Lehrbuch der physiologischen Chemie 9783111511078, 9783111143330


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German Pages 924 [932] Year 1957

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Vorwort zur 10. Auflage
Vorwort zur 11. und 12. Auflage
Vorwort zur 13. Auflage
Inhalt
Einleitung
I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile
1. Kapitel. Die Kohlehydrate
2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide
3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide
4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine
5. Kapitel. Die Nucleinsäuren
II. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen
6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze
7. Kapitel. Säuren und Basen
8. Kapitel. Oxydation und Reduktion
9. Kapitel. Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen
III. Teil. Der Stoffwechsel
10. Kapitel. Die Fermente
11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
12. Kapitel. Die biologische Oxydation
13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoff ketten; der Citronensäurecyklus .
14. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwechsel
15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel
16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel
17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel
18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung
19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs
IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe
20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete
21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt
22. Kapitel. Das Blut
23. Kapitel. Niere; Urin
24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem
25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge
26. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)
V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen
27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes
28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone
VI. Teil. Die Ernährung
29. Kapitel. Die Vitamine
30. Kapitel. Die Spurelemente
31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf
Nachträge, Ergänzungen und Druckfehler
Bibliographische Hinweise
Autorenverzeichnis zur Bibliographie
Sachregister
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Lehrbuch der physiologischen Chemie
 9783111511078, 9783111143330

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LEUTHARDT

LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE

LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE Begründet von S. Edlbacher

13., neubearbeitete und erweiterte Auflage, von

FRANZ LEUTHARDT Ordentlicher Professor an der Universität Zürich

Mit 72 Abbildungen

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Berlin 1957

© Alle Hechte, auch die des auszugaweisen Abdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. — Copyright 1957 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Beimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp. Berlin W 35 Archiv-Nr. 52 107 57 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 85 Druck: Franz Spiller, Berlin SO 36

Vorwort zur 10. Auflage

Der verdiente Begründer des „Kurzgefaßten Lehrbuches der physiologischen Chemie", Prof. Dr. S. E d l b a c h e r , ist im Mai 1946 in Basel verstorben. Im gleichen Jahr kam die 9. Auflage seines Lehrbuches heraus. Sie hatte wegen der Ungunst der Zeit die jüngsten Fortschritte der physiologischen Chemie nur zum geringen Teil berücksichtigen können, und es drängte sich daher für die 10. Auflage eine völlige Neubearbeitung des Buches auf. Die rasche Entwicklung der physiologischen Chemie in den vergangenen Jahren hat den Stoff so stark anwachsen lassen, daß auch bei Beschränkung auf das Wesentliche eine Darstellung im Rahmen des früheren Lehrbuches nicht mehr möglich war. Sein Umfang mußte daher beträchtlich erweitert werden. Die hauptsächlichste Schwierigkeit bei der Abfassung eines derartigen Lehrbuches liegt in der Auswahl des Stoffes. Die biochemische Wissenschaft ist heute in raschem Fortschreiten begriffen und erobert beständig neue Gebiete. Es gibt natürlich einen Grundstock von gesichertem Tatsachenmaterial, der jeder Darstellung zugrunde gelegt werden muß. Wie weit aber daneben die zahlreichen Anwendungen der physiologischen Chemie in Biologie und Medizin berücksichtigt werden müssen und wie weit neue, sich erst anbahnende Entwicklungen schon für eine lehrbuchmäßige Darstellung geeignet sind, ist eine Ermessensfrage, die jeder auf seine eigene Weise lösen wird. Dem vorliegenden Buch liegen im großen und ganzen die Vorlesungen zugrunde, die ich seit 1942 in Genf und später in Zürich für die Studenten der Medizinischen Fakultät gehalten habe. Der erste Teil, der die Chemie der Naturstoffe behandelt, ist knapp gehalten. Auf Konstitutionsbeweise, Synthesen usw. wurde nirgends eingegangen. Ihre Kenntnis ist für den Mediziner entbehrlich; der Chemiker wird diese Dinge ohnehin in den ausführlichen chemischen Lehrbüchern nachlesen. Auch die deskriptiven Teile des Buches, in welchen die chemische Zusammensetzung der Organe und Körperflüssigkeiten besprochen werden, beschränken sich auf das Notwendigste. Einzig das Blut ist wegen seiner großen Bedeutung für die Klinik ziemlich ausführlich behandelt worden. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Stoffwechselvorgänge. Alle Lebenserscheinungen wurzeln letzten Endes im Stoffwechsel; die moderne Biologie und Medizin nehmen eine Entwicklung, in welcher die chemische Betrachtungsweise immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist daher der Besprechung der grundlegenden biochemischen Reaktionen und des Intermediärstoffwechsels ein breiter Raum eingeräumt worden. Auch die Vitamine werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung als Stoffwechselfaktoren gewürdigt. Die Abschnitte über die innere Sekretion enthalten eine Darstellung der chemischen und physiologischen Grundtatsachen, wobei hauptsächlich auch die Fragen berück-

Vorwort

VI

sichtigt wurden, die für das Verständnis der klinischen Endokrinologie wichtig sind. Es war überhaupt im ganzen Buch mein Bestreben, die für den Kliniker wichtigen Probleme der Biochemie besonders hervorzuheben. Der Basler Physiologe F r . M i e s c h e r schrieb 1874 an einen Freund: „Die physiologische Chemie besteht aus einem solchen Haufen urlzusammenhängender Facta, daß es wenig Sinn hat, noch mehr Häckerling hinzutun zu wollen." Die Kenntnis biochemischer Erscheinungen hat seither große Fortschritte gemacht; aber es gibt auch heute noch auf allen Gebieten der Biochemie zahlreiche isolierte Tatsachen, die wir vorläufig zur Kenntnis nehmen müssen, ohne sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Andererseits aber vermögen wir heute doch viele Gebiete soweit zu überblicken, daß wir die grundlegenden biochemischen Vorgänge sinnvoll in den Rahmen des gesamten physiologischen Geschehens einordnen können. Ich habe mich bemüht, die biochemischen Vorgänge soweit als möglich nicht als isolierte Facta, als „Häckerling", darzubieten, sondern ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Bedeutung für die allgemeinen Lebenserscheinungen aufzuzeigen. Von Hinweisen auf die Originalliteratur wurde abgesehen. In vielen Fällen wurde, besonders wenn es sich um neuere Untersuchungen handelt, der Name der Autoren beigefügt, um dem im biochemischen Schrifttum bewanderten Leser einen Hinweis zu geben. Ich möchte nicht verfehlen, Frl. M. A m s l e r für ihre treue Hilfe bei der Ausarbeitung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Z ü r i c h , im Mai 1952.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 11. und 12. Auflage

In der vorliegenden 11. Auflage sind insbesondere die Abschnitte über den Intermediärstoffwechsel durch neuere Ergebnisse ergänzt und überarbeitet worden. Der Citronensäurecyklus wird seiner allgemeinen Bedeutung entsprechend in einem besonderen Kapitel behandelt; ferner ist am Ende des 3. Teils ein kurzes Kapitel über die Photosynthese eingefügt worden. Auf vielfachen Wunsch geben wir am Schluß des Buches, nach Kapiteln geordnet, eine Literaturzusammenstellung, die hauptsächlich Monographien und zusammenfassende Arbeiten enthält. Ebenso sind im Text einige Hinweise auf neuere Arbeiten eingefügt worden. Wir hoffen, dadurch den Zugang zu den Originalarbeiten erleichtert zu haben. Ich möchte wiederum Frl. M. A m s l e r für ihre unermüdliche Hilfe meinen besten Dank aussprechen. Z ü r i c h , im April 1954.

F. L e u t h a r d t

Soweit als möglich wurden auch in dieser neuen Auflage, die der vorangehenden nach knapp einem Jahr folgt, die wichtigsten neuen Ergebnisse der biochemischen Forschung berücksichtigt und die Literaturhinweise ergänzt. Der Bibliographie wurde ein alphabetisches Autorenverzeichnis beigefügt. Ich bin mir durchaus bewußt, daß beim heutigen Umfang der Biochemie die gleichmäßige Bearbeitung aller Teilgebiete die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Ein Buch, wie das vorliegende, wird daher notwendigerweise in der Auswahl des Stoffs und in der Beurteilung noch strittiger Fragen vielfach die persönlichen Neigungen und Anschauungen des Verfassers widerspiegeln. Ich glaube indes aus der freundlichen Aufnahme, die das Buch bisher gefunden hat, schließen zu dürfen, daß der hier eingeschlagene Weg — die starke Betonung der dynamischen Aspekte der Biochemie — gangbar ist und den Wünschen vieler Leser entspricht. Meinen Mitarbeitern und Fachkollegen, die mich auf mannigfache Weise bei der Herausgabe der neuen Auflage unterstützt haben, möchte ich bestens danken. Möge das Buch weiter seinem hauptsächlichsten Zwecke dienen: Junge Mediziner und Chemiker zum vertieften Studium der Chemie der Lebensvorgänge anzuregen! Z ü r i c h , im März 1955.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 13. Auflage

I n der vorliegenden neuen Auflage wurden die meisten Kapitel überarbeitet, wobei den neuen Ergebnissen der rasch voranschreitenden biochemischen Forschung nach Möglichkeit Rechnung getragen wurde. Ich hätte gerne noch je ein Kapitel über die chemische Organisation der Zelle sowie die Biochemie des Krebses beigefügt, mußte aber wegen Zeitmangels darauf verzichten. Ich hoffe, diese Ergänzung in einer nächsten Auflage nachholen zu können. Die Literaturhinweise im Text wurden wesentlich vermehrt; auch die Bibliographie am Schluß des Buches, welche hauptsächlich eine Auswahl zusammenfassender Darstellungen enthält, wurde ergänzt. Bei der Ausarbeitung der neuen Auflage wurde ich wieder durch Frau M. SchillerAmsler unterstützt, welcher ich für ihre unermüdliche Hilfe den herzlichsten Dank sagen möchte. Zürich, im März 1957.

F. L e u t h a r d t

Inhalt

Seite

Einleitung I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile

1 . .

7

1. Kapitel. Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur 2. Monosaccharide A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen B. Stereochemie der Zucker C. Ringstruktur der Zucker D. Die verschiedenen Gruppen der Monosaccharide 3. Disaccharide, Oligosaccharide 4. Polysaccharide: Stärke, Glycogen, Cellulose, Inulin 5. Pectin, Hemicellulose, Lignin, Pflanzengummi und -schleime 6. Mucopolysaccharide

7 7 9 9 13 20 24 30 34 37 38

2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide

41

1. F e t t e A. Bausteine B. Struktur der Fette 2. Wachse 3. Phosphatide und Cerebroside A. Phosphatide B. Cerebroside 3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine und Steroide 2. Gallensäuren 3. Carotinoide (Lipochrome) 4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine 1. Aminosäuren A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren B. Derivate der Aminosäuren C. Die einzelnen Aminosäuren D. Die Stereochemie der Aminosäuren E . Nachweis- und BeBtimmungsmethoden der Aminosäuren 2. Peptide 3. Eiweißkörper A. Einteilung der Eiweißkörper B. Reaktionen der Proteine C. Die Analyse der Eiweißkörper D. Die Struktur der Proteine E . Das Molekulargewicht der Proteine F. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proteine a) Die Proteine als Elektrolyte b) Das Eiweißmolekül als Dipol c) Elektrophorese d) Die Löslichkeit der Proteine e) Die Anwendung der Phasenregel auf Eiweißlösungen f) Die Wechselwirkung zwischen Salzen und Proteinen

41 41 4i 45 46 46 61 53 63 69 61 65 65 66 68 69 76 79 83 85 86 89 91 93 99 102 102 105 107 110 110 111

X

Inhalt Seite

6. Kapitel. Die Nucleinsäuren 1. Allgemeines 2. Das Kohlehydrat 3. Die stickstoffhaltigen Bausteine 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren 5. Die Struktur der Nucleinsäuren

116 116 117 117 119 122

I I . Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen 6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze 1. Die Gesetze der verdünnten Lösungen A. Die ideale Lösung B . Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels C. Gefrierpunktsdepression D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E . Osmotischer Druck 2. Elektrolyte 3. Die Phasenregel

126

. . . .

126 126 126 127 128 128 129 130 132

7. Kapitel. Säuren und Basen 1. Massen Wirkungsgesetz 2. Definition der Säuren und Basen 3. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen 4. Pufferlösungen 5. Aktivität der Ionen 6. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

134 134 135 137 142 144 147

8. Kapitel. Oxydation und Reduktion 1. Der Begriff der Oxydation 2. Das Oxydations-Reduktionspotential

150 150 153

0. Kapitel. Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen 1. Sole und Gele 2. Adsorption 3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie . . . . A. Die Chromatographie B . Verteilungschromatographie; Papierchromatographie C. Ionenaustauscher

159 161 163 166 167 168 171

I I I . Teil. Der Stoffwechsel 10. Kapitel. Die Fermente 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente 2. Chemische Natur der Fermente A. Allgemeine Eigenschaften der Fermente B . Reindarstellung der Fermente 3. Verbindung von Ferment und Substrat 4. Einteilung der Fermente 5. Hydrolasen A. Desaminasen B . Proteasen C. Esterasen D. Carbohydraaen a) Hexosidasen b) Polyasen

173 173 173 178 180 182 183 188 189 190 192 202 204 205 207

Inhalt

XI Seite

6. Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI) A. Phosphorylasen (II) B. Hydratasen (III) C. Desmolasen (IV) D. Gruppenübertragende Fermente (V) E. Isomerasen (VI) F. Ferment« der Oxyd-Reduktion (VII)

208 210 210 211 212 216 216

11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

216 222

12. Kapitel. Die biologische Oxydation 1. Die eisenhaltigen Atmungsfermente A. Das „sauerstoffübertragende" Ferment B. Die Cytochrome C. Katalase und Peroxydasen (Hydroperoxydasen) 2. Die wasserstoffübertragenden Fermente A. Die Dehydrierung der organischen Stoffe B. Die Wasserstoffübertragenden Cofermente 3. Die Atmungskette 4. Spezielle Redoxsysteme Mechanismus der Dehydrierungen

229 229 229 234 237 239 239 242 249 255 258

13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus . . . 260 1. Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus 262 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds 275 14. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwechsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate 2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate A. Alkoholische Gärung und Glycolyse B. Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese C. Der Stoffwechsel der Fructose und der Galactose D. Bildung der Ribose; direkte Oxydation der Glucose E. Synthese der glycosidischen Bindung; die Transglycosidasen F. Der oxydative Abbau der Kohlehydrate 3. Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese . . . . 4. Weitere Produkte des Kohlehydratstoffwechsels 5. Verteilung und Verbrauch der Kohlehydrate im Organismus; die Regulation des Blutzuckers 6. Der Diabetes mellitus

280 280 282 284 297 302 306 308 310 313 321 323 340

15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel 347 1. Die Verdauung der Fette 347 2. Absorption und Verteilung 348 3. Die biologische Synthese der Fettsäuren 350 4. Der Abbau der Fettsäuren; Bedeutung der aktivierten Essigsäure im Fettsäurestoffwechsel 352 5. Die Acetonkörper 361

XII

Inhalt Seite

6. 7. 8. 9.

Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren 365 Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel 365 Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen 368 Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren 368

16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel 372 1. Aufnahme der Eiweißkörper 372 A. Die Verdauung der Eiweißkörper 372 B. Resorption und Speicherung 373 2. Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper 376 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 385 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren 391 A. Phenylalanin und Tyrosin 391 B. Tryptophan 397 C. Histidin 402 D. Cystin (und Cystein), Methionin 406 E. Arginin, Lysin 412 F. Prolin 415 G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin 417 H. Serin und Threonin 418 I. Glycocoll 420 K. Valin und Isoleucin 421 5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe 421 6. Aminosäuren und Entgiftungs-(Detoxikations-)vorgänge 426 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung 429 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren 435 9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum 438 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine 441 11. Das Stickstoffgleichgewicht 442 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas 442 13. Die Synthese der Proteine 446 14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel 452 17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel 1. Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren 2. Synthese des Puringerüsts 3. Stoffwechsel der Cofermente 4. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

456 456 463 468 469

18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung 1. Thermodynamische Vorbemerkungen 2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen 3. Glycolytische (anaerobe) Phosphorylierung 4. Oxydative Phosphorylierung 5. ATP- und Coenzym-A-abhängige Vorgänge A. Die Rolle des ATP und der organischen Phosphate bei biochemischen Synthesen B. Coenzym-A-abhängige Reaktionen: Acetylierung, Citronensäure- und Fettsäuresynthese

472 472 477 485 487 495 495 500

Inhalt

XIII Seite

19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs 1. Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen 2. Die Assimilation des Stickstoffs

506 . . . 507 520

IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe . . . . 20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Der Der Der Das Die Der Der

Speichel Magensaft Pankreassaft Sekretin Galle Darmsaft allgemeine Verlauf der Verdauung

21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt 1. 2. 3. 4.

523 524 525 528 529 530 533 533 537

Verteilung des Wassers und der Ionen 538 Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor 545 Die Regulation des Säure- und Basengleichgewiohts durch die Nieren . . . 546 Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes 552

22. Kapitel. Das Blut 1. 2. 3. 4. 5.

523

Zusammensetzung Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts Die Plasmaproteine Die Blutgerinnung Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff A. Das Hämoglobin a) Allgemeine Eigenschaften b) Die Porphyrine c) Das Globin d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins B. Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel c) Die Bedeutung des Kupfers für die Hämoglobinbildung d) Andere Nahrungsfaktoren C. Der Abbau des Blutfarbstoffes a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff

6. Die Porphyrie 23. Kapitel. Niere; Urin 1. Die Harnsekretion 2. Die „Clearance" 3. Der Stoffwechsel der Niere 4. Niere und Blutdruck

552 552 556 561 567 575 576 576 577 582 582 586 586 589 591 592 593 593 595 600 602 602 604 606 607

XIV

Inhalt

Seite

5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile A. Harnstoff B. Kreatinin und Kroatin C. Harnsäure D. Aminosäuren E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) F.Kohlehydrate G. Proteine H. Farbstoffe des Urins a) Blutfarbstoff b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen" c) Porphyrine d) Uroerythrin e) Urorosein f) Melanine g) Ehrlich sehe Diazoreaktion I.Wirkstoffe K. Anorganische Stoffe, Säuren und Basen L. Harnsediment und Harnsteine

608 609 609 610 610 611 617 619 619 619 620 620 621 621 621 622 622 623 624

6. Anhang: Das Sperma

626

24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem 1. Muskel A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels B. Die Proteine des Muskels und die Muskelkontraktion C. Der Kreatinstoffwechsel 2. Das Nervensystem A. Nervenleitung B. Stoffwechsel des Nervensystems C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

627 627 627 633 643 645 645 647 648

25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe 2. Haut und Bindegewebe 3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens B. Verkalkung des Knochens C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

649 649 652 654 654 656 658 660

26. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)

662

V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen 27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe 2. Die entwicklungsmechanische Induktion

668 668 671 673

Inhalt

XV Seite

28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone

675

1. Chemische und nervöse Steuerung 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion 3. Die Schilddrüse A. Chemie des Schilddrüsenhormons B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe E . Störungen der Schilddrüsenfunktion

675 677 679 679 683 685 686 687

4. Die Nebenschilddrüsen A. Wirkungen des Parathormons B. Klinische Bedeutung

688 689 091

5. Die Nebennierenrinde

(>92

A. B. C. D. E. F.

Ausfallserscheinungen Die Rindenhormone Die biologische Wirkung der Rindenhormone Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse Addisonsche Krankheit Bildung der Sterinhormone in der Nebennierenrinde

6. Das Nebennierenmark 7. Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas 8. Die Hypophyse A. B. C. D.

Übersicht Das Wachstumshormon (somatotropes Hormon, STH) Funktionen des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse) Funktionen des Mittellappens

9. Die endokrine Steuerung der Fortpflanzungsvorgänge

693 693 695 699 701 701 704 706 707 707 710 712 715 715

A. Die gonadotropen Hormone der Hypophyse und der Placenta 715 B. Die Hormone der Gonaden 719 C. Übersicht über die chemische Struktur der wichtigsten Sexualhormone und verwandter Sterine 725 D. Der Genitalcyklus 729 E . Gravidität 732 F. Endokrine Steuerung der sexuellen Differenzierung, der Entwicklung und des Wachstums 734 10. Termone und Gamone VI. Teil. Die Ernährung 29. Kapitel. Die Vitamine 1. 2. 3. 4. 5. 0. 7. 8.

Einleitung; Übersicht Vitamin A Die D-Vitamine Vitamin E Vitamin K „Vitamin F " Vitamin B x Vitamin B 2

737 739 739 739 743 749 755 757 759 759 765

XVI

Inhalt Seite

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Vitamin B , Antipellagra-Vitamin Biotin (Vitamin H) meso-Inosit (i-Inosit) Pantothensäure Die Folsäuregruppe p-Aminobenzoesäure und Sulfanilamid; Theorie der „Antivitamine" . . . . Vitamin B l a (Erythrotin, Cobalamin) Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe Vitamin C Vitamin P

30. Kapitel. Die Spurelemente 1. Allgemeines 2. Einzelne Spurelemente A. Kupfer B. Kobalt C. Zink D. Mangan 3. Die Spurelemente als Nahrungsfaktoren 31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf

767 771 775 777 778 781 788 791 796 798 804 804 804 807 807 808 809 809 810 813

1. Der Energiestoffwechsel A. Das Isodynamiegesetz B. Der respiratorische Quotient C. Berechnung des Energieumsatzes D. Der Grundumsatz (Basalstoffwechsel) E. Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe

813 813 818 819 820 822

2. Die Kostformen 3. Die Nahrungsmittel A. Milch und Milchprodukte B. Fleisch C. Nahrungsfette D. Cerealien E. Zucker und Süßigkeiten F. Kartoffeln G. Blattgemüse H. Leguminosen I. Früchte 4. Die allgemeine Bedeutung der Ernährungslehre

825 830 833 835 836 837 839 840 840 840 841 842

Nachträge und Ergänzungen

845

Bibliographische Hinweise

847

Autorenverzeichnis zur Bibliographie

880

Sachregister

885

Einleitung

Die Aufgabe der physiologischen Chemie liegt in der Erforschung des stofflichen Aufbaus und der chemischen Umsetzungen der lebenden Substanz. Wenn wir die Entwicklung der physiologischen Chemie aus ihren Anfangen verfolgen, so erkennen wir, daß sie hauptsächlich drei verschiedene Forschungsrichtungen in sich vereinigt. Als erste ist die chemische Erforschung der Naturstoffe zu nennen. Die „organische" Chemie war ursprünglich derjenige Zweig der Chemie, der sich mit den Produkten des Tier- und Pflanzenreiches befaßte. Organische und physiologische Chemie waren also in ihren Anfangen identisch. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auf Grund der herrschenden naturphilosophischen Anschauungen der Glaube allgemein verbreitet, daß die Verbindungen organischen Ursprungs nur durch die Tätigkeit der lebenden Organismen gebildet werden könnten. Die Harnstoffsynthese Wöhlers (1820), welcher in rascher Folge die Darstellung weiterer organischer Verbindungen folgte, erbrachte den Beweis, daß die Bedingungen für die Entstehung „organischer" Stoffe auch in vitro realisierbar sind. Auch heute noch stellt die Erforschung der chemischen Konstitution der Naturstoffe einen wichtigen und für die physiologische Chemie grundlegenden Zweig der chemischen Forschung dar. Es ist klar, daß die genaue Kenntnis der Stoffe, welche die lebende Substanz aufbauen, die erste Voraussetzung für das Verständnis der biochemischen Vorgänge ist. Wir sehen denn auch, daß die physiologische Chemie auf allen ihren Entwicklungsstufen den Stand der organischen Chemie widerspiegelt. Die Lösung der biochemischen Probleme konnte immer nur so weit gefördert werden, als die Chemie dazu den Boden vorbereitet hatte. Umgekehrt hat aber auch die chemische Forschung von der Biologie starke Impulse empfangen; insbesondere ist in neuerer Zeit durch die Entdeckung der Hormone und der Vitamine die organische Chemie vor neue Aufgaben gestellt und in mancher Hinsicht gefördert worden. Eine andere Forschungsrichtung hat ihren Ausgangspunkt in der Physiologie. Zwar ist für das Verständnis vieler physiologischer Funktionen der stoffliche Aufbau der Organe nur von sekundärer Bedeutung. Zum Beispiel können die Bewegungen des Körpers aus dem Bau des Skeletts und der Anordnung der Muskeln erklärt werden, ohne daß man dabei auf den Stoffwechsel der Muskeln oder den chemischen Aufbau der Knochen Bezug zu nehmen braucht. Für das Verständnis des dioptrischen Apparates des Auges ist die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der brechenden Medien unnötig, wenn man nur ihre Brechungsexponenten und die Lage und Krümmung der brechenden Flächen kennt. Auch die Organisation des Nervensystems kann völlig verstanden werden, ohne daß man über die feineren chemischen Vorgänge der Nervenleitung etwas wissen muß, usw. Die Physiologen sind aber schon sehr früh auch auf Erscheinungen gestoßen, die ihrer Natur nach chemische Vorgänge sind oder bei denen jedenfalls chemische Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierher gehören z. B. die Atmung, die Assimilation der Kohlensäure durch die grünen Pflanzen, die Verdauung der Nahrung beim Tier, die Umwandlung der Nährstoffe in die Körper1

L a a t b a r d t , Lehxbuob. IS. Aufl.

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substanz, die Bildung der Sekrete und Exkrete, die Gärung und die Fäulnis organischer Substanzen, die Blutgerinnung und vieles andere mehr. Als eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen muß wohl die Feststellung L a v o i s i e r s gelten, daß im Tierkörper Verbrennungen stattfinden, durch welche Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebildet wird. Diese Entdeckung bewies, daß einer der grundlegenden Lebensprozesse, nämlich die Respiration und die Bildung der tierischen Wärme, chemischer Natur ist. In dem Maße, wie die Kenntnis der organischen Stoffe fortschritt, wurden auch immer mehr chemische Umsetzungen bei Tieren und Pflanzen bekannt; man erkannte allmählich, daß die ständige Umwandlung der Nährstoffe und Baustoffe, Aufbau und Verbrennung zum Wesen der Lebensvorgänge gehören. L i e b i g sprach die „tiefe Überzeugung aus, daß die Chemie allein in die Lebensprozesse Licht zu bringen vermag"; Th. S c h w a n n hat (1839) die Gesamtheit der chemischen Umwandlungen, die sich in den lebenden Zellen oder durch die Aktivität der Zellen im umgebenden Milieu abspielen, unter dem Namen der „metabolischen Erscheinungen" zusammengefaßt (vom griechischen t ö psTaßoAiKÖv, was Umwandlungen hervorbringt oder erleidet). Wir bezeichnen die Summe dieser Reaktionen heute als den Stoffwechsel. Das Studium der Stoffwechselvorgänge bildet einen der wichtigsten Gegenstände der biochemischen Forschung. Man erkannte schon frühzeitig, daß viele Stoffe im Tierkörper oder in der Pflanze, also im Kontakt mit der lebenden Substanz, andersartig reagieren als im Reagensglas. Die auffallendste Tatsache besteht darin, daß Verbindungen, die in wässeriger Lösung und bei Körperwärme durchaus stabil sind und keinerlei Veränderungen zeigen, in den tierischen Geweben Spaltungen erleiden oder durch den Luftsauerstoff oxydiert werden. B e r z e l i u s vermutete eine besondere „katalytische K r a f t " als Ursache dieser Erscheinung. Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den Begriff der „Katalyse" zu präzisieren. Wir wissen aber heute, daß die biochemischen Umsetzungen tatsächlich katalytische Reaktionen sind; sie werden durch besondere, von den Organismen produzierte Stoffe, die Fermente, hervorgerufen. Der Entdeckung der Fermentwirkungen entsprang die Aufgabe, nicht nur die Umwandlungen festzustellen, welche die organischen Moleküle im Stoffwechsel erleiden, sondern auch die Natur und die Wirkungsweise der Stoffe zu erforschen, welche diese Umwandlungen ermöglichen und die daher als die chemischen Werkzeuge der Organismen betrachtet werden können. Es entstand auf diese Weise ein neuer Zweig der biochemischen Forschung: die Fermentchemie. Sie bildet heute das eigentliche Kernstück der Biochemie, weil jede Stoffwechselreaktion schließlich auf die Tätigkeit bestimmter Fermente zurückgeht. Unter den chemischen Problemen der Physiologie, die wir oben genannt haben, ist die Ernährung eines der wichtigsten. Die Frage, worin die Bedeutung der Nährstoffe besteht und auf welche Weise sie in die Körpersubstanz umgewandelt werden, hat seit der Zeit L a v o i s i e r s die Chemiker und Physiologen intensiv beschäftigt und hat viel zur chemischen Erforschung der Lebensvorgänge beigetragen. Auf die Entwicklung der modernen Ernährungslehre sind vor allem die Arbeiten J . v. L i e bigs von großem Einfluß gewesen. L i e b i g hat die Bedeutung der Proteine klargestellt, indem er zeigte, daß sie als „plastische" Nährstoffe dem Aufbau der Körpersubstanz dienen; er stellte sie den Kohlehydraten und Fetten als den eigentlichen „Brennstoffen" des Körpers gegenüber; er hat die Bedeutung der Mineralstoffe für die Ernährung der Pflanzen und Tiere erkannt und hat schließlich als erster auf die großen Zusammenhänge zwischen pflanzlichem und tierischem Leben und den Kreislauf der Stoffe in der Natur hingewiesen. Seine Ideen wirkten in mancher Richtung weiter und befruchteten die Forschung der nachfolgenden Generation.

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Eine spätere Arbeitsrichtung, die in ihren ersten Anfangen ebenfalls auf L a v o i sier und L i e b i g zurückgeht, beschäftigte sich mit dem energetischen Aspekt der Ernährung. Sie hat die Methoden zur Erforschung der Energiebilanz geschaffen und gipfelt einerseits im Beweis, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik auch für die Organismen gilt, andererseits im Rubnerschen Isodynamiegesetz. Etwa zu Beginn unseres Jahrhunderts, in ihren ersten Ansätzen schon etwas früher, setzten die Arbeiten ein, welche schließlich zur Entdeckung der Vitamine und der übrigen essentiellen Nahrungsfaktoren führten. Diese Arbeiten zeigten, daß der Nahrungsbedarf der Tiere durch die bisher bekannten Nährstoffe und Mineralstoffe nicht gedeckt werden kann, sondern daß der tierische Organismus noch kleiner Mengen besonderer organischer Verbindungen bedarf, die er offenbar nicht selbst aufbauen kann. Die meisten dieser Verbindungen sind als Bestandteile von Fermentsystemen, als Cofermente, erkannt worden. Sie haben also katalytische Funktionen und daraus erklärt sich ihre Wirksamkeit in Mengen, die verglichen mit dem Bedarf an Bau- oder Brennstoffen sehr klein sind. In ähnlicher Richtung bewegten sich die Untersuchungen über den Nährwert der Proteine. Sie haben zur Kenntnis geführt, daß den höheren Tieren eine Anzahl Eiweißbausteine in der Nahrung zugeführt werden müssen, weil der tierische Organismus zu deren Synthese nicht fähig ist. Diese Verbindungen stellen also die eigentlichen „plastischen" Nährstoffe L i e b i g s dar. Mit den Vitaminen lassen sich gewisse Metalle wie Kupfer, Mangan, Kobalt oder Nichtmetalle wie Jod und Bor vergleichen, die in den pflanzlichen und tierischen Geweben zwar nur in kleinsten Mengen vorkommen, aber trotzdem lebensnotwendig sind. Man faßt sie gewöhnlich unter dem Namen der Spurelemente oder Oligoelemente zusammen. Die Auffindung der Vitamine stellte die Forschung vor zwei Aufgaben: die Aufklärung ihrer chemischen Struktur und ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel. Die erste Aufgabe ist von den Chemikern weitgehend gelöst worden. Auch über ihre Funktion im Stoffwechsel wissen wir in vielen Fällen Bescheid. Wir kennen eine Reihe von Fermentsystemen, an welchen Vitamine als Cofermente beteiligt sind. Es zeigt sich, daß sie alle in die grundlegenden Stoffwechselprozesse der Zelle eingreifen und wahrscheinlich für alle Organismen, Tiere und Pflanzen, Bedeutung haben. Die Vitaminforschung hat sich heute weitgehend mit der Fermentforschung vereinigt. Die modernen Untersuchungen über unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine und Spurelemente bringen die mehr als ein Jahrhundert dauernden Bemühungen zu einem gewissen Abschluß, den Nahrungsbedarf der Pflanzen und Tiere chemisch exakt zu definieren. Eine große Zahl chemischer Fragen ergab sich ferner aus der Entdeckung der inneren Sekretion. Es ist, beginnend mit dem Adrenalin, der organischen Chemie gelungen, einen beträchtlichen Teil der bekannten Hormone in reinem Zustand zu isolieren und ihre Struktur aufzuklären. In ähnlicher Weise wie bei den Vitaminen stellt sich auch hier die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Stoffe, die als „chemische Sendboten" von den innersekretorischen Drüsen ans Blut abgegeben werden. Da alle Hormone spezifisch auf bestimmte Gewebe oder bestimmte Vorgänge einwirken, muß sich ihre biologische Aktivität letzten Endes auch als chemische Reaktion verstehen lassen. Unsere Kenntnisse sind hier allerdings noch sehr dürftig.

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Eine Reihe von biochemischen Problemen hat schließlich ihre Quelle in der Beobachtung des Kranken in der Klinik. Jeder krankhafte Prozeß ist von lokalen oder allgemeinen Änderungen der Stoffwechselvorgänge begleitet und gibt daher Gelegenheit zur Beobachtung biochemischer Erscheinungen. Besonders auffällig sind vielfach die Veränderungen der Exkrete; die Trübung des Harns im Fieber, das Auftreten bestimmter Pigmente, die Ausscheidung von Zucker, der Ammoniakgeruch des Atems bei Nierenkranken, der Acetongeruch bei Zuckerkranken sind den Ärzten schon sehr lange bekannt. Viele den Stoffwechsel betreffenden Fragestellungen sind denn auch von der Klinik ausgegangen. So haben z. B. die Bemühungen um die Aufklärung der Zuckerkrankheit die Erforschung des Kohlehydratstoffwechsels in mannigfacher Weise angeregt und gefördert; der Untersuchung der seltenen Alkaptonurie sind wichtige Erkenntnisse über den Abbau der Aminosäuren entsprungen, das Auftreten der Porphyrine im Harn hat den Anstoß zur Erforschung der Hämine gegeben usw. Eine große Rolle haben vor allem auch die endokrinen Störungen gespielt. Verschiedene den Ärzten seit langem bekannte Krankheitsbilder haben sich als Folge einer mangelnden oder einer überschießenden Produktion bestimmter Hormone zu erkennen gegeben (auch die Zuckerkrankheit gehört dazu). Die Klinik hat schon früh der Physiologie eine Reihe von Hinweisen auf die Bedeutung der heute als endokrine Drüsen bezeichneten Organe gegeben, ehe man sich über deren Funktion eine genaue Vorstellung machen konnte. Schließlich waren die Mangelkrankheiten wie der Skorbut oder die Beriberi einer der Ausgangspunkte für die Erforschung der Vitamine. Die physiologische Chemie gewinnt heute für viele Zweige der Medizin eine steigende Bedeutung, sei es für das Verständnis der Krankheitserscheinungen, sei es für die Diagnostik oder die Therapie. Je mehr sich die Kenntnis der Stoffwechselreaktionen vertieft, desto eher wird es auch möglich sein, die den krankhaften Zuständen zugrunde liegenden chemischen Vorgänge zu erfassen. Die vorstehenden Hinweise dürften genügen, um das Gebiet der physiologischen Chemie in großen Zügen zu umschreiben. Sie ist ein Grenzgebiet zwischen der Chemie, der Physiologie und der Medizin. Wir fassen sie hier aber in erster Linie als eine b i o l o g i s c h e Wissenschaft auf, d.h. wir betrachten die chemischen Vorgänge in den Organismen als eine ihrer Lebensäußerungen und suchen, soweit dies heute schon möglich ist, ihre Bedeutung im Rahmen der gesamten physiologischen Funktionen zu erfassen. Die physiologische Chemie ist daher nicht ein Teilgebiet irgendeiner der anderen biologischen Wissenschaften in dem Sinne, daß sie sich nur mit einzelnen Funktionen oder Organen beschäftigen würde. Sie umfaßt die Gesamtheit der Lebenserscheinungen, soweit dieselben als chemische Vorgänge begriffen werden können. Natürlich ist auch diese Betrachtungsweise einseitig und vermag nur einen einzelnen beschränkten Aspekt der Lebenserscheinungen zu geben. Da aber die Vorgänge, durch welche die lebende Substanz sich selbst erhält, ihrem Wesen nach chemischer Natur sind, führt uns die physiologische Chemie bis an die Grundlagen der Lebenserscheinungen heran, soweit diese naturwissenschaftlich überhaupt erfaßt werden können. Das Gebiet der physiologischen Chemie umfaßt somit die Strukturen molekularer Größenordnung und die Vorgänge, die sich innerhalb dieser Strukturen abspielen. Die organischen Moleküle sind die letzten Struktureinheiten der lebenden Substanz. Aus ihnen bauen sich zunächst die Makromoleküle a u f — Proteine, polymere Kohlehydrate, Nucleinsäuren — und aus diesen schließlich die mikroskopisch sichtbaren Strukturen der Zellen und der Gewebe. Der Aufbau der Makromoleküle aus ihren Bau-

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steinen erfolgt nach einer bestimmten Ordnung, und ebenso ordnen sich die Makromoleküle in bestimmter Weise zu den mikroskopisch wahrnehmbaren Gebilden, den Zellen und ihren Bestandteilen, und diese wieder zu den Geweben und Organen zusammen. Es ist also in den Organismen ein geordneter Aufbau vorhanden, der von den Molekülen bis zu den sichtbaren Strukturen führt. Es besteht eine Art morphologischer Hierarchie, in welcher jedes Strukturelement in ein Gebilde höherer Ordnung eingefügt ist. Man kann daher auch denjenigen Teil der physiologischen Chemie, der sich mit dem Aufbau der Makromoleküle und der Zellbestandteile beschäftigt, der Morphologie zurechnen. Im Gebiet der Feinstruktur der Zelle verschmilzt die Morphologie mit der Chemie. Wir stoßen hier auf ein altes Problem, das Problem der Protoplasmastruktur, das die Biologie beschäftigt hat, seitdem es eine Zellenlehre gibt. Wie sind die verschiedenartigen physiologischen Leistungen, zu der die einzelne Zelle befähigt ist, überhaupt möglich ? Die älteren Cytologen konnten sich nicht vorstellen, daß die zahlreichen chemischen Umsetzungen, welche den Lebensvorgängen zugrunde liegen, in geordneter Weise nebeneinander ablaufen könnten, wenn man das Protoplasma als homogene Substanz voraussetzt. Sie suchten deshalb nach mikroskopisch differenzierbaren Strukturen, und so entstanden die verschiedenen morphologischen Theorien über den Aufbau des Protoplasmas, die bald ein Netzwerk von feinen, kontraktilen Fibrillen, bald eine in Fäden auftretende Substanz, bald eine Wabenstruktur, bald die Zellgranula als Grundelemente der Plasmastruktur annahmen. Wir wissen heute aber, daß viele dieser Strukturen Kunstprodukte sind, die bei der Fixierung oder Färbung der Präparate entstehen. Die für den Ablauf der Lebensvorgänge wesentlichen Strukturelemente liegen wahrscheinlich jenseits der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit. Die chemische Organisation der Zelle, welche den geordneten Ablauf der Lebensvorgänge ermöglicht, ist ein ungelöstes Problem. Wir wissen nur so viel, daß verschiedene chemische Reaktionen in bestimmten Zellbestandteilen, z. B. in den Granula oder in der Grundsubstanz des Protoplasmas, lokalisiert sind. Die Zelle ist schon häufig mit einer chemischen Fabrik verglichen worden, in der die einzelnen Prozesse in verschiedenen, voneinander getrennten Abteilungen vorgenommen werden. Solche Vorstellungen sind aber kaum geeignet, ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu vermitteln. Gerade die neueren Untersuchungen haben gezeigt, daß man in der lebenden Substanz nicht zwischen Baustoffen und Betriebsstoffen unterscheiden kann. Die Makromoleküle, welche die Zellstrukturen aufbauen, sind nicht stabil, sondern werden beständig in die chemischen Umsetzungen der Zelle einbezogen. Man kann also nicht wie im Laboratorium zwischen dem Reaktionsgefäß und den reagierenden Stoffen unterscheiden, denn die Bestandteile des Reaktionsgefaßes, nämlich der Zelle, werden selbst dauernd in die biochemischen Reaktionen einbezogen. Es gibt natürlich auch relativ stabile mikroskopische und submikroskopische Strukturbestandteile ; diejenigen organischen Makromoleküle aber, welche als die eigentlichen Träger der Lebensprozesse angesehen werden müssen, sind in dauernder Umwandlung und Erneuerung begriffen. S c h o e n h e i m e r hat dies als den „dynamischen Zustand" der Zellbestandteile bezeichnet. Es ist in neuerer Zeit möglich geworden, verschiedene Fermente und Fermentsysteme in bestimmten Zellbestandteilen zu lokalisieren und damit den letzteren gewisse chemische Leistungen zuzuordnen. Man kann daher auch mit Sicherheit annehmen, daß der morphologischen Gliederung der Zelle eine räumliche Trennung verschiedener Stoffwechselvorgänge entspricht. Im übrigen ist uns aber die

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Einleitung

chemische Organisation der Zelle und ihr Zusammenhang mit der Protoplasmastruktur ein großes Rätsel. Es ist fraglich, ob man in denjenigen Teilen des Protoplasmas, die aktiv an den Lebensvorgängen teilnehmen, überhaupt eine Struktur im üblichen Sinne, d. h. eine dauerhafte räumliche Anordnung der Bauelemente, annehmen darf. Der submikroskopische Aufbau des Protoplasmas ist offenbar aufs engste mit den biochemischen Reaktionen verknüpft, so daß sich Struktur und Stoffwechsel gegenseitig bedingen. Wir können uns von diesen Verhältnissen kaum ein zutreffendes Bild machen, weil sie für die lebende Substanz charakteristisch und außerhalb derselben, sei es auch nur im Modell, nicht realisierbar sind. Wir haben in diesem Buch den Stoff folgendermaßen eingeteilt: der erste Teil behandelt in gedrängter Form die C h e m i e d e r w i c h t i g s t e n N a t u r s t o f f e und ihrer Bausteine; der zweite Teil rekapituliert einige p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e T a t s a c h e n und ihre Anwendung in der Biochemie; der dritte Teil ist der Besprechung des S t o f f w e c h s e l s u n d d e r F e r m e n t e gewidmet; im vierten Teil werden einzelne O r g a n s y s t e m e u n d K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n behandelt; der fünfte Teil befaßt sich mit dem Problem der c h e m i s c h e n R e g u l a t i o n und der sechste mit der E r n ä h r u n g .

I. T e i l

Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Rörperbestandteile Erstes Kapitel

Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur Zu den Kohlehydraten gehören in der Natur weitverbreitete Stoffe wie die verschiedenen Zuckerarten, die Stärke, die Cellulose. Die einfachsten Verbindungen sind gemäß der Bruttoformel C n H 2n O n zusammengesetzt; man kann sie also schematisch aus Kohlenstoff und Wasser (C + H 2 0) aufgebaut denken. Diese Tatsache soll durch den Namen Kohlehydrat, auch Kohlenhydrat (eingeführt von K. S c h m i d t 1844), ausgedrückt werden. Die Kohlehydrate zerfallen in zwei Gruppen: 1. die einfachen Kohlehydrate oder Monosen oder Monosaccharide, welche meistens der oben angegebenen Bruttoformel C n H 2n O n entsprechen, und 2. die zusammengesetzten Kohlehydrate, welche aus den ersteren durch Zusammenlagerung unter Wasseraustritt entstehen und dementsprechend durch Hydrolyse in Monosaccharide zerlegt werden können. Die einfachen Kohlehydrate sind Aldehyd- oder Ketoalkohole. Sie können als Oxydationsprodukte mehrwertiger Alkohole aufgefaßt werden, die dadurch entstanden sind, daß eine der primären oder sekundären Hydroxylgruppen zur Carbonylgruppe oxydiert worden ist. Das einfachste Beispiel eines zweiwertigen Alkohols ist das G l y c o l ; durch Oxydation der einen der beiden CH 2 • OH-Gruppen entsteht daraus der G l y c o l a l d e h y d , der dementsprechend als einfachstes Kohlehydrat aufgefaßt werden kann: CH 2 .OH

CHJ.OH

Glycol

Glycolaldehyd

Von den dreiwertigen Alkoholen an ist dann noch eine weitere Möglichkeit zu beachten. Der dreiwertige Alkohol Glycerin kann durch Oxydation entweder in (ilycerinaldehyd oder in ein K e t o n , das Dioxyaceton, übergehen, je nachdem die Oxydation an einem endständigen oder an dem mittleren Kohlenstoffatom einsetzt: CH 2 -OH

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Die Kohlehydrate

Beiden Verbindungen kommt die gleiche Bruttoformel C 3 H 6 0 3 zu. Man nennt die Monosaccharide vom Typus des Glycerinaldehyds, in denen die Carbonylgruppe als Aldehydgruppe vorliegt, Aldosen; die Monosaccharide vom Typus des Dioxyacetons, in denen die Carbonylgruppe als Ketogruppe vorhanden ist, heißen Ketosen. J e nach der Zahl der Sauerstoffatome, die bei den einfachen Zuckern in der Regel mit der Zahl der Kohlenstoffatome übereinstimmt, unterscheidet man B i o s e n , T r i o s e n , T e t r o s e n , P e n t o s e n , H e x o s e n usw. Wenn Aldosen und Ketosen auseinandergehalten werden sollen, bezeichnet man die Verbindungen als A l d o t r i o s e bzw. K e t o t r i o s e , . . ., A l d o h e x o s e bzw. K e t o h e x o s e usw. Die folgenden Formelbilder geben die allgemeinen Strukturformeln der Pentosen und Hexosen sowie der zugehörigen Alkohole ( P e n t i t e und H e x i t e ) wieder: H 2

iN)

Lc

C - O H

H - A - O H

H

H - i - O H

H.A.O H

H - C - O H

H - C - O H

h - A - o h

I H - C - O H

I ¿ h

C H j O H

c h

2

2

¿ h , o h

o h

Aldopentoae

Pentit - o h

Ketopentose C H j - O H

?CH.(CH 2 ) 1 4 .CH, CK

/OH

O - P;X

o

O—CH A —CH 2 .(NH 2 )

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Fette, Fettsäuren und Lipoide

Diese Phosphatide wurden von Feulgen als Acetalphosphatide bezeichnet. Sie kommen wahrscheinlich in allen Geweben vor, besonders reichlich in Gehirn und Muskel, wo sie 8—12% der Gesamtphosphatide ausmachen. Ein Colamin-Acetalphosphatid aus Gehirn ist kristallisiert erhalten worden; es liegt ihm die a-Glycerinphosphorsäure zugrunde. Auch in der Serin-Kephalin-Fraktion des Gehirns kommen wahrscheinlich Acetalphosphatide vor. K l e n k hat neuerdings im Herzmuskel auch die Existenz von cholinhaltigen Acetalphosphatiden nachgewiesen1). Man kann die Phosphatide, die Fettsäuren mit Glycerin verestert enthalten wie Lecithin und Kephalin als E s t e r p h o s p h a t i d e den A c e t a l p h o s p h a t i d e n gegenüberstellen. Nach neueren Untersuchungen von E. K l e n k kommen neben den bisher genannten Verbindungen noch komplizierter gebaute Körper vor, die gleichzeitig Fettsäuren und Aldehyde enthalten. In der Colamin-Kephalin-Fraktion des Gehirns ist das Verhältnis Fettsäuren zu Aldehyden annähernd 2 : 1 , was ein molares Verhältnis der Esterphosphatide zu den Acetalphosphatiden von 1:1 ergibt. K l e n k vermutet, daß die Verbindungen, deren Struktur oben angegeben ist, nicht die genuinen Acetalphosphatide darstellen, sondern während der Aufarbeitung (Zerstörung der Esterphosphatide durch alkalische Verseifung) entstanden sind. Wahrscheinlich kommt den ursprünglichen Verbindungen die folgende Konstitution (I) zu: OH

HjC—0—CH—R' si—0—CO—R

H,C-—0—CH 2 (CH,)xCH a

(I)

HÌ—OH H,i—0—PO,H,

H2i—0—POOH

(II) x = 14 (III) x = 16

¿—CH 2 CH 2 NH 2 Diese Struktur wurde aus der Beobachtung abgeleitet, daß man bei Hydrierung der Acetalphosphatide und nachfolgender Alkalispaltung die Phosphate des Chimylalkohols (II) und des Batylalkohols (III) erhält 2 ). (Der C h i m y l a l k o h o l ist der d-a-Hexadecyl-glyceryl-äther, der B a t y l a l k o h o l der d-a-Octadecvl-glyceryl-äther; beide Verbindungen kommen in Fischleberölen vor und sind auch in Säugetierorganen nachgewiesen worden3).)

Sphingosinphosphatide. An die Glycerinphosphatide schließt sich eine Gruppe von Verbindungen an, die als Baustein Cholinphosphorsäure und Fettsäuren enthalten, bei denen aber an die Stelle des Glycerins das Sphingosin tritt. Die Fettsäuren sind hier amidartig an den Stickstoff des Sphingosins gebunden. Man schreibt diesen Stoffen, die Sphingomyeline heißen, die folgende Struktur zu; die Cholinphosphorsäure ist an die primäre Alkoholgruppe gebunden: 0 II CHS(CHS)18 • CH: CH • CH • CH • CH, • 0 • P • 0 • CHj • CHa • N(CH„)4 OH NH

OH

¿OR

Die Sphingomyeline wurden von Tudichum (1884) im Gehirn entdeckt. Sie machen etwa 10—15% der Gesamtphosphatide aus. !) Zschr. physiol. Chem. 292, 110 (1953). a ) Zschr. physiol. Chem. 296, 179 (1954); 299, 66 (1955). ») P r e l o g , Helv. Chim. Acta 28, 350 (1945).

Cerebroside

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Als Fettsäurekomponenten enthalten sie neben Stearinsäure noch Fettsäuren mit 24 C-Atomen, wie sie bei Cerebrosiden vorkommen, nämlich Lignocerinsäure und Nervonsäure. Neben dem Sphingosin findet sich auch das Dihydrosphingosin. Zur Extraktion der Sphingomyeline aus dem Gehirn bedient man sich seiner Lösliohkeit in heißem Pyridin. Die Cerebroaide können der mit Aceton und Petroläther vorbehandelten Gehirnmasse schon durch kaltes Pyridin entzogen werden. Oder man extrahiert die getrocknete Gehirnsubstanz mit heißem Alkohol, erschöpft das beim Abkühlen ausfallende „Protagon" (siehe unten) mit Äther und Aceton und entzieht dem Rückstand Sphingomyelin und Cerebroside mit heißem Pyridin. Beim Abkühlen fällt das Sphingomyelin aus. Bei der sog. N i e m a n n - P i c k s c h e n Krankheit findet man eine Infiltration von Leber, Milz und lymphatischen Geweben mit großen Zellen, in welchen Sphingomyeline in großer Menge angehäuft sind. Es handelt sich hier wie bei der G a u oh er sehen Krankheit (siehe unter Cerebroside) um eine Lipoidspeicherkrankheit. B. Cerebroside

Die Cerebroside sind p h o s p h o r f r e i e Substanzen, die an Stelle der Phosphorsäure G a l a c t o s e oder Glucose enthalten. Sie finden sich vorzugsweise im Gehirn (etwa 11% der Trockensubstanz). Die bis jetzt bekannten Vertreter dieser Gruppe sind Cerebron (Phrenosin) und Kerasin sowie das Neryon und das Oxyneryon. In den Gehirncerebrosiden ist neben der Galactose nur wenig Glucose vorhanden, in den Cerebrosiden der Milz bedeutend mehr. Die Isolierung der Cerebroside, die ebenfalls von T u d i c h u m a l s besonderer Bestandteil der Gehirnlipoide entdeckt wurden, kann entweder, wie oben bereits angedeutet wurde, durch Ausziehen der mit Aceton und Petroläther vorbehandelten Gehirnmasse mittels Pyridin oder durch Extraktion des Protagons (siehe unten) mit Chloroform-Methylalkohol vorgenommen werden. Aus dem Rohcerebrosidgemisch können die einzelnen Komponenten durch fraktionierte Lösung und Fällung mit geeigneten Lösungsmitteln abgetrennt werden.

Außer den schon besprochenen Phosphatiden und dem Cholesterin bilden die Cerebroside den wichtigsten Bestandteil der weißen Substanz des Gehirns. So enthält die Trockensubstanz desselben 14% Cholesterin, 21% Phosphatide und 11% Cerebroside. Die genannten vier Cerebroside werden aufgebaut aus einer Fettsäure, dem Aminoalkohol Sphingosin und aus einem Molekül G a l a c t o s e oder Glucose. Sie sind durch die Fettsäuren charakterisiert, die aber alle 24 C-Atome besitzen. Es sind dies: Lignocerinsäure Cerebronsäure Nervonsäure Oxynervonsäure

CH3 • (CH2)21 • CH2 • COOH (im Kerasin); CH3 • (CH2)21 • CH (OH) • COOH (im Cerebron); CH3 • (CH2)7 • CH = CH • (CH2)12• CH2 • COOH (im Nervon); CH3 • (CH2)7 • CH == CH • (CH2)12• CH(OH) • COOH (im Oxynervon).

Die Galactose befindet sich in glycosidischer Bindung an einer der beiden Hydroxylgruppen. K l e n k gibt demnach den Cerebrosiden die nachstehende Formel: 0

j HC-(CHOH), • CH • CHjOH

A

CH3 • (CH„)12 • CH = CH • CH • CH • CH 2 OH NH-COCH.CH,. . . CHS Das Keratin wird bei der seltenen sog. Gau e h e r sehen Krankheit in großen Mengen in Leber, Milz und Lymphknoten angehäuft, und zwar in speziellen großen Zellen (Schaumzellen). Diese Krankheit ist der Prototyp einer sog. Speicherkrankheit. Die ihr zugrundeliegende Stoffwechselstörung ist unbekannt. 4*

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Fette, Fettsäuren und Lipoide

Als Ganglioside bezeichnet E. K l e n k eine Gruppe von zuckerreichen Gehirnlipoiden, die vorwiegend im Zentralnervensystem, und zwar als Bestandteil der Nervenzellen vorhanden sind; in den Markscheiden scheinen sie zu fehlen. Sie finden sich in stark vermehrter Menge im Gehirn bei Fällen der amaurotischen Idiotie T a y - S a c h s . Ähnliche Verbindungen wurden aus Rindermilz isoliert. Sie sind ebenso wie die Cerebroside und Sphingomyeline Bestandteile der Protagon genannten Fraktion des Gehirns (siehe unten). Sie enthalten als Bausteine 1 Molekül N e u r a m i n s ä u r e , 1 Molekül Stearinsäure, 1 Molekül Sphingosin und 3 Moleküle Zucker, Galactose, Glucose und, wie neuerdings gezeigt wurde, auch Chondrosamin. Über ihre Struktur ist noch nichts Genaueres bekannt. Sie sind in Äther und Aceton unlöslich, nur wenig löslich in Alkohol, dagegen gut löslich in Benzol-Alkohol- oder Chloroform-Alkohol-Gemischen. In Wasser bilden sie klare kolloidale Lösungen. Die N e u r a m i n s ä u r e ist wahrscheinlich der Erythritäther einer Aminohexuronsäure. K l e n k u. Mitarb. 1 ) schreiben ihrem Methylglycosid die folgende Konstitution zu: (CH 3 0)CH • CH(NH S ) • CH(OH) • CH • CH • COOH

I

HOCH 2 • CH(OH) • CH(OH) • CH 2 Neuraminsäure ist auch in verschiedenen Murinen und Glycoproteiden nachgewiesen worden, so auch im Amyloid (vgl. S. 667) 2 ).

Aus Milz sowie aus dem Stroma der roten Blutkörperchen sind in jüngster Zeit zuckerreiche, sphingosinhaltige Lipoide dargestellt worden, die keine Neuraminsäure enthalten, wahrscheinlich aber zu den Gangliosiden in enger Beziehung stehen ( K l e n k , Y a m a k a w a ) . Der Kohlehydratgehalt der verschiedenen Präparate beträgt 40—60%. Die aus menschlichen Erythrocyten gewonnene Substanz enthält als Zuckerkomponenten Glucose, Galactose und (acetyliertes ?) Chondrosamin. I n der Substanz aus Rindererythrocyten ist an Stelle des letzteren Glucosamin vorhanden. Als Säure findet sich Lignocerinsäure neben einer kleinen Menge ungesättigter Säure (Nervonsäure 1). Die relative Menge der einzelnen Bausteine läßt vermuten, daß es sich um Lignoceryl-sphingosin-tri-bis-pentasaccharide handelt. Diese interessanten Stoffe nehmen nach ihrer Zusammensetzung eine Mittelstellung zwischen Lipoiden und Mucopolysacchariden ein. Das sog. Protagon (der Name wurde 1865 von L i e b r e i c h eingeführt) wird dargestellt, indem man Gehirn nach Vorbehandlung mit kaltem Alkohol und Äther mit siedendem Alkohol extrahiert. Beim Abkühlen kristallisiert eine weiße Masse aus, die durch Umkristallisieren aus Alkohol gereinigt werden kann. Das Protagon ist kein einheitlicher Körper, sondern ein Gemisch aus Sphingomyelin, Cerebrosiden und Gangliosiden; es wurde aber lange für eine einheitliche Verbindung angesehen. Die Phosphatide und auch die Cerebroside zeigen, wenn sie mit Wasser gemischt werden, die Besonderheit, Myelinformell zu bilden. Sie lösen sich nämlich nicht auf, gehen aber in schleimige, gewundene Fäden über. Die Erscheinung beruht darauf, daß diese Moleküle gleichzeitig wasserunlösliche (hydrophobe) Gruppen — die Fettsäurereste — und wasserlösliche (hydrophile) Gruppen — Cholinphosphorsäure, Zucker usw. — enthalten. Beim Vermischen mit Wasser ordnen sich wahrscheinlich die Moleküle in zweischichtige Lamellen, wobei die hydrophilen Gruppen nach außen dem Wasser zugekehrt, die hydrophoben nach innen vom Wasser abgekehrt zu liegen kommen. !) K l e n k u. Mitarb., Zschr. physiol. Chem. 309, 35 (1956). 2 ) K l e n k , Zschr. Angew. Chemie 68, 349 (1956).

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide. Sterine und Steroide

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Drittes Kapitel

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine und Steroide Als Sterine bezeichnet man stickstofffreie Substanzen, deren Aufbau ein polycyklischer Kohlenwasserstoff zugrunde liegt. Ihr wichtigster Vertreter ist das Cholesterin, das aus Gallensteinen leicht gewonnen werden kann und der Gruppe den Namen gegeben hat (^oA-p = Galle, c n i a s = Talg). Die Sterine stehen, was ihre chemische Konstitution betrifft, in engster Beziehung zu den später zu besprechenden Gallensäuren. Die Sterine kommen im Tier- und Pflanzenreich vor. Demnach unterscheidet man zwischen tierischen Z o o s t e r i n e n und pflanzlichen P h y t o s t e r i n e n . Die große Bedeutung der Sterine liegt darin, daß zu ihnen eine Reihe wichtiger Wirkstoffe gehören: die Sexualhormone und die Hormone der Nebennierenrinde, die Provitamine D, die durch Ultraviolettbestrahlung in die antirachitisch wirksamen Vitamine übergehen, und schließlich leiten sich auch die Aglucone der herzwirksamen Digitalisglycoside von den Sterinen ab. Cholesterin C 2 7 H 4 6 0. Diese Substanz wurde schon im 18. Jahrhundert von K o n r a d i in den Gallensteinen entdeckt. Das Cholesterin kommt reichlich in der Galle, in geringerer Menge auch im Blut vor. Es scheint mit den Lipiden vergesellschaftet in allen Zellen aufzutreten, besonders reichlich im Gehirn und im Nervensystem. Als Alkohol kann es mit Fettsäuren Ester bilden ( S t e r i d e ) . Es tritt in den Geweben entweder frei oder in Form von Fettsäureestern auf. I m Blutplasma sind z. B. etwa 2 / 3 — 3 / 4 des gesamten Cholesterins verestert. Die Gallensteine bestehen zum größten Teil aus Cholesterin und bilden daher das beste Material zu seiner Darstellung. Durch Extraktion der gepulverten Steine mit Alkohol und Äther und Eindunsten dieser Lösung wird es in Form von schneeweißen Kristallen erhalten. Cholesterin ist in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien unlöslich, leicht löslich in Äther, Chloroform, Benzol usw. Es verbindet sich mit S a p o n i n e n zu unlöslichen Komplexen. Eine alkoholische Lösung von Cholesterin wird durch Digitonin unter Bildung von Cholesterindigitonid gefällt. Diese Reaktion kann zur Abtrennung des Cholesterins von anderen Sterinen verwendet werden. Gallensaure Alkalien können Cholesterin zur Lösung bringen. Cholesterin ist optisch aktiv, und zwar drehen seine Äther- oder Chloroformlösungen nach links. Cholesterin gibt charakteristische Farbreaktionen mit Schwefelsäure. Beim Unterschichten einer Lösung von Cholesterin in Chloroform mit konzentrierter Schwefelsäure nimmt die Chloroformschicht eine tiefrote Färbung an (Reaktion von Salkowski). Wird eine Lösung von Cholesterin in Chloroform mit Essigsäureanhydrid und dann mit einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure versetzt, so färbt sie sich blaugrün (Reaktion von LiebermannBurchardt). Diese Reaktionen sind typisch für ungesättigte Sterine. Es handelt sich wahrscheinlich um die Bildung salzartiger Verbindungen der Schwefelsäure mit der ungesättigten Gruppe des Cholesterins (sog. Halochromie).

Der Aufbau des Kohlenstoffskeletts der Sterine ist durch lange und schwierige Untersuchungen am Cholesterin und den Gallensäuren hauptsächlich durch W i n d a u s und W i e l a n d aufgeklärt worden. Das Cholesterin ist ein ungesättigter, einwertiger, hydroaromatischer Alkohol mit einer aliphatischen Seitenkette:

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Storine, Gallensäuren, Carotinoide

HO

Die Formel ist in der gebräuchlichen Form dargestellt. Dabei muß beachtet werden, daß die Sechserringe dieser Sterinformel nicht Benzolringe bedeuten, sondern Cyklohexanringe (sog. hydroaromatische Ringe, die durch vollständige Hydrierung des Benzolrings entstehen). An den Ecken stehen daher nicht —CH=-Gruppen wie im Benzol, sondern —CH2-Gruppen. Doppelbindungen werden immer besonders angegeben. Die Anordnung der drei Sechskohlenstoffringe ist ähnlich wie im Phenanthren. Man kann daher die Sterine auch als Abkömmlinge des vollständig hydrierten Phenanthrens auffassen, entstanden durch Anfügung weiterer 3 C-Atome, die einen Fünfkohlenstoffring bilden. Dem zugrunde liegenden Kohlenwasserstoff (Cyklopentano-perhydrophenanthren) kommt, vollständig ausgeschrieben, die folgende Struktur zu: H2 h2

/ Cv H x C H2(X |H C [

CH2

D I

H ^ ^ X C / G N C ^ I A | B JH H2 HoC\ -C\ .CHn H2

H2

Es ist üblich, die Ringe im Sterinskelett durch die Buchstaben A, B, C und D (Fünferring) und die Kohlenstoffatome in folgender Weise durch Ziffern zu bezeichnen :

Die Methylgruppen an C 10 , Striche bezeichnet; ebenso ist die Seitenkette in ähnlicher Weise wie die hydroaromatisohen Ringe unter Weglassung der C-Atome durch Striche dargestellt. Diese abgekürzte Schreibweise ist in der Sterinchemie allgemein üblich. Die Numerierung der Methylgruppen an C 10 und C 13 geschieht nicht einheitlich in der hier mitgeteilten Weise; vielfach wird die an C 10 sitzende durch 18, die an C13 sitzende als Ci9 bezeichnet.

Wird das Cholesterin katalytisch hydriert, so geht es in einen gesättigten Alkohol Dihydrocholesterin ( = Cholestanol) über. Im Darm findet man ein Sterin, das sog. Koprosterin, dem die gleiche Struktur zukommt wie dem Dihydrocholesterin; es ist aber von diesem verschieden. Der Unterschied kann daher nur in der räumlichen Anordnung der Atome liegen. Die beiden Verbindungen sind Stereoisomere.

Sterine und Steroide

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Die Betrachtung der Cholesterinformel zeigt, daß verschiedene asymmetrische C-Atome vorhanden sind. Die geometrische Gestalt des Steringerüsts wird dadurch kompliziert, daß im Cyklohexanring, im Gegensatz zum Benzolring, die C-Atome nicht in einer Ebene liegen. Daher sind verschiedene spannungsfreie Formen des Rings möglich. Man unterscheidet eine „Sessel"- (englisch „seat") und eine „Wannen"-form (englisch „boat"); s. Abb. 2. Es lassen sich dementsprechend auch verschiedene Möglichkeiten für den Aufbau kondensierter hydroaromatischer Ringsysteme voraussehen. Im einfachsten Fall, beim Decalin (Decahydronaphthalin C 10 H 18 ) sind zwei Stereoisomere bekannt, eis- und trans-Decalin; siehe Abb. 2. Cyklohexan

Wannenform

SeBBelform Deoalin

trans-Decalin

cis-Decalin

Abb. 2. R i n g f o r m e n d e s C y k l o h e x a n s u n d d e r b e i d e n i s o m e r e n D e c a l i n e . Die kurzen Striche deuten die Stellung der H-Atome an der Verbindungsstelle der Ringe im Decalin an.

Beim Sterinskelett sind verschiedene Stereoisomere denkbar. Wir können für unsere Zwecke ein vereinfachtes Modell zugrunde legen, indem wir uns das kondensierte Ringsystem in eine Ebene ausgewalzt denken. Man kann nun die Stellung der Substituenten der Ringkohlenstoffatome dadurch festlegen, daß man ihre relative Lage zur Ringebene angibt. Zwar ist die absolute Stellung der Substituenten zum Ring (d. h. die absolute Konfiguration der asymmetrischen C-Atome) nicht bekannt. Man kann aber ihre relative Lage, eis oder trans, ermitteln. Nach Übereinkunft nimmt man an, daß die Methylgruppe (C19) an C10 vor der Ringebene liegt. Man bezeichnet diese Lage, d.h. die cis-Stellung zu Cj9, gewöhnlich als „^"-Konfiguration und deutet sie in den Formelbildern durch einen ausgezogenen Valenzstrich an oder (nach R u z i c k a ) durch einen dicken Punkt •, wie die untenstehende Formel zeigt. Findet sich umgekehrt der Substituent in trans-Stellung zu Ci„ also nach Übereinkunft hinter der Ringebene, so wird diese Lage durch einen punktierten

HO' Dihydrocholesterin (Cholestanol)

Koprosterin

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Sterine, Gallensáureri, Carotinoide

Valenzstrich angedeutet und als „«"-Konfiguration bezeichnet. Die Seitenkette an C,j findet sich bei allen natürlichen Sterinen (mit Ausnahme der herzwirksamen Glycoside) in ^-Stellung 1 ).

Nach den obigen Formeln steht im Dihydrocholesterin der Wasserstoff an C6 in trans-, im Koprosterin in cis-Stellung zur Methylgruppe an C 10 ; die Hydroxylgruppe an C3 befindet sich in beiden Fällen in cis-Stellung. Die Verknüpfung der Ringe A und B im Dihydrocholesterin entspricht demnach dem Typus des trans-Decalins; im Koprosterin entspricht sie dem Typus des cis-Decalins. Die Berücksichtigung der räumlichen Anordnung der Atome ist auch nötig, wenn man die Beziehungen des Cholesterins zu den Gallensäuren verstehen will. Durch geeignete Methoden kann man das Cholesterin vollständig hydrieren; dabei entsteht der Kohlenwasserstoff Cholestan. Durch oxydativen Abbau der Seitenkette des Cholestans gelangt man zu einer Säure der Konstitution I I : HoC

CH 3 I CH—(CH 2 ) 2 —COOH

CH, I CH—(CH 2 ) 2 —COOH 'I j

I Cholansäure

II aUo-Cholansäure

Zu einem Körper mit der gleichen Struktur, der Cholansäure (I), gelangt man, wenn man von der Cholsäure ausgeht. Es zeigt sich aber, daß die aus Cholesterin hervorgehende Verbindung (allo-Cholansäure) von der Cholansäure verschieden ist. Dagegen entsteht die Cholansäure, wenn man die oben angegebene Abbaureaktion statt mit dem Cholesterin mit dem Koprosterin durchführt. Die Cholsäure hat also an C5 die gleiche Konfiguration wie Koprosterin, nicht wie Cholestanol. Wir werden später sehen, daß auch bei den Steroiden zwei Reihen von stereoisomeren Verbindungen existieren, die sich durch die Konfiguration an C5 unterscheiden. Unter den pflanzlichen Sterinen erwähnen wir das Ergosterin (von T a n r e t 1889 aus Mutterkorn isoliert). Es ist weniger gesättigt als das Cholesterin, dadurch daß es im Ringsystem eine zweite und in der Seitenkette eine dritte Doppelbindung enthält. Seine Bedeutung liegt darin, daß es durch Ultraviolettbestrahlung in ein antirachitisches Vitamin übergeht. I m Wollfett der Schafe k o m m t das Lanosterin (Lanostadienol) vor. Es ist identisch mit dem aus Hefe isolierten K r y p t o s t e r i n . U n t e r den Sterinen der Hefe sei noch das Z y m o s t e r i n erwähnt, das sich vom Lanosterin ableitet (keine Methylgruppen an C4 und C 14 ).

HO

HO Ergosterin

Lanosterin

Weitere pflanzliche Sterine sind das Stigmasterin (aus Physostigma venenosum) und die Sitosterine, die in pflanzlichen Ölen weitverbreitet vorkommen. Beide sind ungesättigt und besitzen in der Seitenkette 2 C-Atome mehr als das Cholesterin (C 2 H 5 -Gruppe in Stellung 24). l ) Näheres über die Stereochemie der Sterine vtcl. S h o p p e e , Vitamins and Hormones 8, 255 (1950).

Steroide mit Hormoncharakter

Steroide mit Hormoncharakter Wir haben bereits erwähnt, daß eine Reihe wichtiger Hormone dem Cholesterin nahestehen. Ihre Wirkung wird im Kap. 26 besprochen. Die Seitenkette ist bei allen diesen Verbindungen weitgehend abgebaut, bei vielen fehlt sie ganz. Man bezeichnet solche Verbindungen als Steroide. Sie unterscheiden sich durch ihre funktionellen Gruppen (Alkohole, Ketone) sowie durch Zahl und Lage der Doppelbindungen. Wir zählen im folgenden einige wichtige Hormone nach ihren biologischen Funktionen geordnet auf. Sexualhormone: CH, OH

HO

kx

Östriol (Follikelhormonhydrat) CH, —OH

HO

O

" H Androsteron

Testosteron -CH(OH)-CH3

,—CO-CH,

HO ' Progesteron ( Gelbkörperhormon)

Pregnandiol

Die Unterscheidung zwischen sog. „weiblichen" Sexualhormonen und „männlichen" Hormonen bezieht sich nicht in erster Linie auf ihr Vorkommen, sondern auf ihre biologische Wirkung. E s können „weibliche" Hormone vom männlichen Organismus gebildet werden und umgekehrt. (So ist der Urin des Hengstes sehr reich an Follikelhormon.) Die Östrogenen Hormone (Östron, östradiol, Östriol) sind dadurch ausgezeichnet, daß der Ring A aromatisch ist. Es sind also Phenole. Diese Tatsache ist wichtig für ihre Extraktion. Die Dehydrierung kann noch weitergehen. Beim Equilenin sind Ring A und B aromatisch (siehe S. 726). Das Gelbkörperhormon wird im Organismus zum Pregnandiol hydriert, und dieses wird als gepaarte Glucuronsäure (Pregnandiolglucuronid) im Urin ausgeschieden. Die Östrogenen Stoffe geben Farbreaktionen, die in Verbindung mit geeigneten Extraktionsniethoden zu ihrer Bestimmung verwendet werden können; z. B. geben sie, mit konz. Schwefelsäure und Phenolsulfosäure erhitzt, bei Zusatz von Wasser eine Rotfärbung (Kobersehe Reaktion). m-Dinitrobenzol in alkalischer Lösung gibt eine violette Färbung (Zimmermannsche Reaktion).

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Sterine, Gallensàuren, Carotinoide

Nebexinierenrindenhormone: €O.CH,.OH

CH

Corticosteron

CO-CH.-OH

Desoxycorticosteron CHa OH CO-CH2-OH

Kendalls Verbindung „E"

Aus der Nebennierenrinde sind annähernd 30 verschiedene Steroide isoliert und identifiziert worden (Reichstein, Kendali), von denen aber nur wenige HormonWirkung haben. Die Steroidhormone und ihre physiologischen Derivate gehören drei Gruppen an: Es gibt solche mit 18 und 19 C-Atomen ohne Seitenkette und solche mit 21 C-Atomen, die eine Seitenkette von 2 C-Atomen besitzen. Die C19- und C21-Gruppen zerfallen in 2 Reihen isomerer Verbindungen, die sich durch die Konfiguration an C6 unterscheiden. In der C19-Gruppe sind es die Androstan- (= allo-Ätiocholan-) und die Ätiocholanreihe, in der C21-Gruppe die Pregnan- und die allo-Pregnanreihe: CH,

C18"

östran

C 19 : H

Androstan

H allo-Pregnan

H

Ätiocholan

Pregnan

Wir werden im Kapitel über Hormone eine Reihe von Beispielen erwähnen.

GaUens&uren

59

Die nicht phenolischen Steroide, die in Stellung 17 eine Ketogruppe besitzen, werden als 17-Ketosteroide bezeichnet. I m Urin werden ständig derartige Körper in kleiner Menge ausgeschieden; sie leiten sich v o n den androgenen Hormonen und den Rinderhormonen ab (vgl. S. 724). Sowohl im B l u t und den Geweben als auch im Urin kommen die Steroidhormone und ihre Derivate z. T. in Form v o n Konjugaten vor, als Schwefelsäureester oder als Glucuronide. Aus dem Urin sind z. B. die Sulfate des Östrons und des Androsterons und die Glucuronide des Pregnandiols und des Östriols isoliert worden: 1=0

COONa

Östronsulfat

C H 0 H

Pregnandiolglucuronidat

Nomenklatur: Für einige der wichtigsten Sterine und Steroide existieren Trivialnamen (Cholesterin, Ergosterin, Corticosteron, Östron usw.). Für die Bezeichnung der zahlreichen natürlichen und künstlichen Sterinderivate ist eine besondere Nomenklatur entwickelt worden, welche die Natur der Verbindungen eindeutig zu kennzeichnen gestattet. Man legt den Namen des Grundkohlenwasserstoffs zugrunde (z. B. Cholestan, Pregnan, Androstan). In den sauerstoffhaltigen Derivaten wird Zahl und Funktion der Sauerstoffatome durch die entsprechenden Suffixe angegeben: -ol, -diol, -triol; -on, -dion, usw. Die Stellung der Substituenten wird gemäß dem angegebenen Schema der Numerierung dem Suffix in Klammern beigefügt, bei Alkoholen außerdem die Konfiguration (a oder ß), z. B. Androstanol-(3a)-on(17) = Androsteron; Androstandion-(3,17). Nach den allgemeinen Nomenklaturregeln wird bei ungesättigten Stoffen im Namen des Grundkohlenwasserstoffs die Silbe „-an" in ,,-en" bzw. „-dien-", ,,-trien-" verwandelt. Die Lage der Doppelbindungen wird durch ein vor den Namen gesetztes griechisches Delta bezeichnet, welchem als Index die Nummern der beiden C-Atome angefügt sind (durch Doppelpunkt getrennt), zwischen denen die Doppelbindung liegt. Wo kein Irrtum möglich ist, gibt man meist nur das erste der beiden C-Atome in der Reihenfolge der Numerierung an. Beispiel: ¿H-Pregnendion-(3,20) (oder zl4:5-Pregnendion-[3,20])=Progesteron. Das Präfix „allo-" wird verwendet, um die Sterine zu bezeichnen, die sich durch die Konfiguration an C5 von den Sterinen der Gallensäurereihe unterscheiden, bei denen sich also das Wasserstoffatom an C6 in trans-Stellung zu C19 befindet. Vgl. oben allo-Cholansäure. Zur Bezeichnung der Sterine, bei welchen die Hydroxylgruppe an C3 sich in trans-Stellung zu C l t befindet (a-Konfiguration), wird auch das Präfix „epi-" vor den Namen gesetzt; Beispiel: epi-Cholesterin. 2. Gallensäaren Die Gallensäuren besitzen eine gegenüber dem Cholesterin um 3 C-Atome verkürzte Seitenkette, deren letztes C-Atom eine Carboxylgruppe bildet. Als Grundkörper der natürlich vorkommenden Säuren kann die Cholansäure aufgefaßt werden (Formel S. 56). Aus ihr leiten sich die verschiedenen Gallensäuren durch Einführung v o n Hydroxylgruppen ab. Einzelne Säuren scheinen, soweit die Erfahrungen reichen, für eine bestimmte Tierart charakteristisch zu sein. In der Galle sind die Gallensäuren mit stickstoffhaltigen Körpern, teilweise mit dem Glycocoll, teilweise mit dem Taurin verbunden. Diese Verbindungen heißen Glycocholsäure bzw. Taurocholsäure. Glycocoll:

HjN-CHXOOH

Taurin:

H,N • CH 2 CH 2 • S0 3 H

60

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

Das Taurin stellt ein Oxydationsprodukt der Aminosäure Cystein dar. Die Bindung zwischen Gallensäuren einerseits und Taurin oder Glycin andererseits ist amidartig, indem sich die Carboxylgruppe der Gallensäure mit der Aminogruppe unter Wasseraustritt vereinigt. Die freien Gallensäuren (mit nicht ionisierter Carboxylgruppe) sind im Wasser schwer löslich. Die Alkalisalze dagegen gehen leicht in Lösung. Die gallensauren Salze setzen die Oberflächenspannung des Wassers stark herab (sog. „Oberflächenaktivität"). Diese Eigenschaft ist für die Emulgierung der Fette bei der Verdauung von Bedeutung. Unterschichtet man eine wäßrige Gallensäurelösung, die eine Spur Rohrzucker enthält, mit konz. Schwefelsäure, so bildet sich an der Berührungsfläche ein violetter Ring (Pettenkofersche Probe). Durch die Wirkung der konz. Schwefelsäure wird aus dem Zucker ein Furfurolderivat gebildet (vgl. S. 25), das sich mit der Gallensäure zum Farbstoff kondensiert.

Nachfolgend einige Beispiele von Gallensäuren: CH, CH(CH,)2.COOH

HO-

CHS

I

CH2(CH2)2 • COOH

HOOH

I

II

CH„ HO CH3

I

CH(CH2)2 • COOH

HO-'

HOC]

;H(CH2)2 • COOH

HO. III

Monooxycholansäure Dioxycholansäuren Trioxycholansäure

OH

IV

Lithocholsäure (Formel I), f Hyodesoxycholsäure (Formel II), \ Chenodesoxycholsäure (Formel III), Cholsäure (Formel IV).

Cholsäure: Sie bildet den Hauptbestandteil der Gallensäuren der Rindergalle und ist optisch aktiv. Desoxycholsäure: Sie wird Anthropo- oder Chenodesoxycholsäure genannt, da sie sowohl in der Menschen- als auch in der Gänsegalle vorkommt, in ersterer aber nur in kleiner Menge. Die Desoxycholsäure hat die Eigentümlichkeit, mit F e t t s ä u r e n Additionsverbindungen zu geben. Eine solche Verbindung wurde seinerzeit aus der Rindergalle unter dem Namen Choleinsäure dargestellt. Sie ist ein Additionsprodukt von 1 Mol Palmitin- oder Stearinsäure und 8 Mol Desoxycholsäure. Solche Choleinsäuren lassen sich leicht künstlich herstellen durch Kristallisation eines Gemisches der Komponenten. Die Zahl der Choleinsäuremoleküle, die von einem Molekül Fettsäure

Carotinoide (Lipochrome)

61

gebunden werden können, hängt von der Kettenlänge der letzteren ab [Ameisensäure keine Verbindung; Essigsäure 1 : 1 , Propionsäure 1 : 3 , Buttersäure bis Caprylsäure (C8) 1: 4; Pelargonsäure (C 9 )bisMyristinsäure (C14) 1: 6; höhere Fettsäuren 1: 8]. Die H y o d e s o x y c h o l s ä u r e wurde aus der Schweinegalle dargestellt. L i t h o c h o l s ä u r e findet sich in kleinen Mengen in der Rindergalle, etwas reichlicher in der des Menschen. Alle diese genannten Gallensäuren sind farblose, gut kristallisierende Verbindungen. In der Haifischgalle (Scymnus borealis) hat H a m m a r s t e n das Scymnol gefunden. Es handelt sich um einen gesättigten Körper, der eine Zwischenstellung zwischen den Sterinen und den Gallensäuren einnimmt. Scymnol enthält 4 Hydroxyle in den Stellungen 4 (oder 2), 7, 12 und 27 (Seitenkette). In der Seitenkette ist zwischen C24 und C25 ein Äthylenoxydring vorhanden. Das Scymnol liegt in der Galle als Schwefelsäureester vor.

3. Carotinoide (Lipochrome) Im Pflanzenreich und auch bei den tierischen Organismen ist eine Gruppe gelber Farbstoffe weit verbreitet, deren häufigster Vertreter der Farbstoff der gelben Rübe (Daucus carota), das Carotin, ist. Man faßt sie unter dem Namen der Carotinoide zusammen. Die Carotinoide sind ungesättigte Kohlenwasserstoffe, deren Formeln sich von ein und demselben Grundgerüst ableiten lassen. Teils sind es rein aliphatische Verbindungen mit offener Kohlenstoffkette, teils enthalten die Moleküle einen oder zwei sechsgliedrige Ringe (Jononring). Der Farbstoffcharakter dieser Verbindungen hat seinen Grund in einem System zahlreicher konjugierter Doppelbindungen. Es gibt auch sauerstoffhaltige Carotinoide (Alkohole, Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren). Die freien Carotinoide sind wasserunlöslich. Sie lösen sich in Lipoiden und sind daher im Organismus meist mit den Fetten vergesellschaftet. Ihre große Bedeutung für die höheren Tiere liegt vor allem darin, daß gewisse Carotinfarbstoffe im Organismus in das Vitamin A übergehen können. Es sind heute über 60 derartige Farbstoffe bekannt. Als erstes Beispiel sei der verbreitetste Vertreter dieser Gruppe erwähnt, das /^-Carotin (entdeckt von W a e k e n r o d e r 1831). Es ist in allen grünen Pflanzenteilen der ständige Begleiter des Chlorophylls und kommt auch sonst in zahlreichen Blüten und Früchten vor. In der gelben Rübe ist das /5-Carotin der Hauptfarbstoff. Im tierischen Organismus findet es sich fast in allen Organen, hauptsächlich im Fettgewebe (Lipochrom!), in der Milch, im Serum, dessen gelbe Farbe teilweise durch Carotin bedingt ist. Im Corpus luteum ist es in beträchtlicher Menge vorhanden. Für das ^-Carotin hat sich die folgende Strukturformel ergeben (I). Das Molekül ist symmetrisch gebaut. Der Ring, den die Kohlenstoffkette an beiden Enden abschließt, ist im Riechstoff des Veilchens enthalten; es ist der sog. ß-Jononring. Neuerdings ist die Synthese des /3-Carotms gelungen, womit seine Struktur endgültig festgelegt ist ( K a r r e r ) . Stoffe, welche wie die Carotinfarbstoffe ein fortlaufendes System konjugierter Doppelbindungen enthalten, werden als Polyene bezeichnet. Die Farbtiefe nimmt mit wachsender Zahl der Doppelbindungen zu. Einer großen Gruppe von Naturstoffen, den Terpenen, die von den Pflanzen in verwirrender Mannigfaltigkeit produziert werden und zu denen auch die Carotinfarbstoffe gehören, liegt ein merkwürdiges Bauprinzip zugrunde: Man kann sie durch

62

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

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Kondensation des fünfgliedrigen Kohlenstoffskeletts des Isoprens aufgebaut denken (Ruzicka). QH^ CIL, = i—CT! = CHa Das Isopren ist die Grundsubstanz des Kautschuks. Wenn wir das Isoprengerüst schematisch durch 1 — darstellen, so läßt sich das Carotinmolekül in folgender Weise aus 8 Isoprenresten zusammensetzen:

Carotinoide (Lipochrome)

(33

Das /^-Carotin ist in der N a t u r immer von einem Isomeren, dem a-Carotin, begleitet, von dem es durch Chromatographie an Calciumhydroxyd getrennt werden kann (Karrer). Es unterscheidet sich vom Carotin dadurch, daß es an Stelle des einen ß - Jononrings einen a-Jononring besitzt (Formel I I rechts). In sehr kleinen Mengen ist schließlich diesen beiden Verbindungen das y-Carotin beigemischt, das nur noch einen Jononring besitzt; das eine Ende der K e t t e ist offen (FormelHI links). Die entsprechende rein aliphatische Verbindung mit beiderseits offener Kette ist das Lycopin, der Farbstoff der Tomate, der im Pflanzenreich auch sonst verbreitet ist. Wir erwähnen diesen Farbstoff hauptsächlich aus dem Grunde, weil sich die Strukturformen aller anderen Carotinoide durch Ringschluß, Verkürzung der Kohlenstoffkette, Oxydation usw. aus der Strukturformel des Lycopins ableiten lassen. Das ^-Carotin kann im tierischen Organismus in das Vitamin A übergehen; dabei wird das Molekül unter Wasseraufnahme an der mittleren Doppelbindung gespalten. Das Vitamin A (Axerophtol) ist ein primärer Alkohol (vgl. S. 743). Für die Vitaminwirkimg ist der ^-Jononring notwendig. Beim a- und y-Carotin kann also nur die eine Hälfte des Moleküls in Vitamin A übergehen. Aus dem Vitamin A leitet sich das Retinin, die Farbstoffkomponente des Sehpurpurs, ab (S. 746). Die Carotinoide und das Vitamin A geben mit Antimontrichlorid in Chloroformlösung eine intensive, aber instabile Blaufärbung (Carr-Price-Reaktion), die zu ihrem Nachweis und zur quantitativen Bestimmung verwendet werden kann.

Neben dem Carotin kommen in den Pflanzen auch der entsprechende zweiwertige Alkohol, das Xanthophyll, und verwandte sauerstoffhaltige Verbindungen sehr häufig vor. Es leitet sich vom a-Carotin ab, besitzt aber keine Vitaminwirkung (Hydroxylgruppe im ß - J o n o n r i n g ! ) . Ein sauerstoffhaltiges Provitamin ist dagegen das Kryptoxanthin.

C H Xanthophyll

Astacin (Enolform)

C H2

Kryptoxanthin

C h2

Weitere Beispiele: Das Astacin kommt im Panzer und den Eiern der Crustaceen und auch sonst bei Tieren und Pflanzen vor. Teilweise kann es an Eiweiß gebunden sein als prosthetische Gruppe eines Chromoproteids, teilweise liegt es als Ester vor. (Astaxanthin s. S. 738.)

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

64

Bixin und Crocetin sind Di carbonsäuren. Bixin ist der Farbstoff des Orleans aus der Samenschale von B i s a o r e l l a n a . Es ist der Monomethylester der Dicarbonsäure Norbixin. CH.

CHj

CH,

CH«

I I I CH:CI CH:CH COOCH HOOC CH:CH C:CH CH:CH C:CH CH:CH CH:C-CH:CH 3 Bixin Das Crocetin ist Bestandteil des Glycosids Crocin aus dem Safran. Durch Behandeln der Carotine, die einen /3-Jononring besitzen, mit Phthalmonopersäure wird an die Doppelbindung des Jononringes Sauerstoff angelagert, und man erhält die entsprechenden E p o x y d e , die unter der Einwirkung von Säure sehr leicht in eine furanoide Form übergehen ( K a r r e r ) : CHa C

CH3v

/OH«

, -

H2C/X>CS-CH=CH—C=CH— H2C!X/JC^CH3 C Ha Epoxyd

HCI^

HjO/^C-.-CH

CH 3

H2Cis^yCN/CH—¿=CH— C | 0 H a CH 3 furanoides Oxyd

Vertreter beider Verbindungstypen finden sich in der Natur. FlaTOchrom, das Epoxyd des a-Carotins, findet sich z. B. in den Blüten von Ranunculus; Violaxanthin ist das Diepoxyd des /¡-Carotins aus den Blüten des Stiefmütterchens; das A.uroxanthin ist das entsprechende furanoide Oxyd, ebenfalls in den Blüten von Viola tricolor. Wir verdanken die Kenntnis der Carotinfarbstoffe hauptsächlich den Arbeiten von R. W i l l s t ä t t e r , P. K a r r e r , R. K u h n und L. Z e c h m e i s t e r . Die Carotinfarbstoffe sind bei den Pflanzen außerordentlich weit verbreitet. Die tierischen Carotinoide sind pflanzlichen Ursprungs. I n den Blättern sind die Carotinfarbstoffe (Carotine und Xanthophylle) Begleiter des Chlorophylls. Sie sind als Farbstoffe zahlreicher Blüten und Früchte nachgewiesen. (Es sind in den Blüten über 30 verschiedene Carotinoide gefunden worden.) Ebenso kommen sie bei zahlreichen Bakterien, Pilzen und Algen vor. Über ihre Funktion bei den Pflanzen ist fast nichts bekannt. Die weite Verbreitung der Stoffe läßt aber eine allgemeinere Funktion vermuten. Möglicherweise sind die Carotinfarbstoffe der grünen Blätter irgendwie an der Photosynthese beteiligt. I m tierischen Organismus begleiten die Carotinfarbstoffe meistens die F e t t e (Eigelb!). Sie kommen aber auch als Farbstoff der Federn (Kanarienvogel) oder des Integuments zahlreicher Tierarten vor (Fische, Crustaceen [Hummer]), Insekten (Coccinella) usw. Wegen der Doppelbindungen in der Polyenkette besteht bei den Carotinfarbstoffen die Möglichkeit von cis-trans-Isomeren. Tatsächlich sind zahlreiche derartige Isomeriefälle bekannt. Sie sind für die Physiologie von Bedeutung, weil in einzelnen Fällen die verschiedenen Isomeren sich durch ihr biochemisches Verhalten unterscheiden (z. B. verschiedene Aktivität als Provitamin A; vgl. auch die Bedeutung der isomeren Retinine, S. 748). Am längsten ist die Existenz zweier stereoisomerer Formen beim Bixin bekannt. Man kann das natürliche Bixin durch Behandeln mit Jod in eine stabilere Form (/S-Bixin, Isobixin) überführen, die sich als Stereoisomeres der natürlichen Verbindung erwiesen hat.

Die Proteine und ihre Bausteine. Aminosäuren

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Als Beispiel geben wir zwei mögliche Konfigurationen des /3-Carotins (in vereinfachter Schreibweise) an:

all-irans-Form

\/

/ centrale mono-cis-Form1)

In Anbetracht der großen Zahl von Doppelbindungen ist die theoretische Zahl der möglichen Konfigurationen sehr groß. Anscheinend können aber nur wenige verwirklicht werden. Die Isomeren unterscheiden sich durch ihre physikalischen Eigenschaften (Schmelzpunkt, Löslichkeit, Lichtabsorption) und können durch chromatographische Methoden voneinander getrennt werden. Es scheint, daß die all-irans-Form stets bevorzugt ist. Die Umlagerung kann durch verschiedene Einwirkungen zustande kommen, u. a. auch durch Belichtung.

Wir erwähnen noch zwei Stoffe, die den Carotinoiden nahestehen und ebenfalls Terpene sind. Das Phytol ist ein einfach ungesättigter Alkohol. Es kommt mit dem Chlorophyll verestert in allen grünen Pflanzenteilen vor (vgl. auch Vitamin E und Vitamin K, S. 757). CH3—CH— (CH2)3—CH—(CH2)3—CH—(CH2)3—C = CH—CH2 • OH CH,3

CH,

CH.,

CH,

In dem unverseifbaren Teil des Leberfettes und in den Fischölen findet sich der Kohlenwasserstoff Squalen C 30 H 60 : CH, • C = CH • CHo«CH, • C = CH • CH« • CH2 • C = CH • CHa— CH,

CH3

CH,

Das Squalen ist deshalb von großem Interesse, weil es in genetischer Beziehung zu den in der Natur weitverbreiteten Triterpenen und Sterinen steht; vgl. S. 369 u.ff.

Viertes Kapitel

Die Proteine und ihre Bausteine Die Eiweißkörper oder Proteine sind stickstoffhaltige, hochmolekulare Verbindungen, die bei vollständiger Hydrolyse Aminosäuren liefern. Bevor wir ihre Eigenschaften und ihr Verhalten besprechen können, müssen wir ihre Bausteine kennenlernen. 1. Aminosäuren Die in der Natur als Eiweißbausteine vorkommenden Aminosäuren sind «-Aminosäuren, besitzen also die allgemeine Strukturformel: I n h o f f e n u. Mitarb., Liebigs Ann. 570, 54 (1950). 5

L e u t h a r d t ,

Lehrbuch.

13.Auil.

Die Proteine und ihre Bausteine

66

COOH H—¿—NH2 I R

Bis jetzt sind ungefähr zwanzig verschiedene Aminosäuren aus den Eiweißkörpern isoliert worden. In den letzten Jahren sind außerdem eine Reihe neuer Aminosäuren bekannt geworden, die teils in freier Form, teils als Bestandteile verschiedener Naturstoffe vorkommen. Mit Ausnahme von Prolin und Oxyprolin kennzeichnen sich alle genannten Säuren dadurch, daß sie am a-C-Atom eine primäre Aminogruppe tragen. Mit Ausnahme des Glycocolls sind alle aus dem Eiweiß isoHerten Aminosäuren optisch aktiv, d. h. sie enthalten in ihrem Molekül mindestens ein asymmetrisches Kohlenstoffatom; davon wird weiter unten die Rede sein. A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren

Diese Verbindungen sind farblose kristallisierte Substanzen, die sich bis auf wenige in Wasser lösen und von denen die einfacher gebauten süßen Geschmack haben. Bei der Betrachtung der einfachsten Aminosäure, des Glycocolls, das eine substituierte Essigsäure ist, fällt der eigentümliche Doppelcharakter dieser Verbindung auf: CH2.NH2 I COOH Aminoessigsäure

Das Molekül enthält einmal die saure Carboxylgruppe und außerdem die basische Aminogruppe und dementsprechend kann eine derartige Verbindung entweder als Säure oder als Base reagieren. Man bezeichnet solche Substanzen als amphoterc Stoffe. Man hat über dieses Verhalten der Aminosäuren verschiedene Anschauungen entwickelt und schon früher angenommen, daß zwischen Amino- und Carboxylgruppe eine innere Absättigung stattgefunden hat und die Aminosäuren den Charakter von intramolekularen Salzen besitzen. Tatsächlich liegen die Aminosäuren in wässeriger Lösung als sog. Zwitterionen vor:

coo-

I ch2—nh3+ In der nicht ionisierten Form (gebräuchliche Schreibweise) existiert in wässeriger Lösung nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Aminosäure. Sogar im Kristall liegen die «-Aminosäuren als Zwitterion vor. Das letztere stellt also die stabile Form dieser Moleküle dar. In saurer Lösung liegen die Aminosäuren als Kationen, in alkalischer als Anionen vor. Bei einem bestimmten mittleren pH-Wert oder innerhalb einer bestimmten pH-Zone existieren sie in der neutralen Form, d. h. als Zwitterion: COOH COOCOOI I I ch 2 —nh 3 + « ch 2 —nh 3 + ch 2 —nh 2 saure Lösung Kation

alkalische Lösung Anion

Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren

67

In Abb. 3 sind die Titrationskurven einer neutralen, einer sauren und einer basischen Aminosäure dargestellt. Der amphotere Charakter der Aminosäuren ist physiologisch von großer Bedeutung; die einfachen Aminosäuren können in ihrem Verhalten gegen Säuren und Basen in mancher Hinsicht als Modelle für die sehr viel komplizierter gebauten Proteine dienen. Bei Ausschaltung der einen (sauren oder basischen) Gruppe tritt natürlich der Charakter der anderen (basisch oder sauer) in Erscheinung. So sind

Abb. 3. T i t r a t i o n s k u r v e n v o n A m i n o s ä u r e n , und zwar Monoaminomonocarbonsäure (Glycocoll), Monoaminodicarbonsäure (Glutaminsäure) und Monocarbonsäure mit zwei basischen Gruppen (Arginin). Abszisse: pH-Werte; Ordinate: Säure- oder Basen-Äquivalente pro Molekül Aminosäure. Der Kreis O bezeichnet den Ausgangspunkt der Titration, das Kreuz -j- die Halbneutralisation der einzelnen Dissoziationsstufen; der zugehörige pH-Wert ist gleich der logarithmischen Dissoziationskonstanten. An die verschiedeneu Abschnitte der Kurven sind die zugehörigen Ionenformen angeschrieben (Erklärung vgl. S. 140).

z. B. die Ester der Aminosäuren (s. unten) stark basische Verbindungen, da nur mehr die Aminogruppe die Reaktion bestimmt: COOH Glycocoll (neutral)

COO.C 2 H 6 Glycocolläthylester (stark basisch)

Diejenigen Aminosäuren, bei denen mehrere saure oder basische Gruppen im Molekül vorkommen, zeigen natürlich den Charakter der im Überschuß vorhandenen Gruppen. So besitzen z. B. die Glutaminsäure und die Asparaginsäure ausgesprochen saure Natur, da auf eine Aminogruppe zwei Carboxylgruppen entfallen, und umgekehrt ist das Lysin, das auf zwei Aminogruppen nur eine Carboxylgruppe enthält, eine Aminosäure mit ausgesprochen basischen Eigenschaften. 5*

Die Proteine und ihre Bausteine

68

B. Derivate der Aminosäuren Suspendiert man eine Aminosäure in absolutem Alkohol und leitet dann gasförmige Salzsäure ein, so bildet sich ein Ester der Aminosäure: ch2.nh2 | COOH

+

HO.C2H5 = |

ch2.nh2 COO.C2H5

+ H20

Diese Ester sind starke Basen und lassen sich unter vermindertem Druck destillieren. Liegt ein Gemisch von Aminosäureestern vor, wie es z. B. bei der Spaltung der Eiweißkörper erhalten werden kann, so gelingt es durch fraktionierte Destillation, die einzelnen Aminosäuren in Form ihrer Ester weitgehend zu trennen. E m i l F i s c h e r hat mittels dieser Methode aus dem bei der Eiweißhydrolyse entstehenden Gemisch eine Reihe von Aminosäuren abtrennen können. Außer diesen Estern können noch die verschiedenartigsten Verbindungen der Aminosäuren erhalten werden, indem besonders die Aminogruppe zu Substitutionen herangezogen wird. So gelingt es, durch Einwirkung von Säurechloriden, wie z . B . Benzoylchlorid, Benzoylderivate zu erhalten: COOH I CH-NH-COC6H5 I R R N-Benzoylaminosäure

COOH I ch-nh-so2c10h7 I N-Naphthalinsulfoaminosäure

COOH I ch-nh-co-o-ch„c6h5 I R N-Carbobenzoxyaminosäure

Schwerlösliche Verbindungen, die zur Abscheidung der Aminosäuren dienen können, erhält m a n z. B. auch mit Naphthalinsulfochlorid (C 10 H 7 SO 2 Cl). Für die Peptidsynthese besonders nützlich haben sich die Verbindungen mit dem Chlorkohlensäurebenzylester (sog. Carbobenzoxyverbindungen) erwiesen (vgl. S. 85). Neuerdings sind für die Endgruppenbestimmung in Peptiden die N-2,4-Dinitrobenzolderivate wichtig geworden (vgl. S. 94). Kocht man wässerige Aminosäurelösungen mit Harnstoff oder erwärmt sie mit K-Cyanat, so kommt es zur Bildung von Uraminosäuren (a-Ureidosäuren, N-Carbamylaminosäuren): ch2.nh.co-nh2 I COOH Kohlensäure reagiert mit den Aminosäuren unter Bildung von sog. Carbaminosäuren ( S i e g f r i e d ) . Die Aminogruppe der Aminosäuren addiert dabei das Kohlendioxyd in folgender Weise: R R I 4 I CH—NH2 + C02 = ¿ H — N / 1 1 | \COOH COOH COOH Die Möglichkeit der Bildung solcher Carbaminoverbindungen ist deshalb bedeutungsvoll, da sich ähnliche Reaktionen der Kohlensäure auch am Eiweißmolekül abspielen können. Gewisse Ureidosäuren treten als Zwischenprodukte biochemischer Synthesen auf (a-Ureidobernsteinsäure vgl. S. 467, Citrullin vgl. S. 74 und 431). Mit vielen Schwermetallen bilden die Aminosäuren komplexe Salze. E s seien von diesen besonders

69

Die einzelnen Aminosäuren

die Kupfersalze hervorgehoben, die sich beim Kochen der Säuren mit Kupferoxyd oder -carbonat bilden können. Sie sind intensiv blau gefärbt und können zum Nachweis der Aminosäuren dienen. Andererseits bilden besonders die basischen Aminosäuren mit verschiedenen Nitroverbindungen, wie Pikrinsäure, Pikrolonsäure u. a., schwer lösliche Salze. Wir erwähnen als besonderes Beispiel die Fällung des Arginins mit der sog. „Flaviansäure" (l-Naphthol-2,4-Dinitro-7-sulfosäure), weil sie für die Isolierung des Arginins von Bedeutung ist: OH

NO.

Es gibt noch zahlreiche andere Derivate der Aminosäuren, welche zu ihrem Nachweis, zur Abtrennung oder als Ausgangsprodukte für Synthesen dienen. Wir können dieselben hier aber nicht behandeln, sondern müssen auf die speziellen Werke verweisen. C. Die einzelnen Aminosäuren

Das Glycocoll, Glycin, Aminoessigsäure: CH 2 -NH 2 COOH

Es fehlt in den Albuminen, während es in den meisten anderen Eiweißkörpern enthalten ist. Glycocoll ist die einzige Aminosäure, die optisch inaktiv ist. Es wurde schon 1820 von B r a c o n n o t entdeckt. Es ist besonders reichlich im Collagen, der leimgebenden Substanz des Knochens und der Haut, vorhanden. Glycocoll besitzt einen leicht süßen Geschmack („Leimsüß"). Von der Propionsäure leitet sich die a-Aminopropionsäure, das Alanin, ab: CH3 CH3 I CHNH 2 I COOH Alanin

CH,NH 2 I CH2 I COOH /S-Alanin

I

CH2 I CHNH 2 I COOH a-Aminobuttersäure

Bei dieser Verbindung tritt die Eigenschaft der optischen Aktivität auf. Das a-Kohlenstoffatom ist asymmetrisch; die natürlich vorkommende Verbindung ist rechtsdrehend. Das /S-Alanin (/?-Aminopropionsäure) hat als Bestandteil gewisser Peptide (Carnosin, Anserin) und Wirkstoffe (Pantothensäure) Bedeutung. Das Vorkommen der a-Aminobuttersäure als Eiweißbaustein ist fraglich. Sie leitet sich von der normalen Buttersäure mit unverzweigter Kohlenstoffkette ab. Die Verbindung scheint aber, neben der y-Aminobuttersäure, in freier Form in Extrakten aus pflanzlichen und tierischen Geweben vorzukommen.

Die Proteine und ihre Bausteine

70

Von der Isovaleriansäure leitet sich das Yalin oder die a-Amino-isovaleriansäure a b : CH. CH, CH CHNHj I

COOH Valin

Von isomeren Capronsäuren (C6-Säuren) leiten sich die beiden Leucin e ab CHj \

/

CH3

CHS j

CH

CH2 |

j

ch2

3 *CH—CH. |

*chnh2

*CHNH2 j

J

COOH

COOH

Leucin (a-Amino-isocapronsäure)

Isoleucin

Von den beiden Verbindungen ist das Leucin selbst die am häufigsten vorkommende. Von dem Isoleucin sei besonders hervorgehoben, daß es zwei (*) asymmetrische Kohlenstoffatome besitzt. Neben den genannten C5- und C 6 -Verbindungen mit verzweigter Kohlenstoffkette sind auch die a-Aminosäuren der normalen Reihe bekannt ( N o r v a l i n und N o r l e u c i n ) . Diese scheinen aber nicht als Eiweißbausteine vorzukommen. Ersetzt man im Alanin ein Wasserstoffatom der Methylgruppe durch den Phenylrest ( C 6 H S ) , SO erhält man das Phenylalanin. Diese Aminosäure enthält also einen a r o m a t i s c h e n Rest. Von ihr leitet sich das Tyrosin (von Tyros = Käse, von L i e b i g 1846 aus Käse isoliert) ab, welches das p-Oxyderivat des Phenylalanins ist: OH / V i! I i ch2 I chnh2 I COOH Phenylalanin

OH I ch2 HNH, I COOH ¿:

Tyrosin

S ch2 chnh2 I COOH Dioxyphenylalanin („Dopa1')

Die aromatischen Aminosäuren, besonders leicht das Tyrosin, geben beim Erhitzen mit starker Salpetersäure eine Gelbfärbung, die sich beim Alkalisieren der Lösung vertieft. Die Färbung beruht auf dem Eintritt von Nitrogruppen (—N0 2 ) in den aromatischen Kern. Die Reaktion heißt X a n t h o p r o t e i n r e a k t i o n , weil auch die meisten Eiweißkörper (infolge ihres Gehaltes an aromatischen Aminosäuren) diese Gelbfärbung zeigen. Das Tyrosin gibt als Phenol außerdem eine intensive Rotfärbung mit dem Millonsehen Reagens (Auflösung von Merkurinitrat in konz. Salpetersäure).

71

Die einzelnen Aminosäuren

Das Tyrosin ist sehr schwer löslich. Es bildet bei der Kristallisation stern- oder büschelförmige Aggregate von Kristallen, die leicht zu erkennen sind. Tyrosinkristalle können gelegentlich im Urinsediment beobachtet werden (bei akuter Leberatrophie).

Durch weitere Oxydation des Tyrosins entsteht Dioxyphenylalanin, ein Brenzcatechinderivat (s. Formel), das allerdings als Eiweißbaustein nicht vorzukommen scheint. Außerdem gibt es verschiedene Jod- und Bromderivate des Tyrosins. Besonders wichtig ist das Hormon der Schilddrüse, das Thyroxin. Es ist ein mit Jod substituierter Tyrosinäther von folgender Formel:

—CH 2 -CH(NH a )COOH J Thyroxin

Die ihm zugrunde liegende jodfreie Aminosäure, der p-Oxyphenyläther des Tyrosins, wird Thyronin genannt. In der Schilddrüse kommt neben dem Thyroxin ( = Tetrajodthyronin) auch das T r i j o d t h y r o n i n vor (vgl. S. 680), ferner das Dijod tyrosin: J HO-/

NCHJ • CH(NH2) • COOH

und das M o n o j o d t y r o s i n . Mit dem ersteren nahe verwandt ist die in der Rindenkoralle G o r g o n i a vorkommende Jodgorgosäure (4-Methoxy-3,5-dijodzimmtsäure): J_

CH30—>-CH=CH—COOH

Es gibt unter den Aminosäuren auch verschiedene O x y s ä u r e n . Dazu gehört das Serin, die a-Amino-/?-oxypropionsäure:

COOH

Serin wurde zuerst aus dem Seidenleim isoliert. Eine weitere Oxysäure ist die a-Amino-/?-oxybuttersäure : CH,

I

HOCH

I

CHq

!

HOCH

I

HCNH2

HCOH

COOH Threonin

CHO D(-)-Threose

I

I

Es sind vier isomere Verbindungen dieser Konstitution möglich. Wegen der sterischen Verwandtschaft der natürlich vorkommenden Aminosäuren mit der Tetrose D(— )-Threose wurde sie von dem Entdecker (Rose) mit dem Namen Threonin bezeichnet. Die Existenz des Threonins als Eiweißbaustein wurde durch

Die Proteine und ihre Bausteine

72

biologische Versuche (Ernährung von Ratten mit künstlichen Gemischen von Aminosäuren) entdeckt. Über Oxylysin siehe S. 74. Nebenden Oxysäuren kommen unter den Eiweißbausteinen s c h w e f e l h a l t i g e Aminosäuren vor, welche eine SH-Gruppe (Sulfhydxylgruppe) oder eine daraus sich ableitende schwefelhaltige Gruppierung aufweisen. Cystein ist die dem Serin entsprechende Schwefelverbindung. Es kann sich durch Oxydation leicht in das Cystin umwandeln. Der Schwefelgehalt der Eiweißkörper beruht auf der Anwesenheit dieser Bausteine. Das Cystin ist also eigentlich eine Diaminodicarbonsäur e. CH2 • SH CH2—S—S—CH2 CHNH,

CHNH 2

I

I

COOH Cystein

CHNH 2

COOH Cystin

I

COOH

Cystin ist sehr schwer löslich. Es kristallisiert in schönen hexagonalen Tafeln. In seltenen Fällen wird es im Urin infolge einer spezifischen Stoffwechselstörung in vermehrter Menge ausgeschieden und kann dann zur Steinbildung Anlaß geben. Die schwefelhaltigen Aminosäuren geben beim Kochen mit Alkalien Schwefelwasserstoff ab, der bei Gegenwart einer kleinen Menge eines Bleisalzes als schwarzes Sulfid gefällt wird (Schwefelbleiprobe). Das Cystein gibt in ammoniakalischer Lösung mit Na-Nitroprussiat (Na 2 Fe(CN) 5 NO) eine violette Färbung (Reaktion der SH-Gruppe).

Cystin wurde 1810 von W o l l a s t o n aus einem Blasenstein isoliert (Name!). Es gibt Eiweißkörper wie die noch zu nennenden Keratine (Hornsubstanzen), die sich durch besonders hohen Gehalt an Cystin auszeichnen. Wie das Threonin leitet sich das Methionin von der a-Aminobuttersäure ab; es ist eine a-Amino-y-methylthiobuttersäure: CH2 • S • CH3 I CH2 CHNHj

l!OOH

Aus Hydrolysaten der Djenkolbohne (Pithecolobium lobatum) wurde die Djenkolilisäure isoliert: CH»—S—CHn—S—CHo 0 i f o—S—CH,

I CHNH 2

i

CHNHj

k

COOH COOH Djenkolinsäure

I I CHNH 2 CHNH2 COOH COOH Lanthionin

Das Lanthionin wurde aus alkalischen Hydrolysaten von Wolle dargestellt und als Kunstprodukt betrachtet. Es ist neuerdings aber aus den Antibioticis Subtilin und Nisin isoliert worden.

Unter den Eiweißbausteinen finden sich zwei Dicarbonsäuren: die Asparaginsäure ist eine Aminobernsteinsäure, die Glutaminsäure eine

N—C—N

2. Hypoxanthin = 6-0xypurin (Sarkin) N=C•OH •NH >CH

118

Die Nucleinsäuren

3. Guanin = 2-Amino-6-Oxypurin

4. Xanthin = 2,6-Dioxypurin

N=C•OH

H 2 N-i i !

N=C•OH

C—NH I i

N—C—N

HO-C >

¿—NH

C H

5. Harnsäure = 2,6,8 - Trioxypurin N=C•OH HO-C

¿—NH ¡ 1

> < ®

N—C—N Wie wir später sehen werden, entstehen Hypoxanthin und Xanthin durch Ammoniakabspaltung (Desaminierung) aus den entsprechenden Aminopurinen Adenin und Guanin. Durch Oxydation geht Hypoxanthin in Xanthin und das letztere in Harnsäure über. Das Adenin wurde 1885 von K o s s e i im Gewebe der Pankreasdrüse entdeckt. Bei Fäulnis geht es unter Ammoniakabspaltung in Hypoxanthin über. Es ist eine Base und bildet ein schwer lösliches Pikrat. Das Hypoxanthin wurde 1850 von S c h e r e r im Muskel entdeckt; es findet sich reichlich im Fleischextrakt und kommt in der noch zu besprechenden Inosinsäure (einem Nucleotid des Muskels) vor. Das Gnanin, zuerst von U n g e r 1844 im Guano aufgefunden, ist ebenso wie das Adenin und Hypoxanthin ein Spaltprodukt der Nucleinsäuren. Die Schuppen der Fische verdanken dem Vorkommen von Guaninkristallen ihren eigentümlichen Glanz. Es findet sich bei der sog. Guaningicht der Schweine als Ablagerung in den Gelenken, ähnlich der Harnsäure bei der menschlichen Gicht. Das Xanthin wurde schon 1817 in Harnkonkrementen gefunden. Es kommt nicht in den Nucleinsäuren vor, bildet sich aber sehr leicht durch Desaminierung des Guanins. Die Purinbasen sind in Wasser schwer löslich und geben mit Säuren kristallisierende Salze. Sie lösen sich leicht in Ammoniak und werden von ammoniakalischer Silberlösung gefällt. Auch aus der salpetersauren Lösung werden sie als kristallisierende Silbernitratverbindungen ausgefällt. Schweflige Säure und Kupfersulfat fallen sie beim Kochen als Cuproverbindungen aus. Sie fallen mit Phosphorwolframsäure aus. Die Harnsäure (von K. W. S c h e e l e 1776 in Harnsteinen entdeckt) stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purinstoffwechsels dar. In reichlicher Menge findet sie sich in den Exkrementen der Vögel und der meisten Reptilien. Bei diesen Tierklassen wird fast der gesamte Stickstoff in Form der Harnsäure ausgeschieden. Die Harnsäure ist im Wasser sehr schwer löslich. Sie löst sich leicht in Alkalien unter Salzbildung auf. Ihre Salze heißen Urate. In Lösungen, die einen Überschuß von Ammoniumionen enthalten, ist auch das Ammoniumsalz ziemlich schwer löslich. Es kann auf diese Weise gefällt werden. Man findet Ammoniumurat als Harnsediment und in Harnsteinen.

119

Die Bindung der Bausteine in den Nuoleinsäuren

Harnsäure gibt die sog. Murexidprobe: Beim Erhitzen einer kleinen Menge Harnsäure mit konzentrierter Salpetersäure bleibt nach dem Abdampfen der Säure ein orangeroter Rückstand, der sich beim Befeuchten mit Alkali violett färbt. Die Reaktion beruht auf der Oxydation der Harnsäure zu Alloxan und Dialursäure, die sich mit Ammoniak zum Murexid, dem Ammoniumsalz der Purpursäure, vereinigen: HN—C=0 0=C—NH HN—C=0 0=C—NH

o = cI

clCH N-C— HC—

I

1

HCOH ^

HC-

Adenylsäure (Adenosin3-phosphorsäure)

X=C—NH I I HC C—N SCH N-C-N/

N=C-NH, I I 0 = C CH I II N-CH

HC "1 I HCOH O HCOH

HC I HCOH

HC ' I ch2oh

HC

Adenosin

HCOH I

O

I CHjOH

Cytidin

Entsprechend sind Guanylsäure und Guanosin konstituiert. In den Pyrimidinnucleosiden ist der Zucker in Stellung 3 des Pyrimidinrings gebunden; Beispiel: Cytidin ( = Cytosinribosid), Formel oben. Aus den Ribosenucleinsäuren sind die folgenden Riboside gewonnen worden: A d e n o s i n , G u a n o s i n , C y t i d i n , U r i d i n ( = Uracilribosid), aus den Desoxyribosenucleinsäuren die folgenden Desoxyriboside: D e s o x y a d e n o s i n , D e s o x y g u a n o s i n , D e s o x y c y t i d i n , T h y m i d i n ( Thymindesoxyribosid), 5 - M e t h y l d e s o x y c y t i d i n und in einem einzelnen Fall 5 - O x y m e t h y l d e s o x y c i t i d i n .

121

Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren

Die chromatographische Analyse der Nucleotide, welche durch alkalische Hydrolyse der Nucleinsäuren entstehen, hat ergeben, daß von jedem Nucleotid zwei isomere Formen existieren, die man durch „a" und ,,b" unterscheidet, z. B. Adenylsäure a, Adenylsäure b (Cohen und Carter). Sie unterscheiden sich durch die Stellung des Phosphats, das bei der „a"-Form sehr der Ribose verestert ist1), z. B.: H Adenin—C I 2' HCOH | 3' HO 0 I HC I HjOOH

H Adenin—C

1 0 j

1

PO.Il,

und

1

I 0 HCOH • I HC I I H2COH

Adenylsäure b Adenylsäure a Erklärung des Auftretens dieser isomeren Formen vgl. unten S. 123.

Die Nucleotide spielen nicht nur als Bausteine der polymeren Nucleinsäuren eine Rolle. Wir kennen auch verschiedene nucleotidartig gebaute niedrigmolekulare Stoffe, die als Wirkungsgruppen von Fermenten vorkommen. Zu den wichtigsten gehört die sog. Muskeladenylsäure, ein Adeninmononucleotid, das den Posphorsäurerest in Stellung 5' der Ribose trägt. Sie kann durch Addition von 2 Molekülen Phosphorsäure in die sog. Adenylpyrophosphorsäure oder Adenosintriphosphorsäure (gewöhnlich mit ATP abgekürzt) übergehen, von der bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels ausführlich die Rede sein wird. Es ist auch eine Adenosindiphosphorsäure bekannt, welche an Stelle der Triphosphorsäuregruppe einen Pyrophosphatrest enthält. Das eine Phosphorsäuremolekül der Polyphosphatgruppe ist esterartig in Stellung 5 an die Hydroxylgruppe der Ribose gebunden. Die Phosphatreste unter sich sind anhydridartig verbunden. Diese Anhydridbindungen sind viel weniger stabil als die Esterbindung. Sie werden z. B. schon durch 9 Minuten langes Kochen in 1 n-Salzsäure vollständig hydrolysiert. Man macht sich diese Tatsache bei der Bestimmung der ATP neben anderen organischen Phosphorsäureverbindungen zunutze (Lohmann). Diese labilen Phosphatgruppen des ATP spielen im Intermediärstoffwechsel eine große Rolle. Sie können an andere Verbindungen abgegeben werden. Wir werden später die Gesamtheit der Verbindungen Adenylsäure, Adenosindi- und -triphosphat einfach als das A d e n y l s ä u r e s y s t e m bezeichnen.

Neuerdings sind neben den Polyphosphaten des Adenins auch die Di- und Triphosphate der übrigen Nucleoside nachgewiesen worden, nämlich die 5'-Di- und Triphosphate des Guanosins, des Cytidins und des Uridins 8 ). Einzelne derselben scheinen wie das ATP als Cofermente bei Transphosphorylierungen zu dienen; vgl. S. 271 und S. 277. Aus der Muskeladenylsäure entsteht durch Desaminierung die Inosinsäure, die schon von L i e b ig aus Fleischextrakt isoliert wurde. Sie ist ein Nucleotid des Hypoxanthins. Durch Abspaltung von Phosphat geht sie in das erstmals von H a i s e r und W e n z e l aufgefundene Inosin über. Neuerdings sind auch Polyphosphate des Inosins bekannt geworden. Andere wichtige Beispiele von Nucleotiden sind gewisse Cofermente, so die Cozymase, ein Dinucleotid, das als Stickstoffverbindungen Adenin und Nicotinx

) Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 23, 108 (1954). ') Vgl. S c h m i t z u. Mitarb., J. biol. Chem. 209, 41 (1954); Naturwiss. 41, 120 (1954).

Die Nucleinsäuren

122

säureamid enthält, und ferner gewisse „gelbe Fermente", welche Adenin und Lactoflavin enthalten. Diese Stoffe werden bei Behandlung der biologischen Oxydation genauer besprochen werden. 5. Die Struktur der Nucleinsäuren Die Nucleinsäuren sind Stoffe von hohem Molekulargewicht. Sie entstehen durch Zusammenlagerung von Nucleotiden, wobei der Phosphorsäurerest des einen Nucleotids esterartig an eine Hydroxylgruppe im Zucker des folgenden Nucleotids gebunden wird. Man faßte früher die Nucleinsäuren im wesentlichen als Tetranucleotide auf, entstanden durch die Verbindung von vier verschiedenen Mononucleotiden im gleichen Verhältnis (im Falle der Hefenucleinsäuren z. B. aus Adenylsäure, Guanylsäure, Cytidylsäure und Uridylsäure). Untersuchungen neueren Datums haben aber gezeigt, daß das Verhältnis der vier Basen keineswegs immer dieser Annahme entspricht. Es sind neue Methoden entwickelt worden, welche die exakte Identifizierung und quantitative Bestimmung der Purin- und Pyrimidinbasen in kleinsten Mengen gestatten. Ihre Anwendung auf eine Reihe von Nucleinsäuren verschiedener Herkunft hat einwandfrei ergeben, daß die Tetranucleotidhypothese nicht haltbar ist. Das Verhältnis der Basen zueinander kann stark von der Einheit abweichen. Das Molekül der Nucleinsäuren entsteht also nicht durch eine regelmäßig sich wiederholende Aneinanderreihung von vier verschiedenen Nucleotiden, wie man dies früher angenommen hatte; es ist komplizierter gebaut (Näheres vgl. S. 461). Eine der hauptsächlichsten Schwierigkeiten bei der Erforschung dieser Stoffe liegt darin, daß keine einzige bisher isolierte Substanz einheitlich ist. Es liegen immer Gemische vor; die Zusammensetzung der einzelnen reinen Komponenten, auf die es allein ankommt, kann daher stark von der mittleren Zusammensetzung des Gemisches abweichen, die sich aus der chemischen Analyse ergibt. Das Molekulargewicht der unveränderten Desoxyribosenucleinsäuren ist sehr hoch. (Für Thymusnucleat hat man Werte von 500000 bis 1000000 gefunden.) Sie bilden viskose Lösungen. Die Eigenschaften der Lösungen (Viskosität, Strömungsdoppelbrechung) deuten darauf hin, daß die Teilchen sehr langgestreckt, also fibrillärer Natur sind. Die Ribosenucleinsäuren besitzen geringeres Molekulargewicht (Hefenucleinsäure 20000, Nucleinsäure aus dem Virus der Tabakmosaikkrankheit 300000); sie bilden keine viskosen Lösungen. Ribose- und Desoxyribosenucleinsäuren zeigen einen charakteristischen Unterschied in ihrem Verhalten gegen Alkalien: Ribosenucleinsäuren werden durch verdünnte Alkalien zu Mononucleotiden hydrolysiert, während die Desoxyribosenucleinsäuren gegen Alkali stabil sind. Die Desoxyribosenucleinsäuren scheinen aus langen Ketten von Mononucleotiden zu bestehen, die nach folgendem Schema gebaut sind: O

O

O

O

• —O—jP—O—Pentose—O—P—O—Pentose—O—P—O—Pentose—O—P—O— • OH

Base

OH

Base

Base

OH

(Pentose = Desoxyribose; Base = einer der 4 Purin- oder Pyrimidinkörper). Die

Die Struktur der Nucleinsäuren

123

starke Asymmetrie der Moleküle erklärt die hohe Viskosität der Lösungen. Die hochmolekularen Teilchen entstehen durch parallele Zusammenlagerung der obigen Ketten. Die röntgenoptische Untersuchung der Desoxyribosenucleinsäuren (Faserdiagramme) hat zu der Annahme geführt, daß die Fibrillen aus zwei spiralig um dieselbe zentrale Achse aufgewundenen Pentose-phosphat-Ketten bestehen (Durchmesser der Spirale etwa 20 A, Ganghöhe 14 Ä). Die Basen liegen innerhalb der Spiralen, senkrecht zur Achse. Die Stabilität der Struktur beruht auf Wasaerstoffbindungen zwischen den Basen, die möglicherweise spezifisch sind (Guanin mit Cytosin, Adenin mit Thymin)1). Die Ribosenucleinsäuren scheinen einen kompüzierteren Bau zu besitzen. Möglicherweise bilden sie verzweigte Ketten und dementsprechend weniger langgestreckte Moleküle als die Desoxyribosenucleinsäuren. Die Frage, auf welche Art die einzelnen Nucleotide in den Nucleinsäuren miteinander verknüpft sind, hat der Forschung lange Zeit große Schwierigkeiten bereitet. Die verschiedenen Strukturbilder, die man versuchsweise entworfen hatte, vermochten die experimentellen Befunde nur unvollkommen zu erklären. Erst die Arbeiten der letzten Jahre, insbesondere die Untersuchungen von Todd, im Verein mit den Ergebnissen des enzymatischen Abbaus, haben ein Deutung der Widersprüche ermöglicht. Sehr wahrscheinlich verbindet in den Polynucleotiden die Phosphorsäure die Stellungen C5 und C3 (oder C2) der aufeinanderfolgenden Pentosemoleküle, so daß das folgende Formelbild entsteht (in vereinfachter Schreibweise, X = Purin- oder Pyrimidinbase): X

X

X

!

1 b

c

r

i C2—OH | C3\ OH

0

X.L i X

X 4

C5

0

r

cI

r i : ' C2—OH O I o I C3v OH I

c3v

u

U

oX

X

j

. o

C5

o

i C2—OH I ^

' Nj.

Bei der alkalischen Hydrolyse erhält man ausschließlich Mononucleotide; bei milder saurer Hydrolyse werden außerdem die Purinbasen aus den Nucleotiden freigesetzt. Merkwürdigerweise fehlen unter den Produkten der alkalischen Hydrolyse die 5'-Nucleotide (Phosphat an C5 der Pentose). Die entstehenden Nucleotide wurden früher allgemein als 3'-Nucleotide formuliert, doch sind sie neuerdings (durch Chromatographie an Säulen von Anionenaustauschern) als Gemische zweier isomerer Verbindungen, nämlich der 2'- und 3'-Nucleotide, erkannt worden, die, wie oben erwähnt, als „a" und „b" unterschieden werden. Die beiden Isomeren gehen durch Wanderung des Phosphatrests leicht ineinander über. (Ähnliches ist beim Glycerinphosphat bekannt; vgl. S. 48.) Offenbar tritt dabei als Zwischenstufe ein cyklischer Diester auf (Formel III): ! C—OH O | II 0—0—P—OH I I OH

..

''

1 C—0. ,0 | >P• NH4OH

NH4OH

> NH4+ + OH- .

Das freie Ammoniak wird also nicht als Base angesehen. Man kann aber die basische Natur des Ammoniaks einfacher durch die direkte Anlagerung eines Wasserstoffions erklären: NH3 + H+ NH4+ . Wasser enthält immer Wasserstoffionen, da es selbst in H+ und O H - dissoziieren kann. Ist daher keine Säure vorhanden, z. B. beim Auflösen von NH 3 in reinem Wasser, so liefert das Wasser selbst die Wasserstoffionen nach, wobei natürlich eine äquivalente Menge freier Hydroxylionen zurückbleibt: NH3 + H 2 0 •-->• NH4+ + OH- . Die Anlagerung des Protons an das Ammoniakmolekül ist auf Grund der Elektronentheorie der Valenz leicht verständlich. Im Ammoniak ist noch ein freies Elektronenpaar vorhanden, durch welches das Proton gebunden werden kann:

H [" H H:N: + H+ H:N:H H L H Die B r ö n s t e d s c h e Theorie der Säuren und Basen führt dazu, nicht nur neutrale Moleküle, sondern auch Kationen und Anionen als Säuren oder Basen anzusehen, je nachdem sie Protonen abgeben oder aufnehmen können. So ist z. B. das NH 4 + -Ion eine „Säure", eine sogenannte „Kationensäure", weil es in Umkehrung der oben angeschriebenen Reaktionen Protonen abgeben kann. Umgekehrt kann das Hydrogencarbonat-Anion (HC0 3 _ ) als „Base" aufgefaßt werden („Anionenbase"), denn es nimmt Protonen auf, die vom Wasser geliefert werden, wodurch sich die alkalische Reaktion der primären Carbonate erklärt: HCOj- + H 2 0

• H2C03 + OH-.

Ganz allgemein entsteht aus einer Säure durch Abgabe eines Wasserstoffions notwendigerweise eine Base und aus einer Base durch Anlagerung eines Protons eine Säure gemäß der folgenden Gleichung: „Säure" 7 — „ B a s e " + H + .

Jeder Säure ist also eine Base zugeordnet, die um eine Ladungseinheit negativer ist als die Säure und umgekehrt (z. B. Base NH 3 : Ladung 0 , Säure NH 4 + : Ladung + 1, usw.). Wir bezeichnen im folgenden ein derart zusammengehörendes Paar von Säure und Base als zugeordnetes oder konjugiertes Paar. Das Wasser selbst kann als Säure reagieren, indem es unter Bildung eines OHIons ein Proton abgibt. Es kann aber auch als Base wirken, indem es (durch ein einsames Elektronenpaar des Sauerstoffs) ein Proton bindet; es geht dabei in das sog. Hydroxoniumion (H 2 0)H + über. Dieser Vorgang ist von grundlegender Bedeutung. Man muß annehmen, daß in wässeriger Lösung gar keine „nackten" Protonen existieren, sondern daß die Wasserstoffionen nur in Form der Hydroxoniumionen vor-

Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen

137

handen sind. Ohne diese Fixierung der Protonen auf den Wasserstoffmolekülen würden die Säuren in wässeriger Lösung wahrscheinlich gar nicht dissoziieren. Das zeigt sich z. B. darin, daß im wasserfreien Zustand auch die starken Säuren sehr schlechte Leiter der Elektrizität, also nicht dissoziiert sind. Der saure Charakter der Verbindungen kommt erst in Gegenwart von Wassermolekülen zum Vorschein. Nach dieser Auffassung wäre die Dissoziation einer Säure in wässeriger Lösung der gegenseitigen Neutralisation einer Säure und einer Base durchaus analog: z. B. Neutralisation: HCl + N H 3 Dissoziation: HCl + H 2 0

Cl~ + (NH 3 )H+ > Cl" + (H 2 0)H+

Für Basen gelten analoge Überlegungen. Diese wenigen Bemerkungen über die B r ö n s t e d s c h e Theorie müssen hier genügen. Sie gestattet eine einheitliche und übersichtliche Darstellung der Dissoziation von Säuren und Basen. Ihr Wert zeigt sich besonders bei der Behandlung von Elektrolyten, die gleichzeitig viele saure und basische Gruppen verschiedener Stärke besitzen wie die Proteine. 3. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen Es wird als bekannt vorausgesetzt, daß die „Reaktion" einer Lösung in exakter Weise durch die Konzentration der Wasserstoffionen (H+) 1 ) definiert wird und daß man die Wasserstoffionenkonzentration nach dem Vorschlag von S. P. L. S ö r e n s e n durch ihren negativen dekadischen Logarithmus, den sog. pH-Wert, ausdrückt: pH = — l o g ( H + ) . Bei der Verfolgung chemischer Vorgänge in den Säften und Geweben des Organismus stellt sich Schritt für Schritt das Problem, den Dissoziationsgrad einer schwachen Säure oder Base bei einem bestimmten pH-Wert zu berechnen. Als Dissoziationsgrad bezeichnen wir das Verhältnis des ionisierten Anteils zur Gesamtkonzentration. Qualitativ läßt sich leicht einsehen, daß mit abnehmender Wasser stoffionenkonzentration (zunehmendem pH) die Dissoziation der schwachen Säuren zunimmt, die Dissoziation der schwachen Basen abnimmt. Um den Zusammenhang zwischen pH-Wert und Dissoziationsgrad exakt festzustellen, wenden wir das Massenwirkungsgesetz an. Wir betrachten die Ionisierung einer Base im Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie als Anlagerung eines Wasserstoffions und untersuchen demnach das Gleichgewicht der folgenden Reaktionen (AH Säure, A - Säureanion, B Base, B H + Basenkation): AH

Säure A- + H+

BH+ ^

Base B + H+ .

Diese ergeben die Gleichgewichtsbedingungen: (A-) jH+) _ (AH) ~ " k *

(B) (H+) _ (BH-) '

Kb

'

k ft und k b sind die Gleichgewichtskonstanten. Sie sind im Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie beide als Dissoziationskonstanten von Säuren aufzufassen. k a ist u m so größer, je stärker die Säure AH, k b um so kleiner, je stärker die Base B ist. Gewöhnlich drückt man die Werte von k a und k b analog dem pH-Wert durch ihre negativen Logarithmen aus, die man ebenfalls durch p k a , pk b bezeichnet: pka = — log k a 1

pkb = — log k b .

) Die Konzentration (genauer die „Aktivität") eines Stoffes wird in der angegebenen Weise durch Einklammern seines chemischen Symbols ausgedrückt.

Säuren und Basen

138

Aus den oben angeschriebenen Gleichgewichtsbedingungen folgt das bekannte Gesetz, daß in der Lösung einer schwachen Säure oder Base die H + -Konzentration durch das Verhältnis des nicht dissoziierten zum dissoziierten Anteil bestimmt wird (Verhältnis der freien Säure oder Base zum Salz): A~ pH = pk a + log -pjj 'AH

rpH

B = rpk b + log : " ' & BH+

Dies ist die sog. H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e Gleichung. Setzt man A~ = AH und B = BH+, so folgt p H = pk a resp. p H = p k b . Die H + - Konzentration einer Lösung, die gleiche Mengen der nicht dissoziierten und der dissoziierten Form einer Säure enthält, in der die Säure also zur Hälfte neutralisiert ist, ist gleich der Dissoziationskonstanten. Auf Grund dieser Tatsache kann man die Dissoziationskonstanten leicht bestimmen. Die Gleichung von H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h enthält die ganze Theorie der Pufferlösungen und der Indikatoren. Wir haben den Dissoziationsgrad ot als Verhältnis des ionisierten Anteils zur Gesamtkonzentration der Säure oder Base definiert. Der Dissoziationsgrad der Säuren nimmt mit abnehmender H + -Konzentration (wachsendem pH) zu, der Dissoziationsgrad der Basen nimmt ab. Um die Symmetrie der Darstellung f ü r Säuren und Basen zu wahren, benützen wir bei den Basen den sog. Dissoziationsrest q = 1 — oc, d. i. das Verhältnis des n i c h t ionisierten Anteils der Base zu ihrer Gesamtkonzentration. Der Dissoziationsrest der Basen nimmt wie der Dissoziationsgrad der Säuren mit wachsenden pH-Werten zu. Eine einfache Rechnung gibt die folgenden Ausdrücke : 10"pka Säure: Dissoziationssrad ot = , ;k 10-P a + 10- PH Base:

Dissoziationsrest

l —a — q =

10"pkb l(T pk b + i c r p H '

Die Bedeutung dieser Formeln ergibt sich am einfachsten aus ihrer graphischen Darstellung. Wenn man den Dissoziationsgrad oder den Dissoziationsrest gegen den pH-Wert aufträgt, so erhält man eine leicht S-förmig gekrümmte Kurve, die sog. Dissoziations- oder Titrationskurve (Abb. 17), die bei Halbneutralisation (a = Q = 0,5) einen Wendepunkt besitzt. Die Abszisse dieses Punktes ist gleich dem pk'-Wert der betreffenden Säure oder Base. Die Kurven f ü r verschiedene Säuren oder Basen gehen also durch Parallelverschiebung auseinander hervor. Man findet mit Hilfe der Titrationskurve sehr leicht den Dissoziationsgrad einer Säure für einen bestimmten pH-Wert, indem man die Länge der Ordinate bestimmt, die zu diesem pH-Wert gehört; die Ergänzung auf 1 gibt denDissoziationsrest. Handelt es sich um eine Base, so gibt umgekehrt die Länge der Ordinate den Dissoziationsrest, die Ergänzung auf 1 den Dissoziationsgrad. In Abb. 18 sind die Dissoziationskurven einer Anzahl physiologisch wichtiger Säuren und Basen eingetragen. Die Kurven, die sich auf Basen beziehen, sind gestrichelt. Wir werden bei verschiedenen Gelegenheiten auf diese Dissoziationskurven verweisen. Die Kurven zeigen, daß sich der Übergang von der nicht ionisierten in die ionisierte Form bei irgendeiner Säure oder Base innerhalb eines pH-Bereiches von etwa 2 pH-Einheiten vollzieht ¡außerhalb dieses Bereichs ist die Säure oder Base praktisch vollständig als Ion oder vollständig als nicht ionisiertes Molekül vorhanden. Um die Bedeutung der Dissoziationskurven zu illustrieren, führen wir einige Beispiele an:

139

Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen

1. B e i s p i e l : Wie groß ist das Verhältnis von primärem und sekundärem Phosphat in einem Urin von pH 6,5 ? Phosphorsäure dissoziiert in drei Stufen. Die entsprechenden Dissoziationskonstanten liegen aber so weit auseinander, daß sie unabhängig voneinander betrachtet werden können. Physiologisch wichtig ist die zweite Stufe HoP0 4 ~ HP0 4 ~ ~ + H + . Das Ion des

I \AH

Dissoziationsrest e -1-

(A") •

Die Messung des p H mittels der Wasserstoffelektrode gibt direkt den Logarithmus der Wasserstoffionenaktivität. Also gilt: pH = - l o g k +

l o g ^

oder, wenn wie üblich f ü r — log k = pk gesetzt wird: PH

=

Pk

+

l o g ^ .

Setzt man nun f ü r das Anion A~ und die Säure AH an Stelle der Aktivität die Konzentration ein, so erhält m a n : f A T r [AH] f.TT [AH] [AH] (H+) = k • / = k •— = k' rA-, A f f A - [ ~] A[Aoder: PH

=

P

k'+log[|öl

Diese Gleichung hat genau die gleiche Form wie die obige; die Größe k • jrA— = k' ist aber keine Konstante, weil die Aktivitätskoeffizienten von der Zusammensetzung der Lösung abhängig sind, k' wird als s c h e i n b a r e D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e bezeichnet. Wenn man aus dem bekannten Mischungsverhältnis von Säure und Salz (AH und A _ ) in einer Pufferlösung den pH-Wert berechnen will — eine Aufgabe, die sich in der Praxis oft stellt —, so muß man den Wert der scheinbaren Dissoziationskonstanten f ü r die herrschenden Bedingungen kennen. Die obige Gleichung besagt, daß das p H eines Puffergemisches nur vom V e r h ä l t n i s der undissoziierten Säure zum Anion abhängig ist, nicht von der absoluten Konzentration des Gemisches. Wegen der Abhängigkeit der Aktivitätskoeffizienten von der Ionenkonzentration gilt dieses Gesetz aber nicht streng; die scheinbare Dissoziationskonstante und damit natürlich auch der pH-Wert der Lösung ändern sich mit der Verdünnung. Aus dem gleichen Grund ändert sich der pH-Wert einer Pufferlösung auch beim Zusatz von Neutralsalzen. Man findet z. B. beim Verdünnen eines Gemisches, welches aus primärem und sekundärem Phosphat im Verhältnis 1 : 1 besteht, die folgende Änderung der pH-Werte: 10 L e u t h a r d t , Lehrbuch, 13. Aufl.

146

Säuren und Basen G esamtkonzentratio n des Phosphats:

0,1-m.

0,01-m.

0,001-m.

auf oo Verdünnung extrapoliert

pH-Wert

6,76

6,99

7,11

7,16

Wie aus den obigen Gleichungen leicht ersichtlich ist, entspricht der pH-Wert f ü r das Mischungsverhältnis [ H P 0 4 ] : [ H 2 P 0 4 ~ ] = 1 gerade dem Logarithmus der scheinbaren Dissoziationskonstanten p H = p k ' . Die Extrapolation der pH-Werte auf unendliche Verdünnung ergibt daher die w a h r e oder t h e r m o d y n a m i s c h e D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e pk = 7,16. (Es handelt sich hier um die zweite Dissoziationskonstante der Phosphorsäure.) Bei Pufferlösungen, die aus der Mischung einer schwachen Säure mit ihrem Salz bestehen, nimmt bei Verdünnung der pH-Wert stets zu, bei Mischungen einer schwachen Base mit ihrem Salz nimmt er ab. Es sind teils auf empirischem Weg, teils durch theoretische Überlegungen Formeln aufgestellt worden, welche die Aktivitätskoeffizienten der Ionen f ü r verschiedene Elektrolytkonzentrationen zu berechnen gestatten. Es zeigt sich, daß diese Koeffizienten von der Konzentration und Wertigkeit aller in der Lösung vorhandenen Ionen abhängen, und zwar t r i t t hier eine f ü r alle Elektrolytwirkungen wichtige Größe, die sog. I o n e n s t ä r k e ¡u, auf. Es ist dies die halbe Summe aller mit dem Quadrat der Wertigkeit multiplizierten Ionenkonzentrationen. Bezeichnen wir die Konzentration der einzelnen Ionen mit cj, ihre Wertigkeit mit wj, so ist: c w 2

i i .

I* = Vi 2>

wobei die Summe über sämtliche in der Lösung vorhandenen Ionen, positive und negative, zu erstrecken ist; z.B. ergibt sich f ü r eine Mischung von 0,05-m. K H 2 P 0 4 und 0,05-m. N a 2 H P 0 4 : K+ H2P042 Na HP04— PL = i/ 2 (0,05 - l 2 + 0,05 - l 2 + 0,1 - l 2 + 0,05 - 22) = t 0 , 2 . Nach einer von D e b y e und H ü e k e l entwickelten Theorie läßt sich der Aktivitätskoeffizient der Ionen in verdünnten Elektrolytlösungen berechnen. Die Gleichung hat die F o r m : — log f. = 0,5 w 2 1

1

1—

Wj ist die Wertigkeit des betrachteten Ions, a ist eine Größe, welche dem (empirisch zu bestimmenden) Ionenradius proportional ist. (Der Ionenradius ist als diejenige Distanz zu definieren, auf die sich die anderen Ionen dem betrachteten Ion nähern können; er ist selbst wieder von der Zusammensetzung der Lösung abhängig.) F ü r höhere Ionenkonzentrationen müssen empirisch Korrektionsglieder eingeführt werden. Die Formel läßt erkennen, daß d i e A k t i v i t ä t e i n e s I o n s v o n d e r K o n z e n t r a t i o n u n d W e r t i g k e i t s ä m t l i c h e r in d e r L ö s u n g v o r h a n d e n e n I o n e n a b h ä n g i g i s t . Besonders groß ist der Einfluß der Wertigkeit, da sie als Quadrat in die Formel eingeht. Die Erfahrung zeigt denn auch, daß die Abweichungen vom einfachen Massenwirkungsgesetz f ü r mehrwertige Elektrolyte besonders groß sind. Man kann aus der obigen Gleichung leicht ableiten, in welcher Weise sich die scheinbare Dissoziationskonstante (und damit der pH-Wert) beim Verdünnen einer Pufferlösung ändert. Naoh der oben gegebenen Definition ist fAH k ' = k - — , daher pk' = pk + log f A — log f A H . t ADer Aktivitätskoeffizient der nicht dissoziierten Säure f A H kann gleich Eins gesetzt werden, d. h. log f A H = 0 . Aus der obigen Gleichung ergibt sich daher: pk' = pk — 0 , 5

1-a]//* Mit zunehmender Ionenstärke, d. h. mit wachsender Konzentration des Puffergemisches, wird daher pk' kleiner, wie dies aus der obigen Tabelle hervorgeht. Mit zunehmender Verdünnung nähert sich p k ' dem Wert der thermodynainischen Konstanten pk.

147

Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

Betrachten wir noch das praktisch sehr wichtige Gemisch aus primärem und sekundärem Phosphat, so gilt: (H2P04-) H k '(Hi>or-y daher: k' = k

' oder pk' = pk + log f H r o HPO4—

— log f H

po

- .

Für das primäre Anion ist die Wertigkeit w = 1, f ü r das sekundäre ist w = 2. Man findet daher: = pk' = pk — 0,5 • 22 • — y ^ — ^ + 0,5 — 1—a y ß 1—ay/i

pk — 1,5

1—a y/i

.

Man sieht, daß hier wegen der Zweiwertigkeit des sekundären Phosphats der Verdünnungseffekt viel größer ist als bei einer einwertigen Säure. Im Blut und in den Zellen spielen die Proteine als Puffersubstanzen eine große Rolle. Da sie vielwertige Ionen bilden, ist hier der Einfluß des Ionenmilieus besonders groß.

6. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration W a s s e r s t o f f - u n d H y d r o x y l i o n e n , N e u t r a l p u n k t . Das Wasser dissoziiert in Wasserstoff- und Hydroxylionen. Da die Aktivität des Wassers als konstant angesehen werden kann, besteht nach dem Massenwirkungsgesetz zwischen den Aktivitäten dieser beiden Ionenarten die Beziehung (H) • (OH~) = konst. Dadurch ist bei gegebener H + - A k t i v i t ä t in einer wässerigen Lösung die Aktivität der Hydroxylionen ebenfalls bestimmt, und umgekehrt. Bei 25° hat die Konstante in der obigen Gleichung den Wert 1,005-10~ 14 . Die neutrale Reaktion in einer wässerigen Lösung ist durch Gleichheit der Wasserstoffionen- und Hydroxylionenaktivität gekennzeichnet, daher entspricht ihr bei der angegebenen Temperatur sehr nahe der Wert pH 7,00. Der Neutralpunkt ist eine Größe, die nur in bezug auf ein bestimmtes Lösungsmittel definiert werden kann, gewöhnlich f ü r Wasser, aber keine absolute Bedeutung hat. D e f i n i t i o n d e s pH. Die „Reaktion" einer Lösung konnte vor der Entwicklung der Ionenlehre und der physikalischen Chemie nur qualitativ durch den Farbton bestimmter „Indikatoren" wie Lackmus, Kongo u. a. beschrieben werden. Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation der Säuren und Basen zeigte, daß die saure oder alkalische Reaktion einer Lösung durch die freien Wasserstoff- bzw. Hydroxylionen bedingt ist und daß somit die Konzentration dieser beiden Ionenarten das rationelle Maß f ü r die Reaktion einer Lösung abgibt. Der pH-Begriff wurde von S ö r e n s e n eingeführt (1909). Er definierte das p H einer Lösung (den „Wasserstoffexponenten") als negativen Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration: p H = —log[H + ], Diese ursprüngliche Definition entspricht aber nicht ganz den tatsächlichen Verhältnissen. Die experimentell bestimmbare Größe, die wir durch das Symbol „ p H " bezeichnen, ist nicht dem Logarithmus der Konzentration, sondern dem Logarithmus der Aktivität der H + - I o n e n gleichzusetzen; die Aktivität ist aber, wie wir gesehen haben, eine komplizierte Funktion der Ionenkonzentration, die nur in unendlich verdünnter Lösung der H + -Ionenkonzentration gleichgesetzt werden kann. Die Bestimmung des pH beruht im Prinzip auf der Messung der elektromotorischen K r a f t einer galvanischen Kette, die aus zwei Wasserstoffelektroden besteht, welche in Lösungen verschiedener Wasserstoffionenkonzentration tauchen. Ist der pH-Wert der einen Lösung bekannt, so läßt sich derjenige der zweiten Lösung aus der elektromotorischen K r a f t der Kette eindeutig bestimmen. Die tatsächlich verwendete pH-Skala wird dadurch festgelegt, daß man f ü r eine geeignete Pufferlösung einen bestimmten pH-Wert annimmt. Von diesem ausgehend kann man mit Hilfe von Konzentrationsketten das pH jeder anderen Lösung eindeutig bestimmen. Der Bezugswert ist unter sorgfältiger Prüfung der zugrunde liegenden experimentellen Daten so gewählt, daß er auf Grund unserer gegenwärtigen theoretischen Kenntnisse dem tatsächlichen Wert der Wasserstoffionenaktivität möglichst nahe kommt. T h e o r i e d e r W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e . Eine „Wasserstoffelektrode" ist ein mit Platinschwarz überzogenes Stück Platinmetall, das mit einer Wasserstoffatmosphäre (gewöhnlich von 1 Atmosphäre Partialdruck) in Berührung steht. Taucht eine solche Elektrode in eine wässerige Lösung, so bildet sich zwischen Metall und Flüssigkeit eine wohl definierte Potentialdifferenz aus, deren Größe von der Wasserstoffionenkonzentration der Lösung und dem Partialdruck des 10«

148

Säuren und Basen

Wasserstoffgases abhängig ist. Verbindet man zwei solche „Wasserstoffhalbelemente", welche Lösungen mit verschiedener Wasserstoffionenkonzentration enthalten, aber unter dem gleichen Wasserstoffdruck stehen, zu einer galvanischen Kette ( „ K o n z e n t r a t i o n s k e t t e " ) , so hängt die elektromotorische Kraft derselben vom Verhältnis der Wasserstoffionenkonzentration in den beiden Lösungen ab. Dabei ist die Elektrode in der höher konzentrierten Lösung positiv gegen die andere. Man denke sich in Abb. 23 die beiden indifferenten Elektroden durch Wasserstoffelektroden ersetzt (die beiden Gefäße werden mit H 2 -Gas durchperlt) und die beiden Elektrodengefäße mit Lösungen von verschiedener H + -Ionenkonzentration gefüllt. Nach den Grundgesetzen der Thermodynamik ergibt sich für die elektromotorische Kraft einer solchen Kette der W e r t : E =

R - T - . l o , 2,3 - F ° (H+)x

(R ist die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, F das elektrochemische Äquivalent 9 6 5 0 0 Coulomb, (H+)j und (H + ) 2 sind die H+-Ionenaktivitäten in den beiden Elektrodengefäßen). Wir nehmen nun an, daß im einen Elektrodengefäß die Aktivität der Wasserstoffionen (H + ) 2 = 1 ist. Man nennt eine solche Wasserstoffelektrode die n o r m a l e W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e . Wegen log

(J1T)

= — log (H+) = pH ergibt sich dann zwischen elektromotorischer Kraft und

pH der einfache Zusammenhang: E

= " S r

T

r P

H

-

Für 25° hat der Zahlenfaktor den Wert 0,059 Volt. E s gilt also bei Messung einer beliebigen Wasserstoffelektrode gegen die normale Wasserstoffelektrode als Bezugselektrode: E = 0,059 pH Volt oder pH =

— . 0,059

In der Praxis wird aber nie eine normale Wasserstoffelektrode als Bezugselektrode verwendet, weil sie nur schwierig mit genügender Genauigkeit hergestellt werden könnte und einige weitere Nachteile zeigt, sondern man verwendet gewöhnlich die bequemere Kalomelelektrode, deren Potential gegen die Normalwasserstoffelektrode ein für allemal bestimmt ist. Dieselbe besteht aus Quecksilber, das mit einer Schicht Hg 2 Cl 2 , Kalomel, bedeckt ist; das Elektrodengefäß ist entweder mit n / 1 0 Lösung von KCl („n/10 Kalomelelektrode") oder mit einer gesättigten Lösung von KCl („gesättigte Kalomelelektrode") gefüllt. An der Grenze zwischen Quecksilber und Lösung bildet sich eine gut definierte Potentialdifferenz aus. Das Quecksilber ist durch einen Platindraht mit der Klemme verbunden. Die beiden Halbelemente werden zur Ausschaltung von Diffusionspotentialen, wie sie sich an der Grenze zweier verschieden konzentrierter Elektrolytlösungen immer einstellen, durch eine Brücke verbunden, die mit gesättigter KCl-Lösung gefüllt ist. Die Kette, deren elektromotorische Kraft gemessen wird, läßt sich für den Fall der n / 1 0 Kalomelelektrode schematisch folgendermaßen darstellen: Pt, H 2 (1 Atm.) | H+ (Konzentration X ) | ges. KCl | n / 1 0 KCl, IIg 2 Cl 2 | Hg 1

Wasserstoffelektrode

2

3

KClBrücke

4

n / 1 0 Kalomelelektrode

Die mit 1 bis 4 bezeichneten senkrechten Striche bedeuten die Stellen, an denen Potentialdifferenzen auftreten. Die Zwischenschaltung der gesättigten Kaliumchloridlösung hat den Zweck, die Diffusionspotentiale bei 2 und 3 soweit als möglich zu eliminieren; man kann dann annehmen, daß sich die elektromotorische Kraft der Kette nur aus den beiden Elektrodenpotentialen 1 und 4 zusammensetzt. Die beiden Kalomelelektroden sind positiv gegen die normale Wasserstoffelektrode, und zwar beträgt der Potentialunterschied für die n / 1 0 Kalomelelektrode 0,335 Volt bei 25°, für die gesättigte Kalomelelektrode 0,246 Volt. Wegen der Änderung der Sättigungskonzentration des KCl mit der Temperatur ist die letztere viel stärker temperaturabhängig und überhaupt weniger gut definiert als die erstere. Da die normale Wasserstoffelektrode gegen weniger saure Lösungen immer positiv ist, sind zur Berechnung des pH die obigen Werte für die Kalomelelektroden vom gemessenen Potential zu subtrahieren.

Farbindikatoren

149

Die elektromotorische pH-Bestimmung mit der Wasserstoffelektrode ist die grundlegende Methode, von der alle anderen abhängig sind. A l l e A n g a b e n ü b e r p H - W e r t e v o n P u f f e r lösungen gehen l e t z t e n E n d e s auf Messungen mit der W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e z u r ü c k . G l a s e l e k t r o d e . In neuerer Zeit wird sehr oft die Glaselektrode verwendet. Die Potentialeinstellung der Wasserstoffelektrode wird in vielen Fällen durch Stoffe beeinträchtigt, welche die Elektrode „vergiften" oder durch den am Platin aktivierten Wasserstoff reduziert werden. Die Glaselektrode hat den großen Vorteil, daß sie in beliebigen Lösungen anwendbar ist (nur nicht in stark alkalischen). Sie ist aber im allgemeinen weniger genau als die Wasserstoffelektrode, und es braucht zur Messung des Potentials Röhrenpotentiometer, die stromlose Messungen gestatten, währenddem man bei der Wasserstoffelektrode immer mit einer einfachen P o g g e n d o r ff sehen Kompensationsschaltung auskommt. Die Wirkungsweise der Glaselektrode ist im Prinzip die folgende: Die zu messende Lösung ist von der einen Lösung mit bekanntem pH durch eine sehr dünne Membran aus einer geeigneten Glassorte getrennt (gewöhnlich ist die Elektrode als kleine dünnwandige Glaskugel ausgebildet, welche in die unbekannte Lösung eintaucht; zur Ableitung dienen unpolarisierbare Elektroden [Kalomelelektroden oder Chlorsilberelektroden]). Zwischen den beiden Lösungen stellt sich nun eine Potentialdifferenz ein, welche dem pH-Unterschied proportional ist. Der Proportionalitätsfaktor hat annähernd den gleichen Wert wie bei der Wasserstoffelektrode (0,059 Volt pro pHEinheit). Die Ausbildung eines Potentials zwischen den beiden Seiten der Glasmembran beruht auf ihrer selektiven Durchlässigkeit f ü r Wasserstoffionen. Der Widerstand solcher Membranen ist gewöhnlich von der Größenordnung einiger Megohm. Praktisch geschieht die Messung derart, daß man zunächst die Elektrode eicht, d. h. man mißt ihr Potential gegen eine Pufferlösung von bekanntem pH-Wert. Dann wird diese Lösung gegen die unbekannte Lösung vertauscht. Die Differenz der beiden Potentialwerte ist proportional der pH-Differenz der beiden Lösungen. Die modernen Potentiometer sind so eingerichtet, daß sie eine direkte Ablesung des pH-Wertes gestatten; doch ist zu beachten, daß die Faktoren der einzelnen Elektroden nicht immer den theoretischen Wert haben und daß daher die zur Eichung verwendete Pufferlösung einen pH-Wert haben sollte, welcher demjenigen der unbekannten Lösung möglichst nahekommt. Über die Ch i n h y d r o n e l e k t r o d e siehe S. 157. Die genannten Verfahren beruhen alle auf der Bestimmung von elektromotorischen Kräften. Man bezeichnet sie daher als p o t e n t i o m e t r i s c h e oder e l e k t r o m o t o r i s c h e M e t h o d e n der pH-Bestimmung. Farbindikatoren Einer zweiten wichtigen Gruppe von Methoden liegt die Änderung des Farbtons gewisser Farbstoffe („Indikatoren") mit dem p H zugrunde. Die Indikatorfarbstoffe sind schwache Säuren oder Basen, deren Ionen anders gefärbt sind als das nicht dissoziierte Molekül. Der Dissoziationsgrad, der nach dem Massenwirkungsgesetz von der Wasserstoffionenkonzentration abhängt, läßt sich daher kolorimetrisch bestimmen. Man unterscheidet „einfarbige" Indikatoren, bei denen nur die ionisierte Form gefärbt ist, und „zweifarbige", bei denen freie Säure und Ion verschiedene Farben zeigen.

Setzt man zu einer Pufferlösung eine so kleine Menge einer schwachen Säure (oder Base) zu, daß das p H der Lösung nicht merklich verschoben wird, so stellt sich zwischen dieser Säure und ihrem Anion ein bestimmtes Verhältnis ein, das nur vom p H der Pufferlösung abhängig ist: log (A~/AH) = pH—pk. Zeigen die nicht ionisierte und die ionisierte Form der Säure verschiedene Lichtabsorption, so kann man aus der Färbung der Lösung auf den pH-Wert schließen. Darauf beruht die Anwendung von Indikatoren für die pH-Bestimmung. Ist der pk-Wert der Indikatorsäure stark vom p H der Lösung verschieden, so wird der Indikator ausschließlich in die ionisierte oder ausschließlich in die nicht ionisierte Form übergeführt. Man kann für den pH-Wert der Lösung nur eine obere oder eine untere Grenze angeben (z. B. Lösung „sauer gegen Phenolphthalein", d. h. pH < 8). Will man mit einem Indikator das p H der Lösung exakt messen, so darf der Wert von pk nur so weit von dem zu bestimmenden pH-Wert abweichen, daß das Verhältnis der beiden Formen des Indikators zwischen den Grenzen von etwa 1:5 bis 5:1 bleibt (etwa 0,7 pH-Einheiten zu beiden Seiten von pk).

150

Oxydation und Reduktion

Die pH-Bestimmung mit Indikatoren bietet alle Vorteile der kolorimetrischen Methoden. Ihre Anwendbarkeit wird begrenzt durch die Eigenfarbe der zu untersuchenden Lösung sowie durch sekundäre Reaktionen des Farbstoffes („Salz- und Eiweißfehler", Adsorption oder Fällung des Farbstoffes usw.). Ein einzelner Indikatorfarbstoff ist stets nur innerhalb eines begrenzten pH-Bereichs anwendbar; doch wird die pH-Skala von etwa pH 2 bis pH 10 von der Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Farbstoffe lückenlos überdeckt. Die einfachste Anwendungsart ist das Indikatorpapier. Dasselbe gestattet aber im besten Fall nur eine Schätzung auf etwa 0,3 pH-Einheiten. Bei den exakteren Methoden wird der Indikatorfarbstoff der Lösung zugesetzt und das pH aus dem Farbton bestimmt, den dieselbe annimmt. Man stellt sich dazu eine Vergleichsreihe mit bekannten Pufferlösungen her. Diese Methode wird kurz als „ M e s s u n g m i t P u f f e r n " bezeichnet. Oder man bestimmt kolorimetrisch die Farbtiefe der Lösung und berechnet daraus das pH; dazu ist die Kenntnis der Dissoziationskonstanten des Farbstoffes nötig: „ M e s s u n g o h n e P u f f e r " . Für das zweite Verfahren eignen sich besonders einfarbige Indikatoren.

Achtes Kapitel

Oxydation und Reduktion Das Verständnis der biologischen Oxydationsvorgänge setzt die Vertrautheit mit dem chemischen Oxydationsbegriff voraus. Wir werden deshalb in diesem Abschnitt die grundlegenden Tatsachen und Begriffe kurz besprechen. 1. Der Begriff der Oxydation Durch die Untersuchungen von P r i s t l e y und L a v o i s i e r wurde der Begriff der Oxydation als Aufnahme von Sauerstoff definiert. Der Begriff der Oxydation hat aber im Lauf der Zeit verschiedene Wandlungen durchgemacht. Um zu erkennen, was heute als Oxydation bezeichnet wird, zählen wir zuerst eine Reihe von Vorgängen auf, die unter den modernen Begriff der Oxydation fallen : 1. A u f n a h m e v o n S a u e r s t o f f in d a s M o l e k ü l : A + O = AO .

Der umgekehrte Vorgang, Abgabe von Sauerstoff, heißt Reduktion. 2. A b g a b e v o n W a s s e r s t o f f , z.B.:

CH3CH2OH

CHJCHO

Äthylalkohol

Aeetaldehyd

Das entstehende Produkt (in diesem Falle Aeetaldehyd) enthält weniger Wasserstoff, „Dehydrierung". Wird Aldehyd in Alkohol verwandelt, so spricht man von Reduktion; bei organischen Verbindungen bezeichnet man die Wasser stoffaufnahme meist als „ H y d r i e r u n g " . 3. V a l e n z W e c h s e l von Ionen. Als Oxydation wird die Zunahme der positiven Ladung eines Ions oder die Abnahme der negativen Ladung bezeichnet. Umgekehrt ist Reduktion die Abnahme der positiven oder die Zunahme der negativen Ladung. Oxydation:

Fe++

Reduktion:

++

Cu

Fe+++, * Cu+,

2J~

> J2

[Fe(CN)J_~"

[Fe(CN)J

Dehydrierung und Valenzwechsel sind also Reaktionen, bei denen gar kein Sauerstoff beteiligt sein muß. Diese Vorgänge können als „Oxydation" bezeichnet werden,

Der Begriff der Oxydation

151

weil sie oft durch molekularen Sauerstoff oder durch sauerstoffreiche Verbindungen (Permanganat, Chromsäure usw.) hervorgebracht werden. Im übrigen ist aber im Laufe der Zeit der ursprünglichen Bezeichnung „Oxydation" ein ganz anderer begrifflicher Inhalt unterschoben worden. Ferroeisen z. B. geht in alkalischer Lösung durch Luftsauerstoff sehr leicht in Ferrieisen über: n m 4Fe(0H)2 + 0 2 + 2H 2 0 -> 4Fe(OH)3. Aber der gleiche Vorgang kann auch ohne jegliche Mitwirkung von Sauerstoff vonstatten gehen, z. B.: 2Fe ++ -f Cl2 — 2Fe+++ + 2Cl-. Hier wirkt Chlor „oxydierend" auf das Ferroeisen ein. Die Gleichung zeigt besser als die erste die Erscheinung, die allen „Oxydationen" gemeinsam ist: der Stoff, der oxydiert wird, gibt Elektronen ab. Das Elektron wird im obigen Beispiel von einem Chloratom aufgenommen, welches dadurch in ein Chlorion übergeht. Der erste Vorgang, die Oxydation von Ferroeisen durch Sauerstoff, läßt sich in ähnlicher Weise formulieren (schematisch): 2Fe ++ + 0 -->• 2Fe+++ + 0 - - . Hier nimmt der Sauerstoff die Elektronen auf. Das zweiwertige Ion 0~~ vereinigt sich aber sofort mit einem Proton und gibt ein Hydroxylion: 0--+H20

— 20H-.

Die beiden Reaktionen unterscheiden sich also nur dadurch, daß einmal das Chlor, das andere Mal der Sauerstoff die Elektronen aufnimmt, die vom oxydierten Stoff abgegeben werden. Auch die Dehydrierung läßt sich auf die Abgabe von Elektronen zurückführen. Hydrochinon z. B. wird durch verschiedene Oxydationsmittel wie Überschwefelsäure in Chinon übergeführt: OH 0 I H H2S208 + |

j;

-

OH

I!

¡1 + 2H2S04 O

Dies ist eine Dehydrierung. In genügend alkalischer Lösung liegt aber das Hydrochinon als zweiwertiges negatives Ion vor, und man erkennt ohne weiteres, daß dieses Ion durch Abgabe zweier Elektronen in das Chinon übergeht:

!

—2e

Y o-

Die Dehydrierung ist hier in zwei Stufen aufgeteilt: Dissoziation unter Abgabe zweier Protonen und nachfolgende Abgabe von zwei Elektronen an das Oxydationsmittel. Formal läßt sich jede Dehydrierung derart in zwei Schritten durchführen. Tatsächlich sind aber in den meisten Fällen die Wasserstoffatome so fest gebunden,

152

Oxydation und Redaktion

daß sie auch bei der stärksten alkalischen Reaktion nicht als H + -Ionen abdissoziieren. In der Regel wird das Elektron zusammen mit einem Proton abgegeben, d. h. es wird ein Wasserstoffatom abgespalten. Der Wasserstoff wird entweder an das Oxydationsmittel angelagert oder, ein sehr häufiger Fall, er gibt sein Elektron an das Oxydationsmittel ab, wobei er in ein Wasserstoffion übergeht. Daß die Dehydrierung auf die Abgabe von Elektronen herausläuft, erkennt man leicht bei Betrachtung der Elektronenkonfiguration der Atome. Wir wählen als Beispiel etwa die Dehydrierung eines Alkohols (vgl. S. 150): H

I/O-; R - C/ /

j

H

H

i R—C = 0

2

- "

Alkohol

Aldehyd

Der Valenzstrich, der hier überall kovalente Bindungen darstellt, bedeutet ein Elektronenpaar, das beiden Atomen gemeinsam ist. Schreiben wir dementsprechend an Stelle des Valenzstriches, der das abzuspaltende H-Atom mit dem Nachbaratom verbindet, das Symbol des Elektronenpaars (:), so ergibt sich folgende Darstellung der Alkoholgruppe: H

I 0:H R—er: H

Die Entfernung der zwei H-Atome läßt zwei vereinzelte Elektronen zurück, die sofort ein neues Paar von Valenzelektronen bilden und damit die C=0-Doppelbindung ergeben (: X = Oxydationsmittel): H

"

I /0:H

R—Cr

:

H

+

:X

H 10R—(y

-H

+ •

H

.

+

:X

H I

— R—C=0 +

H.

-X

H:

(Übergangszustand)

Der oxydierte Stoff hat bei diesem Prozeß zwei Elektronen verloren, das Oxydationsmittel X zwei gewonnen. Man faßt daher ganz allgemein die Abgabe von Elektronen als das eigentliche Kennzeichen der Oxydation auf. In reiner Form stellt Lieh der Vorgang bei der Oxydation eines Metallions durch ein anderes Metallion oder ein Halogen dar. Hier ändert sich n u r die Elektronenkonfiguration der Atome. Bei komplizierter gebauten Molekülen wird meistens auch die chemische Struktur des Moleküls verändert, indem Wasserstoff abgegeben oder Sauerstoff aufgenommen wird. Die besprochenen Beispiele zeigen aber, daß sich auch diese Änderungen auf den einfachen Fall des Übergangs von Elektronen vom oxydierten Stoff auf das Oxydationsmittel zurückführen lassen. Bei jeder Oxydation oder Reduktion wird ein Stoff oxydiert, der andere reduziert. Man spricht daher allgemeiner von „Oxydo-Reduktion", und Stoffe, die durch Oxydation oder Reduktion auseinander hervorgehen, faßt man unter der Bezeichnung „Oxydo-Reduktionssysteme" zusammen. Es hat sich dafür die kürzere, aber sprachlich unschöne Bezeichnung „Redoxsystem" eingeführt. Z. B. sind die Stoffpaare Cystin-Cystein, Ferrocyanid-Ferricyanid solche Redoxsysteme. Auf Grund der oben entwickelten Anschauung über das Wesen dieses Vorgangs muß man annehmen, daß der oxydierende Stoff die Elektronen, die er aufnimmt, fester bindet als der

Das Oxydations-Reduktionspotential

153

oxydierte Stoff, weil sonst die Übertragung gar nicht stattfinden könnte. Die verschiedenen sich gegenseitig oxydierenden und reduzierenden Stoffe lassen sich daher in eine Reihe wachsender „Elektronenaffinität" ordnen. (Wir werden unten erklären, wie der unbestimmte Ausdruck „Elektronenaffinität" durch eine meßbare Größe ersetzt werden kann.) In dieser Reihe kann jedes Glied durch das nachfolgende oxydiert, durch das vorangehende reduziert werden. Daraus geht hervor, daß keine Substanz „Oxydationsmittel" oder „Reduktionsmittel" im absoluten Sinn ist. Es gibt allerdings Stoffe, deren Elektronenaffinität so groß ist, daß sie fast alle anderen Stoffe zu oxydieren vermögen. So kann elementares Chlor sehr vielen Stoffen Elektronen entziehen, indem es in seine äußere Elektronenschale von 7 Elektronen ein achtes aufnimmt und dabei in das Chlorion übergeht. Dieses „ O k t e t t " von Elektronen, das dadurch entstanden ist, besitzt eine große Stabilität; d. h. es bedarf eines beträchtlichen Energieaufwandes, um ein Elektron daraus zu entfernen. Umgekehrt ist etwa im Natrium das einzelne Elektron der äußersten Schale nur schwach gebunden; es wird leicht ausgeworfen und an andere Atome abgegeben. Natrium wirkt daher fast immer als Reduktionsmittel. Es gibt aber gerade unter den organischen Stoffen sehr viele, die eine mittlere Stellung einnehmen. Sie können den einen Stoffen gegenüber als Oxydationsmittel, den anderen gegenüber als Reduktionsmittel auftreten. Für das Verständnis der oxydativen Vorgänge in den Zellen ist es sehr wichtig zu wissen, in welcher Weise sich die organischen Verbindungen in bezug auf ihre Oxydations- und Reduktionswirkung in eine Reihe ordnen. Dazu muß aber der unbestimmte Begriff „Oxydationskraft" durch einen präziseren ersetzt werden. E s ist dies das sog. Oxydations-Reduktionspotential.

2. Das Oxydations-Reduktionspotential Ein altbekanntes Beispiel einer Reihe abgestufter Oxydationswirkungen ist die sog. Spannungsreihe der Metalle. „Unedlere" Metalle wirken „edleren" gegenüber als Reduktionsmittel; ein Eisenstab, in eine Lösung von Kupfersulfat eingetaucht, überzieht sich mit metallischem Kupfer, weil das C u + + durch das Eisen, das dabei Elektronen In

Ca

/t* Cu CttS 0,

1 1 1

'

!

iä Zn>r 2ni 3,

«

Abb. 22. Danielisches Element. in F e + + übergeht, zum Metall reduziert wird. Derartige Vorgänge können bekanntlich zur Erzeugung von elektromotorischen Kräften verwendet werden. Trennt man z. B. eine Zinksulfatlösung und eine Kupfersulfatlösung gleicher Molarität, wie dies in Abb. 22 gezeigt wird, durch ein Diaphragma, das zwar f ü r alle Salze durchlässig ist, aber die Mischung der beiden Lösungen verhindert, und taucht man in die Kupfersulfatlösung einen Kupferstab, in die Zinksulfatlösung einen Zinkstab, so zeigen die beiden Metalle eine Potentialdifferenz. (Diese Anordnung stellt

154

Oxydation und Reduktion

bekanntlich ein D a n i e l i s c h e s Element dar.) Verbindet man sie leitend (über ein Galvanometer), so daß ein geschlossener Stromkreis entsteht, so fließt der Strom vom Kupfer zum Zink. Die Cu + + -Ionen, die als Oxydationsmittel wirken, nehmen an der Kupferelektrode Elektronen auf und werden dabei als Metall an der Elektrodenoberfläche niedergeschlagen; die Zinkatome an der Oberfläche der Zinkelektrode geben Elektronen ab, die über den Leiter nach der Kupferelektrode fließen, und gehen dabei als Zn + +-Ionen in Lösung. Die Elektronenübertragung geschieht hier also über den Umweg des äußeren Leiters (den Draht, der die beiden Elektroden verbindet), und es spielt sich die folgende Reaktion ab: Cu++ + Zn

> Cu + Zn++.

Die elektrische Spannung zwischen den beiden Elektroden ist ein Maß für die Eigenschaft, die wir oben in unbestimmter Weise als „Oxydationskraft" des einen Metalls gegenüber dem anderen bezeichnet haben. Sie mißt die Tendenz der Elektronen, von der Elektronenschale des Zinks in diejenige des Kupfers überzugehen. Man kann nun in gleicher Weise alle möglichen Paare von Metallen zu einer galvanischen Kette kombinieren und deren elektromotorische Kräfte messen. Auf Grund solcher Messungen lassen sich die Metalle in eine Reihe ordnen, in der jedes Glied mit einem vorangehenden kombiniert den positiven Pol, mit einem nachfolgenden kombiniert den negativen Pol darstellt. Dies ist die bekannte Spannungsreihe der Metalle. Jedes Glied dieser Reihe bindet seine Valenzelektronen stärker als die vorangehenden und schwächer als die nachfolgenden, kann also unter geeigneten Bedingungen die Atome der vorangehenden Glieder zu Ionen oxydieren und die Ionen der nachfolgenden Glieder zum Metall oder einer niedrigeren Wertigkeitsstufe reduzieren. Um die Stellung der einzelnen Metalle in der Spannungsreihe zu kennzeichnen, ist es vorteilhaft, die Potentialdifferenz auf ein und dieselbe Vergleichselektrode zu beziehen. Man ist übereingekommen, dafür die normale Wasserstoffelektrode zu wählen. Man denke sich etwa in Abb. 22 den Zinkstab durch eine Wasserstoffelektrode und die Zinksulfatlösung durch eine Säurelösung ersetzt, in welcher die Aktivität der Wasserstoffionen den Wert Eins hat. Wir erhalten so ein galvanisches Element, das aus einer Kupferelektrode in Kupfersulfatlösung und einer normalen Wasserstoffelektrode besteht. Da die elektromotorische Kraft eines solchen Elements natürlich auch von der Konzentration der Cu + + -Ionen abhängig ist, wählen wir für diese Konzentration ebenfalls den Wert, der die Aktivität Eins ergibt. Praktisch braucht die Messung nicht gerade bei dieser Konzentration ausgeführt zu werden, denn es gibt Methoden, welche gestatten, die bei beliebiger Konzentration der Metallionen gemessene elektromotorische Kraft auf die Aktivität Eins der Metallionen umzurechnen. (Man mißt meist auch die Spannung nicht direkt gegen die Wasserstoffelektrode, sondern gegen bequemere Halbelemente wie die Kalomelelektrode, deren Spannung gegen die normale Wasserstoffelektrode bekannt ist.) Man erhält auf diese Weise das sog. „Normalpotential" E 0 des betreffenden Elements. Für das Kupfer im obigen Beispiel würde man den Wert von + 0,345 Volt finden. Das Pluszeichen bedeutet, daß die Kupferelektrode gegenüber der normalen Wasserstoffelektrode positiv ist. Weitere Beispiele von Normalpotentialen: Natrium E 0 = — 2,71 Volt, Zink E 0 = — 0,758Volt, Eisen (inFerrosalzlösung) E 0 = — 0 , 4 4 1 Volt, Silber E 0 = -(- 0,799 Volt. Man kann aus diesen Zahlen alles Wünschenswerte über das Verhalten der Metalle ablesen. Der hohe positive Wert für das Silber z.B. bedeutet, daß das Silberatom wie alle edlen Metalle sein Außenelektron sehr fest ge-

Das Oxydations-Reduktionspotential

155

bunden hält, also nur geringe Tendenz hat, in den ionisierten Zustand überzugehen. Umgekehrt geht aber das Silberion leicht unter Aufnahme eines Elektrons in das Metall über, wirkt also oxydierend. Im Gegenteil zum Silber hält Natrium, dem ein stark negatives Normalpotential zukommt, sein Außenelektron nur sehr locker gebunden; es gibt dasselbe leicht ab und ist daher ein starkes Reduktionsmittel. Man sieht auch leicht ein, daß Metalle mit negativem Normalpotential Wasserstoffionen reduzieren können, also Wasserstoff freisetzen, wenn sie in eine saure Lösung gebracht werden. Darauf beruht die bekannte Wasserstoffentwicklung beim Auflösen von Metallen in Säuren (z. B. Zink in Schwefelsäure). Natrium ist ein so starkes Reduktionsmittel, daß es in Wasser auch bei stärkster alkalischer Reaktion immer Wasserstoff bildet. In Wirklichkeit stellen sich der genauen Bestimmung des Normalpotentials oft große Schwierigkeiten entgegen. Viele Metalle geben schlecht definierte schwankende Potentiale, weil sich an ihrer Oberfläche sekundäre Reaktionen abspielen. Es kommt vielfach auf die Vorbehandlung und Darstellungsart des Elektrodenmaterials an. Ebenso können kleine Mengen von Verunreinigungen der Metalle großen Einfluß haben. Auch die Wasserstoffentwicklung an Metalloberflächen hängt von verschiedenen ähnlichen Faktoren ab und tritt nicht immer ein, auch wenn sie nach dem Wert des Normalpotentials zu erwarten wäre (sog. „Passivität" gewisser Metalle).

Jeder galvanischen Kette liegt eine bestimmte chemische Reaktion zugrunde, bei welcher Elektronen von einem Atom auf ein anderes übergehen. In den soeben behandelten Beispielen wird ein Metall zum Ion oxydiert, während ein anderes Ion zum Metall reduziert wird. Im Prinzip läßt sich aber jede Oxydo-Reduktion zum Aufbau einer galvanischen Kette verwerten. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß in einer galvanischen Kette, die aus zwei verschiedenen Metallen besteht, die Elektronen nicht direkt von einem Metall auf das andere (z. B. von Zn auf das Cu) übertragen werden wie bei der direkten Reaktion zwischen dem oxydierenden und dem reduzierenden Stoff, sondern indirekt über den äußeren Leiter der galvanischen Kette. Da alle Oxydo-Reduktionsvorgänge, auch solche, an denen keine Metalle beteiligt sind, sich auf die Übertragung von Elektronen zurückführen lassen, so scheint es möglich, stets eine Anordnung zu finden, bei der die Elektronen des zu oxydierenden Stoffs von einer Elektrode aufgenommen und über den äußeren Leiter einer zweiten Elektrode zugeführt werden, die sie an ein Oxydationsmittel abgibt. In der Tat gelingt dies, wenn man eine Elektrode aus unangreifbarem Material (Gold oder Platin), eine sog. indifferente Elektrode, in die Lösung des zu oxydierenden Stoffs eintaucht und mit einer zweiten indifferenten Elektrode verbindet, welche in der Lösung eines Oxydationsmittels steckt, wie dies Abb. 23 zeigt. Man erhält zwischen den beiden Elektroden eine Potentialdifferenz, und zwar ist die Elektrode, die im Oxydationsmittel steht, positiv gegen die andere. Man macht sich leicht klar, daß beim spontanen Fließen des elektrischen Stroms das Oxydationsmittel (rechts) reduziert und der oxydierbare Stoff (links) oxydiert wird. Diese einfache Anordnung ist aber für quantitative Messungen nicht geeignet. Wir wünschen ja vor allem, in ähnlicher Weise wie bei den Metallen, aus der Größe der Potentialdifferenz ein Maß für die Stärke der Oxydationswirkung zu erhalten. Es zeigt sich, daß die Lösungen immer gleichzeitig die oxydierte und reduzierte Form des Stoffs in bestimmtem Verhältnis nebeneinander enthalten müssen, wenn man definierte Potentiale erhalten will, in ähnlicher Weise wie eine Lösung nur dann einen definierten pH-Wert besitzt, wenn sie eine schwache Säure und ihr Anion in bestimmtem Verhältnis enthält. Mißt man das zu untersuchende Oxydo-

156

Oxydation und Reduktion

ßeduktionssystem gegen die normale Wasserstoffelektrode, so ergibt sich für die elektromotorische Kraft einer solchen Kette der Wert: 0+

2,3-RT ""NF"" '

g

(oxydierte Stufe) (reduzierte Stufe)

(sog. P e t e r s s c h e Gleichung). R ist die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, F das elektrochemische Äquivalent (96500 Coulomb), N die Zahl der übertragenen Elektronen. 2,303 ist der natürliche Logarithmus von 10. E wird als OxydoReduktionspotential oder kurz „Redoxpotential" bezeichnet. Wenn die oxydierte und die reduzierte Stufe in gleicher Konzentration vorhanden sind, verschwindet der Logarithmus auf der rechten Seite; es wird E = E 0 . Wir wollen diesen Zustand als den Normalzustand bezeichnen. Durch das Potential E 0 , welches durchaus dem Normalpotential der Metalle vergleichbar ist, wird das betreffende Redoxsystem charakterisiert. Wir bezeichnen es ebenfalls als das Normalpotential des Systems. Man macht sich leicht klar, daß ein Stoff ein um so stärkeres Oxydationsmittel ist, Potentiometer

ifcö

oxydierbarer Stoff

i

!

Pt.-Elektrode

Bräche (Heber)

Pl' " 1 1 —

Oxydationsmittel

Abb. 23. O x y d o - R e d u k t i o n s k e t t e .

je höhere positive Werte sein Redoxpotential gegen die Bezugselektrode hat. Verbindet man nämlich zwei Halbelemente, deren jedes ein Redoxsystem im Normalzustand enthält, zu einer Kette, so wird diejenige Elektrode zum positiven Pol, deren Lösung den stärker positiven Wert von E 0 besitzt. Diese Elektrode gibt also an ihrer Oberfläche Elektronen an die oxydierte Stufe des „positiven" Systems ab, die dabei reduziert wird. Die andere Elektrode (der negative Pol der Kette) nimmt umgekehrt von der reduzierten Stufe des „negativen" Systems Elektronen auf und wird dabei oxydiert. In der Bilanz wird also tatsächlich das „negativere" Redoxsystem durch das „positivere" oxydiert. Das letztere wirkt also dem ersteren gegenüber als Oxydationsmittel. Auf diese Weise haben wir ein quantitatives Maß für die Oxydationswirkung beliebiger Systeme gewonnen. Wenn das Redoxpotential E 0 bekannt ist, so können wir mit Hilfe der P e t e r s s c h e n Gleichung bei beliebigen Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer voraus berechnen, auf welche Weise zwei Redoxsysteme miteinander reagieren. Bei vielen Redoxsystemen hängt der Wert des Redoxpotentials von der Wasserstoffionenkonzentration ab. Dies ist immer dann der Fall, wenn die reduzierte oder die oxydierte Stufe eine Säure (im allgemeinen Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie) ist, also Wasserstoffionen abgibt. Ein typisches Beispiel dieser Art ist das Hydrochinon, das bereits in der allgemeinen Einleitung erwähnt wurde. Hier ist nicht

Das Oxydations-Reduktionspotential

157

etwa das Hydrochinon H O C 6 H 4 O H , sondern das zweiwertige Anion ~ 0 C 6 H 4 0 ~ als reduzierte Stufe des Systems aufzufassen, denn das Anion geht direkt durch Abgabe zweier Elektronen in das Oxydationsprodukt, das Chinon, über. Man hat also in die P e t e r s s c h e Gleichung für die reduzierte Stufe die Konzentration des Anions und nicht die Gesamtkonzentration des Hydrochinons einzusetzen. Diese Konzentration ist im sauren Bereich außerordentlich klein, ändert sich aber nach den Gesetzen der elektrolytischen Dissoziation mit dem p H der Lösung. Daher muß auch das Redoxpotential pH-abhängig sein. Erst im alkalischen Gebiet tritt vollständige Dissoziation des Hydrochinons ein, und es kann die Konzentration der reduzierten Stufe der Gesamtkonzentration des vorhandenen Hydrochinons gleichgesetzt werden, die natürlich nicht pH-abhängig ist. Bei pH-Werten über 10 hängt daher das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems nicht mehr von der Reaktion der Lösung ab wie im sauren Gebiet. In analoger Weise kann man auch in allen anderen Fällen die pH-Abhängigkeit des Redoxpotentials deuten. Wir wollen hier die entsprechenden Rechnungen nicht durchführen, sondern verweisen auf die ausführlicheren Darstellungen in den speziellen Lehrbüchern. Die Angabe eines Redoxpotentials hat im allgemeinen nur dann einen Sinn, wenn gleichzeitig auch gesagt wird, auf welchen pH-Wert sie sich bezieht. Man kann sieh die Tatsache, daß das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems vom pH abhängig ist., zunutze machen und darauf eine pH-Bestimmung gründen. Chinon und Hydrochinon bilden miteinander eine in Wasser schwerlösliche Molekülverbindung, die sich aus je einem Molekül der beiden Komponenten zusammensetzt; es ist dies das C h i n h y d r o n . Suspendiert man Chinhydron in einer wässerigen Lösung, so zerfällt eine kleine Menge in die Bestandteile Chinon und Hydrochinon; es bildet sich also ein Redoxsystem mit konstantem Verhältnis der reduzierten und der oxydierten Stufe. Wenn man in die Lösung eine indifferente Elektrode eintaucht und dieses Halbelement mit einer Vergleichselektrode verbindet, so erhält man eine Kette, deren Potential nur vom pH der Lösung abhängig ist. Die C h i n h y d r o n e l e k t r o d e kann daher wie die Wasserstoffelektrode zur pH-Bestimmung dienen. Auch die Wasserstoffelektrode läßt sich als Redoxelektrode auffassen; die Reaktion, die der Potentialbildung zugrunde liegt, ist die reversible Oxydation des Wasserstoffs zum Wasserstoffion: H 2 2 f l + . Die Konzentration der reduzierten Stufe dieses Systems, des molekularen Wasserstoffs, wird dadurch konstant gehalten, daß man die Lösung mit Wasserstoffgas unter Atmosphärendruck durchperlt. Nach der Gleichung von P e t e r s hängt dann das Redoxpotential nur von der Konzentration der Wasserstoffionen ab, und zwar ist:

wenn eine Wasserstoffelektrode mit beliebiger Konzentration der H + -Ionen gegen die normale Wasserstoffelektrode (pH = O) gemessen wird.

Die grundlegende Gleichung von P e t e r s hat formal große Ähnlichkeit mit der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung, welche die Abhängigkeit des pHWertes einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base bestimmt: P e t e r s s c h e Gleichung:

E = E0 +

2,3 • RT _ (oxydierte Stufe) NF ' ° g (reduzierte Stufe")

H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e Gleichung: pH =

In der Tat hängt das Redoxpotential in gleicher Weise von der Konzentration der beiden Oxydationsstufen ab wie das p H einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base. Dem Normalpotential E 0 des Redoxsystems entspricht die logarithmische Dissoziationskonstante pk der Puffersäure. Ein wichtiges Problem in der Theorie der Pufferlösung besteht darin anzugeben, in welchem Verhältnis bei einem bestimmten pH-Wert nicht dissoziierte Säure und

158

Oxydation und Reduktion

Ailion zueinander stehen. In ähnlicher Weise stellt sich bei den Redoxsystemen oft die Frage nach dem Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe für ein bestimmtes Redoxpotential des Systems. Man gelangt zu einer übersichtlichen graphischen Darstellung der Verhältnisse, wenn man die Konzentration der oxydierten (oder reduzierten) Stufe als Bruchteil der Gesamtkonzentration (oxydierte Stufe -)- reduzierte Stufe) des Systems angibt und gegen das Potential aufträgt. Man erhält so eine S-förmig gekrümmte Kurve, die der Dissoziationskurve einer schwachen Säure oder Base völlig entspricht. In ähnlicher Weise, wie man experimentell die Dissoziationskurve durch Titration einer schwachen Säure mit einer starken Base, z. B. Alkalihydroxyd, erhalten kann, findet man die charakteristische Kurve eines Redoxsystems, indem man von der reduzierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Oxydationsmittel titriert oder umgekehrt von der oxydierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Reduktions100% oxydiert 1 1

So 1 i i 1 i i i i 1

i

§

•3;'S!

15% 50% 25%

S OH

>s

V NH

0,01

'

0,06

0,08

/

/

0

/

V N A U-CH,

15 m Volt

0,10

=e= oxydierte Stufe

I

ÖS

I

0,12

0, Vt Voft

Abb. 24. O x y d a t i o n v o n o - K r e s o l i n d o p h e n o l . Abszisse: Potential gegen die Normalwasserstoffelektrode; Ordinate: % oxydierte Stufe. Der Potentialunterschied zwischen 50 und 75% Oxydation beträgt 15 Millivolt; dies bedeutet, daß zwei Elektronen übertragen werden.

mittel titriert. In Abb. 24 ist als Beispiel die Oxydationskurve des reduzierten Farbstoffs o-Kresolindophenol dargestellt, aus der man für jeden Potentialwert das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe ablesen kann. Es sei noch erwähnt, daß bei dieser Darstellung die Neigung der Kurve im Wendepunkt (bei 50% Oxydation) von der Zahl der Elektronen abhängt, die vom oxydierten Körper abgegeben werden. Für 1 Elektron (z. B. F e + + -> F e + + + ) beträgt der Unterschied des Potentials, wenn man von 50% Oxydation zu 75% Oxydation fortschreitet, rund 30 Millivolt. Werden 2 Elektronen übertragen (z. B. Hydrochinon -* Chinon), so beträgt dieser Unterschied nur 15 Millivolt usw. Man kann leicht verifizieren, daß bei der Oxydation des Leukofarbstoffs in Abb. 24 zwei Elektronen übertragen werden.

Wie oben angedeutet, ist die direkte Bestimmung des Redoxpotentials in sehr vielen Fällen ungenau oder überhaupt nicht möglich. Viele Systeme reagieren nämlich so träge, daß sich das Potential erst nach längerer Zeit (Tage, Wochen!) oder überhaupt nicht einstellt. Man kennt deshalb von vielen biologisch wichtigen Systemen den wahren Wert des Redoxpotentials überhaupt nicht, sofern man ihn nicht aus anderen Daten auf Umwegen errechnen kann. In ähnlicher Weise wie der pH-Wert einer Pufferlösung läßt sich auch das Redoxpotential mit Hilfe geeigneter gefärbter Substanzen bestimmen. Als „Redoxindikator" läßt sich jedes Redoxsystem verwenden, bei welchem die reduzierte und

Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

159

die oxydierte Stufe verschieden gefärbt sind. Z. B. ist beim Methylenblau die reduzierte Stufe (der Leukofarbstoff) farblos, die oxydierte Stufe dagegen blau. Es besteht vollkommene Analogie zwischen dem Verhalten der gewöhnlichen und der Redoxindikatoren. Fügt man einem Redoxsystem eine kleine Menge des Indikators zu, so stellt sich zwischen seiner oxydierten und seiner reduzierten Form das Verhältnis ein, das dem Redoxpotential des Systems entspricht. Man kann also bei geeigneter Lage des Normalpotentials des Indikators aus der Färbung der Lösung den Wert des Redoxpotentials ablesen. Diese Methode hat besonders bei biologischen Untersuchungen Anwendung gefunden. Es ist nicht immer möglich, bei der elektrometrischen Bestimmung ein definiertes Potential zu erhalten. In solchen Fällen kann die Indikatormethode wertvolle Dienste leisten. Man kann die Indikatorlösung auch in lebende Gewebe oder Zellen einbringen und aus der Färbung Schlüsse auf den Wert des Redoxpotentials im Zellinhalt ziehen.

Neuntes Kapitel

Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen Die Begriffe der Kolloidchemie finden in Chemie, Biologie und Medizin häufig Anwendung; wir lassen daher in diesem Abschnitt eine kurze Behandlung der wichtigsten Tatsachen und Begriffe folgen, soweit sie für das Verständnis der biochemischen Erscheinungen nötig sind. Der Begriff der „Kolloide" wurde vom englischen Chemiker G r a h a m aufgestellt. Er beobachtete bei Untersuchungen über die Diffusion gelöster Stoffe, daß gewisse Substanzen sich bei der freien Diffusion nur sehr langsam ausbreiten und Pergamentmembranen überhaupt nicht zu durchdringen vermögen. Die Lösungen dieser Stoffe geben beim Eindampfen Rückstände, die nicht kristallisiert sind, sondern gallertartige oder leimartige Beschaffenheit zeigen. Zu diesen Stoffen gehören Gelatine, Eiweis, Kieselsäure u. a. m. Im Gegensatz dazu diffundiert der größte Teil der löslichen Stoffe leicht durch Pergamentmembranen und kristallisiert mehr oder weniger leicht beim Eindampfen der Lösungen. G r a h a m nannte daher die erste Gruppe von Stoffen „Kolloide" (d. h. leimartige Stoffe), die zweite Gruppe „Kristalloide". Nach der heutigen Betrachtungsweise unterscheidet man nicht mehr „kolloidale" und „kristalloide" S t o f f e . Es hat sich gezeigt, daß die kolloidalen Lösungen einen besonderen Z u s t a n d der Materie darstellen, der nicht auf einzelne Stoffe beschränkt ist. Maßgebend für die kolloidalen Eigenschaften einer Lösung ist der Zerteilungsgrad des gelösten Stoffes. Die kristalloiden Stoffe G r a h a m s , wie Salze, Zucker usw., sind im gelösten Zustand vollständig in ihre Ionen oder Moleküle zerfallen. Die Geschwindigkeit der freien Diffusion oder der Diffusion durch Membranen hängt in erster Linie von der Größe der Teilchen ab. Die Ionen der Salze oder die Moleküle der meisten organischen Stoffe sind so klein, daß sie rasch diffundieren und auch in den Poren der Membranen ihre Beweglichkeit nicht einbüßen. Die kolloidalen Lösungen dagegen enthalten viel größere Teilchen; die Stoffe sind entweder nicht vollständig in die Moleküle zerfallen oder die Moleküle selbst sind so groß, daß sie in den Maschen der Membranen zurückgehalten werden. Es gibt Stoffe, die je nach dem Lösungsmittel oder den Herstellungsbedingungen der Lö-

160

Kolloidchemiache Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

sungen im kolloidalen oder im „normal" gelösten Zustand auftreten können. Z.B. ist Natriumstearat in alkoholischen Lösungen vollständig in Moleküle oder Ionen zerfallen, währenddem in wässeriger Lösung die Seifenmoleküle sich zu größeren Verbänden zusammenschließen. Viele schwerlösliche oder ganz unlösliche Stoffe, wie z. B. Metalle, können durch geeignete Methoden, sei es von löslichen Verbindungen ausgehend, durch Kondensation, sei es durch Zerteilung des festen oder flüssigen Stoffes, in den kolloidalen Zustand gebracht werden. Allerdings sind derartige Lösungen oft unbeständig. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der kolloidchemischen Forschung, die Entstehungs- und Stabilitätsbedingungen des kolloidalen Zustandes festzustellen. In der Frühzeit der Kolloidchemie wurde viel über die Frage gestritten, ob kolloidale Lösungen als „echte" Lösungen oder eher als „Suspensionen" zu betrachten seien. Es handelt sich hier aber um ein Scheinproblem, das auf eine Frage der Benennung hinausläuft. Es gibt eine kontinuierliche Reihe des Zerteilungsgrades der Materie, die von den Molekülen bis zu den sichtbaren Teilchen führt. Löst sich ein Stoff ohne Verteilungsmittel durch Verdampfung in seine Moleküle auf, so bildet er ein G a s ; zerteilt er sich in einem Verteilungsmittel (Lösungsmittel) in seine Moleküle, so entsteht eine L ö s u n g . Wird ein fester Stoff mechanisch zerrieben, so bildet er ein gröberes oder feineres P u l v e r , dessen Teilchen sich in einem Gasraum kürzere oder längere Zeit als S t a u b oder in einer Flüssigkeit als S u s p e n s i o n schwebend erhalten können. In gleicher Weise kann ein flüssiger Stoff zu einem N e b e l zerstäubt oder in einer mit ihm nicht mischbaren Flüssigkeit zu einer E m u l s i o n zerteilt werden. Zwischen den Verteilungszuständen, in welchen die einzelnen Teilchen noch s i c h t b a r sind (Staub, Nebel, Suspension, Emulsion), und dem Zustand molekularer Verteilung, wie er in den Gasen und Lösungen vorhegt, gibt es alle Übergänge. Vom kolloidalen Zustand spricht man dann, wenn die Teilchen so klein sind, daß sie vom gewöhnlichen Mikroskop nicht mehr objektgetreu abgebildet werden, aber doch nicht in die einzelnen Moleküle zerteilt sind. Zur Unterscheidung der verschiedenen Zustände haben sich die Ausdrücke „molekulardispers", „kolloiddispers" und „grobdispers" eingebürgert, die ohne weiteres verständlich sind. Man kann als obere Grenze des kolloiddispersen Zustandes, wie gesagt, etwa die Größenordnung der objektähnlichen Abbildung im Mikroskop nehmen (Wellenlänge des sichtbaren Lichts [3000—7000 Ä]). Kleinere Teilchen können bei günstigen optischen Eigenschaften (genügender Unterschied zwischen dem Brechungsexponenten des Teilchens und des Lösungsmittels) durch das Prinzip der Dunkelfeldbeleuchtung im Ultramikroskop noch sichtbar gemacht werden. Hier erscheint aber nur das vom Teilchen hervorgerufene Beugungsbild. Neuerdings gelingt es, mit Hilfe des Elektronenmikroskops wesentlich unter die Auflösungsgrenze des gewöhnlichen optischen Mikroskops her abzukommen. Im Elektronenmikroskop werden an Stelle der Lichtstrahlen Elektronenstrahlen und an Stelle der Glaslinsen magnetische oder elektrische Felder benutzt. Die Objekte werden nach den Gesetzen der geometrischen Optik auf einer photographischen Platte abgebildet. (Die Elektronenstrahlen können zwar wie die Lichtstrahlen Beugungserscheinungen zeigen, doch ist die maßgebende Wellenlänge hier sehr klein und das Auflösungsvermögen der heutigen Instrumente wird durch andere Faktoren begrenzt.) Das Elektronenmikroskop gestattet etwa lOOfach stärkere Vergrößerungen als das gewöhnliche optische Mikroskop. Es ist dadurch möglich, Teilchen bis zu wenigen m// herab noch in ihrer wahren geometrischen Gestalt zu erkennen und bei kolloidalen Systemen Einzelheiten der Struktur sichtbar zu machen, die vorher unbekannt waren oder nur indirekt erschlossen werden konnten.

Sole und Gele

161

Auch zwischen molekulardispersen und kolloiddispersen Lösungen gibt es keine Grenzen. In dem Maße, wie das Molekulargewicht der Stoffe (die Teilchengröße) zunimmt, treten die Eigenschaften auf, die für den kolloidalen Zustand charakteristisch sind. Beim Durchgang eines Lichtstrahls durch eine kolloidale Lösung oder durch eine Suspension feiner Teilchen in Luft (Staub, Rauch, Nebel) wird das Licht an den suspendierten Teilchen seitlich abgebeugt, so daß die Bahn des Lichtstrahls in der Lösung sichtbar ist (Tyndall-Effekt). Die Intensität des abgebeugten Lichtes ist um so größer, je kürzer seine Wellenlänge ist. (Nach der von Lord R a l e i g h abgeleiteten Formel ist sie umgekehrt proportional der 4. Potenz der Wellenlänge.) Beim Durchgang von weißem Licht werden daher vorwiegend die blauen und violetten Strahlen abgebeugt, und daher kommt es, daß trübe Medien (kolloidale Lösungen, Rauch, Nebel), gegen einen dunklen Hintergrund betrachtet, blau erscheinen, während sie in der Durchsicht rötliche Färbung zeigen (das Urphänomen der Goetheschen Farbenlehre). Der Tyndall-Effekt ist die Ursache der Himmelsbläue und der atmosphärischen Farberscheinungen (Morgen- und Abendrot usw.).

1. Sole und Gele In einem Gemisch, in welchem nebeneinander Stoffe von verschiedenem Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig) vorkommen, unterscheidet man die einzelnen Zustände als Phasen, unabhängig von ihrer Verteilung und räumlichen Anordnung. So bildet in einem Gefäß, das schmelzenden Schnee enthält, die Gesamtheit der Eiskristalle die feste, das Schmelzwasser die flüssige und der Gasraum, der Wasserdampf und Luft enthält, die gasförmige Phase. Es ist klar, daß verschiedene feste oder flüssige Phasen nebeneinander vorhanden sein können, aber stets nur eine Gasphase, weil alle Gase miteinander in beliebigem Verhältnis mischbar sind. Gibt man z. B. in eine gesättigte Lösung von Kochsalz, die festes NaCl im Überschuß enthält, eine Handvoll Quarzsand, so erhält man ein System mit zwei verschiedenen festen Phasen, Kochsalz und Quarz. Eine Suspension von Olivenöl in Wasser besteht aus zwei verschiedenen flüssigen Phasen usw. Kolloidale Lösungen sind immer mehrphasische Systeme. Sie enthalten mindestens zwei verschiedene Phasen, von denen sich die eine im Zustand feiner Verteilung befindet. Man nennt dieselbe die disperse Phase, die andere, in welcher die Teilchen suspendiert sind, das Dispersionsmittel. Für die Biologie sind die wichtigsten Systeme diejenigen, bei welchen das Dispersionsmittel eine wässerige Lösung, die disperse Phase dagegen ein fester oder flüssiger Körper ist. Im letzteren Falle spricht man gewöhnlich von Emulsionen (Beispiel: Fettkügelchen der Milch, des Chylus usw.). Das Dispersionsmittel kann aber auch ein Gas sein; in diesem Falle spricht man von „Aerosolen" („Nebel", wenn die disperse Phase flüssig, „Rauch", wenn sie fest ist). Aerosole werden therapeutisch verwendet, wenn es sich darum handelt, wirksame Stoffe, die nicht verdampft werden können, in die feinsten Verzweigungen der Bronchien zu bringen.

Flüssige kolloidale Systeme bezeichnet man allgemein als „Sole" (Einzahl „Sol"). Es gibt aber zahlreiche Systeme, die formbeständig sind und gewisse elastische Eigenschaften der festen Körper aufweisen, trotzdem das Dispersionsmittel flüssig ist. Dabei kommen alle Übergänge vom dickflüssigen, gallertartigen bis zum festen Zustand vor. Derartige Systeme heißen „Gele" (Einzahl „Gel"). Die Gele sind für die Biologie sehr wichtig; man muß das Protoplasma der Zellen und viele Strukturen des tierischen und pflanzlichen Organismus als Gele auffassen. 11 L e u t h a r d t , Lehrbuoh. 13.Aull.

162

Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

Die Gele brauchen keineswegs eine größere Menge fester Substanz zu enthalten als entsprechende Sole. Es gibt Beispiele für Gele mit außerordentlich kleinem Gehalt an disperser Phase. Gelatine kann schon bei einem Gehalt der Lösung von 1% Gallerten bilden und beim Fibrinogen hat man Gerinnung sogar beim außerordentlich kleinen Gehalt von 4 mg pro Liter beobachtet.

Wie kommt die Gelbildung zustande? Im Sol sind die einzelnen Teilchen der dispersen Phase frei. Die Entstehung von formbeständigen Gallerten aus Lösungen, die nur wenige Prozent fester Substanz enthalten, kann nur dadurch erklärt werden, daß die Teilchen sich miteinander verbinden und ein räumlich ausgedehntes Netz oder Gerüst bilden. Das ist möglich, weil die gelatinierenden Kolloide in der Regel aus sehr langgestreckten ketten- oder fadenförmigen Molekülen aufgebaut sind. Wir

Abb. 25. Schema von Gelstrukturen. A = Gelgerüst, in welchem die Ketten durch „Haftpunkte" verknüpft sind (Frey-Wyssling); B = Gelgerüst, in welchem die Ketten durch streckenweise Assoziation zusammenhaften.

finden derartige Moleküle bei den Kohlehydraten (Ketten aus Zuckerresten aufgebaut) : Cellulose, Stärke und verwandten Stoffen, den Mucopolysacchariden, den Nucleinsäuren und den Proteinen (Polypeptidketten). Hierher gehören auch der Kautschuk und zahlreiche in neuerer Zeit von der Industrie entwickelte hochpolymere Stoffe. Die Verflechtung der Fäden zur Netzstruktur des Gels kann durch verschiedene Kräfte erfolgen. Einmal können längs des Fadens in größeren Abständen chemische Gruppen verteilt sein, die sich mit bestimmten Gruppen eines anderen Fadens stabil verbinden können. Dadurch werden die beiden Fäden an einer bestimmten Stelle zusammengeknüpft. Die reagierenden Gruppen bilden einen „Haftpunkt". Es ist leicht ersichtlich, wie durch Wiederholung des Vorganges ausgedehnte Netze entstehen können (vgl. Abb. 25, A). Vielfach sind aber die Kettenmoleküle so gebaut, daß längs ihrer ganzen Ausdehnung sich Gruppen regelmäßig wiederholen, die entsprechende Teile benachbarter Ketten durch schwache Kräfte binden können (Beispiel: „Wasserstoffbindungen zwischen Polypeptidketten", vgl. das Kapitel Eiweißkörper). Derartige Ketten können sich parallel legen und auf größere oder kleinere Strecken zusammenhaften. Auch auf diese Weise können Netze gebildet werden (Abb. 25, B). Man darf sich natürlich derartige Bindungen nicht als starr vorstellen. Da die Kräfte, welche die einzelnen Ketten zusammenhalten, im Vergleich zu den gewöhnlichen Haupt-

Adsorption

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valenzkräften schwach sind, werden sie leicht gelöst. (Dadurch erklärt sich z. B. das Schmelzen der erstarrten Gelatine beim Erwärmen.) Da aber die Bindungsstellen sehr zahlreich sind, kommt es doch zu einer genügenden Festigkeit des Gelgerüstes. Der Aufbau vieler natürlicher Gele, wie z. B. der Membran der Pflanzenzellen, die aus einem Netzwerk miteinander verflochtener Fäden bestehen, wurde durch indirekte polarisationsoptische und physikalische Methoden erschlossen ( F r e y W y s s l i n g , K. H. M e y e r ) . Diese Vorstellung ist neuerdings durch das Elektronenmikroskop in vollem Umfang bestätigt worden. Die Aufnahmen lassen z. B. bei Cellulosemembranen das aus Fäden aufgebaute Gelgerüst mit allen Einzelheiten erkennen. Die Oberflächenentwicklung der kolloidalen Systeme. Man denke sich einen Würfel von 1 cm Seitenlänge. Sein Volumen ist 1 cm 3 , seine Oberfläche 6 cm 8 . Man teile nun durch Scharen paralleler Schnittebenen den Würfel in kleine Würfelchen von 1 mm Seitenlänge. Das Volumen bleibt natürlich gleich, die gesamte Oberfläche der entstandenen Würfelchen ist aber auf 1000x6 mm 2 = 60 cm2 angestiegen. Teilt man weiter in Würfelchen von nur 0,1 mm Seitenlänge, so wächst die Oberfläche auf 600 cm 2 an usw. J e feiner also die Aufteilung eines Stoffes ist, desto größer wird seine gesamte Oberfläche; dieselbe nimmt f ü r Teilchengrößen, wie sie bei kolloidalen Systemen vorkommen, recht hohe Werte an. Wenn z. B. nur 1 cm 3 eines Stoffes in Kügelchen von 0,1 [i Durchmesser zerteilt wird, so mißt deren gesamte Oberfläche 60 m 2 . Es ist daher verständlich, daß bei kolloidalen Systemen, Solen und Gelen, die Vorgänge in Erscheinung treten, die sich an der Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Phasen abspielen. Diese Vorgänge erlangen bei kolloidalen Systemen große Bedeutung, weil hier die Grenzfläche, an denen die Phasen zusammenstoßen, sehr ausgedehnt ist. Die Kolloidchemie schließt als eines ihrer wichtigsten Probleme die Untersuchung der Vorgänge ein, die an Phasengrenzen vor sich gehen. 2. Adsorption Sehr häufig tritt der Fall ein, daß Stoffe, die in der einen Phase gelöst sind, z. B. im Dispersionsmittel eines kolloidalen Systems, sich an der Grenzfläche zwischen den Phasen anreichern. Man nennt diesen Vorgang Adsorption. Praktisch ist besonders die Adsorption an der Oberfläche einer festen Phase von Bedeutung. Die Adsorption ist meistens stark von der Temperatur abhängig. Die Menge des von einer bestimmten Oberfläche aus einer Lösung aufgenommenen Stoffes hängt (außer von der Natur des Adsorptions- und Lösungsmittels) auch von seiner Konzentration ab. Trägt man in ein Koordinationssystem die bei einer bestimmten Temperatur adsorbierte Menge Stoff gegen die Konzentration auf, mit der sich der adsorbierte Stoff im Gleichgewicht befindet, so erhält man eine typische, gegen die Konzentrationsachse (Abszisse) konkave parabelartige Kurve, die sog. Adsorptionsisotherme. I h r Verlauf zeigt, daß bei niederer Konzentration ein verhältnismäßig größerer Anteil des Stoffs adsorbiert wird als bei höherer Konzentration. Bei beständig steigender Konzentration wird schließlich nichts mehr adsorbiert; die Oberfläche ist „gesättigt". Ist a die pro Gramm Adsorptionsmittel adsorbierte Stoffmenge und c die Gleichgewichtskonzentration, so gilt in vielen Fällen (für nicht zu hohe Konzentrationen) die einfache Beziehung: I a = (x • c n , 11*

164

Kolloidohemisohe Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

wo « und n Konstanten sind (sog. F r e u n d l i c h s c h e Adsorptionsisotherme, oc kann alle möglichen Werte annehmen, J /n hegt gewöhnlich zwischen 0,2 und 0,8). Wenn man logarithmiert, ergibt sich die Gleichung einer Geraden: log a = l o g a -f — log c n (vgl. Abb. 26). Die Kräfte, welche die Adsorption an Oberflächen bewirken, sind die gleichen, die auch sonst für die Verbindung von Molekülen unter sich verantwortlich sind. In den meisten Fällen handelt es sich um sehr lockere Bindungen durch schwache chemische oder physikalische Kräfte, deren spezielle Natur man im Einzelfall meist nicht genau kennt (elektrostatische Anziehung zwischen Ionen, Anziehung zwischen Ionen und permanenten Dipolen oder polarisierbaren Molekülen, V a n d e r W a a l s sche Kräfte, Komplexbildung, Kristallgitterkräfte usw.)

Abb. 26. F r e u n d l i c h s c h e A d s o r p t i o n s i s o t h e r m e . Adsorption von Bernsteinsäure ans wäßriger Lösung in Blutkohle (nach F r e u n d l i c h ) . Abszisse: Gleichgewichtskonzentration c in Mol pro Liter; Ordinate: adsorbierte Menge in Millimol pro g Kohle. Rechts ist die Isotherme in ein logarithmisches Koordinatensystem eingetragen. Man erkennt, daß die Meßpunkte auf einer Geraden liegen. Die Ordinate, die zum Wert log c = o (c = 1) der Abszisse gehört, ergibt log a, die Neigung der Kurve ergibt den Wert von 1/n. Auf diese Weise können die beideD Konstanten der F r e u n d l i c h sehen Gleichung graphisch bestimmt werden.

Es besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen der Adsorption und der sog. Grenzflächenspannung, der eine Konsequenz der allgemeinen thermodynamischen Grundgesetze ist. Die Grenzfläche zwischen zwei Phasen ist der Sitz potentieller Energie. Daher hat jede Grenzfläche die Tendenz, sich zu verkleinern (z. B. fließen zwei Öltropfen in Wasser zusammen, sobald sie sich berühren). Umgekehrt setzt sie der Vergrößerung Widerstand entgegen, der durch eine bestimmte Kraft überwunden werden muß. Am einfachsten lassen sich diese Verhältnisse an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Gas untersuchen. Es sei z. B. zwischen dem U-förmigen Bügel B in Abb. 27 und dem reibungslos verschiebbaren Draht S eine Flüssigkeitshaut (Seifenlamelle!) ausgespannt (schraffiert). Die Flüssigkeitslamelle hat die Tendenz, sich zu verkleinern, d. h. den Draht S in Richtung des Pfeils abwärts zu bewegen. Es muß also auf den Draht eine K r a f t angewandt werden, um ihn in Richtung des Pfeils aufwärts zu bewegen. Die K r a f t K, die gerade der Spannung der Lamelle das Gleichge-

Adsorption

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wicht hält, bezogen auf 1 cm Drahtlänge und eine Seite der Lamelle, heißt Oberflächenspannung der Flüssigkeit. Man erkennt leicht, daß sie die Dimension einer Energie pro Flächeneinheit hat; sie mißt also die „Oberflächenenergie" der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Gas. Jedes System strebt nach den Sätzen der Thermodynamik einem Zustand zu, in welchem die potentielle Energie (hier die Oberflächenenergie) möglichst klein ist. Daher muß sich ein Stoff, der die Oberflächenspannung erniedrigt, in der Grenzfläche anreichern, also adsorbiert werden, weil nämlich dadurch die Oberflächenenergie verringert wird. Dasselbe gilt natürlich für alle möglichen Grenzflächen: Flüssigkeit—Gas, Flüssigkeit—Flüssigkeit, Flüssigkeit—fester Körper, fester Körper—Gas, fester Körper—fester Körper. (Allerdings kann bei Vorhandensein einer festen Phase die Existenz einer Grenzflächenspannung nicht so leicht anschaulich gemacht werden wie bei Flüssigkeiten.) l

Abb. 27. Schema zur D e f i n i t i o n der Oberflächenspannung.

Stoffe, welche sich an der Grenzfläche zweier Phasen anreichern, heißen o b e r flächenaktiv. Adsorption und Oberflächenaktivität spielen im physiologischen Geschehen eine große Rolle. In den Zellen und den Geweben sind überall Phasengrenzflächen von großer Ausdehnung vorhanden. Die wäßrige Lösung, welche die ganze lebende Substanz durchtränkt, grenzt überall an die festen oder flüssigen Strukturbestandteile. Da diese Grenzflächen vielfach der Sitz katalytischer Vorgänge sind, können dieselben durch oberflächenaktive Stoffe weitgehend beeinflußt werden. Wahrscheinlich sind viele pharmakologische Wirkungen auf diese Weise zu erklären. Man hat bei vielen biologischen Vorgängen eine Konzentrationsabhängigkeit gefunden, welche der F r e u n d l i e h sehen Gleichung entspricht und daher auf Adsorptionsvorgänge schließen läßt, so z. B. die Aufnahme von Ca- Salzen durch den Knochen (vgl. Kap. 25), die Aufnahme von Giften durch Gewebe, von Desinfektionsmitteln durch Bakterien, die Bindung von Agglutininen durch Bakterien usw. Wahrscheinlich geht in vielen Fällen der spezifischen Bindung und Wirkung eine unspezifisohe Adsorption an irgendwelche Oberflächen voraus. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang noch die Emulgierung der Fette, die bei der Verdauung eine große Rolle spielt. Man weiß, daß die Zerteilung eines flüssigen Fetts (öl) im Wasser durch Zugabe verschiedener Stoffe stark gefördert wird, so durch Seifen und durch gallensaure Salze. Diese Stoffe sind, wie sich durch Messung der Oberflächenspannung direkt nachweisen läßt, stark oberflächenaktiv. Sie werden also die Grenzflächenspannung öl—Wasser herabsetzen und damit die Bildung einer Emulsion (d. h. die Vergrößerung der Grenzfläche zwischen ö l und Wasser) erleichtern.

166

Kolloidchemische Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

Die genauere Untersuchung der Adsorption von höheren Fettsäuren und Alkoholen an der Oberfläche des Wassers hat zu interessanten Ergebnissen über den Aufbau solcher Adsorptionsschichten geführt, die von großer allgemeiner Bedeutung sind ( L a n g m u i r ) . Wenn man die benzolische Lösung einer höheren Fettsäure, z. B. Palmitinsäure, auf Wasser gießt und sich ausbreiten läßt, so bleibt nach Verdunsten des organischen Lösungsmittels eine Schicht der Fettsäure zurück, deren Oberfläche sich messen läßt. Kennt man die Menge der Fettsäure, so kann man aus dem Molekulargewicht und der L o s c h m i d t s c h e n Zahl die Fläche ausrechnen, welche das einzelne Fettsäuremolekül auf der Wasseroberfläche einnimmt. Es zeigt sich nun, daß innerhalb der homologen Reihen diese Fläche vom Molekulargewicht fast unabhängig ist: große und kleine Moleküle nehmen den gleichen Platz ein. Dies ist aber nur möglich, wenn die Kohlenwasserstoffketten nicht flach auf der Wasseroberfläche liegen, sondern senkrecht zu derselben stehen. Man kann sich als Modell einen Bund Bleistifte vorstellen, der senkrecht auf den Tisch gestellt ist. Diese Anordnung erklärt sich daraus, daß die Carboxylgruppen eine große Affinität zu den Wassermolekülen haben — sie s i n d h y d r o p h i l —, währenddem die Kohlenwasserstoffreste keine Affinität zum Lösungsmittel, sondern nur zu ihresgleichen besitzen; sie sind h y d r o p h o b . Die Fettsäuren tauchen daher alle mit ihren COOH-Gruppen in die wäßrige Phase, während die KohlenWasserstoffketten herausragen und sich parallel ordnen. Auf diese Weise entsteht an der Oberfläche eine monomolekulare Schicht von Fettsäuremolekülen:

Kohlenwasserstoffketten (hydrophob) [ L l i__ Phasengrenze Ö Ó Ö Ö Ö Ö Ö Ö Ö Carboxylgruppen (hydrophil) In ähnlicher Weise sind die Fettsäuremoleküle auuh an der Grenzfläche Wasser—Öl orientiert. Wenn zu einer Emulsion von ö l in Wasser eine kleme Menge Seife zugefügt wird, so ist die ionisierte Carboxylgruppe nach der wäßrigen Phase, die lange Kohlenstoffkette nach der Ölphase gerichtet. Es ist gelungen, viele Stoffe, auch wasserlösliche (z. B. Proteine), an der Oberfläche des Wassers in dieser Weise zu „spreiten". In der Regel ordnen sich die Moleküle in der Oberflächenschicht in bestimmter Weise; man kann sogar annehmen, daß sie in vielen Fällen eine Art zweidimensionaler Kristallgitter bilden. Man kann über die Eigenschaften dieser monomolekularen Filme dadurch weiter Aufschluß erhalten, daß man die Kraft mißt, die nötig ist, um ihre Fläche zu verkleinern. In ähnlicher Weise, wie aus der Kompressibilität und den elastischen Eigenschaften der festen Körper Schlüsse auf ihre innere Struktur gezogen werden können, gibt auch das Verhalten der Filme beim Zusammendrücken gewisse Anhaltspunkte über Größe und Anordnung der Moleküle. Besonders eingehend sind mit dieser Methode die Proteine untersucht worden. Es zeigt sich, daß die Konfiguration der Moleküle durch die Spreitung an der Oberfläche weitgehend verändert wird. Die Polypeptidketten werden „entfaltet" (siehe S. 96 u. ff.). Bei biologisch aktiven Proteinen (Fermenten, Hormonen) ergeben sich daraus interessante Fragen über den Zusammenhang von Feinstruktur und Wirkung, auf die wir hier aber nicht eingehen können.

3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie Adsorptionsvorgänge sind nicht nur im physiologischen Sinne wichtig. Die Adsorption hat sich zu einem wirksamen Hilfsmittel der präparativen Chemie entwickelt, welches besonders dann angewandt wird, wenn es sich um eine möglichst schonende Trennung verschiedener Stoffe handelt. B e n e n n u n g e n : Als Adsorptionsmittel oder Adsorbens bezeichnet m a n das Material, an dessen Oberfläche der Stoff adsorbiert wird. E s handelt sich stets u m Stoffe mit sehr großer Oberflächenentwicklung, die kolloidchemisch als Gele zu betrachten sind. Sie besitzen ein so lockeres Gefüge, daß die gelösten Stoffe ins Innere der Partikel eindringen und an der ausgedehnten inneren Oberfläche des Gels adsorbiert werden können. Als Adsorptionsmittel werden verwendet: Tierkohle, Pflanzenkohle, Kieselgur, Kaolin, Talkum, eine ganze Reihe verschiedener Tonerdepräparate, Bleichererden (Aluminiumsilikate) und viele andere. Jedes dieser

Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie

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Adsorbentien hat seine besonderen Eigenschaften und sein besonderes Anwendungsgebiet. Gelegentlich wird das Adsorbens auch in der Lösung selbst durch Fällung erzeugt (z. B. Ca-Phosphat, Bleiphosphat u. a. m.); die feinflockigen Niederschläge besitzen eine sehr große Oberfläche. Als Adsorbat wird das mit dem adsorbierten Stoff beladene Adsorbens bezeichnet. Die Ablösung des adsorbierten Stoffs vom Adsorptionsmittel wird als Elution bezeichnet. Die Möglichkeit, Stoffe durch Adsorption zu trennen, beruht auf ihrer verschiedenen Affinität zum Adsorbens. Es gelingt, durch geeignete Wahl der Bedingungen in vielen Fällen die Adsorption so zu leiten, daß sie a u s w ä h l e n d ist, d. h. daß bestimmte Stoffe eines Gemisches vom Adsorbens fixiert werden, während die anderen zurückbleiben. Die eine Arbeitsweise besteht darin, die Lösung mit dem Adsorptionsmittel zu rühren oder zu schütteln, das letztere dann durch Filtration oder Zentrifugieren abzutrennen und den adsorbierten Stoff wieder vom Adsorbens abzulösen, zu eluieren. Man macht sich bei wasserlöslichen Stoffen dabei meist die Tatsache zunutze, daß die Adsorption pH-abhängig ist: Der Stoff wird bei einem bestimmten p H adsorbiert; durch Suspension des Adsorbats in einer anderen Pufferlösung von verschiedenem pH-Wert kann er wieder abgelöst werden. Auf diese Weise sind verschiedene Fermente getrennt und gereinigt worden (vgl. S. 182). A. Die Chromatographie

Eine besonders leistungsfähige Anwendungsart der Adsorption besteht in der sog. chromatographischen Adsorptionsanalyse. Sie gestattet, feinste Unterschiede in der Affinität zwischen Adsorbens und adsorbierten Stoffen für die Trennung auszunutzen. Das Verfahren wird folgendermaßen durchgeführt: Das Adsorbens wird in ein Rohr eingefüllt (Abb. 28) und mit dem Lösungsmittel getränkt. Die Lösung des zu trennenden Stoffgemisches wird aufgegossen und läuft nur langsam durch die Säule des Adsorptionsmittels. Man h a t also eine feste, u n b e w e g l i c h e P h a s e und eine flüssige, b e w e g l i c h e P h a s e . Das Lösungsmittel ist so gewählt, daß die Stoffe gut adsorbiert werden und daher zunächst im oberen Teil der Säule hängenbleiben. Der wesentliche Schritt ist die nun folgende „Entwicklung" des Chromatogramms: Man läßt durch das Rohr ein neues Lösungsmittel laufen, aus welchem die Stoffe etwas weniger gut adsorbiert werden. Die einzelnen Stoffe wandern nun, meist in gut abgegrenzten Zonen, die Säule entlang nach unten, am schnellsten diejenigen, bei denen die Affinität zum Adsorbens am geringsten ist. Auf diese Weise erscheinen nach einiger Zeit die einzelnen Stoffe als getrennte Zonen über die Säule verteilt. Man kann nun entweder so lange entwickeln, bis die einzelnen Zonen vollständig durchgelaufen sind, und sie unten getrennt auffangen, oder man kann, wenn die Zonen genügend getrennt sind, den Prozeß unterbrechen, die Säule aus dem Rohr herausstoßen, zerschneiden und die einzelnen Zonen mit geeigneten Lösungsmitteln eluieren. Da die Affinität zwischen Adsorbens und adsorbiertem Stoff und damit die Wanderungsgeschwindigkeit im Chromatogramm oft von kleinsten Unterschieden der chemischen Konstitution abhängen, ist auf diese Weise eine Trennung nahe verwandter Stoffe möglich, die auf keinem anderen Weg erreicht werden kann. Die Chromatographie ist die leistungsfähigste Trennungsmethode, die wir heute kennen. Durch geeignete Wahl der Adsorbentien und Lösungsmittel kann sie an jede Aufgabe angepaßt werden. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind fast unbegrenzt.

168

Kolloidohemisohe Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzfläohen

Besonders geeignet f ü r die chromatographische Methode sind natürlich Farbstoffe, weil hier die Zonen direkt sichtbar sind. Die Methode ist zum erstenmal vom russischen Botaniker M i c h e l T s w e t t (1906) verwendet worden, um die Blattfarbstoffe zu trennen. E r erkannte dadurch die Existenz zweier verschiedener Chlorophyllarten. Die Entdeckung von T s w e t t blieb lange fast vergessen. Sie wurde erst viel später bei der Erforschung der Carotinfarbstoffe ( K u h n , K a r r e r , Z e c h Chromatogramm ßegin

entwickelt

A.Bu.C

Pf

A+ß+C

mm

getrennt

A

durchgelaufen

.......

v.vSi W&A

3;ü \

/

V

B

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J

m

m

Abb. 28. Chromatographische Analyse. Links: die drei Stoffe A, B und C sind nach dem Aufgießen der Lösung im oberen Teil der Säule adsorbiert; Mitte: das Chromatogramm ist entwickelt, A,B und C erscheinen als getrennte Zonen; rechts: A ist völlig durchgelaufen (eluiert). m e i s t er) wieder eingeführt und gehört heute zum unentbehrlichen Rüstzeug der chemischen Forschung. Die moderne Biochemie wäre ohne die chromatographischen Methoden undenkbar. Bei Verwendung farbloser Stoffe sind die Zonen nicht direkt sichtbar; ihre Lage muß auf andere Weise festgestellt werden. B. YerteQangschromatographle; Papierchromatographie Die chromatographische Trennung beruht darauf, daß die Stoffe von der Oberfläche des Adsorbens mit ungleicher Affinität festgehalten werden oder, mit anderen Worten, daß die Gleichgewichtsverteilung der einzelnen Stoffe zwischen der Lösung und der Oberfläche des Adsorbens verschieden ist. Man kann sich aber auch den Fall vorstellen, daß der gelöste Stoff nicht an der Oberfläche der festen Phase adsorbiert wird, sondern in sie eindringt und sich zwischen der flüssigen und der festen Phase in einem bestimmten Verhältnis verteilt, das durch den Verteilungskoeffizienten

Verteilungschromatographie ; Papierchromatographie

169

festgelegt ist. Verschiedene Stoffe werden sich im allgemeinen zwischen den beiden Phasen in verschiedener Weise verteilen, und man kann daher, wie auf die ungleiche Adsorption an der Grenzfläche zweier Phasen, auf die ungleiche Verteilung zwischen zwei Phasen ein Trennungsverfahren aufbauen. Als feste Phase nimmt man z. B. einen fein verteilten Stoff, welcher mit Wasser getränkt werden kann, also ein wasserhaltiges Gel, z. B. Stärke, Cellulosefaser oder -pulver usw., als bewegliche Phase ein mit Wasser nicht mischbares organisches Lösungsmittel. Die Methode wurde erstmals von Gordon, Martin und Synge vorgeschlagen und zur Trennung acetylierter Aminosäuren benutzt. Als fester „Träger" für die wässerige Phase (die hier dem Adsorptionsmitte] entspricht) diente Silikagel, als bewegliche Phase Gemische von Butylalkohol und Chloroform. R r f

Front

Front des Lösungsmittels Filterpapier streifen — Lösung aufgetragen Lösungsmittel

Abb. 29. P a p i e r c h r o m a t o g r a p h i e , links aufsteigend, rechts absteigend. In der Mitte entwickelter Streifen S = Distanz der Lösungsmittelfront vom Ausgangspunkt; x = Distanz einer der Komponenten vom Ausgangspunkt.

Weitaus die wichtigste Anwendungsform des Verteilungsprinzips ist aber die sog. Papiorchromatographie, die heute in steigendem Maße Anwendung findet ( C o n s d e n , G o r d o n und M a r t i n ) . Als feste Phase dient Filtrierpapier, als bewegliche, flüssige Phase ein wasserhaltiges organisches Lösungsmittel. Eine kleine Menge der Lösung, welche das zu trennende Stoffgemisch enthält, wird etwas vom Ende eines Papierstreifens entfernt aufgetragen und getrocknet, dann wird der Streifen mit diesem Ende in einen Trog gehängt, welcher das Lösungsmittel enthält, entweder so, daß das letztere den Streifen entlang nach unten fließt, oder so, daß es durch Kapillarität im Streifen aufsteigt. (Der Vorgang spielt sich im geschlossenen Raum ab, der mit den Dämpfen des Lösungsmittels gesättigt ist.) (Siehe Abb. 29.) Das Lösungsmittel führt die verschiedenen Komponenten des Gemisches mit verschiedener Geschwindigkeit mit sich. Am Schluß wird der Streifen getrocknet und die Lage der verschiedenen Substanzen auf dem Streifen durch geeignete Reaktionen sichtbar gemacht. Die Trennung läßt sich oft noch weiter führen, wenn man die Chromatogramme nach zwei Dimensionen entwickelt. Dabei wird das zu analy-

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Kolloidohemisohe Grundbegriffe; Vorgänge an Grenzflächen

sierende Gemisch auf die E c k e eines quadratischen B l a t t e s Filterpapier aufgetragen und das B l a t t derart eingehängt, daß die erste Entwicklung parallel einer K a n t e erfolgt. Das B l a t t wird nun um 90° gedreht und in ein neues, vom ersten verschiedenes Lösungsmittel eingehängt, das sich nun senkrecht zur vorigen Richtung bewegt. Auf diese Weise können Stoffe, die im ersten Lösungsmittel gleich schnell wandern, voneinander getrennt werden (vgl. Abb. 30). U m die Wanderungsgeschwindigkeit der Substanz auszudrücken, benutzt man das Verhältnis der von der Substanz zurückgelegten Strecke zu der von der F r o n t des Lösungsmittels zurückgelegten Strecke, den sog. R f - W e r t .

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Alle bekannten Proteasen zeigen eine strenge o p t i s c h e S p e z i f i t ä t , d . h . sie hydrolysieren nur solche Peptidbindungen, welche von den „natürlichen" L-Aminosäuren gebildet werden. Peptide der D-Aminosäuren werden nicht angegriffen. Alle Fermente, welche auf Proteine und Peptide hydrolysierend wirken, fallen unter diese Gruppe. Man kann sie wieder in zwei Untergruppen einteilen: 1. Proteinasen, welche die Eiweißkörper selbst angreifen; 2. Peptidasen, welche nicht auf die nativen Eiweißkörper, sondern nur auf P e p t i d e einwirken. H a u p t t y p e n der Proteinasen : 1. Pepsin, im Magensekret, wirkt bei stark saurer Reaktion; spaltet Eiweißkörper zu Albumosen und Peptonen. 2. Kathepsin, in den Zellen, wirkt bei schwach saurer Reaktion (pH 4—6). 3. Trypsingruppe, im Pankreas, wirkt bei neutraler oder alkalischer Reaktion (pH etwa 8) (Trypsin, Chymotrypsin). H a u p t t y p e n der P e p t i d a s e n : 1. Dipeptidasen spalten nur Dipeptide. 2. Aminopeptidase spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Aminogruppe ab. 3. Carboxypeptidase spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Carboxylgruppe ab.

Proteasen

193

Unter dem Namen „Erepsin" versteht man das 1901 von C o h n h e i m entdeckte proteolytische Prinzip der Darmschleimhaut. Nach W a l d s c h m i d t - L e i t z i s t e s ein Gemenge von Amino- und Dipeptidasen. Dies erklärt auch, warum Darmsaft Protein nicht anzugreifen vermag. Die Proteinasen sind in der Natur weit verbreitet, sowohl im Pflanzen- als auch im Tierreiche. Der Abbau der Eiweißkörper durch reine Proteinasen f ü h r t nicht zur vollständigen Spaltung in freie Aminosäuren. Der größte Teil der Spaltprodukte besteht aus Polypeptiden. E s wird also nur ein Teil der Peptidbindungen hydrolysiert. (Durch das Pepsin z.B. etwa30%.Chymotrypsin spaltet von den etwa 340Peptidbindungen des Lactoglobulinmoleküls etwa 50.) Die kombinierte Wirkung verschiedener Proteinasen läßt erkennen, daß nicht von jedem Ferment die gleichen Bindungen gespalten werden. Es besteht also eine gewisse Spezifität in bezug auf die Lage der Peptidbindung in der Polypeptidkette. Die Untersuchung der Spaltung von synthetischen Polypeptiden bekannter Konstitution hat hier einige Aufklärung gebracht (vgl. S. 85). Die Proteinasen greifen in der Regel denaturierte Proteine viel besser an als native. Dies ist besonders deutlich beim Trypsin. Das Pepsin wurde im Jahre 1836 von S c h w a n n im Fundusteil der Magenschleimhaut entdeckt. (Die verflüssigende Wirkung des Magensaftes auf Fleisch ist aber schon viel länger bekannt.) Da der Magen zugleich beträchtliche Mengen von Salzsäure bildet, ist der Magensaft stark sauer. Dementsprechend liegt auch das pH-Optimum des Pepsins bei stark saurer Reaktion ( p H = l — 2 ) . Die Wirkung des Pepsins auf die Eiweißkörper ist beschränkt. Es bilden sich P e p t o n e und A l b u m o s e n , hochmolekulare Spaltprodukte, welche durch gewisse Fällungsreaktionen äußerlich von den Proteinen unterscheidbar sind. Wie schon bei der Besprechung der allgemeinen Eigenschaften der Enzyme gesagt wurde, gelingt es, zahlreiche Enzyme der Proteasegruppe in kristallisiertem Zustand zu erhalten. Die Methode der Darstellung beruht auf dem Prinzip des Aussalzens. Sie wurde besonders von N o r t h r o p ausgearbeitet und führte zur Darstellung von k r i s t a l l i s i e r t e m P e p s i n und P e p s i n o g e n . Damit ist das Vorkommen von solchen Proenzymen j e t z t e i n d e u t i g b e w i e s e n . Durch Adsorption an Kupferhydroxyd, Elution mit Phosphat und Fällung mit Ammonsulfat konnten H e r r i o t und N o r t h r o p das Pepsinogen kristallisiert erhalten. Die Aktivierung zu Pepsin ist ein autokatalytischer Vorgang. Es werden aus dem Pepsinogen niedrigermolekulare Körper (Molekulargewicht 5000) spalten, die als Hemmungskörper (Inhibitoren) wirken können, indem sie sich geeigneten Bedingungen mit dem Pepsin reversibel verbinden. Man kann sich die Aktivierung des Pepsinogens folgendermaßen vorstellen: Pepsinogen

dabei abgeunter daher

Pepsin + Inhibitor.

Die Lage des Gleichgewichtes hängt vom p H ab. Der Vorgang ist „autokatalytisch", weil durch die katalytische Reaktion der Katalysator gebildet wird. Seine Geschwindigkeit steigt daher explosionsartig an. Die Aktivierung von Pepsinogen ist ein p r o t e o l y t i s c h e r V o r g a n g . Schweinepepsin wandelt Hühnerpepsinogen in Hühnerpepsin um und umgekehrt. Über die Natur des Pepsins wurden in letzter Zeit ausgedehnte Untersuchungen angestellt. So 13 L e u t h a r d t , Lehrbuch. IS.Aufl.

194

Die Fermente

scheinen nach P h i l p o t t und S m a l l die Tyrosingruppen im Enzymmolekül mit dem Substratprotein in einer noch unbekannten Weise zu reagieren. Das Pepsin kann u n t e r g e e i g n e t e n B e d i n g u n g e n nicht nur Proteine sondern auch e i n f a c h e P e p t i d e spalten. Das Gleiche gilt auch für andere Proteinasen. Versuche mit synthetischen Substraten haben gezeigt, daß Peptide, die Tyrosin oder Phenylalanin enthalten, durch Pepsin leicht gespalten werden. Weiteres siehe unten. Die rasche Spaltung von Proteinen mit hohem Gehalt an diesen Aminosäuren durch Pepsin wie Edestin, Casein und Eieralbumin und die schwache Hydrolyse von Gelatine mit niedrigem Gehalt an diesen Bausteinen werden dadurch verständlich gemacht. Die Resistenz der Protamine gegen Pepsin ist ebenfalls durch die spezifische Zusammensetzung dieser Eiweißkörper bestimmt. Das Labferment oder Chymosin bringt die Milch zur Gerinnung. Es ist eine umstrittene Frage, ob im Magen des Erwachsenen ein derartiges Enzym vorkommt. Wahrscheinlich aber findet sich ein mit Pepsin nicht identisches Labferment im Magen des Jugendlichen vor. Als sicher kann gelten, daß das Ferment aus dem Abomasum (Labmagen) des Kalbes vom Pepsin verschieden ist. Die Wirkung des Labfermentes besteht in der Bildung von unlöslichem Paracasein aus dem Casein der Milch. Das gebildete Paracasein fällt dabei als Calciumverbindung aus. (Vielfach werden auch der Eiweißkörper der Milch Caseinogen und der durch Labwirkung daraus hervorgehende Stoff Casein genannt.) Die Labgerinnung der Milch ist ein proteolytischer Vorgang, dessen Einzelheiten noch keineswegs aufgeklärt sind. Wahrscheinlich wird durch das Chymosin eine Komponente des komplexen Proteins angegriffen mit dem Erfolg, daß der gesamte Komplex schwer löslich wird und ausfällt. Alle Proteinasen haben mehr odei weniger ausgesprochene Labwirkung (weiteres über Chymosin vgl. S. 525). In der Magenschleimhaut (nach neueren Versuchen auch im Sekret!), in den Leukocyten sowie in den Gewebszellen findet sich eine von W i l l s t ä t t e r als Kathepsin bezeichnete Protease, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie bei pH 4—5 optimal wirkt. Dieses Enzym scheint ganz allgemein verbreitet zu sein und als G e w e b s p r o t e a s e auch bei dem autolytischen Zerfall der Gewebe zu wirken. Je nachdem sich ein Enzym in fester oder lockerer Bindung mit dem Zellplasma befindet, wird es mehr oder weniger leicht abtrennbar sein. In diesem Sinne kann man L y o - E n z y m e (löslich) und D e s m o - E n z y m e (gebunden) unterscheiden (Willstätter). Durch Verwendung spezifischer (synthetischer) Substrate ist es gelungen, in tierischen Geweben drei verschiedene Kathepsine, A, B und C, zu unterscheiden. Die beiden letzteren zeigen wie das Papain (s. unten) und in Gegenwart von SH-Verbindungen ihre maximale Wirksamkeit. Da das genannte Chymosin ebenfalls bei s c h w a c h saurer Reaktion wirkt, wird es manchmal auch der Gruppe der katheptischen Enzyme zugezählt. Die pflanzliche Protease Papain ist dem tierischen Kathepsin sehr ähnlich. Dieses Ferment findet sich im Milchsaft (Latex) und den Früchten von Carica papaya. (Es ist eine Mischung mehrerer Fermente, von denen zwei im kristallisierten Zustand dargestellt worden sind.) Das Papain wird durch Blausäure sowie durch verschiedene Sulfhydrylverbindungen wie Cystein, Glutathion, H a S, auch durch Thiosulfat, aktiviert. Jodessig-

Proteasen

195

säure und H 2 0 2 wirken hemmend. Man hat vermutet, daß die Aktivierung durch die reduzierenden Stoffe auf der Bildung von SH-Gruppen aus der Disulfidbindung — S — S — beruht. Ähnliche proteolytische Fermente sind im Milchsaft verschiedener Pflanzen vorhanden: Ficin in Ficusarten. Daher können solche Säfte zur Käsebereitung verwendet werden. Ferner seien erwähnt Bromelin aus Bromeliaarten und Asclepain aus Asclepias syriana.

Trypsin. Die Auflösung von Eiweiß durch Pankreassaft wurde erstmals von C o r v i s a r t genauer untersucht (1857). K ü h n e gab dem Ferment den Namen Trypsin. Was die älteren Forscher als Trypsin bezeichneten, ist aber kein einheitliches Ferment, sondern ein Gemisch verschiedener Proteasen. N o r t h r o p und K u n i t z konnten aus Rinderpankreas zwei k r i s t a l l i s i e r t e E n z y m e erhalten, die sie als Trypsin und als Chymotrypsin bezeichneten. Die beiden Fermente wirken optimal bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion (pH 7—9). Chymotrypsin hat diesen Namen erhalten, weil es starke Labwirkung zeigt. Trypsin greift viele n a t i v e Proteine wie Collagen, Eieralbumin, Serumglobulin, Hämoglobin nur sehr langsam an. Doch werden diese Eiweißkörper abgebaut, wenn sie vorher denaturiert wurden. Chymotrypsin baut vorwiegend die Produkte ab, die durch Einwirkung von Pepsin oder Trypsin auf Eiweißkörper gebildet worden sind; es entstehen dabei Polypeptide und freie Aminosäuren. Aus Pankreas wurde von K u n i t z und N o r t h r o p ein Polypeptid isoliert, das mit Trypsin eine inaktive, kristallisierende Verbindung bildet ( T r y p s i n - I n h i b i t o r ) . Ein ähnlicher Inhibitor wurde auch aus der Sojabohne dargestellt.

Im frischen Sekret der Pankreasdrüsen, ebenso in Extrakten aus der Drüse finden sich die beiden Fermente in Form inaktiver Vorstufen als Trypsinogen und Chymotrypsinogen, die beide kristallisiert werden können. Sie werden im Duodenum aktiviert, sobald das Pankreassekret mit der Darmschleimhaut in Berührung kommt. Die letztere bildet, besonders im Bereich des Duodenums, einen Stoff, die Enterokinase (der Name stammt von Pawlow), welcher das Pankreassekret aktiviert. Über die Natur dieses Vorgangs wurde viel gestritten, bis die Darstellung der reinen Profermente und Fermente die Abklärung der Frage ermöglichte ( K u n i t z ) . Trypsinogen wird durch Zusatz kleiner Mengen aktiven Trypsins sehr rasch in Trypsin umgewandelt. Es handelt sich also um einen autokatalytischen Vorgang ähnlich wie beim Pepsin. Neben dem aktiven Trypsin entsteht aus dem Trypsinogen dabei noch ein inaktives Peptid, das vom N-Ende der Peptidkette abgespalten wird und dem wahrscheinlich die Konstitution: Val—Asp4—Lys zukommt 1 ). Auch das Chymotrypsinogen wird durch Trypsin katalytisch in aktives Chymotrypsin verwandelt; dagegen vermag das Chymotrypsin weder das eine noch das andere der Profermente zu aktivieren. Es handelt sich also bei der Aktivierung des Chymotrypsins n i c h t um einen autokatalytischen Vorgang. Die Aktivierung des Chymotrypsinogens durch das Trypsin ist eingehend untersucht worden. Aus dem Proferment entstehen je nach der Menge des zugesetzten Trypsins mehrere Modifikationen des Chymotrypsins (n, a, ß, y und ö)2). Es ist durch die Methode der Endgruppenbestimmung möglich gewesen, die Art der durch das Trypsin geöffneten Peptidbindungen festzustellen. Für die Bildung eines aktiven Chymotrypsins scheint die Spaltung einer ganz bestimmten Bindung zwischen einem Arginin- und einem Isoleucinrest unerläßlich zu sein. Gewisse Bindungen des Chymotrypsins werden auch durch das Chymotrypsin selbst hydrolysiert. Dies führt zur Bildung modifizierter Chymotrypsine. Die Vorgänge bei der Aktivierung lassen sich (nach R o v e r y ) wie folgt darstellen 3 ): J ) D a v i e u. N e u r a t h , J . biol. Chem. 212, 515 (1955); D e s n u e l l e u. F a b r e , Biochim. Biophys. Acta 18, 49 (1955). 2 ) J a c o b s o n , C. r. trav. Lab. Carlsberg, Soc. chim. 25, 325 (1947). *) Zusammenfassung vgl. R o v e r y , Bull. Soc. Chim. Biol. 38, 1101 (1956).

13*

196

Die Fermente

! Val

Val

I

I

I

I

Ileu

Ileu

Heu Arg

Trypsin Aktivierung

Ser

Arg I Ser

Leu

Leu

I

-J Ch ymotrypsinogen

Val

Autolyse

-f- Ser—Arg Leu

Cliymotrypsin 71

Chymotrypsin ó

Die Enterokinase des Darmes ist ebenfalls ein Katalysator, welcher (im Bereich von p H 5—8) die Umwandlung des Trypsinogens in Trypsin bewirkt. Die Fermentnatur der Enterokinase wurde früher bestritten, ist aber durch die neueren Untersuchungen mit den reinen Stoffen sichergestellt. Eine ähnliche Kinase findet sich auch bei Pilzen des Genus Penicillium. Sie wirkt aber bei etwas saurerer Reaktion (pH 4) als die Enterokinase. Das Chymotrypsinogen wird durch Enterokinase nicht verändert. Man kann sich auf Grund dieser Tatsachen ein Bild der Vorgänge machen, die sich abspielen, nachdem das Pankreassekret sich in den Darm ergossen hat: Durch die Enterokinase der Darmschleimhaut wird zunächst eine kleine Menge aktives Trypsin aus dem Trypsinogen gebildet. Dadurch kommt die autokatalytische Bildung des Trypsins in Gang. Das Trypsin seinerseits katalysiert die Umwandlung des Chymotrypsinogens in Chymotrypsin, so daß in kurzer Zeit alle Profermente in die Fermente umgewandelt werden (siehe nachfolgendes Schema): Trypsinogen Enterokinase

(pH 5—8) Chymotrypsinogen

(Autoka talyse)

\

Trypsin

(PH 7 - 8 )

inaktives Peptid

Chymotrypsin

Die Tatsache, daß durch die Proteinasen alle möglichen Eiweißkörper angegriffen werden, könnte zur Annahme verleiten, daß es sich um wenig spezifische Enzyme handelt. Dies trifft aber nicht zu. Die Proteinasen spalten nicht beliebige Peptidbindungen; jedes Ferment ist auf Bindungen besonderer Art eingestellt. Daher ist auch, wie oben erwähnt, die Hydrolyse der Proteine durch Proteinasen stets unvollständig. Die Möglichkeit, nach der Carbobenzoxy- und anderen Methoden einfache Peptide von genau bekannter Struktur zu synthetisieren, hat eine tiefere Einsicht in die Spezifität der Proteasen erlaubt, als es bisher bei Verwendung der natürlichen Substrate möglich war. Wir haben oben bereits auf die Spaltung gewisser Peptide durch

197

Proteasen

Pepsin hingewiesen. Es hat sich gezeigt, daß das hohe Molekulargewicht des Substrats nicht die wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Proteinasen ist. Dieselben vermögen auch einfache Peptide anzugreifen, wenn gewisse strukturelle Bedingungen erfüllt sind. Die Spaltbarkeit der Bindung hängt von der Art der sie bildenden Aminosäuren und von Einflüssen benachbarter Gruppen ab. Einige wenige Beispiele mögen dies illustrieren. Durch Pepsin wird das Carbobenzoxy-glutamyl-tyrosin in Carbobenzoxy-glutaminsäure u n d Tyrosin zerlegt, und zwar findet die Spaltung bei p H = 4 s t a t t u n d nicht p H = 1,8—2, bei welchem Pepsin gewöhnlich optimal wirkt. Das Peptid wird an der durch ein3 Wellenlinie bezeichneten Stelle gespalten: OH COOH I

ch 2 I

ch 2

CH 2 I N H • CH • COOH -tvrosin

{

I (C8H5-CH2-0-C0)-NH'CH-C0 Carbobenzoxyglutamyl-

|


H 2 N • CH • CCH NH • CH C O — N H • CH • COyNH • CH -CO — NH • CH • C04NH • CH • COOH R

t

R

Exopeptidase Aminopolypeptidase

R

t

R

Endopeptidase Proteinase

R

t

R

Exopeptidase Carboxypolypeptidase

Es wird aber durch die Endopeptidasen (Proteinasen) keineswegs jede beliebige innere Peptidbindung hydrolysiert. Die Untersuchung der synthetischen Peptide hat gezeigt, daß die einzelnen Peptidbindungen gegen die verschiedenen Proteinasen verschieden empfindlich sind. Dipeptidasen. Entgegen der früheren Annahme scheint kein Ferment zu existieren, welches allgemein Dipeptide angreift, sondern nur spezifische Dipeptidasen, die auf bestimmte Substrate eingestellt sind. So ist z. B. ein Ferment bekannt, welches auf Glycylglycin einwirkt, ein anderes, welches auf Glycyl-L-leucin eingestellt ist, usw. Solche Fermente finden sich in der Darmschleimhaut, in der Niere, in pflanzlichen Geweben, Pilzen und Bakterien. Dipeptide, die eine Aminosäure der „nicht natürlichen" d-Reihe enthalten, werden nicht hydrolysiert. Wie in vielen anderen Fällen sterischer Spezifität verhindert in diesem Falle wahrscheinlich die „unrichtige" räumliche Anordnung der Gruppen die Verbindung zwischen Ferment und Substrat. Besonders erwähnt seien noch die auf prolinhaltige Peptide eingestellten Peptidasen. I n der Darmschleimhaut und in der Hefe kommt eine „Prolinase" vor. Dieses Ferment spaltet aus Peptiden mit endständigem Prolylrest das Prolin ab; eine freie Aminogruppe darf nicht vorhanden sein ( G r a ß m a n n ) . Ein anderes Ferment der Darmschleimhaut, die „Prolidase", spaltet Dipeptide vom Typus des Glycylprolins, bei denen die Iminogruppe des endständigen Prohns an die Carboxylgruppe einer zweiten Aminosäure gebunden ist. Blockierung der freien Aminogruppe verhindert die Wirkung des Ferments ( B e r g m a n n und F r u t o n ) . Die Peptidasen sind Metallproteide. Dies zeigt sich darin, daß sie durch Komplexbildner inaktiviert, durch Metalle aktiviert werden können ( M a s c h m a n n ) .

Die Fermente

200

.Die Pankreas-Carboxypeptidase z. B. enthält, wie erwähnt, Zink. Das Ferment wird auch durch Reagenzien gehemmt, die mit SH-Gruppen reagieren: Jodessigsänre, Cu ++ , Pb++. Offenbar sind die SH-Gruppen irgendwie an der Ferment-Substrat-Bindung beteiligt. Die Leucin-Aminopeptidase wird durch Mn++ oder Mg++ aktiviert. Aus der starken Hemmung des Ferments in den Rohextrakten durch Citrat hat man geschlossen, daß das natürliche Ferment Mg ++ enthält, da Mn+ + - aktivierte Fermente durch Citronensäure nicht beeinflußt werden. Die Glycyl-glycinpeptidase soll spezifisch durch Co + + aktiviert werden. Die Glycyl-L-leucinpeptidase zeigt verschiedene Aktivierbarkeit je nach dem Organ, aus dem sie stammt. Das Ferment aus Rattenmuskel und Uterus wird durch Zn++, dasjenige aus der Darmschleimhaut durch Mn + + aktiviert. Merkwürdig ist das Verhalten bestimmter Bakterienpeptidasen (aus anaeroben Bakterien, z. B. Botulinus). Sie werden durch Metalle nur in Gegenwart reduzierender Substanzen wie Cystein aktiviert. M a s e h m a n n nimmt an, daß durch das Cystein das Fermentprotein erst reduziert werden muß (Regeneration von SH-Gruppen?), worauf es sich erst mit dem Metall verbinden kann: Dehydro-apopeptidase + Cystein >• Apopeptidase Apopeptidase + Me++ -» Apopeptidase • Me++ aktives Ferment Es kann sich aber in vielen derartigen Fällen um unspezifische Wirkungen der fraglichen Metalle handeln. Die Frage, ob ein bestimmtes Metall Bestandteil eines Enzyms und für seine Wirkung unentbehrlich ist, kann nur im Falle hochgereinigter Enzyme mit Sicherheit entschieden werden. Außer den bisher genannten Proteasen wurde von W a l d s c h m i d t - L e i t z im Pankreas eine spezifisch auf Protamine wirkende Proteinase entdeckt. Wahrscheinlich ist dieses Ferment aber identisch mit dem Chymotrypsin. Daneben sei noch die von B e r g m a n n in der Niere entdeckte D e h y d r o d i p e p t i d a s e genannt. Dieses Ferment vermag d e h y d r i e r t e Dipeptide unter Aufspaltung der —CO-NH-Bindung und Bildung von Ammoniak und Ketosäuren zu spalten: 0 H H |l R,—G—CO—HN—C—COOH + 2H 2 0 = R,—C—COOH + H 3 N -f C—COOH I II i I NH 2 CH-Rj NH 2 CH 2 -R 2 Aminosäure + Ammoniak + Ketosäure Die enzymatische Pcptidsynthcse. Erst in den letzten Jahren ist der B e r g m a n n schen Schule der eindeutige Beweis gelungen, daß die hydrolytische Spaltung der Peptide durch Enzyme ein umkehrbarer V o r g a n g ist (vgl. Umkehr barkeit von Enzymreaktionen S. 176). Das Gleichgewicht liegt bei der Spaltung einfacher Peptide stark auf der Seite der Hydrolyse. Schafft man aber Bedingungen, durch welche erreicht wird, daß das Syntheseprodukt immer nur in sehr niedriger Konzentration vorhanden ist, so verschiebt sich das Gleichgewicht im Sinne der Synthese. Dies kann dann erreicht werden, wenn das entstehende Peptid u n l ö s l i c h i s t und sofort auskristallisiert. Die oben erwähnten „Proteinmodelle" bieten nun ein vorzügliches Material für die Durchführung solcher Versuche. Läßt man z . B . die pflanzliche Proteinase Papain auf Benzoyl-L-leucin -)- Anilin einwirken, so kristallisiert direkt das Benzoyl-leucin-anilid aus: C4H9 C4H„ ! i (C6H5-CO)HN-C-COOH + H 2 N-C 6 H 5 = (C e H 6 -CO)-HN-C-CO-HN-C 6 H 6 + H2O I I H H Benzoyl-

L-leucin

4-

Anilin

Benzoyl-L-leuciu-anilid

201

Proteasen

Bei diesen enzymatischen Synthesen reagieren immer nur die „natürlichen" Aminosäuren der L-Reihe. Die o p t i s c h e S p e z i f i t ä t zeigt sich also, wie zu erwarten, sowohl bei der hydrolytischen Spaltung als auch bei der Synthese der Peptidbindung. Acetyl-D,L-phenylalanyl-glyein -)-Anilin reagieren nur mit der natürlichen L-Komponente unter der Wirkung von Papain-Cystein unter Bildung von Acetyl-L-phenylalanyl-glycin-anilid, während die d-Komponente übrigbleibt. Als Beispiele weiterer enzymatischer Peptidsynthesen seien hier die folgenden erwähnt: durch Chymotrypsin: Benzoyl-L-tyrosin -f- Glycin-anilid = Benzoyl-L-tyrosyl-glycin-anilid; durch Papain (mit HCN aktiviert): Benzoyl-L-leucin -f- L-Leucin-anilid = Benzoyl-L-leucyl-L-leucin-anilid. Es handelt sich hier um die Bildung echter Peptidbindungen zwischen zwei Aminosäuren. Eine besonders interessante Erscheinung ist die folgende: Die Spaltung bestimmter Peptide hängt von der Gegenwart anderer ab. Weder Glycyl-L-leucin noch Acetyl-phenylalanyl-glycin werden durch HCN-aktiviertes Papain hydrolysiert. Bringt man dagegen beide Substrate zusammen, so wird Leucin und Glycocoll freigesetzt, d. h. das Glycyl-leucin wird hydrolysiert. Dieser Vorgang erklärt sich durch die intermediäre Synthese eines Tetrapeptides, welches durch Papain angegriffen wird: Acetyl-phenylalanyl-glycin + Glycyl-leucin Acetyl-phenylalanyl-glycyl-glycyl-leu ein ^ g ^ ™ -

—• -

Acetyl-phenylalanyl-glycin + Glycin -f- Leucin. Es wird also das erste Peptid immer wieder regeneriert. B e r g m a n n hat für Peptide, die, wie im obigen Beispiel das Acetyl-phenyl alanyl-glycin, die Hydrolyse anderer Peptide ermöglichen, den Namen „Cosubstrate" eingeführt. Es ist sehr wohl möglich, daß derartige Vorgänge auch bei der Hydrolyse der Peptidgemische, wie sie durch den proteolytischen Abbau der Eiweißkörper entstehen, eine Rolle spielen. Die hier beschriebenen Beispiele genügen, um das Prinzip der enzymatischen Peptidsynthese verständlich zu machen. Welche Rolle die Peptidsynthese durch die proteolytischen Fermente unter physiologischen Bedingungen spielt, ist heute allerdings noch nicht klar. Es ist sehr wohl möglich, daß durch Entfernung des Reaktionsproduktes aus dem Gleichgewichtsgemisch (durch Ausfällung oder sekundäre Reaktionen usw.) eine Peptidsynthese zustande kommen kann, auch wenn das Gleichgewicht stark zugunsten der freien Komponenten liegt. Wir kennen aber verschiedene biochemische Synthesen, die zwar die Umkehrung hydrolytischer Vorgänge sind, aber auf viel komplizierterem Wege verlaufen, weil sie mit energieliefernden Vorgängen verknüpft werden müssen (vgl. Kap. 18). Von großer Bedeutung für die Peptidsynthese ist wahrscheinlich die Tatsache, daß die Proteinasen nicht nur Peptide spalten, sondern auch Aminosäurereste ü b e r t r a g e n können. Näheres über die „Transpeptidase"-Wirkung der Proteasen siehe S. 447 u. ff.

Die Fermente

202 II. Gruppe:

C—0

lösend

C. Esterasen

Wichtige Vertreter dieser Gruppe sind die fettspaltenden Lipasen. Lipasen finden sich in Pankreas, Magen, Leber, Lunge, Gehirn, Muskel und wahrscheinlich überhaupt in allen Organen. Auch in zahlreichen Pflanzen, besonders in Samen und Früchten, haben sich diese Fermente nachweisen lassen. Die Wirkung der Lipasen besteht darin, daß sie die Esterbindung von Glycerin und Fettsäure hydrolytisch spalten: O 0 II II CHj— 0—C—R CH2OH HO—C—R o ! 0 Ii i Ii CH—0—C—Rx > CH OH + HO—C—Rj I 0 i o ; :! II CH., — O—C—II, CH, OH HO—C—R» + 3H 2 0

Glycerin

Fettsäuren

Die Lipasen spielen bei der Verdauung der Fette eine wichtige Rolle, da ungespaltene Fette wahrscheinlich nicht resorbiert werden. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, daß bei der Fettspaltung im Darm durch die Pankreaslipase (das „Steapsin") die Triglyceride nicht vollständig hydrolysiert werden; es scheint, daß neben den freien Fettsäuren Monoglyceride ein Hauptprodukt der Spaltung sind ( F r a z e r ) . Es sind verschiedene Substanzen bekannt, welche die Lipasen aktivieren können. Es sind dies die Salze der Gallensäuren, Kalkseifen, Eiweiß, Polypeptide. Bei Versuchen in vitro beobachtet man eine außerordentlich starke Aktivierung durch solche Stoffe. W i l l s t ä t t e r nimmt an, daß derartige Aktivatoren mit Ferment und Substrat labile A d s o r p t i o n s v e r b i n d u n g e n bilden; doch ist der Mechanismus des Vorganges unklar. Die Lipasen sind bei verschiedenem pH wirksam. Das Optimum wird durch die Coadsorbentien sehr beeinflußt. So wirkt Pankreaslipase z. B. bei p H 7—8, Magenlipase bei saurer Reaktion. Durch Reinigung wird aber der Optimalpunkt für Magenlipase ebenfalls ins Alkalische verlegt. Durch das Adsorptionsverfahren gelang es, die Lipase so weit zu reinigen, daß eine ungefähr 3000 fache Anreicherung erzielt wurde. Die Spezifität der Lipasen ist nicht sehr ausgesprochen. Sie hydrolysieren nicht nur Triglyceride, sondern auch eine große Zahl anderer Ester. Immerhin bestehen große Unterschiede in der Wirksamkeit gegenüber verschiedenen Substraten. J e nach der Herkunft der Lipasen (Organ, Tierart) zeigen sich starke Unterschiede der Wirkung verschiedenen Substraten gegenüber. Es gibt sicher verschiedene esterspaltende Fermente mit verschiedenem Spezifitätsbereich. Eine Abgrenzung von eigentlichen „Lipasen", welche vorzugsweise auf Triglyceride eingestellt sind, und von „Esterasen im engeren Sinne", welche einfache organische Ester abbauen, scheint aber, abgesehen von einigen speziellen Fermenten, nicht möglich zu sein. Die Esterasen (im engeren Sinne) zeigen eine ausgesprochene stereochemische Spezifität. Die Untersuchung verschiedenartiger optisch aktiver Ester (meist die Äthyl- oder Methylester optisch aktiver Säuren) hat gezeigt, daß in der Regel die

Esterasen

203

eine Komponente des Racemats rascher gespalten wird als die andere. Wir haben das Beispiel des Mandelsäureäthylesters in anderem Zusammenhang bereits erwähnt (vgl. S. 185). Auch hier erweisen sich die Esterasen verschiedener Provenienz als voneinander verschieden. So wird z. B. im Racemat des Phenyl-methoxyessigsäureäthylesters

>

CHj

3H—CO • OCH,

von der Esterase des Schweinepankreas die linksdrehende Komponente, von der Leber- und Magenesterase aber die rechtsdrehende Komponente rascher gespalten. Die Lipasen liefern auch ausgezeichnete Beispiele für enzymatische Synthesen. Bei vielen Estern liegt das Verseifungsgleichgewicht so günstig, daß aus Alkohol und Säure bei Gegenwart der Lipase der Ester in meßbarer Menge gebildet wird. Z. B. kann Pankreaspulver aus Glycerin und Ölsäure Triolein bilden. In der Darmschleimhaut und im Blutserum, anscheinend auch in anderen Organen, findet sich ein Ferment, die Cholesterinesterase, das die Ester des Cholesterins spaltet oder synthetisiert. Von einigen Autoren wird angenommen, daß die Veresterung des Cholesterins mit Fettsäuren im Darm bei der Resorption der Fettsäuren eine Rolle spielt. Die Abgrenzung des Ferments von den übrigen Gewebslipasen ist unsicher; Pankreaslipase hydrolysiert Cholesterinester nicht. Ein interessantes Ferment, das in den letzten Jahren eingehend untersucht worden ist, ist die Cholinesterase, welche Acetylcholin in Essigsäure und Cholin spaltet: CH3CO • 0 • CH2 • CH2 • N(CH3)3

^

CH3COOH + HO • CH2 • CH2 • N(CH3)3.

Sie kommt in Gehirn und Nerven und neben anderen Esterasen auch in den Erythrocyten vor. Im Serum und im Pankreas verschiedener Tierarten ist eine sog. Pseudo-Cholinesterase nachgewiesen, welche neben basischen Estern vom Typus des Acetylcholins auch gewöhnliche neutrale Ester spaltet. Typisch für die Cholinesterase ist die Hemmbarkeit durch kleinste Mengen Eserin (=Physostigmin, das Alkaloid der Calabarbohne, Physostigma venenosum) oder Prostigmin. Neuerdings ist im DiisoHs(X

>CH-0 ein sehr wirksamer Hemmkörper der h3C/ Cholinesterase gefunden worden. Die pharmakologischen Wirkungen dieser Stoffe lassen sich durch die Annahme deuten, daß sie die Zerstörung des Acetylcholins durch die Cholinesterase hemmen.

propylfluorophosphat

In einer neueren Theorie der Nervenleitung (Nachmansohn) wird der Cholinesterase eine große Bedeutung zugeschrieben. Das Ferment ist wahrscheinlich an der Oberfläche des Axons, an den Synapsen und motorischen Endplatten in sehr hoher Konzentration vorhanden. Es dient der raschen Inaktivierung des Acetylcholins (Zeit: Millisekunden), das nach dieser Theorie an der erregten Stelle des Nerven freigesetzt wird. Die Theorie findet eine Stütze im Verhalten des elektrischen Organs des Zitteraals (Electrophorus electricus) und anderer Fische. Der Gehalt dieses Organs an Cholinesterase ist sehr hoch und ungefähr proportional der entwickelten elektrischen Spannung. Näheres vgl. S. 646.

In gewissen Schlangengiften findet sich eine Esterase, die sog. Lecithinase A, welche aus dem Lecithin ein Molekül Fettsäure freimacht. Das Produkt der Spaltung, das Lysolecithin, bewirkt Hämolyse der roten Blutkörperchen. Dieselbe Esterase kommt auch im Bienen- und Skorpionengift vor. Die „Lecithinase B", die aus dem Lysolecithin die verbleibende Fettsäure abspaltet, wurde in verschiedenen tierischen Organen und in der Reiskleie nachgewiesen.

204

Die Fermente

Die Wirkung der Lipasen kann durch die Zunahme der sauren Gruppen während der Spaltung gemessen werden. Eine zweite Methode fußt auf der Änderung der Oberflächenspannung des Substrates durch die Spaltung und wird durch Austropfen und Bestimmung der Tropfenzahl ausgeführt. Sie heißt die s t a l a g m o m e t r i s c h e M e t h o d e .

Hier müssen auch die zahlreichen Phosphatasen genannt werden, die aus den Nucleotiden, den Phosphatiden und den Zuckerphosphorsäuren die esterartig gebundene Phosphorsäure abspalten. Die verschiedenen Phosphatasen spielen im Intermediärstoffwechsel eine große Rolle. Wie dies bei der Besprechung des Stoffwechsels erläutert werden wird, treten beim Auf- und Abbau der Kohlehydrate, der Nucleinstoffe, der Lipoide Ester der Phosphorsäure als Zwischenprodukte auf. Diese werden durch die Phosphatasen hydrolytisch zerlegt. Demnach finden sich in allen lebenden Zellen derartige Enzyme. Eine Phosphatase findet sich u. a. auch im Knochen und spielt wahrscheinlich bei der O s s i f i k a t i o n eine Rolle. Im embryonalen Skelett findet sich die Phosphatase überall dort, wo später Verknöcherung stattfindet. Sie fehlt dagegen in den nicht verknöchernden Knorpeln (Robison). Näheres siehe S. 657. Man kennt Phosphatasen, die im sauren Gebiet (pH-Optimum 4,5—6), und solche, die im alkalischen Milieu wirken (pH-Optimum 7—9,5). Die ersteren bezeichnet man abgekürzt als „ s a u r e P h o s p h a t a s e n " , die letzteren als „ a l k a l i s c h e P h o s p h a t a s e n " . Die genannte Knochenphosphatase gehört zu den alkalischen Phosphatasen. Solche kommen außerdem in der Niere, in der Darmschleimhaut, im Blutserum vor. Die alkalische Phosphatase des Blutserums hat für die Klinik Bedeutung, weil sie bei gewissen Erkrankungen der Knochen erhöht ist (Osteomalazie, Ostitis deformans Paget). Auch bei Affektionen der Leber und der Gallengänge (z. B. Gallenstauung durch Stein, Krebsmetastasen in der Leber) findet man im Serum erhöhte Phosphatase werte. Die Bestimmung der Phosphatase beruht auf der Freisetzung von anorganischem Phosphat, wenn das Serum bei p H 8,6 mit ß- Glycerinphosphat bebrütet wird (Angabe der Aktivität in sog. B o d a n s k y - E i n h e i t e n . Normalerweise etwa 2—4 Einheiten. Anstieg bis auf > 40 Einheiten). Die alkalischen Phosphatasen scheinen M e t a l l p r o t e i d e zu sein. Sie können (insbesondere nach Dialyse) durch zweiwertige Metalle (Mg + + , M n + + , Zn++, C o + + u. a.) aktiviert werden. Wahrscheinlich ist meistens das Magnesium der physiologische Bestandteil des MetallFerment-Komplexes.

Eine sehr aktive saure Phosphatase findet sich in der Prostata ( K u t s c h e r ) ; sie geht auch in die Samenflüssigkeit über. Eine besondere Bedeutung für den Intermediärstoffwechsel besitzt die Phosphatase der Leber, welche das Glucose-6-phosphat hydrolysiert und auf diese Weise die freie Glucose liefert, welche von der Leber ans Blut abgegeben wird (vgl. S. 301). Wir kennen ferner verschiedene Phosphatasen, welche den Phosphatrest der Nucleotide abspalten (Nucleotidasen). Einzelne sind streng spezifisch in bezug auf die Stellung des Phosphats im Nucleotid (vgl. S. 458). Als weitere Gruppe von Esterasen seien die Sulfatasen erwähnt, welche esterartig gebundene Schwefelsäure abspalten, so z. B. die P h e n o l s u l f a t a s e , die in Pilzen, Mollusken und bei höheren Tieren vorkommt, oder die C h o n d r o s u l f a t a s e , die bei verschiedenen Bakterien nachgewiesen wurde und die die Schwefelsäure des Chondrositonsulfats abspaltet. D. Carbohydrasen

(Vergleiche dazu den Abschnitt über die Stereochemie der Kohlehydrate.) Diese, die Kohlehydrate spaltenden Fermente müssen in zwei Gruppen eingeteilt werden.

Carbohydrasen

205

Die eine Gruppe umfaßt die Glycosidasen, d. h. die Enzyme, welche die einfachen Glycoside spalten, die andere die Polyasen, welche die höheren Kohlehydrate wie die Stärke und das Glycogen angreifen. Die Glycosidasen waren die ersten Fermente, bei denen die Bedeutung der Stereochemie für das Verständnis der enzymatischen Spaltungen klar erkannt wurde. Emil Fischer ist durch die Untersuchung der zuckerspaltenden Fermente auf das bekannte Bild von Schloß und Schlüssel geführt worden (1894): „Invertin und Emulsin haben bekanntlich manche Ähnlichkeit mit den Proteinstoffen und besitzen wie jene unzweifelhaft ein asymmetrisch gebautes Molekül. Ihre beschränkte Wirkung auf die Glucoside ließe sich also auch durch die Annahme erklären, daß nur bei ähnlichem geometrischem Bau diejenige Annäherung der Moleküle stattfinden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorgangs erforderlich ist. Um ein Bild zu gebrauchen, will ich sagen, daß Enzym und Glucosid wie Schloß und Schlüssel zueinander passen müssen, um eine chemische Wirkung aufeinander ausüben zu können."

a) H e x o s i d a s e n Die Spaltbarkeit der glycosidischen Bindung wird durch die Natur der Zucker und die Art der Bindung, a- oder /?-Glycosid, bestimmt, d. h. sie hängt sowohl von der Konstitution als auch der Konfiguration der Zucker ab. Es gibt keine zuckerspaltenden Fermente, die spezifisch auf ein besonderes Di- oder Oligosaccharid eingestellt wären. Die Spaltbarkeit wird stets durch eines der glycosidisch gebundenen Monosaccharide bestimmt. a - G l u c o s i d a s e n , M a l t a s e . Glycoside, die Glucose in der oc-Form enthalten, werden durch die a-Glucosidase hydrolysiert. Da die Maltose das wichtigste Substrat ist (Struktur vgl. S. 32), heißt das Ferment auch Maltase. Es kommt im Gerstenmalz, in der Hefe und in der Dünndarmschleimhaut vor. Für die Verdauung der Kohlehydrate hat die Maltase deshalb Bedeutung, weil durch den enzymatischen Stärkeabbau große Mengen Maltose gebildet werden. Die Maltose wird durch die a-Glucosidase des Darmes zu Glucose hydrolysiert. Dasselbe Ferment spaltet im Darm aber auch die Saccharose. Wir haben im Abschnitt über die Disaccharide darauf hingewiesen, daß in der Saccharose der Glucoserest in der «-Form vorhanden ist. Daher kann die glycosidische Bindung durch die a-Glucosidase hydrolysiert werden. Man hatte früher allgemein angenommen, daß der Rohrzucker im Darm durch ein besonderes Ferment gespalten wird. Ein solches von der Maltase verschiedenes Ferment existiert tatsächlich. Es ist die sog. Saccharase. Dieselbe kommt aber im Darm nicht vor. Über ihre Wirkungsweise siehe unten. / 3 - G l u c o s i d a s e n . Die wichtigste Quelle der /3-Glucosidase ist das Fermentgemisch, das durch Extraktion zerriebener bitterer Mandeln erhalten wird, das sog. E m u l s i n . Läßt man den Extrakt stehen, so entwickelt sich der Geruch des Benzaldehyds („Bittermandelöl"). In den Mandeln findet sich ein Glycosid, das A m y g d a l i n , welches unter der Einwirkung des Emulsins in zwei Moleküle D-Glucose, Benzaldehyd und Blausäure, zerfällt. Amygdalin ist das /?-Gentiobiosid des linksdrehenden Mandelsäurenitrils: C8H. CH-CN 0'C'12 21 0 12H21^10 Das Disaccharid Gentiobiose besteht seinerseits aus zwei in Stellung 6 /(-glycosidisch verknüpften Glucosemolekülen. Bei dieser Spaltung sind zwei Fermente beteiligt; die Reaktion geht in drei Stufen vonstatten: 1.

Amygdalin + H 2 0

1 Mol Mandelsäurenitrilglucosid (Prunasin)

Die Fermente

206 H I

0-Gluconidase

í 1 Mol Glucose Íl 11 Mol Mandelsäurenitril

2. C6H5-C—0—C9HnOs + HjO CN Mandelsäurenitrilglucosid H 3

/H C 6 H B -Ck^ o

Q JJ

QJJ

(Qxynitrllase)

(Benzaldehyd)

HCN (Blausäure)

CN

Mandelsäurenitril

Die ersten beiden Stufen werden durch dasselbe Ferment, die /5-Glucosidase katalysiert. Diese Reaktion der Amygdalinspaltung ist in zweifacher Hinsicht von Interesse: Einmal ist sie ein klassisches Beispiel für die Spezifität der Fermentwirkung; zum andern ist es gelungen, die Teilreaktionen u m z u k e h r e n . Die Synthese kleiner Mengen Amygdalin aus Prunasin und Glucose durch die /Ö-Glucosidase der Hefe war eines der ersten Beispiele enzymatischer Synthesen ( E m m e r l i n g 1901). Auch die Synthese des Mandelsäurenitrils aus HCN und Benzaldehyd durch Mandelemulsin ist gelungen ( R o s e n t h a l e r 1908). Die /?-Glucosidase findet sich auch in der Hefe, in Pilzen und Bakterien und anscheinend auch in den Organen höherer Tiere. Lactase. Dieses Ferment ist eine ß-Galactosidase. E s hydrolysiert den Milchzucker. Vorkommen u. a. im Dünndarm, im Mandelemulsin, in Milchzuckerhefen, in der Taka-Diastase, in Bakterien. ( T a k a - D i a s t a s e ist ein Präparat aus Aspergillus oryzae, das hohe Amylaseaktivität besitzt, aber noch eine Reihe anderer Enzyme enthält.) Saccharase ( = Invertin). Wir haben oben erwähnt, daß der Rohrzucker durch die a-Glucosidase gespalten wird, weil er a-glucosidisch gebundene Glucose enthält. E r wird aber noch durch ein zweites Ferment, die Saccharase, angegriffen, f ü r dessen Wirkung die Fructosehälfte des Moleküls bestimmend ist. Die Fructose ist im Rohrzucker als /?-Fructofuranosid enthalten (vgl. S. 33). Die Saccharase ist demnach eine /Ö-Fructosidase. (Sie wird vielfach /Mi-Fructosidase genannt; das h soll die Furanosestruktur der Fructose bezeichnen.) Wir haben hier einen f ü r die Spezifität der Glycosidasen äußerst aufschlußreichen Fall vorliegen, indem ein und dasselbe Substrat durch zwei verschiedene Fermente angegriffen wird. Die Affinität zum einen Ferment wird durch die a-Glucopyranosegruppe, die Affinität zum andern Ferment durch die /J-Fructofuranosegruppe bestimmt. Es gibt auch ein Trisaccharid, das die letztere Gruppe enthält, nämlich die R a f f i n o s e (vgl. S. 34), und daher durch Saccharase angegriffen wird, wobei Fructose und Melibiose gebildet werden: CH2OH !—o HO / L \ H H i/ \i J \ OH H / ! H \| j/ H ÖH

,

0

iX-Galactose

i

CH, l—O /L. \

H H i/ H \i i \ OH H / ! ho \ | H OH

Y

a-Glucose Melibiose

Saccharase

I

n

HOH„C / \ H V \ i O ! \ H HO \| OH H

Y

/5-Fructofuranose Saccharose

nTT

Carbohydrasen

207

Die Saccharase kommt in der untergärigen Hefe in großer Menge vor. Sie findet sich im übrigen nur bei Pflanzen und Mikroorganismen und scheint bei Tieren zu fehlen. Über die „Transglycosidase"-Wirkung der Glycosidasen vgl. S. 308 u. ff. b) P o l y a s e n Amylase. Dieses Ferment ist für den tierischen Organismus sehr wichtig, da es die Stärke abbaut und so für die Resorption und den Transport geeignet macht. Auch für die Pflanzen, bei denen die Stärke das wichtigste Reservekohlehydrat darstellt, ist die Amylase von großer Bedeutung. Sie ermöglicht die Verzuckerung und damit den Transport und die Nutzbarmachung der Stärke. Die Amylase oder Diastase ist dementsprechend sehr verbreitet. Sie findet sich bei den Tieren im Sekret der Bauchspeicheldrüse, bei verschiedenen Tierarten (Pflanzenfresser, Schwein, Ratte) und beim Menschen auch im Speichel. Im Speichel des Hundes fehlt sie. Bei den höheren Pflanzen sind besonders die keimenden Samen reich an Amylase (Malz!), ebenso verschiedene Pilze. Die Amylase zerlegt Stärke und ähnlich gebaute polymere Kohlehydrate. Das hauptsächlichste Produkt des Stärkeabbaus durch Amylase ist die Maltose (O'Sulliv a n 1876). Daneben findet sich stets eine größere oder kleinere Menge höhermolekularer Abbauprodukte, die sog. G r e n z d e x t r i n e . Man bezeichnet allgemein als Dextrine die bei der Hydrolyse der Stärke auftretenden Zwischenprodukte. Sie sind nicht vergärbar. Beim Abbau der Stärke verschwindet, je nach Art der verwendeten Amylase, rasch oder allmählich die Blaufärbung mit Jod. Es treten intermediär Verbindungen auf, die mit J o d violette oder rote Färbung geben („Erythrodextrine"). Neben der Maltose findet man stets auch eine kleine Menge Glucose. Es gibt zwei verschiedene Amylasen, die sich durch die Art und Weise unterscheiden, in der sie das Stärkemolekül angreifen. Die sog. „a-Amylase" kommt z. B. im Pankreassekret und im Speichel vor. Bei ihrer Einwirkung auf Stärke verschwindet die Jodreaktion rasch, d. h. sie verwandelt die Stärke rasch in Dextrine, wobei erst allmählich vergärbarer Zucker (Maltose) gebildet wird. Sie verflüssigt Kleister sehr rasch. Im Gegensatz dazu bildet die im Malz vorkommende ß-Amylase rasch Maltose. Die Zunahme der Reduktion entspricht genau der Zunahme des vergärbaren Zuckers; die blaue Jodreaktion bleibt längere Zeit bestehen. Die erste heißt daher auch „dextrinogene Amylase", die zweite „saccharogene Amylase" (Ohlsson). Die «-Amylase aus dem Pankreas des Schweines und des Menschen, die Speichelamylase und die «-Amylase des Bacillus subtilis sind kürzlich in kristallisiertem Zustand erhalten worden (K. H. Meyer). Eine kristallisierte /3-Amylase ist zuerst aus Ipomoea batatas erhalten worden ( B a l l s 1946); neuerdings ist auch die Kristallisation der ^-Amylase aus Malz geglückt (K. H. M e y e r und Mitarbeiter 1951). Bei Hydrolyse der Stärke durch a-Amylase wird die Maltose in der höher drehenden a-Form freigesetzt (daher der Name des Ferments; natürlich verwandelt sich die primär gebildete a-Form rasch ins Gleichgewichtsgemisch). Merkwürdigerweise wird durch die /S-Amylase zuerst /J-Maltose abgespalten, trotzdem die Stärke nur a-glucosidische Bindungen enthält (Kuhn); die Erklärung für diese Erscheinung steht noch aus.

Obschon nicht alle Einzelheiten der Amylasewirkung aufgeklärt sind, haben die Untersuchungen über den Verlauf der Stärkehydrolyse durch die beiden Amylasen zum folgenden Ergebnis geführt:

208

Die Fermente

Die /?-Amylase greift die Polysaccharidketten von den nicht reduzierenden Endgruppen her an, indem sie Maltosereste abspaltet:

HO

.

Endgruppe ( = Maltose)

>_o—< t

/3-Amylase

°\-o

• • • • o— c

~ V-o—/

"

o-

t

a-Amylase (beliebige innere Bindungen)

Im Innern der Kette gelegene Bindungen werden von diesem Ferment nicht hydrolysiert. (Es kann daher mit „Exopeptidasen" verglichen werden; vgl. S. 199.) Die Amylosefraktion der Stärke, die aus unverzweigten Ketten besteht (vgl. S. 36), kann unter geeigneten Bedingungen von der /?-Amylase vollständig abgebaut werden. Dagegen bleibt bei der Amylopectinfraktion, die aus stark verzweigten Ketten besteht, der Abbau an den Verzweigungsstellen stehen; der in Stellung 6 an der Verzweigungsstelle gebundene Glucoserest stellt der weiteren Fermentwirkung ein Hindernis entgegen. Der „Rumpf" des Stärkemoleküls bleibt als „Grenzdextrin" Hegen. Der Abbau des Amylopectins durch die /?-Amylase geht daher wenig weit; nur etwas mehr als die Hälfte kann hydrolysiert werden. Dieser Wirkungsmechanismus macht es auch verständlich, warum bei der ß-Amy lasewirkung die blaue Jodreaktion lang bestehenbleibt. Neben der Maltose treten hochmolekulare Spaltprodukte auf, die jedenfalls in den Anfangsstadien noch ein genügend hohes Molekulargewicht haben, um mit dem Jod die blaue Farbe zu geben. Die a-Amylase dagegen zerlegt das Stärkemolekül rasch in kleinere Bruchstücke, indem sie auch solche Bindungen hydrolysiert, die weit von den Endgruppen abliegen. (Sieist daher mit den„Endopeptidasen" zu vergleichen.) Durch «-Amyläse wird Stärkekleister rasch verflüssigt. Durch die Spaltung der Ketten im Innern werden neue Endgruppen freigelegt, welche der Wirkung der /?-Amylase zugänglich sind. Bei gleichzeitiger Einwirkung beider Amylasen geht daher der Abbau bedeutend weiter als bei Einwirkung der /j-Amylase allein. Tatsächlich kommt — z. B. in der keimenden Gerste (Malz) — neben der «- auch die /?-Amylasc vor. Beim Abbau der Amylose durch a-Amylase treten als Zwischenprodukte zunächst lineare Oligosaccharide auf: Maltotetraose (4 Glucosereste), Maltotriose, Maltose. Daneben tritt auch Glucose auf. Dieselbe entsteht aber nicht durch Hydrolyse der Maltose, denn die letztere wird von der a-Amylase nicht angegriffen. Sie wird durch Spaltung von Maltotriose gebildet. (Das Vorkommen von Glucose unter den Hydrolyseprodukten der Stärke bei Einwirkung von Speichelamylase hat fälschlicherweise zur Annahme verleitet, daß im Speichel Maltase vorhanden ist.) Nach vollständiger Hydrolyse findet man etwa 87% Maltose und 13% Glucose. Beim Abbau des Amylopectins durch a-Amylase treten hauptsächlich Maltose, daneben Isomaltose (1,6-Bindungen der Verzweigungsstellen), Glucose und verzweigte Tri- und Tetrasaccharide, aber keine hochmolekularen Grenzdextrine auf, was nach dem Wirkungsmechanismus des Ferments zu erwarten ist. E s scheint, daß auch die verzweigten Oligosaccharide schließlich vollständig bis zur Isomaltose abgebaut werden, so daß als Endprodukte nur Maltose (72%), Isomaltose (8%) und Glucose (20%) vorhanden sind 1 ).

Wir haben früher bereits erwähnt, daß die Amylase nur in Gegenwart von Cl-Ionen voll aktiv ist. Das Glycogen wird durch Amylase ebenfalls hydrolysiert; doch ist dies für die höheren Tiere von geringer Bedeutung. Das Glycogen wird im toten Muskel rasch in Milchsäure verwandelt und als solche verwertet. Der Abbau des Glycogens in den x ) Vgl. K . H. M e y e r , Helv. Chim. Acta 34, 308 (1951); kurze zusammenfassende Darstellung des Stärkeabbaus vgl. M e y e r , Zschr. Angew. Chemie 68, 153 (1951).

Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI)

209

Zellen z. B. der Leber oder des Muskels vollzieht sich nicht durch Amylasewirkung, sondern auf ganz anderem Wege durch phosphorylierende Spaltung (vgl. Kap. 14). Andere Polyasen finden sich in verschiedenen Bazillen. So baut z. B. der Bacillus macerans die Stärke zu kristallisierbaren Polyamylosen ab. Das I n u l i n wird durch die Inulase abgebaut, ein Enzym, das bei Bakterien, Schimmelpilzen, in den inulinführenden Knollen der Compositen, bei Invertebraten (Weinbergschnecke) nachgewiesen worden ist. Bei den höheren Tieren scheint das Enzym nicht vorzukommen. Cellulasen sind Enzyme, welche die Cellulose zu reduzierenden Zuckern, vorwiegend Glucose, abbauen. Möglicherweise sind an der Hydrolyse zwei Enzyme beteiligt, von denen das erste den Abbau bis zur Stufe der Cellobiose führt, während das zweite ( „ C e l l o b i a s e " = ß-Glucosidase) aus der letzteren Glucose bildet 1 ). Cellulasen sind weit verbreitet; sie kommen in Bakterien, Pilzen, den Samen höherer Pflanzen, bodenbewohnenden Amöben 2 ), in den Verdauungsdrüsen von Insekten und Mollusken vor. Besonders gut untersucht wurde die Cellulase der Weinbergschnecke ( K a r r e r 3 ) ) . Die Cellulasen spielen bei der Zerstörung des Holzes durch Mikroorganismen eine große Rolle. Chitinase spaltet das Chitin zu N-Acetylglucosamin. Das Ferment ist im Verdauungssekret der Weinbergschnecke und bei Mikroorganismen nachgewiesen worden: E s sollen hier noch zwei auf Mucopolysaccharide eingestellte Polyasen erwähnt werden: Die Hyaluronidase4) greift Hyaluronsäure und ähnlich gebaute Verbindungen an. Bei den höheren Tieren ist sie in reichlicher Menge im Hoden vorhanden; sie findet sich auch bei verschiedenen Bakterien, so z. B. in Pneumokokken. Ihre Wirkung gibt sich an der Abnahme der Viskosität der Hyaluronsäurelösungen und im Auftreten reduzierender Spaltprodukte zu erkennen. Die Hydrolyse durch das Hoden- und das Pneumokokkenferment f ü h r t zu verschiedenen Produkten. Bei Einwirkung des ersteren t r i t t als Hauptprodukt ein Tetrasaccharid und daneben in kleinerer Menge das Disaccharid Hyalobiuronsäure auf, das die kleinste Struktureinheit der Hyaluronsäure darstellt. Das Polysaccharid wird demnach an der Glucosaminidbindung gespalten (zwischen der 1-Stellung des Glucosamins und der 4-Stellung der Glucuronsäure). Beim Abbau durch Pneumokokkenhyaluronidase dagegen entsteht ein bisher unbekanntes, in der Glucuronsäurehälfte ungesättigtes Disaccharid 6 ). Es scheint, daß das zur Hydrolyse der Glycosidbindung benötigte Wassermolekül der benachbarten Glueuronsäure entzogen wird. Es ist dies die erste bekannte Spaltung dieser Art. Die Hyalobiuronsäure wird durch /S-Glucuronidase in ihre Bausteine zerlegt, während das genannte ungesättigte Disaccharid von diesem Enzym nicht angegriffen wird. Über die Bedeutung der Hyaluronidase siehe S. 626 und 654. Als Lysozym wurde von F l e m i n g ein Enzym bezeichnet, das in verschiedenen Sekreten vorkommt und die Fähigkeit zur Lysis gewisser Bakterien (z. B. Micrococcus lysodeicticus) besitzt. Die reichste Quelle ist das Hühnereiweiß, aus welchem das Ferment direkt kristallisiert erhalten werden kann. Es handelt sich um ein stark basisches Protein, dessen Struktur heute weitgehend aufgeklärt ist ( F r o m a g e o t 6 ) ) . Aus M. lysodeicticus ist ein Mucopolysaccharid isoliert worden, das vom Lysozym abgebaut wird. Bei ulcerativen Erkrankungen des Darmtrakts (Ulcus des Magens und des Duodenums, Colitis ulcerosa) ist der Lysozymgehalt des Magens und des Darmsafts stark erhöht.

6. Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI) Die nicht hydrolysierenden Fermente (Gruppen II—VI der Tabelle auf S. 188) werden in den folgenden Kapiteln bei der Behandlung des Intermediärstoffwechsels an geeigneter Stelle besprochen. Um die systematische Übersicht zu erleichtern, geben wir im folgenden eine kurze Zusammenfassung ihrer Wirkungsweise. J

) G r a s s m a n n u. Mitarb., Ann. Chem. 502, 20 (1933); 503, 67 (1933). ) T r a c e y , Nature 175, 815 (1955). ) Helv. Chim. Acta 12, 414, 989 (1929). *) Vgl. K . M e y e r , Physiol. Reviews 27, 335 (1947); J . Am. chem. Soc. 76, 1753 (1954). 5 ) K. M e y e r , Nature 174, 1192 (1954). 6 ) F r o m a g e o t u. J o l l è s , Experientia, Suppl. II, XIVm Congrès Internat, de Chimie, Zürich 1955, S. 181. Basel 1955. 2

3

14 Leuth ardt, Lehrbuch. 13. Aufl.

210

Die Fermente A. Phosphorylasen (II)

Glycosidische Bindungen sowie auch gewisse Thioesterbindungen können phosphorolytisch gespalten werden. Während bei der hydrolytischen Spaltung ein Molekül Wasser in Reaktion tritt, reagiert hier ein Molekül Phosphat; das eine Spaltstück ist daher ein Phosphorsäureester. Hydrolyse:

R—O—R'+H20

>• R — O H + H O — R '

Phosphorolyse: R — 0 — R ' + H 3 P 0 4



R— 0—P0 3 H 2 + HO—R'

Wir werden später eine Reihe von Beispielen kennenlernen; das bekannteste ist die phosphorolytische Spaltung des Glycogens (vgl. S. 297). Auch die einfachen Disaccharide werden vielfach phosphorolytisch und nicht hydrolytisch gespalten. Es entsteht dabei ein Zuckerphosphat, in welchem die Phosphorsäure am glycosidischen C-Atom des Zuckerrests gebunden ist, z. B.: Saccharose -f Phosphat

innri

Glucose-l-phosphat + Fructose.

Es wird also bei dieser Reaktion ein Zuckerrest (im obigen Beispiel die Fructose) gegen einen Phosphatrest ausgetauscht. Die Bedeutung der phosphorolytischen Spaltung gegenüber der hydrolytischen Spaltung hegt darin, daß sie in den meisten Fällen reversibel ist. Es können daher durch Phosphorylasewirkung auch glycosidische Bindungen gebildet w e r d e n , und tatsächlich ist dies der Hauptweg, auf welchem in den Zellen die Zucker untereinander oder mit anderen Stoffen verknüpft werden. B. Hydratasen (III)

Es handelt sich hier um Enzyme, die an Doppelbindungen reversibel Wasser anlagern: —CH=CH— + H 2 0

—CH2—CH(OH)—

Dazu gehören Fumarase (S. 264), Aconitase (S. 266) und Enolase (S. 290). Carboanhydrase. Dieses Ferment nimmt eine besondere Stellung ein. Es katalysiert die reversible Spaltung der Kohlensäure zu Wasser und C0 2 : H 2 C0 3

^

H20 + C02,

die zwar spontan vonstatten geht, aber, wie die genauere Untersuchung der Reaktionskinetik zeigt, für die Bedürfnisse des Organismus in vielen Fällen zu langsam verläuft. Das Ferment wurde 1932 von M e l d r u m und R o u g h t o n in Erythrocyten entdeckt, nachdem früher schon andere die Gegenwart eines Katalysators der obigen Reaktion vermutet hatten. Reine Präparate des Ferments enthalten 0,2—0,3% Zink; Abspaltung des Metalls führt zur irreversiblen Inaktivierung. Man muß also annehmen, daß das Metall ein wesentlicher Bestandteil des Fermentmoleküls ist. Molekulargewicht der reinsten bisher erhaltenen Präparate etwa 30000. Die Carboanhydrase findet sich außer in den Erythrocyten auch in der Magenschleimhaut, in den Epithelien der Nierenkanälchen und in den Kiemen der Cephalopoden. Es sind neuerdings unter den Sulfonamiden starke Hemmkörper der Carboanhydrase gefunden worden. Als besonders wirksam hat sich die Verbindung N N

II

CH 3 CO—NH-C

II

C—S0 2 NH 2

Desmolasen (IV)

211

erwiesen (als Substanz „6063" oder „Diamox" bezeichnet). Die Wirkungen, die sie im Tierkörper hervorruft, lassen sich zwanglos durch ihre Hemmwirkung auf die Carboanhydrase erklären.

Physiologische Bedeutung des Ferments siehe S. 528 und 551. C. Desmolasen (IV)

Der Ausdruck „Desmolasen" wurde ursprünglich von N e u b e r g eingeführt (griechisch Sectios, Band) zur Bezeichnung aller Fermente, die dem Abbau des Kohlenstoffgerüsts der organischen Verbindungen dienen. Er umfaßte also alle Enzyme der Oxydation und der Gärung. Wir verwenden ihn hier in einem viel eingeschränkteren Sinne für diejenigen Permente, welche C—C-Bindungen spalten. Eine wichtige Gruppe von Desmolasen sind die C0 2 -abspaltenden Enzyme, die Decarboxylascn. Die Atmungskohlensäure entsteht ausschließlich durch Decarboxylasewirkung. Substrate der Decarboxylasen sind entweder a-Ketosäuren (z. B. Brenztraubensäure) oder (vor allem bei Bakterien) auch Aminosäuren. Das klassische Beispiel für eine derartige Reaktion ist die Spaltung des Pyruvats zu Kohlensäure und Acetaldehyd in der Hefe: CH 3 -CO-COOH



CH 3 -CH0 + C 0 2 .

Das Ferment heißt Carboxylase. Als Coferment ist das Pyrophosphat des Aneurins, die Cocarboxylase, wirksam (S. 291). Meistens ist die Decarboxylierung der a-Ketosäuren aber mit einer Dehydrierung verknüpft ( o x y d a t i v e D e c a r b o x y l i e r u n g ) . Es entsteht dabei nicht der um ein C-Atom ärmere Aldehyd, sondern die entsprechende Carbonsäure, die allerdings primär nicht in freier Form auftritt, sondern zunächst als reaktionsfähiger Säurerest an ein Coferment gebunden ist (siehe unten). Anschließend kann der Säurerest entweder abgespalten werden oder er kann — eine besonders wichtige Reaktion — direkt in eine andere Verbindung eingeführt werden. Im ersten Fall verläuft die Reaktion bilanzmäßig nach folgender Gleichung (DPN = Codehydrase, s. unten): R - C 0 - C 0 0 H + H 2 0 + DPN

R - C 0 0 H + C0 2 + H 2 DPN.

Die Fermentproteine dieser Decarboxylasen wirken gleichzeitig auch als Apoferment einer Dehydrierung, d. h. sie vermögen sich gleichzeitig mit zwei verschiedenen Cofermenten zu verbinden. Als Codehydrase — das ist die Verbindung, die den Wasserstoff aufnimmt — dient das fliphosphopyridinnucleotid (abgekürzt DPN; Näheres wird im Kapitel über die biologische Oxydation und den folgenden mitgeteilt).

Einzelne Decarboxylierungsreaktionen sind reversibel, d. h. sie ermöglichen die Aufnahme von anorganischem C0 2 in die organischen Verbindungen (vgl. S. 275 u. ff.). Wahrscheinlich spielen derartige Reaktionen bei der Assimilation der Kohlensäure eine wesentliche Rolle. Die Decarboxylierung der «-Aminosäuren durch die Aminosäurcdecarboxylascn verläuft nach dem folgenden allgemeinen Schema: RCH(NH 2 )COOH

>• RCHCH 2 NH 2 + C0 2 .

Hier wirkt das Pyridoxalphosphat als Coferment (vgl. S. 381). Ein weiteres wichtiges Ferment, das C—C-Bindungen spaltet, ist die Aldolase. Sie zerlegt das Hexosediphosphat in Triosephosphat (S. 287): 24»

212

Die Fermente

H2c • 0 • P03H2

H 2 C-0P0 3 H, i

CO I H2COH

CHO HOCH HCOH I HCOH I H 2 C-0-P0 3 H 2

+

CHO I HCOH I h2coh

Wahrscheinlich gibt es verschiedene ähnlich wirkende Enzyme. Weitere Desmolasen sind die Transkctolase und die Transaldolase (S. 311). Zu der gleichen Gruppe müssen auch die Fermente gezählt werden, welche die „thioklastische" Spaltung der yS-Ketosäuren bewirken, die bei der ^-Oxydation der Fettsäuren entstehen (vgl. S. 358). D. Gruppenübertragende Fermente (V)

Es gibt eine Reihe von Fermenten, deren Funktion darin besteht, gewisse Atomgruppen von einem Molekül auf ein anderes zu übertragen. Wir haben im vorigen Abschnitt bereits auf solche Enzyme hingewiesen. Diese Fermente spielen, wie wir später im einzelnen zeigen werden, im Intermediärstoffwechsel und besonders auch bei verschiedenen synthetischen Reaktionen eine wichtige Rolle. Die gruppenübertragenden Enzyme werden vielfach auch als Pherasen oder Transferasen bezeichnet (so z. B. Aminopherase oder Aminotransferase, Phosphotransferase usw.). Am besten bekannt sind wohl die Enzyme, welche den Phosphorylrest (oder auch den Pyrophosphorylrest) zwischen zwei Molekülen verschieben, die Transphosphorylasen. In den meisten Fällen wird der Phosphatrest vom Adenosintriphosphat geliefert. Einige wichtige derartigen Reaktionen sind die folgenden: + R—OH (z. B. Hexose)

Hexosephosphat

CH

CH

C—OH

C—O—P0 3 H 2

+ II

OH

!

OH

OH

Adenosyl—O—P—O—P—O—P—OH

O

0

Adenosintriphosphat

O

(z. B. Enolpyruvat)

Phosphoenolpyruvat

/O

+

< X

(S. 289)

| OH (z. B. 3-Phosphoglycerinsäure) +

C

X

,NH 2 NH NH

I

Kreatin, Arginin

(S. 290)

I

I

Diphosphoglyoerinsäure -

/NH-P0 3 H 2 er N"H " ' (S. 630) \ n h I

Kreatin- oder Argminphosphat

Gruppenübertragende Fermente (V)

213

Die Reaktion verläuft demnach nach dem folgenden allgemeinen Schema (vereinfachte Schreibweise): Adenosyl—0—P—0—P—O-j-P—OH + H—R —•

Adenosyl—0—P—0—P—OH + HO—P—R

Man erkennt, daß sich formal auch die hydrolytische Spaltung des ATP alsTransphosphorylierung auffassen läßt, wenn man nämlich R = OH setzt. In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, daß tatsächlich unter gewissen Bedingungen auch die Phosphatasen nicht als hydrolytische Fermente, sondern als phosphat üb er t r a g e n de Enzyme wirken können, wenn nämlich ein Alkohol in hoher Konzentration zugegen ist. Ähnliche Verhältnisse findet man auch bei anderen hydrolysierenden Enzymen.

Man bezeichnet die Fermente, welche in der angegebenen Weise durch ATP andere Verbindungen phosphorylieren, gewöhnlich als Kinasen. Das bekannteste Beispiel ist die Hexokinase (vgl. S. 286). Soweit bekannt, sind die phosphatübertragenden Enzyme dissoziierende M e t a l l p r o t e i d e . Unter physiologischen Bedingungen enthalten sie wahrscheinlich Magnesium; doch können einzelne auch durch andere zweiwertige Metalle, z. B. Mangan, aktiviert werden. Das Fermentprotein dieser Enzyme muß Bindungsstellen sowohl für den Phosphatdonator als auch für den Phosphatakzeptor besitzen. Offenbar müssen die Reaktionsteilnehmer an der Oberfläche des Fermentproteins in eine solche Lage zueinander gebracht werden, daß der Phosphorylrest von einem auf den anderen übergehen kann. Für das phosphatübertragende Gärungsferment (3-Phosphoglycerinsäure-Kinase) hat B ü c h e r die Affinität der einzelnen Reaktionsteilnehmer zum Fermentprotein gemessen und auch ein mögliches Schema ihrer Bindung an das Fermentprotein angegeben1). Neuerdings sind Enzyme bekannt geworden, die unter Spaltung einer Pyrophosphatbrücke den Uridylsäure- oder Adenylsäurerest verschieben (Uridyl- und A d e n y l t r a n s ferase). Sie spielen beim Auf- und Abbau gewisser Cofermente eine Rolle. Näheres vgl. S. 305 u. 306.

Eine besondere Gruppe der Transphosphorylasen sind die Fermente, welche den Phosphatrest (scheinbar!) innerhalb des gleichen Moleküls verschieben. Sie werden gewöhnlich Mutagen genannt. Wirkungsmechanismus der Phosphoglucomutase und der Phosphoglyceromutase vgl. S. 301, Eine wichtige neue Erkenntnis liegt darin, daß viele hydrolysierende Fermente auch als gruppenübertragende Fermente wirken können. So können z. B. Glycosidasen auch Zuckerreste übertragen; sie sind gleichzeitig auch Transglycosidasen. Bedeuten R, R', R " verschiedene Mono- oder Polysaccharidreste, so kann die Reaktion folgendermaßen formuliert werden: R—O—R' + HO—R"

^

R—OH + R'—0—R" .

So werden z. B. bei Einwirkung von Invertase auf Saccharose oder von Lactase auf Lactose Oligosaccharide gebildet. Weitere Beispiele siehe S. 308. Man nimmt an, daß intermediär eine reaktionsfähige Verbindung des zu übertragenden Zuckerrestes mit dem Ferment gebildet wird. Das intermediär entstehende Glycosyl-Enzym kann nun entweder mit Wasser reagieren, wobei der Zuckerrest hydrolytisch abgespalten wird, oder es reagiert mit dem Akzeptor unter Bildung einer neuen Glycosidbindung, z. B.: ') Vgl. Biochim. Biophys. Acta 1, 292 (1947).

214

Die Fermente Saccharose + Ferment

->• Fructosyl-Ferment + Glucose

[ + H 2 0 Hydrolyse^ F r u c t o s e + F e r m e n t Fructosyl-Ferment < _ , , „ m I + Saccharose Q | fos|d —> Trisacchand + Ferment l Übertragung (Difructosylglucosid)

Ebenso sind Enzyme bekannt, welche den Zuckerrest eines Desoxyribosenucleosids auf eine andere Base übertragen können ( T r a n s - N - g l y c o s i d a s e ) (vgl. S. 459). Auch bei den Peptiden und Aminosäureestern sind Reaktionen bekannt, durch welche Aminosäurereste ausgetauscht werden. Die Reaktion verläuft nach dem folgenden allgemeinen Schema: R ' — N H - f CO—R + R"—NH 2

: : R " — N H — C O — R + R'—NH 2

oder R'—O-I-CO—R + R"—NH 2

""""

H2COH | C 0 I h 2 c • o • po 3 h 2

Phosphodioxyaceton

Weitere Enzyme dieser Gruppe sind die Hexose-isomerase und die Pentoseisomerasc. Alle setzen die Phosphorsäureester einer Aldose und einer Ketose miteinander ins Gleichgewicht. Näheres vgl. S. 288, S. 286 und S. 307. F. Fermente der Oxydo-Reduktion (VII)

Diesen Fermenten, die für den Zellstoffwechsel eine überragende Bedeutung haben, ist das Kapitel 12 gewidmet, so daß sich eine Aufzählung hier erübrigt.

Elftes Kapitel

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels In den folgenden Abschnitten des Buches werden die chemischen Umwandlungen besprochen, welchen die Nährstoffe und Zellbausteine in den Zellen unterworfen sind. Man faßt die Gesamtheit der biochemischen Reaktionen, die sich im Organismus abspielen, von der Aufnahme der Nahrungsstoffe bis zur Ausscheidung der Endprodukte gewöhnlich unter der Bezeichnung Intermediärstoffwechsel zusammen. Es sind dies die Reaktionen, durch welche der Organismus seinen Energiebedarf deckt und die für seine verschiedenartigen Funktionen nötigen Stoffe aufbaut. Die Fragen der Energiebilanz werden hier beiseite gelassen, da dieselben in den Lehrbüchern der Physiologie eingehend behandelt werden. Die in der lebenden Substanz sich abspielenden Reaktionen sind sehr verwickelt. Die meisten Umwandlungen verlaufen über eine große Zahl einzelner Stufen; die Aufgabe der biochemischen Forschung besteht zunächst darin, die komplexen Vorgänge in die Einzelreaktionen aufzulösen. Dazu ist nötig, die Verbindungen zu erfassen, die als Zwischenstufen auftreten und, da die große Mehrzahl der biochemischen Reaktionen fermentativer Natur sind, die Enzyme kennenzulernen, welche die Umwandlungen bewirken.

Die Methoden zur Erforschung des Intermedi ärstoffweehsels

217

Einzelne wichtige Reaktionsketten, wie z. B . die Milchsäurebildung im Muskel oder die sehr ähnlich verlaufende alkoholische Gärung, konnten weitgehend aufgeklärt werden; über andere sind unsere Kenntnisse noch lückenhaft. Um über die Möglichkeiten, die Zwischenstufen einer solchen Reaktion zu erfassen, ins klare zu kommen, betrachten wir ihren Verlauf unter vereinfachenden Bedingungen. Wir nehmen eine biochemische Umwandlung in einer Zelle oder einer Fermentlösung an, die von einem Stoff A (Ausgangsprodukt) über die Zwischenstufen X l t X 2 . . . usw. zum Stoff B (Endprodukt) führt; schematisch dagestellt: Die Gesamtreaktion A >- B setzt sich aus den Teilreaktionen a, b, . . . n zusammen. Wir nehmen an, A sei in so großer Menge vorhanden, daß sie während der Beobachtungsdauer nicht wesentlich vermindert wird (d. h. die Abnahme soll im Verhältnis zur vorhandenen Menge klein sein). Die Umsatzgeschwindigkeit soll der Konzentration der reagierenden Verbindungen proportional sein. Die Reaktionen können umkehrbar oder nicht umkehrbar sein. Unter diesen Bedingungen wird sich nach einer gewissen Anlaufszeit ein stationärer Zustand einstellen, in welchem die Mengen der einzelnen Zwischenprodukte konstant bleiben und in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Die Menge des Ausgangsprodukts A nimmt dann in der Zeiteinheit um einen bestimmten Betrag ab, die Menge des Endprodukts B dA

um den gleichen Betrag zu. Diese Größe -j-, die Geschwindigkeit der Gesamtredt aktion, wird, wie leicht einzusehen ist, durch die Geschwindigkeit der langsamsten Teilreaktion bestimmt. Die Menge der im stationären Zustand vorhandenen Zwischenprodukte hängt vom Verhältnis der Geschwindigkeit ihrer Entstehung zur Geschwindigkeit ihres Verbrauchs ab. Verwandelt sich ein Zwischenprodukt rascher in die nachfolgende Verbindung, als es aus der vorangehenden entsteht, so wird es nie in größerer Menge anzutreffen sein; reagiert es umgekehrt viel langsamer weiter, als es gebildet wird, so kann es sich anhäufen.

Für den Beispiel für radioaktiven zentration x

Fall, daß keine der Teilreaktionen umkehrbar ist, liefert die Physik ein ideales eine derartige Reaktionskette im stationären Zustand in den Zerfallsreihen der Elemente. Die in der Zeit dt zerfallende Menge dx ist proportional der Kondes Elements: dx = — k-x-dt, wobei die Konstante k die Geschwindigkeit des Zerfalls mißt. Für zwei aufeinanderfolgende Elemente X! und x 2 gilt: dxj = •—k 1 x 1 -dt; dx2 = —k 2 x 2 • dt. Im stationären Zustand ist dx5 = dx 2 , also gilt: :

=



.

Die Konzentrationen der einzelnen Zerfallsstufen verhalten sich im stationären Zustand also umgekehrt wie die Zerfallsgeschwindigkeiten. Dies ist für einen speziellen Fall das Gesetz, das wir oben nur qualitativ ausgesprochen haben.

Das E n d p r o d u k t einer Reaktionskette ist dadurch gekennzeichnet, daß es nicht weiter umgesetzt wird. Es muß sich also anhäufen und kann gefaßt werden. Verlaufen einzelne Teilreaktionen im Verhältnis zu den anderen langsam, so häufen sich auch die entsprechenden Zwischenstufen an. Man wird sie dann in größerer oder kleinerer Menge neben dem Endprodukt nachweisen können. (Wenn im obigen Schema z. B . die Reaktion c sehr viel langsamer verläuft als die Reaktion b, so wird sich X 2 anhäufen.)

218

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

Unter physiologischen Bedingungen wird der geschilderte stationäre Zustand der mehrstufigen Reaktionen kaum je erreicht. Er stellt einen idealen Grenzfall dar, den wir deshalb zugrunde gelegt haben, weil er die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten des Reaktionsablaufs leicht zu übersehen gestattet. Viele Teilreaktionen der biochemischen Umsetzungen verlaufen so rasch, daß die Zwischenprodukte immer nur in verschwindend kleiner Konzentration vorhanden sind und dem direkten Nachweis entgehen. In einzelnen Fällen gelingt es, sie dadurch anzureichern, daß man die Kette der Reaktionen bei einem bestimmten Glied unterbricht. Dieses Glied, vorher Zwischenprodukt, wird nun zum Endglied der verkürzten Reaktionskette und muß sich also anhäufen. Die Unterbrechung der Kette kann auf zwei Arten geschehen, entweder dadurch, daß man die fragliche Zwischenstufe in eine Verbindung überführt, die nicht weiterreagieren kann, d. h. sie a b f ä n g t , oder indem man d a s F e r m e n t b l o c k i e r t , welches die weitere Umwandlung des Zwischenproduktes bewirkt. Das bestbekannte Beispiel für das erste Verfahren ( A b f a n g v e r f a h r e n ) ist der Nachweis des Acetaldehyds bei der alkoholischen Gärung. Acetaldehyd tritt als Zwischenprodukt auf, wird aber rasch zu Äthylalkohol reduziert (vgl. S. 291). Setzt man aber dem Gäransatz Sulfit zu, so wird der Aldehyd in seine Sulfitverbindung übergeführt, die nicht reduziert werden kann:

H

H

I

ch3—c=o+h2so3

I /OH

ch3— c Cytochrom c ..._». Cytochrom a Atmungsferment > 02

Die Annahme dieser Reihenfolge steht mit der Erfahrung nicht in Widerspruch. Es scheint aber, daß der Wasserstoff vieler Donatoren direkt mit dem Cytochrom c reagiert. Wir werden auf diese Frage bei Besprechung der Atmungskette zurückkommen.

Katalase und Peroxydasen (Hydroperoxydasen)

237

C. Katalase und Peroxydasen (Hydroperoxydasen)

Als Katalase wird ein Enzym bezeichnet, das Wasserstoffsuperoxyd in Wasser und Sauerstoff zerlegt. Peroxydasen sind Enzyme, welche den Sauerstoff von Peroxyden auf Akzeptoren, z. B. Phenole, übertragen. Historisch ist interessant, daß bereits T h e n a r d , der Entdecker des Wasserstoffsuperoxyds, seine Zersetzung durch Fibrin und tierische Gewebe kannte. Die Reaktion hat bei der Entwicklung des Fermentbegriffs eine große Rolle gespielt. Der Name stammt von 0 . L o e w (1901). Die Peroxydasereaktion — Bläuung von Guajaktinktur durch Wasserstoffsuperoxyd, wenn tierische oder pflanzliche Gewebe zugesetzt werden — wurde von S c h ö n l e i n 1855 beschrieben. Der Name wurde von L i n o s s i e r (1898) vorgeschlagen.

Die beiden Permente sind, was ihre chemische Natur und ihren Wirkungsmechanismus betrifft, einander sehr ähnlich. T h e o r e l l hat sie daher unter dem Namen Hydroperoxydasen zusammengefaßt. Die K a t a l a s e ist sehr weit verbreitet. Von den tierischen Organen zeigt besonders die Leber eine hohe Katalaseaktivität. Die Leberkatalase ist in kristallisiertem Zustand hergestellt worden ( S u m n e r und D o u n c e ) . Sie ist ein Häminferment, dessen Wirkungsgruppe das Protohämin ist. Molekulargewicht etwa 240000, Eisengehalt 0,09% entsprechend 4 Eisenatomen, also 4 Hämingruppen pro Molekül. Man hat reine Katalase auch aus Erythrocyten und der Niere dargestellt. In Präparaten von Leberkatalase hat man neben dem Protohämin eine zweite, blaugrüne prosthetische Gruppe gefunden; es handelt sich um Biliverdin. Nach T h e o r e l l ist dieser Farbstoff aber ein während der Aufarbeitung entstandener Artefakt.

Unter den P e r o x y d a s e n ist die M e e r r e t t i c h p e r o x y d a s e die bekannteste. Bereits W i l l s t ä t t e r hatte versucht, das Ferment zu isolieren, doch gelang seine Reindarstellung erst in neuerer Zeit. Das von T h e o r e i l kristallisierte Enzym hat ein Molekulargewicht von 44000. Die prosthetische Gruppe ist Protohämatin; sie ist im Vergleich zu anderen Hämoproteiden verhältnismäßig locker gebunden. Es gelingt, durch Behandlung mit salzsaurem Aceton die Peroxydase reversibel in Protein und Protohämatin zu spalten, d. h. das Permentprotein kann wieder mit der prosthetischen Gruppe zum wirksamen Enzym vereinigt werden (Theorell). Es ist sogar möglich, auf diese Weise andere Hämine einzuführen und dadurch künstliche Peroxydasen herzustellen. Dieselben weisen, je nach Art des Hämins, eine beträchtliche Aktivität auf (20 bis 60% des natürlichen Ferments). Die sog. Cytochrom c-Peroxydase ( A l t s c h u l , A b r a m s und H o g n e s s ) aus Hefe enthält ebenfalls Protohämatin. Sie oxydiert bei Gegenwart von H 2 0 2 die Ferroform des Cytochroms c (s. unten). Außerdem kennt man Peroxydasen, die vom Protohämatin verschiedene, g r ü n e Hämine enthalten, deren chemische Konstitution noch unbekannt ist. In der Milch kommt die Lactoperoxydase vor (Elliot). Das Ferment konnte kristallisiert werden (Theorell), Molekulargewicht 93000; das Enzym enthält eine Hämingruppe pro Molekül. Aus Leukocyten (Eiter) ist die Mycloperoxydase (oder Verdoperoxydase) isoliert worden (Agner). Das Enzym scheint in den eosinophilen Granula lokalisiert zu sein; in den Lymphocyten ist es nicht vorhanden. Außer den eigentlichen Hydroperoxydasen weisen alle möglichen anderen Häminverbindungen, wie z. B. der Blutfarbstoff und seine Derivate, eine gewisse Katalase- und Peroxydasewirkung auf, die allerdings verglichen mit derjenigen der genannten Enzyme meist nur sehr schwach ist. Man bezeichnet diese unspezifische Reaktion vielfach als „pseud o p e r o x y d a t i s c h " . Auf ihr beruhen verschiedene Nachweisreaktionen des Blutfarbstoffes (vgl. S. 619).

Zur Bestimmung der Peroxydasewirkung kann die P u r p u r o g a l l i n r e k a t i o n benutzt werden. Sie beruht auf der Oxydation des Pyrogallols (1,2,3-Trioxybenzol) zum Purpurogallin durch H 2 0 2 , die durch das Enzym katalysiert wird.

Die biologische Oxydation

238

Die Hydroperoxydasen, sowohl die verschiedenen Peroxydasen als auch die Katalase, vermögen bei Gegenwart von Peroxyden andere Verbindungen zu oxydieren. Die Oxydation durch die Katalase scheint sich auf primäre und sekundäre Alkohole zu beschränken, während die Peroxydasen mit allen möglichen Stoffen, aromatischen Aminen, Phenolen, Leukofarbstoffen, Dienolen vom Typus der Dioxymaleinsäure usw., zu reagieren vermögen. Die Katalase gehört zu den wirksamsten Enzymen, die wir überhaupt kennen. Die Wechselzahl bei der Zerstörung des Wasserstoffsuperoxyds beträgt mehrere Millionen. Neuere Untersuchungen — hauptsächlich von T h e o r e l l und von Br. C h a n c e — haben gezeigt, daß der Katalase- und der Peroxydasewirkung der gleiche Mechanismus zugrunde liegt, der aber im Gegensatz zu den Cytochromen nicht auf einem Valenzwechsel des Eisens beruht; das Eisen bleibt vielmehr immer d r e i w e r t i g . Das Enzym bildet zunächst mit einem Molekül H 2 0 2 eine Additionsverbindung (wobei sich das H 2 0 2 an das Ferrieisen anlagert). Dieser Komplex reagiert nun unter Zerfall mit einem oxydierbaren Molekül ( = Akzeptor). Wenn wir das Enzym mit E, den Akzeptor mit AH 2 und sein Oxydationsprodukt (das aus ihm durch eine Dehydrierung entsteht) mit A bezeichnen, so lassen sich diese Reaktionen folgendermaßen formulieren: (1) (2)

E + 02H2 E • 0 2 H 2 + AH 2

• E • 0aH2 • E + 2H20 + A

Die Katalasereaktion unterscheidet sich nun von der eben angeschriebenen Peroxydasereaktion nur dadurch, daß ein zweites Molekül Peroxyd als Akzeptor mit dem primären Enzym-Peroxyd-Komplex reagiert: (3)

E • 02H2 + 02H2

v E + 2H,0 + 02

Die Gleichungen (2) und (3) stellen analoge Vorgänge dar. Die Bildung der Komplexe zwischen Enzym und Peroxyd ist eine außerordentlich rasch verlaufende Reaktion, die sich spektroskopisch verfolgen läßt, weil die Komplexe charakteristische Absorptionsspektren zeigen. Das Primärprodukt der Addition ist eine grüne Verbindung, die sich sekundär in eine rote Verbindung umwandelt. Bei den Peroxydasen stellt die letztere den katalytisch aktiven Komplex dar, welcher nach Gleichung (2) reagiert, während bei der Katalase beide Komplexe beteiligt zu sein scheinen. Über ihre Natur ist nichts Sicheres bekannt. Zum Nachweis dieser labilen Verbindungen und zur Aufklärung ihrer Reaktionskinetik mußten besondere Methoden entwickelt werden, welche die spektroskopische Verfolgung sehr rasch ablaufender Vorgänge ermöglichen (Br. C h a n c e 1 ) ) .

Die physiologische Funktion der Hydroperoxydasen beruht wahrscheinlich darin» das im Zellstoffwechsel entstehende Wasserstoffsuperoxyd (vgl. S. 246) zu zerstörenOb die Katalase in der Zelle aus dem Wasserstoffsuperoxyd den Sauerstoff abspaltet oder ihn als Peroxydase auf andere Verbindungen überträgt, hängt, wie auf Grund der oben angegebenen Reaktionsgleichungen leicht verständlich ist, von der H 2 0 2 -Konzentration im Verhältnis zur Konzentration der vorhandenen oxydierbaren Verbindungen ab. Da die letzteren unter physiologischen Bedingungen wohl stets in großem Überschuß vorhanden sind, dürfte im Zellmilieu auch die Katalase immer als Peroxydase wirksam sein ( T h e o r e i l ) . Es liegt hier die merkwürdige Situation vor, daß bei einem Enzym die am leichtesten zu beobachtende Wirkung, 1 ) Vgl. z. B. Br. C h a n c e , in S u m n e r u. M y r b a e k : The Enzymes. Vol.11, Kap. 56 C, S. 428. Science 120, 767 (1954); The Harvey Lectures 1953/54, Series X L I X , S. 145. New York 1954.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe

239

die zudem mit sehr hoher Geschwindigkeit abläuft, unter physiologischen Bedingungen wahrscheinlich gar keine Rolle spielt 1 ). Die verschiedenen Häminproteide unterscheiden sich also sowohl durch ihr H ä m als auch durch ihre Proteine. Das Protohäm findet sich im Hämoglobin, im Myoglobin, im Cytochrom c, in der Leberkatalase und in der Meerrettichperoxydase. Die Natur der übrigen Hämine (Atmungsferment, Cytochrom a und b, Verdoperoxydase) ist noch nicht mit Sicherheit bekannt. E3 ist eine interessante Tatsache, daß das gleiche Häm, das Protohäm, so verschiedenartige Funktionen erfüllen kann, je nach dem Protein, mit dem es verbunden ist. Im Hämoglobin hat es keine katalytischen Eigenschaften, vermag aber 0 2 reversibel zu addieren; das Eisen bleibt dauernd zweiwertig. In den übrigen Proteiden wirkt es katalytisch. Im Cytochrom c oszilliert das Eisen dabei zwischen dem zwei- und dreiwertigen Zustand, in der Peroxydase und Katalase verweilt es wahrscheinlich dauernd im dreiwertigen Zustand. T h e o r e i l b e n ü t z t das folgende anschauliche Bild: „Man wird beim Arbeiten auf diesem Gebiet tief davon beeindruckt, in welchem Maße die Eiweißkörper die prosthetischen Gruppen beherrschen, etwa wie ein Virtuose sein Instrument beherrscht. Aus dem Protohämin macht das Eiweiß einmal Hämoglobin, ein anderes Mal Cytochrom, eine Katalase oder eine Peroxydase. Andererseits kann das Eiweiß auch auf verschiedenen Instrumenten dieselbe Melodie spielen, so bei den Peroxydasen, die ungefähr die gleiche Wirkung haben, trotzdem die Hämine verschieden sind. Jedoch ist das Eiweiß schließlich an die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments gebunden. Ebenso wenig wie man ein Klavierkonzert auf der Flöte spielen kann, ebenso wenig kann das Eiweiß mit dem Hämin zusammen z. B. eine Decarboxvlase bilden. Auf alle Fälle erblicken wir in dem Zusammenspiel zwischen Eiweiß und Häminen ein schönes Beispiel der ungeheuer fein differenzierten Tätigkeit der Eiweißkörper im biologischen Geschehen."

2. Die wasserstoffübertragenden Fermente A. Die Dehydrierung der organischen Stoffe Die bisher besprochenen Erscheinungen betreffen die Reaktion des Sauerstoffs mit der lebenden Substanz und die katalytische Wirkung des Eisens. Der Sauerstoff oxydiert komplex gebundenes Ferroeisen zu Ferrieisen; aber er reagiert nicht direkt mit den organischen Stoffen der Zelle. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß aber auch das Cytochromeisen nicht unmittelbar auf die oxydablen Nährstoffe (Kohlehydrate, Fette usw ) einwirkt; im allgemeinen sind zwischen das Cytochrom und diese Substrate noch weitere Redoxsysteme eingeschaltet, deren Natur und Wirkung wir nun besprechen müssen. I n der allgemeinen Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß nach allen heute vorliegenden Erfahrungen die Oxydation der organischen Substanzen in der Zelle primär immer mit einer Dehydrierung beginnt. Der Eintritt von Sauerstoff in die Moleküle erfolgt durch Anlagerung von Wasser. Diese Auffassung der biologischen Oxydation wurde vor allem durch die Arbeiten von H. W i e l a n d gefördert, der als erster die große allgemeine Bedeutung der Wasserstoffverschiebung für die biochemischen Vorgänge erkannt hat. Die W i e l a n d s c h e Theorie der biologischen Oxydation in ihrer ursprünglichen Form nahm an, daß der Wasserstoff der organischen Verbindungen durch die „Oxydasen" der Zelle aktiviert, d. h. reaktionsfähig gemacht wird. Er soll dadurch befähigt werden, auf den molekularen Sauerstoff überzugehen, wobei die organische Verbindung dehydiert wird. Wasserstoff und Sauerstoff bilden zusammen zunächst Wasserstoffsuperoxyd, das aber durch die Katalase rasch gespalten wird. Man kann diese Vorstellung in die folgenden beiden Gleichungen zusammenfassen: 2 ) Anscheinend existieren bei Bakterien (Streptokokken) auch Peroxydasen, die nicht ein Hämin, sondern Flavin als prosthetische Gruppe enthalten. Vgl. D o l i n , Arch. Biochem. Biophys. 55, 415 (1955).

Die biologische Oxydation

240

dehydriertes Substrat

Substrat XHj + 0 2 H2Q2

Oxydase^ —Katalase—^

Bilanz: XH2 + i/202



x

^

+ +

^Q

X + H20

Der Grundgedanke dieser Theorie besteht darin, daß die Oxydationsfermente den Wasserstoff der Substrate reaktionsfähig machen und daß der aktivierte Wasserstoff spontan mit dem Luftsauerstoff reagiert. Die erste Annahme ist richtig; der Wasserstoff der Substrate wird durch bestimmte Fermente, die Dehydrasen, aktiviert. Die zweite Annahme ist unzutreffend; der aktivierte Wasserstoff reagiert nicht direkt mit dem Luftsauerstoff, sondern er wird von bestimmten Verbindungen, den Cofermenten der Zelloxydation, aufgenommen. Nur in Ausnahmefällen werden die hydrierten Cofermente durch den molekularen Sauerstoff unter Bildung von H 2 0 2 oxydiert. Sie reagieren in der Regel mit den eisenhaltigen Fermenten, die wir oben besprochen haben; anders ausgedrückt, sie werden durch den am Eisen des Atmungsfermentes aktivierten Sauerstoff oxydiert. Während langer Jahre wurden die beiden Vorstellungen „aktivierter Substratwasserstoff" einerseits, „aktivierter Sauerstoff" andererseits als sich ausschließend einander gegenübergestellt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß sie sich ergänzen, wenn man die Annahme einer direkten Reaktion des aktivierten Wasserstoffs mit dem Luftsauerstoff fallen läßt. Den Schlüssel für die Lösung des Problems bildet die Entdeckung der wasserstoffübertragenden Cofermente. Bevor wir auf dieselbe eingehen, müssen wir noch kurz die wichtigsten Tatsachen erwähnen, die zur Annahme einer Dehydrierung geführt haben. Am besten läßt sich die „sauerstofflose Oxydation" mit Hilfe von Redoxfarbstoffen sichtbar machen, die bei der Reduktion entfärbt werden. Sehr gut eignet sich dazu Methylenblau, dessen reduzierte Stufe („Leukofarbstoff") farblos ist:

/ W / s (CH3)2N/ ^

NS'

+ 2H

\N(CH 3 ) 2

(CH3).

farblos

Bringt man das Substrat bei Gegenwart des Katalysators mit Farbstoff unter Sauerstoffausschluß zusammen, so wird der Farbstoff entfärbt, weil er den Wasserstoff des Substrats aufnimmt: Substrat -f- Farbstoff

> dehydriertes Substrat + Leukofarbstoff.

Mit dieser Technik hat besonders T h u n b e r g das Vorhandensein von Fermenten in den Geweben nachgewiesen, die bei Sauerstoffabschluß alle möglichen Substrate zu dehydrieren vermögen (z. B. Bernsteinsäure, Milchsäure, Oxybuttersäure, Äpfelsäure, Citronensäure, Glutaminsäure). Diese Fermente werden Dehydrogenasen oder kürzer Dehydrasen genannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Dehydrierung der Bernsteinsäure durch die weitverbreitete Succinodehydrase. Bernsteinsäure steigert den 0 2 -Verbrauch von zerkleinertem, gut ausgewaschenem Muskelgewebe. Das Produkt der Oxydation

241

Die Dehydrierung der organischen Stoffe

ist Fumarsäure. Man erhalt aber dieselbe Oxydation, wenn man unter Luftabschluß und bei Gegenwart von Methylenblau arbeitet. In diesem Fall wird Methylenblau auf Kosten der Bernsteinsäure hydriert: COOH I OHj | -+- Methylenblau OHj ¿OOH Bernsteinsäure

COOH i CH —• || + Leukomethylenblau CH COOH Fumarsäure

Die Oxydation der Alkohole zu Aldehyden und weiter zu Carbonsäuren läßt sich ebenfalls als Dehydrierung auffassen; z. B.: H 1 / CH 3 -C
R

CH« -C-S

+ co 2

>

APP

O R + HS-CoA

>R + DPN

CH.—C—S—CoA +

HS

\ R

- s /

>R + DPNH

Die eingeklammerte Verbindung stellt das hypothetische Zwischenprodukt der Reaktion des Pyruvats mit dem Aneurinpyrophosphat dar (über eine mögliche Formulierung vgl. S. 763). Daraus bildet sich zuerst eine S-Acetylverbindung der reduzierten Liponsäure, deren Acetylrest anschließend (durch eine Liponsäure-Transacetylase) auf das Coenzym A übertragen wird. Durch die folgende Oxydation der Dithiolform zum Disulfid wird der Cyklus geschlossen 3 ). ') J. Am. ehem. Soc. 74, 3455 (1952). ") G u n s a l u s , Fed. Proe. 13, 715 (1954V 8 ) Näheres vgl. G u n s a l u s , 1. c.; Ochoa, Adv. Enzymol. 16, 183 (1954).

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

271

Nach anderen Untersuchungen (Reed und D e B u s k ) i s t das eigenthche Coferment der Decarboxylierung eine Verbindung der Liponsäure mit dem Aneurinpyrophosphat (die erstere vermutlich säureamidartig an die Aminogruppe des Aneurins gebunden, daher L i p o t h i a m i d ) . Es konnte eine Mutante von Escherichia coli gewonnen werden, welche aus a-Liponsäure und Aneurin kein Lipothiamid bilden kann. Ein Fermentextrakt aus diesem Organismus kann Pyruvat weder mit Cocarboxylase allein noch mit Liponsäure allein oxydieren. Dies ist nur bei Zusatz des Lipothiamids möglich. R e e d und De B u s k stellen ein Reaktionsschema auf, das sich in seinen wesentlichen Zügen mit dem obigen deckt. In bezug auf die Natur des Coferments und die Interpretation der experimentellen Befunde scheinen z. Z. noch Unsicherheiten zu bestehen (vgl. O c h o a , 1. c.). Da die Liponsäure wie auch das Lipothiamid in den tierischen Geweben vorkommen (die kristallisierte Liponsäure wurde aus Leber dargestellt) 2 ), ist anzunehmen, daß in den tierischen Zellen die Oxydation des Pyruvats ebenfalls von diesem Wirkstoff abhängig ist und ähnlich verläuft wie bei den bisher untersuchten Bakterien. Wahrscheinlich verläuft auch die o x y d a t i v e D e c a r b o x y l i e r u n g d e r a - K e t o g l u t a r s ä u r e in gleicher Weise. Versuche mit löslichen Permenten aus Herzmuskel zeigen, daß die Reaktion Coenzym A-abhängig ist und daß offenbar intermediär die Succinylverbindung des Coenzyms COOHCH2CH2CO• S- CoÄ gebildet wird 3 ). Man kann also die Reaktion folgendermaßen formulieren: a-Ketoglutarat + CoA + [DPN]

Succinyl—CoA + COa + DPNH + H+.

Die Decarboxylierung des a-Ketoglutarats ist mit einer Phosphorylierung gekoppelt. Es lassen sich aus Herzmuskel Enzympräparate darstellen, welche imstande sind, bei Gegenwart von Ketoglutarat, Coenzym A und ATP anorganisches Phosphat in organische Bindung (Glucosephosphat) überzuführen, wobei Succinyl-Coenzym A nach folgender Gleichung reagiert 4 ): Succinyl—CoA + ADP + Phosphat

>• Succinat + ATP + CoA.

Es hat sich neuerdings aber gezeigt, daß der primäre Phosphatakzeptor nicht ADP sondern das entsprechende Derivat des Guanins, das G u a n o s i n d i p h o s p h a t , ist 5 ). Die Reaktion verläuft in zwei Stufen. Ein erstes Enzym katalysiert die phosphorylierende Spaltung des Succinyl-CoA; das anorganische Phosphat wird dabei vom Guanosindiphosphat (GDP) aufgenommen: Succinyl—CoA + GDP + Phosphat • Succinat + CoA + GTP. Ein zweites Enzym überträgt den Phosphatrest vom Guanosintriphosphat auf das ADP: GTP + ADP

• GDP + ATP.

Als Summe der beiden Gleichungen ergibt sich die oben angeschriebene Reaktion. Der aktivierte Succinylrest kann ähnlich wie der Acetvlrest auf Sulfanilamide übertragen werden 6 ). Das Succinyl-CoA kann auch hydrolytisch durch eine Desacylase gespalten werden. Neuerdings hat sich auch die Abhängigkeit der Ketoglutarsäureoxydation vom Lipothiamid nachweisen lassen ( R e e d und De Busk), und man kann daher die analoge Reaktionsfolge annehmen wie beim Pyruvat, nämlich eine primäre Bildung des Succinylthioesters der reduzierten Liponsäure. Wenn außer dem Coenzym A auch Adenosintriphosphat zugegen ist, kann auch Acetat mit Oxalacetat unter Bildung von Citrat reagieren. Bei Gegenwart von ATP kann die freie Essigsäure aktiviert, d. h. in Acetyl—CoA übergeführt werden. Über den Mechanismus dieser Reaktion vgl. S. 501. Über Acyloinbildung aus Pyruvat vgl. S. 296. Wie bereits erwähnt, bildet sich das Acetylphosphat bei den Bakterien nicht direkt durch phosphorylierende Spaltung des Pyruvats. Vielmehr erfolgt zuerst die mit der Decarboxylierung !) J . Am. ehem. Soc.75,1261 (1953); Physiol. Reviews33,544 (1953); Fed. Proc.13,723 (1954). 2 ) R e e d u. Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 76, 1267 (1953). -) K a u f m a n ; G r e e n in M c E l r o y u. G l a s s : Phosphorus metabolism. Vol. I, S. 370, 330 (1951). 4 ) K a u f m a n , Fed. Proc. 12, 704 (1953); vgl. auch Ann. Rev. Biochem. 21, 578 (1952). 6 ) S a n a d i u. Mitarb., Biochim. Biophvs. Acta 14, 434 (1954). «) S a n a d i u. L i t t l e f i e l d , J . biol. Chem. 193, 683 (1951).

Die Oxydation der Kohlenstoffketten ; der Citronensäurecyklus

272

des Pyruvats gekoppelte Acetylierung des Coferments und anschließend die Übertragung des Acylrests auf das Phosphat durch eine besondere „Transacetylase" (vgl. S. 503). Kondensation der aktivierten Essigsäure mit dem Oxalacetat. Die Bildung des Citrats erfolgt durch Reaktion des acetylierten Coenzyms A (d. h. der aktivierten Essigsäure) mit dem Oxalacetat: COOH i CoÄ—S—COCHj + C = 0 ^ | CH2 I COOH Oxalessigsäure

-

CoÄ—SB

+

(JOOH | /OH C< | \CHjCOOH CH2 ! COOH Citronensäure

E s handelt sich hier allerdings nicht u m eine Acetylierung im gewöhnlichen Sinne; der Acetylrest reagiert vielmehr mit seiner Methylgruppe. Das kondensierende Ferment ist kürzlich im kristallisierten Zustand aus Schweineherz dargestellt worden („condensing enzyme", O c h o a u n d Mitarb.). D a s Gleichgewicht dieser reversiblen Reaktion liegt stark zugunsten des Citrats 1 ). Man kann demnach die Bildung des Citrats aus Pyruvat und Oxalacetat in die beiden folgenden Stufen zerlegen: 1. oxydative Decarboxylierung des Pyruvats unter Bildung v o n aktivierter Essigsäure, wobei D P N als Wasserstoffakzeptor wirkt: Pyruvat + [CoA]- SH + [DPN]



Acetyl-S- [CoA] + COa + [DPN]H + H+

2. Kondensation der aktivierten Essigsäure mit Oxalacetat: Bilanz:

Acetyl-S - [CoA] + Oxalacetat + Pyruvat + Oxalacetat + [DPN]

• •

Citrat + [CoA] - SH

Citrat + C0 2 + [DPN]H + H+

Durch die Kondensation der aktivierten Essigsäure mit der Oxalessigsäure entsteht eine Tricarbonsäure. Da die drei in Frage kommenden Säuren — Citronensäure, Isocitronensäure, cis-Aconitsäure — miteinander im Gleichgewicht stehen (vgl. S. 266), kann nicht ohne weiteres gesagt werden, welche primär gebildet wird. Aus Isotopenversuchen, auf die wir im einzelnen hier nicht eingehen können, glaubte man, schließen zu müssen, daß die cis-Aconitsäure das erste Produkt der Kondensation darstelle. Doch haben neuere Versuche zum Resultat geführt, daß die ursprüngliche Annahme richtig ist, nach der zuerst Citronensäure gebildet wird 2 ). Nachdem der Verlauf der Reaktion völlig aufgeklärt ist, kann daran kein Zweifel mehr bestehen. H e m m u n g d e r C i t r a t o x y d a t i o n d u r c h F l u o r a c e t a t . Ein interessanter Hemmkörper des Citronensäurecyklus ist neuerdings im Flucracetat (FCH 2 COOH) gefunden worden. Dieser Stoff hemmt die Oxydation des Citrats in spezifischer Weise ( P e t e r s , M a r t i u s ) . Bei Tieren, die mit diesem Stoff vergiftet worden sind, findet man eine starke Anhäufung von Citrat in verschiedenen Organen (im Gehirn auf das lOfache, im Herzen auf das 20fache, in der Niere auf das 80fache des Normalwerts, keine nennenswerte Anhäufung in der Leber) ( P e t e r s , P o t t e r u. a.). Das Fluoracetat wird, wie P e t e r s und Mitarb. gezeigt haben, in den Mitochondrien in das Monofluorderivat einer Tricarbonsäure übergeführt, das isoliert werden konnte und welches die Aconitase und damit die Oxydation des Citrats kompetitiv hemmt. Der Hemmkörper ist außerordentlich wirksam (5—6 y verhindern das Verschwinden von 10 Mikromol Citrat). Es liegt hier der sehr interessante Fall vor, daß ein stark toxischer Stoff aus einem nicht oder jedenfalls viel weniger toxischen, dem Fluoracetat im Körper selbst gebildet wird („lethale Synthese") 3 ). ») Vgl. J . biol. Chem. 193, 703 (1951); 198, 313 (1952). ) Vgl. P o t t e r u. H e i d e l b e r g e r , Nature 164, 180 (1949). •) Vgl. z. B. P e t e r s , Brit. Med. Bull. 9, 116 (1953).

a

273

Die Oxydation des Pyruvate durch den Citronensäurecyklus

Die Reaktionen, die von der Citronensäure weiterführen, wurden oben bereits besprochen. Das Schema auf S.263 zeigt, wie sie sich zum Cyklus zusammenschließen. Es zeigt die Zwischenstufen, die bei der Pyruvatoxydation auftreten. Zusammenhang zwischen Citronensäurecyklus und Atmungskette. Jede Dehydrierung, die im Verlauf des Citronensäurecyklus eintritt, ist der Ausgangspunkt einer Atmungskette. Wir haben bei Besprechung der Einzelreaktionen bereits die Natur der Wasserstoffakzeptoren erwähnt, die an den verschiedenen Dehydrierungen beteiligt sind. Die Brenztraubensäure reagiert mit dem DPN, die Isocitronensäure mit dem DPN oder dem TPN und die Äpfelsäure ebenfalls mit dem DPN oder dem TPN. Bei der Succinodehydrase ist der primäre Wasserstoffakzeptor, wie schon früher erwähnt wurde, nicht mit Sicherheit bekannt. Das folgende Schema gibt einen Überblick über die am Citronensäurecyklus beteiligten Wasserstoffüberträger: Atmungskette

Pyruvat

coX

. DPN

2H

-,

|

|

aktiviertes Acetat + Oxalacetat Citrat—Isocitrat C0 2 ^

/"'

2 11

_

: L \

:

|

a-Ketoglutarat / ;

COj^

—j j

DPN -

1

j T

Succinat

I

Flavin" ^ T " Phyllochinon

> chrome Ä .

t

-

t Z ferment

-2~?~.

i

Fumarat—Malat i

! I I

DPN TPN

Oxalaoetat

Das obige Schema läßt einen Aspekt der Oxydationsvorgänge hervortreten, der später bei Betrachtung der Phosphorylierungen als Mittel der energetischen Koppelung von Bedeutung sein wird. Die Substrate durchlaufen eine Reaktionskette (oder einen Reaktionscyklus), in deren Verlauf ihr Kohlenstoffgerüst zu C0 2 oxydiert wird. Man kann diese Reihe als „ S u b s t r a t k e t t e " bezeichnen. Bei jeder Oxydationsstufe wird der Wasserstoff durch einen Akzeptor aufgenommen und über eine Reihe von Wasserstoffüberträgern und Häminfermenten schließlich zu Wasser oxydiert. Das ist die oben ausführlich besprochene A t m u n g s k e t t e . Wir werden später sehen, daß der größte Teil des Abfalls des chemischen Potentials, welcher 18 Leuthardt, Lehrbuch. 13.Aufl.

274

Die Oxydation der Kohlenstoff ketten ; der Citronensäurecyklus

mit der Oxydation der organischen Substrate verknüpft ist, auf die Oxydation der hydrierten Cofermente fällt. Da die Substrate ihren Wasserstoff mit Hilfe der spezifischen Dehydrasen auf die gleichen Cofermente (meistens DPN und TPN) übertragen können, vermag die Zelle durch ein und denselben Reaktionsmechanismus die chemische Energie einer großen Zahl verschiedenartiger Substrate auszunützen. Wie wir bereits bei der Besprechung der Atmungskette erwähnt haben, ist das Fermentsystem des Citronensäurecyklus in den Mitochondrien lokalisiert. Für die Gesamtheit dieser Enzyme, die offenbar einen organisierten Komplex bilden, hat D. E. Green den Namen C y c l o p h o r a s e vorgeschlagen.

Die B e d e u t u n g der D i c a r b o n s ä u r e n für die Z e l l a t m u n g Schon vor der Aufstellung des Citronensäurecyklus hatte S z e n t - G y ö r g y i die Entdeckung gemacht, daß die Dicarbonsäuren (Bernstein-, Fumar-, Äpfelsäure) die Atmung von zerkleinertem Muskelgewebe stark steigern 1 ). E r nahm an, daß das System Äpfelsäure—Oxalessigsäure als Wasserstoffüberträger wirksam ist. Oxalessigsäure würde demnach durch den Wasserstoff der oxydierbaren Substrate zu Äpfelsäure reduziert, die letztere (durch das Codehydrase-CytochromSystem) wieder zu Oxalessigsäure oxydiert.

Substrat

2H



Äpfelsäure -f t 2H j I — -+ [Cytochromsystem]

* O

Oxalessigsäure Tatsächlich wird im Muskelgewebe, welches Kohlehydrat oxydiert (also unter aeroben Bedingungen!), bei Gegenwart von Oxalacetat Malat gebildet; es wird also gemäß dem obigen Schema Wasserstoff von Zwischenstufen des Kohlehydratabbaus auf das Oxalacetat übertragen ( S z e n t - G y ö r g y i , P a r n a s ) . Der Muskel besitzt also die Fähigkeit, Oxalessigsäure auf Kosten anderer organischer Substrate, sogar bei Gegenwart von Sauerstoff, zu Äpfelsäure zu reduzieren. Es hat sich später gezeigt, daß gewisse Zwischenstufen des Citronensäurecyklus im zerkleinerten Muskel auch a n a e r o b verlaufen können, wenn Oxalacetat im Überschuß vorhanden ist. Das letztere nimmt den Wasserstoff auf und geht in Malat über. Auf diese Weise kann aus P y r u v a t und Oxalacetat Citrat und aus Citrat a-Ketoglutarat unter anaeroben Bedingungen gebildet werden. Die Theorie des Citronensäurecyklus gibt f ü r die katalytische Wirkung der Dicarbonsäuren auf die Atmung eine Erklärung, welche durch zahlreiche Tatsachen gestützt wird. Wie wir gesehen haben, werden die Dicarbonsäuren zuerst zu Oxalessigsäure oxydiert; die letztere reagiert mit der Brenztraubensäure unter Bildung von Citronensäure. Die Dicarbonsäuren katalysieren die Atmung also dadurch, daß sie die Citratbildung ermöglichen. E s ist daher nicht nötig, noch eine besondere Funktion des Oxalacetats als Wasserstoffüberträger anzunehmen. Allerdings läßt sich die oben erwähnte Tatsache, daß Oxalacetat im Muskel sehr leicht zu Malat reduziert wird, nicht in das Bild des Citronensäurecyklus einfügen, denn im Ablauf des Cyklus wird Malat zu Oxalacetat oxydiert. Die Frage, unter welchen physiologischen Bedingungen eine zeitweilige Reduktion des Oxalacetats eintritt und welche Bedeutung dieser Reaktion zukommt, muß vorläufig offen bleiben.

Citronensäurecyklus und oxydative Phosphorylierung. Die Oxydation der Brennstoffe in der Zelle ist mit der Bildung organischer Phosphorsäureverbindungen verknüpft. Dieser Vorgang wird als o x y d a t i v e P h o s p h o r y l i e r u n g bezeichnet ( K a l c k a r , B e l i t z e r ; vgl. S. 250). Als erstes faßbares Produkt tritt dabei meistens A d e n o s i n t r i p h o s p h a t (ATP) auf, welches durch Phosphorylierung des Adenosindiphosphats entsteht (Konstitution dieser Verbindungen siehe S. 485). Das Triphosphat kann einen Phosphorsäurerest an andere Verbindungen abgeben. !) S z e n t - G y ö r g y i u. Mitarb., Zschr. physiol. Chem. 236, 1 (1935).

Die Fixierung des Kohlendioxyds

275

Auf diese Weise werden z. B. Zuckerphosphate oder im Muskel Posphokreatin gebildet. Wir werden später zeigen, daß die Phosphatgruppen der Adenosintriphosphorsäure eine für die Zelle unmittelbar verwertbare Form chemischer Energie darstellen. Die Einführung der beiden Phosphatreste beim Übergang der Adenylsäure in das A T P erfordert einen Energieaufwand. Diese Energie wird durch die Oxydationen geliefert. Die bei der Oxydation freiwerdende Energie bleibt in Form der Adenosinpolyphosphate aufgespeichert und kann von der Zelle für alle möglichen Zwecke gebraucht werden. Man hat gefunden, daß pro Molekül oxydiertes Pyruvat ungefähr 15 Moleküle anorganisches Phosphat in organische Bindungen übergeführt werden (Ochoa). Wir werden diese Vorgänge und insbesondere ihren energetischen Aspekt im Kapitel 18, S. 487, genauer behandeln. Es wird sich zeigen, daß die Phosphorylierung im wesentlichen mit den Reaktionen der Atmungskette verknüpft ist. Bei einer einzigen Stufe des Cyklus wird schon bei der Dehydrierung des Substrats Phosphat aufgenommen, nämlich bei der Oxydation des a-Ketoglutarats zu Succinat. Da durch den Citronensäurecyklus nicht nur das Kohlehydrat, sondern auch die Fettsäuren und ein Teil der Aminosäuren oxydiert werden, stellt er den wichtigsten Mechanismus der Zelle für die Bildung organischer Phosphatbindungen dar. E r ermöglicht es der Zelle, einen beträchtlichen Teil der Energie, die bei der Verbrennung der organischen Stoffe verfügbar wird, zur Phosphorylierung anderer Verbindungen zu verwenden. Die große Bedeutung dieser Tatsache wird klar, wenn man bedenkt, daß die meisten biochemischen Synthesen über phosphorylierte Zwischenstufen verlaufen. 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds Die im Citronensäurecyklus auftretenden Dicarbonsäuren können auch direkt aus Pyruvat gebildet werden, indem das letztere ein Molekül Kohlendioxyd addiert. E s hat sich ferner gezeigt, daß die Decarboxylierung der Isocitronensäure ein umkehrbarer Prozeß ist. Dies führt auf das wichtige Problem der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben, das wir in diesem Abschnitt kurz besprechen wollen. Verabreicht man Tieren Natriumbicarbonat, das ein Kohlenstoffisotop enthält (das stabile Isotop C (13) oder das langlebige radioaktive Isotop CK14)), so findet man, daß nach einiger Zeit das Glycogen in den Geweben den „markierten" Kohlenstoff aufgenommen hat. Bis zu 16% des Glycogenkohlenstoffs stammen aus dem Bicarbonat. Es muß also Reaktionen geben, durch welche die Kohlensäure wieder in organische Verbindungen aufgenommen werden kann. Die nächstliegende Annahme ist die, daß diese Reaktionen in der Umkehrung von Decarboxylierungen bestehen. Schon vor der Entdeckung der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben war bekannt, daß gewisse Bakterien C0 2 zu binden vermögen. Propionsäurebakterien, auch Colibazillen, sind imstande, aus C 3 -Verbindungen wie Glycerin oder Brenztraubensäure Bernsteinsäure zu bilden. Die genauere Untersuchung des Vorgangs zeigte, daß dabei Kohlensäure verbraucht wird. E s lag nahe anzunehmen, daß das Kohlendioxyd das vierte C-Atom der Bernsteinsäure liefert. Tatsächlich entsteht die Bernsteinsäure auf die Weise, daß die Brenztraubensäure ein Molekül C 0 2 addiert und dabei in Oxalessigsäure übergeht. Die letztere liefert durch Reduktion Bernsteinsäure. Diese Annahme konnte durch Verwendung von „markiertem" C 0 2 bewiesen werden. Das C-Isotop (schwerer Kohlenstoff C (13) ) fand sich wie erwartet in den Carboxylgruppen der Bernsteinsäure: 18*

Die Oxydation der Kohlenstoffketfen; der Citronensäureoyklus

276 *

CO,

+

CH2

ch3

Lo

C=0 ¿OOH

I

+ 2H

CI1

*

-li.o

CH(OH)

COOH

I

CH

-2 H

II

CH

I

¿OOH Oxalessigsäure

Brenztrauben-

COOH

COOH

(ÜOOH

i: CH2

COOH

¿OOH

Äpfelsäure

Fumarsäure

Ac

JOOH Bernsteinsaure

Die erste Reaktion ist eine sog. „Carboxylierung". Sie ist bilanzmäßig die Umkehrung der spontan verlaufenden Ketospaltung der Oxalessigsäure (alle /j-Ketosäuren sind unstabil). Sie heißt nach ihren Entdeckern gewöhnlich W o o d - W e r k mansche Reaktion 1 ). Dieselbe Reaktion findet auch in den tierischen Geweben statt. Sie liefert die Oxalessigsäure, welche für die Ingangsetzung des Citronensäureoyklus nötig ist (Krebs) 2 ). Im Muskel und in der Leber konnte die Existenz dieser Reaktion ebenfalls durch Versuche mit dem Kohlenstoffisotop C H-COH |

HO-C-H

h2coh 2 | C=0 Phosphohexo-

isomerase

H-COH I H-C-OH I H 2 C-0-P0 a H 2 Glucose-6-phosphat (Robison)

|

HO-C-H H-C-OH I H-C-OH I H2C-O-PO3H2 Fructose-6-phosphat (Neuberg)

Da alle Gewebe die Isomerase enthalten, bildet sich stets das Gleichgewichtsgemisch der beiden Ester (der sog. E m b d e n - E s t e r ) , wenn man den einen zum aktiven Muskel- oder Hefeextrakt zusetzt. Schließlich reagiert das Fructose-6-phosphat mit Adenosintriphosphorsäure und nimmt dabei ein zweites Molekül Phosphat auf. Es entsteht dabei das Fructose-1,6diphosphat (oft einfach Hexosediphosphat genannt). Die Verbindung führt den Namen des H a r d e n - Y o u n g s c h e n Esters. Sie war das erste phosphorylierte Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung, das isoliert wurde. l

) Lohmann, Biochem. Zschr. 262, 137 (1933).

287

Alkoholische Gärung und Glycolyse h

2

coh I

c=o

k o I

I HOCH

HO-Ò-H

ATP

+

ADP

H-i-OH I H-C-OH

H-C-OH H - ÌI- O H H2C • 0 • P 0 3 H a

Fructose-l,6-diphosphat (Ester von H a r d e n und Y o u n g )

Die Reaktion wird durch ein der Hexokinase ähnliches Ferment, die Phosphohexokinase, katalysiert. Die Phosphorylierungen der Zucker durch ATP verlaufen nur in Gegenwart von Magnesiumionen. Man muß annehmen, daß das Mg + + einen integrierenden Bestandteil der phosphatübertragenden Fermente bildet 1 ). Das mit zwei Molekülen Phosphorsäure beladene Hexosemolekül zerfällt nun in zwei kleinere Bruchstücke, Phosphoglycerinaldehydphosphorsäure und Phosphodioxyaceton: H,C-0-P03H-,

¿0 Fructosediphosphorsäure

HOCH

Aldolase

òo

Phosphodioxyaceton

H,¿OH

1

HCOH

H(ioH H,C-0-P0,H,

HCO I HCOH

3-Phosphoglycerinaldehyd

H2C.0.P03H2

Diese Spaltung wird durch das Ferment Aldolase (auch Zymohexase genannt) bewirkt. Die Reaktion ist umkehrbar. Der Name Aldolase wurde dem Enzym deshalb gegeben, weil die Kondensation des Phosphoglyoerinaldehyds mit Phosphodioxyaceton eine Aldolkondensation ist, wie sie durch Vereinigung zweier Moleküle Aldehyd unter dem Einfluß verdünnter Säuren oder Alkalien zustande kommt, z. B.: .H yR .H CH3—C HC-OH I H2C-0-P03H2

+ DPN + + H 3 P 0 4

Das Ferment, das diese phosphorylierende Oxydation bewirkt, heißt Phosphoglycerinalilehyd-dehydrase oder -oxydase. Es ist aus Hefe ( W a r b u r g und C h r i s t i a n ) und aus Muskel (Cori) im kristallisierten Zustand dargestellt worden. Früher wurde allgemein angenommen, daß sich das Phosphat zuerst an die Aldehydgruppe anlagert und daß dieses Addukt unter Bildung einer Acylphosphatgruppe dehydriert wird: .0-P0sH2 R-C< H M)H

+ DPN+

-

R-C
< > - Ö 1,4 t

/

1,4

für Phosphorylase nicht angreifbar!

Neuerdings haben Cori und Larner im Muskel ein Ferment entdeckt, welches imstande ist, die 1,6-glucosidischen Bindungen hydrolytisch zu spalten (Amylo1,6-glucosidase). Durch die Abspaltung des in Stellung 6 gebundenen Glucoserests wird der Weg für die weitere Wirkung der Phosphorylase frei gemacht. Durch die vereinigte Wirkung der beiden Fermente wird daher das Glycogen vollständig in ein Gemisch von Glucose-1-phosphat und freier Glucose zerlegt. Die letztere muß natürlich vor jeder weiteren Umsetzung durch die Hexokinase phosphoryliert werden. Ein ähnliches Enzym wie die Amyloglycosidase ist in der Kartoffel und in Leguminosensamen (Vicia Faba) gefunden worden (sog. ,.R-enzyme" von H o b s o n , Whelan und Peat 1 ). Es scheint, daß dieses Ferment die 1,6-glucosidische Bindung l)

J. ehem. Soc. 1951, 1451.

300

Der Kohleh ydratstoffwechsel

auch in intakten verzweigten Polysacchariden spaltet, d. h. auch dann, wenn die Seitenkette nicht bis auf das letzte Glied verkürzt ist. D a die Phosphorylase nur unverzweigte Amyloseketten bilden kann, entsteht die Frage, wie der A u f b a u der verzweigten K e t t e n im Glycogen und im Amylopectin erfolgt. E s gibt sowohl in den tierischen Organen (Leber, Herz) als auch in Pflanzen Fermente („branching enzymes", „Q-enzyme" der Kartoffeln), welche 1,6-Bindungen herzustellen vermögen und damit den Aufbau v o n Seitenketten einleiten. Durch die kombinierte Wirkung dieser Fermente mit der Phosphorylase werden verzweigte Polysaccharide v o m Typus des Glycogens oder Amylopectins synthetisiert 1 ). Der Wirkungsmechanismus der „branching enzymes" konnte neuerdings aufgeklärt werden (Larner) 2 ). Es handelt sich um eine Transglucosidasereaktion (vgl. S. 308), bei welcher 1,4-gIucosidische Bindungen in 1,6-glucosidische übergeführt werden. Die Polysaccharidketten werden zunächst durch Phosphorylase verlängert. Wenn sie eine bestimmte Kettenlänge erreicht haben, greift das „branching enzyme" ein, indem es ein endständiges Segment der Kette aus der 4-Stellung in die 6-Stellung eines weiter rückwärts liegenden Glucoserests überführt und damit eine Seitenkette bildet, die durch Phosphorylase weiter verlängert werden kann. Man bezeichnet das Enzym daher als eine Amylo-(l,4->l,6)-transglucosidase. Der Beweis für diesen Wirkungsmechanismus wurde dadurch geleistet, daß man zunächst mit Hilfe von Phosphorylase die Kettenenden von teilweise abgebautem Glycogen durch radioaktive Glucose wieder verlängerte und auf dieses Produkt das „branching enzyme" einwirken ließ. Durch enzymatischen Abbau des entstehenden verzweigten Polysaccharids (sukzessive Einwirkung von Phosphorylase und Amylo-l,6-glucosidase) konnte der Nachweis geleistet werden, daß die radioaktive Glucose tatsächlich in die Verzweigungsstellen der Ketten eingeführt worden war. W e i t e r e R e a k t i o n e n d e s C o r i - E s t e r s . D a s bei der Glycogenspaltung primär entstehende Glucose-1-phosphat wird rasch in Glucose-6-phosphat umgewandelt, d. h. es findet eine intramolekulare Verschiebung der Phosphatgruppe statt, wie wir sie in der 3-Kohlenstoffreihe bereits kennengelernt haben. Das dabei beteiligte Ferment heißt Phosphoglucomutase. Die Reaktion ist umkehrbar, aber das Gleichgewicht hegt stark auf der Seite des 6-Phosphats, das im Gleichgewichtsgemisch 94% ausmacht. Man hat neuerdings zeigen können, daß die Umwandlung des Glucose-1-phosphats in das Glucose-6-phosphat über einen Diester der Glucose, das Glucose-1,6-diphosphat, führt. Die Anwesenheit einer kleinen Menge dieses Esters ist nötig, damit die Reaktion in Gang kommt ( L e l o i r und Mitarb.). Der Ester ist von P o s t e r n a k synthetisiert worden 3 ). Man kann ihn als Coferment der Reaktion betrachten, doch liegen hier besondere Verhältnisse vor. H a 0 3 P- 0-CH a CHCH(0H)CH(0H)CH(0H)CH' O- PO s H,2 .J Glucose — 1,6 — diphosphat

Der Mechanismus der Reaktion ist aus dem folgenden Schema ersichtlich. (Die schrägen Pfeile deuten die Transphosphorvlierung an.) Der Phosphatrest in Stellung 1 des Diphosphats wird nach Stellung 6 des Glucose-l-phosphats übertragen; dadurch ist ein Molekül Glucose-6phosphat (aus dem 1,6-Diphosphat) und ein neues Molekül 1,6-Diphosphat (aus dem 1-Phosphat) entstanden. Die Besonderheit dieser Reaktion besteht darin, daß das Coferment beständig verbraucht und wieder aus dem Substrat regeneriert wird, was sich durch Verwendung von doppelt markiertem Glucose-1-phosphat (C(l4) und P

+ 2 TPNH + 2 H 4

OH

Das TPN-abhängige Enzym findet sich in der Leber. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, daß ein für die Bildung gepaarter Glucuronsäuren nötiger Cofaktor der Leber Uridin-diphosphat-glucuronsäure ist ( S t o r e y und D u t t o n ) 3 ) . Die letztere ist daher der Donator der Glucuronsäuregruppe bei der Synthese der Glucuronide. Ob es neben der Oxydation der UDPG noch andere Wege zur Bildung der Glucuronsäure gibt, ist unbekannt. Die Glucuronsäure findet sich im Harn in Form von Glucuroniden, gewöhnlich konjugierte oder gepaarte Glucuronsäuren (Ätherglucuronsäuren) genannt: COOH • CH • CH(OH) • CH(OH) • CH(OH) • CH • 0 • R

I

O

i

*) K i n g u. Mitarb., J. biol. Chem. 185, 491 (1950); 202, 865 (1953); 203, 889 (1953). 2 ) S t r o m i n g e r u. Mitarb., J. Am. chem. Soc. 76, 6411 (1954). 3 ) S t o r e y u. D u t t o n , Biochem J. 59, 279 (1955). 21 Leuthardt, letubuch. 13.Aufl.

Der Kohlehydratstoffwechsel

322

Eine große Reihe verschiedener Stoffe, so die .Produkte der Darmfäulnis wie Phenol, Indoxyl, Skatoxyl, im Körper selbst gebildete Stoffe wie das Pregnandiol (vgl. S. 613), ferner viele nicht physiologische Substanzen (Medikamente) werden im H a r n als Glucuronide ausgeschieden. Die Bildung der gepaarten Glucuronsäuren ist eine Entgiftungsreaktion. Als Oxydationsprodukt einer Hexose kann auch das Vitamin C, die Ascorbinsäure, aufgefaßt werden. Viele Tierarten, so z. B. die Ratte, können die Ascorbinsäure selbst synthetisieren. Für sie ist dieser Stoff kein Vitamin. Aus Versuchen mit markierter Glucose ist zu schließen, daß das Glucosemolekül als solches in Ascorbinsäure übergeführt wird (King). Näheres über die Biosynthese s. S. 803. Auch die Pentosen Kibose und Desoxyribose können von den Zellen der höheren Tiere aus Glucose gebildet werden (vgl. dazu S. 306). Die Einführung des Stickstoffs in die Aminozucker erfolgt durch das Glutamin. I m Pilz N e u r o s p o r a ist ein Ferment nachgewiesen worden, welches Hexose-6phosphat bei Gegenwart von Glutamin in Glucosamin-6-phosphat überführt 1 ). Wir erwähnen hier noch einen Stoff, der früher als Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung angesehen wurde, das Methylglyoxal ( N e u b e r g ) . Dieses ist der Aldehyd der Brenztraubensäure: /H O COOH I CO

CC=CHCOOH

(II)

(I) = ß-Methyl-/S-Oxyglutarsäure (II) = /3-Dimethylacrylsäure Die obige Formulierung vermag die tatsächlich gefundene Verteilung des Isotops zwanglos zu erklären. /S-Methyl-/?-Oxyglutarsäure k o m m t anscheinend in Rattenleber und pflanzlichem Material vor 1 ). Aus der als Zwischenprodukt angenommenen jS-Dimethylacrylsäure könnte durch Kondensation ein Dekadehydrosqualen als direkte Vorstufe des Squalens gebildet werden, und zwar unmittelbar in der f ü r die nachfolgende Cyklisierung zum Steringerüst geeigneten Faltung der Polyisoprenkette 2 ). Man k a n n mit Sicherheit annehmen, daß bei den obigen Reaktionen die Essigsäure in Form ihrer CoA-Verbindung reagiert. Es scheint n u n allerdings, daß das Squalen nicht selbst Zwischenstufe der Cholesterin, synthese ist, sondern daß eine noch unbekannte Substanz, welche reversibel in Squalen übergehen kann, auf dem direkten Weg zwischen Acetat und dem Sterin liegt. Zu dieser Annahme f ü h r t u. a. die Beobachtung, daß das in der Leber (Organschnitte) bei Gegenwart von C*14>Acetat gebildete Squalen viel weniger radioaktiv ist als das gleichzeitig synthetisierte Cholesterin 3 ). Möglicherweise könnte das oben erwähnte Dekadehydrosqualen das Intermediärp r o d u k t sein, das sowohl in Cholesterin als auch in Squalen übergeht 2 ). Die verschiedenen pflanzlichen Sterine werden offenbar auf dem gleichen Weg synthetisiert. Ein direkter biogenetischer Zusammenhang besteht wahrscheinlich zwischen dem Squalen u n d dem in Wollfett vorkommenden L a n o s t e r i n , das unmittelbar aus dem in geeigneter Weise gefalteten Squalen hervorgehen könnte 2 ) 4 ):

Lanosterin

!) 2 ) 8 ) 4 ) Chem.

S c h w e n k u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 65, 274 (1955). E s c h e n m o s e r u. Mitarb., Helv. Chim. Acta 38, 1890 (1955). P o p j i k , Arch. Biochem. Biophys. 48, 102 (1954). Übersicht der Literatur über Cholesterinsynthese vgl. z. B. T s c h e s c h e , Fortsohr. org. Naturstoffe 12, 131 (1955).

Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

371

Die Hauptmenge des Cholesterins wird in der Galle ausgeschieden. (Die Lebergalle des Menschen enthält im Mittel etwa 1 Promille Cholesterin.) Es wird durch die gallensauren Salze in Lösung gehalten. Doch kommt es infolge seiner schweren Löslichkeit sehr häufig zur Konkrementbildung (Gallensteine!). Auf die mögliche Bedeutung des Cholesterins für die Absorption der Fettsäuren haben wir oben schon hingewiesen. E s scheint, daß Cholesterin auch durch die Schleimhaut des Dickdarms ausgeschieden wird. Das mit der Galle in den Darm gelangende Cholesterin kann zu einem Teil wieder resorbiert werden. Neben den pflanzlichen Sterinen, die aus der Nahrung stammen und nicht absorbiert werden können, finden sich aber in den Fäces hauptsächlich zwei Sterine, die aus dem Cholesterin durch Reduktion hervorgehen, das Koprosterin und das Dihydrocholestcrin (Cholestanol), die beide nicht absorbiert werden können. Die beiden

Koprostanon

Koprosterin

Dihydrocholesterin (Cholestanol)

Verbindungen unterscheiden sich durch die Konfiguration des asymmetrischen C- Atoms in Stellung 5 des Steringerüstes (siehe die untenstehenden Formelbilder; vgl. dazu die Erklärungen auf S. 55). Man hat früher angenommen, daß Koprosterin im Darm selbst unter Einwirkung der Bakterien aus dem Cholesterin gebildet wird. Es ist aber bisher nicht gelungen, diese Umwandlung in vitro in Mischkulturen der Darmbakterien hervorzurufen. Wahrscheinlich erfolgt die Bildung des Koprosterins derart, daß zunächst das Cholesterin zum Cholestenon oyxdiert und dann über das Koprostanon zum Koprosterin reduziert wird. Für die Bildung von Cholestenon als Zwischenstufe spricht das Vorkommen dieser Verbindung in den Fäces nach reichlicher Cholesterinverfütterung (Ratte) sowie die Tatsache, daß bei Verfüttern von deuteriumhaltigem Cholestenon das ausgeschiedene Koprosterin ebenfalls Deuterium enthält. Da Cholestenon auch in einzelnen Geweben nachgewiesen wurde (Hoden und Milz des Schweines), ist es möglich, daß diese Vorstufe des Koprosterins teilweise aus den Geweben des Körpers stammt und nicht durch die Darmflora gebildet worden ist. Die Gallensäuren entstehen wahrscheinlich aus Cholesterin. Die Ähnlichkeit der chemischen Struktur würde zu dieser Annahme nicht genügen, denn die Moleküle könnten auch unabhängig voneinander aus ähnlichen Bausteinen gebildet werden. 24*

372

Der Eiweißstoffwechsel

Es hat Bich aber gezeigt, daß bei Verfütterung von deuteriumhaltigem Cholesterin an den Hund die aus der Galle isolierte Cholsäure ebenfalls Deuterium enthält 1 ). Zum gleichen Resultat haben Versuche mit C(14)-Cholesterin geführt 2 ). Das Cholesterin ist auch die Muttersubstanz anderer Sterine. Wird Schwangeren Deuteriocholesterin verabreicht, so enthält das im Urin (als Diglucuronat) ausgeschiedene Pregnandiol Deuterium in bedeutender Konzentration. Es muß daraus geschlossen werden, daß die Muttersubstanz des Pregnandiols, das Hormon Progesteron (vgl. S. 702), aus dem Cholesterin entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß die wichtigsten sterinbildenden Organe, die Nebennierenrinde und der Hoden, sehr reich an Cholesterin sind. In der Nebennierenrinde nimmt bei starker Hormonsekretion der Cholesteringehalt stark ab. Die Vermutung liegt daher nahe, daß auch hier das Cholesterin zur Bildung der Sterinhormone verwendet wird; doch gibt es Versuche, welche dagegen sprechen, daß Cholesterin ein obligatorisches Zwischenprodukt bei der Synthese von Sterinhormonen aus Ca-Verbindungen ist.

Sechzehntes Kapitel

Der Eiweißstoffwechsel 1. Aufnahme der Eiweißkörper Die Eiweißkörper sind als Bestandteile des Protoplasmas und als Bausteine vieler extrazellulärer Strukturen von großer Bedeutung. Daneben aber sind sie als Ferment, proteine die eigentlichen Träger der katalytischen Wirkungen der lebenden Substanz; vor allem darin liegt ihre besondere Stellung unter den Naturstoffen begründet. Da ein Teil der Eiweißkörper ständig verbraucht wird, muß eine bestimmte Menge Eiweiß immer ersetzt werden. Die Proteine können von den tierischen Organismen nicht aus anderem Material aufgebaut werden. Die einzige verwertbare Stickstoffquelle ist wiederum Eiweiß oder, genauer gesagt, die aus dem Eiweiß durch Verdauung freigesetzten Aminosäuren. A. Die Verdauung der Eiweißkörper (Siehe den Abschnitt über Proteasen)

Im M a g e n s a f t findet sich das Pepsin (S. 193), das die meisten Eiweißkörper zu Albumosen und Peptonen spaltet und durch sein bei stark saurer Reaktion gelegenes pH-Optimum ausgezeichnet ist. Nach neueren Untersuchungen kommt noch eine Protease mit wesentlich weniger saurem pH-Optimum im Magensaft vor. Im Magen junger Tiere wird noch kein Pepsin, dafür aber das Labferment (Chymosin) produziert (vgl. S. 194). Im P a n k r e a s s a f t finden sich hauptsächlich die folgenden Proteasen: Trypsin, Chymotrypsin und Carboxypolypeptidase. Durch die Wirkung des Magensekretes entstehen keine nennenswerten Mengen freier Aminosäuren; durch die kombinierte Wirkung der Pankreasproteasen erfolgt dagegen ein sehr viel weiter gehender Abbau der Proteine. Im D a r m s e k r e t finden sich nun keine Proteinasen, wohl aber Peptidasen. und zwar hauptsächlich Aminopolypeptidase und Dipeptidasen. Das Gemenge dieser Peptidasen hat man früher als , , E r e p s i n " bezeichnet. Endlich findet sich im Sekret der Darmschleimhaut noch die E n t e r o k i n a s e , welche die Pankreasprote!) B l o c h u. Mitarb., J. biol. Chem. 149, 511 (1943). a ) 8 i p e r s t e i n u. Mitarb., Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 81, 720 (1952); J. biol. Chem. 198, »3 (1952).

Resorption und Speicherung

373

inase aktiviert. Die frischen Sekrete der Magenschleimhaut und des Pankreas enthalten die Proteinase in Form der inaktiven Profermente. Über deren Aktivierung siehe S. 193 und 195. Es ist aus der Verteilung der Fermente ersichtlich, daß das Magensekret nur eine vorbereitende Spaltung der Eiweißkörper bewirkt, während Pankreas- und Darmsekret den Hauptteil der Eiweißverdauung besorgen. Die Leistung der Magenverdauung ist aber doch nicht belanglos. Durch das Pepsin wird das Bindegewebe weitgehend aufgelöst. I m Muskelfleisch werden dadurch die einzelnen Fasern freigelegt und der Fermentwirkung leichter zugänglich gemacht. Es gibt verschiedene Beispiele dafür, daß native Eiweißkörper durch die proteolytischen Enzyme weniger leicht angegriffen werden als denaturierte Proteine. (Z. B. wird natives Hämoglobin von Trypsin gar nicht verdaut, wohl aber denaturiertes; rohes Eieralbumin wird langsamer angegriffen als denaturiertes.) Es ist anzunehmen, daß der stark saure Magensaft auf viele Proteine denaturierend wirkt und dadurch ihre Verdauung erleichtert. Für den Menschen, der ohnehin fast nur gekochtes, d. h. denaturiertes Eiweiß genießt, dürfte dieser Umstand weniger wichtig sein als für das Tier. Man kann sich aus dem, was früher über die Wirkung der Proteasen gesagt wurde, leicht ein Bild vom Ablauf der Eiweißverdauung machen: Durch die Proteinasen (Endopeptidasen, vgl. S. 199) werden zunächst Peptidbindungen im Innern der Polypeptidketten aufgebrochen lind dadurch die Moleküle in kleinere Bruchstücke zerlegt. Durch Carboxy- und Polypeptidasen (Exopeptidasen) werden die Peptidketten darauf von den beiden Enden her verkürzt, und schließlich hydrolysieren die Dipeptidasen noch die verbleibenden Dipeptide. Die Frage, wie weit das Eiweiß gespalten werden muß, um resorbierbar zu sein, ist noch immer nicht restlos geklärt. Mit größter Wahrscheinlichkeit läßt sich aber sagen, daß fast alles Eiweiß bis zu den Aminosäuren oder einfachen Peptiden gespalten werden muß, ehe eine Resorption stattfinden kann. Am Ende des Dünndarms ist der größte Teil der Verdauungsprodukte absorbiert. Wie vor allem A b d e r h a l d e n gezeigt hat, kann man Tiere mit einem Aminosäuregemisch ohne Schädigung lange Zeit hindurch ernähren 1 ). Der Organismus benötigt also nicht die Proteinmoleküle als solche, sondern deren Bausteine. Auch abgesehen vom hohen Molekulargewicht, welches die Aufnahme der meisten Proteine verunmöglicht, könnten dem Körper keine intakten Eiweißmoleküle einverleibt werden. Wiederholte Einführung von artfremdem Eiweiß in die Blutbahn f ü h r t zu heftigen, lebensbedrohenden Reaktionen (anaphylaktischer Schock), und der physiologische Sinn der Spaltung der Eiweißkörper vor der Resorption ist zweifelsohne der, die zugeführten Substanzen ihres spezifischen „antigenen" Charakters zu entkleiden. B. Resorption und Speicherung Die Resorption der Spaltprodukte der Proteine erfolgt fast nur durch die B l u t b a h n . Die Chylusgefäße haben als Absorptionsweg nur ganz nebensächliche Bedeutung. Nach Verabreichung von Eiweiß findet man eine Erhöhung des Aminosäuregehaltes des Blutes. Versuche von v a n S l y k e und M e y e r 2 ) und anderen zeigten, daß x ) A b d e r h a l d e n u. Mitarb., zahlreiche Arbeiten in Zschr. physiol. Chem. 42 bis 88 (1904-13). ») J. biol. Chem. 16, 197, 213, 231 (1913).

374

Der Eiweißstoffwechsel

bei intravenöser Injektion oder Absorption von hydrolysiertem Eiweiß die Aminosäuren in die Gewebe einwandern und dort stark angereichert werden. Ihre Konzentration im Gewebe ist wesentlich höher als im Blut. Nach etwa drei Stunden hat der Aminosäuregehalt der Gewebe aber wieder den normalen Wert erreicht. Soweit sie nicht direkt durch die Nieren ausgeschieden worden sind, müssen sie also von den Geweben zur Eiweißsynthese herangezogen oder auf andere Weise verbraucht worden sein. Es besteht zwischen Eiweißkörpern einerseits und Fetten und Kohlehydraten andererseits ein prinzipieller Unterschied. Die S p e i c h e r u n g von Eiweiß in speziellen Eiweißdepots ist nicht möglich. Die Eigentümlichkeit des Eiweißstoffwechsels besteht darin, daß jeder Überschuß an Aminosäuren aus dem Organismus ausgeschieden wird, sofern er nicht als Gewebsprotein fixiert werden kann. Die in den Zellen aufgenommenen Aminosäuren werden dort für kurze Zeit gespeichert, und es ist höchst wahrscheinlich, daß die Synthese des Zelleiweißes aus diesem Material an Ort und Stelle vonstatten geht, daß also jede Zelle ihr Eiweiß selbst aufbaut. Nach allem, was wir heute über die Speicherung von Protein im Körper wissen, besteht zwar eine gewisse Eiweißreserve, die vermindert oder vergrößert werden kann. Aber es gibt kein Reserveeiweiß in dem Sinne, wie es ein Reservekohlehydrat, das Glycogen, gibt. Eiweiß kann nur in Form von spezifischen Gewebsproteinen gespeichert werden. M. L u c k fütterte Ratten mit proteinreicher und -armer Diät. Es zeigte sich, daß durch die Proteinfütterung eine Anreicherung von 50—60% an Eiweiß erzielt wurde, die sich aber g a n z g l e i c h m ä ß i g a u f a l l e P r o t e i n f r a k t i o n e n e r s t r e c k t e . In diesem Sinn ist die von P f l ü g e r und V o i t ausgesprochene Annahme von s p e z i f i s c h e m ßeserveeiweiß zu revidieren. Auch Abd e r h a l d e n konnte durch Fütterungsversuche zeigen, daß die P r o t e i n e e i n e r Z e l l a r t i m m e r e i n e k o n s t a n t e Z u s a m m e n s e t z u n g haben. Er fand, daß die Plasma- und Serumproteine von Pferd, Rind und Kaninchen, die während vier Wochen ganz einseitig mit Grünfutter und Kleie oder Hafer ernährt wurden, immer die gleiche Zusammensetzung bewahren. Eine tiefere Einsicht in die Verteilung und das Verhalten der Aminosäuren im tierischen Organismus haben in neuerer Zeit vor allem die Versuche mit markierten Aminosäuren eröffnet. Wird eine Aminosäure verfüttert, die als „tracer" ein schweres oder radioaktives Isotop enthält, so läßt sich feststellen, welcher Anteil in das Organeiweiß eingebaut wird, in welchen Organen der Einbau vorwiegend geschieht, wieviel abgebaut wird und in andere Stoffwechselreaktionen eingeht. Wir teilen im folgenden einen der klassischen Versuche S c h o e n h e i m e r s 1 ) etwas ausführlicher mit, weil er gleichzeitig auch die Leistungsfähigkeit der ,,tracer"-Methode aufzeigt. Weiße Ratten erhielten in der Nahrung markiertes Leucin mit schwerem Stickstoff in der Aminogruppe (CH3)2 • CH2 • CH, • CH(NH2) • COOH (entsprechend 25 mg N pro Tag). Während der ganzen Versuchsdauer wurden Urin und Päces gesammelt. Nach drei Tagen wurden die Tiere getötet und die verschiedenen Organe und die Excreta auf ihren Gehalt an schwerem Stickstoff untersucht. (Zur Analyse im Massenspektrometer wird der Stickstoff zuerst in Ammoniak übergeführt, welches dann zu N 2 oxydiert wird.) Die Ergebnisse der Analysen sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. *) Vgl. S c h o e n h e i m e r : The dynamic state of body constituents. Cambridge, Mass., 1946.

375

Resorption und Speicherung

a) V e r t e i l u n g a u f K ö r p e r s u b s t a n z u n d E x c r e t a : Der Gehalt der einzelnen untersuchten Fraktionen an NU5) ist in Prozent der gesamten zugeführten Menge angegeben. Körpersubstanz: Proteinstickstoff Nichtproteinstickstoff Excreta: Urin Fäces

56,5% 8,2% 27,4% 2,2%

b) N ( 1 5 ) - G e h a l t d e r P r o t e i n e in v e r s c h i e d e n e n O r g a n e n : Der N(i5)-Gehalt der verabreichten Aminosäure ist = 100% gesetzt. Serum Hämoglobin . . . Leber Darm Niere

Herz . Milz . Testes Haut . Muskel

1,67% 0,29% 0,94% 1,49% 1,38%

0,89% 1,10%

0,77% 0,18% 0,31%

c) N ( i 5 ) - G e h a l t v e r s c h i e d e n e r A m i n o s ä u r e n im O r g a n e i w e i ß : Der N(!5)-Gehalt der verabreichten Aminosäure ist = 100% gesetzt.

Leucin Glycocoll Tyrosin Glutaminsäure Asparaginsäure Arginin Lysin Aminostickstoff

Leber %

Darmwand %

7,95 0,74 0,5 1,85 1,16 0,89 0,06 0,78

7,35 0,63 0,94 2,97 2,3 0,43 0,07 1,24

Haut und Muskel % 1,9 1,05 0,2 0,89 0,7 0,25

Es wird also, wie die erste Tabelle zeigt, ein beträchtlicher Teil des verfütterten Leucins im Organeiweiß zurückbehalten. Da die Proteine eine konstante Zusammensetzung haben, ist dies nur durch Austausch möglich; ein Teil des im Eiweiß vorhandenen Leucins wird durch neues ersetzt. Man glaubte früher, daß das Gewebseiweiß nur wenig am Stoffwechsel teilnimmt und daß der ausgeschiedene Stickstoff hauptsächlich aus den Aminosäuren der Nahrung stammt. Der Versuch zeigt, daß diese Annahme unrichtig ist. Die Zahlen der zweiten Tabelle zeigen, daß die Erneuerung des Leucins in den Proteinen der verschiedenen Gewebe mit sehr ungleicher Geschwindigkeit erfolgt. Am schnellsten werden die Serumproteine umgesetzt; sehr träge geht der Ersatz in der Haut und ziemlich langsam auch im Muskel vor sich. Wegen der Mächtigkeit der Muskulatur gegenüber den anderen Organen findet sich aber trotzdem der größte Teil des im Körper zurückbehaltenen Leucins in den Muskelproteinen. Aus der dritten Tabelle geht hervor, daß ein Teil des Leucinstickstoffs auf andere Aminosäuren übergegangen ist. Am meisten haben die Glutamin- und die Asparaginsäure aufgenommen. (Wir werden später sehen, daß dies mit den allgemeinen Erfahrungen über die Reaktionsfähigkeit der Aminogruppe in den verschiedenen Aminosäuren gut übereinstimmt.) Das in die Proteine aufgenommene Stickstoffisotop gehört also nicht nur dem Leucin, sondern auch anderen Aminosäuren an. Zusammenfassend läßt sich auf Grund dieses Versuchs über das Schicksal des Leucins folgendes sagen: Ein beträchtlicher Teil wird direkt für die Proteinsynthese verwendet, der Rest wird abgebaut; der größte Teil des frei werdenden Stickstoffs geht in Harnstoff über, ein kleiner Teil wird zur Synthese anderer Aminosäuren verwendet und wird in dieser Form ebenfalls in das Eiweiß aufgenommen. Man sieht leicht, daß eine so detaillierte Einsicht in die Umsetzungen eines Zellbausteins durch keine andere als die Isotopenmethode zu erreichen ist. Es sind seither viele ähnliche Versuche mit anderen Aminosäuren (z. B. Tyrosin oder Glycocoll) durchgeführt worden, auch solche, bei denen die Aminosäure im Kohlenstoffgerüst durch C(14' markiert war. Sie haben im Prinzip stets zu den gleichen Ergebnissen geführt.

Der Eiweißstoffwechsel

376

2. Bildung und Abbau yon Aminosäuren im Tierkörper Bevor wir die Umsetzungen der Proteine im tierischen Organismus besprechen, müssen wir das Verhalten ihrer Bausteine, der Aminosäuren, kennenlernen. Bildung der Aminosäuren aus a-Ketosäuren, oxydative Dcsaminierung. Aminosäuren können aus nicht stickstoffhaltigen Verbindungen durch Einführung einer Aminogruppe gebildet werden, und ebenso können durch den umgekehrten Prozeß ( D e s a m i n i e r u n g ) die Aminosäuren in stickstofffreie Körper übergehen. Die erste Kenntnis dieser Vorgänge ist vor allem den Arbeiten von O. N e u b a u e r , D a k i n , E m b d e n und K n o o p zu verdanken. K n o o p verfütterte y-Phenyl-a-ketobuttersäure an Hunde und konnte die entsprechende Phenylaminobuttersäure aus dem Harn isolieren. Allerdings wird nicht die freie Aminosäure, sondern ihre Acetylverbindung ausgeschieden: Cj 6 H 5

C6H6

C6H6

CH2

¿H.

CH2

|

i

AH 2 I

-*

1

1

CH2

CH2

CO

CH-NH,

CH-NH- (CO -OH,)

COOH

COOH

COOH

y-Phenyl-a -ketobuttersäure

-/-Phenyl-a-aminobuttersäure II

Acetylverbindung von II

1 j

j

1

j

|

In gleicher Weise konnten D a k i n und D u d l e y bei Durchströmung der Leber aus Phenylglyoxylsäure die Phenylaminoessigsäure erhalten: C6H5

c6H5

¿-0 I

CH-NH 2 ¿OOH

COOH

Endlich konnten E m b d e n und S c h m i t z für eine ganze Anzahl von Ketosäuren zeigen, daß beim Durchströmungsversuch aus den Ammoniumsalzen verschiedener Ketosäuren jedesmal die entsprechende optisch aktive L-Aminosäure gebildet wird. So liefert die Oxyphenylbrenztraubensäure Tyrosin, die a-Ketobuttersäure die Aminobuttersäure, die Brenztraubensäure das Alanin: OH

CH3

OH,

CH2

CO

CHNH2

CH-NH 2

COOH

COOH

Brenztraubensäure

Alanin

I

C0 2 H Oxyphenylbrenztraubensäure

I

I

I COOH Tyrosin

Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper

377

Aus all diesen Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, d a ß d i e A m i n i e r u n g d e r « - K e t o s ä u r e n im t i e r i s c h e n O r g a n i s m u s l e i c h t e i n t r e t e n k a n n . Auch a-Oxysäuren können in Aminosäuren übergehen. Die Oxysäure wird dabei aber zunächst in eine Ketosäure übergeführt. Die Aminierung der Ketosäuren ist, wie man leicht sieht, ein reduktiver Prozeß; er läßt sich auch in vitro durchführen, indem man die «-Ketosäure in Gegenwart von Ammoniak mit Wasserstoff katalytisch hydriert ( K n o o p und O e s t e r l i n ) : COOH

COOH

I

c=o

+ NH 3 + H 2

Pll

I

HCNH 2 + H2O.

R

R

Die obige Reaktion ist umkehrbar, d. h. die Desaminierung der Aminosäuren führt zur entsprechenden Ketosäure. Für die Abspaltung der Aminogruppe aus dem Aminosäuremolekül scheint zwar der natürlichste Weg die hydrolytische Abspaltung von Ammoniak zu sein, wobei die entsprechende «-Oxysäure entstehen müßte. Man erkannte aber schon frühzeitig, daß nicht die Oxy-, sondern die Ketosäure primär gebildet wird ( N e u b a u e r ) . So wird z. B. nach Verfütterung von oc-Phenyl«-aminoessigsäure (Kaninchen, Hund, Mensch) neben linksdrehender Mandelsäure Phenylglyoxylsäure ausgeschieden. Daß die erstere nicht das primäre Produkt der Desaminierung sein kann, ergibt sich daraus, daß bei ihrer Verfütterung keine Phenylglyoxylsäure im Urin auftritt. Sie muß sekundär durch Reduktion der Ketosäure entstanden sein: COOH

H-A-NH.

COOH

COOH

Lo

H-D-OH und nicht

Phenylaminoessigsäure

Phenylglyoxylsäure

Mandelsäure

Zum gleichen Resultat führten Beobachtungen bei der Alkaptonurie (vgl. S. 392). Die Eingabe von Tyrosin führt beim Alkaptonkranken zu vermehrter Ausscheidung der Homogentisinsäure (Alkapton). Würde Tyrosin dabei zuerst in die entsprechende Oxysäure (p-Oxyphenylmilchsäure) übergehen, so müßte Eingabe dieser Substanz die Alkaptonausscheidung vermehren. Das ist aber nicht der Fall. Dagegen tritt vermehrt Homogentisinsäure im Urin auf, wenn p-Oxyphenylbrenztraubensäure verfüttert wird; also muß die Ketosäure das erste Desaminierungsprodukt sein: COOH

L o ¿H, und nicht

OH p-Oxyphenylbrenztraubensäure

378

Der EiweißstoffWechaei

Die Desaminierung dieser «-Aminosäuren ist also mit einer Oxydation verbunden. Sie wird deshalb als o x y d a t i v e D e s a m i n i e r u n g bezeichnet und läßt sich allgemein in der folgenden Weise formulieren: COOH H-¿-NH2

COOH

+ £oa

I R

I

C=0

+

NH„

I

R

Später ist es gelungen, die spezifischen Enzyme zu isolieren, welche für die oxydative Desaminierung verantwortlich sind. K r e b s hat bei der Untersuchung der Desaminierung der «-Aminosäuren im überlebenden Gewebe (Gewebsschnitten aus Niere und Leber) die wichtige Entdeckung gemacht, daß zwei verschiedene Fermente existieren, von denen das eine merkwürdigerweise nur die nicht in Proteinen vorkommenden optischen Antipoden der natürlichen Aminosäuren angreift (also die Verbindungen der D-Reihe, vgl. S. 76), während das andere auf die natürlichen Verbindungen eingestellt ist 1 ). Das erste Ferment läßt sich aus dem Gewebe leicht extrahieren. Es hat den Namen D-Aminosäureoxydase erhalten. Seine prosthetische Gruppe ist als FlavinAdenin-Dinucleotid erkannt worden ( W a r b u r g und C h r i s t i a n ) 2 ) (vgl. S.246). Die Aminosäure wird zuerst unter Bildung der Iminosäure dehydriert, wobei das Flavin den Wasserstoff aufnimmt. Die Iminosäure zerfällt (als unbeständige Verbindung) spontan in Ketosäure und Ammoniak. Das hydrierte Flavin reagiert unter Bildung von Wasserstoffsuperoxyd mit molekularem Sauerstoff. (Das Peroxyd wird unter natürlichen Bedingungen von der Katalase zerlegt. I n reinen Fermentlösungen kann es die gebildete «-Ketosäure weiter oxydieren.) Mit D(—)-Alanin z.B. finden daher die folgenden Reaktionen statt [Flavin] steht für die Wirkungsgruppe des gelben Ferments): COOH

COOH

H-C NH 2

+

[Flavin]

¿=NH

CH3

+

[Flavin] H 2

+

NH3

GH, COOH

COOH

I

C=NH

+

I

C=0

H20

I

CH3

CH 3

[Flavin] HA

+

02

[Flavin] +

H202

Die D-Aminosäureoxydase reagiert nicht mit allen D-Aminosäuren gleich gut. Einige werden überhaupt nicht gespalten. Beim Prolin wird der Ring oxydativ geöffnet : H,C

CH, CHCOOH X

NH

HJ

+ i o„

HJ NH2

-CH2

I

C—COOH O

T Y H H

R

CH2OH Diese Formulierung gestattet, einen Reaktionsmechanismus anzugeben, der die Abspaltung der Aminogruppe (Wellenlinie) im Modellversuch plausibel macht. Die Vorstellung läßt sich auf den enzymatischen Vorgang übertragen (vgl. S. 770) 2 ). Transaminasen sind i m Tier- u n d Pflanzenreich sehr weit verbreitet. B e i m Tier sind sie i n f a s t allen Organen nachgewiesen worden. Man k a n n daraus schließen, d a ß i h n e n i m Intermediärstoffwechsel eine große B e d e u t u n g z u k o m m t . Transaminierung f i n d e t nicht nur zwischen Glutaminsäure u n d Asparaginsäure oder Glutaminsäure u n d Alanin s t a t t . I n vielen G e w e b e n f i n d e t m a n auch eine Transaminierung zwischen Asparaginsäure u n d Alanin: Asparaginsäure

+

Brenztraubensäure

¿.'Z^lt

Oxalessigsäure

-f

Alanin.

Sie verläuft allerdings viel langsamer als die beiden anderen R e a k t i o n e n . E s ist n o c h n i c h t sicher, ob diese Transaminierung durch eine spezifische Aminopherase zus t a n d e k o m m t oder ob es sich einfach u m eine K o m b i n a t i o n der beiden anderen R e a k t i o n e n handelt, bei der die Aminogruppe durch Vermittlung der Glutaminsäure übertragen w ü r d e : Asparaginsäure + a-Ketoglutarsäure

Oxalessigsäure

+

Glutaminsäure

Glutaminsäure + Brenztraubensäure ^ZZIZ^. a-Ketoglutarsäure -f- Alanin Bilanz: Asparaginsäure + Brenztraubensäure «.

Oxalessigsäure

+

Alanin.

Mit löslichen F e r m e n t e n zeigen andere Aminosäuren als die g e n a n n t e n nur sehr schwache Transaminierung. Neuerdings sind aber in der Leber Aminopherasen a u f g e f u n d e n worden, die f e s t a n die Zellgranula (Mitochondrien) g e b u n d e n sind u n d die Aminogruppe einer ganzen R e i h e v o n « - A m i n o s ä u r e n auf a - K e t o g l u t a r s ä u r e übertragen 3 ). Die Enzyme der Zellgranula vermögen mit Phenylalanin, Tyrosin, Valin, Leucin, phan und Histidin in Gegenwart von a-Ketoglutarat Glutaminsäure zu bilden. scheinen in den Zellgranula auch Transaminasen vorzukommen, welche direkt, d. Beteiligung einer Dicarbonsäure, aus P y r u v a t Alanin bilden können, wenn Leucin, alanin, Tyrosin, Methionin oder Histidin zugegen sind 4 ). Auch vom Ornithin und !) ) 3 ) 4 )

2

S n e l l , Physiol. Reviews 33, 509 (1953). M e t z l e r u. Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 76, 648 (1954). H i r d u. R o w s e l l , Nature 166, 517 (1950). R o w s e l l , Nature 168, 104 (1951).

TryptoFerner h. ohne PhenylArginin

Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper

383

kann die NH a -Gruppe auf Pyruvat übertragen werden ( Q u a s t e l und W i l l y ) . Die Aminierung der Ketoglutarsäure durch verschiedene Aminosäuren ist auch bei einer Reihe von Mikroorganismen (Neurospora, Milchsäurebakterien, E. coli, B. subtilis u. a.) beobachtet worden. Die Fermente sind in allen diesen Fällen noch nicht genauer untersucht worden. Es steht aber außer Zweifel, d a ß es s i c h b e i der T r a n s a m i n i e r u n g u m e i n e a l l g e m e i n e R e a k t i o n h a n d e l t , an welcher eine R e i h e v e r s c h i e d e n e r Aminoo d e r a - K e t o s ä u r e n b e t e i l i g t s e i n k ö n n e n . Ein atypisches Verhalten zeigt das Ornithin. Es reagiert mit a-Ketoglutarsäure unter Bildung des Glutaminsäure-y-semialdehyds als der desaminierenden Verbindung (COOHCH(NH2)CH2CH2CHO). Es wird also hier nicht die x-, sondern die y-Aminogruppe auf die Ketosäure übertragen1).

Eine besondere Rolle scheint bei den Transaminierungsreaktionen das G l u t a m i n zu spielen. Wie A. M e i s t e r nachgewiesen hat, reagiert es bei Gegenwart eines aus der Leber isolierten Enzyms („Glutaminase I I " ) mit einer ganzen Reihe verschiedener Ketosäuren, wobei «-Ketoglutarsäure, Ammoniak und die der zugesetzten Ketosäure entsprechende Aminosäure entstehen 2 ). COOH j HCNH 2 1 CH2 1 1 CH2 1 CONHJ

+

COOH i 1 CO j 1 R

COOH i 1 CO j CH2 + 1 CH2 1 COOH

COOH 1 HCNH 2 11 R

Zuerst wird die a-Aminogruppe des Glutamins auf die Ketosäure übertragen; als Zwischenprodukt entsteht das y-Amid der oc-Ketoglutarsäure, deren Säureamidgruppe anschließend durch das gleiche Enzym hydrolytisch gespalten wird. Es können durch diese Reaktion viele natürliche und auch nicht in der Natur vorkommende Aminosäuren aus den entsprechenden a-Ketosäuren gebildet werden. Auch Asparagin reagiert in ähnlicher Weise; doch wird diese Reaktion wahrscheinlich durch ein für Asparagin spezifisches Enzym bewirkt. Die Bedeutung der Transaminierung hat sich in besonders schöner Weise bei Versuchen von S c h o e n h e i m e r und R i t t e n b e r g mit markierten Aminosäuren gezeigt. Wie zu erwarten, enthält die verfütterte Aminosäure die größte Konzentration des Isotops. Es haben aber auch andere Aminosäuren den schweren Stickstoff aufgenommen, Glutaminsäure und Asparaginsäure am meisten. Dies ist der Ausdruck der besonders großen Reaktionsfähigkeit der beiden Dicarbonsäuren bei den Transaminierungsreaktionen. Vgl. Beispiel S. 375.

Außer der direkten reduktiven Aminierung durch Ammoniak und der Transaminierung ist noch eine weitere Bildungsweise der «-Aminosäuren aus a-Ketosäuren erwogen worden, die sog. a c e t y l i e r e n d e A m i n i e r u n g (zuerst von K n o o p 3 ) , später von D u V i g n e a u d 4 ) ) . Diese Theorie beruht auf der Beobachtung, daß nach Verfütterung gewisser aromatischer a-Ketosäuren im Urin die N-Acetylderivate der entsprechenden Aminosäuren auftreten. Verfüttert man D, L-y-Phenyl-a-ketobuttersäure, so findet man im Harn (Hund) rechtsdrehende N-Acetyl-y-phenyl-a-aminobuttersäure. Füttert man gleichzeitig Brenztraubensäure zu, so ist die Ausbeute vermehrt. K n o o p nahm daher an, daß !) 2 ) 3 ) 4 )

M e i s t e r , J. biol. Chem. 206, 587 (1954). M e i s t e r , Science 120, 43 (1954). K n o o p , Zschr. physiol. Chem. 67, 489 (1910). D u V i g n e a u d u. Mitarb., J. biol. Chem. 181, 273 (1939).

384

Der Eiweißstoffwechsel

die Acetylgruppe durch die Dehydrierung der Brenztraubensäure gebildet wird und daß die Einführung der Aminogruppe in die Ketosäure, die ein reduktiver Prozeß ist, mit der Oxydation der Brenztraubensäure zur Essigsäure direkt gekoppelt ist. R ¿ = 0 + NH,

R

• ¿=NH + 0 = i

¿OOH Ketosäure

H3C

ÖOOH

HOOG

Iminosäure Brenztraubensäure

R

CHg

-» H — i — N H — ¿ 0 +

C0 2

¿OOH ¡x-Acetylaminosäure

Die K n o o p s c h e Auffassung schien eine Stütze in den alten Beobachtungen von E r l e n m e y e r und von D e J o n g zu finden, wonach beim Erhitzen von Brenztraubensäure mit Ammoniumcarbonat und Phenylalanin im Reagensglas N-Acetylphenylalanin entsteht. Die K n o o p s c h e Theorie läßt sich aber heute kaum mehr aufrecht erhalten; man muß nach den gegenwärtigen Kenntnissen annehmen, daß die Bildung der Aminosäuren aus den a-Ketosäuren und ihre Acetylierung unabhängige Prozesse sind. Die Acetylierung läßt sich besonders bei körperfremden Aminosäuren leicht beobachten, weil hier, wie im obigen Beispiel, die Acetylderivate meistens im Urin ausgeschieden werden. Es handelt sich hier um einen eigentlichen Entgiftungsvorgang (vgl. S. 611). I n einigen Fällen hat man eine Umkehrung der Konfiguration beobachtet. So erscheint nach Yerfütterung von racemischer Phenylaminobuttersäure die acetylierte Verbindung ausschließlich in der L-Form im Urin, was darauf hindeutet, daß die D-Form über die Ketosäure in die erstere umgewandelt worden ist. Dies wird bestätigt durch Versuche mit NW-Phenylaminobuttersäure. Gibt man die L-Form, so enthält das gebildete Acetylderivat noch fast das gesamte Isotop, während die D-Form das Isotop zufolge der genannten Reaktion fast vollständig verliert (Du Vigneaud)1). In anderen Fällen scheint nur das Acetylderivat des nicht natürlichen Antipoden im Stoffwechsel stabil zu sein: Von den beiden Antipoden des N-Acetylphenylalanins wird der der nicht natürlichen D-Form entsprechende im Urin ausgeschieden, während der andere offenbar umgesetzt wird. ( K n o o p hatte ursprünglich den Acetylderivaten der genannten Aminosäuren die unrichtige Konfiguration zugeschrieben; dies wurde durch D u V i g n e a u d richtiggestellt.) Nach den erwähnten Beobachtungen kann kein Zweifel bestehen, daß die Acetylderivate der Aminosäuren mit „natürlicher" Konfiguration im Tierkörper sowohl gebildet als auch umgesetzt werden können. Die Herkunft des Acetylrests konnte mit Hilfe der Isotopenmethode klargestellt werden. Als erster hat B e r n h a r d durch Verabreichung von Deuterioessigsäure gezeigt, daß die Essigsäure selbst zur Acetylierung der Phenylaminobuttersäure verwendet wird 2 ). Später konnte der Einbau markierter Essigsäure auch bei der Acetylierung der natürlichen Aminosäuren Leucin und Phenylalanin bewiesen werden [ B l o c h und B o r e k 3 ) ] . Durch die Entdeckung des acetylierenden Coenzyms A wurde der Mechanismus dieser Reaktionen aufgeklärt: die Essigsäure muß in einer ersten, ATP-abhängigen Stufe in AcetvlCoA übergeführt werden, welches dann den Acetylrest auf die Aminosäure überträgt: Acetat + C o A - S H

ATP

> Acetyl—S—Co A

Acetyl—S—CoA + Aminosäure

>- N-Acetyl-Aminosäure + CoA—SH

Auf die Aktivierung der Essigsäure kommen wir in einem späteren Kapitel zu sprechen. Es ist klar, daß neben dem Acetat alle Verbindungen, welche aktivierte Essigsäure liefern, potentielle Acetyldonatoren sind. I n erster Linie kommt das P y r u v a t in Frage. Nach Ver*) D u V i g n e a u d u. Mitarb., J . biol. Chem. 131, 273 (1939). ) B e r n h a r d , Zschr. physiol. Chem. 267, 91 (1941). ) B l o c h u. B o r e k , J . biol. Chem. 164,483 (1946).

2

3

385

Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes

suchen mit markiertem Pyruvat seheint dieses aber nur in geringem Umfang Acetylgruppen für die Acetylierung von Aminen zu liefern; doch können dafür sekundäre Ursachen verantwortlich sein. Es läßt sich nur schwer angeben, in welchem Umfang die verschiedenen Quellen des aktiven Acetats an der Acetylierung tatsächlich beteiligt sind1).

Werden Aminosäuren an ihrer Aminogruppe methyliert, so können sie trotzdem in vielen Fällen vom Organismus verwertet werden: X

I

H—C—NH2 I COOH Aminosäure

X

I

/CH,

H—C—N—H I COOH N-Methylaminosäure

Nach B l o c h und S c h o e n h e i m e r trifft dies für Histin, Tryptophan, Methionin, Phenylalanin und Cystin zu, während N-Methyllysin und N- Methylleucin die natürlichen Aminosäuren nicht ersetzen können. Die / ? - A m i n o s ä u r e n haben mit Ausnahme des /i-AIanins (siehe S. 69) kaum eine Bedeutung. So werden nach K. L a n g die yß-Amino-n-valerian-, -capron-, -octan- und -decansäure im Harn unverändert ausgeschieden. 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 2 ) Die bei der oxydativen Desaminierung von Aminosäuren oder durch Transaminierung entstehenden a-Ketosäuren können auf verschiedene Weise weiterreagieren, je nach ihrer Natur und der augenblicklichen Situation im Stoffwechselgeschehen. Wir haben verschiedene Möglichkeiten bereits erwähnt: Oxydation, Zuckerbildung, Ketogenese, Bildung von höheren Fettsäuren. Einzelne Aminosäuren gehen durch oxydative Desaminierung direkt in Zwischenglieder des Citronensäurecyklus über: Alanin Glutaminsäure Asparaginsäure

• Brenztraubensäure > a-Ketoglutarsäure -CH-CH2-CH-COOH CH3/ | NH,

CH. CH,

Leucin

a-Ketoisocapronsäure O j CoA-SH T

^>CH—CHa—CO—S—CoA

Isovaleryl-CoA

B l o c h konnte mit Hilfe der deuteriumhaltigen Verbindungen zeigen, daß Leucin und Isovaleriansäure Essigsäure liefern können 1 ). Weitere Untersuchungen mit C(14)-markierter Isovaleriansäure ergaben, daß die Verbindung nach Art einer /S-Oxydation unter gleichzeitiger Fixierung von C0 2 abgebaut wird, wobei wahrscheinlich die folgenden Zwischenstufen durchlaufen werden 2 ): ») B l o c h , J. biol. Chem. 155, 255 (1944). 2 ) Vgl. C o o n , J. biol. Chem. 187, 71 (1950); Fed. Proc. 14, 762 (1955).

387

Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes CHSN >CH-CH2-CO-S-COA CH,/

I \ C = C H - CO - S - CoA CH3/ , + H,0 Crotonase OH CH.

GH,

3

CH,COOH-CH, CH,COOH - CH a - CO - CH,

+ oo,

OH

>C-CH2-CO-S-CoA

\

CH.-CO-S-CoA Kondensation von 2 Molekülen

CH3-CO-CH2-COOH + CoA-SH Die carboxylierende Spaltung der Isovaleriansäure hängt anscheinend vom Biotin ab 1 ), und es ist anzunehmen, daß das Vitamin bei der Addition der Kohlensäure eine Rolle spielt. Die Carboxylierungsreaktion ist noch in anderer Hinsicht von Interesse. Coon hat gezeigt, daß dieselbe ATP abhängig ist und daß sie von einer Abspaltung von Pyrophosphat aus dem letzteren begleitet ist 2 ). Er nimmt daher an, daß in einer ersten Reaktion mit dem ATP die Kohlensäure in eine „aktivierte" Form übergeführt wird, die anschließend mit dem Carboxylakzeptor reagiert: 1)

ATP + C0 2 —• aktivierte Kohlensäure + Pyrophosphat ch3 aktivierte Kohlensäure

+

ch2—COOH

C^OH

AMP (?)

CO—S—CoA Die aktivierte Kohlensäure ist möglicherweise Adenosin-5'-phosphocarbonat:

Adenin-

O a h H H II ^0 D—C- C—C—CH a —O—P—0—CC I OH OH OH oh 1 0

doch ist dies nicht bewiesen. Wahrscheinlich handelt es sich bei Gleichung 1) um eine Reaktion, welche auch die Vorstufe anderer Carboxylierungen darstellt, und die aktivierte Kohlensäure repräsentiert einen neuen Typus reaktionsfähiger Zwischenverbindungen. Das I s o l e u c i n ist glucoplastisch und nur schwach ketoplastisch. Es geht durch Decarboxylierung und Desaminierung in a-Methylbuttersäure über; die letztere wird in Propion!) L a r d y , Physiol. Reviews 33, 660 (1953). ) C o o n , Fed. Proc. 14, 762 (1955).

a

25*

388

Der Eiweißstoffwechsel

säure und aktives Acetat gespalten, welches Acetessigsäure liefert 1 ). Das Propionat kann in Succinat übergehen (S. 360); dies erklärt die Zuckerbildung aus dem Isoleucin. -CH-COOH

k

a-Methylbuttersäure

3Ha

/ (CH3COOH) I CH„C0CH 2 C00H

CH3CH2COOH I CH3COCOOH

(Es ist anzunehmen, daß auch hier die a-Methylbuttersäure als CoA-Verbindung reagiert.) Die aus V a l i n entstehende Isobuttersäure zerfällt in Propionsäure und C0 2 2 ). Die Isotopenverteilung in den Spaltprodukten, die aus der markierten Verbindung entstehen, zeigt, daß die Carboxylgruppe der Isobuttersäure das C0 2 liefert, während die Carboxylgruppe der Propionsäure durch Methyloxydation entsteht 3 ).

ch3. CH,

OCHx * >CH-COOH CH,/

CH-4-COOH

CH3CH2COOH + C0 2

Die Propionsäure kann zur Glycogenbildung verwendet werden, d. h. das Valin ist glucoplastisoh. Ein gewisses theoretisches Interesse bildet auch der Abbau der a-Amino-jS-oxyaäuren. K n o o p untersuchte das Schicksal der ,8-Oxy-a-aminosäuren und konnte zeigen, daß auch diese Säuren den genannten allgemeinen Abbauweg nicht einschlagen. Es wurden verschiedene Oxyaminosäuren in Form ihrer Phenylverbindungen an Hunde verfüttert, analog zu den Versuchen, die beim Fettsäureabbau besprochen wurden: y-Phenyl-ß-oxy-a-aminobuttersäure:

c6h5

Ah, CH-OH

C61 •

'CH2

= Phenylessigsäure im Harn

¿OOH

ch-nh 2 ¿OOH

I COOH

389 Benzoesäure (als Hippursäure)

CHa

¿H-NH,

J0 0 H

COOH Es folgt aus diesen Versuchen, daß die /S-Oxy-a-aminosäuren n i c h t dem Abbaugesetz der einfachen Aminosäuren sondern direkt dem Gesetz der ^ - O x y d a t i o n unterliegen. Diese Tatsache zwingt nun weiter zu dem Schluß, daß die /S-Oxyaminosäuren auch nicht normale Zwischenprodukte des Aminosäureabbaues sein können. Die natürlich vorkommenden Oxyaminosäuren (Serin undThreonin) kommen als Quelle für dieGlycocollbildung in Frage (S.418).

Auf die spezielleren Abbaureaktionen anderer Aminosäuren, insbesondere der aromatischen und heterocyklischen, werden wir später zu sprechen kommen. Dccarboxylierung der Aminosäuren. Eine wichtige Abbaureaktion der «-Aminosäuren ist die Decarboxylierung zu dem um ein C-Atom ärmeren Amin: COOH -NH2

»

CH2—NH2 | + COj R

Die Reaktion spielt vor allem im Stoffwechsel der Bakterien eine große Rolle. Bei den höheren Tieren stellt sie einen Nebenweg dar, hat aber trotzdem Bedeutung, weil sie zu physiologisch sehr wirksamen Stoffen führen kann. Einige wenige Beispiele mögen genügen. In der Niere verschiedener Tierarten (Schwein, Meerschweinchen, Kaninchen, Maus) wurde ein Ferment gefunden, das L(+)-Histidin zu Histamin decarboxyliert (Werle): C00H H—i—NH 2 CH2 I C Nv II >CH HC—NH/ Histidin

CH2—NH2 —>

¿H 2 I C - - N. || >CH HC—NHX Histamin

Für die Adrenalinsynthese ist das Enzym wichtig, das L-Dioxyphenylalanin zu Oxytyramin (Dopamin) decarboxyliert: OH >—OH

OH I r i—OH

¿H s CH-NH, COOH Dioxyphenylalanin (Dopa)

Oxyt37ramin

Die Dopadecarboxylase findet sich besonders reichlich in der Niere ( H o l t z ) .

Der Eiweißstoffwechsel

390

In der Leber findet sich ein Enzym, dasCysteinsäure ( C 0 0 H CH(NH a )-CH 2 -S0 3 H) zu Tauxin decarboxyliert ( B l a s c h k o ) . Sehr verbreitet sind die Aminosäuredecarboxylasen bei den Bakterien (Esch, coli; Strept. haemolyticus, faecalis; Clostridium septicum, Welchii; Proteus vulgaris; u. a. m.). Man hat spezifische Decarboxylasen für die folgenden Aminosäuren gefunden ( G a l e ) : Arginin, Lysin, Histidin, Ornithin, Tyrosin, Glutaminsäure, Asparaginsäure. (Wie wir früher bereits erwähnt haben, können einzelne dieser Decarboxylasen zur quantitativen Bestimmung der betreffenden Aminosäuren verwendet werden.) Aus den basischen Aminosäuren Lysin und Ornithin entstehen die Diamine C a d a v e r i n u n d P u t r e s c i n , die auch im Urin gefunden worden s i n d ( E . B a u m a n n ) : COOH HC—NHa

ch 2 —kh 2

¿h 2

Ah2

CH2 I CH2

ch 2 I ch 2

ch 2 —nh 2

ch 2 —nh 2

|

I

Lysin

Cadaverin

COOH CH«>—jS:H2 i ch 2 I ch 2 I ¿H2—NH2

HC—NH2 I ch 2 I ch2 I ch 2 —nh 2 Ornithin

Putrescin

Wenn Streptococcus faecalis auf einem pyridoxinarmen Medium gezüchtet wird, so verliert er die Fähigkeit zur Decarboxylierung des Tyrosins ( G u n s a l u s ) . Es zeigte sich aber, daß nicht Pyridoxin selbst, sondern das P y r i d o x a l p h o s p h a t (siehe S. 381) das Coferment der Decarboxylasen ist. Der pyridoxinarm gezüchtete Organismus kann noch das Fermentprotein, aber nicht genügend Coferment bilden 1 ). Fermentextrakte aus derartigen Organismen lassen sich durch Pyridoxalphosphat aktivieren. Die durch Decarboxylierung der Aminosäuren entstehenden Amine gehören zu der großen Gruppe der im Pflanzen- und Tierreich weitverbreiteten basischen Stoffe, welche G u g g e n h e i m unter dem Namen der b i o g e n e n A m i n e zusammengefaßt hat 2 ). Diese Stoffe bieten nicht nur als Produkte des Intermediärstoffwechsels sondern auch wegen ihrer mannigfaltigen biologischen Wirkungen größtes Interesse. Die Amine, die aus den Aminosäuren durch Decarboxylierung entstanden sind, können durch die sog. Aminoxydasen weiter zu Aldehyden und diese schließlich zu den Carbonsäuren oxydiert werden. Es ergibt sich also die nachstehende Folge von Reaktionen: X X X X ¿h 2 I ch-nh2 COOH l-Aminosäure

CH2 ,0 CHj I > !/H CH 2 -NH 2 C< + + X) C02 NH, Amin

Aldehyd

,0

-

CH2 |.0 C Xf 0H Fettsäure

») Vgl. G u n s a l u s , Fed. Proc. 9, 556 (1950). ) Vgl. G u g g e n h e i m : Die biogenen Amine. Basel 1951. Übersicht über die Entdeckung der wichtigsten biogenen Amine der Tierwelt siehe A c k e r m a n n in: 6. Kolloquium der Ges. physiol. Chemie, Mosbach/Baden, April 1955, S. 119. Berlin, Göttingen und Heidelberg 1956. 2

Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren. Phenylalanin und Tyrosin

391

Die oxydative Desaminierung der Amine wurde erstmals von E w i n s und Laidlaw 1 ) sowie von G u g g e n h e i m und Löffler 2 ) bei Perfusion der Leber mit aminhaltigen Lösungen beobachtet. Enzyme, welche aliphatische oder aromatische Monoamine angreifen, finden sich in verschiedenen Geweben (Leber, Niere, Darm, Hirn, Lunge). Auch sekundäre Amine wie das Adrenalin (Formel S. 335) werden oxydiert. Man nennt sie Monoaminoxydasen. Bei der Oxydation des Amins wird Ammoniak, Wasserstoffsuperoxyd und der entsprechende Aldehyd gebildet: RCH 2 NH 2 + HjO = RCHO + NH3 + H 2 0 2 . Aminoxydasen spielen möglicherweise bei der Inaktivierung der physiologisch wirksamen Amine, die in den Kreislauf gelangen (z. B. des Adrenalins), eine große Rolle. Die Aminoxydasen der Leber dürften für den Abbau der im Darm durch Tätigkeit der Fäulnisbakterien entstehenden Amine von Bedeutung sein. Sie wirken also bei den Entgiftungsvorgängen in der Leber mit 3 ). Von B e s t wurde ein Enzym entdeckt, welches das Histamin oxydativ angreift. Es stellte sich später heraus, daß das gleiche Ferment eine Reihe von Diaminen angreift, so das Cadaverin und das Putrescin (Zeller). Es handelt sich also um eine Diaminoxydase. Das Ferment wird durch Cyanid und Carbonylreagentien (z. B. Semicarbazid, Bisulfit usw.) gehemmt. Merkwürdig ist die Beobachtung, daß der Gehalt des Bluts an Diaminoxydase in der Schwangerschaft stark erhöht ist (Zeller). 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren Je nach der typischen Gruppe, welche in den einzelnen Aminosäuren enthalten ist, können sie die verschiedensten Umwandlungen erleiden. Die wichtigsten sollen hier kurz dargestellt werden. A. Phenylalanin und Tyrosin

Phenylalanin kann zu Tyrosin oxydiert werden. Dies ist eindeutig durch Verwendung von Deuteriophenylalanin bewiesen worden (Schoenheimer). OH

I, CHo i CH-NH,

-

COOK Phenylalanin

CH, i CH—NHL COOK Tyrosin

Der umgekehrte Vorgang ist nicht möglich. Phenylalanin kann oxydativ desaminiert werden, wobei Phenylbrenztraubensäure entsteht: !) J. Physiol. 41, 78 (1910). 2 ) Biochem. Zschr. 74, 208 (1916). 3 ) Vgl. B l a s c h k o . Pharmacol. Reviews 4, 415 (1952).

392

Der Eiweißstoffwochsel COOH

COOH

HC—NH„

C=0

CH 2

v -

Phenylbrenztraubensäure Außer durch direkte Versuche mit Gcwebsschnitten ( K r e b s ) wird dies durch das Auftreten der Ketosäure im Urin bei einer seltenen, angeborenen Stoffwechsel Störung, der I m b e c i l l i t a s (oder O l i g o p h r e n i a ) p h c n y l p y r u v i c a ( F ö l l i n g ) bewiesen. Hauptmerkmal ist ein Schwachsinn leichten bis schweren Grades, der möglicherweise auf einer Entwicklungsstörung des Gehirns schon während des intrauterinen Lebens beruht. Die Krankheit tritt familiär auf. Der Urin dieser Patienten färbt sich bei Zugabe von Eisenchlorid grün (Reaktion der Phenylbrenztraubensäure). Neben der Phenylbrenztraubensäure treten im Urin Phenylmilchsäure und Phenylessigsäure auf. Wahrscheinlich ist die Oxydation des Phenylalanins zu Tyrosin nicht mehr möglich. Nach alten Versuchen von E m b d e n kann aber Phenylbrenztraubensäure (in der Niere) nicht weiter zu Acetessigsäure oxydiert werden. Es sind auch Fälle einer angeborenen Stoffwechselstörung beschrieben, die sog. „Tyrosinose", die durch vermehrte Ausscheidung von Tyrosin ausgezeichnet ist (Medes).

Eine weitere Störung im Abbau der aromatischen Aminosäuren ist die sog. Alkaptonurie. Es handelt sich auch hier um eine sehr seltene, familiär auftretende Anomalie. Im Urin tritt eine Substanz auf, die reduzierende Eigenschaften hat (ammoniakalische Silberlösung wird in der Kälte reduziert) und sich mit Alkali schwarz färbt. Der früher „Alkapton" genannte Körper wurde von E. B a u m a n n als Homogentisinsäure identifiziert (so genannt, weil die Säure ein Homologes der Gentisinsäure ist, die durch oxydativen Abbau aus dem Aglucon eines Glycosids der Enzianwurzel, des Gentisins, entsteht): OH I ^V-CH2-COOH

Homogentisinsäure

OH

Die Ausscheidung der Homogentisinsäure ist bei eiweißreicher Kost vermehrt, als Zeichen dafür, daßdieSubstanz aus den aromatischen Bausteinen der Proteine stammt. COOH

COOH

COOH

C=0

C=0

COOH °

Tyrosin

p-Oxyphenylbrenztraubensäure

0 Chinol

2,5-Dioxyphenylbrenztraubensäure

H

COOH

Homogentisin säure

Die Homogentisinsäure ist sehr wahrscheinlich ein normales Zwischenprodukt beim Abbau der aromatischen Aminosäuren. Die Alkaptonurie bietet daher eine ausgezeichnete Gelegenheit nachzuprüfen, welche Stoffe als Zwischenstufen dieses

Phenylalanin und Tyrosin

393

Abbaus in Frage kommen. Vermehrt ein Stoff die Menge der ausgeschiedenen Homogentisinsäure, so ist er selbst Zwischenprodukt oder kann in ein solches übergehen. Wir haben oben bereits ein Beispiel erwähnt: p-Oxyphenylbrenztraubensäure liefert Alkapton, nicht aber die p-Oxyphenylmilchsäure. Die letztere kann also nicht die Verbindung sein, welche durch die Desaminierung des Tyrosins entsteht. Auf diese Weise ist man dazu gekommen, für die Entstehung der Homogentisinsäure aus Tyrosin die vorstehende Folge von Reaktionen anzunehmen (S. 392). In der Homogentisinsäure ist keine der beiden phenolischen Hydroxylgruppen zur Seitenkette paraständig wie im Tyrosin. Man nimmt daher an, daß beim Übergang in das Hydrochinonderivat eine Verschiebung der Seitenkette stattfindet. Die organische Chemie kennt Beispiele für derartige Umlagerungen, die über ein Chinol führen. Neuere Untersuchungen haben das obige Schema der Homogentisinsäurebildung, das im wesentlichen auf die Arbeiten älterer Autoren ( N e u b a u e r u. a.) am intakten Organismus zurückgeht, bestätigt und haben außerdem durch Verwendung löslicher Fermentsysteme aus Leber einigen Aufschluß über einzelne Teilreaktionen gebracht. Die Überführung des Tyrosins in p-Oxyphenylbrenztraubensäure geschieht durch eine Transaminierung, bei welcher a-Ketoglutarsäure der obligatorische Akzeptor ist. 2,5-Dioxyphenylalanin wird durch das gleiche Fermentsystem nicht angegriffen; daraus geht hervor, daß die Desaminierung schon auf der Stufe des Tyrosins als erste Reaktion erfolgt und nicht erst nach der weiteren Oxydation im Benzolring (Knox). Die Oxydation der p-Oxyphenylbrenztraubensäure zu Homogentisinsäure ist von der Ascorbinsäure abhängig, deren Wirkung spezifisch zu sein scheint. (Nur Isoascorbinsäure, die ebenfalls eine gewisse antiskorbutische Wirksamkeit zeigt, erwies sich als schwach aktiv.) Man hat schon früher die Feststellung gemacht, daß Meerschweinchen, die keine Ascorbinsäure erhalten und mit Tyrosin belastet werden, Alkaptonurie zeigen (vgl. S. 802). Der Abbau des Tyrosins zur Homogentisinsäure kann demnach in folgende Teilreaktionen zerlegt werden 1 ): Tyrosin + a-Ketoglutarat — • p-Oxyphenylpyruvat + Glutaminsäure p-Oxyphenylpyruvat + J 0 2 —v 2,5-DioxyphenyIpyruvat 2,5-Dioxyphenylpyruvat + | 0 2 —*• Homogentisinat + C0 2 Der weitere oxydative Abbau der Homogentisinsäure führt zur Ringöffnung. E m b d e n hatte schon vor langen Jahren (1906) gefunden, daß bei Durchströmung der Leber mit Tyrosin oder Homogentisinsäure Acetessigsäure entsteht. Neuerdings ist als weiteres Spaltstück Fumarsäure und Äpfelsäure nachgewiesen worden. Als Zwischenprodukt wird Fumarylacetessigsäure gebildet. Der Abbau stellt sich also folgendermaßen dar: OH |

O II

CO OH -CH,

•2H

COOH I CH„

Homogen tisinsäureoxydase2)

COOH OH COOH - 1 + H,0_ - 2H

H 1C

I H, cI — C

HC

CH 0

JH COOH HC,1 II HC

COOH 3H2 I c=o

+ H,o

COOH I HC II HC

4 COOH I CH. I C= 0

COOH CH3 0 = C— CIL, Fumarsäure Acetessigsäure Fumaryloxalessigsäure J ) K n o x , Biochem. J . 49, 686 (1951). 2 ) Vgl. Cranda.ll u. H a l i k i s , J. biol. Chem. 208, 629 (1954).

394

Der Eiweißstoffwechsel

Die eingeklammerten Zwischenprodukte in den vorstehenden Formen sind hypothetisch. Die Ct-Carbonsäuren werden über den Tricarbonsäurecyklus schließlich zu C0 2 und H a 0 oxydiert.

Eine einfache Decarboxylierung des Tyrosins führt zum p - O x y p h e n y l ä t h y l a m i n , welches auchTyramin genannt wird. Es entsteht durch die Einwirkung von Bakterien auf die Aminosäure; aber auch tierische Gewebe, insbesondere die Niere, vermögen Tyrosin (wie auch Dopa) zu decarboxylieren: OH

OH

l CH,

COOH Tyrosin

Tyramin

Eine weitere wichtige Substanz, welche ebenfalls aus diesen Aminosäuren gebildet wird, ist das A d r e n a l i n . Über seine Synthese siehe S. 705. Aus dem Tyrosin kann durch Oxydation das Dioxyphenylalanin entstehen: HO I HO—/

\

NH,

/

CH2—CH—COOH

In dieser auch „Dopa" genannten Verbindung sowie im Adrenalin befinden sich die zwei phenolischenHydroxyle in ortho-Stellung. Sie sind demnach als Derivate des Brenzcatechins aufzufassen. Phenole neigen zur Bildung von dunklen Farbstoffen und so wird auch die Pigmentbildung der Haut, die Melaninbildung, auf solche Oxydationsprodukte des Tyrosins zurückgeführt. Besonders das Dioxyphenylalanin scheint dabei eine Rolle zu spielen. In der Haut (Melanoblasten der Epidermis) kommt ein oxydierendes Ferment, die „Dopaoxydase", vor, durch dessen Wirkung Dioxyphenylalanin in das dunkle Pigment verwandelt wird ( B r u n o Bloch). Man erhält derartige dunkle Farbstoffe auch in vitro, wenn man Tyrosin mit tyrosinasehaltigen Extrakten aus Pflanzen (Kartoffeln, Pilzen) behandelt. Die Tyrosinase ist ein Ferment, das Monophenole langsam zu Orthodiphenolen, die letzteren aber schnell zu den entsprechenden Orthochinonen und weiter zu Pigmenten oxydiert (vgl. S. 257). Wirksame Extrakte sind auch aus den melaninhaltigen Geschwülsten (Melanomen) gewonnen worden. Sehr wahrscheinlich sind die Dopaoxydase B l o c h s und die Tyrosinase (Monophenoloxydase) ein und dasselbe Ferment. Tyrosin wird im Gegensatz zum Dopa von normalen Melanoblasten nicht oder nur sehr langsam in Melanin verwandelt; doch hat dies seine Ursache wahrscheinlich nicht in einer Verschiedenheit der Fermente, sondern ist durch spezielle Umstände bedingt (lange Latenzzeit bis zur Bildung genügender Mengen des aktivierend wirkenden Diphenols aus dem Monophenol, vgl. S. 257, usw.). Melanoblasten der menschlichen Haut können durch Ultraviolettbestrahlung aktiviert werden, so daß sie auch aus Tyrosin Pigment bilden. Die Melanine gehören zu den verbreitetsten Pigmenten. Sie finden sich bei allen Klassen des Tierreichs. Sie können nicht nur aus den aromatischen Aminosäuren, sondern auch aus dem Tryptophan entstehen. Wahrscheinlich gibt es verschiedenartige Melanine. Weder ihre chemische Struktur noch ihre Entstehungsweise sind in allen Einzelheiten bekannt. Es scheint aber, daß ihnen das C-Gerüst des Indols zugrunde liegt:

395

Phenylalanin und Tyrosin

N Das Tyrosin wird durch die Phenoloxydase (Tyrosinase) zuerst zu Dioxyphenylalanin (I) und weiter zum entsprechenden Orthochinon (II) oxydiert, das sich leicht in ein Dihydroindolderivat (III) umlagert. Dieses wird spontan zum entsprechenden Orthochinon (IV) oxydiert. Das letztere wird neuerdings als Dopachrom bezeichnet. Man hielt die Verbindung früher für identisch mit einem von M a z z a isolierten roten Farbstoff, der im marinen Wurm H a l l a p a r t h e n o p e i a vorkommt und deshalb den Namen Hallachrom erhalten hat. Die beiden Farbstoffe sind aber verschieden. Das Dopachrom lagert sich unter gleichzeitiger Decarboxylierung in 6,6-Dioxyindol (V) um. Das entsprechende Orthochinon (VI) ist wahrscheinlich die Muttersubstanz des Melanins, welches durch Oxydation und Polymerisation aus ihr hervorgeht. I Dopa H O — if I HO—x

II Dopaorthochinon CH2 0=//S ' —2H CH—COOH J

III fi.ß-DioxydihydroinloIa. -carbonsäure CH. HO—rf^S CH, • l ! OH-COOH—J^^CH—COOH NH •2H

0=f

0=1

CH /CH

• 2H

CO, NH

VI Melaninmuttersubstanz

5,6-Dioxyindol

Außer dem Tyrosin ist auch das Adrenalin (VII) zur Melaninbildung befähigt. Hier ist das A d r e n o c h r o m (IX) als Zwischenprodukt anzunehmen: H O - / V -

CH - OH CH,

NH I CH3

— 2H Umlageruny

-CH - OH /CH,

HO HO—1

2H

N ¿H 3

VII Adrenalin

VIII Leukoadrenochrom

0 =

CH • OH /CH,

0 =

N I

CH3

IX Adrenochrom

0 =/ V 0 =1

C= 0 /CH, N I CH,

X Oxoadrenochrom

Naoh neueren Untersuchungen scheint es, daß das Adrenochrom weiter zu Oxoadrenochrom (X) dehydriert wird. Solche Körper verbinden sich mit Ketonen leicht zu sog. Indogeniden. Man hat daher angenommen, daß bei der Pigmentbildung sich die Orthochinone (X) unter sich zu hochmolekularen Stoffen kondensieren (G. N. Cohen).

Der Eiweißstoffwechsel

396

Melanine kommen auch in gewissen bösartigen Geschwülsten (Melanosarkomen) vor. Der Urin der Kranken enthält Stoffe (Chromogene), die durch Oxydationsmittel in dunkle Pigmente verwandelt werden (Melanurie).

Ein Tyrosinderivat ist auch das Schilddrüsenhormon, das Thyroxin. Es wurde zuerst von K e n d a l l i n reinem Zustand gewonnen und von H a r i n g t o n und B a r g er synthetisch dargestellt. Es ist ein Tetrajodderivat des p-Oxyphenyläthers des Tyrosins und zeigt Ähnlichkeit mit der aus dem Schwamm Gorgonia isolierten Jodgorgosäure: OH

JA,J CH3

j j A r

^H,

Ai

¿1 2H u

CH 1

COOH Thyroxin

¿00H ¿c Jodgorgosäure

Über Dijodtyrosin und Trijodthyronin vgl. S. 680. Thyroxin kann unter bestimmten Bedingungen auch in vitro entstehen. Bei Behandeln von Proteinen mit Jod wird dieses in organische Bindung übergeführt. Aus derartigem Eiweiß hat man Thyroxin isolieren können 1 ). Näheres über die Thyroxinsynthese siehe S. 681. Über die B i o s y n t h e s e der aromatischen Aminosäuren sind wichtige Erkenntnisse mit Hilfe von Bakterienmutanten gewonnen worden. Anscheinend geht die Synthese von der C h i n a s ä u r e (1, 3, 4, 5-Tetraoxy-cyklohexancarbonsäure) aus, die ihrerseits wahrscheinlich durch Cyklisierung aus der Glucose entsteht. Im tierischen Organismus können, wie schon seit längerer Zeit bekannt ist, Cyklohexan- und Cyklohexancarbonsäuren aromatisiert, d. h. in Benzoesäure übergeführt werden 2 ) 3 ). Beim Menschen geht auch die Chinasäure in Benzoesäure über 3 ). Als Zwischenprodukt J der Synthese der aromatischen Aminosäuren tritt die S h i k i m i s ä u r e auf (eine Substanz, die als Inhaltsstoff der Früchte von Illicium religiosum, jap. ,,Shikimino-Ki" schon lange bekannt ist). Auf Grund der Versuche mit Bakterienmutanten (Aerobacter, Coli) gelangt D a v i s zu folgender Reaktionsreihe 4 ): 1 ) Über den Stoffwechsel des Phenylalanins und Tyrosins und über Melaninbildung vgl. L e r n e r , Adv. Enzymol. 14, 73 (1953); D a l g l i e s h , Adv. Prot. Chem. 10, 31 (1955). *) B e r n h a r d , Zschr. physiol. Chem. 248, 256 (1937); 256, 59 (1938). s ) Beer u. Mitarb., Biochem. J. 48, 222 (1951). 4 ) D a v i s , Fed. Proc. 14, 691 (1955); D a v i s in Mc E l r o y a. G l a s s : Amino acid metabolism, S. 799. Baltimore 1955. D a v i s u. Mitarb., J. Am. chem. Soc. 75, 5567, 5572 (1953); J. biol. Chem. 191, 315 (1951); Science 118, 251 (1953); Science 119, 774 (1954).

397

Tryptophan .COOH

HO.

Glucose HO "

V

X

O H

OH Chinasäure

•Î

i\ HO.

/COOH

COOH

COOH

p-Oxyp-Aminobenzoesäure benzoesäure

\

/

Zwischenprodukt OH

OH

HO

y

OH

OH

ÖH

5-Dehydrochinasäure

6-Dehydroshikimisäure

Shikimisäure

I

Lo COOH

COOH

CH, COOH

!

C=0 Phenylalanin

-----

CH,

X

U

Phenylbrenztraubensäure

OH Tyrosin

„prephenic acid"

Die verschiedenen Zwischenprodukte sind mit Ausnahme der Chinasäure aus den Kulturen der Mutanten, die zu ihrer weitern Umwandlung nicht mehr befähigt sind, isoliert worden. B. Tryptophan

Im Harn mancher Carnivoren, besonders bei verschiedenen Hundearten (Haushund, nordamerikanischer Steppenwolf, Wolf, Fuchs u. a.), findet sich eine Kynurensäure genannte Verbindung, welche, wie E l l i n g e r bewiesen hat, ein Abbauprodukt des Tryptophans ist: QJJ

'YS N

—COOH

Kynurensäure

K o t a k e konnte als weiteres Zwischenprodukt des Tryptophanstoffwechels das Kynurenin isolieren. Nach B u t e n a n d t besitzt diese Verbindung die folgende Konstitution 1 ): K o t a k e , Ergebn. Physiol. 37, 245 (1935); B u t e n a n d t u. Mitarb., Zschr. physiol. Chem. 279, 27 (1943).

398

Der Eiweißstoffwechsel

CO—CHa—CH—COOH i—NH, NH,

L

Neuerdings ergab sich die bemerkenswerte Tatsache, daß Tryptophan bei den höheren Tieren in Nicotinsäure übergehen kann, einen Stoff also, der bisher als Vitamin angesehen wurde. (Vitamine können nach der Definition des Vitaminbegriffs von den Tierarten, für welche sie unentbehrlich sind, nicht synthetisiert werden.) Die Synthese der Nicotinsäure ist beim höheren Tier jedoch nur in beschränktem Umfange möglich und reicht zur Deckung des Bedarfs nicht aus. Der Zusammenhang zwischen Tryptophan, Kynurenin, Kynurensäure und Nicotinsäure, wie er sich nach den gegenwärtigen Kenntnissen darstellt, ist aus dem folgenden Schema ersichtlich: Tryptophan (I)

NH

-£H2—CH—iCOOH I NH,

.'i-Oxykynurenin (III)

O II r^N—C—CH 2—CH—COOH -cnh2 -nh 2 Kynurenin (II)

O

u -

-CH2—CH—COOH NH, -NH,

OH '

i

1



l Kynureninase, | Pyridoxalphosphat

OH —COOH COOH

-COOH

v

AH

N

Kynurensäure (VII)

Xanthurensäure (VIII)

N H

3-Oxyanthranilsäure (IV)

11

IJ—COOH N

a-Picolinsäure

Nicotinsäure (VI)

+ Alanin

'

Zwischenprodukt

I

x

kJ-

L y-COOH N Ohinolinsäure (V)

Tryptophan

3y

Bei der Aufklärung der Reaktionen, die Tryptophan, Kynurenin und Nicotinsäure verknüpfen, haben Untersuchungen am Schimmelpilz Neurospora eine große Rolle gespielt (Beadle und Mitarb., Bonner 1 ), vgl. S. 219). Man hat durch Röntgenbestrahlung Mutanten erzeugt, die bestimmte Stufen der Umwandlung nicht mehr durchführen können. Da die Nicotinsäure für den Pilz unentbehrlich ist, äußert sich der Stoffwechseldefekt in der mangelnden Entwicklung des Mycels. Wird die geeignete Zwischenverbindung, die nicht mehr synthetisiert werden kann, dem Milieu zugesetzt, so kann sich das Mycel normal entwickeln. Auf diese Weise ist z. B. die 3-Oxyanthranilsäure als Zwischenprodukt der Umwandlung von Tryptophan in Nicotinsäure erkannt worden. Man kann annehmen, daß die angegebene Reaktionsfolge bei Mikroorganismen und höheren Tieren im wesentlichen die gleiche ist. Beim Tier scheint besonders die Leber am Abbau des Tryptophans beteiligt zu sein. Der Indolring wird zwischen dem und yß-C-Atom durch eine spezifische Peroxydasereaktion geöffnet, wobei als Zwischenprodukt sehr wahrscheinlich Formylkynurenin auftritt. Das ¡%-C-Atom wird als Ameisensäure eliminiert2). Die merkwürdigste Reaktion dieser Reihe ist die Bildung des Pyridinrings (in der Nicotinsäure) aus dem Benzolring der 3-0xyanthranilsäure (IV). Man h a t angenommen, daß die Chinolinsäure (V) eine Zwischenstufe ist, weil sie im Urin der R a t t e nach Fütterung von Tryptophan a u f t r i t t und weil sie bei Neurospora die Nicotinsäure zu ersetzen vermag. Sie kann auch vom Lactobacillus arabinosus an Stelle der Nicotinsäure verwendet werden. Sie ist aber beträchtlich weniger wirksam als die letztere. Es scheint daher eher, daß sie aus einem Zwischenprodukt durch eine Nebenreaktion entsteht, wie dies im obigen Schema angedeutet ist. Als weiteres Umwandlungsprodukt der 3-0xyanthranilsäure wird unter der Einwirkung eines Leberenzyms (Ratte) ein Isomeres der Nicotinsäure, die a-Picolinsäure, gebildet. Sie wird nach Paarung mit Glycocoll wie jene im Urin als Picolinursäure ausgeschieden. Es ist anzunehmen, daß die genannten Pyridincarbonsäuren aus einem Zwischenprodukt mit offener Kette hervorgehen, welches durch oxydative Ringöffnung (möglicherweise mit intermediärer Bildung eines Peroxyds) aus der Oxyanthranilsäure gebildet wird 3 ). Man kann sich die folgende Reaktionsfolge vorstellen:

k / — C00 N Picolinsäure V - COOH L

LNH2 OH

I^N-COOH -

I 0

J-NH2 OH

-^X—COOH OCH J HOOC/^NH,

H

COOH -

I

J X / N Nicotinsäure

R

COOH

l^Ü-COOH N Chinolinsäure J

) B e a d l e , M i t c h e l l u. N y c , Proc. Nat. Acad. Sei., USA., 33, 155 (1947); 34, 1 (1948); B o n n e r , Proc. Nat. Acad. Sei., USA., 34, 5 (1948). T a t u m , Fed. Proc. 8, 511 (1949). 2 ) K n o x u. M e h l e r , J . biol. Chem. 187, 419 (1950). 3 ) M e h l e r , J . biol. Chem. 218, 241 (1956).

400

Der Eiwci ßatoffwecfc sei

Man könnte daran denken, daß der Pyridinring der Nieotinsäure aus demjenigen der Kynurensäure entsteht. Diese naheliegende Annahme trifft aber nicht zu. Bei Verfütterung von Tryptophan, das in der ß - S t e l l u n g der Seitenkette (in Formel I mit Sternchen bezeichnet) C

\

/ NH

o h

N n —--n-CH.

C = 0 | c h 2 o h



NH

CHNH, | c h 2 o h

I (3)Nr--.-CH. (2) Jl

Pentose

NH I (i) COOH Histidin Es wurden auch Phosphatester der Verbindungen I und II isoliert. Die obige Reaktionsfolge läßt sich an Neurospora nicht direkt nachprüfen, da die angegebenen phosphatfreien Verbindungen unwirksam sind, ihre Phosphorsäureester aber nicht aufgenommen werden können. Die Frage der Histidinvorstufe bedarf aber noch der weiteren Aufklärung 2 ). Wenn Hefe in Gegenwart von markiertem Formiat (C(14)) gezüchtet wird, so erscheint C' 14 'vorwiegend im Amidin-C-Atom (* obige Formel) des Histidins3). Ebenso konnte gezeigt werden, daß die Histidinsynthese in Torula cremoris wahrscheinlich von der Folinsäure (vgl. S. 786) abhängig ist (Enthemmung des durch Aminopterin gehemmten Wachstums sowohl durch Citrovorumfaktor als auch durch Histidin [ B r o q u i s t ] ) . Es scheint also, daß an der Synthese des Imidazolrings ein aktiviertes (^-Fragment beteiligt ist, in ähnlicher Weise wie bei der Synthese des Puringerüsts. Versuche mit einer Coli-Mutante haben neuerdings ergeben, daß das Amidin C-Atom (2) des Histidins sich aus dem C-Atom in Stellung 2 des G u a n i n s ableitet. Ebenso scheint das Guanidin auch das Imidazol N-Atom (1) zu liefern 4 ). Die erstgenannte Beobachtung stimmt mit den oben erwähnten, bei der Hefe gewonnenen Resultaten überein; denn, wie wir sehen werden (S. 464), stammt das C2 des Puringerüsts aus aktiviertem Formiat. Man kann also annehmen, daß das C-Atom 2 des Guanins zusammen mit der daran hängenden Aminogruppe direkt zum Aufbau des Imidazolrings verwendet wird; das Guanin geht dabei in das früher erwähnte Zwischenprodukt der Purinsynthese, das 4-Amino-5-carboxamidimidazol über. Nrr H H *\ ,»OK / V / (2) N

) J. biol. Chem. 138, 389 (1941).

Der Eiweißstoffwechsel

414

Glycocoll und Arginin (Bloch und Schoenheimer) 1 ). Das Glycocoll enthält den schweren Stickstoff in der Aminogruppe, das Arginin in der Amidingruppe. Zerlegt man das aus der Muskulatur der Versuchstiere gewonnene N^15)-haltige Kreatin durch alkalische Hydrolyse in Ammoniak, Kohlensäure und Sarkosin (N-Methylglycocoll), so enthält das abgespaltene Ammoniak kein Isotop, wenn die Ratte das markierte Glycocoll erhalten hatte. Der schwere Stickstoff ist im Sarkosinteil des Moleküls vorhanden. Haben die Tiere aber in der Amidingruppe markiertes Arginin erhalten, so enthält das Sarkosin kein Isotop, dagegen das Ammoniak. Aus diesen Versuchen geht klar hervor, daß das Kreatin nicht durch Abbau der Kohlenstoffkette des Arginins entstanden sein kann, sondern durch „Amidinübertragung" auf das Glycocoll.

Die Methylierung der Guanidinessigsäure durch das Methionin wurde ebenfalls im überlebenden Gewebe, und zwar in der Leber beobachtet (Bor s o o k und D u b n o f f ) 2 ) : COOH • CH(NH?) • CH2 • CH2—S Methionin i-

+

HN—CH2 • COOH

HN= N=i nh2 Guanidinessigsäure

N—CH, • COOH HN=i NH2 Kreatin

Auch für diese Reaktionsstufe bringt die Verwendung von Isotopen den endgültigen Beweis. Verfütterung von Methionin (oder Cholin) mit Deuterium in der Methylgruppe führt zur Bildung von deuteriumhaltigem Kreatin (Du V i g n e a u d ) 3 ) . Die Methylierung der Guanidinessigsäure ist in vitro nur in Gewebsschnitten aus Leber beobachtet worden, ihre Bildung aus Glycocoll und Arginin dagegen in Nierenschnitten. Es wäre daher möglich, daß für die Synthese des Kreatins die beiden Organe nötig sind. Kreatin (beim Wirbeltier) und Arginin (beim Avertebraten) kommen in der Muskulatur in Form ihrer Phosphorsäureverbindungen vor. Auf die Bedeutung dieser Substanzen für die Muskeltätigkeit wird später bei der Besprechung des Muskelstoffwechsels hingewiesen. Das L y s i n , die dritte der Hexonbasen, zeigt im Intermediärstoffwechsel eine merkwürdige Stabilität. Es nimmt im Gegensatz zu anderen Aminosäuren weder schweren Stickstoff noch Deuterium auf 4 ). Das natürliche L-Lysin kann in der Nahrung nicht durch das D-Lysin ersetzt werden. Es wird durch die L- und D-Aminosäureoxydasen nicht angegriffen®); es nimmt also an den Transaminierungs- und Desaminierungsreaktionen, welche die a-Aminogruppe betreffen, nicht teil. Der Abbau erfolgt derart, daß unter Bildung der a-Aminoadipinsäure die e-Aminogruppe oxydativ abgespalten wird. Die a-Aminoadipinsäure geht über a-Ketoadipinsäure in Glutarsäure über. Diese beiden Zwischenprodukte wurden bei Inkubation von markierter Aminoadipinsäure mit Leberhomogenaten nachgewiesen (Borsook)6): !) 2 ) 3 ) *) ») •)

J. biol. Chem. 138, 633 (1940); 134, 785 (1940). J. biol. Chem. 132, 559 (1940). J. biol. Chem. 134, 787 (1940); 140, 625 (1941). S c h o e n h e i m e r u. Mitarb., J. biol. Chem. 127, 333 (1939); 126, 13 (1938). Bender u. Krebs, Biochem. J. 46, 210 (1950). Borsook u. Mitarb., J. biol. Chem. 173, 423 (1948); 176, 1383, 1395 (1948).

Prolin

k3H, -NH. + 0,

CHj ¿H 8 ¿HNH 2

CH,

-NH, + */. O, •

i h2 ¿HNH„

COOH a-Aminoadipinsäure

¿OOH Lysin

COOH

COOH I CH,

COOH

CHjNH2 I CH2 I

415

CH,

¿H 2 ¿H 2

+ V.0,

AjH,

¿H 2

Ao

¿OOH

¿OOH a-Ketoadipinsäure

Glutarsäure

Die Glutarsäure wird auf einem noch unbekannten Weg vollständig oxydiert. Zum Lysin steht die L - P i p e c o l i n s ä u r e ( = Piperidin-2-carbonsäure) im gleichen Verhältnis wie das Prolin zum Ornithin. Die L-Pipecolinsäure kommt in Pflanzen vor (Trifolium repens, Phaseolus vulgaris). Sie wird aber auch im tierischen Organismus (Ratte) und in Neurospora aus Lysin gebildet, wie durch Verwendung von C C

ICHCOOH /

0

nh2

N

Pyrrolincarbonsäure

labile a-Aminogruppen (Glutaminsäure, Asparaginsäure u. a.)

CH 2

Glutaminsäurey-semialdehyd Ornithiii-

\\

I

transaminase

HjNCH2CH2CHsCHCOOH NHJ

Ornithin Nach den Untersuchungen von A. Meister 2 ) reagiert das Ornithin bei der Transaminierung im Gegensatz zu anderen Aminosäuren vorwiegend mit seiner ¿-Aminogruppe, wobei der oben genannte y-Semialdehyd der Glutaminsäure entsteht. Der letztere kann, wie das Schema zeigt, entweder reduktiv zum Prolin cyklisiert werden oder durch Oxydation in Glutaminsäure übergehen. !) S t e t t e n , J. biol. Chem. 189, 499 (1951). s ) Meister, J . biol. Chem. 206, 587 (1964).

Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

417

D-Prolin wird durch die D-Aminosäureoxydase angegriffen und liefert naoh K r e b s a-Ketoi-aminovaleriansäure. Das Oxyprolin entsteht, wie die oben erwähnten „tracer"-Versuche gezeigt haben, direkt durch Oxydation des Prolins. G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

Die wichtige Rolle, welche die beiden Aminodicarbonsäuren bei der Transaminierung spielen, wurde früher schon erwähnt (S. 380). Die Asparaginsäure ist Stickstoffdonator bei der Überführung des Citrullins in das Arginin und ist daher für die Harnstoffsynthese von Bedeutung (vgl. S. 432). Durch Clostridium Welchii kann Asparaginsäure decarboxyliert und in a-Alanin übergeführt werden 1 ): COOHCH2CH(NH2)COOH

>• C0 2 + CH3CH(NH2)COOH.

Glutamin und besonders Asparagin scheinen im pflanzlichen Stoffwechsel als Stickstoffreserve eine Rolle zu spielen. Es gibt verschiedene Fermente, welche die Säureamidgruppe des Glutamins hydrolytisch spalten. Asparaginase und Glutaminase sind bei Pflanzen und Tieren weit verbreitet. Die sog. „Glutaminase I " spaltet die Säureamidgruppe hydrolytisch. Daneben findet sich aber in der Leber und Niere noch ein weiteres Enzym, die „Glutaminase I I " , das hitzestabil ist und welches die Säureamidgruppe des Glutamins nur bei Gegenwart von Pyruvat oder anderer «-Ketosäuren abspaltet (J. P. G r e e n s t e i n ) . Es zeigte sich, daß die Ammoniakabspaltung mit einer T r a n s a m i n i e r u n g verknüpft ist, bei welcher die a-Amingruppe des Glutamins auf die Ketosäure übertragen wird (A. Meister) 2 ). Wir haben diese Reaktion schon früher besprochen. Ein ähnliches Enzym, das aber in der Niere nicht vorzukommen scheint, bewirkt die analoge Umsetzung des Asparagins mit «-Ketosäuren. Über die Synthese des Glutamins siehe S. 449. Von W a e i s c h wurde ein Enzym nachgewiesen, die G l u t a m o t r a n s f e r a s e , das den y-Glutamylrest der Glutaminsäure (oder den /?-Aspartylrest) auf Hydroxylamin überträgt: COOHCH(NH2)CH2CH2CONH2 + NH2OH
H 2 0 3 P - 0 - C < f Carbamylphosphat

-NH,

+ ADP

In der nächsten Reaktionsstufe wird der Carbamylrest auf die ) hat es ermöglicht, die Verbindungen festzustellen, welche zum A u f b a u des Puringerüstes dienen, und h a t tiefere Einblicke in den Verlauf der Synthese gestattet ( B u c h a n a n , S o n n e und D e l l u v a , G. R. G r e e n b e r g ) 1 ) . Die Purinsynthese wurde hauptsächlich beim Vogel, teils in vivo beim intakten Tier, neuerdings aber vor allem in vitro mit F e r m e n t p r ä p a r a t e n aus der Leber untersucht, weil hier bekanntlich die Harnsäure das E n d p r o d u k t des N-Stoffwechsels darstellt und die Purinsynthese daher einen großen U m f a n g a n n i m m t . Es kann aber kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß der Aufbau der Purine überall in gleicher Weise vonstatten geht.

Die Herkunft der einzelnen Kohlenstoff- und Stickstoffatome des Puringerüsts ist heute vollständig aufgeklärt. Zwei C-Atome (Stellung 4 und 5) sowie ein N-Atom (Stellung 7) stammen aus dem Glycocoll und werden unter Wahrung ihres ursprünglichen Zusammenhangs eingebaut. Die beiden C-Atome in Stellung 2 und 8 leiten sich aus aktiviertem Formiat ab, das C-Atom in Stellung 6 aus der Kohlensäure. Die drei N-Atome in Stellung 1, 3 und 9 stammen aus dem ,,Aminosäure-pool". Die immittelbare Quelle für 3 und 9 ist die Säureamidgruppe des Glutamins, während 1 nach neuesten Untersuchungen aus der Asparaginsäure stammt. Das folgende Schema gibt die Herkunft der einzelnen Atome an: Kohlensäure Amino säuren (Asparaginsäure)

x

\ / 6 /

Glvcocoll

CN

s

aktiviertes Formiat

aktiviertes Formiat

Aminosäuren / ' (Säureamid-Ni , / des Glutamins)!

Aminosäuren (Säureamid-N des Glutamins)

Ein wichtiger Schritt f ü r die Aufklärung des Verlaufs der Synthese war die Entdeckung eines Imidazolderivats, das sich in K u l t u r e n von Oolibazillen a n h ä u f t , wenn man denselben Sulfadiazin als Hemmstoff zusetzt') : O II /C, C—N H,N l

\ C H !—N/ H

4-Amino-5-carboxamidimidazol

) J . biol. Chem. 173, 69, 81 (1948). Literatur über die ersten Untersuchungen vgl. Ann. Rev. Biochem. 18, 174 (1949); Fed. Proc. 12, 646, 651 (1953). a ) S t e t t e n u. F o x , J . biol. Chem. 161, 333 (1945); S h i v e , J . Am. chem. Soc. 69, 275 (1947).

465

Synthese des Puringerüsts

Man erkennt leicht, daß die obige Verbindung durch Einfügen eines weiteren C-Atoms zu einem Purin (Hypoxanthin) ergänzt werden kann, und man vermutete daher, daß es sich um ein Zwischenprodukt der Purinsynthese handle, das in Gegenwart des Hemmstoffs nicht weiter verarbeitet werden kann. Diese Annahme hat sich bestätigt mit der Einschränkung, daß nicht das Imidazol selbst, sondern das entsprechende 5'-N-Ribotid (siehe unten) die eigentliche Zwischenverbindung ist. Sie geht durch Reaktion mit aktivem Formiat direkt in das 5'-Nucleotid des Hypoxanthins, die Inosinsäure, über. E. coli kann das freie Imidazol nicht verwerten. Es haben sich aber Coli-Mutanten sowie Milchsäurebakterien gefunden, bei welchen die Substanz in genügend hoher Konzentration als Wachstumsfaktor wirkt. Die Verwendung des im Ring mit C(14> markierten Imidazols hat ergeben, daß dasselbe bei der Taube in die Harnsäure übergeht 1 ). Das oben genannte Ribotid konnte aus Sulfadiazin-gehemmten Coli-Kulturen sowie Taubenleberhomogenaten, welche mit Inosinsäure inkubiert worden waren, isoliert werden 2 ). Daneben wurden noch weitere Zwischenprodukte nachgewiesen, und es zeigte sich, daß das Ribose-5-phosphat auf einer sehr frühen Stufe der Synthese eingeführt wird. Nach den gegenwärtigen Kenntnissen geht die Purinsynthese in der Vogelleber in folgender Weise vor sich: Als Vorstufe bildet sich durch eine Reaktion zwischen dem Glutamin und 5-Phosphoribosylpyrophosphat (vgl. S. 462) das 5-Phosphoribosylamin (I); Reaktionen (1) und (2): (1)

ATP + P — 0 —(5)Ribose — A M P +

P-0-(5)Ribosyl-0-P-0-P

(2)

P —O —(5)Ribosyl —0—P—0 —P + Glutamin • P-0-(5)Ribosyl-NH2 + + Glutaminsäure + P - O - P I

Das Phosphoribosylamin reagiert nun mit dem Glycocoll (Reaktion (3)), wobei Glycinamidribotid (II) entsteht 3 ). („Rib" steht in allen folgenden Formeln für den Ribosylrest.) (3) | H a _ N COOH

H 2

+ H a N—Rib—0—P

|H2"NH2 A O^ \NH—Rib— O—P

Glycinamidnbotld

II

Der nächste Schritt (Reaktion (4)) besteht in der Einführung des C-Atoms, das später die Stellung 8 einnehmen wird. Es stammt aus Formiat oder einem Donator aktiver Formylgruppen (z. B. dem /3-C-Atom des Serins). Das entstehende Zwischenprodukt ist das a-NFormylglycinamidribotid (III): CH 2 —NH—CHO (4) I I + [HCOOH] • | a-N-Formylglycinamidribotid

JK

\NH—Rib—O—P

m

Bei der anschließenden Reaktion (5), die ATP-abhängig ist, reagiert die vorstehende Verbindung mit Glutamin. Es entsteht ein Amidin, das den Stickstoff der künftigen Stellung 3 des Purinrings enthält: CH 2 —NH—CHO a-N-FormylglycinATp (5) I I I + Glutamin • | amidinribotid HN^

\NH—Rib—O—P

IV

Der nächste Schritt, Reaktion (6) (der ebenfalls enzymatisch ist) führt zum Ringschluß und damit zur Bildung eines Imidazolderivats: CH—N. II >CH 4-Aminoimidazolribotid C N/ H2N/ I V Rib—O—P 1 ) S c h u l m a n u. Mitarb., Fed. Proc. 9, 225 (1950). 2 ) G r e e n b e r g , J. Am. ehem. Soc. 74, 6307 (1952); Fed. Proc. 12, 211, 651 (1953); 13, 745 (1954). Literaturübersicht vgl. S c h u l m a n , in G r e e n b e r g : Chemical pathways of metabolism. Vol. n , S. 223. New York 1954. 3 ) G. R. G r e e n b e r g u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 18, 148 (1955). (6)

IV

30 Leuthardt, Lahrbuch, 13. Aufl.

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

466

Das letzte N-Atom (Stellung 1 des Purinrings) scheint aus der Asparaginsäure zu stammen. Man nimmt an, daß aus dem obigen Imidazol, Asparaginsäure und Kohlensäure sich zunächst das in der folgenden Gleichung formulierte (noch hypothetische) Zwischenprodukt VI bildet (Reaktion (7)): COOH COOH 0 I I II CH—NH 2 + C0 2 + V CH—NH—Cx (?) I • i x CH 2 CH 2 |( COOH

COOH

z

0

^ Rib- O—P

VI aus welchem durch Abspaltung von Fumarsäure das oben erwähnte Ribotid des 4-Amino5-carboxamidimidazols (VII) hervorgeht (Reaktion (8)): COOH

°

I OH „ || CH | COOH

C\

4-Amino-5-carboxamidC-N\ ribotid || >CH C-N/ VII „ | Rib—0—P I m letzten Schritt (Reaktion(9)) reagiert nun aktives Formiat mit dem Imidazol VII, wobei Ringschluß eintritt und das Ribosid des Hypoxanthins, die Inosinsäure VIII, entsteht: 0 II (8)

VI

(9)

VII

+

[HCOOH]

+

H,N

/

Hx\ | HC

C Jv || ^>CH C—N/

Inosinsäure yill

Rib —0—P Die obige Reaktion gibt sich auch daran zu erkennen, daß bei Inkubation von Inosinsäure (14 mit C )-Formiat die erstere durch Austausch in Stellung 2 radioaktiven Kohlenstoff aufnimmt 1 ). Als Coferment der Reaktion (4) und (9) wirkt ein Stoff der Folsäuregruppe, sehr wahrscheinlich die Tetrahydrofolsäure, das L e u c o v o r i n . Sie überträgt die aktivierte Formylgruppe vom Donator auf die Akzeptoren I I bzw. VII, eine Reaktion, die mit der Übertragung des Acetylrests durch CoA verglichen werden kann. Näheres vgl. S. 786. Wahrscheinlich ist auch das Vitamin B 12 an der Synthese der Purine (und Pyrimidine) beteiligt. Dies kann aus der Tatsache geschlossen werden, daß bei B 12 -abhängigen Mikroorganismen das Vitamin durch gewisse Desoxyriboside von Purin- und Pyrimidinbasen ersetzt werden kann (vgl. S. 794). Die obige Darstellung der Purinsynthese beruht auf Untersuchungen jüngsten Datums 2 ), die z. T. noch der Bestätigung bedürfen. Aus der Inosinsäure können die in den Kucleinsäuren vorkommenden Purinnucleotide gebildet werden. Durch Aminierung in Stellung 6 entsteht Adenylsäure. I n Kulturen von Aerobacter aerogenes wie auch in Extrakten von Knochenmark hat man die Oxydation der Inosinsäure zu Xanthosin-5'-phosphat bei Gegenwart von D P N nachgewiesen. Durch Aminierung des Xanthinnucleotids in Stellung 2 kann daraus Guanylsäure entstehen, wobei Glutamin oder Glutaminsäure als Stickstoffdonator wirkt 3 ). Damit ist ein Weg der Guaninsynthese aufgezeigt. J

) Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 21, 657 (1952). ) Vgl. L e v e n b e r g u. M e l n i c k , Fed. Proc. 15, 117 (1956); L u k e n s u. B u c h a n a n , Fed. Proc. 15, 305 (1956); W a r r e n u . F l a k s , Fed. Proc. 15, 379 (1956); S o n n e u. Mitarb., J.biol. Chem. 220, 369 (1956); L e v e n b e r g u. Mitarb., J . biol. Chem. 220, 379 (1956); G o l d w a i t u. Mitarb., J . biol. Chem. 221, 555, 569 (1956); P e a b o d y u. Mitarb., J. biol. Chem. 221, 1071 (1956); H a r m a n u. Mitarb., J . biol. Chem. 221, 1097 (1956). 3 ) G e h r i n g u. M a g a s a n i k , J . Am. chem. Soc. 77, 4685 (1955); A b r a m s u. B e n t l e y , J. Am. chem. Soe. 77, 4179 (1955). 2

Synthese des Puringerüsts

467

Über die Synthese der Pyrimidine ist noch wenig Sicheres bekannt. Durch Kombination verschiedener Beobachtungen über die Verwertung einer Reihe von Verbindungen für die Pyrimidinsynthese, die wir im einzelnen hier nicht anführen können, ist man zu folgender Reihe gelangt 1 ): ] COOH

chnh2 I COOH

H..N 0 0 OH 1 i OC CH, I I HN- -CH I COOH

Asparaginsäure

Ureidobernsteinsäure

i

Oarbamylpbosphat

ch2

HX- -CO I OC CH i HN C

HN—CO I I OC CH N—-C I Rib COOH

i

COOH Orotsäure

Orotidin + SH,

-CO,/

N=C—NH 2

HN—CO I I OÖ CH OC CH I II I II N—CH N—CH i I Rib Rib Cytidin Uridin Die Ureidobernsteinsäure (— Carbamylasparaginsäure) entsteht, wie man seit kurzem weiß, durch eine Reaktion der Asparaginsäure mit dem von L i p m a n n entdeckten Carbamylphosphat (vgl.S. 433). Die Reaktion wurde erstmals im Streptococcus faecalis nachgewiesen 2 ): COOH CH—NH 2 I CH2 I COOH

O I! H»0,P—O—C—NH,

COOH O I II CH—NH—C—NH2 I ch2 I COOH

Diese Reaktion erklärt auch frühere Befunde, wonach der Ureidkohlenstoff des Citrullins in die Ureidobernsteinsäure, Orotsäure und die Pyrimidinbasen der Nucleinsäuren übergehen kann 3 ); denn das Citrullin entsteht durch eine reversible Reaktion des Ornithins mit dem Carbamylphosphat (vgl. S. 433). Die Orotsäure wurde in der Milch entdeckt ( B i s c a r o u. B e l l o n i 1905). Sie findet sich u. a. auch in Hefeextrakten in beträchtlicher Menge. Auf welcher Stufe die Verbindung mit der Ribose erfolgt, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Das sehr labile Ribosid der Orotsäure, das Orotidin, wurde in Kulturen von Uridin-bedürftigen Neurosporamutanten nachgewiesen4). Versuche mit markierter Orotsäure lassen es zweifelhaft erscheinen, daß die freie Orotsäure Zwischenprodukt ist 5 ). Möglicherweise erfolgt, wie im obigen Schema angedeutet ist, die Bildung des Ribosids (oder Ribotids ?) auf einer früheren Stufe. *) Näheres vgl. B u c l i a n a n u. W i l s o n , Fed. Proc. 12, 646 (1953); R e i c h a r d u. L a g e r k v i s t , Acta ehem. Scand. 7, 1207 (1953); S c h u l m a n , in G r e e n b e r g : Chemical pathways of metabolism. Vol. II, S. 248. New York 1954. 2 ) J o n e s u. Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 77, 819 (1955); Conférences et Rapports, 3m•

^ N

+ Ribose-l-phosphat + H

Durch diese Reaktionen ist ein Weg zur Synthese des D P N vorgezeichnet: Synthese des Nicotinamidribosids durch Umkehrung der obigen Reaktion, Phosphorylierung des Ribosids in Stellung 5' durch ATP, Reaktion des Nicotinamidmononucleotids mit A T P nach der K o m b e r g sehen Reaktion unter Bildung von Pyrophosphat und D P N . I n analoger Weise wie die Cozymase kann auch die Uridindiphosphat-glucose mit Pyrophosphat unter Bildung von Uridintriphosphat gespalten werden (vgl. S. 306). Aus dem D P N kann T P N dadurch entstehen, daß der dritte Phosphatrest durch Phosphorylierung mit A T P eingeführt wird. I n gleicher Weise wie die Pyridinnucleotide kann auch das Flavin-Adenin-Dinucleotid durch Pyrophosphat in reversibler Reaktion gespalten werden (K o r n b e rg): Flavin-Adenin-Dinucleotid -f- Pyrophosphat

:o HN—C—NH Harnsäure

Die Harnsäure ist also zunächst die Verbindung, in welche alle Purine übergehen. Die Oxydation des Xanthins und des Hypoxanthins zu Harnsäure wird durch die Xanthinoxydase bewirkt, die zur Gruppe der gelben Fermente gehört; ihre Wirkungsgruppe ist das Flavin-Adenin-Dinucleotid; sie enthält nach neueren Untersuchungen Molybdän 1 ). Die Xanthinoxydase kommt in der Leber vor. Man kann die Oxydation z.B. des Hypoxanthins folgendermaßen formulieren (Wasseranlagerung an die C=N-Doppelbindung mit darauffolgender Dehydrierung): CO X

HN [ HC

HN i HOCH

CO

(J N. || >CH C—NH/



HN I HOCH

C Nv || >CT! C-NH^

N

NH

CO

CO C Nx || >CH C—NH^

NH Flavin H, + O., 1

+ H20

+ Flavin

--••-»

HN I 0=C

C- N v || >CH + Flavin H2 C—NH/

NH - Flavin + H,,02; H,0,

) Mahl er u. Mitarb., J. biol. Chem. 210, 149 (1954).

H„0 + JO,

Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

471

Die Xanthinoxydase ist ein Ferment von ziemlich weitem Spezifitätsbereich. Es greift auch Aldehyde an, die zu den entsprechenden Carbonsäuren dehydriert werden. Das Ferment findet sich auch in der Milch; es ist identisch mit dem schon lange bekannten S c h a r d i n g e r s c h e n Enzym. Die Harnsäure ist beim Menschen und den anthropoiden Affen das hauptsächlichste Endprodukt des Purinstoffwechsels; bei Vögeln und Reptilien ist sie, wie wir früher erwähnt haben, das Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels überhaupt. Die Harnsäure wird bei den meisten Säugetieren durch ein Ferment, welches als u r i c o l y t i s c h e s Ferment, Uricase oder Uricooxydase, bezeichnet wird, zu Allantoin abgebaut, einer Verbindung, die erstmals von V a u q u e l i n im Fruchtwasser, von L a s s a i g n e in der Allantoinflüssigkeit und von W ö h l e r im Harn neugeborener Kälber beobachtet wurde. HN--CO 00

N

C--NH

^

C

X C

C

\ o o HX—(J—-NH Harnsäure

H2N ^

OC

O C—NH p>co

X—C-N

U N - C—NH H Allantoin

Ein C-Atom der Harnsäure wird dabei eliminiert. Wahrscheinlich werden bei der Oxydation der Harnsäure zu Allantoin beide Ringe des Puringerüsts geöffnet (der Imidazolring am C-Atom 4) unter Bildung eines offenen Zwischenprodukts, aus dem das Allantoin durch sekundären Ringschluß entsteht. Die Atome seines Imidazolrings entsprechen daher nur teilweise denjenigen des ursprünglichen Imidazolrings im Purin 1 ). Die früher angenommene Bildung eines bizyklischen Intermediärprodukts (Oxyacetylen-diurein-carbonsäure) 2 ) ist weniger wahrscheinlich. Bei Dalmatinerhunden hat man eine rezessiv vererbte Stoffwechselanomalie festgestellt, die sich in einer stark vermehrten Harnsäureausscheidung äußert. (Normalerweise scheidet der Hund nur sehr wenig Harnsäure aus.) Die Ursache der Erscheinung ist unbekannt; eine Korrelation mit der Uricaseaktivität der Gewebe scheint nicht zu bestehen 3 ). Man nahm früher an, daß die Uricase ein Zinkproteid sei, weil auch gereinigte Präparate sich als zinkhaltig erwiesen. Das Zink scheint aber für die Aktivität des Enzyms nicht von Bedeutung zu sein. Es hat sich vielmehr gezeigt, daß das hochgereinigte Enzym Kupfer gebunden enthält (0,05%) und daß wahrscheinlich die Fermentwirkung von diesem Metall abhängt 4 ).

Während die beschriebene Uricolyse mit dem Extrakt zahlreicher Säugerorgane leicht durchführbar ist, besitzen die Organe des Menschen gar keine oder nur minimale uricolytische Wirkung. Auch Versuche am intakten menschlichen Organismus deuten darauf hin, daß keine Uricolyse von größerem Umfang stattfindet. Die im Harn ausgeschiedene Harnsäure stammt entweder aus dem beschriebenen Zerfall der als Nahrungsstoffe zugeführten Purine oder sie entsteht durch die Abnutzung der Zellkernsubstanz. Wird ein Mensch p u r i n f r e i ernährt, so sinkt die Harnsäureausscheidung bis auf ein Minimum, welches nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Diese Minimalmenge beträgt pro Tag 0,5 g. Sie stellt diejenige Harnsäuremenge dar, welche durch den Abbau der Zellkernsubstanz des Organismus gebildet wird. Man bezeichnet sie als endogene Harnsäure im Gegensatz zur exogenen Harnsäure, welche aus dem Abbau der mit der Nahrung zugeführten Purine entsteht. ') Vgl. B r a n d e n b e r g e r , Biochim. Biophys. Acta 15, 108 (1954); Helv. Chim. Acta 87, 2207 (1954). 2 ) Zschr. physiol. Chem. 215, 258 (1933). :l ) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 10, 238 (1941). 4 ) M a h l e r u. Mitarb., J. biol. Chem. 216, 625 (1955).

472

Die Bedeutung der Phoaphatbindung

Unter der Einwirkung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) oder der glucocorticoiden Hormone der Nebennierenrinde (Cortison) kommt es zu einer stark vermehrten Ausscheidung von Harnsäure (und Allantoin). Die Ursache ist nicht sicher bekannt. Man h a t sowohl eine Ausschwemmung vorgebildeter Purinkörper als auch eine vermehrte Bildung dafür verantwortlich gemacht. Unter Arthritis urica oder Gicht wird eine Störung des menschlichen Purinstoffwechsels verstanden, bei welcher es zur Bildung der sog. Tophi (Gichtknoten) kommt, welche Ablagerungen von Harnsäure und Uraten enthalten. Nach neueren Untersuchungen werden bei der Gicht vermehrt Purinkörper aus Aminosäuren synthetisiert. (Dies würde auch den altbekannten ungünstigen Einfluß einer reichlichen Fleischnahrung erklären.) Der Harnsäuregehalt des Blutes ist beim Gichtkranken in der Regel erhöht. Entgegen der älteren Ansicht ist bei völlig intakter Niere die Ausscheidung der Harnsäure im Urin gesteigert. Nur bei Nierenkomplikationen, die aber bei der Gicht sehr häufig sind, ist sie herabgesetzt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt 1 ). Achtzehntes

Kapitel

Die Bedeutung der Phosphatbindung Wir haben in den vorangehenden Kapiteln verschiedene Reaktionen kennengelernt, bei denen anorganisches Phosphat in organische Bindung übergeführt wird, und haben darauf hingewiesen, welch große Bedeutung phosphorylierten Zwischenprodukten im Intermediärstoffwechsel zukommt. Vor allem liefert die Kette der glycolytischen Reaktionen dafür eindrückliche Beispiele. Es handelt sich hier nicht um vereinzelte Erscheinungen. Wir wissen heute, daß ganz allgemein die Einführung von Phosphatresten in organische Moleküle dazu dient, die Verbindungen reaktionsfähig zu machen, und daß gewisse organische Phosphorsäureverbindungen die Bindeglieder zwischen den energieliefernden Abbaureaktionen (Oxydation, Glycolyse) und den energieverbrauchenden synthetischen Reaktionen darstellen. Wir wollen daher in diesem Kapitel die Bedeutung der Phosphatgruppe noch einmal im Zusammenhang behandeln. 1. Thermodynamiscke Vorbemerkungen Wir müssen zunächst einige allgemeine Bemerkungen über die thermodynamischen Gesetze vorausschicken, welche den Ablauf der chemischen Reaktionen bestimmen. Wir betrachten eine umkehrbare chemische Reaktion: mA + nB + ^ x p + yQ + (Es reagieren m Moleküle des Stoffes A mit n Molekülen des Stoffes B usw. unter Bildung von x Molekülen des Stoffes P, y Molekülen des Stoffes Q usw.) Wir nehmen an, daß ein beliebiges Gemisch aller an der Reaktion beteiligten Stoffe vorliegt. Je nach dem Anfangszustand, der durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck bestimmt ist, wird die obige Reaktion in der einen oder der anderen Richtung verlaufen können. Die Thermodynamik lehrt, daß es ein allgemeines Kriterium gibt, das bei gegebenem Anfangszustand vorauszusagen gestattet, in welcher Richtung die Reaktion ablaufen wird. Man kann nämlich jedem Zustand des Systems (bestimmt durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck) eindeutig eine Größe, die sog. freie Energie, zuordnen, welche die Eigenschaft hat, bei allen spontan verlaufenden Reaktionen abzunehmen. Es können nur solche Vorgänge von selbst (d. h. ohne Energiezufuhr von außen her) ablaufen, die mit einer Abnahme der freien Energie verknüpft sind. Die freie Energie wird !) Müller u, Bauer, Proc. Soc. Exptl. Biol. Med. 82, 47 (1953); Bien u. Mitarb., J. clin. Investig. 32, 778 (1953).

473

Thermodynamische Vorbemerkungen

gewöhnlich durch das Symbol G bezeichnet. Für die Differenz der freien Energie bei zwei verschiedenen Zuständen G 2 —Gj schreibt man gewöhnlich AG. (Der absolute Wert der freien Energie bleibt unbestimmt; nur die Differenzen AG haben Bedeutung.) Wenn sich irgendein System, z. B. ein Gemisch reaktionsfähiger Stoffe, im Gleichgewicht befindet, so t r i t t keinerlei spontane Änderung ein. Ein solcher Zustand ist nur dann möglich, wenn jede Abweichung von ihm mit einer Z u n a h m e der freien Energie verbunden ist. Dies bedeutet, daß im Gleichgewichtszustand die freie Energie des Systems ihren kleinstmöglichen Wert annimmt. Bei konstanter Temperatur (sog. i s o t h e r m e Vorgänge) und konstantem Druck ist die freie Energie nur eine Funktion der Zusammensetzung des Systems, d. h. der Konzentration der verschiedenen Komponenten. Nach den obigen Ausführungen ist daher der Gleichgewichtszustand mathematisch dadurch gekennzeichnet, daß das Differential dG der freien Energie (als Funktion der Konzentrationen betrachtet) verschwindet: dG = O. (Man erinnere sich daran, daß f ü r diejenigen Werte der Veränderlichkeit, die dem Minimum [oder dem Maximum] einer Funktion entsprechen, die Ableitung der Funktion verschwindet!) Aus dieser wichtigen Gleichung lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen beliebiger Reaktionen ableiten. Für jeden anderen Zustand ist bei einer spontan eintretenden kleinen Änderung dG < 0, d. h. negativ. Die freie Energie ist eine Funktion des Zustandes, wie'er durch Druck, Temperatur und Zusammensetzung gegeben ist. Jedem Zustand ist eindeutig ein bestimmter Wert der freien Energie zugeordnet. Wenn ein System auf zwei verschiedenen Wegen in einen neuen Zustand übergeht, so tritt dabei die gleiche Änderung der freien Energie ein; sie ist völlig unabhängig von der Art und Weise, wie der Übergang ausgeführt wird. Dies hat die wichtige Konsequenz, daß bei einer Reaktion, die über mehrere Zwischenstufen verläuft, die Summe der Werte von AG f ü r die einzelnen Teilstufen die Änderung der freien Energie f ü r die Gesamtreaktion ergibt: A

• X,

>• X 2 —- —• X 3

i AG, aG2 aG s ' AG AGj + AG2 + AGs + AG

> B usw.

|

'

Die freie Energie hat den Charakter eines P o t e n t i a l s . Ein mechanischer Vergleich macht dies klar. Man kann bekanntlich im Schwerefeld oder im elektrischen Feld jedem Punkt des Raumes eine Größe derart zuordnen, daß die Änderung dieser Größe AP längs einer kleinen Strecke Ax, bezogen auf die Längeneinheit, also der Quotient AP/Ax gleich der in Richtung der Strecke Ax wirkenden K r a f t ist (z. B. gleich der elektrischen Feldstärke). Diese Größe P heißt das Potential der K r a f t oder auch die potentielle Energie. Man kann den Unterschied des Potentials zwischen benachbarten Punkten als Ursache der Bewegung eines Teilchens im Kraftfeld betrachten. I n ähnlicher Weise kann man bei chemischen Reaktionen den Unterschied der freien Energie zwischen benachbarten Zuständen als treibende K r a f t der Reaktion ansehen. Die freie Energie wird thermodynamisch definiert durch die Beziehung: G = H —TS. Hier bedeutet H die sog. E n t h a l p i e , S die E n t r o p i e . Beide Funktionen lassen sich nicht mit wenigen Worten exakt erklären. Die Enthalpie, auch als W ä r m e i n h a l t bezeichnet, ist ein Maß für die im betrachteten System enthaltene Energie. Ihre Änderung äußert sich z. B. bei einer unter konstantem Druck vor sich gehenden chemischen Reaktion als Wärmetönung. Die für die Thermodynamik grundlegende Entropie ist ein Maß für die n i c h t frei verfügbare Energie. Daher gibt die Differenz zwischen H und dem Entropieglied die „freie", d. h. in mechanische Arbeit umwandelbare Energie an. Enthalpie und Entropie sind Zustandsfunktion, d. h. sie sind durch den augenblicklichen Zustand des Systems völlig bestimmt. Die Differenz zwischen zwei Werten, die verschiedenen Zuständen zugeordnet sind, ist daher unabhängig von der Art u n d Weise, wie der erste Zustand in den zweiten übergeführt wird. Es gilt daher: G2 -

G x = (H 2 - H x ) - T(S 2 - S,) AG = AH — TAS Wir können hier nicht näher auf den Begriff der freien Energie und seine Ableitung eintreten. Diese thermodynamische Funktion wurde von H e l m h o l t z eingeführt 1 ). E r bezeichnete sie als Die von H e l m h o l t z eingeführte Funktion, die er als „freie" Energie bezeichnete u n d für die er den Buchstaben F verwendete, ist von der hier verwendeten Funktion G etwas verschieden; doch ist der Unterschied f ü r unsere Zwecke belanglos. Die hier als „freie" Energie benutzte Funktion wurde von W. G i b b s erstmals benutzt und wird daher heute meist durch G bezeichnet.

474

Die Bedeutung der Phosphatbindung

„freie" Energie, weil sie bei jedem Vorgang denjenigen Teil der gesamten Energieänderung darstellt, welcher für die Leistung mechanischer oder elektrischer Arbeit frei zur Verfügung steht. (Bekanntlich geht bei allen Vorgängen ein Teil der Energie immer in Wärme über und ist daher für die Arbeitsleistung verloren.) Für ein tieferes Eindringen verweisen wir auf die Lehrbücher der Thermodynamik und Physik (siehe z. B. B e r g m a n n - S c h a e f e r , ,.Lehrbuch der Experimentalphysik", 2. u. 3. Aufl., Bd. 1, S. 541, und besonders das klassische Buch von L e w i s und R a n d a l l , „Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen"). Die Änderung der freien Energie wird gewöhnlich, wie dies bei der Wärmetönung einer Reaktion üblich ist, der Reaktionsgleichung beigefügt; z. B . : H 2 (g, 1 Atm.) + i/ 2 0 2 (g, 1 Atm.) = H 2 0 (1); a G 2 9 8 = —56 560 cal. Die in Klammern hinter den chemischen Symbolen der Stoffe stehenden Angaben bezeichnen den Zustand der Stoffe (g = gasförmig, 1 = flüssig). Die Gleichung bedeutet: Gasförmiger Wasserstoff von 1 Atmosphäre Druck und gasförmiger Sauerstoff von 1 Atmosphäre Druck verbinden sich bei einer absoluten Temperatur von 298° ( = 25°Cels.) zu flüssigem Wasser. Bei dieser Reaktion nimmt die freie Energie um 56560 cal. ab (d. h. die freie Energie des Systems gasförmiger Wasserstoff + Sauerstoff ist um diesen Betrag höher als die freie Energie des daraus entstehenden flüssigen Wassers). Die Abnahme von G (negatives Vorzeichen von AG!) weist darauf hin, daß der durch die Gleichung dargestellte Vorgang, von links nach rechts gelesen, spontan vor sich geht. E s ist nicht gesagt, daß jeder thermodynamisch mögliche, d. h. mit einer Abnahme der freien Energie verknüpfte Vorgang auch tatsächlich abläuft. Sehr oft bestehen Reaktionshindernisse, die mit den Reibungskräften bei mechanischen Systemen verglichen werden können. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, daß dies ein sehr wichtiger Umstand ist. Ohne diese Reaktionshindernisse (die meist in der Natur der chemischen Valenzkräfte begründet sind) würden z. B . die wenigsten organischen Verbindungen bei Gegenwart von Sauerstoff beständig sein. Die mangelnde Reaktionsfähigkeit von chemischen Systemen kann zwei prinzipiell verschiedene Ursachen haben, die streng auseinander zu halten sind: 1. Eine Reaktion kann dann nicht ablaufen, wenn sie thermodynamisch unmöglich ist, d. h. mit einer Zunahme der freien Energie einhergeht. 2. Eine Reaktion kann, auch wenn sie mit einer Abnahme der freien Energie verbunden ist, dann nicht ablaufen, wenn die Stoffe reaktionsträge sind. Sie tritt in diesem Fall erst dann ein, wenn die Reaktionsträgheit durch geeignete Mittel — Erhöhung der Temperatur, Zusatz von Katalysatoren — beseitigt wird. D e f i n i t i o n : Reaktionen, die mit einer Abnahme der freien Energie verbunden sind, heißen e x e r g o n i s c h , solche, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind, e n d e r g o n i s c h . Diese Ausdrücke, die von C o r y e l l 1940 eingeführt wurden, entsprechen den Bezeichnungen e x o t h e r m für Vorgänge, die mit Wärmeentwicklung, und e n d o t h e r m für solche, die mit Wärmeabsorption einhergehen. Man glaubte früher, daß das Kriterium für den spontanen Ablauf einer Reaktion die positive Wärmetönung sei: E s sollten nur exotherme Reaktionen von selbst vor sich gehen können. Tatsächlich sind in vielen Fällen die exergonischen Reaktionen auch exotherm, besonders dann, wenn es sich um Reaktionen mit hoher Wärmeentwicklung handelt. In solchen Fällen sind meist auch die Wärmetönung und die Änderung der freien Energie nicht allzusehr verschieden. Im obigen Beispiel (Bildung des Wassers aus den Elementen) beträgt z. B . die abgegebene Wärme 68270 cal. gegenüber AG = —56560 cal. E s gibt aber zahlreiche Beispiele, welche zeigen, daß nicht die Wärmebildung oder -aufnähme die Reaktionsrichtung bestimmen kann. Wir kennen spontan verlaufende Reaktionen, bei welchen Wärme aufgenommen wird. Wir erinnern z. B . an die Abkühlung, die in vielen Fällen beim Auflösen eines Stoffes in Wasser beobachtet wird. Wir müssen, was die Berechnung der freien Energie betrifft, auf die Lehrbücher der physikalischen Chemie verweisen. E s sei hier nur auf eine Möglichkeit verwiesen, die gerade auch bei der Berechnung der freien Energie von Oxydationsvorgängen vielfach Verwendung findet. Wenn man den Vorgang zum Aufbau einer galvanischen Kette verwenden kann, so ist die elektromotorische K r a f t e dieser Kette direkt proportional der Änderung der freien Energie des Vorgangs. Und zwar ist = _ n .96500-e. 96 500 Coulomb = 23074 cal./Volt ist das Faradayäquivalent und n die Zahl der durch die Zelle fließenden Äquivalente. Betrachten wir als Beispiel die Auflösung von Zink in Schwefelsäure: Zn + H , S 0 4 = Z n S 0 4 + H„

Thermodynamische Vorbemerkungen

475

oder, als Ionenreaktion geschrieben: Zn + 2 H+ = Z n + + + H 2 . Man kann eine galvanische Kette zusammensetzen, bestehend aus einer Zinkelektrode und einer Wasserstoffelektrode (vgl. S. 148) in Schwefelsäurelösung. Wenn man beide Elektroden in Kontakt bringt, so fließt der äußere Strom von der Wasserstoff- nach der Zinkelektrode; die erstere ist also gegenüber der letzteren positiv. Die elektromotorische K r a f t eines solchen Elements hängt von der Konzentration der an der Reaktion beteiligten Ionen und vom Partialdruck des Wasserstoffs ab. Wenn Zink- und Wasserstoffionen im obigen Beispiel in 1 n-Konzentration vorhanden sind und der Wasserstoffdruck 1 Atm. beträgt, so mißt die elektromotorische K r a f t etwa 0,76 Volt. Die Änderung der freien Energie der obigen Reaktion unter den angegebenen Bedingungen beträgt daher AG =

-

2 • 2 3 0 7 4 • 0,76 cal. =

-

3 5 0 0 0 cal.

Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der freien Energie von Gleichgewichtsreaktionen ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit den Gleichgewichtskonstanten. Wir kommen weiter unten darauf zurück. Im Organismus verlaufen zahlreiche Reaktionen, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind. S o l e h e R e a k t i o n e n s i n d n a t ü r l i c h n u r a l s T e i l v o r g ä n g e k o m p l e x e r e x e r g o n i s c h e r R e a k t i o n e n d e n k b a r . Für sich allein wären sie thermodynamisch nicht möglich. Diese Behauptung bedarf einiger Erläuterungen. Jede Reaktion ist theoretisch umkehrbar und f ü h r t daher zu einem Gleichgewicht. Betrachten wir z. B. die Spaltung 0

A + B.

Wenn diese Reaktion stark exergonisch ist, d. h. mit einer starken Abnahme der freien Energie einhergeht, so bedeutet dies, daß C fast vollständig verschwindet und daß, wenn die Reaktion infolge Erreichung des Gleichgewichts zum Stillstand kommt, nur die Spaltprodukte A und B neben wenig Ausgangsprodukt C vorhanden sind. Geben wir A und B zusammen, so wird sich aber doch durch Verbindung von A und B eine kleine Menge C bilden. Es kann also auch bei einer exergonischen Reaktion die endergonische Gegenreaktion, wenn in der Regel auch nur in geringem Umfang, stattfinden. Die Lage des Gleichgewichts hängt von AG ab. Legen wir die allgemeine Reaktion mA + nB + - "" x P + y Q + zugrunde, so gilt nach dem Massenwirkungsgesetz (P) x • (Q)-v (A) m • (B) n

=

.

(P), (Q) usw. bedeuten die Aktivitäten der betreffenden Stoffe. Die Gleichgewichtskonstante k hängt eng mit der Änderung der freien Energie zusammen, welche bei Ablauf der Reaktion eintritt. Es ist nämlich bei Umsatz der durch die Reaktionsgleichung angegebenen Zahl von Gramm-Molekülen und beliebig vorgegebenen Aktivitäten der Reaktionsteilnehmer a g = a g 0 + r • t • log nat g ;

gj";;;

(R -- Gaskonstante, T — absolute Temperatur, log nat = natürlicher Logarithmus; für 25° [ = 298° Kelvin] hat der Zahlenfaktor 2,30- R- T den Wert 1365 cal.,für 38° den Wert 1424 cal.). Die Bedeutung der neu eingeführten Größe AG0 wird klar, wenn man den Gleichgewichtszustand betrachtet. Derselbe ist, wie wir oben ausgeführt haben, durch die Bedingung AG = 0 charakterisiert, und außerdem muß der auf der rechten Seite der Gleichung auftretende Quotient der Aktivitäten laut Definition der Gleichgewichtskonstanten gleichgesetzt werden. Man erhält dadurch die einfache Beziehung: AG0 = - R • T • log nat k = - 2,30 • R • T • log 10 k. Die Größe wird als „Jformalwert der freien Energie" der betreffenden Reaktion („Standard free energy change") bezeichnet. Man erkennt leicht, daß AG = AG0 wird, wenn man (A) = (B) = • • • = (P) = (Q) = • • • = 1 setzt. aG 0 ist also die Änderung der freien Energie der Reaktion, wenn die Aktivität aller Reaktionsteilnehmer gleich Eins ist, d. h. wenn sich alle Reaktionsteilnehmer im „ N o r m a l z u s t a n d " befinden. Das früher definierte Redoxpotential und die P e t e r s s c h e Gleichung (S. 156) stellen einen Spezialfall der obigen Beziehungen dar. AG0!

476

Die Bedeutung der Phosphatbindung

Bei der thermodynamischen Behandlung biochemischer Systeme macht man oft vom Normalwert der freien Energie Gebrauch. Man begegnet gelegentlich der irrigen Vorstellung, daß die Richtung einer Reaktion vollständig durch die Größe AG0 bestimmt sei, d. h. daß die oben angeschriebene allgemeine Reaktion von links nach rechts verläuft, wenn AG0 einen negativen Wert hat, von rechts nach links, wenn AG0 einen positiven Wert hat. Dies ist keineswegs der Fall. Man sieht aus der obigen Gleichung für AG leicht, daß je nach dem Wert des rechts stehenden Quotienten AG ein von AG0 verschiedenes Vorzeichen haben kann, d. h. daß der Normalwert der freien Energie einer Reaktion keineswegs deren Richtung bestimmt, sondern daß diese auch von der Konzentration der Reaktionsteilnehmer abhängt. Eine Umkehrung der Richtung der Reaktion wird besonders leicht bei kleinen Werten von AG0 erreicht werden können. Ein physiologisch besonders wichtiger Fall tritt dann ein, wenn ein Reaktionsteilnehmer durch eine anschließende Reaktion viel rascher verbraucht wird, als er entsteht. Seine Konzentration bleibt dann sehr niedrig, und die Reaktion kann unter Umständen entgegen dem Vorzeichen von AG0 verlaufen. E i n e A u s s a g e ü b e r d i e a u g e n b l i c k l i c h e R i c h t u n g e i n e r R e a k t i o n i s t im a l l g e m e i n e n n u r d a n n m ö g l i c h , w e n n zu d e m g e g e b e n e n Z e i t p u n k t die K o n z e n t r a t i o n aller b e t e i l i g t e n S t o f f e b e k a n n t ist. Bei stark positivem Wert von AG0 liegt allerdings das Gleichgewicht für alle erreichbaren Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer völlig auf der linken Seite der Gleichung, d. h. es findet keine meßbare Umsetzung in Richtung des oberen Pfeils statt. Wir betrachten als Beispiel etwa die früher schon besprochene Synthese des Harnstoffs aus Ammonium- und Bicarbonationen in wässeriger verdünnter Lösung: 2HC0 3 - + 2NH 4 + = CO(NH2)2 + H 2 C0 3 + 2 H 2 0 ; A G = + 1 3 8 0 0 cal. Aus dem angegebenen Wert von AG kann man nach der obigen Gleichung die Gleichgewichtskonstante berechnen. Sie ergibt sich zu 2 - 1 0 - 1 0 ; für (HC0 3 ~) = 0,025-m., (H 2 C0 3 ) = 0,001-m. (Blutkonzentration) und (NH 4 + ) = 0,01-m. ergibt sich eine Gleichgewichtskonzentration des Harnstoffs von nur 5-10~ 13 . Auch wenn AG0 einen wesentlich kleineren positiven Wert hat, liegt das Gleichgewicht noch sehr stark auf der linken Seite. Für die Hydrolyse der meisten Phosphorsäureester der Zucker ist AG0 von der Größenordnung — 3000 cal., für den umgekehrten Vorgang also: Phosphat + Zucker

Zuckerphosphat; AG0 = + 3000 cal.

Dies ergibt für die Gleichgewichtskonstante den Wert von logk =

= - 2 , 1 0 6 ; k = 7,83-10-'.

Setzt man für Zucker (Glucose) und Phosphat wieder die Blutkonzentration (etwa 0,01-m. bzw. 0,001-m.), so würde die Gleichgewichtskonzentration des Glucosephosphats etwa 10~'-m. betragen, das ist Viooooo der Zuckerkonzentration. Damit eine Synthese als Gegenreaktion einer exergonischen Spaltung in meßbarem Umfang zustande kommen kann, darf das Gleichgewicht nicht so einseitig zugunsten der Spaltung liegen wie in den vorigen Beispielen, sondern es sollten im Gleichgewichtszustand die Konzentrationen der verschiedenen Reaktionsteilnehmer von ungefähr gleicher Größenordnung sein. Damit dies möglich ist, darf die Änderung der freien Energie keinen zu großen absoluten Wert haben. Betrachten wir z. B. wie oben die Spaltung C ^"zzi

A+ B

und nehmen wir an, daß im Gleichgewicht alle Stoffe in einer Konzentration von 0,005 Mol/1 vorliegen. Es wird sich also, wenn wir 0,01 Mol A und 0,01 Mol B pro Liter zusammenbringen, die Hälfte zu 0,005 Mol C vereinigen. Nach dem Massenwirkungsgesetz muß die Gleichgewichtskonstante der Reaktion den Wert 5-10-3 haben. Aus der Gleichgewichtskonstanten läßt sich der Normalwert der Änderung der freien Energie leicht berechnen: AG0 = —(—2,301-1424) = + 3 3 0 0 cal.

Die Rolle des Phosphats usw.

477

Es können also unter physiologischen Bedingungen und bei der oben angenommenen Größenordnung der Konzentrationen Spaltungsreaktionon vom obigen Typus nur dann in einem in Betracht fallenden Ausmaß reversibel sein, wenn AG0 nicht wesentlich kleiner (negativer) ist als der obige Wert (d. h. wenn die Dissoziationskonstante nicht wesentlich größer ist, als im obigen Beispiel angenommen wurde). Z. B. wäre f ü r AG0 =0, bei gleichen Konzentrationen von A und B wie oben, die Gleichgewichtskonzentration von C nur noch 2,5-10~ 5 Mol/1. U n t e r physiologischen Bedingungen sind wegen der niedrigen, molaren Konzentrationen der meisten Stoffe in den Zellen zum vornherein die Spaltungsreaktionen begünstigt. Auch bei ungünstiger Lage des Gleichgewichts ist eine Synthese in meßbarem Umfang möglich, wenn das Reaktionsprodukt ständig entfernt wird (wenn es z. B. schwer löslich ist; vgl. dazu den Abschnitt über enzymatische Peptidsynthese S. 446). Die Gleichung f ü r AG läßt ohne weiteres auch die Abhängigkeit der freien Energie von der Konzentration der Stoffe erkennen. Wenn ein Mol einer Molekülart A von der Aktivität (A) lf die wir der Konzentration gleichsetzen wollen, auf die Aktivität (A) a gebracht wird, so gilt: AG = R • T • log n a t ^ ! 2 . Man erkennt leicht, daß dies nichts anderes ist als die Arbeit, die bei der isothermen Kompression gegen den Gasdruck oder den osmotischen Druck geleistet werden m u ß oder bei der Dilatation geleistet wird. Man benötigt diese Gleichung z. B. dann, wenn m a n bei einer Reaktion, an der Wasserstoffionen beteiligt sind, den Einfluß des p H auf AG berechnen will 1 ). Endergonische Reaktionen mit hohem Betrag von AG werden aber im allgemeinen nur dann vor sich gehen können, wenn sie mit exergonischen Reaktionen gekoppelt sind, so daß die G e s a m t r e a k t i o n mit einer Abnahme der freien Energie einhergeht. Man bezeichnet diese Verbindung einer endergonischen mit einer exergonischen Reaktion als e n e r g e t i s c h e K o p p e l u n g . Man kann in einer etwas weniger präzisen Ausdrucksweise auch sagen, daß die eine Reaktion die Energie f ü r den Ablauf der anderen liefern muß. Wir haben in den vorangehenden Kapiteln mehrfach in diesem Sinne von „energieliefernden Reaktionen" gesprochen. Es sind dies vor allem die Oxydationsvorgänge, in einzelnen Geweben und bei vielen Mikroorganismen auch anaerobe Spaltungen wie die Glycolyse, die alkoholische Gärung und ähnliche Reaktionen. Eines der zentralen Probleme des Intermediärstoffwechsels besteht darin, die Verbindung dieser Reaktionen mit den endergonischen Vorgängen der Zelle festzustellen und damit zu ergründen, auf welche Weise die freie Energie der Nährstoffe den physiologischen Leistungen dienstbar gemacht wird. I n vielen Fällen ist es nicht möglich, die zur Berechnung der freien Energie einer Reaktion benötigten D a t e n aus der Untersuchung von Gleichgewichten oder der Messung elektromotorischer K r ä f t e zu gewinnen. Man k a n n dann auf die früher angegebene allgemeine Gleichung AG = a H + ATS zurückgreifen. AH läßt sich oft durch direkte kalorimetrische Messung bestimmen. Die Entropie kann bei einfacheren organischen Verbindungen aus den empirisch ermittelten Beiträgen der einzelnen Atome unter Berücksichtigung ihrer Bindungsart a n g e n ä h e r t berechnet werden, so daß man die freie Energie unmittelbar aus der obigen Gleichung erhalten kann.

2. Die Bolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen Wir haben bereits in früheren Kapiteln gezeigt, daß bei der Koppelung der energieliefernden exergonischen mit den energieverbrauchenden endergonischen Reaktionen organische Phosphorsäure Verbindungen eine wesentliche Rolle spielen. Tatl ) Es ist heute vielfach üblich, bei Reaktionen, an denen das Wasserstoffion beteiligt ist, an Stelle des Normalwertes AG0, der sich auf den Normalzustand bezieht (Aktivität aller Reaktionsteilnehmer einschließlich der Wasserstoffionen = 1), die Größe AG' ZU verwenden, bei der die Wasserstoffionenaktivität einen beliebig wählbaren Wert hat. Diese Größe ist natürlich pH-abhängig, und zwar ist, wenn an der Reaktion n Mol Wasserstoffionen beteiligt sind:

f ü r 38° also:

AG' = AG U ± 2,3 • n • R • T • p H ,

AG' = AG 0 ± 1 424 • n • p H , wobei das Pluszeichen gilt, wenn in der Reaktionsgleichung die Wasserstoffionen auf der linken Seite stehen.

478

Die Bedeutung der Phosphatbindung

sächlich ist die Überführung von anorganischem Phosphat in organische Bindung derjenige Vorgang, welcher der Zelle die Ausnutzung der freien Energie der Nährstoffe gestattet. Die Fixierung des anorganischen Phosphats ist immer eine endergonische Reaktion, die mit den energieliefernden Vorgängen, Oxydation und Glycolyse, gekoppelt ist. Werden die organischen Verbindungen in vitro verbrannt, so geht die gesamte Energie als Wärme verloren. I n der Zelle aber wird der Oxydationsvorgang derart geleitet, daß gleichzeitig organische Phosphorsäureverbindungen entstehen (oxydative Phosphorylierung): Nährstoff + anorg. Phosphat

q

* C02 + H 2 0 + org. Phosphorsäureverbindung.

Da, wie eben erwähnt, die Bildung des organischen Phosphats endergonisch ist, wird der Abfall der freien Energie bei dieser Reaktion k l e i n e r sein als bei der Verbrennung in vitro; es bleibt m. a. W. ein Teil der freien Energie, und zwar, wie wir sehen werden, ein wesentlicher Teil, in Form organischer Phosphate erhalten. Man kann diesen Vorgang grob mechanisch mit dem Aufziehen eines Uhrwerkes oder dem Aufladen eines Akkumulators vergleichen. I n den folgenden Schemata bedeuten die horizontalen, punktierten Linien die Energieniveaus. Nährstoffe ! äG der oxydativen ^ Phosphorylierung negativ

AG der Oxydation in vitro negativ

& G der Bildung von Phosphatverbindungen positiv

Endprodukte

Die Bedeutung der durch oxydative Phosphorylierung gebildeten Phosphorsäureverbindungen liegt nun in folgendem: Sie können sich mit anderen Stoffen unter Abspaltung von anorganischem Phosphat umsetzen. Da aber ihre Hydrolyse ein exergonischer Vorgang ist, müssen auch diese Umsetzungen stärker exergonisch sein als die entsprechenden Reaktionen der ihnen zugrunde liegenden nicht phosphorylierten Verbindungen, d. h. die Phosphorylierung wird in vielen Fällen eine Reaktion thermodynamisch möglich machen, welche sonst nicht in meßbarem Umfang vor sich gehen kann. Beispiel: Glucose kann nicht direkt mit anderen Zuckern unter Bildung von Di- oder Polysacchariden reagieren. Ist sie aber in Stellung 1 phosphoryliert, so kann sie unter Abspaltung von anorganischem Phosphat in eine glucosidische Bindung eingehen; z. B. (S. 308): Glucose-l-phosphat + Fructose , .

Saccharose 4- Phosphat.

Vgl. auch Glycogensynthese S. 297.

Wir haben bei Besprechung des Citronensäurecyklus und der Glycolyse gezeigt, daß das aufgenommene anorganische Phosphat zunächst in das Adenosintriphosphat übergeht. Diese Verbindung nimmt im gesamten Intermediärstoffwechsel eine zentrale Stellung ein. Sie enthält drei anhydridartig miteinander verbundene Phosphorsäuregruppen (vgl. S. 285): OH

OH

OH

I

I

I

II

0

II

II

Adenosin —O—P—0—P—0—P—OH

0

0

Die Rolle des Phosphats usw.

479

Sie vermag durch Transphosphorylierung einen Phosphat- oder Pyrophosphatrest an andere Verbindungen weiterzugeben und dieselben auf diese Weise reaktionsfähig zu machen. Die Fähigkeit des Adenosintriphosphats, andere Stoffe zu phosphorylieren, findet thermodynamisch ihre Erklärung in dem sehr hohen Abfall der freien Energie bei Spaltung der Anhydridbindung; die Hydrolyse der meisten anderen organischen Phosphatbindungen (z. B. Esterbindungen in den Zuckerphosphaten) ist viel weniger exergonisch (die Bildung weniger endergonisch), daher ist die Übertragung eines Phosphatrestes von ATP auf andere organische Stoffe meist ein exergonischer, zu Ende verlaufender Vorgang. Als Beispiel sei etwa die Hexokinasereaktion erwähnt: ATP + Hexose • A D P + Hexosephosphat (ATP = Adenosintriphosphat; ADP = Adenosindiphosphat)

Die Bilanz der freien Energie bei einem solchen Vorgang ist aus nachfolgendem Schema zu ersehen: Adenosintriphosphat

Abnahme der freien Energie bei Hydrolyse der Anhydridbindung des ATP

Hexosephosphat

y

AG der Transphosphorylierung negativ (Reaktion exergonisch)

t Zunahme der freien Energie • bei Bildung des Hexosephosphats aus anorgan. Phosphat + Hexose Adenosindiphosphat

Wie man sieht, ist für das Verständnis der Phosphorylierung die Kenntnis der zugehörigen Änderung der freien Energie AG 0 von grundlegender Bedeutung. Es zeigt sich, daß man in dieser Hinsicht die Phosphorsäureverbindungen in zwei Gruppen einteilen muß: 1. Zur ersteren gehören die gewöhnlichen Ester vom Typus der Zuckerphosphate: Hexosephosphate, Pentosephosphate (in den Nucleotiden), Triosephosphate, Glycerophosphate, Phosphoglycerinsäure, Cholinphosphat usw. Die Werte von AG 0 für die Hydrolyse dieser Bindungen liegen meist zwischen etwa 2000—3000 cal.: R-0-P03— + H 2 0

-

R - O H + H P O , — ; AG 0

3000cal.

Nur für die 2-Phosphoglycerinsäure (AG0 = —4050) und das Glucose-1-phospliat (AG0 = —4800) liegen die Werte etwas höher. 2. Bei den Verbindungen der zweiten Gruppe ist der die Hydrolyse begleitende Abfall der freien Energie bedeutend höher, nämlich 8000—16000 cal. Man bezeichnet die Phosphatbindung dieser Gruppe daher gewöhnlich als „ e n e r g i e r e i c h e " Phosphatbindung. Dazu gehören: Adenosintriphosphat und die Polyphosphate anderer Nucleoside: OH

OH

I

I

OH

!

Adenin—Ribose—O—P—O—P—O—P—OH

480

Die Bedeutung der Phosphatbindung

Das A T P enthält zwei energiereiche Phosphatbindungen in Form der beiden Säure anhydridbindungen zwischen den Phosphatresten: Enolphosphate vom Typus der Phosphoenolbrenztraubensäure: COOH 1C — O — P = / 00 H x II OH CH2 Acylphosphate wie das Acetylphosphat oder das (Negelein-Ester): Q

Phosphoglycerinsäurephosphat

II /OH C—0—P^-0 | \OH R Carbamylphosphat, das Phosphat der Carbaminsäure, die einzige bisher bekannte Verbindung dieser Art: O II /OH H S N—C—O—P==0 \OH Amidinphosphate wie das Phosphokreatin oder das Phosphoarginin: NH || /OH C—NH—PS==0 | \OH ß—NH Hier ist der Phosphor an Stickstoff gebunden. U m die energiereichen Phosphatbindungen zu kennzeichnen, benutzt man oft (nach einem Vorschlag von L i p m a n n ) statt des gewöhnlichen Valenzstriches eine gewellte Linie — und schreibt demnach z. B.: OH OH OH I I I Adenosin—0— P — 0 ~ P — 0 ~ P — O H II II II oder:

0

OH I Kreatin—N~P—OH II O

0

0

usw.

Gegen die Bezeichnung der „energiereichen" Phosphatbindung lassen sich Einwände erheben, weil streng genommen der Ausdruck „Energie einer chemischen Bindung" eine ganz andere Bedeutung hat. Wir b r a u c h e n d i e s e h e u t e a l l g e m e i n ü b l i c h e B e z e i c h n u n g h i e r a u s s c h l i e ß l i c h in dem o b e n a n g e g e b e n e n S i n n : E n e r g i e r e i c h e B i n d u n g e n s i n d s o l c h e , d e r e n H y d r o l y s e v o n e i n e m h o h e n A b f a l l d e r f r e i e n E n e r g i e beg l e i t e t ist. Man versteht unter der Energie einer kovalenten Bindung den Energieaufwand, welcher nötig ist, um die Bindung h o m o l y t i s c h , d. h. unter Bildung elektrisch neutraler Spaltstücke, zu trennen. Das Elektronenpaar, das die Bindung bewirkte, wird dabei getrennt: A:B A' + B \ Im Falle zweiatomiger Moleküle z. B. bedeutet dies die einfache Spaltung in die Atome: H 2 2 H. Da zur Spaltung einer Bindung stets Energie aufgewendet werden muß (Wärme, Strahlung, elektrische Energie usw.), hat die Differenz zwischen dem Energieinhalt der Spaltprodukte E 2 und dem Energieinhalt des Ausgangsstoffs E t stets einen positiven

Die Rolle des Phosphats usw.

481

Wert E 2 > E 1 ( und zwar einen um so höheren, je fester die Bindung ist. Man kann aus thermodynamischen und spektroskopischen Daten die Energie der einzelnen Bindungen angenähert berechnen1). Es handelt sich hier aber um sehr viel höhere Energiebeträge, als sie bei der Hydrolyse einer Bindung auftreten. Bei der Hydrolyse und ähnlichen Vorgängen wird für jede getrennte Bindung eine neue geknüpft, so daß sich in der Bilanz Trennungs-und Bildungsenergie annähernd aufheben. Wenn wir z. B. die Hydrolyse eines Phosphorsäureesters betrachten, so können wir den Vorgang in die folgenden Teilreaktionen zerlegen: a) R — 0 - j - P 0 3 H 2 b) H 2 0

'

> R—0- + .P0 3 H 2 H. + "OH

c) R—0- + .H

> R—OH

d) , P 0 3 H + "OH

> HO—P0 3 H 2

Bilanz: R — 0 — P 0 3 H 2 + H 2 0

, R—OH + HO—P0 3 H 2

Bei den Reaktionen a) und b) werden eine O—P- und eine 0—H-Bindung gespalten, bei den Reaktionen c) und d) eine 0—H- und eine 0 —P-Bindung neu gebildet. Die Energieänderung ist jedesmal von der Größenordnung 50000 bis 100000 cal./Mol, während die Wärmetönung oder freie Energie der Hydrolyse nur wenige 1000 cal./Mol beträgt, eine Differenz, die von kleinen Unterschieden in der Festigkeit der gespaltenen und neu gebildeten Bindungen herrührt. Wegen verschiedener Mißverständnisse, zu denen der Begriff der „energiereichen" Bindung geführt hat, müssen wir noch auf einige Prägen kurz eingehen 2 ). Die Wärmetönung (Änderung der Enthalpie AH) und die Änderung der freien Energie a G beziehen sich immer auf ganz bestimmte Reaktionen, die genau definiert werden müssen. Bei der Hydrolyse der uns interessierenden Phosphorsäureverbindungen entstehen saure oder basische Gruppen, die Protonen abspalten oder binden. Die Energieänderung dieser Reaktionen addiert sich daher zur Energieänderung der eigentlichen Hydrolyse. Umfang und Art der die Hydrolyse begleitenden Neutralisationsvorgänge hangen vom pH und der Pufferung der Lösung ab. Es muß daher genau festgelegt werden, auf welchen Ionisationszustand der Reaktionsteilnehmer sich AH und AG beziehen sollen. Man könnte z. B. den nicht dissoziierten Zustand der Moleküle zugrunde legen. Dann würde AH gerade der Energiedifferenz der getrennten und neugebildeten Covalenzen entsprechen (siehe das obenstehende Schema). Oder man könnte die Reaktion zugrunde legen, die sich bei konstantem pH tatsächlich abspielt. Dabei müssen die Säuren oder Basen miteinbezogen werden, welche an den begleitenden Neutralisationsvorgängen beteiligt sind. AH ist in diesem Fall gleich der direkt meßbaren Wärmetönung der Reaktion und ist von der Natur der verwendeten Pufferlösung abhängig. Die übersichtlichste und für die Anwendung geeignetste Form der Reaktionsgleichung erhält man aber, wenn man sie für diejenigen Ionenformen der Phosphorsäureverbindung und ihrer Spaltprodukte anschreibt, die beim vorgegebenen pH-Wert in der Lösung tatsächlich vorhanden sind, ohne die Reaktion der Protonen mit fremden Puffersystemen einzubeziehen. Man erhält dann für die Hydrolyse der verschiedenen „energiereichen" Bindungen bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion die folgenden Gleichungen 3 ): (1) Pyrophosphat:

ATP4" + H20

>- A D P 3 - + H P O / - + H+

(2) Acylphosphat:

O II — C—O—P0 3 2 - + H 2 0

O II >• —C—O- + H P 0 4 2 - + H+

I CH (3) Enolphosphat:

C—O—P0 3 2 " + H , 0

I CH2 • C = 0 + HP042"

Vgl. z. B. P a u l i n g : The nature of the chemical bond, S. 47. London 1950. H a u g e n u. W a t s o n : Chemical process principles. Part II, S. 758. New York u. London 1948. R e m i c k : Electronic interpretations of organic chemistry, S. 140. New York u. London 1950. 2) Vgl. dazu G i l l e s p i e u. Mitarb., Nature 171, 1147 (1953). 3 ) Es wird angenommen, daß das anorganische Phosphat ausschließlich als H P 0 - _ vor4 liegt, trotzdem dies für neutrale Reaktionen nicht genau zutrifft. Bei pH 7 würden pro Mol abgespaltenes Phosphat nur etwa 0,6 Mol H-Ionen frei. 31

Leuthardt,

Lehrbuch.

13.Aufl.

Die Bedeutung der Phosphatbindung

482

NH2+

NH2+

I II (4) Guanidinphosphat:—N—C—NH—P0 3 2 - + H 2 0

I II >- - N — C - N H 2 + H P ( y -

Wenn man AH und AG auf diese Gleichungen bezieht,! s o ergibt sieh noch der folgende Vorteil. Bei konstantem pH werden die auftretenden Wasserstoffionen durch Pufferbasen gebunden (oder, in der Gleichung 4 von einer Puffersäure abgegeben). Die Komponenten des Puffersystems stehen aber miteinander im G l e i c h g e w i c h t ; daher ist die Aufnahme oder Abgabe von Protonen (immer unter Voraussetzung eines konstanten pH-Wertes, d. h. großer Pufferkapazität) von keiner Änderung der freien Energie begleitet (laut Definition des Gleichgewichtszustandes, der durch dG = 0 gekennzeichnet ist). Der auf die obigen Gleichungen bezogene Wert von AH ist daher gerade derjenige, der in die Beziehung aG = a H — TaS eingesetzt werden muß, wenn man daraus die freie Energie berechnen will. Eine besonders wichtige Größe ist die freie Energie der Hydrolyse von ATP (Gleichung 1). Sie läßt sich leider nicht exakt bestimmen; man ist auf Schätzungen angewiesen. Genau bekannt ist die Enthalpieänderung, die der obigen Gleichung 1 entspricht. Die neueste Bestimmung hat den Wert von AH = — 4800 cal. (pH = 8,0) ergeben. Bei der direkten Messung der Wärmetönung in Pufferlösung wird die Neutralisationswärme des Protons mit einbezogen. Man kann dann, je nach Art des Puffers, Werte bis zu —16000 cal. finden. Dies erklärt die wesentlich höheren Angaben früherer Autoren 1 ). Wenn aus AH die freie Energie der Reaktion berechnet werden soll (aG = a H — TaS), muß auch die Entropieänderung AS0 bekannt sein. Diese Größe läßt sich aber nicht direkt bestimmen. Es scheint aber, daß das Entropieglied T a S klein ist und den Betrag von 2—3000 cal. nicht übersteigt. L i p m a n n rechnete für die freie Energie der Hydrolyse das ATP mit 12000 cal. pro Anhydridbindung. Neuere Schätzungen von aG' 2 ) führen auf den wesentlich niedrigeren Wert von etwa 8000 cal. 3 ). Wenn sich dieser Wert bestätigt, müssen natürlich alle Berechnungen der freien Energie ATP-abhängiger Reaktionen entsprechend korrigiert werden. So dürften auch die bisher angenommenen Werte für die Hydrolyse von Enolphosphat aG' —— 16200 ( M e y e r h o f und Oesper) 4 ), von Acylphosphat aG' = — 16300 ( B ü c h e r ) 6 ) und von Guanidinphosphat (Kreatinphosphat) aG 0 = — 13100 cal. ( L e h m a n n ) 8 ) in Wirklichkeit etwa 4000 cal. positiver sein. Es erhebt sich nun die Frage, durch welche Besonderheiten der Struktur eine Phosphorsäureverbindung zu einer „energiereichen" wird. Wir können auf dieses Problem nur kurz eingehen und müssen uns mit wenigen Hinweisen begnügen. Die thermodynamische Instabilität der Pyrophosphate und der Acylphosphate (die im hohen Wert von AG' ihren Ausdruck findet) läßt sich auf Grund eines quantenchemischen Begriffs, der sog. R e s o n a n z , verstehen. Für eine genauere Erklärung müssen wir auf die Literatur verweisen7). Besonders aufschlußreich für die Klärung des Begriffs der „energiereichen" Bindung ist die Betrachtung der Hydrolyse von E n o l p h o s p h a t e n (Phosphoenolpyruvat). Hier läßt sich nämlich zeigen, daß sehr wahrscheinlich ein wesentlicher Teil des Abfalls der freien Energie bei der Hydrolyse auf die Enol-Ketoumlagerung und nicht auf die hydrolytische Spaltung der Phosphatbindung fällt. Man kann die Hydrolyse der Phosphoenolpyruvatformel in die folgenden Teilstufen zerlegen: (I) (II) (III) Bilanz:

Phosphoenolpyruvat Enolpyruvat + H 2 0 Glycerat Phosphoenolpyruvat + H 2 0

>>• > >•

Enolpyruvat -f Phosphat Glycerat Pyruvat + H 2 Q Pyruvat + Phosphat

Für Reaktion (III) hat L i p m a n n ein aG 0 von 8250 cal. berechnet 8 ). Von der Reaktion (II) kann man annehmen, daß sie nur mit einer sehr geringen Änderung der freien Energie !) Näheres siehe K i t z i n g e r u. B e n z i n g e r , Zschr. Naturforschg. 10 b, 375 (1955). 2 ) Erklärung von aG' siehe Fußnote *) auf S. 477. 8 ) Vgl. z. B . L e v i n t o w u. M e i s t e r , J . biol. Chem. 209, 265(1954); weitere Literatur siehe Fußnote *). 4 ) J . biol. Chem. 179, 1371 (1949). 6 ) Biochim. Biophys. Acta 1, 292 (1947). •) Biochem. Zschr. 286, 336 (1936). ') Vgl. O e s p e r , Arch. Biochem. 27, 255 (1950). Über die quantenchemische Resonanz im allgemeinen siehe z. B. W h e l a n d : The theory of resonance. New York u. London 1945. R e m i c k : Electronic interpretations of organic chemistry. New York u. London 1950. ») Adv. Enzymol. 1, 107 (1941).

Die Rolle des Phosphats usw.

483

verläuft, da sie der Enolasereaktion vergleichbar ist, f ü r welche A G . n u r + 520 cal. beträgt. F ü r die Bilanzreaktion haben M e y e r h o f u n d O e s p e r 1 ) den Wert von 16200 cal. gefunden, der sich aber, wenn man mit den neuen, niedrigeren Werten von A G ' f ü r die ATP-Hydrolyse rechnet, auf etwa 12000 cal. reduziert. Man findet dann (unter Vernachlässigung von Reaktion (II)) f ü r die Hydrolyse der Phosphatbindung im Phosphoenolpyruvat (Reaktion (I)) den Wert von etwa 12000 — 8000 = 4000 cal. Das ist nur wenig mehr als f ü r eine gewöhnliche Esterbindung. Es f ü h r e n noch andere Überlegungen zum gleichen Resultat ( O e s p e r , 1. c. S. 482). W e n n also die Enolphosphate als „energiereiche" Verbindungen in Erscheinung treten, so liegt dies nur zum kleinen Teil an der Phosphatbindung an sich; der große Abfall der freien Energie ist zur Hauptsache durch den Übergang der thermodynamisch instabilen Enolform in die stabile Ketoform bedingt, der sich an die Hydrolyse der Phosphatbindung anschließt. Die Enolphosphatbindung ist deshalb energiereich, weil sie die instabile Enolform fixiert. Bei der Hydrolyse der G u a n i d i n p h o s p h a t e (Amidinphosphate) stellen sich ähnliche Fragen. Die Instabilität dieser Verbindungen läßt sich zum Teil, wie diejenige der Pyrophosphate, durch Verminderung der Resonanzenergie bei der Bindung des Phosphats an die Guanidingruppe erklären 2 ). Gleichzeitig wird durch die E i n f ü h r u n g des Phosphorylrests die Basizität der Guanidingruppe geschwächt. Bei der hydrolytischen Abspaltung des P h o s p h a t s entsteht daher eine stärkere Base. Die Guanidingruppe ist aber auch in Form ihres Phosphats noch so stark basisch, daß sie im physiologischen pH-Bereich als Guanidiniumion vorliegt 3 ), so daß die Spaltung nicht von einem Neutralisationsvorgang begleitet ist. Hier ist also der hohe Abfall der freien Energie im wesentlichen durch die Hydrolyse der Phosphatbindung bedingt. Auf Grund der Gleichgewichtsreaktion A T P + Kreatinphosphat
'S» I -c

5000

Transphosphory!:erung X1

-Ph*X2

Esterphosphot

X \ Phosphat\asen

anorganisches Phosphat

Abb. 45. E n e r g i e n i v e a u der P h o s p h a t b i n d u n g e n (nach Lipmann) (Aß' in g cal.). wird). Erfolgt bei der Hydrolyse die Trennung an der P — O-Bindung, so nimmt das freigesetzte Phosphat, erfolgt sie an der C—O-Bindung, so nimmt der andere Partner Sauerstoff aus dem Wasser auf: a)

C—0-j-P0 3 H 2 + HO*—H

C-OH + H0*-P03H2

b)

C - j - 0 - P 0 3 H 2 + HO*—H

C - Ö H + HO—PO.H,

Bei der Transphosphorylierung wird im ersten Fall eine Phosphorylgruppe (—P0 3 H 2 ), im zweiten eine Phosphatgruppe ( —O —P0 3 H 2 ) übertragen. Man hat diese Frage in verschiedenen Fällen durch Verwendung von Verbindungen, welche das Sauerstoffisotop 0• 2 ( A d — P ~ P ) + 2(X—P) • Ad—P + ( A d — P ~ P ~ P ) •

(Ad—P) + 2(X—P)

Die Bilanz des Vorgangs sieht also so aus, als ob ein Molekül ATP mit seinen beiden labilen Phosphatgruppen unter Bildung von Adenylsäure reagiert hätte. Ähnlich liegen wahrscheinlich die Verhältnisse bei der Bildung des ATP aus dem Monophosphat (der Adenylsäure). Man kann experimentell zeigen, daß AMP bei der oxydativen oder glycolytischen Phosphorylierung als Phosphatakzeptor funktioniert und ATP liefert; man könnte also annehmen, daß zuerst ein Phosphatrest unter Bildung von ADP und dann der zweite unter Bildung des ATP angelagert würde. Gewisse Beobachtungen deuten aber daraufhin, daß in Wirklichkeit immer nur das ADP das anorganische Phosphat aufnimmt. Bei Gegenwart von Myokinase kann aber, wie man leicht sieht, die Adenylsäure trotzdem phosphoryliert werden, sofern nur zu Beginn eine kleine Menge ATP vorhanden ist. Dieses reagiert mit der Adenylsäure unter Bildung von Diphosphat; das letztere geht durch Addition von anorganischem Phosphat in ATP über, welches mit der Adenylsäure wieder Diphosphat liefert und so fort, bis alle Adenylsäure zu ATP phosphoryliert ist. Auch hier reagiert bilanzmäßig anscheinend 1 Molekül Monophosphat mit 2 Molekülen anorganischem Phosphat (oder einem organischen Phosphatdonator) unter Bildung von 1 Molekül Triphosphat. Neben der Myokinase gibt es, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, auch Fermente, die den terminalen Phosphatrest zwischen v e r s c h i e d e n e n Nucleosidpolyphosphaten verschieben. Dazu gehört das S. 211 erwähnte Enzym, welches den endständigen Phosphatrest des Guanosintriphosphats auf das Adenosindiphosphat überträgt (GTP-ADP-Kinase). Ebenso ist eine Kinase bekannt, die Phosphat zwischen den Polyphosphaten des Uridins, Inosins und Adenosins verschiebt (Nucleosid-dipliosphat-Kinase, „Nudiki"). Beispiel: Uridin-ph-ph-ph + Adenosin-ph-ph

Uridin-ph-ph + Adenosin-ph-ph-ph.

ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge

497

Man kann aus verschiedenen neueren Beobachtungen schließen, daß bei Transphosphorylierungen neben den Phosphaten des Adenosins wahrscheinlich auch solche anderer Nucleoside eine Rolle spielen. Beispiel S. 271. Die genannten Kinasen stellen die Verbindung mit dem Adenylsäuresystem her1).

Zu den Kinasen muß auch ein Enzym gezählt werden, das von H o f f m a n n O s t e n h o f in der Hefe nachgewiesen worden ist. Es unterscheidet sich von den bisher genannten Fermenten dadurch, daß es einen Phosphatrest aus anorganischem M e t a p h o s p h a t auf ADP überträgt ( M e t a p h o s p h a t k i n a s e ; M e t a p h o s p h a t ADP- T r a n s p h o s p h o r y l a s e ) : (NaP0 3 ) n + 1 + ADP

• (NaP0 3 ) n + ATP

Die obige Reaktion konnte durch Verwendung von P< 32 '-Metaphosphat bewiesen werden 2 ). Metaphosphate sind in verschiedenen Pilzen nachgewiesen worden (Aspergillus niger, Hefe). Sie könnten daher bei diesen Organismen, auf Grund der obigen Fermentreaktion, als Speicher energiereicher Phosphatbindungen dienen. Die umgekehrte Reaktion, Bildung von Metaphosphat aus ATP konnte allerdings noch nicht nachgewiesen werden. Alle Kinasereaktionen, d. h. alle Phosphatverschiebungen, an denen ATP beteiligt ist, scheinen vom M a g n e s i u m i o n abhängig zu sein. Wir haben früher schon bemerkt, daß es sich immer um Verschiebungen des Phosphorylrests — P 0 3 H 2 handelt. Eine gewisse Verwandtschaft mit den eben angeführten Reaktionen zeigen die auf S. 468 und S. 306 besprochenen reversiblen Spaltungsreaktionen der Pyridinund Uridincofermente, bei denen unter Spaltung einer Pyrophosphatbindung eine neue gebildet wird, nach dem folgenden Schema ( K o r n b e r g ) 3 ) : R,—O—P—0—P—O—R a + P—O—P

(CH 2 0) + CH3COCH3 + H 2 0 .

Purpurbakterien sowie auch gewisse Grünalgen (nach Anpassung) vermögen die Reduktion des C0 2 sogar durch gasförmigen Wasserstoff durchzuführen: Licht C0 2 + 2H 2 (CH 2 0) + H 2 0 . Man muß annehmen, daß hier der Wasserstoff zuerst durch die Hydrogenase fixiert wird (vgl. S. 256) und daß die dabei entstandene Verbindung als Wasserstoffdonator für die Photoreduktion dient.

Man erkennt leicht, daß sich die erwähnten Beispiele der Photosynthese auf ein und dieselbe Formel bringen lassen (van Niel): C0 2 + 2H 2 A

1 i: m

. > (CH 2 0) + H 2 0 + 2 A .

J e nachdem A Sauerstoff, Schwefel oder ein organischer Rest ist, erhält man die verschiedenen Typen der Photosynthese. In allen Fällen wird die Strahlungsenergie durch die absorbierenden Pigmente aufgefangen und dazu benutzt, ein Molekül aufzuspalten, wobei ein oxydiertes und reduziertes System erzeugt wird. Das erstere wird stabilisiert (als 0 2 , Schwefel, Sulfat usw.); das letztere ist reaktionsfähig und vermittelt die Photoreduktion des C0 2 . Es ist sehr aufschlußreich, die zur Photosynthese befähigten Schwefelbakterien den pigmentlosen, nicht photosynthetisch wirksamen gegenüberzustellen. Die ersteren oxydieren den Schwefel durch eine photochemische Dismutation, wobei letzten Endes die Kohlensäure der reduzierte Partner ist. Die farblosen Schwefelbakterien dagegen (z. B. Thiobacillus thio-oxydans) oxydieren den Schwefel durch den Luftsauerstoff; sie vermögen aber die dabei freiwerdende Energie zur Reduktion der Kohlensäure, d. h. zur Synthese organischer Substanz, zu verwerten. Man hat dies als Chemosynthese bezeichnet ( P f e f f e r ) , oder man sagt, daß diese Organismen chemo-autotroph sind, denn sie brauchen zu ihrer Ernährung keine vorgebildeten organischen Stoffe wie die heterotrophen Organismen, sondern sind imstande, wie die p h o t o - a u t o t r o p h e n Lebewesen ihre Kohlenstoffverbindungen aus C0 2 aufzubauen. Bei Thiobacillus thio-oxydans läßt sich die Oxydation des Schwefels von der mit ihr gekoppelten Fixierung des C0 2 trennen. Wenn man die Organismen zunächst unter Ausschluß von Kohlensäure den Schwefel vollständig oxydieren und die Kohlensäure nachträglich zutreten läßt, so wird die letztere assimiliert. Es scheint, daß sich während der Oxydation energiereiches Phosphat sammelt, das später bei der Reduktion der Kohlensäure verbraucht wird1).

Zu den chemo-autotrophen Bakterien gehören auch die nitrifizierenden (siehe unten); sie gewinnen ihre Energie durch die Oxydation des Ammoniaks zu Nitrit und des Nitrits zu Nitrat. Schließlich gibt es noch Bakterien (Leptothrix ochracea), die den Abfall der freien Energie vom Ferrosalz zum Ferrisalz auszunutzen vermögen. Auch die heterotrophen Organismen, darunter die höheren Tiere, sind imstande, anorganische Kohlensäure zu fixieren. Wir haben diese Reaktionen früher ausführlich besprochen (vgl. S. 275). Aber die Heterotrophen müssen die Energie für die Reduktion des C0 2 durch Oxydation der organischen Substanzen gewinnen. Der oxydative Abbau derselben ist jedoch in der Bilanz die genaue Umkehrung der Kohlensäureassimilation. Es wird also für jedes fixierte C0 2 -Molekül letzten Endes ein solches wieder abgegeben. D i e C 0 2 - F i x i e r u n g b e d e u t e t d a h e r b e i d e n H e t e r o t r o p h e n bilanzmäßig keinen Gewinn an organisch g e b u n d e n e m Kohlenstoff! Vgl. J. gen. Physiol. 26, 89, 103, 157 (1942).

Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen

517

Wahrscheinlich ist die Chemosynthese der organischen Substanzen phylogenetisch älter als die Photosynthese. Solange den Organismen der photochemische Apparat nicht zur Verfügung stand, konnte Kohlenstoff nur bei gleichzeitiger Oxydation anorganischer Stoffe (Schwefel, Ferrisalze) oder vorgebildeter organischer Stoffe fixiert werden. Im letzten Fall ist der Gesamtzuwachs an organischer Substanz gleich Null; im ersten wird er durch das beschränkte Vorkommen geeigneter anorganischer Wasserstoffdonatoren begrenzt. Erst die Erwerbung eines zur Transformation der Lichtenergie befähigten Systems erlaubte eine unbeschränkte Synthese organischer Substanz aus Kohlensäure. Denn nun konnte das Wasser als Reduktionsmittel der Kohlensäure benutzt werden. Die Energiezufuhr von außen ermöglichte es, den Sauerstoff als 0 2 zu eliminieren, während er bei allen rein chemischen OxydoReduktionen durch einen Akzeptor aufgenommen werden muß. Eines der grundlegenden Probleme der Photosynthese ist die Bestimmung der Quantenausbeute, d. h. der minimalen Zahl von Lichtquanten, die für die Abspaltung eines Moleküls 0 2 (oder die Assimilation eines Moleküls C0 2 ) nötig sind. Es handelt sich um Messungen, die experimentell bedeutende Schwierigkeiten bieten. Die Energie E der Lichtquanten hängt nach der bekannten Beziehung E = hv von der Wellenlänge ab (h = P l a n c k s c h e s Wirkungsquantum, v = Frequenz). Dementsprechend ergeben sich die folgenden Energieäquivalente in kg-Kalorien: 700 m/i (Rot): 40,8 Cal., 667 mp (Orange, Maximum der Absorptionsbande von Chlorophyll a): 42,7 Cal., 600 m/i (Gelb): 47,6 Cal., 500 m/j. (Blaugrün): 51,1 Cal., 400 m/j. (Violett): 71,4 Cal.

Ältere und neuere Messungen von W a r b ü r g ergaben Werte von 3—4 Quanten pro Mol 0 2 . Dies bedeutet eine gute Ausnutzung der Lichtenergie. Gemäß der Gleichung ^ + ^ = (CH20) + a H e t w a 1 1 2 Cal. wäre ein Aufwand von 2,8 Quanten bei rotem Licht erforderlich. Es sind allerdings von anderen Autoren bedeutend größere Werte für die Zahl der pro Mol C0 2 aufgenommenen Lichtquanten (d. h. eine viel geringere Quantenausbeute) gefunden worden 1 ). Aus diesen Befunden ergibt sich eine gewisse Schwierigkeit. Es sind in der anorganischen Natur keine endothermen mehrquantigen Reaktionen bekannt. Ein Molekül wird immer durch Absorption eines einzigen Lichtquants in den angeregten Zustand übergeführt. Es ist daher nicht ohne weiteres verständlich, daß bei der Photosynthese zur Abspaltung eines Moleküls 0 2 mehrere Quanten verbraucht werden sollten. Andererseits reicht aber die Energie eines Lichtquants nicht aus, um ein Molekül C0 2 entsprechend der Gleichung der Photosynthese zu reduzieren. W a r b u r g und B u r k haben einen einquantigen Mechanismus der Photosynthese vorgeschlagen, welcher diese Schwierigkeit vermeidet. Ihre Theorie beruht auf der Annahme, daß sich der Prozeß aus einer photosynthetischen Reaktion und einer chemosynthetischen Dunkelreaktion zusammensetzt. W a r b u r g und B u r k haben bei Versuchen mit intermittierender Beleuchtung (Versuchsobjekt C h l o r e l l a ) beobachtet, daß während der Dunkelperiode ein Oxydationsvorgang abläuft, dessen Geschwindigkeit um ein Vielfaches größer ist als die normale Dunkelatmung. Sie nehmen an, daß die eigentliche Photoreaktion ein einquantiger Prozeß ist, bei welchem ein Lichtquant absorbiert, 1 Molekül Kohlensäure aufgenommen und ein Molekül 0 2 abgespalten wird. Anschließend wird aber durch eine Dunkelreaktion der größere Teil, nämlich 2 / 3 bis 3 / 4 des gebildeten organischen Produkts durch Sauerstoff wieder oxydiert, wobei in gekoppelter Reaktion ein durch die photochemische Reaktion verbrauchtes Substrat wieder aufgebaut wird. (Es wäre denkbar, daß es sich um eine „energiereiche" Phosphatverbindung handelt.) Die photochemische Reaktion liefert somit nur einen Bruchteil der gesamten während eines Cyklus verbrauchten Energie (im roten Licht 40 Cal. von insgesamt 112 Cal.); der Rest wird durch die Oxydation produziert. Infolge der Rückoxydation der organischen Substanz müssen 3—4 derartige Cyklen durchlaufen, d. h. 3 bis *) Diskussion der neueren Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 22, 423 (1953).

518

Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs

4 Quanten verbraucht werden, bis in der Bilanz 1 Molekül 0 2 abgegeben oder 1 Molekül COa assimiliert worden ist. Der totale Substanzgewinn der assimilierenden Zelle ist die Differenz zwischen dem Aufbau während der photochemischen und dem Abbau während der oxydativen Phase des Prozesses 1 ). Die W a r b u r g s c h e Vorstellung wird durch die vier folgenden schematischen Gleichungen zusammengefaßt (N 0 h • v — 1 Mol Lichtquanten): a) N0Hhj> + R H 4 0 2 = RH 4 + 1 0 2 b) RH 4 + 1 C0 3 = R + 2 H 2 0 + 1C c) "I, C + 2 / 3 0 2 = 2 / 3 C0 2 + 70 Cal. d) 70 Cal. + R + 2 H 2 0 = R H 4 0 2 Gleichung a) stellt die eigentliche photochemische Reaktion dar, bei welcher aus der hypothetischen Verbindung R H 4 0 2 der primäre Wasserstoffdonator RH 4 (vgl. S. 508) und Sauerstoff gebildet werden. Gleichung b) stellt die Reduktion der Kohlensäure dar, wobei das Reduktionsprodukt schematisch durch C bezeichnet ist. Gleichung c) stellt die obenerwähnte oxydative Reaktion dar, durch welche ein Teil des primären Reduktionsprodukts C wieder oyxdiert wird. Sie ist mit der Reaktion d) energetisch gekoppelt und liefert die Energie für die Regeneration des Substrats R H 4 0 2 der primären photochemischen Reaktion. Die oben besprochenen Theorien der C0 2 -Assimilation geben der schematischen Gleichung b) ihren tatsächlichen Inhalt. Nach der oben erwähnten Theorie der C0 2 -Fixierung von O. W a r b u r g sind die durch die Gleichungen a) und b) dargestellten Vorgänge eng miteinander verknüpft und spielen sich am Chlorophyllmolekül selbst ab. Wenn man von dieser Vorstellung ausgeht, so muß in die Gleichung d) auch die Fixierung der Kohlensäure miteinbezogen werden.

Unter den an der Photosynthese beteiligten Pigmenten ist sicher das Chlorophyll das wichtigste. Verschiedene Purpurbakterien enthalten ein dem Farbstoff der höheren Pflanzen sehr ähnliches Pigment (Bacterio-Chlorophyll). Man vermutet, daß auch die Carotinfarbstoffe (Carotin und Xanthophyll), welche regelmäßige Begleiter der grünen Blattfarbstoffe sind, bei der Photosynthese eine Rolle spielen. Es ist eine biologisch sehr bedeutsame Tatsache, daß auch dem grünen Blattfarbstoff, dem C h l o r o p h y l l , der Metallkomplex eines Porphyrins zugrunde liegt. Das Chlorophyll besteht aus zwei Komponenten, a (blaugrün) und b (gelbgrün), die sich dadurch unterscheiden, daß in b eine Methylgruppe zur Aldehydgruppe oxydiert ist. Eine der Carboxylgruppen ist mit dem Alkohol Phytol verestert. Man verdankt die grundlegenden Untersuchungen über das Chlorophyll R. W i l l s t ä t t e r und A. Stoll. Sie wurden von H. F i s c h e r und seiner Schule weitergeführt. CH2 II /H CH CH 3 C( im Chlorophyll b

I

I

lxo

H 39 C 20 -O-OC—CHj COOCHj Phytylrest Vgl. B u r k u. W a r b u r g , Zschr. Naturforsche. 6b, 12 (1951); W a r b u r g , Zschr. Angew. Chemie 66. 493 (1954).

Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen

519

Das Bacterio-Chlorophyll besitzt an Stelle der Vinylseitenkette einen Acetylrest: CH, CH a

C=0

Die grünen Blätter enthalten ein Enzym, die C h l o r o p h y l l a s e , welches aus dem Chlorophyll das Phytol hydrolytisch (oder auch alkoholytisch) abspaltet, wobei das sog. C h l o r o p h y l l i d (a oder b) entsteht. (Im Falle der Alkoholyse werden die entsprechenden Alkylchlorophyllide gebildet, d. h. das Phytol wird gegen einen anderen Alkohol (Methyl- oder Äthylrest) enzymatisch ausgetauscht. Aus den Chlorophylliden wird durch Säurebehandlung das Magnesium abgespalten, und es entstehen die P h ä o p h o r b i d e . Wird Chlorophyll direkt mit verdünnten Säuren behandelt, so entstehen die magnesiumfreien (aber noch phytinhaltigen) P h ä o p h y t i n e , welche durch starke Säuren zu Phäophorbiden verseift werden. Der Magnesiumkomplex des Chlorophylls ist gegen Alkalien sehr stabil. Durch Behandlung mit starker methylalkoholischer Kalilauge in der Hitze wird das Chlorophyllid in die Tricarbonsäure I s o c h l o r o p h y l l i n übergeführt, in welchem der isozyklische Seitenring geöffnet ist. Wird aus dem Isochlorophyllin a das Magnesium durch Säure abgespalten, so entsteht das s o g . C h l o r i n e 6 , währenddem man aus dem Isochlorophyllin b das sog. R h o d i n g 7 erhält. Die gleichen Produkte entstehen auch, wenn man die entsprechenden Phäophorbide mit Alkali behandelt. Die folgende Tabelle (nach S t o l l und W i e d e m a n n ) zeigt den genetischen Zusammenhang zwischen den genannten Chlorophyllderivaten f ü r die a-Reihe: Chlorophyll a COO • Phytyl (C 3 2 H 3 0 ON 4 Mg)/

Säure

Phäophytin a / C O O • Phytyl (C3aH32ON4/ X

VOO -Methyl

starke Säure

Chlorophyllase

Chlorophyllid a 7 COOH (C ; , 2 H 3 0 ON 4 Mg/

Säure

starkes alkohol. KOH in der Hitze

v

COOH

Phäophorbid a /COOH (C32H32ON4/ X

\ ) 0 0 • Methyl

Isochlorophyllin a /CO OH (C31H30N4Mg)^ -COOH

COO • Methyl

C 0 0 • Methyl

starkes Alkali

Säure

Chlorin e e /COOH (C 31 H 32 N 4 )^-COOH COOH

I n den Chloroplasten liegt das Chlorophyll in Form eines wasserlöslichen Eiweißkomplexes vor, der als C h l o r o p l a s t i n bezeichnet wird ( S t o l l ) . Der Farbstoff ist in dieser Form im Gegensatz zu seinen reinen Lösungen in organischen Solventien sehr lichtbeständig. Das Chloroplastin wird durch Salze in seine Komponenten gespalten.

Es ist nicht bekannt, in welcher Weise die Chlorophyllmoleküle an den photochemischen Umsetzungen beteiligt sind. Man hat darüber verschiedene Theorien aufgestellt, auf die wir hier aber nicht eingehen können. Wir müssen auf die ausführlichen Darstellungen verweisen.

Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs

520

2. Die Assimilation des Stickstoffs Einen ähnlichen Kreislauf wie der Kohlenstoff durchläuft der Stickstoff. Auch hier stellt die Atmosphäre eine für die organische Welt unerschöpfliche Reserve dar. Es gibt aber nur eine beschränkte Zahl von Organismen, welche den Luftstickstoff d i r e k t verwerten können. Dies sind vor allem gewisse bodenbewohnende Bakterien, Azotobacter und Rhizobium. Azotobacter vermag seine Stickstoffverbindungen aus gasförmigem Stickstoff aufzubauen, wenn ihm gleichzeitig Glucose als Kohlenstoffquelle und Brennmaterial dargeboten wird. Stickstoffbindung und Glucoseverbrauch sind einander proportional. Der Organismus kann auch Ammoniumsalze als Stickstoffquelle benutzen; in Gegenwart derselben fixiert er aber keinen Luftstickstoff, sondern deckt seinen Bedarf ausschließlich auf Kosten der dargebotenen Stickstoffverbindung. Bei Darreichung von markiertem gasförmigem Stickstoff und markiertem Ammoniumion findet man in den Bakterienproteinen die gleiche Verteilung des Isotops unter die verschiedenen Aminosäuren. Man kann daher annehmen, daß bei der Fixierung des Luftstickstoffs das Ammoniak eine Zwischenstufe ist. Merkwürdigerweise hängt die Stickstoffixierung durch Azotobacter von der Gegenwart kleinster Mengen von Molybdän ab. Wächst der Organismus auf Kosten von Ammoniumsalzen, so braucht er kein Molybdän (siehe S. 521). Besonders merkwürdig ist die Stickstoffbindung durch die Bakterien der Wurzelknöllchen bei den Leguminosen, die Rhizobien. Dieser Organismus bindet keinen Luftstickstoff, wenn er frei im Boden lebt. Er ist in diesem Fall wie auch die Wirtspflanze auf vorgebildete Stickstoffverbindungen angewiesen. Nur wenn er in den Wurzelknöllchen in Kontakt mit den Säften der Wirtspflanze lebt, ist er imstande, das Stickstoffgas zu verwerten. Die Stickstoffbindung durch Rhizobium ist also eine Leistung der Symbiose zwischen den beiden Organismen, zu der weder das Bakterium noch die Wirtspflanze für sich allein befähigt ist. Der Mechanismus der Stickstoffixierung in den Wurzelknöllchen ist noch nicht restlos aufgeklärt. Es scheint, daß der gasförmige Stickstoff zuerst zu Hydroxylamin reduziert wird. Das letztere reagiert mit Oxalessigsäure, die von der Wirtspflanze geliefert wird, unter Bildung von Oximinobernsteinsäure, welche weiter zu Asparaginsäure reduziert wird. Aus der letzteren können andere Aminosäuren durch Transaminierung gebildet werden ( V i r t a n e n ) . Das nachstehende Schema der N 2 - Fixierung zeigt einen möglichen Weg, ist aber in verschiedenen Einzelheiten noch nicht streng bewiesen: N2 -- Rhizobium NH2OH + COOH-C-CH2-COOH ^Wrtspfjanze Kohlehydrat II 0 COOH • CH "CH2 • COOH Oximinobernsteinsäure II NOH Rhizobium

CHo-CHo- COOH HCOf Na* L//V H20 + C02' \ H* Glutamin

Na*

^H**NH3

H* Na "X.

HPO,i, HzP0,!»"--

Henle 'sehe Schleife

distale Tub contorti

.base economy'

Glomerulus

proximale Tub contorti

Abb. 53. S c h e m a z u r V e r a n s c h a u l i c h u n g d e r S e k r e t i o n u n d R ü c k r e s o r p t i o n der I o n e n in d e n N i e r e n k a n ä l c h e n . In Anlehnung an M u d g e (1. c., Bibliographie). Es sind verschiedene Mechanismen denkbar, durch die ein saurer Urin produziert werden kann. Anstatt des oben angenommenen Ionenaustausches könnten in den Tubuli auch H P 0 4 + Alkaliionen oder HC0 3 ~ + Alkaliionen rückresorbiert werden. In beiden Fällen müßte eine Lösung zurückbleiben, die saurer ist als das ursprüngliche Glomerulusfiltrat. Es läßt sich aber experimentell zeigen1), daß die letztgenannten Mechanismen nicht ausreichen, um die Größe der tatsächlichen Säureausscheidung zu erklären. Im Falle der Rückresorption von l

) P i t t s u. A l e x a n d e r , Am. J . Physiol. 144, 239 (1945).

Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren

551

sekundärem Phosphat und Bicarbonat müßte nämlich die gesamte titrierbare Acidität des Urins — das ist die Säuremenge, die gemessen wird, wenn man den Urin bis zum pH des Blutes mit Alkali titriert—bereits mit dem Glomerulusfiltrat ausgeschieden werden. Tatsächlich enthält dieses aber nur einen Bruchteil der im Urin erscheinenden sauren Äquivalente. Die Hauptmenge der Säure wird also erst in den Tubuli durch die Epithelzellen dem Urin zugefügt, indem dieselben Wasserstoffionen abgeben und dafür die äquivalente Menge Alkaliionen aufnehmen.

Bei diesem Austausch des Na+ gegen Wasserstoffionen in den Nierenbanälchen wird der Primärharn saurer, doch ist dieser Säuerung eine Grenze gesetzt: Sie kann nicht über etwa p H 4,5 hinausgehen, weil offenbar der Transport der H + -Ionen durch den Gradienten der Wasserstoffionenkonzentration zwischen Nierenkanälchen und Blutkapillaren begrenzt ist. (Bei einem pH-Wert des Bluts von 7,4 und einem pH-Wert des Urins von 4,5 beträgt die Konzentration der H+-Ionen im Urin fast das lOOOfache der Konzentration im Blut!) Ein weiterer Faktor, welcher die Ausscheidung der H + -Ionen begrenzt, ist die Geschwindigkeit der Reaktion C0 2 + H 2 0 = H 2 C 0 3 ; dieser Vorgang wird durch die Carboanhydrase katalysiert, und daher läßt sich die Säureausscheidung in den Nieren durch Hemmstoffe dieses Enzyms beeinflussen. Die Wasserstoffionen, welche gegen die Natriumionen ausgetauscht werden, entstehen durch Dissoziation der Kohlensäure in den Epithelzellen der Tubuli. Dies zeigt sich in besonders schöner Weise darin, daß man die Abgabe von Wasserstoffionen in die Nierenkanälchen durch die Inhibitoren der Carboanhydrase (Subst. „6063", „Diamox"; vgl. S. 210) weitgehend unterdrücken und im Blut sogar eine Acidose erzeugen kann, wobei gleichzeitig ein alkalischer, Bicarbonat enthaltender Urin produziert wird 1 ).

Das Glomerulusfiltrat enthält Anionen schwacher Säuren, welche die im Austausch gegen Alkali-Ionen sezernierten H + -Ionen binden. Wir haben bei Besprechung der „base-economy" (S. 548 und Abb. 51) ein Beispiel dafür kennengelernt, nämlich die Neutralisation der H + -Ionen durch sekundäres Phosphat : H + + HPO 4 — H 2 P O 4~. Die Rückresorption des im Primärharn vorhandenen Bicarbonats erfolgt ebenfalls auf diesem Wege: Austausch der Na + gegen H + , Neutralisation des H + durch das Bicarbonat-Anion und Bildung von C0 2 , das durch Diffusion entfernt wird 2 ): HCO a - + H+

• H 2 C0 3 ; H a C0 3

• H20 + C02.

Sehr wahrscheinlich beruht auch die auf S. 547 besprochene Ausscheidung von Ammoniumionen bei Säurebelastung auf dem gleichen Mechanismus; hier wird nämlich das H + -Ion durch das in den Epithelzellen der Tubuli gebildete NH S neutralisiert 3 ): NH 3 + H+

• NH/.

In Abb. 53 sind die genannten Vorgänge in Anlehnung an M u d g e 4 ) schematisch dargestellt. Es scheint, daß nicht nur Wasserstoffionen, sondern auch K + -Ionen in den Nierenkanälchen durch Austausch gegen N a + sezerniert werden. Wahrscheinlich wird das im Glomerulus filtrierte K + in den proximalen gewundenen Kanälchen (zusammen mit Cl _ -Ionen) rückresorbiert, aber in den distalen Abschnitten durch Austausch gegen N a + wieder ausgeschieden.

Die Sekretion der Kalium- und der H + -Ionen zeigt in vielen Fällen gegensätzliches Verhalten. Faktoren, welche die Kaliumausscheidung vermehren, erniedrigen die Sekretion der H + -Ionen, d.h. sie führen zur Bildung eines alkalischen Urins und umgekehrt. Man nimmt daher an, daß H + - und K + -Ionen durch einen ähnlichen Mechanismus transportiert werden, so daß der eine Vorgang den anderen kompetitiv hemmt 5 ). *) 2 ) 3 ) 4 j s )

Vgl. F r i e d b e r g u. Mitarb., J. clin. Investig. 81, 1074(1952). P i t t s , TheHarvey Lectures 1952/53, Series XLVIII, S. 172. New York 1954. P i t t s , Fed. Proc. 7, 418 (1948). 1. c. Bibliographie. Vgl. B e r l i n e r . Fed. Proc. 11, 695 (1952); Ann. Rev. Physiol. 16. 286 (1954).

552

Das Blut

4. Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes Zwei Drüsen mit innerer Sekretion greifen in den Wasser- und Salzhaushalt ein, die Nebennierenrinde und der Hinterlappen der Hypophyse. Die erstere reguliert die Rückresorption der Na + - und C1 "-Ionen, der letztere die Rückresorption des Wassers. Es unterstehen also gerade die beiden für die Erhaltung des Wasserbestandes und des Elektrolytmilieus grundlegenden Vorgänge der endokrinen Steuerung. Wie wir später sehen werden, hängt der Hypophysenhinterlappen direkt von nervösen Zentren des Zwischenhirns ab, so daß also auf diesem Weg der Wasserstoffwechsel auch der zentralnervösen Regulation zugänglich ist. Das eigentliche „natriumretinierende" Hormon der Nebenniere ist das Ald o s t e r o n . Bei allen Zuständen, die zu vermehrtem Natrium- und Wasserverlust Anlaß geben, wird es in vermehrter Menge im Urin ausgeschieden, was auf eine regulatorisch vermehrte Produktion hinweist 1 ). Fehlen die Rindenhormone, so können Na+- und Cl~-Ionen nicht mehr zurückbehalten werden. Es kommt zur Entleerung des extrazellulären Kompartiments mit ihren schweren Folgen, auf die wir bereits hingewiesen haben. Beim Fehlen des „antidiuretischen" Hormons des Hypophysenhinterlappens ist die Rückresorption des Wassers herabgesetzt; als Folge zeigt sich eine gewaltige Steigerung der Harnmenge mit der Notwendigkeit entsprechender Wasseraufnahme: Diabetes insipidus. Für die weiteren Einzelheiten verweisen wir auf das Kapitel über die endokrinen Drüsen S. 695 und S. 712.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Das Blut Eine ausführliche Beschreibung der allgemeinen Eigenschaften des Blutes findet sich in den Lehrbüchern der Physiologie. Es kann hier davon abgesehen werden, und es sollen in dieser Zusammenstellung nur die Blutgerinnung, die Zusammensetzung und die Eigenschaften des Blutplasmas, die Chemie und der Stoffwechsel des Blutfarbstoffs behandelt werden. 1. Zusammensetzung Das Blut setzt sich aus einer sehr eiweißreichen Flüssigkeit, dem Blutplasma, und den Formelementen (Erythrocyten, Leukocyten und Lymphocyten, Blutplättchen) zusammen. Außerhalb des Gefäßsystems g e r i n n t das Blut. Die Gerinnung kommt dadurch zustande, daß sich aus dem Plasma das Fibrin („Faserstoff") abscheidet. Fibrin ist ein Eiweißkörper, welcher in Form einer Vorstufe, als Fibrinogen, im Blutplasma gelöst enthalten ist. Die Gerinnung wird im nächsten Abschnitt behandelt werden. Die vom Fibrin abgetrennte Flüssigkeit heißt Blutserum oder Serum schlechthin. Bei der Gerinnung werden durch das ausfallende Fibrin die Blutkörperchen miteingeschlossen. Diese Masse, welche also aus Fibrin und Erythrocyten besteht, ist der Blutkuchen oder Cruor. M ü l l e r u. Mitarb., Schweiz, med. Wschr. 85, 1218 (1955); 86,1335(1956); Helv. Med. Acta 23, 610 (1956).

Zusammensetzung

553

Da das Blut das Haupttransportmittel des Organismus ist, können die meisten Substanzen oder deren Bausteine und deren Zwischenprodukte in mehr oder weniger großen Konzentrationen darin gefunden werden. Die Menge des Blutes beträgt beim Manne 1/13—1/17 des Körpergewichtes. Das Blutplasma enthält 7 — 8 % Eiweißstoffe. Sie werden in die beiden Gruppen der Serumalbumine und der Serumglobuline eingeteilt. Auch das Fibrinogen hat die Eigenschaften eines Globulins. Die Zahl der individuellen Proteine ist beträchtlich. Die E r y t h r o c y t e n enthalten den roten Blutfarbstoff, das H ä m o g l o b i n , als wichtigsten Bestandteil. Das Hämoglobin ist das Transportmittel für den Sauerstoff. Über die wichtigsten niedrigmolekularen Bestandteile des Blutplasmas (organische und anorganische) gibt die folgende Tabelle Auskunft (die meisten Daten nach einer Zusammenstellung von H. A. K r e b s ) . Mittlere Zusammensetzung des menschlichen Blutserums (nach K r e b s ) 1 ) Mittelwert mg/100 com . Anorganische Bestandteile Chlorid Bicarbonat (als NaHCOj) (als Vol.% C0 2 ) . . . . Phosphat als P anorganisches Esterphosphat . . . . Lipoid-P Sulfat als S anorganisches total (Estersulfat + S-haltige Aminosäuren + anorgan. S) . Fluor Jod (an Eiweiß gebunden) Natrium Kalium Calcium Magnesium Eisen Kupfer Mangan Zink

Grenzen mg/100 ccm 355—381

103

205—280

27

3,2 0,6 8

2,6—5,4

2

1,6

1—1,8

3,4 0,3

3—3,8

365 226 60 Vol.%

316 17 10 2 0,10 0,12 0,2

6—10

0,006—0,008 300—330 12—25 8,2—11,6 1,7—2,3 0,03—0,21 0,08—0,16 0,005—0,02 0,1—0,5

, O r g a n i s c h e B e s t a n d t e i le a) K o h l e h y d r a t e Glucose, nüchtern (Kapillarblut) . . Polysaccharide Mucopolysaccharide, an Eiweiß gebunden Hexuronsäuren . . . Pentosen, hauptsächlich Nucleotide

.

93

80—120

. etwa 200 .

0,4—1,4

.

Milliäquivalente pro Liter

2,5

M Ann. Rev. Biochem. 19. 409 (1950).

1

137 4,4 5 1,5

554

Das Blut

b) L i p i d e u n d S t e r i n e Fettsäuren, total . . . Neutralfett Phospholipide total Lecithin Kephalin Sphingomyelin . . . Cholesterin freies total Gallensäuren c) O r g a n i s c h e S ä u r e n Organ. Säuren, t o t a l . . Milchsäure Brenztraubensäure . . Citronen säure . . . . Acetonkörper, als Aceton berechnet

Mittelwert mg/100 ccm

Grenzen mg/100 ccm

Milliäquivalent« pro Liter

200—450 0—150 150—250 100—200 0—30 10—30 40—70 150—260 0,2—3,0

1,0

2,5

8—17 0,8—1,2 1,9—2,8

etwa 5 0,9—1,9 0,1 0,3—0,5

weniger als 0,5—0,8 Mittelwert mg N/100 ccm

d) N - h a l t i g e S t o f f e a) Verteilung des Nichteiweißstickstoffs Nichteiweiß-N, total ( = Reststickstoff) 26 Harnstoff-N . . . . 13 Freie Aminosäuren, total (davon Glutamin -f- Glutaminsäure etwa 1 / 3 ). . 6 Peptide 1,2 Kreatin, Kreatinin, Guanidinessigsäure 0,7 Harnsäure 1,5 ß) Einzelne Stoffe Harnstoff 26 Ammoniak . . . . weniger als 0,05 Harnsäure 4 Allantoin Kreatin 0,4 Kreatinin 1,0 Cholin

Grenzen mg N/100 ccm

2,9—6,9 0,3—0,6 0,2—0,6 0,8—1,6 0,3—1,5

Die in der Tabelle angegebenen Werte beziehen sich auf den normalen erwachsenen menschlichen Organismus. Bei pathologischen Zuständen können beträchtliche Änderungen vorkommen (z. B. die Hyperglykämie beim Diabetiker), die in der Klinik diagnostische Bedeutung haben. Wir können aber hier auf Einzelheiten nicht eingehen. Die Werte sind meist durch Analyse des venösen Bluts im nüchternen Zustand gewonnen. Während der Verdauung kann sich die Konzentration verschiedener Stoffe erhöhen (z. B. Lipämie während der Fettabsorption). Auch nach Alter und Geschlecht können sich Unterschiede zeigen (z. B. ist die Konzentration des anorganischen Phosphats beim Kind größer als beim Erwachsenen, die Konzentration des Kreatins bei der Frau größer als beim Mann, usw.). Auch die Ernährungsweise kann Einfluß auf die Blutwerte einzelner Stoffe haben (die_Harnsäurewerte z. B. sind bei vegetarischer Ernährung niedriger als bei Fleischkost).

Neben den in der Tabelle angeführten Stoffen sind im Blutplasma noch eine Reihe von Vitaminen und körpereigenen Wirkstoffen nachweisbar. Es ist klar, daß über-

Zusammensetzung

555

haupt jeder Stoff, der im Organismus von einem Organ in ein anderes transportiert werden muß, im Blut vorhanden ist, auch wenn er sich in vielen Fällen dem Nachweis entzieht. Wir lassen einige Bemerkungen über einzelne Bestandteile des Blutplasmas folgen, zunächst über die Mineralstoffe. Die Summe der Kationenäquivalente muß natürlich wegen der Elektronenneutralität der Lösung gleich der Summe der Anionenäquivalente sein. Die Addition der oben angeführten Werte gibt bei den Anionen ein Defizit; dasselbe wird durch die organischen Säuren (vor allem das Lactat) und die Proteine gedeckt, die bei der Reaktion des Plasmas als Anionen vorhanden sind. Die Ionenkonzentration des Blutplasmas wird graphisch meistens so dargestellt, wie dies in Abb. 49 auf S. 540 gezeigt wird (Gamble). Die anorganischen Ionen sind wichtige Faktoren des „Milieu intérieur", das alle Zellen umgibt. Die normale Funktion der Zellen, insbesondere die Reizleitung, ist bekanntlich nur dann gewährleistet, wenn die Kationen in ganz bestimmtem Verhältnis vorhanden sind (Prinzip der R i n g er sehen Lösung und anderer „physiologischer" Salzlösungen). Ferner wird die Gesamtkonzentration sämtlicher Elektrolyte innerhalb enger Grenzen konstant gehalten ; denn es sind im wesentlichen die anorganischen Ionen, die den gesamten osmotischen Druck der Körperflüssigkeiten bestimmen. (Die niedrigmolekularen organischen Stoffe tragen wegen ihrer geringen Konzentration nur wenig bei, die Proteine kommen wegen ihres hohen Molekulargewichts nicht in Betracht [vgl. S. 130].) Die Gesamtkonzentration beträgt rund 300 Millimol/Liter (Summe aller Anionen und Kationen, wobei natürlich bei mehrwertigen Ionen das Molekulargewicht, nicht das Äquivalentgewicht gilt. Es kommt hier auf die Zahl der Teilchen, nicht der elektrischen Ladungen an). Die Konstanthaltung der Konzentration der einzelnen Ionen wie auch der Gesamtkonzentration ist im wesentlichen eine Funktion der Nieren. Die zweiwertigen Kationen Calcium und Magnesium sind nur zum kleineren Teil als freie Ionen vorhanden; die Hauptmenge ist komplex an Eiweiß gebunden („nicht diffusibles Ca"). Diese Tatsache ist von großer Bedeutung, weil n u r d a s i o n i s i e r t e C a l c i u m p h y s i o l o g i s c h w i r k s a m i s t . Daß das Calcium des Blutserums an die Proteine gebunden ist, zeigt sich z. B. bei der Ultrafiltration; es geht nur ein Teil in das Filtrat über. Eine Reihe anderer Methoden (z. B. Löslichkeit schwerlöslicher Ca-Salze in Gegenwart von Proteinen, elektrische Überführung, Dialyse von Serum gegen Lösungen von verschiedenem Ca + + -Gehalt, Einfluß von proteinhaltigen Ca+"""-Lösungen auf das Froschherz), die hier nicht im einzelnen besprochen werden können, haben zum gleichen Ergebnis geführt. Die Bindung des Ca + + an das Eiweiß ist eine Gleichgewichtsreaktion. Man kann in erster Annäherung das Gleichgewicht zwischen Proteinen und Ca + + durch eine einfache Gleichung darstellen ( M c L e a n und H a s t i n g s ) : (Ca++) (Protein") (Ca-Protein)

= konst.

Daraus folgt, daß die Konzentration der freien Calciumionen nicht nur von der Gesamtkonzentration des Ca, sondern auch vom Eiweißgehalt des Blutplasmas abhängig ist. Bei Beurteilung des Ca-Spiegels im Blut muß also auch die Eiweißkonzentration berücksichtigt werden. Die Erfahrung zeigt, daß sich in der Regel die Gesamtkonzentration des Calciums im Blutserum parallel mit dem Eiweißgehalt ändert. Proteinarme Seren (Hypoproteinämie) zeigen meist auch einen erniedrigten Calciumspiegel.

556

Das Blut

Offenbar wird im Organismus primär die Konzentration der freien Ca + + -Ionen einreguliert. Das Gleichgewicht mit dem an Eiweiß gebundenen Anteil stellt sich automatisch ein, und es ist leicht verständlich, daß dieser Anteil und damit die Gesamtkonzentration mit abnehmendem Eiweißgehalt kleiner wii d. Versagt die Regulation, so kann es auch bei gleichbleibendem Eiweißgehalt zu einer Abnahme des Gesamtcalciums (Hypocalcämie) kommen. Eine Hypocalcämie hat also eine ganz verschiedene Bedeutung, je nach der gleichzeitig vorhandenen Eiweißkonzentration. Bei normalem Proteingehalt bedeutet sie auf alle Fälle eine primäre Erniedrigung der freien Ca + + -Ionen, die zu schweren Störungen (Tetanie) führen kann.

2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts Neben dem Chlorid kommt im Blutplasma in größerer Menge noch das Bicarbonat vor. Es hat gegenüber dem ersteren die Besonderheit, daß es das Anion einer schwachen Säure ist, deren Dissoziationsgrad im physiologischen pH-Bereich sich mit dem pH-Wert ändert (pk = 6,12 im Blutplasma bei 38 ( ). Bicarbonat und Kohlensäure bilden daher ein wichtiges Puffersystem des Blutplasmas. Nach der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung hängt das p H vom Verhältnis H 2 C0 3 : H C 0 3 - ab. Die Aufrechterhaltung einer bestimmten Reaktion der Körpersäfte stellt an die regulierenden Organe große Anforderungen. Im Stoffwechsel entstehen beständig aus neutralen Körpern große Mengen saurer Verbindungen: Kohlensäure, Carbonsäuren, Schwefelsäure; mit der Nahrung werden wechselnde Mengen von organischen Salzen zugeführt, die bei der Verbrennung einen Überschuß von Basen hinterlassen. Trotzdem bleibt der pH-Wert der Blutflüssigkeit innerhalb enger Grenzen konstant. Die Hauptarbeit leisten dabei die Nieren und die Lunge, die Nieren, indem sie die Ausscheidung der fixen Basen und Säuren, die Lunge, indem sie die Ausscheidung der Kohlensäure regulieren. Die Aufgabe der Puffersysteme des Bluts, an der die Kohlensäure einen wichtigen Anteil hat, besteht darin, die übrigbleibenden Schwankungen zu glätten 1 ). Die Konzentration des Bicarbonats, ausgedrückt in Vol. % C0 2 (ccm C0 2 , gemessen bei 0° und 760 mm Hg, die pro 100 ccm Plasma beim Ansäuern freigesetzt werden), wird gewöhnlich als die Alkalireserve des Blutplasmas bezeichnet (normalerweise etwa 60 Vol.%). Dieser Ausdruck rührt daher, daß das Bicarbonat gemäß der folgenden Gleichung zur Neutralisation von Säuren H X dienen kann, die in das Blut eintreten: H X + NaHC0 3

* NaX + H 2 C0 3 .

Nach der üblichen Formulierung liefert also das Bicarbonat das zur Neutralisation der Säure nötige Alkali, weil die Kohlensäure durch die stärkere Säure aus ihrem Salz „verdrängt" werden kann. Der wirklich sich abspielende Vorgang besteht aber einfach darin, daß bei Erhöhung der Wasserstoffionenkonzentration die Bicarbonatanionen Wasserstoffionen addieren: HCO 3 - + H+

-

H 2 C0 3 .

Eine Besonderheit des Puffersystems aus Kohlensäure und Bicarbonat liegt nun darin, daß die Kohlensäure flüchtig ist, weil sie mit ihrem Anhydrid C0 2 im Gleichgewicht steht. Wird durch Säurezutritt im Blut Kohlensäure freigesetzt, so kann sie in den Lungen abgeatmet werden; die freie Kohlensäure des Blutes ist mit dem C0 2 der Alveolarluft im Gleichgewicht und bleibt deshalb annähernd konstant. Die pH-Änderung wird dadurch verkleinert. *) Über die Stabilisierung der Alkalireservc vgl. P i t t s , The Harvev Lectures 1952/53, Series X L V I I I , S. 172. New York 1954.

Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts

557

Das folgende Beispiel macht dies klar (nach G a m b l e ) : normales Blutplasma: Konzentration der freien Kohlensäure 1,2 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats 24,0 Millimol/1 Verhältnis H a C0 3 : HC0 3 - = 1: 20 pH = 7,4 Zusatz von 11,4 m Äquivalenten Säure: Konzentration der freien Kohlensäure, falls kein C0 2 aus der Lösung entweichen würde: 11,4 + 1,2 12,6 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats: 24-—11,4 12,6 Millimol/1 Verhältnis H 2 C0 3 : HC FeCl /

CH

-CH= CH« CH« CH,

CH« CHCH,

COOH COOH Die Struktur der Porphyrine konnte in ihren wesentlichen Zügen aus der Natur der Spaltstücke erschlossen werden, die beim Abbau des Hämins entstehen. Durch reduktiven Abbau (mit Jodwasserstoff-Eisessig) erhielt man die folgenden Verbindungen teils basischer, teils saurer Natur, nämlich: CHa

CH„

ch 3

CH. CH.

CH. CH.

CHq ¿H,

H.C—II NH Hämopyrrol 37*

HjC——CHj NH Phyllopyrrol

CH»

L

Ü^J—CH,

NH

NH

Kryptopyrrol

Opsopyrrol

Das Blut

580

und die entsprechenden Carbonsäuren, die an Stelle des Äthylrestes einen Propionsäurerest tragen; z. B.

ch2cooh

NH Hämopyrrolcarbonsäure Durch Oxydation (z. B. mit Chromsäure) entsteht die Hämatinsäure : CH2-COOH

A. 0=\y=0 NH Die Bildung dieser Stoffe aus den verschiedenen Pyrrolkernen des Protoporphyrins ist leicht zu verstehen. Auf Grund solcher Abbauversuche hat Küster bereits 1912 eine Häminformel aufgestellt, die, abgesehen von der Anordnung der Seitenkette, sich bestätigt hat. Die Struktur des Hämins wurde von H. Fischer (1929) durch Synthese endgültig sichergestellt.

Das Hämatoporphyrin unterscheidet sieh, vom Protoporphyrin nur dadurch, daß an seine ungesättigten Seitenketten (Vinylgruppen) Wasser angelagert ist: CH3

CHj

CH, ¿H—OH

CH, CH—OH

i - J ||

|l

i

:

|

|

NH

• Hämatoporphyrin

NH

Durch Reduktion der ungesättigten Seitenketten gelangt man zum Mesoporphyrin: CHa CH.

CH, d:'Ho LlJ

CH« CH« i. !

II

I

||

j

Mesoporphyrin

NH NH Das Koproporphyrin besitzt an Stelle der beiden Vinylgruppen zwei weitere Propionsäureseitenketten, ist also eine vierbasische Carbonsäure: das Uroporphyrin trägt sogar acht Carboxylgruppen, vier als Propionsäure- und vier als Essigsäureseitenketten an Stelle der Methylgruppen (Formeln s. S. 581 oben). Die angegebenen Porphyrinformeln lassen erkennen, daß bei gegebenen Seitenketten noch eine große Zahl von Stellungsisomeren möglich sind. So sind beim Protoporphyrin mit seinen 4 Methyl-, 2 Vinyl- und 2 Propionsäureseitenketten 15 verschiedene Arten der Anordnung denkbar. Beim Kopro- oder Uroporphyrin sind 4 Isomere möglich, die sich durch die Stellung der Seitenketten unterscheiden.

581

Das Hämoglobin COOH COOH HOOC—CH.

CHa—COOH

COOH

¿OOH

COOH

COOH COOH Uroporphyrin

Koproporphyrin

Aus dem Mesoporphyrin und den natürlichen Porphyrinen lassen sich durch Erhitzen die Carboxylgruppen als C0 2 abspalten, und man erhält die sog. Ätioporphyrins, die 4 Methyl- und 4 Äthylseitenketten besitzen. Es sind daher 4 Ätioporphyrine möglich, die mit den römischen Ziffern I bis IV bezeichnet werden. In vereinfachter Form geschrieben sind es die folgenden: CH, CH, CH2

CH, CH. CH, CH,-H,C-

•CH,

• CH» • CH«

H,C-

H,C-

J h

H3C • H2C •

CH2 CH3 OH.

II

h I H

•CH.

CH2 CH, CH, CHA CH, CH,

J

HgC • H2C • H,C'

CH,

h

L IV

r •CH

3

CH, CHS CH,

Das aus dem Protoporphyrin des Blutfarbstoffes bzw. aus dem entsprechenden Mesoporphyrin hervorgehende Ätioporphyrin entspricht der Anordnung III. Dagegen hat man aus Uro- und Koproporphyrin, die von Porphyriekranken ausgeschieden wurden, ebenso aus dem Koproporphyrin der Hefe, Ätioporphyrin I erhalten. (Es kommen bei Porphyrie aber auch die dem Typus III entsprechenden Porphyrine vor.) Diese Feststellungen sind biologisch sehr bedeutsam. Sie zeigen, daß verschiedene Isomere der Porphyrine nebeneinander synthetisiert werden und daß bei der

Das Blut

582

Porphyrie das Uro- und Koproporphyrin I nicht aus dem Blutfarbstoff stammen können. D i e p h y s i o l o g i s c h e W i r k u n g d e r P o r p h y r i n e . Porphyrine vermögen die Organismen gegenüber der Lichtstrahlung zu sensibilisieren. Wird einem Tier oder einem Menschen Porphyrin eingespritzt, so treten nach kurzer Belichtungszeit Intoxikationserscheinungen auf ( H a u s m a n n ) . Paramäcien verhalten sich in einer Hämatoporphyrinlösung im Dunkeln vollkommen normal, werden aber bei Belichtung sofort abgetötet. Auf Erythrocyten wirkt Porphyrin im Licht hämolysierend. Bei der kongenitalen Porphyrie, bei der alle Gewebe mit Porphyr inen durchtränkt sind, spielt diese Sensibilisierung durch Porphyrin eine wichtige Rolle, weil sie zu schweren Schädigungen an den dem Licht ausgesetzten Körperteilen führen kann. c) Das Globin. Das Globin, das durch Bindung mit dem H ä m den Blutfarbstoff bildet, ist ein durch seinen Reichtum an H i s t i d i n besonders gekennzeichneter Eiweißkörper, der zu den Albuminen gerechnet werden kann. Durch Behandlung mit säurehaltigem Aceton bei niedriger Temperatur läßt sich Globin aus dem Blutfarbstoff abspalten und mit fast unveränderten Eigenschaften wiedergewinnen. Dieses Globin kann bei Gegenwart von reduzierenden Substanzen bei alkalischer Reaktion mit Häminen w i e d e r zu e i n e m H ä m o g l o b i n v e r e i n i g t w e r d e n , das mit dem natürlichen nahezu identisch ist. Das regenerierte Hämoglobin besitzt auch die Fähigkeit, reversibel in Oxyhämoglobin überzugehen. Als K a t h ä m o g l o b i n bezeichnet man nach H a u r o w i t z einen Farbstoff, der durch Vereinigung von d e n a t u r i e r t e m Globin mit Hämin entstanden ist. E r kann keinen Sauerstoff mehr binden. Es ist also daraus zu schließen, daß nur durch die Bindung an n a t i v e s Globin das H ä m die Fähigkeit erwirbt, als Atmungspigment zu funktionieren. Das f ö t a l e Blut enthält ein Hämoglobin, das sich durch größere Laugenresistenz kennzeichnet. Es besitzt auch eine stärkere Affinität zum Sauerstoff, was f ü r die Sauerstoffversorgung des Fötus von Bedeutung ist. Dieser Unterschied beruht auf der Verschiedenheit der Globinkomponenten des mütterlichen und des fötalen Blutfarbstoffes. Die Hämoglobine der verschiedenen Tierspezies unterscheiden sich durch die artspezifischen Differenzen im Aufbau der Globine. Sie zeigen auch verschiedene Kristallformen. Chlorocruorine kommen als Atmungspigmente bei marinen Würmern vor. Am besten bekannt ist das Pigment von Spirographis. Über das Spirographishämin siehe S. 233. d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins. Die physiologisch wichtigste Verbindung des Hämoglobins (Abkürzung: Hb) ist seine Sauerstoffverbindung, das Oxyhämoglobin (Hb0 2 ). Ein Atom Hämoglobineisen bindet ein Molekül Sauerstoff; da ein Molekül Hämoglobin aber vier Häme enthält, bindet es vier Moleküle 0 2 . Man benutzt aber zur Bezeichnung des Oxyhämoglobins gewöhnlich die angegebene Abkürzung H b 0 2 , wobei also das H b ein H ä m bedeutet. Das Oxyhämoglobin ist besonders leicht in schönen Kristallen zu erhalten, welche je nach der Tierart verschiedene Kristallform besitzen. An Stelle des Sauerstoffs kann das Hämoglobin auch Kohlenmonoxyd binden, wobei das Kohlenoxydhämoglobin entsteht (HbCO). Bei gleichzeitiger Gegenwart der beiden Gase konkurrieren sie um das Hämoglobin: Hb0 2 -f CO

HbCO + 0.

583

Das Hämoglobin

Die Affinität des Hämoglobins zum CO ist viel höher als seine Affinität zum 0 2 . Das Verteilungsgleichgewicht kann durch die folgende Gleichung dargestellt werden: (CO) • (Hb0 2 ) = k = konstant. (Ö2) • (HbCO)

Der SauerDie Konstante hat für Hämoglobinlösungen den Wert von etwa stoff wird also schon zur Hälfte aus dem Oxyhämoglobin verdrängt, wenn der Partialdruck des CO nur 1 / 200 des Sauerstoffpartialdruckes beträgt. Dies erklärt die Gefährlichkeit des Koblenmonoxyds, wenn es der Atemluft beigemischt ist. Durch Einwirkung verschiedener Stoffe, vor allem Oxydationsmitteln wie Ferricyanid, Ozon, Wasserstoffsuperoxyd, salpetrige Säure, Chlorat, Permanganat, ferner Nitrobenzol, Hydroxylamin, Anilin, Acetanilid usw., auch beim bloßen Stehen des Blutes, wird Oxyhämoglobin in Methämoglobin übergeführt, wobei die Farbe nach braunrot umschlägt. Im Methämoglobin ist das Eisen dreiwertig; die prosthetische Gruppe ist also das Hämatin, nicht das Häm. Man hat neuerdings auch den Namen Hämiglobin statt Methämoglobin vorgeschlagen, der die höhere Wertigkeitsstufe des Eisens (Ferriform!) andeuten soll. Methämoglobin kann keinen Sauerstoff addieren, ist also für den Sauerstofftransport ungeeignet. Methämoglobin findet sich in kleinen Mengen (etwa 0,1%) immer im Blut. Bei gewissen Intoxikationen kann es stark vermehrt werden (Methämoglobinämie), so z. B. durch Chlorat, nitrose Gase, Nitrokörper (Nitrobenzol) u . a . m . Merkwürdig ist die Methämoglobinbildung durch Stoffe, die keine Oxydationsmittel sind wie Nitrobenzol oder Anilin. In diesen Fällen kommt es wahrscheinlich zur Bildung von Körpern, welche Redoxsysteme liefern und dadurch das Hämoglobineisen katalytisch oxydieren können. So kann man z. B. annehmen, daß aus Anilin oder Nitrobenzol kleine Mengen von Phenylhydroxylamin und p-Aminophenol entstehen: Re dulrtj, Nitrobenzol 0 ~

N

H

-NH(OH) und HO- 0 p-Aminophenol

Phenylhydroxylamin

2

Anilin

—NH2

p-Aminophenol kann leicht durch Sauerstoff zum Chinonimin oxydiert und durch das Hämoglobineisen wieder zurückreduziert werden, wobei Methämoglobin entsteht. Es bildet sich also ein Reaktionscyklus aus, in welchem das Aminophenol katalytisch wirkt1). HbFe» = Hämoglobin; HbFe I l r OH = Methämoglobin ,_ +

H O V - N H .

y2o2 0=

/

\ =NH

+

2HbFe"

2HbFe"iOH

Methämoglobin kann in den Blutzellen wieder zu Hämoglobin reduziert werden. Durch gewisse Reduktionsmittel wie Ascorbinsäure oder Methylenblau läßt sich die Reduktion unterstützen. l

) H e u b n e r , Klin. Wschr. 14, 1554 (1935).

Das Blut

584

Neuerdings sind Fälle von angeborener Methämoglobinämie beschrieben worden. Bei diesen Patienten kann die Hälfte des gesamten Hämoglobins in Form des Methämoglobins vorliegen. Diese Beobachtung hat deshalb großes biologisches Interesse, weil man gleichzeitig gefunden hat, daß ein wasserstoffübertragendes Flavinferment in den Erythrocyten dieser Patienten in viel geringerer Menge vorhanden ist als in normalen Erythrocyten ( B a r c r o f t , G i b s o n , H a r r i s o n und McMurray). Dies führt zur Annahme, daß in den roten Blutkörperchen ein Fermentsystem mit der Aufgabe existiert, das Methämoglobin, von dem wahrscheinlich kleine Mengen fortwährend gebildet werden, zurückzureduzieren. Dieses Fermentsystem würde dadurch das Hämoglobin von der Umwandlung in Methämoglobin schützen und es der roten Blutzelle ermöglichen, ihren Bestand an aktivem Hämoglobin beizubehalten. Die Bedeutung der Oxydationsund glycolytischen Fermente in den roten Blutkörperchen erscheint dadurch in einem ganz neuen Licht1).

Bekanntlich zeigen das Hämoglobin und seine Derivate im sichtbaren Gebiet des Spektrums typische Absorptionsbanden. Hämoglobin besitzt ein einbandiges Spektrum, Oxyhämoglobin und Kohlenoxydhämoglobin ein zweibändiges, wobei die längerwellige Bande des HbCO gegenüber der entsprechenden des H b 0 2 leicht gegen das Violett verschoben ist. Methämoglobin (neutrale Lösung) zeigt eine typische Bande im Rot. Die Maxima sind aus der folgenden Tabelle ersichtlich. Alle Verbindungen besitzen im nahen Ultraviolett eine sehr intensive Absorptionsbande zwischen 400 und 450 m/x. Hämoglobin Oxyhämoglobin . . . Kohlenoxydhämoglobin Methämoglobin . . . Hämochromogen (aus Hämoglobin) in alkalischer Lösung . .

Maxima 555 577 541 570 539 630 500 558 529

Wenn Blutfarbstoff bei Abwesenheit von Sauerstoff (bei Gegenwart stark reduzierender Stoffe) mit Reagenzien behandelt wird, die Eiweiß denaturieren — Alkalien, Säuren, Alkohol, Siedehitze —, so entsteht ein Farbstoff mit einem neuen Spektrum. H o p p e - S e y l e r nannte den neu gebildeten Stoff Hämochromogen. Heute ist auch der Name Hämochrom gebräuchlich. Beim Hämochrom handelt es sich um die Verbindung des Häms mit denaturiertem Globin. Analoge Verbindungen kann man mit einfachen Basen, z. B. mit Pyridin und Häm (durch Reduktion der entsprechenden Hämatinverbindungen), darstellen (Anson und M i r s k y ) . Sie enthalten auf ein Molekül Häm zweiMoleküle der Base. Diese Verbindungen sind zum Verständnis der Bindung des Eisens im Hämoglobin sehr wichtig. Die B i n d u n g d e s E i s e n s u n d d e s H ä m s im H ä m o g l o b i n . Das Eisen spielt bei der Bindung des Häms an das Globin eine wesentliche Rolle. Die oben besprochene Abhängigkeit der Säurestärke des Hämoglobins von der Sauerstoffaddition deutet auf eine Wechselwirkung zwischen Häm, Sauerstoff und Protein hin. In gleicher Richtung weist auch die lang bekannte Tatsache, daß im Oxyhämoglobin das Eisen fester gebunden ist als im Hämoglobin. Für die Bindung des Häms an das Globin können die oben erwähnten Hämochromogene als Modell dienen. Das Eisen ist im Häm mit zwei Hauptvalenzen an Stickstoff gebunden; es ersetzt die zwei am Pyrrolstickstoff stehenden Wasserstoffatome. Die Existenz von komplexen Eisenverbindungen, wie z. B. das Ferrocyanid Fe n (CN) 8 , zeigt, daß das Eisen noch vier weitere Liganden durch Nebenvalenzen koordinativ binden kann. Seine Koordinationszahl ist 6. Dementsprechend ist das zentrale Eisenatom im Häm noch mit zwei Nebenvalenzen an die beiden verbleiben*) Vgl. R o u g h t o n u. K e n d r e w : J. B a r c r o f t , S. 231. London 1949.

Haemoglobin, a Symposium in memory of Sir

585

Das Hämoglobin

den Stickstoffatome des Pyrrols gebunden. Da das Eisen aber dadurch koordinativ noch nicht abgesättigt ist, vermag es zwei weitere Gruppen zu binden, z. B. zwei Moleküle einer Stickstoffbase. Auf diese Weise entstehen die Hämochromogene. Die sechs Liganden, die das Eisenatom umgeben, sind im Raum derart angeordnet, daß sie an den Ecken eines regulären Octaeders liegen. Die vier PyrroLringe des Häms bilden eine flache Scheibe. Die N-Atome des Porphyrins nehmen die Ecken eines Quadrats, die N-Atome der Stickstoffbase die beiden verbleibenden Ecken des Octaeders ein:

Pyridin-Hämochromogen

In ähnlicher Weise ist das Häm an das Globin gebunden. An Stelle der Stickstoffbase im Hämochromogen (im obigen Beispiel Pyridin) treten zwei basische Gruppen des Globinmoleküls. Soviel wir heute wissen, sind dies Imidazolgruppen des Histidins, an welchem das Hämoglobin sehr reich ist. Die Bindung des Häms an das Eiweiß erfolgt also dadurch, daß das Eisenatom gleichzeitig die Pyrrolgruppen des Porphyrins und basische Gruppen des Proteins komplex gebunden hält. Die räumliche Anordnung der Gruppen hat man sich nach dem oben angegebenen Octaedermodell der Hämochromogene vorzustellen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß auch die Seitenketten des Häms irgendwie an seiner Verknüpfung mit dem Protein beteiligt sind. Die Addition von Sauerstoff oder Kohlenmonoxyd erfolgt in der Weise, daß diese Moleküle eine Koordinationsstelle des Komplexes besetzen, schematisch dargestellt : HN-^.

K X \\ / „

Oxyhämoglobin

M HVw

N \x / — CO S

Kohlenoxydhämoglobin

Nach H a u r o w i t z ist im reduzierten Hämoglobin eine Koordinationsstelle durch ein Wassermolekül besetzt, welches beim Übergang in Oxyhämoglobin durch 0 2 verdrängt wird:

/N

Globin

—Fe——-OH,

/ n/

N

\

Globin

-Fe—

\

/ \n

N/

0,

\ ^N

Diese Annahme gründet sich haupts&ohlich auf die Beobachtung, daß Oxyhämoglobin im absolut trockenen Zustand seinen Sauerstoff nicht abgibt.

586

Das Blut

Messungen der magnetischen Suszeptibilität des Hämoglobins und Oxyhämoglobins haben ergeben, daß in den beiden Komplexen die Bindung des Eisens an seine Liganden verschieden ist ( P a u l i n g ) . Im Hämoglobin zeigt das Eisen die gleichen magnetischen Eigenschaften wie das freie Ferroion (Paramagnetismus). Dies deutet darauf hin, daß die Elektronenkonfiguration des Ferroions im Komplex erhalten geblieben ist. Die Bindung an die benachbarten Atome ist im wesentlichen heteropolar (Ionenbindung). I m Oxyhämoglobin ist der Paramagnetismus verschwunden. Es ist diamagnetisch. Dies deutet auf eine vollständige Umgestaltung der Elektronenschale des Eisenatoms hin. Sie h a t Elektronen der Liganden aufgenommen; die Bindungen sind im wesentlichen homöopolar (Kovalenzen, Bindung durch ein beiden Elektronenschalen gemeinsames Elektronenpaar). Die Tatsache, daß an der Bindung des Häms an das Globin Imidazolgruppen beteiligt sind und daß die Natur der Bindungen, die das Eisen mit den benachbarten Gruppen verknüpfen, durch die Anlagerung des Sauerstoffs eine grundlegende Änderung erfahrt, macht auch die früher geschilderte Abhängigkeit der Säurestärke des Hämoglobins von der Sauerstoffbindung verständlich; denn es sind gerade die Imidazolgruppen des Histidins, welche im physiologischen pH-Bereich dissoziieren und für die Pufferwirkung des Hämoglobins verantwortlich sind. Eine eingehende Diskussion des Problems an dieser Stelle ist aber nicht möglich 1 ). Es sind neben dem Hämoglobin noch andere, ähnlich konstituierte Farbstoffe bekannt:, die wie jenes sich reversibel mit Sauerstoff verbinden. Das Myoglobin (oder Myohämoglobin) ist ein dem Hämoglobin ähnliches intrazelluläres Pigment, das im Muskel vorkommt und ebenfalls Protohäm als prosthetische Gruppe enthält. (Die Verschiedenheit des Muskelfarbstoffes vom Hämoglobin wurde schon 1897 von M ö r n e r erkannt.) Das Myoglobin aus Pferdeherz wurde von T h e o r e i l in kristallisiertem Zustand dargestellt. Das Molekulargewicht beträgt 17000. Es enthält nur ein H ä m pro Molekül. Der Eiweißanteil ist wie beim Hämoglobin je nach Tierart verschieden. Die Affinität zum Sauerstoff ist bedeutend größer als diejenige des Hämoglobins der gleichen Art (vgl. S. 635). Erythrocruorine sind Atmungspigmente, die bei vielen Wirbellosen, bei Seeigeln, Würmern, Schnecken usw. vorhanden sind und Protohämin enthalten. Teilweise handelt es sich um sehr hochmolekulare Stoffe, welche über 100 Hämgruppen pro Molekül enthalten. B. Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine. I m Stuhl werden, wie wir im folgenden Abschnitt näher ausführen, beständig Abbauprodukte des Hämoglobins ausgeschieden. Es m u ß also auch beständig Hämoglobin neu gebildet werden. Insbesondere ist der Organismus befähigt, das Protoporphyrin aufzubauen. Die Anwendung der Isotopenmethode hat es ermöglicht, den Aufbau des Porphyringerüsts aus einfacheren Verbindungen zu verfolgen. Die folgende Tabelle (nach Versuchen von S h e m i n und R i t t e n b e r g ) zeigt, daß das G l y c o c o l l in spezifischer Weise zum Aufbau des Porphinskeletts herangezogen wird. Näheres über die Bindung des Eisens im Hämoglobin, über die Bindung des 0 2 und CO an das Hämoglobin und über seine Acidität in Abhängigkeit von der Sauerstoffbindung vgl. P a u l i n g , Proc. Nat. Aead. Sei. USA., 21, 186 (1935); P a u l i n g u. C o r y e l l , Proc. Nat. Aoad. Sei. USA., 22 159 (1936); Cory eil u . P a u l i n g , J.biol. Chem. 132, 769 (1940); P a u l i n g , i n R o u g h t o n u . K e n d r e w : Haemoglobin, a Symposium inmemory ofSir j . Barcroft, S. 57. London 1949 W y m a n , Adv. Prot. Chem. 4, 407 (1948).

587

Die Hämatopoese

Es wurden verschiedene mit schwerem Stickstoff markierte Aminosäuren verfüttert, da« H&min aus dem Blut isoliert und sein Gehalt an N(i5) bestimmt. Verfütterte markierte Verbindung

Konzentration des NU3) im Hämin

Glycocoll Ammoniumeitrat . . . Glutaminsäure . . . . Prolin Leucin Serin

o// 0 1,4 0,09 0,17 0,16 0,07 1,4

Die Konzentration des N-Isotops ist auf die verfütterte Verbindung = 100% bezogen. Verfütterung von Serin ergibt einen ebenso hohen Isotopengehalt des Hämins wie Glycocoll. Dies rührt daher, daß Serin leicht in Glycocoll übergeht. Das Glycocoll oder ein sich vom Glycocoll ableitender stickstoffhaltiger Körper muß also bei der Porphyrinsynthese in der We'se als Baustein dienen, daß das N-Atom den Pyrrolstickstoff liefert.

Die Analyse des Porphyrins hat ergeben, daß der Stickstoff und das mit ihm verbundene a-C-Atom des Glycocolls in den Pyrrolring eingebaut werden. Das «-CAtom des Glycocolls (nicht etwa die Carboxylgruppe) liefert auch die Methinbrücken. Es werden also pro Pyrrolkern zwei Moleküle Glycocoll gebraucht, wobei die Carboxylgruppen eliminiert werden. Ein weiterer Baustein ist die Essigsäure. Sie wird wahrscheinlich über den Citronensäurecyklus in Succinat übergeführt, welches in Form einer „aktivierten" Verbindung (Succinyl-Coenzym A) reagiert. (Über die Bildung von aktivierter Bernsteinsäure vgl. S. 271). Diese Resultate ergeben sich aus der Lokalisation des C-Isotops im Porphyrin, das aus geeignet markierten Verbindungen biochemisch synthetisiert wurde. (Die Synthese kann durch kernhaltige Vogelblutzellen in vitro durchgeführt werden.) Man kann sich also vorstellen, daß sich zunächst substituierte Pyrrole bilden, welche sich zum Porphyrin kondensieren. Wenn die /^-ständigen Seitenketten erhalten bleiben, entsteht Uroporphyrin. Decarboxylierung führt zu den übrigen Porphyrinen 1 ). S h e m i n und R u s s e l l 2 ) haben kürzlich den Nachweis erbracht, daß (5-Arainolaevnlinsäure eine Zwischenstufe der Porphyrinsynthese ist. Zur Synthese dieser Säure sind intakte oder mit Wasser hämolysierte Vogelblutzellen befähigt. Man kann demnach annehmen, daß sich durch Kondensation von Glycin und aktiviertem Succinat zunächst a-Amino-/?-ketoadipinsäure (I) bildet, aus welcher durch Decarboxylierung die (3-Aminolaevulinsäure (II) hervorgeht: COOH—CHa—CH2—CO—S—CoA + H2N—CH2—COOH I COOH—CH2—CH2-C—CH—COOH II I

(I)

0 NH 2

I COOH—CHj—CH2—C—CH2—NH2 II o

(II)

!) Vgl. S h e m i n , J. biol. Chem. 198, 827 (1952); Cold Spring Harbor Symposia on quantitative Biology 13, 185 (1948); L e m b e r g u. L e g g e , Ann. Rev. Biochem. 19, 445 (1950). ") J. Am. chem.Soc.75, 4873 (1953); 76, 1204(1954). Vgl.ferner F a l k , Dresel u . R i m i n g t o n , Nature 172, 292, 1185 (1953).

Das Blut

Zwei Moleküle von II können sich zu einem Pyrrol (III) dem P o r p h o b i l i n o g e n kondensieren, das offenbar der Vorläufer des Uroporphyrins ist: COOH ¿H,

COOH 2H. CH,

COOH

A

H,

+

COOH

¿Ho

CH,

CHj (III) I Porphobilinogen C II CH

C=0

H.N—CH,—C=0

¿H 2

H,N—CH.—C

HjN'/

NH

Die ¿-Aminolaevulinsäure kann durch zellfreie Fermentlösungen aus Vogelerythrocyten und Leber in das Porphobilinogen übergeführt werden1). Porphobilinogen ist der unmittelbare Vorläufer der Porphyrine; es liefert beim Bebrüten mit Kückenblut-Hämolysaten Uro-, Kopro- und Protoporphyrin (Neubörger, Rimington) 2 ). Uroporphyrin und Koproporphyrin sind wahrscheinlich aber nicht Zwischenstufen bei der Bildung des Protoporphyrins. Auf welche Weise die Kondensation der vier Porphobilinogenmoleküle zum Porphyrin zustande kommt, ist noch nicht mit Sicherheit bekannt. S h e m i n nimmt an, daß zunächst das folgende Zwischenprodukt durch Kondensation von drei Monopyrrolen gebildet wird: COOH HOOC

¿H.

COOH HOOC

CH, '

H»N—CH,-

NH COOH—CH 2 ——-/ ^CH,—NH S Spaltung bei a würde zum Dipyrrol A, Spaltung bei b zum Dipyrrol B f ü h r e n : COOH

COOH HOOC C

HOOC

¿H,

NH CH, H,C I HOOC

H-N—CH,

CH,—NH.

CH2 ¿H 2 I COOH

COOH

A x

) G i b s o n u. Mitarb., Biochem. J . 58, X L I (1954); S c h m i d u. S h e m i n , J . Am. ehem. Soc. 77, 506 (1955). ') N e u b ö r g e r u. S c o t t , Nature 172, 1003 (1953); D r e s e l a. F a l k . Nature 172, 1185 (1953); F a l k , D r e s e l u . R i m i n g t o n , Nature 172, 292 (1953).

Die Hâmatopoëee

589

Kondensation von zwei Dipyrrolen A würde zu einem Porphyrin vom Typus I führen (s. S. 581), während Kondensation aus zwei Molekülen B ein Porphyrin vom Typus III (Protoporphyrin) liefern würde. Diese Annahme vermag auch die experimentell festgestellte Lokalisation des aus dem a-C-Atom des Glycocolls stammenden Kohlenstoffs in den Porphyrinen der Serie I und III zu erklären. Sie ist aber vorläufig hypothetisch1).

b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel. Wenn Hämoglobin gebildet werden soll, muß eine genügende Menge Eisen vorhanden sein. Die Eisenzufuhr mit der täglichen Nahrung ist eher knapp und daher ist auch Eisenmangel die häufigste Ursache der Anämie. Verglichen mit der Eisenmenge, die als Hämoglobin im Blut kreist oder als Myoglobin im Muskel vorhanden ist, ist die Eisenreserve der Gewebe (Leber, Milz usw.) nur klein. Beim Hund hat man die folgende Verteilung gefunden ( H a h n ) :

Hämoglobin Myoglobin Totales Hämoglobin Permenteisen in den Geweben (Cytochrom usw.) Reserveeisen in Leber, Milz und Knochenmark Reserve in den übrigen Geweben

% des gesamten Eisens 67 7 64 16 15 5 36

Wenn man beim Menschen eine ähnliche Verteilung annimmt und die gesamte Hämoglobinmenge zu 700 g ansetzt, so würde die Eisenreserve noch die Bildung von weiteren 200—250 g Hämoglobin gestatten. Größere Eisenverluste, wie sie durch Blutungen entstehen, können daher aus der Eisenreserve nur unvollständig gedeckt werden. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist bei der Frau im Durchschnitt etwas niedriger als beim Mann. Wahrscheinlich sind die menstruellen Blutungen eine Hauptursache dieses Defizits. Aus dem gleichen Grund sind auch Eisenmangelanämien bei der Frau häufiger als beim Mann. Das Eisen wird besser in Form von Ferrosalzen als in Form von Ferrisalzen absorbiert. Es scheint auch, daß im Darm Ferrisalze zu Ferrosalzen reduziert werden können. Ein Teil des Nahrungseisens ist komplex gebunden ; der verwertbare Anteil kann bedeutend niedriger sein als die Gesamtmenge. Dank der hohen Acidität des Magensafts geht ein Teil des gebundenen Eisens in Lösung. Hämatineisen kann nur zu einem kleinen Teil verwertet werden. Daher bedeuten Blutungen in den Darm für den Körper einen fast ebenso großen Eisenverlust wie Blutungen nach außen. Das Eisen nimmt, was seine Absorption im Darm betrifft, eine Sonderstellung ein. Die A u f n a h m e d e s E i s e n s h ä n g t v o m B e d a r f d e s O r g a n i s m u s a b ( W h i p p l e ) . Ist der Bedarf groß, z.B. bei Eisenmangelanämien, so wird viel Eisen aufgenommen ; verfügt der Organismus über genügende Reserven, so wird bei gleichem Angebot nur wenig absorbiert. Der Eisenbestand des Körpers wird im wesentlichen durch Anpassung der Aufnahme und nicht der Ausscheidung reguliert, die normalerweise sehr klein ist. Die Aufnahme des Eisens und seine Verteilung im Organismus läßt sich in besonders schöner Weise durch Verwendung von radioaktivem Eisen verfolgen. (Die meisten Versuche wurden mit dem Isotop Fe 59 durchgeführt, dessen Halbwertzeit 47 Tage beträgt.) Viele Fragen des Eisenstoffwechsels konnten erst nach Einführung der Isotopentechnik in befriedigender Weise beantwortet werden. r ) S h e m i n , Conférences et Rapports, 3me Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 197; Liège 1956. S h e m i n , in M c E l r o y u. Glass: Amino acid metabolism, S. 727; Baltimore 1955. Weitere Literatur über die Häminsynthese vgl. Z e i l e , Zschr. Angew. Chemie 66, 729 (1954).

Daa Blut

590

Bei der Aufnahme des Eisens im Darm und bei seiner Speicherung in Milz und Leber scheint ein eisenhaltiges Protein eine wichtige Rolle zu spielen, das sog. Ferritin (entdeckt 1937 von L a u f b e r g e r i n der Pferdemilz) 1 ). Das Ferritin ist durch seinen hohen Eisengehalt ausgezeichnet, der etwa 23% beträgt. Man findet es in der Darmschleimhaut, dem Knochenmark, der Milz und der Leber, also denjenigen Organen, die an der Aufnahme des Eisens, der Bildung oder der Zerstörung des Hämoglobins beteiligt sind. Die übrigen Organe (mit Ausnahme der Testes) scheinen kein Ferritin zu enthalten. Das Ferritin kann aus den Organextrakten durch Fällung mit Cadmiumsulfat leicht in Form gut ausgebildeter octaedrischer Kristalle erhalten werden, die braun gefärbt sind. Die Kristallisation gelingt sogar auf dem Objektträger, wenn man das zerriebene Gewebe mit CdS0 4 behandelt. Das Eisen ist im Ferritin als basisches Ferriphosphat enthalten. Nach Reduktion zur Ferroform mit Hydrosulfit bei pH 4,6 kann es dem Protein durch Komplexbildner (a,«'Dipyridyl) entzogen werden. Das eisenfreie Protein, das A p o f e r r i t i n , bildet Kristalle von genau gleicher Form wie das Ferritin, die aber farblos sind. Es ist bisher nicht möglich gewesen, das Apoferritin wieder mit Eisen zu vereinigen.

Die Funktion dieses merkwürdigen Proteins scheint in der Speicherung des Eisens zu bestehen, das im Darm aufgenommen wird oder in den Geweben beim Zerfall des Hämoglobins frei wird. Nach Verfütterung von Eisensalzen läßt sich in der Darmschleimhaut Ferritin in großer Menge nachweisen, während sonst nur wenig vorhanden ist. Besonders aufschlußreich sind Versuche mit radioaktivem Eisen. Nach Injektion von radioaktivem Eisen (als Ferricitrat) konnte man beim Hund 80% der Radioaktivität im Ferritin der Leber nachweisen, während die Milz fast kein Eisen aufgenommen hatte. Radioeisen wird rasch in das Hämoglobin der neu entstehenden roten Blutkörperchen eingebaut. Werden solche Blutkörperchen einem anderen Tier injiziert, so ist nach deren Zerstörung das radioaktive Eisen im Ferritin der Milz und der Leber nachweisbar2).

Die Annahme liegt nahe, daß in den Geweben Apoferritin vorhanden ist, welches das Eisen unter Bildung von Ferritin aufnimmt und festhält. Es ist aber noch nie gelungen, vor der Verfütterung von Eisen nennenswerte Mengen von Apoferritin oder Ferritin in einem Gewebe nachzuweisen. Es scheint vielmehr, daß das Protein erst dann gebildet wird, wenn durch Absorption aus dem Darm oder Zerfall von Hämoglobin Eisen auftritt. Wahrscheinlich wird das basische Eisensalz während der Entstehung des Proteinmoleküls in dasselbe eingebaut. Das Eisen scheint auf irgendeine Weise die Ferritinbildung anzuregen. Wird das Eisen verbraucht, so verschwindet auch das Ferritin wieder. Möglicherweise wird das Molekül unter Freisetzung des Eisens sogleich wieder abgebaut. Wie dem auch sei, die Aufnahme des Eisens im Darm erscheint im Lichte dieser Tatsachen als ein spezifischer Prozeß, und die Anpassung der Absorption an den Bedarf wird verständlich, wenn man nur annimmt, daß die Fähigkeit der Gewebe zur Bildung des Ferritins begrenzt ist. Das aus dem Darmlumen in die Zellen der Darmschleimhaut eintretende Eisen wird sofort als Ferritin fixiert; dadurch wird ein Konzentrationsgefälle so lange aufrechterhalten, bis die Ferritinbildung ihre Grenze erreicht h a t ; dann hört die Absorption auf. Durch Vermittlung des Blutes stehen die Ferritindepots der verschiedenen Gewebe miteinander im Gleichgewicht. Das Blutplasma enthält eine kleine Menge Eisen, das sog. Serumeisen (vgl. die Tab. auf S. 553), das, wie oben erwähnt wurde, in Form eines spezifischen Globulinkomplexes vorhanden ist. Das Serumeisen hat trotz seiner geringen Konzentration (etwa 0,1 mg/100 ccm) physiologisch eine große Bedeutung, weil es die Transportform des Eisens darstellt. Die Höhe des Serumeisenspiegels ist 1

) Bull. Soc. Chim. Biol. 19, 1575 (1937). ) H a h n u. Mitarb., J. biol. Chem. 150, 407 (1943).

2

591

Die Hämatopocse

ein Maß für den gesamten Eisenvorrat des Organismus ( H e i l m e y e r ) . Er sinkt bei Eisenmangel auf kleine Werte ab. Umgekehrt kann er stark ansteigen, wenn die Verwertung des Eisens gestört ist (z. B. bei der perniziösen Anämie). Diese Verhältnisse sind leicht verständlich, wenn man das Gleichgewicht Ferritin-Serumeisen betrachtet: bei niedrigem Eisenbestand des Körpers können Leber, Milz und Knochenmark alles Eisen als Ferritin binden. Je weiter die Eisenspeicher vom Zustand maximaler Sättigung entfernt sind, desto geringer wird auch die im Blutplasma kreisende Eisenmenge sein. Wird umgekehrt die maximale Kapazität der Speicher erreicht, so kann nicht mehr alles Eisen als Ferritin festgehalten werden und die Eisenkonzsntration im Blutplasma steigt an. Das folgende Schema (in Anlehnung an G r a n i c k und H a h n ) gibt die Beziehungen zwischen den Speichern und dem zirkulierenden Eisen in vereinfachter Form wieder: Knochenmark

Darmlumen Fe+++ —v Fe++ Nahrung

Ferritin Fe+++ .

Zellen der Darmschleimhaut

r

Fe++

1!

Ferritin Fe+++

1 :

1

Blutplasma "ir*:

Fe++ Globulin

Erythrocvten

Dank der Fähigkeit der Milz und der Leber, das Eisen (wohl im wesentlichen ala Ferritin) zu fixieren, kann das bei Zerstörung der roten Blutkörperchen frei werdende Eisen immer wieder zur Hämoglobinsynthese verwertet werden. Es besteht daher im Körper ein ständiger Kreislauf des Eisens, der im obigen Schema durch die dick ausgezogenen Pfeile angedeutet ist. Die Eisenverluste des Körpers durch Exkretion sind sehr gering. Durch die Niere wird praktisch kein Eisen ausgeschieden; auch der Eisengehalt der Fäces ist sehr gering. Eine kleine Menge ist in der Galle vorhanden; doch ist unbekannt, wie weit dieses Eisen wieder rückresorbiert wird. Größere Eisenverluste treten immer nur durch Blutungen auf. Bei Blutzerfall in den Geweben findet sich oft ein braunes Pigment, das von phagocytierenden weißen Blutzellen aufgenommen wird, das sog. Hämosiderin. Es handelt sich um einen eisenhaltigen Körper, denn er gibt mit Salzsäure und Ferrocyanid behandelt eine starke Berlinerblaureaktion. Über die Beziehungen dieses Pigments zum Ferritin ist wenig Sicheres bekannt.

Für den Erwachsenen wird eine tägliche Eisenzufuhr von etwa 12 mg als optimal angesehen. Wahrscheinlich kommt der Mann mit einer kleineren Menge aus. c) Die Bedeutung des Kupfers für die Hämoglobinbildung. Merkwürdigerweise ist die Milch sehr arm an den lebenswichtigen Schwermetallen, insbesondere auch an Eisen. Wie B u n g e in seinen klassischen Untersuchungen gezeigt hat, führt aber das neugeborene Tier in seiner Leber einen Eisenvorrat mit, der während der Säugeperiode den Bedarf zu decken vermag.

592

Das Blut

Eine länger dauernde Ernährung des jungen Tieres mit Milch führt zu einer Anämie. Es hat sieh aber gezeigt, daß man diese Anämie durch Zufütterung von Eisen allein nicht heilen kann, sondern daß außerdem noch kleine Mengen Kupfer nötig sind ( E l v e h j e m ) . Das Kupfer muß also irgendwie in die Hämoglobinbildung eingreifen; wahrscheinlich ist es Bestandteil eines Wirkstoffes. Auch die Bildung anderer Häminpigmente scheint von der Gegenwart des Kupfers abhängig zu sein. Bei den durch ausschließliche Ernährung mit Milch anämisch gewordenen Ratten ist auch die Cytochromoxydase in Leber und Herzmuskel stark vermindert (M. 0 . S c h u l t z e ) . Die Aktivität des Ferments steigt wieder auf den normalen Wert an, wenn Kupfer zugeführt wird. Offenbar ist die kleine Eisenmenge, die zur Bildung des Ferments nötig ist, stets greifbar, auch wenn die Reserve zur Bildung des Hämoglobins längst nicht mehr ausreicht. d) Andere Nahrungsfaktoren. Es sind eine Reihe von Faktoren bekannt, welche die Blutbildung mehr oder weniger deutlich beeinflussen. An sich kann natürlich ein Mangel aller jener Stoffe, die für den normalen Ablauf des Zellstoffwechsels nötig sind — unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine —, auch zur Störung der Blutbildung führen. Zu den wichtigsten derartigen Faktoren gehört der sog. Antiperniciosafaktor. Die perniziöse Anämie ( = Perniciosa) ist eine schwere Störung der Hämatopoese, welche in dieser Form nur beim Menschen vorkommt. Sie läßt sich beim Tier experimentell nicht erzeugen. Sie ist durch das Auftreten einer besonderen Form anomaler Erythrocyten (Megalocyten) gekennzeichnet. Da der Blutfarbstoffgehalt der Zellen höher ist als bei normalen Erythrocyten (hoher Färbeindex; sog. hyperchrome Anämie), ist anzunehmen, daß die primäre Störung nicht in der Synthese des Blutfarbstoffes liegt, sondern die Bildung der Zellen selbst betrifft. Außer der Anämie besteht bei den Kranken eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut mit Unfähigkeit zur Bildung von Salzsäure und Pepsin (Achylie) sowie Störungen im Bereich des Nervensystems. 1926 entdeckten M i n o t und M u r p h y , daß man die perniziöse Anämie durch große Gaben roher Leber heilen kann, und es gelang bald, wirksame Konzentrate aus Leber herzustellen. Es zeigte sich aber, daß die Leber den Antiperniciosafaktor nicht selbst bildet, sondern nur speichert. Genaueres siehe Kapitel 29, S. 791. Neuerdings ist es gelungen, den Antiperniciosafaktor in reiner Form zu isolieren. Es handelt sich um eine rot gefärbte Verbindung, die Kobalt enthält (4,5% Co). Die Isolierung wurde dadurch erleichtert, daß ein mikrobiologischer Test für den Faktor gefunden wurde (Wachstum von Lactobacillus Leichmannii). Der Stoff hat als Wachstumsfaktor die Bezeichnung Vitamin B 12 erhalten. Andere Namen: Erythrotin oder Cobalamin. Der reine Stoff heilt die Perniciosa in kleinsten Mengen (wenige y täglich). Die Tatsache, daß Vitamin B 12 ein Wachstumsfaktor für Bakterien ist, deutet darauf, daß es für den Stoffwechsel allgemeine Bedeutung hat. Versuchstiere (Ratte, Hund, Hühnchen), die mit vegetabilischen Proteinen ernährt werden, bedürfen zum Wachstum eines zusätzlichen Faktors, der im tierischen Eiweiß enthalten ist („animal protein factor"). Es scheint, daß dieser Faktor mit dem Vitamin B 12 identisch ist. Uber den Wirkungsmechanismus des Vitamins B 12 vgl. S. 794. Man muß annehmen, daß Vitamin B 12 auch für den menschlichen Organismus eine a l l g e m e i n e Bedeutung im Stoffwechsel besitzt, daß sich aber hier aus uns unbekannten Gründen sein Fehlen vor allem in einer tiefgreifenden Störung der Erythropoese und der Funktion des Nervensystems äußert, was bei anderen Tierarten

Der Abbau des Blutfarbstoffes

ö(J3

nicht oder in viel geringerem Maße der Fall ist. (Auch beim Schwein sind Störungen der Blutbildung beobachtet worden.) Die Bedeutung des sog. „intrinsic factor", dessen Fehlen die eigentliche Ursache der Perniciosa ist, scheint nach neueren, allerdings noch unvollständigen Beobachtungen in einer Förderung der Absorption des Vitamins B 12 zu liegen (vgl. S. 795). Die Blutveränderungen der Perniciosa werden auch durch Pteroylglutaminsäure in hohen Dosen günstig beeinflußt ( S p i e s , vgl. Kapitel Vitamine). Der Zusammenhang mit der Wirkung von Vitamin B 12 ist aber nicht klar. C. Der Abbau des Blutfarbstoffes

Die Erythrocyten werden beständig erneuert. Die alten Zellen gehen zugrunde — hauptsächlich in der Milz —, die neuen werden aus dem Knochenmark ins Blut nachgeschoben. Dieser Erneuerungsprozeß wird gelegentlich als „Blutmauserung" bezeichnet. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Erythrocyten beträgt ungefähr drei Monate. Die älteren Bestimmungsmethoden der mittleren Lebensdauer beruhen auf der Bestimmung der täglichen Urobilinausscheidung im Stuhl. Neuerdings hat man das Häm entweder durch Verabreichung von radioaktivem Eisen oder von Glycocoll, das enthielt, „markiert" (vgl. S. 587). Aus der Geschwindigkeit, mit der die Isotope aus dem Blut verschwinden, kann man die mittlere Lebensdauer der Blutkörperchen berechnen. Das Globin wird letzten Endes wie alle Proteine durch Hydrolyse abgebaut. Dagegen liefert das Häm charakteristische Umwandlungsprodukte, die zuerst besprochen werden sollen.

a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin. Überall wo Blutfarbstoff in größeren Mengen zugrunde geht, treten zwei Farbstoffe auf, ein gelber, das Bilirubin, und ein grüner, das Biliverdin. Das Bilirubin kann in alten Hämatomen (Blutergüssen) auskristallisieren. Die ,,Hämatoidin"kristalle sind schon lange bekannt. Ihre Identität mit dem Bilirubin wurde aber erst von H. F i s c h e r bewiesen; doch hat schon R. V i r c h o w ihre Verwandtschaft mit dem Gallenfarbstoff vermutet. Die menschliche Galle, ebenso die Ochsengalle, enthält normalerweise nur Bilirubin. Biliverdin kann aber leicht durch Oxydation aus Bilirubin entstehen. Das Bilirubin ist, wie die Porphyrine, ein Pyrrolfarbstoff, der vier Pyrrolkerne enthält. Sie sind hier aber nicht mehr zu einem Ring zusammengeschlossen, sondern bilden eine offene Kette. Aus den Formeln für Bilirubin und Biliverdin ist die nahe Beziehung zum Hämin klar ersichtlich, und es wird gleich weiter unten (S.595u. ff.) noch davon die Rede sein. Bei der Bilirubin-Formel beachte man die Substituenten: 4 Methylgruppen, 2 Vinylgruppen, 2 Propionsäurereste. Es sind also die gleichen Substituenten wie im Hämin (S. 579). Beim Bilirubin ist die eine Vinylgruppe mit dem Hydroxyl (rechts gezeichnet) zu einem hydrierten Furanring zusammengetreten (S. 596). Offenbar ist der Farbstoff durch Ringöffnung aus dem Protoporphyrin hervorgegangen. Die Farbstoffe, die ähnlichen Bau besitzen wie das Bilirubin, werden als Bilirubinoide bezeichnet. Wie entsteht das Bilirubin aus dem Blutfarbstoff 1 Früher ging die allgemeine Ansicht dahin, daß zunächst das Hämatin abgespalten und daß das letztere unter Elimination des Eisens in den Gallenfarbstoff übergehen würde. Es sprechen aber gewichtige Gründe gegen diese Annahme. Nach Injektion von Hämoglobin in die Blutbahn wird das Bilirubin im Serum stark vermehrt, und in der Galle wird der Farbstoff in vermehrter Menge ausgeschieden. Diese Erscheinungen treten nach Injektion von Hämatin nicht ein. Es ist auch sehr wenig wahrscheinlich, daß freies 38 L e u t h a r d t , Lehrbuch. IS. Aufl.

Das Blut

594

Porphyrin als Zwischenstufe auftritt, weil die Porphyrine die Eigenschaft haben, den Organismus gegen Licht zu sensibilisieren, so daß bei Belichtung heftige Reaktionen auftreten (Selbstversuche von M e y e r - B e t z ) . Eine Reihe von Erfahrungen deutet darauf hin, daß das Häm bereits im komplexen Verband mit dem Eisen und dem Globin in einen bilirubinähnlichen Farbstoff übergeführt wird. Die Öffnung des Porphyrinringes erfolgt also vor der Abspaltung des Hämatins. Das Hämoglobin geht zunächst in einen Farbstoff über, dessen prosthetische Gruppe die komplexe Eisenverbindung eines bilirubinähnlichen Farbstoffes ist. Diese Umwandlung läßt sich auch in vitro durchführen. Verschiedene Autoren haben aus Hämoglobin durch Behandeln mit Sauerstoff in Gegenwart von Reduktionsmitteln grüne Pigmente erhalten und diese mit verschiedenen Namen belegt. „Choleglobin" ( L e m b e r g ) entsteht bei Behandeln von Hämoglobin mit 0 2 und Ascorbinsäure, „Pseudohämoglobin" ( B a r k a n ) beim Behandeln mit 0 2 und H 2 S. Wir werden diese Stoffe im folgenden Yerdoglobine nennen. Sie haben je nach der Methode der Darstellung etwas verschiedene Eigenschaften. Auch aus den einfachen Hämochromogenen, z. B. dem Pyridinhämochromogen, kann man durch Oxydation mit Sauerstoff in Gegenwart eines Reduktionsmittels (z. B. Ascorbinsäure) grüne Farbstoffe erhalten, sog. „Verdohämochrom" oder „grünes Hämin" ( W a r b u r g ) 1 ) . Die Bedeutung dieser Stoffe liegt darin, daß man aus ihnen Biliverdin, also einen bilirubinähnlichen Farbstoff, gewinnen kann (aus Choleglobin und aus Verdohämochrom). Sie stellen also Zwischenprodukte bei der Umwandlung des Häms in das Bilirubin dar. Der Vorgang, der zur Bildung dieser grünen Pigmente führt, kann als Modellreaktion für den Hämoglobinabbau im Körper angesehen werden. Das Eisen ist in den Verdoglobinen weniger fest gebunden als im Hämoglobin; es kann mit verdünnten Säuren leichter abgespalten werden als das Hb-Eisen. Auch wenn man Blut mit verdünnten Säuren behandelt, werden einige Prozente des Hämoglobineisens herausgelöst (sog. „leicht abspaltbares Bluteisen"). Man schloß daraus, daß in den Blutkörperchen ein kleiner Teil des Hämoglobins in Verdoglobin umgewandelt ist ( B a r k a n ) . Sehr wahrscheinlich stammt aber ein Teil des leicht abspaltbaren Eisens aus dem Hämoglobin. Seine Bestimmung gibt also keinen sicheren Anhaltspunkt über die Menge des in den Blutkörperchen vorgebildeten Verdoglobins. Der Mechanismus der Verdoglobinbildung ist hauptsächlich am einfachen Modell des Pyridinhämochromogens untersucht worden. Es scheint, daß sich zuerst der Sauerstoff an das Hämeisen anlagert und daß dieser Komplex durch das Reduktionsmittel zu einer Wasserstoffsuperoxydverbindung des Häms hydriert wird ([Fe] = Häm, H 2 A = Ascorbinsäure, A = Dehydroascorbinsäure und weitere Oxydationsprodukte): [Fe] + 0 2



[Fe]02;

[Fe]O a + H 2 A

-

[Fe]H 2 0„ + A .

Nun wird wahrscheinlich der Porphyrinring durch das Peroxyd angegriffen (Näheres unten)* wobei der Komplex in Verdohämochrom übergeht.

Es bleibt noch die Frage zu erörtern, auf welche Weise die Öffnung des Porphyrin rings und der Übergang zum Biliverdin stattfindet. An sich könnte jede der vier Methinbrücken des Porphyrins angegriffen werden; es scheint aber, daß die Oxydation ausschließlich an derjenigen Brücke stattfindet, die zwischen den beiden die Vinylgruppen tragenden Pyrrolringen liegt. Es wird zunächst !) W a r b u r g u. N e g e l e i n , Ber. C3, 1816 (1930).

Der Abbau des Blutfarbstoffes

595

an diesem Kohlenstoffatom eine Hydroxylgruppe eingeführt: ^>CH



- OH,

die dann weiter zur Carbonylgruppe oxydiert wird: ^>C-OH • = 0. Es ist noch nicht sichergestellt, ob im Verdohämochrom und dem Verdoglobin diese Carbonylverbindung vorhanden ist, welche noch den intakten Porphyrinring enthält oder ob der Ring durch Elimination des Brücken-C-Atoms bereits geöffnet ist. (Globin ) Pyridin

P | P W ^ - C H ^ M C H K&, E ^ CCH H CH

Hämochromogen (Hämoglobin)

M V

M Pyridin

|

P

P

CH M p

p

M^-CH=AM r \ , ; x i V CH F.-eCX f-W CHM M

X-" negatives



Ion

V

CIL 0

jtt V

Verdohämochrom, Verd09 0bin

'

oder

p

p

mA-CH^AM TV;,-*1 CH . f f \ £ H M

V

Die vorstehenden Formelbilder machen den Übergang anschaulich. Das Pyridin (Globin) ist nur in der ersten Formel angegeben (M = Methyl, V = Vinyl, P = Propionsäure). b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff. Biliverdin, das in den Darm gelangt, wird als solches ausgeschieden. Dagegen wird das Bilirubin durch 38*

596

Das Blut

die Darmflora reduziert und gelangt schließlich mit dem Stuhl zur Ausscheidung. Unter pathologischen Bedingungen können die Farbstoffe, welche aus dem Bilirubin entstehen, auch in den Urin übergehen. J a f f e beschrieb 1868 ein solches Pigment, das er im Urin und in der Galle gefunden hatte, als Urobilin. Den gleichen Farbstoff erhielt er auch aus den Fäces. Der Farbstoff der Fäces wurde später auch Stercobilin genannt (Lair und M a s i u s 1871). Eine gewisse Unklarheit in der Benennung dieser Farbstoffe ist dadurch entstanden, daß in neuerer Zeit die obigen Namen für bestimmte chemisch wohl definierte Substanzen verwendet worden sind, während die alten Namen sich auf das Vorkommen beziehen. In pathologischen Urinen und in den Fäces kommt immer ein Gemisch vor, das im wesentlichen aus zwei verschiedenen Farbstoffen besteht, zum größeren Teil aus dem (neuen) Stercobilin, zum kleineren aus dem (neuen) Urobilin. Diese Namen werden heute ausschließlich zur Bezeichnung der individuellen Farbstoffe verwendet. Sie haben mit dem Vorkommen nichts zu tun. In der Klinik bezeichnet man das Gemisch der Urin- und Stuhlfarbstoffe gewöhnlich unter dem Sammelnamen „Urobilin". Urobilin und Stercobilin entstehen durch Oxydation (Dehydrierung) einer Brückenbindung sehr leicht aus den entsprechenden Chromogenen, dem UrobilinogeD (auch Mesobilirubinogen) und dem Stcrcobilinogen. Der Zusammenhang wird aus den folgenden Formelbildern klar. Wenn beim Bilirubin nur die beiden Seitenketten reduziert werden (die Vinylgruppen — C H = CH 2 also durch die Äthylgruppen —CH 2 4 CH 3 ersetzt werden), so entsteht das Mesobilirubin.

COOH

COOH

CH2

CH2

1 I

CH2

IIII

CH3

6

(•

1 •C

1 C -

1

1

CH3

CH

CH2

cII — cII CH

CEL,

CH3

c

c

II II II C—CH,— C

II

c \

1

N

IIII C

/

H

CH,

CH

c1 1 - c

c 11 c

H Bilirubin

CH2 II II CH

cCj

C

I I10-C %

i C /C N

/

CH,

COOH

COOH

¿H 2

¿H 2

CH2

CH2

1

1

C j 1iI I CH - - C C C

CH—C

/C

CH CH

cC — cC II III1I1 II c" c

C

\ Biliverdin

CH3

CHJ

N

H

C /

C

C

I CH

C

CH

I C-OH

Der Abbau des Blutfarbstoffes COOH

COOH

(CH2)2

(CH2),

|

1 1

HaC • C - -

C • 02H j h 3 C • C - - c II11 ('; CH c c - ch2 x Ny H

HO-i -

597

1

11 c IIII c

C'CHg H3C • C IlIl 11 C CH C

C-C2H6 11 COH

H

Mesobilirubin

In E x t r a k t e n aus Spaces findet man gelegentlich ein Isomeres des Mesobilirubins, das sog. Mesobiliviolin. Es entsteht wahrscheinlich sekundär durch Oxydation des Mesobilirubins. COOH I (CH2)2 - -

-

HO-C ).A

C A

. ..

CH

,

-

c

c-

C

C—CH

C W

H

'CH2)J

11

C-C2Hj HJC'C II II C CH2 C H

-c IIII

C

COH

\

N

/

C • CH3 H3C • C Il Il IIII CCH.0 £ • ^

H H Urobilinogen = Mesobilirubinogen

-C ' CaH6 IIII C-OH y H

COOH

(¿H2)2 (CH2)2 H I I I C'CjHJ HgC'C C C C'CH3 I^C'C - —C'C2H6 II II II II II II | /H C CH2 c c—CH 2 —C C CH2 C c A H\ 1

C• C2H6 H3C'C 11 11

>c

H O / \

c

N

H

/

CH2

N

COOH

(OH,)2

(AH,),

0 11

C

\

COOH

C—CH

C I i

C

/

H C• CH3 1130*0 •-••- C'CjH^ 11 1/H

C

-CH2

c

c
- C H 2 • CH(NH2) • COOH —Dopa^ HO—/ C 2H , - C2H , N H 2 , \ _ / decarboxylase \ / I ! HO HO Dopa Oxytyramin Injektion von Dopa bei Katzen mit experimenteller Hypertonie (Ischämie der Niere) bewirkt eine Steigerung des Blutdrucks, während das normale Tier nicht reagiert. Auch beim Menschen mit essentieller Hypertonie beobachtet man einen stärkeren Effekt als beim Normalen. Bei Durchströmung der ischämischen Niere, nicht aber der normalen, mit Dopa erhält man Oxytyramin. Auch Nierenextrakte bilden unter anaeroben Bedingungen aus der Aminosäure das Amin. Auch ein solcher Mechanismus, der auf der mangelnden Weiteroxydation von intermediär gebildeten Aminen beruht, könnte die Entstehung der Hypertonie bei Sauerstoffmangel der Niere erklären. Bei anderen Organen hat man die Bildung von blutdruckwirksamen Aminen unter ähnlichen Bedingungen nicht beobachtet. Möglicherweise ist die Niere wegen ihres hohen Sauerstoffbedarfs gegen Sauerstoffmangel besonders empfindlich. Alle diese Befunde sind für die Erklärung der renalen Hypertonie beim Menschen von Interesse 2 ). Man hat im Blut von Patienten mit renaler Hypertonie ein blutdruckwirksames Amin „ P h e r e n t a s i n " gefunden, das im Blut von Normalen nicht vorzukommen scheint 3 ). 5. Der Haru; seine wichtigsten Bestandteile Nach den früheren Ausführungen ist es verständlich, daß der Harn eine sehr wechselnde Zusammensetzung aufweist, welche sowohl die Zusammensetzung der Nahrung als auch das Geschehen im Körper widerspiegelt. Wir können hier nur eine kurze Übersicht geben unter Hinweis auf die Kapitel über den Intermediärstoffwechsel. Alles folgende bezieht sich auf die Verhältnisse beim Menschen. Spezifisches Gewicht. Dasselbe kann zwischen den extremen Grenzen von etwa 1,003 (nach starker Flüssigkeitszufuhr) und 1,040 (nach starkem Wasserverlust durch Schwitzen) schwanken. Normalerweise findet man Werte zwischen etwa 1,015 und 1,025. Das spezifische Gewicht bei Wasserentzug gibt in der Klinik wertvolle Anhaltspunkte über die Konzentrationsfähigkeit der Niere. Man kann aus dem spezifischen Gewicht den ungefähren Gehalt des Urins an festen Stoffen (in g pro Liter) berechnen, indem man die beiden letzten Ziffern (2. und 3. Stelle nach dem Komma) mit der Zahl 2,6 multipliziert (sog. L o n g s c h e r Koeffizient). B e i s p i e l : Ein Urin vom spez. Gew. 1,021 enthält rund 21-2,6 = 54,6 g feste Stoffe im Liter. B i n g , Am. J . Physiol. 132,497 (1941);133, 214(1941); O l s e n , Fed. Proc. 10, 99 (1951). ) Vgl. B r a u n - M e n e n d e z u. Mitarb.: G o l d b l a t t ; Physiol. Reviews 27, 120 (1947); Renal hypertension; Springfield 1946. Weitere Literatur in:Ciba F o u n d a t i o n S y m p o s i u m on H y p e r t e n s i o n (Wostenholme u. Cameron, Eds.); London 1954. S c h a a f , Arch. Internal Med. 93, 254, 407 (1954). a ) S c h r o e d e r u. O l s e n , J . exptl. Med. 92, 545, 561 (1950). 2

Harnstoff. Kreatinin und Kreatin

609

Der normale Urin enthält eine große Zahl der verschiedenartigsten Stoffe: Endprodukte des Stoffwechsels, Nahrangsbestandteile, die entweder nicht verwertbar sind oder im Überschuß zugeführt werden, Bestandteile des Blutes und der Gewebe, die ausgeschieden werden, weil für sie das Nierenfilter offenbar nicht vollständig „dicht" ist. In pathologischen Zuständen können im Urin Stoffe auftreten, welche normalerweise nicht oder nur in sehr geringer Menge ausgeschieden werden. Darauf beruht der große diagnostische Wert der Harnuntersuchung. Wir zählen im folgenden die wichtigsten Harnbestandteile auf und geben einige Hinweise auf ihre physiologische und klinische Bedeutung. A. Harnstoff

Er steht mengenmäßig an erster Stelle. Beim Erwachsenen macht er etwa 80—90% der N-haltigen Substanzen aus ; bei eiweißarmer Ernährung ist dieser Anteil etwas kleiner. Die täglich ausgeschiedene Menge hängt von der Eiweißzufuhr ab (Harnstoffausscheidung =

^•~,

d. h. rund 0,3 mal Eiweißzufuhr in g);

sie beträgt 20—30 g, macht also mehr als die Hälfte aller festen Stoffe aus. Der Harnstoff ist das Substrat der sog. a m m o n i a k a l i s c h e n Gärung des Harns. Er zersetzt sich unter der Einwirkung von Bakterien (Urease!) in Ammoniak und Kohlensäure. Über die Harnstoffsynthese in der Leber siehe S. 430 u. ff. B e s t i m m u n g des H a r n s t o f f s : Zerlegung durch Urease und Destillation des gebildeten Ammoniaks im Luftstrom, Auffangen in titrierter Sàure (Folin) oder durch Zersetzung des Harnstoffs durch Hypobromit und gasvolumetrische Bestimmung des gebildeten N 8 (Ambard). B. Kreatinin und Kreatin

Beim erwachsenen Mann findet sieh im Urin nur Kreatinin, kein Kreatin. Dasselbe ist bei der Mehrzahl der Frauen der Fall ; es gibt aber Frauen, welche dauernd oder von Zeit zu Zeit kleine Mengen Kreatin ausscheiden. Das Kind dagegen scheidet gleichzeitig Kreatinin und Kreatin aus. Die Menge des ausgeschiedenen Kreatinins, bezogen auf das Körpergewicht (mg Kreatinin in 24 Stunden zu kg Körpergewicht), der sog. K r e a t i n i n k o e f f i z i e n t , ist für ein und dasselbe Individuum annähernd konstant. Für den Mann ergeben sich Werte von 20—26 mg/kg, für die Frau Werte von 14—22 mg/kg. Die Kreatininausscheidung hängt von der Muskelmasse ab; je besser die Muskulatur entwickelt ist, desto mehr Kreatinin wird ausgeschieden. Kreatin geht nur dann in den Urin über, wenn seine Konzentration im Blut erhöht ist ( > 0,6 mg%). Bei der Frau kommt es während des Puerperiums zur Kreatinurie. Überhaupt tritt bei der Frau Kreatinausscheidung leichter auf als beim Mann. Im allgemeinen können solche Zustände zur Ausscheidung von Kreatin führen, bei welchen Gewebe, insbesondere Muskulatur, eingeschmolzen wird. Typisch ist das Auftreten von Kreatinurie bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur (Muskeldystrophie, Myasthenia gravis, Myatonia congenita usw.). Überfunktion der Schilddrüsen führt regelmäßig zur Kreatinurie. Die pathologische Kreatinurie weist folgende Kennzeichen auf: Ausscheidung von Kreatin höher als 50—60 mg in 24 Stunden; bei Verabreichung von Kreatin (1,32 g, entsprechend 1 g Kreatinin) erscheinen in den folgenden 24 Stunden mehr als 30% im Urin (normalerweise sind es nur wenige Prozente). Der Kreatininkoeffizient ist niedrig. 39

L e n t h a r d t , Lehrbuch. 13. Auf).

610

Niere; Urin

Das Kreatinin des Urins entstammt im wesentlichen dem Kreatin der Muskulatur. Von außen zugeführtes Kreatin wird fast vollständig von den Muskeln aufgenommen. Ist die Muskulatur durch irgendwelche pathologischen Prozesse geschädigt, so vermag sie weder das endogene noch das exogene Kreatin vollständig zu fixieren und in Kreatinin umzuwandeln; ein Teil des Kreatins wird daher als solches ausgeschieden. Über die Synthese des Kreatins und den Kreatinstoffwechsel siehe S. 413 und S. 643. Nachweis und Bestimmung des Kreatinins: Kreatinin gibt in alkalischer Lösung mit Nitroprussidnatrium [Fe(CN 6 )N0]-Na 2 -2H 2 0 eine rote Färbung, die beim Stehen abblaßt und bei Zusatz von Essigsäure sofort verschwindet (Gegensatz zum Aceton): Weyische Reaktion. Verdünnte alkalische Kreatininlösung gibt mit Pikrinsäure versetzt eine orangerote Färbung. Diese Reaktion kann zur quantitativen kolorimetrischen Bestimmung benützt werden. (Sie ist aber nicht streng spezifisch auf Kreatinin.) Im Blut finden sich noch andere Stoffe, welche unter den gleichen Bedingungen eine Färbung geben. Die Methode genügt aber für die meisten praktischen Zwecke. Man hat Bakterien isoliert, die Kreatinin abbauen, und hat darauf eine spezifische mikrobiologische Bestimmungsmethode gegründet (Miller und Dubos). Zur Bestimmung des Kreatins neben dem Kreatinin führt man durch Erhitzen mit Säure das Kreatin in Kreatinin über. Aus der Zunahme des Kreatinins läßt sich der Kreatingehalt berechnen.

C. Harnsäure Die Harnsäure stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purinstoffwechsels dar. Auch bei völlig purinfreier Nahrung wird immer Harnsäure ausgeschieden (0,3—0,5 g täglich). Dieselbe muß aus den Nucleinsäuren und Nucleotiden der Gewebe stammen ( e n d o g e n e H a r n s ä u r e ) . Bei Zufuhr von Purinen mit der Nahrung wird eine zusätzliche Menge Harnsäure eliminiert ( e x o g e n e H a r n s ä u r e ) . Normalerweise macht beim Erwachsenen die Harnsäure 1—2% des gesamten Urin-N aus. Beim Neugeborenen ist der Anteil der Harnsäure am Urin-N viel größer als beim Erwachsenen (7—8%). Nach Injektion von Harnsäure wird nur ein Teil im Urin wieder ausgeschieden (rund 50%). Der Rest wird zerstört. Man muß jedenfalls auf Grund dieser Versuche schließen, daß die Harnsäureausscheidung nicht dem gesamten endogenen Purinumsatz entspricht, sondern daß ein Teil des Purins irgendwo im Organismus weitgehend abgebaut wird. Die Allantoinbildung (vgl. S. 471) ist beim Menschen sehr gering. Wahrscheinlich gelangt ein Teil durch Magensaft und Galle in den Darm und wird durch die Bakterien abgebaut. Man vermutet, daß ein Teil auch in der Leber zerstört wird. Es sind allerdings in den menschlichen Geweben noch keine Fermente gefunden worden, welche die Harnsäure angreifen. Reichliche Zufuhr von Proteinen (ohne Purine!) mit der Nahrung f ü h r t zu einer leichten Steigerung der Harnsäureausscheidung, weil ein Teil des Stickstoffs zur Purinsynthese verwendet wird. Bei körperlicher Arbeit ist die Harnsäureausscheidung erhöht. Alle Prozesse, die zur Einschmelzung von Gewebe führen (z. B. fieberhafte Erkrankungen, Röntgenbestrahlung usw.), erhöhen auch die Ausscheidung der Harnsäure. Wegen ihrer Schwerlöslichkeit kann Harnsäure zur Konkrementbildung im Nierenbecken oder in der Blase führen (siehe unten). Bestimmung der Harnsäure: durch Fällung als Ammoniumurat oder kolorimetrisch auf Grund ihrer Eigenschaft, Phosphorwolframsäure oder Arsenophosphorwolframsäure unter Blaufärbung zu reduzieren.

D. Aminosäuren Freie Aminosäuren werden nur in kleiner Menge ausgeschieden (1—2% des Gesamt-N); daneben finden sich auch Polypeptide, die aber wenig untersucht sind.

Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

611

Es sind verschiedene Zustände bekannt, bei welchen die Ausscheidung von Aminosäuren im Urin stark vermehrt ist. Die genauere Erforschung dieser Aminoacidurien ist erst in jüngster Zeit dank der Entwicklung der chromatographischen Methoden möglich geworden und hat zu interessanten Resultaten geführt 1 ). In gewissen Fällen ist die erhöhte Ausscheidung die Folge einer erhöhten Konzentration im Blut: es kommt zum Ü b e r f l i e ß e n der Aminosäuren („overflow aminoacidurias"). Dies ist z. B. bei Leberschädigungen der Fall. (Es ist eine altbekannte Tatsache, daß bei akuter gelber Leberatrophie Tyrosin und Leucin im Urin auskristallisieren können.) In anderen Fällen aber besteht zwischen dem Aminosäurespiegel im Blut und der Ausscheidung keine sichtbare Beziehung. Es treten ganz bestimmte Aminosäuren in vermehrter Menge in den Urin über, wahrscheinlich infolge einer S t ö r u n g d e s A u s s c h e i d u n g s m e c h a n i s m u s („renal aminoacidurias"). Die Aminoacidurie ist hier ein charakteristisches Symptom eines — wie es scheint — meist kongenitalen Defekts. (Beim sog. F a n c o n i - S y n d r o m ist sie z. B. mit Zwergwuchs, Rachitis und Nierenveränderungen vergesellschaftet; Aminoacidurie besteht auch bei der Wilsonschen Krankheit [S. 808] und bei der G a l a c t o s ä m i e [S. 306].) Schon lange bekannt ist die C y s t i n u r i e , die wegen der Schwerlöslichkeit des Cystins zur Steinbildung führen kann. Nach neueren Untersuchungen werden gleichzeitig auch Lysin, Arginin und Ornithin in stark vermehrter Menge ausgeschieden. Bei der S. 392 erwähnten P h e n y l k e t o n u r i e treten auch beträchtliche Mengen Phenylalanin in den Urin über, sehr wahrscheinlich als Folge des erhöhten Blutspiegels, außerdem noch Phenylmilchsäure und Phenylessigsäure in Form des Phenylacetylglutamins (vgl. S. 427). Die Alkaptonurie ist durch die Ausscheidung der Homogentisinsäure charakterisiert (siehe S. 392). Alkaptonharn dunkelt beim Stehen von der Oberfläche her nach und verfärbt sich schließlich grünschwärzlich. Harnflecken auf der Wäsche färben sich mit Soda dunkel (daher der Name Alkali kapto: reiße Alkali an mich). Dies beruht auf der Oxydation der Homogentisinsäure (ein Hydrochinonderivat!) zu einem dunklen Pigment, die eintritt, sobald der Harn durch ammoniakalische Gärung alkalisch wird. Der Harn ist reduzierend. Aus ammoniakalischer Silbernitratlösung wird in der Kälte metallisches Silber abgeschieden. Auch F e Ill i n g sehe Lösung wird in der Kälte langsam reduziert. E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) Der Urin enthält eine ganze Reihe von Verbindungen, welche durch sog. „Entgiftungsvorgänge" entstanden sind. Dieser Ausdruck bezeichnete ursprünglich Reaktionen, durch welche ein körperfremder, toxisch wirkender Stoff in eine zur Ausscheidung i m Urin geeignete, weniger toxische Verbindung übergeführt wird. Dabei ging man v o n der Vorstellung einer zweckmäßigen Reaktion aus, durch welche der Organismus sich der schädlichen Stoffe zu entledigen sucht. Als erster hatte E. B a u m a n n 1876 gezeigt, daß die aus dem Harn isolierte Phenolschwefelsäure beim Kaninchen nicht giftig wirkt. „Da nun erwiesen ist, daß schwefelsaures Natron aus dem in den Körper gebrachten Phenol nicht giftige Phenolschwefelsäure erzeugt, so ist das schwefelsaure Natron oder ein anderes lösliches schwefelsaures Salz ein direktes chemisches Gegengift bei Phenolvergiftung." Es scheint, daß der Ausdruck Entgiftung im oben angegebenen Sinn zum erstenmal von N e u m e i s t e r 1895 gebraucht worden ist. In Wirklichkeit ist aber das Produkt der Entgiftungsvorgänge keineswegs immer weniger toxisch, ja nicht einmal immer besser löslich und zur Ausscheidung geeigneter als die ursprüngliche Verbindung. Man kann vom Organismus gar nicht erwarten, daß seine Reaktion beliebigen körperfremden Stoffen gegenüber immer „zweckmäßig" ist. E i n fremder Stoff wird seiner chemischen Natur gemäß mit den vorhandenen körpereigenen Verbindungen und Fermentsystemen reagieren. Dabei k a n n ein weniger toxischer, besser löslicher Körper gebildet werden, braucht es aber nicht. Der Ausdruck „EntgiftungsVorgang" ist zwar noch allgemein gebräuchlich; m a n versteht aber heute darunter ganz allgemein die c h e m i s c h e n U m w a n d l u n g e n , w e l c h e b e l i e b i g e k ö r p e r f r e m d e S u b s t a n z e n im Tier!) Vgl. D e n t , Schweiz, med. Wschr. 80, 752 (1950); Brit. Med. Bull. 10, 247 (1954). E v e r e d , Biochem. J . 62, 416 (1956). H a r r i s , Conférences et Rapports, 3 m e Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 467. Lièges 1956. 39

612

Niere; Urin

k ö r per e r l e i d e n , gleichgültig, ob damit eine Änderung der Toxizität verbunden ist oder nicht. Als körperfremde Stoffe sind alle diejenigen zu betrachten, die nicht normale Bestandteile der Gewebe oder normale Stoffwechselprodukte sind. Derartige Verbindungen werden im Darm beständig aufgenommen. Sie entstammen entweder direkt der Nahrung oder sie werden im Darm durch Fäulnis- oder Gärungsvorgänge gebildet. Eine besonders wichtige Rolle spielen gewisse Aporrhegmen der Aminosäuren. Von großer praktischer Bedeutung ist natürlich auch das Verhalten der als Medikamente verwendeten Stoffe. Ihre Untersuchung hat wichtige Beiträge zur Kenntnis der Entgiftungsvorgänge geliefert. Ein großer Teil der Entgiftungsreaktionen findet wahrscheinlich in der Leber statt, welche infolge ihrer besonderen Lage hierzu das geeignete Organ ist. Einzelne Reaktionen, so die Hippursäuresynthese, sind aber auch in der Niere nachgewiesen worden. Die Umwandlungen, die körperfremde Stoffe im Organismus erleiden, sind sehr mannigfaltig. Hydrolysierbare Verbindungen werden in ihre Bausteine aufgespalten. Sehr häufig werden die Stoffe oxydativ angegriffen; vielfach tritt auch Reduktion ein. Besonders wichtig sind die synthetischen Reaktionen, durch welche die eingeführten Verbindungen mit bestimmten körpereigenen Stoffen verbunden („gepaart" oder „konjugiert") werden. Als solche dienen Schwefelsäure (Bildung von gepaarten Schwefelsäuren), Glucuronsäure (gepaarte Glucuronsäuren), Aminosäuren, nämlich Glycocoll, Glutamin, Cystein, Ornithin. Schließlich können die Stoffe in Acetylderivate oder in einzelnen Fällen auch in Methylderivate übergeführt werden. Vielfach wird der eingeführte Stoff zuerst oxydiert, worauf das Oxydationsprodukt mit einem der genannten Stoffe der Konjugation unterworfen wird. Ein und derselbe Stoff kann in Form verschiedener Verbindungen ausgeschieden werden, z. B. gleichzeitig als Sulfat und als Glucuronid, wobei allerdings meistens die eine stark bevorzugt ist (vgl. unten, Verhalten der Salicylsäure). Die Elimination einer Verbindung kann bei den verschiedenen Tierarten in verschiedener Form geschehen. So wird z . B . die Phenylessigsäure bei den meisten Tierarten als Phenacetursäure, beim Menschen dagegen als Phenylacetylglutaminsäure ausgeschieden. Wir können im folgenden nur einige wenige Beispiele erwähnen: a) Gepaarte Schwefelsäuren (Esterschwefelsäuren). Sie wurden 1876 von E. B a u m a n n entdeckt und als Schwefelsäureester der indigobildenden Substanz des Urins oder von Phenolen erkannt. Der Urin enthält neben dem anorganischen Sulfat stets noch eine gewisse Menge organisch gebundene Schwefelsäure, welche durch saure oder alkalische Hydrolyse freigesetzt werden kann. Eine der wichtigsten gepaarten Schwefelsäuren ist das Harnindikan, die Indoxylschwefelsäure: -C-O-SOaH NH Über die Entstehung des Indoxyls aus dem Tryptophan siehe S. 401. Die Ausscheidung des Harnindikans kann bei gesteigerter Darmfäulnis (z. B. bei Darmverschluß) vermehrt sein. Skatoxyl wird in gleicher Weise mit Schwefelsäure gepaart. Phenole werden zum größten Teil als gepaarte Schwefelsäuren ausgeschieden: Phenol- und Kresolschwefelsäure, Brenzcatechinschwefelsäure und Hydrochinon-

Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

613

schwelelsäure (z. B . nach Phenolvergiftung nachgewiesen; Hydrochinon ist durch Oxydation des Phenols entstanden):

Der H a r n der Pflanzenfresser ist besonders reich an Schwefelsäureestern von Phenolen. Die Menge der konjugierten Schwefelsäure nimmt auch nach Benzolvergiftung zu. Benzol wird zu Phenolen (Phenol, Brenzcatechin, Hydrochinon) und ein kleiner Teil darüber hinaus zu Muconsäure oxydiert: H HC

COOH

HC

COOH H

E s werden aber auch im Körper gebildete Substanzen in Sulfate übergeführt. So werden die Östrogenen Hormono, welche phenolischen Charakter haben, im Urin teilweise als Sulfate ausgeschieden. Daß Esterschwefelsäuren aus anorganischem Sulfat gebildet werden, ist einwandfrei durch Verwendung von radioaktivem S 35 -Sulfat bewiesen worden. Z. B. erscheint nach gleichzeitiger Zufuhr von S 36 -Sulfat und 2-Naphthylamin im Urin radioaktive 2-Amino-l-naphthylschwefelsäure1). Auch in den Mechanismus der Reaktion konnte in letzter Zeit Einblick gewonnen werden. In Fermentpräparaten aus Leber wird bei Gegenwart von ATP unter Abspaltung von Pyrophosphat „aktives Sulfat" gebildet, das den Schwefelsäurerest auf den Akzeptor, z. B. ein Phenol, überträgt 2 ). Das aktive Sulfat ist nach R o b b i n s und L i p m a n n Adenosin-3'-phosphat-5'-phosphosulfat 3 ): O O H H H H || || Adenin—C—C—C—C—CH 2 —O—P—O—S—OH i oh| ; i i 1 1 Oj OH 0 O—P0 3 H 2 b) Gepaarte Glucuronsäuren. Eine Verbindung der Glucuronsäure wurde erstmals von J a f f ö 1874 aus dem Urin von Hunden isoliert, die ortho-Nitrotoluol erhalten hatten. Diese Verbindung, „Uronitrotoluolsäure", erwies sich als eine Verbindung des ortho-Nitrobenzylalkohols mit einer damals unbekannten reduzierenden Säure C 6 H 1 0 O 7 , von der J a f f e vermutete, daß sie sich von einem Zucker durch Oxydation der —CH2 • OH - Gruppe zur COOH-Gruppe ableite. Dieselbe Säure wurde später von S c h m i e d e b e r g und Mayer (1879) durch Hydrolyse einer Verbindung erhalten, welche im Hundeharn nach Verabreichung von Campher ausgeschieden wird, und erhielt den Namen „Glycuronsäure". E s gibt eine große Zahl von Verbindungen, welche als gepaarte Glucuronsäuren ausgeschieden werden können. Wir kennen zwei Arten von Glucuroniden: Alkohole und Phenole werden glycosidisch gebunden: COOH • CH • CHOH • CHOH • CHOH • CH • 0 • R I

0

i Alkohol

) L a i d l a w u. Y o u n g , Biochem. J . 54, 142 (1953). ) B e r n s t e i n u. M c G i l v e r y , J . biol. Chem. 199, 745 (1952); De Meio u. Mitarb.. J . biol. Chem. 218, 439 (1955); S e g a l , J . biol. Chem. 218, 161 (1955). 3 ) J . Am. chem. Soc. 78, 2652 (19561. 1

2

Niere; Urin

614

Dieser Typus von Glucuroniden ist gegen Alkali stabil und wirkt daher gegen die gewöhnlichen alkalischen ßeagentien nicht reduzierend. Verschiedene aromatische Carbonsäuren werden esterartig gebunden: COOHCHCHOHCHOHCHOHCHOCOR i—

-

0

-i

Säure

Die Ester werden in alkalischer Lösung hydrolysiert und sind daher reduzierend. Der normale Urin enthält nur wenig gepaarte Glucuronsäuren (Phenyl-, Indoxylglucuronide); dagegen können sie in großer Menge nach Verabreichung gewisser Medikamente, Narcotica usw. auftreten: Salicylsäure, Campher, Borneol, Menthol, Terpentin, Chloralhydrat, Avertin (Tribromäthylalkohol), Morphin. Die häufig verwendete S a l i c y l s ä u r e wird in Form verschiedener Produkte auageschieden, teils als solche (16%), teils in Verbindung mit Glycocoll als Salicylursäure (44%):

-conh-ch2cooh -OH teils als ein Glucuronid, dessen Konstitution noch nicht bekannt ist (20%); teils wird sie zu Gentisinsäure oxydiert und als solche ausgeschieden: HO—^

L

V-COOH ;'—OH

C h l o r a l h y d r a t wird erst zu Trichloräthylalkohol reduziert, der dann als Glucuronid („Urochloralsäure", Mering und M u s c u l u s 1875) ausgeschieden wird: O

ci,c-o

Cl,CCH,OH

H

CLC • CH, • O • C e H n O».

C a m p h e r wird zuerst zu Alkoholen oxydiert, welche als Glucuronide ausgeschieden werden, und zwar entstehen im wesentlichen zwei Alkohole, der 3-Oxycampher und der 5-Oxycampher: 5-Oxy campher CH.,

c

CH, C

i

C=0 HO HC

CHaC • CH.

H.C

l

H

•iCH < 2

\ \

\

H2C-

-iH

c=o CH,

CH3 I

c

Glucuronide

c=o

i CHSC • CHg j h2c

I

c H

Camphoglucuronsäuren

—•

choh

3-Oxycampher Auch S u l f a n i l a m i d d e r i v a t e können teilweise oxydiert und als Glucuronide ausgeschieden werden (siehe unten, Abschnitt Acetylierungen).

615

Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)

Sofern die gepaarten Glucuronsäuren beim Stehen des Urins leicht hydrolysiert werden, wie z. B. das Methylglucuronid, oder gegen Alkalien empfindlich sind (siehe oben), können sie dem Urin reduzierende Eigenschaften verleihen, also eventuell zu Verwechslung mit Zuckern Anlaß geben. Glucuronsäure ist aber nicht gärbar, ferner sind die gepaarten Glucuronsäuren linksdrehend; beim Kochen mit Säuren entsteht die rechtsdrehende freie Glucuronsäure. Man hat sich früher vorgestellt, daß die Glucuronide über die entsprechenden Glucoside gebildet würden; d. h. daß sich die Substanz zuerst mit Glucose verbinde, die dann in Stellung 6 oxydiert würde. Dies scheint nicht der Fall zu sein. Es hat sich neuerdings gezeigt, daß die Glucuronsäuregruppe der Uridindiphosphatglucuronsäure (UDPGsr) durch eine Transferase auf andere Verbindungen übertragen werden kann. Die UDPGsr entsteht, wie wir früher gesehen haben, durch Oxydation der Uridindiphosphatglucose (vgl. S. 321). Man hat gefunden, daß Leberenzyme auf diese Weise z. B. Tetrahydroeortison 1 ), Menthol oder o-Aminophenol 2 ) in die Glucuronide überführen.

Demnach ist anzunehmen, daß gepaarte Glucuronsäuren allgemein durch die folgende Reaktion entstehen können (U = Uridin): OOOH

A

U — 0 — P — 0 — P — > Uridindiphosphatglucuronsäure

COOH

+ ROH ----Uridindiphosphat

Glucuronid

Glucuronide können auch dadurch entstehen, daß die Glucuronsäure durch die /^-Glucuronidase aus einer Verbindung auf einen neuen Akzeptor übertragen wird 3 ): COOH

COOH

0-1 ^

.0 I -

;7 (¡Jcpiirnnldasp-*

R

» - ° " \ _ _ /

+

^

Das hydrolysierende Enzym wirkt hier, wie dies auch bei anderen Glycosidasen der Fall sein kann, als Transferase. c) Konjugation mit Aminosäuren. Das älteste bekannte Beispiel ist die Bildung der Hippursäure aus Benzoesäure und Glycocoll. Es scheint, daß als erster R o u e l l e 1784 die Hippursäure aus Kuhharn isoliert hat. Sie wurde aber in der Folge meistens mit Benzoesäure verwechselt, bis L i e b i g 1839 ihre Natur aufklärte. Der Übergang von Benzoesäure in Hippursäure im Tierkörper wurde mit Sicherheit erstmals von K e l l e r (im Laboratorium von W ö h l e r ) 1842 festgestellt. Sehr reich an Hippursäure ist der Harn der Pflanzenfresser (Name!). Die Benzoesäure stammt wahrscheinlich aus dem Lignin (Holzstoff) der Pflanzenge webe. Man findet aber beim Hund auch im Hunger oder bei reiner Fleischkost Hippursäure im Urin. Es muß daher angenommen werden, daß sie aus den aromatischen Aminosäuren (den einzigen aromatischen Verbindungen des Tierkörpers) wahrscheinlich bei der Darmfäulnis entsteht. Wir haben die verschiedenen Entgiftungsreaktionen der Aminosäuren schon früher besprochen (siehe S. 426). *) I s s e l b a c h e r u. A x e l r o d , J. Am. ehem. Soe. 77, 1070 (1955). 2 ) D u t t o n u. S t o r e y , Biochem. J. 57, 275 (1954). 3 ) F i s h m a n u. G r e « n . ,T. Am. ehem. Soc. 78, 880 (1956).

Niere; Urin

616

Die Menge Hippursäure, die im menschlichen Urin täglich ausgeschieden wird, beträgt gewöhnlich weniger als 1 g. Bei reichlichem Genuß von Früchten und Gemüsen steigt die Ausscheidung beträchtlich an. Eine Besonderheit des Stoffwechsels beim Menschen und den Menschenaffen liegt darin, daß die Phenylessigsäure als Phenylacetylglutamin und nicht wie bei den übrigen Spezies als Phenoacetursäure ausgeschieden wird. Acetylierungen: Verschiedene aromatische Amine werden als Acetylverbindungen ausgeschieden: R NH COCHj. Über den Mechanismus der Acetylierung siehe S. 384 und S.500 u.ff. Von praktischer Bedeutung ist die Acetylierung der therapeutisch in großem Umfang verwendeten Sulfanilamide: RNHS0

2

——NH

-

2

RNHSO,—^

NH-COCH3

Teilweise werden sie allerdings zu Phenolen oxydiert und als gepaarte Schwefelsäure oder Glucuronid ausgeschieden, so z. B. das einfache Sulfanilamid: NH, ! '

NH2 I r ^ —0-S0,H

OH

Ii S02-NH2

^SOj-NHJ

Auch Sulfapyridin | r = — ^

SOJ-NHJ

und Sulfathiazol ^R = —iC^

|| j

werden

beim Hund und beim Kaninchen teilweise oxydiert und als Glucuronid ausgeschieden ( W i l l i a m s ) . Die Konstitution der Oxydationsprodukte ist nicht genau bekannt. Die Acetylverbindungen sind meistens weniger löslich als die Muttersubstanz. Es kann daher bei hohen Dosierungen in den Nierenkanälchen zur Ausfällung der Substanz kommen, die zur zeitweiligen Verstopfung der Kanälchen führt (Anurie!). Methylierung: Der Stickstoff des Pyridin- und Chinolinringes wird im Tierkörper zur N-Methylpyridinium- bzw. N-Methylchinoliniumbase methyliert: /

-

S N

-

/~~\N-CH3

Das bekannteste Beispiel ist die Nicotinsäure, die beim Menschen, bei der Ratte und beim Hund zum Teil als T r i g o n e l l i n ausgeschieden wird ( A c k e r m a n n ) : COOH COO\ l / N 0 C H 3 Nicotinsäure Trigonellin Ein Teil der Nicotinsäure wird in das Amid übergeführt, das ebenfalls in methylierter Form in den Urin übergeht: CONHj l

\N-CHJ

Kohlehydrate

617

Pferd, Kaninchen und Meerschweinchen bilden dagegen durch Bindung an das Glycocoll vorwiegend N i c o t i n u r s ä u r e : CONH • CHj • COOH

Trigonellin, das im Urin vorkommt, kann aber auch direkt aus der Nahrung stammen, da es im Pflanzenreich weit verbreitet ist (z. B. aus dem Kaffee, Kartoffeln, Schwarzwurzeln usw.). Trigonellin und das entsprechende Amid müssen als normale Stoffwechselprodukte angesehen werden, da das Nicotinsäureamid ein Bestandteil der Codehydrasen I und II ist (vgl. S. 243).

Sehr merkwürdig ist die bereits von H o f m e i s t e r festgestellte Überführung der tellurigen Säure in Methyltellurid: Te0 2

Te(CH 3 ) 2 ,

das flüchtig ist und sich durch seinen unangenehmen, knoblauchartigen Geruch zu erkennen gibt. F. Kohlehydrate Glucosurie: Der Urin des gesunden Menschen enthält reduzierende Zucker nur gelegentlich und vorübergehend, wenn durch Aufnahme sehr großer Mengen mit der Nahrung die Ausscheidungsschwelle der Niere überschritten wird (alimentäre Glucosurie). Bei normaler Ernährung ist der Urin dauernd zuckerfrei. Auftreten von Glucose nach Nahrungszufuhr oder gar im nüchternen Zustand deutet auf eine Störung des Kohlehydratstoffwechsels hin. Die wichtigsten Reduktionsproben sind früher genannt worden (siehe S. 9). Gelegentlich kann auch ein Urin, der keinen Zucker enthält, eine schwache Reduktion zeigen, wenn andere reduzierende Stoffe in hoher Konzentration vorhanden sind, wie Kreatinin oder Harnsäure. Die einfachste und praktisch fast ausschließlich verwendete Methode zur quantitativen Bestimmung der Glucose im Urin ist die Polarimetrie. Normaler Urin ist in der Regel ganz leicht linksdrehend. Ein Drehungswert, der exakt Null ist, muß schon Verdacht auf das Vorhandensein von Glucose erwecken.

Außer der Glucose können gelegentlich Lactose, Pentosen, selten auch Fructose im Urin ausgeschieden werden. Lactosurie kommt bei stillenden Frauen, gelegentlich auch schon während der späteren Schwangerschaft vor. Ursache ist die Diffusion von Lactose aus der Milchdrüse ins Blut. Da dieser Zucker, wenn er direkt in die Blutbahn eingebracht wird, nicht verwertet werden kann, wird er im Urin vollständig ausgeschieden. Es sind neuerdings Fälle von G a l a c t o s u r i e bekannt geworden, die auf einem angeborenen Defekt der Galactoseverwertung beruhen 1 ). Vgl. S. 306.

Pentosurie ist in den meisten Fällen alimentären Ursprungs. Pentosen werden vom tierischen Organismus nur langsam abgebaut. Gewisse Beeren und Früchte und daraus hergestellte Produkte (Süßmost) enthalten soviel Pentosen, daß sie bei reichlichem Genuß in den Urin übergehen. Es handelt sich meist um L-Arabinose und L-Xylose. Nach Einnahme von D-Glucuronsäurelacton hat man die Ausscheidung von L-Xylulose beobachtet 2 ). In seltenen Fällen ist eine dauernde Pentoseausscheidung beobachtet worden, die unabhängig von der Nahrung ist („essentielle" Pentosurie). Die Pentose ist anscheinend L-Xyloketose (Xylulose). Es scheint sich hier um eine Abnormität des Stoffwechsels zu handeln, die im übrigen symptomlos verläuft und deren Ursache völlig unbekannt ist. Die Pentosen können dadurch von der Glucose unterschieden werden, daß sie nicht gären und die typische Reaktion mit Orcin-Salzsäure oder Phloroglucin-Salzsäure geben. 1

H u d s o n u . Mitarb., Brit. Med. Journ. 1954 (I) 242 ) Vgl. J. Am. ehem. Soc. 76, 5005 (1954).

2

Niere; Urin

618

Fructosurie: E s sind Personen beobachtet worden, welche Fructose schlecht verwerten und einen Teil der Zucker unverändert im Urin ausscheiden (bis 14% der aufgenommenen Menge). Bei solchen Personen steigt auch die Blutmilchsäure nach Verabreichung von Fructose weniger an als bei normalen. Die Ursache der Störung ist unbekannt. Möglicherweise handelt es sich um einen Mangel an Fructokinase in den Geweben (vgl. S. 303). Fructose kann durch ihre optische Drehung leicht von Glucose unterschieden werden. Ganz allgemein unterscheiden sich die übrigen M e l i t u r i e n (allgemeine Bezeichnung für die Ausscheidung irgendwelcher Zucker im Urin) von der Glucosurie dadurch, daß sie 1. durch Glucosegaben nicht beeinflußt werden und 2., daß sich bei Glucosebelastung (vgl. S. 327) eine normale Blutzuckerkurve ergibt. Acetonkörper (Aceton, Acetessigsäure, ß-Oxybuttersäure). Über Bedeutung und Entstehung der Acetonkörper siehe S. 361 u. ff. Normaler Urin enthält höchstens Spuren von Acetonkörpern. Alle Bedingungen, die zur Acidose führen, lassen die Ausscheidung stark ansteigen. Häufige Fälle: Diabetes mellitus, Hunger, Schwangerschaftserbrechen, acetonämisches Erbrechen der Kinder usw. Nach längerem Bestehen der Acidose zeigt der Urin auch die übrigen typischen Veränderungen der Zusammensetzung: saure Reaktion, Erhöhung der Ammoniakausscheidung, Verminderung der Ausscheidung fixer Alkalien. Nachweis und Bestimmung der Acetonkörper: Aceton gibt mit Nitroprussidnatrium in alkalischer Lösung eine kirschrote Färbung, die beständig ist und durch Zusatz von Essigsäure verstärkt wird (Gegensatz zum Kreatinin), sog. Legalsche Probe. Acetessigsäure gibt mit Ferrisalzen eine bordeauxrote Färbung. Es handelt sich um eine allgemeine Reaktion der /3-Ketosäuren, und zwar der Enolform derselben: COOH ¿H s

COOH ^

CH

¿=0 "" C—OH I I CHa CHa Ketoform Enolform welche mit dem Eisensalz einen tiefgefärbten Komplex bilden (sog. Gerhardsche Probe). Als 0-Ketosäure zerfällt Acetessigsäure leicht in C0 2 und Aceton. (8-Oxybuttersäure kann durch Überführung in Aceton nachgewiesen werden, indem man sie mit Chromat in schwefelsaurer Lösung oxydiert; die entstehende Acetessigsäure zerfällt sofort in C0 2 und Aceton. Die Säure ist linksdrehend. Linksdrehung des Urins nach Vergären mit Hefe deutet auf das Vorhandensein von ß-Oxybuttersäure hin. Über die titrimetrische Bestimmung vgl. S. 624. Die Liebensche Jodoformprobe auf Aceton, die auf der Oxydation zu Jodoform und Essigsäure beruht, soll nur im Destillat ausgeführt werden, da sie unspezifisch ist. Zur quantitativen Bestimmung des Acetons (Aceton + Acetessigsäure) wird der leicht angesäuerte Urin destilliert und das Destillat unter guter Kühlung aufgefangen. Das Destillat wird alkalisiert und mit einem Überschuß titrierter Jodlösung versetzt. Es bildet sich Hypojodit, durch welches das Aceton oxydiert wird: 6KOH + 3 J 2 = 3 K 0 J + 3 K J + 3H 2 0 3KOJ + CH3COCH3 = HCJ 3 + CH3COOK + 2KOH Jodoform Nach Ansäuern wird das überschüssige Jod mit Thiosulfat zurücktitriert (Methode von Messinger). Man kann das Aceton aus dem Destillat auch durch Mercurisulfat in schwefelsaurer Lösung fällen (Reagens von Denig^s) und den Niederschlag zur Wägung bringen (Zusammensetzung ungefähr 2HgS0 4 • 3HgO • CH3COCH3).

l'roteine. Farbstoffe des Urins

619

G. Proteine Proteine sind im normalen Urin nicht oder höchstens in Spuren vorhanden. Albuminurie tritt am häufigsten bei Nierenschädigung auf (Nephritis, besonders aber Nephrosen). Es handelt sich meist um Plasmaproteine, die vom undicht gewordenen Nierenfilter durchgelassen werden. Gelegentlich kann das Eiweiß aber auch von entzündlichen, eitrigen Prozessen im Bereich der Harnwege herrühren (Blut, Eiter). Kommt es aus irgendwelchen Gründen zur Hämolyse der Blutkörperchen in den Gefäßen, so tritt das im Blutplasma gelöste Hämoglobin in den Urin über (Hämoglobinurie, wohl zu unterscheiden von der Hämaturie = Übertritt von Blut in den Harn; in diesem Fall enthält das Harnsediment intakte Erythrocyten, so z. B. bei Nephritiden). Bei Fällen von multiplem Myelom (Plasmocytom, eine Wucherung bestimmter Zellen des Knochenmarks) tritt im Urin gelegentlich das sog. Bence-Jones-Protein auf, das die merkwürdige Eigenschaft besitzt, beim Erwärmen der Lösung bis auf etwa 45—60° auszufallen, aber bei Siedehitze wieder in Lösung zu gehen. Beim Abkühlen fällt der Eiweißkörper erneut aus. Das Molekulargewicht des B e n o e - J o n e s - Proteins wurde mittels der Ultrazentrifuge zu etwa 35000 bestimmt. Offenbar ist das Molekül zu klein, um von den Kapillarendothelien zurückgehalten zu werden. Man nimmt an, daß es in den Plasmocytomzellen selbst gebildet wird und ins Blut übertritt.

Gelegentlich ist auch das Auftreten von albumoseähnlichen Polypeptiden im Urin beobachtet worden, über deren Bedeutung weiter nichts bekannt ist. N a c h w e i s r e a k t i o n der P r o t e i n e im Urin: Bei der Kochprobe wird der schwach mit verdünnter Essigsäure angesäuerte Urin zum Sieden erhitzt, bei salzarmen Urinen eventuell unter Zusatz von etwas Kochsalz. Hellersche Probe: Unterschichten des Urins mit konzentrierter Salpetersäure; es entsteht an der Berührungsfläche eine Fällung, die als weißer Bing sichtbar ist. Esbachsche Probe: Fällung mit dem Esbachschen Reagens = Pikrinsäure in citronensaurer Lösung. Nach Absitzen des Niederschlags kann aus der Höhe der Säule der Eiweißgehalt roh geschätzt werden. Das Eiweiß kann auch durch Fällung mit Sulfosalicylsäure oder Trichloressigsäure nachgewiesen werden.

H. Farbstoffe des Urins Die chemische Natur des normalen gelben Farbstoffs des Urins (Urochrom) ist wenig bekannt. Man nimmt an, daß es sich um ein Gemisch von Verbindungen aus Polypeptiden und Abbauprodukten des Blutfarbstoffs handelt. a) Blutfarbstoff im Urin stammt, wie oben bereits bemerkt wurde, entweder aus Blutungen im Bereich der Harnwege, vom Durchtritt von Blut im Bereich der Tubuli oder der Glomeruli. Ein Teil des Hämoglobins wird im Urin in Methämoglobin verwandelt; es kann auch Hämatin abgespalten werden. Hämoglobinurie als Folge der Hämolyse in vivo kommt bei bestimmten Vergiftungen vor (z. B. Arsenwasserstoff) oder bei Infektionskrankheiten, Pyämie, schweren Verbrennungen, nach Bluttransfusionen usw. Nachweisreaktionen: spektroskopische Untersuchung (charakteristische Absorptionsbanden, vgl. S. 584). Kleine Mengen Blut können durch die Benzidin- oder Guajakprobe erkannt werden. Verdünntes Wasserstoffsuperoxyd mit Benzidin versetzt gibt bei Gegenwart einer Spur Hämoglobin eine blaue Färbung. Beim Überschichten des bluthaltigen Urins mit einer Mischung von altem Terpentinöl (welohes organische Peroxyde enthält) und Guajaktinktur entsteht an der Berührungsfläche ein blauer oder grüner Ring. Beide Reaktionen beruhen darauf, daß das Hämoglobin oder Hämatineisen die Oxydation von organischen Stoffen durch H s O a oder sonstige Peroxyde katalysiert (PeroxydaseWirkung). Bei Vorhandensein von Eiter "müssen

Niere; Urin

620

die Peroxydasen der Leukocyten durch Kochen zuerst inaktiviert werden. Benzidin wird zu Benzidinblau, einer merochinoiden Verbindung zwischen Benzidin und seinem Chinonimin, oxydiert (vgl. Chinhydron S. 259): H2N—/

^

X

)—NH 2 + H j 0 2 - N H - /

\ « = N H -f 2 H 2 0

Dipheno-chinon-di-imin HN=

N=NH

Bei der Guajakprobe entsteht ein gefärbtes Oxydationsprodukt gewisser Herzbestandteile. b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen". Die E n t s t e h u n g dieser F a r b s t o f f e w u r d e f r ü h e r eingehend besprochen (S. 595 u. ff.). Sie k o m m e n in größerer Menge im ikterischen U r i n v o r ( I k t e r u s = Gelbsucht). Bilirubin u n d „ U r o b i l i n " k o m m e n im n o r m a l e n U r i n in kleinen Mengen v o r . Wahrscheinlich f i n d e n sich d a n e b e n noch a n d e r e A b b a u p r o d u k t e des B l u t f a r b s t o f f s in kleiner Menge, u. a. a u c h D i p y r r o l e v o n der A r t des P e n t d y o p e n t (siehe S. 599). D a s A u f t r e t e n v o n „ U r o b i l i n " u n d „ U r o b i l i n o g e n " im U r i n ist klinisch v o n großer B e d e u t u n g , weil es meist a u f Leberinsuffizienz h i n d e u t e t . N a c h w e i s r e a k t i o n e n : „Urobilinogen" gibt mit dem Ehrlichschen Aldehydreagens (eine salzsaure Lösung des p-Dimethylaminobenzaldehyds) -x /O (CH3)2Neine rote Färbung, die auch zur kolorimetrischen quantitativen Bestimmung benutzt werden kann. Da gewöhnlich die Kenntnis der gesamten ausgeschiedenen Menge von „Urobilin" und „Urobilinogen" erwünscht ist, muß das erstere zuerst zu „Urobilinogen" zurückreduziert werden (z. B. durch Ferrosalz). Gewisse bei Porphyrie im Urin auftretende Chromogene geben mit dem Ehrlichschen Reagens eine intensive Rotfärbung. Sie sind aber mit dem „Urobilinogen" n i c h t identisch ( W a l d e n s t r ö m ) . „Urobilin" kann dank seiner Eigenschaft, bei Zusatz von Zinkacetat oder -chlorid in ammoniakalischer Lösung ein grün fluoreszierendes Zinksalz zu geben, erkannt werden. Die Gegenwart von Bilirubin läßt sich durch die H a m m a r s t e n s c h e oder Gmelinsche Probe erkennen. Beide beruhen auf der Oxydation des Bilirubins durch salpetrige Säure. Das H a m m a r s t e n s c h e Reagens wird durch Vermischen von salpetersäurehaltiger, starker Salzsäure mit Alkohol dargestellt. Zutropfen der Bilirubinlösung zum Reagens gibt eine grüne Farbe. Bei der Gmelinschen Probe wird die Bilirubinlösung mit konzentrierter, wenig salpetrige Säure enthaltender Salpetersäure unterschichtet. Es bildet sich an der Berührungsstelle mit der Zeit eine Farberscheinung aus, die aus übereinanderliegenden gefärbten Zonen besteht, von oben nach unten grün, blau, violett, rot, orange. Es handelt sich um Oxydationsprodukte des Bilirubins. Ikterischer Urin ist auch ohne Ausführung einer Bilirubinreaktion an der goldgelben Färbung des Schaums leicht zu erkennen. Er färbt Wäsche oder Papier intensiv gelb an. Bilirubin läßt sich auch durch diazotierte Sulfanilsäure in einen violetten Azofarbstoff verwandeln (Reaktion von E h r l i c h und H e y m a n s - v a n d e n Berg). Bei der Kuppelung mit der Diazobenzolsulfosäure (Mischung von salzsaurer Sulfanilsäure mit Na-Nitrit) wird das Bilirubinmolekül an der mittleren Methylengruppe gespalten, und es entsteht ein Gemisch von zwei Azofarbstoffen. Diese Reaktion dient zur Bestimmung des Bilirubins im Blutserum. c) P o r p h y r i n e . D e r n o r m a l e U r i n e n t h ä l t kleine Mengen K o p r o p o r p h y r i n I u n d I I I . (Ein Teil d e r P o r p h y r i n e wird s t e t s in d e n F ä c e s ausgeschieden, weil die F a r b s t o f f e sehr wahrscheinlich m i t d e r Galle in d e n D a r m gelangen. D a s V e r h ä l t n i s v o n

Farbstoffe des Urins

621

Koproporphyrin I zu Koproporphyrin I I I in Urin und Fäces kann sehr verschieden sein. Es scheint, daß in der Regel die Fäces mehr Koproporphyrin I enthalten als der Urin.) Wie wir früher bereits betont haben, muß man die symptomatische Porphyrinurie, die vermehrte Ausscheidung von Porphyrinen im Urin, wie sie bei einer Reihe von Krankheiten beobachtet wird, streng von der Porphyrie unterscheiden, die eine besondere Stoffwechselkrankheit ist (siehe S. 600) und durch das Auftreten von Uroporphyrin (neben dem Koproporphyrin) gekennzeichnet ist. Vermehrte Porphyrinausscheidung findet man bei febrilen Zuständen, bei Leberkrankheiten, bei gewissen Blutkrankheiten, z. B. bei perniziöser Anämie. Man hat vermehrte Ausscheidung von Koproporphyrin I bei regenerativen Prozessen im Knochenmark beobachtet, z. B. nach Verabreichung von Phenylhydrazin, welches Hämolyse verursacht und sekundär zu einer Steigerung der Erythrocytenproduktion führt. Solche Beobachtungen sind deshalb interessant, weil sie zeigen, daß Koproporphyrin I ein normales Stoffwechselprodukt ist. Charakteristisch ist die Porphyrinurie auch bei der Bleivergiftung. Im Urin wird hauptsächlich Koproporphyrin III, in den Fäces (d. h. der Galle) Koproporphyrin I ausgeschieden. Wie eben erwähnt wurde, treten bei der eigentlichen Porphyrie neben dem Koprogroße Mengen von Uroporphyrin (I und I i i ) auf. Typisch für den Urin des Porphyrikers ist das starke Nachdunkeln beim Erwärmen mit Mineralsäure oder beim bloßen Stehen. Das Chromogen gibt eine intensive Rotfärbung mit dem E h r l i c h schen Aldehydreagens. d) Uroerythrin ist das Pigment, welches die Rotfärbung des Sedimentum lateritium (Ziegelmehlsediment) des Urins bewirkt. Es findet sich in kleinen Mengen im normalen Urin und ist bei Fieber, starker Muskeltätigkeit, Verdauungsstörungen, Leberkrankheiten vermehrt. Uber seine chemische Natur ist nichts Sicheres bekannt. Es handelt sich möglicherweise um ein Indolderivat. e) Als Urorosein wird der Farbstoff bezeichnet, der die leichte Rotfärbung bedingt, welche beim Zusatz von Mineralsäure in vielen Urinen entsteht (entdeckt von N e n c k y 1882). Die Muttersubstanz dieses Farbstoffs ist die /Mndolylessigsäure (oder die daraus durch Konjugation mit Glycocoll hervorgehende Indolacetursäure); seine Bildung erfolgt nur in Gegenwart kleiner Mengen von Nitrit, das durch Bakterientätigkeit im Urin entstehen kann, oder eines anderen Oxydationsmittels wie Chlorkalk. Wenn man Indol-3-aldehyd mit Säure erwärmt, entstellt unter Abspaltung von Ameisensäure ein Farbstoff folgender Konstitution:

C—CHO

r^N

c— CH=C—

¿H

i

CH

N Indol-3-aldehyd



NH NH Di-3-indolylmethin

der sehr wahrscheinlich mit dem Urorosein identisch ist 1 ). Man kann sich also vorstellen, daß aus der Indolessigsäure durch Oxydation zunächst der Indol-3-aldehyd entsteht, der sich unter Einwirkung der Säure in Urorosein verwandelt.

f ) Melanine treten im Harn bei melanotischen Geschwülsten (Melanosarkomen) auf. Sie werden größtenteils in Form farbloser Vorstufen als Melanogene ausgeschieden, !) Harley-Mason u. B u ' l o c k , Biochem. J. 51, 430 (1952).

622

Niere; Urin

Diese Chromogene sind teils ätherlöslich, teils ätherunlöslich. Ihre chemische Natur ist nicht völlig aufgeklärt. Es handelt sich teilweise um stickstofffreie Brenzcatechinderivate, teilweise um Abkömmlinge des Indols (über die Melaninbildung aus den aromatischen Aminosäuren siehe S. 394). Der melanogenhaltige Urin ist frisch gewöhnlich normal gefärbt und wird beim Stehen dunkel. Die N a c h w e i s r e a k t i o n e n beruhen meist auf der Oxydation zu Melanin. Erhitzen mit Kaliumpersulfatlösung gibt Dunkelfärbung und nach Ansäuern mit Salzsäure Fällung von Melanin (Probe nach Brahn). Zusatz von einigen Tropfen Ferrichlorid gibt Graufärbung; vermehrter Zusatz von FeCls gibt dunkle Fällung, bestehend aus Phosphat, welches das Melanin adsorbiert (Reaktion von Jaksch-Pollak). Zusatz von Bromwasser gibt zuerst einen gelben Niederschlag, der sich beim Stehen dunkei färbt (Zeller). Die Melanogene geben ferner mit Nitroprussidnatrium und Essigsäure eine blaue Färbung (Reaktion von Thormälen).

g) Ehrlich sehe Diazoreaktion. Bei verschiedenen Krankheiten (Typhus abdominalis, Tuberkulose, Masern, Scharlach usw.) färben sich bei Zusatz des E h r l i c h schen Diazoreagenses (salzsaure Lösung von Sulfanilsäure mit wenig Nitrit) und nachträglicher Zugabe von wässerigem Ammoniak sowohl die Lösung als auch der Schaum rot. Der Stoff, welcher für die Rotfärbung verantwortlich ist, ist nicht bekannt. Es ist zu beachten, daß die Verabreichung verschiedener Medikamente einen positiv reagierenden Urin gibt. I. Wirkstoffe

Der normale Urin enthält stets verschiedene Fermente, Vitamine und Hormone oder deren Detoxikationsprodukte. Teilweise haben diese Stoffe praktische Bedeutung erlangt, weil ihre Bestimmung diagnostischen Zwecken dient. Wir können hier nur wenige Hinweise geben. Unter den Enzymen des Urins erwähnen wir die Amylase. Sie ist immer in geringen Mengen vorhanden und ist stark vermehrt bei entzündlichen Affektionen des Pankreas, für deren Diagnose sie differenzialdiagnostische Bedeutung besitzt. Man muß annehmen, daß in diesem Fall große Mengen des Ferments durch Zerstörung des Gewebes ins Blut gelangen und durch die Nieren eliminiert werden. Die A m y l a s e b e s t i m m u n g im Urin nach W o h l g e m u t h beruht auf dem Prinzip der Verdünnungsreihe. Man stellt von dem zu untersuchenden Harn eine in geometrischer Progression ( 1 : 2 : 4 : 8 usw.) steigende Reihe von Verdünnungen her, setzt überall die gleiche Menge Stärke zu, hält die Lösungen eine bestimmte Zeit im Brutschrank und stellt dann durch Zugabe von Jod fest, von welcher Verdünnung an die Stärke nicht mehr abgebaut worden ist. Die hierzu nötige Verdünnung ist offenbar um so größer, je mehr Amylase im Urin vorhanden ist. Der Verdünnungsgrad des letzten Röhrchens, das keine blaue Jodreaktion mehr gibt, wird als Maß für die Fermentkonzentration genommen.

Besonders eingehend sind in neuerer Zeit die im Urin ausgeschiedenen Sterine untersucht worden, die zu den Sexual- und Nebennierenrindenhormonen in Beziehung stehen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß sie in konjugierter Form als Sulfate oder Glucuronide ausgeschieden werden. Es sind eine ganze Zahl verschiedener Sterine aus dem Urin isoliert und chemisch charakterisiert worden. Ihre Kenntnis ist für die Aufklärung des Hormonstoffwechsels sehr bedeutungsvoll. Man hat auch verhältnismäßig einfache Methoden ausgearbeitet, welche die Aufteilung der Sterine des Urins in einzelne Gruppen gestatten 1 ). So lassen sich z. B. die Östrogenen Hormone dank ihrer sauren Eigenschaften abtrennen (sie sind Phenole) und durch die Kobersche Reaktion oder andere Farbreaktionen kolorimetrisch bestimmen (vgl. S. 57). Eine wichtige Gruppe sind die n e u t r a l e n 1 7 - K e t o s t e r o i d e , deren *) Literatur über die Bestimmung der Steroidhormone im Urin siehe Bibliographie.

Anorganische Stoffe, Säuren und Basen

623

erster bekannter Vertreter das Androsteron war ( B u t e n a n d t 1031). Es sind heute etwa 18 solcher Steroide im Urin gefunden worden. Ihre Bestimmung hat klinisches Interesse, weil verschiedene endokrine Störungen durch eine veränderte Ausscheidung der 17-Ketosteroide gekennzeichnet sind. Aus dem Rohextrakt des Urins werden durch Waschen mit Alkali erst die phenolischen Steroide entfernt, und es können die verbleibenden Ketosteroide mit der Z i m m e r m a n n s c h e n Reaktion kolorimetrisch bestimmt werden (vgl. S. 724). Eine Reihe von Steroiden der Nebennierenrinde besitzen in Stellung 17 eine Ketolseitenkette von 2 C-Atomen —CO-CIL,OH und sind ferner a , jS-ungesättigte Ketone —CO-CH = CH— (vgl. S. 694). Sie haben daher reduzierende Eigenschaften und außerdem wird aus der Ketolseitenkette bei Oxydation durch Perjodsäure Formaldehyd abgespalten. Auf Grund dieser Eigenschaften sind Bestimmungsmethoden f ü r die sog. r e d u z i e r e n d e n S t e r o i d e (reducing steroids) und die f o r m a l d e h y d b i l d e n d e n S t e r o i d e („formaldehydogenic steroids' - ) entwickelt worden. Der Urin enthält stets auch kleine Mengen A l d o s t e r o n . Es kann nach Extraktion aus dem leicht sauren Urin und Vorreinigung an Silieagelsäulen durch Papierchromatographie abgetrennt und schließlich auf dem Papier durch eine Farbreaktion mit Tetrazolium-NaOH bestimmt werden 1 ). Zur Bestimmung der reduzierenden Steroide können ähnliche Reagenzien verwendet werden, wie sie zur Zuckerbestimmung dienen, z. B. alkalische Kupferlösung oder Phosphorwolframsäure. Die erstere reagiert allerdings nicht mit den a, ^-ungesättigten Ketonen. Der durch Oxydation mit Perjodat abgespaltene Formaldehyd wird kolorimetrisch mit Chromotropsäure bestimmt. Östrogene Hormone werden während der Schwangerschaft in großer Menge ausgeschieden. 17-Ketosteroide können bei Tumoren oder Hyperplasie der Nebennierenrinde sehr stark vermehrt sein. Wir können auf die Steroide des Urins und ihre Bestimmung hier nicht näher eingehen 2 ). V o n g r o ß e r p r a k t i s c h e r B e d e u t u n g s i n d a u c h d i e gonadotropen Hormone d e s U r i n s (die Prolane), die w ä h r e n d d e r f r ü h e n S c h w a n g e r s c h a f t a u f t r e t e n u n d eine S c h w a n g e r s c h a f t s d i a g n o s e g e s t a t t e n ( R e a k t i o n v o n A s c h h e i m - Z o n d e k , v g l . S. 718). D e r U r i n e n t h ä l t n o r m a l e r w e i s e a u c h v e r s c h i e d e n e wasserlösliche Vitamine ( V i t a m i n C, A n e u r i n , L a c t o f l a v i n u s w . ) u n d i h r e S t o f f w e c h s e l p r o d u k t e . I m allg e m e i n e n s t e i g t die A u s s c h e i d u n g m i t d e r Z u f u h r a n . D i e B e s t i m m u n g d e r a u s geschiedenen Menge k a n n Hinweise d a r a u f geben, ob beim betreffenden I n d i v i d u u m V i t a m i n m a n g e l b e s t e h t . E i n z e l h e i t e n siehe K a p i t e l V i t a m i n e . E . Anorganische Stoffe, Säuren und Basen W i r h a b e n die w i c h t i g s t e n T a t s a c h e n ü b e r d i e A u s s c h e i d u n g d e r a n o r g a n i s c h e n Ionen bereits im Kapitel über den Wasser- u n d Salzhaushalt e r w ä h n t . Der Gehalt des Urins a n den einzelnen I o n e n k a n n je n a c h der Z u f u h r u n d der augenblicklichen S t o f f w e c h s e l l a g e sich s e h r s t a r k ä n d e r n . E s sei h i e r n o c h m a l s b e t o n t , d a ß e n t g e g e n d e r ü b l i c h e n S p r e c h w e i s e die K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n u n d d e r U r i n n i c h t „ S a l z e " , s o n d e r n einzelne I o n e n e n t h a l t e n ; i n s b e s o n d e r e s i n d N a + - u n d C l ~ - I o n e n e i n a n d e r in k e i n e r W e i s e ä q u i v a l e n t . M a n k a n n z. B . a u s d e r B e s t i m m u n g d e r C l _ - I o n e n i n k e i n e r W e i s e a u f d e n G e h a l t a n N a + - I o n e n schließen, o b w o h l in d e r K l i n i k d e r Chloridgehalt vielfach noch als „Kochsalz" angegeben wird. E i n f a c h e B e s t i m m u n g s m e t h o d e n : Das C h l o r i d wird gewöhnlich nach der V o l h a r d schen Methode titriert: Zugabe eines Überschusses titrierter Silbernitratlösung bei salpetersaurer Reaktion. Nach Filtration des AgCl-Niederschlags Titration der überschüssigen Ag + -Ionen mit Rhodanid und F e + + + als Indikator in einem aliquoten Teil des Filtrats. Die Mohrsche ClBestimmung (direkte Titration der Ag+-Ionen mit Silbernitrat und Chromat als Indikator) kann im Urin nicht verwendet werden, da man bei neutraler Reaktion arbeiten muß und unter diesen Bedingungen außer dem Chlor noch andere Anionen (besonders Phosphat) mitgefällt werden. — Das P h o s p h a t kann nach P i n c u s mit Uranylacetat oder -nitrat in Gegenwart von Acetat*) N e h e r u. W e t t s t e i n , Acta Endocrinol. 18, 386 (1955). 2 ) Übersicht über die im Urin aufgefundenen Steroide s. D o r f m a n u. U n g a r : bolism of Steroid hormones, Minneapolis 1954.

Meta

624

Niere; Urin

puffer titriert werden. Ein Überschuß des Uränylsalzes wird entweder durch Bildung eines grünen Niederschlages mit Cochenilletinktur oder einer rotbraunen Fällung mit Kaliumferrocyanid angezeigt (Tüpfelprobe): U0 2 (C00-CH 3 ) 2 + NaH 2 P0 4 = U 0 2 H P 0 4 + CH 3 -NaCOO + CH 3 -COOH als Ionengleichung: UOa++ + H s P O r = Ü 0 2 H P 0 4 - f H + . Etwas genauer ist die N e u m a n n sehe Methode, bei der die organischen Substanzen des Urins zuerst durch Kochen mit einem Gemisch von konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure verascht werden, worauf das Phosphat als komplexes Phosphorammoniummolybdat gefällt wird, welches alkalimetrisch bestimmt werden kann. Die Mikromethoden der Phosphatbestimmung beruhen auf der Bildung der Phosphormolybdänsäure und Reduktion der letzteren zu Molybdänblau, das kolorimetrisch bestimmt wird. — S u l f a t kann als Benzidinsulfat gefällt werden; der Niederschlag läßt sich, da Benzidin eine schwache Base ist, mit Lauge titrieren (Methode von R o s e n h e i m - D r u m m o n d - F i s k e ) . Zur Bestimmung des organisch gebundenen Sulfats wird der Urin zuerst mit Salzsäure eingedampft, wobei die Schwefelsäureester hydrolysiert werden. Das C a l c i u m wird als Oxalat gefällt und kann entweder gravimetrisch oder nach Auflösen des Niederschlags in verdünnter Schwefelsäure durch Titration der Oxalsäure mit Permanganat bestimmt werden. T i t r a t i o n s a c i d i t ä t des U r i n s n a c h F o l i n : Diese Methode gibt ein Maß f ü r die Größe der Säureausscheidung. Der Urin wird (nach Fällung der Ca ++ -Ionen durch Schütteln mit Kaliumoxalat) mit n/10 Lauge bis zum Umschlag des Phenolphthaleins titriert. Man drückt das Resultat in ccm n/10 Alkali pro Tagesmenge Urin aus. Normalwert etwa 200—500. Im wesentlichen wird dabei das primäre Phosphat titriert: H 2 P 0 4 _ + O H - = H P 0 4 — + H 2 0 . Eine vermehrte Ausscheidung von organischen Säuren wird nicht erfaßt, da dieselben im Urin bereits zum größten Teil neutralisiert sind. Nur in sehr sauren Urinen kann ein kleiner Teil der organischen Säuren in freier Form vorhanden sein. Die Titrationsacidität ist um so höher, je größer die „base economy" des Urins ist (vgl. S. 548). Um die letztere direkt zu bestimmen, müßte man den Urin bis zum pH des Blutplasmas titrieren. Eingabe von Alkali, z. B. Na-Bicarbonat, vermindert die Titrationsacidität stark (auf Werte von 100—200). Bei Acidose (z. B. Hunger) steigt sie bis auf 800 an. Die Erklärung dieser Tatsachen folgt leicht aus den Erörterungen im Kapitel über den Wasser- und Salzhaushalt. T i t r a t i o n d e r o r g a n i s c h e n S ä u r e n n a c h v a n S l y k e u n d P a l m e r : Diese Methode gestattet, die Ausscheidung der organischen Säuren zu erfassen. Zuerst werden die Phosphate und Carbonate durch Zugabe von Ca-Hydroxyd gefällt, dann können die organischen Säureanionen zwischen dem Umschlagsprodukt des Phenolphthaleins (pH 8,5) und demjenigen des Tropäolins OO (pH 2,5) mit Säure titriert werden: R C O O " + H + = R-COOH. Dies ist möglich, weil die in Frage kommenden Säuren bei pH 8,5 vollständig ionisiert sind, bei pH 2,5 dagegen fast vollständig in der nicht dissoziierten Form vorliegen (vgl. S. 139). Die normale Ausscheidung pro 24 Stunden entspricht etwa 400—700 ccm n/10 Säure, entsprechend etwa 8 ccm n/10 Säure pro kg Körpergewicht. Bei diabetischer Acidosis kann dieser Wert auf das Vielfache ansteigen. Es handelt sich vor allem um die /?-Oxybuttersäure. L. Harnsediment und Harnsteine Auch klarer Urin gibt beim Auszentrifugieren eine geringe Menge Sediment, das aus Epithelzellen der Harnwege und schwerlöslichen Salzen besteht. Einigermaßen konzentrierte Urine setzen beim Stehen stets ein Sediment schwerlöslicher Stoffe ab, das bei pathologischen Zuständen, z. B. bei Fieber, stark vermehrt sein kann, so daß schon der frisch gelassene Harn trüb ist. Der Harn ist bei Zimmertemperatur, teilweise schon bei Körpertemperatur in bezug auf verschiedene Bestandteile übersättigt: wahrscheinlich wird das sofortige Ausfallen derselben durch seinen Gehalt an kolloidalen Stoffen verhindert, die als Schutzkolloide wirken. Harnsäure fällt aus saurem Urin aus; die Kristalle sind meistens durch adsorbierte Farbstoffe gelb gefärbt. Aus saurem oder neutralem Urin können auch saure Urate ausfallen. Sie sind gelb bis rot gefärbt (Uroerythrin!) und bilden das sog. Ziegelmehlsediment (sedimentum lateritium). Beim Erwärmen des Urins gehen sie im Gegensatz zu den übrigen Sedimenten in Lösung.

Harnsediment und Harnsteine

625

Das schwerlösliche Ammoniumurat kann aus alkalischen Urinen ausfallen, die in ammoniakalische Gärung übergegangen und daher stark ammoniakhaltig sind. Im neutralen Urin kommen Urate seltener vor. Die Kristalle sind gelb bis braun gefärbt. Bei Neugeborenen, deren Urin sehr viel Harnsäure enthält, sind bei neutraler oder saurer Reaktion Ammoniumuratkristalle viel häufiger als beim Erwachsenen. Bei leicht saurer oder neutraler Reaktion kann aus dem Urin sekundäres Calciumphosphat, bei alkalischer Reaktion tertiäres Calciumphosphat ausfallen, das immer nur amorph auftritt. Im Gegensatz zu den Harnsäure- und Uratsedimenten sind die Phosphatniederschläge nicht gefärbt und lösen sich ohne Rückstand in Essigsäure. Charakteristisch für den in ammoniakalische Gärung übergegangenen Harn sind die schön ausgebildeten Kristalle des Tripelphosphats (Magnesium-Ammoniumphosphat) Mg(NH) 4 P0 4 -6H 2 0. Es bildet die sog. „Sargdeckelkristalle". Das Salz kann sich in stark ammoniakhaltigem Harn und bei neutraler Reaktion abscheiden. Calcium kann auch noch als Calciumoxalat ausfallen, das in Octaedern kristallisiert (sog. ,,Briefkuvertkristalle"). Die Oxalsäure stammt wahrscheinlich größtenteils aus der Pflanzennahrung; gewisse Gemüse wie Spinat, Rhabarber usw. sind sehr reich an Oxalaten. Ein Teil kann allerdings auch im Stoffwechsel gebildet worden sein. Calciumcarbonat kommt nur im alkalischen Harn vor, beim Menschen nur in geringer Menge. Sehr reichlich ist es neben Calciumphosphat im alkalisch reagierenden Urin der Pflanzenfresser enthalten, der stets durch eine große Menge Sediment getrübt ist. Gelegentlich können im Urinsediment auch schwerlösliche Aminosäuren auftreten, so Tyrosin und Leucin bei akuter Leberatrophie, Cystin bei Cystinurie. Unter besonderen Bedingungen können die genannten Stoffe zur Bildung von Konkrementen, Harnsteinen, Anlaß geben. Die physikochemischen Bedingungen, die zur Steinbildung führen, sind nicht genau bekannt. Es scheint, daß die erste Ablagerung des Materials meist durch organische Körper — abgestoßene Epithelien, Fibrinflocken, Bakterien usw. — veranlaßt wird, welche als Kristallisationszentrum wirken. Die Ablagerung erfolgt schichtweise um diesen Kern. Man kann einfache Steine unterscheiden, die nur aus einem einzigen Stoff bestehen, und zusammengesetzte, bei denen Schichten verschiedenartiger Stoffe, die oft auch verschieden pigmentiert sind, miteinander abwechseln. Merkwürdigerweise besteht bei der Mehrzahl der Steine der Kern aus Harnsäure oder Uraten, obwohl reine Harnsäuresteine ziemlich selten sind (nach Statistiken nur etwa 6%). Weitaus am häufigsten sind Steine aus Calciumoxalat und aus Phosphaten (Ca-Phosphat, Tripelphosphat, meist mit etwasCa-Carbonat). Reine Calciumcarbonatsteine sind beim Menschen sehr selten, häufig dagegen bei Pflanzenfressern. Sehr selten sind Steine aus Cystin und Xanthin (Cystinurie siehe S. 412). Die Oxalatsteine besitzen oft eine sehr höckrige und rauhe Oberfläche (sog. „Maulbeersteine"). Sie verursachen, wo sie die Schleimhaut berühren, kleine Blutungen und sind daher oft mit einer schwarzen Kruste bedeckt. Neuerdings hat die röntgenoptische und mikroskopisch-kristalloptische Untersuchung von Harnstein auch erlaubt, präzise Angaben über die vorhandenen Kristallarten zu machen1). J

40

) B r a n d e n b e r g e r , de Q u e r v a i n u. S c h i n z , Helv. med. Acta 14, 195 (1947).

Leutbardt,

L e h r b u c h . 13. A u f l .

626

Niere; Urin

So wurde nachgewiesen, daß das Ca-Phosphat als Hydroxylapatit Ca 10 (PO 4 )„(OH) 2 (vgl. S. 655) und Brushit C a H P 0 4 - 2 H 2 0 vorliegt, das Ca-Oxalat als Whewellit CaC 2 0 4 H 2 0 und als Trihydrat C a C 2 0 4 - 3 H 2 0 , das Tripelphosphat als Struvit M g N H 4 P 0 4 • 6 H 2 0 .

Die Steinbildung wird begünstigt durch vermehrte Ausscheidung der die Steine aufbauenden Stoffe. Von großem Einfluß ist die Ernährung. Z. B. wird eine purin reiche Nahrung zu vermehrter Harnsäurebildung Anlaß geben; der Genuß oxalatreicher Pflanzenteile wird zur Ausscheidung der schwer verbrennlichen Oxalsäure führen usw. Es können aber auch Stoffwechselstörungen Ursache der Steinbildung sein. Überfunktion der Epithelkörperchen (übermäßige Produktion des Parathormons, vgl. S. 689) führt zu einer stark vermehrten Elimination von Phosphat und Calcium durch den Urin, die in vielen Fällen zur Bildung von Phosphat- und Oxalatsteinen Anlaß geben kann. Stark begünstigt wird die Ausfällung der Mineralstoffe auch durch entzündliche Vorgänge in den Harnwegen (Pyelitis, Cystitis), welche zur ammoniakalischen Gärung des Urins im Nierenbecken und der Blase führen und dadurch die Ausscheidung von Ca-Phosphat und Tripelphosphat veranlassen können. Man kann gelegentlich Steine aus Tripelphosphat beobachten, die das Nierenbecken fast ganz ausfüllen und dessen Form annehmen („Korallensteine"). Man bezeichnet vielfach die Konkremente, welche unter diesen Bedingungen entstehen, als „sekundäre" Harnsteine im Gegensatz zu den „primären", die aus dem sterilen, unveränderten Harn auskristallisieren. Bei der R a t t e kann man durch Vitamin A-arme Ernährung Harnsteine erzeugen 1 ). Vermutlich ist die durch den Vitamin A-Mangel hervorgerufene Epithelschädigung in den Harnwegen (vgl. S. 743) die primäre Ursache der Steinbildung. Man vermutet, daß das in den Ländern des Orients häufig beobachtete Auftreten von Harnsteinen bei Kindern (in früheren Jahrhunderten auch in den westlichen Ländern bekannt) ebenfalls auf eine mangelhafte Ernährung, insbesondere eine ungenügende Zufuhr von Vitamin A, zurückgeht 2 ).

6. Anhang: Das Sperma a) Spermatozoon. Der Kopf der Spermien besteht im wesentlichen aus Kernsubstanz (Chromatin). Am besten bekannt sind seit den klassischen Untersuchungen M i e s c h e r s die Fischspermien; sie enthalten als charakteristischen Bestandteil Protamin in salzartiger Bindung mit den Nucleinsäuren (vgl. S. 87). In den Säugetierspermien scheinen als basische Bestandteile Histone vorhanden zu sein. Die Spermien besitzen sowohl einen respiratorischen als auch einen glycolytischen Stoffwechsel, enthalten also eine sehr vollständige Permentausrüstung. Diese Fermente sind wohl hauptsächlich im Mittelstück lokalisiert. Der Hoden und das Sperma sind reich an Hyaluronidase. Das Ferment scheint an die Spermatozoon gebunden zu sein, läßt sich aber von denselben leicht abtrennen; wahrscheinlich spielt es beim Eindringen der Spermatozoen in das Ei eine Rolle (vgl. S. 209). b) Die Spermaflüssigkeit (Spermaserum) wird von den verschiedenen Drüsen des männlichen Genitaltrakts gebildet. Sie enthält merkwürdigerweise als einzigen reduzierenden Zucker F r u c t o s e , beim Stier bis gegen 1% (Mann). Die Fructosebildung erfolgt in den Samenblasen. Sie hängt vom androgenen Hormon ab. Vor dem Eintritt der Geschlechtsreife, ebenso nach Kastration bildet die Samenblase keine Fructose. Nach Testosteron erscheint der Zucker wieder 3 ). In beträchtlichen Mengen kommt im Sperma auch I n o s i t vor 4 ). Charakteristisch f ü r das Sperma sind auch gewisse Basen, das S p e r m i d i n und das S p e r m i n . Das erstere ist das Mono-(y-aminopropyl)-putrescin, das zweite das Di-(y-aminopropyl)putrescin: H 2 N-(CH 2 ) 3 .NH-(CH 2 ) 4 .NH 2 Spermidin !) 2 ) s ) 4 )

O s b o r n , M e n d e l u. F e r r y , J . Am. med. Ass. 69, 32 (1917). Weitere Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 14, 417 (1945). Vgl. M a n n , Adv. Enzymol. 9, 329 (1949). Nature 168, 1043 (1951).

Muskel- und Nervensystem

627

H 1 N.(CH 1 ) 1 .NH.(CH 1 ) 4 .NH.{CH i ),-NH 1 Spermin (Wahrscheinlich kommt Spermidin auch in Gehirn, Leber und Muskelfleiseh vor.) Die sog. Böttcherschen Spermakristalle sind wahrscheinlich Sperminphosphat. Bei verschiedenen Tierarten koaguliert das Sperma nach der Ejakulation (besonders bei den Nagern, wo es zur Bildung des „bouchon vaginal" kommt, der die Vagina nach außen abschließt). Welche Bestandteile der Spermaflüssigkeit gelatinieren, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Man nimmt an, daß es sich um proteinartige Stoffe handelt, welche durch ein Ferment („Vesiculase") zur Gerinnung gebracht werden. (Bei der Ratte und dem Meerschweinchen scheint eine besondere, in unmittelbarer Nachbarschaft der Samenblase gelegene Drüse das Ferment zu produzieren.)

Vierundzwanzigstes

Kapitel

Muskel- und Nervensystem Wir geben in diesem Kapitel nur einige biochemische Aspekte der Tätigkeit von Muskel und Nerven. Für alles übrige muß auf die Lehrbücher der Physiologie verwiesen werden. 1. Muskel Die physiologische Funktion der Muskeln besteht darin, durch Kontraktion mechanische Arbeit zu leisten. Kontraktilität ist eine allgemeine Eigenschaft des Protoplasmas, die sich schon an den primitivsten einzelligen Lebewesen beobachten läßt. In der Muskelzelle ist diese Eigenschaft aufs höchste entwickelt worden; sie verleiht der Zelle ihren besonderen Charakter. Die Kontraktilität der Muskelfaser setzt zwei Einrichtungen voraus: Strukturelemente, die sich reversibel verkürzen können, und einen chemischen Mechanismus, durch welchen die Verkürzung bewirkt und wieder rückgängig gemacht wird. Das Element jeder Muskelfunktion ist die einfache „Zuckung" der einzelnen Faser: eine Verkürzung mit nachfolgender Erschlaffung (sog. A r b e i t s c y k l u s der Muskelfaser). Sie folgt dem Alles- oder Nichts-Gesetz, d. h. auf einen überschwelligen Reiz folgt immer eine maximale Verkürzung. Die Zuckung der Muskelfaser mit den begleitenden chemischen Vorgängen stellt eine gesetzmäßige Folge äußerst komplizierter Reaktionen dar. Wir sind von einer völligen Kenntnis derselben noch weit entfernt. Gut bekannt sind die Vorgänge, welche die Energie der Muskelkontraktion liefern, während über die feinere Struktur der kontraktilen Elemente, die Natur des eigentlichen Kontraktionsvorgangs und den Mechanismus, durch welchen die chemische Energie in mechanische umgesetzt wird, noch viele Unklarheiten bestehen. A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels

Im arbeitenden Muskel ist der Respirationsquotient annähernd Eins, ein Zeichen dafür, daß vorwiegend Kohlehydrat oxydiert wird. Das Muskelglycogen (oder die Glucose) ist die unmittelbare Quelle der Muskelenergie. Eine Besonderheit des Muskels besteht darin, daß er unter anaeroben Bedingungen arbeiten kann. Dies ist notwendig, weil unter natürlichen Bedingungen im Muskelgewebe Sauerstoffmangel eintreten kann, nämlich bei intensiver Arbeit. Die Muskeltätigkeit erfordert großen Energieaufwand in kurzer Zeit. Die Sauerstoffversorgung und damit die Geschwindigkeit der oxydativen Vorgänge ist durch die Zeit begrenzt, welche der 40*

628

Muskel- und Nervensystem

Sauerstoff braucht, um von den Kapillaren in die Muskelzellen zu diffundieren. Bei starker Arbeit genügt die Diffusionsgeschwindigkeit des 0 2 nicht, um genügend Energie auf oxydati vem Weg bereitzustellen. Der Muskel ist also auf eine sauerstoffunabhängige Reaktion angewiesen: dies ist die Glycolyse. Das glycolytische Fermentsystem ist im Muskel außerordentlich gut entwickelt; aus diesem Grunde wurden auch die glycolytischen Reaktionen vor allem durch die Untersuchung der chemischen Vorgänge in Muskelextrakten abgeklärt. Der Zusammenhang zwischen Muskeltätigkeit und Milchsäurebildung wurde von F l e t c h e r und H o p k i n s 1907 klargestellt. Das Vorkommen von Milchsäure im Muskel war schon lange bekannt. Die Natur der Säure wurde 1847 von L i e b i g festgestellt. Die im Muskel vorkommende Milchsäure (Fleischmilchsäure) ist rechtsdrehend. Sie gehört aber der L-Reihe an (vgl. S.13), muß also als l( -f)-Milchsäure bezeichnet werden. Bei Vergärung von Zuckern durch Milchsäurebakterien entsteht dagegen je nach der Art der Organismen racemische Milchsäure (Gärungsmilchsäure) oder eine der optisch aktiven Formen. Der Muskel arbeitet beim Menschen unter aeroben Bedingungen mit einem Wirkungsgrad von etwa 25—30%. Beim Kaltblüter scheint der Wirkungsgrad etwas niedriger zu sein. Die Arbeiten von A. V. H i l l über den zeitlichen Verlauf der Wärmebildung während der Muskelkontraktion haben dazu geführt, zwei Phasen zu unterscheiden. Ein erster Teil der Gesamtwärme wird während der Kontraktion und Erschlaffung entwickelt, die sog. I n i t i a l w ä r m e ; sie ist proportional der vom Muskel entwickelten Spannung. Nach beendigter Zuckung geht aber die Wärmeproduktion langsam während einiger Minuten weiter. Dieser Anteil wird als v e r z ö g e r t e W ä r m e (,,delayed heat") oder als o x y d a t i v e R e s t i t u t i o n s w ä r m e bezeichnet. Initiale und verzögerte Wärme verhalten sich etwa wie 1 : 1 . Die initiale Wärme ist völlig unabhängig von der Sauerstoffzufuhr, während die Restitutionswärme fast vollständig verschwindet, wenn der Muskel unter streng anaeroben Bedingungen arbeitet. Der Zusammenhang zwischen den chemischen Vorgängen im Muskel und der Wärmebildung ist hauptsächlich durch die Untersuchungen O t t o M e y e r h o f s aufgeklärt worden. Die initiale Wärme steht offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontraktionsvorgang. Wenn der Muskel von einem Reiz getroffen wird, setzt die Wärmebildung sofort ein, noch bevor es zu einer sichtbaren mechanischen Reaktion kommt („Aktivierungswärme", A. V. Hill). Der Reiz muß also im Muskel eine Zustandsänderung auslösen, welche von Wärmeproduktion begleitet ist und nach kurzer Latenzzeit sehr rasch zur Entwicklung einer Spannung führt. Bei isotonischer Kontraktion, d. h. bei Verkürzung des Muskels, tritt eine zusätzliche Wärmemenge, die „Verkürzungs wärme", auf, welche der Verkürzung proportional und von der geleisteten Arbeit unabhängig ist und offenbar irgendwie mit dem Verkürzungsvorgang als solchem zu tun hat. Wird umgekehrt ein tetanisch gereizter Muskel vorsichtig gedehnt, so tritt die aufgewendete Arbeit nicht als Wärme auf, sondern wird im Muskel anderweitig verbraucht. Es scheint also, daß die Verkürzung ein im thermodynamischen Sinn reversibler Vorgang ist. Möglicherweise dient die bei der Dehnung des tetanisierten Muskels aufgewendete Arbeit dazu, einen die Verkürzung begleitenden exothermen chemischen Prozeß rückwärts zu treiben (Hill) 1 ). Proc. Roy. Soc., London, Serie B, 137, 40 (1950).

Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels

629

Die Dehnung des Muskels auf seine ursprüngliche Länge nach Ablauf der Kontraktion ist dagegen ein passiver Vorgang, der ohne Wärmetönung verläuft. Der nicht belastete Muskel bleibt verkürzt. Bei der Relaxation eines belasteten Muskels, der bei der Verkürzung Arbeit geleistet hat, erscheint natürlich das Äquivalent dieser Arbeit als Wärme. Bis zum Jahre 1930 glaubte man, daß die initiale Wärme einzig von der Milchsäurebildung herrühre und daß die letztere in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontraktionsvorgang stehe. Dann aber zeigte L u n d s g a a r d , daß sich der Muskel auch ohne Milchsäurebildung kontrahieren kann, wenn man ihn mit Monojodessigsäure (JCH 2 COOH) vergiftet 1 ). Die initiale Wärmebildung bleibt dabei erhalten. Monojodessigsäure blockiert, wie wir früher (S. 291) gesehen haben, die glycolytische Kohlehydratspaltung. Die initiale Wärme kann unter diesen Bedingungen also nicht auf die Glycolyse zurückgeführt werden. Wie sich gezeigt hat, ist die initiale Wärme im jodessigsäurevergifteten Muskel zu einem beträchtlichen Teil durch die Spaltung der Kreatinphosphorsäure bedingt; dieser Vorgang muß demnach mit der Kontraktion in einem näheren Zusammenhang stehen als die Milchsäurebildung. Auch im normalen, nicht vergifteten Muskel zerfällt Kreatinphosphat. Es wird aber auf Kosten des Kohlehydratzerfalls teilweise wieder regeneriert, so daß bilanzmäßig weniger Kreatinphosphat gespalten wird als in Gegenwart der Jodessigsäure. Das Kreatin ist im nicht ermüdeten Muskel zum großen Teil in Form seiner Phosphorsäureverbindung enthalten: NH

II

COOHCH,—N—C—NH—POjH,

Phosphokreatin

Diese Verbindung wurde von P. u n d G. P. E g g l e t o n entdeckt und „Phosphagen" genannt. F i s k e u n d S u b b a r o w erkannten, daß sie Kreatin enthält, und schließlich stellten M e y e r h o f u n d L o h m a n n ihre Zusammensetzung aus 1 Mol Kreatin und 1 Mol Phosphorsäure fest. Im Muskel von Avertebraten kommt an ihrer Stelle die Argininphosphorsäure vor: NH

II

COOHCHCH2CHJCHJ—N H— C—NH—POsHs

Ah, Während der Kontraktion zerfällt das Phosphokreatin in Kreatin und anorganisches Phosphat. Wir werden gleich sehen, daß es sich nicht um eine einlache Hydrolyse der Verbindung handelt. L u n d s g a a r d entwickelte auf Grund seiner Beobachtungen über die „milchsäurelose" Kontraktion die Hypothese, daß nicht die Milchsäurebildung die primäre Reaktion ist, welche die Energie für die Kontraktion liefert, sondern der Zerfall des Phosphokreatins. Diese Ansicht wurde durch die anschließenden Arbeiten der M e y e r h o f s c h e n Schule bestätigt. Sie lieferte für verschiedene offene Fragen der Muskelenergetik, auf welche die ältere Theorie keine Antwort zu geben vermocht hatte, eine zwanglose Erklärung 2 ). M L u n d s g a a r d , Biochem. Zschr. 227, 51 (1930). 2 ) M e y e r h o f , Naturwiss. 19, 923 (1931).

630

Muskel- und Nervensystem

Offenbar muß das Phosphokreatin immer wieder regeneriert werden. Dazu ist Adenosintriphosphat (ATP) nötig. ATP gibt an das Kreatin einen seiner Phosphatreste ab nach folgender Gleichung ( L o h m a n n s c h e Reaktion): Adenosintriphosphat + Kreatin

iZZZZ*

Adenosindiphosphat + Phosphokreatin.

Die Phosphorylierung des Kreatins durch ATP ist ein reversibler Vorgang. Unter physiologischen Bedingungen wird Phosphokreatin nicht direkt hydrolysiert, sondern gibt, in Umkehrung der obigen Reaktionsgleichung, das Phosphat zuerst wieder an ADP ab ( L o h m a n n ) 1 ) . Die oben erwähnte Spaltung des Kreatinphosphats in Kreatin und freies Phosphat, die man während der Muskeltätigkeit beobachtet, verläuft also in zwei Stufen: (a) (b ) Bilanz:

Phosphokreatin + ADP = ATP + H a O =

Kreatin + ATP ADP + anorg. Phosphat

Phosphokreatin + H 2 0

Kreatin -f anorg. Phosphat

=

Das Enzym (Kreatin-Kinase) ist in reinem Zustand dargestellt worden 2 ). Die obige Reaktion zeigt auch den Weg, durch welchen der Aufbau des Phosphokreatins mit dem Kohlehydratstoffwechsel verbunden ist. Wir haben gesehen, daß beim glycolytischen Abbau des Glycogens Adenosintriphosphat gebildet wird (pro Molekül Glucose, das in Milchsäure übergeht, entstehen 3 Moleküle ATP aus ADP). Das ATP reagiert nach obiger Reaktionsgleichung weiter unter Bildung von Kreatin phosphat. Die Energie der Glycolyse wird auf diese Weise also zum Aufbau des Kreatinphosphats aus Kreatin und anorganischem Phosphat verwendet. D e r a n a e r o b e G l y c o g e n z e r f a l l l i e f e r t also die f ü r den s t ä n d i g e n Wiedera u f b a u des P h o s p h o k r e a t i n s n ö t i g e E n e r g i e . Natürlich können auch alle oxydativen Vorgänge, welche ATP liefern, an der Regeneration des Phosphokreatins beteiligt sein, so vor allem die Oxydation der Milchsäure. Die Bedeutung der Glycolyse liegt darin, daß sie auch ohne Sauerstoff arbeitet. Zu einer weiteren wichtigen Entdeckung führten die Arbeiten von E n g e l h a r d t und L j u b i m o v a , welche zeigten, daß das kontraktile Protein des Muskels, das M y o s i n , Fermenteigenschaften besitzt. Es wirkt als „ATP-ase", d. h. es spaltet aus dem ATP den endständigen Phosphatrest ab 3 ): Adenosintriphosphat

Adenosindiphosphat + anorg. Phosphat. ++

Die Spaltung wird durch Ca -Ionen gefördert, durch Mg ++ -Ionen gehemmt. Man nimmt heute allgemein an, daß die ATP-ase-Wirkung dem Myosin selbst und nicht einem begleitenden, schwer abtrennbaren Protein zukommt. Es ist M e y e r h o f und P o l i s 4 ) allerdings gelungen, aus Myosin durch Fällung mit Lanthansalzen ein Protein mit wesentlich höherer Aktivität zu isolieren; doch handelt es sich wahrscheinlich um ein Bruchstück des Myosins, das dessen aktive Gruppen enthält.

Diese Reaktion zwischen ATP und Myosin in vitro weist darauf hin, daß möglicherweise die Verkürzung der Muskelfaser von der ATP-Spaltung abhängig ist. Wir werden weiter unten zeigen, daß zwischen ATP und Myosin noch weitere Beziehungen bestehen: künstlich hergestellte Myosinfäden kontrahieren sich beim Kontakt mit einer ATP-Lösung. Durch alle diese Befunde wurde das ATP in das !) L o h m a n n , Biochem. Zschr. 271, 264 (1934). ) K u b y u- Mitarb., J. biol. Chem. 209, 191, 203 (1954). 3 ) E n g e l h a r d t u. L j u b i m o v a , Biokhimiva 4, 716 (1939); Nature 144, 669 (1939); Adv. Enzvmol. 6, 147 (1946). 4 ) J. biol. Chem. 169, 389 (1947). 2

Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels

631

Zentrum der Muskelphysiologie gerückt. Sie führten zur Annahme, daß bei der Verkürzung des Muskels das ATP mit dem kontraktilen Element unter Abspaltung eines Moleküls Phosphat reagiert, wobei durch eine nicht näher definierbare Koppelung der Vorgänge die freie Energie der Phosphatbindung in mechanische Energie umgesetzt wird. Demnach wäre in der Reihe der Vorgänge, die schließlich zur Kontraktion der Faser führen, die Spaltung des ATP die letzte faßbare chemische Reaktion. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß im arbeitenden, intakten Muskel eine Abnahme des ATP sich bisher nicht mit Sicherheit hat beobachten lassen 1 ). Neuere Untersuchungen deuten vielmehr darauf hin, daß Muskelkontraktionen ohne meßbare Änderung des Bestandes an ATP oder Kreatinphosphat möglich sind2). Doch schließt diese Tatsache die Annahme, daß Muskelkontraktion und ATP-Spaltung unmittelbar verknüpft sind, keineswegs aus. Es könnte nur ein kleiner Teil des gesamten ATP der Muskelzelle an der Umsetzung beteiligt sein, und die Regeneration könnte so rasch vor sich gehen, daß die Reaktion in der Bilanz gar nicht sichtbar würde, usw. Wir werden auf dieses wichtige Problem weiter unten zurückkommen.

Welches sind nun die Vorgänge, die sich anschließend an die Kontraktion während der durch die „verzögerte Wärme" gekennzeichneten Phase (Restitution) abspielen ? Da in Abwesenheit von Sauerstoff die verzögerte Wärmebildung fast völlig ausbleibt, muß es sich um einen oxydativen Vorgang handeln. Dies zeigt sich auch darin, daß die Atmung des Muskels, den man nach tetanischer Reizung unter anaeroben Bedingungen in Sauerstoff bringt, viel größer ist als die Ruheatmung. Während der Restitution wird Milchsäure verbraucht; aber die totale Menge der verschwundenen Milchsäure ist viel größer als die Menge der veratmeten. Nur etwa Ye bis 1 / 3 der verschwundenen Milchsäure wird oxydiert, der Rest wird in Kohlehydrat (Glycogen) zurückverwandelt. Zum gleichen Resultat gelangt man beim Vergleich der verzögerten Wärme mit der Menge der im Muskel nach der Tätigkeit vorhandenen Milchsäure. Die Wärmebildung ist viel kleiner, als die Oxydation der gesamten Milchsäuremenge verlangen würde. Da beim Zerfall des Glycogens in Milchsäure Energie frei wird, muß umgekehrt die Resynthcse des Glycogens aus Milchsäure die entsprechende Energiemenge verbrauchen. Diese Energie wird geliefert durch die Oxydation eines Teils der Milchsäure. Da aber die freie Energie der Glycolyse viel kleiner ist als die freie Energie der Oxydation, genügt die Oxydation eines kleinen Teils der Milchsäure, um die Rückverwandlung des Rests in Glycogen zu ermöglichen. Die Verbrennungswärme der Milchsäure, auf 1 g Säure in verdünnter wässeriger Lösung bezogen, beträgt 3602 cal. 1 g Glucose liefert 1 g Milchsäure. Um die Verbrennungswärme des Glycogens mit derjenigen der Milchsäure vergleichen zu können, muß man sie auf diejenige Menge Glycogen beziehen, die bei der Hydrolyse 1 g Glucose liefert; das sind 0,9 g. Die Verbrennungswärme von 0,9 g Glycogen bezogen auf die verdünnte wässerige Lösung beträgt 3782 cal. Bei der Bildung von 1 g Milchsäure aus Glycogen werden daher 3782—3602 = 180 cal. frei, d. h. nur etwa 5% der bei vollständiger Oxydation des Glycogens entwickelten Wärme.

Man kann demnach den Kohlehydratabbau im Muskel in zwei Phasen einteilen: eine anaerobe, während der Glycogen in Milchsäure zerfällt, und eine aerobe, während der ein Teil der gebildeten Milchsäure oxydiert und der Rest in Glycogen zurückverwandelt wird. Unter natürlichen Bedingungen während der Tätigkeit des Muskels sind die beiden Phasen natürlich nicht streng getrennt, sondern die beiden Vorgänge laufen nebeneinander her, weil ja der Muskel beständig mit 0 2 versorgt wird. Die Erholung des ermüdeten Muskels entspricht der zweiten Phase. *) Vgl. H i l l , Biochim. Biophys. Acta 4, 4 (1950). 2 ) Vgl. K r e b s u. F l e c k e n s t e i n , Nature 174, 1081 (1954); M o m m a e r t s , Naturel74, 1083 (1954).

Muskel- und Nervensystem

632

anaerob +

Glycogen

Milchsäure aerob

C02,H20 , T , , . total verschwundene Milchsäure . , ,, ^ Das Verhältnis •• wird M e y e r h o i - Q u o t i e n t oxydierte Milchsäure genannt. Für den Kaltblütermuskel h a t man einen durchschnittlichen Wert von etwa 4 gefunden; d. h. von 4 Molekülen Lactat werden eines oxydiert und drei zu Kohlehydrat resynthetisiert. Phosphokreatin

Plastizität Arbeitszyklus ADP - "y°sm +

ATP

Phosphat

anaerob

\

aerob

Glycogen

Glycoly tische Phosphorylierung

/ £ |

Hey er ho fzyklus

Milchsäure

anorg.

Oxydative Phosphorylierung -C02,H20

*02

Phosphat

Abb. 60. Schema des K o h l e h y d r a t s t o f f w e c h s e l s (Meyerhofcyklus) im Muskel. Siehe Text. — P bedeutet energiereiches Phosphat (vgl. S. 480).

Parallel mit der Resynthese des Kohlehydrats wird das Phosphokreatin zurückgebildet. Im lebenden Muskel in situ wird schließlich das oxydierte Kohlehydrat durch Glucosezufuhr von außen ergänzt. (Läßt man den Muskel sich anaerob erholen, so geht die Milchsäurebildung noch weiter, und gleichzeitig wird auf Kosten der Glycolyse Phosphokreatin resynthetisiert. Diese Reaktion weist einen geringen Wärmeüberschuß auf, der als „anaerobe Restitutionswärme" in Erscheinungftritt.) Die Restitutionsphase läßt sich natürlich nicht scharf gegen die initiale Phase abgrenzen; im arbeitenden Muskel laufen die energieverbrauchenden Reaktionen und die Restitutionsvorgänge nebeneinander her. Im Schema Abb. 60 wird versucht, die wichtigsten Vorgänge anschaulich zu machen.

Die Proteine des Muskels und die Muskelkontraktion

633

B. Die Proteine des Muskels und die Muskelkontraktion

Die Muskelfaser ist eine hochdifferenzierte Zelle. Sie ist von einer Hülle, dem Sarkolemm, umgeben, das neben dem undifferenzierten Sarkoplasma die in der Längsrichtung verlaufenden Myofibrillen, die eigentlichen kontraktilen Elemente der Faser, umschließt. In den quer gestreiften Fasern (z. B. Skelettmuskulatur), die viel rascher reagieren als die glatten, ist eine Segmentierung längs der Faserachse sichtbar; doppelbrechende A - B a n d e n (auch Q - B a n d e n oder Q - S c h e i b e n genannt) wechseln mit isotropen I - B a n d e n ab, welche durch die Z - L i n i e n unterteilt werden. Der Abschnitt zwischen zwei Z-Linien wird als S a r k o m e r e bezeichnet (siehe Abb. 61). Im gewöhnlichen Licht und im Phasenkontrastmikroskop erscheinen die ersteren dunkler als die letzteren; im Polarisationsmikroskop zwischen gekreuzten Nicols sind die A-Banden aufgehellt. Bei der Kontraktion werden die I-Banden kürzer; die Z-Linien rücken näher zusammen. 1-Bande

A-Bande

I-

Bande

H-Zone

z-linie •

z-Linie v

Sarkomere

Abb. 61. S c h e m a der q u e r g e s t r e i f t e n M u s k e l f a s e r .

Die Hauptmasse des Muskels besteht aus Eiweiß; daher liegt die Vermutung nahe, daß die Kontraktilität der Muskelfaser auf der Gegenwart besonderer Proteine beruht. Aus diesem Grunde haben sich die Physiologen schon seit langem mit den Muskeleiweißkörpern beschäftigt (grundlegende Untersuchungen von K ü h n e , H a l l i b u r t o n , v . F ü r t h u.a.). Ihre Erforschung hat gerade während der letzten Jahre einen neuen Aufschwung genommen und hat dank den Fortschritten der Eiweißchemie und der Anwendung moderner Methoden der Strukturforschung zu wichtigen Resultaten geführt. Wesentliche Kenntnisse verdankt man in neuerer Zeit H . H. W e b e r , E d s a l l , v. M u r a l t , A s t b u r y , S z e n t - G y ö r g y i u.a. 1 ). Aus dem zerkleinerten Muskel kann man durch Extraktion mit Salzlösungen und fraktionierte Fällung der Extrakte verschiedene Eiweißfraktionen gewinnen, die mit besonderen Namen belegt worden sind. Die wichtigsten sind 1. Albumine (Myogen), etwa 28%, 2. Globulin X, etwa 20%, 3. Myosin, etwa 4 0 % und 4. Tropomyosin, 2,5%. Außerdem sind noch völlig unlösliche Proteine vorhanden, die offenbar dem Stroma der Muskelfaser angehören. l ) Neuere Literatur vgl. z. B. Weber u. P o r t z e h l , Adv. Prot. Chem. 7, 161 (1952); Ergebn. Physiol. 47, 369 (1952); Weber, Conférences et Rapports, 3 m e Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 356. Liège 1956. S z e n t - G y ö r g y i : Chemistry of muscle contraction; New York 1951. Morales u. Mitarb., Physiol. Reviews 85, 475 (1955). P e r r y , Physiol. Reviews 86, 1 (1956).

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Muskel- und Nervensystem

Der wesentliche Baustoff der kontraktilen Myofibrillen ist das Myosin. Man kann es aus dem Muskel gewinnen, indem man bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion mit Salzlösungen (KCl) extrahiert und dann stark verdünnt. Das Myosin ist in sehr verdünnten Salzlösungen nur wenig löslich und fällt dabei aus. Es bildet in Neutralsalzen gelöst viskose Lösungen. Daß das Myosin das kontraktile Element der Muskelfaser darstellt, kann aus folgenden Tatsachen geschlossen werden: Myosinlösungen zeigen die Eigenschaft der „Strömungsdoppelbrechung" (v. Muralt und Edsall), ein Zeichen dafür, daß sie anisotrope Teilchen enthalten. Der Vergleich der Doppelbrechung von Myosinfäden (die man sich durch Injektion von Myosinlösungen in Wasser herstellen kann) mit der Doppelbrechung der Muskelfaser ergibt für die letztere den richtigen Myosingehalt der Faser (etwa 40%), wenn man annimmt, daß die Doppelbrechung der Faser einzig dem Myosin zuzuschreiben ist (H. H. Weber). Schließlich hat die vergleichende röntgenoptische Untersuchung von Muskelfasern und Myosinfilmen ergeben, daß ihnen die gleiche Feinstruktur zukommt (Astbury). Damit ist zunächst bewiesen, daß das Myosin mit dem doppelbrechenden Element der Muskeln identisch ist. Der enge Zusammenhang zwischen Kontraktion und Doppelbrechung (v. Muralt) läßt weiter den Schluß zu, daß das Myosin auch dem kontraktilen Element gleichzusetzen ist.

Neuere Untersuchungen von S z e n t - G y ö r g y i und seiner Schule haben zur Entdeckung eines weiteren Proteins geführt, welches den Namen Actin erhielt. Es verbindet sich mit dem Myosin r e v e r s i b e l zu einem Komplex, dem Actomyosin, ein Vorgang, der wahrscheinlich für die Kontraktion der Muskelfibrille von Bedeutung ist. (Das kristallisierte Myosin S z e n t - G y ö r g y i s ist identisch mit dem „L-Myosin", das Actomyosin mit dem „S-Myosin" H . H . W e b e r s . ) Die Löslichkeitseigenschaften der beiden Komponenten sind von denjenigen ihrer Verbindung sehr verschieden. Das Actin hat die merkwürdige Eigenschaft, daß es in zwei Formen auftritt, die reversibel ineinander übergehen, einer sog. G-Form mit kugelförmigen Molekülen (G = globulär) und einer F-Form (F = fibrillär), die langgestreckte, Stäbchen- oder fadenförmige Moleküle bildet, welche bei Zusatz von KCl oder Erniedrigung des pH -Wertes aus den ersteren durch lineare Aggregation hervorgehen. Die Umwandlung ist an den Eigenschaften der Lösungen (Viskosität, Strömungsdoppelbrechung) zu erkennen und kann im Elektronenmikroskop direkt verfolgt werden. Wahrscheinlich spielt auch diese Umwandlung bei der Kontraktion eine Rolle. Das Actomyosin ist eine Verbindung des Myosins mit der fibrillären Form des Actins.

Die interessanteste Eigenschaft des Actomyosins ist sein Verhalten gegen das Adenosintriphosphat. Bei Zusatz von ATP zu L ö s u n g e n des Actomyosins von geeigneter Ionenstärke nimmt deren Viskosität, Strömungsdoppelbrechung und Lichtzerstreuung ab. Das ATP bewirkt sehr wahrscheinlich eine Spaltung in die Komponenten Myosin und Actin. Ganz andersartig ist die Einwirkung von ATP auf A c t o m y o s i n g e l e oder - f i b r i l l e n . Wie S z e n t - G y ö r g y i , H. H. W e b e r u. a. gezeigt haben, verkürzen sich in geeigneter Weise aus Actomyosin hergestellte Fäden, wenn man ATP zusetzt, wobei Spannung entwickelt wird. Das ATP bewirkt also auf eine noch nicht genauer definierbare]! Weise eine Zustandsänderung des Actomyosins. Verschiedene Autoren haben zunächst bezweifelt, ob sich dieser Vorgang mit der Muskelkontraktion vergleichen läßt. Auf Grund der heutigen Kenntnisse kann man aber mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß der elementare Prozeß bei der Verkürzung der Muskelfibrillen und der künstlichen Myosinfäden der gleiche ist. Man kann andererseits aus Muskeln durch Extraktion mit Glycerin Präparate herstellen, bei denen die löslichen Proteine (das Sarkoplasma, das die löslichen Enzyme enthält) zum größten Teil ausgewaschen sind und die nur noch den kontraktilen Apparat der Muskelfasern (im wesentlichen das Actomyosin) enthalten (H. H.

Die Proteine des Muskels und die Muskelkontraktion

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W e b e r und Mitarb.). Wie die künstlichen Actomyosinfäden verkürzen sie sich bei Zusatz von ATP. Die maximale Spannung, welche die mit Glycerin extrahierten Muskelfasern entwickeln, ist etwa so groß wie beim natürlichen Muskel (4 kg pro cm2 Querschnitt). Bei den künstlichen Actomyosinfäden ist sie wesentlich geringer (0,2—0,3 kg/cm2).

Diese Systeme sind in den letzten Jahren eingehend untersucht worden 1 ). Wir können hier aber auf die Einzelheiten dieses weitverzweigten Forschungsgebiets nicht eingehen, sondern müssen uns mit wenigen Hinweisen begnügen. Die übrigen Eiweißfraktionen des Muskels sind weniger gut erforscht. Die „Myogenfraktion" enthält die löslichen Fermente des Muskels. Über die Bedeutung des „Globulins X " ist nichts bekannt. Das Tropomyosin ist als kristallisiertes Protein dargestellt worden (Bailey) 2 ). Die Kristalle, die stark hydratisiert sind und nur etwa 10% Protein enthalten, sind stark doppelbrechend. Es bildet viskose Lösungen. Die Zusammensetzung aus Aminosäuren gleicht derjenigen des Myosins. Es zeigt auch ein ähnliches Röntgendiagramm. Das Tropomyosin ist sehr wahrscheinlich ein Bestandteil der Myofibrillen; es macht dort etwa 4% der Gesamtproteine aus 3 ); doch ist über seine besonderen Funktionen nichts bekannt. Andere fibrilläre Muskelproteine wie das P a r a m y o s i n von B e a r 4 ) aus Mollusken und d a s N u c l e o t r o p o m y o s i n von H a m o i r 5 ) können wir hier nur gerade erwähnen. Im „Myogen" scheinen die Fermentproteine einen wesentlichen Anteil auszumachen. Im Kaninchenmuskel fanden B ü c h e r und Mitarb. folgenden Gehalt an Enzymen (bezogen auf die Menge der löslichen Proteine): Aldolase 9,6%, Glycerophosphatdehydrase 0,8%, Milch säuredehydrase 3,1%, Phosphoglyceroaldehyddehydrase 22,6% (Wert etwas unsicher), Pyruvat-Kinase 4,4%. Schon diese Fermente machen etwa 40% der gesamten löslichen Muskeleiweißkörper aus®).

Ein physiologisch wichtiges Protein des Muskels ist ferner das Myoglobin (vgl. S. 586). Es ist ein dem Hämoglobin sehr ähnliches Atmungspigment, welches ebenfalls Sauerstoff reversibel zu binden vermag, aber zu ihm eine bedeutend größere Affinität besitzt als das Hämoglobin. Auch bei Sauerstoffspannung des venösen Blutes ist das Myoglobin noch zu 95% gesättigt. Das Oxymyoglobin stellt demnach eine lokale Sauerstoffreserve des Muskels dar, die den Sauerstoff erst bei tiefer Partialspannung abgibt. Die Natur des Kontraktionsvorganges und der Mechanismus, durch welchen die chemische Energie in mechanische Arbeit umgesetzt wird, sind noch keineswegs aufgeklärt. Der nervöse Reiz löst in den Muskelfasern eine Zustandsänderung aus, die zur Entwicklung einer Spannung und zur Verkürzung führt. In der nachfolgenden Relaxationsphase hört der Spannungszustand auf, und die Fasern können p a s s i v wieder auf ihre ursprüngliche Länge gedehnt werden (vgl. S. 629). Eine physiologisch sehr bedeutsame Eigenschaft des Muskels besteht darin, daß er im ruhenden (nicht gereizten) Zustand eine sehr verschiedene Länge haben und bei Eintreffen eines Reizes jedesmal ohne Änderung der Latenzzeit Spannung entwickeln kann (Hill). Diese Eigenschaft muß ihren Grund im molekularen Bau der kontraktilen Elemente haben. ') Literatur siehe Fußnote *), S. 633. ) B a i l e y , Nature 157, 368 (1946); Biochem. J. 43, 271 (1948). 3 ) P e r r y , Biochem. J. 55, 114 (1953). 4 ) J. Am. ehem. Soc. 66, 2043 (1944); S c h m i d t u. Mitarb., Ann. N. Y. Acad. Sei. 47, 799 (1947). 5 ) Biochem. J. 48, 146 (1951). Zachr. Naturforschg. 8b, 555 (1953). 2

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Die Verkürzung der Muskelfasern muß letzten Endes in einer veränderten Anordnung oder Faltung der Actin- und Myosinfibrillen beruhen. Die Elektronen mikroskopie zeigt, daß in den quergestreiften Muskelfasern Fibrillen durch die isotropen und anisotropen Scheiben kontinuierlich durchlaufen. Die Röntgenanalyse (Faserdiagramm) des Muskels zeigt, daß das Myosin im wesentlichen in der gefalteten «-Konfiguration vorliegt wie das «-Keratin (vgl. S. 96). Ferner läßt der Vergleich der Faserdiagramme des Muskels (Frosch-Sartorius) mit denjenigen des Myosins und des fibrillären Actins erkennen, daß im Muskel der Faserachse parallel verlaufende Fibrillen von Myosin und F-Actin vorhanden sind (Astbury u. a. 1 )). A s t b u r y nimmt an, daß das Myosin bei der Kontraktion in einen Zustand starker Faltung (sog. Superkontraktion) übergeht, wie sie auch bei anderen fibrillären Proteinen bekannt ist. Dabei lagert es sich gleichzeitig an die Fibrillen des F-Actins an 2 ). Dieser Vorgang ist schematisch in Abb. 62 dargestellt. Dieses Schema könnte auch die bei der Kontraktion eintretende Änderung der Konsistenz des Muskels verständlich machen, der von einem halbflüssigen plastischen Zustand in einen halbfesten übergeht („eiserne" Muskeln!). Der regelmäßige, fast kristalline Bau, der durch die Aneinanderlagerung der Strukturelemente im kontrahierten Zustand zustande kommt (Abb. 62 unten), muß zu einer beträchtlichen Verfestigung der Struktur führen. Dooh können alle derartigen detaillierten Vorstellungen über die Änderung der inneren Architektur des kontraktilen Systems beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse nur hypothetischen Charakter haben. Für das Verständnis des Kontraktionsvorganges ist die Tatsache von Bedeutung, daß das Myosinmolekül sehr reich ist an ionisierten Gruppen. Pro Liter Muskel sind im Myosin total (positive -f negative Ladungen) etwa 0,7—0,8 Äquivalente ionisierte Gruppen vorhanden; das ist die gleiche Größenordnung wie diejenige der freien Ionen im Muskel. In einem solchen System können schon geringe Änderungen der Ionenstärke bedeutende Änderungen der molaren freien Energie der Proteine bewirken. Bei Proteinen, bei welchen eine Änderung der molekularen Konfiguration möglich ist (Faltung der Peptidketten usw.), ergibt sich daraus die Möglichkeit von Formänderungen unter Arbeitsleistung ( E d s a l l ) . Schon früher hat K. H. M e y e r eine Theorie der Muskelkontraktion aufgestellt, in welcher die Kontraktion durch elektrostatische Anziehung zwischen entgegengesetzt geladenen Gruppen und die Relaxation durch Verminderung der Ionisation dieser Gruppen erklärt wurden.

In jüngster Zeit sind H a n s o n und H u x l e y durch Kombination der Resultate verschiedener Methoden (Phasenkontrast- und Elektronenmikroskopie, Faserdiagramme) zu ziemlich detaillierten Vorstellungen über den Aufbau der Muskelfibrille und den Kontraktionsvorgang gelangt, die allerdings mit anderen elektronenmikroskopischen Befunden ( S j ö s t r a n d ) nicht ohne weiteres vereinbar zu sein scheinen. Die Untersuchungen von H a n s o n und H u x l e y haben zum folgenden Bild des Faseraufbaus geführt, das wir z. T. mit den eigenen Worten der genannten Autoren wiedergeben3): Der quergestreifte Muskel ist aus zwei Arten parallel verlaufender Filamente aufgebaut, von denen die einen aus Myosin, die anderen aus Actin bestehen. Die Myosinfilamente sind auf die A-Banden beschränkt; sie sind im Querschnitt nach einem hexagonalen Muster angeordnet. Die Actinfilamente erstrecken sich von den Z-Linien durch die I-Banden und die A-Banden bis an den Rand der H-Zone. Die letztere wird durch feine, dehnbare Fäden aus einem unbekannten Material (sog. „S-Filamente") überbrückt, welche die Enden der von beiden Seiten kommenden Actinfilamente miteinander verbinden (vgl. Abb. 63). In der H-Zone sind die S-Filamente wahrscheinlich dauernd durch Querverbindungen mit den Myosinfilamenten verknüpft. !) Nature 160, 388 (1949); Proc. Roy. Soc., London, Serie B, 187, 58 (1950). ) A s t b u r y , Proc. Roy Soc., London, Serie B, 137, 60 (1950). ) H a n s o n u. H u x l e y : The structural basis of oontraction in striated muscie; in: Symposia for Exp. Biol., No. 9, Fibrous proteins and their biological significance, 1955, S. 228. a

s

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Wird der erschlaffte (weiche) Muskel gedehnt, so werden die Actinfilamente z. T. aus den A-Banden herausgezogen unter Verbreiterung der H-Zone (Streckung der S-Filamente). Wir werden weiter unten zeigen, daß durch Auswaschen des ATP, das als „Weichmacher" wirkt, der Muskel in einen Zustand der Starre gebracht werden kann. Wenn diese starre Muskelfaser gestreckt wird, so werden die Actinfilamente nicht aus den A-Banden herausgezogen; die Dehnung erfolgt vielmehr an den Z-Linien. In diesem Zustand, d. h. beim Fehlen von ATP, bestehen offenbar Querverbindungen zwischen den Actin- und Mvosinfilamenten; es hat sich m. a. W. der A c t o m y o s i n k o m p l e x gebildet. Ein ähnlicher Vorgang spielt sich offenbar auch bei der Kontraktion ab.

G -Actìn

ìarMyosin u/id möglicherweise etwas * ß-Myosin

superkontrahiertes 3 Myosin

kontrahiert Abb. 62. S c h e m a der M u s k e l k o n t r a k t i o n (naoh A s t b u r y ) . Oben: entspannter Muskel; unten: kontrahierter Muskel. Erklärung siehe Text. Bei der Kontraktion werden die Actinfilamente in die A-Banden hineingezogen, wobei zunächst ihre Länge noch gleichbleibt, aber die H-Zone aufgefüllt wird. Erst dann beginnen sich die Actinfäden unter Bildung von Kontraktionswülsten zu verkürzen, bis schließlich die Z-Linien die A-Banden berühren und die I-Banden völlig verschwunden sind. Die A-Banden behalten ihre Länge bei. Die Kontraktion der Muskelfaser besteht nach den obigen Darlegungen in einem Hineinsaugen der Actin-

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filamente in die A-Banden, wobei die letzteren den Myosinfäden entlanggleiten. Da offenbar die Bindungsstellen, an denen Querverbindungen zwischen den Actin- und Myosinfäden entstehen können, regelmäßig längs der Filamente verteilt sind, kann man annehmen, daß die Kontraktion schrittweise vor sich geht, wobei die Actinfilamente jedesmal um die Länge einer solchen Periode vorrücken. H a n son und H u x l e y haben diese Vorstellung weiter ausgebaut; wir können aber darauf nicht I-Bande 2-Unie

-A-Bande

m

-

-I-Bande z-Li ni e

S-FHament

B

Abb.63. S c h e m a der S t r u k t u r einer S a r k o m e r e i n verschiedenenVerkürzungszuständen (nach H a n s o n u. H u x l e y ) . a = Actinfilament, m = Myosinfilament. I: Ruhender Muskel; II: auf 90% verkürzter Muskel; III: auf 80% verkürzter Muskel (Ausbildung von Kontraktionswülsten). Die Veränderung der Dicke der Filamente bei der Verkürzung ist nicht berücksichtigt.

näher eingehen. Der wesentlich neue Gedanke liegt darin, daß dank der besonderen Anordnung der Actin- und Myosinfibrillen eine Kontraktion der Faser stattfinden kann, ohne daß dabei Fibrillen selbst sich verkürzen, wie dies sonst allgemein angenommen wird. Die obigen Darlegungen über Struktur und Kontraktionsvorgang beziehen sich auf den quergestreiften Skelettmuskel. Derselbe ist ein sehr weitgehend spezialisiertes Organ, das besonders für sehr schnelle Kontraktionen geschaffen ist und wahrscheinlich gegenüber anderen kontraktilen Organen, glatte Muskulatur, Zilien usw.,

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Besonderheiten aufweist. Man kann aber annehmen, daß die elementaren Prozesse der Kontraktilität überall die gleichen sind. Wie müssen im folgenden noch auf ein weiteres Problem etwas eingehender zu sprechen kommen, nämlich die B e z i e h u n g e n d e s A d e n o s i n t r i p h o s p h a t s z u r M u s k e l k o n t r a k t i o n , auf die wir einleitend bereits hingewiesen haben. Über die fundamentalen Vorgänge, die der Verkürzung der Muskelfaser zugrunde liegen und über die Rolle des ATP läßt sich noch nichts Abschließendes sagen. Immerhin hat das Studium der vereinfachten kontraktilen Systeme, der glycerinextrahierten Muskelfasern und der Actomyosinfäden (im folgenden einfach „Faser-" und ,,Faden modell" genannt) viele neue Einblicke in die Vorgänge gewährt. Wir müssen zwei verschiedene Wirkungen des ATP auf die Muskelmodelle unterscheiden : 1. Es bringt das Faser- wie das Fadenniodell, wie oben schon erwähnt, zur Kontraktion. 2. Es beeinflußt die e l a s t i s c h e n E i g e n s c h a f t e n des Muskels in dem Sinne, daß es ihn weicher und dehnbarer macht (H. H. W e b e r ) . Ohne ATP ist er starr und nur wenig dehnbar. Zusatz von ATP setzt den Elastizitätsmodul auf etwa 1 / 10 herab 1 ). Die Faser kann nun um 50—100% ihrer Länge gestreckt werden ohne zu zerreißen (,,Weichmacher"-Wirkung des ATP). Gleiche Wirkung wie das ATP. wenn auch eine viel schwächere, haben anorganische Polyphosphate. Man nimmt an, daß sich beim Fehlen des ATP Myosin und Actin zum Actomyosinkomplex vereinigen; die Struktur des kontraktilen Systems der Faser wird dadurch versteift. Das ATP verhindert wahrscheinlich die Zusammenlagerung der beiden Proteine, indem es die Bindungsstellen blockiert. Die dissoziierende Wirkung des ATP auf gelöstes Actomyosin, von der oben die Rede war, beruht offenbar auf demselben Mechanismus. Eines der zentralen Probleme der Muskelphysiologie ist die Beziehung des ATP zum Kontraktionsvorgang. Es stellen sich hier eine Reihe von Fragen, die heute nur zum Teil gelöst sind. Für einen direkten Zusammenhang zwischen Verkürzung und ATP-Spaltung (Abspaltung der endständigen Phosphatgruppe) spricht die Tatsache, daß die kontrahierende Wirkung des ATP auf das Faden- oder Fasermodell verschwindet, wenn die Fermentaktivität des Myosins blockiert wird. Die ,,Weichmacher"-Wirkung bleibt dabei erhalten. Die ATP-ase-Wirkung des Myosins hängt von SH-Gruppen ab und kann daher durch SH-Reagenzien gehemmt werden. Dementsprechend bringt Salyrgan (eine organische HgVerbindung, welche mit SH-Gruppen reagiert) den durch ATP kontrahierten Muskel zum Erschlaffen. Cystein hebt die Salyrganwirkung auf (Portzehl) 2 ). Demnach scheint die Verkürzung des kontraktilen Systems nur dann einzutreten, wenn gleichzeitig das ATP durch die Myosin-ATP-ase gespalten werden kann. Außer dem ATP werden durch Myosin auch die Triphosphate des Inosins und des Uridins hydrolysiert; diese Stoffe bringen wie das ATP das Fasermodell zur Kontraktion 3 ). Auch dies deutet darauf hin, daß wahrscheinlich nur solche Nucleotide Kontraktionswirkung zeigen, welche durch das Myosin gespalten werden können4). 1

) Elastizitätsmodul E = — : —— , wobei Z/ Q = Zugkraft pro Einheit des Querschnitts, V L AL/L = relative Längenänderung bedeutet. 2 ) Zschr. Naturforschg. 7 b, 1 (1952). 3 ) R a n n e y , Am. J. Physiol. 178, 517 (1954); Science 122, 642 (1955). 4 ) Über ein Kontraktionsmodell, das den Zusammenhang zwischen Verkürzung und ATPSpaltung verständlich machen soll, vgl. W e b e r , Conférences et Rapports, 3™« Congrès In ternat. de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 362; Liège 1956.

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Für den Kontraktionsvorgang sind die zweiwertigen Kationen, besonders das Magnesiumion, von Bedeutung. Das ATP wie auch die übrigen Triphosphate wirken nur bei Gegenwart von Mg + +. Wird dasselbe durch Auswaschen mit Komplexbildnern vollständig entfernt, so gehen sowohl die Fermentaktivität als auch die Fähigkeit der Actomyosinfibrillen, sich bei ATP-Zusatz zu verkürzen, vollständig verloren. Magnesium stellt diese Eigenschaften wieder her. Möglicherweise werden bei der Reizung des Muskels die Magnesiumionen von einem Speicherort in der Faser nach ihrem Wirkungsort verschoben und lösen dadurch die Kontraktion aus 1 ). In diesem Zusammenhang muß eine Eigenschaft des ATP und der übrigen Xueleosulpolyphosphate erwähnt werden, auf die vor allem R a a f l a u b aufmerksam gemacht hat; es ist ihre Fähigkeit, mit zweiwertigen Metallen (Mg + + , Ca + + ) Komplexe (Chelate) zu bilden 2 ). Wir haben erwähnt, daß nicht nur das ATP selbst, sondern auch andere Komplexbildner (Pyrophosphat, Triphosphat, ADP) im Muskel als „Weichmacher" wirken. Die Erhöhung der Elastizität, die unter der Einwirkung dieser Stoffe zustande kommt, scheint demnach ein komplexchemischer Vorgang zu sein, an welchem zweiwertige Metalle beteiligt sind. Damit stimmt auch die Beobachtung überein, daß die Erschlaffung der Paser bei Zusatz von Pyrophosphat nicht eintritt, wenn vorher das Mg + + durch Äthylendiamintetraacetat vollständig ausgewaschen wurde3). Es ist denkbar, daß bei der Kontraktion der Actomyosinfibrillen das ATP auch in seiner Eigenschaft als Chelatbildner eine Rolle spielt (die verschieden ist von seiner Punktion als Substrat der Myosin-ATP-ase). Man wird aber darüber nichts Sicheres sagen können, ehe die Natur des Verkürzungsvorganges selbst genauer bekannt ist. Es sind über die Rolle des Magnesiums bei der Bindung des Actins und des ATP an das Myosin etwas detailliertere Vorstellungen entwickelt worden, auf die wir aber nicht eingehen können 4 ).

In enger Beziehung zur Funktion des ATP im Muskel scheinen auch die sog. „ E r s c h l a f f u n g s f a k t o r e n " (relaxationfactors, M a r s h - B e n d a l l - f a c t o r ) zustehen. Diese Stoffe sind in Muskelextrakten nachgewiesen worden. Sie bringen das durch ATP kontrahierte Fasermodell zur Erschlaffung. Ein wesentlicher Bestandteil scheint Myokinase zu sein 5 ); außerdem hat man aus aktiven Extrakten Kreatinkinase (vgl. S. 630) isoliert 6 ). Auf welche Weise diese Enzyme in das kontraktile System der Muskelfasern eingreifen, ist aber nicht genau bekannt. Wir können die zur Erklärung ihrer Wirkung aufgestellten Hypothesen hier nicht diskutieren, sondern müssen auf die Originalliteratur verweisen 7 ). Die oben skizzierte Auffassung über die Rolle des ATP bei der Muskelkontraktion beruht auf den beiden Annahmen, 1. daß die Muskelarbeit auf Kosten der Hydrolyse einer „energiereichen" Phosphatbindung des ATP geleistet wird und, 2. daß die V e r k ü r z u n g des kontraktilen Systems mit der ATP-Spaltung gekoppelt ist, also den thermodynamisch unfreiwilligen Teil des Arbeitscyklus darstellt. Es wäre aber auch denkbar, daß die Spaltung des ATP mit der Relaxation der Faser verknüpft ist. Die erschlaffte Faser wäre dann mit einer gespannten Feder vergleichbar, die sich spontan unter Arbeitsleistung verkürzen kann. In diesem Fall wäre die E r s c h l a f f u n g der thermodynamisch unfreiwillige Teil des Arbeitscyklus. (Die beiden Möglichkeiten werden in der angelsächsischen Literatur als ,,pree n e r g i z a t i o n " und „ p o s t e n e r g i z a t i o n " unterschieden.) Um die Frage, in welcher Phase des Arbeitscyklus die chemische Energie auf das kontraktile System !) Vgl. W e b e r , Ergebn. Physiol. 47, 402 (1952). a ) R a a f l a u b , Helv. Physiol. Acta 14, 304 (1956). 3 ) B o z l e r , J. gen. Physiol. 88, 53 (1954). 4 ) Vgl. P e r r y , Physiol. Reviews 86, 1 (1956). 5 ) B e n d a l l , Nature 178, 548 (1954). ') G o o d a l l u. S z e n t - G y ö r g y i , Nature 172, 84 (1953). ') Übersicht vgl. F e i g e n , Ann. Rev. Physiol. 18, 93 (1956); P e r r y , Physiol. Reviews 86, 1 (1956).

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überfließt, sicher entscheiden zu können, müßten wir genauer wissen, wie das letztere arbeitet. Die meisten heute bekannten Tatsachen, insbesondere die Beobachtungen an den Muskelmodellen, sind jedoch besser verständlich, wenn man annimmt, daß es die K o n t r a k t i o n ist, die unmittelbar mit dem Ablauf der energieliefernden Vorgänge verknüpft ist. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Frage sind vor allem auch die Resultate der physikalischen Messungen am Muskel von großer Bedeutung: der Verlauf der Wärmebildung und die Änderung der mechanischen Eigenschaften während des Arbeitscyklus. Bei der Reizung geht der Muskel schlagartig in einen „ a k t i v e n " Z u s t a n d über. Noch bevor er sich zu kontrahieren beginnt, setzt die Wärmebildung ein (Aktivierungswärme, vgl. S. 628). Die Spannung schnellt auf ihren Maximalwert hinauf. Offenbar geht das kontraktile System in dieser ersten Phase der Aktivität durch nicht genauer definierbare Veränderungen seiner inneren Architektur in einen Spannungszustand über, der dann zur Verkürzung führt. Die Aktivierungswärme ist offenbar der Wärmeüberschuß der chemischen Reaktionen, welche diese Veränderungen einleiten. Es ist daher auch wahrscheinlicher, daß die Umsetzung der chemischen in potentielle mechanische Energie im Verlauf dieser ersten Phase erfolgt als während der Relaxation der Faser, die von keiner Wärmebildung begleitet ist (vgl. S. 628). Es wäre schwer verständlich, worin der geschilderte ,,aktive" Zustand des Muskels bestehen könnte, wenn die kontraktilen Elemente der ruhenden Faser schon energetisch aufgeladen und aktionsbereit wären und der Reiz nur eine Sperrung ausklinken müßte. Auf die Frage, wie im Muskel die nervöse Erregung auf die Myofibrillen übertragen wird, können wir nicht näher eingehen. Wir erinnern daran, daß an den nervösen Endapparaten (motorische Endplatten) A c e t y l c h o l i n freigesetzt wird. Damit ist eine Depolarisation der Membran, der Austritt von Kalium- und das Eindringen von Natriumionen verbunden (vgl. S. 645). Man nahm früher allgemein an, daß der Ablauf des Arbeitscyklus vom Erregungsvorgang an der Oberfläche der Faser, der ihn auslöst, völlig unabhängig sei. Neuere Versuche haben jedoch gezeigt, daß diese Vorstellung nicht zutrifft. Bei Gegenwart gewisser fremder Anionen, besonders von N i t r a t i o n e n , wird sowohl die maximale Spannung als auch die Dauer der Zuckung stark erhöht. Der „aktive" Zustand des Muskels wird ako verstärkt und verlängert. Man kann beweisen, daß es sich dabei nicht um einen direkten Einfluß der Ionen auf das kontraktile System handelt, weil sich der Effekt viel rascher einstellt, als die Ionen ins Innere der Muskelfasern einzudringen vermögen 1 ). Es muß daraus geschlossen werden, daß eine Zustandsänderung an der Oberfläche der Faser, welche durch das fremde Ion hervorgerufen wird, die Vorgänge im kontraktilen System beeinflussen kann. Worin die Wirkung der Nitrationen besteht und wie sie sich bis zu den Myofibrillen fortpflanzt, ist noch unbekannt. DieBedeutung dieser Befunde liegt darin, daß sie einen viel engeren Zusammenhang zwisohen Erregung und Kontraktionsvorgang aufdecken, als man auf Grund der bisherigen Vorstellung einer einfachen Auslösung angenommen hatte.

Wie wir oben bereits erwähnt haben (S. 631), wird die Auffassung, daß mit dem Arbeitscyklus eine Spaltung von ATP verknüpft ist, nicht von allen Autoren geteilt. Der Grund liegt darin, daß sich im lebenden Muskel eine ATP-Spaltung nie mit Sicherheit hat nachweisen lassen, es sei denn unter unphysiologischen Bedingungen. Derartige Versuche sind in letzter Zeit vor allem von F l e c k e n s t e i n durchgeführt worden 2 ). Es eignen sich dazu besonders langsam reagierende Muskeln bei tiefer Temperatur, weil dann K a h n u. S a n d o w , Science 112, 647 (1950); H i l l u. M a c p h e r s o n , Proc. Roy. Soc., London, Serie B, 148, 81 (1954/55). ') F l e c k e n s t e i n u. Mitarb., Pflügers Arch. 259, 246 (1954); Nature 174,1081 (1954). Übersicht vgl. F l e c k e n s t e i n in: Ergebn. der med. Grundlagenforschung. Bd. 1, S.259; Stuttgart 1955. F l e c k e n s t e i n : Der K-Na-Austausch als Energieprinzip in Muskel u. Nerv; Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955. M o m m a e r t s , Nature 174, 1083 (1954).

41 Leuthardt, Lehrbuch. 13. Aufl.

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Muskel- und Nervensystem

der Prozeß (durch Einfrieren in flüssiger Luft) in einer bestimmten Phase unterbrochen werden k a n n und die Restitutionsprozesse langsam verlaufen. Es zeigt sich, daß unter diesen Bedingungen, nach direkter elektrischer Reizung, der Muskel sich unter Arbeitsleistung kontrahieren kann, ohne daß gleichzeitig A T P und Kreatinphosphat gegenüber dem nicht gereizten Kontrollmuskel merklich abnehmen. Allerdings scheint trotzdem anorganisches Phosphat aus einer noch unbekannten Quelle freigesetzt zu werden. Diese Befunde lassen sich auf zwei Arten d e u t e n : Entweder k a n n das A T P außer durch die L o h m a n n s c h e Reaktion noch auf anderem Wege regeneriert werden oder die Muskelkontraktion schöpft die Energie aus einer vom A T P unabhängigen Quelle. F l e c k e n s t e i n h a t die Theorie entwickelt, daß der Muskel die Differenz der Ionenkonzentration zwischen dem Inneren der Faser und der Umgebung zur Arbeitsleistung ausnutzt, daß die Kontraktionsarbeit also o s m o t i s c h e n Ursprungs ist. Während der Restitution würde das Konzentrationsgefälle unter Aufwand chemischer Energie wieder hergestellt 1 ).

Wir haben schon früher auf die ungleiche Ionenverteilung zwischen dem Inneren der Muskelfaser und der umgebenden Flüssigkeit hingewiesen; die erstere enthält einen Überschuß an Kalium-, die letztere einen Überschuß an Natriumionen. (Das Verhältnis K+ innen : K+ außen hat bei den Skelettmuskeln der Wirbeltiere den Wert 20 bis 40.) Es ist eine schon seit längerer Zeit bekannte Tatsache, daß bei der Muskelkontraktion Kalium aus dem Muskel austritt und gegen Natrium ausgetauscht wird2). In besonders schöner Weise läßt sich der K+-Austritt nachweisen, wenn der Muskel zuerst mit radioaktivem K 4 2 beladen wird3). Ebenso läßt sich nachweisen, daß während der Erholungsphase Kaliumionen vom Muskel wieder aufgenommen und Natriumionen eliminiert werden. Dieser Prozeß ist vom Stoffwechsel abhängig; mit der Wiederherstellung des ursprünglichen Ionen-Ungleichgewichts ist die Repolarisation der Membran verbunden (vgl. den Abschnitt über die Nerven S. 645). Nach F l e c k e n s t e i n ist die K o n t r a k t i o n eine unmittelbare Folge des bei Erregung eintretenden Ionenausgleiches und der Depolarisation der Membran; die unter Energieaufwand verlaufende Wiederaufladung der „ K a l i u m b a t t e r i e " und die damit verbundene Repolarisation der Membran würde das kontraktile System in den erschlafften arbeitsbereiten Zustand zurückführen. Nach dieser Auffassung ist die Resynthese des A T P und des Phosphokreatins ein Glied in der K e t t e der R e s t i t u t i o n s v o r g ä n g e : Atmung, Glycolyse • ATP, Kreatinphosphat • K + - S t a p e l u n g , Na+-Elimination >• Regeneration des Ruhepotentials. Die Annahme, daß K o n t r a k t i o n und Erschlaffung der Muskelfaser in so enger Weise von der Membranpolarisation abhängig sind, ist mit den Erfahrungen an den Faden- und Fasermodellen nicht ohne weiteres vereinbar. Dieselben können den ganzen Arbeitscyklus durchlaufen, trotzdem sie nur noch das kontraktile System der Muskelfaser oder sogar n u r das ausgerichtete kontraktile Protein enthalten. Die glycerinextrahierten Fasern enthalten kein K + , und die K o n t r a k t i o n kann auch im K +-freien Milieu ablaufen 4 ). E s ist daher wenig wahrscheinlich, daß das Kaliumion in unmittelbarer Beziehung zum Kontraktionsvorgang steht. Nachdem sich aber gezeigt hat, daß der Erregungsprozeß an der Faseroberfläche den kontraktilen Prozeß im Inneren der Faser beeinflussen kann, d ü r f t e die von F l e c k e n s t e i n hervorgehobene enge Beziehung zwischen der Ionenverteilung an der Membran und dem Kontraktionszustand der Faser auch auf andere Weise erklärbar sein. Die Versuche über die K o n t r a k t i o n ohne ATP-Spaltung weisen schließlich darauf hin, daß möglicherweise im intakten Muskel bisher noch unbekannte Systeme am Kontraktionsvorgang beteiligt sind. Die unmittelbare Wirkung des A T P auf das Faden- und Fasermodell machen es allerdings schwierig, ein weiteres chemisches System anzunehmen, das zwischen das A T P und die kontraktilen Elemente eingeschaltet wäre. Dasselbe müßte denn sehr fest mit dem kontraktilen System verbunden sein oder ü b e r h a u p t einen Teil desselben ausmachen.

Die vorstehenden Ausführungen zeigen zur Genüge, daß es heute noch nicht möglich ist, die zahlreichen, im Laufe der letzten Jahre erworbenen Erkenntnisse über die Funktion des Muskels zu einem einheitlichen Bild zu vereinigen. Das Faszinierende x ) Nerv. 2 ) 3 ) 4 )

F l e c k e n s t e i n : Der Kalium-Natriumaustausch als Energieprinzip in Muskel und Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955. E r n s t u. S c h e f f e r t , Pflügers Arch. 220, 655 (1928). O ' B r i e n u. W i l d e , Science 116, 193 (1952). W e b e r , Ergebn. Physiol. 47, 402 (1952).

Der Kreatinstoffwechsel

643

an den Problemen der Muskelphysiologie liegt darin, daß sie, wie kaum ein anderes heute zugängliches Gebiet, die enge Verbindung von physikalischer Funktion, molekularer Architektur und biochemischen Umsetzungen zeigen. Die Zusammensetzung des Muskels. Feste Stoffe 22—28%, davon organische 20—26%. Unter den Mineralstoffen hauptsächlich Phosphat, Kalium, Calcium, Magnesium; Proteine 17—20%. Unter den organischen Stoffen ist der variabelste das Glycogen, das bis etwa 4% ansteigen kann. Die sog. E x t r a k t i v s t o f f e des Muskels umfassen eine Reihe niedrigmolekularer organischer Verbindungen, die man dem Muskel durch Kochen mit Wasser entziehen kann. Zu den wichtigsten gehören Kreatin (etwa 0,4%), Inosinsäure, Carnosin (etwa 0,2%), Carnitin, Inosit u. a. m. Über die Bedeutung des Kreatins als Phosphatakzeptor haben wir oben gesprochen. Inosinsäure entsteht durch Desaminierung der Adenylsäure. Merkwürdig ist das Vorkommen verschiedener Betaine, so des oben genannten Carnitins: (CH3)3N • CH2 • CH • CH2 • c o o OH das wahrscheinlich durch Decarboxylierung der Glutaminsäure über die y-Aminobuttersäure entsteht. Wir haben früher schon das aus dem Ornithin sich ableitende Myokinin erwähnt. Das Carnosin ist das Histidyl-/3-Alanin (siehe S. 405). Im Vogelmuskel (Gans) kommt die entsprechende Methyl Verbindung, das Anserin, vor. Über die Bedeutung des Carnosins ist nichts bekannt; dasselbe gilt auch für den „Muskelzucker", den Inosit. Im Muskel von O c t o p u s wurde das Octopin aufgefunden ( M o r i z a w a ) : ,NH CHj—NH—C

Acetylcholin

Literatur s. Bibliographie. 2 ) Vgl. N a c h m a n s o h n u. W i l s o n . Adv. Enzymol. 12, 259 (1951).

Stoffwechsel des Nervensystems

647

Offenbar kann im Gewebe die aktivierte Essigsäure auch direkt aus anderen Substraten entstehen. Dasselbe Fermentsystem ist auch in den peripheren Nerven anzunehmen. Das elektrische Organ der Fische ist reich an Phosphokreatin. Man kann annehmen, daß es dort die unmittelbare Quelle energiereicher Phosphatbindungen für die Regeneration des ATP ist. Wir können uns in den Nerven und an den Endorganen einen Kreislauf vorstellen, wie er im untenstehenden Schema dargestellt ist. gebundenes Acetylcholin

ErrcgungüVorgang

_

freies Acetylcholin

Ulycolysp, Oxydation cnergieliefermlcs System

Außer dem Acetylcholin ist noch eine weitere Aktionssubstanz bekanntgeworden die bei Reizung freigesetzt wird, das Aneurin (Minz). Die ausgedehnten Untersuchungen von A. v. M u r a l t und seiner Schule 1 ) haben ergeben, daß alle peripheren Nerven Aneurin, z. T. in gebundener Form, enthalten und daß bei Reizung die Menge des freien Aneurins erhöht wird. Im Herzen tritt bei Vagusreizung neben dem Acetylcholin auch Aneurin („zweiter Vagusstoff") auf. Zerstört man das Aneurin im Nerven in situ, z. B. durch Bestrahlung der R a n v i e r sehen Schnürringe an einer isolierten Nervenfaser mit U.V. (Wellenlänge unter 300 m ^ , der spezifischen Absorption des Aneurins entsprechend) oder durch Einwirkung von Thiaminase, so wird die Nervenleitung blockiert (v. M u r a l t ) . Alle diese Befunde weisen auf eine Beteiligung des Aneurins an der Nervenleitung hin, ohne daß es zur Zeit möglich wäre, seine Bedeutung zu präzisieren. B. Stoffwechsel des Nervensystems

Der Ruhestoffwechsel der peripheren Nerven (gemessen am Sauerstoffverbrauch) ist sehr klein (beim Frosch etwa 15—25 mm 3 0 2 pro Gramm und Stunde bei 15°). Bei Reizung steigt er an, aber sehr viel weniger, als dies etwa beim Muskel der Fall ist. Verfolgt man die Wärmebildung während der Reizung (Hill), so findet man eine äußerst geringe initiale Wärme; der Erregungsvorgang selbst verläuft also mit einer sehr kleinen Wärmetönung (pro Impuls und Gramm Nervensubstanz etwa 10 - 7 cal.! Für eine einzelne Faser des Ischiadicus beim Frosch ergibt dies pro Zentimeter Länge etwa 10 - 1 2 cal.). Dagegen findet man nach Aufhören der Reizung eine lang andauernde verzögerte Wärmebildung, die sehr viel größer ist als die initiale Wärme (etwa das Zehnfache) und die dem zusätzlichen Sauerstoffverbrauch entspricht. Die gesteigerte Atmung bei Reizung der Nerven hat also mit der Erregung als solcher nichts zu tun, sondern ist ein Restitutionsvorgang. Auf welchen Vorgängen die Wärmebildung bei der Erregung beruht, ist unbekannt. v. M u r a l t : Signalübermittlung im Xerven. Basel 1945.

Muskel- und Nervensystem

Unter anaeroben Bedingungen bildet der periphere Nerv Milchsäure, doch scheint er im Gegensatz zum Muskel dieselbe nur langsam verbrennen zu können. Einen viel intensiveren Stoffwechsel als die peripheren Nerven besitzt das Gehirn, und zwar besonders die graue Substanz, also die Ganglienzellen. Die Stoffwechselvorgänge spielen sich vor allem im Zellkörper der Nervenzelle, nicht im Nervenfortsatz ab. Der Sauerstoffverbrauch des Gehirns ist hoch. Bei Sauerstoffmangel, wie er bei Atmung in verdünnter Atmosphäre, bei Konvulsionen (Epilepsie) usw. auftreten kann, vermag das Gehirn einen Teil seines Energiebedarfs aus der glycolytischen Kohlehydratspaltung zu decken; es bildet sogar bei genügender Sauerstoffversorgung immer etwas Milchsäure, gehört also zu den Geweben mit aerober Glycolyse. Dies läßt sich z. B. an Gewebsschnitten nachweisen ( W a r b u r g ) und ist durch Versuche am intakten Organismus bestätigt worden (Bestimmung der arteriovenösen Differenz der Milchsäure). Das Gehirn (die Ganglienzelle) vermag Milchsäure leicht zu oxydieren. Es ist aber nicht sicher, ob in ähnlicher Weise wie im Muskel ein Teil in Kohlehydrat zurückverwandelt wird. Das wesentliche Brennmaterial der Nervenzelle ist Kohlehydrat. Der Respirationsquotient ist nahezu = 1. Das Gehirn enthält Glycogen. Doch scheint die Reserve nicht groß zu sein und sich bei Hypoglykämie rasch zu erschöpfen. Das Gehirn ist reich an Hexokinase, kann also die Blutglucose rasch verwerten. Die Untersuchung isolierter Gehirnteile zeigt, daß die Intensität des Stoffwechsels in (Jen verschiedenen Abschnitten des Zentralnervensystems ungleich ist. Der Sauerstoffverbrauch ist in der Kleinhirnrinde am höchsten. Eeim neugeborenen Tier (Katze, Hund) findet man die größte glycolytische Aktivität im Rückenmark. Im Verlauf der Entwicklung verschiebt sich das Maximum nach den höheren Gehirnabschnitten (Cortex, Thalamus). Wahrscheinlich stehen diese Änderungen mit der funktionellen Differenzierung des Zentralnervensystems in Zusammenhang. C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

Der typische Bestandteil des Nervensystems sind die Lipide, welche vor allem in den Markscheiden der Nerven enthalten sind. Die weiße Substanz ist dementsprechend lipidreicher als die graue. Der Gesamtgehalt beträgt 12—15% des Frischgewichts, rund die Hälfte des Trockengewichts. Für die einzelnen Gruppen der Lipide haben sich die folgenden Zahlen ergeben (Prozente des Frischgewichts) : Phosphatide 6%, Cerebroside 2%, Sterine 4 % (weiße Substanz: 9%, 4%, 1—2% bzw.; graue Substanz: 4%, 1%, 1—2% bzw.). Die Myelinscheide der Nerven ist doppelbrechend. Man nimmt an, daß sie aus koaxialen Schichten von Protein und Lipiden aufgebaut ist, und zwar derart, daß zwischen zwei Proteinschichten immer eine bimolekulare Lamelle von Lipiden eingeschaltet ist. Die Neuroglia, die Stützsubstanz des Nervengewebes, enthält einen besonderen Eiweißkörper, das Neurokeratin. Möglicherweise ist dasselbe auch Bestandteil der Nervenzellen selbst (Dendriten und Achsenzylinder). Es gleicht dem Keratin, doch ist das Verhältnis der basischen Aminosäuren etwas verschieden. (Die chemische Verwandtschaft mit dem Keratin ist deshalb bemerkenswert, weil auch die Neurogliazellen ektodermalen Ursprungs sind!)

Stütz» und Bindegewebe; Haut und Anhänge. Baustoff«

Fünfundzwanzigstes

649

Kapitel

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe Die Stützgewebe (Knorpel und Knochen), das Bindegewebe, die Haut mit ihren Anhängen (Haare, Nägel, Hufe usw.) sind in ihrem chemischen Aufbau durch die Substanzen gekennzeichnet, welche für die besonderen mechanischen Eigenschaften dieser Gewebe verantwortlich sind. Es sind dies einerseits bestimmte Proteine wie das Collagen, das Elastin, die Keratine, andererseits eine Reihe von Mucopolysacchariden vom Typus der Hyaluronsäure. Man kann diese Stoffe als eigentliche Stützsubstanzen bezeichnen. Das Collagen ist durch die Eigenschaft ausgezeichnet, beim Kochen mit Wasser in ein lösliches Protein, die Gelatine (Leim, Glutin), überzugehen. Es handelt sich dabei um einen wenig tiefgreifenden Abbau des Collagens (Verkürzung der Polypeptidketten). Das Collagen ist im Bindegewebe, in den Sehnen, Fascien, Bändern usw. überall reichlich vorhanden (collagene Fasern!) und ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Grundsubstanz des Knochens und des Knorpels. Ob die Collagene der verschiedenen Organe völlig identisch sind, ist noch eine offene Frage. Was die Bausteine anbetrifft, ist der sehr hohe Gehalt an Glycocoll, Prolin und Oxyprolin auffallend, ein ziemlich hoher Gehalt an basischen Aminosäuren und das fast völlige Fehlen von Tyrosin, Cystin und Tryptophan. Es scheint, daß im Collagenmolekül jeder dritte Aminosäurerest Glycocoll oder ein Prolin ist, und man kann sich die Peptidketten durch Wiederholung der folgenden Grundeinheit entstanden denken: Prolin oder Oxyprolin

NH

N / CH—C

I R

II O

Glycin

CH \

C—NH

II O

8,5 A

Das Elastin bildet die elastischen Fasern des Bindegewebes (reichlich in den elastischen Bändern, z. B. Ligamentum nuchae). Sie quellen im Gegensatz zu den collagenen Fasern in verdünnter Essigsäure nicht. Elastin enthält etwa gleichviel Glycin und Prolin wie Collagen, aber nur wenig Oxyprolin, wenig basische Aminosäuren und etwas mehr Tyrosin. Die genannten Eiweißkörper sind typische fibrilläre P r o t e i n e (vgl. S. 96). Sie sind aus Bändeln von parallelen Polypeptidketten unbestimmter Länge aufgebaut, die durch Querverbindungen zusammengehalten werden. Sie bilden auf diese Weise ultramikroskopische Fibrillen, die sich zu zwei- oder dreidimensionalen Netzen verflechten können oder sich zu den mikroskopisch sichtbaren Fasern zusammenlegen, welche ihrerseits die histologisch darstellbaren Faserstrukturen der Gewebe bilden. Nirgends liegt der Zusammenhang zwischen der molekularen Struktur der Stoffe und dem Aufbau der aus ihnen hervorgehenden sichtbaren Strukturen so klar zutage wie bei den fibrillären Proteinen (und der Cellulose). Die fibrillären Proteine gehören zu den wichtigsten Bauelementen der tierischen Organe. Außer den genannten Stoffen gehören auch das Myosin und das Fibrin zu dieser Gruppe.

650

Stütz- und Bindegewebe; H a u t und Anhänge

Einzelne Vertreter wie z. B. das Seidenfibrom und das Collagen weisen eine überraschend einfache chemische Zusammensetzung auf. I m Seidenfibroin machen Glycin und Alanin zusammen 3 / 4 der gesamten Aminosäurereste aus, in der Gelatine (Collagen) fallen, wie eben erwähnt wurde, 60 °/ 0 der Aminosäuren auf Glycin und Prolin. Offenbar wiederholen sich längs der Polypeptidketten die einzelnen Aminosäuren in regelmäßigen Abständen. Dies erleichtert die regelmäßige Aneinanderlagerung der Polypeptidketten. Die röntgenoptischen Methoden (Beugungsdiagramme) gestatten einen tieferen Einblick in den Feinbau der Fasern. Sie zeigen, daß dieselben aus ultramikroskopischen langgestreckten Kriställchen bestehen, die parallel zur Faserachse gerichtet sind. Diese Struktur kommt dadurch zustande, daß sich die Polypeptidketten — das gleiche gilt auch f ü r Polysaccharidketten der Cellulose — streckenweise parallel zusammenlagern und auf diese Weise ein dreidimensionales Kristallgitter bilden, wie dies schematisch in Abb. 64 dargestellt ist. Die Analyse der Beugungsdiagramme läßt eine Periodizität längs der Faserachse erkennen, die der regelmäßigen Aufeinanderfolge der Aminosäurereste in der Peptidkette entspricht. Die Peptidketten lagern sich in achsenparallelen Ebenen in bestimmtem Abstand zu Netzen zusammen; die Wiederholung der Netze in bestimmtem Abstand gibt das Kristallgitter. Abb. 65 Abb. G4 (nach F r e y - W y s s l i n g ) . zeigt diese Anordnung schematisch f ü r j3-Keratin, bei S c h e m a d e r F a s e r s t r u k t u r . Durch welchem die Peptidketten völlig gestreckt sind. lokale Ordnung der Hauptvalenzketten entstehen Kristallgitter. Die einzelnen Peptidketten können quer zur Faserrichtung entweder durch die Seitenketten oder durch Wasserstoffbindungen zwischen den Hauptketten (vgl. S. 95) miteinander verbunden sein. Beim Keratin bilden wahrscheinlich die Disulfidgruppen des Cystins die Brückenbindungen zwischen benachbarten Ketten. Die elastischen Eigenschaften und die Kontraktilität der fibrillären Proteine werden weitgehend durch die Natur und die Anordnung der Querverbindungen zwischen den Ketten bestimmt. Die hohe Reißfestigkeit der Fasern ist dadurch zu erklären, daß in der Längsrichtung ausschließlich Hauptvalenzkräfte wirksam sind.

Einen wichtigen Strukturbestandteil des genannten Gewebes bilden auch gewisse Mucopolysaccharide, Hyaluronsäure und Chondroitinschwefelsäure. Die erstere setzt sich aus Glucuronsäure und Acetylglucosamin zusammen, letztere aus Glucuronsäure und Acetylchondrosamin ( = -galactosamin), verestert mit Schwefelsäure. Es sind aus den Geweben verschiedene Chondroitinsulfate isoliert worden, die sich durch ihre optische Drehung und ihr Verhalten gegenüber verschiedenen Hyaluronidasen unterscheiden (K. Meyer). Die Einzelheiten ihrer Struktur sind noch wenig bekannt. Das Molekulargewicht ist sehr hoch (200000 bis mehrere Millionen). Die Moleküle bilden lange Ketten; die Lösungen sind daher viskos. Die genannten Mucopolysaccharide sind sehr weit verbreitet; sie bilden wahrscheinlich in Form von Mucoproteiden einen wesentlichen Bestandteil der Interzellularsubstanz: Kittsubstanz der Zellen, Grundsubstanz des Bindegewebes, Kittsubstanz der Fasern in den Sehnenbündeln, den Fascien usw. In den Gefäßwänden scheint nur Chondroitinsulfat vorzukommen. Hyaluronsäure kommt nicht im Bindegewebe aller Organe vor. Sie scheint besonders charakteristisch für die Haut zu sein. Der Glaskörper des Auges enthält Hyaluronsäure, die Cornea einen Schwefelsäureester der Hyaluronsäure. Die folgende Tabelle, nach Angaben von K. Meyer zusammengestellt, gibt einige Beispiele für das Vorkommen der Mucopolysaccharide1): M Science 113, 596 (1951).

651

Baustoffe Hyaluronsäure : Glucuronsäure -+Acetylglucosamin Haut Sehnen . . Aorta Herzklappen Cornea Glaskörper . Knorpel . . Synovia . . Nabelschnur

. . . .

+ ± — —

. . . .

. . . .

+ —

+ +

Hyaluronsäuresulfat

— — —

Chondroitinsulfat : Glucuronsäure + A cetylgalactosamin

+ + + +

+







— — —

+ +

Abb. 65. S c h e m a d e r S t r u k t u r d e s / ^ - K e r a t i n s ( g e s t r e c k t e W o l l e ) . Die völlig gestreckten Polypeptidketten sind regelmäßig in den achsenparallelen Prismen angeordnet, deren Dimensionen aus den Röntgenbeugungsdiagrammen berechnet werden können. Die Distanz von 10 ÄngströmEinheiten entspricht dem Abstand der Ketten in Richtung der abwechselnd links und rechts abstehenden Seitenketten (im Schema durch die großen Kugeln [R] angedeutet). Die Distanz von 4 Angström ist der Abstand der Ketten in der dazu senkrechten Richtung, in der die Ketten „flach" aufeinanderliegen (sog. „backbone-spacing"). Die Distanz von 3,5 Angström in Richtung der Faserachse entspricht der Länge des Aminosäurerests längs der Polypeptidkette. Hyaluronate und Chondroitinsulfate sind hochmolekulare vielwertige Anionen. Sie besitzen als solche ein beträchtliches Wasserbindungsvermögen. Die Fähigkeit des Bindegewebes, insbesondere diejenige der H a u t zur Speicherung von Wasser (vgl. S. 541), könnte mit dieser Eigenschaft der genannten Stoffe zusammenhängen. Man h a t auch schon daran gedacht, daß sie als Kationenaustauscher wirken könnten (vgl. S. 171).

Als Mucine, Schleimstoffe, haben die Mucoproteide noch die wichtige Funktion, als G l e i t m i t t e l zu dienen, so die Synovia, welche das fast reibungslose Gleiten der Gelenkflächen garantiert. Die Mucine der Verdauungssekrete (Speichel, Magensaft, Darmsaft) machen die festen Nahrungsbestandteile gleitfähig und gewähren außerdem einen gewissen Schutz für die Epithelien des Darmtrakts.

652

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhing«

Über das sog. Amyloid vgl. S. 867. Das fibrilläre Bindegewebe, da« Knorpel- und Knochengewebe sind bekanntlich duroh fortschreitende Differenzierung aus dem M e s e n c h y m entstanden. Sie bilden zusammen mit dem Gefäßsystem, den blutbildenden Geweben, den glatten Muskeln der Eingeweide und der Gefäße die Familie der mesenchymalen Bildungen. Es ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, daß wir als wesentliche Bestandteile dieser Gewebe immer das Collagen, die Hyaluronsäure, die Chondroitinsulfate finden, welche als Interzellularsubstanz die Lücken zwischen den Zellen ausfüllen. Offenbar ist die Fähigkeit zur Bildung dieser Stoffe schon den primitiven Mesenchymzellen eigentümlich; sie behalten dieselbe auch bei, nachdem sie zu Bindegewebszellen, Knorpelzellen, Osteoblasten usw. geworden sind. Die kontraktile Substanz der Muskeln, das Myosin, gehört ebenfalls zu den fibrillären Proteinen. Die Muskelzellen, sowohl die glatten wie die quer gestreiften, leiten sich aus dem Mesoderm ab. Man kann also sagen, daß ein großer Teil des embryonalen Mesoderms im Lauf der Entwicklung Zellen liefert, welche fibrilläre Proteine hervorbringen, sei es in ihrem Protoplasma selbst wie die Muskelzellen, sei es in der interzellulären Substanz. Die Keratine schließlich können als die typischen Struktureiweißkörper der Epidermis, also des Ektoderms, angesehen werden. Stellt man die genannten strukturbildenden Substanzen nach ihrem Ursprung zusammen, so ergibt sich das folgende Bild: Ektoderm

Stratum corneum der Epidermis, Haare, Nägel usw.

Mesenchym Mesoderm

Keratin

Bindegewebe Knorpel Knochen Glatte Muskulatur

Collagen Hyaluronsäure Chondroitinsulfate

Herzmuskel

Myosin

Skelettmuskulatur

2. Haut und Bindegewebe Die äußerste Hautschicht, die Cuticula, ist aus Keratinen aufgebaut. Sie ist als Schutzschicht aufzufassen, die aber doch eine gewisse Permeabilität besitzt und, wenn auch in geringem Umfang, einen Stoffaustausch (Wasser und Gase) gestattet. Aus dem gleichen Material bestehen die Hautanhänge, Haare und Nägel. Das Bindegewebe der Haut besteht aus der Grundsubstanz, die im wesentlichen aus Eiweißverbindungen der Hyaluronsäure und der Chondroitinschwefelsäuren aufgebaut ist, und den collagenen und elastischen Fasern. Die Proteine der Grundsubstanz sind noch kaum bekannt. Das Bindegewebe des Corium hat nicht nur mechanische Funktionen zu erfüllen, sondern ist gleichzeitig ein wichtiges Speicherorgan. Die Haut macht einen beträchtlichen Anteil des extrazellulären Kompartiments aus. Sie ist imstande, eine gewisse Reserve von Wasser und Elektrolyten aufzunehmen (vgl. S. 541). Das Bindegewebe (im weitesten Sinn) spielt überhaupt bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen eine wichtige Rolle. Z. B. gehen viele Erscheinungen des A l t e r n s letzten Endes auf Veränderungen der mesenchymalen Gewebe zurück. Ebenso spielen Veränderungen der Grundsubstanz und der sie aufbauenden Stoffe wahrscheinlich bei der Atherosklerose und den rheumatischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Das Bindegewebe untersteht hormonalen Einflüssen. Wir erwähnen z. B. das Myxödem, das beim Fehlen des Schilddrüsenhormons auftritt und durch die Infiltration des Bindegewebes mit einer schleimigen Flüssigkeit (Mucoproteide ?) ge-

Haut und Bindegewebe

653

kennzeichnet ist. An zahlreichen Gewebsreaktionen, welche durch Sexualhormone ausgelöst werden (Beispiel: Wachstum des Hahnenkamms unter dem Einfluß androgener Hormone), ist das Bindegewebe, insbesondere die Interzellularsubstanz, beteiligt. Das Wachstumshormon der Hypophyse stimuliert vorwiegend die mesenchymalen Gewebe (AkromegalieI Vgl. S. 711). Es kann hier auch der Exophthalmus erwähnt werden, der auf einer Schwellung des Bindegewebes der Orbita beruht und als Folge endokriner Störungen eintritt (Thyreoidea, Hypophyse). Die auffallend günstige Wirkung des Cortisons bei rheumatischen Gelenkerkrankungen deutet darauf hin, daß offenbar auch Hormone der Nebennierenrinde direkten Einfluß auf die Binde- und Stützgewebe haben. Es scheint, daß durch Cortison alle drei Elemente des Bindegewebes — Zellen, Grundsubstanz, Fasern — in ihrer Entwicklung gehemmt werden (vgl. S. 698). Unter den Vitaminen scheint die Ascorbinsäure einen spezifischen Einfluß auf die mesenchymatischen Gewebe zu haben. Viele Erscheinungen des Vitamin C-Mangels können durch eine mangelhafte Bildung der Kittsubstanz der Kapillarendotheiien und der Grundsubstanz der Stützgewebe erklärt werden (vgl. S. 799). Im Zusammenhang mit den Schutzfunktionen der Haut steht auch die Bildung des Hautfetts in den Talgdrüsen (zu denen auch die Ohrschmalzdrüsen und die Me j bomschen Drüsen des Augenlids zu rechnen sind). Ihr Sekret überzieht die Haut in dünner Schicht und durchtränkt ihre obersten Schichten. Das Sekret dieser Drüsen kann nicht in reiner Form gewonnen werden; es ist stets mit dem Sekret der Schweißdrüsen und mit Bestandteilen der Epidermis vermischt. Am besten untersucht ist das in großen Mengen zur Verfügung stehende Hautfett der Schafe (Lanolin). Besonders charakteristisch für das Hautfett scheinen gewisse höhere Alkohole zu sein; im Wollfett hat man Cerylalkohol (C26H53OH) und Carnaubylalkohol (C24H19OH) gefunden. Cetylalkohol (C16H33OH) ist, mit Palmitinsäure verestert, ein Hauptbestandteil des Walrats (entdeckt von Chevreul 1818). Im Wollfett finden sich auch die dem Carnaubylalkohol entsprechende Carnaubasäure (C23H17COOH) und die dem Cerylalkohol entsprechende Cerotinsäure (C26HMCOOH). Die Fettsäuren sind mit den entsprechenden Alkoholen zu Wachsen verestert. Außerdem enthält das Hautfett Sterine, teilweise als Steride mit Fettsäuren verestert, sowie auch zahlreiche ungesättigte Fettsäuren. Der Gehalt an Neutralfett scheint gering zu sein.

Die Schweißdrüsen stehen im Dienst der Temperaturregulierung. Die Menge des Sekrets kann bei starker körperlicher Arbeit sehr groß sein (vgl. Kapitel Wasser- und Salzhaushalt). Der Gehalt an festen Stoffen ist gering (0,4—2%). Außer den Elektrolyten enthält es als organische Stoffe u.a. flüchtige Fettsäuren (Geruch!), Cholesterin und verschiedene der im Blut vorkommenden niedrigmolekularen Körper wie Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin usw. Bei Erhöhung der Blutkonzentration dieser Stoffe, wie sie bei gestörter Nierenfunktion eintritt (Urämie), können sie in größerer Menge in den Schweiß übergehen. Daß es sich bei der Schweißbildung um einen echten Sekretionsvorgang handelt, geht u. a. auch daraus hervor, daß unter dem Einfluß des Nebennierenrindenhormons (Desoxycorticosteron) der Natriumgehalt zurückgeht (vgl. S. 697). Charakteristisch für die Haut ist auch die Pigmentbildung. Das Pigment findet sich in den tiefen Schichten der Epidermis, in kleinen Mengen im Corium. Es steht noch nicht fest, ob das Pigment der Epidermis an Ort und Stelle in den Epidermiszellen gebildet oder von Pigmentzellen des Bindegewebes eingeschleppt wird. Bekanntlich bewirkt Belichtung vermehrte Pigmentierung. Wirksam ist das Ultraviolett. Offenbar schützt das Pigment die tieferliegenden Hautschichten vor der Einstrahlung der photochemisch sehr wirksamen kurzen Wellenlängen.

654

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

Das Material für die Pigmentbildung liefern die aromatischen Aminosäuren, möglicherweise auch das Tryptophan. Wir haben die Melaninbildung schon früher besprochen (vgl. S. 394). Die Addisonsche Krankheit ist durch eine starke Pigmentierung der Haut gekennzeichnet („bronzed disease"). In welcher Beziehung die gestörte Funktion der Nebenniere zur Pigmentbildung steht, ist aber noch nicht abgeklärt.

Die Hyaluronidasen. In den tierischen Geweben sowie in Bakterien kommen Fermente vor, die unter dem Namen „Hyaluronidase" zusammengefaßt werden und welche die Mucopolysaccharide hydrolytisch abbauen. Das an Hyaluronidase reichste Gewebe ist der Hoden der Säugetiere. Das Ferment ist hier zum größten Teil an die Spermatozoen gebunden. Doch sind Hyaluronidasen auch in vielen anderen Geweben nachgewiesen. Wahrscheinlich spielen diese Fermente im Stoffwechsel der Mucopolysaccharide eine Rolle. Hyaluronidase kommt auch in verschiedenen Schlangengiften vor. Die Hyaluronidase der Spermatozoen scheint für das Eindringen des Spermiums in das Ei von Bedeutung zu sein. Das in den Tubus eintretende Ei ist noch von einer Hülle von Zellen der Granulosa umgeben. Man nimmt an, daß die Hyaluronidase den Spermien erlaubt, die Kittsubstanz dieser Zellen aufzulösen und dadurch zum Ei vorzudringen. Von Bedeutung ist das Vorkommen von Hyaluronidasen in pathogenen Bakterien (Pneumokokken, Streptokokken, Gasbrandbazillen). Die Fermente lösen beim Eindringen der Bakterien in die Gewebe durch Hydrolyse der Mucopolysaccharide die Grundsubstanz teilweise auf und erleichtern dadurch die Invasion der Bakterien. Sie wirken als „spreading factor". (Mit diesem Ausdruck bezeichnet man allgemein Stoffe, welche die Ausbreitung hochmolekularer Substanzen wie Tusche, Trypanblau usw. in der H a u t befördern. Solche Stoffe lassen sich aus Geweben, Mikroorganismen usw. extrahieren, und es hat sich gezeigt, daß die Hyaluronidasen die wichtigsten, wenn auch wahrscheinlich nicht die einzigen „spreading factors" der Gewebe sind) ( C h a i n ; K . M e y e r und Mitarb.). 3. Knochen- uiid Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens

Die hervorragenden mechanischen Eigenschaften des Knochens kommen durch die innige Verbindung organischer und anorganischer Bausteine zustande. Das Knochengewebe besteht aus einem fibrillären Anteil von collagenen Fasern, welche in eine verkalkte Grundsubstanz eingebettet sind. Der Knochen ist das an Mineralstoffen reichste Gewebe. Die Verkalkung beginnt beim Menschen etwa mit der 8. Woche des intrauterinen Lebens in den Diaphysen der Röhrenknochen; sie ist, wie bekannt, bei der Geburt noch längst nicht vollendet. Der Endzustand wird erst mit dem Abschluß des Wachstums erreicht. Wegen der Schwierigkeit, die Knochensubstanz völlig zu trocknen, sind die Angaben über Wasser- und Mineralstoffgehalt unsicher. Die Verteilung der Mineralstoffe im einzelnen Knochen ist ungleich, weil bekanntlich die Verkalkung von bestimmten Zentren ausgeht. Die Zunahme des durchschnittlichen Mineralstoffgehalts der Knochen im Laufe der Entwicklung ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß das Verhältnis der vollständig verkalkten Skeletteile zu den nicht verkalkten zunimmt. Z. B. ist der Aschegehalt der kompakten Substanz beim Neugeborenen gleich groß wie beim Erwachsenen (etwa 65%), während der durchschnittliche Aschegehalt der Gesamtknochen bedeutend kleiner ist. Beim erwachsenen Menschen beträgt der Aschegehalt der Knochen, bezogen auf die trockene Substanz, etwa 70%.

Knochen- und Calci umstoitweclisel. Aufbau des Knochens

655

Die Mineralstoffe des Knochens zeigen folgende Zusammensetzung: Kationen Ca++ Mg++ Na+ K+

% 36,7 0,6 0,8 0,15

Anionen

%

P04— C03ClFH20

50,1 7,6 0,04 0,05 2,33

Die Zahlen können etwas schwanken. Bei verschiedenen Tierarten (Ratte, Hund) nimmt mit dem Alter der Carbonatgehalt leicht zu. Die Zusammensetzung der Knochensalze („Knochenerde") läßt sich angenähert durch die Formel [ T ^ P O ^ ^ - C a C C ^ darstellen. Die röntgenoptische Untersuchung des Knochens ergibt ein Beugungsdiagramm, welches demjenigen der Apatitmineralien entspricht 1 ). Man hat sich die Apatite als Koordinationsverbindungen vorzustellen, in denen ein zweiwertiges Metall, hier das Ca, von drei neutralen Molekülen, hier dem tertiären Calciumphosphat, umgeben ist, von denen jedes zwei Koordinationsstellen einnimmt: {Ca[Ca 3 (P0 4 ) 2 ] 3 }++-2X-.

Als negativer Rest X - können beliebige Anionen fungieren: C0 3 , F~, O H - u s w . Es entsteht je nachdem Carbonatoapatit, Fluoroapatit, Hydroxylapatit usw. Der Komplex baut ein hexagonales Kristallgitter auf, in dessen Maschen die negativen Reste locker gebunden sind, so daß sie gegenseitig ausgetauscht werden können. Das Röntgendiagramm der Knochenmineralien zeigt als einzige Kristallart diejenige des Hydroxylapatits 2 ): {Ca[Ca 3 (P0 4 ) 2 ]3}-2 O H - , etwas ausführlicher geschrieben: Ca0 3 P P0 3 Ca \ / Ca—0 0—Ca \ / Ca0 3 P—O - Ca - 0—P0 3 Ca ö

ö Ca0 3 P

20H-

Ca

P0 3 Ca

Man kann annehmen, daß die Knochen erde im wesentlichen aus Hydroxylapatit besteht, dem etwas (wahrscheinlich amorphes) Calciumcarbonat beigemengt ist. Man nahm früher allgemein an, daß die Knochenmineralien im wesentlichen aus Carbonatoapatit bestehen. Neuere, sorgfältig durchgeführte Untersuchungen haben aber ergeben, daß sich röntgenoptisch nur Hydroxylapatit mit Sicherheit nachweisen läßt. Wahrscheinlich erklärt sich der Carbonatgehalt des Knochens durch eine Adsorption von C0 3 —-Ionen an der Oberfläche der Apatitkristallite. Wegen der Kleinheit der Kristallite ist ihre Oberfläche sehr ausgedehnt, und da dort die Gitterkräfte nicht abgesättigt sind, können Anionen (Carbonat, Phosphat, Citrat) wie auch Kationen (Ca + +) festgehalten werden 3 ).

Die Röntgendiagramme zeigen, daß die Mineralien des Knochens in Form ultramikroskopischer Kriställchen („Kristallite") vorhanden sind, welche wahrscheinlich ») D e J o n g , Ree. trav. chim., Pays-Bns. 4S. 445 (1926). 2 ) B r a n d e n b e r g e r u. S c h i n z , Helv. med. Acta, Series A, 12, Suppl. X V I (1945); Schweiz, med. Wschr. 77, 642 (1947). 3 ) C a r l s t r ö m : X-Rav crystallographic studies on apatites and calcified struetures. Stockholm 1955.

656

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

mit ihrer Längsachse (tertiäre Achse der hexagonalen Kristalle) dem Faserverlauf parallel gerichtet sind x). Diese regelmäßige Anordnung ist anscheinend im rachitischen Knochen nicht vorhanden, ein Zeichen für eine tiefgreifende Veränderung der Feinstruktur, die beim Fehlen des Vitamins D eintritt. Die organische Matrix des Knochens besteht aus einem dichten Geflecht collagener Fasern, die in eine Grundsubstanz eingelagert sind. Diese letztere besteht wahrscheinlich aus Mucoproteiden. (Ältere Autoren haben ein „Osseomucoid" beschrieben, das beim Kochen mit Säure reduzierende Substanzen und Schwefelsäure gibt, und eine albuminähnliche Substanz, das Ossoalbumoid.) Der mikroskopische Aufbau der Knochensubstanz ist bekannt: Als Bauelement der Lamellenknochen kann das sog. Osteon angesehen werden, das System konzentrischer Lamellen, welches die H a verschen Kanäle umgibt. Die Osteone stoßen an den Kittflächen (im Schnitt Kittlinien) zusammen. Das Polarisationsmikroskop zeigt, daß die Lamellen anisotrop sind. Ihre Strukturelemente müssen also eine bestimmte regelmäßige Anordnung zeigen. Die genauere Analyse zeigt, daß die Fasern in den verschiedenen aufeinanderfolgenden Lamellen verschiedene Richtung haben (in ähnlicher Art wie in einer Sperrholzplatte die einzelnen Schichten kreuzweise verleimt sind). Offenbar handelt es sich hier um eine funktionelle Struktur, d. h. der ultramikroskopische Bau ist der mechanischen Beanspruchung genau angepaßt. B. Verkalkung des Knochens

Der Knochen ist im Verlauf seiner ganzen Entwicklung einem beständigen Umbau unterworfen: alte Substanz wird aufgelöst, neue angebaut. Bei der Umbildung der knorpelig angelegten Teile des Skeletts wird, wie bekannt, der Knorpel völlig aufgelöst und durch das Knochengewebe ersetzt. Aber auch Längen- und Dickenwachstum des fertigen Knochens kommen durch tiefgreifenden inneren Umbau zustande. Offenbar kann ein völlig starres Gebilde wie der Knochen nur auf diesem Weg seine äußere Form während des Wachstums beibehalten und seine Struktur trotzdem der sich ändernden mechanischen Beanspruchung anpassen. Die chemischen Vorgänge, die sich bei diesem Umbau abspielen, und die daran beteiligten Fermente sind wenig bekannt. Es ist eigentlich nur ein Prozeß genauer untersucht worden, nämlich die Einlagerung der anorganischen Salze in die vorgebildete organische Matrix, die V e r k a l k u n g , die wohl in der Neubildung des Knochens den letzten Schritt darstellt. Die Grundsubstanz des Knochens und des Knorpels sind normalerweise die einzigen Substrate, in welche Kalksalze eingelagert werden. Unter besonderen Bedingungen kann es aber auch in anderen Geweben zur Abscheidung von unlöslichen Ca-Verbindungen kommen, die ähnliche Zusammensetzung haben wie die Knochenerde. Dies kann vorkommen entweder bei pathologischen Veränderungen der betreffenden Gewebe oder bei erhöhter Ca-Konzentration in den Körpersäften (dystrophische Verkalkung, Kalkmetastasen). So wenig wir aber die lokalen Faktoren genau kennen, welche im Knorpel und im Bindegewebe den normalen Verkalkungsprozeß einleiten, so wenig können wir sagen, welcher Art die lokalen Bedingungen sind, welche in sonst nicht verkalkenden Geweben die Ausfällung der Kalksalze hervorrufen. Im einen wie im anderen Fall ist an eine chemische Veränderung der Grundsubstanz zu denken. !) E n g s t r ö m u. F i n e a n , Nature 171, 564 (1953).

Verkalkung des Knochens

657

Es entsteht nun die Frage, ob man die Verkalkung als einfache Fällung eines unlöslichen Salzes aus einer gesättigten Lösung betrachten kann. In diesem Fall ist für die Ausfällung ein Produkt der Ionenkonzentration im Blutplasma bestimmend. Nimmt man z. B. an, daß im Knochen tertiäres Ca-Phosphat gebildet wird, so ist nach dem MassenWirkungsgesetz das Löslichkeitsprodukt k = [Ca + + ] 3 [P0 4 ]2 maßgebend. Es zeigt sich, daß das experimentell bestimmte Löslichkeitsprodukt des tertiären Ca-Phosphats wesentlich kleiner ist als das Produkt der Ionenkonzentrationen im Blut. Ähnliches gilt auch, wenn man den Carbonatoapatit zugrunde legt. Das Blutplasma erscheint also gegenüber den schwerlöslichen Knochensalzen als stark übersättigte Lösung. Bei genauer Untersuchung hat sich aber die Fällung der Ca-Phosphate (in vitro) als ein sehr komplexer Vorgang erwiesen. Das zuerst gefällte Salz, wahrscheinlich CaHPO,,1), scheint sich erst sekundär in das definitive Knochenmineral umzuwandeln. Das letztere kann sich offenbar aus den Ionen der Lösung gar nicht direkt bilden. Die Lösung steht nur mit dem ersten Fällungsprodukt im Gleichgewicht, aus welchem durch inneren Umbau und Austausch das definitive Knochenmineral hervorgeht. In bezug auf das primär ausfallende Salz ist das Plasma aber nicht übersättigt; das Löslichkeitsprodukt von CaHP0 4 ist eher etwas größer als das Produkt der Ionenkonzentrationen [Ca ++ ]* [HP0 4 ] im Blutplasma. Dieses Ionenprodukt ist von großer Bedeutung. Man kann es —• etwas schematisierend — als Maß für die „Sättigung" des Organismus mit den Knochenmineralien ansehen. Es ist z. B. bei Rachitis erniedrigt. (Für normales Serum ist das Produkt Ca x P > 40, für rachitisches Ca X P < 35 [Howland und Krämer].) Bei starker Erhöhung des Produkts besteht eine erhöhte Fällungstendenz der Kalksalze, und es kann außerhalb des Knochengewebes zu Verkalkungen kommen (dystrophische Verkalkung). Dies kann z. B. eintreten, wenn infolge pathologischer Veränderungen der Knochen große Mengen seiner Mineralstoffe abgibt. Wir werden später sehen, daß die Regulierungsvorgänge im Körper auf die Konstanthaltung dieses Produkts tendieren (natürlich nur der Größenordnung nach!). Streng genommen darf nicht, wie dies oben geschehen ist, die Gesamtkonzentration des Calciums eingesetzt werden; maßgebend ist die Konzentration der Ca + + -Ionen. Da aber die beiden Größen sich meist proportional ändern, kann, wie dies oben geschehen ist, die direkt bestimmbare Gesamtkonzentration verwendet werden. Der Verkalkungsvorgang kann aber allein auf Grund eines Lösungsgleichgewichts nicht verstanden werden, denn die Fällung tritt, obwohl die Ionenkonzentration der Körpersäfte überall die gleiche ist, nur in bevorzugten Geweben ein. Es müssen also noch lokale Faktoren eine Rolle spielen. Ein solcher scheint die K n o c h e n p h o s p h a t a s e zu sein.

R. R o b i s o n machte 1923 die merkwürdige Entdeckung, daß der Knochen eine alkalische Phosphatase (siehe S. 204) enthält; und zwar findet sich das Ferment überall dort, wo Verknöcherungsprozesse vor sich gehen, so z. B. bei den Röhrenknochen im Knorpel des Epiphysenspalts, während der hyaline Knorpel der Gelenke inaktiv ist. Besonders deutlich zeigt sich der Zusammenhang zwischen den Verknöcherungsprozessen und der Phosphatase beim embryonalen Skelett. Die als Knorpel angelegten Skeletteile, die später durch Knochen ersetzt werden, enthalten Phosphatase, und zwar tritt das Ferment zu dem Zeitpunkt der Entwicklung auf, in welchem die Verknöcherung beginnt. Die nicht verknöchernden Knorpel, wie z. B. der Meckelsche Knorpel des Unterkiefers, enthalten keine Phosphatase. Dagegen findet sie sich dort, wo die Knochen aus Bindegewebe entstehen. Bei den Selachiern, bei denen das knorpelige Skelett zeitlebens bestehen bleibt, enthält der Knorpel keine Phosphatase, wohl aber die Zahnpulpa, die das Dentin hervorbringt, usw. !) L o g a n , Physiol. Reviews 20, 522 (1940). 42 I. «uth&rdt. Lehrbuch. 13. Auil.

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

658

Worin besteht die Funktion der Knochenphosphatase ? R o b i s o n stellte fest, daß beim Einlegen von Knochen wachsender Tiere in Lösungen des Calciumsalzes von Hexosemonophosphat in der Verknöcherungszone Calciumphosphat niedergeschlagen wird. Man kann also vermuten, daß die Phosphatase durch Spaltung organischer Phosphorsäureester lokal eine so hohe Phosphatkonzentration erzeugt, daß es zur Fällung des Ca-Salzes kommt. Nun ist aber die Phosphatesterkonzentration im Blutplasma sehr gering, so daß auf diesem Weg keine nennenswerten Mengen Phosphat freigemacht werden können. Es kann sich also nur um Ester handeln, die in den Zellen a n g e h ä u f t sind. Man kann daher annehmen, daß die knochenbildenden Zellen (Osteoblasten oder andere Mesenchymzellen) aus dem zirkulierenden Blut Phosphationen anhäufen, indem sie dieselben in organische Bindung überführen. Dies könnte z. B. durch Phosphorolyse des Glycogens oder durch die Hexokinasereaktion geschehen. Durch die Phosphatase werden diese Ester gespalten; es entsteht lokal eine erhöhte Phosphatkonzentration, so daß Ca-Phosphat ausfällt und der Verkalkungsprozeß eingeleitet wird. Das folgende Schema faßt diese Vorgänge zusammen: Blutplasma

Knochen

HP0 4 —

-!-

(niedrige Konzentration!)

j j

Ca + +

I ! |

vHP04-

I j Phosphorylierung

organische Ester (angehäuft!)

i

I

I j

:

i i

Phosphatase

4

• Ca + + + HP0 4 —

Mesenchymzelle (Osteoblast)

j

j (hohe Konzentration!)

; Grundsubstanz

I

CaHPO Apatit

Nach dieser Vorstellung ist die Anhäufung des Phosphats, die schließlich zur lokalen Ausfällung des Ca-Salzes führt, eine Leistung der Zellen, welche die Phosphationen durch Veresterung abfangen. Natürlich können auch die planmäßig verlaufenden Abbau- und Aufbauvorgänge, durch welche die funktionelle Struktur des Knochens erhalten wird, nur als Leistungen des lebenden Gewebes verstanden werden. Wir haben in ihre Einzelheiten wenig Einblick. Zwei Wirkstoffe sind für das Knochengewebe von großer Bedeutung, ein Nahrungsfaktor, das Vitamin D, und ein endokriner Faktor, das Hormon der Nebenschilddrüsen. C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen

Wir behandeln diese beiden Faktoren später ausführlicher (S. 688 und S. 752). Beide wirken nur zum Teil direkt auf den Knochen. Ihre wesentliche Wirkung betrifft die Zusammensetzung der Körpersäfte. Das Vitamin D fördert die Aufnahme

Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen

659

des Calciums im Darm; das Parathormon reguliert die Ausscheidung des Phosphats in den Nieren. Die direkte Wirkung des Vitamins D auf den Knochen läßt sich biochemisch nicht genauer umschreiben. Sein Fehlen führt zur Rachitis mit typischen histologischen Veränderungen des Knochengewebes, denen wahrscheinlich Veränderungen der submikroskopischen Struktur parallel gehen oder sogar zugrunde liegen. Die Störung äußert sich, was den stofflichen Auf bau des Knochens betrifft, in einem verminderten Gehalt des Gewebes an Calcium und Phosphat. Der rachitische Knochen fixiert weniger Mineralstoffe als der normale.

Abb. 66. Schema der Wirkung des P a r a t h o r m o n s und des V i t a m i n s D auf den Ca- und P h o s p h a t s t o f f w e c h s e l (siehe Text).

Die direkte Wirkung des Nebenschilddrüsenhormons scheint in einer Förderung der Abbauvorgänge, d. h. einer Stimulation der Osteoklasten, zu bestehen, die zu einer Mobilisierung von C a + + - und Phosphationen führt (Genaueres vgl. S. 689). Abb. 66 gibt eine schematische Übersicht der Wirkungen der beiden Faktoren. Wir verweisen, was die Einzelheiten betrifft, auf die Kapitel Vitamine (S. 752) und Hormone (S. 688). Knochenveränderungen sind auch unter dem Einfluß anderer endokriner Drüsen feststellbarBei Akromegalie, also bei Überproduktion des Wachstumshormons (vgl. S. 711), findet man eine starke Verdichtung der Knochenstruktur, bedingt durch Anbau an die Knochenbälkchen. Es handelt sich hier wohl um die allgemeine Wirkung des Wachstumshormons, welches in allen Geweben, vorwiegend auch im Stützgewebe, die Substanzvermehrung fördert. Beim sog. C u s h i n g sehen Syndrom, einer endokrinen Störung, die durch basophile Adenome des Hypophysenvorderlappens bedingt ist, ebenso beim sog. adrenogenitalen Syndrom, dessen Ursache eine Hyperplasie oder Tumoren der Nebennierenrinde sind, besteht eine ausgesprochene

660

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

Entkalkung des Skeletts (Osteoporose). Da gleichzeitig die Gonaden atrophieren, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob eine Überproduktion von Rindenhormonen oder der Ausfall der Sexualhormone für die Knochenveränderung verantwortlich ist (vgl. dazu das Kapitel Hormone).

Neben dem Parathormon und dem Vitamin D untersteht das Knochengewebe — und damit indirekt auch der Ca- und Phosphatstoffwechsel — noch zahlreichen anderen Einflüssen: endokrine, alimentäre usw.; sie sind meist schwer zu interpretieren. Für die Entwicklung der Knochen und insbesondere der Zähne spielt das Fluor eine Rolle. Doch ist über die Natur seiner Wirkung wenig Sicheres bekannt. Auch andere Spurelemente sind von Bedeutung; so ist beim Hühnchen eine Störung der Knochenentwicklung bei Manganmangel bekannt. Es handelt sich hier am ehesten um Einwirkungen auf den Zellstoffwechsel. Merkwürdigerweise ist der Knochen dasjenige Gewebe, welches am meisten Citronensäure enthält; 70% der gesamten Citronensäure des Organismus finden sich im Skelett 1 ). Die Bedeutung dieser Tatsache ist noch völlig unklar. Calcium bildet mit Citronensäure nicht ionisierte Komplexe (ein kleiner Teil des Ca im Blut ist in dieser Form vorhanden), so daß eine enge Verbindung der Citronensäure mit den anorganischen Bestandteilen des Knochens anzunehmen ist. Durch Citratgaben läßt eich die Rachitis günstig beeinflussen (Shohl) 2 ). Da Citrat bei Injektion unwirksam ist, beruht der günstige Effekt möglicherweise auf einer verbesserten Absorption des Ca im Darm 3 ). Auch die Ausscheidung von Ca wird durch Citratinjektion erhöht. D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

Neben seinen mechanischen Funktionen hat das Knochengewebe eine wichtige Aufgabe im Dienst des Mineralstoffhaushalts zu erfüllen: Es stellt die Calcium- und Phosphatreserve des Körpers dar. Mit dem Urin und den Fäces geht beständig eine gewisse Menge der beiden Ionen verloren. Können sie aus der Nahrung nicht ersetzt werden, so greift der Organismus auf das Skelett zurück. Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet das weibliche Tier während der Lactationsperiode. Der Gehalt der Milch an Calcium und Phosphat geht nicht zurück, auch wenn die Zufuhr in der Nahrung der Mutter ungenügend ist. Diese Stoffe werden dem mütterlichen Skelett entzogen, welches weitgehend entkalkt werden kann. Die im Dienste der Fortpflanzung stehende Milchdrüse hat also bei der Versorgung mit Kalk und Phosphat die unbedingte Priorität gegenüber den anderen Geweben des mütterlichen Organismus

Umgekehrt wird bei Zufuhr von Phosphat oder von Calcium ein beträchtlicher Teil in das Skelett aufgenommen. Dies läßt sich eindeutig mit Hilfe der radioaktiven Isotope zeigen (vgl. S. 222). Vom Ca finden sich nach 24 Stunden 95%, vom Phosphat 40% in den Knochen. In den Röhrenknochen nimmt die Epiphyse zunächst bedeutend mehr auf als die Diaphyse, offenbar weil sie mehr Spongiosa einschließt und besser durchblutet ist. Nach einigen Wochen gleicht sich der Gehalt an radioaktivem Phosphat zwischen den verschiedenen Teilen des Knochens aus (Versuche an der Ratte). Dies deutet daraufhin, daß innerhalb der Knochensubstanz Phosphationen ausgetauscht werden können. Ahnlich wie die Knochen verhalten sich auch die Zähne. Die schnell wachsenden Schneidezähne der Ratte z. B. nehmen radioaktives Phosphat sehr rasch auf, und zwar nicht nur in der Wachstumszone der Wurzel, sondern auch in der Spitze. Das aufgenommene Phosphat verteilt sich also rasch durch das ganze Dentin. !) D i c k e n s , Biochem. J. 35, 1011 (1941). s ) S h o h l , J. Nutrition 14, 69 (1937); New England J. Med. 220, 515 (1939). 8 ) N i c o l a y s e n u. N o r d b a , Acta physiol. Scand. 6, 212 (1943).

Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

661

Nach Injektion von markiertem Phosphat nimmt der Knochen die Verbindung außerordentlich rasch (schon innerhalb weniger Minuten) auf und hält sie dann während langer Zeit fest, währenddem aus dem Blut die Radioaktivität ziemlich rasch wieder verschwindet. Die erste rasche Aufnahme erfolgt wahrscheinlich durch I o n e n a u s t a u s c h an der Oberfläche der Apatitkristalle. Es handelt sich um ein Adsorptionsgleichgewicht, das der Freundlichschen Isotherme folgt und sich sehr rasch einstellt. Man kann sich vorstellen, daß die Kristallite an ihrer Oberfläche eine Ionenschicht adsorbiert halten, die mit den Ionen der umgebenden Lösung im Gleichgewicht, d. h. in ständigem Austausch steht. Die ungeheure Oberfläche der ultramikroskopischen Kristalle gestattet es offenbar den Knochen, auf diese Weise eine beträchtliche Menge Phosphatoder Calciumionen provisorisch zu binden. Wahrscheinlich werden die oberflächlich adsorbierten Ionen allmählich auch durch Austausch in das Kristallgitter aufgenommen. Ob bei der vorläufigen Ionenbindung auch die organischen Bestandteile der Grundsubstanz eine Rolle spielen, ist eine offene Frage. Die Chondroitinschwefelsäure enthält fest an die Struktur gebundene ionisierte Sulfatgruppen. Ein derartiges Gel könnte als Ionenaustauscher wirken, indem es in seinen Maschen positiv geladene Ionen, z. B. Ca"1 + , festhält. Wir wissen nicht, ob die Bedingungen für eine solche Wirkung in der Grundsubstanz erfüllt sind. Der größte Teil der primär adsorbierten Phosphationen wird aber allmählich mit Ca ++ -Ionen reagieren und auf die oben geschilderte Weise in Apatit übergehen. Dies kann durch Anbau an vorhandene oder durch Bildung neuer Kristallite geschehen. Das Knochengewebe scheint bei überschüssiger Zufuhr von Calcium oder Phosphat immer eine gewisse Menge in Form der Knochenmineralien fixieren zu können, vor allem natürlich der wachsende jugendliche oder der durch Mangel erschöpfte Knochen.

Die Auflösung der Knochenmineralien, die Déminéralisation des Gewebes, ist immer mit der totalen Resorption des Gewebes verbunden. Die Mineralstoffe können, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Umfang aus der Grundsubstanz herausgelöst werden. Es betrifft dies wahrscheinlich nur den oben erwähnten adsorbierten Anteil der Ionen, der mit dem Blut im Gleichgewicht steht. Wo man unverkalkte Grundsubstanz findet (osteoides Gewebe, Rachitis, Osteomalacie), ist es durch Neubildung und nicht durch Entkalkung vorhandener Knochensubstanz entstanden. Die Resorption des Knochengewebes ist das Werk besonderer Zellen, der Osteoklasten. Die Aufnahme wie auch die Mobilisierung der Mineralstoffe geht in denjenigen Teilen des Knochens mit größter Leichtigkeit vor sich, welche den umspülenden Säften und den angreifenden Zellen die größte Oberfläche darbieten. Dies ist die Spongiosa, bei den Röhrenknochen vorwiegend die Gegend der Metaphyse. Hier ist der Knochen auch am besten durchblutet. Die Spongiosa ist nicht nur in mechanischer, sondern auch in chemischer Hinsicht der anpassungsfähigste Teil des Knochens. Durch Vermehrung und geeignete Anordnung der Trabeculae kann er sich jeder mechanischen Beanspruchung anpassen. Die feinen Knochenlamellen können aber auch leicht eingeschmolzen werden und liefern bei mangelhafter Zufuhr oder verstärkter Abgabe (Lactation!) das nötige Calcium. Dank dieser Reserve kann der Organismus — normales Funktionieren der Regulationsvorgänge vorausgesetzt — den Blutspiegel des Calciums aufrecht erhalten, dessen Absinken für den ganzen Organismus schwere Folgen zeitigen würde (vgl. S. 555 und 691). B e d a r f u n d A b s o r p t i o n v o n Ca u n d P. Der tägliche Bedarf des erwachsenen Menschen wird zu etwa 1 g Ca und 1—2 g P angegeben. Nicht alles Calcium der Nahrung ist verwertbar. Ein beträchtlicher Teil entgeht der Absorption durch Bildung unlöslicher Salze im Darm. Als kalkfallende Stoffe der Nahrung kommen in Frage : anorganisches Phosphat, Fettsäuren (Bildung von Kalkseifen) und Phytin. Das letztere findet sich in den hoch ausgemahlenen Mehlen (dunklem Brot) in ziemlicher Menge und vermindert die Absorbierbarkeit des Ca; die Frage hat daher praktisch eine gewisse Bedeutung. Ein großer Teil des Calciums und Phosphats der Fäces besteht aus nicht absorbierten schwerlöslichen

662

Die Lfbpr

Salzen. Die Menge, die wieder in den Darm ausgeschieden wird, ist entgegen der älteren Ansicht nicht groß (nach Versuchen mit radioaktivem Phosphat etwa 1 / 10 des gesamten Phosphats der Exkremente). Soweit die einmal absorbierten Ionen wieder ausgeschieden werden, geschieht dies wohl eher mit den Verdauungssäften im oberen Darmabschnitt (z. B. Galle) und nicht im Dickdarm, wie früher angenommen wurde. Auf Grund von Versuchen über die experimentelle Rachitis der Ratte (vgl. S. 754) wurde vielfach dem Verhältnis von Calcium und Phosphat in der Nahrung eine große Bedeutung zugeschrieben. Man nahm an, daß das Verhältnis Ca: P = 2:1 (welches ungefähr der relativen Menge der beiden Elemente im Knochen entspricht) optimal sei und die beste Ausnützung gewährleiste. Es scheint aber, daß bei genügender Zufuhr eines jeden der beiden Ionen ihr gegenseitiges Verhältnis keine entscheidende Bedeutung hat. Das Skelett nimmt allerdings während der Wachstumsperiode Ca und P im Verhältnis 2:1 auf. Andererseits aber sind die weichen Gewebe viel reicher an P als an Ca und brauchen dementsprechend mehr Phosphat. Beim Erwachsenen dürfte daher eher ein kleiner Überschuß von Phosphat, beim wachsenden Kind ein kleiner Überschuß von Ca dem tatsächlichen Bedarf entsprechen1).

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel) Wir haben die wichtigsten Stoffwechselfunktionen der Leber bereits in den verschiedenen Kapiteln über den Intermediärstoffwechsel besprochen und wollen hier nur noch eine allgemeine Übersicht geben. Die große Bedeutung der Leber beruht hauptsächlich auf ihrer besonderen Lage im Pfortaderkreislauf: Sie ist als Durchgangsstation des Blutstroms zwischen den Darm und den allgemeinen Kreislauf eingeschaltet. Der größte Teil der im Darm aufgenommenen Stoffe muß die Leber passieren, bevor er die übrigen Gewebe erreichen kann. Dadurch kann sie den Zustrom der Nährstoffe ins Blut regulieren und als Filter unerwünschte Stoffe zurückhalten. Die Blutversorgung der Leber ist beträchtlich; sie empfängt insgesamt durch die Vena portae und die Arteria hepatica 1 / 4 bis 1 / 3 des gesamten vom Herzen ausgeworfenen Bluts (neuere Messungen am Menschen ergaben für den Erwachsenen einen Blutfluß von etwa 1400 ccm pro Minute). Dementsprechend ist auch der Anteil am gesamten Energieumsatz im Verhältnis zur Größe des Organs (etwa 1 / 30 des Körpergewichts) sehr hoch. Die Leber ist, wie C l a u d e B e r n a r d hervorgehoben hat, gleichzeitig eine Drüse mit äußerer und innerer Sekretion. Sie gibt nach außen, d. h. in den Darm, die Galle ab, zugleich aber sezerniert sie ins Blut zahlreiche Produkte ihres Stoffwechsels, unter denen mengenmäßig wohl die Glucose an erster Stelle steht. Die Zufuhr der Nahrung und die Absorption der Nährstoffe aus dem Darm erfolgen diskontinuierlich in Schüben. Dagegen sind die grundlegenden Stoffwechselreaktionen kontinuierliche Vorgänge. Die einzelnen Zellen verfügen in der Regel nur über kleine Reserven an Nährstoffen und sind daher auf die ständige Versorgung durch das Blut angewiesen. Da sich auch die Vorräte des Bluts rasch erschöpfen M Vgl. H. C. S h e r m a n : Calcium and phosphates in foods and nutrition. Univereity Press, New York 1948.

Columbia

Die Leber

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würden, muß der Körper in gewissen Organen über größere Reserven der unentbehrlichen Nährstoffe verfügen, die außerhalb der Verdauungsperioden an das Blut abgegeben werden können, sonst wäre ein kontinuierliches, von der Nahrungszufuhr unabhängiges Funktionieren des Stoffwechsels nicht denkbar. Das Stoffgemisch, das im Darm aufgenommen wird, ist den Bedürfnissen der verschiedenen Zellen in keiner Weise angepaßt. Es enthält einzelne Stoffe im Überschuß, andere in zu geringer Menge; es können auch Stoffe vorhanden sein, die allgemein oder für einzelne Zellarten toxisch wirken. Die Stoffe, die im Überschuß absorbiert werden und von den Geweben nicht unmittelbar verwertet werden können, müssen in irgendeiner Form gespeichert werden, wenn sie dem Organismus nicht verlorengehen sollen; andererseits muß die Möglichkeit bestehen, in der Nahrung fehlende oder in zu geringer Menge vorhandene Stoffe aus anderem Material zu synthetisieren. Und schließlich müssen unerwünschte Substanzen vor dem Übertritt in den allgemeinen Kreislauf eliminiert werden. An allen diesen Vorgängen, welche die kontinuierliche Ernährung der Gewebe und überhaupt die Erhaltung des normalen milieu intérieur sicherstellen, nämlich 1. Ausschüttung von Nährstoffen ins Blut, auch wenn keine Nahrung aufgenommen wird; 2. Speicherung überschüssiger Nährstoffe; 3. gegenseitige Umwandlung und Synthese von Nährstoffen; 4. Eliminierung körperfremder und schädlicher Stoffe; ist die Leber in hervorragender Weise beteiligt. Dazu kommen als weitere Funktionen : 5. Bildung des Harnstoffs und anderer Endprodukte des Intermediärstoffwechsels und 6. Bildung des spezifischen Sekrets, der Galle, welches als Ausscheidungsweg für verschiedene Stoffe dient. Aus dieser Aufzählung, welche nur die wichtigsten Funktionen der Leber umfaßt, geht hervor, daß ihre chemischen Leistungen äußerst mannigfaltig sein müssen. Die wichtigsten sind größtenteils in früheren Kapiteln in anderem Zusammenhang schon besprochen worden. ad 1. Eine der wichtigsten Funktionen dieser Art ist die Abgabe von Glucose an das Blut. Sie ist dem Verbrauch in der Peripherie so genau angepaßt, daß der Blutzuckerspiegel auch bei stärkstem Kohlehydratverbrauch erhalten bleibt. Die dabei wirksamen Regulationsvorgänge wurden früher ausführlich besprochen (siehe Kapitel Kohlehydratstoffwechsel). Die Glucose kann entweder direkt aus dem Glycogen entstehen (Glycogenolyse) oder durch Neubildung aus anderen nicht zuckerartigen Stoffen — Milchsäure, glucoplastische Aminosäuren — gebildet werden. Die Leberproteine und die mit der Nahrung zuströmenden Aminosäuren sind wichtige potentielle Quellen des Blutzuckers. Bei Erschöpfung des Glycogengehalts der Leber, die unter verschiedenen Bedingungen eintreten kann, setzt eine gesteigerte Oxydation der Fettsäuren ein, und es kommt zur Bildung vermehrter Mengen von Acetonkörpern — Acetessigsäure, Aceton, ß-Oxybuttersäure —, die von der Leber nicht verbrannt werden können und ins Blut übergehen. Da die Acetonkörper besonders beim Diabetiker in großer Menge auftreten können, hat man sich die Frage vorgelegt, ob ihre Bildung nicht einen kompensatorischen Vorgang darstellt, durch welchen die Leber den Geweben an Stelle der im diabetischen Organismus schwer verwertbaren Glucose Ersatz-

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Die Leber

stoffe, die Acetessigsäure und /J-Oxybuttereäure, zur Verfügung stellt. Tatsächlich können die Gewebe durch Oxydation dieser Säuren im Citronensäurecyklus Energie gewinnen, doch verläuft diese Oxydation verhältnismäßig langsam, und der größte Teil der Acetonkörper geht dem Organismus durch Ausscheidung im Urin verloren. Außerdem bedeutet die dauernde Überschwemmung der Gewebe mit diesen stark sauren Stoffwechselprodukten eine derartige Belastung des Säure-Basen-Haushalts, daß ihre Bildung kaum als zweckmäßiger regulatorischer Vorgang betrachtet werden kann. Das Auftreten der Acetonkörper in größeren Mengen ist immer ein pathognomonisches Zeichen für eine Störung des Intermediärstoffwechsels in der Leber, die sich in gewissen Fällen, so z. B. im Hunger, noch innerhalb physiologischer Grenzen hält, im schweren Diabetes aber alle Sicherungen durchbrochen hat. Über das besondere Verhalten der Leber bei Insulinmangel vgl. S. 344. Wie wir früher gesehen haben, gibt die Leber auch Lipide und Eiweißbausteine ans Blut ab; doch sind die Verhältnisse hier weniger übersichtlich als bei der Glucosesekretion. Der Strom der Glucose fließt immer in der gleichen Richtung von der Leber, als dem Produzenten, nach den peripheren Geweben, als den Verbrauchern. Was andere Organe (Niere, Darmschleimhaut usw.) bei fehlender äußerer Zufahr allenfalls abgeben können, fällt neben der Glucoseproduktion der Leber nicht ins Gewicht. Lipide und Aminosäuren dagegen können auch von anderen Organen ins Blut ausgeschüttet werden; je nach den vorliegenden Verhältnissen werden sie bald von den peripheren Geweben in die Leber, bald von der Leber nach den peripheren Geweben verschoben. Die Leber spielt zwar auch hier eine wichtige Rolle als r e g u l i e r e n d e s Organ, ist aber nicht einseitig der Lieferant wie beim Zucker. ad 2. Die Bereitschaft der Leber, Glucose ins Blut nachzuliefern, hängt aufs engste mit ihrer Fähigkeit zusammen, Glucose und andere Stoffe, die leicht in Glucose übergehen (Milchsäure, andere Hexosen), a l s G l y c o g e n zu s p e i c h e r n . Die Leber ist das glycogenreichste Organ. Sie kann bei reichlicher Kohlehydratzufuhr sehr große Mengen aufnehmen. Beim Hund hat man bis 18% des Frischgewichts gefunden, beim Frosch sogar 20%. Normalerweise ist der Gehalt allerdings wesentlich kleiner, etwa 1—4% (je nach dem Zustand des Tieres: Arbeit oder Ruhe). Für den Menschen sind sichere Werte schwer erhältlich, da die Analyse nur dann richtige Werte gibt, wenn sie am frischen Organ ausgeführt werden kann. Das Leberglycogen wird auch bei konstantem Bestand sehr rasch erneuert (in einem Tag etwa die Hälfte des Gesamtbestands; siehe S. 324). Die Leber ist auch ein Speicherorgan für das F e t t . Im Gegensatz zu den übrigen Stoffen umgeht das Nahrungsfett die Leber, da es zum größten Teil nicht durch die Pfortader, sondern auf dem Lymphweg absorbiert wird und sich durch den Ductus thoracicus direkt in den allgemeinen Kreislauf ergießt. Trotzdem nimmt die Leber, wie vor allem die Versuche mit markiertem Fett gezeigt haben, einen beträchtlichen Anteil des Nahrungsfettes auf. Darüber hinaus aber ist die Leber imstande, Kohlehydrat in großem Umfang in Fett überzuführen und als solches zeitweise zu speichern, bis es in die peripheren Depots abgeführt werden kann (siehe S. 365). Der mittlere Fettgehalt der Leber dürfte etwa 2—3% betragen, kann aber nach fettreicher Nahrung sehr stark ansteigen (bei der Ratte bei cholinfreier, fettreicher Ernährung über 30% des Frischgewichts). Die Leber enthält neben dem Neutralfett beträchtliche Mengen von Cholesterinestern und Phosphatiden. (Bei der Ratte wurden z. B. folgende Werte gefunden: 8,4% Gesamtlipide, 2,1% Phosphatide, 0,2% freies Cholesterin, 1,5% Cholesterinester.)

Die Leber

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Die Phosphatide können aber nur zum Teil als Reservematerial betrachtet werden; ein gewisser Anteil ist Bestandteil des Protoplasmas und irgendwie in die Zellstruktur eingebaut. T e r r o i n e (1919) hat darauf hingewiesen, daß man ganz allgemein in den Geweben zwei Anteile der Gesamtlipide unterscheiden muß : Der erste wird im wesentlichen durch das Neutralfett dargestellt. Es handelt sich um Reservematerial, das in die Zellen eingelagert wird und dessen Menge je nach den äußeren und inneren Bedingungen — Zufuhr, Verbrauch — starken Schwankungen unterworfen ist („élément variable"). Den zweiten Anteil bilden die Lipide, hauptsächlich Phosphatide, im Nervengewebe auch Cerebroside, welche Strukturbestandteile der Zellen und Gewebe bilden. Ihre Menge und Zusammensetzung ist nicht oder nur wenig von den äußeren Bedingungen abhängig, was sich vor allem darin äußert, daß sie auch bei protrahiertem Hunger nicht aus den Geweben verschwinden („élément constant"). Ihre Menge macht bei der Ratte etwa 1,5% des Körpergewichts aus. Die Unterscheidung des „élément constant" und des „élément variable" der Lipide ist nützüch, wenn auch die Grenze wahrscheinlich nicht scharf gezogen werden kann. Eine wichtige Rolle spielt schließlich die Leber als E i w e i ß s p e i c h e r . Wir haben früher darauf hingewiesen, daß sich Veränderungen der Eiweißzufuhr in keinem Organ so rasch zu erkennen geben wie gerade in der Leber. Bei Eiweißmangel nimmt der Proteingehalt der Leber schon innerhalb weniger Tage stark ab. Man kann daraus schließen, daß das Organ unter diesen Bedingungen beträchtliche Mengen Proteine oder Eiweißbausteine ans Blut abgibt. Umgekehrt hält die Leber bei Zufuhr von Aminosäuren aus dem Darm einen Teil derselben zurück und baut sie wahrscheinlich zu Proteinen auf, die bei Bedarf wieder abgegeben werden können. Näheres siehe Kapitel Eiweißstoffwechsel. Als weiteres Beispiel einer Speicherfunktion der Leber sei schließlich noch die Anreicherung verschiedener S c h w e r m e t a l l e erwähnt, die besonders beim Neugeborenen sehr ausgesprochen ist. Dies hängt, wie B u n g e für das E i s e n zum erstenmal gezeigt hat, damit zusammen, daß die Milch sehr arm an Spurelementen ist. Der Säugling deckt seinen Bedarf an Eisen, Kupfer, Mangan während der ersten Lebensmonate aus den Vorräten seiner Gewebe, insbesondere der Leber, da die Zufuhr mit der Milch ungenügend ist. Bei Rindsföten ist z. B. der Fe-Gehalt der Leber etwa zehnmal so groß wie bei erwachsenen Tieren. Im Verlauf der ersten 4 Lebenswochen sinkt er aber fast auf den Wert des erwachsenen Tieres ab. Offenbar wird das Eisen hauptsächlich für die Hämoglobinsynthese verwendet. M a n g a n g e h a l t der Leber bei verschiedenen Tierarten 0,12—0,35 mg/100 g Frischgewicht, beim Menschen etwa 0,2 mg%; K u p f e r g e h a l t : 3—9 mg/100 g Frischgewicht. ad 3. Eine der wichtigsten Umwandlungen von Nährstoffen, die in der Leber stattfinden, ist die S y n t h e s e v o n F e t t a u s K o h l e h y d r a t . Wir haben darauf hingewiesen, daß beim gut genährten Tier ein beträchtlicher Teil des nicht oxydierten Zuckers in Fett übergeht (vgl. S. 324). Diese Reaktion ermöglicht auch nach Auffüllung aller Glycogenreserven eine weitere Aufspeicherung der chemischen Energie des Nahrungskohlehydrats in Form der Fettsäuren. Von lebenswichtiger Bedeutung ist die Gluconeogenese, die U m w a n d l u n g v o n E i w e i ß in G l u c o s e . Die Aminosäuren, die Glucose liefern (glucoplastische Aminosäuren), sind auf S. 386 aufgezählt. In der Unfähigkeit, Aminosäuren in genügendem

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Umfang in Zucker überzuführen, liegt eine der hauptsächlichsten Störungen beim Ausfall der Nebennierenrinde. Es sprechen viele Tatsachen dafür, daß die Leber an der S y n t h e s e d e r P l a s m a p r o t e i n e beteiligt ist, doch sind die Einzelheiten des Vorgangs noch wenig geklärt. Es ist möglich, daß sie einzelne individuelle Proteine liefert (für das Prothrombin ist dies sichergestellt, für das Fibrinogen wahrscheinlich); es ist auch möglich, daß sie Bausteine für die Plasmaproteine in Form von Polypeptiden beiträgt. Verschiedene klinische Beobachtungen deuten darauf hin, daß vor allem die Bildung der Serumalbumine von der Leber abhängig ist. Wir können die zahlreichen weiteren biochemischen Synthesen, an denen die Leber teil hat oder deren Sitz sie ist, nicht anführen. Die wichtigsten wurden in den Kapiteln über den Intermediärstoffwechsel erwähnt. ad 4. Die sog. „Entgiftungsreaktionen", von denen die hauptsächlichsten früher besprochen wurden (Bildimg gepaarter Glucuronsäuren vgl. S. 321 und S. 615; Bildung gepaarter Schwefelsäuren vgl. S. 613), haben teilweise ihren Sitz in der Leber; sicher sind aber in verschiedenen Fällen (z. B. Hippursäuresynthese) auch andere Organe wie die Nieren daran beteiligt. Die Leber eignet sich natürlich von allen Organen am besten zum Abfangen fremder Stoffe, die im Darm aufgenommen werden, denn alles vom Darm herkommende Blut muß dieses Organ passieren. Eine wichtige Funktion ist die Entgiftung von Stoffen, die im Darm durch Fäulnisvorgänge entstehen, da viele derselben toxische Eigenschaften haben (Amine, Phenole, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Mercaptane usw.). Doch können auch körpereigene Stoffe in der Leber durch „Entgiftungsreaktionen" harnfähig gemacht oder, wenn es sich um Wirkstoffe handelt, in inaktive Produkte verwandelt werden. Hier sind z. B. das P r o g e s t e r o n und die Ö s t r o g e n e n H o r m o n e zu nennen. Bekanntlich wird das P r o g e s t e r o n in P r e g n a n d i o l übergeführt (welches völlig inaktiv ist) und dieses wird als Glucuronid ausgeschieden (S. 725). Wahrscheinlich findet die Reduktion und Kuppelung mit der Glucuronsäure in der Leber statt. Die perorale Verabreichung von Progesteron ist viel weniger wirksam als die parenterale. Teilweise Entfernung der Leber führt aber zu einer starken Wirkungssteigerung des peroral zugeführten Hormons. Die Östrogenen Hormone werden in der Leber inaktiviert. Dies ist auf verschiedenen Wegen eindeutig nachgewiesen worden. Bebrütung mit Leberbrei oder Organschnitten zerstört die Aktivität von östradiol. Es soll dafür ein besonderes Ferment, „Östrinase", verantwortlich sein (Zondek). Perfusion der Leber mit östradiol führt ebenfalls zur Inaktivierung des Hormons, währenddem andere Organe unwirksam sind. Ahnliche Resultate hat man auch durch Einpflanzung des kristallisierten Hormons in die Milz der kastrierten Ratte erhalten. Solange die Milz an den Pfortaderkreislauf angeschlossen bleibt, tritt keine Hormonwirkung ein, wohl aber bei Transplantation des Organs, welche den direkten Zutritt des Hormons in das Blut unter Umgehung der Leber gestattet. Bei Leberzirrhose kann es beim Mann zur Vergrößerung der Brüste (Gynäkomastie) und Atrophie der Hoden kommen, weil die Östrogenen Stoffe der Nebennierenrinde durch die Leber nicht mehr inaktiviert werden. Die Bildung der konjugierten Östrogene (östronsulfat, Östriolglucuronid) erfolgt sehr wahrscheinlich ebenfalls in der Leber.

ad 5. Die Harnstoffbildung wurde S.430 u.ff. ausführlich besprochen. Wir haben dort auch auf die zweifache physiologische Bedeutung der Harnstoffsynthese in der Leber hingewiesen: als Entgiftungsreaktion, welche das durch die Pfortader zuströmende Ammoniak fixiert, und als wichtigste Endstufe des N-Stoffwechsels, durch welche der größte Teil des Eiweißstickstoffs in die harnfähige Ausscheidungsform übergeführt wird. Die Vogelleber synthetisiert an Stelle des Harnstoffs die Harnsäure (vgl. S. 463).

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ad 6. Als spezifische Produkte der „äußeren" Sekretion der Leber können vor allem die G a l l e n s ä u r e n angesehen werden. Sie stellen jedenfalls ein Produkt der Leberzellen dar und werden aus dem Cholesterin als Muttersubstanz gebildet (vgl. S. 371). C h o l e s t e r i n selbst wird ebenfalls in der Leber synthetisiert (vgl. S. 369). Ob Cholesterin auch noch in anderen Geweben gebildet werden kann, ist unbekannt. Wahrscheinlich werden durch die Galle auch noch andere Sterine ausgeschieden. Ein weiteres typisches Ausscheidungsprodukt, das den Körper durch die Galle verläßt, ist das B i l i r u b i n . Über seine Bildung, die zur Hauptsache in der Milz oder, wenn in der Leber, in deren reticulo - endothelialen Zellen erfolgt, siehe Kapitel Blut, S. 593 u. ff. I n bezug auf die Mannigfaltigkeit der chemischen Leistungen und die Größe des Stoffumsatzes steht die Leber sicher unter allen Organen an erster Stelle. Die Isotopenversuche, die wir bei verschiedener Gelegenheit erwähnt haben, haben gezeigt, daß die gesamte Substanz der Leber — Kohlehydrate, Lipide, Proteine, Nucleinsäuren — in rascher Umsetzung begriffen ist, welche diejenige der meisten anderen Organe beträchtlich übertrifft. Dies zeigt deutlich die zentrale Stellung, welche sie im Intermediärstoffwechsel einnimmt. Die Leber verfügt im allgemeinen nicht nur über große stoffliche, sondern auch über beträchtliche f u n k t i o n e l l e Reserven, d. h. die wichtigsten Funktionen (z. B. die Harnstoffsynthese) können von einem Bruchteil des Parenchyms noch bewältigt werden, sofern dieses nur intakt ist. Dies geht sowohl aus Tierexperimenten (partielle Hepatektomie) wie auch aus klinischen Beobachtungen hervor.

Anhang: Das Amyloid Als Amyloid (Virchow) wird ein Stoff eiweißartiger Natur bezeichnet, der gelegentlich in großer Menge in die Gewebe (hauptsächlich Milz und Leber) eingelagert wird, und zwar extrazellulär, zwischen die Zellen. Bekannte Ursachen der „Amyloidose" können chronische Infekte, Lues, Tuberkulose usw. sein; doch ist nicht immer eine Grundkrankheit erkennbar. Amyloid färbt sich mit Jod rotbraun und nimmt gewisse Farbstoffe (Methylviolett, Kongorot u. a.) auf. Es enthält wahrscheinlich ein Mucopolysaccharid, nach älteren Angaben Chondroitinsulfat. Von großem Interesse ist der neue Befund von K l e n k 1 ) , wonach im Amyloid N e u r a m i n s ä u r e vorkommt (vgl. S. 52). Über seine Entstehung ist wenig sicheres bekannt. Man hat schon angenommen, daß es durch eine Art Antigen-Antikörperreaktion gebildet wird 2 ). 1 ) 2

K l e n k u. F a i l l a r d , Zschr. physiol. Chem. 299, 191 (1955). ) L e t t e r e r , Virchows Arch. 293, 34 (1934).

V. T e i l

Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen Die einzelnen Zellen und Organe eines vielzelligen Lebewesens besitzen eine gewisse Autonomie und Eigengesetzlichkeit: Ein aus dem Körper entferntes Stückchen Gewebe verbraucht weiter Sauerstoff und bildet Kohlensäure, der herauspräparierte Muskel bleibt reizbar, das isolierte Herz kann während Stunden weiterschlagen usw. Aber erst durch die planmäßige Zusammenfassung aller Einzelleistungen zu einer Gesamtleistung wird die Anhäufung von Zellen und Zellstrukturen, die den Körper der Pflanzen und der Tiere bilden, zu einem O r g a n i s m u s . Eine der großen Aufgaben der Physiologie liegt in der Erforschung der Einrichtungen, durch welche die Zusammenarbeit der einzelnen Teile eines Organismus erreicht wird. Wenn die Funktionen der verschiedenen Organe aufeinander abgestimmt werden sollen, so müssen Vorrichtungen vorhanden sein, durch welche sie aufeinander einwirken können, denn nur so ist eine Koordination ihrer Leistungen überhaupt denkbar. Wir kennen im wesentlichen zwei Mittel, durch welche die Tätigkeit der Zellen und der Organe gelenkt und koordiniert werden können: 1. durch die Produktion von W i r k s t o f f e n , welche die Zellfunktionen in bestimmter Weise beeinflussen und die durch Diffusion oder Konvektion vom Ort ihrer Entstehung nach dem Ort ihrer Wirkung transportiert werden. Man nennt solche Stoffe gewöhnlich H o r m o n e . Wir können in diesem Fall von c h e m i s c h e r R e g u l a t i o n oder c h e m i s c h e r S t e u e r u n g sprechen. 2. durch E r r e g u n g s l e i t u n g ; das ist die Fortpflanzung einer bestimmten (hier nicht näher zu definierenden) Zustandsänderung (also kein Stofftransport!) entweder im undifferenzierten Protoplasma, meist aber in besonderen Leitungsbahnen, den Nerven. Wir sprechen im letzteren Fall von n e r v ö s e r R e g u l a t i o n . Siebenundzwanzigstes Kapitel

Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes Auf der einen Seite ist jede Zelle ein Einzelwesen mit seinen besonderen Eigenschaften, seinen speziellen Funktionen und seinem eigenen Lebenscyklus; andererseits aber sind bei den vielzelligen Organismen die meisten Zellen als Strukturbestandteile in die Gewebe eingefügt. Das individuelle Leben der einzelnen Zelle ist dadurch den Funktionen des Gewebes untergeordnet, dem sie angehört, und in vielen Fällen ist die Abhängigkeit der Einzelzellen vom Gewebe so eng geworden, daß sie außerhalb des Zellverbandes überhaupt nicht mehr oder nur für sehr beschränkte Zeit leben können. Es müssen also innerhalb der Gewebe ganz besondere Milieubedingungen bestehen, und es muß eine ständige Wechselwirkung zwischen den Zellen angenommen werden. Wo Zellen zu einem Verband zusammengeschlossen sind oder in einem gemeinsamen Milieu leben, tauschen sie notwendigerweise durch Diffusion Stoffe aus; es kann sich dabei um Nährstoffe, allgemeine

Die ohemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

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Zwischen- und Endprodukte des Zellstoffwechsels oder auch um spezifische Produkte bestimmter Zellen handeln. Es ist im einzelnen oft schwer festzustellen, welche Wirkungen die von einer Zelle produzierten Substanzen auf die Nachbarzellen ausüben; aber es ist sicher, daß die Abgabe von Wirkstoffen von einer Zelle an die andere ein wichtiges Mittel für die Regulation und Koordination der Funktionen innerhalb jedes Zellverbandes ist. Wir finden aber bei den niedrigen einzelligen Organismen auch schon Erscheinungen, die auf Reizleitung im Protoplasma hindeuten. Dazu gehört z. B. die Fortbewegung durch Geißeln (Cilien), wie sie bei vielen Mikroorganismen (Bakterien, Flagellaten) zu beobachten ist. Die Bewegung der einzelnen Geißel, insbesondere aber die gerichtete Fortbewegung der Zelle durch das koordinierte Schlagen vieler Geißeln ist nur bei Annahme einer Fortleitung von Reizen im Protoplasma verständlich. Auch bei den höheren Tieren, die bereits über besondere Apparate zur Reizleitung verfügen, kommt die Weiterleitung von Reizen im undifferenzierten Protoplasma noch vor, so z. B. bei den Flimmerepithelien, bei denen der Reiz, der die Cilien zum Schlagen veranlaßt, von einer Zelle zur anderen überspringt. Ebenso kann im Herzen bekanntlich die Muskulatur der Vorhöfe Reize nach dem A s c h o f f T a w a r a s c h e n Knoten weiterleiten, ohne daß in ihr ein besonderer Reizleitungsapparat zu erkennen wäre. Im allgemeinen wird aber im Tierreich schon bei den auf niedriger Entwicklungsstufe stehenden Formen die Reizleitung von besonders spezialisierten Zellen, den Nervenzellen, besorgt, und man kann sagen, daß mit der aufsteigenden Entwicklung von den niedrigen zu den höheren Formen die nervöse Regulierung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wahrscheinlich sind die Reizbarkeit und die Fähigkeit zur Weiterleitung von Reizen eine Grundeigenschaft des Protoplasmas. Sie sind aber im Lauf der Entwicklung von der Nervenzelle in besonderer Weise ausgebildet worden. Ein weites Gebiet ist der chemischen Steuerung bei den Entwicklungs- und Wachstums Vorgängen eingeräumt. Nervöse Regulation setzt bereits das Bestehen bestimmter Strukturen, nämlich des Nervensystems und der nervös gesteuerten Apparate, voraus. Es ist daher von vornherein anzunehmen, daß bei der Entstehung der Organismen aus der Eizelle chemische Einflüsse, die von Zelle zu Zelle wirken, eine wesentliche Rolle spielen. Die Entwicklungsphysiologie liefert uns dafür viele Beispiele. Die Bildung eines vielzelligen Organismus aus der Eizelle stellt allerdings eine der am schwersten verständlichen Leistungen der lebenden Substanz dar, wie denn das Problem der Formbildung überhaupt eines der schwierigsten und unzugänglichsten der Biologie ist. Es genügt nicht, daß die Zellen sich irgendwie teilen und vermehren. Wenn bestimmte Formen zustande kommen sollen, müssen die Folge der Zellteilungen und das Wachstum räumlich und zeitlich streng geregelt sein. Dies setzt mit hoher Präzision arbeitende Steuerungsvorgänge voraus. Die Zellteilung und die Neubildung von Geweben hört aber auch mit dem Abschluß des Wachstums nicht auf. Nach Schädigungen kann zerstörtes Gewebe in vielen Fällen wieder ersetzt werden (wobei allerdings die einzelnen Tierarten und Gewebe große Unterschiede der Regenerationsfähigkeit zeigen). Viele Gewebe sind überhaupt einer beständigen Erneuerung unterworfen, so der Knochen, die blutbildenden Gewebe, die Epithelien der Schleimhäute u. a. m. Der gesamte Zellbestand der Organe bleibt nach Abschluß des Wachstums im großen und ganzen konstant und ebenso bleibt ihre Form erhalten. Wenn eine Erneuerung der Gewebe im Rahmen der bestehenden Formen stattfinden soll, so müssen regulatorische Kräfte am Werk

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Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

sein, welche die Erhaltung der Gewebsarchitektur gewährleisten. Wäre dies nicht der Fall, so müßten die Zellen sich regellos und unbegrenzt vermehren und das Gewebe würde daher allmählich desorganisiert. Man kann z. B. die bösartigen Geschwülste als Gewebe betrachten, bei denen diese Lenkung des Wachstums in Wegfall gekommen ist (und zwar in diesem besonderen Fall durch eine Entartung der Zellen). In diesem Zusammenhang sind die Beobachtungen von großem Interesse, die man bei der Gewebszüchtung in vitro gemacht hat. Es gelingt bekanntlich, viele Gewebe außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten und wachsen zu lassen (Carrel); am besten eignen sich dazu embryonale Organe, die gewöhnlich in einer Mischung von Blutplasma und Embryonalextrakt gehalten werden. Bei der Züchtung in vitro bleiben aber die Gewebe meistens nicht in ihrem ursprünglichen Aufbau erhalten, sondern es tritt eine weitgehende Desorganisation ein. Die unter den Kulturbedingungen lebensfähigen Zellen beginnen aus dem Verband auszuwachsen und zu wuchern. Sie verlieren dabei ihre besonderen morphologischen Eigenschaften („Entdifferenzierung"). Man muß also annehmen, daß in solchen Gewebskulturen die im intakten Organismus tätigen, regulierenden Kräfte fehlen, ohne deren Wirksamkeit nur regellose Zellhaufen, nicht aber Organe mit bestimmter Struktur und Differenzierung der Zellen entstehen können. Offenbar spielt für die normale Entwicklung des Gewebes und die Differenzierung der Zellen der Umstand eine entscheidende Rolle, daß im Verband jede einzelne Zelle von anderen umgeben ist, mit denen sie in Wechselwirkung steht. Es gelingt unter geeigneten Bedingungen aber auch, die verschiedenartigsten embryonalen Gewebe in vitro zur geordneten Entwicklung und Differenzierung zu bringen. Man kann z. B. die knorpeligen Skelettanlagen von Hühner- und Rattenembryonen in vitro kultivieren. Sie entwickeln sich unter geeigneten Bedingungen in normaler Weise, und es kann zur Verknöcherung kommen. Hier handelt es sich nicht nur um eine Histogenese in vitro, sondern um eine eigentliche Organogenese. Ähnliche Erfahrungen wurden auch mit vielen anderen Geweben gemacht (Skelettmuskel, Herzmuskel, glatte Muskulatur, Metanephros von Hühnerembryonen, Rudimente des embryonalen Darmtrakts u. a. m.). Geordnetes und ungeordnetes Wachstum können in der gleichen Kultur nebeneinander beobachtet werden, und zwar entwickeln sich die ungestörten inneren Partien des Gewebes in geordneter Weise, während in der Randzone, in welcher bei der Präparation das Gewebe verletzt wurde und in welcher die Zellen in unmittelbarem Kontakt mit dem Kulturmedium stehen, die oben geschilderten ungeordneten Wachstumsvorgänge einsetzen. Diese Beobachtung zeigt deutlich, daß offenbar der gegenseitige Kontakt der Zellen für die normale Histogenese von großer Bedeutung ist. Wahrscheinlich sind die meisten Zellen nur innerhalb des Zellverbandes, dem sie natürlicherweise angehören, in der ihnen völlig adäquaten Situation, in welcher sie nicht nur die nötigen Lebensbedingungen vorfinden, sondern in der sie auch von den regulatorischen Einwirkungen, von denen die Histogenese abhängt, in geeigneter Weise getroffen werden. Bei der Kultur von Drüsengewebe in vitro hat man beobachtet, daß die Epithelien sich nur dann entwickeln können, wenn gleichzeitig Bindegewebe vorhanden ist, und daß umgekehrt die hemmungslose Wucherung der Bindegewebszellen aufhört, wenn Epithelzellen vorhanden sind (Chlopin, Erdmann). Es muß also zwischen den beiden Zellarten eine Wechselwirkung stattfinden.

Es handelt sich hier um äußerst verwickelte Beziehungen, die wir in ihrer Gesamtheit nicht zu übersehen vermögen. W i r m ü s s e n a b e r a n n e h m e n , d a ß bei d e r Lenkung der Wachstums- und Entwicklungsvorgänge neben der mechanischen Einwirkung b e n a c h b a r t e r S t r u k t u r e l e m e n t e und den allgemeinen physikalischen und chemischen Milieubedingungen (Temperatur, pH-Wert, Elektrolytgehalt) spezifische chemische Wirk u n g e n im S p i e l s i n d . Anders wäre das organisierte Wachstum und die Differenzierung der Zellen gar nicht denkbar. Die Entwicklungsphysiologie der Pflanzen

Die pflanzlichen Wuchsstoffe

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und der Tiere kennt eine große Zahl von Tatsachen, die eine chemische Steuerung der Wachstumsvorgänge beweisen oder zum mindesten wahrscheinlich machen. Wachstum und Entwicklung hängen sowohl von den den Zellen innewohnenden Potenzen als auch von äußeren Einwirkungen ab. E s ist aber im einzelnen Fall meist schwer zu entscheiden, in welcher Weise innere und äußere Faktoren an einem bestimmten Vorgang beteiligt sind. Sicher ist, daß Milieufaktoren bei allen Wachstums- und Entwicklungsvorgängen eine große Rolle spielen. Die erste Voraussetzung ist natürlich eine genügende Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen. Die Tatsache, daß die Gewebe in vitro nur bei Gegenwart von sehr komplexen Gemischen wie Embryonalextrakten und Blutplasma gezüchtet werden können, deutet darauf hin, daß neben den gewöhnlichen Bau- und Betriebsstoffen offenbar noch spezifisch wirkende Substanzen vorhanden sein müssen. Wie eine Reihe von Beobachtungen zeigt, hängt aber nicht nur das Wachstum der Gewebe, d. h. die Vermehrung der Zellen, sondern auch ihre Differenzierung von äußeren Faktoren ab. In dieser Hinsicht sind z. B. die oben bereits erwähnten Versuche über die Entwicklung von Skelettanlagen in vitro von großem Interesse. Der Eintritt der Verknöcherung hängt nämlich vom Alter der Embryonen ab, aus welchen die zur Herstellung der Nährflüssigkeit benötigten Extrakte gewonnen wurden (Verdam). Wurden z. B. Fragmente der Tibia von 7 Tage alten Hühnerembryonen in einem Medium kultiviert, das Extrakt aus gleichaltrigen Embryonen enthielt, so trat keine Verknöcherung ein; wohl aber wurde Knochensubstanz gebildet, wenn Extrakte von 13tägigen Embryonen verwendet wurden. Metacarpalanlagen von Rattenembryonen verloren in einem Milieu, welches Preßsaft aus jüngeren Embryonen enthielt, durch Rückdifferenzierung ihre histologische Struktur vollständig; bei Verwendung von Extrakten gleichaltriger Föten blieb das Gewebe unverändert, während mit Extrakten aus älteren Föten der normale Verknöcherungsprozeß einsetzte. Man muß aus solchen Beobachtungen schließen, daß der Eintritt bestimmter Entwicklungsprozesse von ehemischen Milieufaktoren abhängig ist, sei es, daß der Anstoß zur Entwicklung von im Milieu vorhandenen Wirkstoffen ausgeht, sei es, daß die den Zellen selbst innewohnenden Entwicklungspotenzen nur bei Gegenwart bestimmter Stoffe im Milieu wirksam werden können. Wir besprechen im folgenden zwei Beispiele etwas genauer, bei denen die chemische Lenkung der Vorgänge unzweifelhaft feststeht. 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe Aus dem Gebiete der Pflanzenphysiologie sei hier an die Wuchsstoffe (Auxine) erinnert, Stoffe, die das Streckungswachstum der Pflanzenzellen auslösen. (Bei der Streckung der Pflanzenzellen dehnt sich die Zellmembran; es kommt, da sich die Plasmahaut der Membran beständig anschmiegt, zu einer Vergrößerung der Vakuole, aber nicht zu einer Vermehrung der Protoplasmamenge. Der Vorgang muß streng vom Wachstum durch Zellteilung unterschieden werden.) Die Wirkungsweise der pflanzlichen Wuchsstoffe ist in ingeniösen Versuchen vor allem durch den Botaniker W e n t und seine Schüler aufgeklärt worden. Als Versuchsobjekt diente hauptsächlich die Koleoptile des Hafers. Folgendes sind die Grundversuche: Schneidet man der Koleoptile die Spitze ab, so hört das Wachstum auf. Setzt man die abgeschnittene Spitze wieder auf die Schnittfläche auf, so beginnt die Koleoptile wieder zu wachsen; legt man aber zwischen Spitze und Stumpf ein Blättchen Staniol, so tritt keine Reaktion ein. Es muß also in der Spitze (im Vegetationspunkt) ein Stoff gebildet werden, der basalwärts transportiert wird und die Zellen in der unterhalb der Spitze gelegenen Zone zur Streckung veranlaßt. Dies kann in eleganter Weise dadurch bewiesen werden, daß man die abgeschnittene Koleoptilenspitze auf kleine Agarklötzchen aufsetzt. Der Wuchsstoff diffundiert in den Agar hinein. Setzt man darauf an Stelle der abgeschnittenen Spitze das Agarklötzchen auf die Schnittfläche auf, so tritt die Wachstumsreaktion ein. (Es handelt sich um einen a k t i v e n , einseitig gerichteten Transport, nicht um bloße Diffusion.) Werden die Agarklötzchen einseitig auf die Schnittfläche aufgesetzt (so daß also nur die halbe Schnittfläche bedeckt wird), so erhält die eine Seite der Koleoptile mehr Wuchsstoff als die andere; sie wächst schneller und die Koleoptile krümmt sich (vgl. Abb. 67). Es hat sich gezeigt, daß innerhalb gewisser Grenzen der Ablenkungswinkel der im Agar enthaltenen Wuchsstoffmenge

Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

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proportional ist. Auf diese Weise ließ sich ein Test für die quantitative Bestimmung des Wuchsstoffes (in willkürlichen Einheiten) ausarbeiten, welcher die Grundlage für dessen chemische Isolierung darstellte. Auf Grund der obigen Beobachtungen ließ sich vermuten, daß die bekannten Krümmungsreaktionen der Pflanzenteile auf Licht oder Schwerkraft, die phototropische und die geotropische Krümmung, durch ungleiche Verteilung des Wuchsstoffes » zu erklären sind. Dies hat sich in vollem Umfang bestätigt. Wird die Koleoptile einseitig mit geeigneter Intensität belichtet, so kommt es zu einer Querverschiebung des Wuchsstoffes nach der Schattenflanke und damit zu einer Krümmung gegen das Licht (positiv phototropische Reaktion). Wird eine Koleoptile horizontal gelegt, so wird Wuchsstoff quer zur Achse in Richtung der Schwerkraft transportiert; sie krümmt sich daher nach oben (vgl. Abb. 68 und 69).

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Abb. 67 (nach W e n t ) . W u c h s s t o f f w i r k u n g . A = Haferkoleoptile; B = dieselbe gewachsen; C = Haferkoleoptile dekapitiert, kein Wachstum; D = abgeschnittene Spitzen auf Agarklötzchen aufgesetzt, Wuchsstoff diffundiert in den Agar; E = mit Wuchsstoff beladenes Agarwürfelchen auf den Stumpf der Koleoptile aufgesetzt: erneutes Wachstum; F = Würfelchen seitlich aufgesetzt: Krümmung.

Abb. 67

Abb. 68

Abb. 69

Abb. 68 (nachWent). P h o t o t r o p i s m u s a l s W u c h s s t o f f w i r k u n g . A = Koleoptile hat sich positiv phototropisch gekrümmt; B = einseitig belichtete Spitze derart auf Agar aufgesetzt, daß der Wuchsstoff aus der belichteten und der nicht belichteten Seite (schraffiert) getrennt aufgefangen werden kann (Spitze durch Lamelle geteilt). Bestimmung der Auxinmenge durch seitliches Aufsetzen der entsprechenden Agarklötzchen auf die Koleoptile; C = nicht belichtete Seite: Krümmung; D = belichtete Seite: keine Krümmung. Also ist der Wuchsstoff nach der dem Licht abgekehrten Seite gewandert. Abb. 69 (nachWent). G e o t r o p i s m u s a l s W u c h s s t o f f w i r k u n g . A = geotropische Krümmung der in horizontaler Lage gehaltenen Koleoptile; B = abgeschnittene Spitze: keine Krümmung; C = mit Wuchsstoff beladene Agarwürfelchen auf die horizontale Koleoptile an Stelle der Spitze aufgesetzt: geotropische Krümmung; D = horizontal gewachsene Spitze derart auf Agar aufgesetzt, daß der Wuchsstoff von der Oberseite und der Unterseite (schraffiert) getrennt aufgefangen werden kann. Bestimmung des Auxingehalts durch seitliches Aufsetzen der entsprechenden Agarwürfelchen; E = obere Seite: keine Krümmung; F = untere Seite: Krümmung. Also ist der Wuchsstoff in Richtung der Schwerkraft nach der unteren Seite verschoben worden.

Die entwicklungsmechanische Induktion

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Auch das entgegengesetzte Verhalten von Sproß und Wurzel läßt sich durch die Wuchsstoffhypothese ungezwungen erklären (M. Geiger). Es besteht nämlich für die Wuchsstoffwirkung eine optimale Konzentration, bei deren Überschreitung das Wachstum gehemmt wird. In der Wurzel ist der Optimalwert etwa 10' mal kleiner als im Sproß (Mais). Daher besteht im Sproß immer eine unteroptimale, in der Wurzel dagegen eine überoptimale Wuchsstoffkonzentration. Es ist leicht einzusehen, daß deshalb in der horizontal gelegten Wurzel die Verschiebung des Wuchsstoffes in Richtung der Schwerkraft zu einer Abwärtskrümmung führen muß. Das Beispiel der Wuchsstoffwirkung zeigt in sehr klarer Weise, wie Wachstumsvorgänge durch spezifisch wirksame Stoffe gelenkt werden können. Es zeigt aber gleichzeitig auch, d a ß diese S t o f f e n u r die W e r k z e u g e s i n d , d u r c h welche die l e b e n d e Zelle den sie t r e f f e n d e n Reiz ( L i c h t , S c h w e r k r a f t ) in eine b e s t i m m t e p h y s i o l o g i s c h e R e a k t i o n u m s e t z t . Es ist noch völlig unbekannt, auf welche Weise unter dem Einfluß des Reizes die Verschiebung des Wuchsstoffes zustandekommt. Die Aufklärung der chemischen Natur der Wuchsstoffe verdanken wir hauptsächlich Kögl. Stoffe mit Auxinwirkung sind bei Pflanzen weit verbreitet. Sie finden sich teilweise als inaktive Vorstufen, aus denen sie durch Hydrolyse bei alkalischer Reaktion oder durch Fermente freigesetzt werden können. Reich an Wuchsstoffen erwies sich auch der Urin. Er wurde daher als Ausgangsmaterial für die Darstellung der wirksamen Verbindungen benutzt. Kögl erhielt aus Urin zwei nahe verwandte Verbindungen mit 18 C-Atomen, das „Auxin A" und das „Auxin B". Beides sind ungesättigte Säuren; Auxin A enthält drei Hydroxyle, Auxin B ist eine /3-Ketosäure mit einer Hydroxylgruppe. Dem Auxin A kommt die folgende Konstitution zu 1 ): CH3 I H HgC • CHj • CH v I >C—€ • CH(OH) • CHj • CH(OH) • CH(OH) • COOH H2C< || >C—CH / H,C-CH ! ! .CH I Der Wuchsstoff der Haferkoleoptile scheint ein solches C 18 -Auxin zu sein. Aus dem Urin wurde noch eine weitere wirksame Substanz isoliert, die sich mit der jS-Indolylessigsäure identisch erwies (sog. H e t e r o a u x i n ) : ,CH NH Die Indolylessigsäure kann leicht durch oxydative Desaminierung und Decarboxylierung aus dem Tryptophan entstehen (vgl. S. 402). Sie scheint als Wuchsstoff bei Pflanzen weit verbreitet

2. Die entwicklungsmechauische Induktion als Beispiel chemischer Steuerung Aus der tierischen Entwicklungsphysiologie seien als Beispiele für die chemische Steuerung der Wachstumsprozesse die Vorgänge bei der Ausbildung des Amphibienkeims erwähnt. Wir können hier nur wenige Hinweise geben und müssen für alle Einzelheiten auf die ausführlichen Darstellungen in den Lehrbüchern der Entwicklungsmechanik und Embryologie verweisen. Es hat sich gezeigt, daß die Formbildungsprozesse, die zur Anlage der Organsysteme führen, weitgehend von chemischen Faktoren abhängig sind und auf chemischem Wege gelenkt werden. In der Gastrula der Urodelen (Molch, Axolotl) geht der Anstoß für die Entwicklung der Medullarplatte im äußeren Keimblatt von einem bestimmten Bezirk des anliegenden inneren Keimblattes aus. S p e m a n n hat dieses Gewebe, welches das Dach des Urdarms bildet, daher als „Organisator" bezeichnet. Wir wissen heute, daß es sich um eine s t o f f l i c h e Wirkung handelt, die durch direkten Kontakt der Gewebe zustandekommt. Die aus dem Organisator in das Ektoderm eindringenden Substanzen rufen dort eine nicht näher definierbare Zustandsänderung hervor, die x ) Vgl. Zschr. physiol. Chem. 216, 31 (1933); 220, 137, 162 (1933); 225, 215 (1934); 227, 51 (1934).

43 L e u t h a r d t , Lehrbuch. 13. Aufl.

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Die ohemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

das bisher nicht differenzierte Gewebe zur Bildung bestimmter Organanlagen befähigt. Der Vorgang wird als „Induktion", die wirksamen Stoffe werden als „Induktoren" bezeichnet. Der Grundversuch, welcher die stoffliche Natur der Induktionswirkung beweist, kann in folgender Weise durchgeführt werden: Ein Stückchen des induzierenden Gewebes wird einem Keim entnommen und in die Höhle einer jungen Gastrula eingeführt. Bei der Einstülpung des Urdarms kommt das implantierte Gewebe gewöhnlich unter eine Stelle des äußeren Keimblattes (Ektoderm) zu liegen, die normalerweise zur Bauchseite des Embryos wird. Nun aber induziert das fremde Gewebe im darüberliegenden Ektoderm die Entwicklung einer zweiten Medullarplatte, aus der je nach der Herkunft des implantierten Gewebes sich verschiedene Teile eines Embryos bilden können. Im Versuch, der in Abb. 70 schematisch dargestellt ist (nach Mangold), führte die Übertragung eines Stückes Urdarmdach zur Entwicklung eines kopfartigen Gebildes mit Auge, Gehörbläschen usw. Wesentlich für das Zustandekommen der Induktion ist die Unterlagerung und der innige Kontakt der präsumptiven Medullarplatte mit dem Organisatorgewebe.

Abb. 70 (nach Mangold 1 )). T r a n s p l a n t a t i o n eines S t ü c k c h e n s U r d a r m d a c h a u s d e r N e u r u l a d e s A x o l o t l s in eine G a s t r u l a des W a s s e r m o l c h s . Oben links: Neurula des Spenders. Ein Lappen der Medullarplatte ist zurückgeklappt; aus dem darunterliegenden Urdarmdach wird ein Stück entnommen und in die Gastrula des Wirts eingeführt (oben links). Bei der Einstülpung des Urdarms kommt das transplantierte Gewebsstück an die angezeichnete Stelle zu liegen. Die Pfeile deuten den Übertritt des Induktors in das anliegende Ektoderm an. Unten: Larve, 13 Tage nach der Operation. Auf der Bauchseite ist ein kopfartiges Gebilde induziert worden. Ähnliche Effekte lassen sich aber auch mit Geweben erzielen, die durch Behandlung mit Alkohol oder Erhitzen abgetötet worden sind. Auch ist die Fähigkeit zur Induktion nicht nur auf das Gewebe des Organisators beschränkt; man hat mit allen möglichen Organen verschiedener Tierarten Induktionswirkungen erhalten. Statt der intakten Gewebe kann man vielfach auch Organbrei oder Extrakt« verwenden. Die Suche nach den wirksamen Substanzen hat zu dem merkwürdigen Ergebnis geführt, daß die Fähigkeit zur Induktion den verschiedenartigsten Stoffen zukommt; so haben sich Nucleoproteide, lipoidlösliche Stoffe, vor allem gewisse Sterine, alle möglichen Säuren und sogar synthetische organische Körper als wirksam erwiesen. Zu den letzteren gehören neben Farbstoffen wie Methylenblau auch gewisse polycyklische Kohlenwasserstoffe, die krebserregende Eigenschaften besitzen (Methylcholanthren, Benzpyren). Nicht alle diese Induktoren wirken gleichartig. Die Gebilde, die sie hervorbringen, zeigen sehr verschiedene Ausbildungsgrade. Durch Implantation genügend großer Stücke des natürlichen Organisatorgewebes können sehr gut ausgebildete Embryonalanlagen induziert werden. Abgetötete Gewebe, Gewebsextrakte oder chemische Substanzen bringen dagegen Gebilde hervor, die zwar hoch organisiert sein können und gut erkennbare Organanlagen (Gehirnteile, Augen, Hörbläschen, Chorda, Muskeln) enthalten, aber in bezug auf Anordnung und Ausbildung der Teile starke Defekte aufweisen. Es wird durch solche Induktoren wohl eine Entwicklung ausgelöst, aber es fehlen die ordnenden Kräfte, welche die Bildung der Embryonalanlage unter *) M a n g o l d , Naturwiss. 21, 761 (1933).

Innere Sekretion und Hormone. Chemische und nervöse Steuerung

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natürlichen Bedingungen leiten. Auch hier zeigt sich deutlich die Rolle der wirksamen Stoffe als bloße W e r k z e u g e formbildender Kräfte. Diese letzteren lassen sich heute in keiner Weise chemisch oder physikalisch fassen. Wir müssen irgendeine innere Organisation des Organisatorgewebes selbst und eine Reaktionsbereitschaft des Ektoderms voraussetzen, ohne angeben zu können, worin diese bestehen. Die Induktoren sind nur die stofflichen Träger von Entwicklungsimpulsen, die zu bestimmter Zeit und an bestimmter Stelle von einem Gewebe an das andere weitergegeben werden. Erfolgen diese Impulse unkoordiniert, wie dies bei den künstlichen Induktionen immer der Fall ist, so ist das Resultat eine Mißbildung. Die große Mannigfaltigkeit der Stoffe mit Induktionswirkung erweckt zunächst den Anschein, daß es sich um einen sehr wenig spezifischen Vorgang handelt. Verschiedene Forscher haben denn auch einen einfachen Säurereiz als Ursache der Induktion angenommen; tatsächlich finden sich unter den wirksamen Stoffen viele Säuren. Andererseits zeigt sich aber in der Leistung vieler Induktoren eine ausgesprochene Spezifität in bezug auf die hervorgebrachten Organanlagen. Bestimmte Induktoren bringen z. B. hauptsächlich die Anlagen der Kopfregion hervor (Gehirn, Augen, Hörbläschen), während andere vorwiegend die Organe des Rumpfgebietes, Chorda, Muskulatur, entstehen lassen. Solche Tatsachen sind mit der Annahme einer unspezifischen Reizwirkung nur schwer vereinbar. Bei der Induktionswirkung von Geweben scheint deren Gehalt an Ribosenucleinsäure eine große Rolle zu spielen. Wird die Nucleinsäure durch Vorbehandeln mit der spezifischen Nuclease zerstört, so geht ihre Aktivität vollständig verloren (Brächet). Isolierte Nucleinsäuren und Nucleoproteide sind gute Induktoren. Verschiedene Beobachtungen sprechen aber dafür, daß die Wirkung eher Abbauprodukten als den Nucleinsäuren selbst zuzuschreiben ist. Werden nämlich die Gewebsstückchen vor der Implantation in Agar eingehüllt, so bleibt die Induktion aus. Wahrscheinlich müssen die Nucleinsäuren des implantierten Gewebes durch Fermente des Wirtes löslich gemacht werden, ehe sie zur Wirkung gelangen. Durch die Agarhülle wird das Eindringen der Fermente verhindert. Man kann auch histologisch direkt nachweisen, daß die Nucleinsäuren im implantierten Gewebe verschwinden. Die große Verschiedenartigkeit der Substanzen, welche Induktionswirkungen hervorzubringen imstande sind, legt aber die Vermutung nahe, daß sehr viele unter ihnen gar nicht direkt wirken, sondern durch irgendeine Reaktion mit dem Gewebe des Wirtes die eigentlichen, spezifisch wirksamen Substanzen erst freisetzen. Es kann sich dabei um eine Schädigung von Zellen handeln, die zu ihrem Zerfall (Cytolyse) und zur Bildung von Stoffen führt, welche die Entwicklungsvorgänge in den reaktionsbereiten Zellen des äußeren Keimblattes in Gang setzen. Verschiedene Forscher nehmen an, daß solche Stoffe in Form inaktiver Komplexe in den Zellen des Ektoderms selbst vorhanden sind und daraus durch die Wirkung der Induktoren abgespalten werden ( W a d d i n g t o n , N e e d h a m , B r ä c h e t ) . Auf Grund der Beobachtungen über das Verhalten der Nucleinsäuren könnte man auch annehmen, daß zwischen Ektoderm und Organisatorgewebe eine Wechselwirkung in dem Sinne stattfindet, daß Fermente des Ektoderms in die darunterliegenden Zellen des Organisators eindringen und dort diffusible Substanzen bilden, die nun als eigentliche Induktoren auf das Ektoderm zurückwirken. Alle diese Vorstellungen sind vorläufig Hypothesen. Wir wissen nur, daß die entwicklungsmechanische Induktion ein c h e m i s c h e r V o r g a n g ist. Die Natur der sich abspielenden Reaktionen ist aber noch völlig unbekannt.

Achtundzwanzigstes Kapitel Innere Sekretion und Hormone 1. Chemische und nervöse Steuerung Die Absonderung von Stoffen, welche die Funktionen anderer Zellen in bestimmter Weise verändern können, ist wohl das einfachste Mittel zur Lenkung physiologischer Vorgänge. Es ist nicht nur innerhalb von einfachen Zellverbänden wirksam, sondern kann auf den höheren Stufen der Organisation auch dazu dienen, weit entfernte Zellen zu verbinden. Hier übernimmt der Blutstrom den Transport der Wirkstoffe. Zwischen die Zelle, die den Stoff produziert, und die Zelle, in der er zur Wirkung gelangt, ist die Körperflüssigkeit eingeschaltet; an Stelle der reinen Diffusion tritt die sehr viel raschere Konvektion durch den Blutstrom. Man spricht daher von humoraler Übertragung der Stoffe und von humoraler R e g u l a t i o n .

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Innere Sekretion und Hormone

Für die meisten animalen Funktionen — Tätigkeit der Sinnesorgane und des Bewegungsapparates —und für viele vegetativen Funktionen würde aber die humorale Regulation viel zu langsam arbeiten. Sie zeigt noch weitere Besonderheiten, welche sie für viele Zwecke ungeeignet machen. Durch einen Stoff, der in den Körpersäften kreist, werden alle gleichartigen Zellen in gleicher Weise beeinflußt. Eine selektive Reizung einzelner Elemente unter vielen gleichartigen (z. B. einzelner Fasern eines Muskels) ist auf diesem Wege nicht möglich. Dafür kommt nur ein Übertragungsmechanismus in Frage, bei welchem das wirkende Agens — sei es chemischer oder physikalischer Natur — auf einer vorgezeichneten Bahn geleitet wird. Beide Forderungen, Schnelligkeit der Übertragung und Zielsicherheit, sind erst durch die Ausbildung der Nervenleitung verwirklicht worden. Es handelt sich bei der nervösen Übertragung von Impulsen im Grunde genommen ebenfalls um einen direkten Kontakt von Zelle zu Zelle wie im einfachen Zellverband, nur wird die Berührung durch eine besondere Zellart, das Neuron, vermittelt, dessen lange Fortsätze beliebige Entfernungen überbrücken können. Die Einwirkung der einen Zelle auf die andere erfolgt aber nicht durch Transport eines Stoffes der Nervenbahn entlang (eines „Fluidums", wie die alten Physiologen annahmen), sondern es ist ein spezieller Übertragungsmechanismus ausgebildet worden, der, allgemein gesprochen, in einer Zustandsänderung an der Oberfläche der Nervenfaser besteht, die mit großer Geschwindigkeit die Faser entlang läuft. Dadurch ist der unter allen Umständen zu langsame Transport materieller Teilchen über weite Strecken vermieden. Die Übertragung des Nervenimpulses auf das Plasma der Zelle ist aber wieder ein chemischer Vorgang; denn an der Nervenendigung werden, wie wir heute wissen, Wirkstoffe freigesetzt, welche die spezifische Reaktion der Zelle auslösen (Kontraktion der Muskelfaser, Ausstoßung von Sekret aus der Drüsenzelle). Humorale und nervöse Einwirkung ergänzen sich in mancher Hinsicht. Ein im Blut gelöster Stoff erreicht alle Zellen des Organismus und kann daher eine generelle Wirkung entfalten, wie das z. B. bei vielen Stoffwechselhormonen der Fall ist. Eine Lokalisation auf bestimmte Territorien des Körpers ist nur insofern möglich, als der Wirkstoff ausschließlich an einer bestimmten Zellart angreift. So stimuliert z. B. das corticotrope Hormon der Hypophyse nur gewisse Zellen der Nebennierenrinde. An sich kann jeder Vorgang der humoralen Steuerung unterworfen werden, der überhaupt auf chemischem Weg beeinflußbar ist. Wir sehen denn auch, daß das wichtigste Gebiet der humoralen Regulation der Stoffwechsel und, eng damit zusammenhängend, die Entwicklungs- und Wachstumsvorgänge sind. Die humoralen Wirkungen können ferner nach ihrer Intensität abgestuft werden; je nachdem mehr oder weniger Wirkstoff ins Blut ausgeschüttet wird, ist die Wirkung schwach oder stark. Im Gegensatz zur humoralen Übertragung arbeitet die nervöse Verbindung sehr schnell. Die Wirkung des nervösen Impulses bleibt auf die Zellen beschränkt, die unmittelbar mit den Endigungen oder speziellen Endapparaten der Nervenfasern in Kontakt stehen. Die Präzision im Zusammenspiel der verschiedenen Organe ist nur dadurch möglich, daß jedes einzelne Element des komplizierten Apparates gesondert durch nervöse Impulse gesteuert werden kann. Auf humoralem Weg wäre dies nie zu erreichen. Andererseits kann auf nervösem Weg immer nur eine einzige Reaktion der Zelle ausgelöst werden, z. B. die Kontraktion einer Muskelfaser, denn der Mechanismus, durch welchen der nervöse Impuls auf die reagierende Zelle (Effektor) übertragen wird, ist ein für allemal festgelegt (Freisetzung einer bestimmten „Überträgersubstanz"), während auf humoralem Weg beliebig viele verschiedenartigen Stoffe

Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion

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auf die Zelle einwirken und sie dementsprechend auf mannigfaltige Weise beeinflussen können. Auch kann die Intensität des einzelnen nervösen Impulses nicht variiert werden; sie ist nach dem Alles- oder Nichtsgesetz immer gleich. Eine nach der Stärke abgestufte Reaktion ist nur bei solchen Effektoren möglich, die aus vielen gleichartigen Elementen aufgebaut sind (z. B. Muskeln), so daß mehr oder weniger Elemente gereizt werden können. 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion An sich ist jede Zelle befähigt, Stoffe ans Blut abzugeben, die in anderen Zellen bestimmte Wirkungen ausüben ; es kann sich dabei um einfache End- oder Zwischenprodukte des Intermediärstoffwechsels handeln. So steuert z. B. die Kohlensäure, die in jeder Zelle als Endprodukt der Oxydationsvorgänge entsteht, das Atmungszentrum im Sinne einer Steigerung der Atmungsgröße. Man kann auch noch einfachere Reaktionen anführen: Das C0 2 , das in die roten Blutkörperchen eindringt, bewirkt eine Erhöhung der Wasserstoffionenkonzentration ; damit wird die Affinität des Hämoglobins zum Sauerstoff vermindert. Die Abgabe des C0 2 ins Blut verbessert also automatisch die Sauerstoffversorgung der Zellen. Hier liegt ein sehr einfacher und übersichtlicher Fall chemischer Steuerung vor. Man bezeichnet die direkte Abgabe von Stoffen durch die Gewebe ans Blut als i n n e r e S e k r e t i o n . Der Begriff wurde von C l a u d e B e r n a r d aufgestellt, und zwar bei Betrachtung der Funktion der Leber : Als Drüse liefert die Leber ein Sekret, die Galle, das sich nach außen in den Darm ergießt; gleichzeitig aber gibt sie ins Blut die Glucose ab, die sie aus Glycogen oder durch Gluconeogenese aus Eiweiß bildet. Der Übertritt von Produkten der Zelltätigkeit ins Blut wurde von B e r n a r d als „sécrétion interne" bezeichnet. Nach dieser allgemeinen Definition zeigt jede Zelle innere Sekretion, die irgendein spezifisches Produkt ihres Stoffwechsels an das Blut abgibt. Der Ausdruck wird heute aber meistens in einem eingeschränkten Sinn gebraucht. Es gibt im tierischen Körper eine Reihe von Organen oder Zellarten, deren Funktion gerade darin besteht, spezifische Wirkstoffe zu produzieren und an das Blut abzugeben. Man bezeichnet sie als i n n e r s e k r e t o r i s c h e (oder e n d o k r i n e ) Drüsen und beschränkt den Ausdruck „innere Sekretion" auf die Bildung und Ausschüttung der Wirkstoffe durch diese Organe. Es sind dies die folgenden: Hypophyse (Vorderlappen und Hinterlappen) Nebennieren (Mark und Rinde) Schilddrüse Nebenschilddrüsen ( = Epithelkörperchen) Langerhans sehe Inseln des Pankreas Zwischenzellen der Hoden Graafsche Follikel des Ovars Gelbkörper ( = Corpus luteum) Placenta Außer diesen Organen geben aber auch noch verschiedene andere Gewebe, die nicht als innersekretorische Drüsen spezialisiert sind, spezifische Wirkstoffe ans Blut ab, so die Darmschleimhaut, die Placenta und andere. Der Thymus wird heute nicht mehr als innersekretorische Drüse angesehen. Die spezifischen Produkte der innersekretorischen Organe heißen Hormone. Der Ausdruck wurde v o n B a y l i s s und S t a r l i n g eingeführt (öppöcco, ich errege, treibe an),

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Innere Sekretion und Hormone

um Stoffe zu bezeichnen, die, wie das von ihnen entdeckte Sekretin, auf dem Blutweg andere Organe (im Falle des Sekretins das Pankreas) zur Tätigkeit anregen. Man hat die Hormone in anschaulicher Weise mit Sendboten verglichen („chemical messengers"), die ausgeschickt werden, um die Tätigkeit der Organe zu regulieren und zu koordinieren. Es gibt Hormone, die kontinuierlich, und solche, die nur zeitweise ins Blut ausgeschüttet werden. Wir haben bei der Besprechung des Kohlehydratstoffwechsels gesehen, daß z. B. das Insulin oder die Hormone der Nebennierenrinde beständig im Blut kreisen müssen, wenn die Vorgänge ihren normalen Verlauf nehmen sollen. Solche Hormone sind unentbehrliche Bestandteile des „milieu intérieur", in welchem die Zellen leben. Ihre Wirkung läßt sich der Tonisierung der Muskulatur durch die Nerven zur Seite stellen. In ähnlicher Weise wie im Muskel durch fortdauernde nervöse Impulse ein gewisser Spannungszustand aufrechterhalten wird, erhält die ständige Ausschüttung der Hormone die Erfolgsorgane in einem bestimmten Zustand der Tätigkeit, der beim Wegfall des Hormons zusammenbricht. Andere Hormone werden nur dann ans Blut abgegeben, wenn die besondere Situation es erfordert. Ein gutes Beispiel ist das Adrenalin (vgl. S. 335). Es greift unter normalen Bedingungen gar nicht in den Kohlehydratstoffwechsel ein, wird aber dann mobilisiert, wenn die Gefahr einer Hypoglykämie droht und eine zusätzliche Ausschüttung von Glucose ins Blut nötig ist. Hierher gehört auch das Sekretin (vgl. S. 529), das von der Duodenalschleimhaut erst dann in den Kreislauf geworfen wird, wenn sie mit dem Chymus in Kontakt kommt, wenn also die Sekretion des Pankreas einsetzen muß. Wir werden im folgenden sehen, daß verschiedene Hormone lebenswichtig sind, d. h. daß bei ihrem Ausfall unmittelbar eine zum Tode führende Desorganisation der physiologischen Funktionen eintritt. Dazu gehören z. B. die Rindenhormone. Es gibt andere, deren Fehlen leichtere, oft nicht ohne weiteres erkennbare Störungen hervorruft, jedenfalls aber nicht sofort zum Tode führt. I m m e r a b e r w i r d d u r c h d a s F e h l e n e i n e s H o r m o n s d e r K r e i s d e r ä u ß e r e n o d e r i n n e r e n Bed i n g u n g e n v e r e n g t , i n n e r h a l b d e s s e n d e r O r g a n i s m u s in n o r m a l e r W e i s e f u n k t i o n i e r t , m. a.W., es w i r d d u r c h d a s F e h l e n e i n e s H o r m o n s i m m e r die A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t d e s O r g a n i s m u s v e r m i n d e r t . Man kann z. B. Tiere, denen die Hypophyse entfernt worden ist, während längerer Zeit am Leben erhalten, wenn man sie gut füttert und sonst unter optimalen Bedingungen hält. Hunger führt aber rasch zur Hypoglykämie, die fatal ausgehen kann. Das hypophysenlose Tier ist also der Belastung des Organismus durch Hunger nicht mehr gewachsen. Wenn man den N. splanchnicus durchtrennt, so können die Nebennieren auf den durch die Hypoglykämie gesetzten Reiz nicht mehr mit Adrenalinausschüttung reagieren. Solche Tiere zeigen keine sichtbare Störung ihres Zuckerstoffwechsels mit Ausnahme einer erhöhten Empfindlichkeit gegen Insulin; ihre Insuffizienz tritt also nur unter ganz besonderen Umständen in Erscheinung. Die gesamte Anpassungsfähigkeit des Organismus hat eine viel geringere Einbuße erlitten, als dies bei Entfernung der Hypophyse der Fall ist.

Eine besondere Stellung nehmen die Sexualhormone ein. Sie haben zwar über die Sphäre der Fortpflanzungsvorgänge hinaus Einfluß auf die verschiedensten Funktionen, doch betrifft ihre Einwirkung keine für das Einzelindividuum unmittelbar lebenswichtigen Vorgänge. Ohne die Geschlechtshormone kann der einmal zur Entwicklung gelangte Organismus zwar sein individuelles Leben weiter führen, aber mit seinem Tod reißt die Folge der Generationen ab. Die Geschlechtshormone sind also für den Bestand der Art von unmittelbarer Bedeutung, nicht aber für den Bestand des einzelnen Individuums.

Die Schilddrüse. Chemie des Schilddrüsenhormons

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Was die c h e m i s c h e N a t u r d e r H o r m o n e betrifft, so finden wir unter ihnen Vertreter verschiedener Stoffklassen. Das Thyroxin der Schilddrüse ist eine Aminosäure; das Adrenalin leitet sich ebenfalls von einer Aminosäure, dem Tyrosin, ab. Zahlreich sind die Sterine vertreten: Sexualhormone und Nebennierenrindenhormone. Schließlich finden wir unter den Hormonen zahlreiche Eiweißkörper oder peptidartige Stoffe, so das Insulin und die sämtlichen Hypophysenhormone. Wir kennen zwar im großen und ganzen die physiologischen Effekte, welche durch die Hormone hervorgerufen werden, und die Folgen ihres Ausfalls, aber wir wissen noch sehr wenig über den Mechanismus ihrer Wirkungen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Hormone, wie dies f ü r verschiedene Vitamine bewiesen ist, als Cofermente funktionieren, also aktive Bestandteile von Fermenten sind. I n allen Fällen, in denen man eine Hormonwirkung in vitro hat feststellen können, handelt es sich um Systeme, die eine gewisse Struktur aufweisen: überlebendes Gewebe, Zellorganellen wie Mitochondrien, Zelltrümmer. Es scheint, daß die Hormone auf einem höheren Niveau der morphologischen Organisation eingreifen, als es einzelne Enzyme oder einfache, auflösbare Enzymsysteme darstellen. Um die Bedeutung eines Hormons zu erfassen, müssen sowohl die Wirkungen seines Ausfalls wie auch seiner überschüssigen Zufuhr studiert werden. Störungen im Bereich der endokrinen Drüsen („Dysfunktion") können sich sowohl im einen wie im anderen Sinne auswirken („Hypofunktion" und „Hyperfunktion"). Die Hormone müssen im Rahmen der vegetativen Regulation betrachtet werden. Wir können im folgenden nur eine kurze Übersicht geben. Die Stoffwechselwirkungen gewisser Hormone (Insulin, Rindenhormone, Hypophysenhormone) sind teilweise schon in den vorangehenden Kapiteln besprochen worden. Wir müssen es uns auch versagen, auf die historische Entwicklung unserer Kenntnisse über die innere Sekretion näher einzugehen. Viele Krankheitserscheinungen, die auf Störungen der Funktion endokriner Drüsen beruhen, sind schon sehr lange bekannt. Aber erst die Entwicklung der experimentellen Methodik hat es erlaubt, ihre Natur aufzuklären. Die Lehre von den Funktionen der endokrinen Drüsen ist heute zu einer ausgedehnten Wissenschaft der Endokrinologie geworden, welche f ü r alle Zweige der Medizin von größter Bedeutung ist. 3. Die Schilddrüse Bei der Schilddrüse kommen sowohl Zustände der Hypo- als auch der Hyperfunktion vor. Verschiedene Krankheitsbilder, die den Klinikern schon lange bekannt sind, wie das Myxödem, der Kretinismus oder die sog. B a s e d o w s c h e Krankheit haben sich als Störungen der Schilddrüsenfunktion erwiesen. Was die Anatomie und Histologie der Schilddrüse betrifft, muß auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen werden. Die Epithelzellen geben ein Sekret, das sog. „ K o l l o i d " , in die Höhlung des Drüsenfollikels ab. Das Kolloid ist sehr wahrscheinlich eine Hormonreserve der Drüse, die bei Bedarf verwendet wird. Auf welche Weise das im Kolloid enthaltene Hormon schließlich in den Blutstrom gelangt, ist allerdings noch nicht geklärt. Sehr wahrscheinlich spielen dabei proteolytische Vorgänge eine Rolle. Die Schilddrüse ist ein außerordentlich gut durchblutetes Organ. Trotz ihrer geringen Größe wird sie pro Stunde von etwa 5 1 Blut durchströmt.

A. Chemie des Schilddrüsenhormona Die Schilddrüse ist chemisch durch ihren hohen Gehalt an Jod ausgezeichnet. Der gesamte Jodgehalt der normalen menschlichen Schilddrüse beträgt etwa 10 bis 15 mg, was pro g Trockengewicht etwa 2 mg Jod ausmacht. Das Drüsengewebe besitzt eine außerordentlich hohe Affinität zum Jod. Bei Zufuhr dieses Elements wird

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Innere Sekretion und Hormone

der größte Teil in der Schilddrüse gespeichert; dies hat sich in neuerer Zeit in besonders eindrücklicher Weise durch Verwendung radioaktiver Jodisotope (gewöhnlich J (131) ) bestätigen lassen. Man kann die Fähigkeit zur Jodspeicherung direkt als Charakteristikum der Schilddrüsenfunktion ansehen. An der Jodspeicherung gemessen beginnt die endokrine Funktion der Drüse beim menschlichen Fötus etwa in der 12. Woche. Auch das erste Auftreten von schilddrüsenähnlichem Gewebe in der phylogenetischen Entwicklung läßt sich auf diese Weise bestimmen. Jodspeichernde Gewebe sind durch Verwendung von Radiojod nur bei Cyklostomen und höheren Wirbeltieren, nicht aber beim Amphioxus nachgewiesen worden. Im Kolloid der Schilddrüse ist ein jodhaltiges Protein, das Thyreoglobulin, enthalten (auch Jodothyreoglobulin genannt). Der Körper wurde erstmals von Oswald (1899) durch Salzextraktion der Drüse gewonnen. Das Molekulargewicht wird zu etwa 680000 angegeben. Thyreoglobulin ist ein Glycoproteid. K e n d a l i gelang es 1915, durch alkalische Hydrolyse der Drüsensubstanz einen kristallisierten jodhaltigen Körper zu isolieren, den er Thyroxin nannte. Der Jodgehalt beträgt 65%. H a r i n g t o n und B a r g e r gelang die Synthese der Substanz. Es kommt ihr die folgende Formel zu: j H0
-Thyroxin das 3,5,3'-Trijodthyronin nie mit Sicherheit nachweisen können. Wie oben erwähnt, kann bei Gegenwart von Jod Thyroxin auf nicht fermentativem Weg gebildet werden. Die Reaktion verläuft aber viel langsamer als die biochemische Synthese in der Drüse. Bei Ausfall des thyreotropen Hormons nach Hypophysektomie bleibt die Synthese auf der Stufe des Dijodtyrosins stehen. Dies alles spricht dafür, daß Thyroxinbildung von Fermenten abhängig ist. I n beschränktem Umfang kann Thyroxin möglicherweise auch außerhalb der Schilddrüse gebildet werden. Über die Einzelheiten der Synthese der Hormone in der Schilddrüse bestehen noch verschiedene Unklarheiten. Als sicher kann man annehmen, daß zuerst die Tyrosinreste des Thyreoglobulins jodiert werden. F ü r das Verständnis der folgenden Reaktionen (Bildung des Phenyläthers) ergibt sich aber gegenüber der Modellreaktion eine Schwierigkeit aus dem Umstand, daß das Tyrosin nicht frei, sondern in den Peptidketten des Proteins fixiert ist. Man müßte schon annehmen, daß sich genügend Tyrosinreste in geeigneter gegenseitiger Lage befinden, um gemäß der oben formulierten Reaktion miteinander reagieren zu können. Wenn m a n diese Möglichkeit als wenig wahrscheinlich ausschließt, so können noch zwei andere erwogen werden: Entweder wird in der Schilddrüse ständig jodiertes Tyrosin freigesetzt und dieses t r i t t mit den J ) Vgl. T a u r o g u. C h a i k o f f , J . biol. Cliem. 169, 49 (1947); 178, 997 (1949); 184, 83 (1950); R o c h e u. Mitarb., Biochim. Biophys. Acta 11, 220 (1953); Cpt. rend. Soc. Biol. 146, 1474 (1952).

Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons

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eiweißgebundenen Dijodtyrosingruppen in Reaktion, oder es wird eine reaktionsfähige 4-0xy3,5-dijodphenylgruppe abgespalten, die mit der Hydroxylgruppe der eiweißgebundenen Tyrosinreste in die Ätherbindung eingeht. Diese zweite Reaktion ist rein hypothetisch. Wenn man sie als enzymatisch voraussetzt, würde sie eine Transferasereaktion darstellen. Ihre Möglichkeit ist aber doch nicht von der Hand zu weisen, weil bei derEiweißjodierung in vitro Thyroxin unter Bedingungen entsteht, unter denen eine Freisetzung von Tyrosin nicht anzunehmen ist. Die übrigen jodierten Thyronine könnten nach dem gleichen Mechanismus entstehen: 3,5,3'-Trijodthyronin durch Reaktion von Dijodtyrosin mit 3-Monojodthyronin und das 3,3'-Dijodtyrosin aus zwei Molekülen 3-Monojodtyrosin. Wie schon erwähnt, wird das Thyreoglobulin beim Sekretionsvorgang abgebaut. Es hat selbst keine Hormonwirkung; dieselbe tritt erst auf, nachdem die jodierten Thyronine freigesetzt worden sind. Der Abbau erfolgt anscheinend durch kathepsinähnliche Fermente. Die bei der Hydrolyse freigesetzten niedrig jodierten Tyrosinderivate — Mono- und Dijodtyrosin — werden fermentativ durch die „ D e h a l o g e n a s e " dejodiert ( R o c h e ) ; das entstehende Jod kann sofort wieder oxydiert und zur Jodierung von neuem Thyreoglubin verwendet werden. Da das Enzym die jodierten Thyronine nicht angreift, werden nur diese an den Kreislauf abgegeben 1 ). B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons

Der Ausfall des Schilddrüsenhormons ist zwar mit dem Leben verträglich, führt aber doch zu schweren Störungen, die im jugendlichen Organismus besonders ausgesprochen sind. (Bei der operativen Entfernung der Schilddrüse dürfen die Epithelkörperchen nicht mitentfernt werden, da es sonst zu einer tödlich verlaufenden Tetanie kommt. Vgl. unten S. 689.) D a s S c h i l d d r ü s e n h o r m o n b e s t i m m t die Größe des G r u n d u m s a t z e s ( B a s a l s t o f f w e c h s e l ) . Der Grundumsatz ist beim Fehlen der Schilddrüse stark vermindert, bei Hyperfunktion oder äußerer Zufuhr von Schilddrüsenhormon dagegen erhöht. Die Gewebe bedürfen einer beständigen Zufuhr von Schilddrüsenhormon, damit eine optimale Geschwindigkeit der Stoffwechselprozesse erhalten bleibt. Wir werden später sehen, daß die Schilddrüse selbst von einem Hormon des Hypophysenvorderlappens abhängig ist. Das Schilddrüsenhormon scheint direkt in die Oxydationsvorgänge der Zellen einzugreifen. Sein Einfluß auf den oxydativen Stoffwechsel läßt sich noch im überlebenden Gewebe nachweisen. Die schilddrüsenlosen Tieren entnommenen Gewebe verbrauchen in vitro weniger Sauerstoff als die normalen Kontrollen; die Gewebe von Tieren, die vorher mit Schilddrüse gefüttert worden waren, verbrauchen mehr. Es ist aber bisher nicht möglich gewesen, eine Steigerung des Stoffwechsels normaler Gewebe dadurch hervorzurufen, daß man in vitro zum Milieu Thyroxin oder Serum von mit Thyroxin vorbehandelten Tieren zusetzte. Es scheint, daß das im Blut kreisende Hormon in der Zelle zuerst in eine wirksame Form übergeführt oder an seinen Wirkungsort herangebracht werden muß, ehe es seine Wirkung auf den Stoffwechsel entfalten kann, und daß die Bedingungen hierfür bei Versuchen in vitro ungünstig sind. Über den Wirkungsmechanismus des Schilddrüsenhormons geben die Untersuchungen von M a r t i u s wichtige Hinweise. Bei Tieren, welche mit Thyroxin vorbehandelt wurden, ist die oxydative Phosphorylierung in den Lebermitochondrien herabgesetzt (vgl. S. 250). Umgekehrt kann man bei Tieren, bei denen die Schilddrüsenfunktion durch Thiouracile gehemmt wurde (vgl. S. 686), eine Erhöhung des P/O-Quotienten feststellen. Auch wenn man Thyroxin in vitro auf Lebermitochondrien einwirken läßt, findet man eine Verminderung der oxydativen Phosphory') Neuere Literatur über die Biochemie der Schilddrüsenhormone: R o c h e u. M i c h e l , Ann. Rev. Biochem. 23, 481 (1954); B a r k e r , Ann. Rev. Physiol. 17, 417 (1955); M i c h e l , Ann. Rev. Physiol. 18, 457 (1956).

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Innere Sekretion und Hormone

lierung. Das Thyroxin gehört demnach zu den Stoffen, welche Oxydation und Phosphorylierung entkoppeln. Nach M a r t i u s hemmt das Thyroxin die über Phyllochinon führende, phosphorylierende Oxydation des DPN (vgl. S. 254). Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß der Organismus diese Verminderung der energetischen Ausbeute der Atmung durch eine Atmungssteigerung kompensiert; dies würde die Erhöhung des Grundumsatzes durch Thyroxin erklären. M a r t i u s findet, von dieser Annahme ausgehend, eine gute quantitative Übereinstimmung zwischen Grundumsatzsteigerung und Erniedrigung des P/O-Quotienten 1 ). In das Bild einer allgemeinen Stoffwechselsteigerung durch das Schilddrüsenhormon fügen sich auch die Beobachtungen über das Verhalten der einzelnen Bau- und Reservestoffe ein. Der Eiweißabbau ist bei Hyperfunktion der Drüse erhöht, wie sich an der vermehrten N-Ausscheidung im Urin zeigt. Die Gewebseinschmelzung kann aber durch starke Erhöhung der Fett- und Kohlehydratzufuhr verhindert werden. Das Leberglycogen nimmt ab, die Fettdepots verschwinden (wie die Magerkeit der Patienten zeigt, bei denen während längerer Zeit eine Überfunktion der Schilddrüse besteht). U n t e r d e m E i n f l u ß ü b e r n o r m a l e r Mengen d e s S c h i l d d r ü s e n hormons werden also alle Reserven — Eiweiß, K o h l e h y d r a t , F e t t — a u f g e z e h r t ; das Körpergewicht nimmt ab. Bei andauernder Hyperfunktion der Schilddrüse oder bei Zufuhr hoher Dosen des Hormons kann es zu eigentlichen Schädigungen der Organe kommen (siehe unten, B a s e d o w s c h e Krankheit). Bei jungen Tieren führt Verabreichung des Schilddrüsenhormons zu einer Wachstumshemmung, die als allgemeine Schädigung des Organismus zu deuten ist. Merkwürdig ist die häufig beobachtete V e r m i n d e r u n g d e r K o h l e h y d r a t t o l e r a n z bei Hyperfunktion der Schilddrüse. Der Blutzuckerspiegel bleibt nach Kohlehydratzufuhr während längerer Zeit hoch (diabetischer Typus der Blutzuckerkurve), und es kann zur alimentären Glucosurie kommen. Auch bei Galactosebelastung tritt der Zucker leicht in den Urin über. Man kann für diese Erscheinung keine sichere Erklärung geben. Möglicherweise handelt es sich um eine Störung des Leberstoffwechsels oder gar um eine Schädigung der L a n g e r h a n s schen Inseln. Entfernung der Schilddrüse führt beim jungen Tier zu einer starken Verzögerung des Wachstums mit starken Störungen der Verknöcherung. Die Geschlechtsorgane bleiben unterentwickelt. B e i m jugendlichen wie beim erwachsenen Organismus k o m m t es zu einer Herabsetzung der Aktivität vieler Organe: Muskelschwäche, Apathie. Die Körpertemperatur ist infolge der verminderten Stoffwechselintensität unternormal. Die Kohlehydrattoleranz ist erhöht. Beim Menschen ist ein typisches S y m p t o m der Hypofunktion der Schilddrüse das sog. „Myxödem", die Anhäufung einer eiweißreichen, schleimigen Flüssigkeit im Bindegewebe der Unterhaut, welche den Patienten ein gedunsenes Aussehen gibt. Myxödem ist nicht nur bei angeborenem Mangel der Schilddrüsenfunktion vorhanden, sondern kann sich auch nach totaler Entfernung der Drüse (Strumektomie) entwickeln (zum erstenmal von den Chirurgen K o c h e r in Bern und R e v e r d i n in Genf beschrieben). Bei Hyperfunktion ist der Cholesteringehalt des Blutplasmas erniedrigt, bei Hypofunktion erhöht. D a s S childdrüsenhormon ist einer der Faktoren, die für das n o r m a l e W a c h s t u m u n d d i e n o r m a l e E n t w i c k l u n g u n e n t b e h r l i c h s i n d . In welcher Weise die Stimulierung des Wachstums mit der allgemeinen Stoffwechselwirkung des Hormons zusammenhängt, ist aber noch nicht abgeklärt. D a s Schilddrüsenhormon schafft die Bedingungen für die Wirksamkeit des Wachstumshormons, das im Hypophysenvorderlappen produziert wird. Nach Entfernung der Schilddrüse reagiert das Tier nicht auf das Wachstumshormon (Versuche an der Ratte, S o Im an). Eine besonders auffallende Wirkung der Schilddrüse ist die B e s c h l e u n i g u n g d e r M e t a m o r p h o s e bei den Amphibien. Durch Verfütterung v o n Schilddrüse kann !) M a r t i u s , Arch. Biochem. Biophys. 33, 486 (1951); 5. Coli. d. Ges. f. Physiol. Chem.: Hormone und ihre Wirkungsweise, S. 143; Berlin, Göttingen und Heidelberg 1955; Conférences et Rapporta, 3™« Congrès Internat, de Biochimie, Bruxelles 1955, S. 1; Liège 1956. Vgl. auch L a r d y, Ann. N. Y. Acad. Sei. 54,636 ( 1951 ) ; Recent Progress in Hormone Research 10.129 ( 1954).

Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse

685

die verfrühte Umwandlung der Kaulquappe in den Frosch erzwungen werden ( G u d e r n a t s c h ) . Ebenso bewirkt das Schilddrüsenhormon (das hier durch anorganisches Jod ersetzt werden kann) die Umwandlung der aquatischen, durch Kiemen atmenden Axolotllarve, die im Wasser geschlechtsreif werden kann, in den zur Luftatmung befähigten Molch (Amblystoma tigrinum). Wird bei der Froschlarve die Schilddrüse operativ entfernt oder ihre Funktion auf chemischem Weg gehemmt (siehe unten), so wächst die Larve weiter, aber die Metamorphose bleibt aus. Umgekehrt können durch das Schilddrüsenhormon schon sehr kleine Larven in entsprechende kleine Frösche verwandelt werden. Die morphogenetischen Prozesse, die Rückbildung der Kiemen, die Ausbildung der Lungen, die Entwicklung der Gliedmaßen, die Resorption des Schwanzes, werden also unabhängig vom somatischen Wachstum durch das Hormon in drastischer Weise beeinflußt. Es läßt sich zur Zeit nicht sagen, ob hier eine besondere, von der allgemeinen Stoffwechselwirkung des Schilddrüsenhormons unabhängige Stimulation der Entwicklungsprozesse vorhegt oder ob es sich um eine spezifische Reaktion der Organanlagen auf die Beschleunigung der Stoffwechselprozesse handelt, welche das Hormon in allen Geweben hervorruft. C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse

Die Funktion der Thyreoidea hängt von einem Hormon ab, das im Vorder läppen der Hypophyse gebildet wird, dem thyreotropen Hormon. Entfernt man nämlich die Hypophyse, so nimmt die Schilddrüse stark an Gewicht ab, und gleichzeitig sinkt der Grundstoffwechsel. Umgekehrt kommt es bei Injektion von Hypophysenextrakten zu einer Hyperplasie der Drüse und Hypertrophie der Zellen, und es können sich bei andauernder Verabreichung die Symptome der Überfunktion einstellen (vermehrte Abgabe von Thyroxin durch die Drüse). Das thyreotrope Hormon scheint ein Glvcoproteid von relativ niedrigem Molekulargewicht (10000) zu sein. Die besten Präparate sind bei Elektrophorese und in der Ultrazentrifuge homogen. Es wird durch Schilddrüsengewebe inaktiviert, kann aber durch reduzierende Stoffe wieder aktiviert werden.

Die Ausschüttung von thyreotropem Hormon durch die Hypophyse kann ihrerseits durch die Konzentration des Schilddrüsenhormons im Blut reguliert werden. Sinkt die Menge des zirkulierenden Schilddrüsenhormons ab, so wird mehr thyreotropes Hormon ans Blut abgegeben. Ein schönes Beispiel für diese Steuerung ist die im vorigen Abschnitt beschriebene Hypertrophie der Schilddrüse bei chemischer Blockierung der Thyroxinbildung. Wir wissen nicht sicher, ob das im Blut kreisende Schilddrüsenhormon direkt auf die Hypophyse einwirkt oder ob es möglicherweise deren Tätigkeit auf dem Umweg über das Zentralnervensystem beeinflußt, denn es bestehen zwischen Hypophyse und Zwischenhirn enge funktionelle Beziehungen. Außer den humoralen Einflüssen untersteht die Thyreoidea auch dem sympathischen Nervensystem, da sie vom cervicalen Sympathicus gut mit Nerven umsorgt wird. Wenn der Organismus äußeren oder inneren Bedingungen ausgesetzt ist, die eine Steigerung des oxydativen Stoffwechsels verlangen, so antwortet die Thyreoidea mit einer vermehrten Hormonausschüttung. Den Anstoß dazu kann sie durch die Hypophyse empfangen. Wenn z.B. das Tier der Kälte ausgesetzt wird (Notwendigkeit erhöhter Wärmeproduktion!), so beobachtet man eine Hyperplasie der Schilddrüse. Diese bleibt nach Entfernung der Hypophyse aber aus. Es gibt Anzeichen dafür, daß der Kältereiz der Hypophyse auf dem Umweg über das Zentralnervensystem

686

Innere Sekretion und Hormone

(Zwischenhirn) zugeleitet wird; nach Durchtrennung des Hypophysenstiels bleibt die Aktivierung der Schilddrüse aus 1 ). Es ist also anzunehmen, daß die Ausschüttung des thyreotropen Hormons sowohl durch Reize, die vom Zwischenhirn ausgehen, als auch durch humorale Paktoren des Blutes reguliert werden kann. Daneben ist aber auch, wie gesagt, eine direkte Beeinflussung der Schilddrüse durch das sympathische Nervensystem möglich. Welches der Anteil der humoralen und der nervösen Steuerung ist, läßt sich im einzelnen Fall nicht genauer angeben. Man kann den Zusammenhang Thyreoidea-Hypophysenvorderlappen schematisch etwa folgendermaßen darstellen: Änderung der

D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe

Es sind in den letzten Jahren eine Reihe organischer Körper bekannt geworden, welche eine Vergrößerung (Hyperplasie) der Schilddrüse bewirken, gleichzeitig aber Symptome einer Unterfunktion der Drüse hervorrufen. Die gleichen Stoffe sind imstande, eine bestehende Überfunktion („Hyperthyreose") zu dämpfen und die Symptome zum Verschwinden zu bringen. Sie werden deshalb in der Therapie der Hyperthyreosen in großem Umfang verwendet. Typische Vertreter dieser Stoffe sind der T h i o h a r n s t o f f , das T h i o u r a c i l und das S u l f a g u a n i d i n : NHj U I NH2 Thioharnstoff

HO—C=N J, u II I HC—NH Thiouracil

NH, HjN—/ V-SOj-NH—d w / II NH Sulfaguanidin

Therapeutisch werden heute hauptsächlich Derivate des Thiouracils verwendet 2 ). Möglicherweise können Stoffe, die in gewissen Nervenzellen des Zwischenhirns gebildet werden (Neurokrinie), auf dem Blutweg (durch einen besonderen Pfortaderkreislauf) der Hypophyse zugeführt werden. 2 ) Liste von antithyreoiden Stoffen siehe z. B. R u l o n u. Mitarb., in P i n c u s u . T h i m a n n : The Hormones. Vol. HI, S. 464. New York 1955.

Störungen der Schilddrüsenfunktion

687

Die Wirkung dieser Stoffe beruht darauf, daß sie in der Schilddrüse die Synthese des Thyroxins hemmen. Unter ihrem Einfluß nimmt 1. der Jodgehalt der Schilddrüse rasch ab, 2. sinkt der Basalstoffwechsel und 3. steigt das Gewicht der Schilddrüse infolge Hyperplasie des Drüsenepithels stark an. Das Absinken des Jodgehalts bedeutet, daß die Drüse das anorganische Jod nicht mehr in organische Bindung überführen kann. Sie hat aber trotzdem noch die Fähigkeit, das Jod zu konzentrieren (wahrscheinlich, wie oben erwähnt, durch lockere Bindung an bestimmte Zellbestandteile), kann es aber nicht festhalten. Das Absinken des Basalstoffwechsels ist ein Zeichen der fehlenden Hormonproduktion; die Hyperplasie der Drüse schließlich kommt dadurch zustande, daß die Hypophyse auf das Fehlen des Hormons im Blut mit einer Mehrproduktion des tliyreotropen Hormons reagiert (s. oben). Dies wird dadurch bewiesen, daß nach Entfernung der Hypophyse die Vergrößerung der Schilddrüse ausbleibt. Die „antithyreoide" Wirkung der genannten Stoffe kann durch Thyroxin, nicht aber, wie nach den obigen Ausführungen leicht verständlich ist, durch anorganisches Jod kompensiert werden. Durch Verwendung von radioaktivem Jod konnte die Annahme, daß bei Gegenwart der „antithyreoiden" Stoffe die Thyroxinsynthese blockiert ist, endgültig bewiesen werden. Es zeigte sich ferner, daß auch kein Dijodtyrosin gebildet wird. Die Hemmung der Thyroxinsynthese läßt sich auch am überlebenden Drüsengewebe in vitro nachweisen, ein Beweis dafür, daß die Hemmstoffe direkt an den Epithelzellen der Drüse angreifen.

Nicht alle antithyreoiden Substanzen greifen in gleicher Weise in den Stoffwechsel der Drüsenzellen ein. Rhodanid hat eine ähnliche Wirkung wie die genannten organischen Körper. Es scheint aber, daß das Rhodanid im Gegensatz zu den letzteren die Aufnahme des anorganischen Jods in die Drüse hemmt. Es bestehen auch zwischen den einzelnen Tierarten große Unterschiede in der Empfindlichkeit gegen die verschiedenen Hemmstoffe der Schilddrüse 1 ). Von praktischer Bedeutung ist auch die Tatsache, daß J o d i d e selbst die Schilddrüsenfunktion hemmen, wenn sie in Dosen zugeführt werden, die den physiologischen Bedarf weit übersteigen. Es scheint, daß sie die Aufnahme des Jods in die Schilddrüse blockieren. Man macht davon bei der Behandlung der B a s e d o w s c h e n Krankheit Gebrauch (s. unten). E. Störungen der Schilddrüsenfunktion

Wir können hier wie in den folgenden Abschnitten auf Fragen der klinischen Endokrinologie nicht näher eingehen, sondern müssen uns mit einigen Hinweisen begnügen. Eine wichtige Methode zur Prüfung der Schilddrüsenfunktion ist die Bestimmung des Grundumsatzes. Er kann bei Unterfunktion die Hälfte, bei Überfunktion der Drüse das Doppelte des normalen Wertes betragen. Im allgemeinen ist auch die Jodkonzentration im Blutplasma ein Ausdruck des Funktionszustandes. Die Konzentration des organisch gebundenen Jods ist (größenordnungsmäßig) bei Unterfunktion etwa 2 y pro 100 ccm, beim Normalen etwa 5 y, bei Überfunktion bis gegen 20 y, im übrigen aber stark von äußeren Bedingungen (Zufuhr) abhängig. Die häufigste Störung der Schilddrüsenfunktion ist der sog. e n d e m i s c h e K r o p f , eine Hypertrophie der Schilddrüse, die das Zeichen einer Unterfunktion des 1 ) Über die Wirkungsweise der verschiedenen antithyreoiden Stoffe vgl. P i t t - R i v e r s , Physiol. Reviews 80, 194 (1950).

688

Innere Sekretion und Hormone

Epithels ist, mehr oder weniger kompensiert durch die Vergrößerung des Organs. Eine Vergrößerung der Schilddrüse kommt, wie der Name besagt, in gewissen geographisch beschränkten Gebieten, besonders in Gebirgsgegenden, häufig vor. Eine große Rolle scheint bei seiner Entstehung das Jod zu spielen. In Gebieten mit endemischem Kropf sind gewöhnlich der Boden und das Trinkwasser sehr jodarm. Durch prophylaktische Verabreichung von jodiertem Salz hat man ausgezeichnete Erfolge erzielt. Von der einfachen Vergrößerung der Schilddrüse gibt es alle Übergänge zu Zuständen mehr oder weniger ausgesprochener Unterfunktion (Hypothyreosen). Der voll ausgebildete Zustand der angeborenen Hypofunktion der Schilddrüse zeigt sich beim Kretinismus: schwere Wachstumsstörung (Zwergwuchs), Schwachsinn, Myxödem, niedriger Grundumsatz, erniedrigte Körpertemperatur usw. Durch frühzeitige und fortdauernde Zufuhr von Jod kann der Zustand stark gebessert werden. Auch beim Erwachsenen kann sich nach Entfernung der Schilddrüse Myxödem einstellen (postoperatives Myxödem). Die bekannteste Erscheinungsform der Schilddrüsenüberfunktion ist die B a s e d o w s c h e K r a n k h e i t (vom deutschen Arzt C. A. von B a s e d o w 1840 erstmals in klassischer Weise beschrieben. Schon früher hatte R . J . G r a v e s in England die Krankheit beobachtet. Sie heißt in den angelsächsischen Ländern meistens „Graves' disease"). Die Kranken zeigen eine vergrößerte Schilddrüse, erhöhten Grundumsatz, Tremor, erhöhte Pulsfrequenz und oft Störungen der Herztätigkeit (Vorhofflimmern), Abmagerung, Störung der Leberfunktion, Hyperglykämie usw. In den typischen Fällen besteht ein Exophthalmus, d.h. ein Vortreten des Bulbus aus der Augenhöhle, bedingt durch ödematöse Schwellung der Gewebe in der Orbita. Das Zustandekommen des Exophthalmus ist noch nicht vollständig geklärt; an seiner Entstehung scheint ein hypophysärer Faktor beteiligt zu sein. Man kann jedenfalls durch Hypophysenextrakte experimentell Exophthalmus erzeugen. Sicher ist der Exophthalmus nicht durch das Schilddrüsenhormon bedingt, denn er tritt oft erst nach der operativen Entfernung oder Strahlenbehandlung der Schilddrüse auf. Merkwürdigerweise kann die Krankheit durch Jodgaben günstig beeinflußt werden (gewöhnlich als L u g o l s c h e Lösung verabreicht). Es handelt sich wahrscheinlich um eine direkte Einwirkung des Jodids auf die Schilddrüse (Hemmung der Thyroxinsynthese durch hohe Jodidkonzentration im Blut; „Ruhigstellung" der Drüse. Vgl. S. 687). Wie wir oben erwähnten, finden heute die Schilddrüsenhemmstoffe vom Typus des Thiouracils ausgedehnte therapeutische Anwendung. Die Krankheit kann erfahrungsgemäß durch alle möglichen unspezifischen Beanspruchungen des Organismus ausgelöst werden: Infektionen, Trauma, seelischer Schock, Schwangerschaft, Menopause usw. Es sind auch Geschwülste (Adenome) der Schilddrüse bekannt, welche die Erscheinungen der Hyperthyreose hervorrufen. Ebenso kennt man Fälle von Hyperthyreose ohne Vergrößerung der Drüse. 4. Die Nebenschilddrüsen Die physiologische Funktion der Nebenschilddrüsen (Epithelkörperchen) liegt in der Regulierung gewisser Phasen des Phosphat- und des Calciumstoffwechsels. Das von ihnen produzierte Hormon wird meistens „Parathormon" genannt. Die Schicksale der Phosphorsäure und des Calciums im Organismus sind eng miteinander verknüpft, weil sie im Knochen gemeinsam als schwerlösliches Salz deponiert werden und auch gemeinsam wieder in Lösung gehen. Die totale Exstirpation erzeugt bei Hunden und Katzen eine nach kurzer Zeit tödüch verlaufende Tetanie. (Unter

Wirkungen des Parathormons

m

Tetanie versteht man eine erhöhte Erregbarkeit des neuromuskulären Apparates, die zu tonischen Krämpfen der Muskulatur führt.) A. Wirkungen des Parathornions Die nach Entfernung der Epithelkörperchen auftretende Tetanie hat ihre Ursache in einem Absinken des Calciums im Blutplasma (Hypocalcämie). Gleichzeitig steigt das anorganische Phosphat an und die Phosphatausscheidung im Urin geht zurück. R a t t e n können die Exstirpation der Epithelkörperchen viel länger überdauern. Bei ihnen beobachtet man Veränderungen an den Knochen, ähnlich wie bei der Rachitis. Vermehrte Hormonproduktion bewirkt umgekehrt Hypercalcämie. C o l l i p konnte aus den Epithelkörperchen E x t r a k t e herstellen, die die durch Exstirpation enstandenen Ausfallserscheinungen unterdrücken. Nebenschilddrüsenlose Hunde können mit Extrakten lange Zeit am Leben erhalten werden. Über die chemische Natur des Parathormons ist nicht viel mehr bekannt, als daß es ein Protein ist, das von den Verdauungsfermenten rasch zerstört wird. Es ist in 80 proz. Alkohol löslich und scheint ein Molekulargewicht zwischen 15000 und 25000 zu besitzen (Ultrazentrifuge). Es ist nicht bekannt, wie die Ausschüttung des Parathormons reguliert wird. Wahrscheinlich bewirkt ein Abfall der Ca-Konzentration im Blut eine erhöhte Hormonausschüttung. Eine einzelne subcutane Injektion des aktiven Extraktes bei einem normalen Tier (Hund) führt zu einer sofortigen Vermehrung der Phosphatausscheidung und läßt den Calciumspiegel innerhalb 12 Stunden auf hohe Werte (bis 18 mg%) ansteigen. Bei wiederholter Injektion treten allmählich schwere Vergiftungserscheinungen (Erbrechen, Diarrhoe, Darmblutungen) ein. Das Blutcalcium und das anorganische Phosphat steigen dauernd an; unter der Einwirkung des Hormons werden also Ca und Phosphat mobilisiert. In den Endstadien kommt es zur Bluteindickung und zum starken Ansteigen des Reststickstoffes. Es handelt sich hier um eine tiefgreifende akute Störung des Ionenmilieus, die sich dadurch nachahmen läßt, daß man Calciumchlorid gleichzeitig mit primärem Natriumphosphat injiziert.

Man h a t früher angenommen, daß die Nebenschilddrüsen direkt auf den CaStoffwechsel einwirken; man kann heute jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Hormon die Phosphatausscheidung in der Niere steuert, und zwar v e r m e h r t ein Ü b e r s c h u ß des H o r m o n s die P h o s p h a t a u s s c h e i d u n g in d e r N i e r e (vermindert also die Rückresorption des Phosphats in den Tubuli). Die primäre Wirkung ist also die Phosphatdiurese und nicht die Erhöhung des CaSpiegels im Blut (Einschränkung siehe unten). Das Hormon greift an der Niere an; dies geht schon daraus hervor, daß der vermehrten Phosphatausscheidung keine Erhöhung des Phosphatspiegels im Blut vorausgeht, wie dies der Fall sein müßte, wenn eine veränderte Zusammensetzung des Blutes die Ursache der Phosphatdiurese wäre. Bei geschädigter Niere (akute oder chronische Nephritis) folgt auf die Injektion von Parathormon weder eine vermehrte Phosphatausscheidung im Urin noch eine Erhöhung des Phosphatspiegels im Blut. Direkte Beweise dafür, daß einer der Angriffspunkte in der Niere liegt, sind auf experimentellem Weg erbracht worden. Nach Nephrektomie oder Ligatur der Ureteren bewirkt das Hormon keine Erhöhung des Blutcalciums; dieselbe t r i t t auch nicht ein, wenn man nach Zufuhr des Hormons den Phosphatspiegel im Blutplasma durch wiederholte Phosphatinjektion auf der normalen Höhe hält. Wie wir bereits bei früherer Gelegenheit erwähnt haben (S. 659), wirkt das Parathormon sehr wahrscheinlich auch direkt auf den Knochen ein. Man beobachtet nach Injektion des Hormons eine starke Proliferation der Osteoklasten mit Rarefikation des Knochens und Ersatz der Knochensubstanz durch weiches Gewebe, die zum Bild der Ostitis fibrosa führen. 44

L e u t h ar d t , Lehrbuch. 13. Aull.

690

Innere Sekretion und Hormone

Eine ältere Theorie nahm allerdings an, daß die vermehrte Resorption von Knochensubstanz, die unter der Wirkung des Hormons eintritt, eine Reaktion des Gewebes auf die Senkung des Phosphatspiegels darstelle. Demnach wäre die Veränderung des Ionenmilieus, welche durch die Phosphatdiurese hervorgerufen wird, und nicht eine direkte Stimulation der Osteoklasten die primäre Ursache der Skelettveränderungen. Dieser Auffassung liegt die Vorstellung zugrunde, daß zwischen den Mineralstoffen des Knochens einerseits und den Phosphatund Calciumionen der Blutflüssigkeit andererseits eine Art Gleichgewicht besteht. Die Demineralisation des Knochens bei Senkung des Phosphatspiegels würde einer Neueinstellung dieses Gleichgewichts entsprechen. Es gibt aber doch eine Reihe von Beobachtungen, die eine direkte Einwirkung des Hormons auf den Knochen als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen. Die charakteristischen Veränderungen nach Injektion des Hormons treten auch beim nephrektomierten Tier auf. Unter diesen Umständen kann natürlich die Phosphatdiurese keine Rolle spielen. Die genauere histologische Untersuchung der Vorgänge zeigt, daß die gesamte Knochensubstanz mit Einschluß der organischen Matrix durch aktive Zelltätigkeit abgebaut wird. Es erfolgt nicht zuerst eine Demineralisation der Grundsubstanz, wie dies bei Annahme eines einfachen Sättigungsgleichgewichts zu erwarten wäre.

Wie kommen die Änderungen des Ca ++ -Spiegels im Blut zustande ? Primär muß die vermehrte Phosphatausscheidung im Urin ein Absinken des Phosphats im Blut bewirken. Es kommt aber unter der Einwirkung des Parathormons gleichzeitig zu einer Mobilisierung der Mineralstoffe im Knochen. Mit dem Phosphat geht auch die äquivalente Menge Calcium in Lösung, und es kommt daher zur Erhöhung des Ca-Spiegels. Umgekehrt steigt beim Fehlen des Hormons primär der Phosphatspiegel im Blutplasma; dies führt zu einer vermehrten Ablagerung von Knochensalzen oder, nach der älteren Ansicht, zu einer gesteigerten Ausscheidung von CaPhosphat im Darm. In beiden Fällen ist dazu Ca nötig, das dem Blut entnommen wird. Folge: Hypocalcämie. Die Änderung des Calciumspiegels im Blutplasma betrifft alle Fraktionen des Ca (vgl. S. 555). Primär wird die Konzentration der freien Calciumionen reguliert; da diese aber mit dem komplex gebundenen Ca im Gleichgewicht stehen, macht das Gesamt-Ca die Schwankungen mit.

Der Umstand, daß das Calcium nur als Phosphat gespeichert werden kann und daß andererseits bei Einschmelzung von Knochengewebe Calcium- und Phosphationen immer gleichzeitig mobilisiert werden, bedingt eine enge Abhängigkeit der beiden Ionen. Dies zeigt sich besonders deutlich im Verhalten ihres Blutspiegels. Beim Fehlen des Parathormons ist primär die Ausscheidung des Phosphats verlangsamt ; dies führt zu einer Erhöhung des Phosphatspiegels im Blutplasma und diese wiederum zu einer Fällung von Calciumphosphat im Knochen (oder eventuell auch zu einer vermehrten Ausscheidung im Darm). Das dazu nötige Calcium muß aber dem Blut entzogen werden; es kommt zur Hypocalcämie. Es tritt hier eine allgemeine Gesetzmäßigkeit in Erscheinung: Bei endokrinen Störungen des Calcium- und Phosphatstoffwechsels geht eine Erhöhung des Phosphatspiegels meistens mit einer Erniedrigung des Calciumspiegels, eine Erhöhung des Calciumspiegels mit einer Erniedrigung des Phosphatspiegels einher. Man kann etwas schematisierend sagen, daß die Tendenz besteht, das Produkt aus Serumcalcium und anorganischem Phosphat konstant zu halten. (Wir werden später sehen, daß bei Veränderungen, die durch das Vitamin D bedingt sind, sich die Konzentrationen der Calcium- und Phosphationen im Blut meistens gleichsinnig verändern.) Normalerweise bleibt die Konzentration der Ca + + -Ionen im Blut innerhalb enger Grenzen konstant (siehe S. 555). Der Mechanismus dieser lebenswichtigen Regulation ist nicht völlig aufgeklärt; sicher spielt aber das Parathormon dabei eine wesentliche Rolle; denn wir sehen, daß sowohl bei seinem Fehlen als auch bei überschüssiger Produktion der Ca ++ -Spiegel nicht gehalten werden kann. In Analogie zu anderen endokrinen Regulationsvorgängen kann man annehmen, daß die Tätigkeit der

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Klinische Bedeutung

Epithelkörperchen direkt durch die humoralen Veränderungen gesteuert wird, welche das Parathormon hervorruft. In der Tat weisen verschiedene klinische und experimentelle Befunde darauf hin, daß um so mehr Hormon ausgeschüttet wird, je niedriger der Ca ++ -Spiegel im Blutplasma ist (vgl. S. 753). Bei sinkendem Ca ++ -Spiegel wird daher im Skelett unter der Einwirkung des Hormons mehr Knochensubstanz aufgelöst; Ca + + - und Phosphationen können ins Blut nachfließen, die Ca ++ -Konzentration bleibt erhalten. Gleichzeitig aber wird unter dem Einfluß der vermehrten Hormonsekretion in der Niere die Ausscheidung des Phosphats gefördert (Hemmung der Rückresorption); der Phosphatspiegel wird daher trotz der vermehrten Zufuhr aus dem Skelett ins Blut nicht erhöht. Das Produkt [Ca + + ]-[HP0 4 —] bleibt unverändert. Die Eigenschaft des Parathormons, mit der Mobilisierung der Knochenmineralien gleichzeitig die Phosphatausscheidung in der Niere zu stimulieren, schützt offenbar den Organismus vor einer fatalen Überschreitung des Löslichkeitsproduktes. B . Klinische Bedeutung 1

Die Ausfallserscheinungen werden gelegentlich nach Strumektomie beobachtet, wenn mit der Schilddrüse die oft schwer auffindbaren Epithelkörperchen entfernt worden sind. Die Tetanie kann erfolgreich bekämpft werden durch das Dihydrotachysterin, das sich vom Tachysterin, einem der Bestrahlungsprodukte des Ergosterins, ableitet (vgl. S. 750). Der Stoff ist unter der Bezeichnung A.T. 10 (Antitetaniestoff 10) bekannt. Aus den untenstehenden Formeln ist die Verwandtschaft mit dem Vitamin D2 ersichtlich: CH,

HO^

I

Dihydrotachysterin

HO

Vitamin D 2

Über die Wirkung des Dihydrotachysterins im Vergleich zu derjenigen des Vitamins D vgl. S. 754. Für die Diagnose der „parathyreopriven Tetanie" ist die Bestimmung des Calciums im Blutserum wichtig. Man findet immer erniedrigte Werte, und ebenso ist die Calciumausscheidung im Urin stark vermindert. E s gibt auch sehr seltene Fälle von sog. idiopathischem Hypoparathyreotismus, bei welchem ohne sichtbare Ursache die Epithelkörperchen insuffizient sind und welche die typischen Symptome der Unterfunktion, Hypocalcämie und Tetanie zeigen.

Die Epithelkörperchen können hypertrophieren oder Geschwülste bilden (Adenome). Es kommt dadurch zu einer stark vermehrten Ausschüttung von Parathormon ins Blut mit den charakteristischen Folgen der Hyperfunktion: vermehrte Phosphatund Calciumausscheidung, Hypercalcämie und verminderte Phosphatkonzentration im Serum (Hypophosphatämie). 44«

692

Innere Sekretion und Hormone

I n gewissen Fällen führt die Überproduktion des Hormons allmählich zu schweren Veränderungen der Knochen: Verlust der Mineralstoffe, verbunden mit völliger Desorganisation und tiefgreifendem Umbau des Gewebes. Es ist das Bild der sog. Osteitis fibrosa Recklinghausen. Oft treten die Knochen Veränderungen stark zurück oder sind überhaupt nicht feststellbar, aber es bilden sich infolge der vermehrten Ausscheidung von Phosphat und von Calcium im Nierenbecken Harnkonkremente (Ca-Phosphat- oder CaOxalatsteine); es kann schließlich zur Ausfällung schwerlöslicher Kalksalze in den Geweben der Niere selbst kommen, was zu einer Schädigung des Organs f ü h r t . Natürlich können Knochenveränderungen und Steinbildung vergesellschaftet vorkommen. Man nimmt an, daß das Auftreten von Nierensteinen in vielen Fällen (schätzungsweise bei 10—15% der Steinkranken) auf einer Hyperfunktion der Nebenschilddrüsen beruht. Die Krankheit kann durch operative Entfernung der Geschwulst oder der hypertrophierten Nebenschilddrüse geheilt werden. Knochenveränderungen vom Typus der Ostitis fibrosa brauchen nicht notwendigerweise durch primäre Hyperplasie oder Adenome der Epithelkörperchen bedingt zu sein. Man beobachtet derartige Skelettveränderungen gelegentlich auch bei chronischer Niereninsuffizienz, die mit Phosphatretention, d.h. mit stark erhöhter Konzentration des anorganischen Phosphats, im Blutplasma einhergeht. In solchen Fällen findet man vielfach vergrößerte Nebenschilddrüsen. Man nimmt an, daß die erhöhte Phosphatkonzentration zu einer Verminderung des Calciumspiegels und damit sekundär zu einer erhöhten Aktivität und Hyperplasie der Epithelkörperchen führt.

5. Die Nebennierenrinde Die Nebennieren bestehen aus zwei in funktioneller Hinsicht völlig getrennten Organen, der Rinde und dem Mark. Beide haben auch entwicklungsgeschichtlich verschiedenen Ursprung. Die Rinde entstammt mesodermalem Gewebe; das Mark ist ein umgewandeltes sympathisches Ganglion, stammt also vom Ektoderm ab. Bei den Fischen sind die beiden Organe getrennt, das Rindengewebe bildet dort selbständige Organe, die sog. lnterrenalkörper oder Stanniussehen Körperchen, das „Interrenalsystem". Das Mark besteht aus dem chromaffinen Gewebe (so genannt, weil es mit Chromsalzen eine typische braune Färbung gibt). Chromaffines Gewebe findet sioh auch in den Paraganglien, die das sympathische Nervensystem begleiten; sie bilden zusammen mit dem Nebennierenmark das „chromaffine" oder „Adrenalsystem". Bei einzelnen Säugetieren (z. B. der Ratte) finden sich auch akzessorische Rindengewebe außerhalb der Nebennierenrinde an verschiedenen Stellen.

Die Exstirpation der ganzen Nebennieren ist ein tödlich wirkender Eingriff. Wenn die Tiere überleben (bei der R a t t e häufig), so beruht dies auf der Gegenwart von akzessorischem Rindengewebe. Die räumliche Trennung von Markgewebe und Interrenalgewebe bei Selachiern erlaubte die isoliere Ausschaltung des letzteren (Biedl). Es tritt immer Tod ein. Bei den höheren Tieren bleibt die Entfernung des Marks ohne Folgen (wobei aber zu beachten ist, daß im übrigen Körper immer noch chromaffines Gewebe vorhanden ist!). Entfernung der Rinde (unter Schonung des Marks) führt zum Tod. Man kann also mit Sicherheit sagen, daß der fatale Ausgang einer vollständigen Exstirpation beider Nebennieren auf die E n t fernung der Rinde zurückgeführt werden muß. Die Wirkstoffe lassen sich durch Extraktion des Organs gewinnen. Der Wirkstoff, der in Rindenextrakten enthalten ist, wurde ursprünglich als Cortin bezeichnet. Wir wissen heute, daß es sich nicht um eine einheitliche Substanz handelt, sondern daß mehrere wirksame Stoffe vorhanden sind. Die Nebennierenrinde besteht aus verschiedenen in Zonen angeordneten Gewebsschichten. Es sind von außen nach innen: Zona glomerulosa, Zona fasciculata, Zona reticularis. Die Zellen der Rinde sind vor allem durch ihren Reichtum an Lipiden ausgezeichnet. Bei verschiedenen Tierarten zeigen sich Unterschiede in der Ausbildung der einzelnen Zonen, und ebenso zeigt

Ausfallserscheinungen. Die Rindenhormone

693

ihr Bau in den verschiedenen Lebensaltern beträchtliche Unterschiede. Man nimmt an, daß sich die Zellen der Zona fasciculata in den sog. Transformationszonen in die Zellen der Glomerulosa bzw. der Reticularis umwandeln. Verschiedene Beobachtungen, auf die wir später zurückkommen werden, deuten darauf hin, daß die Zellen der Zona glomerulosa und der Zona fasciculata funktionell verschieden sind und verschiedene Hormone produzieren. Wahrscheinlich geben die Zellen ihr Sekret in Form feiner Tröpfchen nach außen ab. Auf welche Weise die sezernierten Stoffe im Blut gelöst werden, ist nicht genau bekannt. Es ist anzunehmen, daß sie in Form von lockeren, wasserlöslichen Komplexen, z. B. als Lipoproteide, transportiert werden (vgl. S. 566). A. Ausfallserscheinungen

Die Ausfallserscheinungen, die nach Exstirpation beider Nebennieren auftreten, sind schwerer Natur und führen in der Regel innerhalb einer Woche zum Tode. Folgendes sind die wichtigsten Symptome: 1. Allgemeine Muskelschwäche (Adynamie), niedriger Blutdruck, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Widerstandslosigkeit bei irgendwelcher Beanspruchung des Organismus. 2. Verlust von Mineralstoffen, insbesondere von Na- und Cl-Ionen im Urin, verminderte Konzentration der Na- und Cl-Ionen im Blutplasma, außerordentliche Empfindlichkeit gegen Kaliumsalze (schon die Zufuhr kleiner Mengen kann tödlich wirken). 3. Tendenz zur Hypoglykämie und zur Erschöpfung des Glycogenvorrats der Leber (Nahrungsentzug oder Anstrengung kann zu hypoglykämischen Symptomen führen), Erhöhung des Nichteiweiß-Stickstoffes im Blut, verminderte N-Ausscheidung. Die Gruppierung der Symptome zeigt, daß auf zwei Gebieten des Stoffwechsels Störungen eintreten, 1. im Mineralhaushalt und 2. beim Kohlehydrat- und Eiweißstoffwechsel. B. Die Rindenhormone Die Herstellung von Extrakten aus der Nebenniere, welche die genannten Ausfallserscheinungen zu korrigieren gestatten und die Tiere am Leben erhalten, erwies sich als sehr schwierige Aufgabe. Die Gewinnung wirksamer Extrakte wurde zum erstenmal 1929 unabhängig von H a r t m a n n , von S t e w a r t und R o g o f f und von Swingle und P f i f f n e r beschrieben. Wir kennen heute den Grund für die anfänglichen Schwierigkeiten. Die Hormonausschüttung und der Hormonverbrauch sind außerordentlich groß. Es ist in den Nebennieren immer nur ein verschwindend kleiner Teil der Hormonmenge aufgestapelt, welche das Tier täglich braucht. Zur Illustration möge die Angabe dienen, daß zur Herstellung derjenigen Menge Rindenhormon, die von den beiden Nebennieren eines 10 kg schweren Hundes täglich abgegeben werden, ungefähr 17 kg Rindernebennieren nötig sind!

In den Rohextrakten der Drüsen sind die aktiven Stoffe in einer Form vorhanden, in der sie sowohl in Wasser als auch in organischen Lösungsmitteln löslich sind. Die weitere Reinigung zeigte, daß die wirksamen Körper alle Sterine sind, die im nativen Sekret wohl in Form wasserlöslicher Komplexe vorliegen. Die C h e m i e d e r N e b e n n i e r e n r i n d e ist durch die Untersuchungen von K e n d a l l , W i n t e r s t e i n e r und namentlich von T. R e i c h s t e i n in wesentlichen Teilen geklärt worden. Durch Isolierungsverfahren, auf deren Beschreibung hier nicht eingegangen werden kann, gelang es, etwa dreißig sterinartige Stoffe in kristallisiertem Zustand zu isolieren, von denen sich sechs als wirksam, die übrigen jedoch als nicht oder nur sehr wenig aktiv erwiesen. Man hatte schon lange bemerkt, daß in der amorphen Fraktion, die nach der Isolierung der kristallisierbaren Hormone aus den Rindenextrakten übrig blieb, eine

Innere Sekretion und Hormone

694

weitere hochwirksame Substanz vorhanden sein muß (Überlebenstest am nebennierenlosen Tier). 1954 gelang es einer Gruppe von schweizerischen und englischen Forschern, das wirksame Sterin zu isolieren, das besonders auf den Mineralstoffwechsel Einfluß hat. Nach Aufklärung seiner Konstitution wurde der provisorisch vorgeschlagene Name „Elektrocortin" durch Aldosteron ersetzt 1 ). Die Strukturformeln der wichtigsten aktiven Sterine sind die folgenden (für die Benennung einzelner Verbindungen werden vielfach noch die von R e i c h s t e i n oder die von K e n d a l l angeführten Buchstabenbezeichnungen verwendet):

O 11-Desoxycorticosteron (Cortexon, DOCA = Desoxycorticosteronacetat)

17-Oxy-l 1 -desoxycorticosteron ( R e i c h s t e i n S)

I

II

CH-OH

ch2oh I

CH, CO

HO

V i

CH3|

Corticosteron

•OH

17-Oxycorticosteron (Kendall F, Hydrocortison, Cortisol) IV

III

ch2oh

11 -Dehydrocorticosteron

V

17-Oxy-11 -dehydrocorticosteron (Kendall E) (Acetat = „Cortison") VI

S i m p s o n u. T a i t , London; R e i c h s t e i n , v. E u w , W e t t s t e i n u. N e h e r , Basel; vgl. Experientia 9, 333 (1953). S i m p s o n u. Mitarb.. Experientia 10, 132 (1954); Helv. Chim. Acta 87, 1163 (1954).

Die biologische Wirkung der Rindenhormone

695

OH CHjOH O CH CO l/\l ! CH,3 t 0

VII Aldosteron

Die Aldehydgruppe C18 ist aoetalartig an die Hydroxylgruppe C u gebunden.

C. Die biologische Wirkung der Rindenhormone Die Wirkung der einzelnen Rindenhormone ist qualitativ und quantitativ verschieden. Es gibt Steroide, die vorwiegend a u f d e n M i n e r a l s t o f f w e c h s e l (Kochsalzretention) einwirken (sog. m i n e r a l o c o r t i c o i d e Wirkung) und solche, die vorwiegend den K o h l e h y d r a t s t o f f w e c h s e l beeinflussen (sog. g l u c o c o r t i c o i d e Wirkung). Außerdem produziert die Rinde noch Steroide, die als Sexualhormone wirksam sind, und zwar solche mit a n d r o g e n e r und mit G e l b k ö r p e r w i r k u n g (vgl. S. 721 und 725). Während langer Zeit kannte man als einziges Steroid mit ausgesprochen mineralocorticoider Wirkung das von R e i c h s t e i n synthetisch dargestellte und später aus Rindenextrakten isolierte Desoxycorticosteron (Cortexon, DOCA = Desoxycorticosteronacetat), das ausgedehnte therapeutische Verwendung findet. Das wirksamste mineralocorticoide Hormon ist jedoch das oben erwähnte, neu entdeckte Aldosteron. Es ist — je nach der Testmethode — 30 bis lOOmal aktiver als das Cortexon, welches früher das einzige bekannte Steroid mit überwiegender Wirkung auf den Salzstoffwechsel war. Starke glucocorticoide Wirkung (vgl. S. 333) besitzen Cortison, Hydrocortison ( K e n d a l i P ) und Corticosteron. Aber auch das Aldosteron beeinflußt den Kohlehydratstoffwechsel (s. unten). Die beiden Gruppen der Rindenhormo'ne lassen sich also nicht scharf abgrenzen; ein und dasselbe Steroid kann sowohl mineralo- als auch glucocorticoide Wirkung zeigen, wenn auch die eine gewöhnlich stark überwiegt. Von diesen Stoffen h a t man im venösen Blut der Nebenniere zwei mit Sicherheit nachweisen können: Corticosteron und Hydrocortison; sie sind also die glucocorticoiden Hormone, welche die Nebenniere ans Blut abgibt. Für die mineralocorticoide Aktivität des kreisenden Bluts scheint fast ausschließlich das Aldosteron verantwortlich zu sein 1 ). Wir haben den Einfluß der Rindenhormone auf den Kohlehydrat- und Proteinstoffwechsel schon früher besprochen und beschränken uns daher hier auf die Störungen des Mineralhaushalts. Die folgende Tabelle (nach einer Zusammenstellung von R e i c h s t e i n und S h o p p e e ) zeigt die Wirkung der einzelnen Steroide bei den verschiedenen Testmethoden. Man erkennt in der Tabelle deutlich die verschiedenartige Wirksamkeit der beiden Gruppen von Steoiden und kann auch gewisse Zusammenhänge zwischen Struktur und biologischer Wirkung ablesen. Für die Wirkung auf den Kohlehydratstoffwechsel scheint der Sauerstoff in Stellung II wesentlich zu sein, denn die Verbindungen I und II (siehe Formeln) sind bei den entsprechenden Testmethoden inaktiv. Dagegen scheint eine Hydroxylgruppe in Stellung 17 (Verbindungen II, Literatur vgl. z. B. Bush, Schweiz, med. Wschr. 85, 645 (1955).

696

Innere Sekretion und Hormone

Untersuchungsmethode

Überlebenszeit bei der nebennierenlosen R a t t e Verhinderung derAusfallserscheinungen beim nebennierenlosen Hund Retention der Na + - und Cl~-Ionen beim normalen Hund Ermüdbarkeit d. Muskeln bei elektrischer Reizung (Test nach I n g l e )

ll-Desoxy- 17-Oxy11-desoxycorticorticosteron costeron II I

IV

11-Dehydrocortieosteron V

17-Oxy11 -dehydrocorticosteron VI

Corticosteron

17-Oxycorticosteron

III

++++

+ +

++

+

++

+

+++

?

++

+

+ +

+

+ + + +

0

0

vermehrte Ausscheidung

vermehrte Ausscheidung

V

++ +

++++

++

++

++

++

++ +

++ +

oder +

oder +

+++

Diabetogene Wirkung

0

?

Verhinderung der hypoglykämischen Krämpfe nach Insulin

0

0

+ + + +

(Anti-Insulin Wirkung)

IV und VI) die Wirkung auf Kochsalzretention nicht nur aufzuheben, sondern in ihr Gegenteil zu verwandeln (gesteigerte Ausscheidung von N a + und Cl~ beim normalen Hund) 1 ). Dieses Resultat darf allerdings nicht verallgemeinert werden. Bei Verabreichung therapeutischer Dosen von Cortison oder Hydrocortison an den Menschen beobachtet man oft eine starke Retention von Wasser und Salz, die sogar zu Ödemen f ü h r e n k a n n . Es gibt sowohl tierexperimentelle als auch klinische Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Cortison unter gewissen Bedingungen die Rückresorption des Natriums in den Nierenkanälchen steigern kann. E s scheint überhaupt, daß die Richtung, in welcher die Rindenhormone Wasser und Elektrolytausscheidung in der Niere beeinflussen, nicht von vornherein feststeht, sondern vom physiologischen Zustand des Organismus mitbestimmt wird 2 ). Bei der Besprechung des Wasser- und Salzhaushaltes haben wir darauf hingewiesen, daß die beiden eng miteinander v e r k n ü p f t sind. Das Wasser folgt in vielen Fällen passiv auf Grund der osmotischen K r ä f t e den Veränderungen der Elektrolytkonzentration. Die Rindenhormone, welche auf die Rückresorption der Natrium- und Chlorionen einwirken, beeinflussen dadurch indirekt auch den Wasserhaushalt. Außerdem scheinen aber die Rindenhormone auch einen direkten Einfluß auf die Ausscheidung des Wassers in der Niere zu h a b e n : Sie hemmen dessen Rückresorption und vergrößern anscheinend auch die Filtration; sie wirken also diuretisch 3 ). Es ist daher verständlich, daß je nach dem Überwiegen des einen oder des anderen F a k t o r s bei Zufuhr des Hormons entgegengesetzte Wirkungen a u f t r e t e n können. Die Natrium-retinierende Wirkung der in der obigen Tabelle angeführten Steoride wird aber bei weitem durch diejenige des Aldosterons übertroffen. Nach den heutigen Kenntnissen muß das A l d o s t e r o n a l s d e r e i g e n t l i c h e N a t r i u m - r e t i n i e r e n d e F a k t o r d e r N e b e n n i e r e n r i n d e betrachtet werden. E s besitzt aber nicht nur eine bedeutend höhere mineraloeortieoide Aktivität als das Cortexon, sondern wirkt auch qualitativ verschieden; es zeigt, wie früher schon erwähnt wurde, charakteristische glucocorticoide Effekte. Es erhöht das Leberglycogen und bewirkt eine Abnahme der Eosinophilen im B l u t ; bei dieser Reaktion erweist es sich als etwa 1 / 3 so aktiv wie das Cortison. Die folgende Tabelle (nach G a u n t ) 4 ) zeigt f ü r einige Testmethoden die Wirkungen des Aldosterons im Verhältnis zum Cortexon und Cortison: *) ) ) 4 ) 2 3

T h o r n , Science 94, 348 (1941). T h o r n , New England J . Med. 248, 292 (1953). Vgl. G a u n t , Recent Progress in Hormone Research 6, 247 (1951). Zit. nach W e t t s t e i n u. A n n e r , Experientia 10, 397 (1954).

697

Die biologische Wirkung der Rindenhormone

Testmethode

Wirkung des Aldosterons im Verhältnis zum Cortexon

|

Cortison

Natriumretcntion Kaliumausscheidung Verhältnis der Na/K-Ausscheidung Lebenserhaltung beim nebennierenlosen H u n d

25 5 120 25—30

Ct §i 1 !

Testmethoden, bei welchen Cortexon aktiver ist als Cortison

Testmethoden, bei welchen Cortison aktiver ist als Cortexon Kälte-,,stress" Leberglycogen Abfall der Eosinophilen H e m m u n g der ACTH-Ausschüt.tiing

> 30 8

gleich oder > Vs Vi—'A Vs-- 1 /,

Das Cortexon vermag dir Ausfallserscheinungen beim Fehlen der Nebennieren weitgehend zum Verschwinden zu bringen und gestattet, adrenalektomierte Tiere beliebig lange a m Leben zu erhalten (trotzdem mit den verschiedenen Testmethoden eine glucocorticoide Wirkung kaum nachweisbar ist); doch ist das Aldosteron auch in bezug auf seine lebenserhaltende Wirkung beim nebennierenlosen Tier bedeutend (25- 30mal) aktiver als das Cortexon. Cortison und Hydrocortison vermögen dagegen den Ausfau der Rinde nicht zu ersetzen (vgl. obige Tabelle). Diese Tatsachen deuten darauf hin, daß bei Insuffizienz der Nebennieren die unmittelbar lebensbedrohenden Störungen in erster Linie den Mineralstoffwechsel betreffen. I m kreisenden Blut scheint f ü r die mineralocorticoide Aktivität fast ausschließlich das Aldosteron, f ü r die glucocorticoide Aktivität das Hydrocortison verantwortlich zu sein 1 ).

Beim Pehlen der mineralocorticoiden Hormone kann der Körper die Na + - und Cl -Ionen nicht mehr in normaler Weise in den Körperflüssigkeiten retinieren; sie werden in vermehrter Menge im Urin ausgeschieden. Dementsprechend wird auch die Menge der extrazellulären Flüssigkeit reduziert. Meist ist im Blutplasma die Konzentration der Na + -Ionen und der Cl~-Ionen vermindert; da, wie eben erwähnt, gleichzeitig das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit verkleinert ist, bedeutet dies ein beträchtliches Defizit im gesamten Salzbestand des Organismus. Umgekehrt sind die Zellen (die Muskulatur) wasserreicher geworden und enthalten mehr K + -Ionen als beim Normalen. Auch im Blutplasma kann die K + -Konzentration erhöht sein (K + -Retention). Es hat also auch eine Verschiebung des Wassers vom extrazellulären nach dem intrazellulären Kompartiment stattgefunden. Umgekehrt bewirken aktive Extrakte oder die mineralocorticoiden Hormone eine verminderte Kochsalzausscheidung in der Niere und eine vermehrte Ausscheidung des Kaliums. (Auch die Salzausscheidung im Schweiß geht zurück.) -

Es scheint also, daß beim Fehlen der Rindenhormone die Niere ihre Fähigkeit eingebüßt hat, die Ausscheidung der N a + - und C l - - I o n e n der Z u f u h r anzupassen. Sie läßt zuviel Elektrolyte in den Urin übertreten. Man darf aber deswegen nicht ohne weiteres annehmen, daß die Störung des Mineralhaushaltes ihre Ursache einzig in einem Versagen des Ausscheidungsorgans h a t . Möglicherweise handelt es sich u m eine Störung des Elektrolyt- und Wasseraustausches an allen Zellgrenzflächen. Wir wissen heute über den Mechanismus der Hormonwirkung noch nichts Genaueres. Die eben erwähnte Verminderung der Chloridausscheidung durch den Schweiß nach Gaben von Desoxycorticosteron könnte d a f ü r sprechen, daß das Hormon nicht n u r die Rückresorption der Elektrolyte in der Niere reguliert, sondern möglicherweise auch den Ionentransport an anderen Zellgrenzen beeinflußt. >) Literatur über Aldosteron vgl. W e t t s t e i n u. A n n e r , Experientia 10, 397 (1954); R . u. E. M a c h , Exposés ann. Biochimie médicale 18, 63 (1956).

698

Innere Sekretion und Hormone

Ein besonders merkwürdiges Symptom der Nebenniereninsuffizienz ist die außerordentliche Empfindlichkeit des Organismus gegen Kaliumsalze. Nebennierenlose Tiere zeigen eine viel kürzere Überlebensdauer, wenn ihre Nahrung Kalium enthält, als wenn die Zufuhr dieses Elements soweit als möglich unterdrückt wird, und können durch kleine Kaliumgaben tödlich vergiftet werden (Schwächezustand, Muskelkrämpfe, Herzstillstand). Man kann aber allein durch stark erhöhte Zufuhr von Natriumsalzen (NaCl oder Na-Acetat) bei möglichst weitgehender Ausschaltung des Kaliums die Ausfallssymptome vollständig zum Verschwinden bringen und die Tiere während längerer Zeit in gutem Zustand erhalten. (Diese Tatsache hat für die Behandlung der Nebenniereninsuffizienz eine große Bedeutung.) Die Möglichkeit, den Zustand von nebennierenlosen Tieren allein durch genügende Kochsalzzufuhr weitgehend zu bessern, zeigt deutlich, daß die schweren Folgen der totalen Exstirpation im wesentlichen durch die Desorganisation des Mineralhaushaltes bedingt sind. Möglicherweise werden, wie wir oben bereits angedeutet haben, die Störungen des Kohlehydratstoffwechsels erst dann manifest, wenn der Boden durch den Ausfall des Mineralstoffwechselhormons (Desoxycorticosteron) dazu vorbereitet ist. Zu den charakteristischen Wirkungen der 11,17-OxySteroide (Cortison, Hydrocortison, 17-Oxycorticosteron) gehört auch der Abfall der eosinophilen Leukocyten, den man nach Zufuhr der Hormone oder nach Stimulierung der Rinde beobachtet. Er bildet die Grundlage des sog. T h o r n - T e s t s der Rindenfunktion (s. unten). Ferner ist noch der Einfluß des Cortisons und Hydrocortisons auf die mesenchymalen Gewebe zu erwähnen, deren Entwicklung gehemmt wird. Man macht von dieser Wirkung therapeutisch bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen (Polyarthritis) und der Lymphogranulomatose Gebrauch (vgl. S. 653). Es bestehen Anzeichen dafür, daß die „mineralocorticoiden" und die „glucoeorticoiden" Hormone in verschiedenen Zellen der Nebennierenrinde gebildet werden1). Nach Entfernung der Hypophyse atrophiert die Nebenniere infolge Wegfalls des corticotropen Hormons (siehe folgenden Abschnitt). Die Störungen, die beobachtet werden, betreffen im wesentlichen nur den Kohlehydratstoffwechsel (siehe Abschnitt über endokrine Regulation des Kohlehydratstoffwechsels S. 333 u. ff.). Die histologische Untersuchung der Drüse zeigt, daß nur die Zona fasciculata verkleinert ist und ihren Lipoidgehalt eingebüßt hat; die äußere Zona, die Glomerulosa, ist nicht verändert. Gibt man während längerer Zeit Desoxycorticosteron, so atrophiert umgekehrt die Glomerulosa; man kann dies als eine Atrophie wegen „Nichtgebrauchs" deuten. Es scheint also, daß in der Zona glomerulosa die auf den Mineralstoffwechsel, in der Zona fasciculata die auf den Kohlehydratstoffwechsel einwirkenden Sterine gebildet werden. Bei Hyperplasie der Rinde, welche zur Virilisation des Organismus führt (vgl. S. 723), besteht das Gewebe fast ganz aus Zellen vom Typus der Zona reticularis, während die Glomerulosa und die Fasciculata fast ganz verschwunden sind. Sofern diese Zellen mit den normalen Reticulariszellen vergleichbar sind, würde dies darauf hindeuten, daß die letzteren die androgenen Hormone der Rinde produzieren.

Die bisher besprochenen Wirkungen der Nebennierenrinde werden als „corticoide" Wirkungen, die Sterine, welche diese Wirkungen auslösen, als „corticoide" Hormone bezeichnet. Daneben produziert die Nebennierenrinde aber auch Hormone, die zur Gruppe der Sexualhormone zu rechnen sind. Dazu gehört das Progesteron (Gelbkörperhormon), das selbst noch eine gewisse „corticoide" Wirkung besitzt, ferner das Follikelhormon (Östron) und, als wichtigste, verschiedene Sterine mit androgener Wirkung. Besonders deutlich wird der Einfluß der Nebennierenrinde auf die Geschlechtsfunktionen bei gewissen Tumoren der Nebennierenrinde sichtbar, die zu einer Vermännlichung (Virilisierung) des Organismus (Entwicklung männlicher Geschlechtsmerkmale), im jugendlichen Alter zur frühzeitigen Geschlechtsreife (Pubertas praecox) führen können. Man faßt diese Erscheinungen oft unter dem M D e a n e u. Greep, Endoorinology 41, 243 (1947).

Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse

699

Namen des adrenogenitalen Syndroms zusammen. Wir werden in späteren Abschnitten auf diese Frage zurückkommen. (Vgl. dazu S. 722.) D. Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse Der Vorderlappen der Hypophyse produziert ein Hormon, welches die Nebennierenrinde stimuliert. Wir haben dieses Hormon bereits früher bei Besprechung des Kohlehydratstoffwechsels erwähnt; es ist das adrcnocorticotrope (oder einfach corticotrope) Hormon, Corticotropin (abgekürzt ACTH). Seine Wirkung ist spezifisch auf die Nebennierenrinde gerichtet. Bei Entfernung der Hypophyse atrophiert die Nebenniere; dies kann durch Hypophysenextrakte oder das reine Hormon verhindert werden 1 ). Injektion von Extrakten oder ACTH beim normalen Tier bewirkt umgekehrt eine Hypertrophie der Rinde 2 ). Es ist in neuerer Zeit gelungen, das adrenocortiootrope Hormon praktisch frei von allen anderen Hypophysenhormonen herzustellen. Als Ausgangsmaterial sind hauptsächlich die Hypophysen vom Schwein und Schaf benutzt worden. Durch Hydrolyse der R o h e x t r a k t e mittels Pepsin oder HCl erhält man hochwirksame Stoffe peptidartiger Struktur. Es scheint, daß es eine ganze Familie ähnlich gebauter Peptide mit Corticotropinwirkung gibt. Das C o r t i c o t r o p i n A geht durch Pepsinbehandlung (wahrscheinlich Abspaltung eines Undecapeptids) in das C o r t i c o t r o p i n B über. Die S t r u k t u r des letzteren konnte weitgehend aufgeklärt werden. Es besteht aus 39 Aminosäureresten, deren Sequenz bis auf unbedeutende Einzelheiten bekannt ist (Methoden vgl. S. 94) 3 ). E s ist möglich, daß alle wirksamen Peptide eine bestimmte Sequenz von Aminosäuren enthalten, im übrigen aber etwas variieren können. Welche Stoffe von der Hypophyse tatsächlich ans Blut abgegeben werden, ist nicht bekannt . E s ist b e h a u p t e t worden, daß gewisse Hypophysenextrakte, welche, gemessen an ihrem Einfluß auf den Ascorbinsäuregehalt der Nebenniere, n u r geringe Corticotropinwirkung zeigen (vgl. S. 700), trotzdem bei der hypophysenlosen R a t t e eine Vergrößerung der Nebennieren bewirken, und man h a t daher einen besonderen „weight f a c t o r " postuliert. Doch ist diese Frage keineswegs geklärt.

Injektion von ACTH r u f t bei intakten Nebennieren die gleichen Erscheinungen hervor wie die Rindenhormone: Retention von Natrium- und Chlorionen, erhöhter Glycogenbestand der Leber, erhöhte Stickstoffausscheidung. Es sind keine Effekte des ACTH beobachtet worden, die nicht auch durch die Rindenhormone hervorgerufen werden. Bei fehlender oder stark geschädigter Nebennierenrinde ist das Hypophysenhormon unwirksam. Diese Tatsachen beweisen, daß ACTH durch Stimulierung der Nebennierenrinde wirkt. Die Stimulation der Nebennierenrinde durch das Hypophysenhormon betrifft aber in erster Linie die glucocorticoide Wirkung der ersteren. Das ACTH hat daher qualitativ im wesentlichen die gleiche Wirkung wie Cortison und Hydrocortison. Die Retention von Wasser, Natrium- und Chlorionen, die man nach ACTH beobachtet, ist wahrscheinlich der Ausschüttung von Hydrocortison zuzuschreiben; die Abgabe des Cortexons scheint durch das ACTH nur wenig beeinflußt zu werden. ACTH bewirkt wie Cortison und Hydrocortison einen Abfall des Eosinophilen im Blut. Bei Rindeninsuffizienz t r i t t dieser E f f e k t nicht ein. Die Injektion von ACTH mit nachfolgender Zählung der Eosinophilen stellt daher einen bequemen Funktionstest der Nebenniere dar ( T h o r n - T e s t ) 4 ) . Durch ACTH wird auch die Ausscheidung der 17-Ketosteroide im Urin vermehrt (vgl. S. 724), ebenso die Harnsäureausscheidung. J

) S m i t h , J . Am. med. Ass. 88, 158 (1927); Am. J . Anat. 45, 205 (1930). ) E v a n s u. Mitarb., Science 75, 442|(1932); A n s e l m i n o u. Mitarb., Klin. Wschr. 12, 1944 (1933); H o u s s a y u. Mitarb., Rev. Soc. Argentina Biol. 9, 262 (1933); C o l l i p u. Mitarb., Lancet 1933/2, 347. 3 ) B e l l , J . Am. ehem. Soc. 76, 5565 (1954). 4 ) T h o r n u. Mitarb.: The diagnosis and t r e a t m e n t of adrenal insufficiency; Springfield, 111., 1949. J . Am. med. Ass. 137, 1005 (1948). 2

700

Innere Sekretion und Hormone

Weniger übersichtlich liegen die Verhältnisse beim A l d o s t e r o n . Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen kann das ACTH unter gewissen Bedingungen dieAIdosteronausschüttung (gemessen an der Aldosteronausscheidung im Urin) stimulieren. Gleichzeitig können aber entgegengesetzt wirkende Mechanismen in Gang gesetzt werden, welche diesen Effekt vollständig kompensieren, so daß das ACTH anscheinend wirkungslos ist. Die Wirkung des letzteren auf die Aldosteronproduktion hängt demnach von der augenblicklichen Gesamtsituation im Organismus ab, welche die Resultante der verschiedenen, durch ACTH ausgelösten Vorgänge bestimmt. Nach neuesten Befunden soll das Wachstumshormon die Aldosteronausschüttung anregen. Wir haben früher schon einige Faktoren erwähnt, welche die Aldosteronausschüttung beeinflussen, nämlich Natriumverlust, welcher zu einer Vermehrung, und Vergrößerung des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens, welche zu einer Verminderung der Produktion führt (A. F. M ü l l e r , M a c h u. Mitarb.). Man weiß z. Z. allerdings noch nicht, welches in diesen Fällen die eigentlichen Rezeptoren sind und auf welche Weise diese Situationen schließlich zu einer Stimulierung oder Hemmung der Rinde führen 1 ). Bei der Regulation der Ausschüttung des corticotropen Hypophysenhormons ist die Menge der im Blut kreisenden corticoiden Hormone ein wichtiger Faktor. N i m m t die Konzentration der Rindenhormone ab, so wird die H y p o p h y s e zur erhöhten Sekretion angeregt. Umgekehrt wird die Produktion des corticotropen Hormons durch einen Überschuß v o n Rindenhormonen gehemmt. Die H e m m u n g d e r H y p o p h y s e d u r c h d i e R i n d e n h o r m o n e tritt besonders bei andauernder Zufuhr von Rindenextrakten oder -hormonen in Erscheinung. Unter diesen Bedingungen atrophiert die Nebenniere, weil die Hypophyse kein ACTH mehr ausschüttet. (Man hat unter diesen Bedingungen auch eine verminderte Funktion der Schilddrüse und der Gonaden [Störung des Genitalcyklus] beobachtet, so z. B . nach längerer Anwendung v o n Cortison). Bei erhöhter Beanspruchung des Organismus („stress"), sei es durch physiologische Arbeitsleistung (Muskelarbeit, Kälte, Wärme, erniedrigte Sauerstoffspannung) oder als Reaktion auf irgendwelche Schädigungen (Blutverluste, Verbrennungen, Bestrahlung, Infektionen usw.), beobachtet man oft eine Vergrößerung der Nebennieren. Der Impuls dazu geht v o n der Hypophyse aus, denn die Hypertrophie tritt beim hypophysenlosen Tier nicht ein. Als Zeichen der gesteigerten Aktivität der Nebennierenrinde tritt unter dem Einfluß des ACTH auch eine starke V e r m i n d e r u n g d e s C h o l e s t e r i n - u n d A s c o r b i n s ä u r e g e h a l t s der Nebennieren ein. Man hat angenommen, daß das Cholesterin f ü r die Synthese von Sterinhormonen verbraucht wird; doch ist dies keineswegs bewiesen. Auch f ü r das Verschwinden der Ascorbinsäure gibt es keine plausible Erklärung. Die Abnahme der Ascorbinsäure erfolgt so regelmäßig, daß man sie als Testmethode f ü r die Corticotropinwirkung verwenden kann. Sie tritt vor allem auch bei den oben genannten „stress"-Situationen als Zeichen einer Aktivierung der Hypophyse ein. In verschiedenen Fällen ist nachgewiesen worden, daß die Senkung des Cholesterin- oder Ascorbinsäuregehalts tatsächlich nach Entfernung der Hypophyse ausbleibt 2 ). Die S t e u e r u n g der Hypophyse durch die Rindenhormone zeigt sich auch darin, daß der Ascorbinsäureschwund n i c h t eintritt, wenn man gleichzeitig Rindenextrakt oder reine corticoide Sterine zuführt. Die Hypophyse vermehrt die ACTH-Sekretion in diesem Falle nicht trotz vermehrten Verbrauchs von Rindenhormonen in den Geweben, weil durch Zufuhr der Hormone von außen der Blutspiegel hochgehalten wird (Sayers). Auch hier erhebt sich die Frage, die wir bei Besprechung des thyreotropen Hormons erörtert haben, ob die Rindenhormone direkt oder durch Auslösung eines nervösen Mechanismus auf die Hypophyse zurückwirken. Sie läßt sich heute noch nicht beantworten. Jedenfalls beruht die Steuerung der Nebennierenrinde auf dem gleichen Prinzip, welches im Schema auf S. 686 dargestellt ist. ') M ü l l e r u. Mitarb., Helv. med. Acta22,495 (1955) ; Schweiz, med. Wschr. 85,1218 (1955); 23, 572, 610 (1956). Literatur über die physiol. u. klin. Bedingungen der Aldosteronausscheidung vgl. R. u. E. M a c h , Exposés ann. Biochimie médicale 18, 63 (1956). 2 ) S a y e r s u. Mitarb., Endocrinology 87, 96 (1945).

Addisonsche Krankheit. Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde

701

Außer dem Spiegel der Rindenhormone im Blut scheint f ü r die Sekretion des ACTH auch das A d r e n a l i n eine wichtige Rolle zu spielen. Wahrscheinlich wird die vermehrte Sekretion vom corticotropen Hormon, die unter dem Einfluß aller möglichen Beanspruchungen des Organismus eintritt (Kälte, Hitze, Sauerstoffmangel, Schmerz, „stress" im allgemeinen), durch eine Adrenalinausschüttung hervorgerufen. Die Frage nach der Beteiligung anderer (nervöser) Mechanismen bleibt offen. Die Reaktion der Hypophyse auf die genannten „stress"Situationen tritt auch nach Durchtrennung des Hypophysenstiels ein. Dies beweist, daß sie von humoralen Faktoren abhängig ist 1 ). Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Nebennierenrinde und der Schilddrüse. Bei Unterfunktion der letzteren (Versuche an der Ratte: Entfernung der Drüse oder Fütterung von Schilddrüsenhemmstoffen wie Thiouracil) atrophiert die Zona fasciculata der Rinde, während die Tätigkeit der Glomerulosazellen eher gesteigert ist. Bei einem Überschuß an Schilddrüsenhormon (Verfütterung von Schilddrüsenpulver) hypertrophiert die Zona fasciculata und zeigt histologische Zeichen starker Aktivität ( D e a n e und Greep). Wahrscheinlich beruhen diese Veränderungen der Rinde nicht auf einer direkten Einwirkung des Thyroxins, sondern werden durch die Hypophyse vermittelt. Im Falle der Hypofunktion der Schilddrüse müßte demnach der Vorderlappen weniger corticotropes Hormon ausschütten, im Falle der Überfunktion der Schilddrüse müßte er mehr ausschütten. Man kann in diesem Verhalten eine Anpassung des Organismus vermuten. Die durch Hyperfunktion der Schilddrüse (oder Zufuhr des Hormons von außen) bewirkte Stoffwechselsteigerung bedeutet eine starke Beanspruchung des Organismus („stress"), die er durch gesteigerte Sekretion von corticotropem Hormon beantwortet. Da die Rindenhormone die periphere Verwertung der Kohlehydrate hemmen (vgl. S. 334), kann vielleicht die verminderte Produktion von ACTH bei Hypofunktion der Schilddrüse als kompensatorischer Vorgang aufgefaßt werden, durch den der Organismus den darniederliegenden Stoffwechsel zu steigern sucht. E. Addisonsche Krankheit (so b e n a n n t n a c h d e m englischen A r z t T h o m a s A d d i s o n , der 1855 die e r s t e B e s c h r e i b u n g der K r a n k h e i t v e r ö f f e n t l i c h t u n d i h r e n Z u s a m m e n h a n g m i t der N e b e n n i e r e e r k a n n t h a t ) . Diese K r a n k h e i t b e r u h t a u f einer m e h r oder weniger w e i t g e h e n d e n Z e r s t ö r u n g des R i n d e n g e w e b e s (meistens d u r c h t u b e r kulöse Prozesse). Sie zeigt alle A u s f a l l s s y m p t o m e , die e x p e r i m e n t e l l d u r c h E n t f e r n u n g d e r N e b e n n i e r e n e r z e u g t w e r d e n k ö n n e n , n u r entwickeln sie sich allmählich in d e m Maße, wie die Z e r s t ö r u n g des Gewebes f o r t s c h r e i t e t . N e b e n der o b e n beschriebenen S t ö r u n g des Salz- u n d K o h l e h y d r a t s t o f f w e c h s e l s u n d d e n allgemeinen S y m p t o m e n , u n t e r d e n e n A b m a g e r u n g , Muskelschwäche (Asthenie), niedriger B l u t d r u c k u n d Resistenzlosigkeit die w i c h t i g s t e n sind, b e s t e h t eine typische d u n k l e P i g m e n t i e r u n g der H a u t , die A d d i s o n v e r a n l a ß t e , d e r K r a n k h e i t d e n N a m e n „ b r o n z e d d i s e a s e " zu geben. M a n v e r m u t e t , d a ß die a b n o r m e P i g m e n t b i l d u n g auf eine S t ö r u n g i m Stoffwechsel der a r o m a t i s c h e n A m i n o s ä u r e n z u r ü c k g e h t . Die K r a n k e n k ö n n e n d u r c h Verabreichung v o n R i n d e n h o r m o n e n ( h e u t e vielfach als größeres D e p o t der kristallisierten S u b s t a n z [als Kristallsuspension] u n t e r die H a u t v e r p f l a n z t ) u n d d u r c h geeignete diätetische M a ß n a h m e n (viel Kochsalz, wenig K a l i u m ) w ä h r e n d langer J a h r e a m L e b e n e r h a l t e n w e r d e n . Ü b e r die R e g u l a t i o n der Wasserausscheidung bei der A d d i s o n s c h e n K r a n k h e i t siehe S. 713. F. Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde2) D a r ü b e r h a b e n n e u e r d i n g s U n t e r s u c h u n g e n v o n G. P i n c u s , O. H e c h t e r u n d M i t a r b . wichtige Aufschlüsse g e b r a c h t 3 ) . Diese F o r s c h e r h a b e n M e t h o d e n e n t w i c k e l t , 1 ) Vgl. L o n g , Recent Progress in Hormone Research 7, 75 (1952); T a n g u. P a t t o n , Endocrinology 49, 86 (1951). 2 ) Neuere zusammenfassende Darstellungen über den Stoffwechsel der Steroidhormone vgl. D o r f m a n u. U n g a r : Metabolism of Steroid hormones; Minneapolis 1954. D o r f m a n , in P i n c u s - T h i m a n n : The Hormones; Vol. m , S. 589; New York 1955. 3 ) Übersicht vgl. H e c h t e r u. P i n c u s , Physiol. Reviews 34, 459 (1954).

702

Innere Sekretion und Hormone

die es erlauben, die Nebenniere des Rindes und auch des Menschen mit arteigenem Blut zu durchströmen und die an das Blut abgegebenen Sterine durch chromatographische Verfahren zu trennen und zu identifizieren. Es zeigt sich, daß die Drüse nur dann größere Mengen Hormone ans Blut abgibt, wenn dasselbe adrenocorticotropes Hormon (ACTH) enthält, und zwar erscheinen vor allem Corticosteron und Hydrocortison ( K e n d a l l s Verbindung F) neben kleinen Mengen anderer Sterine. Werden dem Blut Sterine bekannter Konstitution zugesetzt, so läßt sich feststellen, welche Umwandlungen sie in der Drüse erleiden. Auf diese Weise konnte zum erstenmal Einblick in die Entstehungsweise und den genetischen Zusammenhang einzelner Rindenhormone gewonnen werden. Die Zellen der Nebennierenrinde vermögen im Progesteron in verschiedene Stellungen Hydroxylgruppen einzuführen und dadurch Rindenhormone zu bilden. Ebenso kann Pregnenolon zum Progesteron oxydiert werden. Da das erstere in naher Beziehung zum Cholesterin steht, ist wahrscheinlich das Cholesterin eine Muttersubstanz dieser Verbindungen. CH3 I

I

Cholesterin

CHj I

0=0

Pregnenolon

c=o

Progesteron

Dies konnte durch Verwendung von markiertem Cholesterin bewiesen werden (radioaktiver (514) in Stellung 3). Setzt man die markierte Verbindung dem die Drüse durchströmenden Blut zu, so enthalten auch die sezernierten Hormone, Corticosteron und Hydrocortison, das Isotop. Da das Acetat zur Synthese des Cholesterins verwendet wird (vgl. S. 369), wurden auch Versuche mit markiertem Acetat durchgeführt. Auch hier waren die isolierten Hormone radioaktiv. Es scheint, daß das ACTH die Bildung des Pregnenolons aus dem Cholesterin stimuliert, während die Überführung des Progesterons in Corticosteron und Hydrocortison, d. h. die Einführung der Hydroxyle, vom Hypophysenhormon unabhängig ist. Wahrscheinlich können die C 21 -Steroide aus Acetat auch noch auf einem Weg gebildet werden, der nicht über das Cholesterin führt (direkte Bildung des Pregnenolons aus Acetat ? gemeinsame Zwischenstufe ?). Vom Progesteron ausgehend, können nun die verschiedenen Steroide durch Einführung von Hydroxylgruppen in den Stellungen 17, 21 und 11 gebildet werden.

Die nebenstehenden Formeln (S. 703 oben) geben eine Übersicht über den genetischen Zusammenhang der verschiedenen Steroide 1 ). Es scheint, daß die Einführung der Hydroxylgruppen immer in der Reihenfolge Stellung 17, 21, 11 vor sich geht. Die Muttersubstanz des Aldosterons ist wahrscheinlich das Desoxycorticosteron, das durch Oxydation der Methylgruppe C18 und anschließende Hydroxylierung an C u in das erstere übergehen könnte 2 ). Eine Reihe von Hydroxylierungsreaktionen lassen sich auch in Gewebshomogenaten aus Nebennieren in vitro durchführen 3 ). Über den enzymatischen Mechanismus der Reaktionen ist noch nicht viel Sicheres bekannt. Die Hydroxylierung scheint vom ATP abhängig zu sein und wird durch die Literatur vgl. W e t t s t e i n u. A n n e r , Experientia 10,397 (1954); H e c h t e r u. P i n c u s , Physiol. Reviews 34, 459 (1954); P i n c u s u. Mitarb., J. biol. Chem. 211, 867 (1954). 2 ) K a h n t u. Mitarb. Helv. Chim. Acta 38, 1237 (1955); Experientia 11, 446 (1955). 3 ) Liste der Reaktionen s. D o r f m a n , in P i n c u s - T h i m a n n : The Hormones; Vol. III, S. 626; New York 1955.

703

Bildung der Steroidhormone in der Nebennierenrinde CH3 I 0 0

HO / \ | A A J

o

11-Oxyprogesteron

HO

o

Progesteron

o Desoxycorticosteron

17-Oxyprogesteron

. / v x / o R e i c h s t e i n s Verbindung S

^ N / ' V o Corticosteron

y v v o K e n d a I i s Verbindung F (Hydrocortison)

Aldosteron

fi Zwischenglieder des Citronensäurecyklus (z. B. C 4 -Dicarbonsäuren) gefördert 1 ). Man kann sich vorstellen, daß bei der Einführung der Hydroxylgruppen zuerst Dehydrierung erfolgt, worauf an die Doppelbindung in sterisch spezifischer Weise Wasser angelagert wird, z. B. an C u : -2H

i

I

+H.0

Das Enzym, das die Stellung 11 hydroxyliert (ll-/?-Hydroxylase) ist in den Mitochondrien der Rinde nachgewiesen, die beiden anderen (Stellung 17 und 21) bleiben bei der Fraktionierung der Homogenate im Überstehenden. Bei der Dehydrierung der Oxy- zu den Ketogruppen ist wahrscheinlich DPN Wasserstoffakzeptor. Die Ascorbinsäure, an welcher die Nebenniere sehr reich ist, greift in einer noch unbekannten Weise in die Biosynthese der Steroidhormone ein 2 ). x

) W e t t s t e i n u. Mitarb., Helv. Chim. Acta 84, 1790 (1951); Bxperientia 8, 422 (1952). ) Literatur zum vorstehenden vgl. S t a u d i n g e r , 5. Coli, der Ges. für Physiol. Chemie, Mosbach/Baden 1954, S. 192; Berlin, Göttingen, Heidelberg 1955; H ü b e n e r , ebenda S. 212. s

Innere Sekretion und Hormone

704

Für den Steroidstoffwechsel ist auch die Leber ein wichtiges Organ, in welchem die Steroidhormone verschiedenen Umsetzungen unterworfen sind. Eine wichtige Reaktion ist z. B. die Reduktion der a, ^-ungesättigten Ketogruppe im Ring A zur 3a- oder 3/S-Oxy Verbindung. Weiter ist die Einführung von C n - und C 17 -Hydroxylgruppen, die oxydative Abspaltung der Seitenkette u. a. m. beobachtet worden. (Die Untersuchungen wurden teils an Organschnitten oder Homogenaten durchgeführt, teils durch Perfusion der Leber.) In der Leber werden wahrscheinlich auch die Konjugate gebildet (Glucuronide), die im Urin erscheinen. Möglicherweise wird hier das Steringerüst weiter abgebaut. Wir können auf den Steroidstoffwechsel der Leber hier aber nicht weiter eingehen 1 ). Auch Mikroorganismen (Pilze, Bakterien) sind zur Einführung von Hydroxylgruppen in Steroide und anderen Reaktionen befähigt, die vor allem auch wegen ihres technischen Interesses eingehend untersucht worden sind. Auch hier müssen wir uns mit dem Hinweis begnügen 2 ). Aus dem Urin ist eine große Zahl von Sterinen isoliert worden, die offenbar in enger Beziehung zu den Rindenhormonen stehen und teilweise wohl als Stoffwechselprodukte der letzteren angesehen werden können (Derivate des Pregnans und allo-Pregnans). Wahrscheinlich leitet sich auch ein Teil der 17-Ketosteroide (vgl. S. 724) von Rindensterinen ab (Abspaltung der C 2 -Seitenkette). Der Stoffwechsel der Sterinhormone ist ein Gebiet, das heute intensiv bearbeitet wird. Es sind in neuerer Zeit auch verschiedene einfache Methoden zur klinischen Bestimmung gewisser Gruppen der Steroide des Urins entwickelt worden (vgl. S. 622). 6. Das Nebennierenmark D a s v o m M a r k gebildete H o r m o n ist d a s Adrenalin (englisch: epinephrine). E s ist einer d e r R e g u l a t o r e n des Zuckerstoffwechsels; ü b e r seine h y p e r g l y k ä m i s c h e W i r k u n g w u r d e d o r t schon gesprochen. E s mobilisiert d a s Glycogen. D e r Zuckerstich ist n a c h N e b e n n i e r e n e x s t i r p a t i o n wirkungslos. Das Gewebe des Nebennierenmarks gehört, wie wir einleitend bereits hervorgehoben haben, zum chromaffinen System. Die isolierte Entfernung des Marks bewirkt keine tiefergreifenden Störungen. Es ist aber zu bedenken, daß daneben immer noch die Paraganglien bestehenbleiben, so daß über die Lebenswichtigkeit des chromaffinen Systems als Ganzes nichts ausgesagt werden kann. D a s Adrenalin h a t die F o r m e l eines D i o x y p h e n y l - ä t h a n o l - m e t h y l a m i n s :

E s wurde erstmals von A l d r i c h u n d T a k a m i n e i n reinem Z u s t a n d e r h a l t e n . D a s n a t ü r l i c h e Adrenalin ist optisch a k t i v (linksdrehend). Bei der Besprechung des Stoffwechsels des Tyrosins w u r d e schon die Möglichkeit der Bildung v o n Adrenalin d u r c h O x y d a t i o n des Tyrosins e r w ä h n t . I n der T a t h a t m a n neuerdings durch V e r f ü t t e r u n g v o n m a r k i e r t e m D,L-Phenylalanin, d a s C in d e r S e i t e n k e t t e enthielt, zeigen k ö n n e n , d a ß d a s Adrenalin d i r e k t d u r c h O x y d a t i o n u n d D e c a r b o x y lierung a u s d e r a r o m a t i s c h e n Aminosäure e n t s t e h t 3 ) . Die M e t h y l g r u p p e s t a m m t a u s d e m Methionin oder d e m Cholin (vgl. S. 406). D a s u n t e n s t e h e n d e Schema zeigt den n a c h den gegenwärtigen K e n n t n i s s e n wahrscheinlichsten W e g f ü r die E n t s t e h i m g des Adrenalins aus dem Tyrosin 4 ). Die Dopadecarboxylase, welche die Verkürzung der Seitenkette bewirkt, kommt in verschiedenen Geweben vor; sie ist auch im Nebennierenmark nachgewiesen worden 6 ). Man kann daher annehmen, daß die Bildung des Dopamins aus „Dopa" in der Nebenniere selbst erfolgt. Da das 3,4-Dioxyphenylserin von der Dopadecarboxylase ebenfalls angegriffen wird, wenn *) Neuere Literatur vgl. R o b e r t s u. S z e g o , Ann. Rev. Biochem. 24, 573 (1955). ) W e t t s t e i n , Experientia 11, 465 (1955); D o r f m a n u. U n g a r : Metabolism of steroid hormones; Minneapolis 1954. 3 ) G u r i n u. D e l l u v a , J . biol. Chem. 170, 545 (1947). 4 ) Zusammenfassung vgl. B l a s c h k o , Pharmacol. Rev. 6, 23 (1954). 5 ) L a n g e m a n n , Brit. J . Pharmacol. 6, 318 (1951). 2

Das Nebennierenmark

705

auch nur langsam 1 ), wäre es theoretisch möglich, daß das Dopa zuerst in der Seitenkette oxydiert und dann erst decarboxyliert wird; oder es könnte die Methylierung schon auf der Stufe des Dopamins erfolgen, mit anschließender direkter Oxydation zum Adrenalin. Doch gibt es f ü r diese beiden letztgenannten Möglichkeiten keine weiteren experimentellen Stützen. COOH

COOH

h-cnh2

h-c-nh2

ch2 |

I

II

| OH Tyrosin

c h 22

+0

|

ch2nh2 c h 22

-CO,

I I I / S / HO I OH „Dopa"

|

ch2nh2 hc-oh

+0

I II / x / HO I OH Oxytyramin (Dopamin)

|

I

ch2-nhch3

+ CHS-

II

h-coh |

I

HO

I OH Noradrenalin

HO

II

I OH Adrenalin

Neben dem Adrenalin kommt im Nebennierenmark in beträchtlicher Menge das Noradrenalin (Arterenol) vor, das am Stickstoff nicht methyliert ist: HO—€H(OH)CH2NH2 HO—L ^

Es scheint, daß das „Sympathin", die Überträgersubstanz, die an den Endigungen der „adrenergischen" Nerven freigesetzt wird, Noradrenalin ist. Die physiologischen Wirkungen der beiden Substanzen sind etwas verschieden. Das in den Kreislauf gelangende Adrenalin entfaltet sehr rasch seine Wirkung und wird zerstört. Nach den Untersuchungen von B l a s c h k o ist in den Markzellen der Nebennieren das Adrenalin an Körnchen gebunden, die sich durch fraktionierte Zentrifugation abtrennen lassen („präsekretorische Granula") 2 ). Weil diese Körnchen gleichzeitig sehr reich an ATP sind, nimmt er an, daß das Adrenalin möglicherweise mit dem letzteren eine Verbindung bildet, aus der es bei der Sekretion freigesetzt wird.

Wir können uns mit der Bedeutung des Adrenalins und seiner Verwandten für die vegetative Regulation nicht befassen. Diese Stoffe spielen eine große Rolle im Rahmen der „ergotropen" Funktionen (Hess). B r ü c k e faßt den Vorgang der Ausschüttung des Adrenalins unter der Bezeichnung , , B e r e i t s c h a f t s r e a k t i o n " zusammen. Ihr Sinn ist, im Bedarfsfalle den Organismus Maximalleistungen vollziehen zu lassen. Im gleichen Sinne spricht C a n n o n das Zusammenarbeiten des sympathiko-adrenalen Systems als ,,emergency function" (Notfallsfunktion) an. Die Bedeutung des Nebennierenmarks auf den Zuckerstoffwechsel wurde früher schon besprochen. Über die Wirkung des Adrenalins auf die Ausschüttung des corticotropen Hormons siehe S. 701.

Durch Oxydation geht das Adrenalin leicht in einen unbeständigen Farbstoff, das Adrenochrom, über (vgl. S. 395): 0 =

/ V

0=1

CH-OH

1

¿H 2 N(CH3) Adrenochrom

0 = / \ auch

-O-L

CH-OH !

CHj N+(CH3) Zwitterion des Adrenochroms

!) B l a s c h k o u. Mitarb., Brit. J . Pharmacol. 5, 431 (1950). 2 ) B l a s c h k o , Arch, exptl. Pathol. Pharmacol. 219, 17 (1953); Experientia 13, 9 (1957). 4S

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 13. Aufl.

Innere Sekretion und Hormone

706

Man hat vermutet, daß diese Substanz in irgendeiner Beziehung zur Adrenalin Wirkung stehen könnte. Sie aktiviert z. B. die Lactico- und Malicodehydrasen und hemmt die Glycolyse (Meyerhof). Sicheres ist über die Bedeutung des Adrenochroms und den Wirkungsmechanismus des Adrenalins nioht bekannt. Vgl. S. 298.

7. Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas Wir haben die Rolle des Insulins bei Behandlung des Kohlehydratstoffwechsels ausführlich besprochen, so daß wir nicht darauf zurückzukommen brauchen. Wir begnügen uns damit, hier noch einige Hinweise auf die Chemie des Insulins zu geben. Das Insulin ist ein Eiweißkörper. Das Molekulargewicht, auf Grund der Sedimentation in der Ultrazentrifuge bestimmt, ergibt sich zu 36000 oder 48000. In saurer Lösung dissoziiert das Molekül in Bruchstücke vom Molekulargewicht 12000. Die Markierung der Endgruppen mit Dinitrofluorobenzol (vgl. S. 94) und Fraktionierung der entstandenen DPN-Peptide hat indessen zur Auffassung geführt, daß die kleinste, durch Hauptvalenzen zusammengehaltene Einheit ein Molekulargewicht von 6000 besitzt 1 ). Das Insulin ist reich an Cystin. Freie SH-Gruppen sind nicht vorhanden; Methionin fehlt. Die Disulfidbindungen —S—S— sind für die biologische Aktivität unentbehrlich. Veränderung dieser Gruppe, z. B. durch Beduktion, hebt die Wirksamkeit auf. Das Insulin wird durch die proteolytischen Enzyme des Verdauungstractus abgebaut und kann daher nicht per os verabreicht werden. Das Insulin gehört heute zu den am besten erforschten Proteinen.

Durch die glänzenden Untersuchungen S a n g er s, in welchen er von seiner Dinitrofluorobenzol-Methode Gebrauch machte, konnte die Sequenz der Aminosäuren und die Struktur des Insulinmoleküls aufgeklärt werden. Das Molekül besteht aus zwei Polypeptidketten, von denen die eine am NH 2 -Ende einen Glycinrest, die andere einen Phenylalaninrest trägt; die beiden Ketten sind durch zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden. Die von S a n g e r ermittelte Strukturformel ist unten dargestellt (G1U-NH2 = Glutamin; Asp-NH 2 = Asparagin) 2 ): „Glycinkette" / NH2, S—S , KHj SH ä NH, ^ I i ! i i i Gly • Ileu • Val • Glu- Glu- C y Cy-Ala- Ser-Val- Cy- Ser- Leu-Tyr-Glu-Leu-Glu. Asp-Tyr-Cy- Asp S I s

S I nh2 nh2 s I I I I Phe • Val • Asp • Glu • His • Leu • Cy • Gly • Ser • His • Leu • Val • Glu • Ala • Leu • Tyr • Leu • Val • Cy • Gly \ I \ Ala • Lys • Pro • Thr • Tyr • Phe • Phe • Gly- Arg • Glu „Phenylalaninkette"

Es sind kleine Unterschiede in der Struktur der Insuline verschiedener Herkunft festgestellt worden. Die Phenylalaninkette ist in den Insulinen des Rindes und des Schafs gleich; dagegen ist die Sequenz von drei Aminosäuren der Glycinkette bei diesen drei Arten verschieden 3 ). Insulin bildet mit Zink Komplexe; es kristallisiert nur in Gegenwart von Zink, doch scheint dieses für die Wirksamkeit des Hormons unwesentlich zu sein. Wahr*) H a r f e n i s t u. C r a i g , J . Am. ehem. Soc. 74, 3087 (1952). 2 ) S a n g e r , Biochem. J . 60, 541 (1955); Bull. Soc. Chim. Biol. 37, 23 (1955); Adv. Prot. Chem. 7, 1 (1952). ') S a n g e r , Biochem. J . 60, 556 (1955).

Die Hypophyse. Übersicht

707

scheinlich sind im Insulinkristall die Peptidketten dank einer Chelatbildung des Zinks mit den Imidazolgruppen miteinander verknüpft 1 ). Merkwürdigerweise sind auch die insulinproduzierenden ^-Zellen der L a n g e r h a n s sehen Inseln sehr reich an Zink, das sich mikrochemisch in den Zellgranula nachweisen läßt. Wahrscheinlich findet sich dort das Insulin in Form von Zinkkomplexen. Unter Bedingungen, die zu einer Insulinsekretion führen (z. B. Hyperglykämie), verschwindet das histochemisch nachweisbare Zink aus den Inselzellen. Man kann also annehmen, daß die Zn-Insulindepots durch den Sekretionsreiz mobilisiert werden 2 ). Das Glucagon, ebenfalls ein kristallisierbares Polypeptid, wird wahrscheinlich in den a-Zellen der Inseln gebildet 3 ). Molekulargewicht etwa 5000. Die Sequenz der Aminosäuren ist ebenfalls bekannt 4 ). Über seine Wirkung vgl. S. 331. 8. Die Hypophyse A. Übersicht Die Hypophyse nimmt in der endokrinen Regulation eine zentrale Stellung ein, denn sie produziert eine Reihe von Hormonen, die andere innersekretorische Drüsen zur Funktion anregen. Wir haben zwei derartige Stoffe, das thyreotrope und das corticotrope Hormon, bereits kennengelernt. Wir erinnern daran, daß die Hypophyse aus zwei Teilen besteht, die sich erst im Verlauf der embryonalen Entwicklung vereinigen, einem drüsigen Vorderlappen (Lobus glandularis), der sich von einer Ausstülpung im Dach der Mundhöhle (R a t h k e sehe Tasche) ableitet, und dem H i n t e r l a p p e n (Lobus nervosus), der aus dem Infundibulum des Zwischenhirns entsteht, also nervösen Ursprungs ist. Der Mittellappen (ars intermedia) leitet sich ebenfalls aus der ursprünglichen Bathkeschen Tasche ab; er ist beim Menschen meist wenig entwickelt. Außerordentlich wichtig sind die engen morphologischen und funktionellen Beziehungen der Hypophyse zum Zwischenhirn. Was den histologischen Aufbau betrifft, sei nur daran erinnert, daß der Vorderlappen verschiedene Zellarten enthält: 1. acidophile, deren Granula sich mit sauren Farbstoffen anfärben (auch oxyphile oder a-Zellen genannt); 2 basophile, deren Granula sich mit basischen Farbstoffen färben (auch /J-Zellen genannt); 3. chromophobe, wahrscheinlich jugendliche Zellen, aus denen die anderen hervorgehen. Wahrscheinlich haben die acidophilen und die basophilen Zellen verschiedene Funktionen.

Die ersten Beobachtungen über die Rolle der Hypophyse wurden von Ärzten und Pathologen gemacht. Der Schweizer Arzt Chr. F . F r i t z s c h e beschrieb 1884 den Fall eines Mannes, bei dem im Alter von 36 Jahren eine merkwürdige Vergrößerung der Hände, der Füße, des Unterkiefers, der Nase und der Lippen mit gleichzeitiger Verkrümmung der Wirbelsäule eintrat. Die Autopsie ergab eine Vergrößerung der Hypophyse, der aber keine besondere Bedeutung zugemessen wurde. Später wurden ähnliche Fälle vom französischen Neurologen P i e r r e M a r i e beschrieben, welcher der Krankheit den Namen Akromegalie gab, weil das patho logische Wachstum vor allem die acra, die hervortretenden Teile des Körpers, betraf. Der erste, welcher die Vergrößerung der Hypophyse als Ursache der krankhaften Erscheinungen vermutete, war O. M i n k o w s k i . Seine Annahme bestätigte sich. Man fand bei Akromegalie immer Veränderungen des Vorderlappens, und zwar eine Wucherung der eosinophilen Zellen (eosinophiles Adenom). Es zeigte sich später auch, daß der Riesenwuchs auf dieselbe Ursache zurückgeht wie die Akromegalie. Damit M Tanford u. E p s t e i n , J. Am. ehem. Soc. 76, 2163, 2170 (1954). 2 ) Näheres vgl. Maske, Experientia 11, 122 (1955). 3 ) Staub u. Mitarb., Science 117, 628 (1953). *) Bromer u. Mitarb., J. Am. ehem. Soc. 78, 3858 (1956). 45*

Innere Sekretion und Hormone

708

wurde eine wichtige Funktion der Hypophyse festgestellt: ihr Einfluß auf das Wachstum. I n Übereinstimmung damit wurden später bei bestimmten Formen des Zwergwuchses Läsionen der Hypophyse (also Unterfunktion) gefunden. Der exakte Beweis für die naheliegende Vermutung, daß die Hypophyse ein waehstumsförderndes Hormon absondert, wurde allerdings erst 1921 von H. M. E v a n s geleistet, dem es gelang, durch Injektion von Suspensionen des Hypophysenvorderlappens das Wachstum von Ratten bedeutend zu beschleunigen. Ferner konnten gewisse Fälle extremer Abmagerung (die sog. Simmondsche Krankheit) auf degenerative Prozesse der Hypophyse, schwere Störungen des Wasserhaushaltes (Diabetes insipidus), auf Läsionen im Bereich der Hypophyse oder des benachbarten Zwischenhirns zurückgeführt werden. Schließlich deckten eine Reihe anderer Krankheitsbilder (Cushingsches Syndrom, Dystrophia adiposo- genitalis) enge Beziehungen der Hypophyse zum Stoffwechsel und den Genitalfunktionen auf. Wir werden auf einzelne Erscheinungen später zurückkommen. Tieferes Eindringen in die komplexen Beziehungen wurde erst durch die Entwicklung einer geeigneten experimentellen Technik möglich: operative Entfernung der Hypophyse, Herstellung wirksamer Extrakte und Trennung der einzelnen Wirkstoffe. Man erkannte allmählich, daß die Hypophyse eine große Zahl verschiedener Wirkungen ausübt. Ihre Analyse wird durch den Umstand sehr erschwert, daß sie einerseits fast alle anderen endokrinen Drüsen durch spezifische Hormone stimulieren kann und andererseits in enger Beziehung zum Zentralnervensystem steht. Eine ganze Reihe von Hypophysenhormonen wirkt auf andere Drüsen mit innerer Sekretion ein (Schilddrüse, Nebennierenrinde, Gonaden) und stimuliert sie zu erhöhter Hormonausschüttung. Man bezeichnet diese Stoffe als adenotrope Hormone. Die Hypophyse wird dadurch zum dominierenden endokrinen Organ, welches eine Reihe anderer Drüsen beherrscht (,,la glande maitresse"). Andererseits wirken aber die Hormone jener Drüsen wieder auf die Hypophyse zurück (vgl. Schilddrüse S. 685; Nebennierenrinde S. 699). Es offenbart sich hier ein wichtiges Prinzip der endokrinen Steuerung. Wird die Menge des im Blut kreisenden Hormons der abhängigen Drüse erhöht, so wird die Sekretion des adenotropen Hypophysenhormons gehemmt. Sinkt die Konzentration des abhängigen Hormons, so wirkt dies als Reiz auf die Hypophyse, und sie schüttet vermehrt adenotropes Hormon aus. Auf diese Weise kann die Hormonkonzentration im Blut automatisch innerhalb gewisser Grenzen gehalten werden. —•

Hypophyse

P. rtt P D O

3

abhängiges Hormon

/

/

/

\

! \\ ; \

Gewebe (Verbrauch)

o

O

abhängige Drüse

Die Hypophyse. Übersicht

709

Wir geben nachfolgend eine Übersicht über die wichtigsten Hormone der Hypophyse. Vorderlappen: a) Hormone, die direkt auf die (nicht endokrinen) Gewebe einwirken: 1. Wachstumshormon (auch somatotropes Hormon); b) Hormone, welche andere endokrine Drüsen stimulieren ( a d e n o t r o p e Hormone): 2. Follikelreifungshormon, 3. Luteinisierendes Hormon, 4. Prolactin. Die Hormone 2., 3. und 4. heißen gonadotrope Hormone. 5. Adrenocorticotropes Hormon (ACTH), 6. Thyreotropes Hormon. N. B. Es sind sowohl die Bezeichnungen corticotrop, thyreotrop, gonadotrop als auch corticotroph usw. gebräuchlich. Die erste legt die Betonung darauf, daß die Wirkung der betreffenden Stoffe auf eine bestimmte Drüse gerichtet ist (Tpeirco wende), währenddem die zweite den Umstand hervorhebt, daß das Hormon zur Erhaltung und zum Wachstum einer bestimmten Drüse nötig ist (Tp£ Aneurinpyrophosphat + AMP .

Es sind konzentrierte Fermentpräparate, welche diese Transphosphorylierung katalysieren, aus Hefe und Leber erhalten worden ( W e i l - M a l h e r b e ; L e u t h a r d t und Nielsen) 2 ). Es sind heute außer der Decarboxylierung des Pyruvats in der Hefe verschiedene wichtige Reaktionen des Zellstoffwechsels bekannt, bei welchen Aneurinpyrophosphat als Coferment wirkt oder Bestandteil des Coferments ist. Im Citronensäurecyklus hängen die beiden oxydativen Decarboxylierungen vom Aneurin ab: der Abbau des Pyruvats zu aktivierter Essigsäure und der Abbau des a-Ketoglutarats zu Succinat. In beiden Fällen scheint nicht das Aneurinpyrophosphat selbst das Coferment zu sein, sondern eine Verbindung mit der «-Liponsäure, das sog. Lipothiamid. Wir haben die beiden Reaktionen früher ausführlich besprochen (siehe S. 271). Über «-Liponsäure siehe unten S. 764. Das Eingreifen der Cocarboxy1

) F o r s a n d e r , Soc. Scient. Fennica, Com in. Physieo-Mat-li. XIX. 2. Holsingfors 1956. ) Helv. Chim. Acta 35, 1196 (1952).

2

763

Vitamin B,

läse in den Citronensäurecyklus erklärt die allgemeine Bedeutung des Aneurins für den Zellstoffwechsel. Eine weitere Reaktion, die von der Cocarboxylase abhängt, ist nach neueren Arbeiten die Acyloinspaltung des Ribulosephosphats (und anderer a-Oxyketone) in Triosephosphat und eine C2-Verbindung, die gleichzeitig auf einen Aldehyd übertragen wird. Wir haben diese sog. „Transketolasereaktion" früher besprochen (vgl. S. 311). Über Acyloinbildung aus Pyruvat in Gegenwart von Aldehyden vgl. S. 296. Das Gemeinsame aller von Aneurin abhängigen Reaktionen ist die Lösung der Bindung zwischen einer Carbonylgruppe und dem benachbarten C-Atom. In denjenigen Fällen, in denen Aneurinpyrophosphat das Coferment ist, wird die ursprüngliche Carbonylgruppe zur Aldehydgruppe (Decarboxylase der Hefe, Transketolase). Dort wo Lipothiamidpyrophosphat als Coferment wirkt, wird sie zur „aktivierten", an Schwefel gebundenen Acylgruppe (Brenztraubensäure- und a-Ketoglutarsäureoxydase). E s sind verschiedene Theorien aufgestellt worden, welche versuchen, die vom Aneurinpyrophosphat abhängigen Reaktionen auf einen gemeinsamen Mechanismus zurückzuführen. Allen diesen Theorien ist die Vorstellung gemeinsam, daß sieh primär das Substrat an eine Gruppe des Aneurin-Coferments derart anlagert, daß die Spaltung des Moleküls eintreten kann, wobei ein „aktiviertes" F r a g m e n t von der Oxydationsstufe eines Aldehyds entsteht, das je nach +A r t des Ferments in verschiedener Weise weiterreagieren kann. Schematisch formuliert ( A P P = Aneurinpyrophosphat): CH3COCOOH + [ A P P ]

>

O II C 0 2 + C H 3 C - - [ A P P ] + H+

I m Falle der einfachen Decarboxylasereaktion (Hefe) wird das aktivierte C 2 -Fragment als Aldehyd abgespalten. Bei der Oxydasereaktion (oxydative Decarboxylierung) reagiert das aktivierte Zwischenprodukt mit der Liponsäure, wobei durch eine Oxydo-Reduktion der Aeetylrest gebildet wird (vgl. S. 270): O

+

H

+



CH3CHO + [APPJ O II CH 3 C—S

CH3C-"[APP] S— - S +

l

N^/!(CH2)4COOH

S~

+

[APP]

^^(CH^COOH

In ähnlicher Weise lassen sich auch die Transketolasereaktion und die Acyloinbildung darstellen. Die aktivierte Aldehydgruppe reagiert in diesem Falle mit einem zweiten Aldehyd: O \ I II y c = C - - - [ A P P ] + H+ + R—CHO

>

\

I

O OH II I = C - CH- R + [ A P P ]

Welcher Art die Bindung zwischen Substrat und Coenzym ist, läßt sich nicht mit Sicher heit angeben. R e e d vermutet, daß der aktivierte Aldehyd ein sog. Carbanion ist (CH 3 —C = 0 ) , welches durch das positiv geladene quaternäre Stickstoffatom des Aneurins gebunden wird 1 ). Es ist auch möglich, daß die oben (S. 760) erwähnte Thiolform der Cocarboxylase die aktive Form des Coferments darstellt 2 ). I n diesem Fall könnte man sich eine Bindung der Brenztraubensäure an die SH-Gruppe der Cocarboxylase vorstellen 3 ). Es sind noch andere Reaktionsmeehanismen denkbar, doch haben alle diese Vorstellungen vorläufig hypothetischen Charakter. 1

) Physiol. Reviews 33, 544 (1953). ) K a r r e r u. V i s c o n t i n i , Helv. Chim. Acta 29, 711 (1946). 3 ) Vgl. J o h n s o n , Ann. Rev. Biochem. 24, 425 (1955). 2

764

Die Vitamine

Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß das Aneurin oder ein Derivat desselben bei der Nervenerregung als „Aktionssubstanz" eine Rolle spielt (v. M u r a l t ) . Es gibt heute eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, daß das Aneurin hier nicht als Coferment einer Stoffwechselreaktion wirkt, sondern daß es sich um eine selbständige Funktion handelt 1 ). Das Aneurin findet sich in Hefe, Getreidekeimlingen, Kleie (im Getreidekorn sind der Keimling und die Kleberschicht die B l e i c h s t e n Teile), Hülsenfrüchten. Von tierischen Nahrungsmitteln enthalten besonders die inneren Organe — Herz, Niere, Leber — das Vitamin. Weißbrot enthält wenig Aneurin, weil die Kleberschicht im Weißmehl nicht enthalten ist. Die dunklen Brote, die aus höher ausgemahlenem Getreide gebacken werden, sind daran bedeutend reicher. Die B e s t i m m u n g d e s V i t a m i n s kann auf verschiedenem Wege erfolgen. Viel verwendet wird der sog. B r a d y k a r d i e t e s t . Eine normale Ratte hat eine Pulsfrequenz von ungefähr 500 Schlägen in der Minute. Wird sie B-avitaminotisch, so sinkt die Frequenz beträchtlich, um bei Zufuhr von B x in kurzer Zeit wieder auf die Norm zu steigen, und zwar hält die Normalisierung um so länger an, je größer die verabreichte Vitamindosis ist. Da man so hohe Pulsfrequenzen nicht direkt zählen kann, mißt man sie auf e l e k t r o k a r d i o g r a p h i s c h e m Wege und kann damit eine quantitative B r B e s t i m m u n g durchführen. Die Überführung von Aneurin in Thiochrom kann zu einer fluorometrischen Bestimmung herangezogen werden (Thiochromtest). Aneurin wirkt auch als W u c h s s t o f f für gewisse Pilze und Bakterien, und man kann darauf Bestimmungsmethoden gründen. Häufig verwendet wurde Phycomyces Blakesleeanus (Phycomycestest von S c h o p f e r ) , neuerdings auch Milchsäurebakterien (Lactobacillus fermenti). Eine internationale Einheit B 1 entspricht 3 y Aneurin. Der tägliche Bedarf des Menschen wird auf etwa 1—3 mg geschätzt. Die a-Liponsäure (lipoic acid). Wir erwähnen im Anschluß an das Aneurin einen Faktor, der ursprünglich als Bakterienwuchsstoff entdeckt worden ist und der in Form einer Verbindung mit dem Aneurinpyrophosphat das eigentliche Coferment der oxydativen Decarboxylierung zu sein scheint. Es ist nicht bekannt, ob dieser Stoff vom tierischen Organismus synthetisiert werden kann. Die Entdeckung der «-Liponsäure verdankt man verschiedenen Beobachtungen bei Mikroorganismen: 1. Das Wachstum gewisser Milchsäurebakterien wird durch Acetat stark gefördert. Es zeigte sich, daß man das Acetat durch einen Faktor ersetzen kann, der weit verbreitet ist (Hefe, Leber, Weizenkeimlingsöl, Lebertran) und in so geringer Menge wirksam ist, daß er nicht als Muttersubstanz der Essigsäure in Frage kommt. Offenbar wirkt er als Cofaktor bei der Bildung des Acetats („acetate replacing factor" von G u i r a r d , S n e l l und W i l l i a m s ) . 2. Aus Leber wurde ein Faktor isoliert, der für das Wachstum des Protozoons T e t r a h y m e n a g e l e i i unentbehrlich ist. Er wurde als „Protogen" bezeichnet 2 ). 3. Die Oxydation des Pyruvats und ebenfalls seine Dismutation zu Milchsäure + Acetat + C0 2 durch Streptococcus faecalis ist von einem Faktor abhängig, der in der Hefe vorkommt und offenbar als Coferment beim oxydativen Abbau des Pyruvats wirkt ( O ' K a n e und G u n s a l u s : „pyruvate oxidationfactor"). ») W o o l l e y u. M e r r i f i e l d , Bull. Soc. Chim. Biol. 36, 1207 (1954); K u n z , Helv. Physiol. Pharmacol. Acta 14, 411 (1956). 2 ) S t o k s t a d u. M i t a r b . , J. Am. ehem. Soc. 76. 1823 (1954).

Vitamin B 2

765

Es zeigte sich, daß die drei genannten Faktoren identisch sind. Der wirksame Stoff konnte aus Leber isoliert und in reiner Form dargestellt werden 1 ). „Der Name Liponsäure wurde aus der Tatsache abgeleitet, daß die Verbindung in Fettlösungsmitteln sehr gut löslich ist, daß sie saure Eigenschaften besitzt und daß sie über die oxydative Decarboxylierung des Pyruvats an der Bildung des Acetats, einem Vorläufer der Fettsäuren, beteiligt ist." Die «-Liponsäure ist eine Dithiooctylsäure (C 8 H 14 0 2 S 2 ). Die Verbindung ist synthetisch dargestellt worden 2 ). Strukturformel und Funktion der Liponsäure siehe S. 270.

8. Vitamin B 2 Man erkannte früh, daß der wasserlösliche „Faktor B " außer dem antineuritisch wirksamen Stoff einen weiteren Faktor enthält, der für das Wachstum der jungen Ratte nötig ist. Als „Vitamin B 2 " wurde ursprünglich der auf das Wachstum wirkende Stoff bezeichnet, der nicht antineuritisches Vitamin ist, aber sehr oft mit ihm zusammen vergesellschaftet vorkommt. Der Faktor wird durch Hitze (Autoklavieren bei 120—130°) weniger leicht zerstört als das Vitamin B t . Da eine Diät, welche das antineuritische Vitamin als einziges B-Vitamin enthielt, bei der Ratte charakteristische Hautveränderungen (Dermatitis) erzeugte, die gewisse Ähnlichkeit mit der menschlichen Pellagra zeigten, hielt man den hitzebeständigen Faktor für identisch mit dem pellagraheilenden Stoff (pellagra-preventive factor: PP-Faktor), der in Nahrungsmitteln wie Milch, Fleisch und Hefe vorhanden ist (Goldberger). Es zeigte sich aber bald, daß das alte Vitamin Ba kein einheitlicher Faktor ist. Der eine Bestandteil wurde mit dem Lactoflavin identifiziert; doch muß dieses noch mit einem „komplementären Faktor", der die Bezeichnung B e erhielt, ergänzt werden, um wachstumswirksam zu sein (György, Kuhn). Man fand nun, daß nicht das Lactoflavin, sondern der Faktor B 6 die Rattendermatitis heilt (György; Chick und Harris). Wie die weitere Untersuchung zeigte, geht der Gehalt der verschiedenen Nahrungsstoffe an Vitamin B 6 oder Lactoflavin in keiner Weise ihrer pellagraheilenden Wirkung parallel. Z. B. ist Mais, der die Grundlage der pellagraerzeugenden Nahrung bildet, reich an B e , während Leberextrakte, die bei Pellagra ausgezeichnete Heilwirkung zeigen, fast kein B e enthalten. Auch kann man mit Diäten, die beim Menschen Pellagra, beim Hund die äquivalente „black-tongue"-Krankheit erzeugen, bei der Ratte keine Dermatitis hervorrufen (Birch, G y ö r g y und Harris). Man muß daraus schließen, daß die Rattendermatitis mit der menschlichen Pellagra nicht identisch ist. Der PP-Faktor G o l d b e r g e r s muß demnach ein weiteres unabhängiges Vitamin der B-Gruppe sein. Die Bezeichnung Vitamin B2 ist heute für das Lactoflavin reserviert. Als erster hat 0 . W a r b u r g (1932) ein kristallisiertes Derivat des Lactoflavins in den Händen gehabt. Es ist das durch Bestrahlung der Farbstoffkomponente des gelben Ferments in alkalischer Lösung entstehende L u m i f l a v i n . Aus Molke isolierten E l l i n g e r und K o s c h a r a sowie K u h n (1933) einen gelben Farbstoff, der von K u h n als Lactoflavin (oder Kiboflavin) bezeichnet wurde. Da Lactoflavin bei Belichtung in das Lumiflavin W a r b u r g s übergeht, muß es in der prosthetischen Gruppe des gelben Ferments enthalten sein. Damit ist auch seine biochemische Funktion gekennzeichnet. Die Konstitution des Lactoflavins wurde von P. K a r r e r und R. K u h n aufgeklärt. Das Absorptionsspektrum des Farbstoffs deutet auf ein Alloxazin hin (Alloxazine entstehen durch Kondensation von Alloxan mit o-Phenylendiaminen): x

) R e e d , D e B u s k , G u n s a l u s u. H o r n b e r g e r , Science 114, 93 (1951). ) Vgl. J . Am. ehem. Soc. 76, 4748 (1954).

a

760

Die Vitamine

C=0 NH

O Isoalloxazin

Alloxazin

In ähnlicher Weise wie Alloxazin gibt das Lactoflavin beim Behandeln mit Alkal Harnstoff ab: N

NH

OH Alkali

COOH Harnstoff + 2 Oxychinoxalincarbonsäure

Alloxazin

Durch Belichten in neutraler oder leicht saurer methylalkoholischer Lösung entsteht ein Farbstoff, das Lumichrom, das ein C-Atom weniger enthält als das Lumiflavin ( K a r r e r ) . In den beiden Bestrahlungsprodukten ist das Alloxazingerüst intakt; sie sind also durch Abspaltung einer Seitenkette entstanden. Dem Lactoflavin kommt die folgende Strukturformel zu: b CH 2 • C H ( O H ) • C H ( O H ) • C H ( O H ) • C H 2 O H

Diese Seitenkette ist der Ribit (der der Ribose entsprechende Pentit). Bei der Lichtspaltung zu Lumichrom erfolgt die Spaltung bei a, bei der zu Lumiflavin bei b. Das Lumiflavin erwies sich als das 6,7,9-Trimethylisoalloxazin, während das Lumichrom das 6,7-Dimethylalloxazin ist.

Vitamin B,

707

Die angegebene Konstitution dieser Verbindungen wurde durch Synthese bestätigt. Der Mangel an Vitamin B 2 („Ariboflavinose") führt nicht zu so auffallenden und typischen klinischen Erscheinungen, wie sie etwa die Beriberi oder die später zu besprechende Pellagra bieten. Bei der Ratte tritt Wachstumsstillstand ein. Er kommt zu Läsionen der Haut (Haarausfall), Conjunctivitis, Trübung und Vaskularisation der Cornea. Bei anhaltender B 2 -Avitaminose können auch degenerative Veränderungen im Nervensystem auftreten, die zu Lähmungen führen, Atrophie der Hoden, Veränderungen in Schilddrüse und Nebennieren. In Anbetracht der großen Bedeutung der Flavinfermente im Stoffwechsel sind die mannigfaltigen Auswirkungen der Avitaminose durchaus verständlich. Beim Menschen sind ebenfalls gewisse Hautläsionen und Veränderungen des Cornea als Folge des B 2 -Mangels beschrieben worden. Zufuhr des Vitamins scheint einen günstigen Einfluß auf verschiedene Funktionen des Körpers zu haben. Was die Bedeutung der Flavine als Wasserstoffüberträger im Intermediärstoffwechsel betrifft, verweisen wir auf das Kapitel über die biologische Oxydation (vgl. S. 245 u. ff.). Die Tabelle S. 249 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Flavinfermente. Die B i o s y n t h e s e des L a o t o f l a v i n s in autotrophen Organismen führt, soviel heute bekannt ist, über eine Purinstufe. Man hat festgestellt, daß Purine die Synthese von Lactoflavin bei gewissen Pilzen (Eremothecium ashbyii) stark steigern 1 ); außerdem läßt sich zeigen, daß C'14'" Adenin zur Synthese des Isoalloxazinringsystems verwendet wird. Wahrscheinlich leitet sich der Pyrimidinring des letzteren direkt aus dem Pyrimidinring des Purins ab, wobei dasPurin-C-Atom 8 verlorengeht2). Wie der methylierte aromatische Ring des Isoalloxazins entsteht, ist nicht genauer bekannt. DieRibitylseitenkette scheint der Glucose zu entstammen 3 ).

Unter den Nahrungsmitteln sind Milch und Käse die reichste Quelle des Lactoflavins: sie decken etwa die Hälfte der Gesamtzufuhr. Ziemlich reich an Vitamin B 2 sind auch Fleisch, Eier, Hülsenfrüchte und gewisse Kohlarten. V i t a m i n B 3, V i t a m i n B 4 , V i t a m i n B 5 . Diese Bezeichnungen haben nur noch historische Bedeutung. Als B 3 wurde ein in der Hefe vorkommender Faktor bezeichnet, der für das Wachstum der Tauben nötig zu sein schien. B 6 (aus Leber) sollte die Herzstörungen (Herzblock) der Beriberi-Taube heilen. Als B 4 wurde ein von B x und B 2 verschiedener Faktor bezeichnet, auf dessen Fehlen man bestimmte Ausfallserscheinungen bei der Ratte zurückführte. Die fraglichen Faktoren konnten aber niemals konzentriert oder gar isoliert werden. Die beobachteten Erscheinungen beruhten offenbar auf anderen Mängeln der verwendeten Diäten. Die Faktoren B 3 , B 4 und B s müssen daher von der Liste der Vitamine gestrichen werden, 9. Vitamin B 6 Das Vitamin B 6 , das nun „Adermin" oder Pyridoxin genannt wird und das man früher auch als „Eluatfaktor" bezeichnet hat, wurde als Heilfaktor für die oben bereits erwähnte R a t t e n p e l l a g r a oder A k r o d y n i e entdeckt. Wir haben aber bereits gesagt, daß dieser Faktor mit dem die Pellagra des Menschen heilenden Vitamin nicht identisch ist (P. G y ö r g y ) . Die typische Rattendermatitis besteht in entzündlichen Schwellungen und einer schuppigen Veränderung der Haut, besonders an den Pfoten, der Schnauze, den Augenlidern, den Ohren. (Da sie vor allem die hervorspringenden Teile des Körpers, J

) McLaren, J. Bact. 63, 233 (1952). ) M c N u t t , J. biol. Chem. 210, 511 (1954). ) Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem. 24, 431 (1955); 25, 479 (1956).

2 3

Die Vitamine

768

die Akra, betrifft, hat sie den Namen Akrodynie erhalten.) Es h a t sich allerdings gezeigt, daß das reine Pyridoxin die Hauterscheinungen bei der R a t t e nicht heilt, sondern nur verändert. Wahrscheinlich sind an der Entstehung der Dermatitis noch andere Faktoren beteiligt, und die Heilwirkung der früher verwendeten rohen Konzentrate beruhte auf der Gegenwart weiterer Stoffe. Beim Hund h a t man bei Pyridoxinmangel das Auftreten einer hypochromen Anämie beobachtet. Nervöse Symptome in Form von Krämpfen und epileptiformen Anfällen können, wenn auch nicht regelmäßig, beim Hühnchen und bei der R a t t e in Erscheinung treten. Bei der R a t t e ist der Basalstoffwechsel herabgesetzt. E s zeigen sich Beziehungen des Vitamins zum Eiweißstoffwechsel. All dies deutet auf eine allgemeine Störung des Zellstoffwechsels beim Fehlen des Pyridoxins hin. Beim Menschen sind Störungen, die auf B 6 -Mangel zurückgeführt werden könnten, nicht mit Sicherheit bekannt. E s werden sich auch kaum je Bedingungen einstellen, bei denen eine isolierte B 6 -Avitaminose möglich wäre. Das reine Vitamin wurde aus Reiskleie, Melone, Hefe, Leber in kristallisierter Form dargestellt (R. K u h n , W e n d t , K e r e s z t e s y , S t e v e n s ) . Vitamin B 6 h a t die empirische Formel C 8 H u N 0 3 . Es ist das 2 - M e t h y l - 3 - o x y - 4 , 5 - d i o x y m e t h y l pyridin: CH 2 OH / ¿ v HO-H2C—C C—OH 11 1 HC C—CH

3

Es ist höchst bemerkenswert, daß mit der Klärung dieser Konstitution ein neues biologisch wirksames Pyridinderivat bekannt wurde, und es sei hier an die „Pyridinfermente" der Dehydrierung erinnert (S. 243). Auch wird von dem Vitamincharakter des N i c o t i n s ä u r e a m i d s weiter unten zu sprechen sein. Die oben angegebene Konstitution des Adermins konnte durch die Synthese von R. K u h n sowie von H a r r i s bewiesen werden. Nach K u h n kommt das Vitamin B 6 sowohl in der Pflanze als auch im Tier nur zum Teil in freiem Zustand vor. Der größere Teil findet sich an Eiweiß gebunden als Aderminproteid. Es findet sich auch in grünen Gemüsen, in Leber und im Fischfleisch. Ungefähr zwei Drittel des Adermingehaltes der Getreidearten findet sich in den Keimlingen und der Kleie. Auch in der Rübenmelasse ist es in größeren Mengen enthalten. Zusammen mit dem Pyridoxin kommen zwei nahestehende Derivate vor, Pyridoxal und Pyridoxamin ( S n e l l ) : Cl).

779

l'antothensinire

Pantothensäure wurde auch synthetisch dargestellt. Bei Ratten, die mit synthetischem Futter ernährt werden, ist eine eigentümliche Mangelkrankheit bekannt, die sich durch Wachstumshemmung und Graufärbung des Haarkleides (Achromotrichie) kennzeichnet. Verfüttert man nun Leberextraktc oder Pantothensäure, so gehen diese Erscheinungen zurück. Auch bei Füchsen konnte Achromotrichie durch einen „Filtratfaktor" (Vitamin B x , „Anti-Grauhaarfaktor") geheilt werden (Lund). Es scheint aber, daß neben der Pantothensäure noch andere Faktoren der B-Gruppe (Biotin, p-Aminobenzoesäure, Folsäure, Inosit) diese Mangelerscheinung zu heilen vermögen, so daß es sich wahrscheinlich nicht um einen spezifischen Effekt der Pantothensäure handelt. Bei verschiedenen Mikroorganismen kann die Pantothensäure durch ß-Alanin ersetzt werden (verschiedene Hefen, Diphtheriebazillus). Der tägliche Bedarf des Menschen an Pantothensäure wird auf 10—50 mg geschätzt. Die große Bedeutung der Pantothensäure als Bestandteil des Coenzyms A wurde in früheren Kapiteln eingehend besprochen. Eine Reihe von Untersuchungen sowohl an Bakterien als auch an tierischc-n Geweben hat gezeigt, daß bei ihrem Fehlen die Oxydation des Pyruvats verlangsamt ist. Den Schlüssel zur Aufklärung der Funktion der Pantothensäure haben Versuche über die Acetylierung geliefert. In der Leber kommt ein Fermentsystem vor, welches Amine mittels Essigsäure zu acetylieren vermag, wenn gleichzeitig Adenosintriphosphat vorhanden ist: CHj-COOH + H2N-R A T P ^ CH3CO-NH-R. Ebenso findet sich im Gehirn ein Fermentsystem, welches unter ähnlichen Bedingungen das Acetylcholin synthetisiert: CH3 • COOH + HO • CH2 • CHj • N(CH3)3 A - P -> CH3CO • 0 • CH2 • CH2 • N(CH3), . Beide Fermentsysteme bedürfen eines thermostabilen Coferments. Dasselbe konnte in konzentrierter Form dargestellt werden, und es hat sich gezeigt, daß es Pantothensäure enthält ( L i p m a n n ) . Das Coenzym ist weit verbreitet; es konnte sowohl bei Mikroorganismen wie auch in den Geweben der höheren Tiere nachgewiesen werden und ist offenbar ein Bestandteil aller Zellen. Wahrscheinlich ist der größte Teil der Pantothensäure in den Zellen in Form des Coenzyms A enthalten. (Bei Lactobacillus arabinosus z. B. entfallen 90% der gesamten Säure auf das Coferment.) Die Struktur des Coenzyms A kann heute als sichergestellt gelten. Es kommt ihm die folgende Strukturformel zu (s. S. 780 oben). Der enzymatische Abbau und die Synthese der Verbindung wurden schon früher besprochen (S. 469)1). Durch Behandlung mit Darmphosphatase wird eine Verbindung abgespalten, welche schon früher als Wuchsstoff für Lactobacillus bulgaricus bekannt war, das Pantcthein (oder B u l g a r i c u s - F a k t o r ) 2 ) : CH3 HO - CHa—C—CH(OH)—CO—NH — CH, - CH2--CO XH—CHa CH3— SH Cysteamin

QJJs 3

Die Struktur des Pantetheins ist durch Synthese bewiesen ). Die Verbindung geht leicht in ihr Disulfid, das Pantethin, über. Zusammenfassung vgl. Baddilev, Adv. Enzymol. 10, 1 (l!)öö). -) Vgl. Suoll u. Brown, Adv. Enzvmol. 14,49 (195:?). :1 ) J. Am. elu'm. Soc. T.">, 1091 (195:!').

780

Die Vitamine CH,

HaC—C—CH(OH)—CO--NH—CH2—CHj—CO—NH—CHj—CH„—SH O CH, HO—P=0

Coenzvm A

I 0 1

NH,

HO—P=0

I o

-N

| H H H H H.,C—C—C—C—C O 1

X

OH

— j—O

'

PO3H2

Man verdankt L y n e n die wichtige Entdeckung, daß die reaktionsfähige Form der Essigsäure (die aktivierte Essigsäure) nichts anderes als das an der SH-Gruppe acetylierte Coenzym A ist. Dies erklärt die große Bedeutung des Coenzyms und damit der Pantothensäure für den Intermediärstoffwechsel. Wir haben die verschiedenen Reaktionen des Coenzyms A in früheren Kapiteln bereits besprochen (S. 269, 357 und 500) und brauchen deshalb hier nicht weiter darauf einzugehen. Das folgende Schema 1 ) gibt eine Übersicht der wichtigsten Stoffwechselreaktionen, an welchen das Coenzym A teilnimmt. Die neben den Pfeilen stehenden Zahlen verweisen auf die Stellen des Buches, an denen die entsprechende Reaktion behandelt w i r d

-

Fettsäuren

t! 1

i (8)

2 Phosphatide

Acyl-CoA

Porphyrine

{

! (S)

Sterinhorinone t

(9)

Cholesterin

Kohlehydrate

But.yryl-CoA t

Carotinoide

(7)

\

i

; (IX)

+ Butyrat

(io» :

(8)

Citrat

Acetacetyl-CoA

ll'V'

Acetvl-CoA

/ / 'l6>

Acetyl-Phosphat

Suceinyl-CoA

"(12)

(3)

T

Citronensäurecvklus

Oxalaeetat (2>

(4) :

Aeetyliorungen: Amine Aminosäuren Cholin Glucosamin

Acetat + ATP

Benzoyl-CoA -f Glycocoll

i) Nach N o v e l l i , Physiol. Reviews 3 3 , 540 (1953).

Hippursäure

781

Die Folsäuregruppe

Hinweise auf die Reaktionen: (1) S. 288, (2) S. 384, 504, 552, 646, (3) S. 272, (4) S. 501, (5) S. 503, (6) S. 450, (7) S. 369, (8) S. 357 u. ff., (9) S. 702, (10) S. 271, (11) S. 587, (12). Diese Reaktion wurde früher nicht besprochen. E s handelt sich um den Austausch eines Acylrests gegen einen anderen (Succinyl gegen Butyryl). Die Reaktion wurde bei Mikroorganismen beobachtet. Vgl. auch S. 502. 14. Die Folsäuregruppe Es handelt sich hier um eine ganze Gruppe von Stoffen, die chemisch in enger Beziehung zueinander stehen. Sie wurden teilweise als Wuchsstoffe von Bakterien (Lactobacillus casei, Streptococcus faecalis) entdeckt, teilweise durch ihre Wirkung auf die Blutbildung verschiedener Tierarten (Affe, Hühnchen). Die Stoffe sind weit verbreitet (Hefe, grüne Pflanzen, Leber); der Name „Folsäure'' (folic acid, auch Folinsäure) wurde einem dieser Faktoren erteilt, der aus Spinatblättern in hochkonzentrierter Form dargestellt werden konnte (Mitchell, S n e l l und W i l l i a m s , 1941). Einzelne dieser Gruppe zugehörende Stoffe haben früher von ihren Entdeckern besondere Bezeichnungen erhalten, so der „Lactobacillus casei-Faktor", ein Bakterienwuchsstoff, das Vitamin B c aus Leber (c = chicken, Hühnchen), das eine beim Hühnchen auftretende makrocytäre Anämie heilt ( H o g a n und P a r r o t t ) , ferner das Vitamin M aus Hefe, dessen Fehlen beim Affen eine Störung der Blutbildung hervorruft, ähnlich der in Indien verbreiteten tropischen makrocytären Anämie (Wills und B i l i m o r i a ) . Wir können hier nicht im einzelnen darstellen, wie der Zusammenhang der verschiedenen Faktoren und ihre chemische Natur aufgeklärt wurden. Die Aufgabe wurde dadurch erschwert, daß einzelne Faktoren, die im Tierversuch aktiv sind, als Bakterienwuchsstoffe keine Wirksamkeit zeigen. Die Folsäure und ihre Verwandten enthalten als Bausteine ihres Moleküls das bicyklische Ringsystem der Pteridine, das dem Purin ähnlich gebaut ist:

Pyrimidinring

| C

|| C

| C

Pyrazinring

Die Pteridine wurden zuerst als Pigmente von Schmetterlingsflügeln bekannt (Leukopterin in den Flügeln des Kohlweißlings, Xanthopterin beim Citronenfalter). Die Aufklärung ihrer Struktur ist vor allem W i e l a n d und S c h ö p f zu verdanken. Den meisten Stoffen der Folsäuregruppe liegt die folgende Verbindung zugrunde: OH COOH

!H CH2 • CH2 • COOH

Pteroinsäure

Glutaminsäure

Es ist die Pteroylglutaminsäure. Die Pteroinsäure enthält als Baustein die p-Aminobenzoesäure. Die verschiedenen Stoffe der Folsäuregruppe unterscheiden sich durch die Zahl der mit der Pteroinsäure verbundenen Glutaminsäurereste. Es

Die Vitamine

782

ist eine Verbindung mit drei Molekülen Glutaminsäure isoliert worden (Pteroyldiglutamylghitaminsäure, abgekürzt Pteroyltrighitaminsäure), eine andere mit 7 Molekülen Glutaminsäure (Pteroylheptaglutaminsäure). Die Körper mit mehreren Glutaminsäureresten werden als Folsäurekonjugate bezeichnet. Möglicherweise kommen noch andere derartige Konjugale vor. In diesen Konjugalen sind die Glutaminsäurereste durch die y-Carboxylgruppcn verknüpft; z. B.: OH N i H2N—C

A

C Ii C

V -CO— •

C—CH2—XH I CH Pteroylsäure

Pteroyltriglutaminsäure

COOH COOH COOH I I I • • • —NH • CH(CH2)2 • CO -NH • CH(CH2)2 • CO • NH • CH(CH2)2 • COOH y-Glutamyly-GlutamylGlutaminsäure

Aus Kulturen von Rhizopus nigricans ist eine F o r m y l p t e r o i n s ä u r e folgender Konstitution isoliert worden: OH i N I H2N—C

Y

C U

C

I

CHO

!

/—\

C—CH2—N—f \ CH

COOH

Die Substanz ist identisch mit dem sog. SLR-Faktor, einem Bakterienwuchsstoff, der für den Stamm des Streptococcus lactis R unentbehrlich ist, auf L. casei aber nicht einwirkt. Der Stoff kann durch S. lactis in Folsäure übergeführt werden. Die Pteroylglutaminsäure wurde, wie erwähnt, durch ihre Wachstumswirkung auf Lactobacillus casei entdeckt und wurde daher allgemein als „Lactobacillus casei Faktor" bezeichnet. Ein wichtiger Schritt bei der Isolierung der Substanz ist die Adsorption an Kohle (Norit) und die nachfolgende Elution durch verdünntes Ammoniak. Der Faktor wurde daher auch „Norit-Eluat-Faktor" genannt. Der L. casei-Faktor wurde erstmals aus Leberextrakt in reiner, kristallisierter Form von S t o k s t a d (1943) dargestellt. Ungefähr gleichzeitig gelang P f i f f n e r die Reindarstellung des sog. Vitamins B c , ebenfalls aus Leber. Dieser Faktor ist für die Entwicklung des jungen Hühnchens unentbehrlich. Sein Fehlen verursacht Wachstumsstillstand und eine schwere Störung der Blutbildung ( H o g a n und P a r r o t t ) . Die beiden Faktoren sind identisch. Der wirksame Stoff der grünen Blätter, die „Folsäure", ist nie völlig rein dargestellt worden. Trotzdem ist dieser Name zur Bezeichnung der Pteroylglutaminsäure heute allgemein gebräuchlich. Aus der Kulturflüssigkeit eines nicht näher identifizierten Corynebacteriums wurde ein weiterer Faktor isoliert, der bei L. casei fast ebenso aktiv war wie die oben genannten Substanzen, gegenüber Streptococcus faecalis ( = lactis) R dagegen fast keine Wachstumswirkung zeigte. Er wurde als „fermentation L. casei-factor" (Fermentationsfaktor) bezeichnet ( H u t c h i n g s und Mitarb.) und später als Pteroyl-

Die Folsäuregruppe

783

triglutaminsäure identifiziert (Formel obenstehend). Er ist bei den höheren Tieren wirksam. Hefe und rohe Hefeextrakte zeigen im Bakterientest keine Wachstumswirkung, sind aber beim Hühnchen gute Quellen des antianämischen Vitamins B c . P f i f f n e r und Mitarb. haben aus Hefe die aktive Substanz isoliert. Sie ist eine Pteroylheptaglutaminsäure („Vitamin B e -Konjugat"). Es scheint, daß in den Geweben der größte Teil der Folsäure in Form solcher Konjugate vorhanden ist. Die Aufklärung der Struktur des L. casei-Faktors und seiner Konjugate wurde von einer Gruppe von Forschern in den USA durchgeführt (Angier und Mitarb. 1945). Sie erfolgte hauptsächlich durch das Studium der Abbauprodukte, die aus dem L. casei-Faktor und dem Fermentationsfaktor nach verschiedenen Methoden erhalten werden. Dieselbe Gruppe hat auch die erste Synthese der Pteroylglutaminsäure durchgeführt.

Neuerdings sind weitere mit der Folsäure verwandte Wachstumsfaktoren entdeckt worden, und zwar auf zwei verschiedenen Wegen. Methylierte Folsäuren sind (wie die Sulfanilamide) starke Hemmkörper für das Wachstum verschiedener Bakterien (Streptococcus faecalis R und Lactobacillus casei). Ihre Wirkung kann aber durch Folsäure aufgehoben werden (siehe unten). Es zeigte sich nun, daß Konzentrate aus Leber bei der Entgiftung von Methylfolsäuren sehr viel aktiver waren, als ihrem an der Wachstumswirkung gemessenen Folsäuregehalt entsprach. Durch solche Versuche konnte das Vorhandensein von Faktoren nachgewiesen werden, die von der Folsäure verschieden sind und den Namen Folinsäuren erhielten ( S h i v e und Mitarb.) 1 ). Andererseits wurde in der Leber ein Wachstumsfaktor gefunden, der für Leuconostoc citrovorum unentbehrlich und von allen bekannten Faktoren verschieden ist, aber gewisse Beziehungen zur Folsäure besitzt ( S a u b e r l i c h und B a u m a n n ) . Er wurde Citrovorumfaktor genannt. Es zeigte sich, daß die oben genannte Folinsäure unter gleichen Bedingungen ein außerordentlich wirksamer Wachstumsfaktor für L. citrovorum ist. Folinsäure und Citrovorumfaktor sind offenbar identisch oder gehören jedenfalls zu einer Gruppe nahe verwandter Substanzen. Durch Einführung eines Formylrests in die Folsäure, Reduktion der Verbindung und nachträgliches Erhitzen lassen sich synthetisch Substanzen mit hoher Citrovorumaktivität herstellen. Dem aktiven Produkt, der Folinsäure-SF (Leucovorin), kommt die folgende Struktur zu: N

NH

H..N—0 N

C

C
Nitritocobalamin, Rhodanocobalamin, usw. Die verschiedenen zuletzt genannten Stoffe können durch Behandlung mit Cyanid in Cyanocobalamin übergeführt werden. Beim hydrolytischen Abbau durch Säure sind als Bruchstücke ein Aminopropanol: CH3CH(0H)CH2NH2 und ferner ein Dimethylbenzimidazol isoliert worden, das als Ribofuranosid vorliegt: CHo

POoH«

CH, 0 OH

N'

•N- - C H

H

0 H

H

Die Pentose ist in Stellung 2 oder 3 mit P h o s p h a t verestert. Durch oxydativen Abbau sind eine ganze Reihe weiterer Bruchstücke erhalten worden, unter anderem Imide des folgenden Typus1): H

-CHCH2CH2C00H

' V h,C I 0=C

\

N

/

C=0

die auf das Vorhandensein von Pyrrolkernen hindeuten. Durch Behandlung mit heißem Alkali ließ sich eine gut kristallisierende Hexacarbonsäure darstellen ( T o d d ) , die sich f ü r die Aufklärung der S t r u k t u r des Vitamins B 1 2 als sehr wichtig erwies. Ein entscheidender Fortschritt wurde durch die Anwendung röntgenoptischer Methoden auf die Kristalle dieser Substanz erzielt. Die vollständige dreidimensionale Fourieranalyse der Beugungsdiagramme ließ das Vorhandensein eines Porphyrin-artigen Ringsystems erkennen, bei dem aber die eine Methinbrücke fehlt. Durch ergänzende Untersuchungen an den Kristallen des Vitamins B 1 2 und Berücksichtigung der Resultate des chemischen Abbaus gelang es schließlich der englischen Arbeitsgruppe ( T o d d und Mitarb., H o d g k i n und Mitarb. 2 )), eine Strukturformel aufzustellen, die nachstehend wiedergegeben ist: *) Literatur vgl. z. B. Ann. Rev. Biochem. 23, 245 (1954); 24, 339 (1955); 25, 397 (1956). 2) T o d d u. Mitarb., Nature 176, 328 (1955); H o d g k i n u. Mitarb., N a t u r e 176, 325 (1955); B r i n k u. Mitarb., N a t u r e 174, 1169 (1954).

Vitamin B l a (Cyanocobalamin, Erythrotin)

793

CONH» CHj I ?H» Hx H a KCOCH 2

,CH, ?H ch,conh2

/

CH 2 CH 2 CONH 2

H,C )- -N H3C \ 3 : /!

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H 2 NCOCH 2 HK

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CH.,

\ x

OH H \ HOC—C—C—C—0/ H i H H i 0 J

CH, J

-EL/

Anscheinend bildet das Vitamin B 1 2 mit Proteinen und Polypeptiden leicht Komplexe. E s sind verschiedene Stoffe bekannt, welche Vitamin B 1 2 zu binden vermögen, so der „intrinsie f a c t o r " des Magensaftes (siehe unten). E s h a t sich in neuester Zeit gezeigt, daß neben dem Vitamin B 1 2 in der N a t u r noch andere Stoffe von ähnlichem Bau vorkommen, die sich von den oben genannten Cobalaminen durch die Art des Nucleotids unterscheiden. Sie sind aus Mageninhalt oder Fäces verschiedener Tierarten isoliert worden. I m P s e u d o v i t a m i n B 1 2 und B 1 2 b aus dem R u m e n des Kalbes ( P f i f f n e r und Mitarb.) ist das Benzimidazol durch Adenin ersetzt; im „ F a k t o r A " = Vitamin B J 2 m aus Kalbsfäces ( F o r d , K o n und P o r t e r ) k o m m t an seiner Stelle eine bisher unbekannte Base, 2-Methyladenin, vor. Dem „ F a k t o r B " aus Kalbsfäces fehlt das Nucleotid überhaupt. E r entsteht durch milde Hydrolyse aus Vitamin B 1 2 , Pseudovitamin B 1 2 und F a k t o r A und stellt offenbar den gemeinsamen nucleotidfreien R u m p f der anderen Stoffe dar. Diese Stoffe sind bei der perniziösen Anämie inaktiv, ebenso beim Hühnchen (s. unten). Dagegen wirken sie als Wachstumsfaktoren bei verschiedenen Mikroorganismen 1 ).

Durch die Reindarstellung und die Möglichkeit der mikrobiologischen Bestimmung konnte das Vitamin mit einem weiteren Nahrungsfaktor identifiziert werden, dessen Existenz aus Ernährungsversuchen an Tieren, besonders am Hühnchen, erschlossen worden war. Es ist der sog. „animal protein factor". Wenn Hennen auf einer reinen Pflanzennahrung gehalten werden (gewöhnlich aus Cerealien und Sojamehl bestehend), wobei gleichzeitig dafür gesorgt sein muß, daß sie ihre eigenen Exkremente nicht fressen können, so schlüpfen bei Bebrütung *) Literatur zum Vorstehenden vgl. F o r d u. H u t n e r , Vitamins and Hormones 13, 101 (1955).

794

Die Vitamine

ihrer Eier nur wenige Kücken aus. Die meisten Embryonen sterben vor dem Ausschlüpfen ab, und auch die ausgeschlüpften Kücken zeigen hohe Sterblichkeit und verlangsamtes Wachstum. Auch wenn die trächtige Ratte oder Maus auf eine Nahrung aus reinem Pflanzenmaterial ohne tierische Proteine gesetzt wird, beobachtet man bei den Jungtieren eine hohe Sterblichkeit und verlangsamtes Wachstum. Ebenso ist bei Schweinen, die mit Sojaproteinen als einzigem Nahrungseiweiß ernährt werden, das Wachstum gehemmt, und es zeigen sich gewisse Ausfallserscheinungen, u. a. Störungen der Hämatopoese, was bei Hühnchen und Ratten nicht der Fall ist. Der Faktor, welcher diese Erscheinungen verhindert und normales Wachstum der jungen Tiere bewirkt, begleitet in den Nahrungsstoffen die tierischen Proteine. In der Milch ist er mit dem Casein verbunden. Gute Quellen des „animal protein factor" sind Leber, Extrakte aus Fischmehl („fish solubles") usw. Das reine Vitamin B 12 vermag den Proteinfaktor sowohl beim Huhn wie auch bei den Säugetieren (Maus, Ratte, Schwein) zu ersetzen, muß also mit ihm in enger Beziehung stehen. Die Verbreitung von B 12 und Proteinfaktor, soweit sie durch unabhängige Methoden untersucht wurde, stimmt überein. Merkwürdig ist das Fehlen des Faktors bei den höheren Pflanzen. Entweder sind die vorhandenen Mengen Vitamin B l ä so klein, daß sie mit den gebräuchlichen Methoden nicht erfaßt werden oder, was weniger wahrscheinlich ist, die grüne Pflanze braucht diesen Faktor nicht. Dagegen ist, wie erwähnt, B 12 Wachstumsfaktor für verschiedene Mikroorganismen, Bakterien, Grünalgen, Protisten (L. lactis, L. leichmannii, Euglena gracilis)1). Man kennt eine Reihe von Organismen, die den Faktor synthetisieren, so Streptomyces griseus und Str. aureofaciens, aus denen das Vitamin B 12 als Nebenprodukt der Extraktion von Streptomycin und Aureomycin industriell dargestellt wird. Merkwürdig ist die Beobachtung, daß die bakterielle Synthese von Vitamin B 12 (sowie anderer Vitamine) durch Aureomycin stark gefördert wird. Auf die Funktion des Vitamins B 12 im Stoffwechsel geben Versuche mit Mikroorganismen und höheren Tieren einige Hinweise. Es hat sich nämlich gezeigt, daß bei L. lactis und Leichmannii B 12 durch das Pyrimidinnucleotid Thymidin sowie durch die Desoxyribosenucleoside des Adenins, Guanins, Hypoxanthins und Cytosins ersetzt werden kann. Es ist daher möglich, daß das Vitamin direkt oder indirekt für den Aufbau gewisser Purine und Pyrimidine unentbehrlich ist und daß die Entwicklungshemmung bei B 12 -Mangel durch den Ausfall dieser Nucleinsäurebausteine zu erklären ist. Bei gewissen Coli-Stämmen und anderen Bakterien kann Vitamin B 12 auch durch Methionin ersetzt werden, was auf eine Beziehung zur Synthese dieser Aminosäure hindeutet. Alle bisherigen Erfahrungen sprechen dafür,daß dasVitaminB 1 2 (wie auchdieFolinsäure) am Stoffwechsel der Cj-Fragmente beteiligt ist, und zwar ist es wahrscheinlich für die Bildung labiler Methylgruppen nötig (vgl. S. 408). Tiere, welche in der Nahrung kein Methionin, wohl aber den methylfreien Vorläufer desselben, das Homocystein, enthalten, wachsen nur dann, wenn sie gleichzeitig Polsäure und Vitamin B,., erhalten (Versuche mit Ratten und Hühnchen) 2 ). Bei jungen Schweinen wird die Überführung des a-Kohlenstoffatoms des Glycocolls in die Methylgruppen des Cholins durch Vitamin B 1 2 stark erhöht, während sein Einbau in das Serin (vgl. S. 418) nicht beeinflußt wird 3 ). Nach diesen Befunden hängt die Synthese neuer Methylgruppen vom Vitamin B 1 2 ab, dagegen scheint die Transmethylierung, z. B. die Übertragung der Methylgruppe aus dem 1

) Zusammenstellung in F o r d u. H u t n e r , Vitamins and Hormones 13, 103 (1955). ) Vgl. z. B. B e n n e t t , J. biol. Chem. 187, 751 (1950); J u k e s u. Mitarb., Arch. Biochem. 25, 453 (1950). 3 ) J o h n s o n u. Mitarb., Arch. Biochem. Biophys. 54, 407 (1955); C h a n g u. J o h n s o n , Arch. Biochem. Biophys. 55, 151 (1955). 2

Vitamin B w (Cyanocobalamin, Erythro)in)

7i)5

Methionin in das Kreatin oder Cholin oder vom Betain auf das Homocystein von diesem Vitamin unabhängig zu sein 1 ). Die Funktion des Vitamins bei diesen Vorgängen läßt sich aber noch nicht genauer umschreiben.

Zwischen den Wirkungen der Folsäure und des Vitamins B 12 scheinen gewisse Beziehungen zu bestehen. Es sind bei Bakterien verschiedene Fälle bekannt, in denen sich die beiden Stoffe als Wachstumsfaktoren bis zu einem gewissen Grad ersetzen können 2 ). Im gleichen Sinne spricht die Beobachtung, daß die Sulfanilamidhemmung bei E. coli durch Vitamin B 12 aufgehoben werden kann (Shive 3 )). Wir haben früher schon erwähnt, daß bei der perniziösen Anämie die Blutbildung auch durch Folsäure angeregt werden kann, obgleich die letztere einzig auf dem Fehlen des Vitamins B 12 beruht. Diese Tatsachen sind nicht leicht zu interpretieren. Man kann sich vorstellen, daß beide Vitamine an verschiedenen Stellen ein und derselben Reaktionsfolge angreifen und daß es möglich ist, innerhalb gewisser Grenzen den Mangel des einen durch einen Überschuß des anderen zu kompensieren. Was die Wirkung des Vitamins B 12 auf die perniziöse Anämie betrifft, stellt sich die Frage nach der Bedeutung des „intrinsic factor" im Magensaft. B ] 2 ist bei peroraler Verabreichung beim Perniciosakranken viel weniger wirksam als bei Injektion. Normaler Magensaft steigert die Wirkung der oral verabreichten Verbindung beträchtlich. B 12 verhält sich also wie der „extrinsic factor" von C a s t l e . Kein anderer die Blutbildung beeinflussender Stoff, weder die Folsäure noch ihre Konjugate, werden in dieser Weise durch Magensaft aktiviert. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß das Vitamin B 12 den „extrinsic factor" darstellt. Da andererseits das Vitamin B 12 auch die Antiperniciosasubstanz der Leber ist, sind der „extrinsic factor" der Nahrung und das wirksame Prinzip der Leber offenbar ein und derselbe Stoff. Es gibt auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, daß das Vitamin chemisch verändert werden muß, um wirksam zu sein. Bei Injektion in das Knochenmark hat man eine direkte lokale Wirkung feststellen können. Aus allen diesen Feststellungen geht hervor, daß der „intrinsic factor" offenbar kein Ferment sein kann, das den Nahrungsfaktor chemisch verändert, wie dies früher vielfach angenommen wurde. Der „intrinsic factor" scheint vielmehr für die Absorption des Vitamins nötig zu sein. Auf welche Weise er dessen Aufnahme fördert, ist aber völlig unbekannt. Der Magensaft hat die Fähigkeit, das Vitamin B n in eine Form überzuführen, in der es mikrobiologisch unwirksam ist, d. h. von den Bakterien nicht verwendet werden kann. Es wäre daher denkbar, daß der Magenfaktor die Fixierung des Vitamins durch die Darmflora verhindert, wodurch seine Absorption unmöglich gemacht würde. Die Fähigkeit zur Bindung des Vitamins B l a kommt aber auch Stoffen zu, die klinisch als „intrinsic factor" unwirksam sind. Diese Eigenschaft allein vermag also dessen Wirkung nicht zu erklären. Man hat auch angenommen, daß der „intrinsic factor" mit dem B 12 einen Komplex bildet, der leichter absorbierbar ist als das freie Vitamin, oder daß er durch Einwirkung auf die Darmschleimhaut dessen Absorption fördert; doch sind alle diese Hypothesen unbewiesen 4 ). Die Darmflora produziert beträchtliche Mengen B 12 . Die Absorption im Darm scheint, ähnlich wie beim Eisen (vgl. S. 589), vom Bedarf abhängig zu sein 5 ). 1 ) S t e k o l , in M e E l r o v u. G l a s s : Amino acid metabolism, S. 536; Baltimore 1955. M i s t r y u. Mitarb., J. biol. Chem. 212, 713 (1955). 2 ) Vgl. F o r d u. H u t n e r , Vitamins and Hormones 13, 101 (1955). 3 ) S h i v e , Ann. N. Y. Acad. Sei. 52, 1212 (1950). 4 ) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 24, 352 (1955); 25, 412 (1956); S c h i l l i n g , Fed. Proc. 13, 769 (1954); C a s t l e , New Engl. J. Med. 24!), 603 (195:!). r ") Vgl. Science 120, 74 (1954).

796

Die Vitamine

Nicht abgeklärt ist auch die Wirkung der Folsäure bei der perniziösen Anämie. Wir haben früher schon erwähnt, daß Folsäure die Blutbildung bei perniziöser Anämie anzuregen vermag, doch ist die Remission oft unvollständig und nicht von Dauer. Die Funktionsstörungen des Nervensystems werden nicht behoben. Sicher ist die Folsäure für die Blutbildung unentbehrlich. Wir kennen Anämieformen, die durch Folsäure vollständig geheilt werden können und nur auf dieses Vitamin ansprechen, deren Ursache daher ein Mangel an Folsäure sein muß. Die Perniciosa gehört aber nicht hierher. Sie wird durch Vitamin B12 vollständig geheilt, ohne daß eine Zulage anderer Faktoren nötig wäre. Warum aber die Folsäure trotzdem die Hämatopoese (und nur diese) beim Perniciosakranken weitgehend zu normalisieren vermag, läßt sich nicht mit Sicherheit erklären.

17. Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe Die weite Verbreitung der B-Vitamine im Pflanzen- wie im Tierreich deutet auf die große Bedeutung dieser Stoffe f ü r den Ablauf der Lebensprozesse hin. Verschiedene B-Faktoren sind mit Sicherheit als Bestandteile von Cofermenten nachgewiesen; für die meisten anderen ist es auf Grund spezifischer Wirkungen auf einzelne Reaktionen sehr wahrscheinlich, daß sie an katalytischen Vorgängen beteiligt sind. Besonders auffällig ist auch, daß die B-Faktoren f ü r die verschiedenartigsten Lebewesen unentbehrlich sind, von den Bakterien bis zu den höchstentwickelten Tieren. Wir haben bei der Besprechung der einzelnen Vitamine meist nur auf ihre Rolle im Stoffwechsel der Säugetiere und Vögel und der Mikroorganismen hingewiesen. F ü r eine Reihe von Vitaminen hat man aber auch zeigen können, daß sie bei Insekten oder bei Fischen wirksam sind. Höhere Pflanzen, die völlig autotroph sind, eignen sich natürlich weniger gut f ü r den Nachweis von Vitaminwirkungen. Man h a t indessen in einzelnen Fällen eine stimulierende Wirkung auf das Wachstum isolierter Teile (Wurzeln) festgestellt. Man neigt heute allgemein zur Ansicht, daß die meisten Faktoren der B-Gruppe überhaupt für alle lebenden Zellen von Bedeutung sind. Auf den Unterschied zwischen dem Begriff des „Vitamins" oder essentiellen Nahrungs-(Milieu-)faktors und dem Begriff des „essentiellen Metaboliten" haben wir früher bereits hingewiesen. Alle B-Faktoren sind essentielle Metaboliten, d. h. sie stellen spezifische, für den Ablauf der Stoffwechselvorgänge unentbehrliche molekulare Strukturen dar. Für die höheren Tiere sind die meisten auch Vitamine, weil die tierischen Zellen nicht imstande sind, diese Strukturen aufzubauen. Bei den Mikroorganismen, Bakterien, Pilzen usw. findet man eine große Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse. Zwar können wir, wie gesagt, annehmen, daß alle B-Faktoren auch f ü r die Mikroorganismen essentielle Metaboliten sind. Aber die Fähigkeit, diese selbst aufzubauen, wechselt von Art zu Art, ja von Rasse zu Rasse. Es gibt z. B. Organismen, die in bezug auf das Aneurin völlig autotroph sind, andere kommen mit der Pyrimidinhälfte des Moleküls aus oder sie können das Aneurin aus einem Gemisch der Pyrimidin- und Thiazolhälfte synthetisieren (dazu gehört z. B. der im Phycomyces-Test von S c h o p f e r verwendete Pilz Phycomyces Blakesleeanus) oder sie brauchen das fertige Aneurinmolekül. Oder gewisse Bakterien brauchen Folsäure, andere kommen mit der Pteroinsäure ( = Folsäure minus Glutaminsäure) aus; andere wieder vermögen Folsäure aufzubauen, wenn sie nur p-Aminobenzoesäure zur Verfügung haben, usw. Die Fähigkeit vieler Mikroorganismen, Vitamine zu synthetisieren, spielt auch für die Versorgung der höheren Tiere mit den B-Faktoren (und anderen Vitaminen wie Vitamin K) durch die Darmflora eine Rolle. Die Tatsache, daß man alle möglichen Avitaminosen durch Verfütterung einer geeigneten Mangeldiät erzeugen kann,

797

Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe

zeigt zwar, daß die Fähigkeit der Darmflora zur Vitaminsynthese begrenzt ist. E s sind aber doch verschiedene Fälle bekannt, bei denen die im Darm lebenden Mikroorganismen wesentlich zur Deckung des Bedarfs ihres Wirtes an einzelnen Vitaminen beitragen. E s bestehen je nach der Zusammensetzung und mengenmäßigen Entwicklung der Darmflora zwischen den einzelnen Tierarten große Unterschiede. Auch die Art der Nahrung ist v o n Einfluß. Das älteste bekannte Beispiel für eine „Selbstversorgung" mit B-Vitaminen ist die sog. „refection" bei der Ratte. Ratten, die auf einer B-freien Diät gehalten werden, welche rohe Stärke enthält, und die bereits Zeichen der Avitaminose zeigen, können plötzlich wieder zu wachsen beginnen und sich völlig normal entwickeln. Die Tiere scheiden massige, stärkereiche Fäces aus, durch deren Verfütterung man die „refection" auf andere Tiere übertragen kann. Der Zustand ist also infektiös und beruht wahrscheinlich auf der Entwicklung einer besonderen Mikroflora im Coecum, welche genügende Mengen B-Vitamine produziert, um die Versorgung des Tieres zu gewährleisten. Wesentlich scheint die Anwesenheit genügender Mengen unverdauter Stärke im Coecum zu sein. Möglicherweise ist die primäre Ursache eine Störung der StärkeVerdauung. vom Vitamin abhängige Reaktionen

Cofermente

Aneurin

Decarboxylierung des Pyruvats in der Hefe Oxydative Decarboxylierung von Pyruvat und anderen a-Ketosäuren im Citronensäurecyklus

Aneurinpyrophosphat (Cocarboxylase)

Riboflavin

Wasserstoffübertragung (Dehydrierung der Dihydropyridinnucleotide, Dehydrierung des Xanthins und Hypoxanthins, oxydative Desaminierung der Aminosäuren)

Flavinnucleotide

Niacin

WasserstoffÜbertragung Dehydrierung vieler organischer Verbindungen

Pyridinnucleotide

Pyridoxin

Decarboxylierung von Aminosäuren durch Bakterien Transaminierung Tryptophanstoff Wechsel

Pyridoxalphosphat

Pantothensäure

Acetylierungen Citratsynthese im Citronensäurecyklus Acetessigsäurebildung, Fettsäuresynthese (Reaktionen der C 2 -Fragmente!)

Coenzym A

Folsäure

Bildung von Synthese des Synthese der (Reaktionen

Vitamin B12

Synthese von Pyrimidinen und Purinen Bildung von labilen Methylgruppen

?

Biotin

C0 2 -Fixierung Synthese von Oxalacetat aus Pyruvat und COa Synthese des Citrullins

?

labilen Methylgruppen Serins Purine der C x -Fragmente!)

?

798

Die Vitamine

Eine bedeutende Rolle für die Vitamin Versorgung des Wirts spielt wahrscheinlich die reich entwickelte Darmflora bei den Wiederkäuern. T h e i l e r sprach diese Vermutung bereits 1915 aus, weil er Tiere während langer Zeit ohne Schaden mit vitaminarmem Futter ernähren konnte. Alle seitherigen Versuche bestätigten diese Annahme, und es kann als gesicherte Tatsache gelten, daß im Pansen eine Synthese der Vitamine des B-Komplexes in so großem Umfang stattfindet, daß der Bedarf des Tieres daraus weitgehend gedeckt werden kann. Bei den meisten anderen Tierarten liegen die Verhältnisse nicht so günstig. Die Darmflora ist meistens viel weniger entwickelt. Dazu kommt, daß sie hauptsächlich im Dickdarm lokalisiert ist (bei den nicht wiederkäuenden Pflanzenfressern ersetzt das Coecum den Pansen); die Bedingungen für die Absorption der von den Bakterien gebildeten Vitamine sind daher viel ungünstiger als bei den Ruminantiern, bei denen der vitaminreiche Mageninhalt noch die ganze Länge des Dünndarms zu durchlaufen hat. Wir können auf weitere Einzelheiten hier nicht eingehen. Man hat bei der Ratte und auch beim Menschen die Synthese verschiedener B-Vitamine durch die Darmflora und teilweise auch ihre Absorption nachweisen können. Wie schon erwähnt, ist die Nahrung von großem Einfluß. In verschiedenen Fällen hat man beobachtet, daß die Synthese durch reichliche Zufuhr von Stärke oder Dextrin gesteigert wird (Entwicklung von Hefen!). Im allgemeinen reicht aber die Synthese im Darm auch unter günstigen Bedingungen zur Deckung des Bedarfs nicht aus. Wir haben bei der Besprechung der einzelnen Vitamine auf ihre biochemischen Funktionen hingewiesen. Der besseren Übersicht halber seien die wichtigsten Reaktionen, die von den Vitaminen der B-Gruppe abhängen, in der auf S. 797 stehenden Tabelle nochmals zusammengestellt. 18. Vitamin C Der Skorbut war seit altersher als eine Krankheit bekannt, welcher die Seeleute während ihrer langen Reisen unterworfen waren und die oft unter den Schiffsmannschaften furchtbare Opfer forderte. Anscheinend sind Berichte aus der Zeit der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert die ältesten sicheren Nachrichten, die wir über das Auftreten dieser Krankheit besitzen. Doch ist anzunehmen, daß sie schon viel länger bekannt war. Der Skorbut war zur Zeit der großen Seereisen im 15. und 16. Jahrhundert eines der größten Hindernisse. (Bei der Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung durch Vasco da Gama unterlagen von 160 Mann Schiffsbesatzung 100 dem Skorbut!) Aber auch auf dem festen Land, vor allem in den nördlichen Ländern, war die Krankheit weit verbreitet. Sie trat sehr häufig in den Heeren während der Feldzüge auf. Sehr früh finden sich aber auch Berichte über die Heilung des Skorbuts durch Früchte und frisches Gemüse. In voller Klarheit ist die Erkenntnis, daß die Krankheit durch Verabreichung geeigneter Nahrung, vor allem von Früchten und grünen Blattgemüsen, rasch geheilt werden kann, in Schriften des 18. Jahrhunderts ausgesprochen ( B a c h s t r o m 1734, „Observationes circa scorbutum; eiusque indolem, causas, signa et curam". L i n d 1757, „Atreatise on scurvy"). Es gibt aber einzelne, noch ältere Berichte über die günstige Wirkung von Pflanzenabkochungen. In dem Maße wie diese Erkenntnis Allgemeingut wurde und sich auch die Möglichkeiten zur Beschaffung frischer Pflanzennahrung zu jeder Zeit und in allen Ländern verbesserten, verschwand der Skorbut mehr und mehr. Der endgültige Beweis, daß Skorbut eine Mangelkrankheit ist, wurde 1912 durch H o l s t und F r ö h l i c h geleistet, denen es gelang, ihn experimentell beim Meerschweinchen zu erzeugen. Der antiskorbutisch wirksame Stoff erhielt die Bezeichnung Vitamin C.

Das Vitamin C ist nur für den Menschen und gewisse Tierarten (Affe, Meerschweinchen) unentbehrlich, während Hund, Kaninchen, Ratte, Maus, wahrscheinlich auch die Wiederkäuer, es selbst bilden können. Über die Biosynthese der Ascorbinsäure siehe S. 802.

799

Vitamin C

Der Vitamin C-Mangel führt zu einer Schädigung der Kapillarendothelien, als deren Folge in zahlreichen Geweben Blutungen auftreten, so in der Haut (Bildung kleiner umschriebener blutiger Ergüsse, sog. Petechien), in den Schleimhäuten, den Gelenken, dem Periost. Die Gelenke sind geschwollen und schmerzhaft. Besonders charakteristisch für den Skorbut ist die Entzündung und Schwellung des Zahnfleisches, die oft zur Nekrotisierung des Gewebes führen, sowie die Lockerung der Zähne. (Der Ausdruck Skorbut leitet sich vom holländischen Scheurbuik = wunder Mund ab.) Beim Kind oder beim Jungtier kommt es ferner zu einer schweren Störung der Knochenbildung. Sie betrifft die Wachstumszone des Knochens (Epiphysen der Röhrenknochen, Knochen-Knorpel- Grenze der Rippen). Die Neubildung von Knochengewebe hört auf; da die Abbauvorgänge weitergehen, tritt ein starker Schwund (Rarefikation) der Knochensubstanz ein, der an der Verbindung von Epiphyse und Diaphyse zum Zusammenbruch des ganzen Gefüges führen kann. Auch die Zahnentwicklung ist gestört. Beim Meerschweinchen sind die histologischen Veränderungen in den Schneidezähnen das früheste Symptom des Skorbuts. Es scheint, daß die Tätigkeit der Osteoblasten wie der Odontoblasten vom Vitamin C abhängig ist. Das Vitamin scheint ganz allgemein für die Bildung der interzellulären Substanz von großer Bedeutung zu sein. Im Bindegewebe des skorbutischen Tieres zeigen sich charakteristische Veränderungen: die fibrillären Elemente der Interzellularsubstanz (retikuläre und kollagene Fasern) fehlen. Die mangelhafte Bildung der Interzellularsubstanz vermag viele Erscheinungen der C-Avitaminose zu erklären. Wahrscheinlich rührt die Fragilität der Kapillaren von einer ungenügenden Ausbildung der Kittsubstanz her, welche die Endothelzellen verbindet, und ebenso scheinen die Defekte der Knochen- und Zahnstruktur auf mangelhafter Bildung der organischen Matrix zu beruhen. In gleicher Weise können auch die schlechte Callusbildung und Wundheilung bei Vitamin C-Mangel gedeutet werden. Auf welche Weise diese Störungen in der Ausbildung der interzellulären Substanzen zustande kommen und welche Bestandteile sie im einzelnen betreffen, läßt sich nicht angeben. In annähernd reiner Form wurde das Vitamin C zuerst aus Citronensaft isoliert. Es erwies sich als stark reduzierende Säure, die den Hexosen nahe steht ( Z i l v a , A g o p i a n , T i l l m a n s ) . S z e n t - G y ö r g y i isolierte 1928 aus Nebennieren und pflanzlichem Material eine reduzierende Verbindung, die er als „Hexuronsäure" bezeichnete, deren Identität mit dem Vitamin Caber erst später erkannt wurde. Die Aufklärung der Struktur erfolgte 1933 durch Mi c h e e 1 und K r a f t und durch H i r s t und Mitarb., und gleichzeitig gelang R e i c h s t e i n und unabhängig H a w o r t h und Mitarb. die erste Synthese. Die Substanz wurde als Ascorbinsäure bezeichnet.

Die Ascorbinsäure besitzt folgende Konstitution: 0=C-

0=C I 0=C I o=c

HO—C II HO—C H—C HO

H

L-Ascorbinsäure

O

H—C I HO—C—H Dehydro-L-ascorbinsäure

COOH I 0=C I 0=C HCOH HOCH H2COH

Die Vitamine

800

Bei der Oxydation in saurer Lösung durch H 2 0 2 , Jod oder gewisse Farbstoffe verwandelt sie sich in Dehydro-L-ascorbinsäure. Die Dehydroascorbinsäure kann wieder zu Ascorbinsäure zurückreduziert werden. Sie ist biologisch aktiv, also kann angenommen werden, daß die Reduktion auch im Organismus möglich ist. Durch den Luftsauerstoff in Gegenwart von Schwermetallspuren (Cu oder Fe) wird die Ascorbinsäure irreversibel oxydiert, besonders leicht bei alkalischer Reaktion. In saurer Lösung ist sie ziemlich beständig. Die sauren Eigenschaften der Ascorbinsäure beruhen auf der Gegenwart der enolischen Hydroxylgruppen. Die Dehydroascorbinsäure ist unmittelbar nach ihrer Entstehung eine neutrale Verbindung, da sie keine Enolgruppe mehr besitzt. Ihr Lactonring ist aber sehr unbeständig und öffnet sich rasch unter Bildung einer freien Carboxylgruppe. Die Eigenschaft der Ascorbinsäure, in leicht saurer Lösung geeignete Redoxfarbstoffe zu reduzieren, wird zu ihrer Bestimmung benützt. Am häufigsten wird das 2,6-Dichlorophenolindophenol verwendet: Cl 0=/

Cl >=N—,

a

a o a a o a ¿•.-a a" w . o — o—ÜCO 6 6 a o a a a

o

51 L e n t h a r d t , Lehrbuch. 13. Aufl.

•a ® 5 >5

3,3 4,9 5,9 06

Glucosezufuhr

Die ,,spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe

823

Man erkennt, daß die spezifisch dynamische Wirkung der Glucose nur ein Bruchteil derjenigen der Proteine ist und außerdem nur wenige Stunden anhält, während nach Zufuhr größerer Mengen Eiweiß die Erhöhung des Grundumsatzes eine Reihe von Tagen anhalten kann. Fett ergibt ähnliche Werte wie Kohlehydrat. Neuere Untersuchungen am Menschen zeigen indessen, daß nach Zufuhr großer Kohlehydratmengen die zusätzliche Wärmeproduktion fast 10% der aufgenommenen Kalorien erreichen kann.

Es ist noch nicht restlos abgeklärt, auf welche Weise die spezifisch dynamische Wirkung zustande kommt, R u b n e r hat bereits Gründe dafür beigebracht, daß es nicht die gesteigerte Arbeit der Verdauungsorgane oder die vermehrte N-Ausscheidung durch die Nieren sein kann, welche die erhöhte Wärmeproduktion bewirken. Da die Proteine im Darm hydrolysiert werden, müssen offenbar die Aminosäuren für die spezifisch dynamische Wirkung verantwortlich sein. In der Tat rufen verschiedene Aminosäuren, so Glycocoll, Alanin, Tyrosin, Phenylalanin, Leucin und andere, eine Stoffwechselsteigerung hervor; für Glutaminsäure und Asparaginsäure sind die Resultate widersprechend. Es scheint, daß die Summe der spezifisch dynamischen Wirkungen der einzelnen Eiweißbausteine die richtige Größenordnung für die Wirkung des kompletten Proteins ergibt (Lusk). Wir haben im Kapitel über den Proteinstoffwechsel darauf hingewiesen, daß die Aminosäuren nur in Form von Proteinen in wesentlichem Umfang gespeichert werden können. Der Anteil der aufgenommenen Aminosäuren, der nicht zum Aufbau der Proteine Verwendimg findet, verfällt dem vollständigen Abbau oder dient der Gluconeogenese. Erfahrungsgemäß bewirkt jede Erhöhung der Eiweißzufuhr, auch wenn es sich um hochwertige Proteine handelt und die Eiweißvorräte des Körpers weitgehend erschöpft sind, eine vermehrte Ausscheidung von Stickstoff. Der Körper kann also auch unter günstigen Bedingungen niemals alle ihm zugeführten Aminosäuren als Proteine festhalten. Wenn aus dem Darm Glucose aufgenommen wird, so kann sie ohne weiteres, unabhängig von der Gegenwart anderer Nahrungsbestandteile, in Glycogen übergeführt werden, Ähnliches gilt auch von den Fettsäuren, welche direkt in Fettdepots übergehen können. Die Möglichkeit, daß eine Aminosäure im Eiweiß fixiert wird, hängt dagegen von der gleichzeitigen Gegenwart der anderen Aminosäuren ab, die zum Aufbau des betreffenden Polypeptids oder Proteins nötig sind. Da offenbar das den Zellen zuströmende Gemisch von Aminosäuren niemals genau der Zusammensetzung der Zellproteine entspricht, kann ein Teil der Bausteine nicht verwendet werden und wird oxydiert. Die hohe spezifisch dynamische Wirkung der Proteine hängt wahrscheinlich eng mit diesen Besonderheiten des Aminosäurestoffwechsels zusammen, ohne daß man zur Zeit genau angeben könnte, welche intermediären Reaktionen im besonderen für die Wärmebildung verantwortlich sind. Auch bei Aufnahme von Kohlehydrat und Fett wird ein Teil des zugeführten Materials sofort verbrannt. Dieses tritt aber an die Stelle der körpereigenen Substanzen, d. h. es wird die Oxydation von Körperfett und Glycogen entsprechend eingeschränkt, so daß jedenfalls bei mäßiger Zufuhr nur eine unbedeutende Steigerung der Wärmeproduktion eintritt. Dagegen kann das Nahrungseiweiß die Körpersubstanz als Brennmaterial offenbar nur unvollkommen ersetzen; es wird daher eine z u s ä t z l i c h e Menge Substanz oxydiert. Es ist nicht abgeklärt, wie weit dabei endokrine oder nervöse Regulationen eine Rolle spielen. Man könnte z. B. daran denken, daß die im Blut kreisenden Aminosäuren oder deren Abbauprodukte die Schilddrüse oder die übergeordnete Hypophyse

824

Der Nahrungsbedarf

stimulieren. Verabreichung von Thiouracil, welches die Schilddrüse hemmt (vgl. S. 686), scheint eine Verminderung oder doch wenigstens eine Verlangsamung des Eintritts der spezifisch dynamischen Wirkung zur Folge zu haben, doch läßt sich über die Rolle der innersekretorischen Drüsen noch nichts Endgültiges aussagen. Es stellt sich auch die Frage, welche Organe an der gesteigerten Wärmebildung vorwiegend beteiligt sind. Aus der Tatsache, daß die Leber bei Durchströmung mit Glycocollösung einen stark vermehrten Sauerstoffverbrauch zeigt, währenddem in durchströmten Extremitäten kein Effekt eintritt, hat man geschlossen, daß sie der hauptsächliche Sitz der spezifisch dynamischen Wirkung ist.

Die spezifisch dynamische Wirkung der Nährstoffe ist praktisch von großer Bedeutung. Wäre dieselbe nicht vorhanden, so müßte die Energieausgabe immer gleich der Summe von Grundumsatz (Ruheumsatz) und Aufwand für die zusätzliche körperliche Arbeit (Sitzen, Stehen, Tätigkeit) sein. Eine Mehraufnahme von Kalorien über diesen Betrag hinaus müßte notwendigerweise zum Ansatz von Glycogen, Fett oder Eiweiß führen. Zur Vermeidung eines solchen Ansatzes müßte mehr körperliche Arbeit geleistet werden. Da tatsächlich aber bei jeder Nahrungsaufnahme dank der spezifisch dynamischen Wirkung eine zusätzliche Steigerung des Grundumsatzes eintritt, ist der Organismus imstande, ohne Vermehrung der Körpersubstanz größere Nahrungsmengen zu bewältigen. Ein Beispiel möge dies illustrieren: Ein Mann von etwa 70 kg produziert bei leichter Arbeit 2400 Cal. pro Tag, also 100 Cal. pro Stunde (im nüchternen Zustand gemessen!). Bei einer kräftigen Mahlzeit nimmt er 1200 Cal. auf, davon 60 g Proteine. Die Verdauung der Mahlzeit benötigt 8 Stunden. Bei unverändertem Umsatz würde er während dieser Zeit 8-100 = 800 Cal. produzieren; er hat also 400 Cal. im Überschuß aufgenommen. Veranschlagen wir die spezifisch dynamische Wirkung von Fett und Kohlehydrat zu 10%, diejenige der Proteine zu 50%, so wird folgende zusätzliche Wärme produziert: Proteine: 60% von 60-4,1 C a l . ~ 125 Cal., Fett und Kohlehydrat: 10% von 950 Cal. (Nicht-Eiweiß-Kalorien) = 95 Cal., zusammen 220 Cal. Der Überschuß der Kalorien, der als Fett oder Glycogen angesetzt wird, beträgt also nur noch 180 Cal. statt 400; dies entspricht etwa 20 g Fett (statt 42 g).

Es ist eine bekannte Tatsache, daß verschiedene Menschen bei Überernährung sehr ungleich reagieren. Es gibt solche, die bei großem Appetit täglich beträchtliche Nahrungsmengen vertilgen und dabei mager bleiben. Es gibt andere, die bei gleicher körperlicher Arbeit ständig zunehmen, obwohl sie weniger essen und sich vor jedem Zuviel an Nahrung hüten. Solche Unterschiede beruhen zu einem beträchtlichen Teil auf einer verschiedenen spezifisch dynamischen Wirkung der Nährstoffe bei den einzelnen Individuen. Beim erstgenannten Typus ist sie hoch; er verbrennt daher die im Überschuß aufgenommenen Stoffe. Beim zweiten Typus ist sie niedrig; die überschüssigen Nährstoffe werden als Fett angesetzt. Dazu kommt, daß der Magere sich leichter und mehr bewegt als der Adipöse und dadurch zusätzlich Fett verbrennt, während es beim letzteren zu einem Circulus vitiosus dadurch kommen kann, daß der zunehmende Fettbestand die Beweglichkeit herabsetzt und dadurch den weiteren Fettansatz begünstigt. Die spezifisch dynamische Wirkung ist wahrscheinlich der wichtigste Faktor beim Zustandekommen der sog. Luxuskonsumption. Darunter versteht man die Verbrennung der über den Bedarf hinaus zugeführten Nährstoffe (Gräfe). Es handelt sich um eine Anpassung des Organismus an vermehrte Nahrungszufuhr, welch letztere in vielen Fällen durch den Appetit nicht in genügender Weise reguliert wird. Welch große Nahrungsmengen der tierische Organismus unter Umständen bewältigen kann, zeigt z. B. ein Versuch von Gräfe und Graham, bei welchem eine Hündin von 20 kg Gewicht während 2 Monate eine Nahrungsmenge verzehrte, die das Zweifache des minimalen Kalorienbedarfs (im Hunger gemessen) betrug und dabei ihr Körpergewicht annähernd konstant erhielt.

Die Kostformen

825

Der Vergleich der spezifisch dynamischen Wirkung von Kohlehydrat, Aminosäuren und Fett, einzeln und gleichzeitig verabreicht, hat ergeben, daß ihre Wirkung auf den Stoffwechsel additiv ist (Lusk); die durch Aminosäuren bewirkte Steigerung addiert sich zu derjenigen, welche durch Kohlehydrat und Fett hervorgerufen wird. (Wir haben im obigen Beispiel S. 824 bereits von dieser Tatsache Gebrauch gemacht.) Die Luxuskonsumption, die nach übermäßiger Nahrungsaufnahme eintritt, kann daher als die Summe der spezifischen Wirkungen der einzelnen Nährstoffe aufgefaßt werden. Wodurch die oben erwähnten individuellen Unterschiede zustande kommen, ist nicht klar. Man nimmt an, daß sie konstitutionell begründet sind. Eine wichtige Rolle spielt wahrscheinlich das System der endokrinen Drüsen und das vegetative Nervensystem. 2. Die Kostformen Die von den Organismen aufgenommenen Stoffe haben im wesentlichen zwei Funktionen zu erfüllen: Sie dienen dem Aufbau der Körpersubstanz (zu welcher auch die Wirkstoffe zu rechnen sind) und der Energiegewinnimg. Die Mehrzahl der dem Körper zugeführten Stoffe wird letzten Endes weitgehend abgebaut und oxydiert. Eine scharfe Unterscheidung von „Baustoffen" und „Betriebs-" oder „Brennstoffen" läßt sich nicht durchführen. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, daß nach den Ergebnissen der Isotopenmethode a l l e Strukturbestandteile des Körpers am Stoffwechsel teilnehmen, sich in einem „dynamischen Zustand" befinden (vgl. S. 367 und 451). Man kann höchstens sagen, daß gewisse Substanzen vorwiegend als Energielieferanten oder vorwiegend als Baustoffe dienen oder daß die Moleküle eines bestimmten Stoffs durchschnittlich länger als Strukturbestandteil in einem Gewebe verweilen als die Moleküle eines anderen Stoffs. Wir haben in den vorangehenden Kapiteln die verschiedenen Stoffe, -welche der Säugetierorganismus benötigt, kennengelernt und ihre besondere Bedeutung besprochen. Sie sind nachfolgend in einer Liste nochmals zusammengestellt, der wir einige ergänzende Bemerkungen beifügen. Die unentbehrlichen Stoffe sind die folgenden: 1. Anorganische Stoffe: a) Kationen: Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium, Eisen, Kupfer, Zink, Mangan, Kobalt; b) Anionen: Chlorid, Phosphat, Jodid, Fluorid. 2. Organisehe Stoffe: a) Kohlehydrate. Sehr wahrscheinlich kommt der tierische Organismus mit Glucose aus, d. h. er kann die übrigen Zucker, die als Bausteine der Körpersubstanz auftreten, aus Glucose oder anderem Material aufbauen. Dies geht z. B. daraus hervor, daß Ratten mit gereinigter Stärke als einzigem Kohlehydrat sich normal entwickeln können. In der Nahrung des Menschen spielen in der Regel neben der Glucose noch die Fructose (als Rohrzucker aufgenommen) und die Galactose (als Milchzucker aufgenommen) eine Rolle. Die Nahrung der Pflanzenfresser kann neben den Hexosen (Glucose und Fructose) auch noch eine gewisse Menge von Pentosen (als Pentosane) enthalten. Die reinen Carnivoren nehmen mit ihrer Nahrung verhältnismäßig wenig Kohlehydrat auf (Glycogen im frischen Fleisch); sie decken den größten Teil ihres Kohlehydratbedarfs durch Gluconeogenese.

826

Der Nahrungsbedarf

b) Fette. F e t t kann, wie wir gesehen haben, in großem Umfang vom Körper aus Kohlehydrat oder Eiweiß synthetisiert werden. Dagegen müssen gewisse ungesättigte Fettsäuren, Linol- und Linolensäure, mit der Nahrung zugeführt werden (siehe S. 365 und 837). Im allgemeinen sind für die menschliche Ernährung die Fette mit hohem Gehalt an ungesättigten Fettsäuren geeigneter als die stark gesättigten Fette. c) Proteine. Wir haben die Frage der essentiellen Aminosäuren und des Eiweißminimums im Kapitel über den Proteinstoffwechsel ausführlich besprochen und gesehen, daß die essentiellen Aminosäuren, die unentbehrlichen Bestandteile der Proteine, für das Säugetier die folgenden sind : Valin, teucin, Isoleucin, Threonin, Methioniii, Lysin, Histidin, Tryptophan, Phenylalanin (Näheres siehe S. 435). d) Vitamine. E s sind heute die folgenden Verbindungen bekannt, die für den Menschen und viele Säugetiere unentbehrlich sind und nicht oder nur in ungenügendem Umfang synthetisiert werden können: oc) Fettlösliche: Vitamin A und seine Provitamine (hauptsächlich /3-Carotin), die antirachitischen Vitamine (Vitamin D) und ihre Provitamine (Ergosterin und Dehydrocholesterin), die Tocopherole (Vitamin E), Vitamin K. ß) Wasserlösliche: das antiskorbutische Vitamin (Vitamin C, Ascorbinsäure), die Faktoren der B-Gruppe: Aneurin, Lactoflavin, Nicotinsäure und ihr Amid, Pantothensäure, die Faktoren der Folsäuregruppe, Biotin, Vitamin B 12 . Wir haben die Bedeutung der Kohlehydrate, der Fette, der Proteine und der Vitamine in den vorangehenden Kapiteln ausführlich besprochen. Der Mineralhaushalt wird in den folgenden Kapiteln behandelt: N a t r i u m , K a l i u m und C h l o r i d in Kap.21: Wasser-und Salzhaushalt, S.538 u. ff.; vgl.dazu auchS.695u. ff. (Regulation des Salzhaushalts durch die Nebennierenrinde). C a l c i u m und P h o s p h a t in Kap. 22: Blut S. 555; Kap. 25, S. 658 u. ff. (Knochen); Kap. 28, S. 688 u. ff. (Nebenschilddrüsen); Kap. 29, S. 752 u. ff. (Vitamin D). E i s e n in Kap. 22, S. 589. S p u r e l e m e n t e in Kap. 30, S. 804 u. ff. An eine vollwertige Nahrung sind die folgenden Anforderungen zu stellen: Sie muß 1. eine genügende Zahl von Kalorien liefern, 2. alle Mineralstoffe und essentiellen Stoffe in genügender Menge und 3. die verschiedenen Stoffe in optimalem Verhältnis enthalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Bedürfnisse je nach Alter, Geschlecht, Rasse, äußeren Bedingungen (wozu Klima, Berufstätigkeit, Lebensweise zu rechnen sind) verschieden sein können. Es werden im allgemeinen je nach Umständen verschiedenartige Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Die Aufgabe der praktischen Ernährungswissenschaft besteht darin, den Weg anzugeben, auf welchem die oben genannten Forderungen auf Grund der vorhandenen Nahrungsquellen und unter Berücksichtigung der speziellen Ernährungsgewohnheiten am besten erfüllt werden können. Besondere Aufgaben stellt natürlich die Ernährung in Mangelzeiten und ferner die Ernährung kranker Menschen. Man hat, seitdem es eine wissenschaftlich begründete Ernährungslehre gibt, den Versuch gemacht, Normen für die Menge und Zusammensetzung einer optimalen Nahrung aufzustellen. Sie basieren teilweise auf der Beobachtimg des tatsächlichen Konsums von Nahrungsmitteln innerhalb gewisser Bevölkerungsschichten, berücksichtigen aber gleichzeitig auch alle Erkenntnisse über den optimalen Bedarf an den

Die Kostformen

827

verschiedenen essentiellen Nahrungsfaktoren. Wir geben als Beispiel in nebenstehender Tabelle die Werte wieder, die vom Food and Nutrition Board des National Research Council in den USA. empfohlen worden sind. Diese Zahlen geben die Menge der verschiedenen Nahrungsfaktoren an, die als wünschenswert angesehen wird und eine genügende Ernährung garantiert. Es ist klar, daß die Proteine wenigstens zum Teil aus hochwertigen tierischen Eiweißkörpern (Fleisch, Eiern, Milch) bestehen müssen und daß genügend natürliches (nicht gehärtetes) Fett zugeführt werden muß, um die Versorgung mit essentiellen Fettsäuren sicherzustellen. Die Deckung des Energiebedarfs wie auch die Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen kann bei den verschiedenen Völkern und sozialen Schichten auf sehr verschiedene Art und Weise geschehen, je nach den Nahrungsquellen, die zur Verfügung stehen. Wir kennen Völkerschaften, deren Ernährung sich ausschließlich auf tierische Produkte, Fleisch und Fett, aufbaut (z. B. die Eskimos), neben solchen, die fast ausschließlich von pflanzlichen Produkten, also geringen Eiweißmengen neben viel Kohlehydrat, leben (z. B. viele Völker des Orients oder die aus weltanschaulichen Gründen vegetarisch lebenden Menschen). Die Spezies Mensch verdankt ihre weite geographische Verbreitung (die offenbar schon in vorgeschichtlicher Zeit bestand) zu einem wesentlichen Teil ihrer Anpassungsfähigkeit an die verschiedenartigste Nahrung. Das Tier wird bei der Auswahl der richtigen Nahrung durch den Instinkt geleitet. Es gibt viele Beobachtungen, die darauf hindeuten, daß Tiere bei freier Wahl das geeignetste Futter heraussuchen und hochwertige Nahrung von minderwertiger zu unterscheiden vermögen. Wie weit ein solcher Instinkt beim Kulturmenschen noch besteht, ist schwer zu entscheiden, denn der moderne Mensch kommt kaum mehr in die Lage, ihn zu betätigen. Der ursprüngliche Instinkt ist im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung allmählich durch Ernährungsgewohnheiten ersetzt worden, die sich von Generation zu Generation weiter vererben und an deren Zustandekommen zahlreiche, in ihrer Gesamtheit schwer übersehbare Faktoren beteiligt sind: Klima, natürliche Nahrungsquellen, Lebensweise (Jäger, Fischer, Ackerbauer), Wirtschaftsformen, gesellschaftliche Zustände, aber auch religiöse Vorstellungen und Aberglaube. Die Auswahl der Nahrung kann beim Kulturmenschen nicht mehr aus der Fülle der natürlich vorhandenen Nahrungsquellen erfolgen wie beim Tier; sie beginnt schon mit dem Anbau der geeigneten Nutzpflanzen und der Züchtung der geeigneten Nutztiere. Die Beschaffung der Nahrung ist in der modernen menschlichen Gesellschaft zu einem äußerst komplizierten Prozeß geworden; aber es sind im großen und ganzen doch die gleichen Produkte, die dem heutigen Menschen wie seinen urgeschichtlichen Ahnen als Hauptnahrung dienen: Fleisch, Milch und die verschiedenen Getreidearten und Feldfrüchte. In den meisten Kulturländern, insbesondere in Europa und Nordamerika, bilden Getreide, Kartoffeln und Fleisch die Grundlage der Ernährung. Diese Nahrungsmittel liefern die Hauptmenge des Kalorienbedarfs, wobei Fleisch im Durchschnitt einen wesentlich kleineren Anteil ausmacht als die vegetabilischen Nahrungsmittel. Eine ausschließlich auf dieser Grundlage aufgebaute Nahrung ist indessen nicht in jeder Hinsicht genügend, besonders dann nicht, wenn vorwiegend weiße Mehle (wenig ausgemahlenes Weizenmehl) und gekochtes oder konserviertes Fleisch verwendet werden. Eine solche Nahrung ist z. B. arm an Vitamin A, enthält nur wenig Calcium und liefert auch verschiedene wasserlösliche Vitamine nicht in genügenden Mengen. Sie muß daher noch durch andere Nahrungsmittel ergänzt werden, welche die mangelnden Stoffe zuführen. Dies sind vor allem Milch, Eier, frische Gemüse und Früchte.

Eisen

Vit. A

Aneurin

Lactoflavin Nicotinsäure Ascorbinsäure

Vit. D

I.E.

mg

mg mg mg

I.E.

12

5000

1,5 2,2 1,8 2,7 2,3 3,3

0,8

F r a u e n (66 kg) sitzende Lebensweise . . . mäßige körperliche Arbeit . schwere Arbeit Schwangerschaft (2. Hälfte) Lactation

2100 2500 3000 2500 3000

K i n d e r u n t e r 12 J a h r e n unter 1 Jahr 1—3 Jahre 4—6 Jahre 7—9 Jahre 10—12 Jahre

100/kg 3—4/kg 1200 40 1600 50 2000 60 2500 70

J

mg

70

2500 3000 4500

2800 2400 3200 3800

g

g

M ä n n e r (70 kg) sitzende Lebensweise . . . mäßige körperliche Arbeit . schwere Arbeit

K i n d e r u. J u g e n d l i c h e ü b e r 12 J a h r e Mädchen 13—15 Jahre . . 16—20 Jahre . . Knaben 13—15 Jahre . . 16—20 Jahre . .

Calcium

"3 ü

Proteine

Der Nahr ungs bedarf

828

1,8 2,2 2,7 2,5 3,0

15 18 23

75

12 15 70 18 18 100 23 150

60

0,8

12

5000

85 100

1,5 2,0

15 15

6000 8000

1,2 1,5 1,8 1,8 2,3

1,0 1,0 1,0 1,0 1,0

6 7 8 10 12

1500 2000 2500 3500 4500

0,4 0,6 0,6 0,9 0,8 1,2 1,0 1,5 1,2 1,8

4 6 8 10 12

1.3 1,0 1.4 1,4

15 15 15 15

5000 5000 5000 6000

1,4 2,0 1,2 1,8 1,9 2,4 2,3 3,0

14 80 12 80 16 90 20 100

80 75 85 100

30 35 50 60 75

»/

400—800 400—800

400—800

) Hängt stark von der Lebensweise (Sonnenbestrahlung) ab.

Man hat diese zusätzlichen Nahrungsmittel, die nicht in erster Linie wegen ihres Brennwertes, sondern wegen ihres Gehalts an Mineralstoffen und Vitaminen wertvoll sind, als „protective foods" bezeichnet (McCollum). Milch und Eier liefern außerdem bei fleischarmer Ernährung einen wichtigen Beitrag zu den essentiellen Aminosäuren. Über die Bedeutung der „protective foods" sind vor allem von S h e r m a n und Mitarbeitern (an der Columbia University) ausgedehnte, sorgfältige Untersuchungen angestellt worden. Als Versuchstier wurde die weiße Ratte verwendet, deren Ansprüche an die Ernährung, wie sich in zahlreichen Versuchen immer wieder gezeigt hat, denjenigen des Menschen sehr nahe kommen. (Ausnahmen sind der Bedarf des Menschen an Vitamin C und ein höherer Bedarf an Nicotinsäure.) Die Versuche wurden über mehrere Generationen von Ratten fortgesetzt; beobachtet wurden das Wachstum, der Eintritt der Geschlechtsreife, die Fortpflanzungsfähigkeit, Zahl und Entwicklung der Nachkommenschaft, der Eintritt der Senilität, die Lebensdauer. Eine Mischung von Weizenschrot und Trockenmilch im Verhältnis 5 : 1 erwies sich als genügende Nahrung. Die Tiere entwickelten sich mit diesem Futter während mehrerer Generationen in völlig normaler Weise. Es genügt also sicher allen physiologischen Bedürfnissen der Ratte. Dagegen ist dieses Mischungsverhältnis von Grundnahrung (Weizen) und „protective food" (Milch) noch nicht optimal, denn bei Erhöhung des Zusatzes von Trockenmilch trat eine deutliche Verbesserung ein, die sich in einer beschleunigten Entwicklung, größerer Vitalität der erwachsenen Tiere und einer Zunahme der durchschnittlichen Lebensdauer äußerte. Für die

Die Koatformoii

829

Wirkung des Milchzusatzes ist teilweise die vermehrte Ca-Zufuhr verantwortlich, denn auch eine entsprechende Zulage von Ca allein zeigte ein ähnliches Resultat. Ebenso konnte die Diät durch steigende Mengen von Lactoflavin weiter verbessert werden.

Eine wesentliche, aus diesen Versuchen fließende Erkenntnis besteht darin, daß eine für den normalen Lebensablauf und die Fortpflanzung genügende Diät durch Zulage von „protective foods" oder einzelner Bestandteile derselben noch weiter verbessert werden kann; die Verbesserung besteht darin, daß Entwicklung, Größe, Fortpflanzungsfähigkeit, Lebensdauer gegenüber den Kontrollen gesteigert werden. Daraus lassen sich auch für die menschliche Ernährung wichtige Konsequenzen ziehen. Die Grundlage jeder Nahrung muß natürlich eine kalorisch und in bezug auf das Eiweiß genügende tägliche Ration sein. Eine solche Nahrung wird, auch wenn sie dem normalen Ablauf aller Lebensvorgänge völlig genügt und keinerlei Mangelerscheinungen manifest werden läßt, in sehr vielen Fällen noch wesentlich verbessert werden können, wenn der Anteil an „protective foods" — Milch, Gemüse, Früchte — eventuell auch an tierischen Proteinen — Fleisch, Eier — erhöht wird. Es ist sicher, daß eine solche Zulage sich auf das Wachstum der Kinder, die Leistungsfähigkeit, die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, bei der Frau auf die Entwicklung des Kindes während der Gravidität usw. günstig auswirken wird. Das Ziel muß also sein, dem Menschen eine Nahrung zu verschaffen, die neben den Cerealien und Kartoffeln genügende Mengen von tierischem Eiweiß und „protective foods" liefert. Die aus dieser Einsicht entspringenden Probleme sind im wesentlichen wirtschaftlicher Natur. Tierisches Eiweiß, Milch und Milchprodukte, frische Gemüse und Früchte sind, bezogen auf die Einheit der Kalorie, wesentlich teurer als die Massennahrungsmittel Kartoffeln und Getreide; es besteht daher die Gefahr, daß sie in der Nahrung der wenig bemittelten Schichten nur in ungenügender Menge vertreten sind. Tatsächlich lebt heute wahrscheinlich der größere Teil der Erdbevölkerung von Rationen, die weit von der optimalen Zusammensetzung entfernt sind und auch kalorisch in vielen Fällen nahe dem absoluten Minimum liegen. Der geringe Nahrungsverbrauch und die einseitige Ernährungsweise bei vielen Völkern des Orients (Indien, China) braucht keineswegs der Ausdruck eines geringen Bedarfs zu sein, sondern bedeutet vielfach, daß diese Völker in einem Zustand suboptimaler Ernährung, wenn nicht Unterernährung leben. Die große Anpassungsfähigkeit des Organismus gestattet dem Menschen, auch unter suboptimalen Bedingungen zu leben. Je weiter aber die Nahrung nach Zusammensetzung und Menge vom Optimum abweicht, desto häufiger werden Störungen auftreten. Sie werden sich, wenn die Nahrung den minimalen Anforderungen des Körpers gerade noch genügt, zunächst in unbestimmten Symptomen, verminderter Leistungsfähigkeit, geringerer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheit usw., äußern, bis sich schließlich eigentliche Mangelerscheinungen einstellen, wenn die Zufuhr essentieller Faktoren (Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe) oder der kalorische Wert der Nahrung ungenügend wird. Auch ohne daß kalorienmäßig ein eigentlicher Hungerzustand besteht, kann doch der Mangel an Eiweiß und „protective foods" die Leistungsfähigkeit und den Gesundheitszustand einer Bevölkerung stark beeinträchtigen. Es ist sicher, daß in den Kulturstaaten die bessere Ernährung breiter Bevölkerungsschichten großen Anteil an der starken Erhöhung der mittleren Lebenserwartung hat, die im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte in Erscheinung getreten ist.

830

Der ivahrungsbedarf

3. Die Nahrungsmittel Wir geben in diesem Abschnitt eine Übersicht über die wichtigsten Gruppen der Nahrungsmittel. Die tierischen und pflanzlichen Produkte, die unsere Nahrung darstellen, sind komplizierte Giemische verschiedenartiger Stoffe. Es gibt kein Nahrungsmittel, welches für sich allein den Bedarf des Menschen an Nährstoffen, Mineralstoffen und Vitaminen auf die Dauer völlig zu decken vermöchte. Eine optimale Nahrung wird sich daher stets aus verschiedenen Nahrungsmitteln zusammensetzen, die sich gegenseitig ergänzen. Wir schicken der Besprechung der einzelnen Gruppen von Nahrungsmitteln noch einige allgemeine Bemerkungen voraus. Die pflanzlichen Nahrungsmittel enthalten immer einen gewissen Teil nicht verwertbarer Stoffe, deren Gesamtheit in der Lebensmittelchemie als Rohfaser bezeichnet wird. Es sind dies Cellulose, Hemicellulose, Pentosane, Lignin und ähnliche Stoffe. Die Nährstoffe der Pflanzenzelle sind immer von Cellulosemembranen umschlossen und werden erst nach deren Eröffnung zugänglich. Dies geschieht entweder bei der Vorbereitung der Speisen, beim Kochen oder im Darm durch Einwirkung der Mikroorganismen (siehe Abschnitt Verdauung). Ein gewisser Teil der pflanzlichen Nährstoffe entgeht aber stets der Verwertung. Der Ausnutzungsgrad hängt stark von der Beschaffenheit der pflanzlichen Gewebe, der Dicke der Cellulosemembranen usw. ab. Die folgende Tabelle illustriert die verminderte Ausnutzbarkeit der Pflanzennahrung gegenüber der tierischen Nahrung (nach v. N o o r d e n ) : Verlust durch den Kot Fett Kohlehydrat N- Substanz Animalische Kost 3% 4% Gemischte, halb animalische, halb pflanzliche Kost . . . 15% 8% Pflanzliche Kost 25% 30% Die unverdaulichen pflanzlichen Gewebsteile bewirken eine bedeutende Kotmasse bei vegetabilischer Ernährung.

2% 5% 8% Vergrößerung der

Die gleiche Tabelle zeigt, daß auch bei tierischen Nahrungsmitteln ein kleiner Teil der Nährstoffe der Absorption entgeht. Dafür sind verschiedene Paktoren verantwortlich. Eine große Rolle spielt die mechanische Zerkleinerung der Nahrung beim Kauen. Bindegewebe, das besonders in drüsigen Organen (Leber, Niere, Thymus usw.) vorkommt, wird, wenn es nicht fein zerkleinert ist, von den Verdauungssäften nur langsam angegriffen. Auch die Zubereitungsart der Nahrungsmittel ist wichtig; Backen in Fett erschwert im allgemeinen die Verdauung, weil die umhüllende Fettschicht den Zutritt der Verdauungsfermente erschwert und erst aufgelöst werden muß. Fettsäuren können dadurch verlorengehen, daß sie als unlösliche Kalkseifen gefallt werden. In vielen Fällen ist also nicht die gesamte, durch die chemische Analyse angezeigte Menge der Nährstoffe für den Organismus zugänglich und verwertbar. Dies gilt besonders auch für gewisse Mineralstoffe. Z. B. kann das Calcium der Pflanzennahrung nicht vollständig ausgenutzt werden, weil es in die unlöslichen Cellulosemembranen eingeschlossen ist. Auch vom Eisen ist immer nur ein Teil zugänglich. Hämoglobin- oder Hämatineisen z. B., wie es sich in tierischen Geweben findet, ist

831

Die Nahrungsmittel

nur zum kleinen Teil verwertbar, weil es in Form sehr stabiler Komplexe vorhanden ist. Man bezeichnet das Verhältnis der im Darm absorbierten Nährstoffe zur Gesamtmenge der mit der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe als Ausnutzuiigskoeifizient. Bei der Bewertung eines Nahrungsmittels sind die folgenden Eigenschaften zu berücksichtigen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Zusammensetzung (Gehalt an Kohlehydrat, Fett, Protein); Kalorischer Wert; Natur der Proteine (Gehalt an essentiellen Aminosäuren); Natur der Fette (Gehalt an ungesättigten Fettsäuren); Mineralstoffgehalt; Vitamingehalt; Ausnutzbarkeit (Gehalt an Rohfaser, Verdaulichkeit der einzelnen Bestandteile).

Einer besonderen Erwähnung bedarf noch der Einfluß der verschiedenen Nahrungsmittel auf den Säure- und Basenhaushalt des Körpers. Bei der Oxydation von Salzen organischer Säuren (Citronensäure, Äpfelsäure usw.) bleibt ein Überschuß von Kationen bestehen, die vom Organismus neutralisiert und ausgeschieden werden müssen. Andererseits wird der Schwefel der Proteine zu Schwefelsäure oxydiert, welche ebenfalls neutralisiert und ausgeschieden werden muß. Im allgemeinen sind aber die bei der Oxydation der Nahrung frei werdenden starken Basen und Säuren einander nicht äquivalent, sondern es bleibt ein Überschuß der einen oder anderen. Daher stellt jede Nahrung eine Belastung des Säure- und Basenhaushaltes dar. Wir haben früher schon besprochen, auf welche Weise der Organismus den Überschuß der sauren oder basischen Äquivalente eliminiert und das Säure-Basen-Gleichgewicht aufrechterhält (S. 548 u. ff.). Im allgemeinen produziert vegetabilische Nahrung einen Überschuß von Basen, animalische Nahrung einen Überschuß von Säuren. Die folgende Tabelle zeigt einige typische Beispiele:

Nahrungsmittel (roh)

Müch Käse Fleisch Eier Eiklar Eigelb Brot Reis Kartoffeln Kohl Bohnen (getrocknet) Erbsen (getrocknet) Äpfel Zitronen, Orangen

Überschuß von S