen sind: R 48 121. Von flüchtenden Soldaten weggeworfene Ausrüstungsgegenstände bleiben im Eigentum des Staates: R 49 195.
414
§ 127.
Der Begriff des Diebstahls.
wer dem Wilderer das Wild entwendet, nicht wegen Diebstahls (wohl aber wegen Hehlerei) bestraft werden. Weiter ist Diebstahl ausgeschlossen an verscharrten Tierkörpern, regelmäßig auch an den der Leiche ins Grab mitgegebenen Gegenständen (bestritten); möglich dagegen an den auf das Grab niedergelegten Kränzen. E r ist immer unmöglich an res extra commercium, sowie an res communes, soweit nicht etwa eine Ausscheidung und Ergreifung bereits stattgefunden hat. Auch die Verletzung eines ausschließlichen Aneignungsrechts ist mithin nicht Diebstahl. Sachen, die im Eigentume des Staates, der politischen oder kirchlichen Gemeinden usw. stehen, können Gegenstand eines Diebstahls sein. An Nachlaßsachen kann der Erbe wegen B G B § 1922 einen Diebstahl nicht begehen. Die Aufgabe des Eigentums durch den Eigentümer oder die Übertragung des Eigentums an den Täter schließt, da sie der Sache die Eigenschaft einer fremden benimmt, den (vollendeten) Diebstahl aus; damit ist jedoch die Einwilligung des Eigentümers in die Wegnahme oder in die Ergreifung der Sache nicht zu verwechseln (unten III). Irrige Annahme der Aufgabe, bzw. Übertragung des Eigentums, schließt den Vorsatz aus. Irrige Nichtannahme würde als untauglicher Diebstahls versuch erscheinen. Der Eigentümer selbst kann sich des (vollendeten) Diebstahls an der eigenen Sache nicht schuldig machen, wohl aber der Miteigentümer an der ihm nicht ausschließlich gehörenden. 3. Eine (tatsächlich) b e w e g l i c h e Sache. Ihr stehen die vom Täter (vielleicht gerade zum Zwecke des Diebstahls) beweglich gemachten Sachen, z. B . Bäume, Früchte, Gebäudeteile, Schiffe usw., aber auch der abgeschnittene Zopf, durchaus gleich. Entziehung des Besitzes unbeweglicher Sachen ist nicht Diebstahl (vielleicht Grenzverrückung). I I I . Die S a c h e darf sich nicht in dem Gewahrsam des Diebes, sie m u ß s i c h im G e w a h r s a m e i n e s a n d e r e n b e f u n d e n h a b e n . Gewahrsam ist t a t s ä c h l i c h e G e w a l t , d. h. die Vom Herrscherwillen getragene tatsächliche Herrschaft über die Sache; also die Möglichkeit, mit Ausschluß anderer auf sie einzuwirken; die Verfügungsgewalt, verbunden mit dem erkennbaren Willen, die eigene Herrschaft unter Ausschluß anderer geltend zu machen. Wille und Gewalt müssen nebeneinander vorhanden sein; diese ist ohne jenen nicht möglich, jener muß in dieser zutage treten. Ein Wissen um die einzelnen Gegenstände, die sich in den vom Herrscherwillen allgemein umfaßten Räumen befinden (die Bücher, die der Buchhändler in meiner Stube hinterläßt, die Fische, die sich in meinem Netze fangen), ist nicht erforderlich. Der einmal begründete Gewahrsam dauert fort bis zum Eintritte eines ihn in erkennbarer
§ 127-
Der Begriff des Diebstahls.
415
Weise und nicht nur vorübergehend beseitigenden Ereignisses. Er kann in der verschiedensten Gestalt und in den mannigfachsten Abstufungen sich zeigen; die Uhr in meiner Tasche ist in meinem Gewahrsam, wie der Pflug auf meinem Felde oder das Buch im Schranke, dessen Schlüssel ich während einer Reise zu mir gesteckt habe, oder der Geldtopf, der an einem nur mir bekannten Orte im Walde von mir vergraben wurde, oder der Familienschmuck, den ich einem Angehörigen in die Familiengruft mitgegeben habe; selbst der Hund, der frei umherläuft, solange er die Gewohnheit der Rückkehr hat. 8 ) Es genügt mithin ein solches Verhältnis zur Sache, „daß man nach dem gewöhnlichen Verlauf auf die Verfügung über sie rechnen kann" (Dernburg). Auch der Wahnsinnige, auch das Kind kann den Gewahrsam an einer Sache haben; ebenso aber Angehörige oder andere Personen durch jene.6) Diebstahl kann demnach nicht (wohl aber Unterschlagung) begangen werden an Sachen, die in keines Menschen Gewahrsam stehen, wie an vom Hochwasser fortgeschwemmten und in keiner Weise kenntlich bezeichneten Bretterbalken; auch nicht an verlorenen, wohl aber an vergessenen (etw? im Wagen zurückgelassenen), versteckten oder verlegten Sachen. Ob Gegenstände, die auf einem gestrandeten Schiffe sich befinden oder im Seesturm ausgeworfen wurden, noch im Gewahrsam der Schiffsmannschaft stehen, ist Tatfrage. Wegnahme in der irrtümlichen Annahme, daß die Sache sich in niemandes Gewahrsam befindet, begründet vollendete Unterschlagung. 7 ) Durch Einwilligung in die Wegnahme (namentlich durch Hingabe der Sache) von seiten des Gewahrsamsinhabers wird die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht notwendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache (oben II 2) oder durch bloßes Geschehenlassen (etwa aus Furcht). Irrige Annahme der Einwilligung schließt den Vorsatz aus; irrige Nichtannahme 5 ) Der Begriff des strafrechtlicheil Gewahrsams deckt sich mithin m i t der Begriffsbestimmung des Besitzes in § 854 BGB. Dagegen kann, je nach Lage der tatsächlichen Umstände, abweichend von BGB §§ 855 und 868, dem Besitzdiener der Gewahrsam zugesprochen, dem mittelbaren Besitzer abgesprochen werden; und der Erbe erlangt, trotz BGIJ § 857, den Gewahrsam erst mit der tatsächlichen Gewalt. Ebenso R 34 252, 37 198, 47 210, SO 46, 183, 52 143. Abweichend J. Goldschmidt GA 47 352, Harburger 201, Redstob (nach ihm ist Gewahrsam ein s o z i a l e s Mach tverhältnis; der Begriff deckt sich "vollständig m i t dem des Besitzes). *) Der Wahnsinnige, das Kind kann den Gewahrsam erlangen und aufgeben, nicht aber auf einen anderen übertragen. Der Empfänger ist daher Dieb. Ebenso im wesentlichen Allfeld 509, ¡Unding 1 714, Harburger 205, Schwartz § 242 Note 5, dagegen R 2 332, 52197, Frank § 242 VI (Unterschlagung), Köhler 413, Wachenfeld 373 (der zwischen Aufgabe und Übertragung des Gewahrsams keinen Unterschied machen will). — Körperschaften üben den Gewahrsam durch ihre Organe aus. Vgl. dazu Bender. ') Ebenso RMilG 14 205.
4i6
§ 127.
Der Begriff des Diebstahls.
begründet untauglichen Versuch. Bei Erschleichung der Einwilligung durch Täuschung ist Betrug anzunehmen. Der Gewahrsamsinhaber selbst kann sich des Diebstahls nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig machen; der Mitgewahrsamsinhaber begeht Diebstahl, wenn er sich rechtswidrig die ausschließliche Verfügungsgewalt verschafft. Der letzte Satz gilt uneingeschränkt, wenn der mehrfache Gewahrsam an derselben Sache mehreren gleichgestellten Personen zusteht (A und B haben je einen der beiden zur Eröffnung des Geldschrankes erforderlichen Schlüssel). E r gilt, wenn der Gewahrsam einer über- und einer untergeordneten Person zusteht, nur zuungunsten dieser. Demnach kann nicht nur die Entwendimg von Ladenvorräten durch einen im Geschäft angestellten Verkäufer, von Silberzeug durch das Dienstmädchen, der Anstaltskleider durch den Sträfling usw., sondern auch die Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines (nicht etwa völlig abgesonderten) möblierten Zimmers als Diebstahl betrachtet werden, wenn der Täter nur Mitgewahrsamsinhaber ist. 8 ) IV. Die Handlung besteht in dem Wegnehmen, d. h. in dem B r e c h e n des f r e m d e n und d e r B e g r ü n d u n g des e i g e n e n Gewahrsams.9) In welcher Weise und durch welche Mittel die Wegnahme erfolgt, ist gleichgültig. Wer sich ein Stück Fleisch durch den Hund aus dem Metzgerladen holen läßt, wer durch öffnen des Hahnes das fremde Gas aus dem Gasrohr ableitet oder ein Kind oder einen Geisteskranken bestimmt, ihm eine bewegliche Sache zu überlassen (oben Note 6), hat „weggenommen". Heimlichkeit der Wegnahme ist schon seit der PGO nicht erforderlich; andrerseits ist Mangel von Gewalt und gefährlicher Drohung notwendig, damit der Diebstahl nicht in Raub übergehe. V. Der V o r s a t z des Täters muß, wie immer, die sämtlichen Tatbestandsmerkmale umfassen. 10 ) 8 ) Gem. Meinung. R 30 88 nimmt beim Ladendiener Gewahrsam an, während R 5 42 ihn beim Vermieter verneint. Gegen den Text Beling Verbrechen 283, Harburger 201. — Auch der Dieb selbst kann sich durch Wegnahme der gestohlenen Sache aus dem Mitgewahrsam seines Diebesgenossen eines zweiten Diebstahls schuldig machen. Ebenso Harburger 196; abweichend R 11 439. — Über Gewahrsam an den im Eisenbahnwagen liegengebliebenen Sachen vgl. RMilG 13 232. •) Gem. Meinung, insbes. R 21 110. Dagegen Allfeld 519, Merkel HH 3 643. Wichtig, wenn eine fremde Sache verkauft und unmittelbar aus dem Gewahrsam des Eigentümers in den des Kaufers gebracht wird. Hier kann nur Betrug angenommen werden. Ebenso Frank § 242 VI. Dagegen Binding Lehrb. 2 278, Harburger 207, Schwariz § 242 Note 7. Auch nach R 47 147, 48 58 soll es genügen, wenn der Täter einemDritten die unmittelbare Erlangung des Gewahrsams ermöglicht. 10 ) Es sind daher die allgemeinen Grundsätze über die Konkretisierung des Vorsatzes (oben § 39 III) und über den Irrtum anzuwenden. Abweichend
.§ 127-
Der Begriff des Diebstahls.
417
D a s Gesetz v e r l a n g t aber, über den V o r s a t z hinausgreifend, a u ß e r d e m noch die Absicht rechtswidriger Zueignung. D e r vielfach noch in der deutschen Landesgesetzgebung geforderte animus lucri faciendi, die „gewinnsüchtige A b s i c h t " , ist y o m R S t G B i m Anschlüsse an d a s preußische aufgegeben worden. D e r D i e b s t a h l ist im h e u t i g e n R e c h t k e i n Bereicherungsv e r g e h e n (vgl. oben § 1 2 6 a. E . ) . D a h e r wird durch Hinterlegung des Wertes der weggenommenen Sache der Begriff des Diebstahls nicht ausgeschlossen. Aneignung aber ist A u s ü b u n g d e s E i g e n t u m s i n h a l t e s . 1 1 ) •Sie ist zugleich als Enteignung die Verdrängung des E i g e n t ü m e r s , dessen Gewalt die Sache dauernd entzogen w i r d . Wegnahme z u m Z w e c k der Aneignung bedeutet daher Herstellung eines Verhältnisses zur Sache, in dem sie, als wäre sie im E i g e n t u m , m i t Ausschluß aller anderen, insbesondere des Eigentümers, den Zwecken des T ä t e r s dienstbar gemacht wird. Sie liegt mithin nicht v o r , wenn die S a c h e i m Interesse des E i g e n t ü m e r s verbraucht wird (unten § 1 2 9 V I I I ) . Aneignung setzt zwar nicht d a u e r n d e H e r r s c h a f t , wohl aber die v ö l l i g e eigentumsgleiche Beherrschung der Sache (das „se u t d o m i n u m gerere") v o r a u s . Verfügung über die Sache nach einer e i n z e l n e n bestimmten R i c h t u n g genügt nicht, soweit sich nicht darin die Absicht völliger Beherrschung kundgibt. A l s o nicht der vorübergehende G e b r a u c h der Sache (unten § 1 2 9 I), mithin auch nicht an sich d a s Beheben eines S p a r k a s s e n g u t h a b e n s ; 1 2 ) wohl a b e r R 14 313 (Verein. Strafsenate); gegen dieses V. Bar Gesetz 2 350 Note 114, J. Goldschmidt GA 47 261, 352, Oborniker (Lit. zu § 128) 35ff., insbes. 37. u ) Herrschende Ansicht. Abweichend Frank § 246 III (Überführung in das eigene wirtschaftliche Vermögen des Täters), Graf Gleispactl (Lit. zu § 131) 17 (der den Berechtigten ausschließende Genuß der Sache), Harburger 212, V. Lilienthal 54 (Verfügung über den vollen wirtschaftlichen Nutzeffekt der Sache), Sauer (die Verfügung, die objektiv auf künftige Verwertung schließen läßt). Auch RMilG 18 35, 20 197 vertritt die hier abgelehnte Ansicht, die den klaren Begriff der Aneignung durch den der wirtschaftlichen Verwertung ersetzt, und folgerichtig dazu gelangen muß, die Gebrauchsanmaßung für Diebstahl zu erklären. Vgl. auch § 131 Note 1. — SchwartZ § 242 Note 9 hält (zweifellos unrichtig) schon die Begründung des eigenen Gewahrsams für Aneignung, setzt diese also der vollendeten Wegnahme gleich. 12) Es kann jedoch, da das Sparkassenbuch Legitimationspapier ist, vollendeter oder versuchter B e t r u g (Täuschung des Beamten) vorliegen. Drei Ansichten stehen sich gegenüber: 1. Im Sinne des Textes die herrschende Ansicht; so Allfeld 502, Binding Lehrb. 1 265, Doerr GS 52 1, Harburger 190, Wachenfeld 375. Ferner Schwenger Der sogenannte Diebstahl an Sparkassenbüchern. Freiburger Diss. 1902. Gräfe Widerrechtliche Erhebung von Teilbeträgen fremder Sparkassenguthaben 1904. Gnuse Die rechtswidrige Hebung fremder Sparguthaben. Erlanger Diss. 1904. Ollendorf Die Wegnahme von Sparkassenbüchern zum Zwecke der Erhebung von Teilbeträgen (v.Lil. Heft 185) 1914 (gegen Frank); vgl. da?u Baumgarten Schweizer Z. 29 303. Gegen die Annahme eines Betruges Hegler VD Bes. T. 7 441. — 2. Für D i e b s t a h l R in fester Rechtsprechung; so zuletzt 43 17, RMilG 15 244 (anders 15 295); •. L i s z t ,
Strafrecht.
21. Aufl.
2
7
418
§ 127.
Der Begriff des Diebstahls.
der bestimmungsgemäße V e r b r a u c h der Sache (so das Verzehren von Eßwaren, das Verfahren von Benzin). Bei Geld und geldvertretenden Wertzeichen genügt dagegen der bestimmungsgemäße Gebrauch.13) Nicht ist Aneignung die sofortige Vernichtung der Sache,14) wohl aber das (wenn auch sofortige) entgeltliche und tinentgeltliche Überlassen der in den eigenen Gewahrsam gebrachten Sache an einen anderen; ebenso (unter Umständen) das Verstecken oder Beiseiteschaffen, die Vermischung fremden Geldes mit dem eigenen, die Teilung einer gemeinsamen Sache. Die V e r p f ä n d u n g ist pur dann nicht Aneignung, wenn mit der A b s i c h t zugleich die begründete A u s s i c h t rechtzeitiger Wiedereinlösung („Ersatzbereitschaft") besteht.15) Wirkliph erfolgte Aneignung ist nicht erforderlich, wenn auch für den N a c h w e i s der Aneignungsabsicht von größter Bedeutung. Die Aneignung muß r e c h t s w i d r i g sein. Diebstahl ist also nicht anzunehmen, wenn berechtigte Selbsthilfe vorliegt; wohl aber dann, wenn ein anderer Anspruch, ohne daß die Voraussetzungen der Selbsthilfe vorliegen,16) durch Wegnahme der Sache gesichert werden soll. Irrige Annahme der Rechtmäßigkeit schließt hier als Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal den Vorsatz aus. Das Gesetz verlangt A b s i c h t der Zueignung im Sinne eines über den Vorsatz hinausreichenden Beweggrundes, verbunden mit dem Bewußtsein ihrer Rechtswidrigkeit. 1 ') Und zwar muß der Täter die Absicht haben, zunächst wenigstens s i c h , nicht aber unmittelbar einem D r i t t e n , die Sache anzueignen. VI. Der Diebstahl ist vollendet mit der vollendeten Wegnahme, also sobald der eigene Gewahrsam an der Sache durch den Täter begründet ist. 18 ) ähnlich Frank § 242 Vll,Graf Gleispach 34, auch Schwartz § 242 Note 2 (unklar). — 3. F ü r U n t e r s c h l a g u n g der behobenen Summe (mit untereinander abweichender Begründung) Schneider Z 14 36 und Feisetlberger Die widerrechtliche Hebung fremder Sparkassenguthaben 1895, der aber (Z 37 73g) dem B G B gegenüber diese Ansicht wieder aufgegeben h a t . Unverständlich Binding 1 220 Note 6 („Analogie"). • I3 ) Bedenklich daher R 24 22 (Biermarken); Bitlditlg Lehrb. 1 269. Richtig B 40 10 und AUfeld 502. 14 ) So die gem. Meinung, auch R 11 239, 35 355. Dagegen v. Lilienthal Z 92 17. " ) Schon das gemeine Recht (Engau) verlangte animus und facultas restituendi; so wiederholt auch R , zuletzt 21 364, 26 230. Dagegen genügt die Absicht nach Allfeld 503, Frank § 242 V I I ; RM1G 2 172 verlangt außerdem die begründete Annahme der Einwilligung des Berechtigten. " ) Maßgebend jetzt B G B §§ 229 bis 231. Dazu V. Liszt Deliktsobligationen 8 5 . / " ) Oben § 39 Note 3. Ebenso R 49 140 und die gemeine Meinung. Dagegen Binding Lehrb. 1 285. " ) Vgl, oben Note 9. — E s genügt mithin einerseits nicht, daß der Täter
§ 128.
Die Arten des Diebstahls.
419
Der V e r s u c h (strafbar, auch wenn der Diebstahl Vergehen ist) beginnt mit dem Brechen des fremden Gewahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der verschiedenen Gestaltung dieses Gewahrsams: mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei Sachen, die sich in umschlossenen Räumen befinden oder dem Erbrechen des Behältnisses; 19 ) erst mit der Ergreifung von Vieh auf der Weide, geschlagenem Holz im Forste; mit dem Ausstrecken der Hand, wenn damit schon die Herrschaft des Eigentümers beeinträchtigt wird, usw. VII. Beim Diebstahl bildet die Verletzung des einen Rechtsgutes: des Gewahrsams, das Mittel zur Verletzung des anderen: des Eigentums. Nach dem wissenschaftlichen Begriffe des Diebstahls erscheinen Eigentümer wie Gewahrsamsinhaber als Verletzte im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Verletzter im technischen Sinne des Wortes aber ist (oben § 45 III) nur der Träger des u n m i t t e l b a r angegriffenen Rechtsgutes: mithin der G e w a h r s a m s i n h a b e r . Noch sicherer ist dieses Ergebnis von dem Standpunkte des geltenden Rechts aus, das die Verletzung des Gewahrsams so sehr in den Vordergrund stellt, daß es sogar die bloß beabsichtigte Eigentumsverletzung zum Begriffe des Diebstahls genügen läßt. Dennoch wird von der überwiegenden Meinung, die dem Begriffe „Verletzter" überhaupt eine ungebührlich weite Ausdehnung gibt, angenommen, daß s o w o h l der Eigentümer als a u c h der Gewahrsamsinhaber als durch den Diebstahl verletzt zu betrachten seien.20) Wichtig wird die Frage besonders bezüglich des Haus- und Gesindediebstahls (unten § 128 V). § 128.
Die Arten des Diebstahls.
Literatur. Harburger V D Bes. T. 6 250. Mittermaier Reform II 345. — Strafte Der Transportdiebstahl. Rostocker Diss. 1902. Jacoby Die Straflosigkeit des Diebstahls und der Unterschlagung gegen Angehörige. Freiburger Diss. 1903. Brückner Der ausgezeichnete Diebstahl 1905. V.ScMmmelpJennig Der schwere Diebstahl nach § 243 Ziff. 2. Greifswalder Diss. 1905. Buddee Der die Sache berührt habe (Kontrektationstheorie), und es ist andrerseits nicht erforderlich, daß er sie von dem bisherigen Aufbewahrungsorte weg oder gar in Sicherheit gebracht habe (Ablations- bzw. Illationstheorie). Am nächsten steht die Auffassung des heutigen Rechts vielmehr der gemeinrechtlichen A p p r e h e n s i o n s t h e o r i e . — Dieselbe Handlung (z. B . das Verstecken oder Zusammenlegen der Sachen in den Räumen des Besitzers) kann daher je nach den Umständen Vorbereitung, Versuch oder Vollendung sein. Ebenso R 52 75. ») R 38 177, 43 332; RMilG 13 293l0 ) Sehr bestritten. 1. Eigentümer und Besitzer sind verletzt nach R, zuletzt 10 210; femer Aufeld 518, Frank § 2471, Harburger 221, Wachenfeld 380. — 2. Nur den Eigentümer betrachten als verletzt v. Bar GA 19 649, Bindiitg Lehrb. 1 294, Finger 1 193. — 3. Im Sinne des Textes Bänger Z 8 690, Rathenau G S 56 153. 27*
420
§ 128.
Die Arten des Diebstahls.
Gesindediebstahl als Antragsvergehen 1906. Oborniker D e r schwere Diebstahl n a c h § 243 Ziff. 2 S t G B (v. Lil. H e f t 147) 1912. Eckstein G A 6 1 79, 273. — Zu § 248a: Gérard D i e E n t w e n d u n g des § 272 V E usw. E r l a n g e r Diss. 1911. Hoeltzeribein Derselbe T i t e l . E r l a n g e r Diss. 1911. Möckel D e r Notdiebstahl. Gießener Diss. 1911. Seidel bei Aschaffenburg 10 280. — Ü b e r Diebstahl an A u t o m a t e n : Schels D e r s t r a f r e c h t l i c h e S c h u t z der A u t o m a t e n . Erlanger Diss. 1897. Ertel D e r A u t o m a t e n m i ß b r a u c h 1898. Schiller Rechtsverhältnisse des A u t o m a t e n . Züricher Diss. 1898. Seckel D i e A u t o m a t e n im Strafrecht. Marburger Diss. 1904.
I. Der einfache Diebstahl (StGB § 242). S t r a f e : Gefängnis.
D a n e b e n E h r v e r l u s t zulässig ( S t G B § 248).
II. Der schwere Diebstahl (StGB § 243). S t r a f e : Zuchthaus b i s zu zehn J a h r e n , bei mildernden Umständen Gefängnis n i c h t unter drei M o n a t e n . Neben der Gefängnisstrafe Ehrverlust, neben der Z u c h t h a u s s t r a f e Polizeiaufsicht zulässig ( S t G B § 248). D e r V o r s a t z m u ß hier auch die erschwerenden U m s t ä n d e umfassen. D a s R S t G B h a t die altdeutsche, dem W e r t e der gestohlenen Sache e n t n o m m e n e Unterscheidung in einen großen und einen kleinen Diebstahl, die vcm P G O festgehalten wurde und sich a u c h in zahlreichen Landesgesetzgebungen fand, aufgegeben. E b e n s o fehlen dem R S t G B die dem älteren deutschen R e c h t nachgebildeten, in den L a n d e s S t G B ü c h e r n (auch Preußen) vielfach sich findenden B e s t i m m u n g e n , n a c h denen den D i e b s t a h l an ungeschützten und darum eines höheren F r i e d e n s bedürftigen Gegenständen erschwerte S t r a f e t r i f f t . Maßgebend i s t heute im wesentlichen die verbrecherische E n t s c h l o s s e n h e i t des T ä t e r s , die a u c h durch einen v e r s t ä r k t e n Besitzschutz sich n i c h t abschrecken l ä ß t (ähnlich Eckstein). V E § 270 h a t die vielf a c h verunglückte K a s u i s t i k des S t G B vereinfacht (ebenso G E § 298 und K E ) , und auch den gewerbs- und gewohnheitsmäßigen D i e b s t a h l ausgezeichnet.
Nach dem R S t G B ist schwerer Diebstahl: 1. Der Kirchendiebstahl (sacrilegium i. e. S.): begangen, wenn aus einem zum Gottesdienste (oben § 118 IV) bestimmten Gebäude (unten unter 2) Gegenstände gestohlen werden, die dem Gottesdienste gewidmet, also dazu bestimmt sind, daß a n ihnen oder m i t ihnen gottesdienstliche Verrichtungen vorgenommen werden (nicht Sammelstöcke). Ob die Gegenstände im kirchlichen Sinne geweiht oder gesegnet sind, ist gleichgültig. 2. Der sog. Einbruchsdiebstahl (gewaltsamer Diebstahl). Er liegt vor, wenn aus einem Gebäude oder umschlossenen Räume mittels Einbruchs, Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen wird. 1 ) „ G e b ä u d e " ist der durch Wände und Dach 2 ) umgrenzte, mit der Erdoberfläche fest (unbeweglich), wenn auch nur durch die eigne Schwere, verbundene Raum, der Menschen den Eintritt ge1 ) T ä t e r k a n n auch der E i g e n t ü m e r des G e b ä u d e s oder B e h ä l t n i s s e s sein; R 30 389. 2) E b e n s o R 4 9 5 1 : D e r N e u b a u m u ß Menschen, Tieren oder Sachen S c h u t z gewähren. Dagegen Eckstein.
§ 128.
D i e Arten des Diebstahls.
421
stattet; also auch Hütten, Ställe, Zelte, Marktbuden von gewisser Schwere, nicht aber Schäferkarren, Schiffe, Künstlerwagen, Schlitten, Luftschiffe. Dem Gebäude ist gleichgestellt der „ u m s c h l o s s e n e R a u m " , d. h. ein Teil der Erdoberfläche, der durch künstliche, nicht ganz unbedeutende Hindernisse gegen das Eindringen Unberufener geschützt ist; 3 ) also auch der eingehegte Wildpark, der Ziehbrunnen, der Bergwerksschacht. „ E i n b r u c h " ist die mit Verletzung der Sachsubstanz 4 ) verbundene Überwältigung der Hindernisse, so daß z. B. das Auseinanderbiegen der Torflügel, das Ausziehen eines Nagels nicht hierher gerechnet werden kann. 1 „ E i n s t e i g e n " ist das Umgehen der Hindernisse durch Benutzung eines dazu nicht bestimmten und nur bei erhöhter Anstrengung zugänglichen Weges. Auch das Einkriechen ist mithin hierher zu rechnen.5). Beim Einbrechen wie beim Einsteigen genügt es, wenn durch Beseitigung der Hindernisse dem Täter das Hineingreifen in den umschlossenen Raum möglich geworden ist (bestritten). „ E r b r e c h e n v o n B e h ä l t n i s s e n " ist die gewaltsame, mit Verletzung der Sachsubstanz 6 ) verbundene Eröffnung von verschlossenen, zur Aufbewahrung von Sachen verwendeten Gegenständen (nicht von bloßen Umhüllungen), also von Wandschränken, Warenballen, Kisten, Koffern, Säcken; die Eröffnung der Verlötung einer Gasleitung usw., aber auch die Eröffnung verschlossener Gebäudeteile (Kammern, Stuben).7) Die Eröffnung muß innerhalb des Gebäudes stattfinden. 3. Der Diebstahl mit falschen Schlüsseln; vorliegend bei Eröffnung eines Gebäudes oder der Zugänge eines umschlossenen Raumes oder bei Eröffnung der im Innern befindlichen Türen oder Behältnisse durch falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge (Haken, Messer; nicht aber Bleistücke, die statt Münzen in die Öffnung eines Warenautomaten 8 ) eingeworfen werden). Es handelt sich dabei, im Gegensatze zu den Brechwerkzeugen, um solche Werkzeuge, durch die der eigentümliche 3 ) Ebenso R 50 73: nicht also Fischbehälter, die in ein Flußbett eingelassen sind. 4 ) Ebenso Frank § 243, I I I , Olshausen § 243 17. Dagegen die gem. Meinung; insbes. R 4 353, RMilG 14 245, 17 92, Allfeld 515, Oborniker 62, Wachenfeld 3776 ) Dagegen R 6 187; Oborniker 71. Übereinstimmend R 6 350, 13 257 mit der gem. Meinung. •) Ebenso Frank § 243 I I I . Dagegen R 44 75, Allfeld 515. Nach R 51 112 genügt das Auseinanderbiegen der Einwurfsöffnung einer Sammelbüchse. Dagegen Schwartz § 243 Note 11 („Biegen ist kein Brechen"). 7 ) Ebenso R 30 207, 37 353 mit der herrschenden Ansicht. Dagegen Frank § 243 I I I , Höpfner 67, Oborniker 81. 8 ) Ebenso R 34 45 mit der gemeinen Meinung.
422
§
128.
Die
Arten des
Diebstahls.
Mechanismus der Verschluß Vorrichtung in B e w e g u n g gesetzt wird. Falscher Schlüssel ist auch der verloren gegangene, entwendete, zurückbehaltene frühere e c h t e Schlüssel, sobald er durch einen anderen ersetzt, also nicht mehr zur ordnungsmäßigen Eröffnung b e s t i m m t ist. Maßgebend ist mithin der d e m T ä t e r bekannte Wille des Bestimmungsberechtigten. 9 ) 4. Der Transportdiebstahl ( „ P o s t d i e b s t a h l " ) liegt vor, wenn auf einem öffentlichen (d. h. d e m Gebrauche des P u b l i k u m s offenen, wenn auch i m Privateigentume stehenden) W e g e , einer Straße, einem öffentlichen Platze, einer Wasserstraße (nicht auf offener See) oder einer Eisenbahn oder in einem Postgebäude 1 0 ) oder dem d a z u gehörigen Hofraume oder auf einem Eisenbahnhofe eine z u m Reisegepäck oder z u anderen Gegenständen der Beförderung gehörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Verwqhrungsmittel oder durch A n w e n d u n g falscher Schlüssel oder anderer zur ordnungsmäßigen E r ö f f n u n g nicht bestimmter W e r k zeuge gestohlen wird. „ E i s e n b a h n " u m f a ß t hier wie sonst nur die m i t toten (mechanischen) N a t u r k r ä f t e n (Dampf, Elektrizität, Schwerkraft usw.) betriebenen, m i t festen Geleisen (auch Drahtseil) versehenen B a h n e n , nicht aber A u f z ü g e , A u t o m o b i l e , P f e r d e b a h n e n 1 1 ) ; Privatbahnen (in Fabriken, Bergwerken usw.) können nach d e m Z w e c k der Strafdrohung nicht hierher gerechnet werden, wohl aber schmalspurige Nebenbahnen oder städtische D a m p f t r a m b a h n e n . 1 2 ) „ G e g e n s t ä n d e d e r B e f ö r d e r u n g " sind die zur Beförderung b e s t i m m t e n Gegenstände, sobald sie an den bezeichneten Orten sich befinden, mögen sie auch der Transportgesellschaft noch nicht zur Beförderung übergeben sein. 5. Der bewaffnete Diebstahl: W e n n der D i e b oder einer der Teilnehmer bei B e g e h u n g der T a t W a f f e n bei sich führt. 1 3 ) 6. Der Bandendiebstahl: Wenn zu d e m Diebstahle mehrere mitwirken, die sich zur fortgesetzten B e g e h u n g von R a u b oder Diebstahl ») Ebenso R 52 84. ) Die Bestimmung für den öffentlichen Postdienst ist maßgebend, das Eigentum an dem Gebäude gleichgültig; R 49 279. " ) Ebenso (für StGB § 315) R 12 205, 371, 35 12. Vgl. Loock Der strafrechtliche Schutz der Eisenbahnen 1893 (Abhdlgn. des kriminal. Seminars 3 2. Heft) 155. Gegen den Text Wachenfeld 378. 12 ) Private Anschlußbahnen gehören auch dann nicht hierher, wenn sie vom Staate betrieben werden. Zu eng Eckstein 317, der nur den Großverkehr hierher rechnet. 13 ) Waffe ist hier im technischen Sinne (oben § 93 II 3) zu nehmen. Ebenso Binding Lehrb. 1 304, Schwartz § 243 Note 23. Der Zweck der Bewaffnung ist auch hier gleichgültig; ebenso Schwartz, dagegen Allfeld 517, Frank § 243 VI, Harburger 257. Vgl. im übrigen oben § 119 I I I 2. 10
§ 128.
Die Arten des Diebstahls.
423
verbunden haben (oben § 49 IV 1). Die Form der „Mitwirkung" (Mittäterschaft, Teilnahme) ist gleichgültig. 7. Der nächtliche Diebstahl, vorliegend, wenn der Diebstahl zur N a c h t z e i t in einem bewohnten Gebäude, in das sich der Täter in diebischer Absicht (d. h. in der Absicht, eine fremde bewegliche Sache wegzunehmen) e i n g e s c h l i c h e n , oder in dem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird, auch wenn zur Zeit des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht anwesend sind. Einem bewohnten Gebäude werden der zu einem solchen gehörende umschlossene Raum und die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art, sowie Schiffe, die bewohnt werden, gleich geachtet. Ein „ b e w o h n t e s G e b ä u d e " ist dasjenige Gebäude (oben unter 2), das Menschen zur ordnungsmäßigen Nachtruhe dient (oben § 119 Note 2). „ N a c h t z e i t " ist nach dem Zwecke der Bestimmung nicht die Zeit der Dunkelheit, sondern die ortsübliche Zeit der Nachtruhe. 14 ) „ E i n s c h l e i c h e n " ist das heimliche, sich der Wahrnehmung durch andere absichtlich entziehende Eintreten. Vornächtliches Einschleichen ist nicht erforderlich. 15 ) III. Diebstahl im zweiten Rückfalle (StGB §§ 244 und 245; oben § 69). Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafung im I n lande 1 6 ) wegen Diebstahls, Raubes, räuberischen Diebstahls, räuberischer Erpressung oder wegen Hehlerei. Ob die Vorstrafe durch Zivil- oder Militärgerichte ausgesprochen worden, ist gleichgültig, sobald es sich nur um eine eigentlich peinliche Strafe handelt. Auch der Verweis genügt als Vorstrafe, sowie die Aberkennung der Ehrenrechte nach S t G B § 37. 17 ) Die technische Bezeichnung der Vorverbrechen bleibt auch bei einem Wechsel der Gesetzgebung außer Betracht, doch muß innere Gleichartigkeit mit den in § 244 StGB genannten Verbrechen gegeben sein. Daher begründen Vorstrafen wegen Entwendungen, die das geltende Recht vom Diebstahl trennt (wie Mundraub, Entwendungen im Sinne der Forst- und Feldpolizeigesetze, Entwendung nach § 248a usw.), die Rückfallsschärfung nicht. 18 ) Der Täterschaft, bzw. der Vollendung stehen in bezug auf erste, zweite und dritte Begehung Teilnahme, bzw. Versuch durchaus gleich. Ebenso genügt Vorbestrafung aus § 257 Abs. 3 StGB. 14) Ü b e r e i n s t i m m e n d Allfeld 5 1 6 , Schwartz § 243 N o t e 29, Wachenfeld 378; d a g e g e n Binding L e h r b . 1 3 0 1 , Frank § 243 V I I I , Harburger 259, R 3 209. 1 5 ) D a g e g e n Frank § 243 V I I I , Harburger 259. 1 ' ) V g l . o b e n § 22 I I . B e i d e V o r s t r a f e n müssen inländische sein. D a g e g e n ist n i c h t e r f o r d e r l i c h , d a ß d i e V o r d e l i k t e i m I n l a n d b e g a n g e n s i n d . 1 ' ) G e g e n l e t z t e r e s R 2 1 35, s o w i e Schwartz § 244 N o t e 2. R i c h t i g Harburger 262. 1S ) E b e n s o R 4 7 1 4 5 , l>. Campe D J Z 17 1 3 1 9 . D a g e g e n Frank §245 I V .
§ 128.
424
Die Arten des Diebstahls.
Die Vorstrafen können ganz oder teilweise (auch durch Anrechnung der Untersuchungshaft) 1 9 ) verbüßt oder erlassen sein. Ein zehnjähriger Zeitraum von Verbüßung oder Erlaß der l e t z t e n S t r a f e bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sog. R ü c k f a l l s v e r j ä h r u n g ) . Dagegen kommt der zwischen der ersten und der zweiten Verurteilung verstrichene Zeitraum nicht in Betracht. S t r a f e : a) für einfachen Diebstahl ( S t G B § 242) Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten; b) für schweren Diebstahl ( S t G B § 243) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. S t G B § 248 gilt auch hier. IV.
Der
räuberische
(raubähnliche) Diebstahl
(StGB
§
252),
vorliegend, wenn der Dieb, auf frischer T a t , also nach Vollendung der Wegnahme, betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben anwendet, um sich im Besitze des gestohlenen Gutes (gleich Sache) zu erhalten, wenn also Gewalt und Drohung (oben § 98 III) nicht Mittel der Wegnahme sind. 20 ) Strafe: die des Raubes; daher finden auch die Strafschärfungen der §§ 250, 251 Anwendung. V . Milder behandelte Fälle ( S t G B § 2 4 7 , d e r s o g . F a m i l i e n -
und G e s i n d e - o d e r H a u s d i e b s t a h l ) : 1. Diebstahl, von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§ 247 Abs. 2), bleibt straflos (oben § 44 II). 2. Als relatives Antragsvergehen (oben § 45 Note 12) behandelt R S t G B zwei Fälle ( S t G B § 247 Abs. 1): a) Ohne weitere Bedingung den Diebstahl gegen Angehörige (oben § 34 Note 5), Vormünder oder Erzieher (oben § 106 II 1); b) wenn es sich um Sachen von imbedeutendem Werte 2 1 ) handelt, den Diebstahl gegen Personen, zu denen der Täter im Lehrlingsverhältnisse steht oder in deren häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet, also gegen den Lehr- oder Dienstherm oder dessen Familie (nicht gegen Mitdienstgenossen). 22 ) Maßgebend ist (vgl. oben § 127 V I I ) die Beziehung des Täters zum Ge•wahrsamsinhaber. Daher Antragsvergehen, wenn die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegenstände Eigentum eines Dritten sind; nicht aber, " ) ebenso R 52 191. i 0 ) Durch § 252 werden die §§ 242 bis 248 ausgeschlossen; dagegen gehen § 370 Zilf. 5 und § 248a vor. •21) Über fortgesetzte Begehung vgl. unten § 129 Note 9 . M ) Ebenso mit der herrschenden Ansicht R 40 i , 189 (gegen die Ehefrau des Dienstherrn). Abweichend einerseits Frank § 247 I I , der auch den Diebstahl gegen Mitdienstgenossen hierher rechnet, anderseits Schwartz § 247 Note 2, der auch den gegen Angehörige des Dienstherm begangenen Diebstahl ausscheidet.
§ 12g.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
425
wenn die bei einem Dritten gestohlene Sache Eigentum des Vaters ist. Der Antrag ist rücknehmbar. — Irrtum über die Person des Verletzten bleibt gleichgültig (oben § 39 Note 10). Beide Bestimmungen (1 und 2) finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, die nicht in einem der bezeichneten Verhältnisse stehen, keine Anwendung (StGB § 247 Abs. 3). VI. E i n e S o n d e r s t e l l u n g n i m m t ein d i e Notentwendung (eing e f ü g t d u r c h die N o v e l l e v o n 1 9 1 2 § 2 4 8 a ) : „ W e r a u s N o t g e r i n g w e r t i g e G e g e n s t ä n d e e n t w e n d e t oder u n t e r s c h l ä g t , w i r d m i t G e l d s t r a f e bis z u d r e i h u n d e r t M a r k oder m i t G e f ä n g n i s bis z u s e c h s M o n a t e n b e s t r a f t . " V e r f o l g u n g auf A n t r a g ; Z u r ü c k n a h m e z u l ä s s i g . S t r a f l o s , w e n n gegen einen V e r w a n d t e n a b s t e i g e n d e r L i n i e o d e r gegen den Ehegatten begangen. § 248 a e n t h ä l t einen g e g e n ü b e r d e n §§ 242 bis 248 (nicht g e g e n ü b e r § 249 oder § 350) s e l b s t ä n d i g e n T a t b e s t a n d . Die E n t w e n d u n g i s t , d e m D i e b s t a h l e n t s p r e c h e n d , W e g n a h m e in A n e i g n u n g s a b s i c h t . D i e U n t e r s c h l a g u n g m u ß alle M e r k m a l e d e s § 246 a u f w e i s e n . A b e r § 2 4 8 a i s t w e d e r D i e b s t a h l n o c h U n t e r s c h l a g u n g , sondern s e l b s t ä n d i g e s D e l i k t ; die V e r u r t e i l u n g k a n n also spätere R ü c k f a l l s schärfung nicht begründen. O b j e k t d e r T a t sind g e r i n g w e r t i g e G e g e n s t ä n d e (also solche „ v o n u n b e d e u t e n d e m W e r t " , v g l . § 247 S t G B ) ; die A r t des G e g e n s t a n d e s i s t g l e i c h g ü l t i g (anders n a c h d e m e n g e r g e f a ß t e n § 370 Z i f f . 5 S t G B ; u n t e n § 1 2 9 V I I ) . D i e H a n d l u n g m u ß a u s (wirtschaftlicher) N o t e r f o l g e n ; d . h. w e g e n d e r , w e n n a u c h v o m T ä t e r v e r s c h u l d e t e n U n m ö g l i c h k e i t , sich und d e n Seinen den nötigen Lebensunterhalt zu verschaffen.23) § 129.
D e m Diebstahl verwandte Fälle.
Literatur. Harburger V D Bes. T. 6 291. — Zu I: Ten Hompel Z 19 795. — Zu I I : Lenz Der strafrechtliche Schutz des Pfandrechts 1893. Stein Die Einwirkung des neuen bürgerlichen Rechts auf das Anwendungsgebiet des § 289 R S t G B 1902. — Zu V I : Mettgenberg Z 28 72. — Zu V I I : Friedlaender Z 11 369. Schlosky Der Mundraub nach § 370 Ziff. 5 S t G B 1897. Süßheim GS 60 340. Sander Von der rechtlichen Natur des sogenannten Mundraubes. Freiburger Diss. 1903. Student Streitfragen bei der Lehre vom Mundraub. Rostocker Diss. 1906. Rotering bei Aschaffenburg 7 139. Janzen Der Mundraub. Greifswalder Diss. 1917. — Zu V I I I : Schwarze Der Futterdiebstahl 1893 (Abhandlungen des Kriminalistischen Seminars B 3). Aus dem Begriffe des Diebstahls und der Unterschlagung haben sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung eine Reihe von Vergehungen zu selbständiger Bedeutung entwickelt, die hier der besseren Übersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle angeschlossen werden sollen, wenn sie auch, einzeln betrachtet, eine andere Stellung im Systeme des besonderen Teiles beanspruchen könnten. Es sei betont, daß w i r e s h i e r m i t s e l b s t ä n d i g e n Verbrechensbegriffen zu tun haben, auf die daher das über den Diebstahl Gesagte n i c h t ohne weiteres Anwendung findet. " ) Zu vergleichen R 46 265, RMilG 18 15, 242.
§
426
129-
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
I. D i e Gebrauchsanmaßung. Das furtum usus war im r ö m i s c h e n R e c h t e ausdrücklich zum iurtum gerechnet worden (oben § 126 I). Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r dagegen behandelte einzelne hierher gehörige Fälle, wie den Raubritt (Rib., Schsp.), die Benutzung eines fremden Kahnes, das Bebauen eines fremden Grundstückes, als besondere Vergehen. Die g e m e i n r e c h t l i c h e Wissenschaft und Rechtspflege griff auf die Auffassung des römischen Rechts vielfach zurück. Je mehr aber der heutige Diebstahlsbegriff sich entwickelte, desto weniger wollte die Gebrauchsanmaßung unter ihn passen, da es ja an der Aneignungsabsicht bei ihr gänzlich mangelt. Daher sahen sich mehrere LandesStGBücher, so z. B . Sachsen, veranlaßt, der Gebrauchsanmaßung eine selbständige, allgemein gehaltene Strafdrohung zu widmen. Die auf öffentliche Pfandleiher beschränkte Bestimmung des § 290 R S t G B ist in den Entwürfen gestrichen.
R S t G B § 290 bedroht nur die ö f f e n t l i c h e n P f a n d l e i h e r , die die von ihnen in Pfand genommenen, wenn auch vielleicht derelinquierten Gegenstände unbefugt in Gebrauch nehmen, ö f f e n t l i c h e Pfandleiher sind die, deren Geschäft d e m P u b l i k u m offen steht. Andere Arten der Gebrauchsanmaßung, wie das Tragen fremder Kleider usw., sind, soweit nicht B e t r u g vorliegt, nicht strafbar. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark.
II. Die Besitzentziehungx) (furtum possessionis, Pfandkehrung) ist nach § 289 S t G B W e g n a h m e 2 ) einer beweglichen Sache; aber i m Unterschiede v o m Diebstahl, W e g n a h m e d e r e i g e n e n S a c h e durch den Eigentümer oder Wegnahme einer fremden Sache zugunsten ihres Eigentümers durch einen Dritten. Sie wendet sich gegen den N u t z n i e ß e r , P f a n d g l ä u b i g e r , G e b r a u c h s - o d e r Z u r ü c k b e h a l t u n g s b e r e c h t i g t e n ; sie gefährdet zugleich meist (nicht notwendig) auch die Befriedigung des Anspruchs, den d e r Gewahrsam zu sichern berufen ist. T ä t e r kann auch ein Mitberechtigter sein. Wegnahme durch den Nichteigentümer im eigenen Interesse kann nur als Diebstahl strafbar sein. Hierher gehört auch die A u s r ä u m u n g der eingebrachten Sachen des Mieters gegen den ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Willen des Vermieters (das „ R ü c k e n " ) ; nicht aber deren Zerstörung. 3 ) Die Wegnahme muß in „ r e c h t s w i d r i g e r A b s i c h t " , d . h . z u dem Zwecke erfolgen, die A u s ü b u n g des Rechts des Berechtigten z u verletzen. *) In den Entwürfen „Rechtsvereitelung" genannt. Der Begriff ist weiter als beim Diebstahl, da Gewahrsam des Berechtigten nicht erforderlich ist. Vgl. Binding Lehrb. 1 318, Harburger 323, Lenz 113; dagegen R 27 222, Frank § 289 III. s ) Vgl. oben § 127 Note 14. Ebenso R 15 434 und die gemeine Meinung. Die Entwürfe stellen die Zerstörung der Wegnahme gleich. — Nach R 35 151, 37 119 findet bei vertragsmäßigem Zurückbehaltungsrecht B G B § 559 keine Anwendung (sehr bedenklich). 2)
§ 129-
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
427
S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren (daneben nach Ermessen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte) oder Geldstrafe bis zu neunhundert Hark. V e r s u c h strafbar. Antragsvergehen. S t G B § 247 Abs. 2 und 3 (oben § 128 V) finden auch hier Anwendung; nicht aber die Erschwerungen des § 243 StGB. III. D e r Forst- und Felddiebstahl, i m d e u t s c h e n R e c h t e v o n jeher v o m gemeinen Diebstahl unterschieden, ist durch E G § 2 d e r Landesgesetzgebung überlassen worden,4) mithin nicht „Diebs t a h l " i m technischen Sinne d e s R S t G B . E r u m f a ß t n u r die ursprüngl i c h e n , n i c h t die bereits b e a r b e i t e t e n B o d e n e r z e u g n i s s e (nicht z. B . zerkleinertes Holz). I V . D i e widerrechtliche Zueignung v o n bei d e n Ü b u n g e n d e r A r t i l l e r i e verschossener Munition oder v o n B l e i k u g e l n a u s d e n K u g e l f ä n g e n d e r T r u p p e n s c h i e ß b e s t ä n d e ( S t G B § 291). Die B e s t i m m u n g i s t a u s d e r preußischen K a b i n e t t s o r d e r v o m 23. J u l i 1833 in d a s preußische S t G B als Ü b e r t r e t u n g ü b e r g e g a n g e n , i m R S t G B a b e r w e g e n d e s e r h ö h t e n W e r t e s d e r Geschosse z u m V e r g e h e n erh o b e n w o r d e n . D i e hiejr v e r b u n d e n e n T a t b e s t ä n d e sind z u t r e n n e n . B l e i k u g e l n in d e n K u g e l f ä n g e n s t e h e n i m G e w a h r s a m d e s S t a a t e s ; W e g n a h m e w ä r e d a h e r D i e b s t a h l , k a n n a b e r n u r n a c h § 291 b e s t r a f t w e r d e n . Verschossene M u n i t i o n (etwa T o r p e d o s ) i s t g e w a h r s a m s f r e i ; A n e i g n u n g w ä r e d a h e r n i c h t D i e b s t a h l , i s t a b e r n a c h § 291 s t r a f b a r . 6 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. V . Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstücks, eines öffentlichen otjer Privatweges oder eines Grenzrains durch Abgraben oder Abpflügen (StGB § 370 Ziff. 1). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertundfünfzig Mark oder Haft. VI. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen aus öffentlichen oder Privatwegen; Graben von Erde, Lehm, Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen und Plaggen oder Bülten; Wegnahme von Rasen, Steinen, Mineralien aus fremden Grundstücken, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf, oder von ähnlichen Gegenständen (StGB § 370 Ziff. 2). S t r a f e : wie zu V. V I I . Entziehung von Verbrauchsgegenständen,®) d . i. die E n t w e n d u n g o d e r (nach d e r N o v e l l e v o n 1912) U n t e r s c h l a g u n g v o n N a h r u n g s - o d e r G e n u ß m i t t e l n oder (nach d e r N o v e l l e v o n 1912) v o n a n d e r e n G e g e n s t ä n d e n des h a u s w i r t s c h a f t l i c h e n V e r b r a u c h s ( S t G B § 370 Z i f f . 5). *) Vgl. oben § 20 Note 6. F o r s t d i e b s t a h l ist die Entwendung von Walderzeugnissen (insbes. Holz), solange sie noch nicht gewonnen sind; F e l d d i e b s t a h l ist die Entwendung von Feldfrüchten vom Felde. Die Landesgesetze enthalten aber meist noch weitere Einschränkungen. 6) Über diese Untersche dung vgl. Mettgenberg. — Idealkonkurrenz mit §§ 242 oder 246 ist daher ausgeschlossen. •) Der früher gebräuchliche Ausdruck „ M u n d r a u b " ist durch die Erweiterung des Tatbestandes (1912) unanwendbar geworden.
§ 129-
428
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
Der Mundraub ist Sonderdelikt gegenüber Diebstahl wie Unterschlagung, also gegenüber den §§ 242 bis 248, wie gegenüber dem Notdiebstahl des § 248 a; nicht aber gegenüber den §§ 249 oder 350. 7 ) „Nahrungsmittel" sind die ?ur Ernährung des menschlichen Körpers bestimmten Eßwaren und Getränke (auch stärkende Heilmittel); „Genußmittel" andere Stoffe, die, von dem menschlichen Körper aufgenommen, einen Reiz auf das Nervensystem auszuüben geeignet und bestimmt sind (mit Ausschluß der Heilmittel). Zu den Genußmitteln gehören auch Tabak, Zigarren, Parfüms, Morphium usw. „Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs" sind jene, die in der Hauswirtschaft (nicht im Gewerbebetriebe) verbraucht (nicht bloß gebraucht) werden; also Gegenstände für Heizung und Beleuchtung, für Reinigung und Wäsche. Auch Futtermittel für die zur Hauswirtschaft gehörenden Tiere. 8 ) Nur bei „geringer Menge oder unbedeutendem W e r t " der entzogenen Gegenstände findet § 370 Ziff. 5 Anwendung; 9 ) andernfalls sind die §§ 242 bis 248 gegeben. Die Absicht muß auf alsbaldigen, wenn auch nicht bestimmungsgemäßen 1 0 ) Verbrauch gerichtet sein. Die Notwendigkeit vorhergehender Zubereitung schließt diesen Begriff ebensowenig aus wie der Mitgenuß anderer Menschen; wohl aber Verkauf, Verschenkung oder Ansammlung der entwendeten Gegenstände. S t r a f e wie zu V. Antragsvergehen; antragsberechtigt der Gewahrsamsinhaber; soweit Unterschlagung vorliegt, der Eigentümer; Rücknahme zulässig. Entwendungen von Verwandten aufsteigender gegen Verwandte absteigender Linie und zwischen Ehegatten bleiben straflos. S t G B § 247 Abs. 3 findet keine Anwendung: Der Antrag ist mithin unteilbar.
V I I I . D e r sog. Futterdiebstahl, richtiger
Futterentwendung
genannt ( S t G B § 370 Ziff. 6) 11 ) besteht in der Wegnahme von Viehfutter wider Willen des Eigentümers, um dessen Vieh damit zu füttern. 1 2 ) ') Ebenso bezüglich des § 350: R 46 377. Idealkonkurrenz mit § 133 i s t möglich; so auch R 43 175. Ansichbringen der entwendeten Sachen ist gemeine Hehlerei. ») Ebenso R 46 379, 47 247 (in ausführlicher Begründung), 266; RMilG 18 113.
9 ) Bei fortgesetzter Begehung findet eine Zusammenrechnung der Einzelentwendungen nicht statt; dagegen die gem. Meinung. Auch R, zuletzt 50 396. « ) R 47 80, RMilG 18 113. ") In der deutschen Landesgesetzgebung seit dem 18. Jahrhundert hervorgehoben (Hannover 1710, 1736, 1772, Preuß. Entwürfe seit 1827, Mecklenburg 1847, Sachsen 1855). Rechtsprechung und Wissenschaft schwanken. D a s geltende Recht beruht auf der preuß. Novelle vom 30. Mai 1859. 12 ) D a eine Aneignung durch den Täter nicht stattfindet (oben § 127 V), kann der Futterdiebstahl nicht als Diebstahl oder Unterschlagung betrachtet werden, müßte also mangels einer besonderen Bestimmung straflos bleiben. Vgl. RMilG 8 146.
§ 130.
§ 130.
2. Der Raub.
429
2. Der Raub.
Literatur. Frank V D Bes. T . 6 117. — Villnow R a u b und Erpressung, Begünstigung und Hehlerei. 1875. Bosler Zur Unterscheidung von R a u b und Erpressung. Göttinger Diss. 1896. Gauß Erpressung und Raub. Breslauer Diss. 1901. Rhonheimer Das Verhältnis von R a u b und Erpressung usw. nach den Entwürfen 1912. Vgl. auch die Lit. zu § 141. — Zu I I I . l>. Liszt Völkerrecht § 26 I V (mit Literatur). V. Bar Gesetz 1 129. I. Geschichte. Der R a u b als selbständiger Verbrechensbegriff ist deutschrechtlichen Ursprungs. Im älteren r ö m i s c h e n R e c h t e lediglich als „schlechter D i e b s t a h l " bezeichnet (Gaius 3 209), durch die v o m Prätor Lucullus 66 v. Chr. für den Fall gewaltsamer Entwendung durch eine bewaffnete Rotte eingeführte actio vi bonorum raptorum (D 47, 8) m i t der Frivatstrale des quadruplum bedroht, wurden später gewisse Fälle des Raubes allerdings bald als vis (cum armis, ex incendio, naufragio; 1. 3 D 48, 6), bald als crimen extraordinarium (latrones, grassatores; 1. 28 § 10 D 48, 19) mit öffentlicher Strafe belegt; aber der allgemeine Begriff des Raubes bleibt dem römischen Rechte verschlossen. Dagegen hat das m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e R e c h t den R a u b als die o f f e n e , g e w a l t s a m e Wegnahme einer fremden Sache von jeher scharf von der dieblichen Wegnahme geschieden; und auch, als mit dem Erstarken der Rechtsordnung die Anwendung von Gewalt schwerer gewertet wurde als die Heimlichkeit, wurden Diebstahl und R a u b immer als wesentlich verschiedene Verbrechen behandelt, jener mit dem Straug, dieser als Friedensbruch mit dem Schwert bestraft. Dagegen trifft den „rechten Straßenraub", an P f a f f e n , Pilgern, Kaufleuten, auf des Königs Heerstraße begangen, der Galgen. So finden wir auch in der P G O die Strafdrohung gegen den „boshaftigen überwundenen R ä u b e r " (Art. 126) nicht unter den zahlreichen den Diebstahl behandelnden Artikeln, sondern weitab von diesen zwischen Brandstiftung und Aufruhr, so daß die Richtung gegen die allgemeine Sicherheit unzweideutig hervortritt. Im g e m e i n e n Recht machen sich zwei Strömungen geltend. Die eine, besonders von CarpZOV vertreten, nimmt R a u b als Straßenraub, latrocinium (so Österreich 1656 und 176S, Bayern 1751); die andere, so Böhmer, Meister, Engau sehen das Wesen der robbaria, depraedatio, grassatio in der Gewalt gegen Personen (ihnen folgen Preußen 1620 und 1794). A u c h die deutsche L a n d e s g e s e t z g e b u n g des 19. Jahrhunderts schwankt, insbesondere in bezug auf den Zeitpunkt der Vollendung, und ist in ihrem Bemühen, den R a u b vom Diebstahl einerseits, von der Erpressung andererseits zu unterscheiden, nur teilweise glücklich gewesen. Das gilt auch von dem R S t G B , das den R a u b scharf v o m Diebstahl abhebt, sein Verhältnis zur Erpressung aber nicht klarzustellen vermochte. V E § 274 rechnet (im Anschluß an Frank) zum R a u b auch das Abnötigen einer fremden beweglichen Sache, wenn m i t Gewalt gegen eine Person oder mit gefährlicher Drohung bewirkt; die übrigbleibenden Fälle gewinnsüchtiger Abnötigung eines Vermögensvorteils bezeichnet V E § 275 als Erpressung, die damit einen subsidiären Charakter erhält. Die K a s u i s t i k des R S t G B hat V E aufgegeben. K E schließt sich an. G E § 304 h a t dagegen dem R a u b die bisherige Stellung zurückgegeben und die Erpressung zu den Vermögensdelikten gestellt. I I . D e r Begriff.
I. Nach S t G B § 249 unterscheidet sich der Raub vom D i e b -
43°
§ 130.
2. Der Raub.
s t a h l , mit dem er im übrigen alle Merkmale gemein hat, 1 ) Hindurch die Mittel der Wegnahme: Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben oder Gewalt gegen eine Person. Die letztere ist (oben § 98 III 1) stets Gewalt an der Person, 2 ) d. h. an dem tatsächlichen Inhaber der wegzunehmenden Sache. Es genügt weder Gewalt an Sachen (Festhalten der Wagenpferde), noch Gewalt an anderen Personen (um dadurch den Inhaber zur Herausgabe der Sache zu veranlassen); mag auch, in dem einen wie in dem anderen Falle die Gewalt in letzter Linie sich gegen den zu Beraubenden richten. Gewalt an der Person liegt auch dann vor, wenn der Widerstand, etwa durch die Plötzlichkeit des Angriffs (Wegreißen der Tasche) oder durch einen von hinten geführten Schlag auf den Kopf, unmöglich gemacht wird. 2. Von der E r p r e s s u n g (unten § 141) unterscheidet sich der Raub nicht nur durch seine eigenartigen Mittel, sondern auch durch ein zweites Merkmal. Der Raub ist unmittelbare oder mittelbare (durch Erzwingung der Herausgabe bewirkte) W e g n a h m e einer S a c h e ; die Erpressung ist grundsätzlich N ö t i g u n g zu einer das Vermögen schädigenden D i s p o s i t i o n . 3 ) Die sog. „räuberische Erpressimg" (StGB § 255) ist daher nicht R a u b , sondern ein eigenartiges Vermögensdelikt, das durch Verbindung der M i t t e l des Raubes mit den G e g e n s t ä n d e n der Erpressung gebildet wird. Vgl. auch das unten § 141 II Ausgeführte. 3. Der Raub ist v o l l e n d e t (wie der Diebstahl) mit der vollendeten Wegnahme der Sache, ohne daß erfolgte Zueignung erforderlich wäre; der strafbare V e r s u c h beginnt bereits mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung. III. Fälle des Raubes.
1. E i n f a c h e r R a u b (StGB § 249). S t r a f e : Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.
2. S c h w e r e r R a u b (StGB § 250). Die erschwerenden Umstände sind teilweise dieselben wie beim Diebstahl, so daß hier das oben § 128 Gesagte zu vergleichen ist. Schwerer Raub liegt vor: ') Daher ist Raub an elektrischer Arbeit (unten § 133) nicht möglich. 2) Etwas weiter Frank 123 und § 249 I I : jede Person, die den Gewaltsam schützt oder schätzen will. Ähnlich Allfeld 521. — Will man die im Texte versuchte Lösung nicht billigen, dann gelangt man zu einer „unlösbaren Antinomie" zwischen S t G B § 255 einerseits, § 253 andererseits. 3) Ungenau Frank 31: Der Räuber nimmt weg, der Erpresser läßt sich geben. Der typische Räuber hält seinem Opfer den Revolver mit den Worten vor die Brust: das Geld oder das Leben! Wenn nun der Überfallene die Brieftasche selbst aus der Tasche zieht und dem Drohenden übergibt — sollte da der Raub verneint werden ?
§ 130.
2. Der Raub.
431
a) Wenn der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung der T a t Waffen bei sich führt. b) Wenn zu dem Raube mehrere mitwirken, die sich zur fortgesetzten Begehimg von Raub oder Diebstahl verbunden haben (Bande). c) Wenn der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See oder einer Wasserstraße begangen wird ( S t r a ß e n r a u b , S e e r a u b , Piraterie). Der Begriff der „offenen See" bestimmt sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen; das oben § 22 über die Begriffe Inland und Ausland Gesagte findet auch hier Anwendung. Die „Wasserstraße" braucht nicht als solche benutzt zu sein; auch die Beraubung badender oder fischender Personen gehört hierher. d) Wenn der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude begangen wird, in das der Täter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls sich eingeschlichen oder gewaltsam (Gewalt gegen Personen oder Sachen) sich Eingang verschafft, oder in dem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte. e) Wenn der Räuber bereits einmal als Räuber oder wegen räuberischen Diebstahls (StGB § 252) oder räuberischer Erpressung (StGB § 255) im Inlande bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). S t G B § 245 findet auch hier Anwendung. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre.
3. S c h w e r s t e r F a l l (StGB § 2 5 1 ) : Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB § 224) oder der Tod eines Menschen verursacht worden ist; gleichgültig, ob die gemarterte, verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein Dritter ist. „Marterung" erfordert länger andauernde Zufügung körperlicher Schmerzen von einer bestimmten Heftigkeit. Die schwerere Strafe trifft jeden, der sich an dem Raube in Kenntnis der qualifizierenden Handlung beteiligt hat, mag er auch an dieser Handlung selbst keinen Anteil genommen haben. Versuch ist möglich, wenn etwa trotz der Marterung die Wegnahme nicht gelingt. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.
4. Die sog. r ä u b e r i s c h e E r p r e s s u n g (StGB § 255); vgl. oben II 2. 5. Der sog. r ä u b e r i s c h e D i e b s t a h l (StGB § 252) vgl. oben § 1 2 8 IV. IV. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB § 256).
432
§ 131.
3- Die Unterschlagung.
§ 131. 3. Die Unterschlagung. Literatur. Harburger V D Bes. T . 6 3 3 3 . — Finger Die Veruntreuung von Barkautionen 1890. Lindenau Die Unterschlagung an barem Geld nach deutschem Reichsstrafrecht. Rostocker Diss. 1894. Ziethen Die Unterschlagung an vertretbaren Sachen. Freiburger Diss. 1900. Graf Qleispactl Die Veruntreuung vertretbarer Sachen. 1. B d . 1905. Frenkel Das D e l i k t der Fundunterschlagung nach gemeinem R e c h t 1910. v. Kujawa GA 51 1. Biihrer GA 59 435. —• Zu I V : Dürr Die Unterschlagung von Wertpapieren nach dem (Depot-) G vom 5. Juli 1896. Würzburger Diss. 1902. Fleischer Die strafbaren Handlungen des Depotg. usw. Hallische Diss. 1906. Masser Der § 9 des Depotg. Würzburger Diss. 1906. ßassermann Die strafrechtlichen Bestimmungen des Depotg. usw. Heidelberger Diss. 1908. Klee (Lit. zu § 139). I . Geschichte. Während das r ö m i s c h e R e c h t die Unterschlagung ohne weitere Unterscheidung mit dem Diebstahl in dem weiten Begriffe des furtum zusammenfaßte, wurde im d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r zumeist zwischen dem dieblichen Behalten von zu treuer Hand ü bergebenen Sachen einerseits und dem einfachen Behalten von gefundenen oder auf andere Weise zufällig erlangten Sachen andererseits unterschieden, der erste F a l l als Veruntreuung dem Diebstahl gleichgestellt, der zweite als Unterschlagung nur willkürlich bestraft. Demgemäß bestimmt P G O 170: „welcher mit eines anderen Gütern, die ihm in gutem Glauben zu behalten und verwahren gegeben sind, willigerund gefährlicherweise dem Gläubiger zu Schaden handelt, solche Missetat ist einem Diebstahl gleich zu strafen" — und stellt so die Veruntreuung als selbständige Vergehung in der Bestrafung dem Diebstahl gleich. Gemeinr e c h t l i c h war die Stellung sowohl der Veruntreuung als auch besonders der einfachen Unterschlagung sehr bestritten. Carpzov, Kreß, Koch, Engau u. a . hielten an der deutschrechtlichen Auffassung fest, stellten die Unterschlagung als furtum improprium (contrectatio ficta) n e b e n den Diebstahl und begnügten sich meist mit geringerer Strafe (so Kurpfalz 1582, Frankfurt 1578, Preußen. 1620). Die anderen ließen, wie Böhmer (auch Bayern 1 7 5 1 , Österreich 1 7 6 8 und 1787), die Unterschlagung ganz in dem Diebstahl aufgehen. E r s t allr mählich gewinnt dieUnterschlagung in der n e u e r e n Gesetzgebung ausgeprägtere Gestalt; die vielfach sich findende Beschränkung auf anvertraute Sachen (Veruntreuung) wird aufgegeben, die U n t e r s c h l a g u n g als Sachvergehen von der U n t r e u e als Verletzung von Forderungsrechten und von dem gegen das Vermögen überhaupt gerichteten B e t r u g gesondert, der Begriff seiner kasuistischen Fassung entkleidet. Während noch P r e u ß e n 1 8 5 1 von „ m i t der Verpflichtung zur Rückgabe, Verwahrung, Verwaltung oder Ablieferung erlangtem G u t e " gesprochen und die durch Finden oder zufällig erlangten Sachen gleichgestellt hatte, bestimmt das R S t G B in § 246 ganz allgemein die Unterschlagung a l s d i e r e c h t s w i d r i g e Z u e i g n u n g e i n e r f r e m d e n b e w e g l i c h e n S a c h e , die der T ä t e r b e r e i t s in seinem G e w a h r s a m h a t . Mit dieser allgemeinen Fassung entfiel die Notwendigkeit, die F u n d v e r h e h l u n g , die wohl auch als F u n d d i e b s t a h l bezeichnet und teilweise (so Österreich) als B e t r u g behandelt wurde, besonders auszuzeichnen. VE § 2 7 1 und K E haben den Begriff im wesentlichen unverändert übernommen. G E § 299 verlangt, wie beim Diebstahl, Bereicherungsabsicht und stellt beiden Delikten die eigenmächtige Zueignung (ohne Bereicherungsabsicht) gegenüber.
II. Begriff der Unterschlagung nach § 246 StGB. 1 . G e g e n s t a n d der Unterschlagung ist, wie beim Diebstahl, eine fremde bewegliche Sache. Mithin kann an R e c h t e n über-
§131.
3- Die Unterschlagung.
433
haupt, an F o r d e r u n g s r e c h t e n insbesondere, Unterschlagung ebensowenig wie Diebstahl begangen werden, während die das Recht beweisende oder begründende Urkunde als Sache Gegenstand des einen wie des anderen Verbrechens sein kann. Daher wird weiter durch den Übergang des Eigentums an den Gewahrsamsinhaber die Möglichkeit einer vollendeten Unterschlagung ausgeschlossen, mag auch eine persönliche Verpflichtung zur Rückgabe oder Zur Verwendung nach einer ganz bestimmten Richtung hin bestehen. Ob der Eigentumsübergang stattgefunden hat oder nicht, ist lediglich nach den Grundsätzen des maßgebenden bürgerlichen Rechts zu entscheiden, und die, insbesondere in der älteren preußischen Rechtsprechung, beliebte Aufstellung des Begriffes eines „strafrechtlichen Eigentums" ist heute allgemein aufgegeben. Diese Sätze finden auch auf vertretbare Sachen Anwendung. 2. Die Sache muß sich im G e w a h r s a m des T ä t e r s befinden. Darin liegt der Unterschied der Unterschlagung vom Diebstahl. Der Fassung des Gesetzes gegenüber ist die der Aneignung vorangehende Gewahrsamsbegründung im Einzelfalle nachzuweisen (anders die Entwürfe). Zu der Aufnahme der gefundenen Sache muß daher, auch wenn sie bereits in Aneignungsabsicht geschieht, ein nachfolgender Aneignungsakt (Verbergen der Sache, Ableugnen des Fundes usw.) hinzutreten. Auf welche Weise der Unterschlagende den Gewahrsam erlangt hat, ob durch Zufall, durch Irrtum, durch ein Anvertrauen von seiten des bisherigen Gewahrsamsinhabers oder endlich durch eine strafbare Handlung, ist gleichgültig. Doch wird in dem letzten dieser Fälle die Aneignung regelmäßig hinter dem strafbaren Wegnehmen zurücktreten (oben § 55 Note 5). 3. Die H a n d l u n g besteht in der Zueignung der fremden beweglichen Sache. Über diesen Begriff vgl. oben § 127 V. Doch ist hier tatsächliche Ausübung des Eigentumsinhalts durch irgendeine Betätigung des Herrschaftswillens erforderlich. Mit dieser ist die Unterschlagung v o l l e n d e t ; ob der Zweck der Handlung, die wirtschaftliche Verwertung der Sache, erreicht wird, ist gleichgültig. 1 ) 4. Die W i d e r r e c h t l i c h k e i t der Zueignung ist zum Begriffsmerkmal erhoben; der Irrtum über sie mithin bedeutsam. 5. Die V o l l e n d u n g tritt ein mit der geschehenen Aneignung (anders beim Diebstahl). Der (strafbare) Versuch beginnt mit der beginnenden Aneignungshandlung. ') Verkaufsangebot genügt, erfolgter Verkauf ist nicht erforderlich. Ebenso RMilG 19 61, das damit aber sich selbst widerspricht. Denn die Rechtfertigung dieser Auffassung liegt darin, daß Aneignung eben etwas anderes ist als wirtschaftliche Verwertung. Vgl. dazu oben § 127 Note 11. T. L i s z t ,
Strafrecht.
21. Aufl.
28
§131.
434
3- Die Unterschlagung.
6. V e r l e t z t ist der Eigentümer, und n u r er, nicht e t w a der, der die Sache d e m T ä t e r übergeben (anvertraut) hatte. I I I . Arten der Unterschlagung. 1. E i n f a c h e U n t e r s c h l a g u n g ( S t G B § 246). S t r a f e : G e f ä n g n i s b i s z u drei J a h r e n ; bei mildernden U m s t ä n d e n nach Ermessen
Geldstrafe b i s zu n e u n h u n d e r t
Mark.
2. Die V e r u n t r e u u n g oder Unterschlagung a n v e r t r a u t e r , d . h. solcher Sachen, die dem T ä t e r m i t der Verpflichtung zur R ü c k gabe oder Verwendung in bestimmter Richtung übergeben und von ihm übernommen sind. S t r a f e : G e f ä n g n i s b i s zu fünf J a h r e n ; bei mildernden U m s t ä n d e n G e l d s t r a f e b i s zu n e u n h u n d e r t
Mark.
3. M i l d e r b e s t r a f t e F ä l l e ( S t G B § 247); dieselben wie beim Diebstahl (oben § 128 V , V I ) ; entscheidend hier immer die Stellung des verletzten Eigentümers. N e b e n G e f ä n g n i s k a n n in allen Fällen auf V e r l u s t der bürgerlichen E h r e n rechte e r k a n n t werden ( S t G B
§ 248).
4. Über die A m t s u n t e r s c h l a g u n g vgl. unten § 179 V I I . I V . Zwei weitere Fälle enthält d a s Depotgesetz v o m 5. Juli 1896: 2 ) 1. D i e r e c h t s w i d r i g e A n e i g n u n g f r e m d e r W e r t p a p i e r e durch einen K a u f m a n n , der sie im Betriebe seines Handelsgewerbes als Verwahrer, Pfandgläubiger oder Kommissionär in Gewahrsam genommen h a t ; vorausgesetzt, a) d a ß er seine Zahlungen eingestellt h a t , oder d a ß über sein Vermögen d a s Konkursverfahren eröffnet worden i s t ; und b) d a ß er die Aneignung im Bewußtsein seiner Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung v o r n i m m t (§ 11). Die Handlung ist mithin nur ein Sonderfall der Unterschlagung, deren Gegenstand die in § 1 des Gesetzes aufgezählten Papiere sind. Der Vorsatz m u ß sich auf Zahlungsunfähigkeit (oder Überschuldung), braucht sich nicht auf Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) z u beziehen. Letztere ist objektive Bedingung der Strafbarkeit, wie beim B a n k b r u c h (unten § 137 I I 3),®) m u ß aber Wirkung der ersteren sein. Strafe:
Z u c h t h a u s ; bei mildernden U m s t ä n d e n
u n t e r drei M o n a t e n .
StGB
§ 247 f i n d e t keine
Gefängnisstrafe n i c h t
Anwendung.
Diese S t r a f v o r s c h r i f t f i n d e t (nach § 12) a u c h g e g e n die Mitglieder des Vorstandes
einer A k t i e n g e s e l l s c h a f t oder eingetragenen
G e s c h ä f t s f ü h r e r einer
Gesellschaft mit
beschränkter
Genossenschaft, die
Haftung,
sowie
gegen
d i e L i q u i d a t o r e n einer H a n d e l s g e s e l l s c h a f t oder eingetragenen Genossenschaft Anwendung,
wenn
sie i m
Bewußtsein
der Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t
oder
Über-
schuldung der G e s e l l s c h a f t oder G e n o s s e n s c h a f t f r e m d e Wertpapiere, die v o n *) G E § 299 h a t d e n ersten F a l l gestrichen, d e n zweiten eingearbeitet. D a h e r bei e i n e r Zahlungseinstellung R e a l k o n k u r r e n z ausgeschlossen; 34 238. D a g e g e n Binding L e h r b . 1 441 (anders wieder d a s e l b s t 1 282). 3)
R
§ 132.
4- Die Sachbeschädigung.
435
dieser als Verwahrer, Pfandgläubiger oder Kommissionär in Gewahrsam genommen sind, sich rechtswidrig zugeeignet haben, vorausgesetzt, daß die Gesellschaft oder Genossenschaft ihre Zahlungen eingestellt hat, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist. 2. D i e e i g e n n ü t z i g e V e r f ü g u n g ü b e r f r e m d e W e r t p a p i e r e . N a c h § 9 ist s t r a f b a r d e r K a u f m a n n , der über Wertpapiere der i m § i bezeichneten A r t , die i h m zur V e r w a h r u n g oder als P f a n d übergeben sind, oder die er als K o m m i s s i o n ä r f ü r den K o m m i t t e n t e n in B e s i t z genommen h a t , außer dem F a l l e des § 2 4 6 S t G B (also ohne Aneignung) z u m eigenen N u t z e n oder z u m Nutzen eines Dritten rechtswidrig v e r f ü g t , oder der V o r s c h r i i t des § 8 4 ) z u m eigenen N u t z e n oder z u m Nutzen eines Dritten vorsätzlich zuwiderhandelt. Im Unterschiede v o n der U n t r e u e (unten § 1 3 6 ) , der d a s Delikt i m übrigen v e r w a n d t ist, i s t ein Handeln „ z u m N a c h t e i l e " eines anderen nicht erforderlich; es g e n ü g t die gewinnsüchtige A b s i c h t . A l s V e r f ü g u n g erscheint die V e r p f ä n d u n g , n i c h t aber die B e n u t z i m g zur A u s ü b u n g des S t i m m r e c h t s in der Generalversammlung. Bewußtsein der Rechtswidrigkeit erforderlich, Vollendung erst m i t dem E i n t r i t t des „ N u t z e n s " . S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder eine dieser Strafen. Gegen Angehörige (oben § 34 Note 5) des Verletzten t r i t t die Verfolgung nur auf Antrag ein. Zurücknahme des Antrags zulässig. § 247 Abs. 2 und 3 S t G B findet entsprechende Anwendung. — Nach § 12 findet diese Bestimmung auch gegen die oben (zu 1) genannten Personen Anwendung, wenn sie in Ansehung von Wertpapieren, die sich im Besitz der Gesellschaft oder Genossenschaft befinden oder von diesen einem Dritten ausgeantwortet sind, die bedrohte Handlung begangen haben. § 132.
4. Die
Sachbeschädigung.
Literatur. Schmoller V D Bes. T . 6 143. — Lueder Die Vermögensbeschädigung 1867. Pernice Die Sachbeschädigung nach röm. Recht 1867. Knaak Das Delikt der einfachen Sachbeschädigung. Greifswalder Diss. 1902. v. Pradzynski und Sauer (Lit. zu § 127). Lehmann Zur Lehre vom objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung (v. Lil. Heft 119) 1910. Löwenstein Reform 2 423. Lentz Die Sachbeschädigung 1914. Rommel Zur einfachen Sachbeschädigung aus § 303 R S t G B (v. Lil. Heft 184) 1914. I. Geschichte. Die Sachbeschädigung verdankt erst der neueren Gesetzgebung ihre selbständige Stellung. Das r ö m i s c h e Recht hatte neben dem damnum injuria datum der lex Aquilia nur eine Anzahl von einzelnen Fällen, so die Beschädigung von Bäumen, Saaten und Weinbergen, von Mauern, Toren und Straßen, und zwar wegen ihrer Richtung gegen allgemeine Interessen, extra ordinem bestraft. Auch im m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e n Recht finden wir zwar eine Reihe von einzelnen Strafdrohungen, so gegen Beschädigung von Tieren, von Zäunen und Hecken, von Feldern und Wiesen, von Gärten und Wäldern, vermissen aber den allgemeinen Begriff der Sachbeschädigung. *) Mitteilung an den Dritten, daß die ihm ausgeantworteten Wertpapiere fremdes Eigentum sind, oder daß die ihm aufgetragene Anschaffung für fremde Rechnung erfolgt. 28»
436
§ 132.
4- Die Sachbeschädigung.
Ebenso bot auch die PGO (trotz der Art. 167 und 168) der Entwicklung des Vergehensbegriffes keine irgendwie genügende Grundlage. Erst die n e u e s t e G e s e t z g e b u n g war bemüht, die fühlbare Lücke auszufüllen. Es gelang, nachdem die Gruppe der Feld-, Forst- und Flurfrevel der Sondergesetzgebung überwiesen, und nachdem die irreleitende Bezeichnung „Vermogensbeschädigung" aufgegeben worden war, dem RStGB, den Begriff in § 303 mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen. VE § 289 übernimmt den Begriff, qualifiziert in § 290 die gemeingefährliche Sachbeschädigung und stellt in § 291 den neuen Tatbestand der Vermögensbeschädigung durch arglistige Täuschung auf; dieser wird von GE § 329 richtiger in die Vermögensdelikte eingereiht. KE hat nur unwesentliche Veränderungen des VE vorgenommen.
II. Sachbeschädigung ist E i g e n t u m s v e r l e t z u n g d u r c h r e c h t s w i d r i g e , die B r a u c h b a r k e i t b e e i n t r ä c h t i g e n d e oder a u f h e b e n d e V e r l e t z u n g der S a c h s u b s t a n z . 1. G e g e n s t a n d ist im allgemeinen eine fremde Sache, und zwar hier auch die unbewegliche Sache. Unbefugte Sektion einer Leiche ist daher in der Regel (oben § 118 V) nicht Sachbeschädigung. Tauschwert braucht die Sache nicht zu besitzen (oben § 127 Note 3). Nur fremde, bereits im Eigentum eines anderen stehende Sachen werden durch StGB § 303 geschützt: Die Vergiftung noch herrenloser Tiere ist demnach nicht Sachbeschädigung (vgl. aber unten § 134 I 2). Täter kann auch der Miteigentümer sein. 2. Die H a n d l u n g ist „Beschädigung oder Zerstörung" der Sache. Durch die B e s c h ä d i g u n g wird die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache beeinträchtigt; durch die Z e r s t ö r u n g wird die Sache für ihre Zweckbestimmung ganz oder teilweise unbrauchbar gemacht. Stets ist Verletzung der Sachsubstanz unerläßlich, 1 ) die aber auch bei einer Veränderung des Aggregatzustandes (Schmelzen von Eis) gegeben sein kann. Gebrauchsentziehung, selbst dauernde, gehört nicht hierher (Ausfliegenlassen eines Vogels, Versenken in die See), solange die Sachsubstanz unverletzt bleibt, 2 ) Verbrauch einer Sache ihrer wirtschaftlichen Bestimmung gemäß (z. B. Abbrennen von Feuerwerkskörpern) ist nicht Sachbeschädigung, sondern Aneignung (oben § 127 V). 3 ) Beschädigung einer zusammengesetzten Sache ist sowohl in ihren Bestandteilen als auch durch Aufhebung des Zusammenhanges oder Störung des Zusammenwirkens l ) Ebenso R BS 177, 43 31. Nach R 43 204 genügt das Übermalen einer Marmorbüste. s ) Ebenso die herrschende Meinung, auch Harburger und Schmoller VD Bes. T. 6 215, 162; dagegen Bitlding Lehrb. 1 249. GE § 305 stellt die Entziehung der Sache ihrer Beschädigung gleich, wenn jene in der Absicht erfolgt, dem Eigentümer einen dauernden rechtswidrigen Nachteil zuzufügen. — Nach R 37 412, Rommel, Schwartz § 303 Note 2 soll nachteilige Einwirkung auf die Nerven eines Tieres genügen (sehr bedenklich). 3 ) Diebstahl und Sachbeschädigung schließen sich demnach aus. Ebenso Rommel. Dagegen (für Idealkonkurrenz) v. Pradzynski und Sauer.
§ l$2.
4. Die Sachbeschädigung.
437
möglich. 4 ) Wertverminderung ist nicht erforderlich. Herstellung einer n e u e n S a c h e durch Verarbeiten von Metall, Bemalen von Holz oder Leinwand usw. ist nicht Sachbeschädigung. 5 ) D e m T u n steht d a s pflichtwidrige Unterlassen gleich (Nichtfütterung eines in Pflege genommenen Tieres). 3. R e c h t s w i d r i g k e i t ist Begriffsmerkmal, Bewußtsein derselben daher zur Strafbarkeit erforderlich. Ihr W e g f a l l richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen (z. B . Berechtigung von J a g d inhabern zur Tötung frei umherlaufender Hunde). 4. Die V o l l e n d u n g tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung der Sache ein; der Versuch ist strafbar. 5 . V e r l e t z t , mithin antragsberechtigt, ist im Falle des § 3 0 3 nur der E i g e n t ü m e r der beschädigten S a c h e . 6 ) I I I . Arten. 1 . Die e i n f a c h e S a c h b e s c h ä d i g u n g ( S t G B § 303). Gegenstand ist hier nur eine fremde Sache. S t r a f e : Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Antragsvergehen. Antrag rücknehmbar, wenn gegen Angehörige (oben § 34 Note 5) verübt. Der V e r s u c h ist strafbar. Dieselbe Strafe trifft die S a c h b e s c h ä d i g u n g a u f S c h i f f e n . Die Seemannsordng. von 1902 § 109 bedroht den Schiffsmann, der vorsätzlich und widerrechtlich Teile des Schiffskörpers, der Maschine, der Takelung oder Ausrüstungsgegenstände oder Vorrichtungen, die zur Rettung von Menschenleben dienen, zerstört oder beschädigt. Versuch strafbar. Verfolgung nur auf Antrag. — Die Bedeutung der Bestimmung liegt in der Erweiterung des Anwendungsgebietes des inländischen Rechts (oben § 22). 2. B e s c h ä d i g u n g o d e r Z e r s t ö r u n g v o n r e s sacrae, r e l i g i o s a e , p u b l i c a e ( S t G B § 304). D a s Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate (tatsächlich) bestehenden Religionsgesellschaft; Sachen, die dem Gottesdienste (oben § 1 1 8 I V ) gewidmet sind; Grabmäler (vgl. oben § 1 1 8 V ) , öffentliche Denkmäler (d. h. Zeichen, die zur Erinnerung an Tatsachen oder Personen a u f gestellt sind ; nicht also Hünengräber, Naturdenkmäler u s w . ) ; ' ) Gegenstände der K u n s t , Wissenschaft, des Gewerbes, die in öffentlichen ') Ebenso Allfeld 494, Frank § 303 I I , R 20 182 (durch Einfügen eines Fremdkörpers wird eine Maschine zum Stillstand gebracht), R 31 329 (Ausheben und Wegbringen eines Wegweisers oder Wasserstandsmerkmals). Die letzte Entscheidung erklärt Frank § 303 I I mit Recht für bedenklich. 5 ) Maßgebend für die Abgrenzung ist jetzt B G B § 950. Dagegen Lehmann 72, Schwartz § 303 Note 2. •) Übereinstimmend Allfeld 495, Binding 1 628, Schwartz § 303 Note 5. Dagegen hält R 1 306, 4 326, 8 399 auch den nur dinglich oder persönlich an der Sache Berechtigten für verletzt; ebenso Frank § 303 V, Wachenfeld 395. Die Ansicht widerlegt sich durch die Erwägung, daß nach ihr auch der Eigentümer Täter nach S t G B § 303 sein könnte. 7) R 48 240 rechnet, wesentlich weitergehend, alle Sachen hierher, die, wie alte Türme usw., geschichtlich oder kunstgeschichtlich von Bedeutung sind.
438
§ 133-
5- Die Entziehung elektrischer Arbeit.
(d. h. dem Publikum offenstehenden) Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt s i n d ; Gegenstände (auch B ä u m e und Sträucher), die (wie Straßenlaternen, Verkaufsautomaten) zum öffentlichen Nutzen (d. h. zum N u t z e n des P u b l i k u m s ) 8 ) oder zur Verschönerung öffentlicher (wenn auch nicht von Menschenhand angelegter) W e g e , Plätze oder Anlagen d i e n e n , wenn sie auch nicht gerade dazu b e s t i m m t sind. Selbstverständlich muß der Vorsatz des T ä t e r s auch diese qualifizierenden Merkmale mitumfassen. Täter kann hier auch der E i g e n t ü m e r sein. Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 9 ) Versuch strafbar. 3. Gänzliche oder teilweise Z e r s t ö r u n g (nicht Beschädigung) v o n f r e m d e n B a u w e r k e n ; insbesondere von Gebäuden, Schiffen, B r ü c k e n , D ä m m e n , gebauten Straßen, Eisenbahnen ( S t G B § 305). „ B a u w e r k " ist jedes von Menschenhand hergestellte, m i t dem Grund und B o d e n (wenn auch nur durch die eigene Schwere) in feste Verbindung gebrachte, selbständige, dauernde W e r k . 1 0 ) „Gebaute S t r a ß e n " sind L a n d - wie Wasserstraßen, wenn diese von Menschenhand angelegt sind. D e r Begriff der „ E i s e n b a h n " ist derselbe wie oben § 1 2 8 N o t e 1 1 . S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat. Versuch strafbar. •— In § 305 ist die Eigenart der einfachen Sachbeschädigung als eines gegen den einzelnen gerichteten Eigentumsvergehen vollständig gewahrt; zugleich aber bildet dieser dem Code pen. Art. 437 entnommene Fall den Übergang von der Sachbeschädigung zu den gemeingefährlichen Verbrechen (unten §§ 148 ff.). 4. In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung der Sachbeschädigung als eines Eigentumsverbrechens so sehr in den Hintergrund, daß die Einreihung dieser Fälle unter andere Verbrechensbegriffe oder ihre selbständige Behandlung angezeigt erscheint. Vgl. S t G B §§ 90 Ziff. 2, I33ff., 168, 265, 274, 3o6ff., 3 i 5 f f . ; Forst- und Feldfrevel usw. § 133.
5. Die Entziehung elektrischer Arbeit.
Literatur. Harburger VD Bes. T . 6 312. — Kohlrausch Z 20 459. Pfleghart Die Elektrizität als Rechtsobjekt, 2 Teile 1901/2. Hotz Strafrechtlicher Schutz der Energie. Leipziger Diss. 1902. Kulenkampff Das Iicchtsgut der elektrischen Arbeit im geltenden Strafrecht usw. (v. Lil. Heft 59) 1905. Gilles Die Elektrizität und ihre Stellung im Straf- und Zivilrecht. Erlanger Diss. 1908. •) Mögen dabei auch Erwerbszwecke verfolgt werden; R 34 1. *) Idealkonkurrenz mit S t G B §§ 3 i 7 f f . ist nicht ausgeschlossen; dagegen R 34 250. 10 ) Also unbewegliche Sachen. Übereinstimmend Allfeld 495, Frank § 305 II, R 15 263; weitergehend Olshausen § 305 2 (auch versetzbare Mühlen). Nur in Beziehung auf die „Schiffe" ist das Gesetz darüber hinausgegangen. Diese, wie die „Brücken" müssen „von einiger Erheblichkeit" sein (nicht Kähne, Stege aus losen Brettern); R 24 26. Das „Gebäude", ausgezeichnet durch Wände und Dach (oben § 128 I I 2), ist eine Art des „Bauwerks"
§
134-
Verletzung von Zueignungsrechten.
439
I. D a s R e c h t auf V e r w e r t u n g elektrischer E n e r g i e i s t d u r c h d a s K e i c h s g .
vom 9. April 1900 als ein selbständiges vermögensrechtliches Rechtsgut anerkannt worden. Dieses Rechtsgut unterscheidet sich von dem Eigentum dadurch, daß es sich nicht auf eine körperliche Sache bezieht, sondern auf die Verwendung aufgesammelter Arbeitskraft. Der Rechtsschutz ist auf die elektrische Energie beschränkt; tierische Kraft, Wasserkraft, Wärme (Kohlen) sind nicht geschützt. Die Tatbestände sind dem Diebstahl und der Unterschlagung einerseits, der Sachbeschädigung andererseits nachgebildet. Über die Entwürfe vgl. oben § 125 Note 2. II. § i des Gesetzes bedroht die Entziehung fremder elektrischer Arbeit in der Absicht rechtswidriger Zueignung. Die Ausdrücke „ f r e m d " und „ Z u e i g n u n g " können hier, d a Sacheigentum nicht in Frage steht, n u r im übertragenen Sinne genommen werden. Die E n t z i e h u n g m u ß den Verbrauch elektrischer Arbeit, deren Verwendung einem andern als d e m T ä t e r zusteht, zum Nutzen des T ä t e r s oder eines Dritten bezwecken. 1 ) Sie m u ß „einer elektrischen Anlage oder Einrichtung" gegenüber, und zwar „mittels eines L e i t e r s " , 2 ) erfolgen, „der zur ordnungsmäßigen E n t n a h m e v o n A r b e i t aus der Anlage oder Einrichtung nicht b e s t i m m t i s t " (vgl. oben § 128 II 3). D a die Anlage usw. unter der tatsächlichen G e w a l t des T ä t e r s ebensogut wie eines Dritten stehen k a n n , entspricht d a s D e l i k t nicht nur d e m Diebstahl, sondern auch der U n t e r s c h l a g u n g ; für diese ergibt sieh zugleich eine Verschiebung des Z e i t p u n k t s der Vollendung. S t r a f e : Gefängnis und Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder eine dieser beiden Strafen. Neben Gefängnis Ehrverlust nach Ermessen. —Versuch strafbar. III. § 2 des Gesetzes bedroht die Entziehung fremder elektrischer Arbeit in der Absicht, einem anderen rechtswidrigen Schaden zuzufügen. Der Tatbestand ist dem der Sachbeschädigung nachgebildet; doch m u ß die Schädigungsabsicht hinzutreten. Ausschließlich in dieser A b s i c h t liegt der Unterschied von d e m im § 1 behandelten F a l l ; im übrigen sind die Voraussetzungen die gleichen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. — Verfolgung nur auf Antrag. Versuch straflos (während versuchte Sachbeschädigung strafbar ist).
II. Verletzung von Zueignungsrechten. § 134. Literatur. Nagler VD Bes. T. 8 4x7, 521. — Dazu Elsperger Das Vergehen der einfachen Wilderei usw. Leipziger Diss. 1906. Stöhr Die nach ReichsEbenso R 42 19, 45 230. *) Ebenso R 35 311.
440
§ 134-
Verletzung von Zueignungsrechten.
recht und mecklenburgischen Landesrecht strafbare Jagdausübung. Rostocker Diss. .1907. V. Chlapowski Die Verletzung des J a g d - und Fischereirechtes na) Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
c) Aufforderungen oder Angebote zum Abschluß oder zur Verm i t t l u n g solcher Wetten, soweit sie öffentlich oder durch Verbreit u n g von Schriften oder anderen Darstellungen erfolgen. S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe von fünfhundert bis eintausendfünfhundert Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Monat oder Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark.
§ 145.
b) Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
Literatur. Kriegsmann V D Bes. T . 6 405, 438. — Rönnberg Die Lotterievergehen nach mecklenburg. Landesstrafrecht 1893. Brückmann Z 19 628. Theisen G A 49 234. Häußner Lotterie und Ausspielung im heutigen Strafrecht. Heidelberger Diss. 1906. Lockmann Z 85 849. — Über das „ H y d r a s y s t e m " vgl. D JZ 6 193 {Staub, v. Liszt), 277 (Oroschuff), 403, (Finger, v. Liszt), 453 (Spohr). Weißbarth Die strafrechtliche Würdigung des Hydrasystems. W ü r z b u r g e r Diss. 1907. I. Strenggenommen fällt die öffentliche Ausspielung unter den Begriff des Glücksspiels. Dennoch hat das preußische S t G B (im Anschlüsse an das A L R und spätere Verordnungen) und, ihm folgend, das R S t G B die Ausspielung neben dem Glücksspiele besonders hervorgehoben. Diese besondere Auszeichnung erklärt sich aus der Geschichte der Lotterieverbote. Seit dem 16. Jahrhundert sich findend, bewahren sie bis in die neueste Zeit fiskalische Bedeutung; noch A L R 248 bestraft die Lotterie als Eingriff in die fiskalischen Rechte des Königs. Auf dieser Stufe der Entwickl u n g des Begriffs will der Staat die Gewinnsucht seiner Untertanen für s e i n e Zwecke ausbeuten, und darum schützt er den Bürger gegen Ausbeutung durch ausländische oder private inländische Unternehmungen. E r verbietet nicht das Aufsspielsetzen des Vermögens, nimmt aber den aus diesem zu erwartenden Unternehmergewinn für sich in Anspruch. A l s dieser Standpunkt in der neueren Gesetzgebung zurückgedrängt worden war, änderte das Vergehen seine Eigenart: In der G e f ä h r d u n g , in dem Aufsspielsetzen eigenen und fremden Vermögens wird nunmehr der Grund seiner Strafbarkeit erblickt. — G E § 335 f a ß t die öffentliche Veranstaltung von Glücksspielen, Lotterien oder Ausspielungen zusammen. K E h a t die T a t b e s t ä n d e wieder getrennt. II. D a s R S t G B bedroht in § 286 das öffentliche Veranstalten von
Ausspielungen
beweglicher
oder
unbeweglicher
Sachen
ohne
obrigkeitliche Erlaubnis; insbesondere das Veranstalten von öffentlichen L o t t e r i e n , 1 ) d. i. das Ausspielen von
Geldpreisen.
*) D a m i t ist die „ M a t e r i e " der Ausspielung geregelt. Die Landesgesetzgebung ist mithin nicht befugt, sie auch ihrerseits zu regeln. D a s sächsische G v o m 4. Dezember 1837 und A r t . 57 des bayrischen P o l i z e i S t G B von 1871 sind demnach ebenso rechtsunwirksam wie das preußische v o m 29. A u g u s t 1904 betr. das Spiel in außerpreußischen Lotterien. Übereinstimmend Allfeld 5 6 2 , Finger 1 1 5 3 , Olshausen § 284 6 , Rönnberg, Schwartz § 286 Note 10, Theisen G A 4 9 234, 89 1, Wachenfeld 448. Abweichend die gem. Meinung, insbes. R , zuletzt 33 124, 196, 335 36 260; v g l . aber auch Entschdgn. in Zivilsachen 48 175. Zweifelnd Frank E G § 2 I I I . Keine Stellung nimmt KriegSmann 455. — Die im T e x t vertretene Ansicht wird unterstützt durch B G B § 763. Vgl. Brückmann, Endemann D J Z 3 51 und dagegen Delius D J Z 4 494, Thielemann D J Z 6 85 und Winkler G S 58 425.
§
145-
b) Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
475
A u s s p i e l u n g ist der zweiseitige Vertrag, in dem der V e r a n s t a l t e r der Ausspielung sich unter bestimmten, vom Zufall abhängenden,2) Bedingungen zur Zahlung einer Geldsumme oder zur Lieferung einer Sache (des Gewinnes) an die Gruppe der Spieler, diese aber sich unbedingt zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages (des Einsatzes) verpflichten. Wer fremde Lose vertreibt, ist nicht „Veranstalter", kann aber Gehilfe sein. Der Spielende selbst bleibt nach allgemeinen Grundsätzen straflos (oben § 52 V 3). — Ausspielung ist auch dann anzunehmen, wenn in dem Einsätze z u g l e i c h der Preis für eine wirkliche Gegenleistung mitenthalten ist,3) z. B. bei Verbindung der Ausspielung mit dem Verkauf von Waren oder mit einer Theatervorstellung; bei den Preisrätseln der Familienzeitungen, wenn hier der Preis unter den Einsendern der richtigen Lösung ausgespielt wird. Auch die durch Beteiligung an einer anderen (vielleicht sogar gestatteten) Lotterie erworbene Gewinsthoffnung kann zum Gegenstande weiterer strafbarer Ausspielung gemacht werden (Heuer- oder Promessengeschäft). 4 ) Anders liegt die Sache, wenn das Eigentum an dem Lose selbst zu einem bestimmten Teile auf einen anderen übertragen worden ist (sog Kompagniegeschäft). Die Ausspielung ist eine ö f f e n t l i c h e , wenn die Beteiligung einem nicht geschlossenen Personenkreise zugänglich ist.5) Vors a t z ist erforderlich;6) er muß die sämtlichen Tatbestandsmerkmale mitumfassen. Der Beweggrund des Täters ist gleichgültig; auch Ausspielungen zu wohltätigen Zwecken sind strafbar. Die Ausspielung ist in dem Augenblicke v o l l e n d e t , in welchem dem Publikum die Beteiligung möglich ist; Vornahme der Ziehung oder Absatz auch nur eines einzigen Loses ist nicht erforderlich. Der Spielende ist daher nicht Gehilfe. S t r a f e : G e f ä n g n i s bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu dreitausend Mark.
2) L o s z i e h u n g ist n i c h t erforderlich. E b e n s o R 3 6 124 (Berufsunfall), 2 5 256 (Briefeinlauf). — D a s sog. H y d r a s y s t e m ist, weil die E r f ü l l u n g der B e d i n g u n g e n n i c h t wesentlich v o m Zufall a b h ä n g t , n i c h t A u s s p i e l u n g , w o h l a b e r m e i s t unlauterer W e t t b e w e r b . E b e n s o Groschuff, Kriegsmann 415, Rönnberg 75, Staub; a u c h Weißbarth, der aber a u c h den unlauteren W e t t b e w e r b v e r n e i n t . D a g e g e n R 3 4 140, 3 2 1 , 390, 403; a u c h Allfeld 562, Binding Lehrb. 1 412,
Braun DJZ 6 453, Finger DJZ 6 404, Spohr DJZ 6 454, Wachenfeld 448.
3) V g l . R 1 54, 2 390, 1 6 83, 2 5 180, 3 4 447. — O h n e E i n s a t z i s t aber A u s s p i e l u n g n i c h t möglich. D a g e g e n R in J W 45 1 1 2 7 m i t A n m e r k u n g v o n
V. Liszt. 4) Dagegen Frank § 286 I, Kriegsmann 414.
*) B e d e n k l i c h i n der B e g r ü n d u n g R 3 1 4 1 3 (Ausspielung d u r c h den P f ö r t n e r einer F a b r i k unter den 1800 F a b r i k a r b e i t e r n ) . •) N a c h Frank § 286 I V g e n ü g t F a h r l ä s s i g k e i t . R i c h t i g Schwartz § 287 N o t e 6.
476
§ 146-
c) Gefährdung durch Konterbande.
III. Als eine Verbindung des Darlehnsvertrages mit einem Spielvertrage erscheint die Ausgabe von Prämienpapieren, bei denen die Zinsen ganz oder zum Teil unter den Gläubigern ausgespielt werden. Die Reichsgesetzgebung hat sich daher veranlaßt gesehen, einerseits den deutschen Markt gegen die Überschwemmimg mit minderwertigen fremden Papieren zu schützen, andrerseits die Ausgabe und den Vertrieb inländischer Prämienpapiere auf einheitliche Grundlage zu stellen. 7 ) Das G vom 8. J u n i 1871 betr. die I n h a b e r p a p i e r e m i t P r ä m i e n verbietet in § 6 : 1. D a s i n n e r h a l b d e s D e u t s c h e n R e i c h s erfolgende A u s g e b e n von auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, in denen allen Gläubigern oder einem Teile von ihnen außer der Zahlung der verschriebenen Geldsumme eine Prämie dergestalt zugesichert wird, daß durch Auslosung oder durch eine andere auf den Zufall gestellte Art der Ermittlung die zu prämiierenden Schuldverschreibungen und die Höhe der ihnen zufallenden Prämie bestimmt werden sollen, wenn das Ausgeben nicht auf Grund eines Reichsgesetzes u n d zum Zwecke der Anleihe eines Bundesstaates oder des Reiches erfolgt. S t r a f e : Geldstrafe, die dem fünften Teile des Nennwertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber dreihundert Mark betragen soll. 2. Das W e i t e r b e g e b e n (nicht die Annahme) solcher Papiere, die a) im I n l a n d e nach Verkündung des G vom 8. J u n i 1 8 7 1 oder b) im A u s l a n d e nach dem 30. April 1 8 7 1 ausgegeben worden sind. Gleichgestellt ist der F a l l , wenn solche Papiere an den Börsen oder anderen zum Verkehr mit Wertpapieren bestimmten Versammlungsorten (Winkelbörsen) zum Gegenstande eines Geschäfts oder einer Geschäftsvermittlung gemacht werden. Strafe: wie zu 1. 3. Das W e i t e r b e g e b e n von solchen Papieren, die im Auslande vor dem 1. Mai 1 8 7 1 ausgegeben und nicht abgestempelt sind. Die dem Falle unter 2 gleichgestellten Geschäfte werden auch hier ebenso behandelt wie das Weitergeben selbst. S t r a f e : wie zu 1. 4. Die ö f f e n t l i c h e A n k ü n d i g u n g , A u s b i e t u n g , p m p f e h l u n g von den unter 2 und 3 angeführten Papieren sowie ihre N o t i e r u n g zum Zwecke der Feststellung eines Kurswertes. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
§ 146. c) Gefährdung durch Konterbande. Literatur. Kriegsmann V D Bes. T . 6 453. Pappenheim Über Kriegskonterbande vgl. v. Liszt Völkerrecht § 42 V .
Z 1 3 842. —
Ein eigentümliches Vergehen enthält § 297 StGB, der dem preußischen S t G B § 278, mittelbar dem preußischen Seerecht von 1727 Kap.- 4 Art. 3 1 , entnommen ist. 1 ) E r bedroht den Reisenden ') Über § 145 a S t G B vgl. unten § 1 9 5 I I I . G E § 338 h a t die B e s t i m mung eingearbeitet. x ) In V E § 187 und K E unter die Straftaten gegen die Sicherheit des
§ 147-
5-
Die
Sachhehlerei (Partiererei).
477
oder Schiffsmanii (nicht andere Personen), der ohne Vorwissen des Schiffers, ingleichen den Schiffer, der ohne Vorwissen des Reeders G e g e n s t ä n d e (mit sich) an Bord nimmt, die für das Schiff o d e r die L a d u n g die Gefahr d e r B e s c h l a g n a h m e o d e r E i n z i e h u n g h e r b e i f ü h r e n können (Zoll- oder Kriegskonterbande). Die Strafdrohung bezieht sich nur auf Seeschiffe und nur auf die im Gesetze genannten Personen (Dritte können als Teilnehmer strafbar sein). Der V o r s a t z muß das Bewußtsein der Gefährdung umfassen.2) Die Vollendung tritt mit der Anbordnahme ein. S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei J a h r e n .
§ 147. 5. Die Sachhehlerei (Partiererei). Literatur. Beling V D Bes. T . 7 i . — Heimberger (Lit. zu § 49). A. Frank D e r subjektive Tatbestand der Sachhehlerei (v. IM. Heft 25) 1899. Wedeil D e r T a t b e s t a n d der Sachhehlerei. Greifswalder Diss. 1900. Köhler G S 6 1 44. V.Bar Gesetz 2 797. Arnold Der Tatbestand der Sachhehlerei. Würzburger Diss. 1907. Jantscheff Die Sachhehlerei. Leipziger Diss. 1908. Guddewill Das D e l i k t der Partiererei nach geltendem R e c h t (v. Lil. Heft 109) 1909. Westhoff D i e Sachhehlerei (§ 259 R S t G B ) verglichen mit der sogenannten Personenhehlerei (§ 2 5 8 daselbst). Erlanger Diss. 1 9 1 2 . — Vgl. auch Drews und die übrige zu § 1 8 3 angegebene Literatur. I . Geschichte. E r s t das s p ä t r ö m i s c h e R e c h t hat, wenn wir von der auf das triplum gehenden actio furti concepti absehen, die Sachhehlerei, das crimen receptatorum („pessimum genus hominum, sine quibus nemo latere diu p o t e s t " ) , als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht (D. 47, 16) und darunter sowohl das Hehlen der durch Diebstahl oder R a u b erlangten Sachen als auch das Verbergen des Verbrechers verstanden. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r stellt den Hehler dem Stehler gleich, ohne ein selbständiges Verbrechen der Sachhehlerei zu kennen. Infolgedessen schweigt denn auch die P G O in ihrem strafrechtlichen Teile über die Hehlerei, führt aber in Art. 40 unter den Verdachtsgründen gegen jene, „so Räubern oder Dieben helfen", auch den F a l l an, d a ß „einer wissentlich und gefährlicherweise von geraubtem oder gestohlenem Gute B e u t e oder Teil n i m m t " . Im g e m e i n e n R e c h t und in der auf diesem beruhenden L a n d e s g e s e t z g e b u n g wird zumeist (anders z. B . Preußen 1 6 2 0 , Österreich 1 7 8 7 , die den Ankauf gestohlener Sachen als selbständiges Vergehen behandeln) die Sachhehlerei mit der Begünstigung zusammen als Fall der Teilnehmung an dem begangenen Vermögensvergehen aufgefaßt (so auch im A L R ) . . Die S t G B ü c h e r des 19. Jahrhunderts sind bemüht, einerseits die B e günstigung von der Hehlerei zu trennen, andrerseits beiden Verbrechen die ihnen zukommende Stellung im Systeme des Besonderen Teiles anzuweisen. 1 ) öffentlichen Verkehrs gestellt und hinsichtlich der möglichen S u b j e k t e verallgemeinert. Dagegen von G E § 340 richtig bei den Vermögensgefährdungen eingereiht. l ) Ebenso R 4 3 383. . ') Beling 2 2 5 vertritt nach wie vor die Auffassung, d a ß die Sachhehlerei als Nachtäterschaft eine Erscheinungsform der V o r t a t sei.
478
§ 147- 5- Die Sachhehlerei (Partiererei).
Dagegen hat das RStGB in Abweichung von dem preußischen StGB nicht nur Begünstigung und Sachhehlerei in einunddemselben Abschnitte zusammengefaßt, sondern auch durch Aufstellung des Zwitterbegriffes der einfachen Hehlerei (StGB § 258) beide Vergehen in eine unnatürlich nahe innere Verbindung gebracht. VE § 172 hat zwar die persönliche Begünstigung als Strafvereitelung zu den Straftaten gegen die Rechtspflege gestellt, die sachliche Begünstigung dagegen immer noch mit der Hehlerei zusammen unter den Vermögensdelikten behandelt (VE §§ 280, 281). Dagegen hat GE § 341 den Tatbestand der ersteren gestrichen, den Tatbestand der Hehlerei selbst aber subjektiv (Gewinnabsicht nicht erforderlich) und objektiv (Verschaffung oder Sicherung des Besitzes genügt) erweitert. KE folgt leider, wenn auch mit Verbesserungen im einzelnen, der vom VE gewiesenen falschen Bahn. II. N a c h S t G B § 259 begeht Sachhehlerei, wer seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen m u ß , d a ß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, a n k a u f t , zum Pfände nimmt oder sonst an sich bringt oder zu dei-en Absätze bei anderen mitwirkt. D a s Absetzen selbst ist nicht genannt, m u ß aber unter dem „Mitwirken zum A b s a t z " mitverstanden werden. Demnach erscheint die Sachhehlerei als A u f r e c h t e r h a l t u n g , in den meisten Fällen sogar als Vertiefung und Sicherung e i n e r r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s l a g e ; sie tritt zu einer bereits erfolgten Vermögensbeschädigung hinzu, setzt diese begrifflich voraus, bringt aber den dem Berechtigten entzogenen Vermögensgegenstand in noch weitere Entfernung von dessen Verfügungsgewalt. 1. Ihr Gegenstand sind S a c h e n , d i e m i t t e l s e i n e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g e r l a n g t s i n d . A l s o S a c h e n (nicht Rechte), gleichgültig, ob bewegliche oder nicht, ob fremde oder nicht; Hehlerei ist auch möglich in bezug auf die Sache, die der Eigentümer dem Rückhaltungsberechtigten entzogen hat. Gegenstand der Hehlerei sind ferner nur jene S a c h e n s e l b s t , die, mögen sie auch einer Bearbeitung unterzogen werden, unmittelbar durch die betreffende strafbare Handlung erlangt worden sind; nicht aber andere an deren Stelle getretene Sachen oder der aus ihnen gewonnene Erlös oder die m i t dem gestohlenen Gelde angekaufte Sache. 2 ) Die Sachen müssen mittels einer (nach deutschem Recht) s t r a f b a r e n , wenn auch im Ausland begangenen, Handlung, sei diese auch nur eine Übertretung, erlangt sein. Die strafbare Handlung kann Eigentumsverletzung oder irgendein anderes Vermögensvergehen sein. Ist die Sache durch ein A n t r a g s v e r g e h e n erlangt worden, so liegt auch bei mangelndem A n t r a g (oben § 45) eine strafbare, wenn auch nicht verfolgbare, Handlung v o r ; die durch sie erlangten *) Vgl. R 25 402. Dabei ist aber § 950 BGB zu beachten. Die Entwürfe stellen den Sachen „ihren Erlös sowie die für sie angeschafften Gegenstände" ausdrücklich gleich.
§ 147-
5- Die Sachhehlerei (Partiererei).
479
-Sachen können mithin Gegenstand der Sachhehlerei sein. War dagegen die Handlung n i c h t s c h u l d h a f t begangen, so kann, weil sie eine „strafbare" nicht ist, nicht Hehlerei, wohl aber gegebenenfalls Unterschlagung angenommen werden.3) Dasselbe gilt bei S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e n , z. B. bei Verjährung (bestritten). Dagegen wird der Begriff der Hehlerei durch das Vorliegen eines p e r s ö n l i c h e n S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d e s (z. B. Diebstahl zwischen Ehegatten, oben § 44 II) nicht berührt.4) Die strafbare Handlung muß das M i t t e l gewesen sein, durch das die Sachen erlangt wurden; sie muß daher als vollendete Handlung der Sachhehlerei vorangegangen sein, den Sachen den ihnen anhaftenden Makel bereits eingeprägt haben. Wird erst durch den Verkauf der Sache Unterschlagung begangen, so ist der Kaufende nicht Hehler, sondern Gehilfe an der Unterschlagung. Die Sachen erscheinen nicht als m i t t e l s einer strafbaren Handlung erlangt, wenn die Vortat fremde Vermögensrechte nicht verletzt hat, mag sie immerhin einen Verstoß gegen öffentlichrechtliche Vorschriften enthalten. Dies gilt vom Betteln, der gewerbsmäßigen Unzucht, der Schmuggelei, von der Jagdausübung durch den Jagd berechtigten während der Schonzeit usw. Hehlerei liegt daher auch nicht in dem Erwerb von Brotmarken usw. durch Übertragung von seiten des Berechtigten.5) Erwerb von unanfechtbarem Eigentum schließt in jedem Falle den Begriff der Hehlerei aus. 2. Die Handlung besteht darin, d a ß der H e h l e r dem B e r e c h t i g t e n die W i e d e r e r l a n g u n g e r s c h w e r t oder u n m ö g l i c h m a c h t . Das Gesetz zählt die unter diesen Begriff fallenden Handlungen ausschließend auf: a) Das „Verheimlichen" (oben § 137 Note 9), durch das dem Berechtigten die Auffindung erschwert oder unmöglich gemacht wird; b) das „Ansichbringen" durch Ankauf, in Pfand nehmen oder auf eine andere Art, durch die der Hehler die tatsächliche Verfügungsgewalt vom Täter übertragen erhält; c) das „Mitwirken zum Absatz" bei anderen,6) d. h. zur wirtschaftlichen a ) Dies gilt von der Begehung durch einen Nichtzurechnungsfähigen, wie bei Ausschluß des Vorsatzes durch I r r t u m usw. So bezüglich der Strafunmündigen (vgl. aber oben § 38 Noten 2 und 4) die herrschende Ansicht: Allfeld 564, v. Bar 801, Beling 67, Bitiding Lehrb. 1 386, Frank § 259 I I , Scfiwartz § 259 Note 3. Dagegen R 6 336, 18 298. R 3 5 73 schließt jedoch in diesem Falle Sachhehlerei aus. K E hat Hehlerei bei Vortat eines Nichtzurechnungsfähigen ausdrücklich anerkannt, bezüglich des Tatirrtums dagegen abgelehnt. *) Ebenso R 5 0 199. ') Ebenso R 37 230 (verbotenes Fangen von Singvögeln); R 3 7 230 und wiederholt (Brotmarken). Vgl. Gentz GA 6 5 418. •) Auch bei dem Geschädigten selbst, der z. B . die ihm gestohlene Sache nicht e r k e n n t ; R 3 0 401.
480
§
147.
5. D i e S a c h h e h l e r c i (Partiererei).
Veräußerung 7 ) durch Verkauf, Tausch, Verpfändung usw., m a g d6r A b s a t z auch nicht erfolgt sein. A l s „Ansichbringen" ist auch das s i n n l i c h e G e n i e ß e n (Essen, Trinken) der erlangten Sachen aufzufassen, wenn der Genießende die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache erlangt hatte, nicht aber das bloße Mitgenießen. 8 ) 3. Die Sachhehlerei m u ß u m des eigenen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vorteils des Hehlers willen (Absicht!) vorgenommen sein. V e r m ö g e n s v o r t e i l wird nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht gefordert (bestritten); j e d e r Vorteil genügt (unten § 175 IV). D i e A b s i c h t kann a u c h auf Begünstigung des Täters gerichtet gewesen sein; dann ist Idealkonkurrenz von Hehlerei urfd Begünstig u n g anzunehmen. 9 ) 4. Die Sachhehlerei kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden: a) Der V o r s a t z m u ß das Bewußtsein umfassen, d a ß die Sache d u r c h eine s t r a f b a r e Handlung erlangt ist. Irrige Annahme dieses Tatbestandsmerkmals begründet untauglichen Versuch. b) A u c h die f a h r l ä s s i g e Sachhehlerei ist strafbar. Aber nicht jede, andrerseits nicht nur die grobe, Fahrlässigkeit fällt unter d a s Gesetz, sondern nur ein ganz bestimmter Fall des fahrlässigen Verhaltens: „ W e n n der Täter den Umständen nach annehmen m u ß , d a ß die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt i s t " . Die Fahrlässigkeit m u ß sich also gerade auf den Ursprung der verhehlten Sache beziehen. 10 ) Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) m u ß im Augenblicke d e r H a n d l u n g vorhanden sein; mithin, soweit ein „Ansichbringen" stattgefunden h a t , in diesem Augenblick. Sollte daher der g u t gläubige Erwerber einer Sache nachträglich erfahren, d a ß die Sache v b n seinem Gewährsmann durch eine strafbare Handlung erlangt worden ist, so kann er sich durch jetzt eintretende Verhehlung der Sache nicht aus S t G B § 259 strafbar machen. 1 1 ) ') Also nicht das Verschenken; ebenso R32 214 gegen Bitlditlg Lehrb. 1390. •) Ebenso AUfeld 565, Frank § 259 IV, Schwartz § 259 Note 4; R 89 308, 365, RMilG 17 265. Dagegen v. Bar 812, Beling 73. ») Ebenso R 47 220, 50 308. 10 ) Vgl. oben § 42 V. Sehr bestritten. 1. Mit dem Text Allfeld 566, Frank § 259 v, V. Lilienthal 53, Seuffert Z 14 593. — 2. Die herrschende Ansicht sieht in den fraglichen Worten eine Regel für den Nachweis des Vorsatzes (also eine widerlegliche Schuld Vermutung); so R 25 221, 88 286, 89 6; V. Bar 822, Beling 92, Binding Lehrb. 1 392, Schwartz § 259 Note 6, Wachenfeld 452. — 8. Grobe Fahrlässigkeit ist erforderlich nach Köhler 118 und R 2 140. — 4. Jede Fahrlässigkeit soll genügen nach v. Buri GS 29 51, A. Frank 18, Merkel 327. — Die Stteitfrage dürfte durch das BGB entschieden sein, das unter dem „Kennenmüssen" stets Fahrlässigkeit versteht. Dagegen (ohne Begründung) v. Bülow GS 59 9. 11 ) Ebenso V. Bar 818; abweichend R 83 120, Binding Lehrb. 1 393.
§ 147-
5- Die Sachhehlerei (Partiererei).
5 . Die Sachhehlerei ist vollendet, sobald eine der im Gesetze angeführten Tätigkeiten gesetzt i s t , s o b a l d die Sache e i n e n weiteren Schritt aus d e m Machtbereiche des Berechtigten g e m a c h t h a t . W e n n also A eine gestohlene S a c h e a m 1 . J a n u a r in F r a n k r e i c h a n g e k a u f t und a m 1 . J u l i in D e u t s c h l a n d weiter v e r k a u f t h a t , s o k a n n er nur wegen j e n e s A n k a u f e s , nicht wegen d i e s e s V e r k a u f e s zur V e r a n t w o r t u n g gezogen w e r d e n . 1 2 ) Doch können a n d e r e P e r sonen hinsichtlich derselben Sache sich weiterer Hehlerei schuldig machen. 6. Bezüglich der Täterschaft und d e r Teilnahme gelten die allgemeinen Grundsätze. D a die Hehlerei nicht Teilnahme, sondern selbständig s t r a f b a r e H a n d l u n g ist, müßte auch an sich Beteiligung des a n dem Vorverbrechen Beteiligten an d e r Sachhehlerei als m ö g lich angesehen werden. Doch ist die Aneignung der Sache d u r c h den E r s t t ä t e r selbst und seine Teilnehmer, soweit sie als V e r w i r k lichung der zum Begriff des Vorverbrechens erforderlichen A b s i c h t erscheint, nach allgemeinen Regeln (oben § 55 I I 4b) straflos. 1 3 ) III. Die Strafe. 1. Bei e i n f a c h e r Sachhehlerei (StGB § 259): Gefängnis. 2. Bei g e w e r b s - o d e r g e w o h n h e i t s m ä ß i g e r (oben § 55 III) Sachhehlerei (StGB § 260): Zuchthaus bis zu zehn Jahren. 3. Bei S a c h h e h l e r e i im z w e i t e n R ü c k f a l l e (StGB § 261): a) Wenn sich die letzte Handlung auf einen schweren Diebstahl (StGB § 243), einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen (räuberischen Diebstahl, räuberische Erpressung) bezieht, Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre; doch muß der Sachhehler wissen, daß das Vorverbrechen diese Eigenschaft an sich trägt; b) in allen anderen Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. In bezug auf die V o r s t r a f e n stehen Partiererei und Hehlerei (StGB 5 258) einander gleich. Vgl. im übrigen § 57 1. In allen Fällen (1 bis 3) ist neben der Gefängnisstrafe Ehrverlust und neben jeder Verurteilung Polizeiaufsicht zulässig (StGB § 262). 4. Eine der Sachhehlerei verwandte Übertretung bedroht StGB § 370 Ziff. 3. Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder H a f t trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne schriftliche Erlaubnis des vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfände nimmt. Hehlerei ist (nach StGB § 73) anzunehmen, wenn die Gegenstände nicht Eigentum des Verkaufenden oder Verpfändenden sind. IV. Die
Steuerhehlerei.
E i n e n neuen, völlig
verunglückten
« ) Ebenso R 50 194. ) Ähnlich Aufeld 566, v. Bar 828, Delaquis JW 47 179, Frank § 259 VI. Dagegen BeUng 85, Drews, Schwartz § 259 Note 7, auch R 3 2 394, 8*304, die, unter sich vielfach abweichend, bezüglich der Teilnehmer an der Vortat ideale oder reale Konkurrenz annehmen. •. L i a i t , Strafrecht. 21. Aufl. 31 u
482
§ 147.
5- Die Sachhehlerei (Partiererei).
Begriff hat unter dieser Bezeichnung die Steuergesetzgebung vom 26. Juli 1918 geschaffen. Nach dem Weinsteuer- wie nach dem Biersteuergesetz (§ 25, bzw. § 45) werden die in § 259 StGB genannten Handlungen mit Strafe bedroht, wenn sie in bezug auf Wein oder Bier vorgenommen werden, hinsichtlich derer eine Steuerhinterziehung stattgefunden hat. Der Täter muß „seines Vorteils wegen" und vorsätzlich gehandelt haben. Der Versuch ist strafbar. Die gleiche Vorschrift enthält § 161 des G über das Branntweinmonopol („Monopolhehlerei"). Der Begriff der Hehlerei wird also auf Gegenstände ausgedehnt, die n i c h t durch eine strafbare Handlung erlangt sind. Für die Beschränkung auf Wein, Bier und Branntwein fehlt es an jedem inneren Grund. Der Zweck der Bestimmung hätte durch die Aufstellung eines besonderen Steuerdeliktes ohne Anlehnung an § 259 besser erreicht werden können. S t r a f e : Geldstrafe in Höhe des vierfachen Betrages der hinterzogenen Einnahme, mindestens aber in Höhe von fünfzig Mark.
Fünfter Abschnitt.
Die durch das Mittel des Angriffs gekennzeichneten Straft aten. *) I. Die gemeingefährlichen Verbrechen. § 148. Allgemeines. Literatur. Kitzinger VD Bes. T. 9 i . — Siebenhaar Z 4 245. Weiß Die gemeingefährlichen Delikte des RStGB. Rostocker Diss. 1902. Preiser Reform I I 222. Remund Über die medizinische Bedeutung der Gefährdungsgesetzgebung 19I6. Ferner Lit. zu § 28 (über den Gefahrbegriff). I. Das R S t G B hat nach dem Vorbilde des preußischen ALR und des sächsischen StGB von 1838 im 27. Abschnitte des II. Teils eine größere Anzahl von strafbaren Handlungen unter der Bezeichnung „Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" zusammengestellt. Diese Handlungen weisen im allgemeinen dasselbe kennzeichnende Merkmal auf: die Gemeingefährlichkeit; aber nähere Betrachtung zeigt uns, daß einerseits die einzelnen hierher gehörigen Vergehungen jenem Merkmale gegenüber in wesentlich verschiedener Weise sich verhalten, daß andererseits dasselbe Merkmal auch bei anderen, in diesem Abschnitt nicht aufgenommenen Verbrechen (z. B. Sprengstoffdelikten) wiederkehrt; daß also die Bezeichnung „Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" nur bei unbedingtem Festhalten an der Sprachweise des Ges e t z e s einen festbegrenzten Inhalt umschließt. Es empfiehlt sich demnach aus praktischen Gründen, die genannte Bezeichnung auf die im 27. Abschnitte des StGB aufgeführten Fälle zu beschränken, andererseits aber auch auf alle diese Fälle zu erstrecken. II. Nach dem Gesagten ist eine einheitliche Auffassung aller hierher gehörenden Verbrechen unmöglich. Wohl aber werden wir, von den vorbildlichen Fällen ausgehend, die Eigenart der Gruppe zu bestimmen berechtigt sein. Als typische Fälle aber stellen sich uns Brandstiftung und Überschwemmung dar. Sie kennzeichnen sich als Entfesselung der Naturkräfte, denen sonst eine hervorragende Rolle im Dienste der Menschheit und ihrer Zwecke zukommt, zur Verwirklichung gesellschafts- und menschheitsfeindlicher Bestrebungen (oben § 44 I). Wer die Naturkraft aus ihren Fesseln entläßt, der kann ihr die Grenzen ihrer Ausbreitung nicht vorzeichnen, die Folgen nicht abwägen, die seine Handlung mit sich bringt: Die entfesselte Naturkraft spottet seiner Macht J ) Die Rechtfertigung dieser systematischen Gruppe ergibt sich aus dem oben § 79 Note 3 Gesagten. Mayer 148 spricht von Verbrechen „mit präsumtivem Erfolg"; aber die Präsumtion führt notwendig zu dem Begriff der Gefahr, also zu der Auffassung des Textes. Über die Unmöglichkeit, die „Fälschungsverbrechen" als besondere Gruppe aufrechtzuerhalten, vgl. unten § 158 Note 2. 31*
484
§149-
Brandstiftung und Überschwemmung.
wie seiner Vorhersicht. In diesem Unbegrenzbaren und Unabsehbaren wurzelt der Begriff der G e m e i n g e f a h r , der den 27. Abschnitt des R S t G B zusammenhält. Daraus erklärt sich auch die geschichtliche Tatsache, d a ß der U m f a n g und Inhalt dieser Gruppe mit den Erfindungen und Entdeckungen wechselt und sich mehrt. V E hat die einheitliche Gruppe in zwei Abschnitte zerlegt und den „ g e meingefährlichen" Delikten die Straftaten „gegen die Sicherheit des Verkehrs" gegenübergestellt; G E ist, aus guten Gründen, zu der Zusammenfassung zurückgekehrt, hat aber auch das Sprengstoffgesetz, die Nahrungsmittel- und die Seuchengesetze eingearbeitet. K E hält leider an der Zweiteilung des V E fest. I I I . Der Begriff der Gemeingefahr erfordert nach dem Gesetz: 1. G e f ä h r d u n g in dem oben § 28 I I 3 entwickelten Sinne. 2. Gefährdung von L e i b und L e b e n oder des V e r m ö g e n s . 3. G e m e i n g e f ä h r d u n g , d. i. Herbeiführung eines Zustandes, in dem, gerade weil die Wirksamkeit der Naturkraft der Herrschaft des menschlichen Willens sich entzieht, nicht bloß e i n einzelner bestimmter Träger oder m e h r e r e , nach Zahl und Individualität bestimmte Träger der genannten Rechtsgüter, sondern ein n i c h t i n d i v i d u e l l b e s t i m m t e r u n d b e g r e n z t e r P e r s o n e n k r e i s als gefährdet erscheint. Gemeingefahr für Leib und Leben m u ß daher auch dann angenommen werden, wenn feststeht, d a ß die Verletzung nur einem einzigen Menschen oder nur einer beschränkten Zahl von Menschen droht, diese Personen aber nicht i n d i v i d u e l l bestimmt sind. Andrerseits fällt unter den Begriff auch die Gefährdung einer großen Menge von individuell bestimmten Personen, wie der Passagiere eines Dampfers, wenn die Gefahr nicht auf einzelne v o n ihnen beschränkt werden kann. Bei Gemeingefahr für fremdes E i g e n t u m bedarf die Begriffsbestimmung einer Umgestaltung; Gemeingefahr bedeutet in diesem Falle Gefahr für einen n i c h t i n d i v i d u e l l b e s t i m m t e n u n d b e g r e n z t e n K r e i s v o n S a c h e n , mögen diese auch demselben Eigentümer gehören. I V . D a s genannte Merkmal wird nun aber vom Gesetzgeber in doppelter Weise zur Bildung der einzelnen Verbrechensbegriffe verwertet. 1. Bei manchen Verbrechen ist die r e g e l m ä ß i g e , wenn auch i m einzelnen Falle n i c h t vorliegende, Eigenart der Handlung für die Strafdrohung des Gesetzgebers maßgebend; dann ist die Gemeingefährlichkeit nicht Begriffsmerkmal, die Handlung mithin auch gar nicht konkretes, sondern nur abstraktes Gefährdungsverbrechen. Beispiel: Die Brandstiftung (soweit sie nicht als Sachbeschädigung Verletzungsverbrechen ist). 2. In anderen Fällen hat der Gesetzgeber die Gemeingefährlichkeit, wie bei der Überschwemmung, zum B e g r i f f s m e r k m a l erhoben und somit ihr Vorliegen im e i n z e l n e n F a l l e zur unerläßlichen Voraussetzung für die Möglichkeit der Verurteilung und Bestrafung gemacht.
§ 149.
I. Brandstiftung und Überschwemmung.
Literatur. Ulimann V D Bes. T . 9 31, 79. — l>. Wächter D e crimine incendii 1833. Osenbrüggen Die Brandstiftung 1854. Kirchner Die Herbeiführung einer Überschwemmimg nach §§ 312 bis 314 R S t G B . Tübinger Diss. 1901. Muralt Die B r a n d s t i f t u n g im Schweizer Strafrecht 1906. Giese D a s Wesen der Brandstiftung in geschichtlicher Entwicklung. Rostocker Diss. 1912. — Kohler Studien 4 410. Günther 1 127. Brunner 2 654. — Vgl. auch d i e L i t . zum Versicherungsbetrug (oben zu § 140). I. Geschichte. D i e B r a n d s t i f t u n g ist weitaus das älteste aller gemeingefährlichen Vergehen. Schon das angebliche Zwölftafelgesetz erklärte (1. 9 D
§ 149-
1. Brandstiftung und Überschwemmung.
485-
47, 9): „ Q u i aedes acervumve frumenti j u x t a dorn um positum combusserit, v i n c t u s verberatus igni necari jubetur." Dennoch ist es zweifelhaft, o b wir mit B e z u g auf das r ö m i s c h e R e c h t von einem selbständigen Verbrechen der Brandlegung sprechen dürfen. Die L e x Cornelia de sicariis stellte die mörderische Brandlegung unter die Tötungsfälle (oben § 82 I), und auch die Kaiserzeit ist über diese Auffassung wohl kaum hinausgekommen, obwohl sie (1. 28 § 12 D . 48, 19) die Erregung eines Brandes innerhalb der Stadt, das Anzünden einer casa oder villa hervorhebt und die „messium per dolum incensores vinearum olivarumque" mit außerordentlicher Strafe belegte. D a s d e u t s c h e R e c h t , das die Brandstiftung als selbständiges Verbrechen auffaßt, unterschied zwischen der heimlichen, diebischen Brandlegung, dem M o r d b r a n d , und dem offenen (gewaltsamen) W a l t b r a n d . Noch der Sachsenspiegel verfügte (2 13, 4 und 5): „Mordbrenner soll man radebrechen; wer den Mann brennt ohne Mordbrand, dem soll man das Haupt abschlagen", während die oberdeutschen Quellen zumeist den Feuertod verhängen. Die P G O begnügte sich (Art. 125) mit der kurzen Erklärung: „ D i e boshaften überwundenen Brenner sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gerichtet werden." Das g e m e i n e R e c h t nahm trotz CarpzoVS Widerspruch (ihm f o l g t auch Österreich 1768) die Unterscheidung von Mordbrand und einfacher Brandstiftung, wenn auch mit schwankender Abgrenzung, wieder auf (so Hamburg 1603, Preußen 1620, Österreich 1656), betonte aber mehr und mehr den Gesichtspunkt der gemeinen Gefahr (Engau, Koch, Böhmer: contra securitatem publicam, ignis periculosus). 1 ) V E § 189 hat die kasuistischen Bestimmungen des geltenden Rechts ganz wesentlich vereinfacht, die Herbeiführung einer Explosion, eines Einsturzes oder einer Überschwemmung mit der Brandstiftung in einem Tatbestand zusammengefaßt und konkrete Gefahr für Menschenleben oder in bedeutendem Umfange für fremdes Eigentum verlangt. Ebenso im wesentlichen G E § 215. Dagegen kehrt K E zur Kasuistik des geltenden Rechts zurück und stellt Explosion und Überschwemmung in einen besonderen Paragraphen. Der Versicherungsbetrug wird, wie bereits erwähnt (oben § 140 Note 4), von K E hier eingereiht. I I . Brandstiftung störung
einer
ist die g ä n z l i c h e
oder
teilweise
(nicht notwendig fremden) S a c h e
durch
ZerVer-
b r e n n e n , also durch die von der Natur kraft des Feuers hervorgerufene Hitze.
Sie hebt sich durch ihre Gemeingefährlichkeit von
der S a c h b e s c h ä d i g u n g kurrenz (§ 73) stehen.
ab, kann aber m i t dieser in
Idealkon-
A b e r nicht jede i m einzelnen Falle gemein-
gefährliche Sachbeschädigung durch Brandlegung ist Brandstiftung im Sinne des Gesetzgebers; dieser hat vielmehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftimg ausschließend m i t die
Untersuchung
nach dem
Vorliegen
aufgezählt und jenes
da-
Merkmales
im
Einzelfalle ein für allemal abgeschnitten. Die Brandstiftung ist v o l l e n d e t , sobald nicht nur der Zündstoff in B r a n d gesetzt, sondern das Feuer a u s g e b r o c h e n ist, d . h. sobald sich das Feuer über den Zündstoff hinaus in einer solchen Weise mitgeteilt
2 37.
hat, daß
ein selbständiges
Weiterbrennen
auch
*) Über die Verbrennung der Brandstifter (noch A L R 1512) v g l . Günther Sie wurde noch 1804 in Eisenach vollzogen.
486
§ 149-
Brandstiftung und Überschwemmung.
nach Entfernung des Zündstoffes als möglich erscheint. Daß eine „Flamme" entstanden, ist nicht erforderlich; auch Weiterkohlen, Weiterglimmen usw. genügt. Als V e r s u c h der Brandstiftung erscheint bereits das Inbrandsetzen des Zündstoffs. Verhinderung des Löschens ist nicht Täterschaft, kann aber B e i h i l f e sein. Die t ä t i g e R e u e (oben § 74 III) ist als Strafaufhebungsgrund anerkannt (StGB § 310) und über den Versuch auf die Vollendung ausgedehnt.2) Sie liegt vor, wenn der Täter den Brand wieder gelöscht hat, bevor dieser entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden ist. E i g e n e Tätigkeit des Schuldigen ist erforderlich; doch genügt auch hier (oben § 48 III) das Herbeiholen fremder Hilfe. Die Wirkung des Strafaufhebungsgrundes kommt j e d e m Beteiligten (Täter oder Teilnehmer) zugute, in dessen Person er vorliegt, aber auch n u r ihm (oben § 74 I). III. Die Arten der Brandstiftung. 1. V o r s ä t z l i c h e B r a n d s t i f t u n g m i t ( a b s t r a k t e r ) G e m e i n g e f a h r für das Leben. Einfacher Fall (StGB § 306). Brandstiftung an folgenden Räumlichkeiten (abgeschlossenen Räumen): a) Einem zu gottesdienstlichen Versammlungen (oben § 118 IV) bestimmten Gebäude (oben § 128 II 2); b) einem Gebäude, einem Schiff (nicht einem Floß) oder einer Hütte, die, wenn auch nicht dazu bestimmt, zur Wohnimg (oben § 1 1 9 Note 2) von Menschen3) dienen; c) einer Räumlichkeit, die zeitweise zum Aufenthalte von Menschen dient, zu einer Zeit, während der Menschen in ihr sich aufzuhalten pflegen. In allen drei Fällen kann auch der Eigentümer selbst Täter sein; sein Vorsatz muß die in Ziff. 1 bis 3 hervorgehobenen Merkmale mitumfassen. Daß im Augenblicke der Tat Menschen in den genannten Räumen sich befanden, ist nicht erforderlich. S t r a f e : Zuchthaus, daneben (§ 325) Polizeiaufsicht zulässig.
Schwerer Fall (StGB § 307). Er liegt vor: a) Wenn der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, daß dieser zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand.4) Schuld in Beziehung auf ') In den Entwürfen gestrichen, da hier konkrete Gefahr gefordert wird. — Strafbarkeit aus S t G B § 265 (oben § 140 I I I ) bleibt trotz tätiger Reue bestehen. s ) Nicht, wenn sie ausschließlich durch den Täter bewohnt sind. Ebenso Schwartz § 306 Note 3. Dagegen Alfeld 610, Binding Lehrb. 2 13. *) Darin liegt eine nicht unwesentliche Einschränkung des allgemeinen Ursachenbegriffs (oben § 29 I I ) . Daß der Tod durch die Brandstiftung über-
§ 149-
Brandstiftung und Überschwemmung.
487
den eingetretenen Erfolg ist nicht erforderlich; wenn gegeben, liegt Konkurrenz mit StGB §§ 211 bis 222 vor. b) Wenn die Brandstiftung in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen worden ist, um unter ihrer Begünstigung (also durch eine neue Handlung, nicht durch die Brandlegung selbst) Mord oder Raub (also StGB §§ 249 bis 251, nicht 252 oder 255) zu begehen oder einen Aufruhr zu erregen. c) Wenn der Brandstifter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Löschgerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht hat. Nicht hierher gehört das Trunkenmachen der Löschmannschaften, das Abstellen des Wassers usw. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Daneben ( S t G B § 325) Polizeiaufsicht zulässig. V e r s u c h ist nach allgemeiner Regel (oben § 46 Note 8) möglich.
2. V o r s ä t z l i c h e B r a n d s t i f t u n g m i t ( a b s t r a k t e r ) G e m e i n g e f a h r f ü r E i g e n t u m o d e r L e b e n (StGB § 308). Sie liegt vor, wenn Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Magazine, Warenvorräte, die auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torfmoore in Brand gesetzt werden. Dazu muß eine der beiden folgenden Voraussetzungen treten: a) Die Gegenstände sind fremdes Eigentum. Daher Straflosigkeit nicht nur bei Einwilligung des Eigentümers, sondern auch bei Inbrandsetzen von herrenlosen Sachen, z. B. von verlassenen Gebäuden (wenn nicht wegen Irrtums des Täters untauglicher Versuch vorliegt). b) Die dem Brandstifter eigentümlich gehörenden Gegenstände sind ihrer Beschaffenheit und Lage 5 ) nach geeignet, das Feuer einer der im § 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Neben Zuchthaus (§ 325) Polizeiaufsicht zulässig. — Täter kann auch ein Miteigentümer sein. haupt verursacht worden ist, genügt nicht; sondern gerade die A n w e s e n h e i t in der Räumlichkeit zur Zeit der T a t muß die Ursache des eingetretenen Todes gewesen sein. Dies ist z. B. der Fall, wenn einer der Anwesenden durch einen Sprung aus dem Fenster, durch Schrecken usw. ums Leben kommt; nicht aber, wenn jemand bei Löschungs-, Rettungs- oder Bergungsversuchen, die ihn nach der T a t in die Räumlichkeit geführt oder zurückgeführt haben, den Tod findet. — Die Anwesenheit muß dem Täter bekannt gewesen sein; dagegen Allfeld
610, Frank § 307 I, Schwartz § 307 Note 2, Wachenfeld 515; nach Bimiing
Lehrb. 2 19 ist mindestens Fahrlässigkeit des Täters erforderlich. •) Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände (Windrichtung).
Da-
gegen Frank § 308 1, Olshausen § 308 6, Schwartz § 308 Note 3, Wachenfeld 517.
488
§ 149.
i ' Brandstiftung und Überschwemmung.
3. F a h r l ä s s i g e B r a n d e r r e g u n g ( S t G B § 309), strafbar nur, wenn in der durch die §§ 306 und 308 bezeichneten A r t herbeigeführt. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark; wenn durch den Brand«) der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. 4. Der Brandstiftung ist gleichgestellt ( S t G B § 3 1 1 ) die gänzliche oder teilweise Z e r s t ö r u n g einer Sache d u r c h d e n G e b r a u c h von Pulver oder anderen e x p l o d i e r e n d e n Stoffen (Sprengstoffen).') Doch findet § 3 1 0 S t G B (schon nach seiner Stellung) hier keine Anwendung. 8 ) IV. Die Überschwemmung. Sie ist als besonderes Verbrechen der PGO sowie dem gemeinen Recht fremd. Nur vereinzelt (so Kurpfalz 1582) wird sie in den Landesgesetzen als solches behandelt. Erst die neuere Gesetzgebung (schon ALR 1571) stellt sie, von dem Gesichtspunkte der Gemeingefahr ausgehend, neben die Entfesselung der Naturkraft des Feuers. VE und GE haben sie mit der Brandstiftung zusammengefaßt, K E hat den besonderen Tatbestand wieder hergestellt. Überschwemmung ist die E n t f e s s e l u n g d e r N a t u r k r a f t d e s W a s s e r s . E s genügt demnach nicht jedes Überströmen oder Überrieseln usw , sondern es muß gefordert werden, daß der Täter die Beherrschung der von ihm wachgerufenen Naturkraft nicht mehr in seiner Hand hat. Das R S t G B hat demgemäß das Merkmal der Gemeingefahr in den Begriff der Überschwemmung aufgenommen. Daher muß das Verschulden des Täters (Vorsatz wie Fahrlässigkeit) auch dieses Merkmal umfassen. Strafen: 1. Bei v o r s ä t z l i c h e r Überschwemmung: a) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) für Menschenleben (StGB § 312): Zuchthaus nicht unter drei Jahren; wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen (wenn auch nicht durch Ertrinken) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Der Versuch des schwereren Falles ist unter den bekannten Voraussetzungen (oben § 46 Note 8) möglich. b) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Falle) für das E i g e n t u m (StGB § 313): Zuchthaus; wenn die Absicht des- Täters (im engeren technischen Sinn) nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, Gefängnis nicht unter einem Jahre. Der Versuch bleibt im letzteren Falle straflos (oben § 27 I I I 2). Neben Zuchthaus ist in beiden Fällen Polizeiaufsicht zulässig (StGB § 325). •) D. h. durch das Brennen der in §§ 306, 308 bezeichneten Gegenstände;
R 40 321.
') Vgl. unten § 156. S p r e n g s t o f f e sind Stoffe, deren Entzündung eine gewaltsame Ausdehnung von Flüssigkeiten oder Gasen und damit die Zerstörung ihrer Umhüllung bewirkt. Nicht Stoffe, die anders als durch Entzündung explodieren, also nicht der Wasserdampf. Vgl. R 22 304,48 72. Zahlreiche Strafdrohungen gegen feuergefährliche Handlungen im 29. Abschnitte des StGB. So §§ 367 Ziff. 4 bis 6, 368 Ziff. 3 bis 8, 369 Ziff. 3. •) Dagegen Schwartz § 311 Note 2 (der aber die Stellung des § 311 nicht berücksichtigt).
§ 150.
2. Delikte gegen den Eisenbahn- u. Telegraphenbetrieb.
2. Bei f a h r l ä s s i g e r Überschwemmung mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) f ü r Leben oder Eigentum ( S t G B § 314): Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn durch die Überschwemmung der T o d eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren.
§ 150.
2. Strafbare Handlungen gegen den Eisenbahn- und Telegraphenbetrieb.
Literatur. Zu I : Ullmann V D Bes. T . 9 85, 94. Loock (oben § 128 N o t e 11). Supper D a s deutsche Eisenbahnstrafrecht. Diss. 1893. Kander Die Gefährdung des Eisenbahnbetriebes. Heidelberger Diss. 1908. Klemm Über die Stellung der Eisenbahnen im deutschen S t G B . Leipziger Diss. 190S. Eckstein G A 60 216 (Begriff der Eisenbahn). — Zu I I : Hagemann Z 31 909Weltstein D a s Telegraphenstrafrecht des (schweizer.) E n t w u r f s usw. 1903. — Zu I V : Lautenbacfl Die Strafbarkeit der Beschädigung unterseeischer Telegraphenkabel auf hoher See. Hallische Diss. 1889. Höpfner V D Bes. T . 2 485. I. Gefährdung des Eisenbahnbetriebs (§§ 315, 316). D e r Begriff der E i s e n b a h n ist in dem oben § 128 I I 4 entwickelten Sinne zu nehmen. 1 ) in Fabriken, Bergwerken gestellt werden.
D o c h müssen hier die Privatbahnen
usw.) den öffentlichen Bahnen
gleich-
Gleichgültig ist, ob die B a h n bereits dem Betriebe
übergeben worden ist.
Das
Gesetz verlangt
Transportgefähr-
d u n g ; d a Transport aber den Betrieb auf der B a h n
überhaupt,
nicht nur den einzelnen Eisenbahnzug bedeutet, 2 ) so genügt triebsgefährdung.
Bahnbetrieb
Be-
aber liegt nur vor, wenn er in
der dem Begriff der Eisenbahnen entsprechenden Weise, also durch tote Naturkräfte
(auch Verschieben der Wagen
unter
Benutzung
der Bodenflächenunterschiede) und auf festem Geleise (daher nicht schwebende
Drahtseilbahnen),
vorgenommen
wird.
Beförderung
durch Pferde oder durch Menschenkraft (Kurbelwagen) gehört m i t hin nicht hierher. D a s R S t G B bedroht (von § 316 A b s . 2 abgesehen) die Trans*) Hier übereinstimmend die herrschende Ansicht. Dagegen Binding Lehrb. 2 40. *) Ebenso R , zuletzt 30 179, 3 1 198. Vgl. auch R 5 1 77 (das Werfen v o n Steinen nach dem Lokomotivführer kann Transportgefährdung sein). — V E §§ 183, 184 unterscheidet die (gemeingefährliche) Störung der Betriebssicherheit und die (milder bestrafte) Hinderung des Betriebes. A u c h G E §§ 220 und 222 unterscheidet die Gefährdung von der Verkehrs- und Betriebsstörung, stellt aber dem Eisenbahnbetrieb die Schiffahrt und die Luftschiffahrt gleich. Die am V E vielfach ändernden Bestimmungen des K E sind aus den veröffentlichten Berichten nicht klar erkennbar. Doch scheint den Eisenbahnen nicht nur die Post (nach Ausscheidung der Telegraphen-, Fernsprech- oder Rohrpostanlagen) gleichgestellt zu sein, sondern ebenso jede zur öffentlichen Versorgung mit W a s s e r , Licht, W ä r m e oder K r a f t dienende Anstalt sowie jede staatliche Anstalt, die der Landesverteidigung dient. Verhinderung des B e triebes dieser Anstalten oder Anlagen durch Arbeitseinstellung o d e r böswillige Arbeitsverzögerung ist unter besondere Strafdrohung gestellt, Herbeiführung gemeiner N o t qualifiziert.
§ 150.
2. Delikte gegen den Eisenbahn- u. Telegraphenbetrieb.
portgefährdupg nur dann, wenn sie begangen wird entweder a) durch B e s c h ä d i g u n g von Eisenbahnzubehör (Eisenbahnanlagen, Beförderungsmitteln usw.) oder b) durch B e r e i t u n g von H i n d e r n i s s e n auf der Fahrbahn (nicht durch Hinderung des Lokomotivführers) mittels falscher Zeichen, Signale oder auf andere Weise. Zur V o l l e n d u n g ist im Einzelfalle tatsächliche Gefährdung des Transportes erforderlich, nicht aber die (damit allerdings wohl immer gegebene) Gemeingefährdung von Leben oder Vermögen. In betreff der R e c h t s w i d r i g k e i t gelten die allgemeinen Grundsätze. Notstand, Erfüllung der Amtspflicht usw. schließt die Rechtswidrigkeit aus. Das R S t G B unterscheidet in der B e s t r a f u n g : 1. Die v o r s ä t z l i c h verursachte Gefährdung (§ 315). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung ( S t G B § 224) Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§ 325). Für den V e r s u c h gelten die allgemeinen Grundsätze. Der Vorsatz muß nicht nur die Beschädigung der Anlagen usw., sondern auch die Gefährdung des Transportes mitumfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g verursachte Gefährdung (§ 316). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark; 3 ) bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit muß sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die verursachende Handlung (Beschädigung der Anlagen usw.) vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen kann. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Aufsicht über die Bahn und (oder!) den Beförderungsbetrieb a n g e s t e l l t e n P e r s o n e n , wenn sie durch V e r n a c h l ä s s i g u n g d e r i h n e n o b l i e g e n d e n P f l i c h t e n einen (bestimmten) Transport in Gefahr setzen. Verursachung der Gefährdung durch Beschädigung der Anlagen usw. ist also nicht erforderlich. In betreff der Fahrlässigkeit gilt das oben Gesagte; sie muß sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die Pflichtvernachlässigung eine vorsätzliche oder fahrlässige sein kann. 1 )
II. Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage (G vom 13. Mai 1891). 5 ) T e l e g r a p h e n a n l a g e n sind die dauernden (elektrischen, optischen usw.) Vorrichtungen, welche die von ihnen beförderte Mit3)
Die Geldstrafe ist zugefügt durch G vom 27. Dezember 1899. Anders die gem. Meinung, die von jedem Verschulden absehen will. So auch R 12 203. Vgl. oben § 36 Note 10. Wieder andere, wie Hälschner 2 648, Ullmann 88, rechnen nur fahrlässige Pflichtverletzung hierher. Richtig Allfeld 614, Binding Lehrb. 2 45, Supper 54. Nach R 22 163 muß zwar die Pflichtvernachlässigung vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt sein, braucht aber die Transportgefährdung nicht vorhersehbar gewesen zu sein. Ebenso Beling Z 18 298, Frank § 316 I, Schwartz § 316 Note 3. — Die Entwürfe haben die unklare Bestimmung völlig gestrichen. • s ) Von V E § 185 im wesentlichen übernommen, von G E § 222 unter den allgemeinen Begriff der Betriebsstörung gebracht, von K E wieder in einen besonderen Paragraphen gestellt. 4)
§ 150.
2. Delikte gegen den Eisenbahn- u. Telegraphenbetrieb.
teilung nicht in ursprünglicher d u k t i o n überliefern.
G e s t a l t , sondern in einer
Repro-
O b die A n l a g e eine ober- oder unterirdische
oder aber eine unterseeische ist, o b sie m i t oder ohne Drahtleitung arbeitet, bleibt gleichgültig.
Die
Rohrpost-
und
Fernsprech-
a n l a g e n , von denen diese, aber n i c h t jene, unter den Begriff der Telegraphenanlage
fallen, sind d u r c h
drücklich gleichgestellt worden.
§ 318a
(G von
1891)
aus-
O b die Anlagen öffentliche oder
private sind, ist gleichgültig; doch müssen sie öffentlichen Zwecken dienen, d. h. für den
Gebrauch oder den N u t z e n des
oder aber des Staates b e s t i m m t sein.
Publikums
Die H a n d l u n g ist (G v o n
1891) näher dahin bestimmt, d a ß Teile oder Zubehörungen der A n lage beschädigt oder Veränderungen daran vorgenommen sein müssen. Abschneiden der Leitungsdrähte, Umbrechen der Stangen usw. g e hört daher hierher; nicht aber e t w a die Verhinderung der B e a m t e n an der Erfüllung ihrer Dienstpflicht. Die T a t ist erst vollendet, wenn der Betrieb tatsächlich verhindert oder gefährdet worden ist.
Ge-
m e i n g e f ä h r d u n g im Einzelfalle ist begrifflich nicht erforderlich, wird aber wc»hl meist gegeben sein. dung des P o s t b e t r i e b e s
ist im
Die Verhinderung oder Gefährübrigen n i c h t durch
besondere
Strafdrohung geschützt. In der Bestrafung unterscheidet das Gesetz: 1. Die v o r s ä t z l i c h e (und rechtswidrige) Begehung ( S t G B § 317). S t r a f e : Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Der Vorsatz m u ß die Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes mitumfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g e Begehung (§ 318). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. Die Fahrlässigkeit m u ß Verhinderung oder Gefährdung mitumfassen, während die Verursachungshandlung selbst vorsätzlich oder fahrlässig begangen sein kann. Die zu 2 bezeichnete Strafe t r i f f t die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Telegraphenanlagen und ihrer Zubehörungen a n g e s t e l l t e n Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung •) den Betrieb verhindern oder gefährden. I I I . Für beide Fälle (1 und 2) droht das Gesetz eine eigentümliche (von den Entwürfen fallengelassene) Nebenstrafe an. E s können nämlich die wegen einer der (in den §§ 315 bis 318, nicht 318a) angeführten Handlungen verurteilten Angestellten zugleich für (dauernd) u n f ä h i g zu einer Beschäftigung i m Eisenbahn- oder Telegraphendienste (nicht im Rohrpostdienste) oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste erklärt werden ( S t G B § 319). Die V o r s t e h e r der Eisenbahngesellschaft 7 ) oder einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt, die nicht sofort nach Mitteilung des rechtskräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewirken, werden m i t Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft ( S t G B § 320). Vorsatz ist nicht erforderlich, Fahrlässigkeit genügt. •) V g l . N o t e 4. ') Zwischen Privatgesellschaften und Staatsbahnen besteht in dieser Beziehung kein Unterschied. So die gem. Meinung. D a g e g e n Frank § 320, Otshausen § 820 2, Schwartz § 320 N o t e 1.
492
§ 151.
3- Beschädigung von Wasserbauten usw.
bleiche Strafe trifft denjenigen, der für unfähig zum Eisenbahn- oder Telegraphendienste erklärt worden ist, wenn er sich nachher bei einer Eisenbahn- oder Telegraphenanstalt wiederanstellen läßt; sowie diejenigen, die ihn wiederangestellt haben, obgleich ihnen die erfolgte Unfähigkeitserklärung bekannt war.8)
IV. Das deutsche Ausführungsg. vom 21. November 1887 (RGBl 1888 S. 169) zu dem internationalen Vertrag über den Schutz der unterseeischen Kabel von 1884 (oben § 21 I 2) bedroht in § 2 mit einer Vergehensstrafe (Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten) alle Zuwiderhandlungen gegen die in Art. 5 und 6 des Vertrages zum Schutze der Kabelschiffe und ihrer Tätigkeit vereinbarten Bestimmungen. § 151.
3. Beschädigung von Wasserbauten usw.; Gefährdung des Schiffahrtsbetriebes.
Literatur. Ulimann VD Bes. T. 9 101, 113. Pereis Strandungsdelikte im deutschen Recht (V. Lil. Heft 17) 1898.
1.1. Zerstörung oder Beschädigung (oben § 132 II 2) a) von (Wasserleitungen, Schleusen, Wehren, Deichen, Dämmen oder anderen) Wasserbauten; b) von (wenn auch nicht öffentlichen) Brücken, Fähren, Wegen, Schutzwehren; c) von Bergwerksvorrichtungen zur Wasserhaltung, Wetterführimg, zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter; 2. Störung des Fahrwassers (nicht nur der ungehinderten Fahrt) in schiffbaren (nicht in nur flößbaren) Strömen, Flüssen oder Kanälen (nicht in Binnenseen oder Küstenmeeren). Die Strafbarkeit ist in allen angeführten Fällen dadurch bedingt, daß durch die Handlung G e f a h r f ü r L e b e n oder G e s u n d h e i t a n d e r e r herbeigeführt wurde (Gemeingefahr ist nicht erforderlich; Gefährdung des Vermögens nicht genügend). a) V o r s ä t z l i c h begangen (StGB § 321). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB § 224) Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325), Der Vorsatz muß auch die Herbeiführung der Gefahr umfassen.1) Der schwerere Erfolg ist dagegen lediglich Bedingung der höheren Strafbarkeit. b) F a h r l ä s s i g begangen (§ 326). S t r a f e : Bei Verursachung eines Schadens Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit muß, wie oben der Vorsatz, auch die Herbeiführung der Gefahr in sich schließen. Verursachung 8 ) Damit ist auch der Fall getroffen, wenn jemand, der „in einem bestimmten Zweige dieser Dienste" für unfähig erklärt wurde, in dem betreffenden Dienste nachher wiederangestellt wird. ») Ebenso Allfeld 616, Binding Lehrb. 2 57, Frank § 321 I I ; R 35 53.
§ IS 1 -
3- Beschädigung von Wasserbauten usw.
493
eines Schadens, d. h. Entwicklung der Gefahr zur Verletzung „an Leben oder Gesundheit anderer",2) ist Bedingung der Strafbarkeit.
II. Strafbare Handlungen an Schiffahrtszeichen, d . h. a n F e u e r -
und anderen Zeichen, die zur Sicherung der Schiffahrt (See- oder Flußschiffahrt) angebracht sind (auch schwimmende Zeichen); ünd zwar: i . B e s e i t i g u n g eines solchen Zeichens (Zerstören, Wegschaffen, Unbrauchbarmachen, Auslöschen, dienstpflichtwidriges Nichtaufsteilen); 2. A u f s t e l l e n e i n e s f a l s c h e n Zeichens, insbesondere nächtliches Anzünden von Feuer auf der Strandhöhe, das die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt). N a c h t z e i t umfaßt hier (anders oben § 128 Note 14) die Zeit der Dunkelheit, also die Stunden von Sonnenuntergang bis zum Wiederaufgang der Sonne. V o l l e n d e t mit der Beseitigung oder Aufstellung, auch wenn, ehe eine Gefahr eintrat, der frühere Zustand wiederhergestellt wird. zehn unter nicht nach
a) V o r s ä t z l i c h begangen ( S t G B § 322). S t r a f e : Zuchthaus bis zu Jahren; bei Verursachung der Strandung eines Schiffes Zuchthaus nicht fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen Zuchthaus unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht Ermessen (§ 325). b) F a h r l ä s s i g begangen (§ 326). Begriff und Strafe wie oben zu I b .
III. Bewirkung des Strandens oder Sinkens eines Schiffes, wenn
dadurch Gefahr für das Leben eines anderen herbeigeführt wird (Gemeingefährdung nicht erforderlich. 3 ) Der Erfolg kann durch die Mittel des § 322 verursacht sein; aber auch andere Mittel (Höllenmaschine, Fälschung der Schiffskarten usw.) genügen. 4 ) Durch mangelnde Rechtswidrigkeit wird hier wie sonst die Strafbarkeit ausgeschlossen. 1. V o r s ä t z l i c h begangen ( S t G B § 323). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). Idealkonkurrenz mit S t G B § 322 Abs. 2 möglich. Täter kann auch eine nicht an Bord des Schiffes befindliche Person sein. 2. F a h r l ä s s i g begangen (§ 326). Begriff und Strafe wie oben zu I b . Vorsatz wie Fahrlässigkeit müssen die Herbeiführung der Gefahr mitumfassen.6) ') R 8 2x8 rechnet auch Schaden an Eigentum hierher. Ebenso AUfeld 616, Schwartz § 326 Note 1. Für den T e x t : Binding Lehrb. 2 56, Frank § 326. 3) Vollständiges Versinken des Schiffes ist nicht erforderlich; R 35 399. «) Zweifellos unrichtig Schwartz § 323 Note 1. *) V E § 186 hat den einheitlichen Tatbestand der (gemeingefährlichen) Störung der Sicherheit der Schiffahrt aufgestellt und die Beschädigung der Wasserbauten in den allgemein gehaltenen (an § 305 S t G B anknüpfenden) | 181 aufgenommen. Die „Schiffsstrandung" steht in V E § 191. G E §§ 220 und 222 deckt die Tatbestände durch seine allgemeinen Begriffe Verkehrsgefährdung und Betriebsstörung (oben § 150 Note 2). K E hält in der Hauptsache an V E fest.
§ 152.
§
152.
4- Strafbare Handlungen in bezug auf ansteckende Krankheiten.
4. Strafbare Handlungen in bezug auf ansteckende Krankheiten.
Literatur. Kitzinger VD Bes. T. 9 145. Hälschner 2 677. Keller GA45 249. Stenglein Nebengesetze 1 672 (Galli), 842 (Ebermeyer). U m die v o m Gesetzgeber als „ g e m e i n g e f ä h r l i c h " zusammengefaßten Vergehen in d e r D a r s t e l l u n g nicht auseinanderzureißen, seien a n dieser Stelle a u c h die §§ 327 u n d 328 erwähnt, o b w o h l sie teils wegen ihres unlöslichen inneren Zusammenhanges m i t anderen Reichsgesetzen, teils wegen ihrer Eigena r t als Blankettstrafgesetze, insbesondere aber weil sie b e s t i m m t e , e i n z e l n e A n o r d n u n g e n i m A u g e haben, systematisch richtiger zu den strafbaren H a n d l u n g e n gegen die G e s u n d h e i t s p o l i z e i (unten § 189) gestellt würden. VE §§ 193, 194 wiederholt d a s geltende R e c h t ; G E §§ 224, 225 h a t die Seuchengesetze eingearbeitet, K E neben den Tierseuchen a u c h die Pflanzenseuchen g e n a n n t , während G E § 225 nur das Reblausg. v o n 1904 eingearbeitet hatte. — Ü b e r den Schutz gegen G e s c h l e c h t s k r a n k h e i t e n v g l . oben § 80 N o t e 2 u n d unten § 186. D e r E n t w u r f von 1918 hat das Schwergewicht auf ärztliche Ü b e r w a c h u n g und soziale Hilfe gelegt. Über die v o m Reichstagsauss c h u ß aufgenommene und in die Verordnung zur B e k ä m p f u n g der Geschlechtsk r a n k h e i t e n v o m 11. D e z e m b e r 1918 übergegangene Zwangsbehandlung vgl.
Mittermaier
Z 39 580 (für sie) und Finger
GS 86 278 (gegen sie).
I. S t G B § 327 bedroht die wissentliche Verletzung der Absperrungs- oder Aufsichtsmaßregeln oder Einfuhrverbote, die von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit1) angeordnet werden. Nur A n o r d n u n g e n der Behörden (auch der Ortspolizei), nicht aber Gesetze 2 ) oder Rechtsverordnungen gehören hierher; aber auch jene Anordnungen nur, wenn sie unter die im Gesetze aufgezählten Begriffe fallen (nicht andere, dem gleichen Zwecke dienende Maßnahmen). Die Anordnung muß mithin mit Rücksicht auf eine bestimmte, bereits ausgebrochene oder drohende Krankheit erlassen werden oder in K r a f t treten. 3 ) Der Vorsatz des Täters muß die Kenntnis dieser Anordnungen umfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren oder (seit der Novelle v o n 1912) Geldstrafe bis zu zweitausend M a r k ; wenn infolge der Verletzung ein Mensch v o n der K r a n k h e i t ergriffen worden, Gefängnis v o n drei Monaten bis zu drei Jahren.
II. § 328 bedroht die wissentliche Verletzung der Absperrungs') D . h. einer f ü r M e n s c h e n ansteckenden K r a n k h e i t , m a g sie a u c h zun ä c h s t Tiere befallen. Idealkonkurrenz m i t § 328 mithin nicht ausgeschlossen. ») D a g e g e n R 27 357, 3 1 380, 35 243, Verein. Strafsenate 87 178 (für § 328); aber lediglich m i t B e r u f u n g auf den (dem klaren W o r t l a u t des Gesetzes gegenüber jedoch n i c h t ausschlaggebenden) Z w e c k der B e s t i m m u n g . R i c h t i g Kitzinger 147. Frank § 327 I I l ä ß t die F r a g e offen. A b w e i c h e n d Allfeld 619. K E entscheidet die F r a g e im Sinne der reichsgerichtlichen R e c h t sprechung. 8 ) Übereinstimmend R 1 7 72 (zu § 328). D a g e g e n Allfeld 619, Frank
§ 327 II, Kitzinger
146, Schwartz
§ 327 Note 3; R 37 178 (190), 44 149.
§ 'SS-
5- Vergiftung von Brunnen und Gebraucbsmitteln.
495
oder A u f s i c h t s m a ß r e g e l n oder E i n f u h r v e r b o t e , die v o n der z u s t ä n digen B e h ö r d e zur V e r h ü t u n g d e s E i n f ü h r e n s o d e r V e r b r e i t e n s v o n Viehseuchen4) a n g e o r d n e t s i n d . D e r T a t b e s t a n d dieses V e r g e h e n s d e c k t s i c h i m ü b r i g e n v o l l s t ä n d i g m i t d e m des § 3 2 7 ; es sind d a h e r d i e o b e n z u I a u f g e s t e l l t e n G r u n d s ä t z e a u c h hier z u r A n w e n d u n g z u b r i n g e n . S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder (seit der Novelle von 1912) Geldstrafe bis zu eintausend Mark; wenn infolge der Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren.
§
153.
Literatur.
5. Vergiftung v o n B r u n n e n und
Gebrauchsmitteln.
Kitzinger VD Bes. T. 9 119.
I. Geschichte. Die Selbständigkeit der Vergiftung von Brunnen und Weiden gegenüber der einfachen Vergiftung beruht (oben § 91 I) auf den Sächsischen Konstitutionen 4 18, welche die Strafe des Feuertodes androhen. Dieselbe Auffassung vertritt auch die gemeinrechtliche Landesgesetzgebung (so Kurpfaiz 1582, Preußen 1620). Im neueren Recht bildet das Verbrechen den unmittelbaren Übergang zu der Fälschung von Nahrungsmitteln und verwandten Gegenständen (unten § 157). V E § 192 wiederholt im wesentlichen das geltende Recht. Ebenso GE § 218 und K E . II. D e r § 324 S t G B b e d r o h t : 1 . D i e vorsätzliche Vergiftung (vgl. o b e n § 91) a) v o n B r u n n e n o d e r W a s s e r b e h ä l t e r n , d i e z u m G e b r a u c h e a n d e r e r (d. h . z u r W a s s e r g e w i n n u n g f ü r d e n persönl i c h e n G e b r a u c h v o n Menschen, a l s o n i c h t e t w a a l s B e t r i e b s m i t t e l , zur Wäsche, Viehtränke, Fischzucht usw.) d i e n e n ; b) v o n Gegenständen, die zum öffentlichen Verk a u f e o d e r V e r b r a u c h e (also ohne i n d i v i d u e l l e B e s t i m m u n g und Begrenzung der Abnehmer) b e s t i m m t s i n d . 2. D a s wissentliche Inverkehrbringen1) solcher vergifteter Sachen m i t V e r s c h w e i g u n g dieser E i g e n s c h a f t . 2 ) A b s t r a k t e G e m e i n g e f ä h r d u n g genügt. S t r a f e der v o r s ä t z l i c h e n Begehung (StGB § 324): Zuchthaus bis zu zehn Jahren: bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). Bei f a h r l ä s s i g e r Begehung tritt die oben § 151 I b angegebene Strafe ein (StGB § 326).
*) § 328 ist durch das Viehseucheng. (unten § 189 IV 4) nicht aufgehoben, aber vielfach eingeschränkt worden, da die Bestimmungen dieses Gesetzes als die besonderen vorgehen; vgl. R 47 110. *) „Inverkehrbringen" bezeichnet jede, auch die unentgeltliche, Überlassung an einen anderen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch oder Verbrauch; insbes. auch das Verkaufen (Veräußern) sowie das „Feilhalten", d. h. das Bereitstellen zum Verkauf. Vgl. auch unten § 159 I 2. *) Also nicht bei Mitteilung an den gewissenlosen Zwischenhändler.
§ 154-
§ 154.
6. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.
6. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.
Literatur. Kitzinger V D Bes. T. 9 169. — Laß D a s Delikt gegen die Kriegsmacht des Staates nach § 329 S t G B 1888 (Abhandlgn. des kriminalist. Seminars zu Marburg 1 2. Heft). Löber Über strafbare Nichterfüllung von Lieferungsverträgen usw. Göttinger Diss. 1889. Marcuse Über den Bruch von Lieferungsverträgen (§ 329 S t G B ) . Rostocker Diss. 1917. — Sickel (Lit. zu § 135) 174. I. Geschichte. Abweichend von den sonst festgehaltenen Grundsätzen (oben § 135), hat das R S t G B in § 329 unter gewissen Voraussetzungen den B r u c h der m i t einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge unter Strafe gestellt. Die Bestimmung entstammt dem Code pénal (Art. 430 bis 433), der aber nur Lieferungen für die Militärverwaltung unter seinen Schutz stellte. Preußen (1851) schloß sich an, indem es auch Lieferungen aus Anlaß eines Notstandes heranzog, und aus ihm ging die Strafdrohung in das Reichsrecht über. V E § 107 hat den ersten Fall zum Landesverrat gestellt, den zweiten gestrichen. Ebenso G E § 119. K E dagegen kehrt zu dem geltenden R e c h t zurück und bestraft auch den, der einen mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsvertrag über Lebens- oder sonstige Unterhaltsmittel nicht erfüllt und dadurch die Abwendung oder Beseitigung gemeiner Not verhindert.
II. Strafbar ist nach R S t G B § 329 die Nichterfüllung von mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträgen a) ü b e r B e d ü r f n i s s e
des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges oder b) über Lebensmittel zur Beseitigung oder Abwendung eines Notstandes. L i e f e r u n g s v e r t r ä g e sind Verträge über Sachleistungen, nicht über Arbeitsleistungen, z. B. über die Beförderung von Truppen oder Lebensmitteln (wohl aber über Gestellung von Transportmitteln). 1 ) Die B e h ö r d e (über den Begriff vgl. oben § 97 Note 3) m u ß eine deutsche, kann aber eine staatliche oder kommunale sein. Selbständige Kriegsgesellschaften fallen nicht unter den Begriff. N i c h t e r f ü l l u n g umfaßt neben der im Gesetz allein erwähnten nicht rechtzeitigen und nicht ordnungsmäßigen Erfüllung auch die vollständige Nichterfüllung. Nicht strafbar ist die Nichteinhaltung von Nebenabreden (etwa über die Höhe der Arbeitslöhne) bei erfolgter vertragsmäßiger Lieferung. 2 ) Die V o l l e n d u n g tritt mit der Fälligkeit der Leistung ein. a ) Der Vertragsbruch der Armeelieferanten.
Nur
Lieferungen
für d e u t s c h e Streitkräfte stehen in Frage; diese aber auch dann wenn die deutschen Truppen auf fremdem Staatsgebiet stehen Streitkräfte der Bundesgenossen sind nicht geschützt, 3 ) soweit sie nicht mit den deutschen eine einheitliche Formation bilden. Herstellung von Räumlichkeiten: R 4 9 94. •) R 5 0 316. ®) Abweichend Binding Lehrb. 2 108, Frank § 329 I , Schwartz § 32g Note 3. Richtig Marcuse 17, Wachenfeld 525.
§ 155-
7- Verletzung der Regeln der Baukunst.
497
Ist durch die Nichterfüllung der deutschen Kriegsmacht Nachteil zugefügt, so liegt zugleich § 89 S t G B vor; § 73 findet Anwendung. b) Der Vertragsbruch des Notstandslieferanten. Notstand ist das Bedürfnis eines nicht geschlossenen Kreises von Menschen nach Unterhaltsmitteln (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung usw.). Das Gesetz erwähnt aber nur die Lieferungsverträge über Lebensmittel. Der Notstand kann durch Mißernte, Überschwemmung, Volksseuchen oder durch andere Ursachen herbeigeführt sein. Der Notstand muß innerhalb des Deutschen Reiches (mit Einschluß der Kolonien) entstanden sein. Strafe: 1. Bei v o r s ä t z l i c h e r B e g e h u n g : Gefängnis nicht unter sechs Monaten; Ehrverlust nach Ermessen. Abstrakte Gemeingefahr genügt. Der Vorsatz muß auch die Bestimmung der Lieferung mitumfassen. Er kann, braucht aber nicht, schon bei Abschluß des Vertrages vorhanden gewesen sein; maßgebend ist aber der Zeitpunkt der Nichterfüllung. 2. Bei f a h r l ä s s i g e r Begehung, d. h. fahrlässiger Nichterfüllung des Vertrages, während Kenntnis der Bestimmung der Lieferung auch hier erforderlich ist: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Doch ist die Strafbarkeit b e d i n g t dadurch, daß ein „Schaden" verursacht worden, d. h. Bedürfnisse des Heeres oder der Marine nicht befriedigt oder der Notstand nicht abgewendet oder beseitigt wurde.4) T ä t e r ist der Lieferant, der den Vertrag abgeschlossen hat. Das Gesetz dehnt die Täterstrafe aber auch aus auf U n t e r l i e f e r a n t e n , V e r m i t t l e r und B e v o l l m ä c h t i g t e des L i e f e r a n t e n , die mit Kenntnis des Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen.')
§ 155. 7. Verletzung der Regeln der Baukunst. Literatur.
Neumeyer VD Bes. T. 9 179. Loening HSt (3. Aufl.) 2 712.
Die Herbeiführung einer Gefahr für andere durch Verletzung der allgemein 1 ) anerkannten Regeln der Baukunst bei Ausführung oder Leitung eines Baues 2 ) wird vom R S t G B unter den gemeingefährlichen Vergehen bedroht (§ 330).3) Nach der Fassung des Gesetzes kann Gemeingefahr nicht gefordert werden. Gefährdung der Bauarbeiter genügt. Die Gefahr muß ferner in dem gegenwärtigen Zustand des Bauwerkes begründet, darf nicht erst von künftig eintretenden Ereignissen (z. B. Weiterbau) abhängig sein. T ä t e r ist der Bau*) Übereinstimmend Binding Lehrb. 2 101, Frank § 329 IV, Laß 52, Marcuse 25; R 48 95,60 102, RMilG 20 220. Nach Allfeld 620, Schwartz § 329 Note 4 genügt Vermögensschaden. ') Angestellte können aber Teilnehmer sein. Vgl. Ebermayer Leipziger Z U 720. l ) Nicht bloß in besonders ausgebildeten Kreisen R 44 76. ") Jede Bautätigkeit gehört hierher, Hoch- wie Tiefbauten, Wasser- und Bergbauten (R 23 277), die Aufführung, das Umgestalten, das Abbrechen von Gebäuden (R 25 90, 28 318,31 180 gegen R 21 142); nicht aber die Anlage einer selbständigen Sandgrube, R 47 426. — Vgl. auch StGB § 367 Ziff. 13 bis 15. ') Übernommen von den Entwürfen. T. L i n t , Stnfrecht. ai. Aull. 32
§ 156.
498
Mißbrauch von Sprengstoffen.
l e i t e r , n i c h t der B a u h e r r . V o r s a t z ist n i c h t erforderlich, F a h r l ä s s i g k e i t g e n ü g t ; b e i d e m ü s s e n die G e f a h r umfassen. S t r a f e : G e l d s t r a f e b i s zu n e u n h u n d e r t M a r k oder G e f ä n g n i s bis zu einem J a h r e .
II. Mißbrauch von Sprengstoffen. § 156. Literatur. Ullmann V D B e s . T . 9 6 7 . — Lenz Z 1 6 1. Hoffmann Eine s y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g d e r n a c h d e m S p r e n g s t o f f g e s e t z e v o m usw. s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n . E r l a n g e r Diss. 1897. Stenglein Nebengesetze 1 3 2 4 ( G a l l i ) . I. Geschichte. D a s d u r c h d a s Umsichgreifen a n a r c h i s t i s c h e r U n t e r n e h m u n g e n v e r a n l a ß t e G v o m 9 . J u n i 1884 (nachgeschrieben d e m e n g l i s c h e n G v o n 1883) g e g e n d e n v e r b r e c h e r i s c h e n u n d g e m e i n g e f ä h r l i c h e n G e b r a u c h v o n S p r e n g s t o f f e n h a t eine Anzahl neuer V e r g e h u n g e n g e s c h a f f e n , die a m z w e c k m ä ß i g s t e n a n dieser S t e l l e i m Z u s a m m e n h a n g e b e h a n d e l t werden, o b w o h l sie zum T e i l g e w e r b e p o l i z e i l i c h e r N a t u r sind (Vereitelung d e r s t a a t l i c h e n Aufsicht), zum T e i l a n d e r e n Verbrechensbegriffen (öffentlicher A u f f o r d e r u n g , N i c h t a n z e i g e ) sich anschließen. D a ß das M i t t e l des A n g r i f f s d a s W e s e n dieser V e r g e h u n g e n und d a m i t ihre Stellung i m S y s t e m e des B e s o n d e r e n T e i l e s b e s t i m m t , d ü r f t e gerade hier in u n b e s t r e i t b a r e r W e i s e h e r v o r t r e t e n . B e d a u e r l i c h i s t die überaus s c h l e c h t e F a s s u n g des Gesetzes, d a s V E u n d K E leider u n b e r ü h r t gelassen h a b e n , während es in G E § 2 1 5 e i n g e a r b e i t e t i s t .
II. Die strafbaren Handlungen. 1. Die v o r s ä t z l i c h e Gefährdung von Eigentum, Gesundheit oder Leben eines anderen durch Anwendung von Sprengstoffen (§ 5)-1) Selbstgefährdung genügt nicht. Gefahr im Einzelfall und Bewußtsein davon erforderlich. S t r a f e : Zuchthaus. D i e s e S t r a f e i s t a u c h bei Zerstörung d e r S a c h e t r o t z § 3 0 8 S t G B a n z u w e n d e n . B e i V e r u r s a c h u n g einer schweren K ö r p e r v e r l e t z u n g Z u c h t h a u s n i c h t u n t e r fünf J a h r e n , bei V e r u r s a c h u n g des T o d e s e i n e s M e n s c h e n Z u c h t h a u s n i c h t u n t e r zehn J a h r e n o d e r lebenslängliches Z u c h t h a u s (§ 5 A b s . 2). V e r s u c h i s t m ö g l i c h (oben § 4 6 N o t e 8). I s t d u r c h die H a n d l u n g d e r T o d eines M e n s c h e n h e r b e i g e f ü h r t worden, u n d h a t der T ä t e r einen solchen E r f o l g v o r a u s s e h e n k ö n n e n , so i s t auf T o d e s s t r a f e zu e r k e n n e n (§ 5 A b s . 3). 8 )
2. D y n a m i t v e r s c h w ö r u n g tungshandlungen. a) K o m p l o t t
und B a n d e
sowie
andere
Vorberei-
(oben § 4 9 I V 1) werden als s e l b s t ä n d i g e
) Ü b e r d e n B e g r i f f d e s S p r e n g s t o f f e s vgl. o b e n § 1 4 9 N o t e 7 . E r m u ß a b e r hier als S p r e n g m i t t e l v e r w e n d e t w e r d e n ; V e r w e n d u n g als S c h i e ß m i t t e l (§ 1 A b s . 3 d e s G) f ä l l t n i c h t u n t e r § 5. ' ) D a s G e s e t z s e t z t also T o d e s s t r a f e auf f a h r l ä s s i g e T ö t u n g . Ebenso Aufeld 6 r 3 , Binding L e h r b . 2 2 4 , Wachenfeld 518. Andre verlangen grobe F a h r l ä s s i g k e i t , a n d r e u n b e s t i m m t e n V o r s a t z . W i e d e r a n d e r s die B e g r ü n d u n g d e s Gesetzes. G e g e n d i e B e s t i m m u n g (wie gegen die F e h l e r d e s G e s e t z e s überh a u p t ) Seuffert S t G 1 40. x
§ 156.
Mißbrauch von Sprengstoffen.
499
Verbrechen, auch ohne daß der Entschluß der Verübung des Verbrechens durch Handlungen, die den Anfang der Ausführung enthalten, betätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft (§ 6). Strafbarer Versuch ist ausgeschlossen (oben § 46 Note 10). Durch Ausführung der verabredeten Handlung wird die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung nach allgemeiner Regel (oben § 56 I I 2) konsumiert. b) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t oder (wissentlich) in seinem B e s i t z h a t , in der A b s i c h t , durch ihre Anwendung Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines anderen entweder selbst herbeizuführen oder andere Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft (§ 7 Abs. 1). — Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend, daß diese zur Begehung eines in dem § 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andere Personen überläßt (§ 7 Abs. 2). c) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t , (wissentlich) in seinem B e s i t z e hat oder an andere P e r s o n e n ü b e r l ä ß t unter Umständen, die nicht erweisen, daß dies zu einem erlaubten Zweck (im Gegensatz zu den Zwecken des § 5) geschieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Diese Bestimmung findet auf die gemäß § 1 Abs. 3 vom Bundesrat bezeichneten Stoffe (Schießmittel) keine Anwendung (§ 8). 3. V e r l e t z u n g d e r g e w e r b e p o l i z e i l i c h e n A n o r d n u n g e n (betr. Überwachung der Herstellung, des Vertriebes, des Besitzes, der Einführung usw. von Sprengstoffen). S t r a f e (ohne Rücksicht auf den vom Täter verfolgten Zweck): Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren (§ 9 Abs. 1). 4. ö f f e n t l i c h e A u f f o r d e r u n g z u r Ü b e r t r e t u n g des G e s e t z e s , s o w i e d e r e n A n p r e i s u n g („Glorifizierung"). Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Daxstellungen oder wer in S c h r i f t e n oder ä n d e r e n D a r s t e l lungen 8 ) zur Begehung einer der in den §§ 5 und. 6 bezeichneten strafbaren Handlungen oder zur Teilnahme an ihnen auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft (§ 10 Abs. 1). Gleiche Strafe trifft den, der auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Abs. 1 gedachten strafbaren Handlungen insbesondere dadurch a n r e i z t oder v e r l e i t e t (oben § 51 Note 5), daß er sie anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt (§ 10 Abs. 2). Die Anpreisung („agitatorische Glorifizierung") allein genügt also nicht; sie muß Mittel der Anreizung oder Verleitung sein („provokatorische Glorifizierung"). Bei Verleitung, nicht aber bei Anreizung, tritt erst mit der gelungenen Bestimmung eines anderen die Vollendung ein. 5. N i c h t a n z e i g e (unten § 1 8 4 IV). Der Strafe des § 139 R S t G B verfällt, wer von dem Vorhaben eines der in den §§ 5, 6, 7 vorgesehenen Delikte in glaubhafter Weise Kenntnis erhält 3 ) Vgl. unten § 175 I I I 2. Mit den durch den Druck hervorgehobenen Worten ist der Begriff der ö f f e n t l i c h e n Aufforderung überschritten. Der § 10 bestraft also in der Tat die versuchte Anstiftung zur Teilnahme an der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens.
32»
§ 157-
Die Warenfälschung.
und es unterläßt, der bedrohten Person oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen (§13).*) I I I . Nebenstrafen und objektive Mafiregeln. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t erkannt werden. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und in dem Falle einer Anwendung der Strafvorschriften des § 9 ist auf E i n z i e h u n g der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten und bestimmten Gegenstände, sowie der im Besitze des Verurteilten vorgefundenen Vorräte von Sprengstoffen zu erkennen, o h n e U n t e r s c h i e d , ob.diese dem Verurteilten gehören oder nicht (§ 11). • IV. Endlich dehnt das Gesetz die Bestimmungen in § 4 Abs. 2 Nr. x S t G B (Strafbarkeit der im Auslande begangenen strafbaren Handlungen) auf die in §§ 5, 6, 7, 8 und 10 des Sprengstoffg. vorgesehenen Verbrechen aus (§ 12).
III. Die Warenfälschung. § 157. Literatur. Hegler, Kitzinger VD Bes. T. 7 535, 9 124- Stenglein Nebengesetze 1 624 (Galli). — Zu I I I : Die Vorarbeiten zu dem Gesetze in GA 27. Kommentierte Ausgaben von Meyer und Finkelnburg 2. Aufl. 1885; Lebbin 1900; Katz 1895. Reiffei GA 39 109. Damme GS 45 125. Liebermann GS 61 394. Schuchhardt Die Straf Satzungen des deutschen Nahrungsmittelrechts (1912). Geschichtliches bei Elben Zur Lehre von der Warenfälschung 1881. — Zu IV und V : Die Ausgaben von Haas 1887 mit Materialien. — Z u V I : Kommentare von Zoeller 1909, Lebbin 2. Aufl. 1909, Günther und Marschner 1910, Hofacker 1914. — Zu I X : Fleischmann Das Margarineg. usw., 1898. I. Allgemeines. Die Strafbarkeit der Warenfälschung, die heute auf dem G vom 14. Mai 1879 (abgeändert 29. Juni 1887) betreffend den Verkehr mit Nahrungs-, Genuß-, Gebrauchsmitteln beruht, bildet die Brücke von den gemeingefährlichen Verbrechen zu den Fälschungen. Mit j e n e n teilt sie die Richtung gegen Leib und Leben sowohl wie gegen das Vermögen einerseits und die Heranziehung der Naturkräfte andererseits, die freilich nicht mit imponierender Gewalt, aber dafür um so sicherer das Werk der Zerstörung vollenden; mit d i e s e n die eigenartige H a n d l u n g , das Fälschen und Verfälschen, die mißbräuchliche Herstellung oder Veränderung gewisser im Verkehr anerkannter Formen. Wenn es demnach auch eine systematisch berechtigte Gruppe der Fälschungsvergehen gäbe, so würde doch die Warenfälschung (wenigstens die der Reichsgesetzgebung) eine besondere Stellung neben dieser beanspruchen dürfen. I I . Geschichte. Die Waxenfälschung spielt schon im deutschen Mittelalter ihre Rolle. Die Stadtrechte enthalten vielfache Strafdrohungen gegen die Fälschung von Gold- und Silberwaren, von Tuch und Seide, von Speisen und Getränken. Selbst die Todesstrafe findet sich ( Z 1 0 242). Auch die Polizeiordnungen im Reich wie in den Einzelstaaten beschäftigen sich mit verwandten Vergehen. Art. 113 der PGO bedroht mit peinlicher Strafe, gegebenenfalls mit dem Tode, den, der „böslicher und gefährlicher Weise Maß, Wage, Gewicht, •) Man beachte die Abweichungen von der Fassung des § 139 S t G B .
§ 157-
Die Warenfälschung.
501
S p e z e r e i u n d a n d e r e K a u f m a n n s c h a f t fälscht und die für gerecht gebraucht und ausgibt". A u c h das gemeine R e c h t hat die Warenfälschung, besonders die adulteratio vini, als „benannten F a l l " des falsum hervorgehoben und unter Umständen sogar mit der Todesstrafe, meist mit dem Strang als der Streife des Diebstahls, bedroht. Österreich 1707 hebt einzelne Fälle bei der Vergiftung hervor. Noch A L R 723 verhängt ein- bis dreijährige Freiheitsstrafe gegen den, der Lebensmittel auf eine der Gesundheit nachteilige Weise verfälscht, während ( A L R 1442) die Fälschung von Waren sowie von M a ß und Gewicht als erschwerter „ B e t r u g des P u b l i c i " behandelt wird. Der deutschen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts fehlte das Verständnis für die praktische Bedeutung des Vergehens, und es bedurfte erst der Anregung von auswärts, insbesondere von England und Frankreich, um es wieder in das deutsche Straf recht einzuführen. Die jüngste deutsche Gesetzgebung zeigt dabei eine bedenkliche Neigung zur vorschnellen Aufstellung nicht genügend überlegter Strafdrohungen. V E und K E haben trotzdem alle diese Nebengesetze unberührt gelassen; G E § 219 dagegen die Warenfälschung allgemein unter Strafe gestellt, wenn Genuß oder Gebrauch der Waren die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist. I I I . D a s Reichsg. v o m 14. Mai 1879 bezieht sich (§ 1) auf den Verkehr m i t Nahrungs- und Genußmitteln (oben § 129 V I I ) sowie mit
Spielwaren, Tapeten, Farben, E ß - , Trink- und
und
Petroleum,
und
enthält
Bestimmungen
Kochgeschirr
von
verschiedener
grundsätzlicher Bedeutung, die hier nur der Übersichtlichkeit wegen im Zusammenhange dargestellt werden sollen. A . Zunächst ist der Verkehr m i t den genannten
Gegenständen
der gewerbepolizeilichen Beaufsichtigung unterstellt (§§ 1 bis 4). Widerstand gegen diese unterliegt, soweit nicht S t G B § 1 1 3 ' e i n g r e i f t , einer Geldstrafe von fünfzig bis hundertfünfzig Mark oder der H a f t (§ 9). Übertretung der kaiserlichen Verordnungen über das Verbot der Herstellung, A u f b e w a h r u n g , Verpackung, des Verkaufs, der Verwendung gewisser Gegenstände wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit H a f t be straft (§8). B . Die weiter folgenden Bestimmungen Linie
den
Schutz
des Vermögens
gegen
bezwecken
in
erster
Beeinträchtigung
durch
Fälschungen und ergänzen somit die (übrigens in den meisten einschlagenden
Fällen
anwendbaren)
Strafdrohungen
gegen
Betrug.
Wir haben zu unterscheiden: 1. D i e
Nachahmung
oder Genußmitteln
zum
oder V e r f ä l s c h u n g
Zwecke
der
von
Täuschung
und Verkehr (die Täuschung m u ß Beweggrund sein).
Nahrungsim
Handel
Kenntnis des
Erwerbers, nicht aber Mitteilung an den Zwischenhändler, schließt die Strafbarkeit aus. stellung
von
Dabei bedeutet „ N a c h m a c h u n g " die Her-
(nicht als solchen bezeichneten)
Ersatzmitteln
oder
Surrogaten; „ V e r f ä l s c h u n g " sowohl die Verleihung des Anscheins besserer, d . h. wertvollerer, Beschaffenheit, als auch die Verschlechterung durch Z u s a t z fremder Stoffe.2. D a s
wissentliche
Verkaufen
von
verdorbenen,
nach-
J02
§ 157-
Die Warenfälschung.
gemachten, verfälschten Nahrungs- oder Genußmitteln unter Verschweigung dieses Umstandes, s o w i e d e r e n w i s s e n t l i c h e s Feilhalten unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung. Entgeltliche Übertragung ist hier erforderlich (vgl. oben § 153 Note 1) ; nicht aber gelungene Täuschung. „ V e r d o r b e n " ist die Ware, wenn sie infolge einer Veränderung ihres regelmäßigen Zustandes ungeeignet geworden ist, als Nahrungs- oder Genußmittel zu dienen; nicht also unreifes Obst, Fleisch von ungebornen Kälbern. 1 ) Jede vorsätzliche Begehung dieser Handlungen wird (§ 10) mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark o d e r mit e i n e r dieser Strafen, die f a h r l ä s s i g e Begehung der unter 2 bezeichneten Handlungen aber (§ 11) mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.
C. Dem Schutz der Gesundheit (oben § 87) gegen g e m e i n g e f ä h r l i c h e Fälschungen dient endlich eine 3. Gruppe von Strafbestimmungen. — Sie umfaßt: 1. Die Herstellung von Gegenständen, die bestimmt sind, anderen als N a h r u n g s - oder G e n u ß m i t t e l zu dienen, in solcher Weise, daß der (bestimmungsgemäße) Genuß2) die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie das Inverkehrbringen solcher Gegenstände; 2. die Herstellung v o n a n d e r e n in § 1 g e n a n n t e n G e g e n s t ä n d e n in einer solchen Weise, daß deren bestimmungsgemäßer oder vorauszusehender Gebrauch die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, sowie das Inverkehrbringen solcher Gegenstände. In diesen beiden Fällen ist eine Vermögensbeschädigung des Käufers ebensowenig erforderlich, wie eine Beschädigung seiner Gesundheit. Daher ist auch Überlassung unter Mitteilung der gesundheitsgefährlichen Eigenschaft strafbar. Die S t r a f e ist in folgender Weise abgestuft: a) V o r s ä t z l i c h e Begehung, a) E i n f a c h e r F a l l (§ 12): Gefängnis, daneben nach Ermessen Ehrverlust. Versuch strafbar. Bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB § 224) oder des Todes Zuchthaus bis zu fünf Jahren. — ß) S c h w e r e r F a l l (§ 13), vorliegend, wenn der Genuß oder Gebrauch der genannten Gegenstände die menschliche Gesundheit zu z e r s t ö r e n (oben § 91 II 1) geeignet und diese Eigenschaft dem Täter bekannt war: Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (unmittelbare Anlehnung an § 324 StGB). !) Wenn derselbe Täter dieselbe Ware nachmacht und verkauft, so liegt (oben § 55 Note 5) Deliktseinheit vor. Dagegen R 10 198. ') Der Genuß selbst, nicht etwa ihn begleitende oder ihm nachfolgende Vorstellungen und Empfindungen (Ekel usw.); R 18 135. Der Genuß durch den Käufer auch dann, wenn dieser, wie der Verkäufer weiß, krank ist; mag auch der Genuß für einen gesunden Menschen unschädlich sein: R 3 1 299.
§ 157-
Die Warenfälschung.
503
b) F a h r l ä s s i g e Begehung (§ 14). Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten; bei Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines Menschen Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. E i n z i e h u n g d e r f r a g l i c h e n G e g e n s t ä n d e ist in den zur dritten Gruppe gehörenden Fällen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, neben der Strafe bindend, als objektive Maßregel nach Ermessen, vorgezeichnet. In den übrigen Fällen kann neben der Strafe auf Einziehung erkannt werden (§ 15). Die ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g d e r V e r u r t e i l u n g 8 ) auf Kosten der Schuldigen k a n n , die der F r e i s p r e c h u n g auf Kosten der Staatskasse, bez. des Anzeigers, m u ß auf Antrag der Freigesprochenen angeordnet werden (§ 16).s) Die Geldstrafen fallen aii die Anstalten zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Gemißmitteln, soweit solche am Tatorte bestehen, sonst an die Staatskasse (§ 17).
IV. Das G von 25. Juni 1887 regelt den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen. Gewerbsmäßige (oben § 55 III 1) Übertretungen des Gesetzes werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§ 4). Gleiche Strafe trifft den, der zur Verfertigung von Nahrungs- oder Genußmitteln bestimmte Mühlsteine unter Verwendung von Blei oder bleihaltigen Stoffen an der Mahlfläche herstellt oder derartig hergestellte Mühlsteine zur Verfertigung von Nahrungs- oder Genußmitteln verwendet. Gewerbsmäßigkeit hier nicht erforderlich (§ 5). Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände, die den Vorschriften zuwider hergestellt, verkauft, feilgehalten oder verwendet sind, sowie der vorschriftswidrig hergestellten Mühlsteine erkannt werden. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werdeD (§ 6). Nahrungsmitteig. §§ 16 und 17 finden Anwendung (§ 7).
V. D a s G v o m 5. Juli 1887 verbietet die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln, kosmetischen Mitteln, Spielwaren und anderen Gebrauchsgegenständen. Das Schwergewicht des Gesetzes (§§ 1 bis 11) ruht in seinen eingehenden technischen Bestimmungen, von deren Wiedergabe an dieser Stelle abgesehen werden kann. Übertretungen des Gesetzes durch vorschriftswidriges Herstellen, Aufbewahren oder Verpacken, Verkaufen oder Feilhalten werden, u. z. teilweise nur bei gewerbsmäßiger Begehung, mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§ 12). Über Einziehung gilt das oben zu I V Gesagte (§ 13). Ebenso bezüglich der Anwendbarkeit der §§ 16 und 17 Nahrungsmitteig.
V I . Hierher gehört weiter das Weingegetz vom 7. April 1909, d a s an Stelle der Gesetze von 1892 und 1901 getreten ist. 3)
Hier Nebenstrafe; vgl. oben § 58 Note 4. Auch R 10 206. «) Vgl. auch § 367 Ziff. 7 S t G B (für dessen fortdauernde Geltung R 12 301); er bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, der verfälschte oder verdorbene Getränke oder Eßwaren, insbes. trichinenhaltiges Fleisch, feilhält oder verkauft.
504
§ 157.
Die Warenfälschung.
1. Die wichtigsten Zuwiderhandlungen gegen die Staatsgewalt werden in § 26 als Vergehen mit Gefängnis bis zn sechs Monaten und mit Geldstrafe bis au dreitausend Mark o d e r mit einer dieser Strafen bedroht. Im wesentlichen handelt es sich um vorschriftswidrige Herstellung und gewerbsmäßigen Vertrieb von Wein; um unrichtige Eintragung in die zu führenden Bücher und die Erteilung unrichtiger Auskünfte; um die Vernichtung oder Beiseiteschaffung von aufzubewahrenden Büchern und Geschäftspapieren; um den Verkauf und Ankauf von Stoffen, deren Verwendung verboten ist. Ist der Fall ein schwerer, oder der Täter bereits wegen einer dieser Zuwiderhandlungen bestraft, so tritt Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren ein, neben der auf Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark erkannt werden kann. Der Versuch ist nur bei gewissen Zuwiderhandlungen strafbar. 2. Andere Zuwiderhandlungen fallen nach §§ 28, 29 unter Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft bis zu sechs Wochen. 3. Die fahrlässige Begehung einzelner leichterer, nicht aber der schwereren Zuwiderhandlungen (oben unter 1) ist in § 30 mit Übertretungsstrafen bedroht. 4. Über die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht § 27 vergleiche oben § 124 III 4. 5. Die Einziehung der Stoffe oder Getränke ist nach § 31 teils vorgeschrieben, teils zugelassen. 6. Die §§ 16, 17 des Nahrungsmittelgesetzes von 1879 finden Anwendung.
VII. Mildere Strafen verwendet das durch G vom 15. Juli 1909 abgeänderte Brausteuerg. (Fassung vom 21. Juli 1909) in § 38. 1. Wer andre als die nach § 1 zugelassenen Stoffe zur Bereitung von Bier verwendet, mitverwendet oder dem fertigen, zum Absatz bestimmten Biere zusetzt oder eine dieser Handlungen unternimmt, wird mit Geldstrafe von fünfzig bis zu fünftausend Mark bestraft. 2. Einziehung der Stoffe, bzw. des Bieres, bindend vorgeschrieben. Stehe« der Einziehung tatsächliche Hindernisse entgegen, so hat der Schuldige den Wert der Gegenstände oder, wenn dieser nicht zu ermitteln ist, eine Geldsumme von zehn bis tausend Mark zu bezahlen. 3. Diese Bestimmungen finden auch Anwendung auf die vorschriftswidrige Herstellung bierähnlicher Getränke und auf die Verbreitung verbotener Bierextrakte.
VIII. An die Stelle des G von 1898 ist das Süßstoffg. vom 7. Juli 1902 getreten. 1. Eines V e r g e h e n s macht sich schuldig (§ 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1): a) Wer vorsätzlich ohne Ermächtigung Süßstoff herstellt oder Nahrungsoder Genußmitteln bei deren gewerblicher Herstellung zusetzt; b) wer vorsätzlich Süßstoff oder süßstoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittel aus dem Ausland einführt; c) wer vorsätzlich die unter b bezeichneten Gegenstände feilhält oder verkauft; d) derjenige, in dessen Besitz Süßstoff in Mengen von mehr als 50 Gramm vorgefunden wird, wenn er nicht den Nachweis erbringt, daß er den Süßstoff nach Inkrafttreten dieses Gesetzes von einer zur Abgabe befugten Person bezogen hat. S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder eine dieser Strafen. 2. Einer Ü b e r t r e t u n g macht sich schuldig (§ 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2):
§ 157.
Die Warenfälschung.
505
a) W e r eine der unter i a bis c bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begeht; b) derjenige, bei dem der unter i d angeführte Tatbestand festgestellt •wird, wenn den Umständen nach anzunehmen ist, d a ß der vorgefundene Süßstoff nicht verbotswidrig hergestellt oder eingeführt worden ist. 3. Neben der Strafe ist auf E i n z i e h u n g des Süßstoffes oder der Nahrungs- oder Genußmittel zu erkennen; die Einziehung kann als objektive Maßregel ausgesprochen werden (§ 9). 4. O r d n u n g s s t r a f e n treten ergänzend hinzu (§ 10). I X . D a s Margarineg. v o m 12. Juli 1887 ist durch das wesentlich strengere G v o m 15. Juni 1897 betr. den Verkehr mit Batter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln ersetzt. 1. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird (§ 14) bestraft: a) W e r zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr eine der nach § 3 unzulässigen Mischungen herstellt; b) wer in Ausübung eines Gewerbes wissentlich solche Mischungen in Verkehr bringt; c) wer Margarine oder Margarinekäse ohne den nach § ö erforderlichen (die allgemeine Erkennbarkeit erleichternden) Zusatz vorsätzlich herstellt oder wissentlich in Verkehr bringt. — Im Wiederholungsfälle Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark, wenn nicht seit Verbüßung oder E r l a ß der Vorstrafe drei Jahre verflossen sind. — Fahrlässige Begehung ist nur nach § 11 Nahrungsmitteig, strafbar. 2. Über den Strafschutz der Betriebsgeheimnisse vgl. oben § 124 I I I . 3. Mit Vergehens- bzw .Übertretungsstrafe wird die Übertretung anderer Vorschriften des Gesetzes bedroht. Nach § 16 mit Geldstrafe von fünfzig bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t : a) W e r den Vorschriften des § 8 zuwider den Eintritt in die R ä u m e , die Entnahme einer Probe oder die Revision, verweigert (vgl. oben I I I A ) ; b) wer die in Gemäßheit des § 9 von ihm erforderte Auskunft nicht erteilt oder bei der Auskunfterteilung wissentlich unwahre Angaben macht. N a c h § 17 mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t bis zu vier Wochen: a) W e r den Vorschriften des § 7 (Anzeigepflicht) zuwiderhandelt; b) wer bei der nach § 9 von ihm erforderten Auskunfterteilung aus Fahrlässigkeit unwahre Angaben macht. N a c h § 18 werden andere Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Gesetzes sowie gegen die in Gemäßheit der §§ xi und 12 Ziff. 1 ergehenden Bestimmungen des Bundesrats mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t bestraft. Im Wiederholungsfalle ist auf Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder auf H a f t oder auf Gefängnis bis zu drei Monaten zu erkennen. Rückfallsverjährung wie oben unter 1. 4. Neben der Strafe, sowie selbständig, ist Einziehung zulässig (§ 19). Die Vorschriften des Nahrungsmitteig, bleiben unberührt. Dessen §§ 16, 17 finden bei allen Zuwiderhandlungen mit der Maßgabe Anwendung, d a ß in den Fällen des § 14 die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden m u ß (§ 20). X.
Es
gehört endlich hierher das G v o m 3. Juni 1900 betr.
die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Nach § 26 wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft:
506
§ 158.
Geschichte und systematische Stellung der Geldverbrechen.
1. Wer wissentlich als zum Genuß für Menschen untauglich erkanntes Fleisch oder für bedingt dazu tauglich erkanntes Fleisch vor der Brauchbarmachung a l s N a h r u n g s - o d e r G e n u ß m i t t e l für Menschen in Verkehr bringt; wer solches Fleisch f ü r a n d e r e Z w e c k e vor der polizeilichen Zulassung und ohne Einhaltung der angeordneten Sicherungsmaßregeln in Verkehr bringt (§§ 9, 10); wer wissentlich Fleisch in luftdicht verschlossenen Gefäßen, Würste oder sonstige Gemenge aus zerkleinertem Fleisch in das Zollinland einführt (§ 12 Abs. 1); wer wissentlich bei der gewerbsmäßigen Zubereitung von Fleisch Stoffe oder Verfahrensarten anwendet, die der Ware eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit zu geben oder eine solche oder eine minderwertige Beschaffenheit zu verdecken geeignet sind; sowie wer wissentlich solches Fleisch aus dem Auslande einführt oder in Verkehr bringt (§ 21); 2. wer wissentlich Fleisch, das entgegen § 12 Abs. 1 eingeführt oder gemäß § 17 zum Genüsse für Menschen unbrauchbar gemacht worden ist, als Nahrungs- oder Genußmittel für Menschen in Verkehr bringt; 3. wer Kennzeichen der im § 19 vorgesehenen Art fälschlich anbringt oder verfälscht, oder wer wissentlich Fleisch, an dem die Kennzeichen fälschlich angebracht, verfälscht oder beseitigt worden sind, feilhält oder verkauft, § 27 bedroht mit Übertretungsstrafe (Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft) einerseits (Ziff. 1) die f a h r l ä s s i g e Begehung der in § 26 Ziff. 1 und 2 begangenen Handlungen, andererseits (Ziff. 2 bis 4) die Übertretung der übrigen in dem Gesetze enthaltenen Vorschriften. Neben der Strafe ist die Einziehung des Fleisches oder des Tieres in den Fällen des § 26 Ziff. 1 und 2, sowie des § 27 Ziff. 1 bindend vorgeschrieben, in den übrigen Fällen ins Ermessen gestellt. Gleichgültig ist es, ob der Gegenstand dem Verurteilten gehört oder nicht. Auf die Einziehung kann auch selbständig erkannt werden (§ 28). § 16 des G vom 14. Mai 1879 findet Anwendung (§ 29).
IV. Strafbare Handlungen an Geld. § 158.
Geschichte und systematische Stellung.
Literatur. Kohler VD Bes. T. 3 203. Olbricht Reform 2 156. Merkel H H 3 213. Gerlartd Die Geldfälschungsdelikte des D. StGB. Straßburger Diss. 1901. (Derselbe GS 59 81.) Schlüter Die Gelddelikte des R S t G B . Leipziger Diss. 1906. Kuhn Die Geldfälschungsdelikte im deutschen Strafrecht. Heidelberger Diss. 1907. Wey Die Gelddelikte nach schweizer. Recht 1916. I. Geschichte. Im r ö m i s c h e n Rechte bildete die Münzfälschung im eigentlichen Sinne des Wortes (nummos rädere, tingere, fingere) den einen der beiden Hauptbestandteile der lex Cornelia testamentaria n u m m a r i a . W a r schon durch diese Einreihung in den dehnbaren Begriff des falsum die selbständige Entwicklung des Verbrechensbegriffes gefährdet, so wurde diese so gut wie unmöglich, als das spätere Recht, den Gesichtspunkt des verletzten Hoheitsrechts heranziehend, die Münzfälschung teilweise als crimen laesae majestatis auffaßte (C. o, 24). In den Quellen des d e u t s c h e n Mittelalters wird die Münzfälschung meist mit dem Feuertode (Schsp. mit Enthaupten), der Besitz und das Ausgeben falscher Münzen mit dem Verlust der Hand bedroht (Ssp. 2 26, 2).
§ 158.
Geschichte und systematische Stellung der Geldverbrechen.
eJq"
P G O Art. i n zerlegt die Münzvergehen in drei Fälle: 1. „Wann einer betrüglicherweise eines andern Zeichen darauf s c h l ä g t " ; 2. „wann einer unr e c h t Metall dazu s e t z t " ; 3. „so einer der Münze ihre rechte Schwere gefährlich benimmt". Nur im schwersten Falle t r i t t Feuertod, 1 ) im übrigen Strafe an L e i b und Gut ein. W e r sein Haus wissentlich dazu leiht, hat dieses verwirkt. Die spätere Gesetzgebung (Reichsmünzordnung von 1559, Münzedikt von 1 7 5 9 u. a.) vermehrte, zum Teil unter dem Einflüsse verkehrter Anschauungen über Münzpolitik, die herrschende Verwirrung. Ausführung oder E i n schmelzung einheimischer guter, Einführung schlechter ausländischer Münze treten zu den Münzverbrechen hinzu. Die g e m e i n r e c h t l i c h e Wissenschaft unterschied innerhalb der Münzfälschung: 1. Fälle, quae in falsum, 2. solche, quae in crimen laesae majestatis in specie, 3. quae in utrumque incidunt, und beschränkte die Anwendung der Todesstrafe. In der Landesgesetzgebung t r i t t der rein fiskalische Gesichtspunkt gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts mehr und mehr hervor; so behandelt auch A L R die Münzverbrechen unter den „Anmaßungen und Beeinträchtigungen der vorbehaltlichen Rechte des S t a a t e s " . I n neuester Zeit wird der Begriff wesentlich erweitert durch Gleichstellung des P a p i e r g e l d e s sowie anderer geldvertretender Wertpapiere ( G e l d p a p i e r e ) mit dem gemünzten Gelde. V E §§ 1 5 9 bis 164 hält im wesentlichen an dem geltenden R e c h t fest. Ebenso G E §§ 202 bis 208, der aber auch Fälschung und Mißbrauch von Wertzeichen (vgl. unten § 1 6 3 I I I bis V I ) , Ausgabe von Inhaberpapieren und Nachahmung von Papieren zu Reichskassenscheinen und Reichbanknoten (unten § 159 V I I ) in diesen Abschnitt eingereiht h a t . K E h a t die Bestimmungen des V E nur in Einzelheiten geändert. I I . D i e systematische Stellung der sogenannten M ü n z v e r b r e c h e n . D i e M ü n z v e r b r e c h e n (ein A u s d r u c k , d e r d e m geltenden R e c h t g e g e n ü b e r j e d e n f a l l s viel z u e n g ist) kennzeichnen sich d a d u r c h , d a ß sie rechtswidrige zeichen
Handlungen
sind.
in
bezug
auf
bestimmte
Wert-
Angriffsgegenstand der Geldverbrechen ist mithin
n i c h t d a s angebliche R e c h t s g u t d e r p u b l i c a fides (Treu u n d G l a u b e n i m rechtlichen V e r k e h r ) , d a s jeder schärferen b e g r i f f l i c h e n F a s s u n g widerstrebt.
A u c h n i c h t d e r K r e d i t (die B e w e i s k r a f t ) g e w i s s e r B e -
glaubigungsformen
für
rechtlich
bedeutsame
Tatsachen
(Merkel).
D e n n n i c h t w e g e n d e r I n t e g r i t ä t d e r G e l d z e i c h e n a n sich e r l ä ß t d e r Gesetzgeber letzung
seine
dieser
Strafdrohungen,
Integrität
andere
sondern
weil
Rechtsgüter,
durch die
die
Ver-
Vermögens-
interessen des einzelnen, d a s Interesse des P u b l i k u m s a n d e r S i c h e r heit d e s rechtlichen V e r k e h r s , s o w i e die M ü n z h o h e i t d e s
Staates,
b e d r o h t w e r d e n . D i e G e l d v e r b r e c h e n gehören m i t h i n als M i ß b r a u c h der
G e l d z e i c h e n zu den durch d a s M i t t e l
des
A n g r i f f e s ge-
k e n n z e i c h n e t e n D e l i k t e n (oben §§ 4 4 I , 7 9 I I ) ; u n d es k a n n n u r v e r w i r r e n , w e n n m a n sie m i t d e n U r k u n d e n d e l i k t e n z u einer a n g e b l i c h einheitlichen
Gruppe
der
„Fälschungsverbrechen"
zusammenzu-
fassen sucht.2) x ) Ü b e r das noch bis tief ins 18. Jahrhundert angewendete Verbrennen der Münzfälscher vgl. Günther 2 45. 2 ) I n der Literatur überwiegt die Merkeische Auffassung. I h r huldigen
§ 159.
508
Die Arten der Geldverbrechen.
I I I . Die geschützten Wertzeichen s i n d : 1. G e l d , d . h. d a s v o m Staate anerkannte „gesetzliche Zahlungsm i t t e l " (als Wertmesser und Wertträger), und z w a r Metallgeld wie Papiergeld, 3 ) inländisches wie ausländisches Geld ( S t G B § 146); 2. die in S t G B § 149 angeführten 4 ) g e l d v e r t r e t e n d e n W e r t z e i c h e n (Geldpapiere); nämlich auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, Banknoten, A k t i e n oder deren Stelle vertretende Interimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Emeuerungsscheine, wenn diese von d e m Reich, dem Norddeutschen B u n d e , einem Bundesstaate oder einem fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson ausgestellt sind.
Die internationale Bedeutung der Geldzeichen h a t das in § 4 Ziff. 1 anerkannt (oben § 22 I V 2). § Literatur.
159.
StGB
Die Arten der Geldverbrechen.
Die zu § 158 angeführten Schriften.
I. Die Münzfälschung ( S t G B § 146) u m f a ß t zwei F ä l l e : 1. Die F a l s c h m ü n z e r e i , d. h. die rechtswidrige Herstellung v o n unechten Geldzeichen. Ob diese an Metallwert den echten Münzen gleichstehen oder hinter ihnen zurückbleiben, ist gleichgültig. 1 ) Ebenso, ob sie ein tatsächlich vorhandenes Gepräge „nachm a c h e n " oder nicht (Herstellung von Vierzigmarkstücken). 2 ) Zur Vollendung ist ein gewisser Grad von Ähnlichkeit m i t dem echten Gelde erforderlich; es m u ß die Ä h n l i c h k e i t mithin hinreichen, d a ß eine Täuschimg i m gewöhnlichen Verkehr herbeigeführt werde. 3 ) äuch Allfeld 591 („Sicherheit des rechtlichen und wirtschaftlichen Verkehrs"), Binding Lehrb. 2 108, Kohler 212 (das „Geldinstitut"), Lenz (Lit. zu § 160), V. Lilienthal Z 15 341, Wachenfeld 505. — Über die Bedenken gegen die herrschende Lehre vgl. V. Liszt Falsche Aussage 1877 (S. 9). Sie gewinnen bei den Urkundendelikten (auch beim Meineid) erhöhte Bedeutung. ') Deutsches Papiergeld sind: 1. die R e i c h s k a s s e n s c h e i n e nach § 5 G vom 20. April 1874, § 1 G vom 4. August 1914; 2. die R e i c h s b a n k n o t e n nach Art. 3 G vom 1. Juni 1909; 3. die D a r l e h e n s k a s s e n s c h e i n e nach § 20 G vom 4. August 1914. Nicht aber die von Gemeinden und Kommunalverbänden während des Krieges ausgegebenen K l e i n g e l d - G u t s c h e i n e . Diese fallen unter S t G B § 149, wenn dessen Voraussetzungen gegeben sind; andernfalls sind sie Marken im Sinne des § 807 B G B und strafrechtlich nur geschützt, soweit sie Urkunden sind. 4) Nicht aber Stempel-, Post- und Telegraphenwertzeichen, Versicherungsmarken, Steuerzeichen usw.; vgl. unten § 163 III bis VI. x) Wichtig wegen der steigenden Silberentwertung. *) Ebenso die herrschende Ansicht; auch Binding Lehrb. 2 315, Frank § 1461, Schwartz § 146 Note 2. Dagegen Allfeld 605, Gerland GS 59145, Wachenfeld 507. l ) Gem. Meinung. Dagegen Binding Lehrb. 2 316.
§ 159-
D ' e Arten der Geldverbrechen.
D a „verrufenes", d. h. außer Kurs gesetztes, Geld nicht mehr Geld ist, so ist es Falschmünzerei, wenn verrufenem Gelde das Ansehen noch geltenden Geldes gegeben wird; das Gesetz hat unrichtig diesen Fall zur Münzverfälschung gestellt. 2. Die M ü n z v e r f ä l s c h u n g , d. h. die Vornahme einer solchen Veränderung an echten Geldzeichen, durch die diesen der Schein höheren Wertes gegeben wird. Sowohl die Falschmünzerei als auch die Münzverfälschung erfordert begrifflich V e r b r e i t u n g s a b s i c h t auf Seiten des Täters, d. h. die Absicht (gleich Beweggrund), das nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst (als echtes Verkehrsmittel) in Verkehr zu bringen (vgl. oben § 153 Note 1). Das Geld muß „als echtes" übertragen werden, der Empfänger also über seine Unechtheit sich im Irrtum befinden. Es genügt jedoch, wenn die Absicht des Täters darauf gerichtet war, dieses Ziel erst durch eine oder mehrere Mittelspersonen zu erreichen. Das „Gebrauchen" ist ein Unterfall des Inverkehrbringens. Verbreitungsabsicht liegt demnach nicht vor, wenn die Verfügungsgewalt bei dem Täter bleibt, wenn dieser also etwa zur Erlangung von Kredit, um zu prahlen usw. das unechte Geld lediglich vorzeigt, ohne es aus der Hand zu geben; wohl aber, wenn er es zur Bestellung einer Sicherheit verwendet. Auch das Anbieten, ohne daß das Geldstück endgültig aus der Hand gegeben wird, ist noch kein Verbreiten, wohl aber unter Umständen dessen Versuch. Die V o l l e n d u n g tritt jedoch nicht erst mit dem Verbreiten, sondern schon mit dem Fälschen ein. Das hinzutretende Verbreiten enthält dann keine neue Straftat (oben § 55 II 4). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, daneben nach Ermessen Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis.
II. Das Verbreiten von gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldzeichen (StGB § 147).4) V e r b r e i t e n bezeichnet auch hier jene Handlungen, durch die das Geld, wenn auch nur in einzelnen Stücken, in den Verkehr gebracht wird. Die Verbreitung ist als solche nur strafbar: 1. Wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber (das Gesetz sagt unrichtig „auch") ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; 2. wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld in Kenntnis dieses Umstandes anderweitig verschafft (nicht „empfängt"). In diesem Falle steht es der Verbreitung gleich, wenn der Täter das *) Irreführend der Ausdruck „Münzbetrug". — Idealkonkurrenz mit § 263 (nicht aber zwischen § 146 und § 263) möglich. Dagegen betrachtet Frank § 263 X I die Münzdelikte überhaupt als Spezialfälle des Betrugs.
5io
§ 159-
D i e Arten der Geldverbrechen.
gefälschte Geld zum Zwecke der Verbreitung (im Inland oder Ausland) aus dem Auslande einführt. S t r a f e : Die der Münzfälschung (StGB § 146).
III. Als Abschieben falschen Geldes bedroht § 148 StGB den Fall, wenn jemand gefälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt.5) Das „Empfangen" verlangt Übertragung von Seiten eines anderen, schließt einseitiges Ansichnehmen (Stehlen, Finden usw.) aus.6) V o l l e n d e t mit der Verbreitung; S t r a f e : Gefängnis "bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark; V e r s u c h strafbar. Dem Betrüge gegenüber enthält § 148 den besonderen Fall; Idealkonkurrenz daher ausgeschlossen.
IV. Die Münzverringerung (das sog. Kippen und Wippen), d. h. (StGB § 150) das Verbreiten von echten Metallgeldstücken, die auf mechanischem oder chemischem Wege (Beschneiden, Abfeilen, Ausschälen usw.)') in ihrem Metallwerte verringert sind. Die Handlung ist demnach Münzdelikt i. e. S.; entsprechende Verringerungen an Papiergeld vorgenommen, fallen nicht unter § 150. Sie ist nur strafbar, 1. wenn der Täter (Wipper) die Verringerung selbst vorgenommen hat, oder 2. wenn er die von einem anderen (Kipper) verringerten Münzen gewohnheitsmäßig (oben § 55 III 3), oder 3. im Einverständnisse mit dem Verringerer als vollgültig in Verkehr bringt. S t r a f e : Gefängnis, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Ehrverlust. V e r s u c h strafbar.
V. Das Anschaffen oder Anfertigen von Formen 8 ) (Stempeln, Siegeln, Stichen, Platten usw.), die zur Anfertigung von Geldzeichen dienlich sind, zum Zwecke eines Münzverbrechens (StGB § 151). Das Gesetz stellt hier gewisse V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n als selbständige Verbrechen unter besondere Strafe; durch die Begehung des geplanten Münzverbrechens selbst wird die Strafbarkeit jener Handlungen beseitigt. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren. ') Schon im gemeinen Recht (Österreich 1656; Leyser u. a.) als milderer Fall des falsum behandelt. •) Dagegen Allfeld 605, Olshausen § 148 1, Schwartz § 148 Note 1. Richtig Binding Lehrb. 2 329, Frank § 148 I, Gerland G S 69 268. V E § 160 sagt, um auch diese Fälle zu treffen: „wer . . . erlangt". Ebenso G E § 202. K E gebraucht die unklare Wendung: „ w e r . . . als echt eingenommen hat." ') Von Bgr. 522 unrichtig als Herstellung falscher Münzen aufgefaßt. Ebenso Schwartz § 146 Note 2. •) Nicht von andern Gerätschaften, wie Schmelztiegel, Justierwagen usw. Allgemeiner die Entwürfe.
§ 159.
Die Arten der Geldverbrechen.
5 "
Auf E i n z i e h u n g des nachgemachten oder verfälschten Geldes'), sowie der unter V bezeichneten Gegenstände ist zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet ( S t G B § 152)V I . I m Zusammenhange mit den eigentlichen Münzverbrechen stehen die i m § 360 Ziff. 4, 5, 6 S t G B enthaltenen Übertretungen ( S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder H a f t ) ; nämlich 1. die A n f e r t i g u n g der oben unter V genannten Gegenstände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder ihre V e r a b f o l g u n g an einen anderen als die Behörde; 1. das U n t e r n e h m e n e i n e s A b d r u c k e s von diesen Gegenständen oder d e s D r u c k e s v o n F o r m u l a r e n zu derartigen Papieren ohne schriftlichen A u f t r a g der Behörde oder die V e r a b f o l g u n g von Abdrücken an andere als die Behörde; 3. die A n f e r t i g u n g o d e r V e r b r e i t u n g von Drucksachen oder A b bildungen, die in Form oder Verzierung d e n G e l d z e i c h e n ä h n l i c h sind; sowie das Anfertigen von Formen, die zur Erzeugung derartiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke, Abbildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht.
V I I . E s ist endlich in diesem Zusammenhange hinzuweisen: 1. A u f das G v o m 26. Mai 1885 betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung. Papier, d a s d e m zur Herstellung von Reichskassenscheinen verwendeten, durch äußere Merkmale erkennbar gemachten, Papier hinsichtlich dieser Merkmale gleich oder so ähnlich ist, d a ß die Verschiedenheit nur durch Anwendung besonderer A u f m e r k s a m k e i t wahrgenommen werden kann, darf (§ 1) ohne Erlaubnis weder a n g e f e r t i g t oder aus dem Auslande e i n g e f ü h r t , noch (verkauft, feilgehalten oder sonst) in V e r k e h r gebracht werden (oben § 153 Note 1). Vorsätzliche Zuwiderhandlung wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und, wenn die Handlung zum Zweck eines Münzverbrechens begangen worden ist, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so findet Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten Anwendung (§2). Neben der Strafe, aber auch selbständig, ist ohne Rücksicht auf den Eigentümer auf Einziehung zu erkennen (§ 3).
2. Auf d a s G betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichsbanknoten verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung vom 2. Januar 1 9 1 1 , d a s den entsprechenden Tatbestand m i t gleicher Strafe bedroht. 1 0 ) •) Vorausgesetzt, d a ß eine schuldhafte Handlung vorliegt. Die gemeine Meinung begnügt sich mit dem o b j e k t i v e n Tatbestand. Richtig ScltwartZ § 152 Note i . Die verringerte Münze (§ 150) ist weder „ n a c h g e m a c h t " noch „verfälscht". M ) G E § 208 hat beide Gesetze eingearbeitet.
512
§
S t r a f b a r e Handlungen an Urkunden.
Allgemeines.
V . Strafbare Handlungen an Urkunden. 1 ) § 160. Allgemeines. Literatur. Weismann V D Bes. T . 7 243. — Lenz Die Fälschungsverbrechen. 1. Die Urkundenfälschung 1897. Dazu Kleinfeller K V S 40 439. Davidsohn Urkundendelikte an Postanweisungen (v. Lil. Heft 31) 1900. Paul Merkel Die Urkunde im deutschen Strafrecht 1902. Zint GA 54 55. Wedemeyer Teilnahme an dem Vergehen des § 270 S t G B usw. Rostocker Diss. 1903. Scholz Die Blankettfälschung. Rostocker Diss. 1903. Brodmann Die Urkunde, besonders im Strafrecht 1904. Sick Die Fälschung von Unterschriften auf Wechseln. Erlanger Diss. 1906. Bauer Die telegraphische Depesche als Gegenstand der Urkundenfälschung 1907 (Heidelberger Diss. 1906). Timpe Echtheit und Gültigkeit der Urkunde und Urkundenvollziehung durch Stellvertreter. Münsterer Diss. 1908. Du Pasquier Essai sur la nature juridique du faux en écriture. Lausanner Diss. 1909. Pagel Fälschung und Handeln unter falschem Namen 1909. Hahn Die Blankettfälschung 1910. ötker in der Festschrift für Binding (1911) 1 3. Olbricht Z 31 357 (über die Entwürfe). Derselbe Reform 2 189. Weismann Z 3 1 779 (Über den VE). Frank Z 32 82 (Zeichnen mit fremdem Namen). V. Hagenow Die Urkundenfälschung des heutigen Rechts in Rücksicht auf die Bestimmungen des V E . Rostocker Diss. 1911. Sparr Die telegraphische Depesche als Gegenstand der Urkundenfälschung (V. LH. Heft 142) 1912. Zeiler Z 3 4 846. I. Geschichte und systematische Stellung. Wie die Münzfälschung, so hat auch die Urkundenfälschung ihre Wurzel in der lex Cornelia t e s t a m e n t a r i a nummaria, deren zunächst auf Testamentsfälschung beschränkte Bestimmungen durch eine Reihe von Quasifalsumfällen wesentlich erweitert wurden. Das d e u t s c h e Recht hat der Fälschung von Siegeln und Urkunden (chartae, notitiae, Briefe und Handfesten usw.) die Stellung eines selbständigen Verbrechens eingeräumt und sie regelmäßig mit dem Verluste der Hand oder auch mit der Strafe des Siedens bedroht. Die PGO bestraft in Art. 112 an Leib oder Leben diejenigen, „welche falsche Siegel, Briefe, Urbar-, Rentoder Zinsbücher oder Register machen". Das g e m e i n e Recht hat durch die Einreihung der Urkundenfälschung unter den allgemeinen und unbestimmten Begriff der Fälschung als der Verletzung der „öffentlichen Treue" die richtige Auffassung wesentlich erschwert. Auch das R S t G B spricht immer noch irreleitend von „Urkundenfälschung", obwohl der Inhalt des 23. Abschnittes zu dieser Überschrift nicht paßt, und verleitet dadurch auch die Wissenschaft (oben § 158 Note 2), an der veralteten und unzutreffenden Überlieferung festzuhalten. Nur in dem Falle des § 267 S t G B liegt eine „Fälschung" im eigentlichen Sinne vor. Aber auch hier tritt das F ä l s c h e n gänzlich zurück hinter dem G e b r a u c h m a c h e n , mit dem erst die Vollendung gegeben ist. Bei der F a l s c h b e u r k u n d u n g aber ( S t G B § 271) ist von Fälschung ebensowenig die Rede, wie bei der V e r n i c h t u n g einer fremden Urkunde ( S t G B § 274 Ziff. 1). Das Gemeinsame der hierher gehörenden Fälle kann vielmehr nur darin gefunden werden, daß sie an U r k u n d e n , also an Beweismitteln, begangen werden. Wie bei den Geldverbrechen ist es das M i t t e l und nicht die R i c h t u n g des Angriffs, wodurch sich die einheitliche Eigenart der Gruppe bestimmt. Nicht um ihrer selbst willen schützt der Gesetzgeber die Urkunde, sondern um der verschiedenartigen Rcchtsgüter willen, für die die Urkunde im Rechtsverkehr von Bedeutung werden kann. Aber auch der Urkunden' ) Die Lehre ist durch die eingehenden Untersuchungen BindingS (Lehrb. 2 169) und P. Merkels wesentlich gefördert worden.
§ l6o.
Strafbare Handlungen an Urkunden.
Allgemeines.
gjj
begriff bildet nicht mehr als den Kern, um den sich andere, vom Gesetzgeber in diesem Abschnitte behandelte Vergehen. anlagern. Wenn der Grenzstein zwar nicht immer eine Urkunde darstellt, wohl aber sie darstellen kann, so ist bei den in StGB §§ 275 und 276 angeführten Wertzeichen der Begriff der Urkunde bereits völlig verlassen. VE §§ 282 bis 288 h a t die Urkundenfälschung (zweifellos unrichtig) zu den Vermögensdelikten gestellt, die Tatbestände zusammengezogen und vereinfacht, die §§ 363 und 364 des S t G B zu Vergehen gemacht, inhaltlich aber das geltende Recht nicht wesentlich geändert. G E §§ 209 bis 214 gibt der Gruppe die selbständige Stellung zurück und bringt in § 12 Ziff. 7 eine Legaldefinition der „Urkunde". K E hält an der unrichtigen systematischen Stellung fest, gibt, wie GE, eine Legaldefinition der Urkunde und stellt als neuen Tatbestand die Täuschung von „Prüfungsbehörden" auf (Herstellung von Prüfungsarbeiten f ü r einen anderen). I I . D e r Begriff der U r k u n d e . U r k u n d e i m strafrechtlichen Sinne i s t jeder G e g e n s t a n d , d e r d a z u b e s t i m m t i s t , d u r c h seinen g e d a n k l i c h e n I n h a l t (nicht n u r d u r c h sein Dasein) eine rechtserhebliche T a t s a c h e z u b e w e i s e n ; also d i e r e c h t s e r h e b l i c h e , v e r k ö r p e r t e , s e i es rechterz e u g e n d e , sei es r e c h t b e z e u g e n d e , E r k l ä r u n g . 2 ) 1 . U r k u n d e n sind d a h e r n i c h t n u r S c h r i f t s t ü c k e , sondern a u c h andere G e g e n s t ä n d e , die d u r c h W o r t e oder allgemein v e r s t ä n d l i c h e w o r t v e r t r e t e n d e Z e i c h e n zur M i t t e i l u n g v o n G e d a n k e n b e s t i m m t u n d geeignet sind. 3 ) 2. Z u m B e g r i f f e d e r U r k u n d e (auch d e r rechterzeugenden) g e h ö r t die B e w e i s b e s t i m m u n g . 4 ) D a b e i i s t z u u n t e r s c h e i d e n . D i e 2 ) Frank § 267 I I : „Die verkörperte, f ü r den Rechtsverkehr bestimmte E r k l ä r u n g . " GE § 12 Ziff. 7 definiert: „jeder Gegenstand, der dazu bestimmt i s t , durch Schriftzeichen oder ihnen durch die Verkehrssitte oder Vereinbarung gleichgestellte Zeichen eine rechtlich erhebliche Tatsache zu beweisen." K E h a t diese Begriffsbestimmung wörtlich übernommen. 3 ) In der o b j e k t i v e n Verständlichkeit der wortvertretenden Zeichen, mag diese auch n u r auf der Verkehrssitte beruhen, liegt der Unterschied vom Beweiszeichen. Eine n u r auf Vereinbarung der Beteiligten beruhende Verständlichkeit genügt nicht. Abweichend Allfeld 594, Schwartz § 267 Note 2, Wachenfeld 492; R wiederholt, zuletzt 28 152, 34 435 (Stich auf dem Zifferb l a t t einer Wächteruhr); 52 60 (ebenso, wenn ein anderer als der Arbeiter selbst den Aufdruck bewirkt), 50 191 (Plombenverschluß eines Elektrizitätsmessers) ; RMilG 11 85. Dagegen richtig R 42 97 (die Markierung des Einschlages eines Geschosses ist keine Urkunde). Nach R 49 32 soll die Beweiseignung genügen. Bedenklich auch R 46 291. — Nach Binding Lehrb. 2 170 und P. Merkel 228 ist Schriftform unbedingt erforderlich. ä ) Übereinstimmend insbes. Binding Lehrb. 2 188, Wachenfeld 493; auch R 17 103, 20 6, 22 182, 84 53. Dagegen insbes. Ver. Strafsenate 8 92, RMilG 15 180; ferner Frank § 267 I I (vgl. aber oben Note 2), P. Merkel 290, Beling, Lenz-, Allfeld 593 verlangt (wie Frank) „Bestimmung f ü r den Rechtsverkehr", um auch die Dispositiv-Urkunden zu umfassen. Die Schriftlichkeit der Disposition schließt aber die Beweisbestimmung in sich. Geld und geldvertretende Wertpapiere sind keine Urkunden im Sinne des Gesetzes, ebensowenig die Warenzeichen; Idealkonkurrenz ist daher ausgeschlossen. Milder b e s t r a f t e Sonderfälle enthalten S t G B § 363, HandelsGB § 316.
v. Liszt, Strafrecht. 21. Aufl.
33
§ l6o.
Strafbare Handlungen an Urkunden.
Allgemeines.
Urkunde kann a n g e f e r t i g t , errichtet, aufgenommen sein, d. h. die Beweisbestimmung bei ihrer Entstehung aufgeprägt erhalten haben („Absichtsurkunde"); oder aber sie kann erst n a c h t r ä g l i c h durch einen maßgebenden Willen (Staatsanwalt, Partei im Zivilprozeß usw.) die Beweisbestimmung erhalten („Zufallsurkunde"). 5 ) 3. Die Urkunde muß bestimmt sein, eine r e c h t l i c h erhebl i c h e T a t s a c h e (nicht bloß die Identität einer Person oder Sache)8) zu beweisen, d. i. eine Tatsache, die entweder allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen die Entstehung, Aufhebung oder Veränderung von Rechtsverhältnissen bewirkt. 4. Die Urkunde muß die P e r s o n d e s E r k l ä r e n d e n ersichtlich machen. Der Aussteller kann ausdrücklich genannt oder in anderer Weise objektiv erkennbar bezeichnet sein (Eisenbahnbilletts). Namensunterschrift ist mithin nicht erforderlich; mechanische Unterzeichnung (Firmenstempel usw.) genügt.') III. Die Arten der Urkunde. Die Urkunden sind entweder öffentliche oder private, inländische oder ausländische. Eine ö f f e n t l i c h e U r k u n d e ist nach § 415 ZPO die, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen ist; also die amtliche Urkunde, die öffentlichen Glauben genießt, d. h. die von ihr bekundeten Tatsachen nach außen hin für und gegen jeden dritten vollkräftig beweist.8) Alle anderen Urkunden sind private. Eine i n l ä n d i s c h e ö f f e n t l i c h e Urkunde ist die, die von einer inländischen öffentlichen Behörde (wenn auch im Auslande, z. B. von dem deutschen Konsul in London) ausgestellt worden ist. Und umgekehrt. Bei den Privaturkunden unterscheidet das Gesetz nicht weiter. Inländischen wie ausländischen Urkunden wird der gleiche Rechtsschutz gewährt. *) Ebenso Binding Lehrb. 2 189, Frank § 267 II, Wachenfeld 493; auch Bauer
(Bestimmung
d u r c h einen Beweisinteressenten).
G e g e n die
Zufalls-
urkunde Allfeld 593, P. Merkel 292. •) D a s „ K ü n s t l e r z e i c h e n " auf einem G e m ä l d e k a n n U r k u n d e sein; R 34
53, Frank § 267 III im Anschluß an Ötker 121; ebenso Wachenfeld 492. Da-
g e g e n ist' es n a c h Allfeld 594 s t e t s , n a c h Binding L e h r b . 2 184, Kohler 1908 (Lit. z u § 132) 145, SchwartZ § 267 N o t e 6 niemals U r k u n d e . ') Ü b e r e i n s t i m m e n d R 4 6 103, 298. D e r G e b r a u c h eines falschen Namens i s t keine U r k u n d e n f ä l s c h u n g , w e n n über die Person des Ausstellers kein Zweifel b e s t e h t (der Schriftsteller u n t e r z e i c h n e t m i t seinem b e k a n n t e n P s e u d o n y m ) ; so a u c h R 4 8 238. 8 ) E b e n s o R M i l G 1 3 89, 130. V g l . a u c h Bauer 38. — A u c h der Vermerk d e s P o s t b e a m t e n auf der P o s t a n w e i s u n g . So R 24 130, R M i l G 1 6 9 7 ; dagegen Beling Z 1 8 295. A u c h L e b e n s m i t t e l k a r t e n und andere B e z u g s s c h e i n e gehören h i e r h e r ; R 5 1 280.
§ l6l.
i . Die eigentliche Urkundenfälschung.
Auch die öffentliche Urkunde muß U r k u n d e sein, also der obigen Begriffsbestimmung entsprechen. Damit ist sie aber auch ohne weiteres unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt; der Gesetzgeber verlangt hier schlechthin Achtung vor der Urkundenform. Anders bei P r i v a t u r k u n d e n . Diese genießen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, w e n n s i e , sei es allein, sei es in Verbindung mit anderen Beweismitteln, z u m B e w e i s e v o n R e c h t e n o d e r R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n (also unmittelbar von rechtlich erheblichen Tatsachen) v o n E r h e b l i c h k e i t sind; außer der Bew e i s b e s t i m m u n g der Urkunde, außer der Rechtserheblichkeit der Tatsache ist B e w e i s e r h e b l i c h k e i t der Urkunde erforderlich. Es ist dies kein in dem Begriffe der Urkunde l i e g e n d e s , sondern ein zu den Begriffsmerkmalen h i n z u t r e t e n d e s Merkmal. 9 ) Zu beachten ist, daß die B e w e i s e r h e b l i c h k e i t s i c h durchaus nicht gerade auf jene Tatsachen zu beziehen braucht, zu deren Beweise die Urkunde b e s t i m m t ist. 10 ) § 161.
I. Die eigentliche Urkundenfälschung.
I. Die Handlung. Nach dem R S t G B (§ 267) setzt sich die Urkundenfälschung aus zwei, zeitlich und räumlich möglicherweise auseinanderfallenden Handlungen zusammen: dem F ä l s c h e n und dem G e b r a u c h e n der Urkunde, wobei das Schwergewicht auf letzterem liegt. 1. Das Fälschen u m f a ß t : a) Das N a c h m a c h e n oder Fälschen im engeren Sinne, d. h. die Herstellung einer unechten urkundlichen Beglaubigungsform. U n e c h t aber ist die Urkunde, wenn ihre ausdrückliche oder stillschweigende Angabe über den Aussteller der Urkunde unrichtig ist. Auch die Unterzeichnung des Namens eines verstorbenen oder überhaupt nicht vorhandenen Menschen ist mithin Urkundenfälschung; 1 ) sie wird dagegen durch das rechtlich zulässige Einverständnis des Dritten, dessen Name unterzeichnet werden soll, ausgeschlossen. 2 ) Urkundenfälschung kann nicht mehr angenommen werden, wenn die Unterschrift von dem angegebenen Aussteller tatsächlich herrührt, von diesem aber durch Täuschung oder Zwang s)
Daher z. B. in S t G B § 133 nicht erforderlich. Zu beachten ist, daß die Privaturkunde durch auf sie gesetzte amtliche Vermerke (Beglaubigung usw.) nicht zu einer öffentlichen wird, soweit der Vermerk nicht die Richtigkeit des Inhalts bescheinigt. Ebenso R 46 286. Vgl. V. Liszt JW 46 973Ebenso RMilG 18 231. a j Dagegen RMilG 12 251. Gegen diese ,.Vergeistigung des Echtheitsbegriffs" Frank Z 32 93. Vgl. R 4 4 69. 10)
33*
§ 161.
I. D i e eigentliche
Urkundenfälschung.
erlangt wurde, oder wenn die in der Urkunde von dem Aussteller bestätigte Tatsache unwahr ist.3) b) Das V e r f ä l s c h e n einer echten Urkunde, d. h. eine derartige Veränderung ihres Inhaltes, daß ihre ursprüngliche Beweiserheblichkeit aufgehoben oder umgestaltet wird. Ob der nunmehrige Inhalt der Urkunde der tatsächlichen Wahrheit entspricht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig. 4 ) c) Der fälschlichen Anfertigung einer Urkunde wird gleichgeachtet (§ 269 RStGB) der B l a n k e t t m i ß b r a u c h , d. h. der Fall, wenn jemand einem mit der (echten) Unterschrift (oben § 160 II 4) eines anderen versehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt (oder einen a n d e r e n als den verabredeten Inhalt) gibt. 2. Das Gebrauchen zum Zwecke der Täuschung, d. h. die Verwendimg der Urkunde im rechtlichen Verkehr als eines sinnfälligen Beweismittels mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Behauptung ihrer Echtheit und Unverfälschtheit. 5 ) Gleichgültig ist es, ob der Zweck, die Täuschung des anderen, erreicht wurde oder nicht. Zur Vollendung ist Vorlegung der Urkunde zur sinnlichen W a h r n e h m u n g erforderlich; also Möglichkeit der Kenntnisnahme von ihrem Inhalt durch den Getäuschten. 6 ) Wie dieses Ergebnis erreicht wird, ist gleichgültig; es genügt jede Veranstaltung, durch die dem zu Täuschenden die Urkunde tatsächlich zur sinnlichen Wahrnehmung (Tastsinn bei Blindenschrift!) gebracht werden soll, sei es, daß sie durch eine Mittelsperson ihm vorgezeigt, sei es, daß sie auf andere Weise (durch Hineinstecken in die Tasche, Einlegen in ein Buch, in andere Schriften, in den Schrank usw.) ihm in die Hand gespielt wird. Dagegen ist nicht Gebrauchen die Bezugnahme auf eine Urkunde, das Vorlesen oder die Behauptimg ihrer Echtheit (wenn sie nicht gleichzeitig vorgewiesen wird), die Vorlegung 3) Unecht ist dagegen die Urkunde, wenn die Unterschrift ohne Wissen des Ausstellers auf einem untergelegten Schriftstück durch Blauzettel hergestellt wird; R 50 179. 4) In einer ganzen Reihe von Entscheidungen (R 50 167, 420, 51 340, 52 78, 88) hat das R G angenommen, daß, wer eine Urkunde in seinem ausschließlichen Gewahrsam hat (wie der Kaufmann seine Handelsbücher) zu ihrer Abänderung so lange befugt ist, als nicht ein fremder Anspruch auf Unversehrtheit des gedanklichen Inhalts entsteht. Ebenso Kaufmann JW 47 445. Diese Ansicht führt zu den bedenklichsten Folgerungen. Vgl. V. Liszt JW 47 514, Frank § 267 V , Schwartz § 267 Note 7. 5) Sie muß als Beglaubigungsmittel für eine rechtlich erhebliche Tatsache gebraucht sein: R 28 130. Verkauf an Autographensammler genügt nicht. Vgl. oben § 159 I 2. •) Ebenso Allfeld 597, Binding Lehrb. 2 251, Frank § 267 V, Weismann Z 1 1 76, sowie R 19 215, R M i l G 1 4 29.
§ l6l.
i. Die eigentliche Urkundenfälschung.
517
einer Abschrift (falls diese nicht selber als eine Urkunde sich darstellt).') Die Aufgabe einer mit falschem Namen unterzeichneten rechtserheblichen Depesche ist Urkundenfälschung. Und zwar ist die Ankunftsdepesche als die gefälschte Urkunde zu betrachten, die der Absender, die Telegraphenanstalt als Werkzeug benutzend > hergestellt hat. Erst mit ihrer Abgabe tritt daher die Vollendung ein.8) Daß der zu Täuschende und der zu Schädigende nicht dieselbe Person zu sein brauchen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. II. Die Absicht. Fälschen sowohl wie Gebrauchen muß erfolgen in r e c h t s w i d r i g e r A b s i c h t , d. h. in der Absicht, von der Urkunde im rechtlichen Verkehr zum Zwecke der Täuschung als Beweismittel (also um den Getäuschten zu einem rechtserheblichen 9 ) Verhalten zu bestimmen) Gebrauch zu machen. Diese Absicht muß bei dem ersten Teil der strafbaren Tätigkeit, dem Fälschen, bereits als B e w e g g r u n d vorliegen; während sie bei dem zweiten Teil als V o r s a t z lediglich das Bewußtsein bedeutet, daß man von der Urkunde als Beweismittel zum Zweck der Täuschung Gebrauch mache. Schädigungsabsieht ist nicht erforderlich. III. Die Arten.10) Nach StGB § 267 liegt Urkundenfälschung vor, wenn d e r s e l b e T ä t e r in rechtswidriger Absicht eine öffentliche oder eine beweiserhebliche Privaturkunde verfälscht oder fälschlich anfertigt und von ihr zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Doch wird es nach StGB § 270 der Urkundenfälschung gleichgeachtet, wenn jemand von einer falschen oder verfälschten Urkunde, wissend, daß sie falsch oder verfälscht ist, zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Wenn in bewußtem Zusammenwirken der eine die Urkunde fälscht, der andere sie gebraucht, so liegt Mittäterschaft vor. Bei ') Im Sinne des Textes R 26 2 7 0 , 29 3 5 7 , 35 1 4 5 , 49 3 3 6 ; RMilG 13 42. Dagegen R 15 1 1 0 (Vorlesen genügt), 16 2 2 8 (Abschrift genügt). 8 ) Ebenso die durchaus herrschende Ansicht; auch Ver. Senate 8 9 2 , RMilG 20 2 7 6 . Binding Lehrb. 2 2 5 4 hat auf B G B § 1 2 7 hingewiesen. — Teilweise abweichend Bauer 5 0 und Sparr 24. —• Die Auslieferungsverträge erwähnen teilweise den Fall ausdrücklich. So (im Anschluß an das belgische StGB) der Vertrag mit dem Kongostaat v o m 2 5 . Juli 1 8 9 0 : ,,Faux en écritures ou dans des dépêches télégraphiques". Vgl. auch StGB § 3 5 5 . 9 ) Nach V. Lilienthal JW 46 1 6 8 genügt sozial-erhebliches Verhalten (Abbruch persönlicher Beziehungen). 10 ) Über R S t G B § 9 2 Ziff. 2 vgl. unten § 1 6 6 III. — V E § 2 8 2 faßt die §§ 2 6 7 bis 2 7 0 S t G B zusammen. GE § 2 0 9 hebt den Zeitpunkt der Vollendung scharf hervor: Wer eine fälschlich angefertigte oder eine verfälschte Urkunde zur Täuschung eines anderen über eine rechtlich erhebliche Tatsache gebraucht. K E kehrt zum geltenden Recht zurück.
§ 162.
2. Die Falschbeurkundung.
mehrfachem Gebrauchen derselben falschen Urkunde ist ebenso wie bei einmaligem Gebrauchen mehrerer gefälschter Urkunden nur e i n e strafbare H a n d l u n g gegeben. I V . D i e Vollendung d e r U r k u n d e n f ä l s c h u n g t r i t t in beiden F ä l l e n (§ 267 u n d 270) e r s t m i t d e m G e b r a u c h e n d e r U r k u n d e ( v g l . o b e n I 2 ) e i n . D a g e g e n b e g i n n t d e r V e r s u c h , d e r allerdings bei d e r e i n f a c h e n U r k u n d e n f ä l s c h u n g n i c h t s t r a f b a r i s t , i m F a l l e d e s § 267 s c h o n m i t d e m B e g i n n e d e s F ä l s c h e n s , 1 1 ) i m F a l l e des § 270 e r s t m i t d e m Beginne des Gebrauchens. V. Die S t r a f e besteht regelmäßig in Gefängnis (StGB § 267). E r h ö h t e Strafe tritt ein (StGB § 268), wenn die Fälschung entweder 1. in gewinnsüchtiger Absicht, d. h. in der Absicht,18) sich oder einem anderen einen (nicht notwendig rechtswidrigen 18 ) V e r m ö g e n s v o r t e i l (oben § 139 Note 13) zu verschaffen oder aber 2. in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen wird, einem anderen S c h a d e n (an irgendeinem Rechtsgut, nicht notwendig Vermögensschaden) 1 4 ) zuzufügen. Die erhöhte Strafe beträgt: a) Bei Fälschung von Privaturkunden Zuchthaus bis zu fünf Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark; b) bei Fälschung von ö f f e n t l i c h e n Urkunden Zuchthaus bis zu zehn Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark. — Bei mildernden Umständen zu a) Gefängnis nicht unter einer Woche, zu b) nicht unter drei Monaten; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. — Neben Gefängnis Ehrverlust nach Ermessen (§ 280)16).
§ 162. 2. Die Falschbeurkundung. Literatur. Außer den zu § 160 angegebenen Schriften: Kohler Studien 5 544. Haas Das Delikt der intellektuellen Urkundenfälschung. Greifswalder Diss. 1900. I. V e r s c h i e d e n v o n d e r U r k u n d e n f ä l s c h u n g i s t d i e Falschbeurkundung. D a s W e s e n d e r e r s t e r e n b e s t e h t in der N a c h m a c h u n g u ) Sehr bestritten. 1 . Übereinstimmend Allfeld 597, Binding Lehrb. 2 248, Frank § 268 II, Merkel 122 sowie HH 3 801, 4 448, Weismann Z 1 1 78; R 16 133. — 2. v. Birkmeyer (Lit. zu § 49) 107, R 7 54,13 213 wollen die Lage des Einzelfalles entscheiden lassen. — 3. Kohler Studien 1 1 8 , Lenz 197, Wachetlftld 497, lehnen die Annahme eines Versuchs unbedingt ab. u ) Diese Absicht tritt zu der oben II besprochenen Absicht hinzu; sie kann daher auch nach der Anfertigung entstanden sein. Ebenso R 50 55,51 237. I3 ) Also anders als beim Betrug. Übereinstimmend R wiederholt, zuletzt 1 1 155; Allfeld 598. Dagegen Binding Lehrb. 2 264, Frank § 268 I, Lenz 195. Es genügt die Absicht, den Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtung zu veranlassen. " ) Also gleich dem „Rechtsnachteil" in S t G B § 158. Ebenso Allfeld 598, Binding Lehrb. 2 266; R 84 243. Dagegen Frank § 268 I, Lenz 196, Merkel HH 3 800, Schwartz § 268 Note 2. Verletzung der Ehre, der Freiheit usw, genügt; nicht aber Gefährdung. " ) Über die Bestrafung des Beamten, der eine ihm anvertraute oder zugängliche (echte) Urkunde verfälscht, vgl. S t G B § 348 Abs. 2 (unten § 179 V I 2),
g 162.
2. Die Falschbeurkuudung,
519
oder Veränderung der B e g l a u b i g u n g s f o r m . O b der durch die Fälschung hergestellte I n h a l t der Urkunde m i t der Wahrheit übereinstimmt oder nicht, ist begrifflich gleichgültig. E s kann trotz Übereinstimmung Urkundenfälschung vorliegen; so z. B . wenn der Schuldner, der die Forderung des Gläubigers befriedigt, aber von diesem keine Empfangsbestätigung erhalten hat, sich eine solche anfertigt. Und es kann trotz Nichtübereinstimmung die Annahme einer Urkundenfälschung ausgeschlossen sein; so z. B . , wenn der noch nicht befriedigte Gläubiger durch listige Vorspiegelungen von seiten des Schuldners zur Ausstellung der Empfangsbestätigung bes t i m m t wird. D a s Wesen der Falschbeurkundung dagegen besteht in der U n w a h r h e i t d e r b e u r k u n d e t e n T a t s a c h e , während die Urkunde selbst echt und unverfälscht ist. Schwierigkeiten entstehen, wenn die unwahre B e u r k u n d u n g durch eine Täuschung des Beurkundenden herbeigeführt wurde. Man spricht in diesem Falle von „mittelbarer Falschbeurkundung" oder „Urkundenerschleichung" ( G E § 2 1 1 ) ; auch wohl von „intellektueller Urkundenfälschung'"' ( „ f a u x intellectuel" in C. pénal A r t . 197). II. D a s R S t G B bedroht im allgemeinen 1 ) nur die öffentliche Falschbeurkundung ( S t G B § 348) oder, wie § 271 breitspurig s a g t , die in öffentlichen Urkunden, Büchern, Registern erfolgende B e urkundung, d a ß Erklärungen, Verhandlungen oder T a t s a c h e n , die f ü r Rechte oder Rechtsverhältnisse v o n Erheblichkeit sind, abgegeben worden oder geschehen seien, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen sind. 2 ) Der Begriff der Urkunde ist derselbe wie oben § 160 II ; er u m f a ß t auch die v o m Gesetze ausdrücklich hervorgehobenen „ B ü c h e r " und „ R e g i s t e r " . Die Urkunden müssen mithin j e d e m g e g e n ü b e r vollen Beweis der beurkundeten Tatsache liefern, also für den ä u ß e r e n Verkehr, nicht nur für den inneren Dienst bestimmt sein. Grund- und Hypothekenbücher, Patentrollen, Handels-, Schiffahrts- und Standesregister gehören hierher; die Listen der Gefängnisse und Strafanstalten über die Strafgefangenen dann, wenn sie nach Landesrecht B e w e i s für und gegen Jedermann erbringen; 3 ) nicht aber die Strafregister der Staatsanwaltschaften oder die Impflisten der Ä r z t e . Der B e a m t e , der die falsche Beurkundung wissentlich
vor»
Vgl. aber auch unten §§ 163 V I I 2, 193 I I . ') Die Nichteintragung einer einzutragenden Tatsache genügt, wenn sie beweis liefert, daß sich die Tatsache nicht ereignet habe. ») Ebenso sehr bestimmt R 52 140. Vgl. Silberschmidt Z 1 9 403, Schwarte
§ 267 Note 4, Wachenfeld
500.
§ 163.
520
3- f ie übrigen Urkundenverbrechen.
nimmt, macht sich eines Amtsvergehens ( S t G B § 348) schuldig; 4 } 309, 310, 3 1 1 . 343, 43 1 » 490, 492, 502, 580 225 303 226 156 Note 10, 304, 305 Note 4
Paragraphenregister. Paragr. 227 228 229 280 231 282 283 284 285 286 237 288 289 240 241 242 248 244 '245 246
247 248 248a 249 250 251 252 258 254 255 256 257
258 259 269 2C1 262 268
264 264a 265
Seite 1 5 6 N o t e 10, 183, 310 265, 300, 301, 3 0 3 , 3 0 4 , 311 1 5 6 N o t e 10, 165 N o t e 4, 3 0 8 1 7 8 , 3 0 4 , 305 N o t e 4, 576 259, 3 0 5 186, 189 N o t e 13, 3 0 4 265, 267, 2 6 8 , 3 0 5 1 6 5 N o t e 4, 340, 3 4 4 , 603, 604 165 N o t e 4, 3 4 4 , 345 N o t e 7 165 N o t e 4, 186, $51, 3 5 3 165 N o t e 4, 186, 351. 3 5 3 333 156 N o t e xo, 340 N o t e 1, 3 4 2 , 580 1 1 4 N o t e 3, 197 N o t e x i , 3 4 0 N o t e i , 341, 355, 548 1 1 4 N o t e 3, 3 9 3 165 N o t e 4, 192, 197 N o t e x i , 409, 413, 4 2 4 , 4 2 5 , 427 N o t e 6, 428 207, 2xo N o t e 5, 381, 386, 4 2 4 , 427, 428, 481 228 N o t e 7, 263, 4 2 3 , 428 263, 4 2 3 , 428, 431, 461 192, 197 N o t e x i , 265, 409, 425, 427 N o t e 6, 428, 4 3 2 , 4 3 4 , 435 182, 186, 189 N o t e n 12 u. 13, 293, 4 2 4 , 4 2 5 , 427, 428, 4 3 4 , 435, 446, 600 252, 256, 4 2 4 , 4 2 5 , 426, 434 409, 423, 4 2 5 , 428, 462 165 N o t e 4, 335, 409, 425, 428, 429, 4 3 0 , 465, 487, 603 207, 263, 424, 4 3 0 , 487, 603 156 N o t e 10, 424, 4 3 1 , 487, 603 165 N o t e 4, 4 2 4 , 431, 487 197 N o t e I i , 335, 409, 4 6 4 , 4 6 6 , 579, 621 N o t e 5 466 430, 431, 4 6 6 , 487 252, 256, 431, 4 6 6 1 1 4 N o t e 3, 165 N o t e 4, 167 N o t e 8, 182, 188, 2 1 5 N o t e 7, 220, 423, 536 N o t e 6, 601, 6 0 3 478, 481, 601 167 N o t e 8, 178, 410, 4 7 8 , 480, 481, 482 228 N o t e 7, 481, 601 263, 481, 601 252, 256, 481 165 N o t e 4, 186, 189 N o t e n 12 u. 13, 197 N o t e I i , 256, 265, 409, 4 6 1 , 4 6 2 , 509 N o t e 4, 583 N o t e 12 263, 461, 4 6 2 186, 189 N o t e 13, 456, 4 6 2 i 6 5 N o t e 4 , 4 3 8 , 4 6 1 , 486 N o t e 2
671
Paragr. Seite 266 165, 256, 409, 4 4 5 , 4 4 6 267 165 N o t e 4, 192, 230, 390, 512, 515, 517, 518, 521 N o t e 1, 523 N o t e 8, 630 N o t e 4, 640 Note 3 268 165 N o t e 4, 518 269 516 270 165 N o t e 4, 5 1 7 , 518 271 209, 512, 5 1 9 , 5 2 0 272 165 N o t e 4, 5 2 0 273 165 N o t e 4, 167 N o t e 8, 5 2 0 274 N o t e 4, 438, 5 1 2 , 520, 521, 522 275 97, 167 N o t e 8, 513, 5 2 2 , 6 5 1 , 660 N o t e i 27« 5 1 3 , 5 2 2 , 651 277 525 278 167 N o t e 8, 5 2 5 279 525 280 256, 521, 5 2 2 , 5 2 5 281Ì 282} eiche K o n k u r s o r d n u n g 283J 284 228 N o t e 7, 253, 256, 4 7 3 285 218 N o t e 6, 4 7 3 286
287 288 289 29« 291 292 293 294 295 296 296a 297 298 299 300 301 302 302a 302 b 302c 302d 302e 303 304 305 306 307
474
(s. W a r e n b e z e i c h n u n g s g e s c t z ) 186, 187 N o t e 3, 4 5 4 186, 189 N o t e 12, 197 N o t e 11, 256, 408, 409, 421, 436 408, 409, 4 2 6 , 436 4 2 7 , 436 186, 189 N o t e n 12 u. 13, 4 4 0 , 441 212 N o t e 13, 441 228 N o t e 7, 252, 256, 4 4 1 441 4 4 2 , 443 62, 97, 4 4 3 , 646 476 165 N o t e 4, 4 4 4 186, 3 9 0 , 584 186, 390, 391 N o t e 6 186, 220, 4 6 7 186, 220, 256, 4 6 7 62, 220, 256, 410, 4 6 9 , 4 7 0 62, 256, 4 7 0 62, 256, 4 7 0 62, 228 N o t e 7, 250, 2 5 5 , 4 7 0 228 N o t e 7, 4 7 0 186, 189 N o t e 13, 197 N o t e 11, 408, 436, 437 149 N o t e I i , 1 9 7 N o t e 11, 256, 384, « 7 197 N o t e I i , 4 3 8 , 493 N o t e 5 410, 438, 4 8 6 , 487, 488, 561 107, 108 N o t e 2, 1 5 6 N o t e 10, 165 N o t e 4, 4 8 6
Paragraphenregister.
672 Paragr.
S08 309 310 811 812 813 314 315 310 317 318 318a 319 32« 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 336 336 337 338 339 340 341 342 343 344 345 346 347 348
Seite
Paragr.
487, 488, 498 178 Note 5, 488 272, 486 107, 108 Note 2, 178 Note 5, 488 107, 108 Note 2, 156 Note 10, 488 144 Note 9, 295 Note 3, 488 156 Note 10, 178 Note 5, 489 107, 108 Note 2, 156 Note 10, 422 Note I i , 438,489, 490, 491 156 Note 10, 178 Note 5, 489, 490, 491 438 Note 9, 491 178 Note 5, 49t
34» 350 351 352 353 353 a 354
493.
Note 11, 577, 578, 583 176 Note 8, 577, 683 Note 8, 577, 584 Note 6, 390, 577, 584 Note 6, 390, 517 Note 8, 577. 686
,.
3
6o7 511.
523
511. 523 5".
571
10, 9 10
10, 10,
11 12 13 14
490,
495
156 Note 10, 178 Note 5, 492, •93, 495 87, 156 Note 10, 494, 495 87, 156 Note 10, 494, 495 Note 4, 618 178 Note 5, 256, 495 497, 561, 578
361
165 Note 4, 256, 265, 568 Note i 4 > 678 165 Note 4, 578, 679 267, 579 579 375
167 Note 8, 576 Note 4, 679 197 Note Ii, 338, 341, 465, 547. 548. 577. 579 156 Note 10, 265, 304, 305 Note 4, 577, 680 577. 580 580
165 Note 4, 580 167 Note 8, 178 Note 5, 248, 581 165, 581 178 Note 5, 218 Note 6, 558, 559, 582 518 Note 14, 519, 520, 521 Note 4, 570, 682
571 635 Note 2 127 Note 5, 289 Note 2, 617
373,
623, 471 623 473 604
624
473. 604 249, 253, 1 bo, 372,
620 617, 620
372. 621 228 Note 7, 350, 622
577 578
581
583
197 167, 537 218 218
585 356 127, 197. 218 Note 6, 577, 588 357 256, 577 358 359 358, 553. 569, 575. 576 Note 4 360 Ziff. 2 562
491
240. 491 491 156 Note 10, 492 107, 108 Note 2, 156 Note 493 107, 108 Note 2, 156 Note 493 107, 108 Note 2, 156 Note 496, 502 252, 446, 486, 487, 488,
Seite
165 Note 4, 582 197 Note 11, 256, 425, 428, 688
362
021 621 62, 160, 372, 617, „ 10 372, 621 235. 248. 253, 263, 364,
620
363 230, 513, 624 364 513. 623 365 624 366 Ziff. I 625 .. .. .. „
2 3 4 5 f>
617 017 617 017 617 617 617 Ò17 017
., « ,.
7
„
9
., » ..
2 3 4
„ IO 366 a 617 367 Ziff. I
295 t>i 7 017, 617
618 557,
Paragraph enregister. Paragr.
Seite
«67 Ziff. 5 » „ 7 „ 8 ,, 9 ,, 10 „ Ii „ 12 >> r 3 ,, 14 „ 15 „ 368 Ziff. i „ 2 „ 3 ,. 4 „ 5
617 617 503 Note 6x7 617 301 Note 617 617 497 Note 497 Note 497 Note 471 617 617 617 617 617
4 x, 617 2, $17 2, 617 2, 617
673
Paragr* Ziff. 6 .. 7 „ 8 „ 9 „ 10 „ 11 369 Ziff. 1 »
2
.. >, .. „
2 3 4 5
„
6
„ 3 370 Ziff. 1
Seit« 617 617 617 386, 617 442 10, 442 617 t>39
öi7 189 Note 13, 427, 522 Note 5 427 481 44 2 186, 409, 424 Note 22, 425, 427 186, 428
Bürgerliches Gesetzbuch. EG. Art. 34
40 46 89 95 135
160, 187 Note 4, 255 Note 7, 333 Note 2, 344 Note 4, 353 Noten 7 u. 8,376 Note i, 638 255 Note 7 144 Note 9, 375 Noten 4 u. 7 146 Note 2 146 14
BGB. §
i 6 12 119 123 127 134 138 187 227 228
286 187 Note 4 372 170 Note 4 457 Note 4 517 Note 8 457 Note 3 469 160 Note i 137, 138 Note 3 138 Note 3, 141, 142, 440 Note i 229—231 146 Note 2, 418 Note 16 252 457 253 457 254 123 Note 4 261 602 276 175 559 426 Note 3 763 148 795 638 807 508 Note 3
T. L i s z t , Strafrecht.
2 1 . Aufl.
§ 823ff. 299 Note 3 824 146, 331 Note 10, 826 127 Note 5. 139, 827 162 Note 7 828 160 Note i 830 122 Note 3, 205 847 14, 257 Note i 854 415 Note 5 855 415 Note 5 857 415 Note 5 859 89, 139 Note 5, 867 146 868 415 Note 5 904 89, 141, 143 95° 437 Note 5. 478 960 440 Note 2, 442 962 146 1005 146 1310 371 Note 2 1312 238 Note 6 1317 375 Note 6, 376 1348 376 Note 3 1565 378 1575 378 1589 371 Note 2 1591 295 1680 238 Note 6 I68 4 \ 1685/ 187 Note 5 1687 445 Note 2 1781 255 Note 7 1906 187 Note 4 1909 187 Note 6 1922 414 2237 255 Note 7
328 Note 1 6 403 Note 5
146 Note 2
Note 2
43
Register der Nebengesetze. Die Zahlen verweisen auf die Seiten.
1867 (Salzsteuer) 654. 1869 (Wechselstempel) 216 Note io, 280, 660. 1869, Jüngster T e x t vom 26. Juli 1900 (Gewerbeordnung) 197, 238 Note 6, 248, 251, 266, 342, 404, 625, 626. 1869 (Vereinszollgesetz) 155 Note 8, 175 Note 6, 201, 212 J. Juli Note 13, 214 Note 5, 231, 235 Note 2, 578 Note 3, 580, 649 Note 5, 650, 652. 1869 (Ausgeschlossene hamburgische Gebietsteile) 653. I- „ 1871 (Prämienpapiere) 476. 8. Juni 1871 (Postgesetz) 144 Note 9, 251, 390 Note 3, 617, 642, 651. 28. Oktober 1871 (Festungsrayongesetz) 608. 21. Dezember 1872 (MilStGB) 662ff-, 100Note 10,108, i i 4 N o t e 2 , i 2 6 N o t e 2 , 20. Juni 127, 144,145, 146, 1 6 1 , 1 6 3 Note 9, 173 Note 3, 186, 207, 218 Note 6, 242 Note 4, 243, 250 Note 1, 256, 261, 262 Note 1, 263, 273, 304, 316, 534, 538, 555 Note 10, 557 Note 3, 558 Note 4, 561, 566, 576 Note 4, 577 Note 1, 580, 582 Note 10, 602 Note 4, 605, 606 Note 6, 621 Note 9, 662, 663 Note 1. 1873 (Kriegsleistungen) 607. 131874 (Impfgesetz) 615. 8. April 1874 (Preßgesetz) 107, 155 Note 7, 179, 180, 262, 267 Note 2, 7. Mai 279, 564, 566, 602, 610, 611. 1874 (Strandungsordnung) 144 Note 9, 146, 617, 644. 17- .» 1875 (Personenstand) 144 Note 9, 251, 372, 374, 375. 6. Februar 1875 (Bankgesetz) 114, 117 Note 3, 187 Note 11, 636. 14. März 9., 10., 11. Jan. 1876 (Urheberrechte) 189 Note 13, 259, 397, 398. 1876 (Desinfektion bei Viehtransporten) 156 Note 10, 619. 25. Februar 15. August 1876 (Zusammenstoß auf See) 644. 1876 (Robbenschonzeit) 97, 102, 623. 4. Dezember 1877 T e x t vom 20. Mai 1898 (Konkursordnung) 183, 220, 10. Februar 390 Note 3, 447, 448, 450, 453, 602, 630, 635. 1878 (Rinderpest) 155 Note 7, 156 Note 10, 197 Note 11, 618. 21. Mai 1878 (Spielkartenstempel) 155 Note 7, 271, 660. 3- Juli 1879 (Nahrungsmittel) 156 Note 10, 197 Note 11, 236 Note 4, 14. Mai 251, 500, 501, 503, 504, 505, 506, 554 Note 7. 1879 (Ausgeschlossene bremische Gebietsteile) 653. 28. Juni 25. März 1880 (Schiffsmeldung bei den Konsulaten) 643. 24. Mai 1880 (Wuchergesetz) 250, 469, 471. 1881 (Küstenfrachtfahrt) 97, 646. 22. „ 1881 abgeändert 24. Juli 1909 (Raumgehalt der Schank20. Juli gefäße) 639. 1882 (Nachlaß des Getreideeingangszolls) 653. 23. Juni 1883, Neue Fassung vom 10. April 1892 (Krankenversiche15. Juni rung) 627.
12. Oktober i o . Juni 21. „
Register der Nebengesetze. 19. 12. 30. 9.
Juni März April Juni
16. 26. 29. 24.
Juli Mai April Juni
25521. 5. 1.
Juli November April Mai
7. April 13. 19. 311. i6. 6. 20.
Mai „ Juni » Dezember April „
26. März 19. Juni 3- J u ü 4. März 12. ,, 12. Mai 16. „ 28. „ 1. März 9. Juni 15- „ 28. Juli
726.
„ „
12. August 9. Mai 10. „ 9. Juni 1526. 1. 8. 1.
„ Juli Juni August Dezember
675
1883 1884 1884 1884
(Reichskriegshäfen) 608. (Stimmzettel) 179 Note 1. (Nordseefischerei) 102, 647. ( Sprengstoffgesetz) 100, 101, 156 Note 10, 197, 207, 242, 498, 500, 561, 563 Note 1, 564, 566, 603. 1884 (Feingehalt) 640. 1885 (Reichskassenschein-Papier) 511. 1885 (Deutsch-Belg. Vertrag) 100. 1887, abgeändert 16. Juni 1895, 7. Juli 1902 (Branntweinsteuer) 2 7 » . 1887 (Blei- und zinkhaltige Gegenstände) 603. 1887 (Gesundheitsschädliche Farben) 503. 1887 (Unterseeische Kabel) 102, 492, 553, 645. 1888 (Ausschluß der Öffentlichkeit) 248, 368, 538. 1889, T e x t vom 20. Mai 1898 (Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften) 15g Note 7, 446, 453, 631. 1891 (Patentgesetz) 188 Note 8, 189 Note 13, 228 Note 7, 236 Note 4, 399. 1891 (§§ 318, 318a S t G B . ) 490, 523, 617. 1891 (Handfeuerwaffen) 641. 1891 (Zuckersteuer) 155 Note 8, 279, 656. 1891 (Gebrauchsmuster) 189 Note 13, 236 Note 4, 259, 399. 1891 (Arbeiterschutzgesetz) 625. 1891 (Deutsch-österr. Zollkartell) 275, 654. 1892 (Telegraphenwesen) 390 Note 3, 642. 1892, T e x t vom 20. Mai 1898 (Gesellschaften mit beschränkter Haftung) 450, 453, 632. 1893 (§ 69 S t G B ) 280. 1893 (Wuchergesetz) 469, 471. 1893 (Militärische Geheimnisse) 100, 197 Note 11, 207, 251, 275, 528, 539. 1894 (Branntweinhandel auf der Nordsee) 101, 622. 1894 (§ 361 Ziff. 10 S t G B ) 621. 1894 (Warenzeichen) 97, 188 Note 8, 189 Note 13, 236 Note 4, 259, 406. 1894 (Warenabzahluügsgeschäfte) 469, 471. 1894 (Brieftauben) 608. 1895 (Schiffsvermessungsordnung) 640, 643. 1895 (Österreich. Zollgesetze) 87, 267, 654. 1895, T e x t vom 20. Mai 1898 (Binnenschiffahrt und Flößerei) 647. 1895 (Sklavenraub) 100, 101, 156 Note 10, 197, 205, 214 Note 5, 242, 251, 252, 340, 345. 1896 (Depotgesetz) 183, 198 Note 12 u. 13, 434, 447 Note 6, 454, 639. 1896 (Schutztruppe) 664. 1896 (Einführung der Militärstrafgesetze in den afrikanischen Schutzgebieten) 664. 1896 (Konsumvereine) 633. 1897 (Zusammenstoß auf See) 643. 1897 (Handelsgesetzbuch) 144 Note 9, 146, 155 Note 7, 216 Note 10, 251, 271, 446, 453, 513 Note 4, 629, 631. 1897 (Auswanderungsgesetz) 100, 2 0 5 , 216 Note 10, 255, 360, 364, 609, 610. 1897 (Margarinegesetz) 401, 405, 505. 1897 (Handwerkerorganisation) 625. 1898 (Elektrische Maßeinheiten) 640. 1898 (Preßgesetz in Els.-Lothr.) 99, 179 Note 1. 1898 ( E G . z. MilGO) 280. 43*
€j6 7. 20. 22. 13. 134. 20. 277. 9-
Register der Nebengesetze.
Juni „ „ Juli .. Dezember „ April „
21. Mai 3. Juni 2530. „ 30- „ 3°- .» 10. September 12. Mai 19. 1930. 22. 2.
Juni >, Dezember März Juni
7. 25. 30. 10. 6. 410. 3. 39. 7. 24. 17. 19.
Juli Dezember März Mai Juli » Februar Juni .. Januar Februar Juni Februar April
8. Mai 3°- .» 3°- » 4. März 1. April 7- „ 3. Mai 1. Juni i- » 7- » 26. Juni
1899 (Abänderung des Bankgesetzes) 636—638. 1899 (Kaiser-Wilh.-Kanal) 652. 1899 (Flaggenrecht der Kauff.-Schiffe) ioi, 155 Note 7, 643. 1899 (Hypothekenbankgesetz) 446, 688. 1899, Text vom 19. Juli (Invaliden-Versg.) 627. 1899 (Schuldverschreibungen) 633. 1899 (Post) 642, 651. 1899 (Abänderung des § 316 StGB) 490 Note 3. 1900 (Konsulargerichtsbarkeit) 86 Note 5, 88, 98, 99, 275. 1900 (Elektrische Arbeit) 408, 413 Note 2, 439. 1900 (Patentanwalt) 399, 585. 1900 (Schlacht- und Fleischbeschau) 5051900 (lex Heinze, lex Hompesch) 347, 348, 350, 362 Note 9, 366, 368, 623. 1900 (Gemeingefährliche Krankheiten) 615. 1900 (Offene Verkaufsstellen) 626. 1900, Text vom 5. Juli (Unfallversicherungsgesetze) 627. 1900 (Schutzgebietsgesetz, neuer Text) 86 Note 5, 88, 98, 2 4 3 . 275. 1901 (Privat-Versicherungs-Unternehmungen) 446, 450, 453, 634. 1901 (Urheberrecht) 189 Note 13, 259, 280, 395, 396. 1901 (Verlagsrecht) 259, 396. 1901 (Abänderung der Strandungsordnung) 644. 1902 (Schutz des Genfer Neutralitätszeichens) 571. 1902 (Seemannsordnung) 102, 144, 146, 188 Note 11, 207, 214 Note