232 14 63MB
German Pages 743 [744] Year 1952
EDLBACHER-LEUTHARDT
LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE
S.
E D L B A C H E R
—
F.
L E U T H A R D T
LEHRBUCH DER
PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE 10., wesentlich vermehrte und verbesserte Auflage völlig neubearbeitet von FRANZ
LEUTHARDT
Ordentlicher Professor an der Universität Zürich
Mit
55
Abbildungen
1952 W A L T E R
D E
G R U Y T E R
&
CO.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
Berlin W35
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1952 by Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J . Trübner / Veit & Comp.
Berlin W 35 Archiv-Nr. 51 04 52
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Vorwort
Der verdiente Begründer des „Kurzgefaßten Lehrbuches der physiologischen Chemie", Prof. Dr. S. E d l b a c h e r , ist im Mai 1946 in Basel verstorben. Im gleichen Jahr kam die 9. Auflage seines Lehrbuches heraus. Sie hatte wegen der Ungunst der Zeit die jüngsten Fortschritte der physiologischen Chemie nur zum geringen Teil berücksichtigen können, und es drängte sich daher für die 10. Auflage eine völlige Neubearbeitung des Buches auf. Die rasche Entwicklung der physiologischen Chemie in den vergangenen Jahren hat den Stoff so stark anwachsen lassen, daß auch bei Beschränkung auf das Wesentliche eine Darstellung im Rahmen des früheren Lehrbuches nicht mehr möglich war. Sein Umfang mußte daher beträchtlich erweitert werden. Die hauptsächlichste Schwierigkeit bei der Abfassung eines derartigen Lehrbuches liegt in der Auswahl des Stoffes. Die biochemische Wissenschaft ist heute in raschem Fortschreiten begriffen und erobert beständig neue Gebiete. Es gibt natürlich einen Grundstock von gesichertem Tatsachenmaterial, der jeder Darstellung zugrunde gelegt werden muß. Wie weit aber daneben die zahlreichen Anwendungen der physiologischen Chemie in Biologie und Medizin berücksichtigt werden müssen und wie weit neue, sich erst anbahnende Entwicklungen schon für eine lehrbuchmäßige Darstellung geeignet sind, ist eine Ermessensfrage, die jeder auf seine eigene Weise lösen wird. Dem vorliegenden Buch liegen im großen und ganzen die Vorlesungen zugrunde, die ich seit 1942 in Genf und später in Zürich für die Studenten der Medizinischen Fakultät gehalten habe. Der erste Teil, der die Chemie der Naturstoffe behandelt, ist knapp gehalten. Auf Konstitutionsbeweise, Synthesen usw. wurde nirgends eingegangen. Ihre Kenntnis ist für den Mediziner entbehrlich; der Chemiker wird diese Dinge ohnehin in den ausführlichen chemischen Lehrbüchern nachlesen. Auch die deskriptiven Teile des Buches, in welchen die chemische Zusammensetzung der Organe und Körperflüssigkeiten besprochen werden, beschränken sich auf das Notwendigste. Einzig das Blut ist wegen seiner großen Bedeutung für die Klinik ziemlich ausführlich behandelt worden. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Stoffwechselvorgänge. Alle Lebenserscheinungen wurzeln letzten Endes im Stoffwechsel; die moderne Biologie und Medizin nehmen eine Entwicklung, in welcher die chemische Betrachtungsweise immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist daher der Besprechung der grundlegenden biochemischen Reaktionen, und des Intermediärstoffwechsels ein breiter Raum eingeräumt worden. Auch die Vitamine werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung als Stoffwechselfaktoren gewürdigt. Die Abschnitte über die innere Sekretion enthalten eine Darstellung der chemischen und physiologischen Grundtatsachen, wobei hauptsächlich auch die Fragen berück-
Vorwort
VI
sichtigt wurden, die für das Verständnis der klinischen Endokrinologie wichtig sind. Es war überhaupt im ganzen Buch mein Bestreben, die für den Kliniker wichtigen Probleme der Biochemie besonders hervorzuheben. Der Basler Physiologe Fr. Mies e h e r schrieb 1874 an einen Freund: „Die physiologische Chemie besteht aus einem solchen Haufen unzusammenhängender Facta, daß es wenig Sinn hat, noch mehr Häckerling hinzutun zu wollen." Die Kenntnis biochemischer Erscheinungen hat seither große Fortschritte gemacht; aber es gibt auch heute noch auf allen Gebieten der Biochemie zahlreiche isolierte Tatsachen, die wir vorläufig zur Kenntnis nehmen müssen, ohne sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Andererseits aber vermögen wir heute doch viele Gebiete soweit zu überblicken, daß wir die grundlegenden biochemischen Vorgänge sinnvoll in den Rahmen des gesamten physiologischen Geschehens einordnen können. Ich habe mich bemüht, die biochemischen Vorgänge soweit als möglich nicht als isolierte Facta, als „Häckerling", darzubieten, sondern ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Bedeutung für die allgemeinen Lebenserscheinungen aufzuzeigen. Von Hinweisen auf die Originalliteratur wurde abgesehen. In vielen Fällen wurde, besonders wenn es sich um neuere Untersuchungen handelt, der Name der Autoren beigefügt, um dem im biochemischen Schrifttum bewanderten Leser einen Hinweis zu geben. Ich möchte nicht verfehlen, Frl. M. A m s l e r für ihre treue Hilfe bei der Ausarbeitung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Z ü r i c h , im Mai 1952. F. L e u t h a r d t
Inhalt
Seite
Einleitung I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile
XV
. .
1
1. Kapitel. Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur 2. Monosaccharide A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen B. Stereochemie der Zucker C. Ringstruktur der Zucker D. Die verschiedenen Gruppen der Monosaccharide 3. Disaccharide 4. Polysaccharide 5. Pectin, Agar-Agar, Lignin 6. Mucopolysaccharide
1 1 3 3 6 13 17 23 26 29 29
2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide
31
1. Fette A. Bausteine B. Struktur der Fette 2. Wachse 3. Phosphatide und Cerebroside A. Phosphatide B. Cerebroside 3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine 2. Gallensäuren 3. Carotinoide (Lipochrome) 4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine 1. Aminosäuren A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren B. Derivate der Aminosäuren C. Die einzelnen Aminosäuren a) Monoaminomonocarbonsäuren b) Mtmoaminodicarbonsäuren c) Diaminomonocarbonsäuren d) Heterocyklische Aminosäuren D. Die Stereochemie der Aminosäuren E . Quantitative Bestimmungsmethoden der Aminosäuren 2. Peptide 3. Eiweißkörper A. Einteilung der Eiweißkörper B . Reaktionen der Proteine a) Fällungsreaktionen b) Farbreaktionen C. Die Analyse der Eiweißkörper D. Die Struktur der Proteine E . Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proteine
31 31 33 35 35 35 39 40 40 44 46 49 49 50 52 54 54 58 58 60 62 64 67 72 73 76 76 77 78 80 87
Inhalt
VIII
Seite
a) Die Proteine als Elektrolyte b) Das Eiweißmolekül als Dipol c) Elektrophorese d) Die Löslichkeit der Proteine e) Die Anwendung der Phasenregel auf Eiweißlösungen f) Die Wechselwirkung zwischen Salzen und Proteinen F. Das Molekulargewicht der Proteine
88 91 93 95 96 97 100
5. Kapitel. Die Nucleinsäuren 1. Allgemeines 2. Das Kohlehydrat 3. Die stickstoffhaltigen Bausteine A. Purinkörper B. Pyrimidinkörper 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren 5. Die Struktur der Nucleinsäuren
102 102 103 103 103 106 106 108
I I . Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen 6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze 1. Die Gesetze der verdünnten Lösungen A. Die ideale Lösung B. Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels C. Gefrierpunktsdepression D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E. Osmotischer Druck 2. Elektrolyte 3. Die Phasenregel 4. Massenwirkungsgesetz; Aktivität der Ionen
110 110 110 110 110 111 . . . .112 112 114 116 118
7. Kapitel. Säuren und Basen ]. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen 2. Pufferlösungen 3. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration
122 123 129 130
8. Kapitel. Oxydation und Reduktion 1. Der Begriff der Oxydation 2. Das Oxydations-Reduktionspotential 3. Redoxindikatoren
133 133 136 142
9. Kapitel. Kolloidchemie; Grenzflächen
143
1. Sole und Gele 2. Adsorption 3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie . . . . A. Die Chromatographie B. Verteilungschromatographie; Papierchromatographie C. Ionenaustauscher I I I . Teil. Der Stoffwechsel 10. Kapitel. Die Fermente 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente 2. Chemische Natur der Fermente A. Allgemeine Eigenschaften der Fermente B. Reindarstellung der Fermente 3. Verbindung von Ferment und Substrat
145 147 150 150 152 154 156 156 156 161 162 164 166
Inhalt 4. Einteilung der Fermente 5. Hydrolasen A. Desaminasen B. Proteasen C. Esterasen D. Carbohydrasen a) Hexosidasen b) Polyasen
XX Seite
170 171 172 174 184 187 187 189
11. Kapitel. 1. Die 2. Das 3. Die 4. Die 5. Die 6. Die 7. Die
Die biologische Oxydation Oxydationsfermente; Allgemeines „sauerstoffübertragende" Ferment Cytochrome Katalase Peroxydasen Phenoloxydasen Dehydrierung der organischen Stoffe; WasserstoffÜberträger
191 191 193 197 199 200 201 203
12. Kapitel. 1. Der 2. Der 3. Der 4. Das 5. Die 6. Der 7. Der
Die Verdauung Speichel Magensaft Pankreassaft Sekretin Galle Darmsaft allgemeine Verlauf der Verdauung
216 217 219 222 223 224 226 226
13. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels Anwendung der Isotope der biologischen Elemente
230 235
14. Kapitel. Der Fettstoffwechsel 1. Die Verdauung der Fette 2. Absorption 3. Abtransport und Deponierung 4. Der Abbau der Fette 5. Der Chemismus der ß-Oxydation; Bildung der Acetonkörper 6. Die biologische Synthese der Fettsäuren 7. Die Bedeutung der C 2 -Fragmente im Stoffwechsel der Fettsäuren 8. Ort der Fettsäuresynthese 9. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren 10. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel 11. Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen 12. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren
244 244 244 245 247 250 254 256 257 258 258 261 261
15. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwecljsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate 2. Allgemeines über den Kohlehydratabbau 3. Der Blutzucker 4. Der Abbau der Kohlehydrate A. Alkoholische Gärung und Glycolyse B . Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese C. Der Stoffwechsel der Galactose und der Ribose D. Der oxydative Abbau der Kohlehydrate: Der Tricarbonsäurecyklus . . .
263 263 266 266 267 268 278 282 284
Inhalt 5. 6. 7. 8.
Die Fixierung des Kohlendioxyds Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Glueoneogenese . . . . Weitere Produkte des Kohlehydratstoffwechsels Verteilung und Verbrauch der Kohlehydrate im Organismus; die Regulation des Blutzuckers 9. Der Diabetes mellitus 10. Der Stoffwechsel der Tumoren
Seite
294 297 304 306 319 324
16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel 325 1. Aufnahme der Eiweißkörper 325 A. Die Verdauung der Eiweißkörper 325 B. Resorption und Speicherung 326 2. Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper 327 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 335 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren 340 A. Phenylalanin und Tyrosin 340 B. Tryptophan . . . 345 C. Histidin 348 D. Cystin (und Cystein), Methionin 351 E. Arginin 354 F. Prolin 356 G. Serin und Threonin 357 H. Glycocoll 357 5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe 358 6. Aminosäuren und Entgiftungs-(Detoxikations-)vorgänge 362 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung 366 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren 372 9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum 375 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine 377 11. Das Stickstoffgleichgewicht 378 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas 379 13. Die Synthese der Proteine 382 14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel 386 17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel 1. Abbau und Synthese der Nucleotide 2. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper
388 389 392
18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung 395 1. Thermodynamische Vorbemerkungen 395 2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen 399 3. Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung 403 4. Oxydative Phosphorylierung 405 5. ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge 409 a) Die Muskelkontraktion 410 b) Phosphokreatin 410 c) Hexokinasereaktion 410 d) Bildung der glycösidischen Bindung 411 e) Acetylierung, Citronensäure- und Fettsäuresynthese 412 f) Säureamid- und Peptidbindung 415
Inhalt
XI
IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe . . . . 19. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt 1. 2. 3. 4.
417
Verteilung des Wassers und der Ionen 418 Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor 425 Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren . . . 426 Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes 430
20. Kapitel. Das Blut 1. 2. 3. 4. 5.
430
Zusammensetzung Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts Die Plasmaproteine Die Blutgerinnung Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff
430 434 439 446 451
A. Das Hämoglobin a) Allgemeine Eigenschaften b) Die Porphyrine c) Das Globin d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins e) Die eisenhaltigen Fermente
451 451 453 457 458 462
B. Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel c) Die Bedeutung des Kupfers f ü r die Hämoglobinbildung d) Andere Nahrungsfaktoren
464 464 466 468 469
C. Der Abbau des Blutfarbstoffes a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff
470 470 473
6. Die Porphyrie
478
21. Kapitel. Niere; Urin 1. 2. 3. 4. 5.
s
Seite 417
Die Harnsekretion Die „Clearance" Der Stoffwechsel der Niere Niere und Blutdruck Der H a r n ; seine wichtigsten Bestandteile A. Harnstoff B. Kreatinin und Kreatin C. Harnsäure D. Aminosäuren E . Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) F. Kohlehydrate G. Proteine H . Farbstoffe des Urins a) Blutfarbstoff b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen" c) Porphyrine d) Uroerythrin
E (11 bac h c r-Leu t h aril t , LelnLudi. 10. Aull.
479
'
479 481 484 484 485 486 486 487 488 488 493 495 496 496 496 497 497
Inhalt
XII
Seite
I. K. L. M.
e) Urorosein f) Melanine g) Ehrlich sehe Diazoreaktion Wirkstoffe Anorganische Stoffe, Säuren und Basen Harnsediment und Harnsteine Das Sperma
22. Kapitel. Muskel- und Nervensystem 1. Muskel A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels B. Die Proteine des Muskels C. Der Kreatinstoffwechsel 2. Das Nervensystem A. Nervenleitung B. Stoffwechsel der Nerven C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven
497 498 498 498 499 500 502 503 503 503 508 512 514 514 517 517
23. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe 2. Haut und Bindegewebe 3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens B. Verkalkung des Knochens C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve
518 518 521 523 523 525 528 530
24. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)
533
V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen 25. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe 2. Die entwicklungsmechanische Induktion 26. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone 1. Chemische und nervöse Steuerung 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion 3. Die Schilddrüse A. Chemie des Schilddrüsenhormons B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons C. Hemmung der Schilddrüse durch synthetische Stoffe D. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse E. Störungen der Schilddrüsenfunktion 4. Die Nebenschilddrüsen A. Wirkungen des Parathormons B. Klinische Bedeutung 5. Die Nebennierenrinde A. Ausfallserscheinungen
539 539 542 544 546 546 548 550 550 553 555 556 557 558 559 560 561 561
Inhalt
XIII Seite
6. 7. 8.
9.
10.
B. Die Bindenhormone C. Die biologische Wirkung der Rindenhormone D.-Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse E. Addisonsche Krankheit F. Bildung der Sterinhormone in der Nebennierenrinde Das Nebennierenmark Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas Die Hypophyse A. Übersicht B. Das Wachstumshormon C. Funktionen des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse) D. Funktionen des Mittellappens Die endokrine Steuerung der Fortpflanzungsvorgänge A. Die gonadotropen Hormone der Hypophyse und der Placenta B. Die Östrogenen und androgenen Hormone C. Das Gelbkörperhormon D. Der Genitalcyklus E. Gravidität Geschlechtsbestimmung durch chemische Faktoren
VI. Teil. Die Ernährung 27. Kapitel. Die Vitamine 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
562 563 566 568 568 570 571 571 571 574 575 576 577 577 580 585 591 594 595 600 600
Einleitung; Übersicht 600 Vitamin A 604 Die D-Vitamine 607 Vitamin E 612 Vitamin K 614 „Vitamin F " 616 Vitamin B x 616 Vitamin B 2 620 Vitamin B„ 623 Antipellagra-Vitamin 626 Biotin (Vitamin H) 629 Mesoinosit (i-Inosit) 632 Pantothensäure 632 Die Folsäuregruppe 634 p-Aminobenzoesäure und Sulfanilamid; Theorie der „Antivitamine" . . . . 640 Vitamin B l a . . 643 Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe 646 Vitamin C 749 Vitamin P 654
28. Kapitel. Die Spurelemente
654
1. Allgemeines 2. Einzelne Spurelemente A. Kupfer B. Kobalt
654 656 756 657
XIV
Inhalt Seite
C. Zink D. Mangan 3. Die Spurelemente als Nahrungsfaktoren 29. Kapitel. Der Nahrungsbedarf 1. Die Herkunft der organischen Nährstoffe 2. Der Energiestoffwechsel A. Das Isodynamiegesetz B. Der respiratorische Quotient C. Berechnung des Energieumsatzes D. Der Grundumsatz (Basalstoffwechsel) E. Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe 3. Die Kostformen 4. Die Nahrungsmittel A. Milch und Milchprodukte B. Fleisch C. Nahrungsfette D. Cerealien E. Zucker und Süßigkeiten F. Kartoffeln G. Blattgemüse H. Leguminosen I. Früchte 5. Die allgemeine Bedeutung der Ernährungslehre Zusammensetzung einiger Proteine (Tabelle)
658 658 658 661 661 664 664 669 670 671 673 676 680 683 686 686 688 690 690 691 691 692 693 696
Ergänzungen und Nachträge
698
Bibliographische Hinweise Sachregister
702 704
Einleitung
Die Aufgabe der physiologischen Chemie liegt in der Erforschung des stofflichen Aufbaus und der chemischen Umsetzungen der lebenden Substanz. Wenn wir die Entwicklung der physiologischen Chemie aus ihren Anfängen verfolgen, so erkennen wir, daß sie hauptsächlich drei verschiedene Forschungsrichtungen in sich vereinigt. Als erste ist die chemische Erforschung der Naturstoffe zu nennen. Die „organische" Chemie war ursprünglich derjenige Zweig der Chemie, der sich mit den Produkten des Tier- und Pflanzenreiches befaßte. Organische und physiologische Chemie waren also in ihren Anfängen identisch. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auf Grund der herrschenden naturphilosophischen Anschauungen der Glaube allgemein verbreitet, daß die Verbindungen organischen Ursprungs nur durch die Tätigkeit der lebenden Organismen gebildet werden könnten. Die Harnstoffsynthese W ö h l e r s (1820), welcher in rascher Folge die Darstellung weiterer organischer Verbindungen folgte, erbrachte den Beweis, daß die Bedingungen für die Entstehung „organischer" Stoffe auch in vitro realisierbar sind. Auch heute noch stellt die Erforschung der chemischen Konstitution der Naturstoffe einen wichtigen und für die physiologische Chemie grundlegenden Zweig der chemischen Forschung dar. Es ist klar, daß die genaue Kenntnis der Stoffe, welche die lebende Substanz aufbauen, die erste Voraussetzung für das Verständnis der biochemischen Vorgänge ist. Wir sehen denn auch, daß die physiologische Chemie auf allen ihren Entwicklungsstufen den Stand der organischen Chemie widerspiegelt. Die Lösung der biochemischen Probleme konnte immer nur soweit gefördert werden, als die Chemie dazu den Boden vorbereitet hatte. Umgekehrt hat aber auch die chemische Forschung von der Biologie starke Impulse empfangen; insbesondere ist in neuerer Zeit durch die Entdeckung der Hormone und der Vitamine die organische Chemie vor neue Aufgaben gestellt und in mancher Hinsicht gefördert worden. Eine andere Forschungsrichtung hat ihren Ausgangspunkt in der Physiologie. Zwar ist für das Verständnis vieler physiologischer Funktionen der stoffliche Aufbau der Organe nur von sekundärer Bedeutung. Zum Beispiel können die Bewegungen des Körpers aus dem Bau des Skeletts und der Anordnung der Muskeln erklärt werden, ohne daß man dabei auf den Stoffwechsel der Muskeln oder den chemischen Aufbau der Knochen Bezug zu nehmen braucht. Für das Verständnis des dioptrischen Apparates des Auges ist die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der brechenden Medien unnötig, wenn man nur ihre Brechungsexponenten und die Lage und Krümmung der brechenden Flächen kennt. Auch die Organisation des Nervensystems kann völlig verstanden werden, ohne daß man über die feineren chemischen Vorgänge der Nervenleitung etwas wissen muß, usw. Die Physiologen sind aber schon sehr früh auch auf Erscheinungen gestoßen, die ihrer Natur nach chemische Vorgänge sind oder bei denen jedenfalls chemische Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierher gehören z. B. die Atmung, die Assimilation der Kohlensäure durch die grünen Pflanzen, die Verdauung der Nahrung beim Tier, die Umwandlung der Nährstoffe in die Körper-
XVI
Einleitung
substanz, die Bildung der Sekrete und Exkrete, die Gärung und die Fäulnis organischer Substanzen, die Blutgerinnung und vieles andere mehr. Als eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen muß wohl die Feststellung L a v o i s i e r s gelten, daß im Tierkörper Verbrennungen stattfinden, durch welche Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebildet wird. Diese Entdeckung bewies, daß einer der grundlegenden Lebensprozesse, nämlich die Respiration und die Bildung der tierischen Wärme, chemischer Natur ist. In dem Maße, wie die Kenntnis der organischen Stoffe fortschritt, wurden auch immer mehr chemische Umsetzungen bei Tieren und Pflanzen bekannt; man erkannte allmählich, daß die ständige Umwandlung der Nährstoffe und Baustoffe, Aufbau und Verbrennung zum Wesen der Lebensvorgänge gehören. L i e b i g sprach die „tiefe Überzeugung aus, daß die Chemie allein in die Lebensprozesse Licht zu bringen vermag"; Th. Schwann hat (1839) die Gesamtheit der chemischen Umwandlungen, die sich in den lebenden Zellen oder durch die Aktivität der Zellen im umgebenden Milieu abspielen, unter dem Namen der „metabolischen Erscheinungen" zusammengefaßt (vom griechischen TÖ |IETAßOAIKOV, was Umwandlungen hervorbringt oder erleidet). Wir bezeichnen die Summe dieser Reaktionen heute als den Stoffwechsel. Das Studium der Stoffwechselvorgänge bildet einen der wichtigsten Gegenstände der biochemischen Forschung. Man erkannte schon frühzeitig, daß viele Stoffe im Tierkörper oder in der Pflanze, also im Kontakt mit der lebenden Substanz, andersartig reagieren als im Reagensglas. Die auffallendste Tatsache besteht darin, daß Verbindungen, die in wässeriger Lösung und bei Körperwärme durchaus stabil sind und keinerlei Veränderungen zeigen, in den tierischen Geweben Spaltungen erleiden oder durch den Luftsauerstoff oxydiert werden. B e r z e l i u s vermutete eine besondere „katalytische K r a f t " als Ursache dieser Erscheinung. Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den Begriff der „Katalyse" zu präzisieren. Wir wissen aber heute, daß die biochemischen Umsetzungen tatsächlich katalytische Reaktionen sind; sie werden durch besondere, von den Organismen produzierte Stoffe, die Fermente, hervorgerufen. Der Entdeckung der Fermentwirkungen entsprang die Aufgabe, nicht nur die Umwandlungen festzustellen, welche die organischen Moleküle im Stoffwechsel erleiden, sondern auch die Natur und die Wirkungsweise der Stoffe zu erforschen, welche diese Umwandlungen ermöglichen und daher als die chemischen Werkzeuge der Organismen betrachtet werden können. Es entstand auf diese Weise ein neuer Zweig der biochemischen Forschung: die Fermentchemie. Sie bildet heute das eigentliche Kernstück der Biochemie, weil jede Stoffwechselreaktion schließlich auf die Tätigkeit bestimmter Fermente zurückgeht. Unter den chemischen Problemen der Physiologie, die wir oben genannt haben, ist die Ernährung eines der wichtigsten. Die Frage, worin die Bedeutung der Nährstoffe besteht und auf welche Weise sie in die Körpersubstanz umgewandelt werden, hat seit der Zeit L a v o i s i e r s die Chemiker und Physiologen intensiv beschäftigt und hat viel zur chemischen Erforschung der Lebens Vorgänge beigetragen. Auf die Entwicklung der modernen Ernährungslehre sind vor allem die Arbeiten J. v. L i e bigs von großem Einfluß gewesen. L i e b i g hat die Bedeutung der Proteine klargestellt, indem er zeigte, daß sie als „plastische" Nährstoffe dem Aufbau der Körpersubstanz dienen; erstellte sie den Kohlehydraten und Fetten als den eigentlichen „Brennstoffen" des Körpers gegenüber; er hat die Bedeutung der Mineralstoffe für die Ernährung der Pflanzen und Tiere erkannt und hat schließlich als erster auf die großen Zusammenhänge zwischen pflanzlichem und tierischem Leben der Stoffe in der Natur hingewiesen. Seine Ideen wirkten in mancher Richtung weiter und befruchteten die Forschung der nachfolgenden Generation.
Einleitung
XVII
Eine spätere Arbeitsrichtung, die in ihren ersten Anfängen ebenfalls auf L a v o i sier und L i e b i g zurückgeht, beschäftigte sich mit dem energetischen Aspekt der Ernährung. Sie hat die Methoden zur Erforschung der Energiebilanz geschaffen und gipfelt einerseits im Beweis, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik auch für die Organismen gilt, andererseits im Rubnerschen Isodynamiegesetz. Etwa zu Beginn des Jahrhunderts, in ihren ersten Ansätzen schon etwas früher, setzten die Arbeiten ein, welche schließlich zur Entdeckung der Vitamine und der übrigen essentiellen Nahrungsfaktoren führten. Diese Arbeiten zeigten, daß der Nahrungsbedarf der Tiere durch die bisher bekannten Nährstoffe und Mineralstoffe nicht gedeckt werden kann, sondern daß der tierische Organismus noch kleiner Mengen besonderer organischer Verbindungen bedarf, die er offenbar nicht selbst aufbauen kann. Die meisten dieser Verbindungen sind als Bestandteile von Fermentsystemen, als Cofermente, erkannt worden. Sie haben also katalytische Funktionen und daraus erklärt sich ihre Wirksamkeit in Mengen, die verglichen mit dem Bedarf an Bau- oder Brennstoffen sehr klein sind. In ähnlicher Richtung bewegten sich die Untersuchungen über den Nährwert der Proteine. Sie haben zur Kenntnis geführt, daß den höheren Tieren eine Anzahl Eiweißbausteine in der Nahrung zugeführt werden müssen, weil der tierische Organismus zu deren Synthese nicht fähig ist. Diese Verbindungen stellen also die eigentlichen „plastischen" Nährstoffe L i e b i g s dar. Mit den Vitaminen lassen sich gewisse Metalle wie Kupfer, Mangan, Kobalt, oder Nichtmetalle wie Jod und Bor vergleichen, die in den pflanzlichen und tierischen Geweben zwar nur in kleinsten Mengen vorkommen, aber trotzdem lebensnotwendig sind. Man faßt sie gewöhnlich unter dem Namen der Spurelemente oder Oligoelemente zusammen. Die Auffindung der Vitamine stellte die Forschung vor zwei Aufgaben: die Aufklärung ihrer chemischen Struktur und ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel. Die erste Aufgabe ist von den Chemikern weitgehend gelöst worden. Auch über ihre Funktion im Stoffwechsel wissen wir in vielen Fällen Bescheid. Wir kennen eine Reihe von Fermentsystemen, an welchen Vitamine als Cofermente beteiligt sind. Es zeigt sich, daß sie alle in die grundlegenden Stoffwechselprozesse der Zelle eingreifen und wahrscheinlich für alle Organismen, Tiere und Pflanzen, Bedeutung haben. Die Vitaminforschung hat sich heute weitgehend mit der Fermentforschung vereinigt. Die modernen Untersuchungen über unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine und Spurelemente bringen die mehr als ein Jahrhundert dauernden Bemühungen zu einem gewissen Abschluß, den Nahrungsbedarf der Pflanzen und Tiere chemisch exakt zu definieren. Eine große Zahl chemischer Fragen ergab sich ferner aus der Entdeckung der inneren Sekretion. Es ist, beginnend mit dem Adrenalin, der organischen Chemie gelungen, einen beträchtlichen Teil der bekannten Hormone in reinem Zustand zu isolieren und ihre Struktur aufzuklären. In ähnlicher Weise wie bei den Vitaminen stellt sich auch hier die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Stoffe, die als „chemische Sendboten" von den innersekretorischen Drüsen ans Blut abgegeben werden. Da alle Hormone spezifisch auf bestimmte Gewebe oder bestimmte Vorgänge einwirken, muß sich ihre biologische Aktivität letzten Endes auch als chemische Reaktion verstehen lassen. Unsere Kenntnisse sind hier allerdings noch sehr dürftig.
XVIII
Einleitung
Eine Reihe von biochemischen Problemen hat schließlich ihre Quelle in der Beobachtung des Kranken in der Klinik. Jeder krankhafte Prozeß ist von lokalen oder allgemeinen Änderungen der Stoffwechselvorgänge begleitet und gibt daher Gelegenheit zur Beobachtung biochemischer Erscheinungen. Besonders auffällig sind vielfach die Veränderungen der Exkrete; die Trübung des Harnes im Fieber, das Auftreten bestimmter Pigmente, die Ausscheidung von Zucker, der Ammoniakgeruch des Atems bei Nierenkranken, der Acetongeruch bei Zuckerkranken sind den Ärzten schon sehr lange bekannt. Viele den Stoffwechsel betreffende Fragestellungen sind denn auch von der Klinik ausgegangen. So haben z. B. die Bemühungen um die Aufklärung der Zuckerkrankheit die Erforschung des Kohlehydratstoffwechsels in mannigfacher Weise angeregt und gefördert; der Untersuchung der seltenen Alkaptonurie sind wichtige Erkenntnisse über den Abbau der Aminosäuren entsprungen, das Auftreten der Porphyrine im Harn hat den Anstoß zur Erforschung der Hämine gegeben usw. Eine große Rolle haben vor allem auch die endokrinen Störungen gespielt. Verschiedene den Ärzten seit langem bekannte Krankheitsbilder haben sich als Folge einer mangelnden oder einer überschießenden Produktion bestimmter Hormone zu erkennen gegeben (auch die Zuckerkrankheit gehört dazu). Die Klinik hat schon früh der Physiologie eine Reihe von Hinweisen auf die Bedeutung der heute als endokrine Drüsen bezeichneten Organe gegeben, ehe man sich über deren Funktion eine genaue Vorstellung machen konnte. Schließlich waren die Mangelkrankheiten wie der Skorbut oder die Beriberi einer der Ausgangspunkte für die Erforschung der Vitamine. Die physiologische Chemie gewinnt heute für viele Zweige der Medizin eine steigende Bedeutung, sei es für das Verständnis der Krankheitserscheinungen, sei es für die Diagnostik oder die Therapie. Je mehr sich die Kenntnis der Stoffwechselreaktionen vertieft, desto eher wird es auch möglich sein, die den krankhaften Zuständen zugrunde liegenden chemischen Vorgänge zu erfassen. Die vorstehenden Hinweise dürften genügen, um das Gebiet der physiologischen Chemie in großen Zügen zu umschreiben. Sie ist ein Grenzgebiet zwischen der Chemie, der Physiologie und der Medizin. Wir fassen sie hier aber in erster Linie als eine b i o l o g i s c h e Wissenschaft auf, d.h. wir betrachten die chemischen Vorgänge in den Organismen als eine ihrer Lebensäußerungen und suchen, soweit dies heute schon möglich ist, ihre Bedeutung im Rahmen der gesamten physiologischen Funktionen zu erfassen. Die physiologische Chemie ist daher nicht ein Teilgebiet irgendeiner der anderen biologischen Wissenschaften in dem Sinne, daß sie sich nur mit einzelnen Funktionen oder Organen beschäftigen würde. Sie umfaßt die Gesamtheit der Lebenserscheinungen, soweit dieselben als chemische Vorgänge begriffen werden können. Natürlich ist auch diese Betrachtungsweise einseitig und vermag nur einen einzelnen beschränkten Aspekt der Lebenserscheinungen zu geben. Da aber die Vorgänge, durch welche die lebende Substanz sich selbst erhält, ihrem Wesen nach chemischer Natur sind, führt uns die physiologische Chemie bis an die Grundlagen der Lebenserscheinungen heran, soweit diese naturwissenschaftlich überhaupt erfaßt werden können. Das Gebiet der physiologischen Chemie umfaßt somit die Strukturen molekularer Größenordnung und die Vorgänge, die sich innerhalb dieser Strukturen abspielen. Die organischen Moleküle sind die letzten Struktureinheiten der lebenden Substanz. Aus ihnen bauen sich zunächst die Makromoleküle auf — Proteine, polymere Kohlehydrate, Nucleinsäuren — und aus diesen schließlich die mikroskopisch sichtbaren Strukturen der Zellen und der Gewebe. Der Aufbau der Makromoleküle aus ihren Bau-
Einleitung
XIX
steinen erfolgt nach einer bestimmten Ordnung, und ebenso ordnen sich die Makromoleküle in bestimmter Weise zu den mikroskopisch wahrnehmbaren Gebilden, den Zellen und ihren Beistandteilen, und diese wieder zu den Geweben und Organen zusammen. Es ist also in den Organismen ein geordneter Aufbau vorhanden, der von den Molekülen bis zu den sichtbaren Strukturen führt. Es besteht eine Art morphologischer Hierarchie, in welcher jedes Strukturelement in ein Gebilde höherer Ordnung eingefügt ist. Man kann daher auch denjenigen Teil der physiologischen Chemie, der sich mit dem Aufbau der Makromoleküle und der Zellbestandteile beschäftigt, der Morphologie zurechnen. Im Gebiet der Feinstruktur der Zelle verschmilzt die Morphologie mit der Chemie. Wir stoßen hier auf ein altes Problem, das Problem der Protoplasmastruktur, das die Biologie beschäftigt hat, seitdem es eine Zellenlehre gibt. Wie sind die verschiedenartigen physiologischen Leistungen, zu der die einzelne Zelle befähigt ist, überhaupt möglich ? Die älteren Cytologen konnten sich nicht vorstellen, daß die zahlreichen chemischen Umsetzungen, welche den Lebensvorgängen zugrunde liegen, in geordneter Weise nebeneinander ablaufen könnten, wenn man das Protoplasma als homogene Substanz voraussetzt. Sie suchten deshalb nach mikroskopisch differenzier baren Strukturen, und so entstanden die verschiedenen morphologischen Theorien über den Aufbau des Protoplasmas, die bald ein Netzwerk von feinen, kontraktilen Fibrillen, bald eine in Fäden auftretende Substanz, bald eine Wabenstruktur, bald die Zellgranula als Grundelemente der Plasmastruktur annahmen. Wir wissen heute aber, daß viele dieser Strukturen Kunstprodukte sind, die bei der Fixierung oder Färbung der Präparate entstehen. Die für den Ablauf der Lebensvorgänge wesentlichen Strukturelemente liegen sicher jenseits der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit. Die Chemische Organisation der Zelle, welche den geordneten Ablauf der Lebensvorgänge ermöglicht, ist ein ungelöstes Problem. Wir wissen nur soviel, daß verschiedene chemische Reaktionen in bestimmten Zellbestandteilen, z. B. in den Granula oder in der Grundsubstanz des Protoplasmas, lokalisiert sind. Die Zelle ist schon häufig mit einer chemischen Fabrik verglichen worden, in der die einzelnen Prozesse in verschiedenen, voneinander getrennten Abteilungen vorgenommen werden. Solche Vorstellungen sind aber kaum geeignet, ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu vermitteln. Gerade die neueren Untersuchungen haben gezeigt, daß man in der lebenden Substanz nicht zwischen Baustoffen und Betriebsstoffen unterscheiden kann. Die Makromoleküle, welche die Zellstrukturen aufbauen, sind nicht stabil, sondern werden beständig in die chemischen Umsetzungen der Zelle einbezogen. Man kann also nicht wie im Laboratorium zwischen dem Reaktionsgefäß und den reagierenden Stoffen unterscheiden, denn die Bestandteile des Reaktionsgefäßes, nämlich der Zelle, werden selbst dauernd in die biochemischen Reaktionen einbezogen. Es gibt natürlich auch relativ stabile Strukturbestandteile; diejenigen organischen Makromoleküle aber, welche als die eigentlichen Träger der Lebensprozesse angesehen werden müssen, sind in dauernder Umwandlung und Erneuerung begriffen. S c h o e n h e i m e r hat dies als den „dynamischen Zustand" der Zellbestandteile bezeichnet. Es ist daher auch fraglich, ob man in denjenigen Teilen des Protoplasmas, die aktiv an den Lebens Vorgängen teilnehmen, überhaupt eine Struktur im üblichen Sinne, d. h. eine dauerhafte räumliche Anordnung der Bauelemente annehmen darf. Die Tatsache des „dynamischen Zustandes" der lebenden Substanz läßt vermuten, daß solche Strukturen nur zeitweise existieren können, daß sie dauernd entstehen und wieder verschwinden. Der submikroskopische Aufbau des Protoplasmas ist
XX
Einleitung
offenbar aufs engste mit den biochemischen Reaktionen verknüpft, so daß sich Struktur und Stoffwechsel gegenseitig bedingen. Wir können uns von diesen Verhältnissen kaum ein zutreffendes Bild machen, weil sie für die lebende Substanz charakteristisch und außerhalb derselben nicht realisierbar sind. Wir haben in diesem Buch den Stoff folgendermaßen eingeteilt: der erste Teil behandelt in gedrängter Form die C h e m i e d e r w i c h t i g s t e n N a t u r s t o f f e und ihrer Bausteine; der zweite Teil rekapituliert einige p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e T a t s a c h e n und ihre Anwendung in der Biochemie; der dritte Teil ist der Besprechung des S t o f f w e c h s e l s u n d d e r F e r m e n t e gewidmet; im vierten Teil werden einzelne O r g a n s y s t e m e u n d K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n behandelt; der fünfte Teil befaßt sich mit dem Problem der c h e m i s c h e n R e g u l a t i o n und der sechste mit der E r n ä h r u n g .
I. T e i l
Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile Erstes Kapitel Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur Unter der Bezeichnung Kohlehydrate oder Kohlenhydrate faßt man eine Gruppe von chemischen Verbindungen zusammen, die als die ersten Oxydationsprodukte mehrwertiger Alkohole aufzufassen sind. Sie sind entweder Aldehyd- oder Ketoalkohole. Fast alle diese Verbindungen enthalten in ihrem Molekül Wasserstoff und Sauerstoff in dem Atomverhältnis wie zwei zu eins. Es ist dabei zu erwähnen, daß es natürlich eine große Anzahl von organischen Verbindungen gibt, die Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis zwei zu eins enthalten, die aber durchaus nichts mit den Kohlehydraten zu tun haben, so z. B. die Essigsäure: oder die Milchsäure:
cH 3 .CH(0H)C00H = C3H603 usw.
Wie aus der genannten Definition der Kohlehydrate hervorgeht, können diese von den mehrwertigen Alkoholen abgeleitet werden. Es sind nun eine große Zahl solcher mehrwertiger Alkohole, teils als in der Natur vorkommend, teils als synthetisch dargestellt, bekannt. Das einfachste Beispiel eines zweiwertigen Alkohols ist das G l y c o l ; durch Oxydation der einen der beiden CH2 • OH-Gruppen entsteht daraus der G l y c o l a l d e h y d , der dementsprechend als einfachstes Kohlehydrat aufgefaßt werden kann: CH 2 -OH
I
CH 2 -OH
+ 0 = 1
CH 2 -OH
yR
C
Osazon
Hexonsäure
> Laeton
> Aldose.
6. Wurde in der Cyanhydrinreaktion einerseits ein Weg gefunden, der zur Synthese höherer Kohlehydrate führt, so ist andrerseits auch eine Reaktion bekannt, durch die Monosaccharide in solche mit niedrigerer Kohlenstoffzahl übergeführt werden können. Durch Einwirkung von Hydroxylamin werden aus dem Zucker Oxime gebildet: H H | ^O
| ^NOH
I
I
(CH-OH)4 + NH 2 .OH = (CHOH)4 + H 2 0 CH2-OH Hexose
CH 2 -OH Hexosealdoxim
Dieses Aldoxim kann Wasser abspalten, wobei es in ein Nitril übergeht, welches mit ammoniakalischer Silberlösung Blausäure abgibt und dadurch in einen kohlenstoffarmeren Zucker übergeht: C=N
I
/H
H-C-OH
CC
H-COH
H-C-OH
i
H-I-OH H-I-OH
' I
CH2OH Nitril
r o
•
+ HCN
H-C-OH H-C-OH
I
CH2OH Pentose
Es gibt noch weitere chemische Methoden, um von höheren zu kohlenstoffarmeren Zuckern zu gelangen. 7. Eine weitere allgemeine Eigenschaft der Zucker ist die, daß die alkoholischen Hydroxylgruppen, die in ihrem Molekül enthalten sind, sich verestern lassen. Solche Ester, die sowohl mit organischen wie auch mit anorganischen Säuren gebildet werden können, sind zum Teil für die Synthese, zum Teil, wie die Ester der Phosphorsäure, auch für den Stoffwechsel von großer Bedeutung. Bei der Besprechung der alkoholischen Gärung und der Muskeltätigkeit werden sie noch genannt werden. 8. Man kann Zucker mit Alkoholen zu Ä t h e r vereinigen. Diese Äther werden gewöhnlich als Glycoside bezeichnet, und zwar im speziellen als Glucoside, Galactoside, Riboside usw. Der mit dem Zucker verbundene Alkohol heißt, sofern er nicht selbst zuckerartiger Natur ist, das Aglucon. Die Glycoside haben keine reduzierenden Eigenschaften, sie bilden keine Osazone und sind gegen Alkali beständig; der Alkohol muß also an die reduzierende Gruppe des Zuckers gebunden sein. Das an der Bindung des Alkohols beteiligte C-Atom wird als das glycosidische C-Atom des Zuckers bezeichnet. Jeder Zucker ist imstande, zwei verschiedene stereoisomere Glycoside zu bilden. Dies wurde zuerst am Beispiel der Methylglucoside gezeigt. Beim Erhitzen von Glucose mit salzsäurehaltigem Methylalkohol entstehen nebeneinander zwei Glucoside, die sich durch fraktionierte Kristallisation trennen lassen und als ot- und ß-
Die Kohlehydrate
6
Methylglucosid unterschieden werden (E. F i s c h e r ) . Wir werden in einem folgenden Abschnitt auf die Isomerie der Glycoside zurückkommen. Sie beruht darauf, daß die Aldehyd- (oder Keto-) Gruppe in den Zuckern nicht frei ist, sondern mit einer der Hydroxylgruppen ein cyklisches Acetal bildet. 9. Unter der Wirkung von Hydroxylionen erleiden die Monosen gewisse Veränderungen. Es kommt zu Umlagerungen, an denen die Carbonylgruppe und die benachbarten Hydroxyle beteiligt sind; z. B.: CH | CH-OH | : Aldose
/OH C< H C-OH | ; Enolform
-
CH 2 -OH | CO | j Ketose
Auf diese Weise können manche Hexosen in alkalischer Lösung ineinander übergehen. Bei stärkerer Alkalinität tritt Zerfall der Zucker unter Bildung verschiedenartigster Produkte ein. Dabei entstehen stark reduzierende Körper („Reductone", H. v. E u l e r ) . Die Reduktionswirkung der Zucker in alkalischer Lösung beruht im wesentlichen auf der Bildung solcher Stoffe unter der Einwirkung des Alkali. 10. Eine der wichtigsten biochemischen Reaktionen der Zucker ist die G ä r u n g . Es gibt eine Reihe von verschiedenen Gärungsprozessen. Wir verstehen darunter den Zerfall der Zucker unter dem Einfluß der von Mikroorganismen oder den Zellen höherer Organismen gebildeten Fermente. So unterscheidet man eine alkoholische Gärung, eine Milchsäuregärung usw. Diese Vorgänge sind höchst komplizierte Reaktionen. Sie werden bei dem Stoffwechsel der Kohlehydrate besprochen (S. 268). B. Stereochemie der Zucker Der Glycerinaldehyd und alle Zucker mit mehr als 3 Kohlenstoffatomen besitzen asymmetrische C-Atome, sind also o p t i s c h a k t i v . Die verschiedenen Aldosen oder Ketosen gleicher Kohlenstoffzahl sind stereoisomere Verbindungen. Die Kenntnis der stereochemischen Grundbegriffe ist f ü r das Verständnis der biochemischen Vorgänge unerläßlich. Die Besprechung der Zucker bietet Gelegenheit, auf einige Grundtatsachen kurz einzugehen. Ein Molekül ist ein Gebilde im Raum. Seine Struktur kann auf einer Ebene nur unvollkommen dargestellt werden. Es ist daher von großem Vorteil, beim Studium dieses Abschnittes Raummodelle zu Hilfe zu ziehen, die man sich leicht mit primitiven Hilfsmitteln herstellen kann.
Man muß den chemischen Valenzkräften, symbolisch dargestellt durch die Valenz striche, eine bestimmte Richtung zuschreiben. Nach der Theorie von L e B e i und V a n t ' H o f f bilden die vier Valenzen des Kohlenstoffatoms unter sich gleiche Winkel von 109° 28'. Denkt man sich das Kohlenstoffatom im Zentrum eines regulären Tetraeders gelegen, so sind die vier Valenzkräfte nach dessen Ecken gerichtet („tetraedrisches" Modell des Kohlenstoffatoms). Wenn die vier Valenzen des Kohlenstoffatoms vier untereinander verschiedene Substituenten (Atome oder Atomgruppen) binden, so sind zwei räumliche Anordnungen möglich, die sich zueinander verhalten wie Bild und Spiegelbild (rechte Hand und linke Hand), also durch Drehung in keiner Weise zur Deckung gebracht werden können. Es läßt sich in diesem Fall durch das Atom keine Symmetrieebene legen; das Atom ist a s y m m e t r i s c h . Man nennt zwei
Stereochemie der Zucker
7
Körper, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, e n a n t i o m o r p h und überträgt diesen aus der Kristallographie entlehnten Begriff auch auf die asymmetrisch gebauten Moleküle. Von solchen Molekülen muß immer ein e n a n t i o m o r p h e s P a a r existieren. Wenn eine Substanz asymmetrische Kohlenstoffatome enthält, so dreht ihre Lösung beim Durchgang eines polarisierten Lichtstrahles seine Polarisationsebene um einen bestimmten Winkel. Die Substanz ist o p t i s c h a k t i v . Auch Kristalle, die keine Symmetrieebene besitzen, zeigen die Eigenschaft der optischen Aktivität. Die Betrachtung der Strukturformeln der Zucker lehrt, daß deren Moleküle im allgemeinen asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten. Bei den Aldohexosen, z.B. bei der Glucose, sind es deren vier. Sie sind in der folgenden Formel durch Sternchen gekennzeichnet: H H H H I I I I /H HO-CHj—C*—C*—C* —C* —C< I I I I ^o OH OH OH OH Wir müssen allen Aldosen oder Ketosen von gleicher Kohlenstoffzahl die gleiche Strukturformel zuschreiben. Die Unterschiede zwischen diesen Zuckern können also nur auf verschiedener Anordnung der Atome im Raum beruhen. Die Aldosen oder Ketosen gleicher Kohlenstoffzahl sind daher s t e r e o i s o m e r e Verbindungen. Wenn eine Verbindung nur ein einziges asymmetrisches C-Atom enthält, so sind immer die zwei enantiomorphen Formen möglich. Die eine dreht die Ebene des polarisierten Lichts nach rechts, die andere um denselben Betrag nach links. Die beiden Formen heißen deshalb auch „ o p t i s c h e A n t i p o d e n " . In der folgenden Abbildung denke man sich das „Kohlenstofftetraeder" aus durchsichtigem Material hergestellt. Die senkrechte hintere Kante liegt der Papierfläche auf; sie ist punktiert. Die waagerechte Vorderkante liegt also vor der Papierebene, parallel zu ihr. Die vier Substituenten (an den Ecken des Tetraeders) sind mit a, b, c, d bezeichnet. S
c< H2 Hx \0H Cyklohexan Inosit Inosit findet sich sowohl in Pflanzen als auch im tierischen Gewebe wie Muskel, Leber, Gehirn, teilweise als Baustein von Phosphatiden. Der M e s o i n o s i t ist ein Wachstumsfaktor vieler Mikroorganismen, aber auch für den Säuger unentbehrlich (siehe Vitamine Kap. 27, Bios). Man erkennt leicht, daß bei einem cyklischen Alkohol der angegebenen Konstitutionen mehrere stereoisomere Formen möglich sind. Die Hydroxylgruppen können sich teils über, teils unter der Ebene befinden, die von den 6 C-Atomen bestimmt wird. Der Mesoinosit ist, wie sein Name besagt (vgl. ,,Meso''weinsäure) optisch inaktiv. Die Hydroxylgruppen sind so angeordnet, daß ein symmetrisches Molekül entsteht, wie das folgende Formelbild zeigt, in welchem die kurzen Striche die Hydroxylgruppen bedeuten:
'
!
Mesoinosit
Der Hexaphosphorsäureester des Inosits ist im Pflanzenreich weit verbreitet. Sein Ca-Salz ist das Phytin.
Disaccharide
23
3. Disaccharide Tritt aus zwei Molekülen eines Monosaccharides ein Molekül Wasser aus, so entsteht durch Vereinigung der Reste ein Disaccharid: 2 C.H u O, = H 2 0 + C 12 H 22 O u
Die Vereinigung kann entweder so erfolgen, daß noch eine reduzierende Gruppe reaktionsfähig bleibt. In diesem Falle entsteht ein reduzierendes Disaccharid. Es können sich aber auch die beiden reduzierenden (glycosidischen) Gruppen miteinander verbinden. Ein solches Disaccharid zeigt keine Reduktionswirkung. Von den Disacchariden seien als wichtigste die folgenden genannt: Maltose, aus zwei Glucosemolekülen, Saccharose oder Rohrzucker, aus einem Glucose- und einem Fructosemolekül, Lactose oder Milchzucker, aus einem Glucoseund einem Galactosemolekül, Cellobiose, ebenso wie Maltose aus zwei Glucosemolekülen aufgebaut. Unter der Einwirkung von verdünnten Säuren, sowie durch enzymatische Spaltung zerfallen diese Disaccharide unter Aufnahme von Wasser in die entsprechenden Monosaccharide. Von größter Bedeutung ist die Bindungsart der beiden Zuckerreste. An der Bindung ist immer das glycosidische Kohlenstoffatom des einen Zuckers, d. h. dessen reduzierende Gruppe beteiligt. Bleibt die reduzierende Gruppe des zweiten Zuckermoleküls frei, d. h., erfolgt die Ätherbildung zwischen dem glycosidischen C-Atom des ersten und einer der alkoholischen Hydroxylgruppen des zweiten Zuckermoleküls, so ist das entstehende Disaccharid reduzierend (Disaccharide vom Maltosetypus). Erfolgt dagegen die Bindung zwischen den beiden glycosidischen C-Atomen, so bleibt naturgemäß keine reduzierende Gruppe frei und das entstehende Disaccharid ist nicht reduzierend (Disaccharide vom Trehalosetypus; Trehalose ist ein aus zwei Molekülen Glucose aufgebauter Zucker). Beispiele für reduzierende Disaccharide sind die Maltose und die Lactose; das bekannteste Beispiel für ein nicht reduzierendes Disaccharid ist die Saccharose. Nach den Ausführungen über die Glycosidbildung der Zucker ist klar, daß in den Disacchariden das glycosidische C-Atom in der oc- oder der /^-Konfiguration vorliegen kann. Bei der Strukturermittlung der Disaccharide stellen sich also immer die folgenden Fragen: 1. Welchem Zucker gehört die freie reduzierende Gruppe an ? 2. Zwischen welchen C-Atomen erfolgt die Bindung ? 3. Welches ist die Natur der glycosidischen Bindung ? Wir können auf die Beweise für die Konfiguration der oben genannten Disaccharide hier nicht eingehen. Es sei nur erwähnt, daß für die Beantwortung der dritten Frage — Natur der glycosidischen Bindung — die fermentative Spaltung eine große Rolle spielt, weil die glycosidspaltenden Enzyme streng spezifisch auf die eine oder die andere Bindungsart eingestellt sind. Reduzierende Disaccharide zeigen wie die Monosaccharide Mutarotation und bilden Osazone. 1. M a l t o s e . Sie ist ein Endprodukt der fermentativen Spaltung von Stärke und Glycogen. Maltose gibt die Reduktionsproben, enthält also eine Carbonylgruppe in reaktionsfähiger Stellung. Sie wird durch das Enzym M a l t a s e in Glucose zerlegt. Das glucosidisch gebundene Glucosemolekül besitzt
! / 1 H
+ (—S03H) CO-CH3 Heparin ist ein gerinnungshemmender Stoff, der aus der Leber und der Lunge soliert worden ist. Um wirksam zu sein, muß er im Blutplasma an einen spezifischen Eiweißkörper (Heparinkomplement) gebunden werden. Heparin besteht aus denselben Bausteinen wie die Mucoitinschwefelsäure (Glucuronsäure, acetyliertes Glucosamin), enthält aber pro Struktureinheit mehrere Moleküle Schwefelsäure. Der Stoff wird heute therapeutisch viel verwendet, wenn es sich darum handelt, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabzusetzen (Behandlung oder Verhütung der Thrombose vgl. Kap. 20). Hyaluronsäure. Diese Substanz ist im Organismus weit verbreitet. Sie findet sich z. B. in der Synovialflüssigkeit, im Glaskörper, in der Nabelschnur. Eine besonders wichtige Rolle spielt sie wahrscheinlich im Bindegewebe, wo sie am Aufbau der Grundsubstanz beteiligt ist. Hyaluronsäure ist aus Acetylglucosamin und Glucuronsäure im Verhältnis 1 : 1 aufgebaut. Das Ferment Hyaluronidase bewirkt eine Spaltung der Hyaluronsäure in kleinere Bruchstücke (Depolymerisation; Messung durch Bestimmung der Viskositätsverminderung). Das Ferment kommt in gewissen Bakterien vor. Es erleichtert offenbar, indem es die Grundsubstanz des Bindegewebes angreift, deren Eindringen in das Gewebe. Auch die Spermatozoen verschiedener Tierarten enthalten Hyaluronidase, und man nimmt an, daß bei der Befruchtung das Ferment für den Durchtritt der Spermatozoen durch die Umhüllung des Eies von Bedeutung ist. Blutgruppensubstanzen. Auch die Stoffe, welche die Spezifität der Blutgruppen bestimmen, gehören zu den Mucopolysacchariden oder enthalten solche als wesentlichen Bestandteil. Ihre Isolierung aus den Erythrocyten selbst ist zwar noch nicht möglich gewesen, weil sie dort nur in sehr kleiner Menge vorhanden sind. Man hat aber aus verschiedenem Material (Urin, Mucin des Schweinemagens, Pferdespeichel, Magensaft usw.) Polysaccharide dargestellt, welche die Agglutination der roten Blutkörperchen durch das entsprechende Isoagglutinin noch bei sehr hohen Verdünnungen in spezifischer Weise hemmen. Diese Stoffe müssen daher mit den spezifischen Faktoren der Erythrocyten nahe verwandt sein, wenn sie nicht mit ihnen identisch sind. Über die Konstitution dieser Stoffe ist wenig Sicheres bekannt. Aus einer wirksamen Substanz der Gruppe A (aus Rohpepsin gewonnen) hat man als Bausteine Acetylglucosamin, a-Mannose, D-Galactose und L-Fucose isoliert. Bakterienpolysaccharide. Bei vielen Bakterien ist der Zellkörper von einer schleimigen Hülle, der sog. Kapsel, umgeben, die aus polymeren Kohlehydraten aufgebaut ist. Bei Untersuchung der Kapselsubstanzen der verschiedenen Pneumokokkentypen
Fette, Fettsäuren und Lipoide
31
machte man die überraschende Entdeckung, daß diese Polysaccharide von Typus zu Typus einen verschiedenen chemischen Bau aufweisen und die Spezifität der einzelnen Pneumokokkentypen bestimmen. Dadurch war es zum erstenmal möglich geworden, eine bisher nur serologisch feststellbare Verschiedenheit der Bakterien durch chemische Methoden zu erfassen. Seither sind auch bei vielen anderen Bakterien derartige spezifische Polysaccharide gefunden worden. Bei den Pneumokokken enthalten z. B. die Kohlehydrate der Typen I, IV, X I V und andere einen Aminozucker, während die Typen II, I I I , V I I I stickstofffrei und im wesentlichen aus einer sog. Aldobiuronsäure aufgebaut sind. Schematische Formel der Aldobiuronsäure: COOH
CH2OH
Uronsäure-1: 4-Aldose
Für das Polysaccharid Typus I I I h a t sich das folgende Strukturbild ergeben (die Ziffern bezeichnen die miteinander verbundenen C-Atome): . . . Glucuronsäure-1 : 4-Glucose-l : 3-Glucuronsäure-l: 4-Glucose . . (Aldobiuronsäure)
Auch die gonadotropen Hormone aus Schwangernurin und dem Serum trächtiger Stuten weisen einen hohen Gehalt an Kohlehydrat auf. Die Kohlehydratgruppe enthält Hexose und Hexosamin. Die genannten Beispiele zeigen genügend, daß die Mucopolysaccharide eine außerordentlich wichtige Gruppe von Naturstoffen sind. Viele Mucopolysaccharide sind in den Geweben an Eiweiß gebunden. Sie bilden mit demselben Mucoproteide (oder Mucoide). Solche Mucoide kommen im Magensaft, im Speichel, im Blutplasma, im Eiweiß, im Glaskörper des Auges u. a. 0 . vor. Zweites Kapitel
Fette, Fettsäuren und Lipoide 1. Fette A. Bausteine Als Fette werden chemische Verbindungen bezeichnet, welche die Ester des dreiwertigen Alkohols Glycerin mit verschiedenen Fettsäuren bilden. Sowohl im Tier- als auch im Pflanzenreich sind die Fette sehr verbreitet und auch als Nahrungsstoffe von großer Wichtigkeit. Eine Reihe von Organen des Tierkörpers zeichnen sich durch hohen Fettgehalt aus, so z. B. das Knochenmark, das bis zu 96% davon enthält; außerdem finden sich die Fette hauptsächlich im intermuskulären Bindegewebe, in der Bauchhöhle und im Unterhautbindegewebe. Bei den Pflanzen sind hauptsächlich die Samen als fettreiche Gewebe zu nennen. Das Glycerin ist ein dreiwertiger Alkohol: CHJ-OH CH-OH CH 2 .OH
Fette, Fettsäuren und Lipoide
32
Es ist eine farblose, dicke Flüssigkeit vom Siedep. 290° und von süßem Geschmack, die sich mit Wasser in jedem Verhältnisse mischt. Durch Erhitzen mit wasserbindenden Substanzen, wie z. B. saurem Kaliumsulfat, erleidet es eine Zersetzung in A c r o l e i n = C H 2 : CH • CHO. Dieses besitzt einen scharfen, stechenden Geruch, und der Geruch überhitzter F e t t e ist durch die Bildung von Acrolein bedingt. Das Glycerin bietet in verschiedener Hinsicht physiologisches Interesse. E s wird unter gewissen Bedingungen als Nebenprodukt bei der alkoholischen Gärung gebildet und k a n n auch im tierischen Organismus beim Abbau der Kohlehydrate entstehen. Die Fettsäuren, die in den F e t t e n vorkommen, können in zwei Gruppen eingeteilt werden: 1. Gesättigte Fettsäuren der allgemeinen Formel C n H2 n 02. 2. Ungesättigte Fettsäuren, deren Kohlenstoffkette eine oder mehrere Doppelbindungen („Äthylenlücken") aufweist. Die natürlichen F e t t e enthalten (mit wenigen Ausnahmen) ausschließlich F e t t säuren mit einer geraden Zahl von C-Atomen. (Dies hängt offenbar mit dem Prinzip ihrer biologischen Synthese zusammen.) Die niedrigste in den F e t t e n vorkommende Säure ist die Buttersäure. Von den gesättigten Fettsäuren seien hier genannt: Buttersäure Capronsäure Caprylsäure Caprinsäure Laurinsäure Myristinsäure Palmitinsäure Stearinsäure Arachinsäure Behensäure Lignocerinsäure
C4 C6 C8 C I0 C12 C14 C16 C18 C20 C22 C24
u. a. m.
Von den hier angeführten Säuren sind die Palmitin- u n d die Stearinsäure die verbreitetsten. Die niedrigen Glieder der Reihe sind bei gewöhnlicher Temperatur flüssig, die höheren fest. I n den natürlichen F e t t e n sind meistens nur Fettsäuren mit einer größeren Zahl von Kohlenstoffatomen enthalten. Von der Gruppe der u n g e s ä t t i g t e n F e t t s ä u r e n ist in tierischen u n d pflanzlichen F e t t e n die Ölsäure sehr verbreitet. Außer dieser Säure sei noch die E r u c a s ä u r e genannt: CH 3
I
Ölsäure
(CH 2 ) 7 I CH n CH
I.
(CH 2 ) 7 | COOH
C8H17
_— r< t11A t ni.,
| CH II CH
=
C22H4202
Erucasäure
I
CnH22 COOH
Neben der Ölsäurereihe existiert noch eine Reihe von Säuren mit mehreren Doppelbindungen. Als ihr Vertreter sei die L i n o l s ä u r e C 1 8 H 3 2 0 2 mit zwei Doppelbindungen sowie die L i n o l e n s ä u r e C 18 H 30 O 2 mit drei Doppelbindungen genannt. I n größeren Mengen
33
Struktur der Fette
finden sich beide Stoffe im Leinöl. Die Linolsäure ist als Nahrungsbestandteil von größter Bedeutung, da sie für den Organismus der höheren Tiere unentbehrlich ist, aber nicht synthetisiert werden kann. Sie ist eine sog. „essentielle" Fettsäure. Besonders im Fett kaltblütiger Tiere (Fischleberöle) finden sich noch höher ungesättigte Fettsäuren. Unter den ungesättigten Säuren mit höherer Kohlenstoffzahl seien noch genannt die Arachidonsäure C20H32O2 (vier Doppelbindungen), sowie die einfach ungesättigte Nervonsäure C 24 H 46 0 2 , die in den Cerebrosiden. (vgl. S. 39) vorkommt. Als ungesättigte Verbindungen zeigen diese Säuren eine Reihe von charakteristischen Reaktionen. Sie vermögen an der Doppelbindung z. B. zwei Atome Halogen zu addieren: I l/H CH
C
• HC.NH.(OC-O.CH2.C6H5) + HCl ! COOH
2. Aus dem erhaltenen Carbobenzoxyderivat wird nun das Säurechlorid dargestellt : R
H^! • NH • (OC • O • CH2 • C6H6) ¿OOH
R
HC-NH-(0C-0-CH2-C6H6) M31
3. Dieses substituierte Säurechlorid läßt man nun mit einer zweiten Aminosäure in Reaktion treten: Aus Benzylalkohol und Phosgen.
Die Proteine und ihre Bausteine
72 R
R
HC • NH(OC • 0 • CH2 • C6H5)
H Ì • NH(OC • O • CH2 • C6H5)
t
K,
CO • NH • CH • COOH + HCl CO • C1 + H N—CH • COOH 2 4. Aus dem erhaltenen Peptid wird nun die Carbobenzoxygruppe durch katalytisch aktivierten Wasserstoff bei Zimmertemperatur entfernt, wobei die Aminogruppe regeneriert wird und Kohlendioxyd und Toluol als Nebenprodukte entstehen: R
+ H2
R
HC-NH • (OC • O CH2-C6H6) r
CHNH 2
+C0 2 •CKH5
I
f' CO • NH • CH • COOH Dipeptid Durch sinngemäßen Ausbau dieser Methode ist es gelungen, eine große Zahl verschiedenartiger Peptide bekannter Konstitution herzustellen, die durch die älteren Methoden nicht zugänglich waren. Wie später bei der Besprechung der Konstitution der Proteine, sowie bei der Beschreibung der Wirksamkeit der Proteasen dargetan werden wird, hat die genannte Carbobenzoxymethode für die Klärung der erwähnten Probleme große Dienste geleistet (vgl. S. 174). CO • NH • CH • COOH
3. Eiweißkörper Die Eiweißkörper oder Proteine sind chemische Verbindungen von sehr hohem Molekulargewicht, die, insofern sie löslich sind, kolloide Lösungen geben und die durch hydrolysierende Agentien in Aminosäuren gespalten werden. Der Name Protein, abgeleitet von TTpoxeios, primarius, wurde den Eiweißkörpern von G. J . M u l d e r (1839) beigelegt, um ihre allgemeine Bedeutung als Bestandteil der tierischen Organe und der Pflanzen hervorzuheben. Auf die große Mannigfaltigkeit der vorkommenden Eiweißkörper bezüglich ihrer Zusammensetzung wurde schon im vorangehenden Abschnitt hingewiesen. Sie ist durch die große Zahl der in den Proteinen enthaltenen Aminosäuren bedingt. Viele Eiweißkörper sind sehr unstabile Verbindungen. Schon ganz geringe Einwirkungen chemischer und physikalischer Natur können ihren Zustand weitgehend verändern. Die große Ähnlichkeit der physikalischen und chemischen Eigenschaften verwandter Proteine macht die Darstellung chemischer Individuen zu einer schwierigen Aufgabe. Wie F. H o f m e i s t e r am Beispiel des Eieralbumins zum erstenmal gezeigt hat, können verschiedene Eiweißkörper kristallisiert erhalten werden. Heute sind zahlreiche Proteine, insbesondere auch Fermente, im kristallisierten Zustand bekannt. Allerdings ist auf dem Gebiet der Proteine die Kristallisierbarkeit nicht in dem Maße das Kennzeichen der Reinheit wie bei den niedrigmolekularen Stoffen. Es müssen, um die Einheitlichkeit eines Eiweißkörpers beurteilen zu können, noch schärfere Kriterien herangezogen werden. Die Löslichkeit der Eiweißkörper ist verschieden. Es gibt solche, die in reinem Wasser oder in verdünnten Salzlösungen sich lösen. Daneben sind auch solche be-
Eiweißkörper. Einteilung der Eiweißkörper
73
kannt, die in Wasser, sogar in Säuren oder Laugen, in der Kälte ganz unlöslich sind. Ganz wenige Proteine lösen sich in starkem Alkohol (70—80%) auf. Konzentrierte Salzlösungen können die Eiweißkörper ausfällen („Aussalzung"). Überaus charakteristisch ist das Verhalten der meisten löslichen Proteine beim Erhitzen der neutralen oder leicht sauren Lösung: bei einer bestimmten Temperatur, gewöhnlich 60—70°, tritt Fällung ein; das Protein wird unlöslich (Hitzekoagulation oder Hitzedenaturierung). Ein auf diese Weise ausgefälltes Protein ist meistens ohne tiefgreifende Änderung der Struktur nicht mehr in Lösung zu bringen. Koaguliertes Eiweiß ist i r r e v e r s i b e l ausgefällt worden. Eiweißkörper, die durch einfaches Herauslösen mit Wasser oder Salzlösung von den Zellen getrennt werden, bezeichnet maii als n a t i v . Die Analyse der Proteine zeigt, daß alle die Elemente C, H, N, 0 enthalten und daß in den meisten außerdem noch S und iri einzelnen P und in seltenen Fällen auch Halogen vorkommen. Besonders wichtig ist der Stickstoffgehalt der Proteine; er zeigt bei den verschiedenen Gruppen verhältnismäßig kleine Schwankungen und beträgt im Mittel etwa 16%. Zur quantitativen Bestimmung des Eiweißgehaltes in Organen, Nahrungsmitteln usw. wird — nach Abtrennung von den nicht eiweißartigen N-haltigen Substanzen — immer der Stickstoff bestimmt. Man erhält daraus den (angenäherten) Eiweißgehalt, indem man den Stickstoff mit dem Faktor 6,25 multipliziert. Zur N-Bestimmung benützt man gewöhnlich die Methode von K j e l d a h l : Die Substanz wird zur Zerstörung der organischen Stoffe in konz. Schwefelsäure bei Gegenwart eines Katalysators (Cu-Salz, Selen) erhitzt. Der organisch gebundene Stickstoff wird dabei als Ammoniak freigesetzt und kann nach Alkalinisieren der Lösung abdestilliert und titrimetrisch bei sehr kleinen Mengen mit dem N e s s l e r - R e a g e n s bestimmt werden.
Viel wichtiger als die empirische Formel ist die Frage nach der Natur und der Menge der einzelnen Bausteine, die in den verschiedenen Eiweißkörpern vorkommen. Im Lauf der Zeit wurden verschiedenartige Methoden zur Bausteinanalyse ausgearbeitet, die nun einen ungefähren Überblick über die verschiedenen Klassen gewähren. A. Einteilung der Eiweißkörper Es können zunächst zwei große Gruppen unterschieden werden: die e i n f a c h e n E i w e i ß k ö r p e r oder Proteine im engeren Sinne und die z u s a m m e n g e s e t z t e n (konjugierten) E i w e i ß k ö r p e r oder Proteide. Die Proteine liefern bei vollständiger Hydrolyse nur Aminosäuren. Die Proteide enthalten, an ein Protein gebunden, noch andere Substanzen wie Kohlehydrate, Nucleinsäuren oder Farbstoffe. Diese Gruppen, die selbst nicht Proteincharakter haben, werden als prosthetische Gruppen bezeichnet; z. B. bestehen zahlreiche Enzyme aus einer Wirkungsgruppe und einem spezifischen Protein. Sie sind also Proteide. Eine erste Übersicht über die mannigfaltigen Eigenschaften der verschiedenen Proteine ergibt sich aus der nachfolgenden Einteilung. Da von keinem einzigen Protein die genaue chemische Konstitution bekannt ist, kann die Systematik der Proteine sich nicht auf rein chemische Gesichtspunkte stützen. Man hat der Einteilung deshalb seit alters her die äußeren, physikalischen Eigenschaften, wie die Löslichkeit oder auch das Vorkommen, zugrundegelegt.
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Die Proteine und ihre Bausteine
I. Einfache Eiweißkörper oder Proteine. A. Eigentliche Eiweißkörper. 1. Protamine. 2. Histone. 3. Prolamine. 4. Albumine. 5. Globuline. B. Gerüsteiweißkörper (Skieroproteine). 1. Keratine. 2. Collagene (Elastine, Seidenfibroin). II. Zusammengesetzte Eiweißkörper oder Proteide. 1. Chromoproteide. 2. Nucleoproteide. 3. Glycoproteide und Mucoide. 4. Phosphoproteide. Die eigentlichen Eiweißkörper liefern bei der Spaltung nur Aminosäuren. Bis auf geringfügige Beimengungen von Substanzen, die als sekundäre Zerfallsprodukte der Aminosäuren zu gelten haben, konnten keine anderen Bausteine nachgewiesen werden. Protamine. Sie sind in den Spermatozoen der Fische enthalten und wurden von M i e s c h e r entdeckt. Nach K o s s e i bilden sie die einfachsten, in der Natur vorkommenden Proteine. Sie zeichnen sich durch ihren hohen Gehalt an Arginin, sowie mitunter auch an Lysin und Histidin aus. Sie besitzen daher stark basischen Charakter. Die Protamine können auch aus den entfetteten Spermatozoen durch Schütteln mit verdünnten Säuren herausgelöst werden, indem sie mit Mineralsäuren Salie bilden. Sie sind diejenige Gruppe von Eiweißkörpern, die am besten durchforscht ist und deren Struktur weitgehend geklärt werden konnte. Sie sind schwefelfrei, d. h. sie enthalten kein Cystin. 90% ihres Stickstoffes kann in Form von Arginin in ihnen enthalten sein. Die Bildung der Protamine stellt einen physiologisch höchst wichtigen Vorgang dar, von dem noch gesprochen werden wird. J e nach dem. Vorkommen von ein, zwei oder drei Hexonbasen spricht man von Mono-, Di- oder Triprotaminen. Man benennt sie nach der Tierart, die sie bildet. Durch die Arbeiten von A. K o s s e i und in neuerer Zeit von K. F e l i x hat sich ergeben, daß in den Protaminen annähernd doppelt soviel Hexonbasen als Monoaminosäuren vorkommen. Bezeichnet man das Arginin durch A, die Monoaminosäuren durch M, Prolin durch P, so kommt nach.Felix z. B. dem Clupein die folgende Struktur zu: P- (A-A-A-A-M-M)-A-A. Es sind im Clupein folgende Monoaminosäuren gefunden worden: Alanin, Serin, Valin, Threonin, Isoleucin, Prolin.
Die Protamine sind in den Zellen an Nucleinsäuren (s. d.) gebunden. Protamin aus Heringsperma heißt Clupein, aus Karpfensperma Cyprinin, Hechtprotamin Esocin usw. Histone. Diese von K o s s e i aufgestellte Klasse enthält weit weniger basische Aminosäuren als die Protamine. Sie enthalten etwa 30% Hexonbasen. Sie kommen vorzugsweise in den Kernen der Thymusdrüse, außerdem in den Kernen der Vogelerythrocyten, sowie in den Spermien von Echinodermen vor. Auch sie zeigen deutlich basische Natur.
Einteilung der Eiweißkörper
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Prolaminc. Sie kommen in den Samen der Getreidearten vor, z. B. im Weizengluten. Sie enthalten kein Lysin, sind aber reich an Prolin, sowie an Asparagin- und Glutaminsäure. Sie sind in 70—80%igem Alkohol löslich. Wegen ihres Vorkommens in den Cerealien haben sie als Nahrungsstoffe Bedeutung. Albumine. Als wichtigste Vertreter sind zu nennen die Albumine des Blutplasmas (Serumalbumine), das Lactalbumin der Milch, das Ovalbumin des Eiklars. Die Albumine sind auch bei isoelektrischer Reaktion (siehe unten) in salzfreiem Wasser löslich im Gegensatz zu den Globulinen und sind durch Halbsättigung mit Ammonsulfat noch nicht fällbar. Verschiedene Albumine sind kristallisiert worden. Sie enthalten nur 10—15% Hexonbasen, während das Glycin als Baustein nicht vorkommt. Globuline. Sie sind im isoelektrischen Punkt in reinem Wasser nicht, jedoch in verdünnten Salzlösungen löslich. Dementsprechend fallen sie beim Verdünnen dieser Lösungen aus. Sie werden durch Halbsättigung mit Ammoniumsulfat gefällt. Dieses Verhalten kann zur Trennung von den Albuminen benutzt werden. Sie enthalten Glycin als Baustein. Wichtige Vertreter sind die verschiedenen Globuline des Blutplasmas. Globuline sind auch bei Pflanzen weit verbreitet und kommen vielfach als Reserveproteine in Samen vor (z. B. das Edestin des Hanfsamens). Die G e r ü s t e i w e i ß k ö r p e r oder Skieroproteine kommen in den Geweben vor, die vorwiegend mechanische Funktionen erfüllen. Es handelt sich um unlösliche Proteine, die infolge ihres Molekülbaus geeignet sind, fibrilläre Strukturen zu bilden. Keratine. Diese auch Hornsubstanzen genannten Proteine können bis zu 17% Cystin enthalten. Daneben enthalten sie auch alle drei Hexonbasen, und zwar, wie es scheint, in einem konstanten Verhältnis (Histidin : Lysin : Arginin = 1 : 4 : 12). Die Keratine sind unlöslich in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien. Sie werden auch nicht von Trypsin und Pepsin angegriffen. Sie finden sich in den Haaren, der Epidermis, den Hornbildungen. Das Collagen ist das hauptsächlichste Protein der Haut (Leder!); es bildet die Fibrillen der Sehnen, des gewöhnlichen Bindegewebes und die organische Grundsubstanz des Knochens und des Knorpels. Beim Behandeln mit siedendem Wasser oder überhitztem Dampf geht es in eine lösliche Substanz, den Leim (Gelatine), über. Unverändertes Collagen wird zwar von Pepsin, nicht aber von Trypsin angegriffen. Gelatine wird dagegen von allen proteolytischen Fermenten leicht verdaut. Collagen ist reich an Glycin, Prohn und Oxyprolin, enthält aber kein Tyrosin und Tryptophan. Das Elastin bildet die elastischen Fasern; es findet sich besonders reichüch im Nackenband. Es wird vom Trypsin angegriffen. Die S e i d e endlich besteht aus zwei Eiweißkörpern, dem S e r i c i n (Seidenleim), das zu den Collagenen zu zählen ist und das der Seide durch siedendes Wasser entzogen wird, und dem F i b r o i n . Dieses hat eine ganz eigentümliche Zusammensetzung. Es besteht aus sehr viel Glycin und Alanin und nimmt bezüglich dieser Zusammensetzung eine Ausnahmestellung gegenüber allen anderen Proteinen ein. Seidenfibroin und Collagen haben einen verhältnismäßig einfachen Bau. Wir werden auf diese Proteine bei der Besprechung der Eiweißstruktur zurückkommen. Albumosen und Peptone. Mit diesem Namen werden hochmolekulare Spaltprodukte der Proteine bezeichnet, welche den Eiweißkörpern in vieler Beziehung noch sehr nahestehen. Aus dem durch P e p s i n w i r k u n g (siehe Fermente) erhaltenen Verdauungsgemisch der Eiweißkörper lassen sich dieselben durch Ammoniumsulfat nicht mehr
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Die Proteine und ihre Bausteine
oder nur zum geringen Teile ausfällen. K ü h n e faßte die Charakteristik dieser Substanzen in der folgenden Weise: Peptone sind Eiweißspaltprodukte, welche überhaupt nicht mehr aussalzbar sind. Sie lassen sich auch nicht mehr mit Salpetersäure fällen, geben aber ausnahmslos die Biuretreaktion. Albumosen lassen sich ebenfalls nicht mehr koagulieren, werden aber durch verschiedene Salze wie Ammonsulfat, Zinksulfat ausgesalzen und sind durch Salpetersäure fällbar. Diese Einteilung hat nur eine provisorische Bedeutung, auch ist die Grenze zwischen Peptonen und Albumosen durchaus nicht scharf zu ziehen. Es ist auch noch niemals gelungen, einzelne chemisch einheitliche Individuen dieser Gruppen zu isolieren. Die z u s a m m e n g e s e t z t e n E i w e i ß k ö r p e r oder Proteide enthalten, an einen typischen Eiweißkörper mehr oder weniger fest gebunden, e i n e n i c h t e i w e i ß a r t i g e G r u p p e , die sog. p r o s t h e t i s c h e Gruppe. Diese Gruppe ist bei den Chromoproteiden ein Farbstoff. Der bekannteste Vertreter ist das Hämoglobin, der rote Blutfarbstoff (siehe Abschnitt Blut!). Es gehören auch Verbindungen wie der Sehpurpur dazu, der als prosthetische Gruppe einen Carotinfarbstoff enthält. Die Nucleoproteide sind Verbindungen von Proteinen mit Nucleinsäuren. Sie sind in den Zellen allgemein verbreit3t. Es zeigt sich immer mehr, daß die Nucleoproteide zu den wichtigsten Zellbestandteilen überhaupt gehören und an grundlegenden Lebens Vorgängen beteiligt sind. Die Glycoproteide und Mucoide sind Verbindungen von Proteinen mit Mucopolysacchariden. Es gibt hier noch keine allgemein anerkannte Nomenklatur. Als Glycoproteide werden Verbindungen bezeichnet, deren Kohlehydratgruppe wenig Hexosamin (nach K. M e y e r weniger als 4%) enthält. Dazu gehören vor allem gewisse Fraktionen der Serumalbumine und Serumglobuline. Mucoide sind reicher an Hexosamin. Solche sind weit verbreitet und finden sich z. B. in der Magenschleimhaut, im Speichel, im Eiklar, im Blutserum (sog. Seromucoid), in Ovarialcysten. Auch das gonadotrope Hormon des Schwangernurins scheint ein Mucoid zu sein. Phosphoproteide enthalten Phosphorsäure direkt an das Eiweiß gebunden, wahrscheinlich esterartig an die Oxyaminosäuren. Man hat unter den Hydrolyseprodukten Phosphoserin gefunden: HOs^ 0 = P — 0 • CH2 • CH(NH2) • COOH HO/ Ein wichtiger Vertreter ist das Casein der Milch. B. Reaktionen der Proteine Die Proteine zeigen eine Reihe von Fällungs- und Farbreaktionen, die zu ihrem Nachweis benützt werden können. a) Fällungsreaktionen: Die Kochprobe beruht auf der Hitzedenaturierung der Proteine. Die mit einigen Tropfen verdünnter Essigsäure versetzte Lösung (z. B. Urin) wird zum Sieden erhitzt.
Reaktionen der Proteine
77
Esbachsche Probe. Wird die Eiweißlösung mit Pikrinsäure in saurem Milieu versetzt, so wird das Protein gefällt ( E s b a c h s c h e s Reagens: Pikrinsäure in citronensaurer Lösung. Die Höhe des nach mehrstündigem Stehen abgesetzten Niederschlags wird als Maß für die Eiweißmenge im Uriri verwendet.) Hellersche Probe. Beruht auf der Fällung der Proteine durch konzentrierte Salpetersäure. Man unterschichtet den Urin mit der konzentrierten Säure. An der Berührungsfläche erscheint ein weißer Ring. Sulfosalicjisäure fällt Proteine; kann zum Nachweis im Urin dienen. Die Eiweißkörper werden ferner durch die sog. Alkaloidreagentien gefällt. Es ist dazu immer ein Überschuß von Säure nötig. Solche Reagentien sind Phosphorwolfram- und Phosphormolybdänsäure, Wolframsäure (Wolframat -)- H 2 S0 4 ), Gerbsäure ( + E s s i g s ä u r e ) , Trichloressigsäure, Perchlorsäure, Ferrocyankali (-f- Essigsäure) usw. Trichloressigsäure wird oft zum Enteiweißen von Flüssigkeiten, d. h. zur vollständigen Entfernung der Proteine aus Blut, Organextrakten usw. benützt. F ü r Blutserum wird auch häufig die Methode von F o l in und W u verwendet (Versetzen des verdünnten Serums mit Natriumwolframat und nachfolgend mit Schwefelsäure). Weitere Eiweißfällungsmittel sind auch die Schwermetallsalze. Eisenchlorid oder -acetat, Kupfersulfat- oder -acetat, neutrales oder basisches Bleiacetat (oft zum Enteiweißen verwendet), Zinkacetat, Uranylacetat. Maist ist der Niederschlag im Überschuß des Fällungsmittels löslich. Auch durch Farbstoffbasen wird Eiweiß gefällt. b) Farbreaktionen: Biuretreaktion. I n alkalischer Lösung geben Proteine mit wenig verdünntem Kupfersulfat versetzt eine violette Färbung. Auch Albumosen, Peptone und Polypeptide geben die gleiche Farbreaktion. Die Reaktion ist nach dem einfachsten Körper benannt, f ü r welchen sie positiv ausfällt, dem Biuret H 2 N—CO—NH—CO— NH 2 . Sie beruht wahrscheinlich auf der Häufung der—CO—NH-Gruppen im Molekül, ist also für die Peptidketten charakteristisch. Sie kann auch quantitativ zur kolorimetrischen Bestimmung der Proteine ausgewertet werden. Die meisten Farbreaktionen beruhen auf der Gegenwart bestimmter reaktionsfähiger Gruppen im Proteinmolekül, die zu bestimmten Aminosäuren gehören. Da diese Aminosäuren mit wenigen Ausnahmen in allen Proteinen vorkommen, können diese Reaktionen als allgemeine Eiweißreaktionen gelten. Schwefelbleiprobe. Beim Kochen von Proteinen mit Lauge in Gegenwart von etwas Bleiacetat fällt nach anfänglicher Braunfärbung schwarzes Bleisulfid aus. Der Schwefel des Cystins und Cysteins wird unter diesen Bedingungen aus dem Eiweiß als Sulfid abgespalten. Xanthoproteinreaktion. Beim Erhitzen der Proteine mit starker Salpetersäure (auch schon beim Stehen in der Kälte) färben sie sich intensiv gelb. Wird die Lösung mit Ammoniak alkalisch gemacht, so vertieft sich die Farbe nach Orange. Durch die Salpetersäure werden in die aromatischen Kerne des Proteins (besonders das Tyrosin) N0 2 -Gruppen eingeführt, wodurch gelb gefärbte Nitrokörper entstehen. Millonsche Reaktion. Die Eiweißlösung wird mit einigen Tropfen Millonschem Reagens (Mercurinitrat in konzentrierter Salpetersäure) versetzt und gekocht. Das Koagulum f ä r b t sich rosa bis dunkelrot. Es handelt sich um eine Reaktion der Phenolgruppe des Tyrosins.
78
Die Proteine und ihre Bausteine
Paulysche Diazoreaktion. Versetzt man die Eiweißlösung, die mit Soda alkalisch gemacht wurde, mit diazotierter Sulfanilsäure (bereitet durch Zusatz von Nitrit zu einer angesäuerten Lösung von Sulfanilsäure), so entsteht eine kirschrote Färbung, beruhend auf der Kuppelung des Diazoniumsalzes mit der Imidazolgruppe des Histidins und der Phenolgruppe des Tyrosins. Reaktion von Adamkiewicz oder Hopkins und Cole. Es handelt sich um eine Reaktion der Indolgruppe im Tryptophan. Nach A d a m k i e w i c z gibt in Eisessig gelöstes Eiweiß beim Unterschichten mit konzentrierter Schwefelsäure an der Berührungsfläche eine rote Färbung. Wie H o p k i n s und Cole zeigten, ist für die Reaktion dis Glyoxylsäure (COOH • CHO) verantwortlich, die im Eisessig immer vorhanden ist. Man unterschichtet die mit Glyoxylsäure versetzte Lösung mit konzentrierter Schwefelsäure: violetter Ring. Reaktion von Molisch. Eiweißlösungen, mit a-Naphthol versetzt und mit konzentrierter Schwefelsäure unterschichtet, geben einen violetten Ring. Es handelt sich hier um eine Reaktion von Kohlehydratgruppen, die mit dem Eiweiß verbunden sind (Furfurolbildung unter Einfluß der konzentrierten Schwefelsäure). C. Die Analyse der Eiweißkörper Die erfolgreichsten Methoden zur Erschließung der chemischen Struktur der Proteine sind alle als „hydrolytische" Methoden zu bezeichnen. Es sind dies Spaltungsverfahren, durch welche unter Aufnahme von Wasser das Eiweißmolekül in seine Bausteine oder in einfache Bausteinkomplexe, Peptide, zerlegt wird. Im wesentlichen stehen drei Möglichkeiten dafür zur Verfügung: die Säurespaltung, die Alkalispaltung und die fermentative Spaltung. Die Alkalispaltung ist nur in beschränktem Maße anwendbar, da unter der Einwirkung des Spaltungsmittels die Aminosäuren rasch racemisiert und teilweise auch zersetzt werden (Cystin!). Die Säurespaltung ist die wichtigste chemische Spaltmethode. Der zu untersuchende Eiweißkörper wird mit der mehrfachen Menge seines Gewichtes konz. Salzsäure oder 30%iger Schwefelsäure stundenlang (6—16 Stunden) am Rückflußkühler gekocht. Es findet eine vollständige Hydrolyse statt, d. h. es finden sich dann nur mehr Aminosäuren neben dunkel gefärbten Zersetzungsprodukten („Humine") in der Flüssigkeit. Auch bei saurer Hydrolyse werden einzelne Aminosäuren zerstört, so das Tryptophan. (Diese Tatsache ist wichtig, weil neuerdings Eiweißhydrolysate zu therapeutischen Zwecken verwendet werden.) Zur Aufarbeitung stehen nun verschiedene Verfahren zur Verfügung. E. F i s c h e r führte die Aminosäuren in ihre Äthylester über, welche er einer fraktionierten Destillation unterwarf. Dadurch gelang es, die einfacher gebauten Aminosäuren zu trennen. Diese für die ganze Eiweißchemie hochbedeutende Methode hat aber nur zu einer teilweisen Klärung des Problems geführt, da besonders die basischen Aminosäuren durch sie nicht bestimmt werden können, weil deren Ester nicht flüchtig sind. A. K o s sei wandte verschiedene Salzfällungen an. So werden die basischen Aminosäuren alle durch das Reagens Phosphorwolframsäure gefällt und dadurch aus dem Hydrolysat entfernt. Nach der Entfernung der Phosphor wolframsäure wird das so erhaltene Gemisch der basischen Aminosäuren (Arginin, Histidin, Lysin) mit Silbersulfat bei bestimmter Alkalität gefällt. Bei ganz schwach alkalischer Reaktion fällt Histidinsilber, bei stark alkalischer fällt Argininsilber aus. Im Filtrat dieser Fällungen läßt sich dann die dritte Hexonbase, das Lysin, nach Ent-
Die Analyse der Eiweißkörper
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fernung des Silbers als Lysinpikrat isolieren. Dieses „Silberbarytverfahren" läßt sich auch zu einer quantitativen Bestimmungsmethode der genannten Aminosäuren gestalten. In Kombination mit dem beschriebenen F i s c h er sehen Verfahren ist es dadurch möglich gewesen, die Bausteinanalyse der Proteine in weitgehender Weise zu vervollkommnen. D a k i n konnte dann weiterhin zeigen, daß sich gewisse Aminosäuren aus dem Hydrolysat durch Butylalkohol extrahieren lassen. Er erreichte dadurch eine Trennung der Monoaminocarbonsäuren von den Dicarbonsäuren und den Hexonbasen. Diese bleiben im wäßrigen Hydrolysat zurück und können nun durch die Estermethode und das Kosselsche Verfahren noch weiter aufgeteilt werden. Seither ist die Analyse der Aminosäuregemische, wie sie durch Hydrolyse der Proteine entstehen, beständig weiter entwickelt worden. Man hat weitere Fällungsreagentien gefunden, die einzelne Aminosäuren abzutrennen und auch quantitativ zu bestimmen gestatten (Flaviansäure zur Fällung des Arginins, Nitronilsäure zur Fällung des Lysins, des Glycocolls, des Histidins, verschiedene komplexe Chromsalze zur Fällung von Prohn, Oxyprolin, Glycocoll u. a. m.). Es ist in einigen Fällen auch möglich, Aminosäuren in andere leicht bestimmbare Verbindungen überzuführen. So lassen sich z. B. die Oxysäuren wie Serin und Threonin durch Per jodsäure H J 0 4 zu Aldehyden oxydieren, die abdestilliert und bestimmt werden können. Auch Fermente haben Anwendung gefunden, z . B . die Spaltung des Arginins durch die Arginase (vgl. S. 172) und Bestimmung des gebildeten Harnstoffs. Sehr zahlreich sind auch die kolorimetrischen Methoden, die zur Bestimmung einzelner Aminosäuren ausgearbeitet worden sind. Wir haben bei Besprechung der Aminosäuren verschiedene Farbreaktionen erwähnt. Die Besprechung aller dieser Verfahren würde zu weit führen. In neuester Zeit bedeutet, wie bereits erwähnt wurde, die Einführung der Mikroorganismen, insbesondere des Lactobacillus arabinosus, in die Eiweißanalyse einen großen Fortschritt. Ein Hauptvorteil dieser Methode ist ihre Spezifität und die geringe Menge Untersuchungsmaterial, die sie benötigt. Auch die Adsorptionstechnik in ihren verschiedenen Ausführungsformen (siehe Kap. 9) ist zur Trennung von Aminosäuregemischen herangezogen worden. Es gelingt, durch geeignete Wahl der Adsorptionsmittel und der Arbeitsbedingungen entweder Gruppen verwandter Verbindungen oder auch einzelne Aminosäuren abzutrennen. Als besonders wirksame Methode hat sich in neuerer Zeit die chromatographische Analyse an Adsorptionskolonnen von Stärke erwiesen. Eine Behandlung aller dieser Methoden fällt nicht in den Rahmen dieses Buches. Es sei hier nur auf eine spezielle-Technik hingewiesen, die wegen ihrer Einfachheit und Eleganz weite Verbreitung gefunden hat: die sog. Papierchromatographie. Sie ist eine besondere Ausführungsform der chromatographischen Analyse. Von der zu untersuchenden Lösung wird ein kleiner Tropfen auf einen Papierstreifen aufgetrocknet, der in einen Trog mit einem geeigneten Lösungsmittel (gewöhnlich Phenol oder Collidin) gehängt wird. Das Lösungsmittel, das durch Kapillarität aufgesogen wird und den Streifen entlang wandert, führt die verschiedenen Aminosäuren mit verschiedener Geschwindigkeit mit, so daß sie nach Ablauf einiger Zeit dem Streifen entlang verteilt sind. Wird nach Verdunsten des Lösungsmittels das Papier mit Ninhydrin besprengt und erwärmt, so erscheinen die einzelnen Aminosäuren als violette Flecken. Diese Methode gestattet eine rasche Identifizierung der Komponenten eines Gemisches. Sie ist auch auf zahlreiche andere Stoffklassen angewandt worden (Zucker, Nucleotide u. a. m.; Näheres siehe S. 152).
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Die Proteine und ihre Bausteine
Die Feststellung der Natur und der Menge der Aminosäuren, die in den verschiedenen Proteinen vorhanden sind, ist eines der Grundprobleme der Eiweißchemie und ist auch heute noch eine schwierige Aufgabe. Es ist erst in neuerer Zeit und bei wenigen Proteinen gelungen, mit Hilfe der angedeuteten Methoden alle vorhandenen Aminosäuren so exakt zu bestimmen, daß annähernd 100% des Stickstoffs wieder gefunden werden. Die meisten Analysen, insbesondere die älteren, weisen beträchtliche Lücken auf; teilweise konnten nicht alle Aminosäuren erfaßt werden, teilweise traten bei der Bestimmung beträchtliche Verluste auf. D. Die Struktur der Proteine Da es einerseits gelungen ist, durch vorsichtige Spaltung der Eiweißkörper Peptide aus ihnen zu erhalten, und da andererseits nur Aminosäuren als Bausteine der Proteine erhalten werden, ist die Peptidbindung wahrscheinlich die einzige, jedenfalls weitaus die wichtigste Verknüpfungsart der Aminosäuren in den Proteinen. Auch die nachher zu besprechenden Methoden zur Bestimmung der freien Aminound Carboxylgruppen haben zur Annahme der Peptidbindung als wichtigster Bindungsart geführt. Die meisten Eiweißkörper enthalten nur eine geringe Anzahl von freien Aminooder Carboxylgruppen. Unter dem Einfluß von hydrolytisch wirkenden Agentien, wie Säuren oder Fermenten, nimmt die Anzahl der freiwerdenden Gruppen zu, und zwar im g l e i c h e n V e r h ä l t n i s . Man kann zeigen, daß immer für je eine NH 2 -Gruppe eine COOH-Gruppe freigelegt wird. Dieses Verhalten der Eiweißkörper weist darauf hin, daß es im wesentlichen immer Peptidbindungen sind, welche gelöst werden: CO—NH 'CO—NH CO—NH t
t
t
h2o
h2o
h2o
COäH I h 2 n
co 2 h I h 2 n
co 2 h I H2N
Als Grundstruktur der Proteine muß daher eine sog. Peptidkette angenommen werden, die durch Verknüpfung zahlreicher Aminosäuren entsteht und schematisch folgendermaßen dargestellt werden kann: CO—NH-CH-CO—NH-CH-CO—NH-CH-CO—NH- CH-CO—NH I I I ! Rt R2 R3 R4 Demnach ist allen Proteinen und Polypeptiden eine Kette von Atomen gemeinsam, die durch regelmäßige Wiederholung der Gruppe —CO-NH-CH— erzeugt wird. (Man hat sie in anschaulicher Weise als das „Rückgrat" des Eiweißmoleküls bezeichnet.) Abgesehen von der Länge dieser Kette unterscheiden sich also die verschiedenen Proteine durch die Natur und die Anordnung der Gruppen R 1 ; R 2 . . . usw., die als kurze Seitenketten an der langen Hauptkette sitzen und je nach der Natur der Aminosäuren, der sie angehören, verschiedene funktionelle Gruppen tragen. Diese Seitenketten sind daher für das chemische, physikalische und biologische Verhalten der Proteine von größter Bedeutung. Sofern die Polypeptidketten offen sind, tragen sie am einen Ende eine freie Aminogruppe, am anderen Ende eine freie Carboxylgruppe. Es scheint aber tatsächlich auch Peptide zu geben, die cyklisch gebaut sind, so z. B. das vom Bacillus brevis gebildete antibiotisch wirksame Gramicidin, in welchem sich keine freien Amino- oder Carboxylgruppen nachweisen lassen.
Die Struktur der Proteine
81
Bei der obigen Formulierung der Peptidkette wird angenommen, daß die Verknüpfung der einzelnen Aminosäuren immer durch eine a-Aminogruppe und eine a-Carboxylgruppe erfolgt. Es gibt aber Aminosäuren mit zwei Carboxylgruppen (Glutamin- und Asparaginsäure) und solche mit zwei Aminogruppen (Lysin, Oxylysin). Bei diesen besteht auch die Möglichkeit, daß die zweite Carboxyl- oder Aminogruppe in die Peptidbindung eingezogen werden kann. Beim oben genannten Tripeptid Glutathion z. B. ist die y-ständige Carboxylgruppe der Glutaminsäure mit dem Cystein verknüpft. Es wäre auch durchaus möglich, daß an solchen Gruppen sich eine neue Peptidkette ansetzt, so daß verzweigte Moleküle entstehen würden. Es liegen aber für eine derartige Verknüpfung der Aminosäuren in den Proteinen keine sicheren Anhaltspunkte vor.
Die Sörensensche Formolmethode bestimmt nicht nur die «-Aminogruppe, sondern natürlich auch die endständigen Aminogruppen der Diaminosäuren, wie z. B. des Lysins, während z. B. die Aminogruppen des Guanidinkernes des Arginins nicht mit Formol reagieren und auch nicht mit salpetriger Säure Stickstoff abspalten. In den beiden Formelbildern sind die reagierenden Aminogruppen hervorgehoben: CH2-NH2 | = ch 2 I CH2 I
CH2
/NH 2 Ci=NH nsth I CH2 I
ch 2
!
I
COOH
CH-NH2
chnh2
Lysin
ch 2
COOH Arginin
Untersucht man nun intakte Eiweißkörper auf ihren Gehalt an freien Aminogruppen, so findet man, daß Proteine, welche in ihrem Molekül k e i n L y s i n enthalten, auch keine freien Aminogruppen enthalten, welche mit Formol oder salpetriger Säure reagieren. Die Anzahl der freien Aminogruppen steht in Beziehung zum Lysin gehalt und beträgt etwa die Hälfte der im Lysin vorliegenden Aminogruppen. Die Proteine Clupein und Gliadin enthalten kein Lysin, daher auch keine freien Aminogruppen. Das Protamin Cyprinin enthält im Gegensatz dazu viel Lysin, daher viel freie Aminogruppen. Daraus haben v a n S l y k e und B i r c h a r d geschlossen, daß das Lysin nur mit seiner Carboxyl- und oc-Aminogruppe im Eiweißmolekül gebunden ist, während die endständige Aminogruppe in freier Form vorliegt: CH2—nh2
ch 2 —nh 2
!
I
CIL,
CH9
CHo
CH«,
1
1
ch 2
ch 2
NH—CO—CH—NH—CO Lysin
NH—CO—CH—NH—CO— Lysin
Diese Anschauung deckt sich vollkommen mit einer schon viel früher von S k r a u p gemachten Beobachtung, daß aus Eiweißkörpern nach Einwirkung von salpetriger Säure bei der Hydrolyse kein Lysin mehr erhalten werden kann. C8 N—Cj—N^; Der P y r i m i d i n r i n g ist folgendermaßen gebaut: 3
»N—C« 2
I
C
I
C6
! I N—C4
3
104
Die Nucleinsäuren
Um die verschiedenen Substitutionsorte zu bezeichnen, hat man, wie die in dem Schema angeführten Zahlen angeben, die einzelnen Atome numeriert. Für die beiden Ringsysteme ist vielfach auch die folgende Schreibweise gebräuchlich, die wohl der geometrischen Konfiguration der Moleküle besser entspricht als die obige: N |
c
C |
\
c
/
C
bzw.
X n / ^ N /
|
N
C I
c
c
N N /
Wir werden beide nebeneinander gebrauchen.
Der Name Purin, welcher der Stammverbindung entspricht, wurde von E . F i s c h e r durch Zusammenziehung der Worte Purum uricum gebildet, um dadurch anzudeuten, daß im Purin die reine, der Harnsäure (Acidum uricum) zugrunde liegende Substanz gefunden wurde. In den Nucleinsäuren sind zwei Purinderivate enthalten: Adenin und Guanin. Es seien hier noch zwei Purinkörper erwähnt, die zwar nicht als Bausteine der Nucleinsäuren vorkommen, aber zu den beiden genannten Körpern in enger Beziehung stehen, das Hypoxanthin und das Xanthin. Im Tierkörper können diese Stoffe in die Harnsäure übergehen. Als Purinkörper pflanzlichen Ursprungs seien das Theophyllin und das Coffein erwähnt. 1. Adenin = 6-Aminopurin N = C • NH„ Hi
2. Hypoxanthin = 6-Oxypurin (Sarkin) N=C•OH
NH
I! II N—C—N
HC
CH X
3. Guanin = 2-Amino-6-Oxypurin N=C•OH
N—C—N
4. Xanthin = 2,6-Dioxypurin N=C•OH
NH II II N—C—N
>CH
C—NH
HOC
C—NH
II>
CH ^
CH
N—C—N
5. Harnsäure = 2 , 6 , 8 - Trioxypurin N=C•OH I I H O C C—NH
I I ^>C'0H
N—C—N
Die angeführten Purinbasen zeigen gewisse chemische Eigentümlichkeiten: Durch Einwirkung von salpetriger Säure wird das Guanin in Xanthin und das Adenin in Hypoxanthin übergeführt: C 6 H 3 N 4 0 • NH 2 + H N 0 2 = C 5 H 4 N 4 0 2 + N 2 + H 2 0 Guanin Xanthin C 5 H 3 N 4 -NH 2 -f H N 0 2 = C 6 H 4 N 4 0 + N 2 + H 2 0 Adenin Hypoxanthin
Die stickstoffhaltigen Bausteine
105
Dieser Übergang, der auch physiologisch bedeutungsvoll ist, wird bei der Behandlung des Stoffwechsels der Purinderivate noch besprochen werden. Das Adenin wurde 1885 von K o s s e i im Gewebe der Pankreasdrüse entdeckt. Bei Fäulnis geht es unter Ammoniakabspaltung in Hypoxanthin über. Es ist eine Base und bildet ein schwer lösliches Pikrat. Das Hypoxanthin wurde 1850 von S c h e r er im Muskel entdeckt; es findet sich reichlich im Fleischextrakt und kommt in der noch zu besprechenden Inosinsäure (einem Nucleotid des Muskels) vor. Das Guanin, zuerst von U n g e r 1844 im Guano aufgefunden, ist ebenso wie das Adenin und Hypoxanthin ein Spaltprodukt der Nucleinsäuren. Die Schuppen der Fische verdanken dem Vorkommen von Guaninkristallen ihren eigentümlichen Glanz. Es findet sich bei der sog. Guaningicht der Schweine als Ablagerung in den Gelenken, ähnlich der Harnsäure bei der menschlichen Gicht. Das Xanthin wurde schon 1817 in Harnkonkrementen gefunden. Es kommt nicht in den Nucleinsäuren vor, bildet sich aber sehr leicht durch Desaminierung des Guanins. Die Purinbasen sind in Wasser schwer löslich und geben mit Säuren kristallisierende Salze. Sie lösen sich leicht in Ammoniak und werden von ammoniakalischer Silberlösung gefällt. Auch aus der salpetersauren Lösung werden sie als kristallisierende Silbernitratverbindungen ausgefällt. Schweflige Säure und Kupfersulfat fällen sie beim Kochen als Cuproverbindungen aus. Sie fallen mit Phosphorwolframsäure aus. Die Harnsäure (von K . W . S c h e e l e 1776 in Harnsteinen entdeckt) stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purinstoffwechsels dar. I n reichlicher Menge findet sie sich in den Exkrementen der Vögel und der meisten Reptilien. Bei diesen Tierklassen wird fast der gesamte Stickstoff in Form der Harnsäure ausgeschieden. Die Harnsäure ist im Wasser sehe schwer löslich. Sie löst sich leicht in Alkalien unter Salzbildung auf. Ihre Salze heißen Urate. I n Lösungen, die einen Überschuß von Ammoniumionen enthalten, ist auch das Ammoniumsalz ziemlich schwer löslich. Es kann auf diese Weise gefällt werden. Man findet Ammoniumurat als Harnsediment und in Harnsteinen. Harnsäure gibt die sog. Murexidprobe: Beim Erhitzen einer kleinen Menge Harnsäure mit konzentrierter Salpetersäure bleibt nach dem Abdampfen der Säure ein orangeroter Rückstand, der sich beim Befeuchten mit Alkali violett färbt. Die Reaktion beruht auf der Oxydation der Harnsäure zu Alloxan und Dialursäure, die sich mit Ammoniak zum Murexid, dem Ammoniumaalz der Purpursäure, vereinigen. Wahrscheinliche Formel: HN—C=0
!
II
HN—C
\
0=C—NH
I I
0=C—NH ONH4 Murexid
HN—C=0
I
>=C
I
HN—C=0 Dialursäure
0=C—NH
+
2NH 3
+
0=C
C=0
0=C—NH Alloxan
Die Nucleinsäuren
106
B. Pyrimidinkörper Es sind drei Verbindungen dieser Gruppe von A. K o s sei und seinen Mitarbeitern aus den Spaltungsprodukten der Nucleinsäuren isoliert worden: Sie heißen: Cytosin, Uracil und Thymin. Das Cytosin - ist ein 2-Oxy-6-aminopyrimidin, das Uracil ein 2,6-Dioxypyrimidin, das Thymin ist ein 2,6-Dioxy-5-methylpyrimidin. N=C—NH,
I
HO—C
!
CH
N=C—OH HO—C
II II
II
N—CH Cytosin
CH
II
N=C—OH HO4
N—CH Uracil
i • CH3
II II
N—CH Thymin
Cytosin kommt als Baustein beider Nucleinsäuregruppen vor, Uracil findet sich bei den Ribosenucleinsäuren. In den Desoxyribosenucleinsäuren wird es durch Thymin vertreten. Das Cytosin geht durch Desaminierung in das Uracil über. 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren K o s s e i und N e u m a n n konnten zeigen, daß es unschwer gelingt, aus den Nucleinsäuren die Purinbasen abzuspalten. In Verfolgung dieser Reaktion gelang es Le v e n e , durch Erhitzen mit verdünnten Säuren aus der aus Muskelfleisch dargestellten I n o s i n s ä u r e die Purinbase Hypoxanthin abzuspalten, und der verbliebene Rest erwies sich nun als eine Esterverbindung eines Kohlehydrates (Ribose) mit Phosphorsäure. Diese Verbindung, die als kristallisiertes Bariumsalz isoliert werden konnte, zeigte stark reduzierende Eigenschaften. Sie war eine Ribosephosphorsäure. Andererseits konnte die Inosinsäure bei Gegenwart von Alkali oder nur durch überhitztes Wasser einer Spaltung unterworfefi werden, so daß nur die Phosphorsäure abgespalten wurde. Es verblieb dabei eine Verbindung von Hypoxanthin-Ribose. Diese erhaltene Substanz zeigte keinerlei reduzierende Eigenschaften, im Gegensatz zu der Ribosephosphorsäure. Es war also in s a u r e r Lösung die Spaltung so verlaufen, daß aus den drei Bausteinen der Inosinsäure die Verbindung: Ribose—Phosphorsäure
bei der alkalischen Spaltung die Verbindung: Hypoxanthin—Ribose
entstanden waren. Dementsprechend ist also für die Inosinsäure die Gruppierung angenommen worden: Base-—Kohlehydrat—Phosphorsäure
Eine derartige Verbindung wird Nucleotid (genauer Mononucleotid) genannt, während die Verbindung: als Nucleosid bezeichnet wird.
Base—Kohlehydrat
Es ist gelungen, aus den Nucleinsäuren durch Hydrolyse verschiedene Nucleotide und Nucleoside zu isolieren, und zwar sowohl Purin- als auch Pyrimidinverbindungen. Ihre Kenntnis ist für die Strukturaufklärung der Nucleinsäuren von großer Bedeutung.
Die Bindung der Bausteine in den Nucleinaäuren
107
Als Beispiel eines Purinnucleosids sei etwa das Adenosin erwähnt, das aus Hefenucleinsäure gewonnen werden kann: N = C • NH„
C—CH.OH H H
H H
Behandelt man Adenosin mit Natriumnitrit in essigsaurer Lösung, so tritt Desaminierung ein und es entsteht das Hypoxanthin-d-ribosid, das von Haiser und Wenzel schon früher unter dem Namen Inosin entdeckt worden war. Das entsprechende Adehinnucleotid, die I n o s i n s ä u r e , ist schon von Liebig aus Fleischextrakt isoliert worden. Inosinsäure kann auch unter physiologischen Bedingungen aus der im Muskel vorhandenen wichtigen Muskeladenylsäure entstehen (vgl. unten). Als Pyrimidinnucleoside seien erwähnt: Cytidin = Cytosin-d-ribosid: H 2 N—C=N
I I
HC
II
0I OH OH
C:0R
I
HC—N— C — C — -C—C—CH.OH H H H H
Uridin = Uracil-d-ribosid:
H0-C=N H(I
C:0
OH OH HC—N—C—C— -C—C—CHOOH H H H H
Beide wurden von Levene durch ammoniakalische Hydrolyse aus pflanzlichen Nucleinsäuren gewonnen. Sie sind gegen hydrolytische Angriffe beständiger als die Purinnucleoside. Die Nucleotide spielen nicht nur als Bausteine der polymeren Nucleinsäuren eine Rolle. Wir kennen auch verschiedene nucleotidartig gebaute niedrigmolekulare Stoffe, die als Wirkungsgruppen von Fermenten vorkommen. Zu den wichtigsten gehört die schon erwähnte Muskeladenylsäure, ein Adeninmononucleotid. (Sie ist von der aus Hefe isolierten Hefeadenylsäure verschieden ; die letztere trägt den Phosphorsäurerest in Stellung 3 der Ribose.) N=C—NH„ HC
C—N,
II II
N—C—N
k heißt in diesem Fall Dissoziationskonstante. Die Konzentration der Stoffe ist durch Einschließen des chemischen Symbols in eckige Klammern ausgedrückt. 2. B e i s p i e l : Ca-Ionen und Carbonationen fällen sich unter geeigneten Bedingungen nach der GleichungB „„ t Ca++ + C O , " -7 * CaC03 aus. Es muß also die folgende Beziehung bestehen: [Ca + + ] • [C0 3 ] . [CaC0 3 ] =k°n3t-
Massenwirkungsgesetz; Aktivität der Ionen
119
Da CaC0 3 schwer löslich ist, fällt es schon bei geringer Konzentration der Ionen aus und bildet den Bodenkörper der Lösung. Die Lösung ist also in bezug auf CaC0 3 gesättigt und die Konzentration des undissoziierten Salzes CaC0 3 (die außerordentlich klein sein kann) ist daher bei gegebener Temperatur konstant (siehe Abschnitt Phasenregel). Man kann also in der obigen Gleichung die Konzentration [CaC0 3 ] mit der Konstanten vereinigen und erhält [Ca++].[C0 3 —] = 1 =
10-"
1 wird als L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t bezeichnet. Es gestattet zu berechnen, welche Konzentration von Ionen, die schwerlösliche Salze bilden, nebeneinander in der Lösung bestehen können. 3. B e i s p i e l : Säuren und Alkohole können sich unter Wasseraustritt zu Estern vereinigen: v
Säure = Alkohol
Ester + H 2 0
Es gilt also die Gleichgewichtsbedingung: [Ester]-[H 2 Q] _ [Säure]-[Alkohol] ~~ Geht die Reaktion in verdünnter wässeriger Lösung vor sich, so kann [ H 2 0 ] als konstant angenommen werden und es gilt: [Ester] [Säure] • [Alkohol] =
k
Das Gleichgewicht stellt sich ein, wenn man von beliebigen Gemischen der Komponenten ausgeht. Man erhält im obigen Beispiel dasselbe Gleichgewichtsgemisch, ob man vom Ester oder einem Gemisch der äquivalenten Mengen der Säure und des Alkohols ausgeht. Die Reaktionen verlaufen aber oft sehr träge, so daß die Einstellung des Gleichgewichts lange Zeit braucht, wenn nicht geeignete Katalysatoren, z. B. Fermente, vorhanden sind. Solche Katalysatoren beschleunigen immer nur den zeitlichen Ablauf der Reaktion, indem sie Reaktionshindernisse entfernen, ohne das endgültige Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Komponenten in meßbarer Weise zu beeinflussen. Wir werden auf diese Frage im Kapitel über die Fermente zurückkommen. Die obigen Gleichungen gelten streng nur für sehr verdünnte Lösungen. Für Lösungen endlicher Konzentration dürfen in die Gleichungen des Massenwirkungsgesetzes, wenn sie streng gültig sein sollen, nicht die Konzentrationen der Stoffe eingesetzt werden, sondern eine von der Konzentration abhängige Größe, die sog. Aktivität. Nur für sehr verdünnte Lösungen kann die Aktivität eines Stoffes seiner Konzentration gleichgesetzt werden. Bezeichnen wir die Aktivität der Stoffe in der obigen Gleichung mit a A , a B usw., so lautet das Massenwirkungsgesetz in seiner strengen, für beliebige Konzentrationen gültigen Form: a
•
R ' aS ' " '
am
. a.n.
A
. . .
, = k
B
Man kann die Beziehung zwischen Konzentration und Aktivität eines Stoffes durch die sog. Aktivitätskoeffizienten f angeben, indem man a = f-c
setzt. Nur für sehr verdünnte Lösungen ist f = 1, d . h . a = c. Betrachten wir eine einfache Spaltung, z . B . : . y _ ( ,, A ^
r -+- y ,
so lautet die strenge Gleichgewichtsbedingung: fp • c p • fQ • c t f
daraus folgt:
AaA
= k;
.
°A
= k•
f
P ' fQ
= k'
Einige physikalisch-chemische Grundgesetze
120
Die Größe k', die man erhält, wenn man an Stelle der Aktivitäten die Konzentrationen in die Gleichgewichtsbedingung einsetzt, heißt scheinbare Gleichgewichtskonstante und muß von der wahren oder thermodynamischen Gleichgewichtskonstanten streng unterschieden werden. Da die Aktivitätskoeffizienten im allgemeinen von der Zusammensetzung der Lösung abhängig sind, erkennt man, daß k' keine Konstante ist, sondern sich mit der Konzentration der reagierenden Stoffe ändert. Besonders groß sind die Abweichungen bei Elektrolyten. Die Aktivitätskoeffizienten können hier schon für relativ verdünnte Lösungen, wie sie z. B. in den Körpersäften vorliegen, beträchtlich von der Einheit abweichen. Dies erklärt sich aus der elektrostatischen Wechselwirkung der Ionen. Die Abweichungen sind um so größer, je höher die Wertigkeit der Ionen ist. Die Aktivität der Stoffe kann experimentell durch verschiedene Methoden bestimmt werden. Die thermodynamische Ableitung des Begriffes der Aktivität, der eng mit dem Begriff der freien Energie zusammenhängt, sowie die Besprechung dieser Methoden liegt außerhalb des Rahmens dieses Buches. Wir verweisen insbesondere auf das grundlegende Werk von L e w i s und R a n d a l l : Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen. 4. B e i s p i e l : Wir betrachten das oben bereits erwähnte Beispiel der Dissoziation einer schwachen Säure A H < A~ + H + . Wir bezeichnen die Konzentrationen durch eckige, die Aktivitäten durch runde Klammern. Dann lautet die Gleichgewichtsbedingung: 4( A ~ > - ( H + ) . kk oder 6 ( (H ) ) (AH) ~ ~
kk
(AH)
(A")
Die Messung des p H mittels der Wasserstoffelektrode gibt direkt den Logarithmus der Wasserstoffionenaktivität. Also gilt: pH = - l o g k +
log^-
oder, wenn wie üblich f ü r — l o g k = pk gesetzt wird: (A") p H = pk + log (AH) Bekanntlich nennt man Lösungen, die nebeneinander schwache Säuren und ihr Anion oder schwache Basen und ihre Kationen enthalten, P u f f e r g e m i s c h e , weil in solchen Lösungen bei Zusatz kleiner Mengen starker Säuren oder Basen die Reaktion nur wenig verändert wird. Die obige Gleichung enthält die ganze Theorie der Pufferlösungen; sie wird im folgenden Abschnitt genauer besprochen. Setzt man nun f ü r das Anion A— und die Säure A H an Stelle der Aktivität die Konzentration ein, so erhält m a n : W A H ] f ^ A H ] _ [AH] ( H )
oder:
"
k
f
A
_[A-]~kf
A
_
[A-]-k[A-]
p H = pk' + log f
AH
Diese Gleichung h a t genau die gleiche Form wie die obige; die Größe k • - — = k ' ist aber ±
A-
keine Konstante, weil die Aktivitätskoeffizienten von der Zusammensetzung der Lösung abhängig sind, k ' wird als s c h e i n b a r e D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e bezeichnet. Wenn man aus dem bekannten Mischungsverhältnis von Säure und Salz (AH und A~) in einer Pufferlösung den pH-Wert berechnen will — eine Aufgabe, die sich in der Praxis oft stellt —, so muß man den Wert der scheinbaren Dissoziationskonstanten f ü r die herrschenden Bedingungen kennen. Die obige Gleichung besagt, daß das p H eines Puffergemisches nur vom V e r h ä l t n i s der undissoziierten Säure zum Anion abhängig ist, nicht von der absoluten Konzentration des Gemisches. Wegen der Abhängigkeit der Aktivitätskoeffizienten von der Ionenkonzentration gilt dieses Gesetz aber nicht streng; die scheinbare Dissoziationskonstante und damit natürlich
121
Massenwirkungsgesetz; Aktivität der Ionen
auch der pH-Wert der Lösung ändert sich mit der Verdünnung. Aus dem gleichen Grund ändert sich der pH-Wert einer Pufferlösung auch beim Zusatz von Neutralsalzen. Man findet z. B. beim Verdünnen eines Gemisches, welches aus primärem und sekundärem Phosphat im Verhältnis 1 : 1 besteht, die folgende Änderung der pH-Werte: Gesamtkonzentration des Phosphats: pH-Wert
0,1-m.
0,01-m.
0,001-m.
auf oo Verdünnung extrapoliert
6,99
7,11
7,16
6,76
Wie aus den obigen Gleichungen leicht ersichtlich ist, entspricht der pH-Wert für das Mischungsverhältnis [HP0 4 ~~]: [ H 2 P 0 4 _ ] = 1 gerade dem Logarithmus der scheinbaren Dissoziationskonstanten pH = pk'. Die Extrapolation der pH-Werte auf unendliche Verdünnung ergibt daher die wahre oder t h e r m o d y n a m i s c h e D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e pk = 7,16. (Es handelt sich hier um die zweite Dissoziationskonstante der Phosphorsäure.) Bei Pufferlösungen, die aus der Mischung einer schwachen Säure mit ihrem Salz bestehen, nimmt bei Verdünnung der pH-Wert stets zu, bei Mischungen einer schwachen Base mit ihrem Salz nimmt er ab. Es sind teils auf empirischem Weg, teils durch theoretische Überlegungen Formeln aufgestellt worden, welche die Aktivitätskoeffizienten der Ionen für verschiedene Elektrolytkonzentrationen zu berechnen gestatten. Es zeigt sich, daß diese Koeffizienten von der Konzentration und Wertigkeit aller in der Lösung vorhandener Ionen abhängen, und zwar tritt hier eine für alle Elektrolytwirkungen wichtige Größe, die sog. I o n e n s t ä r k e /j, auf. Es ist dies die halbe Summe aller mit dem Quadrat der Wertigkeit multiplizierten Ionenkonzentrationen. Bezeichnen wir die Konzentration der einzelnen Ionen mit cj, ihre Wertigkeit mit wj, so ist:
I* = Vi iü «i V , wobei die Summe über sämtliche in der Lösung vorhandenen Ionen, positive und negative, zu erstrecken ist; zB. ergibt sich für eine Mischung von 0,05-m. KH 2 P0 4 und 0,05-m. Na 2 HP0 4 : K+ H2P042 Na HP04— = i/2 (0,05 -l 2 + 0,05 -l 2 + 0,1 -l 2 + 0,05 -22) = 0,2 Nach einer von D e b y e und Hü ekel entwickelten Theorie läßt sich der Aktivitätskoeffizient der Ionen in verdünnten Elektrolytlösungen berechnen. Die Gleichung hat die Form: M
— log f = 0,5 Wj2
^ß 1— &Vp WJ ist die Wertigkeit des betrachteten Ions, a ist eine Größe, welche dem (empirisch zu bestimmenden) Ionenradius proportional ist. (Der Ionenradius ist als diejenige Distanz zu definieren, auf die sich die anderen Ionen dem betrachteten Ion nähern können; er ist selbst wieder von der Zusammensetzung der Lösung abhängig.) Für höhere Ionenkonzentrationen müssen empirisch Korrektionsglieder eingeführt werden. Die Formel läßt erkennen, daß die A k t i v i t ä t eines I o n s von der K o n z e n t r a t i o n und W e r t i g k e i t s ä m t l i c h e r in der L ö s u n g v o r h a n d e n e r Ionen a b h ä n g i g ist. Besonders groß ist der Einfluß der Wertigkeit, da sie als Quadrat in die Formel eingeht. Die Erfahrung zeigt denn auch, daß die Abweichungen vom einfachen Massenwirkungsgesetz für mehrwertige Elektrolyt« besonders groß sind. Man kann aus der obigen Gleichung leicht ableiten, in welcher Weise sich die scheinbare Dissoziationskonstante (und damit der pH-Wert) beim Verdünnen einer Pufferlösung ändert. Nach der oben gegebenen Definition ist fAH k' = k 7— , daher pk' = pk + log f"A — log f A H Der Aktivitätskoeffizient der nicht dissoziierten Säure f , H kann gleich Eins gesetzt werden, d.h. l o g f A H = 0 . Aus der obigen Gleichung ergibt sich daher: pk' = pk — 0,5
1 —a
yß
122
Säuren und Basen
Mit zunehmender Ionenstärke, d. h. mit wachsender Konzentration des Puffergemisches, wird daher pk' kleiner, wie dies aus der Tabelle S. 121 hervorgeht. Mit zunehmender Verdünnung nähert sich pk' dem Wert der thermodynamischen Konstanten pk. Betrachten wir noch das praktisch sehr wichtige Gemisch aus primärem und sekundärem Phosphat, so gilt: H+ = k daher: pk' = k
(H2P04-
(HP0 4
)'
fjj pq — ' ' oder pk' = pk + log f H P 0
- — log f H
'hpo,—
po
Für das primäre Anion ist die Wertigkeit w = 1, für das sekundäre ist w = 2. Man findet daher: — £a 1Y— fi + 0,5 1 — a pk' = p k - 0 , 5 - 2 » 1- —
Yß
l ¡J. = p k - l , 5 : 1 — Va TY
Man sieht, daß hier wegen der Zweiwertigkeit des sekundären Phosphats der Verdünnungseffekt viel größer ist als bei einer einwertigen Säure. Im Blut und in den Zellen spielen die Proteine als Puffersubstanzen eine große Rolle. Da sie vielwertige Ionen bilden, ist hier der Einfluß des Ionenmilieus besonders groß.
Siebentes Kapitel Säuren und Basen Die gebräuchliche Definition bezeichnet als Säuren solche Stoffe, die in wässeriger Lösung Wasserstoffionen, als Basen Stoffe, die Hydroxylionen abgeben. Wir führen hier eine etwas allgemeinere Definition ein, die in verschiedener Hinsicht einfacher ist als die obige und die Säuren und Basen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt betrachtet. Wir bezeichnen nach dieser Definition, die von B r ö n s t e d entwickelt wurde, als Säuren Stoffe, die Wasserstoffionen, genauer Protonen, abgeben, und als Basen Stoffe, die Protonen aufnehmen. Die Definition der Säure deckt sich mit der üblichen. Die Bedeutung der neuen Definition der Basen wird am besten an einem Beispiel erläutert. Die basische Natur des Ammoniaks wird in der elementaren Chemie dadurch erklärt, daß das Ammoniak Wasser anlagert, worauf das entstandene Ammoniumhydroxyd in Ammoniumionen und Hydroxylionen zerfällt: NH 3 + H 2 0
NH 4 OH
NH 4 OH
> NH 4 + + OH - .
Das freie Ammoniak wird also nicht als Base angesehen. Man kann aber die basische Natur des Ammoniaks einfacher durch die direkte Anlagerung eines Wasserstoffions erklären:
NH 3 + H+
, NH 4 + .
Wasser enthält immer Wasserstoffionen, da es selbst in H + und O H - dissoziieren kann. Ist daher keine Säure vorhanden, z. B. beim Auflösen von NH 3 in reinem Wasser, so liefert das Wasser selbst die Wasserstoffionen nach, wobei natürlich eine äquivalente Menge freier Hydroxylionen zurückbleibt: NH 3 + H 2 0
• NH 4 + + O H - .
Die Anlagerung des Protons an das Ammoniakmolekül ist auf Grund der Elektronentheorie der Valenz leicht verständlich. Im Ammoniak ist noch ein freies Elektronenpaar vorhanden, durch welches das Proton gebunden werden kann: H H : N : + H+ H
•
H -| + H:N:H H
Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen
123
Die B r ö n s t e d s c h e Theorie der Säuren und Basen f ü h r t dazu, nicht nur neutrale Moleküle, sondern auch Kationen und Anionen als Säuren oder Basen anzusehen, je nachdem sie Protonen abgeben oder aufnehmen können. So ist z. B. das N H 4 + - I o n eine „Säure", eine sogenannte „Kationensäure", weil es in Umkehrung der oben angeschriebenen Reaktionen Protonen abgeben kann. Umgekehrt kann das Hydrogencarbonat-Anion (HC0 3 ~) als „Base" aufgefaßt werden („Anionenbase"), denn es nimmt Protonen auf, die vom Wasser geliefert werden, wodurch sich die alkalische Reaktion der primären Carbonate erklärt: HCOs- + H 2 0
* H2C03 + OH- .
Ganz allgemein entsteht aus einer Säure durch Abgabe eines Wasserstoffions notwendigerweise eine Base und aus einer Base durch Anlagerung eines Protons eine Säure gemäß der folgenden Gleichung: „Säure" 7—„Base" + H + . Jeder Säure ist also eine Base zugeordnet, die um eine Ladungseinheit negativer ist als die Säure und umgekehrt (z. B. Base N H 3 : Ladung O, Säure N H 4 + : Ladung 1, usw.). Wir bezeichnen im folgenden ein derart zusammengehörendes Paar von Säure und Base als zugeordnetes oder konjugiertes Paar. Das Wasser selbst kann als Säure reagieren, indem es unter Bildung eines OHIons ein Proton abgibt. Es kann aber auch als Base wirken, indem es (durch ein einsames Elektronenpaar des Sauerstoffs) ein Proton bindet; es geht dabei in das sog. Hydroxoniumion ( H 2 0 ) H + über. Dieser Vorgang ist von grundlegender Bedeutung. Man muß annehmen, daß in wässeriger Lösung gar keine „nackten" Protonen existieren, sondern daß die Wasserstoffionen nur in Form der Hydroxoniumionen vorhanden sind. Ohne diese Fixierung der Protonen auf den Wasserstoffmolekülen würden die Säuren in wässeriger Lösung wahrscheinlich gar nicht dissoziieren. Das zeigt sich z. B. darin, daß im wasserfreien Zustand auch die starken Säuren sehr schlechte Leiter der Elektrizität, also nicht dissoziiert sind. Der saure Charakter der Verbindungen kommt erst in Gegenwart von Wassermoiekülen zum Vorschein. Nach dieser Auffassung wäre die Dissoziation einer Säure in wässeriger Lösung der gegenseitigen Neutralisation einer Säure und einer Base durchaus analog: z. B. Neutralisation: HCl + NH 3 > Cl" + (NH 3 )H+ Dissoziation: HCl + H 2 0 * Cl" + (H 2 0)H+ Für Basen gelten analoge Überlegungen. Diese wenigen Bemerkungen über die B r ö n s t e d s c h e Theorie müssen hier genügen. Sie gestattet eine einheitliche und übersichtliche Darstellung der Dissoziation von Säuren und Basen. Ihr Wert zeigt sich besonders brii der Behandlung von Elektrolyten, die gleichzeitig viele saure und basische Gruppen verschiedener Stärke besitzen wie die Proteine. 1. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen Es wird als bekannt vorausgesetzt, daß die „Reaktion" einer Lösung in exakter Weise durch die Konzentration der Wasserstoffionen (H+) 1 ) definiert wird und daß man die Wasserstoffionenkonzentration nach dem Vorschlag von S. P. L. S ö r e n s e n durch ihren negativen dekadischen Logarithmus, den sog. pH-Wert, ausdrückt: p H = —log (H + ). Bei der Verfolgung chemischer Vorgänge in den Säften und Geweben des Organismus stellt sich Schritt f ü r Schritt das Problem, den Dissoziationsgrad einer ') Die Konzentration (genauer die „Aktivität") eines Stoffes wird in der angegebenen Weise durch Einklammern seines chemischen Symbols ausgedrückt.
Säuren und Basen
124
schwachen Säure oder Base bei einem bestimmten p H - W e r t zu berechnen. Als Dissoziationsgrad bezeichnen wir das Verhältnis des ionisierten Anteils zur Gesamtkonzentration. Qualitativ läßt sich leicht einsehen, daß mit abnehmender Wasserstoffionenkonzentration (zunehmendem pH) die Dissoziation der schwachen Säuren zunimmt, die Dissoziation der schwachen Basen abnimmt. U m den Zusammenhang zwischen p H - W e r t und Dissoziationsgrad exakt festzustellen, wenden wir d a s Massenwirkungsgesetz an. Wir betrachten die Ionisierung einer Base im Sinne der B r ö n s t e d s e h e n Theorie als Anlagerung eines Wasserstoffions und untersuchen demnach das Gleichgewicht der folgenden Reaktionen (AH Säure, A - Säureanion > B Base, B H + Basenkation): AH
Säure A~ + H+
BH+
Base B + H+
Diese ergeben die Gleichgewichtsbedingungen: (A-) j H + ) _ _ (AH)
(B) (H + ) _ (BH+) ~ K b
Ka
k a u n d k b sind die Gleichgewichtskonstanten. Sie sind im Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie beide als Dissoziationskonstanten von Säuren aufzufassen. k a ist umso größer, je stärker die Säure AH, k b umso kleiner, je stärker die Base B ist. Gewöhnlich drückt m a n die Werte von k a und k b analog dem p H - W e r t durch ihre negativen Logarithmen aus, die m a n ebenfalls durch p k a , p k b bezeichnet: p k a = — log k a
p k b = — log k b .
Aus den oben angeschriebenen Gleichgewichtsbedingungen folgt das bekannte Gesetz, daß in der Lösung einer schwachen Säure oder Base die H + - K o n z e n t r a t i o n durch das Verhältnis des nicht dissoziierten zum dissoziierten Anteil bestimmt wird (Verhältnis der freien Säure oder Base zum Salz): A~ p H = pka + log —
p H = p k b + log B
B R H
.
Dies ist die sog. H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e Gleichung. Setzt m a n A~ = A H u n d B = B H + , so folgt p H = p k a resp. p H = p k b . Die H ~- Konzentration einer Lösung, die gleiche Mengen der nicht dissoziierten und der dissoziierten Form einer Säure enthält, in der die Säure also zur Hälfte neutralisiert ist, ist gleich der Dissoziationskonstanten. Auf Grund dieser Tatsache k a n n m a n die Dissoziationskonstanten leicht bestimmen. Die Gleichung von H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h enthält die ganze Theorie der Pufferlösungen und der Indikatoren. Wir haben den Dissoziationsgrad - 2Fe+++ + 0 " -
Hier nimmt der Sauerstoff die Elektronen auf. Das zweiwertige Ion 0~~ vereinigt sich aber sofort mit einem Proton und gibt ein Hydroxylion: 0 - - + H20
• 20H-
Die beiden Reaktionen unterscheiden sich also nur dadurch, daß einmal das Chlor, das andere Mal der Sauerstoff die Elektronen aufnimmt, die vom oxydierten Stoff abgegeben werden. Auch die Dehydrierung läßt sich auf die Abgabe von Elektronen zurückführen. Hydrochinon z. B. wird durch verschiedene Oxydationsmittel wie Überschwefelsäure in Chinon übergeführt: OH H2S208 + |
O
|| OH
O
Dies ist eine Dehydrierung. In genügend alkalischer Lösung liegt aber das Hydrochinon als zweiwertiges negatives Ion vor und man erkennt ohne weiteres, daß dieses Ion durch Abgabe zweier Elektronen in das Chinon übergeht:
135
Dsr Begriff der Oxydation o-
f II oo Die Dehydrierung ist hier in zwei Stufen aufgeteilt: Dissoziation unter Abgabe zweier Protonen und nachfolgende Abgabe von zwei Elektronen an das Oxydationsmittel. Formal läßt sich jede Dehydrierung derart in zwei Schritten durchführen. Tatsächlich sind aber in den meisten Fällen die Wasserstoffatome so fest gebunden, daß sie auch bei der stärksten alkalischen Reaktion nicht als H + -Ionen abdissoziieren. In der Regel wird das Elektron zusammen mit einem Proton abgegeben, d. h. es wird ein Wasserstoffatom abgespalten. Der Wasserstoff wird entweder an das Oxydationsmittel angelagert oder, ein sehr häufiger Fall, er gibt sein Elektron an das Oxydationsmittel ab, wobei er in ein Wasserstoffion übergeht. Daß die Dehydrierung auf die Abgabe von Elektronen herausläuft, erkennt man leicht bei Betrachtung der Elektronenkonfiguration der Atome. Wir wählen als Beispiel etwa die Dehydrierung eines Alkohols (vgl. S. 276). H R
:
I /O
—
/
H
H
|
R—C = 0
H Alkohol
Aldehyd
Der Valenzstrich, der hier überall kovalente Bindungen darstellt, bedeutet ein Elektronenpaar, das beiden Atomen gemeinsam ist. Schreiben wir dementsprechend an Stelle des Yalenzstriches, der das abzuspaltende H-Atom mit dem Nachbaratom verbindet, das Symbol des Elektronenpaars (:), so ergibt sich folgende Darstellung der Alkoholgruppe: H I /0:H
R—C
'H
Die Entfernung der zwei H-Atome läßt zwei vereinzelte Elektronen zurück, die sofort ein neues Paar von Valenzelektronen bilden und damit die C=0-Doppelbindung ergeben: H | /0:H R—Cr + :X : H Oxydationsmittel
H | /O^ R—(X
+
H
H (Übergangszustand)
+
:X
H | * R—C=0 +
H:
X
H:
Der oxydierte Stoff hat bei diesem Prozeß zwei Elektronen verloren, das Oxydationsmittel X zwei gewonnen. Man faßt daher ganz allgemein die Abgabe von Elektronen als das eigentliche Kennzeichen der Oxydation auf. In reiner Form stellt sich der Vorgang bei der Oxydation eines Metallions durch, ein anderes Metallion oder ein Halogen dar. Hier ändert sich n u r die Elektronenkonfiguration der Atome. Bei komplizierter gebauten Molekülen wird meistens auch die chemische Struktur des Moleküls verändert, indem Wasserstoff abgegeben oder Sauerstoff aufgenommen wird. Die besprochenen Beispiele zeigen aber, daß sich auch diese Änderungen auf den einfachen Fall des
136
Oxydation und Reduktion
Übergangs von Elektronen vom oxydierten Stoff auf das Oxydationsmittel zurückführen lassen. Bei jeder Oxydation oder Reduktion wird ein Stoff oxydiert, der andere reduziert. Man spricht daher allgemeiner von „Oxydo-Reduktion", und Stoffe, die durch Oxydation oder Reduktion auseinander hervorgehen, faßt man unter der Bezeichnung „Oxydo-Reduktionssysteme" zusammen. Es hat sich dafür die kürzere, aber sprachlich unschöne Bezeichnung „Redoxsystem" eingeführt. Z. B. sind die Stoffpaare Cystin-Cystein, Ferrocyanid-Ferricyanid solche Redoxsysteme. Auf Grund der oben entwickelten Anschauung über das Wesen dieses Vorgangs muß man annehmen, daß der oxydierende Stoff die Elektronen, die er aufnimmt, fester bindet als der oxydierte Stoff, weil sonst die Übertragung gar nicht stattfinden könnte. Die verschiedenen sich gegenseitig oxydierenden und reduzierenden Stoffe lassen sich daher in eine Reihe wachsender „Elektronenaffinität" ordnen. (Wir werden unten erklären, wie der unbestimmte Ausdruck „Elektronenaffinität" durch eine meßbare Größe ersetzt werden kann.) In dieser Reihe kann jedes Glied durch das nachfolgende oxydiert, durch das vorangehende reduziert werden. Daraus geht hervor, daß keine Substanz „Oxydationsmittel" oder „Reduktionsmittel" im absoluten Sinn ist. Es gibt allerdings Stoffe, deren Elektronenaffinität so groß ist, daß sie fast alle anderen Stoffe zu oxydieren vermögen. So kann elementares Chlor sehr vielen Stoffen Elektronen entziehen, indem es in seine äußere Elektronenschale von 7 Elektronen ein achtes aufnimmt und dabei in das Chlorion übergeht. Dieses „Oktett" von Elektronen, das dadurch entstanden ist, besitzt eine große Stabilität; d . h . es bedarf eines beträchtlichen Energieaufwandes, um ein Elektron daraus zu entfernen. Umgekehrt ist etwa im Natrium das einzelne Elektron der äußersten Schale nur schwach gebunden; es wird leicht ausgeworfen und an andere Atome abgegeben. Natrium wirkt daher fast immer als Reduktionsmittel. Es gibt aber gerade unter den organischen Stoffen sehr viele, die eine mittlere Stellung einnehmen. Sie können den einen Stoffen gegenüber als Oxydationsmittel, den anderen gegenüber als Reduktionsmittel auftreten. Für das Verständnis der oxydativen Vorgänge in den Zellen ist es sehr wichtig zu wissen, in welcher Weise sich die organischen Verbindungen in bezug auf ihre Oxydations- und Reduktionswirkung in eine Reihe ordnen. Dazu muß aber der unbestimmte Begriff der „Oxydationskraft" durch einen präziseren ersetzt werden. Es ist dies das sog. Oxydations-Reduktionspotential. 2. Das Oxydations-Reduktionspotential. Ein altbekanntes Beispiel einer Reihe abgestufter Oxydationswirkungen ist die sog. Spannungsreihe der Metalle. „Unedlere" Metalle wirken „edleren" gegenüber als Reduktionsmittel; ein Eisenstab, in eine Lesung von Kupfersulfat eingetaucht, überzieht sich mit metallischem Kupfer, weil das Cu + + durch das Eisen, das dabei in F e + + übergeht, zum Metall reduziert wird. Derartige Vorgänge können bekanntlich zur Erzeugung von elektromotorischen Kräften verwendet werden. Trennt man z. B. eine Zinksulfatlösung und eine Kupfersulfatlösung gleicher Molarität, wie dies in Abb. 19 gezeigt wird, durch ein Diaphragma, das zwar für alle Salze durchlässig ist, aber die Mischung der beiden Lösungen verhindert, und taucht man in die Kupfersulfatlösung einen Kupferstab, in die Zinksulfatlösung einen Zinkstab, so zeigen die beiden Metalle eine Potentialdifferenz. (Diese Anordnung stellt bekanntlich ein D a n i e l l s c h e s Element dar.) Verbindet man sie leitend (über ein Galvanometer), so daß ein geschlossener Stromkreis entsteht, so fließt der Strom vom Kupfer zum Zink. Die Cu + + -Ionen, die als Oxydationsmittel wirken, nehmen an der Kupferelektrode Elektronen auf und werden dabei als Metallan der Elektrodenoberfläche niedergeschlagen; die Zinkatome an der Oberfläche der
Das Oxydations-Reduktionspotential
137
Zinkelektrode geben Elektronen ab, die über den Leiter nach der Kupferelektrode fließen, und gehen dabei als Z n + + - I o n e n in Lösung. Die Elektronenübertragung geschieht hier also über den Umweg des äußeren Leiters (den Draht, der die beiden Elektroden verbindet), und es spielt sich die folgende Reaktion a b : Cu++ + Zn
> Cu + Zn++
Die elektrische Spannung zwischen den beiden Elektroden ist ein Maß f ü r die Eigenschaft, die wir oben in unbestimmter Weise als „Oxydationskraft" des einen Metalls gegenüber dem anderen bezeichnet haben. Sie mißt die Tendenz der Elektronen, von der Elektronenschale des Zinks in diejenige des Kupfers überzugehen. Man k a n n nun in gleicher Weise alle möglichen Paare von Metallen zu einer galvanischen K e t t e kombinieren u n d deren elektromotorische K r ä f t e messen. Auf Grund solcher Messungen lassen sich die Metalle in eine Reihe ordnen, in der jedes Glied mit einem vorangehenden kombiniert den positiven Pol, mit einem nachElektronen
folgenden kombiniert den negativen Pol darstellt. Dies ist die bekannte Spannungsreihe der Metalle. Jedes Glied dieser Reihe bindet seine Valenzelektronen stärker als die vorangehenden u n d schwächer als die nachfolgenden, k a n n also unter geeigneten Bedingungen die Atome der vorangehenden Glieder zu Ionen oxydieren und die Ionen der nachfolgenden Glieder zum Metall oder einer niedrigeren Wertigkeitsstufe reduzieren. U m die Stellung der einzelnen Metalle in der Spannungsreihe zu kennzeichnen, ist es vorteilhaft, die Potentialdifferenz auf ein und dieselbe Vergleichselektrode zu beziehen. Man ist übereingekommen, d a f ü r die normale Wasserstoffelektrode zu wählen. Man denke sich etwa in Abb. 19 den Zinkstab durch eine Wasserstoffelektrode u n d die Zinksulfatlösung durch eine Säurelösung ersetzt, in welcher die Aktivität der Wasserstoffionen den Wert Eins hat. Wir erhalten so ein galvanisches Element, das aus einer Kupferelektrode in Kupfersulfatlösung u n d einer normalen Wasserstoffelektrode besteht. Da die elektromotorische K r a f t eines solchen Elements natürlich auch von der Konzentration der 0 u + " -Ionen abhängig ist, wählen wir f ü r diese Konzentration ebenfalls den Wert, der die Aktivität Eins ergibt. Praktisch braucht die Messung nicht gerade bei dieser Konzentration ausgeführt zu werden, denn es gibt Methoden, welche gestatten, die bei beliebiger Konzentration der Metallionen gemessene elektromotorische K r a f t auf die Aktivität Eins der Metallionen umzurechnen. (Man mißt oft auch die Spannung nicht direkt gegen die Wasserstoffelektrode, sondern gegen bequemere Halbelemente wie die Kalomelelektrode, deren Spannung gegen die normale Wasserstoffelektrode bekannt ist.) Man erhält auf diese Weise das sog. „Normalpotential" E 0 des betreffenden Elements. F ü r das K u p f e r im obigen Beispiel würde m a n den Wert von + 0,345 Volt finden. Das Pluszeichen bedeutet, daß die Kupferelektrode gegenüber der normalen
138
Oxydation und Reduktion
Wasserstoffelektrode positiv ist. Weitere Beispiele von Normalpotentialen : Natrium E 0 = —2,71 Volt, Zink E 0 = —0,758 Volt, Eisen (inFerrosalzlösung) E 0 = —0,441 Volt, Silber E 0 = + 0,799 Volt. Man kann aus diesen Zahlen alles Wünschenswerte über das Verhalten der Metalle ablesen. Der hohe positive Wert für das Silber z.B. bedeutet, daß das Silberatom wie alle edlen Metalle sein Außenelektron sehr fest gebunden hält, also nur geringe Tendenz hat, in den ionisierten Zustand überzugehen. Umgekehrt geht aber das Silberion leicht unter Aufnahme eines Elektrons in das Metall über, wirkt also oxydierend. Im Gegenteil zum Silber hält Natrium, dem ein stark negatives Normalpotential zukommt, sein Außenelektron nur sehr locker gebunden ; es gibt dasselbe leicht ab und ist daher ein starkes Reduktionsmittel. Man sieht auch leicht ein, daß Metalle mit negativem Normalpotential Wasserstoffionen reduzieren können, also Wasserstoff freisetzen, wenn sie in eine saure Lösung g e bracht werden. Darauf beruht die bekannte Wasserstoffentwicklung beim Auflösen von Metallen in Säuren (z. B. Zink in Schwefelsäure). Natrium ist ein so starkes Reduktionsmittel, daß es in Wasser auch bei stärkster alkalischer Reaktion immer Wasserstoff bildet. In Wirklichkeit stellen sich der genauen Bestimmung des Normalpotentials oft große Schwierigkeiten entgegen. Viele Metalle geben schlecht definierte schwankende Potentiale, weil sich an ihrer Oberfläche sekundäre Reaktionen abspielen. Es kommt vielfach auf die Vorbehandlung und Darstellungsart des Elektrodenmaterials an. Ebenso können kleine Mengen von Verunreinigungen der Metalle großen Einfluß haben. Auch die Wasserstoffentwicklung an Metalloberflächen hängt von verschiedenen ähnlichen Paktoren ab und tritt nicht immer ein, auch wenn sie nach dem Wert des Normalpotentials zu erwarten wäre (sog. „Passivität" gewisser Metalle).
Jeder galvanischen Kette liegt eine bestimmte chemische Reaktion zugrunde, bei welcher Elektronen von einem Atom auf ein anderes übergehen. In den soeben behandelten Beispielen wird ein Metall zum Ion oxydiert, während ein anderes Ion zum Metall reduziert wird. Im Prinzip läßt sich aber jede Oxydo-Reduktion zum Aufbau einer galvanischen Kette verwerten. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß in einer galvanischen Kette, die aus zwei verschiedenen Metallen besteht, die Elektronen nicht direkt von einem Metall auf das andere (z. B. von Zn auf das Cu) übertragen werden wie bei der direkten Reaktion zwischen dem oxydierenden und dem reduzierenden Stoff, sondern indirekt über den äußeren Leiter der galvanischen Kette. Da alle Oxydo-Reduktionsvorgänge, auch solche, an denen keine Metalle beteiligt sind, sich auf die Übertragung von Elektronen zurückführen lassen, so scheint es möglich, stets eine Anordnung zu finden, bei der die Elektronen des zu oxydierenden Stoffs von einer Elektrode aufgenommen und über den äußeren Leiter einer zweiten Elektrode zugeführt werden, die sie an ein Oxydationsmittel abgibt. In der Tat gelingt dies, wenn man eine Elektrode aus unangreifbarem Material (Gold oder Platin), eine sog. indifferènte Elektrode, in die Lösung des zu oxydierenden Stoffs eintaucht und mit einer zweiten indifferenten Elektrode verbindet, welche in der Lösung eines Oxydationsmittels steckt, wie dies Abb. 20 zeigt. Man erhält zwischen den beiden Elektroden eine Potentialdifferenz, und zwar ist die Elektrode, die im Oxydationsmittel steht, positiv gegen die andere. Man macht sich leicht klar, daß beim spontanen Fließen des elektrischen Stroms das Oxydationsmittel (rechts) reduziert und der oxydierbare Stoff (links) oxydiert wird. Diese einfache Anordnung ist aber für quantitative Messungen nicht geeignet. Wir wünschen ja vor allem, in ähnlicher Weise wie bei den Metallen, aus der Größe der Potentialdifferenz ein Maß für die Stärke der OxydationsWirkung zu erhalten. Es zeigt sich, daß die Lösungen immer gleichzeitig die oxydierte und reduzierte Form
Das Oxydations-Reduktionspotential
139
des Stoffs in bsstimmtem Verhältnis nebeneinander enthalten müssen, wenn m a n definierte Potentiale erhalten will, in ähnlicher Weise wie eine Lösung nur dann einen definierten pH-Wert besitzt, wenn sie eine schwache Säure und ihr Anion in bestimmtem Verhältnis enthält. Mißt m a n das zu untersuchende Oxydo-Reduktionssystem gegen die normale Wasserstoffelektrode, so ergibt sich f ü r die elektromotorische K r a f t einer solchen K e t t e der W e r t : ~
0 +
2,3 R T (oxydierte Stufe) NF ' ° g (reduzierte Stufe)
(sog. P e t e r s s c h e Gleichung). R ist die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, F das elektrochemische Äquivalent (96500 Coulomb), N die Zahl der übertragenen Potentiometer
oxydierbarer Stotf
Oxydationsmittel
Abb. 20. O x y d o - R e d u k t i o n s k e t t e .
Elektronen. 2,303 ist der natürliche Logarithmus von 10. E wird als Oxydo-Reduktionspotential oder kurz „Redoxpotential" bezeichnet. Wenn die oxydierte und die reduzierte Stufe in gleicher Konzentration vorhanden sind, verschwindet der Logarithmus auf der rechten Seite; es wird E = E 0 . Wir wollen diesen Zustand als den Normalzustand bezeichnen. Durch das Potential E 0 , welches durchaus dem Normalpotential der Metalle vergleichbar ist, wird das betreffende Redoxsystem charakterisiert. Wir bezeichnen es ebenfalls als das Normalpotential des Systems. Man macht sich leicht klar, daß ein Stoff ein um so stärkeres Oxydationsmittel ist, je höhere positive Werte sein Redoxpotential gegen die Bezugselektrode h a t . Verbindet man nämlich zwei Halbelemente, deren jedes ein Redoxsystem im Normalzustand enthält, zu einer Kette, so wird diejenige Elektrode zum positiven Pol, deren Lösung den stärker positiven Wert von E 0 besitzt. Diese Elektrode gibt also an ihrer Oberfläche Elektronen an die Lösung ab, wobei die oxydierte Stufe des „positiven" Systems reduziert wird. Die andere Elektrode (der negative Pol der Kette) nimmt umgekehrt aus der Lösung Elektronen auf; dabei wird die reduzierte Stufe des „negativen" Systems oxydiert. I n der Bilanz wird also tatsächlich das „negativere" Redoxsystem durch das „positivere" oxydiert. Das letztere wirkt also dem ersteren gegenüber als Oxydationsmittel. Auf diese Weise haben wir ein quantitatives Maß f ü r die Oxydationswirkung beliebiger Systeme gewonnen. Wenn das Redoxpotential E 0 bekannt ist, so können wir mit Hilfe der P e t e r s s c h e n Gleichung bei beliebigen Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer voraus berechnen, auf welche Weise zwei Redoxsysteme miteinander reagieren. Bei vielen Redoxsystemen hängt der Wert des Redoxpotentials von der Wasserstoffionenkonzentration ab. Dies ist immer dann der Fall, wenn die reduzierte oder
Oxydation und Reduktion
140
die oxydierte Stufe eine Säure (im allgemeinen Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie) ist, also Wasserstoffionen abgibt. Ein typisches Beispiel dieser Art ist das Hydrochinon, das bereits in der allgemeinen Einleitung erwähnt wurde. Hier ist nicht etwa das Hydrochinon HO-C 6 H 4 -OH, sondern das zweiwertige Anion _ 0-C 6 H 4 -0~ als reduzierte Stufe des Systems aufzufassen, denn das Anion geht direkt durch Abgabe zweier Elektronen in das Oxydationsprodukt, das Chinon, über. Man hat also in die P e t e r s sehe Gleichung für die reduzierte Stufe die Konzentration des Anions und nicht die Gesamtkonzentration des Hydrochinons einzusetzen. Diese Konzentration ist im sauren Bereich außerordentlich klein, ändert sich aber nach den Gesetzen der elektrolytischen Dissoziation mit dem pH der Lösung. Daher muß auch das Redoxpotential pH-abhängig sein. Erst im alkalischen Gebiet tritt vollständige Dissoziation des Hydrochinons ein, und es kann die Konzentration der reduzierten Stufe der Gesamtkonzentration des vorhandenen Hydrochinons gleichgesetzt werden, die natürlich nicht pH-abhängig ist. Bei pH-Werten über 10 hängt daher das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems nicht mehr von der Reaktion der Lösung ab wie im sauren Gebiet. In analoger Weise kann man auch in allen anderen Fällen die pH-Abhängigkeit des Redoxpotentials deuten. Wir wollen hier die entsprechenden Rechnungen nicht durchführen, sondern verweisen auf die ausführlicheren Darstellungen in den speziellen Lehrbüchern. Die Angabe eines Redoxpotentials hat im allgemeinen nur dann einen Sinn, wenn gleichzeitig auch gesagt wird, auf welchen pH-Wert sie sich bezieht. Man kann sich die Tatsache, daß das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems vom pH abhängig ist, zunutze machen und darauf eine pH-Bestimmung gründen. Chinon und Hydrochinon bilden miteinander eine in Wasser schwerlösliche Molekülverbindung, die sich aus je einem Molekül der beiden Komponenten zusammensetzt; es ist dies das C h i n h y d r o n . Suspendiert man Chinhydron in einer wässerigen Lösung, so zerfällt eine kleine Menge in die Bestandteile Chinon und Hydrochinon; es bildet sich also ein Redoxsystem mit konstantem Verhältnis der reduzierten und der oxydierten Stufe. Wenn man in die Lösung eine indifferente Elektrode eintaucht und dieses Halbelement mit einer Vergleichselektrode verbindet, so erhält man eine Kette, deren Potential nur vom pH der Lösung abhängig ist. Die C h i n h y d r o n e l e k t r o d e kann daher wie die Wasserstoffelektrode zur pH-Bestimmung dienen. Auch die Wasserstoffelektrode läßt sich als Redoxelektrode auffassen; die Reaktion, die der Potentialbildung zugrunde liegt, ist die reversible Oxydation des Wasserstoffs zum Wasserstoffion: H 2 ^ ^ 2 H + . Die Konzentration der reduzierten Stufe dieses Systems, des molekularen Wasserstoffs, wird dadurch konstant gehalten, daß man die Lösung mit Wasserstoffgas unter Atmosphärendruck durchperlt. Nach der Gleichung von P e t e r s hängt dann das Redoxpotential nur von der Konzentration der Wasserstoffionen ab, und zwar ist: -
E -
2,3 • RT
pH ,
wenn eine Wasserstoffelektrode mit beliebiger Konzentration der H + -Ionen gegen die normale Wasserstoffelektrode (pH = O) gemessen wird.
Die grundlegende Gleichung von P e t e r s hat formal große Ähnlichkeit mit der H e n d e r s o n - H a s s e l b a i eh sehen Gleichung, welche die Abhängigkeit des pHWertes einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base bestimmt: t> * , ru . , P e t e r s sehe Gleichung: 6
„ „ , 2 , 3 ' E T , (oxydierte Stufe) E = E0 H - • log —jf ^-.yNF (reduzierte Stufe) (Base) H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e Gleichung: pH = pk + l o g — —
In der Tat hängt das Redoxpotential in gleicher Weise von der Konzentration der beiden Oxydationsstufen ab wie das pH einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base. Dem Normalpotential E 0 des Redoxsystems entspricht die logarithmische Dissoziationskonstante pk der Puffersäure. Daß sich diese Kon-
141
Das Oxydations-Reduktionspotential
stanten in den beiden Gleichungen entsprechen, erscheint plausibel, sobald man sich die Bedeutung dieser Größen vor Augen hält. Der Zahlenwert von pk ist ein Maß f ü r die Affinität des Säureanions zum Proton. E r mißt die Tendenz des Säureanions, in wässeriger Lösung mit dem Hydroxoniumion zu reagieren und in die nicht dissoziierte Säure überzugehen, pk wächst mit steigender Affinität des Anions zum Proton, ist also um so größer, je schwächer die Säure ist. Das gleiche gilt, sinngemäß übertragen, f ü r die Basen: pk ist um so größer, je stärker die Base ist. Der Zahlenwert des Normalpotentials E 0 eines Redoxsystems andererseits ist ein Maß f ü r die Affinität der oxydierten Stufe zu bestimmten Valenzelektronen. E r mißt die Tendenz der oxydierten Stufe, mit Wasserstoff unter Bildung von Protonen zu reagieren. E 0 wächst (wird positiver) mit steigender Affinität der oxydierten Stufe zu den beteiligten Valenzelektronen, ist also um so größer, je stärker die „Oxydationskraft" der oxydierten Stufe des Systems ist. lOOXoxydierf
1
1 1 £ f3 S
7S%
i i i i i i i
S OH
%
JL
/
/
Y
0 0
V
N
X
scTA;
Ò V
\J-CH3
—
15 m Volt.
NH
0,01h
0,06
Stufe
J & C
zs%
0,08
0,12
a; oxydierte
-
-8 «r
I
i
O.nVo/t
Abb. 21. J O x y d a t i o n v o n o - K r e s o l i n d o p h e n o l . Abszisse: Potential gegen die Normalwasserstoffelektrode; Ordinate: % oxydierte Stufe. Der Potentialunterschied zwischen 50 und 75% Oxydation beträgt 15 Millivolt; dies bedeutet, daß zwei Elektronen übertragen werden. Das geiche gilt, sinngemäß übertragen, f ü r die reduzierte Stufe: E 0 ist um so kleiner (negativer), je stärker die „Reduktionskraft" derselben ist. Diese absichtlich mit den gleichen Worten formulierte Gegenüberstellung zeigt die völlige Analogie (aber nicht etwa Wesensgleichheit) der Neutralisation von Säure und Base und der Oxydo-Reduktion: I m ersten Fall werden zwischen Säuren und Basen (im allgemeinen Sinn der B r ö n s t e d s e h e n Theorie verstanden) Protonen ausgetauscht; im zweiten Fall werden zwischen einem oxydierbaren Stoff und dem Oxydationsmittel Elektronen ausgetauscht. Dem Anion (der B r ö n s t e d s c h e n Ba?e der Pufferlösung) entspricht im Redoxsystem die oxydierte Stufe. Der nicht dissoziierten Säure entspricht die reduzierte Stufe, wie aus dem Vergleich der beiden Formeln S. 140 unmittelbar hervorgeht. Auf diese Weise kann man durch einfache Vertauschung der Ausdrücke die Gesetze der Redoxsysteme aus den f ü r Pufferlösungen geltenden Gesetzen ableiten. Dies ist von großem Nutzen, weil der pH-Begriff gewohnter, anschaulicher ist als der Begriff des Redoxpotentials. Das p H kann direkt als einfache Funktion der H + -Ionenkonzentration definiert werden. Es ist aber viel schwerer, das Redoxpotential f ü r den Leser, der mit den Grundbegriffen der Thermodynamik nicht vertraut ist, anschaulich zu erklären.
Ein wichtiges Problem in der Theorie der Pufferlösung besteht darin anzugeben, in welchem Verhältnis bei einem bestimmten pH-Wert nicht dissoziierte Säure und Anion zueinander stehen. In ähnlicher Weise stellt sich bei den Redoxsystemen oft die Frage nach dem Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe für ein bestimmtes Redoxpotential des Systems. Man gelangt zu einer übersichtlichen graphischen Darstellung der Verhältnisse, wenn man die Konzentration der oxydierten (oder reduzierten) Stufe als Bruchteil der Gesamtkonzentration (oxydierte Stufe -)- reduzierte Stufe) des Systems angibt und gegen das Potential aufträgt. Man erhält so eine S-förmig gekrümmte Kurve, die der Dissoziationskurve einer schwachen Säure oder Base völlig entspricht. In ähnlicher Weise, wie man experimentell die Dissoziationskurve durch Titration einer
142
Oxydation und Reduktion
schwachen Säure mit einer starken Base, z. B. Alkalihydroxyd, erhalten kann, findet man die charakteristische Kurve eines Redoxsystems, indem man von der reduzierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Oxydationsmittel titriert oder umgekehrt von der oxydierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Reduktionsmittel titriert. In Abb. 21 ist als Beispiel die Oxydationskurve des reduzierten Farbstoffs o-Kresolindophenol dargestellt, aus der man für jeden Potentialwert das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe ablesen kann. Es sei noch erwähnt, daß bei dieser Darstellung die Neigung der Kurve im Wendepunkt (bei 50% Oxydation) von der Zahl der Elektronen abhängt, die vom oxydierten Körper abgegeben werden. Für 1 Elektron (z. B. F e + + F e + + + ) beträgt der Unterschied des Potentials, wenn man von 50% Oxydation zu 75% Oxydation fortschreitet, rund 30 Millivolt. Werden 2 Elektronen übertragen (z. B. Hydrochinon -* Chinon), so beträgt dieser Unterschied nur 15 Millivolt usw. Man kann leicht verifizieren, daß bei der Oxydation des Leukofarbstoffs in Abb. 21 zwsi Elektronen übertragen werden.
3. Redoxindikatoren. Setzt man zu einer Pufferlösung eine so kleine Menge einer schwachen Säure (oder Base) zu, daß das p H der Lösung nicht merklich verschoben wird, so stellt sich zwischen dieser Säure und ihrem Anion ein bestimmtes Verhältnis ein, das nur vom p H der Pufferlösung abhängig ist: log (A~/AH) = pH—pk. Zeigen die nicht ionisierte und die ionisierte Form der Säure verschiedene Lichtabsorption, so kann man aus der Färbung der Lösung auf den pH-Wert schließen. Darauf beruht die Anwendung von Indikatoren f ü r die pH-Bestimmung. Ist der pk-Wert der Indikatorsäure stark vom p H der Lösung verschieden, so wird der Indikator ausschließlich in die ionisierte oder ausschließlich in die nicht ionisierte Form übergeführt. Man kann für den pH-Wert der Lösung nur eine obere oder eine untere Grenze angeben (z. B. Lösung „sauer gegen Phenolphthalein", d. h. p H < 8). Will man mit einem Indikator das p H der Lösung exakt messen, so darf der Wert von pk nur so weit von dem zu bestimmenden pH-Wert abweichen, daß das Verhältnis der beiden Formen des Indikators zwischen den Grenzen von etwa 1:5 bis 5:1 bleibt (etwa 0,7 pH-Einheiten zu beiden Seiten von pk). In ähnlicher Weise wie der pH-Wert einer Pufferlösung läßt sich auch das Redoxpotential mit Hilfe geeigneter gefärbter Substanzen bestimmen. Als „Redoxindikator" läßt sich jedes Redoxsystem verwenden, bei welchem die reduzierte und die oxydierte Stufe verschieden gefärbt sind. Z. B. ist beim Methylenblau die reduzierte Stufe (der Leukofarbstoff) farblos, die oxydierte Stufe dagegen blau. E s besteht vollkommene Analogie zwischen dem Verhalten der gewöhnlichen und der Redoxindikatoren. Fügt man einem Redoxsystem eine kleine Menge des Indikators zu, so stellt sich zwischen seiner oxydierten und seiner reduzierten Form das Verhältnis ein, das dem Redoxpotential des Systems entspricht. Man kann also bei geeigneter Lage des Normalpotentials des Indikators aus der Färbung der Lösung den Wert des Redoxpotentials ablesen. Diese Methode h a t besonders bei biologischen Untersuchungen Anwendung gefunden. Es ist nicht immer möglich, bei der elektrometrischen Bestimmung ein definiertes Potential zu erhalten. I n solchen Fällen kann die Indikatormethode wertvolle Dienste leisten. Man kann die Indikatorlösung auch in lebende Gewebe oder Zellen einbringen und aus der Färbung Schlüsse auf den Wert des Redoxpotentials im Zellinhalt ziehen. Wie eben angedeutet, ist die direkte Bestimmung des Redoxpotentials in sehr vielen Fällen ungenau oder überhaupt nicht möglich. Viele Systeme reagieren nämlich so träge, daß sich das Potential erst nach längerer Zeit (Tage, Wochen!) oder überhaupt nicht einstellt. Man kennt deshalb von vielen biologisch wichtigen Systemen den wahren Wert des Redoxpotentials überhaupt nicht, sofern man ihn nicht aus anderen Daten auf Umwegen errechnen kann.
Kolloidchemie; Grenzflächen
143
Neuntes Kapitel. Kolloidchemie; Grenzflächen Die Begriffe der Kolloidchemie finden in Chemie, Biologie und Medizin häufig Anwendung; wir lassen daher in diesem Abschnitt eine kurze Behandlung der wichtigsten Tatsachen und Begriffe folgen, soweit sie für das Verständnis der biochemischen Erscheinungen nötig sind. Der Begriff der „Kolloide" wurde vom englischen Chemiker G r a h a m aufgestellt. Er beobachtete bei Untersuchungen über die Diffusion gelöster Stoffe, daß gewisse Substanzen sich bei der freien Diffusion nur sehr langsam ausbreiten und Pergamentmembranen überhaupt nicht zu durchdringen vermögen. Die Lösungen dieser Stoffe geben beim Eindampfen Rückstände, die nicht kristallisiert sind, sondern gallertartige oder leimartige Beschaffenheit zeigen. Zu diesen Stoffen gehören Gelatine, Eiweis, Kieselsäure u. a. m. Im Gegensatz dazu diffundiert der größte Teil der löslichen Stoffe leicht durch Pergamentmembranen und kristallisiert mehr oder weniger leicht beim Eindampfen der Lösungen. G r a h a m nannte daher die erste Gruppe von Stoffen „Kolloide" (d. h. leimartige Stoffe), die zweite Gruppe „Kristalloide". Nach der heutigen Betrachtungsweise unterscheidet man nicht mehr „kolloidale" und „kristalloide" S t o f f e . Es hat sich gezeigt, daß die kolloidalen Lösungen einen besonderen Z u s t a n d der Materie darstellen, der nicht auf einzelne Stoffe beschränkt ist. Maßgebend für die kolloidalen Eigenschaften einer Lösung ist der Zerteilungsgrad des gelösten Stoffes. Die kristalloiden Stoffe G r a h a m s , wie Salze, Zucker usw., sind im gelösten Zustand vollständig in ihre Ionen oder Moleküle zerfallen. Die Geschwindigkeit der freien Diffusion oder der Diffusion durch Membranen hängt in erster Linie von der Größe der Teilchen» ab. Die Ionen der Salze oder die Moleküle der meisten organischen Stoffe sind so klein, daß sie rasch diffundieren und auch in den Poren der Membranen ihre Beweglichkeit nicht einbüßen. Die kolloidalen Lösungen dagegen enthalten viel größere Teilchen; die Stoffe sind entweder nicht vollständig in die Moleküle zerfallen oder die Moleküle selbst sind so groß, daß sie in den Maschen der Membranen zurückgehalten werden. Es gibt Stoffe, die je nach dem Lösungsmittel oder den Herstellungsbedingungen der Lösungen im kolloidalen oder im „normal" gelösten Zustand auftreten können. Z.B. ist Natriumstearat in alkoholischen Lösungen vollständig in Moleküle oder Ionen zerfallen, währenddem in wässeriger Lösung die Seifenmoleküle sich zu größeren Verbänden zusammenschließen. Viele schwerlösliche oder ganz unlösliche Stoffe, wie z. B. Metalle, können durch geeignete Methoden, sei es von löslichen Verbindungen ausgehend, durch Kondensation, sei es durch Zerteilung des festen oder flüssigen Stoffes, in den kolloidalen Zustand gebracht werden. Allerdings sind derartige Lösungen oft unbeständig. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der kolloidchemischen Forschung, die Entstehungs- und Stabilitätsbedingungen des kolloidalen Zustandes festzustellen. In der Frühzeit der Kolloidchemie wurde viel über die Frage gestritten, ob kolloidale Lösungen als „echte" Lösungen oder eher als „Suspensionen" zu betrachten seien. Es handelt sich hier aber um ein Scheinproblem, das auf eine Frage der Benennung hinausläuft. Es gibt eine kontinuierliche Reihe des Zerteilungsgrades der Materie, die von den Molekülen bis zu den sichtbaren Teilchen führt. Löst sich ein Stoff ohne Verteilungsmittel durch Verdampfung in seine Moleküle auf, so bildet er ein Gas ; zerteilt er sich in einem Verteilungsmittel (Lösungsmittel) in seine
144
Kolloidchemie; Grenzflächen
Moleküle, so entsteht eine L ö s u n g . Wird ein fester Stoff mechanisch zerrieben, so bildet er ein gröberes oder feineres P u l v e r , dessen Teilchen sich in einem Gasraum kürzere oder längere Zeit als S t a u b oder in einer Flüssigkeit als S u s p e n s i o n schwebend erhalten können. In gleicher Weise kann ein flüssiger Stoff zu einem N e b e l zerstäubt oder in einer mit ihm nicht mischbaren Flüssigkeit zu einer E m u l s i o n zerteilt werden. Zwischen den Verteilungszuständen, in welchen die einzelnen Teilchen noch s i c h t b a r sind (Staub, Nebel, Suspension, Emulsion) und dem Zustand molekularer Verteilung, wie er in den Gasen und Lösungen vorliegt, gibt es alle Übergänge. Vom kolloidalen Zustand spricht man dann, wenn die Teilchen so klein sind, daß sie vom gewöhnlichen Mikroskop nicht mehr objektgetreu abgebildet werden, aber doch nicht in die einzelnen Moleküle zerteilt sind. Zur Unterscheidung der verschiedenen Zustände haben sich die Ausdrücke „molekulardispcrs",
„kolloiddispers"
und
„grobdispers"
eingebürgert,
die
ohne
weiteres verständlich sind. Man kann als obere Grenze des kolloiddispersen Zustandes, wie gesagt, etwa die Größenordnung der objektähnlichen Abbildung im Mikroskop nehmen (Wellenlänge des sichtbaren Lichts [3000—7000 Ä]). Kleinere Teilchen können bei günstigen optischen Eigenschaften (genügender Unterschied zwischen dem Brechungsexponenten des Teilchens und des Lösungsmittels) durch das Prinzip der Dunkelfeldbeleuchtung im Ultramikroskop noch sichtbar gemacht werden. Hier erscheint aber nur das vom Teilchen hervorgerufene Beugungsbild. Neuerdings gelingt es, mit Hilfe des Elektronenmikroskops wesentlich unter die Auflösungsgrenze des gewöhnlichen optischen Mikroskops herabzukommen. Im Elektronenmikroskop werden an Stelle der Lichtstrahlen Elektronenstrahlen und an Stelle der Glaslinsen magnetische oder elektrostatische Felder benützt. Die Objekte werden nach den Gesetzen der geometrischen Optik auf einer photographischen Platte abgebildet. (Die Elektronenstrahlen können zwar wie die Lichtstrahlen Beugungserscheinungen zeigen, doch ist die maßgebende Wellenlänge hier sehr klein und das Auflösungsvermögen der heutigen Instrumente wird durch andere Faktoren begrenzt.) Das Elektronenmikroskop gestattet etwa 100-fach stärkere Vergrößerungen als das gewöhnliche optische Mikroskop. Es ist dadurch möglich, Teilchen bis zu wenigen in« herab noch in ihrer wahren geometrischen Gestalt zu erkennen und bei kolloidalen Systemen Einzelheiten der Struktur sichtbar zu machen, die vorher unbekannt waren oder nur indirekt erschlossen werden konnten. Auch zwischen molekulardispersen und kolloiddispersen Lösungen gibt es keine Grenzen. In dem Maße, wie das Molekulargewicht der Stoffe (die Teilchengröße) zunimmt, treten die Eigenschaften auf, die für den kolloidalen Zustand charakteristisch sind. Beim Durchgang eines Lichtstrahls durch eine kolloidale Lösung oder durch eine Suspension feiner Teilchen in Luft (Staub, Rauch, Nebel) wird das Licht an den suspendierten Teilchen seitlich abgebeugt, so daß die Bahn des Lichtstrahls in der Lösung sichtbar ist (Tyndall-Effekt). Die Intensität des abgebeugten Lichtes ist umso größer, je kürzer seine Wellenlänge ist. (Nach der von L o r d R a l e i g h abgeleiteten Formel ist sie umgekehrt proportional der 4. Potenz der Wellenlänge.) Beim Durchgang von weißem Licht werden daher vorwiegend die blauen und violetten Strahlen abgebeugt, und daher kommt es, daß trübe Medien (kolloidale Lösungen, Rauch, Nebel) gegen einen dunklen Hintergrund betrachtet blau erscheinen, während sie in der Durchsicht rötliche Färbung zeigen (das Urphänomen der Goetheschen Farbenlehre!). Der T y n d a l l - E f f e k t ist die Ursache der Himmelsbläue und der atmosphärischen Farberscheinungen (Morgen- und Abendrot usw.).
Sole und Gele
145
1. Sole und Gele In einem Gemisch, in welchem nebeneinander Stoffe von verschiedenem Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig) vorkommen, unterscheidet man die einzelnen Zustände als Phasen, unabhängig von ihrer Verteilung und räumlichen Anordnung. So bildet in einem Gefäß, das schmelzenden Schnee enthält, die Gesamtheit der Eiskristalle die feste, das Schmelzwasser die flüssige und der Gasraum, der Wasserdampf und Luft enthält, die gasförmige Phase. Es ist klar, daß verschiedene feste oder flüssige Phasen nebeneinander vorhanden sein können, aber stets nur eine Gasphase, weil alle Gase miteinander in beliebigem Verhältnis mischbar sind. Gibt man z. B. in eine gesättigte Lösung von Kochsalz, die festes NaCl im Überschuß enthält, eine Handvoll Quarzsand, so erhält man ein System mit zwei verschiedenen festen Phasen, Kochsalz und Quarz. Eine Suspension von Olivenöl in Wasser besteht aus zwei verschiedenen flüssigen Phasen usw. Kolloidale Lösungen sind immer mehrphasische Systeme. Sie enthalten mindestens zwei verschiedene Phasen, von denen sich die eine im Zustand feiner Verteilung befindet. Man nennt dieselbe die disperse Phase, die andere, in welcher die Teilchen suspendiert sind, das Dispersionsmittel. Für die Biologie sind die wichtigsten Systeme diejenigen, bei welchen das Dispersionsmittel eine wässerige Lösung, die disperse Phase dagegen ein fester oder flüssiger Körper ist. Im letzteren Falle spricht man gewöhnlich von Emulsionen (Beispiel: Fettkügelchen der Milch, des Chylus usw.). Das Dispersionsmittel kann aber auch ein Gas sein; in diesem Falle spricht man von „Aerosolen" („Nebel", wenn disperse Phase flüssig, „Rauch", wenn sie fest ist). Aerosole werden therapeutisch verwendet, wenn es sich darum handelt, wirksame Stoffe, die nicht verdampft werden können, in die feinsten Verzweigungen der Bronchien zu bringen. Flüssige kolloidale Systeme bezeichnet man allgemein als „Sole" (Einzahl „Sol"). Es gibt aber zahlreiche Systeme, die formbeständig sind und gewisse elastische Eigenschaften der festen Körper aufweisen, trotzdem das Dispersionsmittel flüssig ist. Dabei kommen alle Übergänge vom dickflüssigen, gallertartigen bis zum festen Zustand vor. Derartige Systeme heißen „Gele" (Einzahl „Gel"). Die Gele sind für die Biologie sehr wichtig; man muß das Protoplasma der Zellen und viele Strukturen des tierischen und pflanzlichen Organismus als Gele auffassen. Die Gele brauchen keineswegs eine größere Menge fester Substanz zu enthalten als entsprechende Sole. Es gibt Beispiele f ü r Gele mit außerordentlich kleinem Gehalt an disperser Phase. Gelatine kann schon bei einem Gehalt der Lösung von 1% Gallerten bilden und beim Fibrinogen hat man Gerinnung sogar beim außerordentlich kleinen Gehalt von 4 mg pro Liter beobachtet.
Wie kommt die Gelbildung zustande ? Im Sol sind die einzelnen Teilchen der dispersen Phase frei. Die Entstehung von formbeständigen Gallerten aus Lösungen, die nur wenige Prozent fester Substanz enthalten, kann nur dadurch erklärt werden, daß die Teilchen sich miteinander verbinden und ein räumlich ausgedehntes Netz oder Gerüst bilden. Das ist möglich, weil die gelatinierenden Kolloide in der Regel aus sehr langgestreckten ketten- oder fadenförmigen Molekülen aufgebaut sind. Wir finden derartige Moleküle bei den Kohlehydraten (Ketten aus Zuckerresten aufgebaut): Cellulose, Stärke und verwandten Stoffen, den Mucopolysacchariden, den Nucleinsäuren und den Proteinen (Polypeptidketten). Hierher gehören auch der Kautschuk und zahlreiche in neuerer Zeit von der Industrie entwickelte hochpolymere Stoffe. Die Verflechtung der Fäden zur Netzstruktur des Gels kann durch verschiedene Kräfte erfolgen. Einmal können längs des Fadens in größeren Abständen chemische 10
Edlbach er-Leuthardt,
Lehrbuch.
10.Aufl.
146
Kolloidchemie; Grenzflächen
Gruppen verteilt sein, die sich mit bestimmten Gruppen eines anderen Fadens stabil verbinden können. Dadurch werden die beiden Fäden an einer bestimmten Stelle zusammengeknüpft. Die reagierenden Gruppen bilden einen „Haftpunkt". Es ist leicht ersichtlich, wie durch Wiederholung des Vorganges ausgedehnte Netze entstehen können (vgl. Abb. 22). Vielfach sind aber die Kettenmoleküle so gebaut, daß längs ihrer ganzen Ausdehnung sich Gruppen regelmäßig wiederholen, die entsprechende Teile benachbarter Ketten durch schwache Kräfte binden können (Beispiel: „Wasserstoffbin-
Abb. 22. Schema von Gelstrukturen. A = Gelgerüst, in welchem die Ketten durch „Haftpunkte" verknüpft sind (Frey - Wyss 1 i ng); B = Gelgerüst, in welchem die Ketten durch streckenweise Assoziation zusammenhaften
Ketten können sich parallel legen und auf größere oder kleinere Strecken zusammenhaften. Auch auf diese Weise können Netze gebildet werden (Abb. 22). Man darf sich natürlich derartige Bindungen nicht als starr vorstellen. Da die Kräfte, welche die einzelnen Ketten zusammenhalten, im Vergleich zu den gewöhnlichen Hauptvalenzkräften schwach sind, werden sie leicht gelöst. (Dadurch erklärt sich z. B. das Schmelzen der erstarrten Gelatine beim Erwärmen.) Da aber die Bindungsstellen sehr zahlreich sind, kommt es doch zu einer genügenden Festigkeit des Gelgerüstes. Der Aufbau vieler natürlicher Gele, wie z. B. der Membran der Pflanzenzellen, die aus einem Netzwerk miteinander verflochtener Fäden bestehen, wurde durch indirekte polarisationsoptische und physikalische Methoden erschlossen ( F r e y W y s s l i n g , K. H. Meyer). Diese Vorstellung ist neuerdings durch das Elektronenmikroskop in vollem Umfang bestätigt worden. Die Aufnahmen lassen z. B. bei Cellulosemembranen das aus Fäden aufgebaute Gelgerüst mit allen Einzelheiten erkennen (weitere Einzelheiten siehe Kap. 23). Die Oberflächenentwicklung der kolloidalen Systeme. Man denke sich einen Würfel von 1 cm Seitenlänge. Sein Volumen ist 1 ccm, seine Oberfläche 6 qcm. Man teile nun durch Scharen paralleler Schnittebenen den Würfel in kleine Würfelchen von 1 mm Seitenlänge. Das Volumen bleibt natürlich gleich, die gesamte Oberfläche der entstandenen Würfelchen ist aber auf 1000 x 6 qmm = 60 ccm angestiegen. Teilt man weiter in Würfelchen von nur 0,1 mm Seitenlänge, so wächst
Adsorption
147
die Oberfläche auf 600 qcm an usw. J e feiner also die Aufteilung eines Stoffes ist, desto größer wird seine gesamte Oberfläche; dieselbe nimmt f ü r Teilchengrößen, wie sie bei kolloidalen Systemen vorkommen, recht hohe Werte an. Wenn z. B. nur 1 ccm eines Stoffes in Kügelchen von 0,1 ju. Durchmesser zerteilt wird, so mißt deren gesamte Oberfläche 60 qm (Quadratmeter!). Es ist daher verständlich, daß bei kolloidalen Systemen, Solen und Gelen, die Vorgänge in Erscheinung treten, die sich an der Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Phasen abspielen. Diese Vorgänge erlangen bei kolloidalen Systemen große Bedeutung, weil hier die Grenzfläche, an denen die Phasen zusammenstoßen, sehr ausgedehnt ist. Die Kolloidchemie schließt als eines ihrer wichtigsten Probleme die Untersuchung der Vorgänge ein, die an Phasengrenzen vor sich gehen. 2. Adsorption Sehr häufig tritt der Fall ein, daß Stoffe, die in der einen Phase gelöst sind, z. B. im Dispersionsmittel eines kolloidalen Systems, sich an der Grenzfläche zwischen den Phasen anreichern. Man nennt diesen Vorgang Adsorption. Praktisch ist besonders die Adsorption an der Oberfläche einer festen Phase von Bedeutung. Die Adsorption ist meistens stark von der Temperatur abhängig. Die Menge des von einer bestimmten Oberfläche aus einer Lösung aufgenommenen Stoffes hängt (außer von der Natur des Adsorptions- und Lösungsmittels) auch von seiner Konzentration ab. Trägt man in ein Koordinationssystem, die bei einer bestimmten Temperatur adsorbierte Menge Stoff gegen die Konzentration auf, mit der sich der adsorbierte Stoff im Gleichgewicht befindet, so erhält man eine typische, gegen die Konzentrationsachse (Abszisse) konkave parabelartige Kurve, die sog. Adsorptionsisotherme. Ihr Verlauf zeigt, daß bei niederer Konzentration ein verhältnismäßig größerer Anteil des Stoffs adsorbiert wird als bei höherer Konzentration. Bei beständig steigender Konzentration wird schließlich nichts mehr adsorbiert; die Oberfläche ist „gesättigt". Ist a die pro Gramm Adsorptionsmittel adsorbierte Stoffmenge und c die Gleichgewichtskonzentration, so gilt in vielen Fällen (für nicht zu hohe Konzentrationen) die einfache Beziehung: a = »•ci wo tx und n Konstanten sind (sog. F r e u n d l i c h s c h e Adsorptionsisotherme. « kann alle möglichen Werte annehmen, 1 jn liegt gewöhnlich zwischen 0,2 und 0,8). Wenn man logarithmiert, ergibt sich die Gleichung einer Geraden: log a = log x -| log c n (vgl. Abb. 23). Die Kräfte, welche die Adsorption an Oberflächen bewirken, sind die gleichen, die auch sonst f ü r die Verbindung der Atome im Molekül oder die Verbindung von Molekülen unter sich verantwortlich sind. In den meisten Fällen handelt es sich um sehr lockere Bindungen durch schwache chemische oder physikalische Kräfte, deren spezielle Natur man im Einzelfall meist nicht genau kennt (elektrostatische Anziehung zwischen Ionen, Anziehung zwischen Ionen und permanenten Dipolen oder polarisierbaren Molekülen, V a n d e r W a a l s s c h e Kräfte, Komplexbildung, Kristallgitterkräfte usw.). Es besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen der Adsorption und der sog. Grenzflächenspannung, der eine Konsequenz der allgemeinen thermodynamischen Grundgesetze ist. Die Grenzfläche zwischen zwei Phasen ist der Sitz potentieller Energie. Daher hat jede Grenzfläche die Tendenz, sich zu verkleinern (z. B. fließen zwei öltropfen in 10*
148
Kolloidchemie; Grenzflächen
Wasser zusammen, sobald sie sich berühren). Umgekehrt setzt sie der Vergrößerung Widerstand entgegen, der durch eine bestimmte Kraft überwunden werden muß. Am einfachsten lassen sich diese Verhältnisse an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Gas untersuchen. Es sei z. B. zwischen dem U-förmigen Bügel B in Abb. 24 und dem reibungslos verschiebbaren Draht S eine Flüssigkeitshaut (Seifenlamelle!) aus-
Abb. 23. F r e u n d l i c h s c h e A d s o r p t i o n s i s o t h e r m e . Adsorption von Bernsteinsäure aus wäßriger Lösung in Blutkohle (nach F r e u n d l i c h ) . Abszisse: Gleichgewichtskonzentration c in Mol pro Liter; Ordinate: adsorbierte Menge in Millimol pro g Kohle. Rechts ist die Isotherme in ein logarithmisches Koordinatensystem eingetragen. Man erkennt, daß die Meßpunkte auf einer Geraden liegen. Die Ordinate, die zum Wert log c = o (c = 1) der Abszisse gehört, ergibt log a, die Neigung der Kurve ergibt den Wert von 1/n. Auf diese Weise können die beiden Konstanten der F r e u n d Ii chschen Gleichung graphisch bestimmt werden
Abb. 24. S c h e m a zur D e f i n i t i o n der O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g
gespannt (schraffiert). Die Flüssigkeitslamelle hat die Tendenz, sich zu verkleinern, d. h. den Draht S in Richtung des Pfeils abwärts zu bewegen. Es muß also auf den Draht eine Kraft angewandt werden, um ihn in Richtung des Pfeils aufwärts zu bewegen. Die größere Kraft K, die gerade der Spannung der Lamelle das Gleichgewicht hält, bezogen auf 1 cm Drahtlänge und 1 Seite der Lamelle, heißt Oberflächenspannung der Flüssigkeit. Man erkennt leicht, daß sie die Dimension einer Energie pro Flächeneinheit hat; sie mißt also die „Oberflächenenergie" der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Gas. Jedes System strebt nach den Sätzen der Thermodynamik einem Zustand zu, in welchem die potentielle Energie (hier die Oberflächenenergie) möglichst klein ist. Daher muß sich ein Stoff, der die Oberflächenspannung erniedrigt, in der Grenzfläche anreichern, also adsorbiert werden, weil nämlich dadurch die Oberflächenenergie verringert wird.
149
Adsorption
Dasselbe gilt natürlich für alle möglichen Grenzflächen: Flüssigkeit—Gas, Flüssigkeit—Flüssigkeit, Flüssigkeit—fester Körper, fester Körper—Gas, fester Körper—fester Körper. (Allerdings kann bei Vorhandensein einer festen Phase die Existenz einer Grenzflächenspannung nicht so leicht anschaulich gemacht werden wie bei Flüssigkeiten.) Stoffe, welche sich an der Grenzfläche zweier Phasen anreichern, heißen o b e r flächenaktiv. Adsorption und Oberflächenaktivität spielen im physiologischen Geschehen eine große Rolle. In den Zellen und den Geweben sind überall Phasengrenzflächen von großer Ausdehnung vorhanden. Die wäßrige Lösung, welche die ganze lebende Substanz durchtränkt, grenzt überall an die festen oder flüssigen Strukturbestandteile. Da diese Grenzflächen vielfach der Sitz katalytischer Vorgänge sind, können dieselben durch oberflächenaktive Stoffe weitgehend beeinflußt werden. Wahrscheinlich sind viele pharmakologische Wirkungen auf diese Weise zu erklären. Man hat bei vielen biologischen Vorgängen eine Konzentrationsabhängigkeit gefunden, welche der F r e u n d l i c h s c h e n Gleichung entspricht und daher auf Adsorptionsvorgänge schließen läßt, so z. B. die Aufnahme von Ca-Salzen durch den Knochen (vgl. Kap. 23), die Aufnahme von Giften durch Gewebe, von Desinfektionsmitteln durch Bakterien, die Bindung von Agglutininen durch Bakterien usw. Wahrscheinlich geht in vielen Fällen der spezifischen Bindung und Wirkung eine unspezifische Adsorption an irgendwelche Oberflächen voraus. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang noch die Emulgierung der Fette, die bei der Verdauung eine große Rolle spielt. Man weiß, daß die Zerteilung eines flüssigen Fetts (Öl) im Wasser durch Zugabe verschiedener Stoffe stark gefördert wird, so durch Seifen und durch gallensaure Salze. Diese Stoffe sind, wie sich durchMessung der Oberflächenspannung direkt nachweisen läßt, stark oberflächenaktiv. Sie werden also die Grenzflächenspannung öl—Wasser herabsetzen und damit die Bildung einer Emulsion (d. h. die Vergrößerung der Grenzfläche zwischen öl und Wasser) erleichtern. Die genauere Untersuchung der Adsorption von höheren Fettsäuren und Alkoholen an der Oberfläche des Wassers hat zu interessanten Ergebnissen über den Aufbau solcher Adsorptionsschichten geführt, die von großer allgemeiner Bedeutung sind (Langmuir). Wenn man die benzolische Lösung einer höheren Fettsäure, z. B. Palmitinsäure, auf Wasser gießt und sich ausbreiten läßt, so bleibt nach Verdunsten des organischen Lösungsmittels eine Schicht der Fettsäure zurück, deren Oberfläche sich messen läßt. Kennt man die Menge der Fettsäure, so kann man aus dem Molekulargewicht und der Lo S c h m i d t sehen Zahl die Fläche ausrechnen, welche das einzelne Fettsäuremolekül auf der Wasseroberfläche einnimmt. Es zeigt sich nun, daß innerhalb der homologen Reihen diese Fläche vom Molekulargewicht fast unabhängig ist: große und kleine Moleküle nehmen den gleichen Platz ein. Dies ist aber nur möglich, wenn die Kohlenwasserstoffketten nicht flach auf der Wasseroberfläche liegen, sondern senkrecht zu derselben stehen. Man kann sich als Modell einen Bund Bleistifte vorstellen, der senkrecht auf den Tisch gestellt ist. Diese Anordnung erklärt sich daraus, daß die Carboxylgruppen eine große Affinität zu den Wassermolekülen haben—sie sind hydrophil—, währenddem die Kohlenwasserstoffreste keine Affinität zum Lösungsmittel, sondern nur zu ihresgleichen besitzen; sie sind hydrophob. Die Fettsäuren tauchen daher alle mit ihren COOH-Gruppen in die wäßrige Phase, während die Kohlenwasserstoffketten herausragen und sich parallel ordnen. Auf diese Weise entsteht an der Oberfläche eine monomolekulare Schicht von Fettsäuremolekülen:
[
: j
Kohlenwasserstoffketten (hydrophob)
_ j Phasengrenze 6 Ö Ö Ö Ö Ö Ö Ö Ö Carboxylgruppen (hydrophil) In ähnlicher Weise sind die Fettsäuremoleküle auch an der Grenzfläche Wasser—Öl orientiert. Wenn zu einer Emulsion von Öl in Wasser eine kleine Menge Seife zugefügt wird, so ist die
150
Kolloidchemie; Grenzflächen
ionisierte Carboxylgruppe nach der wäßrigen Phase, die lange Kohlenstoffkette nach der Ölphase gerichtet. Es ist gelungen, viele Stoffe, auch wasserlösliche (z. B. Proteine), an der Oberfläche des Wassers in dieser Weise zu „spreiten". In der Regel ordnen sich die Moleküle in der Oberflächenschicht in bestimmter Weise; man kann sogar annehmen, daß sie in vielen Fällen eine Art zweidimensionaler Kristallgitter bilden. Man kann über die Eigenschaften dieser monomolekularen Filme dadurch weiter Aufschluß erhalten, daß man die Kraft mißt, die nötig ist, um ihre Fläche zu verkleinern. In ähnlicher Weise, wie aus der Kompressibilität und den elastischen Eigenschaften der festen Körper Schlüsse auf ihre innere Struktur gezogen werden können, gibt auch das Verhalten der Filme beim Zusammendrücken gewisse Anhaltspunkte über Größe und Anordnung der Moleküle. Besonders eingehend sind mit dieser Methode die Proteine untersucht worden. Es zeigt sich, daß die Konfiguration der Moleküle durch die Spreitung an der Oberfläche weitgehend verändert wird. Die Polypeptidketten werden „entfaltet" (siehe S. 85). Bei biologisch aktiven Proteinen (Fermenten, Hormonen) ergeben sich daraus interessante Fragen über den Zusammenhang von Feinstruktur und Wirkung, auf die wir hier aber nicht eingehen können.
3. Anwendung der Adsorption als Trennungsv«rfahren; Chromatographie Adsorptionsvorgänge sind nicht nur im physiologischen Sinne wichtig. Die Adsorption hat sich zu einem wirksamen Hilfsmittel der präparativen Chemie entwickelt, welches besonders dann angewandt wird, wenn es sich um eine mögüchst schonende Trennung verschiedener Stoffe handelt. B e n e n n u n g e n : Als Adsorptionsmittel oder Adsorbens bezeichnet man das Material, an dessen Oberfläche der Stoff adsorbiert wird. Es handelt sich stets um Stoffe mit sehr großer Oberflächenentwicklung, die kolloidchemisch als Gele zu betrachten sind. Sie besitzen ein so lockeres Gefüge, daß die gelösten Stoffe ins Innere der Partikel eindringen und an der ausgedehnten inneren Oberfläche des Gels adsorbiert werden können. Als Adsorptionsmittel werden verwendet: Tierkohle, Pflanzenkohle, Kieselgur, Kaolin, Talkum, eine ganze Reihe verschiedener Tonerdepräparate, Bleichererden (Aluminiumsilikate) und viele andere. Jedes dieser Adsorbentien hat seine besonderen Eigenschaften und sein besonderes Anwendungsgebiet. Gelegentlich wird das Adsorbens auch in der Lösung selbst durch Fällung erzeugt (z. B. Ca-phosphat, Bleiphosphat u. a. m.); die feinflockigen Niederschläge besitzen eine sehr große Oberfläche. Als Adsorbat wird das mit dem adsorbierten Stoff beladene Adsorbens bezeichnet. Die Möglichkeit, Stoffe durch Adsorption zu trennen, beruht auf ihrer verschiedenen Affinität zum Adsorbens. Es gelingt, durch geeignete Wahl der Bedingungen in vielen Fällen die Adsorption so zu leiten, daß sie a u s w ä h l e n d ist; d. h. daß bestimmte Stoffe eines Gemisches vom Adsorbens fixiert werden, während die anderen zurückbleiben. Die eine Arbeitsweise besteht darin, die Lösung mit dem Adsorptionsmittel zu rühren oder zu schütteln, das letztere dann durch Filtration oder Zentrifugieren abzutrennen und den adsorbierten Stoff wieder vom Adsorbens abzulösen, zu eluieren. Man macht sich bei wasserlöslichen Stoffen dabei meist die Tatsache zunutze, daß die Adsorption pH-abhängig ist: Der Stoff wird bei einem bestimmten p H adsorbiert; durch Suspension des Adsorbats in einer anderen Pufferlösung von verschiedenem pH-Wert kann er wieder abgelöst werden. Auf diese Weise sind verschiedene Fermente getrennt und gereinigt worden (vgl. S. 165). A. Die Chromatographie Eine besonders leistungsfähige Anwendungsart der Adsorption besteht in der sog. chromatographischen Adsorptionsanalyse. Sie gestattet, feinste Unter-
Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie
151
schiede in der Affinität zwischen Adsorbens und adsorbierten Stoffen für die Trennung auszunützen. Das Verfahren wird folgendermaßen durchgeführt: Das Adsorbens wird in ein Rohr eingefüllt (Abb. 25) und mit dem Lösungsmittel getränkt. Die Lösung des zu trennenden Stoffgemisches wird aufgegossen und läuft nur langsam durch die Säule des Adsorptionsmittels. Man hat also eine feste, unbewegliche Phase und eine flüssige, bewegliche Phase. Das Lösungsmittel ist so gewählt, daß die Stoffe gut adsorbiert werden und daher zunächst im oberen Teil der Säule hängenbleiben. Der wesentliche Schritt ist die nun folgende „EntChromatogramm Beginn
• •
Aß
/
A
durchgelaufen
A+B+C
IS \
entwickelt
u.C getrennt
\ /
\m
\
J
Abb. 25. C h r o m a t o g r a p h i s c h e Analyse. Links: die drei Stoffe A, B und C sind nach dem Aufgießen der Lösung im oberen Teil der Säule adsorbiert; Mitte: das Chromatogramm ist entwickelt, A, B und C erscheinen als getrennte Zonen; rechts: A ist völlig durchgelaufen (eluiert)
wicklung" des Chromatogramms: Man läßt durch das Rohr ein neues Lösungsmittel laufen, aus welchem die Stoffe etwas weniger gut adsorbiert werden. Die einzelnen Stoffe wandern nun, meist in gut abgegrenzten Zonen, die Säule entlang nach unten, am schnellsten diejenigen, bei denen die Affinität zum Adsorbens am geringsten ist. Auf diese Weise erscheinen nach einiger Zeit die einzelnen Stoffe als getrennte Zonen über die Säule verteilt. Man kann nun entweder so lange entwickeln, bis die einzelnen Zonen vollständig durchgelaufen sind, und sie unten getrennt auffangen, oder man kann, wenn die Zonen genügend getrennt sind, den Prozeß unterbrechen, die Säule aus dem Rohr herausstoßen, zerschneiden und die einzelnen Zonen mit geeigneten Lösungsmitteln eluieren. Da die Affinität zwischen Adsorbens und adsorbiertem Stoff und damit die Wanderungsgeschwindigkeit im Chromatogramm oft von kleinsten Unterschieden der chemischen Konstitution abhängen, ist auf diese Weise eine Trennung nahe verwandter Stoffe möglich, die auf keinem anderen Weg erreicht werden kann. Die Chromatographie ist die leistungsfähigste Trennungsmethode, die wir
152
Kolloidchemie; Grenzflächen
heute kennen. Durch geeignete Wahl der Adsorbentien und Lösungsmittel kann sie an jede Aufgabe angepaßt werden. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind fast unbegrenzt. Besonders geeignet für die chromatographische Methode sind natürlich Farbstoffe, weil hier die Zonen direkt sichtbar sind. Die Methode ist zum erstenmal vom russischen Botaniker M i c h e l T s w e t t (1906) verwendet worden, um die Blattfarbstoffe zu trennen. Er erkannte dadurch die Existenz zweier verschiedener Chlorophyllarten. Die Entdeckung von T s w e t t blieb lange fast vergessen. Sie wurde erst viel später bei der Erforschung der Carotinfarbstoffe ( K u h n , K a r r e r , Z e c h m e i s t e r ) wieder eingeführt und gehört heute zum unentbehrlichen Rüstzeug der
Abb. 26. P a p i e r c h r o m a t o g r a p h i e , links aufsteigend, rechts absteigend. In der Mitte entwickelter Streifen S = Distanz der Lösungsmittelfront vom Ausgangspunkt; X = Distanz einer der Komponenten vom Ausgangspunkt
chemischen Forschung. Die moderne Biochemie wäre ohne die chromatographischen Methoden undenkbar. Bei Verwendung farbloser Stoffe sind die Zonen nicht direkt sichtbar; ihre Lage muß auf andere Weise festgestellt werden. B. Verteilungschromatograpliie, Papierchromatographie Die chromatographische Trennung beruht darauf, daß die Stoffe von der Oberfläche des Adsorbens mit ungleicher Affinität festgehalten werden oder, mit anderen Worten, daß die Gleichgewichtsverteilung der einzelnen Stoffe zwischen der Lösung und der Oberfläche des Adsorbens verschieden ist. Man kann sich aber auch den Fall vorstellen, daß der gelöste Stoff nicht an der Oberfläche der festen Phase adsorbiert wird, sondern in sie eindringt und sich zwischen der flüssigen und der festen Phase in einem bestimmten Verhältnis verteilt, das durch den Verteilungskoeffizienten festgelegt ist. Verschiedene Stoffe werden sich im allgemeinen zwischen den beiden Phasen in verschiedener Weise verteilen, und man kann daher, wie auf die ungleiche Adsorption an der Grenzfläche zweier Phasen, auf die ungleiche Verteilung
Verteilungschromatographie, Papierchromatographie
153
zwischen zwei Phasen ein Trennungsverfahren aufbauen. Als feste Phase nimmt man z. B. einen fein verteilten Stoff, welcher mit Wasser getränkt werden kann, also ein wasserhaltiges Gel, z. B. Stärke, Cellulosefaser oder -pulver usw., als bewegliche Phase ein mit Wasser nicht mischbares organisches Lösungsmittel. Die Methode wurde erstmals von Gordon, Martin und Synge vorgeschlagen und zur Trennung acetylierter Aminosäuren benützt. Als fester „Träger" für die wäßrige Phase (die hier dem Adsorptionsmittel entspricht) diente Silikagel, als bewegliche Phase Gemische von Butylalkohol und Chloroform.
Trog
C: •o
Abb. 27. Trennung der Aminosäuren im zweidimensionalen C h r o m a t o g r a m m . Aminosäuregemisch bei x auf den Bogen aufgetragen. Oben rechts: Trennung mit wasserhaltigem Phenol. Die Kreise deuten die Lage der einzelnen Aminosäuren an: 1 = Asparaginsäure, 2 = Glutaminsäure, 3 = Serin, 4 = Glycocoll, 5 = Alanin, 6 = Tyrosin, 7 = Lysin, 8 = Leucin, 9 = Arginin. Oben links: das entsprechende eindimensionale Chromatogramm mit Ninhydrin entwickelt. Unten: Blatt um 90° gedreht. Trennung mit Collidin. Man sieht, daß Alanin und Tyrosin, die im eindimensionalen Chromatogramm einen einzigen Fleck bilden, getrennt worden sind, ebenso Lysin, Leucin und Arginin
Weitaus die wichtigste Anwendungsform des Verteilungsprinzips ist aber die sog. Papierchromatographie, die heute in steigendem Maße Anwendung findet (Consden, G o r d o n und M a r t i n ) . Als feste Phase dient Filtrierpapier, als bewegliche, flüssige Phase ein wasserhaltiges organisches Lösungsmittel. Eine kleine Menge der Lösung, welche das zu trennende Stoffgemisch enthält, wird etwas vom Ende eines Papierstreifens entfernt aufgetragen und getrocknet, dann wird der Streifen mit diesem Ende in einen Trog gehängt, welcher das Lösungsmittel enthält, entweder so, daß das letztere den Streifen entlang nach unten fließt, oder so, daß es durch Kapillarität im Streifen aufsteigt. (Der Vorgang spielt sich im geschlossenen Raum ab, der mit den Dämpfen des Lösungsmittels gesättigt ist.) (Siehe Abb. 26)
154
Kolloidchemie; Grenzflächen
Das Lösungsmittel führt die verschiedenen Komponenten des Gemisches mit verschiedener Geschwindigkeit mit sich. Am Schluß wird der Streifen getrocknet und die Lage der verschiedenen Substanzen auf dem Streifen durch geeignete Reaktionen sichtbar gemacht. Die Trennung läßt sich oft noch weiter führen, wenn man die Chromatogramme nach zwei Dimensionen entwickelt. Dabei wird das zu analysierende Gemisch auf die Ecke eines quadratischen Blattes Filterpapier aufgetragen und das Blatt derart eingehängt, daß die erste Entwicklung parallel einer Kante erfolgt. Das Blatt wird nun um 90° gedreht und in ein neues, vom ersten verschiedenes Lösungsmittel eingehängt, das sich nun senkrecht zur vorigen Richtung bewegt. Auf diese Weise können Stoffe, die im ersten Lösungsmittel gleich schnell wandern, voneinander getrennt werden (vgl. Abb. 27). Um die Wanderungsgeschwindigkeit der Substanz auszudrücken, benützt man das Verhältnis der von der Substanz zurückgelegten Strecke zu der von der Front des Lösungsmittels zurückgelegten Strecke, den sog. R f -Wert. Die Methode ist zuerst für die Analyse von Aminosäuregemischen (Eiweißhydrolysaten) verwendet worden. Man benützt als erstes Lösungsmittel gewöhnlich mit Wasser gesättigtes Phenol, als zweites mit Wasser gesättigtes Collidin. Die Lage der einzelnen Aminosäuren kann bequem durch die Ninhydrinieaktion (S. 54) sichtbar gemacht werden (Besprengen des Papiers mit Ninhydrinlösung und Erwärmen). Man kann auf diese Weise in einem einzigen Arbeitsgang die meisten Aminosäuren eines Eiweißhydrolysats nachweisen. Die Methode ist seither bei einer sehr großen Zahl anderer Verbindungen mit Erfolg angewandt worden.
Nach der ursprünglichen Theorie der Verteilungschromatographie nimmt die Cellulosefaser aus der flüssigen Phase Wasser auf (genauer ein Gemisch von höherem Wassergehalt als das verwendete Lösungsmittel), und der Stoff verteilt sich zwischen der nicht wäßrigen, beweglichen Phase und der wasserhaltigen Cellulosefaser in ähnlicher Weise wie zwischen zwei nicht mischbaren Lösungsmitteln. Es ist aber wahrscheinlich, daß auch die Adsorption an der Oberfläche der Cellulosefaser eine große Rolle spielt. C. Ionenaustauscher Verschiedene natürlich vorkommende Aluminiumsilikate (Zeolithe) besitzen die Eigentümlichkeit, daß sie aus der umgebenden Lösung ein Kation aufnehmen und dafür eine äquivalente Menge eines anderen Kations abgeben. Sie nehmen z. B. Kalium auf und geben dafür Natrium ab, tauschen also das erstere gegen das letztere aus. Man bezeichnet solche Stoffe daher als Ionenaustauscher. Den Zeolithen liegt ein Kristallgitter zugrunde, in welchem die Aluminium-, Sauerstoff- und Siliciumatome ein festes Gerüst bilden, das einen Überschuß negativer Ladung trägt; in seinen weiten Maschen oder, bei lamellär gebauten Mineralien, zwischen den Lamellen sind die Kationen locker fixiert. Man kann solche Kristalle als riesige, vielwertige Anionen auffassen, die von Kationen durchsetzt sind. Die Kristalle anderer Silikate halten nur an ihrer ä u ß e r e n O b e r f l ä c h e Ionen adsorbiert, die ausgetauscht w;erden können; das Besondere der Austauschzeolithe liegt darin, daß auch Ionen im I n n e r n d e s G i t t e r s austauschbar sind. Für die praktische Anwendung der Austauschzeolithe ist wesentlich, daß die verschiedenen Kationen in den Maschen des Gitters nicht mit gleicher K r a f t festgehalten werden. Das Ion, das im Gitter besser haftet, wird daher dasjenige verdrängen, das weniger gut haftet. Für den Austausch wichtige Faktoren sind die Ladung und der Ionenradius. Bei den anorganischen Kationen ist nicht der aus kristallographischen Daten errechnete Radius maßgebend, welcher den minimalen Abstand der Ionen in den
Ionenaustauscher
155
Kristallgittern angibt, sondern der weniger exakt definierte Radius der hydratisierten Ionen. Die Ionen sind in wäßriger Lösung von einer Hülle von sehr locker gebundenen Wassermolekülen umgeben, die bei gleicher Ladung mit abnehmendem „kristallographischem" Radius wächst. (Der „kristallographische" Radius der Atome kann aus ihren Abständen in Kristallgittern ermittelt werden.) Da der letztere mit steigender Atomnummer (Atomgewicht) zunimmt, sind die leichteren Ionen stärker hydratisiert als die schwereren, d.h.sie nehmen in der Lösung einengrößeren Raum ein. Bei nicht zu hohen Konzentrationen werden die Kationen um so leichter vom Austauscher aufgenommen, je größer ihre Ladung ist, und bei gleicher Ladung um so leichter, je höher das Molekulargewicht (je kleiner die Wasserhülle) ist. Es ist leicht verständlich, daß ein Ion um so schwieriger in die Maschen des Kristallgitters eindringen kann, je größer die Wasserhülle ist, die es mitschleppt. Dementsprechend wird z. B. bei einem natriumhaltigen Zeolith das Natrium leicht gegen Kalium oder gegen Calcium ausgetauscht. Der Austausch ist eine Gleichgewichtsreaktion. Bezeichnet man schematisch das Anion des Zeoliths mit [Z—], so kann man den Vorgang folgendermaßen formul i e r e n :
[Z" " ] 2Na+ + Ca++
^
[Z" " ] Ca+ + + 2Na+
Das obige Gleichgewicht liegt stark zugunsten der rechten Seite. Man benützt den Vorgang technisch, um das C a + + aus dem Wasser zu entfernen, d. h. das Wasser zu enthärten. Durch genügende Erhöhung der Na + -Konzentration kann man aber den Vorgang auch umkehren, d. h. das C a + + durch das N a + verdrängen. Auf diese Weise läßt sich der Austauscher, wenn er mit C a + + gesättigt ist, wieder „regenerieren".
Man kann Aluminiumsilikate mit den Eigenschaften von Kationenaustauschern auch künstlich herstellen („Permutit"). In neuerer Zeit haben aber vor allem organische Austauscher eine große Bedeutung erlangt, sog. Austauschharze. Es handelt sich um hochpolymere unlösliche Stoffe, die entweder saure Gruppen enthalten (Sulfosäure-, Carboxyl- oder Phenolgruppen) und dementsprechend als Kationenaustauscher wirken oder basische Gruppen enthalten ( — N H r Gruppen) und daher Anionen austauschen können. Wir haben es in einem Fall mit einem riesigen polyvalenten Anion, im anderen mit einem riesigen polyvalenten Kation zu tun. Diese Stoffe werden durch Polymerisation einfacher Verbindungen erhalten (Phenole, Aldehyde, Amine, Säuren). Es sind organische Gele, deren Gerüst aus netzartig verflochtenen Kohlenstoffketten besteht, welche die ionisierten Gruppen tragen. J e nach den Besonderheiten der Gelstruktur, der Art der ionisierten Gruppen, entstehen Austauscher mit verschiedenen Eigenschaften, die in der Technik und in den chemischen Laboratorien mannigfache Anwendung finden. Die Herstellung von Austauschharzen ist ein neuer, erfolgreicher Zweig der organischen Großindustrie geworden. Wenn man einen Anionenaustauscher mit Lauge behandelt, so nimmt er Hydroxylionen auf. Bringt man ihn, nachdem die überschüssige Lauge mit Wasser ausgewaschen worden ist, mit der Lösung eines Neutralsalzes zusammen, so tauscht er das Hydroxylion gegen das Anion des Salzes aus und es bleibt die Base zurück. In ähnlicher Weise kann man durch einen mit Säure vorbehandelten („aktivierten") Kationenaustauscher aus Salzen die Säure freisetzen. Man kann auf diese Weise z. B. Wasser völlig elektrolytfrei machen, indem man es sukzessive durch eine Säule von einem Kation- und einem Anionenaustauscher durchlaufen läßt. Austauscher lassen sich auch zur chromatographischÄn Trennung von Ionen benützen. Wie bei der Adsorption kommen auch hier feine Unterschiede der Konstitution zur Geltung. Wenn man ein Gemisch von verschiedenen Ionen unter geeigneten Bedingungen durch eine Austauschersäule laufen läßt, so werden diejenigen Ionen am langsamsten mitgeführt, die am leichtesten gegen die im Gel vorhandenen ausgetauscht werden; es kommt zu einer Aufteilung des Gemisches. Oder man kann die sämtlichen Ionen zuerst an die Säule fixieren und dann durch Waschen mit Elektrolytlösungen abgestufter Konzentration sukzessive herausholen. Derartige Methoden sind bei der Trennung von Nucleotiden, Aminosäuren und in vielen anderen Fällen mit Erfolg angewandt worden.
III. T e i l
Der Stoffwechsel
Zehntes
Kapitel
Die F e r m e n t e 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente Die meisten organischen Stoffe, die bei Tieren und Pflanzen vorkommen, sind bei gewöhnlicher Temperatur beständig oder sie verändern sich nur sehr langsam. Im Kontakt mit der lebenden Substanz werden sie aber mit großer Geschwindigkeit umgesetzt, sei es, daß sie in einfachere Stoffe zerlegt und schließlich zu Kohlensäure und Wasser oxydiert werden, sei es, daß sie als Baustoffe für größere Moleküle dienen. Die Werkzeuge, mit deren Hilfe die lebende Substanz diese auffallenden chemischen Leistungen vollbringt, sind die Fermente. Fermentative Vorgänge waren den Menschen offenbar schon in vorgeschichtlicher Zeit bekannt, so die Fäulnis, oder die Gärung des Zuckers. „Ferment" ist ursprünglich der Name des Agens, das die alkoholische Gärung auslöst. Daß die Hefe ein lebender Organismus ist, wurde aber erst 1835 von C a g n i a r d de L a t o u r und unabhängig 1837 von T h e o d o r S c h w a n n (dem Schöpfer der Zellenlehre) erkannt. Für die löslichen, nicht organisierten Fermente, wie sie sich z. B. in den Verdauungssäften finden, hat K ü h n e später (1878) den Namen „Enzym" eingeführt. Nachdem sich aber herausgestellt hatte, daß auch die alkoholische Gärung auf Wirkung von Stoffen beruht, die von der Zelle abgetrennt werden können ( B u c h n e r 1897), wurde diese Unterscheidung überflüssig. „Ferment" und „Enzym" werden heute als synonyme Ausdrücke gebraucht. Die Natur der Fermentwirkungen wurde schon vor mehr als einem Jahrhundert vom schwedischen Chemiker J . J . B e r z e l i u s mit bewundernswürdigem Scharfblick erkannt (1836). Es fiel ihm auf, daß viele chemische Vorgänge in der organischen Natur andersartig verlaufen als die Umsetzungen der Stoffe im Reagensglas. Das Besondere liegt darin, daß diese Reaktionen durch Körper ausgelöst werden, die an den Umsetzungen gar nicht teilzunehmen scheinen wie etwa die Gärung der Zucker durch die Hefe. Er schrieb diese Wirkung einer besonderen, diesen Körpern innewohnenden K r a f t zu und verglich sie mit der zersetzenden Wirkung des Platins und anderer Stoffe auf das Wasserstoffsuperoxyd, eine Erscheinung, die gleichfalls nicht durch eine stöchiometrisch verlaufende Reaktion erklärt werden konnte. Wir zitieren wörtlich, wie er sich über diese Erscheinungen äußerte : „Es ist dies eine ebensowohl der unorganischen als auch der organischen Natur angehörige neue Kraft zur Hervorrufung chemischer Tätigkeit, die gewiß mehr, als man bisher dachte, verbreitet sein dürfte und deren Natur für uns noch verborgen ist. Ich werde sie, um mich einer in der Chemie wohlbekannten Ableitung zu bedienen, die katalytische Kraft der Körper und der Zersetzung durch dieselbe Katalyse nennen, gleich wie wir mit dem Wort Analyse die Trennung der Bestandteile der Körper vermöge der gewöhnlichen chemischen Verwandtschaft verstehen. Die katalytische Kraft scheint eigentlich darin zu bestehen, daß Körper durch ihre bloße Gegenwart und nicht durch ihre Verwandtschaft die bei dieser Temperatur schlummernden Verwandtschaften zu erwecken vermögen."
Allgemeine Charakteristik der Fermente
157
An anderer Stelle: „Wir hatten die Erfahrung gemacht, daß z. B. die Umwandlung des Zuckers in Kohlensäure und Alkohol, wie sie bei der Gärung durch den Einfluß eines unlöslichen Körpers stattfindet, den wir unter dem Namen Ferment kennen, nicht durch eine der doppelten Zersetzung ähnliche Wirkung" — wir würden heute sagen: nicht durch eine stöchiometrische Reaktion — „zwischen dem Zucker und dem Ferment erklärt werden konnte. Aber verglichen mit den in der unorganischen Natur bekannten Verhältnissen glich es keinem so sehr wie der Zersetzung des Wasserstoff Überoxyds durch den Einfluß von Platin, Silber oder Faserstoff; es war sehr natürlich, beim Ferment eine analoge Wirkung zu vermuten." „Wir bekommen begründeten Anlaß zu vermuten, daß in den lebenden Pflanzen und Tieren Tausende von katalytischen Prozessen zwischen den Geweben und den Flüssigkeiten vor sich gehen und die Menge ungleichartiger chemischer Zersetzungen hervorbringen, von deren Bildung aus dem gemeinschaftlichen rohen Material, dem Pflanzensaft oder dem Blut, wir nie eine annehmbare Ursache einsehen konnten, die wir künftig vielleicht in der katalytischen Kraft des organischen Gewebes, woraus die Organe des lebenden Körpers bestehen, entdecken werden."
Diese Voraussage B e r z e l i u s ' s hat sich erfüllt. Die Fermente sind Katalysatoren und sie beherrschen das biologische Geschehen in weitestem Umfange. Das Studium der biochemischen Vorgänge führt uns eindrücklich vor Augen, daß die Natur die Möglichkeiten, die in der katalytischen Beeinflußung der chemischen Reaktionen liegen, bis zum letzten ausschöpft. Die spätere Zeit hat vor allem versucht, den etwas unbestimmten Begriff der „katalytischen K r a f t " schärfer zu fassen. Nach Wilh. O s t w a l d ist die Katalyse „die Beschleunigung eines langsam verlaufenden chemischen Vorgangs durch die Gegenwart eines fremden Stoffes". Es ist nach dieser Definition die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t der Vorgänge, welche durch den Katalysator verändert wird. Sie setzt voraus, daß die Reaktionen auch ohne Katalysatoren vor sich gehen, aber nur langsam. Dafür lassen sich tatsächlich viele Beispiele anführen, besonders bei hydrolytischen Spaltungen. Viele Ester zerfallen in wässeriger Lösung langsam, aber doch merklich in Säure und Alkohol. Durch den Katalysator (z. B. Hydroxylionen oder ein geeignetes Ferment, eine Esterase) wird die Hydrolyse stark beschleunigt und kommt in einem Bruchteil der Zeit zu Ende, welche der nicht katalytische Vorgang zu seinem Ablauf braucht. Für die Anwendung auf die fermentativen Vorgänge ist aber die obige Definition in sehr vielen Fällen zu eng. Wir kennen eine ganze Reihe wichtiger Stoffwechselreaktionen, die sich n u r in Gegenwart besonderer Fermente abspielen. Wir werden später bei der Besprechung des intermediären Stoffwechsels Beispiele für derartige Reaktionen kennen lernen. Man kann zwar in diesen Fällen immer sagen, daß die Geschwindigkeit des nicht katalysierten Vorgangs unmeßbar klein ist. Das ist aber nur eine Umschreibung der Tatsache, daß in Abwesenheit des Fermentes die beteiligten Stoffe überhaupt nicht reagieren. Tatsächlich muß man annehmen, daß die Bedingungen für den Ablauf der Reaktion erst durch das Ferment geschaffen werden. Eis gibt, wie bekannt, viele Reaktionen, die durch einfaches Erwärmen in sichtbarer Weise beschleunigt werden. Dabei werden in der Regel aber nur solche Bindungen im Molekül gelöst oder umgelagert, die z u m v o r n h e r e i n reaktionsfähiger sind als die übrigen. Das ist bei fermentativen Reaktionen nicht der Fall. Es gibt allerdings Fermente, die solche labile Bindungen angreifen und dadurch einen Vorgang katalytisch beschleunigen, der mit geringerer Geschwindigkeit auch spontan vor sich geht. Das sind die Fälle, aufweiche die Ostwaldsche Definition der Katalyse ohne weiteres angewandt werden kann. Im übrigen beruht aber die Bedeutung der Fermente gerade darin, daß sie auch sehr stabile Bindungen reaktionsfähig machen können.
158
Die Fermente
Die Fermentwirkungen beruhen immer darauf, daß das Ferment sich mit dem reagierenden Stoff verbindet. Im Verlauf der Reaktion wird aber das Ferment wieder frei gesetzt; daher tritt es in der Bilanz des Vorgangs gar nicht auf. Der Stoff, der in Gegenwart des Ferments umgesetzt wird, heißt ganz allgemein das Substrat des betreffenden Ferments. Durch die Bindung an das Ferment werden im Molekül des Substrats die Bindungskräfte zwischen bestimmten Atomen derart verändert, daß eine chemische Reaktion eintreten kann. Je nach Art des Ferments, mit welchem das Substrat sich verbindet, können bei ein und demselben Molekül ganz verschiedene Reaktionen ausgelöst werden. Wenn z. B. eine «-Aminosäure mit der sog. Aminosäureoxydase reagiert, so wird die Aminogruppe als Ammoniak abgespalten und es entsteht die entsprechende «-Ketosäure (vgl. S. 328). Reagiert die Aminosäure dagegen mit einer Decarboxylase (wie sie z. B. in Bakterien vorkommen), so wird die Carboxylgruppe abgespalten und es entsteht das um ein C-Atom ärmere Amin (vgl. S. 338). Die genannten Tatsachen lassen klar erkennen, daß Fermente nicht nur spontane Reaktionen beschleunigen, sondern daß sie auch Reaktionen h e r v o r r u f e n können. Es kann aber nicht jede beliebige Reaktion durch Katalyse ausgelöst werden. Um die Bedingungen zu erkennen, unter denen katalytische Vorgänge überhaupt möglich sind, ist es nötig, die allgemeinen Gesetze zu kennen, die den Ablauf der chemischen Reaktionen beherrschen. Wenn wir irgend eine Reaktion durch eine stöchiometrische Gleichung beschreiben, z. B.: nA + mB == pC + qD
(A, B, C, D = reagierende Stoffe, n, m, p, q = Zahl der Moleküle), so kann man aus ihr nicht ohne weiteres ablesen, in welcher Richtung unter den gegebenen Bedingungen die Reaktion verläuft. Dies hängt neben anderen Faktoren hauptsächlich von der Menge der vorhandenen Reaktionsteilnehmer ab. Es ist möglich, daß sie z. B. im Sinne der von links nach rechts gelesenen Gleichung läuft, bis einer der Ausgangsstoffe A oder B oder beide aufgebraucht sind. Es gibt aber auch zahlreiche Reaktionen, die vorher zum Stillstand kommen. Das Reaktionsgemisch enthält dann nebeneinander alle Reaktionsteilnehmer A, B, C, D, ohne daß es sich weiter verändert. Es hat sich also zwischen den an der Reaktion beteiligten Stoffen ein Gleichgewicht eingestellt. Dieser Zustand stellt sich immer dann ein, wenn die Reaktion auch im umgekehrten Sinne verlaufen kann. Solche Reaktionen heißen umkehrbar (reversibel). Ein bekanntes Beispiel ist die Hydrolyse der Ester. Wenn 1 Mol Äthylacetat und 1 Mol Wasser gemischt werden, so tritt Hydrolyse ein; die Spaltung des Esters ist aber nicht vollständig, sondern sie steht still, wenn ca. 1 / 3 des Esters umgesetzt ist. Das Reaktionsgemisch enthält also im Gleichgewichtszustand 1 / 3 Mol Essigsäure, Vs Mol Äthylalkohol, 2 / 3 Mol Wasser und 2 / 3 Mol Äthylacetat. Genau derselbe Zustand wird aber auch erreicht, wenn man vom Gemisch von 1 Mol Essigsäure und 1 Mol Äthylalkohol ausgeht. Der erstgenannte Fall der einseitig verlaufenden (irreversiblen, nicht umkehrbaren) Reaktion ist übrigens im zweiten enthalten (wenigstens formal), wenn man annimmt, daß im Endzustand die Ausgangsstoffe A und B in unmeßbar kleiner Konzentration vorhanden sind, daß also das Gleichgewicht ganz auf der Seite der Reaktionsprodukte C und D liegt.
Jedes Gemisch reagierender Stoffe strebt demnach von selbst einem bestimmten Endzustand oder Gleichgewichtszustand zu. Die thermodynamischen Gesetze gestatten, unter gegebenen Bedingungen die Richtung der Reaktion vorauszubestimmen. Es zeigt sich nämlich, daß man jedem chemischen System eine Art poten-
Allgemeine Charakteristik der Fermente
159
tieller Energie zuschreiben muß, die sog. „ f r e i e E n e r g i e " , die sich auf Grund bestimmter experimenteller Daten berechnen läßt. In ähnlicher Weise wie die schweren Körper im Schwerefeld der Erde immer eine möglichst tiefe Lage, d. h. einen Zustand geringster potentieller Energie, einzunehmen suchen, verändern sich auch die chemischen Systeme von selbst nur im Sinne abnehmender freier Energie. So wie das Wasser sich im Gelände immer an der tiefsten Stelle ansammelt, entspricht dem Gleichgewichtszustand eines Gemisches reagierender Stoffe immer der kleinste Wert der potentiellen freien Energie, der unter den vorgegebenen Bedingungen erreicht werden kann. Wenn nun die thermodynamischen Bedingungen für den Ablauf einer Reaktion in einer bestimmten Richtung erfüllt sind, so k a n n die Reaktion eintreten, sie muß es aber nicht. Für das Eintreten einer möglichen Reaktion sind noch andere Faktoren maßgebend. Es gibt Hindernisse für den Ablauf der chemischen Reaktionen, die in der Natur der Valenzkräfte selbst begründet liegen. Wenn irgend ein Stoff unter Bedingungen, die eine chemische Reaktion erlauben würden, unverändert bleibt, so kann dies zwei Ursachen haben: er ist entweder reaktionsträge oder er befindet sich mit den anderen Stoffen im Gleichgewicht. Im ersten Fall, und nur in diesem, kann durch Katalyse eine Reaktion in Gang gebracht werden. Die Wirkung der Katalysatoren besteht darin, die Reaktionsträgheit aufzuheben, sodaß die Reaktion entsprechend dem Gefälle der freien Energie ablaufen kann. Daraus folgt, daß unter gewissen Bedingungen ein und dasselbe Ferment die beiden Richtungen einer Reaktion katalysieren kann, nämlich dann, wenn das Gleichgewicht von beiden Seiten her erreicht werden kann. Es gibt z. B. esterspaltende Fermente, die sog. Esterasen (vgl. S. 184). Die Verseifung vieler Ester ist ein umkehrbarer Vorgang und ist daher unvollständig. Setzt man nun zum Gemisch der Säure und des Alkohols die Esterase zu, so vereinigen sich die beiden zum Ester, bis derselbe Gleichgewichtszustand erreicht ist wie bei der Hydrolyse. Die Esterase bewirkt also je nach den Ausgangsbedingungen entweder die Hydrolyse oder die Synthese des Esters. In ähnlicher Weise können bei Gegenwart des Emulsins der bitteren Mandeln Blausäure und Benzaldehyd sich zu Mandelsäurenitril vereinigen oder es können durch die glycosidspaltenden Fermente Glycoside, durch die peptidspaltenden Fermente Peptide gebildet werden (vgl. S. 182).
Es handelt sich hier immer um fermentative Synthesen, die durch Umkehrung der entsprechenden SpaltungsVorgänge zustande kommen. Voraussetzung für die Bildung faßbarer Mengen der Stoffe ist immer eine nicht zu einseitige Lage des Gleichgewichts. Wenn die fermentative Reaktion nach einer Seite praktisch zu Ende läuft, so kann man keine meßbare Synthese des Ausgangsstoffs aus den Endprodukten erwarten. Es ist daher unmöglich, daß z. B. die Urease (vgl.S. 172) auch die Harnstoffsynthese katalysiert, die in der Leber der Säugetiere in großem Umfang stattfindet. In der Tat wird diese Synthese durch ein sehr komplexes Fermentsystem bewirkt (vgl. S. 366). Da die Wirkung der Katalysatoren nur in der Aufhebung der Reaktionsträgheit besteht, kann durch Katalyse niemals eine Reaktion in Gang gesetzt werden, die vom Gleichgewichtszustand wegführt, also dem Gefälle der freien Energie entgegen gerichtet ist, oder, was dasselbe bedeutet: ein Ferment kann nie das Gleichgewicht zwischen reagierenden Stoffen verschieben. "Vorgänge, die irgend ein System vom Gleichgewichtszustand entfernen, verbrauchen Energie. Eine Reaktion, die dem Gefälle der freien Energie entgegenläuft, muß daher mit einem anderen energieliefernden Prozeß verknüpft sein (mit einer anderen chemischen Reaktion, der Absorption von Strahlung usw.). Dieser Art sind die meisten biochemischen Synthesen. Die Energie wird meistens durch Spaltung oder Oxydation anderer Stoffe gewonnen. Die Über-
Die Fermente
160
leitung der chemischen Energie von einer Reaktion auf eine andere stellt eines der Grundprobleme des Stoffwechsels dar, das uns später noch beschäftigen wird. Wie eingangs erwähnt, sind die meisten organischen Verbindungen bei Temperaturen, die mit dem Leben verträglich sind, stabil. Sie verdanken aber diese Stabilität ihrer Reaktionsträgheit. Beim Erhitzen auf höhere Temperaturen zersetzen sie sich oder sie verbrennen mit dem Sauerstoff der Luft. Ihr Zustand entspricht also keineswegs einem Gleichgewicht, in das sie nach einer Störung (z. B. einer Temperaturerhöhung) von selbst wieder zurückkehren. Sie gehen vielmehr in andere, offenbar stabilere Verbindungen über. Unter den Bedingungen, wie sie an der Erdoberfläche herrschen, würden im wahren Endzustand im wesentlichen nur die Oxyde des Wasserstoffs, Kohlenstoffs und Stickstoffs vorhanden sein. Die Reaktionsträgheit der organischen Moleküle ist von großer Bedeutung; ohne sie würden wahrscheinlich in Gegenwart von Sauerstoff nur ganz wenige Kohlenstoffverbindungen überhaupt existieren können.
Der Grund dieser Reaktionsträgheit ist der folgende: Die Moleküle müssen, um reaktionsfähig zu werden, aus ihrem Normalzustand zunächst in einen energieMolekel
Aktivierte
Abb. 28. Veranschaulichung der Aktivierungsenergie und des aktivierten Zustandes eines Moleküls.
reicheren sog. „aktivierten" Zustand übergeführt werden. Nur von diesem Zustand aus kann die neue Verteilung der Bindungskräfte zwischen den Atomen erfolgen, welche als chemische Reaktion in Erscheinung tritt. Die Energie, die dazu nötig ist (.Aktivierungswärme" oder „Aktivierungsenergie"), wird in der Regel durch die Stöße der Moleküle geliefert. Die quantenmechanische Deutung der chemischen Valenz gestattet, diesen Sachverhalt zu erklären. Man macht sich den Vorgang am besten an einem mechanischen Bild klar: Ein Stein, der an einem Berghang in einer Grube hegt, rollt nicht den Hang hinunter, solange er nicht über den Rand der Grube hinübergestoßen wird. Seine Lage auf dem Rand (siehe Abb. 28) entspricht dem aktivierten Zustand des Moleküls, die Arbeit, die nötig ist, ihn auf den Rand zu heben, der Aktivierungsenergie. Die Zahl der Stöße, die ein Molekül in der Zeiteinheit treffen, ist ungeheuer groß. Aber nur ein kleiner Bruchteil der auftreffenden Teilchen besitzt eine genügende kinetische Energie, um das Molekül in den aktivierten Zustand zu bringen. Die Wärmebewegung steigt mit der Temperatur an, daher nimmt bei erhöhter Temperatur auch die Zahl der wirksamen Stöße und damit der aktivierten Moleküle zu. Dadurch kommt die Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit beim Erwärmen zustande.
Chemische Natur der Fermente
161
Bekanntlich steigt bei chemischen Vorgängen die Reaktionsgeschwindigkeit auf etwa das Doppelte, wenn die Temperatur um 10° erhöht wird. Die Wirkung der Katalysatoren besteht nun darin, daß sie durch ihre Verbindung mit den Substratmolekülen deren Aktivierungswärme verkleinern (im mechanischen Modell bedeutet dies, daß der Rand der Grube erniedrigt wird; der Stein kann also leichter darüber hinaus gerollt werden). Während normalerweise nur sehr heftige Stöße das Molekül in den aktivierten Zustand (d. h. auf den Wall der Grube) versetzen können, genügen nun dazu Stöße von viel geringerer Energie; die Zahl solcher Stöße ist aber schon bei Körpertemperatur so groß, daß die Reaktion in Gang kommt. E s ist im einzelnen noch unbekannt, warum die Bindung des Substratmoleküls an das Ferment das Substrat dem aktivierten Zustand näher bringt. Offenbar bedeutet die Aktivierung eine gewisse Verzerrung des Moleküls. Z w i s c h e n d e r Aktivierung durch Temperaturerhöhung (thermische Aktivierung) und der A k t i v i e r u n g durch F e r m e n t e b e s t e h t ein f u n d a m e n t a l e r U n t e r s c h i e d : D i e e r s t e r e i s t wahllos. S i e f ü h r t z u r L ö s u n g d e r j e n i g e n B i n d u n g e n , die u n t e r den g e g e b e n e n B e d i n g u n g e n die l o c k e r s t e n s i n d . D i e A k t i v i e r u n g d u r c h F e r m e n t e i s t d a g e g e n in h ö c h s t e m G r a d e auswählend, s e l e k t i v . J e n a c h d e r A r t des F e r m e n t s w e r d e n n u r g a n z b e s t i m m t e B i n d u n g e n r e a k t i o n s f ä h i g g e m a c h t . Die Organismen verdanken ihre Fähigkeit, differenzierte Strukturen aufzubauen und die chemische Energie im Stoffwechsel in bestimmten Bahnen abfließen zu lassen, einzig dieser differenzierten Wirkung der Fermente. 2. Chemische Natur der Fermente E s ist in den letzten Jahren gelungen, verschiedene Fermente in chemisch reinem Zustand darzustellen. Das erste Beispiel eines reinen, kristallisierten Fermentes war die Urease ( S u m n e r 1926, S. 172). E s folgte die Reindarstellung verschiedener Verdauungsfermente und schließlich wurde auch eine ganze Reihe der Fermente, welche an Oxydationsvorgängen oder an der Gärung teilnehmen, im kristallisierten Zustand erhalten. Alle diese Stoffe sind Proteine. Die Zahl der heute bekannten reinen Fermente ist so groß, daß man dieses Resultat verallgemeinern und annehmen kann, daß überhaupt alle Fermente proteinartiger Natur sind. Man weiß schon lange, daß die Fermente Kolloide sind. Sie diffundieren nicht durch Pergament- oder Kollodiummembranen und zeigen überhaupt viele Eigenschaften, die für den kolloidalen Zustand charakteristisch sind. Hauptsächlich von R . W i l l s t ä t t e r wurde die Vorstellung entwickelt, daß jedes Ferment aus einem kolloidalen „Träger" und einer „Wirkungsgruppe" besteht. I m Gegensatz zur ursprünglichen Annahme ist aber der „Träger" ebenso spezifischer Natur wie die Wirkungsgruppe; j a wir werden später sehen, daß die Substratspezifität der Fermente von der Eiweißkomponente bestimmt wird. E s ist in mehreren Fällen gelungen, die Wirkungsgruppe abzutrennen und wieder mit dem Fermentprotein zu vereinigen. Die isolierte Wirkungsgruppe und das isolierte Fermentprotein sind unwirksam. Erst die Vereinigung der beiden gibt das wirksame Ferment. In den bisher untersuchten Fällen sind die Wirkungsgruppen Verbindungen n i c h t eiweißartiger Natur und von viel geringerem Molekulargewicht als das Trägerprotein. Die Wirkungsgruppe der d-Aminosäureoxydase z. B . ist ein Dinucleotid, das Adenin und Lactoflavin enthält (vgl. S. 210); andere Oxy11
E d l b a c l i e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 10. Aufl.
Die Fermente
162
dationsfermente enthalten einen Porphyrin-Eisen-Komplex (vgl. Kap. 20) usw. Wir werden mehrere Beispiele dieser Art kennen lernen. In einigen Fällen dissoziiert die Wirkungsgruppe sehr leicht ab, und es besteht ein Gleichgewicht zwischen Wirkungsgruppe, Fermentprotein und wirksamem Ferment. In der Eiweißchemie bezeichnet man eine mit dem Eiweißmolekül verbundene Gruppe nicht eiweißartiger Natur als „prosthetische Gruppe". Die Verbindung der beiden ist ein „Proteid". In den obigen Beispielen ist daher die Wirkungsgruppe als eine prosthetische Gruppe des Fermentproteids aufzufassen. Es sind zur Bezeichnung der Fermentkomponenten verschiedene Namen eingeführt worden; die wichtigsten sind nachfolgend zusammengestellt: Prosthetische Gruppe Wirkungsgruppe
Willstätter Euler K r a u t und v. P a n t s c h e n k o Jurewicz .
J
T>_ ± •
T>_ J. -J wirksames Ferment
Coferment
kolloidaler Träger Apoferment
Agon
Pheron
(Symplex)
Protem
Proteid
Holoferment
(Der Ausdruck Symplex bezeichnet nicht speziell ein wirksames Ferment, sondern einen durch Zusammenlagerung verschiedenartiger Moleküle entstandenen Komplex. In der französischen Sprache hat sich dafür auch der von Mächeboeuf geprägte Ausdruck „cenapse" eingeführt.) Am meisten gebraucht wird heute die von Euler stammende Unterscheidung von Coferment, Apoferment, Holoferment.
Die Spezifität der Fermentwirkung, d. h. die Fähigkeit, eine ganz bestimmte Reaktion auszulösen, kommt durch das Zusammenwirken von Coferment und Apoferment zustande. Die ältere Bezeichnung des „Trägers" könnte zur Annahme verleiten, daß dem Fermentprotein eine mehr passive Rolle zufällt. Die Wirkungsgruppe kann aber nicht auf einem behebigen Protein fixiert werden. Sie gibt nur mit ihrem zugehörigen spezifischen Fermentprotein das wirksame Ferment. Es scheint, daß die große Mannigfaltigkeit der Fermentwirkungen hauptsächlich durch die Variation der Eiweißkomponenten erreicht wird. Wir werden Beispiele kennenlernen, die zeigen, daß das Protein die Wirkungsweise des Coferments weitgehend bestimmt. So kann z. B. das Coferment der Deihydrierung, die Cozymase (vgl. S. 207), mit ganz verschiedenen Substraten reagieren, je nach dem Apoferment, mit dem es verbunden ist. Es ist nicht bei allen Fermenten möglich, eine besondere Wirkungsgruppe abzutrennen oder nachzuweisen. So erweisen sich z. B. viele hydrolysierende Fermente wie Pepsin, Trypsin u. a. m. als einheitliche Proteine. Man muß aber auch hier annehmen, daß begrenzte spezifische Atomgruppierungen im Eiweißmolekül die katalytische Wirkung hervorbringen. A. A l l g e m e i n e E i g e n s c h a f t e n d e r F e r m e n t e . Das physikalische und chemische Verhalten der Fermente erklärt sich aus ihrer Eiweißnatur. Sie diffundieren nicht durch Membranen und können daher von niedrigmolekularen Stoffen durch Dialyse getrennt werden. Sie werden durch hohe Konzentrationen von Neutralsalzen ausgefällt (Aussalzung), eine Eigenschaft, von der man bei der Reinigung häufig Gebrauch macht. Sie werden durch alle Agentien inaktiviert, welche Proteine denaturieren; daher rührt ihre geringe Stabilität. Erhitzen auf Temperaturen über 60°, längerer Kontakt mit organischen Lösungsmitteln, Zusatz von Schwermetallen usw. bewirken die Denaturierung des Fermentproteins und machen damit das Ferment unwirksam. (Die Wirkungsgruppe kann dabei ganz unverändert bleiben. In
Allgemeine Eigenschaften der Fermente
163
vielen Fällen wird das Coferment gerade dadurch im isolierten Zustand gewonnen, daß man das Protein denaturiert.) Die Fermente sind oft in den frischen Organextrakten besonders unbeständig, weil dieselben eiweißspaltende Fermente (Proteasen) enthalten, welche das Fermentprotein angreifen, oder andere Stoffe, welche seine Eigenschaften verändern. Alle chemischen Reagentien, welche das Protein oder das Coferment irgendwie angreifen, zerstören auch die Aktivität. Besonderes Interesse haben die Reaktionen gefunden, welche die SH-Gruppe betreffen. Viele Fermentproteine besitzen freie SH-Gruppen und werden inaktiviert, wenn dieselben oxydiert oder durch Substitution blockiert werden. Diese Reaktionen sind teilweise reversibel und es gelingt, durch geeignete Reagentien die Fermente wieder zu reaktivieren, z. B. wird Urease oder Amylase durch sehr verdünnte Jodlösung inaktiviert; Behandlung mit H 2 S oder Cystein reaktivieren die Fermente wieder. Vieles spricht dafür, daß die SHGruppen an der Ferment-Substrat-Bindung beteiligt sind.
Abb. 29. Ä n d e r u n g der A k t i v i t ä t e i n e s F e r m e n t s m i t d e m pH-Wert der L ö s u n g
A b h ä n g i g k e i t der F e r m e n t w i r k u n g v o n der T e m p e r a t u r und v o m Milieu. Wie bei jeder chemischen Reaktion nimmt auch bei Fermentreaktionen die Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur zu. Beim Gefrierpunkt des Wassers ist sie in der Regel sehr gering. Bei Temperaturen über 40—50° setzt aber die Denaturierung des Fermentproteins ein, so daß die Aktivität rasch absinkt und völlig vernichtet wird. Es gibt daher für die Fermentwirkungen eine optimale Temperatur, die von Ferment zu Ferment etwas verschieden sein kann, meist aber zwischen 40—50° erreicht wird. Von allergrößter Bedeutung ist für das Studium der Fermentwirkungen die Lehre von der W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n geworden. Es ist kaum zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß erst durch die Anwendung dieser Begriffe eine exakte Fermentchemie ermöglicht worden ist. Es ist vor allem das Verdienst von S. P. L. S ö r e n s e n , die Methoden für die Bestimmung des pH (die Bezeichnung stammt von ihm) geschaffen und seine Bedeutung für die Fermentchemie aufgedeckt zu haben. Die Wasserstoffionenkonzentration beeinflußt die Wirkung der Fermente in entscheidender Weise. So wirkt z.B. das Pepsin des Magens nur bei saurer Reaktion, während das Trypsin wieder nur bei annähernd neutraler Reaktion Eiweiß spaltet. Untersucht man z. B. die Wirkung irgendeines Fermentes in Lösungen von steigendem pH, so ergibt sich, daß die Wirkung gleicher Mengen von Fermentlösung auf das Substrat bei sonst gleichen Bedingungen ein a u s g e s p r o c h e n e s M a x i m u m besitzt. Bei einer bestimmten aktuellen Wasserstoffionenkonzentration ist bei sonst gleichen Bedingungen die Wirkung eines Fermentes o p t i m a l . Man bezeichnet diesen Punkt als das pH-Optimum des betreffenden Fermentes. Dieses Optimum kann mehr oder weniger scharf ausgeprägt sein. Ii»
164
Die Fermente
Trägt man die Aktivität eines Fermentes gegen die pH-Werte in ein Koordinatensystem ein, so erhält man die1 Aktivitätskurvc des betreffenden Fermentes (s. Abb. 29). Auf diese Weise wurden die Wirkungsbereiche der meisten Fermente untersucht, und die folgende Tabelle gibt einige der gewonnenen Zahlen wieder: Ferment
pH-Optimum
Pankreaslipase . . . Pepsin Trypsin Erepsin Urease Arginase Saccharase Katalase
8 1,5—1,6 7,8—8,7 7,8 7,0 9,0—9,5 4,2 7,0
Es hat sich gezeigt, daß in unreinen Fermentlösungen, wie sie in den natürlichen Sekreten oder Organextrakten immer vorliegen, die Begleitkörper, mit denen das Ferment mehr oder weniger assoziiert ist, einen Einfluß auf das pH-Optimum besitzen. So kommt im Magen ein fettspaltendes Ferment, eine L i p a s e , vor, welche bei p H 4—5 optimal wirkt; andererseits findet sich im Pankreas eine Lipase vom Optimum p H 8. Wird nun die Magenlipase einem unten beschriebenen Reinigungsverfahren unterworfen, so ändert sich auch das Optimum und man erhält schließlich eine Fermentlösung, welche in ihrer Wirkung identisch mit der Pankreaslipase ist. Die Abhängigkeit der Fermentwirkung vom pH-Wert des Milieus kommt dadurch zustande, daß mit der Wasserstoffionenkonzentration die Dissoziation von sauren oder basischen Gruppen im Fermentprotein oder dem Coferment sich ändern. Man muß annehmen, daß der Dissoziationsgrad bestimmter Gruppen die Wirksamkeit des Ferments (z. B. die Ferment-Substrat-Bindung) bestimmt, ohne daß man sich im einzelnen Fall ein genaues Bild des Vorgangs machen kann. Wie oben bereits erwähnt, können verschiedenartige Begleitstoffe, Elektrolyte und Nichtelektrolyte, die Fermentreaktion stark beeinflußen, sei es im Sinne einer Hemmung, sei es im Sinne einer Förderung. Als Beispiel für den Einfluß des Salzmilieus können wir die Amylase (das stärkespaltende Ferment) erwähnen, deren Aktivität durch Dialyse stark vermindert, durch Zusatz von Chlorionen aber wieder regeneriert werden kann. Sehr viele Elektrolytwirkungen, die man in natürlichen Sekreten oder Extrakten beobachtet, betreffen wahrscheinlich nicht das Fermentmolekül als solches, sondern verändern die Komplexe, die es mit den Begleitstoffen bildet. Auf einen sehr wichtigen Fall der Beeinflußung, nämlich die Hemmung durch Stoffe, die ähnliche Strukturen haben wie das Substrat des betreffenden Ferments, werden wir in einem folgenden Abschnitt zu sprechen kommen. B. R e i n d a r s t e l l u n g d e r F e r m e n t e In den Organen oder Sekreten kommen die Fermente immer in Begleitung einer großen Zahl inaktiver Stoffe und anderer Fermente vor. Oft sind sie im Vergleich zum übrigen Material nur in sehr kleinen Konzentrationen vorhanden. Es stellt sich daher die Aufgabe, sie von diesen Stoffen abzutrennen, sie anzureichern und womöglich im Reinzustand darzustellen. Man kann zwar auch an ungereinigten oder
Reindarstellung der Fermente
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wenig gereinigten Lösungen wichtige Beobachtungen anstellen. In vielen Fällen ist man auf solche Lösungen angewiesen. Die endgültige Lösung der verschiedenen fermentchemischen Probleme kann aber nur am reinen Ferment erfolgen. Die Darstellung des letzteren ist das Ziel der präparativen Chemie der Fermente. Da die Fermente Proteine sind, können dazu alle Methoden verwendet werden, die zur Isolierung und Reinigung der Eiweißstoffe dienen. Fermente, welche wie die Amylase des Speichels, die Fermente der Pankreasdrüse, der Darmdrüsen auch außerhalb der Zellen auftreten, bezeichnet man als E x o e n z y m e . Andere wieder, welche ihre Wirksamkeit während des Lebens nur innerhalb der Zellen entfalten, werden als E n d o e n z y m e bezeichnet. Durch Extraktion dfcr Gewebe mit Wasser, Salzlösungen oder auch Glycerin kann man sie dem Protoplasma entziehen. Viele der weniger empfindlichen Fermente lassen sich aus den Lösungen mit Aceton fällen. Diese Pulver behalten dann oft Monate, ja Jahre hindurch ihre Wirksamkeit. Alle diese Methoden führen aber nur zu sehr unreinen und namentlich in bezug auf die enzymatische Wirkung nicht einheitlichen Präparaten. Das Verdienst, das erste Ferment, nämlich die Urease, im kristallisierten Zustand dargestellt und seine Eiweißnatur bewiesen zu haben, gebührt, wie bereits erwähnt, J . B. S u m n e r . Als einer der ersten hat R. W i l l s t ä t t e r und seine Schule die Abtrennung und Reinigung der Fermente systematisch in Angriff genommen. Er arbeitete hauptsächlich mit einigen gut zugänglichen hydrolytischen Fermenten der Hefe und der Verdauungssekrete, doch führten diese Arbeiten nicht zur Reindarstellung dieser Fermente, die erst später N o r t h r o p gelang. Die Reinigung nach W i l l s t ä t t e r beruht meist auf der Adsorption (vgl. S. 147). Dazu haben sich besonders fein verteilte Porzellanerde (Kaolin) und fein verteiltes Aluminiumhydroxyd (Tonerde), das durch Variation der Herstellungsmethode und Alterung in verschiedenen Modifikationen mit besonderen Eigenschaften hergestellt werden kann, als brauchbar erwiesen. Kaolin hat schwach saure, Tonerde schwach basische Eigenschaften. Wird nun ein Ferment an einen der beiden Körper adsorbiert, so kann man es von dem Adsorptionsmittel durch geeignete Lösungen wieder weglösen, eluieren. Durch Kombination von Adsorption und Elution ist es oft möglich, entweder Begleitkörper zu entfernen oder einzelne Fermente aus der Lösung herauszuholen und wieder in Lösung zu bringen. Als Beispiel sei hier die Aufteilung eines Fermentgemisches aus Pankreas erwähnt. Es handelt sich um die Trennung von Lipase, Amylase, Trypsin, Erepsin. Das Gemisch wird zunächst mit der basischen Tonerde behandelt; diese nimmt die Lipase und das Erepsin aus dem Gemisch heraus. Es wird vom Adsorbat abzentrifugiert und die Restlösung nun mit Kaolin adsorbiert, und in der vom Kaolin abzentrifugierten Flüssigkeit findet sich nun nur mehr das Trypsin. Durch geeignete Elution können von den Adsorbaten die beiden anderen Enzyme gewonnen werden.
Es ist auf diesem Wege gelungen, den Wirkungswert verschiedener Fermentlösungen um das Mehrtausendfache zu steigern. Zur Reindarstellung eines Fermentes haben diese ersten Arbeiten aber nicht geführt. Doch haben die Adsorptionsmethoden bis heute eine große Bedeutung beibehalten und können oft mit Vorteil angewandt werden, wenn Fermente von Begleitstoffen getrennt oder angereichert werden müssen. Die Kristallisation eines Ferments kann nur in sehr seltenen Fällen direkt aus seiner natürlichen Lösung erfolgen. Fast immer muß es weitgehend von Begleitstoffen befreit sein und in genügend hoher Konzentration vorliegen, damit es Tendenz zur Kristallisation zeigt. Die Vorreinigung kann durch Adsorption, durch
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Die Fermente
fraktionierte Fällung mit Salzen oder organischen Lösungsmitteln, Alkohol, Aceton, Dioxan, bei niedriger Temperatur erfolgen. Die endgültige Ausscheidung im kristallisierten Zustand erfolgt durch Zusätze, welche die Löslichkeit verringern: Salze, Alkohol, Aceton, vorzugsweise im isoelektrischen Punkt. Das Auffinden der Methode, die zum Ziel führt, ist immer eine schwierige Aufgabe, besonders wenn es sich um unbeständige Fermente handelt. Die modernen Methoden der Reindarstellung von Fermenten sind hauptsächlich von S u m n e r , N o r t h r o p , W a r b u r g u . a . entwickelt worden. In einzelnen Fällen ist die Gewinnung des kristallisierten Ferments, wenn einmal die Bedingungen bekannt sind, überraschend einfach. So fällt z. B. die Urease aus der Lösung, die man durch Extraktion von Jackbohnenmehl (Jackbohne = Canavalia ensiformis) mit 32% Aceton erhält, sofort in kristallisierter Form aus (Sumner 1926). Andere Methoden sind langwierig und delikat. Bei den Verdauungsfermenten (Pepsin, Trypsin, Chymotrypsin) benützt män meistens die fraktionierte Fällung durch Ammoniumsulfat bei geeignetem pH-Wert der Lösungen. Bis heute sind etwa 30—40 Fermente im kristallisierten Zustand dargestellt worden.
3. Verbindung von Ferment und Substrat Wir haben in der Einleitung zu diesem Kapitel darauf hingewiesen, daß sich bei allen fermentativen Reaktionen das Ferment mit dem Substrat zu einem Komplex verbindet. Erst im Fermentsubstratkomplex wird das Substrat reaktionsfähig. Im einfachsten Fall zerfällt der Komplex wieder in Ferment und Reaktionsprodukt, worauf der Vorgang von neuem beginnt. Die anorganische Chemie liefert Modelle für derartige Vorgänge, so z. B. die Oxydation des Schwefeldioxyds bei Gegenwart von nitrosen Gasen beim Bleikammerprozeß. Schematisch dargestellt verläuft die Reaktion folgendermaßen: NO + % 0 2 = N0 2 S0 2 + NOg - S0 3 + NO Bilanz: S0 2 + %0 2 = S0 3
Das Stickoxyd NO überträgt dabei den Luftsauerstoff auf das Schwefeldioxyd, mit dem das letztere nicht direkt reagiert. Das NO wird dabei immer wieder regeneriert, erscheint daher nicht in der Bilanz. Die Struktur des Ferments und des Substrats sind derart aufeinander abgestimmt, daß sich das Ferment nur mit seinem Substrat verbindet, in manchen Fällen freilich auch mit Stoffen, die eine dem Substrat ähnliche Struktur besitzen. Wir werden auf diese Möglichkeit später zurückkommen, weil sie für das Verständnis vieler Hemmwirkungen von großer Bedeutung ist. Nach dem Massenwirkungsgesetz besteht zwischen den Konzentrationen des Ferments, des Substrats und ihrer Verbindung die folgende Beziehung: (Ferment) (Substrat) _ (Komplex)
_ ^
^
Da nun das Substrat einzig im Komplex in reaktionsfähiger Form vorliegt, wird die Reaktionsgeschwindigkeit der Konzentration des Komplexes proportional sein. Wird bei konstanter Fermentkonzentration die Substratkonzentration gesteigert, so muß die Konzentration des Komplexes ansteigen, bis schließlich alles vorhandene Ferment an das Substrat gebunden ist (bis das Ferment mit dem Substrat „gesättigt" ist). Die Reaktionsgeschwindigkeit strebt dabei asymptotisch ihrem maximalen Wert zu. Diese Tatsache ist wichtig, wenn man Fermentkonzentrationen durch Meßung der Aktivität vergleichen will. Die Substratkonzentration muß immer so hoch gewählt werden, daß das Ferment gesättigt ist.
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Verbindung von Ferment und Substrat
Man kann durch Messung der Fermentaktivität bei verschiedenen Substratkonzentrationen ein Maß für die Affinität zwischen Ferment und Substrat gewinnen. Bs ist leicht einzusehen, daß die zur Erreichung der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit nötige Konzentration des Substrats sich nicht genau angeben läßt, weil ja die Annäherung an den Maximalwert asymptotisch erfolgt. Dagegen läßt sich experimentell die Substratkonzentration leicht feststellen, die einen bestimmten Bruchteil, z. B. die halbe Maximalgeschwindigkeit, ergibt. Bsi dieser Konzentration liegt die Hälfte des Ferments in Form des Ferment-Substrat-Komplexes vor. J e größer die Affinität von Ferment und Substrat ist, desto kleiner ist die Substratkonzentration, die zur Erreichung der „Halbsättigung" des Ferments nötig ist. Diese Konzentration kann daher als Maß für die Affinität des Ferments zum Substrat dienen. Die genauere Untersuchung zeigt, daß ihr Zahlenwert (in Mol Substrat pro Liter) gleich der Dissoziationskonstanten k des FermentSubstrat-Komplexes ist (siehe obenstehende Gleichung). k wird vielfach die M i c h a e l i s -Konstante genannt, weil der Zusammenhang zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit und dem Ferment-Substrat-Gleichgewicht zuerst in einer Arbeit von M i c h a e l i s und M e n t o n (1913) am Beispiel der Rohrzuckerspaltung durch Invertin klargelegt worden ist. Die kurvenmäßige Darstellung wird besonders übersichtlich, wenn man die Konzentration des Substrats logarithmisch darstellt (ähnlich dem pH-Wert der Wasserstoffionenkonzentration). Es ergibt sich die gleiche S-förmige Kurve wie für die Dissoziation einer schwachen Säure in Abhängigkeit vom p H (vgl. Abb. 30). Maximale gesch r Reaktionsgeschwindigkeit I proportiooal der Konzentration der Ferment-SubstratVerbindung )
Renkt tons windigkeit
Ferment, mit dem Substrat
Vi maximale
Reaktionsgeschwindigkeit
Ferment, zur Hälfte mit dem gesättigt
/1 / 1 / 1 — ' • /og.
gesättigt
Substrat
Substratkonzentration
Abb. 30. D e f i n i t i o n d e r M i c h a e l i s - K o n s t a n t e n . Es wird vorausgesetzt, daß die Reaktionsgeschwindigkeit proportional der Konzentration der Ferment-Substrat-Verbindung ist. Wird die Fermentkonzentration konstant gehalten und die Konzentration des Substrats gesteigert, so ist schließlich alles Ferment mit dem Substrat verbunden (das Ferment ist mit dem Substrat gesättigt) und die Reaktionsgeschwindigkeit erreicht ihren maximalen Wert. Man kann leicht ableiten (vgl. Ableitung der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung S. 124), daß die Substratkonzentration, für welche die halbe maximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht wird (50% des Ferments mit dem Substrat verbunden) gleich der Dissoziationskonstanten des Ferment-Substrat-Komplexes ist: k _ (Ferment) • (Substrat) (Ferment- Substrat-Komplex) k heißt „ M i c h a e l i s - K o n s t a n t e " . In der obigen Darstellung ist als Abszisse der Logarithmus der Substratkonzentration, als Ordinate die Reaktionsgeschwindigkeit aufgetragen. Die Kurve zeigt den Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit mit wachsender Substratkonzentration. Die zur halben Maximalgeschwindigkeit (Wendepunkt der Kurve) gehörende Abszisse ist = log k = log der M i c h a e l i s - K o n s t a n t e n
Wir haben weiter oben bereits auf die Tatsache hingewiesen, daß die Fermente vielfach auch Stoffe binden können, die eine dem Substrat ähnliche Konstitution besitzen, ohne daß eine Reaktion eintritt. Offenbar sind die Bindung eines Moleküls an das Fermentprotein und seine Aktivierung zwei verschiedene Vorgänge. Meist ist die erste dieser Reaktionen weniger spezifisch als die zweite. Saccharose wird durch das Ferment Saccharase (Invertin) in Glucose und Fructose gespalten. Zusatz von Glucose oder Fructose verlangsamt die Hydrolyse. Das Invertin bindet nämlich nicht nur Saccharose, sondern auch die Hydrolyseprodukte Glucose und Fructose. Diese Zucker verdrängen daher die Saccharose teilweise aus ihrer Verbindung mit dem Invertin und vermindern dadurch die Konzentration des reaktionsfähigen Komplexes Saccharase-Invertin,
168
Die Fermente
d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit. Die Anwendung des Massenwirkungsgesetzes gestattet, die Gleichgewichtsbedingungen bei Gegenwart des Hemmkörpers aufzustellen und die Affinität des Ferments zum Substrat und zum Hemmkörper angenähert zu berechnen. Für diese Hemmwirkung durch Verdrängung („competitive Inhibition") gibt es zahlreiche Beispiele. Wir werden bei Besprechung der einzelnen Fermente weitere Fälle kennenlernen. Besonders charakteristisch ist die sog. „antipodische Hemmung". Wenn das Substrat eine optisch aktive Verbindung ist, so wird in vielen Fällen sein optischer Antipode durch das Ferment nicht angegriffen (stereochemische Spezifität). Dagegen wirkt der Antipode sehr oft hemmend auf die Reaktion ein. Die Erklärung ergibt sich aus den obigen Ausführungen ohne weiteres. Die enantiomorphe Verbindung kann zwar vom Ferment gebunden werden, da sie die gleiche Struktur wie das Substrat besitzt. Die verschiedene räumliche Anordnung der Atome verhindert iber die Auslösung der Reaktion durch das Ferment.
Verschiedene Fermente vermögen eine Reihe ähnlich gebauter Verbindungen anzugreifen. So hydrolysieren z. B. die Lipasen nicht nur Fette, sondern auch eine große Zahl anderer Ester. Aber die einzelnen Substrate werden meist mit verschiedener Geschwindigkeit gespalten. Dies kann darauf beruhen, daß die verschiedenen Ferment* Substrat-Komplexe mit ungleicher Geschwindigkeit zerfallen. Ein zweiter wichtiger Faktor ist aber stets auch die Affinität des Ferments zum Substrat, die je nach der Konstitution des letzteren sehr verschieden sein kann. Auch hier liefern wieder die beiden Antipoden stereoisomerer Verbindungen gute Beispiele. Durch die Lipase aus Schweineleber wird sowohl der linksdrehende als auch der rechtsdrehende Äthylester der Mandelsäure gespalten. Läßt man das Ferment auf das racemische Gemisch einwirken, so wird zuerst die ( + )-Säure freigelegt; unterwirft man aber die beiden Komponenten einzeln der Spaltung, so zeigt es sich, daß die (—)-Säure rascher abgespalten wird. Die genauere Untersuchung löste den Widerspruch in folgender Weise: Das Ferment h a t (gemessen an der Dissoziationskonstanten des Ferment-Substrat-Komplexes) eine siebenmal größere Affinität zum ( + )-Ester als zum (—)-Ester, aber der Fermentkomplex des (—)-Esters zerfällt etwa zweimal schneller als der Fermentkomplex des ( + )-Esters. Einzeln untersucht wird der erstere daher rascher gespalten. Aber im Gemisch wird er durch den ( + )-Ester größtenteils vom Ferment verdrängt, so daß trotz der größeren Zerfallsgeschwindigkeit seines Fermentkomplexes mehr ( + )-Ester hydrolysiert wird. Dieses Beispiel zeigt in klarer Weise den Einfluß der beiden Faktoren auf die Reaktionsgeschwindigkeit ( W i l l s t ä t t e r , K u h n ) .
Man kann also ganz allgemein sagen, daß die Geschwindigkeit einer Fermentreaktion im wesentlichen durch zwei Faktoren bestimmt wird, 1. durch die Affinität des Ferments zum Substrat und 2. durch die Zerfallsgeschwindigkeit des FermentSubstrat-Komplexes. Die Geschwindigkeit einer Fermentreaktion wird am besten durch die sog. W e c h s e l z a h l angegeben. Darunter versteht man die Zahl der Substratmoleküle, die pro Minute durch 1 Fermentmolekül umgesetzt werden. F ü r die sehr wirksame Katalase beträgt die Wechselzahl z. B. 5000000. Fermente mittlerer Aktivität zeigen gewöhnlich Wechselzahlen von der Größenordnung einiger tausend.
Endlich sei hier noch ein Verfahren erwähnt, das in vielen Fällen zu entscheiden gestattet, ob eine Fermentlösung, die verschiedene Substrate angreift, ein einziges oder mehrere spezifische Fermente enthält. Es ist dies die Methode des Konkurrenzversuches: Wenn eine Enzymlösung zwei oder mehrere ähnliche Substrate angreift, so kann man zunächst nur auf Grund langwieriger Trennungsmethoden entscheiden, ob es sich um ein oder mehrere Enzyme handelt. Nun ist, wie erwähnt, die Affinität eines Enzyms meistens für verschiedene Substrate verschieden groß. Wenn das Enzym auf das Substrat A einwirkt, erhält man z. B. eine Spaltung von der Größe SaWirkt das Enzym auf das Substrat B ein, erhält man den Spaltungswert Sb- Läßt man nun das Enzym auf eine Mischung der Substrate A und B einwirken, so werden von der gleichen Enzymmenge kleinere Werte für Sa und Sb erhalten, denn die
Verbindung von Ferment und Substrat
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Wirkung einer gegebenen Enzymmenge verteilt sich auf beide Substrate, wenn ein und dasselbe Enzym beide Reaktionen katalysiert. Befinden sich aber in der verwendeten Enzymlösung zwei Enzyme, von denen das eine nur auf A, das andere nur auf B einwirkt, so untersucht man erst die Wirkungswerte der Lösung auf A. Dann läßt man das Enzym unter gleichen Bedingungen auf eine Mischung von A und B wirken und bestimmt wieder den Wirkungswert für das Substrat A. Ist derselbe bei diesem Versuch gleich groß wie bei Anwendung von reinem A, so ist damit bewiesen, daß in der Lösung ein Enzym vorhanden ist, das nur auf A wirkt, denn sonst wäre im zweiten Versuch der Spaltungswert für A kleiner gewesen. Durch derartige Konkurrenzversuche konnte man die Frage nach der Spezifität der Enzyme in vielen Fällen klären. H e m m s t o f f e . Wir kennen zahlreiche Stoffe, welche die Aktivität aller oder einzelner Fermente hemmen. Die Fermente werden durch alle Stoffe dauernd inaktiviert, die das Fermentprotein denaturieren oder chemisch tiefgreifend verändern. Dazu gehören die Eiweißfällungsmittel, die starken Säuren und Basen u. a. m. Viel größeres Interesse bieten aber solche Reagentien, welche mit dem Fermentprotein reagieren, ohne dasselbe zu denaturieren. Handelt es sich um eine Gleichgewichtsreaktion, so ist die Hemmung r e v e r s i b e l , d. h. das Ferment gewinnt nach Entfernung des Hemmstoffes seine Aktivität wieder zurück. Wir müssen annehmen, daß die Bindung des Substrats und des Coferments an das Fermentprotein durch ganz bestimmte Gruppen des Proteins erfolgt (sog. „Aktivitätszentren" oder „essentielle Gruppen"); N a t u r und Anordnung dieser Gruppen bestimmen die Spezifität des Ferments. Daneben können aber auch noch andere Gruppen, die nicht direkt an der Bindung des Substrats beteiligt sind, f ü r die Aktivität des Ferments von Bedeutung sein. Alle Reagentien, die solche Gruppen verändern oder blockieren, hemmen die Fermentaktivität. Die Verwendung gruppenspezifischer Reagentien erlaubt daher, Schlüsse auf die N a t u r der funktionellen Gruppen zu ziehen, von denen die Fermentwirkung abhängig ist. Als wichtiges Beispiel seien die SH-Gruppen erwähnt. Sie können z. B. durch milde Oxydationsmittel wie Ferricyanid oder oxydiertes Glutathion usw. oxydiert werden oder mit Monojodessigsäure, Maleinsäure, Arsenverbindungen und anderen Stoffen in Verbindungen eingehen. Mit Hilfe dieser Reagentien h a t man festgestellt, daß die Aktivität einer ganzen Reihe von Fermenten von den Sulfhydrylgruppen abhängt (sog. „SHFermente"). Dazu gehören verschiedene Dehydrasen, Esterasen, die Hexokinase u. a. m. Bei gewissen Dehydrasen ist wahrscheinlich eine SH-Gruppe des Fermentproteins an der Bindung des Substrats beteiligt (vgl. S. 272). Welches die Bedeutung der SH-Gruppe bei den anderen HS-Fermenten ist, läßt sich zur Zeit nicht mit Sicherheit angeben. Einer der wichtigsten Fälle von reversibler Hemmung ist die oben bereits erwähnte „ k o m p e t i t i v e " oder „ k o n k u r r i e r e n d e " H e m m u n g durch Stoffe, welche eine ähnliche chemische Struktur wie das Substrat haben. Bei Fermenten, die in Apoferment und Coferment dissoziieren, können auch solche Stoffe kompetitive Hemmwirkung zeigen, die dem Coferment ahnlich gebaut sind (vgl. Kapitel Vitamine).
Die S p e z i f i t ä t der F e r m e n t e . Vor allen künstlichen Katalysatoren, wie sie heute in der Technik in größtem Umfange verwendet werden, zeichnen sich die Fermente durch die hohe Spezifität ihrer Wirkung aus. Die Ausführungen des vorangehenden Abschnittes haben gezeigt, daß jeweils zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn ein Stoff durch ein bestimmtes Ferment angegriffen werden soll: Er muß die Atomgruppe besitzen, auf welche das Ferment eingestellt ist, und er muß vom Fermentprotein so gebunden werden, daß die Wirkungsgruppe des Ferments mit dieser Atomgruppe reagieren kann. (Es gibt nämlich auch Erscheinungen — z. B. die Hemmung einer Fermentreaktion durch einen Überschuß des Substrats —, welche zeigen, daß das Substrat auch „falsch" gebunden werden kann.) Wir haben auch bereits erwähnt, daß beide Faktoren, die Reaktion zwischen Wirkungsgruppe und Substrat sowie die Affinität von Fermentprotein und Substrat, die Geschwindigkeit der Reaktion oder ihren Eintritt bestimmen. Daraus erklärt sich die große Mannigfaltigkeit in der A b s t u f u n g der Spezifität.
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Die Fermente
Es gibt Fermente, welche nur ein einziges Substrat anzugreifen vermögen; hier sind die oben formulierten Bedingungen nur bei einem einzigen Stoff gleichzeitig erfüllt (Beispiel: Urease). Konfigurationsänderung eines asymmetrischen Kohlenstoffatoms, Übergang zu einer homologen Verbindung, Substitution einer Gruppe genügt oft, um das Substrat unangreifbar zu machen. Zahlreiche Fermente können verschiedene, ähnlich gebaute Substrate angreifen. Man nennt sie gruppenspezifisch (Lipase hydrolysiert Triglyceride und andere Ester.) Wir werden im folgenden für alle diese Fälle Beispiele kennenlernen. 4. Einteilung der Fermente Es existiert keine ganz befriedigende Systematik der Fermente. Einzig die hydrolysierenden Fermente lassen sich nach Art der hydrolysierten Verbindungen eindeutig ordnen. Die folgende Einteilung (in Anlehnung an B a l d w i n u. a.) erlaubt es, wenigstens die wichtigsten Fermente einzuordnen, wenn auch für verschiedene die Einreihung nicht ganz ohne Willkür geschehen kann. I. H y d r o l a s e n : hydrolytische Spaltung der Substrate. Allgemeine Reaktion: AB + H 2 0 T " A-OH + HB. 1. C — N - B i n d u n g e n l ö s e n d . a) D e s a m i n a s e n : Urease, Arginase, Histidase, Asparaginase, Hippuricase, Purindesaminasen (vgl. S. 392) u. a. m. b) P r o t e a s e n : Proteinasen, Polypeptidasen, Dipeptidasen u . a . m . 2. C — O - B i n d u n g e n l ö s e n d . a) E s t e r a s e n : Lipasen, Phosphatasen u . a . m . b) C a r b o h y d r a s e n : Amylasen, Glycosidasen, Hyaluronidasen u. a. m. c) N u c l e a s e n (vgl. S. 389). II. P h o s p h o r y l a s e n : phosphorolytische Spaltung der Substrate. Allgemeine Reaktion: AB + H 3 P 0 4 < A 0 P 0 3 H 2 + HB. 1. G l y c o g e n p h o s p h o r y l a s e . 2. S a c c h a r o s e p h o s p h o r y l a s e (vgl. S. 411). 3. N u c l e o s i d p h o s p h o r y l a s e (vgl. S. 390). III. F e r m e n t e d e r n i c h t h y d r o l y t i s c h e n S p a l t u n g u n d A d d i t i o n (Desmolasen). Allgemeine Reaktion: AB < A + B. 1. W a s s e r a b s p a l t e n d e u n d - a d d i e r e n d e F e r m e n t e : Fumarase, Aconitase, Enolase, Carboanhydrase u. a. m. 2. C 0 2 - a b s p a l t e n d e u n d - a d d i e r e n d e F e r m e n t e : Carboxylasen. 3. A l d o l a s e (Zymohexase). IV. G r u p p e n ü b e r t r a g e n d e F e r m e n t e . Allgemeine Reaktion: AX + B < . ' A + BX. 1. T r a n s p h o s p h o r y l a s e n : Hexokinasen, Myokinasen, Mutasen (Verschiebung der Phosphatgruppe innerhalb des gleichen Moleküls). 2. T r a n s a m i n a s e n . 3. T r a n s a m i d i n a s e (Kreatinsynthese, vgl. S. 355). 4. T r a n s m e t h y l a s e n (vgl. S. 351 und 356). 5. T r a n s a c e t y l a s e n (vgl. S. 412). V. I s o m e r a s e n . Hexose- und Trioseisomerasen.
Hydrolasen
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VI. F e r m e n t e der O x y d o - R e d u k t i o n ( O x y d o - R e d u k t a s e n ) . 1. O x y d a s e n (metallhaltige Fermente): Warburgsches saiierstoffübertragendes Ferment, Cytochrome, Peroxydase, Katalase, Phenoloxydasen. 2. D e h y d r a s e n : a) mit Pyridinnueleotiden als Coenzym, b) mit Lactoflavinnucleotiden als Coenzym (gelbe Fermente). 3. G l y o x a l a s e (Aldoketomutase, vgl. S. 305).
Der Ausdruck „Desmolase", den wir als Bezeichnung der III. Gruppe in Klammern beigefügt haben, wird oft in einem sehr viel weiteren Sinn gebraucht, nämlich für die gesamten Fermente der Oxydo-Reduktion und ihre Hilfsfermente. Wir haben uns diesem Gebrauch hier nicht angeschlossen. Vielfach wird er auch zur Bezeichnung der Fermente benützt, welche C—C-Bindungen lösen. Wir besprechen in diesem Kapitel nur einige der Hydrolasen etwas ausführlicher. Die Fermente der Oxydo-Reduktion und alle übrigen, welche am Abbau oder Aufbau der organischen Verbindungen beteiligt sind, werden in den folgenden Kapiteln über die biologische Oxydation und den Intermediärstoffwechsel behandelt. 5. Hydrolasen
Man kann zwei Grundtypen von hydrolytischen Wirkungen feststellen: 1. Die Bindung zwischen einem Kohlenstoffatom und einem Stickstoffatom wird gelöst: C_N 2. Die Bindung zwischen Kohlenstoffatom und Sauerstoffatom wird gelöst: •C—OI. Gruppe:
• • • C—N- • • •
lösend
Die Lösung nach dem ersten Typus kann nun wieder in verschiedenartigster Weise erfolgen: NH, Ureasetypus (spaltet Harnstoff),
Argmasetypus (spaltet die Guanidingruppe), ••'''NNH— C— •.yNH, O
Asparaginasetypus (spaltet ein Säureamid),
-C— /NH—C— Cx^
O
N>-
Proteasetypus (spaltet die Peptidbindung).
172
Die Fermente
Bei allen diesen vier Permenten wird also immer die Bindung C—N unter Wasseraufnahme zerlegt. Die ersten drei Typen kann man, da sie Aminogruppen abspalten, als Desaminasen bezeichnen. A. Desaminasen Die Urease oder das harnstoffspaltende Ferment kommt im tierischen Organismus nicht vor, wohl aber in der Pflanzenwelt. Die Sojabohne (Glycine hispida) und die amerikanische Jackbohne (Canavalia ensiformis) enthalten sie in wirksamer Form. Sehr verbreitet ist das Ferment besonders bei Bakterien und Pilzen. Urease spaltet den Harnstoff nach der folgenden Gleichung : /NH2 (-;; o + 2H 2 o = h 2 c o 3 + 2 n h 3 x nh2 Die Bedeutung der Urease liegt darin, daß die enzymatische Zerlegung des Harnstoffs den organisch gebundenen Stickstoff wieder als Ammoniak freisetzt und damit der Verwertung durch die Pflanzen wieder zugänglich macht. Durch die nitrifizierenden Bakterien des Bodens wird das Ammoniak dann weiter zu Nitrit und Nitrat oxydiert. Die Ureasespaltung bildet damit ein wichtiges Zwischenglied im Kreislauf des Stickstoffs. Die Urease, die durch Extraktion von Soja- oder Jackbohnenmehl leicht zugänglich ist, kann zur quantitativen Bestimmung des Harnstoffs dienen, da die Reaktion unter gewissen Bedingungen vollständig zu Ende verläuft. Wie wir bereits erwähnt haben, war die Urease das erste Ferment, das in kristallisiertem Zustand gewonnen wurde ( S u m n e r 1926). Die Arginase findet sich beim Säugetier namentlich in der Leber, ferner in den Nieren, im Thymus, teilweise in den männlichen Geschlechtsdrüsen, in den Erythrocyten verschiedener Arten. Ihre wichtigste Wirkungsstätte ist beim Säuger die Leber. Die Vögel und Reptilien bilden auch Arginase, besonders in den Nieren. Jedoch ist bei diesen Tierklassen ihre Wirkung viel schwächer (vgl, die Kapitel über Eiweiß- und Purinstoffwechsel). Durch Eintritt von Wasser wird das Arginin in Harnstoff und Ornithin zerlegt : /NH„ H nh + o T j "\nh H -
c~o X
NI -nh2
ch 2
ch2
¿hnh2 I COOH
CH-NH, ! COOH
Die Arginase wurde von K o s s e i und D a k i n (1904) entdeckt. Sie zeigt bei einem pH 9,0—9,5 ihre optimale Wirkung. Die Spezifität der Arginase ist sehr ausgeprägt. So wird z. B. die von F e l i x dargestellte A r g i n i n s ä u r e , die an Stelle der a-Aminogruppe ein H y d r o x y l trägt, nur bei äußerst hoher Enzymkonzentration in geringem Maße gespalten.
Desaminasen
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E d l b a c h e r und Z e l l e r konnten zeigen, daß normalerweise nur das natürliche, der 1-Reihe zugeordnete Arginin zerlegt wird, daß jedoch bei sehr starker Erhöhung der Enzymkonzentration auch das unnatürliche d-Arginin gespalten wird. Es muß diese Tatsache wohl so erklärt werden, daß die Affinität zwischen Enzym und Substrat, d. h. zwischen Arginase und natürlichem 1-Arginin, sehr groß ist, während sie zwischen Arginase und d-Arginin gering ist. Durch Erhöhung der Enzymkonzentration werden die Bedingungen geschaffen, daß auch im zweiten Falle Enzym-Substrat-Bindung und daher Spaltung eintreten kann. In ähnlicher Weise ist auch die Spaltung des aus den Muskeln von Octopus gewonnenen O c t o p i n s zu erklären NH COOH II I H2N—C—NH—CH2—CH2—CH2—CH CH NH—CH ^COOH Verfüttert man Octopin an Säuger, so erscheint dieses im Harn wieder, es wird also von der Arginase unter natürlichen Verhältnissen nicht angegriffen, wie A c k e r m a n n und M o h r zeigen konnten. Auch im Falle des Octopins kann durch Erhöhung der Enzymkonzentration und „Aktivierung" des Enzyms hydrolytische Abspaltung von Harnstoff erreicht werden. G. K l e i n , P e r k i n und H e l l e r m a n n sowie E d l b a c h e r konnten zeigen, daß Arginase durch geringe Spuren von Mangan-, Kobalt-, Nickel- oder Cadmiumionen sehr stark aktiviert werden kann. Dialysiert man Arginase bei 0° mehrere Wochen, so] wird sie inaktiv. Derartige inaktivierte Arginase wird nun durch Spuren von Manganionen wieder voll aktiviert, während die anderen Metallionen erst in viel höheren Konzentrationen wirken. Aus dieser Beobachtung und auf Grund der Tatsache, daß Mangan in allen Arginase enthaltenden Geweben vorkommt, ziehen E d l b a c h e r , P i n ö s c h und B a u e r den Schluß, daß die Arginase ein Manganproteid ist. Eine der biologischen Funktionen des Mangans ist also darin zu sehen, daß dieses Metall in der Wirkungsgruppe des harnstoffbildenden Enzyms, der Arginase, auftritt. Das Mangan greift (wahrscheinlich als Katalysator) auch in andere Stoffwechselvorgänge ein. Die große Bedeutung der Arginase liegt darin, daß sie in der Säugetierleber den Harnstoff bildet. Die Argininspaltung stellt, wie in Kap. 6 gezeigt wird, den letzten Schnitt der Reaktionsfolge dar, durch welchen der Amino- oder Ammoniakstickstoff in Harnstoff übergeführt wird. Ein ähnliches Ferment, welches auf Histidin einwirkt, findet sich auch in der Leber aller Wirbeltiere. Die Histidase (entdeckt von E d l b a c h e r 1926 und gleichzeitig von G y ö r g y und R o t h l e r ) zerlegt das Histidin unter Bildung von Ammoniak und anderen Spaltprodukten. Die enzymatische Spaltung des Histidins erfolgt so, daß Leberextrakt bei pH 8 zuerst ein Äquivalent Ammoniak frei macht. Das Reaktionsprodukt ist sehr leicht zersetzlich; es spaltet bei starker alkalischer Reaktion ein zweites Äquivalent Ammoniak ab. Aus der Reaktionsflüssigkeit läßt sich dann noch A m e i s e n s ä u r e und natürliche 1-Glutaminsäure isolieren. Über den Reaktionsverlauf und seine möglichen Formulierungen siehe S. 349. Die Wirkung der Histidase ist streng spezifisch; sie greift nur natürliches 1-Histidin an. Setzt man zu der Lösung von Enzym und 1-Histidin die äquivalente oder mehrfache Menge des Antipoden d-Histidin zu, so kann man beobachten, daß mit steigender
Die Fermente
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Menge eine H e m m u n g d e r S p a l t u n g d e s n a t ü r l i c h e n A n t i p o d e n stattfindet. Bei Zusatz der sechsfachen Menge an d-Histidin wird die 1-Aminosäure überhaupt nicht mehr angegriffen. Nach E d l b a c h e r handelt es sioh hier um einen Fall von „antipodischer Hemmung". Sie kommt, wie im allgemeinen Teil ausgeführt wurde, so zustande, daß auch das d-Histidin eine gewisse Affinität zum Enzym besitzt. Bei höherer Konzentration findet eine Bindung zwischen Enzym und d-Aminosäure statt. Nun ist alles Enzym dadurch b l o c k i e r t , und es wird begreiflicherweise die Spaltung des natürlichen Substrates verhindert. Diese antipodische Hemmung der Histidase steht also in Analogie zu der oben erwähnten Spaltung von d-Arginin durch Arginase (S. 174)-. Auch Arginase vermag den optischen Antipoden ihres Substrats zu binden; aber im Gegensatz zur Histidase vermag sie ihn, wenn auch langsam, zu spalten. Ähnliche Verhältnisse haben E d l b a c h e r sowie B a m a n n bei verschiedenen Peptidasespaltungen beobachtet. Die Asparaginase findet sich in keimenden Pflanzen und auch in tierischen Organen. Sie spaltet die Amidogruppe des Asparagins unter Bildung von Ammoniak und Asparaginsäure: ,NH2 /OH C=0 C= O ¿H 2 + H 2 0
=
¿H 2
CH-NHj
¿H-NH 2
COOH
COOH
+ NH3
Das entsprechende Ferment, welches die Amidgruppe des Glutamins spaltet, die Glutaminase, findet sich in tierischen Organen. Endlich findet sich in vielen tierischen Organen ein Ferment, welches die Hippursäure unter Bildung von Benzoesäure zu spalten vermag. Die Hippursäure ist das Benzoylglycocoll, welches nach der folgenden Gleichung zerlegt wird: C6H5—CO—NH CH2—COOH
+ H20 =
C6H6COOH + NH2
Benzoesäure Glycocoll
Dieses ursprünglich H i s t o z y m genannte Ferment ( S c h m i e d e b e r g 1881) muß richtiger als Hippuricase bezeichnet werden. B. Proteasen Die Proteasen hydrolysieren die Peptidbindung: —CO-NH—+ H 2 0
> —COOH + H2N—
Alle Fermente, welche auf Proteine und Aminosäurekomplexe hydrolysierend wirken, fallen unter diese Gruppe. Man kann sie wieder in zwei Untergruppen einteilen :
Proteasen
175
1. Proteinasen, welche die Eiweißkörper selbst angreifen, 2. Peptidascn, welche nicht auf die nativen Eiweißkörper, sondern nur auf P e p t i d e einwirken. H a u p t t y p e n der P r o t e i n a s e n : 1. Pepsin, im Magensekret, wirkt bei stark saurer Reaktion; spaltet Eiweißkörper zu Albumosen und Peptonen. 2. Kathepsin, in den Zellen, wirkt bei schwach saurer Reaktion (pH 4—-6). 3. Trypsingruppe, vorzüglich im Pankreas, wirkt bei neutraler oder alkalischer Reaktion (pH etwa 8) (Trypsin, Chymotrypsin). H a u p t t y p e n der P e p t i d a s e n : 1. Dipeptidasen spalten nur Dipeptide. 2. Aminopeptidase spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Aminogruppe ab. 3. Carboxypeptidase spaltet aus Polypeptiden die Aminosäure mit der freien Carboxylgruppe ab. Unter dem Namen „Erepsin" versteht man das 1901 von C o h n h e i m entdeckte proteolytische Prinzip der Darmschleimhaut. Nach W a l d s c h m i d t - L e i t z ist es ein Gemenge von Amino- und Dipeptidasen. Dies erklärt auch, warum Darmsaft Protein nicht anzugreifen vermag. Die Proteinasen sind in der Natur weit verbreitet, sowohl im Pflanzen- als auch im Tierreiche. Der Abbau der Eiweißkörper durch reine Proteinasen f ü h r t nicht zur vollständigen Spaltung in freie Aminosäuren. Der größte Teil der Spaltprodukte besteht aus Polypeptiden. Es wird also nur ein Teil der Peptidbindungen hydrolysiert. (Durch das Pepsin z.B. etwa30%.Chymotrypsin spaltet von den etwa 340Peptidbindungen des Lactoglobulinmoleküls etwa 50.) Die kombinierte Wirkung verschiedener Proteinasen läßt erkennen, daß nicht von jedemFerment die gleichen Bindungen gespalten werden. Es besteht also eine gewisse Spezifität in bezug auf die Lage der Peptidbindüng in der Polypeptidkette. Die Untersuchung der Spaltung von synthetischen Polypeptiden bekannter Konstitution h a t hier einige Aufklärung gebracht (vgl. S. 69). Die Proteinasen greifen in der Regel denaturierte Proteine viel besser an als native. Dies ist besonders deutlich beim Trypsin. Das Pepsin wurde im Jahre 1836 von S c h w a n n im Fundusteil der Magenschleimhaut entdeckt. (Die verflüssigende Wirkung des Magensaftes auf Fleisch ist aber schon viel länger bekannt.) Da der Magen zugleich beträchtliche Mengen von Salzsäure bildet, ist der Magensaft stark sauer. Dementsprechend liegt auch das pH-Optimum des Pepsins bei stark saurer Reaktion, p H = l — 2 . Die Wirkung des Pepsins auf die Eiweißkörper ist beschränkt. Es bilden sich P e p t o n e und A l b u m o s e n , hochmolekulare Spaltprodukte, welche durch gewisse Fällungsreaktionen äußerlich von den Proteinen unterscheidbar sind. Die meisten Eiweißkörper werden durch Pepsin gespalten (Protamine aber z. B. nicht), aber die Spaltung bleibt bald stehen. Die feinere chemische Analyse der Spaltung hat ergeben, daß es nur Peptidbindungen sind, welche unter der Enzymwirkung unter Wasseraufnahme zerfallen. Bei der Lösung jeder Peptidbindung muß daher immer auf je eine neu gebildete freie NH 2 -Gruppe eine Carboxylgruppe neu auftreten. Dies gilt nicht nur für die Wirkung des Pepsins, sondern allgemein für alle Proteasen. Die Messung der Amino- und Carboxylgruppen erfolgt nach einer der bei der Beschreibung der Proteine besprochenen Methoden.
176
Die Fermente
Wie schon bei der Besprechung der allgemeinen Eigenschaften der Enzyme gesagt wurde, gelingt es, zahlreiche Enzyme der Proteasegruppe in kristallisiertem Zustand zu erhalten. Die Methode der Darstellung beruht auf dem Prinzip des Aussalzens. Sie wurde besonders von N o r t h r o p ausgearbeitet und führte zur Darstellung von k r i s t a l l i s i e r t e m P e p s i n und P e p s i n o g e n . Damit ist das Vorkommen von solchen Proenzymen j e t z t e i n d e u t i g b e w i e s e n . Durch Adsorption an Kupferhydroxyd, Elution mit Phosphat und Fällung mit Ammonsulfat konnten H e r r i o t und N o r t h r o p das Pepsinogen kristallisiert erhalten. Die Aktivierung zu Pepsin ist ein autokatalytischer Vorgang. Es werden dabei aus dem Pepsinogen niedrigermolekulare Körper (Molekulargewicht 5000) abgespalten, die als Hemmungskörper (Inhibitoren) wirken können, indem sie sich unter geeigneten Bedingungen mit dem Pepsin reversibel verbinden. Man kann sich daher ¿ie Aktivierung des Pepsinogens folgendermaßen vorstellen: Pepsinogen
(Pepsin) (
Pepsin + Inhibitor
Die Lage des Gleichgewichtes hängt vom p H ab. Der Vorgang ist „autokatalytisch", weil durch die katalytische Reaktion der Katalysator gebildet wird. Seine Geschwindigkeit steigt daher explosionsartig an. Die Aktivierung von Pepsinogen ist ein p r o t e o l y t i s c h e r V o r g a n g . Schweinepepsin wandelt Hühnerpepsinogen in Hühnerpepsin um und umgekehrt. Über die Natur des Pepsins wurden in letzter Zeit ausgedehnte Untersuchungen angestellt. So scheinen nach P h i l p o t t und S m a l l die Tyrosingruppen im Enzymmolekül mit dem Substratprotein in einer noch unbekannten Weise zu reagieren. Es hat sich nun ergeben, daß Proteinasen u n t e r g e e i g n e t e n B e d i n g u n g e n nicht nur Proteine, sondern auch e i n f a c h e P e p t i d e zu spalten vermögen. So wird z. B. das Carbobenzoxy-glutamyl-tyrosin in Carbobenzoxy-glutaminsäure und Tyrosin zerlegt, wenn kristallisiertes Schweinepepsin zur Anwendung gelangt, und zwar findet die Spaltung bei p H = 4 statt und nicht pH = 1,8—2, bei welchem Pepsin gewöhnlich optimal wirkt. D i e o p t i m a l e W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n e i n e r E n z y m w i r k u n g w i r d a l s o d u r c h d a s S u b s t r a t b e e i n f l u ß t . Das Carbobenzoxy-glutamyl-tyrosin hat die folgende Formel: OH COOH
I
CH2
I CHj
I CH2
(C 6 H 5 -CH 2 -0-C0)-NH-CH-C0 - > - NH• CH• COOH Carbobenzoxy glutamyl ' tyrosin
Es wird an der durch > ; bezeichneten Stelle gespalten. Carbobenzoxy-L-glutamyl-L-phenylalanin wird durch Pepsin ebenfalls abgebaut. Dagegen wird bei Ersatz des L-Phenylalanins durch den optischen Antipoden, das d-Phenylalanin, die Verbindung durch Pepsin unangreifbar. Die Resistenz der d-Verbindung zeigt deutlich die o p t i s c h e S e l e k t i v i t ä t der Pepsinwirkung. Die Versuche mit synthetischen Substraten zeigen, daß Peptide aus Aminocarbonsäure (Glutaminsäure) und Tyrosin, bzw. Phenylalanin, durch Pepsin leicht gespalten werden. Weiteres siehe unten.
Proteasen
177
Die rasche Spaltung von Proteinen mit hohem. Gehalt an diesen Aminosäuren durch Pepsin wie Edestin, Casein und Eieralbumin und die schwache Hydrolyse von Gelatine mit niedrigem Gehalt an diesen Bausteinen wird dadurch verständlich gemacht. Die Resistenz der Protamine gegen Pepsin ist ebenfalls durch die spezifische Zusammensetzung dieser Eiweißkörper bestimmt. Das Labferment oder Chymosin: Es ist eine umstrittene Frage, ob im Magen des Erwachsenen ein derartiges Enzym vorkommt. Wahrscheinlich aber findet sich ein mit Pepsin nicht identisches Labferment im Magen des Jugendlichen vor. Als sicher kann gelten, daß das Ferment aus dem Abomasum (Labmagen) des Kalbes vom Pepsin verschieden ist. Die Wirkung des Labfermentes besteht in der Bildung von unlöslichem Paracasein aus dem Casein der Milch. Das gebildete Paracasein fällt dabei als Calcium Verbindung aus. (Vielfach wird auch der Eiweißkörper der Milch Caseinogen und der durch Labwirkung daraus hervorgehende Stoff Casein genannt.) Die Labgerinnung der Milch ist ein proteolytischer Vorgang, dessen Einzelheiten noch keineswegs aufgeklärt sind. Wahrscheinlich wird durch das Chymosin eine Komponente des komplexen Proteins angegriffen mit dem Erfolg, daß der gesamte Komplex schwer löslich wird und ausfällt. Alle Proteinasen haben mehr oder weniger ausgesprochene Labwirkung (weiteres über Chymosin vgl. S. 219). In der Magenschleimhaut (nach neueren Versuchen auch im Sekret!), in den Leukocyten sowie in den Gewebszellen findet sich eine von W i l l s t ä t t e r a l s Kathepsin bezeichnete Protease, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie bei pH 4—5 optimal wirkt. Dieses Enzym scheint ganz allgemein verbreitet zu sein und als G e w e b s p r o t e a s e auch bei dem autolytischen Zerfall der Gewebe zu wirken. Je nachdem sich ein Enzym in fester oder lockerer Bindung mit dem Zellplasma befindet, wird es mehr oder weniger leicht abtrennbar sein. In diesem Sinne kann man L y o - E n z y m e (löslich) und D e s m o - E n z y m e (gebunden) unterscheiden ( W i l l stätter). Ob die Kathepsine der verschiedenen Gewebe identisch sind, ist nicht bekannt. Da das genannte Chymosin ebenfalls bei schwach saurer Reaktion wirkt, wird es manchmal auch der Gruppe der katheptischen Enzyme zugezählt. Die pflanzliche Protease Papain ist dem tierischen Kathepsin sehr ähnlich. Dieses Ferment findet sich im Milchsaft (Latex) und den Früchten von Carica papaya. (Es ist eine Mischung von zwei verschiedenen Fermenten, die beide im kristallisierten Zustand dargestellt worden sind.) Das Papain wird durch Blausäure sowie durch verschiedene Sulfhydrylverbindungen wie Cystein, Glutathion, H 2 S, auch durch Thiosulfat, aktiviert. Jodessigsäure und H 2 0 2 wirken hemmend. Man hat vermutet, daß die Aktivierung durch die reduzierenden Stoffe auf der Bildung von SH-Gruppen aus der Disulfidbindung —S-S— beruht. Trypsin. Die Auflösung von Eiweiß durch Pankreassaft wurde erstmals von C o r v i s a r t genauer untersucht (1857). K ü h n e gab dem Ferment den Namen Trypsin. Was die älteren Forscher als Trypsin bezeichneten, ist aber kein einheitliches Ferment, sondern ein Gemisch verschiedener Proteasen. N o r t h r o p und K u n i t z konnten aus Rinderpankreas z w e i k r i s t a l l i s i e r t e E n z y m e erhalten, die sie als Trypsin und als Chymotrypsin bezeichneten. Die beiden Fermente wirken optimal bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion (pH 7—9). Chymotrypsin hat diesen Namen erhalten, weil es starke Labwirkung zeigt. Trypsin greift viele n a t i v e Proteine wie Collagen, Eieralbumin, 12
Edlbach er-Leuthardt.
Lehrbuch. 10. A u f l .
Die Fermente
178
Serumglobulin, Hämoglobin nur sehr langsam an. Doch werden diese Eiweißkörper abgebaut, wenn sie vorher denaturiert wurden. Chymotrypsin baut vorwiegend die Produkte ab, die durch Einwirkung von Pepsin oder Trypsin auf Eiweißkörper gebildet worden sind; es entstehen dabei Polypeptide und freie Aminosäuren. Im frischen Sekret der Pankreasdrüsen, ebenso in Extrakten aus der Drüse finden sich die beiden Fermente in Form inaktiver Vorstufen als Trypsinogen und Chymotrypsinogen, die beide kristallisiert werden können. Sie werden im Duodenum aktiviert, sobald das Pankreassekret mit der Darmschleimhaut in Berührung kommt. Die letztere bildet, besonders im Bereich des Duodenums, einen Stoff-, die Enterokinase (der Name stammt von P a w l o w ) , welcher das Pankreassekret aktiviert. Über die Natur dieses Vorgangs wurde viel gestritten, bis die Darstellung der reinen Profermente und Fermente die Abklärung der Frage ermöglichte ( K u n i t z ) . Trypsinogen wird durch Zusatz kleiner Mengen aktiven Trypsins sehr rasch in Trypsin umgewandelt. Es handelt sich also um einen autokatalytischen Vorgang ähnlich wie beim Pepsin. Neben dem aktiven Trypsin entsteht aus dem Trypsinogen dabei noch ein inaktives Protein (besonders wenn der Vorgang bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion stattfindet). Auch das Chymotrypsinogen wird durch Trypsin katalytisch in aktives Chymotrypsin verwandelt; dagegen vermag das Chymotrypsin weder das eine noch das andere der Profermente zu aktivieren. Es handelt sich also bei der Aktivierung des Chymotrypsins n i c h t um einen autokatalytischen Vorgang. Die Enterokinase des Darmes ist ebenfalls ein Katalysator, welcher (im Bereich von p H 5—8) die Umwandlung des Trypsinogen in Trypsin bewirkt. Die Fermentnatur der Enterokinase wurde früher bestritten, ist aber durch die neueren Untersuchungen mit den reinen S.toffen sichergestellt. Eine ähnliche Kinase findet sich auch bei Pilzen des Genus Penicillium. Sie wirkt aber bei etwas saurerer Reaktion (pH 4) als die Enterokinase. Das Chymotrypsinogen wird durch Enterokinase nicht verändert. Man kann sich auf Grund dieser Tatsachen ein Bild der Vorgänge machen, die sich abspielen, nachdem das Pankreassekret sich in den Darm ergossen h a t : Durch die Enterokinase der Darmschleimhaut wird zunächst eine kleine Menge aktives Trypsin aus dem Trypsinogen gebildet. Dadurch kommt die autokatalytische Bildung des Trypsins in G^ng. Das Trypsin seinerseits katalysiert die Umwandlung des Chymotrypsinogens in Chymotrypsin, so daß in kurzer Zeit alle Profermente in die Fermente umgewandelt werden (siehe nachfolgendes Schema): Trypsinogen Enterokinase
(pH 5—8) Chymotrypsinogen
(Autokatalyse)
Trypsin
/
\ (pH 7 - 8 ) inaktives Protein
Chymotrypsin
179
Proteasen
Der Unterschied zwischen Proteinasen und Peptidasen liegt nach der oben gegebenen Definition darin, daß letztere nur kurze Peptidketten spalten, während erstere nur große Proteinmoleküle angreifen können. Die Möglichkeit, nach der Carbobenzoxy-Methode (vgl. S. 71) einfache Peptide von genau bekannter Struktur zu synthetisieren, hat eine tiefere Einsicht in die Spezifität der Proteasen erlaubt, als es bisher bei Verwendung der natürlichen Substrate möglich war. Wir haben oben bereits auf die Spaltung gewisser Peptide durch Pepsin hingewiesen. Es hat sich gezeigt, daß das hohe Molekulargewicht des Substrates nicht die wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Proteinasen ist. Dieselben vermögen auch einfache Peptide anzugreifen, wenn gewisse strukturelle Bedingungen erfüllt sind. Der wesentliche Unterschied gegenüber den Peptidasen liegt darin, daß die letzteren nur e n d s t ä n d i g e Aminosäuren abspalten, während die Proteinasen Peptidbindungen hydrolysieren, die im Innern von Peptidketten liegen. Daher wurde für die Peptidasen derpräzisere Name „Exopeptidasen" vorgeschlagen, während die Proteinasen als „Endopeptidasen" bezeichnet wurden ( B e r g m a n n ) . (Die obigen Ausdrücke dürfen nicht mit den Bezeichnungen ,,Ekto"- und* „Endoenzyme" verwechselt werden, die sich auf das Vorkommen der Fermente in der Zelle oder außerhalb derselben beziehen.) In einer Polypeptidkette greifen Exo- und Endopeptidasen demnach die Peptidbindungen an, die im folgenden Schema durch 4 0 Einheiten). Eine sehr aktive saure Phosphatase findet sich in der Prostata ( K u t s c h e r ) ; sie geht auch in die Samenflüssigkeit über. Nach den Untersuchungen von R. C l o e t e n s ist die alkalische Nierenphosphatase (Albers) ein Metallenzym, und zwar scheinen zwei M e t a l l e , nämlich Z i n k und M a g n e s i u m , im Coferment enthalten zu sein. D. Carbohydrasen (Vergleiche dazu den Abschnitt über die Strukturchemie der Kohlehydrate.) Diese, die Kohlehydrate spaltenden Fermente müssen in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die eine Gruppe wird als Glycosidasen bezeichnet. Ihre Wirkung umfaßt die Spaltung von einfachen Glycosiden. Die zweite Gruppe sind die Polyasen, welche die höheren Kohlehydrate spalten, wie die Stärke und das Glycogen. Die Glycosidasen waren die ersten Fermente, bei denen die Bedeutung der Stereochemie für das Verständnis der enzymatischen Spaltungen klar erkannt wurde. Emil F i s c h e r ist durch die Untersuchung der zuckerspaltenden Fermente auf das bekannte Bild von Schloß und Schlüssel geführt worden (1894): „Invertin und Emulsin haben bekanntlich manche Ähnlichkeit mit den Proteinstoffen und besitzen wie jene unzweifelhaft ein asymmetrisch gebautes Molekül. Ihre beschränkte Wirkung auf die Glucoside ließe sich also auch durch die Annahme erklären, daß nur bei ähnlichem geometrischem Bau diejenige Annäherung der Moleküle stattfinden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorgangs erforderlich ist. Um ein Bild zu gebrauchen, will ich sagen, daß Enzym und Glucosid wie Schloß und Schlüssel zueinander passen müssen, um eine chemische Wirkung aufeinander ausüben zu können."
a) H e x o s i d a s e n Die Spaltbarkeit der glycosidischen Bindung wird durch die Natur der Zucker und die Art der Bindung, • H+ + 0H~), wobei durch einen noch völlig unbekannten Mechanismus die Wasserstoffionen nach außen (in das Lujnen der Drüse) abgegeben werden, während die OH -Ionen durch C0 2 neutralisiert werden und als Bicarbonat ins Blut gelangen: O H - + C0 2
HCO3- oder O H " + H 2 C0 3
H 2 0 + HC03
I n schematischer Darstellung: innen (Lumen der Drüse)
H+
Mucosa
ci-
CO,
H„0
OH-
außen (Blut)
/
ci-
HCO,"
I m Zusammenhang mit der Salzsäurebildung ist die Beobachtung von großem Interesse, daß die Belegzellen sehr reich an Kohlensäureanhydrase sind, dem Ferment, welches die reversible Reaktion C0 2 + H 2 0 H 2 C0 3 bzw. C0 2 + O H HCO3katalysiert (vgl. K a p . 20). Daß es die Belegzellen sind, welche das Ferment enthalten, folgt aus dem Vergleich der Fermentaktivität von Gefrierschnitten aus der Schleimhaut mit der Zahl der in unmittelbar benachbarten Schnitten enthaltenen Belegzellen, die sich durch Aufzählen unter dem Mikroskop feststellen läßt ( D a v e n p o r t ) . Diese Entdeckung hat zur Vermutung geführt, daß die Kohlensäure irgendwie an der Bildung der Salzsäure beteiligt ist. Eine ältere Ansicht ging dahin, daß die Kohlensäure selbst die Wasserstoffionen liefert. Die Kohlensäureanhydrase würde dazu dienen, die Überführung des C0 2 in H 2 C0 3 zu beschleunigen. Nach den oben angeführten neueren Ergebnissen entstehen aber die H+-Ionen durch Dissoziation des Wassermoleküls. D i e F u n k t i o n d e r K o h l e n s ä u r e a n h y d r a s e b e s t e h t d a r i n , d i e f ü r d i e N e u t r a l i s a t i o n d e r H y d r o x y l i o n e n n ö t i g e K o h l e n s ä u r e zu l i e f e r n : C0 2 + H 2 0
Kohlensäureanhydrase
H 2 C0 3 + 0H~ Wenn man die Geschwindigkeit der n i c h t katalysierten Reaktion (Bildung der Säure aus dem Anhydrid ohne Ferment) auf Grund der bekannten Daten berechnet, so findet man, daß sie im Vergleich zur Geschwindigkeit der Salzsäurebildung viel zu gering wäre, um die entstehenden OH"-Ionen fortlaufend zu neutralisieren. Das Vorkommen größerer Mengen Anhydrase in den Belegzellen ist daher verständlich. Die Rechnung zeigt, daß ein großer Überschuß vorhanden ist ( D a v i e s und R o u g h t o n ) . Diese Vorstellung über die Rolle der Kohlensäure findet eine Stütze in der Beobachtung, daß bei ihrem Ausschluß die Schleimhaut durch das während der HC1Sekretion entstehende freie Alkali geschädigt wird, wobei Ulcerationen auftreten.
222
Die Verdauung
Die Salzsäuresekretion durch die Magenschleimhaut wie auch die Motilität des Magens scheinen unter dem Einfluß gewisser Stoffe zu stehen, die in der Duodenalschleimhaut produziert werden. E w a l d und B o a s beobachteten 1886, daß Olivenöl, einer sonst fettfreien Nahrung zugesetzt, die Salzsäureproduktion und die Entleerung des Magens beim Menschen hemmt. Die Schule von P a w l o w konnte später im Tierversuch zeigen, daß ein Kontakt der Duodenalschleimhaut mit dem Fett nötig ist, wenn der Effekt zustande kommen soll. Es lag nahe, einen nervösen Reflexmechanismus anzunehmen. Aber Versuche von I v y und Mitarb. bewiesen schließlich eindeutig, daß der Erscheinung ein humoraler Mechanismus zugrunde liegt, denn die Sekretionshemmung läßt sich auch an operativ isolierten Magentaschen bei sicherer Unterbindung aller nervösen Verbindungen noch nachweisen. Aus Duodenalschleimhaut, die vorher mit Olivenöl in Kontakt war, wurden durch Salzextraktion und Fällung mit Pikrinsäure oder Gerbsäure Präparate hergestellt, welche bei intravenöser Injektion sowohl die Sekretion als auch die Motilität des Magens unterdrücken. Der wirksame Stoff wurde Enterogastron genannt. Über seine chemische Natur ist nichts bekannt. Ein ähnlich wirkender Stoff ist aus Urin isoliert worden (Urogastron). Er zeigt in seiner Wirkung und seinem Verhalten gewisse Verschiedenheiten gegenüber dem Enterogastron. Es ist nicht bekannt, ob zwischen den beiden Stoffen eine Beziehung besteht, in dem Sinne, daß z. B. das Urogastron Ausscheidungsprodukt des Enterogastrons wäre. 3. Der Pankreassaft Die Verdauung der Fette und des größten Teils der Stärke wird vom Sekret des Pankreas besorgt. An der Eiweißverdauung hat das Pankreassekret wesentlichen Anteil. Es enthält die folgenden Fermente: Proteasen: Trypsin, Chymotrypsin, Carboxypolypeptidase, alle drei in Form unwirksamer Vorstufen ausgeschieden. Über die Aktivierung von Trypsinogen und Chymotrypsinogen siehe S. 178. Die von W a l d s c h m i d t - L e i t z beschriebene Protaminase des Pankreas ist möglicherweise eine Carboxypolypeptidase. oc-Amylase: Wirkung siehe S. 189. Lipase ( = Steapsin): Wirkung und Aktivierung siehe S. 184. Cholesterinesterase, wahrscheinlich identisch mit derjenigen des Blutserums, und eine sog. Lecithinase B, welche aus dem Lysolecithin die Fettsäure abspaltet. Das Pankreas enthält auch Fermente, welche Nucleinsäuren abbauen (Nucleasen oder Nucleodepolymerasen, vgl. S. 389). Ob sie in das Sekret übergehen, ist nicht sicher bekannt. Die Fermente des Pankreas haben ihr Wirkungsoptimum meist bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion. Der Pankreassaft ist leicht alkalisch, weil er eine beträchtliche Menge Bicarbonat enthält. Währenddem im Magensaft im Vergleich zur Körperflüssigkeit ein Teil des Natriums durch H + -Ionen ersetzt ist, nimmt im Pankreassekret das Bicarbonatanion teilweise die Stelle des Chlorids ein. Reaktion: pH etwa 8,7. Das Sekret ist annähernd isotonisch mit dem Blut. Es enthält etwa 1,5 % feste Stoffe, davon etwa 0,5 % Proteine (Enzyme). Unter dem Einfluß von Pilocarpin oder bei Reizung des Vagus wird ein Saft produziert, der weniger alkalisch ist als der normale, aber viel mehr feste Stoffe (bis 6,5 %, davon 5 % Proteine) enthält. Das Protoplasma der ruhenden Drüse ist reich an Körnchen (Zymogengranula), welche den gegen das Lumen der Drüsenkanälchen gerichteten Teil der Drüsenzelle einnehmen und
Das Sekretin
223
wahrscheinlich die Enzyme enthalten. Wenn ein Sekretionsreiz die Zelle trifft, so werden sie in das Drüsenkanälchen ausgestoßen, das Protoplasma hellt sich auf und erscheint nur noch in seinem dem Drüsenlumen zunächst liegenden Teil granuliert (Heidenhain). Man kann diese Veränderungen sogar an der lebenden Drüse feststellen (Kühne und Sheridan Lea).
4. Das Sekretin Die Sekretionstätigkeit des Pankreas wird von einem Stoff angeregt, der in der Duodenalschleimhaut gebildet oder freigesetzt wird, wenn der saure Mageninhalt mit der Schleimhaut in Berührung kommt. Dieser Stoff, das Sekretin, wird auf dem Blutweg dem Pankreas zugeführt und veranlaßt die Ausschüttung des Sekrets. Die Tatsache, daß die Pankreassekretion in Gang gesetzt wird, wenn gewisse Stoffe, besonders Säuren, mit der Duodenalschleimhaut in Berührung kommen, war bereits P a w l o w bekannt. Man faßte die Reaktion der Drüse aber als einen nervösen Reflex auf. Die richtige Interpretation wurde erst von B a y l i s s und S t a r l i n g (1902) gegeben welche zeigten, daß der Effekt auch dann noch eintritt, wenn alle Nervenverbindungen des Pankreas durchtrennt werden. Sie stellten saure Extrakte aus der Duodenalschleimhaut her, welche (nach Neutralisation und Filtration) in die Blutbahn injiziert eine kräftige Sekretion veranlaßten. Damit war gezeigt, daß es sich nicht um einen nervösen, sondern einen humoralen Mechanismus handelt, d. h. um eine stoffliche Wirkung, welche das Erfolgsorgan auf dem Blutweg erreicht. Diese Erkenntnis hatte eine große allgemeine Bedeutung. Die Versuche von B a y l i s s und S t a r l i n g zeigten zum erstenmal in eindeutiger Weise, daß von einem bestimmten Organ (im vorliegenden Fall von Duodenalschleimhaut) ein Stoff gebildet werden kann, der als „chemischer Sendbote" (chemical messenger) an das Blut abgegeben wird und ein anderes Organ (hier das Pankreas) zur Tätigkeit anregt. B a y l i s s und S t a r l i n g schlugen für derartige Stoffe den Namen „Hormon" vor (von öppdco = ich rege an). Die humorale Übertragung des Reizes wurde später mit verfeinerter Technik endgültig sichergestellt. Man kann z. B. ein unter die Haut verpflanztes Stück Pankreas durch Fütterung oder Einbringen von Säure in eine isolierte Darmschleife zur Sekretion bringen (I v y und Farrell). Das Sekretin ist eine basische Substanz, die als Pikrolonat kristallisiert werden kann. Es sind zwei verschiedene Verbindungen erhalten worden, die eine von H a m m a r s t e n , die andere von Greengard und Ivy. Die erste, die ein Molekulargewicht von etwa 5000 besitzt, ist wahrscheinlich eine komplexe Verbindung der zweiten mit einem Polypeptid. Die früheren Angaben, wonach das Sekretin ein Protein ist, treffen nicht zu. Die wirksame Substanz scheint ziemlich niedrigmolekular zu sein. Aus der komplexen Verbindung lassen sich durch Aminopolypeptidase freie Aminosäuren abspalten, ohne daß die Aktivität verloren geht. Sekretin ist sehr empfindlich gegen Alkali. In Lösungen über pH 3 ist es sehr unbeständig. Es erträgt aber kurzes Kochen in stark saurer Lösung.
Die Ausschüttung des Sekretins wird, wie gesagt, vor allem durch Säuren ausgelöst. Es scheint, das auch Galle wirksam ist. Beim Fehlen der Salzsäure im Magensekret (Achylie) scheint die letztere der auslösende Faktor zu sein. Unter dem Einfluß des Sekretins wird ein stark alkalisches Sekret produziert, das relativ arm an Fermenten ist und dessen eine Funktion darin besteht, den sauren Speisebrei zu neutralisieren. (Dies ist notwendig, weil die Fermente des Pankreas und der Darmschleimhaut bei stark saurer Reaktion nur wenig wirksam sind.) Die Sekretion des zur Neutralisation der Säure nötigen Alkali wird also durch Vermittlung des Sekretins durch die Säure selbst in Gang gesetzt. Im Gegensatz zum Sekretin bewirkt die Reizung des Vagus die Produktion eines sehr fermentreichen, aber wenig alkalischen Sekrets. Man nahm früher an, daß überhaupt Sekretin nur die Ausscheidung von Alkali, nervöse Stimulation der Drüse dagegen nur die Sekretion der Fermente anregt. Dies trifft aber nicht zu.
224
Die Verdauung
Wenn sich genügend Pankreassekret in den Darm ergossen hat, um die Säure zu neutralisieren, so hört die Sekretinbildung und damit der Reiz zur Sekretion von Alkali auf, bis ein neuer Schub von saurem Mageninhalt in das Duodenum gelangt. In ähnlicher Weise wie auf das Pankreas wirkt Sekretin auch auf die Leber ein. Es stimuliert die Bildung der Galle. Diese schon von B a y l i s s und S t a r l i n g beobachtete Wirkung ist neuerdings mit reinem Sekretin und mit einer Technik, die alle Fehlermöglichkeiten ausschließt, bestätigt worden. Neben dem Sekretin soll in der Duodenalschleimhaut noch ein Stoff gebildet werden, das Pankreozymin, welches ebenfalls durch Säurewirkung freigesetzt wird und die Ausschüttung der Pankreasfermente stimuliert. 5. Die Galle Unter den zahlreichen Funktionen der Leber ist die Produktion der Galle eine der wichtigsten. Das Sekret ist vor allem durch seinen Gehalt an Gallensäuren, Cholesterin und Gallenfarbstoff charakterisiert. In der Gallenblase wird Wasser rückresorbiert. Die Blasengalle ist daher bedeutend konzentrierter als die Lebergalle. Zusammensetzung der Galle: Blasengalle g pro Liter Wasser Feste Stoffe Gallensaure Salze . . Mucin und Farbstoffe Cholesterin Fett Fettsäuren und Seifen Lecithin Anorganische Stoffe . Spezifisches Gewicht
. . . . . . . . . .
830 170 97 42 10 2 11 2 5 ~1,010
Lebergalle (Gallenfistel) g pro Liter 970 30 10 5 2,6 6,8 4 6,4 9 ~ 1,040
Die Reaktion der Lebergalle ist leicht alkalisch (pH = 7,7), bedingt durch einen gegenüber dem Blut etwas erhöhten Gehalt an Bicarbonat. Gefrierpunktsdepression A = 0,56°. Sie ist also mit dem Blut isotonisch. Die Blasengalle ist in der Regel etwas saurer (pH = 6,8). Unter den Gallensäuren ist die wichtigste die Cholsäure; daneben kommt in der Galle des Menschen noch etwas Desoxycholsäure vor (Chemie der Gallensäuren siehe S. 44). Die Gallensäuren finden sich in der Galle in Form von Konjugaten mit dem Glycocoll und dem Taurin als Glycocholsäure und Taurocholsäure, und zwar als deren Alkalisalze. Sie können durch saure oder alkalische Hydrolyse gespalten werden. Die Glycocholsäure fehlt in der Galle der Fleischfresser. Die gallensauren Salze sind stark oberflächenaktiv. Ihre konzentrierten Lösungen besitzen ein großes Lösungsvermögen für alle möglichen schwerlöslichen Stoffe. Sie sind zusammen mit den Seifen außerordentlich wirksame Emulgatoren der Fette (siehe Kapitel Fettstoffwechsel S. 244). Darin liegt sicher eine ihrer wesentlichen Funktionen. Über Aktivierung der Pankreaslipase siehe S. 284. Die Gallensäuren werden im Darm wieder rückresorbiert, gelangen mit dem Pfortaderblut in die Leber zurück und werden von neuem ausgeschieden (enterohepatischer Kreislauf). Die Leber würde sonst nicht genügend Gallensäuren produzieren können, um die hohe
Die Galle
225
Konzentration in der Galle aufrecht zu erhalten. Man hat berechnet, daß beim Hund nur etwa ein Zehntel der Gallensäuren bei jedem Kreislauf verloren geht ( I v y und Mitarb.). Das Cholesterin scheint eine Rolle bei der Absorption der Fettsäuren zu spielen. Eine Reihe von Autoren (Le B r e t o n und F o n t a i n e , F a v a r g e r u. a.) haben nachgewiesen, daß Pankreassaft imstande ist, Cholesterin zu verestern. Es handelt sich hier um die synthetische Wirkung der Cholesterinesterase. Die Vermutung, daß das Cholesterin teilweise als Fettsäureester absorbiert wird, wurde schon früh geäußert, weil es sich im Chylus zum großen Teil als Ester findet und dort bei fettreicher Nahrung in vermehrter Menge auftritt. Es könnte also ein enterohepatischer Kreislauf des Cholesterins in dem Sinne bestehen, daß es mit der Galle ausgeschieden, im Darm mit Fettsäuren verestert und als Ester wieder aufgenommen würde. Welcher Anteil der Fettsäuren auf diese Weise absorbiert wird, läßt sich nicht angeben. Das Cholesterin kann in der Galle auskristallisieren und Konkremente bilden (siehe unten). Als Pigmente enthält die Galle hauptsächlich Bilirubin, daneben kleine Mengen Biliverdin und wahrscheinlich auch Urobilinogen. Über die Entstehung und das weitere Schicksal dieser Stoffe wird im Kapitel Blut berichtet. Auch das Bilirubin durchläuft einen enterohepatischen Kreislauf. Wenn die Galle nach außen abgeleitet wird, nimmt die Bilirubinkonzentration im Sekret der Leber ab; wird die aufgesammelte Galle in das Duodenum gebracht, so nimmt der Pigmentgehalt des Sekrets wieder zu, ein deutliches Zeichen dafür, daß der Farbstoff resorbiert worden ist. Die Bildung der Galle in den Leberzellen ist ein kontinuierlicher Prozeß, der auch vor sich geht, wenn keine Nahrung im Darm vorhanden ist. Beim Menschen und den meisten Tieren ist eine Gallenblase vorhanden, in welcher sich das Sekret ansammelt. Die Rückresorption des Wassers durch die Blasenwand ermöglicht die Speicherung bedeutender Mengen von konzentriertem Sekret. (Die Gallenblase fehlt beim Pferd und bei der Ratte.) Die Entleerung der Gallenblase erfolgt diskontinuierlich; sie tritt dann ein, wenn Nahrung aus dem Magen ins Duodenum gelangt. Die Größe der Gallenproduktion hängt von der Art der Nahrung ab. Kohlehydrate haben keinen E i n f l u ß d a g e g e n bewirken Fleisch und Fett ein starkes Ansteigen des Gallenflusses. Offenbar spielt dabei die Sekretinausschüttung durch die Duodenalschleimhaut eine Rolle, denn die Sekretion des Pankreassafts und der Galle nehmen in gleicher Weise zu. Die Bildung der Galle wird sehr stark durch die Gallensäuren selbst angeregt, und zwar sowohl durch die natürlichen in der Galle vorkommenden als auch durch gewisse synthetische Stoffe wie die Dehydrocholsäure, die Ketocholansäure und andere. Wenn daher bei Entleerung der Gallenblase eine konzentrierte Lösung von gallensauren Salzen (vor allem Taurocholat und Glycocholat) in das Duodenum gelangt, so wird dadurch die Leber zur vermehrten Sekretion von Galle angeregt. Daß es sich dabei um eine humorale, d. h. durch das Blut übertragene Wirkung handelt und nicht um einen nervösen Reflex, geht daraus hervor, daß sie auch dann eintritt, wenn alle Nervenverbindungen der Leber durchtrennt sind oder wenn man die Substanzen intravenös injiziert. Sowohl das Sekretin als auch gewisse Gallensäuren bewirken die Ausscheidung einer reichlichen Menge verdünnten Sekrets. Sie vergrößern vor allem den Flüssigkeitsstrom durch die Drüsenzellen, regen aber nicht die Bildung der spezifischen Sekretstoffe an. In einzelnen Fällen hat man bei der Zufuhr derartig wirkender Stoffe auch einen vergrößerten arteriellen Zufluß vom Blut zur Leber beobachtet, der aber eher eine sekundäre Folge der vermehrten Sekretionstätig15
E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 10. Aufl.
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Die Verdauung
keit der Zellen als deren Ursache ist. Die wirksamen Stoffe beeinflussen wahrscheinlich direkt die Drüsenzellen. Wie bei der Speicheldrüse handelt es sich nicht um eine passive Filtration von Flüssigkeit aus dem Blut, sondern um a k t i v e Tätigkeit der Zellen. Man bezeichnet Stoffe, welche die Produktion der Galle in den Leberzellen anregen, als C h o l e r e t i c a , im Gegensatz zu den C h o l a g o g a , welche die Entleerung der Gallenblase bewirken. Dehydrocholsäure wird wegen ihrer choleretischen Wirkung therapeutisch verwendet.
Die Gallensekretion durch die Leber scheint nicht nur humoralen, sondern auch nervösen Einflüssen unterworfen zu sein, denn man hat bei geeigneter Versuchsanordnung eine Steigerung des Gallenflusses auch bei Reizung des Vagus beobachten können. Die Entleerung der Gallenblase kann, soviel wir wissen, sowohl durch nervöse Reflexmechanismen als auch auf humoralem Wege ausgelöst werden. Was den letzteren betrifft, hat man in Konzentraten von Sekretin aus der Duodenalschleimhaut einen Stoff gefunden, das Cholecystokinin, welches die Muskulatur der Gallenblase zur Kontraktion und gleichzeitig den Sphincter Oddi zur Erschlaffung bringt ( I v y und Mitarb.). Man kann sich vorstellen, daß dieser Stoff freigesetzt wird und ins Blut übergeht, wenn die Duodenalschleimhaut mit dem Speisebrei, mit Fett oder Säure in Berührung kommt. Die humorale Auslösung wird durch die Tatsache bewiesen, daß auch die transplantierte Gallenblase reagiert. Gallenkonkremente finden sich in der Gallenblase sehr häufig. Sie bestehen meistens aus Cholesterin mit Beimengung von etwas Ca-Bilirubin. Sie sind im Röntgenbild nicht sichtbar, wenn sie nicht beträchtliche Mengen von Ca-Salzen beigemengt enthalten. Seltener sind beim Menschen reine Pigmentsteine, die aus dem Ca-Salz des Bilirubins bestehen. Gelegentlich können die Gallensteine auch Gallensäuren (Lithocholsäure, Desoxycholsäure) und Fettsäuren enthalten. 6. Der Darmsalt Das Sekret der Dünndarmschleimhaut enthält Proteasen und Glycosidasen. Die ersteren werden unter dem Namen Erepsin zusammengefaßt (Cohnheim). Es handelt sich um ein Gemisch von Aminopeptidasen und verschiedenen Dipeptidasen. Die Peptidasen des Erepsins führen die von den Pankreasfermenten begonnene Hydrolyse der Proteine zu Ende. Genaueres siehe S. 179ff. Unter den Glycosidasen findet sich die a-Glucosidase (Maltase), welche sowohl Maltose als auch Saccharose spaltet, sowie die /?-Galactosidase, welche den Milchzucker hydrolysiert. Wie wir früher ausgeführt haben, wird die Saccharose im Darm durch die cc-Glucosidase hydrolysiert (S. 174). Das Schema auf S. 227 gibt einen Überblick über die wichtigsten Verdauungsfermente und ihre Wirkungen. 7. Der allgemeine Verlaul der Verdauung In der M u n d h ö h l e wird die Nahrung mechanisch zerkleinert und mit dem Speichel vermischt. Wegen der kurzen Verweildauer findet ein merklicher Abbau der Stärke während dieser Zeit nicht statt. Der M a g e n stellt die erste Station dar, in welcher die Nahrung während längerer Zeit verweilt. Wichtig ist die schon erwähnte Schichtung des Mageninhalts (die zuletzt geschluckten Ingesta liegen zuinnerst), durch welche eine sofortige Mischung mit dem sauren Magensekret verhindert wird. Auf diese Weise kann die Speichel-
Der allgemeine Verlauf der Verdauung d> nj fi
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228
Die Verdauung
amylase während einiger Zeit auf die Stärke einwirken. Wegen der Pufferwirkung verschiedener Nahrungsbestandteile (Proteine) ist anzunehmen, daß in den einzelnen Schichten des Mageninhalts die stark saure Reaktion nur allmählich erreicht wird, so daß Zeit für die Wirkung anderer Fermente bleibt, deren Wirkungsoptimum bei weniger saurer Reaktion liegt. Die Milch wird bereits bei leicht saurer Reaktion koaguliert. Mit zunehmendem Säuregrad tritt wahrscheinlich das Kathepsin in Aktion (pH 4—5), das im Magen des Säuglings die wichtigste Protease darstellt. (Pepsin scheint beim Neugeborenen nur in geringer Menge vorhanden zu sein.) Die Magenlipase wirkt nur auf fein verteiltes Fett ein (Fettkügelchen der Milch). Mit zunehmender saurer Reaktion setzt die Wirkung des Pepsins ein; die übrigen Feimente werden inaktiviert. Durch das Pepsin wird das Bindegewebe zum größten Teil aufgelöst. Das Fleisch zerfällt dabei in die einzelnen Muskelfasern, die aber im Magen nur wenig angegriffen werden. Aus dem Brot werden durch Abbau des Glutens die verquollenen Stärkekörner in Freiheit gesetzt. Das gefällte Casein der Milch wird verflüssigt. Die pflanzlichen Gewebe erleiden zunächst keine sichtbare Veränderung. Es zeigt sich aber, daß nach mehrstündigem Aufenthalt in einem Milieu gleicher Acidität wie der Magensaft Stücke von Kartoffeln oder Karotten in ihre Zellen zerfallen, wenn man sie anschließend in eine leicht alkalische Lösung bringt (Goiffon). Durch die sukzessive Behandlung mit Säure und Lauge wird die Pectinlamelle, welche Zellen verbindet, aufgelöst, und es ist anzunehmen, daß dieser Prozeß auch unter natürlichen Bedingungen eine Rolle spielt. Durch die Wirkung der Salzsäure werden auch viele schwerlösliche Salze gelöst. Es wird z. B. ein Teil des in der Nahrung enthaltenen Eisens aus seinen komplexen organischen Bindungen gelöst und zugänglich gemacht. Im ganzen betrachtet findet im Magen noch kein sehr weitgehender Abbau der verschiedenen Nahrungsbestandteile statt. Es wird aber die gesamte Oberfläche der festen und flüssigen Phasen gewaltig vergrößert. Der Mageninhalt verwandelt sich im Verlauf einiger Stunden in eine flüssige Masse, den Chymus, welcher schubweise in das Duodenum übertritt. Im Duodenum wird der Chymus mit dem Pankreassekret und der Galle vermischt. Die saure Flüssigkeit wird allmählich neutralisiert, so daß die verschiedenen Enzyme des Pankreas ihre Arbeit beginnen können. Durch die Galle, in Verbindung mit den rasch sich bildenden Seifen und Monoglyceriden, wird das Fett in eine äußerst feine und stabile Emulsion verwandelt, welche der Lipase eine große Oberfläche darbietet. Die aktivierende Wirkung der Proteine und Peptide auf die Fettspaltung wurde früher bereits erwähnt. Durch die Amylase wird die Stärke zu Maltose abgebaut. Ein Teil der Stärkekörner ist allerdings noch in die Cellulosemembran der Pflanzenzellen eingeschlossen und wird aus derselben erst im Colon befreit, wo die celluloseabbauenden Mikroorganismen in reichlicher Menge vorhanden sind. Trypsinogen und Chymotrypsinogen des Pankreassekrets werden rasch aktiviert. Zusammen mit den Carboxypolypeptidasen greifen sie die Proteine und die im Magen gebildeten Peptide an und führen sie allmählich in Aminosäure über. Die freigelegten Muskelfasern werden vollständig abgebaut und verflüssigt. Die pflanzlichen Gewebe zerfallen in die einzelnen Zellen. Im Jejunum treten noch weitere Fermente hinzu: die Peptidasen des Darmsafts, welche die Hydrolyse der Proteine zu Ende führen, die Glycosidasen, welche die Disaccharide hydrolysieren und in die einfachen Zucker verwandeln.
Der allgemeine Verlauf der Verdauung
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Gleichzeitig werden die gebildeten niedrigmolekularen Stoffe — Zucker, Fettr säuren und Aminosäuren — von der Darmschleimhaut aufgenommen. Der Dünndarm ist hauptsächlich Absorptionsorgan. Am Ende des Ileums ist die Verdauung der meisten Nahrungsbestandteile vollendet und die gebildeten Hydrolyseprodukte sind zum größten Teil absorbiert worden. Es findet sich kein Eiweiß mehr, nur noch wenige Reste von Muskelfasern und wenige Fetttröpfchen. Die Cellulose ist noch nicht angegriffen und die Zellen schließen daher noch Reste von verdaulichem Material, Stärke und Eiweiß, ein. Das Bilirubin ist unverändert erhalten. Im letzten Abschnitt des Ileums beginnt sich die Mikroflora zu entwickeln. Die Vorgänge im Dickdarm sind hauptsächlich durch die allmählich einsetzende Entwicklung der Mikroorganismen charakterisiert. Das Coecum und Colon ascendens, die beim Menschen wenig, bei vielen Pflanzenfressern aber ganz gewaltig entwickelt sind, stellen die zweite Station dar, in welcher der Darminhalt während längerer Zeit stagniert. Das verbleibende Material unterhegt hier der Wirkung der Darmflora und der Verdauungsfermente. Auch beim Menschen wird im Colon die Cellulose durch bestimmte Bakterien abgebaut, ein Prozeß, der aber beim Pflanzenfresser viel größere Bedeutung hat. Dadurch können noch beträchtliche Mengen Stärke freigesetzt und den Fermenten zugänglich gemacht werden. Ein Teil derselben wird durch Amylasewirkung in Zucker übergeführt; ein Teil aber unterliegt der Vergärung durch verschiedene Mikroorganismen und liefert organische Säuren, die dem Inhalt des Colons leicht saure Reaktion erteilen. Wir werden später auf die Bedeutung der Säurebildung für die Regulierung der Fäulnis Vorgänge im Darm zurückkommen (vgl. S. 265). Mit dem Fortschreiten in distaler Richtung setzen im Colon immer mehr Fäulnisvorgänge ein. Ihr Substrat sind die Proteine, die aus abgestoßenen Epithelien, abgestorbenen Bakterien und allenfalls nicht absorbiertem Eiweiß stammen. Charakteristische Produkte der Darmfäulnis sind neben den verschiedenen Aporrhegmen der Aminosäuren das Ammoniak und der Schwefelwasserstoff. Im Colon wird das Bilirubin unter der Wirkung der Darmflora zu Stercobilin reduziert (Näheres siehe Kap. 20); ebenso erfolgt hier die Überführung des Cholesterins in Koprosterin (siehe S. 262). Über die Bedeutung der Darmflora für die Synthese von Wirkstoffen siehe das Kapitel über Vitamine. Der Inhalt des Colons verwandelt sich nur allmählich in die Fäces, hauptsächlich durch Eindickung (Absorption von Wasser). Die Masse besteht neben unverdaulichen Resten der Nahrung hauptsächlich aus den abgestorbenen Bakterien, unlöslichen Salzen wie Ca-Phosphat und Kalkseifen, Pigment („Urobilin"), Sterinen (Koprosterin, pflanzliche Sterine). Komponenten des typischen fäcalen Geruchs sind Indol, H 2 S und andere flüchtige S-haltige Verbindungen. Die Herkunft des Fettes und der Fettsäuren, die im Stuhl vorhanden sind, ist nicht restlos geklärt. Sieher handelt es sich z. T. um nicht absorbiertes Nahrungsfett; doch haben Versuche mit deuterisiertem Fett ergeben, daß sehr wahrscheinlich im Darm auch Fett in das Lumen ausgeschieden wird (Bernhard).
Bei Verdauungsstörungen kann der Stuhl Veränderungen zeigen, die diagnostisch wichtig sind. Z. B. führt mangelnde Verdauung oder Absorption der Fette (oder auch vermehrte Ausscheidung in den Darm?) zu reichlichem Gehalt der Fäces an Neutralfett, Fettsäuren und Seifen (Steatorrhoe). Charakteristische Fettstühle kommen z. B. bei der Sprue vor. Beim Fehlen der Galle (z. B. Verschluß des Gallengangs) fehlt das Pigment; der Stuhl ist weißlich oder grau und reich an nicht ab-
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Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
sorbiertem Fett und Fettsäuren (acholische Stühle). Das Vorhandensein zahlreicher, nicht angegriffener Muskelfasern deutet auf mangelhafte Eiweißverdauung hin (Pankreasinsuffizienz) usw. Darmgase. Sofern es sich nicht um Reste verschluckter Luft handelt (N2), stammen die Gase aus der Fäulnis der Proteine und der Gärung von Kohlehydraten. Es kommen Methan, Wasserstoff und kleine Mengen Schwefelwasserstoff und Methylmercaptan vor. Wasserstoff kann sowohl bei der Vergärung von Kohlehydraten als auch bei Eiweißfäulnis entstehen. Im Darm scheint er vor allem nach Milchnahrung in reichlicher Menge aufzutreten. Das Methan wird bei der Verdauung von Fleisch und von Hülsenfrüchten in vermehrter Menge gebildet. Es entsteht wahrscheinlich durch Reduktion von Kohlendioxyd, wobei niedere Fettsäuren oder Alkohole als Wasserstoffdonatoren dienen, z. B.: 2 R • CH2 • OH + C0 2
>• 2 R COOH + CH4
Für Reaktionen dieser Art sind, soweit bekannt, strikt anaerobe Bakterien verantwortlich. Im einzelnen ist über die Vorgänge, die im Darm zur Bildung der genannten Gase führen, wenig bekannt. Dreizehntes Kapitel
Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels In den folgenden Abschnitten des Buches werden die chemischen Umwandlungen besprochen, welchen die Nährstoffe und Zellbausteine in den Zellen unterworfen sind. Man faßt die Gesamtheit der biochemischen Reaktionen, die sich im Organismus abspielen, von der Aufnahme der Nahrungsstoffe bis zur Ausscheidung der Endprodukte gewöhnlich unter der Bezeichnung Intermediärstoffwechsel zusammen. Es sind dies die Reaktionen, durch welche der Organismus seinen Energiebedarf deckt und die für seine verschiedenartigen Funktionen nötigen Stoffe aufbaut. Die Fragen der Energiebilanz werden hier beiseite gelassen, da dieselben in den Lehrbüchern der Physiologie eingehend behandelt werden. Die in der lebenden Substanz sich abspielenden Reaktionen sind sehr verwickelt. Die meisten Umwandlungen verlaufen über eine große Zahl einzelner Stufen; die Aufgabe der biochemischen Forschung besteht zunächst darin, die komplexen Vorgänge in die Einzelreaktionen aufzulösen. Dazu ist nötig, die Verbindungen zu erfassen, die als Zwischenstufen auftreten und, da die große Mehrzahl der biochemischen Reaktionen fermentativer Natur sind, die Enzyme zu isolieren, welche die Umwandlungen bewirken. Einzelne wichtige Reaktionsketten, wie z. B. die Milchsäurebildung im Muskel oder die sehr ähnlich verlaufende alkoholische Gärung, konnten weitgehend aufgeklärt werden; über andere sind unsere Kenntnisse noch sehr lückenhaft. Um über die Möglichkeiten, die Zwischenstufen einer solchen Reaktion zu erfassen, ins klare zu kommen, betrachten wir ihren Verlauf unter vereinfachenden Bedingungen. Wir nehmen eine biochemische Umwandlung in einer Zelle oder einer Fermentlösung an, die von einem Stoff A (Ausgangsprodukt) über die Zwischenstufen X 1 ; X 2 . . . usw. zum Stoff B (Endprodukt) führt; schematisch dargestellt:
Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
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Die Gesamtreaktion A • B setzt sich aus den Teilreaktionen a, b, . . . n zusammen. Wir nehmen an, A sei in so großer Menge vorhanden, daß sie während der Beobachtungsdauer nicht wesentlich vermindert wird (d. h. die Abnahme soll im Verhältnis zur vorhandenen Menge klein sein). Die Umsatzgeschwindigkeit soll der Konzentration der reagierenden Verbindungen proportional sein. Die Reaktionen können umkehrbar oder nicht umkehrbar sein. Unter diesen Bedingungen wird sich nach einiger Zeit ein stationärer Zustand einstellen, in welchem die Mengen der einzelnen Zwischenprodukte annähernd konstant bleiben und in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Die Menge des Ausgangsprodukts A nimmt dann in der Zeiteinheit um einen bestimmten Betrag ab, die Menge des Endprodukts B um den annähernd gleichen Betrag zu. Diese Größe
dA
die Geschwindigkeit der
Gesamtreaktion, wird, wie leicht einzusehen ist, durch die Geschwindigkeit der langsamsten Teilreaktion bestimmt. Die Menge der im stationären Zustand vorhandenen Zwischenprodukte hängt vom Verhältnis der Geschwindigkeit ihrer Entstehung zur Geschwindigkeit ihres Verbrauchs ab. Verwandelt sich ein Zwischenprodukt rascher in die nachfolgende Verbindung, als es aus der vorangehenden entsteht, so wird es nie in größerer Menge anzutreffen sein; reagiert es umgekehrt viel langsamer weiter, als es gebildet wird, so kann es sich anhäufen. Für den Beispiel für radioaktiven zentration x
Fall, daß keine der Teilreaktionen umkehrbar ist, liefert die Physik ein ideales eine derartige Reaktionskette im stationären Zustand in den Zerfallsreihen der Elemente. Die in der Zeit dt zerfallende Menge dx ist proportional der Kondes Elements: dx = —k-x-dt,
wobei die Konstante k die Geschwindigkeit des Zerfalls mißt. Für zwei aufeinanderfolgende Elemente x1 und x 2 gilt: dXj = —k 1 x 1 • d t ; dx 2 = —k2x2" d t . Im stationären Zustand ist dx t = dx 2 , also gilt: x^ : x 2 = k 2 : kj . Die Konzentration der einzelnen Zerfallsstufen verhalten sich im stationären Zustand also umgekehrt wie die Zerfallsgeschwindigkeiten. Dies ist für einen speziellen Fall das Gesetz, das wir oben nur qualitativ ausgesprochen haben.
Das E n d p r o d u k t einer Reaktionskette ist dadurch gekennzeichnet, daß es nicht weiter umgesetzt wird. Es muß sich also anhäufen und kann gefaßt werden. Verlaufen einzelne Teilreaktionen im Verhältnis zu den anderen langsam, so häufen sich auch die entsprechenden Zwischenstufen an. Man wird sie dann in größerer oder kleinerer Menge neben dem Endprodukt nachweisen können. (Wenn im obigen Schema z. B. die Reaktion c sehr viel langsamer verläuft als die Reaktion b, so wird sich X 2 anhäufen.) Unter physiologischen Bedingungen wird der geschilderte stationäre Zustand der mehrstufigen Reaktionen kaum je erreicht. Er stellt einen idealen Grenzfall dar, den wir deshalb zugrundegelegt haben, weil er die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten des Reaktionsablaufs leicht zu übersehen gestattet. Viele Teilreaktionen der biochemischen Umsetzungen verlaufen so rasch, daß die Zwischenprodukte immer nur in verschwindend kleiner Konzentration vorhanden sind und dem direkten Nachweis entgehen. In einzelnen Fällen gelingt es, sie dadurch anzureichern, daß man die Kette der Reaktionen bei einem bestimmten Glied unterbricht. Dieses Glied, vorher Zwischenprodukt, wird nun zum Endglied der verkürzten Reaktionskette und muß sich also anhäufen.
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Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
Die Unterbrechung der Kette kann auf zwei Arten geschehen, entweder dadurch, daß man die fragliche Zwischenstufe in eine Verbindung überfährt, die nicht weiterreagieren kann, d. h. sie a b f ä n g t , oder indem man d a s F e r m e n t b l o c k i e r t , welches die weitere Umwandlung des Zwischenproduktes bewirkt. Das bestbekannte Beispiel für das erste Verfahren (Ab fang verfahren) ist der Nachweis des Acetaldehyds bei der alkoholischen Gärung. Acetaldehyd tritt als Zwischenprodukt auf, wird aber rasch zu Äthylalkohol reduziert (vgl. S. 274). Setzt man aber dem Gäransatz Sulfit zu, so wird der Aldehyd in seine Sulfitverbindung übergeführt, die nicht reduziert werden kann: H I
CH3—C=0 + H2S03
H I /OH
V CH3— C ¿ H -OH + COOH-R
ICH -O-CO-R 2
Monoglyceride bilden zusammen mit den gallensauren Salzen und den Seifen ein emulgierendes •System, welches imstande ist, das Nahrungsfett in eine äußerst feine und dabei sehr stabile Emulsion zu zerteilen (Frazer).
Seifen sind in geringen Mengen immer im Darmkanal vorhanden. Da die Fette wasserunlöslich sind, die Lipase als Protein aber wasserlöslich (und nicht lipoidlöslich) ist, kann der Angriff auf das Substrat nur an der Oberfläche der Fetttropfen erfolgen. J e feiner das Fett zerteilt ist, desto größer ist diese Oberfläche, desto wirksamer ist also die Fermentreaktion. 2. Absorption Die Absorption der Fette ist eine der schwierigsten Fragen auf dem Gebiet der Verdauung. Es bleiben noch viele Probleme zu lösen. Daß ein beträchtlicher Teil des Nahrungsfettes erst nach Hydrolyse als Fettsäure (oder auch als Monoglycerid) aufgenommen wird, kann als sicher gelten. Um die
Abtransport und Deponierung
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Absorption der Fettsäuren zu erklären, wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt, die wir hier aber nicht kritisch besprechen können. So hat man sich z. B. vorgestellt, daß die Fettsäuren in Verbindung mit Gallensäuren als sog. Choleinsäuren aufgenommen werden könnten (vgl. dazu aber S. 46). Da das Pankreassekret eine Esterase enthält, welche Ester des Cholesterins zu hydrolysieren und zu bilden imstande ist (fermentative Synthese als Umkehrung der Hydrolyse, vgl. S. 159), hat man auch daran gedacht, daß die Fettsäuren als Cholesterinester aufgenommen werden könnten. Weitere Verbreitung hat die Anschauung gefunden, daß die Fettsäuren bei ihrem Eintritt in das Darmepithel zunächst in Phospholipide (z. B. in Lecithin) eingebaut werden. Dadurch würde natürlich das Konzentrationsgefälle Darmlumen ->• Epithelzelle vergrößert. Neuere Arbeiten, bei denen der Umsatz der Phospholipide der Darmschleimhaut mit Hilfe von radioaktivem Phosphat während der Fettabsorption und im ruhenden Darm untersucht wurden, haben allerdings keine sicheren Anhaltspunkte dafür ergeben, daß während der Absorption der Fettsäuren Phospholipide in erhöhtem Maße gebildet werden. Der Vorgang müßte sich schon in der Weise abspielen, daß die Verbindung des Cholinphosphats mit dem Glycerin stabil bleibt und nur die Fettsäuren ausgetauscht werden.
Einzelne Autoren nehmen an, daß ein kleinerer oder größerer Teil des Neutralfettes als solches, d. h. in Form feinster Tröpfchen, von den Epithelzellen des Darmes aufgenommen wird ( F r a z e r ) . Auf diese Weise sollen Tröpfchen von weniger als 0,5 fi Durchmesser aufgenommen werden. Als Argument für diese Auffassung wird angeführt, daß bei genügend feiner Emulgierung auch indifferente Stoffe wie z. B. Paraffinöl aufgenommen werden können. Über alle diese Fragen ist eine endgültige Entscheidung heute noch nicht möglich. Während der Fettabsorption findet man in den Epithelzellen der Darmschleimhaut reichlich Fetttröpfchen, die sich färberisch leicht nachweisen lassen. Da das Neutralfett im Darm zum größten Teil gespalten wird, muß man annehmen, daß bereits im Darmepithel wieder eine Resynthese der Triglyceride stattfindet. Das Fett ist in den Epithelzellen hauptsächlich in der Umgebung des Golgi-Apparates angehäuft, und man vermutet, daß diese Struktur irgendwie an der Fettsynthese beteiligt ist. Verschiedene andere Beobachtungen sprechen ebenfalls für die Resynthese des Fettes im Darmepithel. Verfüttert man z. B. an Stelle von Fett (Glycerinester) Mischungen von den Äthylestern der Fettsäuren, so findet wohl Resorption statt, aber das in den Chylusgefäßen auftretende Fett besteht nun aus Triglyceriden, so daß eine Spaltung der Äthylester und nachherige Resynthese angenommen werden muß (O. F r a n k ) . Von den Epithelzellen werden die Fetttröpfchen in die Lymphräume der Darmzotten und von dort in die Lymphgefäße, die während der Fettverdauung mit einer milchigen Flüssigkeit, dem Chylus, gefüllt sind, aufgenommen. Der Chylus ist nichts anderes als eine feine Fettemulsion. 3. Abtransport und Deponierung Die Hauptmenge des Fettes wird auf dem Lymphwege absorbiert und ergießt sich durch den Ductus thoracius direkt ins Blut. Das Blutserum ist daher während der Verdauung einer fetthaltigen Mahlzeit opak und zeigt ein milchiges Aussehen (Lipämie). Beim Stehen setzt sich an der Oberfläche eine Fettschicht ab. Die Lipämie verschwindet einige Stunden nach Aufhören der Fettabsorption. Durch gleich-
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Der Fettstoffwechsel
zeitige Aufnahme von Kohlehydrat wird das Verschwinden des Fettes aus dem Blut beschleunigt. Die Fetttröpfchen des lipämischen Blutserums sind im Mikroskop bei Dunkelfeldbeleuchtung gut sichtbar. Es ist möglich, daß die aufgenommenen Fettsäuren zum Teil in der Darmschleimhaut nicht zu Fett resynthetisiert werden, sondern als solche in die Lymphgefäße oder auch in die Kapillaren der Pfortader gelangen und damit auf direktem Weg der Leber zugeführt werden. Ein kleiner Teil wird allerdings auch durch das Blut abtransportiert. Daß nicht alles Fett im Chylus abtransportiert wird, kann dadurch gezeigt werden, daß es nicht gelingt, aus dem Chylus allein alles resorbierte Fett zurückzugewinnen (man findet dort nur etwa 60 %), und daß außerdem das Abbinden der Lymphgefäße eines Darmsektors nicht zur gänzlichen Sistierung der Fettresorption führt. Jedenfalls ist aber der Abtransport durch die Lymphbahnen der bei weitem bedeutungsvollere Weg. Wie über den AbsorptionsVorgang, so herrscht auch über die Art und Weise, nach der die Fette und die Fettsäuren im Blut transportiert und in den Geweben abgelagert werden, noch keine Klarheit. Da es sich um Stoffe handelt, die in Wasser sehr schwer oder gar nicht löslich sind, können sie nur in Verbindung mit anderen, wasserlöslichen Stoffen transportiert werden. Als Vehikel dienen im normalen, d. h. nicht lipämischen Blut die Eiweißkörper des Blutplasmas, und zwar sind die Lipide zum größten Teil an eine bestimmte Fraktion derselben, die sog. oc- und /i-Globuline, gebunden. Die Bindung an das Eiweiß zeigt sich schon darin, daß die Lipide des Blutplasmas durch Schütteln mit Äther nur zum kleinsten Teil extrahiert werden können. Im lipämischen Blut ist der Überschuß der Fette, wie gesagt, als Emulsion vorhanden; doch wirken offenbar auch in diesem Fall die Proteine stabilisierend. Das im Blutplasma dispergierte Fett verschwindet, wie schon erwähnt, nach einigen Stunden. Es wird, soviel wir wissen, hauptsächlich vom Fettgewebe und von der Leber aufgenommen. Wir werden auf verschiedene Einzelheiten des Transports und der Deponierung der Fette später zurückkommen. Die Menge des Fettes (oder der Fettsäuren), die auf dem Blutweg absorbiert wird, ist schwer abzuschätzen. Das im Fettgewebe als Reservestoff abgelagerte Fett läßt sich durch einseitige Ernährungsweise in seiner Zusammensetzung weitgehend beeinflussen. L e b e d e f f fütterte Hunde mit Hammeltalg und mit Leinöl. Da Hammeltalg einen viel höheren Schmelzpunkt besitzt als Hundefett, ließ sich der Unterschied leicht feststellen. Ähnliche Versuche wurden von M ü n k und von R o s e n f e l d gemacht. Nach Verfütterung von viel Rüböl ließ sich aus dem Körperfett des Hundes die E r u c a s ä u r e isolieren, welche nicht im normalen Hundefett vorkommt, wohl aber in dem verabreichten Rüböl. Auch der Hammeltalg ließ sich noch vier Wochen später nachweisen. Butter ist ein Fett mit einem hohen Gehalt an niedrigen Fettsäuren. Bei oraler Zufuhr werden aber fast nur die höheren Fettsäuren abgelagert, während die niedrigen abgebaut werden. Erfolgt die Verabreichung parenteral durch subcutane Einspritzung, so findet sich das Butterfett unverändert in der Bauchhaut als Reservestoff. Die wichtigsten Fettdepots befinden sich im Unterhautgewebe und in der Bauchhöhle (Umgebung der Nieren, Mesenterium). J e nach der Lokalisation ist die Zusammensetzung der Fette, die sich im Schmelzpunkt widerspiegelt, verschieden. Das Hautfett z. B. hat einen viel niedrigeren Schmelzpunkt als das perirenale Fett („Nierenfett"). Auch bei den verschiedenen Tierklassen, sogar zwischen verschiedenen Tierarten, findet man bedeutende Unterschiede in der Zusammensetzung des Reservefettes (siehe unten). Außer ihrer Bedeutung als Energiereserven haben diese
Der Abbau der Fette
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Fettansammlungen aber noch andere Funktionen. Das (bei Körpertemperatur flüssige) Hautfett spielt eine Rolle als Gleitmittel. Es erleichtert ein reibungsloses Gleiten der Haut über der Unterlage, besonders über den Gelenken. Die Fettschicht der Haut ist besonders wichtig für die Wärmeregulation (Isolierschicht; der panniculus adiposus ist besonders bei den wasserbewohnenden Säugern gut ausgebildet!). Das perirenale Fett, in das die Niere eingebettet ist, hilft dazu, das Organ in seiner Lage zu erhalten (mechanische Funktion; hoher Schmelzpunkt!). Der Vergleich der Fettsäuren des Depotfettes und der Phosphatide bei verschiedenen Tierarten hat interessante Beziehungen aufgedeckt. Das Fettsäuregemisch der Glycerinphosphatide hat bei allen Wirbeltieren ganz ähnliche Zusammensetzung. Es ist gekennzeichnet durch den Grad der Sättigung der Fettsäuren. Typisch für die Phosphatide ist der Gehalt an h o c h u n g e s ä t t i g t e n Fettsäuren mit 20 und 22 C-Atomen. Der Grad der Ungesättigtheit nimmt mit steigender C-Zahl zu. Während bei den Säuren C14 und C16 die gesättigten überwiegen, sind die Säuren C20 und C22 fast alle ungesättigt (Klenk). Im Depotfett der Warmblüter, insbesondere der Säuger, fehlen die Säuren C20 und C22 vollständig, dieses Fett enthält nur C14-, C16-, C 18 -Säuren. Demnach hat das Warmblüterdepotfett gesättigten Charakter. Im Gegensatz dazu steht das Fett der Fische, das wie die Glycerinphosphatide sich durch das Vorwiegen der ungesättigten C20- und C 22 -Säuren kennzeichnet (Klenk). Diese Befunde stehen in Übereinstimmung mit der Annahme, daß zwischen dem Depotfett und den Zellphosphatiden ein A u s t a u s c h d e r F e t t s ä u r e n b e s t e h t , aufweichen schon bei der Besprechung der Fettresorption hingewiesen wurde. 4. Der Abbau der Fette Die Fettsäuren werden im Tierkörper letzten Endes zu Kohlensäure und Wasser verbrannt. Wir beginnen daher die Behandlung des Intermediärstoffwechsels der Fette mit der Besprechung der Fettsäureoxydation. Offenbar werden die langen C-Ketten der Fettsäuren im Verlauf des oxydativen Abbaus allmählich verkürzt. In welcher Weise spielt sich dieser Vorgang ab ? Es besteht wenig Aussicht, Zwischenstufen des Abbaus zu fassen, da dieselben wahrscheinlich selbst wieder Verbindungen sind (z. B. Carbonsäuren mit kürzerer Kette), die rasch weiter umgesetzt werden; oder sie sind identisch mit im Körper bereits vorhandenen Verbindungen und können daher von denselben nicht unterschieden werden. Erst die Verwendung von Isotopen zur „Markierung" von organischen Verbindungen hat es in neuerer Zeit ermöglicht, Bruchstücke oder Umwandlungsprodukte von Molekülen, die im Stoffwechsel umgesetzt worden sind, mit Sicherheit als solche zu erkennen. Früher hat man versucht, die beim Fettsäureabbau auftretenden Bruchstücke dadurch zu erfassen, daß man in das Molekül schwer verbrennbare Reste einführte. Diese Methode, welche in der Hauptsache von K n o o p angewendet wurde, geht von der Beobachtung aus, daß Verbindungen, welche den Benzolkern enthalten, nur am aliphatischen Teil des Moleküls vom Organismus angegriffen werden. Man kann also dem Versuchstier derartige, gleichsam mit einem Index versehene Moleküle verfüttern und dann im Harn nach ihren Spaltprodukten suchen. Zu solchen Versuchen wurden daher phenylsubstituierte Fettsäuren verwendet:
Der Fettstoffwechsel
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Es hat sich gezeigt, daß die F e t t s ä u r e n in einer höchst charakteristischen Weise stufenweise abgebaut werden. Bei Verfütterung von B e n z o e s ä u r e wird diese als Hippursäure mit Glycocoll gepaart wieder ausgeschieden: C6H6
C6Hs
¿ooh
¿o-nhch2cooh Hippursäure
Wird die der Benzoesäure homologe P h e n y l e s s i g s ä u r e verfüttert, so wird sie ebenfalls als Glycocollverbindung wieder ausgeschieden: C6H6 C6H6 I I CH2 * CH2 cooh
conhch2cooh Phenacetursäure
Außer der Paarung mit Glycocoll ist also während der Passage durch den Körper keine Änderung eingetreten. Ganz verschieden verhalten sich aber nun die phenylsubstituierten Säuren mit drei oder mehr Kohlenstoffatomen in der Seitenkette: Phenylpropionsäure, Zimtsäure, Oxyphenylpropionsäure, sind alle Verbindungen mit drei C-Atomen in der Seitenkette. Sie liefern alle ein Endprodukt, die B e n z o e säure. In ähnlicher Weise werden die entsprechenden Säuren mit 4 C-Atomen abgebaut, indem sie alle in P h e n y l e s s i g s ä u r e übergehen. Die Säuren mit einer Seitenkette von 5 C-Atomen liefern aber wieder B e n z o e s ä u r e usw. C6H5
c6H6
C„H6
CH2
COOH
¿H
¿H, jOOH Ac Phenylpropionsäure
C„HS ^¿h2 a CHa ¿OOH Phenylpropionsäure
C6H6 - ¿OOH Benzoesäure
ÜH Benzoesäure (als Hippursäure)
C6H5 ch 2 I ßCH2 «CH, COOH Phenylbuttersäure
c6h5 I ch2 ¿OOH
Phenyl-
COOH Zimtsäure usw. C6H6
c6h5
CH»
> ¿OOH
!H,
Benzoesäure
ß CH2
«CIL ¿OOH Phenylvaleriansäure
Die erhaltenen Säuren wie Benzoesäure bzw. Phenylessigsäure finden sich in Form ihrer Glycocollverbindungen im Harn vor. Enthält die Seitenkette eine «, ß-
Der Abbau der Fette
249
ungesättigte Bindung, eine ß-Qxyoder Ketogruppe, so beeinflußt diese Gruppe den Abbau nicht. Aus dem obigen Schema ist klar ersichtlich, daß der Abbau der Seitenkette von der Carboxylgruppe her in der Art erfolgt, daß immer je zwei Kohlenstoffatome abgespalten werden, daß also immer eine Spaltung zwischen oc- und ß-CAtom stattfindet. Man b e z e i c h n e t d i e s e n A b b a u w e g a l s d e n p a a r i g e n A b b a u o d e r a l s d a s Gesetz der /J-Oxydation. Beim Zuckerkranken, im Hunger oder bei Ernährung mit einer Kost, die sehr wenig Kohlehydrat, aber viel Fett enthält, treten im Blut und im Harn die sog. Acetonkörper auf: I/Ilg ,1XI „„ .,„ *-- 11 .j LHg ¿H-OH
¿0
¿0
CH2 (IlHj ch3 I I COOH COOH ß-Oxybuttersäure Acetessigsäure Aceton Man kann vermuten, daß diese Verbindungen durch unvollständigen Abbau der F e t t s ä u r e n entstehen. E m b d e n konnte nun zeigen, daß in der Tat bei der Durchströmung der Warmblüterleber gewisse Fettsäuren (und Aminosäuren) Aceton geben, andere wieder nicht, und zwar zeigte sich, daß alle Fettsäuren mit g e r a d e r C - A t o m z a h l zur Bildung von Aceton führten. Die Acetonbildung war am höchsten bei den niedrigeren Gliedern der Reihe. Die Fettsäuren mit u n g e r a d e r C - A t o m z a h l bewirkten kein Ansteigen der Acetonbildung. Da aber das Aceton durch Kohlendioxydabspaltung aus der Acetessigsäure entsteht (die bekannte sog. Ketospaltung der ¿3-Ketocarbonsäuren), so hat man als Vorstufe der Acetonbildung die Acetessigsäure anzunehmen: CH, Cil > Ao A:h 2
CO = co 2 + I ch3
COO H Dasselbe zeigt sich bei Verfütterung von Fettsäuren mit gerader oder ungerader Zahl von C-Atomen. Die ersteren vermehren die Acetonkörperbildung, die letzteren bilden kein oder nur sehr wenig Aceton. (Wir werden später zeigen, daß die Leber der Bildungsort der Acetonkörper ist.) Faßt man alle diese Tatsachen zusammen, so ergibt sich daraus wieder, daß bei der Oxydation der Fettsäuren sehr wahrscheinlich eine Verkürzung um je zwei C-Atome der Kette stattfindet, denn die Muttersubstanz des Acetons ist eine C 4 -Säure, also eine Verbindung, die durch paarigen Abbau direkt aus den geradzahligen Fettsäuren entstehen kann. In den natürlichen Fetten kommen immer nur Fettsäuren mit gerader C-Atomzahl vor. Stellt man die geschilderten Fütterungsversuche und Durchströmungsversuche mit Fettsäuren von u n g e r a d e r C-Atomzahl an, so zeigt sich, wie schon erwähnt wurde, k e i n e Acetonkörperbildung. Diese Säuren werden jedenfalls auch durch Oxydation abgebaut, wobei es möglicherweise zur Bildung von Propionsäure kommt: 1 2 3 4 5 6 7 i 8 9 C C C C c - _C C—i—C COOH l
CHj—CH2—COOH Propionsäure «
r
Oxydation
Der Fettstoffwechsel
250
Werden der Leber im Durchströmungsversuch normale Fettsäuren mit ungerader C-Atomzahl zugleich mit Acetonbildnern wie Capronsäure dargeboten, so entfalten sie eine a n t i k e t o g e n e W i r k u n g , d. h. sie drücken die Acetonkörperbildung stark herunter. Die Propionsäure wirkt also, wie E m b d e n fand, auch sehr stark antiketogen. Eine yS-Oxydation findet auch bei Säuren mit v e r z w e i g t e r C - A t o m k e t t e s t a t t . So bildet die I s o v a l e r i a n s ä u r e (mit 5 C-Atomen) Aceton, während die I s o b u t t e r s ä u r e (mit 4 C-Atomen) kein Aceton bildet: CH,
>CH- -CH,—COOH
CH, Isovaleriansäure CH,
CH-COOH
CHS.
>co
CH,Aceton
kein Aceton
CH3Isobuttersäure I n diesem Zusammenhang wurde auch das Verhalten der A m i n o s ä u r e n untersucht. Auch bei diesen lassen sich ketogene und nicht ketogene unterscheiden. Diese Beziehungen sollen erst bei der Abhandlung des Eiweißstoffwechsels dargestellt werden (S. 336). 5. Der Chemismus der /^-Oxydation ; Bildung der Acetonkörper Die Frage, auf welche Weise die beiden C-Atome aus den Fettsäuren abgespalten werden und auf welchem Wege die Acetessigsäure entsteht, wurde durch eine große Zahl von Untersuchungen nachgegangen. Man hat besonders in den letzten Jahren durch die Verwendung „markierter" Verbindungen tiefere Einblicke in die Natur des Vorgangs gewonnen. D a k i n verabreichte P h e n y l v a l e r i a n s ä u r e und konnte dabei die folgenden Spaltprodukte isolieren, die in dem Schema nach ihrer vermutlichen Entstehungsweise geordnet sind : C6H5 • CH2 CH2 • CH2 • CH•COOH Phenylvaleriansäure 2 I C6H5-CH2-CH2-COOH
Phenylpropionsäure
I C 6 H 5 CH = CH-COOH
Zimtsäure
1 CBH.-CH-CH,-COOH
S-Phenyl-jS-Oxypropionsäure
OH 4 C6H5-CO-CH2-COOH 1 \
|3-Phenyl-/?-Ketopropionsäure
C6H5COOH C6H5-CO-CH3 Benzoesäure Acetophenon I n ganz ähnlicher Weise gibt Crotonsäure bei Leberdurchblutung ß - Oxybuttersäure und Acetessigsäure und die Bernsteinsäure geht über Fumarsäure in Äpfelsäure und Oxalessigsäure über.
Der Chemismus der yö-Oxydation ; Bildung der Acetonkörper
251
Man kann daher gemäß dem Sinn der D e h y d r i e r u n g s t h e o r i e das folgende Oxydationsschema aufstellen: R
R
CH* — 2H I CH2
— -
R
CH
II CH
+
Hx
>0
AH-OH
• I OH«
R
_2H
enthält, so sieht man leicht, daß das Resultat verschieden sein muß, je nachdem die eine oder die andere der oben genannten Theorien richtig ist. Gilt die K n o o p - E m b d e n s c h e Theorie der sukzessiven ^-Oxydation, so enthalten die Ketokörper kein C-Isotop, denn sie sind aus den vier letzten CAtomen der Kohlenwasserstoffkette entstanden: CH»—CH»—CH,—CH»Gilt die Theorie der alternierenden Oxydation, so enthält die Carboxylgruppe der Acetessigsäure (bzw. das daraus abgespaltene C0 2 ) das Isotop, denn ein Teil der Moleküle ist aus den vier ersten C-Atomen entstanden : CH,—CH,—CH,—CH,- j -CH,—CH,—CH,—C(13)00H Der Versuch wurde mit der C 8 -Säure durchgeführt. Es zeigte sich, daß tatsächlich die Carboxylgruppe der Acetessigsäure markiert ist, daß aber das ß - Kohlenstoffatom
252
Der Fettstoffwechsel
(die Carbonylgruppe) die gleiche Menge C(13) enthält. Dies ist nur möglich, wenn die Acetessigsäure sekundär durch Kondensation der aus zwei C-Atomen bestehenden Fragmente gebildet worden ist, die beim paarigen Abbau der Fettsäure entstehen und über deren Natur noch zu sprechen sein wird (vgl. Ergänzungen S. 414). CH3—CU3)—CH2—COOH -CH2—C(i3)OOH
(a)
O oder CH3—C(13)—CH2—C(i3)OOH (b)
—Cïï2—CH2- -CH«—CH„- -CH,—C(i3)OOH
oder
II O
CH3—C—CH2—C(i3)OOH
(C)
O oder CH3—C—CH2—COOH
(d)
II O
Wenn oben gesagt wurde, daß die Acetessigsäure in der Carbonyl- und der Carboxylgruppe gleichviel C-Isotop enthält, so bezieht sich dies auf den Durchschnitt der Moleküle'. Die Moleküle, die gleichzeitig an zwei Stellen Cd3) enthalten (b), werden nur selten vorkommen, da die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Fragmente zusammentreffen, welche die ursprüngliche Carboxylgruppe der Fettsäure enthalten, gering ist. Aber die Wahrscheinlichkeit für die Bildung der Molekülarten (a) und (c) ist gleich groß. Es kommt mit anderen Worten zu einer zufälligen Verteilung der markierten Fragmente auf die beiden Hälften der Acetessigsäure, so daß im Durchschnitt das Isotop gleichmäßig auf die Carbonyl- und die Carboxylgruppe verteilt erscheint. (Natürlich überwiegt die Zahl der nicht markierten Moleküle (d) stark, weil die meisten der entstehenden C2-Fragmente kein markiertes C-Atom enthalten.)
Dank dieser Erkenntnis kann man sich nun das folgende Bild der Entstehungsbedingungen der Acetonkörper machen: Die Fettsäuren zerfallen durch ^-Oxydation in C 2 -Fragmente. Normalerweise werden die letzteren zu C0 2 und H 2 0 oxydiert, und zwar durch den sog. Tricarbonsäurecyklus, den wir bei der Behandlung des Kohlehydratstoffwechsels ausführlich besprechen werden. Ist aber der Anfall an C 2 -Fragmenten stark gesteigert und fehlt das zum Eintritt in den Citronensäurecyklus nötige Oxalacetat, so kommt es zur Kondensation der Fragmente unter sich, d. h. zur Bildung der Acetonkörper. Bildungsort der Acetonkörper ist, wie gesagt, die Leber. Sie entstehen auch unter normalen Bedingungen in kleinen Mengen, werden aber, sofern sie in den Kreislauf gelangen, in den Geweben rasch oxydiert. Werden sie aber in größerer Menge gebildet, so kann die Produktion den Verbrauch übersteigen. Sie häufen sich im Blut und in den Geweben an und werden im Urin ausgeschieden (Acetonämie, Acetonurie). Man bezeichnet diesen Zustand klinisch als „Acidosc" oder „Ketose". Das bekannteste Beispiel ist die Acidose des Zuckerkranken. Man hatte früher Gelegenheit, schwere Diabetiker zu beobachten, die täglich bis zu 200 g Acetonkörper (vor allem als /¡-Oxybuttersäure) ausschieden. Wir werden darauf im Abschnitt über die diabetische Stoffwechselstörung näher eingehen. Bei Kindern ist das sog. acetonämische Erbrechen ein Zustand, bei dem es zur Bildung großer Mengen von Acetonkörpern kommt. Wir haben früher bereits die Hungeracidose erwähnt. Ein wichtiger Faktor für die Entstehung der Acidose scheint immer die vermehrte Verbrennung von Fett oder auch Eiweiß (an Stelle des Kohlehydrats) zu sein, sei es, daß Kohlehydrat fehlt (Hunger) oder nicht verwertet werden kann (Diabetes).
Der Chemismus der /?-Oxydation; Bildung der Acetonkörper
253
Es ist neuerdings gelungen, die Oxydation von Fettsäuren (z. B. Caprylsäure) mittels geeigneter Fermentpräparate auch in vitro durchzuführen (Munoz und L e l o i r ; L e h n i n g e r ) . Die Reaktion ist an die Zellgranula (Mitochondrien) gebunden. Als Reaktionsprodukt tritt bei Abwesenheit von Oxalacetat Acetessigsäure auf. Wird aber Oxalacetat zugesetzt, so lassen sich Citronensäure und andere Zwischenglieder des Tricarbonsäurecyklus fassen, ein Beweis dafür, daß die Oxydation über diesen Abbauweg geht. Damit die Reaktion in Gang kommt, ist die Gegenwart einer kleinen Menge von Adenosintriphosphat nötig („Zündung"). (Näheres siehe S. 414.) Man hat sich auch schon die Frage vorgelegt, ob die Fettsäuren nicht auch von der Methylgruppe her oxydiert werden könnten, und darüber Untersuchungen angestellt ( V e r k a d e , F l a s c h e n t r ä g e r ) . Es zeigte sich dabei, daß die Fettsäuren immer vom Carboxylende her angegriffen werden, w e n n d i e C a r b o x y l g r u p p e f r e i ist. Liegen aber die Fettsäuren in Form von Verbindungen vor, z. B. als Esteroder Säureamide, so daß die Carboyxlgruppe vor dem Angriff der Enzyme geschützt ist und es demnach nicht zur Bildung der Enzym-Substrat-Verbindung kommen kann, dann greifen die Enzyme die e n d s t ä n d i g e Methylgruppe an, was man als «-Oxydation bezeichnet. Es bilden sich dann manchmal Dicarbonsäuren und man kann sehen, daß gewisse schwer spaltbare Fettsäureester oder Fettsäureamide in Form von Dicarbonsäuren ausgeschieden werden. So wird z. B. nach Verabreichung von Methyl-benzol-sulfoaminolaurinsäure Adipinsäure ausgeschieden. Die Bildung von Dicarbonsäuren und die sog. o>-Oxydation sind also nach diesen Versuchen F l a s c h e n t r ä g e r s ein Beweis, daß das Gesetz der ß-Oxydation das vorherrschende ist und nur bei Sperrung der Carboxylgruppe von der Zelle umgangen wird. Dicarbonsäuren mit 6, 8, 10 C-Atomen sind schwer oxydierbar und werden zu 5—60% unverändert ausgeschieden. Besetzt man aber eine Carboxylgruppe durch Amidierung, so erfolgt /^-Oxydation von der freien Carboxylgruppe her. Während von der Sebacinsäure 60% ausgeschieden werden, erscheinen von der Sebamidsäure nur mehr 10% im Harn wieder: HOOC • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • COOH Sebacinsäure, schwer verbrennlich * ß HOOC • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • CONH • CH3 ^-Oxydation
Sebacinsäuremethylamid, gut verbrennlich
Eine «-ständige Carboxylgruppe erleichtert die Oxydation der e n d s t ä n d i g e n Methylgruppe ( B e r n h a r d ) . So wird z. B. bei der Verfütterung von n-Alkylmalonsäure die entsprechende «-Carboxydicarbonsäure ausgeschieden: CH3
COOH
(¿H 2 ) 9
(¿H 2 ) 9
H—i—COOH
H—¿—COOH
¿OOH
¿OOH
Daß die co-Oxydation der Fettsäuren unter normalen Bedingungen mengenmäßig nicht ins Gewicht fällt, wurde von B e r n h a r d dadurch bewiesen, daß er deuteriumhaltige Dicarbonsäuren (Adipin-, Kork-, Sebacinsäure) verfütterte. Die
254
Der Fettstoffwechsel
im Urin wieder erscheinenden Dicarbonsären wiesen den gleichen Deuteriumgehalt auf wie die verfütterten. Würden diese Dicarbonsäuren im Organismus aus den entsprechenden Monocarbonsäuren durch cu-Oxydation entstehen, so müßte der Deuteriumgehalt der aus dem Urin isolierten Säuren kleiner sein als derjenige der eingeführten Verbindungen, weil sie durch die im Stoffwechsel entstandenen Dicarbonsäuren verdünnt worden wären. 6. Die biologische Synthese der Fettsäuren Aus der Tatsache, daß man Tiere durch reichliche Kohlehydrat- oder Eiweißzufuhr mästen kann, geht hervor, daß offenbar Fettsäuren in großem Umfang aus andersartigem Material gebildet werden können. Die altbekannte Tatsache, daß im Organismus eine Synthese der Fettsäuren in großem Umfang stattfindet, wurde durch die Isotopenmethode auf elegante Weise bestätigt. Wie wir früher auseinander gesetzt haben, wird bei der Synthese von organischen Verbindungen, wenn sie bei Gegenwart von schwerem Wasser stattfindet, Deuterium in das Molekül aufgenommen, und der Deuteriumgehalt ist ein Maß f ü r den Umfang der Synthese. B e r n h a r d und S c h o e n h e i m e r haben mit dieser Methode die Fettsäuresynthese bei Mäusen untersucht. Am meisten Deuterium enthielten die gesättigten Fettsäuren der Leber, etwas weniger die Fettsäuren des Darmes, am wenigsten die Fettsäuren der Depots. Die Neubildung in der Leber ist sehr hoch; man kann berechnen, daß in 24 Stunden etwa die Hälfte der Leberfettsäuren regeneriert wird. Bedeutend weniger Deuterium als die gesättigten Säuren hatte die Ölsäure aufgenommen (nur etwa ein Fünftel). Sie kann daher nicht einfach durch Dehydrierung der Stearinsäure entstanden sein (obschon dieser Weg möglich ist, siehe unten), sondern muß auf einem unabhängigen Weg gebildet werden, möglicherweise aus größeren Bruchstücken als die gesättigten Fettsäuren.
a) F e t t s ä u r e n a u s K o h l e h y d r a t . Aus der Betrachtung der Bruttoformel der Fettsäuren und der Zucker folgt, daß dieser Übergang ein reduktiver Vorgang ist und als solcher Energie verbraucht. Die Umwandlung kann also nur so vor sich gehen, wenn sie mit einem energieliefernden oxydativen Prozeß gekoppelt ist. Man kann z. B. annehmen, daß ein Teil der Zuckermoleküle in Fettsäure verwandelt und ein anderer Teil oxydiert wird, z. B. nach dem folgenden Schema: 5C 6 H 1 2 0 6 + 7 0 2 = C 1 6 H 3 2 0 2 + 14C0 2 + 14H 2 0 Glucose Palmitinsäure
Man erkennt ohne weiteres, daß der respiratorische Quotient eines solchen Vorgangs (Verhältnis gebildeter C0 2 zu verbrauchtem Sauerstoff) bedeutend größer ist als Eins. Das hat sich bei tierischen und pflanzlichen Organismen, in denen intensive Fettbildung stattfindet, bestätigt. Da in den natürlichen Fetten die Fettsäuren mit 12, 18 und 24 C-Atomen häufig vorkommen, war man früher geneigt, eine direkte Kondensation von Hexosen mit nachträglicher Reduktion der entstehenden vielwertigen Alkohole und Verkürzung der C-Ketten anzunehmen. Die neueren Forschungen haben aber zu der Auffassung geführt, daß die Fettsäuren aus kurzen Zweikohlenstoffketten aufgebaut werden. Die Zucker müssen also zuerst zu C 2 -Fragmenten abgebaut werden, und erst aus diesen werden die Kohlenstoffketten der Fettsäuren gebildet. Ein beträchtlicher Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Kohlehydrate wird im Tierkörper in Fett übergeführt (vgl. S. 306). Darauf beruht die Möglichkeit, bei Nutztieren durch reichliche Zufuhr von Kohlehydrat einen Fettansatz zu erzwingen (Kohlehydratmast). Die physiologische Bedeutung des Prozesses beruht darin,
Die biologische Synthese der Fettsäuren
255
daß er den Organismus von der äußeren Zufuhr von Fetten weitgehend unabhängig macht (Ausnahme: essentielle Fettsäuren, siehe unten) und es ihm ermöglicht, den Kohlehydratüberschuß der Nahrung in Form von Reservefett anzulegen. b) F e t t s ä u r e n a u s E i w e i ß . Das Fett, welches bei Zufuhr von Eiweiß angesetzt wird, hat die gleiche Zusammensetzung (in bezug auf Art und Menge der Fettsäuren) wie bei Zufuhr von Kohlehydrat. Wie wir bei der Besprechung des Kohlehydratstoffwechsels zeigen werden, kann Eiweiß leicht in Kohlehydrat übergehen. Es ist daher anzunehmen, daß Eiweiß über Kohlehydrat in Fett übergeführt wird oder daß jedenfalls aus den Aminosäuren zunächst dieselben Zwischenverbindungen (C2-Fragmente ?) entstehen wie bei der Umwandlung der Zucker in Fettsäuren. c) G e g e n s e i t i g e U m w a n d l u n g der F e t t s ä u r e n . Die Vorstellung vom paarigen Abbau und Aufbau der Fettsäuren läßt die Entstehung neuer Fettsäuren durch eine Verkürzung oder Verlängerung der Kohlenstoffketten als wahrscheinlich erscheinen. Dies ist durch Verwendung „markierter" Säuren bewiesen worden. Verfüttert man z. B. Palmitinsäure, deren Wasserstoff teilweise durch Deuterium ersetzt worden ist, an die weiße R a t t e und bestimmt (nach einer Versuchsdauer von 8 Tagen) den Deuteriumgehalt der verschiedenen Fettsäuren des Depotfetts, so erweist sich nicht nur die Palmitinsäure als „markiert", sondern man findet auch einen beträchtlichen Deuteriumgehalt in anderen Fettsäuren. Wenn man den Deuteriumgehalt der verfütterten Palmitinsäure = 100 setzt, so ergibt sich folgendes Resultat (nach S c h o e n h e i m e r ) : Palmitinsäure (C16) 24,0%, Stearinsäure (C18) 9,3%, Myristin- (C14) und Laurinsäure (C12) 5,6%, Palmitoleinsäure (eine C 16 -einfach ungesättigte Säure) 6,3%, Ölsäure 1%, Linolsäure (C 18 , zweifach ungesättigt) 0,3%. Da das Deuterium in der Palmitinsäure stabil gebunden ist, können die anderen Säuren daraus nur durch Verlängerung oder Verkürzung der Ketten entstanden sein (Stearinsäure: + 2 C-Atome, Myristinsäure: —2 C-Atome, Laurinsäure: —4 C-Atome). Da auch Ölsäure und Palmitoleinsäure Deuterium enthalten, muß angenommen werden, daß dieselben aus den entsprechenden gesättigten Säuren (Stearin- und Palmitinsäure) direkt durch Dehydrierung entstanden sind. Dagegen enthält die Linolsäure kein Deuterium (der angegebene Wert von 0,3% liegt in der Fehlergrenze der Bestimmung). E s scheint also, daß diese Säure nicht aus andern durch Dehydrierung entstehen kann. Wie wir später sehen werden, kann sie im Tierkörper überhaupt nicht synthetisiert werden.
Die mit Hilfe der Isotopenmethode gefundenen Beziehungen zwischen den verschiedenen Fettsäuren sind im folgenden Schema zusammengefaßt (nach Bernhard): C20
Behensäure
C18
Stearinsäure
C16
Palmitinsäure
C I4
Myristinsäure
C]2
Laurinsäure
niedrige Fettsäuren
Dehydrierung Hydrierung Dehydrierung Hydrierung
Ölsäure
Palmitoleinsäure
256
Der Fettstoffwechsel
7. Die Bedeutung der C2-Fragmente im Stoffwechsel der Fettsäuren Da die natürlichen, in den Fetten vorkommenden Säuren alle eine gerade Zahl von Kohlenstoffatomen besitzen, liegt die Vermutung nahe, daß sie durch Kondensation aus einer Zweikohlenstoffverbindung entstanden sind. Die Synthese der Fettsäuren wäre demnach eine Art Umkehrung ihres Abbaus, bei welchem die Kohlenstoffkette durch die /?-Oxydation sukzessive um zwei C-Atome verkürzt wird. Wir haben gesehen, daß die dabei auftretenden Fragmente unter gewissen Bedingungen durch Kondensation zu Acetessigsäure stabilisiert werden können. Es entsteht nun die Frage, welcher Art die Fragmente sind, die sowohl beim Abbau wie beim Aufbau der Fettsäuren in Erscheinung treten. Sie müssen offenbar in enger Beziehung zur Essigsäure stehen, und es besteht in der Tat ein enger Zusammenhang zwischen dem Stoffwechsel der höheren Fettsäuren und demjenigen der Essigsäure. Die Bildung von Fettsäuren aus Acetat ist durch die Isotopenmethode einwandfrei nachgewiesen worden. R i t t e n b e r g und B l o c h verabreichten an Ratten doppelt markierte Essigsäure (schwerer Kohlenstoff in der Carboxyl-, Deuterium in der Methylgruppe). Die aus dem Körperfett der Tiere isolierten Fettsäuren enthielten in ihrer Carboxylgruppe die doppelte Konzentration des C-Isotops wie der Durchschnitt des ganzen Moleküls. Es muß also jedes zweite Kohlenstoffatom der Kette sich aus dem Carboxyl der Essigsäure ableiten, wie dies zu erwarten ist, wenn die Kohlenstoffkette durch Kondensation der Essigsäuremoleküle entstanden ist. Aus dem Fettsäuregemisch wurde ferner die Ölsäure isoliert und an der Doppelbindung durch Oxydation gespalten (Spaltung der C i s - K e t t e in zwei C 9 -Ketten). Beide Isotope waren gleichmäßig auf die beiden Bruchstücke verteilt. Versuche mit Mikroorganismen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Die Fettsäuren müssen also durch Aneinanderreihung von Essigsäuremolekülen entstanden sein.
Auch die Acetessigsäure kann aus Essigsäure entstehen. Diese Reaktion wurde zuerst bei der Durchströmung der Leber mit acetathaltiger Lösung beobachtet ( E m b d e n u n d L o e b 1913). Versuche mit markierter Essigsäure haben diesen Befund bestätigt. Da andererseits die Acetessigsäure aus den C 2 -Fragmenten gebildet wird, die bei der Fettsäureoxydation entstehen, müssen diese Fragmente offenbar in naher Beziehung zur Essigsäure stehen, wenn sie nicht überhaupt mit ihr identisch sind. Wir haben früher bereits erwähnt, daß die Fettsäuren über den Citronensäure( = Tricarbonsäure)cyklus oxydiert werden. Die Oxydation der Acetessigsäure erfolgt auf demselben Weg. Der erste Schritt dieser Reaktionsfolge besteht in der Kondensation der Oxalessigsäure mit einer Zweikohlenstoffverbindung, welche auf der gleichen Oxydationsstufe wie die Essigsäure steht. Auch diese Tatsache weist demnach auf die Essigsäure als eine Zwischenstufe des Fettsäureabbaus hin. Das Acetat scheint also im Fettsäurestoffwechsel eine zentrale Stellung einzunehmen: Einerseits kann es als Baustein zur Synthese der Fettsäuren dienen, andererseits tritt es in Form eines reaktionsfähigen C 2 -Fragmentes auch bei deren Abbau in Erscheinung. Nun erweist sich aber die Essigsäure als sehr reaktionsträge, wenn man nicht am intakten Tier, sondern mit gereinigten Fermentsystemen arbeitet. Außerdem findet man sie in den Geweben und Körpersäften nie in nennenswerter Menge. Dies sind Tatsachen, die anscheinend gegen ihre Entstehung im Körper in größerem Umfang sprechen. Eine ganze Reihe von Beobachtungen, die wir einzeln hier nicht anführen können, zeigt jedoch, daß die Essigsäure im Augenblick ihrer Entstehung als sehr reaktionsfähige Form, als „aktivierte" Essigsäure, auftritt, die sofort weiter umgesetzt wird. Die Essigsäure, die den Zellen als solche zugeführt wird, kann in keine Stoffwechselreaktion eingehen, ehe sie in die reaktionsfähige Form verwandelt worden ist. Dazu ist ein energielieferndes System nötig, das die Zelle in Form des Adenosin-
257
Ort der Fettsäuresynthese
triphosphats zur Verfügung stellt, und außerdem ein spezielles Coferment, das sog. Coenzym A, das an allen Umsetzungen der Essigsäure beteiligt ist. Nach neueren Untersuchungen ist die „aktivierte" Essigsäure nichts anderes als die Acetylverbindung des Coenzyms A. Auf Einzelheiten werden wir bei Behandlung des Citronensäurecyklus zu sprechen kommen. Demnach entsteht als Zwischenprodukt bei der Fettsäureoxydation nicht Acetat als solches, sondern „aktivierte" Essigsäure, die entweder sofort in den Citronensäurecyklus einbezogen und oxydiert wird oder sich zu Acetessigsäure kondensiert. Für die erste Reaktion ist Oxalacetat nötig. Steht dieses in zu geringer Menge zur Verfügung, ein Fall, der in der Leber leicht eintritt, so erfolgt Kondensation unter Ketobildung. Auch die Oxydation der Acetessigsäure, die „Ketolyse", führt wieder über „aktivierte" Essigsäure zum Citronensäurecyklus. Auch bei der Fettsäuresynthese aus Acetat muß die Essigsäure zuerst in die aktivierte Form übergehen, wie dies bei der einfachen Kondensation zu Acetoacetat der Fall ist. Nach den Isotopenversuchen ist es sicher, daß höhere Fettsäuren aus Acetat gebildet werden können. Es sind bisher keine anderenVerbindungen bekannt geworden, welche direkt, d. h. ohne vorherigen Abbau zuAcetat, in die Fettsäuremoleküle übergehen. Es ist daher anzunehmen, daß die Umwandlung der Kohlehydrate in Fettsäuren ebenfalls über eine Zweikohlenstoffverbindung führt. Als Zwischenprodukt tritt hier die Brenztraubensäure auf (vgl. Kapitel Kohlehydratstoffwechsel). Sie liefert, wie wir bei Besprechung des Citronensäurecyklus zeigen werden, durch oxydative Decarboxylierung direkt „aktivierte" Essigsäure und damit die Bausteine der Fettsäuremoleküle. Die verschiedenen Beziehungen sind im folgenden Schema kurz zusammengefaßt : Kohlehydrat
Fettsäuren
Pyruvat
aktivierte Essigsäure
Acetessigsäure hauptsächlich in der Leber
Acetat
Citronensäurecyklus Nach neueren Untersuchungen neigen nicht alle „aktivierten" C2-Fragmente, die aus den Fettsäuren entstehen, in gleicher Weise zur Selbstkondensation und Bildung der Acetessigsäure. Das aus Pyruvat entstehende Fragment liefert nie Acetonkörper (vgl. dazu S. 414).
8. Ort der FettBäuresynthese Bei der Umwandlung der Kohlehydrate in Fette spielt offenbar die Leber eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich in besonders schöner Weise bei Isotopenversuchen. Die Leber enthält immer die höchste Konzentration neugebildeter Fettsäuren. Es können aber auch in anderen Geweben, besonders im eigentlichen Fettgewebe, Kohlehydrate in Fette umgewandelt werden. Wenn man Tieren, die einige Zeit ge17
E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. lO.Aufl.
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Der Fettstoffwechsel
hungert haben, Kohlehydrat zuführt, so läßt sich in den Zellen des Fettgewebes Glycogen nachweisen, das aber rasch wieder verschwindet (v. G i e r k e 1906). Sehr wahrscheinlich wird es an Ort und Stelle in F e t t übergeführt. Tatsächlich hat man auch im Fettgewebe Respirationsquotienten gemessen, die größer als Eins sind (vgl. Kap. 29). Das Fettgewebe wurde früher vielfach für ein wenig aktives Gewebe angesehen, das am Stoffwechsel nur wenig teilnimmt. Die Isotopenversuche haben aber gezeigt, daß auch das Depotfett beständig erneuert wird, und es ist anzunehmen, daß die Bildung der neuen Fettsäuren teilweise in den Zellen des Fettgewebes selbst erfolgt. Große Mengen Fettsäuren werden auch von der laktierenden Milchdrüse geliefert. Es handelt sich auch hier zum großen Teil um Neubildung, denn die im Milchfett enthaltenen niederen Fettsäuren entstehen, wie durch Verfütterung von markiertem Acetat bewiesen wurde, nicht durch Verkürzung längerer Ketten, sondern durch Synthese aus kleineren Bruchstücken. 9. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren Zur Annahme, daß gewisse ungesättigte Fettsäuren von den höheren Tieren nicht selbst synthetisiert werden können, also in der Nahrung vorhanden sein müssen, ist man durch Fütterungsversuche gelangt. F e t t a r m ernährte Ratten entwickeln typische Hautsymptome (sog. „Schachtelhalmschwanz") und andere, schwere Mangelerscheinungen, die durch Zulage von Linol- und Linolensäure geheilt werden können ( B u r r ) . Wenn auch beim Menschen keine direkten Versuche angestellt werden können, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich der menschliche Organismus ähnlich verhält, d. h., daß er auf die Zufuhr gewisser ungesättigter Fettsäuren angewiesen ist. Das Problem hat daher eine große praktische Bedeutung. B e r n h a r d hat mit Hilfe von Deuterium als Indikator den Beweis, daß Linol- und Linolensäure vom höheren Tier nicht synthetisiert werden können, in einwandfreier Weise erbracht. Die Versuchstiere (Ratten) erhielten deuteriumoxydhaltiges Wasser (vgl. S. 235). Die Linolsäure und die Linolensäure wurden aus dem verseiften Körperfett als Tetra- bzw. Hexabromid isoliert. Sie enthielten kein Deuterium, ein Beweis dafür, daß ihre Kohlenstoffketten nicht aus anderem Material aufgebaut werden. In Mangelzeiten wird man immer versuchen, möglichst viele der natürlich vorkommenden Fette der menschlichen Ernährung zugänglich zu machen. Bei vielen Fetten (z. B. bei Fischölen) ist aber, um sie überhaupt genießbar zu machen, eine vorangehende Hydrierung (Härtung) notwendig. Aus praktischen Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, werden aber vielfach auch die natürlich vorkommenden Speiseöle teilweise hydriert. Durch diese Vorbehandlung wird der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren herabgesetzt; wenn die Hydrierung weit getrieben wird, können die wichtigen mehrfach ungesättigten Säuren vollständig verschwinden. Der Wert der Fette als Nährstoff wird daher durch die Härtung vermindert. Solange neben solchen technisch gehärteten Fetten genügende Mengen hochwertiger natürlicher Fette (z. B. Milchfett) zur Verfügung stehen, kommt diesem Umstand keine große Bedeutung zu. Dagegen spielt die Wertverminderung der Fette eine große Rolle, wenn ausschließlich künstlich raffinierte und gehärtete Fettstoffe zur Verfügung stehen (vgl. Kapitel Vitamine unter Vitamin F).
10. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel Im Fettstoffwechsel spielt die Leber eine große Rolle. Wir haben bereits gesehen, daß sie der Bildungsort der Acetonkörper ist. Es zeigt sich aber, daß sie auch an den Vorgängen, welche die Verteilung und die Verwertung des Fetts im Organismus bewirken, hervorragenden Anteil hat. Der Ausgangspunkt für die Erforschung der Vorgänge, die in diesem Abschnitt besprochen werden, war die Beobachtung, daß pankreaslose Hunde, die mit Insulin
Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel
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am Leben erhalten werden, sehr fettreiche Lebern entwickeln (statt 3—4% Fett enthalten diese Organe oft über 20%. Bei langer Dauer des Zustandes tritt eine schwere Schädigung des Organs auf: Cirrhose). Durch Zulage von rohem Pankreas (auch von Pankreassekret) oder von Lecithin kann diese Fettanhäufung verhindert werden. Der Fettgehalt der Leber ist also von der Zufuhr gewisser Stoffe abhängig. Es zeigte sich, daß für das Studium dieser Frage die weiße Ratte ein sehr geeignetes Versuchstier ist. Man kann bei der Ratte durch Verfütterung einer Diät, die reich an Fett (oder auch an Cholesterin) ist, eine starke Anhäufung von Triglyceriden in der Leber erzwingen und kann nun die Faktoren untersuchen, welche diesen Vorgang beeinflussen. Man hat auf diese Weise verschiedene Stoffe aufgefunden, welche die Fettanhäufung in der Leber verhindern oder, wenn dieselbe schon eingetreten ist, sie zum Verschwinden bringen. Man bezeichnet diese Wirkung als „lipotrop". Der wichtigste Stoff mit lipotroper Wirkung ist das Cholin (Best): HO CH2 CH2 N(CH3)3
Es ist der wirksame Bestandteil des Lecithins in den oben genannten Versuchen am Hund. Aber auch gewisse Proteine zeigen lipotrope Eigenschaften, so das Casein. Es hat sich gezeigt, daß ihre Wirkung auf dem Vorhandensein der Aminosäure Methionin beruht. CH3 • S • CH2 • CH2 • CH(NH2) • COOH
Lipotrope Wirkung zeigt ferner der cyklische Alkohol Inosit (vgl. S. 22) und noch andere Substanzen, die hier nicht besprochen werden können. (Fettlebern lassen sich experimentell durch verschiedene Diätformen erzeugen. J e nach der Art der Entstehung wird aber die Fettanhäufung von den einzelnen lipotrop wirksamen Stoffen in verschiedener Weise beeinflußt.) Andererseits gibt es auch Stoffe, welche die Infiltration der Leber mit Fett begünstigen, welche daher Antagonisten der oben genannten Stoffe sind. Merkwürdigerweise zeigt ebenfalls eine schwefelhaltige Aminosäure, das Cystin, diese Wirkung. Auch große Gaben von Vitamin B t (Aneurin), die über den normalen Bedarf hinausgehen, begünstigen die Entstehung von Fettlebern. Es entsteht die Frage, wie die lipotrope Wirkung zu erklären ist. Der Fettbestand der Leber ist die Resultante aus zwei entgegengesetzten Vorgängen: der Zufuhr und Synthese von Triglyceriden einerseits und ihrem Abtransport und Abbau andererseits. Daher kann eine Fettanhäufung entweder durch vermehrte Zufuhr von Fettsäuren zur Leber und eine gesteigerte Synthese oder durch einen verminderten Abtransport aus der Leber in die peripheren Gewebe oder einen verminderten Abbau der Fettsäuren in der Leber zustande kommen. Der wichtigste lipotrop wirksame Stoff, das Cholin, ist ein Bestandteil von Phosphatiden (vgl. S. 36). Cholinphosphatide (Lecithine) finden sich nicht nur in den Geweben, sondern auch im Blut. Die Annahme liegt nahe, daß die Triglyceride der Leber, wenn sie vom Körper verwertet oder in die peripheren Fettgewebe transportiert werden sollen, in Cholinphosphatide übergehen müssen. Fehlt in der Nahrung das Cholin oder die Stoffe, welche zu seinem Aufbau nötig sind, so kann die Bildung der Cholinphosphatide nicht stattfinden; die Fette, die in der Leber aus Zucker oder Eiweiß synthetisiert oder ihr mit der Nahrung zugeführt werden, bleiben als Triglyceride liegen. Diese Auffassung ist durch Versuche mit markierten Verbindungen im wesentlichen bestätigt worden. Es hat sich gezeigt, daß der hauptsächlichste Bildungsort 17*
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Der Fettstoffwechsel
der Phosphatide des Blutplasmas die Leber ist und daß bei Cholinmangel die Bildung der Phosphatide stark verlangsamt ist.
Daß beim Fehlen von Cholin der Abtransport der Fette aus der Leber verlangsamt ist, konnte auf folgende Weise direkt nachgewiesen werden: Man untersuchte den Deuteriumgehalt der Leberfettsäuren und der Depotfettsäuren von Ratten, welche schweres Wasser (D 2 0) zugefüttert erhielten. Unter diesen Bedingungen wird in alle organischen Verbindungen, die aus kleinen Molekülen neu synthetisiert werden, also auch in die Fettsäuren, stabil gebundenes Deuterium aufgenommen. Der Deuteriumgehalt ist daher ein Maß f ü r die Neubildung einer Substanz während der Versuchsperiode. Bei derartigen Versuchen hat sich ergeben, daß die Fettsäuren, die bei Cholinmangel in der Leber angehäuft werden, zum großen Teil durch Synthese entstanden sein müssen. Das Depotfett dagegen enthält weniger neugebildete Fettsäuren als dasjenige der Kontrolltiere, welche Cholin erhielten. Cholinmangel bewirkt also tatsächlich eine Sperre der Fettabwanderung aus der Leber ( S t e t t e n und Salcedo).
Durch die gleiche Methode wurde auch gezeigt, daß Cystin die Fettinfiltration der Leber dadurch begünstigt, daß es auf irgend einem Wege die Fettbildung anregt. Ähnlich wirkt auch Aneurin. Diese Stoffe sind also keine Antagonisten des Cholins in dem Sinne, daß sie am gleichen Vorgang angreifen, ihn aber in entgegengesetztem Sinne beeinflussen. Sie verhindern nicht den Abtransport des Fetts aus der Leber, sondern beschleunigen die Neubildung der Fettsäuren. Wir haben erwähnt, daß Methionin gleich wirkt wie Cholin. Methionin enthält eine sog. „labile" Methylgruppe an Schwefel gebunden. Diese Gruppe kann in andere Verbindungen eingeführt werden, wie wir ausführlicher im Abschnitt über den Aminosäurestoffwechsel zeigen werden. So kann bei Gegenwart von Methionin Aminoäthylalkohol methyliert und in Cholin übergeführt werden. (Aminoäthylalkohol seinerseits entsteht aus der Aminosäure Glycocoll). M e t h i o n i n w i r k t also dadurch l i p o t r o p , daß es die S y n t h e s e v o n Cholin e r m ö g l i c h t . Da Inosit ebenfalls als Baustein von Phosphatiden vorkommt (vgl. S. 37), erscheint es möglich, daß dieser Stoff wie das Cholin wirkt, d. h. durch Bildung von Phosphatiden den Abtransport der Fettsäuren aus der Leber ermöglicht. Diese Erklärung setzt voraus, daß Inosit, phosphatide in ähnlicher Weise am Fettsäuretransport beteiligt sind wie Cholinphosphatideeine Annahme, die nicht bewiesen ist. Inosin wirkt hauptsächlich auf die durch Cholesterinzufuhr oder durch große Gaben bestimmter Vitamine der B-Gruppe erzeugte Fettleber (sog. „Biotinleber") ein; seine Wirkung kann durch Stoffe gehemmt werden, die auf das Cholin keinen Einfluß haben, ist also vom Cholin unabhängig. Die Wirkung des rohen Pankreas oder des Pankreassekrets beim Hund läßt sich nicht allein durch den Cholingehalt des Organs erklären. Man hat aus Pankreas nicht dialysable Stoffe gewonnen (sog.„lipocaic" [ D r a g s t e d t ] und „antifatty-liverfactor" [ E n t e n m a n und C h a i k o f f ] ) , die frei von Cholin sind und schon in kleinen Mengen das Entstehen der Fettleber beim pankreas-. losen Hund verhindern. Möglicherweise wirken diese Stoffe aber auf den Cholinstoffwechsel ein. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß beim Fehlen des Pankreassekrets das in den Phosphatiden der Nahrung gebundene Cholin und das im Eiweiß vorhandene Methionin nicht verwertet werden können.
Der gesamte Fettbestand des Körpers, dessen Hauptmasse durch das Depotfett dargestellt wird, kann bei gleichmäßiger Ernährung über längere Zeiträume konstant bleiben. Man darf sich aber nicht vorstellen, daß dabei das Fett in den Organen und Depots unverändert liegen bleibt und nicht am Stoffwechsel teilnimmt. Die bereits erwähnten Versuche, bei denen deuteriumhaltige Fettsäuren verfüttert wurden oder bei denen die Tiere deuteriumhaltiges Wasser erhielten, haben gezeigt, daß das Körperfett auch bei konstantem Gesamtbestand ständig erneuert wird. Die „markierten" Fettsäuren werden rasch in das Körperfett eingebaut. Reichert man die Körperflüssigkeit mit schwerem Wasser an, so findet man in den Fetten nach kurzer Zeit beträchtliche Mengen Deuterium zum Zeichen, daß Fettsäuren neu synthetisiert und in die Triglyceride eingeführt worden sind (vgl. S. 242). Man hat auf diese Weise gefunden, daß z. B. bei der Maus schon innerhalb von 2—3 Tagen die Hälfte des gesamten Körperfetts erneuert wird (Schoenheimer).
Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren
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Die Versuche mit „markiertem" Fett haben noch zu weiteren wichtigen Ergebnissen geführt. Wird solches Fett verfüttert, so weist das Leberfett den größten Deuteriumgehalt auf. Bei anschließendem Fasten der Tiere sinkt der Deuteriumgehalt des Leberfetts zuerst rasch ab, bis er einen Wert erreicht, der etwa demjenigen des Depotfetts entspricht, und sinkt dann weiter nur sehr langsam ab. Werden den mit deuteriumhaltigem Fett gefütterten Mäusen viele Kohlehydrate und Proteine verabreicht, so ändert sich der Deuteriumgehalt der Fettdepots kaum, während er in der Leber stark absinkt. Läßt man die Tiere anschließend noch fasten, so steigt der Deuteriumgehalt des Leberfetts wieder an, während gleichzeitig die in den Depots gespeicherte Fettmenge bei unverändertem Deuteriumgehalt abnimmt (Best). Aus diesen Beobachtungen kann folgendes geschlossen werden: Der Fettumsatz (die Erneuerung des vorhandenen Fetts) erfolgt am schnellsten in der Leber. Die Leber nimmt einerseits das Nahrungsfett am raschesten auf (was nicht etwa heißen will, daß sie den größten Teil aufnimmt); andererseits wird bei Hunger das Leberfett auch am raschesten verbraucht. Das aus Kohlehydrat neu gebildete Fett häuft sich zunächst in der Leber an und wird allmählich in Depots abtransportiert, während umgekehrt bei Hunger aus den Depots Fett in die Leber nachgeschoben wird. Das Fett kann also zwischen Leber und den peripheren Geweben je nach Bedarf in der einen oder anderen Richtung verschoben werden. I L Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen Wie der gesamte intermediäre Stoffwechsel werden auch die Umsetzungen der Fette von verschiedenen Hormonen beeinflußt. Ob es aber ein Hormon gibt, das den Fettstoffwechsel in spezifischer Weise beeinflußt („Fettstoffwechselhormon"), ist fraglich. Von besonderer Bedeutung ist die Hypophyse (und wahrscheinlich auch der Hypothalamus). Bestimmte Formen der Fettsucht (d. h. der übermäßigen Anhäufung von Fett in den Depots) gehen auf Störungen der Hypophysenfunktion zurück (Unterfunktion). Da die Hypophyse durch ihre Hormone die Nebennierenrinde (corticotropes Hormon) und die Schilddrüse (thyreotropes Hormon) anregt, kann sie auch auf indirektem Wege auf den Stoffwechsel einwirken. Aus dem Hypophysenvorderlappen hat man Extrakte gewonnen, welche eine Verminderung des Fettbestandes des Körpers, aber eine Vermehrung des Fetts in der Leber und Acetonämie (Bildung von Acetonkörpern), d. h. vermehrte Oxydation der Fettsäuren bewirken. Es sind dies die Zeichen des sog. „Fetttransportsyndroms". Wir werden auf diese Wirkung der Hypophyse bei Besprechung des Zuckerstoffwechsels zurückkommen. Das Insulin (vgl. S. 310) beeinflußt die Umwandlung von Zucker in Fett. Wie Isotopenversuche gezeigt haben, ist beim diabetischen Tier die Neubildung von Fettsäuren aus Kohlehydrat stark vermindert. Wir wissen nicht, ob es sich hier um eine Wirkung des Insulins handelt, die von seiner Wirkung auf den Zuckerstoffwechsel unabhängig ist, oder ob sie mit der letzteren in Zusammenhang steht.
12. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren Auf Grund von Bilanzversuchen an Menschen und Tieren muß man annehmen, daß das Cholesterin im O r g a n i s m u s s y n t h e t i s i e r t wird. Der Körper junger Hunde, die vier Wochen mit einer cholesterinarmen Kost gefüttert worden sind, enthielt ein Vielfaches des Cholesterins, das mit der Nahrung zugeführt worden war. Bei der Bebrütung des Hühnereies und auch bei der legenden Henne wurde die Zunahme des Cholesterins bewiesen. Von allen Sterinen ist nur das Cholesterin leicht resorbierbar. Der tierische Organismus kann Sterine p f l a n z l i c h e n Ursprungs n i c h t resorbieren, diese verlassen den Körper unverändert. Der Weg, den das resorbierte Cholesterin nimmt, ist dem der Fette analog. Die Mengen des zugeführten Cholesterins schwanken je nach dem Fettgehalt der Nahrung. Sie betragen bei gemischter Kost etwa 0,20 g und bei fettreicher Kost können sie auf mehr als 1 g pro Tag ansteigen. Die Frage, ob eine
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Der Fettstoffwechsel
absolute Unabhängigkeit von der Cholesterinzufuhr durch die Nahrung besteht, ist noch nicht eindeutig entschieden. Die Möglichkeit, daß der Mensch rein vegetarisch leben kann, spricht aber dafür. Als Ort der C h o l e s t e r i n s y n t h e s e hat man verschiedene Organe angesprochen, doch ist er noch unbekannt. Im Vordergrund stehen Leber und Nebennierenrinde. Auch über den Weg, welche die Synthese geht, ist sehr wenig Sicheres bekannt. Eine ältere Hypothese von Windaus nahm an, daß das Cholesterin aus Ölsäure (über das cyklische Keton Zibeton als Zwischenstufe) entstehen könnte. Dies ist aber auf Grund neuerer Erkenntnisse wenig wahrscheinlich.
Andere Forscher wieder nahmen eine d i r e k t e U m w a n d l u n g v o n K o h l e h y d r a t e n in S t e r i n e an. Alle neueren Untersuchungen sprechen aber für eine Entstehung des Cholesterins aus kleinen Bausteinen von wenigen C-Atomen. Wenn man Tieren deuteriumhaltiges Wasser zuführt, so wird, wie wir schon mehrfach erwähnt haben, in die aus kleinen Bruchstücken neu synthetisierten Verbindungen Deuterium aufgenommen. Bei Versuchen mit Mäusen zeigte es sich, daß nach 60 Tagen im Cholesterin der Versuchstiere das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff halb so groß als das in den Körperflüssigkeiten war ( R i t t e n b e r g und S c h o e n h e i m e r ) . Daraus muß geschlossen werden, daß Cholesterin aus kleinen Einheiten synthetisiert wird. In der Tat haben Versuche mit „markierter" Essigsäure ergeben, daß dieselbe als Baustein des Cholesterins verwendet wird (Bloch). Dies ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, weil sie erneut die große Bedeutung der C 2 -Verbindungen für die biochemische Synthese der Moleküle aufzeigt. Durch welchen Stoffwechselprozeß das Acetat entsteht, das zur Cholesterinsynthese verwendet wird, ist unbekannt. Pyruvat scheint nicht die Muttersubstanz zu sein, weil der «-Kohlenstoff des Pyruvats (CH3 C(14)O COOH) kaum in das Cholesterin aufgenommen wird, während er für die Fettsäuresynthese sehr wohl verwertet werden kann (Bloch). Dagegen kann der Kohlenstoff kurzer Fettsäureketten wahrscheinlich über Acetat als Zwischenstufe einbezogen werden. Die Hauptmenge des Cholesterins wird in der Galle ausgeschieden. (Die Lebergalle des Menschen enthält im Mittel etwa 1 Promille Cholesterin.) Es wird durch die gallensauren Salze in Lösung gehalten. Doch kommt es infolge seiner schweren Löslichkeit sehr häufig zur Konkrementbildung (Gallensteine!). Auf die mögliche Bedeutung des Cholesterins für die Absorption der Fettsäuren haben wir oben schon hingewiesen. Es scheint, daß Cholesterin auch durch die Schleimhaut des Dickdarms ausgeschieden wird. Das mit der Galle in den Darm gelangende Cholesterin kann zu einem Teil w i e d e r r e s o r b i e r t werden. Neben den pflanzlichen Sterinen, die aus der Nahrung stammen und nicht absorbiert werden können, finden sich aber in den Fäces hauptsächlich zwei Sterine, die aus dem Cholesterin durch Reduktion hervorgehen, das Koprosterin und das Dihydrocholesterin (Cholestanol), die beide nicht absorbiert werden können. Die beiden Verbindungen unterscheiden sich durch die Konfiguration des asymmetrischen CAtoms in Stellung 5 des Steringerüstes (siehe die untenstehenden Formelbilder; vgl. dazu die Erklärungen auf S. 42). Man hat früher angenommen, daß Koprosterin im Darm selbst unter Einwirkung der Bakterien aus dem Cholesterin gebildet wird. Es ist aber bisher nicht gelungen, diese Umwandlung in vitro in Mischkulturen der Darmbakterien hervorzurufen. Wahrscheinlich erfolgt die Bildung des Koprosterins derart, daß zunächst das Cholesterin zum Cholestenon oyxdiert und dann über das Koprostanon zum Koprosterin reduziert wird. Für die Bildung von Cholestenon als
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Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate
Koprostanon
Koprosterin
Dihydrocholesterin (Cholestanol)
Zwischenstufe spricht das Vorkommen dieser Verbindung in den Fäces nach reichlicher Cholesterinverfütterung (Ratte), sowie die Tatsache, daß bei Verfüttern von deuteriumhaltigem Cholestenon das ausgeschiedene Koprosterin ebenfalls Deuterium enthält. Da Cholestenon auch in einzelnen Geweben nachgewiesen wurde (Hoden und Milz des Schweines), ist es möglich, daß diese Vorstufe des Koprosterins teilweise aus den Geweben des Körpers stammt und nicht durch die Darmflora gebildet worden ist. Die Gallensäuren entstehen wahrscheinlich aus Cholesterin. Die Ähnlichkeit der chemischen Struktur würde zu dieser Annahme nicht genügen, denn die Moleküle könnten auch unabhängig voneinander aus ähnlichen Bausteinen gebildet werden. Es hat sich aber gezeigt, daß bei Verfütterung von deuteriumhaltigem Cholesterin an den Hund die aus der Galle isolierte Cholsäure ebenfalls Deuterium enthält. Ob der Ort der Synthese die Leber ist oder nicht, ist nicht sicher bewiesen, aber wahrscheinlich. Das Cholesterin ist auch die Muttersubstanz anderer Sterine. Einer Schwangeren wurde im achten Monat der Gravidität Deuteriocholesterin verabreicht. Das im Urin (als Diglucuronat) ausgeschiedene Pregnandiol enthielt Deuterium in bedeutender Konzentration. Es muß daraus geschlossen werden, daß die Muttersubstanz des Pregnandiols, das Hormon Progesteron (vgl. Kap. 26), aus dem Cholesterin entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß die wichtigsten sterinbildenden Organe» die Nebennierenrinde und der Hoden, sehr reich an Cholesterin sind. In der Nebennierenrinde nimmt bei starker Hormonsekretion der Cholesteringehalt stark ab. Die Vermutung liegt daher nahe, daß auch hier das Cholesterin zur Bildung der Sterinhormone verwendet wird.
Fünfzehntes Kapitel
Der Kohlehydratstoffwechsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate Die in der Nahrung anwesenden Kohlehydrate sind entweder einfache Zucker (meist Mono- oder Disaccharide) oder Polysaccharide. Die wichtigsten Monosaccharide sind die Glucose und die Fructose. Von Disacchariden sind hier als für den Menschen am wichtigsten zu nennen die Saccharose (Rohr-
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Der Kohlehydratstoffwechsel
zucker), die Lactose (Milchzucker) und die Maltose (Malzzucker). Der Rohrzucker ist von allen genannten Zuckern für die Ernährung des Menschen der wichtigste. Das Polysaccharid, welches als Nährstoff für den Menschen die größte Bedeutung hat, ist die Stärke. Die Cellulose ist für den Menschen als Nahrungsstoff ohne Bedeutung, wohl aber für die Herbivoren. Ehe die höhermolekularen Kohlehydrate durch die Darmwand aufgenommen werden können, müssen sie in einfache Zucker zerlegt werden. Dies ist die Aufgabe der in den Verdauungssekreten enthaltenen hydrolysierenden Fermente. Wir haben die Wirkung dieser Fermente in einem früheren Kapitel ausführlich besprochen und kommen hier nur auf einzelne Fragen zurück, die zum Verständnis der Verdauung wichtig sind. Im Speichel des Menschen findet sich ein schon 1831 von Leuchs entdecktes Ferment, welches „Ptyalin" genannt wurde. Dieses ist eine oc-Amylase. Nicht bei allen Tierarten kommt im Speichel ein stärkespaltendes Ferment vor. Dasselbe findet sich außer beim Menschen bei den Herbiyoren und Omnivoren, nicht aber bei den Fleischfressern. Im Magen finden sich keine auf Kohlehydrate eingestellten Fermente. Da aber im Magen eine gewisse Schichtung der Ingesta in dem Sinne stattfindet, daß die zuletzt geschluckten Anteile innen zu liegen kommen und erst nach und nach gegen außen rücken, wird die Speise erst nach einiger Zeit mit dem sauren Magensaft durchtränkt. Die Hydrolyse der Stärke kann also während einiger Zeit im Magen weitergehen, bis die Amylase durch die stark saure Reaktion inaktiviert wird. Die Menge der Stärke, welche durch die Speichelamylase abgebaut wird, bleibt immer gering. Die Hauptmenge wird erst im Darm unter der Wirkung der Pankreasamylase hydrolysiert. Über den Verlauf der Stärkespaltung siehe S. 189. Die Maltose, welche durch die Amylasewirkung entstanden ist, wird weiter durch die a-Glucosidase der Darmschleimhaut, die Maltase, zu Glucose hydrolysiert. Man nahm früher an, daß die Darmschleimhaut für die Hydrolyse des Rohrzuckers ein besonderes Ferment bilde (eine Saccharase). Wie im Kapitel über Fermente (S. 188) dargelegt wurde, greift aber die a-Glucosidase auch die Saccharose an, weil dieselbe einen a-glycosidisch gebundenen Glucoserest enthält. Die Saccharase (oder Invertase), wie sie z. B. in der Hefe vorkommt, besitzt eine andere Spezifität und ist im Darm gar nicht vorhanden. Dagegen wird der Milchzucker durch ein spezifisches Ferment, eine /?-Galactosidase, die Lactase, gespalten. Versucht man, dem Organismus Disaccharide wie Milchzucker und Rohrzucker p a r e n t e r a l (d. h. mit Umgehung des Darmes, also durch Injektion in die Blutbahn) zu verabreichen, so werden sie unverändert im Harn ausgeschieden. Es müssen diese Saccharide zuerst gespalten werden, um für den Organismus verwertbar zu sein. Die K o h l e h y d r a t e w e r d e n also zum a l l e r g r ö ß t e n Teil als Monosaccharide r e s o r b i e r t . Die Cellulose wird durch die im menschlichen Verdauungskanal gebildeten Fermente nicht angegriffen. Wohl aber vermögen die im Dickdarm angesiedelten Mikroorganismen Cellulose abzubauen. Der Vorgang erreicht indessen bei den Omnivoren bei weitem nicht die Intensität wie beim Pflanzenfresser. Es können nur dünne Zellwände aufgelöst werden-; aber trotzdem hat der Vorgang für die Ausnützung der Nährstoffe und den Verlauf der Verdauung eine gewisse Bedeutung. Ein Teil der Stärke und anderer Nährstoffe vegetabilischen Ursprungs bleiben nämlich während der Passage durch
Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate
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den Dünndarm von der Cellulosemembran der Pflanzenzellen eingeschlossen und sind dadurch dem Angriff der Fermente entzogen. Im Dickdarm wird die Membran durch die Fermente der Mikroorganismen aufgelöst, die Stärke wird frei und kann durch die im Coecum und Colon noch reichlich vorhandene Amylase abgebaut werden. Dadurch wird die Ausnutzung der Stärke erhöht, aber außerdem hat die Bildung löslicher Kohlehydrate im vorderen Abschnitt des Dickdarms noch eine ganz andere Bedeutung: Sie bilden das Substrat für Gärungsvorgänge, die zur Bildung organischer Säuren führen (Milchsäure, Propionsäure, Buttersäure). Dadurch wird im Darminhalt eine leicht saure Reaktion erhalten, welche der Entwicklung der fäulniserregenden Bakterien entgegenwirkt. Die Fäulnis Vorgänge, deren Substrat die Proteine sind, entwickeln sich erst in den tieferen Abschnitten des Colon, wo keine Kohlehydrate mehr vorhanden sind. Der Umstand, daß ein Teil der Stärke bis zum Eintritt im Colon in den Pflanzenzellen eingeschlossen bleibt, wirkt also regulierend auf die Fäulnisvorgänge im Dickdarm. Das Vorhandensein pflanzlicher Gewebe (Blattgemüse, Kartoffeln, Karotten) in der Nahrung hat daher, abgesehen von den Nährstoffen, welche sie beitragen, die besondere Bedeutung, die Entwicklung der Fäulnisbakterien im Dickdarm in gewissen Grenzen zu halten. Von großer Bedeutung ist der Aufschluß der Cellulose f ü r die Pflanzenfresser. Dieselben vermögen einen beträchtlichen Teil ihres Energiebedarfs durch Cellulose zu decken. Wir finden denn auch bei den Herbivoren eine besondere Anpassung des Verdauungstrakts an die cellulosereiche Nahrung. Der Darm ist nicht nur viel länger als bei den Carnivoren oder Omnivoren, sondern es finden sich besondere Einrichtungen, welche dem Aufschluß durch die Mikroorganismen dienen. So ist bei den nicht wiederkäuenden Pflanzenfressern das Coecum stark vergrößert. Es bildet einen Brutraum, in welchem der Nahrungsbrei während vieler Stunden verweilt und der Wirkung der Darmflora ausgesetzt ist. Den höchsten Grad der Anpassung an die Pflanzennahrung wird bei den Wiederkäuern erreicht, bei denen die zum erstenmal gekaute Nahrung zunächst in eine besondere Abteilung des Magens gelangt, den Pansen (Rumen); hier unterliegt sie einem Gärungsprozeß. Sie gelangt von dort wieder in die Mundhöhle, wird ein zweites Mal zerrieben und gelangt beim zweiten Schlucken nun in den Blättermagen (Psalterium) und den Labmagen (Abomasum). Die Produkte der bakteriellen Zersetzung der Cellulose sind nicht etwa Zucker, sondern zur Hauptsache Fettsäuren (Essigsäure, Buttersäure) neben Methan und Kohlensäure. Es handelt sich um verwickelte Vorgänge, deren Einzelheiten noch keineswegs aufgeklärt sind. Zur Neutralisation der entstehenden Säuren dient der Speichel, der bei den Wiederkäuern beträchtliche Mengen Natriumbicarbonat enthält. (Man hat berechnet, daß ein junger Ochse pro Tag etwa 60 1 Speichel mit einem Gehalt von 300 g Natriumbicarbonat produziert.)
Die durch die Verdauung entstandenen Monosaccharide wandern zum allergrößten Teil durch die Pfortader in die Leber. Während der Dauer der Resorption kann der Zuckergehalt des Pfortaderblutes von 0,2% auf 0,4% ansteigen. Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Monosaccharide im Darm absorbiert werden, ist sehr verschieden. Am besten werden im allgemeinen Glucose und Fructose absorbiert, langsamer Galactose und die Pentosen. Diese Unterschiede hängen wahrscheinlich mit der verschiedenen Geschwindigkeit der Verwertung zusammen. Man hat vermutet, daß die Zucker bei der Aufnahme in das Darmepithel phosphoryliert werden und daß dieser Vorgang die Geschwindigkeit ihrer Aufnahme bestimmt (Verzdr). Die Zucker sind aber jenseits des Darmepithels, d. h. in der Pfortader, in freier Form vorhanden. Die Überführung in Phosphorsäureester könnte wohl die verschiedene Geschwindigkeit ihres Eintritts in die Epithelzellen, nicht aber in das Pfortaderblut erklären, wenn nicht zusätzliche hypothetische Annahmen gemacht würden. Sehr wahrscheinlich wird die Geschwindigkeit der Absorption durch raschere oder langsamere Verwertung der Zucker in der Leber bestimmt. Die Phosphorylierung im Darmepithel ist ein Phänomen, das in erster Linie f ü r den Eigenstoffwechsel der Epithelzellen Bedeutung hat.
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Der Kohlehydratstoffwechsel
2. Allgemeines über den Kohlehydratabbau Die Kohlehydrate werden vollständig zu C0 Z und H 2 0 veratmet. Sie können aber auch unter anaeroben Bedingungen abgebaut werden. Dieser Abbau, der in den tierischen Geweben zur Milchsäure führt, wird als Glycolyse bezeichnet. Sehr ähnlich verläuft in der Hefe die alkoholische Gärung. Bei der Gärung und der Milchsäurebildung wird nur ein Bruchteil der Energie des Kohlehydrates frei, die bei der Atmungsreaktion gebildet wird. Wir werden sehen, daß im Organismus der höheren Tiere der Hauptweg des Kohlehydratabbaus über die glycolytischen Reaktionen führt, d. h. die Kohlenstoffkette der Hexosen zerfällt zunächst anaerob und die Bruchstücke werden dann oxydativ weiter abgebaut. Das glycolytische Fermentsystem ist besonders in solchen Geweben gut ausgebildet, die zeitweise unter Sauerstoffmangel arbeiten müssen wie der Muskel. Da die anaeroben glycolytischen Vorgänge die Substrate für die oxydativen Vorgänge liefern, ist es verständlich, daß Glycolyse und Atmung voneinander abhängig sind. Jedes tierische Gewebe, das unter anaeroben Bedingungen gehalten wird, beginnt zu g l y c o l y s i e r e n , d. h. Milchsäure zu bilden. Bei Zutritt von Sauerstoff wird die Glycolyse vermindert oder verschwindet ganz. D i e s e V e r k n ü p f u n g v o n A t m u n g u n d G l y c o l y s e , die von P a s t e u r erstmals bei der Hefe beobachtet wurde, bezeichnet man als Pasteurreaktion. Die meisten tierischen Gewebe bilden bei genügender Sauerstoffzufuhr keine Milchsäure; dieselbe tritt erst bei Sauerstoffmangel ein (anaerobe Glycolyse). Es gibt aber einzelne Gewebe, die auch bei Sauerstoffzutritt Milchsäure bilden (aerobe Glycolyse). Eines der wichtigsten Beispiele ist das Tumorgewebe ( W a r b ü r g ) . In vielen Fällen ist die aerobe Glycolyse der Ausdruck einer Schädigung des Gewebes. Wir beginnen die Besprechung des Zuckerabbaus mit den glycolytischen Reaktionen Milchsäurebildung und Gärung, die Abwandlungen derselben Reaktionsfolge sind. Sie gehören dank d e n A r b e i t e n v o n H a r d e n und Y o u n g , N e u b e r g , E m b d e n , M e y e r h o f , W a r b u r g u. a. Forschern zu den bestbekannten biochemischen Reaktionen überhaupt. 3. Der Blutzucker Das Blut enthält auch im nüchternen Zustand, d. h. wenn kein Kohlehydrat aus dem Darm absorbiert werden kann, eine bestimmte Menge Glucose. Diese wichtige Feststellung führte C l a u d e B e r n a r d zur Entdeckung des zuckerbildenden Stoffs der Leber (matière glycogène), des Glycogens (1855). Im nüchternen Zustand ist der Gehalt des Blutes an Zucker ziemlich konstant. Der Mittelwert beträgt im nüchternen Zustand etwa 0,1%. Der Blutzuckergehalt des venösen Blutes ist etwas geringer als der des arteriellen. Der im Blute kreisende Zucker ist Traubenzucker. Steigt der Gehalt an Zucker im Blut über den angegebenen Wert, so spricht man von Hyperglykämie ; fällt er unter den normalen Wert, so spricht man von Hypoglykämie. Ein bestimmter Gehalt des Blutes und der Körpersäfte an Glucose ist für die Funktion aller Organe unentbehrlich, weil der Zucker die wichtigste Energiequelle für alle Lebensvorgänge darstellt. Es sind daher auch sehr wirksame Regulationsmechanismen vorhanden, welche die Erhaltung einer bestimmten Blutzuckerkonzentration unter allen Umständen garantieren. Auch bei stärkstem Zuckerverbrauch in den Organen, z.B. bei starker körperlicher Arbeit, sinkt im normalen Organismus
Der Abbau der Kohlehydrate
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der Blutzuckerspiegel kaum ab. Bei starker Zuckerzufuhr (z. B. während der Verdauung einer kohlehydratreichen Mahlzeit) kann zwar der Blutzucker etwas ansteigen (auf 0,15 bis 0,18%), aber er wird nach kurzer Zeit wieder auf den normalen Wert zurückgebracht. Diese Regulationsleistung ist um so erstaunlicher, als die täglich verbrauchte Zuckermenge ein Vielfaches der in den Körpersäften aufgespeicherten Glucosemenge ist. Nimmt man das Volumen der gesamten extrazellulären Flüssigkeit eines erwachsenen Menschen zu 15 1 an, so entspricht dies einem Glucosevorrat von 15 bis 20 g. Schon eine mäßige körperliche Arbeit, an der das Kohlehydrat mit 500 Kai. beteiligt ist, entspricht dem 5—6-fachen dieser Menge, d. h. die in den Körpersäften gelöste Glucose muß sechsmal erneuert werden.
Störungen des Zuckerhaushaltes geben sich vielfach zuerst darin zu erkennen, daß der Zuckerspiegel stärkeren Schwankungen nach unten oder oben unterworfen ist. Die Bestimmung des Blutzuckers ist daher in der Klinik sehr wichtig, um derartige Störungen zu erkennen. In den Organen, in der Skelettmuskulatur, dem Herzen, der Niere usw. wird beständig Zucker verbraucht. Das Organ, das den verbrauchten Zucker ersetzt, auch wenn im Darm kein Kohlehydrat aufgenommen wird, ist die Leber. Die Konstanz des Blutzuckerspiegels wird dadurch garantiert, daß der Nachschub von Zucker im Blut dem Verbrauch angepaßt wird. Versagt diese Anpassung aus irgend einem Grunde, so muß sich der Blutzuckerspiegel im einen oder andern Sinn verändern. Man erkennt leicht, daß die H y p e r g l y k ä m i e zwei Ursachen haben kann: ein v e r m i n d e r t e r V e r b r a u c h bei gleicher oder vergrößerter Zufuhr, oder eine e r h ö h t e Z u f u h r bei gleichem oder vermindertem Verbrauch. Umgekehrt kann eine Hypoglykämie durch e r h ö h t e n V e r b r a u c h bei gleicher Zufuhr oder v e r m i n d e r t e Z u f u h r bei gleichem Verbrauch Zustandekommen. Bei jeder Abweichung des Zuckerspiegels vom Normalwert muß festgestellt werden, welche von den genannten Möglichkeiten realisiert ist. Wir werden nun zuerst die einzelnen Umsetzungen der Zucker kennenlernen. Sie lassen sich in bezug auf die Blutzuckerregulierung in zwei Gruppen einteilen: 1. die Reaktionen, die Zucker verbrauchen, die also tendieren, den Blutzucker zu erniedrigen. Die wichtigsten sind: die Oxydation des Zuckers, die Überführung in Glycogen, die Überführung in Fett; 2) die Reaktionen , die Zucker produzieren. Diese sind: die Spaltung des Glycogens in Zucker, die Zuckerbildung aus Eiweiß (evtl. auch aus Fett). Anschließend an diese Behandlung des eigentlichen Intermediärstoffwechsels der Kohlehydrate werden wir die Faktoren besprechen, die den Zuckerstoffwechsel regulieren. 4. Der Abbau der Kohlehydrate Wir beschränken uns bei der Besprechung des Abbaus der einfachen Zucker zunächst auf die für den Tierkörper wichtigste Verbindung, die Glucose. Es existieren basonders bei den Mikroorganismen eine große Zahl verschiedener Abbauwege der Glucose, die teils aerob, teils anaerob verlaufen. Wir besprechen hier ijur die Abbaureaktionen, denen die Hexosen im Organismus der höheren Tiere unterliegen, müssen dabei freilich auch die alkoholische Gärung einbeziehen, weil sie auf weite Strecken gleich verläuft wie die ersten Stufen des Zuckerabbaus in der tierischen Zelle und weil ihre Erforschung zur Erkenntnis der grundlegenden Reaktionen des Zuckerstoffwechsels wesentlich beigetragen hat. I. Der oxydative, also aerobe Abbau der Kohlehydrate führt zu Kohlendioxyd und Wasser: C6H120S+602=6C02+6H20 ; dies ist die Atmungsreaktion.
268
Der Kohlehydratstoffwechsel
2. Der partielle Zerfall ohne Aufnahme von Sauerstoff führt zur Milchsäure. Er spielt in der Muskulatur eine besondere Rolle und wird als Glycolvse bezeichnet: C 6 H 1 2 0 6 =2C 3 H 6 0 3 1 Glucose = 2 Milchsäure
Die alkoholische Gärung verläuft im wesentlichen nach der sog. G a y - L u s s a c schen Gärungsgleichung: C8H1206=2C02+2C2H6-0H Alle diese Gleichungen sind nur der summarische Ausdruck von höchst komplizierten Reaktionsfolgen und alle drei Reaktionen sind exergonisch, d. h. sie verlaufen unter Abnahme der freien Energie. A. Alkoholische Gärung und Glycolyse Die grundlegenden Feststellungen sind die folgenden: 1. Sowohl für den Ablauf von Gärungen als auch von Glycolyse ist die Gegenwart von Phosphorsäure unbedingt notwendig. Es bilden sich eine ganze Anzahl von verschiedenen Phosphorsäureestern als Zwischenprodukte. 2. Bei beiden Reaktionen findet ein Zerfall der 6 C-Kette der Hexose in zwei 3 C-Ketten statt. Es bilden sich zunächst Triosen und aus diesen durch einen Oxydationsvorgang schließlich die Endprodukte (Milchsäure, bzw. Äthylalkohol + C0 2 ). 3- Beide Vorgänge können durch die von den Zellen losgelösten Enzyme durchgeführt werden. Sie sind also n i c h t an die Z e l l s t r u k t u r gebunden. 4. In den Vorgang der Gärung und der Glycolyse greifen eine Anzahl Cofermente ein, und zwar die Cozymase (Codehydrase I, Diphosphopyridinnucleotid, vgl. S. 207), die Adenylsäure, bzw. ihr Pyrophosphorsäureester (die Adenosintriphosphorsäure, vgl. S. 107), in der Hefe außerdem die Cocarboxylase (der Pyrophosphorsäureester des Aneurins). Ferner sind das Magnesiumion und gewisse Schwermetallionen nötig. Wir erwähnen einige gebräuchliche Namen: Das gesamte Enzymsystem der Hefe wird mit dem Sammelnamen Zymase belehnt. Das vollkommen aktivierte System wird als H o l o - oder P a n - Z y m a s e bezeichnet. A p o - Z y m a s e wird die von der Co-Zymase befreite Holo-Zymase genannt, die noch Magnesium gebunden enthält. Die von Co-Zymase und Magnesium befreite Trockenhefe enthält noch einen weiteren diffusiblen Faktor, die Cocarboxylase. Sie läßt sich aus der Hefe durch Auswaschen mit schwach alkalischen Lösungen entfernen. Man hat die von der Cocarboxylase befreite Zymase Ä t i o - Z y m a s e genannt. G e w a s c h e n e und g e t r o c k n e t e , also abgetötete Hefe gärt nicht. Sie wird aber durch Hefekochsaft (Cozymase) aktiviert. Wird H e f e p r e ß s a f t ausdialysiert, so verliert er ebenfalls seine Wirkung, da er dadurch an Cozymase verarmt. Man erhält nach diesen beiden Methoden das nach obiger Nomenklatur Apo-Zymase genannte Enzymsystem. Ganz ähnlich der Hefegärung verläuft der a n a e r o b e Zuckerzerfall zu Milchsäure, der als Glycolyse bezeichnet wird, in der Muskulatur usw. Man kann, ähnlich wie aus der Hefe, bei niederer Temperatur mit verdünnter Kaliumchloridlösung einen Muskelextrakt herstellen, der den Komplex der glycolytischen Enzyme enhält. So-
Alkoholische Gärung und Glycolyse
269
wohl „ Z y m a s e " als „ g l y c o l y t i s c h e s E n z y m " sind S a m m e l b e g r i f f e für eine Summe von Teilfermenten, durch deren Zusammenwirken der Vorgang z u s t a n d e k o m m t . Der anaerobe Zuckerzerfall bei Gärung und Glycolyse geht im Prinzip so vor sich, daß die phosphorylierte Hexose in zwei Moleküle Triosephosphat zerfallt. Das Triosephosphat wird zu Phosphoglycerinsäure oxydiert. Aus der letzteren bildet sich durch Abspaltung des Phosphats die Brenztraubensäure. Bei der Glycolyse wird diese durch einen Oxydo-Reduktionsprozeß zu Milchsäure reduziert. Bei der alkoholischen Gärung erfolgt Decarboxylierung, Bildung von Acetaldehyd, der dann zu Alkohol reduziert wird. Im folgenden wird diese Reaktionsfolge in den Einzelphasen dargestellt. Die schon mehrfach erwähnte Rolle der Phosphorsäure beim Zuckerabbau wurde von Harden und Young bei der alkoholischen Gärung entdeckt. Wie sich später zeigte, war dies eine der folgenreichsten Entdeckungen auf dem Gebiet des Intermediärstoffwechsels. Es wird hier zunächst nur von denjenigen Phosphorsäureverbindungen gesprochen, die aus dem Zucker selbst stammen. Die phosphorhaltigen Hilfssysteme dieses Abbaues und damit auch die Frage, wie die Phosphorsäure von einem Molekül auf das andere übertragen wird, soll erst später erörtert werden, um die Übersichtlichkeit des Bildes nicht zu stören. Ohne Phosphat findet weder Gärung noch Glycolyse statt. Das Kohlehydrat wird erst zerfallsbereit, wenn es mit Phosphor säure verestert wird, Im Muskel wie in der Hefe besteht die erste Reaktion der Glucose, die in die Zelle eintritt, darin, daß sie in einen Phosphorsäureester übergeführt wird. Aus später zu besprechenden Gründen kann aber die Glucose nicht mit anorganischem Phosphat reagieren, sondern sie übernimmt den Phosphorsäurerest von einer anderen organischen Phosphor säure Verbindung, der Adenosintriphosphorsäure. Das Ferment, das diese Reaktion katalysiert, ist von Meyerhof in der Hefe entdeckt worden und hat den Namen Hexokinase erhalten. Die Adenosintriphosphorsäure (gewöhnlich mit ATP abgekürzt), die hier als Lieferant des Phosphats auftritt, hat die Konstitution eines Mononucleotids. Die drei Moleküle Phosphat sind in Form einer Polyphosphorsäure vorhanden. Die wahrscheinlichste Konstitution der ATP ist die folgende: NH« C,
N I
HC
C—Nx II %CH
C—N< H H H H ÖH ÖH
Adenin
O—
Ribose
Man kann sich die Adenosintriphosphorsäure durch Anlagerung von Pyrophosphat H(X
OH
HO/
OH
0==P—0—P=0
an die Adenylsäure (Formel S. 107) entstanden denken. Sie führt daher auch den Namen Adenylpyrophosphorsäure.
Der Kohlehydratstoffwechsel
270
Das eine Phosphorsäuremolekül der Polyphosphatgruppe ist esterartig in Stellung 5 an die Hydroxylgruppe der Ribose gebunden. Die Phosphatreste unter sich sind anhydridartig verbunden. Diese Anhydridbindungen sind viel weniger stabil als die Esterbindung. Sie werden z. B. schon durch 9 Minuten langes Kochen in 1 n-Salzsäure vollständig hydrolysiert. Man macht sich diese Tatsache bei der Bestimmung der ATP neben anderen organischen Phosphorsäureverbindungen zunutze (Lohm a n n ) . Diese beiden labilen Phosphatgruppen spielen im Intermediärstoffwechsel eine große Rolle. Sie können an andere Verbindungen abgegeben werden. Ein Beispiel ist eben die Phosphorylierung der Glucose durch ATP. Wird eine Phosphatgruppe abgegeben, so bleibt die Adenosindiphosphorsäure übrig; werden zwei abgegeben, die Adenylsäure. Wir werden im folgenden die Gesamtheit der Verbindungen Adenylsäure, Adenosindi- und -triphosphat einfach als das Adenylsäuresystem bezeichnen. Die Hexokinasereaktion verläuft folgendermaßen: Adenosintriphosphat + Glucose
Hexokina3e
—> Adenosindiphosphat -f- Glucosephosphat
Natürlich muß das Adenosintriphosphat immer wieder regeneriert werden, wenn der Prozeß kontinuierlich verlaufen soll. Wir werden später sehen, auf welchem Wege dies geschieht. Der entstehende Phosphorsäureester ist das Glucose-6-phosphat: .H
n
HCOH
I
HOCH
I
HCOH
I
H-C-OH
Dieser Ester führt auch den Namen R o b i s o n - E s t e r . Das Glucose-6-phosphat kann leicht in Glycogen übergehen. Wir werden auf die Glycogenbildung später zurückkommen und behandeln zunächst nur die Abbaureaktionen. Das Glucosephosphat wird nun in umkehrbarer Reaktion bis zu einem Gleichgewichtszustand in das entsprechende isomere Fructosephosphat ( N e u b e r g - E s t e r ) verwandelt. Das Ferment, das diese Reaktion bewirkt, ist eine Isomerase (Phosphohexoisomer ase).
zu markieren, diese Verbindungen zu verfüttern (Versuchstiere: weiße Ratten), das Leberglycogen zu isolieren, die durch Hydrolyse gewonnene Glucose geeigneten Abbaureaktionen zu unterwerfen um festzustellen, in welche Stellungen der C-Kette das Isotop eingetreten ist (Wood). Verfüttert man z. B. Milchsäure, die das Isotop in der Carboxylgruppe enthält, so findet man, daß es in die Stellungen 3 und 4 der Glucose eintritt. An Hand des Schemas der glycolytischen Reaktionen (S. 275) macht man sich leicht klar, daß der Carboxylkohlenstoff des Pyruvats bei der Kondensation der beiden C 3 -Ketten (Aldolase-Reaktion) in der Tat die beiden mittleren C-Atome der Hexose liefert. (Dies unter der Voraussetzung, daß die Brenztraubensäure direkt durch das ATP phosphoryliert wird.) Das Ergebnis des Versuches bestätigt also die Annahme, daß Glucose (Glycogen) direkt durch Kondensation zweier sich aus der Brenztraubensäure ableitender C s -Ketten entstehen kann. CH 2 -0-P0 3 H 2 CIL c-opo3h2 COOH 2 ATP +
COOH
20=0
AH,
\
COOH ¿•0P(
I H CH-OH
CH,
CH 2 -0-P0 3 H 2
• a-Ketoglutarsäure > Oxalessigsäure
Hier ist der weitere Abbauweg ohne weiteres zu übersehen. Er kann zur vollständigen Oxydation, zur Gluconeogenese oder auch zur Fettbildung führen. Da verschiedene andere Aminosäuren, wie wir später zeigen werden, leicht in Glutaminsäure übergehen, kann ihr Stoffwechsel in die gleichen Wege einmünden. Im allgemeinen dürften die a-Ketosäuren zunächst decarboxyliert und in die um ein C-Atom ärmeren Carbonsäuren verwandelt werden. E m b d e n und seine Mitarbeiter konnten beim Leberdurchblutungsversuch (Hundeleber) feststellen, daß die z u g e s e t z t e n A m i n o s ä u r e n d i e s e l b e n E n d p r o d u k t e l i e f e r n wie d i e u m e i n C - A t o m ä r m e r e n F e t t s ä u r e n . Sie wurden unter Decarboxylierung und Desaminierung durch /?-Oxydation abgebaut:
336
Der Eiweißstoffwechsel
CH,
CH,
¿h 2
CH2"~"
AH2
¿H2
—
¿h 2
ch 2
¿h-nh 2
¿OOH
¿OOH
n-Leucin CH3
-
gibt durch ^-Oxydation kein Aceton
n-Valeriansäure CH,
CH l :
!H,
CH.
gibt Aceton
A¡OOH '
iJOOH Leucin
Isovaleriansäure CH,
COOH Yalin
CH« CHa V
H
ÎH. NH„
•NH-
CH.
CH.
CH. CH
gibt durch ^-Oxydation kein Aceton
COOH Isobuttersäure
Nach D a k i n können drei Gruppen von Aminosäuren unterschieden werden: solche, die Zucker, solche, die Aceton, und solche, die keines von beiden bilden. Demnach teilt man sie ein in: 1. Glucoplastische. Glycocoll, Alanin, (Aminobuttersäure), (n-Leucin), Serin, Cystin, Asparaginsäure, Glutaminsäure, (Oxyglutaminsäure), Prolin, Oxyprolin, Arginin. Fraghch ist die Stellung von Histidin und Valin. 2. Ketoplastische: Leucin, Isoleucin, Tyrosin, Phenylalanin. 3. Aglucoplastisehe und acetoplastische: Tryptophan, Lysin (Histidin ist fraghch). Die eingeklammerten Verbindungen kommen nicht als Eiweißbausteine vor. Wie die einzelnen Aminosäuren der 1. Gruppe beim diabetischen Tier in Glucose übergehen, ist durchaus unbekannt; immerhin zeichnen sich bei den einzelnen unter ihnen gewisse Möglichkeiten ab, auf die bereits hingewiesen wurde. Acetonkörperbildung. Auf welchem Wege die Bildung von Aceton aus den aromatischen Aminosäuren erfolgt, ist nicht bekannt. Sowohl Tyrosin als auch Phenylalanin liefern mit Gewebsschnitten aus Leber Acetessigsäure (Edson). Die durch oxydative Desaminierung des Tyrosins entstehende p-Oxyphenylbrenztraubensäure und die Homogentisinsäure liefern ebenfalls Acetessigsäure. Möglicherweise führt also der Abbau des Tyrosins über diese Verbindungen. Merkwürdigerweise scheint aber die Phenylbrenztraubensäure unter den gleichen Bedingungen keine Acetessigsäure zu liefern. Offenbar wird Phenylalanin zuerst zu Tyrosin oxydiert, bevor es in Acetessigsäure übergeht.
Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes
337
Das Schema der Acetonbildung sei hier am Leucin erläutert. Beim Leucin liefert wahrscheinlich der endständige Isopropylrest direkt das Aceton. Unter oxydativer Desaminierung erfolgt zuerst die Bildung der entsprechenden Ketosäure, welche d a n n durch ^-Oxydation in die Acetonkörper übergeht: CH3
\CH—CH 2 —CH • NH2—COOH CH 3 - / Leucin « CH3V
Oxydative Desaminierung
|
NCH—CH2—CO—COOH CHj/ Ketoisocapronsäure
•
CH2
= Phenylessigsäure im Harn
COOH
¿HNH 2 ¿OOH 2.
C6H5 | COOH
Benzoesäure (als Hippursäure)
ch2 I COOH Es folgt aus diesen Versuchen, daß die ß-Oxy-a-aminosäuren n i c h t dem Abbaugesetz der einfachen Aminosäuren, sondern direkt dem Gesetz der / ? - O x y d a t i o n unterliegen. Diese Tatsache zwingt nun weiter zu dem Schluß, daß die /J-Oxyaminosäuren auch nicht normale Zwischenprodukte des Aminosäureabbaues sein können. Die natürlich vorkommenden Oxyaminosäuren (Serin und Threonin) kommen als Quelle für die Glycocollbildung in Frage (S. 357). Decarboxylierung der Aminosäuren. Eine wichtige Abbaureaktion der «-Aminosäuren ist die Decarboxylierung zu dem um ein C-Atom ärmeren Amin: COOH j CH2—NH2 HC—NH 2 > I + C02 I R R Die Reaktion spielt vor allem im Stoffwechsel der Bakterien eine große Rolle. Bei den höheren Tieren stellt sie einen Nebenweg dar, hat aber trotzdem Bedeutung, weil sie zu pharmakologisch sehr wirksamen Stoffen führen kann, die bei gewissen physiologischen Funktionen und pathologischen Vorgängen wichtig sind. In der Niere verschiedener Tierarten (Schwein, Meerschweinchen, Kaninchen, Maus) wurde ein Ferment gefunden, das 1 (-(-)-Histidin zu Histamin decarboxyliert (Werle): C00H HC—NH 2 . CH2
>
i Nx II >CH HC—NH/ Histidin
CH,—NH, I CH2 i N. || >CH HC—NH/ Histamin
Es sind auch an verschiedenen anderen 1-Aminosäuren Decarboxylierungsreaktionen durch Nierenschnitte nachgewiesen worden, die zu Aminen führen. Nach H o l t z wird z. B. das 1-Dioxyphenylalanin decarboxyliert: OH
OH ¡—OH
CH2 I chnh2 I COOH Dioxyphenylalanin (Dopa)
>
Oxytyramin
Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes
339
Auch in der Leber sind ähnliche Fermente gefunden worden, so z. B. eines, das Cysteinsäure (C00H-CH(NH 2 )-CH 2 -S0 3 H) decarboxyliert ( B l a s c h k o ) . Es entsteht dabei Taurin. Sehr verbreitet sind die Aminosäuredecarboxylasen bei den Bakterien (Esch, coli; Strept. haemolyticus, faecaüs; Clostridium septicum, Welchii; Proteus vulgaris; u. a. m.). Man hat spezifische Decarboxylasen für die folgenden Aminosäuren gefunden ( G a l e ) : Arginin, Lysin, Histidin, Ornithin, Tyrosin, Glutaminsäure, Asparaginsäure. (Wie wir früher bereits erwähnt haben, können einzelne dieser Decarboxylasen zur quantitativen Bestimmung der betreffenden Aminosäuren verwendet werden.) Wenn Streptococcus faecalis auf einem pyridoxinarmen Medium gezüchtet wird, so verliert er die Fähigkeit zur Decarboxylierung des Tyrosins ( G u n s a l u s ) . Es zeigte sich aber, daß nicht Pyridoxin selbst, sondern ein Phosphat des Pyridoxals (siehe Kap. 27) das Coferment der Decarboxylasen ist. Der pyridoxinarm gezüchtete Organismus kann noch das Fermentprotein, aber nicht genügend Coferment bilden. Die Amine, die aus den Aminosäuren durch Decarboxylierung entstanden sind, können durch die sog. Aminoxydasen weiter zu Aldehyden und diese schließlich zu den Carbonsäuren oxydiert werden. Es ergibt sich also die nachstehende Folge von Reaktionen: X I CH2 I CHNH 2 I COOH 1-Aminosäure
X X I I CH2 ,0 CH2 I — ^ I/H CH2-NH2 C.C + + X) C02 NH3 Amin Aldehyd
X I i„ CH2 > I Ji Ct
*
¿OOH Formylglutamin
HC—NH II
[
,H
H—C—nh2
¿OOH Histidin
COOHCH2NH2
Als zweites Spaltprodukt könnte Acetaldehyd gebildet werden. Möglicherweise ist die Spaltung auch hier umkehrbar. F. K ö g l und B o r g konnten nun zeigen, daß H e f e durch Zusatz von G l y c o coll n a c h e i n i g e r Z e i t eine Gärbeschleunigung erfährt. Andererseits bewirkt auch Threonin diesen Effekt s o f o r t . Dies erklären die genannten Forscher dadurch, daß aus G l y c i n und dem aus der Gärung stammenden A c e t a l d e h y d Threonin aufgebaut wird: COOH
I
h2n—ch2 Glycin
COOH1 HN=CH Iminoglyoxylsäure
+
H—C=0
COOH
COOH HN=C
I
+ 2H
[2N—i—H I
H—C—OH
Ah3
I
CH,
H—C—OH
Acetaldehyd
H. G l y c o c o l l
1(—)-Threonin
Der früheste Beweis für die Bildung des Glycocolls im tierischen Organismus liegt in der Tatsache, daß viele Säugetiere bei Verfütterung von Benzoesäure dieselbe fast vollständig als Glycocollverbindung, nämlich als Hippursäure, ausscheiden; die Menge des Glycocolls, das als Hippursäure im Urin auftritt, kann dabei so bedeutend sein, daß die im Körper vorhandene Menge vorgebildeten Glycocolls nicht ausreicht und daß eine Neubildung der Aminosäure angenommen werden muß:
358
Der Eiweißstoffwechsel
conhch2cooh +
H2NCH2-COOH
Benzoesäure
Glycocoll
Hippursäure
Auf ähnliche Weise wie die Benzoesäure wird bei vielen Tierarten (nicht beim Menschen und den Menschenaffen) auch ihr nächsthöheres Homologes, die Phenylessigsäure, als GlycocollVerbindung — Phenacetursäure — ausgeschieden. Wir haben bereits erwähnt, daß Glycocoll aus Serin und Threonin entstehen kann. Möglicherweise gibt es auch noch andere Bildungsweisen. 5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe Im Darm, vor allem im Colon, sind günstige Bedingungen für die reichliche Entwicklung von Bakterien („Darmflora") vorhanden. Der Dickdarm enthält noch reichlich Proteine, die zum großen Teil aus den abgestoßenen Zellen der Darmschleimhaut stammen und unter der Einwirkung der Bakterien in Fäulnis übergehen. Bei der Fäulnis handelt es sich um komplizierte Abbauvorgänge der Aminosäuren, bei denen an einfachen Produkten Ammoniak und Schwefelwasserstoff gebildet werden. Daneben entstehen die verschiedenartigsten Umwandlungsprodukte der Aminosäuren, die man unter der Bezeichnung „Aporrhegmen" zusammenfaßt ( A c k e r m a n n und Kutscher). Wichtige Teilvorgänge beim bakteriellen Abbau der Aminosäuren sind die Decarboxylierung und die Desaminierung. Von der Decarboxylierung war schon früher die Rede. Sie liefert Amine (vgl. S. 338). Die Desaminierung der Aminosäuren verläuft bei den höheren Tieren oxydativ unter Bildung der entsprechenden Ketosäuren. Bei den Bakterien existieren noch andere Möglichkeiten. Colibazillen können z. B. die Asparaginsäure unter Bildung von Fumarsäure desaminieren: COOH H-i-NHa
I
CH2 ¿OOH Asparaginsäure
COOH (JH
>1CH
+
NHa
¿OOH Fumarsäure
Die Reaktion ist umkehrbar und wird durch das Ferment Aspartase bewirkt ( Q u a s t e l , V i r t a n e n ) . Die Fumarsäure läßt sich aber nur dann direkt fassen, wenn ihre weitere Umsetzung durch Hemmstoffe wie Toluol verhindert wird. In intakten Bakterien wird die Fumarsäure zu Bernsteinsäure reduziert oder sie geht unter Anlagerung von Wasser in Äpfelsäure über. Die Bildung der Urocaninsäure aus dem Histidin durch dié Urocaninase beruht auf dem gleichen Mechanismus der Desaminierung. Colibazillen können durch einfache Wasserabspaltung das Serin und das Cystein desaminieren:
Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe
COOH
COOH
COOH
H
H C'NHj ~ ' ° > C—NHa ^
C=NH
H 2 i • OH
CH2
¿H 3
COOH
COOH
COOH H-i-.NH 2
359
COOH ' ¿ = 0 + NH3 ¿H s
• ¿ — N H 2 i = = = i ¿ = 0 + NH3
I^C • SH
lüHj -f- H 2 S
(jHj
Beim Cystein wird auf diese Weise mit dem Stickstoff gleichzeitig auch der Schwefel als H 2 S eliminiert. Bei anaeroben Bakterien (verschiedene Arten von Clostridium) findet eine OxydoReduktion zwischen zwei verschiedenen Aminosäuren nach folgendem Schema statt (Reaktion von S t i c k l a n d ) : COOH H-i-NH,,
COOH +
COOH
H-(!;-NH2
C=0
COOH +
¿H 2
k
+
2NH3
Rx R2 Rj Es wird also aus der einen Aminosäure die entsprechende «-Ketosäure, aus der anderen die entsprechende einfache Fettsäure gebildet. Dabei scheinen einzelne Aminosäuren wie Glycocoll, Prolin, Arginin, Tryptophan immer nur als Wasserstoffakzeptoren, andere wie Alanin, Serin, Glutaminsäure, Phenylalanin immer nur als Wasserstoffdpnatoren zu funktionieren. Die primär entstehende Ketosäure kann aber auf Kosten eines zweiten Moleküls des Reaktionspartners weiter zu der um ein CAtom ärmeren Carbonsäure oxydiert werden. Alanin liefert z. B. bei der Oxydation durch Prolin Essigsäure und C0 2 . Andere Clostridiumarten, und dazu gehören die Gasbranderreger, sind imstande, Aminosäuren unter Freisetzung von Wasserstoff zu desaminieren. Der Verlauf dieser Reaktion ist aber nicht genau bekannt. Eine weitere Möglichkeit besteht in der einfachen hydrolytischen Desaminierung: COOH COOH H-i-NHj
+ g ' ° > H-i-OH
+
NH3
R Es gibt aber keine eindeutigen Beweise dafür, daß diese Reaktion vorkommt. Die Oxysäure könnte immer auch durch sekundäre Reduktion der Ketosäure entstanden sein. Eine besondere Art des Aminosäureabbaus wird durch die Hefe bewirkt. Bei dieser Reaktion entsteht ein A l k o h o l , der um ein Kohlenstoffatom ärmer ist als die entsprechende Aminosäure (F. E h r l i c h ) : R ¿H-NH 2 ¿OOH
Aminosäure
R •
¿H2—OH + NH3 + C02 Alkohol
Die Annahme liegt nahe, daß die Aminosäure zuerst in die entsprechende Ketosäure übergeht, worauf diese zum nächst niedrigen Aldehyd decarboxyliert würde.
Der Eiweißstoffwechsel
360 Durch Reduktion Schema zeigt:
entsteht aus dem Aldehyd der Alkohol, wie das folgende
Aminosäure
R
R
¿H-NR,
CO
COOH
COOH
!
Ketosäure Decarboxylierung
I
R l/H C
i
CHo
Pyrrolidin
NH HjjN • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • COOH (5-Aminovaleriansäure Auf Grund der vorangehenden Ausführungen ist es leicht ersichtlich, auf welchem Weg diese Körper aus den entsprechenden «-Aminosäuren entstehen können. 6. Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-)vorgänge Es ist eine seit langem bekannte Tatsache, daß gewisse toxisch wirkende Stoffe, wie z. B. Phenol, im Urin nicht als solche ausgeschieden werden, sondern daß der Körper sie in Form bestimmter Verbindungen eliminiert. Phenol z.B. wird vorzugsweise in den Schwefelsäureester übergeführt (E. B a u m a n n 1875). Man nahm an, daß der Organismus bestrebt ist, auf diese Weise die schädliche Substanz in eine weniger toxische Verbindung überzuführen, und bezeichnete daher derartige Reaktionen als Entgiftungs Vorgänge. Der Ausdruck ist nicht sehr gut gewählt, denn
Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-)vorgänge
363
die entstehende Verbindung ist nicht immer weniger giftig als der ursprüngliche Körper. In sehr vielen Fällen aber ist sie besser löslich, und man kann annehmen, daß dadurch die Ausscheidung erleichtert wird. Aber auch dies trifft nicht in allen Fällen zu. Man faßt heute unter dem Ausdruck Entgiftungsvorgänge (Detoxikation) alle die chemischen Umwandlungen zusammen, welche ins Blut aufgenommene körperfremde Substanzen erleiden. Zu den körperfremden Substanzen sind auch solche zu zählen, die im Darm unter der Einwirkung der Darmflora fentstehen. Eine häufige Form der Entgiftung besteht, wie gesagt, darin, daß die eingeführte Substanz an eine vom Organismus gelieferte Verbindung gebunden wird. Für verschiedene Entgiftungsreaktionen ist nachgewiesen, daß sie sich in der Leber abspielen. Von allen Organen ist die Leber natürlich am besten geeignet, die im Darm aufgenommenen körperfremden Stoffe zu „entgiften". Man nimmt allgemein an, daß sie der Sitz der hauptsächlichsten Entgiftungsreaktionen ist. Einzelne Reaktionen, wie z. B. die Hippursäuresynthese, können aber auch in der Niere stattfinden. Die Aminosäuren sind an derartigen Reaktionen auf zwei verschiedene Arten beteiligt: Sie können als Paarling von körperfremden Stoffen herangezogen werden, dienen also zu deren Entgiftung. Andererseits aber liefern sie bei der Darmfäule Aporrhegmen, die selber, nachdem sie im Darm resorbiert worden sind, Entgiftungsreaktionen anheimfallen. Zu Entgiftungsreaktionen können Glycocoll, Ornithin, Glutamin und Cystein herangezogen werden. a) Glycocoll verbindet sich, wie bereits erwähnt, mit Benzoesäure zuHippursäure, mit Phenylessigsäure zu Phenacetursäure. Beim Vogel (Huhn) wird Benzoesäure nicht mit Glycocoll, sondern mit Ornithin „gepaart". Nach Verfütterung von Benzoesäure erscheint in den Exkreten Dibenzoylornithin, die sog. „Ornithursäure": COOH
Die zugrundeliegende Aminosäure, die in Form der Ornithursäure entdeckt wurde erhielt den Namen „Ornithin" ( J a f f e 1877). Dieser Unterschied zwischen Säuger und Vogel ist für die vergleichende Physiologie von Interesse. Das Huhn kann nämlich das Glycocoll im Gegensatz zum Säugetier nicht synthetisieren. Es wird durch eine andere, für den Vogel wahrscheinlich leichter zugängliche Aminosäure ersetzt (vgl. S. 374). • b) Beim Menschen und beim Schimpansen wird die Phenylessigsäure nicht an Glycocoll, sondern an Glutamin gebunden, wobei N-(Phenylacetyl)-glutamin entsteht ( S h e r w i n und T h i e r f e l d e r ) : COOH • CH • CH, • CH, • CO • NH. -2
364
Der Eiweißstoffwechsel
c) Nach Verfütterung von Chlor- oder Brombenzol an den Hund treten im Urin die sog. Mercaptursäuren auf ( B a u m a n n und P r e u s s e 1871). Sie sind eine Verbindung des Halogenkörpers mit acetyliertem Cystein: NHCOCH,
Wahrscheinlich erfolgt zuerst die (oxydative) Anlagerung des Cysteins an das Halogenbenzol, worauf die Verbindung, wie viele Amine, acetyliert wird: Br;/
SH
o
BrH
l,2-Dioxy-l,2-dihydroanthracen Es ist möglich, daß die zweite Verbindung aus der ersten durch hydrolytische Abspaltung des Cystins und nachfolgende Wasseranlagerung entstanden ist. Demnach würde die Mercaptursäurebildung den ersten Schritt beim oxydativen Angriff dieser Kohlenwasserstoffe darstellen.
Von den bakteriellen Zersetzungsprodukten der Aminosäuren, die im Organismus entgiftet werden, sind besonders das Indol und die Phenole zu nennen. Durch Oxydation des Indols bildet sich I n d o x y l : 0-S0,H NH Indoxyl
NH Harnindican
Dieses wird mit Schwefelsäure verestert und geht als Harnindican (Indoxylschwefelsäure) in den Urin über. Die Substanz kann durch Oxydation leicht in I n d i g o b l a u überführt werden:
O -OH NH
+
O
HONH
NH
Indigo
NH
Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-) Vorgänge
365
Als Oxydationsmittel kann man z. B. FeCI3 in stark salzsaurer Lösung ( O b e r m e y e r s Reagens) oder Hypochlorit benutzen. Der gebildete Farbstoff läßt sich dann durch Ausschütteln mit Chloroform nachweisen.
Daß die indigobildende Substanz des Harns ein Schwefelsäureester ist, wurde erstmals von E. B a u m a n n (1876) nachgewiesen. Der Zusammenhang der Indicanbildung mit den Vorgängen im Darm zeigt sich darin, daß bei gesteigerter Da.rmfäulnis vermehrt Indoxylschwefelsäure ausgeschieden wird. Auch die Phenole, die aus den aromatischen Aminosäuren entstehen, werden im Urin größtenteils als gepaarte Schwefelsäuren ausgeschieden, z. B.: J^>-O-SO 3 H
CH 3 ^
Phenolschwefelsäure
^-O-SO 3 H
Kresolschwefelsäure
Betainbildung. Werden Aminosäuren erschöpfend methyliert, so kommt es zur Bildung von sog. Betainen: CH2 NH2 I
>
COOH
CH 2 -NC |
COOH
OH
•
Glycocoll
CH2-NS(CH3)3 I
]
C^RO ^O
Betain
Es ist aber richtiger, die Betaine nicht als „innere" Anhydride oder „innere" Salze zu schreiben, sondern sie als Z w i t t e r i o n e n zu formulieren: CHA—N=(CH3)Ä
CH2—N=(CH3)3
'
coo-
^O
-I)
ältere Ringformel
Dipolformel
Das Betain selbst wurde in der Zuckerrübenmelasse gefunden. E s wurde eine Anzahl derartiger Verbindungen als Nebenprodukte des Eiweißstoffwechsels in der Natur entdeckt. So konnte A c k e r m a n n das Ornithinbetain aus der Muskulatur isolieren: + CH2 NH 2
CH2 N(CH3)3
I CH2
I CH2
¿H 2
CH2
I
I
CHNH2
+
CHN(CH 3 ) 3
¿OOH Ornithin
¿00" Ornithinbetain (Myokynin)
T a n r e t fand im Mutterkorn ein Betain des Histidins, welches Schwefel enthält. Es führt den Namen Ergothionein: ^ HC—N x II >C-SH C—NT
I
CH2 !
4, H—Ns(CHj); ¿00
366
Der Eiweißstoffwechsel
Dieses Betain kommt auch in den Erythrocyten vor. Verschiedene andere Betaine sind aus Pflanzen isoliert worden. Endlich sei hier nochmals auf das Cholin hingewiesen, welches zum Betain in naher Beziehung steht. Es dürfte, wie früher angeführt wurde, aus dem Aminoäthylalkohol durch Methylierung, möglicherweise auch direkt aus dem Glycocollbetain entstehen: CH 2 —N=(CH 3 ) 3
CH 2 —NS(CHJ) 3 l/H
CH 2 OH
c=o
Als eine Stütze für diese Theorie galt die Beobachtung, daß Verfütterung von Harnstoff zusammen mit Dreikohlenstoffverbindungen (Milchsäure u. a.) an Vögel die Harnsäureausscheidung vermehrt (Wiener). Wir wissen aber heute, daß die Sauropsiden nicht imstande sind, Ammoniak oder den Aminostickstoff der Proteine in Harnstoff überzuführen. Die Harnsäuresynthese muß auf einem unabhängigen Weg vor sich gehen, doch ist dieser Vorgang noch keineswegs abgeklärt. Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, daß in der Leber zuerst Hypoxanthin oder Xanthin aufgebaut wird und daß diese Vorstufe dann in der Niere durch die Xanthinoxydase zu Harnsäure oxydiert wird ( S c h u l e r , K r e b s ) . Neuerdings hat man versucht, sich ein Bild über die Herkunft der einzelnen Atome des Purinskeletts dadurch zu machen, daß man durch Isotope markierte Verbindungen verfütterte (Buchanan, S o n n e und Delluva). Bei der Synthese der Harnsäure spielen die Essigsäure und das Glycocoll eine besondere, Rolle. Das Glycocollmolekül scheint als Ganzes eingebaut zu werden; es liefert nämlich die beiden C-Atome 4 und 5, sowie das N-Atom 7 (siehe Schema). Die beiden C-Atome 2 und 8 (Carbamidkohlenstoff) können aus der Carboxylgruppe des Acetats oder aus Formiat stammen, das C-Atom 6 leitet sich aus dem anorganischen Bicarbonat ab; die übrigen drei N-Atome werden wahrscheinlich von den Aminosäuren oder vom Ammoniak geliefert.
Kohlensäure Glycocoll Aminosäuren
\ .c-
N2
Essigsäure C2 oder Ameisensäure / \ ^ Aminosäuren
4C
/
/
/ \ -N /
c
\
Essigsäure oder Ameisensäure
Aminosäuren
Es bleibt abzuwarten, wie weit diese Feststellungen schon endgültig sind oder wie weit sie später korrigiert werden müssen.
372
Der Eiweißstoffwechsel
8. Die unentbehrlichen Aminosäuren Die chlorophyllführenden Pflanzen und viele Pilze und Mikroorganismen können mit einfachen anorganischen Stickstoffverbindungen, Ammoniumsalzen oder Nitraten, leben. Sie können also die Aminosäuren, die zum Aufbau ihrer Zellproteine nötig sind, selbst synthetisieren; sie sind in bezug auf ihren N- Stoffwechsel autotroph. Viele Organismen besitzen dagegen diese Fähigkeit nicht oder nur in beschränktem Maß; sie sind auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen. Zu den letzteren gehören wohl die sämtlichen vielzelligen Tiere; sie sind heterotroph. Die genauere Analyse der Bedürfnisse einer großen Zahl von einzelligen und vielzelligen Organismen hat gezeigt, daß in der Regel nicht alle Aminosäuren, die als Bausteine nötig sind, im Milieu oder in der Nahrung vorhanden sein müssen. Einige Aminosäuren können immer in den Zellen selbst gebildet werden, sei es durch Umwandlung anderer, sei es durch Neubildung aus einer N-freien Verbindung und einer geeigneten Stickstoff quelle. Wir haben bei der Besprechung der einzelnen Aminosäuren einige derartige Beispiele kennengelernt. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß die Ansprüche der einzelnen heterotrophen Organismen sehr verschiedenartig sind. Einzelne bedürfen nur ganz weniger Aminosäuren, können also den größten Teil ihrer Eiweißbausteine selbst herstellen; andere wieder sind weitgehend auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen und können nur wenige selbst synthetisieren. Man bezeichnet allgemein Verbindungen, die von einem bestimmten Organismus nicht synthetisiert werden können, aber für ihn lebenswichtig sind, als für den betreffenden Organismus e s s e n t i e l l o d e r u n e n t b e h r l i c h . D i e L i s t e d e r essentiellen Aminosäuren kann von Organismus zu Organismus anders lauten. Nach den gegenwärtigen Erfahrungen sind aber für alle Säugetiere die gleichen Aminosäuren unentbehrlich. Schon bei den Vögeln findet man Abweichungen. Andere Tierklassen sind noch kaum untersucht worden. Sehr gut bekannt sind dagegen wieder die Bedürfnisse vieler Pilze und Bakterien. Schon die frühesten exakten Ernährungsversuche, besonders die Untersuchungen v o n T h o m a s , von O s b o r n e und M e n d e l , von H a r t , M c C o l l u m und S t e e n b o c k haben gezeigt, daß die verschiedenen Proteine als Nährstoffe nicht gleichwertig sind. Als eine sehr geeignete Methode, die „biologische Wertigkeit" eines Proteins festzustellen, erwies sich der Fütterungsversuch bei der wachsenden jungen Ratte. Es zeigte sich, daß sehr ungleiche Mengen der einzelnen Proteine nötig sind, um optimales Wachstum zu ermöglichen. Mit verschiedenen Proteinen pflanzlichen Ursprungs können die Tiere überhaupt nicht über längere Zeit am Leben erhalten werden, wenn sie als einzige Stickstoffquelle der Nahrung dargeboten werden. Man nennt solche Proteine „biologisch minderwertig". Es lag nahe, die unterschiedlichen Eigenschaften der Proteine als Nährstoffe mit ihrer verschiedenartigen Zusammensetzung in Verbindung zu bringen und anzunehmen, daß in den minderwertigen Eiweißkörpern gewisse essentielle Aminosäuren in zu geringer Menge vorhanden sind oder völlig fehlen. Diese Annahme ist durch die Ernährungs versuche in vollem Umfang bestätigt worden. Eine der ersten derartigen Untersuchungen betraf das Z e i n , einen Eiweißkörper des Maiskorns. Die chemische Analyse des Zelns ergibt, das Fehlen von Tryptophan und Lysin. Mit Zein als einzigem Protein der Nahrung verlieren die Tiere rasch an Gewicht. Durch Zugabe von Tryptophan können die Ratten während längerer Zeit am Leben erhalten werden, können sich aber trotzdem nicht normal entwickeln ( W i l l c o c k und H o p k i n s 1906); dasselbe zeigt sichbei Zugabe von Lysin. Normales Wachstum setzt erst ein, wenn das Zein durch beide Amino säuren gleichzeitig ergänzt wird (Osborne und Mendel). Damit ist bewiesen, daß die Minderwertigkeit des Ze'ins tatsächlich auf dem Mangel an Lysin und Tryptophan beruht und daß die
Die unentbehrlichen Aminosäuren
373
beiden Aminosäuren für die Ratte essentiell sind. Die Unentbehrlichkeit des Lysins wurde in ähnlicher Weise auch durch Verfütterung des Gliadins (eines der Proteine des Weizenglutens) nachgewiesen. Auf diesem Weg kann aber nicht die Unentbehrlichkeit beliebiger Aminosäuren nachgewiesen werden, denn es sind nur in den wenigsten Fällen Proteine zugänglich, denen die gewünschte Aminosäure fehlt. Man hat deshalb später versucht, einzelne Aminosäuren durch chemische Reaktionen auszuschalten. Aber auch diese Methode h a t nur einen begrenzten Anwendungsbereich, weil nur für wenige Aminosäuren genügend spezifische Reaktionen zur Verfügung stehen. Die Frage, welche Eiweißbausteine unentbehrlich sind, konnte erst dann vollständig beantwortet werden, als man dazu überging, die Proteine der Nahrung durch ein Gemisch chemisch reiner Aminosäuren zu ersetzen, das sämtliche Eiweißbausteine im gleichen Verhältnis enthält, wie sie in einem vollwertigen Protein enthalten sind ( R o s e ) . Aus solchen Gemischen kann jede beliebige Aminosäure weggelassen werden. Zeigt das verbleibende Gemisch noch die volle Wachstumswirkung, so ist die betreffende Aminosäure entbehrlich. Genügt es nicht mehr, die normale Entwicklung zu unterhalten, so ist die unterdrückte Aminosäure essentiell. Merkwürdigerweise führten die ersten Versuche mit solchen Gemischen, die alle damals bekannten Aminosäuren des Caseins enthielten, zu einem Mißerfolg: Die Tiere wuchsen mit dem künstlichen Aminosäuregemisch nicht. Demnach mußte das Eiweiß einen noch unbekannten Wachstumsfaktor enthalten. Die systematische Suche nach diesem Faktor führte zur Entdeckung einer neuen Aminosäure, des Threonins (Rose). (Auch das Methionin war früher von Mueller auf biologischem Weg entdeckt worden, nämlich durch seine Wachstumswirkung auf hämolytische Streptokokken.) Mit dieser Methode konnten die Aminosäuren, welche für die R a t t e essentiell sind, endgültig festgestellt werden. E s sind die folgenden: Valin Leucin Isoleucin Threonin Methionin
Phenylalanin Tryptophan Lysin Histidin (Arginin)
Soweit Untersuchungen bei anderen Säugetieren ausgeführt worden sind, haben sie zu übereinstimmenden Resultaten geführt. Wenn die Aminosäure leicht aus der entsprechenden a-Keto- oder a-Oxysäure gebildet wird, kann sie durch die letzteren ersetzt werden. So hat z. B. a-Oxyisovaleriansäure die gleiche Wachstumswirkung wie das Valin; dasselbe gilt für die dem Leucin und Isoleucin entsprechenden Oxy- und Ketosäuren. Der Organismus kann zwar die Aminogruppe in diese Verbindungen einführen, nicht aber ihr Kohlenstoffgerüst aufbauen. Lysin muß als solches dargeboten werden. Einmal desaminiert, kann es nicht mehr regeneriert werden. Damit stimmt überein, daß sich Lysin in Isotopenversuchen als die reaktionsträgste Aminosäure erwiesen hat. Insbesondere tauscht es keinen Stickstoff aus ( S c h o e n h e i m e r und R i t t e n b e r g ) . Bei Valin, Leucin und Isoleucin können wahrscheinlich die verzweigten C-Ketten nicht aufgebaut werden. Beim Tryptophan ist weder die Synthese des Indolrings noch dessen Kondensation mit dem Serin möglich (vgl. Tryptophansynthese bei Pilzen, S. 347). Auch zur Bildung des Imidazolringes des Histidins und der aromatischen Kerne des Phenylalanins und Tyrosins, allgemein zur „Cyclopolese" (dieser Ausdruck stammt von Osborne), ist das höhere Tier nicht befähigt. Unter den „entbehrlichen" Aminosäuren nehmen Tyrosin und Cystin-Cystein eine besondere Stellung ein. Tyrosin kann ausschließlich durch Oxydation von Phenylalanin entstehen (vgl. S. 340). Wenn die Nahrung Tyrosin enthält, so ist der Bedarf des Tieres an Phenylalanin entsprechend kleiner; m. a. W. das Tyrosin kann eine andere essentielle Aminosäure teilweise (aber nicht vollständig!) ersetzen. Ähnliches gilt für das Cystein oder das Cystin. Die Bildung des Cysteins erfolgt auf Kosten des Methionins (vgl. S. 352); ist in der Nahrung Cystein oder Cystin
374
Der Eiweißstoffwechsel
vorhanden, so vermindert sich der Bedarf an Methionin. Mail wäre daher durchaus berechtigt, auch Tyrosin und Cystin zu den essentiellen Aminosäuren zu zählen. Beide können nicht aus beliebigem Material, sondern nur aus einer ganz bestimmten andern essentiellen Aminosäure entstehen, während bei den übrigen „entbehrlichen" Aminosäuren (z. B. Glutaminsäure, Asparagingäure, Alanin) die Bildung aus Kohlehydrat und einer geeigneten Stickstoffquelle möglich ist. Wir treffen eine ähnliche Situation bei gewissen Vitaminen. Axerophtol (Vitamin A) kann vollwertig durch das „Provitamin" ^-Carotin ersetzt werden, da das letztere im Organismus in Vitamin A übergeht. So gut wie Axerophtol als Vitamin bezeichnet wird, könnte Tyrosin zu den essentiellen Aminosäuren gezählt und Phenylalanin als „Protyrosin" aufgefaßt werden (vgl. Kapitel Vitamine). Das Arginin ist in der obigen Aufzählung eingeklammert, weil es eine mittlere Stellung zwischen essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren einnimmt. Die Synthese von Arginin ist beim Säugetier möglich. Man findet im Körper der wachsenden Ratte zwei- bis dreimal mehr Arginin, als mit dem Futter zugeführt worden ist. Die erwachsene Ratte vermag ihren Bedarf vollständig durch Synthese zu decken; dagegen ist das Wachstum der jungen Ratte, die in ihrer Nahrung kein Arginin erhält, nicht optimal und kann durch Argininzulage noch leicht gesteigert werden. Die Leistungsfähigkeit der Argininsynthese reicht also für den erhöhten Bedarf des wachsenden Tieres nicht völlig aus. Beim Vogel (Hühnchen) ist das Arginin unentbehrlich. Es kann durch Citrullin, nicht aber durch Ornithin ersetzt werden; das will heißen, daß hier nur die zweite Stufe der Argininsynthese möglich ist, nicht aber die erste (vgl. S. 367). Für die Möglichkeit der Ornithinsynthese beim Vogel spricht die Tatsache, daß Benzoesäure mit Ornithin verbunden als Ornithursäure ausgeschieden wird. Andererseits kann das Hühnchen sich nicht in normaler Weise entwickeln, wenn nicht Glycocoll mit der Nahrung zugeführt wird. Es steht noch nicht fest, ob eine Synthese des Glycocolls überhaupt nicht möglich ist oder ob sie einfach zu langsam erfolgt, um den Bedarf des wachsenden Tieres zu decken. Auch die Entgiftung der Benzoesäure mit Ornithin an Stelle des Glycocolls spricht dafür, daß im Organismus des Vogels das letztere nicht in beliebiger Menge zugänglich ist. Wie wir früher erwähnt haben, scheint Glycocoll bei der Harnsäuresynthese in das Puringerüst eingebaut zu werden (vgl. S. 371). Wenn das Glycocoll auch bei den Vögeln ein notwendiger Baustein der Purine ist (die oben genannten Isotopenversuche sind bei der Ratte durchgeführt worden), so bedeutet dies nach dem oben mitgeteilten Schema, daß für die Ausscheidung von drei Stickstoffatomen in Form der Harnsäure ein Molekül Glycocoll nötig ist. Außer für den Aufbau der Körpersubstanz beim wachsenden Tier oder die Erneuerung der Gewebsproteine würde also der Vogel eine zusätzliche Menge Glycocoll für die Exkretion des Stickstoffs benötigen. Die Notwendigkeit einer Glyeocollzufuhr mit der Nahrung ist demnach Verständlich, auch wenn man annimmt, daß ein Teil der Aminosäure in den Organen selbst synthetisiert werden kann. Wegen der großen praktischen Bedeutung der Frage sind in den letzten Jahren Untersuchungen über die Unentbehrlichkeit der Aminosäuren auch beim Menschen durchgeführt worden ( A l b a n e s e , Rose). Hier kann natürlich nur die Methode des Stickstoffgleichgewichts verwendet werden: Die Versuchsperson erhält während einiger Zeit eine Nahrung, deren Stickstoffgehalt so bemessen ist, daß N-Ausscheidung und N-Aufnahme einander gleich sind (Zustand des Stickstoffgleichgewichts). Die Nahrung enthält an Stelle von Proteinen entweder ein Eiweißhydrolysat oder eine Mischung reiner Aminosäuren. Man kann nun aus dem Hydrolysat die gewünschte Aminosäure durch chemische Methoden entfernen oder sie, im Fall daß man künstliche Gemische verwendet, einfach weglassen. Ist die Aminosäure entbehrlich, so tritt keine Änderung der N-Bilanz ein; ist sie essentiell, so wird die N-Bilanz negativ. Auf diese Weise ist nachgewiesen worden, daß alle Aminosäuren, die sich im Tierversuch als essentiell erwiesen haben, es auch beim Menschen sind. Einzig das Weglassen des Histidins hatte keine sichtbare Wirkung. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß diese Aminosäure beim Menschen im Gegensatz zu den anderen untersuchten Tierarten nicht essentiell ist. Wahrscheinlich sind die Reserven des Körpers so groß, daß sie bei diesen verhältnismäßig kurzfristigen Versuchen zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Als wichtigste Ausfallerscheinung beim Fehlen einer essentiellen Aminosäure wird beim jungen Tier Wachstumsstillstand beobachtet. In einigen Fällen sollen sich auch mehr oder weniger spezifische Symptome entwickeln. So wurde bei langdauerndem Mangel an Tryptophan das Auftreten eines Katarakts (grauer Star) beobachtet. Lysin- oder Methioninmangel kann so zu einer Vaskularisierung der Cornea führen. Beim Fehlen von Valin wird eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei Berührung sowie eine Störung der Koordination von Bewegungen beschrieben. Threoninfrei ernährte Tiere sollen Ödeme und Ascites entwickeln. Es bleibt abzuwarten, wie weit diese Erscheinungen tatsächlich als spezifische Folgen des Fehlens einzelner Aminosäuren betrachtet werden können.
Eiweißbedarf und Eiweißminimum
375
Von großem Interesse ist der Aminosäurebedarf gewisser Mikroorganismen, weil dieselben zur quantitativen Bestimmung der Aminosäuren verwendet werden können, die sie als Wachstumsfaktoren benötigen (vgl. S. 66). Praktische Verwendung haben verschiedene Arten von Lactobacillus (L. arabinosus, L. casei, L. pentosus), Streptococcus faecalis, Leuconostoc mesenteroides u. a. gefunden.
9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum Nach den vorstehenden Ausführungen ist es verständlich, daß die Eiweißmenge, die dem tierischen Organismus täglich zugeführt werden muß, um seine Funktionen in Gang zu halten, eine gewisse untere Grenze nicht unterschreiten darf, weil sonst der Bedarf an essentiellen Aminosäuren nicht mehr gedeckt werden kann. Das Eiweißminimum wird erreicht, wenn die Zufuhr irgendeiner der essentiellen Aminosäuren ungenügend wird; denn nach dem sog. „Gesetz des Minimums" wird der Ablauf jedes biologischen Vorgangs durch denjenigen Faktor bestimmt, der sich im Minimum befindet. Ist z. B. in einem Protein zu wenig Tryptophan vorhanden, so wird dieses Protein das Wachstum nicht unterhalten können, auch wenn alle anderen essentiellen Aminosäuren im Uberschuß vorhanden sind. Das Tryptophan bestimmt allein die Geschwindigkeit des Wachstums. Da der Gehalt der verschiedenen Proteine an essentiellen Aminosäuren recht verschieden sein kann, wird auch die minimale lebenserhaltende Eiweißmenge von der Art der zugeführten Proteine abhängig sein. Eiweißkörper, die alle unentbehrlichen Aminosäuren in genügender Menge enthalten, heißen „ v o l l s t ä n d i g e " Eiweißkörper; solche, denen einzelne unentbehrliche Aminosäuren fehlen, heißen „unvollständig". In der Tabelle Kap. 29 ist die Zusammensetzung einige als Nahrungsstoffe wichtiger Proteine angegeben. Aus Versuchen am Menschen, bei welchen die Menge von Casein oder der gesamten Milcheiweißkörper festgestellt wurde, die zur Erhaltung des Stickstoffgleichgewichts nötig sind, hat man die folgende Aminosäurezufuhr berechnet (Albanese, Martin und ß o b i s o n , R o s e und McLeod):
Essentielle: Valin Leucin + Isoleucin Threonin Methionin Phenylalanin Lysin Histidin Tryptophan Arginin Nicht essentielle: Glycocoll Alanin Serin Cystin Tyrosin Asparaginsäure Glutaminsäure Prolin Oxyprolin
. . .
.
mg pro kg Körpergewicht
g total für o Erwachsenen von 70 kg
50 65 23 20 25 40 15 9 25
3,5 4,5 1,6 1,4 1,8 2,8 1,1 0,6 1,8
3 12 30 6 40 30 130 50 3
0,2 0,8 2,1 0,4 2,8 2,1 9,1 3,5 0,2
Der Eiweißstoffwechsel
376
Der Bedarf der Frau ist etwas kleiner als derjenige des Mannes. Diese Zahlen stellen nicht das absolute Minimum dar. Sie geben aber gute Anhaltspunkte über den Bedarf des Menschen (wenigstens der weißen Rasse) an essentiellen Aminosäuren. In Selbstversuchen sind für den täglichen minimalen Eiweißbedarf sehr kleine Mengen ermittelt worden (tägliche Zufuhr 30-—35 g während 6 Jahren, teilweise sogar nur etwa 25 g bei voller Leistungsfähigkeit: sehr wenig tierisches Eiweiß, wenig Brot, hauptsächlich Kartoffeln und Gemüse [Versuch von Rhyn]). Diese Werte stellen wohl ein absolutes Minimum dar, das unter günstigen äußeren Bedingungen erreicht werden kann, wahrscheinlich aber nur dann genügt, wenn der Organismus keinen zusätzlichen Belastungen (z. B. ungünstigen Umweltsbedingungen, Infektionskrankheiten) ausgesetzt ist. Sie können keinesfalls der Berechnung des Eiweißminimums für größere Bevölkerungsschichten zugrunde gelegt werden. Die optimale Eiweißmenge liegt bedeutend höher. Von der Ernährungskommission des Völkerbundes sind z.B. die folgenden Mengen empfohlen worden: Alter Jahre 0—1 1—2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 12—15 15—17 17—21 über 21 Schwangere bis zum 3. Monat vom 4.—9. Monat Stillende
Täglicher Eiweißbedarf in g absolute Menge pro kg Körpergewicht 24 36 39 42 44 50 56 61 72 78 78 85
3,5
2,5
2,5 2,0 1,5 1,0 1,0 1,5 2,0
Diese Empfehlungen tragen dem Umstand Kechnung, daß der wachsende Organismus bezogen auf die Einheit des Körpergewichts sehr viel mehr Eiweiß braucht als der erwachsene. Früher wurde als Eiweißbedarf des erwachsenen Menschen vielfach die von V o i t errechnete Zahl von IIS g pro Tag angenommen. Diese Zahl ist nach der heutigen Auffassung zu hoch. Der in obiger Tab. angegebene Wert von 1 g pro kg und pro Tag garantiert eine völlig genügende Eiweißversorgung. Unter bestimmten Bedingungen ist der Eiweißbedarf stark gesteigert, so während der letzten Monate der Schwangerschaft. Dasselbe gilt natürlich auch f ü r alle pathologischen Zustände, die mit Eiweißverlusten verbunden sind. Dazu gehören z. B. die Nephrosen, bei denen im Urin beträchtliche Mengen Eiweiß verloren gehen können, schwere Verwundungen, besonders solche mit Gewebszerstörungen großen Umfangs, schwere chirurgische Eingriffe und vor allem Verbrennungen; bei den letzteren besteht oft eine sehr stark negative Stickstoffbilanz. Man kann annehmen, daß heute ein beträchtlicher Teil der gesamten Erdbevölkerung (besonders asiatische Völker) mit kleineren Eiweißmengen lebt als den oben angegebenen. Es ist aber schwer anzugeben, welche Mengen noch ausreichend sind und wo die chemische Eiweißunterernährung beginnt. Die Symptome, die durch Eiweißmangel hervorgerufen werden, sind, wenn es sich nicht um sehr schwere Fälle von Unterernährimg handelt, so unbestimmt und
Die „biologische Wertigkeit" der Proteine
377
wenig spezifisch, daß sie sich nicht mit Sicherheit erkennen lassen. Dazu kommt, daß bei schlecht ernährten Bevölkerungsschichten neben dem Eiweiß meistens auch noch andere Faktoren (Vitamine, Mineralstoffe) nur in geringer Menge zugeführt werden.
Die Bestimmung der minimalen lebensnotwendigen Eiweißmenge setzt voraus, daß die Nahrung genug Kohlehydrate und Fette enthält, um den kalorischen Bedarf des Organismus zu decken. Ist dies nicht der Fall, so wird ein Teil der Proteine als Brennmaterial herangezogen, und man muß, um das Stickstoffgleichgewicht zu erhalten, eine größere Menge Eiweiß zuführen. Man kann daher unter Umständen Eiweiß dadurch einsparen, daß man das Kohlehydrat und Fett der Nahrung erhöht. Eine kalorisch ungenügende Nahrung führt immer zu einer starken Steigerung des Eiweiß Verbrauchs, weil dann Körpereiweiß zusätzlich als Brennmaterial herangezogen werden muß (vgl.Kap.29). Diese Tatsache ist praktisch von größter Wichtigkeit. Die Folgen der Unterernährung beruhen nicht so sehr auf einem Eiweißdefizit an sich als auf dem Zusammentreffen von Eiweißmangel und kalorisch ungenügender Ernährung. 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine Die zahlreichen Bilanzversuche, die von den Klassikern der Ernährungslehre (Voit, R u b n e r , P f l ü g e r und vielen anderen) in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durchgeführt wurden, führten allmählich zur Erkenntnis, daß nicht alle Proteine gleich gut geeignet sind, das Stickstoffgleichgewicht des Organismus aufrecht zu erhalten. Wie oben auseinandergesetzt wurde, beruhen die Unterschiede auf dem verschiedenen Gehalt an essentiellen Aminosäuren. Um die Eignung der Proteine als Stickstofflieferanten zu kennzeichnen, wurde der Begriff der „biologischen Wertigkeit" eingeführt (Thomas). Je höherwertig ein Protein ist, desto besser kann es vom Organismus verwertet werden. Die Verwertung eines Eiweißkörpers findet ihren Ausdruck in der Stickstoffbilanz. Wird an ein Tier, das während einer Yorperiode eiweißfrei ernährt wurde, ein vollwertiges Protein verfüttert, so erscheint nur ein kleiner Teil seines Stickstoffs als Harnstoff im Urin; der größere Teil wird im Körper zurückbehalten (retiniert). Bei Verfütterung von minderwertigen Proteinen wird dagegen nur wenig Stickstoff retiniert, der größere Teil geht verloren. Die retinierte Eiweißmenge im Verhältnis zur aufgenommenen kann als Maß für die „biologische Wertigkeit" verwendet werden. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren. Es handelt sich um einen Versuch an der weißen Ratte. Alle Angaben in mg N pro Tag Aufgenommene Eiweißmenge, total Im Kot ausgeschieden, total 11,6 Im Kot bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden 5,5 Nicht absorbiertes Nahrungseiweiß im Kot . . 6,1 Absorbiertes Eiweiß Im Urin ausgeschieden, total Im Urin bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden Durch Eiweißzufuhr bedingte Zunahme Retinierter Stickstoff Biologische Wertigkeit =
37,5 6,1 31,4 19,2 9,3
9,9 31,4 — 9,9 = 21,5
ruinierter ** T • 100 = • 100 = 69% absorbierter N 31,4
Im idealen Fall würde aller Stickstoff des aufgenommenen Eiweißkörpers zurückbehalten; die biologische Wertigkeit wäre dann 100%. Der Zahlenwert der biolo-
378
Der Eiweißstoffwechsel
gischen Wertigkeit kann daher anschaulich so gedeutet werden, daß er die Menge eines idealen (d. h. vollständig verwertbaren) Proteins (ausgedrückt in g N) angibt, welche 100 g des verfütterten Proteinstickstoffs zu ersetzen vermöchte. Diese Menge ist natürlich umso kleiner, je minderwertiger der verfütterte Eiweißkörper ist. Da man angenommen hat, daß die körpereigenen Proteine dem oben definierten idealen Protein sehr nahekommen, ist die biologische Wertigkeit auch als die Menge Körpereiweiß definiert worden, die durch 100 g des zugeführten Nahrungseiweißes ersetzt werden kann. Die Werte betragen (nach T h o m a s ) für Fleisch und Milch annähernd 100, für Casein 70, für die Kartoffel 79, für Weizenmehl 40, für Erbsen 56, für Mais 30. (Bemerkenswert ist der hohe Wert für die Proteine der Kartoffel; die hohe Bedeutung der Kartoffel als Nahrungsmittel beruht zu einem wesentlichen Teil auf der hohen Qualität ihrer Proteine.)
11. Das Stickstoffgleichgewicht Wir haben gesehen, daß eine gewisse minimale Eiweißzufuhr nötig ist, wenn der tierische Organismus seinen Eiweißbestand beibehalten soll. Im Intermediärstoffwechsel wird beständig Organstickstoff in Harnstoff und andere Endprodukte übergeführt und ausgeschieden, auch wenn von außen kein Eiweiß zugeführt wird. Das Eiweißminimum stellt offenbar diejenige Menge Protein dar, die gerade genügt, um die „Abnützung" zu kompensieren. Beim wachsenden Tier ist noch eine zusätzliche Menge Eiweiß zum Aufbau neuer Körpersubstanz nötig (siehe die Tabelle des Eiweißbedarfs S. 376). Es ensteht die Frage, was mit dem Eiweiß geschieht, das über den Bedarf für Ersatz und Aufbau hinaus aufgenommen wird. Die Erfahrung zeigt, daß der tierische Organismus mit sehr verschiedener Eiweißzufuhr ins Stickstoffgleichgewicht kommen kann. Wird einem Tier, das bei mäßigem Eiweißgehalt der Nahrung im N-Gleichgewicht ist, mehr Eiweiß zugeführt, so folgt die N-Ausscheidung nur langsam der vermehrten Zufuhr; während einer Übergangsperiode von einigen Tagen wird weniger Stickstoff ausgeschieden als aufgenommen, die Bilanz ist positiv. Es muß also Stickstoff in den Geweben als Eiweiß abgelagert werden (Zuntz). Erst allmählich gleicht sich die Ausscheidung der Zufuhr wieder an und stellt sich ein neues N-Gleichgewicht auf höherem Niveau wieder ein. Auch bei Verminderung der Eiweißzufuhr paßt sich die Ausscheidung nicht sofort der verkleinerten Aufnahme an. Die Stickstoffbilanz wird zunächst negativ; der Organismus verliert Eiweiß, bis die Ausscheidung soweit zurückgegangen ist, daß das NGleichgewicht sich auf dem niedrigeren Niveau wieder eingestellt hat (vorausgesetzt, daß die Proteinzufuhr nicht unter dem Minimum liegt). Aus diesen Tatsachen folgt, daß offenbar der Eiweißbestand des Körpers (oder gewisser Organe) sich verändern kann. Die Organe sind imstande, bei überschüssiger Eiweißzufuhr eine gewisse Menge der zuströmenden Aminosäuren als Proteine zu speichern. Andererseits vermögen sie ohne Beeinträchtigung ihrer Funktion einen Teil ihrer Proteine abzugeben, wenn die äußere Zufuhr vermindert wird oder versiegt. An der Eiweißspeicherung oder -abgabe sind nicht alle Organe in gleicher Weise beteiligt. Bereits V o i t stellte fest, daß beim Hunger vor allem die Skelettmuskulatur und die Leber Eiweiß verlieren, während das Herz und das Gehirn ihren Bestand beibehalten. Besonders groß sind die Veränderungen des Eiweißgehalts der Leber (Luck).
Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas
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12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas Die eben erwähnte Tatsache, daß der Eiweißgehalt gewisser Organe je nach der Zufuhr sich ändern kann, hat die älteren Physiologen (besonders Voit) dazu geführt, zwei Arten von Eiweiß zu unterscheiden: solches, das der Zellstruktur angehört („organisches" Eiweiß), und solches, das als Reserve in den Zellen nur lose gebunden ist oder im Körper zirkuliert. Die Menge des ersteren ist konstant, die Menge des zweiten variabel. Die beobachteten Schwankungen des Eiweißgehalts der Organe sollten nur diesen zweiten Anteil betreffen. Diese Auffassung hat sich nicht bestätigt. Der Eiweißgehalt der Leber kann, bis 50% zunehmen, wenn eine eiweißreiche Kost verfüttert wird. (Die Vermehrung ist sogar histologisch an der Vergrößerung des Zellvolumens zu erkennen.) Die Untersuchungen der verschiedenen Eiweißfraktionen, die sich aus der Leber gewinnen lassen (fraktionierte Extraktion mit Kochsalzlösung und verdünntem Alkali, fraktionierte Ammoniumsulfatlösung), haben aber keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß ein besonderes Reserveprotein in die Leberzelle eingelagert wird. Die Vermehrung des Eiweißgehalts betrifft gleichmäßig alle Fraktionen (Versuche von Luck an der Ratte). Es scheint also, daß das im Überschuß zugeführte Protein einfach zu einer Neubildung des Organeiweißes führt. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den Muskel. Wenn die Zellproteine der Leber und der Skelettmuskulatur auch nicht ein Reservematerial in dein Sinne darstellen wie das Glycogen oder das Fett, so können sie doch als Eiweißreserve funktionieren. Dies tritt besonders deutlich im Hungerzustand in Erscheinung. Wenn die Glycogen- und Fettvorräte aufgebraucht sind, lebt der Körper auf Kosten seiner Proteine. Wie wir bereits erwähnt haben, ist der Eiweißverlust der einzelnen Organe sehr ungleich. Das Herz und das Gehirn z. B. verlieren auch nach langdauerndem Hungerzustand fast nichts an Gewicht. Es lebt also bei Eiweißmangel nicht jede Zelle von ihren eigenen Proteinen; die lebenswichtigen Organe wie der Herzmuskel können ihren Eiweißbestand und ihre vollkommene Leistungsfähigkeit nur auf Kosten anderer Gewebe aufrecht erhalten, deren Proteine allmählich eingeschmolzen werden. Die Konzentration der im Blut zirkulierenden Aminosäuren ist im Hunger nicht erniedrigt, sondern im Gegenteil eher erhöht, ein Zeichen dafür, daß sie trotz mangelnder Zufuhr von außen durch Hydrolyse der körpereigenen Proteine beständig erneuert werden. Wir haben früher gezeigt, daß die Glucose in der Leber teilweise durch Glycogenolyse, teilweise durch Gluconeogenese geliefert wird. Im Hunger ist Neubildung von'Zucker aus Eiweiß der wesentliche Vorgang, der die Versorgung des Organismus mit Glucose garantiert. Der Proteinschwund im Hunger scheint ganz allgemein in denjenigen Organen und Geweben am geringsten zu sein, die unmittelbare Bedeutung für die Erhaltung des Lebens haben. Das eindrücklichste Beispiel ist der Herzmuskel im Vergleich zum Skelettmuskel. Auch das Knochensystem verliert nach protrahiertem Hunger verhältnismäßig wenig an Gewicht (wobei die gesamte Abnahme nur teilweise durch Eiweißverlust bedingt ist). Wir kennen die genauen Ursachen für das verschiedene Verhalten der einzelnen Gewebe nicht. In einzelnen Fällen, so beim Knochen, dürfte es an der Natur der Proteine (Collagen) und der Besonderheit der Gewebsstruktur (extrazelluläre Lokalisation) liegen, wenn ihr Abbau nur träge erfolgt. Beim Herzmuskel, der ein Gewebe mit besonders aktivem Stoffwechsel ist, kann eine solche Erklärung nicht zutreffen. Hier müssen Besonderheiten der chemischen Organisation, die offenbar direkt mit der Aktivität des Muskels zusammenhängen, es der Zelle ermöglichen, ihren Eiweißbestand aufrecht zu erhalten. (Ähnliches gilt auch für das Glycogen des Herzmuskels.) Was von Zellen und Geweben gesagt wurde, gilt auch für einzelne individuelle Proteine: ihre Bildung wird durch Eiweißmangel in ungleicher Weise beeinflußt. Im Hunger nimmt die Konzentration des Hämoglobins im Blut sogar zu, sowohl ihrem absoluten Werte nach als im Verhältnis zu den Plasmaproteinen. (Anämien, die bei chronischer Unterernährung auftreten,
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Der Eiweißstoffwechsel
haben ihre Hauptursache in einem Mangel an Eisen, nicht an Eiweiß.) Die Erhöhung der Hämoglobinkonzentration beruht auf einer Verringerung der Blutmenge, die ihrerseits der Abnahme des Körpergewichts parallel geht. Die gesamte Hämoglobinmenge verringert sich also weniger als die Menge der Organproteine oder sie bleibt (bei nicht zu langer Dauer des Hungers) überhaupt konstant. Man muß also annehmen, daß bei Eiweißmangel der Hämoglobinsynthese die Priorität gegenüber dem Aufbau anderer Proteine zukommt. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für andere lebenswichtige Proteine (Fermente und Hormone).
Eine besondere Rolle im Proteinhaushalt des Körpers spielen die Eiweißkörper des Blutplasmas. Ihre Menge ist im Verhältnis zur Gesamtmenge der Proteine im Körper gering. Sie beträgt beim erwachsenen Menschen etwa 150 g (Konzentration 7—8%). Neben ihrer Bedeutung für die Verteilung des Wassers haben sie wichtige chemische Funktionen. Versuche mit markierten Aminosäuren (Leucin und Glycocoll mit N (15) in der Aminogruppe) zeigen, daß die Plasmaproteine rasch erneuert werden. Nach Verfütterung der genannten Verbindungen an die Ratte weist nämlich das Blutplasmaprotein den höchsten Gehalt an schwerem Stickstoff auf ( S c h o e n h e i m e r , vgl. Tabelle S. 241). Wird arteigenes Blutplasma direkt in die Blutbahn injiziert, so verschwindet es ziemlich rasch aus dem Blut (nach Versuchen mit Plasmaproteinen, die radioaktives Lysin enthielten, sind nach 24 Stunden 50% der eingeführten Proteine verschwunden). Es gelingt, durch intravenöse Injektion von arteigenem Plasma Tiere während längerer Zeit im Stickstoffgleichgewicht zu erhalten. Merkwürdigerweise kommt es dabei zu keiner vermehrten Ausscheidung von Stickstoff im Urin, wie dies immer der Fall ist, wenn Proteine auf normalem Weg, d . h . enteral, verabreicht werden ( W h i p p l e ) . Man muß daraus den Schluß ziehen, daß die in die Blutbahn eingebrachten Plasmaproteine ohne tiefer greifenden Abbau, d. h. ohne intermediäre Bildung freier Aminosäuren, verwertet werden können. Wahrscheinlich werden sie zunächst in irgendwelchen Zellen in Organeiweiß umgewandelt und gespeichert. Umgekehrt können aber die Plasmaproteine aus den Geweben rasch ergänzt werden. Es muß in den Geweben (oder in einem bestimmten Gewebe) Proteine geben, die sehr leicht in Plasmaeiweiß übergehen und eine eigentliche Reserve an Plasmaproteinen darstellen. Dies wurde durch folgenden Versuch von W h i p p l e bewiesen: Man kann bei Versuchstieren (Hund) die Konzentration der Plasmaeiweißkörper beliebig verringern, indem man Blut entnimmt und durch das gleiche Volumen physiologischer Salzlösung ersetzt, der die zentrifugierten und gewaschenen Erythrocyten wieder zugesetzt worden sind. Man entzieht dem Tier auf diese Weise eine bestimmte Menge Plasmaproteine (Plasmapherese). Nach einmaligem Plasmaentzug steigt die Konzentration der Proteine rasch wieder auf den ursprünglichen Wert an; es muß also Protein aus den Geweben nachgeliefert werden. Durch täglichen Entzug einer gewissen Menge Blutplasma kann der Spiegel der Plasmaeiweißkörper dauernd auf einem bestimmten niedrigen Stand gehalten werden. Es zeigt sich nun, daß man während der ersten 2—3 Wochen des Versuchs bedeutend mehr Plasma entnehmen muß, um den Spiegel niedrig zu halten, als während der nachfolgenden Wochen. Es besteht also im Körper eine Proteinreserve, aus der die Plasmaproteine anfänglich rasch ergänzt werden können, die aber schließlich erschöpft wird. Die Größe dieser Reserve dürfte etwa das 1—2-fache der Menge der zirkulierenden Plasmaproteine betragen. Die beiden beschriebenen Tatsachen — rasches Verschwinden der Plasmaproteine aus der Blutbahn bei Injektion, rasche Ergänzung bei Entzug — lassen eine Art Gleichgewicht zwischen den Plasmaproteinen und gewissen Proteinkomponenten der Gewebe vermuten, analog dem Gleichgewicht zwischen Blutzucker und Glycogen, doch ist diese Annahme vorläufig hypothetisch. Es ist wenig wahrschein-
Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas
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lieh, daß die Plasmaproteine als solche in die Gewebe eingelagert werden; jedenfalls gibt es bis heute dafür keine experimentellen Anhaltspunkte. Es ist auch nicht ohne weiteres verständlich, wie sie durch die Kapillarwände hindurchtreten, da dieselben im allgemeinen für die Eiweißkörper undurchlässig sind. Man kann annehmen, daß sie partiell gespalten werden und daß die Bruchstücke in den Geweben in das Gefüge der Zellproteine eingebaut werden, aus dem sie leicht wieder gelöst werden können. Es ist auch unbekannt, welche Organe als Speicher dienen. Man nimmt an, daß die Leber eine Rolle spielt; doch kommen auch andere Organe wie Lymphdrüsen, Knochenmark, Muskulatur in Frage. Bei andauernder Unterernährung nimmt die Konzentration der Plasmaproteine ab. Hauptursache ist Eiweißmangel, besonders Mangel an tierischem Eiweiß, verbunden mit einem ungenügenden kalorischen Wert der Nahrung. Man muß annehmen, daß in diesem Zustand alle Eiweißreserven der Gewebe erschöpft sind, ohne daß ein genügender Ersatz möglich ist. Die Erniedrigung der Proteinkonzentration im Plasma (die bis auf 4—5% Protein sinken kann), spielt eine Bolle bei der Entstehung des sog. „Hungerödems", denn die Senkung des kolloidosmotischen Drucks erleichtert den Übertritt des Wassers aus den Kapillaren in die Gewebe, doch wirken noch zahlreiche tieferliegende Ursachen mit. Die Größe des Proteindefizits im Blutplasma ist ein Maß für die Größe des gesamten Eiweißdefizits im Körper. Man kann annehmen, daß das Defizit des Gesamtbestandes etwa 30- mal so groß ist wie das Defizit des Plasmas. Legt man z. B. eine Abnahme der Plasmaproteine von 7% auf 5% zugrunde, so fehlen im Plasma (Volumen z. B. 2000 ccm) 40 g Eiweiß, im Gesamtorganismus dementsprechend etwa 1200 g.
Eiweißverschiebungen, wie sie zwischen dem Blutplasma und den Geweben vorkommen, sind offenbar eine allgemeine Erscheinung. Wir müssen je nach dem Funktionszustand der einzelnen Organe ein beständiges Hin- und Herwandern von Proteinsubstanzen oder ihren Abbauprodukten zwischen den verschiedenen Zellen und Geweben annehmen. Das eindrücklichste Beispiel für eine derartige Wanderung und Umbildung der Proteine innerhalb des Organismus lieferte uns die Entwicklung der Gonaden beim Lachs während der Fortpflanzungszeit, wie sie durch die klassischen Arbeiten von F r . M i e s c h e r klargestellt worden ist. Der L a c h s lebt sowohl im Seewasser als im Süßwasser. Zur Ablage und Befruchtung der Eier steigen die Tiere vom Meer in die Flüsse und verbringen dort etwa sechs bis zehn Monate, ohne dabei irgendwelche Nahrung aufzunehmen. Sie leben während dieser Zeit ausschließlich auf Kosten ihrer Rumpfmuskulatur. Während dieser Periode reifen die Testikel bzw. Eierstöcke. Das Gewicht der Ovarien steigt von 60 bis 100 g bis auf 2 kg. Beim reifen Lachsweibchen können die Ovarien 1 / 3 der gesamten Trockensubstanz des Körpers enthalten! Auch die Hoden vergrößern sich in bedeutendem Maße. Ein 9 kg schwerer Lachs enthält in seinen Hoden zur Laichzeit etwa 27 g Protamin (siehe Eiweiß) mit etwa 23 g Arginin. Da nun das Muskeleiweiß des Lachses etwa 5,7% Arginin enthält, so müssen bei diesem Tier mindestens 402 g Muskeleiweiß während der Testikelreifung zerlegt worden sein, um dieses Quantum an Arginin zu liefern. Tatsächlich verliert die Seitenmuskulatur des Tieres etwa 40% ihres Gewichts. Daß bei diesem Gewichtsverlust tatsächlich eine Verminderung des Eiweißgehaltes eintritt, läßt sich sogar mikroskopisch erkennen, indem die Muskelfasern Degenerationserscheinungen zeigen (Einlagerung von Fett). (Auch in diesem Fall degenerieren die aktivsten Muskeln, welche den Bewegungsapparat betätigen, am wenigsten.) Das Resultat ist also ein auswählender Abbau der verschiedenen Eiweißbausteine, indem die stickstoffreichen basischen Aminosäurekomplexe in die Testikel wandern und dort zum Protamin synthetisiert werden. Die einfachen Monoaminosäuren werden wahrscheinlich oxydativ abgebaut und dienen als „Brennmaterial". In seinen letzten Untersuchungen mit S c h e n k hat A. K o s s e i dieses
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Der Eiweißstoffwechsel
Heranreifen der Spermatozoen am Karpfen genau verfolgt und konnte feststellen, daß der Aufbau der Protamine über die von K. F e l i x gefundenen b a s i s c h e n P e p t o n e und die H i s t o n e zum Protamin erfolgt. Dabei ließ sich ein im Laufe der Entwicklung auftretendes allmähliches Ein- und Austreten der verschiedenen „Hexonbasen" (Arginin, Histidin, Lysin) in das heranreifende Protamin feststellen, welches schließlich zur Bildung des argininreichen Protamins führt. Es ist in diesem Zusammenhange daher von großer Bedeutung, daß S t e u d e l und S u z u k i in der Zwischenflüssigkeit der Hoden die Aminosäuren fanden, die im Protamin fehlen: im Protamin des Herings: Arginin Alanin Serin Valin Prolin
in der Hodenzwischenflüssigkeit: Leucin Tyrosin Lysin Histidin Cystin Tryptophan
Ähnliche Vorgänge spielen sich, wenn auch in viel geringerem Umfang, wahrscheinlich auch bei der Entwicklung der Fortpflanzungsorgane vieler anderer Organismen ab. Beim Säugetier nimmt während der Gravidität der Uterus gewaltig an Gewicht zu; auch hier wird, wenn die Zufuhr von außen nicht genügt, das zum Aufbau der großen Muskelmasse nötige Material anderen Organen, wohl vor allem der Skelettmuskulatur, entnommen. Die Erfahrung in Mangelzeiten hat gezeigt, daß die Neugeborenen von unterernährten Frauen kaum untergewichtig sind. Die Entwicklung der Frucht kann also nur auf Kosten der mütterlichen Gewebe erfolgt sein. Die Verteilung der Stoffe, insbesondere der Proteine im Organismus, wird in der Fortpflanzungsperiode in erster Linie durch die Bedürfnisse der Fortpflanzungsorgane bestimmt. Ähnliches gilt auch für die Milchdrüse.
Auf welchem Wege der Umbau der Proteine zustandekommt, ist im einzelnen nicht bekannt. Vielfach wird die Bildung des neuen Eiweißkörpers von den freien Aminosäuren ausgehen, d. h. die Gewebsproteine, die das Material liefern, müssen vollständig hydrolysiert werden. Es ist aber auch denkbar, daß größere Bruchstücke, Polypeptide, zum Aufbau des neuen Proteins verwertet werden können; wir haben diese Möglichkeit bei Besprechung der Plasmaproteine diskutiert. 13. Die Synthese der Proteine Bei der Synthese von Polypeptiden und Proteinen müssen Peptidbindungen zwischen Carboxylgruppen und Aminogruppen geknüpft werden. Die Verknüpfung muß außerdem a u s w ä h l e n d erfolgen, d. h. die Aminosäuren müssen, je nach der Natur des Proteins, in bestimmter Reihenfolge aneinander gereiht werden. Wenn man bedenkt, daß ein Proteinmolekül einige hundert Aminosäurereste enthält, so-erkennt man, daß seine Bildung ein komplexer Vorgang sein muß. Die hydrolytische Spaltung der Peptidbindung ist ein „exergonischer" Vorgang, d.h. sie verläuft mit einer Abnahme der freien Energie; das Gleichgewicht der Reaktion: Rj-CO-NH RÜ
R t • COOH + H 2 N• R 2
liegt stark zugunsten der rechts stehenden Spaltprodukte. Eine Umkehrung der obigen Reaktion in nennenswertem Ausmaß ist daher nur möglich, wenn die Konzentration des Peptids sehr klein gehalten wird, d. h. wenn es fortwährend entfernt wird.
Die Synthese der Proteine
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Wir haben bereits erwähnt, daß tatsächlich bei Gegenwart v o n Proteasen Peptide in vitro gebildet werden können. I n den bisher bekannten Fällen ist das entstehende Peptid schwer löslich u n d fällt aus (Beispiel siehe S. 183). I n der lebenden Zelle könnte natürlich das neu gebildete Peptid dadurch entfernt werden, daß es irgendwie weiter reagiert. Die Peptidsynthese durch Umkehrung der fermentativen Hydrolyse ist sicher möglich; es läßt sich heute aber noch nicht sagen, welche Rolle sie in der lebenden Zelle spielt. W e n n wir v o n dem besonderen, oben genannten Fall absehen, daß das neugebildete Peptid aus der Reaktion ausscheidet, kann die Umkehrung der Hydrolyse nur durch die Koppelung mit einem energieliefernden Vorgang erzwungen werden. E s sind zwei Reaktionen bekannt, die als Modell für die Peptidsynthese angesehen werden können: die Synthese des Glutamins (I) und die Synthese der Hippursäure (II): (I) COOH • CH(NH a ) • CH2 • CH 2 • COOH + NH 3 (II) .COOH • CH2 • NH 2 + HOO
COOH • CH(NH) • CH2 CH 2 • CONH2 >• COOH • CH2 • NH • C O — ^
Werden die Komponenten — Glutaminsäure und Ammoniumionen im ersten Fall, Glycoooll und Benzoesäure im zweiten Fall — mit wirksamen Organextrakten zusammengebracht, so erfolgt die Synthese erst bei Zugabe von Adenosintriphosphat. Wie bei vielen anderen Reaktionen bildet diese Verbindung auch hier die Brücke zwischen den energieliefernden (meist oxydativen) und den synthetischen Reaktionen. Das Adenosintriphosphat kann, wie wir früher gezeigt haben, auf Kosten der freien Energie oxydativer oder glycolytischer Reaktionen aus Adenvlsäure synthetisiert werden. Seine Triphosphatgruppö kann die in ihr gespeicherte Energie unter Abspaltung von anorganischem Phosphat an andere Systeme weitergeben. Bei der Synthese des Glutamins wird pro Molekül Glutamin ein Molekül Phosphat frei nach folgendem Schema ( S p e c k , E l l i o t und Gale): Glutaminsäure + ATP + NH 3 >- Glutamin + ADP + Phosphat (ATP = Adenosintriphosphat, ADP = Adenosindiphosphat) Man nimmt an, daß diese Reaktion in zwei Stufen verläuft: zuerst reagiert Glutaminsäure mit dem Adenosintriphosphat unter Bildung eines Glutamvlphosphats: COOH • CH(NH2) CH 2 CH 2 - COOH + ATP
COOH • CH(NH2) • CH2 • CH2 • C—P0 3 H 2
Diese Reaktion wird durch ein Ferment katalysiert. Das Glutamylphosphat reagiert anschließend in einer wahrscheinlich s p o n t a n e n (nicht fermentativen) Reaktion mit dem Ammoniak: COOH • CH(NH 2 ) • CH2 • CH2 • C—P0 3 H 2 ,0 COOH • CH(NH a ) • CH2 • CH2 • C C H ' II \CH W W r \ \\ r N—C—N H N - C—N Guanin Xanthin Das Ferment, welches diese Wirkung hat, wird als Gruanase bezeichnet. N=C-NH 2 I I HC C—NH I i
! !
>
+ H,0 =
C H
HN—C=0 I I HC C—NH !
N—C—N Adenin
!
+ NH3 >
C H
N—C—N Hypoxanthin
Dieses Ferment, welches also Adenin zu Hypoxanthin desaminiert, heißt demnach Adenase. Diese Purindesaminasen wirken auch schon auf die Nucleoside, so daß direkt Xanthin- bzw. Hypoxanthinnucleoside entstehen: Adenin—Kohlehydrat (Adenosin) Guanin—-Kohlehydrat (Guanosin)
— •
Hypoxanthin—Kohlehydrat (Hypoxanthosin) Xanthin—Kohlehydrat (Xanthosin)
Die o x y d a t i v e Phase besteht in einer Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin und dieses letztere wird zu H a r n s ä u r e oxydiert. Vereinigt man alle diese Vorgänge zu einem Bilde, so ergibt sich das Schema:
Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper
N=C—NH, l HC C- -NH CH N—C—N
HN—00 I I H.N-C C—NH
Adenin
Desaminierung HN—CO Oxyd.
HC0
Oxyd.
II >
CH
CH
HN—C—NH Harnsäure
HN—C—N Xanthin Die Harnsäure ist also zunächst die Verbindung, in welche alle Purine übergehen. Die Oxydation des Xanthins und des Hypoxanthins zu Harnsäure wird durch die Xanthinoxydase bewirkt, die zur Gruppe der „gelben Fermente" gehört, d. h. Lactoflavin in seiner Wirkungsgruppe enthält (vgl. S. 210). Die Wirkungsgruppe ist FlavinAdenin-Dinucleotid. Die Xanthinoxydase kommt in der Leber vor. Man kann die Oxydation z. B. des Hypoxanthins folgendermaßen formulieren (Wasseranlagerung an die C=N-Doppelbindung mit darauffolgender Dehydrierung): Hypoxanthin
O
HN I HC
C N. II >CH C- N H /
HoO
X CH C—NHy
Flavin
>CH
C— N H '
N O HN HO-CH
NH Flavin H„
02
-N 0=--C
C—NH'
NH Flavin + H 2 0 2 ; H202
CH + Flavin H2
H 2 0 + J0 2
Die Xanthinoxydase ist ein Ferment von ziemlich weitem Spezifitätsbereich. Es greift auch Aldehyde an, die zu den entsprechenden Carbonsäuren dehydriert werden. Das Ferment findet sich auch in der Milch; es ist identisch mit dem schon lange bekannten S c h a r d i n g e r s c h e n Enzym. Die sog. S c h a r d i n g e r s c h e Reaktion, die frische Milch von gekochter zu unterscheiden gestattet, besteht darin, daß in Gegenwart von Formaldehyd oder Acetaldehyd beim Erwärmen auf 40° unter Sauerstoffausschluß Methylenblau entfärbt wird. Der Wasserstoff wird in diesem Falle vom Ferment auf das Methylenblau übertragen, das zur Leukobase reduziert wird. Harnsäure ist äußerst schwer in Wasser löslich. Man kann sie als Keto- oder Enolverbindung auffassen:
Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel
394
II 00 I I z^
I C0H II^'
HN—CO
N=~C—OH HOCl
OC C—NH HN—C—SfH Ketoform
C—NH
N—C—N Enolform
Im Organismus ist die Harnsäure als Urat gelöst. Bei normaler gemischter Kost scheidet ein normaler Mensch täglich etwa 0,5—1,2 g Harnsäure aus. Die Harnsäure wurde von S c h e e l e 1876 in Harnsteinen entdeckt. Die Harnsäure ist beim Menschen und den anthropoiden Affen das hauptsächlichste Endprodukt des Purinstoffwechsels; bei Vögeln und Reptilien ist sie, wie wir früher erwähnt haben, das Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels überhaupt. Die Harnsäure wird bei den meisten Säugetieren durch ein Ferment, welches als u r i c o l y t i s c h e s Ferment, Uricase oder Uricooxydase, bezeichnet wird, zu Allantom abgebaut, eine Verbindung, die erstmals von V a u q u e l i n im Fruchtwasser, von L a s s a i g n e in der Allantoinflüssigkeit und von W ö h l e r im Harn neugeborener Kälber beobachtet wurde. HN—CO I ! OC C—NH
II
Z HN—C—NH Harnsäure
+ O + H20
=
0 0
H2N O ! II OC C—NH + C02
II
Z0 HN—CH—NH Allantoin
0
Es wird dabei der Pyrimidinteil des Purinringes geöffnet und das 6-C-Atom als C0 2 abgespalten. Durch die Untersuchung von K. F e l i x und nach W. S c h u l e r ist diese Reaktion geklärt worden. Sie verläuft mehrphasisch. In der ersten Phase wird Sauerstoff und Wasser aufgenommen, in einer zweiten das C0 2 abgespalten. Die Untersuchung der Aktivität in Abhängigkeit vom p H zeigt auch deutlich zwei M a x i m a , von denen das der ersten Phase bei p H 8,7, das der zweiten bei pH 9,7 liegt. Es bildet sich zunächst aus der Harnsäure ein Oxydationsprodukt, nach S c h u l e r die Oxyacetylendiureincarbonsäure, welche dann erst in Allantoin übergeht: HN—CO I I
-±°±»-CO NH—C—NH OH Oxyacetylendiureincarbonsäure
O || fl2 NH—C N OC< I >CO NH—C—NH H Allantoin
Diese Oxydation der Harnsäure zu Allantoin ist auch rein chemisch unter Anwendung von Kaliumpermanganat durchführbar. Während die beschriebene Uricolyse mit dem Extrakt zahlreicher Säugerorgane leicht durchführbar ist, besitzen die Organe des Menschen g a r keine o d e r n u r m i n i m a l e nricolytisehe Wirkung. Viele Forscher neigen daher der Ansicht zu, daß der Mensch überhaupt nicht die Fähigkeit besitzt, Harnsäure abzubauen. Wenn diese Fassung auch vielleicht zu extrem ist, so besteht aber dennoch der wichtige Unterschied gegen die anderen Säuger. T h a n n h a u s e r und B o m m e s injizierten
Die Bedeutung der Phosphatbindung
395
einem Menschen die Nucleoside Adenosin und Guanosin und konnten 82% des so eingeführten Stickstoffs aus dem Harn als Harnsäure wiedergewinnen, was anzeigt, daß keine Uricolyse von größerem Umfang stattgefunden haben kann. Die im Harn ausgeschiedene Harnsäure stammt entweder aus dem beschriebenen Zerfall der als Nahrungsstoffe zugeführten Purine oder sie entsteht durch die Abnützung der Zellkernsubstanz. Wird ein Mensch p u r i n f r e i ernährt, so sinkt dieHarnsäureausscheidung bis auf ein Minimum, welches nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Diese Minimalmenge beträgt pro Tag 0,5 g. Sie stellt diejenige Harnsäuremenge dar, welche durch den Abbau der Zellkernsubstanz des Organismus gebildet wird. Man bezeichnet sie als endogene Harnsäure im Gegensatz zur exogenen Harnsäure, welche aus dem Abbau der mit der Nahrung zugeführten Purine entsteht. S t ö r u n g e n des P u r i n s t o f f w e c h s e l s Unter Arthritis urica oder Gicht wird eine Störung des menschlichen Purinstoffwechsels verstanden, bei welcher es zur Bildung der sog. Tophi (Gichtknoten) kommt, welche Ablagerungen von Harnsäure und Uraten enthalten. Ihr Wesen ist trotz eifrigster Forschung noch nicht geklärt. Man hat eine Fermentanomalie oder auch mehr kolloid chemische Ursachen zu ihrer Deutung herangezogen. Auch eine Veränderung der Niere, die zu einer verminderten Ausscheidung der Harnsäure führt, wurde zur Erklärung dieser Krankheit in Betracht gezogen. Der Harnsäuregehalt des Bluts ist beim Gichtkranken gewöhnlich etwas erhöht.
Achtzehntes
Kapitel
Die Bedeutung der Phogphatbindung Wir haben in den vorangehenden Kapiteln verschiedene Reaktionen kennengelernt, bei denen anorganisches Phosphat in organische Bindung übergeführt wird, und haben darauf hingewiesen, welch große Bedeutung phosphorylierten Zwischenprodukten im Intermediärstoffwechsel zukommt. Vor allem liefert die Kette der glycolytischen Reaktionen dafür eindrückliche Beispiele. Es handelt sich hier nicht um vereinzelte Erscheinungen. Wir wissen heute, daß ganz allgemein die Einführung von Phosphatresten in organische Moleküle dazu dient, die Verbindungen reaktionsfähig zu machen, und daß gewisse organische Phosphorsäureverbindungen die Bindeglieder zwischen den energieliefernden Abbaureaktionen (Oxydation, Glycolyse) und den energieverbrauchenden synthetischen Reaktionen darstellen. Wir wollen daher in diesem Kapitel die Bedeutung der Phosphatgruppe nöch einmal im Zusammenhang behandeln. 1. Thermodynamisehe Vorbemerkungen Wir müssen zunächst einige allgemeine Bemerkungen über die thermodynamischen Gesetze vorausschicken, welche den Ablauf der ohemischen Reaktionen bestimmen. Wir betrachten eine umkehrbare chemische Reaktion: mA + nB + * xP + yQ 4(Es reagieren m Moleküle des Stoffes A mit n Molekülen des Stoffes B usw. unter Bildung von x Molekülen des Stoffes P, y Molekülen des Stoffes Q usw.) Wir nehmen an, daß ein beliebiges Gemisch aller an der Reaktion beteiligter Stoffe vorliegt. Je nach dem Anfangszustand, der durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck bestimmt ist, wird die obige Reaktion in der einen oder der anderen Richtung verlaufen können. Die Thermodvnamik lehrt, daß es ein allgemeines Kriterium gibt,
396
Die Bedeutung der Phosphatbindung
das bei gegebenem Anfangszustand vorauszusagen gestattet, in welcher Richtung die Reaktion ablaufen wird. Man kann nämlich jedem Zustand des Systems (bestimmt durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck) eindeutig eine Größe, die sog. f r e i e E n e r g i e , zuordnen, welche die Eigenschaft hat, bei allen spontan verlaufenden Reaktionen abzunehmen. Es können nur solche Vorgänge von selbst (d. h. ohne Energiezufuhr von außen her) ablaufen, die mit einer Abnahme der freien Energie verknüpft sind. Die freie Energie wird gewöhnlich durch das Symbol P bezeichnet. Für die Differenz der freien Energie bei zwei verschiedenen Zuständen F 2 — F j schreibt man gewöhnlich (Der absolute Wert der freien Energie bleibt unbestimmt; nur die Differenzen A F haben Bedeutung.) Wenn sich irgendein System, z. B. ein Gemisch reaktionsfähiger Stoffe, im Gleichgewicht befindet, so tritt keinerlei spontane Änderung ein. Ein solcher Zustand ist nur dann möglich, wenn jede Abweichung von ihm mit einer Z u n a h m e der freien Energie verbunden ist. Dies bedeutet, daß im Gleichgewichtszustand die freie Energie des Systems ihren kleinstmöglichen Wert annimmt. Bei konstanter Temperatur (sog. i s o t h e r m e Vorgänge) und konstantem Druck ist die freie Energie nur eine Funktion der Zusammensetzung des Systems, d. h. der Konzentration der verschiedenen Komponenten. Nach den obigen Ausführungen ist daher der Gleichgewichtszustand mathematisch dadurch gekennzeichnet, daß das Differential dF der freien Energie (als Funktion der Konzentrationen betrachtet) verschwindet: dF = O. (Man erinnere sich daran, daß für diejenigen Werte der Veränderlichkeit, die dem Minimum [oder dem Maximum] einer Funktion entsprechen, die Ableitung der Funktion verschwindet!) Aus dieser wichtigen Gleichung lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen beliebiger Reaktionen ableiten. Für jeden anderen Zustand ist bei einer spontan eintretenden kleinen Änderung dF < 0 , d. h. negativ. Die freie Energie ist eine Funktion des Zustandes, wie er durch Druck, Temperatur und Zusammensetzung gegeben ist. Jedem Zustand ist eindeutig ein bestimmter Wert der freien Energie zugeordnet. Wenn ein System auf zwei verschiedenen Wegen in einen neuen Zustand übergeht, so tritt dabei die gleiche Änderung der freien Energie ein; sie ist völlig unabhängig von der Art und Weise, wie der Übergang ausgeführt wird. Dies hat die wichtige Konsequenz, daß bei einer Reaktion, die über mehrere Zwischenstufen verläuft, die Summe der Werte von A F für die einzelnen Teilstufen die Änderung der freien Energie für die Gesamtreaktion ergibt: A •
> Xj
> X2 AF2
'
' '
AF AF, + AF2 + AF3 +
" AF3
—Xg '
> B usw.
I
AF
Die freie Energie hat den Charakter eines P o t e n t i a l s . Ein mechanischer Vergleich macht dies klar. Man kann bekanntlich im Schwerefeld oder im elektrischen Feld jedem Punkt des Raumes eine Größe derart zuordnen, daß die Änderung dieser Größe A P längs einer kleinen Strecke A x , bezogen auf die Längeneinheit, also der Quotient A P / A x gleich der in Richtung der Strecke A x wirkenden Kraft ist (z. B. gleich der elektrischen Feldstärke). Diese Größe P heißt das Potential der Kraft oder auch die potentielle Energie. Man kann den Unterschied des Potentials zwischen benachbarten Punkten als Ursache der Bewegung eines Teilchens im Kraftfeld betrachten. In ähnlicher Weise kann man bei chemischen Reaktionen den Unterschied der freien Energie zwischen benachbarten Zustanden als treibende Kraft der Reaktion ansehen. Wir können hier nicht näher auf den Begriff der freien Energie und seine Ableitung eintreten. Diese thermodynamische Funktion wurde von H e l m h o l t z eingeführt. Er bezeichnete sie als „freie" Energie, weil sie bei jedem Vorgang denjenigen Teil der gesamten Energieänderung darstellt, welcher für die Leistung mechanischer oder elektrischer Arbeit frei zur Verfügung steht. (Bekanntlich geht bei allen Vorgängen ein Teil der Energie immer in Wärme über und ist daher für die Arbeitsleistung verloren.) Für ein tieferes Eindringen verweisen wir auf die Lehrbücher der Thermodynamik und Physik (siehe z.B. B e r g m a n n - S c h a e f e r , Lehrbuch der Experimentalphysik, 2. u. 3. Aufl., Bd. 1, S. 541, und besonders das klassische Buch von L e w i s und R a n d a l l , Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen). Die Änderung der freien Energie wird gewöhnlich, wie dies bei der Wärmetönung einer Reaktion üblich ist, der Reaktionsgleichung beigefügt, z. B . : H 2 (g, 1 Atm.) + i/ 2 0 2 (g, 1 Atm.) = H 2 0 (1); A F 2 9 8 = —56 560 cal. Die in Klammern hinter den chemischen Symbolen der Stoffe stehenden Angaben bezeichnen den Zustand der Stoffe (g = gasförmig, 1 = flüssig). Die Gleichung bedeutet: Gasförmiger Wasserstoff von 1 Atmosphäre Druck und gasförmiger Sauerstoff von 1 Atmosphäre Druck verbinden sich bei einer absoluten Temperatur von 298° ( = 25° fielst ,711 flüssigem Wasser. Bei
Thermodynamische Vorbemerkungen
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dieser Reaktion nimmt die freie Energie um 56560 cal. ab (d. h. die freie Energie des Systems gasförmiger Waaserstoff + Sauerstoff ist um diesen Betrag höher als die freie Energie des daraus entstehenden flüssigen Wassers). Die Abnahme von F (negatives Vorzeichen von A P ! ) weist darauf hin, daß der durch die Gleichung dargestellte Vorgang, von links nach rechts gelesen, spontan vor sich geht. E s ist nicht gesagt, daß jeder thermodynamisch mögliche, d. h. mit einer Abnahme der freien Energie verknüpfte Vorgang auch tatsächlich abläuft. Sehr oft bestehen Reaktionshindernisse, die mit den Reibungskräften bei mechanischen Systemen verglichen werden können. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, daß dies ein sehr wichtiger Umstand ist. Ohne diese Reaktionshindernisse (die meist in der Natur der chemischen Valenzkräfte begründet sind) würden z. B. die wenigsten organischen Verbindungen bei Gegenwart von Sauerstoff beständig sein. Die mangelnde Reaktionsfähigkeit von chemischen Systemen kann zwei prinzipiell verschiedene Ursachen haben, die streng auseinander zu halten sind: 1. Eine Reaktion kann dann nicht ablaufen, wenn sie thermodynamisch unmöglich ist, d. h. mit einer Zunahme der freien Energie einhergeht. 2. Eine Reaktion kann, auch wenn sie mit einer Abnahme der freien Energie verbunden ist, dann nicht ablaufen, wenn die Stoffe reaktionsträge sind. Sie tritt in diesem Fall erst dann ein, wenn die Reaktionsträgheit durch geeignete Mittel — Erhöhung der Temperatur, Zusatz von Katalysatoren — beseitigt wird. D e f i n i t i o n : Reaktionen, die mit einer Abnahme der freien Energie verbunden sind, heißen e x e r g o n i s c h , solche, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind, e n d e r g o n i s c h . Diese Ausdrücke, die von C o r y e l l 1940 eingeführt wurden, entsprechen den Bezeichnungen e x o t h e r m f ü r Vorgänge, die mit Wärmeentwicklung, und e n d o t h e r m f ü r solche, die mit Wärmeabsorption einhergehen. Man glaubte früher, daß das Kriterium f ü r den spontanen Ablauf einer Reaktion die positive Wärmetönijng sei: Es sollten nur exotherme Reaktionen von selbst vor sich gehen können. Tatsächlich sind in vielen Fällen die exergonischen Reaktionen auch exotherm, besonders dann, wenn es sich um Reaktionen mit hoher Wärmeentwicklung handelt. In solchen Fällen sind meist auch die Wärmetönung und die Änderung der freien Energie nicht allzusehr verschieden. I m obigen Beispiel (Bildung des Wassers aus den Elementen) beträgt z. B. die abgegebene Wärme = 68270 cal. gegenüber A F = —56560 cal. Es gibt aber zahlreiche Beispiele, welche zeigen, daß nicht die Wärmebildung oder -aufnähme die Reaktionsrichtung bestimmen kann. Wir kennen spontan verlaufende Reaktionen, bei welchen Wärme aufgenommen wird. Wir erinnern z. B. an die Abkühlung, die in vielen Fällen beim Auflösen eines Stoffes in Wasser beobachtet wird. Wir müssen, was die Berechnung der freien Energie betrifft, auf die Lehrbücher der physikalischen Chemie verweisen. Es sei hier nur auf eine Möglichkeit verwiesen, die gerade auch bei der Berechnung der freien Energie von Oxydationsvorgängen vielfach Verwendung findet. Wenn man den Vorgang zum Aufbau einer galvanischen Kette verwenden kann, so ist die elektromotorische K r a f t e dieser Kette direkt proportional der Änderung der freien Energie des Vorgangs. Und zwar ist ^p n . wobeiFdas Faradayäquivalent (96494 Coulomb = 23074 cal./Volt) und n die Zahl der durch die Zelle fließenden Äquivalente bedeutet. Beobachten wir als Beispiel die Auflösung von Zink in Schwefelsäure: Zn + H 2 S 0 4 = Z n S 0 4 + H 2 . Man kann eine galvanische Kette zusammensetzen, bestehend aus einer Zinkelektrode und einer Wasserstoffelektrode (vgl. S. 131) in Schwefelsäurelösung. Wenn man beide Elektroden in Kont a k t bringt, so fließt der äußere Strom von der Wasserstoff- nach der Zinkelektrode; die erstere ist also gegenüber der letzteren positiv. Die elektromotorische K r a f t des Elements beträgt (wenn die Konzentration der Wasserstoffionen 1 n ist) 0,76 Volt. Da nach obiger Gleichung zwei Elektrizitätsäquivalente überführt werden, ist die Änderung der freien Energie f ü r den oben angeschriebenen Vorgang A F = —2-23074-0,76 = —35000 cal. Auf diese Weise können auch die Redoxpotentiale in gewissen Fällen dazu benützt werden, die Änderungen der freien Energie bei biologischen Oxydo-Reduktionen zu berechnen. F ü r das System Cozymase-Dihydrocozymase beträgt z. B. das Redoxpotential etwa + 0,14 Volt, f ü r das System Flavin - Dihydroflavin etwa + 0 , 3 4 Volt. Würde man also die beiden Redoxsysteme zu einer galvanischen Kette vereinigen (wobei das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe = 1 vorausgesetzt wird; vgl. Definition des Redoxpotentials S. 136), so würde die elektromotorische K r a f t 0,2 Volt betragen; die Änderung der freien Energie beim Übergang eines Paars Wasserstoffatome vom Pyridincoferment auf das Flavincoferment hat also den
398
Die Bedeutung der Phosphatbindung
Wert A F = —2-23074-0,2 = —9200 cal. Solche Berechnungen sind f ü r verschiedene in diesem Kapitel behandelte Fragen von Bedeutung. Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der freien Energie von Gleichgewichtsreaktionen ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit den Gleichgewichtskonstanten. Wir kommen unten darauf zurück. I m Organismus verlaufen zahlreiche Reaktionen, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind. S o l c h e R e a k t i o n e n s i n d n a t ü r l i c h n u r a l s T e i l v o r g ä n g e k o m p l e x e r e x e r g o n i s c h e r R e a k t i o n e n d e n k b a r . Für sich allein wären sie thermodynamisch nicht möglich. Diese Behauptung bedarf einiger Erläuterungen. Jede Reaktion ist theoretisch umkehrbar und f ü h r t daher zu einem Gleichgewicht. Betrachten wir z. B. die Spaltung C ^"-rit
A + B.
Wenn diese Reaktion stark exergonisch ist, d. h. mit einer starken Abnahme der freien Energie einhergeht, so bedeutet dies, daß C fast vollständig verschwindet und daß, wenn die Reaktion infolge Erreichung des Gleichgewichts zum Stillstand kommt, nur die Spaltprodukte A und B neben wenig Ausgangsprodukt C vorhanden sind. Geben wir A und B zusammen, so wird sich aber doch durch Verbindung von A und B eine kleine Menge C bilden. Es kann also auch bei einer exergonischen Reaktion die endergonische Gegenreaktion, wenn in der Regel auch nur in geringem Umfang, stattfinden. Die Lage des Gleichgewichts hängt von A F ab. Legen wir die allgemeine Reaktion y mA + nB + xP + yQ + zugrunde, so gilt nach dem Massenwirkungsgesetz (PMQ)y • (A)m.(B)n
k
-
(P), (Q) usw. bedeuten die Konzentrationen der betreffenden Stoffe. Die Gleichgewichtskonstante k hängt eng mit der Änderung der freien Energie zusammen, welche bei Ablauf der Reaktion von links nach rechts eintritt. Es ist nämlich (bei Umsatz der durch die Reaktionsgleichung angegebenen Zahl von Gramm-Molekülen) A F = — R - T - l o g n a t k = 2,30-R-T-log k (R = Gaskonstante, T = absolute Temperatur, log nat = natürlicher Logarithmus, log = dekadischer Logarithmus; f ü r 25° ( = 298° Kelvin) hat der Zahlenfaktor 2,30-R-T den Wert 1365 cal., f ü r 38° den Wert 1424 cal.). Man sieht leicht, daß das Gleichgewicht um so mehr zugunsten der linken Seite der Reaktionsgleichung liegt, je größer der Abfall der freien Energie ist. Wir betrachten als Beispiel etwa die früher schon besprochene Synthese des Harnstoffs aus Ammonium- und Bicarbonationen in wäßriger verdünnter Lösung: 2 H C 0 3 " + 2NH 4 + = CO(NH 2 ) 2 + H 2 C0 3 + 2 H 2 0 ; A F = + 1 3 8 0 0 c a l . Aus dem angegebenen Wert von A F kann man nach der obigen Gleichung die Gleichgewichtskonstante berechnen. Sie ergibt sich zu etwa 10~ 10 ; d. h. wenn die Konzentration der Bicarbonat- und Ammoniumionen je 0,01 Mol/1 beträgt, so ist im Gleichgewichtszustand die Konzentration des Harnstoffs nur etwa von der Größenordnung 10~12 -m. Damit eine Synthese als Gegenreaktion einer exergonischen Spaltung in meßbarem Umfang Zustandekommen kann, darf das Gleichgewicht nicht so einseitig zugunsten der Spaltung liegen wie im vorigen Beispiel, sondern es sollten im Gleichgewichtszustand die Konzentrationen der verschiedenen Reaktionsteilnehmer von ungefähr gleicher Größenordnung sein. Damit dies möglich ist, darf die Änderung der freien Energie keinen zu großen absoluten Wert haben. Betrachten wir z. B. wie oben die Spaltung C
• R-CO-NHj + H 0 P 0 3 H 2 . Diese Reaktion ist durchaus vergleichbar mit der chemischen Darstellung des Säureamids aus dem Säurechlorid und Ammoniak: R-CO-Cl + NH 3 > R-CO-NH 2 + HCl. Auch hier ist die Hydrolyse des Säurechlorids ein so stark exergonischer Vorgang, daß die obige Reaktion thermodynamisch möglich ist.
Wir haben bei Besprechung des Citronensäurecyklus und der Glycolyse gezeigt, daß das aufgenommene anorganische Phosphat zunächst in das Adenosintriphosphat übergeht. Diese Verbindung nimmt im gesamten Intermediärstoffwechsel eine zentrale Stellung ein. Sie enthält drei anhydridartig miteinander verbundene Phosphorsäuregruppen (vgl. S. 269): OH OH OH I I I Adenosin —O—P—0—P—O—P—OH
II
0
II
II
0
0
Sie vermag die eine ihrer Phosphatgruppen an zahlreiche andere Verbindungen weiterzugeben (Transphosphorylierung) und dieselben auf diese Weise reaktionsfähig zu machen. Die Fähigkeit des Adenosintriphosphats, andere Stoffe zu phosphorylieren, findet thermodynamisch ihre Erklärung in dem sehr hohen Abfall der freien Energie bei Spaltung der Anhydridbindung; die Hydrolyse der meisten anderen organischen Phosphatbindungen (z. B. Esterbindungen in den Zuckerphosphaten) ist viel weniger exergonisch (die Bildung weniger endergonisch), daher ist die Übertragung eines Phosphatrestes vom ATP auf andere organische Stoffe meist ein exergonischer, zu Ende verlaufender Vorgang. Als Beispiel sei etwa die Hexokinasereaktion erwähnt: ATP + Hexose ¡- ADP + Hexosephosphat (ATP = Adenosintriphosphat; ADP = Adenosindiphosphat).
Die Bilanz der freien Energie bei einem solchen Vorgang ist aus nachfolgendem Schema zu ersehen: Adenosintriphosphat
Abnahme der freien Energie bei Hydrolyse der Anhydridbindung des ATP
Hexosephosphat
y
A F der Transphosphorylierung negativ (Reaktion exergonisch) Zunahme der freien Energie bei Bildung des Hexosephosphats aus anorgan. Phosphat + Hexose
Adenosindiphosphat
Die Rolle des Phosphats usw.
401
Wie man sieht, ist für das Verständnis der Phosphorylierung die Kenntnis der zugehörigen Änderung der freien Energie von grundlegender Bedeutung. Es zeigt sich, daß man in dieser Hinsicht die Phosphorsäureverbindungen in zwei Gruppen einteilen muß: 1. Zur ersten gehören die gewöhnlichen Ester vom Typus der Zuckerphosphate: Hexosephosphate, Pentosephosphate (in den Nucleotiden), Triosephosphate, Glycerophosphate, Phosphoglycerinsäure, Cholinphosphat usw. Die Werte von A F für die Hydrolyse dieser Bindungen liegen meist zwischen etwa 2000—-3000 cal.: R-O-POg—+ HsO • R 0H + HP0 4 —; AF 3000cal. Nur die für 2-Phosphoglycerinsäure ( A F = 4050) und das Glucose-1-phosphat ( / \ F = —4800) liegen die Werte etwas höher. 2. Bei den Verbindungen der zweiten Gruppe ist der die Hydrolyse begleitende Abfall der freien Energie bedeutend höher, nämlich 12000—16000 cal. Man bezeichnet die Phosphatbindung dieser Gruppe daher gewöhnlich als „ e n e r g i e r e i c h e Phosphatbindung". Dazu gehören: Adenosintriphosphat:
OH
OH
OH
Adenin—Ribose—O—P—O—P—O—P—OH II II II O O O Das ATP enthält zwei energiereiche Phosphatbindungen in Form der beiden Säure anhydridbindungen zwischen den Phosphatresten: Enolphosphate vom Typus der Phosphoenolbrenztraubensäure: COOH I /OH C—O—Pc=0 x II OH CH2 Acylphosphate wie das Acetylphosphat oder das Phosphoglycerinsäurephosphat (Negelein-Ester): Q II /OH C—O—P^=0 | \0H R Amidinphosphate wie das Phosphokreatin oder das Phosphoarginin: NH II /OH C—NH—P==0 | \OH R—NH Hier ist der Phosphor an Stickstoff gebunden. Wahrscheinlich gibt es noch einen weiteren Typus energiereicher Phosphatbindung, nämlich das an Schwefel gebundene Phosphat im phosphorylierten Coenzym A: /OH R—S—P^=0 \0H Um die energiereichen Phosphatbindungen zu kennzeichnen, benützt man oft (nach einem Vorschlag von L i p m a n n ) statt des gewöhnlichen Valenzstriches eine gewellte Linie Man muß also z. B. schreiben: 26
E d l b a c h er - L e u t h ar d t , Lehrbuch. 10. Aufl.
402
Die Bedeutung der P h o s p h a t b i n d u n g OH OH OH I I I Adenosin—O— P — 0 ~ P — 0 ~ P — O H O
O
O
OH Kreatin—N~P—OH II O
oder:
usw.
Für- die Unterscheidung und Charakterisierung der verschiedenen Phosphorsäureverbindungen k a n n m a n nach L o h m a n n die Hydrolysegeschwindigkeit in 1 n Salzsäure benützen. Zwei Phosphatreste des A T P (die beiden Anhydridbindungen), Acylphosphate, Enolphosphate, Amidinphosphate werden beim Erhitzen im siedenden Wasserbad während 7 Minuten vollständig hydrolysiert. Auch Glucose-l-phosphat u n d Fructose-l-phosphat werden unter diesen Bedingungen gespalten. Man bezeichnet derartige P h o s p h a t g r u p p e n kurz als labiles P h o s p h a t (auch „7-MinutenP h o s p h a t " ) . Die gewöhnlichen Esterbindungen sind viel stabiler. Einzelne Verbindungen widerstehen mehrstündigem Erhitzen m i t 1 n HCl. Die Triosephosphate (Phosphoglycerinaldehyd u n d Phosphodioxyaceton) werden durch 1 n Alkali in 20 Minuten vollständig hydrolysiert (sog. alkalilabiles Phosphat). Wie m a n sieht, sind die energiereichen Phosphatbindungen alle labil; es gibt aber auch u n t e r den „energiearmen" Esterbindungen solche, die säurelabil sind.
Es ist klar, daß eine Phosphatübertragung durch Gleichgewichtsreaktionen nur möglich ist zwischen Phosphorsäureverbindungen der gleichen Gruppe, z. B. zwischen zwei Estern oder zwischen zwei energiereichen Phosphatverbindungen (z. B. ATP und Phosphokreatin) oder von einer energiereichen Phosphatverbindung auf einen Ester. A
F
Ca/. 1S0CC
Energiereiche , Phosphat bindungen
10000
5000 Ester bindungen
anorganisches
Phosphat
Abb. 36. E n e r g i e n i v e a u s d e r P h o s p h a t b i n d u n g e n (nach L i p m a n n ) . ( A F in g cal.)
Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung
403
Dagegen kann eine energiereiche Phosphatbindung nicht durch Übertragung des Phosphatrests aus einem Ester oder gar aus anorganischem Phosphat entstehen. Diese Reaktionen sind stark endergonisch und können, wie oben ausgeführt wurde, nur durch Koppelung mit energieliefernden Prozessen Zustandekommen. Im Schema Abb. 36 (nach L i p m a n n , leicht verändert) sind die möglichen Wege der Transphosphorylierung durch ausgezogene Pfeile, die endergonischen Reaktionen durch gestrichelte Pfeile angedeutet. Der allgemeine Verlauf der Phosphorylierungsvorgänge stellt sich also folgendermaßen dar: die freie Energie der Oxydation und der Glycolyse wird zur Bildung energiereicher Phosphatgruppen benützt, die anschließend durch Gleichgewichts reaktionen auf andere Verbindungen übertragen werden können. Die phosphorylierten Verbindungen sind zu synthetischen Reaktionen befähigt, bei welchen das Phosphat gegen andere Reste ausgetauscht und als anorganisches Phosphat wieder abgespalten wird. Die Energie der Phosphatbindung bleibt dabei ganz oder teilweise in Form einer neuen organischen Bindung (Ester, Amid, Peptid usw.) erhalten. Auf diese Weise kann die freie Energie der Oxydation, anstatt in Wärme zerstreut zu werden, zum Aufbau neuer (endergonischer) Bindungen benützt werden. Das Phosphat wird durch die Oxydation auf ein hohes Energieniveau gehoben, von dem es unter Arbeitsleistung (organische Synthesen usw.), wie das Gewicht einer Uhr, wieder auf die Stufe des anorganischen Phosphats absinkt. Das Phosphat durchläuft in der Zelle derart einen Cyklus (Phosphatcyklus), der sich schematisch folgendermaßen darstellen läßt: organisch gebundenes Phosphat
oxydative und glycolytische Phosphorylierung
Verbrauch der Phosphatbindungen anorganisches Phosphat
Wir wollen im folgenden einige wichtige Reaktionen (die meist früher schon besprochen wurden oder in den nachfolgenden Kapiteln noch behandelt werden) unter den neu gewonnenen Gesichtspunkten kurz betrachten. 3. Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung Unter den glycolytischen Reaktionen führen zwei zur Bildung von energiereichem Phosphat: die Dehydrierung des Phosphoglycerinaldehyds durch die Cozymase und die Bildung der Phosphoenolbrenztraubensäure aus der 2-Phosphoglycerinsäure (siehe S. 272 und 273). Die erste führt zur Bildung von Acylphosphat in Form des N e g e 1 e i n - Esters: H H I I / 0 H 2H R—C=0 + H 3 P0 4 -> R—C M
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Abb. 39 (nach Gamble). I o n e n k o n z e n t r a t i o n im B l u t p l a s m a . B' = Gesamtbasen, R' = Anionen außer Bicarbonat und Chlorid. Links: normaler Zustand; rechts: pathologische Fälle. Nähere Erklärung siehe Text. P y l o r u s v e r s c h l u ß : Bicarbonat erhöht, Chlorid erniedrigt, Ketosäuren (Acetessigsäure) erhöht (Hunger!); Addison: Gesamtbasen (B), d.h. Natrium, erniedrigt, Chlorid erniedrigt; D i a b e t e s : Gesamtbasen erniedrigt, Bicarbonat = Alkalireserve erniedrigt.
Summe der Kationen, die Säule rechts die Summe der Anionen dar. Diese Darstellungsweise hat sich, besonders im klinischen Schrifttum, allgemein eingebürgert. Die Konzentration ist in Millimol pro Liter Wasser angegeben, bezieht sich also nicht auf das Volumen des gesamten Plasmas, sondern auf den „lösenden Raum", der nach Abzug der festen Bestandteile (Proteine) übrigbleibt. Das Lösungswasser als Bezugsgröße ist vorzuziehen, besonders auch bei den Geweben, weil die Konzentrationsangaben dann unabhängig vom wechselnden Eiweißgehalt sind und direkt miteinander verglichen werden können. I m Blutplasma und der interstitiellen Flüssigkeit macht das Natrium über 90% der Kationen und das Chlor fast 70% der Anionen aus. Kalium ist nur in kleiner Menge vorhanden (etwa 1,30 des Na). Die Analyse der Gewebe (und dort, wo es möglich ist, der isolierten Zellen) zeigt als wesentlichen Unterschied gegenüber den extrazellulären Flüssigkeiten ein starkes
Verteilung des Wassers und der Ionen
421
Überwiegen des Kaliums gegenüber dem Natrium und dem Chlor. Der Muskel, seiner Menge nach das wichtigste Gewebe, enthält z.B. auf 145-mÄqu. Kalium nur etwa 13-m Äqu. Natrium. Neben dem Chlorid ist als Anion in den Zellen noch etwas Bicarbonat vorhanden, daneben viel Phosphat in organischer Bindung, also nicht diffusibel, und Proteinanionen. Nun bestehen aber die Gewebe nicht nur aus den Zellen, sondern sie schließen in ihren Lücken auch eine gewisse Menge interstitieller Flüssigkeit ein. Ein Teil des in den Geweben enthaltenen Natriums und Chlorids wird also nicht den Zellen angehören, sondern findet sich außerhalb derselben in den Gewebslücken. Der Gehalt der Zellen an Natrium und Chlorid muß also in Wirklichkeit noch geringer sein, als aus der direkten Analyse der Gewebe hervorgeht. Wenn man nun die Annahme macht, daß die Zellen selbst überhaupt kein Chlorid enthalten und daß die interstitielle Flüssigkeit die Zusammensetzung eines PlasmaUltrafiltrats hat (Plasma minus Eiweiß), so kann man umgekehrt das Volumen des interstitiellen Raumes berechnen. Man findet auf diese Weise für den Muskel Werte von etwa 10—15% des Gesamtvolumens. Man kann das Gewebe auch mit der Lösung eines Stoffes tränken, von welchem anzunehmen ist, daß er nicht in die Zellen eindringt, sondern auf den interstitiellen Raum beschränkt bleibt (z. B. Inulin), und dann den Gehalt des Gewebes an diesem Stoff untersuchen. Man hat auf diese Weise ähnliche Werte für das Volumen der interstitiellen Flüssigkeit erhalten .wie auf Grund des Chloridgehalts. Die eingehende Untersuchung hat gezeigt, daß im Muskel ein kleiner Teil des Chlorids wahrscheinlich in den Muskelzellen selbst enthalten ist. Auch Natrium kann in die Zellen eintreten und unter gewissen Bedingungen (z. B. Erniedrigung des K im Blutplasma) einen kleinen Teil des K ersetzen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß das K das typische Kation der intrazellulären Flüssigkeit ist. Von der Regel, daß in den Zellen das Kalium im Überschuß vorhanden ist, weichen die roten Blutkörperchen verschiedener Tierarten ab. So ist beim Hund und beim Rind bedeutend mehr Natrium als Kalium vorhanden, beim Kalb dagegen ist das letztere im Überschuß. In den Erythrocyten des Mensehen verhält sich K : Na etwa wie 5 : 1 . Die Erythrocyten sind derartig spezialisierte Gebilde, daß sie nur bedingt als Modell tierischer Zellen gelten können.
Der größte Teil des intrazellulären Wassers ist in der Muskulatur gebunden. Die Muskelzellen haben daher am intrazellulären Kompartiment weitaus den größten Anteil. Quantitativ spielen die übrigen Organe daneben kei."e bedeutende Rolle. Als Reservoir für das extrazelluläre Wasser ist vor allem das Bindegewebe wichtig, besonders dasjenige der Haut. Die Haut ist das Organ, das bei Zufuhr von Wasser neben der Muskulatur davon am meisten aufnimmt (etwa 1 / 4 soviel wie die Muskeln). Die Bestimmung der extrazellulären Flüssigkeit erfolgt derart, daß man eine bekannte Menge eines Stoffs injiziert, welcher nicht in die Zellen eindringt, seine Verteilung durch die ganze extrazelluläre Flüssigkeit abwartet und dann seine Konzentration im Blutplasma bestimmt. Man kann daraus das Volumen ausrechnen, auf welches sich der Stoff verteilt hat. Wenn der Stoff während der Versuchszeit nicht ausgeschieden wird (nötigenfalls muß die Ausscheidung berücksichtigt werden), wenn er sich gleichmäßig verteilt hat und wenn er tatsächlich nicht von den Zellen aufgenommen worden ist, entspricht dieses Volumen demjenigen der extrazellulären Flüssigkeit. Man hat für die Bestimmung hauptsächlich Natriumrhodanid (NaCNS) verwendet, das wegen seiner intensiven Farbreaktionen mit Ferrisalzen leicht kolorimetrisch bestimmt werden kann. Neuerdings hat man auch von radioaktivem Natrium Gebrauch gemacht. Ganz streng scheint keine der bisher verwendeten Substanzen die obigen Bedingungen zu erfüllen, doch geben sie praktisch gut brauchbare Resultate.
Die ungleiche Verteilung der Ionen zwischen Zellen und umgebender Flüssigkeit kann zweierlei Ursachen haben: Entweder sind die Ionen im Protoplasma nicht frei diffusibel und an die Zellstruktur gebunden; dies scheint aber für den größten Teil
422
Der Wasser- und Salzhaushalt
des Kaliums nicht zuzutreffen. Oder die Zelloberfläche läßt sie nicht hindurchtreten. Die Impermeabilität kann wiederum verschiedene Ursachen haben. Sie kann dadurch bedingt sein, daß das Strukturgefüge der Zelloberfläche zu dicht ist, um die Ionen durchtreten zu lassen (Filterwirkung der Membran), oder sie kann dynamischer Natur sein, d. h. die Ionen können durch einseitig gerichtete Kräfte, die natürlich letzten Endes stoffwechselabhängig sind, am Durchtritt verhindert werden. Man macht sich leicht klar, daß die Undurchlässigkeit der Zelloberfläche für ein bestimmtes Ion die Folge ihrer Impermeabilität für ein anderes sein kann. Ein Ion kann natürlich nur im Austausch gegen ein solches gleicher Ladung oder zusammen mit einem solchen entgegengesetzter Ladung durch die Grenzfläche hindurchtreten. Wenn z. B. die Membran für N a + undurchlässig ist, so wird dadurch auch der Ausgleich der Kaliumkonzentration verhindert. Das Kalium könnte nur zusammen mit diffusiblen Anionen wie C l - oder HC0 3 ~ nach außen gelangen; diese sind aber innerhalb der Zelle (dies gilt jedenfalls für den Muskel) nur in geringer Menge vorhanden. Wegen der Undurchlässigkeit der Zelloberfläche für N a + kann das Kalium aber nicht gegen das Natrium ausgetauscht werden; es bleibt also in der Zelle gefangen, auch wenn es an sich durch die Grenzfläche hindurchtreten könnte. Daß tatsächlich der Ausgleich der Kaliumkonzentration zwischen der Muskelzelle und der extrazellulären Flüssigkeit nicht wegen der Undurchlässigkeit der Zellen für das K + unterbleibt, geht aus Versuchen mit radioaktivem Kalium eindeutig hervor. Wird das K-Isotop in den Körper eingeführt, so wird es rasch in den Muskel aufgenommen und dort stark angereichert. Auf der Annahme, daß die Zellen für N a + nicht permeabel sind, ist eine Theorie entwickelt worden, welche qualitativ wie quantitativ die beobachtete Ionenverteilung im Muskel mit guter Annäherung wiedergibt (Conway). Um die Undurchlässigkeit der Zelloberfläche für Na + zu erklären, hat man angenommen, daß es einen vom Stoffwechsel abhängigen Mechanismus gibt, welcher das Ion entgegen dem Konzentrationsgefälle, also unter Aufwand von Energie, nach außen treibt (die sog. „Natriumpumpe", K r o g h ) . Ein solcher Mechanismus würde die zeitweilige Durchlässigkeit der Muskelzelle für N a + erklären, ohne daß man eine Änderung der Membranstruktur annehmen müßte. Wir können auf eine weitere Diskussion dieser Fragen hier aber nicht eingehen. V e r ä n d e r u n g e n d e r M e n g e u n d V e r t e i l u n g des W a s s e r s i m K ö r p e r . Bei jeder Veränderung der Wassermenge im Körper, wie sie nach Zufuhr oder Verlust von Wasser eintritt, entsteht die Frage, wie weit die beiden Kompartimente daran beteiligt sind. Es sind die drei Fälle denkbar, daß die Veränderungen 1. beide Kompartimente gleichmäßig, 2. das extrazelluläre oder 3. das intrazelluläre stärker betreffen. Die Unterscheidung ist für die Physiopathologie von großer Bedeutung. Wird hypertonische Lösung oder Wasser aufgenommen, so wird, wie oben erwähnt, primär die extrazelluläre Flüssigkeit entsprechend verdünnt; es stellt sich aber rasch der osmotische Ausgleich ein, indem Wasser vom extrazellulären nach dem intrazellulären Kompartiment verschoben wird. Bei Wasserentzug (im Durst) kann die Gesamtmenge des Wassers beträchtlich vermindert werden (leicht feststellbar am Körpergewicht!). Der Verlust verteilt sich fast gleichmäßig auf das extrazelluläre und das intrazelluläre Wasser; die Abnahme des Volumens der extrazellulären Flüssigkeit macht etwa 1 / 2 — 1 / 3 des Gesamtverlustes aus; die Abnahme des Plasmavolumens (die Bluteindickung) ist nicht sehr groß, und es treten daher keine Zirkulationsstörungen ein. Jeder Wasserverlust ist von einer entsprechenden Verminderung des Elektrolytbestandes des Körpers begleitet, und zwar bedingt die Reduktion der extrazellulären
Verteilung des Wassers und der Ionen
423
Flüssigkeit Ausscheidung von Na + - und Cl~-Ionen („Kochsalz") und die Reduktion der intrazellulären Flüssigkeit Ausscheidung von K + -Ionen. Dementsprechend beobachtet man bei Wasserentzug (Durst), daß sowohl Natrium wie Kalium in vermehrter Menge im Urin erscheinen. Umgekehrt kann natürlich das Wasser nur als Elektrolytlösung bestimmter Zusammensetzung im Körper zurückbehalten werden. Es ist daher für jede Flüssigkeitsvermehrung eine bestimmte Menge Elektrolyte nötig. Z. B. müssen bei Ansammlung extrazellulärer Flüssigkeit („Wassersucht": ödem, Ascites; Exsudatbildung) pro Liter Flüssigkeit rund 150 Milliäqu. Na + und 100 Milliäqu. Cl~ retiniert werden. Dies kann zu einer starken Reduktion dieser Ionen im Urin führen. (Während der Bildung des pneumonischen Exsudats verschwindet z. B. das Chlor fast vollständig aus dem Urin.) Andererseits kann man bei bestehender Tendenz zur Ödembildung durch Entzug des Kochsalzes die Flüssigkeitsansammlung unter Umständen vermeiden. Man macht davon therapeutisch Gebrauch (salzarme Kost). Im Durst ist der Wasserverlust die primäre Ursache des Elektrolytverlusts. Es gibt aber auch Zustände, bei denen umgekehrt der Wassergehalt des Körpers sich deshalb vermindert, weil primär Salze verloren gehen. Bei Wasserentzug wird, wie wir gesehen haben, das Volumen der extrazellulären und der intrazellulären Flüssigkeit gleichmäßig verkleinert. Bei Salzverlust dagegen ist allein das extrazelluläre Kompartiment betroffen. Die beiden Fälle lassen sich durch das Verhalten der Elektrolytkonzentration im Blut unterscheiden : Ist Wasserverlust die primäre Ursache, so steigt die totale Ionenkonzentration allmählich an; ist Salzverlust die primäre Ursache, so sinkt sie allmählich ab ( K e r p e l - F r o n i u s ) . Hohe Salzverluste können z. B. bei starkem Schwitzen eintreten. Die Salzkonzentration im Schweiß ist sehr variabel; sie kann kleiner oder größer sein als diejenige des Blutplasmas. Jedenfalls ist sie so beträchtlich, daß andauernde Schweißsekretion dem Organismus bedeutende Mengen Salze entzieht. Man hat nach starkem Schwitzen eine Reduktion der extrazellulären Flüssigkeit bis gegen 40% gefunden -(Mcöance). In besonders klarer Weise zeigen sich die Folgen des Elektrolytverlusts bei Ausfall der Hormone der Nebennierenrinde ( A d d i s o n s c h e Krankheit; vgl. S. 568). Beim Fehlen der Rindenhormone vermag die Niere die Natrium- und Chlorionen nicht mehr zurückzubehalten; ihre Konzentration im Blutplasma sinkt ab (Hyponaträmie und Hypochlorämie). Dem Verlust der Elektrolyte folgt die Verminderung der extrazellulären Flüssigkeit. Gleichzeitig steigt der Kalium- und Wassergehalt des Muskels an. Das Volumen der zirkulierenden Blutmenge nimmt ab; es kommt zur Bluteindickung (die gleiche Zahl roter Blutkörperchen ist in einem viel kleineren Volumen suspendiert), die eine starke Erhöhung der Blutviskosität und damit eine Erschwerung des Kreislaufs zur Folge hat. (Eine sekundäre Folge ist die Nierenschädigung mit Ansteigen des Reststickstoffs im Blut: „urémie par manque de sel".) Ahnliche Erscheinungen kann man in den Endstadien des Diabetes (coma diabeticum) beobachten. Hier ist die andauernde Acidose die Ursache des Salz Verlustes. Auch chronisches Erbrechen führt zum gleichen Zustand. Schließlich scheint es auch Situationen zu geben, bei denen das Volumen der intrazellulären Flüssigkeit vermindert ist. Dies kann z. B. bei Zufuhr großer Salzmengen mit wenig Wasser eintreten, wahrscheinlich auch bei Ödemen. Der starke Durst, den man bei Herzkranken mit Ödemen gelegentlich beobachtet, wird als Ausdruck einer solchen „Entwässerung" der Gewebe angesehen, bedingt durch die Unfähigkeit,
424
Der Wasser- und Salzhaushalt
das Natrium auszuscheiden (Kreislaufinsuffizienz!). Wahrscheinlich bewirken auch Nebennierenrindenhormone im Überschuß eine Verschiebung von Wasser aus dem intrazellulären ins extrazelluläre Kompartiment. Diese Zustände, die mit Vermehrung der extrazellulären Flüssigkeit auf Kosten der intrazellulären einhergehen, sind allerdings weniger gut bekannt als die oben beschriebenen.
In Abb. 40 sind die beschriebenen Veränderungen schematisch dargestellt (nach R. S. Mach, ergänzt).
der Wasserverteilung
extracelluläres Kompartiment
intracelluläres Kompartiment Abb. 40 (etwas abgeändert nach R . S. Mach). V e r s c h i e b u n g v o n W a s s e r u n d S a l z e n zwischen dem extrazellulären und dem intrazellulären K o m p a r t i m e n t unter vers c h i e d e n e n B e d i n g u n g e n . Die Höhe der Säulen gibt das Volumen der intrazellulären (nach unten) und der extrazellulären Flüssigkeit (nach oben) an. Die ausgezogenen Pfeil s bedeuten Wasserverschiebung, die punktierten Pfeile Verschiebung der angeschriebenen Ionen. Das Chlorid bewegt sich mit dem Natrium. Beim nebennierenlosen Hund beobachtet man eine Zunahme des Wassergehalts und des K + -Gehalts der Muskeln. Sie kann als osmotische Verschiebung infolge der erniedrigten Elektrolytkonzentration im Blutplasma gedeutet werden. Wir haben deshalb eine Wasser- und Kaliumverschiebung nach dem intrazellulären Kompartiment eingezeichnet. Bei andauernder Nebenniereninsuffizienz, wie sie bei der A d d i s o n sehen Krankheit des Menschen besteht, wird Gewebe eingeschmolzen; dadurch nimmt die Gesamtmenge des intrazellulären Wassers und natürlich auch der intrazellulären Elektrolyte a b (Genaueres s. Text).
Im intrazellulären Kompartiment stehen Wasser und Zellsubstanz in einem bestimmten Verhältnis. Es kann daher keine Vermehrung der Zellsubstanz ohne Aufnahme von Wasser und Elektrolyten und keine Einschmelzung ohne vermehrte Ausscheidung dieser Stoffe stattfinden. Die verschiedenen Zellbestandteile binden dabei verschiedene Mengen Wasser. In der Leber z.B. entspricht 1 g Protein etwa 3,5 g Wasser, 1 g Glycogen etwa 2 g Wasser. Einlagerung von Lipiden verändert die Wassermenge (bezogen auf fettfreie Substanz) nicht.
Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor
425
Im Hunger und bei allen anderen Zuständen, bei denen Gewebssubstanz eingeschmolzen wird, tritt im Urin auch vermehrt Kalium auf. Die Kaliumausscheidung ist ein Maß für den Schwund der Gewebssubstanz und geht der Stickstoffausscheidung parallel. Innerhalb des extrazellulären Kompartiments wird, wie bekannt, die Verteilung der Flüssigkeit zwischen Blutgefäßsystem und den interstitiellen Räumen durch das Gleichgewicht des Blutdrucks in den Kapillaren und den kolloidosmotischen Druck des Blutplasmas bestimmt. Ist der erstere höher, so tritt Flüssigkeit aus den Kapillaren aus; ist der letztere höher, so wird Flüssigkeit aus den Gewebsspalten in die Kapillaren aufgenommen. Eine der wichtigsten Funktionen der Plasmaproteine besteht darin, den Austritt der Blutflüssigkeit aus den Kapillaren und ihr Versickern in den Geweben zu verhindern (vgl. Kap. Blut, S. 443). 2. Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor Die meisten Völker fügen ihrer Nahrung eine zusätzliche Menge Kochsalz zu, obwohl jedes Nahrurigsgemisch eine gewisse Menge Na + - und CI"-Ionen enthält. Wir wissen andererseits, daß viele Tierarten ohne jegliche Salzzulage auskommen und daß dasselbe für einzelne Völkerschaften gilt. Ist also die Zugabe von Kochsalz eine bloße Nahrurigsgewohnheit oder ist sie eine physiologische Notwendigkeit ? Die Antwort auf diese Frage hat B u n g e schon 1873 gegeben. Sie lautet dahin, daß bei Fleischnahrung keine Zulage von Kochsalz nötig ist, daß aber das Kochsalzbedürfnis sich einstellt,wenn ein beträchtlicher Teil der Nahrung aus Vegetabilien besteht. Bestimmend für den Kochsalzbedarf ist das Verhältnis des Kaliums zum Natrium in der Nahrung. Pflanzliche Nahrung enthält verhältnismäßig mehr K als tierische (vgl. die Tabelle auf S. 682). Rindfleisch enthält pro 100 g Frischgewicht 70 mg Na und 335 mg K, Kartoffeln dagegen 7 mg Na und 570 mg K. Die grundlegende Beobachtung B u n g e s liegt nun darin, daß v e r m e h r t e Z u f u h r v o n K a l i u m die N a t r i u m - u n d C h l o r i d a u s s c h e i d u n g i m U r i n e r h ö h t . Damit der Bestand erhalten bleibt, muß mehr Kochsalz zugeführt werden; Kalium erhöht also das Kochsalzbedürfnis. B u n g e führte z.B. den folgenden Selbstversuch aus: Er nahm in Form von Citrat und Phosphat 190 Milliäqu. K auf. Die Natriumbestimmung im Urin ergab eine Mehrausscheidung von 136 Milliäqu. Na, davon etwa 100 Milliäqu. als Chlorid. Es gibt zwei Möglichkeiten, die gesteigerte Ausschwemmung von Na+ und Cl~ bei Zufuhr von Kaliumsalzen zu erklären. Man kann annehmen, daß ein Teil des Kaliums von den Zellen (Muskulatur) aufgenommen wird gleichzeitig mit der entsprechenden Menge Wasser, welche dem extrazellulären Kompartiment entnommen wird. Die Verminderung der extrazellulären Flüssigkeit müßte zur Ausscheidung von Na + und Cl - führen. Es ist aber auch möglich, daß das Kaliumion in der Niere die Rückresorption des Na + und Cl - verringert, so daß diese Ionen in größerer Menge in den Urin übergehen. In welchem Umfang die beiden Faktoren wirksam sind, läßt sich zur Zeit nicht sagen.
B u n g e hat aus der ethnographischen Literatur, aus Reiseberichten, aus den alten Schriftstellern eine große Zahl von Angaben gesammelt, welche deutlich zeigen, daß unabhängig von Rassezugehörigkeit und Klima der Unterschied zwischen Völkern, die Salz brauchen, und denjenigen, die es nicht brauchen, immer in der Art der Ernährung besteht. Jäger, Nomaden und Hirten, welche vom Erträgnis der Jagd oder von Milchprodukten leben, haben kein Bedürfnis nach Salz, eher eine Abneigung dagegen. Ackerbautreibende Völker, welche sich hauptsächlich von Pflanzen ernähren, müssen ihrer Nahrung Salz zulegen. Für sie wird Salz zu einer Lebensnot-
426
Der Waaser- und Salzhaushalt
wendigkeit, um welche sie nötigenfalls kämpfen. Allgemein bekannt ist auch der Salzhunger-der Weidtiere in den Bergen nach der Sommerung. Ohne Salz hätte der Mensch nicht zur vegetabilischen Nahrung (Brot), d. h. zur Seßhaftigkeit und höheren Kultur, übergehen können. „Der Salzgenuß ermöglicht es uns, den Rreis unserer Nahrungsmittel zu erweitern" (Bunge). 3. Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren Die Erhaltung des Wasser- und Elektrolytbestands des Organismus ist die Aufgabe der Niere. Das Mittel dazu ist die Rückresorption. Die Menge des Ultrafiltrats, das in den Glomeruli der Niere abgepreßt wird, beträgt etwa 1801 in 24 Stunden, davon werden nur 1—2 1 als Urin ausgeschieden, der Rest des Wassers wird in den Nierenkanälchen wieder aufgenommen. Auch Na + - und C1 "-Ionen werden zum größten Teil rückresorbiert. Man kann sich vom Umfang dieses Prozesses ein Bild machen, wenn man die ausgeschiedene Menge mit der gesamten im Filtrat enthaltenen vergleicht. Na+ -Konzentration im Filtrat ( = Blutplasma) 140 mMol/1; in 180 1 Filtrat also rund 25000 mMol, im Urin 120 mMol (entsprechend etwa 7 g „Kochsalz"). Es sind also 99,5% rückresorbiert worden. Für Chlorid erhält man ähnliche Werte.
Die besondere Situation der Na + - und Cl _ -Ionen liegt darin, daß sie wesentliche Bestandteile der extrazellulären Flüssigkeit sind, die gleichzeitig als Vehikel für alle auszuscheidenden Endprodukte des Stoffwechsels (als „Spülflüssigkeit" der Gewebe) dienen muß. Die Erhaltung ihres Ionenmilieus ist daher nur durch die fast vollständige Rückresorption der lebenswichtigen Ionen möglich. Wie wir gesehen haben, bleibt im Körper nicht nur die Gesamtkonzentration der Elektrolyte konstant, sondern es besteht auch zwischen den verschiedenen Anionen und Kationen ein bestimmtes Verhältnis, das unter allen Umständen festgehalten wird. Andererseits aber entstehen aus der Nahrung je nach ihrer Zusammensetzung wechselnde Mengen starker Säuren und Basen. Wenn das Säure-Basen-Gleichgewicht und die Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten erhalten bleiben soll, so muß der Überschuß der sauren oder basischen Äquivalente aus dem Körper eliminiert werden. Dies ist eine der Hauptaufgaben der Niere. Starke Säuren entstehen im Körper bei Verbrennung der Proteine, und zwar aus den schwefelhaltigen Aminosäuren. Dieselben enthalten den Schwefel in neutraler Form als Sulfhydryl, Disulfid oder Thioäther. E r wird durch Oxydation in Sulfat übergeführt, d. h. pro Atom Schwefel entsteht ein Überschuß von zwei Äquivalenten einer starken Säure. Unter besonderen Bedingungen (Acidose) können im Stoffwechsel auch schwer verbrennliche organische Säuren gebildet werden. Man bezeichnet eine Nahrung, die im Stoffwechsel einen Überschuß saurer Äquivalente liefert, als „säuernd". Die vegetabilischen Nahrungsstoffe enthalten organische Säuren in Form ihrer Alkali oder Erdalkalisalze. Wenn die Säuren im Stoffwechsel verbrennen, so bleiben die starken Basen übrig. Eine solche Nahrung liefert einen Überschuß basischer Äquivalente. Sie wirkt „alkalisierend" (vgl. die Tabelle S. 682). Es ist ein besonders günstiger Umstand, daß die häufigsten Elemente, Kohlenstoff und Stickstoff, im Stoffwechsel neutrale oder annähernd neutrale Endprodukte liefern, der erstere das Kohlendioxyd, der letztere den Harnstoff oder bei Vögeln und Reptilien die schwache Harnsäure. Die Phosphorsäure wird zur Hauptsache als Neutralsalz aufgenommen, ebenso das Chlorid. Einen Säure- oder BasenÜberschuß liefern also nur der Schwefel und die Kationen, die nicht in Form von
Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren
427
Neutralsalzen zugeführt werden. Natürlich kompensieren sich die freigesetzten Säuren und Basen teilweise. Es bleibt aber immer ein Rest, der eliminiert werden muß. Die Niere kann die überschüssigen Anionen oder Kationen nicht als freie Säuren oder Basen ausscheiden (d. h. zusammen mit Wasserstoff- oder Hydroxylionen), denn der Reaktion des Urins ist nach beiden Seiten eine Grenze gesetzt (etwa pH 5 und pH 8). Natürlich können die zur Neutralisation nötigen entgegengesetzten Ionen nicht dem Elektrolytmilieu entnommen werden, da sonst einfach ein Defizit durch ein anderes ersetzt würde, Es kann sich also nur um schwache Basen oder Säuren handeln, die entweder überhaupt nicht als solche in das Säure-Basen-Gleichgewicht des Organismus eingehen oder leicht aus den organischen Stoffen gebildet werden können. Als Säure kommt hier vor allem die Kohlensäure, als Base das Ammoniak in Frage und tatsächlich werden die überschüssigen Säuren z.T. durch Ammoniak, die überschüssigen Basen durch die Kohlensäure neutralisiert. Bei der Ausscheidung der Säuren spielt die Fähigkeit der Niere eine Rolle, einen Urin zu produzieren, der wesentlich saurer ist als das Blutplasma. Unter diesen Umständen muß der Dissoziationsgrad der schwachen Säuren im Urin geringer sein als im Blut. Sie brauchen also für ihre Neutralisation im Urin weniger Alkali als im Plasma. Es können durch die Bildung eines sauren Urins Basen eingespart werden. Eine nennenswerte Einsparung von Basen kann allerdings nur bei denjenigen Säuren eintreten, deren Dissoziationskonstanten (pk-Werte) zwischen der Reaktion des Blutes und des Harns liegen und die im Harn in nicht zu kleiner Menge ausgeschieden werden. Dies ist bei der Phosphorsäure der Fall. Die logarithmische Dissoziationskonstante der Phosphorsäure beträgt bei 38° 6,8. Daraus ergibt sich für das Blutplasma bei pH 7,4 ein Verhältnis H 2 P 0 4 - : HPO„-- = 0,2 :0,8 (vgl. S. 125). Ein Molekül Phosphorsäure braucht im Blutplasma 0,2 + 2 -0,8 = 1,8 Äquivalente Base. Ist das pH des Urins 5,4, so ist das Verhältnis H 2 P0 4 ~ : H P 0 4 — = 0,96 : 0,04. Also braucht im Urin 1 Molekül Phosphorsäure zur Neutralisation nur 0,96 + 2-0,04 = 1,04 Äquivalente Base. Pro Mol ausgeschiedene Phosphorsäure werden also dank der pH-Verschiebung Blut-Urin 1,8—1,04 = 0,76Äquivalente Base eingespart. Für die meisten organischen Säuren sind die Werte viel geringer, weil ihre Dissoziationskonstanten größer (dip pk-Werte kleiner) sind. So brauchen z. B. in einem Urin von pH 5,4 die organischen Säuren 0,8 Äquivalents Base statt 1 Äquivalent.
Die Niere verfügt also über zwei Mittel, einen Säureüberschuß auszuscheiden: 1. Produktion eines sauren Urins und 2. Produktion von Ammoniak. Wir beobachten immer, daß der Urin sauer und reicher an Ammoniak wird, wenn Säuren ausgeschieden werden müssen. Die Menge des Ammoniumions kann in solchen Fällen die Menge der fixen Basen (K + , Na + , Ca ++ , Mg ++ ) um ein Vielfaches übertreffen. Um eine Vorstellung zu geben, wie sich die verschiedenen Faktoren auswirken, sei hier ein von Gamble entlehntes Beispiel mitgeteilt: pH des Blutplasmas 7,4; pH des Harns 5,4 Anionen im Urin Äquivalente bei pH 7,4 Äquivalente bei pH 5,4 mMol (Blutplasma) (Urin) Cl119 119 119 S04— . . . . 23 2-23 = 46 46 HP04— . . . 30 1,8-30 = 54 1,04-30 = 31 Org. Säuren . . 37 37 0,8 -37 - 30 256 m Äqu. Kati
Na+ K+ Ca++ Mg++ NH 4 +
. . . .
° mMo? ^ 108 60 2,5 4 44
Äquivalente fixe Basen 108 60 2-2,5 = 5 2 - 4 = 8 fixe Basen total 181 m Äqu.
226 mÄqu.
428
Der Wasser- und Salzhaushalt
Anionen bei Blut-pH total (a) 256 m Äqu. Anipnen bei Urin-pH total (b) 226 m Äqu. Kationen total (c) 181m Äqu. Baseneinsparung durch Produktion von saurem Urin („base economy") (a)—(b) = 30 m Äqu. Baseneinsparung durch NH4+ (b)—(c) = 45 mÄqu. Baseneinsparung gegenüber Blutplasma (a)—(c) = 75 m Äqu. Abb. 41, ebenfalls nach Gamble, zeigt die Elektrolytausscheidung bei Hungeracidose (vgl. S. 321). Es handelt sich um eine therapeutische Fastenkur bei einem epileptischen Kind. Das Ansteigen der Ammoniakausscheidung, welche hier zur Neutralisation der unverbrennlichen organischen Säuren dient, ist deutlich zu erkennen.
Ausscheidung Anionen
Kationen
Abb. 41 (nach Gamble). Anionen- und Kationenausscheidung im Urin während des Hungerns und nachfolgender K o h l e h y d r a t z u f u h r . Starker Anstieg der organischen Säuren (Acetonkörper!) auf der Anionenseite. Entsprechender Anstieg des Ammoniaks auf der Kationenseite. Die Ausscheidung der fixen Basen nimmt nur wenig zu. Schraffierte Fläche: Baseneinsparung durch Produktion eines sauren Urins („base economy"). Siehe Text. Bei länger dauerndem Hunger steigt das Ammoniak weiter an. Es verschwindet aber unter + den fixen Basen +das Na und unter den Anionen das Cl~ fast vollständig. Wir finden auf der ++ Kationenseite K , Ca und Mg ++ , auf der Anionenseite organische Säuren, Sulfat und Phosphat. Dieses Verhältnis ist sehr instruktiv. Die genannten Kationen, Sulfat und Phosphat, stammen aus dem einschmelzenden Gewebe und können nicht gespeichert werden. Die Retention der Na+- und Cl--Ionen drückt das Bestreben des Organismus aus, die intrazelluläre Flüssigkeit zu erhalten. I n analoger Weise bildet die Niere alkalischen Urin, wenn ein Überschuß von fixen Basen ausgeschieden werden muß. Dies ist deshalb nötig, weil nur bei alkalischer Reaktion eine genügend hohe Konzentration des Ions HC0 3 ~ erreicht werden kann, durch welches die überschüssigen Basen neutralisiert werden. Die C02-Sp annung ist wegen der großen Diffusionsfähigkeit an Kohlensäure in allen Geweben gleich groß, etwa 40 mm Hg, entsprechend einem Gehalt der Alveolarluft von 5%. Diese
Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren
429
Größe ist also gegeben und konstant. J e mehr Bicarbonat der Urin enthalten soll, desto alkalischer muß er sein. Die Rechnung ergibt folgende Mengen (in mÄqu./l): pH: 5 6 7 7,2 7,4 7,6 7,8 m Äqu. HC0 3 -pro Liter: 0,16 1,6 16 25 40 64 100 Dieser Mechanismus tritt in Funktion, wenn mit der Nahrung große Mengen fixer Basen zugeführt werden (z. B. Einnahme von Na-Bicarbonat). Er kann aber auch zur Einsparung von Chlorid dienen. Ein sehr instruktives Beispiel ist das folgende (nach Gamble): Chronisches Erbrechen führt wegen des Salzsäureverlustes durch den Magensaft zu einer Verarmung des Organismus an Chlorid (und schließlich auch an Natrium, weil der Magensaft auch Na+-Ionen enthält). Das Chlordefizit ist aber bedeutend größer als das Natriumdefizit. Gibt man nun Kochsalz, so ist das fehlende Na schneller ergänzt als das Chlorid. Der Körper hält das letztere zurück und scheidet das überschüssige Na+ als Bicarbonat aus. Es wird ein Urin ausgeschieden, der stark alkalisch ist und fast kein Cl - enthält.
Zelle
B/ut
Nierenkanä/chen ~ V T
V—>v~—v
Harn
•y" 1 "*Y*" "V "Y—
|oTojojo)oToJo|o|
hpo;~ Na* Na'
to' /Va'-, — HPO;Na' /T Wo, h' ]
Na" —1 'S so;' Proteine • so; 2H* 3 2 Na" 2H,C03 zhco; _1 ^ 2 ffCO 2Na + 2 C0P
so;i so;¿/Va+zms )2NH;
Abb. 42. Schema zur V e r a n s c h a u l i c h u n g der B a s e n e i n s p a r u n g durch P r o d u k t i o n von saurem Urin („base economy") (oben) und der E i n s p a r u n g von f i x e n A l k a l i e n durch A m m o n i a k b i l d u n g in der Niere (unten). In der Zelle (links) entsteht durch Oxydation des Aminosäureschwefels Sulfat. Es wird angenommen, daß die Zellmembran für Kationen undurchlässig ist. Der Übertritt ins Blut erfolgt daher durch Austausch gegen Bicarbonat. Wenn man die großartigen regulatorischen Leistungen der Niere verstehen will, muß man sich immer vor Augen halten, daß sie die einzelnen Ionen unabhängig voneinander manipulieren kann. Es g i b t in den K ö r p e r s ä f t e n k e i n e „Salze", s o n d e r n n u r I o n e n . In den Tubuli werden diejenigen Ionen aus dem Glomerulusfiltrat herausgeholt, die im Körper verbleiben müssen, sei es durch gleichzeitige Absorption mit einem Ion entgegengesetzter Ladung, sei es durch Austausch gegen ein Ion gleicher Ladung. Gerade der letzte Vorgang dürfte bei der Regulierung des Säure-Basen-Haushalts eine wesentliche Rolle spielen. Jedenfalls müssen bei der Bildung eines sauren Urins irgendwelche Kationen gegen Wasserstoffionen, bei der Bildung eines alkalischen Urins wahrscheinlich Chlorid gegen Bicarbonat ausgetauscht werden. Die Einsparung fixer Alkalien muß durch Austausch gegen NH 4 +
430
Das Blut
Zustandekommen. Der Mechanismus der selektiven Ionenabsorption in den Nierenkanälchen ist uns aber noch völlig unbekannt. In Abb. 42 wird versucht, die Vorgänge schematisch darzustellen, durch welche ein im Stoffwechsel entstehendes unverbrennliches Anion neutralisiert und in der Niere ausgeschieden wird. 4. Die endokrine Regulierung des jSalz- und Wasserhaushaltes Zwei Drüsen mit innerer Sekretion greifen in den Wasser- und Salzhaushalt ein: die Nebennierenrinde und der Hinterlappen der Hypophyse. Die erstere reguliert die Rückresorption der Na + - und C1 "-Ionen, der letztere die Rückresorption des Wassers. Es unterstehen also gerade die beiden für die Erhaltung des Wasserbestandes und des Elektrolytmilieus grundlegenden Vorgänge der endokrinen Steuerung. Wie wir später sehen werden, hängt der Hypophysenhinterlappen direkt von nervösen Zentren des Zwischenhirns ab, so daß also auf diesem Weg der Wasserstoffwechsel auch der zentralnervösen Regulation zugänglich ist. Das wirksame Rindenhormon ist das Desoxycorticosteron; fehlt es, so können Na + - und C1 "-Ionen nicht mehr zurückbehalten werden. Es kommt zur Entleerung des extrazellulären Kompartiments mit ihren schweren Folgen, auf die wir bereits hingewiesen haben. Beim Fehlen des „antidiuretischen" Hormons des Hypophysenhinterlappens ist die Rückresorption des Wassers herabgesetzt; als Folge zeigt sich eine gewaltige Steigerung der Harnmenge mit der Notwendigkeit entsprechender Wasseraufnahme: Diabetes insipidus. Für die weiteren Einzelheiten verweisen wir auf das Kapitel über die endokrinen Drüsen S. 563 und S. 576.
Zwanzigstes
Kapitel
Das Blut Eine ausführliche Beschreibung der allgemeinen Eigenschaften des Blutes findet sich in den Lehrbüchern der Physiologie. Es kann hier davon abgesehen werden und es sollen in dieser Zusammenstellung nur die Blutgerinnung, die Zusammensetzung und die Eigenschaften des Blutplasmas, die Chemie und der Stoffwechsel des Blutfarbstoffs behandelt werden. 1. Zusammensetzung Das Blut setzt sich aus einer sehr eiweißreichen Flüssigkeit, dem Blutplasma, und den Formelementen (Erythrocyten, Leukocyten und Lymphocyten, Blutplättchen) zusammen. Außerhalb des Gefäßsystems g e r i n n t das Blut. Die. Gerinnung kommt dadurch zustande, daß sich aus dem Plasma das Fibrin („Faserstoff") abscheidet. Fibrin ist ein Eiweißkörper, welcher in Form einer Vorstufe, als Fibrinogen, im Blutplasma gelöst enthalten ist. Die Gerinnung wird im nächsten Abschnitt behandelt werden. Die vom Fibrin abgetrennte Flüssigkeit heißt Blutserum oder Serum schlechthin. Bei der Gerinnung werden durch das ausfallende Fibrin die Blutkörperchen miteingeschlossen. Diese Masse, welche also aus Fibrin und Erythrocyten besteht, ist der Blutkuchen oder Cruor.
Mittlere Zusammensetzung des menschlichen Blutserums
431
Blut Flüssigkeit: Plasma Serum Fibrinogen | Fibrin
Zellen rote: Erythrocyten weiße: Leukocyten, Lymphocyten Plättchen: Thrombocyten
Da das Blut das Haupttransportmittel des Organismus ist, können die meisten Substanzen oder deren Bausteine und deren Zwischenprodukte in mehr oder weniger großen Konzentrationen darin gefunden werden. Die Menge des Blutes beträgt beim Manne 1 / 13 — 1 / 17 des Körpergewichtes. Das Blutplasma enthält 7—8% Eiweißstoffe. Sie werden in die beiden Gruppen der Serumalbumine und der Serumglobuline eingeteilt. Auch das Fibrinogen hat die Eigenschaften eines Globulins. Die Zahl der individuellen Proteine ist beträchtlich. Die E r y t h r o c y t e n enthalten den roten Blutfarbstoff, das H ä m o g l o b i n als wichtigsten Bestandteil. Das Hämoglobin ist das Transportmittel für den Sauerstoff. Über die wichtigsten niedrigmolekularen Bestandteile des Blutplasmas (organische und anorganische) gibt die folgende Tabelle Auskunft (die meisten Daten nach einer Zusammenstellung von H. A. K r e b s ) . Mittlere Zusammensetzung des menschlichen Blutserums (n. Krebs) Mittelwert mg/100 com I. A n o r g a n i s c h e B e s t a n d t e i l e Chlorid 365 Bicarbonat (als NaHC0 3 ) 226 (als Vol.% C0 2 ) . . . . 60 Vol.% Phosphat als P anorganisches 3,2 Esterphosphat . . . . 0,6 Lipoid-P 8 Sulfat als S anorganisches 1,6 total (Estersulfat + S-haltige Aminosäuren -j- anorgan. S) . 3,4 Fluor 0,3 Jod (an Eiweiß gebunden) Natrium 316 Kalium 17 Calcium 10 Magnesium 2 Eisen 0,10 Kupfer 0,12 Mangan Zink 0,2 II. O r g a n i s c h e B e s t a n d t e i l e a) K o h l e h y d r a t e Glucose, nüchtern (Kapülarblut) . . . 93 Polysaccharide Mucopolysaccharide, an Eiweiß gebunden . etwa 200 Hexuronsäuren . . . . Pentosen, hauptsächlich Nucleotide . 2,5
Grenzen mg/100 ccm
Milliäquivalente pro Liter
353—381
103
205—280
27
2,6—5,4
2
6—10 1—1,8
1
3—3,8 0,006—0,008 300—330 12—25 8,2—11,6 1,7—2,3 0,03—0,21 0,08—0,16 0,005—0,02 0,1—0,5
80—120
0,4—1,4
137 4,4 5 1,5
432
Das Blut
b) L i p i d e u n d S t e r i n e Fettsäuren, total . . . Neutralfett Phospholipide total Lecithin Kephalin Sphingomyelin . . . Cholesterin freies . . total Gallensäuren c) O r g a n i s c h e S ä u r e n Organ. Säuren, total . . Milchsäure Brenztraubensäure . . Citronensäure . . . . Acetonkörper, als Aceton berechnet
Mittelwert mg/100 ccm
Grenzen mg/100 ccm
Milliäquivalente pro Liter
200—450 0—150 150—250 100—200 0—30 10—30 40—70 150—260 0,2—3,0
1,0 2,5
8—17 0,8—1,2 1,9—2,8
etwa 5 0,9—1,9 0,1 0,3—0,5
weniger als 0,5—0,8 Mittelwert mg N/100 ccm
d) N - h a l t i g e S t o f f e a) Verteilung d. Nichteiweißstickstoffs Nichteiweiß-N, total ( = Reststickstoff) 26 Harnstoff-N . . . . 13 Freie Aminosäuren, total (davon Glutamin + Glutaminsäure etwa 1 / 3 ). . 6 Peptide 1,2 Kreatin, Kreatinin, Guanidinessigsäure 0,7 Harnsäure 1,5 ß) Einzelne Stoffe Harnstoff 26 Ammoniak . . . . weniger als 0,05 Harnsäure 4 Allantoin Kreatin 0,4 Kreatinin 1,0 Cholin
Grenzen mg N/100 ccm
2,9—6,9 0,3—0,6 0,2—0,6 0,8—1,6 0,3—1,5
Die in der Tabelle angegebenen Werte beziehen sich auf den normalen erwachsenen menschlichen Organismus. Bei pathologischen Zuständen können beträchtliche Änderungen vorkommen (z. B. die Hyperglykämie beim Diabetiker), die in der Klinik diagnostische Bedeutung haben. Wir können aber hier auf Einzelheiten nicht eingehen. Die Werte sind meist durch Analyse des venösen Bluts im nüchternen Zustand gewonnen. Während der Verdauung kann sich die Konzentration verschiedener Stoffe erhöhen (z. B. Lipämie während der Fettabsorption). Auch nach Alter und Geschlecht können sich Unterschiede zeigen (z. B. ist die Konzentration des anorganischen Phosphats beim Kind größer als beim Erwachsenen, die Konzentration des Kreatins bei der Frau größer als beim Mann usw.). Auch die Ernährungsweise kann Einfluß auf die Blutwerte einzelner Stoffe haben (die Harnsäurewerte z. B. sind bei vegetarischer Ernährung niedriger als bei Fleischkost).
Neben den in der Tabelle angeführten Stoffen sind im Blutplasma noch eine Reihe von Vitaminen und körpereigenen Wirkstoffen nachweisbar. Es ist klar, daß über-
Zusammensetzung
433
haupt jeder Stoff, der im Organismus von einem Organ in ein anderes transportiert werden muß, im Blut vorhanden ist, auch wenn er sich in vielen Fällen dem Nachweis entzieht. Wir lassen einige Bemerkungen über einzelne Bestandteile des Blutplasmas folgen, zunächst über die Mineralstoffe. Die Summe der Kationenäquivalente muß natürlich wegen der Elektronenneutralität der Lösung gleich der Summe der Anionenäquivalente sein. Die Addition der oben angeführten Werte gibt bei den Anionen ein Defizit; dasselbe wird durch die organischen Säuren (vor allem das Lactat) und die Proteine gedeckt, die bei der Reaktion des Plasmas als Anionen vorhanden sind. Die Ionenkonzentration des Blutplasmas wird oft graphisch dargestellt, wie dies in Abb. 39 auf S. 420 gezeigt wird (Gamble). Die anorganischen Ionen sind wichtige Faktoren des „Milieu intérieur", das alle Zellen umgibt. Die normale Funktion der Zellen, insbesondere die Heizleitung, ist bekanntlich nur dann gewährleistet, wenn die Kationen in ganz bestimmtem Verhältnis vorhanden sind (Prinzip der R i n g e r s c h e n Lösung und anderer „physiologischer" Salzlösungen). Ferner wird die Gesamtkonzentration sämtlicher Elektrolyte innerhalb enger Grenzen konstant gehalten ; denn es sind im wesentlichen die anorganischen Ionen, die den gesamten osmotischen Druck der Körperflüssigkeiten bestimmen. (Die niedrigmolekularen organischen Stoffe tragen wegen ihrer geringen Konzentration nur wenig bei, die Proteine kommen wegen ihres hohen Molekulargewichts nicht in Betracht [vgl. S. 443].) Die Gesamtkonzentration beträgt rund 300 Millimol Liter (Summe aller Anionen und Kationen, wobei natürlich bei mehrwertigen Ionen das Molekulargewicht, nicht das Äquivalentgewicht gilt. Es kommt hier auf die Zahl der Teilchen, nicht der elektrischen Ladungen an). Die Konstanthaltung der Konzentration der einzelnen Ionen wie auch der Gesamtkonzentration ist im wesentlichen eine Funktion der Nieren. Die zweiwertigen Kationen Calcium und Magnesium sind nur zum kleineren Teil als freie Ionen vorhanden; die Hauptmenge ist komplex an Eiweiß gebunden („nicht diffusibles Ca"). Diese Tatsache ist von großer Bedeutung, weil n u r d a s i o n i s i e r t e C a l c i u m p h y s i o l o g i s c h w i r k s a m i s t . Daß das Calcium des Blutserums an die Proteine gebunden ist, zeigt sich z. B. bei der Ultrafiltration; es geht nur ein Teil in das Filtrat über. Eine Reihe anderer Methoden (z. B. Löslichkeit schwerlöslicher Ca-Salze in Gegenwart von Proteinen, elektrische Überführung, Dialyse von Serum gegen Lösungen von verschiedenem Ca + + -Gehalt, Einfluß von proteinhaltigen Ca ++ -Lösungen auf das Froschherz), die hier nicht im einzelnen besprochen werden können, haben zum gleichen Ergebnis geführt. Die Bindung des C a + + an das Eiweiß ist eine Gleichgewichtsreaktion. Man kann in erster Annäherung das Gleichgewicht zwischen Proteinen und Ca + + durch eine einfache Gleichung darstellen (Me Le a n und H a s t i n g s ) : ( C a - ) (Protein-) (Ca-Protein)
=
^
Daraus folgt, daß die Konzentration der freien Calciumionen nicht nur von der Gesamtkonzentration des Ca, sondern auch vom Eiweißgehalt des Blutplasmas abhängig ist. Bei Beurteilung des Ca-Spiegels im Blut muß also auch die Eiweißkonzentration berücksichtigt werden. Die Erfahrung zeigt, daß sich in der Regel die Gesamtkonzentration des Calciums im Blutserum parallel mit dem Eiweißgehalt ändert. Proteinarme Seren (Hypoproteinämie) zeigen meist auch einen erniedrigten Calciumspiegel. 23 Edlbacher-Leuthardt, Leliilmch. lO.Aufl.
Das Blut
434
Offenbar wird im Organismus primär die Konzentration der freien Ca + + -Ionen einreguliert. Das Gleichgewicht mit dem an Eiweiß gebundenen Anteil stellt sich automatisch ein, und es ist leicht verständlich, daß dieser Anteil und damit die Gesamtkonzentration mit abnehmendem Eiweißgehalt kleiner wird. Versagt die Regulation, so kann es auch bei gleichbleibendem Eiweißgehalt zu einer Abnahme des Gesamtcalciums (Hypocalcämie) kommen. Eine Hypocalcämie hat also eine ganz verschiedene Bedeutung, je nach der gleichzeitig vorhandenen Eiweißkonzentration. Bei normalem Proteingehalt bedeutet sie auf alle Fälle eine primäre Erniedrigung der freien Ca++-Ionen, die zu schweren Störungen (Tetanie) führen kann.
2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts Neben dem Chlorid kommt im Blutplasma in größerer Menge noch das Bicarbonat vor. Es hat gegenüber dem ersteren die Besonderheit, daß es das Anion einer schwachen Säure ist, deren Dissoziationsgrad im physiologischen pH-Bereich sich mit dem pH-Wert ändert (pk=6,12 im Blutplasma bei 38°). Bicarbonat und Kohlensäure bilden daher ein wichtiges Puffersystem des Blutplasmas. Nach der H e i l d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung hängt das pH vom Verhältnis H 2 C0 3 : HCO a - ab. Die Aufrechterhaltung einer bestimmten Reaktion der Körpersäfte stellt an die regulierenden Organe große Anforderungen. Im Stoffwechsel entstehen beständig aus neutralen Körpern große Mengen saurer Verbindungen: Kohlensäure, Carbonsäuren, Schwefelsäure; mit der Nahrung werden wechselnde Mengen von organischen Salzen zugeführt, die bei der Verbrennung einen "Überschuß von Basen hinterlassen. Trotzdem bleibt der pH-Wert der Blutflüssigkeit innerhalb enger Grenzen konstant. Die Hauptarbeit leisten dabei die Nieren und die Lunge, die Nieren, indem sie die Ausscheidung der fixen Basen und Säuren, die Lunge, indem sie die Ausscheidung der Kohlensäure regulieren. Die Aufgabe der Puffersysteme des Bluts, an der die Kohlensäure einen wichtigen Anteil hat, besteht darin, die übrigbleibenden Schwankungen zu glätten. Die Konzentration des Bicarbonats, ausgedrückt in Vol. % C0 2 (ccm C0 2 , gemessen bei 0° und 760 mm Hg, die pro 100 ccm Plasma beim Ansäuern freigesetzt werden), wird gewöhnlich als die Alkalireserve des Blutplasmas bezeichnet (normalerweise etwa 60 Vol.%). Dieser Ausdruck rührt daher, daß das Bicarbonat gemäß der folgenden Gleichung zur Neutralisation von Säuren H X dienen kann, die in das Blut eintreten: HX + NaHC0 3
NaX + H 2 C0 3 .
Nach der üblichen Formulierung liefert also das Bicarbonat das zur Neutralisation der Säure nötige Alkali, weil die Kohlensäure durch die stärkere Säure aus ihrem Salz „verdrängt" werden kann. Der wirklich sich abspielende Vorgang besteht aber einfach darin, daß bei Erhöhung der Wasser stoffionenkonzentration die Bicarbonatanionen Wasserstoffionen addieren: HCO3- + H+
> H 2 C0 3 .
Eine Besonderheit des Puffersystems aus Kohlensäure und Bicarbonat liegt nun darin, daß die Kohlensäure flüchtig ist, weil sie mit ihrem Anhydrid C0 2 im Gleichgewicht steht. Wird durch Säurezutritt im Blut Kohlensäure freigesetzt, so kann sie in den Lungen abgeatmet werden; die freie Kohlensäure des Blutes ist mit dem C0 2 der Alveolarluft im Gleichgewicht und "bleibt deshalb annähernd konstant. Die pH-Änderung wird dadurch verkleinert.
435
Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts
Das folgende Beispiel macht dies klar (nach Gamble): normales Blutplasma: Konzentration der freien Kohlensäure 1,2 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats 24,0 Millimol/1 Verhältnis H 2 C0 3 : HC0 3 ~ = 1: 20 pH = 7,4 Zusatz von 11,4Äquivalenten Säure: Konzentration der freien Kohlensäure, falls kein C0 2 aus der Lösung entweichen würde: 11,4 + 1,2 12,6 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats: 24—11,4 12,6 Millimol/1 Verhältnis H 2 C0 3 : HC0 3 - = 1 : 1 pH = 6,1 Die Kohlensäure setzt sich mit der Alveolarluft (5% C0 2 ) ins Gleichgewicht : Konzentration der freien Kohlensäure 1,2 Millimol/1 Konzentration des Bicarbonats 12,6 Millimol/1 Verhältnis H 2 C0 3 : H C 0 3 - = 1: 10,5 pH = 7,1
Infolge der Konstanz der C02-Konzentration im Blut beträgt die pH-Verschiebung 0,3 Einheiten statt 1,3 Einheiten. Die Pufferwirkung des Blutes läßt sich aber nicht allein durch diese Reaktion des Bicarbonats erklären. Es sind auch die Proteine, vor allem das Hämoglobin, daran beteiligt. Im physiologischen pH-Bereich (zwischen pH 6—8) vermag die in 1 Liter Blut enthaltene Menge Hämoglobin (160 g) pro pH-Einheit 28 Milliäquivalente Säure zu binden. Man kann die Pufferwirkung der Proteine allgemein durch die Gleichung ausdrücken: Protein- + B+ + H+ + A~
^
* Protein • H + B+ + A"
zugesetzte Säure (B + = Kation, A~ = Anion, Carbonsäure oder starke Mineralsäure)
oder einfacher:
P r o t e i n " + H+
Protein-H
Im Hämoglobin sind es im physiologischen pH-Bereich vor allem die Imidazolgruppen des Histidins, welche Wasserstoffionen binden oder abgeben: —C=CH
i
N H + H+ CH
— C^CH
Mg
H„C-
H NH —CH,OH
HOOC
Mit den bisherigen Ergebnissen der Isotopenversuche steht die Hypothese in Übereinstimmung, daß der Pyrrolkern und seine Seitenketten durch Kondensation von zwei Molekülen a-Ketoglutarsäure mit einem Molekül Glycocoll entstehen, die sich gemäß dem nachstehenden Schema kondensieren: COOH
¿0. H00CC=0
CH 2 COOH
HJS^ i+ o I — CO,
i HOOC • CH2 • C II HOOC • C
C • CH2 • CH2 • COOH II C • COOH NH
Da Essigsäure über den Citronensäurecyklus a-Ketoglutarsäure liefern kann — ihre Carboxylgruppe liefert, wie das Schema S. 303 zeigt, die y-Carboxylgruppe der a-Ketoglutarsäure •—, ist auch ihre Beteiligung am Aufbau des Porphyringerüstes ohne weiteres verständlich. Die Kondensation des hypothetischen Pyrrols zum Porphyrin müßte so erfolgen, daß die beiden a-ständigen Carboxylgruppen eliminiert und vier weitere Glycocollmoleküle einbezogen werden, deren a-C-Atome die Methinbrücken liefern. Nach dieser Vorstellung müssen zuerst Pyrrole mit carboxylierten Seitenketten — Essigsäure und Propionsäure — entstehen, die bei der Kondensation zunächst Uroporphyrin liefern müßten. Durch Decarboxylierung der Essigsäureketten könnten daraus die Methylgruppen, durch Decarboxylierung und Dehydrierung zweier Propionsäureketten die Vinylgruppen des Protoporphyrins entstehen: 30
E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 10.Aufl.
Das Blut
466
COOH
COOH ¿h2
ch3
ch2
— 00,, — 2 H
CH.
II
CH
CH
Die Bildung des Blutfarbstoffes und der roten Blutzellen überhaupt (Hämatopoese) ist ein Problem, das auch für die praktische Medizin von großer Bedeutung ist. Wir kennen eine Reihe von Zuständen, bei denen die Zahl der Erythrocyten und damit die Konzentration des Hämoglobins vermindert ist (Anämien). Wir müssen daher an dieser Stelle die wichtigsten Faktoren besprechen, welche die Blutbildung beeinflussen. b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel. Wenn Hämoglobin gebildet werden soll, muß eine genügende Menge Eisen vorhanden sein. Die Eisenzufuhr mit der täglichen Nahrung ist eher knapp und daher ist auch Eisenmangel die häufigste Ursache der Anämie. Verglichen mit der Eisenmenge, die als Hämoglobin im Blut kreist oder als Myoglobin im Muskel vorhanden ist, ist die Eisenreserve der Gewebe (Leber, Milz usw.) nur klein. Beim Hund hat man die folgende Verteilung gefunden ( H a h n ) : Hämoglobin Myoglobin Totales Hämoglobin Fermenteisen in den Geweben (Cytochrom usw.) Reserveeisen in Leber, Milz und Knochenmark Reserve in den übrigen Geweben
% des gesamten Eisens 57 7 64 16 15 5 36
Wenn man beim Menschen eine ähnliche Verteilung annimmt und die gesamte Hämoglobinmenge zu 700 g ansetzt, so würde die Eisenreserve noch die Bildung von weiteren 200—250 g Hämoglobin gestatten. Größere Eisenverluste, wie sie durch Blutungen entstehen, können daher aus der Eisenreserve nur unvollständig gedeckt werden. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist bei der Frau im Durchschnitt etwas niedriger als beim Mann. Wahrscheinlich sind die menstruellen Blutungen eine Hauptursache dieses Defizits. Aus dem gleichen Grund sind auch Eisenmangelanämien bei der Frau häufiger als beim Mann. Das Eisen wird besser in Form von Ferrosalzen als in Form von Ferrisalzen absorbiert. Es scheint auch, daß im Darm Ferrisalze zu Ferrosalzen reduziert werden können. Ein Teil des Nahrungseisens ist komplex gebunden; der verwertbare Anteil kann bedeutend niedriger sein als die Gesamtmenge. Dank der hohen Acidität des Magensafts geht ein Teil des gebundenen Eisens in Lösung. Hämatineisen kann nur zu einem kleinen Teil verwertet werden. Daher bedeuten Blutungen in das Darmlumen für den Körper einen fast ebenso großen Eisenverlust wie Blutungen nach außen. Das Eisen nimmt, was seine Absorption im Darm betrifft, eine Sonderstellung ein. Die A u f n a h m e d e s E i s e n s h ä n g t v o m B e d a r f d e s O r g a n i s m u s a b ( W h i p p l e ) . Ist der Bedarf groß, z. B. bei Eisenmangelanämien, so wird viel Eisen aufgenommen ; verfügt der Organismus über genügende Reserven, so wird bei gleichem Angebot nur wenig absorbiert. Der Eisenbestand des Körpers wird im wesentlichen durch Anpassung der Aufnahme und nicht der Ausscheidung reguliert, die normaler -
Die Hämatopoese
467
weise sehr klein ist. Die Aufnahme des Eisens und seine Verteilung im Organismus läßt sich in besonders schöner Weise durch Verwendung von radioaktivem Eisen verfolgen. (Die meisten Versuche wurden mit dem Isotop Fe 59 durchgeführt, dessen Halbwertzeit 47 Tage beträgt.) Viele Fragen des Eisenstoffwechsels konnten erst nach Einführung der Isotopentechnik in befriedigender Weise beantwortet werden. Bei der Aufnahme des Eisens im Darm und bei seiner Speicherung in Milz und Leber scheint ein eisenhaltiges Protein eine wichtige Rolle zu spielen, das sog. Ferritin (entdeckt 1937 von L a u f b e r g e r in der Pferdemilz). Das Ferritin ist durch seinen hohen Eisengehalt ausgezeichnet, der etwa 23% beträgt. Man findet es in der Darmschleimhaut, dem Knochenmark, der Milz und der Leber, also denjenigen Organen, die an der Aufnahme des Eisens, der Bildung oder der Zerstörung des Hämoglobins beteiligt sind. Die übrigen Organe (mit Ausnahme der Testes) scheinen kein Ferritin zu enthalten. Das Ferritin kann aus den Organextrakten durch Fällung mit Cadmiumsulfat leicht in Form gut ausgebildeter octaedriseher Kristalle erhalten werden, die braun gefärbt sind. Die Kristallisation gelingt sogar auf dem Objektträger, wenn man das zerriebene Gewebe mit CdS0 4 behandelt. Das Eisen ist im Ferritin als basisches Ferriphosphat enthalten. Nach Reduktion zur Ferroform mit Hydrosulfit bei pH 4,6 kann es dem Protein durch Komplexbildner (a,t 'Dipyridyl) entzogen werden. Das eisenfreie Protein, das Apoferritin, bildet Kristalle von genau gleicher Form wie das Ferritin, die aber farblos sind. Es ist bisher nicht möglich gewesen, das Apoferritin wieder mit Eisen zu vereinigen.
Die Funktion dieses merkwürdigen Proteins scheint in der Speicherung des Eisens zu bestehen, das im Darm aufgenommen wird oder in den Geweben beim Zerfall des Hämoglobins frei wird. Nach Verfütterung von Eisensalzen läßt sich in der Darmschleimhaut Ferritin in großer Menge nachweisen, während sonst nur wenig vorhanden ist. Besonders aufschlußreich sind Versuche mit radioaktivem Eisen. Nach Injektion von radioaktivem Eisen (als Ferricitrat) konnte man beim Hund 80% der Radioaktivität im Ferritin der Leber nachweisen,- während die Milz fast kein Eisen aufgenommen hatte. Radioeisen wird rasch in das Hämoglobin der neu entstehenden roten Blutkörperchen eingebaut. Werden solche Blutkörperchen einem anderen Tier injiziert, so ist nach deren Zerstörung das radioaktive Eisen im Ferritin der Milz und der Leber nachweisbar (Garnick und Hahn).
Die Annahme liegt nahe, daß in den Geweben Apoferritin vorhanden ist, welches das Eisen unter Bildung von Ferritin aufnimmt und festhält. Es ist aber noch nie gelungen, Apoferritin in einem Gewebe nachzuweisen. Es scheint vielmehr, daß das Protein erst dann gebildet wird, wenn durch Absorption oder Zerfall von Hämoglobin Eisen auftritt. Wahrscheinlich wird das basische Eisensalz während der Entstehung des Proteinmoleküls in dasselbe eingebaut. Wird das Eisen verbraucht, so verschwindet auch das Ferritin wieder. Möglicherweise wird das Molekül unter Freisetzung des Eisens sogleich wieder abgebaut. Wie dem auch sei, die Aufnahme des Eisens im Darm erscheint im Lichte dieser Tatsachen als ein spezifischer Prozeß, und die Anpassung der Absorption an den Bedarf wird verständlich, wenn man nur annimmt, daß die Fähigkeit der Gewebe zur Bildung des Ferritins begrenzt ist. Das aus dem Darmlumen in die Zellen der Darmschleimhaut eintretende Eisen wird sofort als Ferritin fixiert; dadurch wird ein Konzentrationsgefälle so lange aufrecht erhalten, bis die Ferritinbildung ihre Grenze erreicht h a t ; dann hört die Absorption auf. Durch Vermittlung des Blutes stehen die Ferritindepots der verschiedenen Gewebe miteinander im Gleichgewicht. Das Blutplasma enthält eine kleine Menge Eisen, das sog. Serumeisen (vgl. die Tab. auf S. 431), das, wie oben erwähnt wurde, in Form eines spezifischen Globulinkomplexes vorhanden ist. Das Serumeisen hat trotz seiner geringen Konzentration (etwa 0,1 mg/100 ccm) physiologisch eine große Bedeutung, 30*
Das Blut
468
weil es die Transportform des Eisens darstellt. Die Höhe des Serumeisenspiegels ist ein Maß für den gesamten Eisenvorrat des Organismus ( H e i l m e y e r ) . Er sinkt bei Eisenmangel auf kleine Werte ab. Umgekehrt kann er stark ansteigen, wenn die Verwertung des Eisens gestört ist (z.- B. bei der perniziösen Anämie). Diese Verhältnisse sind leicht verständlich, wenn man das Gleichgewicht Ferritin-Serumeisen betrachtet: bei niedrigem Eisenbestand des Körpers können Leber, Milz und Knochenmark alles Eisen als Ferritin binden. J e weiter die Eisenspeicher vom Zustand maximaler Sättigung entfernt sind, desto geringer wird auch die im Blutplasma kreisende Eisenmenge sein. Wird umgekehrt die maximale Kapazität der Speicher erreicht, so kann nicht mehr alles Eisen als Ferritin festgehalten werden und die Eisenkonzentration im Blutplasma steigt an. Das folgende Schema (z. T. nach G a r n i c k und H a h n ) gibt die Beziehungen zwischen den Speichern und dem zirkulierenden Eisen in vereinfachter Form wieder: I—
Darmlumen F e + + + —* Fe + + Nahrung
Zellen der Darmschleimhaut
1 !
Fe++
Knochenmark
Ferritin Fe+++ :
Fe++
Hb
j
Blutplasma
|
i
1! ! Ferritin Fe+++ i
Erythrocyten
Fe++ Globulin
Milz Leber
Dank der Fähigkeit der Milz und der Leber, das Eisen (wohl im wesentlichen als Ferritin) zu fixieren, kann das bei Zerstörung der roten Blutkörperchen frei werdende Eisen immer wieder zur Hämoglobinsynthese verwertet werden. Es besteht daher im Körper ein ständiger Kreislauf des Eisens, der im obigen Schema durch die dick ausgezogenen Pfeile angedeutet ist. Die Eisenverluste des Körpers durch Exkretion sind sehr gering. Durch die Niere wird praktisch kein Eisen ausgeschieden; auch der Eisengehalt der Fäces ist sehr gering. Eine kleine Menge ist in der Galle vorhanden, doch ist unbekannt, wie weit dieses Eisen wieder rückresorbiert wird. Größere Eisenverluste treten immer nur durch Blutungen auf. Bei Blutzerfall in den Geweben findet sich oft ein braunes Pigment, das von phagocytierenden weißen Blutzellen aufgenommen wird, das sog. Hämosiderin. Es handelt sich um einen eisenhaltigen Körper, denn er gibt mit Salzsäure und Ferrocyanid behandelt eine starke Berlinerblaureaktion. Über die Beziehungen dieses Pigments zum Ferritin ist wenig Sicheres bekannt.
Für den Erwachsenen wird eine tägliche Eisenzufuhr von etwa 12 mg als optimal angesehen. Wahrscheinlich kommt der Mahn mit einer kleineren Menge aus. c) Die Bedeutung des Kupfers für die Hämoglobinbildung. Merkwürdigerweise ist die Milch sehr arm an den lebenswichtigen Schwermetallen, insbesondere auch an Eisen. Wie B u n g e in seinen klassischen Untersuchungen gezeigt hat, führt
Die Hämatopoese
469
aber das neugeborene Tier in seiner Leber einen Eisenvorrat mit, der während der Säugeperiode den Bedarf zu decken vermag. Eine länger dauernde Ernährung des jungen Tieres mit Milch führt zu einer Anämie. Es hat sich aber gezeigt, daß man diese Anämie durch Zufütterung von Eisen allein nicht heilen kann, sondern daß außerdem noch kleine Mengen Kupfer nötig sind ( E l v e h j e m ) . Das Kupfer muß also irgendwie in die Hämoglobinbildung eingreifen; wahrscheinlich ist es Bestandteil eines Wirkstoffes. Auch die Bildung anderer Häminpigmente scheint von der Gegenwart des Kupfers abhängig zu sein. Bei den durch ausschließliche Ernährung mit Milch anämisch gewordenen Ratten ist auch die Cytochromoxydase in Leber und Herzmuskel stark vermindert (M. 0 . S c h u l t z e ) . Die Aktivität des Ferments steigt wieder auf den normalen Wert an, wenn Kupfer zugeführt wird. Offenbar ist die kleine Eisenmenge, die zur Bildung des Ferments nötig ist, stets greifbar, auch wenn die Reserve zur Bildung des Hämoglobins längst nicht mehr ausreicht. d) Andere Nahrungsfaktoren. Es sind eine Reihe von Faktoren bekannt, welche die Blutbildung mehr oder weniger deutlich beeinflussen. An sich kann natürlich ein Mangel aller jener Stoffe, die für den normalen Ablauf des Zellstoffwechsels nötig sind — unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine —, auch zur Störung der Blutbildung führen. Zu den wichtigsten derartigen Faktoren gehört der sog. Antiperniciosafaktor. Die perniziöse Anämie ( = Perniciosa) ist eine schwere Störung der Hämatopoese, welche in dieser Form nur beim Menschen vorkommt. Sie läßt sich beim Tier experimentell nicht erzeugen. Sie ist durch das Auftreten einer besonderen Form anomaler Erythrocyten (Megalocyten) gekennzeichnet. Da der Blutfarbstoffgehalt der Zellen höher ist als bei normalen Erythrocyten (hoher Färbeindex; sog. hyperchrome Anämie), ist anzunehmen, daß die primäre Störung nicht in der Synthese des Blutfarbstoffes liegt, sondern die Bildung der Zellen selbst betrifft. Außer der Anämie besteht bei den Kranken eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut mit Unfähigkeit zur Bildung von Salzsäure und Pepsin (Achylie), sowie Störungen inf Bereich des Nervensystems. 1926 entdeckten M i n o t und M u r p h y , daß man die perniziöse Anämie durch große Gaben roher Leber heilen kann, und es gelang bald, wirksame Konzentrate aus Leber herzustellen. Es zeigte sich aber, daß die Leber den Antiperniciosafaktor nicht selbst bildet, sondern nur speichert. Genaueres siehe Kapitel 27, S. 643. Neuerdings ist es gelungen, den Antiperniciosafaktor in reiner Form zu isolierenEs handelt sich um eine rot gefärbte Verbindung, die Kobalt enthält (4,5% Co)Ihre Struktur ist noch nicht aufgeklärt. Die Isolierung war hauptsächlich dadurch möglich geworden, daß ein mikrobiologischer Test für den Faktor gefunden wurde (Wachstum von Lactobacillusleichmannii). Der Stoff hat als Wachstumsfaktor die Bezeichnug B 12 erhalten. Es wurde auch der Name Erythrotin vorgeschlagen. Der reine Stoff heilt die Perniziosa in kleinsten Mengen (wenige y täglich). Die Tatsache, daß Vitamin B 12 ein Wachstumsfaktor für Bakterien ist, deutet darauf, daß es für den Stoffwechsel allgemeine Bedeutung hat. Versuchstiere (Ratte, Hund, Hühnchen), die mit vegetabilischen Proteinen ernährt werden, bedürfen zum Wachstum eines zusätzlichen Faktors, der im tierischen Eiweiß enthalten ist („animal protein factor"). Es scheint, daß dieser Faktor mit dem Vitamin B 12 identisch ist. Aus mikrobiologischen Versuchen geben sich Anhaltspunkte dafür, daß der Stoff mit der Synthese gewisser Desoxyriboside zu tun hat.
470
Das Blut
Man kann annehmen, daß Vitamin B 12 auch für den menschlichen Organismus eine a l l g e m e i n e Bedeutung im Stoffwechsel besitzt, daß sich aber hier aus uns unbekannten Gründen sein Fehlen vor allem in einer tiefgreifenden Störung der Erythropoese und der Funktion des Nervensystems äußert, was bei anderen Tierarten nicht oder in viel geringerem Maße der Fall ist. (Auch beim Schwein sind Störungen der Blutbildung beobachtet worden.) Die Bedeutung des sog. „intrinsic factor", dessen Fehlen die eigentliche Ursache der Perniciosa ist, scheint nach neueren, allerdings noch unvollständigen Beobachtungen in einer Förderung der Absorption des Vitamins B 12 zu liegen (vgl. S. 643). Die Blutveränderungen der Perniciosa werden auch durch Pteroylglutaminsäure in hohen Dosen günstig beeinflußt ( S p i e s , vgl. Kapitel Vitamine). Der Zusammenhang mit der Wirkung von Vitamin B 12 ist aber nicht klar. C. Der Abbau des Blutfarbstoffes Die Erythrocyten werden beständig erneuert. Die alten Zellen gehen zugrunde — hauptsächlich in der Milz —, die neuen werden aus dem Knochenmark ins Blut nachgeschoben. Dieser Erneuerungsprozeß wird gelegentlich als „Blutmauserung" bezeichnet. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Erythrocyten beträgt ungefähr drei Monate. Die älteren Bestimmungsmethoden der mittleren Lebensdauer beruhen auf der Bestimmung der täglichen Urobilinausscheidung im Stuhl. Neuerdings hat man das Häm entweder durch Verabreichung von radioaktivem Eiset) oder von Glycocoll, das N• Stercobilinogen Es bleibt abzuwarten, wie weit sich dieses einfache Schema des bakteriellen Reduktionsvorganges bestätigt.
476
Das Blut
Wir haben bereits erwähnt, daß Biliverdin durch die Darmbakterien nicht reduziert werden kann. In der Leber dagegen wird es sehr leicht in Bilirubin übergeführt. Anscheinend vermögen die Bakterien den Wasserstoff nicht an die Doppelbindung der mittleren Methingruppe anzulagern. Das Leberparenchym kann das Bilirubin weiter zum Urobilinogen reduzieren ( B a u m g ä r t e l , L e m b e r g ) , d . h . die Enzyme der Leber vermögen auch die beiden seitlichen Methingruppen zu hydrieren. Es wird in der Leber allerdings nur wenig Biliverdin über die Stufe des Bilirubins hinaus reduziert (10—20%). Durch die Bakterien wird aus Bilirubin nur Stercobilinogen gebildet. Die Stabilität des Biliverdins gegen die Bakterienfermente zeigt, daß die Doppelbindungen an den Methinbrücken durch die Bakterien nicht hydriert werden können. Die wasserstoffübertragenden Enzyme der Bakterien lagern offenbar den Wasserstoff primär an die «• und /8-Stellung der beiden endständigen Pyrrolringe an, wobei auch die beiden äußeren Methinbrücken in Methylenbrücken übergehen ( B a u m g ä r t e l ) .
HO-
+ 4H
= CH—
V
HO
;'—CH— NH
H
Aus den bisherigen Untersuchungen geht jedenfalls hervor, daß die Leber- und die Bakterienfermente das Bilirubin in verschiedener Weise angreifen. Bakterienfermente | (nur wenn die mittlere Methin- | i brücke schon reduziert ist) [
Ii!
• II • I1
=CH—'l
N
I
j —C H = l
NH
i!
I
ch=Iv^J
N
Leberfermente
Das „Urobilinogen" der Fäces und des Urins besteht zu etwa 80—90% aus Stercobilinogen und nur zu 10—20% aus Urobilinogen. Nach den oben besprochenen Anschauungen muß man annehmen, daß das letztere wahrscheinlich schob, in der Leber aus dem Bilirubin entstanden ist, während das Stercobilinogen ein Produkt der Darmfäulnis darstellt. Ein Teil des im Darm gebildeten „Urobilins" wird rückresorbiert und gelangt in die Leber. Es kann mit der Galle wieder ausgeschieden werden (enterohepatischer Kreislauf) oder auch in den allgemeinen Kreislauf übergehen. Das letztere ist besonders bei geschädigtem Leberparenchym der Fall. Das vermehrte Auftreten von „Urobilin" im Harn ist eines der frühesten Symptome der Leberschädigung. In der Leber kann auch ein weitergehender Abbau des Gallenfarbstoffes stattfinden, doch ist über diese Vorgänge wenig bekannt. Bei Lebererkrankungen, hämolytischen Anämien, hohem Fieber kommt im Urin ein Körper vor, der nur noch zwei Pyrrolringe enthält und durch Reduktion mit Na 2 S 2 0 4 in alkalischer Lösung in einen Farbstoff übergeht, der bei 525 m/i eine Absorptionsbande zeigt. Man hat dem Farbstoff deshalb den Namen P e n t d y o p e n t gegeben; seine Vorstufe heißt „Propentdyopent" (Bingold). Die chemische Struktur ist noch nicht sichergestellt. Möglicherweise kommt dem roten Farbstoff die folgende Formel zu (Siedel):
477
Der Abbau des Blutfarbstoffes
C2H6 c h 3 II
-CIL,
NaO-
NH
II
-ONa
NH
Im Stuhl von Patienten mit Muskelatropbie hat man ein chloroformlösliches Polypeptid, das „Myobilin", gefunden, das als prosthetische Gruppe M e s o b i l i f u s e i n enthält, das ebenfalls ein Dipyrrolfarbstoff ist:
—
CH3 (CH2)2COOH
HO—!
OH
NH Das Myobilin wird als Abbauprodukt des Muskelhämoglobins, des Myoglobins, aufgefaßt (Meldolesi). Neben der Bilirubinbildung spielen die weiteren Abbauvorgänge keine große Rolle; sie sind als Nebenwege des Hämoglobinabbaus zu betrachten.
Die wichtigsten Stufen des Hämoglobinabbaus sind im folgenden Schema zusammengefaßt : L e b e r , Milz Hämoglobin
i
„Verdohämoglobin" i
i
Biliverdin
bei Leberschädigung [
Bilirubin-
i
I k Urobilinogen
•2 -
* g>
I i
•So
Niere.
Urin: „Urobilinogen" „Urobilin" Bilirubin
I Galle
u
I Bilirubin
BS £ a
'Bakterien
Urobilinogen
Urobilin
j Stercobilinogen
Stercobilin Darm
Fäces: „Urobilin" „Urobilinogen"
478
Das Blut
Wie im folgenden Abschnitt (S. 479) noch näher ausgeführt wird, stammt nicht alles Stercobilin (etwa 70%) aus dem H ä m der zugrundegegangenen a l t e n Erythrocyten. Es werden schon während der Erythropoese im Knochenmark Porphyrine gebildet, die als Stercobilin zur Ausscheidung gelangen (10—15% des gesamten „Urobilins"); etwa die gleiche Menge stammt aus den Häminfermenten (Cytochrom usw.). 6. Die Porphyrie Bei verschiedenen Krankheiten können im Urin und Stuhl Porphyrine ausgeschieden werden. (Im Stuhl findet man stets kleine Mengen, die aus bluthaltiger Nahrung durch die Darmflora gebildet worden sind.) Porphyrinurie kommt z.B. bei gewissen Intoxikationen vor. Das bekannteste Beispiel ist die Bleivergiftung. Neben diesen Fällen von Porphyrinurie, bei denen die Porphyrinausscheidung ein nebensächliches Symptom darstellt, gibt es eine eigentliche Stoffwechselkrankheit, deren Hauptsymptom die Ausscheidung großer Mengen von Uroporphyrin und Koproporphyrin im Urin und Stuhl ist. E s handelt sich u m eine ziemlich seltene hereditäre Erkrankung, die familienweise auftreten kann, also wohl wie viele Stoffwechselkrankheiten in ihren letzten Ursachen auf die Veränderung eines Gens zurückgeht. Man unterscheidet verschiedene Formen der Porphyrie, eine kongenitale chronische Form, die schon in früher Kindheit a u f t r i t t und deren Hauptsymptom die Schädigungen der H a u t sind, welche infolge der gesteigerten Lichtempfindlichkeit auftreten, und eine akute Form, die erst im späteren Lebensalter anfallweise in Schüben sich äußert und von schweren abdominellen Symptomen, psychischen Störungen und Lähmungen begleitet sein kann. Bei der Auslösung der Krankheit spielen vielfach Schlaf- und Beruhigungsmittel der Barbitursäurereihe eine Rolle. Für die Erkenntnis der Krankheit ist die Tatsache wichtig, daß die ausgeschiedenen Porphyrine sich nicht nur von der Reihe des Ätioporphyrins I I I ableiten wie das Protoporphyrin des Blutfarbstoffes, sondern daß auch Porphyrine der Reihe I ausgeschieden werden, und zwar vor allem das Uroporphyrin. Diese Porphyrine können sicher nicht aus dem Blutfarbstoff stammen. Es ist daher auch wenig wahrscheinlich, daß die der Reihe I I I angehörenden Porphyrine das Produkt eines anomal verlaufenden Hämoglobinabbaus sind. Sehr wahrscheinlich sind sie in den Erythroblasten des Knochenmarks entstanden. Man kann annehmen, daß beim Porphyriker in den Mutterzellen der Erythrocyten neben dem normalen Protoporphyrin I I I ein „falsches" Porphyrin, nämlich Uroporphyrin I, in großer Menge gebildet wird. Diese Zellen gehen zugrunde, und das Porphyrin I wird ausgeschieden. Porphyrine des Typus I werden aber auch normalerweise gebildet. So enthält der Urin immer Koproporphyrin I in kleinen Mengen. Der Darminhalt des Neugeborenen (Mekonium) enthält Koproporphyrin I ( W a l d e n s t r ö m ) ; da der Darm noch keine Bakterien enthält, ist dieses Porphyrin sehr wahrscheinlich während des embryonalen Lebens gebildet worden. Damit stimmt überein, daß beim menschlichen Embryo vor dem sechsten Monat in den Blutbildungsstätten porphyrinhaltige Zellen gefunden werden ( B o r s t und K ö n i g s d ö r f f e r ; die Porphyrine lassen sich mikroskopisch durch ihre starke rote Fluoreszenz leicht nachweisen). Bei gewissen Eichhörnchenarten ist Uroporphyrin I ein normales Stoffwechselprodukt; der Farbstoff wird bei diesen Tieren auch in die Knochen eingelagert. Das Auftreten von Porphyrinen des Typus I beim Porphyriker bedeutet also nur die Verstärkung eines physiologischen Prozesses. Man h a t neuerdings gefunden, daß auch während der normalen Erythropoese ein Überschuß von Porphyrinen gebildet und als Stercobilin ausgeschieden wird.
Niere; Urin. Die Harnsekretion
479
Wenn man markiertes Glycin verfüttert (N18) (vgl. S. 464), so erscheint nach kurzer Zeit das Stickstoffisotop im Stercobilin der Fäces, verschwindet dann wieder, um nach etwa 3—4 Monaten, d. h. nach Ablauf der normalen Lebensdauer der Erythrocyten, wieder in größerer Menge zu erscheinen (Neuberger, Murr, Graz). Dieses zweite Maximum der Ausscheidung entspricht der Zerstörung der Erythrocyten, deren Häm das markierte Glycin aufgenommen hatte; das erste Maximum muß dadurch zustandegekommen sein, daß während des Aufbaues des Blutfarbstoffes überschüssiges Häm oder Porphyrin in Gallenfarbstoff verwandelt und ausgeschieden wurde. Offenbar ist dieser Prozeß bei der Porphyrie gesteigert und führt außerdem zur vermehrten Bildung von Porphyrinen des Typus I. Die überschüssigen Porphyrine, die nicht zur Synthese des Hämoglobins verwertet werden, gelangen teilweise zur Ausscheidung, teilweise werden sie abgebaut. Im Urin des Porphyrikers kommt ein Chromogen oft in großer Menge vor, das mit dem Ehrlichschen Aldehydreagens (p-Dimethylaminobenzaldehyd) eine intensive Rotfärbung gibt und durch Oxydation (besonders im Licht) in ein dunkles Pigment übergeht. (Es genügt, den Urin mit etwas Mineralsäure zu erwärmen.) Diese Reaktionen des Urins sind diagnostisch sehr wichtig.
Alle bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, daß die der Porphyrie zugrunde^ hegenden Störungen in einer gesteigerten, teilweise in „falsche" Bahnen geleiteten Synthese von Porphyrinen in den Erythroblasten zu suchen ist. Die Annahme einer gestörten Synthese des Hämins ist auch mit den neueren Anschauungen über die Porphyrinsynthese im Einklang, nach welchen, wie oben ausgeführt wurde, zuerst Pyrrole und Porphyrine mit carboxylierten Seitenketten gebildet werden, die erst nachträglich durch Decarboxylierung das Protoporphyrin des Blutfarbstoffes liefern. Auch bei der Bleivergiftung (und möglicherweise noch bei anderen Intoxikationen, die zu einer Porphyrinausscheidung führen) scheint die Hämoglobinsynthese, und nicht etwa der Hämoglobinabbau gestört zu sein. Man nimmt an, daß hier die Verbindung des Eisens mit dem Häm verhindert ist (Vannotti). Die Krankheit Porphyrie muß von der bloßen Porphyrinurie streng unterschieden werden. Es scheint, daß nur bei der Porphyrie Uroporphyrin ausgeschieden wird, während bei den symptomatischen Porphyrinurien bisher immer nur Koproporphyrin gefunden wurde. Einundzwanzigstes Kapitel N i e r e ; Urin 1. Die Harnsekretion Bei der Besprechung des Wasser- und Salzhaushaltes wurde bereits darauf hingewiesen, worin die Hauptfunktion der Niere besteht: Sie hält die Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten konstant. Dazu ist nötig: 1., daß sie die eigentlichen Endprodukte des Stoffwechsels und diejenigen Stoffe eliminiert, die nicht verwertet oder gespeichert werden können; 2., daß sie andererseits alle Stoffe zurückhält, deren Verlust bei der vorliegenden Situation die Funktionen des Körpers irgendwie beeinträchtigen würde. Wir sagen: bei der vorliegenden Situation, denn die Anpassung an die äußeren oder inneren Bedingungen erfordert, daß ein und derselbe Stoff bald ausgeschieden, bald retiniert wird. Die Sekretion muß im höchsten Grade auswählend sein, denn die Niere erhält alle im Blut enthaltenen Stoffe angeboten, darf aber nur einen Teil mit dem Urin nach außen abgeben. Der Apparat, welcher
480
Niere; Urin
die Selektion vornimmt, ist das Nephron mit seinen verschiedenen Abschnitten, in der Säugerniere: Glomerulus, Hauptstück, Henlesche Schleife, Schaltstück. Die Mittel dazu sind 1. die Filtration im Glomerulus, durch welche die niedrigmolekularen Stoffe des Blutplasmas von den hochmolekularen abgetrennt werden, 2. die aktive Sekretion und 3. die Rückresorption von Stoffen durch die Epithelien der Nierenkanälchen. Wir haben auf die Bedeutung der Niere für den Wasserhaushalt bereits in einem früheren Kapitel hingewiesen. Durch die beiden Nieren des erwachsenen Menschen strömt in der Minute rund 1 1 Bhjt, d. h. ein beträchtlicher Teil der gesamten vom Herzen ausgeworfenen Blutmenge. Rund 125 ccm Filtrat werden in derselben Zeit in den Glomeruli abgepreßt; das ist etwa 1 '6 der Plasmamenge, welche die Nieren passiert (11 Blut enthält etwa 600 ccm Plasma). Die pro Tag filtrierte Flüssigkeitsmenge beträgt 1801, also mehr als das Dreifache des gesamten Flüssigkeitsbestandes des Körpers. Es ist klar, daß eine Erhaltung des Wasserbestandes bei landbewohnenden Tieren nur denkbar ist, wenn der größte Teil dieser Flüssigkeitsmenge wieder rückresorbiert wird. Tatsächlich sind es 178—1791, also über 99%. Durch die Filtration in den Ma 1 pighisehen Körperchen gelangen zunächst alle im Blutplasma vorhandenen niedrigmolekularen Stoffe in den Urin („Urharn"). Durch die Rückresorption des Wassers kann ihre Konzentration auf das Vielfache der Blutkonzentration gesteigert werden. Dazu kommt aber noch eine weitere Möglichkeit der Ausscheidung: Viele Stoffe werden durch die Epithelzellen der Tubuli a k t i v sezerniert, d. h. sie werden gegen ein Konzentrationsgefälle vom Blut nach dem Lumen der Nierenkanälchen übergeführt. Die Sekretionstätigkeit der Niere untersteht nervösen und humoralen Einflüssen. Was die ersteren betrifft, müssen wir auf die Lehrbücher der Physiologie verweisen. Der nervösen Regulierung untersteht der Blutkreislauf der Niere und damit die Filtration in den Glomeruli. Dagegen unterliegen sowohl die Ausscheidung des Wassers als auch die Ausscheidung gewisser lebenswichtiger Ionen der direkten Beeinflussung durch bestimmte Hormone, und zwar ist es die R ü c k r e s o r p t i o n in den T u b u l i , welche in spezifischer Weise gehemmt oder gefördert wird. Die Rückresorption des Wassers wird durch ein Hormon des Hypophysenhinterlappens (Antidiuretin) gefördert; damit Nationen rückresorbiert werden, ist ein Rindenhormon (Desoxycorticosteron) nötig. Dagegen wird die Rückresorption des Phosphats durch das Hormon des Epithelkörperchens gehemmt (vgl. Kap. 19 und 23). Wenn wir allgemein die vermehrte Ausscheidung eines Stoffes als Diurese bezeichnen (Wasser-Diurese, Na-Diurese, Phosphat-Diurese), so können wir sagen, daß die Hormone teils antidiuretisch, teils diuretisch wirken. Möglicherweise wird auch die Ausscheidung anderer Stoffe, sei es die Rückresorption oder die Sekretion, auf chemischem Weg reguliert, doch wissen wir darüber nichts Genaueres. Die Niere würde offenbar auch ohne humorale Beeinflussung von außen als Sekretionsorgan arbeiten, aber rein maschinenmäßig. Erst dadurch, daß gewisse Teile der Niere der Regulation von außen unterstellt werden, ist die ständige Anpassung an die Bedürfnisse des Organismus möglich. Das Glomerulusfiltrat enthält aber auch die Stoffe, welche nicht aus dem Körper ausgeschwemmt werden dürfen. Die Niere muß, um sie zurückzuhalten, dasselbe Mittel verwenden wie beim Wasser, die Rückresorption. Diese Stoffe werden bei ihrer Passage durch die Nierenkanälchen von den Epithelzellen teilweise oder nahezu vollständig wieder aufgenommen. Es handelt sich ebenfalls um einen aktiven Transport gegen das Konzentrationsgefälle, aber hier in der Richtung vom Lumen der Tubuli nach dem Blut. Alle einzelnen Phasen der Urinbildung: Filtration, Sekretion,
Die „Clearance"
481
Rückresorption, sind regulierbar; daher r ü h r t die erstaunliche Anpassungsfähigkeit der Niere a n die augenblicklichen Bedürfnisse des Körpers. Die einzelnen Vorgänge, Rückresorption des Wassers und der gelösten Stoffe, aktive Sekretion, sind wahrscheinlich in bestimmten Abschnitten der Tubuli lokalisiert. Für die Erforschung dieser Frage und für die Kenntnis der Nierenfunktion überhaupt sind Untersuchungen an der Amphibienniere von größter Bedeutung gewesen. Die proximalen Abschnitte der Tubuli werden hier durch ein besonderes Pfortadersystem versorgt, welches von der Blutversorgung der Glomeruli unabhängig ist, so daß man die beiden Teile des Nephrons getrennt durchbluten kann. Außerdem ist es möglich, mit Hilfe des Mikromanipulators die Bowmansche Kapsel und verschiedene Abschnitte der Kanälchen zu punktieren und die gewonnene Flüssigkeit direkt zu analysieren (Richards). Auf diese Weise hat man festgestellt, daß der im Glomerulus filtrierte Urharn tatsächlich die gleiche Zusammensetzung hat wie das Blutplasma, und es sind wertvolle Anhaltspunkte über die Funktion der einzelnen Abschnitte des Tubulus gewönnen worden. Das Chlorid wird z. B. im distalen Abschnitt des Kanälchens, die Glucose dagegen im proximalen Abschnitt rückresorbiert. Die Henlesche Schleife ist eine Besonderheit der Säugetierniere; es scheint, daß sie für die Rückresorption des Wassers von Bedeutung ist. Aus Versuchen mit Farbstoffen zü schließen, sind es hauptsächlich die proximalen Abschnitte der Tubuli, welche sekretorische Funktionen haben. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die durchschnittliche K o n z e n t r a t i o n verschiedener Stoffe im Urin, verglichen mit ihrer B l u t k o n z e n t r a t i o n beim Menschen. Blutplasma % Wasser Protein, Fett, Kolloide . . Glucose Harnstoff Harnsäure Na+ K+ NH 4 + Ca++ Mg + + ciHPO 4 -so 4 — Kreatinin
90—93 7—9 0,1 0,03 0,002 0,32 0,02 0,0001 0,008 0,0025 0,037 0,009 0,003 0,001
Urin % 95 0 0 2 0,05 0,35 0,15 0,04 0,015 0,006 0,6 0,27 0,18 0,10 •
Urin Blutplasma ~ 0,97 1
/oo
7 60 25 1 7 400 2 2 1,6 30 60 100
W ü r d e n die im U r h a r n gelösten Stoffe während ihrer Passage durch die Tubuli ü b e r h a u p t nicht rückresorbiert, so m ü ß t e das Verhältnis ihrer K o n z e n t r a t i o n im Urin u n d im B l u t etwa den W e r t 100—200 h a b e n (da 180 1 F i l t r a t auf 1—2 1 Urin konzentriert werden). Die Tabelle zeigt, d a ß dieses Verhältnis f ü r die meisten Stoffe nicht erreicht wird. (Der sehr hohe W e r t f ü r A m m o n i a k r ü h r t daher, d a ß dieses in den Nieren selbst produziert wird.) Die Glucose erscheint im Urin ü b e r h a u p t n i c h t in m e ß b a r e n Mengen (jedenfalls nicht u n t e r normalen Bedingungen), wird also vollständig rückresorbiert. 2. Die „Clearance" Die verschiedenen Stoffe lassen sich nach ihrem Verhalten in der Niere in die folgenden G r u p p e n einteilen: 1. reine Filtration, 2. F i l t r a t i o n u n d Sekretion, 3. Filtration u n d Rückresorption. 31
B d l b a c h c r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. lO.Aufl.
Niere; Urin
482
Wenn eine Substanz nur durch Filtration im Glomerulus ausgeschieden wird, ohne daß im Nierenkanälchen nachträglich eine weitere Menge durch Sekretion hinzutritt oder durch Rückresorption weggenommen wird, so kann man aus der Konzentration im Blutplasma und der im Urin ausgeschiedenen Menge das Volumen des Ultrafiltrats berechnen. Sei Cp die Konzentration der Substanz im Blutplasma (die wir als konstant voraussetzen), CLr die Konzentration im Urin, Vu das Volumen des Urins während der Versuchsperiode, so ist y
_ Cd-Vu _ im Urin ausgeschiedene Menge Cp Plasmakonzentration
das Volumen der während der Versuchsperiode in den Glomeruli filtrierten Flüssigkeit. (Wenn die Rechnung ganz exakt sein soll, muß die Plasmakonzentration nicht auf das ganze Plasmavolumen, sondern nur auf das Plasmawasser bezogen werden.) Man rechnet dieses Volumen gewöhnlich auf die Zeit von einer Minute um. Es beträgt beim Menschen unter normalen Bedingungen etwa 125 ccm. Eine Substanz, welche die obigen Bedingungen erfüllt, ist das I n u l i n ; man kann dieses Kohlehydrat daher dazu benützen, die Größe der Filtration in der Niere zu messen. Wenn man nun den obigen Quotienten (Menge im Urin: Plasmakonzentration) für einen Stoff ausrechnet, der rückresorbiert wird, so wird man natürlich einen kleineren Wert finden als für das Inulin oder sich ähnlich verhaltende Substanzen. Berechnet man ihn für einen Stoff, der in den Tubuli sezerniert wird, so muß sich ein größerer Wert ergeben. Der Quotient gibt immer das Volumen des Blutplasmas, in welchem die im Urin ausgeschiedene Substanz gelöst war. Dieses Volumen des Blutplasmas ist auf seinem Weg durch die Nieren von der Substanz befreit worden. Man bezeichnet daher den auf eine Minute bezogenen Wert allgemein als „ c l e a r a n c e " (to clear = befreien, aufräumen, wegschaffen). Für Stoffe, die wie das Inulin in den Tubuli weder rückresorbiert noch sezerniert werden, ist, wie gesagt, die Clearance gleich dem in den Glomeruli pro Minute filtrierten Flüssigkeitsvolumen. Für Stoffe, die rückresorbiert werden, ist sie kleiner, im Grenzfall Null (z. B. Glucose); für Stoffe, die sezerniert werden, ist sie größer, im Grenzfall gleich dem Volumen des Blutplasmas, das während einer Minute die beiden Nieren durchströmt. Man findet derartig hohe Werte für gewisse körperfremde Substanzen, z. B. jodhaltige Kontrastmittel, wie sie verwendet werden, um die Harnwege im Röntgenbild sichtbar zu machen (Diodrast), und auch für gewisse Antibiotica. Die Clearance eines Stoffes verglichen mit der unter den gleichen Bedingungen bestimmten „Inulin-Clearance" gibt daher Auskunft über die Art seiner Ausscheidung und den Umfang der Rückresorption. Die Bestimmung der Inulin-Clearance wird in der Klinik als Nierenfunktionsprüfung durchgeführt. Das Schema der Abb. 48 macht die besprochenen Verhältnisse anschaulich. Die Glucose wird bei normalen Blutzuckerwerten nicht ausgeschieden. Sie geht erst dann in den Urin über, wenn ihre Konzentration im Blutplasma einen bestimmten Wert, die A u s s c h e i d u n g s s c h w e l l e , erreicht. Die Erklärung für dieses Verhalten ist darin zu suchen, daß die Fähigkeit der Tubuli zur Rückresorption des Zuckers begrenzt ist. Wenn die Konzentration im Glomerulusfiltrat eine bestimmte Grenze überschreitet, vermögen die Epithelien die Glucose aus der vorbeifließenden Lösung nicht mehr vollständig aufzunehmen. Man kann durch Vergiftung der Zellen mit dem Glycosid P h l o r r h i z i n die Rückresorption so stark hemmen, daß die
483
Die „Clearance"
Glucose auch bei normaler Konzentration in den Urin übergeht (Phlorrhizindiabetes, vgl. S. 321). Man nennt Stoffe, die sich wie die Glucose verhalten, S c h w e l l e n s u b s t a n z e n (threshold-substances). Man muß dazu auch die Na+- und die Cl~-Ionen zählen. Nur entspricht bei ihnen die normale Plasmakonzentration gerade der Ausscheidungsschwelle. Ihre Ausscheidung im Urin hört erst dann vollständig auf, wenn die Konzentration im Blut ein weniges unter die Norm absinkt. Clearance cmyMin.
5 i§
- Diodrast
4?e 250
3
— ZOO
Kreatinin 150 33
reine Filtration
Inulin -
100
Harnstoff -
§
so
• Glukose
Abb. 48. Schema zur V e r a n s c h a u l i c h u n g des Zusammenhangs zwischen F i l t r a t i o n , R ü c k r e s o r p t i o n und S e k r e t i o n in der Niere und der „Clearance". Im Gegensatz zum Zucker können Natrium und Chlor nicht anders gespeichert werden als in der extrazellulären Flüssigkeit und sie können daraus nur durch die Nieren entfernt werden. Wenn also in der Körperflüssigkeit überhaupt eine konstante Konzentration erhalten bleiben soll, so muß sie notwendigerweise mit der Ausscheidungsschwelle zusammenfallen.
Die Clearance der Schwellensubstanzen hat für Blutkonzentrationen unterhalb der Ausscheidungsschwelle den Wert Null und steigt für größere Konzentrationen allmählich an. Für viele Stoffe läßt sich eine Ausscheidungsschwelle nicht feststellen, sie sind „NichtschWellensubstanzen" (no-threshold substances). Die Geschwindigkeit ihrer Ausscheidung im Urin ist ungefähr proportional der Blutkonzentration und ihre Clearance daher über einen größeren Konzentrationsbereich annähernd konstant. Dies ist der Fall bei den Stoffen, die nicht rückresorbiert werden, wie z. B. beim Kreatinin. 31'
484
Niere; Urin
Bei Stoffen, welche wie das Diodrast (siehe oben) bei niedriger Konzentration in den Tubuli durch Sekretion vollständig ausgeschieden werden (Clearance maximal), zeigt sich eine ähnliche Erscheinung wie bei den Schwellensubstanzen, aber in umgekehrtem Sinne: bei Überschreitung einer gewissen Blutkonzentration (für Diodrast etwa 10 mg%) vermögen die Zellen der Nierenkanälchen den Stoff nicht mehr vollständig aus dem vorbeiströmenden Blut zu entfernen und ins Lumen der Kanälchen zu transportieren. Wie beim Zucker die Rückresorption, so wird hier die Eliminierung des Stoffes aus dem Blut unvollständig; die Clearance geht zurück.
3. Der Stoffwechsel der Niere
Die Nieren besitzen einen außerordentlich intensiven Stoffwechsel. Größenordnungsmäßig macht der Energieumsatz der beiden Nieren l / 2 o— 1 / l i des gesamten Ruheumsatzes aus, trotzdem ihr Gewicht nur etwa 1 / 2o;) des Körpergewichts beträgt (60—180 Cal. in 24 Stunden, Sauerstoffverbrauch 10—30 1 0 2 ). Der Energieverbrauch pro Gewichtseinheit ist größer als bei allen anderen Organen. Die Niere leistet osmotische Arbeit, doch ist ihr Betrag verglichen mit dem Energieverbrauch sehr klein, d. h. weniger als 1 Cal. für die tägliche Urinmenge. Der hohe Energieverbrauch läßt sich dadurch in keiner Weise erklären. Er ist offenbar durch die besondere Natur der in der Niere sich abspielenden Absorptions- und Sekretionsvorgänge bedingt. Wir müssen annehmen, daß dazu zahlreiche Hilfsreaktionen nötig sind, welche Energie verbrauchen. Wahrscheinlich muß die hohe Selektivität des Stofftransportes durch die Epithelien der Tubuli durch einen schlechten energetischen Wirkungsgrad erkauft werden. Man muß sich auch die Frage stellen, ob die gesamten in der Niere lokalisierten Stoffwechselvorgänge in unmittelbarer Beziehung zur Sekretionstätigkeit der Niere stehen oder ob sie daneben auch in ähnlichem Sinne wie die Leber für den allgemeinen Intermediärstoffwechsel Bedeutung haben. Vermutlich trifft das letztere zu. Man findet in der Niere neben den allgemeinen Fermentsystemen des oxydativen Stoffwechsels (z. B. des Tricarbonsäurecyklus) zahlreiche andere oxydierende und hydrolytische Enzyme, besonders auch Fermente des Aminosäurestoffwechsels, d-Aminosäureoxydase, Transaminase, Glutaminase und Asparaginase, Aminoxydasen, Histidindecarboxylase, Peptidasen usw., aber auch zahlreiche synthetisierende Fermentsysteme. Verschiedene Entgiftungsreaktionen, so bei verschiedenen Tierarten die Hippursäuresynthese, spielen sich in der Niere ab. Es scheint, daß die Niere imstande ist, wenn auch in beschränktem Umfang, Glucose ans Blut abzugeben. Auf Grund all dieser Tatsachen kann man schließen, daß die Niere außer ihrer sekretorischen Tätigkeit, die natürlich ihre Hauptfunktion darstellt, an zahlreichen für den gesamten Stoffhaushalt wichtigen Umsetzungen teilnimmt. 4. Niere und Blutdruck Wenn "man beim Tier die Blutzufuhr zu einer Niere durch Anlegen einer Klammer an die Nierenarterie teilweise unterbindet, so stellt sich nach einiger Zeit eine Erhöhung des Blutdruckes ein. Es hat sich gezeigt, daß die durch den Blutmangel (Ischämie) leicht geschädigte Niere an das Blut einen Stoff abgibt, das Renin, welcher für die Blutdrucksteigerung verantwortlich ist. Renin wirkt aber nicht direkt auf die Gefäße. Es ist nur in Gegenwart von Blut wirksam, denn es reagiert mit einem Protein des Blutplasmas, dem Hypertensinogen, und bildet daraus den eigentlichen blutdruckwirksamen Stoff, das Hypertensin (oder Angiotonin) (Braun-Menendez; Fasciola, Leloir und Munoz). Das Renin, das in der Nierenrinde vorhanden ist und sich aus dem Organ extrahieren läßt, ist wahrscheinlich eine Protease; Hypertensinogen ist ein a-Globulin, Hypertensin ein dialysierbares, thermostabiles Polypeptid. Es enthält Histidin und Tyrosin. Aus dem Hypertensinogen erhält man auch durch Pepsineinwirkung bei niedrigen pH-Werten eine blutdruckwirksame Substanz. Man nimmt daher an, daß das Hypertensin aus dem Hypertensinogen durch Renin proteolytisch abgespalten wird. Hypertensin
Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile
485
wird durch ein im Plasma vorkommendes Ferment, die Hypertensinase, langsam inaktiviert. Die Vorgänge stellen sich also folgendermaßen dar: Niere Blutplasma Hypertensinogen Renin
(l6chtoie)
|j
• Renin
i i
* j (proteolytische | Spaltung)
i Hypertensin |
+ Gefäße (Konstriktion)
j Hypertensinase
Spaltprodukte (inaktiv)
Beim Menschen ist die Verbindung von Nierenkrankheiten mit hohem Blutdruck (renaler Hochdruck) schon lange bekannt. Möglicherweise ist der Mechanismus der gleiche wie beim experimentellen Hochdruck: Übertritt von Renin ins Blut und Bildung von Hypertensin. Es gibt aber Anzeichen dafür, daß die Niere bei mangelhafter Blutversorgung auch noch andere blutdruckerhöhende Stoffe an den Kreislauf abgibt (Stickstoffbasen). Man hat im Urin bei experimenteller Ischämie der Niere (Hund) derartige Stoffe gefunden. Es stellt sich die Frage, ob die Niere auch normalerweise kreislaufwirksame Stoffe abgibt und auf diese Weise regulierend in den Blutkreislauf eingreift. Da die Harnabsonderung, wie sich tierexperimentell zeigen läßt, durch Erhöhung des arteriellen Blutdrucks gefördert wird, bei Senkung aber abnimmt, wäre eine Beeinflussung des Blutdrucks von der Niere aus durchaus verständlich. Wir besitzen darüber aber keine sicheren Kenntnisse. Es ist schon die Möglichkeit erwogen worden, daß die Niere bei mangelhafter Sauerstoffversorgung gewisse blutdruckwirksame Amine, die durch Decarboxylierung aus den entsprechenden Aminosäuren entstehen, ans Blut abgibt, währenddem sie dieselben sonst durch die Aminoxydasen weiteroxydiert (Bing). Eine besondere Rolle scheint das Dioxyphenylalanin (Dopa) zu spielen, welches durch Decarboxylierung in das Oxytyramin übergeht: HO—/
\ — C H a • CH(NHa) • COOH
Dopa " decarboxylase
/' HO
Dopa Oxytyramin Injektion von Dopa bei Katzen mit experimenteller Hypertonie (Ischämie der Niere) bewirkt eine Steigerung des Blutdrucks, während das normale Tier nicht reagiert. Auch beim Menschen mit essentieller Hypertonie beobachtet man einen stärkeren Effekt als beim Normalen. Bei Durchströmung der ischämischen Niere, nicht aber der normalen, mit Dopa erhält man Oxytyramin. Auch Nierenextrakte bilden unter anaeroben Bedingungen aus der Aminosäure das Amin. Auch ein solcher Mechanismus, der auf der mangelnden Weiteroxydation von intermediär gebildeten Aminen beruht, könnte die Entstehung der Hypertonie bei Sauerstoffmangel der Niere erklären. Bei anderen Organen hat man die Bildung von blutdruckwirksamen Aminen unter ähnlichen Bedingungen nicht beobachtet. Möglicherweise ist die Niere wegen ihres hohen Sauerstoffbedarfs gegen Sauerstoffmangel besonders empfindlich. Alle diese Befunde sind für die Erklärung der renalen Hypertonie beim Meinschen von Interesse. 5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile Nach den früheren Ausführungen ist es verständlich, daß der Harn eine sehr wechselnde Zusammensetzung aufweist, welche sowohl die Zusammensetzung der Nahrung als auch das Geschehen im Körper widerspiegelt. Wir können hier nur eine kurze Übersicht geben unter Hinweis auf die Kapitel über den Intermediärstoffwechsel. Alles folgende bezieht sich auf die Verhältnisse beim Menschen. Spezifisches Gewicht. Dasselbe kann zwischen den extremen Grenzen von etwa 1,003 (nach starker Flüssigkeitszufuhr) und 1,040 (nach starkem Wasserverlust durch
486
Niere; Urin
Schwitzen) schwanken. Normalerweise findet man Werte zwischen etwa 1,015 und 1,025. Das spezifische Gewicht bei Wasserentzug gibt in der Klinik wertvolle Anhaltspunkte über die Konzentrationsfähigkeit der Niere. Man kann aus dem spezifischen Gewicht den ungefähren Gehalt des Urins an festen Stoffen (in g pro Liter) berechnen, indem man die beiden letzten Ziffern (2. und 3. Stelle nach dem Komma) mit der Zahl 2,6 multipliziert (sog. Longscher Koeffizient). Beispiel: Ein Urin vom spez. Gew. 1,021 enthält rund 21-2,6 = 54,6 g feste Stoffe im Liter.
Der normale Urin enthält eine große Zahl der verschiedenartigsten Stoffe: Endprodukte des Stoffwechsels, Nahrungsbestandteile, die entweder nicht verwertbar sind oder im Überschuß zugeführt werden, Bestandteile des Blutes und der Gewebe, die ausgeschieden werden, weil für sie das Nierenfilter offenbar nicht vollständig „dicht" ist. In pathologischen Zuständen können im Urin Stoffe auftreten, welche normalerweise nicht oder nur in sehr geringer Menge ausgeschieden werden. Darauf beruht der große diagnostische Wert der Harnuntersuchung. Wir zählen im folgenden die wichtigsten Harnbestandteile auf und geben einige Hinweise auf ihre physiologische und klinische Bedeutung. A. Harnstoff Er steht mengenmäßig an erster Stelle. Beim Erwachsenen macht er etwa 80—90% der N-haltigen Substanzen aus; bei eiweißarmer Ernährung ist dieser Anteil etwas kleiner. Die täglich ausgeschiedene Menge hängt von der Eiweißzufuhr ab (Harnstoffausscheidung =
• , d. h. rund 0,3-mal Eiweißzufuhr in g); 6,25 60 sie beträgt 20—30 g, macht also mehr als die Hälfte aller festen Stoffe aus. Der Harnstoff ist das Substrat der sog. a m m o n i a k a l i s c h e n G ä r u n g des Harns. Er zersetzt sich unter der Einwirkung von Bakterien (Urease!) in Ammoniak und Kohlensäure. Über die Harnstoffsynthese in der Leber siehe S. 367. B e s t i m m u n g des H a r n s t o f f s : Zerlegung durch Urease und Destillation des gebildeten Ammoniaks im Luftstrom, Auffangen in titrierter Säure (Folin) oder durch Zersetzung des Harnstoffs durch Hypobromit und gasvolumetrische Bestimmung des gebildeten N 2 (Ambard).
B. Kreatinin und Kreatin Beim erwachsenen Mann findet sich im Urin nur Kreatinin, kein Kreatin. Dasselbe ist bei der Mehrzahl der Frauen der Fall; es gibt aber Frauen, welche dauernd oder von Zeit zu Zeit kleine Mengen Kreatin ausscheiden. Das Kind dagegen scheidet gleichzeitig Kreatinin und Kreatin aus. Die Menge des ausgeschiedenen Kreatinins, bezogen auf das Körpergewicht (mg Kreatinin in 24 Stunden zu kg Körpergewicht), der sog. K r e a t i n i n k o e f f i z i e n t , ist für ein und dasselbe Individuum annähernd konstant. Für den Mann ergeben sich Werte von 20—26 mg/kg, für die Frau Werte von 14—22 mg/kg. Die Kreatininausscheidung hängt von der Muskelmasse ab; je besser die Muskulatur entwickelt ist, desto mehr Kreatinin wird ausgeschieden. Krefitin geht nur dann in den Urin über, wenn seine Konzentration im Blut erhöht ist ( > 0,6 mg%). Bei der Frau kommt es während des Puerperiums zur Kreatinurie. Überhaupt tritt bei der Frau Kreatinausscheidung leichter auf als beim
Harnsäure
487
Mann. Im allgemeinen können solche Zustände zur Ausscheidung von Kreatin führen, bei welchen Gewebe, insbesondere Muskulatur, eingeschmolzen wird. Typisch ist das Auftreten von Kreatinurie bei Erkrankungen der Skelettmuskulatur (Muskeldystrophie, Myasthenia gravis, Myatonia congenita usw.). Überfunktion der Schilddrüsen führt regelmäßig zur Kreatinurie. Die pathologische Kreatinurie weist folgende Kennzeichen auf: Ausscheidung von Kreatin höher als 50—60 mg in 24 Stunden; bei Verabreichung von Kreatin (1,32 g, entsprechend 1 g Kreatinin) erscheinen in den folgenden 24 Stunden mehr als 30% im Urin (normalerweise sind es nur wenige Prozente). Der Kreatininkoeffizient ist niedrig.
Das Kreatinin des Urins entstammt im wesentlichen dem Kreatin der Muskulatur. Von außen zugeführtes Kreatin wird fast vollständig von den Muskeln aufgenommen. Ist die Muskulatur durch irgendwelche pathologischen Prozesse geschädigt, so vermag sie weder das endogene noch das exogene Kreatin vollständig zu fixieren und in Kreatinin umzuwandeln; ein Teil des Kreatins wird daher als solches ausgeschieden. Über die Synthese des Kreatins und den Kreatinstoffwechsel siehe S. 355 und S. 512. N a c h w e i s und B e s t i m m u n g des K r e a t i n i n s : Kreatinin gibt in alkalischer Lösung mit Nitroprussidnatrium [Fe(CN s )N0]-Na 2 -2H 2 0 eine rote Färbung, die beim Stehen abblaßt und bei Zusatz von Essigsäure sofort verschwindet (Gegensatz zum Aceton): Wey Ische Reaktion. Verdünnte alkalische Kreatininlösung gibt mit Pikrinsäure versetzt eine o'rangerote Färbung. Diese Reaktion kann zur quantitativen kolorimetrischen Bestimmung benützt werden. (Sie ist aber nicht streng spezifisch auf Kreatinin.) Im Blut finden sich noch andere Stoffe, welche unter den gleichen Bedingungen eine Färbung geben. Die Methode genügt aber für die meisten praktischen Zwecke. Man hat Bakterien isoliert, die Kreatinin abbauen, und hat darauf eine spezifische mikrobiologische Bestimmungsmethode gegründet (Miller und Dubos). Zur Bestimmung des Kreatins neben dem Kreatinin führt man durch Erhitzen mit Säure das Kreatin in Kreatinin über. Aus der Zunahme des Kreatinins läßt sich der Kreatingehalt berechnen.
C. Harnsäure Die Harnsäure stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purinstoffwechsels dar. Auch bei völlig purinfreier Nahrung wird immer Harnsäure ausgeschieden (0,3—0,5 g täglich). Dieselbe muß aus den Nucleinsäuren und Nucleotiden der Gewebe stammen ( e n d o g e n e H a r n s ä u r e ) . Bei Zufuhr von Purinen mit der Nahrung wird eine zusätzliche Menge Harnsäure eliminiert ( e x o g e n e H a r n s ä u r e ) . Normalerweise macht beim Erwachsenen die Harnsäure 1—2% des gesamten Urin-N aus. Beim Neugeborenen ist der Anteil der Harnsäure am Urin-N viel größer als beim Erwachsenen (7—8%). Nach Injektion von Harnsäure wird nur ein Teil im Urin wieder ausgeschieden (rund 50%). Der Rest wird zerstört. Man muß jedenfalls auf Grund dieser Versuche schließen, daß die Harnsäureausscheidung nicht dem gesamten endogenen Purinumsatz entspricht, sondern daß ein Teil des Purins irgendwo im Organismus weitgehend abgebaut wird. Die Allantoinbildung (vgl. S. 394) ist beim Menschen sehr gering. Wahrscheinlich gelangt ein Teil durch Magensaft und Galle in den Darm und wird durch die Bakterien abgebaut. Man vermutet, daß ein Teil auch in der Leber zerstört wird. Es sind allerdings in den menschlichen Geweben noch keine Fermente gefunden worden, welche die Harnsäure angreifen. Reichliche Zufuhr von Proteinen (ohne Purine!) mit der Nahrung führt zu einer leichten Steigerung der Harnsäureausscheidung, weil ein Teil des Stickstoffs zur Purinsynthese verwendet wird. Bei körperlicher Arbeit ist die Harnsäureausscheidung erhöht. Alle Prozesse, die zur Einschmelzung von Gewebe führen (z. B. fieberhafte
488
Niere; Urin
Erkrankungen, Röntgenbestrahlung usw.), erhöhen auch die Ausscheidung der Harnsäure. Wegen ihrer Schwerlöslichkeit kann Harnsäure zur Konkrementbildung im Nierenbecken oder in der Blase führen (siehe unten). B e s t i m m u n g der Harnsäure: durch Fällung als Ammoniumurat oder kolorimetrisch auf Grund ihrer Eigenschaft, Phosphorwolframsäure oder Arsenophosphorwolframsäure unter Blaufärbung zu reduzieren.
D. Aminosäuren Freie Aminosäuren werden nur in kleiner Menge ausgeschieden (1—2% des Gesamt-N) ; daneben finden sich auch Polypeptide, die aber wenig untersucht sind. Es sind Stoffwechselkrankheiten bekannt, bei denen spezielle Aminosäuren in vermehrter Menge ausgeschieden werden, so die Cystinurie. Wegen der Schwerlöslichkeit des Cystins kann es zur Steinbildung kommen. (Cystin ist von W o l l a s t o n in einem Harnstein entdeckt worden ! ) Merkwürdigerweise kommen im Urin solcher Patienten auch Putrescin und Cadaverin vor (E. Baumann). Bei der sog. Tyros i n o s e wird Tyrosin in vermehrter Menge ausgeschieden. In beiden Fällen handelt es sich um angeborene Störungen, deren Ursache nicht bekannt ist (siehe S. 341). Als Produkt eines gestörten Aminosäurestoffwechsels erwähnen wir noch die Phenylbrenztraubensäure, die eine bestimmte Form von Schwachsinn, die Oligophrenia phenylpyruvica (Fölling) kennzeichnet (siehe S. 341). Ihre Gegenwart im Urin gibt sich sehr leicht durch Grünfärbung bei Zusatz von Ferrichlorid zu erkennen. Die Alkaptonurie ist durch die Ausscheidung der Homogentisinsäure charakterisiert (siehe S. 341). Alkaptonharn dunkelt beim Stehen von der Oberfläche her nach und verfärbt sich schließlich grünschwärzlich. Harnflecken auf der Wäsche färben sich .mit Soda dunkel (daher der Name Alkali kapto: reiße Alkali an mich). Dies beruht auf der Oxydation der Homogentisinsäure (ein Hydrochinonderivat!) zu einem dunklen Pigment, die eintritt, sobald der Harn durch ammoniakalische Gärung alkalisch wird. Der Harn ist reduzierend. Aus ammoniäkalischer Silbernitratlösung wird in der Kälte metallisches Silber abgeschieden. Auch Fehlingsche Lösung wird in der Kälte langsam reduziert. Die Ausscheidung der Homogentisinsäure wird durch eiweißreiche Nahrung vermehrt (Zufuhr der aromatischen Aminosäuren!). E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) Der Urin enthält eine ganze Reihe von Verbindungen, welche durch sog. „Entgiftungsvorgänge" entstanden sind. Dieser Ausdruck bezeichnete ursprünglich Reaktionen, durch welche ein körperfremder, toxisch wirkender Stoff in eine zur Ausscheidung im Urin geeignete, weniger toxische Verbindung übergeführt wird. Dabei ging man von der Vorstellung einer zweckmäßigen Reaktion aus, durch welche der Organismus sich der schädlichen Stoffe zu entledigen sucht. Als erster hatte E. B a u m a n n 1876 gezeigt, daß die aus dem Harn isolierte Phenolschwefelsäure beim Kaninchen nicht giftig wirkt. „Da nun erwiesen ist, daß schwefelsaures Natron aus dem in den Körper gebrachten Phenol nicht giftige Phenolschwefelsäure erzeugt, so ist das schwefelsaure Natron oder ein anderes lösliches schwefelsaures Salz ein direktes chemisches Gegengift bei Phenolvergiftung." Es scheint, daß der Ausdruck Entgiftung im oben angegebenen Sinn zum erstenmal von N e u m e i s t e r 1895 gebraucht worden ist.
In Wirklichkeit ist aber das Produkt der Entgiftungsvorgänge keineswegs immer weniger toxisch, ja nicht einmal immer besser löslich und zur Ausscheidung ge-
Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)
489
eigneter als die ursprüngliche Verbindung. Man kann vom Organismus gar nicht erwarten, daß seine Reaktion beliebigen körperfremden Stoffen gegenüber immer „zweckmäßig" ist. Ein fremder Stoff wird seiner chemischen Natur gemäß mit den vorhandenen körpereigenen Verbindungen und Fermentsystemen reagieren. Dabei kann ein weniger toxischer, besser löslicher Körper gebildet werden, braucht es aber nicht. Der Ausdruck „Entgiftungsvorgang" ist zwar noch allgemein gebräuchlich; man versteht aber heute darunter ganz allgemein die chemischen Umwandlungen, welche beliebige körperfremde S u b s t a n z e n im T i e r k ö r p e r erleiden, gleichgültig, ob damit eine Änderung der Toxizität verbunden ist oder nicht. Als körperfremde Stoffe sind alle diejenigen zu betrachten, die nicht normale Bestandteile der Gewebe oder normale Stoffwechselprodukte sind. Derartige Verbindungen werden im Darm beständig aufgenommen. Sie entstammen entweder direkt der Nahrung oder sie werden im Darm durch Fäulnis- oder Gärungsvorgänge gebildet. Eine besonders wichtige Rolle spielen gewisse Aporhegmen der Aminosäuren. Von großer praktischer Bedeutung ist natürlich auch das Verhalten der als Medikamente verwendeten Stoffe. Ihre Untersuchung hat wichtige Beiträge zur Kenntnis der Entgiftungsvorgänge geliefert. Ein großer Teil der Entgiftungsreaktionen findet wahrscheinlich in der Leber statt, welche infolge ihrer besonderen Lage hierzu das geeignete Organ ist. Einzelne Reaktionen, so die Hippursäuresynthese, sind aber auch in der Niere nachgewiesen worden. Die Umwandlungen, die körperfremde Stoffe im Organismus erleiden, sind sehr mannigfaltig. Hydrolysierbare Verbindungen werden in ihre Bausteine aufgespalten. Sehr häufig werden die Stoffe oxydativ angegriffen; vielfach tritt auch Reduktion ein. Besonders wichtig sind die synthetischen Reaktionen, durch welche die eingeführten Verbindungen mit bestimmten körpereigenen Stoffen verbunden („gepaart" oder „konjugiert") werden. Als solche dienen Schwefelsäure (Bildung von gepaarten Schwefelsäuren), Glucuronsäure (gepaarte Glucuronsäuren), Aminosäuren,
nämlich Glycocoll, Glutamin, Cystein, Ornithin. Schließlich können die Stoffe in Acetylderivate oder in einzelnen Fällen auch in Methylderivate übergeführt werden. Vielfach wird der eingeführte Stoff zuerst oxydiert, worauf das Oxydationsprodukt mit einem der genannten Stoffe der Konjugation unterworfen wird. Ein und derselbe Stoff kann in Form verschiedener Verbindungen ausgeschieden werden, z. B. gleichzeitig als Sulfat und als Glucuronid, wobei allerdings meistens die eine stark bevorzugt ist (vgl. unten, Verhalten der Salicylsäure). Die Elimination einer Verbindung kann bei den verschiedenen Tierarten in verschiedener Form geschehen. So wird z. B. die Phenylessigsäure bei den meisten Tierarten als Phenacetursäure, beim Menschen dagegen als Phenylacetylglutaminsäure ausgeschieden. Wir können im folgenden nur einige wenige Beispiele erwähnen: a) Gepaarte Schwefelsäuren (Esterschwefelsäuren). Sie wurden 1876 von E . B a u -
mann entdeckt und als Schwefelsäureester der indigobildenden Substanz des Urins oder von Phenolen erkannt. Der Urin enthält neben dem anorganischen Sulfat stets noch eine gewisse Menge organisch gebundene Schwefelsäure, welche durch saure oder alkalische Hydrolyse freigesetzt werden kann. Eine der wichtigsten gepaarten Schwefelsäuren ist das Harnindikan, die Indoxylschwefelsäure:
Niere; Urin
490
—C.O-SO,H 1
^CH NH
Über die Entstehung des Indoxyls aus dem Tryptophan siehe S. 347. Die Ausscheidung des Harnindikans kann bei gesteigerter Darmfäulnis (z. B. bei Darmverschluß) vermehrt sein. Skatoxyl wird in gleicher Weise mit Schwefelsäure gepaart. Phenole werden zum größten Teil als gepaarte Schwefelsäuren ausgeschieden: Phenol- und Kresolschwefelsäure, Brenzcatechinschwefelsäure und Hydrochinonschwefelsäure (z.B. nach Phenolvergiftung nachgewiesen; Hydrochinon ist durch Oxydation des Phenols entstanden). /
V-O-SOoH
Der Harn der Pflanzenfresser ist besonders reich an Schwefelsäureestern von Phenolen. Die Menge der konjugierten Schwefelsäure nimmt auch nach Benzolvergiftung zu. Benzol wird zu Phenolen (Phenol, Brenzcatechin, Hydrochinon) und ein kleiner Teil darüber hinaus zu Muconsäure oxydiert: U HC
COOH
HC
COOH H
Es werden aber auch im Körper gebildete Substanzen in Sulfate übergeführt. So werden die Östrogenen Hormone, welche phenolischen Charakter haben, im Urin teilweise als Sulfate ausgeschieden. b) Gepaarte Glucuronsäuren. Eine Verbindung der Glucuronsäure wurde erstmals von J a f f e 1874 aus dem Urin von Hunden isoliert, die ortho-Nitrotoluol erhalten hatten. Diese Verbindung, „Uronitrotoluolsäure", erwies sich als eine Verbindung des ortho-Nitrobenzylalkohols mit einer damals unbekannten reduzierenden Säure C6H1(,07, von der J a f f e vermutete, daß sie sich von einem Zucker durch Oxydation der •—CH2 • OH - Gruppe zur COOH-Gruppe ableite. Dieselbe Säure wurde später von Schmiedeberg und Mayer (1879) durch Hydrolyse einer Verbindung erhalten, welche im Hundeharn nach Verabreichung von Campher ausgeschieden wird, und erhielt den Namen „Glycuronsäure".
Es gibt eine große Zahl von Verbindungen, welche als gepaarte Glucuronsäuren ausgeschieden werden können. Wir kennen zwei Arten von Glucuroniden: Alkohole und Phenole werden glycosidisch gebunden: COOH • CH • CHOH • CHOH • CHOH • CH • O • R ! O i Alkohol
Dieser Typus von Glucuroniden ist gegen Alkali stabil und wirkt daher gegen die gewöhnlichen alkalischen Reagentien nicht reduzierend. Verschiedene aromatische Carbonsäuren werden esterartig gebunden: COOH • CH • CHOH • CHOH • CHOH • CH • 0 • CO • R
i 0— —J &iure Die Ester werden in alkalischer Lösung hydrolysiert und sind daher reduzierend. Der normale Urin enthält nur wenig gepaarte Glucuronsäuren (Phenyl-, Indoxylglucuronide); dagegen können sie in großer Menge nach Verabreichung gewisser
491
Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation)
Medikamente, Narcotica usw. auftreten: Salicylsäure, Campher, Borneol, Menthol, Terpentin, Chloralhydrat, Avertin (Tribromäthylalkohol), Morphin. Die häufig verwendete S a l i c y l s ä u r e wird in Torrn verschiedener Produkte ausgeschieden: teils als solche (16%), teils in Verbindung mit Glycocoll als Salicylursäure (44%):
-CO-KH-CH2-COOH !J—OH teils als ein Glucuronid, dessen Konstitution noch nicht bekannt ist (20%), teils wird sie zu Gentisinsäure oxydiert und als solche ausgeschieden:
HO—COOH -OH C h l o r a l h y d r a t wird erst zu Trichloräthylalkohol reduziert, der dann als Glucuronid („Urochloralsäure", Mering und Musculus 1875) ausgeschieden wird:
,0
ni.n.n^ \H
Camp her wird zuerst zu Alkoholen oxydiert, welche als Glucuronide ausgeschieden werden; und zwar entstehen im wesentlichen zwei Alkohole, der 3-Oxycampher und der 5-Oxycampher: 5-Oxycampher
CH.
CH3
HX* C=0
CHoC • CH«
CHoC • CH. H„C-
H
CH2
L
-C=0
HO-HC
\
\
\
\
CH,
H
Glucuronide
CH3 h2c-
I -c—
-C=0
H 3-Oxycampher
Camphoglucuronsäuren
CHOH
Auch S u l f a n i l a m i d d e r i v a t e können teilweise oxydiert und als Glucuronide ausgeschieden werden (siehe unten Abschnitt Acetylierungen).
Sofern die gepaarten Glucuronsäuren beim Stehen des Urins leicht hydrolysiert werden wie z. B. das Methylglucuronid oder gegen Alkalien empfindlich sind (siehe oben), können sie dem Urin reduzierende Eigenschaften verleihen, also eventuell zu Verwechslung mit Zuckern Anlaß geben. Glucuronsäure ist aber nicht gärbar, ferner sind die gepaarten Glucuronsäuren linksdrehend; beim Kochen mit Säuren entsteht die rechtsdrehende freie Glucuronsäure. Man hat sich früher vorgestellt, daß die Glucuronide über die entsprechenden Glucoside gebildet würden, d. h. daß sich die Substanz zuerst mit Glucose verbinde, die dann in Stellung 6 oxydiert würde. Dies scheint nicht der Fall zu sein. Man nimmt heute eher an. daß die Glucuronsäure direkt aus C3-Verbindungen aufgebaut wird, doch sind die Vorstufen noch unbekannt.
Niere; Urin
492
c) Konjugation mit Aminosäuren. Das älteste bekannte Beispiel ist die Bildung der Hippursäure aus Benzoesäure und Glycocoll. Es scheint, daß als erster R o u e l l e 1784 die Hippursäure aus Kuhharn isoliert hat. Sie wurde aber in der Folge meistens mit Benzoesäure verwechselt, bis L i e b i g 1839 ihre Natur aufklärte. Der Übergang von Benzoesäure in Hippursäure im Tierkörper wurde mit Sicherheit erstmals von K e l l e r (im Laboratorium von W ö h l e r ) 1842 festgestellt. Sehr reich an Hippursäure ist der Harn der Pflanzenfresser (Name!). Die Benzoesäure stammt wahrscheinlich aus dem Lignin (Holzstoff) der Pflanzenge webe. Man findet aber beim Hund auch im Hunger oder bei reiner Fleischkost Hippursäure im Urin. Es muß daher angenommen werden, daß sie aus den aromatischen Aminosäuren (den einzigen aromatischen Verbindungen des Tierkörpers) wahrscheinlich bei der Darmfäulnis entsteht. Wir haben die verschiedenen Entgiftungsreaktionen der Aminosäuren schon früher besprochen (siehe S. 362). Die Menge Hippursäure, die im menschlichen Urin täglich ausgeschieden wird, beträgt gewöhnlich weniger als l g . Bei reichlichem Genuß von Früchten und Gemüsen steigt die Ausscheidung beträchtlich an. Eine Besonderheit des Stoffwechsels beim Menschen und den Menschenaffen liegt darin, daß die Phenylessigsäure als Phenylacetylglutamin und nicht wie bei den übrigen Spezies als Phenoacetursäure ausgeschieden wird. Acetylierungen Verschiedene aromatische Amine werden als Acetylverbindungen ausgeschieden: RNHCOCH3 Über den Mechanismus der Acetylierung siehe S. 412 und S. 633. Von praktischer Bedeutung ist die Acetylierung der therapeutisch in großem Umfang verwendeten Sulfanilamide: R-NH-S0
2
—NH
2
• R-NH-SO,—
NH'COCH3
Teilweise werden sie allerdings zu Phenolen oxydiert und als gepaarte Schwefelsäure oder Glucuronid ausgeschieden, so z. B. das einfache Sulfanilamid: NH2 NH3 NH2 f^r-OK I !i
i
/ V >I x /
0
•S03H _
)5fl und Sulfathiazol Sulfathiazol ( R ||° H ) werden W r == -—C< c/S \N—CH beim Hund und beim Kaninchen teilweise oxydiert und als Glucuronid ausgeschieden (Williams). Die Konstitution der Oxydationsprodukte ist nicht genau bekannt. Die Acetylverbindungen sind meistens weniger löslich als die Muttersubstanz. Es kann daher bei hohen Dosierungen in den Nierenk^nälchen zur Ausfällung der Substanz kommen, die zur zeitweiligen Verstopfung der Kanälchen führt (Anurie!). Auch Sulfapyridin
Ri == — - /N-CH3
Das bekannteste Beispiel ist die Nicotinsäure, die beim Menschen, bei der Ratte und beim Hund zum Teil als T r i g o n e l l i n ausgeschieden wird ( A c k e r m a n n ) :
coo-
COOH
t>
^
^N-CH, Trigonellin
Nicotinsäure
Ein Teil der Nicotinsäure wird in das Amid übergeführt, das ebenfalls in methylierter Form in den Urin übergeht: CONH2
^>N-ch 3
Pferd, Kaninchen und Meerschweinchen bilden dagegen durch Bindung an das Glycocoll vorwiegend N i c o t i n u r s ä u r e : CONH • CH2 • COOH
t>
Trigonellin, das im Urin vorkommt, kann aber auch direkt aus der Nahrung stammen, da es im Pflanzenreich weit verbreitet ist (z. B. aus dem Kaffee, Kartoffeln, Schwarzwurzeln usw.). Trigonellin und das entsprechende Amid müssen als normale Stoffwechselprodukte angesehen werden, da das Nicotinsäureamid ein Bestandteil der Codehydrasen I und II ist (vgl. S. 207).
Sehr merkwürdig ist die bereits von H o f m e i s t e r festgestellte Überführung der tellurigen Säure in Methyltellurid: Te0 2
Te(CH s ) 2 ,
das flüchtig ist und sich durch seinen unangenehmen, knoblauchartigen Geruch zu erkennen gibt. F. Kohlehydrate Glucosurie: Der Urin des gesunden Menschen enthält reduzierende Zucker nur gelegentlich und vorübergehend, wenn durch Aufnahme sehr großer Mengen mit der Nahrung die Ausscheidungsschwelle der Niere überschritten wird (alimentäre Glucosurie). Bei normaler Ernährung ist der Urin dauernd zuckerfrei. Auftreten von Glucose nach Nahrungszufuhr oder gar im nüchternen Zustand deutet auf eine Störung des Kohlehydratstoffwechsels hin. Die wichtigsten Reduktionsproben sind früher genannt worden (siehe S. 3). Gelegentlich kann auch ein Urin, der keinen Zucker enthält, eine schwache Reduktion zeigen, wenn andere reduzierende Stoffe in hoher Konzentration vorhanden sind, wie Kreatinin oder Harnsäure. Die einfachste und praktisch fast ausschließlich verwendete Methode zur quantitativen Bestimmung der Glucose im Urin ist die Polarimetrie. Normaler Urin ist in der Regel ganz leicht linksdrehend. Ein Drehungswert, der exakt Null ist, muß schon Verdacht auf das Vorhandensein von Glucose erwecken.
Außer der Glucose können gelegentlich Lactose, Pentosen, selten auch Fructose im Urin ausgeschieden werden.
Niere; Urin
494
Laetosurie kommt bei stillenden Frauen, gelegentlich auch schon während der späteren Schwangerschaft vor. Ursache ist die Diffusion von Lactose aus der Milchdrüse ins Blut. Da dieser Zucker, wenn er direkt in die Blutbahn eingebracht wird, nicht verwertet werden kann, wird er im Urin vollständig ausgeschieden. Unterscheidung von der Glucose: Lactose wird durch gewöhnliche Bäckereihefe nicht vergoren. Man kann auch das Osazon herstellen.
Pentosurie ist in den meisten Fällen alimentären Ursprungs. Pentosen werden vom tierischen Organismus nur langsam abgebaut. Gewisse Beeren und Früchte und daraus hergestellte Produkte (Süßmost) enthalten soviel Pentosen — sei es in freier Form, sei es als hydrolysierbare Pentosane —, daß sie bei reichlichem Genuß in den Urin übergehen. Es handelt sich meist um 1-Arabinose und 1-Xylose. In seltenen Fällen ist eine dauernde Pentoseausscheidung beobachtet worden, die unabhängig von der Nahrung ist. Die Pentose ist d-Xyloketose oder 1-Xyloketose oder d-Ribose (isolierter Fall). Es scheint sich hier um eine Abnormität des Stoffwechsels zu handeln, die im übrigen symptomlos verläuft und deren Ursache völlig unbekannt ist. Die Pentosen können dadurch von der Glucose unterschieden werden, daß sie nicht gären und die typische Reaktion mit Orcin-Salzsäure oder Phloroglucin-Salzsäure geben.
Fructosurie: Es sind Personen beobachtet worden, welche Fructose schlecht verwerten und einen Teil der Zucker unverändert im Urin ausscheiden (bis 14% der aufgenommenen Menge). Bei solchen Personen steigt auch die Blutmilchsäure nach Verabreichung von Fructose weniger an als bei normalen. Die Ursache der Störung ist unbekannt. Möglicherweise handelt es sich um einen Mangel an Fructokinase in den Geweben (vgl. S. 282). Fructose kann durch ihre optische Drehung leicht von Glucose unterschieden werden. Ganz allgemein unterscheiden sich die übrigen M e l i t u r i e n (allgemeine Bezeichnung für die Ausscheidung irgendwelcher Zucker im Urin) von der Glucosurie dadurch, daß sie 1. durch Glucosegaben nicht beeinflußt werden und 2., daß sich bei Glucosebelastung (vgl. S. 309) eine normale Blutzuckerkurve ergibt. Acetonkörper (Aceton, Acetessigsäure, /?-Oxybuttersäure). Über Bedeutung und Entstehung der Acetonkörper siehe S. 321. Normaler Urin enthält höchstens Spuren von Acetonkörpern. Alle Bedingungen, die zur Acidose führen, lassen die Ausscheidung stark ansteigen. Häufige Fälle: Diabetes mellitus, Hunger, Schwangerschaftserbrechen, acetonämisches Erbrechen der Kinder usw. Nach längerem Bestehen der Acidose zeigt der Urin auch die übrigen typischen Veränderungen der Zusammensetzung: saure Reaktion, Erhöhung der Ammoniakausscheidung, Verminderung der Ausscheidung fixer Alkalien. N a c h w e i s und B e s t i m m u n g der Acetonkörper: Aceton gibt mit Nitroprussidnatrium in alkalischer Lösung eine kirschrote Färbung, die beständig ist und durch Zusatz von Essigsäure verstärkt wird (Gegensatz zum Kreatinin), sog. Legalsche Probe. Acetessigsäure gibt mit Ferrisalzen eine bordeauxrote Färbung. Es handelt sich um eine allgemeine Reaktion der jS-Ketosäuren, und zwar der Enolform derselben: COOH
COOH
CH2
CH
c=o
C—OH
Ketoform
II
CH3 Enolform
welche mit dem Eisensalz einen tiefgefärbten Komplex bilden (sog. Gerhard sehe Probe). Als (3-Ketosäure zerfällt Acetessigsäure leicht in C0 2 und Aceton.
Proteine
495
/3-0xybuttersäure kann durch Überführung in Aceton nachgewiesen werden, indem man sie mit Chromat in schwefelsaurer Lösung oxydiert; die entstehende Acetessigsäure zerfällt sofort in C0 2 und Aceton. Die Säure ist linksdrehend. Linksdrehung des Urins nach Vergären mit Hefe deutet auf das Vorhandensein von /J-Oxybuttersäure hin. Über die titrimetrische Bestimmung vgl. S. 500. Die L i e b e n s c h e J o d o f o r m p r o b e auf Aceton, die auf der Oxydation zu Jodoform und Essigsäure beruht, soll nur im Destillat ausgeführt werden, da sie unspezifisch ist. Zur quantitativen Bestimmung des Acetons (Aceton + Acetessigsäure) wird der leicht angesäuerte Urin destilliert und das Destillat unter guter Kühlung aufgefangen. Das Destillat wird alkalisiert und mit einem Überschuß titrierter Jodlösung versetzt. Es bildet sich Hypojodit, durch welches das Aceton oxydiert wird: 6KOH + 3 J 2 = 3 K O J + 3 K J + 3 H 2 0 3KOJ + CH3COCH3 = HCJ 3 + CH3COOK + 2KOH Jodoform Nach Ansäuern wird das überschüssige Jod mit Thiosulfat zurücktitriert (Methode von Messinger). Man kann das Aceton aus dem Destillat auch durch Mercurisulfat in schwefelsaurer Lösung fällen (Reagens von Deniges) und den Niederschlag zur Wägung bringen (Zusammensetzung ungefähr 2HgS0 4 • 3HgO • CH3COCH3). G. Proteine P r o t e i n e sind im n o r m a l e n U r i n n i c h t oder h ö c h s t e n s in S p u r e n v o r h a n d e n . Albuminurie t r i t t a m h ä u f i g s t e n bei N i e r e n s c h ä d i g u n g auf (Nephritis, besonders a b e r Nephrosen). E s h a n d e l t sich meist u m P l a s m a p r o t e i n e , die v o m u n d i c h t gewordenen Nierenfilter durchgelassen werden. Gelegentlich k a n n d a s Eiweiß a b e r a u c h v o n entzündlichen, eitrigen Prozessen im Bereich der H a r n w e g e h e r r ü h r e n (Blut, Eiter). K o m m t es a u s irgendwelchen G r ü n d e n zur H ä m o l y s e der B l u t k ö r p e r c h e n in d e n Gefäßen, so t r i t t d a s im B l u t p l a s m a gelöste H ä m o g l o b i n in d e n U r i n über (Hämoglobinurie, wohl zu u n t e r s c h e i d e n v o n der Hämaturie = Ü b e r t r i t t v o n B l u t in d e n H a r n ; in diesem F a l l e n t h ä l t d a s H a r n s e d i m e n t i n t a k t e E r y t h r o c y t e n , so z. B. bei Nephritiden). Bei Fällen v o n m u l t i p l e m Myelom ( P l a s m o c y t o m , eine W u c h e r u n g b e s t i m m t e r Zellen des K n o c h e n m a r k s ) t r i t t im U r i n gelegentlich d a s sog. Bence-Jones-Protein a u f , d a s die m e r k w ü r d i g e E i g e n s c h a f t besitzt, beim E r w ä r m e n der Lösung bis auf e t w a 45—60° auszufallen, a b e r bei Siedehitze wieder in Lösung zu gehen. Beim A b k ü h l e n f ä l l t der E i w e i ß k ö r p e r e r n e u t aus. Das Molekulargewicht des B e n c e - J o n e s - Proteins wurde mittels der Ultrazentrifuge zu etwa 35000 bestimmt. Offenbar ist das Molekül zu klein, um von den Kapillarendothelien zurückgehalten zu werden. Man nimmt an, daß es in den Plasmocytomzellen selbst gebildet wird und ins Blut übertritt. Gelegentlich ist a u c h d a s A u f t r e t e n von a l b u m o s e ä h n l i c h e n P o l y p e p t i d e n im U r i n b e o b a c h t e t worden, ü b e r deren B e d e u t u n g weiter n i c h t s b e k a n n t ist. N a c h w e i s r e a k t i o n d e r P r o t e i n e im U r i n . Bei der K o c h p r o b e wird der s c h w a c h mit verdünnter Essigsäure angesäuerte Urin zum Sieden erhitzt, bei salzarmen Urinen eventuell unter Zusatz von etwas Kochsalz. H e Her sehe Probe: Unterschichtendes Urins mit konzentrierter Salpetersäure; es entsteht an der Berührungsfläche eine Fällung, die als weißer Ring sichtbar ist. Esbachsche Probe: Fällung mit dem Esbachschen Reagens = Pikrinsäure in citronensaurer Lösung. Nach Absitzen des Niederschlags kann aus der Höhe der Säule der Eiweißgehalt r o h geschätzt werden. Das Eiweiß kann auch durch Fällung mit Sulfosalicylsäure oder Trichloressigsäure nachgewiesen werden!
496
Niere; Urin H. Farbstoffe des Urins
Die chemische N a t u r des n o r m a l e n gelben F a r b s t o f f s des Urins (Urochrom) ist wenig b e k a n n t . M a n n i m m t an, d a ß es sich u m ein Gemisch v o n V e r b i n d u n g e n a u s P o l y p e p t i d e n u n d A b b a u p r o d u k t e n des B l u t f a r b s t o f f s h a n d e l t . a) Blutfarbstoff i m U r i n s t a m m t , wie o b e n bereits b e m e r k t wurde, e n t w e d e r a u s B l u t u n g e n im Bereich der H a r n w e g e , v o m D u r c h t r i t t v o n B l u t i m Bereich der T u b u l i oder der Glomeruli. E i n Teil des H ä m o g l o b i n s wird i m U r i n in M e t h ä m o g l o b i n v e r w a n d e l t ; es k a n n a u c h H ä m a t i n a b g e s p a l t e n werden. H ä m o g l o b i n u r i e als Folge der H ä m o l y s e in vivo k o m m t bei b e s t i m m t e n V e r g i f t u n g e n vor (z. B. Arsenwassers t o f f ) oder bei I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n , P y ä m i e , schweren V e r b r e n n u n g e n , n a c h B l u t t r a n s f u s i o n e n usw. N a c h w e i s r e a k t i o n e n : spektroskopische Untersuchung (charakteristische Absorptionsbanden, vgl. S. 460). Kleine Mengen Blut können durch die B e n z i d i n - oder G u a j a k p r o b e erkannt werden. Verdünntes Wasserstoffsuperoxyd mit Benzidin versetzt gibt bei Gegenwart einer Spur Hämoglobin eine blaue Färbung. Beim Überschichten des bluthaltigen Urins mit einer Mischung von altem Terpentinöl (welches organische Peroxyde enthält) und Guajaktinktur entsteht an der Berührungsfläche ein blauer oder grüner Ring. Beide Reaktionen beruhen darauf, daß das Hämoglobin oder Hämatineisen die Oxydation von organischen Stoffen durch H 2 0 2 oder sonstige Peroxyde katalysiert (Peroxydasewirkung). Bei Vorhandensein von Eiter müssen die Peroxydasen der Leukocyten durch Kochen zuerst inaktiviert werden. Benzidin wird zu Benzidinblau, einer merochinoiden Verbindung zwischen Benzidin und seinem Chinonimin, oxydiert (vgl. Chinhydron S. 213):
Bei der Guajakprobe entsteht ein gefärbtes Oxydationsprodukt der Guajakonsäure. b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen". Die E n t s t e h u n g dieser F a r b s t o f f e w u r d e f r ü h e r eingehend besprochen (S. 473). Sie k o m m e n in größerer Menge i m ikterischen U r i n v o r ( I k t e r u s = Gelbsucht). Bilirubin u n d „ U r o b i l i n " k o m m e n i m n o r m a l e n U r i n in kleinen Mengen vor. Wahrscheinlich f i n d e n sich d a n e b e n n o c h a n d e r e A b b a u p r o d u k t e des B l u t f a r b s t o f f s in kleiner Menge, u . a. a u c h D i p y r r o l e v o n der A r t des P e n t d y o p e n t (siehe S. 476). D a s A u f t r e t e n v o n „ U r o b i l i n " u n d „ U r o b i l i n o g e n " i m U r i n ist klinisch v o n großer B e d e u t u n g , weil es meist auf Leberinsuffizienz h i n d e u t e t . N a c h w e i s r e a k t i o n e n : „Urobilinogen" gibt mit dem Ehrlichschen Aldehydreagens (eine salzsaure Lösung des p-Dimethylaminobenzaldehyds)
eine rote Färbung, die auch zur kolorimetrischen quantitativen Bestimmung benützt werden kann. Da gewöhnlich die Kenntnis der gesamten ausgeschiedenen Menge von „Urobilin" und „Urobilinogen" erwünscht ist, muß das erstere zuerst zu „Urobilinogen" zurückreduziert werden (z. B. durch Ferrosalz). Gewisse bei Porphyrie im Urin auftretende Chromogene geben mit dem Ehrlichschen Reagens eine intensive Rotfärbung. Sie sind aber mit dem „Urobilinogen" n i c h t identisch ( W a l d e n s t r o m ) . „Urobilin" kann dank seiner Eigenschaft, bei Zusatz von Zinkacetat oder -chlorid in ammoniakalischer Lösung ein grün fluoreszierendes Zinksalz zu geben, erkannt werden. Die Gegenwart von Bilirubin läßt sich durch die H am lh a r s t e n sehe oder Gmelinsche Probe erkennen. Beide beruhen auf der Oxydation des Bilirubins durch salpetrige Säure.
Farbstoffe des Urins
497
Das Hammarstensche Reagens wird durch Vermischen von salpetersäurehaltiger, starker Salzsäure mit Alkohol dargestellt. Zutropfen der Bilirubinlösung zum Reagens gibt eine grüne Farbe. Bei der Gmelinschen Probe wird die Bilirubinlösung mit konzentrierter, wenig salpetrige Säure enthaltender Salpetersäure unterschichtet. Es bildet sich an der Berührungsstelle mit der Zeit eine Farberscheinung aus, die aus übereinanderliegenden gefärbten Zonen besteht, von oben nach unten grün, blau, violett, rot, orange. Es handelt sich um Oxydationsprodukte des Bilirubins. Ikterischer Urin ist auch ohne Ausführung einer Bilirubinreaktion an der goldgelben Färbung des Schaums leicht zu erkennen. Er färbt Wäsche oder Papier intensiv gelb an. Bilirubin läßt sich auch durch diazotierte Sulfanilsäure in einen violetten Azofarbstoff verwandeln (Reaktion von E h r l i c h und Heymans-Vandenberg). Bei der Kuppelung mit der Diazobenzolsulfosäure (Mischimg von salzsaurer Sulfanilsäure mit Na-Nitrat) wird das Bilirubinmolekül an der mittleren Methylengruppe gespalten, und es entsteht ein Gemisch von zwei Azofarbstoffen. Diese Reaktion dient zur Bestimmung des Bilirubins im Blutserum.
c) Porphyrine. Der normale Urin enthält kleine Mengen Koproporphyrin I und I I I . (Ein Teil der Porphyrine wird stets in den Fäces ausgeschieden, weil die Farbstoffe sehr wahrscheinlich mit der Galle in den Darm gelangen. Das Verhältnis von Koproporphyrin I zu Koproporphyrin I I I in Urin und Fäces kann sehr verschieden sein. Es scheint, daß in der Regel die Fäces mehr Koproporphyrin I enthalten als der Urin.) Wie wir früher bereits betont haben, muß man die symptomatische Porphyrinurie, die vermehrte Ausscheidung von Porphyrinen im Urin, wie sie bei einer Reihe von Krankheiten beobachtet wird, streng von der Porphyrie unterscheiden, die eine besondere Stoffwechselkrankheit ist (siehe S. 478) und durch das Auftreten von Uroporphyrin (neben dem Koproporphyrin) gekennzeichnet ist. Vermehrte Porphyrinausscheidung findet man bei febrilen Zuständen, bei Leberkrankheiten, bei gewissen Blutkrankheiten, z. B. bei perniziöser Anämie. Man hat vermehrte Ausscheidung von Koproporphyrin I bei regenerativen Prozessen im Knochenmark beobachtet, z. B. nach Verabreichung von Phenylhydrazin, welches Hämolyse verursacht und sekundär zu einer Steigerung der Erythrocytenproduktion führt. Solche Beobachtungen sind deshalb interessant, weil sie zeigen, daß Koproporphyrin I ein normales Stoffwechselprodukt ist. Charakteristisch ist die Porphyrinurie auch bei der Bleivergiftung. Im Urin wird hauptsächlich Koproporphyrin III, in den Fäces (d. h. der Galle) Koproporphyrin I ausgeschieden. Wie eben erwähnt wurde, treten bei der eigentlichen Porphyrie neben dem Koprogroße Mengen von Uroporphyrin (I und III) auf. Typisch'für den Urin des Porphyrikers ist das starke Nachdunkeln beim Erwärmen mit Mineralsäure oder beim bloßen Stehen. Das Chromogen gibt eine intensive Rotfärbung mit dem E h r l i c h bchen Aldehydreagens. d) Uroerythrin ist das Pigment, welches die Rotfärbung des Sedimentum lateritium (Ziegelmehlsediment) des Urins bewirkt. Es findet sich in kleinen Mengen im normalen Urin und ist bei Fieber, starker Muskeltätigkeit, Verdauungsstörungen, Leberkrankheiten vermehrt. Über seine chemische Natur ist nichts Sicheres bekannt. Es handelt sich möglicherweise um ein Indolderivat. e) AlsTJrorosein wird der Farbstoff bezeichnet, der die leichte Rotfärbung bedingt, welche beim Zusatz von Mineralsäure in vielen Urinen entsteht. Die Muttersubstanz dieses Farbstoffs ist die ß-Indolylessigsäure; seine Bildung erfolgt in Gegenwart kleiner Mengen von Nitrit, das durch Bakterientätigkeit im Urin entstehen kann. Die Konstitution des Farbstoffs ist nicht genau bekannt. 32
E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch.
10.Aua.
498
Niere; Urin C—CHj-COOH C NH /7-Indolylessigsäure
f) Melanine treteii im Harn bei melanotischen Geschwülsten (Melanosarkomen) auf. Sie werden größtenteils in Form farbloser Vorstufen als Melanogene ausgeschieden. Diese Chromogene sind teils ätherlöslich, teils ätherunlöslich. Ihre chemische Natur ist nicht völlig aufgeklärt. Es handelt sich teilweise um stickstofffreie Brenzcatechinderivate, teilweise um Abkömmlinge des Indols (über die Melaninbildung aus den aromatischen Aminosäuren siehe S. 343). Der melanogenhaltige Urin ist frisch gewöhnlich normal gefärbt und wird beim Stehen dunkel. Die N a c h w e i s r e a k t i o n e n beruhen meist auf der Oxydation zu Melanin. Erhitzen mit Kaliumpersulfatlösung gibt Dunkelfärbung und nach Ansäuern mit Salzsäure Fällung von Melanin (Probe nach Brahn). Zusatz von einigen Tropfen Ferrichlorid gibt Graufärbung; vermehrter Zusatz von FeCl3 gibt dunkle Fällung bestehend aus Phosphat, welches das Melanin adsorbiert (Reaktion von Jaksch-Pollak). Zusatz von Bromwasser gibt zuerst einen gelben Niederschlag, der sich beim Stehen dunkel färbt (Zeller). Die Melanogene geben ferner mit Nitroprussidnatrium und Essigsäure eine blaue Färbung (Reaktion von Thormälen).
g) Ehrlichsche Diazoreaktion. Bei verschiedenen Krankheiten (Typhus abdominalis, Tuberkulose, Masern, Scharlach usw.) färben sich bei Zusatz des E h r l i c h schen Diazoreagenses (salzsaure Lösung von Sulfanilsäure mit wenig Nitrit) und nachträglicher Zugabe von wäßrigem Ammoniak sowohl die Lösung als auch der Schaum rot. Der Stoff, welcher für die Rotfärbung verantwortlich ist, ist nicht bekannt. Es ist zu beachten, daß die Verabreichung verschiedener Medikamente einen positiv reagierenden Urin gibt. I. Wirkstoffe Der normale Urin enthält stets verschiedene Fermente, Vitamine und Hormone oder deren Detoxikationsprodukte. Teilweise haben diese Stoffe praktische Bedeutung erlangt, weil ihre Bestimmung diagnostischen Zwecken dient. Wir können hier nur wenige Hinweise geben. Unter den Enzymen des Urins erwähnen wir die Amylase. Sie ist immer in geringen Mengen vorhanden und ist stark vermehrt bei entzündlichen Affektionen des Pankreas, für deren Diagnose sie differenzialdiagnostische Bedeutung besitzt. Man muß annehmen, daß in diesem Fall große Mengen des Ferments durch Zerstörung des Gewebes ins Blut gelangen und durch die Nieren eliminiert werden. Die A m y l a s e b e s t i m m u n g im Urin nach W o h l g e m u t h beruht auf dem Prinzip der Verdünnungsreihe. Man stellt von dem zu untersuchenden Harn eine in geometrischer Progression ( 1 : 2 : 4 : 8 usw.) steigende Reihe von Verdünnungen her, setzt überall die gleiche Menge Stärke zu, hält die-Lösungen eine bestimmte Zeit im Brutschrank und stellt dann durch Zugabe von Jod fest, von welcher Verdünnung an die Stärke nicht mehr abgebaut worden ist. Die hierzu nötige Verdünnung ist offenbar um so größer, je mehr Amylase im Urin vorhanden ist. Der Verdünnungsgrad des letzten Röhrchens, das keine blaue Jodreaktion mehr gibt, wird als Maß für die Fermentkonzentration genommen.
Besonders eingehend sind in neuerer Zeit die im Urin ausgeschiedenen Sterine untersucht worden, die zu den Sexual- und Nebennierenrindenhormonen in Beziehung stehen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß sie in konjugierter Form als Sulfate oder Glucuronide ausgeschieden werden. Es sind eine ganze Zahl ver-
Anorganische Stoffe, Säuren und Basen
499
schiedener Sterine aus dem Urin isoliert und chemisch charakterisiert worden. Ihre Kenntnis ist für die Aufklärung des Hormonstoffwechsels sehr bedeutungsvoll. Man hat auch verhältnismäßig einfache Methoden ausgearbeitet, welche die Aufteilung der Sterine des Urins in einzelne Gruppen gestatten. So lassen sich z. B. die Östrogenen Hormone dank ihrer sauren Eigenschaften abtrennen (sie sind Phenole) und durch die Kobersche Reaktion oder andere Farbreaktionen kolorimetrisch bestimmen (vgl. S. 44). Eine wichtige Gruppe sind die n e u t r a l e n 1 7 - K e t o s t e r o i d e , deren erster bekannter Vertreter das Androsteron war ( B u t e n a n d t l 9 3 1 ) . Es sind heute etwa 18 solcher Sterine im Urin gefunden worden. Ihre Bestimmung hat klinisches Interesse, weil verschiedene endokrine Störungen durch eine veränderte Ausscheidung der 17-Ketosteroide gekennzeichnet sind. Aus dem Rohextrakt des Urins werden durch Waschen mit Alkali erst die phenolischen Sterine entfernt, und es können die verbleibenden Ketosterine mit der Zimmermannschen Reaktion kolorimetrisch bestimmt werden (vgl. S. 44). Eine Reihe von Sterinen der Nebennierenrinde besitzen in Stellung 17 eine Ketolseitenkette von 2 C-Atomen —CO-CH2OH und sind ferner a,^-ungesättigte Ketone —CO-CH = CH— (vgl. S. 563). Sie haben daher reduzierende Eigenschaften und außerdem wird aus der Ketolseitenkette bei Oxydation durch Perjodsäure Formaldehyd abgespalten. Auf Grund dieser Eigenschaften sind Bestimmungsmethoden für die sog. reduzierenden S t e r i n e (reducing steroids) und die formaldehydbildenden S t e r i n e (formaldehydogenic steroids) entwickelt worden. Östrogene Hormone werden während der Schwangerschaft in großer Menge ausgeschieden. 17-Ketosteroide können bei Tumoren oder Hyperplasie der Nebennierenrinde sehr stark vermehrt sein. Wir können auf dieses Gebiet, das heute in voller Entwicklung begriffen ist, hier nicht näher eingehen. Von großer praktischer Bedeutung sind auch die gonadotropen Hormone des Urins (die Prolane), die während der frühen Schwangerschaft auftreten und eine Schwangerschaftsdiagnose gestatten (Reaktion von A s c h h e i m - Z o n d e k , vgl. S. 580). Der Urin enthält normalerweise auch verschiedene wasserlösliche Vitamine (Vitamin C, Aneurin, Lactoflavin usw.) und ihre Stoffwechselprodukte. I m allgemeinen steigt die Ausscheidung mit der Zufuhr an. Die Bestimmung der ausgeschiedenen Menge kann Hinweise darauf geben, ob beim betreffenden Individuum Vitaminmangel besteht. Einzelheiten siehe Kapitel Vitamine.
K. Anorganisch« Stoffe, Säuren und Basen Wir haben die wichtigsten Tatsachen über die Ausscheidung der anorganischen Ionen bereits im Kapitel über den Wasser- und Salzhaushalt erwähnt. Der Gehalt des Urins an den einzelnen Ionen kann j e nach der Zufuhr und der augenblicklichen Stoffwechsellage sich sehr stark ändern. E s sei hier nochmals betont, daß entgegen der üblichen Sprechweise die Körperflüssigkeiten und der Urin nicht „ S a l z e " , sondern einzelne Ionen enthalten; insbesondere sind N a + - und C1 "-Ionen einander in keiner Weise äquivalent. Man kann z. B . aus der Bestimmung der Cl~-Ionen in keiner Weise auf den Gehalt an N a t i o n e n schließen, obwohl in der Klinik der Chloridgehalt vielfach noch als „ K o c h s a l z " angegeben wird. E i n f a c h e B e s t i m m u n g s m e t h o d e n : Das Chlorid wird gewöhnlich nach der Volhardschen Methode titriert: Zugabe eines Uberschusses titrierter Silbernitratlösung bei salpetersaure Reaktion. Nach Filtration des AgCl-Niederschlags Titration der überschüssigen Ag+-Ionen mit Rhodanid und Fe + + + als Indikator in einem aliquoten Teil des Filtrats. Die Mohrsche ClBestimmung (direkte Titration der Ag + -Ionen mit Silbernitrat und Chromat als Indikator) kann im Urin nicht verwendet werden, da man bei neutraler Reaktion arbeiten muß und unter diesen Bedingungen außer dem Chlor noch andere Anionen (besonders Phosphat) mitgefällt werden. —• Das P h o s p h a t kann nach Pincus mit Uranylacetat oder -nitrat in Gegenwart von Acetatpuffer titriert werden. Ein Überschuß des Uranylsalzes wird entweder durch Bildung eines grünen Niederschlages mit Cochenilletinktur oder einer rotbraunen Fällung mit Kaliumferrocyanid angezeigt (Tüpfelprobe): 32*
500
Niere; Urin
U0 2 (C00-CH 3 ) 2 + NaH 2 P0 4 = U 0 2 H P 0 4 + CH 3 -NaCOO + C H 3 C O O H als Ionengleichung: U0 2 ++ + H 2 P 0 4 " = U 0 2 H P 0 4 + H+ . Etwas genauer ist die N e u m a n n s c h e Methode, bei der die organischen Substanzen des Urins zuerst durch Kochen mit einem Gemisch von konzentrierter Schwefel- und Salpetersäure verascht werden, worauf das Phosphat als komplexes Phosphorammoniummolybdat gefällt wird, welches alkalimetrisch bestimmt werden kann. Die Mikromethoden der Phosphatbestimmung beruhen auf der Bildung der Phosphormolybdänsäure und Reduktion der letzteren zu Molybdänblau, das kolorimetrisch bestimmt wird. — S u l f a t kann als Benzidinsulfat gefällt werden; der Niederschlag läßt sich, da Benzidin eine schwache Base ist, mit Lauge titrieren (Methode von R o s e n h e i m - D r u m m o n d - F i s k e ) . Zur Bestimmung des organisch gebundenen Sulfats wird der Urin zuerst mit Salzsäure eingedampft, wobei die Schwefelsäureester hydrolysiert werden. Das C a l c i u m wird als Oxalat gefällt und kann entweder gravimetrisch oder nach Auflösen des Niederschlags in verdünnter Schwefelsäure durch Titration der Oxalsäure mit Permanganat bestimmt werden. T i t r a t i o n s a c i d i t ä t des U r i n s n a c h F o l i n : Diese Methode gibt ein Maß für die Größe der Säureausscheidung. Der Urin wird (nach Fällung der Ca ++ -Ionen durch Schütteln mit Kaliumoxalat) mit n/10 Lauge bis zum Umschlag des Phenolphthaleins titriert. Man drückt das Resultat in ccm n/10 Alkali pro Tagesmenge Urin aus. Normalwert etwa 200—500. Im wesentlichen wird dabei das primäre Phosphat titriert: H 2 P 0 4 - -f- O H - = HP0 4 — + H a O . Eine vermehrte Ausscheidung von organischen Säuren wird nieht erfaßt, da dieselben im Urin bereits zum größten Teil neutralisiert sind. Nur in sehr sauren Urinen kann ein kleiner Teil der organischen Säuren in freier Form vorhanden sein. Die Titrationsacidität ist um so höher, je größer die „base economy" des Urins ist (vgl. S. 428). Um die letztere direkt zu bestimmen, müßte man den Urin bis zum pH des Blutplasmas titrieren. Eingabe von Alkali, z. B.' Na-Bicarbonat, vermindert die Titrationsacidität stark (auf Werte von 100—200). Bei Acidose (z. B. Hunger) steigt sie bis auf 800 an. Die Erklärung dieser Tatsachen folgt leicht aus den Erörterungen im Kapitel über den Wasser- und Salzhaushalt. T i t r a t i o n d e r o r g a n i s c h e n S ä u r e n n a c h v a n S l y k e u n d P a l m e r : Diese Methode gestattet, die Ausscheidung der organischen Säuren zu erfassen. Zuerst werden die Phosphate und Carbonate durch Zugabe von Ca-Hydroxyd gefällt, dann können die organischen Säureanionen zwischen dem Umschlagsprodukt des Phenolphthaleins (pH 8,5) und demjenigen des Tropäolins OO (pH 2,5) mit Säure titriert werden: R-COO" + H + = R-COOH. Dies ist möglich, weil die in Frage kommenden Säuren bei pH 8,5 vollständig ionisiert sind, bei pH 2,5 dagegen fast vollständig in der nicht dissoziierten Form vorliegen (vgl. S. 125). Die normale Ausscheidung pro 24 Stunden entspricht etwa 400—700 ccm n/10 Säure, entsprechend etwa 8 ccm n/10 Säure pro kg Körpergewicht. Bei diabetischer Acidosis kann dieser Wert auf das Vielfache ansteigen. Es handelt sich vor allem um die ß-Oxybuttersäure. L. Harnsediment und Harnsteine A u c h klarer U r i n g i b t beim A u s z e n t r i f u g i e r e n eine geringe Menge S e d i m e n t , d a s aus Epithelzellen der H a r n w e g e u n d schwerlöslichen Salzen b e s t e h t . E i n i g e r m a ß e n k o n z e n t r i e r t e U r i n e setzen beim S t e h e n s t e t s ein S e d i m e n t schwerlöslicher Stoffe a b , d a s bei pathologischen Z u s t ä n d e n , z. B . bei F i e b e r , s t a r k v e r m e h r t sein k a n n , so d a ß schon der frisch gelassene H a r n t r ü b ist. D e r H a r n ist bei Z i m m e r t e m p e r a t u r , teilweise schon bei K ö r p e r t e m p e r a t u r in bezug auf verschiedene B e s t a n d t e i l e übers ä t t i g t : wahrscheinlich wird d a s sofortige Ausfallen derselben d u r c h seinen G e h a l t a n kolloidalen S t o f f e n v e r h i n d e r t , die als Schutzkolloide w i r k e n . Harnsäure fällt a u s s a u r e m U r i n a u s ; die K r i s t a l l e sind m e i s t e n s d u r c h adsorbierte F a r b s t o f f e gelb g e f ä r b t . Aus s a u r e m oder n e u t r a l e m U r i n k ö n n e n a u c h saure Urate ausfallen. Sie sind gelb bis r o t g e f ä r b t ( U r o e r y t h r i n ! ) u n d bilden d a s sog. Ziegelmehlsediment (sedim e n t u m l a t e r i t i u m ) . B e i m E r w ä r m e n des U r i n s gehen sie im Gegensatz zu d e n ü b r i g e n S e d i m e n t e n in Lösung. D a s schwerlösliche Ammoniumurat k a n n a u s alkalischen U r i n e n ausfallen, die in a m m o n i a k a l i s c h e G ä r u n g ü b e r g e g a n g e n u n d d a h e r s t a r k a m m o n i a k h a l t i g sind.
Harnsediment und Harnsteine
501
Im neutralen Urin kommen Urate seltener vor. Die Kristalle sind gelb bis braun gefärbt. Bei Neugeborenen, deren Urin sehr viel Harnsäure enthält, sind bei neutraler oder saurer Reaktion Ammoniumuratkristalle viel häufiger als beim Erwachsenen. Bei leicht saurer oder neutraler Reaktion kann aus dem Urin sekundäres Calciumphosphat, bei alkalischer Reaktion tertiäres Calciumphosphat ausfallen, das immer nur amorph auftritt. Im Gegensatz zu den Harnsäure- und Uratsedimenten sind die Phosphatniederschläge nicht gefärbt und lösen sich ohne Rückstand in Essigsäure. Charakteristisch für den in ammoniakalische Gärung übergegangenen Harn sind die schön ausgebildeten Kristalle des Tripelphosphats (Magnesium-Ammoniumphosphat) Mg(NH) 4 P0 4 -6H 2 0. Es bildet die sog. „Sargdeckelkristalle". Das Salz kann sich in stark ammoniakhaltigem Harn und bei neutraler Reaktion abscheiden. Calcium kann auch noch als Calciumoxalat ausfallen, das in Octaedern kristallisiert (sog. „Briefkuvertkristalle"). Die Oxalsäure stammt wahrscheinlich größtenteils aus der Pflanzennahrung; gewisse Gemüse wie Spinat, Rhabarber usw. sind sehr reich an Oxalaten. Ein Teil kann allerdings auch im Stoffwechsel gebildet worden sein. Calciumcarbonat kommt nur im alkalischen Harn vor, beim Menschen nur in geringer Menge. Sehr reichlich ist es neben Calciumphosphat im alkalisch reagierenden Urin der Pflanzenfresser enthalten, der stets durch eine große Menge Sediment getrübt ist. Gelegentlich können im Urinsediment auch schwerlösliche Aminosäuren auftreten, so Tyrosin und Leucin bei akuter Leberatrophie, Cystin bei Cystinurie. Unter besonderen Bedingungen können die genannten Stoffe zur Bildung von Konkrementen, Harnsteinen, Anlaß geben. Die physikochemischen Bedingungen, die zur Steinbildung führen, sind nicht genau bekannt. Es scheint, daß die erste Ablagerung des Materials meist durch organische Körper — abgestoßene Epithelien, Fibrinflocken, Bakterien usw. — veranlaßt wird, welche als Kristallisationszentrum wirken. Die Ablagerung erfolgt schichtweise um diesen Kern. Man kann einfache Steine unterscheiden, die nur aus einem einzigen Stoff bestehen, und zusammengesetzte, bei denen Schichten verschiedenartiger Stoffe, die oft auch verschieden pigmentiert sind, miteinander abwechseln. Merkwürdigerweise besteht bei der Mehrzahl der Steine der Kern aus Harnsäure oder Uraten, obwohl reine Harnsäuresteine ziemlich selten sind (nach Statistiken nur etwa 6%). Weitaus am häufigsten sind Steine aus Calciumoxalat und aus Phosphaten (Ca-Phosphat,Tripelphosphat, meist mit etwasCa-Carbonat). ReineCalciumcarbonatsteine sind beim Menschen sehr selten, häufig dagegen bei Pflanzenfressern. Sehr selten sind Steine aus Cystin und Xanthin (Cystinurie siehe S. 354). Die Oxalatsteine besitzen oft eine sehr höckrige und rauhe Oberfläche (sog. „Maulbeersteine"). Sie verursachen, wo sie die Schleimhaut berühren, kleine Blutungen und sind daher oft mit einer schwarzen Kruste bedeckt. Neuerdings hat die röntgenoptische und mikroskopisch-kristalloptische Untersuchung von Harnstein auch erlaubt, präzise Angaben über die vorhandenen Kristallarten zu machen (Brandenberger, de Quervain und Schinz). So wurde nachgewiesen, daß das Ca-Phosphat als Hydroxylapatit Ca10(PO4)„(OH)2 (vgl. S. 524) und Brusbit CaHP0 4 -2H 2 0 vorliegt, das CaOxalat als Whewellit CaC 2 0 4 -H 2 0 und als Trihydrat CaC 2 0 4 -3H 2 0, das Tripelphosphat als Struvit MgNH 4 P0 4 • 6H 2 0.
Die Steinbildung wird begünstigt durch vermehrte Ausscheidung der die Steine aufbauenden Stoffe. Von großem Einfluß ist die Ernährung. Z. B. wird eine purin-
502
Niere; Urin
reiche Nahrung zu vermehrter Harnsäurebildung Anlaß geben; der Genuß oxalatreicher Pflanzenteile wird zur Ausscheidung der schwer verbrennlichen Oxalsäure führen usw. Es können aber auch Stoffwechselstörungen Ursache der Steinbildung sein. Überfunktion der Epithelkörperchen (übermäßige Produktion des Parathormons, vgl. S. 559) führt zu einer stark vermehrten' Elimination von Phosphat und Calcium durch den Urin, die in vielen Fällen zur Bildung von Phosphat- und Oxalatsteinen Anlaß geben kann. Stark begünstigt wird die Ausfällung der Mineralstoffe auch durch entzündliche Vorgänge in den Harnwegen (Pyelitis, Cystitis), welche zur ammoniakalischen Gärung des Urins im Nierenbecken und der Blase führen können und dadurch die Ausscheidung von Ca-Phosphat und Tripelphosphat veranlassen können. Man bezeichnet vielfach die Konkremente, welche unter diesen Bedingungen entstehen, als „sekundäre" Harnsteine im Gegensatz zu den „primären", die aus dem sterilen, unveränderten Harn auskristallisieren. Bei der Ratte kann man durch Vitamin A-arme Ernährung Harnsteine erzeugen. Vermutlich ist die durch den Vitamin A-Mangel hervorgerufene Epithelschädigung in den Harnwegen (vgl. S. 604) die primäre Ursache der Steinbildung. Man vermutet, daß das in den Ländern des Orients häufig beobachtete Auftreten von Harnsteinen bei Kindern (in früheren Jahrhunderten auch in den westlichen Ländern bekannt) ebenfalls auf eine mangelhafte Ernährung, insbesondere eine ungenügende Zufuhr von Vitamin A, zurückgeht.
M. Das Sperma a) Spermatozoen. Der Kopf der Spermien besteht im wesentlichen aus Kernsubstanz (Chromatin). Am besten bekannt sind seit den klassischen Untersuchungen M i e s c h e r s die Fischspermien; sie enthalten als charakteristischen Bestandteil Protamin in salzartiger Bindung mit den Nucleinsäuren (vgl. S. 74). In den Säugetierspermien scheinen als basische Bestandteile Histone vorhanden zu sein. Die Spermien besitzen sowohl einen respiratorischen als auch einen glycolytischen Stoffwechsel, enthalten also eine sehr vollständige Permentausrüstung. Diese Fermente sind wohl hauptsächlich im Mittelstück lokalisiert. Der Hoden und das Sperma sind reich an Hyaluronidase. Das Ferment scheint an die Spermatozoen gebunden zu sein, läßt sich aber von denselben leicht abtrennen; wahrscheinlich spielt es beim Eindringen der Spermatozoen in das Ei eine Rolle (vgl. S. 30). b) Die Spermailüssigkeit (Spermaserum) wird von den verschiedenen Drüsen des männlichen Genitaltrakts gebildet. Sie enthält merkwürdigerweise als einzigen reduzierenden Zucker F r u c t o s e , beim Stier bis gegen 1% (Mann). Die Fructosebildung erfolgt in den Samenblasen. Sie hängt vom androgenen Hormon ab. Vor dem Eintritt der Geschlechtsreife, ebenso nach Kastration, bildet die Samenblase keine Fructose. Nach Zufuhr von Testosteron erscheint der Zucker wieder ( M a n n und Mitarb.). Charakteristisch f ü r das Sperma sind auch gewisse Basen, das S p e r m i d i n und das S p e r m i n . Das erstere ist das Mono-(y-aminopropyl)-putrescin, das zweite das Di-(y-aminopropyl)putrescin: H 2 N • (CH 2 ) 3 • N H • (CH2)4 • NH 2 Spermidin H 2 N.(CH 2 ) 3 .NH.(CH 2 ) 4 .NH.(CH 2 ) 3 -NH 2 Spermin (Wahrscheinlich kommt Spermidin auch in Gehirn, Leber und Muskelfleisch vor.) Die sog. B ö t t c h e r s c h e n Spermakristalle sind wahrscheinlich Sperminphosphat. Bei verschiedenen Tierarten koaguliert das Sperma nach der Ejakulation (besonders bei den Nagern, wo es zur Bildung des „bouchon vaginal" kommt, der die Vagina nach außen abschließt). Welche Bestandteile der Spermaflüssigkeit gelatinieren, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Man nimmt an, daß es sich um proteinartige Stoffe handelt, welche durch ein Ferment („Vesiculase") zur Gerinnung gebracht werden. (Bei der R a t t e und dem Meerschweinchen scheint eine besondere, in unmittelbarer Nachbarschaft der Samenblase gelegene Drüse das Ferment zu produzieren.)
Muskel- und Nervensystem
Zweiundzwanzigstes
503
Kapitel
Muskel- und Nervensystem Wir geben in diesem Kapitel nur einige biochemische Aspekte der Tätigkeit von Muskel und Nerven. Für alles übrige muß auf die Lehrbücher der Physiologie verwiesen werden. 1. Muskel Die physiologische Funktion der Muskeln besteht darin, durch Kontraktion mechanische Arbeit zu leisten. Kontraktilität ist eine allgemeine Eigenschaft des Protoplasmas, die sich schon an den primitivsten einzelligen Lebewesen beobachten läßt. In der Muskelzelle ist diese Eigenschaft aufs höchste entwickelt worden; sie verleiht der Zelle ihren besonderen Charakter. Die Kontraktilität der Muskelfaser setzt zwei Einrichtungen voraus: Strukturelemente, die sich reversibel verkürzen können, und einen chemischen Mechanismus, durch welchen die Verkürzung bewirkt und wieder rückgängig gemacht wird. Das Element jeder Muskelfunktion ist die einfache „Zuckung" der einzelnen Faser: eine Verkürzung mit nachfolgender Erschlaffung auf die ursprüngliche Länge. Sie folgt dem Alles- oder Nichts-Gesetz, d. h. auf einen überschwelligen Reiz folgt immer eine maximale Verkürzung. Die Zuckung der Muskelfaser mit den begleitenden chemischen Vorgängen stellt eine gesetzmäßige Folge äußerst komplizierter Reaktionen dar. Wir sind von einer völligen Kenntnis derselben noch weit entfernt. Gut bekannt sind die Vorgänge, welche die Energie der Muskelkontraktion liefern, während über die feinere Struktur der kontraktilen Elemente, die Natur des eigentlichen Kontraktionsvorgangs und den Mechanismus, durch welchen die chemische Energie in mechanische umgesetzt wird, noch viele Unklarheiten bestehen. A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels Im arbeitenden Muskel ist der Respirationsquotient annähernd eins, ein Zeichen dafür, daß vorwiegend Kohlehydrat oxydiert wird. Das Muskelglycogen (oder die Glucose) ist die unmittelbare Quelle der Muskelenergie. Eine Besonderheit des Muskels besteht darin, daß er unter anaeroben Bedingungen arbeiten kann. Dies ist notwendig, weil unter natürlichen Bedingungen im Muskelgewebe Sauerstoffmangel eintreten kann, nämlich bei intensiver Arbeit. Die Muskeltätigkeit erfordert großen Energieaufwand in kurzer Zeit. Die Sauerstoffversorgung und damit die Geschwindigkeit der oxydativen Vorgänge ist durch die Zeit begrenzt, welche der Sauerstoff braucht, u m von den Kapillaren in die Muskelzellen zu diffundieren. Bei starker Arbeit genügt die Diffusionsgeschwindigkeit des 0 2 nicht, um genügend Energie auf oxydativem Weg bereitzustellen. Der Muskel ist also auf eine sauerstoffunabhängige Reaktion angewiesen: dies ist die Glycolyse. Das glycolytische Fermentsystem ist im Muskel außerordentlich gut entwickelt; aus diesem Grunde wurden auch die glycolytischen Reaktionen vor allem durch die Untersuchung der chemischen Vorgänge in Muskelextrakten abgeklärt. Der Muskel ist eine Maschine, die mit einem außerordentlich guten Wirkungsgrad arbeitet. Unter aeroben Bedingungen werden etwa 20%, unter anaeroben sogar 40% der gesamten Energie als mechanische Arbeit abgegeben.
504
Muskel- und Nervensystem
Die Arbeiten von A. V. H i l l über den zeitlichen Verlauf der Wärmebildung während der Muskelkontraktion haben dazu geführt, zwei Phasen zu unterscheiden. Ein erster Teil der Gesamtwärme wird während der Kontraktion und Erschlaffung entwickelt, die sog. I n i t i a l wärme; sie ist proportional der vom Muskel entwickelten Spannung. Nach beendigter Zuckung geht aber die Wärmeproduktion langsam während einiger Minuten weiter. Dieser Anteil wird als v e r z ö g e r t e Wärme (,,delayed heat") oder als o x y d a t i v e R e s t i t u t i o n s w ä r m e bezeichnet. Initiale und verzögerte Wärme verhalten sich etwa wie 1 : 1 . Die initiale Wärme ist völlig unabhängig von der Sauerstoffzufuhr, während die Restitutionswärme fast vollständig verschwindet, wenn der Muskel unter streng anaeroben Bedingungen arbeitet. Der Zusammenhang zwischen den chemischen Vorgängen im Muskel und der Wärmebildung ist hauptsächlich durch die Untersuchungen O t t o M e y e r h o f s aufgeklärt worden. Die initiale Wärme steht offenbar in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kontraktionsvorgang. Wenn der Muskel von einem Reiz getroffen wird, setzt die Wärmebildüng sofort ein, noch bevor es zu einer sichtbaren mechanischen Reaktion kommt („Aktivierungswärme", A. V. Hill). Der Reiz muß also im Muskel eine Zustandsänderung auslösen, welche von Wärmeproduktion begleitet ist und nach kurzer Latenzzeit sehr rasch zur Entwicklung einer Spannung führt. Bei isotonischer Kontraktion, d. h. bei Verkürzung des Muskels, tritt eine zusätzliche Wärmemenge, die „Verkürzungswärme", auf, welche der Verkürzung proportional und von der geleisteten Arbeit unabhängig ist und offenbar irgendwie mit dem Verkürzungsvorgang als solchem zu tun hat. Wird umgekehrt ein tetanisch gereizter Muskel vorsichtig gedehnt, so tritt die aufgewendete Arbeit nicht als Wärme auf, sondern wird im Muskel anderweitig verbraucht. Es scheint also, daß die Verkürzung ein inr thermodynamischen Sinn reversibler Vorgang ist. Bei Verkürzung des gereizten Muskels tritt Wärme auf, bei seiner Dehnung wird Wärme verbraucht. Möglicherweise dient die bei der Dehnung des tetanisierten Muskels aufgewendete Arbeit dazu, einen die Verkürzung begleitenden exothermen chemischen Prozess rückwärts zu treiben (Hill). Die Dehnung des Muskels auf seine ursprüngliche Länge nach Ablauf der Kontraktion ist dagegen ein passiver Vorgang, der ohne Wärmetönung verläuft. Der nicht belastete Muskel bleibt verkürzt. Bei der Relaxation eines belasteten Muskels, der bei der Verkürzung Arbeit geleistet hat, erscheint natürlich das Äquivalent dieser Arbeit,als Wärme. Bis zum Jahre 1930 glaubte man, daß die initiale Wärme von der Milchsäurebildung herrühre. Dann aber zeigte L u n d s g a a r d , daß sich der Muskel auch ohne Milchsäurebildung kontrahieren kann, wenn man ihn mit Monojodessigsäure vergiftet (JCH2-COOH). Die initiale Wärmebildung bleibt dabei erhalten. Sie kann also nicht auf der Milchsäureproduktion beruhen. Wie sich gezeigt hat, wird die initiale Wärme im jodessigsäurevergifteten Muskel zu einem beträchtlichen Teil bei der S p a l t u n g einer o r g a n i s c h e n P h o s p h o r s ä u r e v e r b i n d u n g , der Kreatinphosphorsäure, freigesetzt. D i e s ist ein V o r g a n g , der in e n g e m Z u s a m m e n h a n g m i t der K o n t r a k t i o n s t e h e n muß. Auch im normalen, nicht vergifteten Muskel zerfällt Kreatinphosphat. Es wird aber auf Kosten des Kohlehydratzerfalls teilweise wieder regeneriert, so daß bilanzmäßig weniger Kreatinphosphat gespalten wird als in Gegenwart der Jodessigsäure. Das Kreatin ist im nicht ermüdeten Muskel zum großen Teil in Form seiner Phosphorsäureverbindung enthalten:
Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels
505
COOH NH 11
1 H2C—N—C—NH— P0 3 H 2
Phosphokreatin
AH, Diese Verbindung wurde von E g g l e t o n u n d E g g l e t o n entdeckt und „Phosphagen" genannt. F i s k e u n d S u b b a r o w erkannten, daß sie Rreatin enthält, und schließlich stellten M e y e r h o f u n d L o h m a n n ihre Zusammensetzung aus 1 Mol Kreatin und 1 Mol Phosphorsäure fest. Im Muskel von Avertebraten kommt an ihrer Stelle die Argininphosphorsäure vor: NH
II
COOH • CH • CH2 • CH2 • CH2 • NH • C • NH • P0 3 H 2
¿h2 Während der Kontraktion zerfällt das Phosphokreatin in Kreatin und anorganisches Phosphat. Wir werden gleich sehen, daß es sich nicht um eine einfache Hydrolyse der Verbindung handelt. L u n d s g a a r d entwickelte auf Grund seiner Beobachtungen über die „milchsäurelose" Kontraktion die Hypothese, daß nicht die Milchsäurebildung die primäre Reaktion ist, welche die Energie für die Kontraktion liefert, sondern der Zerfall des Phosphokreatins. Diese Annahme ist durch die späteren Untersuchungen bestätigt worden. Offenbar muß das Phosphokreatin immer wieder regeneriert werden. Dazu ist Adenosintriphosphat (ATP) nötig. ATP gibt an das Kreatin einen seiner Phosphatreste ab nach folgender Gleichung: Adenosintriphosphat + Kreatin (ATP)
Adenosindiphosphat + Phosphokreatin (ADP)
Damit ist auch der Weg aufgedeckt, welcher den Stoffwechsel des Phosphokreatins mit dem Kohlehydratstoffwechsel verbindet. Wir haben gesehen, daß beim glycolytischen Abbau des Glycogens Adenosintriphosphat gebildet wird (pro Molekül Glucose, das in Milchsäure übergeht, entstehen 3 Moleküle ATP aus ADP). Das ATP reagiert nach obiger Reaktionsgleichung weiter unter Bildung von Kreatinphosphat. Die Energie der Glycolyse wird auf diese Weise also zum Aufbau des Kreatinphosphats aus Kreatin und anorganischem Phosphat verwendet. D e r a n a e r o b e G l y c o g e n z e r f a l l l i e f e r t a l s o die f ü r den s t ä n d i g e n W i e d e r a u f b a u des P h o s p h o k r e a t i n s nötige Energie. Natürlich können auch alle oxydativen Vorgänge, welche ATP liefern, an der Regeneration des Phosphokreatins beteiligt sein, so vor allem die Oxydation der Milchsäure (über oxydative Phosphorylierung vgl. S. 405). Die Bedeutung der Glycolyse liegt darin, daß sie auch unter a n a e r o b e n Bedingungen arbeitet. Die Phosphorylierung des Kreatins durch ATP ist ein reversibler Vorgang. Unter physiologischen Bedingungen wird Phosphokreatin nicht direkt hydrolysiert, sondern gibt, in Umkehrung der obigen Reaktionsgleichung, das Phosphat zuerst wieder an ADP ab ( L o h m a n n sehe Reaktion). Die Spaltung in Kreatin und freies Phosphat, die man während der Muskeltätigkeit beobachtet, verläuft also in zwei Stufen: (a) (b ) Bilanz:
Phosphokreatin + ADP = ATP + H2Q = Phosphokreatin -f- H 2 0 =
Kreatin -f ATP ADP + anorg. Phosphat Kreatin + anorg. Phosphat
Muskel- und Nervensystem
506
Gleichung (b) selbst gibt nur eine Bilanz. Wir werden sehen, daß dieser Vorgang unmittelbar mit der Kontraktion zu tun hat und offenbar komplexer Natur ist. Die Spaltung von. Kreatinphosphat ist ein stark exergonischer Vorgang. Die Bindung des Phosphats an den Stickstoff ist eine energiereiche Phosphatbindung ( ^ F etwa 11000 cal./Mol oder 110 cal. pro g abgespaltenes Phosphat). I n welchem Zusammenhang steht nun die Spaltung des Kreatinphosphats mit der Muskelkontraktion 1 Die eben erwähnte Tatsache, daß der Phosphatrest bei Spaltung des Kreatinphosphats unter physiologischen Bedingungen zur Resynthese des A T P dient, deutet darauf hin, daß offenbar dieses letztere die Substanz ist, welche bei der Kontraktion unmittelbar umgesetzt wird. I n diesem Zusammenhang ist die Entdeckung von höchstem Interesse, daß der Eiweißkörper, den man als das eigentliche kontraktile Element der Muskelfaser ansieht, dag Myosin, imstande ist, aus dem A T P einen Phosphatrest a b z u s p a l t e n ' ( E n g e l h a r d t und L j u b i m o v a ) . E r verhält sich also wie ein Ferment (eine ,,ATP-ase"): Adenosintriphosphat
MyosinAdenosindiphosphat -f- anorg. Phosphat
Die Spaltung wird durch Ca + + -Ionen gefördert, durch Mg + + -Ionen gehemmtDiese Reaktion zwischen A T P und Myosin in vitro weist auf einen e n g e n Z u s a m m e n h a n g zwischen der A T P - S p a l t u n g und den k o n t r a k t i l e n P r o t e i n e n i m M u s k e l hin. Daran ändert die Tatsache nichts, daß es neuerdings gelungen ist, aus Myosin eine als „ATP-ase" wirksame Fraktion abzuspalten ( P o l i s u n d M e y e r h o f ) . Wir werden später sehen, daß die kontraktile Substanz des Muskels ein Komplex verschiedener Proteine ist; es ist sehr wohl möglich, daß zu diesem Komplex auch das ATP-spaltende Protein gehört. Wir werden auf den Zusammenhang zwischen Myosin und A T P noch kurz zurückkommen. Diese Befunde führen zur Annahme, daß bei der Kontraktion des Muskels das A T P irgendwie mit dem kontraktilen Element unter Abspaltung eines Moleküls Phosphat reagiert, wobei die Energie der Phosphatbindung in mechanische Energie umgesetzt wird. Demnach wäre in der Reihe der Vorgänge, die schließlich zur Kontraktion der Faser führen, die Spaltung des A T P die letzte f a ß b a r e Reaktion. Sie muß selbst komplexer Natur sein. Es ist jedoch nicht bekannt, aufweiche Weise die Energie der Phosphatbindung schließlich in die potentielle Energie der gespannten Muskelfibrille übergeht. I n der Aufklärung dieses Problems liegt eine der größten künftigen Aufgaben der Muskelphysiologie. Das Phosphokreatin hat im Muskel die Funktion eines Speichers energiereicher Phosphatbindungen, die unmittelbar f ü r die Arbeitsleistung zur Verfügung stehen und ständig auf Kosten der aus dem zerfallenden Kohlehydrat frei werdenden Energie neu gebildet Werden. Während der Zuckung zerfallen A T P und Kreatinphosphorsäure, und gleichzeitig entsteht aus dem Glycogen Milchsäure. Welches sind die Vorgänge, die sich anschließend während der durch die „verzögerte Wärme" gekennzeichneten Phase abspielen 1 Da in Abwesenheit von Sauerstoff die verzögerte Wärmebildung fast völlig ausbleibt, muß es sich um einen oxydativen Vorgang handeln. Dies zeigt sich auch darin, daß die Atmung des Muskels, den man nach tetanischer Reizung unter anaeroben Bedingungen in Sauerstoff bringt, viel größer ist als die Ruheatmung. Es zeigt sich, daß während dieser Periode Milchsäure verbraucht wird; aber die totale Menge der verschwundenen Milchsäure ist viel größer als die Menge der veratmeten. Nur etwa l / 6 bis 1 j 3 der verschwundenen Milchsäure wird oxydiert, der Rest wird in Kohlehydrat (Glycogen) zurückverwandelt. Zum gleichen Resultat gelangt man beim Vergleich .der verzögerten Wärme mit der Menge der im Muskel nach der
Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels
507
Tätigkeit vorhandenen Milchsäure. Die Wärmebildung ist viel kleiner, als die Oxydation der gesamten Milchsäuremenge verlangen würde. Da beim Zerfall des Glycogens in Milchsäure Energie frei wird, muß umgekehrt die Resynthese des Glycogens aus Milchsäure die entsprechende Energiemenge verbrauchen. Diese Energie wird geliefert durch die Oxydation eines Teils der Milchsäure. Da aber die freie Energie der Glycolyse viel kleiner ist als die freie Energie der Oxydation, genügt die Oxydation eines kleinen Teils der Milchsäure, um die Rückverwandlung des Rests in Glycogen zu ermöglichen. Di6 Verbrennungswärme der Milchsäure, auf 1 g Säure in verdünnter wässeriger Lösung bezogen, beträgt 3602 cal. 1 g Glucose liefert 1 g Milchsäure. Um die Verbrennungswärme des Glycogens mit derjenigen der Milchsäure vergleichen zu können, muß man sie auf diejenige Menge Glycogen beziehen, die bei der Hydrolyse 1 g Glucose liefert; das sind 0,9 g. Die Verbrennungswärme von 0,9 g Glycogen bezogen auf die verdünnte wässerige Lösung beträgt 3782 cal. Bei der Bildung von 1 g Milchsäure aus Glycogen werden daher 3782—3602= 180 cal. frei, d. h. nur etwa 5% der bei vollständiger Oxydation des Glycogens entwickelten Wärme.
Man kann demnach den Kohlehydratabbau im Muskel in zwei Phasen einteilen: eine anaerobe, während der Glycogen in Milchsäure zerfällt, und eine aerobe, während der ein Teil der gebildeten Milchsäure oxydiert und der Rest in Glycogen zurückverwandelt wird. Unter natürlichen Bedingungen während der Tätigkeit des Muskels sind die beiden Phasen natürlich nicht streng getrennt, sondern die beiden Vorgänge laufen nebeneinander her, weil ja der Muskel beständig mit 0 2 versorgt wird. Die Erholung des ermüdeten Muskels entspricht der zweiten Phase. anaerob F
1 Milchsäure
Glycogen aerob
I co 2 , H2O ^ , T , , . total verschwundene Milchsaure . , ,, . Das Verhältnis „ wird M e y e r h o f - Q u o t i e n t oxydierte Milchsäure genannt. Für den Kaltblütermuskel hat man einen durchschnittlichen Wert von etwa 4 gefunden, d. h. von 4 Molekülen Lactat werden eines oxydiert und drei zu Kohlehydrat resynthetisiert. Zusammenfassend ergibt sich vom Ablauf der chemischen Vorgänge im Muskel das folgende Bild: Der Kontraktionsvorgang ist untrennbar verknüpft mit dem Zerfall des Adenosintriphosphats; dieses wird aus dem Phosphokreatin ständig regeneriert, so daß bilanzmäßig bei der Kontraktion ein Zerfall des Phosphokreatins in Erscheinung tritt. Gleichzeitig setzt auch der glycolytische Abbau des Glycogens unter Milchsäurebildung ein, durch welchen das Phosphokreatin teilweise wieder regeneriert wird. Alle diese Vorgänge können anaerob verlaufen. Die Milchsäurebildung ist aber bereits ein Restitutionsvorgang. In der nachfolgenden Erholungs(Restitutions)phase setzt die Oxydation der Milchsäure und die Resynthese des Kohlehydrats ein. Gleichzeitig wird das Phosphokreatin zurückgebildet. Im Muskel in situ am lebenden Tier wird schließlich das oxydierte Kohlehydrat durch Glucosezufuhr von außen ergänzt. (Läßt man den Muskel sich anaerob „erholen", so geht die Milchsäurebildung noch weiter und gleichzeitig wird auf Kosten der Glycolyse Phosphokreatin resynthetisiert. Diese Reaktion weist einen geringen Wärmeüberschuß auf, der als „anaerobe Restitutionswärme" in Erscheinung tritt.)
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Muskel- und Nervensystem
Im Schema Abb. 49 wird versucht, die wichtigsten Vorgänge anschaulich zu machen.
Abb. 49. Schema des K o h l e h y d r a t s t o f f w e c h s e l s (Meyerhofcyklus) im Muskel. Siehe Text. ~ P0 3 bedeutet energiereiches Phosphat (vgl. S. 401).
B. Die Proteine des Muskels Die Muskelfaser ist eine hochdifferenzierte Zelle. Sie ist von einer Hülle, dem Sarkolemm, umgeben, das neben dem undifferenzierten Sarkoplasma die in der Längsrichtung verlaufenden Myoiibrillen, die eigentlichen kontraktilen Elemente der Faser, umschließt. In den quergestreiften Fasern (z. B. Skelettmuskulatur), die viel rascher reagieren als die glatten, ist eine Segmentierung längs der Faserachse sichtbar; doppelbrechende A - B a n d e n (auch Q - B a n d e n oder Q - S c h e i b e n genannt) wechseln mit isotropen I - B a n d e n ab. Im gewöhnlichen Licht erscheinen die ersteren dunkler als die letzteren; im Polarisationsmikroskop zwischen gekreuzten Nicols sind die A-Banden dagegen aufgehellt. Bei der Kontraktion nimmt die Doppelbrechung ab. Die I-Banden werden breiter, die A-Banden schmäler. Die Hauptmasse des Muskels besteht aus Eiweiß; daher liegt die Vermutung nahe, daß die Kontraktilität der Muskelfaser auf der Gegenwart besonderer Proteine beruht. Aus diesem Grunde haben sich die Physiologen schon seit langem mit den Muskeleiweißkörpern beschäftigt (grundlegende Untersuchungen von K ü h n e , H a l l i b u r t o n , v . F ü r t h u.a.). Ihre Erforschung hat gerade während der letzten Jahre einen neuen Aufschwung genommen und hat dank den Fortschritten der Eiweiß-
Die Proteine des Muskels
509
chemie und der Anwendung moderner Methoden der Strukturforschung zu wichtigen Resultaten geführt. Wesentliche Kenntnisse verdankt man in neuerer Zeit H . H . W e b e r , E d s a l l , A. v. M u r a l t , A s t b u r y , S z e n t - G y ö r g y i u. a. Aus dem zerkleinerten Muskel kann man durch Extraktion mit Salzlösungen und fraktionierte Fällung der Extrakte verschiedene Eiweißfraktionen gewinnen, die mit besonderen Namen belegt worden sind. Die wichtigsten sind (1) Albumine (Myogen), etwa 28%, (2) Globulin X, etwa 20%, (3) Myosin, etwa 40%, (4) Tropomyosin, 5%. Außerdem sind noch völlig unlösliche Proteine vorhanden, die offenbar dem Stroma der Muskelfaser angehören. Der wesentliche Baustoff der kontraktilen Myofibrillen ist das Myosin. Man kann es aus dem Muskel gewinnen, indem man bei neutraler oder leicht alkalischer Reaktion mit Salzlösungen (KCl) extrahiert und dann stark verdünnt. Das Myosin ist in sehr verdünnten Salzlösungen nur wenig löslich und fällt dabei aus. Es bildet in Neutralsalzen gelöst viskose Lösungen. Daß das Myosin das kontraktile Element der Muskelfaser darstellt, kann aus folgenden Tatsachen geschlossen werden: Myosinlösungen zeigen die Eigenschaft der „Strömungsdoppelbrechung" (v. Muralt und Edsall), ein Zeichen dafür, daß sie anisotrope Teilchen enthalten. Der Vergleich der Doppelbrechung von Myosinfäden (die man sich durch Injektion von Myosinlösungen in Wasser herstellen kann) mit der Doppelbrechung der Muskelfaser ergibt für die letztere den richtigen Myosingehalt der Faser (etwa 40%), wenn man annimmt, daß die Doppelbrechung der Faser einzig dem Myosin zuzuschreiben ist (H. H. Weber). Schließlich hat die vergleichende röntgenoptische Untersuchung von Muskelfasern und Myosinfilmen ergeben, daß ihnen die gleiche Feinstruktur zukommt (Astbury). Damit ist zunächst bewiesen, daß das Myosin mit dem doppelbrechenden Element der Muskeln identisch ist. Der enge Zusammenhang zwischen Kontraktion und Doppelbrechung (v, Muralt) läßt weiter den Schluß zu, daß das Myosin auch dem kontraktilen Element gleichzusetzen ist.
Neuere Untersuchungen von S z e n t - G y ö r g y i und seiner Schule haben zur Entdeckung eines weiteren Proteins geführt, welches den Namen Actin erhielt. Es verbindet sich mit dem Myosin r e v e r s i b e l zu einem Komplex, dem Actomyosin, ein Vorgang, der wahrscheinlich für die Kontraktion der Muskelfibrille von Bedeutung ist. (Das kristallisierte Myosin S z e n t - G y ö r g y i s ist identisch mit dem ,,L-Myosin", das Actomyosin mit dem „S-Myosin" H. M. W e b e r s . ) Die Löslichkeitseigenschaften der beiden Komponenten sind von denjenigen ihrer Verbindung sehr verschieden. Das Actin hat die merkwürdige Eigenscfiaft, daß es in zwei Formen auftritt, die reversibel ineinander übergehen, einer sog. G-Form mit kugelförmigen Molekülen (G = globulär) und einer F-Form (F = fibrillär), die langgestreckte, Stäbchen- oder fadenförmige Moleküle b ldet, welche bei Zusatz von KCl oder Erniedrigung des pH -Wertes aus den ersteren durch lineare Aggregation hervorgehen. Die Umwandlung ist an den Eigenschaften der Lösungen (Viskosität, Strömungsdoppelbrechung) zu erkennen und kann im Elektronenmikroskop direkt verfolgt werden. Wahrscheinlich spielt auch diese Umwandlung bei der Kontraktion eine Rolle. Das Actomyosin ist eine Verbindung des Myosins mit der fibrillären Form des Actins.
Die interessanteste Eigenschaft des Actomyosins ist sein Verhalten gegen das Adenosintriphosphat. Bei Zusatz von A T P zu Lösungen des Actomyosins von geeigneter Ionenstärke nimmt deren Viskosität, Strömungsdoppelbrechung und Lichtzerstreuung ab. Das ATP bewirkt sehr wahrscheinlich eine Spaltung in die Komponenten Myosin und Actin. Noch auffallender aber ist die folgende Beobachtung: Fäden aus Actomyosin in KCl-Lösungen (0,1—0,5-m) und in Gegenwart von etwas Mg + + (0,0001-m) verkürzen sich, wenn man A T P zusetzt! (Im Gegensatz zum Muskel nimmt aber ihr Volumen dabei ab, sie werden auch entsprechend dünner.) Der molekulare Mechanis-
510
Muskel- und Nervensystem
mus, der diesen Erscheinungen zugrunde liegt, ist noch nicht bekannt. Wir können auch noch nicht sagen, wie weit die sich verkürzenden Myosinfäden als Modell der Muskelfaser gelten können. Auf alle Fälle aber weisen auch diese Tatsachen auf die große Bedeutung des ATP und des Actomyosins für den Kontraktionsvorgang hin. Die übrigen Eiweißfraktionen des Muskels sind weniger gut erforscht. Die Albuminfraktion enthält die löslichen Fermente des Muskels. Über die Bedeutung des „Globulins X " ist nichts bekannt. Das Tropomyosin ist als kristallisiertes Protein dargestellt worden (Bailey). Die Kristalle, die stark hydratisiert sind und nur etwa 10% Protein enthalten, sind stark doppelbrechend. Es bildet viskose Lösungen. Die Zusammensetzung aus Aminosäuren gleicht derjenigen des Myosins. Es zeigt auch ein ähnliches Röntgendiagramm. Möglicherweise ist das Tropomyosin ebenfalls ein Baustein der kontraktilen Fibrillen. Die Natur des Kontraktionsvorganges und der Mechanismus, durch welchen die chemische Energie in mechanische Arbeit umgesetzt wird, sind noch keineswegs aufgeklärt. Der nervöse Reiz löst in den Muskelfasern eine Zustandsänderung aus, die zur Entwicklung einer Spannung und zur Verkürzung führt. In der nachfolgenden Relaxationsphase hört der Spannungszustand auf und die Fasern können p a s s i v wieder auf ihre ursprüngliche Länge gedehnt werden (vgl. S. 504). Eine physiologisch sehr bedeutsame Eigenschaft des Muskels besteht darin, daß er im ruhenden (nicht gereizten) Zustand eine sehr verschiedene Länge haben und bei Eintreffen eines Reizes jedesmal ohne Änderung der Latenzzeit Spannung entwickeln kann (Hill). Diese Eigenschaft muß ihren Grund im molekularen Bau der kontraktilen Elemente haben. Die Verkürzung der Muskelfasern muß letzten Endes in einer veränderten Anordnung oder Faltung von Polypeptidketten beruhen; es ist aber noch nicht möglich, die bei der Kontraktion eintretende Änderung der Feinstruktur genauer zu charakterisieren. Die Elektronenmikroskopie zeigt, daß in den quergestreiften Muskelfasern Fibrillen durch die isotropen und anisotropen Scheiben kontinuierlich durchlaufen. Der molekulare Prozess der Verkürzung muß sich offenbar innerhalb dieser Fibrillen abspielen. Die Röntgenanalyse (Faserdiagramme) des Muskels zeigt, daß das Myosin im wesentlichen in der gefalteten «-Konfiguration vorliegt wie das «-Keratin (vgl. S. 85). Ferner läßt der Vergleich der Faserdiagramme des Muskels (Frosch-Sartorius) mit denjenigen des Myosins und des fibrillären Actins erkennen, daß im Muskel der Faserachse parallel verlaufende Fibrillen von Myosin und F-Aetin vorhanden sind ( A s t b u r y u. a.). Die oben erwähnten Beobachtungen über das Verhalten des Actomyosins gegenüber dem ATP lassen vermuten, daß auch im lebenden Muskel eine reversible Spaltung des Actin-Myosin-Komplexes stattfindet; wir wissen aber nicht, in welcher Phase des Reaktionscyklus dieser Zerfall eintritt. A s t b u r y vermutet, daß die Kontraktion der Fibrille durch Aneinanderlagerung von Myosin- und Actinketten zustande kommt, wobei das G-Actin in die fibrilläre F-Form und das Myosin in einen Zustand starker Faltung (sog. Super kontraktion) übergeht, wie sie auch bei anderen fibrillären Proteinen bekannt ist. Dieser Vorgang ist schematisch in Abb. 50 dargestellt. Das Schema macht auch die bei der Kontraktion eintretende charakteristische Änderung der Konsistenz des Muskels verständlich, der von einem halbflüssigen plastischen Zustand in einen halbfesten übergeht („eiserne" Muskeln!). Der regelmäßige, fast kristalline Bau, der durch die Aneinanderlagerung der Strukturelemente im kontrahierten Zustand zustandekommt (Abb. 50 unten), muß zu einer beträchtlichen Verfestigung der Struktur führen. Doch können alle derartigen detaillierten Vorstellungen über die Natur
Die Proteine des Muskels
511
der Kontraktion beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse nur hypothetischen Charakter haben. Für das Verständnis des Kontraktionsvorganges ist die Tatsache von Bedeutung, daß das Myosinmolekül sehr reich ist an ionisierten Gruppen. Pro Liter Muskel sind im Myosin total (positive + negative Ladungen) etwa G-Actin 0,7—0,8 Äquivalente ionisierte a-Myosin Gruppen vorhanden; das ist und die gleiche Größenordnung wie möglicherweise diejenige der freien Ionen im Muskel. In einem solchen System etwas können schon geringe Änderunß-Myosin gen der Ionenstärke bedeutende Änderungen der molaren freien Energie der Proteine bewirken. Bei Proteinen, bei welchen eine Änderung der molekularen Konfiguration möglich ist (Faltung der Peptidketten usw.), ergibt sich daraus die Möglichkeit von Formänderungen unter Arbeitsleistung (E d s a 11). Schon früher hat K. H. M e y e r eine Theorie der Muskelkontraktion aufgestellt, in welcher die Kontraktion durch elektrostatische Anziehung zwischen entgegengesetzt geladenen Gruppen und superkontrahiertes die Relaxation durch VermindeMyosin rung der Ionisation dieser Gruppen erklärt wurden.
P
Im quergestreiften Muskel sind verschiedene Bestandteile zwischen den A- und I-Banden ungleich verteilt, und es treten bei der Kontraktion Verschiebungen ein. Die I-Banden sind kontrahiert reich an Lipoiden. Im ruhenden Abb. 50. S c h e m a d e r M u s k e l k o n t r a k t i o n (nach Muskel sind Stoffe mit spezifi- A s t b u r y , Proceedings of the Royal Society, London, scher Absorption im U. V. bei Serie B, 137, 40 (1950)). Erklärung siehe Text. 265 mfj, ebenfalls in den I-Banden konzentriert. Es handelt sich wahrscheinlich um Nucleotide (Adenylsäure ?). Nach starker Kontraktion verteilt sich dieser Stoff auch auf die A-Banden. Ca und Mg scheinen dagegen vorwiegend in den A-Banden lokalisiert zu sein. Diese Feststellungen lassen sich noch nicht interpretieren. Es ist gegenwärtig auch nicht möglich, sich ein exaktes Bild von der Funktion des ATP zu machen; insbesondere wissen wir nicht, in welcher Phase des Kontraktionscyklus die Spaltung der energiereichen Phosphatbindung stattfindet. Sie kann sowohl mit der Kontraktion als auch mit der Relaxation verbunden sein. Im ersten Fall müßte durch den nervösen Reiz eine Reaktion zwischen dem kontraktilen
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Muskel- und Nervensystem
System und dem ATP ausgelöst werden, die zur Verkürzung und gleichzeitigen Abspaltung von Phosphat führt. Im zweiten Fall müßte man annehmen, daß sich die erschlaffte Fibrille in einem Zustand befindet, aus dem sie sich beim Auftreffen des Reizes s p o n t a n unter Arbeitsleistung verkürzen kann; bei der Relaxation muß dann das kontraktile System auf Kosten der Energie des ATP wieder in den vorigen „aufgeladenen" Zustand zurückgeführt werden. Der Reiz würde also nur eine Sperrung auslösen, welche die Fibrille hindert, wie eine Feder in den energieärmeren verkürzten Zustand überzugehen; die Energiezufuhr (das Aufziehen der Feder) müßte im Moment der Relaxation erfolgen. Die Spaltung des ATP und damit die gesamten chemisch faßbaren Vorgänge im Muskel müßten in diesem Fall als Restitutionsvorgänge aufgefaßt werden. Ein physiologisch wichtiges Protein des Muskels ist ferner das Myoglobin (vgl. S. 457). Es ist ein dem Hämoglobin sehr ähnliches Atmungspigment, welches ebenfalls Sauerstoff reversibel zu binden vermag, aber zu ihm eine bedeutend größere Affinität besitzt als das Hämoglobin. Auch bei Sauerstoffspannung des venösen Blutes ist das Myoglobin noch zu 95% gesättigt. Das Oxymyoglobin stellt demnach eine lokale Sauerstoffreserve des Muskels dar, die den Sauerstoff erst bei tiefer Partialspannung abgibt. Die Zusammensetzung des Muskels. Feste Stoffe 22—28%, davon organische 20—26%. Unter den Mineralstoffen hauptsächlich Phosphat, Kalium, Calcium, Magnesium; Proteine 17—20%. Unter den organischen Stoffen ist der variabelste das Glycogen, das bis etwa 4% ansteigen kann. Die sog. E x t r a k t i v s t o f f e des Muskels umfassen eine Reihe niedrigmolekularer organischer Verbindungen, die man dem Muskel durch Kochen mit Wasser entziehen kann. Zu den wichtigsten gehören Kreatin (etwa 0,4%), Inosinsäure, Carnosin (etwa 0,2%), Carnitin, Inosit u. a. m. Über die Bedeutung des Kreatins als Phosphatakzeptor haben wir oben gesprochen. Inosinsäure entsteht durch Desaminierung der Adenylsäure. Merkwürdig ist das Vorkommen verschiedener Betaine, so des oben genannten Carnitins: (CH3)3N • CH2 • CH • CHa • COO-
i
OH
das wahrscheinlich durch Decarboxylierung der Glutaminsäure über die y-Aminobuttersäure entsteht. Wir haben früher schon das aus dem Ornithin sich ableitende Myokinin erwähnt. Das Carnosin ist das Histidyl-ß-Alanin (siehe S. 350). Im Vogelmuskel (Gans) kommt die entsprechende Methylverbindung, das Anserin, vor. Über die Bedeutung des Carnosins ist nichts bekannt; dasselbe gilt auch für den „Muskelzucker", den Inosit. Im Muskel von O et o p u s wurde das Octopin aufgefunden ( M o r i z a w a ; Konstitution siehe S. 333). Über die Funktion dieser Substanz ist nichts bekannt. C. Der Kreatinstoffwechsel Da das Kreatin ein typischer Bestandteil des Muskels ist, sollen hier kurz die wichtigsten Tatsachen über seinen Stoffwechsel angeführt werden. Die Synthese des Kreatins, an der die drei Aminosäuren Glycocoll, Arginin und Methionin beteiligt sind, wurde bereits im Kapitel über den Intermediärstoffwechsel besprochen. An der Synthese sind Niere und Leber beteiligt. Es scheint, daß nur die Niere (nicht aber die Leber) die Guanidinessigsäure aus Glycocoll und Arginin
513
Der Kreatinstoffwechsel
bilden kann; die Guanidinessigsäure wird aber sowohl von der Leber als auch der Niere in Kreatin übergeführt. Die Bildung von Kreatin wurde bisher in anderen Organen nicht mit Sicherheit beobachtet. Weitaus der größte Teil des gesamten Kreatins findet sich im Muskel (Skelettmuskel und Herz). Der Muskel besitzt die Fähigkeit, das Kreatin aus dem Blut aufzunehmen und zu fixieren. Wird Kreatin enteral oder parenteral zugeführt, so erscheint nur ein kleiner Teil im Urin; der größte Teil wird von der Muskulatur festgehalten. (Auch Leber und Niere nehmen einen gewissen Teil auf.) Im Muskel findet ständig eine Umwandlung von Kreatin in Kreatinin statt:
Kreatin
Kreatinin
Bei Verabreichung von markiertem Kreatin erscheint das N-Isotop ausschließlich im Kreatinin; das letztere ist also das einzige faßbare Stoffwechselprodukt des Kreatins. Da es außerdem den gleichen Gehalt an schwerem Stickstoff aufweist wie das verabreichte Kreatin, ist dieses auch der einzige Vorläufer des Kreatinins.
Das Kreatinin geht aus den Muskelzellen in das Blut über und wird im Urin ausgeschieden. Beim normalen Erwachsenen enthält der Urin ausschließlich Kreatinin; beim Neugeborenen und beim Kleinkind findet sich daneben auch Kreatin. Hier ist die Kreatinurie physiologisch; beim erwachsenen Mann deutet sie in der Regel auf eine Erkrankung der Skelettmuskulatur hin, bei der erwachsenen Frau kann sie vorübergehend auch im Normalzustand auftreten und in einzelnen Fällen kann sogar dauernd etwas Kreatin ausgeschieden werden. Wir haben früher erwähnt, daß die Ausscheidung von Kreatinin auf die Einheit des Körpergewichts bezogen eine individuelle Konstante ist (S. 486). Alle bekannten Tatsachen weisen darauf hin, daß sie von der Masse der Skelettmuskulatur abhängt. Je besser die Muskulatur entwickelt ist, desto größer ist die Kreatininausscheidung. Dies erklärt auch die niedrigere Ausscheidung bei der Frau. Bei Zufuhr großer Mengen von Kreatin während längerer Zeit kann es zu einer Vermehrung der "Kreatininausscheidung kommen. Auch diese Ausscheidung nach Belastung tritt bei der Frau leichter ein als beim Mann. Die Menge Kreatin, die gespeichert werden kann, ohne daß es zum „Überfließen" von Kreatinin kommt, wird ebenfalls durch die Muskelmasse bestimmt. Es ist daher leicht verständlich, daß es infolge der weniger entwickelten Muskulatur bei der Frau leichter zur Kreatinurie kommt. Wahrscheinlich arbeitet der Prozeß, durch den das Kreatin aus dem Blut entfernt wird, beim Mann viel wirksamer als bei der Frau. Daher wird bei ihr die Ausscheidungsschwelle rascher erreicht, und dies erklärt das oben erwähnte viel häufigere Auftreten von Kreatinurie beim weiblichen Geschlecht. Bei den Muskelerkrankungen, bei denen es zur Kreatinurie kommt (siehe S. 487), ist offenbar die Fähigkeit der Muskulatur, das Kreatin aus dem Blut aufzunehmen und zu fixieren, vermindert. Die Synthese in Leber und Niere geht aber weiter; es kommt daher zur Anhäufung im Blut und Ausscheidung durch die Niere. Die verschiedenen Phasen des Kreatinstoffwechsels sind im folgenden Schema dargestellt: 33
E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 10. Aufl.
Muskel- und Nervensystem
514 Niere
Glyoocoll + Arginin
Niere, Leber Guanidin-1 essigsaure I + Methionin Ausscheidung
Blut
Muskel Phosphokreatin + ATP
Kreatin
Kreatin i
Kreatinin
j — H,0 I
Kreatinin
2. Das Nervensystem A. Nervenleitung Die Übertragung der nervösen Impulse von der Nervenendigung (evtl. dem Endapparat) auf das Erfolgsorgan (das an den Synapsen eine andere Nervenzelle ist!) geschieht auf chemischem Weg, d. h. es werden an den Nervenendigungen bestimmte „Überträgerstoffe" freigesetzt, welche die Reaktion des Erfolgsorgans (z. B. die Kontraktion der Muskelfaser) auslösen. Bekanntlich ist der Wirkstoff der sympathischen Nerven das Adrenalin (oder Noradrenalin), derjenige der parasympathischen Nerven das Acetylcholin, genauer ausgedrückt: „adrenergische" Nerven sind die postganglionären sympathischen Fasern, „cholinergische" die parasympathischen, die praeganglionären sympathischen und die motorischen Fasern. Für alle Einzelheiten verweisen wir auf die Lehrbücher der Physiologie. Es scheint aber, daß das Freiwerden von Wirkstoffen nicht nur den Erregungszustand an den Nervenendigungen kennzeichnet, sondern daß derselbe Vorgang sich längs des ganzen Axons beim Durchlaufen der Erregungswelle abspielt. Die Stoffe sind nur an den Endigungen der Nerven besonders gut faßbar, weil sie dort in die Umgebung diffundieren können, was bei den von einer Markscheide umgebenen Achsenzylindern nicht möglich ist. Man nennt Stoffe, die, wie das Acetylcholin, im Zusammenhang mit der nervösen Erregung auftreten, allgemein „Aktionssubstanzen" (v. M u r a l t ) . Bekanntlich wird beim Durchlaufen einer Erregungswelle die erregte Stelle der Nervenfaser elektrisch negativ gegenüber den nicht erregten Stellen. Diese Erscheinung hat ihre Ursache in einer Depolarisation der Oberflächenschicht (siehe unten). Die Fortpflanzung der nervösen Erregung ist physikalisch durch eine dem Nerven entlang laufende Depolarisationswelle gekennzeichnet, die sich als Aktionsstrom äußert. Die nervöse Erregung ist von einer Erhöhung des Stoffwechsels der Nervenfaser gefolgt (siehe unten). Man muß also annehmen, daß entweder der Erregungsvorgang selbst oder vor allem die nachfolgende Restitution des ursprünglichen Zustandes von chemischen Veränderungen begleitet ist. Das Auftreten von Aktionssubstanzen steht offenbar mit diesen chemischen Vorgängen in Zusammenhang. Die Vorstellung, daß die nervöse Erregung mit einer ehemischen Reaktion verknüpft ist, scheint zunächst unvereinbar mit der großen Geschwindigkeit der Erregungsleitung zu sein. Wenn der Erregungszustand an einer bestimmten Stelle des Nervs durch die Bildung eines Wirkstoffs charakterisiert ist, so muß dieser Stoff außerordentlich rasch entstehen und wieder verschwinden (Größenordnung des Zeitintervalls < 1 Millisekunde). Gibt es genügend rasche chemische Reaktionen ?
515
Nervenleitung
N a c h m a n s o h n hat eine Theorie der Nervenleitung entwickelt, welche diese Möglichkeit bejaht und sich vor allem auf das Vorkommen der Cholinesterase im Nerven stützt. Nach dieser Theorie wird an der erregten Stelle des Nerven Acetylcholin freigesetzt und fast augenblicklich von der Cholinesterase wieder zerstört: CH3CO • 0 • CH2 • CHa • N(CH3)3 - C h 0 , ";° terase -> CH3COOH + HO • CH2 • CH2 • N(CH3)3
Die Freisetzung des Acetylcholins soll in unmittelbarem Zusammenhang mit der Depolarisation der Membran stehen, so daß man sein Auftreten direkt als das chemische Äquivalent des Aktionsstroms ansehen kann. Die Cholinesterase ist besonders im Nervengewebe in hoher Konzentration vorhanden, sowohl in den peripheren Nerven wie im Zentralnervensystem, und zwar scheint sie an der Oberfläche des Axons und an den motorischen Endplattgn konzentriert zu sein. Die Berechnung der vorhandenen Fermentmenge zeigt, daß sie überaus genügend ist, um die bei der Erregung auftretenden Mengen Acetylcholin in einer Millisekunde zu hydrolysieren. Zahlreiche Versuche haben gezeigt, daß Nervenleitung und Fermentaktivität eng verknüpft sind. Stoffe, welche die Cholinesterase hemmen (wie Eserin oder Diisopropylfluorophosphat), unterdrücken gleichzeitig auch die Erregungsleitupg im Nerv. Als besonders günstiges Versuchsobjekt hat sich das elektrische Organ der elektrischen Fische (Zitteraal, Zitterrochen, Zitterwels) erwiesen. Dasselbe leitet sich aus der Muskulatur ab. Es besteht aus einer großen Zahl hintereinander geschalteter Platten, die den motorischen Endplatten im Muskel homolog sind. Das vom elektrischen Organ entwickelte Potential, das beim Zitteraal, Gymnotus electricus des Amazonas, 400—600 Volt erreichen kann, ist also ein Aktionspotential. Es hat sich nun gezeigt, daß das elektrische Organ sehr reich an Cholinesterase ist und daß außerdem die Größe des Potentialabfalls im elektrischen Organ proportional der Konzentration der Cholinesterase ist; es besteht also ein deutlicher Zusammenhang zwischen Nervenfunktion (gemessen am Aktionspotential) und Fermentkonzentration!
Das hydrolysierte Acetylcholin muß immer wieder regeneriert werden. Im Gehirn ist ein Fermentsystem nachgewiesen worden, die Cholinacetylase, welche aus Acetat und Cholin das Acetylcholin resynthetisiert; als Cofermente müssen Adenosintriphosphat und Coenzym A zugegen sein ( Q u a s t e l , N a c h m a n s o h n ) . Unter dem Einfluß der Cofermente geht das Acetat in „aktive Essigsäure" ( = acetyliertes Coenzym) über, die mit dem Cholin reagieren kann (vgl. S. 412): Essigsäure
*atp'»^^
„aktivierte Essigsäure"
„aktivierte Essigsäure" + Cholin
-
•
Acetylcholin
Offenbar kann im Gewebe die „aktivierte Essigsäure" auch direkt aus anderen Substraten entstehen. Dasselbe Fermentsystem ist auch in den peripheren Nerven anzunehmen. Das elektrische Organ der Fische ist reich an Phosphokreatin. Man kann annehmen, daß es dort die unmittelbare Quelle energiereicher Phosphatbindungen für die Regeneration des ATP ist. Wir können uns in den Nerven und an den Endorganen einen Kreislauf vorstellen, wie er in dem Schema auf S. 516 dargestellt ist. Daß das Acetylcholin für die Erregungsleitung bedeutungsvoll ist, darf auf Grund aller bisherigen Erfahrungen als sicher angenommen werden. Wir kennen aber seine genaue Funktion noch nicht. 33*
Muskel- und Nervensystem
516
gebundenes Acetylcholin
Erregung»Vorgang
freies Acetylcholin
Coenzym A kreatin
A
-
C—C • CH(OH) • CH2 • CH(OH) • CH(OH) • COOH II >C—CH H 3 C-CH 2 .CH' I H H2C