278 99 199MB
German Pages 816 Year 1879
Lehrbuch der
Chirurgie und Operationslehre.
Erster
Band.
Lehrbuch der
Chirurgie mill Operationslelire besonders für das Bediirfniss der Studirenden
von
Dr. Adolf Bardeleben ordentlichem P r o f e s s o r d e r C h i r u r g i e an der Fried rieh - W i l h e l m s - U n i v e r s i t ä t und an - d e r m e d i c i n i s c h - c h i r u r g i s c h e n A k a d e m i e f ü r d a s M i l i t ä r zu B e r l i n , D i r e c t o r d e r chirurgischen Klinik und dirigirendem Arzt am Charittf-Krankenlmuse, Mitglied der wissenschaftlichen Deputation f ü r das Medicinalwesen, Geheimen M e d i c i n a l - R a t h , G e n e r a l - A r z t e r s t e r K l a s s e U la s u i t e des S a n i t ü t s c o r p s , R i t t e r des e i s e r n e n K r e u z e s e r s t e r K l a s s e , des R o t h e n A d l e r - O r d e n s z w e i t e r K l a s s e m i t E i c h e n l a u b u n d des K r o n e n o r d e n s d r i t t e r K l a s s e a m w e i s s - und s c h w a r z e n B a n d e .
Mit zahlreichen, in den Text gedruckten Holzschnitten.
Erster A c h t e
Band« Ausgabe.
B e r l i n .
D r u c k u n d V e r l a g v o n G. R e i m e r . 1879.
Vorwort zur achten Ausgabe.
Obgleich seit Beendigung
der
in einer Zahl
von
2500 Exemplaren gedruckten siebenten Ausgabe dieses Lehrbuches kaum drei Jahre verflossen, inzwischen auch eine Italienische ITebersetzung desselben und mehrere neue Hand- und Lehrbücher der Chirurgie
erschienen
sind, hat sich doch das Bedürfnis» nach einer neuen Auflage bereits im vorigen Jahre geltend gemacht. Je mehr dieser
tliatsächliclie Beweis fortdauernder Anerkennung
mich erfreut, desto eifriger bin ich bestrebt gewesen, nicht blos die neuen Errungenschaften unserer Wissenschaft überall zur Geltung zu bringen, sondern auch den alten Text durchweg von dem neugewonnenen
Standpunkte
aus kritisch zu mustern und, wo es nothwendig schien, abzuändern. Eine nun bald dreissigj ährige Erfahrung auf dem Gebiete der klinischen Chirurgie hat mich, wie ich hoffe, ebenso sehr vor einer Ueberschätzung des Neuen,
wie
vor einem starren Festhalten an dem Alten bewahrt. Denn Stillstand ist auch in unserer Wissenschaft gleichbedeutend mit Rückschritt. In Betreff der mir von Seiten
Vorwort zur siebenten Ausgabe.
W i e in den früheren Ausgaben dieses Lehrbuchs, bin ich auch in der jetzt vorliegenden siebenten bemüht gewesen, den Fortschritten der Wissenschaft entsprechend und gestützt auf eigene Erfahrungen, das so schnell in weiten Kreisen mit Beifall aufgenommene Buch zu vervollständigen und zu verbessern. So ist denn von Vidal's „Traité de pathologie externe et de médecine opératoire", als dessen freie Bearbeitung die erste Ausgabe 1851 begonnen wurde, schliesslich nicht mehr übrig geblieben, als der allgemeine Plan und der grössere Theil der Holzschnitte. Bei dieser sehr umfassenden Arbeit haben mich mehrere Collegen in dankenswerthester Weise unterstützt. Für die erste Ausgabe hatte Professor P o h l (zuletzt in Danzig) einen Theil der „Geschwülste" und Dr. C r e p l i n in Greifswald die „Schmarotzerthiere" bearbeitet. Für die vierte Ausgabe hat Herr Professor G r o h e in Greifswald durch selbstständige Bearbeitung der Perlgeschwulst, des Gallertkrebses, des Gallertcancroides und des Sarcoms werthvolle Beiträge geliefert, welche, wenngleich mit
lohalts-Verzeichnis zum ersten Bande.
X
II.
Seite 74
Elementar-Operationen A.
Von der Trennung
74
I.
75
Trennung durch schneidende Werkzeuge A.
Schnitte in Weichtheilen I.
II.
III. B. II.
III. IV. V.
75
Von der Art, die schneidenden Werkzeuge zu halten A.
Haltung des Messers
B.
Haltung der Scheere
.
75 78
Incisionen
79
A.
Incisionen von Aussen nach Innen
81
B.
Incisionen von Innen nach Aussen
83
C.
Einschnitte unter der Haut, subcutane Einschnitte
85
Vom Präpariren
87
Schnitte in Knochen
. . . .
88
Trennung durch Stich, Punctio
92
1.
Punction mit der Acupuncturnadel
92
2.
Punction mit dem Trolcart
93
3.
Punction mit dem Bistouri
97
Trennung durch Umschnürung, Abbinden, Ligatura
. . . .
98
Trennung durch Zerreissen und Zermalmen Trennung durch chemische Processe,
Brennen
102 und
Aetzen,
Cauterisatlo A.
B.
105
Glühelsen
106
B.
Galvanokaustik
108
C.
Thermocauter
115
D.
Gasbrenner
116
E.
Moxa, Brenncylinder
117
F.
Cauterium potentiale
117
G.
Galvanopunctur, Eleclrolyse
121
Von der Vereinigung
122
I.
Lagerung
122
II.
Nähte 1.
123 Knopfnaht
124
2.
Umschlungene Naht
128
3.
Zapfennaht
129
Allgemeine Regeln für die Anlegung der Nähte Von dem Ausziehen der Nähte III. III.
75
Federnde Klammern (Serres (Ines)
Von den Verbänden
.
.
130 131 133 134
Regeln für das Verbinden
134
Instrumente zum Verbinden
137
Verbandgegenstände
141
Compressen, Verbandtücher
146
Binden
150
Zusammengesetzte Verbände, Kapsel- und Klebe-Verbände
159
Schweben
175
.
Aeusserliche Arzneimittel. Antiseptische Verbände
Topica
177 189
Inhalts-Verzeichnis
IV.
Von den gewöhnlichen A.
zum e r s t e a
Bande.
xi
kleinen O p e r a t i o n e n , der sogen, kleinen Chirurgie
Von den Blutentziehungen ].
B.
200
Am Arme
202
B.
Am F u s s e
210
C.
Am Halse
211
2.
Von d e r Arteriotomie
3.
Von den capillaren oder ö r t l i c h e n
I.
213 Blutentziehungen
. . . .
Blutegel
214
B.
Scarificalionen
216
C.
Scbröpfköpfe,
k ü n s t l i c h e Blutegel, Hainospasie
. . .
und Ableitungsmitteln
216 221
Senfteig
II.
214
A.
Von den Hautreizen
C.
200
Vom Aderlass A.
Seite 200
221
Blasenbildung
222
III.
Fontanelle
223
IV.
Haarseil
225
Von dem Impfen der Kubpocken
E r s t e s
227
B u c h .
Von den chirurgischen Krankheiten im Allgemeinen. Erste Gruppe. Erster
Ernährungs-Störungen.
Abschnitt.
Erstes
Capltel.
Zweites I.
Capitel.
Entzündung und
Entzündungs-Ausgänge.
Von der Entzündung
233
Eiterung und Abscessbildung
Von der E i t e r u n g
255
Septichaemie
266
Pyaemie
269
Behandlung der Eiterung II.
Von den Abscessen
III.
Von den einzelnen Arten der A b s c e s s e Abschnitt.
Erstes
Capitel.
Brand
Von den einzelnen Arten des Brandes II.
Zweites
I. II.
303
310 327 328 331
Milzbrand
340
Von der Verscbwärung
354
Geschwür
356
Fistel
376
Abschnitt.
Erstes
Decubitus
Hospitalbrand
Capitel.
299
310
B.
Druckbrand,
289 Oncotomia
Verscbwärung.
Vom Brande im Allgemeinen
III.
Dritter
Brand und
A.
I.
279
im Allgemeinen
Operative Behandlung der A b s c e s s e .
Zweiter
255
Capitel.
Organisirte
Neubildungen.
Allgemeine U e b e r s i c h t
E n l s t e h u o g der Neubildungen
382 385
Inhalts-Verzeicbniss zum ersten Bande.
XII
Seite 388
Aetiologie Verschiedenheiten der Neubildungen
388
Verlauf der Neubilduogen
393
Diagnostik der Neubildungen
394
Behandlung
398
Zweites Capitel. I.
Gutartige Neubildungen
404
Neubildung von Bindegewebe A.
404
Narbengewebe I.
404
Fehlerhafte Gestalt der Narben
406
II. Formfehler durch Narben III. Krankheiten der Narben B. Bindegewebsgeschwülste oder Fasergescbwülste Neubildung von Fettgewebe. Fettgeschwulst, Lipoma
407 407 409 416
Neubildung von Knorpelgewebe A. Knorpelauswuchs, Ecchondrosis
423 424
IV.
B. Knorpelgeschwulst, Chondroma Neubildung von Knochengewebe
425 432
V. VI.
Neubildung von Muskelgewebe Neubildung von Gefässea
441 443
A. B.
445 452
II. III.
VII. VIII.
Teleangiectasie Cavernöse Geschwulst
C. Cavernöse Lymphgefässgeschwulst Neubildung von Nervengewebe Neubilduog von Driiscngewcbe
455 457 462
IX.
Neubildung von Hautgeweben
464
X.
Besondere Formen der Geschwülste
473
1.
Polypen
473
2.
Cysten, Balggeschwülste
478
Drittes Capitel. I.
Bösartige Neubildungen
498
Krebs
498
Entwickelung und Metamorphosen des Krebsgewebes
499
Symptome, Verlauf, Ausgänge Diagnose
510 513
Aetiologie
514
Behandlung
519
Verschiedene Arten der Krebsgeschwülste A.
B.
522
Krebse im engeren Sinne
522
1.
Faserkrebs, Scirrhus, barter Krebs
523
2. 3.
Zellenkrebs, Medullarkrebs Melanotischer Krebs, Pigmentkrebs
528 534
4.
Knöcherner Krebs, Osteoid
537
5. Zottenkrebs 6. Gallertkrebs, Alveolarkrebs, Colloidgeschwulst . . . . Cancroide Gewächse 1.
Epithelialkrebs.
2.
Gallert-Cancroid
Cancroid.
Hautkrebs.
Warzenkrebs.
541 546 552 552 564
Inhalts-Verzeichniss zum ersten Bande.
II.
XIII Seite 570
Sarcom Anatomische Verhältnisse Aetiologie.
572
Vorkommen
Entstehung. Symptome.
575
Wachsthum und weitere Metamorphosen
. . . .
Verlauf
Diagnose.
577 580
Prognose.
Therapie
Eintheilung der Sarcome
582 583
1.
Festes oder faseriges Sarcom
2.
Weiches, zelliges Sarcom, Medullarsarcom
583 587
а) weiches klein-zelliges Sarcom
589
б) Sarcom mit Uebergangszellen
590
c ) Sarcom mit Knochenmarkzellen, Myeloid-Geschwulst
591
3.
Melanotisches Sarcom
592
4.
Osteoides Sarcom
593
III.
Schleimgeschwulst.
IV.
Tuberkel
Myxoma
598 601
A n h a n g zum d r i t t e n A b s c h n i t t .
Schmarotzerlhiere
607
I.
Echinococcus hominis
608
II.
Cysticercus cellulosae
614
III.
Filaria medinensis
616
Z w e i t e Cirnppc.
Verletzungen.
Erster Abschnitt.
Verletzungen durch thermische oder chemische Ein-
wirkung. E r s t e s Capitel.
Von der Verbrennung
621
Zweites Capitel.
Verletzung durch ätzende Stoffe
635
Drittes Capitel.
Von der Erfrierung
637
Zweiter Abschnitt. E r s t e s Capitel.
Verletzungen durch mechanische Gewalt. Von den mechanischen Trennungen des Zusammenhanges
im Allgemeinen Zweites
644
Capitel.
Von den
reinen Wunden im Allgemeinen und von
den Schnitt- und Hieb-Wunden im Besonderen Drittes Capitel.
651
Von der Quetschung und Zerreissung und von den
gequetschten und gerissenen Wunden A.
Quetschungen.
Contusionen
JB.
Gequetschte, gerissene und Biss-Wunden
663 665 670
Viertes Capitel.
Von den Stichwunden
674
Fünftes Capitel.
Von den Schusswnnden
677
S e c h s t es C a p i t e l .
Von den Störungen des Allgemeinbefindens bei Wunden
Wundstupor, Shock
703 703
Delirium tremens
706
Delirium nervosum
708
Tetanus
709
Wundfieber
709
Iniïalts-Verzeicbniss zum ersten Bande.
XIV
Siebentes
Capitel.
I.
Infection mit septischem, sog. Leichengift
II.
Einimpfung normaler giftiger Thier-Secrete
III.
Seite 713
Von den vergifteten Wunden
713 717
1.
Stich der Bienen und Wespen
717
2.
Stich der Scorpionen
718
3.
Biss der Giftschlangen
718
Einimpfung von krankhaft veränderten Secreten
.
.
724
1.
W u t h k r a n k h e i t , Hundswuth
724
2.
Rotzkrankbeit
735
3.
Maul- und Klauenseuche
741
Dritter Abschnitt.
Von den fremden Körpern.
Verschiedenheiten der fremden Körper
742
Erscheinungen, welche durch fremde Körper veranlasst werden
.
.
.
744
Behandlung der fremden Körper
748
Von der Ausführung der Exarese
750
Dritte Gruppe,
Missbildungen.
Erster Abschnitt.
Von den Missbildungen im Allgemeinen
752
Eintheilung der Missbildungen Zweiter Abschnitt. Erstes Capitel.
756
Von den einzelnen Arten der Missbildungen . . . . Von den Defecten
Operative Plastik, plastische Operationen, plastische Chirurgie
.
.
Zweites Capitel.
Spaltbildungen
Drittes Capitel. Oeffnungen
Verschmelzungen, Verwachsungen, Verschluss normaler
Viertes Capitel.
Hypertrophie und Ueberzahl einzelner Theile
Sechstes Capitel.
765 782 785
Trennung der Doppelmissbildungen F ü n f t e s Capitel.
764 764
LageverSnderungen Verkrümmungen
Behandlung der Verkrümmungen, Orthopädie
. . . .
787 788 790 793 798
Einleitung.
W eiche Theil
der
Krankheiten
man
als
chirurgische
ärztlichen Wissenschaft und Kunst man
und
welchen
mit dem
Namen
C h i r u r g i e zu bezeichnen habe, darüber hat vielmehr der Gebrauch, als wissenschaftliche Untersuchung entschieden. die Chirurgie als Wissenschaft von
In der That ist auch
der inneren Medicin
untrennbar,
und alle Versuche, die chirurgischen Krankheiten zu definiren, haben deshalb scheitern müssen. Gewöhnlich wird gelehrt, Etymologie Heilkunde,
die Chirurgie
des Wortes zeige (%etQ und welcher
Krankheiten
durch
sei,
egyov),
mechanisch
wie
es schon
die
derjenige Theil der wirkende
Mittel
z u h e i l e n lehre, gleichsam die medicinische Mechanik
( R i c h e r a n d ) , und diejenigen Krankheiten seien chirurgische zu nennen, welche
mechanische Mittel allein
Heilung erfordern ( R e i l ) .
oder doch hauptsächlich zu ihrer
Durch eine solche Definition sind aber die
Grenzen der Chirurgie zu eng g e s t e c k t 1 ) ,
und anderer Seits manche
Krankheiten, welche anerkannt innere (medicinische) sind, nicht ausgeschlossen.
Man
könnte
sich durch
eine Begrenzung der Art
be-
wogen fühlen, die Anwendung der Aetzmittel als nicht zur Chirurgie gehörig zu betrachten, da sie c h e m i s c h Hesse sich, gegen
wirken,
und a n d e r e r s e i t s
auf Grund jener Definition, behaupten,
welchen
man
das. regulinische
dass der
Quecksilber,
in
der
Ileus, Absicht
mechanisch zu wirken, verordnet, und die Lungenentzündung, ')
Cornelius Celsns im siebenten Ea sed
non
manu
omnes
schrieb bereits zu Anfange des ersten Jahrhunderts n. C h r . ,
seiner acht B ü c h e r : »de m e d i a n a " , cfuidem tarnen
welche
medicamenta
plurimum
medicinae
partes
B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
atque
praestat:
von d e r victus
estque
Chirurgie: rationem
ejus
evidentissimus. I.
omittit;
effectus
1
inter
2
Einleitung.
noch vor wenigen Jahrzehnten ganz allgemein mit Aderlässen, also einem rein chirurgischen Mittel, behandelt wurde, zu den chirurgischen Krankheiten zu zählen seien. Während die vorstehenden Definitions-Versuche vom t h e r a p e u t i s c h e n Standpunkte aus gemacht wurden, ist man mehrfach bestrebt gewesen, auch vom p a t h o l o g i s c h e n Standpunkte aus die chirurgischen Krankheiten zu definiren. Insbesondere glaubte man alle ä u s s e r e n Krankheiten als chirurgische bezeichnen zu können; „Pathologie externe" bedeutet in Frankreich noch heut zu Tage Chirurgie, und die chirurgische Abtheilung der Berliner Charité wird schlechtweg als „äussere" bezeichnet. Es leuchtet aber ein, dass der S i t z der Krankheit nicht ein wesentlicher, sondern nur ein untergeordneter Eintheilungsgrund sein kann. Wem fiele es auch ein, die Blasensteine, weil sie innerhalb der Leibeshöhle sich bilden, zu den innern Krankheiten, die Pocken und Masern aber, weil ihr auffallendstes Symptom auf der Körperoberfläche erscheint, zu den chirurgischen Krankheiten rechnen zu wollen? Die gewünschte Definition hat deshalb endlich auf das W e s e n , die N a t u r der krankhaften Erscheinungen und Veränderungen sich basiren sollen. Von diesem Standpunkte aus hat man namentlich die chirurgischen Krankheiten als „mechanische" (d. h. durch äussere, mechanische Gewalt entstandene und auf mechanischen Störungen im Organismus beruhende) bezeichnen zu können geglaubt. Auf solche Weise würde das Gebiet der Chirurgie aber aufs Aeusserste beschränkt und ein grosser Theil der nur durch operative Hiilfc heilbaren Krankheiten aus ihr ausgeschieden werden, wie z. B. die grosse Zahl der dem Messer zugängigen Geschwülste, die schweren Formen der GelenkEntzündung u. dgl. m. Eine solche Definition würde uns überall mit dem Sprachgebrauch in Widerspruch setzen. Selbst dem Laien ist bekannt, dass dieselben Erkrankungen, je nachdem sie einen verschiedenen Sitz haben, bald der Chirurgie, bald der inneren Medicin zugewiesen werden. So ist z. B. der Brust-Krebs anerkannt eine chirurgische Krankheit, während der Krebs des Magens der inneren Medicin zugetheilt wird; das Aneurysma der Aorta wird in den Lehrbüchern der medicinischen Pathologie abgehandelt, während die Pulsadergeschwülste an den Extremitäten der Chirurgie zufallen. Eine Definition der chirurgischen Krankheiten ist von e i n e m der gedachten Standpunkte nicht möglich ; nur mit g l e i c h z e i t i g e r Rücksicht auf den Sitz, die Natur der Krankheit und die gegen sie anzuwendenden Mittel lässt sich, freilich nicht mit der wünschenswerten Schärfe, beschreiben, welche Krankheiten hergebrachter Weise der
Einleitung.
3
Chirurgie zugezählt werden. In solcher Art verfuhr z. ß. M. J. C h e l i u s , indem er sagte: „Wir können als dem Gebiete der Chirurgie angeh ö r e n d alle diejenigen organischen Krankheiten bezeichnen, welche „in solchen Theilen ihren Sitz haben, die den Organen unsers Gefühls „zugängig sind, oder die Anwendung mechanischer Mittel zu ihrer „Heilung zulassen." Diese Definition umfasst, wie der Autor selbst bemerkt, die E n t z ü n d u n g nicht mit, und doch wurde bis vor Kurzem die Lehre von der Entzündung ganz allgemein an die Spitze der Chirurgie gestellt, weil der Chirurg sie in unzähligen Fällen theils zu bekämpfen, theils zu benutzen habe. Freilich bildet die Lehre von den Entzündungen der einzelnen Organe ein streitiges Grenzgebiet, indem die Entzündungen der mehr öder weniger nach Innen gelegenen Theile, wie der Mandeln, des Gaumensegels, des Schlundes u. s. w. gewöhnlich von den Chirurgen ebenso sehr als ihnen zugehörig in Anspruch genommen werden, als von den „Aerzten". Als ein solches Grenzgebiet kann ferner die Lehre von den G e s c h w ü l s t e n (Pseudoplasmata) im weitesten Sinne des Wortes betrachtet werden. Hier entscheidet der mehr oder minder den Fingern und Instrumenten zugängliche S i t z darüber, ob die Krankheitsform als der Chirurgie, od,er als der inneren Medicin zugehörig betrachtet werden soll. Seit aber die Aerzte die Ueberzeugung gewonnen haben, dass die früher nur von den Chirurgen geübte Methode, das Erkennen der Krankheiten direct auf sinnlichen Wahrnehmungen zu begründen und bei der Behandlung direct auf das erkrankte Organ einzuwirken, ganz allgemein den Vorzug verdiene, sind von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Grenzen „chirurgischen Handelns" auf diesen Gebieten immer weiter in das Innere des Körpers vorgeschoben worden. Die innere Medicin aber, statt diese Grenzgebiete der Chirurgie abzutreten, hat sich vielmehr, zu ihrem grossen Vortheil, entschlossen, von Jahr zu Jahr mehr „chirurgisch" zu werden. Ein durchaus unbestrittenes Feld chirurgischer Thätigkeit und somit auch, der Ausdehnung nach,- den bedeutendsten Theil der chirurgischen Wissenschaft bilden die V e r l e t z u n g e n (Störungen der Continuität und Contiguität) und F o r m f e h l e r (Dysmorphoses), mögen sie angeboren, oder später erworben sein, sowie die von Aussen eingedrungenen f r e m d e n K ö r p e r . Aber wir würden wiederum auf ein streitiges Gebiet gerathen, wenn wir mit P h i l i p p v o n W a l t h e r unter f r e m d e n K ö r p e r n (Allentheses) auch solche mitbegreifen wollten, welche im Körper selbst sich gebildet h a b e n ; denn während die Blasensteine und die Anhäufung von Flüssigkeit in den Gelenkkapseln oder in der Túnica vaginalis testis der Chirurgie überlassen 1*
4
Einleitung.
bleiben, werden die Steinbildungen im Darmcanal, und die Ansammlungen
von Flüssigkeit in
der Brust- und Bauchhöhle in
den Lehr-
büchern der inneren Pathologie abgehandelt. Die Uebersetzung
des Wortes „Chirurgie"
k u n s t " und die Bezeichnung des Chirurgen
mit
„Wundarznei-
als W u n d a r z t
können
nur insofern gebilligt werden, als man den alten S a t z : „a potiori fit denominatio" in Anwendung bringt,
indem
allerdings
die Mehrzahl
der von dem Chirurgen zu behandelnden Krankheiten wohl
gewöhn-
l i c h Verletzungen sein mögen. Da der Begriff einer chirurgischen Krankheit sich wissenschaftlich feststellen
nicht
Chirurgie
lässt,
unmöglich.
ist
auch
ein
natürliches
System
der
Selbst wenn wir ein natürliches System
der
Medicin überhaupt besässen, so würden doch die chirurgischen Krankheiten
in
diesem nicht ein für sich bestehendes Ganzes ausmachen,
sondern sehr zerstreut in verschiedenen Gruppen müssen.
ihren Platz
finden
W i r sehen deshalb auch die Chirurgie in den verschiedenen
Hand- und Lehrbüchern sehr verschieden eingetheilt und angeordnet. In der nachfolgenden Darstellung ist die O p e r a t i o n s l e h r e der chirurgischen Pathologie in meine
Theil
Operationen
desselben aber
der Art verbunden,
vorausgeschickt,
die
einzelnen
von ge-
diese
beschrieben
besonderen wo
Durch
Stellen
mit
der allge-
den Krankheiten der T h e i l e , an welchen sie ausgeführt werden, handelt wird.
an denjenigen
dass
Verbindung
ist
die
sind,
anatomische. Ein-
t e i l u n g bedingt, welche mit einzelnen, für den Unterricht als zweckmässig
erprobten
worden ist.
Abweichungen,
Es werden
nämlich
in
diesem
Lehrbuche
in dem e r s t e n
festgehalten
B u c h e (Bd. 1) die
einzelnen Erkrankungsformen, welche für die Chirurgie von besonderem Interesse sind, namentlich Entzündung, Eiterung, Brand, Verschwärung und organisirte Neubildungen, demnächst die durch ihre ätiologischen, wie durch
ihre therapeutischen Verhältnisse durchweg
der Chirurgie
zufallenden Verletzungen und die einer Behandlung zugängigen Missbildungen und Formfehler im Allgemeinen abgehandelt. Buch Gewebe
(Bd. II) (im
umfasst weiteren
die
Das z w e i t e
chirurgischen Krankheiten der
Sinne
des W o r t e s ) ,
wobei
jedoch
einzelnen die
Ver-
letzungen und Erkrankungen der einzelnen Arterien, die Brüche und die Verrenkungen der einzelnen Knochen in anatomischer Reihenfolge bei den Krankheiten der Arterien, der Knochen und der Gelenke mit beschrieben
werden,
während
topographischer Anordnung,
das
dritte Buch
a capite ad c a l c e s ,
(Bd. III u. IV)
in
die übrigen chirur-
gischen Krankheiten der einzelnen Körpergegenden, nebst den zu ihrer Heilung erforderlichen Operationen
enthält.
Chirurgische
5
Diagnostik
Vorausgeschickt wird hier ein Ueberblick A) der Diagnostik
und
B) der
chirurgischen
meine A k i u r g i e , d. h. Operations- und
chirurgischen
Heilmittel
(eine allge-
Verbandlehre).
A. V o n der c h i r u r g i s c h e n D i a g n o s t i k . Der Chirurg untersucht vor Allem die materiellen V e r ä n d e r u n g e n ; die objectiven Zeichen n e h m e n seine Aufmerksamkeit gewöhnlich fast ausschliesslich in Anspruch.
Es handelt sich bei ihm also sehr wesent-
lich um sinnliche W a h r n e h m u n g e n , und er bedarf deshalb der feinsten Ausbildung aller Sinne.
In dieser Beziehung ist die innere Medicin
allmälig, namentlich in neuester Zeit, immer mehr „ c h i r u r g i s c h " und die strenge Scheidung beider immer schwieriger geworden (vgl. pag. 3). Bei keiner inneren E r k r a n k u n g begnügt man sich heut zu Tage m e h r mit dem Pulsfühlen und d e m , oft nutzlosen, Besichtigen der Zunge; sondern man
urtheilt ü b e r
genauer thermometrischer
den Fieberzustand eines Patienten Messung und
über
den
Organe nicht blos nach functionellen S y m p t o m e n , nauer Untersuchung
durch
Zustand
nach
innerer
sondern nach ge-
Besichtigung (Specula,
Kehlkopfspiegel),
durch Prüfung der spontan oder durch Anschlagen erzeugten Schallwellen (Auscultation und Percussion), durch Betastung (Palpation) u. s. f. Jedoch
reichen
sinnliche
Wahrnehmungen
niemals
zu
einer
Diagnose allein aus; zur Diagnose gehört wesentlich das „distinguere", also eine geistige Thätigkeit, welcher die Sinne n u r
das Substrat zu
liefern haben.
I.
Anwendung der Sinne.
Wo möglich, müssen alle Sinne benutzt w e r d e n ; sie unterstützen einander und verbessern einer des andern Fehler.
Zuweilen bedient
man sich gewisser Hiilfsnnttel, welche ihren Wirkungskreis vergrössern, z. B. Speculum, Sonde, Katheter. bei der Untersuchung nützlich.
In manchen Fällen sind Gehülfen Eine grosse bewegliche Geschwulst
lässt man durch Gehülfen festhalten, so dass die Hände des Chirurgen sich n u r mit der Erforschung der Consistenz, des Inhalts u . s. w. zu beschäftigen haben.
Für die Diagnose eines K n o c h e n b r u c h s
an den
unteren Extremitäten bedarf man ebenfalls oft der GehUlfen,
welche
die Bruch-Enden in gewissen Stellungen h a l t e n , w ä h r e n d d e r W u n d arzt die Erscheinungen, welche durch die Reibung derselben
hervor-
gebracht werden, zu erforschen sucht. — Sehr oft ist es nicht blos
6
Chirurgische
Diagnostik.
zur Vermeidung von Schmerzen filr den Kranken angenehm, sondern auch zum Behuf der Ausführung einer Untersuchung nützlich, dieselbe während einer C h l o r o f o r m - B e t ä u b u n g vorzunehmen. Die Beschreibung der Sinneswahrnehmungen, auf welche wir unsere Diagnose gründen, ist schwierig, weil die Sprache bestimmter Ausdrücke für so viele Empfindungen entbehrt, und das Hülfsmittel, dieselben durch Vergleiche mit anderen deutlich zu machen, unzureichend ist. Es giebt viele Geräusche, Gerüche, Färbungen u. s. w., welche man gar nicht beschreiben kann, welche durchaus sui generis sind und deren Unterscheidung sich daher nur aus der Praxis, d. h. aus eigener Wahrnehmung, erlernen lässt. 1.
Gesichtssinn.
Der Chirurg muss immer das kranke Organ oder die kranke Gegend zu sehen suchen.
Gründliches Studium der Anatomie des ge-
sunden Körpers lässt ihn selbst geringere F o r m a b w e i c h u n g e n erkennen.
leicht
Dabei ist eine Vergleichung der gesunden und kranken
Seite nie zu vernachlässigen.
Als Beispiele mögen die Veränderungen
der Gestalt der Schulter bei Verrenkung des Oberarms (Bd. II) und die Anschwellung, welche ein Leistenbruch bildet (Bd. III), betrachtet werden. Nicht weniger wichtig, als die Formveränderungen sind Abweichungen
der F ä r b u n g .
Die Farbe einer Wunde kann nicht blos
über den Zustand derselben, sondern über den des ganzen Organismus Aufschluss geben.
Die an ihrer Farbe leicht zu erkennende De-
markationslinie, durch welche sich brandige Theile von den lebenden abgrenzen, belehrt uns über die Ausdehnung des Brandes.
Die Ver-
schiedenheit der Farbe des venösen und arteriellen Blutes ist bei Blutungen von der grössten Wichtigkeit; man kann sogar der Farbe nach
unterscheiden,
ob das Blut aus dem centralen oder aus dem»
peripherischen Theile der Arterie herrührt, indem letzteres dunkler gefärbt ist.
Manche Färbungen der Haut lassen sich durch Fingerdrück
beseitigen oder doch abschwächen.
So verschwindet z. B. die Röthe
des Erysipels (der Rose) durch Druck und kehrt bei dessen Aufhören schnell zurück.
Beruht die Röthung auf einem Bluterguss im Gewebe
der Haut oder unter ihr, so schwindet sie nicht unter dem Fingerdruck. Auch die D u r c h s i c h t i g k e i t mancher Theile kommt in Betracht. Eine mit wasserheller Flüssigkeit gefüllte Geschwulst (z. B. eine Wasseransammlung in der Tunica vaginalis propria testis) lässt die Lichtstrahlen bei zweckmässiger Beleuchtung hindurch, ist also im Vergleich zu den sie umgebenden Theilen durchsichtig oder, wie man zu sagen pflegt, d u r c h s c h e i n e n d .
Um darüber zu entscheiden, ob ein Theil
Gesichtssinn.
7
durchscheinend sei, ist erforderlich, dass man, während derselbe hell beleuchtet w i r d ,
durch
ein
fest
auf ihn aufgesetztes dichtes Rohr
(Stethoscop, Troicart-Canüle) hindurchsieht.
Ist der zu
untersuchende
Tlieil von ödematösein (d. h. mit Blutwasser erfülltem) Bindegewebe umgeben, so bedarf es d e r äussersten Vorsicht, stets durchscheinend ist. aufsetzen.
da solches Gewebe
Man m u s s das Rohr dann besonders
Man schliesst aus einer solchen relativen
fest
Durchsichtigkeit
gewöhnlich auf die Anwesenheit einer W a s s e r a n s a m m l u n g ; aber gallertartige Substanzen (Colloidgeschwülstc, weiche Sarcome), sowie auch Hautfalten, welche Fett einschliessen
(daher auch
können gleichfalls mehr oder weniger durchscheinend
Fetlgeschwiilste), sein 1 ).
Eine zweckmässige B e l e u c h t u n g ist überall nothwendig, wo wir uns des Gesichtssinnes zur Diagnose bedienen wollen.
Fig. 1.
Das Tageslicht ist
in einzelnen Fällen zu hell, in anderen nicht hell genug, und m a n c h e Untersuchungen sind
und
so dringend,
Operationen dass
man
zu
ihrer Ausführung auch bei Nachtzeit schreiten
muss.
Man
bedient
sich daher häufig der k ü n s t l i c h e n B e l e u c h t u n g vermittelst eines oder mehrerer Wachsstöcke, einer Lampe oder dgl.
Will man aber mit sol-
chen in eine tiefe W u n d e oder gar in einen engen Canal hineinleuchten, so wird der Wundarzt selbst durch geblendet. Kutschendiesem
da-
Eine gewöhnliche
oder Blendlaterne
Uebelstande
ab,
und
hilft der
von S a n s o a erfundene künstliche Beleuchtungapparat sowie auch der viel einfachere und bare
sehr
brauch-
„Operationsleuchter"
Ravoth*)
(Pig. 1)
sind
von in
der
That modificirte Kutschenlaternen. ' ) Die Angabe, dass Colloidgescbwülste „ d u r c h s c h e i n e n d "
sein k ö n n e n , f i n d e t sich
bereits in der 1. Ausgabe dieses L c h r b u c h e s ( 1 8 5 2 ) ; auf d a s V o r k o m m e n Erscheinung
an
1 8 7 5 , No. 2 9 . ) 2
) Herl
klin
anderen
Geschwülsten
hingewiesen.
W o c h e n s c h r i f t 1 8 6 8 , No. 3 6 .
bat
Lücke
(Centralblalt
f.
diesee
Chirurgir
s
Chirurgische Diagnostik.
Zum B e h u f genauer Untersuchung von Canälen solchen
Beleuchtungsapparat
zu
stellenden
erfüllt
die an
Anforderungen
einen
vollstän-
dig ein in der Mitte d u r c h b o h r t e r S p i e g e l , wie er von C o c c i u s u. A. als A u g e n s p i e g e l suchende
hat
brennenden
den
Lampe,
s u c h e n d e n Canal das
in die Praxis eingeführt worden ist.
dabei
Vörtheil,
von
dass
dem Spiegel reflectiri,
in
parallel seiner S e h a x e einfallen,
Loch • des Spiegels
Der Unter-
die Lichtstrahlen
hindurchschauendes
den
einer
hell
zu
Unter-
ohne sein,
durch
Auge zu
blenden.
Oft
g e n ü g t auch ein Spiegel ohne Durchbohrung, an dessen einer Seite man vorbeisieht.
Das grelle Sonnenlicht ist n u r für die Untersuchung tieferer
Höhlen und längerer Gänge von Nutzen;
meist reicht auch für diese
das durch einen Spiegel reflectirte Tageslicht aus. Höhle weder hineinbringen,
directes
noch
Lässt sich in eine
reflectirtes Licht in h i n r e i c h e n d e r
so kann man in
von P l a t i n d r a h t , w e l c h e m a n ,
Stärke
manchen Fällen durch eine Schlinge mit einem kleinen Concavspiegel ver-
sehen und in einer geeigneten Kapsel ( G l a s r ö h r e ) eingeschlossen, führt und
durch
Galvanokaustik),
einen galvanischen S t r o m eine
Beleuchtung
von
solcher
Helligkeit
stelligen, wie sie auf keine andere Art zu erreichen F ü r die zweckmässige Beleuchtung
bewerk-
ist1).
von Höhlen und Canälen
oft erforderlich, dass die Wandungen derselben erst hinreichend von
einander
entfernt
werden.
ein-,
zum Glühen bringt (vgl.
ist weit
Zu diesem B e h u f führt man in die
zu u n t e r s u c h e n d e n Canäle E r w e i t e r u n g s - I n s t r u m e n t e ein, welche von Alters
her
als „ S p i e g e l ,
S p e c u l a " • bezeichnet
werden.
Wir
sitzen deren verschiedene für die Vagina (Speculum uteri, Fig. 2 ) ,
befür
den Mastdarm (Fig. 3 und 4 , Speculum ani), für den Gehörgang (Fig. 5 , S p e c u l u m auris), für die Mundhöhle (Speculum oris, Fig. 6 ) . Ein S p e c u l u m a n i wird bereits von H i p p o k r a t e s erwähnt. In Pompeji h a t man Instrumente ausgegraben, welche nicht gut etwas anders sein k ö n n e n , als „ M u t t e r s p i e g e l " ; auch werden Specula weiterhin von alten Schriftstellern erwähnt. F r a n c o (im 1 6 . Jahrhundert) empfahl ein S p e c u l u m v a g i n a c zum Behuf der leichteren Ausziehung der Nachgeburt.* P a r e bat (bald darauf) ein solches beschrieben und abgebildet, welches, mit geringen Abänderungen, jetzt als W e i s s ' s c h e s Speculum ani bekannt ist. E s besitzt drei Klappen oder Arme von 2 3 — 2 4 Ctm. Länge (Fig. 7 B ) , welche durch eine Schraube (Fig. 7 A ) von einander entfernt oder einander genähert (Fig. , 8 ) werden. In ersterem Zustande heisst das Speculum geöffnet (Fig. 9 ) , in letzterem geschlossen (Fig. 1 0 ) . — Das K i c o r d ' s c h e Speculum uteri (Fig. 2 ) besitzt zwei Klappen; es ist leicht einzuführen, indem man seine Klappen e r s t , nachdem es . vollständig eingebracht ist, von einander entfernt. Dabei entsteht aber der Uebelstand, dass die vordere und hintere Wand der Vagina, wenn sie auch nur ein wenig schlalf ')
Vgl. B r u c k , das Stomatoscop zur Durchleuchtung der Zähne und ihrer Nachbartheile durch galvanisches Gliihlicht.. Nebst einem Anhang, das Stomatoscop zur Erleuchtung des Rachenraums zu benutzen. Breslau, 186">.
Gesichtssinn.
sind,
sieb zwischen die Klappen
eindrängen
und die Portio vaginalis uteri verdecken.
Die Specula mit zahlreicheren Klap pen (Ins zu sechs) trifft derselbe Vorwurf; sie sind ausserdem
durch ihren
complicirten
Verderben ausgesetzt. — cylindrischen.
. Erstere
drische Specula k a n n herstellen.
Mechanismus viel
kostspieliger und
Diese Specula nennt man g e b r o c h e n e ,
man
werden auch aus
aus
glänzend
Milchglas,
polirtem
Metall
angefertigt.
Porzellan oder Hartgummi
Dies bietet den Vorzug grösserer Keinlichkeit und
weshalb man sich
leichter dem
im Gegensatz zu den Cylin-
(Vulkanit)
viel geringeren Preises,
auch leicht für verschieden weite Canäle eine A u s w a h l (einen sogen.
10
Chirurgische Diagnostik.
„ S a t z " ) solcher Specula anschaffen kann. Metalls keinen Vortheil,
Ueberdies gewährt der Glanz des
polirten
sondern stört oft durch die von ihm bedingten Lichtreflexe.
Die E i n f ü h r u n g jedes Speculum muss mit grosser Sorgfalt geschehen. Womöglich muss die Untersuchung mittelst des Fingers vorausgehen, um Uber die Schlaffheit oder Starrheit der Wandungen des betreffenden Canals, seine Weite, oft auch den Sitz des Uebels Kenntriiss zu erlangen. Insbesondere unterrichtet man sich auf solche Weise vom Stande der Portio vaginalis uteri vor der Einführung eines Speculum in die Scheide. Das Speculum uteri und viel mehr noch das Speculum ani haben einen Sphincter zu passiren, bevor sie in den betreffenden Canal gelangen. Man muss deshalb nicht mit der ganzen Dicke des Speculum auf ein Mal eindringen, sondern dasselbe zur Seite wenden, so dass erst die eine Hälfte des Umfanges eingeführt und dann durch sanftes Hin- und Herbewegen auch der übrige Umfang des Instrumentes nachgeschoben wird. Sodann wird es in der Richtung der Achse des Canals vorwärts bewegt; aber nicht blos gradaus, wobei man leicht auf Falten stossen und durch diese gehindert werden könnte, sondern mit leicht rotirenden und seitlichen Bewegungen, bei jedem Widerstand etwas zurückweichend und dann wieder vordringend. Dies Hin- und Herbewegen ist von der grössten Wichtigkeit; hier, wie bei der Einführung des Katheters, führt oft ein Schritt rückwärts am Besten vorwärts. Die Erweiterung mancher Canäle (namentlich Fistelgänge)
wird sowohl zum Be-
huf der Besichtigung als auch für die "Untersuchung mit dem Finger,
zweckmässiger
als durch Instrumente, aUmälig durch das Einlegen entsprechend geformtet Stücke von aufquellenden digitata
Substanzen,
namentlich
von
Pressschwamm
oder
Laminaria
bewerkstelligt.
Von manchen Theilen, welche -man nicht direct sehen kann, lassen sich doch, namentlich bei künstlicher Beleuchtung, S p i e g e l b i l d e r erlangen, welche bei einiger Uebung für die Diagnose mit voller Sicherheit verwerthet werden können. Schon längst haben die Zahnärzte mit kleinen beweglichen S p i e g e l n auf solche Weise die hinteren und Seiten-Flächen der Zähne untersucht. In neuerer Zeit aber hat man diese Art der Untersuchung besonders für die Diagnose der Krankheiten des Schlund- und Kehlkopfs benutzt (Pharyngo- und Laryngoscopie, vgl. Bd. 111). Der Ausdruck „ S p i e g e l " wird somit in der Chirurgie für drei verschiedene Arten von Instrumenten gebraucht, von denen nur zwei im gewöhnlichen Leben diesen Namen führen, nämlich: 1) Beleuchtungs-Spiegel, 2) Spiegel zum Behuf der Erlangung von Spiegelbildern, 3) Erweiterungs-Instrumente, welche bald nur nebenbei, bald aber hauptsächlich die Beleuchtung in Höhlen und Canälen begünstigen.
11
Gesichtssinn.
Von solchen Theilen, welche man nicht sehen und auch mit den F i n g e r n nicht erreichen kann, hat man A b d r ü c k e i n M o d e l l i r w a c h s zu erhalten gesucht.
Diese können in der That u n t e r günstigen. Ver-
hältnissen ein Bild von den vorhandenen Vorsprüngen und Vertiefungen l i e f e r n ; jedoch ist die Anwendung
dieses Mittels in ausgedehnterem
Maasse n u r bei Krankheiten der Urethra (zuerst von D u c a m p ) versucht
Von grösstem Vortheil wäre es, wenn wir in das Innere von Geschwülsten sehen könnten. Die mehr oder weniger grosse Durchsichtigkeit derselben ist, wie bereits, bemerkt, kein sicheres Kriterium f ü r die Beschaffenheit ihres Inhaltes. Um einen Theil des letzteren, namentlich von der etwa vorh a n d e n e n Flüssigkeit zu entleeren und dem Gesichtssinn somit zugängig zu m a c h e n , bedient man sich des P r o b e - oder V e r s u c h s - T r o i c a r t (Acus triquetra exploratoria). — Fig. 11 zeigt denselben in natürlicher Grösse. AA' die Enden des Slylets, welches am oberen Ende dreiseitig spitz z u l ä u f t ; B die Canüle; C eine kleine Hülse, die zum Schutze der Spitze aufgesetzt wird. Man stösst das kleine Instrument an einer Stelle, wo man keine Gelasse zu fürchten h a t , in die Geschwulst tief ein, namentlich wenn man aus anderen Gründen die Anwesenheit einer Flüssigkeit in ihr zu verm u t h e n berechtigt ist. W ä h r e n d man dann die Canüle mit der einen Hand festhält, zieht man das Stylet heraus. Ist eine Flüssigkeit vorhanden, so wird sie nun von selbst oder bei Anwendung eines gelinden Druckes durch die Canüle ausfliessen. Freilich ist die Verwundung, welche auf solche Weise beigebracht wird, immer doch eine V e r w u n d u n g , . u n d die A n w e n d u n g des kleinen Instrumentes kann daher u n t e r Umständen nicht ganz ungefährlich sein. (Vgl. Diagnostik der Geschwülste.) Gross wäre die Gefahr, wenn man sich verleiten Hesse, den Probetroicart in eine Pulsadergeschwulst einzustossen, deren Höhle mit dem Lumen einer Arteric communicirt und a u s welcher also unwiederbringlich arterielles felut hervorspritzen • w ü r d e . Für zweideutige Geschwülste dieser Art wählt m a n zur Punction, wenn diese ü b e r h a u p t für die Diagnose b e n u t z t werden soll, eine A c u p u n c t u r n a d e l , wie weiter unten erläutert wird. In ä h n l i c h e r W e i s e , suchsligatur dünnen
bisher
worden.
Nadel
wie
der V e r s u c h s t r o i c a r t ,
kann
auch
eine
Fig
'
c
a^J
Ver-
a n g e w e n d e t w e r d e n , d. h. ein F a d e n , w e l c h e n m a n m i t t e l s t e i n e r l a n g e n , durch
die Geschwulst
hindurch
führt.
Befindet
sich
eine
Flüssigkeit
12 darin,
Chirurgische Diagnostik. so tropft diese an den Enden des Fadens ab.
vielen Localitäten nicht a n w e n d b a r ,
Dies Verfahren ist jedoch in
wo der Probetroicart noch benutzt werden kann.
Gegenstand der Wahrnehmung durch das Gesicht ist ferner die B e w e g l i c h k e i t der Theile, die aber in den meisten Fällen bestimmter mit Hülfe des Tastsinnes erkannt wird. Veränderungen im V o l u m e n , sowie in den einzelnen Dimens i o n e n der Theile werden gewöhnlich blos dem Augenmaass nach abgeschätzt; aber mit Recht ist in neuerer Zeit die Messung der verschiedenen Dimensionen bald mit einem Schneidermaass, bald mit einem dem Schustermaasse nachgebildeten Instrumente, oder auch mit dem Tasterzirkel immer allgemeiner in Gebrauch gezogen worden. So messen wir z. B. die Länge der Extremitäten bei Knochenbrüchen und Gelenkkrankheiten zur Sicherung der Diagnose. Dabei ist grosse Sorgfalt nothwendig und meist ein Gehülfe erforderlich, damit nicht durch Neigungen des Rumpfes (namentlich Verschiebung des Beckens) Täuschungen hervorgebracht werden. Will man z. B. die Länge der unteren Extremität aus der Entfernung des äusseren Knöchels, von dem vorderen oberen Darinbeinstachel erschliessen, so ergiebt sich eine sehr verschiedene Länge derselben Extremität, je nachdem das Becken stärker nach Rechts oder nach Links geneigt, mehr nach der einen oder nach der anderen Seite rotirt ist. Das Uebersehen dieser einfachen Thatsache hat manche Verwirrung in der Lehre von den Gelenkentzündungen angerichtet. 2ur Bestimmung der Durchmesser einer Geschwulst, eines angeschwollenen Gelenkes u, s. w. bedient man sich entweder des gewöhnlichen T a s t e r z i r k e l s mit dem von B a u d e l o c q u e d. Ä. daran angebrachten Maassstabe (Compas tfepaisseur) oder, um zwei Durchmesser auf einmal messen zu können, der Mayor'schen Abänderung desselben (Fig. 12 und Fig. 13). Das Feld der diagnostischen Untersuchungen mittelst des Gesichtssinnes ist in neuerer Zeit durch die Anwendung des M i k r o s k o p es ebenso sehr in Betreff der chirurgischen, als der medicinischen Krankheiten erweitert worden. Die mikroskopischen Untersuchungen des Eiters, der Harnsedimente, der Stücke von Geschwülsten u. dgl. m. sind für die chirurgische Diagnostik von grösster Wichtigkeit. Nicht minder wichtig ist die Anwendung der c h e m i s c h e n Reag e n z i e n und der c h e m i s c h e n A n a l y s e . Ihre grosse praktische Bedeutung wird bei der Untersuchung der einzelnen krankhaften Secrete und Neubildungen, besonders bei Gelegenheit der Krankheiten der Blase einleuchten. Schon das einfachste chemische Experiment, die Untersuchung mit dem Reagenzpapier, kann uns oft, indem wir
Gefühlssinn — Tastsinn.
13 Fig. 13.
Fig. 12.
a 1 Centimeter I i i I i i I i i I i i I 1 Zoll durch das Eintauchen desselben von der sauren oder alkalischen Reaction des Harns Kenntniss e r h a l t e n , Uber die Natur der in ihm gebildeten Concretionen, über ihre wahrscheinliche Härte o d e r Zerbrechlichkeit u. dgl. m. die wichtigsten Aufschlüsse geben. 2.
GefUhlssinn, Tastsinn.
Durch das Gefühl erkennen wir nicht blos die räumlichen Verhältnisse der Theile, sondern auch ihre T e m p e r a t u r , ihre Beweglichkeit, ihre Härte, ihre Elasticität u. s. w., ja wir sind sogar im Stande, aus solchen Wahrnehmungen
auf den Inhalt
m a n c h e r Theile (zumal
Geschwülste) mehr oder weniger sichere Schlüsse zu ziehen. Das Zufühlen, B e t a s t e n
( „ T o u c h i r e n " im weitesten Sinne) ge-
schieht bald mit einem oder mehreren Fingern, bald mit der ganzen Hand oder mit beiden Händen, oder endlich auch mit Hülfe von Instrumenten, wie Sonden, Nadeln, Bougies, Katheter u. s. w.
Am Ge-
eignetesten für das Betasten ist der Zeigefinger, da er, obwohl weniger beweglich als der Daumen, diesen doch an Länge übertrifft, w ä h r e n d die übrigen Finger ihm an Beweglichkeit Sicherheit der Bewegungen nachstehen.
und
besonders
auch
an
Kann oder will m a n sich z u r
Untersuchung n u r e i n e s Fingers b e d i e n e n , so wählt m a n d a h e r gewöhnlich den Zeigefinger und bedient sich statt seiner n u r dann des fünften Fingers, wenn es sich um Canäle h a n d ö l t , zu
dick
wäre.
Fälle
der letzteren Art sind
aber
f ü r ' welche jener nicht
so
ganz
14
Chirurgische Diagnostik.
selten, und der Anfänger tbut deshalb gut, auch den kleinen Finger zu üben. Für die Ausführung von Operationen ist es von der grössten Wichtigkeit, die G r e n z e n d e s K r a n k h a f t e n zu kennen, und hieraus womöglich vor Beginn der Operation bestimmen zu können, ob und wie dieselbe vollendet werden kann. Oft aber muss die Untersuchung der kranken Xheile, deren Ausdehnung sich vorher nur mit Wahrscheinlichkeit bestimmen liess, w ä h r e n d d e r O p e r a t i o n fortgesetzt werden; in solchen Fällen gerade ist der Tastsinn von der grössten Wichtigkeit, denn gewöhnlich wird die Benutzung des Gesichtssinnes durch das überströmende Blut beeinträchtigt oder ganz gehindert. Die C o n s i s t e n z kranker Theile variirt von der Elfenbeinhörte der Exostosen bis zu dem vollständigen Zerfliessen eines Organs. Dazwischen liegt die Consistenz der fibrösen Geschwülste, der Krebsknoten, der Abscesse in den verschiedenen Perioden ihrer Entwickelung, der Fettgeschwülste u. s. w. — Aufmerksamkeit und Uebung lässt alle diese Abstufungen der Consistenz durch das Gefühl erkennen. Die verschiedenen Grade der E l a s t i c i t ä t , welche wir an acut entstandenen Anschwellungen beobachten, sind von grosser Wichtigkeit für die Diagnostik. So deutet z. B. eine beträchtliche Spannung und ein fester Widerstand, den der untersuchende Finger findet, (zumal bei Schmerzhaftigkeit des Theils) auf Entzündung tieferer, fest umschlossener Gebilde. Besteht dabei eine reichliche Tränkung des Unterhautbindegewebes mit Blutwasser (Oedem), und finden die Finger daher, indem sie die Gewebe zuerst leicht eindrücken, in einer gewissen Tiefe einen bedeutenderen Widerstand, so ist es wahrscheinlich, dass bereits Eiterung eingetreten ist. Auch die W e i c h h e i t mancher Geschwülste zeigt uns verschiedene Abstufungen; so sind Fettgeschwülste gewöhnlich ganz weich (als wären sie mit-Watte gefüllt) und doch nicht teigig, wie die durch Erguss von Flüssigkeit in's Bindegewebe bedingte Anschwellung ( O e d e m ) , in welcher der fest aufgesetzte Finger einen Eindruck zurücklässt. F l u c t u a t i o n (Schwappung) nennen wir das Gefühl von Bewegung, oder Verschiebung, welches wir empfinden, wenn wir den Inhalt einer mit Flüssigkeit gefüllten Geschwulst durch Anschlagen an ihre Wandungen in Bewegung setzen und die hierdurch hervorgebrachten Veränderungen (Wellenbewegungen) entweder mit derselben Hand, oder mit der gegenüber angelegten anderen Hand erforschen. Während wir bei der Fluctuation den Inhalt der Geschwulst durch den Finger in Bewegung setzen, kann a n d e r e r s e i t s auch der I n h a l t
15
Gefühlssinn. — Tastsinn. einer Geschwulst s e i n e B e w e g u n g
dem F i n g e r mittheilen;
ist der Fall bei den Pulsadergeschwülsten.
dies
Man muss unterscheiden:
die durch Bewegung des Inhalts bewirkte mehr oder weniger rhythmische Expansion,
und die B e w e g u n g e n ,
welche von einer Ortsver-
änderung der ganzen Geschwulst herrühren.
Durch erstere wird der
Finger erhoben, gleichgültig, auf welchen Theil der Geschwulst man ihn anlegt; umfasst man sie mit mehreren Fingern, 60 strebt die Bewegung des Inhaltes diese von einander zu entfernen:
hier ist
sicher, es mit einer Pulsadergcschwulst zu thun zu haben.
man
Im anderen
Falle wird der Finger nur an einer bestimmten Stelle der Geschwulst oder beim Druck in einer bestimmten Richtung
erhoben,
die Bewe-
gung hört wohl gar auf, wenn man die Geschwulst verschiebt; dann ist es klar, dass diese B e w e g u n g nicht in der Geschwulst selbst veranlasst w u r d e , sie rührt von einer benachbarten Arterie her, welche die Geschwulst durch ihre Pulsation Die E m p f i n d l i c h k e i t Betasten desselben geprüft.
mitbewegte.
eines Theils
wird
-ebenfalls durch
das
Dies ist aber kein rein objectives Zeichen
und verliert daher desto mehr an W e r t h , je weniger zuverlässig die Aeusserungen des Kranken sind. einer
grösseren Empfindlichkeit
Im Allgemeinen schliessen wir aus bei
der
Berührung
namentlich Entzündung des berührten Theils, erloschener Empfindlichkeit auf Lähmung Es giebt Schmerzen,
welche
durch
die Berührung
nicht
dies sind
oder
desselben. vermehrt, gewöhnlich
So deuten z. B. Schmerzen im Kniegelenk,
welche beim Druck nicht zunehmen,
mit grosser
auf ein Leiden im Hüftgelenk oder in dessen Endlich wird auch die T e m p e r a t u r das Gefühl erforscht.
Krankheit,
oder Absterben
sondern durch Druck sogar beruhigt w e r d e n ; sympathische Schmerzen.
auf
bei verminderter
Wahrscheinlichkeit
Umgebung.
der kranken Theile durch
Man schliesst auf die Abnahme oder Zunahme
einer Entzündung, je nachdem der kranke Theil eine geringere oder bedeutendere Wärme der zufühlenden Hand
darbiete-t.
Beträchtliche
Verminderung der Temperatur lässt Absterben (Brand) des Theils befürchten,
zumal wenn Verhältnisse,
welche
einen solchen
Vorgang
begünstigen, vorhanden sind, z. B. nach Unterbindung eines Arterienstammes. durch stanzen
Abgesehen davon,
dass man sich in solchen Fällen nicht
die von aufgelegten Kräuterkissen und anderen w a r m e n S u h mitgetheilte höhere Temperatur darf täuschen l a s s e n ,
die Erforschung
der Temperatur
etwas unsicher.
Mit viel grösserer Genauigkeit
Anwendung verhältnissen
des T h e r m o m e t e r ' s des Körpers.
mittelst
des Gefühls doch erhalten wir
Kenntniss von
den
bleibt immer durch
Temperatur-
Ein bis auf Fünftel eines Grades einge-
16
Chirurgische
Diagnostik.
theiltes Instrument ist vollkommen ausreichend, um für diagnostische Zwecke den erwünschten Anhalt zu gewähren. Wir bedienen uns desselben nicht blos, um die Steigerung oder Verminderung der Temperatur einzelner Körpertheile zu bestimmen, sondern auch um von den in Krankheiten sehr erheblichen Schwankungen der gesammten Körperwärme Kenntniss zu erhalten. Die Körperwärme schwankt bei Gesunden zwischen 37 und 38 Grad der Centesimalscala und steigt gegen Abend sowie nach Aufnahme von Nahrungsmitteln um eiqige Zehntel, ja selbst um einen ganzen Grad. In Krankheiten kann sie sich bis über 42 Grad erheben. Um brauchbare Resultate zu erlangen, muss man zur Bestimmung der gesammten Körperwärme bei demselben Kranken auch immer dieselbe Beob(am Besten die Achselhöhle, FlR ' 17 k sonst aber den Mastdarm). Bei Bestimmung der Temperatur eines erkrankten Körpertheils muss man stets die Vergleichung der gleichnamigen oder analogen gesunden Theile desselben Körpers vornehmen. Unter den I n s t r u m e n t e n , deren wir uns, gleichsam als Verlängerung unserer Finger, beim Tasten bedienen, die man aber niemals anwenden sollte, wo die Untersuchung mit dem Finger ausführbar ist, sind die Sonden und Katheter besonders zu erwähnen. S o n d e n , specilla, stylets, sind dünne, glatte, meist cylindrische Metallstäbchen (Fig. 14, 15, 16), F 'g- 18Die längeren bestehen meist aus zwei zusammenschraubbaren Stücken, um sie bequemer in die Verbandtasche stecken zu können (Fig. 17). Solche heissen auch „Brustsonden" oder „Bauchsonden", obgleich man heutzutage weder Brustnoch Bauchwunden zu sondiren pflegt. Die O e h r s o n d e (Fig. 15), an deren einem Ende sich ein Oehr befindet, dient zum Durchführen von Fäden, Haarseilen u. s. w. — H o h l s o n d e n (Fig. 18) besitzen an einem Handgriff von verschiedener Form einen rinnenförmig gestalteten Fortsatz, dessen Rinne zur Leitung der schneidenden Instrumente beim Aufschlitzen von Gängen dient. ^ Ihre Rinne endet entweder offen, oder geschlossen; auch kann die Spitze scharf sein, um sie in die Gewebe einzustossen (sonde á panaris), was jedoch selten Vortheil gewährt. Flg. 1 4 . 1 5 . 1 6 . a c h t u n g s s t e U e w ählen
Gefühlssinn, Tastsinn.
17
In der Regel sind die S o n d e n von Silber o d e r S t a h l ; n u r f ü r b e stimmte Fälle b e n u t z t man solche aus Fischbein, Zinn, Blei u n d a n d e r e n elastischen oder b i e g s a m e n S u b s t a n z e n . Die Kranken haben vor den „ S o n d e n " und dem „ S o n d i r e n " (d. Ii. der Untersuchung mittelst der Sonden) häufig grosse Angst, weshalb es zweckmässig ist, sie weder zu nennen noch vor der Anwendung sehen zu lassen. Katheter, Neusilber
sondes,
(Argentan),
— oder
Röhren, auch
aus
gewöhnlich einem
von
mit
Silber
oder
Harzlösung
tränktem G e w e b e 1 ) , an d e m einen E n d e o f f e n , an d e m a n d e r e n
gege-
schlossen und a b g e r u n d e t , in d e r Nähe des letzteren mit zwei seitlichen Oeffnungen ( F e n s t e r ,
A u g e n ) versehen,
—
dienen
dazu, Fig. 19.
um aus Höhlen des Körpers, b e s o n d e r s a u s d e r Blase Flüssigkeiten abzulassen, oder a u c h z u r E i n f ü h r u n g von Flüssigkeiten und zur I n t e r s u c h u n g des I n n e r e n d e r Blase.
Im w e i t e r e n
Sinne gehören zu den K a t h e t e r n nicht blos die f ü r die Blase bestimmten,
s o n d e r n a u c h diejenigen f ü r den Canalis naso-
lacrimalis, für die T u b a Eustachii, f ü r den Kehlkopf, f e r n e r die S c h l u n d s o n d e n , w e l c h e letztere i m m e r elastisch sein m ü s s e n . W e i b l i c h e r K a t h e t e r (Fig. 19) heisst das etwa 16 Ctm. lange und 4 — 7 Millm. dicke, an seinem geschlossenen
Ende
( S c h n a b e l ) leicht g e k r ü m m t e u n d mit zwei e i n a n d e r s c h r ä g gegenüberstehenden
seitlichen
Oeffnungen
versehene
dessen man sich f ü r das Ablassen des H a r n s u n d U n t e r suchen der Blase bei W e i b e r n bedient.
pjg. 20.
Gewöhnlich ist
das offene E n d e dieses K a t h e t e r s etwas t r i c h t e r f ö r m i g p ig 21 erweitert und
mit
Dieses Instrument
zwei kann
seitlichen auch
Ringen
benutzt
//
Rohr,
versehen.
werden,
um
Eiter aus tiefliegenden Abscessen zu entleeren, o d e r u m
1$
ff Q i
das Innere der Nasenhöhle, den G r u n d s i n u ö s e r W u n den und Geschwüre u. dgl. m. zu u n t e r s u c h e n . Der m ä n n l i c h e K a t h e t e r (Fig. 2 0 ) ist
stärker
gekrümmt, um ein Dritttheil oder die Hälfte länger, im Uebrigen aber ebenso beschaffen wie d e r weibliche. Um den Katheter bequem in der Verbandtasche unterbringen zu können, wird er in drei Stücke zerlegt, durch deren Zusammenfügung man bald einen männlichen, bald einen weiblichen Katheter herstellen kann. Das für beide gemeinsame Stück ( d e r S t i e l ) ist gerade, die beiden andern sind gekrümmt; das zur Herstellung des weiblichen Katheters nöthige Ansatzstück ( S c h n a b e l ) ist etwa 5 C t m . , das f ü r den männlichen 1 3 Ctm. lang. Werden Stiel ' ) Katheter und SoBden aus G u t t a - P e r c h a s i n d , ihrer Brüchigkeit wegen, gefährlich und deshalb durchaus zu verwerfen. Tiardeleben Chirurgie. 8. Anfl. [ 2
18
Chirurgische Diagnostik.
und SchDabel direct durch eine Schraube verbunden, so muss man bei Seiteubewegungen des Instruments Acht geben, ob auch die Schraube nicht locker wird, und ein durch Bewegung der Schraube entstandenes Geräusch nicht etwa für den Beweis der Anwesenheit eines Blasensteins halten. C h a r r i e r e hat deshalb an der Verbindungsstelle eine Art Schloss angebracht, wie man es Fig. 21 angedeutet sieht. Die Befestigung beider Stücke an einander bewirkt er durch einen zweiten, gleichfalls hohlen Stiel, der in dem ersten (äusseren) steckt und mit Schraubengängen in das Schnabelstück eingreift. Dadurch wird dem erwähnten Uebelstande allerdings abgeholfen; aber die aus einem Stück bestehenden Katheter behalten in Bezug auf Dauerhaftigkeit und Sicherheit doch den Vorzug vor den zerlegbaren. In jedem Katheter steckt ein entsprechend langer Draht (mandrin), welcher bei den metallenen dazu dient, sich VOD ihrer Durchgängigkeit zu überzeugen, bei den elastischen aber ihre Form und Biegung bestimmt. Nach den Untersuchungen von C. H ü t e r (Deutsche Ztschr. f. Chirurgie, Bd. VIII, p. 221) lassen sich a b g e p l a t t e t e K a t h e t e r (deren Querschnitt also nicht, wie sonst gebräuchlich, einen Kreis, sondern nahezu eine Ellipse darstellt), zumal durch enge Harnröhren, leichter einführen, weil die Pars membranacea in querer Richtung einen grösseren Durchmesser besitzt und leichter dehnbar ist, als in verticaler
Das Einführen des Katheters richtig zu verstehen, Arzt geradezu
unerlässlich.
Mehr noch,
ist für jeden
als beim S p e c u l u m ,
ist
hier jede Gewalt zu vermeiden; denn, abgesehen von der Reizung des Canals, seiner
hat
man
hier
Wandungen
W e g e " zu fürchten. zu sorgen,
noch
und
die Verletzung
in
Folge
davon
(selbst
die
Durchbohrung)
Bildung
„falscher
Ausserdem ist für absolute Reinheit der Katheter
da nachgewiesen
übertragen werden können.
ist, dass Krankheiten durch
dieselben
Vgl. Bd. IV.
Niemals führe man den Katheter oder auch nur eine Sonde ein, ohne dass sichern,
die Nothwendigkeit,
wirklich vorliegt;
die Diagnose auf solche Weise
niemals wiederhole man die
öfter, als dringend erforderlich ist. Katheters
hat
oft nicht
blos
zu
Einführung
Eine zu häufige Application des
eine Entzündung
welchen derselbe eingeführt wird, sondern
des Canals,
auch der
durch
benachbarten,
oder mit ihm in anatomischem oder physiologischem Zusammenhange stehenden Theile zur Folge,
z. B. Hodenentzündung
nach
dem Ein-
führen des Katheters in die Blase. Wo
die
Untersuchung
mit
den
Fingern
nicht
ausreicht
und
Sonden,
weil eine äussere Oeffnung fehlt, nicht eingeführt werden
können,
da gewährt
die Untersuchung
mittelst der
Acupunctur-
n a d e l 1 ) grosse Vortheile und, bei einiger Uebung, einen hohen Grad von Sicherheit.
Man kann eine feine Nadel unbedenklich bis auf die
Bruchstelle eines Knochens,
in Cysten,
selbst in Aneurysmen
ein-
stossen und mit der Nadel dann, wie mit einer Sonde, Uber das Be') Vgl. M i d d e l d o r p f , die A k i d o p e i r a s t i k , in G ü n s b u r g ' s Archiv 1866.
19
Gehörsinn.
stehen
einer Continuitätstrennung,
Uber vorhandenen oder fehlenden
Widerstand und demnach auch über das Bestehen einer Höhle, Uber Rauhigkeit oder Glätte Aufschluss erhalten. 3.
Gehörsinn.
Die Untersuchung mittelst des Ohres schliesst sich innig an diejenige
durch
den
Tastsinn
an;
es
giebt
Geräusche,
welche
man
mittelst des Gefühls wahrnimmt oder doch wahrzunehmen glaubt, so die rauhe Reibung,
namentlich
welche die Bruchstücke eines
zer-
brochenen Knochens gegen einander ausüben, die sogen. C r e p i t a t i o n . In der That kann das durch die Reibung harter
rauher Flächen er-
zeugte Geräusch nicht blos mit dem angelegten Ohr, zuweilen sogar aus der Entfernung wahrgenommen,
sondern
auch
durch
die den
crepitirenden Theil umfassenden Hände zum Ohr fortgeleitet werden; in der Regel aber beruht das sogenannte „ F ü h l e n " auf einer
Sinnestäuschung:
während man
man
glaubt
ein
der Crepitation
Geräusch
die Reibung der rauhen Flächen durch
zu
hören,
den Tastsinn
wahrnimmt. Unter dem Namen „ C r e p i t a t i o n " von Geräuschen
zusammengefasst,
wird
nämlich
eine
die im Einzelnen als
Reihe
Krachen,
K n a r r e n , K n i s t e r n bezeichnet werden können. Die C r e p i t a t i o n b e i K n o c h e n b r ü c h e n ist unter allen diesen am Bekanntesten. einen Knochen
Man kann
zerbrochen
sie an jeder L e i c h e ,
hat,
der man
irgend
studiren; es ist ein rauhes,
hartes
Reiben, welches der untersuchenden Hand kleine Stösse mittheilt und fUr das an den verletzten Körpertheil direct oder vermittelst eines Höhrrohrs
angelegte
oder
doch
krachendes Geräusch erzeugt.
in
die Nähe
gebrachte
Ohr
ein
Sind viele kleine Bruchstücke vorhanden
(Fraetura comminuta), so macht es den Eindruck, als würden Nussschalen in einem Sacke hin- und hergeschoben. Eine C r e p i t a t i o n anderer Art entsteht, wenn n a c h oder
Abnutzung
Knochen
der
Gelenkknorpel
gegen einander gerieben
die
Ablösung
Gelenk-Enden
der
werden; diese ist weniger rauh,
fein®-, ungefähr so, wie wenn man Porzellanscherben an einander reibt. Eine C r e p i t a t i o n
wie beim Biegen von
trockenem Pergament
entsteht, wenn G e s c h w ü l s t e , die unterhalb oder i n n e r h a l b Knoehens
sich entwickelten,
Blatt zerstört
denselben
bis
auf
ein
eines
dünnes
haben (z. B. bei Geschwülsten in der Kieferhöhle).
Diese Crepitation verschwindet, sobald die dünne Knochenlamelle, von deret Bewegungen sie herrUhrt,
durch
wiederholte
Untersuchungen 2*
20
Chirurgische Diagnostik.
oder durch die weitere E n t w i c k l u n g der Geschwulst durchbrochen worden ist. Leicht zu erkennen ist die eigentümliche C r e p i t a t i o n des E m p h y s e m s , d. h. einer Luftansammlung im Bindegewebe; sie ist feiner und sanfter, als die vorhergehende, mehr knisternd als krachend. Der Anfänger kann sich eine Vorstellung davon verschaffen, wenn er die von den Fleischern aufgeblasenen Kälber betastet. Eine C r e p i t a t i o n , wie beim Drücken eines Schneeballs, ein Knirren oder Knirschen, beobachtet man n a c h h e f t i g e n C o n t u s i o n e n , besonders in der Gegend der Gelenke. Dieselbe beruht auf dem Zerdrücken der aus dem extravasirten Blute gebildeten Gerinnsel. Eine ähnliche C r e p i t a t i o n , welche V e l p e a u mit dem Knirschen des zwischen den Fingern gedrückten S t ä r k e m e h l s vergleicht, findet sich in e n t z ü n d e t e n S e h n e n s c h e i d e n , wenn man sie, während der Kranke die zugehörigen Muskeln bewegt, mit darauf gelegtem Finger untersucht, — am Häufigsten an der Dorsalseite des unteren Endes des Vorderarms, in den grossen Sehnenscheiden der Fingerstrecker (Tenosinitis crepitans). Eine andere Art von Crepitation ist in Sehnenscheiden und Schleimbeuteln beobachtet worden, wenn bewegliche Körperchen (Corpora oryzoidea) sich in ihnen angehäuft haben. Dupuytren verglich dies Geräusch mit der Empfindung, welche eine Kette aus kleinen Ringen in einem Beutel von weichem Leder dem zufühlenden Finger, veranlassen würde. Ein eigenthUmliches Geräusch, eine Art von K l a p p e r n , hat man bei der Anwesenheit beweglicher f r e m d e r K ö r p e r in der L u f t r ö h r e beobachtet, welches mit der auf die vordere Seite des Halses aufgelegten Hand wahrgenommen wurde. Ein p f e i f e n d e s G e r ä u s c h hört man in Pulsadergeschwülsten, ferner bei dem plötzlichen Ein- und Austreten von Luft durch eine enge Oeffnung, so z. B. mitunter in dem Augenblick, wo ein unglücklicher Schnitt bei der Operation eines eingeklemmten Bruches den Darm verletzt, bei Verwundungen der Respirationsorgane, auch der Sinus frontales. Beim Eintritt von Luft in die Venen soll gleichfalls ein pfeifendes Geräusch gehört werden. S c h n u r r e n d e , b r a u s e n d e oder dem Blasebalggeräusche des Herzens ähnliche G e r ä u s c h e beobachtet man in Pulsadergeschwülsten und in anderen krankhaften Gebilden, welche reich an grossen Gefässen sind. Ein K u l l e r n , G u r r e n oder K l u c k e r n vernimmt man in Geschwülsten, welche Lull und Flüssigkeit zugleich enthalten. So z. B.
Gehörsinn.
21
in D a r m b r ü c h e n , in Eiterherden, die mit dem Darmcanal zusammenh ä n g e n , in grossen geöffneten Abscessen, in welche von Aussen Luft eingedrungen ist, in letzteren natürlich n u r bei Bewegungen, die dem Inhalte des Abscesses von Aussen mitgetheilt werden. Auch in dem Augenblicke, wo Luft in eine verletzte Vene eindringt, soll ein ä h n liches Geräusch vernommen werden. Alle vorstehend e r w ä h n t e n Geräusche werden wahrgenommen, indem man Bewegungen des zu untersuchenden Theils vornimmt oder vornehmen lässt, — analog also der Auscultation der Lunge und des Herzens, bei welcher gleichfalls Bewegungen der genannten Organe vorausgesetzt w e r d e n . Das „ H ö r e n " selbSt geschieht hierbei entweder mit dem Ohre (welches dem zu untersuchenden Theile entsprechend g e n ä h e r t , besser noch an denselben direct oder mittelst des Hörrohrs angelegt w i r d ) , oder aber durch Vermittlung der mit sanftem Druck aufgelegten Hand oder eines einzelnen Fingers. Vgl. pag. 19. Eine andere Reihe von Geräuschen (oder Tönen) entsteht durch A n s c h l a g e n a n d e n z u u n t e r s u c h e n d e n T h e i l . Hierher gehören nicht blos jene mannigfaltigen Arten des „Schalles", welche aus der Lehre von der P e r c u s s i o n d e s B r u s t k a s t e n s u n d d e s B a u c h e s als bekannt vorausgesetzt w e r d e n , sondern auch die Ger ä u s c h e , welche durch die in analoger Weise ausgeführte Percussion a n d e r e r Körpertheile erzeugt werden. Zunächst handelt es sich auch an diesen um Feststellung des L u f t g e h a l t e s , für welche der volle Schall in affirmativem, der leere in negativem Sinne maassgebend ist. Liefert ein geschwollenes Gelenk einen vollen (tympanitischen) Schall, so kann man sicher schliessen, dass Luft darin ist, und war dasselbe kurz vorher von einer Verletzung betroffen, deren Tiefe vielleicht anderweit nicht festgestellt werden k o n n t e , so ergiebt sich aus dem Luftgehalt allein schon, dass das Gelenk irgendwo geöffnet sein müsse. Entsteht bei der Percussion einer Geschwulst, welche ein Bruch sein k ö n n t e , ein tympanitischer Schall, so ist es sicher ein B r u c h , und zwar ein solcher, in dem ein lufthaltiges Darmstück liegt. Bei einer solchen Untersuchung kann man durch die Resonanz der in der Bauchhöhle liegenden Gedärme getäuscht w e r d e n , wenn man nicht letztere durch die oberhalb der Bruchgeschwulst fest angesetzte Hand eines Gehülfen ausschliesst. Aber auch Theile, welche keine Luft enthalten, liefern bei der Percussion verschiedene Arten von Schall Namentlich hat L ü c k e 1 ) nachgewiesen, dass kranke Knochen oft durch e i g e n t ü m l i c h e Abä n d e r u n g e n des Percussionsschalles ausgezeichnet sind (vgl. Bd. IL). ') Centralblatt für Chirurgie,
1 8 7 6 , No. 4 3
22
Chirurgische Diagnostik.
Von Alters her bekannt sind endlich die oft hell klingenden Geräusche, welche beim Auftreffen der Steinsonde auf einen Blasenstein oder der gewöhnlichen Sonde auf einen entblössten Knochen oder eine Kugel wahrgenommen werden. Alle diese sind von grosser Wichtigkeit und gestatten meist sehr sichere Schlüsse. Nur hüte man sich auch hier, negativen Resultaten Gewicht beizulegen. Ein Fistelgang kann zu einem Knochen führen, ohne dass wir (seines gekrümmten Verlaufs wegen) im Stande sind, den Knochen mit der Sonde zu erreichen; ein Blasenstein kann eingekapselt liegen, so dass die Sonde nicht unmittelbar an ihn anschlägt u. dgl. m. Anderer Seits kann freilich auch die Verwechselung einer Exostose im Becken oder einer Callosität der Blasenwandungen (sogen, vessie ä colonnes) oder gar harter Fäces mit einem Blasensteine ausnahmsweise Statt finden. Man hat, um zu einem sicheren Resultate zu gelangen, empfohlen, Luft in die Blase einzuspritzen, indem alsdann durch , das Anstossen der Sonde an den Stein ein heller Ton entstehe. Aber diese Injectionen sind schmerzhaft und gefährlich, wegen der leicht darauf folgenden Cystitis. Dagegen kann man durch Anschrauben einer als R e s o n a n z b o d e n wirkenden Holzplatte (Percussionsplatte, Resonator, nach B r o o k e ) den Schall, welchen die an einen festen Körper anschlagende Sonde erzeugt, in ganz ungefährlicher Weise sehr erheblich verstärken, was nicht blos zur Befestigung der Diagnose, sondern auch zur Demonstration bei blos liegenden Knochen, bei Blasensteinen u. dgl. m. von grossem Werth ist. Neuerdings hat man
das M i k r o p h o n
von H u g h e s , , welches auf dem Princip
des Telephon beruht (in dessen Leitungsdraht ein Element eingeschaltet ist), für die akustische liegen, 1878
Diagnose
dass
es z u
zu fein
verwerthen
gesucht;
die
Schwierigkeit
reagirt.
Vgl. den
von
Henry
gehaltenen Vortrag, übersetzt
von D u p u i s
scheint
Thompson
darin
zu
am 4. Juni
in der Deutsch, med. Wochensch.
1 8 7 8 , No. 2 7 .
Auch die S p r a c h e des Kranken ist von grosser Bedeutung, zumal bei Krankheiten der Nasenhöhle, des harten und weichen Gaumens, der Mandeln und des Schlundes. Aus dem Unvermögen zu sprechen ( A p h a s i e ) kann, bei Unversehrtheit der Stimm- und Sprachorgane, auf eine Verletzung oder sonstige Störung im Bereich der dritten Stirnwindung des Gehirns geschlossen werden. Die Mehrzahl der vorerwähnten Geräusche werden nicht blos von dem Arzte, sondern auch von dem Kranken selbst vernommen; manche andere Geräusche sind nur dem letzteren vernehmbar. Hierher gehört das G e r ä u s c h des g e s p r u n g e n e n T o p f e s im Augenblick einer Schädelverletzung, der P e i t s c h e n k n a l l bei der Zerreissung des Musculus plantaris, das K r a c h e n bei der Zerreissung
Geruchssinn. stärkerer
Sehnen
Schlucken,
und
wenn
Bänder,
Geschmackssinn. ein eigentümliches
eine Verletzung
dieser Geräusche,
insbesondere
sind nicht sicher verbürgt.
23
des
Oesophagus
Geräusch
beim
besteht.
Viele
das des g e s p r u n g e n e n
Topfes,
Ein Verunglückter hat in dem Augenblick
der Verletzung in der That auf ganz andere Dinge zu achten, als auf ein solches Geräusch.
Das Geräusch bei Zerreissung grösserer Sehnen
und Bänder kann gewiss nicht blos von dem Verletzten, sondern auch von den Umstehenden wahrgenommen werden, eben so gut, wie man das Krachen bei dem Durchschneiden gespannter Sehnen (Tenotomie) und beim Zerreissen der fibrösen Stränge hört, welche bei der gewaltsamen Streckung verkrümmter Gelenke zu überwinden sind. 1.
Geruchssinn.
Geübte medicinische Nasen riechen die Masern; in gleicher Weise soll der Chirurg
den Hospitalbrand,
eine Kothfistel,
eine Harnfistel,
einen Jaucheherd u. dgl. m. vermittelst des Geruchssinns können.
erkennen
Unzweifelhaft kann man, bei einiger Uebung und Aufmerk-
samkeit, die Producte der Zersetzung animalischer Substanzen, namentlich also faulenden H a r n , noch
Jauche
durch
Excremente,
diesen
Sinn
Schlüsse für die Diagnose ziehen. und Anweisungen
zersetzten Eiter und leichter
entdecken
und
daraus
wichtige
Aber bestimmte
Beschreibungen
lassen sich darüber nicht geben.
Es kommt auf
individuelle Schärfe des Geruchssinns und individuelle Uebung an. Der berühmte P e t i t erzählt, dass er auf einer Reise, als er während des Pferdewechsels in ein enges Zimmer trat, unter den daselbst wahrnehmbaren unangenehmen Gerüchen den des Brandes unterschied, und durch seine Nase geleitet, hinter einem Vorhang einen Kranken entdeckte, welcher an einem brandigen Bruche litt. Der Kranke hatte dem guten Gerüche P e t i t ' s seine Bettung zu danken. Aus dem Fäcalgeruche des Inhaltes von Abscessen und Fistelgängen, barschaft
welche sich in der Umgegend des Afters oder in der Nachdes Blind- oder Dickdarms
Weiteres auf
einen
finden,
Zusammenhang mit
hat man
dem Darme zu
nicht
ohne
schliessen.
Der Eiter in den Abscessen dieser Gegend kann, in Folge der zwischen ihm und dem Darmgase sattfindenden
Diffusion,
auch
ohne offene
Communication einen solchen Geruch annehmen. S.
Geschmackssinn.
Obgleich J. L. P e t i t an dem Geschmacke der aus einer Bauchfistel ausfliessenden Flüssigkeit erkannt hat, dass Gallenfistel handelte, obgleich ferner V a l s a l v a
es sich um
eine
brandige Substanzen
gekostet und sehr herbe schmeckend befunden haben soll, hat doch
24 der
Chirurgische
Gebrauch
dieses
Sinnes
Die Resultate, welche man
keine durch
Diagaostik.
weitere denselben
Anwendung
gefunden.
etwa erhalten
könnte,
w ü r d e n hinter denen, welche uns die chemische Untersuchung liefert, weit zurückstehen.
II.
Von den diagnostischen Schlüssen.
Die B e l e h r u n g e n , welche wir durch die Sinne erhalten, liefern nicht sofort die Diagnose; es gehört eine reifliche Ueberlegung und oft eine lange Reihe von Schlüssen d a z u , u m zu diesem Ziele zu gelangen. Mit Recht hat schon i. L. P e t i t b e m e r k t , dass die Gabe scharf und richtig zu combiniren und Analogien aufzufassen, erforderlich ist, um in der Diagnostik den richtigen Weg zu gehen und das W a h r e von dem S c h e i n b a r e n , welches so oft in der täuschendsten Form auftritt, zu unterscheiden. Nicht die Uebung der Sinne allein ist also das Ziel diagnostischer Studien. Die Bedeutung der einzelnen objectiven (d. h. sinnlich w a h r n e h m b a r e n ) Symptome erweist sich überdies bei g e n a u e r e r Betrachtung als sehr relativ. So ist z. B. die Crepitation für die Diagnose der K n o c h e n b r ü c h e gewiss ein Zeichen von hohem W e r t h e ; aber es gew i n n t an B e d e u t u n g , wenn gleichzeitig eine Verkürzung des Gliedes besteht, und jede T ä u s c h u n g wird unmöglich, wenn diese Verkürzung sich durch Zug leicht heben lässt, beim A u f h ö r e n des Zuges aber schnell wieder eintritt, und wenn endlich diese Verkürzung nach einem Fall oder Schlag plötzlich eingetreten ist. Die sinnlich w a h r n e h m b a r e n Erscheinungen der Krankheiten (die o b j e c t i v e n Symptome) m a c h e n die Annahme der einen oder der a n d e r e n mehr oder weniger wahrscheinlich; aber in der grossen Mehrzahl der Fälle sollte, der Chirurg seine Diagnose erst dann f ü r vollkommen sicher h a l t e n , wenn e r , so wie der Arzt bei inneren Krankheiten, auch die gehörige Rücksicht auf die s u b j c c t i v e n Symp t o m e , ferner auf die U r s a c h e n , den V e r l a u f und die etwa schon stattgefundene B e h a n d l u n g g e n o m m e n , d. h. ein gründliches Krankenexamen angestellt, namentlich die A n a m n e s e gehörig erhoben hat. Der Zustand der V e r d a u u n g , des Kreislaufes, der Nerven- und Muskelthätigkeit, die Beschaffenheit der Secrete, die Haltung u. s. w., alles Dies muss in E r w ä g u n g gezogen w e r d e n , um die Diagnose von j e d e r Seite her aufzuhellen. Zuweilen fehlt dasjenige Zeichen, an welchem die Krankheit am Leichtesten oder am Sichersten zu erkennen ist, das p a t h o g n o m o -
Diagoostische
25
Schlüsse.
nische Zeichen. Bei einem Abscess z. B. lässt sich nicht immer Fluctuation zur W a h r n e h m u n g bringen; die Dicke und Festigkeit der den Eiter bedeckenden Theile, eine zu geringe Menge von angesammelter Flüssigkeit, oder eine zu starke Prallheit der Wandungen des Abscesses, wenn er mit Eiter gleichsam überfüllt i s t , eine zu dicke Consistenz des letzteren u. dgl. in. — können das Wahrnehmen der Fluctuation unmöglich machen. Dann hat der W u n d a r z t nach anderer, örtlichen u n d allgemeinen Erscheinungen zu suchen, welche mit dem Auftretender Eiterungzusammenhängen: klopfende S c h m e r z e n , Gedern iu der Umgegend, mehr oder weniger heftige Frostschauer, e i g e n t ü m liche Gestalt und Sitz der Geschwulst, das Vorhergehen von Entzündungs-Symptomen, die Zeit, welche seit dem Beginn der Krankheil verflossen ist, — dies Alles wird zusammengefasst werden müssen, um das pathognomonische Zeichen zu ersetzen. Zuweilen d ü r f e n wir nach dem pathoguonionischen Zeichcn einer chirurgischen Krankheit gar nicht forschen, weil eine solche Unters u c h u n g Gefahren bedingt. So wäre z. B. das sicherste und eigentlich pathognomonische Zeichen einer bis in die Brusthöhle oder in die Bauchhöhle oder in das Innere eines Gelenkes eindringenden Stichwunde die Möglichkeit mit dem Finger oder der Sonde in die gedachten Höhlen einzudringen; aber ein solches Sondiren würde in vielen Fällen die Gefahr der gedachten Verletzungen so bedeutend e r h ö h e n , dass es besser ist, auf dies Zeichen zu verzichten. Um eine Diagnose zu stellen, bieten sich dem W u n d a r z t e ,
wie
dem Arzte, zwei Wege d a r : auf dem einen beabsichtigt man geradezu zu g e h e n ,
auf dem
Diagnose „ d u r c h
anderen
macht
man
Umwege,
man stellt die
Ausschliessung".
Im e r s t e n Falle lässt man sich von einem auffallenden Symptome leiten, man gründet auf dies eine Zeichen ein Vorurtheil über die zu e r k e n n e n d e K r a n k h e i t ; man sucht alsdann nach anderen Zeichen, um diese vorgefasste Meinung zu befestigen und gelangt auf diese Weise oft sehr
schnell
zum
Ziele.
Liefern
die weiteren
Untersuchungen
aber ein j e n e r ersten Ansicht widersprechendes Resultat, so lässt man dieselbe fallen und bildet nach dein hervorstechendsten
der
bei
der
ferneren U n t e r s u c h u n g aufgefundenen Zeichen eine n e u e , auf gleiche Weise weiter zu p r ü f e n d e Diagnose; oder aber man
verlässt
diesen
Weg ganz, u m auf dem zweiten zum Ziele zu gelangen. Das Verfahren durch A u s s c h l i e s s u n g eine Diagnose zu bilden, findet
in folgender Weise Statt.
Man lässt zunächst die Krankheiten,
deren S y m p t o m e mit den im vorliegenden Falle beobachteten nur ganz
26
Chirurgische Diagnostik.
entfernte Aehnlichkeit darbieten, bei Seite; man vergleicht diejenigen genauer, welche eine grössere Uebereinstimmung zeigen, und gelangt in dieser Weise, eine Gruppe und eine Art nach der anderen ausscheidend, zu derjenigen, welche die vollkommenste Uebereinstimmung darbietet, — als welche man also den vorliegenden Fall erkennen zu müssen glaubt. Dies Verfahren setzt voraus, dass der Wundarzt mit den Erscheinungen aller Krankheiten, welche in den einzelnen Gegenden des Körpers auftreten können, vollkommen vertraut sei. So giebt es z. B. in der Inguinalgegend eine grosse Menge von Geschwülsten; hier könnte es einem nicht mit allen diesen gehörig bekannten Wundarzte begegnen, dass er zwar wohl aussagen könnte, es sei die vorliegende Geschwulst weder ein Bubo, noch eine Hernie, noch ein Aneurysma, noch ein Varix, ohne aber angeben zu können, welcher Natur die Geschwulst wirklich ist. Viel b e o b a c h t e n , w i e d e r h o l t b e o b a c h t e n u n d g u t b e o b a c h t e n , v i e l l e s e n und g e n a u l e s e n , das sind die wesentlichen Quellen, aus denen, bei ausreichenden anatomischen, physiologischen, pathologisch-anatomischen und allgemein-pathologischen Vorkenntnissen, eine richtige und sichere Erkenntniss der Krankheiten fliesst. Nichts destoweniger hat man sich oft geirrt, irrt sich noch heute und wird sich noch oft irren. Die Chirurgie könnte ebensogut wie die Medicin eine lange Liste entfalten, wenn sie ihre Irrthümer und Schwächen aufzählen wollte. Täuschungen der Sinne, Vorurtheile, ungenügende Kenntnisse, Uebereilung, falsche Schlüsse, Partheilichkeit finden sich bei den Chirurgen ebensogut, wie bei anderen Menschen. A. B e r a r d erhielt bei einem Concurse die mühsame Aufgabe, eine Aufzählung von Irrthümern aus dem Bereich der chirurgischen Diagnostik zu liefern; in 10 Tagen hatte er deren bereits 267 aufgefunden, die eine gewisse Berühmtheit erlangt haben 1 ). Zu welcher Summe wäre man gekommen, wenn man länger nachgeforscht und auch diejenigen hätte erwähnen können, welche nicht veröffentlicht worden sind! ( ' A. B e r a r d ,
Du diagnostic dans les maladies chirurgicales.
These de concours.
27
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
B. Von den der Chirurgie eigenthiimlichen Heilmitteln1). (Allgemeine Akiurgle.)
I.
Von den c h i r u r g i s c h e n O p e r a t i o n e n im Allgemeinen.
Eine chirurgische Operation ist eine bald plötzliche, bald länger d a u e r n d e mechanische o d e r chcraische Einwirkung auf den Körper, in der Absicht, eine Krankheit zu heilen oder zu verhüten. Hierbei werden die V e r b ä n d e u n t e r den Operationen im weiteren Sinne mit begriffen. — Im engeren Sinne nennt m a n chirurgische Operationen solche Einwirkungen, die durch Vermittlung einer absichtlichen Verw u n d u n g (daher auch „blutige Operationen") oder durch Vermittlung eines eingeführten fremden Körpers (Zangen, Katheter), immerhin also durch eine V e r l e t z u n g , f ü r den beabsichtigten Heilzweck nützlich werden sollen, und unterscheidet diese w i e d e r u m , j e nachdem sie m i t d e r H a n d a l l e i n oder m i t I n s t r u m e n t e n , — mit unbewaffneter o d e r mit bewaffneter Hand — ausgeführt w e r d e n , in M a n u a l - und I n s t r u m e n t a l - O p e r a t i o n e n . Erstere lassen sich im Allgemeinen auf Z u g und D r u c k zurückführen. Es handelt sich dabei im einzelnen Falle bald m e h r um Bewegungen in den verschiedensten Richtungen, namentlich zuweilen um Zerbrechen oder doch Umknicken, bald um Zusammendrücken einer einzelnen Stelle (Compression) oder um eine m e h r streichende, reibende und k n e t e n d e Einwirkung (Massage). Man k ö n n t e diese einfachen Acte als e l e m e n t a r e Manualoperationen bezeichnen. Gewöhnlich denkt man aber, wenn von E l e m e n t a r - O p e r a t i o n e n die Rede ist, n u r an solche einfache Operationen, welche mit Instrumenten ausgeführt werden, und benennt dieselben von Alters her, nach dem Z w e c k , welcher erreicht werden soll. Bei der D i a e r e s i s ' ) F ü r das eingehendere Studium sind zu empfehlen: Heilmittellehre, Tübingen,
1 8 7 3 . — W. I l e i n e k e ,
V. v. B r u n s ,
Chirurgische
Compendium der chirurgi-
schen Operations- u. Verbandlehre, 2. Aull., Erlangen, 1 8 7 6 . — W. v. L i n h a r t , Compendium der Operationslehre, 4. Aull., Wien, 1 8 7 4 . — E. G u r l t , Leitfaden für Operationsiibnngen am Cadaver, 3. Aufl., Berlin, 1 8 7 3 .
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Chirurgische
ist der Zweck bei
zu t r e n n e n ,
der E x a e r e s i s
Emphyteusis Lippen;
man
Operationen
im
Allgemeinen.
bei der S y n t h e s i s
etwas a u s z u z i e h e n ,
etwas
anzufügen.
vereinigt eine
Man
Wunde
zu
trennt
oder'eine
die
oder
verwachsenen
Hasenscharte;
zieht eine Kugel a u s , die in der Wunde stecken
geblieben
setzt eine künstliche Nase an die Stelle der verloren Der Name „ E l e m e n t a r - O p e r a t i o n e n "
vereinigen,
bei der P r o t h e s i s
man
ist; man
gegangenen.
ist insofern begründet,
alle Operationen sich auf diese zurückführen lassen.
als
Selbst die genial-
sten Operationen, vor denen der Laie staunt und erschrickt, bestehen in der That gewöhnlich nur aus Diaeresis, d. h. Schnitten, und Synthesis, d. h. Nähten. Operations-Methoden und Operations-Verfahren. Mail unternimmt eine Operation, um eine Indication zu erfüllen. So wird z. B . eine Pulsader unterbunden, um den Zutritt des Blutes zu einer mit ihr communicirenden brechen.
Geschwulst (Aneurysma) zu unter-
Um diese Indication zu erfüllen, kann die Unterbindung aber
an verschiedenen Stellen ausgeführt werden: dicht oberhalb des Aneurysma, oder weiter entfernt von demselben gegen das Herz hin, oder dicht unterhalb (am peripherischen Ende) der Geschwulst, oder dicht oberhalb u n d dicht unterhalb derselben zugleich. Unterbindingsstellen schiedenen
geben
Charakter,
unterscheidet.
der
dass man
Operation danach
Diese verschiedenen
einen eben
so wesentlich
so viele
ver-
Methoden
Die Aufsuchung der zu unterbindenden Ader, die Art
und Weise, in welcher sie von den benachbarten Theilen isolirt wird, und endlich der Act der Unterbindung selbst bietet wiederum tionen d a r , scheidung ben. —
Varia-
die von untergeordneter Bedeutung sind und zur Unterverschiedener O p e r a t i o n s - V e r f a h r e n
Veranlassung
ge-
Um einen für die Existenz des ganzen K ö r p e r s gefährlichen
Theil einer Extremität zu entfernen, durchschneidet man die Weichtheile und durchsägt den K n o c h e n : man amputirt. in solcher Weise durchschnitten
werden,
Die Weichtheile müssen
dass nach Vollendung
Operation das durchsägte Knochen-Ende nicht hervorragt. forderungen lässt sich in verschiedener Weise bald einen oder zwei grosse Haut-
genügen,
oder Fleischlappen
der
Diesen Anindem
man
ausschneidet,
durch deren Umklappen und Zusammenlegen der Knochenstumpf gedeckt wird,
bald durch mehrfache Cirkelschnitte eine trichterförmige
Wunde darstellt, in deren Tiefe die Sägefläche des Knochens versteckt liegt. schnitt
Danach unterscheidet man den Lappenschnitt und den Cirkelals
der Lappen
verschiedene geschieht
Amputations-Methoden.
aber
entweder durch
Die
Bildung
einen von Aussen nach
Operations-Methodeo und -Verfahren.
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Innen geführten Einschnitt, oder in umgekehrter Richtung, indem man ein langes spitzes Messer neben dem Knochen durch die ganze Dicke des Gliedes hindurchstösst und dann gegen die Peripherie hin mit langen Zügen die Weichtheile durchschneidet. Danach unterscheidet man verschiedene V e r f a h r e n bei der Lappenbildung. Aehnlich verhält es sich beim Cirkelschnitt, ähnlich überhaupt bei fast jeder Operation. Die M e t h o d e ist also als das Höhere, Bedeutendere und Wesentliche zu betrachten; die Verschiedenheit der V e r f a h r e n beruht oft nur in der grösseren oder geringeren Schwierigkeit der Ausführung, zuweilen sogar auf individueller Vorliebe. Das Genie schafft Methoden; die Verfahren haben gewöhnlich nur dem Talent, — gar oft dem halben Talent ihren Ursprung zu verdanken; denn die Benennung „Verfahren" ist so gemissbraucht worden, dass die unbedeutendsten Modificationen der Ausführung einer Operation mit diesem Namen beehrt worden sind. Regelmässige Operationen.
Die Methoden und Verfahren, welche theoretisch und praktisch erprobt sind, finden Aufnahme im Gebiete unserer Wissenschaft und dienen dem Anfänger zur Richtschnur. Sie bezichen sich wesentlich auf diejenigen Operationen, deren Plan vorher entworfen werden kann und bei denen sich selten etwas nicht Vorherzusehendes ereignet. Diese Operationen nennt man r e g e l m ä s s i g e ; man verrichtet sie gewöhnlich in gesunden Theilen. Zu dieser Kategorie gehören z. B. die Unterbindung der Arterien in ihrer Continuität, die Amputation der Glieder, der Steinschnitt. Bei einer anderen Glasse von Operationen spielen nicht vorherzusehende Ereignisse die Hauptrolle. So können z. B. bei der Operation eines eingeklemmten Bruches weder diejenigen Gebilde, welche die Geschwulst umhüllen, noch auch die in ihr enthaltenen im Voraus immer mit voller Bestimmtheit erkannt werden, und zuweilen treten dem Wundarzte Schwierigkeiten in den Weg, deren Beseitigung einen schnellen Entschluss erfordert. Die genannte Operation hat jedoch in neuester Zeit durch die Fortschritte in der Anatomie der Brüche an ihrer „Unregelmässigkeit" sehr verloren. Dagegen fehlen speciell leitende Regeln für die Exstirpation vieler Geschwülste, besonders solcher, deren Begrenzung in der Tiefe nicht genau erkannt werden kann. Hierbei hört oft sogar die Anatomie a u f , dem Wundarzte ein Leitstern zu sein; denn die Gebilde sind verschoben, verdrängt und haben ihre normale Gestalt und Lage, oft auch ihre normale Beweglichkeit durchaus eingebüsst. Solchen Schwierigkeiten gegenüber wird der besonnene Arzt erst
30
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
reiflich alle Verhältnisse überlegen, b e v o r er das Messer ergreift, und e r wird besser t h u n , Operationen der A r t , sofern sie nicht dringend n o t h w e n d i g sind, g a n z z u unterlassen, wenn nicht Untersuchungen an der Leiche
u n d eine
hinreichende U e b u n g
vorher begründet haben.
im Operiren seinen Muth
„In certis fortiter, in dubiis
prudenter."
W a h l des Ortes und der Z e l t f ü r die Operation (Ort und Z e i t der W a h l ) . Bei vielen Operationen kann d e r W u n d a r z t die Stelle, an w e l c h e r er sie machen w i l l , gewissen Bezirk bei
wenn
auch
auswählen;
der Unterbindung
nicht
ganz frei, so
so z. B. bei den
der Arterien in
doch
meisten
in
einem
Amputationen,
ihrer Continuität.
Die E r f a h -
r u n g hat für solche Fälle bestimmte Stellen sunctionirt, und man hat diese dann mit d e m Namen
„ O r t d e r W a h l " bezeichnet.
Natürlich
kann aber dieser „ O r t der W a h l " , j e nach dem Stande der Wissenschaft, w e c h s e l n .
S o w a r z. B. früher die g e w ö h n l i c h e Amputations-
stelle am Unterschenkel, a u c h in denjenigen Fällen, w o eigentlich
nur
der Fuss entfernt w e r d e n sollte, das obere Dritttheil des Unterschenkels. Jetzt
amputirt
man
in der G e g e n d
der K n ö c h e l ,
wenn
kein Grund
v o r l i e g t einen Theil des Unterschenkels selbst fortzunehmen. Natürlich
kann
von
einer W a h l
des Ortes nicht die Rede sein,
w e n n die K r a n k h e i t den Operationsplatz selbst vorschreibt, so namentlich
bei
der Exstirpation
von Geschwülsten.
Man
a u c h „ O r t des Z w a n g e s " , oder besser „ Z w a n g des
n e n n t dies
wohl
Ortes".
Bei vielen Operationen kann m a n die Z e i t z u ihrer A u s f ü h r u n g nicht w ä h l e n ;
sie dulden keinen A u f s c h u b .
So
z. B .
muss bei
der
V e r l e t z u n g einer grossen Pulsader dieselbe sogleich verschlossen den;
fremde
Körper
in den
Luftwegen
müssen
schleunigst
wer-
entfernt
w e r d e n ; a u c h die Bruchoperation g e h ö r t fast immer in diese Kategorie. Das
sind
dringende
nicht gleich g r o s s ;
derselben
ist
so z. B. bei einer Arterien Verletzung g r ö s s e r ,
Operationen.
als
bei einem e i n g e k l e m m t e n
Die Dringlichkeit
Bruche.
Bei einer a n d e r n Classe von Operationen steht es dem W u n d a r z t e frei, die Zeit z u ihrer A u s f ü h r u n g zu w ä h l e n .
Das F r ü h j a h r , richtiger
a u s g e d r ü c k t , die Jahreszeit, in w e l c h e r man die beständigste, j e d o c h nicht allzuheisse Witterung e r w a r t e n kann, w i r d gern
gewählt.
Herrschen
Krankheiten,
von denen
warme,
vorzugsweise
Verwundete
be-
s o n d e r s leicht befallen w e r d e n , w i e Rothlauf, L y m p h g e f ä s s e n t z ü n d u n g , Hospitalbrand u. dgl. m., so v e r m e i d e t man alle nicht dringend
not-
w e n d i g e n O p e r a t i o n e n und sucht die K r a n k e n , bei denen ein o p e r a tiver
Eingriff unvermeidlich
ist,
v o r h e r in möglichst günstige
hältnisse, namentlich in reine L u f t z u
versetzen.
Ver-
Nothwendige —
Nothwendige Operationen.
Nützliche Operationen.
Die gewöhnliche Ansicht der Nichtärzte gleichsam „der letzte Versuch" sei, flucht
erst dann
nehmen sollte,
sind.
Abgesehen
davon,
solchen
dass
Heilplanes gewöhnlich
31
nützliche Operationen.
ist,
dass die Operation
und dass man zu ihr seine Zu-
wenn
alle anderen Mittel erschöpft
der Kranke bei der Befolgung
eines
sehr viel Zeit verlieren würde,
darf
man nicht vergessen, dass man durch den Aufschub einer Operation auch direct schaden und durch die fortgesetzte Anwendung mancher Heilmittel grössere Gefahren herbeiführen kann, als sie die Operation mit sich bringt. Mit Recht kann man aber unterscheiden: 1.
Nothwendige Operationen,
welche unternommen werden,
um ein Leiden zu beseitigen, welches das Leben bedroht.
Die d r i n -
g e n d e n Operationen (pag. 3 0 ) gehören sämmtlich in diese Reihe. 2.
Nützliche Operationen,
den sollen, jedoch
in
die den Gebrauch, einer
für
durch welche Uebel beseitigt wer-
oder die Thätigkeit gewisser Theile,
das Leben
nicht gefährlichen
Weise,
hindern.
Hierher gehören diejenigen Operationen, welche von Manchen als „aus Gefälligkeit u n t e r n o m m e n "
(opérations
„kosmetische" bezeichnet werden. eine Operation
der letzteren
Art
par
Wo
complaisance)
es sich
oder als
darum handelt,
gemacht werden soll,
oder
ob
nicht,
müssen stets einer Seits die Beschwerden und Störungen, welche b e seitigt werden sollen,
anderer Seits die Gefahren der Operation reif-
lich erwogen werden.
So wird Niemand anstehen, eine Hasenscharte
zu operiren, wenn sie auch die Function der Lippe gar nicht störte, weil diese Operation
ungefährlich
Seits mit Recht die Operation wo sie keineswegs
als
ist,
und man unternahm anderer
der Gelenkmäuse auch zu einer Zeit,
gefahrlos
anzusehen
war,
sobald
das Glied
durch dies Uebel unbrauchbar zu werden drohte. So grosse
wie die Geringfügigkeit des Leidens, Ausdehnung
in den g a n z e n
desselben,
Organismus
oder ein
so kann auch eine zu zu
tiefes
Eingreifen
das Operiren unzulässig machen.
Oft verbietet der Z u s a m m e n h a n g des scheinbar örtlichen Uebels mit e i n e m L e i d e n
des ganzen K ö r p e r s ,
Bestehen einer a n d e r e n operativen
Eingriff.
Es
oder das
gleichzeitige
nicht zu beseitigenden K r a n k h e i t ist
deshalb
nothwendig,
den
jeden
Zustand
der
inneren Organe bei jedem zu Operirenden auf das Genaueste zu untersuchen. Ausser den unmittelbaren G e f a h r e n ,
welche eine j e d e ,
unter
ungünstigen Verhältnissen unternommene Operation in ihrem Gefolge
32
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
haben
k a n n , muss man oft noch R e c i d i v e ,
Heilung befürchten. liche
Leiden
oder eine
unvollständige
Dies ist besonders dann d e r Fall, w e n n das ört-
auf einer
Erkrankung
des
ganzen
Organismus
beruht.,
oder bereits eine s o l c h e b e w i r k t hat. Opera tionsplau. „ D e r W u n d a r z t kann nicht g e n u g v o r h e r der Ausführung
einer Operation
an T h e i l e n ,
bedenken,
zumal
vor
deren Verhältnisse ihm
nicht b e k a n n t sein k ö n n e n ; er muss sich alle diejenigen Verhältnisse, die er etwa antreffen könnte, und alle die Zufälle, die den G a n g Operation stören k ö n n t e n , v e r g e g e n w ä r t i g e n ; er muss sein für
alle
diese
Fälle
feststellen,
und
dann,
Muthe bewaffnet, z u r A u s f ü h r u n g schreiten.
mit
schwinden. dann d u r c h
unerschütterlichem
Ist die Operation
begonnen, d a n n m u s s a l l e U n g e w i s s h eit u n d
alles
einmal
Bedenken
Mit g a n z e r Seele bei der Operation, muss der Chirurg Hinderniss
mehr
aufgehalten
muss Alles v o r h e r g e s e h e n ,
Alles
berechnet.
reitet
der
Verfahren
kein
haben.
W e n n er ü b e r r a s c h t u n d v e r w i r r t w i r d ,
er nicht die nöthigen E i g e n s c h a f t e n , des W o r t e s zu
werden; Alles
um Operateur
er
vorbe-
so
besitzt
im vollen
Sinne
sein."
So sehr diese (der letzten A u s g a b e von S a b a t i e r ' s
Operations-
lehre e n t n o m m e n e n ) Sätze auch als A u s d r u c k der Lehren D u p u y t r e n ' s b e w u n d e r t w o r d e n sind, so sind sie doch nicht d u r c h w e g
stichhaltig.
V o r A l l e m ist eine eilige u n d gleichsam m e c h a n i s c h e A u s f ü h r u n g der Operation nicht als die w e s e n t l i c h e A u f g a b e z u betrachten.
Es heisst
U n m ö g l i c h e s v e r l a n g e n , w e n n g e f o r d e r t w i r d , j e d e Ungewissheit müsse fortfallen, sobald die Operation b e g o n n e n ist. unter ihnen D u p u y t r e n
Berühmte
Wundärzte,
selbst, haben bei Bruchoperationen
gestutzt,
g e z ö g e r t u n d i h r e Assistenten ü b e r die Natur der blossgelegten Theile befragt.
Der b e r ü h m t e J. L. P e t i t
Bruchoperation
gestand, dass er bei B e g i n n einer
oft nicht wusste, w i e er eigentlich verfahren sollte.
giebt in der T h a t O p e r a t i o n e n ,
bei
und vorher berechnet werden kann.
denen nicht Alles Gerade
Es
vorhergesehen
die B e s i e g u n g des Un-
v o r h e r g e s e h e n e n , w e l c h e s fast bei keiner Operation ganz
fehlt,
lässt
den geübten Operateur im glänzendsten Lichte e r s c h e i n e n ; da hat er Gelegenheit, s c h n e l l „ e i n n e u e s Mittel nützlich z u erfinden, an w e l c h e s er selbst v o r h e r nicht g e d a c h t h a t t e " ( D i e f f e n b a c h ) .
Um eine Ope-
ration in allen ihren Acten g e n a u u n d richtig a u s z u f ü h r e n , bei w e l c h e r Alles vorhergesehen
und
vorher
bestimmt w e r d e n kann, d a z u
reicht
ein Talent und ein Grad technischer Fertigkeit aus, w i e sie h e u t z u t a g e mit Recht von j e d e m A r z t v e r l a n g t
werden.
Vorbereitungen zur
33
Operation.
Keineswegs- soll aber deshalb empfohlen werden, eine Operation zu unternehmen, ohne vorher einen O p e r a t i o n s p l a n entworfen zu haben; im Gegentheil, man berechne Alles voraus, wenn man alle Factoren für eine solche Berechnung erhalten kann; gelingt das nicht, so sammle man deren so viel als möglich. A. V i d a l (de Cassis) hat, im Gegensatz zu der von D u p u y t r e n empfohlenen auf möglichst schnelle und ununterbrochene Vollendung der Operation abzielenden Eile, — nach der anderen Seite zu weit gehend, — vorgeschlagen, gewisse O p e r a t i o n e n i n m e h r e r e n S i t z u n g e n [en plusieurs temps) auszufahren. Dies Zertheilen der Operation in mehrere, zeitlich getrennte Acte sollte den Vortheil haben, dass man, analog dem Vorgange der „Naturheilung", wie er z. B. bei der Abstossung brandiger Theile beobachtet wird, Verwachsungen einleiten könne in der Umgebung der Stelle, an welcher eine Trennung vorgenommen werden soll, und dadurch theils Blutungen vorzubeugen, theils das Eindringen nachtheiliger Stoffe (zersetzter Wundsecrete) in die benachbarten Gewebe zu verhüten vermöge. Wenn wir auch im Interesse des Patienten wiederholte operative Eingriffe an Stelle eines einzigen, wo ein solcher ausreicht, nicht empfehlen werden, so haben doch die theoretischen Betrachtungen V i d a l ' s neuerdings, namentlich durch die weiterhin näher zu erläuternden Methoden der „ Z e r m a l m u n g " und der „ G a l v a n o k a u s t i k " eine praktische Bedeutung gewonnen. Die Abtrennung eines Theils durch einen stetig und immer mächtiger gesteigerten Druck ( C h a s s a i g n a c ' s écrasement linéaire) wäre früher als eine Barbarei erschienen, hat sich aber in der That als eine Methode bewährt, die dem Postulate, dass der Diaeresis die Synthesis vorausgehen müsse, insofern entspricht, als wenigstens alle kleineren Gefässe dabei vor ihrer Trennung verschlossen werden. Noch vollständiger erfüllt jene Forderung die G a l v a n o k a u s t i k , welche nicht blos jenen Verschluss der kleinen Adern im Moment der Trennung bewerkstelligt, sondern ausserdem einen die ganze Trennungsfläche deckenden und absperrenden Schorf herstellt.
V o r b e r e i t u n g e n z u r Operation.
Die Vorbereitungen zur Operation beziehen sich theils auf den Operateur, theils auf den Kranken. Erstere betreffen namentlich die Wahl und Anstellung der Gehülfen und die Ordnung der Instrumente. Letztere beziehen sich: 1) auf den Gemüthszustand, 2) auf den ganzen Organismus des Kranken und 3) auf den Operationsort. Bardelebeu, Cliii'ui-jiic. 8. Aufl. I.
3
34
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Geistige
Vorbereitung.
Wenn auch heut zu Tage, — wo es allgemein bekannt ist und für selbstverständlich erachtet wird, dass selbst die grössten, lange Zeit in Anspruch nehmenden Operationen schmerzlos verlaufen, — der Entschluss, sich einer Operation zu unterziehen, leichter gefasst wird, als vor der Erfindung der Anaesthetica, so bedarf es doch noch immer eines Entschlusses, zu welchem ein gewisser Muth oder doch eine Ergebung in das Unvermeidliche gehört. Diesen Entschluss kann der Arzt durch Einwirkung auf das Gemüth der Kranken in hohem Grade erleichtern. Besitzt er neben einem reinen Charakter eine gründliche medicinische und a l l g e m e i n e Bildung, lebt er mit voller Hingebung seinem Berufe ') und betrachtet seinen Kranken wie einen zu rettenden Freund, so schöpft dieser auch bald Vertrauen und Muth. Jedoch werden viele Kranke, wenn es zur Entscheidung kommt, kleinmüthig. Man muss ihnen dann in etwas künstlicher Weise Muth einflössen, oder sie in gewissem Grade täuschen. Für beides bedarf man eines gewissen Talentes und einiger Uebung, wie sie allerdings früher, wo der Ueberredungskunst des Wundarztes das Chloroform noch nicht als mächtiger Bundesgenosse zur Seite stand, selbst von jüngeren Aerzten schneller erlangt wurde und erlangt werden musste. Von D u p u y t r e n 2 ) wird erzählt, dass er den Kleinmüthigen Kinder und schwache Weiber zeigte, welche die gefürchtete Operation muthig ertragen hatten; sie sollten sich schämen, dass sie weniger Muth haben wollten, als jene. D i e f f e n b a c h 3 ) , welcher auch in dieser Beziehung ein Meister war, erzählt sehr drastisch, wie e r , um messerscheue Kranke zu dem Bruchschnitt zu überreden, alte Frauen aus der Nachbarschaft herbeigeholt habe, die als lebende Zeugen für die Wirksamkeit und Gefahrlosigkeit dieser Operation auftreten, ihre Narben zeigen und versichern mussten, „es thue nicht weh". Handelt es sich um eine gefahrlose Operation, welche sich leicht und schnell ausführen lässt, wie z. B. die einer Mastdarmfistel, so operirt man ängstliche Kranke ohne ihr Wissen, unter dem Vorgeben einer genaueren Untersuchung. Mancher Kranke schaudert schon bei dem Gedanken an eine Operation. Er ahnt noch gar nicht die Nothwendigkeit derselben, und doch ist keine Zeit zu verlieren, wie z. B. bei einem einge„ . . . ut q u a m proßteor artem ad religionis sanctitatem
adducam."
3
) D u p u y t r e n , im 2. und 3. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts der berühmteste Wund-
3
) D i e f f e n b a c h , Professor der Chirurgie in Berlin, der genialste Chirurg aus der
arzt Frankreichs,
Professor der Chirurgie und Chirurg am Hôtel-Dieu zu Paris.
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, starb 1847, erst 5 2 Jahre alt.
35
Vorbereitungen zur Operation.
klemmten Bruche. Man vermeide dann das Wort „Operation"; auch das „Schneiden" werde euphemistisch umgangen, und man stelle das einzuschlagende Verfahren als leicht, einfach und schnell vorübergehend dar. Der specielle Name einer Operation erschreckt oft den Kranken ganz
besonders.
Ein Steinkranker hatte geschworen, sich nie operiren zu lassen, weil er den „schrecklichen Steinschnitt" unmöglich überleben könne. sitze im Blasenhalse,
Dupuytren
sagte i h m ,
es sei nur ein einfacher Einschnitt notliwendig.
der Kranke selbst diesen „ E i n s c h n i t t " . schnitt und zog drei Steine aus.
Dupuytren
der Stein
Nun verlangte
machte den gewöhnlichen Stein-
D e r O p e r i r t e aber versicherte laut, er wolle lieber
zwanzigmal eine solche Operation aushalten, als e i n e n
Steinscbnitt.
Zuweilen affectirt der Kranke einen Muth, den er nicht hat, er simulirt eine Tapferkeit, die ihn jeden Klagelaut unterdrücken lässt. Dadurch werden die Kräfte ungemein aufgerieben, und unmittelbar nach der Operation verfallen diese Muth-Simulanten in einen Zustand von Schwäche, aus dem sie sich nicht wieder erholen können'). Der Wundarzt muss hierauf wohl achten und die Kranken in dieser Beziehung warnen. Hat man auch zu solchen Beobachtungen jetzt, wegen der allgemeinen Anwendung der Betäubungsmittel selten Gelegenheit, so ist es doch gut, sie nicht ganz zu vergessen. Nicht blos der Tod und die Schmerzen werden von den Kranken gefürchtet, sondern auch die Verstümmelungen und Entstellungen, welche Folge der Operation sein können. Da muss denn der Chirurg einen Theil der Wahrheit verbergen, indem er solche Verstümmelungen in den Augen der Kranken geringer erscheinen lässt. Ist es ein Handwerker, ein Familienvater, der voraussichtlich durch die Operation unfähig werden wird zu arbeiten, so suche man ihn im Voraus zu trösten, indem man ihm Unterstützungen in Aussicht stellt. In solchen Fällen hat der Wundarzt zu zeigen, dass er die „misericordia" des C e l s u s (vgl. p. 62) versteht, dass sein Herz, unzugängig für Gemüthsbewegungen, welche die Operation stören könnten, für die Leiden Anderer doch empfänglich ist. Er wird seine sociale Stellung benutzen, um das Schicksal dieser Unglücklichen zu verbessern. Hat sich der Kranke zur Operation entschlossen, so muss man ihm oft doch Tag und Stunde derselben geheim halten, weil er sonst die ganze Zeit bis dahin in Angst zubringen würde. Zuweilen muss man sogar den definitiven Entschluss des Kranken erst herbeizuführen suchen, wenn alle Vorbereitungen zur Operation getroffen sind; man nimmt ihn dann gleichsam beim Wort. Manche Kranke hingegen 1
) In einem Beginn
von C a z e n a v e der
Operation
(in Bordeaux)
beobachteten Falle trat
(Steinschnitt) ein.
der Tod
Vgl. Gaz. m&l. 1 8 5 0 ,
Aehnliches erlebten H. F i s c h e r in Breslau u. A.
3*
vor
No. 4 9 .
36
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
verlangen, dass man sie auf die Operation vorbereite; ihre Hoffnungen steigen bei dem Gebrauch der Mittel, welche man als „vorbereitende" zu geben pflegt. Ja, einzelne Kranke haben es sogar gern, wenn man sich mit ihnen über die Einzelheiten der Operation unterhält. Natürlich muss der Chirurg bei dieser Gelegenheit seine Ausdrücke mildern und Alles vermeiden, was den Kranken ängstigen könnte; denn nicht immer ist solcher Muth stichhaltig. Gehälfen.
Nachdem der Operateur sein Verfahren gewählt und seinen Operationsplan entworfen hat, nachdem er Alles vorher berechnet hat, was sich vorher berechnen lässt, wähle er sich Gehülfen, welche nicht blos die Operation, sondern auch seine Art zu operiren kennen, womöglich solche, die ein doppeltes Interesse an dem Erfolge der Operation haben, das für den Kranken und das für den Operateur. Bei schwierigen Operationen und unter Verhältnissen, wo eine grosse Verantwortlichkeit auf dem Operateur ruht, suche er geachtete und wohlwollende Collegen zu Assistenten zu gewinnen. Aber niemals verleite ihn die Eitelkeit zu einer unnöthigen Vermehrung der Zahl der Anwesenden. Eine solche ist weder dem Kranken angenehm, noch dem Arzte von Nutzen. Wenn alle Gehülfen gut gewählt und zweckmässig angestellt sind, so müssen sie ohne Geräusch einem Blick, einer Bewegung des Operateurs so leicht gehorchen, dass sie seinen Willen zu errathen scheinen. Diese Harmonie, dieses Zusammenwirken bei der Ausführung der Operation wird nicht blos von den Zuschauern, sondern oft auch von dem Kranken selbst recht wohl erkannt und vermehrt sein Vertrauen und dadurch die Aussicht auf einen günstigen Erfolg. Operationsapparat.
Die erforderlichen Geräthschaften sind von dreierlei Art: 1. diejenigen, welche zur Ausführung der Operation selbst nothwendig sind; 2. solche, die zur Verhütung übler Zufälle während der Operation bestimmt sind; 3. die Verbandstücke. So viel als möglich suche der Operateur seinen Apparat selbst aus und ordne die einzelnen Stücke nach der Reihenfolge, in welcher sie gebraucht werden sollen, auf einem Brett oder Tisch, den Augen des Kranken entzogen. Jedenfalls muss er vor dem Beginne der Operation Alles revidiren. Bei bedeutenden Operationen müssen diejenigen Instrumente, welche etwa während derselben unbrauchbar werden könnten, mindestens doppelt vorhanden sein. Auch die Verbandstücke müssen mehrfach vorhanden
Vorbereitungen zur Operation.
37
sein, für den Fall, dass eine Nachblutung oder sonst ein Zufall einen zweiten Verband nothwendig macht. Zu jedem Operationsapparat gehören m e h r e r e voll
antiseptischer
Flüssigkeit
(wässriger
grosse Schüsseln
Carbolsäurelösungen
von
2 p. C. und von 3 p.C.), ferner r e i n e , antiseptisch präparirte Schwämme (vgl. pag. 51) und Handtücher, endlich einige Analeptica,
wie Wein,
Iloifmannstropfen, Salmiakgeist. Die Sorge für gehörige B e l e u c h t u n g ist von grosser Bedeutung; am Günstigsten ist gut auffallendes Tageslicht, in dessen Ermangelung die pag. 7 erwähnten Beleuchtungsapparate (Operationsleuchter), zur Anwendung kommen, welche der Obhut eines zuverlässigen Gehülfen zu übergeben oder in passender Stellung sicher zu befestigen sind. S t e l l u n g der Gebiilfen und des
Operateurs.
Für den Kranken ist die horizontale Lage fast immer die zweckmässigste, besonders bei Operationen am Rumpf und an den unteren Extremitäten.
In Krankenhäusern und Kliniken hat man eigene Ope-
rationstische, welche schmal und fest, zuweilen auch in verschiedenen Richtungen beweglich mannigfaltige
sind, u n d
an
welchen man auch sonst noch
Complicationen a n g e b r a c h t
sucht man ein bequemes S o p h a , sicheren Tisch Strohsack legt. einem Zimmer
oder
eine Gommode
Am Zweckmässigsten neben
hat.
In
der
Privatpraxis
ein Bett mit fester Matratze,
der Schlafstube
aus,
auf
welche
man
einen einen
wird dies Operationslager des K r a n k e n ,
in
des Fensters aufgeschlagen. — Bei manchen Operationen,
der
in
Nähe
besonders
am Kopf und an den oberen Extremitäten, kann m a n den Kranken auch sitzen lassen; jedoch d ü r f t e dies n u r in höchst seltenen Fällen Vortheil gewähren. Den Kranken festzubinden oder festzuschnallen, ist ganz ausser Gebrauch.
Nur beim Seiten-Stein-Schnitt fesseln Viele noch die Hände
an die Füsse vermittelst besonderer Gurte (Schellen).
Ausgedehntere
Bewegungen werden durch die Gehülfen verhütet, oder doch beschränkt; eme vollkommene Unbeweglichkeit lässt sich durch Gewalt schwer erreichen; von dem „festen Willen" des Kranken kann man, wenn man Betäubungsmittel
angewendet h a t , nichts erwarten.
Jedenfalls thut
man gut, den Kranken vorher darauf aufmerksam zu m a c h e n ,
dass
seine Hände nur „ z u r Erleichterung der Operation" oder „zum Pulsfühlen" u. dgl. m., keineswegs a b e r , weil man Misstrauen in seinen Muth setzte, von den Gehülfen gehalten werden. Der gewandteste Gehülfe erhält seinen Platz gegenüber dem Operateur, und hat diesen wesentlich zu unterstützen; er operirt mit ihm,
38
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
unterbindet die spritzenden Gefässe, oder comprirairt sie, zieht die Theile auseinander, spannt sie, wischt sie ab, und erleichtert so die Arbeit des Operateurs. Von nicht geringerer Bedeutung ist bei vielen Operationen der Gehülfe, welcher den Arterienstamm comprimirt oder auf andere Weise für Verhütung grösserer Blutungen sorgt. Wenn man sich des künstlichen Lichtes bedient, so ist der hiermit betraute Gehülfe von grosser Wichtigkeit; er muss dafür sorgen, dass die Punkte, an welchen der Operateur arbeitet, immer auf's Beste beleuchtet sind. Eine besondere Verantwortung trägt der Gehülfe, welcher die Betäubung leitet und überwacht. Andere Geholfen halten die Gliedmaassen, den Rumpf, den Kopf, je nach Bedürfniss, ohne jedoch den Kranken mehr zu belästigen, als durchaus nöthig ist. Der Operateur steht fast immer aufrecht und muss deshalb die Höhe des Bettes oder Tisches, worauf opcrirt werden soll, seiner Körperlänge entsprechend einrichten lassen. V o r b e r e i t u n g des
ganzen Körpers
des
Kranken.
Je nach dem Temperament, dem Kräftezustand und den Idiosynkrasien des Kranken hielt man früher für nöthig, verschiedene Mittel vor der Operation anzuwenden: bald Aderlässe, wenn der Puls hart und voll war, lauwarme Bäder und .andere besänftigende, auch antispasmotische Mittel bei nervösen Subjecten, besonders Frauen, Tonica bei allgemeiner Schwäche, vorausgesetzt, dass dieselbe nicht blos von dem durch die Operation zu beseitigenden Uebel herrührte. Man hat fast alle diese „Vorkuren" als nutzlos erkannt. Allerdings ist es aber wünschenswerth, dass der Kranke sich zur Zeit der Operation in einem möglichst guten Gesundheitszustande befinde. Namentlich sucht man gastrische Störungen vorher zu beseitigen. Specielle Indicationen zur Anwendung von Abführmitteln finden sich bei Operationen in der Nähe des Mastdarms. Aber vor jeder Operation ist, wenn noch Zeit dazu, für Entleerung des Mastdarms und der Blase zu sorgen. A u f h e b u n g der E m p f i n d l i c h k e i t , Beseitigung des S c h m e r z e s Operationen.
bei
Anästhesie.
Schon seit alten Zeiten hat man dahin gestrebt, die S c h m e r z e n bei der Ausführung blutiger Operationen zu beseitigen, oder doch zu mildern. Namentlich suchte man durch die Anwendung n a r k o t i s c h e r Mittel den Kranken weniger empfindlich zu machen. Die Narcotica erfüllten aber den beabsichtigten Zweck gewöhnlich gar nicht; die Kranken klagten eben so sehr über Schmerzen, und man hatte bei etwas grösseren Dosen immer mit den, mindestens unangenehmen,
Vorbereitungen z u r
oft aber auch gefährlichen Arzneimittel zu kämpfen. Schon
den R ö m e r n
ist
Neben -
nicht blos
39
Operatioa.
und
Nachwirkungen
dieser
der innerliche Gebrauch b e t ä u b e n d e r
Mittel,
s o n d e r n a u c h d a s Einziehen n a r k o t i s c h e r D u n s t e z u r Verhütung des Schmerzes bei Operationen
bekannt
(lib. XXV.,
gewesen.
cap. XIII.,
C. P l i n i u s
150.)
von
der
b i b e n t i u m , media p o t i o cyathi unius. punctionesque quaesisse".
Im Mittelalter
in
seiner
naturalis
„Vis
somnífera
Bibitur et contra serpentis et a n t e
ne s e n t i a n t u r ;
—
schreibt
Mandragora:
ob
historia pro
viribus
sectiones
haec satis est aliquis s o m n u m
haben,
nach
den Untersuchungen von
de
odore Renzi,
die C h i r u r g e n von S a l e r n o u n d von Bologna sich einer a u s n a r k o t i s c h e n K r ä u t e r n reiteten
Spongia
soporífera
bedient,
welche,
Dämpfe, in k o c h e n d e s W a s s e r gelegt wurde, Fr.
Frusci,
dem
Shakespeare's
ich
diese
Romeo,
Mittheilung
um zu zeigen,
zur E n t w i c k l u n g
der
„ u t s o m n u m capiat qui incidendus verdanke,
citirt
auch
be-
betäubenden
Boccaccio
est". und
dass todesähnlichen Schlaf künstlich zu er-
zeugen, in f r ü h e r e n J a h r h u n d e r t e n nichts Ungewöhnliches gewesen sei.
Z u s a m m e n s c h n ü r u n g des Gliedes, an welchem man operirte, und C o m p r e s s i o n d e s H a u p t n e r v e n s t a m m e s ') wurden gleich vergeblich in Gebrauch gezogen. Auch der Rath, die Einschnitte immer so zu fuhren, dass der Nervenstamm des Theiles, an welchem operirt werden sollte, oder doch die centralen Enden der einzelnen Nervenäste zuerst und mit einem Male durchschnitten würden, konnte nur eine sehr beschränkte Anwendung finden und die Schmerzhaftigkeit bei Operationen keineswegs verbannen. Unbegreiflicher Weise ist auch der Vorschlag gemacht worden, den Kranken vor der Operation durch einen A d e r l a s s in O h n m a c h t zu versetzen, und während derselben die Operation vorzunehmen 2). Endlich hat man auch den thierischcn Magnetismus nicht vergessen, und es soll unter seiner Einwirkung einmal das Ausziehen eines Zahnes und auch die Abnahme einer Brust ohne Schmerz gelungen sein. Die grosse Mehrzahl der Chirurgen verzichtete aber auf alle diese zweideutigen Mittel 3 ) und suchte vielmehr durch möglichst grosse S c h n e l l i g k e i t in der Ausführung der Operation und durch A b l e n k e n d e r A u f m e r k s a m k e i t des Kranken die Schmerzhaftigkeit zu vermindern. Von wirklicher Beseitigung des Schmerzes bei Operationen kann erst die Rede sein, seit wir durch die Entdeckung des amerikanischen Chemikers J a c k s o n (1846) in dem A e t h e r ein Mittel kennen gelernt ' ) Vorgeschlagen und vermittelst James
Moore.
Vergl.
operatioDs of surgery. 2
) Wardrop
3
) Auch
eines
besonderen C o m p r e s s o r i u m s a u s g e f ü h r t von
A method of prevenling o r diminishing pain in several London,
1784.
b a t noch in diesem J a h r h u n d e r t dazu
die E n t d e c k u n g B r o c a ' s ,
glänzenden Gegenstandes tisch verwerthen
lassen.
dass
ein
gerathen.
Mensch
durch
das
Fixiren
eines
in A n ä s t h e s i e g e r a t h e n k a n n , h a t sich n i c h t prak-
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
40
haben, durch dessen Einathmung die Empfindlichkeit des zu Operirenden ganz beseitigt, oder doch so sehr vermindert wird, dass derselbe nach der Operation keine Erinnerung mehr von derselben hat, indem er sich, so lange die Wirkung der Aether-Inhalationen andauert, in einem e i g e n t ü m l i c h e n , tiefen Schlafe befindet. Dieselbe Wirkung hat noch sicherer und bei Anwendung geringerer Quantitäten das überdies angenehmer riechende C h l o r o f o r m (Formylchlorid CHC13). Dies letztere Mittel, zuerst von S i m p s o n in Edinbourgh ( 1 8 4 8 ) empfohlen, hat schnelle Verbreitung gefunden, und wird jetzt von der Mehrzahl der Chirurgen allgemein als Anaeslheticuni benutzt, ohne jedoch den Aether ganz verdrängt oder die Erfindung und Einführung neuer Anaesthetica ausgeschlossen zu haben. Nach J. G. B e a n e y (History and progress of surgery, Melbourne 1 8 7 7 ) sind AetherInhalationeD schon seit 1831) im Staate Georgia als Betäubungsmittel bei Operationen in Gebrauch gewesen. Th. N u n n e l y
( O n A n a e s t h e s i a , Worcester 1 8 4 9 ) empfahl die h o l l ä n d i s c h e
F l ü s s i g k e i t (C 4 H 4 CI 2 ), als in g e r i n g e r e r Quantität und wirkend. suchen,
Die angeblichen ebenso
wenig
Vorzüge derselben
bestätigt,
als
haben
diejenigen,
Ar a n u. A. nachgerühmt worden sind.
sicherer als
Chloroform
sich
m i r , bei
zahlreichen
Ver-
welche
anderen
Aetberarten
von
Der geringere Preis spricht jedenfalls f ü r das
leicht rein darzustellende C h l o r o f o r m , der üble Geruch g e g e n das A m y l e n .
Auch
die Anwendung
Gas,
der
Einatbmungen
von
Stickstoffoxydul-
(sogen. L u s t - )
welche, n i e den Physiologen schon seit langer Zeit bekannt war, gleichfalls betäubende (aber auch giftige) Wirkungen h a b e n ,
hat keinen rechten Anklang gefunden, weil die
Betäubung zu schnell vorübergebt und
der
ist.
dazu
erforderliche Apparat zu schwerfällig
Dagegen bat Dächst dem Chloroform die grösste Verbreitung das M e t b y l e n c h l o r i d
(Bichloride of metbylen), welches in der Tbat schon in kleiner Dosis eine sehr ruhige Betäubung liefert und seltener Erbrechen hervorruft, als Chloroform. Nach den Untersuchungen
von 0 . L i e b r e i c h
(vgl. Berichte der deutsch, ehem.
Gesellscb. z. Berlin, 1 8 6 9 , Hft. 10, pag. 2 6 9 , und V i r c h o w ' s Archiv, Bd. 47, pag. 1 5 5 ) , zerfällt das C b l o r a l h y d r a t
¡C2HCI30+H20),
wenn man es durch den Magen oder
durch bypodermatische Injecticm in den Körper e i n f ü h r t , vermöge der Einwirkung der Alkalien des Blutes — wie dies für die Einwirkung wässriger Alkalien bereits bekannt war — , wegen
in C h l o r o f o r m
(CHCIj) und A p i e i s e n s ä u r e
ihrer geringen Menge wirkungslos
und wird in
Chloroform dagegen k o m m t vom Blute aus schnell chen s c h l a f e n , nachdem man ihneu unter
die Haut gespritzt
hat,
vollständigsten
ADästbesie,
noch
Letztere
bleibt
umgesetzt.
und stetig zur Wirkung.
Das Kanin-
0,1 Grammen Chloralhydrat in wässriger Lösung
innerhalb
nach mehreren Stunden erwachen,
(CH204).
Kohlensäure
10 Minuten
fest ein
vollkommen munter. grössere
zum
Tode
und s i n d ,
wenn
sie
Grössere Dosen f ü h r t e n zur nach
vorgängiger
Anästhesie.
Menseben ertragen Dosen bis zu 3 G r a m m e n , in den Magen gebracht, meist gut und verfallen
darauf
binnen
2 0 Minuten
in
langen tiefen Schlaf,
mit bald m e h r ,
weniger Empfindungslosigkeit ohne fntercurrenz eines Excitations-Stadiums. des
letzteren würde
einen
den Inhalationen, gewähren.
bald
Das Fehlen
grossen Vorzug dieser Applicationsweise, im Vergleich
zu
Es ist aber allzu schwierig, die, wahrscheinlich individuell
Vorbereitungen zur Operation.
41
verschiedene Dosis, welche zur Anästhesie erforderlich ist, zu treffen. Ueber die combinirte Wirkung des Chloralhydrat-Schlafes mit Cbloroform-Inhaiationeo hat man noch keine hinreichenden Erfahrungen. Auf Grund der Erfahrungen über die Unempfindlichkeit solcher Tbeile, welche durch Frost erstarrt sind, lag es nahe, durch Auflegen von Eis oder anderweitige künstliche Abkühlung l o c a l e A n ä s t h e s i e herbeizuführen. Des grössten Beifalls hat sich in dieser Beziehung der Z e r s t ä u b u n g s a p p a r a t (Etber-spray) von K i c h a r d s o n (London medical Times and Gazette, 1866, Febr. 3.) zu erfreuen gehabt, der, nach Art eines ,,Pulverisateur" oder „ R e f r a i c h i s s e u r " eingerichtet, grosse Mengen von Aether in fein vertheiltem (zerstäubtem) Zustande und mit grosser Gewalt auf eine bestimmte Körperstelle zu spritzen gestattet. Vgl. Fig. 22. Der Mehrzahl der Chirurgen (zu deoen Verf. auch zählt), hat es jedoch nicht gelingen wollen, auf diese Weise eine Anästhesie von lilnreichender Dauer zu erzielen, selbst wenn das Aufspritzen von Aether auch während der Operation fortgesetzt wurde. Die A n w e n d u n g d e r A n a e s t h e t i c a g e s c h i e h t e n t w e d e r mittelst in d e r A r t ,
besonderer Apparate,
dass m a n dem Kranken
oder
ein
mit
diesen Flüssigkeiten benetztes Tuch vor Mund u n d N a s e hält.
L e t z t e r e s V e r f a h r e n ist i n s b e -
s o n d e r e für die A n w e n d u n g d e s es
Chloroforms
ausreichend;
aber
g e h t d a b e i viel
in d i e Luft.
Dies ist n i c h t b l o s k o s t s p i e l i g , s o n d e r n a u c h ( z u m a l b e i
von den
flüchtigen
Substanzen
b e s c h r ä n k t e n ) R ä u m e ) für d e n O p e r a t e u r u n d s e i n e A s s i s t e n t e n s t ö r e n d und
für d e n
Zimmer
Kranken,
bleiben
muss,
wenn
er
nach
nachtheilig.
der
Man
Operation
erreicht
in
den
demselben
erwünschten
Grad d e r B e t ä u b u n g viel s c h n e l l e r u n d m i t w e n i g e r C h l o r o f o r m , man sich des Apparates von S k i n n e r bedient.
Derselbe
besteht
aus
(eines Schülers von
zwei Stücken:
f e i n e m w o l l e n e n T r i c o t , der Uber e i n e m und 2) einer Flasche,
in
wenn
Simpson)
1) einem Köcher
Drahtgestell ausgespannt
deren Mündung
ein Glasstöpsel
von ist,
eingesetzt
w i r d , d e r v o n e i n e m f e i n e n C a n a l e d u r c h b o h r t ist, s o d a s s b e i m H i n und
Herbewegen
der
Flasche
auf
dem
Köcher
Tränkung erforderliche Menge der Flüssigkeit
nur
die
zu
dessen
ausläuft.
Besonders empfehlenswerth ist E s m a r c h ' s Modification des S k i n n e r ' s c h e n Apparates. Das maskenartig gestaltete Drahtgestell ist fester und leichter zu bandhaben, der Pfropf der Chloroformflasche von zwei Röhren durchbohrt, deren eine bis nahe an den Boden, die andere bis dicht unter den Stöpsel reicht, so dass durch leicht mit dem Finger zu bewirkendes Schliessen und Oeffnen der ersteren der Ausfluss des Chloroforms wodificirt werden kann. Vgl. Fig. 23.
42
Chirurgische Operationen im Allgemeinen. Junker
von L a n g e g g
hat — zunächst f ü r die
Anwendung des
„Bicblorid
of m e t h y l e n " — einen sehr bequemen Apparat angegeben,
welcher sich auch
für
Chloroform
und
ist
und
andere
Betäubungsmittel
gebrauchen
lässt
ausgezeichnet
1) durch die Ersparung etwa der Hälfte des beim S k i n n e r ' s c h e n (oder schen) Apparate erforderlichen Q u a n t u m s ,
2 ) durch die
Sicherheit
Esmarch-
einer
constanten
Mischung des Anaestheticum mit Luft. — Derselbe besteht aus einer, an Mund und Nase sich anschmiegenden,
geräumigen,
mit einem für den Austritt der Exspirations-
luft bestimmten Ventil versehenen Maske von Hartgummi, in welche ein von dem, nur zu ein Drittel seiner Höhe zu eingeschraubten Deckel
füllenden Behälter herkommendes
reichendes Gummirobr m ü n d e t ,
während
bis dicht
unter den
ein zweites in
den-
selben bis zum Boden eingesenktes elastisches Rohr sich in ein mit Doppelballon versehenes Gummigebläse (wie auf Fig. 2 2 , pag. 41) fortsetzt.
Durch dieses wird Luft in
die tiefsten Schichten der im Behälter enthaltenen Flüssigkeit und von da, mit den Dämpfen der letzteren gemischt, in die Maske eingetrieben.
Der treibende Ballon wird, synchro-
nisch mit den Inspirationsbewegungen des Kranken, mit einer Hand zusammengedrückt, der Behälter hängt an einem Haken im Knopfloch des Gehülfen, die andere Hand ist frei für das Halten der Maske (sofern dies nöthig) oder für andere Zwecke. Die meisten Anaesthetica, namentlich auch Chloroform, wirken stark reizend oder selbst oberflächlich ätzend auf die Haut und auf Schleimhäute. verhüten,
Es
ist sorgfältig zu
dass dem Patienten keine zufälligen Beschädigungen der Art (zumal an den
Augen) beigebracht werden.
Bedient man sich nicht des J u n k e r ' s c h e n Apparates, so
bestreiche man Nase, Lippen,
Wangen und Kinn,
(zumal bei zarter Haut) mit Fett.
Das anzuwendende Chloroform muss r e i n sein.
Völlig reines
Chloroform ist farblos, wasserhell, auffallend schwer (specifisches Gewicht
1,49),
riecht
angenehm
siisslich,
reagirt
neutral,
coagulirt
Eiweisslösungen nicht und bildet in Lösungen des salpetersauren Silberoxyds keine Trübung; ein Tropfen davon, in ein Glas reines Wasser geschüttet, Boden.
sinkt ohne milchige Trübung,
gut, demselben etwa mit
wie eine helle Perle,
zu
Will man Chloroform längere Zeit aufbewahren, so thut man 1 Procent Alkohol zuzusetzen und die Flasche
einem Korkstöpsel zu verschliessen, an dessen heller
Färbung
oder bröcklicher Beschaffenheit das Freiwerden der geringsten Spuren von Chlor leicht erkannt wird. Der zu betäubende Kranke befindet sich am Besten in liegender Stellung, so dass er möglichst frei Luft holen kann; jede die Athembewegungen behindernde Kleidung muss beseitigt sein. Die L a g e m i t h i n t e n ü b e r h ä n g e n d e m K o p f e , welche, wie wir sehen werden, z u r Verhütung des Einfliessens von Blut in die Luftwege, sowie auch Behufs besserer Beleuchtung bei Operationen in der Mund-, Schlund- und Nasenhöhle sehr empfehlenswert!) sein kann, ist von L e s i (Raccoglitore medico, 1 8 7 5 , Settembre) wegen der dadurch erzielten Verhütung der Gehirnanämie als der Betäubung gerühmt worden.
besonders günstig für die Einleitung
Ich habe, bei wiederholten Versuchen, einen Einfluss
dieser Lagerung auf die Art und den Gang der Betäubung nicht beobachten
können.
Die Betäubung selbst muss ein besonderer sachverständiger Gehülfe übernehmen oder doch überwachen.
Ohne einen solchen darf
43
Vorbereitungen zur Operation. F
man selbst kleinere Operationen in der Chloroform - Narkose nicht ausführen, weil, während man mit der Operation selbst beschäftigt ist, dem Betäubten etwas zustossen kann. Dieser Gehiilfe muss während der ganzen Zeit sorgfältig die Athemzüge und den Puls des Kranken beobachten. Man darf
'«-
erleichtert
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nie den Zutritt der Luft ganz absperren. Sobald der Kranke nur oberflächlich oder krampfhaft und stürmisch athmet, muss man Mund und Naso ganz frei lassen. Es
23
, j
^
j /
,
; -
: »"Xj \\ , 0 j . r l ^ V ^ ^ X ^ ^ v ^ ^ ^ ^
die
C o n t r o l e der Respirationen und b r i n g t m a n c h e n Kranken zu tieferen Athcmziigen, als m a n sie durch directes Zureden erreichen w ü r d e ,
wenn
man den P a t i e n t e n ,
schon bevor er Chloroform einzu-
a t h m e n beginnt, auffordert und stetig a n h ä l t , „langsam und laut bis 1 0 0 zu z ä h l e n " .
Die Quantität des Chloroforms, welche verbraucht werden darf, lässt sich im Allgemeinen nicht bestimmen. In manchen Fällen reicht man mit einigen Grammen a u s , in anderen werden 30 Grammen und darüber verbraucht, so dass es zu empfehlen ist, stets eine grössere Quantität (etwa 100 Grammen) bereit zu halten. — Man bedarf nicht blos einer geringeren Menge Chloroform, sondern kann auch auf eine längere Dauer und einen ruhigeren Verlauf der Betäubung rechnen, wenn man dem Kranken vorher eine hypodermatische Injection von Morphium macht (Morphii chlorati 0,01 bis 0,03 in erwärmtem Glycerin, etwa 0,5, gelöst, dann ebensoviel Wasser zugesetzt). Diese pfohlene, wirkung
von C l a u d e
Bernard
von U t e r h a r t mit
der
welche sich a u c h
und
von U t e r h a r t
fast
gleichzeitig ( 1 8 6 9 ) e m -
zuerst beim Menschen versuchte Verbindung d e r Morphium-
Betäubung
durch
Chloroform
(die „ g e m i s c h t e
Anästhesie"),
m i r , b e s o n d e r s bei Potatoren und bei Angstlichen, nervösen Patienten,
44 vielfach
Chirurgische Operationen im Allgemeinen. bewährt h a t ,
ist nicht zu verwechseln
mit
dem
pfohlenen Verfahren, gegen Ende der Chloroform-Betäubung ject! on
von Morphium zu
Bewusstlosigkeit
Bernard,
Vgl. M o l l o w ,
Centralbl.
Morphium-Chloroform-Narkose,
v. N u s s b a u m
em-
Durch letzteres wird die Unempfindlichkeit und
allerdings verlängert,
kein Einfluss ausgeübt. Claude
machen.
von
eine hypodermatische In-
aber auf die Art der Chloroform-Wirkung gar über das Anästhesiren Dach der Methode von
für Chirurgie, ebenda No. 4 3 ,
1 8 7 7 . Xo. 9. und
C. H u e t e r
zur
woselbst auch die übrigen Literatur-
angaben sich finden.
Man unterbricht die Inhalationen, sobald der gewünschte Grad von Unempfindlichkeit erreicht ist, nimmt sie aber wieder auf, sobald die Empfindlichkeit zurückkehrt. Ausserdem muss man dieselben aussetzen, sobald ü b l e Z u f ä l l e eintreten. Als solche sind namentlich anzuführen : kleiner äusserst frequenter oder sehr langsamer oder unregelmässiger Puls, oberflächliche oder unregelmässige Athemzüge, stertoröse Respiration, plötzliche Blässe des Gesichts oder gar vollständige Erschlaffung (Collaps) des ganzen Körpers. Sobald sich derartige Symptome zeigen, muss man jedes Hindemiss, welches dem Eintritt der Luft im Wege, steht, beseitigen und jede weitere Einwirkung von Fig.
24.
Fig. 2 4 zeigt die Anwendung der E s m a r c h ' s c b e n Z u n g e n z a n g e bei einem tief
betäubten
während
Menschen,
der Chloroform-
apparat zurückgeschlagen ist.
45
Vorbereitungen zur Operation.
Chloroform verhindern. Namentlich muss man also den Chloroformapparat und alle zufällig mit Chloroform getränkten Gegenstände aus der Nähe der Respirationsöffnungen entfernen, den Mund durch eine, vermöge eines auf die Kieferwinkel ausgeübten Druckes leicht zu bewirkende Verschiebung des Unterkiefers nach Vorn, nüthigenfalls auch mit einem zwischen die Zähne geschobenen Holzkeil, oder mit einem, den hintern Theil des Zungenrückens niederdrückenden Spatel weit öffnen und die gewöhnlich zurückgesunkene, durch Versperrung des Kehlkopfeinganges das Respirationshinderniss bildende Zunge stark hervorziehen. Dies gelingt zwar manchmal mit den Fingern; viel sicherer und daher dringend empfehlenswerth ist es aber, sich dazu einer flachen glatten Zange zu bedienen. Vgl. Fig. 24. Reicht das Hervorziehen der Zunge nicht aus, so muss man ohne Verzug die ungenügenden oder ganz mangelnden Respirationsbewegungen durch rhythmische Compression des Thorax und des Bauches ersetzen') und die Brust des Kranken mit kaltem Wasser in starkem Strahl bespritzen a ). Genügen diese Mittel nicht, um den Athemprocess schnell wieder in Gang zu bringen, so muss man eiligst die Zwerchfells-Nerven am unteren Drittheil des Halses (die Electroden am hinteren Rande der Kopfnicker aufsetzend) durch einen galvanischen Strom reizen u n d , wenn auch dadurch keine kräftigen Athembewegungen bewirkt werden sollten, ein Rohr (Katheter) in den Kehlkopf einführen oder die Tracheotomie machen, um die Respirationsbewegungen durch rhythmisches Einblasen von Luft zu ersetzen oder doch der Luft einen möglichst directen Zutritt zur Lunge zu eröffnen 3 ). Es kommt Alles darauf an, den Lungen, und durch deren Vermittlung dem Blute, schnell wieder sauerstoffreiche Luft zuzuführen. Jeder Augenblick Verzug gefährdet das Leben. ' ) M a r s b a i H a l l (Prone and postural respiration in drowning and other forms of apnoea or suspended respiration.
London, 1 8 5 7 ) empfiehlt statt der rhythmischen
Compression des Thorax und des Bauches, den Körper abwechselnd auf den Bauch und auf die Seite ( o d e r herrollt.
auf den Rücken) zu legen, indem man ihn bin- und
Dies Verfahren mag unter Umständen, namentlich
bei Ertrunkenen,
bequemer sein und die von uns empfohlene Art der künstlichen Respiration ersetzen können, da in der Bauchlage der Thorax comprimirt und in der Rückenlage durch die Elasticität der Rippen wieder dilatirt wird; aber an einem Menschen, der im Bett oder auf dem Operationstisch liegt, ist die rhythmische Compression mit den Händen wohl leichter und sicherer auszuführen. 2
) Die Wirkung eines kräftigen Wasserstrahls ist viel stärker, als die des Besprengens mit Wasser.
Man
sollte deshalb e i n e m i t k a l t e m W a s s e r
S p r i t z e bei jeder Chloroformbetänbung zur Hand haben.
sogleich kräftiges Abreiben mit einem trockenen Tuche folgen. 3
) Ueber die Ausführung dieser Operationen vgl. Bd. III.
gefüllte
Dem Bespritzen
muss
46
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Erbrechen macht nur eine Wendung des Kopfes zur Seite und Vorkehrungen zum Auffangen des Erbrochenen nöthig. Ist es vorüber, so kann sogleich mit der Inhalation weiter fortgefahren werden. Krämpfe stellen sich während der Betäubung fast nur bei Solchen ein, die an den regelmässigen Genuss grosser Mengen von Spirituosen Getränken gewöhnt sind. Bei diesen würde man niemals zum Ziele gelangen, wenn man bei jedem Krampf-Anfalle die Inhalation unterbrechen wollte; die Krämpfe werden vielmehr beseitigt und ruhiger Schlaf herbeigeführt, wenn man fort und fort Chloroform einathmen lässt, natürlich unter steter Beachtung des Pulses und der Athemzüge. Die F o r m , unter welcher die Betäubung auftritt, ist eine sehr verschiedene. Man kann, mit D i e t z e n b a c h '), eine ohnmächtige, eine heitere, eine alberne und eine tobende Form unterscheiden. Nicht selten beginnt das Toben erst mit der Operation; die Kranken schreien und klagen heftig über Schmerzen, ohne nach dem Erwachen eine Erinnerung davon zu haben. In anderen Fällen verhalten sich die Kranken während der Operation sehr ruhig oder sprechen von Dingen, welche mit ihrem jetzigen Zustande in gar keinem Zusammenhange stehen, behaupten aber nachher, dass sie Alles ganz genau gefühlt und alle Schmerzen mit grosser Heftigkeit empfunden haben. Ein genaueres Examen ergiebt jedoch, dass sie in der That nichts gefühlt haben. So kann man z. B. nach einer Exarticulation den Operirten, wenn er die angeblich empfundenen Schmerzen schildert, leicht dahin bringen, dass er die Schmerzhaftigkeit der Durchsägung des Knochens besonders hervorhebt, während doch eine solche gar nicht Statt gefunden hat. Von allen diesen verschiedenen Formen der Betäubung ist die ohnmächtige am Günstigsten für die Ausführung der Operation. Wir haben es jedoch nicht in unserer Gewalt, die eine oder die andere direct hervorzurufen. Viel wichtiger ist es, im Verlaufe der Chloroform-Betäubung zwei S t a d i e n zu unterscheiden: dasjenige der A u f r e g u n g (Excitation) und dasjenige der R u h e (Toleranz). Je nachdem das erstere, welches durch Muskelkrämpfe, Geschrei, Singen, Schimpfen, Spucken u. dgl. m. ausgezeichnet zu sein pflegt, mehr oder weniger lange andauert, sind die von D i e f f e n b a c h gewählten Bezeichnungen, namentlich die Unterscheidung der tobenden und der ohnmächtigen (besser: ruhigen) Form zulässig. Dass es äber gar nicht gelingen sollte, die tobende Form (d. h. das Stadium der Aufregung, welches namentlich bei Säufern sehr lange andauert) in die ruhige überzuführen, ist mir no ch ' ) Vgl. D i e f f e n b a c b ' s
in jeder Beziehung
lesenswerthe (zugleich
Schrift: D e r A e t h e r g e g e n d e n S c h m e r z .
Berlin,
1847.
seine
letzte)
Vorbereitungen zur
nicht vorgekommen.
Häufig
regung so schnell v o r ü b e r ,
47
Operation.
dagegen
geht
das
Stadium
der Auf-
dass es kaum bemerkt wird.
während des Stadiums der Aufregung nicht
Dass man
gut operiren kann und
eigentlich niemals operiren sollte, versteht sich fast von selbst. günstigste Zeitpunkt für die Operation ist
Der
der Beginn der Muskel-
Erschlaffung, den m a n leicht an dem Hinabfallen des erhobenen Armes erkennt.
Auf der Höhe der Betäubung werden die vorher gewöhn-
lich erweiterten Pupillen auffallend eng. Zuweilen bleibt, u n a b h ä n g i g von
den etwaigen Wirkungen der
Operation, in Folge der A n w e n d u n g eines Anaestheticums mehr oder weniger lange Zeit ein Uebelbefinden, Kopfschmerz, Brechneigung oder auch wohl Erbrechen zurück, selten jedoch ü b e r 2 4 Stunden. das Einathmen
von Ammoniak
Ich habe
(Riechen an einer mit Liq. ammonii
caustici gefüllten Flasche), innerlich Eispillen und salpetersaures Wismuth gegen diese Zufälle nützlich g e f u n d e n . In einer grossen, relativ jedoch (d. h. im Verhältniss zu der Gesammtsumme aller Betäubungen) sehr kleinen Anzahl von Fällen hat man p l ö t z l i c h e n T o d w ä h r e n d oder gleich nach Inhalationen Aether oder Chloroform beobachtet.
Wenn
von
auch in einigen dieser
Fälle der Tod mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht auf Rechnung der stattgehabten Einathmungen geschoben werden k a n n , so bleibt doch noch eine hinreichende Anzahl übrig, in denen sich der Tod n u r aus dieser Veranlassung ableiten l ä s s t ' ) , um zu grosser Vorsicht bei der Anwendung dieser
sonst so unschätzbaren Mittel aufzufordern.
Da
wir Uber die Art und Weise, in welcher die Anaesthetica ü b e r h a u p t wirken, noch keineswegs im Klaren sind, so hält es schwer auszumitteln,
auf welche Weise sie den Tod bewirken.
Einathmungen setzen wohl
den
Die betäubenden
Athemprocess h e r a b ,
da
statt
des
Sauerstoffs der atmosphärischen Luft, Aether- und Chloroformdämpfe in's Blut gelangen und daselbst wahrscheinlich noch unbekannte VerNicolas
Bebrend
(„Ctaloroform-Casuistik"
1 8 5 2 ) h a t deren vor 2 0 J a h r e n kritisch b e l e u c h t e t .
—
Die
schon
finden sich
lung ü b e r diesen G e g e n s t a n d , in D e s s e n , gen"., Berlin, 1 8 5 9 . — hoch,
zu niedrig
Todesfall. —
„zur Cbloroformfrage" g e f u n d e n u n d genau
in O t t o
auch
die weitere
Weber's
„ C h i r u r g . E r f a h r , und
Abhand-
Untersuchun-
N a c h einer u n g e f ä h r e n S c h ä t z u n g , welche auf den
des A m e r i k a n i s c h e n Krieges als
und
g e n a u e s t e n U n t e r s u c h u n g e n sowie
Literatur ü b e r d e n C h l o r o f o r m t o d
rend
1850
5 3 in d e r L i t e r a t u r
gemachten
Erfahrungen basirt,
aber
gegriffen sein d ü r f t e , käine auf 1 1 0 0 0 B e t ä u b u n g e n
Ich s e l b s t h a b e u n t e r
mehr
als 3 0 0 0 0
Fällen von
1876
aber
vier Fälle von C h l o r o f o r m - T o d
Annalen, J a h r g . I I I . ) , s e i t d e m wieder
keinen.
zu ein
Chloroformbe-
t ä u b u n g , bei d e n e n ich a n w e s e n d u n d betheiligt w a r , von 1 8 4 9 b i s 1 8 7 5 haupt k e i n e n ,
wäh-
eher
über-
e r l e b t (vgl. C h a r i t e -
48
Chirurgische Operationen im Allgemeiaea.
bindungen, namentlich mit den Blutkörperchen eingehen, durch welche diese, wie es scheint, schliesslich in derselben Weise, wie nach dem Einathmen von Kohlenoxydgas, zur ferneren Aufnahme von Sauerstoff unfähig gemacht werden. Grade in Folge dieser Einwirkungen entsteht wahrscheinlich in dem ganzen Cerebrospinal-Nervensystem ein lähmungsartiger Zustand, der für Schmerzen unempfindlich und zu Bewegungen unfähig macht, und die Muskeln sogar ihres normalen Tonus beraubt. Es lässt sich demnach wohl begreifen, dass durch eine zu grosse Menge des Betäubungsmittels der Athemprocess ganz unterdrückt und somit Erstickung herbeigeführt werden, oder auf gleiche Weise, wie die Erschlaffung der übrigen Muskeln, auch Lähmung des Herzmuskels zu Stande kommen könnte, — Lähmung der respiratorischen und vasomotorischen Neivencentra. Aber in der Mehrzahl der genau untersuchten Fälle von Tod durch Aether oder Chloroform war eine auffallend grosse Menge dieser Mittel n i c h t in Gebrauch gezogen, und die Section hat weder im Gehirn, noch in der Lunge Blutüberfüllung constant nachgewiesen. In einzelnen Fällen ist die Anwesenheit yon Luftblasen im Blute bemerkt worden. Ob durch die Aufnahme einer grossen Masse anästhetischer Dämpfe in die Lungen, Gasentwickelung im Blute bedingt werden könne, muss dahin gestellt bleiben. Da mit der Aufhebung der Empfindlichkeit der Haut und der Schleimhäute in der Anästhesie auch die Reflexerscheinungen mehr oder weniger cessiren, so kann die Verschliessung der Stimmritze, wie sie sonst bei der Berührung der Stimmbänder erfolgt, ausbleiben, wenn während der Betäubung Speichel, Schleim, oder erbrochener Mageninhalt in den Kehlkopf eindringen. Solchen Flüssigkeiten würde dann der Weg bis in die feinsten Verästelungen der Bronchien offen stehen, so dass Erstickung durch Anfüllung der letzteren erfolgen könnte '). Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass auch hierfür der anatomische Nachweis fehlt und dass in den meisten Fällen Reflexerscheinungen, selbst bei vollständiger Betäubung, noch Statt finden; häufig genug sieht man die Betäubten zucken und schreien, ohne dass später von ihnen über die Empfindung irgend eines Schmerzes geklagt wird. Vergeblich hat man bis jetzt versucht, die durch das Einathmen von Aether oder Chloroform plötzlich Gestorbenen (oder, wie man wünschte, „Scheintodten") in's Leben zurück zu rufen; die hierzu vorgeschlagenen Mittel, wie kalte Begiessungen, starke Hautreize, scharfe Riechstoffe, Kitzeln der Nase und des Schlundes, Aderlass, Einblasen ' ) S t a n e l l i , iu der Deutseben Klinik 1 8 5 0 . — Auch R i c o r d war dieser Ansiebt, oW
sie jedoch bestimmt genug zu formuliren.
Vorbereitungen
zur
49
Operation.
von Luft (oder Sauerstoffgas), sind viel weniger wirksam, als das Hervorziehen der Zunge und die künstliche Respiration (vgl. pag. 4 5 ) . Auch die vollständigste Sauerstoffzufuhr wird aber das Leben nicht wieder zu erwecken v e r m ö g e n , wenn die Blutkörperchen, in Folge der allzu starken Einwirkung des Chloroforms die Fähigkeit verloren haben, Sauerstoff aufzunehmen. In solchen Fällen erwartet man noch Hülfe von der T r a n s f u s i o n (vgl. Bd. II), welche n e u e , a t h m u n g s Rihige Blutkörperchen in die Adern einführen und nicht etwa durch Vermehrung der Blutmasse (welche unerwünscht wäre), sondern als Substitution .des Blutes wirken soll und daher immer mit einer Blutentziehung ( d u r c h Aderlass) zu verbinden sein würde. Aber auch in dieser Weise ausgeführt, gewährt sie wenig Aussicht auf Erfolg, soba.ld Herzlähmung eingetreten ist; denn um das eingeführte Blut wirksam werden zu lassen, muss vor Allem das Herz thätig sein. Der A n t a g o n i s m u s es gelingen k ö n n t e , Strychninlösung 1 8 6 9 , Nov. 2 4 .
zwischen
C h l o r o f o r m - und Strychnin W i r k u n g liess hoffen, dass
eine Chloroform-Vergiftung
zu h e i l e n .
Vgl. L i e b r e i c h ,
E r f o l g e liegen j e d o c h
durch
hypodermatische
Injection
einer
in d. V e r h a n d l . d. Berl. m e d . G e s e l l s c b .
n o c h n i c h t vor.
Jedenfalls m u s s Alles aufgeboten w e r d e n , um die Asphyxie zu verhüten. Zu diesem Zweck ist das pag. 41 u. ßgd. angegebene Verfahren bei den Inhalationen sorgfältig einzuhalten. Die Betäubung ist zu unterlassen, wenn Krankheiten des Herzens bestehen (namentlich fettige E n t a r t u n g ) , oder wenn Schlagfluss zu furchten ist. Auch bei K r a n k e n , die schon mit dem Erstickungstode kämpfen (wie im Croup oder bei Anwesenheit fremder Körper in den Luftwegen), und in Fällen, wo es darauf ankommt, dass der Kranke während der Operation von seinen Empfindungen Rechenschaft gebe, oder wo Brechbewegungen um jeden Preis zu vermeiden sind, muss m a n die B e t ä u b u n g unterlassen. Bei Operationen im Munde oder in der Nase, bei denen voraussichtlich Blut in den Schlund laufen wird (welches dann auch in den Kehlkopf eindringen k ö n n t e ) , muss m a n auf die A n w e n d u n g der Anaesthetica verzichten, wenn nicht Maassregeln ergriffen werden können, welche das Eindringen von Blut in den Kehlkopf verhindern, — Operiren am hintenüberhängenden Kopfe, Einlegen e i n e r T a m p o n - C a n ü l e i n dieLuftröhre(vgl.Bd.III). — M a l g a i g n e ' ) räth, n u r nach Vollendung der Verdauung, also nie bei vollem Magen, die Betäubung vorzunehmen. Durch Berücksichtigung dieser Vorschrift wird man namentlich das Erbrechen w ä h r e n d u n d nach der Operation meist verhüten können. — Manche Aerzte e m p f e h l e n , bei s c h w ä c h l i c h e n , durch Eiterungen entkräfteten Personen kein Chloro')
Revue medico-chirurgicale,
B a r d e l e b e n , Chirurgie.
t. IV
8. Aull
I
pas. 76
4
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
50
form zu reichen. Gerade bei diesen, so wie bei kleinen Kindern, habe ich es sehr häufig ohne irgendwelche nachtheilige Wirkungen angewandt; ich möchte bei ihnen die Aufregung und Angst vor und während der Operation für gefährlicher halten, als das Chloroform. In den meisten Fällen gewährt die Anästhesie nur dem Kranken Vortheil, indem sie ihm Schmerzen erspart; bei manchen Operationen wird aber auch die Ausführung wesentlich erleichtert und somit nicht blos dem Kranken, sondern auch dem Arzte eine Hülfe gewährt. Dies gilt streng genommen für alle Operationen, bei denen es von Werth ist, l a n g s a m und b e d ä c h t i g zu operiren, da man selbst bei grösster Seelenruhe, an den nicht betäubten Kranken doch etwas eiliger verfahren wird. Von besonderem Vortheil ist aber die Ber täubung, wenn es sich darum handelt, den Widerstand gespannter Muskeln zu überwinden, indem diese während der Betäubung sich im Zustande der Erschlaffung befinden; so z. B. bei der Reposition eines Knochenbruches, einer Verrenkung oder eines eingeklemmten Bruches. Will man dagegen eine gespannte Sehne deutlich fühlen, um sie isolirt zu durchschneiden, so wird die Erschlaffung der Muskeln hinderlich; es kann unter solchen Verhältnissen wünschenswerth sein, Anaesthetica nicht anzuwenden. Oertlicbe
Vorbereitungen.
Vor jeder Operation hat man: a) den betreffenden Theil in weitem Umkreise sorgfältig zu säubern, auch zu rasiren, wenn sich Haare darauf- vorfinden; b) benachbarte Hohlorgane zu entleeren; c) wo möglich, der Blutung vorzubeugen. S ä u b e r u n g des O p e r a t i o n s f e l d e s .
Antiseptiscbe
Methode.
Während man sich früher begnügte, das Operationsfeld mit Wasser und Seife zu reinigen, müssen wir es jetzt, gestützt auf die Untersuchungen von J o s e p h L i s t e r *)i für unbedingt erforderlich erklären, dass der Theil, an welchem operirt werden soll, in weitestem Umfange mechanisch und chemisch gesäubert, namentlich also mit solchen Flüssigkeiten gewaschen werde, durch welche alle mikroskopischen Pilze und deren Keime (alle Fäulnisserreger) getödtet werden. Zu diesem Behuf genügt in der Regel eine dreiprocentige Lösung reiner Carbolsäure in Wasser. Wo aber schon Eiter oder gar Jauche in der Umgebung haften, ist es besser, sich einer stärkeren Carbolsäure- oder einer etwa zehnprocentigen Chlorzink-Lösung zu bedienen. Hände und Instrumente, welche mit der Operationswunde ') J o s e p h
Lister,
Adress in surgery, delivered at the 39.
British medical association.
Brit. med. j o u r n . Aug. 1871.
annal meeting of the
Vorbereitungen zur Operation.
51
in Berührung kommen, müssen vorher gleichfalls mit einer mindestens einprocentigen Carbolsäurelösung gewaschcn und von Zeit zu Zeit in dieselbe getaucht werden. Die anzuwendenden Schwämme werden mit siedendem Wasser Ubergossen, und, nachdem sie mechanisch gesäubert sind, längere Zeit in eine l'iinfprocentige Carbolsäurelösung gelegt, dann kräftig ausgedrückt und vor der Anwendung 111 mindestens einprocentige Carbolsäurelösung getaucht. Noch vor dem Beginn und während der ganzen Dauer der Operation wird das Operationsfeld mit zerstäubter zweiprocentiger Pig 25 Carbolsäurelösung besprengt. Der dazu erforderliche Sprühregen (spray) wird durch einen Zerstäubungsapparat erzeugt, welchen J. L i s t e r dem pag. 41 erwähnten „Ether-spray" von R i c h a r d s o n nachgebildet hat (vgl. Fig. 25), der aber, statt durch ein mit der Hand oder dem Fuss zu bewegendes Gummigebläse, auch durch einen kleinen Dampfkessel getrieben werden kann. Durch diesen Sprühregen wird das Eindringen von Fäulnisserregern aus der Luft verhindert. Muss oder will man denselben unterbrechen, so bedeckt man das Operationsfeld mit einer, vorher mit fünfprocentiger Carbolsäurelösung getränkten, dann ausgepressten und in einprocentige Carbolsäurelösung getauchten Compresse. Der einprocentigen Carbolsäurelösung kann überall eine Lösung von 1 T h y m o l auf 1000 Wasser substituirt werden. Diese „ a n t i s e p t i s c h e n V o r b e r e i t u n g e n " zur Operation erscheinen sehr complicirt, gestalten sich aber, bei einiger Uebung, sehr einfach und sind, in Verbindung mit dem später zu erläuternden antiseptischen Verbände, von grösster Bedeutung für die Heilung. S i c h e r u n g gegen
Blutung.
Es giebt dem Arzte in hohem Grade das Gefühl der Sicherheit, wenn er eine bedenkliche Blutung während der Operation nicht zu fürchten hat. Man sucht den Lauf des Blutes in dem Arterienstamme, in dessen Stromgebiet operirt werden soll, zu hemmen- Dies ist jedoch nicht immer möglich, namentlich bei Operationen am Halse, an 4*
52
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
der Brust, am Bauch und am Damm. Hier rauss der Operateur dureh schnelles Fassen und Verschliessen der spritzenden Arterien den Mangel jenes Hülfsmittels ersetzen. Der sicherste Weg, um den Blutlauf zu hemmen, wäre die U n t e r b i n d u n g des zuführenden A r t e r i e n s t a m m e s . . Diese würde aber in den meisten Fällen die Gefahr der Operation erheblich steigern, zu deren Sicherung sie unternommen werden soll. Vollkommen ungefährlich und bei richtiger Handhabung ebenso sicher ist die C o m p r e s s i o n . Dieselbe wird am Besten m i t d e n F i n g e r n ausgeführt, — D i g i t a l - C o m p r e s s i o n , Fingerdruck. Der damit zu betrauende Gehülfe muss kaltblütig, gut unterrichtet und speciell ausgeübt sein; der ihm anzuweisende Platz muss ihm gestatten, die Ausführung der Operation selbst zu sehen, — um sich fortdauernd zu vergewissern, dass die Compression genügend ist. Meist wird die Compression mit dem Daumen ausgeführt. Man setzt die Volarfläche desselben auf eine Stelle der Arterie, hinter welcher sich ein Knochen befindet, die Achse des Fingers rechtwinklig gegen die Achse des Gefässes gerichtet. Entweder neben diesen Daumen oder auf ihn legt man den Daumen der anderen Hand, damit er im ersteren Fall den ermüdeten ablösen, im zweiten den Druck verstärken könne (Fig. 26). Man kann auch, bei lange dauernden OpeFlg.
26.
rationen, den zuerst aufgesetzten Daumen, wenn er ermüdet ist, als Pelotte benutzen, indem man auf ihn durch die andere Hand, oder durch die Hand eines zweiten Gehülfen, den nöthigen Druck ausüben lässt. Hat der Gehülfe aber schon einige Uebung, so wird er allein für die längsten Operationen ausreichen; er weiss dann aus Erfahrung, dass es keines gar zu starken Druckes bedarf, um den Blutstrom anzuhalten. Die übrigen vier Finger werden, wenn man mit dem Daumen comprimirt, (an den Extremitäten) auf die entgegengesetzte Seite des Gliedes gelegt, so dass dasselbe mehr oder weniger von der comprimirenden Hand umfasst wird. Man kann aber auch umge-
53
Vorbereitungen zur Operation.
kehrt mit diesen vier Fingern ganz zweckmässig comprimiren, indem man sie alle in einer Reihe aufsetzt, wie zum P u l s f ü h l e n ,
während
der Daumen an die entgegengesetzte Seite gelegt wird (Fig. 27). Fig.
Die Compression
27.
mit den Fingern
lässt schnelle Modificationen
zu; sie kann unterbrochen und wieder in Wirksamkeit gesetzt werden, je nachdem es die Operation erfordert, und der Gehtilfe kann selbst plötzlichen Bewegungen des Kranken leicht folgen.
Nach einer Am-
putation können, sobald der Hauptstamm in der W u n d e u n t e r b u n d e n ist, durch Verminderung des Druckes schnell die kleineren .Arterien, welche durchschnitten sind, sichtbar gemacht werden. An manchen Stellen oder unter gewissen Umständen erscheint es bequemer
vielleicht, den Druck durch
Vermittelung
lichen oder gestielten P e l o t t e auszuüben.
einer
gewöhn-
Letztere kann durch ein
mit Leinwand umwickeltes Petschaft, einen Schlüssel u. dgl. m. ersetzt werden.
Auch
die f r ü h e r vielgenannte E h r l i c h ' s c h e
nichts als eine gestielte Pelotte mit Handgriff. Grad der Compression
Krücke
ist
Man hat jedoch den
bei A n w e n d u n g solcher Instrumente
niemals
so vollkommen in seiner Gewalt und kann sich nie dabei durch das eigene Gefühl in der Art überzeugen, dass die Arterie wirklich comprimirt wird, wie bei der Anwendung der blossen Finger. Wenn man nicht auf einen geschickten Gehülfen rechnen kann, so nimmt man seine
Zuflucht
zur
lnstrumental-Conipression
mittelst T o u r i m j u e t s oder C o m p r e s s o r i e n . die Iiaupltypen
Wir führen hier n u r
dieser sehr mannigfaltigen Apparate
zerfallen in zwei G r u p p e n ,
auf.
von denen die erste eine
Dieselben
vollständige
U n t e r b r e c h u n g d e s K r e i s l a u f s , die zweite nur die A u f h e b u n g des B l u t z u f l u s s e s
durch
den
Pulsaderstamm,
welcher
das
Operationsfeld versorgt, in derselben Art, wie der d r ü c k e n d e Finger,
Chirurgische
54 bewirken soll.
Operationen im
Allgemeinen.
Zu der ersteren gehören der M o r e l ' s e h e K n e b e l und
E s m a r c h ' s „künstliche Blutleere", zu der zweiten alle übrigen Tourniquets und Compressorien. Der e i n f a c h e von M o r e l ,
Knebel,
das
bei Gelegenheit der
Knebel-Tourniquet, Belagerung
erfunden
von B e s a n ç o n
(1674),
ist der älteste und einfachste aller hämostatischen Apparate (Fig. 2 8 ) . Ein starkes Band (ein Gurt oder Riemen) wird zweifach um die Extremität
geschlun-
gen ; da, wo die Arterie liegt, schiebt man eine fest aufgerollte Binde (oder eine Pelotte)
zwischen
dasselbe
und
das Glied.
An der entgegengesetzten Seite wird
eine
Compresse und auf dieser ein dickes Stück Pappe oder Leder untergeschoben, und auf letzterem vermittelst eines Stabes (Knebels) das so
Band
(der
Gurt)
durch
fest zusammengeknebelt,
halb
dieser Stelle
mehr
zu
fühlen
wird
der Stab
Drehungen dass
keine Spur ist.
durch
In
dieser
ein
unter-
von
Puls
Stellung
anderes
Band
befestigt. — Dies Tourniquet kann Uberall improvisirt werden. Die Sicherheit der Lage und der Wirkung des Knebel-Tourniquet's rührt daher, dass es den mit gleichmässigem Drucke theile verbunden, viel Raum h a t ,
umfasst.
es lässt sich
nur
ganzen
Umfang des
Gliedes
Hiermit sind aber auch Nachda anlegen, wo man
daher nicht in der Nähe des Rumpfes.
ziemlich
Um auf die
tiefliegenden Arterien zu wirken, muss das Band die ganze Extremität sehr stark zusammenschnüren,
wodurch auch die Venen comprimirt,
das Venenblut in der Extremität erheblich
gesteigert und
auch
aufgestaut,
venöse Blutungen
andere Uebelstände bedingt
indem z. B. bei Amputationen die aus anderen Gründen werthe Zurückziehung
der Muskeln
gehindert wird,
und
also
werden,
wünschensbei
lange
dauernden Operationen Haut und Bindegewebe bedenkliche Quetschungen erleiden. Alle Vorzüge des M o r e l ' s c h e n Knebels bietet, bei Vermeidung aller seiner Nachtheile, die v o n E s m a r c h 1 ) angegebene und als k ü n s t l i c h e B l u t l e e r e bezeichnete Methode der Prophylaxis gegen Blutungen ]
)
Ueber künstliche Blutleere Vorträge,
No. 5 8 ,
1873.
hei O p e r a t i o n e n ,
in Volkmunn's S a m m l u n g
bei
klinischer
V o r b e r e i t u n g e n zur
55
Operation.
Operationen. Die Extremität wird von den Phalangen an bis Uber die Stelle hinaus, an welcher operirt werden soll, mit einer starken, aus ü b e r sponnenen Gummifäden gewebten Binde möglichst fest eingewickelt. Da wo diese Bindeneinwicklung a u f h ö r t , wird ein dicker Gummischlauch u n t e r starker Dehnung mehrmals um die Extremität geschlungen, fest angezogen und durch Einhängen des an dem einen E n d e desselben befindlichen Hakens in eine am anderen Ende befindliche Messingkette (oder auf andere Weise) befestigt. Ein solcher Schlauch comprimirt alle an der umschnürten Stelle verlaufenden Arterien in der Art, dass 1 auch nicht ein Tropfen Blut m e h r dieselbe passiren k a n n , und liegt an j e d e r beliebigen Stelle fest. Nach Entfernung der Gumniibinde erscheint der ganze peripherisch von dem umschnürenden Schlauch gelegene Theil leichenblass und enthält in der That so gut wie gar kein Blut mehr. Man kann an demselben operiren, wie an einer Leiche; das Erkennen der einzelnen 'l'heile ist ebenso leicht, wie an einem anatomischen P r ä p a r a t , und wenn man am Sehluss der Operation v o r Lösung der U m s c h n ü r u n g alle anatomisch b e k a n n t e n oder sonst erkennbaren Arterien unterbindet, so ist der Blutverlust höchst unbedeutend. Immerhin wird der Anfänger gleich nach Abnahme des Schlauches durch die Stärke der Blutung aus den kleinen Gelassen unangenehm überrascht. Diese ist wegen der durch die vorausgegangene Entleerung bedingten L ä h m u n g der Gefässwände stärker, als man erwarten sollte. Besonders stark bluten auch die kleinsten Gelasse, wenn während der Operation die Wunde mit Carbolsäure-Lösung bes p r ü h t wurde, da die Carbolsäure gleichfalls lähmend auf die Gefässw ä n d e wirkt. Galvanische Reizung (Riedinger) und hypodermatische Injection von Ergotin haben sich mir als hinreichend wirksam gegen diese u n a n g e n e h m e Beigabe der „künstlichen Blutleere" nicht bewährt. — Unzulässig ist das Zurückdrängen des Venen-Blutes durch die von der Peripherie aufsteigende Compressionsbinde im Allgemeinen, sobald an dem betreffenden Theile J a u c h u n g besteht, weil sonst Jauche in gesunde Gewebe eingepresst w e r d e n könnte. Der W u n s c h , d e m K r a n k e n bei A m p u t a t i o n e n das in dem a b z u s c h n e i d e n d e n e n t h a l t e n e B l u t zu s p a r e n ( d e r A u f s t a u u n g desselben d u r c h das T o u r n i q u e t
Tbeile
vorzubeugen),
h a t s c h o n vor l a n g e r Zeit dazu g e f ü h r t , das Dein ( o d e r den Arm) vor d e m Anlegen, des T o u r n i q e t s h o e b zu h a l t e n ( o d e r h o c h zu lagern) und m i t einer Binde fest e i n z u w i c k e l n , wie dies n a m e n t l i c h B r ü n n i n g h a u s e n Blutleere
bleibt
e m p f o h l e n bat.
Die Herstellung d e r k ü n s t l i c h e n
a b e r d e n n o c h das Verdienst von E s m a r c h ,
dem
freilich a u c h
Hiilfsmittel zu G e b o t e s t a n d e n , welche zu B r ü n n i n g h a u s e n ^ Zeiten n o c h
w a r e n : die e l a s t i s c h e n Binden und die Anästhesie ( o h n e welche die B l u t l e e r e sich herstellen l ä s s t ) .
—
Die W i r k u n g des S c h n ü r s c h l a u c h e s ist
so s t a r k ,
zwei
unbekannt
dass man
kaum sich
h ü t e n m u s s , d e n s e l b e n a l l z u s e h r zu s p a n n e n , da sonst auf die N e r v e n s l ä m m e ein n a c h t h e i l i g e r - D r u c k a u s g e ü b t werden k ö n n t e .
Um diesen sicher zu v e r m e i d e n , h a b e n Einige
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
56 (wenigstens
für
magere Extremitäten)
den
s e t z e n , e m p f o h l e n (B. v. L a n g e n b e c k ) . dass man der elastischen
Allgemeinen.
Schlauch
durch
einen Gummigurt
A n d e r e r Seits h a t sich a b e r a u c h
S t o f f e ganz e n t b e h r e n
s t e t s vollständigem E r f o l g e d e n Versuch g e m a c h t ,
kann.
Ich
zu
babe wiederholt und mit
die G u m m i b i n d e d u r c h eine l e i n e n e
u n d den S c h l a u c h d u r c h ein g e w ö h n l i c h e s T o u r n i q u e t ( o h n e Pelotte) zu e r s e t z e n . leinene B i n d e
muss
festgewirkt
sein u n d
muss sehr
dem Ende der .Extremität an aufwärts durchnässt kürzt wird]. Versuche
von J u l . W o l f f ,
dass
man
durch
werden (wodurch
starke Abkühlung
Betreff
Grandesso und H i r s c h ,
der
Prioritätsansprüche,
Silvestri,
Guyon
sie e r b e b l i c h
welche
gegen
ver-
W e n i g s t e n s zeigen die und Emporbalten
. bei gleichzeitiger C o m p r e s s i o n d e r
p u l s a d e r ) f ü r H a n d u n d Fuss vollständige Blutleere erzielen In
Die
straff a n g e l e g t u n d n a c h h e r von
H i e r b e i w i r k t vielleicht a u c h die A b k ü h l u n g m i t .
E x t r e m i t ä t vor u n d w ä h r e n d d e r O p e r a t i o n
er-
ergeben,
der
Haupt-
kann.
Esmarcb
zu
Gunsten
von
u. A. e r h o b e n sind, vgl. m e i n e B e f e r a t e in V i r c h o w
J a h r e s b e r i c h t p. 1 8 7 3 u. ff.
Zur Vermeidung der oben erläuterten Nachtheile des Morel'schen Knebels erfand J e a n L o u i s P e t i t , im Anfange des vorigen Jahrhunderts, das S c h r a u b e n - T o u r n i q u e t , welches Fig. 2 9 , an der Arteria poplitea angelegt, in seiner gewöhnlichen Construction, und Fig. 3 0 nach der C h a r r i e r e ' s c h e n Modification abgebildet ist. Die Fig. 2 9 .
Fig.
eine der beiden Pelotten wird auf die Arterie gelegt, die entgegengesetzte Seite des Gliedes.
30.
die andere an
Der die Pelotten verbindende
Gurt, welchem durch eine Schnalle eine verschiedene Länge gegeben werden kann, steigt zu den Seiten der oberen Pelotte aufwärts und dann zu derselben wieder abwärts; nachdem er auf jeder Seite durch eine Oeffnung der Metallschere
gegangen ist, welche sich oberhalb
dieser Pelotte und mit derselben durch eine Schraube beweglich Verbindung
befindet.
Richtung dreht,
in
Indem man diese Schraube in verschiedener
entfernt
oder nähert man die Scheibe der Pelotte,
57
Vorbereitungen zur Operation.
wodurch der Gurt stärker gespannt (verkürzt) oder erschlafft (verlängert) wird. Auf solche Weise werden die zwischen den beiden Pelotten befindlichen Theile mehr oder weniger comprimirt. Dies Instrument ist leicht anzuwenden; jeder Laie, welcher weiss, in welcher Richtung man die Schraube zu drehen hat, kann mit diesem Instrumente die Compression ausführen, sobald es richtig und sicher angelegt ist; es hemmt (sobald nur die für die Arterie bestimmte Pelotte nicht so dick, wie in Fig. 30, sondern schmal oder konisch gestaltet ist) die Blutbewegung in den Venen und die Zurückziehung der Muskeln bei Weitem nicht in so hohem Grade, wie das KnebelTourniquet; aber es verschiebt sich viel leichter. D a s D u p u y t r e n ' s c h e C o m p r e s s o r i u m (Fig. 31), dem Schraubstock der Tischler nachgebildet, besteht aus einem Bogen von Metall, welcher etwa % eines Kreises beschreibt und an jedem Ende eine Pelotte trägt. Die eine dieser Pelotten, welche auf die Arterie zu liegen kommt (welche aber nicht, wie in Fig. 31, flach convex, sondern, wie in Fig. 3 2 , konisch gestaltet sein muss) ist, wie an dem Tourniquet von P e t i t , mit einer Schraube versehen, durch welche sie der anderen genähert und von ihr entfernt werden kann. Um ihre Richtung sicher zu erhalten, bewegen sich durch entsprechende Löcher des Bogens zwei an der Pelotte befindliche Stäbe. Um das Instrument jeder beliebigen Dicke anpassen zu können, setzt man den Bogen aus zwei gegeneinander verschiebbaren Hälften zusammen, Fig. 3 1 .
Fig. 32.
58
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
welche sich durch eine Schraube feststellen lassen. Die Vorzüge dieses etwas schwerfälligen Apparates bestehen darin, dass ein Theil des Umfanges der Extremität ganz frei, somit der Blutlauf in den Venen ungehindert bleibt, und dass seine Anlegung noch an Stellen möglich ist, wo Tourniquets sich gar nicht mehr anwenden lassen, so z. B. hoch oben am Schenkel. Ich h a b e m i c h seit vielen J a h r e n m i t Vortheil e i n e s e i n f a c h e n b e d i e n t , w e l c h e s Fig. 3 2 a b g e b i l d e t ist. Bogens
in
drehen
e i n e m Schlitz n i c h t
blos
Compressoriums
An d e m s e l b e n l ä s s t sich d a s letzte S t ü c k
gradaus
verschieben (verlängern),
sondern
und d u r c h eine K l e m m s c h r a u b e in beliebiger S t e l l u n g f e s t s t e l l e n .
des auch
Die Rich-
t u n g s s t ä b e d e r P e l o t t e s i n d f o r t g e l a s s e n ; die V e r b i n d u n g z w i s c h e n d e r P e l o t t e und
der
grossen Tourniquet-Schraube
ist b e w e g l i c h ,
so d a s s d a s Anlegen eines Kingers an
die
Seitenschraube
zu
d a s s die P e l o t t e sich
der
genügt,
um
Tourniquet-Schraube initdreht. verschieden g r o s s e P e l o t t e n , konisch
verhüten, Ich w ä h l e ,
bei Bewegungen
j e n a c h d e r G r ö s s e und L a g e d e r A r t e r i e
die n a c h Belieben a n g e s e t z t w e r d e n
und e n t h a l t e n in e i n e m L e d e r ü b e r z u g e als P o l s t e r e i n e n
können;
alle sind
Gummikegel.
Um die Möglichkeit und die voraussichtliche Wirksamkeit der isolirten Compression einer Arterie an einer gegebenen Stelle des Körpers zu ermessen, hat man zu bedenken, welche Theile einer Seits zwischen der Haut und der zu comprimirenden Pulsader, und welche Schichten anderer Seits zwischen dieser und dem Stützpunkte (Knochen) gelegen sind. Liegt eine Arterie unmittelbar unter der Haut und auf einem Knochen (wie z. B. die Art. maxillaris externa auf dem Unterkiefer), so ist die Compression leicht auszuführen und wirksam. Am Hals, in der Kniekehle, am grössten Theil des Unterschenkels finden sich die entgegengesetzten Verhältnisse; an diesen Stellen ist denn auch die isolirte Compression der daselbst gelegenen Arterien, wenigstens auf die Dauer, sehr unsicher. Hebt man die Empfindlichkeit und die Muskelspannung durch ein A n a e s t h e t i c u m auf, so ist freilich die Compression aller grösseren Gefässstämme aueli für längere Zeit und an beliebigen Stellen, z. B. auch die der A o r t a a b d o m i n a l i s , recht wohl ausführbar. Die S t e l l e n d e s K ö r p e r s , an welchen man mit Vortheil die Compression von Arterien vornehmen kann, sind folgende: 1) Die A r t . c a r o t i s c o m m u n i s kann in ihrer oberen Hälfte ziemlich leicht mit den Fingern oder einem gut construirten Compressorium gegen die Wirbelsäule comprimirt werden; aber die Nähe des Kehlkopfs macht diese Compression bald beschwerlich, und die zwischen der Arterie und der Wirbelsäule gelegenen Nerven (Vagus und Sympathicus) werden leicht in der Art mitgetroffen, dass man einen starken Druck längere Zeit hindurch nicht ausüben kann. 2) Die A r t . m a x i l l a r i s e x t e r n a wird da, wo sie am vorderen
Vorbereitungen
zar
59
Operation.
R a n d e des Masseter dicht an der Mandíbula verläuft, gegen letztere sehr leicht mit einem Finger comprimirt. 3) Die A r t . t e m p o r a l i s wird vor dem Ohre u n d zwar etwa 4 bis 5 Millim. vor der Basis des Tragus comprimirt. Auch ihre Aeste, sowie die übrigen in d e r Kopfschwarte verlaufenden Arterien, können gegen den Schädel comprimirt werden. 4) Die A r t . s u b c l a v i a ist weniger leicht zu comprimiren; sie liegt verschieden tief, je nachdem die Clavicula mehr oder weniger gewölbt ist. Gerade wegen ihrer tiefen Lage ist die Compression mit dem Finger die sicherste. Man erleichtert dem Finger den Zugang zur Arterie, indem m a n die Schulter und somit die Clavicula stark nach vorn d r ä n g t ; alsdann kann auch bei sehr tiefer Lage die Arterie gegen die erste Rippe sicher comprimirt werden '). Die Compression unterhalb der Clavicula, bei welcher das Gefäss gegen die zweite und dritte Rippe gedrückt werden soll, ist wegen der Dicke der d a r ü b e r liegenden Muskelschicht sehr viel schwieriger und unzuverlässig. 5 ) Die A r t . a x i l l a r i s kann gegen den Oberarmkopf comprimirt w e r d e n ; fühlt man nicht die Pulsationen der Arterie selbst, so setzt man die Finger an d e r vorderen Grenze des Haarwuchses in der Achselhöhle auf. Wegen der Nachbarschaft der grossen Nervenstämme wird dieser Druck nicht lange ertragen. 6) Die A r t . b r a c h i a l i s kann in der ganzen Länge ihres Verlaufes an der inneren Seite des Oberarms comprimirt w e r d e n ; m a n findet sie leicht am inneren R a n d e des Biceps. Ihre Compression wird nicht lange ertragen, weil die Arterie von dem Nervus medianus begleitet wird, welcher sich im u n t e r e n Dritttheile zwar ein wenig von ihr entfernt, jedoch auch hier durch ein Compressorium immer noch mit getroffen wird. 7) Die A r t . r a d i a l i s ist da, wo man gewöhnlich den Puls fühlt, sehr leicht gegen oen Radius zu comprimiren. 8) Die A r t . u l n a r i s lässt sich an der Radial-Seite des Flexor carpi ulnaris gegen die Ulna comprimiren. 9) Die A o r t a a b d o m i n a l i s kann bei erschlafften Bauchdecken gegen die Wirbelsäule comprimirt werden, was jedoch, da der Druck zugleich die Baucheingeweide trifft, ohne Anwendung eines Betäubungsmittels (Chloroform oder dergl.) bei straffen Bauchdecken k a u m ausf ü h r b a r ist und jedenfalls nicht lange ertragen wird. Diese Compression ist als provisorisches Mittel bei Verwundungen im Gebiete der Arteriae iliacae, besonders auch bei Uterinblutungen a n w e n d b a r . Wir werden bei den Pulsadergeschwülsten des Beckens und der Schenkelbeuge auf sie z u r ü c k k o m m e n . ' ) Hiervon m ö g e sich J e d e r z u r H e b u n g an sieb selbst
überzeugen.
60
Chirurgische Operationen
im
Allgemeinen.
10) Die A r t . d o r s a l i s p e n i s wird comprimirt, indem man die Wurzel des Penis fest zwischen Daumen und Zeigefinger fasst. 11) Die A r t . ili.aca e x t e r n a wird in ihrem oberen Theile, nach vorgängiger Erschlaffung der Bauchmuskeln, gegen den Rand des Beckeneinganges comprimirt. Der Druck muss ein wenig nach Aussen gerichtet sein, wird aber auf die Dauer, da er die Gedärme entweder mittrifft oder durch Verdrängung belästigt, ohne vorgängige Betäubung nicht ertragen. Kurz vor ihrem Austritt aus dem Becken lässt sich die Compression bei Weitem leichter ausführen. 12) Die Compression der A r t . f e m o r a l i s findet unter allen Arterien-Compressionen am Häufigsten Anwendung; sie gewährt volle Sicherheit und ist von der grössten Bedeutung bei allen Operationen an der unteren Extremität. Als Stutzpunkt dient die Eminentia ileopectinea; letztere muss man vorher aufsuchen und gegen sie den Druck in der Richtung schräg nach hinten und aufwärts wirken lassen. Auch in ihrem weiteren Verlaufe bis zum unteren Drittel des Schenkels kann die A r t . f e m o r a l i s s u p e r f i c i a l i s (cruralis) comprimirt werden; als Stützpunkt dient alsdann das Os femoris. Die Compression erfordert eine etwas grössere Kraft wegen der Dicke der, theils zwischen der Haut und der Arterie, theils zwischen dieser und dem Knochen gelegenen Weichtheile. Man bedient sich deshalb an diesen Stellen häufig des Tourniquets. In der Kniekehle ist die Compression schwieriger und schmerzhaft; die Finger sind, wegen der tiefen Lage des Gefässes, ganz unzulänglich. 13) Die A r t . t i b i a I i s p o s t i c a kann hinter dem Malleolus internus gegen diesen comprimirt werden. 14) Die Art. p e d i a e a lässt sich auf dem Fussrücken an der äusseren Seite der Sehne des Extensor longus hallucis comprimireh. Verfahren während der Operation.
Der alte Spruch: „Cito, tuto et jueunde" sollte „ T u t o , c i t o , et j u e u n d e " heissen. Vor Allem muss Sicherheit erzielt werden. Gewiss ist die Fertigkeit schnell zu operiren auch ein zu erstrebendes Ziel .und oft, zumal wenn ohne Chloroform operirt werden soll, nicht zu entbehren. Eine zu lange Dauer der Operation kann, wenn auch nicht durch zu lange Dauer des Schmerzes, wie man früher glaubte, so doch durch die starke Abkühlung, welche der ganze Körper von einer grossen Wunde aus, namentlich nach Eröffnung der Leibeshöhle, e r f ä h r t ' ) , gefährliche Folgen haben. Es giebt aber auch Operationen genug, bei denen ein langsames und bedächtiges Verfahren durchaus ' ) Vgl. G e o r g
Wegner,
Archiv f. klin. C h i r u r g i e ,
1 8 7 6 , Uli. XX, pag. ö l .
Verfahren während der Operation.
61
nothwendig ist; so bei der Unterbindung der Arterienstämme, beim Bruchschnitt. Jedenfalls darf die Schnelligkeit niemals auf KostQji der Sicherheit bevorzugt sein. Die Schnelligkeit muss nicht in allen Acten der Operation dieselbe sein. Im Allgemeinen kann man s a g e n , dass sie am Anfange grösser sein darf und sein muss, als gegen das Ende. Der erste Act besteht fast immer in der Durchschneidung der Haut; so z. B. bei den Amputationen, der Unterbindung der Arterien, beim Bruchschnitt, beim Steinschnitt. Dieser Act kann und muss immer sehr schnell beendet werden. Die Haut ist der empfindlichste Theil und ihre Durchschneidung hat durchaus keine Gefahr Man durchschneide daher die Haut in der nöthigen Ausdehnung in e i n e m Zuge. Fast immer ist es besser, den Hautschnitt etwas zu gross, als zu klein zu machen. J e tiefer man eindringt, desto langsamer operire m a n ; der letzte Act muss fast immer ganz bedächtig ausgeführt werden, so z. B. das Isoliren der Arterie und das Herumführen des Fadens bei der Unterbindung in der Continuität; beim Bruchschnitt das Einführen des Messers neben dem eingeklemmten Eingeweide; beim Seitensteinschnitt das Einschneiden in die Prostata und die Ausziehung des Steines. Nur bei wenigen Operationen muss oder darf der Schlussact schneller ausgeführt werden, als die übrigen. So wird z. B. bei der Operation der Mastdarmfistel durch den Schnitt (vgl. Bd. III) der erste Act (Einführung der Hohlsonde und des Gorgeret's) vorsichtig und langsam, der Schnitt selbst aber schnell vollzogen. Die Sicherheit des Operateurs beruht wesentlich und vor Allem auf genauen und bestimmten anatomischen Kenntnissen. Durch diese erhält er jene Ruhe und Entschlossenheit, mit welcher er das Messer in den Körper des lebenden Menschen senken muss. Die Theile sind vor seinem Auge durchsichtig, er weiss, welche er anzugreifen hat, und welche zu schonen. Die Anatomie ist deshalb auch seit alten Zeiten als der vorzüglichste Führer des Operateurs angesehen worden. Kaiser F r i e d r i c h 11. befahl bereits, dass jeder Operateur sich in der Anatomie ganz besonders vervollkommnen müsse, denn ohne diese lasse sich auch nicht eine einzige Operation richtig machen '). In vielen Fällen haben aber pathologische Processe die Form und Lage der Theile, ihre Consistenz und ihre Verbindungen in der Art verändert, dass die, wenn auch noch so genaue Kenntniss der normalen Anatomie nicht ausreicht. Da ist dann die ohnehin stets zu erstrebende S i c h e r h e i t d e r D i a g n o s e von besonders grosser ' ) Vgl. M a l g a i g n e Paris 1 8 4 0 , T
in seiner Ausgabe d e s Oeuvres completes d ' A m b r o i s e
I-, Introductioo, pag. XXX
Par
62
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Wichtigkeit. Gründliche Ausbildung in der pathologischen Anatomie und sorgfältige klinische Studien sind in dieser Beziehung von grösster Bedeutung. Ein Arzt, der im Voraus weiss, eine Geschwulst enthalte ein Stück Darm, oder Netz, oder Blut, oder Eiter, oder eine feste Substanz, wird sicherlich kaltblütiger die Operation eines solchen Tumors unternehmen, als ein solcher, dem der Inhalt jener Geschwulst unbekannt blieb. Aber bei den ausgedehntesten anatomischen Kenntnissen, bei den eifrigsten klinischen Studien, nach oft wiederholten Uebungen an der Leiche kann doch ein Arzt noch immer jener eigenthümlichen Entschlossenheit und Seelenruhe entbehren, welche C e l s u s bereits vor 1800 Jahren gefordert hat '). Ein Arzt, der einen solchen Mangel an Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart in sich bemerkt, sollte auf die Ausübung einer Kunst verzichten, die so oft das Leben seiner Mitmenschen in seine Hand legt. Doch lasse sich der Anfänger, wenn er sonst nur den Beruf zum Arzte in sich fühlt, nicht abschrecken, wenn ihn bei den ersten grösseren Operationen, welchen er beiwohnt, Angst befällt, oder wohl gar eine Ohnmacht anwandelt; fester Wille, häufige Wiederholung des Zuschauens und fleissige Uebung im Operiren an lebenden Thieren lassen diese natürliche Schwäche gewöhnlich bald überwinden. Operationen an Thieren sind überhaupt ein vortreffliches Ergänzungsmittel für die Operationen an Leichen: das spritzende Blut, die unvorhergesehenen Bewegungen, das Schreien und Zucken, alle diese, bei der Ausführung von Operationen an lebenden Menschen am Meisten störenden und den Anfänger schreckenden Ereignisse werden durch häufiges Operiren an lebenden Thieren alte Bekannte, denen man dann mit voller Ruhe und Kaltblütigkeit begegnet. Besonders hinderlich ist auch für den Geübteren das die Operationswunde überschwemmende, den Einblick, das Erkennen der Theile und das Zurechtfinden oft a u f s Aeusserste erschwerende B l u t . In der vollständigen Beseitigung dieser Erschwerung beruht der Hauptvortheil der „künstlichen Blutleere", welche sich nur leider nicht ' ) C e l s u s beschreibt den Chirurgen, wie er sein sollte, mit folgenden W o r t e n : „Esse autem propior,
chirurgus debet adolescens, aut certe
manu strenua,
non minus s i n i s t r a , claraque; desiderat, perinde affectus
quam
dextra promptus;
animo intrepidus,
quem aeeepit,
non ut
properet, faciat
m i s e r i c o r s sie,
clamore Tel
orania,
oriatur."
adolescentiae
stabili nec unquam intremiscente,
eius
minus ac
si
motus,
quam nullus
acri,
ut s a n a r i velit
eum,
vel m a g i s ,
necesse ex
eaque
aeie eculorum
est,
vagitibus
quam secet,
res sed
alterius
Zufälle
überall anwenden lässt. —
hei
63
Operationen.
Das Blut rührt entweder ans Arterien her,
welche sich nicht comprimiren lassen, oder
nicht
primirt w e r d e n ; oder aber aus grösseren Venen.
hinreichend
com-
Wenn die spritzenden
Arterien klein sind, so comprimiren die GehUlfen ihre Oeffnungen mit den Fingern bis zum Ende der Operation, schnell beenden
sofern
dieselbe sich sehr
lässt und das etwa noch ausströmende Blut keinen
Schaden thut, so z. B. bei der Abnahme der Brust.
Sonst
aber
ist
die Verschliessung durch Arterienpincetten oder die Unterbindung sogleich vorzunehmen,
so z. B. bei der Exstirpation grosser,
sitzender Geschwülste, beim Bruchschnitt u. dgl. merksamkeit entdeckt man
nicht
oder tief
Bei gehöriger Auf-
selten eine in der Schnittlinie lie-
gende Arterie schon vor ihrer Durchschneidung; dann führt man zwei Ligaturen um dieselbe und durchschneidet sie zwischen
diesen.
Bei
Amputationen unterbindet man die Gcfässe gewöhnlich erst nach Absägung der K n o c h e n ; nur wenn die Compression nicht gehörig Statt finden kann, unterbindet man vor dem Sägen. Wenn
hätte
verlangen
so hätte
sich dies
höchstens auf eine Steigerung des „cito" beziehen können.
Die Ein-
wollen,
man
von
einem
Arzt
früher
ernstlich
dass er auch „ j u c u n d e " operiren sollte,
führung der Anaesthetica
hat die Erfüllung dieses Postulats möglich
gemacht; denn die durch Aether oder Chloroform Betäubten zuweilen angenehm während der schmerzhaftesten
träumen
Operationen.
Zufälle bei Operationen l ). Die U r s a c h e n reich.
der üblen Zufälle bei Operationen sind sehr zahl-
In manchen Fällen ist Unwissenheit,
merksamkeit des Operateurs ihre Quelle.
Unerfahrenheit,
So kann z. B . ,
Unauf-
abgesehen
von falschen Diagnosen, der Wundarzt eine grosse Vene, oder Arterie, deren Lage er nicht genau kannte, oder den Darm beim Bruchschnitt verletzen, oder gar in der Verwirrung bei einer plastischen Operation den Ersatzlappen
fortschneiden.
sind die Instrumente. Schmerz,
Eine
andere Quelle
Ein stumpfes Messer macht
von
sondern erregt auch eine heftigere Entzündung;
die Theile mehr zerreisst,
als zerschneidet;
mehr
indem es
von einem in die Blase
eingeführten Instrument kann ein Stück abbrechen u. s. f. Kranke kann, wenn er nicht betäubt ist,
Zufällen
nicht blos
Auch der
durch hastige Bewegungen
u. dgl. zuweilen die Schuld übler Zufälle tragen.
Ausserdem giebt die
Körperbeschaffenheit (die Individualität) des Kranken mitunter ohne sein Verschulden zu Ubelen Zufällen Anlass. Nervensystems kann zu Krämpfen ' ) Blandin,
Oes
accidents
qui
peuvent
Ein krankhafter Zustand des
prädisponiren, survenirpenilaot
les
die Bluterkrankheit Operations.
Paris,
1841.
64
Chirurgische Operationen
im
Allgemeinen.
besonders heftige Blutungen, veranlassen u. s. f. — Manche Zufälle haben in der Eigentümlichkeit des O p e r a t i o n s - O r t e s ihren Grund und sind deshalb unvermeidlich; so z. B. heftige Blutung und Schmerzen bei grossem Gefäss- und Nervenreichthum. L a n g e D a u e r der Operation kann Erschöpfung des Kranken »ur Folge haben. Vgl. pag. 60. Aber auch zu grosse Eile und zu grosser Kraftaufwand haben oft üble Folgen, wie Zerreissungen der Muskeln, der Nerven, oder gar Knochenbrüche. Dies hat man besonders bei gewaltsamen Versuchen, veraltete Luxationen einzurenken, beobachtet. Die Zufälle lassen sich, ihrem W e s e n nach, ei'ntheilen in solche, welche auf materiellen Verletzungen von Organen beruhen, und solche, die auf Störungen der Nerventhätigkeit beruhen; die ersteren bestehen besonders in C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g e n und V e r s t o p f u n g e n . o) Die Folgen der zufälligen C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g e n (Stiche, Einschnitte, Zerreissungen, Brüche) sind verschieden, je nach dem Gewebe oder Organ, welches getroffen wird. War es ein motorischer Nerv, so ist Lähmung .die Folge, bei einem Gefäss Blutung, im Knochen- und Bänder-Apparat Störung der Bewegungen u. s. w. Eins der erschreckendsten Beispiele der Art ist die Durchbohrung des Mastdarms bei der Application eines einfachen Klystirs; die Flüssigkeit wird dann in das Bindegewebe der Beckenhöhle eingetrieben, worauf fast ausnahmslos Verjauchung und schliesslich der Tod folgt '). b) V e r s t o p f u n g e n . Während einer Operation im Munde oder in der Nasenhöhle, noch leichter bei der Tracheotomie und Laryngotomie gelangt oft Blut in die Luftwege und bedingt Erstickungsgefahr. Von alter Berühmtheit ist der Fall, in welchem R o u x einem Kranken nach der Eröffnung der Luftröhre das Leben rettete, indem er das in die Luftwege eingedrungene Blut schnell mit dem Munde heraussaugte. Ein plötzlich abgelöster Schlundpolyp hat zuweilen den Eingang zum Kehlkopf verschlossen. M o s c a t i beobachtete beim Ausschneiden einer Mandel Erstickungsgefahr, indem ein halb abgeschnittenes Stück derselben sich umklappte und auf den Larynx fiel; die vollkommene Excision beseitigte die Gefahr. Bei der Resection des mittleren Theils des Unterkiefers hat man beobachtet, dass die Zunge, nachdem die sie vorwärts ziehenden Muskeln ihres Punctum fixum beraubt waren, durch die Rückwärtszieher auf den Larynx gezogen wurde und so Erstickungsgefahr herbeiführte. Aus der grossen Reihe: der mannigfaltigen „üblen Zufälle bei Operationen" sollen hier nur die besonders bemerkenswerthen, plötzlich auftretenden und dringenden Zufälle näher erläutert werden. ') B l a n d i n ,
I. c. — Vgl. a u c h
„Krankheiten des Mastdarms".
RH.
III.
Zufälle
hei
Operationen.
65
Ohnmacht.
U r s a c h e n . Nervöse Constitution, angeborener Mangel an Muth, besonders, wenn dabei grosser Muth simulirt wird, führen Ohnmacht herbei, sobald die Schmerzen der Operation beginnen, oft schon vorher bei der blossen Vorstellung, bei dem Anblick der Instrumente u. s. w. Auch bei sonst kräftigen Menschen kann grosse Heftigkeit der Schmerzen und übermässig lange Dauer derselben Ohnmacht bewirken. Viele werden beim Anblick ihres Blutes sogleich ohnmächtig, bei grossem Blutverlust die Meisten, Manche beim Anblick jeder Wunde. Ist der Patient durch Aether, Chloroform oder dgl. betäubt, so kann von Ohnmacht im gewöhnlichen Sinne keine Rede sein. S y m p t o m e . Die Ohnmacht tritt zuweilen plötzlich ein, ohne Vorboten; Bewegung und Empfindung hören mit einem Schlage auf. In anderen Fällen geht ein Stadium prodromorum vorher; der Kranke empfindet, bevor das Bewusstsein schwindet, ein Uebelsein, eine Angst, ein eigenthümliches Gefühl von Beklemmung in der Herzgrube; es. Uberläuft ihn kalter Schweiss; ihm wird „übel", er schreit auch wohl auf; es wird ihm schwarz vor den Augen, die Ohren „klingen", er hat Schwindel, und indem das Gesicht blass, die Extremitäten kalt werden, schwindet endlich das Bewusstsein gänzlich und die schlaffen Muskeln überlassen die Glieder ihrer eigenen Schwere. Der Kranke weiss dann nichts mehr von Allem, was üm ihn vorgeht, und empfindet keinen Schmerz. Das Aufhören der Herzschläge und des Athmens, der Mangel der Bewegungen, die Kälte u. s. w. geben das Ansehen des Todes; aber bald öffnen die Augen sich wieder, tiefe Athemzüge führen wieder Luft in die Lungen, und endlich kehrt auch das Bewusstsein zurück. Schwäche, Kopfschmerz, Brechneigung und ein Gefühl von Druck in der Regio epigastrica bleiben gewöhnlich noch einige Zeit zurück. Wenn die Ohnmacht längere Zeit andauert, so kann sie in den Tod übergehen. Im Allgemeinen hat man sich daher immer zu beeilen, ihr Ende herbeizuführen. Nur in e i n e m Falle, nämlich bei einer bedeutenden Blutung, welche unter ihrem Einflüsse aufhört, kann sie von Nutzen sein. Hier steht der Arzt zwischen zwei Gefahren« Verlängerung der Ohnmacht, oder Wiederkehr der Blutung. In einem solchen Falle muss man zunächst die entsprechenden Maassregeln gegen die Blutung ergreifen, die Ohnmacht aber doch so schnell als möglich beseitigen. B e h a n d l u n g . Frische Luft, Bespritzen mit kaltem Wasser, stark reizende Riechstoffe, wie Essig, Ammoniak u. s. w., Kitzeln des B a r d e l e b e u , Chirurgie.
8. Aufl.
1.
5
66
C h i r u r g i s c h e Operationen
im
Allgemeinen.
Schlundes, auch der Fiisssohlen reichen gewöhnlich aus. Man sollte aber nie unterlassen, besonders wenn der Kranke viel Blut verloren hat, ihn sofort horizontal auf ein Bett ohne Kopfkissen, oder gradezu auf die Erde zu legen, um eine relative Gehirn-Anämie zu vermeiden. Reicht dies nicht aus, so muss man in der bei der Chloroform-Asphyxie (pag. 42 u. flgd.) angegebenen Weise verfahren. Krämpfe. Vor der Einführung der Anästhesie sah man während chirurgischer Operationen nicht ganz selten Krämpfe auftreten, welche mit der Eklampsie der Kreisenden eine gewisse Aehnlichkeit darboten. Besonders „nervöse Subjecte", auf welche Alles einen tiefen Eindruck macht und die im Voraus schon vor der Operation "nicht minder schaudern, als vor ihren Folgen, waren denselben unterworfen. Die Krämpfe traten gewöhnlich zu Anfang der Operation auf und begannen im Allgemeinen mit unregelmässigen Bewegungen einzelner Theile, meist der Gesichtsmuskeln. Wurde die Operation nicht unterbrochen, so nahmen sie eine grössere Ausdehnung und einen bedenklichen Charakter an. Man glaubte, dass aus ihnen das Delirium nervosum hervorgehe, welches wir bei den „Verletzungen" zu erwähnen haben werden. Als Hauptmittel galt die Unterbrechung der Operation und die Verschiebung derselben, bis der Kranke ruhiger geworden. Dies Mittel liess sich begreiflicher Weise bei dringenden Operationen und in solchen Fällen, wo der wesentliche Theil der Operation schon vor dem Ausbruch der Krämpfe beendet war, nicht anwenden. Man musste sich dann auf kalte Besprengungen und die gewöhnlichen Antispasmodica beschränken. Hat man von vornherein Anaesthetica angewandt, so stehen Krämpfe nur bei Hysterischen, bei Potatoren und nach sehr grossen Blutverlusten zu erwarten. In Betreff der letzteren ist auf die „Verletzungen der Arterien" (Bd. II) zu verweisen. Bei Hysterischen und bei Potatoren werden sie durch tiefere Betäubung beseitigt. Vgl. pag. 46. Blutung. U r s a c h e n . Bei Operationen, durch welche sehr gefässreiche Theile verletzt werden, hängt eine unerwartete Blutung häufig von unzureichender Compression des Arterienstammes ab. In anderen Eällen liegt der Grund der Blutung in einer unzweckmässig angebrachten Compression, wenn diese nämlich nicht blos den Zufluss des Blutes durch die Arterien, sondern auch den Rückfluss des venösen Blutes hindert, welches dann aus den verletzten Venenästchen hervorströmt.
Zufälle bei Operationen.
67
Zuweilen ist eine Varietät des Arterienlaufes an der Blutung scbuld, wobei den Gehülfen und den Operateur in gleicher Weise der Vorwurf trifft, dass sie dieselbe nicht bemerkt haben. So kann z. 6 . eine Blutung an der Hand oder dem Vorderarme häufig noch fortdauern , n e n n
auch
die Arteria
brachialis a u f s Vollkommenste comprimirt oder gar
unterbunden ist; denn es entspringt bekanntlich oft genug die Arteria radialis a u » d e m Anfange der Arteria brachialis oder gar aus der Axillaris. die Compression begonnen i s t ,
sich stets überzeugen,
Aesten des comprimirten Stammes auch
Man muss daher, nachdem
ob unterhalb derselben in den
wirklieb alle Pulsation
aufgehört
bat.
Die
zuletzt erwähnte Varietät giebt auch in anderer Beziehung noch zuweilen Veranlassung zu einer gefährlichen Blutung: die Arteria radialis liegt nämlich, wenn sie bereits hoch oben am Oberarm entspringt, gewöhnlich ganz oberflächlich und kann deshalb leichter als sonst verletzt werden.
Wenn die Compression des zuleitenden Stammes unmöglich ist, so liefert die Wundfläche zuweilen eine beunruhigende Blutung, selbst unter Umständen, wo sie gar nicht zu erwarten war. Besonders zu fürchten ist eine bedeutende Blutung, wenn man krankhaft erweiterte Gefässc zu durchschneiden hat; bei der Exstirpation von Geschwülsten, welche erweiterte Gefässe enthalten, muss man deshalb immer nur im Gesunden schneiden und sich möglichst weit von der Geschwulst entfernt halten. Eine Blutung kann, ganz abgesehen von dem B l u t v e r l u s t , durch die Localität gefährlich werden; das in die Luftröhre strömende Blut z. B. bedingt Erstickungsgefahr. B e h a n d l u n g . Ist die Ursache der Blutung bekannt, so ist damit auch das einzuschlagende Verfahren angezeigt. Man hat also bald die Art der Compression zu verbessern, bald GefässöfFnungen zu schliessen, oder aber sie durch die Finger der GehUlfen bis zum Ende der Operation comprimiren zu lassen, bald ausnahmsweise zu styptischen Mitteln, namentlich auch zum Glüheisen seine Zuflucht zu nehmen. Bei jeder venösen Blutung muss man den Kranken tief athmen lassen, und Alles, was die Vene zwischen der blutenden Stelle und dem Herzen comprimiren könnte, beseitigen. Ausführlicher wird von der Blutung und ihrer Behandlung bei den der Arterien
Krankheiten
(Bd. II) gehandelt werden. E i n t r i t t von L u f t in d i e
Venen1).
Obgleich bereits im 17. Jahrhundert bekannt war, dass man Thiere durch Eintreiben von Luft in eine Vene tödten könne, haben auf den E i n t r i t t v o n L u f t i n d i e V e n e n b e i c h i r u r g i s c h e n ') Vgl. B l a n d i n , die
Venen
I. c. — H. F i s c h e r ,
während
einer
Operation,
über die Gefahren des Lufteintritts in Volkmann's
No. 1 1 3 . Leipzig, 1 8 7 7 (mit reichhaltigem
Samml.
kfin.
Literaturverzeicbniss).
5*
Vorträge,
68
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
O p e r a t i o n e n und dessen tödtliche Wirkung doch erst im vorigen Jahrhundert M e r y und L i t t r e die Aufmerksamkeit gelenkt. Der berühmte Physiolog M a g e n d i e war der Erste, welcher den während einer Operation plötzlich eingetretenen Tod ( B e a u c h e n e ) aus „Lufteintritt in die Venen" erklärte (1821). Von da ab ist dies eine stehende Rubrik für die Erklärung plötzlicher Todesfälle bei Operationen geworden. Die Zahl der wirklich erwiesenen Fälle von „Lufteintritt" ist jedoch nicht gross. U r s a c h e n . Im Moment der Inspiration dringt die Luft mit dem vollen Druck der Atmosphäre in die Brusthöhle ein. Derselbe Druck wirkt auch auf die Venen, so dass das Blut wenigstens in den grösseren, während der Inspiration mit bedeutenderer Geschwindigkeit dem Herzen zuströmt. Während der Exspiration dagegen wird der Raum der Brusthöhle verengt; dadurch erfolgt ein Zurückstauen des Blutes in den grossen Venen; man sieht z. B. die Halsvenen anschwellen, während sie bei der Inspiration zusammenfallen. Die durch die Ausdehnung der Brusthöhle auf die derselben nahe liegenden Venen ausgeübte Aspiration erstreckt sich aber unter normalen Verhältnissen nur einige Centimeter weit, wie P o i s e u i l l e gezeigt hat. Wenn man die äussere Drosselader eines Hundes in einer Ausdehnung von etwa 10 Ctm. von der oberen Apertur der Brust a n , blosslegt, so sieht m a n , etwa 4 Ctm. von der Brusthöhle entfernt, die Wandungen derselben während der Inspiration unter dem Druck der Atmosphäre zusammensinken, so dass das oberhalb jener Stelle befindliche Blut momentan gehindert wird, in die Brusthöhle einzuströmen. Man beobachtet dieselbe Erscheinung, wenn man durch einen Schlauch mit nachgiebigen Wandungen mit einer Spritze Flüssigkeit aufsaugen will. Der Stempel der Spritze steht alsbald fest, denn die Wandungen des Schlauchs werden durch den Druck der Atmosphäre an einander gepresst. Es kann also in der Regel nur in der Nähe der Brusthöhle Lufteintritt in die Venen Statt finden. In weiterer Entfernung setzt die durch den Druck der Atmosphäre bedingte Compression des Gefässes zwischen der Wunde und dem Herzen dem doch immer nur durch eben diesen Druck erfolgenden Eindringen der Luft ein unüberwindliches Hinderniss entgegen. Wird aber ein solides Rohr in die geöffnete Vene bis in die Brusthöhle eingeführt (Versuch von M a g e n d i e ) , oder finden sich Verhältnisse, welche das Zusammenfallen der Venen-Wände verhindern; so kann auch durch Venen-Wunden, welche in grösserer Entfernung von der Brusthöhle ihren Sitz haben, Lufteintritt erfolgen. Manche Venen sind im normalen Zustande durch ihre Verbindung mit Aponeurosen oder Knochen
Zufälle bei
69
Operationen.
in der Art ausgespannt, dass dadurch das Zusammenfallen ihrer Wandungen unmöglich
gemacht wird ').
In diesem Falle befinden sich
die S i n u s d e s S c h ä d e l s , in deren W u n d e n denn auch, wie durch Beobachtung am Menschen
und durch Experimente an Thieren
wiesen ist, Luft eintreten kann 2 ).
er-
Die Aspiration muss vom Sinus
bis zur oberen Thoraxapertur durch
die Vena jugularis interna ver-
mittelt werden, welche, so lange sie nicht blossgelegt ist, dem Druck der Atmosphäre durch die starken und straffen Fascien, welche über sie hingespannt sind, entzogen wird.
Aehnliche mechanische Begün-
stigungen des Klaffens der Lumina können an anderen Venen durch vorhergegangene E n t z ü n d u n g ihrer Umgebung oder durch Verwachsung ihrer Wendungen mit Geschwülsten herbeigeführt werden.
In anderen
Fällen hat die Venenwand selbst durch pathologische Veränderungen eine solche Rigidität erlangt, dass sie unter dem Druck der Atmosphäre nicht zusammenfällt.
Jedenfalls erfolgt der Eintritt von Luft in die
Venen desto leichter, je näher die verletzte Vene der Brusthöhle liegt, je grösser sie selbst u n d j e grösser die ihr beigebrachte Oeffnung ist. Lautes Schreien, ü b e r h a u p t ajigestrengte Respirationsbewegungen, Bewegungen der Arme und Hintenüberbeugen
des Halses sind als be-
günstigende Momente für den Lufteintritt zu betrachten. Schwäche
des Kranken
ist
als
prädisponirend f ü r
die
üble
Wirk u n g des Lufteintritts a n z u s e h e n 3 ) . S y m p t o m e d e s L u f t e i n t r i t t s in d i e V e n e n .
Man vernimmt
in dem Augenblicke der Verletzung der Vene ein G e r ä u s c h ,
welches
mit dem Pfeifen beim Eintritt von Luft in den Recipienten der Luftpumpe oder mit dem Lappen (Schlabbern) eines Hundes auch als G l u c k -
oder K l u c k e r - G e r ä u s c h
verglichen,
beschrieben
manchen Fällen war es aber k a u m oder garnicht z u
wird.
In
vernehmen.
Sobald Luft in eine Vene eingetreten ist, hört man (vorausgesetzt dass der Tod nicht sogleich erfolgt) ein anderes Geräusch, wenn man das Ohr in der Herzgegend an
die Brustwand
anlegt.
Dies ist mit
den Zusammenziehungen des Herzens isochronisch und klingt ähnlich dem Schütteln von Flüssigkeit- in einer halbgefüllten Flasche. Vgl. B é r a r d
d. Ä , Archives g e n é r a l e s de m é d e c i n e , t. XXII. pag. 5 0 6 .
'-') Vgl. G e n z m e r ,
Exstirpation
durch L u f t e i n t r i t t lid. X X I ,
pag. 6 6 4 .
Hirnsinus. der
in
Ebenda,
absichtlich
in
den —
eines f a u s t g r o s s e n F u n g u s d u r a e m a t r i s ,
geöffneten S i n u s P. M ü l l e r
Bd. X X I I , utero
(Eine
pag. 7 1 2 )
ausgeführten
(Kephalotripsie) häufig L u f t in die S i n u s •
ä
) Vgl. G e r d y ,
longitud, Bemerkung macht
sup.,
über Lufteintritt
darauf a u f m e r k s a m ,
Zermalmung
tödtlich
Archiv f. kl.
des
kindlichen
eintrete.
Bulletin de l'Acadcmie de m é d e c i n e , t. II. p. 2 8 2 .
Chir. in
die
d a s s bei Schädels
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
70 Bei
der P e r c u s s i o n
der
Herzgegend
soll
man
einen
m e h r oder
weniger
„ s o n o r e n " Ton vernehmen, j e nachdem eine mehr oder weniger grosse Quantität Luft eingetreten ist.
Ich
habe jedoch
bei
schiedenheit des Percussionsschalles
zahlreichen Versuchen
an Tbieren
vor und nach dem Lufteintritt
nicht
eine Verbemerken
können, obgleich das gluckernde Geräusch im Herzen die Anwesenheit der Luft in demselben bestimmt erkennen Hess.
Es ist nicht zu übersehen, dass bei den Säugethieren,
welche zu diesen Versuchen gewöhnlich benutzt sind, das Herz der Thoraxwand nicht fest anliegt, so dass man z. B. bei einer Seiten- oder Rückenlage des Thieres in der Herzgegend s t e t s einen „ s o n o r e n " Ton durch die Percussion erhält.
Die in eine Vene eingedrungene Luft gelangt in die rechte Herzhälftq und aus dieser, nachdem sie mit dem schwarzen Blute zu einem rothen Schaume gemischt ist, (wenn der Tod nicht sofort eintritt) zum Theil auch durch die Arteria pulmonalis in die Lungen. Grade die Mengung des Blutes mit der Luft im Herzen erzeugt jenes systolische Geräusch. Die bedenklichen Zufälle, welche als Folgen des Lufteintritts in die Venen betrachtet werden, sind verschieden. Fast im Augenblick des ersten Geräusches stiess der Kranke oft den Ruf aus: „ich sterbe!" und starb in der That gleich darauf. Oder es entstand eine tiefe Ohnmacht, die in den Todesschlaf überging. Zuweilen erwachte der Kranke noch einmal, klagte Uber ein Gefühl grosser Beängstigung in der Herzgrube und starb dann bald darauf. In seltenen Fällen beschränkten sich die üblen Folgen auf eine Ohnmacht mit grosser Beängstigung. Wir haben die Erscheinungen so mitgetheilt, wie sie von Denen berichtet werden, welche halten. der
die Tbatsacbe
des Lufteintritts und
Dieser Punkt ist aber streitig.
Medicin ( 1 8 3 7 ) vertheidigten
D e l p e c h und D u p u y t r e n Velpeau, Gerdy, und D e n o n v i l l i e r s
Roux
die Folgen
und A m u s s a t ,
Blandin, sprechen
B a r t h é l é m y als Zweifler auftraten. nachdem
Auch
wurde, nur e i n
allgemein
nenes Beispiel vorgekommen
Vielleicht-hat man Fälle der Art nur anders er-
chirurgischen Operationen" betrachten.
den Zweifel nicht zu weit treiben.
Bcrard,
Merkwürdiger Weise ist seit der
In der That konnte man die Lehre vom Lufteintritt als eine neue
plötzlicher Todesfälle bei
auf
sie die einzelnen
die Discussionen in der Akademie die Aufmerksamkeit so
(Fall von G e n z m e r , vgl. pag. 69).
Kein Mensch wird l e u g n e n ,
durch Einblasen einer bedeutenden Quantität Luft in
„Erklärung
Wir dürfen
jedoch
dass man ein Thier
eine grosse Vene schnell tödten
Man kann auch a priori nicht in Abrede stellen, dass in die Venen eines Men-
schen Luft eintreten k a n n , vorfinden. ziehen.
sieb auch
die Venen bei Operationen an Menschen aufgeführt
auf diesen unglücklichen Zufall gelenkt
kann.
indem sie
in ihrem „ C o m p e n d i u m " ,
Beobachtungen von Lufteintritt in
klärt.
für unzweifelhaft
der Pariser Akademie
beriefen, die so eben von uns entwickelte Lehre, wahrend
und geprüft haben, zweifelnd über diesen Gegenstand. Zeit, wo durch
desselben
Bei der Discussion in
wenn
sich
die oben angegebenen günstigen Verbältnisse
Auch den Werth der vorliegenden Beobachtungen wollen wir nicht in Zweifel „Aber man bat Lufteintritt in die Venen in einer grossen Menge von Fällen
zu beobachten geglaubt,
wo er gar nicht Statt f a n d , und
man hat alle plötzlichen
Todesfälle bei Operationen diesem Zufall zugeschrieben, als ob man für ein so schreck-
71
Zufälle bei Operationen.
Kches Ereignis» Trost darin finden k ö n n t e , dass man seine Ursache in die Luft verlegte."
B l a n d i n (I. c.).
D i a g n o s e . Nach der gewöhnlichen Angabe sind zwei Symptome charakteristisch für den Lufteintritt in die Venen: 1. das plötzliche Geräusch, und 2. die plötzliche Besinnungslosigkeit des Kranken mit jenem eigentümlichen Gefühl der Präcordialangst. Letzteres Symptom findet sich aber auch bei der Ohnmacht und kann an betäubten Kranken nicht beobachtet werden; ersteres kann einer Seits so schwach sein, dass es gar nicht bemerkt wird, anderer Seits aber kann es mit dem Geräusch verwechselt werden, das durch einen in der Tiefe der Wunde hervorspritzenden Blutstrahl nicht selten entsteht. B l a n d i n sagt ausdrücklich: „Wir haben dies Geräusch die vollkommensten Täuschungen veranlassen sehen; man darf eben so wenig aus dem sogenannt charakteristischen Geräusche schliessen, es sei Luft eingedrungen, als wegen seines Fehlens den Lufteintritt läugnen." Jedenfalls müssten also beide Zeichen da sein, um uns zu der Annahme des Lufteintritts zu berechtigen, und es müsste sich ferner um die Verletzung einer nahe an der oberen Apertur des Thorax gelegenen Vene handeln, wenn sich nicht etwa die oben erläuterten Verhältnisse vorfänden, durch welche der Ganal einer Vene auch auf eine grössere Strecke hin offen erhalten werden kann. Man müsste, nach B l a n d i n , ein abges'tossenes Kluckern und nicht ein scharfes und gedehntes Pfeifen, wie beim Einströmen von Luft in die Luftpumpe ( D u p u y t r e n ) vernehmen; es müsste auch die Auscultation jenes eigenthümliche Kluckern, jenes systolische Blasegeräusch im Herzen erkennen lassen. Kommt hierzu der Austritt von schäumigem Blut aus der Venenwunde, dann ist die Diagnose sicher. Theorien.
Es soll hier n u r von der Erklärung des p l ö t z l i c h e n T o d e s
das Eindringen von Luft in die Venen die Rede sein.
durch
B i c h a t b e h a u p t e t e , dass
die
statt des reinen Blutes zum Gehirn gelangenden Luftblasen dessen Function aufhöben. Nysten
war der Ansicht, d i e H ö h l e n d e s
L u f t , deren Volumen durch
rechten
H e r z e n s würden durch die
die Körperwärme noch vermehrt werde,
so
bedeutend
a u s g e d e h n t , dass Lähmung derselben die Folge sei, wie j a auch eine durch Harnverhaltung ausgedehnte Blase die Fähigkeit verliere, sich zu contrahiren. des Herzens durch
die Anwesenheit der Luft in
an.
bewirkt die aus dem Herzen zu
Nach G e r d y
demselben
Eine Lähmung
nimmt auch M a g e n d i e
den Lungen
gelangte Luft
eine
Unterbrechung der Blutzufuhr zu diesen und weiterbin auch zu anderen Organen, indem, statt Blut Luft zugeführt
wird.
(In
dieser Beziehung könnte
hervorheben, dass das Herz still stehen muss, nährenden
Blutes Luft eindringt.)
man
noch
besonders
sobald in die Kranzadern statt des er-
M a r c h a i glaubt, dass durch
die Mischung von
atmosphärischer Luft mit venösem Blut aus dem letzteren innerhalh des Herzens Kohlensäure abgeschieden werde,
und
diese wirke bekanntlich
als Gift.
Mercier
endlich
nimmt an, das Blut werde durch seine Mischung mit der Luft so dickflüssig, dass es nicht mehr frei durch die Lungencapillaren circuliren könne.
72
Chirurgische Operationen im Allgemeinen. Die neuesten
experimentellen
mässige Ausdehnung der
Arbeiten weisen im Wesentlichen
rechten
Herzhälfte
(Gaz. med. de Paris, 1 S 7 3 , No. 1 1 ) suchen
hin.
auf
Laborde
die und
überMuron
die Ursache des Todes in der mechani-
schen Behinderung der Herzbewegungen durch die übermässige Ausdehnung des Herzens, K o w a l e w s k y (Arcb. f. d. ges. Pbysiolog., Bd. VIII, p. 6 0 7 ) in der durch die Scbaumbildung im rechten Herzen bedingten Behinderung des Blutzuflusses aus den Hohlvenen, welche weiterhin relative Blutleere der Arterien (namentlich auch des
Gehirns)
zur
Folge habe, C o u t y endlich, auf Grund besonders sorgfältiger Versuche (Gaz. med. d. Paris 1 8 7 6 , No. 6 . ) ,
in der durch die Ansammlung von Luft bedingten
übermässigen
(bis auf's Dreifache steigenden) Ausdehnung des rechten Ventrikels, welche dessen normale Thätigkeit aufhebe, sogar ein Regurgitiren des lufthaltigen Blutes bis in weit entfernte Venen zur Folge babe, jedenfalls aber Blutleere in den Arterien bedioge. (Archiv f. path. Anat. Bd. VI., XXVII. u. f.)
und H. F i s c h e r (I. c.j legen
Gewicht auf die V e r s t o p f u n g d e r L u n g e n a r t e r i e n - Z w e i g e
Panum besonders
durch Luftblasen.
Die B e h a n d l u n g hat vor Allem die V e r h ü t u n g des Lufteintritts im Auge. Man hat gerathen, die Venen zwischen dem Herzen und dem Operationsort zu comprimiren. Aber dies ist gerade an der gefährlichsten Stelle, in der Nähe der Brusthöhle, am Wenigsten möglich; und wäre es möglich, so würde die Operation durch die übermässige venöse Blutung, welche in Folge einer solchen Compression eintreten müsste, ungemein erschwert werden. Viel zweckmässiger ist es, alle grösseren Venen vor der Durchschneidung zu unterbinden, und grössere Geschwülste, statt sie bei der Exstirpation hin und her zu bewegen, lieber stückweise zu exstirpiren ( D u p u y t r e n ) . Wenn der Lufteintritt erfolgt ist, so soll man den Finger auf die Venenwunde setzen, dem Kranken eine horizontale Lage geben, Belebungsmittel anwenden, insbesondere den Thorax zusammen drücken, einen Aderlass machen, die Aorta comprimiren, — die Luft durch Husten, Niesen, Brechen seitens des Kranken wieder heraustreiben lassen (H. F i s c h e r ) oder dieselbe mittelst eines Tubulus wieder heraus saugen. — Die Compression des Thorax wurde hesonders von N y s t e n und A m u s s a t empfohlen. Man soll während derselben die Venenwunde offen lassen, sobald aber die Elasticität der Thoraxwände die Brusthöhle wieder auszudehnen beginnt, die Wunde schliessen und damit älternirend fortfahren, bis man glaubt, dass der grösste Theil der eingetretenen Luft wieder ausgetrieben sei. Man hat auf solche Weise das Zurückstauen des Blutes während der Exspiration nachahmen wollen, dabei aber übersehen, dass bei den Inspirationsbewegungen das Zwerchfell die Hauptrolle spielt. — Das Aufsaugen mittelst eines durch die Vena jugularis externa bis in's Herz eingeführten Metallrohrs zeigte sich bei den Versuchen M a g e n d i e ' s an Hunden nützlich; aber diese Thiere bleiben auch ohnehin oft am
73
Nachbehandlung.
Leben, nachdem man ihnen ansehnliche Quantitäten Luft in die Venen getrieben h a t ' ) . Beim Menschen ist es noch nicht versucht. Es wird schwer halten, beim Ausziehen des Tubulus ein neues Eindringen von Luft zu verhindern. — Der Aderlass zeigte sich bei Pferden nützlich. Wer möchte einem ohnmächtigen Menschen zur Ader lassen? Grade das Gegentheil der Blutentziehung bezweckt die Compression der Aorta abdominalis (nach M e r c i e r ) ; sie soll einen vermehrten Blutzufluss zur oberen Körperhäjfte, besonders zum Gehirne, bewirken. Ein wirklich bewährtes Mittel giebt es nicht. Dies muss den Operateur zur Verdoppelung seiner Aufmerksamkeit und Sorgfalt auffordern , so oft er nahe der obern Apertur des Thorax oder in der Nähe eines Sinus eine Operation auszuführen hat. V e r f a h r e n n a c h d e r Operation.
Kachbehandlung.
Nachdem die B l u t u n g g e s t i l l t und der V e r b a n d (s. weiter unten) angelegt ist, wird der Kranke in sein Bett gebracht und der Theil, an welchem operirt ist, vor Berührung oder gar Druck sorgfältig geschützt. Der Operirte muss bequem liegen; wenn es sein k a n n , auf einer guten Rosshaarmatratze (vgl. D e c u b i t u s ) . Hat er viel Blut verloren und ist er schwach, so kann man ihm etwas guten Wein erlauben. Sonst aber begnüge man sich mit einer Tasse warmen Thees und suche durch freundliche Worte und Erweckung der Hoffnung, dass jetzt, nachdem die Operation glücklich überstanden ist, bald vollständige Heilung folgen werde, den Kranken zu beruhigen und zu erheitern. Bei besonders empfindlichen oder sehr erregten (zum Delirium tremens disponirten) Personen, sowie nach besonders schmerzhaften Operationen, wendet man beruhigende Mittel (namentlich Opiumpräparate, Morphium u. s. f.) an, um Schlaf herbeizuführen. v. N u s s b a u m empfiehlt, noch vor dem Erlöschen der Chloroform-Wirkung dem Patienten regelmässig eine hypodermatische Einspritzung von einer starken Dosis Morphium zu machen, wodurch es gelingen soll, die Betäubung noch 6 — 1 0 Stunden in unschädlicher Weise zu erhalten J ), was mir jedoch nicht immer gelungen ist. Eine entsprechende Dosis C h l o r a l h y d r a t ist oft vorzuziehen 3 ). Vgl. pag. 40. ' ) Man k a n n H u n d e a m L e b e n e r h a l t e n , n a c h d e m m a n i h n e n
(nur nicht stürmisch!)
1 0 0 K u b i k c e n t i m e t e r L u f t in die grosse S c h e n k e l v e n e e i n g e s p r i t z t hat. den Versuch wiederholt 2
) Vgl. A. M a r t i n injicirte e i n e n
•) S e l b s t
bei
im Aerztl. I n t e l l i g e n z - B l a t t , ganzen
Deliranten
Schlaf f ü r 5 - 9
Ich
habe
gemacht. Gran
genügen
Stunden
( =
0,06)
meist
1 8 6 3 , No. 4 1 . —
v.
3 — 5 Gramm Chloralhydrat
herbeizuführen.
Nussbaum
Morphium. um
ruhigen
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
74
In Betreff der unangenehmen Nachwirkungen des Chloroforms vgl. pag. 47. — Auf grosse Operationen folgt zuweilen heftiger Schüttelfrost oder auch erhebliches Sinken der Körperwärme (um mehrere Grade). Diese bekämpft man durch warmen Thee, Reiben des Körpers, Wärmen des Bettes. Bei andauernder Erniedrigung der Temperatur und Schwäche des Pulses sind hypodermatische Injectionen von Aether und von Oleum camphoratum zu empfehlen. Man sucht ferner für den Operirten die möglichst günstigen hygieinischen Verhältnisse herbeizuführen. Vor Allem sorgt man für gute L u f t und deshalb für Lüftung des Zimmers. Wo möglich gebe man dem Operirten ein besonderes Zimmer und vermeide es, viele Operirte in einen Saal, oder auch nur einzelne Operirte in denselben Raum mit vielen anderen Kranken zu legen. Die Unmöglichkeit, diese Vorschriften zu befolgen, war bis zur Einführung der antiseptisehen Methode wesentlich daran schuld, dass die Sterblichkeit der Operirten in den Hospitälern grösser war, als in der Privatpraxis. Bei Gelegenheit der „ W u n d e n " wird von der D i ä t der Verwundeten die Rede sein. Im Voraus kann bemerkt werden, dass sie niemals allzu schmal sein darf. Man erlaubt dem Kranken einige Stunden nach der Operation eine Tasse Fleischbrühe und lässt dieselbe im Laufe des Tages noch einmal nehmen, wenn sie gut ertragen wurde. In den nächsten Tagen wird der Kranke mit guten Suppen ernährt. War er an Spirituosa gewöhnt, so entziehe man ihm dieselben nicht ganz. Qualität und Quantität der Nahrungsmittel werden vorsichtig und allmälig gesteigert; schwer verdauliche Speisen vermeidet man, so lange der Patient im Bett liegt, unbedingt.
II.
Elementar-Operationen.
Elementar-Operationen bestehen aus einfachen Acten; alle Methoden und Verfahren entstehen aus ihrer Combination (vgl. pag. 27). Wir handeln hier nur von der T r e n n u n g und V e r e i n i g u n g (der Draeresis und Synthesis der Alten); Uber Exaeresis und Prothesis vgl. „fremde Körper" und „Deformitäten". A.
Von
der
Trennung.
Die bei einer Operation beabsichtigte Trennung der Theile geschieht entweder durch m e c h a n i s c h e oder durch c h e m i s c h e Einwirkung. Die Trennung auf mechanischem Wege erfolgt bald durch s c h n e i d e n d e oder s t e c h e n d e W e r k z e u g e , bald durch U m s c h n ü -
Trennung durch Schnitt.
75
r u n g , oder durch A b r e i s s e n oder Z e r m a l m u n g . Als chemisch wirkende Trennungsmittel benutzen wir die G l ü h h i t z e und eine Anzahl von ä t z e n d e n S u b s t a n z e n . I. Trennung durch schneidende Werkzeuge. A.
S c h n i t t e in W e i c h t h e i l e n .
Zum Schneiden in Weichtheilen bedienen wir uns vorzugsweise der M e s s e r und S c h e e r e n . Erstere werden, je nach ihrer Gestalt und sonstigen Einrichtung oder auch nach ihrer Bestimmung, als Scalpel, Bistouri, Herniotom, Lithotom, Tenotom, Amygdalotom u. s. f. bezeichnet. I.
Von der Art, die schneidenden Instrumente zu halten. A.
Haltung des
Messers.
Die verschiedenen Arten das Messer zu halten, nennt man P o s i t i o n e n ; sie werden gewöhnlich in folgender Ordnung aufgeführt. 1) D a s M e s s e r w i e e i n e S c h r e i b f e d e r g e h a l t e n , d i e S c h n e i d e nach Unten. Man legt den Daumen auf die eine Seite des Charniqrs, den Zeigefinger auf die andere Seite, aber etwas mehr nach Vorn und mehr auf den Rücken der Klinge, den Mittelfinger flach an die Seite der Klinge, mehr oder weniger weit gegen die Spitze hin, je nachdem man flacher oder tiefer einschneiden will, der vierte und fünfte Finger bleibt frei; letzterer dient als Stützpunkt (Fig. 33). Fig. 3 3 .
2) Das M e s s e r wie e i n e S c h r e i b f e d e r g e h a l t e n , die S c h n e i d e n a c h O b e n . Diese Stellung unterscheidet sich von der vorhergehenden nur dadurch, dass die Schneide aufwärts gerichtet
76
Chirurgische
Operationen
im
Allgemeinen.
und der Zeigefinger an die Fläche der Klinge o d e r an das Schloss angelegt wird (Fig. 3 4 ) . Fig. 3 4 .
3) D a s M e s s e r w i e e i n T i s c h m e s s e r g e h a l t e n , die S c h n e i d e n a c h U n t e n . — Daumen und Mittelfinger ergreifen das Messer in der Nähe des Charniers, der Zeigefinger wird auf den Rücken der Klinge gelegt, je nach Bedürfniss mehr oder weniger nach Vorn; die übrigen Finger umfassen das Heft und halten es in der Hohlhand fest (Fig. 35). Diese Position gewährt die grösste Sicherheit und Fig. 3 5 .
y
Fig. 3 6 .
Trennung durch
Schnitt.
77
Kraft. Je mehr letztere entwickelt werden soll, desto fester legt man die drei letzten Finger um das Heft an und hält diesen durch Anlegen der ganzen Volarflüche der letzten Phalanx des Daumen das Gegengewicht. Je m e h r es dagegen auf die Genauigkeit in der Ausf ü h r u n g des Schnittes a n k o m m t ; desto weiter schiebt man den Daumen und Mittelfinger v o r , in der Art, dass sie statt des Heftes vielmehr den hinteren Theil der Klinge zwischen sich nehmen. 4) D a s M e s s e r w i e e i n T i s c h m e s s e r gehalten, die Schneide nach Oben. Hierbei verhält sich Alles, wie bei Position 3, n u r mit dem Unterschiede, dass die Schneide aufwärts gerichtet ist und der Zeigefinger an das Charnier angelegt wird (Fig. 36). Fig. 3 7 .
5) D a s M e s s e r w i e e i n G e i g e n b o g e n g e h a l t e n , die S c h n e i d e n a c h U n t e n . Auf der einen Seite legt man den Daumen dicht hinter dem Charnier a n , auf die andere Seite werden alle übrigen Finger in eine Reihe gelegt, so z w a r , dass der Zeigefinger an der Fläche der Klinge, der Mittelfinger dem Daumen gegenüber, Fig. 3 8 .
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
78
die übrigen weiter nach Hinten am Heft angelegt sind (Fig. 37). Zuweilen werden die beiden letzten Finger, häufiger der kleine Finger allein, nicht mit angelegt. Will man in dieser Stellung kräftiger schneiden, so drückt man das Heft durch den vierten und fünften Finger gegen den Ulnarrand der Hand. 6) Das M e s s e r w i e e i n G e i g e n b o g e n g e h a l t e n , die S c h n e i d e n a c h O b e n (Fig. 38). Diese Position unterscheidet sich von der v i e r t e n nicht wfesentlich, wie ein Vergleich der Figuren 36 und 38 (pag. 76 u. 77) ergiebt, deren erste von der Ulnarseite, die zweite von der Radialseite aufgenommen ist. 7) H a l t u n g d e s M e s s e r s b e i m A m p u t i r e n . Zu diesem Behufe wird das Messer mit der vollen Hand ergriffen, indem der Daumen von der einen, die übrigen Finger von der anderen Seite das Heft umfassen. Vgl. Bd. IV. Die Zahl dieser Positionen kann sehr verringert werden, wenn man nicht berücksichtigt,
ob die S c h n e i d e
erhält man
4 Positionen,
4. und !). die z w e i t e ,
nach
indem
Unten von
den
oder n a c h
Oben
gekehrt
ist;
oben aufgeführten 1. und 2. die
6. und 5. die d r i t t e
Position
ausmachen,
und
alsdann erste,
die 7. als
v i e r t e bezeichnet wird.
Einfacher ist es, wenn man, je nach der A r t d e r A n w e n d u n g , die Haltung des Messers unterscheidet: a) z u m I n c i d i r e n (dritte und fünfte Position), b) z u m D i l a t i r e n (vierte und sechste Position), e) z u m P r ä p a r i r e n (erste und zweite Position), d) z u m A m p u t i r e n (siebente Position).
B.
Haltung der
Scheere.
Die letzte Phalanx des Daumen wird in den einen (oberen), die zweite Phalanx des Ringfingers in den anderen (unteren) Ring gesteckt; der Mittelfinger wird in der Nähe des letzteren an die Stange der Scheere, der Zeigefinger grade an die Schloss-Schraube angelegt. Auf diese Weise handhabt man die Scheere mit mehr Kraft und hat die mit ihr vorzunehmenden Bewegungen viel mehr in seiner Gewalt, als wenn m a n , wie es von Ungeübten gewöhnlich geschieht, durch den zweiten Ring den dritten Finger steckt, und den Zeigefinger in der Nähe desselben anlegt. Der fünfte Finger bleibt stets frei und kann als Stützpunkt dienen.
Trennung durch Schnitt.
n.
79
Incisionen.
Man glaubte früher allgemein, dass die Messer nach Art einer sehr feinen Säge, durch Zug, die Scheeren aber nur durch Druck wirkten; man schloss daraus, dass der Gebrauch der Scheeren zu vermeiden sei, indem sie die Theile quetschten und weniger reine Schnittwunden machten. Heutzutage nimmt man an, dass Messer auch ein wenig durch Druck wirken, und dass bei den Scheeren auch die sägenartige Wirkung, wenn gleich weniger, stattfindet, und man empfiehlt, beide Wirkungen zu vereinigen. Man kann wohl noch weiter gehen und (mit M a l g a i g n e ) behaupten, dass der Druck in manchen Fällen das beste Mittel ist, um recht glatte, reine Schnitte zu erhalten, und dass darauf gerade die Nothwendigkeit beruht, die Haut da, wo man einen Einschnitt machen will, zu spannen. Weit entfernt, den Gebrauch der Scheere zu verwerfen, werden wir denselben daher für alle diejenigen Fälle empfehlen, wo die Theile auf ein Mal mit e i n e m Schnitt getrennt werden können. Die vermeintliche Quetschung findet nicht statt, und dass in Betreff der Reinheit des Schnittes der Vortheil auf Seiten der Scheere sei, davon kann man sich überzeugen, wenn man eine Compresse, einen feuchten Papierbausch oder dgl. vergleichsweise mit dem Messer und der Scheere durchschneidet. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Scheere im Verhältniss zu den zu durchschneidenden Theilen hinreichend stark und vollkommen scharf sei. Um die Scheere auch sägeförmig (durch Zug) wirken zu lassen, muss man sie d a , wo sich ein grösserer Widerstand findet, während des Zusammendrückens sanft zurückziehen. Um mit dem Messer zu schneiden, bewegt man, wie bereits angedeutet, seine Schneide ziehend und gleichzeitig mehr oder weniger drückend Uber die zu durchschneidenden Theile hin. I n c i s i o n e n m i t dem M e s s e r macht man: 1. v o n A u s s e n n a c h I n n e n , 2. v o n I n n e n n a c h A u s s e n , und zwar in diesen beiden Fällen mit Trennung der Haut; oder aber man incidirt von einer sehr kleinen Hautwunde aus die unter der Haut gelegenen Theile in verschiedener Richtung: innere Incisionen, s u b c u t a n e S c h n i t t e . Im Gegensatze zu letzteren werden die beiden ersteren Arten auch als g e w ö h n l i c h e E i n s c h n i t t e bezeichnet. Der Einschnitt von Aussen nach Innen, wobei also zuerst die Haut und demnächst die tiefer gelegenen Theile getrennt werden, wird am Häufigsten angewandt. Will man von Innen nach Aussen schneiden, so muss entweder schon eine Oeffnung vorhanden sein, von welcher man dann mit aufwärts gerichteter Schneide zuerst die
80
Chirurgische Operationen i m
Allgemeinen.
tieferen Theile und dann die Haut durchschneidet, wie bei der Erweiterung einer Abscessöffnung oder der Operation der Mastdarmfistel; oder aber man beginnt den Schnitt, indem man das Messer mehr oder weniger tief einsticht und beim Ausziehen desselben die Theile in der so eben angegebenen Reihenfolge durchschneidet. Eine Incision kann in verschiedener Richtung Statt finden. 1. Man s c h n e i d e t g e g e n s i c h , d. h. man führt das Messer von dem Anfangspunkte des Einschnitts gegen seinen Körper, wie z. B. in Fig. 33, 35, 37, 39. Fig. 39.
2. v o n Vorigen;
sich
ab
(Fig. 34, 36, 38, 40), das Gegentheil
des
Fig. 4 0 .
3. v o n L i n k s n a c h R e c h t s . Das Messer in der rechten Hand, seine Spitze nach Links, sein H«ft•nach Rechts gerichtet; 4. v o n R e c h t s n a c h L i n k s . Man führt das Messer mit der linken Hand, die Spitze gegen seine rechte Hand gerichtet. In den beiden letzteren Fällen wird vorausgesetzt, dass die Incision von Aussen nach Innen geschehen solle. Will man von Innen
Trennung durch
81
Schnitt.
nach Aussen, also mit aufwärts gerichteter Schneide ineidiren, so rnuss sich die Stellung des Messers gerade umgekehrt verhalten, also für die lncision von Links nach Rechts die Spitze nach Rechts gerichtet, und es müsste die schneidende Hand, wenn man den zu durchschneidenden Theil nicht verdecken will, die linke sein. Die Incisionen von L i n k s n a c h R e c h t s werden am Häufigsten gemacht, am Leichtesten erlernt und scheinen wohl (wenigstens für r e c h t s h ä n d i g e Menschen) die natürlichsten zu sein. Man pflegt deshalb den Kranken so zu lagern, dass bei den wesentlichsten Acten der Operation die Incisionen bequem in dieser Richtung gemacht werden können. A.
I n c i s i o n e n von Aussen nach
Innen.
Man bedient sich dazu des Messers; die Schnittlinien sind bald gerade, bald krumm, bald einfach, bald mehrfach. Für ihre Ausführung gelten folgende Regeln: 1. Vor Allem spanne man die Haut. Diese Spannung muss, wo möglich, zu den Seiten der beabsichtigten Schnittlinie und in entgegengesetzter Richtung, als man den Schnitt führen will, Statt finden. Es kann dies auf verschiedene Weise geschehen: entweder man legt den Ulnarrand der linken Hand auf, zieht mit diesem die Haut in dem der Richtung des Schnitts entgegengesetzten Sinne an und bewirkt die seitliche Spannung durch Aufsetzen des Daumens auf der einen und des zweiten und dritten Fingers (oder auch nur eines von diesen) auf der anderen Seite; oder man beschränkt sich auf die seitliche Spannung und bewirkt diese durch den Ulnarrand auf der einen und den Daumen auf der andern Seite, oder bei beschränktem Raum auch wohl nur durch Daumen und Zeigefinger. Zuweilen wird die Spannung der Haut auch ganz oder theilweise einem Gehülfen anvertraut. 2. Mit dem ersten Messerzuge trenne man die Theile in der beabsichtigten Ausdehnung und Tiefe, jedenfalls die ganze Dicke der Haut. 3. Man schneide so viel als möglich in der Richtung der Gefässund Nervenstämme, mithin in der Längenrichtung der Extremität, oder parallel mit den Fasern der nahe unter der Haut liegenden Muskeln und Sehnen, zuweilen auch nach der Richtung natürlicher Hautfalten. Gilt es die Wegnahme einer Geschwulst, so macht man den ersten Schnitt gern in der Richtung ihres grössten Durchmessers. 1) I n c i s i o n e n a u s f r e i e r H a n d . — a) E r s t e s V e r f a h r e n . Nachdem die Haut gespannt ist, ergreift man ein grades, spitzes Bftrdelcbcn,
Chirurgie.
8. A u f l .
I.
G
82
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Messer in der dritten Position und sticht es rechtwinklig gegen die KörperoberflSche bis zu der beabsichtigten Tiefe ein, neigt es darauf in schiefem Winkel gegen die Haut und führt es bis zu dem beabsichtigten Endpunkte, wo es wiederum erhoben und in derselben Richtung, in welcher der Schnitt begonnen wurde, ausgezogen wird. Auf diese Weise erhält man sehr reine, auch am Anfang und Ende scharf begrenzte Schnitte; aber es ist für den Anfänger sehr schwer, beim Einstechen des Messers die richtige Tiefe zu treffen. Will man gekrümmte Einschnitte machen, so muss, je nachdem man die Richtung der Klinge wechselt, auch die Spannung der Haut geändert werden. Beim Amputiren mit dem Cirkelschnitt soll die Haut im ganzen Umfange des Gliedes kreisförmig durchschnitten werden; dazu muss sie ringsum durch Gehülfen gleichmässig gespannt und das Messer, mit dem Talon aufgesetzt, in schnellem Zuge herumgeführt werden. b) Z w e i t e s V e r f a h r e n . Man zieht das Messer, in dritter, seltener in erster oder fünfter Position schräg gegen die Haut aufgesetzt, unter gleichzeitigem Drucke in der beabsichtigten Ausdehnung über die Haut hin. Hierbei werden Anfang und Ende des Schnittes weniger tief, als sein mittlerer Theil, was von Vielen als regelwidrig betrachtet wird, in der That aber keinen Nachtheil hat. Dies Verfahren verdient besonders dann den Vorzug vor dem ersten, wenn unter den zu durchschneidenden Theilen solche liegen, welche sorgfältig geschont werden müssen, wie z. B. eine Arterie. 2) I n c i s i o n e n mit E r h e b u n g e i n e r H a u t f a l t e . — a) V e r fahren für gewöhnliche Einschnitte. Der Wundarzt erhebt mit beiden Händen die Haut in eine Falte, deren Höhe die Hälfte der beabsichtigten Schnittlänge betragen muss; den mit der rechten Hand gefassten Theil der Falte übergiebt er einem Gehülfen und durchschneidet die Falte bis zu ihrer Basis, indem er das Messer in fünfter Position über den Gipfel derselben hinwegzieht. Zuweilen ist es von Nutzen, bevor man die gefasste Hautfalte loslässt, das in der Tiefe der Wunde befindliche Bindegewebe durch ein Paar leichte Züge zu trennen; was während des Emporziehens der Haut ohne Gefahr einer Verletzung tieferer Tbeile geschehen kann. Natürlich kann von dem Erheben einer Hautfalte nur die Rede sein, wenn die Haut hinreichend beweglich ist. Von besonderem Vortheil ist dies Verfahren da, wo die Haut keine feste Unterlage besitzt, oder wo nahe .unter ihr ein wichtiger und leicht zu verletzender Theil liegt. 6) V e r f a h r e n z u m A m p u t i r e n (mit dem Lappenschnitt). Sämratliche zu durchschneidende Weichtheile werden mit der linken
Trennung durch
Hand in
eine grosse Falte gefasst,
Schnitt.
83
und diese mit einein
Zuge in
schräger Richtung bis auf den Knochen durchschnitten (C. M. genbeck).
Lan-
—
Zusammengesetzte
oder
mehrfache
Incisionen
durch eins oder durch Combination mehrerer benen Verfahren
bewirkt werden.
können
der so eben beschrie-
Als allgemeine Regel
dass man mit dem leichtesten Einschnitt anfange.
gilt
dabei,
So z. B. wenn ein
von Links nach Rechts verlaufender Einschnitt in ' der beabsichtigten Schnittfigur
ist,
so macht man
diesen zuerst u. s. f.
Soll ein Ein-
schnitt höher liegen, als der andere, so macht man den unteren zuerst, um nicht
durch das aus
dem
oberen
abfliessende Blut
gestört
zu
werden, so z. B. bei der Abnahme der Brust. Die typischen Formen der zusammengesetzten Schnitte sind: 1.
V-Schnitt,
d. h. zwei grade
spitzen Winkel zusammentreffen.
Einschnitte,
die
in
einem
Man macht den zweiten Schnitt in
der Richtung gegen das eine Ende des ersteren, und zwar am Besten so, dass er auf denselben ein wenig vor seinem Ende auftrifft, damit an der Vereinigungsstelle keine Brücke bleibt. chem die beiden Schnitte zusammentreffen,
Der Winkel, unter welkann
verschieden
gross
sein; ist er ein rechter, so entsteht dadurch ein L-Schnitt. 2.
T-Schnitt.
Man lässt den zweiten Einschnitt auf die Mitte
des ersten fallen. 3.
Kreuz-Schnitt.
Man fügt zu dem T noch einen Schenkel
hinzu, und zwar macht man immer den oberen zuletzt.
Ist die Haut
krankhaft verhärtet oder liegt sie sehr fest auf den darunter
befind-
lichen Theilen an, so kann man diesen Schnitt auch, statt in drei, in zwei Zügen machen. — 4. beiden
Elliptischer Enden
Der X-Schnitt verhält sich ebenso. Schnitt.
zusammenstossen.
Zwei gebogene Einschnitte, die an Man
macht
den
unteren
Schnitt
zuerst und lässt den zweiten drei bis fünf Millim. von dem Anfangsund Endpunkte des ersteren
auf diesen
fallen (d. h. beginnen
und
enden), um eine „Hautbrücke" zu vermeiden. 5.
Halbmondförmiger Schnitt.
Zwei gekrümmte Einschnitte,
welche verschieden grossen Kreisen angehören, selben Seite zuwenden und mit ihren Enden
B.
I n c i s i o n e n von Innen
ihre Concavität
der-
zusammenstossen.
nach
Aussen.
Bei den hierher gehörigen Verfahren wird das Messer durch eine natürliche
oder
künstliche
Oeffnung
eingeführt,
—
die
Schneide
gegen die zu trennenden Theile, gewöhnlich also aufwärts gerichtet. 6*
84
Chirurgische
Operationen
im
Allgemeinen.
Der Zweck derselben ist fast i m m e r E r w e i t e r u n g einer natürlichen oder künstlichen Oeffnung. mässig ihre Anwendung.
Die Scheeren finden hier sehr oft zweckWir u n t e r s c h e i d e n :
a) V e r f a h r e n
ohne Leitungssonde.
— 1) Das Messer
wird durch eine bestehende Oeffnung in eine Höhle eingeführt oder rechtwinklig eingestossen,
—
in beiden
Fällen in
vierter
Position.
Man senkt hierauf das Heft, während die Schneide aufwärts gerichtet ist, so dass der Rücken gegen die zu durchschneidende Fläche einen Winkel von 45° bildet. und alsdann
Indem man n u n das Messer vorwärts schiebt
wieder in verticaler Stellung auszieht, wird der
schnitt vollzogen.
Ein-
Will man den Einschnitt „nach s i c h " machen, so hält
man das Messer in erster Position, aber mit nach Hinten
gerichteter
Spitze (vgl. Fig. 38). 2) Man bildet eine Hautfalte, wie pag. 8 2 unter 2) angegeben, und
stösst ein spitzes, in vierter Position gefasstes Messer durch die
Basis derselben.
Indem
man dasselbe auszieht, durchschneidet man
die ganze Hautfalte von Unten nach Oben. 3) Man benutzt einen schon zweiten zu bilden.
bestehenden Einschnitt,
um
einen
Zu diesem Behuf stösst man das spitze, in vierter
Position f l a c h gehaltene Bistouri von einem beliebigen P u n k t e dieses Einschnittes aus bis zu der nöthigen Tiefe und Länge ein. das Heft stark s e n k t ,
Indem man
dringt die Spitze durch die H a u t ; die Brücke
zwischen letzterer Stelle und
dem f r ü h e r e n Einschnitt wird
durch-
schnitten, indem man die Schneide aufwärts wendet und das Messer nach Oben auszieht. 4) Man bildet mit der linken Hand eine Falte entweder blos aus der Haut oder auch aus sämmtlichen Weichtheilen.
Die Basis dieser
Falte wird darauf mit einem spitzen, in vierter oder in siebenter Position gehaltenen Messer durchstochen und, w ä h r e n d man dasselbe in schräger Richtung Lappens
gegen
durchschnitten.
Amputationen
angewandt
die
Peripherie
Dies
Verfahren
auszieht, wird
(Lappenschnitt nach
in
Form
hauptsächlich
der
eines bei
Verduin'schen
Methode). b) Mit
Leitungssonde. —
1) Man führt eine Hohlsonde
so weit ein, als der Schnitt sich erstrecken soll. Das Messer wird in vierter Position mit seiner Spitze in
die Rinne
der Hohlsonde ge-
setzt; indem man es, schräg gegen die Haut gehalten, bis zum Ende der Hohlsonde fortschiebt, dann aber rechtwinklig erhebt und gleichzeitig mit der Sonde auszieht, wird der Schnitt vollendet. 2) Das Messer wird
bis
zum Ende
der
Hohlsonde
eingeführt
Trennung durcü
und der Schnitt durch ausgeführt.
85
Schnitt.
gleichzeitiges Erheben der ganzen
Schneide
3) Die Spitze der entsprechend weit eingeführten Hohlsonde wird durch Senken ihres Griffes emporgedrückt, so dass sie die Haut zu einem kleinen Hügel erhebt. In diesen sticht man das in vierter Position gefasste Messer in der Art ein, dass die Spitze in die Rinne d e r Hohlsonde zu stehen k o m m t , worauf durch Fortschieben des s c h r ä g gehaltenen Messers gegen den Griff der Sonde die Theile get r e n n t werden. 4) Das in derselben Alt, wie bei 2) eingeführte spitze Messer wird an dem Endpunkte des beabsichtigten Schnittes durch die Haut gestossen und, indem man es gegen sich auszieht, der Schnitt vollendet. Man bedient sich hierzu eines sichelförmigen Messers. G.
Schnitte unter der Haut, subcutane Schnitte.
dem Eindringen
ohne
die dadurch
hervorgebrachte
der L u f t auszusetzen.
Es sollen
Wunde
diese Ver-
letzungen in die Verhältnisse derjenigen versetzt w e r d e n , zufällig bei unversehrter Haut erfolgen.
Wir wissen,
die dass
Verletzungen dieser Art (z. B. Zerreissungen der Muskeln und einfache Knochenbrüche)
gewöhnlich überaus leicht heilen.
Natürlich lassen sich Trennungen der unter der Haut liegenden Gebilde, wenn sie mit dem Messer gemacht werden sollen, nicht a u s f ü h r e n ,
ohne dass
die Haut wenigstens
verletzt
wird, als zum Einführen des schneidenden
mentes
nothwendig
ist.
Man
macht
aber
insoweit Instru-
diese Oeffnung
so klein, als irgend möglich, und sucht das Eindringen von Luft in die W u n d e gänzlich zu verhüten. jede
subcutane
Schnitt.
Trennung
aus
Es besteht mithin
einem Einstich
und
einem
Da der zu durchschneidende Theil in der Mehrzahl
der Fälle eine Sehne i s t , so hat man
die zu
Schnitten angewandten Instrumente T e n o t o m e
subcutanen genannt.
Man kann die u n t e r der Haut zu trennenden Theile in der Richtung von Aussen nach Innen, oder von Innen nach Aussen durchschneiden.
Im ersteren Falle bewegt sich
der
Rücken des Tenotom's von der kleinen Hautwunde aus dicht u n t e r der Haut h i n w e g ,
"
Jfl
Durch solche Schnitte sollen Trennungen unteV der Haut bewirkt w e r d e n ,
Flg 41,
und man hat sich zu h ü t e n ,
dass
bei der A u s f ü h r u n g des Schnittes nicht tiefere Theile
ver-
letzt w e r d e n ; im anderen Falle ist die Schneide des Messer-
86
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Fig. 4 3 . c h e n s gegen die Haut gerichtet, und man hat daher eine unabsichtliche Verletzung der letzteren zu vermeiden. Die Stelle der kleinen Hautwunde muss, um den Lufteintritt möglichst sicher zu verhüten, der inneren Verwundung nicht entsprechen. Man erreicht dies,' indem man an dem einen Rande der zu dürch* schneidenden Sehne eine kleine Hautfalte bildet, an deren Basis das Tenotom eingeführt wird. Lässt man die Hautfalte los, so befindet sich die Hautwunde in ansehnlicher Entfernung von der Sehnenwunde. Wo die Haut sich nicht in eine Falte erheben lässt, da muss man in hinreichender Entfernung von dem subcutan zu incidirenden Theile einstechen, so dass das Tenotom sich einen kleinen Canal bis zu seinem eigentlichen Bestimmungsorte zu bahnen hat. Sobald der Schnitt unter der Haut ausgeführt ist, wird der Daumen der nicht operirenden Hand auf die verletzte Stelle aufgesetzt, um während des Ausziehens des Tenotom's der Spitze desselben genau zu folgen und auf diese Weise jeden Lufteintritt unmöglich zu machen.
A
Unmittelbar nach dem Ausziehen des Tenotom's wird die, inzwischen durch den Daumen comprimirte Wunde mit Englischem Pflaster oder mittelst eines Charpiebausches, den man durch einen Heftpflasterstreifen befestigt, sorgfältig verschlossen.
ß
Subcutane Schnitte können in der Weise ausgeführt werden, dass man d a s s e l b e I n s t r u m e n t für den Hautstich und für den Schnitt benutzt; für jeden dieser beiden Operationsacte können aber auch besondere Instrumente angewandt werden. Im ersteren Falle bedient man sich am Besten des kleinen, sichelförmig gekrümmten Tenotom's von D i e f f e n b a c h (Fig. 4 1 , in h a l b é r G r ö s s e ) , welches spitz ist und mithin ebenso gut zum Einstich, wie zur Ausführung des subcutanen Schnittes in der einen oder anderen Richtung benutzt werden kann. Dies Verfahren hat den Vortheil, dass man das Instrument nicht zu wechseln braucht, mithin schneller die Operation be
riE n W+ Wh
Werden dieselben Elemente zur K e t t e verbunden (PtPt. • . ZZ. . . ) , so ist die elektromotorische Kraft die einfache, in der Kette wird aber ein «mal breiterer Weg also, nur der nte Theil des Widerstandes von dem im einzelnen Element dargeboten. Jetzt ist also der Ausdruck für die Stromstärke _
E_ ~
nE ~W + n W b •
b n Im Falle des M i d d e l d o r p f ' s c h e n Apparates ist n =
c,
'
iE ,.r , ^ 47 W+W b
und S.k
4, also
iE = W + i W b
Ist nun der Widerstand im Schliessungsbogen »mal so gross als der im einfachen Element, also W^ — vW, so gehen beide Formeln über in = ~rr~.—7~irr~ und &* = (4 +v)W Das Verhältnis?: beider Stromstärken ist demgemäss 9
.„
(l+iv)W
iE . iE " " ( 4 + e ) W ' (1 + 4«) W 1 1 4 v ' I -f- 4v = 1 + iv: i+t>.
*
1) Hat man nun einen Schliessungsbogen einzuschalten, dessen Widerstand ein B r u c h t h e i l vom Widerstand eines einzelnen Elementes ist (z. ß. einen kurzen oder j dicken Platindraht), ist also z. G. » = _ _ , Stromstärken in dem Verbältniss
so stehen für beide Combinationen die
110
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
= 14:41. Es ist also S k n a h e z u viermal g r ö s s e r , als Ss; m i t h i n ist f ü r einen k u r z e n und d i c k e n S c h l i e s s u n g s d r a h t die A n o r d n u n g zur Kette vorzuziehen. 2) Soll aber ein Schliessungsbogen eingeschaltet werden, dessen Widerstand ein V i e l f a c h e s , vom Widerstand eines einzelnen Elementes ist (z. ß. ein langer oder dünner Platindraht), ist also z. B. v = 1 0 , so stehen die Stromstärken für beide Gombinationen in dem Verhältnis S ^ S j . = 1 + 4 0 : 4 + 10 = 41:14. E s i s t a l s o j e t z t Sa n a h e z u v i e r m a l s o g r o s s , a l s Sk', m i t h i n i s t f ü r einen langen und d ü n n e n S c h l i e s s u n g s d r a h t die A n o r d n u n g zur Säule vorzuziehen. Jedoch treten einer genauen Messung der Widerstände im einzelnen Falle so grosse Schwierigkeiten entgegen, dass es besser ist, vor jeder Operation erst zu probi r e n , welche Combination die stärkste Wirkung liefert. Im Allgemeinen entsprechen die Ergebnisse der Erfahrung genau der theoretischen Deduction: für k u r z e und d i c k e Drähte passt die K e t t e , für l a n g e und d ü n n e die S ä u l e . — Der durch das Platin bedingte hohe Preis der Grove'schen Batterie, der Zeitverlust, welcher durch ihre für jede Benutzung zu wiederholende Zusammensetzung bedingt wird, und der immerhin schwierige Transport derselben haben zu mannigfaltigen Versuchen mit anderen Batterien veranlasst. Der erste Verfertiger der galvanokaustischen Apparate M i d d e l d o r p f ' s , P i s c h e l (in Breslau) hat, um einen geringeren Preis zu erzielen, ohne sonst etwas an der Batterie zu ändern, die Platin-Platten durch dicke Kohlen-Cylinder ersetzt, d. h. die B u n s e n ' s c b e Batterie statt der G r o v e schen angewandt. Auch der L e i t e r ' s c h e Apparat enthält dieselbe Batterie. Wenn die Verwendung der Kohle einer Seits den Preis erniedrigt, so erschwert sie anderer Seits das Reinhalten der Apparate. V. v. B r u n s hat an die Stelle der Platin-Platten sehr dicke Cylinder von Gusseisen gesetzt, welche auf dem Querschnitt sternförmig gestaltet sind und daher besonders grosse Berührungsflächen für die concentrirte (aber nicht rauchende) Salpetersäure darbieten, von welcher sie umspült werden. Dadurch wird, nach den Erfahrungen von v. B r u n s , bei geringem Preise, eine grosse Sicherheit der Wirkung erzielt. — Auch mit einem grossen magneto- elektrischen RotationsApparate (System v. H e f n e r , Preis 750 Mark) kann man einen für die Galvanokaustik verwendbaren Strom erzeugen. Am Meisten verlockend sind die von S t ö h r e r (in Dresden) angegebenen I m m e r s i o n s - A p p a r a t e , welche auf dem Princip der G r e n e t ' s c h e n Batterie beruhen. Diese bestehen aus einem einzigen Paar sehr grosser Zink- und Kohlen-Platten, welche mittelst einer starken Schraube auf- und ab-bewegt werden können, so dass sie in die zu ihrer Aufnahme bestimmten, mit einer Mischung von chromsaurem Kali und verdünnter Schwefelsäure gefüllten Glaströge bald ganz, bald nur zum Theil, bald gar nicht eintauchen und somit, je nach ihrer Stellung, bald einen starken, bald einen schwachen Strom liefern, oder ganz ausser Wirksamkeit treten und.dann auch nicht von der Flüssigkeit chemisch angegriffen werden. Diese Apparate können also fortdauernd gefüllt stehen und durch einige Umdrehungen der Schraube jeden Augenblick in Thätigkeit gesetzt werden. Aber — sie sind, wegen der oft plötzlich ein-
Galvanokaustik. tretenden
„Polarisation"
und
der
dadurch
111
bedingten
Unterbrechung
der
Wirkung,
höchst unzuverlässig. In Italien erfreut sich eine von C o r r a d i (in Florenz) angegebene Batterie grossen Beifalls, deren Beschreibung jedoch obne Abbildungen schwer zu geben ist.
A l l e g a l v a n o k a u s t i s c h e n I n s t r u m e n t e 1 ) müssen (da andere Metalle in solchen Hitzegraden schmelzen) als wesentlichen Theil eine Schlinge von Platindraht oder Platinblech enthalten, deren Anordnung aber so mannigfaltig abgeändert werden kann, dass sie bald einem gewöhnlichen Glüheisen, bald einem Messer oder Troicart, bald einem Ligaturwerkzeuge ähnlich werden und sich, dem entsprechend, dann auch zum Ersatz der genannten Instrumente eignen. Die Leitung des galvanischen Stromes bis zu dem in Glühhitze zu versetzenden Platindrahte geschieht durch dicke Kupferstäbe, welche, ihrer Dicke, d. h. ihres geringen Widerstandes wegen, nicht glühend werden. Diese zuleitenden Kupferstäbe können an einzelnen Stellen schräg durchschnitten und in der Art im Heft des Instrumentes befestigt werden, dass sie durch eigene Federkraft an dieser Stelle von einander stehen, während sie durch den Druck eines Schiebers oder einer ähnlichen Vorrichtung in Berührung gebracht werden. Auf diese Weise kann der Strom, und somit die Glühhitze des Drahtes, willkürlich durch einen Fingerdruck unterbrochen und wieder hergestellt werden. Zum Ersatz des gewöhnlichen Glüheisens benutzt man entweder ein gebogenes Stück Platinblech, den K u p p e l b r e n n e r , welcher aber nur durch eine sehr starke Batterie hinreichend zum Glühen gebracht wird, oder einen kleinen Porzellankegel, der von dem, in Glühhitze zu versetzenden Drahte umschlungen ist, den P o r z e l l a n b r e n n e r . An letzterem theilt der Platindraht die Hitze dem von ihm umwundenen Porzellankegel mit, welcher dann auch nach Unterbrechung des Stroms noch längere Zeit glühendheiss bleibt. Um in der Tiefe enger Gänge zu brennen, kann entweder eine lange schmale Drahtschlinge, die aus dickeren Kupferstäben hervorragt, oder ein in Gestalt eines dicken Sichelmessers umgebogenes Platinstreifchen angewandt werden. Dem Messer analog wirkt der G a l v a n o k a u t e r , an welchem plattgeschlagener Platindraht in Gestalt einer kleinen Messerklinge zusammenDie
hier
beschriebenen
galvanokaustischen
Instrumente
sind
sämmtlich
von
M i d d e l d o r p f erfunden und I. c. erläutert und abgebildet. — Die von L e i t e r , v. B r u n s ,
H a g e d o r n und Anderen angebrachten Abänderungen (Verbesserungen)
derselben bezieben sich wesentlich auf die Anwendung eines f ü r alle Instrumente passenden (Universal-) Griffs, welcher auch des Stroms e n t h ä l t , auf
die Vorrichtung zur
Unterbrechung
deren leichte Handhabung namentlich bei Operationen
im Kehlkopf grosses Gewicht zu legen ist.
Vgl. meine Referate in den letzten
1 0 Jahrgängen des Jahresber. von V i r c h o w u. H i r s c h .
112
Chirurgische Operationen Fig. 5 5 .
im
Allgemeinen.
gelegt ist. Man kann ferner Fistelgänge spalten, Theile abtrennen u. dgl. in., indem man einen, durch starke Klemmen mit den Leitungsdrähten verbundenen Platindraht sägend hin und her bewegt. Der Glanzpunkt der Galvanokaustik ist die L i g a t u r a c a n d e n s , die g a l v a n o k a u s t i s c h e S c h n e i d e s c h l i n g e M i d d e l d o r p f ' s . Dieselbe ist bestimmt, die gewöhnlichen Ligaturen zu ersetzen, Ubertrifft dieselben aber an Wirksamkeit und vor Allem an Schnelligkeit der Wirkung. Die Anlegung der PlatindrahtSchlinge erfolgt in derselben Weise, wie diejenige anderer Ligaturen, namentlich anderer Drahtschlingen. Die Enden des Platindrabts werden dann in die Ligaturröhren des Middeldorpf'schen S c h i i n g e n t r ä g e r s (Fig. 55) eingeschoben ')> durch deren Vermittelung der galvanische Strom auf den Platindraht übergeht, ohne denselben, soweit er in den dicken Ligaturröhren steckt (wegen des geringen Stromwiderstandes), zum Glühen zu bringen. Der S c h i i n g e n t r ä g e r besteht aus dem Handgriff, den Säulen, den Ligaturröhren, der Welle und dem Schieber. An dem H a n d g r i f f , l, sind die Säulen, aa, bei pppp festgeschraubt. Jede Säule trägt ein walzenförmiges Capital bb, in welche Capitäle die Ligaturröhren ]
) In einzelnen F ä l l e n k a n n e s , s o f e r n es a u s f ü h r b a r ist, a u c h z w e c k m ä s s i g s e i n , die s c h o n g e b i l d e t e u n d im S c b l i n g e n t r ä g e r b e f e s t i g t e S c h l i n g e ü b e r den t r e n n e n d e n Theil
hiniiherzuschieben.
zu
113
Galvanokaustik.
f g , von Oben eingefügt und die Seitenzapfen c c , welche zum Ansatz der Leitungsdrähte (von der galvanischen Batterie her) dienen, eingeschraubt werden. Bei s befindet sich ein Zwischenraum zwischen den beiden Capitälen. In diesen passt das zungenförmige Ende der Elfenbeinkrücke, sed, in deren Seitenrinnen bei fg die Ligaturröhren liegen, deren obere Enden den Knopf der Krücke bei d durchbohren. Jede der Ligaturröhren enthält ein Ende des bei t die S c h l i n g e bildenden Platindrahtes; diese Draht-Enden treten bei rr aus den Böhren hervor, um bei xy in den Löchern der Schnürwelle, hin, befestigt zu werden. An der Schnürwelle befindet sich bei h ein Handgriff (Wirbelkopf), bei n ein Sperrrad, in welches ein kleiner Zapfen, o, durch den Druck einer innen angebrachten Spiralfeder in der Art eingreift, dass die Welle in jeder Stellung sofort fixirt werden kann. Der Vorsprung i an der Welle verhindert eine Verwirrung der Drähte. Die Schnürwelle wird in ihrem Lager durch den Schieber k festgehalten, nach dessen Zurückziehung s i e ganz herausgehoben werden kann, was das Einführen der Draht-Enden in ihre Löcher erleichtert. Die Fortsätze des Schiebers, mm, greifen unter dem Druck einer Feder bei AB mit kleinen Spitzen in entsprechende Ausschnitte ein und sind in ihrer Lage und Bewegung überdies dadurch gesichert, dass jeder Fortsatz einen Schlitz, a, besitzt, der an einer Schraube, q, hin- und hergleitet. Die Ligaturröhren müssen, je nach der Localität, in welcher operirt werden soll, bald grade, bald gekrümmt, und von verschiedener Länge und Dicke sein. Bei den dünnsten und kürzesten wird die Isolation derselben von einander und Befestigung an einander, statt durch die Elfenbeinkrücke, mittelst Umwicklung mit Seidenband und Bestreichen mit Collodium bewirkt. Das übrige Instrument bleibt für alle möglichen Anwendungen der Schneideschlinge unverändert. Die Dicke des Platindrahtes kann zwischen x/% bis 1 Millimeter schwanken, je nachdem man schnellere Trennung oder grössere Sicherheit gegen Blutung wünscht, denn je dicker der Draht, desto stärker ist die kaustische Wirkung auf die Umgebungen, desto sicherer also auch der Verschluss der in der Trennungslinie liegenden Gefässe. Die Galvanokaustik theilt zunächst mit dem Ferrum candens alle V o r z ü g e '), und besitzt sie sogar in höherem Grade, weil wir im Stande sind, mittelst ihrer noch viel b e d e u t e n d e r e H i t z e g r a d e ' ) Ebensowenig
n i e das F e r r u m c a n d e n s
d e r Blutung a u s
genügt
grösseren A r t e r i e n s t ä m m e n ,
die Galvanokaustik vgl. Bd. II.
Man
zur
Stillung
wird a l s o ,
wo
ein solches Gefäss in d e r Trennungslinie liegt, auch bei Anwendung d e r Galvanok a u s t i k auf eine arterielle Blutung gefasst sein m ü s s e n . B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
8
114
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
(weit jenseit der Temperatur des weissglühenden Eisens) zu entfalten, so dass man selbst Knochen mit dem glühenden Drahte trennen kann. Ihre Vorzüge vor der Anwendung des gewöhnlichen Glüheisens aber beruhen theils auf der Möglichkeit, die Glühhitze an O r t e n einwirken zu lassen, z u d e n e n m a n mit e i n e m g l ü h e n d e n E i s e n g a r n i c h t g e l a n g e n k a n n , ohne Theile, welche geschont werden sollen, zu verbrennen, theils auf der G e s t a l t d e s g l ü h e n d e n D r a h t e s , welche die höchst energisch zerstörende Wirkung der Glühhitze auf einen ganz engen Raum zu beschränken und mit den Wirkungen der Ligatur zu combiniren gestattet. Das galvanokaustische Werkzeug hat seine Wärmequelle in sich selbst; wir können die Hitze durch einen Fingerdruck in ihm entstehen und im nächsten Augenblick wieder verlöschen lassen. Wir können den Draht z. B. tief in den Schlund einführen, dort einen Polypen umschlingen und jetzt erst den Theil des Drahtes, der den Polypen umfasst, in Glühhitze versetzen, während das übrige Instrument kalt bleibt und somit weder die Mundhöhle noch die tiefer gelegenen Theile gefährdet. Vergleichen wir die G a l v a n o k a u s t i k mit der L i g a t u r , so ergiebt sich, dass erstere nicht blos Alles leistet, was durch die Combination des Abschnürens mit dem Abschneiden erreicht wird, sondern weit darüber hinausgeht, in Bezug auf Stärke sowohl, als auf Sicherheit der Wirkung. Eher könnte zwischen der l i n e a r e n Z e r m a l m u n g und der G a l v a n o k a u s t i k eine Parallele gezogen werden; aber, ausser der leichteren Handhabung und der geringeren Kostspieligkeit des Ecraseur, spricht nichts zu seinen Gunsten. Die Galvanokaustik wirkt schneller, schützt sicherer sowohl vor Blutung, als voraussichtlich auch gegen Jaucheresorption, und kann noch an Stellen angewandt werden, die der Zermalmung unzugängig sind. Von einem Vergleich zwischen der T r e n n u n g d u r c h S c h n i t t und der Galvanokaustik kann kaum die Rede sein; sie herrschen auf verschiedenen Gebieten: erstere, wo es sich um die Heilung durch schnelle Vereinigung handelt und die Gefahr der Blutung im Hintergrunde liegt oder auf andere Weise sicher verhütet werden kann, letztere we die Verhütung der Blutung in erster Linie steht. Neben allen ihren Vorzügen darf aber nicht unerwähnt bleiben, däss die Anwendung der Galvanokaustik umständlich und nicht überall und jeder Zeit möglich ist. Für d r i n g l i c h e Operationen wird sie nur ausnahmsweise benutzt werden können, da mit der Füllung oder Herbeischaffung der Batterie und den übrigen Vorbereitungen einige Zeit vergeht. Somit wird sie vorzugsweise für solche Operationen, deren Termin man vorher bestimmen kann, von Werth sein, nament-
Thermokanter.
115
lieh in Krankenhäusern, wo man die Batterie „Stationiren" und an einzelnen Tagen für eine ganze Reihe von Fällen in Tbätigkeit setzen kann. Bei der Darstellung der Galvanokaustik habe ich, ausser dem klassischen Werke M i d d e l d o r p f ' s und der neueren, bereits überaus reichhaltigen Litteratur über diesen Gegenstand, auch meine eigenen Erfahrungen benutzt, welche sich auf fiele Hunderte TOD galvanokaustischen Operationen beziehen, so namentlich Operation von Nasen- und Schlundpolypen, ßesectio linguae, Operation der Mastdarmfistel, des Prolapsus ani, Amputatio pénis, Castratio, Àmputatio digitorum, Resection des Hieferrandes, Exstirpatio recti, Exstirpation von Hämorrhoidalknoten, Abtragung von Condylomen, Verschluss variköser Venen, Operation von cavernösen Geschwülsten und Gefässschwämmen, von Geschwülsten und Ulcerationen der Vaginalportion, von Lupus, Entropium u. s. f. Vgl. die Greifswalder Dissertationen von D l r i c h 1 8 5 6 , W e r n 1 8 5 7 , G o e d e l 1860, und die Jahresberichte über meine Klinik in den Charité-Annalen, 1874 u. f.
C.
Thermokanter.
Unter dem Namen Thermo-cautère hat P a q u e l i n 1 ) ein von ihm erfundenes Instrument beschrieben, welches die Anwendung der Glühhitze auf alle chirurgischen Operationen möglich machen soll. Die Wirkungsweise desselben beruht auf der katalytischen Wirkung des Platins. Erhitztes Platinblech in Berührung mit einem Gemisch aus atmosphärischer Luft und den Dämpfen gewisser KohlenwasserstoffVerbindungen wird weissglühend und bleibt in diesem Zustande, so lange es mit jenem Gasgemisch in Berührung steht. Ein Hohlraum aus Platinblech, dessen äussere Form bald der eines Pilzes, bald der eines Messers, einer Lanze, einer Nadel entspricht, wird über einer Spiritusflamme etwa 3 0 Secunden lang (jedenfalls bis zum beginnenden Rothglühen) erhitzt, und sodann durch Anfüllung mit einem Gemisch von Luft und Petroleumäther (essence minérale) in roth- bis weissglühenden Zustand versetzt. Die Gasmischung wird in den Hohlraum durch ein Kautschukgebläse eingetrieben, welches zunächst einen Strom atmosphärischer Luft in eine höchstens bis zur Hälfte mit dem Àether gefüllte Glasflasche, und sodann die hier mit verflüchtigten Aethertheilen gemischte Luft in den Platinhohlraum hineinbläst. Das Einblaserohr läuft durch den Griff des Brenners und ') P a q u e l i n , Sur un nouveau thermo-cautère instantané et permanent fonctionnant avec l'essence minérale. Bull. gén. de therap. 1876, 30. Mai, Compt. rend, de l'Acad. d. sciences, 1876. LXXXII. No. 18. — Der Name T h e r m o k a u t e r ist nicht grade glücklich gewählt, da er eben nur ein Instrument bezeichnet, welches durch Hitze kauterisirend wirkt. Jedoch ist er allgemein angenommen, und es dürfte schwer gelingen, ihn durch einen passenderen zu ersetzen. P a q u e l i n selbst scheint übrigens gar nicht die Absicht gehabt zu haben, diese Benennung auf sein Instrument zu beschränken, da er nur von einem „nouveau thermo-cautère" (im Gegensatz zu den bereits bekannten) spricht.
8*
116
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
mündet frei im Hohlraum; es ist concentrisch umgeben von einer Abzugsröhre, durch welche die Verbrennungsproducte austreten. Die Verbrennung geht ohne Flamme vor sich. 200 Gramm Petroleumäther genügen, um den Apparat 5 Stunden in Thätigkeit zu erhalten. Durch schnelleres oder langsameres Eintreiben der Gasmischung kann der Hitzegrad des Brenners vermehrt oder vermindert werden. Die Strahlung ist, entsprechend der geringen Masse des glühenden Metalls, so gering, dass sie den Gebrauch der Hand in nächster Nähe der Operationsstelle zulässt. Wenn dieser Brennapparat nun auch nicht, wie der Erfinder meint, für a l l e chirurgischen Operationen verwerthet werden kann, so bietet er doch für alle Fälle, in denen überhaupt die Glühhitze angewandt werden soll, grosse Vorzüge vor dem Glüheisen: constante Glühhitze bei geringem Volumen und leichtere Handhabung. Vor der Galvanokaustik hat er den geringeren Preis, den leichteren Transport und die grössere Schnelligkeit der Bereitstellung voraus; dagegen fehlt bei ihm die Möglichkeit, das Instrument in Canäle und Höhlen kalt einzuführen und erst an Ort und Stelle zu erhitzen, und etwas Aehnliches, wie die galvanokaustische Schneideschlinge lässt sich mit dem Thermokauter gar nicht herstellen. Mündliche Berichte werfen dem P a q u e l in'sehen Apparate vor, dass er nicht selten den Dienst versage und dass gelegentlich Explosionen vorkommen. Jedenfalls ist grösste Vorsicht zu empfehlen. D.
Gasbrenner.
Die gewöhnliche Gasflamme kann zu sehr starken sowohl, als auch zu milderen Kauterisationen benutzt werden. Man füllt Leuchtgas in einen Kautschuk-Beutel (Ballon), aus welchem ein Schlauch von derselben Substanz in den eigentlichen Brenner führt. Dies ist ein Stab, welcher von einem engen Canale durchbohrt ist, und auf welchen eine sehr feine Spitze mit ganz kleiner Oeffnung aufgeschraubt wird, um das Gas mit sehr feinem Strahle (im entzündeten Zustande also mit sehr schmaler Stichflamme) hervortreten zu lassen, sobald man auf den Beutel mit der Hand oder durch ein Gewicht einen Druck ausübt. Um die benachbarten Theile vor Verbrennung zu schützen, ist die Spitze von einem cylindrischen Drahtgespinnste, einer Art von Davy'scher Sicherheitslampe, umgeben. Statt dieses, nach N é l a t o n ' s Angaben v o n J M a t t h i e u construirten Apparates kann man auch einen gewöhnlichen (nur hinreichend engen) Tubulus anwenden, der durch einen Schlauch mit einer das Gas enthaltenden Blase in Verbindung steht.
Moxa. —
Aetzmittel.
117
Die Gasflamme kann auch benutzt werden, um Metallstücke (wie am Thermokauter) dauernd glühend zu erhalten. Dies leistet der Gasbrenner von A l e x a n d e r B r u c e , an welchem sich vor der Gasflamme eine kegelförmige Hülse von Platinblech befindet (aus der jedoch die Flamme leicht einmal zurückschlägt). £.
Moxa, Brenncylinder.
Bei der Anwendung der Moxa beabsichtigt man, durch Verbrennung einer leicht entzündlichen Substanz einen oberflächlichen Brandschorf hervorzubringen. Zu diesem Zweck benutzt man ein Stück Lunte, Feuerschwamm, Werg, Phosphor, Campher, ätherische Oele, angefeuchtetes Schiesspulver, sogar eine gut in Brand gehaltene Gigarre. Im engeren Sinne versteht man unter Moxa einen etwa 3 Ctm. hohen Cylinder aus Watte (Baumwolle), um welchen ein Stück Leinwand befestigt ist. Diesen zündet man an seinem einen Ende an, während er mit dem andern Ende auf der betreffenden Hautstelle mit einer Kornzange, oder dem L a r r e y ' s c h e n Moxaträger festgehalten wird. Letzterer besteht aus einem Metallring mit hölzernen Füssen und einer Handhabe. Das Brennen der Moxa wird durch Anblasen mittelst eines liohres (Tubulus) unterhalten. Mischt man unter die Watte etwas Salpeter oder chlorsaures Kali, so kann das Anblasen .unterbleiben. Die umliegenden Theile werden durch feuchte Compressen geschützt. M a y o r applicirt statt der Moza einen e i s e r n e n H a m m e r , d e r i n W a s s e r e r h i t z t ist.
siedendem
Die mit einem solchen Hammer bewirkte Verbrennung greift
jedoch weniger tief, als eine gewöhnliche Mosa.
F.
Canterium potentiale.
Unter diesem Namen begreift man die eigentlichen (pharmaceutischen) A e t z m i t t e l , welche, je nach der Form, in welcher man sie anwendet, in feste, weiche und flüssige eingetheilt werden können. Wir erwähnen nachstehend nur die gebräuchlichsten. Will man durch Aetzmittel an Theilen, welche von Epidermis bedeckt sind, t i e f e r e Zerstörungen bewirken, so ist es zweckmässig, die Epidermis vorher durch ein Vesicans oder einen heissen Hammer zu entfernen. a.
Feste Substanzen, Aetzmittel in Substanz.
1. K a l i h y d r i c u m , K a l i c a u s t i c u m , L a p i s c a u s t i c u s c h i r u r g o r u m , Aetzkali. a) Aetzen aus f r e i e r Hand. Man fasst ein Stück des Kali hydricum fusum mit einem Aetzmittelträger, einer Aetzpincette oder einer gewöhnlichen Kornzange und hält dasselbe so lange als nöthig
118
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
auf den zu ätzenden Theil, wobei seine Umgebung sorgfältig geschützt werden muss, da das Aetzkali zerfliesst. Auf diese Weise kann man nur oberflächliche Aetzungen ausführen, da für tiefere eine längere Berührung erforderlich ist. Vermag man das Kalistückchen in den zu ätzenden Theil einzubohren (in Geschwüre und Neubildungen), so wird die Wirkung dem entsprechend bedeutender. b) A n w e n d u n g im P f l a s t e r k o r b e . Man macht in der Mitte eines Stücks dicken Heftpflasters eine Oeffnung von der halben Grösse des zu bildenden Schorfes, klebt dasselbe auf die Haut fest, so dass die zu ätzende Stelle dem Fenster des Pflasters entspricht, legt auf dieselbe ein Stückchen Aetzkali von ein Millimeter Dicke und dem Umfange des Fensters (oder statt dessen auch mehrere kleinere Stückchen), klebt hierüber ein zweites grösseres Stück Heftpflaster, welches keine Oeffnung besitzt, und befestigt das Ganze nochmals mittelst einer Compresse und einiger Bindentouren. Will man grössere Stücke des Aetzmittels auf eine Stelle einwirken lassen, so legt man entweder mehrere gefensterte Pflaster übereinander, oder macht aus P f l a s t e r M a s s e einen Ring, welchen man auf den Rand des Fensters auflegt, um die Seitenwände der kleinen Höhle, in welche das Aetzmittel gelegt wird, höher und stärker zu machen. 2. A r g e n t u m n i t r i c u m f u s u m , L a p i s i n f e r n a l i s , H ö l lenstein. Die cylindrischen Stücke, in welchen dies Aetzmittel vorräthig ist, werden gewöhnlich mit Hülfe der Höllensteinbuchse oder einer Pincette aus freier Hand applicirt. Zuweilen ist es nothwendig, dieselben vorher zuzuspitzen. Um in der Tiefe von Canälen zu ätzen, sind besondere complicirte Aetzmittelträger erfunden worden, von denen namentlich bei den Krankheiten der Urethra die Rede sein wird. Aetzt man eine wunde Fläche, so thut man wohl, dieselbe vorher abzuwischen, damit nicht ein Theil des Aetzmittels durch Auflösung und Zersetzung in der Flüssigkeit verloren gehe; will man dagegen einen mit Epidermis bedeckten Theil ätzen, so muss man ihn vorher anfeuchten, oder für eine schnellere und stärkere Wirkung die Epidermis vorher entfernen. 3. A r g e n t o - k a l i n i t r i c u m , m o d i f i c i r t e r H ö l l e n s t e i n , dargestellt durch Zusammenschmelzen gleicher Theile (oder auch 1 : 2 ) Höllenstein und Salpeter, vorzugsweise bei Augen-Blennorrhöen in Gebrauch, ersetzt den Höllenstein, wo man keine starke Wirkung beabsichtigt, und hat den Vortheil, weniger brüchig zu sein. 4. C u p r u m s u l p h u r i c u m , Kupfervitriol, Blaustein, noch schwächer, fast nur noch bei Augenkrankheiten gebräuchlich.
119
Aetzmittel.
b.
Weiche Aetzmittel.
1. W i e n e r A e t z p a s t e , P a s t a v i e n n e n s i s , wird dargestellt durch Mischen von 6 Theilen Aetzkalk und 5 Theilen Aetzkali, welche mit etwas Weingeist unmittelbar vor der Anwendung zu einem Teige angerührt werden. Man trägt sie mit einem silbernen oder hölzernen Spatel in Schichten von etwa 5 Millimeter Dicke auf. Der Schorf wird nur um weniges grösser, als der ursprünglich mit der Aetzpaste bedeckte Raum. Die Wirkung erfolgt sehr schnell und ist sehr kräftig; in höchstens 6 Minuten ist die Haut bereits angeätzt, was durch eine im Umkreise der Paste auftretende graue Linie angedeutet wird; man nimmt dann die Paste fort und wäscht den geätzten Theil mit Essig. 2. P a s t a a r s e n i c a l i s , dargestellt durch Anreiben des C o s m e ' sehen Pulvers 1 ), oder einer Mischung von Acidum arsénicos. 1 auf 15 Aniylon, mit dem für die Consistenz eines Teiges erforderlichen Quantum Wasser, wird 2 — 3 Millimeter dick aufgetragen und mit Charpie oder Watte bedeckt; der zu zerstörende Theil darf nur wenig von der Paste überragt werden. Diese Paste verursacht viel Schmerz; der Schorf bildet sich erst nach einigen Tagen und fällt zwischen dem 12ten und 20sten Tage ab; dann zeigt sich eine mit schönen rothen Granulationen bedeckte Fläche, welche bald vernarbt. Zuweilen erfolgt die Vernarbung (besonders im Gesicht) unter dem länger haftenden Schorfe. Arsenikpaste darf nie in bedeutender Ausdehnung aufgetragen werden, weil sonst Vergiftung durch Resorption des Arsenik zu fürchten ist, namentlich an Theilen, welche leicht und schnell resorbiren. 3. C h l o r z i n k p a s t e (pdte phagédénique de Canquoin), dargestellt durch Mischen von Zincum chloratum mit Mehl in verschiedenen Proportionen, je nachdem man eine mehr oder weniger intensive Wirkung beabsichtigt. Das reine Chlorzink war bereits früher von H a n k e und Vogt empfohlen worden. C a n q u o i n hat folgende Mischungen in Vorschlag gebracht: 1) 2 Mehl auf 1 Chlorzink, 2) 3 Mehl auf 1 Chlorzink, 3) 4 Mehl auf 1 Chlorzink. Man kann, je nach Bedürfniss, auch beliebige andere Verhältnisse anwenden. Während des Mischens setzt man nur sehr wenig Wasser zu, da das Chlorzink schnell Wasser aus der Luft anzieht und daher von selbst zerfliesst. Je dicker man diese Aetzpaste aufträgt, desto tiefer dringt sie ein. Die Epidermis, welche dem Chlorzink Widerstand leistet, muss vorher entfernt werden. Der Umfang des Schorfs hat dieselbe Ausdehnung, ') Rep. Arsenici albi 1, Sanguinis draconis 4, Cinnabaris 8 , Cineris soiearum antiquarum combustarnm (J) 1.
M. f. pulvis.
S. C o s m e ' s c h e s
Pulver.
120
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
wie die aufgetragene Paste. Der Schmerz während der Wirkung ist sehr heftig. Nach dem Abfallen des Schorfs entwickeln sich gute Granulationen; die Vernarbung erfolgt schnell. Die speciell für die Zerstörung von Geschwülsten ersonnenen Anwendungsweisen der Chlorzink-Paste als Cautérisation linéaire und Cautérisation en flèches werden bei der Therapie der „organisirten Neubildungen" erläutert werden. Das von L a n d o l f i angepriesene Aetzmittel enthält als wirksamen Bestandteil gleichfalls C h l o r z i n k (2 Theile), auch wohl etwas C h l o r g o l d (?), daneben C h l o r a n t i m o n (1 Theil) und C h l o r b r o m (3 Theile) nebst Süssholz-Pulver, um der Paste die gehörige Consistenz zu geben. Da9 Chlorbrom bewirkt alsbald Erhebung der Epidermis und macht somit die vorgängige Anwendung des Blasenpflasters überflüssig, scheint aber die Schmerzhaftigkeit bedeutend zu steigern. Es dürfte überhaupt kaum eine Operationsmethode geben, die in solchem Grade schmerzhaft ist, wie das, eine Zeit lang mit vielem Cbarlatanismus in Scene gesetzte L a n d o l f i ' s c h e Aetzen.
A r s e n i k und C h l o r z i n k werden auch in S a l b e n f o r m als Aetzmittel angewandt, um mildere Wirkungen zu erzielen. Die Proportionen können hierbei auf das Mannigfaltigste variiren. Für die Anwendung des Arseniks in Salbcnform bediente man sich früher des Helmund'schen U n g u e n l u m n a r c o t i c o - b a l s a m i c u m . Itep. Baisami Peruviani, Extracti Conii maculati äu 12, Plumbi acetici crystallisati i, Tincturae Opii crocatae 2, Unguenti cerei 100, zu welcher Masse dann 0,t bis 0,5 des Cosme'scben Pulvers gemischt wurde. c.
Flüssige Aetzmittel.
Hierher gehören die verschiedenen Mineralsäuren, unter denen besonders die concentrirte S c h w e f e l s ä u r e und die rauchende S a l p e t e r s ä u r e häufiger in Gebrauch gezogen werden, indem man sie mit einem Glasstabe, einem Asbest- oder auch Charpie-Pinsel aufträgt oder einstreicht. Beide zeichnen sich durch die Schnelligkeit ihrer Wirkungen und die Festigkeit der danach zurückbleibenden, sich sehr stark zusammenziehenden Narben aus. — Eine besonders ausgedehnte Anwendung gestattet die c o n c e n t r i r t e S a l p e t e r s ä u r e nach der Methode von R i v a l l i é 1 ) . Derselbe bereitet nämlich durch Auftröpfeln von concentrirter Salpetersäure auf Charpiebäuschchen in einer Glasoder Porzellan-Schaale eine gallertartige Masse, welche, frisch aufgetragen, schon nach 15 bis 25 Minuten eine solche Zerstörung bewirkt, dass man nach 24 Stunden den grössten Theil des Brandschorfs entfernen und die Aetzung, wenn nöthig, wiederholen kann. Man hat, nach R i v a l l i é , auch wenn man dies Aetzmittel 24 Stunden lang liegen lässt, niemals die geringste Blutung zu befürchten. ') R i v a l l i é , Behandlung des Krebses, deutsch von S c h w a b e , Weimar 1851, und Deutsche Klinik 1851, pag. 249, Notiz von K l e e f e l d .
121
Elektrolyse.
C h r o m s ä u r e , S p i e s s g l a n z b u t t e r (Liquor stibii chlorati), C h l o r z i n k , S u b l i m a t (Hydrargyrum bichloratum corrosivum), A e t z k a l i u. dgl. m. werden in concentrirten Lösungen gleichfalls als Aetzmittel benutzt. G. Galvanopunctur, Electrolyse. Wenn man in einen Theil des menschlichen (resp. thierischen) Körpers in nicht allzu grosser Entfernung von einander zwei Nadeln einsenkt, welche mit den Polen einer starken, constant wirkenden (am Kesten Daniel'schen) Batterie in Verbindung stehen, so bewirkt der durch den zwischen den Nadeln befindliche Theil hindurchgehende constante Strom eine solche chemische Zersetzung, dass das Blut gerinnt und die getroffenen Gewebe lebensunfähig werden. Auf die Anwendung dieser, im Allgemeinen als „ G a l v a n o - oder E l c c t r o p u n c t u r " bezeichneten Operationsmethode zum Behufe der Heilung gewisser Krankheiten des Gefässsystems, durch Gerinnung des in den Adern enthaltenen Blutes, werden wir bei der Beschreibung der Blutstillungsmittel im zweiten Bande näher eingehen (Buch 11. Abschn. 111. Abth. 1. Cap. IV. unter 11. c.). In neuester Zeit hat man den Versuch gemacht, auf diesem Wege auch grössere Zerstörungen, namentlich degenerirter Körpertheile (Geschwülste) herbeizuführen'). Durch Wasserzersetzung entwickelt sich an der mit dem negativen Pole verbundenen Nadel Wasserstoff; an der dem positiven entsprechenden dagegen werden Sauerstoff und Alkalien frei. Hat man Stahlnadeln angewandt, so rostet die mit dem positiven Pol verbundene sofort und kann nur schwierig ausgezogen werden. An derselben findet auch eine (vielleicht unerwünschte) Bildung von Chloreisen statt. Werden Platin- oder Goldnadeln angewandt, so erfolgt keine derartige Zersetzung der Nadel. Jedenfalls muss das Einsenken der Nadeln an vielen Stellen wiederholt werden, um eine irgend erhebliche Trennung oder Zerstörung herbeizuführen, da die Wirkung sich immer nur auf die nächsten Umgebungen der Nadeln erstreckt. Die „ E l e c t r o l y s e " ist daher sehr zeitraubend, und hat deshalb, trotz ihrer sonstigen Vorzüge, noch keinen rechten Eingang gefunden. ') Vgl. N c l a t o n , Note sur la destruction des tumeurs par la metbode eleclrolytique, Comptes rendus de l'Acad. d. sc. v. 18. Juli 1 8 6 4 . — In Betreff der sebr zerstreuten verweisen.
Casuistik
ist
auf die Jahresberichte
VOD V i r c h o w
und
Hirsch
zu
122
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
B.
Von
der
Allgemeinen.
Vereinigung.
Als Mittel zur Vereinigung getrennter Theile dienen: 1) z w e c k m ä s s i g e L a g e r u n g , 2) V e r b ä n d e (Pflaster, Klebestoffe und vereinigende Binden), hauptsächlich aber 3) N ä h t e und deren Surrogate. Durch diese Mittel soll die mechanische Vereinigung bewirkt und so lange unterhalten werden, bis die organische Vereinigung, d. h. die Verwachsung, erfolgt ist. W i r b e t r a c h t e n h i e r n u r die u n t e r 1. und 3. g e n a n n t e n V e r e i n i g u n g s m i t t e l , wir auf die V e r b ä n d e Wenn
wir
weiterhin im Z u s a m m e n h a n g e e i n z u g e h e n
auch zunächst
w e r d e n wir dabei n i c h t
umhin
im Allgemeinen R ü c k s i c h t Abschnitt „ v o n
den
zu
vorzugsweise können, nehmen.
Verletzungen"
I.
die t e c h n i s c h e S e i t e b e r ü c k s i c h t i g e n ,
auf die L e h r e von In
indem
beabsichtigen.
dieser
d e r Heilung d e r
Beziehung
(Buch I.) vergleichen
wird
so
Wunden
der Anlanger
den
müssen.
Lagerung.
Man sucht die Theile, an welchen die Vereinigung zu Stande kommen soll, in den Zustand der Ruhe und Erschlaffung zu bringen; Dies ist, wenn auch nicht allein zureichend, doch ein wesentliches Unterstützungsmittel für alle übrigen Verfahrungsweisen. Bei Operationen ist deshalb, wo möglich, eine solche Richtung des Schnittes zu wählen, dass die Wundränder später nicht durch die Spannung der Theile von einander gezogen werden. Es ist zuweilen m ö g l i c h , bei gehöriger B e r e c h n u n g d e r k ü n f t i g e n Lage d e r W u n d e , v o h n e irgend ein
anderes Vereinigungsmittel,
I c h h a b e z. B. w i e d e r h o l t die n a c h
die
u n m i t t e l b a r e Vereinigung
der A u s s c h ä l u n g
einer
zu
erzielen.
g r o s s e n Balggeschwulst
o b e r e n Augenlide z u r ü c k b l e i b e n d e W u n d e o h n e N a h t in d r e i T a g e n heilen s e h e n , das A n e i n a n d e r k l e b e n
der Wundränder
S p a n n u n g oder Zerrung unmöglich
durch
im weil
die Lage d e r s e l b e n b e g ü n s t i g t u n d j e d e
war.
An den Extremitäten bringt man bei quer verlaufenden Wunden Muskeln und Haut der betreffenden Seite in Erschlaffung; bei einerQuerwunde an der vorderen Seite des Schenkels giebt man dem Bein eine gestreckte Lage u. s. f. Bei Längswünden dagegen halten es Viele für zweckmässiger, eine Lage zu geben, in welcher die Wundränder in der Längenrichtung der Wunde gespannt werden, also z . B . bei Längswunden an der vorderen Seite des Schenkels die Lage mit gebeugtem Knie, wobei man beabsichtigt, die Wundränder in der Art an einander zu ziehen, wie die Ränder eines Knopflochs, wenn man dasselbe an seinen Enden spannt. Boy e r wollte, dass man bei schrägen W u n d e n , insbesondere Muskelwunden, dem Theile eine mittlere Stellung zwischen Extension und Flexion geben sollte. Diese Stellung ist nicht blos bei schrägen Wunden und nicht in Rücksicht auf das für die Längswunden so eben entwickelte Princip, sondern
123
Nähte.
aus
dem Grunde vorzuziehen,
belästigt
und
am Längsten
weil sie den Kranken am Wenigsten
ertragen wird.
Zur Sicherung einer für
die Wundheilung günstigen Lage der Theile sind an den Extremitäten meist immobilisirende Verbände erforderlich. II.
N ä h t e ( S u t u r a e ) wurden allen
Verwundungen
schiedensten
angewandt.
blähte.
in 'früheren Jahrhunderten Diesem
im vorigen Jahrhundert
Missbrauch
trat
fast am
bei Ent-
die französische Academie der
Chirurgie entgegen; sie verfiel aber in das andere E x t r e m ,
und erst
die neuere Zeit hat die Naht als das zuverlässigste Vereinigungsniiltel wieder in
ihr Recht
eingesetzt.
Warum man
die Naht, trotz
ihrer
anerkannten Vorzüge vor anderen Vereinigungsmitteln, gern vermeiden möchte, ist leicht einzusehen, wenn man bedenkt, dass sie immer eine neue Verwundung zu der schon bestehenden hinzufügt und überdies für einige Zeit einen fremden Körper einpflanzt. deshalb
der Naht nur da,
Wir bedienen uns
wo sie einer Seits Aussicht auf Erfolg,
d. h. auf Herbeiführung der ersten Vereinigung h a t , und wo sie anderer Seits nothwendig ist, d, h. wo weniger verletzende Vereinigungsmittel unzureichend sind; daher:
1) wenn die Notwendigkeit vorliegt,
die Wundränder sofort in innigster Berührung zu erhalten, und möglichst schnell die unmittelbare Vereinigung der Wunde zu erzielen, also bei allen plastischen Operationen, bei penetrirenden Bauch- und Brustwunden u. s. w . ; 2 ) wo unter der Haut ein Hautmuskel liegt, dessen Bewegungen kann,
nur
durch Nähte hinreichend
entgegengewirkt
besonders also bei Gesichts- und Halswunden;
werden
3) wenn fort-
dauernde Bewegungen des Theiles unvermeidlich sind, z. B. am B a u c h ; 4 ) wenn
der Ausfluss von Secreten
oder Haarwuchs oder
Uneben-
heiten das Anlegen der Heftpflaster und die Anwendung des Collodiuin hindern, z. B . an den Genitalien, am Ohr, an den Augenlidern u. s. w . ; 5 ) bei Querwunden der Muskeln, welche stets ein bedeutendes Klaffen der ganzen Wunde zur Folge haben. Manche Wunden, welche man jetzt zu nähen pflegt, würden auch ohne diesen Eingriff heilen, aber gewiss mit einer viel grösseren und mit einer unförmigen Narbe. heitsrücksichten deutung.
Dies ist nicht blos im Gesicht aus Schön-
von Wichtigkeit, sondern oft von viel ernsterer Be-
Am Bauch z. B. wird eine breite Narbe viel leichter gedehnt,
als eine lineare, und es ist daher mit viel grösserer
Wahrscheinlich-
keit die Entstehung eines Eingeweidebruches (vgl. Bd. Hl) zu erwarten, wenn man eine tiefe Bauchwunde nicht näht. Die allgemein gebräuchlichen Nähte sind:
die K n o p f n a h t
und
124
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
die u m s c h l u n g e n e N a h t . Ausser diesen kommt die Z a p f e n n a h t (jedoch nur selten) für sehr tiefe Wunden in Betracht. Von einigen
anderen
Arten
der Naht
wird
bei
Gelegenheit
die Bede sein, da sie nur bei diesen angewandt werden.
der
„Darmwunden"
Vgl. Bd. III.
1. Die K n o p f n a h t (Knotennaht), u n t e r b r o c h e n e N a h t , s u t u r a n o d o s a s. i n t e r s c i s s a , suture MiMWMMl« à points entrecoupés. (Fig. 56). Man nimmt eine mit entsprechend dickem Faden -y. versehene g e k r ü m m t e H e f t n a d e l in die rechte Hand, so dass der Daumen an der concaven, Zeigefinger und Ringfinger an der convexen Seite liegen; mit den zwei ersten Fingern der linken Hand fasst man die eine Wundlefze in der Art, dass der Zeigefinger auf die Epidermis zu liegen kommt; von dieser Seife her durchWWtiNtHttimi sticht man mit der Nadel den Wundrand, so dass die Spitze Fig. 5 7 . an der Radialseite des Daumen hervorkommt. Nun wird der Zeigefinger auf den wunden Theil der anderen Wundlefze, der Daumen auf die Oberhaut derselben gelegt, und die Nadel geht , an dieser Seite von Innen nach Aussen durch den Wundrand hindurch. Fig. 5 6 .
!
Lassen sich die Wundränder mit den Fingern oder mit einer Hakenpincette etwas umklappen, gleichsam aufrichten, und liegt die Wunde nicht etwa in einer Vertiefung, so bedient man sich mit Vortheil g r a d e r H e f t n a d e l n , welche leichter, schneller, daher auch mit geringerem Schmerz die Haut durchbohren. Bei tiefen Wunden ist es oft leichter, die Nadel von Innen nach Aussen zu führen; alsdann fädelt man einen Faden in zwei Nadeln ein, deren jede in der Art geführt wird, wie oben für das Durchstechen der zweiten Wundlefze angegeben wurde. Der aus der Tiefe hervordringenden Nadel drückt man dann die Haut mit zwei Fingern der linken Hand in der Art entgegen, dass die Spitze zwischen den beiden Fingern heraustritt. Wenn die Nadel nicht gut mit der Hand geführt werden kann, so fasst man sie mit einem besonderen N a d e l h a l t e r , einer Draht- oder Kornzange. Der N a d e l h a l t e r halber G r ö s s e ) ,
ist
von B o u x , einer der gebräuchlichsten (Fig. 5 7 in
eine U h r m a c h e r - Z w i n g e ,
deren Branchen
durch
einen
Schieber a geschlossen werden, s o dass sie die Nadel festhalten, beim Zurückziehen des Schiebers aber
loslassen.
Benutzt man für gewisse Nähte s t e t s Nadeln von
bestimmter S t ä r k e , s o kann man für diese auch besondere Furchen an dem Nadelbalter
Nähte. anbringen lassen (G. S i m o n ) .
125
Um denselben Nadelbalter für Nadeln von verschiedener
Dicke benutzen zu können, lässt L i n b a r t (Compendium der Operationslehre, 2. Aufl. Wien 1 S t i l , pag. 61) die Enden schaufelförmig aushöhlen uod klemmt in jede Höhlung ein passendes Stück Lindenholz, in welches die Nadeln sich dann eindrücken. Will man sich einer Z a n g e als Nadelhalter bedienen, so ist es e m p f e h l e n s w e r t , die Innenseite ihrer Fass-Enden dick mit Zinn belegen zu lassen, wodurch die Sicherung der Haltung bei jeder beliebigen Richtung der Nadel bedeutend brechen,
namentlich der gekrümmten
Nadeln verhütet
wird.
erhöbt Solche
und das ZerZangen werden
auch mit einer einspringenden Feder am Griff versehen, so dass sie, einmal geschlossen, die gefasste Nadel von selbst festhalten (Nadelbalter von D i e f f e n b a c h ) .
Die sinn-
reichste und zugleich einfachste unter den zahlreichen hierher gehörigen Vorrichtungen ist die von R o b e r t
und C o l l i n
(Gaz. des höpit. 1 8 6 7 .
welcher ein leichtes Vor- und Zurückschieben
No. 8 4 ) angegebene,
bei
eines Knopfes genügt, um den Nadel-
halter zu öffnen und zu schliessen. Bedient man sich g e s t i e l t e r N a d e l n , welche ihr Oehr in der Nähe der Spitze h a b e n , so braucht man gar keine Nadelhalter.
Der Faden wird d a n n , nachdem man
beide Wundränder durchbohrt bat, in das Oehr der Nadel eingefädelt uud diese darauf zurückgezogen.
In einzelnen Fällen
ist es bequemer die mit dem Faden
Stielnadel nach dem Hindurchstossen „auszurädeln".
versehene
Vgl. „ G a u m e n n a h t " , Bd. III. —
B n r o w sen. empfiehlt (Berl. klin. Wochenschrift 1870, No. 1 3 ) eine g e s t i e l t e N a d e l , welche er aus den mit No. 3 uud 4 bezeichneten Nadeln der S i n g e r ' s c h e n schine herstellen lässt.
Nähma-
„Sic erhalten einen Stiel nach Art der Staarnadeln, ihre Spitze
wird des leichteren Eingehens halber lanzettförmig zugeschliffen."
Will man der Nadel
eine Biegung geben, so muss die Concavität stets auf der Seite der an der Nähmaschinen-Nadel vorhandenen Rinne liegen.
Näht man mit einem steifen Faden (Draht),
so braucht man diesen, nachdem die Nadel durch beide Wundränder bindurchgestossen i s t , n u r in der Rinne gegen das Oehr hindurch.
hinzuschieben; er gebt sicher durch letzteres
Bedient man sich des sogen. S e e g r a s e s (s. unten), so braucht m a n den
Faden sogar nur längs der Nadel in der Rinne fortzuschieben, um sicher zo sein, dass er den ganzen Wundcanal durchläuft, ohne beim Zurückziehen der Nadel mit zurückgezogen zu werden. — Eine gestielte Nadel ohne Oehr hat v. B r u n s (Centralblatt f. Chirurgie, 1 8 7 8 , No. 27) empfohlen.
Diese hat einen hohlen Stiel und eine auf der
Fläche concav-convexe (muldenförmig ausgehöhlte) Spitze.
Aus der Höhlung der letz-
teren tritt beim Druck auf einen Knopf eine kleine federnde Zwinge hervor, welche das Fadenende fasst und beim Nachlass des Druckes zurückzieht.
Der Vorzug dieser Nadel
besteht darin, dass der Faden nicht doppelt (als Schlinge), wie bei anderen Nadeln, sondern nur einfach den Stichcanal passirt.
Dafür wird freilich die Nadel selbst, deren
Stiel doch die federnde Zwinge enthalten muss, voluminöser und complicirter.
Gewöhnlich fädelt man so viele Nadeln ein, als man Nähte anlegen will; man kann aber auch mit e i n e r Nadel mit langem Faden alle Nähte nacheinander anlegen, indem man zwischen den einzelnen Aus- und Einstichspunkten immer ein Stück Faden schlingenförmig liegen lässt. Diese Schlingen werden schliesslich durchschnitten, und es verhält sich alsdann Alles so, als wäre jeder einzelne Stich mit einer besonders eingefädelten Nadel gemacht worden. Bei diesem Verfahren werden aber die Stichcanäle stärker gereizt, indem die ganze
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
126
Länge des Fadens oder doch ein grosser Theil desselben hindurchgezogen
durch sie
wird').
Wenn die nöthige Anzahl von Nahtfäden auf
die
eine oder die
andere Weise angelegt ist, so zieht man dieselben, während die — durch Aufdrücken
eines
reinigten —
Wundränder genau aneinander gedrängt werden, mässig
aseptischen
Schwammes
nochmals
fest an und knüpft sie in der Art zusammen, Seite
der W u n d e
zu liegen
kommt.
sorgfältig
ge-
dass der Knoten zur
In vielen Fällen
ist es jedoch
zweckmässiger und bequemer, jeden einzelnen F a d e n , sobald er angelegt ist, zu knüpfen. Meist genügt der doppelte K n o t e n , lichen Leben bekannt
ist.
nicht unnöthig dick ist.
wie er aus dem
Derselbe hat auch Nur
muss man
gewöhn-
den Vorzug,
beim Schnüren
dass er
der Fäden
keine Verdrehung vornehmen, sondern einfach den rechten nach links und den linken nach rechts schlingen; man muss ferner, nachdem der erste Knoten gebildet ist, die Faden-Enden bis zum Zuschnüren des zweiten Knotens gespannt
halten
(oder halten lassen), da der erste
Knoten nicht von selbst geschlossen bleibt. Knoten,
bei
dessen Bildung
Der sog. c h i r u r g i s c h e
die Fäden
zweimal
durch
einander
geschlungen werden, hält zwar sofort, trägt aber stärker auf und erregt daher oft einen so störenden Druck, dass man seine Anwendung gern auf schwierige Fälle beschränkt. Das gebräuchlichste und für die meisten Fälle auch vorzüglichste Nähmaterial sind g l a t t e , d ü n n e , u n g e f ä r b t e S e i d e n f ä d e n . übertreffen, bei gleicher Dicke, Haltbarkeit
und
quellen
in
alle Arten
Diese
von Zwirn und Garn an
den organischen
Flüssigkeiten
nicht
so
stark auf, wie hänfene und baumwollene Fäden. Ungefärbte dem hält
S e i d e hat zwei Vortheile vor farbiger; sie ist dauerhafter (nächst-
weisse Seide am
canälen z u r ü c k ,
Besten)
und
lässt sicher keine Farbstoffe
die daselbst einheilen könnten.
der Seide die besten Nahtfäden und
wird
die besseren Sorten es an Haltbarkeit Das allgemein übliche W i c h s e n noch glatter werden und vor
Leinener
neuerdings
und Glätte
so
mit
der Nahtfäden
der Imbibition
auch erhalten die Fäden dadurch
—
Zwirn
vorzüglich
den Naht-
liefert nächst
angefertigt,
dass
der Seide aufnehmen können.
hat den Nutzen,
mit Flüssigkeit
einen gewissen (ganz
in
besser
geringen) Grad
der die Handhabung und namentlich die Knotung derselben
dass dieselben
bewahrt
erleichtert.
bleiben;
von Starrheit, Das Wichsen
muss aber sehr gleichmässig und sorgfältig geschehen, mit steter Berücksichtigung des Zweckes, da9s die Fäden dadurch an Glätte gewinnen sollen. — Um zu verhüten, dass durch Vermittlung der Nahtfäden Fäulnisserreger nach ')
Lister,
die zum Nähen
bestimmte
Ursprünglich hat man wohl immer die alten Namen „ S u t u r a darauf hin.
in
Seide
in die Wunde
gelangen, lässt
in geschmolzenes
Wachs
dieser Weise genäht; wenigstens
interscissa"
und „suture
ä points
man,
tauchen, deuten
entrecoupis"
Nähte.
127
welchem CarboUSure (etwa 2 p. C.) beigemischt ist. Die Seide verliert durch dies Verfahren etwas an Haltbarkeit. B u r o w bevorzugt das von P a s s a v a n t (Archiv f. klin. Chirurgie, Bd. VI. Heft 2) zuerst empfohlene sog. S e e g r a s (Silkwormgut der Engländer, sedali der Ilaliäner), welches aus der Puppe der Seidenraupe dargestellt wird, als Material fiir Knopfnähte nicht blos wegen der Leichtigkeit, mit der es sich in die pag. 125 erwähnten Nadeln einfügt, und der Sicherheit, mit welcher ein einfach geschürzter Knoten desselben hält, sondern vor Allem, weil es — ganz wie P a s s a v a n t angab — auch nach seinen vieljährigen Erfahrungen, niemals Eiterung in den Sticbcanälen erregt, selbst wenn es wochenlang in denselben verweilt. Ich kann dies durchaus bestätigen.
In vereinzelten Fällen wurden schon vor vielen Jahrzehnten Met a l l d r ä h t e als Nahtfäden benutzt, so namentlich von D i e f f e n b a c h Bleidrähte zur Gaumennaht 1 ). Allgemeinere Anwendung haben die Drahtnähte erst in den letzten Jahren gefunden, nachdem M a r i o n Sims*) und mit ihm mehrere Amerikaner die Vorzüge der Silberdrähte als Nähmaterial, S i m p s o n 3 ) aber die gleiche Vortrefflichkeit gut geglühter Eisendrähte in lebhaften Farben geschildert hatten. Nach diesen Angaben, welche sich theils auf Erfahrungen an Menschen (namentlich bei der Operation von Blasenscheidenfisteln), theils auf Versuche an Thieren stützten, sollte durch Metall-Nähte eine viel geringere Reizung des Stichcanals bedingt werden, so dass man sie ohne Gefahr viel länger in der Wunde liegen lassen könnte. Wenn nun auch keineswegs geläugnet werden soll, dass die Drahtfäden vor dem Aufquellen und der Imbibition mit Flüssigkeiten vollkommen sicher sind und an Glätte und Haltbarkeit den besten Seidenfäden mindestens nicht nachstehen, so haben doch weitere Erfahrungen und Versuche ergeben, dass die letzteren, wenn sie nur dünn und glatt sind, ebenso günstige Resultate liefern und sich leichter handhaben lassen 4 ). Nur in solchen Fällen, wo man die Nähte besonders lange liegen lassen oder den genähten Theil sofort in das permanente Bad stecken will, dürften Drähte oder Sedali (vgl. pag. 126) den Vorzug verdienen. P f e r d e h a a r e leisten in jeder Beziehung dasselbe, wie feine Drähte, was für die Verhältnisse des Krieges wohl zu beachten ist. Vgl. G u s t a v S i m o n im Correspondenzblatt des Vereins f. gemeinschaftl. Arb. 1860. No. 41.
Nicht blos besondere Arten des Schlusses, sondern auch besondere Nadeln sind für die Drahtnähte erfunden worden. Namentlich glaubt man das Oehr-Ende der Nadel mit einer Furche zur Aufnahme ' ) Chirurgische Erfahrungen, Berlin 1829. s
) S i l v e r s u t u r e s in s u r g e r y .
The anniversary discourse before the New York
Academy of medicine. Delivered etc., the 18 November 1857, by M a r i o n S i m s . New York 1858. *) Medical Times and Gazette, 1859. 1. 4
) Vgl. namentlich G u s t a v S i m o n , über die Operation der Blasenscheidenflsteln etc., Rostock, 1862, pag. 87 u. flg. und pag. 122 u. flg.
128
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
des Drahtes versehen zu müssen. Statt der Knotung wurde schon von D i e f f e n b a c h das Zusammendrehen empfohlen, von Sims das Aufschieben eines durchbohrten Schrotkorns (einer Plombe) auf die Draht-Enden, welche dann durch festes Zusammendrücken der kleinen Bleikugel (mittelst einer Zange) vereinigt wurden, — und viele andere noch viel complicirtere Mechanismen. Schliesslich hat es sich gezeigt, dass dünne weiche Drähte sich recht gut, — wenn auch nicht so leicht wie Fäden, — knoten lassen. Man verfährt daher mit den Drähten jetzt meist ebenso, wie mit Seidenfäden. 2. Die u m s c h l u n g e n e N a h t , s u t u r a c i r c u m v o l u t a , suture entortillée, the twisted suture. — Man bedient sich zu ihrer Ausführung der C a r l s b a d e r l n s e c t e n n a d e l n , Fig. 58. d. h. dünner, elastischer Stecknadeln, welche quer durch beide Wundränder hindurchgeführl und mit einem Fadenbündel von d i c k e r weicher Baumwolle (twist) oder Flockseide, in abwechselnden Cirkel- und Achtertouren, umschlungen werden (Fig. 58). Alsdann biegt man jede Nadel, indem man ihre beiden Enden er"'"»«.ni«•MUH» hebt und auf die Fadentouren einen gelinden Druck ausübt, etwas krumm, so dass sie einen nach Fig. 59. der Oberfläche der Wunde concaven Bogen beschreibt \— ^ ; (Fig. 59, Profilansicht eines gedachten Durchschnitts), und kneipt endlich die Enden mit einer Drahtzange nahe an der umwickelten Stelle ab.
^TT-
Die l n s e c t e n n a d e l n
sind erst von
D i e f f e n b a c h eingeführt worden.
bediente man sich dicker silberner Stifte .mit Stahlspitzen ( P e t i t ) .(dann
sehr verletzende) Naht nur selten
Früher
und wandte diese
(fast ausschliesslich bei Hasenscharten) an.
Vgl. Bd. III. Die zur Ilmwickelung anzuwendenden Fäden werden durch Kochen in einer 10 procentigen Salicylsäurelösung antiseptisch gemacht. — Die Umwickelung muss v i e l geschehen,
dicker
als in Fig. 58, wo die Touren deutlich bleiben sollten, angedeutet ist.
Der schwierigste Act der Operation ist das Einführen der Nadeln. Man fasst die Nadel wie eine gewöhnliche Stecknadel zwischen Daumen und Mittelfinger, setzt den Zeigefinger auf den Knopf und sticht sie, während die Wundlefze mit den Fingern oder einer feinen Hakenpincette erhoben wird, gegen den Grund der Wunde ein, möglichst weit durch die erste Wundlefze hindurch und in entgegengesetzter Richtung durch die zweite Wundlefze nach Aussen, wobei man ihr diese mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand oder mit einer halb geöffneten Pincette entgegendrückt. Wer seine Finger schonen will, oder ihnen nicht die erforderliche Festigkeit zutraut, bedient sich
129
Nähte.
eines Nadelhalters, entweder eines der oben erwähnten, oder einer Unterbindungspincette, deren Branchen gegen das Ende hin mit einer Längs-Rinne versehen sind, in welche die Nadel passt. Nadeln mit platt geschlagener und lanzettförmig zugeschärfter Spitze lassen sich leichter einfuhren. Die Spitze darf aber nicht zu breit und muss genau gearbeitet sein, damit kein zu weiter und auch kein gerissener Stichcanal entsteht. Der Faden wird in der Art angelegt, dass man seine Mitte zuerst in einer Kreistour um die hervorstehenden Enden der Nadel herumführt, alsdann, während die Wundränder aneinander gedrückt werden, spannt, über der Wunde kreuzt, abermals unter den hervorstehenden Nadel-Enden herumführt u. s. f. Das Unterlegen von Heftpflasterstreifen unter die Nadel-Enden ist, wenn diese gehörig gebogen sind, unnöthig. 3. Die Z a p f e n n a h t , s u t u r a c l a v a t a , suture enchevillee, emplumie. Man führt mit einer Heftnadel je 2 Fäden durch jeden Stichcanal und knüpft dieselben auf jeder Wundlefze über einem kleinen Cylinder, welcher aus aufgerollten Heftpflasterstreifen, einer Federspule, einem Stück von einem elastischen Katheter, Bougie u. dgl. m. bestehen kann, zusammen. Der Druck auf die Wundlefzen wird also eigentlich vermittelst der kleinen Cylinder und nur indirect durch die Fäden ausgeübt. Diese Naht wirkt stärker auf die Tiefe der Wunde und vereinigt die oberflächlichen Theile weniger genau. Sie wird, wenn überhaupt, doch nur bei sehr tiefen Wunden und in Verbindung mit der Knopfnaht benutzt. Die verschiedenen Arten der Naht können sowohl jede für sich, als auch neben einander angewandt werden. Der früher mit grosser Lebhaftigkeit geführte Streit, ob die K n o p f n a h t o d e r d i e u m s c h l u n g e n e N a h t d e n V o r z u g v e r d i e n e , welcher durch die Autorität D i e f f e n b a c h ' s vor einigen Jahrzehnten zu Gunsten der letzteren entschieden zu sein schien, kann heut zu Tage als völlig erledigt betrachtet werden. Nicht blos, dass die Drahtnähte den Unterschied fast ganz verwischt haben, denn die umschlungene Naht ist in der That eine Art von Drahtnaht, sondern man hat auch eingesehen, dass in der Mehrzahl der Fälle, wenn nur gut genäht, namentlich also genaue und spannungslose Zusammenfügung der Wundränder erreicht und zu starke Zusammenschnürung vermieden wird, gleich gute Resultate durch die eine wie durch die andere Naht erzielt werden. Allerdings verdient die umschlungene Naht in einzelnen Fällen den Vorzug, wenn nämlich ganz frei hängende, einer Unterlage entbehrende Lappen von geringer Dicke vereinigt werden sollen. Hier wirkt die grössere StarrB a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
I.
9
130
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
heit der Nadel der Verschiebung „nach der Dicke"') sicherer entgegen. Anderer Seits gewährt aber die Knopfnaht den Vortheil, dass man die ganze Wunde besser Ubersehen und die Genauigkeit der Vereinigung leichter controliren kann. In vielen Fällen ist es nützlich, zur Verhütung von Zerrungen der Wundränder (durch Muskelzug oder anderweitige Spannung)', ausser den unmittelbar zur Vereinigung der Wunde bestimmten Nähten noch weiter und tiefer greifende HUlfsnähte anzuwenden. Solche aus alternirenden V e r e i n i g u n g s - und E n t s p a n n u n g s - N ä h t e n bestehende m e h r f a c h e N a h t r e i h e n (Doppelnähte) sind, obschon hie und da auch schon früher benutzt, doch zu allgemeiner und systematischer Anwendung erst durch G u s t a v S i m o n " ) empfohlen worden. Allgemeine Regeln für das Anlegen der
Nähte.
1. Vor dem Anlegen einer Naht muss die Wunde sorgfältig gereinigt und von fremden Körpern befreit werden. 2. Vor und nach jedem Stich müssen die Wundränder einander genähert und aneinander gepresst werden. 3. Die Haut darf nie unter einem allzu spitzen Winkel gegen ihre Oberfläche durchstochen werden, weil man sie sonst nicht in gehöriger Dicke durchsticht. 4. Die Nadel muss so tief als möglich durch die Wunde hindurchgeführt werden, damit im Grunde kein Raum für Ansammlung von Blut und Wundsecret bleibt. 5. Man vermeide, Nerven, Sehnen und grössere Gefässe mit in eine Naht zu fassen; es sei denn, dass man grade diese Organe vereinigen oder Gefässe durch die Naht verschliessen will. 6. Der" Zwischenraum zwischen den Ein- und Ausstichspunkten einer Seits und der Wunde anderer Seits darf bei den gewöhnlichen Nähten nicht über 15 und nicht unter 4 Millim. betragen. Bei der Doppelnaht müssen die Entspannungsnähte natürlich in grösserer Entfernung von der Wunde angelegt werden. 7. Die einzelnen Nähte (Stiche der Naht) müssen einander so nahe sein, dass die Wunde in den Zwischenräumen nicht klafft. Dasselbe gilt für die Entfernung zwischen den Wundwinkeln und der ersten resp. letzten Naht. 8. Die Wundränder dürfen durch die Nähte niemals zusammengeschnürt w e r d e n ; die Einschnürung würde durch die nachfolgende ' ) Hiermit ist die Art der Verschiebung g e m e i n t , bei welcher, ohne sonstige LageVeränderung, der eine Wundrand sich über das Niveau des anderen erhebt. ' ) Archiv f. physiolog. Heilkunde, N. F. 1 S 5 9 ,
Bd. III.
Hft. 3.
Nähte
131
entzündliche Schwellung noch vermehrt, diese selbst dadurch wieder gesteigert und somit zum Durchschneiden der Wundränder durch die Nähte und zur Eiterung Veranlassung gegeben werden. 9. Gewöhnlich ist es am Zweckmässigsten, die erste Naht in der Mitte der Wunde, oder aber da, wo die Vereinigung am Schwierigsten zu erreichen ist, oder am Genauesten erreicht werden soll, anzulegen. Diese Regel erleidet jedoch oft Ausnahmen. VOD d e m
Ausziehen
der
Nähte.
Wollte man die Nähte liegen lassen, ohne sich weiter um sie zu bekümmern, so würde in dem Stichcanale Eiterung entstehen, und bei einiger Spannung Verschwärung des ganzen von der Naht umfassten Stückes folgen. Es ist deshalb nöthig sie auszuziehen, bevor ihre Anwesenheit Eiterung erregt. Anderer Seits darf man sie nicht früher entfernen, als bis die Wundränder hinreichend fest mit einander verwachsen sind. Da nun die Wiedervereinigung einer Wunde, je nach ihrer Beschaffenheit, je nach dem Kräftezustande und Alter des Verwundeten u. s. w. verschieden schnell erfolgt, so leuchtet ein, dass es unmöglich ist, im Allgemeinen die Zeit zu bestimmen, nach deren Ablauf die Nähte entfernt werden sollen. Doch lässt sich u n g e f ä h r feststellen, dass bei Kindern fünf Tage, bei Erwachsenen acht Tage, bei Greisen zehn Tage der ä u s s e r s t e Termin sind, bis zu welchem m a n , ohne Intercurrenz der antiseptischen Wundbehandlung, Nähte darf liegen lassen. In der Mehrzahl der Fälle zog man früher die Fäden oder Nadeln am d r i t t e n T a g e aus. E i t e r u n g w i r d a b e r desto sicherer v e r m i e d e n und die Narbe bleibt desto w e n i g e r s i c h t b a r , je f r ü h e r man die Nähte auszieht. v. B r u n s hat das Verdienst, zuerst die Entfernung der Nähte schon nach 24 Stunden gewagt zu h a b e n ' ) . Müsste man sich nach Ausziehung der Nähte blos auf die Festigkeit der noch ganz frischen Verwachsung, mit oder ohne Unterstützung durch die sonst üblichen Heftpflaster, verlassen, so würde die Nachahmung dieses Beispiels in manchem Falle ein schlechtes Resultat liefern. Dagegen gewährt die Anwendung des Collodium in der von B. v. L a n g e n b e c k angegebenen Weise *) vollständige Sicherheit. Man entfernt nämlich die Nadeln der umschlungenen Naht nach 16 bis 24 Stunden, tränkt aber vorher die Fadentouren mit Collodium, so dass sie der Haut fest ankleben und, nach Art kleiner Klammern, die Wunde sicher vereinigt halten. Der nach dem Ausziehen der Nadel in den starr gewordenen ')
Archiv f ü r physiologische Heilkunde, 1 8 4 4 .
*). D e u t s c h e Klinik, 1 8 4 9 .
Bd. III.
pag. 1 7 .
No 5 . pag. 5 8 .
9*
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
132
Fadentouren zurückbleibende Canal wird sofort durch Ueberstreichen v o n Collodium verschlossen.
Wo KnopfnShte angelegt waren, da be-
deckt man, nach ebenso frühzeitiger Ausziehung der Fäden, die Wunde mit Streifen von Englischem Pflaster und bestreicht diese mit Collodium. Gleichzeitig
mit
frühzeitiges Ausziehen
v. L a n g e n b e c k der Nadeln
schlungenen Naht erzielt.
bat
auch
Burow
glückliche Erfolge durch
bei Anwendung der mit Collodium getränkten um-
Nach seinen Erfahrungen soll man
am Besten die Faden-
touren sofort mit Collodium tränken, sobald dies erstarrt ist, die Nadel ausziehen und den Stichcanal durch darüber gestrichenes Collodium
versperren.
nur ein Hülfsmittel; das beabsichtigte Vereinigungsmittel
Die Nadel ist
sind die
also
Fadentouren, für
welche B u r o w als z w e c k m ä s s i g e s (freilich kostspieliges) Material Flockseide empfiehlt. Ganz consequenter Weise glaubt dann B u r o w
bei leichter zu vereinigenden Wunden
des Durchstecbens der Wundränder ganz entbehren zu k ö n n e n ; er lässt dieselben nur mittelst zweier in sie eingestochener (gestielter) Nadeln in genauer Berührung halten, während
diese Nadeln,
analog den hervorragenden
Enden einer
hindurchgestochenen
Insectennadel, mit Flockseide umwickelt werden, welche man durch Collodium befestigt. Diese Art der Vereinigung nennt B u r o w :
f a l s c h e Naht.
Wo aber eine Naht wirk-
lich nothwendig w a r , wird man voraussichtlich mit diesen falschen Nähten nicht auskommen. — Da B u r o w die Nadeln sofort wieder auszieht, kommt es auf einen hohen Grad von
Biegsamkeit
nicht an.
Er empfiehlt
deshalb ausgeglühte,
an der
Spitze
lanzettförmig platt geschlagene (gewöhnliche, sog. Englische) Nähnadeln, die, mit einem Nadelhalter geführt, den Vortheil g e w ä h r e n , sich ungemein leicht einstechen und ausziehen zu lassen.
Vgl. S a e m a n n , Deutsche Klinik, 1851. No. 2 4 und B u r o w ,
Be-
schreibung einer neuen Transplantations-Methode etc., Berlin 1 8 5 5 .
Uebrigens darf man in vielen Fällen, namentlich wenn kein Collodium angewandt werden soll, nicht alle Nähte auf einmal fortnehmen. Man zieht erst eine Nadel oder einen Faden gleichsam versuchsweise aus, am Besten den am Mindesten wichtigen, und überzeugt sich, ob die Vereinigung bereits hinreichend fest ist, um auch die übrigen entfernen zu dürfen. Das Ausziehen der Nahtfäden geschieht, indem man mit einer Pincette den Knoten fasst und den Faden mit einer spitzen Scheere dicht an der Stichöffnung derjenigen Wundlefze, auf welcher der Knoten nicht liegt, durchschneidet. Dabei muss jede Zerrung der Wundränder, durch welche dieselben von einander entfernt werden könnten, sorgfältig vermieden werden. An manchen Stellen durchschneidet man die Nahtfäden bequemer mit einer flach aufgesetzten
Hohlscheere. — Besondere Scheeren
zum Durchschneiden der Nahtfäden
sind wiederholt erfunden worden, a b e r überflüssig.
Um eine umschlungene Naht fortzunehmen, Nadel mit einer gewöhnlichen
Drahtzange
hat man nur
auszuziehen,
worauf
die die
Fadeptouren (vorausgesetzt, dass sie nicht durch Collodium angeklebt waren) bald von selbst abfallen.
Serres-fines.
III.
133
Federnde Klammern.
fSerres-fines). Silberdraht
angefertigte
Hakenpincetten, welche, nach Art der C h a r r i e r e ' s c h e n
Torsionspin-
Vi dal
hat
1849
kleine,
dünnem
aus
cette, durch eigene Federkraft sich schliessen
und durch Druck
auf
ihre Branchen geöffnet werden, als Stellvertreter der Nähte unter dem Namen
Serres-fines
(feine Krallen) in Anwendung gebracht.
Dieselben
scheinen mir bei tiefen Wunden eine gut angelegte Naht nicht ersetzen zu können und auch bei oberflächlichen Wunden vor den Nähten nur in einzelnen Fällen den Vorzug zu verdienen. Auf den ersten Blick
erscheint es sehr verlockend,
wenigstens
alle oberflächlichen Wunden mit diesen zierlichen Federklammern zu vereinigen.
Sie sind leicht anzulegen
und jeden Augenblick
ebenso
leicht wieder zu entfernen und wiederum anzulegen, ohne dass dabei irgend
erheblicher Schmerz
entstände.
Die Wunde wird
vollständig
geschlossen, und erste Vereinigung erfolgt, wo sie überhaupt möglich ist, gewiss, bleibt.
da ein fremder Körper in der Wunde gar nicht zurück-
Schon nach 7 Stunden können
die Wundränder hinreichend
verklebt sein, und anderer Seits kann man noch erste Vereinigung erlangen,
wenn
man die Klammern
Verletzung aufsetzt. solchen
Stellen
werden k a n n ,
erst mehrere Stunden
nach
der
Aber die Anwendung der Serres-fines ist nur an
möglich,
wo die Haut in
der Weise
umgeklappt
dass sich nicht die inneren Ränder der Continuitäts-
trennung, sondern die zunächst gelegenen inneren Flächen der Cutis in Berührung
bringen
lassen,
so dass die ganze Länge der Wund-
ränder einen aufrecht stehenden Wulst bildet, fines
dann
gleichsam
reiten.
Unter
solchen
auf dem
die Serres-
Verhältnissen
sind sie
aber auch von entschiedenem Vortheil; so namentlich am Präputium, den Augenlidern,
der Schläfengegend,
deren Haut leicht verschieblich ist.
an den
Extremitäten,
soweit
Man hat den S e r r e s - f i n e s
den
Vorwurf gemacht, dass sie Gangrän der von ihnen umfassten Wundränder veranlassen. drücken,
Dies geschieht in der T h a t ,
oder zu lange
vorgebeugt werden,
liegen
indem
bleiben.
wenn sie zu stark
Diesem Uebelstande
kann
man sie schon nach 3 Stunden den Ort
wechseln lässt, etwa in der Art, dass jede Klammer 5 Millim. weiter nach rechts oder nach links gerückt wird, wobei man sie nicht ganz abzunehmen, sondern nur etwas zu lüften braucht. liegen bleiben, nochmals fernung
so wird diese Verschiebung
wiederholt. der Klammern
Der Wulst,
Sollen sie länger
nach 7 oder 8 Stunden
den die Wundränder
eine Zeit lang
Elasticität der Haut bald ausgeglichen.
darstellen,
nach
wird durch
Entdie
134
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
III.
V o n den V e r b ä n d e n .
Verbände sind bei den meisten chirurgischen Krankheiten und nach fast allen Operationen nöthig. Wir bedienen uns derselben hauptsächlich, um folgende allgemeine Indicationen zu erfüllen. 1. Um den kranken Theil d u r c h A b s c h l u s s d e r a t m o s p h ä r i s c h e n L u f t vor deren Einfluss, sowie vor der Einwirkung anderer ihn umgebender Körper (auch der in der Luft schwebenden) z u s c h ü t z e n . So namentlich bei Wunden und Geschwüren. — Deckende, Occlusions- und antiseptische Verbände. 2. Um P r o d u c t e d e s O r g a n i s m u s , welche die Heilung stören oder gar den ganzen Körper krank machen können, z u e n t f e r n e n , z. B. krankhafte oder auch normale Secrete, abgestorbene, zerfliessende Gewebe, Blut u. dgl. — Aufsaugende Verbände. 3. Um auf einen Körpertheil einen D r u c k auszuüben. — Cornprimirende Verbände. 4. Um e i n e m T h e i l e i n e b e s t i m m t e L a g e zu g e b e n , o d e r i h n i n e i n e r s o l c h e n zu e r h a l t e n . Solche fixirende oder immobilisirende Verbände sind von der grössten Bedeutung für die Vereinigung (Heilung) der Wunden und KnochenbrUche. Es kann aber auch Zweck eines Verbandes sein, d e r V e r e i n i g u n g von Theilen e n t g e g e n zu w i r k e n , oder sie doch zu verlangsamen; so z. B. nach der Operation der Mastdarmfistel, nach tiefen Verbrennungen, nach der Ausschälung mancher Geschwülste, welche eine buchtige Wunde zurücklassen. Von manchen
Autoren
(namentlich
von
Heineke)
werden
als f i x i r e n d e
Ver-
bände diejenigen bezeichnet, welche zur Befestigung anderer Verbandstücke dienen, als immobilisirende
dagegen solche, mittelst deren man Theile des Körpers unbeweg-
lich macht.
5. Um V e r ä n d e r u n g e n in d e m V i t a l i t ä t s z u s t a n d e der Theile, wie z. B. Steigerung oder Herabstimmung ihres Tonus, Erregung und Besänftigung von Schmerz zu bewirken. Besonders bedient man sich zu diesem Zweck der äusserlichen Anwendung gewisser Arzneiformen, wie Salben, Pflaster, Breiumschläge u. s. w., welche deshalb auch schlechtweg als Medicamenta externa oder Topica bezeichnet werden. Allgemeine Regeln f ü r das Verbinden.
Abgesehen davon, dass die Menschlichkeit gebietet, Angst und Schmerzen eines Kranken nicht unnöthig zu verlängern, liegt es auch im eigenen Interesse des Arztes, sich jene Gewandtheit im An-
Verbinde.
135
legen 'der Verbände anzueignen, die ihm bei den Laien den Ruhm einer „leichten Hahd" verschafft. Während einer blutigen Operation sind gewöhnlich nur befreundete Collegen seine Zeugen; der Kranke ist entweder durch die absichtliche Betäubung, oder durch seine Schmerzen verhindert, die Operation zu beobachten. Der Verband dagegen ist auch dem Urtheile Anderer unterworfen; der Kranke selbst beobachtet seine Anlegung gewöhnlich genau und gründet darauf wesentlich sein Urtheil über den Operateur. Im Allgemeinen hat man folgende Regeln zu beachten. 1. Man verfahre weder nachlässig und flüchtig, noch mit jener kleinlichen Sorgfalt, die man bei Denjenigen beobachtet, welche auf die Eleganz ihrer Verbände eitel sind und deshalb oft eine unnöthig lange Zeit darauf verwenden. 2. Man beginne niemals einen Verband, bevor nicht Alles in Bereitschaft ist, was dazu erforderlich sein könnte. Auch die etwa nöthigen Gehülfen müssen zur Hand und entsprechend unterrichtet und angewiesen sein. 3. Man sorge für hinreichende Beleuchtung. Vgl. pag. 37. 4. Die erforderlichen Bewegungen müssen vorsichtig und niemals ruckweise gemacht werden; jeder Druck geschehe sanft, die Finger der Gehülfen seien auf möglichst viele Punkte vertheilt. Hat man zu befürchten, dass das für das Unterschieben einer Schüssel nothwendige Aufheben des Theiles Schmerz veranlassen würde, so legt man statt dessen dick zusammengelegte Leintücher unter, welche die ablaufenden Flüssigkeiten einsaugen, oder bedient sich eines schräg gelegten Stücks Wachstuch, dünner Gutta Percha oder Gummizeug, von welchem man die Flüssigkeit in ein beliebiges Gefäss ablaufen lässt. Die A b n a h m e d e s a l t e n V e r b a n d e s erfordert grosse Sorgfalt. Man nimmt die einzelnen Stücke, so weit als möglich, mit den Fingern fort und bedient sich der Kornzange oder Pincette nur für diejenigen, welche sich mit den Fingern nicht gehörig fassen lassen. Wenn die Verbandstücke durch Blut oder Eiter zusammengeklebt sind, oder wenn angelegte Pflaster sehr fest haften, so muss der ganze Verband vorher mit lauwarmem Wasser durchfeuchtet werden. Dies geschieht zweckmässig eine Viertelstunde vor der Abnahme, da immer längere Zeit erforderlich ist, bis die Flüssigkeit alle Theile gehörig durchdrungen hat. Am Besten erreicht man seinen Zweck, wenn man den Kranken oder doch den kranken Theil, an welchem der Verband gewechselt werden soll, vorher in ein Bad bringt. Wo sich dies nicht thun lässt, geschieht die Tränkung des Verbandes, so wie auch
136
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
die Reinigung der Wunden am Besten und am Bequemsten mit dem E s m a r c h ' s c h e n I r r i g a t o r (Fig. 6 0 ) , d. h. einem Blechgefäss, an Fig. 6 0 .
dessen Boden ein langer Schlauch abgeht, durch welchen die Flüssigkeit abfliesst, wenn man ihn senkt (und das Gefäss zur Verstärkung des Stromes hebt), während der Abfluss durch Hinaufschlagen des Schlauchs unterbrochen wird. Wo nur die mindeste Besorgniss der Möglichkeit von Uebertragung eines Ansteckungsstoffes besteht, namentlich also in allen Hospitälern, muss jeder Kranke sein besonderes Ansatzrohr haben. S c h w ä m m e , welche nicht absolut rein (aseptisch) sind, dürfen weder mit der Wunde, noch mit dem Verbände in Berührung kommen, auch nicht zum Aufträufeln von Wasser benutzt werden, da sie allzu leicht Ansteckungsstoffe (Fäulnisserreger) enthalten. Man vermeide bei der Abnahme jedes Zerren und jede Erschütterung und verfahre so schnell, als es die nöthige Vorsicht gestattet. Ist die Verwundung sehr ausgedehnt, wie z. B. bei bedeutenden Verbrennungen, so thut .man gut, zuerst einen Theil derselben zu entblössen und erst, nachdem man diesen wieder von Neuem verbunden hat, zu der Abnahme des übrigen Verbandes zu schreiten. Auf solche Weise bleiben die einzelnen Theile weniger lange mit der Luft in Berührung. Von besonderer Wichtigkeit ist diese Vorsicht bei sehr empfindlichen Subjecten, bei kalter Witterung, oder wenn in der Nähe Kranke mit schlechten Eiterungen liegen. Hat man aber
Verbinde. — Verbandzeug.
137
eine grössere Wundfläche auf einmal entblösst, so sollte man sie wenigstens, während man die Umgegend reinigt, mit einer feinen Compresse bedecken und auf diese Weise schützen. Nach dem Verbandwechsel ersetzt man die beschmutzten oder durchnässten Kleider und Unterlagen durch frische, bringt alle Theile wieder in ihre gehörige Lage und verfährt bei diesem Allem stets mit derselben Schonung und Vorsicht. Da die Wunde und ihre Umgebung immer sehr empfindlich sind, so muss man Alles, was sie reizen könnte, vermeiden; die geringste Falte, zu starker oder unregelmässiger Druck könnten die Entzündung steigern und Schmerz, Aufregung, ja selbst bedeutendere Nervenzufälle zur Folge haben. Ist es nothwendig, den Verband zweimal am Tage zu erneuern, so muss die zweite Erneuerung jedenfalls vor der Zeit geschehen, wo der Kranke einzuschlafen pflegt. Wenn die Eiterung sehr reichlich ist und der Eiter die Wunde zu stark reizt, so kann man genöthigt werden, dreibis viermal am Tage zu verbinden. Aber im Allgemeinen suche man die häufige Erneuerung zu vermeiden. Reichliche Eiterbildung macht sie noch keineswegs nothwendig, wenn man nur die Fäulniss des Eiters verhüten kann. Für jede Heilung ist vor Allem Ruhe nöthig, und diese wird durch das, wenn auch noch so sorgfältige Verbinden stets gestört. Besonders wünschenswerth ist eine möglichst seltene Erneuerung des Verbandes bei Knochenbrüchen, wie bei der Beschreibung derselben (Bd. 11) gezeigt werden wird. I n s t r u m e n t e /.um V e r b i n d e n , V e r b a n d z e u g .
Die beim Verbände zu benutzenden Instrumente sind folgende. 1. Die K o r n z a n g e , forceps chirurgorum, pinces ä pansements, gleichsam der Stellvertreter der Finger. Sie besteht aus 2 Schenkeln, die sich kreuzen und mit einander beweglich Fig. 6 1 . Fig. 62. verbunden sind, wie bei einer Seheere. Ihre Form bietet einige Verschiedenheiten dar, wie sie Fig. 61 und 62 zeigen. In neuester Zeit hat man ihr auch das sogenannte L e w k o w i t z sche Gewinde gegeben, wie es sich an den Steinzangen vorfindet (vgl. Steinschnitt). Der Schnabel der Kornzange darf nicht zu breit sein. An der inneren Fläche desselben befinden sich tiefe Einschnitte, wodurch in einander eingreifende Zähne gebildet werden. Man gebraucht die Kornzange, um Verbandstücke fortzunehmen, um Etwas aus der Tiefe natürlicher
138
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
oder krankhafter Höhlen herauszuholen oder in sie einzuführen, insbesondere auch zur Entfernung fremder Körper. Fig. 63. 2. Die P i n c e t t e , „anatomische Pincette", volsella (Fig. 63). Ihre Branchen entfernen sich durch eigene Federkraft von einander und werden durch den Druck der Finger geschlossen. Dieselben müssen in der Mitte an der Aussenseite rauh sein, damit die Finger, mit denen mau sie, wie eine Schreibfeder, hält, nicht abgleiten. Sie dürfen nicht zu stark federn, damit sie die Finger nicht ermüden, aber auch nicht zu schwach, damit sich ihre Branchen von selbst leicht von einander bewegen. Mit der Pincette fasst man Lappen, Schorfe, kleinere fremde Körper; auch bedient man sich ihrer, Fig. 6-4. u n i Bindegewebsschichten, welche man nach und nach zu durchdringen hat, zu erheben, um sie dann, sicher vor Verletzung tieferer Theile, einschneiden zu können (vgl. pag. 87). Modificationen dieser Pincette sind: a) d i e U n t e r b i n d u n g s - , T o r s i o n s - o d e r A r t e r i e n p i n c e t t e , deren Branchen sich durch einen Schieber, oder eine Feder im geschlossenen Zustande feststellen lassen (Fig. 64) vorzugsweise zum Fassen blutender Gefässe benutzt (vgl. Bd. II); b) die H a k e n p i n c e t t e , welche sich durch nach Innen vorspringende Haken oder Zähne an der Spitze ihrer Branchen unterscheidet und zum Fassen und Erheben von Hauträndern besonders geeignet ist, da man diesen lieber kleine Stichwunden mit den Haken der Pincette beibringt, als sie so stark quetscht, wie beim Festhalten mit der gewöhnlichen Pincette nöthig wäre. Fig. 65.
/
3. S c h e e r e n , forfices (Fig. 65). Es giebt deren drei Hauptarten: 1. g r a d e , 2. d e r F l ä c h e n a c h g e b o g e n e , 3. d e m R a n d e n a c h g e b o g e n e . — Am häufigsten bedienen wir uns der graden Scheere; zur Wegnahme von Theilen, die Uber die Hautoberfläche emporwuchern, oder die im Grunde einer Höhle sitzen, ist die auf die Fläche gebogene ( C o o p e r ' s c h e , eigentlich C o w p e r ' s c h e ) Hohl-Scheere von grossem Nutzen. Die auf den Rand gebogene Scheere (Kniescheere, R i c h t e r ' s c h e Scheere) ist fast gar nicht mehr im Gebrauch; man bediente sich ihrer zur Spaltung von Gängen, oder Dilatation von Oeffnungen, in welche man ihr eines Blatt auf der Hohlsonde, oder auch ohne
Verbände. —
Verbandzeug.
139
dieselbe, einführte, — auch zur Operation der Hasenscharte. Sie kann entweder durch das Messer oder durch die grade Scheere ersetzt werden. Zweckmässig ist die Knieform für Scbeeren, bänden
dienen sollen,
an
welche zum Aufschneiden von Ver-
deren einer (untere) Branche man überdies einen plattge-
scblagenen Knopf anbringen l ä s s t , um beim Einschieben zwischen Verband und Haut vor Verletzung der letzteren sicher zu sein.
4. R a s i r m e s s e r , culter tonsorius. — Der Arzt muss in der Handhabung desselben volle Gewandtheit besitzen, da Fälle genug vorkommen, in denen vor einer wichtigen Operation (z. B. am Kopf, beim Bruchschnitt u. s. f.) das Operationsfeld s c h n e l l von Haarwuchs gesäubert werden muss (vgl. pag. 50 u. f.). 5. S p a t e l , spatula. — Gewöhnlich eine schmale, auf f'g- ß 6 die Fläche gebogene und gegen die Enden etwas breiter A werdende Metallplatte, deren eines Ende abgerundet ist, während das andere einen Einschnitt besitzt, welcher bei der Lösung des Zungenbändchens von Nutzen sein soll. Man bedient sich desselben zum Pflasterstreichen, zum Aufstreichen und Abschaben von Salben, zum Ilinabdriicken der Zunge bei Besichtigung der Mund- und Rachenhöhle u. dgl. m. V i d a l hat den Vorschlag gemacht, das eine Ende lancettförmig zu gestalten und in der Mitte der Rückenseite desselben eine Furche anzubringen, wodurch der Spatel gleichzeitig als Conductor für das Messer beim Bruchschnitt dienen könnte (Fig. 66). 6. Die H ö l l e n s t e i n b ü c h s e , der A e t z m i t t e l t r ä g e r , portecaustique, findet sich in gewöhnlichen Verbandtaschen in der Form einer Nadelbüchse; schraubt man den Deckel ab, so erscheint das in einer Zwinge befestigte Stück Höllenstein. Am anderen Ende befindet sich ein äusserlich geriefter Theil, der eine kleine Höhle für rothen Präcipitat enthält, welchen man, indem man mit dem Daumennagel an den Riefen kratzt, aus der, durch einen kleinen Stöpsel verschliessbaren Oeffnung in beliebig kleinen Portionen ausstreuen kann. Die gewöhnlichen Höllensteinbüchsen sind von Holz, Horn, Elfenbein oder Hartgummi. Sollen sie einige Dauerhaftigkeit besitzen, so muss die Zwinge aus Platin sein; doefrwird auch dann der Deckel oft zerfressen. Sicherer ist es, den kleinen Höllensteincylinder in ein passendes Glasröhrenstück einzuklemmen und ein über dies Glasröhrchen passendes Stück einer etwas weiteren Glasröhre als Deckel zu benutzen. Beide Glasröhren können alsdann durch Zuschmelzen ihres einen Endes, oder durch Ausfüllen mit geschmolzenem Siegellack dauerhafter ge-
140
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
macht werden. Auch kann man sich beim Aetzen einer besonderen P i n c e t t e bedienen, mit welcher die, in einem Gläschen aufbewahrten Stücke des Aetzmittels beim Gebrauch gefasst werden. E m m e r t hat zuerst eine solche Aetzpincette angegeben; eine gewöhnliche Pincette nämlich,
deren Branchen aber in der Nähe
der Spitze,
statt quer gefurcht zu seilt,
eine tiefe Längsfurcbe besitzen, so dass sie im geschlossenen Zustande eine das Höllensteinstiickcben umfassende Röhre darstellen. Enden von Silber s e i n ,
die übrige Pincette
Nach E m m e r t sollen die rinnenförmigen von Argentaa
Dauerhafter ist das
In-
strument, wenn die gedachten Theile, so weit sie mit dem Höllensteine in Berührung kommen, mit dünnem Platin überzogen werden. Schieber (wie an der F r i c k e ' s e h e n
Ich benutze Aetzpincetten mit einem
Pincette, Fig. 6 4 ) .
7. B i s t o u r i ' s (incisoria) d. h. Messer, deren Klingen mit dem Heft oder der Schale beweglich verbunden sind, und entweder, wie bei den gewöhnlichen Taschenmessern, oder aber durch verschiedene andere Mechanismen festgestellt werden können. Hierdurch unterscheiden sie sich von den S c a l p e i l e n (scalpelli), deren Klingen mit dem Heft unbeweglich verbunden sind, und welche ihrerseits von den A n i p u t a t i o n s m e s s e r n (cultri) nur durch ihre geringere Grösse sich unterscheiden. Die Klinge aller dieser Messer, und insbesondere auch der Bistouri's, ist entweder einschneidig oder zweischneidig, entweder grade, oder gekrümmt. Die Krümmung bezieht sich gewöhnlich nur auf die Schneide (z. B. bei dem convexen oder bauchigen Bistouri, dessen Rücken gewöhnlich grade ist). Die Bistouri's mit concaver Schneide haben in der Regel einen convexen Rücken und heissen deshalb auch Sichelmesser (vgl. pag. 85 u. f.). Die Spitze der Messer ist gewöhnlich scharf, zuweilen aber auch stumpf abgerundet, oder mit einem Knöpfchen versehen ( P o t t ' s c h e s Bistouri). 8. L a n z e t t e n (lanceolae), kleine zweischneidige, gegen die Spitze hin von beiden Seiten gleichmässig zulaufende Messerchen in beweglichem Heft, deren man sich zu kleinen Einstichen, namentlich zum Aderlassen bedient. 9. S t u m p f e H a k e n von Eisen ( A r n a u d ' s c h e Wundhaken), mit denen man Wundränder oder andere Theile auseinanderzieht, damit die tiefer gelegenen Partien besser gesehen werden können. Man kann sie nöthigen Falls schnell aus Draht verfertigen. 10. N ä h n a d e l n , H e f t n a d e l n (acus). Selten benutzt man die gewöhnlichen Nähnadeln mit runder Spitze. Die eigentlichen chirurgischen Nähnadeln sind an ihrer Spitze zwei- oder dreischneidig, und zwar muss der schneidende Theil der Nadel von solcher Breite sein, dass die übrige Nadel mit dem in ihr befindlichen Faden leicht nachfolgen kann. Häufig bedient man sich gekrümmter Nähnadeln, welche bald einen Halbkreis, oder einen anderen Theil eines Kreises
Verbände. — Charpie.
141
bildeil, bald auch elliptisch gekrümmt sind, oder in der Nähe des Oehr's grade verlaufen und 'nur gegen die Spitze hin eine Krümmung besitzen ( S i m o n ' s e h e Nadeln). Vgl. pag. 124. 11. S t e c k n a d e l n zum Befestigen der Verbände (am Besten Sicherheitsnadeln-mit gedeckter Spitze) und C a r l s b a d e r I n s e c t e n n a d e l n zur Anlegung der umschlungenen Naht, welche bei verschiedener Länge und Dicke eine sehr feine, scharfe, auch wohl lanzenförmig breit geschlagene Spitze haben und durch grosse Elasticität ausgezeichnet sein müssen. Vgl. pag. 128 u. f. Der Name C a r l s b a d e r N a d e l n (épingles et Allemagne) scheint sich zwar zu erhalten; diese Nadeln werden aber jetzt überall, namentlich auch in Berlin und Paris mindestens ebensogut gefertigt, wie in Carlsbad.
12. Endlich gehören hierher auch die pag. 11, 16 u. f. bereits aufgeführten diagnostischen Instrumente: P r o b e t r o i c a r t , S o n d e n und K a t h e t e r . In jeder Verbandtasche müssen sich ausserdem s e i d e n e F ä d e n zum Unterbinden von Gefässen und zum Nähen, sowie b a u m w o l l e n e s G a r n für die Anlegung der umschlungenen Naht in hinreichender Menge vorfinden; auch darf ein Stück E n g l i s c h e s Pflaster nicht fehlen. Von B i s t o u r i ' s muss ein grades, ein bauchiges und ein geknöpftes ( P o t t ' s c h e s ) , von S c h e e r e n eine gewöhnliche (Pflasterscheere) und eine feinere (lncisionsscheere) vorhanden sein. Verbandgegenstände. Charpie und i h r e S u r r o g a t e .
Jahrhunderte lang ist die C h a r p i e , d. h. fein zerzupfte Leinwand (linteum carptum), ein wesentlicher und fast durchweg unentbehrlicher Bestandtheil chirurgischer Verbände gewesen. Die C h a r p i e diente um kranke oder verletzte Theile zu schützen, sie in einer gleichmässigen Temperatur zu erhalten, Flüssigkeiten aufzusaugen und Zwischenräume auszufüllen, auch um Arzneistoffe mit kranken Theilen in dauernde Berührung zu bringen; bei Druckverbänden (namentlich auch beim Tamponiren von Höhlen) benutzte man sie als Polster; durch Einlegen von Charpie suchte man die Ränder einer Wunde, die Wandungen eines Abscesses, eines Fistelganges, deren Berührung man vermeiden wollte, von einander zu halten. Längst schon hat man eingesehen, dass überall, wo nur das Ausfüllen von Höhlen oder das Polstern anderer Verbandstücke beabsichtigt wird, statt der Charpie auch andere Stoffe, namentlich Watte,
142
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
lose Baumwollen-Gewebe, Werg u. dgl. m. Anwendung finden können; aber erst in den letzten Jahrzehnten ist allgemein anerkannt worden, dass auch zur unmittelbaren Bedeckung von Wunden und Geschwüren andere als leinene Stoffe ohne Schaden benutzt werden dürfen. Charpie besteht aus mehr oder weniger langen Fäden, welche aus alter, mit Lauge gewaschener und rein gespülter Leinwand gezupft werden. Zu diesem Behufe schneidet man die Leinwand in quadratische Stücke von ungefähr gleicher Grösse, damit die Charpiefäden an Länge nicht allzu verschieden sind. Die Grösse dieser Leinwandstücke beträgt am Zweckmässigsten 5 — 1 0 Centim. im Quadrat. Die Leinwand muss schon gebraucht und nicht allzu fein sein. Ist sie zu fein, so ballt die Charpie sich leicht zusammen und verliert alsdann die Fähigkeit, Flüssigkeiten aufzusaugen. Ist sie zu grob oder neu, so reizt die Charpie die kranken Theile. Es genügt nicht, dass die Leinwand, aus welcher Charpie gezupft wird, rein sei; auch die Hände, welche sie zupfen, und die Räume, in denen sie gezupft und aufbewahrt wird, müssen so beschaffen sein, dass die Möglichkeit der Uebertragung irgend eines Ansteckungsstoffes absolut ausgeschlossen ist. Um dieselbe aseptisch zu machen, bedarf es überdies noch besonderer Maassregeln, auf welche wir später zurückkommen. Man unterscheidet g e o r d n e t e und n i c h t g e o r d n e t e , oder g e l e g t e und w i r r e Charpie, je nachdem die Fäden beim Auszupfen in einer Richtung auf und neben einander gelegt sind oder nicht. Aus der wirren lässt sich, durch „Kämmen", gelegte machen; letztere ist leicht in erstere zu verwandeln. Aus Charpie kann man darstellen: a) C h a r p i e k u g e l n , bouletles (Fig. 67). Man rollt wirre Charpie in der Hand zu Kugeln von verschiedener Festigkeit und Grösse. Dieselben werden benutzt beim Verbände tiefer Wunden, deren Wandungen man von einander entfernt halten will, — auch zum Abwischen des Eiters bei der Erneuerung der Verbände u. dgl. m. Zuweilen bedient man sich ihrer, nachdem man sie mit gepulverten oder flüssigen Arzneistoffen getränkt hat, Fig. 68. um Blutungen aus kleineren Gefässen zu stillen, wobei sie dann durch den übrigen Verband angedrückt werden müssen. — Charpiekugeln lassen sich leichter einlegen und leichter entfernen als wirre Charpie. b) C h a r p i e r o l l e n , Charpiewickel, bourdonnets (Fig. 68), sind von verschiedener Dicke und Länge, zuweilen plattgedrückt. Letztere nennt man auch C h a r p i e k u c h e n . Man legt sie zwischen Theile, deren Berührung man hindern
Verbände
—
Charpie.
143
will, kann sie aber auch sonst noch vielfach beim Verbände benutzen (vgl. „Jutekuchen"). c) W i e k e n oder M e i s s e l sind festere Verbandstücke, welche früher ganz allgemein zum Offenhalten von Schusscanälen und Fisteln angewandt wurden. Man stellt sie aus geordneter Charpie dar, indem man einen Bausch nahe dem einen Ende umschnürt und dann sämmtliche Charpiefäden so umstülpt, dass der umschnürte Theil innen zu liegen kommt. d) C h a r p i e b ä u s c h e , F e d e r m e i s s e l , plumasseaux (Fig. 69). Ein Bausch gelegte Charpie wird in seiner Mitte mit einem einzelnen Charpiefädchen zusammengefasst und an dieser Stelle umFig. 69. gebogen, so dass daraus ein Bausch von der halben Länge der angewandten Fäden, aber von doppelter Dicke entsteht. Will man wirre Charpie dazu verwenden, so muss man erst, indem man eine Quantität derselben mit der einen Hand fasst, durch wiederholtes Zupfen mit der anderen Hand eine parallele Lage der Fäden zu Stande bringen. Solche Bäusche eignen sich besonders zum Aufstreichen von Salben; sie erleichtern das Anlegen und Abnehmen des Verbandes, aber sie saugen nicht so leicht Flüssigkeiten auf, wie die wirre Charpie. e) Z e l t c h e n , sindons, jetzt kaum mehr in Gebrauch, werden aus einem Bausch gelegter Charpie dargestellt, den man in seiner Mitte zusammenbindet und alsdann zeltartig ausbreitet, so dass der Knoten die Spitze des Zelts ausmacht. Sie wurden früher besonders beim Verbände nach der Trepanation (vgl. Bd. III) benutzt. f ) C h a r p i e p f r ö p f e , tampons, bestehen aus Fig. 7 0 . einem dicken Bausch gelegter Charpie, der in der Mitte durch einen starken Faden zusammengeschnürt ist (Fig. 70), und werden hauptsächlich zum T a m p o n i r e n , d. h. zum Ausstopfen von Höhlen benutzt. Dabei ist es zweckmässig, einen mit mehreren Fäden versehenen Pfropf der Art tief einzuführen, die Fäden dann nach verschiedenen Seiten hin zu legen, und zwischen dieselben so lange wirre Charpie einzustopfen, bis die Höhle ganz ausgefüllt ist, worauf dann die ganze Masse vermittelst der gedachten Fäden zusammengeschnürt, oder auch wohl durch einen vor der Oeffnung Fig. 7 1 . der Höhle mittelst der Fäden zu befestigenden grösseren Bausch in ihrer Lage erhalten wird. g) P e l o t t e n (Fig. 71) sind mehr oder weniger grosse Charpieballen, die in ein Stück Leinwand gehüllt sind,
144
Chirurgische Operationen im
Allgemeinen.
welches dicht um sie mit einem starken gewichsten Faden fest gebunden wird. Man benutzt sie um einen anhaltenden Druck auszuüben, und zwar in der Art, dass man entweder den Finger darauf setzt, oder indem man sie in Höhlen hineinpresst, um selbige zu „tamponiren". Zu letzterem Behufe ist es am Zweckmässigsten, zuerst blos das Stück Leinwand in die Höhle einzuführen, welche tamponirt werden soll, in der Art, dass es einen Sack darstellt, dessen Oeffnung dem Eingänge der Höhle entspricht. In diesen Sack stopft man dann so lange Charpie, bis ein hinreichender Druck auf die Wandungen der Höhle ausgeübt wird. h) H a a r s ei l e , setacea, selons, können aus Charpie dargestellt werden, indem man s e h r l a n g e Charpiefäden durch einen Faden in ihrer Mitte verbindet, dann an dieser Stelle umbiegt (vgl. d.) und auf solche Weise einen langen Strang verfertigt, dessen man sich bedienen kann, um Wunden und Canäle offen zu erhalten. Man kann zu diesem Zweck auch einen langen, schmalen Streifen Leinwand an seinen Rändern durch Ausziehen der Längsfäden mit Franzen versehen (Fig. 72). Gewöhnlich wird aber als Haarseil ein Stück L a m p e n d o c h t benutzt, dessen stärker reizende Einwirkung auf den Wund- oder Fistelcanal meist erwünscht ist. Vgl. „Kleine Chirurgie". G i t t e r c h a r p i e nennt man Leinwandstücke von meist quadratischer Form, aus denen man, der Länge und der Queere nach, alternirend je 5 (oder mehr) Fäden ausgezogen und stehen gelassen h a t , so dass quadratische Löcher entstehen, die durch das Gitterwerk der zurückgelassenen Fäden von einander getrennt werden. Dieselbe dient zum Verbände eiternder Flächen, Uber denen man sie ausbreitet, um dann wirre Charpie darüber zu legen. Durch Abheben der Gittercharpie kann man den ganzen Verband auf ein Mal entfernen. G e s c h a b t e C h a r p i e , charpie râpée, wird dargestellt, indem man mit einem Schabeisen oder Messer ein ausgespanntes Stück Leinwand zu einem zarten Flaum zerschabt. Dieselbe ist viel weicher, als gewöhnliche Charpie-, klebt überall, wo etwas Feuchtigkeit ist, besonders also in Wunden und an Wundrändern leicht an, liefert somit eine sehr genaue und innige Bedeckung, ist aber schwer zu entfernen. Ihre Anwendung ist nur da von Nutzen, wo der Verband in den ersten Tagen nicht gewechselt zu werden braucht.
Verbände. —
145
Charpiesurrogate.
E n g l i s c h e C h a r p i e . Die Engländer bedienen sich statt der Charpie seit langer Zeit eines baumwollenen Gewebes, „Lint" (Fig. 73), dessen eine Fläche zottig ist, wie recht grober Sammt, während die andere feiner Leinwand ähnlich sieht. Seine Anwendung ist sehr bequem; aber man kann unebene Flächen weniger leiclit damit genau bedecken, als mit gewöhnlicher Charpie oder Watte, auch lässt die dichtere Rückenseite Flüssigkeiten nicht so leicht hindurchtreten.
Fig. 73.
W a t t e . Nachdem A n d e r s o n in Amerika die Watte als Specificum gegen Verbrennungen empfohlen und L a r r e y schon im Anfange dieses Jahrhunderts bei manchen Verbänden sich derselben bedient hatte, sind von M a y o r , B u r g g r ä v e , S c h u l t e u. A. in neuerer Zeit die Vorzüge derselben gepriesen worden. Sie sollte zur Erfüllung aller Indicationen hinreichen und allen sonstigen Verband überflüssig machen, weil sie auf Wundflächen von selbst festklebe, die Entzündung in den von ihr bedeckten Theilen mässige, einer schädlichen Abkühlung durch ihr geringes Wärmeleitungsvermögen vorbeuge, einen stets gleichmässigen, elastischen Druck vermittle u. dgl. m. Diese Uebertreibungen sind von G e r d y u. A. widerlegt worden; dagegen ist allgemein anerkannt, dass sie ein leicht zu beschaffendes und bequem zu verwendendes Verbandmittel ist, welches auch zu unmittelbarer Bedeckung von Wunden und Geschwüren gebraucht werden kann. Besonders wo man grosser Massen zur Ausfüllung und zum Polstern der Verbände bedarf, ist sie ein vortreffliches Material; aber an Fähigkeit Flüssigkeiten zu absorbiren, steht sie der Charpie bedeutend nach, wenn man sie nicht zu diesem Behuf besonders präparirt. V. v. B r u n s *) empfiehlt ihr durch Maceration in Aether oder Kochen in Lauge, ihre wachsartigen Bestandtheile zu entziehen. Nach Versuchen von Z e i s * ) genügt blosses Kneten in Wasser, um der nach dem Trocknen dann fein zerzupften Watte alle Qualitäten guter Charpie zu geben. Das B r u n s ' s e h e Verfahren hat sich im Grossen bewährt. Tausende von Centnern „hygroskopischer Verbandwatte" sind im Laufe des letzten Jahrzehnts fabrikmässig hergestellt und statt Charpie verwandt worden. G e h e c h e l t e r F l a c h s und W e r g dürfen nur im Nothfalle unmittelbar auf Wunden applicirt werden, da ihre Härte zu stark reizt. Zu Ausfüllungen dagegen und zum Aufsaugen von Eiter sind sie ganz ' ) Chirurgische Heilmittellehre.
TSbingen, 1 8 6 8 , pag. 1 4 5 .
' ) Sitzungsbericht der Dresdner Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
10
1867.
146
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
brauchbar, wenngleich weniger anschmiegend und noch weniger elastisch, als Watte. Namentlich ist das durch Zerzupfen alter Schiffstaue gewonnene oder auch direct dargestellte getheerte Werg, (Theerwerg, O a k u m der Engländer), wegen seiner antiseptischen Eigenschaften empfehlenswerth. Einen bei Weitem grösseren Wirkungskreis aber hat der durch die grössere Weiche und Zartheit sowie auch durch die viel stärkere hygroskopische Beschaffenheit seiner Fasern ausgezeichnete, als „ J u t e " auch im gewöhnlichen Leben bekannte I n d i s c h e oder A r r a k a n i s c h e H a n f gewonnen. W a l d w o l l e (Lana pini silvestris), welche zum Ausstopfen von Kissen und Matratzen mehrfach angewandt ist, hat man als Surrogat der Charpie in Vorschlag gebracht. Dieselbe wirkt heftig reizend und saugt viel weniger Flüssigkeiten auf, als die gewöhnliche Charpie. S e i d e , W o l l e , der gewöhnliche B a d e s c h w a m m , F e u e r s c h w a m m , B o v i s t (Lycoperdon bovista) sind ebenfalls als Surrogate der Charpie verwandt worden. Der gewöhnliche Badeschwamm ist als P r e s s s c h w a m m (Spongia compressa) oder W a c h s s c h w a m m (Spongia cerata), indem er in trockenem, zusammengedrücktem Zustande eingeführt wird und sich, in der Feuchtigkeit aufquellend, bedeutend ausdehnt, von grossem Nutzen bei der Erweiterung von Canälen und Hötilen. Dasselbe leisten mit grösserer Vollkommenheit die in verschiedenen Formen präparirten Stücke der L a m i n a r i a d i g i t a t a . — Zum Wundverbande ist Badeschwamm wenig geeignet, da die Wundsecrete sich grade in einem Schwamm sehr schnell zersetzen. Der B o v i s t wird von Einigen als Polster für Theile, welche man comprimiren will, auch als Blutstillungsmittel benutzt. Als solches wird auch F e u e r s c h w a m r o , besonders in tiefen winkligen Wunden, wenn das Blut aus vielen kleinen Gefässen hervorquillt, mit Nutzen angewandt. Noch mehr wird in dieser Beziehung P e n g h a w a r D j a m b i (Spreublättchen von Indischem Farrnkraut) gerühmt. Compressen,
Verbandtücher,
Lintea.
C o m p r e s s e n werden aus alter, mit Lauge gewaschener und demnächst rein ausgespülter Leinwand dargestellt, oder (zumal wenn solche mangelt) auch aus anderen Stoffen, wie Flanell, Baumwollenzeuge, Gaze, Mull, und wo es auf Haltbarkeit nicht ankommt, auch aus Lint oder Watte. Letztere hat sich, nachdem das Vorurtheil, als wären Baumwollenstoflfe giftig, besiegt ist, in vielen Fällen als ein vortreffliches Surrogat der leinenen Compressen erwiesen. Wollene Compressen sind vorzüglich geeignet, um Fomentationen damit zu
Verbände.
147
—-Compressici.
machen, oder um Theile vor Erkältung zu schützen. der Compressen hat keine Schwierigkeit.
Die Anfertigung
Man schneidet, je nach Be-
dürfniss der Localität, verschieden grosse Stücke ab und faltet dieselben so oft zusammen, als es der Zweck erfordert. Nachstehende Figuren ( 7 4 — 8 4 ) zeigen die gewöhnlichen F o r m e n
der Compressen.
Fig. 7 4. Fig. 7 5 .
Longuetle. Viereckte
Compresse. Fig. 7 6 .
• B H . C o m p r e s s e in F o r m eines Fig. 77.
Halstuchs.
Fig. 7 8 .
Dreieckte C o m p r e s s e , d u r c h Zusammenlegen d e r viereckten entstanden.
Fig. 7 9 .
Halbes Malteser
Malteser
Kreuz.
Fig. 8 0 .
G e s p a l t e n e (zweiköpfige) Compresse.
Kreuz.
Fig. 8 1 .
Doppelt gespaltene (dreiköpfige) Compresse. Fig. 8 2 .
S c h l e u d e r : E i n e sehr lange Compresse, welche bis auf ein kleines Stück in der Mitte von den beiden Enden her in zwei Köpfe gespalten i s t ; das ungespaltene Stück wird zuweilen mit einer Oeffnung ( F e n s t e r ) versehen. Kann auch durch Zusammenheften des Mittelstücks zweier L o n g u e t t e n , Tücher oder Bindenstreifen hergestellt werden.
10*
148
Chirurgische Operationen im Fig. 8 3 .
Allgemeinen. Fig. 8 4 .
G r a d u i r t e C o m p r e s s e , von Oben und von der S e i t e gesehen. S i e hat eine prismatische Form und ist mit einer von zwei Seiten her aufsteigenden Treppe zu vergleichen. Um sie zu verfertigen, nähet man entweder m e h r e r e , verschieden breite und ziemlich gleich dicke C o m p r e s s e n , der Reihe nach auf einander f e s t ; oder aber man faltet eine grosse Compresse in der Art, dass die erste Falte sehr breit, die zweite weniger breit, die dritte n o c h weniger breit u. s . f. gemacht wird, w o dann, wenn diese Falten zusammengelegt werden, die letzte und s c h m ä l s t e den Gipfel der Compresse ausmacht. Begreiflicherweise kann man auch mit der s c h m ä l s t e n Falle beginnen, wo dann die zuletzt gebildete Falte zur Basis wird.
G e f e n s t e r t e C o m p r e s s e n nennt man solche, die von einer grossen Anzahl von Löchern durchbohrt sind, welche man meist in regelmässiger Anordnung mit einer Scheere, auch wohl fabrikmässig mit einem, zahlreiche Löcher auf einen Schlag ausschlagenden Locheisen darstellt. Je dichter und regelmässiger die Löcher stehen, desto mehr nähert sich die gefensterte Compresse der Gittercharpie (pag. 144), deren Zartheit sie aber niemals erreicht. Die gewöhnlichen Compressen finden in der Regel nur in Verbindung mit anderen Verbandstilcken (namentlich Binden) Anwendung und werden nicht zu mechanischen Leistungen benutzt. Grössere und stärkere Verbandtücher können aber auch zu letzteren dienen. V e r b ä n d e m i t d r e i e c k t e n o d e r v i e r e c k t e n T ü c h e r n (bandages pleins) können sogar in vielen Fällen die Bindenverbände zweckmässig ersetzen. G e r d y hat bereits 1826 auf ihre Vorzüge aufmerksam gemacht; jedoch verdanken sie ihre allgemeine Einführung erst M a y o r , welcher freilich darin etwas zu weit gegangen ist, dass er durch Verbandtücher überhaupt a l l e Binden ersetzen wollte. Unleugbare Vortheile der Verbandtücher sind: dass sie überall zu haben oder doch leicht herzustellen und leicht anzulegen sind. Dagegen darf nicht unerwähnt bleiben, dass sie oft nicht glatt liegen, dass die Knoten und Schleifen, durch welche sie befestigt werden, oft einen durch untergeschobene Compressen nicht zu verhütenden nachtheiligen Druck ausüben, und dass ihre Ränder oft so bedeutend klaffen, dass viele Nadeln oder Nähte nothwendig sind, um nachzuhelfen. Als „ N o t h v e r b a n d " sind sie, namentlich auf dem Schlachtfelde, sehr empfehlenswerth und, da sie leichter anzulegen sind, als Binden, den letzteren vorzuziehen '). ' ) In der eingehendsten und bündigsten W e i s e hat dies E s m a r c h
in seiner kleinen,
sehr empfehlenswerthen Schrift „Der erste Verband auf dem Schlachtfelde"
(Kiel,
1 8 6 9 ) , namentlich für die Verhältnisse d e s Krieges, nachgewiesen und durch e i n e auf ein dreiecktes Tuch gedruckte Abbildung
veranschaulicht.
Verbände. —
Verbandtücher.
149
Die hauptsächlichsten Tücherverbände sind folgende: 1. D i e A r m s c h l i n g e , M i t e l l a , echarpe. Um die M i t e l l a t r i a n g u l a r i s anzulegen, führt man ein dreieckt zusammengelegtes vierecktes Tuch so um den Vorderarm, dass die übereinander liegenden Zipfel am Olekranon, der gedoppelte Rand in der Nähe der Hand oder unter dieser liegen. Die Enden des Tuches werden auf der entgegengesetzten Schulter oder im Nacken zusammengeknotet; gewöhnlich führt man das zwischen dem Vorderarm und der Brust hervorkommende Ende über die entgegengesetzte, das andere Ende Uber die dem zu tragenden Vorderarm entsprechende Schulter. Seltener legt man den Arm in ein grosses vierecktes Tuch, dessen Zipfel auf der entgegengesetzten Schulter vereinigt werden, — M i t e l l a q u a d r a n g u l a r i s s. m a g n a — , oder hängt den Vorderarm in eine durch ein cravatenförinig zusammengelegtes Tuch gebildete Schlinge, die gleichfalls im Nacken geknotet wird, — M i t e l l a p a r v a . 2. D i e L e i b b i . n d e (bandage de corps, cingulum abdominis) wird dargestellt durch Zusammenlegen einer Serviette oder eines anderen Leintuchs in Form eines sehr langen Oblongum. Ein langes Handtuch oder zwei mit ihren schmalen Enden zusammengenähte Handtücher stellen eine vortreffliche Leibbinde dar. Man befestigt sie um den Bauch oder die Brust mittelst grosser Stecknadeln, — kann auch Tragbänder daran anbringen. 3. Das d r e i e c k t e K o p f t u c h (capitium triangulare) wird mit seinem Grunde bald auf der Stirn, bald auf dem Hinterhaupt angelegt und an der entgegengesetzten Seite durch Zusammenknoten seiner Zipfel befestigt. Man kann, wenn das Tuch hinreichend gross ist, die Zipfel Uber den Grund zurückführen und dort befestigen. 4. Die H a l s b i n d e (eravalé), ein nach Art einer Halsbinde zusammengelegtes Tuch, benutzt man, um am Halse, in der Gegend der Ohren, auf dem Scheitel, zwischen den Nates, am Damm, in der Achselhöhle, in der Schenkelbeuge u. s. w. andere Verbandstücke zu befestigen. Man legt die Mitte auf den kranken Theil; die Zipfel werden entweder an der andern Seite des Körpers (oder Körpertheils) zusammengeknotet, oder an einen, aus einer andern Cravate dargestellten Gürtel nach Art einer T-Binde befestigt. Aus diesen Grundformen der Tücherverbände (Verbandtücher), welche lange vor G e r d y und M a y o r bekannt waren, lassen sich eine Menge von Bandagen construiren, die man häufig mit Vortheil anwenden kann 1 ). Vgl. E s m a r c h ' s Abbildung, I . e .
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
150
Binden,
Fasciae.
B i n d e n sind lange, verhältnissmässig schmale Streifen (Bänder) von L e i n w a n d , Baumwollengewebe ( S h i r t i n g , Gaze, Mull), Flanell, Gummi o d e r Gummigewebe, welche bestimmt s i n d , a n d e r e Verbandstiicke zu befestigen oder auch an und f ü r sich einen Verband auszumachen. Leinene Binden werden entweder durch Z u s a m m e n n ä h e n langer Leinwandstreifen verfertigt, oder man benutzt dazu die käuflichen leinenen oder halbleinenen B ä n d e r , n a c h d e m dieselben durch Auswaschen ihrer Steifigkeit b e r a u b t s i n d ' ) . F l a n e l l b i n d e n werden von Laien gewöhnlich aus einzelnen Stücken zusammengenäht*). Jedoch sind die aus e i n e m S t ü c k , d u r c h Zerreissen des Flanells der L ä n g e nach, dargestellten Binden vorzuziehen, weil Nahtstellen immer einen u n a n g e n e h m e n Druck ausüben. Beim Z u s a m m e n n ä h e n a l l e r Binden ist aus diesem Grunde zu b e a c h t e n , dass die beiden E n d e n glatt übereinandergelegt u n d dann befestigt werden. Säume d ü r f e n sich aus demselben Grunde an Binden nicht vorlinden. F l a n e l l b i n d e n haben d e n , schon von L a r r e y 3 ) , besonders a b e r von D i e f f e n b a c h hervorgehobenen Vorzug, dass sie sich den Theilen genauer und leichter anschmiegen, bei gleicher Festigkeit den Druck weniger u n a n g e n e h m empfinden lassen, leichter anzulegen sind und sich weniger leicht verschieben. Dass Flanellbinden den eingewickelten Theil wärmer h a l t e n , als leinene, kann in m a n c h e n Fällen nützlich, in a n d e r n nachtheilig sein. Durch wiederholtes Waschen verlieren sie ihre Elasticität und werden schliesslich ganz u n b r a u c h b a r . Wie alle Wollengewebe sind sie dem Mottenfrass ausgesetzt. Jede Binde h a t zwei Enden, welche, wenn aufgerollt, K ö p f e heissen, der mittlere Theil heisst der G r u n d . Die Binden werden in der Regel aufgerollt, um sie w ä h r e n d des Abrollens anzulegen. Ist die ganze Binde in e i n e Rolle verwandelt, so dass also ein Kopf in der Mitte steckt u n d Fig. 8 5 .
1
n u r der andere frei ist, so nennt man die Binde e i n k ö p f i g (Fig. 85). Besteht die Binde aus zwei R o " welche durch den G r u n d zus m e n h ä n g e n , u n d von denen in ihrer Mitte einen Kopf enthält,
J Vorzüglich gewebte Binden in allen Breiten
und Langen
Fig. 86.
liefert die Fabrik von
P e t e r C a r l D i c k e in B a r m e n . 2
) Will man Flanellbinden aus einzelnen Stücken machen, so sollte man den Flanell immer „der Queere n a c h " reissen, da er in dieser Richtung grössere Elasticität besitzt.
3
Die Streifen müssen dann aber etwas breiter sein.
) Clinique chirurgicale exercée dans les cauips 1 7 9 2 jusqu'en 1 8 2 9 .
Tom. III. pag. 2 9 3 .
et les hôpitaux
militaires
depuis
Verbände. — Binden.
151
so heisst sie eine z w e i k ö p f i g e Binde (Fig. 86). Um eine Binde aufzurollen, faltet man zuerst ein Ende mehrmals zusammen, so dass es einen kleinen Cylinder darstellt, welcher als Achse bei dem ferneren Aufrollen dient. Dieser letztere wird nun mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand an seinen beiden Enden ergriffen, während der Grund der Binde Uber den äusseren Rand des Zeigelingers der linken Hand herläuft und daselbst durch den Daumen angedrückt wird. Der vierte und fünfte Finger derselben Hand halten die Binde in der Hohlhand fest (Fig. 87). Nun setzen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand den Cylinder in Bewegung, so dass er sich um seine Achse von Links nach Rechts dreht, und der Grund der Binde sich mithin um ihn aufrollt wie an einer Haspel. Manchem ist es bequemer, gerade umgekehrt die Binde Uber die rechte Hand laufen zu lassen und mit der linken sie aufzurollen. Will man eine zweiköpfige Binde darstellen, so bezeichnet man vorher die Mitte der Binde und hört mit dem Aufrollen des ersten Kopfes daselbst auf, u m , nachdem man dessen letzte Tour durch eine Nadel befestigt hat, dann den zweiten aufzurollen; selten braucht man zweiköpfige Binden mit verschieden langen Köpfen. Um grosse Mengen von Binden schnell und fest aufzuwickeln, benutzt sondere
man
be-
„Bindenroll-Masctainen?.
Binden dürfen weder allzu lang, noch allzu breit sein; eine Breite von 5 bis 9 Ctm. und eine Länge von 2 bis 10 Meter, je nach der Länge und Dicke des einzuwickelnden Theils, ist im Allgemeinen zu empfehlen. Längere Binden stellen eine zu dicke und deshalb schwer zu handhabende Rolle dar. Namentlich gilt dies für Flanellbinden. Je breiter die Binde ist, desto schwieriger ist sie genau und glatt anzulegen. Zum Einwickeln der Finger darf sie höchstens die Breite eines Fingers haben. Man legt die Binden entweder trocken oder feucht a n ; zum Anfeuchten bedient man sich fast ausschliesslich des Wassers, wenn man
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
152
nicht etwa einen antiseptischen oder einen Klebe-Verband anlegen will. Man taucht die aufgerollte Binde eine Zeit lang in lauwarmes Wasser und drückt sie kurz vor dem Anlegen kräftig aus. Feuchte Binden lassen sich leichter und genauer anlegen, als trockene. Sollen Uber den Bindenverband Begiessungen oder Fomentationen gemacht werden, so m u s s die Binde vor dem Anlegen durchnässt werden, weil sie sonst durch die Anfeuchtung nach dem Anlegen sich verkürzen und den kranken Theil einem nicht beabsichtigten Druck unterwerfen würde. Dasselbe physikalische Verhältniss gestattet umgekehrt, feuchte Binden (vorausgesetzt, dass später keine Begiessungen oder Umschläge angewandt werden sollen) etwas fester anzulegen, als man es bei trockenen dürfte, da der Druck jener mit dem Trockenwerden nachlässt. Den rechten Grad der Festigkeit zu treffen, so dass die Binde weder unangenehm drückt, noch zu lose liegt, ist nicht ganz leicht. Der Anfänger thut besser, die Binden etwas zu locker anzulegen, um sicher den übelen Folgen, welche eine zu starke Zusammenschnürung haben könnte, vorzubeugen. Namentlich darf man Gummibinden, abgesehen von den Fällen, wo eine Umschnürung beabsichtigt wird, beim Anlegen nur höchst wenig spannen, weil sie sonst, in Folge ihrer Elasticität, einen unerträglichen Druck bewirken. Dass Gummibinden durch Anfeuchtung nicht verkürzt werden, Erwähnung.
Die Erwärmung
macht 6ie etwas d e h n b a r e r , j e d o c h ,
bedarf k a u m
der
wenn s i e , wie ge-
wöhnlich, aus vulkanisirtem Gummi gemacht sind, nur in sehr geringem Grade.
Binden werden im Allgemeinen in der Richtung des venösen Blutstroms angelegt, also gewöhnlich von Unten nach Oben; beim umgekehrten Verfahren entsteht Aufstauung des Venenblutes in den peripherischen Theilen, welche doch nur ausnahmsweise beabsichtigt wird. Oft sind für das Anlegen der Binden Gehülfen nöthig, namentlich um den kranken Theil in gehöriger Lage zu erhalten. Man unterscheidet e i n f a c h e und z u s a m m e n g e s e t z t e B i n d e n - V e r b ä n d e , je nachdem nur e i n e Binde, oder aber m e h r e r e in verschiedener Richtung verlaufende Binden oder auch noch a n d e r e V e r b a n d s s t ü c k e in Anwendung gezogen werden. Wir handeln hier zunächst von den einfachen Bindenverbänden. Die Grundformen der durch e i n f a c h e B i n d e n dargestellten Verbände sind die Cirkelbinde und die Spirälbinde. Die C i r k e l b i n d e wird in folgender Weise angelegt: Man fasst eine einköpfige Binde mit Daumen und Zeigefinger, oder mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand an den beiden Enden ihrer Achse, legt die äussere Seite ihres etwa 5 Ctm. weit abgewickelten Kopfes auf den zu umwickelnden Theil und hält ihn daselbst mit der linken
Verbände.
Hand fest.
Indem
—
153
Binden.
die rechte Iland sich
nun von dieser Stelle ent-
fernt, rollt sie die Binde ab und umgeht den Körpertheil kreisförmig bis zu der Anfangsstelle zurück. eine
Cirkel- oder Kreistour,
Dies nennt
Ductus
man einen Cirkelgang,
circularis.
wird in derselben Richtung ausgeführt,
Der
nächste
Gang
so dass er den ersten
voll-
ständig deckt, wodurch der Anfang der Binde zugleich befestigt wird. Bei den weiteren Gängen Hand die r e c h t e , Hand der
unterstützt nun
die frei gewordene
und die Um Wickelung geschieht,
anderen
den Bindenknäul übergiebt.
linke
indem die
eine
Handelt es sich um
das Anlegen von Cirkeltouren, in einiger Entfernung von den KörperEnden (respective der Hand), so ist schon' bei dem ersten Gange die Hülfe der linken Hand nöthig, und die Eixirung des zuerst angelegten Binden-Endes muss dann
einem
Gehülfen
überlassen
werden.
Die
Anzahl der sich immer wieder deckenden Cirkelgänge ist willkürlich. Gewöhnlich werden die Cirkelgänge in Verbindung mit anderen Bindentouren
und
nicht für sich
allein
angewandt;
jeder
Bindenverband
aber beginnt und endet mit mindestens einem Cirkelgänge.
Das Ende
der Binde wird mit zwei Stecknadeln, deren Spitzen nicht hervorragen dürfen, befestigt. Weder die Anfangs- noch
die Endtour irgend' einer Binde darf
sich an einer kranken (verletzten) Körperstelle befinden. Die S p i r a l b i n d e , aufsteigenden Gängen, zum Theil deckt. wir a n ,
Hobelbinde, von
denen
Dolabra, besteht aus schräg
der folgende den vorhergehenden
Um eine Vorstellung
es solle eine
wickelt werden.
untere
Ein Gehülfe
von ihr zu
Extremität
geben,
nehmen
mit einer Binde einge-
hält den Euss mit der einen Hand an
der Eerse, mit der anderen Hand an den Zehen;, ein zweiter Gehülfe unterstützt den Extremität
in
unteren Theil des Oberschenkels. der- Art, dass
durchfuhren kann. des
der Wundarzt
Beide heben
die Binde frei
die
darunter
Fehlen Geholfen, so legt der Wundarzt die Ferse
einzuwickelnden
Beines
auf
sein
Das freie Ende der Binde wird am
Knie,
oder
auf
einen
Stuhl.
rechten Bein auf den äusseren,
am linken auf den inneren Knöchel gelegt; die linke Hand hält dies Ende fest, während die Binde mit der rechten schräg Uber den FussrUcken zur Fusssohle und gegen die Basis der kleinen Zehe hin geführt wird.
Dann macht man einige Cirkelgänge, führt aber weiter-
hin die Binde s o ,
dass j e d e r
einzelne Gang eine schräge Richtung
aufwärts erhält und der folgende den vorhergehenden fähr zur Hälfte deckt.
immer
unge-
So gelangt man in die Nähe der Ferse, welche
in Achtertouren umgangen werden muss,
indem man
die Binde auf
der einen Seite um den Unterschenkel nach Hinten, auf der anderen
154
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
wieder zum Fussrücken, von da zur Sohle, dann wieder zum Fussrücken und wieder um den Unterschenkel herumführt. Hier stellt sich dem Anfänger die Schwierigkeit entgegen, drei Vorsprünge mit dazwischenliegenden Vertiefungen gleichmässig zu bedecken. Dies ist, wenn es sich blos um Bedeckung handelt, allerdings ausführbar; soll aber zugleich ein Druck ausgeübt werden, so muss man Compressen oder Watte zur Ausfüllung der Vertiefungen anwenden, und, um sicher zu gehen, die einzelnen Bindentouren festkleben. Bedient man sich dieser Hülfsniittel nicht, so wird man immer eine grosse Menge von Spiraltouren in der Gegend der Ferse anhäufen müssen, dadurch, auch wider seinen Willen, einen bedeutenderen Druck an dieser Stelle ausüben, und somit zu den nur allzu häufigen Klagen Uber heftige Schmerzen in jener Gegend Veranlassung geben. Das Zusammennähen und das Befestigen der einzelnen Bindentouren mit Stecknadeln gewährt weniger Sicherheit als das Festkleben mit Kleister, Gummi, Leim u. dgl. m. Indem man mit den Spiralgängen weiter aufsteigt, geräth man an der Wade in eine neue Verlegenheit. Hier ist es nämlich, wie an jedem ungefähr konisch gestalteten Theile, unmöglich, die Gänge so anzulegen, dass sie einander hinreichend decken und doch gleichmässig und glatt anliegen. Zur Beseitigung dieser Schwierigkeit bedient man sich des „ U m s c h l a g e s " (renversé, inversio). Hierunter versteht man eine, durch plötzliches Umdrehen der Binde bewirkte Faltung derselben, bei welcher der obere Rand der Binde zum unteren und ihre äussere Fläche zur inneren wird. Um einen solchen Umschlag zu bilden, setzt man den Daumen, oder auch den zweiten und dritten Finger der linken Hand auf die zuletzt angelegte Bindentour, um diese festzuhalten und zugleich die Umschlagstelle zu bestimmen (Fig. 88). Nun wird die Binde, von der nur ein mässig Fig. 8 8 . Bildung eines Renversé a m Vorderarm.
Verbände. —
Binden.
155
langes Stück abgewickelt sein darf, ganz leicht und ohne Spannung des abgewickelten Stückes umgedreht, dann aber gespannt und, indem man sie weiter führt, mit dem Daumen der freien Hand der Umschlag glatt gestrichen. Will man [mehrere Unischläge hinter einander machen, so bildet man sie immer wieder an derselben Stelle, so dass ihre Winkel in einer Linie liegen. Da sie immer etwas stärker drücken, so verschont man mit ihnen die Gegend oberflächlich gelegener Knochen, wie das Schienbein. Weiter aufwärts steigend am Unterschenkel, geräth der Anfänger, wenn er das Knie erreicht hat, nochmals' in Verlegenheit. Um das^ selbe gleichmässig zu bedecken, müssen die Bindengänge eine strahlenförmige oder fächerartige Anordnung erhalten, so dass man die 8 oder 9 Gänge, welche nothwendig sind, um das Knie vorn zu bedecken, alle in der Mitte der Kniekehle be ginnt und dahin auch wieder zurückführt, wobei dann die untersten und die obersten Gänge zuerst, der mittelste, die Mitte der Kniescheibe deckende zuletzt gemacht und von letzterem aus dann zur weiteren 7 Einwickelung des Schenkels Ubergegangen wird ( T e s - " t u d o i n v e r s a , Fig. 89). Macht man, umgekehrt, den mittleren Gang zuerst, so entsteht die seltener anwendbare T e s t u d o r e v e r s a . Um auch den obersten Theil des Schenkels einzuwickeln, muss man die Bindengänge zuletzt vom Oberschenkel aus um das Becken führen und bei der Rückkehr zum Schenkel in der Gegend des Trochanter major kreuzen ( S p i c a f e m o r i s a s c e n d e n s ) . Mutatis mutandis gelten alle diese Vorschriften auch für die obere Extremität. Die Spica-Touren werden vom Tuberculum majus zur Achselhöhle der anderen Seite und wieder zurück geführt. Die z w e i k ö p f i g e B i n d e wird in der Art angelegt, dass man in jede Hand einen Bindenkopf nimmt, den Grund der Binde auf die hintere Fläche des zu umwickelnden Theiles legt, die Köpfe gegen einander nach Vorn führt, sobald sie sich aber begegnen, den einen über den andern wegführt, wobei der letztere immer in jedem Sinne der untere wird, und dann beide Köpfe mit e i n e r Hand festhält. Hiermit ist der erste Gang beendet, die freie Hand ergreift nun denjenigen Kopf, welchen bisher die andere Hand geführt hat, und das ganze Manöver wird wiederholt, bis die Einwickelung vollendet ist. Auch hier muss jeder folgende Gang den vorhergehenden zum Theil decken. Ein
besonders
berühmtes
Beispiel
für die zweiköpfige
Binde
156
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
F>g- 90.
liefert die M i t r a H i p p o c r a t i s (Fig. 90), welche nicht blos am Kopf, sondern auch, mutatis mutandis, an anderen Theilen, namentlich an Amputationsstümpfen, Anwendung findet. Um den Schädel damit zu bedecken, legt man die Mitte einer etwa 7 Meter langen Binde auf die Stirn und führt beide Köpfe oberhalb der Ohren zum Nacken. Dort wechselt man die Köpfe, schlägt den einen (den kleineren) um und führt ihn längs der Pfeilnaht auf die Stirn zurück. Der zweite, für die Cirkeltouren bestimmte Kopf befestigt die nach Vorn gehende Tour, welche nun etwas seitlich von der Mittellinie zurückgeht, um im Nacken abermals von der Cirkeltour befestigt zu werden. Indem man ebenso auf der anderen Seite verfährt, bedeckt man den ganzen Schädel mit von Hinten nach Vorn und von Vorn nach Hinten laufenden Bindentouren, deren Enden durch kreisförmig um Stirn, Schläfen und Nacken laufende Bindengänge befestigt sind. Legt man mehrere Bindenstreifen, hinter- und übereinander so a n , wie den ersten Gang der zweiköpfigen Binde, so entsteht eine v i e l k ö p f i g e Binde, wie sie namentlich von S c u l t e t 1 ) empfohlen und nach ihm benannt worden ist. Die a c h t z e h n k ö p f i g e B i n d e , Fig. 91, welche man lange Zeit Fig. 91.
17. Jahrhunderts Wundarzt in Ulm.
Verbände. —
Binden.
157
als den Typus der vielköpfigen Binden betrachtet hat, wird in folgender Weise hergestellt. Man legt drei gleich grosse Conipressen über einander, deren Gesammt - Breite der Länge des einzuwickelnden Theiles entspricht und deren Länge anderthalb Mal so gross ist, als der Umfang desselben. Durch zwei Schnitte spaltet man diese Conipressen von beiden Seiten her bis auf ein kleines Stück in ihrer Mitte in je drei gleiche Theile. Auf diese Weise erhält man, wenn die Compressen nun, statt über einander, hinter einander gelegt werden, auf jeder Seite neun Bindenköpfe. — Soll die a c h t z e h n k ö p f i g e Binde nach der alten Regel angelegt werden, so muss man mit den mittleren Köpfen der mittleren Compresse den Anfang machen. Darauf lässt man die oberen und dann die unteren Köpfe derselben folgen, und verfährt dann in gleicher Weise mit- den Köpfen der übrigen gespaltenen Compressen. Fig. 9 2 .
Die S c u l t e t ' s c h e Binde (Fig. 92) unterscheidet sich nur dadurch von der achtzehnköpfigen, dass die Zahl der Köpfe nicht bestimmt ist, dass die einzelnen Bindenstreifen, welche je eine zweiköpfige Binde darstellen, keinen Zusammenhang unter einander haben und dass die Bindenstreifen schmaler sind, — am Besten zwei bis drei Finger breit. Man hat die Uebereinstimmung dadurch noch grösser; gemacht •, dass man die Mittelstücke der S c u l t e t ' s c h e n Bindenstreifen, ¿nachdem sie dachziegelförmig Uber einander gelegt w a r e n , zusammennähte (vgl. Fig. 92), was jedoch nicht in allen Fällen nützlich ist. Der oberste Bin den streifen wird zuerst auf ein Brett oder ein grösseres Tuch, mit dessen Hülfe nachher der ganze Verband untergeschoben werden soll, ausgebreitet, der zweite wird diesem parallel so gelegt, dass er denselben mit zwei Dritttheilen seiner Breite deckt; der dritte deckt in gleicher Weise den zweiten u. s. f. Der letzte entspricht dem untersten Stück des einzuwickelnden Theiles. Dieser wird zuerst angelegt, so
158
Chirurgische Operationen
im
Allgemeinen.
dass der Grund der kleinen zweiköpfigen Binde an der hinteren Seite des Gliedes liegt und die beiden Köpfe sich an der vorderen Seite kreuzen. Die beiden Köpfe des nächstfolgenden Bindenstreifens bedecken und fixiren zugleich die Köpfe des vorhergehenden. Ein Gehülfe hält den einen Kopf des untersten Bindenstreifens, während der Wundarzt den anderen um die äussere und vordere Seite des Gliedes herum zur inneren und hinteren Seite führt. Hierauf legt er in entgegengesetzter Richtung den vom Gehülfen gehaltenen Kopf an, der seinerseits wieder durch den ersten Kopf des nächstfolgenden Streifens gedeckt und befestigt wird. Es sichert die Wirkung des Verbandes, wenn man den zuletzt angelegten Kopf eines jeden Bindenstreifens durch einen Gehülfen so lange anspannen lässt, bis er durch die ihn überdachenden Köpfe der nächsten Binde befestigt worden ist. Das Anlegen dieser Binde ist sehr leicht und gewährt den grossen Vorzug, dass die kranke Extremität, sobald die Bindenstreifen unter dieselbe geschoben sind (wozu nur eine leichte Erhebung nöthig ist), während der Anlegung des Verbandes vollkommen ruhig liegen kann, wogegen sie bei der Anwendung einer Rollbinde, so lange die Einwickelung dauert, von Gehülfen frei schwebend gehalten werden muss, wobei ungeschickte Handhabung leicht zu Schmerzen und nachtheiligen Verschiebungen Veranlassung giebt. Fig. 9 3 .
Zu den vielköpfigen Binden gehört auch der G a l e n i s c h e V e r b a n d für den Kopf (Fig. 93), eine sechsköpfige Binde, zu deren Darstellung man ein längliches Viereck von Leinwand der Länge nach so spaltet, dass a n j e d e r S e i t e drei Köpfe gebildet werden , die durch ein mit den Köpfen gleich breites MittelstUck in Zusammenhang bleiben. Dieses wird auf den Scheitel gelegt, der mittlere Kopf von beiden Seiten um das Kinn geschlungen, so dass ein Ende das andere deckt, worauf man sie in der Gegend des Ohres durch Nadeln oder
Nähte an einander befestigt; die beiden vorderen Köpfe werden um das Hinterhaupt, die hinteren um die Stirn gelegt und in der Schläfengegend an einander befestigt.
Verbände. — Zusammengesetzte
Verbände.
—
Kapsel-
Immobilisirende
Bei
vielen
Verbänden
159
Kapsel- u. Klebe-Verbände.
werden
und Klebe-Verbände.
—
Verbände.
Charpie,
Watte
(oder
andere
Polster), verschiedene Binden, Compressen, Longuetten und Verbandtiicher zugleich in Gebrauch gezogen. Als schreiben
ein
berühmtes
Beispiel
wir die ursprünglich
für
zusammengesetzte
zur Behandlung
Bindenverbände
be-
der Muskeln,
Zer-
von Querwunden
reissung von Sehnen u. dgl. m. angegebene „ V e r e i n i g e n d e
Binde"
(Fig. 9 4 ) .
Fig. 9 4 .
Nehmen
wir
an,
es
handle sich
am
Oberschenkel
um
eine
Querwunde
von
1 0 Centim. Länge, so bedarf man zwei Compressen, welche 1 0 Centim. breit sind und ungefähr die Länge des Oberschenkels haben; die eine wird in vier Streifen an der anderen werden eben so viele Spaltöffnungen
angebracht.
gespalten,
Diese beiden
Com-
pressen werden nach der Längenrichtung des Gliedes angelegt, so dass das gespaltene Ende der einen und die Oeffhungen der anderen kommen, und durch zwei Kollbinden
in die Gegend der Wunde zu liegen
in der Art befestigt,
Enden zwischen zwei Bindentouren eingeklemmt werden.
dass
ihre
Alsdann
umgeschlagenen
ergreift der Wund-
arzt die durch die Spalten hindurchgezogenen Streifen mit der einen Hand, die andere Compresse dagegen,
in welcher sich die Oeffnungen befinden, mit der anderen Hand,
zieht beide kräftig an, so dass dadurch die Wundränder in Berührung gebracht werden, und
lässt hierauf die bisher
von
ihm
gehaltenen Enden
der Compressen von einem
Gehülfen mittelst des noch übrigen Theils der beiden Binden befestigen.
Häufig werden in den Verband auch noch S c h i e n e n , und K a p s e l n aus Pappe, Holz, Blech, Draht, Leder, u. dgl. m., eingefügt,
um die ruhige Lage
Rinnen
Gutta-Percha
des Theils in einer
be-
stimmten Stellung zu sichern, und jede Bewegung zu verhüten, d. h. einen i m m o b i l i s i r e n d e n würden
die gewöhnlichen
Verband
herzustellen.
Binden nicht gewachsen
Dieser Aufgabe sein,
sobald
es
160
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
sich darum bandelt einem irgend erheblichen Muskelzuge Widerstand zu leisten. Daher finden denn die genannten Verbandstiicke hauptsächlich ihre Anwendung: 1) bei der Behandlung von K n o c h e n b r ü c b e n und K n o c h e n w u n d e n , um die „ R e t e n t i o n " zu bewirken, d. h. um die Knochenstucke, welche nach Unterbrechung der Continuität des Knochens, durch die Muskeln verschoben werden, in der richtigen Lage zu erhalten; 2) bei G e l e n k - E n t z ü n d u n g e n , um die für den Verlauf derselben nachtheiligen willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen zu verhüten; 3) bei V e r r e n k u n g e n und D e f o r m i t ä t e n d e r G e l e n k e , um die Gelenk-Knden der Knochen, nach erfolgter Einrenkung oder Gradrichtung, so lange in angemessener Stellung fest zu halten, bis die zerrissenen Gelenkbänder wieder geheilt oder die erwünschten Formverhältnisse anderweitig gesichert sind; 4) nach R e s e c t i o n e n von Knochen, vgl. Bd. IV. Die S c h i e n e n , ferulae, atelles, Fig. 95 u. 96, Fig. 9 5 . Fig. 9 6 . verhindern die Bewegungen der Gelenke oder der abnorm beweglichen Bruchstücke entweder durch ihre Starrheit direct, oder aber dadurch, dass sie die beiden Enden des Gliedes in entgegengesetzten Richtungen ausgespannt erhalten „in permanenter Extension". In dem ersten Falle werden die Schienen an der kranken Extremität, nach gehöriger Polsterung, durch Binden oder Verbandtücher befestigt; ihre Länge braucht diejenige des zu immobilisirenden Gliedes nicht zu überragen, meist nicht einmal zu erreichen, — daher „kurze Schienen". In dem zweiten Falle dagegen muss die Extremität einmal in der Nähe des Rumpfes und zweitens in der Nähe ihres unteren Endes an der Schiene befestigt werden, und letztere muss, um die beabsichtigte Spannung zu bewirken, erheblich länger sein, als die Extremität, — sogen, „lange Schienen", an denen sich dann auch Vorrichtungen zur Befestigung der spannenden Binden und Gurte finden, wie z. B. die Ausschnitte in Fig. 96. Statt der kurzen Schienen wandte man früher — zuletzt noch L a r r e y — oft die sogen. S t r o h l a d e n (thoruli straminei, fanons) an, — Cylinder, die aus einem dick mit Stroh umwickelten Stabe oder auch blos aus glattgelegtem Stroh, welches in Form eines Cylinders durch einen umgewickelten Faden (Fig. 97) zusammen gehalten wird, bestehen. F a l s c h e S t r o h l a d e (Fig. 98) nennt man ein Leintuch, welches von den beiden Enden her in der Weise gegen die Mitte
I
Kapsel- lind Klebe-VprbäniV.
Fig- 97. aufgerollt ist, dass das gebrochene Glied von den dadurch gebildeten und durch das Mittelstück des Tuches in Verbindung stehenden Rollen von beiden Seiten genau umfasst wird. Letztere werden auch durch Stäbe oder Schienen, um welche man sie aufrollt, verstärkt.
161 Fig. 98.
Schienen sowohl als Strohladen können nicht blos durch die bereits beschriebenen Binden und Verbandtücher befestigt werden, sondern auch durch Bandschlingen. Um eine solche zu bilden, wird ein entsprechend langes Stück Band gedoppelt unter dem zu umschnürenden Verbände hindurchgeführt, so dass die Schlinge (der Klang) auf der einen, die beiden (gleich langen) freien Enden auf der anderen Seite liegen; dann zieht man das eine Ende durch die Schlinge, spannt beide Enden bis zu dem entsprechenden Grade und knotet sie in eine Schleife zusammen, die man leicht wieder lösen kann, um nöthigen Falls eine stärkere oder schwächere Spannung herbeizuführen. Gewähren nun gleich diese B a n d s c h l i n g e n sowie auch der S c u l t e t ' s c h e Verband die Möglichkeit, locker gewordene Verbände ohne erhebliche Bewegung des kranken Theils wieder wirksam zu machen, so reicht dies doch auf die Dauer nicht aus. Von Zeit zu Zeit, meist schon nach wenigen Tagen, muss der ganze Verband erneuert werden, was ohne nachtheilige Bewegungen des Gliedes unmöglich ist. Diesem Uebelstande hat man durch die Anwendung möglichst genau passender R i n n e n und K a p s e l n (sogen. B e i n l a d e n ) abzuhelfen gesucht. Aber diese Hülfe blieb unvollkommen bis man auf den Gedanken k a m , eine, der kranken Extremität sich vollständig anschmiegende Kapsel in der Weise darzustellen, dass man den aus verschiedenen Stücken in geeigneter Art zusammengesetzten Verband durch Klebemittel in ein Stück verschmolz. Solche Verbände hat man im Allgemeinen „ u n v e r r ü c k b a r e " , p e r m a n e n t e , auch K l e b e - V e r b ä n d e genannt u n d , je nach der Art des Klebestoffes, als K l e i s t e r - (oder P a p p - ) , G u t t a - P e r c h a - , G y p s - V e r b ä n d e u. s. f. bezeichnet, Versuche der Art scheinen schon im Alterthum, namentlich von den Arabern und Egyptern gemacht worden zu sein. Von Egypten ausB i rbrachte deleben, L Chirurgie. a r r e y , 8. der Aufl. I. die Napoleonische Expedition 11 dahin als
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
162
General-Arzt begleitete, im Anfange des jetzigen J a h r h u n d e r t s , diese Idee mit nach Frankreich, wo bis dahin n u r L e d r a n einen Versuch der Art (und zwar ohne allen Erfolg bei seinen Zeitgenossen), etwa 6 0 Jahre vorher, gemacht hatte. L a r r e y 1 ) bedeckte das in Extension versetzte Glied mit dicken Compressen, die in eine aus Eiweiss, Kampherspiritus und Bleiessig zusammengesetzte Flüssigkeit getaucht w a r e n , befestigte diese mit der achtzehnköpfigen Binde und fügte ausserdem Strohladen hinzu. Der ganze Verband wurde dann mit der gedachten Flüssigkeit getränkt und stellte, naehdem er getrocknet war, ein das Glied genau umschliessendes, allerdings festes, aber auch sehr schwerfälliges Mauerwerk dar, welches dem Kranken Bewegungen vorzunehmen nicht gestattete. Dieser Verband hat eben so wenig Beifall und Eingang gefunden, wie das den Arabern durch E a t o n abgesehene, besonders von K l u g e und D i e f f e n b a c h a ) empfohlene E i n g i e s s e n i n G y p s , nach vorgängiger Einwicklung oder doch Einölung des Gliedes. D e l a c r o i x 3 ) hat dasselbe, sowie auch den Gebrauch der Steinpappe, genaueren Untersuchungen unterworfen und zweckmässigere Methoden dafür aufgestellt, ohne jedoch praktische Erfolge zu erzielen. Aus einer Verbindung von Gyps und Binden Stellte D i e f f e n b a c h einen Klumpfuss-Verband dar, ganz in der Weise, wie jetzt der Gypsverband zu den mannigfaltigsten Zwecken, namentlich auch bei Rnochenbrüchen, angelegt wird, ohne jedoch die grossen Vorzüge dieses Verbandes zu erkennen 4 ). Eine allgemeinere Einführung in die chirurgische Therapie ist dem p e r m a n e n t e n V e r b ä n d e erst durch die Bemühungen von S e u l i n 5 ) zu Theil geworden. Der von ihm erfundene K l e i s t e r - V e r b a n d wird in folgender Weise angelegt. ' ) S u r une nouvelle manière de reduire et de traiter les fractures etc. im Journal complément., 1 8 2 4 , pag. 1 9 6 , und Traitement des fractures par l'appareil inamovible. 2
1832. 3
Paris
1832.
) Vgl. A. L. R i c h t e r ,
Abhandl. aus d. Gebiete d. pract. Med. u. Cbir.,
Berlin
p. 1.
) Thèses de la Faculté de Paris 1 8 3 7 .
4
.) Es ist merkwürdig genug,
dass
Fio. 2 5 .
dem genialen
Dieffenbach,
der
sich Jahre
lang vorher mit der G y p s i i n f u s i o hei Knochenbrüchen abgemüht b a t t e , entgehen konnte, welche Bedeutung f ü r die ganze chirurgische Therapie der GypsBinden-Verband erlangen musste, welchen er selbst nur bei klumpfüssigen Kindern anwandte. Muskeln, 6
Vgl. D i e f f e n b a c h , Berlin 1 8 4 3 ,
über
die
Durchschneidung
der Sehnen
und
pag. 9 0 .
) Du bandage amidonné etc.
Bruxelles 1 8 4 0 .
S e u t i n u. s. w., Mannheim 1 8 4 0 .
Frech,
der Pappverband
nach
S e u t i n , Traité de la méthode amovo-inamo-
vible, Mémoires de l'Académie de médecine belge.
Fase. I. T. II.
Kleister-Verband.
163
Das Glied wird mittelst zweier Lagen des S c u l t e t ' s c h e n Verbandes oder auch mit einer Rollbinde (am Besten von Flanell) eingewickelt; auf die zweite Bindenschicht wird mittelst eines Pinsels oder mit der Hand eine dicke Schicht Kleister gestrichen. Die Vertiefungen an der Extremität und die nächsten Umgebungen der Knochenvorsprünge werden mit Watte, Compressen oder Charpie ausgefüllt. Darüber legt man die, der Gestalt des Gliedes entsprechend, zugeschnittenen Pappschienen, welche vorher an ihren Rändern eingerissen, in warmem Wasser erweicht und mit Kleister bestrichen sind, und befestigt diese durch mehrere Schichten gekleisterter Binden. Dieser Verband gewährt, so lange er noch feucht ist, mithin Kleister und Pappe noch nicht fest und starr geworden sind, gar keine Sicherheit. Man muss daher entweder durch interimistisch Uber den Verband zu legende feste Schienen, zu denen man auch einen alten erhärteten und gespaltenen Kleisterverband benutzen kann, oder durch einen darüber gelegten Gypsverband, oder endlich durch permanente Extension, die erforderliche Lage und Haltung des Gliedes so lange sicher stellen, bis der Kleisterverband getrocknet ist. Dies dauert etwa 3 bis 5 Tage. Um das Trocknen zu befördern, hat man den Rath gegeben, die Sonnenstrahlen oder einen gut geheizten Ofen zu benutzen. Beides hat seine Schattenseiten und Schwierigkeiten. Einfacher gelangt man zum Ziele, wenn man einen mit heissem Sande gefüllten Sack unter und einen gleichen Uber das vom Kleisterverband umhüllte Glied legt und diese wechselt, sobald sie erkalten. Statt Baudens
des
gewöhnlichen
Stärkekleisters
eine G u m m i l ö s u n g
bat
angewandt.
Velpeau
eine
Dextrinlösung,
In F ä l l e n , wo es sieb um
schnelles Trocknen des Verbandes bandelte und der Kostenpunkt nicht in k ä m e , könnte man auch
Collodium
anwenden.
Sehr
möglichst Betracht
schnell erstarrt ferner
das
W a s s e r g l a s , mit welchem man auch ohne Pappschienen sehr feste und leichte Verb ä n d e erhält.
Vgl. pag. 1 7 0 .
Andere Verbesserungen des S e u t i n ' s c h e n Verbandes hat
m a n bald durch Abänderung der Reihenfolge seiner Schichten, bald auch durch A n n e n d u n g anderweitiger Verbandmaterialien
zu erzielen gesucht.
So hat L a u g i e r
z. B.
statt
der Binden Streifen von dickem Packpapier empfohlen, welche, in mehrfachen Schichten nach Art des S c u l t e t ' s c h e n Verbandes um die Extremität gelegt und durch Kleister befestigt, die Schienen überflüssig machen sollen. Man k a n n , j e nach Bedürfniss, unzählige Modificationeu bei Kleisterverbandes anbringen.
weichen n i c h t gekleisterten Binde umgeben hinreichender Ausdehnung umfassen vollkommen befestige.
der Anlegung des
Wesentlich ist nur, dass die Extremität zuerst mit einer werde,
dass die Schienen das Glied in
und dass die äussere Bindenschicht die Schienen
Von den ursprünglichen Vorschriften S e u t i n ' s kann man sich
o h n e Schaden so weit entfernen, dass man die Extremität zunächst mit einer Flanellbinde umwickelt, dann ein das ganze Glied umfassendes in warmem Wasser vollkommen erweichtes u n d mit Kleister bestrichenes Stück
Pappdeckel
darum legt a n d dies mit
einer Rollbinde genau befestigt.
11*
164
C.hinirgisc'hf Oprralionen im Allgemeinen
Fig. 99.
Fig. 100.
Kleister-Verband. — Fig. 9 9 ,
100,
102
101,
m é t h o d e amovo-inamovible
und
Guttapercha-Verband.
165
103 (aus S e u t i n ' s Traité de la
in den Mémoires de l'Académie de médecine
belge, fasc. I. tom. II.) geben eine vollständige Darstellung des Kleisterverbandes iü seiner Anwendung auf den Unterschenkel. tieferen Schichten des Verbandes und die
letzten
Bindenschichten
fehlen noch.
Bei a ist ein
gedeutet, welches in Figur 101 geöffnet ist. daselbst
befindliche Wunde besichtigen
könoen.
Fig. 99 ist
Fig. 99 zeigt die
die bereits angelegten Schienen ; Fensler
an-
Es bat den Zweck,
eine
und entsprechend verbinden
der sogen. Compressimèlre
Seutin's
zu
angedeutet,
ein schmales Band, welches an der vorderen Seite des Beins unter dem Verbände
liegt und
der
Grad
der
Kichtung dieses
aus dessen grosserer oder geringerer
der Festigkeit
des Verbandes erschlossen
Bandes
soll
dann
auch
Beweglichkeit
werden
die S p a l t u n g
soll.
In
des Verbandes,
in Fig. 9 9 angedeutet und in Fig. 1 0 0 ausgeführt ist, stattfinden.
welche
In Fig. 100 ist die
innere Hälfte der durch den Kleisterverband dargestellten Kapsel zurückgeklappt, Fig. 101 aber, mit Ausnahme des Fensters bei a, wieder an das Bein angelegt und unter Hinzufügung der schwarz gezeichneten äusseren Hiilfsschienen mittelst zweier Riemen befestigt.
Fig. 102 stellt diese Schienen dar, und zwar a die hintere, b, c die seitlichen,
welche übrigens in derselben oder a u c h in beliebig anderer Form innerhalb des Verbandes selbst zur Anwendung kommen.
Endlich zeigt Fig. 1 0 3 die Art, in welcher die
seitlichen Schienen die Fusssoble umfassen müssen.
Der besonders durch U y t t e r h o e v e n ' ) in ausgedehntester Weise empfohlene und
angewandte
Gutta-Percha-Verband
Princip durchaus mit dem Kleisterverbande Uberein.
stimmt
im
Die Gutt,a-Percha,
ein bei gewöhnlicher Temperatur festes und selbst in Tafeln von nur 5 Millim. Dicke wenig biegsames, chemischen Agentien in hohem Grade widerstehendes Harz, erweicht in siedendem Wasser so vollkommen, dass man ihr jede beliebige Form ertheilen kann.
Mit leichter Mühe
kann man ein Blatt derselben von 1 Ctm. Dicke, wie man es käuflich erhält, erweichen, auf einem nassen Brett unter das gebrochene Glied schieben und dieses in beliebiger Ausdehnung genau und fest damit einhüllen.
Die einander berührenden Flächen und Ränder der Gutta-
Percha-Tafel
kleben,
wenn
sie vollständig erweicht war, zusammen.
Damit die Extremität gleichmässig mit dem Gutta-Percha-Panzer bekleidet werde, umwickelt man die angelegte Tafel, während Gehülfen das Glied in entsprechender Weise fixiren, mit einer in kaltes Wasser getauchten Rollbinde, welche nach der in wenigen Minuten eintretenden Erstarrung der Gutta-Percha wieder entfernt wird.
Die Gutta-
percha vertritt, sobald sie erstarrt ist, Schienen und Binden zugleich. Die sonst erspriessliche Eigenschaft dieses Verbandmaterials, während der Erweichung an Flächen, welche nicht nass und nicht fettig sind, festzukleben,
macht sich
am nackten Körper unangenehm
geltend.
Man muss deshalb den Theil, auf welchen der Gutta-Percha-Verband Journal de médecine de Bruxelles, 1 8 5 1 .
166
Chirurgische O p e r a t i o n e n .im
Allgemeinen.
angewandt werden soll, vorher mit Oel bestreichen, oder (bei empfindlichen Personen) mit einer Binde umgeben. Vertiefungen werden, wie beim Kleister-Verbände, durch Polster ausgefüllt 1 ). Sehr zweckmässig hat B. v. L a n g e n b e c k den Gutta-PerchaVerband mit dem Kleister-Verbände combinirt, indem er, statt aufgeweichter Pappe, entsprechend zugeschnittene und erweichte Stücke von Gutta-Percha als Schienen verwendete und diese durch eine mit Kleister getränkte Bollbinde genau befestigte. Da die Gutta-Percha hierbei sofort abgekühlt wird und daher erstarrt, so wird dem wesentlichen Uebelstande des Kleister-Verbandes, erst nach mehreren Tagen fest zu werden, auf diese Weise abgeholfen. Alle übrigen Arten des permanenten Verbandes hat aber der von dem holländischen Wundarzte M a t h v s e n angegebene, namentlich durch die Bemühungen von v a n d e L o o schnell verbreitete G y p s B i n d e n - V e r b a n d ( j e t z t gewöhnlich G y p s - V e r b a n d schlechtweg genannt) bei Weitem überflügelt 2 ). Derselbe erfüllt vollkommen das von S e u t i n für die Verbesserung des Kleister-Verbandes aufgestellte Desiderat, unmittelbar nach der Anlegung zu erstarren, so dass die gehörig reducirten Theile in allen Fällen, wo durch Verbände der Art Uberhaupt etwas geleistet werden kann, vor Verschiebung bewahrt werden. Nach der ursprünglichen Angabe von M a t h y s e n soll der GypsVerband mit Binden oder anderweitigen Verbandstücken angelegt werden, die vorher mit gebranntem Gyps imprägnirt sind. Während des Anlegens werden sie befeuchtet, wobei dann der Gyps schnell Wasser ') U l r i c h
(Gutta-Percha-Verbünde
bei
KDOchenbriichen.
Zeitschr. d. k. k. Gesell-
s c h a f t d e r Aerzte zu W i e n , 1 8 5 5 ) empfiehlt, s t a t t der Erweichung d u r c h chemische
Auflösungsmittel
anzuwenden,
Theile des Verbandes mit e i n a n d e r zu 2
) Mathysen
es sich
darum
handelt,
Aufsätze
„Nieuwe
wyze van a a n w e n d i n g
b e e n b r e u c k e n " , Haarlem 1 8 5 2 . zuerst v a n
Hitze,
einzelne
verbinden.
beschrieb diesen Verband z u e r s t in e i n e m , der belgischen
überreichten
1853).
wo
van
het
Akademie
gips-verband
by
Den u n g e r e c h t e n Angriffen gegen denselben t r a t
d e L o o entgegen (Note a n die belgische Société des sc. mèdie, etc.
Von
Gipsverband,
Demselben z. Th. in
sind
dann
eine ganze Reihe
f r a n z ö s i s c h e r , z. Th.
von S c h r i f t e n
in d e u t s c h e r S p r a c h e
über
den
erschienen.
In Betreff d i e s e r sowie d e r zahlreichen anderweitigen Beschreibungen dieses Verbandes
u n d Abbandlungen
in C a n s t a t t ' s Verband,
mit
über
denselben
muss
ich theils auf meine R e f e r a t e
J a h r e s b e r i c h t verweisen, theils auf S z y m a n o w s k i , besonderer
Berücksichtigung
bildungen,
St. P e t e r s b u r g 1 8 5 7 .
historische
Uebersicht
über
In
der
Militair-Chirurgie",
dieser Schrift
die p e r m a n e n t e n
findet sich a u c h eine gute
Verbände.
Tbeil w e r d e n wir s p ä t e r bei den , K n o c h e n b r ü c h e n "
„ D e r Gypsm i t 5 0 Ab-
Auf
ihren
zu verweisen
speciellen
haben.
167
Gyps-Verbani).
anzieht, mit ihm die bekannte chemische Verbindung eingeht und zu einer unlöslichen Masse erstarrt, durch welche die angewandten Verbandstücke
auf's
Genaueste
unter
einander
verklebt werden.
Das
Gyps-Pulver wird, nach M a t h v s e n ' s Vorschrift, mit der Hand kräftig in einen porösen Stoff (gleichgültig, ob leinenes, baumwollenes oder wollenes Gewebe) auf beiden Seiten eingerieben, aus dem man dann, je nach Bedürfniss, die geeigneten Verbandstücke ausschneidet.
Das
Glied
um-
soll
wickelt
zunächst
mit
einer
gewöhnlichen
weichen
Binde
oder mit Watte umhüllt werden, so dass es also von den
Gyps-Binden
nicht unmittelbar berührt wird.
Mathyseu
stellte vier verschiedene Arten
auf, unter denen
des Gyps-Verbandes
m a n , j e nach der Art und Localität des Leidens,
wählen sollte: 1) V e r b a n d m i t R o l l b i n d e n , die in vielfachen Touren, welche einander zu Dreiviertel und mehr decken, angelegt werden.
W o bei
einem gewöhnlichen Verbände ein Renversé gemacht werden müsste, durchschneidet
man
die Binde
und setzt auf's Neue an.
Wo Uber
einer Wunde eine Oeffnung (Fenster) bleiben soll, durchschneidet man die Binde gleichfalls in der Nähe des einen Wundrandes und beginnt am
anderen Wundrande
eine
neue T o u r ,
deren Anfang
nur kurze
Zeit fixirt zu werden braucht, um fest zu kleben. 2)
Verband
mit
Scultet'schen
Bindenstreifen,
mehrfachen Schichten im Voraus geordnet,
die in
in der pag. 1 5 6 u. f. be-
schriebenen Weise angelegt werden. 3) D e r z w e i k l a p p i g e V e r b a n d kann in zweierlei Weise hergestellt werden: a ) Mit S c u l t e t ' s c h e n Bindenstreifen, die theils circulär das Glied umfassen,
theils der Länge n a c h ,
wie Compressen,
auf dasselbe in
der Art aufgelegt werden, dass sie es bis auf einen zwei Finger breiten Raum an
der vorderen Seite völlig
bedecken.
Man legt zuerst
gewöhnliche Bindenstreifen an, dann mehrere eingegypste Längsstreifen (Compressen), endlich die circulären Gyps-Streifen.
Nachdem der Ver-
band erstarrt ist, kann er leicht in der Richtung des von den Compressen
frei gelassenen Raumes
gespalten werden,
so dass er sich
dann aus einander klappen lässt. b) Statt der nach pressen
der Länge
schaltet man zwischen
des Gliedes anzulegenden
Com-
die S c u l t e t ' s c h e n Streifen zwei mit
Gyps imprägnirte Stücke eines dicken, wollenen Stoffes (Flanell oder dgl.) ein, deren jedes fasst.
die Hälfte des Umfanges
Die Durchschneidung
des Verbandes an
der Extremität der Stelle,
um-
wo jene
beiden Stücke an einander stossen, zerlegt ihn in zwei Schaalen.
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
168
4) Der C a t a p l a s m a - V e r b a n d
unterscheidet sich von dem zu-
letzt e r w ä h n t e n dadurch, dass nur e i n S t ü c k dicken F l a n e l l s , auf dBr äusseren
Seite
mit Gyps
mit S c u l t e t ' s c h e n
imprägnirt,
um
die
Extremität
gelegt
und
sind
bald,
Binden befestigt wird.
Modificationen
des
Gyps-Binden-Verbandes
n a c h d e m er sich mit w u n d e r b a r e r Schnelligkeit Uber die ganze civilisirte W e l t verbreitet h a t t e , zahl
vorgenommen
von
worden.
verschiedenen Seiten in grosser An-
Dieselben
beziehen
sich
theils auf die
F o r m , das Material und die Art der Anlegung der B i n d e n und Compresser
theils a u f die Art der Verbindung des Gypses mit
theils a u f die Mischung des Gypses mit anderen
denselben,
Substanzen.
In Betreff der Binden hat sich herausgestellt, dass es gleichgültig ist,
a u s welchem Stoß' sie geschnitten
gewendet werden.
Binden
meinen den Vorzug
und in welcher F o r m sie a n -
aus p o r ö s e m
wegen
Zeug verdienen im Allge-
des s c h n e l l e r e n E i n d r i n g e n s
des Gypses,
sowie a u c h wegen der leichten Handhabung und des geringeren Preises.
J e m e h r in d e m
wiegt, Binden
desto
Verbände
dauerhafter
allen
anderen
Kleidungsstücke
ist
vor.
und Lappen
der Gyps er.
die G e w e b e
Deshalb
Man kann
alte
Gardinen,
j e d e r Art benutzen
über-
zieht m a n
Gaze-
auch
(Pirogoff).
alte Den
Gyps t r o c k e n einzureiben und dann erst aus dem imprägnirten Stoffe Binden zu s c h n e i d e n ,
ist,
sofern man dies nicht Gehülfen Uberlassen
k a n n , eine u m s t ä n d l i c h e und sehr u n a n g e n e h m e , bei l ä n g e r e r des G y p s s t a u b e s w e g e n , sogar ungesunde Arbeit.
Dauer,
E i n f a c h e r ist es s c h o n ,
wenn man das Gyps-Pulver in die s c h o n fertigen Binden einreibt und diese
dann lose
aufrollt
(Grimm
a b e r ist das A u f s t r e i c h e n bandes
von
die b e r e i t s
einem
und
Jüngken),
des w ä h r e n d
Gehülfen
angerührten
angelegten Bindentouren
oder mit einem grossen Pinsel ').
noch
des A n l e g e n
bequemer des
Gypsbreies
Verauf
mit der Hand, einer Kelle
B e d i e n t m a n sich der Rollbinde, so
m a c h t m a n weder R e n v e r s é s , noch schneidet man an deren Stelle die Binde a b (wie M a t t h y s e n vorschrieb, s. pag. 1 6 7 ) , s o n d e r n m a n bildet absichtlich grosse B i n d e n b ä u s c h e , welche b e i m Aufstreichen des Gypsbreis gefüllt werden.
Will man S c u l t e t ' s c h e B i n d e n - S t r e i f e n
anwen-
den, so lässt man diese unmittelbar v o r h e r mit Gvpsbrei t r ä n k e n bestreichen. ( A d e l m a n n ]
und
und
Szymanowski).
) In dieser Weise ist der Gyps-Verband wahrscheinlich von Vielen zugleich modifie n t worden ; wenigstens batte ich mich dieses Verfahrens bereits vielfach bedient, als die Beschreibung desselben nach den Erfahrungen von P i r o g o f f veröffentlicht wurde. Gerade diese Art der Anwendung von Gyps-Lösungen zur B e festigung von Bioden ist übrigens bereits von D i e f f e n b a c h beschrieben worden. Vgl. pag. 1 6 2 , Note 4 .
Gyps-Verband.
169
Das für viele Fälle ü b e r a u s zweckmässige „ G y p s - C a t a p l a s m a " lässt sich viel einfacher u n d schneller herstellen, indem man auf ein grosses Tuch (Handtuch oder dgl.) Gypsbrei in dicker Lage aufstreicht, dasselbe dann zusammenschlägt und um das Glied, welches festgestellt werden soll, mit einer Binde (atn Besten einer Flanellbinde) befestigt, welche nach der E r s t a r r u n g . des Gypses wieder abgenommen wird. Man kann in dieser Weise auch einen z w e i k l a p p i g e n G y p s v e r b a n d herstellen, indem man zwei Handtücher der Länge nach in ihrer Mitte mit zwei Nahtreihen zusammennäht (von jedem also durch die Naht in der Mitte einen Längsstreifen absteppt), in jeden d e r auf solche Weise gebildeten beiden (weit offenen) Säcke Gypsbrei einfüllt und die Extremität dann so darauf l e g t , dass die Naht als Charnierstelle nach Hinten kommt, während zu beiden Seiten die mit Gypsbrei gefüllten Handtücher emporgeklappt werden. Mischt man zu dem Gypsbrei Kleister, Leim oder ähnliche klebrige S u b s t a n z e n , so wird dadurch die E r s t a r r u n g erheblich verzög e r t , was in manchen Fällen von Vortheil sein kann ( P i r o g o f f , P e l i k a n ) . Durch Anrühren mit heissem Wasser, auch durch Zusatz von Alaun wird die E r s t a r r u n g beschleunigt. F ü r die Haltbarkeit des Verbandes, namentlich zur Verhütung des Abbröckeins, ist es von grosser Bedeutung, dass seine Oberfläche völlig geglättet, förmlich „ p o l i r t " w e r d e , was sich am Besten beim Beginne der E r s t a r r u n g (den man an der deutlichen, oft bis zur D a m p f b i l d u n g gesteigerten T e m p e r a t u r - E r h ö h u n g leicht erkennt) mit der angefeuchteten Hand bewirken lässt. Um die Widerstandsfähigkeit des G y p s - V e r b a n d e s gegen Flüssigkeiten zu erhöhen, kann man ihn, nach vollständiger Austrocknung, in d e r , bereits von D . i e f f e n b a c h angegebenen Weise mit einer Hairzlösung') oder auch mit Wasserglas (A. W a g n e r ) tränken. Sehr wesentlich ist f ü r solche Fälle, dass der Verband möglichst w e n i g und n u r s e h r d ü n n e u n d p o r ö s e G e w e b e enthalte®), da deren Aufquellen im Wasser ihn bröcklig macht. Einen vollständig w a s s e r f e s t e n V e r b a n d liefert, nach A. M i t s c h e r l i c h , eine ' ) D i e f f e n b a c h , I. c., empfiehlt eine Lösung von 1 Unze Coluphocium in 12 Unzen Weingeist, — &. M i t s c h e r l i c h , nach sehr umfassenden und sorgfältigen Versuchen (Archiv f. klin. Chir. Bd. II. p. 585), eine Lösung von 1 8 D a i n m a r h a r z auf 100 A e t b e r , welche den Verband wirklich vollkommen durchdringt. *) In dieser Weise angelegte Gyps-Verbände habe ich in einer sehr grossen Anzahl von Fällen (zuerst schon 1857) Wochen lang im permanenten Bade ihre Dauerhaftigkeit, auch o h n e v o r g ä n g i g e T r ä n k u n g m i t H a r z l ö s u n g e n , behaupten sehen. Vgl. die Dissertationen von Z u r h o r s t und von G r z i m e k , auch Canstatt's Jabresber. Bd. IV pro 1858. pag. 74, pro 1860. p. 176.
170
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Mischung von C a e m e n t mit Wasserglas 1 ). Auch mittelst des Wasserglases allein lassen sich Binden-Verbände jeder Art sehr gut befestigen (vgl. p. 165). Wasserglas-Verbände haben den Vorzug grosser Leichtigkeit und Eleganz, sind aber nicht so dauerhaft wie Gyps-Verbände und deshalb, obwohl von Einzelnen bevorzugt, doch bei Weitem nicht in dem Grade verbreitet 2 ). Der Gyps-Verband wird in der Regel nach einiger Zeit etwas weiter und zwar desto mehr, je dicker er ist und je schneller seine Erstarrung erfolgte. Dies rührt daher, dass in den oberflächlichsten Schichten, in Folge der Verdunstung, die Erstarrung schneller zu Stande kommt als in den tiefereD. Letztere nähern sich daher bei der weiteren Erstarrung den oberflächlichen und entfernen sich dem entsprechend von der Haut. Die Verkürzung der Verband-Schichten erfolgt also nicht in circulärer sondern in verticaler Richtung gegen die Längsaxe des von dem Verbände umgebenen Gliedes. N e u d ö r f f e r (Aphorismen zur praktischen Chirurgie, Wiener Medicinische Presse, 1868 No. 3.), welcher diese Erklärung der spontanen Erweiterung des Gyps-Verbandes zuerst gegeben bat, glaubt durch Zusatz von möglichst wenig Wasser und durch longitudinale Einschnitte in den Verband, welche gleichsam als Entwässerungsgräben wirken sollen, diesem Debelstande vorbeugen zu können. Die Hauptsache bleibt wohl immer, dass man die Verbände nicht unnötbig dick macht.
Die S c h n e l l i g k e i t d e r E r s t a ' r r u n g ist, abgesehen von den oben erwähnten Zusätzen, schon je nach der Art des Gypses, sehr verschieden, ohne dass man selbst Seitens der Künstler, welche fortdauernd mit diesem Material arbeiten, bestimmte Merkmale angeben könnte, an denen sich dies im Voraus erkennen liesse. Man wird deshalb gut thun, vor dem Beginne des Verbandes mit einer kleinen Quantität des anzuwendenden Gypses eine Probe zu machen und erst, wenn diese ergiebt, dass die Erstarrung innerhalb einer für die Vollendung des Verbandes zu kurzen Zeit erfolgt, einen Zusatz von Leimwasser oder dgl. machen, durch den man dann das Festwerden des Verbandes auf eine halbe Stunde und mehr hinausschieben kann. Schon die Verdünnung der Gyps-Lösung verlangsamt die Erstarrung. In der grossen Mehrzahl der Fälle ist aber die Verlangsamung gar nicht erwünscht; vielmehr wird gerade derjenige Verband der willkommenste sein, der sofort seine Schuldigkeit thut und möglichst bald die, immer nicht ganz zuverlässigen Hände der Gehülfen überflüssig macht. In dieser Beziehung muss vor Allem darauf geachtet werden, dass nur g u t g e b r a n n t e r G y p s schnell und vollständig erstarrt. Hat er Feuchtigkeit angezogen, so kann man ihn durch A . H i t s c h e r l i c b , über wasserfeste Verbände, im Archiv f. klin. Chir. Rd. I. p. 57, u. Rd. II. p. 590. Ein Zusatz von Magnesit leistet das Gleiche ( K ü s t e r ) . 2 ) Man bi'ite sieb, das käufliche W a s s e r g l a s (Lösung von neutralem kieselsaurem Kali von 1,35—1,40 speeif. Gew.) direct auf die Haut zu bringen. Dasselbe wirkt mitunter in hohem Grade ätzend.
171
Gyps-Verband.
Rösten (in einem eisernen Topfe über offenem Feuer oder in einem Ofen) schnell wieder b r a u c h b a r machen. In Betreff der Geschwindigkeit der E r s t a r r u n g
und
haftigkeit des Verbandes verdient unzweifelhaft d a s ,
der Dauer-
überdies durch
seine Einfachheit u n d Wohlfeilheit ausgezeichnete Verfahren von A d e l m a n n den Vorzug, wonach man S c u l t e t ' s c h e Bindenstreifen, die aus beliebigem Stoff geschnitten
s i n d , in Gyps-Brei
von der Consistenz
eines g u t e n , dicken Rahms taucht und, je nach der Localität, in verschiedenen Touren unmittelbar auf u n d um das mit Fett (am Besten Palmöl) bestrichene Glied in mehrfachen Schichten anlegt.
Das f r ü -
her empfohlene Rasiren k a n n unterlassen w e r d e n , da das Einkleben der Härchen durch Aufstreichen einer dicken Schicht Palmöl ohnehin verhütet wird.
Auf den ersten Blick erscheint es unmöglich, dass die Binden
von
einer nicht schon sehr abgehärteten Haut ertragen werden sollte.
Die
Berührung
der mit Gyps
getränkten u n d
erstarrenden
Erfahrung lehrt das Gegentheil; jenes Verfahren (neuerdings von Anderen als „ d i r e c t e r G y p s v e r b a n d "
beschrieben) hat sich mir in
Tausenden von Fällen b e w ä h r t . Besonders v o r t e i l h a f t erweist sich diese Art des Verbandes bei K n o c h e n - und G e l e n k - V e r l e t z u n g e n ,
welche mit W u n d e n oder
Eiterungen complicirt sind, bei denen m a n f ü r den Abfluss der W u n d secrete „ F e n s t e r "
anlegen
dehnung spalten muss.
oder
Wegen
den
der
Verband
in
grösserer
grossen Festigkeit
lassen sich die Fenster nicht so leicht, wie beim
des
AusGypses
Kleister-Verbände,
einschneiden. Szymanowski
empfahl zu
diesem Behuf folgendes Verfahren.
Ein feines S c h n ü r c h e n wird zu e i n e m ,
der Grösse des zu bildenden
Fensters entsprechenden Ringe zusammengeknotet, u n d nachdem von Unten her bis zur W u n d e die Gyps-Streifen
angelegt sind und auch
oberhalb der W u n d e bereits ein Streifen liegt, rings um die W u n d e gelagert,
so dass es oberhalb derselben auf dem zuletzt angelegten
Bindenstreifen gehenden
ruht.
und
unterhalb
Dann wird
derselben
auf dem
zunächst
vorher-
ein etwas längerer Bindenstreifen,
mit
Gyps-Brei g e t r ä n k t , in der Höhe der W u n d e so angelegt, dass seine Basis sich auf der ihr entgegengesetzten Seite befindet, während die Enden durch den von dem S c h n ü r c h e n gebildeten Ring gezogen und dann um das Glied zurückgeschlagen werden. übrigen noch
nöthigen Gyps-Streifen angelegt.
der Gegend des Fensters m e h r e r e Lagen
Demnächst werden die Erscheinen auch in
erforderlich, so zieht
statt eines Streifens zwei oder drei durch den erwähnten Grössere Klappen bildet man, nach S z y m a n o w s k i ,
man
Ring. in der Art,
172
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
dass m a n , nachdem die erste Lage der G y p s - S t r e i f e n applicirt ist, einen beölten Strick an der Stelle anlegt, wo das Charnier der Klappe sich befinden soll. Nach Vollendung des Verbandes zieht man den Strick aus, spaltet den Canal, -in dem er lag, mit einer starken Scheere, öffnet den Verband auf der a n d e r e n Seite, je nach der beabsichtigten Grösse des Fensters, und benutzt dann die unversehrt gebliebene Bindenschicht, welche u n t e r der S c h n u r lag, als Charnier. Ich glaube beim E i n s c h n e i d e n d e r F e n s t e r u n d K l a p p e n leichter zum Ziele zu g e l a n g e n , indem i c h , genau der Grösse des gewünschten Fensters entsprechend, auf das Glied eine dicke Schicht W a t t e auflege und dann den Verband in der pag. 1 6 8 u . f . empfohlenen Weise a u s f ü h r e . Nach E r s t a r r u n g desselben kann man durch Anschlagen mit dem Finger an dem volleren Percussions-Schalle bestimmt die Gegend e r k e n n e n , in welcher die Watte liegt, und auf diese d a n n dreist mit einem starken kurzen Messer einschneiden. Man kann den Umfang des Fensters auch durch beölte Stricke in der Art b e z e i c h n e n , wie es S z y m a n o w s k i f ü r die Stelle des Charnicrs angiebt. Um die Festigkeit des Gypsverbandes zu steigern, schaltet m a n , namentlich wo grosse Fenster erforderlich s i n d , Schienen von Holz (Schusterspahn), Blech, dicken Draht oder dgl. in denselben ein und kann auf solche Weise den mannigfaltigsten Zwecken entsprechen. Wir werden auf diese V e r b ä n d e , sowie auf die f ü r die antiseptische Methode erforderliche Einrichtung der Fenster bei den Knoc h e n b r ü c h e n (Bd. 11) n ä h e r eingehen. Beabsichtigt m a n , den Verband zu spalten, so wird dies erleichtert, wenn m a n in seiner Länge auf der einen Seite eine beölte S c h n u r einlegt, die hinreichend dick sein inuss, um nach i h r e r A u s ziehung eine Scheere in den auf diese Weise gebildeten Canal einsetzen zu können '). Eine solche Scheere m u s s gross, stark u n d am Schloss in der Art stumpfwinklig gebogen sein, dass beim weiteren Fortschieben der Scheere das Oeffnen u n d Schliessen derselben o h n e Erheben des u n t e r den Verband geschobenen Scheerenblattes erfolgen k a n n . Der Knopf, in welchen dies Blatt endet, m u s s von Oben nach Unten (nicht seitlich, wie an den sonst gebräuchlichen Gypsscheeren) ' ) Uni die Spaltung des Kleister-Verbandes sicher und leicht ausführen zu können, hatte S e u t i n bereits angegeben, dass man zwischen die Haut und die erste Bindenschicbt der Länge nach ein mit Oel getränktes Band legen solle,
dessen
Beweglichkeit ihm zugleich als Maassstab für die 'grössere oder geringere Festigkeit des Verbandes galt und dem er deshalb den Namen „ C o m p r e s s i m e t r e " gab. Vgl. pag. 165 und Fig. 99.
173
Gyps-Verband.
abgeplatet sein, um Verletzungen der Haut sicher zu vermeiden. Sehr dicke Gyps-Verbände spaltet man leichter durch Einschneiden von Aussen mit einem starken kurzen Messer, in dessen Handhabung die nöthige Geschicklichkeit, um Verletzungen der Haut zu verhüten, sich bald erwerben lässt. Szymanoivski Verbände angegeben
hat I. c. eine besonders starke Scheere zum Spalten der Gypsund
dieselbe später
wirksamer gemacht. — Die von L u t t e r Schutzarm (die sog. G v p s k n a r r e ) auch mit der S e u t i n ' s c h e n
noch
durch einen
hinzugefügten Hebelarm
construirte Kreissäge mit unterzuschiebendem
ist nur fiir dünne Verbände zu brauchen, die man
Scheere spalten kann. — Bei dicken Verbänden bin ich
immer wieder auf den Gebrauch des M e s s e r s - z n r i i c k g e k o m m e n . — Das m i t S a l z s ä u r e , welches auch S z y m a n o w s k i rurgie.
Bestreichen
(Ueber Gyps und Wasser in der Chi-
Archiv d. Heilkunde, 1 8 6 2 , Heft 4) zur Spaltung und Ablösung der Gyps-Ver-
hände empfiehlt, scheint wohl nur bei solchen Verbänden wirksam zu sein, deren Gyps viel kohlensauren Kalk enthält, oder in denen relativ viel Gewebe (Leinwand etc.) stecken, die durch Salzsäure aufquellen.
Ich habe niemals einen meiner Verbände durch blosses
Aufstreichen von Salzsäure abzulösen vermocht.
Das Spalten des Gyps-Verbandes in seiner ganzen Länge ist, sofern man ihn nicht etwa ganz entfernen will, nur selten von Vortheil. Ist er zu fest angelegt, so wird wegen der geringen Biegsamkeit der Gyps-Kapsel nicht viel gebessert, wenn er auch an der vorderen Seite ein Wenig klafft (was man durch Einsetzen des H e i s t e r schen Mundspiegels und Einklemmen kleiner Holzkeile verstärken kann); war er aber zu lose, so genügt das beim Kleister-Verbände früher wohl angewandte Ausschneiden eines Längsstreifens aus demselben Grunde nicht, um ihn genau passend zu machen; man müsste ihn mit Gyps ausgiessen. Wollte man also das von dem Erfinder der unbeweglichen Verbände, S e u t i n , selbst geltend gemachte Princip anerkennen, dass jeder Verband der Art, sobald er trocken und fest geworden sei, in ganzer Länge gespalten werden müsse, um die Einsicht in denselben zu gestatten, so würden Gyps-Verbände sich hierzu nicht besonders eignen '). In der That ist aber die sogenannte „Methode amovo-inamovible" von S e u t i n nur darin begründet, dass die Retention durch den Kleister-Verband wegen seiner langsamen Erstarrung meist nur unvollständig gelingt und daher bei Knochenbrüchen alsbald für Verbesserung der Lage der Bruchstücke V a n d e L o o will den Gypsbinden-Verband auch der Methode
amovo-inamovible
anpassen, indem er den vorderen Theil der von ihm angewandten schen Streifen von Gyps frei lässt.
Vgl. v a n
de
Loo,
Der
Scultet'-
amovo-inamovible
Gypsverband, Venloo, 1 8 6 3 , Le bandage platré amovo-inamovible
d'emblee etc.
Bruxelles, 1 8 6 7 , Der unmittelbar amovo-inamovible Gypsverband und Tricot-Gypsverband.
Köln u. Neuss, 1 8 7 6 .
174
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
und Bekämpfung der durch die Verschiebung bedingten entzündlichen Schwellung der Weichtheile Sorge getragen werden muss. Zuweilen spaltet man den Verband auf beiden Seiten und stellt auf diese Weise zwei der Form des Gliedes genau entsprechende Rinnen dar. Hier haben wir den Uebergang zu den R i n n e n v e r b ä n d e n ; solche Kapseln und Hülsen lassen sich, wenn auch nicht so wohlfeil, auch nicht so genau passend, doch auch aus Blech oder aus Drahtgeflecht (nach M a y o r und B o n n e t ) anfertigen. In manchen Fällen genügt e s , wenn man dem Gliede nur eine aus Gyps hergestellte Schiene auf der einen Seite vor der Erstarrung genau anfügt und mit Binden befestigt. Als Material für solche Schienen haben sich relativ dünne Lagen von Hanf, welche mit Gypsbrei getränkt werden, besonders bewährt 1 ). Vergleichen wir die verschiedenen Arten des permanenten Verbandes unter einander, so spricht für die Anwendung der G u t t a p e r c h a unzweifelhaft: dass der daraus bereitete Verband in der kürzesten Zeit den gehörigen Grad von Festigkeit erreicht, dass durch kalte Umschläge und Ueberrieselungen, Benetzung mit Harn, mit Eiter u. dgl. m. die Dauerhaftigkeit und Festigkeit des Verbandes in keiner Weise beeinträchtigt wird, dass endlich dasselbe Stück Gutta-Percha nicht blos einmal, sondern sehr oft und immer wieder in veränderter Form gebraucht werden kann. Dagegen ist dies Verbandmaterial nicht überall zu haben, seine erste Anschaffung kostspielig und zu seiner Handhabung eine besondere Uebung erforderlich. Der K l e i s t e r - V e r b a n d dagegen ist fast überall leicht herzustellen, erfordert zu seiner Anlegung nur die, auch für andere Bindenverbände erforderliche Geschicklichkeit, und beschwert den Kranken wegen seines relativ geringeren Gewichtes weniger, als der Gyps- oder Gutta-Percha-Verband; er lässt aber die Anwendung kalter Umschläge nicht zu und wird auch durch Harn und Eiter sehr bald erweicht; er begünstigt ferner durch seinen Gehalt an Amylon die Fäulniss und das, besonders zur Sommerzeit sehr gewöhnliche, für den Kranken höchst beschwerliche Gedeihen von Maden in seinen, mit Eiter, Schweiss u. dgl. m. getränkten Schichten. Weder der L a u g i e r ' s c h e Papier-Verband, noch die Dextrin- und Gummi-Lösungen haben vor dem gewöhnlichen Kleister-Verbände einen Vorzug. Der G y p s - B i n d e n - V e r b a n d dagegen vereinigt alle Vorzüge des Gutta-Percha- und des Kleister-Verbandes, ohne mit ihnen ' ) Vgl. B e e l y , Der Gyps-Hanf-Schienenverband, Berl. klin. Wocbenschr. 1 8 7 5 , No. 1 4 , Ueber
die
Behandl.
Schoenborn's
einf.
Fract.
mit
Gyps - H a n f - S c h i e n e n
Klinik), Archiv f. kl. Chir. XIX.
(Mittheilungen
aus
175
Schweben.
irgend einen ihrer Nachtheile gemein zu haben. Vor dem GuttaPercha-Verbande hat er besonders den Vorzug, dass er wegen seiner Porosität die Hautausdünstung nicht wie jener zurückhält, was namentlich bei zarter Haut von grosser Bedeutung ist. Der letztere Vorwurf trifft auch den W a s s e r g l a s - V e r b a n d , der im Uebrigen bis auf einen etwas geringeren Grad von Haltbarkeit dem Gyps-Verbande gleichzustellen ist und sich durch geringeres Gewicht auszeichnet. S c h w e b e 11.
Oft ist es wünschenswerth dem kranken Gliede eine gewisse Freiheit der Bewegungen zu gewähren, ohne deshalb seine Befestigung aufzugeben. Diesem Zweck dienen vorzüglich d i e S c h w e b c n , welche übrigens mit allen bereits erwähnten Verbänden in der mannigfaltigsten Weise combinirt werden können. Unter den zahlreichen Modificationen der zuerst von L ö f f l e r 1 ) empfohlenen, in ihrer jetzt gebräuchlichen Gestalt wesentlich von S a u t e r 1 ) angegebenen und von diesem in die Praxis eingeführten S c h w e b e ist die (Fig. 104 abgebildete) von M a y o r 3 ) construirte die einfachste, indem sie aus jedem Fig. 1 0 4 .
') Archiv der praktischen Arzneykunde etc. 2
) Anweisung,
Leipzig 1 7 8 5 .
die Beinbrüche etc. ohne Schienen
Constanz 1 8 1 2 . —
sicher und bequem zu heilen.
B r a u n , P r a e l , F a n s t u. A. hatten vorher schon ziemlich
complicirte Schweben angegeben. 3
) Mémoire sur l'Hyponarthécie (Unterschienenverband, Genève
1827.
Schiene), Paris et
176
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
entsprechend grossen Brett und einigen Stricken hergestellt werden kann. Die Befestigung des Gliedes auf derselben geschieht, nach M a y o r , durch zwei Tücher. Das untere Tuch umfasst mit seiner Mitte die Ferse, wird von da unter den Malleolen zur Fussbeuge geführt, hier gekreuzt, unter der Sohle in einen einfachen Knoten geschlungen und an einem, je nach Bedürfniss, an verschiedenen Stellen des unteren Randes des Brettes einzuschlagenden Nagel befestigt. Das obere Tuch umfasst dicht unter der Patella das Bein und das Brett zugleich, um die Lage des ersteren zu sichern. Je nach der Neigung zur Verschiebung, sind an verschiedenen Stellen noch mehr Tücher anzulegen. Die ganze Schwebe wird an der Decke des Zimmers, oder an einem über dem Bett angebrachten Holzgestell (Galgen), dessen Pfeiler sich zweckmässig am Kopf- und Fussende der Bettstelle befinden, mittelst eines eingeschraubten Hakens oder Ringes befestigt. Auch aus G u t t a p e r c h a - P l a t t e n , an deren Rändern man Schnüre befestigt, lassen sich in sehr mannigfaltiger Weise Schweben herstellen. Man kann mittelst derselben gleichzeitig eine gewisse Immobilisation des suspendirten Theils erreichen, wenn man die Platte im erweichten Zustande unter das Glied schiebt, so dass dieses durch sein Gewicht sich eine genau passende Mulde bildet. Für viele Fälle gewährt eine Schwebe grosse Bequemlichkeit, welche man leicht aus dickem Draht (Telegraphendraht) und Gazebinden herstellen kann. Das Drahtgerüst bildet einen die Extremität umfassenden Rahmen, dessen längs des Gliedes verlaufende Schenkel am Fussgelenk, der Stellung des Fusses entsprechend, rechtwinklig aufsteigen. Von einer Seite zur anderen werden über diesen Rahmen breite Gazestreifen gespannt und mit grossen Sicherheitsnadeln befestigt. Auf diesen ruht die Extremität. Für den Fuss entsteht durch Ueberspannen des entsprechenden Theils des Drahtgerüstes eine Art von Fussbrett, an welchem der Fuss mit Binden oder mit einem Tuch hinreichend sicher befestigt werden kann. Statt die Extremität a u f eine Schiene zu lagern, kann man dieselbe auch in der Art an einer Schiene (namentlich einem Drahtrahmen, der sogen, „vorderen Schiene" von S m i t h ) befestigen, dass letztere sich über der Extremität befindet, mithin an jener durch Binden oder andere Verbandstücke befestigt ist. Gewöhnlich wird
Sauter
als Erfinder der Schweben
um ihre Einführung in die Praxis die grössten Verdienste. vorher ß a v a t o n
aufgerührt.
Er bat
auch
Jedoch hatten schon lange
( 1 7 6 0 ) , durch seinen an 4 Ringen aufgehängten B l e c h s t i e f e l ,
und
P o s c h (Beschreibung e i n e r n e u e n , sehr bequemen Maschine, das F u s s b e t t genannt, etc. Wien 1 7 7 4 ) in dieser Richtung
vorgearbeitet.
Aeusserliche Arzoeimitlel. Aeusserliche Arzneimittel.
177 Tópica.
Zweck der Anwendung äusserlicher Arzneimittel ist bald eine chemische Wirkung (wie namentlich bei den antiseptischen und bei den Aetz-Mitteln), bald blos eine Veränderung der Lebensthätigkeit in den betreffenden Theilen durch eine physikalische oder dynamische (d. h. vorläufig unerklärte) Einwirkung. Die Beschreibung ihrer Wirkungen, und ihre Eintheilung nach den verschiedenen Wirkungen, gehört in die Arzneimittellehre. Hier handelt es sich wesentlich um die A r t i h r e r A n w e n d u n g (Applicationsweise). Die wichtigsten topischen Einwirkungen des Chirurgen bestehen (abgesehen von den rein mechanischen Acten des Z u g e s und D r u c k e s ) in E n t z i e h u n g und Z u f u h r v o n W ä r m e und von F l ü s s i g k e i t e n , A b h a l t u n g u n d Z e r s t ö r u n g von A n s t e c k u n g s s t o f f e n und Fäulnisserregern. Als A r z n e i f o r m e n zum äussern Gebrauch sind (mit Ausschluss der bei den A e t z - M i t t e l n und beim E i s e vorkommenden „Anwendung in Substanz") wesentlich folgende zu unterscheiden: 1. P u l v e r , 2. P f l a s t e r , 3. S a l b e n , 4. B r e i u m s c h l ä g e , 5. F l ü s s i g k e i t e n , 6. g a s f ö r m i g e S t o f f e . 1. P u l v e r . — Viele derselben haben nur den Zweck, Flüssigkeit aufzusaugen und bilden dann mit dieser eine feste Schicht, welche die Theile abschliesst und schützt. Bärlappsamen, gewöhnliches oder Stärke-Mehl, geschabte oder zerriebene Kartoffeln, Kohlenpulver u. s. w. gehören hierher. In die Zusammensetzung anderer Pulver gehen mehr oder weniger wirksame Theile mit ein. Kohlenpulver und Chinarindenpulver sind als Antiséptica in Ruf, auch Mischungen von Gyps mit Steinkohlentheer und daraus dargestellte Präparate 1 ); man bedeckt mit ihnen Wunden und Geschwüre, welche Jauche absondern, und hat sie namentlich auch beim Hospitalbrande in Gebrauch gezogen. Reizende Pulver werden aus einer zusammengerollten Karte, oder Federpose, oder auch aus der oben beschriebenen Höllensteinbüchse a u f g e s t r e u t , zuweilen auch aus den erstgenannten kleinen Röhren e i n g e b l a s e n . Endlich wendet man reizende aromatische Pulver in Gestalt der K r ä u t e r s ä c k c h e n a n , indem man sie in Säckchen einnäht, welche erwärmt applicirt werden. Zu letzterem Zweck müssen die Substanzen nur gröblich gepulvert sein. Gewöhnlich setzt man zerschnittene Pflanzentheile in ansehnlicher, zuweilen sogar in überwiegender Menge hinzu, weshalb dann auch die zu diesen ' ) D e m e a u x et C o r n e ,
sur la désinfection et le pansement des plaies,
Compt.
rend, de l'acad. des sciences. 1 8 5 9 . Juill., 18. Vgl. Canstatt's Jabresber. p. 1 8 5 9 . Bd. IV. p. 137. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
12
178
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
trockenen Umschlägen angewandten Substanzen von Vielen nicht als Pulver, sondern als S p e c i e s bezeichnet werden. 2. P f l a s t e r . — Die gewöhnlichen Pflaster sind mehr oder weniger feste, bei einiger Erwärmung knetbare und mittelst des Spatels auf Leinwand, Leder oder dergl. aufzustreichende Massen. Wir bedienen uns derselben, nachdem sie in der angedeuteten Art mehr oder weniger dick aufgestrichen sind; deshalb versteht man für gewöhnlich unter „Pflaster" ein mit Pilastermasse bestrichenes Stück Zeug oder Leder. Da die Pflaster alle mehr oder weniger gut kleben, bedarf es zu ihrer Befestigung keiner weiteren Verbandstücke, im Gegentheil werden andere Verbände durch Pflaster befestigt. Wir bedienen uns ihrer theils um Wunden zu vereinigen, theils um einzelne Theile vor der Einwirkung der Luft und vor Teniperaturveränderung zu schützen und eine inperspirable Decke zu bilden, oder aber auch, um die eigenthümliche Wirkung derjenigen Arzneistoffe, welche in dem Pflaster enthalten sind, zur Geltung zu bringen. In letzterer Beziehung wird bald eine mehr oder weniger heftige Reizung der Haut durch ihre Application bewirkt (alle Pflaster reizen einigermassen die Haut); bald soll die Zertheilung einer unter der Haut liegenden entzündlichen Anschwellung erzielt werden; bald endlich beabsichtigt man eine schmerzlindernde Wirkung durch die Beimischung narkotischer Substanzen. Doch bleibt diese specifische Wirkung beigemengter Arzneistoffe, wenn wir die irritirenden ausnehmen, stets den sonstigen Wirkungen der Pflaster bei Weitem untergeordnet; meist ist sie ganz bedeutungslos. Die wichtigste Rolle spielen in der Chirurgie die H e f t p f l a s t e r . Wir bedienen uns, wo es sich nur um das Kleben handelt, entweder des officinellen Emplastrum adhaesivum, oder, wo man zu befürchten hat, dass dieses die Haut zu sehr reizen möchte, einer Mischung desselben mit Emplastrum cerussae; oder wir wenden, zumal bei kleinen Wunden, das E n g l i s c h e P f l a s t e r a n , welches, von allen übrigen Pflastern abweichend, durch Aufstreichen einer Hausenblasenlösung auf seidenen Taffet hergestellt wird, dessen Rückseite man mit Benzoetinetur bestreicht. — Als Ersatzmittel der Heftpflaster, welches in vielen Fällen sogar den Vorzug vor ihnen verdient, ist das C o l l o d i u m zu betrachten. Vgl. p. 131 u. f. Die g e w ö h n l i c h e n H e f t p f l a s t e r müssen dünn, und wo möglich frisch auf dauerhafte Zeuge gestrichen sein, auf gebrauchte Leinwand nach dem Lauf der Aufzugsfäden, oder, wo grössere Haltbarkeit erwünscht ist, auf geköpertes Zeug (englisches Leder u. dgl. m.). Gewöhnlich schneidet man dies gestrichene Heftpflaster mit der Scheere
Aeusserliche
179
Arzneimittel.
in Streifen. Für kleinere Wunden und Geschwüre eignen sich quadratische Stücke, welche man nach Art des Malteserkreuzes einschneidet, damit sie sich besser anlegen. Beim Schneiden von Heftpflasterstreifen muss man nach Art der Kaufleute verfahren, welche Tag für Tag gewebte Stoffe zu zerschneiden haben: man spannt mit der linken Hand das eine Ende des zu zerschneidenden Stücks, während ein Gehülfe das entgegengesetzte festhält, und bewegt nun mit der rechten Hand die Scheere nach der Richtung des Fadens, nicht schneidend, sondern drückend schnell vorwärts. Gutes Heftpflaster, zumal wenn es frisch gestrichen ist, klebt ohne Weiteres an der Haut; nur darf diese nicht feucht sein. Lag das gestrichene Heftpflaster aber im Kalten, so ist es gut, dasselbe vorher zu reiben oder zu erwärmen, jedoch vorsichtig, weil bei zu hoher Temperatur die schmelzen.de Pflastermasse in die Leinwand eindringt und dann gar nicht klebt. H e f t p f l a s t e r s t r e i f e n (bandelelles de sparadrap) werden gewöhnlich in der Art angelegt, dass einer den andern zur Hälfte deckt. Soll damit eine Wunde vereinigt werden, so klebt man einen Streifen, während die Wundränder durch den Gehülfen einander genähert werden, mit der Hälfte seiner Länge auf der einen Seile der Wunde rechtwinklig gegen deren Verlauf fest, sucht hierauf die Annäherung der Wundränder an der betreffenden Stelle so vollkommen als möglich zu machen, indem man den Daumen der linken Hand auf die eine, die übrigen Finger auf die andere Seite der Wunde setzt und diese gegen einander drückt, und befestigt endlich die andere Hälfte des Pflasters auf der anderen Seite der Wunde. Im Allgemeinen soll man den ersten Streifen in der Mitte der Wunde, oder aber an derjenigen Stelle, welche am Schwierigsten zu vereinigen ist, anlegen. Es giebt jedoch auch Fälle, in denen die vorhergehende Vereinigung der übrigen Wunde das Anlegen der Pflasterstreifen an dem schwierigeren Theile sehr erleichtert. Um die Heftpflaster abzunehmen, löst man die einzelnen Streifen von ihren Enden aus bis in die Nähe der Wunde; der mittlere Theil wird durch einen Zug in der Richtung der Wunde entfernt, damit die Wundränder nicht von einander gezerrt werden. Das E n g l i s c h e P f l a s t e r wird vor der Application an der mit Hausenblase überzogenen (glänzenden) Seite angefeuchtet. Das C o l l o d i u m streicht man mit einem kleinen Pinsel entweder unmittelbar auf die Haut, oder bei Wunden auf vorher angelegte Streifen von englischem Pflaster, um das, die Heilung störende Eindringen des Collodium in die Wunde sicher zu verhüten; auch tränkt 12*
180
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeine!).
man damit Leinwand- oder Mull-Streifen, um sie sofort als Pflaster zu verwenden. 3. S a l b e n haben im Allgemeinen die Consistenz der Butter oder des Schweineschmalzes, welches letztere auch bei der Mehrzahl den grössten Theil ihrer Masse ausmacht. Die Unterscheidung der C e r a t e von den Salben ist nicht wesentlich; erstere werden in Täfelchen ausgegossen und enthalten mehr oder weniger Wachs, während letztere, aus sehr verschiedenen Substanzen bestehend, zu ihrer Grundlage doch fast immer ein Fett haben und in Kruken aufbewahrt werden. Noch weniger begründet ist die von den Franzosen noch jetzt festgehaltene Unterscheidung von S a l b e n , P o m a d e n und C e r a t e n . Die Salben werden entweder auf Charpie oder Leinwand gestrichen und mittelst Heftpflaster, Binden u. dgl. m. auf Wunden oder Geschwüren befestigt ( V e r b a n d s a l b e n ) ; oder sie werden blos auf die Haut aufgestrichen, wie Lippenpomade; oder endlich sie werden e i n g e r i e b e n . Letzteres ist die wirksamste Anwendungsweise, durch welche nicht blos örtliche, sondern auch allgemeine Wirkungen erzielt werden können. Die gewöhnlichste V e r b a n d s a l b e ist das Unguentum simplex der älteren Pharmakopoe, d. h. ausgewaschenes Schweineschmalz, oder das Unguentum cereum, welches besonders im Sommer deshalb den Vorzug verdient, weil es (aus Olivenöl und weissem Wachs bestehend, und daher freilich auch etwas theurer) eine etwas festere Consistenz hat und nicht so leicht ranzig wird. Durch Zusatz von Carbolsäure (2 auf 100) wird das Ranzigwerden am Sichersten verhütet. Diese Salben wirken in keiner Weise reizend; wogegen das Unguentum basilicum und Unguentum Elemi da, wo eine Reizung der Wunde nothwendig erscheint, die Blei- und Zinksalben aber zur Beschränkung der Eiterung in Gebrauch gezogen werden. Viel mehr als bei der grossen Menge der Pflaster kommt bei den Salben, zumal wenn sie eingerieben werden, der in ihnen enthaltene wirksame Arzneistoff in Bfetracht. Als Beispiele erwähnen wir die graue Quecksilbersalbe, welche, bei längerer Anwendung, allgemeine Quecksilberwirkungen hat, und das Unguentum stibio-kali tartarici, welches durch seinen Gehalt an Brechweinstein (1 auf 4) eine pustulöse Hautentzündung hervorruft. 4. B r e i u m s c h l a g , C a t a p l a s m a , besteht aus vegetabilischen Substanzen, welche zu einem Brei gekocht sind. Man applicirt sie unmittelbar auf die Haut und befestigt sie mit einem Tuche, oder man schlägt sie in ein Stück Leinwand (was reinlicher, jedoch in manchen Fällen weniger wirksam ist), oder endlich man steckt die anzuwendenden Substanzen in einen Sack, welcher zugenäht und nach
Aeusserliche
181
Arzneimittel.
Art eines Kissens gesteppt wird, lässt sie in diesem erst kochen und alsdann den ganzen Sack auflegen, — welches letztere Verfahren einen häufigen Wechsel am Bequemsten gestattet, vorausgesetzt dass man von Anfang an mindestens zwei Säcke anfertigen Hess. Will man mittelst des Cataplasma nur f e u c h t e W ä r m e appliciren, so lässt man den Brei aus Leinsamen, Grütze, Stärkemehl, Semmel, schleimhaltigen Pflanzenblättem u. dgl. bereiten. Zusatz von Milch ist unzweckmässig, weil diese das Sauerwerden, welches ohnehin schnell genug eintritt, begünstigt. A d s t r i n g i r e n d e Cataplasmata werden angefertigt aus Eichen- oder Chinarinde, Galläpfeln u. dgl., excitirende aus den officinellen Species aromaticae. Durch Zusatz von Sauerampfer, Zwiebeln, Honig stellt man den „zeitigenden" Breiumschlag dar. K ü h l e n d e oder z e r t h e i l e n d e Cataplasmata bestehen aus geschabten Mohrrüben oder Kartoffeln, narkotische aus Schierling, Belladonna, Bilsenkraut, frischen Mohnköpfen. A n t i s e p t i s c h e K a t a p l a s m e n ( P a s t e n ) macht man, nach dem Vorgange von L i s t e r 1 ) , aus einer Mischung von 1 Theil Carbolsäure und 4—10 Theilen gut gekochten Leinöls, welcher man das zur Herstellung einer teigigen Consistenz erforderliche Quantum Kreide zusetzt. Unter diese Paste (zwischen dieselbe und die Körperoberfläche) legt man eine mit der eben erwähnten öligen Carbolsäure-Lösung getränkte Compresse, darüber ein Stanniolblatt zur Verhütung der Verdunstung. Die Temperatur eines w a r m e n Cataplasma muss 38—50," Cels. betragen; die kühlenden werden möglichst kalt applicirt und müssen erneuert werden, sobald sich die Körperwärme ihnen mitgetheilt^hat. Wo es hauptsächlich darauf ankommt, f e u c h t e W ä r m e einwirken zu lassen, muss die Erneuerung so oft geschehen als der Breiumschlag sich abgekühlt hat, gewöhnlich mindestens 4 Mal am Tage. Es ist zweckmässig, den Umschlag dicht mit schlechten Wärmeleitern und wasserdichten Stoffen zu umgeben und auf solche Weise einer zu schnellen Abkühlung und Austrocknung vorzubeugen. Alle Breiumschläge haben wegen ihres Gewichtes Neigung sich zu verschieben, müssen daher sorgfältig befestigt werden. Auch bei der Abnahme ist Vorsicht nöthig, besonders wenn der Brei unmittelbar auf die Haut gelegt ist, oder wenn einzelne Theile angetrocknet sind; in letzterem Falle müssen sie sorgfältig aufgeweicht werden. Zuweilen veranlassen selbst die mildesten Breiumschläge eine b e d e u t e n d e Reizung, so dass Bläschen ') L i s t e r
hervorbrechen
und
die vorhandenen
Wundflächen
anschnellen
und
bat seine antiseptische P a s t e zuerst 1 8 6 7 b e s c h r i e b e n : On a new m e t h o d
of treatiog Compound f r a c t u r e , abscess etc. m e i n e Referate in
dem J a h r e s b e r i c h t ü b e r
Lancet,
März bis Juli 1 8 6 7 .
die Leistungen
Vgl.
und F o r t s c h r i t t e der
g e s a m m t e n Medicin von V i r c h o w und H i r s c h , f ü r 1 8 6 7 u.
1868,
182 eine
Chirurgische Operationen graue F a r b e
nicht abhalten.
bekommen.
Dadurch
im
allein
Allgemeinen.
lasse
man
sich
von
ihrer
Anwendung
Trotz j e n e r grauen A n s c h w e l l u n g geht die V e r n a r b u n g gewöhnlich gut
von S t a t t e n und der B l ä s c h e n a u s s c h l a g v e r s c h w i n d e t bald w i e d e r , w e n n n u r die Temp e r a t u r d e r Umschläge n i c h t zu h o c h und d e r Brei n i c h t etwa s a u e r geworden ist.
5.
Flüssige Arznei-Formen
verdienen vor allen andern den
Vorzug, wenn es sich um Einwirkung auf sehr ausgedehnte Flächen oder auf winklige und gewundene
Hohlräume h a n d e l t ,
oder wenn
andere wegen der Empfindlichkeit der Theile nicht ertragen werden. Zuweilen steckt man den kranken Theil in die Flüssigkeit: man badet einen entzündeten Finger in lauem W a s s e r ; oder man macht Fomentationen, d. h. man bedeckt die Theile mit Charpie oder Compressen, die mit der anzuwendenden Flüssigkeit getränkt sind.
Letztere kön-
nen, wenn sie mit wasserdichten Stoffen umgeben w e r d e n , in vielen Fällen, namentlich bei offenen Eiterungen, die Breiumschläge ersetzen. Die Flüssigkeit kann ferner aufgepinselt oder in der Form von Begiessungen (Irrigationen, Douchen), Besprengungen, Einspritzungen u. s. w. a n g e w a n d t , endlich auch eingerieben werden.
Flüssigkeiten, welche
eingerieben werden sollen, n e n n t man auch wohl L i n i m e n t e ;
ihre
Consistenz nähert sich zuweilen derjenigen einer Salbe. Einer genaueren Erörterung bedarf die mannigfaltige A n w e n d u n g d e s W a s s e r s , der am Häufigsten anzuwendenden Flüssigkeit. Bäder, Begiessungen und Umschläge von lauem sowohl, als von kaltem Wasser finden in der Chirurgie die ausgedehnteste Anwendung. Man hat in neuester Zeit eingesehen, dass in sehr vielen Fällen complicirte Salbenverbände und kostspielige Fomentationen durch Wasserumschläge ersetzt werden können.
Das W a s s e r w i r k t a b e r
theils
a l s F l ü s s i g k e i t , also auflösend und abspülend, t h e i l s d u r c h s e i n e T e m p e r a t u r , t h e i l s endlich i n d e m e s d i e L u f t
abhält.
Zum Behuf der A n w e n d u n g d e r K ä l t e bedient man sich entweder häufig zu wechselnder C o m p r e s s e n , welche mit recht kaltem Wasser getränkt, vor dem Auflegen aber sorgfältig ausgedrückt sind, oder der f o r t d a u e r n d e n k a l t e n B e g i e s s u n g e n , oder endlich des E i s e s (in kleine Stückchen zerschlagen, die in Thierblasen, Gummisäckchen,
Glasflaschen
oder Blechbüchsen
eingeschlossen
werden),
welches letztere überall, wo es darauf ankommt die Kälte andauernd und
entschieden einwirken zu lassen,
und
durch
die sogenannten
das zweckmässigste Mittel ist
Kältemischungen')
nur
unvollkommen
ersetzt werden kann (vgl. pag. 176). Gleiche Theile S a l m i a k u n d S a l p e t e r , u n m i t t e l b a r vor der A n w e n d u n g in Wassel a u f g e l ö s t ; o d e r 1 S a l m i a k , 3 S a l p e t e r , O E s s i g , 1 2 — 2 4 W a s s e r (sogen. S c h m u c k e r sehe
Fomentationen).
Kalle Berieselung.
183
K a l t e B e g i e s s u n g e n sind, sowie kaltes Wasser überhaupt, schon seit den ältesten Zeiten angewandt worden; die systematische Anwendung a n d a u e r n d e r B e r i e s e l u n g e n ( I r r i g a t i o n e n ) ist namentlich von J o s s e , B r e s c h e t , V e l p e a u und A. B e r a r d eingeführt worden. B e r a r d hing über dem kranken Theil einen Eimer auf, aus welchem er durch eine oder mehrere heberförmig gebogene Glasröhren das Wasser hinableitete. Für grössere Anstalten möchte der Apparat von V e l p e a u , der aus Fig. 105 ohne weitere Beschreibung klar sein wird, zu empfehlen sein. Wohlfeiler und leicht herzustellen ist die von V i d a l angegebene Modification: man zieht durch ein Loch im Boden eines Eimers einen doppelt zusammengedrehten Strick; von dem unteren Ende desselben wird die Mitte eines mehr oder weniger langen Stabes umfasst, welcher somit horizontal befestigt ist, und seiner Seits eine verschieden grosse Anzahl von vertical herabhängenden dünneren Stricken trägt. Die Stricke und das Querholz vertreten die Stelle der Leitungsröhren in Fig. 105. Jedenfalls ist es f ü r . die gleichmässige Vertheilung des Wassers über den kranken Theil zweckmässig, diesen mit einer locker angelegten Binde zu umwickeln. Auch Fig. 105.
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
184
hat man immer dafür zu sorgen, dass das Bett des Kranken nicht nass werde, indem man ein Stück Wachstuch oder Gummizeug in der Art unter dem zu benetzenden Theile ausbreitet, dass es nach dem Rande des Bettes abschüssig und ebenda rinnenformig gestaltet ist. Die Erscheinungen, welche man an einem, diesen andauernden kalten Ueberrieselungen ausgesetzten Theile beobachtet, sind nach B e r a r d folgende. Zuerst stellt sich eine Verminderung der Temperatur und eine schmerzhafte Empfindung ein, welche zuweilen 24 Stunden andauert; Röthe und Geschwulst verschwinden, wenn sie vorhanden waren, sehr schnell; die Temperatur der Haut bleibt während der ganzen Behandlung erniedrigt; ihre Farbe wird röthlich. Durch die fortdauernde Tränkung mit Wasser schwillt die Oberhaut an und bekommt eine weisse Farbe, welche die unterliegenden Theile nicht mehr durchschimmern lässt. — Nicht blos durch die A b k ü h l u n g , sondern auch durch das F o r t s p ü l e n aller fremden Körper und Stoffe (Eiter etc.) wirken die Ueberrieselungen günstig, in letzterer Weise zuweilen geradezu antiseptisch. Nur bei lebhafter Entzündung wird die Kälte längere Zeit ohne Nachtheil ertragen. Oft wünscht der Kranke schon am zweiten, spätestens am dritten Tage die kalten Umschläge mit lauwarmen zu vertauschen und verwandelt erstere halbunbewusst in letztere, indem er sie längere Zeit liegen lässt. Auch der kälteste Umschlag wird, durch Mittheilung der Körperwärme, zu einem lauwarmen, wenn man ihn Stunden lang liegen lässt, noch schneller, wenn man ihn mit wasserdichtem Zeug umwickelt und dadurch der abkühlenden Verdunstung vorbeugt (sogen, h y d r o p a t h i s c h e E i n w i c k l u n g ) . Auf die N o t w e n d i g k e i t , sich werden soll,
nur
in solchen Fällen,
des E i s e s und n i c h t
bedienen, hat neuerdings E s m a r c h
wo wirklich K ä l t e
der s o g e n a n n t e n
angewandt
„kalten Umschläge" zu
in seiner vortrefflichen Abhandlung „ ü b e r
die
A n w e n d u n g d e r K ä l t e in d e r C h i r u r g i e " (Archiv f. klinische Chir., Bd. I. Hft. 2) besonders energisch aufmerksam gemacht.
Was man
aufgeführt h a t , r ü h r t zum grossen Thcil von her,
als übele Wirkungen der Kälte
der unzweckmässigen
Anwendungsweise
namentlich von der Durchnässung der Körpertheile und von der Verkürzung der
Binden in Folge der Tränkung mit W a s s e r , haben.
Ueberdies ist wohl zu beachten,
worauf wir bereits pag. 1 4 0 hingewiesen
dass grosse und mit grossen Eisstücken ge-
füllte oder unzweckmässig aufgehängte Eisbeutel wegen ihrer Schwere einen nachtheiligen Druck ausüben und Schmerz erregen können.
Auch lauwarmes Wasser und andere Flüssigkeiten können in Form andauernder Ueberrieselungen oft mit Vortheil angewandt werden. Namentlich gilt dies von den desinficirenden und antiseptischen Mitteln (essigsaure und schwefelsaure. Thonerde, Chlorzink, schwefelsaures Zink, Carbolsäure, sulphocarbolsaures Zink, Salicylsäure, Thy-
Permanentes
Bad.
185
mol u. s. f.), welche bei dieser Art der Anwendung eine höchst energische Wirkung entfalten. Bei den „antiseptischen V e r b ä n d e n " werden wir auf die besondere Bedeutung dieser Arzneimittel eingehen. Um die Wirkungen des l a u w a r m e n W a s s e r s in vollem Maasse zu entfalten, giebt es kein besseres Mittel als häufig wiederholte und lange andauernde B ä d e r entweder des ganzen Körpers oder des leidenden Theils. Letztere können, nach der von B. v. L a n g e n b e c k angegebenen Methode 1 ), viele Tage u n u n t e r b r o c h e n angewandt w e r d e n , indem man dem, in dieser Weise zu behandelnden Theil eine b e q u e m e Lagerung u n d Befestigung in einer gut geschlossenen Zinkw a n n e giebt, und das in dieser enthaltene Wasser, dessen Temperatur durch einen eingehängten Thermometer controllirt w i r d , nach Bedtlrfniss erneuert. Diese W a n n e n müssen f ü r die einzelnen Körpertheile (so z. B. für den Unterschenkel, das Kniegelenk, einen Amputationsstumpf) b e s o n d e r s construirt sein. Um a u c h solche K ö r p e r t h e i l e , welche d u r c h e i n f a c h e s V e r s e n k e n in eine W a n n e s i c h n i c h t u n t e r W a s s e r h a l t e n l a s s e n , o h n e den ganzen K ö r p e r in ein Bad zu s e t z e n , dem p e r m a n e n t e n L o c a l - ß a d e zugängig zu m a c h e n , liess B. v. L a n g e n b e c k
die B a d e k a s t e n
mit
A n s a t z s t ü c k e n von G u m m i (Aerineln, M a n c h o n s ) v e r s e h e n , welche sich d e r K ö r p e r o b e r t l ä c h e w a s s e r d i c h t u n d d o c h o h n e n a c h t h e i l i g e n D r u c k a n s c h m i e g e n sollten (Fig. 1 0 6 ) . Die E r f a h r u n g
hat
ergeben,
dass dies ä u s s e r s t s c h w i e r i g ,
meist
gar
nicht
zu
er-
r e i c h e n ist, w e s h a l b d e n n a u c h die n a c h d e m , Fig. 1 0 6 a b g e b i l d e t e n T y p u s c o n s t r u i r t e n A p p a r a t e m i t G u m m i - M a n c h o n s ganz a u s s e r G e b r a u c h g e k o m m e n s i n d . — W i r k l i c h p r a k t i s c h e B e d e u t u n g h a b e n n u r die W a n n e n f ü r Hand u n d V o r d e r a r m u n d diejenigen f ü r den F u s s u n d die u n t e r e Hälfte d e s U n t e r s c h e n k e l s , a n d e n e n keine M a n c h o n s e r f o r d e r l i c h
sind.
Fig. 1 0 6 .
F ü r die a n z u w e n d e n d e Temperatur giebt Anfangs das G e f ü h l t e s Kranken
den
richtigen
Maassstab.
Umhüllt
man
die
Wanne
mit
schlechten W ä r m e l e i t e r n , so bleibt die Temperatur des Wassers viele ' ) B. L a n g e n b e c k ,
das permanente warme Wasserbad zur Behandlung
Wunden, insbesondere der Amputationsstümpfe. Fock,
z u r A n w e n d u n g des
No. 4 1 .
—
Zeis,
permanenten
die p e r m a n e n t e n
grösserer
D e u t s c h e Klinik 1 8 5 5 . No. 3 7 . ] —
warmen Wasserbades.
Ebend.^1855.
o d e r p r o l o n g i r t e n L o c a l b ä d e r , Leipzig
1860.
186
C h i r u r g i s c h « O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
Stunden lang unverändert; wenn die Eigenwärme des im Bade befindlichen Körpertheils erheblich gesteigert war und kühles Wasser angewandt wurde, so kann die Temperatur des Badewassers sogar steigen. Wechsel des Wassers ist zur Erhaltung der Reinlichkeit um so mehr erforderlich, als in den Fällen, wo man von permanenten Bädern vorzugsweise Gebrauch macht, meist Eiterung oder gar Jauchung zu bestehen pflegt. Man kann den Wechsel des Wassers continuirlich machen, indem man aus einem andern Gefäss frisches Wasser zuleitet und aus einem am Boden der Wanne angebrachten Hahn das benutzte abfliessen lässt. Ueberdies muss man die inneren Wände der Wanne täglich mit Schwämmen reinigen, die mit antiseptischen Flüssigkeiten getränkt werden. Ob noch ein anderweitiger Verband angelegt werden muss oder nicht, hängt von der Art des Leidens ab, welches zu behandeln ist; namentlich wird man oft mechanischen lndicationen Genüge leisten müssen, bevor man den Theil dem permanenten Bade übergiebt. Um die Lagerung einer in dieser Weise zu behandelnden Extremität im Bade zu sichern, können in den Wannen eine Anzahl von Gurten angebracht werden, welche man in verschiedener Höhe an Haken befestigt. Sobald aber für die Heilung erforderlich ist, dass der kranke Theil in einer bestimmten Stellung unverrückbar verbleibe, muss man besondere Verbände vorher anlegen. Auf die grosse Bedeutung w a s s e r f e s t e r V e r b ä n d e wurde in dieser Beziehung bereits früher (pag. 169) hingewiesen. Eine frische Wunde zeigt in dem warmen Bade alsbald eine beträchtliche S c h w e l l u n g ihrer Oberfläche, ihrer Ränder und ihrer Umgebungen, in Folge der I m b i b i t i o n mit Wasser, — welche für die Verflüssigung und Resorption von Exsudaten von Vortheil sein kann. Die rothe Wundfläche nimmt alsbald eine g r a u e F a r b e an und erscheint wie von einer Pseudomembran bedeckt. Dies hängt theils von der die Wunde wirklich überziehenden Exsudatschicht ab, theils von dem Aufquellen der Wundoberfläche. Jene Exsudatschicht wird nach 3 — 4 Tagen durch die unter ihr aufwachsenden Granulationen abgehoben, und letztere wachsen von da ab, — obgleich (wegen der Tränkung mit Wasser) weniger roth als in trocken behandelten Wunden, — schnell von allen Seiten empor. Entfernt man einen, längere Zeit hindurch in dem Bade behandelten Theil aus demselben, so erscheint die Wundfläche, wegen der alsbald eintretenden Austrocknung, schon nach wenigen Stunden auffallend kleiner. Das A u f q u e l l e n
wird einiger Maassen v e r m i e d e n , w e n n m a n s t a t t reinen W a s s e r s
S a l z l ö s u n g e n von d e r C o n c e n t r a t i o n
des Blutes a n w e n d e t .
lungen auf der N a t u r f o r s c h e r - V e r s a m m l u n g zu G i e s s e n ,
Vgl. T b . W e b c r ' s
1864.
Mitthei-
D a m p f - und
Gas-Häder.
187
Die V o r t h e i l e des permanenten warmen Bades sind, nach B. v. L a n g e n b e c k , folgende: B e s e i t i g u n g o d e r d o c h V e r m i n d e r u n g d e s W u n d s c h m e r z e s , der sich als wesentlich abhängig von dem Zutritt der äusseren Luft erweist, Entbehrlichkeit des W e c h s e i n s d e r V e r b ä n d e (mit seinen Schmerzen!), da das Bad selbst die Stelle eines deckenden Verbandes vertritt, die etwa angelegten Nähte sich aber auch unter Wasser entfernen lassen, g r ö s s t e R e i n l i c h k e i t , durch stetiges Fortspülen des Wundsecrets, V e r m i n d e r u n g d e s W u n d f i e b e r s und B e s c h l e u n i g u n g d e r H e i l u n g . Alles zu chirurgischen Zwecken anzuwendende Wasser muss r e i n , d. h. — abgesehen von den etwa beabsichtigten Beimischungen von Salz u. dgl. — frei von fremdartigen, namentlich von zersetzten oder sich zersetzenden (fauligen) Substanzen sein. In dieser Beziehung muss man nicht blos bei dem aus Teichen und Flüssen oder aus offnen Ziehbrunnen geschöpften, sondern auch bei dem durch Pumpen emporgeförderten oder aus Wasserleitungen herrührenden Wasser äusserst vorsichtig sein. Man thut wohl, in jedem Falle, das Wasser vor der Anwendung durch Zusatz von hypermangansaurem Kali oder anderen antiseptischen Substanzen zu desinficiren. 6. G a s f ö r m i g e S t o f f e ( E l a s t i s c h - f l ü s s i g e F o r m ) . — Man wendet Räucherungen mit Chlor, Carbolsäure, schwefliger Säure etc. an, um die atmosphärische Luft von beigemengten organischen, insbesondere Ansteckungsstoffen zu reinigen. Man lässt aber auch auf den ganzen Körper oder auf Theile desselben verschiedene Dämpfe einwirken, z. B. Wasserdampf im allgemeinen und localen Dampfbade, Dämpfe von Kampher, Benzoe, Belladonna, Hyoscyamus, Taback u. dgl. m., welche Substanzen zu diesem Behufe auf glühende Kohlen geworfen werden. Will man gasförmige Substanzen, welche nicht eingeathmet werden dürfen (wie z. B. schweflige Säure) auf die ganze Körperoberfläche wirken lassen, so ist dazu ein Kasten, Gummibeutel oder anderweitiger Apparat nothwendig, welcher den Körper mit Ausschluss des Kopfes umgeben und luftdicht schliessen muss. Aehnlicher festgeschlossener Apparate bedarf man, wenn einzelne Theile mit gasförmigen Medicamenten behandelt werden sollen. Kommt es dabei auf die Temperatur der angewendeten Dämpfe an, so muss ein Thermometer in dem Kasten angebracht sein. Um Dämpfe in den Mund, in die Nasenhöhle, oder das Ohr zu leiten, setzt man über das Gefäss, in welchem die Dämpfe entwickelt werden, einen passenden Trichter, dessen Spitze in die betreffende Höhle geleitet wird. Von den Tabacksdampf-Klystieren wird bei den eingeklemmten Brüchen (Bd. III) die Rede sein.
188
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
Die w a r m e L u f t ist in e i g e n t ü m l i c h e r Weise von J. G u y o t 1 ) bei der Behandlung der Wunden in Gebrauch gezogen worden. Sein Verfahren, — d i e B e h a n d l u n g d u r c h B r ü t w ä r m e (Incubation) — besteht d a r i n , dass der verletzte Theil, welcher übrigens vorher mit dem nöthigen Verbände versehen werden k a n n , in ein geschlossenes Gel'äss gelegt w i r d , in welchem mittelst einer kleinen Lampe die Luft andauernd auf einer Temperatur von etwa 3 6 0 C. (nicht über 4 0 ° und nicht unter 3 2 ° ) erhalten werden soll. Bei dieser Behandlung verschwinden, nach G u y o t , Schmerz, Rothe und Geschwulst sehr schnell und die W u n d e bekommt eine schöne rothe Farbe. In den ersten Tagen fliessen reichliche Mengen einer serös-sanguinolenten Flüssigkeit oder auch Eiter a u s ; späterhin, gewöhnlich aber sehr b a l d , wird dieser dick und leicht gerinnbar, weshalb er Krusten bildet, die man alle 2 — 3 Tage fortnehmen muss, damit der darunter angesammelte Eiter die Vernarbung nicht störe. Nach G u y o t wird die Eiterung, mag sie vorher n o c h ' s o schlecht gewesen sein, durch die Brütwärme schnell in eine gutartige verwandelt. Bei sehr reichlicher Eiterung muss n u r auch hier der Verband täglich zweimal mit grosser Sorgfalt erneuert werden. Dies Verfahren ist jedenfalls zu umständlich für die Anwendung in der gewöhnlichen Praxis. Man kann a b e r , wenn auch die Erfolge von G u y o t etwas zu glänzend geschildert worden sind, doch daraus entnehmen, dass man Wunden und Geschwüre immer in einer möglichst g l e i c h m ä s s i g e n T e m p e r a t u r erhalten sollte. Vielleicht ist für die durch „Incubation" erzielten Resultate auch der Urnstand von Bedeut u n g , dass die Einwirkung äusserer Einflüsse, namentlich auch der Luftwechsel dabei verhütet wird. Ueber die Wirkungen a n d e r e r G a s e liegen Untersuchungen vor von D e m a r q u a y und L e c o n t e und von Sa Iva. Dieselben wurden in der Art angestellt, dass der kranke Körpertheil in einen durch Gummi-Ansätze luftdicht schliessenden Apparat (vgl. Fig. 106) oder gradezu in einen luftdichten Gummistrumpf, der mit seiner Oeffnung die Extremität genau umschloss, gebracht und letzterer mit dem zu prüfenden Gase gefüllt wurde. Die K o h l e n s ä u r e soll, nach diesen Versuchen, die H e i l u n g a l l e r W u n d e n begünstigen, während Sauerstoff und noch mehr Wasserstoff störend wirken, Stickstoff aber sich indifferent verhalten soll 8 ). Bei allen Untersuchungen über die Wirkung verschiedener Gase, ' ) De l'emploi d e la c h a l e u r . 2
) Vgl. D e m a r q u a y ,
Paris,
1842.
E s s a i de p n e u m a t o l o g i e m e d i e a l e , Paris 1 8 6 6 , pag. 4 9 9 u . f.,
7 5 7 u. f., 8 2 5 u. f. —
Canstatt's Jahresbericht pro 1 8 6 0 .
Bd. IV. pag. 1 4 8 .
Antiseptische Verbände.
189
auch bei denen über die Wirkung erwärmter Luft, ist die wichtige Frage bisher unbeachtet geblieben, ob septische Substanzen bei dem angewandten Verfahren ausgeschlossen waren oder nicht. Die günstige Wirkung hat wahrscheinlich immer auf dem zufälligen Ausschluss derselben beruht. Antiseptische
Verbände.
Obgleich im Vorhergehenden bereits wiederholt auf die Bedeutung antiseptischer Verbände hingewiesen ist (vgl. pag. 50 und 142 u. f.) und bei der Therapie der Wunden darauf zurückgekommen werden muss, wollen wir auf dieselben, in Erwägung ihrer grossen Bedeutung, hier, namentlich von technischer Seite, doch im Zusammenhange näher eingehen. Nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts darf man als allgemein gültig aussprechen: j e d e r V e r b a n d , w e l c h e r n i c h t b l o s der Befestigung eines Theils dient, muss antiseptisch sein, d. h. alle Verbandstücke, welche auch nur entfernt mit einer wunden oder granulirenden Körperstelle in Berührung kommen, müssen so bereitet sein, dass sie weder selbst Fäulnisserreger (vgl. pag. 50) enthalten, noch auch solchen den Zutritt zu der wunden Stelle aus den umgebenden Medien (namentlich aus der Luft) gestatten. Dies Postulat ist zuerst von J o s e p h L i s t e r aufgestellt und begründet worden; ihm verdanken wir auch die ersten gelungenen und bisher noch nicht übertroffenen Versuche, diese Aufgabe zu lösen'). A. C a r b o l s ä u r e - V e r b ä n d e . — L i s t e r empfahl, um Verbandstoffe antiseptisch zu machen, vor Allem die, als ein auf niedere Organismen tödtlich wirkendes Gift schon früher erkannte C a r b o l - oder P h e n y l s ä u r e , als eigentlichen Verbandstoff aber Anfangs die pag.181 erwähnten Kataplasmen oder Pasten, auch Pflaster, denen Carbolsäure beigemischt war, spater aber lose Baumwollengewebe (Mull, Gaze). Der antiseptische Mull (antiseptic gauze), auch schlechtweg als „ L i s t e r ' s c h e r Verbandstoff" bezeichnet, ist mit einer starken Lösung von Carbolsäure in einer Mischung von Harz und Paraffin getränkt. Die in Harz gelöste Carbolsäure verflüchtigt sich nämlich weniger schnell, als die in Wasser oder Alkohol gelöste; das Fett (Paraffin) wird nur zugesetzt, um das Zusammenkleben zu verhüten. Man lässt 5 Theile Harz schmelzen, setzt 7 Paraffin und 1 krystallisirte Carbolsäure zu und tränkt die (nicht gestärkten oder appretirten, aber scharf l
) Vgl. namentlich: Lancet, 1 8 6 7 , March bis July, und British med. journal,
1871,
Aug., ausserdem eine grosse Reihe von Veröffentlichungen L i s t e r ' s und Anderer, über welche im „Jahresber.
ü. d. Leist, u. Fortschr. d. gesammten
Bd. II. in den Jahrgängen von 1 8 6 8 ab von mir referirt ist.
Medicia"
190
Chirurgische
Operationen
iin
Allgemeinen.
getrockneten) Mullstiicke in dieser Lösung und lässt dieselben gleich darauf so stark auspressen oder auswalzen, dass sie porös bleiben. Da das Eindringen der Carbolsäure in die wunden Gewebe in den meisten Fällen nicht erwünscht ist, vielmehr die W u n d e , wie es L i s t e r bestimmt ausspricht, so weit als möglich sich selbst überlassen bleiben (io be let alone) und nur vor äusseren Einflüssen geschützt werden soll, legt L i s t e r seinen Verbandstoff nicht unmittelbar auf die W u n d e , sondern bedeckt dieselbe vorher mit einem überall den Umfang derselben ein wenig überragenden Stück von feinem Seidentaffet, der auf beiden Seiten mit bleihaltigem Copallack überzogen ist und unmittelbar vor der Anwendung in eine schwache (1—2procentige) Carbolsäurelösung getaucht wird. Um einen typischen L i s t e r - V e r b a n d zu m a c h e n , legt man auf diesen S c h u t z t a f f e t (protective silk, auch schlechtweg P r o t e c t i v genannt.) acht Lagen von antiseptischem Mull, welche die wunde Stelle nach jeder Richtung mindestens um 20 Centimeter überragen, mithin kleinere Theile ganz einhüllen müssen. Zwischen die letzte und vorletzte Schicht wird in der Gegend der W u n d e ein Stück Macintosh (mit Kautschuklösung bestrichener Shirting) oder sonst ein wasserdichter Stoff, mindestens doppelt so gross, als der angewandte Schutztaffet, eingeschaltet, damit das Wundsecret nicht auf gradeni Wege alle Lagen des Verbandstoffes durchdringe und somit allzuschnell mit der äusseren Luft in Berührung trete, sondern genöthigt werde, sich im Umkreise der Wunde in den Lagen des Verbandstoffs zu verbreiten und diese erst allmälig zu durchwandern. Endlich werden alle diese Verbandstücke durch mehrere Lagen von Binden, welche aus antiseptischem Mull geschnitten sind, genau befestigt, so dass auch mechanisch die Möglichkeit des Eindringens schädlicher Substanzen von Aussen in möglichst hohem Grade beschränkt wird. Handelt es sich um eine unter antiseptischen Cautelen gemachte, also eine Operations-Wunde (vgl. pag. 50), so muss der CarbolsäureSpriihregen (Spray) so lange unterhalten werden, bis der antiseptische Mull aufgelegt ist. Anderen Falls ist überdies die Wunde vor dem Anlegen des Verbandes erst durch Auswaschen und Ausspülen mit einer 5proc. Carbolsäure-, oder einer lOproc. Ghlorzinklösung aseptisch zu machen. In jedem Falle und ohne Rücksicht auf die etwa durch Nähte (mit aseptischem Material) zu bewirkende Vereinigung der Wunde, muss für freien Abfluss des Wundsecretes durch Einlegen eines oder mehrerer Drains, d. h. durchlöcherter Stücke eines entsprechend dicken Gurnmischlauchs, welche vorher in 3procentiger Carbolsäurelösung aseptisch gemacht sind, — gesorgt werden.
Antiseptiscbe
Verbände.
191
Alle anzuwendenden Instrumente, Schwämme, die Hände des Arztes und der Gehülfen, kurz Alles, was mit der wunden Stelle in Berührung kommt, muss aseptisch sein. Vgl. pag. 50. Sind Unterbindungen blutender Gefässe nöthig, so müssen sie mit aseptischen Fäden (carbolisirten Darmsaiten) gemacht werden. Vgl. Bd. II. Sobald Wundsecret an irgend einer Stelle den Verband durchdringt, wird derselbe unter gleichen Cautelen, wie beim ersten Anlegen (also auch unter Spray), gewechselt. Dies ist Anfangs oft vor Ablauf von 24 Stunden, später bei Weitem seltener erforderlich, so dass die Umständlichkeit des Verbandes dann auch in Betreff des Zeitaufwandes belohnt wird. Als ich im Frühjahr 1872 den antiseptischen Verband in meiner Klinik einführte, haben die damals noch recht erheblichen Schwierigkeiten und die Kostspieligkeit der Beschaffung des von L i s t e r vorgeschriebenen Verbandmaterials mich veranlasst, statt des „Protective Silk" gewöhnlichen feinen Wachstaffet, welcher vorher in 1 procent. Carbolsäurelösung getaucht ist, und statt des L i s t e r ' s c h e n Verbandstoffs den überall käuflichen Mull (Gaze) zu verwenden, nachdem der letztere vorher zu Comprcssen und Binden zureehtgeschnitten und mit siedendem Wasser gebrüht ist, dann einige Stunden in 2procentiger (oder auch nur 15 Minuten in 5 procentiger) und nach kräftigem Ausdrücken bis zum Gebrauch in 1 procentiger Carbolsäurelösung gelegen hat. Mit den hieraus ex tempore dargestellten feuchten Verbänden habe ich, unter übrigens strenger Befolgung der L i s t e r ' schen Vorschriften, bei den verschiedensten Operationen (Amputationen, Exstirpationen, Abscessöffnungen u. s. f.), sofern das ganze Verfahren sich überhaupt anwenden liess, dieselben Erfolge gehabt, wie mit dem ursprünglich von L i s t e r angegebenen Verbandstoff. Nur in einem Punkte ist hierbei die Nachbehandlung etwas umständlicher. Da die Carbolsäure aus der wässrigen Lösung viel schneller verdunstet, als aus der harzig-fettigen, so würden die in oben beschriebener Weise hergestellten Verbandslücke bald aufhören antiseptisch zu wirken, wenn man sie austrocknen liesse. Es muss daher ein Wärter beauftragt werden, den Verband in angemessenen Zwischenräumen, namentlich aber, wenn er anfängt trocken zu werden, mit 2 procentiger Carbolsäurelösung zu begiessen. Oft kann dies der Operirte selbst besorgen und thut es gern, weil ihm die Abkühlung des operirten Theils fast immer wohl thut. Dringt an einzelnen Stellen Wundsecret in geringer Menge durch den feuchten Verband hindurch, so genügt es, wenn man nur sofort an diesen Stellen etwas stärkere Carbolsäure-Lösung aufgiesst und dann neue Compressen von
192
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
getränktem Mull auflegt und durch Bindentouren genau befestigt. Auf diese Weise kann der anderweitig nicht erwünschte Wechsel des Verbandes oft Tage lang hinausgeschoben werden. An die Stelle des Mull ist in meinen feuchten Verbänden dann, nach den sorgfältigen Untersuchungen und Versuchen von R. K o e h l e r 1 ) , die J u t e getreten. Die Bereitung dieses „feuchten Carbol-Jute-Verbandes" geschieht in folgender Weise. Aus der käuflichen Jute werden durch Zupfen und Drehen des gezupften Stoffes in der Hand rundliche Scheiben von ca. 15 Ctm. im Durchmesser und 1—2 Ctm. Höhe geformt, — „Jutekuchen". Das Zupfen und Drehen ist durchaus nothwendig, um ein Verfilzen des Stoffes zu vermeiden. Jeder Kuchen wiegt ungefähr 4 — 5 Grm. Die einzelnen Kuchen werden, durch Pergamentpapier getrennt, übereinander gelegt, so dass dadurch das Bild einer Säule entsteht. Diese wird in ein mit 5proc. Carbolsäurelösung angefülltes Gefäss gesetzt, so zwar, dass der oberste Kuchen noch von der Säure bedeckt ist. In dieser Säure bleiben die Kuchen 1 Stunde liegen. Sodann wird die Säure in ein zweites Gefäss gegossen (das Herausnehmen der Jutestücke mit den Händen verbietet sich wegen der Stärke der Lösung) und kann noch mehrere Male benutzt werden. Nunmehr kommen die Kuchen in eine 2 p r o c . Lösung, in welcher sie bis zum Augenblicke des Bedarfs liegen bleiben. Vor dem Beginn des Verbandes nimmt man sie heraus und wringt sie so stark aus, dass sie sich fast trocken anfühlen. Kleine Mengen Jute kann man in wenigen Minuten antiseptisch machen, wenn man das Eindringen der öprocentigen Lösung durch Schütteln und Kneten unterstützt. Als Befestigungsmittel des Verbandes dient die oben erwähnte feuchte Mullbinde. Macintosh ist entbehrlich. Dieser Verband bleibt, wegen der Capillarität der Jutefaser," sehr lange ausreichend feucht und deshalb lange wirksam. 300 Grm. feuchte Jutekuchen enthalten ungefähr 220 Grm. Carbolsäurelösung; breitet man diese Jutemasse auf einem Brette aus, um die Verdunstung zu prüfen, so zeigt sich, dass nach Verlauf von 30 Stunden noch 130 Grm. Säure in ihr enthalten sind. Anfeuchten des Verbandes ist daher nur selten nöthig. Während diese feuchten antiseptischen Verbände sich mir und Anderen in der klinischen, wie in der Privat-Praxis bewährt haben, ist man weiterhin vielfach bemüht gewesen, unter Beibehaltung der Carbolsäure, dem L i s t e r ' s c h e n Mull gleichwerthiges trocknes Verbandmaterial durch andere Arten der Tränkung und durch Benutzung der Jute billiger oder bequemer herzustellen. Zwei dieser Bereitungs' ) Vgl. D e u t s c h e m e d i c . W o c h e n s c h r i f t , 1 8 7 6 , No. 1 3 u n d 2 1
bis 2 3 .
Antiseptische
193
Verbände.
weisen dürften besonders hervorzuheben sein, von denen die eine durch M i i n n i c h 1 ) zur Herstellung antiseptischer Jute, die andere durch P. B r u n s 4 ) für antiseptischen Mull empfohlen wurde. Nach der Vorschrift von M ü n n i c h werden 400 Colophonium in etwa 800 Spiritus unter leichter Erwärmung aufgelöst und nach dem Erkalten mit einer Lösung von 100 Carbolsäure in etwa 300 Spiritus (die Gesammtmasse des Spiritus soll 1100 betragen) gemischt, endlich 500 Glycerin hinzugefügt. Mit dieser Lösung wird 1 Kilo J u t e Übergossen, durchgearbeitet und, wenn die Fasern durch Verdunstung des Spiritus zu verkleben anfangen, ausgezupft und zum Trocknen ausgebreitet. Um die auch für derbe Finger etwas schwierige Arbeit des Zerzupfens zu erleichtern, kann man der angegebenen Colophoniumlösung noch 50 Stearin zusetzen. Dadurch wird aber das Trocknen verlangsamt, welches sonst nur 4 Stunden dauert. Das Präparat hat schliesslich das doppelte Gewicht der rohen Jute. Zwei Mann können in ®/4 Stunde 1 Kilo „trockne Carbol-Jute" darstellen. P. B r u n s lässt je 1 Kilo entfetteten M u l l mit einer alkoholischen Harzlösung tränken, welche auf 2 0 0 0 Ccm. Weingeist 400 gepulvertes Colophonium, 100 Carbolsäure und (zur Verhütung des Klebens) 4 0 Ricinusöl enthält, und dann an der Luft ausgebreitet (nicht hängend) trocknen, — was Alles in einer Stunde beendet sein kann. Abgesehen von dem geringeren Preise, der freilich den der „feuchten Verbände" noch weit übersteigt, ist dieser „Carbol-Mull", nach P. B r u n s , vor dem L i s t e r ' s c h e n durch grössere Weichheit und weniger reizende Wirkung auf die Haut ausgezeichnet. B. S a l i c y l s ä u r e - V e r b ä n d e . — C. T h i e r s c h * ) hat die, als Antisepticum zuerst von K o l b e empfohlene Salicylsäure in die antiseptische Chirurgie eingeführt und die Methode zur Bereitupg der entsprechenden Verbandstoffe angegeben. Da diese Säure in kaltem Wasser sehr schwer (1 : 3 0 0 ) löslich ist und in einer solchen wässrigen Lösung nahe an der Grenze ihrer antiseptischen Wirksamkeit steht, empfahl T h i e r s c h , ausser den Berieselungen mit solchem ' ) Deber die V e r w e n d b a r k e i t des nassen C a r b o l j u t e v e r b a n d e s in und
über
bände. 2
einige Versuche
zur
Herstellung
billiger t r o c k n e r
der
Kriegschirurgie
a n t i s e p t i s c h e r Ver-
D e u t s c h e militairärztliche Zeitschrift, 1 8 7 7 , Hft. 1 0 .
) Einige Vorschläge
zum
antiseptischen V e r b ä n d e ,
Berl. klin. W o c h e n s c h r .
1878.
No. 2 9 . ®) Klinische Ergebnisse
den
Ersatz
d e r C a r b o l s ä u r e d u r c h Salicylsäure, Leipzig 1 8 7 5 , in der Volkmann'schen
der
Lister'schen
Wundbehandlung
und
über
Samm-
lung klin. Vorträge No. 8 4 u . 8 5 . B u r i l e l c b e n , Chirurgie.
8. Aull.
I.
13
194
C h i r u r g i s c h e Operationen im
Allgemeinen.
„Salicylwasser", die Anwendung von Watte und J u t e ' ) , welche aus heissen wässrigen oder aus alkoholischen Lösungen von Salicylsäure grössere Mengen derselben (in krystallinischem Zustande) aufgenommen haben, z. B. 10 Kilo entfettete Watte, getränkt mit einer Lösung von 1 Kilo Salicylsäure in 1 Kilo Spiritus von 0,83 spec. Gew. und 60 Liter Wasser, oder 10 Kilo gereinigte Jute, 800 Grm. Glycerin, 6 Liter Wasser, beide dann auf 8 0 ° C. erhitzt und schliesslich, an der Luft ausgebreitet, getrocknet. Der Zusatz von Glycerin soll zur Verhütung des Herausfallens und Zerstäubens der in den Stoffen wieder krystallisirenden Salicylsäure dienen. Besser als Glycerin, hilft diesem Uebelstande, nach P. B r u n s , ein Zusatz von Ricinusöl ab, mit dessen Hülfe man sogar auch Mull in dauerhafter Weise mit Salicylsäure imprägniren kann. Für ein Kilo Mull und 100 Grm. Salicylsäure (in 2 3 6 0 Ccm. Spiritus gelöst) genügen 40 Grm. Ricinusöl oder je 20 Grm. Ricinusöl und Colophonium'). C. T h y m o l - V e r b ä n d e . — Auf die stark antiseptische Wirkung des flüchtigen T h y m o l (Thymiankampher) hat zuerst P a q u e t 3 ) , in neuester Zeit aber besonders L u d w i g L e w i n , auf Grund einer grossen Reihe von Versuchen, hingewiesen 4 ). Dasselbe löst sich (unter Zusatz von 10 Alkohol und 20 Glycerin) in 1000 Wasser, wirkt aber auch in dieser Verdünnung noch entschieden antiseptisch, so dass der im Vergleich zur Carbolsäure etwa 20 mal höhere Preis dadurch nahezu ausgeglichen wird. Die ersten Versuche Uber die praktische Verwerthung des T h y m o l wurden bereits 1875 in meiner Klinik gemacht 5 ), wo es seitdem sowohl als Spray und als Waschund Berieselungs-Wasser, wie auch zur Darstellung der oben beschriebenen feuchten Mull- und Jute-Verbände in einer bald mehr, bald weniger grossen Anzahl von Fällen in Gebrauch geblieben ist. Nach meinen Erfahrungen entspricht Thymolwasser von 1 : 1000 in seiner Wirkung einer ein- bis zweiprocentigen Lösung von Carbolsäure. Einen thymolhaltigen trocknen Verbandstoff hat H. R a n k e 6 ) an') t.
Mosengeil
hat
d a s Verdienst,
septischen Verbänden z u e r s t
auf
die Verwendbarkeit der J u t e
a u f m e r k s a m g e m a c h t zu
haben.
Vgl.
zu
anti-
Thiersch,
1. c. p. 7 2 3 . s
) Vgl. P. B r u n s ,
3
) Vgl. Bulletin général d e t h é r a p . med. et Chirurg. 1 8 6 8 . p. 4 9 4 u .
4
) Das Thymol, ein Antisepticum und A n t i f e r m e n t a t i f u m , Archiv f. path. Anat. etc.
8
) Vgl. L u d w .
Bd. 6 5 . p . 1 6 4 .
Berl. klin. W o c h e n s c h r . 1 8 7 8 . No. 2 9 .
Berlin
Lewin,
508.
1875.
über
die p r a k t i s c h e
Verwerthung
des T h y m o l ,
Deutsche
m e d . W o c h e n s c h r . 1 8 7 8 , No. 1 5 . 6
) Ueber das Thymol u n d
seinp Benutzung
bei d e r
antiseptischen Behandlung der
W u n d e n , in V o l k m a n n ' s S a m m l u n g klinischer Vortr. ( 1 8 7 8 ) No. 1 2 8 .
195
ADtiseptische Verbinde.
fertigen lassen durch Tränken von 1 Kilo Mull in einer Mischung von 16 Thymol, 500 Cetaceum und 50 Harz (bei gelinder Hitze geschmolzen), analog der L i s t e r ' s c h e n carbolisirten Gase. Der fertige Verbandstoff enthält 1 Procent Thymol. Nach den Mittheilungen von R a n k e ist nicht zu bezweifeln, dass dieser weiche und bequem zu handhabende Verbandstoff hinreichend antiseptisch wirkt. D. B e n z o e s ä u r e - V e r b ä n d e . — Die antiseptische (desinficirende) Wirkung der Benzoesäure (namentlich der Tinctura benzoes) war schon von Alters her populär bekannt; neuerdings hatte S a l k o w s k i 1 ) darauf, nach eigenen Versuchen, besonders aufmerksam gemacht. P. K r a s k & 2 ) empfahl, nach Versuchen in der V o l k m a n n ' schen Klinik, dureh Tränkung von Watte oder Jute mit Lösungen der Benzoesäure trockene Verbandstoffe herzustellen. Für die tieferen Schichten wird ein Gehah von l O i l O O / f l i r die oberflächlichen von 4 oder 5 : 100 verlangt. — P. B r u n s 9 ) lässt in derselben Weise, wie mit Salicvlsäure, auch mit Benzoesäure entfetteten Mull imprägniren. Zur Bereitung des öproccntigen Benzoemülls bedarf man auf 1 Kilo Mull und 50 Benzoesäure 20 Ricinusöl oder je 10 Ricinusöl und Colophonium nebst der zur Lösung erforderlichen Menge Spiritus; für den lOprocentigcn das Doppelte. E. B o r s ä u r e - V e r b ä n d e . — Schon seit 1872 hat man in Schweden zu antiseptischen Verbänden eine als A s e p t i n bezeichnete Mischung von 2 Borsäure, 1 Alaun, 18 Wasser angewandt 4 ). Einen besonderen Verbandstoff liess L i s t e r 5 ) durch Tränken von L i n t mit einer concentrirten Lösung von Borsäure in heissem Wasser darstellen. Da Borsäure in heissem Wasser leicht, in kaltem sehr schwer löslich ist, so krystallisirt sie beim Erkalten und Trocknen des Lint in und an demselben, haftet aber ziemlich fest. F. C h l o r z i n k - V e r b ä n d c habe ich seit Jahr und Tag zu antiseptischen Zwecken angewandt. Zu diesem Behuf werden Jutekuchen (vgl. pag. 192) mit einer wässerigen Chlorzinklösung von hinreichender Stärke getränkt, um nach dem Trocknen einen Gehalt von 5 oder von 10 Procent Chlorzink zu besitzen. Die Befestigung geschieht mit aseptischen Mullbinden (pag. 191). Deutsch, m e d . W o c h e n s c h r . 1 8 7 6 , No. 10. 2
) Berliner klin. W o c h e n s c h r . 1 8 7 5 , No. 2 2 .
3
) Berl. klin. W o c h e n s c h r . 1 8 7 8 , No. 2 9 .
4
) Westerland,
forsok med aseptin ps öm f ö r b a n d s m e d e l .
Finska läk.
sällskap
h a n d l . XIV. ' ) On
r e c e n t improvemeDts
in
the details of a n t i s e p t i c
surgery,
Lancet,
March, April, Ma}, J u n e .
13*
1875,
196
Chirurgische O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
Durch Tränkung mit einer Lösung von e s s i g s a u r e r T h o n e r d e ' ) lassen sich feuchte antiseptische Verbandstoffe leicht herstellen. Für feuchte Verbände sind die früher schon von P o l l i als desinficirende Mittel empfohlenen s c h w e f l i g s a u r e n A l k a l i e n und die s c h w e f l i g e S ä u r e gleichfalls zu verwerthen 2 ). — Als das neueste Antisepticum, über welches jedoch hinreichende Erfahrungen noch nicht vorliegen, erwähne ich das T e r e b e n '). G. G e m i s c h t e a n t i s e p t i s c h e V e r b ä n d e sind zum Theil schon im Vorstehenden erwähnt. Besonders empfiehlt B ö s e 4 ) die Tränkung der Salicylwatte (pag. 194) mit einer Lösung von 2 ' / s bis 5 S a l i c y l s ä u r c und 2 bis 4 B o r a x in 100 Wasser. Durch den Zusatz von Borax wird, nach seinen Versuchen, die Löslichkeit der Salicylsäure ohne Beeinträchtigung ihrer Wirksamkeit erheblich erhöht. Bei einem V e r g l e i c h d e r v e r s c h i e d e n e n a n t i s e p t i s c h e n V e r b ä n d e muss als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass die übrigen antiseptischen Cautelen (vgl. pag. 50 u. 142 u. f.) bei allen gleichmässig erfüllt werden; denn die Wirksamkeit eines solchen Verbandes hängt in erster Linie davon ab, dass die Schädlichkeiten, deren Vordringen zur Wunde durch denselben verhütet werden soll, nicht bereits vorher in dieselbe eingedrungen oder doch wieder unwirksam gemacht sind. Ferner ist festzuhalten, dass es gerade bei den hier in Rede stehenden Verbänden ebenso sehr auf die genaue Ausführung derselben ankommt, wie auf die Art des Verbandes selbst. Zu jeder Art von Verband gehört sogar eine besondere Uebung, und es ist daher wohl möglich, dass mit ein- und demselben Verbände der Eine, welcher sich auf denselben besonders eingeübt hat, vorzügliche Resultate erzielt, während ein Anderer, der ihn zum ersten Mal versucht und dessen Individualität das ganze Verfahren vielleicht nicht zusagt, wenig durch denselben befriedigt wird. Stellen wir die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t oben an, so gebührt den Essigsaure
Thonerde,
z u e r s t von G a n n a l
( 1 8 2 7 ) zur Verhütung der
Diss von L e i c h e n , d a n n von B u r o w s e n . ( 1 8 5 7 ) z u r W u n d b e h a n d l u n g —
wird, n a c h d e r V o r s c h r i f t von B u r o w
1873, 64
Vol. 11, pag. 4 2 5 ff.) d a r g e s t e l l t ,
Wasser
(wesentlich
mischt
und
die
dadurch
s c h w e f e l s a u r e m Blei)
immer etwas freie Essigsäure. —
Fäul-
empfohlen,
s e n . ( D e u t s c h e Z t s c h r f t . f. C h i r u r g i e , indem
man:
gewonnene
durch Filtriren
8
Lösung trennt.
Bleizucker, von
dem
5
Alaun,
Bodensatz
Diese L ö s u n g
enthält
Fiir I r r i g a t i o n e n , zu d e n e n ich die essigsaure
Thonerde schon seit Jahren angewandt h a b e , kann m a n das doppelte
Quantum
Wasser hinzufügen. 2
) Vgl. A. M i n i c h ,
C u r a a n t i s e t t i c a delle f e r i t e etc.
3
) Vgl. E. W a d d y ,
on
the
use
of t e r e b e n e
j o u r n a l , 1 8 7 7 , J u n e 2. 4
) Berl. klin. W o c h e n s c h r .
1 8 7 5 , No. 2 8 .
Venezia,
1876.
in surgical d r e s s i n g e t c . ,
Brit.
med.
Antiseptische
Verbände.
Carbolsäure-Verbänden der erste Plalz.
197
Die Thymolstoffe stehen wohl
nur wegen der etwas grösseren Schwierigkeit, welche die Darstellung stärkerer Lösungen darbietet, hinter jenen zurück. sind sehr
flüchtig.
Beide Substanzen
Deshalb werden die aus ihnen mit Hülfe von Harz-
und Fettlösungen hergestellten Verbandstoffe mit der Zeit u n w i r k s a m ; man
wird sich derselben
n u r bedienen d ü r f e n , wenn sie
entweder
frisch bereitet oder in ganz sicherer (luftdichter) Verpackung a u f b e wahrt
waren.
Vorzug,
Feuchte T h y m o l - u n d
C a r b o l - V e r b ä n d e haben
dass sie in kürzester Zeit ohne irgend welche
den
technische
Hülfen hergestellt (improvisirt) werden können, müssen aber aus dem eben
angeführten
Wurde Jute
Grunde
von
Zeit
zu
als Verbandstoff v e r w e n d e t ,
Zeit
angefeuchtet
werden.
so genügt e s , wenn
diese
Anfeuchtung alle 12 Stunden einmal wiederholt wird. — Die Salicylsäure steht nicht blos in Betreff ihrer Löslichkeit, Stärke der antiseptischen
W i r k u n g den
sondern auch an
vorgenannten Mitteln
nach,
dagegen hat sie den Vortheil, d u r c h a u s nicht flüchtig zu sein, so dass die damit imprägnirten Stoffe ihre antiseptische Kraft a n d a u e r n d bewahren, sofern n u r die kleinen in denselben haftenden Krystalle der Säure nicht mechanisch herausgeschüttelt werden, was namentlich bei Verwendung von Jute leicht geschehen k a n n .
Dies „ H e r a u s s t ä u b e n "
von Salicvlsäure aus den Verbandstoffen h a t nicht blos den Uebelstand, dass die Wirksamkeit dadurch g e f ä h r d e t w i r d , sondern
be-
lästigt auch durch die eigenthümlich reizende W i r k u n g auf die Schleimhaut der
Respirationswege,
welche Niesen
und
Husten
hervorruft.
Dagegen ist es als ein Vorzug dieser Säure im Vergleich zum Thymol und zur Carbolsäure hervorzuheben, dass die äussere Haut und
wunde
Stellen durch ihre Einwirkung viel weniger geschädigt werden.
Nicht
blos die Hand des Arztes, sondern vor Allem die Haut des Kranken hat unter der Wirkung der Carbolsäure zu leiden.
Bei Weitem am
Stärksten ist dies der Fall bei Anwendung des L i s t e r ' s c h e n Verbandstoffes, welcher nicht blos durch die Carbolsäure, sondern auch durch seinen denn
starken auch
Gehalt
der
von
an P.
Paraffin Bruns
u.
nachtheilig A.
wirkt,
vorgeschlagene
Paraffin durch ein mildes Fett räthlich erscheint.
—
weshalb
Ersatz
des
Nicht blos Schmerzen
und Röthung, s o n d e r n auch pustulöse Ausschläge und oberflächliche Hautgangrän kann
man unter dem L i s t e r ' s c h e n Verbände,
nament-
lich wenn die Binden fest angezogen w u r d e n , zu sehen bekommen. Wenn
man,
wie
gewöhnlich,
deshalb
die
„reizende"
Wirkung
der Carbolsäure anschuldigt, so erscheint mir dies n u r bei p o p u l ä r e r Auffassung des Wortes
„ r e i z e n d " zulässig.
Die Carbolsäure
wirkt,
wie auch C. H u e t e r bemerkt, nicht reizend, sondern lähmend, und
198
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
zwar vor Allem lähmend auf die kleinen GeRisse. Daher die stärkere Blutung aus allen frischen Wunden, welche mit Carbolsäure besprüht oder berieselt werden. In stärkeren Lösungen (Uber 3 : 1 0 0 ) wirkt dieselbe überdies ätzend. Ob die brennenden Schmerzen, welche sie auch in stark verdünntem Zustande bei längerer Berührung mit der Haut erregt, von einer direct nachtheiligen Einwirkung auf die Nerven herrühren oder vielleicht auch aus der Erweiterung der kleinen Gefässe und dadurch bedingter Blutstauung zu erklären sind, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls steht das Tbymol in dieser Hinsicht der Carbolsäure nicht nach, — die brennenden Schmerzen in der Haut sind selbst bei Anwendung einer Lösung von 1 : 1000 noch recht heftig — , während doch eine Lähmung der Gefässe nicht eintritt. Bei der Carbolsäure geht das schmerzhafte Brennen allmälig in Anästhesie Uber, beim Thymol nicht. — Verbände mit Benzoesäure sind in schwierigeren Fällen noch nicht hinreichend oft erprobt worden, für leichtere, sowie für die späteren Stadien der Behandlung reichen sie jedenfalls aus. Unter denselben Verhältnissen genügen aber auch die von L i s t e r besonders empfohlenen Borsäure-Verbände, welche den Vortheil gewähren, dass die Verbandstoffe in beliebiger Verpackung Jahre lang aufbewahrt werden können ohne an Wirksamkeit einzubüssen, da die Borsäure nicht flüchtig ist. — ChlorzinkVerbände dürfen nicht mit wunden Flächen in Berührung kommen, da sie ätzend wirken; aus demselben Grunde muss verhütet werden, dass nicht etwa Wundsecret, welches aus dem Verbände Chlorzink aufgenommen hat, in die Wunde zurückfliesse oder in ihrer Umgebung aufgestaut werde. Wird diese Cautel beachtet, so kann man mit Chlorzink-Jute-Kuchen vollständig antiseptische Verbände erzielen. In gleicher Weise kann man auch die mit Thonerde-Salzen imprägnirten Jute-Kuchen anwenden. Wir haben im Vorstehenden bereits die localen Schäden erwähnt, welche aus der Anwendung einzelner antiseptischer Mittel hervorgehen können. Von bei Weitem grösserer Bedeutung ist aber die Frage nach der G e f a h r , welche aus der Resorption antiseptischer Substanzen entstehen könnte. Auch hierbei handelt es sich wesentlich um die C a r b o l s ä u r e , da von allen antiseptischen Substanzen nur diese in solchen Dosen, wie sie aus einem Verbände in den ganzen Organismus übergehen könnten, bedenkliche Störungen hervorzurufen geeignet ist. Die Carbolsäure ist in der That ein Gift. Dass sie aus den Verbänden sehr häufig resorbirt wird, und zwar aus trockenen ebenso gut wie aus feuchten, das ergiebt sich aus den charakteristischen und leicht erkennbaren Veränderungen des Harns. Die Farbe desselben
Antiseptische Verbände.
199
wird olivengrün, nach längerein Stehen an der Luft dunkelbraun, zuletzt schwarz; die schwefelsauren Salze verschwinden, indem sie in sulfo-carbolsaure Salze umgesetzt werden. Aber trotz dieser höchst auffallenden Erscheinungen bleibt das Wohlbefinden des Patienten, sofern nicht andere Schädlichkeiten einwirken, meist ganz ungestört. In einzelnen Fällen aber sinkt ohne sonstigen Grund der Appetit, die Patienten flihlen sich matt und liegen theilnahmlos da, leiden auch wohl an Uebelkcit und bekommen von Zeit zu Zeit Erbrechen. Die lutensität dieser Störungen steht keineswegs im graden Verhältniss zu der Intensität der Färbung des Harns. Bei auffallend dunklem Harn können die Kranken sich ganz wohl fühlen. Wenn es hiernach auch nicht nothwendig erscheint, auf Carbolsäure-Verbände ganz zu verzichten oder dieselben beim Auftreten dunkelen Harns fortzulassen, so entspricht es doch der Vorsicht, zu anderen antiseptischen Verbänden überzugehen, sobald die oben erwähnten Störungen auftreten. Die genauesten Untersuchungen über die Veränderungen des Harns durch die Carbolsäure und die Entstehung der Carbol- oder Phenyl-Schwefelsäure verdanken wir E. B a u m a n n ( ü b e r gepaarte Schwefelsäuren im Organismus.
P f l ü g e r ' s Arcb. XIII. p. 2 8 5 ) .
Besonders eingehend bat sich E. K ü s t e r (Archiv für klin. Chirurgie, 1 8 7 8 . XXIII. pag. ¡ 1 7 u. f.)
mit den giftigen Eigenschaften der Carbolsäure bei chirurgischer Ver-
wendung beschäftigt.
Nach seiner Auffassung ruft die Carbolsäure nicht blos die oben
erwähnten Erscheinungen hervor, in denen das Bild des Collapses vorherrscht, sondern erzeugt auch Fieber, was ich, nach eigenen Beobachtungen, nicht bestätigen kann. Um der drohenden Vergiftung durch Carbolsäure entgegen zu treten, ist vom chemischen Standpunkte
das Eingeben schwefelsaurer
saurem Natron, empfohlen worden.
Salze,
namentlich
von schwefel-
Die Hoffnung, dass die Carbolsäure, statt aus dem
Organismus schwefelsaure Salze an sieb zu reissen,
mit den
sich verbinden w e r d e , scheint nicht in Erfüllung zu gehen.
absichtlich eingeführten Nur fn einigen leichten
Fällen schien das schwefelsaure Natron zu nutzen; in den Experimenten von E. K ü s t e r erwies es sich unwirksam.
Bei der grossen Masse wirksamer antiseptischer Verbandstoffe, welche uns, ganz abgesehen von den früher erwähnten antiseptischen Irrigationen, nach vorstehender Uebersicht, zu Gebote stehen, muss auch dem P r e i s e derselben, wenn es sich um die Auswahl für den einzelnen Fall handelt, eine gewisse Bedeutung zugestanden werden. Dabei ist aber nicht blos der absolute Preis des Materials zu berücksichtigen, sondern auch die, durch dessen Beschaffenheit bedingte, verschieden grosse Häufigkeit des Wechsels der Verbände. Hiernach würden durch geringen Preis zunächst die Jute-Präparate ausgezeichnet sein, vor allen, wenn man trockne Verbände anwenden will, die Chlorzinkjute; unter den feuchten die Carboljute. Unter den übrigen Verbandstoffen zeichnen sich die nach den Vorschriften von M ü n n i c h und von P. B r u n s bereiteten durch relativ geringeren Preis aus.
200
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
IV.
Von der s o g e n a n n t e n k l e i n e n Chirurgie 1 ). A.
Von den
Blutentziehungen.
Um zu einem therapeutischen Zwecke Blut zu entziehen, öffnet man bald Venen, bald Arterien, bald Capillargefässe.
Die hierzu nö-
thigen Operationen heissen, d e m e n t s p r e c h e n d : V e n a e s e c t i o n (Aderlass,
Phlebotomie),
Arteriotoinie
und
capillare
oder
Örtliche
Blutentziehungen.
I. Aderlass, Phlebotomie, Venaescctio. Man k a n n den A d e r l a s s an allen Venen von mittlerem Durchmesser v o r n e h m e n , wenn dieselben n u r oberflächlich g e n u g liegen, um sie mit Leichtigkeit compriniiren zu k ö n n e n . Besonders geeignet für den Aderlass sind die in der A r m b e u g e gelegenen Venen, ferner, jedoch in geringerem Grade, die am Vorderarm, die am H a n d r ü c k e n , die am Unterschenkel und am F u s s r ü c k e n , die Stirnvenen, die am Augenwinkel und die an der unteren Fläche der Zunge gelegenen, endlich die an der oberen Seite des Penis. Gewöhnlich öffnet m a n die Venen der A r m b e u g e , seltener die des F u s s r ü c k e n s : noch seltener die übrigen, welche f r ü h e r auch oft, jedoch mehr zum Zweck einer örtlichen Blutentziehung benutzt w u r d e n . Das I n s t r u m e n t , mit welchem man weder die Lanzette oder der Schnepper. Kig. 107.
Die L a n z e t t e , Klinge, hat
an
ihrer
die Vene öffnet, ist
ent-
eine kleine zweischneidige Spitze
die Gestalt
eines
Gersten- oder H a f e r k o r n s , auch wohl die eines breiten
Säbels.
Die
erste
dieser F o r m e n
ist,
wegen grösserer Haltbarkeit der breiteren, gegen die Spitze hin sich schnell v e r j ü n g e n d e n Klinge, vorzuziehen. Der S c h n e p p e r (Fig. 107), von dem Holländer P a a s c h erfunden, besteht aus einer Klinge (Fliete), welche mit dem zugespitzten Theil einer recht breiten Lanzette verglichen w e r d e n
kann,
und einer starken Feder, durch welche der Stiel, an Man bat sich
dem j e n e Klinge befestigt ist, mit
grosser
mit Recht über den Ausdruck „ k l e i n e C h i r u r g i e " lustig ge-
m a c h t ; derselbe ist aber als Collectivname für die nachstehend
beschriebenen
Operationen althergebracht und deshalb auch bier beibehalten worden.
201
Aderlass.
Kraft abwärts geschleudert wird, wenn man sie nach vorheriger Spannung, durch einen leichten Druck auf einen Hebelarm, loslässt.
Die
F e d e r und der Stiel der Fliele sind in einem Gehäuse eingeschlossen, aus welchem vorn die eigentliche Klinge und die Zunge, an welcher die Feder aufgezogen wird, hervorragen. Die
Lanzette
wird
zwischen Daumen u n d Zeigefinger gefasst, bei flectirter Stellung dieser
beiden
Finger, während die übrigen alsStützedienen, aufgesetzt, u n d , indem jene plötzlich gestreckt sessen.
werden,
einge-
Ist die OefFnung
(wie gewöhnlich)
nicht gross g e n u g ,
ziehen des Instrumentes (Fig. 108). Lanzette (d. h. eines kleinen,
so dilatirt
man sie beim Aus-
Bedient man sich einer gestielten
am Besten säbelförmigen Messers),
so
f ü h r t man dieselbe in II. Position (vgl. pag. 75). Der S c h n e p p e r wird mit seiner Spitze m e h r oder weniger fest auf die Haut aufgesetzt und dringt mit einem Schlage ein, sobald die gespannte Feder losgelassen wird. Bei der Lanzette wirkt also die Hand des Operateurs direct, bei dem Schnepper indirect, indem die Operation zunächst durch die Kraft d e r Feder a u s g e f ü h r t wird, dennoch hat der W u n d a r z t das m e h r oder weniger tiefe Eindringen
des Instrumentes beim Schnepper eben
so
sehr in seiner Gewalt, wie bei der Lanzette, sobald er sich n u r d a r ü b e r vergewissert h a t , wie tief der Schnepper e i n d r i n g t , wenn man seine Spitze in
dieser oder jener E n t f e r n u n g auf die Haut aufsetzt.
hat behauptet, ist irrig.
Man
d e r Schnepper m a c h e eine gequetschte W u n d e .
Vorausgesetzt,
Dies
dass das Instrument nicht stumpf w a r , ist
die W u n d e wegen d e r grossen Schnelligkeit, mit welcher die Klinge g r a d e a b w ä r t s getrieben w i r d , so rein als eine W u n d e n u r sein k a n n . nicht
ein b e d e u t e n d e r e r Nervenast
getroffen w i r d ,
w ä h r e n d der Einstich mit der Lanzette immer ursacht.
irgend
Die Operation mit dem Schnepper ist deshalb auch, wenn
Ueberdies
ist man sicherer mit
ganz
schmerzlos,
einigen Schmerz ver-
dem Schnepper auf einen
Schlag eine hinreichend grosse Oeffnung zu erhalten. Bei der Vorliebe, welche in Deutschland
noch immer f ü r den
S c h n e p p e r h e r r s c h t , ist es wünschenswerth, dass die Studirenden sich in beiden Verfahrungsweisen ü b e n ,
damit nicht
das P u b l i c u m ,
aus
Widerwillen gegen die Lanzette, die ungeschickten Hände eines Barbiers
202
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
vorziehe, welche ihm den erwünschten Schnepper darbieten. — Bei Franzosen, Italiänern und Engländern ist der Schnepper gar nicht in Gebrauch. Diejenigen, welche den Schnepper als die Hauptquelle unglücklicher Zufälle beim Aderlass betrachten, mögen daher nicht übersehen, dass in jenen Ländern solche „unglückliche Aderlässe" keineswegs seltener beobachtet worden sind, als in Deutschland. Vgl. „ V a r i x aneurysmaticus" in unserem II. Bande. Ich habe vier Mal die Art. brachialis wegen Verletzung beim Aderlass in der Ellenbeuge unterbunden: das eine Mal hatte ein Student mit der Lanzette die Arterie aufgeschlitzt, zwei Mal geschah die Verletzung durch einen, dem Trunk ergebenen Barbier, ein Mal durch einen Heilgehülfen, der sich zufällig eines neuen Schneppers bediente. A.
A d e r l a s s a m Arm.
Auf dem Rücken der Hand und in der Gegend der kleinen Daumenmuskeln entspringen kleine Venen, welche in einen Stamm zusammentreten, der den Namen V e n a c e p h a l i c a erhält; diese verläuft an der Radial-Seite der Beugefläche des Vorderarms. Nachdem sie eine grosse Menge von Hautästen aufgenommen h a t , stösst die Ven. cephal. in der Armbeuge mit der V. m e d i a n a c e p h a l i c a zusammen, steigt aufwärts an der äusseren Seite des Biceps, um weiter oben in der Furche zwischen, dem Delta-Muskel und dem Pectoralis major endlich zur V. subclavia zu gelangen. An der Ulnarseite des Handrückens entsteht aus zahlreichen kleinen Venen die V. s a l v a t e l l a , steigt, zahlreiche Aestchen aufnehmend, an der Ulnarseite des Vorderarms aufwärts, erhält dort den Namen V. b a s i l i c a , und begiebt sich vor dem Condylus internus zum Oberarm; an der inneren Seite der Sehne des Biceps empfängt sie von der V. mediana communis eine aufsteigende Anastomose, die V. m e d i a n a b a s i l i c a . Die V. m e d i a n a c o m m u n i s entsteht aus vielen Aestchen an der vorderen (Beuge-) Seite des Vorderarms und theilt sich, bevor sie die Ellenbeuge erreicht hat, unter spitzem Winkel in die V. m e d i a n a b a s i l i c a und V. m e d i a n a c e p h a l i c a 1 ) . — Die V. mediana communis fehlt oft. Dann steigt ein dicker anastomotischer Ast von der V. cephalica, schräg am inneren Rande der Cauda des Biceps, zur V. basilica aufwärts, welcher in jeder Beziehung der V. m e d i a n a b a s i l i c a entspricht und gewöhnlich auch deren Namen erhält oder schlechtweg V. mediana genannt wird. Die V. mediana cephalica fehlt in solchen Fällen ganz oder ist nur durch einen dünnen Verbindungsast vertreten. Vgl. Fig. 109, wo aber die V e n a m e d i a n a b a s i l i c a ein wenig nach der Radialseite (nach Links vom Beschauer) verschoben ist, um die auf der Spitze der Hohlsonde ruhende A r t e r i a b r a c h i a l i s deutlich erscheinen zu lassen.
AJerlass.
203
Fig. 109.
Es giebt also in der Armbeuge 5 Hautvenen; nämlich, vom Radialrande an gezählt: 1) V. cephalica, 2) V. mediana cephalica, 3) V. mediana communis (welche jedoch nur selten die Ellenbeuge erreicht), 4) V. mediana basilica, 5) V. basilica. Am Häufigsten öffnet man die V. m e d i a n a b a s i l i c a , weil sie am Oberflächlichsten und von allen sogenannten Hautvenen allein wirklich u n m i t t e l b a r u n t e r d e r H a u t liegt, daher auch gewöhnlich deutlich zu sehen ist und (theils wegen ihrer oberflächlichen Lage, theils wegen ihrer Verbindung mit den tiefen Armvenen) einen besonders reichlichen Blutstrom liefert. Ihre Eröffnung erfordert aber Vorsicht wegen der Nähe der Arteria brachialis, welche von ihr durch ein oft nur dünnes fibröses Blatt (Aponeurosis musculi bicipitis) getrennt ist. Bei Eröffnung der übrigen Venen läuft man, wenn keine Arterien-Varietät vorhanden ist, nicht Gefahr, eine Arterie zu verletzen; aber sie sind von Nervenästchen umgeben, und zwar desto zahlreicher, je näher sie dem Ulnarrande liegen. Auch sind alle anderen Venen gewöhnlich kleiner, als die Mediana basilica, und liefern keine so reichliche Blutung. Die V. m e d i a n a c o m m u n i s ist ebenfalls von Nervenästchen umgeben und bei mageren Subjecten kann leicht die hinter ihr liegende Arteria radialis, die nur durch ein dünnes fibröses Blatt von ihr getrennt ist, verletzt werden. Die V. m e d i a n a c e p h a l i c a ist besonders an ihrem oberen Theile gewöhn-
204
C h i r u r g i s c h e O p e r a t i o n e n im
Allgemeinen.
lieh frei von Nervenästchen und in ihrer Nähe befindet sich keine Arterie. W e n n man sie aber ganz durchsticht, so k ö n n t e eine Verletzung des Nervus rnuscnlo-cutaneus stattfinden, welcher in der Nähe der Stelle, wo die Cauda des Biceps sehnig w i r d , zwischen diesem u n d dem M. brachialis internus, heraustritt, so dass er durch die Mitte der Armbeuge gerade hinter der V. mediana cephalica verläuft. Am Sichersten ginge man d e m n a c h , wenn man die V e n a m e d i a n a c e p h a l i c a öffnete. Bei gehöriger Vorsicht h a t aber auch die Eröffnung der M e d i a n a b a s i l i c a keine Gefahr, und bei fettleibigen P e r s o n e n ist man gewöhnlieh n u r auf sie angewiesen, weil die a n deren Venen gar nicht zu entdecken sind. Man m u s s a b e r , b e v o r man die Aderlassbinde anlegt, um die Vene zu comprimiren, sich gen a u von der L a g e d e r A r t e r i c durch Zufühlen überzeugen. Gewöhnlich kreuzt sich die gedachte Vene mit der Arterie; alsdann kann man sie entweder oberhalb der Kreuzungsstelle, an der UlnarSeite, oder unterhalb der Kreuzungsstelle, an der B a d i a l - S e i t e d e r Arterie öffnen. Womöglich lässt man den Kranken den Biceps kräftig anspannen, indem man ihn auffordert, den Arm zu b e u g e n , der Ausf ü h r u n g dieser Bewegung aber durch Druck auf die Hand entgegenwirkt. Auf solche Weise wird die Sehne des Biceps und die a p o n e u rotische Ausbreitung derselben stark gespannt und durch letztere die Vene von der Arterie gleichsam abgehoben ( P e t r ö q u i n ) . Findet sich a n mässig
man
in
benutzt
V. c e p h a l i c a
werden in
oder
die H a n d ,
kann.
der Furche
E i n s c h n i t t biossiegen stechen
der Armbeuge keine
den V o r d e r a r m
Schlägt
deutlich wo
auch
erkennbare Vene,
die V e n a
sa Watella
dieser Versuch f e h l ,
zwischen Deltoides
so wendet oft
ganz
man
zweck-
so k a n n m a n
und Pectoralis m a j o r
durch
die
einen
u n d , w ä h r e n d m a n sie d a r ü b e r m i t dem F i n g e r c o m p r i m i r t ,
an-
(Lisfranc).
Das gewöhnliche V e r f a h r e n b e i m A d e r l a s s ist folgendes. Man umschlingt den Oberarm nahe den Condylen mit einer Binde, einem
cravattenförmig zusammengelegten T u c h e ,
des venösen Blutes zu hindern.
um
oder
den Rückfluss
Vor u n d nach dem Anlegen dieser
Compressiv- Binde wird die Lage der Arteria brachialis genau u n t e r sucht.
Man überzeugt sich auch vor dem Anlegen, ob bei Compres-
sion der A. brachialis
die Pulsation
in der A. radialis a u f h ö r t ,
sicher zu sein, dass keine Arterienvarietät v o r h a n d e n ist.
um
Sollte eine
solche entdeckt w e r d e n , so ist darauf zu a c h t e n , ob die A. radialis nicht etwa oberflächlich in der Armbeuge verläuft, w a s bei der hohen Theilung der A. brachialis nicht selten der Fall ist.
Leute mit kurzen
Armen erregen besonders Verdacht, dass die A. brachialis sich höher, als gewöhnlich, bei ihnen theile. — Die Binde muss f e s t g e n u g gelegt sein, u m den Rückfluss des venösen Blutes zu h i n d e r n ,
anaber
Ailerlass.
205
auch n i c h t z u f e s t , damit das Blut durch die Arterien zufliessen kann; ihre Enden müssen mit einer Schleife so geknotet sein, dass ein lcichter Zug an dem einen Binden-Ende genügt, um sie sofort zu lösen (vgl. Fig. 110). Man sorgt dafür, dass ein Gefäss zum Auffangen des Blutes, ein nicht blutscheues Individuum zum Halten desselben, kaltes Wasser und einige Analeptika für den Fall einer Ohnmacht, ferner eine kleine weiche Compresse, eine etwa 2 Meter lange aufgerollte Binde, und endlich hinreichende Beleuchtung vorhanden sind. Meist empfiehlt es sich, den Kranken l i e g e n zu lassen, weil man in dieser Stellung am Sichersten eine Ohnmacht vermeidet; ist es aber Absicht, eine solche herbeizuführen, so lässt man ihn aufrecht sitzen. Am rechten Arme macht man den Aderlass mit der rechten, am linken — lege artis — mit der linken Hand. Art und Sitz der Erkrankung, wegen welcher der Aderlass gemacht wird, können auf die Wahl des Armes dieser oder jener Seite vernünftiger Weise keinen Einfluss haben; den linken zu wählen, ist im Allgemeinen deshalb besser, weil er die nächstfolgenden Tage, wo Schonung erforderlich ist, leichter entbehrt werden kann. Der Vorderarm des Kranken wird in der Regel zwischen dem Arme und der Brust des Wundarztes, sonst aber von einem Gehülfen festgehalten, um jede unvorhergesehene Bewegung unmöglich zu machen. Nachdem man durch Bewegung der Finger (Drehen eines Stockes) Seitens des Kranken die Anschwellung der Venen hat verstärken lassen, untersucht man nochmals die Armbeuge, wählt die passendste Vene und fixirt sie mit dem Daumen der nicht operirenden Hand (Fig. 110), während die übrigen Finger derselben den Ellenbogen umfassen. Die Er-
Fig. H O .
206
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Öffnung der Vene geschieht alsdann mit der Lanzette oder mit dem Schnepper nach den oben angegebenen Vorschriften, am Zweckmässigsten in der Art, dass die Länge der kleinen Wunde schräg gegen den Lauf der Vene steht und somit Längs- und Cirkelfasern derselben gleichmässig getrennt werden. Das Blut springt nun sogleich in einem starken Bogen hervor, wenn Hautwunde und Venenwunde einander vollkommen entsprechen; ist die Haut aber verschoben worden, so kommt es nur stossweise hervor oder hört ganz auf auszufliessen. Man muss alsdann Hautwunde und Venenwunde wieder dicht auf einander zu bringen suchen, was am Einfachsten durch Hin- und Herziehen der Haut und sanftes Proniren und Supinircn geschieht. Um das Ausfliessen des Blutes zu befördern, lässt man den Kranken einen Stock mit den Fingern drehen, oder abwechseld fest umfassen und wieder loslassen. Durch die hierbei nöthigen Muskelcontractionen wird das Einströmen des Blutes in die oberflächlichen Venen befördert, indem die liefen durch die bei der Contraction sich verdickenden Muskeln comprimirl werden. Stockt der Blutstrahl, so untersuche man vor Allem, ob die Compressiv-Binde'nicht zu fest angelegt ist, in welchem Falle man sie sogleich etwas lockert. Nicht selten wird übersehen, dass die aufgestreiften Aermel die Rolle einer Ligatur spielen und durch ihren zu starken Druck das Einströmen des arteriellen, mithin auch sehr bald das Ausfliessen des venösen Blutes hindern. Die Frage, w i e v i e l Blut in dem einzelnen Falle entleert werden soll, kann hier ebenso wenig überhaupt
im Allgemeinen beantwortet werden,
ein Aderlass gemacht
werden soll.
wie die' noch viel wichtigere,
Die l n d i c a t i o n e n f ü r
den
ob
Ader-
l a s s sind so schwankend und so wesentlich von individuellen Verhältnissen abhängig, dass sie nur bei einer sehr speciellen medicinisch- therapeutischen Erörterung festgestellt werden
können. — Weniger als
3 0 0 Grammen Blut zu entleeren,
dürfte bei
einem Erwachsenen selten angemessen sein, noch seltener freilich wird man einen Aderlass von mehr als 1 Kilogr. rechtfertigen können. — Wird ein Aderlass an einem gesunden Menschen gemacht, um mit dem entleerten Blute die T r a n s f u s i o n (vgl. Bd. II.) auszufuhren, so ist der für diese voraussichtlich erforderliche Bedarf auch maassgebend f ü r das zu entleerende Quantum.
Ist die entsprechende Quantität Blut abgelassen, so löst man die Schleife, mittelst welcher die Compressionsbinde geschlossen ist, durch Zug an ihrem einen Ende (vgl. pag. 205) und setzt sie somit ausser Wirksamkeit. Findet sonst kein Druck auf die Venen oberhalb der Armbeuge Statt, so hört der Blutausfluss alsbald auf. Man setzt sofort den Daumen auf die Wunde und verschiebt die Haut, nicht blos um jeden weiteren Blutausfluss zu verhindern, sondern vorzugsweise um die Venenwunde auf diese Weise in eine subcutane zu verwan-
Aderlass. dein.
207 Fig. I I I . 1 )
Demnächst legt m a n auf die Haut-
w u n d e eine kleine (aseptische) Compresse, und
fixirt
diese
durch
eine in
Achter-
t o u r e n um die Ellenbeuge geführte Binde (Fig. 111).
Hierbei verfährt man in fol-
g e n d e r Weise. die Hand
Während
der Wundarzt
des halbgebeugten Armes des
Kranken unter seinem Arme festhält und mit dem
Daumen
Compresse gegen
der linken Hand die W u n d e
die
andrückt,
fasst er mit der rechten Hand die Binde, von welcher wird,
legt
vorher ein Stück
abgerollt
dieses ü b e r seinen Daumen
u n d hält es mit den übrigen Fingern derselben Hand an der Seite des Armes fest; hierauf zieht inzwischen
er den Daumen unter angespannten
Binde
der
hervor
u n d setzt ihn schnell auf den die Compresse bedeckenden Theil der Binde, befestigt den Anfang der Binde zuerst durch eine Cirkeltour, beuge und
mehrfache Achterlouren um die Ellen-
macht dann
eine Cirkeltour
um den O b e r a r m ,
führt aber
das Ende
d e r Binde schliesslich zur Anfangsstelle zurück und k n ü p f t hier beide E n d e n in eine Schleife zusammen, oder befestigt sie durch eine Nadel. Die u n t e r h a l b der W u n d e gelegene Cirkeltour kann werden;
die Cirkeltour um
fester angezogen
den Oberarm dagegen muss
damit sie nicht den Rückfluss des Blutes d u r c h
lose liegen,
die Venen
hindert
u n d somit eine N a c h b l u t u n g veranlasst. — Schliesslich empfiehlt man dem K r a n k e n , r u h i g zu halten.
den Arm gebeugt
und
mindestens 2 4 Stunden ganz
Der Verband wird nach 3 Tagen entfernt.
Wenn voraussichtlich
innerhalb
einer sehr kurzen Zeit mehrere Aderlässe noth-
wendig werden sollten (ein Fall, an den heut zu Tage kaum zu denken ist), so empfahl m a n , die OefFnung von Vorn herein grösser zu machen, die Compresse mit einer dünnen Schicht Gerat zu bestreichen und auf solche Weise die schnelle Vereinigung der Wunde zu hindern,
um den Aderlass aus derselben Wunde durch blosses Anlegen der Com-
pressionsbinde wiederholen
zu
können.
Man gab auch den R a t h ,
in
einem
solchen
Falle zur Beförderung des Blutausflusses die Venen zu drücken, zu streichen, zu reiben oder g a r , wenn durch alle diese Manöver kein gehöriger Blutstrahl erzielt w u r d e , die verklebten W u n d r ä n d e r mit einer Sonde oder einem Stecknadelknopf wieder zu t r e n n e n . Dies Alles kann die Entwickelung einer bedenklichen Entzündung begünstigen, und es ' ) Die mehrmals zu wiederholenden Bindengänge sind
in Fig. I I I
geführt, die Bedeckung erscheint daher unvollständig.
nur einfach aus-
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
208
ist daher viel vernünftiger, eine andere Vene oder dieselbe a n einer weiter gegen die Hand hin gelegenen Stelle zu öffnen. N u r wenn die in d e r gewöhnlichen W e i s e verbundene W u n d e nach Anlegung der C o m p r e s s i o n s b i n d e und bei einigen von dem Kranken vorzunehmenden Bewegungen d e r Finger sofort, wieder einen hinreichenden Blutstrahl liefert, kann m a n die Wiederholung d e s Aderlasses a u s derselben W u n d e billigen. Schwierigkeiten
beim Aderlass.
Der
Aderlass
kann
sehr leichte und einfache Operation sein, aber auch m a n c h e rigkeiten
eine
Schwie-
darbieten.
Zuweilen besonders
fehlt j e d e
sichtbare
bei w o h l g e n ä h r t e n
Muskeln w e n i g g e ü b t h a b e n . wickelung
der Venen,
des zugleich S c h u l d .
oder
Frauen
fühlbare S p u r
mit runden
einer Vene,
Armen,
die
ihre
Hier trägt e n t w e d e r die g e r i n g e ; E n t -
oder das starke F e t t p o l s t e r ,
oder bei-
Durch das vielfach empfohlene Eintauchen des
A r m s in heisses W a s s e r
wird
gewöhnlich
das A u f s u c h e n
der Venen
nur s c h w i e r i g e r , indem die Haut anschwillt u n d roth w i r d .
Zweck-
mässiger ist es, die C o m p r e s s i v b i n d e fest a n z u l e g e n und den Kranken l ä n g e r e Zeit
die F i n g e r
bewegen
zu
lassen.
die A r m b e u g e , und entdeckt gewöhnlich,
Dann untersucht
man
w e n n man mit dem Finger
stärker in die Tiefe drückt, einen etwas festeren S t r a n g .
Um zu ent-
scheiden, ob dies wirklich eine Vene ist, m u s s ein Gehülfe die Compressivbinde
allniälig l o c k e r n ,
fest auf j e n e m Strange
während
liegen
bleibt.
der Fühlt
Finger er,
des
Wundarztes
dass mit der Ab-
n a h m e der Compression auch der Strang s c h w i n d e t u n d bei Wiederherstellung derselben wieder deutlich w i r d , so ist es eine V e n e .
Man
macht dann mit dem Nagel des z u f ü h l e n d e n Fingers, b e v o r man ihn fortzieht, einen Eindruck u n d sticht an dieser Stelle ein.
—
nach längerer Compression
Armbeuge
des A r m e s
keine V e n e in der
entdeckt w e r d e n kann, so findet m a n g e w ö h n l i c h am V o r d e r a r m an der Hand
eine s o l c h e ,
an
der
sich
der Aderlass
W a r e n früher schon A d e r l ä s s e g e m a c h t w o r d e n , diesen h e r r ü h r e n d e n Narben sicher s e i n , haben.
dass die
als W e g w e i s e r
früheren Einstiche
machen
Wenn oder lässt.
so k ö n n e n die von
dienen;
nur
muss man
a u c h wirklich Blut geliefert
G e w ö h n l i c h räth m a n , unterhalb einer solchen Narbe einzu-
stechen, indem man g l a u b t , dass die V e n e n an den Stellen, w o sich Narben b e f i n d e n ,
v e r e n g e r t seien
(Boyer).
Dies
ist k e i n e s w e g s er-
wiesen, u n d es scheint z w e c k m ä s s i g e r , g e r a d e an der Stelle der Narbe einzustechen. Zuweilen m a c h t die B e w e g l i c h k e i t
d e r V e n e n bei
Personen ihre E r ö f f n u n g s c h w i e r i g ; sie w e i c h e n sam aus.
Man
muss
dann
das Gefäss
halten und dicht an diesem einstechen. in sehr bewegliche Venen leicht ein.
mit
mageren
der L a n z e t t e gleich-
dem Daumen
Der S c h n e p p e r
recht fest
dringt auch
209
Aderlass.
Von dem Einflüsse des zu festen Anlegens der Binde war schon pag. 206 die Rede. Natürlich -wird ein gehöriger Blulausiluss auch dann nicht Statt finden können, wenn sie zu locker liegt. Bei fettleibigen Personen legen sich oft, auch wenn Anfangs das Blut in starkem Strahle hervorsprang, späterhin kleine F e t t k l ü m p c h e n in die Wunde, die den Ausfluss hindern. Es ist am Besten, sie mit einer Hohlscheere wegzuschneiden. Beim Aderlass an der V. m e d i a n a b a s i l i c a gehört das Hervortreten von Fettklümpchen zu den Seltenheiten, da diese Vene fast immer der Haut dicht anliegt (vgl. pag. 203). U e b e l e Z u f ä l l e . Jeder Aderlass, wenn er auch ohne Schwierigkeit und uiitadelhaft ausgeführt wurde, kann iibele Folgen haben. So schützt z. B. auch die genaueste anatomische Kenntniss nicht vor Verletzung eines der oft unregelmässig verlaufenden Hautnerven, in deren Folge heftiger und zuweilen lange dauernder S c h m e r z auftreten kann. — Ebenso wenig ist der Wundarzt Schuld an der, gewöhnlich erst nach Beendigung der Operation 'auftretenden O h n m a c h t , — vorausgesetzt, dass er nicht versäumt hat, den Kranken sich vorher niederlegen zu lassen. — Auch E n t z ü n d u n g d e r L y m p h g e f ä s s e oder der V e n e n sieht man z u w e i l e n nach einem gut verrichteten Aderlass folgen. Oft aber ist ein unzweckmässiges Verfahren daran Schuld, namentlich der Gebrauch stumpfer oder unreiner Instrumente, Auflegen von Pflastern auf die Wunde, zu frühzeitige Bewegungen des A r m s ' u . dgl. m. — V e r l e t z u n g d e r A r t e r i e kann immer vermieden werden, wenn mit der gehörigen Sorgfalt verfahren wird. Die übelen Folgen derselben werden bei den Krankheiten der Gefässe näher erörtert werden. Wenn nicht schnell Hülfe geleistet wird, kann Tod durch Verblutung eintreten. Zur Diagnose der Arterienverletzung bedarf man nicht jenes feinen Gefühls, mit welchem D i o n i s wahrnehmen wollte, dass die Spitze seiner Lanzette einen ungewohnten Widerstand fand, sondern die hellrothe Farbe und das stärkere Hervorspritzen des Blutes nach Abnahme der Compressivbinde reichen hin, um jeden Zweifel zu beseitigen. — Andauernde v e n ö s e B l u t u n g nach Abnahme der Compressivbinde hängt entweder von einem anderweitigen Druck oberhalb der Wunde (welchen ein zu enger Aermel oder auch die zum Wundverbande angelegte Binde ausüben kann) oder von einer allzu grossen Oeffnung der Vene ab. In letzterem Falle legt man eine recht dicke, kleine Compresse (oder Pelotte) oder mehrere Uber einander gelegte dicke Stücke Feuerschwamm auf die Wunde, nachdem man die Haut etwas verschoben hat, um sodann durch die in der pag. 207 beschriebenen B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
14
210
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
Weise anzulegende Binde einen kräftigen Druck auf die verwundete Vene auszuüben, während der Blutlauf durch die übrigen möglichst frei bleibt (vgl. Bd. 11). — S u g i l l a t i o n e n , d. h. Bluterguss in das die Wunde umgebende Bindegewebe, beobachtet man besonders dann, wenn die Hautwunde zu klein w a r , oder wenn Venenwunde und Hautwunde in Folge einer Verschiebung einander nicht vollkommen entsprachen. Meist entsteht in einem solchen Falle, während das Blut aus der äusseren Wunde nur in dünnem Strahle oder gar nicht ausfliesst, eine schnell steigende circumscripte Geschwulst, welche Anfangs weich ist, durch Gerinnung des Blutes aber nach und nach fest wird. Diese Art des Blutergusses nennt man auch T h r o m b u s schlechtweg, eigentlich A d e r l a s s - T h r o m b u s . Man kann das Blut, so lange es noch nicht geronnen ist, durch Druck entleeren. Ein solcher Thrombus verschwindet meist unter dem gewöhnlichen Aderlassverbande in einigen Tagen von selbst; Compression und kalte Umschläge befördern die Aufsaugung desselben. B.
A d e r l a s s am
Fnsse.
Am Fusse wählt man zum Aderlass entweder den am Deutlichsten sichtbaren Ast des Venennetzes am Fussrücken, am Zweckmässigsten die V. s a p h e n a i n t e r n a in der Gegend zwischen dem Höcker des Kahnbeins und der Sehne des M. tibialis anticus; oder man eröffnet eine der beiden VV. saphenae dicht Uber den Knöcheln, in welchem Falle es sich also eigentlich um einen Aderlass am Unterschenkel handelt. Die V. saphena interna s. magna, welche iri der Begel stärker ist, steigt vor dem inneren Knöchel, die V. saphena externa s. parva hinter dem äusseren Knöchel in die Höhe. Neben ersterer liegt der Nervus saphenus internus; die letztere dagegen wird von dem Nerv, dorsalis pedis externus gekreuzt und zum Theil begleitet. Man lässt den Kranken sitzen und die Füsse in warmes Wasser stecken. Sobald die Venen anschwellen, wird die Compressionsbinde etwa 3 Centimeter über den Knöcheln angelegt und der Fuss nochmals in das warme Bad gestellt. Bald sind dann die Venen hinreichend deutlich. Der Kranke setzt bei der Operation selbst den Fuss entweder auf das Knie des Wundarztes, oder auf den Rand des Gefässes, in welchem das' warme Wasser sich befindet. Wenn die V. s a p h e n a i n t e r n a geöffnet werden soll, so muss das Einstechen der Lanzette mit einiger Gewalt geschehen, weil die Haut hier derber und dicker ist und zwischen der Haut und der Vene noch eine Aponeurose liegt. Andererseits darf man nicht zu
Aderlass.
211
tief stechen, weil man sonst die tiefe Unterschenkelbinde und das Periost verletzen oder die Spitze der Lanzette abbrechen könnte. Da ohne Verletzung fibröser Gebilde ein Aderlass in dieser Gegend nicht wohl auszuführen ist, folgen häufig Entzündungen. Selten spritzt das Blut im Strahle hervor, so dass man es in einem Gefäss auffangen und messen k a n n ; gewöhnlich findet nur ein allmäliges Ausfliessen Statt, und man ist genöthigt, zur Beförderung desselben den Fuss wieder in das warme Wasser stecken zu lassen. Grosse Quantitäten Blut lassen sich am Fusse nicht entziehen. Man nahm früher an, dass der Aderlass am Fusse vorzugsweise bei Erkrankungen unterhalb des Zwerchfells nützlich sei und dass namentlich eine wohlthätige Anziehung des Blutes bei Amenorrhoe dadurch bewirkt werde. Alle diese Annahmen sind ebenso praktisch unzuverlässig, wie physiologisch unbegründet. Fig. 112.
Der Verband nach der Operation besteht in dem Auflegen einer weichen Compresse, welche durch eine 2 bis 3 Meter lange Binde befestigt wird. Diese führt man in Achtertouren um das Fussgelenk, ähnlich wie beim Aderlassverband am Arm, in der Art, dass die Ferse dem Ellenbogen entspricht (Fig. 112). C.
Aderlass am Halse.
Am Halse öffnet man zum Behuf eines Aderlasses die V. j u g u l a r i s e x t e r n a , und zwar am Besten da, wo hinter ihr der M. sternocleido-mastoideus liegt. Den Kopf des Kranken hält ein Gehülfe nach der entgegengesetzten Seite hin geneigt; derselbe kann zugleich die Compression der V. jugularis externa jener Seite ausführen. Der Wundarzt setzt den Daumen der linken Hand dicht oberhalb der Mitte des Schlüsselbeins fest auf die Vene, fixirt sie, sobald sie angeschwollen ist, etwas höher mit dem Zeigefinger zum zweiten Mal und öffnet sie zwischen diesen beiden Fingern durch einen kräftigen 14*
212
Chirurgisch« Operationen
im
Allgemeinen.
Einstich, welcher beim Ausziehen der Lanzette erweitert wird. Man hat nicht blos die Haut, sondern auch das Platysma myodes zu durchstechen. Das Blut wird, während der Daumen der linken Hand unverrückt liegen bleibt, in einem flachen Gelasse, dessen Rand über dem Daumen an die Haut angedrückt wird, aufgefangen; denn gewöhnlich kommt das Blut nur Anfangs im Strahle hervor und rieselt später ganz allmälig aus der Wunde. Sowohl das Anschwellen der Vene, als auch der Ausfluss des Blutes werden durch Bewegungen des Gesichts und des Unterkiefers (besonders durch kräftige Bewegungen desselben von einer Seite zur anderen) befördert, bei denen man aber Verschiebungen der Ilalshaut verhüten niuss. Zu demselben Zweck ist die Compression der V. jugularis externa der anderen Seite nützlich, indem dadurch das Blut genöthigt wird, seiner. Weg vorzugsweise in die geöffnete Vene zu nehmen. Wenn die Vene wegen tiefer Lage oder bei Scheintodlen (resp. Todten) weder gesehen, noch gefühlt werden kann, so sucht man sie in der Mille einer Linie auf, die man sich, bei gerader Lage des Kopfes, vom Winkel des Unterkiefers nach der Mitte des Schlüsselbeins gezogen denkt. Hier kann man sie dann entweder direct anstechen, oder zu grösserer Sicherheit durch einen Einschnitt blosslcgen und alsdann mit der Lanzette öffnen. Nachdem die gewünschte Menge Blut abgelassen ist, schliesst man die Wunde mit dem linken Daumen, welcher zu diesem Behuf aufwärts geschoben wird, ohne seinen Druck zu vermindern, damit gewiss keine Luft eintreten kann. Hat sich der unterhalb der Wunde liegende Theil der Vene wieder mit Blut gefüllt, so kann man den Daumen durch eine Compresse ersetzen, die man mit Heftpflasterstreifen befestigt. Tritt Nachblutung ein, so beseitige man vor Allem jeden etwa Statt findenden Druck unterhalb der Wunde, lasse den Kranken tief einathmen, halte aber die Wunde durch einen DruckVerband verschlossen. Ausser den beim Aderlass am Arm aufgeführten Zufällen ist hier noch der Lufteintritt zu erwähnen, von welchem pag. 67 u. f. bereits gehandelt wurde. Derselbe ist beim Menschen in Folge eines Aderlasses am Halse niemals beobachtet worden. Am Häufigsten wurde der Aderlass am Halse bei Erhängten und durch Erdrosseln oder durch Kohlendampf Erstickten, auch bei Apoplektischen in Gebrauch gezogen, weil man glaubte, dass die in solchen Fällen bestehende Ueberfüllung des Gehirns mit Blut bei gleichzeitig sehr schwacher Herzthätigkeit leichter durch Eröffnung einer dem Gehirn näher liegenden Vene, als durch eine Blutentziehung an
213
Arteriotomie.
den Extremitäten beseitigt werden könne, — was freilich bei sorgfältiger Erwägung der anatomisch-physiologischen Verhältnisse unhaltbar erscheint. II.
Arteriotomie.
Meist hat man einen Ast (meist den Ramus frontalis) oder auch den Stamm der A r t e r i a t e m p o r a l i s zur Arteriotomie benutzt; sehr selten und versuchsweise die Art. radialis (z. B. in der Cholera!). — Wir beschränken uns auf die für die Eröffnung der Art. temporalis oder eines ihrer Aeste erforderlichen Vorschriften. Nachdem man den Kranken sich niederlegen und den Kopf auf die entgegengesetzte Seite hat neigen lassen, bezeichnet man die Stelle der Haut, unter welcher der zu öffnende Arterienast liegt, durch einen Nageleindruck oder mit Dinte. An dieser Stelle macht man, wo möglich mittelst Erhebung einer Hautfalte, einen Einschnitt, entfernt durch Präpariren das die Arterie umgebende Bindegewebe und führt zwei dünne Fäden hinter derselben durch, was mit e i n e r Nadel geschehen kann. Den oberen dieser Fäden knotet man in der Nähe des oberen Wundwinkels sogleich um die Arterie. Der untere ist bestimmt, nach geschehener Blutentleerung die Arterie unterhalb der Wunde zu unterbinden. Nun schlitzt man die immer deutlich pulsirende Arterie mit einer Lanzette (oder mit einer feinen Scheere) der Länge nach in dem Räume zwischen beiden Fäden auf und zieht, nachdem die nöthige Quantität Blut entleert ist, auch die untere Ligatur fest zu (vgl. Krankheiten der Arterien, Bd. II). Dies Verfahren verdient bei Weitem den Vorzug vor dem älteren, .wonach auf den zu öffnenden Ast quer, mehr drückend, als ziehend, eingeschnitten werden sollte, so dass man die Arterie geradezu quer durchschnitt, nach Beendigung der Blutentleerung aber die Wunde zunächst mit dem Daumen comprimirte
und hierauf
eine oder
mehrere
Compressen auf derselben mittelst einer Binde befestigte, um durch Corapression eine weitere Blutung zu verhüten. leerung, indem
Hierbei erfolgt einer Seits eine unbedeutende Blutent-
die Arterien-Enden sich
zurück- und zusammenziehen;
anderer Seits
ist man vor einer Nachblutung, selbst längere Zeit nach der Operation, nicht sicher.
Für i n d i c i r t hält man die Arteriotomie heut zu Tage höchstens noch bei heftigen Augen-Entzündungen. Auch bei diesen erreichi man dieselbe Wirkung durch eine entsprechende topische Blutentziehung. In ailen anderen Fällen leistet ein Aderlass am Arm mindestens ebenso viel. Die Wirksamkeit der Arteriotomie bei AugenEntzündungen erklärte man daraus, dass nach Verschluss der A. temporalis oder ihres vorderen Astes, das Blut zu den von ihr versorgten Theilen seinen Weg durch die A. ophthalmica, welche mit jenem Aste anastomosirt, nehmen müsse, und somit eine Ableitung des Blutes
214
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
vom Auge Statt finde. diesen Gefässen aber
Der alte Zustand der A n f ü l l u n g stellt sich in sehr schnell w i e d e r h e r ,
da die Aeste
der A.
temporalis bekanntlich noch mit m e h r e r e n anderen Arterienästen
ana-
stomosiren. III.
Capillare oder örtliche Blutentziehungen. A.
Blutegel.
Es giebt eine grosse Menge setzen.
von V e r f a h r e n ,
A m Zweckmässigsten ist e s ,
sie in
ein
kleines W e i n g l a s
oder
um Blutegel
w e n n die Localität
einen
gläsernen
anzu-
es erlaubt,
Schröpfkopf
zu
sperren, denselben da umgestülpt a u f z u s e t z e n , w o sie saugen sollen, und ruhig a b z u w a r t e n , bis alle angebissen h a b e n . eine C o m p r e s s e ,
legt
diese in
die
hohl
Oder man nimmt setzt die
gehaltene H a n d ,
Blutegel hinein und hält die Compresse so l a n g e mit der Hand die Haut sanft a n ,
bis alle
saugen.
W o die
örtlichen
gegen
Verhältnisse
die A n w e n d u n g eines dieser Verfahren nicht gestatten, da muss man entweder
die Blutegel
direct a b s e t z e n ,
indem m a n
einen
nach dem
anderen am hinteren Ende mit einer weichen Compresse anfasst und ihre Mundöffnung
gegen
die Stelle
richtet,
an w e l c h e r
sie
beissen
s o l l e n ; oder man kann auch einen kleinen Glascylinder, ein Reagensgläschen oder
ein zusammengerolltes Kartenblatt
in ähnlicher
Weise
f ü r einzelne Blutegel benutzen, w i e ein W e i n g l a s oder einen Schröpfkopf für viele. der Gebrauch Höhlen
Besonders z w e c k m ä s s i g , solcher R ö h r e n ,
u n d Canälen
am Muttermu-nde.
applicirt
wenn
oft s o g a r u n e n t b e h r l i c h , ist
die Blutegel
werden
sollen,
in
der Tiefe
von
z. B. am Zahnfleisch,
In solchen Fällen kann man den Blutegel v o n der
einen Oeffnung des R ö h r c h e n s aus g e g e n die a n d e r e , w e l c h e an die Applicationsstelle angedrückt w i r d , mittelst eines Pinsels oder Stabes sanft v o r w ä r t s schieben. gern
solche T h e i l e ,
Man vermeidet beim Ansetzen der Blutegel
welche
besonders
empfindlich s i n d ,
oder
unter
denen viel l o c k e r e s ( z u m Oedem geneigtes) B i n d e g e w e b e liegt, ferner die Gegend oberflächlicher Gefässe stärkeren Calibers, endlich die von dicker Epidermis bedeckten Theile (Handteller, Fusssohle), an welchen Blutegel niemals beissen. Sehr häufig wollen die Blutegel, auch unter sonst günstigen Verhältnissen, nicht anbeissen. vorher
nicht
Dies hängt oft davon ab, dass die Haut
gehörig g e w a s c h e n
und
von Haaren
befreit w a r .
Das
Auftupfen von Milch oder Blut wird zur B e f ö r d e r u n g des Anbeissens empfohlen.
Sicher führt es z u m Z i e l e ,
w e n n man an der betreffen-
den Stelle einen kleinen (fast schmerzlosen) Einstich mit der Lanzette macht.
Blutegel.
215
Um das Abfallen der Blutegel herbeizuführen, streut man ein w e n i g Salz auf den Körper. Dies ist dem Abheben mittelst des Fingernagels vorzuziehen, da letzteres immer schmerzhaft ist. Zur Beförderung der N a c h b l u t u n g wendet man Waschungen mit lauwarmem Wasser oder warme Umschläge a n ; ein warmes Bad befördert die Blutung ausgezeichnet; nur muss man bei Rindern wohl Acht geben, dass sie keine Ohnmacht befalle. Das Aufsetzen von Schröpfköpfen (vgl. C.) befördert die Nachblutung ebenfalls, bedingt aber zugleich eine oft nicht erwünschte heftigere Reizung. Der Rath, den Blutegeln die Schwänze abzuschneiden, damit sie länger saugen, bedarf keiner Kritik. Dagegen hat sich die von J u l i u s B e e r 1 ) als B d e l l a t o m i e beschriebene Methode, dem Blutegel auf der linken Körperseite mit einem Aderlassschnepper eine in den einen seiner Magen-Blindsäcke penetrirende Wunde beizubringen und durch diese das verschluckte Blut ausfliessen zu lassen, als ein Mittel zur erheblichen Vermehrung der Blutentziehung bewährt. Ein unversehrter Blutegel saugt durchschnittlich das Doppelte seines Gewichtes an Blut, also etwa 4 — 8 Grm., selten mehr; die Nachblutung beträgt gewöhnlich ungefähr ebenso viel. Gelangen Blutegel zufällig in die Nasenhöhle, in den Magen, in den Mastdarm, in die Scheide u. s. w., so tödtet man sie, um Verwundungen dieser Organe zu verhüten, durch Kochsalzlösung. Gewöhnlich ist es leicht, die Blutung zu stillen; zuweilen aber ist es ungemein schwer, und manches Kind ist an einer zu heftigen und zu langen N a c h b l u t u n g aus Blutegelstichen gestorben. Man hat deshalb bei Kindern solche Stellen, wo grössere Venen oder gar Arterien liegen, bei der Application sorgfältig zu vermeiden und vielmehr diejenigen auszuwählen, an welchen sich gegen unterliegende Knochen leicht die Compression ausüben lässt. Zur S t i l l u n g einer solchen N a c h b l u t u n g empfiehlt man die Compression, allein oder in Verbindung mit dem Aufstreuen styptischer Pulver (Colophonium, Alaun, Gummi arabicum), die Kauterisation mit Höllenstein oder mit einem kleinen Glüheisen (Stricknadel), endlich das Verschliessen der Wunde mittelst einer Sperrpincette ( H e n n e m a n n ) , einer S e r r e s - f i n e s (sehr bequem und auch von Laien ausführbar!) oder der umschlungenen Naht. Gewöhnlich führt das Aufdrücken eines Stückchens Feuerschwamm, wenn es nur hinreichend lange und stetig fortgesetzt wird, zum Ziele. Ausser den zu starken Nachblutungen sind als übele Zufälle bei der Application der Blutegel zu erwähnen: Ohnmacht, heftiger Schmerz, ')
Bcrl. m e d . C e n t r a i z e i t u n g .
1863.
216
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
welcher sogar Convulsionen hervorrufen kann; nachträglich: Entzündung und Eiterung der Stichwunden, mit Verbreitung der Entzündung bald auf der Hautoberfläche (Erysipelas), bald auch im Unterhautbindegewebe und schliesslich Bildung hässlicher Narben. Beim Auftreten von Krämpfen muss man die Blutegel schleunigst zum Abfallen bringen, die übrige Behandlung aber den obwaltenden Verhältnissen nach einrichten. Die Entzündung der Blutegelstiche wird durch Vermeidung jeder Insultation, also insbesondere durch das Auflegen einer reinen weichen Compresse verhütet. B.
Scarificationen.
S c a r i f i c a t i o n e n nennt man Einstiche oder Einschnitte von geringer Tiefe und Länge, durch welche man aus der Haut oder aus leicht zugänglichen Schleimhäuten Blut zu entziehen sucht. Die Instrumente, deren man sich hierzu bedient, sind: Lanzette, Rasirmesser, Bistouri oder der S c h r ö p f s c h n e p p e r (scarißcateur allemand), ein ziemlich complicirtes Instrument, welches in einer kleinen Kapsel von Metall eine grosse Anzahl (24) kleiner Lanzettklingen enthält, welche rechtwinklig an einer oder mehreren Achsen befestigt sind. Durch das Losdrücken einer Feder, bei deren Aufziehen diese Achsen in der Art gedreht werden, dass die kleinen Klingen einen Halbkreis ausserhalb der Kapsel beschreiben, springen diese letzteren mit Blitzesschnelle aus der Kapsel hervor, um zu ihrer alten Stellung zurück zu kehren. Setzt man nun die untere Fläche der Kapsel, an welcher sich die Spalten für das Heraustreten der Klingen befinden, nach vorherigem Aufziehen der Feder auf die Haut fest auf, so wird durch das Losdrücken eine, der Zahl der Klingen entsprechende Anzahl von Scarificationen auf ein Mal ausgeführt. Sind jedoch tiefere oder ausgedehntere Einschnitte nothwendig, so bedient man sich stets des Messers. Die Einschnitte müssen wo möglich parallel mit einander gemacht werden, da gekreuzte schmerzhafter sind, auch weniger gut heilen. C.
Schröpfköpfe (Cucurbitae).
S c h r ö p f k ö p f e sind kleine Glocken von Metall, Glas oder Kautschuk, deren Oeflnung etwas enger ist, als ihr Körper. Um mittelst derselben Blut zu entziehen, setzt man sie auf die vorher sorgfältig von Haaren befreite Haut auf, nachdem man sie relativ luftleer gemacht hat. Durch den Druck der Atmosphäre wird die Haut in die relativ luftleere Höhle des Schröpfkopfs hügelartig eingetrieben und in Congestivzustand versetzt.
217
Schröpfen.
Bei Anwendung der metallenen
oder gläsernen Schröpfköpfe ist
dieser erste Act der kleinen Operation holt)
der
schwierigste.
Die
(welcher sich
Luftverdiinnung
soll
später wieder-
nämlich
bewirkt
w e r d e n , indem man den Schröpf köpf über eine kleine Spirituslampe hält, und es kommt daher Alles darauf a n ,
den S c h r ö p f k o p f , nach-
dem die Luft in ihm verdünnt ist, ohne Zeitverlust auf die Haut zu setzen.
Um die hierzu
nöthige Uebung
zu umgehen, sind von den
Chirurgen viele Verfahren erdacht worden.
Das sicherste ist,
jeden
Schröpfkopf durch eine Oeffnung in seiner Kuppel mit einer kleinen Luftpumpe in Verbindung zu bringen. zu
kostspielig.
Man
hat deshalb
Ein solcher Apparat ist aber
die Luftverdünnung
mittelst Er-
wärmung vorzunehmen gesucht, während der Schröpfkopf sich schon an Ort
und Stelle befindet.
Der Eine setzt unter den
Schröpfkopf
auf die Haut einen kleinen Dreifuss, auf welchem ein kleines Stückchen
brennenden Wachsstocks
angebracht
ist,
oder
statt des Drei-
fusses ein Stückchen Pappe, und statt des Wachsstocks etwas Papier oder B a u m w o l l e , derer
hängt
die mit Spiritus
eine brennende
kopfes in einem kleinen Korbe, auf;
ein Dritter erspart sich
ein wenig getränkt sind; ein An-
Substanz
in
der Kuppel
nach dem Modell der
des
Schröpf-
Leuchttürme,
die feuertragenden Apparate und stülpt
den Schröpfkopf um, während sich brennende Baumwolle oder brennendes Papier
oder
gar
brennender
Spiritus
allen diesen Methoden sind die Kranken
befinden.
Bei
oft verbrannt w o r d e n ,
darin
und
die Schröpfköpfe haben doch nicht mehr geleistet, als die mittelst der sparsamen Schröpflampe und der nöthigen Geschicklichkeit angesetzten. Die aus Kautschuk
verfertigten Schröpfköpfe werden durch Zu-
sammendrücken im Augenblick des Ansetzens relativ luftleer gemacht, was ohne alle Uebung leicht und gefahrlos gelingt. Glaubt man eine hinreichende Congestion erzeugt zu h a b e n ,
so
nimmt man die S c h r ö p f k ö p f e ab, indem man auf der einen Seite den Fingernagel unter ihren Rand schiebt und sie setzten Seite hinzieht.
Gleich darauf werden
Hügel mittelst des S c h r ö p f s c h n e p p e r s ,
nach der entgegengedie gerötheten kleinen
oder, wenn man eine be-
deutende Blutentleerung erzielen will, mittelst des Bistouri scariflcirt. Dann
wird
das Aufsetzen der Schröpfköpfe wiederholt;
sie
werden
a b g e n o m m e n , sobald sie aufhören wirksam zu sein, und so oft wieder angesetzt, bis der Blutausfluss versiegt oder bis man Blut genug entzogen
zu haben
glaubt.
Die
Wirkung
der auf die scarificirten
Stellen aufgesetzten Schröpfköpfe beruht auf demselben physikalischen Gesetz,
wie
das
vorher
erwähnte Eindringen
eines
turgescirenden
Hauthügels in ihre Höhle: der Druck der Atmosphäre presst a u s - d e n
218
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
kleinen Wunden das Blut in den relativ luftleeren Schröpfkopf. Gewöhnlich stockt aber der Blutausfluss sehr bald. Bei dem Einpressen des Hauthiigels durch den Luftdruck wird nämlich der dem Rande des Schröpfkopfes entsprechende Hautring beträchtlich comprimirt. Da nun die Blutgefässe in der Haut von einzelnen Stämmchen aus sich der Fläche nach ausbreiten, nicht aber sämmtlich von der Tiefe her rechtwinklig in die Haut eindringen, so leuchtet ein, dass dem von einem stark comprimirten Ringe umgebenen Hauthügel alsbald die Blutzufuhr abgeschnitten oder doch sehr geschmälert werden muss, wenn nicht etwa an der geschröpften Stelle zufällig ein grösserer Ast aus der Tiefe in die Haut eintritt. Diese mit Scarificationen verbundene Anwendung der Schröpfköpfe nennt man b l u t i g e s S c h r ö p f e n ( c u c u r b i t a e c r u e n t a e , ventouses scarifiées) im Gegensatz zu der blossen Application der Schröpfköpfe ohne Verwundung, welche man t r o c k n e s S c h r ö p f e n genannt hat ( v e n t o u s e s sèches). Nur das erstere bewirkt eine Blutentleerung. Vergleicht man die blutigen Schröpfköpfe mit den Blutegeln in Bezug auf die Quantität Blut, welche man an einer bestimmten Stelle durch Anwendung eines dieser beiden Mittel zu entleeren vermag, so verdienen ohne Zweifel die Blutegel den Vorzug. Man kann auf einem Räume von 9 • Ctm. Fläche höchstens einen Schröpfkopf, ohne Schwierigkeit aber 6 Blutegel anbringen. Die Blutmenge, welche man durch einen Schröpfkopf zu entleeren vermag, beträgt durchschnittlich 15 Grm., jeder Blutegel aber entzieht, mit Einschluss der Nachblutung, 8 bis 16 Grm., so dass also in dem gedachten Falle eine 3 bis 6 Mal grössere Menge Blut durch die Blutegel entleert werden könnte. Es giebt aber auch viele Gegenden am Körper, wo Schröpfköpfe sich gar nicht appliciren lassen, während Blutegel recht gut angebracht werden können, oder wo durch Schröpfköpfe nur eine höchst unbedeutende, durch Blutegel aber eine ansehnliche Blutentziehung möglich ist. Letzteres bezieht sich nicht blos auf die Umgegend der kleineren Gelenke (in welcher man nicht selten Blut entleeren will), 4ndem daselbst nicht Raum genug fiir die Application einer hinreichend grossen Anzahl von Schröpfköpfen ist, sondern auch auf diejenigen Theile der Haut, welche durch grössere Schlaffheit ausgezeichnet sind, wie z. B. in der Wangengegend, an der vorderen Seite des Halses, am Bauch, weil hier die Haut als ein grosser Hügel in den Schröpfkopf eingedrängt wird, ohne dass eine beträchtliche Congestion darin zu Stande kommt. Am Günstigsten für das Ansetzen von Schröpfköpfen sind: Rücken, Genick, Brustwand, Oberschenkel, Oberarm.
Künstliche Blutegel.
219
Als Vorzug der blutigen Schröpfköpfe vor den Blutegeln wird, abgesehen von der grösseren Wohlfeilheit, erwähnt, dass sie das Blut kräftiger aus tiefer gelegenen Theilen ableiten. Wenn dies auch nicht bestimmt erwiesen werden kann, so ist doch unleugbar, dass sie eine bedeutendere Reizung der Haut veranlassen, und dass, besonders wenn sie mehrmals in einer Sitzung auf dieselben Stellen aufgesetzt wurden, noch tagelang' nachher eine beträchtliche Congestion in diesen stattfindet. Diese stärkere Reizung der Haut kann freilich in manchen Fällen sehr nachtheilig oder doch unerwünscht sein. Die Apparate, welche unter dem Namen der k ü n s t l i c h e n B l u t e g e l bekannt geworden sind, verhalten sich in der That nur wie Schröpfmaschinen. Die bekanntesten unter ihnen sind die von S a r l a n d i e r e und von H e u r t e l o u p angegebenen. Der erstere besteht aus einem, durch eine kleine Luftpumpe zu entleerenden Schröpfkopfe und einem, mittelst eines luftdicht schliessenden Stieles vorzustossenden und zurückziehbaren Scarificator mit mehreren Klingen. Dieser Apparat ist zu complicirt und zu kostspielig, um eine grössere Verbreitung finden zu können. Der k ü n s t l i c h e B l u t e g e l v o n H e u r t e l o u p wird durch zwei, von einander ganz unabhängige Instrumente dargestellt: 1) ein L o c h e i s e n , welches mittelst einer um den Stiel desselben gewickelten Schnur, indem man dieselbe schnell abrollt, in einer Hülse mit grosser Geschwindigkeit rotirt wird, um eine ringförmige Wunde zu machen, und 2) G l a s c y l i n d e r , in welche als Stempel ein Korkpfropf genau eingepasst ist, der mittelst einer Eisenstange durch Umdrehungen einer auf dem Deckel des Cylinders sich stützenden Schraube auf- und abbewegt werden kann. Nachdem die Haut mit dem Locheisen verwundet ist, setzt man den Glascylinder, mit tief stehendem Stempel, auf und macht ihn durch Emporziehen desselben (durch Umdrehungen der Schraube) relativ luftleer. Das Locheisen liefert, wenn man es tief genug gestellt hat und schnell genug rotirt, eine stark blutende und wenig schmerzhafte Wunde. Der rings umschnittene kleine Hautcylinder wird nämlich, sobald man über ihm die Luft verdünnt, empor- und das Blut aus seiner ganzen Wundfläche herausgetrieben. Wird der Stempel des aufgesetzten Glascylinders hinreichend langsam emporgeschraubt, so kann man auf diese Weise aus e i n e r Wunde bis 100 Grm. Blut entleeren, mithin die Wirkung der Blutegel nicht blos sehr vollständig n ä c h a h m e n , sondern auch noch darin übertreffen, dass die Blutentziehung schneller erfolgt und die ganze Operation viel weniger Zeit erfordert. Setzt man den Cylinder auf mehrere solcher Wunden
220
Chirurgische Operationen
im
Allgemeinen.
zugleich auf, so lässt sich auf einer immer noch sehr beschränkten Fläche eine noch stärkere Blutentziehung in derselben Zeit bewerkstelligen. Auf einer etwas grösseren Fläche kann man aus mehreren Wunden mit mehreren Cylindern auch leicht eine noch stärkere Wirkung erzielen. Nach Beendigung der Blutentziehung muss man die hervorragenden kleinen Hautcylinder etwas zurückdrücken, und, so fern sie erheblich prominirten, mit einem Stück englischen Pflasters bedecken, um ihr Einheilen zu begünstigen und das Absterben zu verhüten. Zahllose Versuche haben die grossen Vorzüge des Locheisens vor dem gewöhnlichen Schröpfschnepper, namentlich für Blutentziehungen in der Schläfe, Uber allen Zweifel erhoben. Die Glascylinder dagegen können, meines Erachtens, oft zweckmässig durch l a n g e Schröpfköpfe von vulkanisirtein Gummi ersetzt werden. An letzteren muss aber der Rand, mit welchem sie aufgesetzt werden, möglichst weich sein, damit sie sich recht glatt anschmiegen; der Drahtring, durch welchen sie in der gehörigen Gestalt erhalten werden, muss nicht im Rande selbst, sondern etwas höher liegen. Vgl. pag. 218. Die t r o c k e n e n S c h r ö p f k ö p f e , deren man sich schon früher bediente, um das Blut von inneren Organen abzuleiten oder überhaupt um eine mit einer gewissen Reizung verbundene Congestion an bestimmten Hautstellen zu erregen, sind in neuerer Zeit durch J u n o d in bedeutend grösserem Maassstabe angewandt worden 1 ). Derselbe hat nämlich grosse metallene Behälter (ventouses monstres, Schröpfstiefel) anfertigen lassen, welche eine ganze Extremität aufnehmen. Diese wird wie in einen Stiefel hineingesteckt; ein breiter Ring von Gummi (Manchon), der an der Oeffnung des Schröpfstiefels befestigt ist, umschliesst die Extremität luftdicht. Vermittelst der an einer zweiten (viel kleineren) Oeffnung angebrachten Luftpumpe wird nun der ganze Behälter mehr oder weniger luftleer gemacht, mithin die Oberfläche der eingeführten Extremität dem Drucke der Luft entzogen, so dass durch diesen das Blut in sie hineingetrieben und somit eine bedeutende Congestion in ihr hervorgerufen wird. Die ganze Extremität verhält sich, wie der in einen Schröpfkopf eingepresste Hauthügel. Es leuchtet ein, dass die hierdurch herbeigeführte Blutanhäufung in einem einzelnen Theile für den übrigen Körper die Wirkung einer temporären Blutentziehung haben muss, welche auch nach der Abnahme des Apparates noch eine Zeit lang, wenngleich in ge') J u n o d ,
in d e r Revue m e d i c a l e , P a r i s , 1 8 3 4 , S e p t b r . ; f e r n e r D e r s e l b e
in der
Gazette medicale de Paris 1 8 3 8 u. 1 8 4 2 ; vgl. F i c i n u s „ ü b e r H a e m o s p a s i e " , die D i s s e r t a t i o n von J o u r d a n ,
Giessen,
1847.
und
221
Ableitungsmittel.
ringerem Grade, fortdauert.
Somit lag die Hoffnung nahe, dass durch
das J u n o d ' s c h e Verfahren (Hämospasie) die gewöhnlichen z i e h u n g e n ersetzt werden könnten.
Blut-Ent-
Jedoch sind, theils wegen der
Schwierigkeiten, die es macht, diesen Apparat anzuschaffen oder auch nur
zu transportiren,
theils
wegen
der beträchtlichen
Schmerzen,
welche bei der Ausführung der Hämospasie entstehen, diese Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen.
B.
Von den Hautreizen
und
Ableitungsmitteln.
Ausser der G l ü h h i t z e (vgl. pag. 1 0 5 u . f . ) und der so eben erwähnten H ä m o s p a s i e , gehören hierher: Senfteige, Rlasenpflaster nebst ihren Surrogaten, Fontanellen und Haarseile. L
Senfteig (Sinnpisnins).
S e n f t e i g nennt man ein aus gepulvertem schwarzen Senf durch Anreiben mit lauwarmem Wasser dargestelltes Cataplasma. lich b i l d e t sich durch die Berührung das ä t h e r i s c h e S e n f ö l ; teige.
Bekannt-
des Senfpulvers mit
dies ist das wirksame Princip
Wasser
der Senf-
Man applicirt den Senfteig entweder unmittelbar auf die Haut,
oder man legt zwischen ihn und die Haut ein Stück feine Gaze; letzteres ist reinlicher,
schwächt aber die Wirkung.
Gewöhnlich
ent-
wickelt sich innerhalb einiger Stunden eine rccht schmerzhafte Hautentzündung.
Sobald der Kranke heftigen Schmerz empfindet, ist es
Zeit, den Senfteig abzunehmen.
Bei solchen Kranken, auf deren An-
gaben man sich nicht verlassen kann, muss man alle halbe Stunden nachsehen, ob die Haut bereits geröthet ist.
Lässt man
teig zu lange liegen, so erfolgt Blasenbildung; Zeit können sich sogar Schorfe bilden. schneller erfolgt die Wirkung,
den Senf-
nach noch
längerer
J e zarter die Haut,
am Schnellsten bei Kindern.
—
desto Zu-
sätze von Salz, Knoblauch und dergl. sind nutzlos; das Anreiben des Senfmehls mit Essig statt mit Wasser schwächt die Wirkung. Statt der Senfteige kann man auch S e n f ö l , mit Alkohol in verschiedenen Proportionen verdünnt (Senfspiritus), benutzen.
Die Wir-
kung ist um so stärker, j e weniger verdünnt das Oel war.
Die An-
wendung geschieht, indem man Compressen oder Stücke Löschpapier damit tränkt und dann, sorgfältig bedeckt, auf die Haut auflegt; enthält der Spiritus nur wenig Oel, so kann man ihn auch Ein Theil Senföl
auf
2 5 Theile Weingeist
Schmerz und eine lebhafte Entzündung.
bewirkt schon
einreiben. heftigen
Bei nicht sehr derber Haut
bedingt das Auftröpfeln des r e i n e n S e n f ö l s sofort Blasenbildung.
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
222
n. Um B l a s e n b i l d u n g ,
Blasenbildung.
d. h. eine oberflächliche exsudative
Hautent-
zündung zü e r r e g e n , bedienen wir uns der Canthariden, der bastrinde oder des siedenden Canthariden.
Seidel-
Wassers.
Man wendet die officinellen
oder das Collodium cantharidatum
Cantharidenpflaster
an.
Das gewöhnliche S p a n i s c h f l i e g e n - P f l a s t e r
(Empla&trum c a n -
tharidum ordinariuni) wird dick auf Leinwand oder Leder
gestrichen
und durch einen Heftpilasterrand oder übergeklebte Heftpflaslerstreifen a u f der Haut, nachdem diese n ö t i g e n f a l l s rasirt und etwas gerieben worden ist, befestigt. vollendet.
Nach
Man nimmt
1 0 — 2 0 Stunden
ist
die
Blasenbildung
dann das Pflaster ab und entleert
die
der blasenförmig erhobenen Epidermis angesammelte Flüssigkeit.
unter Hat
man die Absicht, blos einen vorübergehenden Hautreiz und e i n e plötzliche Ableitung a u s z u ü b e n , und bedeckt
dieselbe
Blasenpflaster.
so nimmt man
mit Watte.
die Epidermis
Man nennt
dies
ein
nicht
fort
fliegendes
Will man dagegen eine länger dauernde Ableitung
durch Eiterung e t a b l i r e n , dermis mit der P i n c e t t c entzündete Hautstelle
so fasst man
die zur Blase e r h o b e n e E p i -
und schneidet sie mit der S c h e e r e ab.
wird
hierauf
mit Reizsalbe
verbunden.
Die Man
kann auch noch einen Mittelweg einschlagen, indem m a n die Epidermis fortnimmt, a b e r n a c h h e r mit einfachem Cerat verbindet,
worunter
nach einigen T a g e n die Oberhaut sich wieder herstellt. Das
sogenannte
ridum perpetuum) keines Heftpflasters. eine B l a s e ,
bei
ewige
b e d a r f zu Es
zieht
d e r b e r Haut
Blasenpflaster
(Emplastrum
seiner Befestigung, gewöhnlich oft
erst
gar keine.
cantha-
da es selbst klebt, nach
längerer
Man lässt
Zeit
es W o c h e n
lang liegen und das ausgeschwitzte S e r u m durch eine kleine Oeflhung aussickern. Eine s c h n e l l e r e W i r k u n g ,
als beim gewöhnlichen
erhält man durch die Anwendung des C o l l o d i u m
Blasenpflaster,
cantharidatum'),
welches blos in der beabsichtigten Ausdehnung aufgestrichen zu w e r den b r a u c h t und in gleicher W e i s e , wie das gewöhnliche
Collodium,
festklebt, w ä h r e n d die darin enthaltenen wirksamen Bestandtheile der Canthariden es zu einem
kräftigen Epispasticum m a c h e n .
durch Behandlung der Canthariden
mit Aether
Auch das
gewonnene Oel
oder
' ) Rcp. Cantharidum pulveris. 2 , Aelheris 4 , Alcoholis absoluti t , Dig. p. horas 2 4 ; postea expr., filtra et misce cum „Schiessbaumwolle" q . s. — Vgl. Deutsche Klinik 1 8 4 9 , pag. 7 2 . — Nur das frisch bereitete oder in sehr sorgfältig verschlossenen Flaschen aufbewahrte C o l l o d i u m c a n t h a r i d a t u m ist wirksam, denn das Cantharidin ist flüchtig.
Blasenbildung. das reine C a n t h a r i d i n
können
Fontanelle.
als Epispastica
223 benutzt werden,
ohne
jedoch b e s o n d e r e Vortheile zu g e w ä h r e n . Um die n a c h t h e i l i g e n W i r k u n g e n der auch von der Haut aus r e s o r b i r b a r e n B e s t a n d t e i l e der Canthariden (vgl. Krankheiten der Blase, Bd. IV.) zu neutralisiren, h a t m a n empfohlen, dem Pflaster gepulverten Campher beizumengen. Dies hat keinen Nutzen. Sollte m a n bei sehr grossen oder mehrfachen Cantharidenpflastern Ursache h a b e n , in dieser Beziehung besorgt zu sein, so ist es zweckmässiger, dem Kranken viel schleimiges Getränk zu geben und die Blasenpflaster möglichst früh wieder abzunehmen. B o s q u i l l o n räth mit Becht, schon n a c h 1 0 S t u n d e n zu untersuchen, oh unter dem Blasenpflaster sich bereits Böthe entwickelt h a t ; sobald dies der Fall ist, lässt m a n das Pllaster entfernen und durch ein gewöhnliches warmes Cataplasma ersetzen, unter welchem sich alsdann die Blase bilden soll. Um die Wirksamkeit eines Blasenpllasters zu erhöhen, oder ein benutztes wieder brauchbar zu machen, kann m a n dasselbe mit etwas O e l mischen und die Haut vor der Application mit Oel reiben; die wirksamen B e s t a n d t e i l e der Canthariden sind in Oel löslich. Aus demselben Grunde muss m a n auf der Haut zurückgebliebene t'ttastertnasse, wenn m a n eine weitere Wirkung verhüten will, nicht mit O e l , sondern mit warmem Wasser abwaschen oder mit dem Spatel sanft abschaben. Die S e i d e l b a s t r i n d e
(Cortex Mezerei)
wird,
Wasser a u f g e w e i c h t , mit d e r von i h r e r O b e r h a u t Seite auf d e r Haut befestigt.
frisch
oder
befreiten
in
äusseren
Dies m u s s m e h r e r e Tage h i n d u r c h
unter
Erneuerung d e r Rinde g e s c h e h e n , bis Blasenbildung erfolgt. Blasenbildung
durch siedendes Wasser.
einer Hautstelle mit s i e d e n d e m
Wasser
bewirkt,
Das Uebergiessen
wie bei d e n
„Ver-
brennungen" erläutert werden wird,
schnell u n d s i c h e r ,
lebhaften S c h m e r z e n , Blasenbildung.
Dies V e r f a h r e n ist u n g e b r ä u c h -
lich.
Mayor
(in L a u s a n n e )
hat das
Aufsetzen
aber unter
eines in
siedendem
Wasser bis z u r Siedhitze e r w ä r m t e n H a m m e r s e m p f o h l e n ;
es e r h e b t
sich hierauf eine Blase von der A u s d e h n u n g d e r aufgesetzten H a m m e r lläche. —
Wo man
die C a n t h a r i d e n
wegen
ihrer
allgemeinen Wir-
kungen vermeiden will, ist d e r „ M a y o r ' s c h e H a m m e r " zu empfehlen.
III. Fontanelle (Fonticulns). Fontanelle
nennt man
eine e i t e r n d e ,
künstlich erzeugte u n d
durch die Anwesenheit f r e m d e r K ö r p e r u n t e r h a l t e n e nung.
Continuitätstren-
Man k a n n an beliebigen Stellen F o n t a n e l l e n etabliren.
Aber als
allgemeine Regel gilt mit R e c h t , dass m a n sie n u r an solchen Stellen anlegen soll, w o u n t e r d e r Haut eine h i n r e i c h e n d dicke Bindegewebsschicht liegt
und
noch K n o c h e n ,
w o sich in d e r Nähe
Sehnen,
Nerven
w e d e r oberflächliche A d e r n ,
o d e r Muskeln befinden.
Liegt eine
Fontanelle zu dicht auf einem Muskelbauche auf, so liefert sie i m m e r blutigen E i t e r ,
weil
ihr G r u n d
fortwährend gezerrt wird.
durch
die B e w e g u n g e n
des Muskels
224
Chirurgische Operationen im Allgemeinen. Die für Anlegung von Fontanellen bevorzugten Stellen s i n d : a m K o p f e
zwischen
dem Zitzenfortsatz und dem Winke] des Unterkiefers, oder auf dem Scheitel; a m die Vertiefung an der Spitze des Deltamuskels; a m O b e r s c h e n k e l dem grossen Trochanter,
oder die Vertiefung am
(zwischen
vastus
schenkel
dem Musculus
internus
und
Arm
die Gegend hinter
unteren Tlieil seiner inneren Fläche
dem Muscul.
sartorius);
am
Unter-
die Vertiefung zwischen dem inneren Kopfe des Muscul. gastrocnemius und
den Sehnen des Sartorius, Gracilis und S e m i t e n d i n o s u s ; i m G e n i c k zwischen den beiden Muscul. trapezii, oder zwischen dem Splenius und Complexus:
längs der
Wirbel-
s ä u l e zu den beiden Seiten der Dornfortsätze; endlich in den Zwischenrippenräumen.
Die B i l d u n g
einer Fontanelle
kann mit dem M e s s e r ,
durch
A e t z m i t t e l , mit dem G l ü h e i s e n , oder endlich mittelst eines B l a s e n p f l a s t e r s bewirkt -werden. Verfahren
m i t dem M e s s e r .
Man erhebt eine kleine Haut-
falte, welche durchschnitten wird, um eine Wunde von etwa 1 Centimeter Länge zu bilden;
diese wird
mit einer festen Charpiekugel
ausgefüllt, und darüber ein Plumasseau oder eine Compresse mittelst einer Binde fest angedrückt. Charpiekugel eine Erbse ein.
Drei Tage darauf legt man statt der Man kann
aber auch die Erbse so-
gleich einlegen. Statt der Erbse hat man verschiedene andere runde Körper in Gebrauch gezogen.
So lange die Fontanelle hinreichend
eitert, können fremde Körper, welche nicht aufquellen, wie Wachskugeln und dergl. ausreichen;
sobald das künstliche Geschwür aber
Neigung zeigt, sich zu schlicssen, müssen aufquellende oder reizende Körper eingelegt werden. . Kiigelchen aus Veilchenwurzel, aus Buclisbaum oder Gummi elasticum,
auch kleine Pomeranzen
sollen
den
Vortheil gewähren, dass man einen Faden durch sie hindurch ziehen und, indem man dessen Ende in der Nähe der Fontanelle befestigt, eine O r t s v e r ä n d e r u n g
der F o n t a n e l l e ,
zu welcher (besonders
in der Bichtung nach Unten) gewöhnlich grosse Neigung vorhanden ist, in gewissem Grade verhindern kann. — man die Fontanelle
auch mit
Je nach Bedürfniss, kann
grösseren Dimensionen
anlegen.
Es
lässt sich aber auch eine kleine Fontanelle, indem man die Zahl der eingelegten Erbsen allmälig (bis auf das Drei- oder Vierfache) vermehrt, leicht vergrössern. Verfahren
mit
dem A e t z m i t t e l .
Man bedient sich hierzu
des Aetzkali in einem Ptlasterkorbe oder der Wiener Aetzpaste — wie pag. 118 und 119 beschrieben ist — , selten anderer Aetzmittel. Den Schorf lässt man entweder von selbst abfallen, oder spaltet ihn (wenn Eile nöthig ist) durch
einen Kreuzschnitt,
fasst jeden der so gebil-
deten vier Lappen mit der Pincette an der Spitze und schneidet ihn an der Basis ab.
Man legt alsdann gewöhnlich sogleich Erbsen ein,
welche durch eine Binde oder Heftpflaster befestigt werden.
Fontanellen. —
Verfahren
mit
dem G l ü h e i s e n .
des kugelförmigen Ferrum candens, zum Abfallen des S c h o r f e s ; Verfahren
225
Haargeil.
Nachdrückliche Application
nachher
feuchte Umschläge
bis
dann Erbsen.
mit dem B l a s e n p f l a s t e r .
Man legt auf die Haut,
nachdem mittelst eines Blasenpflasters die Epidermis entfernt ist, eine Erbse, befestigt diese durch einen Druckverband und wartet ab, bis sie sich ihre Höhle gebohrt hat.
S e h r schmerzhaft und langwierig.
Das Verfahren mit dem Messer ist das einfachste; nur bei messerscheuen Patienten oder,
wo man
eine heftige Reizung
beabsichtigt,
verdienen Aetzmittel oder das Glüheisen den Vorzug. Die weitere B e h a n d l u n g
einer Fontanelle
ist sehr einfach.
Man wechselt täglich die Erbsen, legt Uber dieselben ein Stück Heftpflaster, dann eine Compresse und eine einfache Binde, durch welche alle künstlichen Armbinden etc. ersetzt werden.
Wird das Heftpflaster
nicht gut ertragen, so vertauscht man es mit einem Stücke Wachstaft. Bleiben die Erbsen nicht gehörig in ihrer kleinen Höhle, so bedeckt man sie mit einem Stück Entstehen
dünner Pappe, Kartenblatt oder dergl.
in der Fontanelle heftige Schmerzen,
die Zahl der Erbsen.
Entwickelt
sich
eine
—
so vermindert man
zu heftige Entzündung,
so muss man bis zu deren Beseitigung die eingelegten fremden Körper entfernen und Umschläge von Bleiwasser machen.
Ueppige Gra-
nulationen ( w i l d e s F l e i s c h ) am Rande der Fontanelle werden durch Betupfen mit Höllenstein beseitigt.
—
Will man eine Fontanelle zu-
heilen lassen, so vermindert man allmälig lässt diese zuletzt ganz fort.
die Zahl der Erbsen und
Die sehr verbreitete Ansicht, dass eine
einmal etablirte Fontanelle für's ganze Leben getragen werden müsse, ist in
dieser Allgemeinheit nicht gültig.
Hat man
aber
Grund zu
befürchten, dass die Krankheit, wegen welcher dieselbe gesetzt wurde, zurückkehren würde, so lässt man sie lieber nicht zuheilen.
IT. Haarseil (Setaceum). Die Bereitung des Haarseils wurde schon oben (pag. 1 4 4 ) angegeben.
Man kann
es überall
Falte erheben lässt,
anwenden,
wo die Haut sich in eine
z. B. in der Schläfengegend, am Damm, in der
Nähe der Gelenke, an den Brustwandungen, am B a u c h ; sten wird
es im Genick angebracht.
am Häufig-
Man bildet eine Hautfalte und
übergiebt den mit der rechten Hand erhobenen Theil derselben einem GehUlfen, um sie alsdann mit einem graden, spitzen Messer an ihrer Basis zu durchstechen.
Das Messer wird flach eingestossen, so dass
seine eine Fläche der Haut zugewandt ist und Schneide und Rücken nach den die Falte haltenden Händen B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
1.
hinsehen;
beim Zurückziehen 15
226
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
wird die Wunde etwas erweitert. Ohne die Falte loszulassen, führt man mit einet* Oehrsonde oder Pincette das mit Oel getränkte oder mit Cerat bestrichene Haarseil durch den so eben gebildeten Wundcanal und befestigt es, nachdem die Falte losgelassen ist, durch einen leichten Knoten, oder ein Paar Heftpflasterstreifen. Der nicht in der Wunde befindliche Theil des Haarseils wird zusammengerollt und das Ganze durch eine Compresse und Binde, oder ein Halstuch befestigt. Um die Operation schneller auszuführen, empfahl schon P a r é eine H a a r s e i l n a d e l , d. h. eine zweischneidige, spitze, gegen die Fläche gebogene Klinge mit einem Oehr an ihrem stumpfen Ende. An diesem Ende ergreift man die Nadel, nachdem das Haarseil im Oehr befestigt ist, und stösst sie durch die Basis der Hautfalte; das Haarseil folgt und wird dann am Oehr abgeschnitten. Zuweilen entsteht eine unangenehme Blutung, zu deren Stillung das Einziehen eines recht dicken Haarseils, durch welches der Stichcanal tamponirU wird, das beste Mittel ist. Am vierten Tage wechselt man den Verband, und „zieht", nach der alten Vorschrift, „das Haarseil", nachdem man die von Eiter incrustirten Theile mit lauwarmem Wasser aufgeweicht hat, in der Art, dass das bisher in der Wunde befindliche Stiick durch die eine Oeffnung herauskommt, während durch die andere ein neues Stück eintritt; das alte mit Eiter getränkte Stück wird abgeschnitten. Alsdann wird täglich ein neues Stück in die Wunde eingezogen, das alte wieder abgeschnitten und so fort, bis das Haarseil beinahe verbraucht ist, wo dann an seinem Ende ein neues mittelst eines Fadens angeknüpft wird. — Für den Kranken ist es viel behaglicher, wenn man vom 4. Tage ab t ä g l i c h d a s g a n z e H a a r s e i l w e c h s e l t . Zu diesem Behuf zieht man nur ganz kurze Stücke ein, deren Enden durch einen Faden verbunden werden. Beim Wechseln wird der alte Faden durchschnitten und der neue, an welchem das neue Haarseil hängt, daran gebunden. Auf solche Art Wird das „Aufweichen" entbehrlich, welches bei dem gewöhnlichen Verfahren nothwendig ist, um heftige Schmerzen zu verhüten. Sind Entzündung und Eiterung in dem Canale nicht lebhaft gen u g , so bestreicht man das Haarseil mit einer reizenden Salbe. Ist die Entzündung zu heftig, so macht man kalte Umschläge. Bleibt dies ohne Erfolg, verbreitet sich die Entzündung gar in der Umgegend, oder droht die Hautbrücke zwischen den beiden Oeffnungen brandig zu w e r d e n , so muss man das Haarseil entfernen. Zuweilen wachsen aus den Oeffnungen schwammige Granulationen hervor, die man durch Betupfen mit Höllenstein oder Abschneiden beseitigt.
227
Impfen der Kuhpocken. S a m u e l C o o p e r empfahl statt des Haarseils einen Streifen K a u t s c h u k ,
welcher
ein für allemal liegen bleibt, da er weder durch den Eiter, noch durch andere Flüssigkeiten verändert wird.
Ein Stück von den „ D r a i n r ö h r e n "
sieb hierzu v o r t e i l h a f t anwenden.
C.
Cbassaignac's
lässt
Vgl. „Operat. Behandl. d. Abscesse".
Von dem I m p f e n der Kuhpocken (Yaccinatio).
Man impft am Besten mit einer Lanzette, deren Spitze in Kuhpockenlymphe getaucht wird. Impft man von „ A r m zu A r m " ( d . h . von einem Kinde, bei welchem die Kuhpocken in voller Entwickelung stehen, auf ein anderes), so sticht man jedesmal in eine Pustel ein, wenn man einen Impfstich machen will. Benutzt man die in capillaren Glasröhrchen aufbewahrte Lymphe'), so bricht man die beiden Enden des Röhrchens a b , setzt .auf das eine Ende ein kleines Rohr (einen anatomischen Tubulus, ein Stück Gummirohr) und treibt durch Einblasen von Luft die Lymphe hinaus auf eine Glasplatte, einen Teller oder den Boden eines umgekehrten Glases, und taucht dann vor jedem Stich die Lanzette in dies Tröpfchen Lymphe. Steht nur getrocknete Lymphe zu Gebote, so erweicht man sie vorher mit einem Tropfen Wasser. Die Lanzette wird flach, fast horizontal gegen die Hautoberfläche, eingestochen, so dass sie dicht unter der Epidermis, etwa einen Millimeter tief eindringt, und 3 — 4 Secunden in der Wunde unverrückt gelassen. In dieser Weise ausgeführt, erfordert jeder Stich ungefähr 7 Secunden Zeit. Die zweckmässigste Stelle fiir die Impfung ist am äusseren oberen Theile des Arms, in der Gegend der Cauda des Deltamuskels. Die Impfstiche müssen mindestens 15 Mm. von einander entfernt sein. Die Sicherheit des Gelingens der Impfung steigt allerdings mit der Zahl der Stiche. Erfahrungsgemäss reichen aber 5 aus, und es ist offenbar besser, diese auf einem Arm anzubringen, als dem Kinde beide Arme krank zu machen. Oft quillt selbst bei sehr flachem Einstich ein Tröpfchen Blut hervor; dies hindert die Aufsaugung der Lymphe nicht. Man lässt die kleinen Wunden trocknen, bevor man den Arm wieder bekleidet. Oberflächliche Einschnitte, schmerzhafter und haben keinen
auf welche man die Lymphe aufstreicht,
Vorzug vor gut ausgeführten Einstieben.
sind
Entbehrlich
ist die zu diesem Behuf von G ü n t z erfundene „Keissfeder". — Ganz zu verwerfen ist das Auftragen der Lymphe auf die durch ein Blasenpflaster entblösste Cutis.
Den V e r l a u f d e r K u h p o c k e n theilt man in 3 Perioden. 1) P e r i o d e d e r I n c u b a t i o n (3 Tage). Unmittelbar nach der Operation sieht man um jeden Stich einen kleinen hellrothen Hof ' ) Es ist, obwohl sehr unpassend, gewöhnlich
doch althergebracht und allgemein üblich, den,
ganz hellen oder doch n u r
pocken-Pustel „ L y m p h e "
schwach opalisirenden Inhalt der Kuh-
zu nennen.
15*
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
228
entstehen, auch wohl ein wenig A n s c h w e l l u n g ; dies Alles verschwindet a b e r nach etwa einer h a l b e n S t u n d e . treten keine V e r ä n d e r u n g e n
2) P e r i o d e d e r E n t z ü n d u n g sich
die
kleine S t i c h w u n d e
Aehnlichkeit mit einem
auf
(8 Tage).
einer
anfängt.
Inzwischen
Impfstellen eingestellt. und
ihre
Spitze
Pockennabel, wickelt.
Am 4. Tage erhebt
harten
Insectenstich;
am
einer kegelförmigen P a p e l e n t w i c k e l t , sinkeh
Bis z u m E n d e des 3. Tages
an den Impfstellen ein.
5.
Basis
und
Tage hat
bekommt
sie sich zu
d e r e n Spitze ein wenig einzu-
h a t sich auch heftiges J u c k e n
an den
Am 6. Tage w i r d die Basis d e r P a p e l breiter
zeigt einen
deutlichen
Eindruck,
d e r sich an den folgenden Tagen
den
sogenannten
noch s t ä r k e r ent-
Am 7. T a g e e n t s t e h t in d e r U m g e g e n d b e d e u t e n d e r e Schwel-
l u n g u n d R ö t h u n g ; die P a p e l a b e r v e r w a n d e l t sich in ein oben eing e d r ü c k t e s vielfächeriges Bläschen von gelblicher F a r b e , welches von einem silberweissen R i n g e u m z o g e n ist, u n t e r d e m sich bereits Flüssigkeit befindet.
Dieser r i n g f ö r m i g e Wall v e r g r ö s s e r t sich a m 8. Tage
u n d w i r d in seiner P e r i p h e r i e v o n
einem h e l l r o t h e n Hofe
umgeben.
Das Bläschen h a t jetzt den h ö c h s t e n Grad seiner A u s b i l d u n g u n d die Grösse einer E r b s e e r l a n g t ;
sein b i s h e r heller Inhalt f ä n g t in man-
chen Fällen schon an, sich zu t r ü b e n . Am 9. T a g e entwickelt sich
die peripherische R o t h e s e h r stark
u n d die. Geschwulst e r s t r e c k t sich von einer Impfstelle z u r anderen, w e n n sie nicht m e h r
als 3 Ctm. von e i n a n d e r e n t f e r n t w a r e n .
Das
Bläschen ist n u n zu einer Pustel mit weisslichem oder blassgelblichem Inhalt u m g e w a n d e l t .
Am
10. T a g e
der Mitte nicht m e h r e i n g e d r ü c k t ,
erscheint
die Pustel b r e i t e r ,
i h r e Basis u n d
deren
in
Umgegend
sind l e b h a f t g e r ö t h e t u n d geschwollen, oft ist die g a n z e o b e r e Hälfte des O b e r a r m s bis zu
den A c h s e l d r ü s e n ,
erheblich a n g e s c h w o l l e n g u n g e n u n d bei K i n d e r n
sowie
und sehr schmerzhaft. deshalb
auch
letztere
selbst
Leichte Fieberbewe-
grosse U n r u h e bleiben
selten aus.
Am 11. T a g e erscheint die P u s t e l h a r t , abgeflacht, a r m an
flüssigem
Inhalt, v o n p e r l g r a u e r o d e r s c h m u t z i g g e l b e r F a r b e ; auf i h r entwickelt sich von d e r Mitte a u s ein b r ä u n l i c h e r Schorf (eine K r u s t e ) . 3) P e r i o d e d e s A b t r o c k n e n s v e r g r ö s s e r t sich diese K r u s t e , lassen. wird
( 1 8 Tage).
Vom 12. T a g e ab
w ä h r e n d R o t h e u n d Geschwulst n a c h -
Der Inhalt der Pustel ist e i t e r i g ;
die K r u s t e fort u n d fort d u n k l e r u n d
an d e n f o l g e n d e n Tagen härter,
bis sie zwischen
dem 2 5 . u n d 3 0 . T a g e u n t e r A b s c h u p p u n g d e r b e n a c h b a r t e n Epidermis sich löst u n d abfällt.
Eine p u n c t i r t e weisse N a r b e bleibt z u r ü c k .
Die K u h p o c k e n h a b e n nicht j e d e s Mal diesen regelmässigen Verlauf.
Es
w e r d e n Fälle e r w ä h n t ,
wo
die E n t z ü n d u n g s p e r i o d e
schon
Impfen der Kuhpocken.
229
vor Ablauf der ersten 48 Stunden eintrat, während in anderen ihre Dauer sich auf einige Wochen erstreckte. Zuweilen sind 8 oder gar 10 Impfungen nothwendig, um die Kuhpocken hervorzubringen; ja man erzählt sogar, dass die Impfung zuweilen nur einige allgemeine Erscheinungen hervorgerufen u n d , ohne dass Kuhpocken aufgetreten wären, doch Schutz vor den Menschenblattern gewährt habe. Die Kritik solcher Angaben ist sehr schwierig, und man hält jetzt mit Recht daran fest, dass nur die vollständig entwickelten und regelmässig verlaufenen Kuhpocken als Schutzmittel gegen die ächten Blattern betrachtet werden dürfen. Die Erfahrung der neueren Zeit hat gelehrt, dass auch diese nicht immer sicher, oder doch nicht für das ganze Leben schützen, und ist es deshalb durchaus zweckmässig, von Zeit zu Zeit (etwa von 10 zu 10 Jahren, beim Ausbruch von BlatternEpidemien auch noch früher) die Impfung zu wiederholen, d. h. die R e v a c c i n a t i o n vorzunehmen. Bei Menschen, welche bereits mit Erfolg geimpft sind oder welche die ächten Blattern überstanden haben, ist der Verlauf der Kuhpocken (sofern die Impfung überhaupt Erfolg hat) gewöhnlich ein unregelmässiger, indem schon am 3. oder 4. Tage nach der Impfung eiterhaltige Pusteln entstehen, die Periode des Abtrocknens sich aber sehr lange, zuweilen unter wiederholtem Abfallen des Schorfes, hinzieht. Man nennt dies f a l s c h e K u h p o c k e n . Zuweilen sieht man, gleichzeitig mit dem Ausbruch der Kuhpocken am Arm, einen ähnlichen Ausschlag an anderen Körpertheilen, besonders auch im Gesicht auftreten 1 ). Schlecht genährte Kinder scheinen hierzu vorzugsweise geneigt zu sein. Zur Entnahme von Lymphe sowohl für die Impfung von Arm zu Arm, als auch für das S a m m e l n d e r a u f z u b e w a h r e n d e n L y m p h e darf man, abgesehen von der Benutzung pockenkranker Kühe, nur g e s u n d e Kinder auswählen, bei denen die geimpften Pocken sich regelmässig entwickelt haben. Am a c h t e n T a g e ist der Inhalt der Pustel (die sogenannte Lymphe) für die Uebertragung am Meisten geeignet. Zur Aufbewahrung der Lymphe bedient man sich capillarer Glasröhrchen, die in ihrer Mitte eine kleine Erweiterung besitzen, sogenannter I m p f r ö h r c h e n . Die Pustel wird geöffnet, so dass ein Tropfen Lymphe (aber kein Blut) heraustritt, und in diesen taucht man sofort, je nach seiner Grösse, ein oder ein Paar Röhrchen ein. Die Lymphe steigt in Folge der Capillarität empor, füllt allmälig die Erweiterung und endlich auch das entgegengesetzte, en') Wir sehen hier ganz ab von der Möglichkeit der Uebertragung von Syphilis durch die Impfung, welche weitverbreitete Hautausschläge zur Folge haben kann.
230
Chirurgische Operationen im Allgemeinen.
gere Ende.
Das Röhrchen wird dann abgetrocknet, an beiden Oeffnun-
gen mit Siegellack s o r g f ä l t i g verschlossen, auch wohl noch in Collodium getaucht.
In solchen Röhrchen bleibt die Lymphe Jahre lang
zur Impfung brauchbar, niedrigen
sofern man sie nur vor zu hohen
Temperaturgraden
bewahrt.
Eine erhebliche
und zu
Verdünnung
mit Glycerin und Wasser schadet weder der Wirksamkeit, noch der Haltbarkeit. Nach den maassgebenden Erfahrungen von M ü l l e r (weiland Director der grossen Injpfanstalt zu Berlin), darf sogar 1 T h e i l L y m p h e m i t 2 T h e i l e n W a s s e r s und 2 Theilen Glycerin Wirksamkeit
beeinträchtigt
gemischt werden,
würde.
— Mit Recht
ohne
destillirten
dass dadurch
wird bei der
die
Empfehlung
dieses Verfahrens (Preuss. Staatsanzeiger vom 10. Mai 1 8 7 1 ) hervorgehoben, dass man die P u s t e l n , aus denen (wegen
Lymphe entnommen
ihrer vielfächerigen
Beschaffenheit),
werden s o l l , an ihrer Basis mehrfach anstechen müsse und
Lymphe erst nach einigen Minuten zu erwarten habe.
den Ausfluss
der
Streichen und Drücken mit der
Lanzette befördert den Ausfluss. — Um die Mischung mit Wasser und Glycerin vorzunehmen, bringt man die Lymphe mit der Lanzette auf ein Ubrglas und rührt j e 1 Theil mit 2 Glycerin und Das Aufsaugen Die
von
2 Wasser mittelst
eines reinen, neuen Tuschpinsels
zusammen.
in die capillaren Glasröhrchen erfolgt dann mit grosser Schnelligkeit. den
Gegnern
der Vaccination
in übertriebener Weise
hervorgehobene
Möglichkeit der Debertragung ansteckender Krankheiten (namentlich der Syphilis) durch Impfung,
welche nicht absolut in Abrede gestellt
werden kann
grössten Vorsiebt bei der Wahl des zum Abimpfen zu
und jedenfalls
scheint bei Anwendung der Glycerinlymphe ganz ausgeschlossen zu w e r d e n , bei Aufsammlung derselben
weil m a n
schon wegen der sonst bald zu erwartenden Verstopfung
der Röhrchen die Beimengung von Blut vermeidet. das beigemengte
zur
benutzenden Kindes auffordert,
Nicht die „ L y m p h e " , sondern n u r
Blut scheint Träger der Ansteckungsstoffe zu sein.
Vgl.
Deutsche
med. Wochenschr. 1 8 7 S , No. 4 6 , pag. 5 7 7 . Die Impfung mit direct von der Kuh genommener Kuhpockenlymphe ist weniger zu empfehlen, weil sie nicht so sicher wirkt und zuweilen auffallend heftige Erscheinungen hervorruft.
Vgl. B«rl. klin. Wochenschrift 1 8 7 1 , pag. 2 6 3 .
An das Impfen der Kuhpocken schliesst sich d a s von Arzeneimitteln
genau an.
Einimpfen
Dasselbe ist jedoch nie recht in
Gebrauch und in neuester Zeit ganz ausser Gebrauch gekommen, da wir in den
hypodermatischen Einspritzungen,
—
welche im
Zusammenhange mit der Infusion und Transfusion (Bd. II) beschrieben werden sollen, —
jetzt ein bei Weitem bequemeres und sichereres
Mittel zur Einverleibung von Arzeneistoffen besitzen.
E r s t e s Buch. Von den chirurgischen Krankheiten im Allgemeinen.
Erste
Gruppe.
Ernährungs-Störungen1). Erster Abschnitt. Entzündung und Entzündungs-Ausgänge. Erstes Capitel. Entzündung, Inflammatio, Phlogosis. Bei der Schwierigkeit, eine genügende Definition der Entzündung zu geben, lehrte die Chirurgie von Alters her, es bestehe Entzündung, wenn an einer Körperstelle Rothe, Geschwulst, Hitze und Schmerz auftreten. „ R u b o r , T u m o r , C a l o r , D o l o r " sind die alten C a r d i n a l - S y m p t o m e der Entzündung seit G a l e n ' s Zeiten. Wo diese, deutlich ausgeprägt, an einem, dem Auge und Finger des Arztes zugän') Vgl. V i r c h o w ,
Specielle Pathologie
und Therapie,
Bd. I. pag. 4 6 — 9 4
und
pag. 2 7 1 — 3 5 5 . — lodern wir hier die a l l g e m e i n e B e s c h r e i b u n g d e r c h i r u r g i s c h e n K r a n k h e i t e n (vgl. pag. 4 ) in d r e i G r u p p e n theilen, ist es keineswegs unsere' Meinung, damit verschiedene Krankheitsprocesse zu sondern. mehr hat es mit K r a n k h e i t s p r o c e s s e n zweite umfasst S t ö r u n g e n , denen
durch
Viel-
eigentlich nur die erste zu t h u n ; die ihre Entstehung
aus
der
Einwirkung
einer äusseren Gewalt, d. h. Verletzung, gewisse Eigenthümlicbkeiten aufgeprägt sind, — die deshalb auch schlechtweg „ V e r l e t z u n g e n " heissen, ihre Sonderung beruht daher wesentlich auf ätiologischer B a s i s ; in der dritten, welche die F o r m f e h l e r enthält, kommt nur der Final-Effect der verschiedensten Krankheitsprocesse und Verletzungen zur Betrachtung.
Ein und dasselbe Uebel kann zu verschiedenen
Zeiten seines Verlaufs bald in diese, bald in jene Gruppe gehören.
Eine Schuss-
wunde z. B. ist zunächst unzweifelhaft eine Verletzung (Gruppe I I ) ;
aber bald
treten die mechanischen Störungen in den Hintergrund, Brand und Eiterung bedrohen das Leben des Verletzten, seine Krankheit gehört jetzt wesentlich in die I. G r u p p e ; er wird schliesslich geheilt, aber sein Knie bleibt steif, er tragt einen Formfehler davon, mit dessen Betrachtung sich unsere III. Gruppe zu beschäftigen hat.
234
Ernährungs-Störungen.
gigen Theile gefunden werden, schliessen wir auch heutigen Tages noch auf das Bestehen einer Entzündung. Keineswegs darf aber aus dem Fehlen eines oder mehrerer dieser Cardinal-Symptome der Schluss gezogen werden, die vorliegende Erkrankung sei keine Entzündung, und ebensowenig ist es zulässig aus einzelnen derselben die Diagnose der Entzündung ableiten zu wollen. — Die Entzündung ist bald als selbstständige örtliche Krankheit, bald als Ursache, Folge oder Begleiterin anderer chirurgischer Krankheiten, bald endlich als ein zur Heilung anderer Krankheiten absichtlich herbeigeführter krankhafter Zustand von der grössten Wichtigkeit für den Chirurgen. Erscheiiiangeu der EutzQuduug. — k. O e r t l i c h e S y m p t o m e . 1. R o t h e . Die von dem mehr oder weniger erhöhten Blutreichtbum (meist arterieller Hyperämie) des entzündeten Theiles abhängige Röthung ist eins der charakteristischsten Symptome der Entzündung oberflächlich gelegener Theile. Die hellere oder dunklere Röthe vom zarten Rosa bis zum dunklen Rothbraun ist eines Theils von der Heftigkeit der Entzündung, anderen Theils von der Beschaffenheit des entzündeten Organs, endlich auch von der Ursache der Entzündung abhängig. Bei gleicher Intensität der Entzündung ist sie sehr verschieden, je nach dem ergriffenen Organe. In demselben Organe, auf der Haut z. B., bedingt eine Entzündung, welche durch Sonnenstrahlen erregt wurde, eine hellrothe, eine durch Einwirkung von QuecksilberSublimat veranlasste eine braune Farbe; die Rose (Erysipelas, vgl. Bd. II) ist durch ein helles Roth, der Brandschwär (Anthrax, Bd. II) durch ein dunkeles Braunroth ausgezeichnet, obgleich beide Entzündungsformen in der Haut ihren Sitz haben. Auch der Verlauf der Entzündung hat einigen Einfluss auf die Art der Röthung; sie ist bei acuten Entzündungen im Allgemeinen heller, bei chronischen dunkler. Gewöhnlich ist die Röthe in der Mitte des entzündeten Theiles (dem sogen. Entzündungsherde) mehr gesättigt und nimmt allmälig gegen die Peripherie a b ; nur sehr selten zeigt der ganze entzündete Theil eine gleichmässige und scharf abgegrenzte Röthe. Die Form der Röthung oder die Art der Gefäss-Injection ist sehr verschieden. Bald ist es ein gleichmässig gefärbter Fleck, bald eine mehr oder weniger fein punctirte Röthe, bald sieht man mannigfaltig verästelte Figuren. Dies ist gewöhnlich von der Beschaffenheit des entzündeten Organs und der Anordnung seiner Gefässe abhängig, selten von der Ursache der Entzündung. Die Entzündungsröthe kann nach dem Tode verschwinden ; so bei der erysipelatösen Entzündung der Haut und manchen Schleimhaut-Entzündungen. In der Regel aber besteht sie, wenngleich vermindert, auch nach dem Tode fort.
235
Entzündung.
2. G e s c h w u l s t . Die Anschwellung des entzündeten Theils findet ihre Erklärung in der Anhäufung von Blut und Blutflüssigkeit (der sogenannten plastischen Lymphe), sowie in dem Wachsthum und der Wucherung der Zellen in dem Entzündungsherde. Von den vier Cardinal-Symptomen steht die Geschwulst am Wenigsten im Verhältniss zu der Heftigkeit des Entzündungsverlaufs; jedoch ist meist, c e t e r i s p a r i b u s , die Geschwulst auch um so bedeutender, je heftiger die Entzündung ist. Aber die Beschaffenheit der ergriffenen Gewebe hat den entschiedensten Einfluss auf den Grad der Anschwellung. Ist viel lockeres (schwellbares, zellenreiches) Gewebe vorhanden, so ist sie bedeutend; wo dies fehlt, wie in fibrösen Geweben oder in Knochen, da ist sie gering oder fehlt ganz. Die Art der Anschwellung ist, wie später im Einzelnen nachgewiesen werden wird, bei verschiedenen Entzündungen eine eigenthümliche. 3. H i t z e . Der Kranke empfindet in dem entzündeten Theile eine auffallende Vermehrung der Wärme, welche bei hinreichend oberflächlicher Lage des erkrankten Theils auch von der Hand des Arztes wahrgenommen und durch das Thermometer nachgewiesen werden kann. Bei den Entzündungen mancher Organe, besonders der in den Leibeshöhlen eingeschlossenen, empfindet der Kranke keine Erhöhung der Temperatur. Allgemein findet sich, wenigstens bei acuten Entzündungen, ein grösseres Vermögen, der Abkühlung Widerstand zu leisten; es ist bekannt, wie schnell und andauernd kalte Umschläge, welche man auf entzündete Theile legt, erwärmt werden, und wie schwierig es ist, eine entzündete Fläche dauernd abzukühlen. Der Grad der Hitze steht gewöhnlich in gradem Verhältniss zu der Heftigkeit der Entzündung, ist aber oft verschieden, je nach der Verschiedenheit der Entzündungs-Ursachen. Die Temperatursteigerung ist wesentlich von der grösseren Blutmenge herzuleiten, welche sich in entzündeten Theilen findet. Ob überdies auch ein regerer Stoffwechsel in den entzündeten Geweben als Grund der erhöhten Wärme angesehen werden müsse, ist mindestens zweifelhaft. Genau angestellte thermoelektrische Versuche ergaben den Einen, dass die Temperatur entzündeter Gewebe über diejenige des Blutes hinaus erhöht sei, den Anderen, dass sie sich niemals Uber die des zufliessenden Blutes erhebe '). Immerhin werden oberflächliche Theile durch grösseren Blutreichthum eine Temperatur erlangen können, welche sie sonst nicht erreichen. Das blos subjective Hitzegefühl ist aus der erhöhten Empfindlichkeit der entzündeten Theile abzuleiten. ]
) Vgl. H e i n r .
Jacobson,
über
normale
V i r c h o w ' s Archiv, Bd. 5 1 , p. 2 8 4 .
und
pathologische
Localtemperaturen.
236
Ernährungs-Störnngeo.
4. S c h m e r z . Die Schmerzhaftigkeit des entzündeten Theils wird oft erst durch Berührung oder Bewegung desselben erregt, jedenfalls gesteigert. Die Heftigkeit des Schmerzes steht gewöhnlich in geradem Verhältnisse zu der Heftigkeit der Entzündung; jedoch giebt es hiervon zahlreiche Ausnahmen. Der Schmerz ist verschieden, je nach dem von der Entzündung ergriffenen Organe; aber auch eben so sehr verschieden, je nach der Natur der Entzündung, so z. B. äusserst gering bei manchen pustulösen Hautentzündungen, und anderer Seits sehr heftig brennend bei Pustula maligna (vgl. Milzbrand). Gewöhnlich sind die Entzündungsschmerzen ununterbrochen andauernd, jedoch mit unregelmässig eintretenden Exacerbationen, nur ausnahmsweise regelmässig intermittirend; sehr selten fehlen sie ganz. Die wesentliche Ursache des Entzündungsschmerzes ist wohl in der Spannung und der Compression zu suchen, welche die Nerven durch die Anschwellung des entzündeten Theils erleiden. In der That entspricht die Heftigkeit des Schmerzes im Allgemeinen dem Grade des Druckes, welchem die Nerven in dem entzündeten Theile ausgesetzt sind. Letzterer steigt aber nicht überall gleichmässig mit der Geschwulst. Diese kann gering sein und doch können die Nerven einer sehr starken Compression unterliegen, wenn die Entzündung in sehr festen Geweben oder in Theilen, welche von unnachgiebigen Gebilden umschlossen sind, ihren Sitz hat, wie in und an Knochen, unter derben Fascien, z. B. in der Hohlhand u. s. f. Für einzelne Fälle reicht diese mechanische Erklärung nicht aus. Es mögen wohl in den Nerven der entzündeten Theile selbst Veränderungen vor sich gehen, welche noch nicht näher bekannt sind.. Das Klopfen und die pulsirenden Schmerzen, welche die Kranken häufig in entzündeten Theilen empfinden, hängen weniger von einer erhöhten Thätigkeit des Herzens, als vielmehr von der erhöhten Empfindlichkeit des entzündeten Theiles ab, oft von der in demselben stattfindenden Spannung. Dieselben werden daher auch durch jede Stellung oder Lage des kranken Theils gesteigert, welche eine stärkere Anhäufung von Blut in ihm bedingt. In der Regel sind die Schmerzen auf den Bezirk der Entzündung beschränkt. Strahlen sie in grössere Entfernung aus, so hängt dies entweder von Irradiation in den Centraiorganen oder von dem durch die Entzündungsgeschwulst auf einen grösseren Nervenast ausgeübten Druck ab. Einzelne Fälle der Art, wie z. B. der Knieschmerz bei Hüftgelenks-Entzündung, sind noch nicht genügend erklärt. Vgl. Bd. IV. An diese vier localen C a r d i n a l - S y m p t o m e der Entzündung reihen sich ferner a n :
237
Entzündung.
5.
Functions-Störungen.
eines entzündeten
In
Organs gestört,
Muskel ist zu Bewegungen
der Regel
functio
unfähig,
die
Thätigkeit
der
entzündete
die entzündete Drüse
nicht, oder secernirt nicht normal u. s. f. dung auf den Secretionsprocess ist von Beginne
ist
laesa:
secernirt
Der Einfluss der Entzün-
besonderer Wichtigkeit.
der Entzündung stockt j e d e Secretion;
bald
Im
aber stellt sich
eine Vermehrung und demnächst eine Veränderung des Secrets
ein,
bis schliesslich an die Stelle der normalen Absonderungen die eigenthümlichen Producte der Entzündung treten, namentlich
Eiter.
Unter dem Einfluss der Entzündung kann eine erhöhte Resorption statt
finden;
gewebe. kleinert
dies gilt besonders für das Fett und für das Knochen-
Auch ganze werden
Entzündungen welche
Organe,
wie z. B.
(schrumpfen). häufig
eine
Vergrösserung
vermehrte
oder
die Hoden, können
Anderer Seits beobachtet plastische
Verdickung
(sogen.
ver-
man
Thätigkeit,
bei
durch
Hypertrophie)
zu
Stande kommen kann. 6. hören
Störungen im weiteren
in den b e n a c h b a r t e n Sinne die schon
Theilen.
erwähnten,
Hierherge-
nach
dem
Verlauf
sensitiver Nerven weithin ausstrahlenden Schmerzen und die in gleicher Weise zu erklärenden Zuckungen in benachbarten Muskeln.
Von b e -
sonderer Bedeutung für den Chirurgen sind a b e r : 1) das in der Umgebung
einer
Oedem
(vgl. Bd. 11), d. h. ein zu mehr
Entzündungsgeschwulst
fast
ausnahmslos
auftretende
oder weniger Schwellung
führender Erguss von Blutwasser in's Bindegewebe, welcher durch die im Entzündungsherde stattfindende Hemmung des Blutabflusses bedingt wird, und 2 ) die sehr häufige Verbreitung der Entzündung nach dem Verlauf der Lymphgefässe und
die davon abhängige Schwellung der
zugehörigen (regionären) Lymphdrüsen. B.
Allgemeine Symptome.
—
Die Veränderung
des Blutes
in der Entzündung wurde lange Zeit als das handgreiflichste „allgemeine S y m p t o m " dieser Krankheit aufgeführt, weil es die Regel war, dass einem solchen Kranken ein gewisses Quantum Blut (gewöhnlich durch einen Aderlass) entzogen wurde, Untersuchung
unterwarf.
welches man demnächst der
Die pathologische Veränderung
des Blutes
sollte sich in der relativen und absoluten Vermehrung des Faserstoffs und der Bildung d e r E n t z ü n d u n g s - H a u t dem aus der Ader gelassenen,
geronnenen
(crusta inflammatoria) auf Blute
zeigen.
Letztere
besteht allerdings wesentlich aus Faserstoff oder aus einer SauerstoffVerbindung des P r o t e i n s ; aber viele Zufälligkeiten, wie z. B. die Gestalt und Temperatur des Gefässes, worin das Blut aufgefangen wird, die
Grösse
der
Venen - W u n d e ,
das
Bewegen
des
ausgeflossenen
238
Ernährungs-Störungen.
Blutes u. s. f., üben einen so bedeutenden Einfluss auf die Bildung der Entzündungs-Haut, dass man den Glauben hat aufgeben müssen, sie sei etwas für die Entzündung Charakteristisches und ihre Dicke und Festigkeit berechtige zu einem Schluss auf die Intensität der Entzündung. In der That findet sie sich in vielen Krankheiten, welche weder Entzündungen sind, noch auch einen grösseren Reichthum des Blutes an Faserstoff bedingen, ja man kann um so sicherer auf ihre Anwesenheit rechnen, je häufiger man die Aderlässe bei demselben Kranken wiederholt hat. Richtig ist daher nur, wie auch die Untersuchungen von A n d r a l und G a v a r r e t dies ergeben, dass aus der Anwesenheit der Crusta auf eine r e l a t i v e Vermehrung des Faserstoffs mit einiger Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann; eine solche findet sich aber nicht blos in Entzündungen, sondern auch in der Chlorose, bei Anämie und ähnlichen Krankheitszuständen, so wie endlich auch nach schnell wiederholten Aderlässen. In allen diesen Fällen beruht der Reichthum an Faserstoff nicht auf einer wirklichen Vermehrung desselben, sondern auf einer Verminderung der Menge der rothen Blutkörperchen. Die meist mit einem Schüttelfrost beginnenden und mit beträchtlicher Temperatur-Steigerung einhergehenden Störungen im ganzen Organismus, welche jede bedeutendere Entzündung hervorruft, werden unter dem Namen des E n t z ü n d u n g s - F i e b e r s zusammengefasst 1 ). Dasselbe ist desto heftiger, je bedeutender die Entzündung; es ist aber auch q u a l i t a t i v verschieden. Der Chirurg darf deshalb bei keiner, wenn auch durchaus äusserlichen Entzündung die genaue Untersuchung des Fieberzustandes (vor Allem der Körpertemperatur und des Harns) verabsäumen. Prognose, Behandlung und insbesondere die Zulässigkeit oder auch Notwendigkeit einer Operation sind oft wesentlich hiervon abhängig. Veränderungen in den entzündeten Geweben. Theorie der Entzündung. Alle bisher aufgeführten Erscheinungen der Entzündung sind gleichsam auf der Oberfläche zu beobachten. Wir erfuhren durch ihr Studium noch Nichts über die wesentlichen, innersten Vorgänge, Uber die Veränderungen nämlich, welche die Gewebe durch die Entzündung erleiden. Die Lücken, welche die pathologische Anatomie in dieser Beziehung lässt, sind durch Versuche an lebenden Thieren ausgefüllt worden. Das Wesentlichste, was wir Uber den Vorgang der Entzündung ' ) Vgl.
die
Lehr-
und
Handbücher
pag. 2 3 9 Note 1. citirten.
der
allgemeinen
Pathologie,
namentlich
die
239
Entzündung.
wissen, verdanken wir der directen, namentlich mikroskopischen Beobachtung an künstlich in Entzündung versetzten, transparenten Theilen lebender Thiere (Schwimmhaut und Mesenterium des Frosches, Fledermaus-Flügel, Mesenterium der Maus, Froschzunge, Kaninchenohr). Wenn wir auch die genauere Erörterung dieser Beobachtungen und Untersuchungen der allgemeinen Pathologie 1 ) überlassen müssen, so wollen wir doch, in Anbetracht ihrer grossen Bedeutung die wichtigsten Resultate derselben hier kurz aufführen. Unzweifelhaft ist es, dass in den Capillar-Gefässen der entzündeten Theile die Blutbewegung verlangsamt wird, dass die Blutkörperchen sich in denselben anhäufen und, unter einander verklebend, das Lumen dieser kleinsten GefSsse allmälig mehr oder minder vollständig ausfüllen, dass endlich eine (wenngleich, nach den Beobachtungen Vieler, unbedeutende) Erweiterung dieser Capillar-Gefässe eintritt. Indem sich eine Stockung der Blutbewegung, S t a s i s , in den Capillaren entwickelt, transsudirt in auffallender Weise Flüssigkeit durch die Gefässwandungen und tränkt die zwischen den Maschen der Capillar-Gefässe gelegenen Gewebstheile; gleichzeitig treten weisse Blutkörperchen durch die Gefässwände, namentlich der kleinen -Venen, und verbreiten sich, unter stetiger Vermehrung, in den umliegenden Geweben. In einzelnen Fällen wird durch den vermehrten Blutdruck die Wandung der inzwischen brüchig gewordenen Capillaren hier und da durchbrochen, und es entsteht ein Extravasat. Während über diese T h a t s a c h e n ziemlich allgemeine Uebereinstimmung unter den Beobachtern herrscht, finden sich in der D e u t u n g derselben grosse Differenzen. Insbesondere nahmen die Einen') an, dass eine gesteigerte Affinität und mithin eine gesteigerte Attraction zwischen dem Parenchym der Organe und dem Blute die Ursache der langsameren Blutbewegung sei; Andere dagegen hielten eine Veränderung in der Nerventhätigkeit für das Primäre und glaubten dieselbe entweder in einer sehr vermehrten Thätigkeit der vasomotorischen Nerven a ), oder in einer Lähmung der Gefäss-Nerven, als antagonistischer 1
) Vgl. V i r c h o w
1. c.
pag. 4 6 u.
pag. 4 7 2 u. flg. — C o h n h e i m ,
flg.,
Cellularpattaologie,
Voiles, über allgemeine
4. Auflage
(1871),
Pathologie 1. ( 1 8 7 7 ) ,
pag. 1 9 2 u. flg. — P e r l s , Lehrbuch d. allgem. Path. I. ( 1 8 7 7 ) , pag. 55 u. flg. — Samuel,
Handbuch
d. allgem. Path. ( 1 8 7 9 ) , pag. 154 u. flg. —
Genauere
Litteratur-Angaben finden sich namentlich bei C o h n h e i m und bei P e r l s . 3
) J u l i u s V o g e l in d. Artikel „Entzündung"
in W a g n e r ' s
Handwörterbuch der
Physiologie. 3
) E m m e r t , Beitrüge, Heft II. pag. 1 1 3 und Lehrbuch der Chirurgie, Bd. I. pag. 2 8 2 , woselbst auch pag. 2 6 3 die ältere Litteratur sehr rollstiindig angegeben ist.
240
ErDSbraogs-Störungen.
Wirkung einer heftigen Reizung der sensiblen Nerven zu erblicken'). Letztere Theorie konnte eine Zeit lang als die herrschende angesehen werden, wenn sie gleich von den praktischen Chirurgen, da sie einen lähmungsartigen Zustand für das Primäre erklärte, als dem augenscheinlich activen Charakter der Entzündung nicht entsprechend von Anfang an bekämpft worden ist*). Von anatomischer Seite musste dagegen eingewandt werden, dass die Capillaren, welche in Folge eines lähmungsartigen Zustandes ihrer Nerven sich erweitern sollten, keine Nerven besitzen und daher nur je nach ihrer Anfüllung, auf Grund ihrer Elasticität, weiter oder enger werden können. Untersuchungen von B u d g e 3) und von B r ü c k e 4 ) ergaben, dass nicht die Erweiterung der Capillaren, sondern das Stocken des Blutstroms und die Anhäufung der Blutkörperchen sich zuerst entwickele und dass die Verlangsamung und endliche Stockung des Blutstromes keineswegs auf einer Lähmung der Capillaren, sondern auf einer krampfhaften Zusammenziehung der kleinsten Arterien beruhe. Die Blutbewegung in dem Stromgebiete eines verengerten Arterienstämmchens muss aber- um so mehr verlangsamt werden, als wegen des mannigfaltigen netzförmigen Zusammenhanges der Capillar-Gefässe unter einander in diejenigen unter ihnen, in welche durch die feinsten Aeste jenes Arterienstämmchens das Blut in geringerer Menge eingetrieben wird, von anderen Seiten her, wo ein ungestörter Zufluss besteht, (also rückwärts) Blut einströmt. Daraus Hess sich denn auch die oft beobachtete undulirende, sogar entschieden rückwärts gehende Bewegung des Bluts in den Capillaren entzündeter Theile erklären. Die Erklärung der Verlangsamung und Stockung des Blutlaufs aus der Verengerung der kleinsten ArterienAeste fand um so mehr Beifall, als sie im Einklänge zu stehen schien mit der praktisch bewährten Ansicht, dass die Entzündung „ein Zustand erhöhter Erregung" sei; denn das Grund-Phänomen der mikroskopisch wahrzunehmenden Vorgänge reducirte sich danach auf Zusammenziehung (um nicht zu sagen „Krampf") der kleinsten contractilen Gefässe. Andererseits ist leicht zu begreifen, dass jede mechanische oder chemische Einwirkung (jeder sogenannte locale Entzündungsreiz) an !) J. H e n l e ,
Pathologische Untersuchungen.
P a t h o l o g i e in H e n l e
Berlin 1 8 4 0 .
u. P f e u f f e r Z e i t s c h r i f t , 1 8 4 3 .
Bericht ü b e r
rationelle
H a n d b . d. r a t i o n .
Patho-
logie B d . II. s
) Vgl. C h e l i u s ,
9
) Allgemeine P a t h o l o g i e , Bonn 1 8 4 5 , p a g .
' ) Bemerkungen
H a n d b u c h d e r C h i r u r g i e , 7. Aufl. H e i d e l b e r g 1 8 5 1 ,
Rd. I. pag. 7.
162—216.
ü b e r die Mechanik des E n t z ü n d u n g s - P r o c e s s e s , im Archiv f ü r p h y -
siologische H e i l k u n d e .
J a h r g a n g IX. 1 8 5 0 . p a g . 4 9 3 .
241
Entzündung.
beliebiger Stelle des Körpers — mit Ausnahme der gefässlosen Gewebe — auch Capillargefässe treffen und in diesen, vielleicht auf ganz physikalische Weise, Veränderungen hervorrufen kann, welche sofort nicht blos zu Kreislaufs-, sondern auch zu Ernährungs-Störungen Anlass geben, die unter dem Bilde der Entzündung verlaufen. Eine Veränderung der Gefässwand kann nicht ohne Einfluss bleiben auf das in dem Capillargefäss sich bewegende Blut. Nur in dem glatten Gefässrohr bleibt das Blut flüssig; nur durch die normale Gefässwand transsudirt nicht mehr und nicht weniger Plasma, als zur Ernährung der umliegenden Gewebe erforderlich ist, und in entsprechender Qualität; nur die normale Gefässwand hält die Blutkörperchen innerhalb des Gefässrohres zurück '). Aber die Wirkung der „Entzündungsreize" beschränkt sich von Anfang an nicht auf die Gefässe, sondern betrifft gleichmässig alle constituirenden Elemente 2 ). Die Versuche von H e r m a n n W e b e r zeigen, dass auch, nachdem der Kreislauf in einem Theile durch mechanischen Verschluss der Gefässe ganz in's Stocken gebracht worden ist, noch Entzündung erregt werden kann. Veränderungen des Blutes selbst und seiner Attraction zu den das Parenchym bildenden Elementartheilen haben wohl auch einen ber stimmten Einfluss auf die Entstehung der Entzündung (J. V o g e l , Virchow). Der Nachweis eigenthümlicher Veränderungen an den gefässlosen Knorpeln, nachdem sogenannte Entzündungsreize auf sie eingewirkt hatten ( R e d f e r n ) , und die Beobachtungen Uber die Entzündung der Hornhaut ( V i r c h o w und His), in welcher Gefässe erst entstehen, nachdem anderweitige Veränderungen in den zelligen Elementen der Hornhaut vorausgegangen sind, — haben zu der Ueberzeugung geführt, dass die anderweitig bei Entzündungen beobachteten Veränderungen der Elementartheile sich unabhängig von der Hyperämie und Stasis auszubilden vermögen, während anderer Seits Hyperämie und Stasis auch längere Zeit bestehen können, ohne zur Entzündung zu führen. Welcher Art die Veränderungen seien, durch welche bei der Entzündung „die normale Attraction des Blutes zu dem Parenchym gestört wird", darüber konnte man früher nur unsichere Vermuthungen hegen. Nach den Untersuchungen von C o h n h e i m 3 ) , treten in ' ) Vgl. S a m u e l , der Entzündungsprocess, Leipzig 1 8 7 3 . *) In Betreff der älteren Literatur für die nachstehend
dargelegten Ansichten vgl.
Vi r c h o w 1. c. pag. 46. •) Ueber Entzündung und Eiterung.
Virchow's Archiv.
Bd. 40. pag. 1 — 8 0 . — In
Betreff der, die Resultate C o h n h e i m ' s theils bestätigenden, tbeils bekämpfenden Arbeiten von K r e m i a n s k y , B a s t i a n , B e a l e , B a l o g h u. A. vgl. den Jahresbericht von V i r c h o w und H i r s c h für 1 8 6 8 u. flgd., Bd. I. B a r d e l e b e u , Chirurgie.
8. Aua.
I.
242
Ernährungs-Störungen.
dem Entzündungsbezirk die weissen Blutkörperchen durch die Gefässwände (namentlich der kleinsten Venen) hindurch in das Parenchym und
bedingen
ihre
schnell
lich
hier
durch
ihr
stetiges
Weiterwandern
fortschreitende Vermehrung
die gewaltige, ,sich
über deren Bestehen in verstanden sind.
Mag
bald
weiter
allein
oder
verbreitende
und
doch
durch wesent-
Zellenwucherung,
dem Entzündungsherde alle Beobachter einnun für diesen Act der Auswanderung auch
ein höherer Grad der Biegsamkeit der weissen Blutkörperchen selbst — eine amöboide Gestaltungsfähigkeit — vorausgesetzt werden, so bleibt doch
ein solcher Vorgang unbegreiflich, wenn
man nicht
annimmt,
dass die unsichtbaren Poren der Gefässwand an der erkrankten Stelle eine
erhebliche Erweiterung erfahren
haben.
Diese, mit den früher
beobachteten Veränderungen an den Capillargefässen leicht in Einklang zu setzende Auflockerung der Gefässwand und der dadurch möglich gemachte Austritt weisser Blutkörperchen in das Parenchym neuerdings gradezu als Fundamental-Erscheinungen gedeutet.
der
werden
Entzündung
Dass zunächst nur weisse Blutkörperchen das Gefäss ver-
lassen, kann man daraus erklären, dass dieselben stets, auch im normalen Zustande, unmittelbar an der Gefässwand sich fortbewegen und bei jeder Störung
des Kreislaufs zuerst in Gestalt eines den
Blutstrom umgebenden Rohres stagniren.
rothen
Diese Sonderung der weissen
Blutkörperchen von den rothen scheint beim Beginne der Entzündung in erhöhtem Maasse einzutreten '). Der Process der
Entzündung muss somit als ein sehr
compli-
cirter und keineswegs blos aus hydraulischen Gesetzen zu erklärender aufgefasst werden. gung und Steigerung
Das Wesen desselben dürfte in einer Beschleunides Stoffwechsels zu suchen sein,
bei welcher
der Wiederersatz weder qualitativ noch quantitativ mit dem Verbrauch gleichen Schritt hält.
Jedoch kann er ebenso mannigfaltige Differenzen
zeigen, als überhaupt Formen
der Ernährungsstörung
möglich
So kann also ebensogut B r a n d , wie Hypertrophie unter heitsbilde der Entzündung auftreten.
sind.
dem Krank-
Gemeinsam ist beiden
die Art
der Kreislaufsstörung (Hyperämie und Stase), verschieden von Anfang an die Störung des Stoffwechsels in
den
übrigen
Elementartheilen,
verschieden daher auch der Ausgang. Verlauf and Ausgänge. Entzündung die P e r i o d e n nahme. zündeten
Wie alle Krankheiten,
zeigt auch
die
des Wachsthums, der Höhe und der Ab-
Es lässt sich aber über dieselben, da sie, j e nach dem entOrgan und j e nach
der Individualität
schieden sind, im Allgemeinen Nichts aussagen. ') S a m u e l ,
E r s t a r r u n g und E n t z ü n d u n g ,
des K r a n k e n ,
ver-
J e nach dem schnelle-
Virchow's Archiv
1868,
Bd. 4 3 .
pag. 5 5 2 .
243
Entzüodung. ren oder langsameren V e r l a u f unterscheidet man a c u t e und n i s c h e Entzündungen. ergiebt
sich schon
aufführt.
chro-
Wie wenig scharf diese Unterscheidung ist,
daraus,
dass man auch subacute Entzündungen
Alle drei Arten können
mit oder ohne Fieber
verlaufen.
Auch von intermittirenden Entzündungen ist die R e d e ; die betreffenden Fälle sind aber wohl die A u s b r e i t u n g haupten, dass sie
der
wenig Neigung h a t ,
Theile zu verbreiten, verschieden
als Neuralgien zu deuten.
Entzündung lässt
sind,
sich
welche von den zuerst ergriffenen histologisch
dass sie
sich dies an
weben.
Eine
be-
sich auf solche benachbarte
sich dagegen
in
gleichartigen
sehr leicht und oft überraschend schnell ausbreitet. zeigt
In Bezug auf
im Allgemeinen
Geweben
Am Deutlichsten
der Bindesubstanz und den ihr verwandten Ge-
scheinbare
schnelle Verbreitung
Ausnahme
von
dieser
der Entzündung
von
den
Regel
macht
die
verschiedenartigsten
Geweben aus nach dem Laufe der Lvmphgefässe.
Diese erklärt sich
aber leicht, wenn man an den innigen Zusammenhang zwischen Bindegewebe und Lymphgefässen und an
die allgemeine Verbreitung
des
ersteren denkt. Man führt eine grosse Menge von A u s g ä n g e n auf, namentlich:
Adhäsion,
der Entzündung
Induration, Suppuration.
men giebt es a b e r , abgesehen
Streng genom-
von dem Tode des Individuums oder
dem örtlichen Tode des entzündeten Theils, nur einen Ausgang, die Z e r t h e i l u n g (resolutio).
So nennt man nämlich die unter allmäliger
Abnahme der allgemeinen und localen Symptome erfolgende Rückkehr des kranken Theiles zu seinem normalen Zustande, ohne irgend eine weitere Veränderung, leerung.
insbesondere
auch
ohne
irgend welche
Ent-
Erfolgt die Zertheilung nicht, und ist nicht etwa durch voll-
kommene Unterbrechung örtlicher
Tod
der Circulation in dem
(Brand)
herbeigeführt worden,
Seits die Elementartheile in
entzündeten Theile so schreiten
einer
ihrer fehlerhaften Entwickelung (Zellen-
wucherung) weiter fort, anderer Seits erleidet das während der E n t zündung durch
die Gefässwandüngen- transsudirte Plasma
weitere Veränderungen,
indem
es bald eingedickt,
bald an Dünnflüssigkeit zunimmt, mischt, E i t e r darstellt.
bald a u c h ,
selbst
(Exsudat) fest wird,
mit Zellenmassen ge-
Nach der gewöhnlichen Auffassung hätten wir
nicht blos den Eiter, sondern auch die, in Folge von Entzündungen auftretenden
Verwachsungen
Exsudats zu betrachten.
und Verhärtungen,
als
Durch die Untersuchungen
Producte von
des
Virchow
ist es jedoch wahrscheinlich gemacht, dass für die Mehrzahl der Entzündungs-Ausgänge das Exsudat gar keine oder doch nur eine negative Bedeutung hat, indem die bisher aus ihm abgeleiteten Neubildungen, 16*
244
Ernährt» gs-Störungeo.
die sogenannten o r g a n i s i r t e n E x s u d a t e , gar nicht aus ihm, sondern aus Wucherung (Proliferation) der im Entzündungsherde liegenden Gewebselemente (Zellen) selbst entstehen, während das Exsudat durch Resorption verschwindet oder der Fettmetamorphose verfällt. C o h n h e i m ' s Experimente ergeben zwar als wesentliche Quelle der massenhaft auftretenden Zellen die Auswanderung weisser Blutkörperchen (vgl. pag. 241), bestätigen aber jedenfalls die Bedeutungslosigkeit des Exsudats für die weiteren plastischen Vorgänge. Somit sind wir noch mehr berechtigt, den sogenannten Ausgängen oder Folgekrankheiten der Entzündung von vorn herein eine grössere Selbstständigkeit zuzusprechen, als wenn wir ihre Producte, nach der älteren Ansicht, für Umwandlungen des ursprünglich indifferenten Exsudats ansehen. Aetiologie. Das Studium der Ursachen der Entzündung ist von grosser praktischer Wichtigkeit. Diagnose und Heilplan gründen sich oft wesentlich darauf. Die Ursachen der Entzündung zerfallen in p r ä d i s p o n i r e n d e und G e l e g e n h e i t s - U r s a c h e n . Die ersteren sind wenig bekannt, so weit es sich um die Entzündung überhaupt handelt, sehr leicht ersichtlich dagegen, wenn man nur einzelne Klassen von Entzündungen berücksichtigt. So ist es mindestens zweifelhaft, ob es wirklich eine Prädisposition zu Entzündungen überhaupt, auf Grund der Plethora oder des sanguinischen Temperaments giebt, während es über allen Zweifel erhaben ist, dass die skrophulöse und die syphilitische Dyskrasie zu Entzündungen der Lymphdrüsen, der Knochen, zu gewissen Augenentzündungen u. s. w. prädisponiren, dass die Entzündung eines bestimmten Organs zu späteren (abermaligen) Entzündungen desselben die Prädisposition hinterlässt u. s. f. Auch unbekannte atmosphärische Zustände (wahrscheinlich Verunreinigung der Luft durch Pilze und Pilzsporen) haben Einfluss auf die Entstehung mancher Entzündungen, z. B. des Erysipelas, der Diphtheritis u. s. f. Manche Gewebe haben eine besondere Neigung zur Entzündung, keinesweges aber, wie man behauptet hat, die gefässreichsten; Entzündungen der Leber sind z. B. viel seltener, als die der Knochen oder der serösen Häute. Die G e l e g e n h e i t s - U r s a c h e n werden eingetheilt in äussere und innere oder direkte und indirekte, welche Bezeichnungen jedoch nicht immer gleichbedeutend sind. Die d i r e k t e n Ursachen sind im Bereich der Chirurgie natürlich am Häufigsten; sie wirken auf die Stelle selbst ein, wo die Entzündung sich entwickelt; dahin gehören alle Verletzungen durch Schnitt, Stich, Quetschung, durch chemische
Entzündung.
245
Einwirkungen, wie Hitze und Aetzmittel, durch gewisse Substanzen, deren Wirkungsweise noch nicht genau bekannt ist, wie Canthariden, Seidelbast, Senföl, desgleichen durch fremde Körper, mögen sie von Aussen gekommen sein, wie Holzsplitter, Flintenkugeln, oder im Körper selbst entstanden, wie die Blasensteine; auch Fremdbildungen (Gewächse) können in ihrer Umgebung Entzündungen erregen. Diese Aufzählung zeigt schon, dass die direkten Ursachen zwar meist, aber doch nicht immer blos äussere sind. Pie i n d i r e k t e n Ursachen der Entzündungen sind sehr verschieden. Zwischen einer Erkältung der Füsse, die einen Schnupfen zur Folge hat, und der u n b e k a n n t e n Ursache eines Blutschwärs ist ein grosser Unterschied. In dem ersten Falle handelt es sich um eine äussere Ursache, die mittelbar auf die Schleimhaut w i r k t ; im zweiten glaubt m a n , nach der gewöhnlichen Annahme, an eine Ursache, die im Organismus selbst entstanden sei und sich hier oder da gleichsam fixirt habe. Da sich Ursachen der letzteren Art nie mit Bestimmtheit nachweisen lassen, so hat man die auf ihnen b e r u h e n d e n Entzündungen auch s p o n t a n e genannt, eine Bezeichnung, welche, da sie die Krankheit als eine Wirkung ohne Ursache hinstellt, jedenfalls zur A u f k l ä r u n g nichts beiträgt. Auf indirekten Ursachen b e r u h e n E n t z ü n d u n g e n , welche, auf Grund der Einverleibung gewisser schädlicher Stoffe in den Organismus, mehr oder weniger entfernt von dem Orte der direkten Einwirkung jener Stoffe sich entwickeln. Dahin gehören die bei m a n c h e n Menschen a u f t r e t e n d e n E n t z ü n d u n g e n der Haut nach dem Genüsse gewisser Nahrüngsmittel (vgl. Erysipelas, Bd. II.), die E n t z ü n d u n g e n , welche auf die Einimpfung m a n c h e r Gifte und Contagien folgen, die Entz ü n d u n g e n nach dem Gebrauche gewisser Arzneimittel, z. B. des Quecksilbers. Wahrscheinlich wirken alle diese Substanzen örtlich e i n , n a c h d e m sie, m e h r oder weniger v e r ä n d e r t , im Körper verbreitet sind.
Verschiedene Arten der Entzündung.
Obgleich man mit Rust
b e h a u p t e n k a n n , dass es n u r e i n e E n t z ü n d u n g gebe, so ist es doch zu einer bessern Einsicht förderlich, die Verschiedenheiten, welche dieselbe in m e h r f a c h e n Beziehungen darbietet, als A r t e n derselben g e s o n d e r t zu betrachten. 1. In Bezug auf den V e r l a u f unterscheidet m a n die acute und die chronische Entzündung, von denen die erste wiederum eingetheilt wird in die acutissima, acuta und subacuta (vgl. pag. 2 4 2 ) . Auf die a c u t e E n t z ü n d u n g bezieht sich wesentlich Alles, was man von der E n t z ü n d u n g im Allgemeinen auszusagen pflegt. Acut verläuft n u r eine E n t z ü n d u n g , deren Veranlassungen schnell eingewirkt haben u n d
246
Ernährt) ti gs-Störu ngen.
rasch vorübergegangen sind. Bei der c h r o n i s c h e n Entzündung fehlt das, die acute Entzündung regelmässig begleitende Fieber fast immer, oder ist doch weniger regelmässig entwickelt, die. örtlichen Symptome sind oft sehr abweichend von der oben gegebenen Beschreibung, die functionellen Störungen undeutlich oder wechselnd. Die Diagnose der chronischen Entzündung ist demnach viel weniger sicher, als die der acuten. Dies ist um so mehr zu bedauern, als unter dem Einiluss scheinbar unbedeutender Veranlassungen eine chronische Entzündung in den acuten Verlauf Ubergehen kann; auf solche Weise wird der Erfolg mancher Operation getrübt, die man an Theilen unternahm, in welchen eine chronische Entzündung versteckt ihren Sitz hatte. Wir denken uns den chronischen Verlauf einer Entzündung im Allgemeinen bedingt durch das Fortbestehen der Entzündungsursache oder die immer wiederholte Einwirkung neuer Entzündungsursachen. Dadurch müssen sich die Stadien der Entzündung verwirren, indem zu den späteren immer wieder die neu erregten Erscheinungen des Entzündungsanfanges hinzutreten. In der Mehrzahl der Fälle ist die stetig fortwirkende Ursache der chronischen Entzündung eine im Körper vorhandene Dyskrasie. Aber auch traumatische Entzündungen können chronisch werden, wenn der verletzte Theil immer wieder gereizt wird, ferner wenn anderweitige, besonders allgemeine Störungen hinzutreten, oder wenn der Theil, in welchem die Verletzung eine Entzündung erregte, schon vorher in irgend einer Weise krankhaft verändert war. 2. In ä t i o l o g i s c h e r Beziehung unterscheidet man die e i n f a c h e oder r e i n e und die s p e c i f i s c h e Entzündung. Einfach ist die Entzündung, nach T h o m s o n , wenn sie sich in einem sonst gesunden Körper entwickelt, und die sie veranlassende Ursache keine weitere eigenthümliche Wirkung als eben die Entzündung erregende hatte; im entgegengesetzten Falle ist sie specifisch. In ähnlicher Weise hat H u n t e r die Entzündung eingetheilt in eine gesunde (!) und ungesunde, indem er voraussetzt, die Natur befolge in dem Verlaufe der Entzündung einen bestimmten Zweck. Seine „gesunde" Entzündung bezweckt einen Wiederersatz, wie z. B. bei der Heilung der Wunden; die „ungesunde" hat keinen nützlichen Zweck, bewirkt vielmehr Zerstörung. Diese teleologische Eintheilung beruht gänzlich auf Hypothese; wir würden vielleicht veranlasst sein, manche Entzündung, die wir jetzt für eine schädliche halten, als nützlich und mithin als eine „gesunde" im Sinne H u n t e r ' s anzuerkennen, wenn wir uns über ihre eigentliche Natur nicht in so grosser Unwissenheit befänden.
Entzündung.
247
3. In Bezug auf den C h a r a k t e r d e r S t ö r u n g kann man die sthenische, die asthenische und die hypersthenische Entzündung unterscheiden. Acute Entzündungen sind gewöhnlich sthenisch, chronische häufig asthenisch. Dennoch muss> man sich hüten, aus der verschiedenen Schnelligkeit des Verlaufs auf den Charakter der Krankheit einen Schluss zu inachen. Den s t h e i n s e h e n Charakter zeigt die Entzündung desto mehr, je kräftiger der entzündete Theil vor dem Beginne der Krankheit noch war, je weniger er durch die einwirkende Entzündungsursache geschwächt wurde, je mehr Elementartheile in ihm also unversehrt und fähig geblieben sind, den normalen Stoffwechsel wieder einzuleiten. Die a s t h e n i s c h e Entzündung dagegen entwickelt sich in geschwächten Theilen, deren einzelne Elemente schon vorher eine Störung in ihrer Ernährung erfahren hatten, daher bei Individuen, welche überhaupt schlecht genährt sind, an Theilen, welche einer Hemmung des arteriellen oder venösen Blutlaufs unterliegen, u. s. f. Die Wahrscheinlichkeit, dass der normale Zustand ohne Hülfe der Kunst wiederhergestellt werde, ist bei der asthenischen Entzündung viel geringer, als bei der sthenischen. Als h y p e r s t h e n i s c h e Forin der Entzündung bezeichnen wir diejenige, welche durch den höchsten Grad der Intensität entweder den Stoffwechsel vollständig unterbricht (Brand) oder eine üppige Neubildung (Wucherung von Granulationen) veranlasst. Sie scheint von besonderen Entzündungsursachen abhängig zu sein. 4. In Bezug auf ihre Wirkungen und Folgen hat man allgemein die Entzündungen eingetheilt in a d h ä s i v e , s u p p u r a t i v e , u l c e r a t i v e , g a n g r ä n ö s e . Die Erklärung dieser Unterscheidungen ergiebt sich theils aus den Worten selbst, theils aus den genaueren Erörterungen über Verklebung der Wunden, Eiterung, Verschwärung, Brand, welche in verschiedenen Capiteln weiter unten folgen. Diagnose. Gewöhnlich ist es, unter Berücksichtigung der angegebenen Symptome, leicht, eine äussere Entzündung zu erkennen. Jedoch können blosse Hyperämien, rheumatische Affectionen, auch gewisse Neubildungen Aehnlichkeit mit Entzündungen darbieten. Es fehlt bei diesen aber immer die Vermehrung des Schmerzes durch Druck, es fehlt das Fieber, und es stellen sich niemals jene abnormen Secretionen ein, die in Folge der Entzündung auftreten. Prognose. Heftigkeit, Ausbreitung und ätiologische. Verhältnisse der Entzündung, die Bedeutung des ergriffenen Organs, das Alter, der sonstige Gesundheitszustand und die übrigen Verhältnisse des Erkrankten bedingen so grosse Verschiedenheiten, dass es unmöglich ist, Uber die Prognose im Allgemeinen etwas Bestimmtes auszusagen.
Ernährungs-Störungen.
248
Beliaudlliug. Zerstörung
Die Entzündung hat nicht immer und wesentlich
in ihrem Gefolge.
Der Chirurg
muss
sogar
oft
daran
d e n k e n , Vortheil aus ihr .zu ziehen; ja er muss sie unter gewissen Umständen h e r v o r r u f e n , oder doch stärker anfachen. zahl
In der Mehr-
der Fälle hat aber auch der Chirurg die Entzündung zu ver-
hüten und zu bekämpfen oder doch zu massigen. wäre
es nun
vor Allem w ü n s c h e n s w e r t h ,
Zu diesem Zweck
eine genaue und sichere
Kenntniss d e r Natur und der nächsten Ursachen der Entzündung zu besitzen. rungen
Aber wenn wir auch unsere Kenntnisse von den Verändedes Calibers
der kleinsten Arterien, von der Alteration
Gefässwandungen, von Wucherung
der Stockung des Blutes in i h n e n ,
der Zellen und von
der Vermehrung
der
von der
des Faserstoffge-
haltes des Blutes nicht unterschätzen wollen, so fehlt uns doch noch der nöthige Anhalt Entzündung.
zur B e g r ü n d u n g
Wir
haben uns
einer rationellen Therapie
deshalb wesentlich
an
der
das praktisch
Bewährte zu halten. Vor Allem ist die l n d i c a t i o c a u s a l i s zu e r f ü l l e n : es sind alle die schädlichen Einwirkungen zu beseitigen, welche die Entzündung hervorgerufen haben.
Kamen dieselben von Aussen und sind sie be-
kannt, so ist die Erfüllung dieser Indication oft möglich, sogar leicht, wie i . B. durch Entfernung fremder Körper.
Oft aber sind wir Uber
die Ursachen der Entzündung in der grössten Unwissenheit, oder dieselben sind
von der A r t ,
dass sie sich ü b e r h a u p t
nicht
entfernen
lassen, wie z. B. eine Erkältung, eine Verbrennung. Dann schreiten wir sofort zur Erfüllung der l n d i c a t i o
morbi;
d. h. zur Anwendung der M e t h o d u s a n t i p h l o g i s t i c a , durch welch'e, wo möglich, die Z e r t h e i l u n g herbeigeführt werden soll. ist dem kranken Theile R u h e 1 )
Zunächst
zu verschaffen
und
eine z w e c k m ä s s i g e L a g e zu geben, am Besten eine solche, welche den Abfluss des venösen Blutes von dem erkrankten Theile und die ') l)ass und
ein e n t z ü n d e t e r Tbeil in solcher
dennoch
wird
phlogistica
erhalten gegen
vor Allem
werden
dies
erste
und
vielfach Verstössen.
oft lebensgefährliche Steigerung durch
zweckmässige
ständige J.
Ruhe des
Hilton
diese
Fragen) b e h a n d e l t ,
Lagerung Gelenkes
wichtige
in
müsse,
möglichst leuchtet
vollständige Ruhe
sogar
einfachste Gesetz der M e t h o d u s
Und anti-
Wie viele G e l e n k e n t z ü n d u n g e n verdanken blos dem U m s t ä n d e ,
und Sorge
Seite
in The L a n c e t ,
einen zu
der
man
immobilisirenden
tragen! — chirurgischen
1860,
dass
In
Verband
Therapie
für
voll-
Weise
hat
(neben
August bis O c t o b e r : in
ihre
es versäumte,
umfassender
the therapeutic influence of mechanical and physiological r e s t surgical diseases."
versetzt
d e m Laien ein.
anderen
„ O n pain and accidents and
Entzündung.
249
Erschlaffung desselben, soviel als möglich, b e g ü n s t i g t 1 ) . und inneren R e i z e ,
namentlich
auch
Alle äusseren
aufregende Nahrungsmittel
Getränke sind zu v e r m e i d e n ; der gewöhnlich, zumal bei Entzündungen, Wassertrinken meinerer
quälende
Demnächst in
Theiles,
Durst
ist
kommen
Betracht:
Blutentziehungen,
anderen
ten
Kranken
stillen.
Anwendbarkeit
der K ä l t e , nach
den zu
die
durch
Ableitungen
Theilen
hin,
endlich
antiphlogistische
reichliches
als Mittel
örtliche
von
allge-
Anwendung
der
die Compression
und
fieberhaften
Säftemasse
des
und
entzünde-
beruhigende
Medicamente. Die A n w e n d u n g Heilmitteln samste.
der Kälte
das einfachste
ist unter
allen
und in der Mehrzahl
antiphlogistischen
der F ä l l e das wirk-
Ueberall, wo man noch Zertheilung zu erzielen hoffen
darf,
ist die Kälte, nach den pag. 1 8 4 u. f. erörterten Vorschriften, in Geb r a u c h zu ziehen, namentlich also, wo irgend möglich, in der F o r m von Eis-Blasen oder E i s - B e u t e l n ' ) , w e l c h e auf den entzündeten Theil aufgelegt oder b e s s e r , leicht
selbst
—
zur Vermeidung eines s c h m e r z h a f t e n , viel-
nachtheiligen D r u c k e s ,
—
Uber demselben
in der Art
aufgehängt werden, dass sie ihn hinlänglich berühren, ohne zu drücken. Der g r o s s e Nutzen ( u n d auch die Gefahr) der dauernden
Anwendung
der Kälte b e r u h t nicht blos auf der von ihr vermöge der Z u s a m m e n ziehung
der
Gefässe
bewirkten
Depletion,
sondern
auch
direct antiplastischen (das Zellenleben beschränkenden)
auf
ihrer
Wirkung.
An die „ k a l t e n U m s c h l ä g e " schliessen sich das B l e i w a s s e r die A q u a G o u l a r d i haften Es
an,
oberflächlichen
mag
zugestanden
denen
m a n c h e Aerzte bei
Entzündungen werden,
vor j e n e n
dass ihr Gehalt
sehr
den Vorzug
Bestandtheiles gehen
sie j e d o c h
geben.
an essigsaurem
vielleicht beruhigend und zugleich adstringirend wirken kann. wirksamen
an der L u f t ,
und
schmerzBlei
Dieses
indem
sich
kohlensaures Blei niederschlägt, alsbald verlustig, und datin sind sie, weil w e n i g e r häufig erneuert u n d . d e s h a l b weniger kalt, gewiss s c h l e c h ter, als kaltes W a s s e r .
Viel m e h r empfiehlt es sich, nach meinen E r -
fahrungen,
auf die Haut zu pinseln,
Bleiessig
einen mit dünner,
weicher L e i n w a n d umhüllten Eisbeutel d a r ü b e r zu legen, und bei j e dem W e c h s e l des letzteren das Aufpinseln zu wiederholen. ' ) Vgl. N e l a t o n ' s These ladies cbirurgicales."
de concours
„De l'influence de la position dans les ma-
Paris, 1851. — Für die Extremitäten giebt es kein besseres
Mittel, um den Abflugs des Venenbluts zu befördern, als die S u s p e n s i o n , d. h. die Befestigung in einer Schwebe, welche die Erbebung der Hand oder des Fusses weit über den Rumpf des Kranken sicher stellt. ' ) Vgl. E s m a r c h , im Archiv für Chirurgie, Bd. I. Heft 2.
250
Ernährungs-Störungen.
Der Nutzen der Bin t e n t z i e h u n g e n in Entzündungen ist früher weit überschätzt,
dann wiederum
ganz
in Abrede
gestellt
worden.
Wenn derselbe sich auch in manchen inneren Entzündungen auf eine vorübergehende Erleichterung des Kranken beschränken mag, so tritt er bei äusseren Entzündungen hervor.
in vielen Fällen
doch sehr deutlich
Man wendet, j e nach der Heftigkeit des die Entzündung be-
gleitenden Fiebers, je nach der Ausdehnung der E n t z ü n d u n g , sowie nach
der Dignität des erkrankten O r g a n s ,
entweder
blos ö r t l i c h e
oder auch a l l g e m e i n e Blutentziehungen an. In der Absicht eine a l l g e m e i n e macht
man einen Aderlass
Blutentziehung zu
(vgl. pag. 2 0 0 u. f.).
bewirken,
Man erwartet von
der Verminderung der Blutmasse nicht blos eine Abnahme der Spann u n g (des Seitendrucks) im ganzen Gefässsystem, welche die im Entz ü n d u n g s h e r d e eingetretene Stockung des Blutes zu lösen im Stande w ä r e , sondern auch eine deprimirende Einwirkung auf den gesammten Stoffwechsel, die sich durch Verminderung der Körperwärme und durch gewisse Störung der
Functionen
des Nervensystems
(Zittern,
Ohnmacht, Anästhesie, Krämpfe). kund giebt, und durch welche man die a b n o r m e
Steigerung
Zellenbildung)
in
dem
der Vegetation entzündeten
(namentlich also auch
Theile
herabzusetzen
hofft.
der In
beiden Richtungen kann die Wirkung des Aderlasses jedoch n u r eine vorübergehende sein, hergestellt wird.
da die Quantität der Blutmasse schnell wieder
Von längerer Dauer ist die Veränderung der B l u t -
m i s c h u n g , welche auf jeden grossen Blutverlust folgt, da die Blutkörperchen
viel langsamer
standtheile,
woraus sich nebenbei
Faserstoff und
ersetzt w e r d e n ,
an
das Auftreten der Crusta inflammatoria nach wieder-
holten Aderlässen erklärt (vgl. pag. 2 3 8 ) . des Aderlasses ist aber keineswegs lehrte.
als die übrigen Blutbe-
der relativ grosse Reichthum
Diese d a u e r n d e Wirkung
so e r w ü n s c h t ,
wie m a n
früher
Sie bedingt eine d a u e r n d e Verschlechterung der ganzen Er-
nährung, Neigung zu serösen Ergüssen u n d zu Gerinnungen des Blutes innerhalb
der
Gefässe
(bei
geringfügiger
localer
Behinderung
des
Kreislaufs), jedenfalls auch in günstigen Fällen eine erhebliche Verzögerung der Reconvalescenz. Wenn beide Arten
der Blutentziehung
Statt
finden sollen,
schickt man den Aderlass der topischen Blutentleerung v o r a u s ,
so weil
man fürchtet, dass letztere sonst, wegen der damit v e r b u n d e n e n Reizung der Haut, ebensogut Blut „ a n z i e h e n " , als entleeren könnte. Wie stark der Aderlass sein und wie oft er wiederholt werden soll, darüber lässt sich n u r nach der Individualität des Falles entscheiden.
Man vergesse nicht,
dass Zertheilung n u r bei nicht allzu
Entzündung.
251
sehr gesunkenen Kräften möglich ist, und dass der Missbrauch der Blutentleerungen den Erguss von Blutwasser in die Gewebe (Oedem) und die Entstehung einer chronischen Entzündung begünstigen kann. Jedenfalls mache man den ersten Aderlass gehörig stark und aus einer g r o s s e n Venenwunde, so dass durchschnittlich etwa 1 Pfund Blut in wenigen Minuten entleert wird. Nur eine sehr schnelle Entleerung einer beträchtlichen Blutmenge vermindert den Grad der An•üllung des Gefässsystems in solcher Weise, dass sich davon ein Freiwerden des im Entzündungsherde stockenden Blutlaufs erwarten lässt. Der Effect des Aderlasses kann bald an der Veränderung des Pulses, bald an der Verminderung des Schmerzes erkannt werden; letztere ist für den Chirurgen ein besonders wichtiges Zeichen. Werden durch einen Aderlass die Schmerzen nicht gemindert und die Kräfte des Kranken geschwächt, so kann man voraussehen, dass eine Wiederholung nur Schaden bringen wird. Auf das Alter, die Constitution des Kranken, die vorhergegangenen Krankheiten, den Kräftezustand überhaupt und den Zustand des Nervensystems ist bei Beurtheilung der in Rede stehenden Fragen sorgfältig Rücksicht zu nehmen. T o p i s c h e Blutentziehungen werden gewöhnlich in der Nähe, jedoch nicht unmittelbar an dem entzündeten Theile gemacht. Man hat im letzteren Falle nämlich zu befürchten, dass sie eine stärkere Congestion in dem kranken Theile veranlassen. Aus demselben Grunde müssen sie jedes Mal reichlich gemacht werden. Wenn auch in der Mehrzahl der Fälle topische Blutentziehungen bei der Behandlung oberflächlicher Entzündungen durch Eisbeutel überflüssig gemacht werden, so darf man sie doch nicht in Vergessenheit gerathen lassen, nicht blos weil leider oft genug Eis gar nicht zu haben ist, sondern auch weil sie sehr wohl zur Unterstützung der Kältewirkung benutzt werden können. Um von ihrer Bedeutung sich zu überzeugen, braucht man nur ihre Wirkung bei Entzündungen der Paukenhöhle, der Iris oder der Chorioidea zu beobachten. Besondere Vortheile gewähren örtliche Blutentziehungen, wenn es sich um c h r o n i s c h e Entzündungen handelt, zu deren Beseitigung w i e d e r h o l t e Blutentleerungen nothwendig sind. In solchen Fällen würde man durch Wiederholung des Aderlasses die Constitution des Kranken untergraben, während die häufige Application einiger Blutegel gegen chronische Entzündungen der Blase, der Prostata, des Uterus u. s. f. sich wirksam erweist, ohne die gesammte Ernährung zu schädigen. Als örtliche Blutentziehungen wirken auch E i n s c h n i t t e in den entzündeten Theil. Dieselben verdanken jedoch ihre bei weitem grössere Wirksamkeit der A u f h e b u n g d e r S p a n n u n g (debridement),
252
Ernährungs-Störungen.
durch welche sie namentlich bei P h l e g m o n e und P e r i o s t i t i s hülfreich sind, bei deren Beschreibung wir n ä h e r auf sie eingehen werden. An die Blutentziehungen schliesst sich die von V a n z e t t i ' ) vorgeschlagene
Absperrung
der
Blutzufuhr
Theile durch a n d a u e r n d e Compression stammes.
Dieselbe soll,
zu
dem
entzündeten
des entsprechenden
damit sicher
nur
die Arterie
wird, in der pag. 5 2 u. f. geschilderten Weise,
Pulsader-comprimirt
mit den
Fingern,
entweder von dem Arzte (oder einem Gehülfen), oder aber von dem Kranken selbst ausgeübt w e r d e n , welcher letztere, nach
Vanzetti's
Erfahrungen (welche ich freilich n i c h t bestätigen kann), die erforderliche Geschicklichkeit terie b r a u c h t
sehr schnell
erlangt.
Der Blutlauf in der Ar-
nicht vollständig u n t e r d r ü c k t zu w e r d e n ;
m a n , bei E r m ü d u n g
der F i n g e r ,
auch
von Zeit zu Zeit Pausen
kann
machen.
Schon nach 1 2 s t ü n d i g e r Anwendung dieser milden Arterien-Compression hat m a n
erhebliche Besserung beobachtet.
Diese Bereicherung
des antiphlogistischen Apparates ist in ihrer Ausführbarkeit und Wirksamkeit namentlich
von H. D e m m e 2 )
u n d von N e u d ö r f e r 3 )
aner-
k a n n t worden. Wie aus der Beobachtung der spontanen „ k r i t i s c h e n " Blutungen von den alten Aerzten die Aufforderung zu künstlichen Blutentleerungen entnommen ist, so hat die Beobachtung der glücklichen Beendigung m a n c h e r Entzündungen durch andere „kritische Entleerungen", insbesondere durch Diarrhöen u n d Schweisse, zu der Einführung derjenigen
Mittel, durch welche wir
nach anderen gegeben.
T h e i l e n hin
der
Säftemasse
herbeizuführen s u c h e n ,
Ableitungen
Veranlassung
Hierher g e h ö r e n : Abführmittel, u n t e r denen besonders die
öligen und salinischen in Anwendung zu ziehen s i n d ;
ferner Brech-
mittel, Diaphoretica, Diuretica; die Erzeugung einer bedeutenden Blutttberfüllung
in einer oder
nicht selbst Sitz
der
a n d e r e n Extremität (welche natürlich
der E n t z ü n d u n g
sein d a r f ) durch Anwendung
J u n o d ' s c h e n Apparates (vgl. pag. 2 2 0 ) ;
des
endlich alle s o g e n . „Ablei-
tungen auf die äussere Haut", wie Blasenpflaster, Fontanellen, Haarseile, deren Wirksamkeit wohl
gleichfalls wesentlich auf der
durch
sie erregten Hyperämie und der dadurch bedingten Verminderung der BlutUberfüllung in dem entzündeten Theile b e r u h e n dürfte.
Welche
von diesen Ableitungen in den einzelnen Entzündungsformen und bei ' ) Centn sulla c u r a dell' i n f l a m m a z i o n e colla c o m p r e s s i o n e digitale. ') H e r m a n n 1859.
Demme,
IsteAbth.
Venezia,
Würzburg
1861. —
Demme
von
s a h e i n e n W ä r t e r die Arteria
(emoralis 6 Tage lang, m i t U n t e r b r e c h u n g weniger S t u n d e n , c o m p r i m i r e n 3
1858.
Militär-chirurgische S t u d i e n in den i t a l i ä n . L a z a r e t h e n
) H a n d b u c h d e r K r i e g s c h i r u r g i e , Leipzig, 1 8 6 4 , I. p a g . 1 5 2 .
(?).
253
Entzündung.
Entzündungen dieses oder jenes Organes besonders nützlich sind, kann erst bei deren specieller Beschreibung erörtert werden. Die C o r a p r e s s i o n
entzündeter Theile
ist,
als ein
wesent-
licher Theil der Localbehandlung, namentlich durch V e l p e a u , und F r i c k e
empfohlen worden.
Dass sie,
besonders
bei
Seutin chroni-
s c h e n Entzündungen von Drüsen und Gelenken, ein wirksames Mittel sei, wird allgemein anerkannt.
Viel weniger einig ist man darüber,
wie man ihre Wirksamkeit erklären soll.
Am Wahrscheinlichsten ist
es wohl, dass dieselbe auf der durch den Druck herbeigeführten Unmöglichkeit einer weiteren Steigerung
der Blutüberfüllung und
ferneren Ergusses von Blutflüssigkeit beruhe.
eines
Auch die absolute Ruhe,
in welche der durch einen kunstgerechten Verband comprimirte Theil versetzt wird, möchte, vielleicht mehr als man gewöhnlich glaubt, in Anschlag zu bringen sein.
Mancher Verband, der in der Absicht zu
comprimiren angelegt wurde,
mag wesentlich
sirende Wirkung genutzt haben.
durch seine immobili-
Jedenfalls ist der Einwurf, es müssten
sich die absichtlich comprimirten Theile in demselben Zustande befinden,
wie die bei einer Entzündung
eine fibröse Haut eingeklemmten
(wie
tief 'liegender Gebilde z. B. bei
einer
durch
Entzündung
unter der Fascia palmaris), und es könne daher unmöglich eine Einklemmung entzündeter Theile, welche wir,
wo sie zufällig durch die
Localität bedingt ist,
halten
für sehr gefährlich
suchen, in anderen Fällen,
wo wir
und zu
beseitigen
sie künstlich durch den Druck-
verband herbeiführen, sich heilsam beweisen, — sowohl theoretisch, als praktisch beseitigt. mit Einklemmung
Denn einer Seits ist die Conipression in jenen
complicirten Entzündungen durchaus
nicht gleich-
niässig, sondern es wird bald dieser, bald j e n e r Punkt, j e nach der anatomischen Anordnung der Theile stärker gedrückt und keineswegs der Blutabfluss solcher Art
in solcher Weise
beschränkt,
wie
befördert
bei
und
die Blutzufuhr
der kunstgerechten
in
Compression;
anderer Seits zeigt die grosse Reihe der von den verschiedensten Beobachtern gemachten Erfahrungen,
dass das Resultat der
kunstge-
m ä s s e n , gleichmässigen Compression entzündeter Theile in der Thal recht oft ein günstiges ist.
Freilich ist sie in vielen Fällen schwierig,
in acuten kaum jemals anzuwenden.
Ihre Technik bedarf jedenfalls
besonderer Einübung. Von den
antiphlogistischen
Medicamenten
erwartet
man
vorzugsweise eine (freilich nicht erwiesene) Verminderung des Faserstoffgehalts des
Blutes,
Quecksilberpräparaten, brauch, und graue
so namentlich unter welchen
Quecksilbersalbe
vom
Salpeter
Calomel zum in Form
von
den
innerlichen
und
Ge-
von Einreibungen
die
254
Ernährungs-Störungen.
Hauptrolle spielen. Letztere werden auch in Fällen angewandt, wo es sich um Resorption bereits erfolgter Exsudationen handelt. Unzweifelhaft kommt, wenn wir auch eine directe Einwirkung der genannten Mittel auf die Mischung des Blutes nicht läugnen wollen, bei dem Nitrum seine diuretische Wirkung, bei dem Calomel seine Wirkung auf den Darmcanal, bei der grauen Salbe die durch sie bedingte Irritation der Haut an der Applicationsstelle sehr wesentlich in Betracht. Calomel und graue Salbe werden überdies durch ihre specifische Wirkung nützlich sein, sobald Entzündungen zu bekämpfen sind, welche auf Syphilis beruhen. — Vielleicht handelt es sich in den Fällen, wo solche Mittel sich bewährt haben, namentlich bei den Quecksilberpräparaten, auch um noch andere, zur Zeit unbekannte Wirkungsweisen. B e r u h i g e n d e M i t t e l werden nicht blos zur Linderung des Entzündungsschmerzes, sondern auch zur Bekämpfung der Entzündung selbst in Gebrauch gezogen. In dieser Beziehung verdient die D i g i t a l i s den ersten Platz, indem sie durch directe Einwirkung auf die Herznerven (oder deren Centraiorgane) die Thätigkeit des Herzens herabsetzt, die Temperatur, die Pulsfrequenz und den Seitendruck in den Arterien vermindert, und somit die Heftigkeit des Blutandranges zu dem entzündeten Theile mässigt. Gleichzeitig ist sie bei schon vorhandenem Exsudat wegen der durch sie bewirkten Steigerung der Nierenthätigkeit werthvoll. Auch das O p i u m und die aus ihm gewonnenen Alcaloide, namentlich die M o r p h i u m s a l z e , finden bei der Behandlung von Entzündungen oft Anwendung, besonders wo ein furchtbarer Schmerz zu beseitigen und eine gewaltige Aufregung des Nervensystems zu beruhigen ist, wie z. B. bei ausgedehnten Verbrennungen. Zuweilen zeigt das Opium sich auch durch Hervorrufung eines bedeutenden Schweisses heilsam, insbesondere bei sogen, rheumatischen Entzündungen. Doch sei man im Allgemeinen mit seiner Anwendung vorsichtig, zumal bei lebhaftem Fieber, wo der Zustand des Kranken durch seinen Gebrauch fast immer verschlimmert wird. Das Entzündungsfieber bekämpft man auch direkt mit a n t i f e b r i l e n M i t t e l n , unter denen namentlich die Chinin-Salze, die Salicylsäure, das salicylsaure Natron und die Abkühlung des ganzen Körpers durch lauwarme, allmälig abzukühlende Bäder zu nennen sind. Letztere können auch durch die von E s m a r c h empfohlenen Kühlschläuche ersetzt werden, — Gummi-Schläuche, mit denen man den Körper umschlingt und durch welche man fortdauernd kaltes Wasser laufen lässt.
EiteruDg.
255
Zweites Capitel.
E i t e r u n g und A b s c e s s b i l d u n g . 1. Eiternng, Suppuratio. Um die Eiterung kennen zu l e r n e n , h a b e n wir den Eiter selbst, seine Entstehung
(Pyogenesis),
den
weiteren
Verlauf der
Eiterung,
endlich den Einfluss der Eiterung auf den ganzen Organismus näher zu untersuchen.
A.
Vom Eitel*.
Eiter, p u s b o n u m
1. P h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n .
Consistenz, ähnlich dem Milchrahm,
gelblich weiss,
wenig grünlich, von sehr schwachem Geschmack;
bei
der Untersuchung
faden Geruch
mit
einem
Gefässe s t e h e n ,
oder auch ein und
dem Finger
schmierig, gleichförmig, aber nicht fadenziehend. längere Zeit in
Der reine
e t l a u d a b i l e , ist eine Flüssigkeit von dicklicher
so
süsslichem
zeigt
er
Lässt man
trennt er
sich in
sich Eiter zwei
Schichten, eine untere, undurchsichtige, von der ursprünglichen Farbe des Eiters, und eine o b e r e , m e h r oder weniger durchsichtige, schwach gelblicher Farbe. nach G ü t e r b o c k
und P e a r s o n ,
Alle diese Eigenschaften des zahlreichen Abänderungen
1030—1033. sogenannten
unterworfen,
ohne
hörte, für pus bonum et laudabile zu gelten. gelblich, sogar entschieden mengtes Blut roth.
von
Das specifische Gewicht des Eiters beträgt, Eiters
sind
dass er deshalb
guten
auf-
Seine F a r b e kann grün-
blau oder grün sein, auch durch beige-
Sein Geschmack kann entschieden süss oder auch
entschieden salzig w e r d e n ; zuweilen ist er nach der Angabe solcher Kranken, die an Erweiterung der Bronchien oder Eiterung der Lungen leiden, äusserst ekelhaft. — Die oben a n g e f ü h r t e Consistenz des guten Eiters ist f ü r das blosse Auge das constanteste Merkmal
desselben;
wenigstens ist dünnflüssiger Eiter niemals guter Eiter. Die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g lehrt, dass der Eiter aus kleinen Körperchen (corpuscula puris) besteht, welche in einer Flüssigkeit (Eiterflüssigkeit,» E i t e r s e r u m ,
s e r u m puris) suspendirt sind.
Es
erklärt sich hieraus die bereits a n g e f ü h r t e Erscheinung, dass der ruhig stehende Eiter sich in zwei Schichten s o n d e r t , indem die specifiscli schwereren Eiterkörperchen
zu Boden sinken.
Die Körperchen
des
Eiters sind theils Zellen, theils Kerne, theils Molecüle, wie sie in allen organischen Flüssigkeiten vorkommen. Die Z e l l e n d e s E i t e r s sind im Allgemeinen sphärisch, besitzen eine mehr oder weniger granulirte Oberfläche und einen Durchmesser
256
Ernährungs-StöruDgeD.
von 0,01 Millimeter und darüber; sie sind also bedeutend grösser als die rothen Blutkörperchen des Menschen (Fig. 113, D). Diese Zellen sind von zweierlei Art. Die einen, an Zahl gewöhnlich bei Weitem überwiegend, heissen E i t e r z e l l e n oder auch wohl E i t e r k ö r p e r c h e n im engeren Sinne des Wortes (cellulae s. corpuscula puris, Fig. 113, A). Sie stimmen in jeder Beziehung mit den weissen Blutkörperchen überein. Vgl. pag. 241 u. f. Verdünnt man den Eiter mit Wasser (Fig. 113, B), so nehmen diese Eiterzellen durch Endosmose Flüssigkeit auf; ihre vorher nur halb durchsichtige Zellmembran wird stärker gespannt und dadurch durchsichtiger, so dass man sich jetzt überzeugen kann, dass sie ausser einem wasserhellen Zelleninhalt einen Kern enthalten, welcher nach längerer Einwirkung des Wassers, viel deutlicher noch nach Zusatz von Essigsäure (Fig. 113, C), sich als aus drei oder vierStücken zusammengesetzt erweist, welche eine genauere Untersuchung bei sehr starken Vergrösserungen als biconcave Scheiben erkennen lässt. Längere Einwirkung der Essigsäure löst die Eiterzellen auf unter Zurücklassung ihrer zusammengesetzten Kerne, deren einzelne Stücke sich zuweilen in der Essigsäure von einander lösen. Fig.
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D
Die andere Art von Zellen, welche sich jedoch nicht constant im Eiter findet, nennen wir, nach J. V o g e l , K ö r n c h e n z e l l e n . Sie besitzen keinen Kern, vielmehr einen feinkörnigen Inhalt (Fettkörnchen). Ihre Zellmembran wird durch Zusatz von Essigsäure ebenfalls aufgelöst. Sie sind im Allgemeinen etwas grösser u n d , ihres dichteren Inhalts wegen, von dunklerem Ansehen, als die Eiterkörperchen. Sie finden sich namentlich in solchem Eiter, der bereits längere Zeit im Körper verweilt hat. Ammoniak löst alle Eiterzellen in einen klebrigen Brei auf. Jodhaltiges Wasser färbt sie gelblich und macht die Zellmembran besonders deutlich. Der Luft ausgesetzt oder thierischen Flüssigkeiten (Blut, Urin u. dgl.) beigemischt, bleiben sie lange Zeit unverändert,
257
Eiterung.
vorausgesetzt, dass in diesen noch keine Fäulniss eingetreten ist, und der Harn insbesondere kein freies Ammoniak enthält. Die Kerne, welche im Eiter frei vorkommen, unterscheiden sich in keiner Weise von den in den Eiterzellen enthaltenen. 2. C h e m i s c h e E i g e n s c h a f t e n . Guter Eiter, wie wir ihn aus geschlossenen Höhlen erhalten, reagirt neutral; auf eiternden Wundflächen zeigt er meist dieselbe Reaction, er kann jedoch auch sauer reagiren, was von der unter Einwirkung der Luft stattfindenden Bildung flüchtiger Säuren herzurühren scheint. Alkalisch reagirt der Eiter, wenn er in tiefen Gängen oder Höhlen bei Zutritt der Luft längere Zeit verweilt, in Folge der Entwickelung einer geringen Quantität von Ammoniak, dessen Anwesenheit man leicht nachweisen kann, indem man einen mit Salzsäure benetzten Glasstab über die Eiterhöhle hält, wodurch sogleich die bekannten Wolken (Salmiakbildung) entstehen. Von der Einwirkung der Essigsäure und des Ammoniaks auf den gewöhnlichen Eiter war bereits die Rede. Durch Aether lässt sich aus dem Eiter Fett ausziehen. Aus den vielfach wiederholten chemischen Analysen des Eiters geht hervor, dass er enthält: A l b u m i n , dessen wässrige Lösung den grössten Theil der Eiterflüssigkeit ausmacht; F e t t , welches nach V a l e n t i n aus Cholesterin, Olein, Oleinsäure und Stearin besteht; F i b r i n , wesentlich in den Eiterkörperchen; die sogenannten E x t r a c t i v s t o f f e des Fleisches; u n o r g a n i s c h e S a l z e , und zwar mit geringen Abweichungen diejenigen, welche auch im Blute vorkommen. Ausserdem haben P e a r s o n und G U t e r b o c k eine eigenthümliche Substanz im Eiter aufgefunden, welche Letzterer Pyin genannt hat; D u m a s hält sie für Casein; sie ist jedenfalls nicht von grosser Bedeutung. Wichtiger dürfte der Nachweis des Gehalts an M y o s i n und an P r o t a g o n sein, welchen H. F i s c h e r 1 ) geliefert hat. 3. A r t e n u n d V a r i e t ä t e n d e s E i t e r s . Die bisher aufgeführten Eigenschaften finden sich mit mehr oder weniger, besonders quantitativen Abänderungen an allem Eiter; doch kommen sie wesentlich und gerade so, wie sie genauer beschrieben worden sind, dem „pus bonum et laudabile" zu. Ihre Modificationen bedingen die Unterscheidung verschiedener Eiterarten oder Varietäten. Bei der einen Varietät herrscht das Eiterserum vor, sie ist arm an Eiterkörperchen: d ü n n f l ü s s i g e r , s e r ö s e r E i t e r . Oder es finden sich in dem Eiter ausser den Eiterkörperchen noch andere, relativ fremde, Substanzen, wie Flocken von geronnenem F.iweiss oder Faserstoff, zerstörte Gewebstheile, besonders abgestorbenes Bindegewebe, oder endlich Tuberkel') C e n t r a i b l a t t d e r i n e d i c . B a r d e l e b e n , Chirurgie.
Wissenschaft. 8. Aufl.
1.
1865. No. 15. 17
Ernährnngs-Störungen.
258
masse, Krebszellen u. dgl. In solchen Fällen ist dann auch häufig die Farbe und der Geruch des Eiters bedeutend verändert. Sobald der Eiter in Folge der Beimischung von Substanzen, welche in Zersetzung begriffen sind, oder durch eigene Fäulniss einen übelen Geruch annimmt, verdient er seinen Namen nicht mehr, sondern ist grade vom praktischen Standpunkte entschieden als f a u l i g e r E i t e r , J a u c h e (ichor, sanies) zu bezeichnen. Ungewöhnliche Färbungen des Eiters rühren am Häufigsten von beigemengtem und zuweilen zersetztem Blute her, besonders die rothe, rothgelbe, braune und auch schwarze Farbe; in anderen Fällen fand man einen besonderen Farbestoff, zumal bei blauem und blaugrünem Eiter 1 ). Durch starken Fettgehalt gewinnt der Eiter ein öliges Ansehen. Die physikalischen und chemischen Verschiedenheiten des Eiters sind, so sehr wir auch die Wichtigkeit ihres ferneren genauen Studiums anerkennen, für die chirurgische Praxis oft von sehr geringer Bedeutung. Eine Wunde kann z. B., obgleich sie einen von dem pus laudabile sehr verschiedenen Eiter liefert, doch vortrefflich heilen, und anderer Seits giebt es Höhlen, welche, obgleich sie guten Eiter enthielten, doch zur Heilung nur eine sehr geringe Neigung zeigen. Was aber noch viel schlimmer ist, es kann Eiter, welcher die Eigenschaften des pus bonum et laudabile ganz ausgeprägt an sich trägt, die verderblichsten Wirkungen zu entfalten im Stande sein, wie z. B. syphilitischer Eiter, Pockeneiter u. s. w. Diese verschiedenen Eiterarten, welche man ihren Wirkungen nach wirklich als A r t e n unterscheiden muss, bieten weder bei der physikalischen, noch bei der chemischen Prüfung Unterscheidungsmerkmale dar. 4. D i a g n o s e d e s E i t e r s . Der Eiter könnte mit Schleim, Blut, Milch, Krebs- oder Tuberkelmasse verwechselt werden. Die Unterscheidung von S c h l e i m und E i t e r war lange Zeit Gegenstand erfolgloser Bemühungen. Die m i k r o s k o p i s c h e Untersuchung kann eine bestimmte Entscheidung nicht in allen Fällen liefern, weil auch im normalen Schleime Zellen vorkommen, die von den Eiterkörperchen gar nicht zu unterscheiden sind (unreife, junge Epithelialzellen). Nur möchte die Anwesenheit einer grossen Zahl solcher Zellen wohl stets mit Bestimmtheit auf eine Eiterung schliessen lassen. Unter den zahlreichen Methoden, welche zum Behufe der Unterscheidung des Schleims vom Eiter auf c h e m i s c h e m W e g e in Vorschlag gebracht worden sind (Eiterproben), scheint die von S c h e r e r angc' ) Vgl. L ü c k e , in Langenbeck's Archiv, Bd. II. Heft 1. — Es ist jetzt wohl allgemein anerkannt, dass der „ b l a u e E i t e r " seine Farbe einer besonderen Art von Vibrionen verdankt.
Eiterung.
259
gebene die zuverlässigste zu sein. Derselbe setzt zu der zu untersuchenden Flüssigkeit so lange Alkohol hinzu, bis ein Niederschlag entsteht, und digerirt diesen in gelinder Wärme mit destillirtem Wasser. Bleibt ein in Wasser unlöslicher Rückstand, so enthielt die Flüssigkeit Albumin und folglich Eiter. Löst sich der ganze Niederschlag wieder auf, so war es nur Schleim, der auch durch Alkohol, jedoch in einem in Wasser wieder löslichen Zustande, gefällt wird. Hat sich ein Theil des Niederschlages im Wasser gelöst, während ein anderer ungelöst blieb, so handelt es sich um ein Gemenge von Schleim und Eiter. Man kann alsdann durch Filtriren den aufgelösten Schleim von dem präcipitirten Albumin trennen u n d , nachdem man durch abermaligen Zusatz von Alkohol zu dem Filtrat aufs Neue den Schleim niedergeschlagen hat, beide Stoffe quantitativ bestimmen. Von Milch lässt sich Eiter leicht unterscheiden, wenn auch beide Flüssigkeiten in ihrem äusseren Ansehen einige Aehnlichkeit darbieten. In einem Gemenge von Milch und Eiter ist es nicht schwer, die Milchkügelchen zu erkennen. Dieselben sind (mit einzelnen, sehr seltenen Ausnahmen) viel kleiner, als Eiterkörperchen, haben eine glatte Oberfläche, keinen Kern, und besitzen, als Fettzellen, die E i g e n t ü m lichkeit, das Licht sehr stark zu brechen. Die Unterscheidung des Eiters von B l u t ist eine schwierigere Aufgabe, als man bei der grossen Leichtigkeit, mit welcher Eiterkörperchen von den scheibenförmigen, kernlosen, farbigen Blutkörperchen mit Hülfe des Mikroskopes unterschieden werden, glauben sollte. Die farblosen Blutkörperchen (Lymph-Körperchen), welche in jeder Beziehung mit den Eiterkörperchen übereinstimmen oder gar identisch sind'), finden sich im Blute oft in so beträchtlicher Menge, dass die mikroskopische Diagnose auf Schwierigkeiten stösst.
B. Von der Bildung des Eiters, P y o g e n e s i s . — An die Stelle der ganz unbestimmten Vorstellungen, welche bis dahin über die Entstehung des Eiters herrschten, setzte B o e r h a a v e zuerst eine klarere Ansicht. Nach seiner Lehre entsteht der Eiter theils aus den bei der Entzündung aus den Gefässen austretenden Flüssigkeiten, theils aus der Auflösung der entzündeten Gewebe selbst. Dieser Ansicht war auch D u p u y t r e n zugethan; er sagt wörtlich: „Wenn die (in der Entzündung) gesteigerte Ernährungsthätigkeit nicht gebrochen oder ermässigt wird, so werden die schon veränderten Gewebe er') V i r c h o w ,
im Archiv f ü r p a t h o l o g i s c h e A n a t o m i e , Bd. I. p a g . 5 6 3 . — J u l .
Vogel,
ibid. Bd. III. H f t . 3 , u n d V i r c l i o w ' s Specielle P a t h o l . u. T h e r a p . Bd. I . pag. 3 9 2 f f . Vgl. a u c h die C i t a t e auf pag. 2 4 1 N o t e 2 .
17*
260
Ernährnngs-Störungen.
weicht, endlich zerstört, von Blut durchdrungen, und stellen mit diesem gemischt eine teigige Masse dar, die durch weitere Umwandlungen endlich zu Eiter wird; derselbe wird ursprünglich gebildet aus den Trümmern der entzündeten Organe und den Bestandtheilen des Blutes, welche mit einander organische Verbindungen eingehen." Nach G r a s h u i s e n wäre der Eiter ein nicht vollkommen ausgebildetes Fett, welches in Folge der durch die Entzündung herbeigeführten Sprengung der Fettzellen ausflösse. J a c o b B l a i r glaubte darin eine Verseitüng des Fettes durch die Entzündungsproducte zu erblicken. P r i n g l e hielt die Eiterung für einen einfachen Faulungsprocess des Blutwassers, und Gab er behauptete sogar, Eiter erzeugt zu haben, indem er Serum bei mässiger Wärme faulen Hess. Alle diese Ansichten bedürfen keiner Widerlegung. Auch die Theorie von de Haen, wonach der Eiter schon im Blute fertig gebildet sein und durch die ihn absondernden Flächen nur hindurch filtrirt werden sollte, wird, wenigstens in dem Sinne des Autors, jetzt keine Anhänger mehr zählen. M o r g a n und nach ihm H u n t e r haben die Anschauung eingeführt, die Eiterbildung sei eine Art von Secretion, es werde der Eiter durch die entzündete Fläche in derselben Art abgesondert, wie die Galle durch die Leber, der Harn durch die Nieren, der Schleim durch die Schleimhäute u. s. w. D e l p e c h glaubte sogar überall, wo Eiterung stattfindet, auch eine besondere „Eiter bildende" Membran (membrane pyogenique) annehmen zu dürfen, welcher er die eigenthümliche Kraft zuschrieb, aus dem Blute das nöthige Material zu entnehmen, um auf unbekannte Weise Eiter daraus zu bilden. In diesen Auffassungen liegt das Bichtige, dass bei der Eiterbildung, wie bei der normalen Secretion, eine Transsudation von Blutflüssigkeit Statt findet, in welcher hier Eiterzellen, dort die eigenthümlichen Zellen der verschiedenen Secrete suspendirt sind. Fraglich blieb in beiden Fällen, ob die neugebildeten Zellen Abkömmlinge der alten sind, welche hier die secernirende, dort die eiternde Fläche bilden, oder ob sie wirklich neu in dem transsudirten Plasma entstehen. Die Arbeiten von H e n l e , . J u l . V o g e l u. A. schienen mit Bestimmtheit zu ergeben, dass in dem, Anfangs flüssigen, formlosen Exsudat, wo dasselbe im Begriff ist, sich in Eiter umzuwandeln, zuerst durch Aggregation der Molecüle Kerne und demnächst um diese Kerne Zellmembranen sich entwickeln, — ganz in Uebereinstimmung mit den für die Entwickelung der kernhaltigen Zellen des Thierkörpers von S c h w a n n aufgestellten Gesetzen. Nach den Untersuchungen von V i r c h o w dagegen sind die Eiterkörperchen (wie alle Zellen) Abkömmlinge älterer Zellen und entstehen
Eiterung.
261
aus denselben durch W u c h e r u n g , Theilung, oder endogene Entwickclung uin Theile des Kerns oder des Inhalts.
Jede einzelne Eiterzelle
aber trägt in sich die Fähigkeit zu abermaliger endogener Zellenbildung, wird somit wieder zur Mutter f ü r m e h r e r e Tochterzellen u. s. f. Somit würden die ersten Eiterzellen, welche sich an einer beliebigen Körperstelle bilden, als Abkömmlinge der im normalen Zustande der Gewebe daselbst vorhandenen (durch den Entzündungsprocess jedoch schon veränderten) aus diesen
Zellen zu
abzuleiten,
betrachten
Zellenbildungen
ganz von der Hand zu weisen.
sein,
alle übrigen
wären
im Sinne S c h w a n n ' s
aber
Das Exsudat miisste sich hiernach
nur an der Bildung des Eiterserum betheiligen und w ä r e als Blastem nicht zu betrachten.
Das häufige — eigentlich regelmässige — Vor-
kommen m e h r f a c h e r oder zusammengesetzter Kerne in den Eiterzellen spricht zu Gunsten
dieser Ansicht,
den genaueren Untersuchungen der N e u b i l d u n g e n
(vgl.
den
deren wesentlichste Stützen
aus
ü b e r die Structur und Entwickelung III. Abschnitt) zu
Dagegen darf nicht u n e r w ä h n t bleiben,
entnehmen
sind.
dass man keineswegs häufig
Eilerzellen sieht, die in der Theilung begriffen sind oder in ihrem Innern eine j u n g e Zellenbrut enthalten, wie dies, in der Voraussetzung, dass nur auf diese Weise n e u e Eiterzellen e n t s t e h e n , werden k o n n t e ( S p i e s s ) .
Wichtiger noch
ist
allerdings das
von
erwartet Virchow
selbst ausgesprochene Bedenken, dass das Vorkommen von Eiterzellen (oder zelligen Gebilden ü b e r h a u p t ) in Blutpfröpfen und Gerinnseln sich, in der Voraussetzung, dass jene Zellen n u r aus präexistirenden Zellen abstammen können, schwer erklären lässt; jedoch bleibt die Annahme offen, dass es hier die in jedem Blutgerinnsel in grosser Anzahl mit eingeschlossenen, farblosen Blutkörperchen s i n d , von denen die Entwickelung neuer Zellen ausgeht. Blutkörperchen
an
Dass aber die weissen
der Entstehung
der
Eiterung sich
(farblosen)
Uberall
sehr
wesentlich betheiligen, sogar als „ a u s g e w a n d e r t e Zellen" die Hauptquelle der Eiterbildung werden, ergeben die Untersuchungen von C o h n h e i m (vgl. pag. 2 4 1 ) .
Jedenfalls besteht
kein Unterschied zwischen
der
Eiterbildung in flüssigem und derjenigen in festem, geronnenem Exsudat (dem die Blutgerinnsel gleich zu setzen sein dürften).
Gerade
der
Faserstoff, dessen verschiedene Aggregatzustände in dieser Beziehung doch allein Differenzen bedingen
könnten,
Untersuchungen von R e i n h a r d t 1 )
rnusste schon nach
f ü r einen bei der
den
Zellenbildung
unwesentlichen Theil des Exsudats erklärt werden. Vermittelnd zwischen den bisher entwickelten Ansichten, Spiess,
dass die Eiterkörperchen
') Deutsche Klinik, 1 8 5 1 , No. 3 6 .
glaubt
allerdings aus dem Exsudat ent-
262
Ernährungs-Störungen.
stünden, aber nicht die Bedeutung von Zellen hätten, die einer weiteren Entwickelung und Ausbildung fähig wären, vielmehr ähnlich den durch Mischung von Eiweiss und Fett künstlich erzeugten (aplastischen) Gebilden. Dagegen ist einzuwenden, dass es mit der Charakteristik einer Zelle Uberhaupt höchst misslich aussehen würde, wenn man den Eiterkörperchen die Zellennatur absprechen wollte. Die K ö r n c h e n z e l l e n entstehen wahrscheinlich nur in der Art, dass fertig gebildete Eiterzcllen sich allmälig mit einem körnigen (fettigen) Inhalte füllen, d. h. fettig degeneriren. Schwer zu beantworten ist die Frage, ob der Eiterbildung immer Entzündung vorangehen müsse. Es ist unleugbar, dass man zuweilen Eiter ohne irgend ein Symptom der Entzündung entstehen sieht. Freilich bleibt dann der Ausweg offen, zu behaupten, dass die Entzündung unmerklich verlaufen sei. Wer kann aber beweisen, dass sie wirklich da war? Wichtiger ist die Beobachtung, dass aus Blutextravasaten Eiter werden kann. Hier, sagte man früher, bedarf es keiner Exsudation, um das zur Eiterbildung nöthige Plasma zu liefern, da es durch Schmelzung des ßlutcoagulum entsteht, welche ohne Entzündung vor sich gehen kann. Da man aber jetzt ganz allgemein die Ueberzeugung gewonnen hat, dass die Eiterzellen nicht aus dem Exsudat, sondern aus einer Wucherung bereits vorhandener zelliger Gebilde entstehen, so leuchtet ein, dass wir auf die vorgängige Bildung des Exsudats kein besonderes Gewicht zu legen haben. Dagegen muss die Möglichkeit der Eiterbildung aus den in einem Blutcoagulum eingeschlossenen farblosen Blutkörperchen zugestanden werden. Eiterung kann in allen Geweben entstehen, — keineswegs blos im Bindegewebe, wie man früher irrthümlich angenommen hat.
C. Verlauf. Die unter deutlichen Entzündungs-Erscheinungen entstandenen Eiterungen verlaufen in der Regel acut, die übrigen chronisch. Die aus acuter Entzündung entstandene Eiterung kann aber durch äussere oder locale Verhältnisse auch chronisch werden. Schliesslich führt die Eiterung entweder zu einer unvollkommnen Wiederherstellung des erkrankten Organs oder zur weiter fortschreitenden Zerstörung, unter den Erscheinungen der Verschwärung (vgl. d. folgd. Abschnitt). Bei dem Process der Wiederherstellung des eiternden Körpertheils hat man eine Zeit lang, unter dem Einfluss der Arbeiten von H e n 1 e und J. V o g e l , den Eiterkörperchen eine grosse Bedeutung zugeschrieben, indem man voraussetzte, dass aus ihnen die neue Körpersubstanz an der Stelle der verloren gegangenen gebildet werde. Da-
Eiterung.
263
nach wäre also ein Theil des Eiters zur Verwendung für den Act der Regeneration bestimmt, ein anderer (und zwar der relativ grössere) dagegen hätte nur eine ganz vorübergehende Bedeutung, indem er, bald auf diesem, bald auf jenem Wege, bald ohne, bald mit vorgängigen Veränderungen nach Aussen entleert wird. Nach den Untersuchungen von V i r c h o w haben wir, im Einklang mit älteren Ansichten, dem Eiter jede Betheiligung an der Regeneration abzusprechen und die Wiederherstellung in eiternden Geweben direkt aus der Wucherung ihrer Elementartheile abzuleiten. Der Eiter ist eine in Blutwasser suspendirte Zellenmasse, welche zu weiterer Entwicklung unfähig ist, sich selbst Uberlassen, abstirbt u n d , sofern „Fäulnisserreger" nicht zufällig oder absichtlich fern gehalten werden, alsbald fault. Wenn wir dem Eiter also auch nicht den Charakter eines neugebildeten Gewebes oder einer entzündlichen, d. h. auf Entzündung beruhenden Neubildung absprechen können, so ist er doch zur Bildung eines dauernden Gewebes unfähig. Die mit Recht so genannte „entzündliche Neubildung" ist vielmehr das G r a n u l a t i o n s g e w e b e . G r a n u l a t i o n e n sind Zellenhaufen, welche in entzündeten Geweben Uberall, wo ihnen Platz gewährt wird, namentlich also auf freien Flächen emporwachsen, ceteris paribus, an solchen Stelleu stärker wuchern, wo ihnen reichlichere Blutzufuhr geleistet wird, schwächer an solchen, wo die Gefässe im Muttergewebe weniger günstig entwickelt sind, — daher gewöhnlich in höckriger, körniger (also granulöser) Anordnung, als kleine, in Folge des Durchschimmerns von Blut, intensiv roth gefärbte Hügelchen auftreten, zwischen denen sich an den gefässärmeren Stellen kleine Thäler befinden. Die Zellen der Granulationen sind Anfangs von Eiterzellen und von weissen Blutkörperchen nicht zu unterscheiden. Sehr bald aber tritt zwischen diesen Rundzellen eine stetig wachsende und erstere allmälig ganz verdrängende Masse von spindelförmigen Zellen auf, mit verschieden zahlreichen und langen Fortsätzen (Ausläufern), aus denen sich bald ein Netzwerk entwickelt, während die Zwischensubstanz zu Bindegewebe wird. Die Wände der Blutgefässe in den Granulationen sind Anfangs von denselben Spindelzellen gebildet (begrenzt). Je mehr die Spindelzellen das Uebergewicht bekommen und je dichter sie aneinanderrücken, desto fester wird das Granulationsgewebe, desto mehr zieht es sich auch zusammen. Den Namen Narbengewebe giebt man ihm aber erst dann, wenn die Umwandlung in fasriges Bindegewebe vollendet ist und im Bereich der Cutis der epidermoidale Ueberzug sich entwickelt hat. Dieser wächst N immer nur von bestehender Cutis aus, also in der Regel von den Rändern her Uber die junge Narbe.
264
Ernäbrung9-Störungen.
Ebensowenig wie aus dem Eiter Granulationen, wird jemals aus Granulationszellen Epidermis. Vgl. „Narbengewebe", Abschn. III. Cap. II. J.
Heiberg
hat in seiner
sehr
treffenden Schilderung des
Granulations-Baucs
und - W a c h s t b u m s ( V i r c h o w ' s Archiv Bd. 5 5 . 187*2), in welcher auch die Erkrankungen der Granulationen erläutert sind, f ü r das (embryonale) Bindegewebe, welches schliesslich zur Narbe wird, einen besonderen Namen „ F l i c k g e w e b e , schlagen,
welchen er
von
„axetareiv"
ableitet.
Akestoma"
Sein philologischer
wird, glaube ich, die Verantwortung für diesen Infinitiv von
vorge-
Gewährsmann
axioficti
ablehnen.
dem aber auch sei; ein Bedürfniss nach einem neuen Namen liegt wohl nicht vor.
Auffallende Verschiedenheiten im weiteren Verlaufe der Eiterung entstehen, je nachdem der Krankheits-Process auf der Oberfläche einer Schleimhaut oder auch der äusseren Haut, oder in einer geschlossenen Höhle, oder endlich im Parenchym sich entwickelt hat. — Im ersten Falle findet eine Ansammlung von Eiter nicht Statt; derselbe kann ohne Weiteres abfliessen, und die Krankheit erhält daher auch, namentlich auf Schleimhäuten, den Namen „ E i t e r f l u s s " , Pyorrhoea, Blennorrhoea. — Bildet sich der Eiter in einer geschlossenen (serösen) Höhle — „ E i t e r - ' E r g u s s " , E m p y e m a — , so wird diese über Gebühr ausgedehnt und die ihr zugehörigen Organe werden eomprimirt. Dadurch entstehen schon ganz mechanisch beträchtliche Störungen, die durch den nachtheiligen (reizenden) Einfluss, den der Eiter auf die umgebenden Theile ausübt, wesentlich gesteigert werden. Der Eiter erregt nämlich in geschlossenen Höhlen Entzündung, wenn dieselbe auch vorher gar nicht bestanden hat (wenn er z. B. von anderswoher in eine solche einströmt) — die schon bestehende Entzündung aber wird durch ihn gesteigert. — Entsteht der Eiter im Parenchym der Organe — zumeist allerdings im Bindegewebe — , so findet er sich entweder diffus als „ e i t r i g e I n f i l t r a t i o n " , oder an einem, auch wohl an mehreren Punkten in grösserer Menge angesammelt als „ A b s c e s s " , Abscessus, Apostema. Von die
den A b s c e s s e n
eitrige
läuterung;
Infiltration
werden findet
wir unter bei
der
typische Bilder für das E m p y e m
II.
dieses Capitels
diffusen
Phlegmone
liefert die
eitrige
genauer (Bd. II.)
handeln; ihre
Er-
Gelenk-Entzündung
(Bd. II.) und der Eitererguss in der Pleurahöhle (Bd. III.), welcher sogar schlechtweg als „Empyem"
bezeichnet wird;
als ein typisches
Beispiel für P y o r r h o e
kann
die
Blennorrhoe der Harnröhre (Bd. IV.) gelten.
D.
Ton der Wirkung der Eiterung auf den übrigen Körper.
Die Eiterbildung bat auf den Organismus einen unmittelbaren und einen consecutiven Einfluss. Gleich bei der Bildung des Eiters werden die Schmerzen dumpfer, klopfend, die locale Erhöhung der Temperatur lässt nach, die Geschwulst wird weicher, fluctuirend, die Umgegend ödematös, oder das schon vorhandene Oedem steigert sich;
Wie
265
Eiterung.
vorübergehende, oft in regelmässigen Zwischenräumen wiederkehrende Frostschauer
(Horripilationes),
welche selten
beschränkt bleiben, befallen den Kranken. zeigen
sich
jedoch
fast ausschliesslich
auf
den kranken Theil
Alle diese Erscheinungen
bei
dem
Uebergange
einer
acuten Entzündung in Eiterung, am Deutlichsten bei den aus inneren Ursachen entstandenen
Entzündungen.
Die c o n s e c u t i v e n
und s e c u n d a r e n Wirkungen einer Eiterung
können sein: Zerstörung der umliegenden Gewebe, insbesondere auch der Blutgefässe, und in Folge davon Blutungen; sogenannte Eitersenkung, d. h. in der Mehrzahl der Fälle Verbreitung
der zur Eiterung
führenden Entzündung iin benachbarten Bindegewebe sie herbeigeführten,
j e nach
Erschöpfung der Körperkräfte in Folge dingten
Säfteverlustes
Blutmischung und
(Febris
davon
mit den durch
der Localität verschiedenen
Gefahren;
des durch die Eiterung be-
hectica);
allmälige Veränderung
abhängige Störung
der ganzen
der
Ernährung
in der Art, dass rückgängige (amyloide) Metamorphosen der Gewebe, namentlich in der Leber, der Milz, den Nieren entstehen und dadurch Ausscheidung von Eiweiss durch letztere,
d. h. A l b u m i n u r i e ,
be-
dingtwird; endlich die durch Aufnahme von Eiter- und Jauchebestandtheilen in das Blut bedingten
Fieber,
Pyämie
und
Septiehämie.
Von diesen, aus bedeutenden und namentlich aus lange dauernden Eiterungen müssen
wir
überlassen,
hervorgehenden
die
amyloide
Erkrankungen
der
ganzen
Körpers
inneren
Medicin
da sie viel häufiger aus anderen Veranlassungen,
vorausgehende Eiterung, entsteht. die P y ä m i e menhange
des
Degeneration
mit
und
Das h e k t i s c h e F i e b e r
die S e p t i e h ä m i e
der
Eiterung,
dass
ohne
dagegen,
stehen in so genauem Zusamsie
bei
deren Darstellung
nicht
übergangen werden können. Das Z e h r f i e b e r (Febris hectica s. consumtiva) wird als Resultat einer allgemeinen,
auf kein
kung
Eiterungen
bedeutender
besonderes Organ zu beziehenden Wirangesehen.
bei offenen, der Luft ausgesetzten, rungen entstehen. geben wesentlich
Grosse
stand des Kranken,
und
ab.
gewöhnlich
wiederholen
auftretenden
Steigerung der Abendteinperatur,
kann
sowohl
lange Dauer
derselben
Je schlechter der Kräftezu-
desto früher tritt es
Schwäche und Abmagerung Eiterung
Ausdehnung
die Veranlassung
Dasselbe
als auch bei geschlossenen Eite-
ein.
Unter
zunehmender
sich die beim Beginne
Horripilationen der Puls wird
der
mit
gleichzeitiger
sehr
beschleunigt,
Wangen und Hände werden heiss, erstere geröthet, der Urin bekommt einen weissen Bodensatz, der gewöhnlich aus phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia besteht.
Demnächst treten, während das Fieber regel-
266
Ernährungs-Störungen.
massig gegen Abend seine Exacerbationen und Morgens seine Remissionen macht, — so dass die Temperaturen zwischen 37,5° C. Morgens und 3 9 , 5 ° — 4 1 ° Abends schwanken, — profuse nächtliche Schweisse und erschöpfende Durchfälle ein; die Füsse schwellen ödematös a n , auch kann es zu Wassererguss im Bauch oder in der Brust kommen. Das durch alle Collutorien auf's Höchste in Anspruch genommene Blut wird endlich durchaus untauglich zur Ernährung, und der gewöhnlich zum Skelet abgemagerte Kranke stirbt in Folge dieses Mangels der Ernährung. Bestanden vorher Tuberkel-Ablagerungen, so gehen diese schnell in Erweichung über, und es kann sich daher oft Lungenschwindsucht zu dem hektischen Fieber ebenso gut hinzugesellen, wie sie selbst die Ursache desselben sein kann. Pyämie, Pyohämie, purulente lnfection, metastasirende D y s k r a s i e u. s. f. nennt man ein, durch direkte oder indirekte Aufnahme von Eiterbestandtheilen in das Blut bedingtes fieberhaftes Allgemeinleiden, — S e p t i c h a e m i e , S e p h t h a e m i e 1 ) , J c h o r r h a e m i e , p u t r i d e o d e r s e p t i s c h e l n f e c t i o n , ein durch Aufnahme von Producten der Fäulniss hervorgerufenes Fieber. Die überwiegend häufigen Fälle, in denen auf Grund der Verunreinigung des Blutes mit j a u c h i g e m Eiter oder bei nacheinander stattfindender Einwirkung von Eiter und Jauche ein gemischtes Krankheitsbild entsteht, werden als „septiko-pyämische Fieber" zusammengefasst *). a.
Septichaemie.
Die S e p t i c h a e m i e setzt in ihren ausgeprägtesten Formen gar keine Eiterung, sondern nur die Anwesenheit einer faulenden Substanz voraus. Da der Eiter aber nur allzu leicht am lebenden Körper fault und die Uebergänge von Eiterung zu fauliger Zersetzung (Sepsis, Jauchebildung) sich sehr häufig finden, die Kenntniss des septischen Fiebers ferner für das Verständniss der Pyämie von Bedeutung ist, und Mischformen leider sehr häufig sind, schalten wir ihre Beschreibung hier ein und werden später beim Brande hierauf Bezug nehmen. Durch zahllose V e r s u c h e an T h i e r e n ist festgestellt, dass die I n j e c t i o n f a u l i g e r F l ü s s i g k e i t e n in die Venen oder unter die ' ) Es scheint mir UDgerechtfertigt, nifia
den
Spiritus
„Septicemie"
asper
zu
zu schreiben.
„ S e p h t t a ä m i e " ( o t i n j o v a'ifia).
bei der Zusaoimenfiigung von ar)niixöv ignoriren
und
„Septikaemie"
oder
Ebensowenig richtig ist „ S e p t h ä m i e "
und gar statt
Vollständig correct wäre „ H a e m a t o s e p s i s " .
' ) Die vollständigste und gründlichste Darstellung der septichämischen und pyämischen Fieber verdanken wir C. H u e t e r in P i t h a ' s Bd. 1. Abth. II. Heft 1. pag. 1 — 123. Jahre 1 8 6 8 zusammengestellt.
und B i l l r o t h ' s Chirurgie,
Daselbst ist auch die Litleratur bis zum
Septichaemie.
267
Haut ein sehr heftiges fieberhaftes Allgemeinleiden mit bedeutender Temperatursteigerung und massenhaften Diarrhöen hervorruft, welches bei Injection grösserer Mengen zum Tode führt '). Bei Menschen, welche an ihrem Körper brandige Zerstörungen erlitten haben, die zur Fäulniss einzelner Körpertheile führen, sieht man, wenn die lokalen Verhältnisse der Aufnahme von Jauche in die Lymph- oder Blutgefässe günstig sind, analoge K r a n k h e i t s - E r s c h e i n u n g e n auftreten (autochthone Septichämie); in seltenen Fällen kann auch ein uicht an dem Körper des Kranken selbst entstandener fauliger Stoff, welcher z. B. von einem anderen Kranken her, durch die Luft zugeführt und durch die Respirationsorgane aufgenommen oder direct in den Magen eingeführt ist, wie faules Fleisch, Sumpfwasser u. dgl. die Krankheitsursache sein (heterochthone Septichämie). Das septische Fieber beginnt in der Regel ohne Schüttelfrost mit schnell steigender Temperatur-Erhöhung, welche jedoch bei nicht allzu stürmischem Verlaufe sich Morgens oft bis auf 3 8 ° C. ermässigt, Abends dagegen stets Uber 4 0 0 C., in schlimmeren Fällen auch Uber 4 1 0 C. erhebt. Auch die Pulsfrequenz, welche im Allgemeinen gross ist, zeigt entsprechende Schwankungen, bleibt aber beträchtlich ( 1 4 0 — 1 6 0 ) , wenn bei ungünstigem Verlaufe in der letzten Zeit vor dem Tode die Temperatur auffallend sinkt. Dann wird der Puls auch klein, während er im Beginn der Erkrankung voll und hart ist. Die Anfangs trockene, brennend-heisse Haut wird weiterhin feucht; gewöhnlich treten dann profuse Schweisse ein, die den Kranken erheblich schwächen. Die bei Versuchen an Thieren constant beobachteten D i a r r h ö e n finden sich bei s e p t i c h ä m i s c h e n Menschen n i c h t c o n s t a n t . Dagegen fehlen niemals Störungen im Bereich der psychischen Thätigkeiten: die Kranken deliriren ohne aufgeregt zu sein, liegen meist still, theilnahmlos, um ihren eigenen Zustand unbekümmert, versichern auch wohl, wenn man sie anruft, es gehe ihnen recht gut, versinken dann aber bald wieder in ihren Halbschlaf, in welchem sie nicht einmal zu trinken verlangen, obwohl Zunge und Lippen trocken, selbst rissig sind. Die Gesichtszüge gestalten sich bei dem schnell eintretenden Collapsus frühzeitig zur „Facies Hippocratica". Je nach der Masse fauliger Stoffe, welche in das Blut gelangen, ist die Intensität der Septichämie verschieden; sie scheint desto früher zu beginnen und desto schneller letal zu verlaufen, je stärker die Infection war. Der V e r l a u f zeigt Schwankungen von wenigen Tagen bis zu vielen Wochen. Man hat danach eine peracute, acute, sub') Vgl. namentlich die ebenso sorgfältigen wie mannigfaltigen Rxperimenla(-Untersuchungen von O t t o W e b e r ,
Deutsche Klinik 1 8 6 i , No. 4 8 — 5 1 und 1 8 6 5 , No. 2 — 8 .
Ernährungs-Störungen.
268
acute und chronische Form unterschieden. Die Gefahr ist desto grösser, je schneller der Verlauf, obwohl auch jn späten Wochen noch Todesfälle vorkommen. Der constanteste a n a t o m i s c h e B e f u n d bei der künstlich erzeugten Septichämie der Thiere ist eine heftige, oft geschwürige Darmentzündung. Alle anderen Organe zeigen, obwohl zuweilen recht erhebliche, doch keine constanten Veränderungen. Ausnahmslos findet sich eine überaus schnelle, wie es scheint, schon vor dem Tode beginnende Fäulniss aller Weichtheile und des Blutes; letzteres zeigt regelmässig eine dunkele Farbe und eine verminderte Gerinnbarkeit und wird daher als „schmierig, theerartig, klumpig" beschrieben. Der B e f u n d b e i m M e n s c h e n unterscheidet sich nur durch das fast ganz constante Fehlen der entzündlichen Veränderungen auf der Daimschleimhaut, wofül' sich zur Zeit noch kein Grund angeben lhsst. Im Gegensatz zur P y ä m i e , werden bei reiner Septichämie niemals haftende Gerinnsel (Thromben) in den Venen gefunden. Wollen wir die Krankheitserscheinungen und namentlich den deletären Einfluss des Eindringens von Jauche in die Säftemasse erklären, so können wir nicht umhin, eine Veränderung des Blutes, eine wirkliche Blutzersetzung als die wesentliche Quelle anzusehen. Man kann sich auch von chemischer Seite eine solche zersetzende Einwirkung der Jauche auf das Blut sehr wohl vorstellen. In Zersetzung begriffene Substanzen theilen, wenn sie einer zersetzbaren Flüssigkeit beigemischt werden, den Zerstörungsprocess dieser letzteren mit, ziehen sie mit in ihre Zersetzung hinein. Wie ein Gährungsprocess durch Hefe in einer Zuckerlösung erzeugt wird, so kann auch ein Zersetzungsprocess im Blute erregt werden durch Beimengung kleiner Mengen einer in Zersetzung begriffenen Flüssigkeit. Wir brauchen nur daran zu denken, wie schnell sich in faulendem Eiter Buttersäure, Leucin und Ameisensäure entwickeln 1 ), lauter Substanzen, deren Anwesenheit im Blut mit der normalen Ernährung unverträglich ist, um von chemischer Seite die Möglichkeit solcher Vorgänge begreiflich zu finden. Möglich wäre auch, dass die lebenden „Fäulnisserreger" (Bakterien), über deren Natur wir hier nicht entscheiden wollen, welche in keiner putriden Flüssigkeit fehlen, direct in die Gefässe eindringen und im Blute ihre Fäulniss erregende Thätigkeit fortsetzen. Jedoch würde sich dies schwer mit dem Nachweis eines als „schwefelsaures Sepsin" krystallinisch darstellbaren putriden Giftes 2 ) verein•) Vgl. H. F i s c h e r , zur Lehre von der Pyämie. J
) C. B e r g m a n n
und 0 . S c h m i e d e b e r g ,
Gift faulender Substanzen).
Centralbl. d. med. Wiss. 1 8 5 5 . 15. über
das schwefelsaure Sepsin (das
Ceotralblatt f. d. med. Wissenscb. 186S.
No. 32.
Pyämie.
269
baren lassen und im Widerspruch stehen mit der Thatsache, dass faulige Flüssigkeiten durch Kochen ihre Fähigkeit zur Erzeugung der Septichämie nicht immer verlieren 1 ). b.
Pyämle.
Die K r a n k h e i t s - E r s c h e i n u n g e n d e r P y ä m i e sind viel früher bekannt gewesen, als man sie zu deuten verstand. Seit langer Zeit hat man gewusst, dass nicht selten Menschen, welche bedeutende Verletzungen erlitten haben, gegen Ende der ersten oder im Laufe der zweiten Woche ihres Krankenlagers, zuweilen auch noch später, plötzlich von Schüttelfrösten befallen werden, denen keine besonderen Schmerzen vorausgehen oder folgen 2 ). Ein solcher Frost, dem gewöhnlich eine thermometrisch nachweisbare, erhebliche Temperatursteigerung (39,5° — 4 0 ° C.) schon vorhergeht, dauert verschieden lange und wiederholt sich verschieden oft, jedoch selten häufiger als ein Mal in 24 Stunden und zwar seltener Nachts als bei Tage; nach ihm kommt es zum Schweiss, darauf aber nicht zu einem ungestörten Wohlbefinden (wie beim Wechselfieber), sondern es dauert ein fieberhafter Zustand mit adynamischem Charakter fori: kleiner, weicher Puls, frequent, oft 140 Schläge in einer Minute, beschleunigte Respiration, bedeutende Erhöhung und häufiges Schwanken der Körperwärme, heisse brennende Haut, weiterhin oft feucht und schwitzend, selbst von Sudamina bedeckt; Eingenommenheit des Kopfes, Sinken der geistigen und körperlichen Kräfte, so dass die Kranken, wie Typhöse, im Bett herabrutschen; die Zunge bekommt einen Belag, wird, da der Kranke mit offenem Munde athmet, bald trocken, auch wohl sammt dem Schlünde mit Aphthen besetzt; der Patient hat viel Durst, keinen Appetit, ist äusserst empfindlich, missmuthig, trübsinnig, der Harn enthält grosse Massen von harnsauren Salzen; oft bekommt die Haut, namentlich aber die Conjunctiva eine icterische Färbung. Diese Erscheinungen belegte man mit dem Namen „ p e r n i c i ö s e s t r a u m a t i s c h e s W e c h s e l - " oder „ W u n d - F i e b e r " , da man die Bedeutung der Eiterung lange Zeit ganz übersah und die Erkrankung als unmittelbaren Effect der Verwundung auffasste. Zur Benennung „Wechselfieber" gab der Umstand Veranlassung, dass die Schüttelfröste sich oft in regelmässigen Intervallen wiederholen; „perniciös" erschien das Fieber, da es fast immer zum Tode führt. ') Vgl. P a n u m ,
Bibliothek for Laeger. 1 8 5 6 .
' ) Vgl. die Dissertation von P a u l B o e r n e r , intermitteDte t r a u m a t i c a
Gryphiae
1854.
April. Disqnisitio historico-literaria d e febre
Ernährungs-Störungen.
270
In der grossen Mehrzahl der Fälle endet die Krankheit nämlich unter fortgehender Steigerung der angeführten S y m p t o m e , zu denen sich oft mit überraschender Schnelligkeit D e c u b i t u s (vgl. Abschn. II. Cap. I.) gesellt, innerhalb weniger Wochen, selten schon nach wenigen Tagen, mit dem T o d e . Ausnahmen.
Von dieser allgemeinen Regel giebt es jedoch
Es können 2, auch 3 Schüttelfröste, kleiner, frequenter
Puls, icterische F ä r b u n g , Collapsus der Gesichtszüge und jener eigenthümliche Halbschlaf schon gerechte Besorgnisse einflössen, und doch tritt Besserung ein.
Die Haut bekommt wieder ihre normale Farbe,
das Gesicht den alten Ausdruck, kehren zurück.
Damit ist
der Puls hebt sich und die Kräfte
aber noch lange nicht Alles gewonnen.
Nur zu häufig ist die Hoffnung eitel; die Schüttelfröste kehren nach einigen Tagen wieder u n d mit ihnen
die ganze Reihe der früheren
Symptome, die, sich fort und fort steigernd, endlich doch (vielleicht erst nach 5 — 6 Wochen) zum Tode f ü h r e n .
Ein solcher Wechsel von
Besserung und Rückfall kann sich drei bis vier Mal wiederholen.
In
sehr seltenen Fällen behält die Besserung, wenn auch Rückfälle eintreten,
die O b e r h a n d ,
u n d der Kranke geneset
endlich nach
einer
langen Reconvalescenz vollständig. W e n n die Krankheit sich lange hinzieht, so erfolgt der Tod oft unter allmäliger Steigerung der E n t k r ä f t u n g , ähnlich wie im Typhus und anderen schweren und langwierigen Krankheiten.
Oft sind die
Schmerzen des Decubitus die einzigen w ä h r e n d der ganzen Krankheit. Häufig erfolgt auch der Tod auf der Höhe der Krankheit durch Lungenödem.
In anderen Fällen erfolgt er plötzlich, indem sich in der
Lungenarterie Gerinnsel (Emboli) festsetzen und Verstopfung derselben herbeiführen.
Endlich kommt es nicht ganz selten, u n d zwar meist
erst in späteren Stadien der Krankheit, zu B l u t u n g e n , bald aus den Arterien, bald aus den Venen. Das arterielle Blut der Pyämischen hat d u r c h a u s keine Neigung zur Gerinnung, somit auch nicht zur Thrombusbildung an Stellen, wo Gelasse verletzt und mechanisch (durch Ligatur) verschlossen sind. Der Zerfall der Granulationen u n d die sich daran anschliessende Ulceration giebt aber nicht bloss ein neues Moment zur Blutung aus u n t e r b u n d e n e n Gefässen, s o n d e r n
kann auch
ganz unverletzte eröffnen. Aus den Venen entstehen Blutungen hauptsächlich wegen Aeste versperren. das Herz weiter
der Gerinnungen,
welche das Lumen
der
grösseren
W ä h r e n d das Blut hierdurch gehindert wird, gegen zu fliessen,
liefern einzelne
Seitenäste doch noch
Zufluss, und das Blut muss daher, w e n n die Klappen nicht besonders genau schliessen, rückwärts gegen die Peripherie strömen und aus daselbst belegenen Oeffnungen ( W u n d e n , Verschwärungen) austreten. Man
Pyämie.
271
nennt solche Blutungen deshalb, nach dem Vorgange von S t r o m e y e r , p h l e b o s t a t i s c h e . Der Kranke kann durch Blutungen im Verlaufe der Pyämie plötzlich zu Grunde gehen, wenn keine baldige Hülfe geschafft wird. Kommt diese Hülfe aber auch früh genug, so deutet doch die Blutung immer schon einen tödtlichen Grad der Krankheit an. In Betreff der Erscheinungen an der eiternden Stelle kann man drei Möglichkeiten unterscheiden: 1) sie erleidet Veränderungen v o r dem ersten Frostanfall, 2) n a c h demselben, 3) sie zeigt (vielleicht sogar bis kurz vor dem Ende) gar k e i n e V e r ä n d e r u n g e n . Die erste und zweite Möglichkeit sind gleich häufig, die dritte ist ziemlich selten. — War die eiternde Fläche schon mit guten Granulationen bedeckt, so flachen sie sich ab und gehen glatt in einander Uber, wodurch die eiternde Fläche kleiner erscheint. Die Granulationen hören auf zu turgesciren, und die Wunde sieht wie lackirt aus. Dies wird dadurch noch täuschender, dass das Secret eine halb gerinnende, dünnflüssige, helle, farblose Flüssigkeit darstellt. Diese geht später in Jauche Uber, indem die Granulationen noch mehr zerfallen und mit dem Exsudate vermischt, der Fäulniss zerfallen. In manchen Fällen erscheint in der Umgegend der Wunde erysipelatöse Böthe; sie ist aber eine ebenso inconstante Erscheinung, wie Icterus. In einigen Fällen beobachtet man auch örtliche Erscheinungen, welche auf P h l e b i t i s oder doch auf etwas der Venenentzündung Analoges hinweisen. Von der Stelle der primären Eiterung ausgehend, zeigt sich Anschwellung der Venen, Böthung der die Venen bedeckenden Haut, Anschwellung der entsprechenden Lymphgefässe und Lymphdrüsen. Die Anschwellung der Venenstränge nimmt man natürlich nur an oberflächlich verlaufenden Venen wahr. Im Verlaufe dieser Venen kommt es dann auch wohl zur Abscessbildung; es entsteht grössere Schmerzhaftigkeit u n d Schwellung der Venen, so dass sie zuweilen als feste Stränge zu fühlen sind; unter grossen, oft klopfenden Schmerzen entwickelt sich der Abscess im Verlaufe der Vene, welche auch selbst aufbrechen kann. Die Schmerzen lassen dann nach, und es wird dabei oft ganz dickflüssiger Eiter entleert. In solchen Fällen hat man von Seiten Derer triumphirt, welche a l l e Erscheinungen von der Venenentzündung herleiten wollen; aber ein solcher Vorgang ist s e l t e n . Aeusserlich erkennbare Entzündung in d e r U m g e g e n d der Venen und Lymphgefässe kommt häufiger vor. Schwellung der entsprechenden Lymphdrüsen fehlt fast nie, ist aber keineswegs für Pyämie charakteristisch. Oft sehen wir in der Umgegend der ursprünglichen Wunde, namentlich an der
272
Ernährungs-Störungen.
centralen Seite, Abscessbildung, entzündliches Oedem und purulente Infiltration (Phlegmone diffusa). A n a t o m i s c h e V e r ä n d e r u n g e n . Bei der Section der an Pyämie Gestorbenen findet man nur in s e l t e n e n Fällen E i t e r im V e n e n r o h r f r e i und flüssig vor, und was man in solchen Fällen Eiter nennt, erweist sich bei mikroskopischer Untersuchung meist noch als ein Gemisch von zerfallenen Blutgerinnseln mit wenigen, oft kaum bestimmt erkennbaren Eiterzellen. An der Stelle, wo der Eiter liegt oder der Venenwand ansitzt, sind dann die Häute krank; sie sehen aus, als wären sie von Eiter durchtränkt; auch die Umgegend ist entzündet. In der Nachbarschaft des Gefässes besteht gleichfalls entzündliche Infiltration, das Venenrohr ist sogar oft durch festes Exsudat mit den umgebenden Schichten, namentlich der gemeinsamen Gefässscheide innig verwachsen. Bei Weitem häufiger findet man in dem Stamm, zu welchem die Venen des eiternden Theils verlaufen, einen P f r o p f (Blutgerinnsel, Thrombus), der mehr oder weniger derb ist, das Venenrohr ausfüllt und an den Wänden, welche oft ihre Glätte verloren haben, festhaftet. Wenn man diesen Pfropf spaltet, so findet man in ihm Eiter, oder doch eine eiterähnliche, aus zerfallenen Elementen bestehende Masse eingesperrt. Diese Pfröpfe pflegen nicht an einer, sondern an vielen Stellen vorzukommen; sie können sich sehr weit hinziehen und doch in ihrem Inneren noch gar nicht zerfallen sein. Gewöhnlich füllen sie einen grösseren Venenast ganz aus, ragen aber mit unregelmässigen Fortsätzen Uber die Lumina der nächst oberen Zweige so weit hinaus, dass sie von dem durch diese noch circulirenden Blute umspült, oft auch erweicht und zerbröckelt werden. Vorzüglich findet man diese Pfröpfe in der Nachbarschaft der grösseren Klappen, in deren Sinus gleichsam wurzelnd, — überhaupt an solchen Stellen, wo durch Druck, z. B. durch angeschwollene Lymphdrüsen, der Blutstrom ein Hinderniss erleidet. — Wahrscheinlich bildet sich stets zuerst ein Gerinnsel und darin der scheinbare oder wirkliche Eiter; durch vollständigen Zerfall dieses Gerinnsels im Venenrohr kann dann eine das Rohr ausfüllende „Eiterung" entstehen. Die entzündlichen und ulcerösen Veränderungen in den Venenhäuten entstehen offenbar erst bei Erweichung der Pfröpfe. Nächst diesen „primären" Veränderungen finden sich aber auch s e c u n d ä r e oder c o n s e c u t i v e in weit entfernt liegenden Organen, am Häufigsten in den Lungen, Hier treten sie auf als h ä m o r r h a g i s c h e I n f a r c t e oder als m e t a s t a t i s c h e A b s c e s s e , und zwar häufiger an der Oberfläche, als in der Tiefe. Diese haben die Gestalt kleiner Keile, deren Spitze gegen die Lungenwurzel gerichtet
273
Pyämie.
ist, während die Basis im Niveau der Pulmonalpleura steht. Ihre Grösse schwankt von derjenigen einer Erbse bis zu der einer Wallnuss und darüber. Der hämorrhagische Infarct ist das erste Stadium des metastatischen Abscesses. Aus dem Bluterguss wird durch Zerfall „Eiter", d. h. eine eiterähnliche Masse. Nächst den Lungen ist am Häufigsten die Leber Sitz der metastatischen Abscesse. Die Milz ist meist vergrössert und auffallend weich, so dass man sie, nach Spaltung der Kapsel, unter einem Wasserstrahle auswaschen und dadurch das Fasergerüst derselben darstellen kann. Auch metastatische Abscesse können sich in der Milz finden, vorzüglich wenn die Erweichung noch keine bedeutenden Fortschritte gemacht hat. Den metastatischen Abscessen in der Lunge gleich verhalten sich ferner die Abscesse, welche in den Nieren, dem Herzen, den Wandungen des Darmcanales und im Gehirn gefunden werden. Die serösen und synovialen Höhlen zeigen häufig e i t r i g e E r g ü s s e ; sie sind mehr oder weniger mit dünnflüssigem Eiter gefüllt, aber meist ohne Röthung der Wandungen. Selten finden sich Eiteransammlungen in den Muskeln; hier liegen sie nicht an der Oberfläche, sind auch nicht keilförmig gestaltet, sondern, wie andere Abscesse, rundlich, oft von der Grösse eines Hühnereies und darüber. Ebenso können Eiterungen im Augapfel (von der Chorioidea ausgehend) und im Bindegewebe an verschiedenen Stellen, unabhängig vom Orte der primären Erkrankung, auftreten, verschieden in Form und Grösse. Im Allgemeinen können wir festhalten, dass die secundären Abscesse verhältnissmässig klein sind, wenn sie dicken Eiter enthalten, während die dünnflüssigen Ergüsse massenhaft auftreten. — Das B l u t , in welchem man früher den Eitergehalt direct nachweisen zu können glaubte, zeigt keine charakteristischen Eigenschaften. In manchen Fällen hat man bei der mikroskopischen Untersuchung auffallend viel f a r b l o s e B l u t k ö r p e r c h e n gefunden; Andere haben diese als Eiterkörperchen angesehen. Niemand kann aber aussagen, ob eine blasse, kernhaltige Zelle ein Eiterkörperchen oder ein farbloses Blutkörperchen sei. Vgl. pag. 259 und die Litteratur-Nachweise daselbst. Die Möglichkeit, E i t e r k ö r p e r c h e n u n d weisse B l u t k ö r p e r c h e n u n t e r dem Mikroskop zu u n t e r s c h e i d e n ,
ist n o c h
bis
auf die n e u e s t e Zeit b e h a u p t e t worden.
seinem T r a i t e de pathologie e x t e r n e , wechselung
geradezu
Paris 1 8 6 1 .
für unmöglich.
T o m e 1. pag. 5 7 )
Die E i t e r k ö r p e r c h e n sollen
F o l l i n (in
hält eine um
J
Ver-
/ 6 o d e r Ys
grösser sein, gelblich g e f ä r b t u n d s p h ä r i s c h , i h r e O b e r f l ä c h e g r a n u l i r t , ihr Kern stets mehrfach.
Die
weissen
m i t glatter Oberfläche
Blutkörperchen und
ohne
dagegen
sollen m a t t weiss s e i n ,
wirklichen Kern.
Schade n u r ,
abgeplattet
d a s s auf d e r beige-
f ü g t e n A b b i l d u n g die E i t e r k ö r p e r c h e n s t ä r k e r vergrössert u n d mit Essigsäure die
weissen B l u t k ö r p e r c h e n
dagegen ( o b g l e i c h
liirdelebeu
8. Aull.
Chirurgie.
I.
scheinbar
auf
demselben 18
behandelt,
Objectträger)
Ernährungs-Störungen.
274 schwächer vergrössert
und
ohne Zusatz von Essigsäure dargestellt
sind.
Daraus ent-
stehen allerdings sehr handgreifliche Verschiedenheiten.
E r k l ä r u n g der K r a n k h e i t s - E r s c h e i n u n g e n . Dem Namen Pyämie entspricht am Meisten die Annahme, dass Eintritt von Eiter in das Blut, und zwar zunächst in die Venen, die Ursache der pyämischen Erscheinungen sei. Eiter kann in einzelnen Fällen direct in die Venen gerathen, z. B. nach einem Aderlass, wenn durch Bewegungen die Heilung der Wunde gehindert wird und in Folge dessen Eiterung eintritt. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob dies Pyämie bedinge. Versuche an Thieren haben gezeigt, dass eine mässige Menge g u t e n , r e i n e n Eiters, d. h. also einer u n z e r s e t z t e n Substanz, in die Venen injicirt, zwar Fieber erregt („pyrogen" wirkt), aber nicht Pyämie hervorruft. Werden Eiter, chen
solche Einspritzungen häufig wiederholt, oder m a c h t man dieselben mit
welcher vorher nicht filtrirt i s t , mithin vielleicht auch noch grössere Partikelvon zerfallenen Geweben
u. dgl. enthält,
metastatischer Abscesse in den Lungen. 1849),
so führen
sie allerdings zur Bildung
So fand S é d i l l o t (de l'infection purulente,
nachdem er einem Hunde innerhalb 7 Tagen
1 4 Einspritzungen
von je
ein
Kubikcentimeter Eiter gemacht hatte, bei der Section Lungen-Abscesse auf verschiedenen Stadien der Entwicklung,
welche zum Theil aufgebrochen waren und ihren Inhalt in
die Pleurahöhle entleert hatten. statischen Abscesse
Abgesehen davon, dass ein solcher Verlauf der meta-
sich bei der Pyämie grade nicht findet, geht aus diesen Experi-
menten eigentlich n u r hervor, dass grössere Quantitäten einer fremdartigen Substanz, wie in den Experimentes von M a g e n d i e (vgl. pag. 2 7 6 ) , Verstopfungen der Lungengefässe und Lungen-Abscesse
bewirken können.
Aber
weder ein specifiscber Einfluss
des Eiters, noch auch die von S é d i l l o t vertheidigte Behauptung,
dass die einzelnen
Eiterkörperchen als solche wegen ihrer individuellen Grösse die Verstopfung bedingen, wird dadurch erwiesen.
Die Bedingungen, welche für das Eindringen von Eiter in die Venen vorausgesetzt werden müssen, finden sich nur äusserst selten. Eiter kann in die Vene einfliessen, wenn sie klafft, — aber sie klafft nur unter seltenen Verhältnissen. Auch muss vorausgesetzt werden, dass das Lumen der Vene noch frei wäre und der Blutstrom durch sie noch hindurchginge. Ist sie quer durchschnitten und taucht ihr offenes Ende in einen Eiterherd ein, so ist dadurch noch nicht bedingt, dass der Eiter in ihr weiter läuft, da die vis a tergo fehlt. Man hat daher sehr bald für die grosse Mehrzahl der Fälle eine R e s o r p t i o n des Eiters annehmen zu müssen geglaubt und deshalb die Pyämie auch wohl schlechtweg „ E i t e r r e s o r p t i o n " genannt. Ursprünglich meinte man, die unverletzten Venenwände könnten den Eiter in toto resorbiren, was bei genauerer Erwägung unmöglich erscheint. Abgesehen von der bei der Entzündung (pag. 242) erwähnten „Emigration", welche doch immer eine Veränderung der Gefösswand
Pyümie.
275
voraussetzen lässt, gehen durch die Venenwände nicht einmal rothe Blutkörperchen, viel weniger Eilerkörperchen. Es konnte also nur noch an das Eiterserum gedacht werden. Dass dieses resorbirt werden kann, ist unzweifelhaft. Das reine, nicht jauchige Eiterserum mischt sich aber mit dem Blute, ohne Gerinnung oder Zersetzung desselben zu veranlassen, obgleich es allerdings Fieber und Entzündungen einzelner Organe zu erregen vermag 1 ). Die grösste Verbreitung und Zustimmung fand schnell die durch die Autorität J o h n H u n t e r ' s getragene Theorie, der Eiter entstehe im Venenrohr durch Entzündung. P h l e b i t i s s u p p u r a t i v a sollte die Ursache der Eiterung in den Venen sein, analog der Bildung von Eiter bei Entzündungen anderer Organe. K i w i s c h glaubte diese Auffassung noch dahin erweitern zu müssen, dass er annahm, es handle sich um eine durch das ganze Venensystem fortschleichende Phlebitis. Halten wir uns an die Thatsachen, so finden wir, dass die Erscheinungen der vorausgesetzten Phlebitis kaum jemals mit denen anderer Entzündungen übereinstimmen. Es giebt eine Entzündung des Venenrohres, die vorzugsweise in den äusseren Schichten ihren Sitz hat (Periphlebitis, vgl. Bd. 11); aber grade bei Pyämie finden wir deren Erscheinungen in der Regel nicht. Den Eiter finden wir äusserst selten frei im Venenrohr, meist von Blutgerinnseln eingeschlossen, und es ist nicht einzusehen, wie der von Blutgerinnseln eingeschlossene Eiter einen so übelen Einfluss auf den übrigen Organismus ausüben sollte. Die Entwickelungsgeschichte der Thrombi zeigt, dass sie als Gerinnungen entstehen, deren weitere Umwandlung zu eitrigem Zerfall in ihrem Innern führt. Oft erweist sich der vermeintliche Eiter überdies, bei mikroskopischer Untersuchung, gar nicht als Eiter, sondern als eine ihm ähnliche Substanz, die aus zersetztem Blut u. dgl. besteht. Alle diese Erklärungen beziehen sich auf die Q u e l l e des im Blute der .Pyämischen vorausgesetzten Eiters. Man muss sie unterscheiden von den Theorien, welche die W e i t e r b e f ö r d e r u n g desselben durch den ganzen Körper im Auge haben, welche also erklären wollen, in welchem Verhältniss die krankhaften Veränderungen in anderen Organen (den Lungen u. s. f.) zu den Veränderungen im Venenrohr stehen, namentlich zu der präsumirten Anwesenheit von Eiter in demselben. Diejenigen, welche die Resorption des Eiters in toto als Ursache der Infection bezeichnen, sagen dann weiter: der Eiter durchläuft das ' ) Vgl. O l t o W e b e r , Experimentelle Stadien über Pyämie, Septichämie und Fieber, Deutsche Klinik 1 8 6 4 , 4 8 — 5 1 und 1 8 6 5 , 2 — 8 .
18*
m
Ernährungs-Störungen.
Gefässsystem; da er eine reizende Substanz ist, erregt er überall Entzündung, wohin er gelangt. Der Eiter soll also die an anderen Stellen auftretenden metastatischen Abscesse durch Erregung circumscripter Entzündungen veranlassen. Dagegen ist einzuwenden, dass diese Abscesse nachweisbar nicht auf Grund einer Entzündung entstehen, sondern durch GefässVerstopfung. Noch einfacher lassen Andere jene metastatischen Abscesse und die Ergüsse in den serösen Säcken und Gelenken als E i t e r - D e p o t s entstehen: es soll fortwährend Eiter resorbirt, dann mit dem Blute durch den Körper geführt und in den Lungen, der Leber, Milz, Pleurahöhle, in Gelenken u. s. w. a b g e l a g e r t werden. Diese sogenannten Eiterablagerungen (Eitermetastasen) finden sich aber in einem Maasse, dass für jede einzelne die Eiterresorption aller eiternden Wunden eines ganzen Lazarets nöthig wäre, um solche Mengen 211 Stande zu bringen. Man glaubte auch die Sedimente im Harn der an Pyämie Erkrankten für Eiter erklären zu dürfen, der von den Venen aufgesogen, durch das Gefässsystem hindurchgewandert sei und nun durch die Nieren mit dem Harn ausgeschieden werde. Man hatte nicht beachtet, dass diese Sedimente nicht Eiter, sondern harnsaure Salze sind, üeberdies können durch die Malpighischen Knäuel Eiterkörperchen gar nicht ausgeschieden werden, wenn deren auch noch so viele aufgesogen wären. M a g e n d i e und C r u v e i l h i e r beobachteten, dass Thiere, denen man kleine Körperchen in die Venen einspritzt, welche sich im Blute nicht auflösen, aber durch den Blutstrom fortgeschwemmt werden, an lobulärer Pneumonie zu Grunde gehen, d. h. unter Entwicklung kleiner Abscesse in den Lungen, welche mit den metastatischen Abscessen die grösste Aehnlichkeit haben. Dazu wählte M a g e n d i e Zinnober, Kohlenstaub, auch Oel. Es war leicht nachzuweisen, dass durch diese Substanzen Verstopfung der Lungencapillaren zu Stande kommt. Diese eben werden von den Venen aus in die Lungenarterie geschwemmt, bleiben in dem feinen Sieb der Lungencapillaren stecken, welches sie wegen ihrer Grösse nicht passiren können, und veranlassen Verstopfung derselben. In der Umgegend entsteht Entzündung, die zur Eiterung führt. Man kann auf diese Weise sicher metastatische Abscesse erzeugen. M a g e n d i e zog aus seinen Experimenten den Schluss, dass im kranken Organismus die E i t e r k ö r p e r c h en die Rolle fremder Körper spielen und die Lungencapillaren verstopfen. Diese Ansicht ist unhaltbar, da im normalen Zustande durch dasselbe Capillarnetz farblose Blutkörperchen passiren, welche mit den Eiterkörperchen gleiche Grösse und Beschaffenheit haben.
PySniie.
277
Dennoch waren diese Untersuchungen von grosser Bedeutung für die Lehre von der Pyämie. Sie führten zu einer richtigen Auffassung der Entstehung der metastatischen Abscesse, sie führten darauf hin, dass V e r s t o p f u n g d e r k l e i n e n G e f ä s s e jenen metastatischen Abscessen zu Grunde liege. Man erkannte, dass jene Abscesse an Ort und Stelle sich entwickeln und nicht als Depots des dahin geschleppten Eiters betrachtet werden können. Allerdings wurden auf solche Weise die Fälle nicht erklärt, in denen die Lungen frei sind, während Muskel-, Leber-, Milz-Abscesse bestehen; die verstopfenden Körperchen müssten doch die Lungencapillaren passirt haben, um in die Muskel-, Leber-, Milz-Capillaren zu gelangen. Aber es giebt auch Verbindungszweige zwischen Arterien und Venen der Lunge, die ein weiteres Lumen besitzen, als die unzweifelhaft sehr feinen Capillaren der Lunge. Durch diese können auch Körperchen von etwas stärkerem Kaliber vom rechten Ventrikel aus in den linken Vorhof gelangen, mit dem arteriellen Blut weiter geführt und, durch Fibrinauflagerung verdickt, in den Capillaren des grossen Kreislaufs angehalten werden. Den Untersuchungen von V i r c h o w 1 ) , auf deren Resultate wir im Vorstehenden schon vorgegriffen haben, verdanken wir die Kenntniss, dass es nicht Eiterkörperehen sind, sondern fortgeschwemmte S t ü c k e d e r G e r i n n s e l ( E m b o l i ) , durch welche die Verstopfung der Gefässe in der Lunge und in den übrigen Organen, in denen man metastatische Abscesse beobachtet hat, erfolgt. In den Umgebungen bedeutender Eiterherde nnd eiternder Flächen findet stets eine gewisse Hemmung des Kreislaufs Statt. In manchen Fällen ist diese so bedeutend, dass aus ihr geradezu die Bildung von Blutpfröpfen (Thrombi) erklärt werden kann; so z. B. in Amputationsstümpfen, wo der Blutlauf in den Venen durch den Mangel des peripherischen Stückes der Vene unterbrochen ist. Diese Art der „Thrombose" ist längst bekannt und verhältnissmässig ungefährlich, weil von diesen Blutpfröpfen, wegen des Mangels einer vis a tergo, schwer etwas abgelöst und fortgespült werden kann. Blutpröpfe entstehen aber auch in der Umgebung von Eiterungen, welche keinen bedeutenden Substanzverlust mit sich f ü h r e n , also nicht blos auf Grund mechanischer Hemmung des Blutlaufs. Dennoch spielen auch bei ihrer Entstehung mechanische Verhältnisse eine grosse Rolle. Sinken bei grossen Eiterungen die Körperkräfte beträchtlich, so vermindert sich auch die Energie der Herzbewegungen, und das venöse Vgl. D e s s e n ältere
„ g e s a m m e l t e A b h a n d l u n g e n " pag. 2 1 9 bis 7 1 1 , wo auch die
Litteratur
vollständig
angegeben
ist. —
Die bahnbrechenden
V i r c h o w ' s auf diesem Gebiete datiren aus dem Jahre
1846.
Arbeiten
278
Eroähruogs-Störuageo.
Blut fliesst daher unter einer schwächeren Triebkraft, trotz einer bedeutenden Pulsfrequenz, doch wesentlich langsamer. Deshalb sind dann geringfügige Hemmungen, wie sie z. B. durch angeschwollene Lymphdrüsen bewirkt werden, im Stande, die Bildung eines, demnächst durch weitere Ablagerungen von Fibrin schichtweis wachsenden Pfropfes in der Vene zu bewirken. Im normalen Zustande hemmen bekanntlich die Venenklappen jede rückgängige Bewegung des Venenblutes, wenn eine solche durch Compression der Vene, namentlich Seitens der sich contrahirenden Muskeln, eingeleitet werden könnte. An jedem Klappenpaar muss sich unter solchen Verhältnissen in den Venen derselbe Rückschlag im Kleinen wiederholen, den wir an den ebenso eingerichteten Semilunarklappen des Herzens genau kennen. Die Klappensinus müssen somit auch bei normalem Blutstrome in gewissen Momenten mit zurückgestautem Blute gefüllt sein. Bei abgeschwächter Herzkraft macht sich dies doppelt geltend, und die Klappensinus der Venen sind daher unter den oben erläuterten Verhältnissen der gewöhnliche Ausgangspunkt für die Bildung der Blutpfröpfe. Für die Einleitung des Gerinnungsprocesses in der Umgegend offener Eiterungen macht V i r c h o w überdies noch ein chemisches Moment geltend. Das Fibrin ist im lebenden und bewegten Blute flüssig (als fibrinogene Substanz); es gerinnt bei Hemmung der Bewegung, schneller noch, wenn gleichzeitig die äussere Luft einwirkt. Der wirksame Bestandtheil der Luft aber scheint hier, wie Uberall, der Sauerstoff zu sein. Wirkt nun durch Vermittelung der eiternden Fläche und der sie bedeckenden Eiterschichten der Sauerstoff der äusseren Luft auf das ohnehin durch seinen langsamen Lauf zur Gerinnung prädisponirte Blut der benachbarten Venen, so wird die Pfropfbildung dadurch begünstigt und namentlich die Anlagerung neuer Schichten an die bereits entstandenen Gerinnsel befördert. Der Thrombus wächst durch schichtweise Anlagerung von Fibrin, welches stets auch zahlreiche Massen rother und farbloser Blutkörperchen einschliesst. Dass letztere (welche häufig auch an dieser Stelle für Eiterkörperchen erklärt worden sind) vorzugsweise zahlreich in den Blutpfröpfen gefunden werden, erklärt sich aus ihrer bekannten Neigung zur Adhäsion an den Gefässwänden (wie sie in der Schwimmhaut des Frosches so leicht studirt werden kann). Der Blutpfropf kann bald das ganze Venenrohr ausfüllen, bald nur der einen Wand adhäriren. Im letzteren Falle ist leicht einzusehen, wie Stücke des „ w a n d s t ä n d i g e n " Thrombus, wenn er nach und nach erweicht und zerfällt, durch das an ihm vorüberfliessende Blut fortgeschwemmt werden können. Füllt er aber das Venenrohr ganz aus, so setzt sich
Prämie.
279
sein Wachsthum in der Richtung gegen das Herz bis über die Einmündungsstelle des nächsten Seitenastes fort. In dieser Gegend füllt er jedoch das Venenrohr nicht mehr ganz aus, ist vielmehr zugespitzt oder zottig, weil das Gerinnsel während seiner Bildung durch das seitlich einströmende Blut bewegt wird. Damit ist dann auch für diese „ o b t u r i r e n d e n " Pfröpfe die Möglichkeit gegeben, dass erweichte und abgelöste Theile derselben fortgespült werden. Erweichung und Zerfall des Gerinnsels aber sind Vorgänge, die auch anderweitig an geronnenem Blut beobachtet werden. Hier mögen sie überdies durch die Seitens der eiternden Fläche vermittelte Einwirkung des Sauerstoffs, vielleicht auch geradezu durch die Imbibition der Jauche begünstigt werden. Jedoch darf man nicht vergessen, dass die Thrombose keineswegs immer in der unmittelbaren Umgebung der eiternden Fläche beginnt. Durch die hier nur in ihrer engsten Beziehung zur Pyämie vorgetragene, bei den Krankheiten der Gefässe (Bd. II.) nochmals zu berührende Lehre von der T h r o m b o s e , wie sie aus den umfassenden Arbeiten von V i r c h o w hervorgegangen ist, werden die metastatischen Abscesse in überzeugender Weise erklärt und die Annahme einer „suppurativen Venen-Entzündung" als Quelle derselben beseitigt. Auch der plötzliche Tod durch Versperrung der Lungenarterie Seitens eines Embolus ist vollkommen ersichtlich. Aber weder die Emboli, noch die metastatischen Abscesse und Ergüsse sind immer so bedeutend, dass wir aus ihnen den Tod ableiten und die im Leben beobachteten Erscheinungen vollständig erklären könnten. Wir werden somit in vielen Fälleu der Annahme einer Veränderung des Blutes, sei es durch die Beimischung des aus den Pfropfen herrührenden Detritus oder durch die directe Aufnahme von zersetztem Eiterserum (Jauche) nicht entbehren können. Daher müssen denn auch Diejenigen, welche — vom wissenschaftlichen Standpunkte mit vollem Recht — auf eine scharfe Trennung der S e p t i c h a e m i e von der P y a e m i e dringen, das Vorkommen und sogar die Häufigkeit von Mischformen, die man als s e p t i k o - p y ä m i s c h e F i e b e r (vgl. pag. 266) bezeichnet, ausdrücklich zugestehenE. Behandlung der Eiterung. Man sagte früher, die Behandlung der Eiterung bezwecke im Allgemeinen die Beförderung derselben. Dies ist nur richtig, sofern man (wie es allerdings geschah) unter „Eiterung" auch die, wie man glaubte aus dem Eiter stattfindende Granulationsbildung, durch welche ein etwa entstandener Substanzverlust ersetzt wurde, verstand. Die Eiterung als solche zu befördern,
280
Ernährungsstörungen.
k a n n niemals nützlich sein, es sei d e n n , dass man von ihrem Bestehen eine derivatorische Wirkung gegen ein anderes Uebel erwartet (vgl. pag. 2 2 2 u. f.). Zunächst wird man, wenn ein günstigerer Ausgang erzielt w e r d e n k a n n , Eiterung zu vermeiden suchen, wo sie aber einmal entstanden ist, nicht absichtlich verlängern. Stets muss man der Gefahren eingedenk bleiben, welche eine grosse und lange dauernde Eiterung b e d i n g t , und vor Allem Sorge t r a g e n , dass k e i n e Z e r s e t z u n g ( F ä u l n i s s ) des Eiters stattfinde, seine Qualität also immer die des „ p u s b o n u m et laudabile" bleibe. Bei Eiterungen unter der Haut k o m m t als ein wesentliches Moment die E n t l e e r u n g des Eiters in Betracht, wovon bei den „Abscessen" zu handeln ist. Besteht eine o b e r f l ä c h l i c h e o f f e n e E i t e r u n g (eine g r a n u lirende Fläche) u n d soll die Granulationsbildung befördert werden, so wendet m a n in der Hegel feuchte W ä r m e in Form lauwarmer Umschläge oder Bäder an. Vgl. pag. 180 u. f. Sorgfältig verhüte m a n , dass nicht allzu warme F o m e n t e und keinerlei Kataplasmen aus o r g a n i s c h e n , leicht zersetzbaren (gährenden oder faulenden) Substanzen a n g e w a n d t werden. Zumal bei grossen Eiterungen kann die W ä r m e schädlich werden, indem sie die Fäulniss begünstigt. In solchen Fällen wirken Eisumschläge gradezu antiseptisch. Auch die (freilich u n b e q u e m e ) stetige Unterhaltung eines Luftstromes Uber der eiternden Fläche (mittelst eines Blasebalges) kann sich nützlich erweisen, indem sie durch Verdunstung Kälte erzeugt und demnächst bei nicht allzu beträchtlicher Eiterung durch Austrocknung der oberflächlichen Eiterschichten eine schützende Decke, einen sog. Schorf e r z e u g t ' ) . Das gleiche Resultat lässt sich, wenn der Abfluss des Eiters sicher gestgilt ist, dadurch erreichen, dass man die eiternde Fläche ganz u n b e d e c k t (offen) der Verdunstung überlässt 2 ). Wo diese Behandlungsweisen unbequem oder wegen der Localität des Uebels oder der Individualität des Kranken unpassend erscheinen, bedient m a n sich bei Eiterungen von geringer Ausdehnung der Verb ä n d e mit sogen, balsamischen Salben, unter denen namentlich U n g u e n t u m E l e m i sich eines altbewährten Rufes erfreut. Ueber die Anwendungsweise der Verbandsalben vgl. pag. 180. Ein solcher Ver') B o u i s s o n
in M o n p e l l i e r ,
welcher
dieses Verfahren
zuerst
empfohlen hat
m o i r e s u r la Ventilation des plaies et des u l c c r e s , C o m p t . r e n d , d e sciences. dadurch
T . 4 7 . No. 1 4 . Paris 1 8 6 8 ) , b e d i n g t e n Verschluss b e s o n d e r s
'-) Vgl. die Mittheilungen von V e z i n , 1856,
No. 6 ,
legt auf die ä c h o r f b i l d u n g
und
(Medes den
Gewicht.
Barlscher,
Burow
7 , 5 1 und 1 8 5 9 No. 5 t u . f., sowie
„ d i e offene W u n d b e h a n d l u n g " , Z ü r i c h ,
l'acad.
187'.'.
in d e r Deutschen Klinik,
Kroenlein's
Monographie
281
Behandlung der Eiterung.
band muss, je nach der Menge des durch ihn und neben ihm hervorquellenden Eiters, bald mehrmals am Tage, bald auch nur alle zwei oder drei Tage, in der Regel aber täglich ein Mal erneuert werden. Bei der Erneuerung ist jede unsanfte Berührung und Zerrung der Granulationen zu verhüten. Je mehr der Eiter die Verbandstücke incrustirt und verklebt hat, desto sorgfältiger muss man sie aufweichen, wozu bei grossen Eiterungen viel Zeit gehört. Im Allgemeinen schadet zu häufiger Wechsel des Verbandes bei offenen Eiterungen leichter, als zu seltener. Damit soll aber nicht gesagt werden, dass man Fäulniss und Madenbildung abwarten solle, bevor man den Verband wechselt, wie Manche unbegreiflicher Weise empfohlen haben. Nur bei g u t e r Eiterung und Granulationsbildung, nicht aber in Fällen, wo der Eiter mit zerfallenen Gewebselementen gemischt oder jauchig ist, — sind „ s e l t e n e V e r b ä n d e " überhaupt zulässig. Alle Umschläge und Salben macht bis zum Beginn der Vernarbung ein regelrecht angelegter a n t i s e p t i s c h e r V e r b a n d (vgl. pag. 189 u. f.) nicht blos überflüssig, sondern übertrifft sie auch, indem er bei Weitem seltener gewechselt werden muss. War die Eiterung von Anfang an in aseptischem Zustande erhalten oder in einen solchen versetzt worden (pag. 285), so bedarf es des Verbandwechsels bei antiseptischen Verbänden nur, wenn der Eiter irgendwo hindurchdringt oder aber Schmerzen oder Fieber eine Besichtigung der eiternden Fläche wünschenswerth erscheinen lassen. Haben, bei günstigem (normalen) Verlaufe einer offenen Eiterung, die Granulationen nach Ausfüllung des Substanzverlustes sich bis zum Niveau der Haut erhoben, so sucht man ihr weiteres Emporwachsen zu hemmen und die Bildung von Epidermis, die sogenannte Ueberhäutung zu befördern. Zu diesem Behuf werden Blei- und Zinkpräparate empfohlen (Aqua Plumbi, Solutio Zinci sulphurici, 1—2 p. C.), namentlich aber Umschläge mit einer Höllensteinlösung ( 1 — 2 p. C.). Nur bei sehr üppiger Granulationsbildung ( C a r o l u x u r i a n s , w i l d e s F l e i s c h ) kann man die Wirkungen einer solchen Lösung durch das Betupfen mit Höllenstein (in Substanz) ersetzen. Mit den Höllensteinumschlägen
sind kleine üebelstände
unter Einwirkung des Lichtes Silber menden Gegenstände schwarz Cyankalium
oder Jodkalium
gefärbt. vertilgen.
reduclrt,
verbunden.
Indem
sich
werden alle damit in Berührung kom-
Diese Färbung
lässt sich durch Waschen
mit
Von grösserer Bedeutung ist der hohe Preis.
Um möglichst sparsam zu verfahren, m u s s man in eine Tasse oder auf eine Schüssel n u r immer so viel von der Lösung aufgiessen lassen, als zur Tränkung der aufzulegenden Leinwandlappen erforderlich i s t ; denn die Höllensteinlösung verliert ihre Wirksamk e i t , wenn
sie in einem
offenen Gefässe dem Licht ausgesetzt
indem Silber zu Boden fällt.
wird,
sehr
schnell
Z u r Lösung darf nur destillirtes Wasser angewandt, jede
282
Ernäbrungs-Störungen.
Berührung oder Vermengung mit chlorballigen Substanzen muss vermieden werden. — Viel weniger wirksam als Höllensteinlösungen sind H ö l l e n s t e i n s a l b e n , salpetersaure Silber schnell zersetzt wird. Salben (z. B. 1 Borsäure, Vorzug h a b e n ,
in denen das
Diesen stehen die mit B o r s ä u r e bereiteten
1 W a c h s , 4 Olivenöl) mindestens gleich, zumal
sie den
nicht ranzig zu werden und überdies fäulnisswidrig zu wirken.
Vgl.
pag. 1 9 7 und B. C r e d e , Berl. klin. Wocbenschr. No. 2 2 .
Als Beförderungsmittel der Vemarbung ist ferner, namentlich wenn keine allzugrosse Granulationsmasse vorliegt, die gleichmässige C o m p r e s s i o n mit dachziegelförmig über einander gelegten Pflasterstreifen (pag. 197) zu empfehlen. Für das Wechseln eines solchen Verbandes gelten dieselben Regeln, wie für den Salbenverband. Gelingt es nicht, den Eiter bis zum Beginn der Vernarbung vor Fäulniss zu bewahren, so treten, abgesehen von den möglichen Gefahren für das Gesammtbefinden (pag. 265), auch locale Störungen ein, auf welche man früher (namentlich unter der Autorität von Rust) vielleicht zu viel und jetzt zu wenig Gewicht legt, — weil man sie bei streng antiseptischer Behandlung nicht leicht zu sehen bekommt. Auf diese Störungen (Complicationen) beziehen sich die nachstehenden therapeutischen Regeln. Tritt bei einer zu heftigen Entzündung der Gewebe, von welchen die Granulationen emporwachsen (bei „zu hohem Vitalitätszustande", nach Rust), sogenanntes Stocken der Eiterung ein, wobei die eiternde Fläche schmerzhaft wird, die Granulationen bei der geringsten Berührung bluten und nur wenig consistenter, weissgelblicher Eiter geliefert wird; so muss man von allen Salben- und Pflasterverbänden abstehen, zur Anwendung der Kälte übergehen und für vollkommene Ruhe des kranken Theils und Beförderung des Blutabflusses durch hohe Lagerung desselben sorgen. Erhitzende Speisen und Getränke sind zu vermeiden; der Kranke muss eine weniger nahrhafte Kost gemessen und Abführmittel nahmen. Schreitet dagegen die Granulationsbildung allzu langsam fort, so sind Reizmittel anzuwenden. Als die mildesten derselben können wir die Verbände mit balsamischen Salben ansehen, denen man aber zur Erhöhung ihrer Wirkung Myrrhentinctur'), Kampher oder Terpenthinöl zusetzt. Für grosse .oder tiefe eiternde Flächen eignen sich besser Umschläge oder Bäder von einem Aufguss der Species aromaticae, endlich auch von spirituösen und ätherischen Substanzen, namentlich von reinem Spiritus (das vielgerühmte pansement ä l'alcool der Franzosen), von Kampherspiritus, Tinct. Myrrhae, Opiumtinctur, Oleum Terebinthinae u. s. f. — l
) Rcp. üng. Eleml 50, Tinct. Myrrh. 1 5 — 2 5 M. D. S. Verbandsalbe. — Rcp. Ung. Elemi 50, Tinct. Myrrh. 10, Camphor. trit. 5, Acid. carbolici 1. M. D.S. Verbandsalbe.
Behandlung der Eiterung.
283
Wird bei geringfügiger Granulationsbildung die Eiterung profus, der Eiter dünn, übelriechend (jauchig), so muss man sorgfältig untersuchen, ob nicht in benachbarten Theilen destructive Processe bestehen (Brand, Verschwärung) und die solchen zu Grunde liegenden Ursachen beseitigen. Dem weiteren Fortschreiten der Jauchung suchte man dann bis auf die neueste Zeit durch Desinfections- und ReizMittel vorzubeugen. — Eignete sich die Localität der Eiterung für andauernde Bäder (vgl. pag. 1S5), so empfahl man namentlich solche aus Cblorkalklösungen oder aus aromatischen und Spirituosen Flüssigkeiten (Species aromaticae, Kampherwein, Decoctum Calami). Hatten die Granulationen Neigung zum Bluten, so kamen adstringirende Substanzen zur Anwendung: Decoct. corticis Quercus, Alaunlösung, verdünnte Lösungen des Liquor ferri sesquichlorati. Alle diese Flüssigkeiten wurden auch in der Form von Berieselungen mit gutem Erfolge angewandt (vgl. pag. 183), — weniger wirksam, als Umschläge, weil bei letzteren das wichtige mechanische Moment des stetigen Fortspülens der Jauche fortfallt. Wo die Localität des Uebels oder sonstige Verhältnisse die Anwendung flüssiger Arzneiformen nicht gestatteten, bediente man sich des Kohlenverbandes, d. h. man bestreute die eiternde Fläche mit einer dicken Schicht Kohlenpulver, durch welche der dünnflüssige Eiter schnell absorbirt und die weitere Zersetzung desselben auf der eiternden Fläche wenigstens aufgehalten wurde. Durch Kohlenlinimente (aus Kohlenpulver und Terpenthinöl oder Holzessig) wollte man einer Seits der Zersetzung des Eiters vorbeugen, anderer Seits einen lebhaften Reiz auf die Granulationen ausüben. Auch die aus Mischungen von Gyps und Stcinkohlentheer dargestellten Präparate (vgl. pag. 177) fanden in diesem Sinne Anwendung. Als bei Weitem wirksamere Mittel zur Bekämpfung der Fäulniss des Eiters haben sich im Laufe des letzten Jahrzehnts h y p e r m a n g a n s a u r e s K a l i , e s s i g s a u r e T h o n e r d e , C h l o r z i n k und C a r b o l s ä u r e bewährt. Eine schwache Lösung des h y p e r m a n g a n s a u r e n K a l i ( l bis 5 auf 100 A q u a d e s t i l l a t a ) genügt, um übel riechende Eiterherde sofort zu desinficiren. Die schnelle und sichere Wirkung dieses Salzes beruht darauf, dass es an organische Substanzen, indem es sich zersetzt, unter Zurückbleiben von Braunstein, Sauerstoff abgiebt. Mit der Zersetzung hört seine Wirkung auf. Man darf es daher nicht in Form von Umschlägen anwenden, da die damit getränkten Lappen und Charpiebäusche schon an sich die Zersetzung einleiten, muss vielmehr die eiternden Flächen damit begiessen, berieseln oder darin
284
Ernährungs-Störungen.
baden. Sind permanente Bäder oder Berieselungen, der Localität nach, nicht ausführbar, so wird man auch nur eine ganz vorübergehende Wirkung erreichen. Kali
hypermanganicum
ist von
unschätzbarem Werthe,
bandelt, schnell u n d s i c h e r , j e d o c h n u r vorübergehend einzuwirken. lichste Geruch
verschwindet
von den
einer b r a u n e n F ä r b u n g
Kali gründlich a b s p ü l t ,
(durch Braunstein),
welche
es
sich d a r u m
Auch der a b s c h e u -
mit J a u c h e besudelten H ä n d e n ,
in einer L ö s u n g von b y p e r m a n g a n s a u r e m A m m o n i a k leicht beseitigt werden
wo
wenn
inan
sie
unter Zurücklassung
durch Oxalsäure o d e r
oxalsaures
kann.
Die e s s i g s a u r e T h o n e r d e (vgl. pag. 196) wirkt nicht so schnell und selbst in concentrirten Lösungen nicht so kräftig, wie Kali hypermanganicum, aber andauernder, obwohl sie an der Luft, durch Freiwerden von Essigsäure, sich auch allmälig zersetzt. Darauf beruht auch die bei längerer Anwendung auftretende Bildung von bröckligen Krusten, die einer Seits zum Schutz der Granulationen dienen, anderer Seits aber auch den freien Abfluss des Eiters hindern können. Ihre austrocknende Wirkung kann in einzelnen Fällen erwünscht, in anderen störend sein. Während der C h l o r k a l k (Calcaria hypochlorosa s. chlorata) selbst in concentrirten Lösungen nicht ätzend wirkt, macht das C h l o r z i n k seine ätzenden Wirkungen auf die Granulationen schon in schwachen Lösungen geltend und ist deshalb in vielen Fällen ganz unpassend, in denen Bäder und Umschläge mit Chlorkalk noch angewandt werden können. Dagegen ist seine desinflcirende und antiseptische Wirkung derjenigen des Chlorkalks bei Weitem überlegen; in etwas stärkeren ( 8 — 1 0 p. C.), zumal alkoholischen Lösungen, leistet es selbst bei weit vorgeschrittener Fäulniss die vorzüglichsten Dienste. Chlorzink ist weder flüchtig noch leicht zersetzbar; Chlorkalk dagegen zerfällt bald unter Freiwerden von Chlor, durch welches zwar vielleicht eine Desinfection der benachbarten Gewebe und der umgebenden Luft bewirkt, sicher aber (ganz abgesehen von dem widerwärtigen Geruch) die Schleimhaut der Respirationsorgane nachtheilig beeinflusst wird. Die C a r b o l - oder P h e n y l - S ä u r e ist zwar früher schon vielfach als desinficirendes Mittel versucht worden (zuerst wohl von L e m a i r e , 1865); ihre allgemeinere Einführung in die Praxis verdanken wir aber J. L i s t e r 1 ) . Ausgehend von der Thatsache, dass Fäulniss nur durch die Entwicklung organischer Keime zu Stande kommt, hat Li s t e r , nach vielen Versuchen, die Anwendung der Carbolsäure in ' ) OD a new m e t h o d of treating Compound
f r a c t u r e , a b s c e s s etc.
On t h e anliseptic grinciple in t h e practice of surgery. Septbr. 2 1 . p. 2 4 6 .
L a n c e t . Nov. 3 0 . p. 6 6 8 u. f.
Lancet,
1867,
Brit. m e d . Journ.
1867,
285
Behandlung der Eiterung.
Form der von uns bereits in der „Einleitung" (pag. 50 und 189) beschriebenen „antiseptischen Methode" empfohlen, um Eiterung in Wunden zu v e r h ü t e n oder in Abscessen zum Erlöschen zu bringen. Von dieser Methode kann bei offenen Eiterungen, in denen sich bereits Fäulniss eingestellt hat, ein vollständiger Erfolg niemals erwartet werden, wenn es nicht vorher gelingt, die Fäulniss gänzlich zu unterdrücken. Für solche Fälle hatte L i s t e r schon früher die Bedeckung mit Compressen und Pasten (vgl. pag. 181) empfohlen, welche Carbolsäure in erheblicher Menge enthalten. — Die fäulnisswidrige Wirkung solcher Verbände ist unleugbar. Bei buchtigen Eiterhöhlen erreicht man noch mehr durch permanente Irrigationen oder Bäder von wässriger Carbolsäure-Lösung (2 p. C.). Aber die mit der Anwendung von Carbolsäure verbundenen Uebelstände, auf welche wir bei ilen Carbolsäure-Verbänden, pag. 198, aufmerksam gemacht haben, treten hierbei besonders hervor. Will man sich der Carbolsäure zur Beseitigung (nicht zur Verhütung) fauliger Zustände bedienen, so ist es nicht blos weniger bedenklich, sondern auch wirksamer, eine gründliche Ab- und Ausspülung mit einer starken (5 p. C.) Lösung vorzunehmen, als die Carbolsäure andauernd einwirken zu lassen. Das zuerst von J. W o o d (Lancet, 1 8 6 8 , Decbr. 12) empfohlene
sulphocarbol-
s a u r e Zink ( C , 2 H 5 Z n 0 2 , 2 S O ' - | - A q . ) , welches die de9inficirenden Eigenschaften der Carbolsäure (wenn auch in geringerem Grade) mit
den
adstringirenden des schwefel-
sauren Zinks verbindet, hat nicht die Nachtheile der Carbolsäure. Eine Misrhung von Carbolsäure und
hypermangansaurem Kali,
wie man
sie zu-
weilen anwendet, liebt, ist durchaus unzweckmässig; beide Mittel werden dabei unwirksam,
da das bypermangansaure Kali die Carbolsäure,
wie jede organische
Substanz,
d a b e i aber auch sich selbst zersetzt.
Um eine gründliche Desinfection zu bewirken und somit den „aseptischen Zustand" des Eiterherdes herbeizuführen, wird man, nach vorstehenden Erläuterungen, am Besten thun, eine 8 — 1 0 p. C. Chlorzink- oder eine 5 p. C. Carbolsäure-Lösung zu wählen. Letztere hat vielleicht den Vorzug, dass die flüchtige Carbolsäure leichter auch in die feinsten Gänge und in die benachbarten Gewebe selbst eindringt. Thymol und Salicylsäure führen erst nach längerer Berieselung zum Ziele. Hat man den aseptischen Zustand erreicht, so treten weiterhin wieder die antiseptischen Verbände und Salben in Wirksamkeit. Einer i n n e r e n Behandlung bedarf es bei der Mehrzahl der Eiterungen nicht. Jedoch muss man stets für leicht verdauliche, nährende Kost sorgen und, sobald die Kräfte des Patienten sinken, belebende und erregende Mittel, namentlich guten Wein hinzufügen.
286
Ernährungs-Störuugen.
Dadurch kann oft der Ausbildung des sogenannten h e k t i s c h e n F i e b e r s vorgebeugt werden. Dagegen gelingt die Heilung dieses Fiebers, wenn es uns vollkommen ausgebildet mit den oben beschriebenen Charakteren entgegentritt, nur selten. Wird der Kranke blass und schlaff, so gebe man Ferruginosa und sorge, wenn auch keine Abmagerung zu bemerken ist, für besonders gute Nahrungsmittel, namentlich Fleischkost, Eier und Milch. Gerade hierdurch wird man auch am Besten der a m y l o i d e n D e g e n e r a t i o n vorbeugen. Hat dieselbe sich schon vollständig entwickelt, so gewährt die roborirende Methode und namentlich die Behandlung mit Eisenpräparaten noch die meiste Aussicht auf Erfolg. Lässt sich das Versiegen der Eiterung gar nicht oder doch erst nach langer Zeit erwarten, so kann die Heilung, wenn die Eiterung an einer Extremität sitzt, noch durch A m p u t a t i o n des eiternden Theiles gelingen. Io letzterer Beziehung dieDe nachstehende Beobachtung als Beispiel. rige Frau wurde im December 1 8 5 2 , Ellenbogengelenks befallen, 1. December 1 8 5 4 in
Eine 26jäh-
in Folge einer Verletzung, von Entzündung des
welche zum Aufbruch des Gelenkes führte.
Als sie am
meine Klinik k a m , fiel eine ödematöse Schwellung der Augen-
lider an dem übrigens mageren und blassen Gesicht auf.
Puls klein, weich, frequent,
Appetit gut, Stublausleernng regelmässig.
Schmerzen n u r in dem bedeutend geschwolle-
nen und rings von ödematösen Geweben
umgebenen
Gelenke.
schwüre führten zu den bröckligen, cariösen Gelenk-Enden. geröthet, gespannt
und an
Sieben
fistulöse Ge-
Die bedeckende Haut war
die unterliegenden Theile festgeheftet.
Der Urin
enthielt
eine grosse Menge Eiweiss; in dem Bodensatz fanden sich bei mikroskopischer Untersuchung zahlreiche Fibrincylinder von der Gestalt
der Harncanälchen.
am 2. December im oberen Dritttheil des Oberarms. vollkommen vernarbt.
Ich amputirte
Die Wunde war am
25. Tage
Während der ersten Tage nach der Amputation nahm Patientin
ein Infusum Digitalis, dann aber gute Diät und roborirende, namentlich
Eisen-Mittel.
Schon nach 3 Wochen schritt die Kranke kräftig einher und sah blühend aus.
Der
Eiweissgehalt des Harns schien während der ersten 3 Tage etwas vermehrt zu
sein;
die Harnmenge betrug in dieser Zeit nur 2 4 0 bis 3 6 0 Grm. auf den T a g ; das Mikroskop wies in den Sedimenten nicht blos Fibrincylinder, sondern auch fettig entartete
Epithelialzellen
und
Fetttröpfchen nach.
Blutkörperchen,
In den nächsten
schien die Menge der Blutkörpereben und der Fettgehalt vermehrt zu sein.
2
Tagen
Aber vom
6 . Tage ab verminderte sich der Eiweissgehalt stetig und in gleichem Maasse steigerte sich die Harnmenge.
Am 13. Tage konnten noch fettige Epithelialzellen
körperchen im Harn nachgewiesen werden. durchaus normal.
und
Blut-
Vom 15. Tage an verhielt sich der Harn
Die Frau wurde in der 4. Woche nach der Amputation geheilt ent-
lassen und befand sich nach von I . u x e m b o u r g ,
16 Jahren noch vollkommen wohl.
Vgl. die Dissert.
Gryphiae 1 8 5 5 .
Von grösster Bedeutung
für die Behandlung aller bedeutenden
Eiterungen ist die Sorge für R e i n l i c h k e i t
des ganzen Körpers des
Kranken und seiner Umgebungen und namentlich für f r i s c h e L u f t . Man vermeidet, viele Kranke mit grossen Eiterungen in e i n Zimmer
287
Behandlung der Eiterung.
zu legen, sorgt jedenfalls für fortdauernde Ventilation und lässt die Kranken lieber in zu kühler, als in unreiner Luft liegen. Die sorgfältige Berücksichtigung aller dieser Vorschriften fiir die Behandlung grosser Eiterungen ist um so dringender zu empfehlen, als die P r o p h y l a x i s d e r S e p t i c h ä m i e und P y ä m i e zum grössten Theile auf ihnen b e r u h t l ) . Allerdings können zu diesem Behuf auch noch specielle mechanische Hülfen erforderlich werden. Namentlich ist es von grosser Bedeutung, dass die Zurückhaltung und Einklemmung von Eiter unter Fascien und Aponeurosen durch deren Spaltung verhütet, jede faulige oder zur Fäulniss neigende Flüssigkeit entleert und jauchende Körpertheile (wenn nöthig und möglich, durch Amputation) entfernt oder zerstört, mindestens aber genügend desinficirt werden. Ausser den vorstehend angeführten lassen sich aber, wenn die Erkrankung einmal ausgebildet ist, weder bei S e p t i c h ä m i e noch bei P y ä m i e wirklich bewährte therapeutische Maassregeln angeben. Dass ein so erfahrener Chirurg, wie N 6 1 a t o n , noch in neuester Zeit grosse Dosen des E x t r a c t u m A c o n i t i für specifisch wirksam gegen Pyämie erklären konnte, ist mindestens ebenso unbegreiflich, wie die mit höchst verschiedenartiger Begründung oft wiederholte Anpreisung des Calomel und der Mineralsäuren. Seit langer Zeit hat man schon wegen der äusserlichen Aehnlichkeit der pyämischen Schüttelfröste mit denen des Wechselfiebers C h i n a p r ä p a r a t e bei Pyämie empfohlen, und bis auf die neueste Zeit hin werden Lösungen des schwefelsauren oder (des leichter löslichen) salzsauren Chinin bei Pyämie wie bei Septichämie verordnet. Die Erfahrung am Krankenbett vermag nicht viel mehr zur Empfehlung derselben zu sagen, als dass sie, in hinreichender Dosis (1 Grm.) gegeben, die Fiebertemperatur herabsetzen; dennoch muss den Chininsalzen, nach den Untersuchungen von B i n z 1 ) , eine entschieden antiseptische Wirkung zugesprochen werden, und man würde vielleicht Aussicht haben, durch dieselben wenigstens gegen Septichämie etwas auszurichten, wenn man sich entschlösse, sie in 20- oder selbst 30fach stärkerer Dosis anzuwenden, als bisher üblich. Ebensowenig bewährt, obschon gleichfalls von theoretischer Seite, namentlich durch P o l l i 3 ) empfohlen, ist
' ) Nach
Einführung der
•Krankenhäusern
Fälle
antiseptischen von
Pyämie
Methode
und
9ind selbst
Septichämie
in
selten
schlechten beobachtet
worden, n ä h r e n d sie vorher n u r allzu häuQg waren. *) Experimentelle Studien über das We9en der Chininwirkung. *) Memorie del Instituto Lombardei.
Vol. VIII.
Berlin
1868.
288
Ernäbrungs-Störungen.
die Anwendung der s c h w e f l i g s a u r e n S a l z e (namentlich der schwefligsauren Alkalien) bei den hier in Rede stehenden, wie auch bei anderen Infections-Krankheiten. Nach P o i l i ' s
eigener Angabe in
perimentelle Studien),
einem
Briefe an
0. Weher
(vgl. dessen Ex-
wäre freilich zu einer anliseptischen Wirkung eine Dosis dieser
Salze erforderlich, welche sich zum Körpergewicht wie
1 zu 1000 verhalten müsste,
also für einen Erwachsenen durchschnittlich 75 Grammen!
Trotz dieser Trostlosigkeit unseres therapeutischen Standpunktes darf man auf eine Behandlung der Pyämie und Septichämie nicht ganz verzichten. S o r g f ä l t i g e R e i n i g u n g (Desinfection) und R e i n h a l t u n g d e s E i t e r h e r d e s und U n t e r s t ü t z u n g d e r K r ä f t e durch nährende und belebende Mittel sind die Hauptaufgaben, durch deren Erfüllung noch manches Leben gerettet werden kann. Ausserdem hat der Arzt häufig genug auch symptomatischen Indicationen zu genügen. Den D e c u b i t u s sucht man durch gute Lagerung, namentlich auf Wasser- oder Luft-Kissen, zu verhüten (vgl. den folgenden Abschnitt). Die im Verlaufe der Pyämie vorkommenden B l u t u n g e n lassen sich selten durch Unterbindung des blutenden Gefasses selbst stillen, weil die von Eiter umspülten Gefässwände in der Regel zu brüchig sind (vgl. Bd. 11). Dagegen ist die Unterbindung in der Continuität, nach ineinen Erfahrungen, stets ausreichend gewesen. Dass eine solche Unterbindung, indem sie die Blutbewegung auch im entsprechenden Venenrohr für einige Zeit aufhebt, gegen die Fortspülung von Gerinnseln und anderem Inhalt der Venen nützlich sein sollte (wie ich eine Zeit lang gehofft habe), lässt sich allerdings nicht ganz von der Hand weisen; aber nach einer solchen Unterbrechung des Blutlaufs ist anderer Seits ein desto schnellerer Zerfall der Thrombi mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Erhebliche S c h m e r z e n und Qualen durch A n g s t g e f ü h l , welche nicht immer ausbleiben, erheischen die Anwendung narkotischer Mittel. Pyämische, Chloroform
welche während
der Schüttelfröste beträchtlich
bis zur Betäubung einathmen lassen.
litten, habe ich oft
Der Schüttelfrost lässt
hierbei
nach, kehrt aber nicht weniger schnell wieder, und die Kranken bekommen nach wiederholter Anwendung des Chloroforms einen grossen Widerwillen gegen das Mittel. günstigen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit habe ich
nicht bemerken
Einen können,
selbst wenn die Inhalationen drei bis vier Mal täglich (bei jedem Schüttelfrost) mehrere Tage lang angewandt
wurden.
Sollte eine antiseptische Wirkung
von Mitteln
dieser
Keibe überhaupt zu erwarten sein, so würde das als Hypnoticum auch hier zu empfehlende C h l o r a l h y d r a t (zu 2 — 3 Grammen innerlich gegeben) Inhalationen von Chloroform.
wohl m e h r leisten als
289
Abscess.
II. A.
Ton der Abscessbildung.
Ton den Abscessen im Allgemeinen.
Eine durch Eiterbildung entstandene, nennt man A b s c e s s oder E i t e r b e u l e .
mit Eiter gefüllte Höhle
Anatomische Verhältnisse. Abscesse können in allen Geweben vorkommen, sogar in Blutgerinnseln. Sie finden sich in jeder beliebigen Schicht, jedoch häufiger nahe an der Oberfläche, als in der Tiefe der Organe (J. H u n t e r ) . In der Mehrzahl der Fälle findet sich entweder e i n Abscess, oder doch nur wenige nahe aneinander. Besteht eine grosse Anzahl von Abscessen zugleich, so beruht die Abscessbildung meist auf inneren Ursachen. Jeder Abscess hat Neigung zur sphärischen Gestalt, zumal wenn die ihn umgebenden Gewebe auf allen Seiten gleichmässige Cousistenz besitzen. Seine Gestalt kann aber durch die Nachbarschaft von fibrösen Häuten, Knochen, oder anderen, Widerstand leistenden Theilen auf das Mannigfaltigste abgeändert werden, so dass er sich bald flächenartig ausbreitet, bald Canalform oder eine durchaus unregelmässige Gestalt annimmt. Durch die Höhle eines Abscesses verlaufen oft Gefässe, Nerven, Ausfiihrungsgänge von Drüsen. In früherer Zeil fasste man alle Theile, welche die Höhle eines Abscesses durchsetzen, unter dem Namen „Stränge" zusammen und ging eifrig auf deren Zerstörung aus, in der Idee dadurch die Heilung zu befördern, während man sich oft, wenn diese Stränge grössere Gefässe enthielten, gerade der erspriesslichsten Ersatzmittel für den durch die Eiterung bewirkten Substanzverlust beraubte. Ein Abscess kann aus mehreren Taschen oder Abtheilungen bestehen, welche durch mehr oder weniger enge und verschieden lange (fistulöse) Gänge mit einander in Verbindung stehen. Solche v i e l f ä c h e r i g e (multiloculäre) Abscesse finden sich besonders, wenn von einem ursprünglichen Eiterherde aus der Eiter sich mehr oder weniger tief unter einer Fascie zwischen den Organen seinen Weg gebahnt und neue Entzündungen erregt hat. Da der Abscess bei seinem Entstehen und Wachsen sich vorwiegend in derjenigen Richtung ausdehnt, in welcher er den geringsten Widerstand findet, zeigt er (abgesehen von inneren Organen) im Allgemeinen die Neigung, sich gegen die Körperoberfläche zu vergrössern; denn gegen die Tiefe hin setzen seinem weiteren Vordringen festere Gebilde grössere Schwierigkeiten entgegen. Wenn ein Abscess in der Nähe der Brust- oder Bauchhöhle entsteht, so wird sein Durchbrucb B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
I.
19
290
Ernährungs-Störungen.
in diese Höhlen nicht blos durch die während seiner Entwickelung eintretende Verdickung der serösen Häute, welche jene Höhlen auskleiden, sondern auch durch den Druck verhütet, welchen die in denselben liegenden Eingeweide fortdauernd auf deren Wandungen ausüben. Nichts desto weniger ist das weitere Vordringen eines Abscesses in die Tiefe und sogar der Durchbruch in einen serösen Sack oder in ein Eingeweide wohl möglich und wiederholt beobachtet. Gewöhnlich ist die Abscesshöhle von einer Pseudo-Membran ausgekleidet, welche D e l p e c h als constant in allen Abscessen annahm und membranepyoginique nannte. Eine solche A b s c e s s - M e m b r a n findet sich aber in frisch gebildeten Abscessen gar nicht, sie kann auch in länger bestehenden gänzlich fehlen. Dass sie zur Eiterbildung überhaupt nicht nothwendig ist, wurde schon pag. 260 u. f. gezeigt und wird zum Ueberfluss durch die Eiterung auf Schleimhäuten bewiesen. Die Abscess-Membran ist vielmehr eine F o l g e der Eiteransainmlung; sie erleidet verschiedene Modificationen, je nach der Quantität und Qualität des Eiters, insbesondere auch je nachdem die Abscesshöhle mit der Luft communicirt oder nicht. Aller Eiter hat von Anfang ah Neigung, sich gegen ein bestimmtes Centrum hin zu sammeln, wahrscheinlich da, wo der Ausgangspunkt der Entzündung, der eigentliche Krankheitsherd war. Er durchbricht oder verdrängt die Maschen des Bindegewebes, zerstört oft dasselbe in grösserer Ausdehnung, und, während die umgebenden Gewebe durch Wucherung sich verdichten, entsteht um den Eiter die Abscess-Membran, die weiter nichts ist, als die durch geronnenes Exsudat verdichtete und verdickte Schicht der angrenzenden, gewucherten Gewebe, welche zunächst die Wand des Abscesses bilden. Auf ihr und aus ihr wachsen die Granulationen hervor, die aber in der Regel erst nach der Oeffnung des Abscesses sich zu entwickeln beginnen. Verlauf u n d Ausgänge. Der V e r l a u f der Abscesse zeigt erhebliche Verschiedenheiten, je nach der E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e . In Rücksicht auf letztere unterscheidet man nämlich 3 Arten von Abscessen, welche wir weiterhin noch gesondert beschreiben werden. Entstand der Abscess an Ort und Stelle aus einer acuten Entzündung, so heisst er h e i s s e r o d e r p h l e g m o n ö s e r A b s c e s s (Abscessus calidus). Entwickelte er sich selbstständig aus einer schleichenden, unmerklichen Entzündung, so wird er als k a l t e r A b s c e s s (Abscessus frigidus) bezeichnet. Erfolgte die Eiterbildung gar nicht an der Stelle, an welcher man den Abscess vorfindet, sondern mehr oder weniger weit davon,
Abscess.
291
in der Regel in einer tieferen Schicht, z. B. an einem Knochen oder in einem Gelenk, und hatte der Eiter daher, Behufs Bildung des Abscesses, einen ihm durch die Fascien vorgezeichneten Weg zu durchwandern, so erhält die Eiteransammlung den Namen S e n k u - n g s a b s c e s s , Abscessus migratorius s. congestivus. Von allen diesen verschieden sind die m e t a s t a t i s c h e n A b s c e s s e , welche bereits pag. 2 7 2 u . f . erläutert wurden, auf welche wir daher hier nicht weiter Rücksicht nehmen. Der Verlauf des heissen Abscesses ist immer ein acuter oft fieberhafter. Grade beim Eintritt der Eiterung in der, dem Abscess vorhergehenden Entzündungsgeschwulst, wird der Kranke oft nochmals von Fieberfrost ergriffen und zeigt, obwohl die Schmerzen nachlassen, erhöhte Temperatur. Die beiden anderen Arten der Abscesse stimmen darin überein, dass sie chronisch und ganz gewöhnlich auch fieberlos verlaufen, sofern keine anderen Veranlassungen zum Fieber bestehen, die sich freilich, besonders beim Senkungsabscess in dem Gange des ihm zu Grunde liegenden Processes häufig genug gegeben finden. Der Eiter kann als eine lebensunfähige Flüssigkeit, mithin als ein relativ fremder Körper, nicht dauernd im Organismus verweilen. Er erregt, wie jeder fremde Körper, in seiner Umgebung mehr oder weniger Entzündung. Durch diese sowohl, wie durch die mit der fortschreitenden Füllung des Abscesses stetig steigende Spannung der Bedeckungen des Abscesses, wird die Lebensfähigkeit der letzteren von Tag zu Tag immer mehr beeinträchtigt, bis endlich durch Absterben der auf's Aeusserste verdünnten und gespannten Hautstelle der Durchbruch des Abscesses und die Entleerung des Eiters herbeigeführt wird. — Viel seltener, und nur bei chronischem Verlaufe, halten sich Entzündung und Spannung im Abscess auf so mässiger Höhe, dass eine dauernde feste Abkapselung und statt des Aufbruchs und der Entleerung des Eiters die Absorption des letzteren erfolgt. 1. E n t l e e r u n g d e s E i t e r s . Der Aufbruch des Abscesses wird durch zwei Factoren bewirkt: a) durch die mit seinem Wachsthum stetig steigende S p a n n u n g der ihn bedeckenden Gewebe, b) durch die E n t z ü n d u n g , welche die Widerstandsfähigkeit dieser Gewebe vermindert. In manchen Fällen ist die Spannung der einzige Grund für den Aufbruch, so z. B. bei sehr grossen, dick eingekapselten Senkungsabscessen; in anderen wirkt die Entzündung mit, welche durch den Eiter, wie oben erwähnt, erregt wird, in vielen Fällen endlich ist die Entzündung selbst, welche zur Abscessbildung führte, auch der wesentliche Grund für den Durchbruch. Dass ein stetig gesteigerter Druck, zumal wenn er von Innen her wirkt, schliesslich durch 19*
Emährungs-StSrungen.
292
Absperrung der Blutzufuhr zum Aufhören der Ernährung, d. h. zum Absterben, führen muss, ist an sich k l a r ; wir werden beim „ B r a n d e " darauf zurückkommen.
Der Durchbruch wird aber durch die beglei-
tende Entzündung insofern unterstützt, als alle Gewebe durch dieselbe erweicht
und weniger widerstandsfähig
Spannung
auch nur
gemacht
in geringer Ausdehnung
Hat
die
die Bedeckungen
werden.
des
Abscesses brandig gemacht, so wird durch die Anwesenheit des abgestorbenen Stücks immer eine neue Entzündung (die DemarcationsEntzündung) erregt.
Diese ist,
wie man von Alters her sagt,
nicht
blos eine ulcerative, sondern auch eine adhäsive, d. h. sie führt zur Verdichtung öffnung. dringen
und Verwachsung Dadurch
des
wird
Eiters
im Umkreise der künftigen
bei
und
nach
zwischen
die
den
dem
Abscess-
Aufbruch
Abscess
das
Ein-
umgebenden
Ge-
webe verhütet und für seine Entleerung nach Aussen ein mehr oder weniger
langer Canal gebildet.
Sobald der Durchbruch
des Eiters
nach Aussen hin Statt gefunden hat, verändern sich die Verhältnisse des Abscesses durch den Zutritt der Luft. geröthet,
schwillt a n ,
die Eiterbildung
Die Abscess-Membran wird wird reichlicher,
der
Eiter
dünner, in der Regel auch bald übel riechend, d. h. jauchig. Gewöhnlich
erfolgt der Aufbruch
des Abscesses nur
Stelle und zwar auf einer freien Fläche (Haut, Serosa, Der Durchbruch in ein von Schleimhaut
an
einer
Schleimhaut).
ausgekleidetes Organ (Ein-
geweide) setzt eine vorgängige Verwachsung der äusseren Fläche des Eingeweides, z. B. des Darms, mit der Wandung des Abscesses voraus. Im Allgemeinen ist diese Art der Entleerung weniger günstig, als die auf die äussere Haut.
Jedoch giebt es Fälle, in denen sie wünschens-
werth erscheint: bei Abscessen der Hüftbeingrube ist die Eröffnung in den Dickdarm unter Umständen ein relativ glücklicher Ausgang; ähnlich verhalten sich tiefe Abscesse in der Parotis, bei denen der Durchbruch nach Aussen das Zurückbleiben einer Fistel würde
befürchten
lassen, während die Eröffnung in die Mundhöhle keine üblen Folgen zurücklässt. in
Bedenklich dagegen ist der Durchbruch von
den mittleren
Theil
des Nahrungsschlauches,
Abscessen
und zwar um so
mehr, j e näher am Magen; die Anwesenheit des Eiters stört die Verdauung,
der Eiter hat einen weiten W e g zu durchlaufen,
bevor er
aus dem Körper entfernt wird, und verfällt inzwischen der Fäulniss; in die geöffnete Abscesshöhle können anderer Seits Secrete und Contenta aus dem Darmcanal eintreten und die Heilung stören. Wenn keine anderweitigen üblen Zufälle eintreten und die Ursache der Eiterung nicht fortdauert, so beginnt mit der Entleerung des Eiters auch die Ausfüllung
der Abscesshöhle
durch Granulationen
(Fleisch-
Abscess.
293
Wärzchen). Diese entwickeln sich hier, wie bei ursprünglich offenen Eiterungen, a u s Zellen, welche in mehr oder weniger ansehnlichen Haufen mit einander verkleben und sich weiterhin in Bindegewebe und Gefässe umwandeln. Hatte sich vor dem Aufbruch bereits eine Abscessmembran gebildet, so geht die Zellenwucherung von dieser aus. Besteht die Ursache der Eiterung fort, so findet eine Ausfüllung der Abscesshöhle nicht Statt, vielmehr wird die Eiterung in derselben durch die Einwirkung der Luft immer schlechter, der Abscess verwandelt sich in ein „Geschwür". Von grosser Wichtigkeit bei der Heilung der Abscesse sind oft die localen m e c h a n i s c h e n V e r h ä l t n i s s e . Wie bei jeder Vernarbung, spielt auch hier die Zusammenziehung der Narbensubstanz eine grosse R o l l e ' ) . Sind die localen Verhältnisse nun der Art, dass sie eine solche Zusammenziehung nicht gestatten, so wird dadurch die Heilung sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht. In der Umgebung des Mastdarms z. B. werden ¿lurch die Wirkung des Sphincter ani die Wandungen eines nach Aussen aufgebrochenen Abscesses fortdauernd von einander gezerrt, da das zwischen Mastdarm und Sitzbein befindliche Bindegewebe an dem genannten Knochen unbeweglich befestigt ist. Noch schlimmer steht es mit der Vernarbung eines Kuochen-Abscesses, der zum grbssten Theil von starren Wandungen umgeben ist. — In anderen Fällen schieben sich Granulationshaufen vor die Oeffnung des Abscesses oder vor eine Ausbuchtung desselben, versperren auf diese Weise auch nach Eröffnung des Abscesses dem Eiter den Weg und hindern somit die Heilung"). 2. A b s o r p t i o n d e s E i t e r s . Der Inhalt eines Abscesses kann, ohne nach Aussen entleert zu w e r d e n , verschwinden. Für solche Fälle müssen wir annehmen, der Eiter sei in das Gefäss-System wieder aufgenommen worden. An eine Aufnahme der Eiterkörperchen durch Poren der Gefässe ist hierbei nicht zu d e n k e n ; nur das Eiter-Serum kann resorbirt werden, die Eiterkörperchen können sich aber vorher in diesem aufgelöst haben. W e n n Resorption des Eiters aus einem Abscess Statt findet, so bemerkt m a n , dass sein Volumen geringer, und sein Inhalt dickflüssiger wird. Eine solche Veränderung kann von einem Tage zum anderen in sehr auffallender Weise Statt finden. Zuerst wird immer das Eiter-Serum aufgesogen. Die Eiterkörperchen scheinen demnächst durch Umwandlung ihres Inhalts in Fett (fettige Degeneration) der ') Vgl. das II. Capitel des III. Abschnittes dieses Buches. *) Genauere Erläuterungen
hierüber giebt
der Aufsatz von W. R o s e r „über A b -
s c e s s - und F i s t e l k l a p p e n " , Archiv für physiologische Heilkunde, 1 8 5 6 , p . 3 4 9 .
Ernährungs-Störungen.
294
Auflösung entgegenzugehen. Lange, bevor das Mikroskop zur Aufhellung pathologischer Processe benutzt wurde, ist von D u p u y t r e n u. A. beobachtet worden, dass unzweifelhaft eiterhaltige Abscesse sich nach Resorption des Eiter-Serums in fetthaltige Cysten verwandeln können. Dies Fett ist dem Fettwachs, welches sich zuweilen in Leichen entwickelt (Adipocire), ähnlich befunden worden. Keineswegs ist aber die fettige Degeneration die einzige Umwandlung, deren Eiterkörperchen fähig sind. Dieselben können auch „verkäsen" oder „tuberculisiren", d. h. unter stetig fortschreitender Eindickung des Eiters einschrumpfen und dann körnig zerfallen zu einem allerdings auch resorbirbaren Detritus. Schliesslich wird auch die Abscess-Membran von den umliegenden Theilen verdrängt und auf eine fibröse Schicht reducirt, welche einer Inscriptio tendinea ähnlich ist. Es kann an der Stelle, wo der durch Resorption geheilte Abscess sich befand, ein äusserlich sichtbarer Eindruck zurückbleiben, welcher später, bei guter Ernährung, durch Fett ausgefüllt wird. Man betrachtet diesen Ausgang als einen günstigen und fürchtet doch anderer Seits die Aufnahme von Eiter in's Blut, welche man als Quelle der Pyämie betrachtet. Zwischen beiden Arten der EiterResorption ist aber ein wesentlicher Unterschied. Bei der hier in Rede stehenden wird Eiter-Serum, welches noch durch keine atmosphärischen Einflüsse verändert ist, nachdem es vorher die mehr oder weniger dicke Abscess-Membran passirt h a t , in das Gefäss-System aufgenommen. Hierdurch wird eine nachtheilige Veränderung der Blutmasse nicht bedingt. Ganz anders verhält es sich bei der Resorption von Eiter-Serum, welches unter dem Einflüsse der Luft und der in ihr schwebenden organischen Keime in der Zersetzung begriffen ist, welches fernerhin nicht erst durch eine Abscess-Membran gleichsam hindurch filtrirt, sondern direct von den Blutgefässen aufgenommen wird. Aber auch ohne Intercurrenz der Fäulniss kann die Resorption von Eiterbestandtheilen nachtheilig werden. Die zerfallene Masse, der sogen. Detritus, welchen „tuberculisirte" Eiterkörperchen liefern, kann, in die Blutmasse aufgenommen, in weit entfernten Organen, namentlich in der Lunge, die Veranlassung zur Entwickelung wahrer Tuberkel geben 1 ). D i a g n o s e . Mit Recht sagt S a m u e l C o o p e r : „Nichts verräth mehr den scharfen und geübten Blick eines Chirurgen, als die Leichtigkeit, mit welcher er tief gelegene Ansammlungen von Flüssigkeit erkennt: nichts kann das Vertrauen zu ihm so leicht erschüttern, als ein Irrthum, den er in dieser Beziehung begeht." Vgl. „ T u b e r k e l "
im 3 . C a p . des III. A b s c h n i t t s
dieses
Buches.
Abscess.
295
Es handelt sich darum, den Eiter unter den ihn bedeckenden Theilen direct zu erkennen, oder aber seine Anwesenheit auf Grund der Aetiologie und des Krankheitsverlaufes zu erschliessen. Hier werden zunächst nur die objectiven Merkmale für die Diagnose „Abscess" erörtert. In welcher Weise die Aetiologie und der Verlauf für die Diagnose zu verwerthen sind, kann erst bei den einzelnen Arten der Abscesse angegeben werden. Das entscheidendste Zeichen für die Anwesenheit des Eiters ist die F l u c t u a t i o n (Schwappung), d. h. die fühlbare Bewegung der Flüssigkeit in der Geschwulst, wenn man an dieselbe anschlägt oder einen plötzlichen, kurzen Druck auf sie ausübt. Es ist zuweilen nicht leicht, dieselbe wahrzunehmen, bald wegen der Dicke und sonstigen Beschaffenheit der den Abscess bedeckenden Theile, bald wegen der zu grossen Consistenz des Eiters, bald endlich wegen zu strotzender Anfüllung des Absccsses und dadurch bedingter, zu straffer Spannung seiner Wandungen. Dass auch der zuletzt erwähnte Grund das Gefühl der Fluctuation undeutlich machen kann, wird durch einen Versuch an einer strotzend mit Flüssigkeit gefüllten Blase erwiesen. Daher führt auch zuweilen ein kräftiges Abführmittel, indem es die Resorption eines Theils des Eiterserum bewirkt, die Möglichkeit herbei, die vorher mangelnde Fluctuation zu fühlen. Was die zu bedeutende Consistenz des Eiters als Grund des Fehlens der Fluctuation betrifft, so muss besonders hervorgehoben werden, dass es Organe giebt, in denen sich immer nür sehr dicker Eiter bildet. Aus diesem Grunde sind z. B. Leber-Abscesse, selbst wenn sie nahe unter der Haut liegen, oft schwer zu erkennen. — Flächenhaft ausgebreitete Abscesse (z. B. bei diffuser Phlegmone) zeigen wegen ihrer Ausbreitung in einer dünnen Schicht, oft gar keine oder doch undeutliche Schwappung. Um die Fluctuation in einer Geschwulst zu fühlen, muss man dieselbe fixiren, weil sonst durch die Bewegung, die man dem Inhalte mittheilen will, die ganze Geschwulst bewegt wird. Dies ist besonders zu beachten, wenn es sich um Abscesse der Milchdrüse, des Hodens, der Achselhöhle oder der Schenkelbeuge handelt. Man untersucht bald nur mit einem oder mit mehreren Fingern, bald mit einer oder mit beiden Händen. Bedient man sich nur e i n e s Fingers, so muss man mit diesem zugleich die Flüssigkeit in Bewegung setzen und auch die Bewegung fühlen. Dies Verfahren ist besonders zweckmässig, wenn der Abscess in einer Höhle liegt, z. B. im Munde. Man drückt mit dem Finger auf die Geschwulst und erhebt ihn dann schnell, ohne jedoch seine Berührung mit der Geschwulst ganz zu unterbrechen.
296
Ernährungs-Slöraogen.
Der durch den Druck verdrängte Eiter kehrt sogleich zu seiner früheren Stelle zurück, und stösst dabei gegen den zufühlenden Finger an. Bedient man sich zweier Finger, so legt man sie auf zwei, einander entgegengesetzte Punkte der Geschwulst; so wie der eine anschlägt, beobachtet der andere das Anstossen der in Bewegung gesetzten Flüssigkeit. Bei grösseren Abscessen, so wie auch bei tiefem Sitz derselben legt man mehrere Finger oder auch die ganze Hand an, uin den auf der anderen Seite der Flüssigkeit ertheilten Stoss wahrzunehmen. Selten wird man in einem Abscess eine so starke Schwappung entdecken, wie bei Ascites (Anfüllung der Bauchhöhle mit flüssigem Exsudat); dazu ist eine Grösse erforderlich, wie sie nur Abscesse am Becken oder im Oberschenkel oder zwischen Mamma und Thoraxwand in seltenen Fällen erreichen. Oft ist es sogar schwierig zu entscheiden, ob der dem zufühlenden Finger mitgetheilte schwache Stoss von der Bewegung einer Flüssigkeit oder von einer Verschiebung oder Compression der (vielleicht stark durchfeuchteten) Gewebe herrührt. In solchen Fällen muss man die angelegten Finger wiederholt ihre Rolle wechseln lassen und somit das Gefühl der Fluctuation bald auf dieser, bald auf jener Seite zu erzeugen suchen. Lässt sich die Geschwulst, in welcher man undeutlich Fluctuation gefühlt hat, gar nicht oder nur unter gleichzeitigem Auftreten von Fluctuation an einer dritten Seite, von zwei Seiten her comprimiren, so kann man mit Sicherheit auf die Anwesenheit von Flüssigkeit schliessen; gelingt dies nicht, so ist höchst wahrscheinlich keine Flüssigkeit in der Geschwulst. Zuweilen entschliesst man sich, in eine Geschwulst einzuschneiden, ohne deutlich Fluctuation gefühlt zu haben. Dann muss man nach Durchschneidung jeder einzelnen Schicht mit dem Finger zufühlen, ob in der Tiefe der Wunde Fluctuation zu entdecken ist, und im Falle die Wunde für das Einbringen des Fingers zu klein wäre, statt dessen sich einer möglichst dicken Sonde bedienen. Vorsichtig und streng antiseptisch ausgeführt, ist ein solcher diagnostischer Einschnitt entschieden weniger gefährlich, als die früher allzu beliebte ProbePunction (vgl. pag. 11), durch welche man sofort in's Innere der zweifelhaften Geschwulst eindringt. Unter den" Geschwülsten, mit denen Abscesse v e r w e c h s e l t werden können, nennt man vor Allem die P u l s a d e r g e s c h w ü l s t e , A n e u r y s m a t a , —bluthaltige Hohlgeschwülste, deren Höhle mit einer Arterie communicirt (vgl. Bd. II.). Zur Vermeidung einer solchen Verwechselung, welche namentlich bei den aus inneren Ursachen
Abscess.
297
(ohne vorgängige Verletzung) entstandenen Aneurysmen möglich wäre, hat man Folgendes zu beachten. Das A n e u r y s m a bildet zu Anfang eine weiche Geschwulst, welche auf Druck zum Theil oder ganz verschwindet. Der Abscess hingegen ist. von desto festerer Consistenz und desto weniger eindrückbar, je jünger er ist; in den ersten Zeiten seiner Entwicklung ist es ganz unmöglich, ihn auch nur im Geringsten durch Druck zu verkleinern. Im weiteren Verlaufe wechseln die Verhältnisse: der Abscess wird weich, das Aneurysma wird härter; und zwar findet die Veränderung der Consistenz bei dem Abscesse am Auffallendsten an der Spitze, beim Aneurysma am Deutlichsten an seiner Basis statt. Eine besondere Beachtung verdienen die Pulsationen, welche in beiderlei Geschwülsten gefühlt werden können. Ein Abscess hat oft seinen Sitz in den intermusculären Räumen, in deren Tiefe die grossen Arterien verlaufen, und kann durch die Pulsation dieser letzteren, mithin isochronisch mit dem Herzschlage, erhoben werden. Aber es handelt sich hier um eine der Geschwulst mitgetheilte Bewegung, welche nur an der dem pulsirenden Gefässstamme gegenüberliegenden Seite deutlich gefühlt und durch Verschiebung der Geschwulst (wenn diese möglich) sogleich unterbrochen werden kann. Ein Aneurysma dagegen zeigt uns Pulsation in seinem ganzen Umfange und zwar in der Form einer, isochronisch mit dem Pulse auftretenden, rhythmischen Erweiterung der ganzen Geschwulst, welche überall, wo man die Finger an sie anlegt, wahrgenommen und durch keine Verschiebung der Geschwulst geändert wird. Das mehr oder weniger lange Bestehen übt bei beiden Arten von Geschwülsten einen ganz entgegengesetzten Einfluss in Betreff -der Deutlichkeit der Pulsation aus. Je älter das Aneurysma wird, desto weniger deutlich sind seine Pulsationen, weil allmälig dickere Schichten von Faserstoff an seinen Wandungen abgelagert werden; je älter dagegen der Abscess ist, desto deutlicher werden, wenn er auf einer Arterie liegt, die ihm mitgetheilten Pulsationen, weil er, stetig wachsend, ihr immer näher rückt, und weil sein allmälig flüssig werdender Inhalt durch die Pulsschläge der Arterie immer leichter in Bewegung gesetzt wird. Die Verhältnisse werden viel complicirter und die Diagnose schwieriger, wenn Aneurysma und Abscess neben oder Uber einander bestehen. Dann verwirren sich alle die genannten Zeichen, und der Kranke kann das Opfer einer falschen Diagnose werden, wenn die Eröffnung nicht mit grösster Vorsicht unternommen wird. Man sollte nie zu der Eröffnung (auch nur zur Punction) einer irgend verdächtigen Geschwulst schreiten, bevor man nicht alle diagnostischen Hülfsmittel
298
Ernähruogs-Störungen.
erschöpft hat. Insbesondere ist die Auscultation in solchen Fällen nicht zu verabsäumen, welche im Aneurysma, wie wir bei dessen Beschreibung (Bd. 11.) genauer erörtern werden, charakteristische Geräusche erkennen lässt, die dem Abscess fehlen.
D. Behandlung. Gewöhnlich ist die E n t l e e r u n g d e s E i t e r s Heilzweck; nur in ganz chronisch verlaufenden Fällen darf und muss man die A u f s a u g u n g , insbesondere durch antidyskrasische Behandlung, durch die Anwendung von Abführmitteln, Einreiben von Quecksilber-Salbe, Aufpinseln von Jodtinctur, Druckverband u. dgl. zu begünstigen suchen. Allerdings ist es aber nicht immer gleich dringend, eine Eiteransammlung fortzuschaffen. Man hat die reizenden und zerstörenden Eigenschaften des Eiters vielleicht in zu grellem Lichte dargestellt; aber es bleibt nichtsdestoweniger unzweifelhaft, dass der Eiter einer Seifs mechanisch durch seine Anhäufung, andrer Seits durch seine chemische Einwirkung auf die umgebenden Theile, nicht blos in diesen, sondern auch im ganzen Organismus erhebliche Störungen bedingen kann (vgl. pag. 264 u. f.). Krankheit erregend wirkt ein Abscess in dieser Weise um so weniger, je dicker seine Abscess-Membran, je besser er „eingekapselt" ist. Je nach seinem Sitze kann er verschiedene locale Störungen hervorrufen, indem er z. B. wichtige Organe comprimirt, oder in eine Leibeshöhle seinen Inhalt entleert. Mit Berücksichtigung dieser Verhältnisse lassen sich folgende Fälle als solche bezeichnen, in denen die Eröffnung eines Abscesses keinen Aufschub erleiden darf: 1) wenn derselbe seinen Sitz in der A c h s e l h ö h l e , in der N ä h e d e s A f t e r s oder d e r U r e t h r a hat; 2) wenn der Eiter tief u n t e r f e s t e n f i b r ö s e n H ä u t e n liegt, wie z. B. an der Hand (insbesondere auch an den Fingern), am Fuss, in der Tiefe des Schenkels u. s. w.; 3) wenn von Anfang an w i c h t i g e F u n c t i o n e n durch den Sitz des Abscesses gestört oder bedroht werden, wie bei Abscessen im Pharynx u. s. f.; 4) wenn der Abscess durch seine N a c h b a r s c h a f t e i n e r d e r g r o s s e n L e i b e s h ö h l e n , einer G e l e n k h ö h l e , wichtigen S e h n e n oder einem K n o c h e n Gefahr droht; endlich 5) wenn der A u f b r u c h n a h e b e v o r s t e h t , also unter Verhältnissen erfolgen könnte, welche den aseptischen Zustand nicht völlig sicher stellen. Kann man aus äusseren Gründen die für nöthig erachtete Eröffnung nicht sofort vornehmen, so bedecke, man den Abscess und seine Umgegend in weitem Umkreise mit antiseptischen Verbandstoffen'). ') Die feuchten Carbol-Jute-Verbände sind hierzu besonders geeignet.
Abscess.
299
Nächst der Entleerung des Inhalts handelt es sich darum, die Eiterhöhle zum Verschluss zu bringen, also die Bildung der Granulationen zu befördern und endlich die Vernarbung zu leiten. Diese Indication ist fast immer schwieriger zu erfüllen, als die erste. Zunächst fragt es sich, ob die Quelle der Eiterung in dem Abscess selbst liegt, oder ob der Eiter dem Abscess von einem anderen kranken Organe zugeflossen ist und noch zufliesst (Congestionsabscess). In letzterem Falle ist die Behandlung gegen das kranke Organ, welches den Eiter liefert, zu richten. Wenn die Quelle der Eiterung in dem Abscess selbst liegt, so hat man, um sie zum Versiegen zu bringen, vor Allem antiseptisch zu verfahren, demnächst aber auch noch in einzelnen Fällen eine zu heftige Entzündung zu massigen, in anderen die Entzündung durch Reizmittel zu steigern (vgl. pag. 282 ff.), bald überdies eine störende Spannung aufzuheben, einen fremden Körper oder einen kranken Knochen zu entfernen oder eine vorliegende Dyskrasie zu beseitigen. Operative Behandlung der Abscesse.
Oncotomia.
Die o p e r a t i v e E r ö f f n u n g e i n e s A b s c e s s e s , O n c o t o m i a , war früher eine gefürchtete Operation, nicht blos weil man die Schmerzen scheute, sondern auch, weil man aus Erfahrung wusste, dass nicht selten eine „schlechte Eiterung" und gefährliches „Wundfieber" auf dieselbe folgten. Man wollte deshalb in der Regel nur „ r e i f e " , „zeitige" Abscesse öffnen lassen. Heut zu Tage hat das Chloroform die Furcht vor den Schmerzen verscheucht, und die antiseptische Methode beseitigt die Besorgniss, dass durch Fäulniss des in der Abscesshöhle zurückbleibenden und demnächst sich wiederansammelnden Eiters Fieber und Verbreitung der Entzündung in den benachbarten Geweben entstehen könnten. Daher sind denn auch die verschiedenen Operationen, welche man zur Eröffnung von Abscessen angewandt hat, — die Methoden der Onkotomie, ganz anders zu beurtheilen, je nachdem man sie antiseptisch ausführt oder nicht. 1. PüUCtion. Für die meisten kleinen Abscesse reicht ein einfacher Einstich mit der L a n z e t t e aus. Zu diesem Behufe wird die Lanzette, wie beim Aderlass gefasst, bis zur gehörigen Tiefe auf ein Mal eingestossen. Dass man tief geuug eingedrungen sei, ergiebt sich theils aus dem vorher erkannten Sitze des Abscesses und der Kenntniss seiner Bedeckungen, theils aus dem Hervordringen des Eiters neben der Lanzette. In anderen Fällen, besonders bei grösserer Ausdehnung des Abscesses, muss man entweder sogleich mehrere Ein-
300
Ernäbrungs-Störungen.
sliche machen, oder nach Verlauf einiger Zeit die Punction wiederholen. Um das Eindringen der Luft in die Abscesshöhle zu verhüten, haben B o y e r und G u e r i n einen s u b c u t a n e n Einstich empfohlen (vgl. pag. 97). In derselben Absicht bedient man sich auch namentlich bei tiefliegenden Abscesseu, des T r o i c a r t s und befördert die Entleerung durch Ansetzen eines Saug-Apparates (vgl. pag. 96). Um den Abfluss des Eiters durch relativ kleine Oeffnungen dauernd sicher zu stellen, erfand C h a s s a i g n a c 1 ) das D r a i n i r e n (le drainage). Mit einem überaus langen (je nach der Localität, graden oder gekrümmten) Troicart durchbohrt C h a s s a i g n a c den Abscess in seinem grössten Durchmesser, befestigt eine mit zahlreichen seitlichen Löchern versehene, lange Kautschukröhre von der Dicke des Lumens der Troicart-Canüle mittelst eines Fadens in einem hierzu eigens angebrachten schrägen Einschnitt an der Spitze des Stilets, zieht letzteres durch die Canüle zurück und führt auf solche Weise das dem Stilet folgende Rohr (den Drain, das Drainage-Röhrchen) ohne jede Zerrung durch den ganzen Abscess hindurch. Nicht immer erfüllt das Drainiren vollständig den Zweck, für welchen es ersonnen wurde. Der Eiterabfluss stockt, indem durch Blutgerinnsel oder Fetzen nekrotischer Gewebe die Röhren verstopft werden; oft fliesst nach einiger Zeit mehr Eiter nebenbei, als durch die Röhren, und die Gewebsfetzen werden durch letztere jedenfalls nicht entleert. Immerhin ist aber der „Drain" dem früher in ähnlicher Absicht durch die Abscesshöhle gezogenen H a a r s e i l bei Weitem vorzuziehen und gestattet in Verbindung mit der antiseptischen Methode Abscesse zur Heilung zu bringen, welche durch Punction und Aspiration nur vorübergehend entleert werden können. 2. EiuScbllitte. Ein einfacher, etwa ein bis zwei Drittel des grössten Durchmessers der Eiterhöhle spaltender Einschnitt wird am Häufigsten zur Eröffnung der Abscesse angewandt und erfüllt die Aufgabe, vollständige und schnelle Entleerung des Inhalts herbeizuführen, am Besten. Wenn der Abscess aber allzu gross ist, so thut man besser, statt eines grossen, mehrere kleine Einschnitte zu machen, von denen jedoch jeder einzelne gross genug sein muss, um den Finger einführen zu können. Man erreicht dadurch die vollständige Entleerung des Eiters und der etwa noch im Abscess steckenden nekrotischen Fetzen ebenso sicher und hat eine schnellere Heilung durch Verwachsen der Haut mit der unter ihr liegenden Abscesswand ' ) Traité p r a t i q u e de la suppuration et du drainage chirurgical. Paris 1 8 5 9 .
Vgl. die
sehr ausführliche Darstellung in G e o r g F i s c h e r ' s „Mittheilungen", Hannover 1 8 6 1 .
Abscess.
301
zu erwarten. Dies Verfahren ist von besonderem Vortheil bei weit ausgebreiteten Eiterungen im subcutanen Gewebe. Hat man dagegen mit einer tief liegenden Eiterung zu t h u n , so sind verhältnissmässig grosse Einschnitte nöthig, um mit der nöthigen Sicherheit und Bequemlichkeit weiter in die Tiefe dringen zu können. In solchen Fällen, zumal in einer Gegend, wo die Verletzung wichtiger Organe grosse Gefahren herbeiführen könnte, ist es der Vorsicht angemessen, die den Abscess bedeckenden Theile schichtenweise zu durchschneiden und jede neue Schicht sorgfältig mit dem Finger zu untersuchen, bevor man in dieselbe einschneidet. In äusserst schwierigen Fällen hat man wiederholt mit glücklichem Erfolge an die Stelle der Eröffnung die Blosslegung des Abscesses gesetzt, indem man die Eröffnung auf dem sicher gebahnten Wege der Natur Uberliess ( B 6 g i n , R o s e r ) . Die Richtung und die Stelle für den Einschnitt werden durch die Form und Lage der Geschwulst bestimmt. Im Allgemeinen folgt man dem grössten Durchmesser der Geschwulst, jedoch mit zahlreichen, durch die Localität, namentlich durch den Verlauf der grösseren Gefässe, der Nervenstämme und der Muskeln bedingten Ausnahmen. Auch wählt man gern den abhängigsten Theil für die Eröffnung, um eines ungestörten Abflusses des Eiters sicher zu sein. Aber oft erweist sich die Stelle, die vor der Eröffnung hierzu am Günstigsten erschien, später als ungeeignet. In solchen Fällen werden dann Gegenöffnungen nothwendig, um das Stocken des Eiters und die Bildung von Gängen so viel als möglich zu verhüten. Die durch die Abscesshöhle hindurch laufenden Stränge, in welchen gewöhnlich Gefässe und Nerven liegen, müssen nicht, wie früher üblich, zerstört, sondern geschont, alle gelösten Fetzen und Klumpen aber entleert werden. Dies geschieht durch Einführen des Fingers oder auch, wenn nöthig, durch (antiseptische) Einspritzungen. Macht man die Incision streng antiseptisch, so werden dadurch Heilungsresultate erzielt, wie sie bei grossen Abscessen kein anderes Verfahren aufzuweisen hat. Unerlässliche Bedingungen dazu sind, dass der Inhalt des Abscesses vollständig entleert und die Oeffnung durch einen starken Drain, welcher bis auf den Boden des Abscesses reicht und im Niveau der Haut glatt abgeschnitten ist, offen gehalten wird. Dann fliesst oft schon am 3. Tage nichts mehr aus, das Rohr kann entfernt werden und die Heilung von mehr als faustgrossen Abscessen ist nach 10—12 Tagen vollendet, — vorausgesetzt, dass die Quelle des Eiters nicht ausserhalb des Abscesses liegt, oder doch, wenn dies der Fall war, bereits versiegt ist.
302
Ernährungs-Störungen.
3. Kanterisiren. Aetzmittel wurden bei der Eröffnung von Abscessen in der Absicht in Gebrauch gezogen, das langsam fortschreitende „Verfahren der Natur" genau nachzuahmen. Allerdings wird bei der Aetzung in der Umgebung des absterbenden Hautstücks eine Entzündung hervorgerufen, welche zur Verdichtung der Gewebe führt, so dass der Weiterverbreitung des Eiters im Bindegewebe und der Aufnahme von Eiterbestandtheilen in das Blut vorgebeugt wird. Aber bei dem spontanen Aufbruch schreitet die Zerstörung der Weichtheile von Innen nach Aussen fort, so dass ein kegelförmiger Substanzverlust entsteht, dessen Spitze an der Hautoberfläche liegt, dass folglich die Oeffnung in der Haut und daher auch die später zurückbleibende Narbe klein ist, während bei der Anwendung der Aetzmittel sich Alles umgekehrt verhält. Immerhin ist es richtig, dass die nach der ohne antiseptische Cautelen ausgeführten Eröffnung eines grösseren Abscesses durch Schnitt oder Stich oft auftretenden Fieberbewegungen nach der allmäligen Eröffnung durch Aetzmittel fast nie beobachtet werden, — offenbar wohl weil bei dieser Methode der Eiter nicht mit Wundflächen in Berührung kommt und die Resorption des (pyrogonen) Eiterserums somit ausgeschlossen ist. — Messerscheue Kranke geben dem Aetzmittel unter allen Verhältnissen den Vorzug, ohne zu wissen, dass es gewöhnlich viel heftigere und jedenfalls viel länger dauernde Schmerzen hervorruft, als ein Schnitt. Die Anwendung des C a u t e r i u m a c t u a l e , im Alterthume die Hauptmethode für die Eröffnung der Abscesse, jetzt wegen der unnöthig grossen Zerstörung der Haut, gleich den Aetzmitteln fast ganz ausser Gebrauch, dürfte in solchen Fällen, wo eine heftige Entzündung gewünscht wird, dieser Indication bestimmter und sicherer entsprechen; als die Aetzmittel, — zumal bei grossen Abscessen. Namentlich vermag unter solchen Verhältnissen die g a l v a n o k a u s t i s c h e S c h n e i d e s c h l i n g e oft die Vortheile des Schnittes und der Kauterisation zu vereinigen. Man führt zu diesem Behuf mit Hülfe eines Troicarts oder einer langen Nadel den Platindraht durch die Basis des Abscesses und schnürt den umfassten Theil der Abscesswand, während des Erglühens des Drahtes, allmälig fester zusammen (vgl. pag. 112 u. f.). Auch der B l a s e n p f l a s t e r hat man sich bedient, nicht blos um die Resorption des Eiters zu befördern ( V e l p e a u ) , sondern auch um die Eröffnung zu bewirken. letzterem
Zwecke ist es jedoch
selbst
bei oberflächlichen
Eiteransammlungen
Zu not-
wendig, den Debergang der durch das Vesicans erregten Hautentzündung in Verschwörung durch
einen Verband mit ätzenden Substanzen herbeizuführen.
solche Weise das Entstehen
sehr vieler kleiner Oeffnungen bewirken,
der Eiter sich wie durch ein Sieb entleert.
Jedenfalls ist es
Man
kann
durch
auf
welche
ein sehr schmerzhaftes
und zeitraubendes Verfahren, welches der Fäulniss des Elters gradezu Vorschub leistet.
303
Abscess.
B.
Von den einzelnen Arten der Abscesse. 1.
Heisse oder phlegmonöse
Heisse oder „hitzige" Abscesse,
Abscesse.
Abscessus
calidi,
Resultat einer acuten Entzündung, am Häufigsten einer
sind das
Bindegewebs-
Entzündung (Phlegmone, vgl. Bd. II.). Gewöhnlich besteht ein solcher Abscess Jedoch
isolirt,
weil
Entzündungen
kommt es in Folge
der
Art
selten
multipel
schwerer acuter Krankheiten
nach Typhus) und im Verlauf gewisser
sind.
(namentlich
chronischer Leiden (Diabetes,
Brightsche Krankheit) auch zur Entwickelung phlegmonöser Abscesse in grösserer Anzahl
auf
ein Mal.
Der heisse Abscess kann in
liebiger Tiefe und in allen Organen vorkommen. Entstehungsweise ist folgende.
In dem entzündeten Gewebe entsteht
Eiter, zuerst mit Blutflüssigkeit,
oder auch wohl mit Blut
derselbe sammelt sich in kleinen immer
näher
rücken und
Theils
verschmelzen.
isolirten Herden,
endlich im Mittelpunkte
Dieser
be-
Seine gewöhnliche
Eiterherd
gemischt;
welche des
hat Anfangs
einander
entzündeten
eine
unregel-
mässige, vielfach ausgebuchtete Gestalt und ist oft durch Stränge und Scheidewände
mehr
oder
theilungen gesondert.
weniger
Indem
diese
vollständig in verschiedene Abletzteren allmälig zum
Theil ganz schwinden oder doch absterben, Höhle ü b r i g ;
die Geschwulst
grössten
bleibt zuletzt nur
eine
spitzt sich zu, d. h. ihre Mitte erhebt
sich auf Kosten ihres Umfanges.
Auch
die Rothe
concentrirt
sich
gegen die zugespitzte Mitte hin, wo sie intensiver und zuletzt bläulich wird,
während die
peripherische Röthe schwindet.
Härte in der Umgebung teigige Beschaffenheit. Gipfel
der Geschwulst,
lassen
nach;
Spannung
und
an ihre Stelle tritt eine mehr
Inzwischen ist die Fluctuation, namentlich am immer
deutlicher
geworden;
dort
hat
die
Spannung endlich einen so hohen Grad erreicht, dass eben nur noch der Durchbruch
übrig bleibt.
Der S c h m e r z ,
Entzündung spannend oder stechend w a r , Der Kranke
fühlt oft e i n ,
welcher während
wird gemeinhin
den Pulsschlägen
der
klopfend.
isochronisches Klopfen
in der Geschwulst, die ihm mit jedem Schlage ausgedehnt zu werden scheint.
Bestand
vorher
Eiterung meist durch
schon
Fieber,
Fällen durch einen Schüttelfrost bezeichnet. vorausging,
stellen
nicht selten ein. Fluctuation
fühlt.
so
wird
der Eintritt
unregelmässige Frostschauer,
in
der
erheblicheren
Auch wenn kein Fieber
sich Frostschauer im Beginne der
Eiterbildung
Man nennt den Abscess r e i f , sobald man deutlich Dann kann
man sicher sein,
dass auch
bereits
eine Abscess-Membran, wenigstens in rudimentärem Zustande, besteht. Der Inhalt
des reifen Abscesses ist im Wesentlichen
pus bonum et
304
ErnShrungs-Störungen.
laudabile (vgl. pag. 236), dem jedoch oft nekrotische Pfröpfe und Fetzen von Bindegewebe beigemengt sind. Sich selbst überlassen brechen diese Abscesse auf und entleeren ihren Inhalt nach Aussen (auf der Körperoberfläche) oder (viel seltener) in eine innere Höhle. Nur äusserst selten sieht man einen heissen Abscess durch Absorption verschwinden; ich sah es nie. Die Diagnose des heissen Abscesses stützt sich: 1) auf die vorausgegangenen Erscheinungen, die ätiologischen Verhältnisse und die Dauer der E n t z ü n d u n g ; 2) den Zustand der Umgebungen des Abscesses, insbesondere deren O e d e m ; 3) die F l u c t u a t i o n , das entscheidendste aller Zeichen. Die Prognose ist im Allgemeinen günstiger, als die aller übrigen Abscesse. Wenn L o c a l i t ä t oder G r ö s s e des heissen Abscesses keine Gefahren bedingt und die Eiterung nicht durch weiteres Fortbestehen der Veranlassungen des Abscesses (Knochensplitter, fremde Körper u. dgl.) unterhalten wird, so hat man vollständige Heilung zu erwarten. Behandlung. Oft müssen diese Abscesse frühzeitig, sogar vor dem Auftreten deutlicher Fluctuation geöffnet werden (vgl. p. 298); in vielen Fällen aber ist es zulässig, sie unter erweichenden Umschlägen und Bädern zur Reife kommen zu lassen und dann erst durch den Schnitt zu öffnen. Jedenfalls ist die weitere Behandlung, statt mit den früher üblichen Bourdonets und anderen Reizmitteln, streng nach der antiseptischen Methode (vgl. pag. 189) und, wenn diese misslingt oder versäumt wurde, in der bei der „Eiterung" angegebenen Weise (vgl. pag. 2 8 3 u. f.) einzuleiten und durchzuführen. 2.
Kalte Abscesse,
Lymph-Abscesse.
Ganz im Gegensatz zu den so eben erörterten sind die kalten Abscesse ( A b s c e s s u s f r i g i d i ) stets c h r o n i s c h und bestehen oft in grösserer Anzahl bei demselben Individuum, da sie fast immer auf einem Allgemeinleiden beruhen. Sie sind meist von mittlerer Grösse, besitzen immer eine vollkommen entwickelte Abscess-Membran und sind gewöhnlich so fest eingekapselt, dass man sie mit Cysten verwechseln kann. In einzelnen Fällen ist eine scharfe Unterscheidung zwischen einem kalten Abscess und einer Cyste ganz unmöglich. (Vgl. Abschnitt III.) Mancher dieser „eingekapselten kalten Abscesse" der älteren Autoren mag wohl ein vereitertes Schleimbeutel-Hygrom gewesen sein, da die Mehrzahl der Schleimbeutel früher unbekannt war. Der Inhalt eines kalten Abscesses zeigt immer einige Abweichungen von dem „guten Eiter"; insbesondere ist derselbe nie so gleich-
305
Abscess.
förmig, sondern enthält weisse oder gelbliche, käseartige Flocken, die in einer schleimigen, fadenziehenden, halbdurchsichtigen Flüssigkeit schwimmen. Die mikroskopische Untersuchung weist eine grosse Armuth an eigentlichen Eiterkörperchen und ein relatives Ueberwiegen der Körnchenzellen nach. Oft sind nur Moleküle darin zu finden. Aetiologie. Kalte Abscesse beobachtet man fast ausschliesslich bei dyskrasischen Menschen, bei schlechter Ernährung und einem Aufenthalte in ungesunder Luft, namentlich nach wiederholten Erkältungen und Durchnässungen (häufig im Verlauf der B r i g h t ' s c h e n Krankheit); sie beruhen also in der grossen Mehrzahl der Fälle auf einem allgemeinen Leiden. Jedoch giebt es auch solche, welche nach einer Quetschung oder einem Schlage lange nachher entstanden sind. Oft gehen ihnen grade in solchen Fällen Blutergüsse voraus, welche durch Ungunst der Localität oder des Allgemeinbefindens nicht zur Resorption gekommen sind. Die früher sehr verbreitete Ansicht, es beruhten diese Abscesse auf einer Extravasaten von Lymphe, ist ganz unerwiesen und kann, nach neueren Untersuchungen, als so vollkommen beseitigt betrachtet werden, dass man auch den Namen „LymphAbscess", als einen irreführenden, entweder ganz fallen lassen oder doch nur zu der Bezeichnung der Folgen einer wirklichen Zerreissung von Lymphgefässen (vgl. Buch II.) benutzen sollte. Symptome and Verlauf. Ein kalter Abscess stellt eine weiche, scharf begrenzte, fast immer schmerzlose, sogar beim Druck meist unempfindliche Geschwulst dar, welche gewöhnlich dicht unter der Haut liegt und über welcher die Haut ihre normale Farbe besitzt. Fluctuation ist leicht zu fühlen, theils wegen der Dünnflüssigkeit des Eiters, theils wegen der oberflächlichen Lage und der gewöhnlich nicht strotzenden Füllung des Abscesses. Neben diesen örtlichen Symptomen ergiebt sich in der Regel aus der Untersuchung des übrigen Körpers oder aus der Anamnese ein dyskrasisches Leiden. Gewöhnlich entstehen diese Abscesse langsam, wenn mehrere vorhanden sind, einer nach dem andern; sie können Jahre lang bestehen, ohne sich im Mindesten zu verändern. Zuweilen verkleinern sie sich eine Zeit lang, um dann auf's Neue zu wachsen. In ihrer Umgegend besteht keine Entzündung; absichtliche Reizung derselben erregt, bevor nicht das Allgemeinleiden beseitigt ist, keine einfache Entzündung, sondern viel eher Verschwärung. Bei bedeutendem Wachsthum erregen sie durch Spannung und Compression der umliegenden Theile Schmerz; die Haut über ihnen wird dann verdünnt, dunkelroth und bricht endlich an einer oder mehreren Stellen auf. Durch die auf solche Weise entstandenen, gewöhnlich sehr kleinen Oeffnungen entleert sich B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
20
306
Ernährungs-Störungen.
der oben beschriebene, dünnflüssige Inhalt; nur in seltenen Fällen — wahrscheinlich in Folge der dem Aufbruch vorausgehenden Entzündung — verhält sich derselbe wie gutartiger Eiter. Nach einem solchen Aufbruch bleibt gewöhnlich ein, von wulstigen Rändern umgebenes, oft fistulöses Geschwür zurück, dessen Secret dünnflüssig und welches sehr schwer zu beseitigen ist. Besteht ein kalter Abscess lange in der Nähe von Knochen, so findet man die Knochen häufig von der Eiterung mitergriffen, — cariös. In solchen Fällen bleibt freilich fraglich, ob es sich um einen kalten oder um einen Congestions-Abscess gehandelt hat, dessen Eiter von dem Knochen herrührte. Letzteres ist immer das Wahrscheinlichere. Offenbar sind früher viele Gongestions-Abscesse für kalte Abscesse gehalten worden. Vgl. pag. 308. Die Prognose ist wesentlich abhängig von der Möglichkeit, das zu Grunde liegende Allgemeinleiden zu beseitigen; besteht ein solches nicht mehr, oder bestand es gar nicht, so ist die Prognose, abgesehen von localen Schwierigkeiten und Gefahren, günstig. Die Behandlung muss daher auch zunächst gegen die etwa vorhandene Dyskrasie und auf die Verbesserung der Ernährung des Kranken im weitesten Sinne gerichtet sein. Die ö r t l i c h e Behandlung wird zweckmässig erst eingeleitet, wenn die Constitution des Kranken sich bereits wesentlich gebessert hat. Alsdann fragt es sich, ob man den Abscess zur Resorption bringen oder öffnen und durch Granulation sich ausfüllen lassen soll. So gern man auch den ersteren Weg bevorzugt, so führt er doch gar zu selten zum Ziele. Als Mittel, welche die Resorption befördern sollen, werden empfohlen: spirituöse Einreibungen, häufiges Bepinseln mit Jodtinctur, Druckverband, kalte Douche, das Auflegen von Blasenpflastern ( V e l p e a u ) , Unterhaltung der Haut-Eiterung nach Entfernung der Epidermis durch Umschläge von Sublimatlösung ( R i c o r d und F r i c k e ) und andere Reizmittel. Zeigen nach Anwendung der genannten Mittel die Abscesse keine Neigung zur Resorption, während das Allgemeinbefinden sich bessert, so kann man unbedenklich zu ihrer Eröffnung schreiten. Dieselbe wird sogar nothwendig, wenn der Abscess an einer ungünstigen Stelle von selbst aufzubrechen droht, oder wenn er benachbarten Theilen gefährlich werden könnte. In kosmetischer Beziehung ist zu beachten, dass jeder spontane Aufbruch eine hässlichere Narbe zurücklässt, als ein Einschnitt. Auf die A r t d e r E r ö f f n u n g wurde früher grosses Gewicht gelegt; sie ist gleichgültig, wenn man nur beachtet, dass Fäulniss auszuschliessen und Steigerung der Entzündung hier nicht zu fürchten, sondern herbeizuführen ist.
Abscess.
307
In der wohlbegründeten Ueberzeugung, dass beim Zutritt der atmosphärischen Luft Jauchung in der Abscesshöhle zu erwarten sei, bevorzugte man diejenigen Verfahrungsweisen, welche die Entleerung des Abscesses mit vollständiger V e r h ü t u n g d e s L u f t e i n t r i t t s bewerkstelligen sollten, namentlich die sog. subcutanen Punctionen mit Lanzette oder Troicart unter sorgfältiger Hautverschiebung ( A b e r n e t h y ) , oder die Entleerung mittelst eines Saug-Apparates, nach der Empfehlung von J. G u 6 r i n u. A. Vgl. pag. 96 u. f. Bei sorgfältiger Durchführung der antiseptischen Methode verdient auch bei diesen Abscessen die Oeffnung durch Schnitt viel mehr Vertrauen, als die Anwendung irgend eines complicirten Instrumentes. Die übrigen Verfahren, welche fast nur noch als Curiositäten zu erwähnen sind, suchen eine kräftige Granulationsbildung in dem Abscess entweder v o r oder n a c h seiner Eröffnung zu erregen. 1) Verfahren von B e i n l , welcher ein A e t z m i t t e l auflegt, den Brandschorf spaltet und endlich einen Druckverband nebst reizenden Umschlägen anwendet. 2) Durchziehen eines H a a r s e i l e s , welches, a) nach W a l t h e r , schon am 1. oder spätestens am 3. Tage wieder ausgezogen werden soll, damit es nicht Eiterung, sondern nur adhäsive Entzündung errege (?), durch welche unter Anwendung der Compression baldiger Verschluss erzielt werden soll, während b) L a n g e n b e c k d. Ä. das Haarseil über der Geschwulst zusammenband, bis es die Decke derselben ganz durchgeschnitten hatte. 3) C h a s s a i g n a c ' s D r a i n a g e (vgl. pag. 300). 4) I n j e c t i o n reizender oder ätzender Substanzen (namentlich Jod- oder Canthariden-Tinctur) nach vorheriger Eröffnung des Abscesses mit der Lanzette oder dem Troicart. 5) S p a l t u n g des Abscesses, a) in seiner ganzen Länge, nach L i s f r a n c , oder b) bis zur Hälfte des grössten Durchmessers, nach Z a n g , welcher demnächst ätzende Flüssigkeiten mit Hülfe von Charpiebäuschen in die Höhle einbringt. 6) Oeffnung mit dem G l ü h e i s e n , nach R u s t , oder 7) mit der galvanokaustischen Schneideschlinge, nach M i d d e l d o r f (vgl. pag. 302). Findet sich nach der Eröffnung die den Abscess bedeckende Haut sehr verdünnt, bläulich oder gar dem Absterben n a h e , so schneidet man sie in dem ganzen Umfange der Geschwulst weg. Callisen empfahl dies als ein allgemein anzuwendendes Verfahren auch für solche Fälle, wo die Haut unversehrt und lebenskräftig war. Dieser Rath hat oft seinen guten Grund, da in vielen Fällen das Stagniren des Eiters unter den dünnen Rändern die Heilung hindert, worauf wir bei den „sinnösen Geschwüren" im nächsten Abschnitt zurückkommen werden. 20*
308
Ernährung? Störungen.
3.
Senkungs- oder
Congestions-Abscesse.
S e n k u n g s - A b s c e s s e , A b s c e s s u s c o n g e s t i v i s. m i g r a t o r i i , sind eingekapselte Ansammlungen von Eiter, welche nicht an der Stelle, an welcher sie zum Vorschein kommen, sondern in mehr oder weniger grosser Entfernung davon entstanden sind und- sich von ihrer Ursprungsstelle aus, zum Theil nach den Gesetzen der Schwere, grösseren Theils aber bei zunehmender Vermehrung ihres Inhalts in der Richtung des geringsten Widerstandes unter Verdrängung des losen Bindegewebes weiter ausgedehnt und scheinbar fortbewegt haben. Der Inhalt der Senkungsabscesse ist sehr selten pus bonum et laudabile; meist besteht derselbe aus einer dünnen Flüssigkeit, in welcher flockige fibrinöse Massen, auch wohl käsige Klumpen oder nekrotische Bindegewebsfetzen schwimmen. Kleine Knochenbröckel sind für denselben ebensowenig charakteristisch, wie ein auffälliger Gehalt an Kalksalzen; diese Beimengungen kommen nur in solchen Abscessen vor, welche von erkrankten Knochen ausgingen, — Absces ossifluents, nach G e r d y . Freilich bilden letztere die Mehrzahl der Senkungsabscesse. Entsteliangsweise. Gelegenheit zu einer solchen „Senkung" oder „Wanderung" des Abscesses geben vorzugsweise diejenigen Eiterungen, welche in grosser Tiefe, von einem Knochen oder einem Gelenk ausgehend, durch feste Fascien und Bänder an gleichmassiger Verbreitung gehindert und in bestimmte Bahnen eingezwängt werden. Das berühmteste Beispiel für diesen Vorgang liefern die Eiterungen, welche am vorderen Umfange der Wirbelkörper entstehen. Hier hindert besonders das, in solchen Fällen gewöhnlich noch verdickte Ligamentum longitudinale anterius eine gleichmässige Ausbreitung des Eiters; nur in longitudinaler Richtung, namentlich an den Seiten der Wirbelkörper bleibt der Weg offen. So geschieht es denn, dass Abscesse, welche von dem Körper eines Rückenwirbels ausgehen, längs der Wirbelsäule, dem die Aorta und den Oesophagus umhüllenden Bindegewebe folgend, ohne Gefährdung der Pleura hinter dem Zwerchfell zum Musculus Psoas und auf diesem (richtiger in dem die Vasa iliaca umgebenden Bindegewebe) zur Fossa iliaca gelangen und endlich in der Schenkelbeuge zum Vorschein kommen können. — Im Allgemeinen lässt die Bildung eines Senkungsabscesses voraussetzen, dass die Entzündung, welche seinen Inhalt lieferte, nicht sehr stürmisch verlief, wobei es leichter zum Durchbruch auf gradem Wege kommen würde, und dass die Eiterung anderer Seits andauernd genug war, um die Spannung der
309
Abscess.
Abscesswand stetig zu steigern und die benachbarten Gewebe zu verdrängen. Hatte dieselbe zu der Zeit, wo die Eiterung zu versiegen begann, noch keinen sehr hohen Grad erreicht, so kann der ganze Senkungsabscess durch Resorption verschwinden (vgl. pag. 293). Dauert die Eiterzufuhr aber stetig fort oder hat der Abscess zur Zeit ihres Erlöschens schon eine erhebliche Spannung der bedeckenden Haut bewirkt und dadurch, mit oder ohne Mitwirkung äusserer Einflüsse, Entzündung seiner Bedeckungen hervorgerufen, so eilt er dann auch, mag sein Verlauf vorher noch so chronisch gewesen sein, unter Schmerzen und Fieber dem Aufbruch zu, nach welchem durch Eintritt von Luft in die grosse, buchtige Höhle schnell Verjauchung bis zu dem noch nicht geheilten Ausgangspunkte der Eiterung hin (dem sogen. GrundUbel) mit allen ihren schlimmen Folgen sich einzustellen pflegt. Der letztere Fall ist bei Weitem der häufigere. Prognose. Deshalb steht dann auch der Senkungsabscess im Allgemeinen, namentlich aber der Aufbruch eines solchen mit Recht in dem Rufe grosser Gefahr. Eine specielle Prognose lässt sich freilich nur unter Berücksichtigung des Grundübels und der localen Verhältnisse stellen. Die Diaguose eines Senkungsabscesses stützt sich einer Seits auf die deutlich ausgeprägten Symptome des „Abscesses", anderer Seits auf die anderweitigen Erscheinungen, welche das Grundübel hervorruft. Ein solcher Abscess stellt eine langsam und schmerzlos wachsende, von Anfang an fluctuirende Geschwulst dar, über welcher die Haut so lange unverändert und auch verschieblich bleibt, bis die durch die Spannung bedingten Entzündungs-Erscheinungen auftreten. Die Therapie des Senkungsabscesses sucht vor Allem, das seiner Entstehung zu Grunde liegende Uebel zu heilen, — was freilich sehr selten schnell, oft garnicht gelingt. So lange die Gefahr des Aufbruchs nicht näher rückt, auch Störungen, welche von der Grösse des Abscesses abhängen, zur Beseitigung desselben nicht auffordern, kann man sich auf das Fernhalten aller Insulte (zu denen aber auch reizende Einreibungen und Pflaster zu rechnen sind) beschränken. Anderen Falls ist die Incision unter strenger Anwendung der antiseptischen Methode vorzunehmen, durch welche auch hier die Jauchung mit ihren Gefahren sicher verhütet und, sofern der Zustand des Grundübels es gestattet, völlige Heilung erzielt wird. Mit Recht bat man f r ü h e r , vor Einführung der antiseptischen Metbode, die Senkungsabscesse als „Noli-me-längere"
bezeichnet.
Durch die Incision
wurde der Zu-
stand fast immer verschlimmert und die schliesslichen Resultate der Punction, die in der Regel schnell wiederholt werden musste, waren nicht günstiger.
310
Ernährungs-Störungen.
Zweiter Abschnitt. B r a n d u n d V er s c h w ä r u n g . Erstes Capitel. Brand, Mortificatio, Necrosis. A. Vom Brande im Allgemeinen. Den Verlust der Lebensfähigkeit an einem Theile des Körpers — den örtlichen Tod — nennt man B r a n d , M o r t i f i c a t i o , N e c r o s i s . Zahlreiche andere Benennungen dieses Zustandes sind von den Autoren mit verschiedenen Nebenbedeutungen gebraucht worden. So nannte man, nach dem Vorgange des G a l e n u s , G a n g r a e n a („heisser Brand") die entschiedene Hinneigung eines Theiles zum Absterben (was wir heut zu Tage etwa N e c r o b i o s i s nennen würden), während beim S p h a c e l u s , dem „kalten Brande", vorausgesetzt wurde, dass jede Lebensthätigkeit erloschen und keine Hoffnung zur Wiederbelebung vorhanden sei. Andere bezeichnen als G a n g r a e n a oder M u m i f i c a t i o , den t r o c k e n e n , als S p h a c e l u s den f e u c h t e n Brand, während neuerdings G a n g r a e n a auch wieder speciell für den mit F ä u l n i s s (Sepsis) verbundenen Brand gebraucht wird 1 ). Feucht nämlich wird der Brand genannt, wenn die abgestorbenen Theile sich unter Fäulniss-Erscheinungen allmälig in einen Brei auflösen; t r o c k e n dagegen, wenn sie zusammenschrumpfen und hart werden. Den feuchten oder trockenen Zustand der abgestorbenen Theile durch besondere Namen hervorzuheben, ist nur insofern empfehlenswerth, als dabei zum Ausdruck gebracht wird, dass Tod und Fäulniss nicht nothwendig zusammengehören (wie man früher irrig annahm), dass die Fäulniss vielmehr ein Process ist, welcher sich an dem bereits Todten erst entwickelt, — also eine Complication des Brandes. Im Uebrigen ist der mehr oder weniger feuchte oder trockene Zustand todter Körpertheile theils von der Structur des todten Organs, theils von der zufällig angehäuften Säftemasse, theils von dem Vorhandensein oder Fehlen der Epidermis (welche die Verdunstung und somit die Austrocknung der brandigen Theile verhindert) abhängig. Die Benennung N e c r o s i s hat in D e u t s c h l a n d , namentlich durch V i r c h o w , allgemeinere Geltung erlangt, obwohl in der Chirurgie der Name N e c r o s e von alten Zeiten her speciell für den Vgl. P e r l s ,
L c h r b . d. allgem. Pathol. I. p a g . '.'43.
311
Brand.
Brand
der Knochen
der Name G a n g r ä n brauch;
auch in
eingebürgert war.
für Brand
diesem
Bei anderen Nationen ist
schlechtweg noch
Buche wird e r ,
wenn
allgemein in Ge-
überhaupt,
nur in
diesem Sinne angewandt werden. Aetiologie. wichtiger,
Das Studium der Ursachen
als auf ihrer Erkenntniss
allein
des Brandes
ist um so
die Möglichkeit der Ver-
hütung und somit der wichtigste Theil der Therapie beruht. In vielen Fällen
entsteht Brand
durch eine
plötzliche,
heftige,
physikalische oder chemische Einwirkung, welche gradezu Zerstörung alles Lebens herbeiführt ohne Vermittlung eines Krankheitsprocesses. Dahin
gehören
brennungen Substanzen schung
sehr hohe und sehr niedrige Temperaturgrade und E r f r i e r u n g e n ) ,
und
die
die Einwirkung stark
höchsten
Grade
und Z e r m a l m u n g ) .
Alle
mechanischer diese
wirken,
Gewebe entweder zersetzen oder zertrümmern, mechanisch zerstören.
(Vgl.
(Ver-
ätzender
Gewalt
(Quet-
indem
sie die
also chemisch,
oder
Verletzungen.)
Demnächst haben wir als Ursachen des Brandes eine Anzahl von Erkrankungen zu betrachten, die wir zur besseren Uebersicht in zwei Reihen sondern, j e nachdem sie wesentlich die Kreislaufsorgane (mit Einschluss des Blutes) oder das Nervensystem betreffen. 1.
Kreislaufsorgane.
Weitein die häufigsten —
Die hierher gehörigen Ursachen — bei
wirken,
indem sie den Strom
entweder schwächen, auch wohl ganz hemmen,
des Blutes
oder indem sie die
Zusammensetzung des Blutes verändern. Die den Blutstrom unterbrechenden oder behindernden Ursachen wirken entweder ausserhalb oder innerhalb der Gefässe. Von Aussen Gefässe,
mögen
wirken C o m p r e s s i o n sie
zufällig
oder
Compression der Gefässe von A u s s e n das Gefäss
umgebenden
Theile
und V e r s c h l i e s s u n g
absichtlich
zu
Stande
kann durch Anschwellung der
erfolgen.
Eine
heftige
Entzündung
in Theilen, welche von fibrösen Häuten fest umschlossen s i n d , durch Anschwellung der Seite
hin
Dabei
ausweichen
spielen
die
und Stränge)
entzündeten G e w e b e ,
können,
scheinbar
eigentlich
eine
der
kommen,
welche
nach
solche Compression
comprimirenden Theile
eine passive Rolle.
kann keiner
bewirken.
(fibröse
Häute
So verändert z. B. der
Ring, durch welchen bei einem Unterleibs-Bruche die Eingeweide aus der Bauchhöhle hervorgetreten sind, seinen Durchmesser nicht, sondern die Einklemmung Stande,
indem
häufig,
wie
chronische.
und dadurch die Gefahr des Brandes
das
die
hervorgetretene Eingeweide bisher
Hierher
erwähnten
acuten
kommen zu
anschwillt.
Ebenso
Compressionen,
gehören z. B. die Fälle, in
denen
durch
sind Ge-
Ernährungs-Störungen.
312
schwülste bei stetig fortschreitendem Wachsthum Gefässe zusammengedrückt und endlich zum Verschluss gebracht werden. Auch der D r u c k b r a n d , auf welchen wir weiterhin speciell eingehen, gehört hierher. Die i n n e r h a l b des Gefässsystems Statt findenden Veränderungen, welche durch Behinderung des Blutlaufes Brand herbeiführen, betreffen entweder das Herz, oder die Arterien, oder die Venen, oder endlich die Capillargefässe, häufig mehrere Abschnitte des Gefässsystemes zugleich l ). Die A r t e r i e n können an einer oder mehreren Stellen durch abgelöste Stückchen von sogen, atheromatösen Auflagerungen (vgl. Bd. II.), welche entweder in den grösseren Arterien selbst ihren Sitz hatten oder sich im Herzen befanden, verstopft werden: B r a n d d u r c h E m b o l i e . Trifft diese Verstopfung solche Arterienzweige, zu deren Stromgebiet durch collaterale Aeste das Blut gar nicht oder nur in unzureichendem Maasse gelangen kann, so verfallen die in dem gedachten Stromgebiet gelegenen Theile durch Mangel an Nahrungszufuhr unaufhaltsam dem Brande. Der nächste Grund liegt hier in der Verstopfung der Arterien; diese kann aber wiederum abhängig sein von Atherom oder endocarditischem Exsudat an einer Herzklappe, von welcher das kleine Stückchen sich ablöste, welches als fortgeschwemmter und weiterhin durch anklebende Gerinnsel vergrösserter E m b o l u s die Verstopfung der Arterien bedingte. Bevor man durch die Arbeiten von V i r c h o w diese Vorgänge kennen gelernt hatte, leitete man den Verschluss der Arterien und die darauf beruhenden Formen des Brandes von Entzündung der Arterien, Arteritis, ab. Sofern Auflagerungen an den Herzklappen in Folge von Endocarditis, und diese wiederum als Folge von Rheumatismus acutus vorkommen, kann man behaupten, dass die letztgenannte Krankheit für die Aetiologie des Brandes von Bedeutung sei. Nicht ganz selten beobachtet man Fälle, in denen bei vorher gesunden jugendlichen Subjecten sehr schnell auf acuten Gelenkrheumatismus Brand an den unteren Extremitäten folgt, dessen Entstehungsgeschichte in obiger Weise zu deuten ist. Die von der atheromatösen Entartung abhängige R i g i d i t ä t d e r A r t e r i e n w ä n d e kann, wenn sie sich bis auf kleine Aeste erstreckt, auch ohne V e r s t o p f u n g d e r G e f ä s s e zur Entstehung des Brandes führen oder doch eine wesentliche Prädisposition dazu bedingen. Da in solchen Arterien weder die Elasticität, noch die Contractilität der ') Ueber den auf Verengerung der kleinsten Arterien beruhenden Brand (Brand durch I s c h ä m i e ) vgl. pag. 3 1 6 .
313
Brand.
normalen
Gefässwand zur Wirkung
hältnissmässig
kommt,
so bedarf es nur ver-
geringfügiger Veranlassungen,
herbeizuführen,
die einen höchst
um
Kreislaufsstörungen
nachtheiligen Einfluss auf die E r -
nährung des betreffenden Theils haben müssen.
Kommt hierzu eine
gesunkene Thätigkeit des Herzens, wie namentlich bei fettiger Degeneration
seiner Musculatur,
durch Klappenfehler,
oder
krankten Arterien noch mehr, von Gerinnseln,
eine Schwächung
seiner Triebkraft
so leidet die Blutbewegung im Bereich der erund es kann entweder durch
Bildung
namentlich in den kleinsten Venen, auch ohne Hin-
zutreten anderer ätiologischer Momente, oder durch Vermitlelung einer, nach
verhältnissmässig
unbedeutenden
Reizungen
auftretenden
Ent-
zündung, zu ausgebreiteter (oft selbst über den ganzen Unterschenkel sich fortsetzender) brandiger Zerstörung k o m m e n : B r a n d
der Alten,
G a n g r a e n a s e n i l i s . — Das Greisenalter ist aber keineswegs ein n o t wendiges Requisit für diese Art des Brandes. Anämie und
an jugendlichen Individuen obachtet,
Bei hohen Graden von
erheblicher Abschwächung der Heizkraft hat man auch mit gesunden Arterien Fälle der Art be-
meist symmetrisch an den E x t r e m i t ä t e n 1 ) ,
oder a u c h ,
wie
B i l l r o t h a ) einmal sah, an der Nasenspitze beginnend. Auf den Brand
ersten Blick
durch
Embolie,
erscheint es auffallend,
als
auch
derjenige
dass sowohl der
durch Schwächung
Blutstroms (der sogenannte senile Brand) vorzugsweise a n teren
Extremitäten
Offenbar
ist
für
die
der bequemste Weg Aeste,
da alle
den
des un-
und meist von den Zehen aus sich entwickelt. aus dem Aortenbogen
herrührenden
derjenige in die Arteria
anderen
Zweige
unter
cruralis
Emboli
und in deren
grösseren Winkeln
abgehen.
Man würde aber sehr irren, wenn man glauben wollte, dass nur auf diesem
Wege
Gehirnarterien
Emboli und
fortgeschwemmt
anderer
werden.
namentlich
Verstopfungen
kleinerer
Aeste
können
der in
derselben Weise zu Stande kommen ; nur werden diese kein Gegenstand chirurgischer Therapie. Brandes
an den Zehen
Die vorwiegende Häufigkeit des s e n i l e n
und von
da weiter
aufwärts
am
Unter-
schenkel erklärt sich aus der grösseren Entfernung dieser Theile vom Herzen.
So lange das Blut, wie im normalen Zustande, durch glatte
elastische Röhren strömt, wird sich die Kraft des Herzens auch ebensogut
auf die entferntesten,
erstrecken.
wie
auf
die
nächstgelegenen
Arterien
Sind diese Röhren aber starr und in ihrem Inneren rauh,
so wird mit der Entfernung vom Herzen auch die Stromkraft abnehmen. ' ) Vgl. R a y n a u d , mités.
Paris
de l'asphyxie locale et de la
gangrène s j m m é l r i q u e des extré-
1862.
' ) Allgemeine c h i r u r g . Patbol. u. Therapie.
4 . Aufl.
Berlin 1 8 7 0 . pag. 3 3 6 .
314
Ernährungs-Störungen.
Der s e n i l e B r a n d bildet, insofern ihm Stockung des Blutes in den Capillargefässen oder den zunächst gelegenen Venen zu Grunde liegt, den Uebergang zu dem sogenannten e n t z ü n d l i c h e n B r a n d e . Die E n t z ü n d u n g kann nämlich nicht blos durch die bereits erwähnte Einklemmung der Entzündungsgeschwulst (vgl. pag. 311) oder durch übermässige Heftigkeit, indem das Exsudat die Gewebe so vollständig erfüllt, dass Blutzufuhr fernerhin unmöglich wird, sondern auch bei a s t h e n i s c h e m Charakter Brand herbeiführen. Hierbei handelt es sich dann entweder um eine durch vorausgegangene Erkrankungen bedingte Abschwächung der Herzkraft oder um Entzündungen in Theilen, welche schon früher unter allgemeinen oder localen Ernährungs-Störungen gelitten haben, so namentlich bei Wassersucht des Unterhaut-Bindegewebes (Oedern), bei vollständiger oder auch unvollständiger Lähmung der Theile (s. unten), u. s. f. Auch den, gewöhnlich mit erschreckender Schnelligkeit sich verbreitenden Brand an den Wangen und Lippen (seltener an den Genitalien) schlecht genährter Kinder, welcher als N o m a oder W a s s e r k r e b s (Cancer aquaticus) bezeichnet wird 1 ), ist man geneigt, aus einer asthenischen Entzündung abzuleiten. Wahrscheinlich hat auch der im Verlaufe des D i a b e t e s m e l l i t u s nicht selten auftretende Brand eine ähnliche Entstehungsgeschichte, obwohl hier, wenigstens bei älteren Leuten, häufig auch die oben erläuterte Aetiologie der Gangraena senilis zutreffen dürfte. Erstarrt ein die Gewebsmaschen vollständig erfüllendes fibrinöses, sogen, d i p h t h e r i s c h e s Exsudat, so wird dadurch auch die Ernährung aufgehoben und somit Absterben des ganzen Bezirks bedingt, in welchem die Exsudation stattfand. Die brandige Bräune und der Hospitalbrand liefern Beispiele für eine solche Entstehungsweise. Besonders häufig führen, selbst bei geringer Heftigkeit, solche Entzündungen zum Brande, die durch Einwirkung eines f a u l i g e n , in Z e r s e t z u n g b e g r i f f e n e n S t o f f e s hervorgerufen sind. Dahin gehören die Se- und Excrete, welche nach Verletzung ihrer Secretionsorgane oder Behälter in das benachbarte Bindegewebe sich ergiessen (infiltriren), ferner faulige Stoffe, die von Aussen eindringen, wie z. B. die Flüssigkeiten, welche die Gewebe eines Cadavers durchtränken (sogenanntes Leichengift), endlich aber auch eigenthümliche Secrete gewisser Thiere (Schlangengift) oder Säfte eines kranken Thieres (Milzbrand), vielleicht auch besondere, durch die Luft übertragbare ' ) Die Benennung C a n c e r ist für brandige Zerstörungen von C e l s u s im weiteren Sinne gebraucht, späterbin aber n u r für diese eine Form beibehalten worden (»gl. V i r c h o w ' s Handbuch der speciellen Pathologie
und Therapie Bd. I. pag. 2 9 0 ) .
Brand.
315
Krankheitsstoffe, wahrscheinlich mikroskopische Pilze und Keime ( c o n t a g i ö s e r und m i a s m a t i s c h e r B r a n d ) . Unzweifelhaft wirken alle die so eben aufgeführten ätiologischen Momente auch mehr oder weniger auf die Z u s a m m e n s e t z u n g d e s B l u t e s ein. Solche Veränderungen des Blutes, wahrscheinlich sehr verschiedener Art, können voraussichtlich auch in anderer Weise die Entstehung des Brandes wenigstens begünstigen, so namentlich bei Wassersüchtigen, in der Reconvalescenz von typhösen Fiebern u. dgl. m . ; j e d o c h bleibt es in diesen Fällen immer zweifelhaft, ob nicht das grössere Gewicht auf die Schwächung der Herzkraft zu legen ist. Krankheiten der V e n e n (insbesondere auch Verschluss derselben an einzelnen Stellen) haben keineswegs denselben Einfluss, wie die der Arterien. Die Venen liegen an den Extremitäten überall in zwei Schichten, einer oberflächlichen und einer tiefen, welche einander ergänzen. Wenn aber in irgend einer Weise der Rückfluss des venösen Blutes aus einem Theile v o l l s t ä n d i g behindert ist, so steht bestimmt Brand zu erwarten, mag auch die arterielle Blutzufuhr vollkommen frei geblieben sein. Die von den Venen h e r eingeleitete Z u r ü c k s t a u u n g macht es dem arteriellen Blut unmöglich in die Capillaren einzudringen, in denen allein seine e r n ä h r e n d e Qualität zur Geltung k o m m e n kann. Dies zeigt sich besonders deutlich an t r a n s plantirten Hautstücken, deren Venen durch Drehung oder Z e r r u n g comprimirt sind (vgl. Plastische Operationen), an Darmschlingen, welche in einer Bruchpforte oder in einer Bauchwunde eingeklemmt sind (vgl. Bd. III.), obgleich bei letzteren wohl auch die V e r d u n s t u n g nachtheilig wirkt. 2. N e r v e n s y s t e m . Nach den Angaben von Q u e s n a y 1 ) sollte Durchschneidung von Nerven den Brand derjenigen Theile, zu welchen j e n e verlaufen, zur Folge haben. Es ist aber unmöglich, die Nerven eines Theiles sämmtlich zu d u r c h s c h n e i d e n , wenn m a n dabei die Arterien unversehrt lassen will, da diese stets von feinen Nervenästchen umsponnen sind. Dennoch wird S c h w ä c h u n g des Nerveneinflusses allgemein als eine Veranlassung zum B r a n d e betrachtet. W a h r s c h e i n lich hat man dies auf die dem Experimente nicht überall zugängigen Gefässnerven zu beziehen, durch deren L ä h m u n g (Durchschneidung) zunächst Erweiterung der kleinen Gefässe und Steigerung der T e m p e r a t u r des betreffenden Theils ( C l a u d e B e r n a r d ) , weiterhin auch Stockung des Blutes bewirkt wird, w o r a u s sich mindestens eine P r ä disposition zum Brande erklären lässt. Dass eine solche durch L ä h m u n g e n b e d i n g t w e r d e , ist allgemein a n e r k a n n t , w e n n auch die ') Traite de la gaagréne. Paris 1750.
316
Ernährungs-Störungen.
Versuche von B i d d e r 1 ) entgegenstehen, in denen (beim Frosch) Zerstörung des Gehirns und Rückenmarks und Durchschneidung der zu einer Extremität tretenden Sympathicus-Aeste auf den Kreislauf in derselben keinen Einfluss ausübte. Rörpertheile, deren Gefühlsnerven gelähmt sind, zeigen sich aber noch in anderer Weise zum Brande prädisponirt, weil sie unbewusst durch Aufliegen, durch Verbandstücke, orthopädische Maschinen u. dgl. m. in viel höherem Grade gedrückt werden, als andere, in denen schon bei geringerem Drucke Schmerzen empfunden werden. Auch durch die, auf Nerven-Erregung beruhende Zusammenziehung der Capillargefässe, richtige)' der kleinsten Arterien, soll Brand veranlasst werden ( B r a n d d u r c h I s c h ä m i e ) . Namentlich sucht man auf diese Weise die räthselhafte Wirkung des Mutterkorns (Seeale cornutum) zu erklären. Nach längerem Genüsse dieser Substanz entsteht, neben anderen Krankheitserscheinungen (Kribelkrankheit, Ergotismus) , ohne dass irgend ein anderes ätiologisches Moment eingewirkt zu haben braucht, Brand, namentlich an den Extremitäten. Es wäre jedoch wohl möglich, dass nicht bloss die Einwirkung dieses Giftes auf die Nerven und Muskeln der Gefässwände, sondern auch allgemeine (toxische) Störungen des Nutritionsprocesses und Schwächung der Herzkraft hierbei in Betracht kämen. Jedenfalls lehrt die Erfahrung am Krankenbette, dass Störungen der Innervation, wenn auch nicht an und für sich Brand herbeiführen, doch in Verbindung mit anderen ätiologischen Momenten wesentlich zur Entstehung desselben beitragen können. So ist z. B. der Brand einer Extremität nach der Unterbindung ihres Arterienstammes viel mehr zu fürchten, wenn gleichzeitig auch der Nerv verletzt wurde, als wenn dieser ganz unversehrt blieb. Ueberhaupt entsteht Brand viel häufiger durch das Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r V e r a n l a s s u n g e n , als aus einer einzigen, und eigentlich haben nur die direkt zerstörend einwirkenden, chemischen und mechanischen Gewalten ohne Weiteres Brand zur Folge; in allen übrigen Fällen sind die prädisponirenden Ursachen von grosser Wichtigkeit.
Symptome and Verlan!'. In dem brandigen Theile, welcher als B r a n d s c h o r f , E s c h a r a , bezeichnet wird, hören B l u t b e w e g u n g und S t o f f w e c h s e l , E m p f i n d u n g und B e w e g u n g auf. Die T e m p e r a t u r ist die ihm von seinen Umgebungen mitgetheilte; Eigenwärme besitzt er nicht. ' ) M ü l l e r ' s Archiv, J a h r g a n g 1 8 4 4 , pag. 3 5 9 J a h r g a n g 1 8 4 6 , pag. 3 5 3 .
u n d Zeitschrift f ü r rationelle Medicin,
317
Brand. Die Behauptung
Dopuytren's,
dass die Temperatur eines
sogar niedriger s e i , als die seiner Umgebungen, ist unerwiesen.
brandigen
Theiles
Möglich wäre es j e -
doch, dass ein feuchter Brandschorf durch Verdunstung abgekühlt würde.
Was man von E r h ö h u n g der E m p f i n d l i c h k e i t bei einzelnen Formen des Brandes sagt, kann bei vollendetem Brande nur auf die Umgebungen des abgestorbenen Theiles Bezug haben. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Reizung einer Nervenfaser, gleichgültig an welcher Stelle ihres Verlaufs, stets am peripherischen Ende derselben empfunden wird. In derselben Weise, wie eine Quetschung des Nervus ulnaris in der Furche am Condylus internus bis in den vierten und fünften Finger Schmerz erregt, kann auch, nachdem Finger und Vorderarm brandig geworden sind, Schmerz in denselben empfunden werden, sobald eine heftige Erregung der zugehörigen Nerven an der Grenze des Brandigen oder weiter oben im Gesunden Statt findet. Auch m i t g e t h e i l t e ( p a s s i v e ) B e w e g u n g kann an brandigen Gebilden beobachtet werden. Brandige Zehen z. B. können noch bewegt werden, so lange ihre Sehnen unversehrt und mit den Knochen in Verbindung sind, da die bewegenden. Theile (die Muskeln) weit entfernt von dem Orte des Brandes liegen. Zuweilen zeigt der brandige Theil keine merklichen oder doch nur höchst langsam fortschreitende Veränderungen (durch Maceration). Dies sehen wir an nekrotischen Knochen und Knorpeln, also an Geweben, welche vorzugsweise reich an unorganischen Bestandteilen sind. Gewöhnlich aber verfallen die Brandschorfe, namentlich sofern sie Weichtheile betreffen, der Z e r s e t z u n g , bald unter den Erscheinungen des Eintrocknens, wenn die Blutzufuhr vollständig gehemmt und die Verdunstung der Flüssigkeiten begünstigt wird (trockner Brand, M u m i f i c a t i o ) , bald durch allmäliges Zerfliessen (Erweichung, C o l l i q u a t i o ) , indem ganz allmälig eine Umsetzung und Auflösung der organischen Substanz erfolgt, bald endlich, und zwar bei Weitem am Häufigsten, unter den Erscheinungen der Fäulniss ( S e p s i s ) . Letztere zeigt sich am Schnellsten und Deutlichsten bei dem Brande der dem Zutritt der Luft ausgesetzten Weichtheile, und zwar um so mehr und um so schneller, je mehr Flüssigkeit in dem Brandherde angehäuft war und je weniger derb das Gefüge der ergriffenen Gewebe ist; besonders schnell also im losen Binde- und Fettgewebe, in Muskeln, viel langsamer an Sehnen und Gelenkbändern. Die F a r b e der brandigen Theile wird dann in der Weise verändert, dass die sonst vorherrschende röthlich-weisse Färbung, in Folge der Zersetzung des Blutfarbestoffs und unter Einwirkung des in den faulenden Theilen sich entwickelnden Schwefelwasserstoffs, durch
Ernährungs-Störungeo.
318
S c h w a r z verdrängt wird. Daher entstehen die verschiedenen Schaltirungen des Braun, Blaugrau, Graugrün, Grau, Gelbgrau. Zuweilen hat der Brandschorf eine entschieden gelbe, in seltenen Fällen eine weisse Farbe. Dann muss schon vor dem Beginne der brandigen Zerstörung eine relative Blutleere bestanden haben. Das V o l u m e n der Theile ist beim feuchten Brande, wo dieselben stark von Flüssigkeiten durchtränkt sind, vermehrt, beim trockenen Brande dagegen vermindert. C o n s i s t e n z u n d E l a s t i c i t ä t werden durch den Brand vermindert; die brandigen Weichtheile, ihres Turgor Vitalis beraubt, fühlen sich (sofern sie nicht mumificiren) entweder teigig an, oder sie lassen, wenn in ihnen bereits Fäulnissgase angehäuft sind ( b r a - n d i g e s E m p h y s e m ) , beim Betasten das emphysematöse Knistern (pag.20) wahrnehmen. Der G e r u c h , welchen brandige Theile verbreiten, hat etwas Specifisches, wird jedoch erst wahrgenommen, wenn die Haut zerstört oder Uber den brandigen Theilen eingeschnitten ist. In ersterem Falle erhebt sich (beim feuchten Brande) die Epidermis zu Blasen, welche bald mit heller Flüssigkeit, bald mit stinkender brauner B r a n d j a u c h e gefüllt sind, wie dies bei den „Verbrennungen" specieller geschildert werden wird. Genauere
Untersuchungen
über
Theilen
lieferte H e r m a n n
Demme
Brand,
Frankfurt a. M. 1 8 5 7 ) .
die
anatomischen
(Deber
Veränderungen
die Veränderungen
Am Schnellsten
wird
in
das Blut verändert;
körperchen lösen sich auf, und der Blutfarbestoff wird theils krystallioisch den, theils tränkt e r ,
brandigen
der Gewebe
durch
die Blutausgeschie-
im Serum diffundirt, die Gewebe und zersetzt sich mit ihnen.
Die Zellen des Fettgewebes werden zersprengt,
die daraus hervorgebenden
Fetttropfen
schwimmen theils frei umher, theils bilden sie Emulsionen mit den albuminösen Substanzen.
Es scheint j e d o c h , nach D e m m e , dass die Masse von F e t t , welche in der
Brandjauche und in brandigen Theilen überhaupt vorkommt, sprengten
Fettzellen
ableiten
lässt,
sondern
zum Theil
sich nicht blos aus zer-
einer
fettigen
Umwandlung
eiwei8shaltiger Gebilde ihren Ursprung verdankt.
Zu diesen örtlichen Veränderungen gesellen sich alsbald a l l g e m e i n e E r s c h e i n u n g e n , durch Rückwirkung des Brandes auf den übrigen Körper, und zwar um so mehr, wenn die brandige Zerstörung nicht ganz unbedeutend ist und der Brand von einer inneren Ursache abhängt. Im letzteren Falle kann das dem Brande zu Grunde liegende Leiden bereits Fieber bedingt haben, bevor noch der Brand auftrat. Jedenfalls aber kommt es zu Fieberbewegungen, sobald brandige Gewebe in irgend erheblichem Umfange der Fäulniss verfallen. Es entsteht das mit Recht gefürchtete B r a n d f i e b e r der älteren, das s e p t i c h ä m i s c h e F i e b e r der neueren Autoren (vgl. pag. 266),
319
Brand.
mit weichem, kleinem, sehr frequentem Pulse, bedeutender tursteigerung,
grosser Benommenheit des Bewusstseins,
Tempera-
Ohnmächten,
Sehnenhiipfen, Flockenlesen, beängstigtem Athem, Durst, Brechneigung, Auftreibung des Unterleibs, stinkenden Durchfällen, trübem, zuweilen sehr dunklem Harne, icterischer Färbung der Haut, kalten, klebrigen Schweissen.
Diese
Fieber-Erscheinungen mögen
heftigen Erregung
des Nervensystems
zum Theil
beruhen,
auf der
hauptsächlich
sind sie abhängig von der Aufsaugung der B r a n d j a u c h e . steht deshalb
auch
der Umgegend
eine grössere Gefahr für den Kranken,
des Brandes sich nur
aber
Es entwenn in
eine geringe Entzündung ent-
wickelt, als wenn dieselbe von Anfang an mit einiger Heftigkeit auftritt. In den
durch
den Entzündungsprocess
verdichteten Gebilden ist die
Fähigkeit zum Aufsaugen erloschen und die Brandjauche daher durch dieselben, wie durch eine undurchdringliche Schicht, von dem übrigen Körper gesondert. Gewöhnlich
werden
die
subjectiven
Symptome
des
Brandes
von dem Kranken viel früher wahrgenommen, als der Arzt im Stande ist aus den vorerwähnten schliessen. Fällen,
objectiven
wo er nicht
plötzlich durch eine äussere
chemische Gewalt oder durch eine wird,
das Bestehen
desselben zu er-
Es treten nämlich als Vorboten des Brandes in denjenigen
eigentümliche
rheumatische
mechanische oder
heftige Entzündung
Schmerzen
auf,
oder gichtische gehalten werden,
und es gesellt
dazu das Gefühl von Kälte in den leidenden Theilen. auch Fälle
von
klemmung),
Brand
(insbesondere
herbeigeführt
welche gewöhnlich
für sich
Es giebt jedoch
in Folge von Druck und Ein-
welche mit unbegreiflicher Schnelligkeit verlaufen,
und
wo mit dem Auftreten der Schmerzen das Absterben des Theiles schon ganz
oder
beinahe unabwendbar ist.
Entzündungsschmerzen
hören
beim Eintritt des Brandes ganz gewöhnlich plötzlich auf. Der Brand kann von Anfang an d i f f u s oder c i r c u m s c r i p t treten.
Im ersteren Falle lässt sich die Grenze
stimmen,
oft nicht
einmal
storbenen Theiles zeigen
vermuthen.
dann
Fällen
(brandiges in
noch
auf
Oedem), anderen
Infiltration in
auf
anderen
abge-
und Röthung
Die Schwellung beruht in
des
Bindegewebes
auf
weit
Gasentwicklung
auf-
nicht be-
Die Umgebungen des
bedeutende Schwellung
und sind gewöhnlich von Blasen besetzt. einzelnen
desselben
im
mit
verbreiteten Bindegewebe
Blutwasser Eiterungen, (brandiges
Emphysem). In sehr seltenen Fällen tritt
Gasentwicklung
im
Bindege-
w e b e nicht erst in Folge beginnender Fäulniss, sondern als V o r l ä u f e r des Brandes auf.
Diese eigenthümliche Form des
diffusen
Bran-
320
Ernährungs-Störungen.
d e s , welche man als „gangrène foudroyante" oder, nach ihrem hervorstechendsten Symptom, auch als „ s p o n t a n e s E m p h y s e m " bezeichnet hat, ist immer nur nach schweren Verletzungen (namentlich Knochenbriichen), welche mit bedeutender Erschütterung des ganzen Körpers verbunden waren, beobachtet worden. Keineswegs aber handelt es sich hierbei um Eintreten von äusserer Luft, wie es beim traumatischen Emphysem vorkommt; sondern die Luft entsteht wirklich in den dem Brande verfallenden Theilen, unterscheidet sich aber von den Fäulnissgasen dadurch, dass sie weder nach Schwefelwasserstoff riecht, noch auch brennbar ist. Ob die das spontane Emphysem bedingende Luft aus dem Blute ausgeschieden oder durch eine eigen^ thumliche Zersetzung der Gewebssäfte gebildet wird, und welchen Antheil daran etwa die festen Gewebe und die gestörte Innervation derselben haben können, ist unbekannt. Mikroskopische Untersuchung der dem Emphysem benachbarten, dem blossen Auge braunblau erscheinenden Muskeln liess einen Zerfall in Fibrillen und beginnende Fettmetamorphose erkennen. Dieser emphysematöse Brand beginnt bald einige Stunden, bald erst einige Tage nach der Verletzung. Schnelle Entstehung und Verbreitung mit ebenso schneller Entwicklung eines schweren Allgemeinleidens zeichnen ihn aus. Der erkrankende Theil sieht blauroth aus, schwillt schnell auf, crepitirt bei der Berührung und ist kühler, als der übrige Körper. Der Patient kann ihn schwer bewegen und hat nur undeutliches Gefühl darin. Alsbald erheben sich vor den Augen des Beobachters auf der Haut, schnell aufwärts fortschreitend, blaurothe Blasen; der Brand ist nun vollendet, und Fäulniss folgt, wenn das Leben nicht, wie gewöhnlich, früher erlischt. Meine Beschreibung stützt sich auf eigenen Beobachtungen, von denen die ausgezeichneteste «on G l e i t s m a n n 1 8 6 4 ) mitgetheilt ist. —
(de emphysemate
Malgaigne
(Traité
traumatico spontaneo,
Gryphiswald.
des fractures etc. Paris 1 8 5 7 )
unter-
scheidet auch eine „mildere F o r m " des Spootanempbysems, welche ich nicht gesehen habe.
Vgl. G u r l t ,
tique, Paris
Knochenbrüche,
Bd. I ,
und D o l b e a u ,
de l'emphysème trauma-
1860.
Auch der Anfangs circumscript auftretende Brand kann weiterhin noch Fortschritte machen und der diffus auftretende kann seinerseits sich schliesslich begrenzen.
Hiernach unterscheidet man den s t e h e n -
den und den f o r t s c h r e i t e n d e n
Brand.
Dass d e r B r a n d s t e h t , erkennen wir aus der Entwicklung der D e m a r c a t i o n s - L i n i e , welche sich an der Grenze des Brandigen, in Gestalt eines hellrothen Saumes entwickelt.
Dieser Saum ist von ver-
schiedener Breite, gegen den brandigen Theil hin
scharf begrenzt,
und von mehr gesättigter Farbe, gegen die gesunden Partien hin all-
321
Brand.
mälig abblassend. Die Demarcations-Linie wird als das erste Symptom der rings um den Brandschorf sich entwickelnden Entzündung betrachtet, welche, nach der teleologischen Auffassung, zur Trennung des Todten vom Lebenden führen soll und deshalb D e m a r c a t i o n s E n t z ü n d u n g genannt wird. Die Entstehung der letzteren erklärt man denn weiter aus der reizenden Einwirkung, welche der Brandschorf, als ein zu dem übrigen Organismus nicht mehr gehöriger, also „relativ fremder" Körper, auf seine Umgebungen ausüben soll. In der That bedarf es aber dieser Annahme nicht, um die Entstehung des rothen Saumes rings um die Eschara zu verstehen. Mit dem Eintritt des Brandes gerinnt das Blut in den Adern des abgestorbenen Theils. Diese Gerinnung erstreckt sich auch in die Blutgefässe der lebend gebliebenen Umgebung so weit, als die Bewegung des Blutes gehemmt ist, in der Regel also in jedem Stämmchen bis zu dem nächsten der innerhalb der lebenden Gewebe abgehenden Seitenästchen. In Folge davon werden letztere, in welche das Blut nun mit dem jenen Stämmchen zukommenden Druck einströmt, ausgeweitet und überfüllt. Der Gesammtausdruck ihrer Ueberfüllung ist die intensive Röthung des den Brandschorf umgebenden Saumes. Aus den überfüllten G e i s s e n tritt aber auch eine grössere Menge von Blutflüssigkeit aus, durch welche die benachbarten Gewebe stärker durchfeuchtet, gelockert und zur Schwellung gebracht werden. An allen diesen Vorgängen nimmt der Brandschorf nicht Theil. Aus diesem dringen dagegen, wenn er auch nicht der Fäulniss verfällt, doch jedenfalls todte Säfte in die umgebenden Gewebe ein, in denen sie die Entzündung schon, so zu sagen, vorbereitet finden, welche durch ihre Einwirkung bald zur Eiterung und Granulationsbildung gesteigert wird. Auf solche Weise entsteht weiterhin, durchschnittlich innerhalb 4 bis 8 Tagen an der Stelle der Demarcations-Linie eine den Brandschorf umkreisende, mit Eiter gefüllte Vertiefung, der D e m a r c a t i o n s - G r a b e n . Dieser wird nach und nach breiter, theils durch Auflösung oder Schrumpfung der todten Gebilde, theils durch Zusammenziehung der lebendigen, insbesondere durch die Elasticität der Haut. Gleichzeitig wächst auch seine Tiefe; die umgrenzenden Granulationen liefern bei längerem Bestehen grosse Massen von Eiter und bilden zuletzt durch ihre Verdichtung eine Art von Abscess-Membran. Bei flächenhafter Ausbreitung des Brandes entwickelt sich auch u n t e r dem Brandschorfe Entzündung und demnächst Eiterung, also eine D e m a r c a t i o n s Fläche. Solcher Gestalt wird das Brandige an allen Seiten vom Lebenden gesondert, der Brandschorf, überall von Eiter oder Jauche umspült, nur an einzelnen Strängen (Sehnen, Gefäss- und NervenB a r d e l e b e u , Chirurgie.
3. Aufl. I.
21
322
Ernährungs-Störungen.
strängen) längere Zeit noch hängend, fällt endlich entweder von selbst ab, oder kann doch ohne Schwierigkeit entfernt werden. Die Richtung, in welcher der Deniarcationsgraben in die Tiefe dringt, ist sehr verschieden und lässt sich nicht im Voraus bestimmen; insbesondere ist es unmöglich voraus zu wissen, bis zu welcher Höhe die Sehnen und Knochen der Zerstörung verfallen werden. Beiderlei Gewebe widerstehen gewöhnlich lange Zeit, werden aber zuletzt in grösserer Ausdehnung als die Haut abgestossen, die Sehnen meist bis zu ihrer Anfügung an die Muskeln. Während die Entzündung in der nächsten Umgebung des brandigen Theiles in Eiterung Ubergeht, bewirkt sie im weiteren Umkreise Verdichtung und Verwachsung (Adhäsion) der Theile unter einander, so dass man allerdings sagen kann, es gehe hier der Diaeresis stets Synthesis voraus. Diese Verwachsung ist gewöhnlich so vollständig, dass auch die vorher schon durch Gerinnsel versperrten Blutgefässe sicher verschlossen werden, wodurch einer Seits Blutung verhütet und anderer Seits die Resorption von Brandjauche verhindert wird. Aber arterielle Blutungen bleiben keineswegs immer aus, und Resorption der Brandjauche findet häufig genug in lebensgefährlichem Maasse Statt. Auch werden durch diese, früher als ein heilsames Bestreben der Natur übermässig gepriesene „adhäsive Entzündung" oft in sehr unerwünschter Weise Ausführungsgänge verengt oder verschlossen und dadurch bedenkliche Folgen herbeigeführt. Nachdem die Abstossung des Brandigen — unter den erwähnten Gefahren des Brandfiebers — glücklich vollendet ist, füllt sich der zurückbleibende Substanzverlust durch Granulationen, die demnächst vernarben. Natürlich kann von Wiederersatz nicht die Rede sein, wenn die ganze Dicke eines Gliedes vom Brand ergriffen wurde. Die Schnelligkeit, mit welcher der Wiederersatz, d. h. die Ausfüllung des durch Brand bedingten Substauzverlustes durch Narbengewebe erfolgt, ist verschieden gross, nicht blos nach der Ausdehnung, welche der Brand gewonnen hatte, sondern auch nach der Structur der erkrankten Theile, sowie nach dem Alter und dem Kräftezustande des Patienten. Selten geht die Demarcations-Entzündung beim Brande der Weichtheile nicht in Eiterung über, sondern in Neubildung von Bindegewebe, durch welche der brandige Theil a b g e k a p s e l t wird. An äusseren Weichtheilen und bei fauliger Zersetzung des Brandschorfs kommt dies niemals vor; dagegen werden wir einen solchen Vorgang der Abkapselung (Sequestration) bei der Nekrose der Knochen als ganz gewöhnlich zu beschreiben haben (vgl. Bd. 11.).
Brand.
323
DiagDOSe. Man sollte glauben, dass nach den oben angeführten Symptomen des Brandes die Diagnose keine Schwierigkeiten haben könnte. Dies mag auch für den vollkommen ausgebildeten Brand richtig sein. Der beginnende Brand dagegen ist sogar von geübten Beobachtern zuweilen verkannt, und von Anfängern sind manchmal Contusionen für brandige Zerstörungen gehalten worden. Bewegung und Empfindung können aufgehoben sein, es können die sogenannten Brandblasen aufschiessen, es kann sich emphysematöses Knistern (durch von Aussen eingedrungene Luft veranlasst) finden, und nichtsdestoweniger ist der Theil noch nicht immer verloren. Jedenfalls ist aber das Erkennen des beginnenden Brandes das Wichtigste. Man wird in zweifelhaften Fällen besser thun, mit Rücksicht auf die einzuleitende prophylaktische Behandlung, das Schlimmere anzunehmen, die Therapie also in der Art einrichten, als drohe der Brand. Demnächst handelt es sich darum, die A u s d e h n u n g des Brandes zu erkennen. Dies ist mit Gewissheit immer erst nach Bildung des Demarcations-Grabens möglich. Jedoch lässt in der Mehrzahl der Fälle schon das Auftreten der Demarcations-Linie annehmen, dass der Brand keine weiteren Fortschritte machen werde. Selten wird dieselbe noch nachträglich mit in den Bereich des Brandes gezogen. Vorher kann man nur, je nach der Natur und der Heftigkeit der Ursache, welche eingewirkt hat, oder nach den vorausgegangenen Krankheits-Erscheinungen mit einiger Wahrscheinlichkeit Vermuthungen über die Breite und Tiefe, bis zu welcher sich die Zerstörung erstrecken wird, aufstellen. Die Prüfung der Empfindlichkeit mit Hülfe der Acupunetur, welche von Manchen als sicheres Mittel zur Erkennung der Ausdehnung und Tiefe des zu erwartenden Brandes empfohlen wird, liefert nicht blos deshalb trügerische Resultate, weil hie und da unversehrte Nervenästchen durch brandige Theile verlaufen, deren Berührung dann gefühlt wird, sondern vor Allem weil sowohl nach gewaltigen Erschütterungen, als auch nach Erfrierungen oft grosse Bezirke für längere Zeit unempfindlich sind, welche dennoch ihre Lebensfähigkeit nicht eingebüsst haben. Proguose. Die Prognose des ausgebildeten Brandes ist in Betreff des brandigen Theils selbst immer schlecht; denn derselbe ist unrettbar verloren. Aber auch in Betreff des übrigen Körpers ist dieselbe bedenklich; septisches Fieber, profuse Eiterung, Blutungen, auch Tetanus können den Tod herbeiführen. Häufig bleiben fistulöse Geschwüre, deforme Narben u n d , in Folge der Narbenverkürzung, Verkrümmungen der Extremitäten und Verengerungen normaler Canäle zurück. Natürlich muss die Prognose, je nach dem Sitz, der Aus21*
Ernährungs-Störungen.
324
dehnung und der Veranlassung des B r a n d e s , sehr
verschieden sein.
Die Prognose eines brandigen Bruches ist übler, wenn eine Darmschlinge, als wenn
ein Stück Netz brandig geworden ist, und die
Prognose wird bei einem brandigen Darmbruche wiederum in mancher Beziehung verschieden Darmwand
sein, je nachdem
n u r ein kleines Stück der
oder aber eine ganze Schlinge zerstört ist.
äusserer Veranlassung gewährt, ceteris paribus,
Brand
aus
im Allgemeinen eine
bessere Prognose, als Brand aus inneren Ursachen. Günstig ist der Brand n u r in solchen Fällen, wo er krankhafte Geschwülste (parasitische Gewächse) zerstört.
B a y l e und D u p u y t r e n
sahen, dass krebsige Drüsen, von Brand ergriffen, gänzlich abgestossen w u r d e n ; R a y e r hat eine ähnliche Beobachtung an einem Hautkrebs gemacht1).
Jedoch war in den D u p u y t r e n ' s c h e n Fällen die dadurch
herbeigeführte Heilung keine dauernde. auch
niemals einen Vorzug vor
der
Dieselbe wird voraussichtlich absichtlichen
Zerstörung
Entfernung der Geschwulst besitzen. — Im weitesten Sinne hier auch
oder
würden
diejenigen Fälle in Betracht k o m m e n , in denen wir den
Brand absichtlich herbeiführen, um Gewächse zu entfernen, Abscesse zu öffnen, Fontanellen zu legen u. dgl. m.
In diesen Fällen wird der
Brand eine günstige Prognose
wenn
gestatten,
wir den
Heilzweck
durch ihn erreichen k ö n n e n , ohne dass aus der Localität oder Ausd e h n u n g desselben Gefahren erwachsen. Bcliaudluug-
Der ausgebildete Brand selbst kann eigentlich nicht
behandelt werden, da wir keine Mittel besitzen, Todtes wieder lebendig zu machen. nur
Die Behandlung
des Brandes bezieht sich
1) auf die Verhütung des B r a n d e s ,
daher
auch
2 ) auf die Verhütung und
Behandlung der übelen Zufälle, welche hinzutreten können, und 3) auf die Beförderung der Abstossung des Brandigen
und die Leitung der
Vernarbung. 1.
Prophylaktische
Behandlung.
In der irrigen Voraus-
setzung, dass der Brand gewöhnlich ein „ E n t z ü n d u n g s - A u s g a n g " sei, hat man f r ü h e r Blutentziehungen zur Verhütung des Brandes empfohlen. Wir können
denselben
Entzündung
erläuterte
keine a n d e r e , Bedeutung
als die bei der Therapie der
zugestehen.
solchen Fällen örtliche Blutentziehungen,
Gewöhnlich sind in
besonders hinreichend tiefe
Einschnitte, welche gleichzeitig die S p a n n u n g heben u n d der zu befürchtenden Einklemmung vorbeugen, dem Aderlass bei Weitem vorzuziehen, zumal die durch den letzteren bedingte V e r m i n d e r u n g der Blutmasse
die Neigung
zum
schnürung oder Einklemmung
Brand
erhöhen
könnte.
Besteht
Ein-
entzündeter 'fheile, so muss diese so
' ) Traite p r a t i q u e de9 m a l a d i e s d e la p e a u .
Paris
1 8 3 5 , t. II.
pag.
254.
Braod.
325
schnell als möglich beseitigt werden. — Handelt es sich (wie gewöhnlich) um einen asthenischen Zustand, so ist die roborirende Methode am Platze, namentlich nahrhafte, leicht verdauliche Kost; unter den Arzneimitteln sind Wein, Eisenpräparate (z. B. Tinct. ferri chlorati aetherea), China mit Säuren die wesentlichsten. Bei lebhaften Schmerzen und grosser Unruhe sind die schlafmachenden Mittel gradezu als Roborantia zu betrachten. — Beruht der Brand auf der Uebertragung eines Ansteckungsstoffes, so inuss dieser so schnell als möglich zerstört werden; ausserdem sucht man seinen Wirkungen durch innere Mittel vorzubeugen. — Wo Druck oder Zusammenschnürung die Veranlassung zum Brande geben, da sollen diese sobald als möglich beseitigt werden. Dies ist jedoch oft schwierig. Wie soll man es verhüten, dass bei einem Gelähmten oder bei einem Typhuskranken, der lange unbeweglich im Bette liegt, die Haut in der Gegend des Kreuzbeins oder des grossen Rollhügels nicht einem fortwährenden Drucke ausgesetzt werde? — Man kann ebensowenig dem Brande vorbeugen, der auf organischen Krankheiten des Herzens und der Arterien beruht. Dieselbe Behandlung, welche prophylaktisch gegen den Brand eingeleitet wurde, muss auch gegen die weiteren Fortschritte desselben angewandt werden, denn das Fortschreiten des Brandes ist immer ein neues Brandigwerden. 2. Von der grösslen Bedeutung ist die V e r h ü t u n g ü b e l e r Z u f ä l l e , namentlich der Jaucheresorption. Zu diesem Behuf sind vor Allem die bei der Therapie der Eiterungen (pag. 283) empfohlenen a n t i s e p t i s c h e n M i t t e l im ausgedehntesten Maasse und mit grösster Sorgfalt von Vornherein anzuwenden. Auch für gute Pflege und eine besonders nahrhafte, leicht verdauliche Kost und guten Wein ist zu sorgen. In vielen Fällen darf auch die vollständige Zerstörung des brandigen Theils (durch Salpetersäure, Chromsäure, Glüheisen), oder falls es sich um Brand an den Extremitäten handelt, die Beseitigung durch Abschneiden (Amputation) nicht gescheut werden, um das Leben zu retten. Allerdings wird es aber in der Mehrzahl der Fälle sehr schwer sein, den richtigen Ort für die Amputation zu bestimmen, bevor die Demarcations-Linie angedeutet ist, da man in der Regel doch nicht zu viel abschneiden will und anderer Seits die Schnitte jedenfalls in gesunden Geweben führen muss. Auch in dieser Beziehung gewährt die a n t i s e p t i s c h e M e t h o d e einen grossen Vortheil. Wird der dem Brande verfallende Theil durch rechtzeitige und nachdrückliche Anwendung derselben vor Fäulniss bewahrt, so kann man die Amputation, wenn sie sich nicht umgehen lässt, wenigstens
326
Ernährungs-Störungen.
ohne Schaden bis zur Demarcation des Brandes verschieben. Von besonderem Belang ist dies für die Behandlung des senilen Brandes und der Erfrierungen. Bei letzteren ist, wie wir später noch speciell zu erläutern haben, die Ausdehnung und Tiefe des Brandes b e s o n d e r s schwer zu erkennen. Beim senilen Brande aber f ü h r t j e d e Verw u n d u n g , mithin auch Operation, welche in der Nachbarschaft des erkrankten Theils ausgeführt wird, immer wieder zum B r a n d e und somit zu weiteren Fortschritten des Uebels, weil von d e r auf die V e r w u n d u n g folgenden Entzündung pathologisch veränderte (von atheromatösen Arterien durchzogene) Gewebe ergriffen w e r d e n (vgl. pag. 3 1 3 ) . Man muss deshalb beim senilen B r a n d e , wenn man den Beginn der Demarcation nicht abwarten kann oder will, stets in grosser E n t f e r n u n g von der Eschara ampuliren, z. B. bei Brand der Zehen im Oberschenkel. Die eigentliche B e h a n d l u n g d e r i i b e l e n Z u f ä l l e , also insbesondere der septischen lnfection, der Blutungen u. dgl. m . , ergiebt sich, j e nach der Verschiedenheit derselben, von selbst, da die Vorgänge der brandigen Zerstörung an der Behandlung der gedachten Zufälle Nichts ändern. Vgl. pag. 287 u. f. 3. Die B e f ö r d e r u n g d e r A b s t o s s u n g des Brandschorfs w a r eine sehr wesentliche Aufgabe, so lange wir noch keine Mittel besassen, um von ihm und dem ihn umspülenden Eiter die Fäulniss fern zu halten. Der Brandherd war auch ein J a u c h e h e r d . Je m e h r man davon mechanisch fortschaffen konnte und j e f r ü h e r dies geschah, desto besser. So wurde denn gradezu die Fäulniss b e f ö r d e r t , um die Lösung schneller herbeizuführen. F e u c h t - w a r m e Umschläge und Bäder mit allerhand, wie man glaubte, desinficirenden, desodorisirend e n , b e l e b e n d e n , reizenden, stärkenden Zusätzen (vgl. pag. 180) wurden hierzu angewandt. Von Vornherein antiseptisch behandelt, erheischt der Brandschorf keine solche auf die Beförderung der Abstossung gerichtete Behandlung. Gelingt es nicht Fäulniss fernzuhalten oder die eingetretene zu beseitigen, so bleibt allerdings nichts übrig, als die Lösung des Brandschorfs auf j e d e Weise zu b e f ö r d e r n , — abgesehen von den sogleich zu erwähnenden, mechanischen Hülfen — , namentlich durch warme Bäder und Berieselungen mit antiseptischen Flüssigkeiten. Zuweilen verzögert sich die Abstossung des Brandschorfes desh a l b , weil er durch einzelne Stränge, besonders in der Tiefe, festgehalten wird. Diese m ü s s e n , wenn die Verzögerung lästig oder gefährlich wird, durchschnitten werden, wobei zu beachten ist, dass in denselben zuweilen kleine Arterien stecken. Man m u s s deshalb
327
Brand.
auch bei jedem Verbände den Brandschorf etwas erheben und bewegen, um sich Uber die Fortschritte der Ablösung desselben zu unterrichten. In einzelnen Fällen sucht man die Ablösung des Brandschorfes zu . v e r z ö g e r n , wenn man nämlich, wegen der Nachbarschaft eines grösseren Gefässes, bei zu früher Lösung eine Blutung fürchtet. Zur Verzögerung der Abstossung werden adstringirende Pulver oder Auflösungen von Alaun, essigsaurem Blei, schwefelsaurem Eisen, schwefelsaurem Zink empfohlen ( M a r j o l i n ) ; ich kann diese Wirkung der genannten Mittel nicht bestätigen. Durch antiseptische Behandlung wird die Lösung immer verzögert, durch Fäulniss befördert. Für die L e i t u n g d e r V e r n a r b u n g sind die bei der Eiterung (pag. 281 u. f.) gegebenen Vorschriften maassgebend. Viel h ä u f i g e r , brandigen
bei sogen, „ e i n f a c h e n E i t e r u n g e n ' 1 ,
als
Zerslörungen
auf
Schwierigkeiten,
a u c h in d e r H a u t s t a t t g e f u n d e n hört,
über
welche
hinüberwächst.
die
neue
haben,
Epidermis
zu von
weil deren den
hier
stösst
d i e V e r n a r b u n g bei
Substanzverluste,
Ausfüllung Bändern
namentlich
viel N a r b e D s u b s t a n z
her
langsam
und
ge-
schwer
Auf d i e s e m S t a d i u m v e r z ö g e r t e r V e r n a r b u n g b e z e i c h n e t m a n den g r a n u -
lirenden S u b s t a n z v e r l u s t , n a c h d e r a l t h e r g e b r a c h t e n W i r w e r d e n d e s h a l b e r s t im n ä c h s t e n forderliche Therapie näher
B.
Capitel auf
Nomenclatur,
als
„Geschwür".
die u n t e r s o l c h e n V e r h a l t n i s s e n
er-
eingehen.
Von den einzelnen Arten des Brandes.
Von d e n , der Aetiologie n a c h , zu unterscheidenden Arten des Brandes sollen hier der B r a n d d u r c h D r u c k , der H o s p i t a l b r a n d und der M i l z b r a n d genauer erläutert werden. Der Brand durch Druck (Decubitus) ist weder epidemisch, noch contagiös, sondern durchaus an individuelle Verhältnisse geknüpft; der Hospitalbrand dagegen entsteht durch ein sogenanntes Miasma, d. h. durch einen flüchtigen Ansteckungsstoff und tritt daher epidemisch a u f ; der Milzbrand endlich ist von einem fixen Contagium abhängig und entsteht durch Uebertragung von einem kranken Thiere auf den Menschen. Indem wir uns auf die genauere Beschreibung dieser besonderen Arten des Brandes beschränken, wollen wir keineswegs ausdrücken, dass andere nicht auch chirurgische Hülfe erheischen. Vielmehr ist auf deren Nothwendigkeit in unserer vorhergehenden Darstellung hinlänglich hingewiesen worden. Der Brand durch Zermalmung, Verbrennung und Erfrierung wird bei den Verletzungen berücksichtigt werden.
Ernährungs-StöruDgen.
328 I.
Druck-Brand, brandiges Aufliegen. Gangraena a decubitu. Decubitus gangraenosus.
Durch lange dauerndes Stillliegen im Bett oder durch chirurgische Bandagen und Maschinen können einzelne Theile in der Art gedrückt werden, dass Brand die Folge ist. Am Häufigsten entsteht der Brand durch Aufliegen an denjenigen Stellen, wo Knochenvorsprünge sich dicht unter der Haut befinden. Gewöhnlich beobachtet man ihn daher in der Gegend des Os sacrum und der letzten Lendenwirbel, demnächst in der Gegend des grossen Rollhügels des Schenkels, an der Ferse, seltener an den Schultern oder an anderen Stellen und am Seltensten da, wo nur Haut gegen Haut drückt, wie z. B. zwischen den Schenkeln und dem Scrotum. Aetiologie. In der grossen Mehrzahl der Fälle entsteht der Decubitus, wenngleich an solchen Stellen, welche dem Drucke besonders ausgesetzt sind, doch nicht durch den Druck allein, sondern auf Grund eines Allgemeinleidens. Wir sehen ihn bei solchen Kranken, welche an typhösen oder fauligen Fiebern, an bedeutenden Eiterungen u. dgl. leiden, nach grossen oder oft wiederholten Blutverlusten, auch nach einer sehr eingreifenden antiphlogistischen Behandlung in entzündlichen Krankheiten, also überhaupt da, wo die Ernährung des Körpers stark beeinträchtigt und der Blutstrom geschwächt ist, mit auffallender Schnelligkeit und in Folge eines unbedeutenden Druckes zu Stande kommen, während Menschen, welche übrigens gesund sind, einen viel stärkeren Druck lange Zeit ertragen können. Natürlich hat dies aber seine Grenzen; auch bei sonst gesunden Menschen kann durch einen sehr starken oder lange anhaltenden Druck Decubitus bedingt werden. Besonders hervorzuheben ist, dass an paralytischen und atrophischen Gliedern (z. B. Klumpfüssen) viel leichter, als an gesunden Theilen Brand durch Druck entsteht. Durchnässung, zumal mit Harn, Unreinlichkeit überhaupt und Erhitzung des betreffenden Theiles durch Liegen in Federbetten oder in einem zu heissen Zimmer begünstigen das brandige Aufliegen. Ob der Entstehung des Decubitus immer Entzündung vorausgehe oder nicht, ist streitig. T h o m s o n und, unter den Neueren, N e l a t o n sind der letzteren Ansicht, indem sie als nächste Ursache die Compression der Capillargefässe betrachten, während Andere (z. B. B e r a r d und D e n o n v i l l i e r s ) behaupten, dass dem Druck-Brande stets Entzündung vorausgehe. Vielleicht haben beide Parteien Recht; denn es giebt in der That zwei verschiedene
Decubitus.
329
Formen des Decubitus. Die eine entsteht mit sehr Schmerzhafter, durch helle Rothe, brennende Hitze und geringe Geschwulst ausgezeichneter Entzündung, aus welcher erst allmälig Brand hervorgeht. Bei der anderen entwickeln sich von vorn herein blaurothe oder gar blaugrüne Flecke, — ähnlich den Sugillationen nach Quetschungen —, auf welchen unter geringem Schmerz, aber bei gleichzeitigem Oedem der Umgegend, entweder Blasen, welche mit blutigem Serum gefüllt sind, oder aber sogleich Brandschorfe sich entwickeln. Die zweite Form findet sich häufiger bei Kranken, die an typhösen Fiebern leiden oder durch bedeutende Säfteverluste sehr schnell heruntergekommen sind. Blutergüsse zwischen die Gewebselemente bilden hier offenbar den Anfang des nekrotisirenden Processes. Diejenigen, welche behaupten, es gehe dem Decubitus immer Entzündung vorher, nehmen an, dass dieselbe bei der letzteren Form s e h r s c h n e l l , fast u n b e m e r k t , vorübergehe. Verlauf nud Ausgänge. Dauern die Ursachen des Decubitus fort, so breitet er sich immer weiter aus und zerstört nicht blos die Haut und das subcutane Bindegewebe, sondern- auch die Fascien, Muskeln, ja sogar das Periost und den Knochen. In einzelnen Fällen hat man beobachtet, dass, nachdem die fibröse Haut, welche das untere Ende des Canalis sacralis verschliesst, durch den Brand zerstört war, die Rückenmarkshäute von Entzündung ergriffen oder mit Brandjauche infiltrirt wurden, so dass eine Meningitis spinalis dem Leben schnell ein Ende machte. Jedenfalls trägt der Decubitus zur Beschleunigung des tödtlichen Ausganges der Krankheiten, zu denen er sich gesellt hat, erheblich bei, indem durch die Schmerzen, das Fieber und die Eiterung (selten durch Blutungen) die Kräfte des Kranken untergraben werden. Oft giebt grade eine Decubitusstelle zur Entwicklung der Septichämie Veranlassung; in anderen Fällen geht Thrombusbildung in den Venen, welche weiterhin zur Pyämie führt, von dem Brandherde eines Decubitus aus. Gelingt es, die Ursachen des brandigen Durchliegens zu beseitigen, also insbesondere die gesarnmte Ernährung zu verbessern und den Druck zu entfernen, so wird der durch den Brand bedingte Substanzverlust bald durch Granulationen ersetzt. Hieraus ergiebt sich denn auch Die Proguose des Decubitus. Je weniger er auf örtlichen Veranlassungen beruht, je schneller er entsteht und fortschreitet, je weniger schmerzhaft er ist, desto schlechter sind die Aussichten; daher bei der ersten der oben unterschiedenen Formen im Allgemeinen besser, als bei der zweiten. Die Behandlnog hat theils die inneren, theils die äusseren Ur-
Ernährnngs-Störungen.
330
Sachen zu bekämpfen, also die Ernährung des Kranken zu verbessern, der fehlerhaften
Blutmischung
rungen zu beschränken seitigen.
Der
entgegen
zu arbeiten,
profuse
Eite-
u. s. f., und anderer Seits den Druck zu be-
erste Theil
der
Behandlung
gehört
also
wesentlich
in das Gebiet der inneren Medicin und muss, j e nach der bestehenden inneren Krankheit, verschieden sein. Die Verhütung des Druckes ist gewöhnlich mit vielen Schwierigkeiten verbunden. häufigen
Wechsel
Körpers
nicht
immer auf
Wirksamkeit ist Decubitus nicht
Selten reicht es aus, den Kranken nur zu einem der Lage
sowohl
denselben
die sorgfältige
Bereitung sondern
damit
Punkt
zur Verhütung,
auf F e d e r b e t t e n ,
liegen;
aufzufordern,
das
drücke.
Gewicht Von
des
grösserer
als auch zur Heilung des
des Lagers.
auf einer
Der Kranke
guten
muss
Rosshaarmatratze
das Betttuch oder die sonstigen Unterlagen des Kranken,
welchen zweckmässig
glatt
gegerbte Fälle
gewählt w e r d e n ,
straff angespannt sein und nirgend Falten machen.
zu
müssen
Durch Unterlegen
gepolsterter Ringe sucht man den Druck von den besonders gefährdeten Theilen abzuhalten. statische Betten,
Noch besser sind grosse Luftkissen oder hydro-
d. h. Säcke aus wasserdichtem Gummizeug,
in Ge-
stalt von Kissen und Matratzen, welche mit Wasser gefüllt sind. letzteren Punkte
schmiegen sich gleichmässig,
belästigen. sondern
Diese
genau der Körperform an und stutzen alle
ohne die hervorragenden Theile
besonders zu
Der Kranke darf unter dem Kopfe nicht viele Kissen haben,
muss möglichst
horizontal
liegen,
damit er nicht im Bette
hinabrutsche, wodurch auf das Kreuzbein immer ein besonders starker Druck ausgeübt wird.
Die grösste Reinlichkeit muss in j e d e r Bezie-
hung gehandhabt werden. und Faeces
Dies ist bei solchen Kranken, welche Harn
unwillkürlich
schwierig.
Deshalb
entleeren
kann
viel schwitzen,
ergiffenen Stellen
sein,
besonders
die vom Decubitus
bedrohten
oder
strichenes
Bleipflaster
schützen.
Letzterem wird von Manchen eine specifische Wirkung zu-
geschrieben.
bereits
und
es zweckmässig
oder
durch ein auf Leder
durch Ueberstreichen
mit Collodium
gezu
Eine solche hat es n i c h t ; die Schmerzen werden durch
dasselbe sogar vermehrt,
sobald die kranken Theile nicht mehr von
Epidermis bedeckt sind.
Während die bisher angegebene Behandlung
auf
beide Formen
zeigen
sich
des Decubitus in gleicher Weise
kalte Waschungen
und Umschläge,
anzuwenden ist,
das Auflegen
von
Citronenscheiben, Bestreichen mit Citronensaft, Umschläge von tanninsaurem Blei, und wenn die Schmerzhaftigkeit sehr gross ist, Umschläge von
lauwarmem
e r s t e n Form
Bleiwasser
besonders
und Verbände
nützlich,
während
mit
Zinksalbe
bei
bei der z w e i t e n
der Wa-
Hospltalbrond.
331
schungen und Umschläge von Kampherspiritus, einem Gemenge von Kampherspiritus und Bleiwasser, Chlorkalk-Lösung, so wie Verbände mit balsamischen Salben (Unguentum Elemi mit Zusatz von Kampher) vorzugsweise empfohlen werden. Im Uebrigen gilt Alles, was von der Behandlung des Brandes im Allgemeinen gesagt wurde. Von einem regelrechten antiseptischen Verbände kann in der Kreuzbeingegend so gut wie gar nicht, an anderen Stellen nur unter der Bedingung, dass jeder Druck vermieden wird, die Rede sein. II.
Hospitalbrand. Pourriture
G a n g r a e n a nosocoinial'is. d'hôpital1).
Schon seit den ältesten Zeiten, besonders aber seit Einführung der Schusswaffen, hat man beobachtet, dass Wunden zuweilen in eigenthümlicher Weise vom Brande befallen werden, und A m b r o i s e P a r é (im 16. Jahrhundert) war bereits geneigt, diese „Fäulniss" von einer „Luftverderbniss" abzuleiten. De l a M o t t e * ) erzählt, im Hôtel Dieu zu Paris habe sich diese Krankheit zu seiner Zeit (in der Mitte des 18. Jahrhunderts) fast zu allen Wunden gesellt, und man habe ihr statt des Namens Gangrène, um die Kranken nicht zu beunruh i g e n , die Benennung Pourriture gegeben. V i g a r o u x erzählt aus dem Anfange dieses J a h r h u n d e r t s von der Häufigkeit der Pourriture in den Hospitälern von Montpellier. D e l p e c h 3 ) , der dort im Hospital St. Eloi 150 Verwundete daran zu behandeln hatte, beschreibt den Hospitalbrand bereits als eine eigenthümliche Zersetzung der Weichtheile, vermöge deren sie verschwinden, ohne eine Spur ihres ursprünglichen Gewebes zurückzulassen, „indem sie in eine gleichförmige, stinkende Gallerte umgewandelt w e r d e n . " Die Schriften der Englischen Chirurgen bezeugen, dass der Hospitalbrand damals auf ihren Schiffen sehr häufig war. Während der Kriege von 1812 bis 1815 hat die Nosocomial-Gangrän in den Lazareten aller Nationen geherrscht. B a u d e n s 4 ) sah sie in einem afrikanischen Lazaret (während des ersten Feldzuges der Franzosen in Algier) nach allen grösseren Operationen den Tod herbeiführen. Auch die letzten Kriege dieses Jahr' ) Eine gute Uebersicbt der Geschichte und zur
Mitle dieses Jahrhunderts
der Litteratur des Hospitalbrandes bis
liefert die Dissertation
De gangraenae nosocomialis historia et literatura.
von H u g o
ZiemsseD:
Greif9wald 1 8 5 3 .
s
) Traite de chirurgie.
3
) Memoire sur la complication des plaies et des ulcères, connue sous le nom de
4
) Clinique des plaies d'armes à feu.
pourriture d'hôpital.
Paris 1 7 7 1 . Paris 1 8 1 5 . Paris 1 8 3 6 , pag. 68.
*) Vgl. M a c l e o d im Edinburgh med. Journal 1856, Mai u. f. und H. D e m m e , Militärchirurgische Studien in den Italiïnischen Lazareten von 1 8 5 9 .
Würzburg 1 8 6 1 .
332
ErnHhrangs-Störungen.
hunderts (Krimni, Oberitalien, Nordamerika, Deutschland, Frankreich, Türkei) haben den Hospitalbrand wieder in ihrem Gefolge gehabt; namentlich hat er während des Krimfeldzuges furchtbar gewüthet 5 ). Von besonderer Bedeutung für die Beurthcilung des Uebels waren die Beobachtungen, welche in den letzten 3 Jahrzehnten in CivilHospitälern gemacht worden sind, namentlich die von P i t h a ' ) in dem neuen Präger Krankenhause gesammelte Reihe von Fällen. KraokbeitSei'SCbeiuuugeu. Man unterscheidet zwei Formen des Hospitalbrandcs, die pulpöse und die geschwürige. 1. P u l p ö s e F o r m . Vorausgesetzt, es wird, wie es am Häutigsten geschieht, eine Wunde, die in Eiterung steht, von dieser Krankheit ergriffen, so scheint es zunächst, als sei der Eiter viel dicker geworden und als Hesse seine tiefste Schicht sich nicht wegwischen. Letztere erweist sich bei genauerer Untersuchung als eine dünne, fest haftende, schmutzig weisse, halb durchscheinende Pseudomembran. Die Dicke derselben vermehrt sich und ihre Farbe wird entschiedener g r a u ; dann erscheinen Blutstreifen in ihr, und wenn man mit dem Finger auf diese Schicht drückt, so findet man sie zerreiblich und leicht blutend. Man glaubt, man könne die Wunde rein wischen; aber man vermag in der That blos den oberflächlichsten Theil des Belags, welcher bereits zerfallen ist und in welchem es von Vibrionen wimmelt, wirklich zu entfernen; im Uebrigen verschiebt man nur die weiche, zähe Masse, welche an den unterliegenden Geweben (oder Granulationen) auf's Innigste haftet. 2. G e s c h w ü r i g e F o r m . Am Rande der Wunde erscheinen Bläschen, mit wässriger oder sanguinolenter Flüssigkeit von livider oder braunrother Farbe gefüllt. Nachdem sie sich geöffnet haben, bleibt ein aschgrauer Brandschorf zurück, welcher sich schnell vergrössert. Aus den Bläschen gehen auf solche Weise Geschwüre (kleine brandige Defecte) hervor, welche Anfangs einem festhaftenden Blutgerinnsel oder einem syphilitischen Geschwüre oder einer Aphthe ähnlich sehen können. Analog diesem Vorgange am Wundrande, bald gleichzeitig mit ihm, bald unabhängig davon, bilden sich mitten in den Granulationen mehr oder weniger bedeutende kraterförmige Vertiefungen, Anfangs von kreisrundem Umfange, mit scharf abgegrenzten Rändern, welche gleichfalls iu der Tiefe mit aschgrauen Schorfen (Pseudomembranen) ausgekleidet sind, und zwischen denen die blaurothen Granulationen wie Gebirgsstöcke emporragen. Das ganze Brandgeschwür zeigt daher ein eigentümlich zerfressenes Ansehn, wie Berg und Thal im Hochgebirge. ' ) Prager Vierteljahrsschrift, 1851.
333
Hospitalbrand.
An d e m s e l b e n K r a n k e n , j a s o g a r a n d e r s e l b e n kann man
beide Formen
neben
einander
kann sie daher nicht als wesentlich verschieden
Wunde,
beobachten,
man
ansehen.
Mag nun die Krankheit Anfangs in der einen oder anderen Form aufgetreten s e i n , Granulationen, Wundrand
so werden bei weiterem Fortschreiten zunächst die
dann die Umgebungen der Wunde ödematös und der
purpurroth gefärbt.
Der Hospitalbrand
kann,
Kranke kräftig ist und die Infection schwach w a r , Stadium auch
begrenzen.
Vernarbung.
Narbe ungemein langsamer
Dann Häufig
schnell
erfolgen.
gewöhnlich
erfolgt nach Vollendung treten
jedoch
Recidive
wenn
der
auf diesem
der Abstossung auf,
wobei
die
zerstört wird, während weitere Fortschritte
Diese
geschieht
sich
milderen
Fälle sind jedoch
im Gegentheil
die Ausbreitung
sehr
selten;
sehr
schnell.
Die Wundränder wulsten sich dann in grossem Umfange auf,
meist
durch ödematöse, seltener durch emphysematöse Schwellung, welche jedoch auch in mächtiger Verbreitung auftreten und zum Ausströmen stinkender Gase Veranlassung geben kann.
Der Geruch des jauchigen
Secrets der brandigen Flächen (welches namentlich bei der pulpösen Form sehr reichlich widerlich.
geliefert wird) ist in allen Fällen
Die Gewebe
werden
eigenthiimlich
allmälig in eine gehirnartige
Masse
umgewandelt, nach deren Abfall eine unförmige Geschwürsfläche übrig bleibt,
die sich fort und fort nach allen Richtungen hin vergrössert.
Manche Gewebe leisten etwas länger Widerstand, z, B. Arterien; aber endlich werden sie auch zerstört, und aus grösseren Arterien erfolgen oft gefährliche Blutungen, wenn vor der Lösung des Schorfes an der dem
Herzen
zugewandten
Seite
desselben
ein verschliessender
und
hinreichend fest haftender Thrombus sich noch nicht entwickelt hatte. Die
durch
Lösung Zeit.
den Hospitalbrand
und Ausstossung
Hierdurch
wird
entblössten Knochen
derselben
erfolgt
der Verschluss
sterben
aber erst nach
ab;
der Wunde verzögert,
daher dem wiederholten Einflüsse äusserer Schädlichkeiten,
die
längerer diese
namentlich
auch erneuter Infection ausgesetzt, und es erfolgen deshalb in solchen Fällen
doppelt leicht die dieser Krankheit eigenthümlichen Recidive.
Heftiger S c h m e r z
wird von dem Kranken
gleich zu Anfange,
gewöhnlich noch v o r d e m A u f t r e t e n d e r o b e n objectiven
S y m p t o m e empfunden.
beschriebenen
E r soll Anfangs zuweilen dem
eines Mückenstichs ähnlich sein, steigert sich aber meist schnell und ohne Intermissionen zu bedeutender Heftigkeit, so dass er dem Kranken den S c h l a f raubt. Die a l l g e m e i n e n Brande überhaupt;
Erscheinungen
verhalten s i c h , wie
namentlich stellt sich ein durch
erhebliche,
beim aber
Ernährungs-Störungen.
334
ziemlich unregelmässige Temperatursteigerungen und durch auffallende gastrische Störungen ausgezeichnetes Fieber (vgl. pag. 2 6 6 ) fast immer ein. Zuweilen treten gleichzeitig die Erscheinungen des Scorbut oder des Typhus auf. Im weiteren Verlauf können sich embolische Processe (vgl. pag. 2 7 2 ) hinzugesellen; dieselben sind jedoch seltener als man erwarten sollte, da durch Blosslegung von Venenstämmen häufig genug zur T h r o m b e n b i l d u n g Veranlassung gegeben wird. Wenn der Hospitalbrand bei einem sonst gesunden Menschen in geringer Ausdehn u n g auftritt, so können allgemeine Erscheinungen auch fehlen. Dass dieselben d e n l o c a l e n V e r ä n d e r u n g e n vorausgehen, istmindestens sehrselten. Die a u a l o m i s c h e U u t e r s u c h u u g der von Hospitalbrand ergriffenen Theile ergiebt, dass es sich um Auf- und Einlagerung eines pseudomembranösen Exsudats in die Wundflächen h a n d e l t , a n a l o g der D i p h t h e r i e der Schleimhäute. Dasselbe wird nicht blos auf der Oberfläche der Granulationen, sondern auch in grösserer Tiefe als eine d e r b e , t r o c k e n c , dem geronnenen Faserstoff ähnliche Masse zwischen den Gewebselementen abgelagert, es verdrängt und comprimirt diese und bedingt auf solche Weise das Absterben der granulirenden Fläche und ihrer Nachbartlieile'). O l l i v i e r ® ) bezeichnete den Hospitalbrand daher gradezu als D i p h t h e r i e d e r W u n d f l ä c h e n . Dies
hat
zu
der,
von J a c .
Heiberg
(Virchow's
Recht b e k ä m p f t e n A n s i e b t g e f ü h r t , als seien H o s p i t a l b r a n d häute wird
identisch. er
In
der
That
durch Ansteckung
zeitig v o r k o m m e n . —
von
Wenn
erzeugt dieser
aber
obgleich
1872,
Bd. 5 5 )
mit
und Diphtherie der Schleim-
Hospitalbrand
bedingt,
J. H e i b e r g
Archiv,
weder
beide
den H o s p i t a l b r a n d
als
Diphtherie,
allerdings eine
nur
oft
noch gleich-
durch
ihr
U m s i c h g r e i f e n a u s g e z e i c h n e t e F o r m des Zerfalls d e r G r a n u l a t i o n e n a u f f a s s t und als „ N e c r o s i s s e r p i g i n o s a " b e z e i c h n e n will, so vergisst er, d a s s die S c h w i e r i g k e i t , das U e b e r greifen des B r a n d e s auf die n o r m a l e n G e n e b e zu e r k l ä r e n , d a d u r c h n i c h t v e r m i n d e r t wird.
Aetiologie.
Die Ansichten über die E n t s t e h u n g s w e i s e
das W e s e n des Hospitalbrandes waren und sind getheilt.
und
Während
man f r ü h e r fast allgemein glaubte, dass er n u r durch ein Contagium hervorgerufen
und
weiter verbreitet werden k ö n n e , welches seinen
ersten Ursprung in überfüllten und schlecht gelüfteten Lazareten und Kriegsschiffen n e h m e n sollte, haben in n e u e r e r Zeit gewichtige Autoritäten die Ueberzeugung gewonnen, dass diese Krankheit auch epidemisch auftreten und
sich ganz unabhängig vom dem vermeintlichen
Ansteckungsstoffe der L a z a r e t e , weit entfernt von' diesen, in Städten ') D e m m e
b e s c h r e i b t (I. c.) eine Z e l l e n w u c h e r u n g in den u n t e r d e r P s e u d o m e m b r a n
liegenden G e w e b e n , d i e n u r z u m j a u c h i g e n Zerfall b e s t i m m t zu sein scheine, d e n von i h r a u s g e ü b t e n D r u c k a b e r vielleicht die specilischen S c h m e r z e n 2
durch errege.
) T r a i t é e x p é r i m e n t a l d u t y p h u s t r a u m a t i q u e , g a n g r è n e ou p o u r r i t u r e des h ô p i t a u x . Paris
1822.
Hospitalbrand.
335
und Dörfern entwickeln kann. Diese Ansicht ist von P i t h a 1 ) zuerst in überzeugender Weise, auf Grund einer grossen Anzahl höchst sorgfältiger B e o b a c h t u n g e n und Untersuchungen, entwickelt worden. Danach haben wir den Hospitalbrand als eine e p i d e m i s c h e Krankheit aufzufassen, gerade so wie die C h o l e r a , den Typhus, die R u h r , das Scharlachfieber, mit welchen der Hospitalbrand gewöhnlich zusammen auftritt. W e d e r v e r d o r b e n e Luft, noch ungünstige Lage des Lazarets, noch mangelhafte L ü f t u n g oder Reinlichkeit 2 ), noch unrichtige Beh a n d l u n g , schlechte Nahrungsmittel, Heimweh und a n d e r e traurige Gemüthsbewegungen ergaben sich ihn) bei der genauesten Beobachtung als ätiologische Momente, vielmehr ausschliesslich „ j e n e r epidemische Krankheits-Genius, der einer Seits exsudative Processe begünstigt und fördert, a n d e r e r Seits den Exsudaten einen verderblichen septischen Charakter a u f d r ü c k t " . Hieraus erklärt sich denn auch vollkommen nicht blos die „septische C o r r u p t i o n " des durch traumatische Einwirkungen veranlassten oder bereits anderweitig z. B. an Geschwüren bestehenden Entzündungsprocesses, sondern auch das Auftreten zahlreicher s p o n t a n e r g a n g r ä n ö s e r Phlegmonen, die u n t e r der Herrschaft jenes „ K r a n k h e i t s - G e n i u s " sich entwickeln. Dass P i t h a ' s Deus ex machina, „ d e r Krankheitsgenius", nicht auf rein dynamischen Veränderungen der Luft, s o n d e r n auf ganz materiellen Beimengungen von Pilzen o d e r anderen keimfähigen organischen Substanzen beruht, und dass man alles Recht h a t , diese als Ansteckungsstoffe ( C o n t a g i a ) oder auch als „ V e r u n r e i n i g e r " ( M i a s m a t a ) — nämlich der Luft — zu bezeichnen, d a r ü b e r k a n n heut zu Tage kein Zweifel sein. P i t h a stellt auch die Contagiosität des einmal entwickelten Hospitalbrandes nicht in A b r e d e ; aber die f r ü h e r herrschende Lehre, dass die Keimstätte des Hospitalbrandes n u r in Hospitälern zu s u c h e n sei, ist durch die Thatsache, dass ein grosser Theil der von ihm beobachteten Kranken mit vollkommen entwickeltem oder doch bereits deutlich eingeleitetem Hospitalbrande, theils aus der S t a d t , theils vom L a n d e h e r , in das K r a n k e n h a u s e i n t r a t , völlig widerlegt. Die von F o c k 3 ) in dem L a n g e n b e c k ' s c h e n Klinikum u n d von H. F i s c h e r 4 ) in der Charité
*) Prager'Vierteljahrsschrift 1 8 5 ) , UDd 8 6 — 8 9 .
Bd. II., pag. 27 — 1 0 1 ,
besonders pag. 7 7 — 82
Vgl. auch V i r c h o w , Spec. Pathol. und Therap. Bd. 1., pag. 292.
*) Ich habe fast 10 Jahre lang in einem der schlechtesten, unsaubersten Lazarete, dem alten „klinischen Lazaret" zu Greifswald, chirurgische Kranke zu bebandeln gehabt, ohne auch nur einen Fall von Hospitalbrand zu sehen. 3
) „Zur Aetiologie des Hospitalbrandes", Deutsche Klinik 1 8 5 6 .
4
) Der Hospitalbrand, eine klinische S t u d i e , nach Beobachtungen im verflossenen Jahre.
Annalen des Charité-Krankenhauses zu Berlin.
Bd. XIII.
1865.
336
Ernahrungs-Störungen.
zu Berlin gemachten Beobachtungen schliessen sich als weitere Beweisstücke an die von P i t h a gesammelten Fälle an. Während des Winters 1868/69 habe ich selbst in der Berliner Charité Gelegenheit gehabt, die Angaben der vorstehend angeführten Autoren, namentlich auch in Betreff des Vorkommens von ausgeprägtem Hospitalbrand an Kranken, die in Privathäusern ohne irgendwelche Beziehung zu einem Hospital gelegen hatten, vollkommen zu bestätigen. Eine scharfe Kritik der älteren Beobachtungen lässt auch erkennen, dass von früheren Autoren sehr gezwungene Erklärungen zu Hülfe genommen worden sind, um die ausserhalb ,der Hospitäler beobachteten Fälle der Krankheit als durch Uebertragung des Ansteckungsstoffes entstanden erscheinen zu lassen. Unzweifelhaft steigert sich aber die Krankheit zu der bedenklichsten Höhe, wo viele Kranke in einein relativ engen Raum zusammengedrängt weiden. Es ist eine alte und immer wieder auf's Neue gemachte Beobachtung, dass in neuen oder doch vollständig ausgelüfteten Krankensälen die Heilungen aller Verwundeten (namentlich bei bedeutenden Eiterungen) im Allgemeinen ungleich viel besser von Statten gehen, als in lange Zeit hindurch überfüllten Räumen. Wahrscheinlich steigert sich in letzteren der in der Luft schwebende Ansteckungsstoff (das Miasma) quantitativ und qualitativ, so dass er auf die neu eintretenden Kranken nicht blos in grösserer Masse, sondern auch mit grösserer Kraft einwirkt. G e s t ü t z t auf einige B e o b a c h t u n g e n von D e l p e c b ,
hat man behauptet, dass syphi-
litische u n d K r e b s - G e s c h w ü r e eine gewisse I m m u n i t ä t gegen H o s p i t a l b r a n d b e s ä s s e n ; ist dies j e d o c h d u r c h die B e o b a c h t u n g e n
Pitha's
es
widerlegt.
Die Diagnose des Hospitalbrandes wird nicht schwierig sein, wenn man vor Allem das c h a r a k t e r i s t i s c h e A u s s e h e n , den a n h a l t e n d e n S c h m e r z u n d d e n s p e c i f i s c h e n G e r u c h beachtet. Jedoch ist eine Verwechselung mit scorbutischer Verschwärung möglich, wenn der Hospitalbrand sehr langsam fortschreitet. Die Prognose ist im Allgemeinen ungünstig, da die Heilung der bestehenden Wunde jedenfalls eine erhebliche Verzögerung erleidet, da ferner häufig dauernde Störungen durch Narbenverkürzung oder gar durch Verstümmelung zurückbleiben und endlich Lebensgefahr (durch Blutungen, Thrombosen, Brandfieber) niemals ganz ausgeschlossen werden kann. Aber der Hospitalbrand ist doch bei Weitem nicht die übelste Complication einer Wunde, besonders wenn dieselbe nicht sehr gross, nicht anderweitig complicirt und der Kranke sonst gesund war. Sogar sich selbst überlassen, endet die Krankheit nicht immer mit dem Tode, besonders wenn die Wunde unbedeutend ist, und der Kranke den Ort der Ansteckung (resp. der Epidemie) ver-
337
Hospitalbrand.
lassen kann.
Die Gefahr
Schusswunden
tritt,
eiternde,
da
ist grösser, es sich
und in vielen Fallen
wenn
dann
der Hospitalbrand
immer
um eine tiefe,
mit Verletzungen
zu
stark
der Knochen
com-
plicirte Wunde handelt 1 ). Zum Behuf der Prophylaxis werden wir (was frei-
Behandlung.
lich bei keinem Kranken und insbesondere jemals verabsäumt den Krankensälen
werden zu
in keinem
sollte) Alles aufbieten,
zu
erneuern.
W i r werden ferner die einzelnen Hospitalbrand-Kranken,
wo möglich
in luftigen Zelten,
reinigen
und
möglichst
Krankenhause
um d i e L u f t in
oft
isoliren, ihnen besondere W ä r t e r ,
besondere Ge-
schirre und Instrumente, besonderes Verbandmaterial geben und streng darauf halten, dass Jeder, der beim Verbände eines solchen Kranken beschäftigt war, sofort seine Hände desinficirt. regeln,
denen
wir
als gleichberechtigt
Behandlung jeder eiternden
Diese Vorsieh Ismaass-
eine streng
antiseptische
W u n d e (vgl. pag. 2 8 1 u. f.) an die
Seite stellen, werden auch von Jenen gebilligt werden müssen, welche die Contagiosität ganz leugnen.
Natürlich würde man aber von diesem
Standpunkte aus eine eigentlich prophylaktische Behandlung, die E r füllung wir
einer I n d i c a t i o
gegen
causalis,
nicht beabsichtigen können, da
die Epidemie Nichts vermögen,
es sei denn durch einen
Ortswechsel, in der Voraussetzung, dass das zu schützende Individuum von den epidemischen Einflüssen noch nicht afficirt worden war. Die e i g e n t l i c h e m o r b i , soll, Contagium stören,
selbst
d. h.
Behandlung,
die
Erfüllung
der
Indicatio
nach der älteren Auffassung darauf gerichtet sein, das und
das
seine Wirkungen
an Ort und Stelle zu zer-
diphtheritische Exsudat,
in
und unter wel-
chem voraussichtlich die verderblichen Pilze wuchern, z u
zerstören
und
wenigstens
seine
Wiedererzeugung
zu
verhüten
seinen schädlichen Einfluss zu verhindern.
Dazu sind denn alle mög-
lichen Caustica und Antiséptica empfohlen worden. nach
ihn» B o y e r ,
den Vorzug,
dem
v. L a n g e n b e c k )
Dupuytren,
oder
Delpech
gaben
Pouteau2) dem
und
Glüheisen
auch jetzt noch bedeutende Autoritäten (so z. B. besonders zugethan
sind.
Delpech
wandte aber
auch concentrirten Weinessig, Höllenstein- oder, besonders wenn eine dicke pulpóse Schicht vorhanden war, Aetzkali in Substanz an. ')
Es ist unbegreiflich, n i e iibelste
Complication",
Delpech da
er
doch
lehren k o n n t e , selbst
einen einzigen verlor. —
Auch H. D e n m e
1859
nur
unter 1 2 5
Fällen
in
33
es sich durchweg um S c h u s s w u n d e n «) Oeuvres p o s t h u m e s , B a r d e l e b e n , Chirurgie.
von
Hospitalbrand sei die „ a l l e r -
seinen
150
Verwundeten
ernstere Allgemein-Erscheinuogen, handelte.
1 7 8 3 , T . I I I . pag. 2 2 7 u. f. 8. Aufl.
1.
nicht
(I. c.) sah in den ltaliän. Lazareten
22
obgleich
338
ErDähruDgs-Störungen.
Offenbar erfordern nicht alle Fälle eine gleich stark eingreifende Behandlung: in den leichleren wird man mit sorgfältiger Reinigung der Wunde und antiseptischen Mitteln auskommen können; in der Mehrzahl der Fälle aber ist eine wirkliche Zerstörung der ganzen Brandschicht bis in die gesunden Gewebe hinein dringend geboten. Ob diese mit dem Glüheisen oder mit irgend einem chemisch zersetzenden (Aetz-) Mittel erfolge, ist an sich gleichgültig. Es fragt sich nur, womit sie am Sichersten und Vollständigsten gelingt. Nach den neuesten Erfahrungen scheinen in dieser Beziehung die M i n e r a l s ä u r e n und besonders die r a u c h e n d e S a l p e t e r s ä u r e den Vorzug zu verdienen. Das in der Berliner Charité bewährte Verfahren ist folgendes. Nachdem der Kranke (sofern dies zulässig erscheint) chloroformirt ist, wird eine gründliche (nach P i t h a „forcirte' 1 ) mechanische Reinigung der ganzen brandigen Stelle mit Charpiebäuschen vorgenommen; sofern Ausbuchtungen und fistulöse Gänge bestehen, werden dieselben aufgeschlitzt und gleichfalls sorgfältig ausgeputzt. Dann giesst man die zu verwendende rauchende Salpetersäure in eine kleine Glas- oder Porcellan-Schale und trägt sie mit bereit gehaltenen Charpiepinseln auf und in die brandige Wunde und in alle ihre Buchten und Vertiefungen reichlich und gründlich auf, bis alles erkrankte Gewebe in einen Aetzschorf verwandelt ist. Dabei darf kein Tropfen Säure auf die gesunde Haut fallen, da dies dem Patienten lebhafte und unnöthige Schmerzen machen würde. Droht die Säure aus der Wundhöhle überzufliessen, so muss man dies durch Andrücken von Charpieballen verhüten. Die einzige Unannehmlichkeit dieses Verfahrens besteht in der unvermeidlichen Entwicklung von salpetriger Säure, durch deren Dämpfe die Respirationsorgane belästigt werden, deren Eindringen in die umgebenden Theile aber vielleicht nützlich ist. Die durch eine solche gründliche Aetzung bedingten Schmerzen verlieren sich in wenigen Stunden. Das Auflegen von Eis mildert sie schnell. Sehr empfindlichen Kranken giebt man Chloral oder eine hypodermatische Injection von Morphium. — War die Kauterisation genügend, so erfolgt noch innerhalb 12 Stunden ein erheblicher Abfall der Temperatur ; der Kranke selbst fühlt dann, dass es ihm besser gehe, klagt wenig oder gar nicht Uber Schmerzen und bekommt wieder Appetit. Unter einem antiseptischen Verbände löst sich der Aetzschorf in wenigen Tagen, und gute Granulationen wachsen dann üppig empor, die sich bald auch mit einer Narbe bedecken, — vorausgesetzt, dass die Einwirkung genügend war. Anderen Falls zeigen sich bald Fortschritte des Brandes mit erneutem Fieber und Schmerz. Die Aetzung muss dann sofort noch eindringender und noch umfänglicher
339
Hospitalbrand. wiederholt werden. man
A b e r a u c h bei d e r s o r g f a l t i g s t e n B e h a n d l u n g
nicht g a n z s i c h e r v o r Vidal
dass
man
empfiehlt (nach
die
Salpetersäure
sorgfältiger
Reinigung
in
der
Art
anzuwenden,
d e r W u n d e mit
aromatisch-
spirituösen D e c o c t e n ) i n d i e e r w e i c h t e n G e w e b e k l e i n e bäusche
eindrückt,
w e n n viel s t i n k e n d e J a u c h e gehörig
vorhanden
d a r f m a n sich
d e m blossen Von
der
Seiten
auch wähle, w i c h t zu
vor
Vidal'schen
stärkere Wirkung
den
Unter
Verfahren
dieser
vielleicht
versprechen,
concentrirten
der Chromsäure, ist
dabei
Charpiebäusche
als
von
Säure.
Lob gespendet.
Allem
Dies
gewechselt,
Offenbar k o m m t es
eingedrängt werden.
dem
wird
der Salzsäure1), besonderes
von
mithin
Aufpinseln
anderen
(Pitha),
ist.
aber zweimal
d a s s die m i t S a l p e t e r s ä u r e g e t r ä n k t e n
eine tiefer g r e i f e n d e ,
zink3),
der Verband
tief in die k r a n k e n G e w e b e
Bedingung
Charpie-
w e l c h e mit S a l p e t e r s ä u r e g e t r ä n k t sind.
w i r d täglich e i n m a l wiederholt, nur darauf an,
ist
Recidiven.
auf
Sublimatlösungen
dem B r o m * ) ,
Welches
dem
Chlor-
dieser Mittel m a n
die e n e r g i s c h e
aber
Anwendung
Ge-
legen.
Jodtinctur
und F e r r u m
sesquichloratum
(Liq. ferri sesquichl.), welche
H. D e m m e empfahl, sind für schwerere Fälle unzureichend. Das früher viel gerühmte Verfahren von B l a c k a d d e r ist folgendes.
Um Blutungen
und Schmerzen zu verhüten, werden häufige Waschungen mit einer Soda-Lösung vorgenommen, wodurch die Wunde nicht blos gereinigt, sondern auch die Ablösung der zähen Massen begünstigt wird.
Die Wunde soll hierauf getrocknet werden, indem man
ein weiches Stück Leinwand oder Charpie gegen sie andrückt, und in alle ihre Sinuosi täten sanft bineinpresst.
Dies muss wiederholt werden, bis sie ganz trocken ist, wobei
zugleich ohne bedeutende Schmerzen die brandigen Massen sich ablösen, indem sie an der Leinwand hängen bleiben.
Demnächst aber sollen A r s e n i k l ö s u n g e n
werden, je nach der Heftigkeit der Krankheit in verschiedener Stärke. —
angewandt Der hin-
reichende Grad kaustischer Wirkung lässt sich durch Arsenik gewiss erreichen; aber dies Verfahren ist Lochst gefährlich, da leicht Arsenik resorbirt und somit Vergiftung bewirkt werden kann. Das empfohlen
von
Einzelnen
worden
sind,
örtliche erwähnen
und
allgemeine
wir n u r ,
*) Vgl. R i t , Essai sur la pourriture d'hôpital.
um
Blutentziehungen davor
zu
warnen.
Montpellier 1868.
*) Ueber die erfolgreiche Behandlung des Hospitalbrandes mit B r o m vgl. namentlich G o l d s m i t h , a report on hospital gangrene etc., Louisville 1863. —
Herr
(Hospital gangrene, Nashville journ. of med. and surg. 1866. August) behauptet sogar, dass S a l p e t e r s ä u r e im Vergleich zu Brom gefährlich sei, wegen der oft viel zu weit gehenden Zerstörungen, —
was mir ganz unverständlich ist.
Auch B r o m k a l i soll glänzende Erfolge liefern. bromine in the treatement of hospital gangrene.
—
Vgl. J. B l i g h , od the use of Lancet 1868.
Aug. 29..
' ) Vgl. K ö n i g , über Nosocomialgangrän, nach Beobachtungen in der Brandslation der Raraekenlazarette zu Berlin.
Virchow's Archiv (1871) Bd. 52. Hft. 3.
22*
340
Ernährungi-Störungen.
Abgesehen von dem, was gegen Blutentziehungen beim Brande im Allgemeinen gesagt ist, kommt hier noch in Betracht, dass die Aderlasswunde und die Blutegelstiche als neue Wunden auch eine neue lnfection oder ein Becidiv begünstigen. Die i n n e r e B e h a n d l u n g muss roborirend sein. Leicht verdauliche, möglichst nahrhafte Speisen, namentlich Milch und Eier, sind dringend zu empfehlen; Fleischbrühe und Fleisch werden selten gern genommen. Zum Getränk reichliche Mengen guten Weins'). Die Amputation, von Vielen in der Absicht unternommen, durch Aufopferung eines Gliedes das Leben des Kranken zu retten, hat trotz der Lobsprüche, welche ihr L a r r e y selbst beim fortschreitenden Brande ertheilt, unbefangenen Beobachtern meist ungünstige Besultate geliefert"). Die Amputationswunde wurde fast immer wieder brandig. Man müsste jedenfalls weit entfernt vom Brandherde amputiren und die antiseptische Methode sehr energisch handhaben. Eine symptomatische Behandlung besonders beschwerlicher oder gefährlicher Zufälle z. B. des sehr heftigen Schmerzes, der Blutungen u. s. f. muss nach den allgemeinen Regeln eingeleitet werden.
III.
Milzbrand, Morbus
carbuncularis.
Der Milzbrand ist ursprünglich eine acute Infections-Krankheit der Thiere, kann aber von diesen auf den Menschen übertragen werden 3 ). A.
Milzbrand der Thiere.
Milzbrand findet sich bei den gewöhnlichen Hausthieren und zwar am Häufigsten bei den Wiederkäuern, demnächst beim Pferde, Esel, Maulesel, Schweine, seltener bei Fleischfressern (Katzen, Hunden), äusserst selten bei den Vögeln der Hühnerhöfe. Auch bei wild lebenden Wiederkauern und Pachydermen (z. 6. Elephant) ist er beobachtet; auf Nagethiere (Kaninchen und Meerschweinchen) lässt er sich leicht durch Impfung übertragen. — Die Milzbrandkrankheit erhielt bei verschiedenen Thieren und auch bei demselben Thiere verschiedene Namen, je nach der Verschiedenheit der ört') In Hospitälern, wo man guten Wein direct nicht erhalten kann, während Arzneiverordnungen keiner Controle unterliegen, halte ich Rp. Tinct. tbebaicae gramm. 1, Syrup. simpl. gramm. 10, Vini Xerensis q. s. ad gramm. 200, M. D. S. pro die, für ein besseres Recept als alle Cbinadecocte. *) Aus dem Italiänischen Feldzuge führt H e r m a n n an, in denen die Amputation hülfreich war. 3
D e m m e (I. c.1 einige Fälle
) Eine sehr vollständige Darstellung der höchst interessanten Lehre vom Milzbrand mit genauen Litteraturangaben lieferte B o l l i u g e r in H. v. Ziemssen's Handbuch der apeciellen Patbol. und Therapie, Bd. III, pag. 447 fT. Leipzig 1874.
941
Milzbrand. lieben
Symptome
und
des
Verlaufes.
Wahrscheinlich
e i n e r Seits zu weit u n d a n d e r e r S e i t s n i c h t S p e c . Patbol.
u. T b e r a p . ,
und „ C a r b u n c u l u s " fährlichen Leidens
welches
beruht.
wird
auf
der
Name
genug a u s g e d e h n t .
Abth. I. pag. 3 8 7 u. f. —
w e r d e n leider a u c h
benutzt,
des Unterhautgewebes
Bd. II.
weit
Vgl.
Die N a m e n
zur Bezeichnung eines
Milzbrand Virchow, „Anthrax"
relativ weniger ge-
circumscripten Entzündungen
der Haut
und
Vgl. Bd. II.
Sehr häufig beobachtet man Epizootien von Milzbrand. Manche Gegenden sind demselben besonders ausgesetzt. Mooriger sumpfiger Boden, Unreinlichkeit in den Ställen, das Weiden auf Wiesen, welche nach vorgängiger Ueberschwemmung durch grosse Sonnenhitze nur unvollkommen ausgetrocknet sind, Futter von solchen Wiesen, welches durch viele faulende lnsecten verunreinigt ist, werden als begünstigende Momente für den Ausbruch des Milzbrandes angegeben und wurden früher gradezu als Ursachen desselben aufgeführt, weshalb man denn auch nicht anstand, den Milzbrand der Thiere als zur Reihe der M a l a r i a - K r a n k h e i t e n gehörig zu betrachten ( H e u s i n g e r ) . Aber so bedeutsam diese begünstigenden Moniente auch für den, in gewissen Bezirken herrschenden, e n z o o t i s c h e n Milzbrand und für die epizootische Verbreitung desselben sein mögen, zum Ausbruch der Krankheit gehört immer A n s t e c k u n g ; nur braucht dieselbe nicht direel vom kranken Thier aus zu erfolgen, sondern kann, wie wir weiterhin sehen werden, durch geringe, vielleicht weit verschleppte Ueberreste der an Milzbrand gestorbenen Thiere oder durch Tränkung des Bodens mit den Fäulnissprodukten ihrer oberflächlich eingescharrten Cadaver vermittelt werden. Die Krankheit erscheint bald mit bald ohne locale Ausbrüche auf der äusseren Haut. Die Thiere können am „ M i l z b r a n d f i e b e r " mit Blitzesschnelle, ähnlich wie bei einer Blausäure-Vergiftung, verenden, ohne dass auf der Körperoberfläche Veränderungen eintreten. Das Blut kann gänzlich zersetzt sein, es können in Folge dessen die heftigsten allgemeinen Erscheinungen, namentlich Erstickungsnoth mit furibunden Krämpfen auftreten, es können dieselben Veränderungen im Cadaver gefunden werden, die sonst an die Anwesenheit einer Carbunkelgeschwulst geknüpft sind, namentlich sulzig-hämorrhagische Ergüsse im Bindegewebe der Leibeshöhlen, Schwellung der Milz, Anschoppungen der Leber und LungeD, ohne dass eine äusserliche Geschwulst da ist. Zur Entwickelung der letzteren gehört eine gewisse Zeit, die in den acutesten Fällen fehlt. Die ö r t l i c h e n E r s c h e i n u n g e n beim Auftreten einer äusseren Geschwulst theilt man in zwei Perioden: die entzündliche mit heftigem Schmerz und die brandige mit Aufhören des Schmerzes, Ausbruch von Phlyktänen und kohlschwarzer Färbung des dem Brande ver-
342
Ern&hrungs-Störungen.
fallenden Theiles. Der Sitz der Carbunkel- Geschwulst ist bald an diesem, bald an jenem Theile der Körperoberfläche, auch auf der Zunge, am Gaumen und im Mastdarm; bald findet sich nur eine, bald mehrere zugleich. Letzteres ist häufiger bei Wiederkäuern, ersteres bei Einhufern. Die Localaffection stellt entweder eine wirkliche Beule (Carbunkel im engeren Sinne des Wortes, circumscripte Form des Milzbrandes) dar, oder sie tritt als eine diffuse Anschwellung (Erysipelas) auf. Im ersteren Falle erhebt sich die Haut zu einem schnell wachsenden, heissen, harten Knoten, der sich alsbald schwärzt, dann entweder mumificirt und abgestossen wird oder verjaucht. Nur wo die Epidermis sehr zart ist, bilden sich Blasen. Sitzt der Carbunkel i n e i n e r t i e f e r e n S c h i c h t unter der Haut, so schwillt letztere selbst zunächst ödematös an und stellt dann eine blasse, mehr teigige Geschwulst dar, welche als w e i s s e r C a r b u n k e l beschrieben wird. Die circumscripten Formen entwickeln sich ebensowohl als ein Theil des Allgemeinleidens, wie auch in Folge localer Infection. Die diffuse erysipelatöse Form des Carbunkels dagegen tritt fast nur als Symptom des bereits im ganzen Körper verbreiteten Milzbrandes auf, namentlich bei Wiederkäuern und Schweinen. Die Geschwulst ist in solchen Fällen unbedeutend, Hitze und Röthung aber sehr beträchtlich; letztere geht alsbald in eine livide Färbung Uber, während auf der Oberfläche sich Blasen erheben, in der Tiefe aber brandiges Emphysem entsteht, welches beim Druck knistert oder rauscht; daher der Name „ r a u s c h e n der Brand". Die Carbunkelgeschwülste sowohl, als das Bindegewebe unter der Haut (bei der erysipelatösen Form), ausserdem aber auch gewöhnlich die grossen Körperhöhlen sind mit sulzigem, gelb gefärbten Exsudat erfüllt, welches sich durch grosse Neigung zur fauligen Zersetzung und durch einen hohen Grad von C o n t a g i o s i t ä t auszeichnet. Der Ansteckungsstoff (das Milzbrandgift) ist aber auch in dem Blute, dem Schleim des Schlundes, des Rectum u. s. w., auch auf und in der Haut vorhanden. Er kann durch Insecten von dem kranken Thiere auf andere und auf Menschen übertragen werden. Die Uebertragung geschieht um so sicherer, je direkter der Ansteckungsstoff in das Blut g e l a n g t ' ) ; aber die Epidermis schützt nicht, wenn sie nicht sehr .dick ist. Der Ansteckungsstoff bleibt auch nach dem Tode des Thieres wirksam, selbst gewaschene Wolle und gegerbte Felle können ihn noch weiter verbreiten; nur scheint er dann weniger furchtbare ') Vgl. L e u r e t , 1826.
Recherches
et experiences
sur
les alterations du sang.
Paris
Milzbrand.
343
Folgen zu b e d i n g e n '). Die Kraft des Contagiums ist ü b e r h a u p t sehr verschieden, j e nach dem Charakter der Epi- oder Enzootie und der individuellen Heftigkeit der E r k r a n k u n g , j e nach der Flüssigkeit oder dem Körperlheile des Thieres, aus welchen die Uebertragung stattg e f u n d e n h a t , endlich auch nach der Empfänglichkeit des inficirten Individuums. Wahrscheinlich kommen auch Fälle vor, in denen n u r der Inhalt der Carbunkelgeschwülsle selbst ansteckend wird. Flüchtig scheint das Contagium niemals zu w e r d e n , vielmehr zur Ansteckung immer direkte Berührung, wenn auch n u r mit minimalen Mengen, erforderlich zu sein. Ueber die N a t u r d e s M i l z b r a n d g i f t e s kann zur Zeit kein Zweifel m e h r sein *). Dasselbe ist gebunden an die im lebenden Blute bei Milzbrand in u n g e h e u r e r Anzahl (in einem Tropfen 10 Millionen I) vorkommenden B a k t e r i e n , welche sich von den gewöhnlichen Fäulniss-Bakterien unterscheiden und in der Gattung B a c i l l u s , die Species „Bacillus A n t h r a c i s " bilden. Dieselben sind gerade, seltener leicht gebogene o d e r umgeknickte, cylindrische Stäbchen von höchstens 0 , 0 5 Mm. Länge und u n m e s s b a r e r Dicke, an welchen keinerlei Bewegungen beobachtet w e r d e n . Mögen sie nun selbst Ansteckungsstoff sein oder n u r Träger desselben, jeden Falls ist von ihrem Eindringen in den Organismus u n d ihrer, mit unglaublicher Geschwindigkeit d u r c h Theilung und weiteres Wachsen stattfindenden Vermehrung die Milzbrandkrankheit bedingt. In Betreff ihrer W i r k u n g ist die Annahme B o l l i n g e n s 3 ) sehr verlockend, dass ihr mächtiges Absorptionsvermögen f ü r Sauerstoff (an dessen Anwesenheit ihre Entwicklung durchaus g e b u n d e n ist), indem sie den Geweben und namentlich dem Blute Sauerstoff entziehen, den Grund f ü r ihre giftigen Wirkungen abgebe. W e d e r vollständiges Eintrocknen noch auch Kälte bis zu — 1 8 ° C. vernichtet die Lebensfähigkeit der Bacillen; n u r ihre Lebensäusser u n g e n , namentlich Theilung und Vermehrung werden u n t e r b r o c h e n . Dagegen werden sie durch Siedhitze, durch Carbolsäure u n d ähnliche Desinfectionsmittel getödtet. Diese, von botanischer Seite mit voller Sicherheit festgestellten Eigenschaften der M i l z b r a n d - B a c i l l e n genügen , u m die an's W u n d e r b a r e grenzende Dauerhaftigkeit des Contagiums zu erklären. ') Die Uebertragung des Milzbrandes durch längst getrocknete FeiIe habe ich selbst aD einem
Gerber beobachtet,
bearbeitet hatte. 2
) Vgl.
Pollen der,
Braueil,
welcher
Amerikanische
Felle hier in Berlin
Vgl. Note 2. auf pag. 3 4 8 . Casper's
Vircbow's
Archiv
Vierteljahrsschrift, 1857.
Bd. XI.
1855,
Bd. VIII.
pag. 1 3 2 ,
—
p. 1 0 3 ,
Alb.
Deutsche Klinik 1 8 5 6 , — D a v a i n e , Gaz. med. de Paris, 1 8 6 4 , No. 3 6 u. i. ®) B o l l i ü g e r , Beiträge zur vergl. Pathologie II, München
1872.
—
Krause,
Ernährungs-Störun^en.
344 B.
Milzbrand beim
Menseben.
Man unterschied früher beim Menschen einen s y m p t o m a t i s c h e n und einen i d i o p a t h i s c h e n Carbunkel. Ersterer sollte als Theilerscheinung einer primären Erkrankung des Blutes, auf Grund derselben ätiologischen Verhältnisse entstehen, welche man für die Entstehung des Milzbrandes der Thiere als maassgebend ansah. I d i o p a t h i s c h nannte man dagegen den Milzbrandcarbunkel, der durch örtliche Einimpfung entsteht. Wir müssen die Möglichkeit einer spontanen Entstehung beim Menschen mit demselben Recht, wie bei den Thieren zurückweisen'). Dagegen haben sorgfältige Beobachtungen ergeben, dass auch beim Menschen, wenn gleich viel seltener als bei Thieren, ein plötzlich und unter stürmischen Erscheinungen, namentlich mit Erbrechen, Diarrhöen und Cyanose auftretendes Allgemeinleiden, welches vor dem Ausbruch äusserer Geschwülste zum Tode führt, analog dem M i l z b r a n d f i e b e r der Thiere, durch Ansteckung mit Milzbrandgift veranlasst werden kann. Dieser, auch als M y c o s i s i n t e s t i n a l i s bezeichnete, i n t e s t i n a l e A n t h r a x scheint vorzugsweise durch den Genuss von nicht hinreichend stark gekochtem Fleisch milzbrand-kranker Thiere zu entstehen. Selbst bei sehr rapidem Verlauf desselben hat man wiederholt die Entwicklung innerer Carbunkel oder doch die bei den Thieren genauer beschriebenen Veränderungen in den Eingeweiden beobachtet. Bei Weitem häufiger findet sich beim Menschen unzweifelhaft der Milzbrand in Form von ä u s s e r e n , a n d e r S t e l l e d e r U e b e r t r a g u n g (Einimpfung) d e s C o n t a g i u m s , zunächst in der Haut, entstehenden Geschwülsten. Diesen äusseren Milzbrand des Menschen glaubte man eine Zeit lang, je nach der Art des Verlaufes in zwei Species zerlegen zu dürfen, und V i d a l bezeichnete gradezu die üblere, ansteckende, von Anfang an mit allgemeinen Krankheitserscheinungen auftretende, als M i l z b r a n d - C a r b u n k e l (Carbunculus malignus), die andere weniger gefährliche und nicht ansteckende als Milzbrand-Pustel (bösartige Pustel, Pustula maligna, s c h w a r z e B l a t t e r der deutschen S c h r i f t s t e l l e r ) . Diese Unterscheidung lässt sich jedoch nicht durchführen. Auch die Impfversuche von M a u n o u r y und S a l m ó n 2 ) haben den Beweis, dass es ') F o u r n i e r
(Observation
assuré de le guérir. brand-Carbunkel. 2
et expériences sur le charbon malin, avec un moyen
Dijon 1 7 6 9 ) erwähnt zuletzt den s y m p t o m a t i s c h e n MilzSeit dem hat ibn Niemand gesehen.
) M a u n o u r y , Recherche* experimentales sur l'inocolation de la pustule maligne de Thomme aux animaux (Gazette médicale de Pari9, Salmón
et
Maunoury,
1 8 5 5 . pag. 3 5 1 ) ,
Memoire sur l'inoculation de la
und
pustule maligne,
345
Milzbrand.
sich um zwei différente Krankheits-Species handle, von denen nur die erstere sich durch Impfung übertragen lasse, keineswegs geliefert. Dagegen haben die Untersuchungen von B o u r g e o i s 1 ) ergeben, dass beim Menseben neben dem eigentlichen Carbunkel auch eine andere F o r m des Milzbrandes vorkommt, welche der erysipelatösen Form der Thiere entspricht, das O e d e m a m a l i g n u m s e u c a r bunculosum. Bei der Beschreibung der Symptome und des Verlaufes unterscheiden wir daher: 1) den Milzbrand-Garbunkel und 2) das Milzbrand-Oedem. 1)
Milzbrand-Carbunkel,
Carbuoculns s. Anthrax malignus.
Pustel, Pocke, Blatter.
Schwarze oder bösartige
Pustula maligna s. gangraenosa
Im V e r l a u f der P u s t u l a m a l i g n a unterscheiden wir mit B o u r g e o i s drei S t a d i e n : Incubation, Eruption und Infection 1) S t a d i u m i n e u b a t i o n i s . Die Angaben älterer Schriftsteller über den Zeitraum, welcher zwischen der Uebertragung und dem Ausbruch der Krankheit verstreichen kann, schwanken von wenigen Stunden bis zu 14 Tagen. Alle neueren Beobachter stimmen darin überein, dass w e n i g s t e n s e i n i g e S t u n d e n und h ö c h s t s e l t e n m e h r a l s 3 T a g e verlaufen, bevor der Ausbruch erfolgt. Je kräftiger das Contagium ist und je directer es in das Blut gelangt, desto kürzer ist dies Stadium. Höhere Temperatur scheint den Ausbruch zu beschleunigen. Das einzige Krankheitssymptom ist ein lebhaftes Jucken an der Stelle der späteren Pustel. 2) S t a d i u m e r u p t i o n i s . Die erste wahrnehmbare Veränderung wird von allen Seiten mit einem Insectenstich, namentlich einem Flohstich, verglichen, scheint jedoch nur selten von den Aerzten selbst beobachtet zu sein. Alsbald erhebt sich an dieser Stelle ein braunrothes oder rosarothes Knötchen, auf welchem unter lebhafter Steigerung des Juckens ein, mit heller, meist röthlicher oder bläulicher Flüssigkeit gefülltes, etwa hirsekorngrosses Bläschen sich im Verlauf von 2 4 — 3 6 Stunden entwickelt, dessen Basis hart und von einem rothen Hofe umgeben ist, — die eigentliche Milzbrandblatter. Des lebhaften Juckens wegen wird dies Bläschen von dem Kranken stets aufgekratzt. An seiner Stelle erscheint dann ein trockner, bräunlicher c o m m e moyen nécessaire de diagnostic de la véritable pustule charboneuse (Gaz. méd. de Paris, 1 8 5 7 . pag. 6 8 4 ) . ' ) Traité p r a t i q u e de la pustule maligne et de l'oedème malin, ou des deux formes du charbon externe de l'homme.
Paris
1861.
346
Ernährungs-Störungen.
oder livider Fleck, der erste Beginn des Brandschorfes. Der rothe Hof, welcher sich schon Anfangs entwickelt hatte, schwillt an und dehnt sich allmälig bis zu einer Breite von etwa 1 Centimeter aus. Auf ihm entwickelt sich an seinem inneren Umfange, also zunächst dem Brandschorfe, ein mehr oder weniger vollständiger Kranz von gelblichen oder röthlichen Bläschen, wie glänzende Perlen, den sich stetig vergrössernden und allmälig immer dunkler gefärbten Brandschorf umgebend. Mit der Zunahme des letzteren rückt auch der Bläschenkranz in immer weiteren Kreisen vor. In gleichem Maasse vergrössert sich der rothe Hof, auf dem zuweilen ein zweiter Kranz von Bläschen aufschiesst'). Nicht blos unter dem durch seine Farbe und Unempfindlichkeit jetzt schon als Brandschorf deutlich charakterisirten Hautstiick, sondern oft bis unter den rothen Hof entwickelt sich in und unter der Haut eine sulzige Infiltration, welche in dieser ganzen Ausdehnung den Brand vorbereitet. Der Heftigkeit und Ausdehnung des Processes entsprechend, entsteht ein mehr oder weniger weit ausgebreitetes, oft z. B. eine ganze Extremität oder die eiue Gesichtshälfte einnehmendes Oedem. Die entsprechenden Lymphdrüsen schwellen a n ; oft sind auch entzündete Lymphgefässe als harte schmerzhafte Stränge zu fühlen. In dem erkrankten Theile selbst wird eine brennende Hitze empfunden, die sich aber meist bald in ein Gefühl von Schwere und Erstarrung umwandelt. Dies Stadium dauert gewöhnlich nur 2 — 3 , höchstens 6 Tage. 3) S t a d i u m i n f e c t i o n i s . Bis dahin haben Störungen des Allgemeinbefindens entweder ganz gefehlt, oder sich doch auf leichte, der Ausbreitung der örtlichen Erkrankung entsprechende Fieberbewegungen beschränkt. Jetzt aber treten Ohnmächten, Schwindel, Angstgefühl, Schluchzen, Uebelkeit, Erbrechen, Diarrhoen in den verschiedenartigsten Combinationen auf; jedoch findet man selten alle diese Symptome bei demselben Kranken gleichzeitig. Die Zunge ist in der Regel trocken, der Athem übelriechend. Steigert sich die Krankheit ') Selten fehlt die Entwickelung eines Bläsebenkranzes ganz. ein Ausbruch von Bläschen an a n d e r e n ,
Von einzelnen wird
weit entfernten Körperstellen erwähnt.
So schreibt z. B. S a m u e l
Cooper
gabe, Seite 2 7 8 ) :
mau aufmerksam u n t e r s u c h t , so wird man oft be-
merken, deren
„Wenn
(Dictionary of practica! s u r g e r y ,
dass in der Umgegend der Schlüsselbeine,
Theilen
Miliaria-Ausbrüche
4te Aus-
auf der Brust oder an an-
sich finden, und dass gegen
das Ende der
Krankheit sich zuweilen grosse Pu9teln, den Blattern ähnlich, entwickeln, welche in Eiterung
übergehen.
Carbunkel."
Vielleicht
Einzelne verwandeln sich sogar gelegentlich handelte
es
sich
aber
in
diesen
Fällen
in wahre
um
Pyämie
(welche auch zu Milzbrand sich gesellen kann) mit zahlreichen kleinen metastatischen Abscessen.
347
Milzbrand.
bis zur äussersten Höhe, so werden die Ohnmächten häufiger, Angstgefühl und Aufregung grösser, der Leib aufgetrieben, der Puls kleiner und weicher, die Respiration immer mehr beschleunigt und unregelmässig. Während der Kranke über eine ungeheure innere Hitze klagt, ist sein Körper von kaltem Schweiss bedeckt. Der Tod erfolgt dann in der Regel am 9. Tage der Krankheit, entweder in einem komatösen Zustande oder auch in grosser Aufregung ohne Störung des Bewusstseins. Aber der Kranke kann auch in dem Infections-Stadium noch genesen, indem der Brand zum Stillstand kommt und die allgemeinen Symptome nachlassen. Die Abstossung des Brandigen erfolgt dann in oft unglaublicher Ausdehnung und immer noch mit allen den Gefahren, welche den brandigen Zerstörungen Uberhaupt zukommen, im Verlaufe von 1 — 3 Wochen. Bei Weitem häufiger ist die Genesung, wenn die Krankheit schon im 2. Stadium Halt macht, die Demarcation also schon vor dem Ausbruch des Allgemeinleidens erfolgt. Dies ist nicht so selten, wie man früher geglaubt hat, und darauf beruht offenbar die gerühmte Wirksamkeit vieler, fast indifferenter Mittel. Andererseits kann der Tod auch schon innerhalb der ersten 24 Stunden erfolgen; auch hat man ihn im 3. Stadium ohne erhebliche Verschlimmerung der Allgemein-Erscheinungen ganz unerwartet eintreten sehen. 2) Milzbrand-Oedem,
Oedema malignum seu
carbunculosuiu.
Die ö d e m a t ö s e (oder erysipelatöse) F o r m des Milzbrandes, O e d e m a m a l i g n u m , scheint nur an solchen Stellen vorzukommen, wo die Epidermis sehr dünn und die Haut sehr zart ist, vor Allem an den Augenlidern, aber auch am Halse, in der Achselhöhle, sehr selten an den Extremitäten. Mit grosser Schnelligkeit entsteht an der inficirten Stelle eine ausgebreitete Schwellung, von blasser, gelblicher oder bläulicher Farbe; die Augenlider z. B. erscheinen als zwei glänzende, halb durchscheinende Wülste, welche sich mit ihren Aussenflächen berühren. Diese Geschwulst wird hart, demnächst höckrig, und auf diesen Höckern entwickeln sich Bläschen und Blasen, mit sanguinolenter Flüssigkeit gefüllt, unter denen die Haut brandig wird. — Der weitere Verlauf schliesst sich im Allgemeinen an denjenigen der Pustula maligna an; jedoch scheinen mildere Fälle bei der ödematösen Form viel seltener vorzukommen. Die pathologische Anatomie des Milzbrandes lässt sich in Betreff der Veränderungen an der Körperoberfläche schon während des Lebens studiren. Auf dem höchsten Grade der Entwicklung sieht
348
Ernährungs-Stdrungen.
man einen grossen Brandschorf, unter welchem in weiter Ausdehnung jauchiges Bindegewebe sich befindet. Die Haut ist in beträchtlichem Umfange abgelöst, ihre Gefässe sind zum Theil zerstört. In noch weiterem Umfange ist das Bindegewebe teigig infiltrirt und von gallertartigem Ansehen l ), ähnlich wie beim Carbunkel der Thiere. Oft sind durch diese Zerstörungen wichtige Organe blossgelegt, wie z. B. die Augen nach Zerstörung der Augenlider, die grossen Nerven in der Achselhöhle. Dadurch werden auch nach erfolgter Heilung mannigfaltige Deformitäten bedingt. In dem Carbunkel selbst und in den benachbarten Geweben finden sich zahllose Bacillen *). Das Blut enthält dieselben in allen schwereren Fällen gleichfalls; überdies aber findet man in demselben Kugelbakterien und eine auffällig grosse Anzahl von weissen Blutkörperchen. Von dem eigentlichen Krankheitsherde ziehen in der Regel angeschwollene und thrombosirte Lymphgefässe zu den gleichfalls geschwollenen zugehörigen Lymphdrüsen. In den Venen der leidenden Gegend findet man zuweilen zerbröckelte und mit Jauche getränkte Thromben, in den Lungen metastatische Abscesse 3 ). Unter den inneren Organen zeigt die Milz nicht vorwiegend charakteristische Veränderungen ; jedoch ist sie gewöhnlich geschwollen, erweicht und reichlich von Bacillen durchsetzt. Carbunculöse Herde und Infiltrate finden sich aber auch im Tractus intestinalis, in den Mesenterial-Drüsen; bei Mycosis intestinalis zumal erscheinen die Magen- und Darmwandungen stets verdickt, die Schleimhaut ödematös aufgewulstet oder blutig infiltrirt und von Bacillen durchsetzt. DiagilOSe. Zu Anfang ist es schwer, die b ö s a r t i g e P u s t e l zu erkennen; sie kann insbesondere mit einem Insectenstiche verwechselt werden. Bei einem solchen findet sich aber gewöhnlich ein gelblicher Punkt auf der Spitze des kleinen Knötchens, welcher bei Pustula maligna auf diesem Stadium fehlt. Mit Unrecht behauptet R a y e r , dass die Anwesenheit des kleinen Bläschens im Beginne der Pustula maligna charakteristisch sei und hinreiche, um sie von einem Furunkel zu unterscheiden. Auch der Furunkel (Blutschwär, vgl. Bd. II.) kann mit einem solchen Bläschen beginnen; aber die schnell *) L e l a b e r t , Journal hebdomadaire, s
1829.
) Als Beispiel kann die von V i r c h o w ausgeführte Untersuchung des von mir ausgeschnittenen grossen Anthrax dienen, welche F. B i t t e r in seiner Inaoguraldissert. (Ueber den Milzbrand, Berlin, 1 8 7 3 ) mittheilt.
*) So schon L i t t r é , Revue médicale, 1 8 3 0 , gewiss ohne vorgefasste Meinung.
Die
Thrombose der Venen ist aber ebenso wenig, wie die der Lyrophgefässe charakteristisch für Milzbrand.
349
Milzbrand.
auftretende rosige Röthe in der Umgebung, der auf diesem rothen Hofe schnell aufschiessende K r a n z v o n B l ä s c h e n und die Veränderungen der Sensibilität des leidenden Theils verrathen bald die Natur der Geschwulst, wenn es wirklich eine Pustula maligna ist. Bei O e d e m a m a l i g n u m können Verwechselungen vorkommen mit anderweitigem O e d e m und mit E r y s i p e l a s , zumal b u l l o s u m . Im Gegensatz zum gewöhnlichen Oedem liefert das schnelle Auftreten der Blasen und die Entwickelung der Brandschorfe unter denselben ein sicheres Kriterium. Erysipelas (Rose, vgl. Bd. II.) unterscheidet sich durch seine hellrothe Farbe, gewöhnlich auch durch die v o r a u s g e h e n d e n Störungen des Allgemeinbefindens. Um
von Anfang an
suchuogtmethoden
sieber
vorgeschlagen.
zu g e h e n ,
bat G i r o u a r d
zwei besondere
der leidenden Stelle mit kaustischem Ammoniak;
an
ein etwa vorhandener Insectenstich
oder ein in der Entwickelung begriffenes Erysipelas-Bläschen werden geftrbt.
Unter-
I i Man bestreicht die vorher gesäuberte Baut
dadurch schwarz
Man würde auf solche Weise, w i e R a i m b e r t mit Recht bemerkt, doch i m m e r
nur den Insectenstich, nicht aber den beginnenden Milzbrand erkennen können. streichen
der
öilematösen
Salbenverband.
Haut
mit
einem
befeuchteten
Höllensteingriffel,
2) Benachher
Stellt sich hierauf nach 5 — 1 0 Stunden ein Ausbruch von eiterhaltigen
Bliscben ein, so handelt es sich n i c h t um Milzbrand; wenn aber keine Bläschen sich erheben oder wenn dieselben nur was9erhelle Flüssigkeit enthalten, so ist a n z u n e h m e n , dass es sich um O e d e m a m a l i g n u m
bandle.
Auch
hierüber
wären
wohl weitere
Bestätigungen noch sehr wiinschenswerth.
Als bestes Entscheidungsmittel ist in allen zweifelhaften Fällen die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g eines durch kleine Einstiche leicht und ohne Schaden zu gewinnenden Tropfens von dem Inhalt der Pusteln oder Blasen zu empfehlen. Handelt es sich um Milzbrand, so fehlen nie zahlreiche Bacillen. Vgl. pag. 343. Die Aetiologie des Milzbrandes beim Menschen führt entweder auf ein milzbrand-krankes Thier oder — viel seltener — auf einen milzbrand-kranken Menschen zurück'). Natürlich werden am Häufigsten Solche ergriffen, die mit Thieren oder Theilen von todten Thieren zu thun haben: Hirten, Schäfer, Kutscher, Viehzüchter, Fleischer, Abdecker, Gerber, Wollsortirer, Teppicharbeiter u. s. f. Zum Behuf der Uebertragung scheint nicht immer eine äussere Verletzung nothwendig, sondern bei intensiver Entwickelung des Gontagiums die Berührung der unverletzten Epidermis, zumal an Stellen, wo sie, wie im Gesicht (namentlich am oberen Augenlide) und am Halse, zart ist, mit einem kleinen Tropfen Blut oder Carbunkelflüssigkeit hinreichend zu sein, ') Von
einer
spontanen
Entstehung
des Milzbrandes
m e h r als 1 0 0 Jahren nichts m e h r berichtet worden.
beim
Menschen
Vgl. pag. 3 4 4 .
ist
seit
Ern&hrungs-Störangen.
350
um die Krankheit zum Ausbruch zu bringen. Die Entscheidung dieser Frage ist äusserst schwierig, da gerade solche Leute, bei denen Milzbrand häufiger vorkommt, kleine Verletzungen kaum jemals beachten. Von den Autoren, welche wahrscheinlich zu machen suchen, dass auch in solchen Fällen, wo eine Verletzung zu fehlen schien, doch eine unbedeutende Excoriation oder eine kleine Stichwunde bestanden habe, werden besonders Insectenstiche als Vermittler der Ansteckung hervorgehoben. Das Insect (namentlich Bremsen und Mücken) soll das eine Mal an seinen Mundtheilen den Ansteckungsstoff mit sich getragen haben, das andere Mal soll einen Mann, der das Fleisch eines an Milzbrand verendeten Thieres trug, zufällig ein Floh gebissen und die Berührung des Flohstichs mit der besudelten Hand die Infection bewirkt haben, u. s. f. In entschieden irrthünilicher Auffassung vorgetragen findet sich diese Lehre bei L i n n é , der, auf Grund des in Lappland herrschenden Volksglaubens, seine „Furia infernalis" erfand, durch deren Stich die Krankheit ohne Weiteres veranlasst werden sollte. Die Neigung, Insectenstiche bei der Uebertragung des Milzbrandes eine grosse Rolle spielen zu lassen, erklärt sich zum Theil aus dem Umstände, dass die Empfindungen des Kranken und das Aussehen der inficirten Stelle im Beginne des Uebels oft grosse Aehnlichkeit mit einem Insectenstiche darbieten. Vgl. pag. 345. Ob durch den G e n u s s d e s g e k o c h t e n F l e i s c h e s m i l z b r a n d k r a n k e r T h i e r e die Uebertragung stattfinden könne, ist vielfach in Frage gestellt worden. Von theoretischer Seite erscheint es unmöglich, dass irgend ein Contagium durch Siedhitze nicht sollte zerstört werden (vgl. pag. 343). Somit müsste das gekochte oder gebratene Fleisch unschädlich sein. Morand, Thomassin und D u h a m e l theilen auch Beobachtungen mit, dass Fleischer durch die Berührung carbunkelkranker Thiere die Krankheit bekommen haben, während Personen, die das Fleisch derselben Thiere gegessen hatten, keine üblen Folgen davon verspürten. Auch Bei g e l 1 ) führt mehrere Fälle der Art auf. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass schon die von E n ä u x und C h a u s s i e r * ) gemachten Erfahrungen entgegenstehen, und dass dieser scheinbare Widerspruch sich leicht erklärt, wenn man bedenkt, dass einer Seits unter „Kochen und Braten" nicht immer Erwärmung bis über den Siedepunkt verstanden wird und dass anderer Seils die Intensität des Gontagiums sowohl überhaupt als auch in verschiedenen Theilen desselben Thierkörpers sehr verschieden sein ') Zur Lehre vom Milzbrand, Berlin, 1 8 6 2 , pag. 10. ' ) Méthode de traiter les morsures des animaux enragés etc. suivie d'un précis sur la pustule maligne,
Dijon
1785.
Milzbrand.
351
kann. Ueberdies muss doch das Fleisch, bevor es gekocht w u r d e , von Menschenhänden b e r ü h r t worden sein. Dies w ü r d e hinreichen, um eine solche Nahrung ein für alle Mal zu verbieten, wenn es auch Fälle geben mag, in denen das Fleisch der erkrankten Thiere u n s c h ä d lich ist, w ä h r e n d die Flüssigkeit der Carbunkelgeschwülste selbst dennoch höchst verderblich wirkt. Vgl. pag. 3 4 2 u. f. Die neuesten Erfahrungen Uber i n t e s t i n a l e n M i l z b r a n d haben überdies jeden Zweifel an der Möglichkeit einer Ansteckung durch solches, wenn auch angeblich „ g e k o c h t e s " Fleisch beseitigt. Die grossen Verschiedenheiten in der Intensität des Contagiunis sind auch in Betreff der U e b e r t r a g u n g d e s M i l z b r a n d e s v o n e i n e m M e n s c h e n a u f d e n a n d e r e n wohl zu beachten. Thom a s s i n erzählt schon im vorigen J a h r h u n d e r t , eine Frau habe „die bösartige P u s t e l " an der W a n g e bekommen, weil sie diesen Theil mit ihren Fingern b e r ü h r t e , welche von der aus dem Carbunkel, an welchem ihr Mann litt, hervorsickernden Flüssigkeit benetzt w a r e n . H u f e l a n d e r w ä h n t einer F r a u , welche von diesem Uebel befallen wurde, weil sie mit einer anderen zusammenschlief, die d a r a n litt '). Durch die unter R a y e r ' s Augen von B o n e t angestellten Versuche*) schien erwiesen zu sein, dass die Uebertragung des Milzbrandes von einem Menschen auf den a n d e r e n g a r nicht möglich sei. Aber die Untersuchungen von V i d a l , welche von B e n j a m i n 3 ) u. A. bestätigt worden s i n d , e r g a b e n , dass auch entschieden ansteckende Carbunkel beim Menschen vorkommen. Die in ihnen enthaltene Flüssigkeit verm a g nicht blos auf T h i e r e , sondern auch auf andere Menschen, sofern n u r directe B e r ü h r u n g stattfindet, die Krankheit zu Ubertragen. In
Betreff
der
Rückimpfuog,
Menschen auf Thiere, schiedenen
Orten,
d. U. der Uebertragung
des Milzbrandes
vom
sind beweisende Versuche zu verschiedenen Zeiten und an ver-
nämlich von
l'Eure et Loire (vgl. deren
der
medicinischen
Comptes
rendues
Gesellschaft des Departement
1 8 4 9 — 5 2 ) , von A l b .
Krause
de (die
Uebertragung des Milzbrandes von Thieren auf Menschen und von Menschen auf Thiere. Deutsche Klinik 1 8 5 6 ) and von B r a u e l l in Dqrpat (vgl. pag. 3 4 3 ) angestellt worden. Obwohl die Thiere nach solchen Impfungen, welche Ibeils mit dem Safte des Carbunkels, tbeils mit dem Blute, tbeils durch Einschieben von Stücken des Carbunkels unter ') Vgl. auch M a u c o u r t ,
Thèse inaugurale,
Paris 1 8 2 9 ,
und R a i m b e r t ,
Traité
des maladies charbonneuses, Paris 1 8 5 9 . 5
) K a y e r , Traité des maladies de la peau. Paris, 1 8 3 6 . tom. II. pag. 23. impfte sieb die Flüssigkeit aus dem Carbunkel eines Anderen selbst e i n ,
Bonet ohne
dass er dadurch auch n u r im Mindesten afficirt worden wäre. *) Vgl. V i r c h o w ' s
specielle
Pathol. u. Ther
Bd. II. Abth. I. pag. 3 8 7 und 3 9 5 .
Ein streng beweisendes Beispiel für die Uebertragung des Milzbrandes von einem Menseben
auf
den anderen
beobachteten
Berl. klin. Wocbenscbr. 1 8 7 4 , No. 22.
Bernhard
Fraenkel
und
Orth,
352
Ernährungs-Störungen.
die Haut gemacht wurden, starben,
erfolgte doch
stets
niemals
u n t e r den Erscheinungen einer allgemeinen Infection die E n t w i c k l u n g äusserer Milzbrandgeschwülste.
Die
hierauf gestützte Vermuthung, dass jeüe Impfungen blos wegen der fauligen Beschaffenheit
der geimpften Substanzen
suche von R a i m b e r t hatten
niemals tödtliche
tödtliebe Folgen gehabt h a t t e n ,
widerlegt; Folgen.
seine Impfungen —
wird
durch
mit einfach fauligen
Völlig' beweisend waren
die Ver-
Substanzen
die Impfungen,
welche
O r t h mit dem frischen Blute des Menseben, der durch Uebertragung von einem Menschen den tödtlichen Milzbrand bekommen hatte, an Kaninchen vornahm.
Die Ueber-
tragbarkeit wurde bis in die 8. Generation nachgewiesen; das Blut der in 2 4 — 4 8 Stunden verendeten Thiere wimmelte von Bakteriden (Bacillen).
Vgl. pag. 3 5 1 , Note 3.
Pl'OgUOSe. Dass es sich beim Milzbrand um eine schwere, meist lebensgefährliche Erkrankung handle, ergiebt sich aus der Schilderung des Verlaufs. Wir müssen aber nochmals darauf hinweisen, dass die Intensität des Conlagiums einerseits und die Empfänglichkeit des betroffenen Menschen andererseits bald einen milden, bald einen höchst verderblichen Verlauf bedingen können. Hieraus erklären sich die einander widersprechenden Angaben der Schriftsteller über die Prognose des Milzbrandes beim Menschen, die von den Einen als höchst bedenklich, von Anderen als fast gefahrlos geschildert wird. Je früher und je lebhafter sich Entzündung im Umkreise der erkrankten Stelle entwickelt, desto günstiger ist die Prognose. Bei grosser Hitze ist der Verlauf im Allgemeinen ungünstiger. Der Sitz am Halse führt wegen der Schwellung der Theile Erstickungsgefahr mit sich. Im Gesicht hat man oft auch in sonst günstigen Fällen beträchtliche Entstellung zu erwarten. Grosse Ausdehnung und gleichzeitiges Auftreten an mehreren Körperstellen steigern die Gefahr. Bei Kindern und bei alten schwachen oder sonst heruntergekommenen Menschen kann auch die mildeste Pustula maligna zum Tode führen. Die Angabe, dass sie während der Schwangerschaft besonders gefährlich sei, ist insofern richtig, als gewöhnlich Abortus erfolgt. Behaudlaug. Liessen sich von Anfang an die leichteren und die schwereren Fälle, im Sinne V i d a l ' s also die „ P u s t u l a m a l i g n a " und der „ b ö s a r t i g e C a r b u n k e l " , von einander mit Sicherheit unterscheiden, so müsste der letztere sobald als möglich in ganzer Ausdehnung zerstört werden, während bei der ersteren vielleicht eine mildere Behandlung ausreichen könnte. Fälle der Art sind es denn auch, in denen sich Decocte von Eichenrinde, von Nussblättern u. dgl. m. wirksam erwiesen haben. Bei der Unmöglichkeit im Beginne der Krankheit den zu erwartenden Grad der Bösartigkeit zu erkennen, und bei der grossen Gefahr, welche aus der „milden" Behandlung eines bösartigen Carbunkels entspringen würde, erscheint es in a l l e n F ä l l e n von Anfang an geboten, den ganzen Krankheitsherd zu zer-
353
Milzbrand.
stören und die zerstörenden Mittel b i s i n ' s G e s u n d e h i n e i n wirken zu lassen. Jedoch ist dabei jeder stärkere Blutverlust sorgfältig zu verhüten, da Blutentziehungen einen nachtheiligen Einfluss auf den Verlauf ausüben. Dem „radicalen" Ausschneiden der ganzen Geschwulst muss schon aus diesem Grunde das Kauterisiren der ganzen Schnittfläche sofort folgen. Wo durch dies Verfahren ein unnöthig grosser Substanzverlust bedingt werden würde, macht man Einschnitte, um den Aetzmitteln den Weg in die Tiefe sicherer zu bahnen. Unter letzteren wähle man solche, die schnell und tief zerstören: reine Carbolsäure (durch Erwärmung flüssig gemacht), rauchende Salpetersäure, Kali causticum, Chlorzink. Das Glüheisen entspricht dem gedachten Zweck gleichfalls, jedoch nur bei höchst energischer Anwendung. Nach der Kauterisation muss, wenn es die Localität gestattet, ein antiseptischer Verband angelegt und die weitere Behandlung überhaupt streng antiseptisch gehandhabt werden. Wird der Arzt erst am vierten oder fünften Tage der Krankheit hinzugezogen (wie dies grade in solchen Gegenden, wo Milzbrand häufig ist, oft vorkommen soll), so erscheint Manchen die locale Zerstörung des ergriffenen Theils entweder nutzlos (weil zu spät) oder überflüssig, weil Störungen des Allgemeinbefindens, wenn sie bis dahin sich noch nicht eingestellt haben, auch nicht mehr zu erwarten seien 1 ). Aber man darf nicht unbeachtet lassen, dass die Aerzte in den durch Milzbrand häufig heimgesuchten Gegenden Frankreichs, auf Grund langjähriger Erfahrungen, auch noch in neuester Zeit auf energische Anwendung der Aetzmittel, s e l b s t in d e n s p ä t e r e n S t a d i e n d e r K r a n k h e i t dringen*). So grossen Gefahren gegenüber, ist es gewiss gerechtfertigt, lieber etwas zu viel, als zu wenig zu thun. Die i n n e r e Behandlung muss von Anfang an und während des ganzen Krankheitsverlaufes eine roborirende und belebende sein. Dass der innere Gebrauch und die hypodermatische Einverleibung von Carbolsäure zur Abwendung der Gefahr und Heilung des Uebels wesentlich beitrügen, ist zwar wiederholt behauptet, aber noch nicht sicher erwiesen worden. Klingelhoetfer, der
Carbolsäure.
5jäbrigen Kinde,
Estradère,
Klingelhoeffer welches
3 Tagen 1,5 Grm. per os
Raimbert,
M é p l a i n rühmen
gab 2 s t ü n d l .
an • Milzbrand-Oedem und 1 , 2 6 subcutan
0,05,
Méplain
am Fuss l i t t , mit bei.
die Wirkungen brachte
einem
bestem Erfolge in
Osas ,die vorliegenden Beobacb-
Vgl. Bei g e l , 1. c. pag. 11 u. 12. 3
) „£e salut des malades est dans le traitement du développement de la maladie
B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aull. I.
local,
quelle que soit l'époque 23
354 tuDgen
Ernährungs-Störungen. nicht
beweisend
sind,
hat namentlich R a p h a e l
erörtert,
Die Cltate s.
im
J a h r e s b e r . v. Virchow-Hirsch, p r o 1 8 7 4 , Bd. I, pag. 6 2 4 , p r o 1 8 7 5 , Bd. II, pag. 3 1 5 .
In p r o p h y l a k t i s c h e r Beziehung ist nicht blos die Vermeidung jeder Berührung des milzbrandkranken Thieres und der von ihm herrührenden Theile zu empfehlen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die gefallenen Thiere tief vergraben und mit Kalk überschüttet oder auf andere Weise möglichst vollständig vernichtet werden.
Zweites Capitel. V e r s c h w ä r u n g (Ulceratio). Der Verschwärungsprocess hängt mit dem Brande innig zusammen. R o s e r 1 ) glaubt ihn geradezu als „ m o l e k u l ä r e n B r a n d " bezeichnen zu können. Andere lassen auch die Eiterung dabei eine wesentliche Rolle spielen. Nach 0 . W e b e r 2 ) z. B. gehen bei der Ulceration die Gewebe „theijs durch die Eiterbildung selbst, theils durch molekulären Zerfall" zu Grunde. Während beim Brande grössere, deutlich unterscheidbare Theile absterben, findet bei der Verschwärung ein Absterben ungemein kleiner Theilchen Statt, welche freilich noch immer keine Moleküle im naturwissenschaftlichen Sinne sind. Während beim Brande in der Umgegend des abgestorbenen Theiles der deutlich unterscheidbare, eiternde Demarcationsgraben sich entwickelt, entsteht b e i . der Verschwärung um jedes der kleinen abgestorbenen Stückchen herum, mithin auch zwischen ihnen, Eiterung. Wir haben sonach bei der Verschwärung brandige Zerstörung einer Seits, Eiterung und Granulationsbildung anderer Seits neben einander; je mehr die letztere vorherrscht, desto mehr neigt die Verschwärung zur Heilung. Je zahlreicher die kleinen Brandschorfe sind und je tiefer die Gewebe von ihnen durchsetzt sind, desto sicherer ist eine längere Dauer der Verschwärung. So schwankt also die Verschwärung zwischen brandiger Zerstörung und Wiederersatz ab und auf. Das Product der Verschwärung ist Eiter, welchem abgestorbene und zersetzte Gewebstheile in mehr oder weniger grosser Menge beigemischt sind. Daher ist es auch bald mehr der Brandjauche ähnlich, bald mehr dem pus bonum et laudabile. Allgemeine Chirurgie, pag. 5 3 . ' ) Vgl. d e s s e n von P i t h a
Darstellung in
und B i l l r o t h
dem H a n d b u c h der
allgem. u . speciellen
Bd. I. Ablb. I. pag. 5 0 3 .
Chirurgie
355
Verschwörung.
J o h n H u n t e r glaubte die Verschwärung aus einer „übermässig gesteigerten Thätigkeit der aufsaugenden Gefässe" erklären zu können und verglich diesen Process mit demjenigen,
durch welchen gewisse
Fötalorgane, z. B. die Thymus, verschwinden.
Aber zwischen Atrophie
und Verschwärung ist ein grosser Unterschied.
Hier handelt es sich
um
welche irgend wohin
die Bildung einer krankhaften Flüssigkeit,
ergossen w i r d ; der Körper erleidet wirklich einen Verlust,
während
er nichts verliert bei dem Verschwinden eines Organs, dessen Functionen erloschen
sind und dessen Substanz innerhalb
braucht wird.
des Organismus
ver-
Bei der Atrophie eines Körpertheils beobachtet
man
kein anderes krankhaftes Symptom,
während der Verschwärung stets
Veränderungen der Farbe, der Consistenz und der Sensibilität des bedrohten Theils vorausgehen. Manche Chirurgen
aus dem
Anfange
dieses Jahrhunderts,
wie
B e n j a m i n B e l l , R u s t u. A., legten das Hauptgewicht bei der Verschwärung Eiters. So
auf
Auch
wenig
geradezu
die
„fressenden",
zerstörenden
eine solche Anschauung
wir
den
Eiter
zerstörende
für
eine
Wirkungen
Eigenschaften
des
kann nicht gebilligt werden.
indifferente
können
wir
Flüssigkeit
ihm
doch
halten,
nicht zu-
schreiben. Die Aeliologie der Verschwärung führt uns grossen Theils auf dieselben Verhältnisse z u r ü c k , lernt
haben.
eine
geringere,
Die Intensität
welche
wir beim Brande kennen
der schädlichen
die Dauer aber
eine
oder häufig wiederholte Reizungen
Einwirkung
längere
sein.
veranlassen
muss
genur
Fortdauernde
am Häufigsten
Ver-
schwärung, wo bei einfacher und zugleich stärkerer Einwirkung Brand, bei schwächerer hingegen Eiterung entstanden wäre. lichen Veranlassungen
sind
drungenen fremden Körper
zu n e n n e n ,
weitige mechanische Insulte. sunden Körper und
Unter den ört-
daher vor Allem die von Aussen einge-
an einem
nächst
Dieselben Reize, gesunden
diesen auch
ander-
welche in einem ge-
Körpertheile
einfache
Ent-
zündung hervorgerufen hätten, geben bei schon bestehender Störung des gesammten oder des localen Ernährungsprocesses zur Verschwärung Anlass. Oft beruht die Verschwärung ausschliesslich Ursache, stehen
auf
einer Dyskrasie;
oder
sie wird
auf einer
doch
einer solchen in der Art vorbereitet, dass
durch
inneren das Be-
unerhebliche Ver-
anlassungen genügen, um sie zum Ausbruch zu bringen.
In welcher
Weise durch eine Störung des gesammten Ernährungsprocesses, wir sie
bei Dyskrasien voraussetzen,
wie
Verschwärung verursacht wird,
ist noch nicht ermittelt.
23*
356
Eroabrungs-Störungen. I.
Geschwür (ulcns, lUxoff).
Früher warf man eiternde Wunden, Verschwärung und Geschwür zusammen. Noch B o y er hat Verschwärung und Geschwür nicht unterschieden; er definirt das Geschwür als „eine mehr oder weniger alte, von einem Ausfluss eitriger Materie begleitete und durch einen örtlichen Fehler oder durch eine innere Ursache unterhaltene Continuitätstrennung in Weichtheilen". D c l p e c h nennt Geschwür jede spontane Continuitätstrennung der Weichtheile mit Substanzverlust. Mit Recht hebt er den Substanzverlust hervor, denn er besteht in Geschwüren immer, während er bei Wunden zufällig ist. Nach R u s t ist ein Geschwür „eine durch Abnormität des Vegetationsprocesses zu einer Eiter oder Jauche absondernden Secretionsfläche umgewandelte Organstelle." — Aber b e i W e i t e m n i c h t a l l e G e s c h w ü r e e n t s t e h e n an e i n e r b i s d a h i n n o r m a l e n K ö r p e r s t e l l e d i r e c t d u r c h d e n V e r s c h w ä r u n g s p r o c e s s . Sehr häufig bestand daselbst vorher schon eine abnorme Structur: eine Narbe, eine Neubildung, eine fettige oder atheromatöse Degeneration der Arterien, eine hierdurch oder auf andere Weise bedingte, unzureichende Blutzufuhr, oder anderer Seits eine venöse Stase und in Folge davon Infiltration mit Blutwasser oder mit fibrinösem Exsudat. Oft beginnt der Zerfall (die Nekrose) in den die Gewebe durchsetzenden, heterogenen Substanzen und schreitet von ihnen erst auf die ursprünglichen Gewebe weiter fort. Der Zerfall der Granulationen wandelt die Wunde in ein Geschwür um; wo man von schlechter, jauchiger Eiterung spricht, da hat man es gar nicht mehr mit einer eiternden Fläche im engeren Sinne des Wortes, sondern mit einem Geschwüre zu thun. Der Begriff Geschwür ist somit noch dehnbarer, als der der Verschwärung. Vom pathogenetischen Standpunkte müssen wir für beide auf die Nekrose zurückkommen, und es wird voraussichtlich gelingen, auch von praktischer Seite in dieser Beziehung zu einer grösseren Einfachheit zu gelangen. Die Erscheinungen, unter denen sich Geschwüre an der Körperoberfläche zu entwickeln pflegen, hat D e l p e c h sehr naturgetreu beschrieben. „Zuweilen geht ein kleiner Abscess dem Geschwüre voraus, dessen Oeffnung sich schnell erweitert und einen Pfropf abgestorbenen Zellgewebes austreten lässt. Häufiger aber wird die Epidermis durch etwas Flüssigkeit erhoben, während in dem entsprechenden Theile des Corium eine Anschoppung sich entwickelt. Sobald das Bläschen aufgebrochen ist, entdeckt man eine kleine Höhle, an deren Wandungen sich jene Fleischwärzchen vorfinden, welche alle eiternden Flächen
Geschwüre.
357
bedecken. Manchmal besteht in der Umgegend eine oberflächliche Rothe und leichte Anschwellung; die Epidermis löst sich ab und runzelt sich, ohne vorher Blasen zu bilden, ihre untere Fläche ist blos befeuchtet von einer jauchigen Flüssigkeit, und die der Epidermis beraubte Haut zeigt sich ausgehöhlt, gleichsam eingeschnitten und in verschiedener Ausdehnung eiternd. Unter anderen Umständen wird die Haut roth, springt auf; aus diesen Rissen ergiesst sich eine Flüssigkeit, die an der Luft trocknet und eine oder mehrere festhaftende Krusten bildet, unter denen die Ulcération weiter fortschreitet. Mag das Geschwür nun auf die eine oder die andere Weise entstanden sein, es dehnt sich bald mit mehr oder weniger Schnelligkeit nach allen Richtungen hin aus; man sieht die Substanz der ergriffenen Theile gradezu verschwinden. Gewebe von der Consistenz der Haut und des Zellgewebes werden ohne Weiteres zerstört. Diejenigen aber, welche sehr fest sind, wie Aponeurosen, Sehnen, Knorpel, Knochen, werden brandig, wenn die sie umgebenden Theile zerstört und ihnen somit die Blutzufuhr abgeschnitten ist 1 )-" Verschiedenheiten
der
Geschwüre.
Mit Rücksicht auf unwesentliche Abweichungen hatte man früher eine grosse Anzahl von Geschwüren aufgestellt. Man unterscheidet jetzt auch noch: e n t z ü n d l i c h e Geschwüre, obgleich doch einer Seits bei allen Geschwüren Entzündung besteht und anderer Seits durch Entzündung allein ein wahres Geschwür niemals zu Stande kommt; p h a g e d ä n i s c h e , f r e s s e n d e , welche durch die Schnelligkeit, mit welcher sie um sich greifen, also durch das Ueberwiegen der GewebsNekrose, ausgezeichnet sind u. dgl. m. Von der grössten Wichtigkeit ist die Unterscheidung der Geschwüre in solche, die aus örtlichen Ursachen allein oder doch wesentlich entsprungen sind, — ö r t l i c h e i d i o p a t h i s c h e G e s c h w ü r e , und solche, die aus allgemeinen, inneren Ursachen entstanden sind, — c o n s t i t u t i o n e l l e , d y s k r a s i s c h e , s y m p t o m a t i s c h e G e s c h w ü r e , von denen letztere, je nach der Natur des Allgemeinleidens, welches ihnen zu Grunde liegt, in Bezug auf Aussehen und Verlauf, vor Allem aber in therapeutischer Beziehung, wesentliche Differenzen darbieten, und dem entsprechend auch als s c r o p h u l ö s e , s y p h i l i t i s c h e , s c o r b u t i s c h e u. s. f. unterschieden werden. Unter den letzteren werden die s y p h i l i t i s c h e n , je nachdem sie am Orte der Infection selbst und "als deren unmittel') D e l p e c h ,
Précis élémentaire des maladies réputées chirurgicales.
tom. III. pag. 5 9 2 .
Paris 1 8 1 6 ,
358
Ernährungs-Störangen.
bare Folge, oder aber als Ausdruck eines syphilitischen Allgemeinleidens, auftreten, in p r i m ä r e und s e c u n d a r e eingetheilt. Man glaubte lange Zeit, aus der genauen Untersuchung der F o r m (namentlich des R a n d e s und des G r u n d e s ) , der A b s o n d e r u n g und der Beschaffenheit der U m g e b u n g e n eines Geschwürs, etwa noch mit Berücksichtigung des S i t z e s desselben, bestimmte Schlüsse auf die ätiologischen Verhältnisse machen zu können. Diese Lehre ist besonders von R u s t und seinen Schülern ausgebildet worden 1 ). Neuere Erfahrungen haben den Glauben an die Untrüglichkeit einer solchen Diagnostik tief erschüttert. Was die F o r m betrifft, so ist die grosse Mehrzahl der Geschwüre von krummen Linien begrenzt; Geschwüre von scharfwinkliger Form und lineare Geschwüre sind Ausnahmen. Am Häufigsten ist die elliptische Gestalt, z. B. bei scrophulösen Geschwüren am Hals und an den Gliedmaassen, bei vielen syphilitischen und fast allen einfachen Geschwüren. Demnächst ist die Kreisform am Häufigsten; die primären syphilitischen Geschwüre der Eichel und Vorhaut, manche secundare im Rachen und am Gaumensegel, auch auf der äusseren Haut und die Geschwüre am Augenlidrande zeigen dieselbe. Gewöhnlich ist der Kreis nicht regelmässig; so insbesondere bei secundaren syphilitischen Geschwüren, bei varicösen Geschwüren in der Knöchelgegend, bei scrophulösen Geschwüren des Gesichts und des Rumpfes, bei Krebsgeschwüren der Wangen und bei scorbutischen Geschwüren. Selten, und zwar nur durch Zufall, oder wenn die Heilung schon im Gange ist, bemerkt man am Rande dieser Geschwüre Winkel. Andere Geschwüre dagegen zeigen letztere sehr oft; so die am Ballen der Hand und an der Fusssohle, an den Nasenflügeln, Hornhautgeschwüre, tiefe Geschwüre der Eichel, Krebsgeschwüre, besonders wenn die Haut (wie gewöhnlich) mit dem Krebsknoten verwachsen war. Alte Geschwüre beliebigen Ursprungs, deren Ränder durch chronische Entzündung verhärtet sind, zeigen auch oft die winklige Form. Die seltenste Form ist die lineare; man findet sie zwischen den Fingern und Zehen, in den Falten am After, in der Furche an den Nasenflügeln, an den Mundwinkeln, an den Brustwarzen Säugender, in der Schenkelbeuge und am Hals kleiner Kinder, am Scrotum, an der Nagelwurzel, am Zahnfleisch (bei Scorbut und bei Mercurialkrankheit). Der R a n d des Geschwürs ist bald überaus dünn, bald sehr dick, schwielig (callös) oder aufgedunsen, bald aufrecht, perpendiculär zum Grunde stehend und scharf abgeschnitten, wie an vielen syphilitischen J
) Vgl. H u s t ,
Helkologie,
Wien 1 8 1 1 ,
Berlin 1 8 4 1 ,
Handbuch der Chirurgie Bd. XVI., Berlin 1 8 3 5 .
und dessen
Alphabetisches
Geschwüre.
359
Geschwüren, bald schief stehend, nach Aussen umgebogen, wie bei manchen scrophulösen und den meisten krebsigen Geschwürdn; manchmal nach Innen umgebogen, z. B. bei krebsigen Geschwüren der Brustwarze, oder bei alten Thränenlisteln und manchen Geschwüren am Scrotum und in der Achselhöhle. Zwischen dem Rande und dem Grunde des Geschwürs ist entweder eine scharfe Trennungslinie (an syphilitischen Geschwüren sehr deutlich), oder Rand und Grund gehen unmerklich in einander Uber; dann ist die Geschwürsfläche regelmässig ausgehöhlt, wie nach einem Substanzverlust durch Gaustica. Gewöhnlich aber ist der G r u n d glatt und eben (syphilitische, scrophulöse, varicöse Geschwüre). Convex ist er nur in der ersten Zeit des Bestehens, dann aber gewöhnlich. Constant ist dies, wenn das Geschwür aus einer Drüse, aus einer Pustel oder aus der angeschwollenen Basis eines Bläschens entsteht. "Unebenheiten des Grundes und Windungen bemerkt man besonders bei Krebsgeschwüren und Lupus. Der Grund erstreckt sich oft weiter, als die Oeffnung: man sagt dann, „die Ränder sind abgelöst" und nennt das Geschwür „sinuös". Findet die Ablösung nur in e i n e r Richtung Statt und erstreckt sich sehr weit hin., so dass der Grund einen langen röhrenförmigen Blindsack darstellt, so heisst das Geschwür „fistulös". Dass man aus der F o r m allein nicht mit Sicherheit die Natur des Geschwürs, namentlich auch nicht die demselben zu Grunde liegende Dyskrasie (wie R u s t wollte), zu erkennen vermag, ist jetzt allgemein anerkannt. Das Stadium der Verschwärung, die Tiefe und besonders der Sitz haben den entschiedensten Einfluss auf die Form. So ist das syphilitische Geschwür zu Anfang regelmässig rund, später aber oft oval, oder auf der Eichel gar winklig, oder linear in den Afterfalten, in den Lippenwinkeln u. s. w. Unmöglich kann man die winklige Form als charakteristisch für den Krebs ansehen, da sie einer Seite auch manchen syphilitischen Geschwüren zukommt, und anderer Seite Krebsgeschwüre mit genau runder Form auftreten. Deshalb muss man aber nicht die Form bei der Diagnose ganz vernachlässigen; sie ist immer noch ein werthvolles Merkmal, wenn man die übrigen Verhältnisse gleichzeitig 'gehörig berücksichtigt. Die Einimpfung des Secrets, die man statt der Beachtung der Form als diagnostisches Hülfsmittel namentlich für syphilitische Geschwüre allgemein hat einführen wollen, ist für die Mehrzahl der Fälle unausführbar, oft unzuverlässig und zuweilen gefährlich. Auch die Beschaffenheit der R ä n d e r ist für die Natur des Geschwürs nicht immer charakteristisch. Syphilitische Geschwüre haben in der Regel scharf abgeschnittene Ränder; aber bei manchen sind
360
Ernäbrungs-Störungen.
die Ränder so stark nach Aussen umgebogen, dass man behaupten könnte, sie haben gar keine Ränder. Eben so wenig lässt sich die Angabe halten, nach Aussen umgeworfene Ränder seien charakteristisch für Krebsgeschwüre. Ja man darf behaupten, der S i t z des Geschwürs habe in dieser Beziehung einen viel grösseren Einfluss, als die ihm zu Grunde liegende Dyskrasie. Man muss aber unter „Sitz" nicht blos diese oder jene Stelle des Körpers verstehen, sondern dabei alle, vielleicht zufällig modificirenden, örtlichen Einflüsse beachten, wie z. B. die Spannung der Haut, den Grad ihrer Festheftung an die unterliegenden Theile u. s. w. Zu Anfang sind die meisten Geschwüre rund, weil bei der gewöhnlieh nur punktförmigen Trennung die Elasticität der Haut nach allen Seiten bin gleichmässig wirkt; ist die Haut stark gespannt, so wirkt die Elasticität desto mehr, und! das Geschwür vergrössert sich sehr schnell: „frrsst um sich". In der gleichmässig gespannten Haut der Stirn, des RUckens, der Brust sind die Geschwüre im Allgemeinen rund, während auf der in verticaler Richtung 1 weniger gespannten Haut der Extremitäten die elliptische Form vorherrscht. Ist die Spannung in der einen Richtung sehr gross, während sie in der anderen ganz fehlt, so entsteht die lineare Form. Wenn wir aber auch, wie aus dem Vorstehenden sich ergiebt, den diagnostischen Werth der Formverhältnisse eines Geschwürs als unzureichend für eine sichere Diagnose ansehen müssen, so hat die auf dieser Grundlage aufgebaute Classification von R u s t doch immer noch mehr als blos historisches Interesse, indem sie namentlich dem Anfänger eine Uebersicht in zweckmässiger Anordnung gewährt. Ich lasse dieselbe daher hier in gedrängtester Kürze folgen. R u s t unterscheidet zunächst vom ätiologischen Standpunkte zwei Hauptgruppen der Geschwüre: solche aus örtlicher und solche aus allgemeiner (constitutioneller, innerer) Ursache. A.
Das ö r t l i c h e
Geschwür
ist entweder einfach oder complicirt. I. Das e i n f a c h e Geschwür heisst auch gutartig, weil keine anderweitigen, weder örtlichen noch allgemeinen, Krankheitszustände damit verbunden sind. II. C o m p l i c i r t heisst ein Geschwür, welches entweder eine beträchtlich abweichende Gestalt hat, oder mit anderen örtlichen oder allgemeinen Uebeln vergesellschaftet ist; das complicirte örtliche Geschwür zerfällt daher in:
361
Geschwüre.
a ) das mit örtlichen ß ) das
mit
Fehlem,
allgemeinen
Fehlern
(constitutionellen
Leiden)
verbundene. 1.
Einfaches
Rand gleichförmig, eben. wärzchen überdeckt.
Geschwür.
Grund mit gesunden, röthlichen Fleisch-
Umgebung normal.
Eine eiternde Wunde ist
der Typus dieses Geschwürs. II.
Complicirtes
Geschwür,
und zwar mit Rücksicht auf die ö r t l i c h e n a) Geschwüre 1. lich.
mit v o r w a l t e n d e n
Ulcus hypersthenicum.
Fehler:
Vitalitätsfehlern:
Rand wulstig und sehr empfind-
Grund lebhaft roth, empfindlich und leicht blutend.
rung sparsam,
mehr schleimig als eitrig, oft blutig.
schwollen, schmerzhaft, geröthet.
Absonde-
Umgebung ge-
Zuweilen ist Fieber dabei, manch-
mal gastrische Beschwerden, zuweilen Erethismus des ganzen Nervensystems. 2.
UJcus asthenicum.
auch ödematös.
sonderung reichlich, kann
Rand blass,
zusammengefallen,
oder
Grund schlaff, zottig, livid, ohne Granulationen. dünn.
Umgebung ödematös
die Empfindlichkeit entweder
erloschen
und blass.
AbDabei
sein (Ulcus torpidum),
oder krankhaft erhöht (Ulcus erethicum). 3.
Ulcus putridum,
graenosum auf einem
und
dessen höherer Grad U l c u s
gan-
beruhen bald auf einer übermässigen Entzündung, bald
allgemeinen Schwächezustande.
Im
ersteren Falle ist die
Umgegend dunkelroth und äusserst schmerzhaft, das Geschwür selbst wandelt sich in einen Brandschorf um.
Im zweiten Falle ist in der
Umgegend kaum eine entzündliche Reaction wahrzunehmen, schwür selbst sieht
aschgrau und welk a u s ,
ist
das Ge-
unempfindlich
und
sondert J a u c h e in grosser Menge ab. b) G e s c h w ü r e m i t v o r w a l t e n d e n 1.
Ulcus
callosum.
Rand
Organisationsfehlern.
dick hervorragend,
hart, meist glatt, leicht trocken, unempfindlich. auf fortdauernder chronischer Entzündung.
knorpelartig
Die Callosität beruht
Misshandlung durch Reiz-
mittel, Spannung der Haut Uber Knochenvorsprünge,
wiederholte In-
sultationen, oder auch das Bestehen einer Dyskrasie sind die Ursache. 2.
Ulcus fungosum.
Auswüchse hervor,
oder
sind bald weich,
schlaff,
empfindlich
leicht
und
Aus
demselben
schiessen schwammige
sein Grund ist mit solchen besetzt. bleich, bläulich blutend,
Diese
oder dunkel gefärbt,
bald aber
fest,
roth und
un-
höchst
362
Ernähruogs-Störungen.
empfindlich (carnöse Geschwüre). Ihr Secret ist dem entsprechend bald wässrig oder jauchig, bald eiterförmig. Die fungösen Granulationen beruhen auf einer übermässigen Wucherung, welcher ein Reizungszustand zu Grunde liegt, der gewöhnlich durch die Anwesenheit eines fremden Körpers oder eines kranken Knochens bedingt ist. 3. U l c u s o e d e m a t o s u m . Oedem tritt zu einem Geschwür, oder Geschwür zum Oedem. Rand bleich, aufgedunsen. Grund glatt, glänzend, unempfindlich. Absonderung wässrig, geruchlos. Gewöhnlich liegt eine allgemeine Kachexie, seltener ein örtliches Hinderniss des Rückflusses der Säfte zu Grunde. 4. U l c u s v a r i c o s u m , leicht erkennbar an den dasselbe umgebenden Krampfadern (varices). Rand scharf abgeschnitten, Grund flach, braunroth, oft mit Blutpunkten besetzt. Absonderung serösblutig. Umgegend braun oder blau gefärbt. c) G e s c h w ü r e m i t v o r w a l t e n d e n F o r m f e h l e r n . 1. U l c u s s i n u o s u m s. c o l p o d e s . Rand unterminirt, dünn, schlaff, blau- oder braunroth. Grund fast ganz durch den Rand verdeckt, meist schwammig. Secret wässrig oder käsig. Entsteht meist aus Eiterungen im Unterhautbindegewebe oder in Lymphdrüsen, besonders bei zu später oder unzweckmässiger Eröffnung der Abscesse. 2. U l c u s f i s t u l o s u m . Der Grund des Geschwürs stellt einen langen Blindsack oder Canal dar. (Vgl. F i s t e l , pag. 3 7 6 u. f.) B. G e s c h w ü r e a u s a l l g e m e i n e n sind verschieden, je nach der Natur des ihnen zu Grunde liegt, also: scrophulöse, (nach R u s t auch: rheumatische, gichtische, carcinomatöse).
Ursachen Allgemeinleidens, welches syphilitische, scorbutische abdominelle, impetiginöse,
1. S c r o p h u l ö s e G e s c h w ü r e , entstehen in der grossen Mehrzahl der Fälle in der Richtung von Innen nach Aussen, namentlich von vereiterten Lymphdrüsen und von chronisch entzündeten oder in Verschwärung übergegangenen Knochen aus, ferner aus aufgebrochenen kalten Abscessen, in manchen Fällen auch aus oberflächlichen Pusteln, meist im kindlichen Alter bei Individuen, an denen auch die übrigen charakteristischen Erscheinungen der Scrophelsucht') deutlich ausgeprägt sind; sie bessern sich im ' ) Der Begriff „ s c r o p h u l ü s " wird nicht blos von LaieD, sondern auch von Aerzten noch oft viel zu weit gefasst.
Man ist sehr geneigt, jedem Kinde mit blasser
Haut, blonden Haaren, blauen Augen und etwas angeschwollenen Lippen, zumal wenn es irgend
eine Drüsenschwellung am Halse zeigt, den „ H a b i t u s
p ü u l o s u s " zuzuschreiben,
während
scro-
ein solches Kind vielleicht fernerhin
sich
363
Geschwüre.
Herbst und verschlimmern sich im Frühjahr; recidiviren häufig, auch nach scheinbar vollständiger Heilung, gewöhnlich im Frühjahr. Ihr Grund ist bleich und unrein, ihr Rand schlaff, ganz gewöhnlich, zumal bei solchen, die von Lymphdrüsen oder von Knochen ausgehen, unterminirt (sinuöse Geschwüre); die Umgebung ist livid, das Secret dünnflüssig, mit käsigen Flocken gemischt, oft auch durchweg käsig eingedickt, in welchem Fall dasselbe dann als „Tuberkelmasse" angesprochen wird. Die Heilung geht selbst bei sorgfältigster örtlicher und allgemeiner Behandlung sehr langsam von Statten; namentlich beginnt die Vernarbung immer erst, nachdem die unterminirten Ränder durch spontane Nekrose oder durch Kunsthülfe beseitigt sind. Die Narbe zeigt ein strahliges, glänzendes Gefüge, wie „gefrorene Fensterscheiben". Dies hängt wesentlich von ihrer langsamen Entwickelung und der Grösse des Substanzverlustes, nicht aber von einem specifischen Einflüsse der scrophulösen Dyskrasie ab. 2. S y p h i l i t i s c h e G e s c h w ü r e 1 ) , Schanker (chancres), treten entweder als unmittelbare lócale Folge der Uebertragung (Einimpfung) eines, meist an eiternden oder geschwürigen Stellen der einer durchaus untadeligen Gesundheit erfreut, namentlich an keinerlei „ k ä s i g e n Eiterungen"
leidet,
die man
als besonders charakteristisch für Scrophulose
und dieser ausschliesslich zukommend von
anatomischer Seite auch
nicht ganz
mit Recht bezeichnet hat, da viele andere Verhältnisse, ganz unabhängig von einem scrophulösen Allgemeinleiden, zu käsiger Eindickung des Eiters in verschiedenen Organen Veranlassung geben können.
Als charakteristisch
für
Scrophulose
haben wir a n z u e r k e n n e n : eine vorwiegende Neigung zur Hyperplasie (chronischen Entzündung) der Lymphdrüsen
einer Seits und
artung sowohl dieser geschwollenen D r ü s e n , ( C u t i s , Schleimhäute,
anderer Seits zur käsigen
Ent-
als auch mancher anderen Organe
Knochen, Gelenke), welche in diesen vielleicht auch auf
einer ursprünglichen Schwäche des Lympbgefässsystems beruht.
Vgl. V i r c h o w ,
Krankhafte Geschwülste, Berlin 1 S 6 3 u. f. Bd. II. pag. 5 8 2 u. f.,
Waldenburg,
Tuberculose, Lungenschwindsucht und Scrophulose, Berlin 1 8 6 9 , pag. 1 7 4 u . f . — In Betreff der Ableitung des Namens „ S c r o p h e l n " von dem Lateinischen „ s c r o f a " , Schwein, vgl. V i r c h o w , 1. c. pag. 5 5 8 . ') Die Lehre von der S y p h i l i s wird bier n u r ,
soweit sie in die allgemeine Hel-
kologie eingreift, berücksichtigt, da sie bei nns in den Lehrbüchern der
„spe-
c i e l l e n P a t h o l o g i e u n d T h e r a p i e " ausführlich dargestellt zu werden pflegt. Zu einem genaueren Studium sind, wegen der wesentlichen Aenderungen, welche diese Lehre in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, n u r die neuesten Compendien zu e m p f e h l e n ,
namentlich a l s o : V i d a l ,
3. édition, Paris 1 8 5 6 . Wien 1 8 5 9 .
Traite des maladies vénériennes,
M i c h a e l i s , Compendium der Lehre von der Syphilis,
M. R o b e r t , Nouveau traite des maladies vénériennes, Paris 1 8 6 1 .
(jeigel,
Geschichte,
Zeissl,
Lehrbuch
Pathologie und Therapie
der Syphilis e t c . ,
der Syphilis.
Erlangeo 1 8 7 1 u. f.
Würzburg Chr.
1865,
Bäumler,
Syphilis, in dem Handb. d. speciellen Path. u. Therapie v. Hugo von Ziemssen,
364
Ernährungs-Störungen.
Genitalien haftenden Ansteckungsstoffes auf, der im weitereil Sinne des Wortes als „syphilitisch" bezeichnet wird, — oder als Symptom des durch irgendwelche Uebertragung des syphilitischen Contagiums (im engeren Sinne des Wortes) bewirkten Allgemeinleidens (Lues syphilitica, constitutionelle Syphilis). Im ersten Falle heissen sie p r i m ä r e , im zweiten s e c u n d ä r e Geschwüre. A. Die p r i m ä r e n s y p h i l i t i s c h e n G e s c h w ü r e finden sich, der gewöhnlichen Art der Uebertragung (Ansteckung) entsprechend, meist an den Genitalien und zwar unter drei wesentlich verschiedenen F o r m e n , als w e i c h e (sog. e i n f a c h e ) , als i n d u r i r t e (oder i n f i c i r e n d e ) und als p h a g e d ä n i s c h e Schanker. à) Der e i n f a c h e , w e i c h e (pseudosyphilitische) S c h a n k e r hat eine rundliche Form, einen ebenen Grund, einen scharf abgeschnittenen, wie mit einem Locheisen ausgeschlagenen, ein wenig nach Aussen umgeworfenen und leicht unterminirten Rand '), ein unverhältnissmässig reichliches, dickes, weissgelb oder gelbgrün gefärbtes, in hohem Grade ansteckendes Secret. Die Umgebungen und der Grund des Geschwürs verhalten sich wie normale Gewebe und sind namentlich in der Regel frei von Induration. Jedoch kommen Fälle vor, in denen, theils nach der Anwendung von Aetzmitteln, theils auch ohne solche, eine Verhärtung des Geschwürsgrundes eintritt, die man als e n t z ü n d l i c h e bezeichnet und die sich auch in der That von anderweitig vorkommender entzündlicher Induration nicht unterscheidet. Weiche Schanker finden sich häufiger in grösserer Anzahl an demselben Individuum als vereinzelt 1 ), indem sie entweder sofort haufenweise auftreten, oder sich durch locale Ansteckung von einem ursprünglichen Geschwüre aus allmälig vermehren. Schwellungen der zu dem erkrankten Theile gehörigen Lymphdrüsen, meist also der Leistendrüsen ( B u b o n e n ) , können zu weichenSchankern bald früher, bald später Bd. III, Leipzig, 1 8 7 4 . — Eine gedrängte, aber sehr gründliche und u n p a r t e i i s c h e Darstellung giebt F o l l i o Paris 1 8 6 1 .
in seinem Traité élémentaire de pathologie
Tom. I. pag. 6 0 4 — 7 8 4 ,
externe,
woselbst auch alles Wesentliche aus
der
ungeheuren Litteratur der früheren J a h r z e h n t e zu finden ist. — Kurz und treffend erläutert den n e u e s t e n
Standpunkt G e o r g L e w i n in seinen Vorträgen „Zur
Lehre der syphilitischen Helkose
in Bezug auf Nomenclatur,
Pathogenese und
chirurgische Therapie", Berl. klin. Wochenschrift 1 8 7 3 , No. 7 — 1 2 . ') Bei genauerer Untersuchung mit der Loupe zeigt sich dieser Rand leicht gezähnelt und roth
umsäumt.
' ) In F o u r n i e r ' s Bericht aus der Klinik von R i c o r d
finden
sich u n t e r 2 5 4 wei-
chen Schankern nur 4 8 vereinzelte, dagegen 116 mal 3 bis 6 , 41 mal 6 bis 10, 3 2 mal 2, 17 mal 1 0 bis 2 0 .
365
Geschwür«.
hinzutreten, finden sich jedoch nicht immer 1 ), bleiben, wenn sie vorkommen, fast immer auf die erkrankte Körperseite und auf die oberflächlichen Lymphdrüsen beschränkt, sind entschieden entzündlicher Natur, daher auch für Druck sehr empfindlich ( e n t z ü n d l i c h e , d o l e n t e B u b o n e n ) und nehmen ihren Ausgang bald in Zertheilung bald in Eiterung. Im letzteren Falle kann dem Aufbruch des Drüsenabscesses einfache Vernarbung oder aber auch Ulceration folgen. Erstere ist namentlich zu erwarten, wenn der Abscess nicht in der Drüse selbst, sondern in dem periglandulären Bindegewebe seinen Sitz hatte (vgl. Krankh. d. Lymphdrüsen, Bd. II). Tritt Verschwärung des Bubo ein, so ist sein Secret auch wieder contagiös. — Impfungen, welche mit dem Eiter eines solchen Bubo oder eines weichen Schankers vorgenommen werden, h a b e n , selbst wenn man sie Tausende von Malen an demselben Individuum wiederholt, immer wieder, und zwar sofort, ohne vorgängiges Incubationsstadium, die Eutwickelung eines weichen Schankers zur Folge. An der alsbald gerötheten Impfstelle entwickelt sich innerhalb der ersten 24 Stunden eine entzündliche Schwellung und Härte, ein Knötchen, auf dessen Spitze durch Erhebung der Epidermis ein mit wasserheller Flüssigkeit gefülltes Bläschen entsteht, welehes unter allmäliger Trübung seines Inhaltes am 3ten Tage bereits die Grösse einer Erbse erreicht und sich weiterhin in der Mitte nabeiförmig einzieht. Oft wird dies juckende Bläschen absichtlich oder zufällig durch Kratzen zerstört, sonst aber platzt es schliesslich und lässt nun (meist zwischen dem 7ten und lOten Tage nach der Uebertragung) das unter ihm entwickelte Geschwür mit den oben angegebenen Charakteren zum Vorschein kommen. Seltener verwandelt sich das Bläschen unter Eintrocknen seines eitrigen Inhalts in einen braunen Schorf, der auf dem Geschwüre fest haftet, ohne dass letzteres übrigens von der sonstigen Beschaffenheit des weichen Schankers abweicht. — Im weiteren Verlaufe wächst das Geschwür, unter Beibehaltung seiner rundlichen Form, bald mehr, bald weniger in die Fläche, wobei manchmal benachbarte Geschwüre zusammenfliessen. Meist lässt die, vom Geschwürsgrunde ausgehende Granulationsbildung nicht lange auf sich warten; zuweilen wuchern die Fleischwärzchen allzu üppig empor, so dass ein U l c u s f u n g o s u m entsteht, welches mit einem „ b r e i t e n C o n d y l o m " Aehnlichkeit haben kann 1 ). ' ) F o u r n i e r zählte unter 2 0 7 Fällen n u r 6 5 Bubonen a u f ; nach L e w i n , dem ich beistimmen
muss,
sind die sogenannten
dolenten
Bubonen,
eine
überaus
häufige Complication weicher Sehanker. In ähnlicher Weise, n i e man Geschwüre, welche mit Syphilis zusammenhängen, „ S c h a n k e r " genannt hat, bezeichnet man als „Condylome* solche papilläre oder
366
Ernährungs-Störungen.
Gewöhnlich aber erfolgt, wenn das Geschwür nicht etwa den phagedänischen Charakter annimmt (vgl. c.), innerhalb einiger Wochen ohne Kunsthülfe die Vernarbung. Mit dem Beginne derselben hört das Secret des Schankers zuweilen auf, ansteckend zu sein; oft aber behauptet es seine Contagiosität bis zum Ende der Narbenbildung. b) Der i n d u r i r t e oder i n f i c i r e n d e (echt-syphilitische) S c h a n k e r ist viel seltener als der weiche 1 ) und kommt, in der Mehrzahl der Fälle vereinzelt*) an beliebigen Körperstellen vor. Seine Form stimmt in der Regel mit derjenigen des weichen Schankers überein; aber die ganze Geschwürsfläche erscheint glatt, wie lackirt, der Grund speckig, weissgrau gefärbt, in der Mitte dunkel punktirt, die etwas hervorspringenden Ränder sind nicht unterminirt, das Secret viel spärlicher und dem guten Eiter weniger ähnlich, als bei der ersteren Art der syphilitischen Geschwüre. Dem Namen entsprechend, zeigen Grund und Umgebung des indurirten Schankers eine auffallende, knorpelartige Härte, welche sich meist bis zu erheblicher Tiefe erstreckt, selten auf die oberflächlichsten Schichten beschränkt bleibt, noch seltener das Geschwür ringförmig umgiebt. Diese Induration unterscheidet sich von der oben erwähnten entzündlichen durch den Mangel der Röthung und des Schmerzes; es pflegt sogar Verminderung der Empfindlichkeit in den verhärteten Theilen zu bestehen. In den entsprechenden Lymphdrüsen entsteht regelmässig, innerhalb der ersten 14 Tage nach dem Auftreten des Schankers, eine schmerzlose, überhaupt nicht-entzündliche, daher auch Anfangs immer ohne Betheiligung des periglandulären Gewebes auftretende Schwellung, von welcher meist nach einiger Zeit auch die analogen Drüsen der anderen Seite, wenngleich weniger stark, ergriffen werden. Diese sogen, i n d o l e n t e n B u b o n c n stellen, der Zahl der erkrankten Drüsen entsprechend, vielhöckrige Geschwülste dar, die meist viel länger dauern als der Schanker, welcher sie erregt hat. Durch directe Insulte und durch bedeutende Anstrengungen kann in ihnen Entzündung und dann auch Eiterung entstehen, mit nachfolgendem Aufbruch. Bei scrophubindegewebige W u c h e r u n g e n ,
welche
in Folge
von
blennorrboischen
oder
syphilitischen L e i d e n in G e s c h w u l s t f o r m , n a m e n t l i c h auf d e r ä u s s e r e n treten. welche
Man
unterscheidet
von B l e n n o r r h ö e n ,
spitze
Condylome,
und b r e i t e ,
Condylomata
Condylomata l a t a ,
acht
H a u t aufacuminata,
w e l c h e von
ächter
Syphilis a b h ä n g i g s i n d . Puche
fand unter 1 0 , 0 0 0 S c h a n t e r n
indurirte;
mithin
scheinen
sich
nur 1955,
F r e q u e n z n a c h , zu v e r h a l t e n , wie 1 zu s
) Unter F o u r n i e r ' s
Fournier
die i n d u r i r t e n S c h a n k e r zu
unter 341
nur 126
den w e i c h e n ,
der
5.
4 5 6 Fällen w a r e n n u r 1 1 5 , in d e n e n m e h r als 1, u n d n u r 2 9 ,
in d e n e n m e h r als 2 i n d u r i r t e
S c h a n k e r an d e m s e l b e n I n d i v i d u u m
vorkamen.
367
Geschnüre.
lösen Subjecten kommt dies besonders leicht und zuweilen ohne nachweisbare Veranlassung vor. Impfungen mit dem Secret eines indurirlen Schankers oder der von ihm abhängigen Bubonen liefern an demselben Körper, welcher mit dieser Geschwürsart bereits behaftet ist oder war, niemals ein Resultat '). Erfolgt dagegen die Uebertragung (absichtlich oder zufällig) zum ersten Mal, so erweist sich das Secret des indurirten Schankers entschieden contagiös. N a c h e i n e r I n c u b a t i o n s z e i t v o n 2 b i s 6 W o c h e n entsteht ein Knötchen, welches alsbald von der Mitte aus ulcerirt und ohne erhebliche Schmerzen, zuweilen ganz unbemerkt, sich in das charakteristische Geschwür umwandelt. Der weitere Verlauf bis zu der auch hier ohne Kunsthülfe möglichen Vernarbung des Geschwürs dauert 4 bis 6 Wochen ; letztere wird durch das Aufschiessen guter Granulationen vom Rande her vorbereitet und erfolgt meist in centripetaler Richtung, selten in ganzer Ausdehnung gleichmässig. Ausnahmsweise wandeln sich die wuchernden Geschwürs-Granulationen in ein „breites Condylom" u m ' ) . Die Induration besteht in der Regel auch nach der Vernarbung fort, bald nur einige Wochen, bald Jahre lang, um dann allmälig zu verschwinden. Hatte der Schanker seinen Sitz in der äusseren Haut, so behält die Narbe meist noch über die angegebenen Fristen hinaus eine eigentümlich dunkle Färbung, welche nach einem weichen Schanker niemals beobachtet wird. Die U n t e r s c h e i d u n g dieser beiden Arten von syphilitischen Geschwüren wird, nach der vorstehenden Schilderung, meist keine besonderen Schwierigkeiten machen. Dieselbe ist aber wesentlich und nothwendig, weil es sich bei dem weichen Schanker um ein Leiden handelt, welches nur höchst selten, vielleicht niemals 3 ) eine Erkrankung des übrigen Körpers zur Folge hat, während die constitutionelle Syphilis auf den indurirten Schanker nicht blos mit grosser Bestimmtheit folgt, sondern schon mit ihm sich während des Incubationsstadiums des Geschwürs entwickelt, so dass man die Induration mit mehr Recht f ü r das erste Symptom des Allgemeinleidens, als für die unmittelbare Wirkung der localen Uebertragung ansehen kann 4 ). ') In R i c o r d ' s Klinik solleu allerdings unter 150 Iinpfversuchen der Art doch 2 Erfolg gehabt haben; neuere Beobachtungen lassen auch diese 2 anzweifeln. Vgl. R o l l e t und D i d a y ; Annuaire de la syphilis etc. !
1859.
) Vgl. D a v a s s e et D e v i l l e in d. Archives de médecine 1845.
») Vgl. G e o r g L e w i n , 1. c. pag. 74. *) Vgl. ausser den schon citirten Schriften: v. B ä r e n s p r u n g , Mittheilungen etc., in d. Annalen des Cbarité-Krankenhauses. VII. 2. Berlin 1856, XI. 1. 1860, und H i c o r d , Leçons sur le chancre, publ. par F o u r n i e r , Union mëd. 1857.
368
Ernährungs-Störungen. Das U l c u s d u r u m
ist keineswegs
die einzige Localaflection, mit welcher die
(ächte) Syphilis beginnen kann, vielmehr können 1) epidermoidale Schuppenbildungen, 2) Papeln und Hautsclerose,
oder 3) Knotenbildungen das I n i t i a l s y m p t o m
bilden,
j e nachdem der Ansteckungsstoff n u r bis zum Bete Malpigbi, oder bis in den Papillarkörper oder endlich bis in das subcutane Bindegewebe eingedrungen ist. Vgl. G. L e w i n , Berl. klin. Wochenschr. 1 8 7 3 , pag. 1 0 1 .
c) P h a g e d ä n i s c h e S c h a n k e r nennt man solche, welche mit weit um sich greifender, brandiger Zerstörung auftreten, in weitem Umkreise entzündliche und ödematöse Schwellungen hervorrufen, und deren Geschwürsgrund Aehnlichkeit mit dem diphtherischen Belag, den wir beim Hospitalbrande beschrieben haben, zeigt. Diese phagedänische Beschaffenheit, welche in jeder Beziehung Analogien mit der Nosocomialgangrän darbietet, entwickelt sich gewöhnlich erst, nachdem der Schanker schon einige Zeit bestanden hat, viel häufiger bei weichen als bei indurirten Geschwüren, und ist somit als eine Complication aufzufassen, die zwar besonders beschrieben werden muss, aber keineswegs zur Aufstellung einer besonderen Species berechtigt. Alles was über die Contagiosität des Secrets, die Seltenheit einer allgemeinen Infection, die Art der Bubonen u. dgl. m. in Betreif der phagedänischen Schanker ausgesagt wird, findet seine Erklärung in dem Umstände, dass meist w e i c h e Schanker von dieser Complication befallen werden. Die bald mehr geschwürige, bald mehr brandige Zerstörung (letztere auch als „gangränöser Schanker" bezeichnet) verbreitet sich mehr der Fläche nach, als in die Tiefe, am Schnellsten im Bindegewebe, demnächst in der Haut, weniger leicht in anderen Geweben'). Die Gestalt des Geschwürs ist meist unregelmässig ausgezackt und ausgebuchtet, der Rand sinuös (oft weithin unterminirt). Die Heilung der ausgebreiteten Zerstörungen erfolgt um so langsamer, da meist geschwächte oder anderweitig kranke Individuen von dieser Complication befallen werden.
B. Die s e c u n d ä r e n s y p h i l i t i s c h e n G e s c h w ü r e finden sich an verschiedenen Körperstellen, bald auf Schleimhäuten, bald auf der äusseren Haut. Im ersteren Falle ist besonders die Schleimhaut des Gaumensegels und des Rachens ihr Lieblingssitz. Auf der äusseren Haut entwickeln sie sich entweder aus den höchst verschiedenformigen syphilitischen Exanthemen (den sogen. Syphiloiden), also bald aus Pusteln (Ecthyma), bald aus Blasen (Rupia, Pemphigus), bald aus Knötchen u. s. f., oder aber aus aufgebrochenen Bubonen, aus syphilitischen Gummigeschwülsten, endlich auch über entzündeten und ' ) F o l l i n (I. c. pag. 6 4 8 ) erwähnt einen phagedänischen S c h a n k e r ,
der sich von
der Schenkelbeuge bis zum Knie erstreckte. — Dass grosse Stücke des Penis auf solche Weise (durch sog. Selbstamputation) verloren gehen, ist nicht ganz selten.
369
Geschwüre.
cariösen Knochen. Die letzteren beiden Formen werden auch als „tertiäre Geschwüre" bezeichnet, da man die localen Erkrankungen, aus denen sie entstehen, als tertiäre Zufälle ansieht. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist der von uns schon bei den primären Geschwüren aufgeführte i n d u r i r t e S c h a n k e r , sicher wenigstens die ihn eharakterisirende Induration als secundär, d. h. als Ausdruck des bereits entwickelten Allgemein leidens aufzufassen (vgl. pag. 367). So mannigfaltig, wie die Formen der syphilitischen Exantheme, sind auch diejenigen der secundären Geschwüre; jedoch zeigt sich die serpiginöse Form vorwiegend. Vollkommen unmöglich aber ist es, aus den blossen Formverhältnissen die syphilitische Natur eines solchen Geschwürs mit Gewissheit zu erschliessen (vgl. pag. 358 u. f.); vielmehr muss die Entstehungsgeschichte des Geschwürs selbst und die Beschaffenheit der ganzen Körperoberfläche des Patienten, namentlich also die Anwesenheit der gedachten Hautausschläge, das Fortbestehen von Induration an den Stellen der ersten Infection, die Schwellung der Lymphdrüsen, endlich die Anamnese (im weitesten Sinne) der Diagnose Halt gewähren. Vollständige Sicherheit erlangt man oft erst ex juvantibus et nocentibus. Die Unterscheidung vom Krebs und vom Lupus wird in spätem Abschnitten zu erläutern sein. Unter den secundär-syphilitischen Geschwüren haben diejenigen, welche man namentlich an nördlichen Küstenstrichen (jedoch auch in Serbien), zumal bei schlecht genährten und unreinlichen Menschen, in grosser Ausdehnung und gewöhnlich serpiginöser Form auf der äusseren Haut sich entwickeln sieht, besondere Namen und auch wohl besondere Deutungen erfahren. So nennt man sie in Norwegen R a d e s y g e , in Holstein D i t t m a r s i s c h e K r a n k h e i t , in Serbien S k e r l i e v o . Diese Namen sind unnütz, denn es handelt sich in der That nur um secundäre Syphilis. Serpiginöse Geschwüre der Art sind auch an der West-Pommerschen Küste ziemlich häufig und haben sich mir daselbst, bei völliger Uebereinstimmung mit der „Radesyge" der Norwegischen Küsten, stets als syphilitisch erwiesen. 3. S c o r b u t i s c h e G e s c h w ü r e entstehen in Folge eines durch fehlerhafte Mischung der Nahrungsmittel, gewöhnlich bei gleichzeitiger andauernder Einwirkung feuchter Luft, hervorgerufenen Allgemeinleidens, meist aus Blutergüssen in und unter der Haut, mit heftigen Schmerzen, am Unterschenkel, am Zahnfleisch, am Gaumen. Ihr Grund ist höckrig, unrein, meist bläulichroth gefärbt, indem die nekrotisirenden Gewebe von halbgeronnenem Blute durchsetzt sind. Der Rand ist schlaff und, Wie die Umgebung des Geschwürs, oft ödematüs oder blutig inliltrirt; zuweilen wachsen B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
I.
24
370
Ernährungs-Störungen.
auf ihm schlaffe, leicht blutende Granulationen. Das Secret ist sehr dünn, meist blutig gefärbt und von widerlich süsslichem Geruch. Die zurückbleibenden Naiben sind livid und glänzend. Behandlang der Geschwüre. — A. i n d i c a t i o c a u s a i i s . Wenn das Geschwür auf einer Dyskrasie beruht, so muss diese beseitigt werden. Unzweifelhaft gehört die B e h a n d l u n g d e r D y s k r a s i e n wesentlich in das Gebiet der inneren Therapie. Dieselbe kann daher hier auch nur in Betreff der für die Helkologie vorzugsweise wichtigen dyskrasischen Leiden (Scropheln, Syphilis und Scorbut) kurz berücksichtigt werden. 1. Die wesentlichste Aufgabe bei der Behandlung der S c r o p h e l n ist, dem Kranken leicht verdauliche, nahrhafte Kost zu verschaffen und ihn in reine, warme Luft zu bringen. Nur wenn diese Bedingung erfüllt werden kann, lässt sich eine Nachhülfe von den in unsäglich grosser Anzahl empfohlenen Arzneimitteln erwarten. Unter diesen scheint die Mehrzahl auch nur durch Steigerung der gesammten Ernährung zu wirken. Dahin rechnet man den in so grossen Massen angewandten und nur bei Anwendung grosser Massen wirksamen Leberthran, den phosphorsauren Kalk, die Eisenpräparate und die sogenannten bitteren Mittel, welche letztere vielleicht nur durch Steigerung oder Regulirung des Appetites wirken. Von einer anderen Reihe von Heilmitteln erwartet man eine specifische Umänderung des gesammten Ernährungsprocesses. Hierher gehören namentlich die Jodpräparate, die Antimonialien, die salinischen Bäder, deren Jod- und Bromgehalt auch mit in Anschlag gebracht wird. Während die pharmaceutischen Jodmittel und die Antimonpräparate mit zweifelhaftem Erfolge und, sofern man sie nicht auf sehr kleine Dosen beschränkt, wohl auch nicht ganz ohne Gefahr angewandt werden, herrscht über die vorzügliche Wirksamkeit der salinischen Bäder (Kreuznach, Rehme, Salzungen, Colberg, Nauheim, Ischl etc. etc.) nur eine Stimme. Ihre Wirkung beruht wohl grössten Theils auf der Belebung der Hautthätigkeit. Häufige Bäder sollten überhaupt unter den Requisiten einer guten Diät aufgeführt werden. 2. Bei der Behandlung der s y p h i l i t i s c h e n G e s c h w ü r e glaubte m a n , von der Voraussetzung ausgehend, dass durch jedes derselben eine allgemeine Infection bewirkt werden könne, die möglichst frühzeitige Zerstörung des Infectionsherdes als Prophylaxis gegen die allgemeine Erkrankung empfehlen zu müssen. Der primäre Schanker sollte mit Aetzkali, Wiener Paste oder Chlorzink gründlich kauterisirt oder ausgeschnitten werden. Aber bei dem weichen Schanker er-
Geschwüre.
371
scheint, nach der jetzigen Auffassung, eine solche Localbehandlung überflüssig, bei dem harten meist nutzlos, weil „zu spät". Dagegen ist bei jedem Ulcus durum, weil es bereits der Ausdruck eines syphilitischen Allgemeinleidens ist, eine antidyskrasische Behandlung empfehlenswerth. Anderen Dyskrasien analog, hat man auch die Syphilis theils durch a l l g e m e i n e E i n w i r k u n g e n a u f d e n E r n ä h r u n g s p r o c e s s , theils durch s p e c i f i s c h e A l t e r a n t i a zu heilen gesucht. Will man den ersteren Weg wählen, so rnuss man dem Kranken bis auf das zur Erhaltung des Lebens nothwendige Minimum die Nahrungsmittel entziehen und durch reichliches dünnes Getränk und purgirende, diuretische und diaphoretische Mittel die Secretionen möglichst vielseitig und mächtig anspornen. Man hofft auf solche Weise den Stoffwechsel zu beschleunigen und „den im Körper hausenden Krankheitsstoff" hinaus zu befördern oder zu zersetzen. Die Hauptrepräsentanten dieser Behandlungsweise sind die B i t t e r s a l z k u r e n und das Z i t t m a n n ' s c h e Decoct (vgl. Pharmacopoe). Letzterem, sowie auch anderen Präparaten der S a s s a p a r i l l a wird von Manchen eine specifische Wirkung zugeschrieben. Das bewährteste Specificum ist das Q u e c k s i l b e r , unter dessen Präparaten namentlich der S u b l i m a t (Hydrargyrum bichloratum corrosivum) und die, in Form von Einreibungen anzuwendende g r a u e S a l b e (Unguentum liydrargyri cinereum) seit langer Zeit als A n t i s y p h i l i t i c a besonderen Ruf haben. Jedoch stellt keins der zahlreichen Quecksilberpräparate vor Recidiven ganz sicher. Die besten Erfolge liefert, nach meinen Erfahrungen, die sogen. S c h m i e r k u r , d. h. eine bei ruhiger Lage im Bett, in einem warmen Zimmer und bei guter Ernährung etwa 3 Wochen lang täglich ein Mal wiederholte Einreibung von 1 — 3 Grammen des Unguentum hydrargyri cinereum. Die früher (nach L o u v r i e r und R u s t ) mit diesen Inunctionen verbundene Hunger- und Purgir-Kur fördert die Heilung der Syphilis durchaus nicht, gefährdet aber die Gesundheit schwächlicher Individuen in bedenklichem Grade (vgl. pag. 373). Die Salivation, welche man früher f ü r nützlich und nothwendig hielt, ist als eine störende, in ihren Folgen oft schreckliche Nebenwirkung jeder Quecksilber-Behandlung sorgfältig zu verhüten. Lässt man den Mund täglich 8 bis 12 Mal mit einer Lösung des Kali chloricum (2 auf 100 Aq. destill.) gründlich ausspülen und von einer doppelt so starken Lösung desselben Salzes 4 Mal täglich einen Esslöffel voll verschlucken, so kommt es auch bei energisch durchgeführter Inunctionskur nur selten zur Salivalion. Das in Folge der Einreibungen, nament24*
Ernährungsstörungen.
372
lieh auf zarter Haut zuweilen auftretende Mercurialekzem ist keineswegs ein „kritischer" Ausschlag, sondern nur die lästige Folge der durch die Quecksilbersalbe bedingten Hautreizung. Um dasselbe zu verhüten, muss man den Ort der Einreibung möglichst oft wechseln. Die Anwendung des S u b l i m a t s stiess früher, obwohl seine Wirksamkeit anerkannt wurde, auf Schwierigkeiten, weil das Einnehmen dieses Präparates durch den Mund einer Seits wegen seiner Zersetzbarkeit unsicher, anderer Seits wegen seiner nachtheiligen Einwirkung auf die Magenschleimhaut, zumal wenn der Kranke gut genährt werden soll, bedenklich ist. Deshalb hat die von G. L e w i n 1 ) angegebene und von ihm in Tausenden von Fällen bewährt gefundene Anwendung desselben m i t t e l s t E i n s p r i t z u n g u n t e r d i e H a u t grossen Beifall und schnelle Verbreitung gefunden. L e w i n empfiehlt eine Sublimatlösung, welche 0,18 bis 0,36 Hydrargyr. bichlorat. corrosiv. auf 30 destillirten Wassers enthält, und bediente sich zur Einspritzung einer modificirten P r a v a z - L u e r ' s c h e n Spritze (vgl. Bd. II, Fig. 14.), welche 2 Grammen Wasser fasst. Da der Einstich der lanzenförmigen Spitze sowohl als die Einspritzung selbst schmerzhaft sind, werden zur lnjection Körperstellen ausgewählt, deren Cutis relativ weniger empfindlich ist, namentlich am Rücken. Die Menge des auf ein Mal (und zwar täglich ein Mal) eingespritzten Sublimats schwankt zwischen Grm. 0,006 und 0,024. Um vollständiges Verschwinden der bestehenden syphilitischen Symptome herbeizuführen, sind zwischen 0,09 und 0,18 Sublimat erforderlich. Der Kranke braucht bei dieser Kur weder das Bett noch auch das Zimmer zu h ü t e n , wenn die Witterung nicht allzu ungünstig ist, kann daher auch meist seinen Geschäften nachgehen und in gewohnter Weise weiter leben. Beim p h a g e d ä n i s e b e n S c h a n k e r wird mit Recht vor der Quecksilber-Behandluog g e w a r n t ,
weil
der Zerfall der Gewebe dadurch
beschleunigt
werden
kann.
Da
phagedänische Schanker fast immer weiche sind, wird selten zu einer solchen Behandlung Veranlassung sein.
Bei i n v e t e r i r t e r S y p h i l i s , namentlich nach wiederholtem, un4-egelmässigem oder sehr reichlichem Mercurialgebrauch liefert das J o d k a l i gute Erfolge. Mit demselben die Behandlung zu beginnen, dürfte niemals zweckmässig sein. Seine zu lange und zu starke Anwendung hat eben so üble (wenn auch vielleicht weniger augenfällige) Folgen, als die analoge Behandlung mit Quecksilber; die Sicherheit des Erfolges aber ist viel grösser, wenn man mit einer streng überwachten Quecksilberkur beginnt und später etwa auftretende Reci') Vgl. Chariti-Annalen, Bd. 14, und G e o r g L e w i n , mit subcutaner Sublimat lojectioo, Berlin
1869.
die Behandlung der Syphilis
Geschnüre.
373
dive mit Jodkali (Jodnatron) oder demnächst mit der, je nach dem Kräftezustande des Patienten zu modificirenden, Z i t t m a n n ' s e h e n Kur bekämpft. Auf die D i ä t hat man bei Behandlung der Syphilis früher nur insofern Gewicht gelegt, als man die Vermeidung aller aufregenden und eine entschiedene Verminderung der plastischen Nahrungsmittel entweder an und für sich, als Entziehungskur, oder zur Unterstützung der Mercurialkuren allgemein empfahl. Eine solche knappe Diät passt aber nur für wohlgenährte Individuen und würde bei Solchen, die von Natur schwächlich oder durch vorausgegangene Krankheiten, Entbehrungen, vielleicht auch Kuren, heruntergekommen sind, gradezu schaden, statt die Heilung zu lordern. Auch hier muss der Arzt individualisiren. — Besondere Berücksichtigung verdient der Aufenthaltsort solcher Kranken. Wenn bei der Behandlung der Aufenthall in einem warmen Zimmer als nützlich, selbst nothwendig bezeichnet wird, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass dies Zimmer weniger als andere Krankenstuben der Lüftung bedürfe, oder dass man gar (wie früher üblich) die engsten und schlechtesten Räume den Syphilitischen anweisen solle. Reine Luft und hinreichender Luftwechsel sind ihnen bei jeder Behandlungsweise ebensosehr Bedürlniss, wie anderen Kranken. — Die gewöhnlich zur Schwermulh geneigte Gemüthsstimmung ist bei der Behandlung der Syphilis mehr noch, als bei den meisten anderen chronischen Uebeln, zu beachten. 3. Die Therapie des S c o r b u t s besteht vor Allem in Beseitigung der ätiologischen Momente. Gute Nahrungsmittel, namentlich frisches Fleisch und frische Vegetabilien (Kartoffeln), säuerliche Getränke (Citronensaft), belebende und tonisirende Mittel (Eisentincturen) führen alsbald zur Besserung und in den nicht allzu weit vorgeschrittenen Fällen auch zur Heilung. Leider steht es nur grade da, wo Scorbut in Massen zu behandeln ist, auf Schiffen und in Kriegslazareten, am Wenigsten in der Macht des Arztes, die wesentlichsten dieser Requisite, namentlich eine passende Diät, herbeizuschaffen. B. I n d i c a t i o m o r b i . Für die dyskrasischen sowohl, wie für die idiopathischen Geschwüre müssen wir der ö r t l i c h e n T h e r a p i e ihr volles Recht zuerkennen. Vielfach ist in früheren Zeiten die Frage erörtert worden, ob man auch wohl alle, namentlich auch die bereits seit längerer Zeit bestehenden Geschwüre heilen dürfe. Entziehen wir durch ihre Unterdrückung dem Organismus nicht eine heilsame Ableitung? Was die Heilung der dyskrasischen Geschwüre betrifft, so wird über deren
374
ErnäbruDgs-Störungen.
Zweckmässigkeit wohl Niemand im Zweifel sein. Aber die aus örtlicher Ursache entstandenen, welche durch Spannung einer Narbe, durch Atonie u. dgl. m. unterhalten werden? Da muss man zuerst die örtlichen Ursachen beseitigen, und dies ist vielleicht nicht zweckmässig, „weil ein allgemeines Leiden besteht, für welches das Geschwür als Ableitungsmittel dient, und welches in gefährlicherer Form nach Unterdrückung des Geschwürs sich geltend machen wird". In dieser Beziehung halte man vor Allem fest, dass die Heilung solcher Geschwüre gar nicht gelingt, wenn jene allgemeine Krankheit nicht beseitigt ist. Wenn man der Natur so grosse Intelligenz bei der Anlegung einer solchen „nützlichen Ableitung" zutraut, warum sollte sie so einfältig sein, sich dieselbe verschliessen zu lassen? Es unterliegt heutigen Tages wohl keinem Zweifel, dass die Zufälle, welche man der „schnellen" Heilung eines alten Geschwürs zuschreibt, ganz anders zu erklären sind. Vgl. „Fisteln". Die Hauptsache ist, dass alte Geschwüre überhaupt nicht schnell heilen, und dass Recidive auch nach der vollständigsten Heilung eines alten Geschwürs ungemein häufig sind. Der Substanzverlust an der Stelle des Geschwürs wird immer nur durch Narbengewebe ausgefüllt. Dies entwickelt sich einer Seits langsam und wird anderer Seils durch viel geringfügigere Einflüsse zum Absterben gebracht, als normales Gewebe. Auch ohne Kunsthülfe kann freilich auch ein dyskrasisches Geschwür heilen, wie dies bei den syphilitischen Geschwüren bereits speciell beschrieben wurde, allerdings ohne dass mit dem Geschwür auch die Dyskrasie geheilt wäre. Anderer Seits ist durch genaue Beobachtungen erwiesen, dass ein Geschwür blos wegen ö r t l i c h e r F e h l e r nicht heilen k a n n , wenn gar keine Dyskrasie im Körper des Patienten bestanden hat, oder nachdem dieselbe längst getilgt ist. Die Beseitigung dieser örtlichen Fehler ist bei allen Geschwüren eine wesentliche Aufgabe für den Chirurgen. Handelt es sich um ein einfaches Geschwür, so reicht die für e i t e r n d e F l ä c h e n pag. 280 u. f. angegebene Behandlung aus. Vor Allem muss der Theil, an welchem das Geschwür sitzt, R u h e haben und vor Insulten geschützt werden. Man muss deshalb auch den Verband nicht zu häufig wechseln, anderer Seits aber für Reinlichkeit sorgen. Das hypersthenische Geschwür erfordert im Allgemeinen eine antiphlogistische Behandlung. Feucht-warme Umschläge und andauernde lauwarme Bäder leisten in der Mehrzahl der Fälle die besten Dienste. Seltener ertragen die Kranken die Anwendung der Kälte. Das asthenische Geschwür erfordert die Anwendung reizender und adstringirender Mittel, namentlich aromatische Fomentalionen und
375
Geschwüre.
Bäder.
Bei putriden Geschwüren sind,
störung
der brandigen
Thcile
durch
nächst
der chemischen Zer-
Kaustica
(vgl.
Hospitalbrand),
die desinficirenden Mittel, namentlich Chlorkalk-Lösungen, auch Kohlenverbände oder, wenn die Localität es erlaubt, permanente Bäder und Irrigationen Fehlt
mit antiseptischen Flüssigkeiten
die zur Heilung erforderliche
von besonderem Werth.
entzündliche Reaction,
man diese durch Reizmittel anzufachen suchen. erheischt
zur Beseitigung der
die Callosität
beruht,
chronischen Entzündung,
neben
einer den
so muss
Das callöse Geschwür
Säfteabfluss
auf weichet'
begünstigenden
Lagerung (Suspension) des Theiles die Anwendung der K ä l t e , später Compressiv-Verbände, zu deren Anlegung man sich zweckmässig der Heftpflasterstreifen bedient (sogen. B a y n t o n ' s c h e r Verband). Unnachgiebigkeit der
Wo die
callösen Ränder die Bildung der Narbe hindert
oder beim Eintritt der Narbenverkürzung zur Zersprengung der Narbensubstanz führt, sucht man die Ränder durch tiefe Einschnitte, welche man in weder
einiger Entfernung vom Rande und mit diesem parallel entnur
an
der Seile der
Geschwür macht schiebbar
zu
grössten Spannung oder rings um das
(Circumcision
machen.
des Geschwürs)
beweglich
Vgl. Unterschenkel-Geschwüre,
dem fungösen Geschwüre kann
und
Bei
ein Druckverband nützlich sein;
vor
Allem kommt es aber auf die ätiologischen Verhältnisse an. ödematösen
und
varicösen
gegen das Oedem Bd. II.).
und
ver-
Bd. IV.
Geschwür
ist
die Varicositäten
die Therapie
Bei dem wesentlich
der Venen zu richten (vgl.
Letztere bilden, namentlich am Unterschenkel, w o Geschwüre
ungemein häufig vorkommen, eine der gewöhnlichsten Complicationen, weshalb Manche Varicositäten
die Behandlung
zusammenwerfen.
der Geschwüre mit Von
die Beseitigung der F o r m f e h l e r , zeigen,
namentlich
derjenigen der
grosser Wichtigkeit
endlich
w e l c h e sich an einem
der Sinuositäten,
deren Beseitigung
ist
Geschwüre mittelst A b -
tragung der unterminirten Ränder oder, sofern sie von beträchtlicher Dicke sind,
wenigstens Spaltung
derselben,
jedem
anderen Heilver-
fahren vorausgehen muss. Das Signal Secrets in guten
der beginnenden Eiter
von
Heilung
ist die
verhältnissinässiger
Umwandlung
Quantität.
So
des ver-
wandelt sich das Geschwür allmälig in eine granulirende Fläche, die schliesslich vernarbt,
wenn
Vernarbung hindert. für die Ueberwindung gebene
etwa allzugrosse Ausdehnung
dieses Hindernisses
„Transplantation
granulirende Fläche
nicht
die
Grade bei grossen Hautgeschwüren erweist sich kleiner
oft als nothwendig,
die von R e v e r d i n
Hautstückchen" immer
als
auf
nützlich.
angedie Wir
werden auf dieselbe bei den „plastischen Operationen" näher eingehen.
Ernäluungs-Störungen.
376
Wie das Geschwür wieder zur eiternden Fläche wird, so kann sieh auch eine eiternde Fläche, namentlich eine Wunde, in ein Geschwür verwandeln, besonders wenn ein bedeutender Substanzverlust Statt gefunden hat. Hier ist meist die Ausdehnung der Verwundung das Jlinderniss der Heilung. Sobald sich Narbensubstanz bilden kann, wird aus dem Geschwür eine eiternde Fläche; so lange keine Narbe gebildet wird, besteht auch Verschwörung. Nach H u s t u. A. unterscheidet vier S t a d i e n :
1) S t a d i u m
r a t i o n i s s. digestiunis, 3) S t a d i u m cicatrisatioois.
man
im Verlaufe der Heilung
eines Ueschwürs
d e t e r s i o n i s s. mundificationis, 2) S t a d i u m granulationis
s. incarnationis, 4)
suppuStadium
Die Definition dieser keineswegs scharf gesonderten Stadien
ergiebt
sich aus den Benennungen von selbst.
II. Fistel (fistula). F i s t e l nennen wir im w e i t e r e n S i n n e ein tief eindringendes aber wenig umfängliches Geschwür, welches für ein noch tiefer liegendes Gewebe, ein secernirendes Organ oder eine Höhle, eine abnorme Communication mit der Oberfläche der Haut oder einer Schleimhaut herstellt. F i s t e l n i m e n g e r e n S i n n e sind solche abnorme Canäle oder Oeffnungen, welche in irgend ein normales oder krankhaftes Secretionsorgan oder in dessen Ausführungsgang münden, aus welchen daher fortdauernd ein Theil des Secretes jener nach Aussen oder in eine andere Höhle entleert wird. Im Gegensatze hierzu nennt man die übrigen Fisteln, durch welche nicht ein anderweitiges Secret, sondern blos Eiter abfliesst, f i s t u l ö s e (röhrenförmige) G e s c h w ü r e , Letztere werden auelf u n v o l l k o m m e n e oder b l i n d e F i s t e l n (Fistulae incompletae) genannt. Befindet sich die Oeffnung eines solchen fistulösen Geschwürs in der äusseren Haut, so nennt man es eine u n v o l l k o m m e n e ä u s s e r e F i s t e l ; befindet sie sich in einer Schleimhaut, so ist es eine u n v o l l k o m m e n e i n n e r e F i s t e l . V o l l k o m m e n e F i s t e l n besitzen zwei Oeffnungen, zwischen denen in verschieden grosser Länge der Fistelgang verläuft. Ist der Fistelgang so kurz, dass eigentlich nicht ein abnormer Canal, sondern nur eine abnorme Oeffnung, ein Loch besteht, welches von einem Hohlorgane entweder direkt nach Aussen (z. B. Thränensackfistel) oder in ein anderes Hohlorgan führt (z. B. Blasenscheidenfistel), so nennen wir die Fistel eine l o c h f ö r m i g e , oder (nach R o s e r ) eine l i p p e n f ö r m i g e . Letztere Benennung ist darauf begründet, dass in solchen Fällen die Schleimhaut des einen Hohlorgans mit derjenigen des andern oder mit der äusseren Haut in ähnlicher
Fistel.
377
Weise verwachsen ist, wie an den Lippen die Mundschleimhaut mit der Gesichtshaut. Findet sich ein deutlich ausgesprochener F i s t e l g a n g , so haben wir es mit einer c a n a 1 f ö r m i g e n F i s t e l zu thun. Bei dieser lässt sich eine innere und eine äussere Oeffnung bestimmt unterscheiden. Die i n n e r e Oeffnung einer canalförmigen Fistel befindet sich gewöhnlich in der Mitte eines etwas verhärteten, ein wenig hervorragenden Ringes, am Häufigsten aul' einer Schleimhaut, zuweilen auf der Spilze eines kleinen Hügels oder in einer Vertiefung versteckt zwischen Schleimhautfalten, seltener zwischen Narbensträngen. Selten sind statt einer inneren Oeffnung mehrere vorhanden. Die ä u s s e r e Oeffnung ist oft nur ungemein eng und daher schwer aufzufinden. Zuweilen ist sie von weichen, schwammigen Auswüchsen umgeben, welche bei der geringsten Berührung bluten; auch kann sie auf einem rolhen Höckcrchen sitzen, welches bald conisch gestaltet, bald wie ein Polyp gestielt ist. In andern Fällen findet sich die äussere Oeffnung im Grunde eines Trichters, welcher bald dadurch entsteht, dass die Fistelmciubran (siehe unten) wie das Narbengewebe sich fort und fort verkürzt, bald dadurch, dass die umliegenden Theile anschwellen, während der Fistelgang selbst sich nicht verlängert. Die äussere Oeffnung ist oft mehrfach. Der Verlauf der Fistel ist gewöhnlich nicht ganz geradlinig, manchmal im Zickzack, oft stark gewunden. Wenn mehrere äussere Oeffnungen bestehen, so ist die Fistel diesen entsprechend verästelt. Nicht selten finden sich im Verlauf der Fistel grössere Höhlen oder Ausbuchtungen, besonders wenn die Fistel alt oder aus dem Zusammenfluss mehrerer Abscesse entstanden ist. Fisteln, welche nicht auf der äusseren Haut münden, sondern aus einer mit Schleimhaut ausgekleideten Höhle in eine andere führen, heissen C o m m u n i c a t i o n s f i s t e l n . Bei diesen könnte immer nur von einer r e l a t i v äusseren und einer r e l a t i v inneren Oeffnung die Rede sein, je nach der leichteren Zugängigkeit von Aussen h e r ; gewöhnlich sind dies aber l o c h f ö r m i g e F i s t e l n . Der Fistelgang ist von einer, der Abscessmembran (pag. 290) analogen Schicht, der F i s t e l m e m b r a n , ausgekleidet, welche auf den ersten Blick einer Schleimhaut ähnlich erscheint. Dieselbe ist lebhaft roth gefärbt wegen ihres Reichthums an Capillargefässen, secernirt schleimähnlichen Eiter, besitzt aber weder Zotten noch ein eigenes Epithelium. Zuweilen ist sie von einer Schicht verdichteten Bindegewebes, analog dem submucösen Bindegewebe, umgeben; ge-
378
Ernährungs-Störungen.
wohnlich aber hängt sie sehr innig mit den umliegenden Theilen zusammen. Sie kann sich Uberall in den verschiedensten Geweben entwickeln. Geräth sie in Entzündung, so hört ihre Secretion entweder ganz auf oder wird doch verändert; während sie sonst fast unempfindlich ist, wird sie dann höcht empfindlich. Sie besitzt grosse Neigung sich zu verkürzen, wie Narbengewebe; dagegen fehlt ihren einander zugewandten Flächen, wie Schleimhäuten, jede Tendenz zur Verwachsung unter einander. In der nächsten Umgebung von Fistelgängen findet sich gewöhnlich eine bedeutende Härte (Callosität), eine wahre Induration, als Ausgang der chronischen Entzündung, welche in der Umgebung der Fistel entweder bestanden hat oder noch fortbesteht. Das Bindegewebe in diesem Bezirk hat seine Dehnbarkeit verloren, erscheint auf dem Durchschnitte weiss opalisirend, zuweilen speckartig, und verhält sich dein Narbengewebe analog. Nicht selten findet man, dass Fistelgänge für Flüssigkeiten nur in e i n e r Richtung durchgängig sind; bald von Innen nach Aussen, so dass also keine Luft einzudringen vermag (was nützlich sein kann), bald umgekehrt, so dass die Entleerung des Eiters und der von inneren Organen her in die Fistel einströmenden Flüssigkeiten ein Hinderniss erfährt, ß o s e r hat auf die Anwesenheit ventilartiger Bildungen als Grund dieser Erscheinung aufmerksam gemacht: bald bilden einzelne Granulationswülste oder Falten eine Art Ventil, bald hat die schräge Richtung, in welcher der Fistelgang die Haut durchbohrt, eine solche Wirkung, bald endlich beruht der Verschluss darauf, dass die eine Fistelöffnung sich auf der Flöhe eines Granulationshaufens befindet, dessen Compression durch eine gegen ihn andrängende Flüssigkeit zugleich den Fistelgang selbst comprimirt'). Aetiologie. Die Entstehung einer v o l l k o m m e n e n Fistel setzt, abgesehen von den angeborenen Fisteln (vgl. M i s s b i l d u n g e n ) , immer die Eröffnung einer mit Schleimhaut ausgekleideten, secernirenden, oder doch ein Secret enthaltenden Höhle voraus. Diese kann von Aussen, oder von Innen her erfolgen. Die Entstehung einer Fistel lässt sich nämlich zurückführen auf: 1) Verwundung eines secernirenden Organes oder eines Ausführungsganges von Aussen her, wonach unmittelbare Verwachsung ausgeblieben ist; 2) Zerreissung von Ausführungsgängen u. s. w. und Erguss ihres Inhaltes in das sie umgebende Bindegewebe; ') Vgl. R o s e r , D e b e r A b s c e s s - u n d F i s t e l k l a p p e n , im Archiv für physiologische Heilkunde 1 8 5 6 , Heft 3. pag. 3 4 9 u. f.
Fistel.
379
3) Durchbruch eines in der Nähe einer Drüse, eines Ausführungsganges oder Uberhaupt einer von Schleimhaut ausgekleideten Höhle entstandenen Abscesses durch die Wandungen der gedachten Theile nach Innen, wozu hauptsächlich die Lage eines Abscesses unter festen fibrösen Häuten, welche seinen Durchbruch nach Aussen verhindern oder doch verzögern, Veranlassung giebt; 4) Verschwärung auf der Schleimhaut eines der genannten Organe, welche nach und nach die Wandungen desselben durchfrisst und endlich, in gleicher Weise wie eine Zerreissung, zum Erguss des Inhaltes und der daraus hervorgehenden Verschwärung bis zur Durchbohrung der äusseren Haut Veranlassung giebt. Letztere Entstehungsweise wird besonders begünstigt durch jedes der Entleerung des Secrets auf dein natürlichen Wege entgegentretende Hinderniss. Verengerung eines Ausführungsganges begünstigt die Entstehung von Fisteln auf dem Wege zwischen dem absondernden Organe und der verengten Stelle, durch Steigerung des Druckes, unter welchem der Inhalt des Ganges und somit auch die Wand desselben diesseit der verengten Stelle sich befindet. In Betreff des Ganges der Entstehung lassen sich drei Möglichkeiten unterscheiden: 1) es entsteht sogleich eine v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch Verwundung, oder indem ein Abscess gleichzeitig nach Aussen und nach Innen durchbricht; 2) es entsteht zuerst eine innere u n v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch Verschwärung von der Schleimhaut aus, oder durch Zerreissung eines Ausführungsganges; 3) es entsteht zuerst eine ä u s s e r e v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch eine bis in die Nähe der secernirenden Höhle vordringende Verwundung, oder durch einen in der Nähe derselben entstandenen, aber zuerst nach Aussen durchbrechenden Abscess. Durch weiter fortschreitende Verschwärung können dann in den beiden zuletzt erwähnten Fällen aus unvollkommenen Fisteln vollkommene werden. Für die Entstehung vieler Fisteln ist die Einwirkung eines corrodirenden Secrets, bei anderen das Bestehen einer Dyskrasie von Bedeutung. Schleimhaut-Verschwärungen beruhen oft auf Dyskrasien. Wunden ohne Substanzverlust und ohne Quetschung der benachbarten Theile haben nur unter dem Einflüsse eines corrodirenden Secrets, einer Verengerung oder einer Dyskrasie Fistelbildung zur Folge. Prognose. Je wichtiger das Organ ist, communicirt, je nothwendiger für das Leben durch sie ausfliesst, desto grösser sind die auf Heilung ist desto besser, je kleiner und
mit welchem die Fistel die Flüssigkeit, welche Gefahren. Die Aussicht je jünger die Fistel ist,
380
Ernährungs-Störungen.
je leichter dem durch dieselbe sich ergiessenden Secret vollständiger Abfluss auf dem normalen Wege verschafft werden kann, je weniger endlich das Allgemeinbefinden und die Ernährung des Kranken, sei es durch eine Dyskrasie oder anderweitig, gestört wird. Ohne Kunsthülfe heilt eine lochförmige Fistel niemals, eine canalförmige nur, wenn die ätiologischen Momente, welche sie unterhielten, erloschen sind, und eine hinreichend stark fortschreitende concentrische Narbenverkürzung in und an ihr zu Stande kommt. Behandlung. Um eine Fistel zum Verschluss zu bringen, muss man in der Regel 1) den normalen Ausführungsgang des durch die Fistel abfliessenden Secretes wieder durchgängig machen, erweitern, zuweilen sogar an die Stelle des verschlossenen oder verengten natürlichen Ausführungsganges einen neuen setzen, in manchen Fällen das zuleitende Stück desselben verschliessen; 2) die Fistelwände zur Vereinigung geschickt machen. Es sind daher in der Mehrzahl der Fälle o p e r a t i v e E i n g r i f f e von bald grösserer, bald geringerer Bedeutung zur Heilung der Fisteln nothwendig. Namentlich müssen die lippenförmigen Bänder der Loch-Fisteln abgetragen, somit in Wundränder verwandelt (angefrischl) und dann durch Nähte vereinigt werden; Fistel-Canäle muss man nicht blos im Inneren, sondern auch im weiteren Umfange wiederholt kauterisiren, um durch Erregung concentrischer Narbenverkürzung den Verschluss (allmälig) herbeizuführen. Liegt der Fistelgang oberflächlich, so spaltet man ihn mit dem Messer 1 ) oder durch Umschnürung, namentlich mit der elastischen Ligatur, oder mit dem glühenden Platindraht, um ihn durch Granulation heilen zu lassen. Wenn diese Operationen mit Sicherheit einen guten Erfolg erwarten lassen und eine Gefahr für das Leben des Kranken dabei nicht zu befürchten ist, so würde es thöricht sein, statt derselben eine pharmaceutische Behandlung, welche v i e l l e i c h t , aber nur auf grossen Umwegen, zu demselben Ziele führen könnte, vorher zu versuchen. Soll man aber alle Fisteln operiren? ist es überhaupt zweckmässig, alle zu heilen? Veranlasst die Fistel einen bedeutenden Verlust einer für das Leben nöthigen Flüssigkeit, so muss man sie unter allen Umständen zu heilen suchen. Hierher gehört die Mehrzahl der Darm- (Roth-) ' ) Messer, welche besonders zum Spalten
von Fistelgängen eingerichtet s i n d ,
mentlich eineD Knopf an der Spitze ) Deutsche Klinik, 1 8 5 0 , pag. 1 2 3 .
492
Eroibrangs-Störungen. Vom historischen S t a n d p u n k t interessant ist die von R o k i t a n s k y in der 1. Aus-
gabe seiner
„pathologischen
Anatomie",
über die Natur und E n t s t e h u n g Wie einer grossen Zahl der Erkrankungen
pag. 3 1 9 u. f. entwickelte
Ansicht
der ächten zusammengesetzten
Bd. I ,
Cysten.
Aftergebilde ü b e r h a u p t ,
ein besonderes dyskrasisches
typus, den a l v e o l a r e n , zu Grande liegen.
so lässt
er auch der Cysten-
Moment und einen bestimmten GewebsDie Eigenthümlicbkeiten dieses a l v e o l a r e n
(oder areoläreo) G e w e b e t y p u s sind, nach R o k i t a n s k y ,
wesentlich folgende.
oder ovale Kapseln, f o l l i k e l a r t i g e H o h l g e b i l d e ( A l v e o l i ) W a n d u n g , liegen in e i n e r ,
die I n t e r a l v e o l a r s u b s t a n z
mit
darstellenden
Grundlage.
Der einzelne Alveolus geht aus der E n t w i c k l u n g einer Mutterzelle hervor. wo es eine Zelle g l e b t ,
Runde
selbstständiger Ueberall,
kann diese zur Mutterzelle werden; jedoch zeichnen sich in
der Neigung dazu die Zellen flüssiger, halbflüssiger, albuminöser, pyin- und caseinhaltiger, colloider „Blasteme" die Gefässe der
aus.
Das Material
zur Massenzunahme
umgebenden Gewebe sowohl,
stehendes neues Gefässsystem.
der Cystenwand
liefern
wie auch ein in der Cystenwand ent-
Obgleich es denkbar wäre, dass in der Wandung einer
Muttercyste n e u e s Blastem als Grundlage einer jüngeren Cyste abgesetzt werden könne, so sei es doch
wahrscheinlicher,
dass die Grundlage der in den Wandungen
einer
Muttercyste entstehenden jüngeren Cysten die in der Muttercyste enthaltenen Mutterzellen seien.
Die Mutterzellen gelangen aus der Cystenhöhle in die Cystenwand durch
die nach Innen
aufgelagerten Verdickungsschichten.
aufgenommene Mutterzelle kann dann
weiterhin sich
in die Höhle der Muttercyste hineinwachsen.
Eine solche in
die
Cystenwand
entwickeln und als Tochtercyst*
Auch die in eine Muttercyste
hinein-
ragenden, auf ihrer Innenwand sich entwickelnden Wucherungen haben zu Ihrer Grundlage Mutterzellen. thums fähig.
Die Alveoli sowohl, wie ihr Inhalt sind eines unbegrenzten Wachs-
Der Inhalt
die Interalveolarsubstanz' 1 bis auf wenige zarte Fäden
kann
und Segmente verdrängen und die Alveolen- oder Cystenwand durchbrechen. werden auch
Aber es
auf der Innenfläche d e r Cystenmembran erstarrende Blasteme aus
dem
Inhalte der Cyste abgelagert, die allmälig durch Spaltung eine faserige Textur annehmen. Daraus erklärt sich der U m s t a n d , dass von den a m o r p h e n , inneren Stratis aus nach Aussen zu die faserige Textur immer deutlicher und bestimmter wird. heit des Inhalts ist verschieden. nöser oder colloider N a t u r ,
bald sind geformte Elemente überwiegend (faserig ausge-
zogene K e r n e , E l e m e n t a r k ö r n c h e n , Krebs-Zellen).
Die Beschaffen-
Bald ist darin eine formlose Feuchtigkeit, serös albumi-
Die W a n d
des
Kernzellen, spindelförmige Zellen, Epidermis- oder Alveolus
ist
bald
zart
und
structurlos,
von
der
Interalveolarsubstanz nicht zu unterscheiden, oder ist sogar resorbirt worden, und der Inhalt (eine Flüssigkeit oder zellige, faserige Elemente) liegt unmittelbar der Interalveolarsubstanz a n ; oder aber die Wand des Alveolus ist faserig, und wo eine faserige Textur auch in der Interalveolarsubstanz sich f i n d e t , dieser gleich. aber variirt vom Halbflüssigen bis zum F e s t e n ,
Die Interalveolarsubstanz
enthält alle möglichen Entwickelungs-
stufen der Zelle bis zur Faser, k o m m t auch wohl mit der Textur des Alveolarinhaltes überein, u n d ist zuweilen (wie z. B. in den Epithelialkretsen alveolarer Textur) a u s den Elementen desselben ausschliesslich zusammengesetzt. umgebenden Faser-Elemente bilden nach Aussen diese Faserzüge von Interstitien
Die den Alveolus zunächst
geschlossene Kreise oder Kapseln, während den Kapseln abtreten und sich a n d e r e n , nach
anderer Alveoli hin verlaufenden Faserzügen anschliessen.
Gewebstypus in einer wie in differenten Aftergebilden zu.
mehr den
„Der alveolare
der anderen Form k o m m t vielen und ihrer Natur nach Er ändert Nichts an ihrer Inneren Natur und B e d e u t u n g ;
man kann demnach nicht von einer alveolaren Textur, als von einem bestimmten After-
493
Cysten.
gebilde, sondern nur von einem alveolaren Texturtypus sprechen. — Der alveolare Gewebstypus kommt daher bei der Diagnose eines Aftergebildes gar nicht in
Betracht.
Die Natur des Aftergebildes wird n u r aus Dem, was die Mutterzelle und der Alveolus, ihrer primitiven Natur nach, erzeugen (d. b. aus dem Inhalt) und aus der N a t u r ihres Blastems (d. i. der Interalveolarrfubstanz) erkannt. bösartige alveolare
Es g i e b t s o n a c h g u t a r t i g e ,
wie
Texturen.'
Später unterschied R o k i t a n s k y selbst, In seinem Lehrbuch der pathol. Anatomie, 3te Aufl., Wien 1 8 5 5 , Bd. I, pag. 2 3 0 u . f., nachstehende Entstehungsweisen der Cysten. 1) Die Cyste ist das Ergebniss eines Abgrenzungs-Processes rings um Extravasate oder Exsudate. Grunde.
2 ) Der Cyste liegt ein prae-existirendes physiologisches Hohlgebilde zu
3) Die Cyste ist eine Neubildung, und zwar hervorgegangen a) aus d e r Ent-
wickeluog des Alveolus ( d e r structurlosen Blase), einem Primitiv- (Hohl-) K o l b e n 1 ) ,
c) aus
6) aus neugebildeten Fach werken,
d ) aus rudimentärer Neubildung
traubiger
Drüsen.
Aus unserer anatomisch-genetischen Uebersicht ergiebt sich zugleich, dass die A e t i o l o g i e der Cysten eine sehr mannigfaltige und zum grossen Theil dunkle ist. Sjmptome. Fast alle Cysten haben die Neigung zu einem s c h n e l len u n d b e d e u t e n d e n W a c h s t h u m e . Daher erregen sie alsbald durch ihr Volumen lästige Zufälle, welche, je nach ihrem Sitze, wechseln und im Allgemeinen nur als Erscheinungen des Druckes, der Raumbeengung, der Zerrung, der Auseinandertreibung und endlich der Atrophie der in ihrer Nachbarschaft gelegenen Gewebe bezeichnet werden können. So verursachen z- B. die a n g e b o r e n e n H a l s c y s t e n , indem sie längs der Bindegewebsscheiden bis zur Vena jugularis interna vordringen, Blutanhäufung im Gehirn bis zur Apoplexie, oder durch Druck auf den Vagus Respirations- und Schlingbeschwerden, endlich wohl gar Erstickung. A n g e b o r e n e Cysten können ferner durch ihr Wachsthum während des U t e r i n l e b e n s die Entwickelung benachbarter Organe hemmen. Indem sie z. B. vom Perineum aus nach der Beckenhöhle vordringen, veranlassen sie durch Druck Atrophie des Kreuz- und Steissbeins bis zum gänzlichen Verschwinden, und wachsen zuweilen, den Nervenscheiden folgend, weiter aufwärts in die Bauchhöhle oder in den Wirbelcanal hinein u. s. f. *). — Sehr grosse Cysten (vor allen die der Ovarien) erschöpfen wegen der bedeutenden Menge von Plasma, welche sie zu ihrer Ernährung und zu ihrem Wachsthume verbrauchen, die Kräfte des Kranken, und können >) Eine genauere Darstellung der Lehren R o k i t a n s k y ^ von der „ s t r u c t a r l o s e n B l a s e " , den „ F a c b w e r k e n " Grenzen dieses Buches liegen. *) Vgl. W e r n h e r I. c.
und dem „ H o h l k o l b e n "
d ü r f t e ausserhalb der
494
Ernährungs-Störungen.
dadurch Abmagerung, Fieber (Febris hectica), endlich den Tod verursachen. Nicht selten beobachten wir an Cysten besondere k r a n k h a f t e Erscheinungen. Zuweilen platzt eine Cyste durch Ueberfüllung; öfter kommen Verdickungen und Einlagerungen von Kalksalzen in der Wand der Cyste vor. Von der grössten Bedeutung sind diejenigen Veränderungen, welche durch entzündliche oder hämorrhagische Processe hervorgebracht werden. Dahin gehört die Verwachsung der einzelnen Bälge mit einander und mit den umliegenden Theilen, z. B. der Ovarialcysten mit dem Peritoneum parietale, den Gedärmen, der Leber, der Milz u. s. w., Zerreissung der Zwischenwände der einzelnen Cysten u. dgl. m. Der seröse (durch einen Troicart leicht zu entleerende) Inhalt wird durch Exsudation oder Bluterguss in den Cystenraurn mehr consistent, gallertartig, blutig, eiterig; das Zerfallen dieses Exsudats kann sich auf die Cystenwand und weiter auf die äusseren Umhüllungen fortsetzen, endlich Durchbruch und, j e nach der Grösse und Anzahl der Cysten, ein mehr oder weniger beträchtliches, gewöhnlich bald faulendes Secret veranlassen und auf solche Weise das Leben des Kranken bedrohen. Hieraus ergeben sich die Gefahren der Cysten und die von ihnen abhängigen functionellen Störungen im Allgemeinen. Genauer können dieselben erst in der Localpathologie (Buch III) erörtert werden. Die für die Diagnose besonders wichtigen ö r t l i c h e n S y m p t o m e 1 ) sind, soweit es sich um Cysten handelt, die unseren Sinnesorganen zugänglich sind, im Allgemeinen folgende. Die Cysten erscheinen im Beginn als härtliche, umschriebene, bewegliche, schmerzlose Geschwülste, deren Hautbedeckungen keine Farbenveränderung zeigen und in welchen durchaus keine Fluctuation wahrzunehmen ist. Hat die Geschwulst ein grösseres Volumen erreicht, so ist sie bald weich, fluctuirend, bald ziemlich hart und elastisch. Diese Verschiedenheiten sind theils durch die Consistenz des Inhalts, theils durch die Resistenz und die Dicke der Wandungen bedingt. Die Oberfläche ist bald kugelig, bald bucklig oder gelappt. Die bedeckende Haut wird allmälig gespannter, oft von bläulichen, dicken Venen durchzogen. Manche seröse Cysten mit diinnen und vorspringenden Wandungen sind nicht blos fluctuirend, sondern auch durchsichtig oder doch durchscheinend, andere, deren Wandungen verdickt ') Wir haben in der vorstehenden Uebersicht der Cysten (pag. 4 7 8 bis 491) von anatomischer Seite schon mehrfach auf die ä u s s e r e n E r s c h e i n u n g e n der Cysten eingehen müssen; namentlich gilt dies für die A t h e r o m e , die D e r m o i d c y s t e n und die c o n g e n i t a l e n C y s t e n h y g r o m e .
Cysten.
495
oder ossificirt sind, bieten, auch bei bedeutender Grösse, durchaus keine Fluctuation dar. Cysten, welche sich innerhalb der Knochen entwickelt haben, lassen unter dem Fingerdruck ein knatterndes Geräusch vernehmen (vgl. pag. 19). Die d i f f é r e n t i e l l e D i a g n o s e ist wegen mancher im Verlauf der Cysten-Entwickelung eintretenden Umstände oft nicht leicht; so z. B. wenn durch die Verdickung der Wandungen die Oberfläche uneben, bucklig, an manchen Stellen weicher, nachgiebiger und die Fluctuation undeutlicher geworden ist. Wo Entzündung und damit Schmerzhaftigkeit einer Cyste eingetreten ist, wird eine Verwechselung mit Krebs oder mit einem Congestionsabscess möglich. Aufgebrochene Atherome der Kopfhaut, deren Umgebung theils von wuchernden Granulationen, theils von geschwürigen Weichtheilen gebildet wird, sind nicht ganz selten für ulcerirte Carcinome gehalten worden. Noch grösser wird die Schwierigkeit der Diagnose, wenn Cysten in der Tiefe einzelner Organe, z. B. der Brust, oder im Fleisch der Extremitäten liegen. Beispiele von Verwechselungen der Cysten mit Krebsgeschwülsten und umgekehrt sind keineswegs selten. S é d i l l o t sah eine oberhalb des Sternum liegende und pulsirende Cyste mit einem Aneurysma der Aorta verwechseln. Aug. B é r a r d erzählt einen gleichen Fall. D e s a u l t eröffnete eine Cyste des Mediastinum, indem er einen Hydrops pericardii vor sich zu haben glaubte. Oefter wurden Cysten im Samenstrange oder auch in den grossen Schaamlippen, welche entweder ganz oder theilweis reponirbar waren, für Hernien gehalten. Können wir durch eine genaue und aufmerksame Analyse der Symptome die Schwierigkeit der Diagnose nicht beseitigen* so müssen wir zur Explorativ-Punction unsere Zuflucht nehmen, welche mit seltenen Ausnahmen eine sichere Entscheidung liefert, aber auch niemals ganz frei von Gefahren ist. Bald folgt darauf ein Bluterguss in die Cyste, bald Entzündung ihrer Wandungen mit nachfolgender Eiterung und Gefahr d«s Aufbruchs. Vgl. pag. 396. Die Therapie der Balggeschwülste ist sehr mannigfaltig. Man suchte sie durch Druck, durch hautreizende Einreibungen (Tinct. Jodi, Jodquecksilbersalbe, Brechweinsteinsalbe, Crotonöl), durch reizende (Emplastrum Cantharidum) oder blos bedeckende Pflaster (Emplastrum saponatum, Conii etc.), sowie durch die Anwendung innerer, die Resorption befördernder Mittel zu beseitigen, doch ohne Erfolg; man wandte die Punction, die Punction mit nachfolgender Injection reizender Flüssigkeiten, das Haarseil, das Abbinden, das Einschneiden, das
496
Ernährungs-Störungen.
Kauterisiren thcils mit zweifelhaftem Erfolge, theils mit nachfolgender langdauernder und oft gefährlicher Eiterung an, um zuletzt der Exstirpation, wo die örtlichen Verhältnisse dieselbe gestatten, vor allen anderen Methoden den Vorzug geben zu müssen. Als speciell auf die Cysten anwendbar erläutern wir hier d i e P u n c t i o n , die l n j e c t i o n , die I n c i s i o n und das H a a r s e i l , während wir in Betreff d e r E x s l i r p a t i o n auf die allgemeine Darstellung (pag. 4 0 0 u. f.) verweisen. I.
PunctioD.
Die P u n c t i o n ist fast immer nur Palliativmittel, um eine, grosse Beschwerden oder sogar Gefahren veranlassende Cyste zu entleeren, wenn eine Radical-Operation dem Arzte unzulässig erscheint oder von dem Kranken nicht zugelassen wird. In höchst seltenen Fällen gelang es durch die Punction allein, Cysten zum Verschluss zu bringen. Wahrscheinlich reichte alsdann die durch den Troicart veranlasste Reizung hin, um adhäsive Entzündung zu erzeugen. Da häufig mehrere Cysten neben einander bestehen, so muss man oft, nachdem schon Flüssigkeit entleert ist, den Troicart noch weiter einstossen, um alle zu öffnen. II.
iDjection.
E i n s p r i t z u n g e n r e i z e n d e r F l ü s s i g k e i t e n durch die CanUle des vorher eingestossenen Troicarts sollen in den vorher mit Flüssigkeiten gefüllten Höhlen adhäsive Entzündung oder doch ein vollständiges Erlöschen der pathologischen Secretion erregen. Es gelingt aber nicht immer, den gewünschten Grad von Entzündung genau herbeizuführen; dieselbe wird bald zu heftig, bald entwickelt sie sich zu wenig. So kann in dem einen Falle die Operation gefährliche Folgen haben, in dem anderen nicht zum Ziele führen. Wenn eine reizende lnjection überhaupt Erfolg haben soll, so ist vor Allem nöthig, dass die Cyste vollkommen entleert und nachher durch die injicirte Flüssigkeit möglichst vollkommen, jedenfalls aber in der Art ausgefüllt werde, dass die ganze innere Fläche der Cyste mit derselben in Berührung kommt, wozu ein Hin- und Herschütteln und Kneten erforderlich sein kann. Es giebt aber Cysten, die sich gar nicht vollständig entleeren lassen, weil sie ausser der Flüssigkeit auch noch feste und oft zugleich in ihnen fest haftende Substanzen (z. B. Faserstoff-Flocken, Haare, Zähne oder gar Ueberreste eines Embryo) enthalten. Bei anderen ist zwar eine vollständige Entleerung möglich, aber die vollständige Anfilllung will nicht gelingen; dies gilt besonders fUr die vielfächrigen Cysten. Ferner ist zu bedenken, dass, um die Wände der Cyste zum
497
Cysten.
Verwachsen zu bringen, nicht blos Entzündung, sondern auch Annäherung derselben an einander nothwendig ist. Es giebt aber mit Flüssigkeit gefüllte Höhlen, deren Wandungen entweder an sich, oder durch Verwachsung mit den benachbarten Theilen so starr sind, dass sie einander gar nicht oder doch nur so langsam genähert werden können, dass inzwischen die krankhafte Secretion wieder beginnt. Hier kann nur die Exstirpation helfen. Am Geeignetsten für die Heilung durch Injection sind Cysten mit dünnen, biegsamen Wänden. Da die Empfänglichkeit der Cysten für Entzündung erregende Reize so überaus verschieden ist, lässt sich eine für diesen Zweck a l l g e m e i n passende Injectionsflüssigkeit nicht wohl angeben. Am Häufigsten hat man Jod-Jodkalium-Lösung, auch Jodtinctur, rein oder in verschiedenen Graden der Verdünnung, starken Wein, Weingeist ( R i c h a r d ) , Chloroform (B. L a n g e n b e c k ) , Tartarus stibiatus in starker Lösung 1 ) u. dgl. m. zu diesem Behuf angewandt. III.
Incision.
Das E i n s c h n e i d e n hat den Vortheil, vollständige Entleerung auch festerer Substanzen zu bewirken und die Möglichkeit zum Einführen verschiedener Verbandstücke, sowie der Reiz- und Aetzmittel zu gewähren. Dagegen hat man aber auch oft eine zu heftige Entzündung darauf folgen sehen, die nicht blos die Cyste zerstörte, sondern sich auch auf die Umgegend, zumal auf tiefer liegende Cysten, deren Diagnose bis dahin dunkel geblieben w a r , weiter verbreitete und dadurch lebensgefährlich wurde. Die a n t i s e p t i s c h e M e t h o d e stellt vor solchen übelen Zufällen sicher und hat daher die Anwendbarkeit der Incision erheblich erweitert. Bei Cysten, die wegen ihrer Beziehung zu den grossen Körperhöhlen ein directes Einschneiden nicht gestatten, empfahl V i d a l , die verschiedenen Acte dieser Operation zu verschiedenen Zeiten auszuführen, in der Art, dass man z. B. bei einer in der Bauchhöhle gelegenen Cyste zuerst durch die Bauchdecken bis auf dieselbe einschneidet (Bauchschnitt, Laparotomia), sie hervorzieht (wenn sie nicht von selbst hervordringt) und mit den Wundrändern verwachsen lässt, bevor man zu ihrer Eröffnung schreitet, die alsdann ohne die Gefahr eines Ergusses in die Peritonealhöhle vorgenommen werden könnte, wenn sich die in solcher Weise blossgelegte Cyste nicht inzwischen von selbst öffnet, was hie und da vorgekommen ist. ]
) Nach K r a f f t - E b i n g k a n n m a n A t h e r o m b ä l g e z u r Gangränescenz a n d bringen,
indem m a n
m i t einer P r a v a z ' s c h e n
von T a r t a r u s s t i b i a t . 1 auf 2 4 A q u a B a r d e l e b e u , Chirurgie.
8. Aufl. I.
destillata
Spritze Injectionen macbt. 32
Eliminirung
einer L ö s u n g
498
Ernährungs-Störungen.
Auch die Anwendung der A e t z m i t t e l kann aus demselben Grunde empfehlenswerth sein. Ausgedehnteren Gebrauch hat namentlich H e r r m a n n 1 ) von der l i n e a r e n A e t z u n g bei Atheromen der Kopfhaut mit günstigem Erfolge gemacht, indem er dieselben wiederholt in ihrem grössten Durchmesser mit Salpetersäure Uberstrich; sie sollen dadurch allmälig zur Verödung gebracht werden. IV.
Setaceum.
Das Ginziehen eines Haarseiles wird besonders zur Heilung grosser Cysten am Halse (vgl. „ K r o p f " Bd. III.) angewendet. Dasselbe erregt eine auf die nächste Umgebung beschränkte Entzündung und entleert allmälig die in der Höhle enthaltene Flüssigkeit, so dass die erstere sich nach und nach verengert. Will man die Entzündung steigern, so kann man das Haarseil mit reizenden Flüssigkeiten tränken. Sind mehrere Cysten vorhanden, so muss durch jede gewöhnlich ein besonderes Haarseil gezogen werden. Statt des Setaceums wird mit Vortheil das D r a i n i r e n angewandt und zwar bei Weitem am Besten nach der antiseptischen Methode.
Drittes Capltel. Vorwiegend bösartige Neubildungen, bösartige Gewächse, Tumores maligni*). I. Krebs, Carcinoma, Cancer. Der Name „Krebs" ist zu verschiedenen Zeiten in sehr verschiedener Bedeutung gebraucht worden. Während man ursprünglich fast alle nicht gerade offenbar als Brand auftretenden destructiven Processe und auch manche Formen des Brandes (z. B. den Wasserkrebs, Noma) unter dieser Bezeichnung zusammengefasst zu haben scheint, beschränkte man weiterhin die Anwendung dieses Namens auf bestimmte Formen der bösartigen Gewächse, namentlich auf die späteren Stadien des Scirrhus und die meist an der Unterlippe auftretenden Hautkrebse (Cancroide). In neuerer Zeit hat man dann wieder die Mehrzahl der bösartigen Gewächse, namentlich auch alle diejenigen, ' ) Prager Vierteljahrsschrift, Bd. 72. 2
) Wir haben in den vorhergehenden Capiteln niederholt darauf hingewiesen,
dass
Gewächse, die i n d e r R e g e l mit allen Charakteren der „gutartigen" auftreten, ausnahmsweise und unter bestimmten Verhältnissen sich als „ b ö s a r t i g e " erweisen können.
In dem folgenden Capitel handelt es sich nur um diejenigen Formen,
deren Bösartigkeit (vgl. pag. 3 8 8 u. f.) unbedingt ausser Zweifel ist.
499
Krebs.
welche inzwischen als Markschwamm- und Encephaloid-Geschwttlste beschrieben waren, nach dem Vorgange von J. M ü l l e r ' ) , als „krebshaft" bezeichnet, aus deren Reihe erst in den letzten Jahrzehnten die S a r c o m e bestimmter ausgeschieden worden sind. Heut zu Tage giebt man den Namen „ K r e b s " denjenigen b ö s artigen Gewächsen, welche aus stetig wuchernden Zellen von wesentlich epithelialem Charakter und einem gefässh a l t i g e n B i n d e g e w e b s g e r ü s t z u s a m m e n g e s e t z t s i n d . — „Der Krebs ist eine atypische Epithelialgeschwulst" ( W a l d e y e r ) , d. h. eine epitheliale Neubildung, welche nicht dem Typus der Entwickelung normaler Epithelien entspricht. Die L i t t e r a t u r
des
Carcinoma
umfassenden Werken enthalten.
ist
zum
grossen Tbeil
W e r k e und Abbandlungen von B e d e u t u n g : T h i e r s c h , der H a u t ,
Leipzig,
in
den
bereits
citirten
F ü r den n e u e s t e n S t a n d p u n k t sind vorzüglich folgende
1865. —
Billroth,
d e r Epitbelialkrebs,
namentlich
n n d e r l ä u t e r n d e B e m e r k u n g e n zu
dem W e r k e
von T h i e r s c h ,
pag. 8 4 8 n . f.
—
Waldeyer,
die Entwickelung d e r C a r c i n o m e , Virchow's Archiv, Bd. 4 1 . pag. 4 7 0 .
—
Köster,
in
kritische
dem Archiv f. klin. Chir. Bd. V I I ,
die E n t w i c k l u n g d e r C a r c i n o m e u n d S a r c o m e , W ü r z b u r g , Entwickelung
und
Metamorphosen
des
1869.
Krebsgenebes.
Nach der Ansicht, welche früher in Betreff der Entstehung von Neubildungen überhaupt die herrschende war, sollte die Krebsgeschwulst sich aus einem flüssigen, gallertartigen oder festen, formlosen Blastem entwickeln, welches zwischen die vorhandenen Gewebe eingelagert werde. Neuere Untersuchungen haben aber gerade in Betreff der carcinomatösen Gewächse das bestimmte Ergebniss geliefert, dass nicht irgend ein Blastem oder Exsudat als die Bildungsstätte ihrer Elemente betrachtet werden kann, dass letztere vielmehr durch eine abnorme Entwickelung und Wucherung der vorhandenen anatomischen Elemente, namentlich solcher, die den Charakter der Zelle an sich tragen (vornehmlich oder vielleicht ausschliesslich der Epithelial- und Drüsenzellen) entstehen. Mit dieser Kenntniss erledigen sich auch die früher vielfach discutirten Fragen, ob der Krebs das Resultat einer örtlichen Entzündung sei, ob er durch eine veränderte Thätigkeit der Lymphgefässe, ob er in den „venösen Capillaren" ( C r u v e i l h i e r ) entstehe u. dgl. ro. Dagegen ist es zur Zeit noch nicht möglich, darüber zu ' ) „ K r e b s h a f t k ö n n e n im Allgemeinen alle Geschwülste g e n a n n t w e r d e n , w e l c h e die n a t ü r l i c h e S t r n c t u r aller Gewebe a u f h e b e n , welche gleich Anfangs constitutione!! sind,
oder
e s im
natürlichen
Verlauf
ihrer
Entwickelung
regelmässig
welche, Constitutionen geworden, regelmässig n a c h d e r Exstirpation und
zum
s i c h e r n Ruin
der
befallenen
Individuen
s e i n e m W e r k e ü b e r den feineren Bau etc. d e r
führen."
werden,
wiederkehren
Job. Müller,
Geschwülste.
32*
in
500
Ernährungs-Störungen.
entscheiden, ob b l o s E p i t h e l i a l z e l l e n (mit Einschluss der Driisenzellen), wie dies neuerdings von T h i e r s c h , W a l d e y e r u. A. als erwiesen angesehen wird, oder auch andere, namentlich Bindegewebszellen, wie man, nach den Untersuchungen von V i r c h o w , bis vor Kurzem allgemein angenommen hat, die Grundlage für die Entwickelung des carcinomatösen Gewebes werden können. Oefter wurden die eine Krebsgeschwulst u m g e b e n d e n G e w e b e hypertrophisch gefunden; zuweilen lässt sich vorgäugige Resorption der Gewebe an Stellen, wo der Krebs sich entwickelt, beobachten. T h i e r s c h legt besonderes Gewicht auf die fettige Entartung der kleinen Gefässe in denselben. Umfassendere Untersuchungen über das Verhalten der umliegenden und zwischenliegenden Gewebe bei der ersten Entwickelung des Krebses fehlen noch. J. M ü l l e r drückt sich ganz allgemein darüber a u s : „Der allgemeinste anatomische Charakter der krebshaften Degenerationen ist Verlust des Eigengewebes des befallenen Theiles, welches bei Entwickelung des Krebses verschwindet. Gefässe, Muskeln, Nerven, Drüsen, Knochen und alle auch noch so differenten Gewebe werden in dieselbe krebsige Degeneration hineingezogen. Die erste Erscheinung der krebshaften Degeneration besteht indess nicht in der blossen Umwandlung der vorhandenen gesunden Gewebe in die krebsige Degeneration, sondern in der Entwickelung der Formelemente des Krebses zwischen den Gewebstheilen des Organes, welche sofort die natürliche Structur verdrängen." Dies Verschwinden der normalen Gewebe, welches dem ersten Stadium des Krebses eigen Fig. 124.
ist, muss man unterscheiden von der Zerstörung der Gewebe durch Erweichung (Verschwärung) des Krebses. Einzelne Gewebe können dem Einflasse des Krebses lange Zeit Widerstand leisten. Beim Scirrbus der weiblichen Brust z. B. fand ich in den jüngeren, grau-röthlichen, glänzenden Randern der Geschwulst noch zahlreiche Verzweigungen der Milchcanäle erhalten, ausgefüllt mit moleculärem Fett, so dass bei Zusatz von Liquor Kali caust., welcher die übrige Gewebsmasse durchsichtig machte, verzweigte Cylinder von feinkörnigem Fett erschienen (Fig. 124). Die Wände der Drüsengänge waren von einer dicken, durchsichtigen, in Essigsäure aufquellenden, homogen erscheinenden Bindegewebsschicht gebildet. Die „ inmitten der älteren Krebstheile liegenden dickwandigen Ganäle", von denen es J. M ü l l e r unentschieden lässt, ob sie Gefässe
Krebs.
501
oder Milchgänge seien, sind, dem Caliber nach, als Gefässe zu deuten, so dass diese Beobachtung ebenfalls als Beleg für die Ansiebt dienen kann, dass die Entwickelang des Krebses niebt durchweg Atrophie oder Verschwinden der vorhandenen Genebe bedingt. Hierher gehört auch die Thatsache, dass Nervenstämme oft ganz unversehrt durch Krebsgeschwülste verlaufen.
Die F o r m e l e m e n t e , welche im Gewebe des Krebses in der Mehrzahl der Fälle vorherrschen, sind Z e l l e n . Diese sind, besonders ihrer Form nach, so verschiedenartig, dass es gewagt erscheinen muss, eine Beschreibung der „ K r e b s z e l l e " schlechthin zu geben 1 ). Bald sind dieselben den verschiedenen Epithelialzellen, bald den Leberzellen, auch den Knorpelzellen u. s. f. mehr oder weniger ähnlich, zuweilen auf's Vollkommenste. Zum grossen Theil beruhen diese Verschiedenheiten darauf, dass man die Zellen auf verschiedenen Stufen ihrer Entwickelung und unter höchst verschiedenen localen Verhältnissen antrifft, so dass es noch am Erspriesslichsten scheint, der Beschreibung im Allgemeinen die E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e der Krebszellen zu Grunde zu legen. Fig. 125.
Fig. 126.
Fig. 127.
Fig. 128.
Fig. 129.
Alle Krebszellen (Fig. 125—129) enthalten Kerne, in denen sich als ein späteres Entwickelungsproduct Kernkörperchen finden, durch deren Anwesenheit immer ein gewisses Alter der Zelle bezeichnet wird. Die K e r n e haben eine ovale oder kreisrunde Gestalt und Fig. 130. wachsen schnell zu einer bedeutenden Grösse heran. Dieselben scheinen auch isolirt auftreten und als solche unter einander verschmelzen zu können (Fig. 130). Im Kerne bildet sich alsbald ein bläschenartiges Kernkörperchen (nucleolus), welches bis zu der Grösse einer Eiterzelle wachsen kann. Die K e r n k ö r p e r c h e n sind vollkommen runde, stark glänzende, dickwandige, nur auf Zusatz kaustischer Alkalien verschwindende Gebilde, von 0,0025 bis 0,0035 Mm. Durchmesser; nach L e b e r t haben sie in ihrem sonst gewöhnlich homogenen Inhalte bisweilen „secundäre Nucleoli". Meist sind später mehrere KernDie Kerne der Krebszellen körperchen in einem Kern enthalten. i) Eine s p e c i f i s c h e K r e b s z e l l e ( L e b e r t ) giebt es nicht.
Ebenso wenig haben
die übrigen, eine Krebsgeschwulst zusammensetzenden Theile (Bindegewebe, Gefässe etc.) etwas Specifisches an sich.
Ernährungs-Störungen.
502
zeichnen sich vor allen übrigen Kernbildungen durch ihr enormes Wachsthum aus, wobei sie gewöhnlich eine runde Gestalt annehmen. Sie sind, wenn auch nicht Anfangs, so doch jedenfalls nach vollendeter Entwickelung dickwandige Bläschen, deren mittlerer Durchmesser, nach L e b e r t , 0,01 Mm. beträgt. Mit dem Wachsthume des Kernes hält das der Zelle nicht gleichen Schritt; daher erreicht der Kern an einzelnen Stellen die Wand der ihn ursprünglich an Grösse bedeutend übertreffenden Zelle und drängt sie vor sich her, wodurch die sonst runde Gestalt der Zelle in mannigfaltiger Weise durch zipfel- und kappenartige Ausbuchtungen unregelmässig werden k a n n ' ) . Das Wachsthum des Kerns kann soweit gehen, dass die Zelle „förmlich über den Kern herübergezogen wird" und nur noch als ein „feiner, grauer Schatten um die dicke und dunkle Kernmembran" bemerkbar ist. Sehr häufig findet sich in den Krebszellen e n d o g e n e Z e l l e n bildung. In grossen Zellen wird, nach den Beobachtungen von V i r c h o w , ein Theil des auf diesem Stadium gewöhnlich granulirten Fig 133 Inhaltes homogen und wasserhell; Fig. 1 3 2 . Fig. 1 3 1 . vielleicht gerade an der Stelle, wo ein Kern der Resorption verfallen war (Fig. 131 — 133). Diese helle Portion wird sogleich von einer scharf contourirten, derben Wand umgeben. Der so Fig. 134. gebildete neue H o h l r a u m ( B r u t r a u m , P h y s a l i d e ) wächst und kann zuletzt den übrigen ZellenFig. 1 3 5 . inhalt verdrängen (Fig. 134). In ihm entwickeln sich neue Kerne und Zellen (Fig. 135), zuweilen nachdem er vorher sich selbst in zwei Abtheilungen gesondert hat. Diese „ B r u t r ä u m e " sind von Anderen als „hyaline Degeneration" der Krebszellen gedeutet worden. Nach B r u c h 2 ) btldung
geschieht die Vermehrung der Zellen n u r durch endogene Kern-
oder durch Theilung der
s i c h , nach i h m , schon bilden;
vorhandenen Kerne;
häufiger werden die Kerne.
und so Tochterzellen
neugebildeten Kerne frei durch Platzen der Mutterzellen.
B r u c h findet hierin die Quelle d e r , freien bläschenartigen
die mehrfachen Kerne können
in der Hutterzelle mit Hüllen umgeben in
manchen Krebsen so zahlreich vorhandenen,
Diese k ö n n e n ,
nach d e m s e l b e n ,
aber auch
aus dem
Kernkörperchen, welches er als einen endogenen Kern betrachtet, entstehen, und sieb, gleich primären Kernen, durch Theilung und Endogenese vermehren.
Alle ä l t e r e n Krebszellen sind durch ihre Grösse (0,02— 0,05 Mm.), ' ) Vgl. V i r c h o w im Archiv für pathologische Anatomie, Bd. I, pag. 1 3 1 . a
) V i r c h o w I. c. pag. 2 8 7 , und D e s s e n Untersuch, über d. Entwickel. d . Schädelgrundes, Berlin
1857.
503
Krebs.
durch ihren granulirten oder fettigen Inhalt, ihre scharfen Contouren, die Grösse des oder der Kerne, die Anwesenheit eines oder zweier glänzender Kernkörperchen in den letzteren und durch die Unlöslichkeit in Essigsäure ausgezeichnet. Häufig sind in Krebszellen Fettmoleciile enthalten, bald hie und da im Zelleninhalt zerstreut'), den Kern oder die Kerne umhüllend (Fig. 136), bald aber auch als alleiniger Inhalt (Fig. 137). Die Anfüllung mit Fettkörnchen kann so weit gehen, dass die Zellmembran schwindet und aus der Zelle eine Fettaggregatkugel entsteht. Solche Zellen kommen sowohl in sehr jungen recidivirenden, als auch besonders in älteren Krebsen vor. — Zuweilen sind die Krebszellen mit braunen oder schwarzen P i g m e n t m o l e c ü l e n erfüllt, und bilden dann einen Hauptbestandteil des „melanotischen Krebses". Fettmolecüle und Pigmentmolecüle können auch im Kern auftreten Fig. 1 3 6 .
Fig. 1 3 7 .
Fig. 1 3 8 .
Fig. 1 3 9 .
Fig. 1 4 0 .
(Fig. 138 — 1 4 0 ) . Die Form der Zellen wird mit fortschreitendem Wachslhume theils durch gegenseitigen Druck (Fig. 141), theils durch mechanische Einwirkung der Intercellularsubstanz, Fig. 1 4 1 . abgesehen von dem bereits erwähnten Einflüsse des übermässigen Wachsthums der Zellenkerne, auf mannigfaltige Weise abgeändert. So sind in harten, festen Krebsen die Zellen gewöhnlich feinkörniger, blasser, mehr oder weniger abgeplattet, der Kern kleiner, während in weicheren, feuchteren Carcinomen die Zellen sowohl wie die Kerne und Kernkörperchen eine besonders auffallende Grösse erreichen. — Besondere Erwähnung verdient die Spindel-Form, welche durch Ausziehen der Zelle nach zwei entgegengesetzten Richtungen entsteht, — die Form der sogenannten „geschwänzten Körperchen". Solche Spindelzellen, welche auch in anderen Geschwülsten, namentlich Sarcomen, vorkommen, können mit den Faserzellen des jungen Bindegewebes und der organischen Muskeln verwechselt werden. Nach L e b e r t unterscheiden sie sich von den letzteren durch ihre grössere Breite und geringere Länge, so wie durch die Beschaffenheit der Kerne und Kernkörperchen; V i r c h o w hält die grössere Breite, die dunkleren Contouren, den granulirten Inhalt und die Unlöslichkeit in Essigsäure für unterscheidend. ' ) In Flg. 1 3 4 liegen die Fetlbörnchen a u f
den Bruträumen und um sie herum.
Ernährunga-Störungen.
504
M ü l l e r und V o g e l halten eine scharfe Unterscheidung nicht für möglich, sind vielmehr der Ansicht, dass es sich hier wie dort nur um Faserzellen, d. h. also um Zellen, die in der Umwandlung zu Fasern begriffen sind, handle,
und dass die an solchen Elementen reichen
Geschwülste sich gerade deshalb den gutartigen näher anschliessen. Einen qualitativen Unterschied dürfte in der That wohl nur die Anwesenheit der auffallend grossen Kerne mit glänzenden Kernkörperchen bedingen, welche sich in den normalen Faserzellen nicht finden, freilich aber auch an den sogenannten „geschwänzten Körperchen" des Krebsgewebes oft vermisst werden. Zwischen den Zellen
des Krebses befindet sich (welches auch
ihre Anordnung sein mag) stets f l ü s s i g e
Intercellularsubstanz,
K r e b s s e r u m ( V i r c h o w ) , aus Eiweiss, Fett, Extractivstoffen, Kasein, Pyin und Wasser nebst den gewöhnlichen anorganischen Salzen bestehend,
schwer
Quantität
dieser
zu
untersuchen
flüssigen
und
noch
wenig
gekannt.
Die
Intercellularsubstanz ist sehr verschieden.
Durch Druck kann man sie auf der Schnittfläche einer Krebsgeschwulst mit grossen Mengen von Krebszellen gemischt hervorquellen machen, oft quillt sie von selbst hervor; man nennt dies Gemenge K r e b s s a f t oder K r e b s m i l c h .
Je nach
der Menge von Krebszellen,
welche
darin enthalten sind, und j e nach der eigenen Consistenz des „Serum" ist dieser Krebssaft bald milchig, bald rahmartig, oder noch dicklicher. Selten fehlt er ganz, wenn nämlich zu wenig flüssige Intercellularsubstanz vorhanden ist und die Krebszellen sehr innig an einander haften, oder wenn überhaupt relativ wenig Zellen vorhanden sind. Ausser den Krebszellen
und
ihrer Intercellularsubstanz
unter-
scheiden wir in der Krebsgeschwulst eine faserige Grundlage, Gerüst,
Stroma.
das
Die Entwickelung und Anordnung desselben im
Verhältniss zu den Zellen bedingt Verschiedenheiten, die für die Classification von Wichtigkeit sind: im F a s e r k r e b s , S c i r r h u s , ist es z. B. das vorwiegende Element, in anderen Krebsformen nur sehr schwach entwickelt, zuweilen nur angedeutet.
Es besteht wesentlich aus Binde-
gewebe auf verschiedenen Entwickelungsstufen, also bald aus länglichen, in zwei Spitzen auslaufenden, kernhaltigen Faserzellen, bald aus wahrem lockigen Bindegewebe, welchem elastische Fasern beigemischt sind. Im Ganzen sind die Fasern des Bindegewebes im Krebse weniger wellenförmig, liegen theils bündelartig neben einander, theils zerstreut, und sind zuweilen, namentlich in weichen Krebsen, dünner, feiner, blasser als im normalen Bindegewebe. indem sie mehr
oder weniger abgeschlossene,
Diese Fasern bilden, mit Zellen
gefüllte
Räume einschliessen, ein zusammenhängendes Netzwerk (Krebsgerüst),
Krebs.
505
ähnlich demjenigen, welches die elastischen Fasern der menschlichen Lunge darstellen (Vogel). Zuweilen sind die Faserzüge radienartig, vom Mittelpunkte der Geschwulst nach der Peripherie ausstrahlend, in anderen Fällen sind auch Bindegewebs- und Zellenmassen unregelmässig durcheinander gelagert. — D a s S t r o m a des Krebses ist einer wirklichen V e r k n ö c h e r u n g fähig (Stroma spinosum), und zwar ohne vorgängige Knorpelbildung'). Die einzelnen Knochenstückchen der Art nennt man S p i c u l a e . Während man bis vor Kurzem ganz allgemein das Stroma als einen integrirenden, von Anfang an das Carcinom constituirenden Bestandtheil der Krebsgeschwulst betrachtet hat, lassen die Vertheidiger der Ansicht, dass der Krebs nur aus bereits vorhandenen Epithelialzellen seinen Ursprung nehme, das Krebsgerüst aus einer Bindegewebswucherung hervorgehen, welche durch den Reiz bedingt werden soll, welchen die Epithelialzellen in dem Bindegewebe, in welches sie von ihrer ursprünglichen (normalen) Bildungsstätte aus hineinwachsen, nach Art eingedrungener fremder Körper, hervorrufen. Das in jedem Krebsgerüst eine Wucherung von Bindegewebe stattfindet, darüber kann kein Zweifel sein; ob man aber alle, den epithelialen Charakter nicht an sieb tragenden jungen Zellen (oder Kerne) in einem Carcinom als Bindegewebswucherungen, — kleinzellige Infiltration des Stroma, nach B i l l r o t h , — oder als junge Krebszellen betrachten solle, ist vorläufig wohl noch Sache der Interpretation.
Ausser den Kernen, Zellen, Fasern entwickeln sich in der Krebsgeschwulst auch B l u t g e f ä s s e , die, nach V o g e l , „vorzugsweise zwischen den faserigen Geweben, seltener, vielleicht nie, zwischen den Zellen entstehen" sollen. Dennoch hängt die Menge der Gefässe nicht von der Mächtigkeit des Stroma ab; vielmehr sind die an Bindegewebe sehr reichen Krebsgeschwülste ärmer an Blutgefässen, während die weichsten Krebse oft mit dichten Gefässnetzen durchsetzt sind. G e r l a c h * ) , Virchow 5 ) und andere Beobachter fanden sie collossalen Haargefässen (E. H. W e b e r ) ganz gleich gebaut. In der Regel kommen weder ganz feine Capillaren, noch Gefässe mit einer mittleren Gefässhaut im Krebsgewebe vor. Die c o l o s s a l e n H a a r g e f ä s s e bilden homogene structurlose Röhren, deren Wandungen längsovale Kerne aufgelagert sind. G e r l a c h hat Krebse von den nächsten Arterien mit rother, und von den Venen her mit blauer Masse injicirt: „die Gefässe des einen Theils der Geschwulst, und zwar die der Vene zunächst gelegenen, waren blau, und die des anderen, der Arterie ' ) Vgl. V i r c h o w im Archiv für pathol. Anatomie, Bd. I, pag. 1 3 6 . ä
) J. G e r l a c h , Der Zottenkrebs und das Osteoid, 1 8 5 2 , pag. 2 3 .
3
) Archiv f ü r pathol. Anatomie, Bd. I, pag. 2 2 1 .
506
Ernährungs-Störungen.
nahe liegenden, waren roth gefärbt". Es ergab sich ferner, dass die in einer Krebsgeschwulst zerstreuten Capillaren keineswegs gleichweite Lumina besassen (wie in normalen Geweben), sondern, dass „weitere und engere Gefässe sich untereinander zu einem unregelmässigen, mehr oder weniger vollständig geschlossenen Röhrensysteme verbinden, an dem man mit Sicherheit weder zu, noch abführende grössere Gefässe unterscheiden kann')". Die so häufigen Hämorrhagien in das Krebsgewebe selbst und nach Aussen (bei aufgebrochenen Krebsen) finden in diesem Baue der Blutgefässe ihre Erklärung. L y m p h g e f ä s s e wurden in Krebsgeschwülsten von S c h r o e d e r v a n d e r Kolk und von W. K r a u s e 1 ) nachgewiesen. Ueber die V e r ä n d e r u n g e n , welche das K r e b s g e w e b e , abgesehen von der stetigen Vermehrung (Wucherung) der Zellen, w ä h r e n d s e i n e s w e i t e r e n L e b e n s erfährt, sind durch das Studium der rückgängigen Metamorphose der Gewebe Uberhaupt wichtige Aufschlüsse geliefert worden, durch welche zugleich die Anschauung der vielen v e r s c h i e d e n e n F o r m e n , welche eine Krebsgeschwulst zeigen kann, mehr Einheit und das Verständniss derselben mehr Klarheit gewonnen hat. Wir wissen jetzt, dass es für Zellen wie für Fasern eine gemeinschaftliche Alters-Erscheinung ist, körniges Fett in ihrem Inhalt zu entwickeln und dass diese Umwandlung ihres Inhalts ein Zerfallen der Gewebe bedingt 3 ). Diese F e t t m e t a m o r p h o s e zelliger und faseriger Gebilde ist eine der häufigsten Erscheinungen im Krebs und betrifft nicht allein die Elementartheile des Krebses selbst, sondern auch die der von ihm umfassten oder ihn umgebenden, bereits von früher her vorhandenen, normalen Gewebe, wie dies namentlich in Betreff der kleinen Gefässe auch neuerdings wieder von T h i e r s c h hervorgehoben worden ist. Die dadurch bedingten Farben- und Consistenz-Verschiedenheiten haben zu besonderen Namen und Eintheilungen der Krebsgeschwülste Veranlassung gegeben. V i r c h o w unterscheidet bei der regressiven Metamorphose des Krebses: 1) das R e t i c u l u m und 2) die k ä s i g e U m w a n d l u n g . Ersteres bildet kleine weisse, netzförmige Figuren, welche aus feinen Punkten zusammengesetzt zu sein scheinen. Diese Figuren enthalten Krebszellen, welche alle Uebergänge zu den Fettkörnchenzellen und Fettaggregatkugeln zeigen. Die käsige Umwandlung dagegen liefert die t u b e r k e l a r t i g e n K ö r p e r , d. h. trockene, gelblichweisse, bröcklige ' ) G e r l a c h 1. c. pag. 2 5 . *) Deutsche Klinik, 1 8 6 3 , No. 3 9 . 3
) Vgl. die Arbeiten von R e i n h a r d t Anatomie, I, 1.
und V i r c h o w
im Archiv für
pathologische
Krebs.
507
Massen, welche theils einzeln eingestreut, theils angehäuft im Krebs liegen. Sind diese Massen durch das Fasergerüst noch von einander getrennt, so lassen sie sich, wie Comedonen, aus ihren Alveolen herausdrücken (Cancer ariolaire pultace). In denselben finden sich keine Fettaggregatkugeln, wie in dem Reticulum, sondern membranöse, fetzige, eckige Scheiben, welche unregelmässig geformte, in Essigsäure und Aether unösliche Partikelchen enthalten, denen Fettkügelchen spärlich beigemengt sind. Da bei der Umwandlung der Zellen in jene membranösen Stücke gleichzeitig mit dem Verschwinden des Kerns eine Verdickung und Einschrumpfung der Zellmembran stattfindet, so gewinnen sie Aehnlichkeit mit den als „Tuberkelkörperchen" beschriebenen Bildungen. Virchow bezeichnet diesen Vorgang als A t r o p h i e der Zellen. Eng mit diesen RUckbildungsformen, besonders der zelligen Elemente des Krebses hängt die Entwickelung des von V i r c h o w ' ) als „ K r e b s n a r b e " beschriebenen Gewebes zusammen*). Nachdem die zu einer emulsiven Flüssigkeit zerfallenen, fettig metamorphosirten Zellen des reticulirten (also rückgängigen) Krebses zum grössten Theile durch Resorption verschwunden sind, drängen die Bindegewebsmassen des Strorna näher aneinander und bilden allmälig breite, dicke, homogen erscheinende, sehr feste, unter dem Messer knirschende Schichten. Aus der ferneren Contraction dieses festen Bindegewebes leitet Virchow die beim Krebs während der Rückbildung nicht selten auftretende c e n t r a l e D e p r e s s i o n ab. Eine solche ist besonders beim Brustkrebs als Einziehung der Brustwarze häufig beobachtet und früher in sehr gezwungener Weise erklärt worden. Dieselbe ist keineswegs etwas Wesentliches für den Krebs überhaupt, oder für den Krebs der ]
) Archiv f. pathol. Anatomie etc., Bd. I, pag. 1 8 5 .
2
) Durch die Ausdrücke „ r e g r e s s i v e M e t a m o r p h o s e " ,
„ K r e b s n a r b e " u. s. f.
darf der Anfänger sieb nicht verleiten lassen, zu glauben, dass es sich um Rückgängigwerden handle.
des
Krankheitsprocesses
oder Vernarbung im gewöhnlichen Sinne
Davon Ist beim Krebs niemals die Rede.
älterer Zellen findet sich stets junge Wucherung. welches Stadium er auch erreicht haben m a g , Zellenbildung.
Neben jenen Umwandlungen „Wie alt der Krebs auch sei,
immer findet man in ihm junge
Der Krebs bleibt nicht, wie die normalen Gewebe, auf einer be-
stimmten Entwickelungsstufe s t e h e n ; in immerwährendem W a c h s t h u m e begriffen, gelangt er nie zur R u h e ; nie wird er zu einem bleibenden Gewebe. in ihm eine Kraft thätig zu sein,
auch ihre reproduetive Tbätigkeit dauernd unterhält. sich a u s ,
pflanzt sich
fort durch
Es scheint
welche sowohl das W a c b s t h u m der Zelle, als Der Krebs wächst, breitet
eine nie ruhende Zeugungskraft.
Um
den
Krebs in seiner Entwickelung a u f z u h a l t e n , müsste man die Entwickelang seiner Zellen verhindern oder deren reproduetive Thätigkejt vernichten."
Vidal.
508
Ernährungs-Störungen.
Brust in's
Besondere,
sondern
wird
durch
die Entwickelung
„Krebsnarbe"
in der Mitte der Geschwulst b e i
Entwickelung
junger
dingt.
Krebsknoten
in
der
der
gleichzeitiger Umgebung
be-
Letztere wölben die Peripherie der Geschwulst hervor, während
die Mitte narbig eingezogen ist.
Jedenfalls bekundet die Anwesenheit
der Krebsnarbe ein gewisses Alter der Geschwulst.
Da wir aber wissen,
dass mit dem längeren Bestehen eines Krebses neue Ausbrüche an anderen Orten aufzutreten pflegen, so kann man auch sagen, es begründe die Anwesenheit einer Krebsnarbe die Befürchtung einer neuen Eruption
an irgend einer anderen Stelle.
Die Abnahme der Kräfte
(Krebskachexie, Krebsmarasmus) hat durchaus nicht immer ein Rückschreiten des localen Uebels zur Folge;
wir konnten im Gegentheil
in mehreren genau beobachteten Fällen constatiren, wie sich bei relativ gutem Allgemeinbefinden die zuerst aufgetretene Geschwulst gebildet hatte,
während der Anfang der neuen
zurück-
Krebsknotenbildung
gleichzeitig mit einer sichtlichen Abmagerung und unter allgemeinem Uebelbefinden auftrat. Die A u f s a u g u n g der fettig metamorphosirten zelligen (und auch oft faserigen) Bestandtheile kann auch in der ganzen Krebsgeschwulst auftreten und den Knoten in ein knorpelhartes,
weisslich-bläuliches
oder auch grauliches, fast homogenes Gewebe umwandeln, aus welchem sich nur eine klare Flüssigkeit herausdrücken lässt.
Die Contraction
des Bindegewebes findet hierbei von allen Seiten her nach dem CenIrum Statt,
so dass dann der Krebsknoten gewöhnlich
hervorragend erscheint.
V i r c h o w deutet auch
besonders zu erwähnenden „ W u r z e l n " ,
isolirt und
die beim Faserkrebs
die unregelmässig
strahlig
um die eigentliche Geschwulst angeordnet auftreten, als Narbenstränge, welche gesundes Gewebe einschliessen und die umgebende Haut nach dem Centrum Contraction geben, j e
der Geschwulst faltig heranziehen.
von
Bindegewebsmassen
nach der Oertlichkeit,
bedingten
Diese durch
die
Formveränderungen
verschiedene Krankheitsbilder und
veranlassen verschiedene mechanische Störungen; so Ileus bei Darmkrebs, Icterus bei Krebs der Porta hepatis.
Diesem Stadium des Krebs-
knotens ist die berüchtigte „scirrhöse" Härte besonders eigen. Die E r w e i c h u n g
der krebshaften
Gebilde
ist
stets
als
ein
wesentliches Unterscheidungsmerkmal von gutartigen Geschwülsten aufgeführt worden.
„Gutartige Geschwülste," sagt J . V o g e l ')? „können
zwar ebenfalls in Erweichung und Verschwärung übergehen, aber dies geschieht durch Ursachen, welche nicht in ihrer Natur liegen, sondern nur zufällig von Aussen auf sie einwirken; die bösartigen Geschwülste ' ) Pathologische Anatomie pag. 2 2 8 .
Krebs.
509
dagegen gehen mit Notwendigkeit in Erweichung über, aus Gründen, welche in ihrer Natur liegen; die Erweichung ist ein nothwendiges Moment ihrer Entwickelung. Das Endproduct der Erweichung ist eine Flüssigkeit mit unregelmässigen, zerfallenen, organischen Molecülen, ein organischer Detritus, der höchstens einige Zellen und Zellenreste enthält, welcher ätzend auf die umgebenden Theile wirkt, jauchig ist und faulig riecht. Die Erweichung der bösartigen Geschwülste beginnt in der Regel nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe der Geschwulst, so dass das Product der Erweichung, der jauchige Eiter, in unmittelbarer Berührung mit den Blut- und Lymphgefässen (durch Diffusion) seine schädlichen Bestandtheile in den Kreislauf bringt und so allmälig eine allgemeine Kachexie herbeiführt. Auch werden durch wirkliche Zerstörung der Gefässwandungen bedeutendere Massen des erweichten Krebses in die Venen und Lymphgefässe übergeführt und veranlassen so Venen- und Lymphgefäss-Verstopfung mit ihren Folgen." Diese von V o g e l so bestimmt dargestellte innere Erweichung der Krebsknoten wird von Anderen ( C h e l i u s , W e n z e l , L e b e r t ) weniger bestimmt als Ursache des Aufbruchs hervorgehoben; nach J o h . M ü l l e r ' ) geht dem Aufbruch der carcinomatösen Geschwülste Erweichung und Entzündung voraus, welche an einer Stelle der Geschwulst früher auftreten, als an den anderen, keineswegs aber jedesmal im Inneren beginnen. Wir haben bereits (pag. 506) dargethan, dass das C a r c i n o m a r e t i c u l a r e einer rückgängigen Entwickelungsstufe der Krebsgeschwulst angehöre. J. M ü l l e r erwähnt bei der Schilderung der Erweichung, dass die weissen Kugeln, welche das Reticulum bilden, nicht blos im Fortschritt sich häufen, sondern auch bei Erweichung der Masse einen Haupttheil des sich zersetzenden Gewebes bilden. Er unterscheidet ferner noch beim erweichenden Brustkrebs ausser der eben beschriebenen consistenteren Masse, welche durch erweichte Krebsbestandtheile gebildet wird, eine erweichte, eiterartige Masse. Letztere befindet sich in grösseren und kleineren Höhlen, die unter einander zusammenhängen können, vertheilt, oder füllt auch beim Brustkrebs Reste der Milchgänge und Lymphgefässe an und quillt beim Druck auf die Geschwulst in grosser Masse aus den durchschnittenen Gängen. Auf solche Weise können in Carcinomen auch c y s t e n a r t i g e H ö h l e n entstehen. Die aufgebrochene Geschwürsfläche ist entweder von Neuem produetiv u n d bildet dann einen K r e b s s c h w a m m (Fungus), oder die Zerstörung und Auflösung auf der Oberfläche schreitet ohne alle ') Feinerer Bau der Geschwülste, pag. 23.
510
Ernährungs-Störungen.
Wucherung (namentlich beim Epithelialkrebs des Gesichtes) stetig weiter fort. Der Begriff des D u r c h b r u c h s ist von dem der V e r j a u c h u n g zu trennen. Verjauchung ist nicht möglich ohne Zutritt der atmosphärischen Luft oder eines bereits faulenden oder zersetzend wirkenden Körpers, wie Speisebrei, Faeces, Harn, verfaulter Schleim oder Eiter 1 ). Daher verjauchen die Fungi durae matris, die Krebse der Pleura, des Peritoneum, sowie Krebse unter der Haut erst, wenn die Haut gänzlich oder doch bis auf eine dünne Epidermis-Schicht zerstört (oder atrophirt) ist. Der Durchbruch der Haut ist aber durchaus nicht immer durch vorgängige Erweichung des unter ihr liegenden Krebsknotens bedingt, sondern kann auch an einer Hautstelle eintreten, die einen wachsenden Scirrhus bedeckt, indem dieselbe durch Druck brandig oder auch nur atrophirt wird. Wir müssen also in jedem einzelnen Falle die speciellen Ursachen des Durchbruchs aufsuchen. Nach den letzteren wird sich auch die Beschaffenheit der nachher zu Tage liegenden, und alsdann freilich, unter dem Einfluss der Luft weiteren Veränderungen ausgesetzten Krebsfläche richten. In dem S e c r e t dieser Geschwürsflächen finden sich, ausser den von der Krebsgeschwulst selbst sich ablösenden Elementartheilen, wirkliche Eiterkörperchen, junge Zellen; auf der Körperoberfläche gewöhnlich schlechter Eiter, eine übelriechende Flüssigkeit mit organischem Detritus, wie auf anderen Geschwürsflächen. Von „Krebsjauche" kann man nur sprechen, wenn die Geschwürsoberfläche irgendwo mit der Körper- oder einer Schleimhaut-Oberfläche communicirt. Symptome, Verlauf,
Ausgänge.
Ein grosser Theil der S y m p t o m e des Krebses ergiebt sich aus der Schilderung seines Entwickelungsganges. Vgl. pag. 499 u. flgd. Die in Krebsgeschwülsten auftretenden S c h m e r z e n werden als eigentümliche geschildert. Sie sollen intermittirend sein, plötzlich auftreten und wieder verschwinden, blitzähnlich die Dicke des Thorax, den Bauch oder die Extremitäten, je nach dem Sitz der Geschwulst, durchfahren, bald stechend, bald brennend. Die Zeit ihres Auftretens oder ihrer Zunahme ist mit verschiedenen Veränderungeu innerhalb der Krebsgeschwulst selbst in Verbindung gebracht worden; für die Einen sollte sie einen Stillstand des Wachsthums, für andere gerade den bevorstehenden Aufbruch anzeigen. Da wir in Krebsen, wie in anderen Geschwülsten, keine besonderen Nerven kennen, so muss man die Schmerzen auf Rechnung der Veränderungen des Muttergewebes ' ) E o g e l , Oesterr. medic. Wochenschrift 1 8 4 1 , pag. 7 8 3 . 8 2 0 .
Krebs.
511
bringen. Als wesentlichste Veranlassung derselben führt B r u c h das schnelle Wachsthum an. Es giebt aber wohl noch andere Ursachen. Wir sahen die Nn. tibialis und peroneus durch eine Krebsgeschwulst comprimirt, den N. maxillaris inferior, in seinem Neurilem verdickt, mitten durch einen Epithelialkrebs, welcher von der Unterlippe her auf den Unterkiefer übergegangen war, hindurchgehen, den N. infraorbitalis, ebenfalls sehr verdickt, Krebsgeschwülste im Oberkiefer durchsetzen u. s. f. Es liegt sehr nahe, entweder im Drucke oder der Hyperämie, oder in wirklicher Substanzveränderung vorhandener Nerven eine häufige Ursache der verschiedensten Arten von Schmerzempfindung zu suchen. Nebenbei geht aus obigen und anderen Fällen hervor, welche bedeutende Widerstandsfähigkeit die Nerven gegen den herandrängenden Krebs besitzen. — Die Schmerzen, welche, nach der Angabe der meisten Autoren, nie beim Krebs ausbleiben sollen, können übrigens in der That fehlen, oder, wenn sie vorhanden sind, wenigstens in vielen Fällen nicht als stechende, blitzähnlich durchfahrende auftreten. Während der weiteren Entwickelung der Krebsgeschwulst s c h w e l len a l l m ä l i g d i e j e n i g e n L y m p h d r ü s e n a n , zu w e l c h e n v o n dem u r s p r ü n g l i c h e n S i t z e d e s K r e b s e s L y m p h g e f ä s s e v e r l a u f e n , die „benachbarten", „zugehörigen", „regionären" Lymphdrüsen. Diese Lymphdrüsen-Schwellung findet sich allerdings auch bei anderen bösartigen Geschwülsten, aber bei keiner derselben so constant wie beim Krebs. Durch ihre allmälige, Anfangs immer schmerzlose Entstehung unterscheidet sie sich von entzündlichen Schwellungen der Lymphdrüsen, welche gewöhnlich zu Anfang schmerzhaft sind und nur bei chronischem Verlauf weiterhin schmerzlos werden. Dass auch bei der Einimpfung giftiger Stoffe ähnliche Schwellungen der Lymphdrüsen entstehen, wurde schon bei den syphilitischen Geschwüren hervorgehoben (vgl. 365 u. flgd.) und wird bei den vergifteten Wunden abermals zu erwähnen sein. Es ist wohl möglich, dass auch im Verlauf des Krebses Schwellungen der Lymphdrüsen vorkommen, welche entzündlichen Ursprungs sind; in der Regel aber werden sie durch die Entwickelung von Krebsgewebe in den Drüsen bedingt. Ob diese immer abhängig sei von dem Eindringen von Krebszellen in die Lymphgefässe, durch welche sie dann zu den Lymphdrüsen weitergeführt werden, um schliesslich in diesen stecken zu bleiben und weiter zu wuchern, oder ob auch durch die Seitens der Lymphgefässe aus der primären Krebsgeschwulst aufgenommenen Flüssigkeiten die Drüsen inficirt, d. h. die Entwickelung von Krebsgewebe in ihnen hervorgerufen werden könne, — darüber lässt sich
512
Ernährungs-Störungen.
zur Zeit noch nicht entscheiden. Die Verbreitung des Carcinoms findet aber nicht blos in den Lymphbahnen, sondern auch in der gesammten Umgebung desselben statt, in welcher man ganz gewöhnlich neue Knoten sowohl in nächster Nähe, als auch in grösserer Entfernung von der primären Geschwulst, oft in einer dem Lymphstrom ganz entgegengesetzten Richtung, entstehen sieht, für welche man neuerdings in der Annahme einer selbstständigen (amöboiden) Zellenwanderung eine leicht begreifliche Erklärung gefunden hat. Dass Krebse auch in Venen hineinwachsen und Krebsmasse somit auch ganz direct in's Blut gelangen kann, wurde bereits pag. 509 erwähnt. Jedenfalls bedingt der Krebs in seinem weiteren Verlaufe ein Allgemeinleiden. Bald f r ü h e r , bald später schwindet das Anfangs ungestörte Wohlbefinden; es tritt Appetitlosigkeit ein, die Haut wird bleich und bekommt jene eigenthümliche, erdfahle, strohgelbe Färbung, die zwar keineswegs den Krebskranken allein eigenthümlich ist, jedoch öfter beim Krebs, als bei anderen Krankheiten beobachtet wird. Zuweilen werden auch die Knochen brüchig. Der Kranke verfällt der K r e b s k a c h e x i e und damit endlich dem Tode. Diese Allgemeinerkrankung schreitet bald continuirlich zunehmend fort, bald wird sie durch längere Intermissionen unterbrochen, die oft lange Zeit die Hoffnung auf eine vollständige Heilung unterhalten. Schnell schreitet die Kachexie fort, sobald der Krebs in das Stadium der Ulceration eingetreten ist; der Tod erfolgt dann unter den Erscheinungen völliger Erschöpfung. Liegen die befallenen Organe tief, so stirbt oft der Kranke eher, als die Ulceration des Krebses begonnen hat. Namentlich gilt dies, wenn wichtige Organe (z. B. die Leber) ergriffen sind. Nach der Operation grosser Krebsgeschwülste macht nicht selten die Krebskachexie schnell zum Tode führende Fortschritte. Dies mag in manchen Fällen durch das Wundfieber bedingt sein, welches auf die Operation folgte; in anderen dagegen ist die Beschleunigung des Verlaufs von dem Gange der Krebskrankheit selbst abhängig, welche auch ohne alle äusseren Einflüsse oft plötzlich Uberaus zahlreiche Knotenbildungen in den verschiedensten Organen und Körpertheilen hervorruft. Fälle der letzteren Art, welche durch das plötzliche Auftreten zahlloser kleiner Knoten auf den serösen Häuten eine gewisse Aehnlichkeit mit acuter Tuberculose gewinnen können, hat man als C a r c i n o s i s u n i v e r s a l i s bezeichnet. In seltneren Fällen ist der tödtliche Ausgang des Krebses von localen Veränderungen an der primär befallenen Stelle abhängig, wie z. B. von bedeutenden Entzündungen in der Umgegend des Krebses oder heftigen, die Kräfte aufreibenden Schmerzen, reichlichen Hämorrhagien, Eiterung u. s. f.
Krebs.
513
A n d r a l and G a v a r r e t haben das B l u t der an Krebskachexie Leidenden untersucht und
fanden, n i e bei allen
die Ernährung sehr beeinträchtigenden Affectionen,
eine Verminderung der Blutkörperchen, die bei starken Hämorrhagien natürlich besonders zunimmt.
Der Gehalt an Faserstoff fand sich um ein Weniges vermehrt n ä h r e n d
und beim Beginn der Erweichung.
Treten in der Umgegend des Krebses keine entzündlichen Erscheinungen auf, so kann er alle Stadien durchlaufen, ohne je F i e b e r erregt zu haben, während die Entwickelung von Tuberkeln fast immer von Fieber begleitet ist, was vielleicht darin seine Erklärung findet, dass Tuberkeln, wenn auch in anderen Organen, doch gewöhnlich auch gleichzeitig in der Lunge auftreten, — und selbst unbedeutende Erkrankungen der Lungen erregen leicht Fieber. Kann der K r e b s j e m a l s anders als mit dem Tode endig e n ? Diese Frage muss vom practischen Standpunkte bejaht werden; denn es existiren zuverlässige Beobachtungen von 10 Jahr und darüber Stand haltender H e i l u n g nach der Exstirpation unzweifelhafter Krebse, denen ich selbst mehrere aus eigner Erfahrung hinzufügen kann '). Ausserdem werden von verschiedenen Seiten Fälle von sogenannter „Naturheilung" oder „ S e l b s t h e i l u n g " erwähnt durch theilweise oder gänzliche Abstossung nach dem Auftreten spontaner Gangrän. D u p a r c q u e * ) beobachtete sogar die Vernarbung eines ulcerirten Brustkrebses nach dem Eintritt einer halbseitigen (apoplektischen) Lähmung. Jedenfalls gehört aber die wirkliche Heilung eines Krebses zu den äusserst seltenen Fällen. Die Beweisführung Derer, welche, trotz der vorstehend erwähnten Beobachtungen, behaupten, dass der Krebs niemals anders als mit dem Tode endige, ist überdies keineswegs unhaltbar. „Wären jene Menschen, bei denen der Tod, in Folge anderweitiger Erkrankung, früher eintrat, als ihr Krebsübel sich zu tödtlicher Höhe entwickélt, — oder bevor das Recidiv nach der operativen Beseitigung des Krebses sich eingestellt hatte, — länger am Leben geblieben, so wäre der Krebs auch bei ihnen schliesslich zur Todesursache geworden." Wir werden bei der Aetiologie hierauf zurückkommen. Oiagn ose.
Die D i a g n o s e des Krebses am Lebenden kann in einzelnen Fällen, auch bei Berücksichtigung aller im Vorstehenden aufgeführten Symptome, doch schwierig sein. Die lancinirenden Schmerzen, die ' ) Vgl. J. M ü l l e r , vom feineren Bau der Geschwülste, pag. 2 8 , B r u c h ,
Diagnose
der bösartigen Geschwülste, pag. 5 4 9 , V e l p e a u , Traité des maladies du sein, Paris 1 8 4 4 , A. v. W i n i w a r t e r ,
Beiträge z u r Statistik der Carcinome, Stuttgart, 1 8 7 8 .
>) B r u c h , 1. c. pag. 5 5 0 . B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
33
514
Ernährungs-Störungen.
buckeiförmige Oberfläche, die steinerne Härte u. s. f, haben als diagnostische Merkmale des Krebses öfter Erwähnung gefunden, als sie verdienen. Der Zellenkrebs bietet niemals eine bemerkenswerthe Härte und meist schon lange vor seiner vollständigen Erweichung mehr oder weniger Fluctuation dar. Der E n t w i c k e l u n g s g a n g der Geschwulst giebt noch am Meisten Anhaltspunkte für die Diagnose, welche durch die der Erweichung folgende eigenthümliche U l c e r a t i o n und die deutlich ausgeprägte K a c h e x i e — freilich zu spät — zur vollen Gewissheit erhoben wird. — Zur V e r w e c h s e l u n g mit K r e b s geben besonders Veranlassung: Cysten, tuberculöse, sarcomatöse, fibröse, adenoide, knorplige und knöcherne Geschwülste, auch chronische Abscesse. Hauptsächlich ist die Verwechselung in den jüngeren Stadien dieser Neubildungen möglich, wo sie alle ziemlich resistente schmerzlose Geschwülste bilden, die von normaler Haut überzogen sind. — Grosse, gefässreiche, weiche Krebse der Knochen und auch der Weichtheile bieten bisweilen neben der Fluctuation eine deutliche P u l s a t i o n dar und lassen bei der Auscultation ein mit dem Pulse isochronisches Geräusch vernehmen. L a u g i e r und A. B ö r a r d sahen sogar Krebsgeschwülste (ersterer in der Augenhöhle, letzterer auf dem Rücken) beim Druck auf dieselben kleiner werden und beim Nachlassen des Druckes wieder erscheinen. In solchen Fällen kann leicht eine Verwechselung mit Gefässgeschwülsten Statt finden. Vgl. pag. 447 und Bd. II, Aneurysma. Äetiologi«.
Vor Allem handelt es sich um die Frage: i s t d e r K r e b s e i n ursprünglich locales Leiden, oder liegt ihm eine AllgemeinE r k r a n k u n g ( D i a t h e s e ) zu G r u n d e ? Die V e r t h e i d i g e r d e r r e i n ö r t l i c h e n N a t u r des Krebses heben hervor: die Symptome eines Allgemeinleidens seien keineswegs zu der Zeit der Entstehung des Krebses vorhanden, sie treten erst auf, wenn die Geschwulst schon ihre Einwirkung auf den ganzen Organismus ausgeübt hat. Sie führen dann Beispiele auf, in welchen Individuen lange Zeit Krebsgeschwülste an sich trugen oder durch die Operation von denselben befreit wurden, ohne jemals von einem Allgemeinleiden befallen zu werden. Dagegen antworten die V e r t h e i d i g e r d e r D i a t h e s e : 1) Da, wo die Diathese unbestreitbar vorhanden ist, d. h. wenn sich mehrere Geschwülste gleichzeitig entwickeln (woraus freilich, wie wir beim Lipom, beim Enchondrom, beim Osteom sahen, das Bestehen einer Diathese noch nicht erschlossen werden kann), seien die äusserlich
515
Krebs.
sichtbaren, die objectiven Symptome, nicht deutlicher vorhanden, als in den zweifelhaften Fällen. 2) Unzweifelhaft dyskrasische Krankheiten, wie die syphilitischen Rachengeschwüre, k ö n n e n ganz von freien Stücken verschwinden, ohne dass irgend ein Symptom einer Allgemein-Erkrankung sich zeige, und doch seien diese Geschwüre das Product einer Allgemein-Erkrankung. (Hier liegen zwei falsche Voraussetzungen vor: einmal, dass auf syphilitische Rachengeschwüre, nachdem sie spontan geheilt sind, anderweitige syphilitische Leiden nicht folgten, und zweitens, dass alle Diathesen sich in Betreff der Fähigkeit zu erlöschen ganz gleich verhielten.) 3) Es sei endlich ganz unphysiologiscb, anzunehmen, dass in dem einen Falle die krebsige Diathese eine Krebsgeschwulst hervorbringe, während ein anderes Mal das Umgekehrte Statt habe (wobei die Vertheidiger der Diathese Ubersehen, dass sie i h r e „Diathese" mit der Krebskachexie irrthümlich zusammenwerfen). 4) Man müsse bedenken, dass das Verhältniss zwischen der gebildeten oder sich bildenden krankhaften Geschwulst und den Theilen, welche sie umgeben und bilden, ein solches sei, dass erstere auf letztere einen verderblichen Einfluss nicht wohl ausüben könne. Wenn dies der Fall wäre, wenn eine Resorption der pathologischen Neubildungen — ohne vorgängige Erweichung derselben — von Seiten derjenigen Gebilde, in denen sie sich entwickelt haben, Statt fände, so müsste sich die Kachexie von Anfang an constant finden und der Tod unausbleiblich eintreten, bevor das Neugebilde den hundertsten Theil seiner Entwickelung durchlaufen hätte. (Gegen diese Ausführung ist vor Allem die thatsächliche Berichtigung zu machen, dass alle Carcinome von Anfang an sich in solchen anatomischen Verhältnissen zu ihren Umgebungen befinden, wie sie für die Verbreitung ihrer flüssigen Bestandtheile und der in ihnen enthaltenen Zellen kaum günstiger gedacht werden können; denn Carcinome sind niemals abgekapselt. Weshalb ihre Verbreitung im Körper erst relativ spät beobachtet wird, ist allerdings nicht mit voller Bestimmtheit zu sagen. Aber die Vertheidiger der Diathese bleiben uns auch die Antwort schuldig, wenn wir fragen, weshalb denn das von ihnen angenommene Allgemeinleiden nicht stets mehrere Geschwülste zugleich an beliebigen Stellen, sondern in der Regel nur eine und erst von dieser ausgehend andere, zunächst in den Lymphdrüsen u. s. f. erzeuge. Dagegen kann man sich von dem löcalen Ursprünge ausgehend, sehr wohl vorstellen, wie eine gewisse Zeit dazu gehört bis von der Carcinommasse, zumal von den Zellen etwas in die Lymphund Blutgefässe gelangt, und man darf geltend machen, dass die Verbreitung des Carcinoms von seiner localen Brutstätte aus wahrschein33*
516
Ernghrunga-Störungeii.
lieh immer schon grosse Fortschritte gemacht h a t , wenn wir jene äusserlich wahrnehmen.) Einfacher einzusehen für den Laien ist die Theorie der Diathese. Sie wird auch vollständig getragen durch alle humoral-pathologischen Systeme. Aber neben der Unhaltbarkeit der von ihren Vertheidigern vorgebrachten Gründe, drängen die neueren Erfahrungen Uber den Ausgang der Carcinombildung von Veränderungen der zelligen Gebilde eines bestimmten Bezirks uns begründete Zweifel gegen die Berechtigung der Annahme einer „dem Krebs zu Grunde liegenden Diathese" auf. Die Entscheidung Uber diese rein theoretisch erscheinenden Differenzen ist von grosser praktischer Bedeutung, denn daran knüpft sich sofort die Frage: ob in Wahrheit Heilung des Krebses möglich sei oder nicht? Eine wirkliche Heilung setzt voraus, dass die den Krebs erzeugende (unbekannte) Kraft aufhören könne zu wirken, ) Lehrbuch. 3. Aufl. Bd. I. pag. 283. Fig. 113.
549
Gallertkrebs.
können glaubt. Auffallend ist der, im Verhältniss zu ihrer Consistenz, sehr unbedeutende Gehalt der Gallertmasse an festen Bestandtheilen. V i r c h o w (Verhandl. d. pbys.-med. Gesellsch. z. W ü r z b a r g , 1 8 5 2 , Bd. II, pag. 3 1 8 ) fand die Colloidmasse in einem Fall von Gallertkrebs des Magens auch Lymphgefässe; dieselbe e r g a b , Schleimes.
innerhalb der
ebenso wie der Inhalt der Alveolen, die Reaction des
Da das Masebenwerk,
zumal in seinen feinen F o r t s ä t z e n , auch m e h r die
Beschaffenheit des Scbleimgewebes an sich trug, so bezeichnet V i r c h o w diese Art des Colloidkrebses als S c h l e i m k r e b s
(Cellularpath. 3. Aufl. 1 8 6 2 . pag. 4 4 5 ) .
Die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g der reinen G a l l e r t s u b s t a n z ergiebt, dass dieselbe aus einer amorphen, dem glasigen Schleim ähnlichen Masse besteht, in welcher sich verschiedene Zellenformationen finden, freie oder in Zellen eingeschlossene Fettkörnchen (Fettkörnchenkugeln), Pigmentmolekiile (hauptsächlich bei mehr bräunlichem Colorit, durch frühere Blutungen veranlasst), endlich verschieden grosse Fetzen des Fachwerkes. Ausser dem gewöhnlichen Fett wurden noch s t a b f ö r m i g e F e t t k r y s t a l l e mit stumpfer oder zugespitzter Endfläche so wie auch C h o l e s t e a r i n beobachtet. V i r c h o w sah solche Krystalle auch in verwesenden Exsudaten, in den stinkenden Massen vereiterter Tonsillenfollikel, an dem Beschläge lange in der Scheide verweilender Pessarien. — In dem pag. 5 4 8 angeführten Fall von Gallertkrebs der Brust waren
die-
selben sehr reichlich zu beobachten.
Die in der Gallertmasse vorhandenen Z e l l e n sind meist auffallend gross, oval oder rund und haben einen zähflüssigen, gallertigen, hyalinen Inhalt, einen oder mehrere deutlich ausgebildete Kerne, und nicht selten eine Anzahl von Tochterzellen. In anderen Fällen besteht der Inhalt blos aus der hyalinen Gallertmasse, mit oder ohne Fettkörnchen und ohne Kerne und Tochterzellen ( R o k i t a n s k y ' s structurlose Blasen). In manchen Fällen zeigen die Zellen dasselbe Verhalten, wie im Zellenkrebs, und nur die Intercellularsubstanz besitzt eine schleimige oder gallertige Beschaffenheit. Ausserdem kommen noch ganz grosse, an der Peripherie deutlich geschichtete Mutterzellen vor, bis zu 0,5 Mllm. Durchmesser, welche einen oder mehrere gleich beschaffene Bruträume mit Tochterzellen einschliessen. Breitet man die Gallertmasse auf einer Glasplatte aus, so treten diese colossalen Zellen schon für das blosse Auge, als körnige, aufgequollenem Sago ähnliche Gebilde hervor. Die Bildung der concentrischen Schichten verdichteter Gallertmasse kommt dadurch zu Stande, dass die in dem Zelleninhalt gebildete Colloidsubstanz auf der Oberfläche der Zellmembran und auf der Membran des Kernes sich niederschlägt. Je mehr die extracellulare Gallertmasse sich durch Wasserverlust condensirt, desto concentrirter wird auch, aus demselben Grunde, die Gallertmasse innerhalb der Zelle. Indem diese Verdichtung sich all-
550
Ernährnngs-Störungen.
mälig auf den ganzen Inhalt der Zelle erstreckt, verschwindet endlich der Kern, und es kommen die derben, vielfach geschichteten G a l l e r t k ö r n e r oder C o l l o i d k u g e l n zu Stande, die sehr verschiedene Formen besitzen können'). Physiologische Analoga dieser Gebilde sind die Gallertkörner in den Schilddriisenblasen, zum Theil auch die Prostata-Concretionen. Tritt der Gallertkrebs in Form von umschriebenen Geschwülsten auf (im Unterhautbindegewebe, in der Milchdrüse, in Knochen), so Uberschreiten dieselben sehr selten den Umfang einer Faust. Die bedeutendste Grösse, bis zu dem Umfang eines Mannskopfes, erreichen die Eierstocks-Colloide. Da dieselben am Uebersichtlichsten die Entwickelung der Neubildung verfolgen lassen, so lassen wir hier Vircho w ' s Beschreibung des Bildungstypus dieser Geschwülste folgen. „Es entstehen zuerst im Eierstock kleine Räume mit grob faserigen, innen mit Epithelzellen ausgekleideten Wandungen und gallertigem Inhalte. Indem der letztere zunimmt, und diese Zunahme nicht nur an allen vorhandenen Alveolen Statt findet, sondern auch gleichzeitig immer noch neue Räume zwischen den alten nachgebildet werden, vergrössert sich der ganze Eierstock, seine sehnigen Hüllen werden immer mehr ausgedehnt und die einzelnen Alveolen entwickeln sich in der Richtung des geringsten Widerstandes, d. h. nach der Peripherie hin. Alle Alveolen müssen dadurch nothwendig mehr oder weniger die Gestalt von Kegeln erhalten, deren Basis an der Peripherie, die Spitze nach Innen zu liegt. Unter dem steten Druck atrophirt allmälig das Bindegewebe der kleineren Cysten, es bleiben nur noch die, jetzt ihres Ernährungsmaterials beraubten Epithelzellen übrig, welche sich nach dem allgemeinen RUckbildungsgesetze fettig metamorphosiren. Auf diese Weise entstehen aus vielen kleinen Alveolen allmälig einzelne grosse Räume mit einem feinstreifigen, aus kugelförmigen Gallertstücken zusammengesetzten Inhalt." Die Veränderungen, welche der Gallertkrebs im Laufe der Zeit erfährt, bestehen zunächst in Verflüssigung der Gallertmasse, fettiger Degeneration der Zellen mit endlicher Auflösung oder Bildung von Gallertkugeln oder Concretionen. Durch Erweichung und Verflüssigung der festen Gallerte erfolgt der Uebergang des Eierstockscolloids in Eierstockswassersucht. Dabei verwandelt sich die Colloidmasse in eine klebrige, trübe Flüssigkeit von alkalischer Reaction, welche Eiweiss (als Natron-Albuminat), unbekannte Extractivstoffe und Fett (auch Cholestearin) enthält, welches ' ) Bildliche Darstellungen W e d l etc.
bei
Virchow,
Rokitansky,
Förster,
Lebert,
Gallertkrebs.
551
letztere zum grössten Theil wahrscheinlich von den zerfallenden Zellen herrührt. Die auf solche Weise entstandene Ovarialwassersucht ist wohl zu unterscheiden von dem Hydrops der G r a a f s c h e n Follikel, welcher selten die Grösse einer Faust überschreitet und dessen Flüssigkeit keineswegs fetthaltig, vielmehr einfach eiweisshaltig ist, daher auch durch Hitze gerinnt, was beim Natron-Albuminat nicht der Fall ist. In der Schleimhaut des Darmcanals (Magen, Rectum) tritt durch das Platzen der Gallertcysten die colloide Masse frei zu Tage; es entsteht dadurch ein Krebsgeschwür, welches sich durch die grosse Reinheit des gallertigen Grundes auszeichnet und wesentlich verschieden ist von den missfarbigen, jauchigen und stinkenden Geschwüren, wie sie die in Zerfall begriffenen gewöhnlichen, weichen Carcinome bedingen. Sehr selten erfolgt hierbei eine vollständige Zerstörung der Gallertmassen; durch die schwielige Wucherung und Retraction des alveolaren Gewebes kommt es an der Oberfläche zur Bildung einer narbigen Verdickung, wodurch die Gallertmassen fast vollständig eingekapselt werden; die Häute des Magens und des Darmcanals werden dadurch in starre, dicke Röhren umgewandelt. In diesen Stadien zeigen die benachbarten Lymphdrüsen die Entwickelung der Neubildung in ebenso ausgeprägter Weise. Kommt die Gallertsubstanz nur in untergeordneter Menge vor, während der übrige Bau der Geschwulst dieselbe als Fibrom, Sarcom, Enchondroin u. s. w. charakterisirt, so ist auf sie keine besondere Rücksicht bei der Beurtheilung des Wesens der Neubildung zu nehmen. Als besondere Eigenthümlichkeit der Colloidkrebse kann man a n f ü h r e n : 1) dass bei ihneri im Allgemeinen die charakteristischen Krebsschmerzen fehlen; 2) dass Recidive nach der Exstirpation und secundäre Ablagerungen in anderen Organen seltener vorkommen. In neuester Zeit ist man daher von manchen Seiten geneigt, entweder alle bisher als Gallertkrebs bezeichneten Geschwülste, ganz von den Krebsen zu trennen, oder doch einen grossen Theil derselben, namentlich auch die Colloidcysten der Ovarien, als „Adenoma muciparum" auszuscheiden und die übrigen als „Adeno-carcinoma muciparum" den „Drüsenkrebsen" zuzuzählen 1 ). Jedenfalls gestattet die Exstirpation eines „Colloidkrebses", wenn die Localität die Ausführung zulässt, eine viel bessere Prognose, als die Operation der bisher von uns erläuterten Arten des Krebses. ' ) Vgl. K l e b s , Handbuch der pathol. Anatomie, pag. 351, Lücke, I. c. pag. 2 2 8 u . f .
552
Ernährungs-Störungei).
B.
Cancroide
Gewächse.
Die erst in neuerer Zeit genauer erkannten Krebsarten, welche wir unter diesem Namen zusammenfassen, unterscheiden sich von den übrigen (bisher erläuterten) durch relativ geringeren Saftreichthum, durch langsameres Wachsthum und durch geringere Neigung zur Verbreitung im übrigen Körper; ihre operative Behandlung gewährt daher auch im Allgemeinen relativ günstigere Resultate. 1. Carcinoma
Epithelialkrebs. epitheliale.
Noli me tangere.
Ulcère
(Rayer).
Cancroid.
Hautkrebs.
Verruca cancroides.
Pseudocancer
chancreux
du visage.
Cancer of the skin.
Warzenkreits. cutáneos.
Cancer verrugueux Soot-wart.
Epithelioma.
ou des
ramoneurs
Warty-tumor.
Die jetzt fast allgemein als E p i t h e l i a l k r e b s bezeichnete Art des Krebses war früher nur als H a u t k r e b s bekannt. Dieser galt für eine mehr gutartige Form, Uber deren Recidive oder Gefahr ftlr das Leben man Zweifel hegte. So sagte R i c h t e r ' ) : „Uebrigens scheint der Lippen- und Gesichtskrebs überhaupt weniger bösartig zu sein als der Brustkrebs; wenigstens ist er weit öfter durch Aetzmittel oder durch die Operation geheilt worden, als dieser. Je früher die Operation verrichtet wird, desto gewisser gelingt sie. Nur durch Aufschub und unzureichenden Gebrauch des Messers und der Aetzmittel wird das Uebel in den meisten Fällen unheilbar." Ebenso urtheilen Boyer*), E e a r l e u. A.; auch B é r a r d 9 ) sagt: „De tous les cancres c'est le plus curable; il ne récidive presque jamais après Vopération qui l'a enlevéu. Die Verschiedenheit der Structur dieser Neubildungen von derjenigen des gewöhnlichen Krebses hat E c k e r auf Grund mikroskopischer Untersuchungen zuerst dargethan 4 ). Später haben Lebert®), H a n n o v e r ® ) u. A. die nicht-krebshafte Natur dieser Geschwülste, des „Pseudocancer der Haut", nachzuweisen gesucht. M a y o r dagegen behauptete, dass wirklicher Scirrhus und Encephaloid nicht in der Haut vorkämen und dass die als Hautkrebs angesehenen Uebel, ihrer Structur nach, zwar nicht mit dem Krebs anderer Organe übereinstimmten, aber dennoch krebsartig seien. Dass auch andere Krebs') A. G. R i c h t e r , Anfangsgründe der Wandarzneikunst *) Traité des maladies thirurgicales. ' ) Dictionnaire de Médecine.
Tom. XII. pag. 5 4 7 .
*) „Ueber den Bau der nnter dem Namen L i p p e n k r e b s schwülste der Lippe." 5
zusammengefassten Ge-
Im Archiv f ü r physiologische Heilkunde, 1 8 4 4 , pag. 380.
) In den bereits wiederholt citirten Schriften.
*) Das E p i t h e l i o m .
3. Aufl. Bd. II. psg. 3 2 2 .
Paris 1 8 2 2 , Tom. VI. pag. 2 1 1 — 2 1 8 .
Leipzig 1852.
Epithelialkrebs.
553
formen in der Haut vorkommen, ist durch L e b e r t 1 ) nachgewiesen und allseitig bestätigt. Die carcinomatöse Natur des Epithelialkrebses wird dagegen jetzt allgemein anerkannt, und viele Forscher halten denselben, nach dem Vorgange von T h i e r s c h , grade für einen Typus carcinomatöser Neubildung. Vgl. pag. 4 9 9 und 522. Anatomische Untersuchung. Nach der Ansicht E c k e r ' s und vieler späteren Autoren, handelt es sich beim Epithelialkrebs im Wesentlichen, wie bei den Warzen und Condylomen, um Hypertrophie der normalen Hautpapillen. Die hypertrophischen Papillen, in deren Mitte eine einfache oder verästelte Gefässschlinge mit wenig Bindegewebe verläuft, stehen, zu 5 bis 20, säulenartig aneinander gereiht, nebeneinander, und sind von einer gemeinsamen Epidermislage in der Art umhüllt, dass, unter der gemeinschaftlichen Decke, jede einzelne Papille ihren eigenen Epithelialmantel hat. Die Länge der einzelnen Papillen kann bis zu 1 Mllm. betragen. Ausserdem wird ihre Länge scheinbar vermehrt durch die dicke, sie bedeckende Epithelialschicht, weshalb auch L e b e r t * ) dieselben kurzweg als das Product „einer concentrischen Hypertrophie des Epidermidalüberzuges der Papillen mit gemeinschaftlicher Oberhauthülle für die verschiedenen Papillengruppen" bezeichnete. Bis dahin wären also Condylome und Warzen von beginnendem Epithelialkrebs in Nichts zu unterscheiden; die Differenz begönne erst mit der Verschwärung (dem stetig fortschreitenden Zerfall) des Gewächses. Ganz im Gegensatz zu dieser Ansicht von dem Bau und Wesen des „Warzenkrebses" lehrte F r e r i c h s 3 ) , dass in demselben eine w u c h e r n d e , in die Tiefe dringende E p i t h e l i a l z e l l e n - B i l d u n g die Papillen atrophire, so dass die Ueberreste derselben als schmale Streifen von Bindegewebe mit ihren Gefässen zwischen den blos aus Epithelialzellen bestehenden, bis 0,7 Mllm. langen (bald spitz zulaufenden, bald keulenförmig angeschwollenen) Cylindern erscheinen. Diese weisslichen Cylinder (Säulchen), welche immer als ein Hauptmerkmal des Epithelialkrebses betrachtet wurden, sind also n u r A n h ä u f u n g e n v o n E p i t h e l i a l z e l l e n , welche weniger nach Aussen als nach Innen, zwischen Unterhaut-Bindegewebe und Muskeln, dieselben atrophirend, fortwachsen, während sie nach Aussen abgestossen werden. Letztere Ansicht, welcher schon B r u c h und W e r n h e r geneigt waren, wurde auch vom Vf., nach eigenen Untersuchungen, namentlich mit Bezug ') I. c. pag. 35. ) 1. c. pag. 19.
J 3
) Jenaer Annalen, Bd. I. Heft 1.
554
ErnähruDga-Störnngen.
auf nachstehende Thatsachen vertheidigt'). Der Ursprung der sogenannten Papillen befindet sich in sehr verschiedener Tiefe, weshalb sie auch gewöhnlich von sehr ungleicher Länge sind; bald sitzen mehrere auf gemeinschaftlicher Basis und gehen nach Oben büschelförmig auseinander, bald sind sie an der Basis getrennt und an ihrem peripherischen Ende mit einander verwachsen*). Die stumpf-konische Basis derselben hat gewöhnlich ein mehr feuchtes, glänzendes Ansehen, die Consistenz von weichem Knorpel, und lässt sich aus ihrer Umgebung leicht mit der Pincette eine Strecke herausheben s ), wie ich selbst bei Lippenkrebsen, deren Basis sowohl, wie die zwischen den einzelnen Säulchen liegenden Bäume durch eine schleimige, weissröthliche, junge Zellen und Kerne enthaltende Masse ausgefüllt waren, beobachtet habe. Oft bilden sich mehr oder weniger nahe der Oberfläche weisse, runde, breiartige Herde (Alveolen), wenig grösser als ein Stecknadelknopf, welche in der ganzen Geschwulstmasse zerstreut neben einander liegen; sie bestehen aus lauter vollständig entwickelten, glatten Epithelialzellen und enthalten ausserdem nur noch Körnchen und Cholestearintafeln. Dieselben unterscheiden sich nur durch ihre Grösse von den überall in der Geschwulst, namentlich im Centrum der keulenförmigen Pseudopapillen auftretenden Alveolen. Fig. 1 3 9 zeigt, bei starker Vergrösseruog, einen Alveolus aus einem Epithelialkrebs der Unterlippe.
MaD siebt die auf dem Rande stehenden
Fig. 1 4 2 .
scheinenden
und daher faserähnlich er-
Epithelialzellen
eine centrale Höhle
um-
schliessen, welche eine jüngere, rundliche Zelle enthält.
V i r c h o w 4 ) trennt gleichfalls, auf Grund seiner Untersuchungen, die papilläre Hypertrophie mit wuchernder Zellenbildung an der Oberfläche von dem Cancroid (Epithelialkrebs); dies besteht, nach ihm, darin, dass sich im Inneren der erkrankten Gewebe und Organe Höhlen, Alveolen, bilden, die mit Zellen von epidermoidalem Charakter ausgefüllt sind (Fig. 142). Papilläre Hypere kann die Wiederherstellung der Continqität, sobald nur eine zweckmässige mechanische Hülfe geleistet wird, ohne irgend welche Krankheitserscheinungen erfolgen. Man nennt dies: u n m i t t e l b a r e V e r e i n i g u n g , reunio per primarn i n t e n t i o n e m , eigentlich p e r p r i m a m n a t u r a e s a n a n d i i n t e n t i o n e m . Es kann aber auch statt der normalen Vorgänge der Ernährung und des Wiederersatzes ein krankhafter Proccss sich entwickeln, gewöhnlich Entzündung, und diese kann bald durch zu grosse Heftigkeit, bald durch zu weite Ausdehnung statt der Wiederherstellung neue Gefahren herbeiführen. Unversehrtheit der Haut, Reinheit der W u n d e , Ruhe und zweckmässige Lage des verletzten Theiles sind wesentliche Bedingungen für das Zustandekommen der unmittelbaren Vereinigung. I. Vor Allem ist die U n v e r s e h r t h e i t d e r H a u t hervorzuheben. Ist die Haut unverletzt, die Wunde also, nach jetzigem Sprachgebrauch, s u b c u t a n , nach J o h n H u n t e r „ n i c h t e x p o n i r t " , d. h. n i c h t d e m Z u t r i t t d e r L u f t a u s g e s e t z t , so ist es sehr wahrscheinlich, dass der ganze Vorgang des Wiederersatzes und der Vereinigung ohne irgendwelche pathologische Erscheinungen Statt finden werde. Bei Knochenbrüchen, Verrenkungen, Zerreissungen von Muskeln und Sehnen können, wenn sie ohne Trennung der Haut bestehen, nach Beseitigung der mechanischen Störungen alle krankhaften Erscheinungen fehlen. Freilich können auch die allergefährlichsten Verletzungen ohne Hautwunde vorkommen; das Innere eines Gliedes kann durch eine Kanonenkugel in der Art zerschmettert werden, dass Brand die Folge ist, obgleich die Haut, ihrer grösseren Elasticität wegen, keine Trennung erfahren hat. In den meisten Fällen handelt es sich bei unverletzter Haut eigentlich gar nicht um eine vollständige Trennung, da die getrennten Theile unter dem Schutze der Haut sich an einander anlegen und die entstandenen Lücken sogleich durch Blut und Blutflüssigkeit ausgefüllt werden, da ferner durch die Vermittelung der Haut die Blutbewegung sowohl, als auch die Leitungsfähigkeit in den ihr zunächst liegenden Nerven erhalten wird und endlich das Eindringen eines fremdartigen Körpers (auch der atmosphärischen Luft) zwischen die verletzten Theile unmöglich ist. Auch die Erhaltung einer gleichmässigen Temperatur ist ein günstiges Moment für die schnellere Heilung von Verletzungen ohne Trennung der Haut. Als das bedeutsamste von allen diesen, die Heilung subcutaner Verletzungen begünstigenden Momenten hat man in neuerer Zeit den A u s s c h l u s s d e r a t m o s p h ä r i s c h e n L u f t erkannt. Auf welche Weise aber die in eine Wunde eindringende Luft nachtheilig wirke,
646
Verletzungeo.
darüber sind verschiedene Ansichten geltend gemacht worden. Namentlich hat man den in der atmosphärischen Luft enthaltenen Sauerstoff angeschuldigt, in der Voraussetzung, dass derselbe mit den blossgelegten Geweben Verbindungen eingehe, welche dieselben in ihrer Ernährung schädigten und daher zur unmittelbaren Vereinigung ungeeignet machten, während von der Kohlensäure behauptet wurde, dass sie den Heilungsprocess begünstige (vgl. pag. 188). Dagegen ergeben die neuesten Untersuchungen, namentlich diejenigen von J o s . L i s t e r 1 ) , dass keiner der in der r e i n e n Luft enthaltenen Stoffe die unmittelbare Vereinigung stört, dass aber die uns umgebende Luft nur äusserst selten wirklich rein ist, vielmehr in der Regel in der Gestalt der „Sonnenstäubchen" eine grosse Menge organischer Substanzen enthält, unter denen sich auch manche, den niedersten Vegetationsformen (Bakterien) zugehörige Gebilde vorfinden, welche in organischen Körpern Fäulniss zu erregen und daher Zersetzung der in einer Wunde vorhandenen animalischen Flüssigkeiten (Blut und Gewebssäfte) einzuleiten vermögen. Diesen organischen Beimengungen den nachtheiligen Einfluss zuzuschreiben, welchen die atmosphärische Luft auf Wunden ausübt, sind wir um so mehr berechtigt, als nicht blos in ausgeglühten Glasgefässen die Fäulniss organischer Substanzen, welche, der Luft ausgesetzt, ohne Weiteres faulen, ausbleibt, wenn man in dieselben nur ausgeglühte oder anderweitig von organischen Beimengungen gereinigte Luft eintreten lässt, sondern auch offene Wunden, welche sonst der Eiterung verfallen wären, zur unmittelbaren Vereinigung gelangen, wenn man die Wunde selbst und ihre Umgebungen (mit Einschluss der umgebenden Luft) vor den nachtheiligen Einflüssen organischer Keime durch die Anwendung der antiseptischen Methode sicher stellt. Die Lehre von der unmittelbaren Vereinigung und den Vortheilen, welche die Unversehrtheit der Haut bei Verletzungen gewährt, ist sehr viel älter als man gewöhnlich annimmt. Bei J o h n H u n t e r lesen wir bereits: „Ich theile die Verletzungen an gesunden Theilen in zwei „Ordnungen nach den Wirkungen der Verletzungen. Die erste Ord„nung umfasst diejenigen, bei welchen die verletzten Theile keine „Gommunication nach Aussen haben. Dahin gehören die Erschütter u n g e n , die Verstauchungen, die Quetschungen, die Zerreissungen „der Sehnen, die einfachen Knochenbrüche. Zur zweiten Ordnung „gehören diejenigen, bei welchen eine Gommunication nach Aussen „besteht, folglich alle Arten von Wunden und die complicirten Knochen' ) Vgl. die pag. 5 0 , 1 4 1 , 1 8 9 c i t i r t e n
Abhandlungen.
647
Mechanische Verletzungen.
„briiche'). Die höchsten Grade der Quetschung, welche die Lebensf ä h i g k e i t eines Theils zerstören, könnten als eine dritte Ordnung bentrachtet werden, indem sie Anfangs zwar der ersten angehören, in „ihrem Ausgange aber mit der zweiten übereinstimmen." — „Die Verletzungen der ersten Ordnung," fährt H u n t e r später fort, „verlaufen „gewöhnlich ohne Entzündung, während bei denen der zweiten Ordn u n g Entzündung und Eiterung sich in der Regel einstellen. Jedoch „können auch die der ersten Ordnung zuweilen in Entzündung und „Eiterung übergehen und somit in ihrem weiteren Verlaufe denen „der zweiten ähnlich werden, und andrer Seits können die Verl e t z u n g e n der zweiten Ordnung bei zweckmässiger Behandlung auf „die Verhältnisse derer der ersten Ordnung zurückgeführt und alsdann „durch Prima intentio geheilt werden, wodurch Entzündung und Eiter u n g ausgeschlossen werden*)." — Die Wiedervereinigung erfolgt also nach H u n t e r 1) durch Entzündung oder aber 2) durch einen anderen Process, welcher nicht Entzündung, ja nicht einmal ein krankhafter Process ist, sondern ein rein physiologischer. Dieselbe Lehre findet sich bei J. B e l l . „Eine frische Trennung vereinigt sich „auf Grund eines Vorganges, welcher demjenigen, durch welchen im „normalen Zustande die Theile wachsen, durchaus ähnlich ist," und E s t o r fügt in seiner Uebersetzung des B e l l ' s c h e n Werkes hinzu: „Dies gilt besonders für diejenigen Theile, welche, obgleich verletzt, „doch von ihren natürlichen Bedeckungen überzogen und vor dem „Zutritt der Luft geschützt sind; sie vereinigen sich ohne irgend eins „der gewöhnlichen Symptome der Entzündung durch einen eigenthüin„lichen Vorgang, welcher dem der normalen Ernährung analog ist 3 )." Unter dem Einfluss der H u n t e r ' s c h e n Lehre, führte D e l p e c h in Montpellier (1816) die Durchschneidung der Achillessehne in der Art aus, dass er nicht einen dem Schnitte in der Sehne parallelen Hautschnitt, sondern einen Umweg unter der Haut mit dem Messer machte 4 ). A. C o o p e r stellte zahlreiche Versuche an Uber die Heilung der KnochenbrUche ohne Hautverletzung. — Der grosse Unterschied zwischen offenen und subcutanen Wunden und die Vorzüge subcutaner i) Unter „ c o m p l i c i r t e n "
Knochenbrüchen schlechthin
versteht m a n ,
besonders
in England, diejenigen, welche m i t e i n e r W u n d e complicirt sind. 9
) John
H u n t e r , Ou tbe n a t u r e of the blood, inflammation and gunshot wounds.
London, 1 7 9 4 . *) J. B e l l , 1798,
Deutsche Uebersetzung von B r a n i s s .
Discourses
on
Ins Französische
2. Aufl.
the nature and eure of w o u n d s , deutsch übersetzt
von J. L.
Estor,
Paris,
Berlin, 1 8 4 8 . von
1825,
Leure
pag. 3 7 ,
3 8 und 2 0 . 4
) D e l p e c h , Die Orthomorphie in Beziehung auf den menschlichen Körper. sche Uebersetzung.
Weimar, 1 8 3 0 .
2 Theile mit Atlas.
Deut-
648
Verletzungen.
Operationen waren sicherlich schon viel länger bekannt und anerkannt *). J o h n H u n t e r aber hat die Grundsätze, auf denen diese Lehre ber u h t , zuerst aufgestellt, und S t r o m e y e r bleibt das Verdienst, dies Princip in die Praxis eingeführt zu haben; denn während D e l p e c h die subcutane Durchschneidung einer Sehne versuchsweise vornahm, ist diese Operation seit S t r o m e y e r ' s Auftreten 2 ) tausendfach mit dem segensreichsten Erfolge in Anwendung gekommen. II. Ebenso wichtig, wie die so eben erörterte Unterscheidung der mechanischen Zusammenhangs-Trennungen in s u b c u t a n e und o f f e n e , ist die genaue Berücksichtigung ihrer E n t s t e h u n g s w e i s e . Man hat früher die Art, in welcher die Verletzung zu Stande gekommen sei, ausschliesslich oder doch wesentlich zu bestimmen gesucht nach der Beschaffenheit des verletzenden Körpers 3 ) und deshalb S c h n i t t - , H i e b - , S t i c h - , S c h u s s - W u n d e n unterschieden. Daneben wurden, als durch Einwirkung „stumpfer Körper" veranlasst, die g e q u e t s c h t e n und g e r i s s e n e n Wunden in gleicher Linie aufgeführt. Offenbar fehlte diesen Unterscheidungen ein durchgreifendes Eintheilungs-Princip, denn die Schusswunden mussten consequenter Weise doch auch als „durch stumpfe Instrumente veranlasst" anerkannt werden, und viele Hieb- und Stichwunden gehörten gleichfalls in diese Kategorie, während anderer Seits manche Verletzungen, die durch Einwirkung stumpfer Körper entstanden sind, doch die Erscheinungen einer Schnittwunde darbieten können. Statt der Beschaffenheit des verletzenden Werkzeuges, die oft nicht einmal genau zu constatiren ist, berücksichtigen wir jetzt zur Beurtheilung der A r t s e i n e r E i n w i r k u n g und zugleich als wichtigstes Eintheilungs-Princip die B e s c h a f f e n h e i t d e r U m g e b u n g e n einer Wunde 4 ). Hiernach können wir zunächst zwei Haupt-Gruppen unterscheiden, je nachdem die Einwirkung sich gänzlich auf die Stelle der Continuitäts' ) Den
Ausdruck
„subcutane
Wunden"
hat
Richerand
(Nosographie
et
Therapeutique chirurgicales, Paris, 1 8 1 0 , Tom. 1.) zuerst gebraucht. 2
) L o u i s S t r o m e y e r , Beiträge zur operativen Orthopädie.
3
) Man nennt den verletzenden Körper schlechtweg „ W e r k z e u g " oder
Hannover,
1838. „Instru-
m e n t " , obgleich, nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, Zaunpfähle, Baumäste, Pflastersteine,
Glasplitter
u. dgl.
doch
keine
„Werkzeuge"
sind.
Vgl. auch
pag. 6 4 9 , Note 1. *) Eine klare Einsicht in diese Verhältnisse verdanken wir erst den Untersuchungen von G u s t a v S i m o n (Deber Schusswunden e t c . , Giessen, Referat in Canstatt's G. S i m o n ,
Jahresbericht, Jahrgang 1 8 5 2 ,
1851).
Vgl.
Bd. IV. pag. 1 7 ,
mein ferner:
Mittheilungen aus der chirurgischen Klinik des Rostocker Kranken-
hauses, Prag 1 8 6 8 , pag. 2 9 u. f.
649
Mechanische Verletzungen.
Ti-ennung beschränkt, oder die Umgebungen derselben gleichzeitig in mehr oder weniger grossem Umfange verändert hat. Wunden der ersteren Art nennen wir „ r e i n e " ; die der zweiten Gruppe zerfallen in zwei Unterarten, je nachdem sie entstanden s i n d : a) durch Ausdehnung der Gewebe (Zerrung) über den höchsten Grad ihrer Dehnbarkeit hinaus —
„gerissene Wunden",
oder
b) durch eine Einwirkung, welche die Umgebungen der getrennten Stelle zugleich in dem Grade erschütterte, dass deren Cohäsionsverhältnisse verändert wurden —
„gequetschte
Wunden".
Es kommt wesentlich darauf a n , wie gross die Bewegung (Erschütterung oder Zerrung) ist,
welche
Umgebung der Wunde mittheilt.
Die G r ö s s e d e r B e w e g u n g
w e l c h e e i n in B e w e g u n g
ein verletzender Körper
begriffener K ö r p e r den Umgebun-
g e n d e r v o n i h m g e t r o f f e n e n S t e l l e m i t t h e i l t , s t e h t in gekehrtem Verhältniss
der
aber,
zu
der Schnelligkeit,
mit
um-
welcher
er s i c h b e w e g t 1 ) , in g e r a d e m V e r h ä l t n i s s d a g e g e n z u s e i n e r Berührungsfläche fenen'Theils.
und
zu
der Cohäsionskraft
des
getrof-
Eine r e i n e Wunde ist daher mit der grössten Sicher-
heit zu erwarten, wenn ein scharfes Instrument mit grösster Schnelligkeit auf einen wenig Widerstand leistenden Thcil einwirkt, sie kann aber bei geringem Widerstand und grosser Schnelligkeit der Einwirkung auch durch ein stumpfes Instrument entstehen;
die Schnelligkeit der
Bewegung kann sogar in dem Grade aufwiegen, was dem Instrument an Schärfe Theilen von kommen.
abgeht,
dass
durch ein
stumpfes Werkzeug
selbst an
erheblicher Cohäsionskraft reine Trennungen zu Stande Die
Beschaffenheit
(Schärfe,
Berührungsfläche)
des
ver-
letzenden Körpers ist somit nur e i n e s der bei der Beurtheilung einer mechanischen Verletzung zu berücksichtigenden Momente. Immerhin werden wir uns aber nicht weit von
der Wahrheit
entfernen, wenn wir zunächst die durch möglichst s c h a r f e mit
verschwindend
geringer
Berührungsfläche
einwirkende)
veranlassten Wunden, namentlich also die Schnittwunden,
(d. h. Körper
als Typus
der r e i n e n und die durch stumpfe Gegenstände bewirkten Verletzungen als Typus der g e q u e t s c h t e n Wunden ansehen.
Erstere werden
wir überdies als Typus der Wunden im Allgemeinen betrachten können. Bei ihnen sind die Verhältnisse möglichst
einfach:
die
mechanische
') O b d e r v e r l e t z e n d e K ö r p e r i n B e w e g u n g war, wie bei einem Hieb, Schlag, Scbuss, oder o b d e r V e r l e t z t e s i c h g e g e n e i n e n v e r l e t z e n d e n K ö r p e r b e w e g t e , wie bei einem Fall, — ist gleichgültig. Der einfacheren Darstellung wegen nimmt man die erstere Art des Zustandekommens einer Verletzung als typisch an.
650
VerletzungeD.
Einwirkung ist, im Verhältniss zur Grösse der Wunde, auf das relativ geringste Maass beschränkt, die Umgebungen der Wunde sind unverändert und daher für die unmittelbare Verwachsung geeignet. Bei den gequetschten Wunden dagegen stehen wegen der weiter ausgebreiteten Cohäsions- (oder Zusammenhangs-) Störungen auch complicirtere Krankheits-Processe zu erwarten. III. Von Belang ist ferner die F o r m der Wunde. Die einfachsten Verhältnisse ergeben sich, wenn nur e i n e Trennungslinie besteht und diese gradlinig verläuft. Stossen mehrere Trennungslinien zusammen, oder verläuft eine Trennungslinie stark gekrümmt, so entstehen L a p p e n w u n d e n , welche um so weniger zur ersten Vereinigung geeignet sind, je schmaler die Basis des Lappens ist, durch welche er (nach der Fläche und nach der Tiefe) mit dem übrigen Körper noch in Zusammenhang steht und durch welche ihm also allein noch Ernährungsmaterial geliefert wird. Jedoch ist das Anheilen auch bei gänzlicher Ablösung eines Theils unter sonst günstigen Verhältnissen noch möglich. (Vgl. d. folg. Cap.) Dass mit der T i e f e der Wunde, unter sonst gleichen Verhältnissen, die Wahrscheinlichkeit der unmittelbaren Vereinigung sich vermindert, erklärt sich einer Seits aus der in verschiedenen Schichten verschieden stark erfolgenden Zurückziehung der getrennten Gewebe und der dadurch bedingten Unebenheit (daher auch mangelhaften Berührung) der Wundränder, anderer Seits aus der grösseren Wahrscheinlichkeit des Zurückbleibens von Blutgerinnseln, welche die Vereinigung hindern. IV. Von grosser Bedeutung ist bei allen mechanischen ContinuitätsTrennungen, o b d e r v e r l e t z e n d e K ö r p e r (oder ein Theil desselben, z. B. die Spitze einer Messerklinge, Glassplitter u. dgl. m.) oder ein von oder mit ihm in die Wunde eingetriebener „fremder Körper" (Fetzen der Kleidungsstücke, Sand, Holzsplitter u. s. f.) i n d e r W u n d e z u r ü c k g e b l i e b e n i s t , oder nicht. Im ersteren Falle erfolgt die unmittelbare Vereinigung nur höchst selten; namentlich muss sich, wenn sie gelingen soll, der „fremde Körper" chemisch indifferent verhalten, eine glatte Oberfläche und keine septischen Eigenschaften besitzen (wie z. B. Glassplitter, Schrotkörner). V. In manchen Fällen handelt es sich überdies nicht blos um mechanische, chemische oder septische, sondern um bestimmte g i f t i g e W i r k u n g e n des e i n g e d r u n g e n e n (verletzenden) Körpers; dahin gehört der Biss der Giftschlangen, des tollen Hundes u. d. m. — „Vergiftete Wunden" der Art erhalten ihre Bedeutung, ganz abgesehen von der Art der mechanischen Einwirkung, durch die Qualität des eingedrungenen Giftes.
651
Reine Wunden.
Zweites Capilel. Von den reinen Wunden im Allgemeinen und von den Schnitt- und Hieb-Wunden im Besonderen. Reine Wunden sind solche plötzliche Continuitäts-Trennungen durch mechanische Gewalt, bei deren Entstehung die Bewegung des verletzenden Körpers sich den Umgebungen in keiner Weise mitgetheilt hat, bei denen also die Verletzung sich auf die ContinuitätsTrennung selbst beschränkt. Sie sind, wenn keine mechanischen Hindernisse bestehen, zur Heilung durch unmittelbare Vereinigung geeignet. In der Regel entstehen sie durch Einwirkung scharfer Instrumente: Schnitt- und Hieb-Wunden. Aber auch ein stumpfer Körper (z. B. eine Flintenkugel, ein Wagenrad, ein Balken) kann, sofern er nur mit grösster Schnelligkeit einwirkt, eine reine Wunde veranlassen. Vgl. pag. 649. Manche reine Wunden scheinen durch Einwirkung von überaus stumpfen Körpern entstanden zu sein, nährend eine genauere Untersuchung ergiebt, dass die Weicbtheile durch den Schlag, Stoss oder Fall gegen und
eine vorspringende Knochenkante angepresst
von dieser zersprengt und zerschnitten wurden.
Dies ereignet sich
namentlich
am oberen Orbitalrande, an der Crista tibiae, am unteren Rande des Mentaltbeils des Unterkiefers, am Olecranon.
Vgl. 0 . H e y f e l d e r , Von Innen nach Aussen geschnittene
Wunden, Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, Bd. I. Hft. VI. 1 8 7 2 .
Die a l l g e m e i n e n E r s c h e i n u n g e n e i n e r f r i s c h e n W u n d e , Schmerz, Klaffen und Blutung treten grade an einer reinen Wunde am Schärfsten hervor. 1. Der W u n d s c h m e r z erklärt sich theils direct aus der Verletzung von Nervenästen, theils aus der Reizung derselben durch die in die Wunde eindringende kalte Luft, theils aus ihrer Compression bei der nachfolgenden Schwellung der Wundränder. Seine Heftigkeit steht im Verhältniss zu der Empfindlichkeit des verletzten Theils und des Kranken überhaupt. Der Grad des Schmerzes hängt auch von den Umständen ab, in denen der Verwundete sich befindet. In der Hitze des Gefechts wird der Schmerz kaum wahrgenommen, während er sehr heftig ist, wenn man das verwundende Instrument sich nähern sieht. Nach 6 bis 8 Stunden tritt an die Stelle des Schmerzes ein dumpfes Gefühl von Schwere, Steifigkeit und Hitze in dem verwundeten Theile. 2. Das K l a f f e n d e r W u n d r ä n d e r findet in sehr verschiedenem Grade Statt, nicht blos je nach der Grösse und Tiefe der Wunde, sondern auch je nach dem Grade der Spannung, der Elasticität und
652
Verletzungen.
Contractilität der Wundränder. So ist das Klaffen besonders auffallend an der Haut, bei Querwunden der Muskeln, der Arterien und bei Wunden der Luftröhre. Auch die Lage der Theile h a t , sofern sie die Spannung ändert, Einfluss. Die Form und Dicke des verletzenden Instruments ist, sobald es mehr oder weniger keilförmig wirkt, ebenfalls von einigem Belang; besonders deutlich ist dies bei Knochenwunden. 3. Die B l u t u n g ist von grösserer oder geringerer Bedeutung, je nach der Zahl, der Art und dem Lumen der verletzten Gefässe. Sie ist somit bedeutender in gefässreichen Theilen, beträchtlicher aus Arterien, als aus Venen, vorzugsweise heftig, wenn grössere Gefässe, namentlich wenn eine Arterie stärkeren Calibers geöffnet wurde. Die sehr wichtigen Verschiedenheiten, welche die Wund-Blutung darbieten kann, werden bei den K r a n k h e i t e n d e r A r t e r i e n u n d d e r V e n e n (Bd. II.) erläutert. Nächst diesen „Cardinal-Symptomen" der Wunde ist für die Diagnose einer r e i n e n Wunde speciell von Bedeutung, dass die Wundränder glatt, die Wundflächen eben und gleichmässig erscheinen, dass die Umgebungen sowohl als die Wundränder selbst frei von Blutunterlaufungen sind, und dass die Blutung in einem, der Grösse und der Art der verletzten Gefässe entsprechenden Grade stattfindet. Spätere Erscheinungen. Heilungsvorgang. Die H e i l u n g reiner Wunden kann ohne alle Kunsthülfe auf doppelte Weise erfolgen. a) Es handle sich um einen ganz einfachen Schnitt, welcher nur die Haut und das unterliegende Bindegewebe getroffen hat. Der Grund der Wunde bildet einen Winkel, und die Wundflächen entfernen sich gegen die Oberfläche hin immer mehr von einander; die Wunde ist von Blut bedeckt, welches an der Oberfläche vertrocknet. Die Ränder schwellen an; dadurch berühren sie sich zunächst in der Tiefe, allmälig werden sie auch an der Oberfläche aneinander gedrängt. Das Blut wird herausgepresst und die kleine Kruste vertrockneten Blutes auf der Oberfläche löst sich später ab. Beide Wundflächen verkleben mit einander durch eine geringe Quantität von Blutflüssigkeit (gewöhnlich „ p l a s t i s c h e L y m p h e " genannt) und verwachsen demnächst. Diese s c h n e l l e , e r s t e oder u n m i t t e l b a r e V e r e i n i g u n g (Reunio per primam intentionem) ist in der Regel innerhalb 24 Stunden vollendet, kommt, wenn sie überhaupt erfolgt, spätestens in 3 Tagen zu Stande, und hinterlässt eine lineare Narbe. Man hat über den Grund der Schwellung der Wundränder und über die Quelle der plastischen Lymphe viel gestritten. Die Schwel-
Reine
Wunden.
653
lung der Wundränder erfolgt so schnell und so ganz ohne EntzündungsErscheinungen, dass es gezwungen erscheint, sie von Entzündung abzuleiten. Sie ist vielmehr als eine Folge der durch die Wunde selbst bedingten Kreislaufsstörung zu deuten. Die getrennten Gefässe werden durch eigene Zusammenziehung und durch Gerinnung des Blutes in den Oeffnungen derselben geschlossen. Das Blut, welches durch dieselben strömen sollte, wird daher in ihre Seitenäste eingetrieben, findet in diesen aber zunächst Widerstand, da sie für das relativ zu grosse Blutquantum zu eng sind. Unter dem hierdurch bedingten stärkeren Drucke tritt Blutflüssigkeit durch die Wandungen der Gefässe in die benachbarten Gewebe ein und bedingt deren Schwellung so lange bis durch Ausweitung der Seitenäste oder Herstellung neuer Bahnen (Gefässneubildung, s. u.) der Blutstrom wieder frei geworden ist. — Dass die sogen, „plastische Lymphe" transsudirtes Blutplasma ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Ob aber zu ihrer Transsudation durch die Gefässwandungen Entzündung nothwendig sei, lässt sich allerdings in Zweifel ziehen, da ihre Ausschwitzung auf der freien Oberfläche sich sehr wohl in derselben Weise erklären lässt, wie es in Betreff ihres Eintritts in die Gewebe so eben geschah. Auch lässt sich nicht leugnen, dass ein Theil des ergossenen Blutes zu ihrer Bildung beitragen kann. Jedenfalls ist aber weder das Blutplasma, noch auch das ganze Blut wie ein verklebender Kitt zu betrachten; die Vereinigung erfolgt vielmehr durch die u n m i t t e l b a r e V e r w a c h s u n g d e r e i n z e l n e n G e w e b s e l e m e n t e selbst, und was zwischen diesen liegt, namentlich also auch das Blutgerinnsel, ist als fremder Körper nur hinderlich. Vgl. pag. 656 u. f. Die Gefässverbindung zwischen den Wundflächen kann schon nach acht und vierzig Stunden wiederhergestellt sein. Wird das Aneinanderdrücken der Wundflächeti, welches bei kleinen Wunden durch die Anschwellung bewirkt wird, bei grösseren und weiter klaffenden durch die Kunst herbeigeführt, so heilen diese in gleicher Weisfc, wie jene. b) Wenn aber statt eines einfachen Einschnittes eine Wunde mit Substanzvetlust sich findet, oder bei einer tiefen und stark klaffenden Wunde die Berührung der Wundflächen nicht künstlich herbeigeführt wird, so ist der Vorgang folgender. Nachdem die Blutung aufgehört hat, sickert eine röthliche Flüssigkeit aus bis etwa zum 3. Tage. Ein Theil derselben vertrocknet und bedeckt die Wunde in Gestalt eines Schorfes. Erfolgt diese Schorfbildüffig schnell genug, um die Wunde vor nachtheiligen atmosphärischen Einflüssen zu schützen, und waren vorher noch keine Fäulnisserreger in dieselbe eingedrungen, so kann
654
Verletzungen.
die Ausfüllung mit Granulationen und die Vernarbung „ u n t e r d e m S c h o r f " in 6 bis 8 Tagen erfolgen. Anderen Falls aber (bei grösseren Wunden in der Regel) tritt unter Anschwellung und spannendem Schmerz eine blasse Flüssigkeit aus, die allmälig weisslich und gelblich wird, und die Kruste abhebt; es ist dies wahrer Eiter. Wischt man ihn fort, so sieht man die ganze Wunde Anfangs mit einem zarten Häutchen Uberkleidet, unter welchem sich weiche, empfindliche, leicht blutende Fleischwärzchen (Granulationen) entwickeln. Jenes Häutchen wird auch hier, wie bei Abscessen und Fisteln, von Alters her die eiterbildende Membran genannt, ist aber in der That nur eine Exsudat- oder Granulations-Schicht. Die Wunde, welche beim Beginne der Anschwellung grösser erschien, verkleinert sich nun wieder, der Schmerz wird unbedeutend oder hört ganz auf. Die Fleischwärzchen entwickeln während ihres Wachsthums später die schon bei Beschreibung des Granulations- und Narben-Gewebes (pag. 2 6 3 und 405) erörterte Neigung zur Zusammenziehung. Ist die Wunde klein, so ziehen sie die Wundränder gegen einen Punkt hin. Ist sie dagegen sehr gross, so entwickeln sich, so zu sagen, mehrere Brennpunkte, in denen das Gewebe der Granulationen fest und trocken wird, und von welchem aus neue, feste Granulationen emporschiessen. Die Wundlefzen, jetzt von schön rosenrother Farbe, werden gegen diese festen Granulationen — die spätere N a r b e — hingezogen und schliesslich vereinigt. Zur Vollendung dieser Heilung d u r c h E i t e r u n g , richtiger durch G r a n u l a t i o n (Reunio per secundam intentionem) sind auch unter den günstigsten Verhältnissen zwölf bis fünfzehn Tage nothwendig. Ist aber die Wunde bedeutend oder der Verletzte nicht vollkommen gesund, so kann dieselbe ungemein viel länger dauern, ja vielleicht niemals vollständig gelingen. Unter solchen Verhältnissen wird aus der eiternden Wunde ein Geschwür (vgl. pag. 356). Die junge Narbe ist, gleich den Granulationen, gefässreich und zuweilen sehr empfindlich. T h e i l e , d i e g a n z v o m K ö r p e r g e t r e n n t w a r e n , können nach gelungener Wiederanheilung durch dieselbe sogar mit den benachbarten Gefäss- und Nervenstämmen wieder in Verbindung treten. Haben in diesen Fällen die einander entsprechenden Lumina der Gefässe sich wieder vereinigt, oder sind neue Canäle entstanden, durch welche das Blut strömt? Die erstere Ansicht ist schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil es sich kaum denken lässt, wie eine so genaue Vereinigung sollte erzielt werden können, zumal bei einer Vereinigung durch Secunda intentio, wo von einem solchen Aufeinanderpassen gar keine Rede sein kann. Es
Reine Wunden.
655
unterliegt keinem Zweifel, dass neue Gefässe entstehen, und es ist auch gelungen, nachzuweisen, w i e sie entstehen. Vgl. pag. 656 u. f. Schwieriger ist es, sich die Wiederherstellung des Zusammenhanges der Nerven vorzustellen; und doch erfolgt diese so vollständig, dass die Empfindungen in dem wieder angeheilten Theile oft keinerlei Abweichungen von dem normalen Verhalten darbieten. Wenn auch einige Erzählungen von abgebissenen, abgeschnittenen, gequetschten, mit Wein oder gar Urin begossenen, und doch wieder angeheilten Nasen und Fingern keinen besonderen Glauben verdienen, so giebt es doch eine ganze Reihe von Thatsachen, welche auf das Bestimmteste beweisen, dass Theile von Fingern, ganze Finger und insbesondere Nasen wieder anheilen und in die alten Nerven- und Gefässverbindungen wieder eintreten k ö n n e n . — Die organische Plastik hat hierauf zum Theil gefusst; und was die Herstellung der Nervenverbindungen betrifft, so werden alle erwähnten Fälle von Wiederanheilen an Wunderbarkeit übertrofifen durch die Thatsache, dass die aus der Stirnhaut geschnittene neue Nase, obgleich sie doch mit den Stirnnerven noch zusammenhängt, dennoch sehr bald wirklich als Nase empfunden wird (vgl. „Rhinoplastik"). Mikroskopischer Nachweis der Gewebsveränderungen an d e r v e r l e t z t e n S t e l l e . Ueber die, nur mit Hülfe stärkerer Vergrösserungen unter dem Mikroskop bei durchfallendem Lichte an fein injicirten Präparaten zu erkennenden Veränderungen der Gewebe an der Stelle der Verletzung während der verschiedenen Stadien des Heilungsprocesses liegen Untersuchungen namentlich von W y w o d z o f f und von T h i e r s c h vor, welche in den wesentlichsten Stücken zu demselben Ergebniss geführt haben. W y w o d z o f f 1 ) hat, unter der Leitung von B i l l r o t h , d i e H e i l u n g p e r p r i m a m i n t e n t i o n e m genauer untersucht. Als vorzüglichstes Object erschien eine Längswunde der Hundezunge, welche er anlegte, indem er 15 Mllm. hinter der Zungenspitze ein zweischneidiges Bistouri mit nach Oben und nach Unten sehenden Flächen von einem Zungenrande zum anderen hindurchstiess und die Wunde auf 35 Mllm. dilatirte. Zur Injection der Blutgefässe diente Leim mit löslichem Berliner Blau. Die Masse wurde, nach Tödtung des Thieres, in die vorher blossgelegten und dicht an der Carotis abgeschnittenen Zungenarterien eingespritzt. Am Kaninchen wurde die Oberlippe, an ') Experimentelle Studien über die feineren Vorgänge bei der Heilung per primam intentionem, besonders über das Verhalten der Blutgefässe bei diesem Vorgange. Hit 3 Taf.
Wien. med. Jahrb. XIII. 1 8 6 7 .
656
Verletzungen.
Fröschen die Membrana nictitans benutzt. — Schon nach 5 Stunden, deutlicher aber nach 24 Stunden fanden sich die Wundränder durch einen festen Klebestoff, welcher eine Unzahl junger Zellen einschloss, vereinigt. Grössere Blutgerinnsel werden bei der Heilung nicht verw e r t e t , sie erscheinen zwar von Blutgefässen kranzförmig umringt, aber dieselben dringen nicht in sie ein. Kleine Blutgerinnsel dagegen können der Ausgangspunkt der Gewebsmetamorphosen der Zwischensubstanz werden. Von den weissen Blutzellen aus, zum Theil auch von den rothen, findet eine Neubildung statt. Die Zwischensubstanz besteht Anfangs aus fibrinösem Exsudat, geronnenem Blut und jungen Zellen. Die Umwandlung dieser Zwischensubstanz in Bindegewebe scheint in folgender Weise vor sich zu gehen. Die rothen und ein Theil der weissen Blutkörperchen werden klumpen- oder haufenweise von einer Faserstoffkapsel umgeben. Diese Kapseln, welche netzförmige Figuren darstellen, werden in der Nähe der Wundränder immer kleiner, die rothen Blutkörperchen wandeln sich schliesslich zu einem homogenen Zellengewebe um, in welchem zuerst weisse, r u n d e , dann spindelförmige Zellen auftreten; sie scheinen zur Intercellularsubstanz zu werden. Die neuen Zellen in der Narbe ist W y w o d z o f f mehr geneigt von den Bindegewebszellen der Wundränder abzuleiten, als von den weissen Blutzellen des Extravasats. Jedenfalls ist Blutextravasat zur Heilung nicht nöthig. Junge Zellen scheinen aus den Wundrändern in die Zwischensubstanz einzuwandern. Schon nach 24 Stunden waren neue Gefässe gebildet. Diese gehen continuirlich aus der Wandung der ausgebuchteten Schlingen hervor, welche in der Umgebung der Wundränder von den Capillargefassen gebildet werden. In jedem verletzten Capillargefäss gerinnt nämlich das Blut, analog dem Vorgange in grösseren Gefässen (auf den wir im II. Bd. zurückkommen) bis zur nächsten Theilungsstelle, dem nächsten Knotenpunkt des Netzes. Das Blut ist daher genöthigt durch andere Bahnen mit verstärktem Druck zu fliessen, wodurch nicht blos die Hyperämie und die verstärkte Transsudation in der Umgebung der Wunde, sondern auch die stärkere Hervorwölbung der zunächst an der Wunde gelegenen Capillarschlingen bedingt wird. Diese Schlingen verlängern sich, in Folge des übermässigen Blutdruckes, und pressen sich aneinander, die Wandungen werden immer dünner, bis endlich die dem Wundrande zugewandte und Seitens der jungen Narbe am wenigsten Widerstand findende Convexität stark ausgebachtet wird und Blut in das Narbengewebe austreten lässt, während zugleich von der Schiingenwandung Fortsätze ausgehen, die als Antänge der zukünftigen Gefässwände anzusehen sind. Das Blut fliesst Anfangs zwischen den
657
Reine W u n d e n .
Zellen der Narbe in wandungslosen Canälen, die schliesslich von einer Seite zur andern ein Netz bilden, aus welchem das Capillarnetz der Narbe hervorgeht. Hiernach theilt W y w o d z o f f die Heilung per primam intentionem in fünf Perioden: 1) P e r i o d e d e r S t a g n a t i o n , ausgezeichnet durch Stockung des Blutes in den nächstliegenden Gefässen und durch Pfropfbildung in den durchschnittenen Enden derselben. Diese Periode dauert an der Hundezunge etwa 12 Stunden. 2) P e r i o d e d e r S c h l i n g e n b i l d u n g , von der 12. bis 48. Stunde, umfasst die Verlängerung der Schlingen, ihre Dilatation, die Zersprengung ihrer convexen Wand und die Bildung des Schiingenfortsatzes. Gleichzeitig erfolgt die Vereinigung der Wundränder durch einen Klebstoff und neugebildete Zellen. 3) P e r i o d e d e r C a n a l i s i r u n g . In der Zwischensubstanz, die jetzt meist aus neugebildeten runden Zellen besteht, öffnen sich von den Schiingenfortsätzen aus Canäle nach allen Richtungen hin. Dieser Process endigt mit dem 4. Tage nach der Verletzung. 4) P e r i o d e d e r V a s c u l a r i s i r u n g . Ausbildung der Canäle zu Blutgefässen, Auftreten von spindelförmigen Zellen, welche in Reihen sich ordnen, als erste Andeutungen von Bindegewebszügen. Die neuen Gefeisse der Narbe sind ziemlich weit und bilden ein dichtes Netz. Die Dauer dieser Periode erstreckt sich meist bis zum 10. Tage. 5) P e r i o d e d e r C o n s o l i d a t i o n . Die zunehmende Starrheit des Narbengewebes setzt der Gefässdilatation Schranken. In einem Zeiträume von 1 0 — 1 4 Tagen wird die Zwischensubstanz zu solidem Narbengewebe; das Lumen ihrer Blutgefässe wird nach und nach um das Dreifache vermindert. Die Untersuchungen von T h i e r s c h 1 ) beziehen sich sowohl auf die u n m i t t e l b a r e V e r e i n i g u n g , als auch auf die H e i l u n g e i t e r n der W u n d e n . Als Object benutzte er gleichfalls Zungenwunden, welche er theils durch verticales Schlitzen der Zunge in der Medianlinie von der Wurzel bis nahe an die Spitze (bei Meerschweinchen), theils durch Abschneiden der Zunge (bei Ratten) zu Stande brachte. Schon in den ersten Stunden nach der verticalen Spaltung der Zunge fand sich ein Theil der Wundflächen ohne erhebliche Veränderung fest verklebt. Diese Verklebung rührt, nach T h i e r s c h , nicht von einer der Wundfläche aufliegenden Schicht klebender Substanz (Blut oder Faserstoffexsudat) her, sondern beruht auf einer klebenden Eigenschaft des parenchymatösen Saftes, welcher die Wundflächen tränkt: „zerrt man eine derartig verklebte Wunde auseinander, so bekommt man zwei glatte Wundflächen ohne jede Auflagerung zu ') Handbuch der Ablh. 2 . H f t . 2
allgem. u. spec. Chirurgie von
v. P i t h a
und B i l l r o t h .
pag. 5 3 1 — 5 7 3 .
B a r d e l s b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
42
Bd. I.
658
Verletzungen.
sehen".
Nach wenigen Tagen ist die Vereinigungsstelle vielleicht gar
nicht mehr zu finden. Sinne
findet
intentio
Diese u n m i t t e l b a r e Vereinigung im strengsten
sich jedoch
sprechen;
es
keineswegs gehört
überall,
dazu
neben
wo
wir von
grösster
W u n d e auch vollkommen genaue Z u s a m m e n l e g u n g .
prima
Reinheit
der
Die Heilung kann
aber ohne Eiterung, mithin, nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, prima intentione, auch
noch
erfolgen,
wenn
die Wundflächen nicht
überall mit einander unmittelbar verkleben, s o n d e r n Blut- oder Faserstoffgerinnsel zwischen sich einschliessen, welche jedoch ein sehr geringes Maass nicht überschreiten
d ü r f e n , sich jedenfalls n u r
passiv
verhalten und zu der Verklebung in der Art, wie J. H u n t e r es sich dachte,
entschieden
Schnelligkeit
der
nicht
beitragen.
Wiedervereinigung
getrennten Gefässen.
Von grossem ist
Belang für die
der Abstand
zwischen
den
Je grösser dieser ist, — sei es durch Zurück-
ziehung der die Gefässe u m g e b e n d e n rnusculösen Gebilde, sei es in Folge der durch die Infiltration der Wundflächen bedingten Verdrängung, — desto länger d a u e r t flächen,
auch
die Blutstauung an den Wund-
desto schwieriger ist die Arbeit des Wiederersatzes.
In Betreff der W i e d e r h e r s t e l l u n g Stelle der Verletzung hat T h i e r s c h
Technik bereiteten) Injectionspräparaten dass die W ä n d e Thromben
der
bald
nach
der Circulation
an der
aus zahlreichen (mit vollendeter die Anschauung
der V e r w u n d u n g
—
gewonnen,
theils
durch
(bei relativ grösserem Caliber), theils blos durch Zellen-
w u c h e r u n g in der Umgebung — geschlossenen Gefässe sich nach und nach so auflockern, d.iss Strömchen von Blutplasma durch ihre feinen Oeffnungen in das u m g e b e n d e weiche Bindegewebe austreten und in demselben intercelluläre (plasmatische) Gänge ausbuchten können. d ü n n e r die Gefässwand (und j e s t ä r k e r , Verhältniss zur
Stärke
der Wand
schneller entwickelt sich
der
Druck des Blutes ist),
dieser Vorgang.
Je
darf man hinzusetzen, im Die plasmatischen
desto Gänge
aber, (Jurch welche zunächst die E r n ä h r u n g der w u c h e r n d e n (ortsangehörigen oder eingewanderten) Zellen vermittelt wurde, werden weiterh i n , je nach der Stärke des in ihnen wirkenden D r u c k e s , zu b l u t f ü h r e n d e n Canälen (Blutgefässen) oder sie obliteriren.
entweder Sobald
n e u e Blutgefässe in hinlänglicher Zahl und Weite v o r h a n d e n sind, um das Blut wieder in derselben Weise von einer Wundfläche zur andern hinüberzuleiten, wie vor der Verletzung, besteht auch kein Grund mehr zur Stauung des Blutes und der davon wesentlich a b h ä n g e n d e n Zellenwucherung.
Die j u n g e Zellenbrut, welcher jetzt n u r noch ein relativ
geringes Quantum
von Ernährungsflüssigkeit zugeführt w i r d , zerfällt
daher zum Theil, zum Theil verwandelt sie sich in d a u e r n d e Gewebs-
Reine Wunden.
659
d e m e n t e , namentlich Bindegewebskörperchen. herstellung der Blutbahnen
Je m e h r Zeit die Wieder-
in Anspruch n a h m , j e länger also
auch
die Zellenwucherung gedauert hat, desto umfänglicher wird die Narbe; sie kann daher auch ohne Eiterung sehr beträchtlich ausfallen. F ü r das Studium der H e i l u n g m i t E i t e r u n g benutzte T h i e r s c h den Amputationsstumpf der Rattenzunge.
Die Blutung stand längstens
eine halbe S t u n d e nach dem Abschneiden des freien Theils der Zunge. Dann folgt körniger Zerfall der biossliegenden Gewebe, in Folge dessen die W u n d e 2 4 — 4 8 Stunden missfarbig aussieht. findet m a n u n t e r
Schon nach 3 S t u n d e n
der absterbenden Schicht dieselben V e r ä n d e r u n g e n
der Gefässstümpfe, dasselbe plasmatische
Canalsystem
und
Lager n e u e r Zellen, wie bei der Heilung o h n e Eiterung. Zellen .sondern
sich alsbald in
zwei Schichten.
dasselbe
Die neuen
Die oberflächliche
(pyogene) besteht aus Eiterzellen, welche in einer weichen Intercellularsubstanz eingebettet liegen;
sie liefert Eiter.
von plasmatischen Canälen d u r c h z o g e n e ,
Die tiefere besitzt eine
festere Intercellularsubstanz
und grössere, einkernige Zellen, welche nicht so dicht gedrängt liegen, wie die der oberflächlichen Schicht. zellen u m w a n d e l n ;
Letztere können sich in Eiter-
nicht umgekehrt.
Nur aus der tieferen (plasma-
tischen) Schicht entwickelt sich die Narbe. plasmatische Schicht w ä h r e n d
der
In der Regel scheint die
ganzen Eiterungsperiode stationär
zu bleiben und nicht, wie man auf den ersten Blick glauben könnte, allmälig in die pyogene sich u m z u w a n d e l n .
Die Eiterzellen scheinen
vielmehr aus der Tiefe durch die plasmatischen Canäle zur Oberfläche zu g e l a n g e n , — was mit der C o h n h e i m ' s c h e n sich leicht in Einklang bringen liesse.
desto röther und warziger die Wundfläche. schen Schicht bedeutet die p l a s m a t i s c h e ,
was
bewirkt werden k a n n ,
Auswanderungslehre
„ J e d ü n n e r die pyogene Schicht, Vorwiegen der plasmati-
Heilung; ein Ucbergreifen der pyogenen auf zu j e d e r Zeit durch hinzutretende Störungen bedeutet
Verschlimmerung.
Die
plasmatische
Substanz verwandelt sich in Narbe, repräsentirt also keinen Substanzverlust; in der pyogenen dagegen geht u n t e r völliger Verflüssigung der Grundsubstanz ein Theil des Gewebes v e r l o r e n . "
Aus der pyogenen
Schicht geht weder Epithel hervor, noch haftet es auf ihr. thelzellen wachsen
von
den
herüber,
sobald diese
bindung
zwischen Epithel
Rändern
auf
die plasmatische
an die Oberfläche gerückt ist. und plasmatischer
Die EpiSchicht
„Ist die Ver-
Schicht hergestellt, so
erreicht die Blutgefässneubildung bald die untere Fläche der epithelialen Haut und dringt u n t e r Schlingenbildung in dieselbe e i n , "
wo-
durch dann zur Regeneration gefässhaltiger Papillen der Grund gelegt wird.
Die Neubildung der Blutgefässe gestaltet sich ebenso, 42*
wie bei
660
Verletzungen.
der unmittelbaren
Vereinigung,
derem B e s t ä n d e ,
nur massenhafter
weil die Ausgleichung
und mit
dauern-
der Circulationsstörung
hier
viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, als dort. Im Wesentlichen
besteht
zwischen
der Heilung o h n e
und
mit
Eiterung von histogenetischer Seite nur der Unterschied, dass bei der letzteren
ein
Gewebe)
durch Verflüssigung
Theil
gelangt,
während bei
organisirt wird.
der
neugebildeten
Zellen
(zellig
umgewandelten
der Intercellularsubstanz
der ersteren
zur Ablösung
alles Neugebildete auch dauernd
„ I n beiden Fällen treten zunächst Bindegewebe und
Gefässe in Proliferatiön, in beiden findet sich eine provisorische Canalisirung des aufgequollenen Gewebes, in beiden folgt hierauf die eigentliche Vascularisation, mit welcher die Reunio per primam abschliesst, während bei der Heilung mit Eiterung erst durch die epitheliale Ueberhäutung der Schluss gebildet w i r d . " Thiersch
glaubt,
nach
den Untersuchungen
der gewöhnlichen Auffassung
von
der B i l d u n g
von
der
Schroen1), Hornschicht
d e s E p i t h e l s sowohl auf Narben, als auch auf normaler Haut entgegentreten zu müssen.
Die Annahme, dass die Hornzellen aus dem Rete
Malpighi hervorgeheii, ist, nach S c h r o e n , schon deshalb nicht haltbar, weil überall zwischen beiden eine mehrfache Lage abgeplatteter steriler Zellen sich
findet,
sollen
Hornzellen
die
das Stratum pellucidum, des
Epithels
aus
nach
Oehl.
den
Vielmehr
Schweissdrüsen
(vielleicht auch aus den Haarbalgdrüsen) herrühren.
Dafür wird zum
Beweise angeführt: 1) die Art ihrer Gruppirung um die Ausführungsgänge gedachter Drüsen, 2 ) ihre Mächtigkeit d a ,
wo viele Schweiss-
drüsen liegen*), 3 ) ihr Fehlen und somit das Biossliegen des Stratum pellucidum
an Stellen,
wo keine Schweissdrüsen
vorhanden
sind 3 ).
Danach würde denn auch der Epidermisüberzug einer Narbe, nur wenn Schweissdrüsen in der Nähe und in der Lage sind, sich an der Epithelbildung zu betheiligen, aus den normalen 3 Schichten (Stratum Malpighii, Stratum pellucidum und Hornschicht) bestehen können, anderen Falls aber der letztgenannten Schicht entbehren
und dann glatt und
glänzend aussehen, wie man dies allerdings schon längst an manchen Narben
beobachtet hat.
—
lnselförmige
Narbenbildung
' ) Contribuzione alla anatomia, fisiologia e patologia della cnte umana. ' ) Hand-
und Fusssoble
werden als
beweisende Beispiele
mitten
Tormo. 1 8 6 5 .
genannt.
Dass
die
an
Schweissdrüsen überreiche A c h s e l h ö h l e nur eine so d ü n n e Hornschicht besitzt, soll darin seinen Grund h a b e n ,
dass
„in Folge der gesteigerten
thätigkelt der Achselschweissdrüsen ihre formative Thätigkeit *) Als Beispiele dienen:
die Nägel
die Oberfläche der Glans penis.
der Finger und Z e h e n ,
Absonderungs-
zurücktrete".
der rothe
Lippeasaum,
661
Reine Wanden.
in granulirenden Wunden könnte, nach T h i e r s c h , nur vorkommen, wenn in oder unter der granulirenden Fläche Epithelial-Reste erhalten waren, und würde ohne Intercurrenz von Schweissdrüsen auch immer der Hornschicht entbehren. Prognose. Die Gefahren einer reinen Wunde sind allerdings zuweilen von ihrer physikalischen Beschaffenheit (Grösse, Tiefe, mit oder ohne Substanzverlust) abhängig, meist aber beruhen sie wesentlich auf der Qualität der verletzten Gewebe und Organe. Vor Allem ist bedeutungsvoll, ob grosse Gefässe, namentlich Arterien oder grosse Venen getroffen waren (vgl. Blutung und Lufteintritt), dann, ob Leibeshöhlen oder Gelenkhöhlen geöffnet wurden (penetrirende Wunden, Verletzungen von Eingeweiden). Wir werden auf diese wichtigen Unterschiede im speciellen Theil wiederholt zurückkommen müssen. Ceteris paribus gewährt die r e i n e Wunde die bessere Prognose; es sei denn, dass die Quetschung vielleicht einmal eine verderbliche Blutung abwendet, welche in einer reinen Wunde voraussichtlich aufgetreten wäre. Behandlung. Alle r e i n e n W u n d e n m ü s s e n s o b a l d a l s m ö g l i c h g e n a u v e r e i n i g t w e r d e n . G e n a u e Vereinigung ist aber unmöglich, so lange noch Blutung besteht, es sei denn, dass die Vereinigungsmittel selbst zugleich sicher die Blutung stillen (wie z. B. die Naht in vielen Fällen). Denn, abgesehen davon, dass die Blutung oft dem Leben oder doch der Gesundheit gefährlich wird, würde die Anwesenheit von Blutgerinnseln in der Wunde hinderlich für Prima intentio sein, da dieselben als fremde Körper wirken. Somit ergiebt sich schon aus Rücksicht auf die WTundheilung die Nothwendigkeit d e r B l u t u n g s t i l l u n g v o r der V e r e i n i g u n g . Noch mehr drängt sich diese in den Vordergrund, wo die Blutung in gefährlicher Stärke auftritt. Wegen gefässe
des
innigen Zusammenbanges
zwischen
den V e r l e t z u n g e n
der
Blut-
und ihren sonstigen Erkrankungen, werden wir von der Behandlung der Blu-
tungen erst bei den Krankheiten
der Arterien im II. Bande handeln.
Um die Vereinigung zu bewerkstelligen, müssen wir die Wunde möglichst in solche Verhältnisse versetzen, wie sie oben bei Beschreibung der Naturheilung der einfachsten Schnittwunden angegeben sind, wir müssen also die Wundlefzen (nach Entfernung der etwa vorhandenen fremden Körper und sorgfältiger Säuberung der Wunde selbst und ihrer Umgebungen, wie wir sie pag. 5 0 beschrieben haben) mit einander in Berührung bringen und erhalten, den Zutritt der Luft abschliessen oder doch das Eindringen organischer Keime verhindern und sowohl active, als auch passive Bewegungen des verletzten Theils, sowie anderweitige störende Einflüsse abhalten.
m
Verlatzungen.
Zu diesem Behuf bedienen wir uns in der Mehrzahl der Fälle der N ä h t e , seltener der K l e b e p f l a s t e r oder anderer mechanischer V e r e i n i g u n g s m i t t e l , über welche wir in Betreif ihres relativen Werths, ihrer Anwendbarkeit und Anwendung, namentlich auch in technischer Beziehung bereits pag. 1 2 2 — 1 3 3 und 178 u. f. die nöthigen Angaben gemacht haben. Der v o l l s t ä n d i g e V e r s c h l u s s (ein sogen, hermetischer Verband) ist zulässig bei o b e r f l ä c h l i c h e n Wunden und bei solchen, welche, obwohl tiefer eindringend, doch nach einer anderen Seite hin dem Wundsecret freien Abfluss gewähren (wie z. B. Wunden der Lippen und Wangen). Bei allen anderen Wunden würde ein fester Verschluss durch Einsperrung des Wundsecrets nachtheilig werden können; selbst wenn Zersetzung verhütet würde, wäre doch von dem Eindringen desselben in die Nachbargewebe Erregung von Entzündung zu befürchten. Für a l l e t i e f e r e n W u n d e n empfiehlt es sich, einen Theil der Wunde offen zu lassen, durch diesen ein bis auf den Grund der Wunde reichendes Rohr (in der Mehrzahl der Fälle am Besten ein Gummirohr, Drain) einzuführen und darüber einen a n t i s e p t i s c h e n V e r b a n d anzulegen. Der Wechsel dieses Verbandes ist vorzunehmen 1) sobald der Verletzte über lebhafteren Schmerz in der Wunde klagt, 2) sobald sich Fieber (Temperatur-Erhöhung über 3 8 ° C . ) einstellt, 3) sobald das Wundsecret irgendwo die Verbandstücke durchdringt. Beim Verbandwechsel wird das eingelegte Rohr entfernt und durch ein neues ersetzt (oder doch erst nach sorgfältiger Säuberung in einer 3 procentigen Carbolsäurelösung wieder eingeführt). Dies muss bei jedem Verbandwechsel so lange wiederholt werden, bis aus dem Rohr kein Wundsecret mehr ausfliesst, — bei täglichem Wechsel des Verbandes durchschnittlich bis zum dritten Tage. Dann werden auch die Nähte entfernt, und die Heilung ist in der Regel 2 — 3 Tage später vollendet. Vgl. pag. 189 u. f. — Will oder kann man einen antiseplischen Verband nicht anlegen, so ist es bei Weitem besser, die Wunde ganz offen, und unbedeckt zu lassen ( o f f e n e W u n d b e h a n d l u n g , vgl. p. 2 8 0 ) , als durch irgend welchen Verband den Abfluss des Wundseccets zu hindern. Absolute Ruhe und zweckmässige, den Blutabfluss begünstigende Lage sind wesentliche Bedingungen für jede Wundheilung. Beide werden oft am Besten durch Suspension des verwundeten Theils erreicht. — Zur Anwendung der K ä l t e giebt eine reine Wunde an sich keine Veranlassung. Liegen keine speciellen Indicationen dazu vor (wie heftiger Wundschmerz, starker Blutandrang, Neigung zu Blutungen), so thut man besser sie fortzulassen, damit die Wunde vor
Quetschung.
663
den, bei Anwendung der Kälte nicht immer ganz zu vermeidenden, mechanischen Insulten sicher bleibt, welche ebenso sehr, wie alle Bewegungen des verwundeten Theils zu verhüten sind. Soll die Kälte angewandt -werden, so geschieht dies bei Weitem am Besten durch zweckmässig aufgehängte, nicht drückende Eisbeutel. Auf die Behandlung solcher reinen Wunden, bei denen wegen Substanzverlust oder wegen Versäumung rechtzeitiger mechanischer Hülfe die erste Vereinigung ausgeblieben ist, werden wir bei den g e q u e t s c h t e n W u n d e n zurückkommen.
Drittes Capitel.
Von der Quetschung und Zerreissung und von den gequetschten und gerissenen Wunden. Ein stumpfer Körper, welcher nicht mit hinreichender Gewalt (mit relativ zu geringer Geschwindigkeit) aufschlägt, um die Continuität der sehr elastischen äusseren Haut zu trennen, kawil doch seine Bewegung dem getroffenen Theile in solchem Grade mittheilen, dass dieser in weiter Ausdehnung e r s c h ü t t e r t wird. Die Erschütterung kann auch zu Stande kommen, während die Continuität an der direct getroffenen Stelle getrennt wird, mithin in der Umgebung einer Wunde. Die Wirkung einer E r s c h ü t t e r u n g ( C o m m o t i o ) muss, je nach der Structur des Theils, sehr verschieden sein. Zarte Nervenausbreitungen, wie die Retina, werden dadurch functionsunfähig gemacht, während Knochen und Muskeln bei demselben Grade der EinIm Allwirkung oft gar keine Störung ihrer Thätigkeit erleiden. gemeinen sind die C o m m o t i o n s - E r s c h e i n u n g e n diejenigen einer vorübergehenden Unterbrechung der Function mit nachfolgendter Hyperämie. Die Commotion kann tödtlich werden, wenn sie ei» Organ betrifft, dessen Thätigkeit zur Fortdauer des Lebens keinen Augenblick entbehrt werden kann, wie z. B. die Medulla oblongata. Welche Structur-Veränderungen durch Commotion veranlasst werden, ist noch unbekannt; wahrscheinlich sind dieselben von den bei dei' Quetschung vorkommenden nur gradweise verschieden, und scharfe Grenzen zwischen beiden Arten der Verletzung daher überhaupt nieht zu ziehen. Q u e t s c h u n g ( C o n t u s i o ) kann nämlich auf zweierlei Weise zu Stande kommen, und zwar:
664
Verletzungen.
1) wenn ein relativ stumpfer Körper mit einer Geschwindigkeit einwirkt, welche nicht hinreicht, um an der von ihm getroffenen Stelle den elastischen Widerstand der Haut zu überwinden, die tiefer liegenden und weniger Widerstand leistenden Theile aber doch vorübergehend einem solchen Drucke unterwirft, dass in ihnen wahrnehmbare Continuitätstrennungen bewirkt werden, — d i r e c t e Q u e t s c h u n g ; 2) wenn ein verletzender Körper, sei es wegen unzureichender Geschwindigkeit, oder wegen seiner zu grossen Berührungsfläche, oder endlich wegen zu grossen Widerstandes des getroffenen Theils, seine Bewegung weit über die Grenzen des letzteren hinaus dem verletzten Körper mittheilt, — wobei es zunächst gleichgültig ist, ob dadurch eine der Berührungsfläche entsprechend grosse Continuitätstrennung der Haut, der übrigen Weichtheile und selbst der Knochen gesetzt wird, oder nicht, — Q u e t s c h u n g d u r c h E r s c h ü t t e r u n g , welche sich allerdings am Häufigsten in der Umgebung von Wunden vorfindet. Solche Wunden heissen g e q u e t s c h t e ( V u l n e r a c o n t u s a s. q u a s s a ) . Sie entstehen bald durch Z e r r e i s s u n g vermittelst einer gewaltsamen Verschiebung und Dehnung der Theile, namentlich der Haut, bald durch einen S u b s t a n z v e r l u s t , den der gequetschte Theil an der Stelle erleidet, wo der verletzende Körper mit relativ grösster Geschwindigkeit einwirkte. Eine solche Trennung mit Substanzverlust durch einen stumpfen Körper nennt man Z e r m a l m u n g (Contritio). Die zermalmten, oft wirklich zerpulverten Theile können entweder mit den benachbarten noch einen dürftigen Zusammenhang behalten, der aber zu ihrer Ernährung unzureichend ist, oder sie können ganz herausgerissen und sogar weit fortgetrieben werden. Die Zermalmung setzt aber nicht nothwendig einen hohen Grad von Quetschung der Umgebungen voraus. Eine Flintenkugel kann die von ihr direct getroffenen Theile, zu einem Brei zermalmt, durch den Ganal, den sie vermöge dieser Zermalmung erzeugt, hindurchtreiben und weit fortschleudern, ohne die Ränder dieser röhrenförmigen Wunde in erheblicher Ausdehnung zu quetschen (zu erschüttern), — wenn sie nämlich mit grösster Geschwindigkeit (aus nächster Nähe) einen wenig Widerstand leistenden Theil (Haut und Fleisch) trifft. Wir betrachten zunächst die Symptome, den Verlauf und die Behandlung der Quetschungen und der gequetschten Wunden im Allgemeinen; die von der Beschaffenheit des verletzenden Instruments und von der Art seiner Bewegung abhängigen Eigenthümlichkeiten der Stich- und Schusswunden sollen in den folgenden Capiteln besonders erläutert werden.
Quetschung.
A.
Quetschungen.
665
Contusiones.
E n t s t e h u u g s w e i s e . Das Aufschlagen eines Stockes, eines Pflastersteins, eines Flintenkolbens einer Seits und die Kraft des Dampfes anderer Seits beginnen und schliessen die Reihe der möglichen Ursachen einer Gontusion. Theile unseres Körpers selbst können a n d e r e quetschen: so die Schenkel das Scrotum. Die Last des Körpers bewirkt bei einem Falle eine Contusion im Kniegelenk, an der Hand u. dgl. Statt eines Stosses oder Schlages kann auch ein heftiger Druck die Quetschung herbeiführen. — Man kann bei allen Quetschungen die wirkende Kraft, den Widerstand und den Stützpunkt unterscheiden. Wird z. B. ein Bein durch ein Wagenrad zermalmt, so ist letzteres die Kraft, das Bein leistet den Widerstand, und das Strassenpflaster ist der Stützpunkt. Wird ein Arm von dem Schlage eines Stockes gequetscht, so ist der Knochen oder die Aponeurose der Stützpunkt. Zuweilen befindet sich der Theil zwischen zwei Kräften, die sich gegenseitig zum Stützpunkte dienen; so z. B. wenn die Hand zwischen zwei Räder einer Maschine oder der Thorax zwischen die Puffer von zwei Eisenbahnwagen geräth. Erscheiunngen. Diagnose. Das Auseinanderweichen der getrennten Gewebe lässt sich selten direct e r k e n n e n ; denn die unversehrte Haut bedeckt die in der Tiefe entstandene W u n d e , und das Blut füllt in der Regel den Raum zwischen den getrennten Theilen nicht blos aus, sondern durch den B l u t e r g u s s (Ecchymosis, Sugillatio) entsteht sogar alsbald eine A n s c h w e l l u n g des verletzten Theils. Wo die Quetschung das auf einem Knochen aufliegende dichte Bindegewebe getroffen hat und das ergossene Blut sich in letzterem nicht weiter ausbreiten k a n n , bildet dasselbe durch hügelförmige E r h e b u n g der Haut C o n t u s i o n s b e u l e n , Höcker, welche, da sie an der Peripherie fest g e r o n n e n e s , im Centrum halb oder gar nicht geronnenes Blut enthalten, am Rande hart, in der Mitte weich (eindrückbar) erscheinen, daher auch beim Druck durch Verschiebung und Zerdrücken der Gerinnsel das sogenannte Schneeballknirschen entstehen lassen und am Schädel, wegen der Möglichkeit ihr Gentrum einzudrücken, zuweilen mit Knocheneindrücken (Fracturen) verwechselt worden sind (vgl. Bd. III). Der Bluterguss (die Sugillation) ist das wesentlichste objective Kennzeichen der Contusion. Jedoch entspricht die Mächtigkeit des Blutaustritts keineswegs immer dem Grade der Gewalteinwirkung. Die zermalmten Gefässe können durch die Quetschung selbst verschlossen werden, so dass oft bei bedeutenden Quetschungen der Bluterguss gering ist. Anderer Seits kann die Blutung bei unbedeutenden
Verteilungen. Quetschungen sehr erheblich sein, wenn gerade ein etwas grösseres Gefäss getrennt wurde oder wenn individuelle Neigung zu Blutungen (Diathesis haemorrhagica) besteht. So sieht man bei manchen Personen durch den leisesten Druck, durch leichtes Saugen an der Haut u. dgl. m. Sugillationen entstehen'). In der Mehrzahl der Fälle tritt als Zeichen des Blutergusses bald nach der Verletzung und in der Ausdehnung, in welcher die Quetschung stattgefunden hat, ein blauer oder blaurother Fleck auf, welcher durch die Haut hindurchschimmert. Sind wesentlich tief (unter einer Aponeurose) liegende Theile gequetscht, so erscheint die charakteristische Farbe der Sugillationen erst sehr spät, oder weit entfernt von der verletzten Stelle, indem das ergossene Blut oder der im Serum gelöste Farbestoff sich allmälig weiter verbreitet (senkt). — Es sind zuweilen Quetschungen s i m u l i r t worden, indem ZusammenschnUrung zur Hervorbringung der Geschwulst und künstlich aufgetragene Farben zur Darstellung der Sugillationen benutzt wurden. Abwaschen des Theils, ruhige Lage und eine kurze Beobachtung reichen hin, um solche Betrügereien zu entdecken. — Ein Brandschorf unterscheidet sich von der Sugillation durch seine grauröthliche oder schwarze Farbe und seine scharfe Begrenzung, während letztere immer diffus, blauroth, blau, blaugrün, blaubraun, zuletzt gelblich ist. Der Schmerz ist sehr lebhaft, wenn der Stützpunkt der Haut nahe liegt; so bei einem Schlag auf die innere Fläche der Tibia, auf den Kopf, auf die Kniescheibe. Dagegen ist der Schmerz dumpf, wenn die Knochen an der getroffenen Stelle tief liegen, und deshalb die Haut nicht so stark gequetscht worden ist. G r a d e d e r Q u e t s c h u n g sind von D u p u y t r e n in ähnlicher Weise, wie für die Verbrennung, aufgestellt worden, lassen sich aber hier noch viel weniger scharf, als dort, von einander sondern. E r s t e r G r a d : Leichte Zerreissung der Gewebe namentlich der kleinsten Gefässe mit unbedeutendem Blutaustritt (Infiltration). Z w e i t e r G r a d : Etwas ausgedehntere Zerreissung der Gewebe, namentlich auch grösserer Gefässe, daher wirkliche Blutansammlung, aber keine Mortification von Geweben, daher auch die Möglichkeit der Heilung ohne Substanzverlust oder Eiterung. D r i t t e r G r a d : Die Gewebe sind in solchem Grade destruirt, dass ihre Lebensfähigkeit erlischt, sie sind mortificirt. V i e r t e r G r a d : Die Gewebe sind wahrhaft zermalmt und bilden, mit dem ausgetretenen Blute gemischt, eine Art Brei. In der ' ) Die Entstehung VOD Blutergüssen in und unter der Haut durch Saugen — sugere — hat zu dem Namen S u g i l l a t i o Anlass gegeben.
667
Quetschung.
Regel bestehen im Umkreise des vierten Grades stets die übrigen, und allein kommt nur der erste vor. Auf frischer That zu erkennen, welcher Grad von Quetschung vorliege, namentlich aber Uber die Lebensfähigkeit der gequetschten Theile zu entscheiden, ist oft sehr schwierig, wenn nicht eine genaue Kenntniss des Vorganges der Verletzung, besonders des Grades von Gewalt, welcher eingewirkt hat, den Arzt unterstützt. In den schlimmsten Fällen lassen freilich Unempfindlichkeit und Kälte des Theils auf Mortification schliessen; aber oft folgt diese, ohne sich vorher deutlich angekündigt zu haben. Die Massenhaftigkeit des Blutergusses, die Möglichkeit an einzelnen Stellen tief einzudrücken, wo man den Widerstand von Muskelbäuchen erwarten sollte, und das gleichzeitige Bestehen eines Knochenbruches an der gequetschten Stelle lassen immer schon annehmen, dass mindestens der zweite Grad der Quetschung sich vorfinde und dass Eiterung zu erwarten sei. Eine eigenthümliche Art von Verletzung entsteht, wenn die oberflächlichen Weichtheile, namentlich die elastische und dehnbare Haut, ohne selbst zu zerreissen, durch eine quetschende Gewalt (gewöhnlich durch Ueberfahren) von den tieferen Theilen abgelöst, zugleich aber durch Dehnung ihrer Elasticität beraubt, eine mit wenig seröser Flüssigkeit gefüllte Tasche bilden. Solche Fälle sind von M o r e l 1 L a v a l l é e ) als „ t r a u m a t i s c h e A b l ö s u n g d e r H a u t " beschrieben worden. Dabei finden sich in der Regel keine Sugillationen, obgleich sie allerdings ebenso gut, wie die übrigen Erscheinungen der Quetschung, nebenbei vorkommen können; die Diagnose ist aber leicht wegen der eigenthümlich schlaffen Geschwulst und der u n d u l i r e n d e n Beschaffenheit derselben, welche besonders beim Anschlagen des Fingers wahrgenommen wird. Ausgänge nud Prognose. Quetschungen können unter Resorption des Blutergusses p e r p r i m a m heilen (vgl. pag. 645 u. f.), sie können aber auch ihren Ausgang in E i t e r u n g oder in b r a n d i g e A b s t o s s u n g nehmen. Letztere folgt auf die höchsten Grade der Quetschung in der Regel, Eiterung ist beim zweiten Grade oft unvermeidlich, während der erste Grad und viele zum zweiten gehörige Fälle ohne Eiterung heilen. Wenn Resorption erfolgt, so ändert sich die Anfangs dunkelblaue Farbe der Sugillationen in Violett, dann in helleres Blauroth, wird auch wohl grünlich, dann gelb, und die gelbe Farbe verschwindet zuletzt, indem sie sich immer mehr ausbreitet und ab' ) Décollement
traumatique
de la peau
rend, de l'Académie des sciences ( 1 8 6 2 ) . de med
1 8 6 3 (2. mémoire).
et des
couches
sous-jacentes.
Compl.
T. 55. pag. 656 und Archives générales
668
Verletzungen.
blasst. Die Aufsaugung des Bluts kann mit unglaublicher Schnelligkeit und ohne irgend ein Zeichen von Entzündung vor sich gehen, während sie in anderen Fällen gleichsam auf halbem Wege stehen bleibt und eine chronische Entzündung an der gequetschten Stelle zurücklässt. Das Blut kann aber auch an Ort und Stelle andere Veränderungen erfahren: 1) es bleibt flüssig oder wird auch mehr serös, und um dasselbe herum bildet sich eine Cyste, es entsteht also ein H a e m a t o m , eine Blutcyste von dauerndem Bestände, oder 2) es bleibt nur ein krümliges oder flockiges Fibringerinnsel zurück, zuweilen in concentrischen Schichten gelagert, welches von einer mehr oder weniger dicken Cyste umgeben wird. Sind aber die den Quetschungsherd umgebenden Weichtheile nicht hinlänglich unversehrt geblieben (vgl. pag. 649), um die Resorption des Blutergusses oder seine Einkapselung zu bewerkstelligen, oder ist der letztere allzu massenhaft, so entstehen in den nächsten Tagen entzündliche Erscheinungen an der gequetschten Stelle (Schwellung, Schmerzhaftigkeit, Temperaturerhöhung, Röthung, nicht selten mit Fieber) und die Entzündung breitet sich oft, zumal nach dem Lauf der Lymphgefässe, weiter aus. In dem Quetschungsherde selbst entsteht Eiterung, und der neben dem Eiter auch noch die zerfallenen Blutgerinnsel enthaltende, sogen, h ä m o r r h a g i s c h e oder t r a u m a t i s c h e A b s c e s s durchbricht nach einigen Tagen die oft in relativ grosser Ausdehnung nachträglich noch dem Brande verfallende Haut. — Sobald grössere Gewebsmassen in der Tiefe vollständig mortificirt sind, muss eine Ausstossung Statt finden. Deshalb entsteht im dritten und vierten Grade der Quetschung immer auch Mortification der Haut. In allen diesen Fällen handelt es sich also auch regelmässig um die Gefahren tiefer Eiterungen und brandiger Zerstörungen. Die P r o g n o s e ist daher nur bei ganz oberflächlichen und wenig ausgedehnten Quetschungen vollkommen günstig. Bei den übrigen sei man sehr vorsichtig, zumal wenn sie ein Gelenk oder ein Eingeweide mit betreffen. Abgesehen von der unmittelbaren Lebensgefahr, welche durch die nachfolgende Eiterung bedingt werden kann, haben sicherlich viele chronische Krankheiten ihren Ursprung in vernachlässigten Quetschungen. Die „traumatischen Ablösungen" bedingen keine Gefahren, wenn sie nicht in allzu grosser Ausdehnung bestehen und nicht Eiterung zur Folge haben.
Behandlung. In allen den beiden ersten Graden zuzuzählenden Fällen muss der Bluterguss, wo möglich, zur Resorption gebracht und einer Seits zu heftige Entzündung, anderer Seits brandige Zer-
Quetschung.
669
Störung verhütet werden. Die wesentlichsten der hierzu empfohlenen Mittel sind: 1. Z e r t h e i l e n d e (resolvirende) U m s c h l ä g e , am Einfachsten aus kaltem Wasser, in schlimmeren Fällen aus Eis oder Schnee. Auch Salzwasser, Branntwein, Kampherspiritus, Bleiwasser'), Auflösungen von Salmiak in Wein oder in Wasser mit Essig, Acetum Scillae, Arnicatinctur, selbst verdünnte Jodtinctur finden zu diesem Zweck vielfach Anwendung. Man will aber keineswegs durch die andauernde Application kalter Umschläge um jeden Preis die Entzündung bekämpfen. Dies würde oft zum Brande führen in Fällen, wo derselbe sich hätte vermeiden lassen, wenn man zur rechten Zeit von der Anwendung der Kälte abgegangen wäre. Das eigene Gefühl des Kranken kann Uber den rechten Zeitpunkt für das Fortlassen der kalten Umschläge meist am Besten entscheiden. Vgl. pag. 184 u. f. 2. O e r t l i c h e B l u t e n t z i e h u n g e n , am Besten durch Blutegel. Durch die Entziehung des Blutes aus der Haut und den ihr zunächst liegenden Schichten soll die Besorption in den tiefer liegenden angeregt werden. V i d a l geht so weit, zu behaupten, dass es keine Krankheit gäbe, in welcher Blutegel so viel nutzten, als bei der Contusion'). Jedenfalls dürfen Blutegel nicht auf die gequetschte Haut gesetzt werden, wo ihre Bisse eiternde oder gar verschwärende Wunden hinterlassen würden. 3. M e t h o d i s c h e r D r u c k mittelst eines Binden-Verbandes, durch welchen nicht blos die Resorption in hohem Grade begünstigt und weiterer Blutaustritt verhindert, sondern auch die Entzündung verhütet oder doch gemässigt wird. Hierher gehört die v o l k s t ü m liche Behandlung der „Beulen" am Kopfe durch Aufbinden eines Geldstücks u. dgl. m. 4. Das Z e r d r ü c k e n der Blutgeschwulst, gleichfalls ein Volksmittel, wird empfohlen, um das ergossene Blut auf eine grössere Fläche zu vertheilen und dadurch die Resorption zu begünstigen ( C h a m p i o n , V e l p e a u ) ; B. B 6 r a r d machte zu demselben Zwecke subcutane Incisionen. Bei unerheblichen Quetschungen ist das Zerdrücken überflüssig, bei bedeutenderen bedingt es die Gefahr, dass die gedrückte Hautstelle brandig wird. Gelingt es nicht, die Aufsaugung und Zertheilung herbeizuführen, bildet sich vielmehr der „traumatische Abscess", so wartet man ab J
) Es ist bei Weitem zweckmässiger die Haut mit A c e t u m
plumbi,
etwa 3 m a l
täglich zu bepinseln und Eis aufzulegen, als Umschläge von Bleiwasser zu machen. ") Ich
bin seit mehr als 2 0 Jahren
früher mit denselben.
ohne
Blutegel ebenso
weit g e k o m m e n ,
wie
Verlrtttrogfcb.
670 bis F l u c t u a t i o n
zu
f ü h l e n ist u n d m a c h t die E r ö f f n u n g d.ann
streng
nach d e r a n t i s e p t i s c h e n Methode, d e r e n Vorzüge sich hierbei g l ä n z e n d bewähren.
Bei
bereits
sehr
verdünnter
kleine Einschniite e i n e m g r o s s e n v o r , u n d breite Narben zu
Haut zieht grosse
man
mehrere
klaffende W u n d e n
vermeiden.
W e n n die Mortification des unzweifelhaft oder
um
g e q u e t s c h t e n Theils
von
vornherein
d e s s e n A b s t e r b e n im w e i t e r e n Verlaufe nicht
z u w e n d e n i s t , so finden die f ü r B e h a n d l u n g des B r a n d e s
ab-
gegebenen
Regeln ( p a g . 3 2 5 u. f.) A n w e n d u n g . F ü r die B e h a n d l u n g d e r „ t r a u m a t i s c h e n pfiehlt
zuerst
den
„Sack"
Ablösungen" zu
em-
punktiren,
dann
Blasenpflaster a u f z u l e g e n u n d endlich einen C o m p r e s s i v v e r b a n d
anzu-
legen.
Morel-Lavallee
Ich bin in allen von m i r b e o b a c h t e t e n Fällen mit einer gleich-
mässig c o m p r i m i r e n d e n B.
Binde
ausgekommen.
Gequetschte, gerissene und Biss-Wunden.
G e q u e t s c h t e W u n d e n zeigen an ihren R ä n d e r n u n d in i h r e r U m g e b u n g die C h a r a k t e r e d e r
Quetschung.
D a , wie wir o b e n ( p a g . 6 4 9 ) s a h e n ,
die V e r ä n d e r u n g e n in d e n
U m g e b u n g e n einer W u n d e , w e l c h e d u r c h ü b e r m ä s s i g e S p a n n u n g Theils e n t s t e h t , den d u r c h Q u e t s c h u n g b e d i n g t e n a n a l o g sind, wir die gerissenen W u n d e n an die g e q u e t s c h t e n Erscheinungen
eines
können
anschliessen.
der gequetschten Wunden
im A l l g e m e i -
n e n . — Die W u n d r ä n d e r sind u n e b e n ,
gezackt o d e r g e z ä h n e l t u n d
klaffen w e g e n
Infiltration
ihrer durch
die
blutige
der
Gewebe
be-
d i n g t e n , s c h n e l l e i n t r e t e n d e n S c h w e l l u n g , viel w e n i g e r , als bei r e i n e n Wunden.
Die Blutung ist g e w ö h n l i c h u n b e d e u t e n d ,
da a u s d e n ge-
q u e t s c h t e n Gefässen viel w e n i g e r leicht Blut ausfliessen k a n n , als a u s d u r c h s c h n i t t e n e n ; das Blut s t o c k t in d e n b e n a c h b a r t e n G e w e b e n bedingt dort mehr
o d e r w e n i g e r b e d e u t e n d e Sugillationen.
S c h m e r z v e r h ä l t es sich, wie bei d e n Geweben
ist
gewöhnlich
Mit d e m
Contusionen.
Die S t ö r u n g d e r E r n ä h r u n g s v o r g ä n g e in den die W u n d e zenden
und
so b e d e u t e n d ,
dass
begren-
unmittelbare
W i e d e r v e r w a c h s u n g u n m ö g l i c h ist, dass es v i e l m e h r in d e r Regel z u r Eiterung kommt,
oft a u c h einzelne Theile b r a n d i g w e r d e n .
Die von
d e r W u n d e a u s g e h e n d e E n t z ü n d u n g e r r e i c h t oft eine e r h e b l i c h e Ausbreitung und
eine b e d e n k l i c h e Höhe.
Alle G e f a h r e n d e r
u n d des B r a n d e s liegen also viel n ä h e r , als bei reinen Gerissene
Wunden. —
d e m d e r Theil d a , Körper
getrennt
Dieselben sind
w o e r gefasst w a r ,
worden
ist.
oder
verschieden, weiterhin vom
Im e r s t e r e n Falle t r e t e n
Eiterung
Wunden. je nachübrigen
die Erschei-
Gequetschte und gerinseoe Wunden. nungen der Q u e t s c h u n g
und Z e r r e i s s u n g
zweiten Falle die letzteren allein.
671 gleichzeitig auf,
im
Das grossartigste Beispiel für Zer-
reissungen der letzteren Art liefert das Abreissen eines ganzen Gliedes in einem Gelenk.
In einem solchen Falle zerreissen zuerst die Bänder,
dann die Muskeln, indem sie sich gewöhnlich in ihren Verbindungen mit den Sehnen, den Aponeurosen und dem Periost lösen. abgerissenen Stück hängen vielleicht
An dem
noch die Sehnen weit heraus,
die Gefasse dagegen sind, in Folge ihrer Elasticität, auf beiden Seiten weit zurück- und
fest zusammengezogen,
Blutung gewöhnlich unbedeutend ist.
weshalb
denn auch
schon von L a m o t t e und von C h e s e l d e n
beobachtet worden.
dem von Letzterem beobachteten Falle war der ganze Arm dem Schulterblatte vom Rumpfe getrennt und doch ziemlich schnell. —
die
Zerreissungen dieser Art sind
die Heilung
In
sammt erfolgte
Sehr bedeutende Zerreissungen wurden in
früheren Zeiten auch bei dem Missbrauch renkung von Luxationen beobachtet.
von Maschinen zur Ein-
In diesen Fällen tritt die Zer-
reissung weit von dem Ort ein, auf welchen der Zug direct wirkt. Es findet eine subcutane Zerreissung Statt; denn die Theile werden erst getrennt,
wenn sie allmälig bis auf den höchsten
Grad
aus-
gedehnt sind, und die Haut besitzt den höchsten Grad von Dehnbarkeit; es ist dabei weder Stoss, noch Druck wirksam, wie bei den Quetschungen. Es giebt aber auch Z e r r e i s s u n g e n mit g l e i c h z e i t i g e r Q u e t schung.
Die B i s s w u n d e n
verhalten sich meist in dieser Weise.
Durch die Bewegung des beissenden Thieres sowohl als des Verletzten wird die Wunde gewöhnlich stark gezerrt, überdies aber desto mehr gequetscht, je stumpfer
die Zähne waren.
Dies
gilt insbesondere
auch für Bisse von menschlichen Zähnen, welche gewöhnlich stumpf sind, und erklärt die langsame Heilung und Schmerzhaftigkeit solcher Bisswunden genügend und jedenfalls besser, als die durchaus hypothetische Veränderung des Speichels durch den Zorn, von welcher sonst wohl die Rede war. Der weitere V e r l a u f und der H e i l u n g s v o r g a n g gestaltet sich unter allen Umständen ungünstiger, als selbst bei k l a f f e n d e n , reinen Wunden.
Vgl. pag. 631.
Gelingt es nicht etwa von Vornherein den
Luftzutritt auszuschliessen, so stellt sich auch Wundentzlindung ein, welche mit erneuten Schmerzen, Röthung und Schwellung der W u n d ränder beginnt und nicht blos bei erheblicheren Verletzungen,
son-
dern oft grade bei Anfangs unbedeutend erscheinenden Quetschwunden mit heftigem Fieber verläuft, weil bei solchen die Aufnahme des mehr oder weniger zersetzten Wundsecrets in die Nachbargewebe und die
672
Verletzungen.
Verbreitung desselben im übrigen Körper durch die Lymph- und Blutgefässe in der Regel durch die localen Verhältnisse begünstigt wird. Vgl. Cap. VI. B e h a n d l u n g d e r g e q u e t s c h t e n W u n d e n im A l l g e m e i n e n . „Welche Verschiedenheiten auch die gequetschten Wunden darbieten „mögen, sobald sie nur nicht weiter complicirt sind, oder doch nur „mit fremden Körpern complicirt sind, welche leicht entfernt werden „können, so erstrebe man die unmittelbare Vereinigung; denn wenn „auch ihre Ränder nicht die Regelmässigkeit der Schnittwunden bes i t z e n , und die Gefässe und andere Theile an ihrer Oberfläche mehr „oder weniger gequetscht worden sind, so lehrt doch die tägliche „Erfahrung, dass sie verkleben können und dass sie oft durch Prima „intentio, d. h. ohne zu eitern, heilen. Jedoch eitert der oberflächl i c h e Theil der Wunde, welcher vorzugsweise gequetscht ist, gewöhnl i c h ein wenig; aber der Grund verklebt, wenn sie nur gehörig vere i n i g t sind, sehr schnell. Auf diese Weise beschleunigt man ihre „Heilung ganz auffallend und erreicht eine viel weniger merkliche „Narbe, als wenn man sie sich selbst überlassen und folglich nur „durch Eiterung zur Heilung geführt hätte. — Auch die g e q u e t s c h t e n L a p p e n w u n d e n müssen vereinigt werden, selbst wenn die „Spitze des Lappens fast mortificirt erscheint. Ist dies wirklich der Fall, „so erfolgt natürlich die Abstossung; aber die viel weniger gequetschte „Basis kann sich doch unmittelbar vereinigen, so dass dann nur die „dem mortificirten Theile entsprechende Stelle eitert." Diese Lehren des erfahrenen B o y e r sind um so mehr zu beherzigen, als sie von einem Wundarzt ausgesprochen wurden, der für die unmittelbare Vereinigung sonst nicht sehr eingenommen war. Allerdings lassen dieselben heut zu Tage für viele Fälle eine a n (Lere E r k l ä r u n g zu, da, wie wir sahen, manche scheinbar gequetschte, d. h. durch stumpfe Körper entstandene Wunden in der That r e i n e sind. Vgl. pag. 649. Aber auch bei wirklich gequetschten Wunden sollte man die Hoffnung auf erste Vereinigung nicht ganz sinken lassen. Sie gelingt oft zum Theil, weil einzelne Stellen weniger oder gar nicht gequetscht sind, — und auch die geringste Strecke, die man für Prima intentio rettet, ist viel werth. Stehen nur die gequetschten Ränder der ersten Vereinigung im Wege, so trägt man dieselben mit scharfen, glatten Schnitten ab und legt dann die Naht a n , — sofern sich erwarten lässt, dass durch den Substanzverlust nicht eine zu grosse Spannung entstehen werde, durch welche sonst die Vereinigung wieder gehindert werden würde. Dass unsere Empfehlung der Naht für leicht und nicht durchweg gequetschte Wunden
673
Gequetschte und gerissene Wunden.
keineswegs dazu führen soll, Wunden, in deren Tiefe sich voraussichtlich Wundsecret ansammeln wird, hermetisch zu schliessen, dass in solche vielmehr, wenn sie überhaupt noch Aussicht auf erste Vereinigung bieten, doch immer ein Abzugsrohr eingelegt und der ganze antiseptische Apparat zur Anwendung gebracht werden muss, ergiebt sich aus unseren früheren Erläuterungen (vgl. pag. 662). Beachtet man sorgfältig diese Vorschriften, so ist damit auch der Aufgabe Genüge geleistet, welche früher bei allen Quetschungen und Quetschwunden in den Vordergrund gestellt w u r d e : „die Entzündung zu überwachen". Uebernimmt man die Behandlung einer septischen oder auch nur " v i e l l e i c h t septischen" Quetschwunde, so muss dieselbe zunächst desinficirt, d. h. aseptisch gemacht werden, wozu — nach gründlicher Ausspülung mit fünfprocentiger Carbolsäure-Lösung —• besonders Irrigationen mit antiseptischen Flüssigkeiten (vgl. pag. 184 u. 196) zu empfehlen sind. Nach den oben gegebenen Erläuterungen ist es kaum nöthig, die unmittelbare Vereinigung noch für diejenigen g e r i s s e n e n W u n d e n besonders zu empfehlen, bei denen die Zerreissung e n t f e r n t v o n d e r S t e l l e , w o d i e G e w a l t e i n w i r k t e , stattgefunden hat. — Bei B i s s w u n d e n berücksichtige man den oft sehr lebhaften Schmerz; wird er durch Kälte nicht besänftigt, so gebe man alsbald Beruhigungsmittel. Wo ein grosser Substanzverlust stattgefunden hat, und die Wundränder sich nicht ohne Spannung zusammenziehen lassen, da kann an unmittelbare Vereinigung niemals gedacht werden. Der V e r b a n d d e r j e n i g e n W u n d e n , w e l c h e n u r d u r c h G r a n u l a t i o n g e h e i l t w e r d e n k ö n n e n , wurde in früheren Zeiten in sehr complicirter Weise hergestellt. Fast allgemein galt folgende Vorschrift.
Man legt auf den Grund der Wunde eine
mit Cerat bestrichene g e f e n s t e r t e C o m p r e s s e (besser noch die moderne
Gitter-
c h a r p i e ) und breitet auf dieser weiche Cbarpie a u s ; darüber legt man eine dickere Compresse und
halt das Ganze durch eine massig feste Binde, oder durch ein zu-
sammengelegtes Tuch fest.
Ist die Wunde klein, so legt man nur an die Ränder mit
Cerat bestrichene Leinwandstreifen und in den Grund unmittelbar Charpie, da hier der Eiter sich so bedeutend ansammelt, dass man ein Abreissen der Narbenanßtoge, was am Rande geschehen könnte, nicht zu befürchten hat.
Man kann auch zuerst in den
Grund der Wunde trockene Charpie legen und dann erst ein mit Cerat dick bestrichenes Stück Leinwand darüber ausbreiten.
Der erste Verband wird im Sommer erst nach
3 — 4 Tagen, im Winter erst nach 4 — 5 Tagen gewechselt.
Es ist zweckmässig zu
warten, bis die Eiterung
im vollen Gange i s t ; früher ist die Erneuerung des Ver-
bandes sehr schmerzhaft.
Das Vernachlässigen dieser Regel bat oft zur Folge,
dass
die Kranken klagen, der zweite Verband sei schmerzhafter gewesen, als die Verwundung oder die Operation selbst.
SpSterhin muss dann der Verband, j e nachdem die
B a r d e l e b e n , Chirurgie. 6. Aufl. I.
43
674
Verletzungen.
Eiterung reichlich i s t , täglich oder alle 2 — 3 Tage gewechselt werden. Charpie machte man ränder und
oft auch noch Umschläge, j e nach
ihrer Umgebung; namentlich
wurden
in
Deber die
dem Zustande der W u n d -
der ersten
Zeit nach
der Ver-
letzung oft Eisbeutel aufgelegt.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte war man fast allgemein zu der Ueberzeugung gekommen, dass in d e n m e i s t e n F ä l l e n e i n f a c h e W a s s e r u m s c h l ä g e (Fomentationen, Cataplasmen) u n d B ä d e r (vgl. pag. 180 u. f.) jede a n d e r w e i t i g e B e h a n d l u n g überflüssig m a c h e n . Nach unserer jetzigen Auffassung der Behandlung granulirender Flächen und Höhlen, werden wir grade bei solchen Wunden, welche nur durch Granulation heilen können und bei denen in der Regel auch nekrotisirende Processe und Abstossung abgestorbener Gewebe Platz greifen, vor Allem die strengste Anwendung der a n t i s e p t i s c h e n M e t h o d e als Regel zu empfehlen haben. Liesse sich diese nicht durchführen, so würde die o f f e n e W u n d b e h a n d l u n g immer noch mehr zu empfehlen sein, als irgend ein, das Wundsecret absperrender Verband. Vgl. pag. 50, pag. 189 u. f., pag. 280.
Viertes Capitel. Von den Stichwunden. Man versteht unter Stichwunden im Allgemeinen solche Wunden, die durch ein mehr oder weniger spitzes und nur mit seiner Spitze trennendes Werkzeug l ) beigebracht sind; aber es giebt eine unzählige Menge von Varietäten von der Verletzung durch eine Nähnadel bis zu der Verwundung durch einen zugespitzten Pfahl. Und doch ist ein grosser Unterschied zwischen der Verletzung durch die Nadel, welche die Gewebe fast nur von einander drängt, und der Wirkung des Pfahls, der sie zugleich bedeutend quetscht. Gewöhnlich wird die Verwundung durch einen Pfriem als Typus der Stichwunde angesehen; je dicker er ist, desto mehr ist die Wunde eine gequetschte. Viele Instrumente stechen und schneiden zugleich. Der Stich erfolgt also bald mit, bald ohne Quetschung. Im letzteren Falle ist die Wunde als eine reine zu betrachten, im ersteren schliesst sie sich wesentlich den gequetschten Wunden an. Eigeulbumlichkeiten der Stichwuude. Das stechende Werkzeug dringt in der Regel, wenn auch bald rechtwinklig gegen die Oberfläche des Körpers, bald schief, doch s t e t i g i n d e r s e l b e n R i c h t u n g weiter vor. Stichwunden sind daher v o r w i e g e n d t i e f e , ' ) Vgl. Note 1 auf pag. 6 4 8 .
675
Stichwunden.
c a n a l f ö r m i g e W u n d e n . Deshalb sind sie gefährlich, zumal wenn in der Gegend der Verletzung wichtige Theile liegen, in welche sie eindringen könnten, wie z. B. Adern, Eingeweide- oder Gelenk-Höhlen. Der Arzt kann mit einem stichweise eingeführten I n s t r u m e n t e in der Tiefe schneidend wirken; entspricht dann die Schnittwunde in der Tiefe nicht der oberflächlichen Stichwunde, so nennt man sie s u b c u t a n
(vgl. Tenotomie).
Vom K l a f f e n kann bei Stichwunden nur dann die Rede sein, wenn der verletzende Körper in der Wunde stecken blieb, oder sehr dick oder sehr breit war, wie etwa ein zweischneidiges Messer, ein Pfahl oder dergl. Früher hielt man Stichwunden allgemein für s e h r s c h m e r z h a f t ; gewöhnlich sind sie auch schmerzhafter, als Schnittwunden, jedoch nicht immer, und zwar um so weniger, je schärfer und dünner das verletzende Werkzeug war. Bei einem Degenstich quer durch die grösste Dicke des Schenkels können z. B. Schmerzen ganz fehlen. Die auffallend grosse Schmerzhaftigkeit mancher Stichwunden hängt gewiss nur selten von der unvollständigen Trennung eines Nerven ab, die man früher angeschuldigt hat; vielmehr ist sie besonders auffällig, wenn eine Aponeurose durchbohrt ist und deshalb die durch den Bluterguss und die alsbald nachfolgende Entzündung bedingte Geschwulst unter der verletzten Aponeurose (Fascie) eingeklemmt wird. Die B l u t u n g ist, wegen der gewöhnlich stattfindenden Quetschung, meist unbedeutender, als bei Schnittwunden, jedoch kommen wegen der erheblichen Tiefe, in welche Stichwunden oft eindringen, Verletzungen grösserer Gefässe relativ häufiger vor und dem entsprechend dann auch stärkere und oft recht gefährliche Blutungen. Die DiagUOSe einer Stichwunde kann insofern Schwierigkeiten haben, als es zuweilen unmöglich ist, ihre Tiefe und ihre Richtung zu bestimmen, selbst wenn man das verletzende Werkzeug vor sich hat und die Untersuchung mit der Sonde vornimmt. Die Anschwellung und die Lageveränderung der Muskelschichten machen das S o n d i r e n schmerzhaft und schwierig; ja es ist sogar gefährlich, sobald es sich um den Verdacht einer Verwundung der grossen Leibeshöhlen handelt. Jedenfalls muss es mit grosser Vorsicht, streng antiseptisch, mit einer relativ dicken Zinn-Sonde, noch besser, wo es irgend angeht, mit dem Finger, und in derselben Stellung, in welcher die Verletzung erfolgte — sofern diese sich ermitteln lässt, — vorgenommen werden. Prognose. Wenn auch früher die Gefahren der Stichwunden übertrieben worden sind, so hält man sie in neuerer Zeit doch oft für allzu unschuldig. Es ist richtig, dass das geringe Klaffen der
43*
676
Verletzungen.
Wunde die unmittelbare Vereinigung begünstigt und dass insbesondere die kleine Oeffnung in der Haut sich oft so schnell schliesst, dass die übrige Wunde zu einer subcutanen wird. Aber es darf anderer Seits nicht vergessen werden, dass bei diesen Wunden g e w ö h n l i c h Q u e t s c h u n g besteht, und dass die nur allzu häufig beträchtliche und schwer zu erkennende T i e f e derselben oft die grössten Gefahren herbeiführt; hat man doch z. B. unscheinbare Stichwunden der Augenlider bis in's Gehirn eindringen sehen. Behandlung. Vor Allem hat man daran zu denken, dass f r e m d e K ö r p e r in der Wunde sein können, deren Entfernung, wo möglich, sofort vorgenommen werden muss. Diese Aufgabe ist schwierig, wenn die fremden Körper ein geringes Volumen haben und sehr tief oder in einen Knochen eingekeilt sitzen. Es ist deshalb zuweilen besser, statt eine gewaltsame und deshalb gefährliche Entfernung vorzunehmen, lieber zu warten, bis die fremden Körper durch Eiterung etwas gelöst sind. Man vergesse aber nie, dass ihre Anwesenheit fort und fort als Entzündungsreiz wirkt. Dies ist ganz besonders der Fall, wenn sie selbst septisch wirken oder wenn Fäulnisskeime an ihnen haften. Deshalb muss denn auch nicht blos nach Entfernung der fremden Körper, sondern auch, wenn diese gar nicht gelingt, die Wunde sorgfältig desinficirt und ein antiseptischer Verband angelegt werden. Wo dieser nicht ausführbar ist, lässt man die Wunde am Besten offen. Vgl. pag. 662 u. f. Die früher ganz allgemein empfohlene D i l a t a t i o n der Stichwunden ist nur dann am Platze, wenn ein bestimmter Grund dafür vorliegt. Lässt sich die Blutung auf andere Weise nicht sicher stillen, ein fremder Körper, dessen Entfernung dringend erforderlich scheint, nicht anders fassen, ist der Schmerz allzu bedeutend, stellen sich Krämpfe ein, oder entwickelt sich aus der Tiefe eine pralle Entzündungsgeschwulst, dann m u s s dilatirt oder auch wohl eine Gegenöffnung angelegt werden. Ein früher mit vielen abergläubischen Zuthaten geübtes Mittel, das der Stichwunden,
wäre vielleicht nicht unzweckmässig,
zu v e r h ü t e n ; denn Blutgerinnsel
wirken später
n i e fremde Körper.
Hunde könnte man die Wunde durch Schröpfköpfe aussaugen. waren diesem Mittel zugethan; bestimmte Angaben aber in der neueren Litteratur n i c h t , sind kann gar keine Rede davon s e i n ,
Aussaugen
um Ansammlung von Blut Statt mit
dem
L a m o t t e und J . B e l l
über günstige Erfolge finden
mir auch sonst nicht bekannt.
sich
Natürlich
wenn die Blutung bedeutend und die Bildung eines
die GefässötTnung verschliessenden Blutgerinnsels daher wünschenswert!) ist.
Schusswunden.
677
Fünftes Capitel. Von den Schusswunden'). Die Gestalt des Geschosses und die Gewalt der treibenden Kraft, d. h. die Schnelligkeit seiner Bewegung, bedingen die e i g e n t ü m l i c h e n E r s c h e i n u n g e n , welche wir an den Schusswunden bemerken. Die Wunde ist mit einer schwarzen Schicht überzogen, die Blutung verhältnissmässig unbedeutend (obschon man die Wunde selten ganz J
) Für das Studium der Schusswunden yvulnera sclopetaria, plaies d'armes à feu, gunshot ivounds) sind aus der älteren Litteratur namentlich zu empfehlen: D. 1. L a r r e y , Mémoires de chirurgie militaire, Paris 1812, und Clinique chirurgicale exercée dans les camps et les hôpit. militaires depuis 1792 — 1829. Palis, 1829 u. f. — G u t h r i e , Gommentaries on the surgery of war. London, 1815. 6. Aug. 185S. — J. H e n n e n , Observations on military surgery. LondoD, 1818. - R o u x , Considérations cliniques sur les blessés etc. Paris 1830 (nach den Julitagen). — D u p u y t r e n , Traité théorique et pratique des blessures par armes de guerre, Paris, 1834, abgedruckt in den Leçons orales, T. V. et VI. Paris, 1839. — B a u d e n s , Clinique des plaies d'armes à feu. Paris, 1836. (Feldzug in Algier). — Discours de H. M. Roux, Blandin, Malgaigne etc. à l'Académie de médecine de Paris 1848 in den Comptes rendus 1848, geordnet und (unvollständig) übersetzt von W i e r e r . — B. B e c k , die Schusswunden, Heidelberg, 1850. (Feldzüge in Oberitalien, Baden, Schleswig, 1848 u. 49.) — B. L a n g e n b e c k , Bemerkungen zu J. H un t e r ' s Abhandlung von den Schusswunden, in d. neuen Ausgabe der deutschen Uebersetzung von „J. Hunter's Werke praktischen Inhalts" T. Brandiss. Berlin, 1849. — E s m a r c h , Ueber Resectionen nach Schusswunden. Kiel, 1851 (Schleswig-Holsteinische Feldzüge 1848—51). — G u s t a v S i m o n , Ueber Schusswunden. Glessen, 1851 (Erfahrungen im Darmstädter Lazareth. Zahlreiche Experimente. Theoretische Untersuchungen von allgemeinerer Bedeutung). — S t r o m e y e r , Maximen der Kriegsheilkunst. Hannover, 1855, zweite vermehrte u. illustrirte Auflage, ebenda, 1861. — S c r i v e , Relation médico-chirurgicale de la campagne d'Orient. Paris, 1857. — M a c l e o d , Notes on the surgery of the war in the Crimea, with remarks on the treatment of the ganshot nounds. London, 1858. — L ö f f l e r , Grundsätze und Regeln für die Behandlung der Schusswunden im Kriege. Berlin, 1859. — L e g o u e s t , La chirurgie militaire contemporaine, in d. Archives de médecine 1859. — H e r r n . D e m m e , Militär-chirurgische Studien in den Italiänischen Lazarethen von 1859. 2. Auflage, Würzburg, 1864. — P i r o g o f f , Grondzüge der allgemeinen Kriegschirurgie, Leipzig, 1864. — J. N e u d ö r f e r , Handbuch der Kriegschtrurgie, 1864. — H. F i s c h e r , Verletzungen durch Kriegswaffen (Allgemeine Kriegschirurgie) in v. Pitha u. Billroth, Handbuch, Bd. I. Abth. II. Heft 2. pag. 9 5 — 5 2 8 . Erlangen, 1867, (enthalt alle wichtigeren Litteraturangaben aus früherer Zelt). In Betreff der neuesten, sehr reichhaltigen Litteratur vgl. E. R i c h t e r , Allgemeine Chirurgie der Schussverletzungen im Kriege, Breslau, 1877, und die Referate von E. G u r l t , 1. d. Jahresber. v. V i r c h o w u. H i r s c h , 1871u. flg.
678
Verletzuogen.
trocken findet), der Schmerz drückend, der Kranke glaubt eine Last zu fühlen, oder hat die Empfindung, als habe ihn ein schwerer Körper getroffen, ohne ihn jedoch zu verwunden. Später entwickelt sich ein brennender Schmerz mit verschiedener Heftigkeit, je nach dem verletzten Theil und dem Gemüthszustande des Kranken. Zuweilen ist Anfangs gar kein Schmerz da, besonders wenn ein grosses Geschoss ein ganzes Glied fortgenommen hat. Der Kranke fällt z. B., wenn ihm ein Bein fortgerissen ist, nicht mit dem Bewusstsein, eine so schwere Verletzung erlitten zu haben, sondern meist in dem Glauben, er sei gestolpert, sein Fuss sei in einer Grube stecken geblieben u. dgl. m. Diese Unempflndlichkeit erstreckt sich zuweilen Uber den ganzen Körper; auch können sich Krämpfe oder doch Zittern hinzugesellen ( W u n d s t u p o r , S h o c k , vgl. Cap. VI.). Die Haut ist blass, oft von gelblicher Farbe, und zwar nicht blos auf Grund eines etwa stattgehabten Blutverlustes, sondern durch die mächtige Zusammenziehung der contractilen Elemente der Cutis (Phänomen der Gänsehaut). Die verschiedenen Grade der Contusion zeigen sich in der Regel an der Stelle der Verletzung. Die Haut kann, wegen ihrer Elasticität, an der getroffenen Stelle unversehrt bleiben, während die darunter liegenden Gewebe zermalmt sind. Gewöhnlich ist die Anschwellung bedeutend, und zwar von zweierlei Art: entweder teigig, unempfindlich, kalt und wenig gefärbt, oder aber gespannt und schmerzhaft. Die erste Art der Geschwulst beruht auf der Stockung der Flüssigkeiten, die durch eine Art von Lähmung der mächtig erschütterten Gewebe bedingt ist (acutes Oedem). Die zweite Art beruht auf der, in Folge der heftigen Reizung, beginnenden Entzündung. In anderen Fällen dagegen erscheint das Volumen des Theils vermindert (collabirt). Alsdann besteht bereits vollkommene Unterbrechung der Blutbewegung; solche Theile sterben sicher ab.
Natar der Schassrerielzangen im Allgemeinen. Die absurdesten Theorien sind zur Erklärung der eigenthümlichen Erscheinungen der Schussverletzungen aufgestellt worden. Die schwarze F a r b e der Wunde leitete man von einer V e r b r e n n u n g oder von einem G i f t a b , welches auch an den erwähnten Störungen im Bereich des Nervensystems die Schuld tragen sollte 1 ). Die bedeutenden Zerstörungen ohne Verletzung der Haut sollten von der L u f t v e r d ü n n u n g h e r r ü h r e n , die durch ein vorüberfliegendes Geschoss bewirkt werde; man erfand für diese Art der Verletzung den Namen: L u f t >) J. d e V i g o , Buch III. Abtb. 2 . Cap. 3 seiner Chirurgie ( 1 5 1 4 ) , bebandelt noch ausführlich die Q u e t s c h u n g ,
die V e r b r e n n u n g
die Complicationen der S c b u s s n u n d e n .
und die V e r g i f t u n g
als
Scbusswunden.
679
s t r e i f s c h u s s ' ) . Auf solche Weise sollte auch die Asphyxie beim Vorilberfliegen einer Kugel vor dem Munde erklärt werden. Wo diese Erklärungen nicht ausreichten, wurde die E l e c t r i c i t ä t zu Hülfe gerufen. Heut zu Tage wissen wir, dass die schwarze Farbe der Wunde, abgesehen davon, dass zuweilen, wie auch bei Pulver-Explosionen *), unverbrannte Pulverkörner in die Haut eingetrieben und gar nicht selten dünne Bleischichten von der Kugel abgestreift werden, — von der Mortification der Gewebe abhängt, welche grössten Theils aus der mechanischen Gewalt, zum Theil aber auch aus der hohen Temperatur, in welche die Kugel beim Aufschlagen versetzt wird, zu erklären ist 3 ). Die Störungen im Nervensystem finden ihre natürliche Erklärung in der örtlichen oder allgemeinen Erschütterung desselben. Bedeutende Zerstörungen der tiefer gelegenen Theile ohne Hautwunde kommen auch bei anderen Quetschungen vor; wie wenig aber die vorüberstreifende Kugel schadet, das sieht man deutlich bei Solchen, denen sie die Nase oder das Ohr oder die Schulter weggerissen hat, ohne sonst irgend einen Schaden anzurichten. Was die Electricität betrifft, welche die Kugel durch ihre Reibung in der Kanone erhalten sollte, so darf man nicht vergessen, dass die Metalle zu gute Leiter sind, um durch Reibung dauerhaft electrisch zu werden. Wir haben, wie bereits Eingangs erwähnt wurde, die Eigenthümlichkeiten der Schussverletzungen nur aus der G e s t a l t d e s G e s c h o s s e s und d e r A r t s e i n e r B e w e g u n g zu erklären. Als ein stumpfer, meist abgerundeter Körper würde das Geschoss nur Quetschungen verschiedenen Grades bewirken können, wenn es nicht durch die G e s c h w i n d i g k e i t , mit welcher es sich bewegt, zu Trennungen befähigt würde, wie sie bei anderen Verletzungen fast niemals vorkommen. Die getroffenen Theile werden nämlich, wenn die Kugel mit grösster Geschwindigkeit auftrifft, nicht gequetscht, sondern z e r m a l m t (vgl. pag. 6 6 4 ) ; eine Wunde mit Substanzverlust entsteht, indem die zermalmte Substanz vor der Kugel hergetrieben wird, und die Ränder und Umgebungen dieser Wunde sind, je nachdem ihnen die Bewegung des Geschosses mehr oder weniger mitgetheilt wurde, ') H. D e m m e (1. c. pag. 10) musste noch 1859 in Mailand von „contusione per corrente 2
d'aria"
und „vent de boulet"
alles Ernstes reden hören.
) Die Verletzungen durch P u l v e r - E x p l o s i o n e n gehören eigentlich nicht zu den Scbusswunden.
Es handelt sich dabei: 1) um Verbrennungen, 2 ) um mecha-
nische Verletzungen, die dadurch zu Stande kommen, dass a) der Verletzte selbst fortgeschleudert wird, oder b) anderweitige Gegenstände gegen den Körper des Verletzten geschleudert werden. (
) Vgl. A. S o c i n , Kriegschirurgische Erfahrungen etc. Leipzig. 1872.
680
Verletzungen.
in verschiedenem Grade gequetscht und erschüttert. Die Quetschung kann dabei verschwindend gering sein, wenn eine Kugel mit grösster Schnelligkeit (aus nächster Nähe, aus gezogenem Lauf, mit voller Ladung) einen wenig Widerstand leistenden Theil trifft. Dies sind jedoch seltene Ausnahmen; gewöhnlich ist die Quetschung in der Umgebung des zermalmten Theils deutlich. Hieraus erklärt sich auch die relativ geringe Blutung, da gequetschte und zerrissene Gefässe zur spontanen Stillung der Blutung, aus Gründen, die wir bei den Krankheiten der Arterien (Bd. II.) genauer erläutern werden, besonders geeignet sind'). Die b e w e g e n d e K r a f t aller jetzt gebräuchlichen Geschosse ist die Explosion des im Rohr des Geschützes oder Gewehrs eingeschlossenen Schiesspulvers, seltener der Schiessbaumwolle. Die Gase, welche sich beim Entzünden des Schiesspulvers plötzlich entwickeln, nehmen einen 450mal grösseren Raum ein, als die angewandte Pulvermasse. Die zugleich entstehende Erhitzung steigert aber die Ausdehnung der Gase in dem Grade, dass man, nach D u p u y t r e n , den Druck, durch welchen die Kugel getrieben wird, auf 40000 Atmosphären veranschlagen kann. Die furchtbare Wirkung der Geschosse mag in manchen Fällen noch dadurch gesteigert werden, dass sie während ihres ungemein schnellen Fluges vorwärts sich häufig auch d r e h e n . Dies ist besonders deutlich, wenn sie anfangen matt zu werden. Wenn sie dann auf der Erde laufen, wollen unerfahrene Soldaten sie oft scherzend mit den Händen oder Füssen aufhalten, — was, wie D u p u y t r e n erzählt, gewöhnlich zur Folge hat, dass sie, emporspringend, verderbliche Quetschungen anrichten. — Diese m a t t e n K u g e l n , auch diejenigen, deren Bewegung durch den Widerstand, den sie im Körper gefunden haben, gehemmt worden ist, werden leicht von ihrem ursprünglichen Wege a b g e l e n k t . Die Abweichung der Kugel von der geraden Linie kann aber auch von schlechter Ladung herrühren, durch welche die Kugel, statt in der Achse des Rohres, in schiefer Richtung den treibenden Stoss erhielt. Ausserdem dringt die Kugel nicht immer rechtwinklig gegen die Körperoberfläche ein und findet in den an Festigkeit und Elasticität verschiedenen Geweben einen mehr oder weniger grossen Widerstand. Auf diese Weise geschieht es, dass eine Kugel, die auf der rechten Seite des Halses eindringt, um das Zungenbein unter der Haut einen Bogen ' ) Das grossartigste Beispiel hierfür liefert D e m m e (1. c. pag. 37) durch die Mlttheilang der anatomischen Untersuchung eines „ ' / , — 2 Linien grossen" Einrisses In der vorderen Wand der Aorta descendens, welcher erst nach einem Monat durch secundäre Blutung den Tod herbeiführte.
681
Schusswunden.
beschreiben und auf der linken wieder zum Vorschein kommen kann, als wäre sie gerade hindurchgegangen, oder dass eine andere am vorderen Ende einer Rippe eindringt, und, statt gerade durch den Thorax zu gehen, der Krümmung der Rippe folgt, um neben der Wirbelsäule wieder zum Vorschein zu kommen. Viele dieser gewöhnlich als „ C o n t o u r - S c h ü s s e " d e r K u g e l lassen eine andere Erklärung zu.
bezeichneten
der Verletzung in einer anderen Körperstellung,
als zur Zeit der Untersuchung;
die Kugel wurde abgelenkt, sondern der Schusscaoal wurde verschoben. Stellung, durch
die
also
Ablenkungen
Der Verletzte befand sich im Augenblick
bei stark gebeugtem Kniegelenk,
nicht
In hockender
erhielt der Mann einen Schuss quer
oberflächlichen Weichtheile der Kniekehle; bei gestrecktem Knie sieht
a u s , als hätte die Kugel auf den einen Condylus aufgeschlagen und d a n n , die Kniekehle umkreist —
es
abgelenkt,
„contourirt".
Andere A b w e i c h u n g e n der Kugel sind consecutiv; sie werden durch Muskelbewegungen (Lageveränderung) bedingt, oder durch die Eiterung, welche die vorher eingeklemmte Kugel frei macht. Man nennt sie besser O r t s v e r ä n d e r u n g e n der Kugeln. Verschiedenheiten der Schusswanden j e nach den Geschossen')• Wir unterscheiden: A. die eigentlichen Geschosse, und zwar 1) Schrot, 2) Flinten-, Büchsen- und Pistolen-Kugeln, 3) Kanonenkugeln, 4) Splitter von zerplatzten Hohlkugeln. B. I n d i r e c t e Geschosse, d. h. solche Körper, die durch erstere, also indirect, in Bewegung gesetzt werden, wie Tornister, Stücke Holz, Steine, Knöpfe, Bayonnet- und Degen-Spitzen u. dgl. 1. Schrot kommt in sehr verschiedener Grösse der einzelnen Körner (von dem feinsten Vogeldunst bis zu den die Grösse einer Erbse überschreitenden Rehposten) und in verschiedener Masse zur Anwendung. Hieraus erklären sich zahlreiche Verschiedenheiten der Wirkung. Aber auch grosse Schrotkörner machen zuweilen unbedeutende und kaum eiternde Wunden, welche manchmal sogar durch unmittelbare Vereinigung heilen, wenn der Verletzte sich in grösserer Entfernung befand und die Schrote demnach vor dem Eindringen stark auseinander schlugen. Auf gehörige Schussweite dagegen ist die Verletzung durch eine Ladung Schrot wegen der Unregelmässigkeit der Wunde oft schlimmer, als die durch eine Flintenkugel. Dringt die ganze Schrotladung auch vielleicht durch eine rundliche Oeffnung ein, was namentlich, wenn ') Statt von „ G e s c h o s s e n * von
,Projectilen"
zu r e d e n , ist wohl u m so weniger
gerechtfertigt, als dies französische Wort nicht einmal den Vorzug der Kürze h a t , wie etwa
balle
für F l i n t e n k u g e l
und
boulel
für
Kanonenkugel.
682
Verletzungen.
der getroffene Körpertheil sich unmittelbar vor dem Gewehrlaufe befand, wohl möglich ist, so vertheilen sich doch die einzelnen Schrotkörner gleich darauf nach den verschiedensten Seiten hin, so dass einzelne oft sogar rechtwinklig von ihrer ursprünglichen Bahn abweichen. Diese Ablenkung der Schrote kann, namentlich in der Nähe edler Organe, von überwiegendem Vortheil sein, im Vergleich zu einer unter gleichen Verhältnissen eingedrungenen und nicht so leicht abzulenkenden Flintenkugel; aber in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich bei Schrotschüssen doch um sehr beträchtliche und unregelmässige Zerreissungen der Weichtheile, denen um so mehr langwierige Entzündungen, Neuralgieen und nachträgliche Blutungen, auch wohl Pulsadergeschwülste folgen können, als selbst bei grösster Sorgfalt ein Theil der Schrotkörner oft nicht aufgefunden und noch viel weniger ausgezogen werden kann. Allerdings sieht man solche ganz gewöhnlich einheilen, sogar mitunter in Gelenken; aber es fehlt auch nicht an Beispielen von spät erst auftretenden Knochenentzündungen und Verschwärungen der Gefässe mit ihren weiteren Folgen. Sind die Schrote durch einen Theil ohne Verletzung edlerer Organe ganz hindurchgegangen, so heilen die Ausgangsöffnungen oft per primam intentionem. — Gehacktes Blei, Nägel u. dgl. wirken schlimmer als Schrot, indem sie immer noch bedeutendere und unregelmässigere Zerreissungen bedingen und heftigere Entzündung hervorrufen.
II. F l i n t e n - , B ü c h s e n - und P i s t o l e n - K u g e l n stimmen zwar darin mit einander überein, dass sie (mit seltenen Ausnahmen) aus B l e i gegossen, grösser als Schrotkörner und kleiner als Kanonenkugeln sind, bieten aber in Betreff der G e s t a l t und G r ö s s e erhebliche Verschiedenheiten dar. Was die ersteren betrifft, so ist man in fast allen Kriegsheeren von der ursprünglichen Kugelgestalt ganz abgegangen. Die jetzt üblichen „ c y l i n d r o - c o n i s c h e n " oder „ S p i t z - K u g e l n " haben im Allgemeinen eine mehr eicheiförmige Gestalt, die jedoch in verschiedenen Heeren mancherlei Abänderungen erfahren hat. Fig. 1 4 4 .
von besonderem Belang war für die mit einem Ladestock (von Vorn) geladenen Gewehre das ( 1 8 5 9 bei Infanterie balle
eingeführte)
cytindro-conique
€vid€e,
der Kugel entsprach.
von den
Hohlgeschoss ,
welches eine Aushöhlung von der Ge-
stalt einer dreiseitigen Pyramide enthielt, Ende
der Französischen Linien-
cy I i n d r o - c o n i s c h e
deren Basis dem hinteren
(Vgl. Fig. 1 4 4 . )
explodirenden Gasen erheblich gedehnt,
Diese
Höhle
wurde
wodurch dann die
Kugel selbst einen grösseren Umfang bekam und in die »Züge" des Gewehrlaufs eingepresst wurde.
Die Wirkung der explodirenden Gase
683
Schusswunden.
sollte in dem Augenblicke des Austritts der Kugel aus dem Lauf sogar eine Umbiegung des binteren,
ausgehöhlten Theils
der Kugel, nach Art einer H u t k r ä m p e ,
bewirken.
Muss dieser letztere Vorgang auch bezweifelt werden, so steht doch anderer Seits fest, dass diese Hohlkugeln viel leichter als andere beim Aufschlagen ihre Form in
höchst
unregelmässiger Weise verändern
Stücke
und o f t ,
namentlich
an
Knochen,
in viele
sich tbeilen.
Für die G r ö s s e der Kugeln ist bei der wechselnden Form das Gewicht der beste Maassstab. Dasselbe beträgt bei Pistolenkugeln 20 bis 30 Grammen, bei Flintenkugeln erhob es sich früher bis 45, bei Büchsenkugeln bis über 50 Grammen. Diese schwerste Art der Kugeln führten früher die Französischen Jäger und Zuaven. Die Geschosse der Mitrailleusen (Kugelspritzen) wiegen über 60, die des Chassepot-Gewehrs nur 2 2 ' / , Grammen. Das Deutsche Heer führt „cylindro-ogivale" Geschosse von 25 Grammen Gewicht. Vgl. Z e c b m e i s t e r , Heere,
München,
1864,
die Schusswunden
und
die
gegenwärtige Bewaffnung der
mit 2 Taf.; wo jedoch die preussischen und die dänischen
Geschosse fehlen, welche G u r l t in der Berliner klin. Wochenschrift, 1 8 6 4 , genau beschrieben UDd abgebildet hat.
Vgl. auch H. F i s c h e r , pag. 1 0 0 n. f. — Nachdem das
preussische Hinterladungsgewehr sich ( 1 8 6 4 und 1 8 6 6 ) glänzend bewährt h a t t e , alle Heere mit ähnlichen Schusswaffen versehen treiben
worden
der Kugel in die Züge des Laufs b e r e c h n e t e n ,
und somit
sind
die
auf das Ein-
zum Theil sehr
wunderlichen
Formverscbiedenheiten der Geschosse in Vergessenheit gerathen.
Die Wirkungen der F l i n t e n k u g e l n , welche wir als Typus für die in Rede stehenden kleinen Geschosse betrachten, sind im Allgemeinen folgende: 1) Prellschüsse, 2) Wunden mit Substanzverlust, und zwar a) Streifschüsse, b) Schusscanäle (bald blind, bald vollständig durchbohrend), 3) Amputationen ganzer Körpertheile. 1) P r e l l s c h ü s s e , d. h. C o n t u s i o n e n o h n e H a u t w u n d e entstehen theils wegen schiefer Richtung, theils wegen relativ zu geringer Kraft (Schnelligkeit) der Kugel. Die verschiedenen Grade der Quetschung (vgl. pag. 666) zeigen sich, je nach der Gewalt, mit welcher die Kugel einwirkte. 2) W u n d e n mit Substanzverlust, — von verschiedener Form, je nachdem die Kugel mehr s c h i e f oder r e c h t w i n k l i g auf die Körperoberfläche aufgeschlagen hat. a) Im ersteren Falle bildet die Schusswunde einen Halbcanal von mehr oder weniger Tiefe, — S t r e i f s c h u s s . b) Trifft die Kugel dagegen ganz oder doch nahezu r e c h t w i n k l i g auf, so bohrt sie einen C a n a l und bleibt a ) entweder im Fleisch stecken, — b l i n d e r c a n a l , oder
Schuss-
ß) sie geht durch den getroffenen Theil ganz hindurch, — vollständiger Schusscanal.
684
Verletzungen.
Der v o l l s t ä n d i g e S c h u s s c a n a l besitzt also z w e i O e f f n u n g e n , und diese haben, namentlich in der ersten Zeit nach der Verwundung ein verschiedenes Aussehen. Die E i n t r i t t s - oder E i n g a n g s - O e f f n u n g ist regelmässiger, stärker gequetscht, und ihre Ränder sind nach Innen gerichtet, die A u s t r i t t s - O e f f n u n g ist unregelmässiger, stärker zerrissen, und ihre Ränder sind nach Aussen gerichtet. Dies Verhalten sollte, nach der früheren Annahme, aus der Verschiedenheit der Kraft des Geschosses und des Widerstandes der Gewebe erklärt werden. Bei ihrem Eintritt ist, nach dieser Auffassung, die Kugel noch in voller Kraft, die unter der Haut liegenden Gewebe leisten Widerstand nach Art eines Stützpunktes für die Haut; die Kugel zerschmettert daher die Tbeile und macht eine Wunde mit Substanzverlust. Je mehr sie aber vordringt, desto mehr verlangsamt sich ihre Bewegung, sie drängt die Gewebe auseinander und zerreisst sie, bis sie endlich wieder zur Haut gelangt, diese vor sich hertreibt und in Lappen spaltet; die Austrittsöffnung ist daher eine gerissene Wunde. Diese Erklärung enthält aber nur einen Theil der Wahrheit. Das Wesentliche ist das Verhalten der Haut, welche beim Eindringen der Kugel gegen die unter ihr liegenden Gewebe gequetscht, beim Austritt derselben bis a u f s Aeusserste gedehnt, mithin schliesslich zerrissen wird. B. v. L a n g e n b e c k 1 ) hat diese Verhältnisse zuerst klar erläutert. „Bei massiger „Länge des Schusscanals ist der Eingang eine gequetschte, der Aus„gang eine gerissene Wunde. Dies rührt nicht von der verminderten „Schnelligkeit der Kugel her; d e n n , w e n n b e i d e S c h e n k e l d u r c h s c h o s s e n w u r d e n , so v e r h ä l t es s i c h am z w e i t e n e b e n s o „wie am e r s t e n . Der Grund ist der verschiedenartige Widerstand „der Theile und die verschiedenartige Trennung. Am Eingang hat „die Kugel den Widerstand der Haut und der unterliegenden Weich„theile zu überwinden; der der ersteren ist bedeutender, daher werden „die übrigen Weicbtheile gequetscht. Am Ausgang sind alle Theile „überwunden bis auf die Haut, es ist kein Grund zur Quetschung, „nur noch zum Reissen." Es können aber auch besondere Verhältnisse sowohl des Geschosses, als auch des verletzten Theils auf Form und Grösse der Oeffnungen Einfluss ausüben. Bei grösster Schnelligkeit der Kugel (wenn mit voller Ladung aus nächster Nähe geschossen wurde) sind beide Oeffnungen gleich gross und gleich regelmässig. Eine platt') Bemerkungen zu J . H u n t e r ' s Abband), v. d. Scbusswunden, in d. neuen Ausg. d. Deutschen Uebersetzung von „ J o h n H u n t e r ' s sämmtl. Werken prakt. I n h a l t s " v. B r a n d i s s .
Berlin 1 8 4 9 .
Schasswnnden.
685
gedrückte Kugel kann mit ihrem grössten Durchmesser eindringen und mit dem kleinsten austreten; alsdann ist die Eintrittsöffnung die grössere von beiden. Wird eine Kugel während sie einen Körpertheil durchdringt, platt gedruckt, so ist die Austrittsöffnung bei Weitem die grössere, wenn die Kugel nicht etwa mit der schmalen Kante voraus ihren Weg fortgesetzt hat. Theilt sich eine Kugel, während sie ihren Canal bohrt, so findet man, wenn nur e i n Stück durchschlägt, eine relativ kleine, andern Falls aber zwei oder noch mehr kleine Ausgangsöffnungen. Die Zahl der letzteren kann auch durch fortgerissene fremde Körper und hindurchgetriebene Knochensplitter vermehrt werden. War die Haut an der Stelle der Austrittsöffnung sehr elastisch und wurde daher erst, nachdem sie bedeutend ausgedehnt worden war, von der Kugel zerrissen, so kann durch die nachfolgende Zusammenziehung der elastischen Haut die Austrittsöffnung später viel kleiner, als die Eintrittsöffnung erscheinen. Der S c h u s s c a n a l bietet oft unregelmässige A u s b u c h t u n g e n d a r , welche bald von der Beschaffenheit des Geschosses, bald von der verschiedenen Consistenz der Weichtheile, vor Allem aber von der nachträglichen Verschiebung der Muskeln des durchschossenen Theiles herrühren. B l i n d e S c h u s s c a n ä l e haben einige Aehnlichkeit mit Stichwunden, nur mit dem Unterschiede, dass sie in der Tiefe weiter sind, als am Eingange. Gewöhnlich kann man aus der Abwesenheit einer zweiten Oeffnung schliessen, dass die Kugel stecken geblieben ist, und bei Anwesenheit zweier Oeffnungen annehmen, dass kein fremder Körper in der Wunde steckt. Aber es kann sich auch anders verhalten. Die Kugel kann einen Theil der Kleidungsstücke vor sich hergetrieben haben und, indem diese aus der Wunde herausgezogen wurden, mit denselben entfernt worden sein, so dass m a n , obgleich nur e i n e Oeffnung vorhanden ist, doch keine Kugel in der Wunde findet. Auch können Muskelbewegungen und Lageveränderungen sie heraustreiben, wenn sie nicht tief sitzt. Anderer Seits kann die Wunde auch zwei Oeffnungen haben und doch noch einen fremden Körper enthalten. Wenn der Schuss zwei Kugeln enthielt, so geht zuweilen nur eine hindurch; es können sogar beide Kugeln im Schusscanale stecken bleiben, wie z. B. B e c k 1 ) in Freiburg beobachtete. Auch kann sich eine Kugel, wie erwähnt, an einem Knochen oder dgl. in zwei und mehr Stücke spalten, von denen nur eins hindurchgeht. Ausserdem bleiben Stücke der Kleidung, wohin auch Knöpfe, sowie Uhrschlüssel und Geldstücke zu rechnen sind, nicht selten in Schuss' ) B e c k , Die Schusswunden (1850), pag. 47.
686
Verletzungen.
wunden zurück. Endlich muss man die Knochensplitter und die zermalmten Gewebe gleichfalls als fremde Körper ansehen. Berücksichtigt man letztere, so ist eigentlich fast jede Schusswunde des Skelets mit fremden Körpern complicirt. 3) Auch eine Art von A m p u t a t i o n kann durch Flintenkugeln geschehen, wenn sie mit grosser Schnelligkeit auf Theile auftreffen, deren Durchmesser geringer ist, als ihr eigener, wie z. B. ein Finger, die Nasenspitze, ein Ohrläppchen. Diese Wunden sind in der Regel rein und heilen schnell unter einem Schorf. Die v e r s c h i e d e n a r t i g e W i r k u n g der Kugel beruht, nach B. v. L a n g e n b e c k ' ) , auf mehreren Causalmomenten, und zwar: 1) der Schnelligkeit derselben; 2) dem Winkel, unter welchem sie eindringt; 3) der Spannung oder Erschlaffung der Gewebe, wobei besonders die Stellung von Einfluss ist; 4) dem Kaliber und der Form der Kugel. Mit Recht erklärte v. L a n g e n b e c k die besonders von D u p u y t r e n 5 ) und B a u d e n s 3 ) aufgestellte Lehre, „dass die erschütternde und zerstörende Wirkung der Kugel auf sehr stark Widerstand leistende Gewebe, z. B. Knochen, in geradem Verhältniss zu ihrer Schnelligkeit stehe, diejenige auf weiche und wenig Widerstand leistende dagegen sich umgekehrt zur Schnelligkeit der Kugel verhalte", für irrig. So allgemeine Aussprüche sind überhaupt unzulässig, da die Bedeutung der Verletzung vor Allem von ihrer Ausdehnung und ihren Complicationen abhängt. Dagegen lassen sich in Betreff der Verschiedenheiten der Schusswunden folgende Sätze aufstellen. 1. Die Zermalmung der von der Kugel direct getroffenen Gewebe ist um so vollständiger, je kräftiger die Kugel w a r , d. h. je schneller sie sich bewegte. 2. Die Schusswunde ist um so einfacher, je schwächer die Bewegung der Kugel ist, und je mehr sie unter stumpfem Winkel auftrifft. D u p u y t r e n ' s Satz, dass die Wirkung der Kugel auf den Knochen in geradem Verhältniss zu ihrer Schnelligkeit stehe, ist dahin abzuändern, dass Knochenverletzungen desto häufiger sind, je grösser die Kraft (Schnelligkeit) der Kugel war. — Kräftige Kugeln gehen gerade d u r c h ; die Kraft schwächerer wird an einem Knochen ganz ') 1. c., Bemerkung zu Seite 8 8 4 . a
) Leçons orales de clinique chirurgicale, deuxième édition, Paris, 1 8 3 9 , Tom. V.
3
) Clinique des plaies d'armes à feu, 1 8 3 6 , pag. 1 5 u. f.
687
Schusswunden.
gebrochen, -wenn sie unter rechtem Winkel aufschlagen; sie wird abgelenkt, wenn ihr Eintrittswinkel kein rechter war. Den minder kräftigen Kugeln weichen alle stark elastischen Theile aus. — Je grösser die Nähe, aus der gekämpft wird, desto grösser die Zahl der unmittelbar tödtlichen Schusswunden und der Knochenverletzungen. 3. Die Verletzung ist um so reiner, je schneller die Kugel eindringt und je mehr sie die Theile unter einem rechten Winkel trifft. Schlägt eine Kugel mit voller Kraft und unter rechtem Winkel auf, so ist ihre Wirkung verschieden, je nach dem Widerstand der Theile. An einem Knochen z. B. kann sie platt gedrückt, oder wenn sie gegen einen scharfen Knochenrand anschlägt, zerschnitten werden. Trifft eine solche Kugel auf einen festen, jedoch porösen Körper, z. B. einen spongiösen Knochen, so treibt sie wie ein Keil einen Schusscanal durch denselben, welcher enger ist, als ihr Durchmesser; Splitterung findet sich nur an der Ausgangsöffnung. Ein glasartig brüchiger Knochen wird von einer solchen Kugel mit einem kreisrunden Loch durchbohrt. Trifft sie unter stumpfem Winkel auf einen harten Knochen, so wird eine sehr kräftige Kugel in viele Stücke zersplittert. Unter gleichen Verhältnissen wird ein glasartig brüchiger Knochen in viele Fragmente zerschmettert. Je matter die Kugel und je stumpfer der Eintrittswinkel, desto bedeutender ist die Zersplitterung harter Knochen. Hierbei ist jedoch auch die Grösse und das Gewicht der Kugel in Anschlag zu bringen, da der Umfang der Verletzung in sehr rascher Progression mit diesen beiden Factoren wächst. Am Z e r s t ö r e n d s t e n w i r k e n , n a c h v. L a n g e n b e c k , kugeln,
weil sie s c h w e r e r s i n d ,
v e r h ä l t n i s s m ä s s i g die
als a n d e r e F l i n t e n k u g e l n ,
dringen i h r e r S p i t z e i m m e r m a t t w e r d e n . —
und
weil
Spitz-
sie b e i m
Bei den f r a n z ö s i s c h e n
Ein-
Hohlkugeln
k a m a u s s e r d e m n o c h die pag. 6 8 2 u. f. e r w ä h n t e A b ä n d e r u n g i h r e r G e s t a l t u n d die h ä u f i g e Z e r s p r e n g u n g in zackige S t ü c k e als n a c h t h e i l i g e s M o m e n t in B e t r a c h t . — (Handbuch
der
Chirurgie
pag. 7 7 9 )
widerspricht
der Ansiebt,
dass
Stromeyer
die
Spitzkugeln
g r ö s s e r e Z e r s c h m e t t e r u n g d e r K n o c h e n h e r v o r b r ä c h t e n , u n d stellt sie den r u n d e n F l i n t e n kugeln in i h r e r W i r k u n g g a n z gleich. sie m a c h t e n
in K l e i d u n g s s t ü c k e n
A u c h weist er n a c h , d a s s die p o p u l ä r e Meinung,
T-förmige L ö c h e r ,
(I. c. pag. 3 2 ) m e i n t , die S p i t z k u g e l n
unbegründet
ist.
—
o h n e S p l i t t e r u n g , w i c h e n h ä u f i g e r den k n ö c h e r n e n P a r t h i e n a u s u n d w ü r d e n leichter a b g e l e n k t . —
Die W u n d e n d e r J a h r e 1 8 6 4 u n d
Spitzkugel vor d e m p r e u s s i s c h e n
B.
Beck
b o h r t e n s i c h h ä u f i g e r eine regelmässige O e f f n u n g 1866
überhaupt
h a b e n gezeigt, d a s s die
Langblei mindestens nichts voraus
hatte.
Die Kugeln der K a r t ä t s c h e n und S h r a p n e l s stimmen in ihrer Wirkung wesentlich mit den Flintenkugeln überein; nur sind alle durch sie veranlassten Verletzungen, ihrer bedeutenderen Grösse ent' ) D i e s e r S a t z s t e h t w ö r t l i c h b e r e i t s bei J. H u n t e r
( W o r k s , ed. b. P a l m e r , Vol. I I I .
pag. 5 4 5 ) : „ t h e g r e a t e r t h e velocity of t h e ball, t h e c l e a n e r it w o u n d s t h e p a r t s ; so m u c h ao a s a l m o s t t o b e s i m i l a r
to a cut
with
a sharp
instrumenta
688
Verletzungen.
sprechend, beträchtlicher; die Schusscanäle sind weiter, die Brandschorfe dicker, die Erschütterung heftiger. III. K a n o n e n k u g e l n , g r o b e s G e s c h o s s , V o l l k u g e l n '). 1) Q u e t s c h u n g e n (Prellschüsse) kommen durch grobes Geschoss viel häufiger und in sehr viel grösserem Maassstabe vor, als durch Gewehrkugeln; sie entstehen, wenn die Kugel bereits matt ist, sehr schief aufschlägt, und beinahe ebenso viel durch ihr Gewicht wirkt, als durch die geringe Bewegung, in der sie sich noch befindet (sog. L u f t s t r e i f s c h ü s s e , pag. 679). Trifft sie alsdann auf eine Extremität, so können bei unversehrter Haut alle inneren Theile derselben zermalmt werden. In der ersten Zeit kann die Diagnose in solchen Fällen schwierig sein, weil die von Blutergüssen durchsetzten Gewebe Anfangs noch sehr resistent sind. D e l p e c h erwähnt einen Fall der Art, wo man nach dem Tode einen vorher nicht vermutheten Knochenbruch vorfand. In Folge dieser gewaltigen Contusionen entsteht alsbald eine bedeutende Anschwellung und daher in den unter fibrösen Häuten gelegenen Theilen eine beträchtliche Einklemmung durch letztere, so dass es nothwendig ist, möglichst schnell einzugreifen. Die Verwüstungen, welche bei dem Anschlagen solcher Kugeln auf den Thorax oder Bauch entstehen, sind wahrhaft unglaublich: Zerquetschung der Lungen, Zerreissung der Leber u. s. w. Man bekommt eine klare Vorstellung davon nur durch die Section, zu welcher die Gelegenheit in allen diesen Fällen leider durchweg häufig ist. Hier fällt natürlich die sonst gerühmte Unschädlichkeit subcutaner Verletzungen ganz fort. 2) Die durch Kanonenkugeln veranlassten o f f e n e n W u n d e n bieten nicht so viele Verschiedenheiten d a r , wie die durch Flintenkugeln entstandenen. Sie sind weit, sehr stark gequetscht und meist mit bedeutendem Substanzverlust verbunden. Manchmal werden grosse Fleischlappen, ein ganzes Glied, sogar mehrere Glieder fortgerissen; sie machen, da der Durchmesser der Kugel oft grösser ist, als derjenige des getroffenen Körpertheils, viel häufiger A m p u t a t i o n e n , als die Flintenkugeln. Einklemmung ist weniger häufig, desto gewöhnlicher mächtige Erschütterung des ganzen Körpers. Nach der Abstossung des Brandschorfs sind diese grossen Wunden sehr empfänglich für alle äusseren Einflüsse, insbesondere für die Kälte; dies ist eine der Ursachen der Häufigkeit des Wundstarrkrampfes nach solchen Verletzungen. ') H o h l k u g e l n
(Bomben a n d Granaten)
verhalten
sie geplatzt (crepirt) sind, ganz wie Vollkugeln.
s i c h , n e n n sie treffen, bevor
689
SchusswuDdefi.
Kanonenkugeln bleiben sehr seilen in der Wunde stecken. L a r r e y erzählt, dass er bei einer Amputation eine f ü n f p f ü n d i g e Kanonenkugel im Oberschenkel gefunden habe. D u p u y t r e n soll eine n e u n p f ü n d i g e Kugel in der Tiefe des Schenkels entdeckt haben, welche vorher von dem behandelnden Chirurgen nicht bemerkt war. IV. S t ü c k e v o n g e p l a t z t e n G r a n a t e n u n d B o m b e n zerreissen die getroffenen Theile gewöhnlich sehr unregelmässig und quetschen sie zugleich in bedeutendem Umfange, da sie ihrer unregelmässigen Gestalt wegen bald matt werden. Sie bedingen eine geringere Erschütterung als Vollkugeln und bleiben oft in der Wunde stecken. — Furchtbare Zerstörungen richten die K e t t e n k u g e l n an, d. h. zwei Halbkugeln, die durch eine Stange von Eisen in gewisser Entfernung von einander verbunden s i n d ' ) . Man wendet sie jedoch gewöhnlich nur gegen das Takelwerk der Schiffe an. V. I n d i r e c t e G e s c h o s s e , Steine, Holzsplitter u. dgl. bewirken besonders Wunden mit ausgedehnten Zerreissungen. Sind sie nicht sehr voluminös, so bleiben sie fest im Fleische stecken, und veranlassen sehr heftige Schmerzen. Kanonenkugeln zersplittern fast immer den einen oder anderen Knochen, und diese Splitter wirken wie indirecte Geschosse. Grosse Holzstücke, Tornister, Patronlaschen u. dgl. können, wenn sie durch eine Kugel in Bewegung gesetzt, aber nicht mit grosser Gewalt fortgetrieben werden, sehr umfängliche Quetschungen veranlassen, die oft irrthümlich als „ L u f t s t r e i f s c h ü s s e " gedeutet worden sind.
Verlaol' der Verwnndungeu durch Geschosse im Allgemeinen. Um die Mehrzahl der von F l i n l e n k u g e l n erzeugten Wunden beobachtet man, gleichsam in Ringen, die verschiedenen Grade der Quetschung. Der erste dieser Ringe, welcher die Oeffnung unmittelbar umgiebt, zeigt vollkommene Mortification; auch der zweite Ring stirbt wahrscheinlich a b ; seine Erhaltung ist nur möglich, wenn die Entzündung gemässigt wird. Im weiteren Kreise folgen dann Schichten, die in Folge der plötzlichen Zerreissung demnächst der Sitz einer heftigen Entzündung werden, und endlich kann sich eine leichtere Quetschung, sowie ein diffuser Bluterguss noch sehr weit erstrecken. In dem dritten der bezeichneten Ringe entwickelt sich zuerst Entzün') H i p p o l y t e
L a r r e y (der Jüngere), Histoire chirurgicale du siège de la citadelle
d'Anters, io Kecueil de méinoir. d. chir. milit. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
T. XXXIV. 44
690
Verletzungen.
dung; die Gewebe schwellen an und eitern sehr bald. Ist die Entzündung aber nicht zu heftig, so kann der zweite Ring noch erhalten werden, und es wird blos der eigentliche Brandschorf abgestossen, in der Art, dass einzelne Stückchen desselben allmälig mit dem Eiter herausbefördert werden. Hemmen aber aponeurolische Gebilde die freie Entwickelung der Entzündungsgeschwulst, oder ist die Verletzung zu bedeutend, oder endlich der Verletzte von schlechter Constitution, durch Blutverluste, schlechte Nahrung oder übermässige Anstrengungen sehr geschwächt, so erstreckt sich die brandige Zerstörung weiter. Dann wird auch die Entzündung sehr viel heftiger. Bei gewaltiger Erschütterung kommt die Entzündung langsam oder gar nicht zu Stande. Dann tritt Verjauchung und Resorption der Jauche (Septichaemie) ein, da die Umgegend vorher nicht durch eine plastische Entzündung abgegrenzt worden ist, und der Tod ist die gewöhnliche Folge. — Unter besonders günstigen Verhältnissen können Schusswunden aber auch einen sehr milden Verlauf haben; zuweilen zeigt sich kaum ein geringes Anschwellen der Umgegend, wodurch die Wunde geschlossen wird, es kommt noch etwas Eiter heraus und damit ist Alles beendet. Beobachtungen von L a r r e y , S a n s o n , G u s t a v S i m o n u. A. bestätigen die bereits von J. H u n t e r ausgesprochene Ansicht, dass Schusswunden ohne Eiterung heilen können. Die Mehrzahl der Wundärzte (unter den Neueren namentlich auch S t r o m e y e r und B. v. L a n g e n b e c k ) hat freilich eine unmittelbare Vereinigung ohne Eiterung bei Schusswunden niemals beobachtet 1 ), aber ich habe deren doch selbst ein Paar gesehen und vermag die theoretischen Zweifel an der Möglichkeit solcher Heilungen nicht zu theilen (vgl. pag. 649 u. f.). Die E i n g a n g s ö f f n u n g , an welcher die stärkste Quetschung und der bedeutendste Substanzverlust sich findet, hat im Allgemeinen die g e r i n g s t e N e i g u n g z u m V e r h e i l e n . Die Narbe, d u r c h w e i c h e sie endlich verschlossen wird, ist gewöhnlich stark eingezogen. Je weiter von der Eingangsöffnung entfernt, desto geringer ist die Eiterung. G e w ö h n l i c h s c h l i e s s t s i c h d i e A u s g a n g s ö f f n u n g z u e r s t , etwa am siebenten Tage (J. H u n t e r ) . Man hat diese sogar ohne Eiterung heilen sehen, während die Eingangsöffnung mehrere Wochen lang eiterte. Hieran sind, nach B. v. L a n g e n b e c k , abgesehen von der stärkeren Quetschung der Eingangsöffnung, grossen Theils die eingedrungenen f r e m d e n K ö r p e r Schuld, welche immer d u r c h d i e E i n g a n g s ö f f n u n g ausgestossen werden, was oft erst nach 5 — 6 Wochen Ausgenommen sind hier natürlich die pag. 681 erwähnten S c h r o t s c h ü s s e .
691
Schusswunden
geschieht 1 ). Zuweilen vernarbt sogar der ganze Canal vor der Ausstossung, um sich zu diesem Behufe an der Eingangsöffnung später wieder zu öffnen. Dass die am Tiefsten, also für den Abfluss des Eiters am Günstigsten gelegene Oeffnung sich zuerst schliesse, wie J. H u n t e r glaubte, wird von allen neueren Beobachtern gänzlich geleugnet. An den von Französischen Hohlkugeln (vgl. pag. 682) herrührenden Schusscanälen konnte H. D e n i m e ' ) in der Mehrzahl der Fälle einen Unterschied in der Heilungsfrist der beiden Oeffnungen nicht wahrnehmen. Von wesentlichem Einflüsse auf den Verlauf sind die Complicationen der Schusswunden mit Knochenverletzungen, Eröffnung grosser Blutgefässe, Verletzung von Nervenstämmen, von Gelenk- und grossen Körper-Höhlen. Vgl. Bd. II. u. III. Alle Gefahren grosser und langdauernder Eiterungen treten um so stärker hervor, je weniger die Schusswunde zu schneller Heilung geeignet ist. Flintenkugeln und Schrot können oft lange Zeit, auch nach vollständigem Verheilen des Schusscanals, i m K ö r p e r v e r w e i l e n . Da wo die Kugel liegen bleibt, entwickelt sich alsdann eine Bindegewebswucherung, durch welche eine Kapsel um die Kugel gebildet wird. Aber später verlässt die Kugel ihren Ort doch fast immer; sie erregt allmälig, als fremder Körper, Verschwärung, durch welche ihr ein Weg gebahnt und sie nach und nach hinausbefördert wird. Kugeln können aber auch, freilich selten, auf ihrer Wanderung tödtliche Zufälle veranlassen. Man hat solche längere Zeit im Gehirn ohne üble Zufälle verweilen sehen, bis sie gegen die Basis cerebri hinabsanken u n d dann den Tod herbeiführten. — Am Häufigsten heilen sie noch in Knochen ohne üble Zufälle ein 3 ). — Aehnlich ist der Vorgang bei Verletzungen durch K a n o n e n k u g e l n ; aber hier ist Alles a u f s Höchste gesteigert. Da ist kein Gedanke an diese milde und begrenzte Entzündung ohne Eiterung. Die verschiedensten Gebilde sind in bedeutender Tiefe zerstört, fast immer sind Knochen zerbrochen, Stücke fortgerissen und einzelne Lappen hängen an dünnen Stielen. Welche Massen von Entzündungsursachen 1 Jeder mortiflcirte Theil wird ein neuer Reiz, der ganze ' ) Freilich kann man auch umgekehrt
sagen:
die fremden Körper werden deshalb
durch die Eingangsöffnung ausgestossen, weil diese sich zuletzt schliesst. *) I. c. pag. 3 0 . — 5 0 0 Beobachtungen. 3
) G. S i m o n , Ueber die Einheilung von Gewehrkugeln in spongiösen Knochen, Prager Vierteljahrsschrift 1 8 5 3 , I. pag. 1 6 4 .
Es handelte sich um runde Kugeln. —
Die
neueren, überdies aus besseren Scbusswaflen eingetriebenen Geschosse (Spitzkugeln, cylindro-conische Hohlgeschosse, Langblei) bat m a n noch niemals einheilen sehen.
44*
692
Verletzungen.
Organismus ist erschüttert, und oft sind seine Kräfte nicht hinreichend, um Widerstand zu leisten. Denn wenn auch im Augenblicke des Ausbruchs der Entzündung ein Uebermaass von Reaction (ein sog. hypersthenischer Zustand) manchmal bedenklich zu sein scheint, so folgt mit dem Auftreten der stets reichlichen Eiterung eine desto grössere Erschöpfung. Nicht immer hat der Eiter freien Abfluss; die Wunde ist oft winklig, und es bilden sich Eiterherde (secundäre Phlegmonen , sog. Eitersenkungen) an versteckten Orten. Sucht man sie nicht auf, so begünstigen sie die purulente lnfection oder doch die Erschöpfung des Kranken. Ist die Wunde mehr zerrissen als gequetscht, so nimmt sie in manchen Fällen von selbst eine regelmässige Gestalt an und verhält sich dann wie eine gewöhnliche eiternde Wunde. Es wurde bereits bemerkt, dass bei den Schusswunden immer E r s c h ü t t e r u n g besteht. Dies gilt besonders für die Wunden durch Kanonenkugeln. Welchen Zerstörungen muss man nicht entgegensehen, wenn keine Reaction erfolgt, selbst in den Theilen, welche nicht direct gcquetscht worden sind! Der grösste Theil einer Extremität z. B. ist teigig infiltrirt, ohne Hitze, ohne Empfindung; und tritt endlich Entzündung auf, so folgt alsbald mit der weit ausgedehnten Eiterung auch brandige Zerstörung. Dies muss man wohl beachten, wenn es sich um die Frage der Amputation handelt. C o n s e c u t i v e B l u t u n g e n , welche immer sehr gefährlich sind, hat man besonders dann zu erwarten, wenn sich keine gehörige Reaction entwickelt. Die vorläufig durch mortificirtes Gewebe verschlossenen Arterien müssten definitiv obliteriren; aber in manchen Fällen bildet sich kein obturirender Thrombus 1 ), und die Gefässe klaffen daher, sobald der Brandschorf abfällt. Die auf solche Weise herbeigeführten Blutungen sind eine neue Quelle der Erschöpfung und verschlechtern die Prognose in hohem Grade. Diagnostik der S c k n s s w a u d e n . — Die durch Kanonenkugeln veranlassten g r o s s e n C o n t u s i o n e n sind für den Ungeübten zuweilen schwer zu erkennen; man hat selbst den Tod erfolgen sehen, ohne die Grösse der Verletzung geahnt zu haben. Die Unversehrtheit der Haut und die Resistenz derselben hindern eine genaue Untersuchung der unterliegenden Theile. Wenn aber der Verwundete über einen dumpfen, anhaltenden Schmerz klagt, wenn er von Zittern, Blässe und Entmuthigung oder von völliger Theilnahmlosigkeit ergriffen wird, oder wenn er sich andauernd in allgemeiner Aufregung befindet, so kann man eine tiefe und bedeutende Verletzung vermuthen, wenn ' ) Vgl. „Krankheiten der Arterien", in unserem II. Bande.
Schusswaaden. auch
kein
deutliches
und charakteristisches Zeichen
Verletzung diese Besorgniss vollkommen Zur Vervollständigung
und Richtung
Organe,
Grades
die
des
Kugel
befinden
oder
der
wo
canals zu kennen, mehren Malen
örtlichen
fremde
die der
die Gewissheit
Körper
der
verletzten darüber,
in
der Wunde
sich
sie sich befinden u. dgl.
Dies Alles
aber
oder auch wohl gar
lässt sich oft nur schwierig, Man hielt es früher
der W u n d e ,
Verletzung,
andere
oder n i c h t ,
einer
rechtfertigt.
der Diagnose gehört die Kenntniss
Ausdehnung ob
693
nicht
bestimmen.
für sehr wichtig, genau den Gang des S c h u s s und
führte
die Finger
deshalb
oder
ohne alle Rücksicht und zu
metallene
Sonden in
Dies Verfahren ist mit Recht schon von R a v a t o n
die
und De
Wunde. Lamotte
und in neuester Zeit, was den Gebrauch der Sonden betrifft, besonders von S t r o m e y e r
getadelt
worden.
Die Untersuchung
muss
als möglich nach der Verwundung und, wo m ö g l i c h , i n Stellung, gers
wie bei der V e r l e t z u n g ,
vorgenommen werden.
lehrt.
vorsichtig mittelst des
Dies hat schon A m b r o i s e
Fin-
Paré
ge-
Findet sich ein vollständiger Schusscanal, also eine Ein- und
eine Ausgangsöffnung, Finger der rechten
so versucht man
eine Begegnung beider zu erreichen. Schusscanal
beiden
die Anwesenheit
wo
fremden
einen
möglich,
man in einem Körpers,
mit Grund vermuthet.
ausser den Fingern nur anwenden.
eines
aus j e
u n d , wo
Der Gebrauch der Sonden sollte
beschränkt bleiben,
eines Gelenkes oder dergl. vorsichtig
von
und linken Hand einzuführen
auf diejenigen Fälle
man
sobald
derselben
dicke
Sonden
engen Oeffnung
Jedenfalls
und
Namentlich gewähren dicke
die
auch
diese
sollte sehr
geknöpfte Sonden
aus weichem Zinn (wie sie als „ Z i n n b o u g i e s " für die Urethra in Gebrauch sind) den doppelten Vortheil, sich leicht biegen zu lassen und die Weichtheile
möglichst
zwischen K u g e l
und K n o c h e n ,
sicher zu stellen, aus
feinem,
der
Berührung
wenig zu insultiren. —
Um die Diagnose
welche keineswegs immer leicht ist,
hat N é l a t o n eine Sonde angegeben,
deren Knopf
nicht glasirtem Porzellan (Biscuit) besteht, mit
Blei
graue
Flecke
bekommt.
Die
welches bei gewünschte
Sicherheit wird durch solche Sonden aber nicht erreicht, da Kugeln, welche von Blutgerinnseln umgeben sind, einen grauen Fleck vielleicht nicht liefern, während Knochenstücke, an denen nur ein
schwacher
Bleisaum
demselben
Zweck
haftet,
sind von
einen
solchen
ergeben
verschiedenen Seiten
können. — Zu
electrische
Sonden
ange-
geben worden, d. h. metallene Sonden, deren Griffe mit einer galvanischen Batterie in Verbindung s t e h e n , so dass,
wenn zwischen den
Knöpfen der Sonden ein Metallstück sich befindet, die Kette geschlossen
Verletzungen.
694
ist. Schaltet man zwischen Batterie und Sonde eine electromagnetische Klingel (Schelle) oder einen kleinen Galvanometer ein, so zeigt das Klingeln oder der Ausschlag der Magnetnadel den Schluss der Kette an. Am Meisten haben sich unter diesen e i e c t r i s c h e n r e i c h und
die von J u n k e r v o n L a n g e g g
ich wiederholt
Sonden
die von 0 . L i e b -
angegebenen bewährt.
mit Vortheil angewandt h a b e ,
Erstere, welche
besteht aus zwei in einem elastischen
Catheter eingeschlossenen Drähten, welche sowohl selbst, wie auch ihre kolbigen Endstücke isolirt sind und mit einem kleinen R u h m k o r f f ' s c h e n Apparat durch biegsame Leitungsdrähte verbunden werden, welcher eine, durch Schluss der Kette in Bewegung zu setzende Magnetnadel enthält. Nadeln
an
Dm percutan
die Leitungsdrähte angefügt werden.
die Kugel zu diagnosticiren, Vgl. Berl. klin. Wochenschr.
können 1870.
pag. 5 1 7 . — Oer J u n k e r ' s c h e Apparat (auch 1 8 7 0 construirt, aber erst 1 8 7 2 , Berl. klin. Wochenschrift No. 1, veröffentlicht) stimmt mit dem L i e b r e i c h ' s c h e n der kleinen Batterie und
der Magnetnadel
wesentlich
überein.
Als
in Betreff
Kugelfinder
empfiehlt J u n k e r aber eine Zange, mit welcher die gefundene Kugel a u c h sofort ausgezogen werden soll. griffen dar.
Dieselbe stellt geschlossen eine cylindrische Sonde mit 2 Hand-
Die Blätter öffnen sich parallel zu einander und sind durchweg, auch im
Bereich der Charnier-Schraube, von einander durch dünne Vulcanitschichten isolirt. hakenförmig umgebogenen Fass-Enden berühren sich den Griffen, an denen
beim Schliessen n i c h t ; auch
die Leitungsdrähte befestigt werden,
einen Vulcanitstlft gehindert.
Die Kette
Die an
ist die Berührung durch
wird also nur geschlossen, wenn man
mit
beiden Enden ein Metall (die Kugel) berührt.
In Betreff der D i a g n o s e d e r E i n - u n d A u s g a n g s ö f f n u n g , welche sowohl in rein chirurgischer, als auch in forensischer Beziehung von Wichtigkeit ist, gewährt oft die Beschaffenheit der Kleider einen Anhalt. An der Stelle der Eingangsöffnung findet sich in der Bekleidung ein Substanzverlust, welcher freilich der Grösse der Kugel selten genau entspricht. Einzelne Fetzen sind abgerissen und in den Wundcanal hineingetrieben. Der Ausgangsöffnung dagegen entspricht immer ein einfacher oder unregelmässig ausgezackter Riss in den Kleidern, ohne Substanzverlust. Der Rand der Eingangsöffnung ist fast immer gequetscht und in den Schusscanal hinein etwas umgerollt. Der blaugraue Ring, von welchem er umfasst wird, ist aber nicht immer das Product der Quetschung, sondern kann auch durch unverbrannt fortgetriebene Pulverkörner oder durch einen feinen Ueberzug von Blei, welches sich beim Eindringen der Kugel von deren Oberfläche abgestreift hat, vielleicht auch durch die beim Aufschlagen entstehende Erhitzung der Kugel (pag. 679) bedingt sein. P r o g n o s e der Schasswanden. — Der Grad der Gefahr beruht auf der Beschaffenheit des Geschosses und der verletzten Theile, der Tiefe der Wunde und den Complicationen durch fremde Körper etc. Vgl. pag. 685. Am Gefährlichsten sind die Schusswunden der grossen Blutgefässe und der Eingeweide-Höhlen, demnächst die in Gelenk-
695
Schusswunden.
Höhlen eindringenden, dann die mit Knochenverletzung, wenn auch nur in der Diaphyse eines Knochens, verbundenen.
Behandlung der Schnsswnnden im Allgemeinen. — Aus so falschen Vorstellungen von der Natur der Schusswunden, wie sie die älteren Wundärzte hatten, musste natürlich auch eine fehlerhafte Behandlung derselben entspringen 1 ). Da man von der vermeintlichen Vergiftung derselben ausging, erschien das Ausbrennen als das wesentlichste Mittel1). Erst A m b r o i s e Paré") hat diese grausame Behandlungsweise beseitigt. Er kam durch Zufall auf eine durchgreifende Abänderung derTherapie dieser Verletzungen 4 ), während B a r t h o l o m e o M a g g i 5 ) , fast zu gleicher Zeit, auf durchaus rationelle Weise und nach eigenen Untersuchungen, das Irrthiimliche der früheren Lehre von der Vergiftung der Schusswunden nachgewiesen hat. Wenn durch das Geschoss nur eine gewöhnliche Q u e t s c h u n g veranlasst wurde, so hat man sie, je nach dem Grade der Quetschung, zu behandeln. "Wenn die Zermalraung bei unversehrter Haut die Eingeweide einer Körperhöhle betrifft, so ist nichts zu thun, der Fall ist absolut tödtlich; handelt es sich in gleicher Weise um eine Extremität, so muss alsbald amputirt werden (vgl. Bd. IV.). Bei den S c h u s s - W u n d e n sind alle die fttr die B e h a n d l u n g d e r g e q u e t s c h t e n W u n d e n gegebenen Vorschriften maassgebend. ') Eine lehrreiche Uebersicht gab B i l l r o t h
in seinen „historischen Studien
über
die Geurtheilung und Behandlung der Schusswunden vom 1 5 . Jahrb. bis auf die neueste Zeit", Berlin, 1 8 5 9 . — Vgl. auch H. F i s c h e r ,
1. c. pag. 9 6 u. f.
*) Vgl. die „vergifteten W u n d e n " , Cap. VII. dieses Abschnitts. ' ) La méthode de traiter les playes faites par les hacquebutes etc. und
Discours premier sur
Paris, 1 5 4 5 ,
le fait des harquebusades et autres bastons à feu,
zuerst gedruckt 1 5 7 5 ; in der neuen Ausgabe der Werke P a r é ' s von M a l g a l g n e , Paris, 1 8 4 0 . 4
T. II. pag. 1 2 6 u. f.
) P a r é erzählt selbst (1. c.), wie er nach der Erstürmung des Pas-de-Suze ( 1 5 3 6 ) in Verzweiflung gerathen sei, als es ihm an Oel fehlte, um bei allen Verwundeten die Schusscanäle mit siedendem Oel auszubrennen.
„Ich musste statt dessen,"
sagt er, „eine Salbe aus Eigelb, Terpenthioöl etc. anwenden.
Die Nacht konnte
„Ich nicht schlafen, weil mich der Gedanke quälte, ich würde alle die Verwundeten, „welche nicht mit siedendem Oel behandelt waren, vergiftet und todt
finden.
Ich
„ s t a n d deshalb sehr früh auf, fand aber, ganz wider Erwarten, gerade bei diesen „wenig Schmerz in der Wunde, keine Entzündung, keine Geschwulst und hörte, „dass sie gut geschlafen hätten, während bei anderen, welche mit siedendem Oel „behandelt worden waren, Fieber, grosse Schmerzen, und in der Umgebung der „Wunden Geschwulst und»Entzündung sich zeigten. „schluss,
solche
arme
Verwundete
nie
Da f a s s t e i c h d e n wieder
so
grausam
Entzu
„brennen." e
) De vulnerum bombardarum et sclopetorum globulis illatorum e t de eorum symptomatum curatione tractatus. Bononlae, 1 5 5 2 . Erschien erst nach des Verf. Tode,
Verletzungen.
696
Ausdehnung und Form der W u n d e , der bedeutende Substanzverlust und die Anwesenheit fremder Körper erheischen besondere Berücksichtigung. Abgesehen von der Stillung der Blutung und der Entfernung der im Schusscanale steckenden fremden Körper, wird man bestrebt sein, d i e g e q u e t s c h t e , u n e b e n e W u n d e a u f d i e V e r h ä l t n i s s e e i n e r e i n f a c h e n z u r ü c k z u f ü h r e n ; daher muss man amputiren, wo die Kanonenkugel eine Extremität weggerissen, und einen unförmigen Stumpf zurückgelassen hat; man muss Stücke von Lappen abschneiden, welche doch bald absterben würden; man muss im Allgemeinen den Umfang der Wunde so viel als möglich verringern und die Vereinigung zu erleichtern suchen. In dieser Absicht hat G. S i m o n , fussend auf der Ueberzeugung, dass bei vielen Schussverletzungen nur die nächste Umgebung der EingangsSflnung gequetscht sei, den Vorschlag gemacht, d e n R a n d d i e s e r die Wunde d a d u r c h
O e f f n u n g a b z u t r a g e n (Circumcislon)
auf die V e r h ä l t n i s s e e i n e r r e i n e n
und
zurückzuführen.
Der Schusscanal selbst soll überdies, zumal bei oberflächlicher Lage, durch eine seiner Richtung genau entsprechend angelegte graduirte Compresse, binde befestigt wird, genau c o m p r i m i r t Canals zu erzielen. — Fälle,
in denen
welche durch eine Roll-
werden, um Berührung der Wandungen des der
Schusscanal
so wenig gequetscht wäre,
dass man sich von diesem Verfahren Erfolg versprechen könnte, sind aber sehr selten.
Mit der grössten Sorgfalt ist für die Beinheit, d. h. den aseptischen Zustand der Wunde und aller Verbandgegenstände zu sorgen. Strengste Desinfection und übertriebenste Beinlichkeit haben sich bei keiner Art von Verletzungen so werthvoll gezeigt, als grade bei Schusswunden. Deshalb ist auch zu hoffen, dass unter Anwendung der a n t i s e p t i s c h e n V e r b a n d m e t h o d e (vgl. pag. 189 u. 281 u. f.) sowohl in Kriegslazareten, als auch auf den Verbandplätzen erheblich bessere Besultate als bisher zu erzielen sein werden. Dazu ist freilich die erste Bedingung, dass antiseptische Stoffe bei der Hand sind. Jedenfalls sollte man alles anzuwendende Wasser mit Carbolsäure, hypermangansaurem Kali u. dgl. desinficiren. Kaum braucht man heutzutage besonders zu warnen vor dem Gebrauch der Charpiepfröpfe, der Bourdonnets, der Haarseile und der reizenden Salben, die früher allgemein angewandt wurden. Der Verband werde wie bei gequetschten Wunden gemacht; nur sei man hier noch sorgfältiger in der Herstellung und Sicherung eines freien Abflusses für das Wundsecret, nicht blos um „Fistelgänge" und „Eitersenkungen" zu verhüten, die man von Alters her fürchtet, sondern um dem nachtheiligen Einflüsse, den das zersetzte Wundsecret auf den ganzen Organismus ausübt, vorzubeugen. Einschnitte und Gegenöffnungen werden deshalb oft nicht zu vermeiden sein. Früher wandte man bei der Behandlung der Schusswunden von
Schasswunden.
697
Vornherein fast ohne Ausnahme die b l u t i g e E r w e i t e r u n g (das Aufschlitzen, Dibridement) an. Mit grosser Heftigkeit ist Uber ihre Vortheile und ihre Nothwendigkeit gestritten worden. Zwei berühmte Englische Chirurgen vertreten die Extreme in dieser Lehre. B. Bell ist ein fast unbedingter Lobredner derselben, während J. H u n t e r sie mit wenigen Ausnahmen verwirft. Die Anhänger B e i l ' s heben hervor, die Erweiterung erleichtere die Ausziehung fremder Körper, sie gewähre dem Extravasat besseren Abfluss, die röhrenförmige Wunde werde in eine offene Wunde verwandelt, die Trennung der Aponeurosen gewähre der Entzündungsgeschwulst mehr Spielraum. J o h n H u n t e r entgegnet: das Einschneiden vermehre, als eine neue Verwundung, die Entzündung; die Wunden heilten ohne Erweiterung schneller; die Einschnitte schlössen sich sehr leicht wieder; sie seien auch unnütz zur Begünstigung des Austritts der Brandschorfe, weil die Wunde ohnehin, sobald sie in Eiterung stehe, weit genug sei; es sei noch zu beweisen, dass durch eine neue Verwundung die durch eine frühere bedingte Spannung aufgehoben werde. Auf die Ausziehung der fremden Körper legt H u n t e r kein Gewicht; er vertraut „auf die grossen Hülfsmittel der Natur". Die Erweiterung ist nicht deshalb nothwendig, weil eine Kugel durch ein Glied gegangen ist; aber dieselbe wird durch besondere Umstände, durch zu grosse Spannung der Theile, durch die Nothwendigkeit, einen fremden Körper, der sich auf andere Weise nicht entfernen lässt, herauszuziehen, oder zum Behuf des Verschlusses einer blutenden Ader, der man sonst nicht beikommen kann, auch wohl um eine antiseptische Behandlung mit Erfolg einleiten zu können, häufig genug erforderlich. Dass die Erweiterung in g e w i s s e n F ä l l e n n o t h w e n d i g sei, darüber ist längst entschieden. Der Streit für und wider dieselbe hat sich wesentlich nur um ihre p r o p h y l a k t i s c h e Anwendung gedreht. Gegen die Einklemmung einer Entzündungsgeschwulst wird man überall gern prophylaktisch verfahren. Daher lehrten Viele, man solle bei Schusswunden in solchen Theilen, deren anatomische Verhältnisse eine Einschnürung befürchten lassen, sogleich einschneiden, also, wo feste Aponeurosen durchschossen seien, wie an der hinteren Seite des Rumpfes, an der Hand und dem Vorderarm, am ganzen Bein, höchstens mit Ausnahme der inneren Fläche des Oberschenkels, endlich bei Gelenkwunden, sofern nicht amputirt werden müsse. Weitere Erfahrungen haben aber gezeigt, dass an allen diesen Stellen Schusswunden auch ohne aufgeschlitzt zu werden, zur Heilung kommen können, dass die gefürchtete Spannung nicht immer eintritt, und dass die blutige Erweiterung, namentlich wenn
698
Verletzungen.
man das „Aufschlitzen des Schusscanals" buchstäblich nimmt, an sich eine schwere Verletzung vielleicht selbst gefährlicher sein kann, als die Schusswunde. Nach dem Vorgange von B a u d e n s 1 ) haben sich jetzt alle Stimmen') dahin vereinigt, dass man, o h n e R ü c k s i c h t auf d i e S t r u c t u r des T h e i l s , z u r E r w e i t e r u n g d e r W u n d e n u r auf G r u n d e i n e r b e s t i m m t e n l n d i c a t i o n schreiten solle. Dieselbe ist also niemals p r o p h y l a k t i s c h vorzunehmen, sondern nur zu bestimmten Zwecken: zunächst in vielen Fällen, namentlich bei Verdacht auf Knochen- oder Gelenk-Verletzungen, zur S i c h e r s t e l l u n g u n d V e r v o l l s t ä n d i g u n g d e r D i a g n o s e , dann um bei B l u t u n g e n Adern zu unterbinden, um fremde Körper und Knochensplitter zu entfernen, endlich auch um die durch nachfolgende Entzündungen bedingte Spannung zu heben und dem Wundsecret freien Abfluss zu schaffen. Bevor man die Bedeutung der septischen Vorgänge kennen gelernt hatte, suchte man das Heil, wie bei allen schweren Verletzungen, so namentlich auch bei Schusswunden in der a n t i p h l o g i s t i s c h e n Behandlung. Die bei Quetschungen so allgemein empfohlenen ö r t l i c h e n B l u t e n t z i e h u n g e n , besonders durch zahlreiche Blutegel, haben sich auch bei Schusswunden, in deren Umgebung Entzündung entstanden war, oft nützlich erwiesen. Kalte Berieselungen und kalte Umschläge haben sich in neuerer Zeit zur Verhütung, wie zur Behandlung solcher Entzündungen noch mehr bewährt. Grade da, wo es sich um die Behandlung der meisten Schusswunden handelt, in Feldlazareten nämlich, ist auf die energische und andauernde A n w e n d u n g d e r K ä l t e um so mehr Gewicht zu legen, als dort nur höchst selten ein hinreichender Vorrath von Blutegeln zu Gebote steht. Aber auch bei Schussverletzungen darf man die Anwendung der Kälte nicht zu lange fortsetzen (vgl. pag. 182 u. ff.). Sobald der Patient dureh die Kälte sich nicht mehr erleichtert, vielleicht gar schon unangenehm berührt fühlt, muss man die kalten Umschläge mit warmen vertauschen. Da es sich gewöhnlich um die Behandlung einer grossen Anzahl von Verwundeten handelt, kann von der ausgedehnten Anwendung warmer Breiumschläge (ganz abgesehen von ihren septischen ') Clinique des plales d'armes ä feu, Paris, 1 8 3 6 ; in der Vorrede pag. X, erzählt B a u d e n s , wie er zuerst bei einem Voltigeur, dem beide Schenkel im oberen Dritttheil durchschossen waren, a u s M i t l e i d die blutige Erweiterung unterlassen, hiervon den glücklichsten Erfolg gesehen und sie seitdem nie wieder als prophylaktisches Mittel angewandt habe. 5
) Vgl. B. L a n g e n b e c k , I. c. Bemerkung zu pag. 900—906. — B e c k , 1. c. pag. 45.
Schuss wuoden.
699
Eigenschaften) nicht die Rede sein. Die Erfahrung hat aber gerade bei diesen Verletzungen am Entschiedensten gelehrt, dass dieselben durch Umschläge von warmem Wasser, und sogar zum Vortheil der höchst wünschenswerthen Reinlichkeit, ersetzt werden können. Ja, man bedarf gar nicht einmal des warmen Wassers, da der kalt aufgelegte feuchte Umschlag schnell warm wird und auch bleibt, sobald man ihn nur mit einem wasserdichten Stoff sorgfältig überall umhüllt. Dies ist für Feldlazarete sehr wichtig, denn man kann viel leichter wasserdichten Kattun, dünne Gummiplatten u. dgl. m. in Massen mit sich führen, als die für warme Umschläge erforderlichen Wassermengen fortdauernd warm erhalten. Sorgfältig unterscheide man von der wahren Entzündungsgeschwulst jene kalte, unempfindliche, gleichsam passive Geschwulst, in welcher durch antiphlogistische Behandlung die ohnehin gesunkene Lebensthätigkeit noch mehr beeinträchtigt werden würde; diese muss von Anfang an mit erwärmenden und reizenden Mitteln behandelt werden. Jedoch sei man dabei sehr auf seiner Hut; denn kaum hat die Wärme in ihr sich zu entwickeln begonnen, so sind in der Regel, wegen des schnell eintretenden Zerfalls der Gewebe, auch schon Einschnitte nothwendig. Dem unbedingten Vertrauen, welches H u n t e r , in Bezug auf die Ausstossung f r e m d e r K ö r p e r , in die „Kräfte der Natur" setzt, kann man, nach sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Thatsachen, gewiss nicht Beifall schenken. Stände fest, dass nur die Kugel in der Wunde steckt, so wäre ein exspectatives Verfahren eher zu billigen; aber in der Regel sind Fetzen der Kleidung mit hineingetrieben, welche Fttulnisserreger in Massen enthalten und daher Zersetzung des Wundsecrets bewirken. Deshalb sollen jedoch nicht langwierige und schmerzhafte Untersuchungen in Gegenden empfohlen werden, wo leicht zu verletzende Organe liegen. Es verhält sich hier, wie mit fremden Körpern überhaupt: wenn die Ausziehung ohne Gefahr üblerer Verletzungen möglich ist, so muss sie vorgenommen werden und zwar m ö g l i c h s t f r ü h , — also, wenn es irgend sein k a n n , noch auf dem Schlachtfelde. Dabei ist das Princip festzuhalten, dass nicht die Kugel (oder der fremde Körper überhaupt), sondern der Schusscanal geschont werden muss; manche ältere Instrumente scheinen gradezu auf das Gegentheil berechnet zu sein. Die I n s t r u m e n t e , deren man sich z u m A u s z i e h e n v o n G e s c h o s s e n u n d a n d e r e n f r e m d e n K ö r p e r n aus Schuss- wie aus Stich-Wunden bedient, sind: L ö f f e l , Z a n g e n und B o h r e r (Pfropfenzieher, Krätzer).
700
Verletzungen.
Der K u g e l l ö f f e l ist dem Steinlöffel (vgl. Bd. IV.) nachgebildet. Man sucht die Kugel mit demselben, indem man ihn hin und her wendet und dreht, zu fangen und gleichsam herauszuschöpfen. — Der Kugellöffel von T h o m a s s i n , welchen B o y e r besonders empfahl, besitzt an der, der Aushöhlung des Löffels entsprechenden Seite des Stiels eine einspringende Binne, in welcher sich Fig. 145. ein zugespitzter Stab auf- und ab-schieben lässt. Sobald die Kugel mit dem Löffel gefasst ist, schiebt man den Stab abwärts und fixirt dieselbe, indem man die Spitze des Stabes in sie eindrückt. Der Stab lässt sich gegen den Löffelstiel durch eine Schraube feststellen, so dass die Kugel nicht wieder entweichen kann. — B. v. L a n g e n b e c k hat einen Kugellöffel, dessen Endstück sich durch einen ähnlichen Mechanismus, wie L e r o y ' s Curette articulée (vgl. Bd. IV.), rechtwinklig umbiegen lässt, namentlich für tief sitzende Kugeln empfohlen. Flg. 1 4 5 zeigt das L a n g e n b e c k ' s c h e Instrument in halber Grösse. wird
die
Löffel c ,
Durch Druck auf den kurzen Hebelarm a
Stange
b
nach Vorn geschoben,
wodurch
der
an welchem für die Aufnahme der Spitze einer
Spitzkugel ein Loch sich befindet, rechtwinklig gegen den
\Jjï
Stiel gestellt wird.
Ist der Löffel nun vorher an der Kugel
vorübergeführt, so wird diese, wie mit einem Finger,
umfasst u n d ,
wenn
w e i c h t , leicht hervorgezogen.
sie
gekrümmten
nicht seitlich
aus-
Vgl. Deutsche Klinik
1859.
No. 2 3 . pag. 2 4 5 .
Die gewöhnliche K o r n z a n g e (Kugelzange, Fig. 146) hat sich, wie in früheren Jahrhunderten, so auch in den letzten Kriegen f ü r d i e M e h r z a h l d e r F ä l l e als das beste und sicherste Instrument bewährt. Sie wird geschlossen bis zur Kugel eingeführt; dann öffnet man sie und schiebt die beiden Branchen vorsichtig zu beiden Seiten der Kugel vorwärts, bis man glaubt, dass sie die Kugel vollständig umfasst haben, worauf man sie kräftig zusammendrückt und mit sanften seitlichen Bewegungen die Kugel hervorzieht. Je mehr die Geschosse neuerdings theils ihrer ursprünglichen Form n a c h , theils wegen ihrer Abplattung und Zertheilung (vgl. pag. 682 u. f.),
701
SchUSSWOndcO.
von der Kugelgestalt abweichen, desto weniger passen Zangen, welche auf das Umfassen einer Kugel berechnet sind, desto mehr handelt es sich um das Ausziehen unförmiger Bleistiicke. Für solche ist die von L u e r erfundene, sogen. A m e r i k a n i s c h e K u g e l z a n g e (welche eine entfernte Aehnlichkeit mit der alten R u d t o r f e r ' s c h e n Kugelzange hat) von besonderem Vortheil. Dieselbe endet an jeder Branche in einen kurzen scharfen, einwärts gebogenen Haken. Beim Schliessen der Zange bewegen sich beide Ilaken gegeneinander und dann solcher Gestalt aneinander vorbei, dass die Spitzen beider gedeckt sind. Der Schluss kann in jeder Stellung durch das Ineinandergreifen kurzer, an den Griffen befindlicher Zahnstangen gesichert werden. Das dabei entstehende Geräusch könnte jedoch Irrungen veranlassen, weshalb rathsam ist, diese Schliessvorrichtung fortzulassen. — Mit diesem Instrument braucht man nicht erst die ganze Kugel zu umfassen; es genügt, wenn man irgend einen Theil derselben ergreifen kann, um Alles, was noch daran hängt, hervorzuziehen. In Betreff der VOD J u n k e r v o n L a n g e g g angegebenen Zange, welche zugleich diagnostischen Zwecken dienen soll, vgl. pag. 6 9 4 .
Den T i r e - f o n d
(Kugel-Bohrer), eine Art Korkzieher
(Krätzer)
mit 2 Spitzen und 2 Gängen, benutzt man, wenn die Kugel in einen Knochen eingekeilt ist.
Um denselben in das Blei einzubohren,
be-
darf es aber eines so bedeutenden Druckes, dass die Kugel leicht noch liefer gedrückt werden oder, wenn das Instrument abgleitet, eine gefährliche Verletzung entstehen könnte.
Für die Anwendung des Tire-
fond ist daher die grösste Vorsicht zu empfehlen. Percy
(Ueber
Preisschrift.
das Ausziehen fremder Körper aus Scbusswunden.
Aus dem Französischen von Th. L a u t h .
Gekrönte
Strasburg, 1 7 8 9 . ) bat aus
der Kugelzange, dem Kugellöffel und dem Tire-fond e i n Instrument gemacht und dasselbe T r i b u l c o n
genannt.
Es ist eine grosse Kornzange, deren Arme, wie die einer
Geburtszange, durch ein Schloss vereinigt werden.
Der Arm, an welchem das Schloss
s i t z t , ist zur Hälfte von einem Canal d u r c h b o h r t ,
in welchem der Tire-fond steckt,
dessen freies Ende den Ring f ü r diesen Zangenarm
abgiebt.
weibliche) besitzt statt des Ringes ein löffeiförmiges Ende.
Der andere Arm So hat man a l s o ,
(der wenn
man die beiden Arme trennt, in der einen Hand einen Kugellöffel, in der anderen Hand einen Tire-fond, den man nur aus seiner Scheide herauszuschrauben braucht.
Ist Alles
zusammengesetzt, so bat man eine Kornzange, deren Branchen aber auch einzeln eingeführt und erst, nachdem sie an die Kugel angelegt sind, geschlossen werden können. Dies schwerfällige Instrument hat sich nicht bewahrt. weitig wohl begründete Ruhm
des Er6nders
Demselben bat nur der ander-
(welcher namentlich um die Einführung
der Gelenk-Kesectionen in die Kriegs-Chirurgie grosse Verdienste hatte) eine Zeit lang Eingang verschafft. In manchen Fällen
kann
man auch
fremden Körpern aus gewissen
andere,
eigentlich zur A u s z i e h u n g
von
H ö h l e n u n d C a n ä l e n bestimmte Instrumente
bei der Eztraction von Kugeln mit Vortheil benutzen.
Verletzungen.
702 Fig. 1 4 6 .
f
Fig. 147.
Die neben der A m e r i k a n i s c h e n
Zange
Flg. 1 4 9 . jedem Wundarzt noch immer zu empfehlenden Instrumente zum Ausziehen
der Kugeln
sind:
1) die K u g e l z a n g e (Fig. 1 4 6 ) , eine gewöhnliche starke Kornzange mit schwach ausgehöhlten Spitzen, scharfen Zähnen Lewkonitz'schem
Gewinde,
und
ähnlich
mit einer
Polypen zange, 2) der
Tire-fond
von
Baudens
(Fig. 1 4 9 ) , welcher mit einer sehr feinen und leicht f a s s e n d e n , scharfen Schraube
versehen
ist, einen ziemlich
langen, starken
hölzernen
Handgriff
und
Scheide
besitzt,
in
einer
(Fig. 1 4 8 ) s t e c k t , in welche man das schraujj
l Y
benförmige Ende (Fig. 1 4 7 ) zurückziehen kann, um damit die Wunde zunächst zu untersuchen und die Kugel zu entdecken. Die Figuren 1 4 6 — 1 4 9 haben e i n V i e r t e l der natürlichen
Grösse.
Geschosse sind nicht die einzigen fremden Körper, welche in Schusscanälen vorkommen. Andere Theile der Ladung (Pfröpfe, Pflaster), sowie Stücke der Kleidung, welche häufig von der Kugel tief eingetrieben werden, sind mindestens ebenso sorgfältig und oft mit grösserer Schwierigkeit zu entfernen, als die Kugel selbst. Je mehr solche „fremde Körper" imbibitionsfähig sind, desto mehr begünstigen sie die Zersetzung des Eiters und somit die Gefahren der Eiterung. In der Regel sucht man alle fremden Körper aus dem Schusscanale von der E i n g a n g s ö f f n u n g her zu entfernen. Darauf ist auch die Gestalt der vorstehend beschriebenen Instrumente berechnet. Befindet sich aber die Kugel am entgegengesetzten Ende eines blinden Schusscanals nahe der Haut, so schneidet man dort auf sie ein und entfernt sie durch diese G e g e n ö f f n u n g . Dies „ A u s s c h n e i d e n * der Kugel geschieht, sofern die Localltät der Verwundung dies gestattet, am Besten in der Weise, dass man ein spitzes Messer bis In d i e einstösst und die Wunde beim Ausziehen dilatirt.
Kugel
Auf diese Weise ist man sicher die
Kugel nicht zu verfehlen.
Die Entfernung oberflächlich sitzender Schrot- und Pulverkörner ist nicht so leicht, wie man zu glauben verleitet sein könnte. Erstere findet man in der Regel viel tiefer, als man nach der Untersuchung mit dem Finger glaubte; letztere können aus der Haut immer nur einzeln und daher sehr mühselig mit einer Staarnadel oder einem spitzen Messer ausgegraben werden. Es ist daher wünschenswerth, sie auf indirecte Weise zu entfernen.
703
Wundstupor. Die in dieser Beziehung von H ö r i n g
(Medicin. Correspondenzbl. d. n ü r t e m b e r g .
Aerzte, 1 8 5 6 , No. 3 9 ) gerühmte Wirksamkeit des A m m o n i u m ist nicht weiter bestätigt.
bi-bydrothionicom
Derselbe liess dies Präparat, mit gleichen Theilen destiliirlen
Wassers gemischt, fünfmal täglich in Waschungen
anwenden.
Nach fünftägiger An-
nendung waren an der Steile der Pulverkörner n u r noch rothe Flecken übrig,
welche
durch Waschuogen mit verdünntem Chlorwasser beseitigt wurden. — Praktisch bewährt Ist der Vorschlag von B u s c h (Archiv f. patholog. Anatomie 1 8 5 9 ) , durch mit einer starken S u b i i m a t i ö s u n g
Bepinseln
Hautentzündung mit Abst09sung der Epider-
mis zu erregen, wobei die Pulverkörner ausgestossen
werden.
Die Sorge für die S t i l l u n g der B l u t u n g erwähnen wir hier nur deshalb zuletzt, weil wir dieser Hilfeleistung bei Schusswunden v e r h ä l t n i s s m ä s s i g selten bedürfen. Es versteht sich aber von selbst, dass sie, wie bei allen Wunden, so auch hier in den Vordergrund tritt, sobald überhaupt eine irgend erhebliche Blutung vorhanden ist. Selten kann man das verwundete Gefäss unterbinden, ohne den Schusscanal zu erweitern. Ist dies seiner Lage wegen nicht zulässig, so sucht man durch Compression oder Tamponade des Schusscanals der Blutung Herr zu werden, oder unterbindet die blutende Arterie an einer leicht zugänglichen Stelle oberhalb der Wunde, — was freilich, wie wir bei den Verletzungen der Arterien (Bd. II.) genauer zu erläutern haben, viel weniger sicher ist. Auf
die Behandlung der
letzungen
bei Schusswunden
überaus
häufigen
Knochenver-
wird bei deren specleller Erörterung Im II. Bande eingegangen.
Bei allen Schussverletzungen ist die Sorge für das Allgemeinbefinden von grosser Bedeutung. In dieser Beziehung sind die Erläuterungen, welche das nächste Capitel giebt, besonders zu beachten.
Sechstes Capitel. Von den Störungen des Allgemeinbefindens bei Wunden. Wir haben bis jetzt nur die localen Verhältnisse der Verletzung erörtert; aber so wie der Zustand des Gesammtorganismus nicht ohne Einfluss auf dieselbe bleibt, so übt auch die Wunde ihrer Seits auf den übrigen Körper einen Einfluss aus, durch welchen eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen wird, die man a l l g e m e i n e genannt hat. Wundstupor,
Shock.
Bei schweren Verletzungen, namentlichen solchen, die mit erheblicher und ausgedehnter E r s c h ü t t e r u n g (vgl. pag. 663) verbunden sipd, stellt sich, in unmittelbarem Aijschluss an den Act d£r Verletzung, meist nur ganz vorübergehend, eine dem Grade der Erschütterung an Intensität und Ausdehnung entsprechende Empfindungslosigkeit,
Verletzungen.
704
bald mit, bald ohne gleichzeitige motorische Lähmungen ein, die man als W u n d s t u p o r bezeichnet hat. Die Englischen Chirurgen fassen alle Erscheinungen von Depression oder Lähmung, welche nach einer gewaltsamen Einwirkung auftreten, unter dem Namen „ S h o c k " zusammen 1 ). Die einwirkende Gewalt braucht aber, nach der Englischen Auffassung, durchaus nicht immer eine mechanische oder gar speciell erschütternde Verletzung gewesen zu sein; ja es bedarf Uberhaupt gar nicht einer materiellen Einwirkung; denn es werden nicht blos Einwirkung der Kälte und narkotische Gifte, sondern auch psychische Einflüsse als Ursachen des „ S h o c k " aufgeführt"). Auf solche Weise wird das Gebiet des Englischen „Shock" ein sehr weites. B i l l r o t h beschränkt dasselbe, indem er „den paralysirenden Einfluss einer plötzlichen und heftigen Nervenverletzung auf die Ilerzthätigkeit" als „Shock" bezeichnet und die Fälle von Ohnmacht (Syncope) durch grosse Blutverluste und durch psychische Eindrücke (Gemüthsbewegungen) ausschliesst. Grade die schlimmsten, namentlich die direct lödtlichen Fälle eines solchen „Shock" im engeren Sinne kommen aber in Folge heftiger Erschütterungen vor. Am Deutlichsten ist dies bei der Erschütterung des Gehirns (vgl. Bd. 111.), bei welcher auch kein Zweifel darüber sein kann, dass wirklich das Nervensystem direct betroffen ist. Aber auch Erschütterungen des Thorax und des Abdomen (namentlich ein Schlag auf die Herzgrube) können sofort tödten, ohne dass materielle Veränderungen (Zerreissungen) der Eingeweide als Ursache des Todes nachzuweisen sind. In diesen Fällen bleibt es zweifelhaft, ob eine lähmende Einwirkung auf das Herz selbst (d. h. auf die in ihm selbst verlaufenden Nerven) oder auf grössere Nervenstämme, vielleicht auch Ganglien des Sympathicus stattgefunden hat 3 ). Schliesst man diese Fälle aus, die man in Deutschland ohnehin als „Erschütterungen" *) B i l l r o t h
(Handbuch der allgem. und spec. Chirurgie, Bd. II. Abth. 2 . pag. 3 7 )
will dies W o r t , der Englischen A u s s p r a c h e entsprechend, „ S c h o c k " geschrieben, in die Nomenclatur der Deutschen Chirurgie a u f n e h m e n . Ausdrücke, wie „ S c h r e c k "
oder „ W u n d s c h r e c k "
nischen Bedeutung einzuführen.
Ebenso leicht wäre es, mit dieser speciell tech-
Das Englische „ S h o c k " bedeutet in der ge-
wöhnlichen Sprache doch auch n u r „ S c h r e c k " . 2
) Vgl. die ausführliche Abhandlung von F. J o r d a n , on shok a f t e r surglcal Operations and injuries, British med. j o u r n a l , 1 8 6 7 , pag. 7 3 u. f. — Auch der „willkürliche S c h e i n t o d " , in welchen Indische Fakirs sich zu versetzen wissen, von J o r d a n
mit zum S b o c k
wird
gerechnet.
' ) H. F i s c h e r definirt (in Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge, No. 1 0 ,
1870)
den S h o c k als „eine durch traumatische Erschütterung bewirkte Reflexlahmung der Gefässnerveo, besonders des Splancbnicus" und sucht, im Anscbluss an die
Wundstupor.
705
aufzufassen gewöhnt ist, so fällt der Rest von „ S h o c k " (immer im engeren Sinne verstanden) mit unserem W u n d s t u p o r wohl ganz zusammen. Es handelt sich um plötzlich auftretende Empfindungslosigkeit, Unfähigkeit zu willkürlichen Bewegungen (auch wohl Bewusstlosigkeit), entstellte Gesichtszüge (facies Hippocratica) bei sehr kleinem, meist verlangsamtem Pulse und kühler (oft das Phänomen der Gänsehaut zeigender) Körperoberfläche. Alle diese Erscheinungen gehen oft schon nach wenigen Minuten, spätestens nach 1—2 Stunden vorUber, wenn sie nicht etwa mit den Folgen grosser Blutverluste oder der (bei chirurgischen Operationen) absichtlich angewandten Chloroform-Betäubung combinirt sind. Sie sind aber jedenfalls von p r o g n o s t i s c h e r Bedeutung, indem aus ihnen in der Regel auf einen erheblichen Grad von Erschütterung geschlossen werden kann. Auch ist, da ihr längeres Fortdauern übele Folgen für den Heilungsprocess haben könnte, eine blos exspectative T h e r a p i e nicht empfehlenswerth; vielmehr muss man von Anfang an b e l e b e n d e M i t t e l (Stimulantia) anwenden. Ist der Verletzte besinnungslos oder wird ihm das Schlucken schwer, so sorgt man vor Allem für Erwärmung, macht hypodermatische Injectionen von Aether oder Oleum camphoratum (1 Grm. p. dosi) und sucht durch Reiben der Haut, Kitzeln der Nasenschleimhaut, scharfe Riechstoffe, nöthigen Falls auch durch Faradische Reizung der Nn. phrenici die Respiration kräftig in Gang zu bringen. Sobald der Kranke schlucken kann, darf man nicht zögern, ihm w a r m e und e r r e g e n d e G e t r ä n k e zu reichen, denen man, nach dem Rathe der Englischen Chirurgen, von Anfang an etwas Opium zusetzen soll. Wenn auch der Ausspruch von J o r d a n : „man hat es ganz in der Gewalt, Collapsus zu verhüten, wenn man den Kranken nur durch Branntwein in Trunkenheit oder durch Opium in Schlaf versetzen k a n n " — einige Uebertreibung enthalten mag, so ist doch wohl unläugbar, dass der Anwendung kräftiger Stimulantia') nach schweren Verletzungen oft unerwartete Erfolge zu verdanken sind. Bei sehr schmerzhaften Wunden oder bei grosser Empfindlichkeit des Verletzten, auch nach grossen Blutverlusten kommt es nicht selten zu O h n m a c h t und zu K r ä m p f e n (vgl. pag. 65u.f.), welche vor Allem mit horizontaler Lage und analeptischen Mitteln zu behandeln sind. G o l t z ' s c h e n Klopfversuche bei F r ö s c h e n , Ueberfüllung d e r
vom Nervus s p l a n c h n i c u s
nachzuweisen,
dass es sich um eine
i n n e r v i r t e n Gefässbezirke auf
Kosten
d e r G e f ä s s e des übrigen Körpers, n a m e n t l i c h a u c h des Gehirns h a n d l e . ' ) Nur
allzu oft w e r d e n
brechen sofort
wieder
hypodermatischen
alle
in den Magen e i n g e f ü h r t e n Medicamente d u r c h
entleert.
Ich
lege d e s h a l b
b e s o n d e r e s Gewicht auf
E i n s p r i t z u n g e n von Aether u n d O l e u m
B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
CBmphoratuin. 45
Erdie
706
Verletzungen.
Delirium
tremens.
Als D e l i r i u m t r e m e n s oder D e l i r i u m p o t a t o r u m (Säuferwahnsinn) bezeichnen wir eine erst seit dem 2. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts genauer unterschiedene, durch S c h l a f l o s i g k e i t , Z i t t e r n der Glieder und der Zunge, D e l i r i e n und mehr oder weniger vollständige U n e m p f i n d l i c h k e i t ausgezeichnete, acut verlaufende, aber an sich fieberlose Erkrankung, von welcher Menschen, welche längere Zeit hindurch (gewohnheitsgemäss) alkoholische Getränke in relativ erheblichen Mengen genossen haben (Gewohnheitstrinker), zuweilen ohne erkennbare Veranlassung, fast ohne Ausnahme aber beim Ausbruch einer fieberhaften Erkrankung oder n a c h e i n e r V e r l e t z u n g , zumal wenn dieselbe mit einem Blutverluste v e r b u n d e n w a r , befallen werden, und welche, wenn nicht in wenigen Tagen (kritischer) Schlaf eintritt, regelmässig mit dem Tode endet. Grade bei Verwundeten bricht das Delirium tremens oft ganz plötzlich aus. Manchmal aber geht Tage lang Appetitlosigkeit vorher oder ein auffallend schlaffes oder eigenthümlich erregtes, ängstliches Benehmen der Kranken, die dann auch wohl von Träumen und unruhigem Schlaf berichten. Der Ausbruch wird durch Blutverluste (Aderlässe, Blutegel), durch Entziehung der gewohnten Kost u n d , mehr noch, des gewohnten Getränkes befördert. In der Begel beginnt die eigentliche Krankheit mit Schlaflosigkeit und Zittern der Hände (zumal, wenn man die Arme ausstrecken und die Finger spreizen lässt), bald auch der hervorgestreckten Zunge, später des ganzen Körpers. Demnächst treten bald die Delirien auf, denen man früher mit Unrecht einen specifischen Inhalt (Sehen und Greifen von Ratten, Mäusen und anderen kleinen Thieren) zugeschrieben hat, während sie sich in der That auf die mannigfaltigsten Dinge beziehen können. Auf der Höhe der Krankheit (zu welcher jedoch nicht alle Fälle sich steigern) verfällt der Kranke in eine völlige Geisteskrankheit; in höchster Erregung beschäftigt er sich nur mit seinen Hallucinationen, schreit, schimpft, tobt, schlägt um sich, springt auf, irrt umher, soweit seine wankenden Beine ihn tragen, und zertrümmert, was seine zitternden Hände erreichen und bewältigen können. Dabei kommt dann grade den Verwundeten (zumal bei Knochenbrüchen und Gelenkverletzungen) sehr zu ihrem Schaden ein hoher Grad von Unempfindlichkeit zu Statten; man hat Kranke, deren Beine zerbrochen oder amputirt waren, umherlaufen, Andere ihre Darmschlingen aus Bauchwunden herausziehen sehen. Das Abreissen der Verbände ist ein ganz gewöhnliches Vorkommniss. Nicht selten macht ein von seinen Wahnvorstellungen
Delirium
tremens.
707
gefolterter Kranker plötzlich Nachts (wo jene sich am Lebhaftesten entwickeln) einen gefährlichen Versuch zur Flucht oder zum Selbstmord oder greift Andere an. Die Krankheit kann diese Höhe, wenn die vielleicht nicht stark ausgeprägten früheren Stadien unbeachtet blieben, scheinbar plötzlich erreichen, so dass es für den Laien den Anschein gewinnt, als habe sie mit einem Wuthausbruch, einem Fluchtoder Selbstmords-Versuch begonnen, oder sei vielleicht gar erst in Folge der letzteren eingetreten. Oft sinken auf der Höhe der Krankheit die Patienten ganz plötzlich todt zusammen, zumal wenn sie zufällig aufgerichtet worden sind oder sich selbst aufgerichtet haben, — wie es scheint in Folge von Anämie des Gehirns; in anderen Fällen erfolgt der Tod unter heftigen Krämpfen, nachdem die Aufregung des Kranken vorher eine Zeit lang nachgelassen hat. Andere gehen in diesem Stadium an Erschöpfung zu Grunde; gewöhnlich hört dann das tobende Rasen schon lange vorher auf, und nur die ununterbrochene unstäte Bewegung der Finger (das Flockenlesen) und die fortdauernden murmelnden (mussitirenden) Delirien belehren den Arzt, dass nicht Besserung, sondern der Tod zu erwarten ist. Nur sehr selten folgt dann noch Schlaf und Genesung. In leichteren Fällen erlischt die Aufregung meist plötzlich: der Kranke schläft fest ein, schläft dann 10, 12, 24 bis 48 Stunden in einem Zuge und erwacht als Genesener. Jedoch kann die Aufregung und das ganze Delirium tremens auch nach langem tiefen Schlaf wiederkehren, sogar mehrmals. Daraus geht dann das c h r o n i s c h e Delirium tremens hervor, welches sich weiterhin oft zu einer unheilbaren Geisteskrankheit gestaltet. Das constanteste Ergebniss der a n a t o m i s c h e n U n t e r s u c h u n g ist die Atrophie (das geringe Gewicht) des Gehirns, zumal im Verhältniss zu den gewöhnlich verdickten Schädelknochen. Jedoch scheint auch dies dem Alkoholismus als solchem anzugehören, nicht speciell dem Delirium. Daneben finden sich dann auch die anderen Veränderungen, welche die chronische Alkoholvergiftung mit sich f ü h r t : Säuferleber, Magenentzündung, Lungencatarrhe, Nierenentzündung, Arteriensclerose, Fettsucht (auch Fettblut und Fettherz), scorbutische Zustände und Brand an den Zehen nach geringfügigen Veranlassungen (vgl. „ E r f r i e r u n g e n " pag. 638). Die T h e r a p i e vermag beim Delirium tremens sehr viel zu leisten, zumal vor Beginn des furibunden (dritten) Stadiums. Ist dies einmal erreicht, so kann man, namentlich wenn es sich um Verwundete handelt, doch nur etwa die Hälfte retten. Es ist daher von der grössten Bedeutung, das Delirium tremens frühzeitig zu erkennen, wo 45*
708
Verletzungen.
möglich zu verhüten. Zu letzterem Behuf muss man dafür sorgen, dass dem Patienten der gewohnte Reiz nicht ganz entzogen, dass ihm also Wein oder Schnaps in dosi refracta (im Vergleich zu seiner Gewohnheit) gereicht und jede Schwächung, namentlich Blutverlust vermieden werde. Sobald die ersten Krankheits-Erscheinungen sich zeigen, darf man nicht zögern, hinreichend grosse Dosen M o r p h i u m c h l o r a t u m (0,01 bis 0,02) oder C h l o r a l h y d r a t (2,5 bis 3, höchstens 5) — oder auch diese beiden Mittel zugleich — in 2 - bis 3-stündigen Intervallen so lange anzuwenden bis Schlaf eintritt. Obgleich ich vom Chloralhydrat auch schöne Erfolge gesehen habe, gebe ich doch den Morphiumsalzen im Allgemeinen den Vorzug wegen der grossen Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher sie sich in genau abgemessener Dosis hypodermatisch beibringen lassen. Chloralhydrat wird oft sehr ungern und nur um den Preis heftiger Erregung geschluckt, Opium aber (welches sonst in entsprechend grosser Dosis vortrefflich wirkt) von der Magenschleimhaut des Säufers oft gar nicht aufgenommen. Beide Mittel lassen sich auch per anum beibringen; aber ein solches „bleibendes Klystier" ist bei Deliranten immer nur mit neuer Erregung zu appliciren und wird oft wieder ausgetrieben. Häufig genug kommt man bei schlimmeren Fällen in die Lage, Morphium und Chloralhydrat neben einander anzuwenden. Auf der Höhe der Krankheit zeigten sich in vielen Fällen kalte Uebergiessungen noch nützlich. So lange es irgend geht, sucht man das Fesseln des Kranken zu vermeiden, wenigstens bei Tage. Aber es ist das nur bei sehr zuverlässiger Aufsicht zulässig, Nachts, auch unter den günstigsten Verhältnissen nicht durchführbar, wenn man (wie doch mit Recht gefordert wird) den Kranken und seine Umgebungen vor schweren Beschädigungen bewahren will (vgl. pag. 706). Den Kranken zu isolifen, scheint nicht nützlich, da er in der Einsamkeit (wie in der Dunkelheit) noch sicherer seinen Hallucinationen verfällt. Delirium nervosum.
Nach dem Vorgange von D u p u y t r e n hat man als D e l i r i u m n e r v o s u m eine fieberlose, durch Schlaflosigkeit und Delirien ausgezeichnete Erkrankung bezeichnet, welche bei Verwundeten in Folge der Erschöpfung ihrer „moralischen Kraft" durch Schmerz und Angst zu Stande komme. Sieht man von solchen Fällen a b , in denen die Delirien offenbar durch physische Erschöpfung oder durch Fieber (manche Menschen deliriren schon beim leichtesten Fieber) bedingt sind, so werden diese sogen, nervösen Delirien D u p u y t r e n ' s regelmässig durch Opium oder Morphium geheilt. Sowohl nach diesem
Wandfieber.
709
therapeutischen Resultat, als auch nach dem sonstigen Verhalten der Kranken, ist man berechtigt, das sogen. D e l i r i u m n e r v o s u m nur als eine mildere Form des D e l i r i u m t r e m e n s zu betrachten 1 ). T e t a n us.
Als eine in den ganzen Organismus tief eingreifende, gewöhnlich tödtliche Complication der Wunden müssen wir auch den T e t a n u s erwähnen, auf den wir bei den Krankheiten der Nerven (Bd. II.) näher eingehen werden. Die grosse Sorgfalt, welche von Alters her empfohlen wird, Verwundete vor Erkältungen zu behüten, bezieht sich wesentlich auf die Prophylaxis des Tetanus. Ohne ihr Abbruch thun zu wollen, müssen wir doch hervorheben, dass die Besorgniss vor „Erkältungen" leicht zum Unterlassen der nöthigen Ventilation oder der vielleicht sehr werthvollen Anwendung der „Kälte" führen und somit dem Verletzten auch schaden kann. Wundfieber.
In der Mehrzahl der Fälle nehmen die dem Nervensystem angehörigen Zufälle die Aufmerksamkeit des Wundarztes weniger in Anspruch, als die allgemeinen Ernährungsstörungen, die man unter dem Namen des W u n d f i e b e r s zusammenfasst. „Man darf nicht vergessen," sagt J. H u n t e r ' ) , „dass jede, nam e n t l i c h jede acute örtliche Krankheit von einiger Erheblichkeit, „selbst wenn sie keine grosse Ausdehnung h a t , mehr oder weniger „die Constitution angreift und Erscheinungen veranlasst, die man zus a m m e n g e n o m m e n s y m p t o m a t i s c h e s F i e b e r nennt. Die Erschein u n g e n desselben sind der Ausdruck der Mitleidenschaft des übrigen „Körpers mit einer örtlichen Krankheit oder Verletzung; sie sind in „Folge einer Menge von Umständen verschieden. Sie variiren vor „Allem nach der ganzen Constitution des Menschen (wohin auch die „Altersdifferenzen gehören), ferner nach der Beschaffenheit des leidend e n Theils und bei (der Structur nach) gleichartigen Theilen, je nach „ihrer Lage im Körper, ferner nach der Grösse der Verletzung und „nach der Art ihrer Entstehung, wobei es von Belang ist, ob die „Verletzung sofort oder weniger direct nach vorgängiger Nekrose Entz ü n d u n g hervorruft, endlich nach der Periode der Krankheit." Wenn ein solches symptomatisches Fieber auf einer frischen Ver' ) Vgl. E d m . R o s e ,
Delirium
tremens
und Delirium t r a u m a t i c u m ,
in Pitba und
Billroth's Handbuch, Bd. I, Abth. 2 , Lief. 2 , — eine in jeder Beziehung belehrende Darstellung, welche wir auch pag. 7 0 6 — 7 0 8 benutzt haben. ' ) Tlie works of J. H u n t e r , ed. by 1. P a l m e r , London, 1 8 3 7 . Vol. III. pag. 4 2 4 .
710
Verletzungen.
letzung beruht, so nennen wir es W u n d f i e b e r (Febris traumatica). Dasselbe tritt mit den gewöhnlichen Fiebererscheinungen auf: Steigerung der Pulsfrequenz, thermometrisch nachweisbare Erhöhung der Körperwärme (Blut-Temperatur), vermehrte Ausscheidung von Harnstoff sind die objectiven, Unbehaglichkeit mit Frostschauern, Durst, Appetitlosigkeit und gastrische Störungen verschiedener Art die subjectiven Symptome. Das Wundfieber beginnt meist innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Verletzung mit Frostschauern, selten unmittelbar nach der Verletzung mit einem deutlichen Frostanfall, und dauert gewöhnlich 5 — 7 Tage. Meist erreicht es seine grösste Höhe (mit einer Temperatur bis über 40 Grad Celsius und einer Pulsfrequenz von 120—160) innerhalb der ersten beiden Tage, um dann nach kurzer Dauer dieser Akme stetig wieder abzunehmen. Wenn die Wunde von dem Eindringen septischer Stoffe geschützt und der Verwundete von guter Constitution ist, so kann das W u n d f i e b e r ganz fehlen oder doch in 2 bis 3 Tagen aufhören, so dass es sich dann wieder um eine blos örtliche Krankheit handelt. Oft genug sieht man bei ganz gleichen Verletzungen von zwei scheinbar gleich gesunden Menschen den einen heftig fiebern, den andern gar nicht. Ungünstige äussere Verhältnisse, namentlich die Unmöglichkeit, Fäulnisserreger fern zu halten und dem verletzten Theil volle Ruhe zu verschaffen, grosse Reizbarkeit des Verwundeten, Störungen in den ersten Wegen, das gleichzeitige Vorhandensein einer anderen Krankheit, das Auftreten einer neuen Entzündung im Bereiche der Verletzung vermehren und verlängern das Fieber, oder ändern auch seine Natur'). Dann kommt es auch wohl zu Irrereden, Krämpfen und anderen bedeutenden Nervensymptomen; oder es folgt auf die Aufregung Abgeschlagenheit und Stupor; der Puls wird klein und sehr frequent, die Zunge russig belegt; es findet eine allgemeine Oppression Statt. Gleichzeitig wird der Eiter oft schmutzig grau. Alle diese Erscheinungen können am zweiten oder dritten Tage auftreten, oder auch erst später sich entfalten. Jedenfalls muss es zur grössten Sorgfalt in Untersuchung und Behandlung auffordern, wenn ein Verletzter über den achten Tag hinaus fiebert oder w i e d e r zu ]
) Das p r o t r a h i r t e
Wundfieber
m a c h t o f t d e u t l i c h e R e m i s s i o n e n , so d a s s die
T e m p e r a t u r des P a t i e n t e n s o g a r 2 4 S t u n d e n
und darüber unter das Maximum der
N o r m a l t e m p e r a t u r s i n k t , u m d a n n wieder zu e x a c e r b i r e n , m e i s t auf G r u n d Entzündungen Arbeit
über
vorgeschlagen.
i m Bereich
der Wunde.
Billroth,
diese V e r h ä l t n i s s e v e r d a n k e n , Vgl. Dessen
hat
Beobachtuugsstudien
f ü r k l i n i s c h e C h i r u r g i e , Bd. II.
1802.
dem
wir
neuer
eine a u s f ü h r l i c h e
d a f ü r den Namen
Nachfieber
über Wundfieber etc.,
Archiv
Wundfieber.
711
fiebern beginnt. Grosse, winklige und buchtige Wunden, durch welche verschiedenartige Gewebe gleichzeitig getroffen sind, disponiren besonders zu solchen p r o t r a h i r t e n W u n d f i e b e r n . In Fällen der Art kommt es dann zu einer weiteren Ausbreitung der Entzündung; einzelne Gebilde, namentlich die sehnigen und aponeurotischen, werden nekrotisch, es entwickelt sich eine P h l e g m o n e d i f f u s a , welche in der Voraussetzung, dass die Verbreitung der Eiterung in rein mechanischer Weise erfolge, auch als E i t e r s e n k u n g beschrieben worden ist. Ebenso häufig entwickelt sich bei Verwundeten — unter fortschreitender Ausbildung der beim Wundfieber auftretenden gastrischen Störungen — die wahre e x a n t h e m a t i s c h e R o s e (vgl. Bd. II.). Beide Krankheitsprocesse haben sowohl untereinander eine innige Verwandtschaft, als auch eine gewisse Beziehung zu den gewaltigeren Störungen der ganzen Ernährung, die wir als s e p t i s c h e und p y ä m i s c h e F i e b e r bereits (pag. 266 u. f.) kennen gelernt haben. Streng genommen kann die Mehrzahl der Wundfieber, da sie doch nur aus der Aufnahme von fiebererregenden Säften, welche in der Wunde vorhanden sind, namentlich also von Jauche- oder Eiter-Bestandtheilen entspringen, als septische oder pyämische bezeichnet werden. Aber es giebt auch fiebererregende Säfte, welche nicht faul sind; Entzündung und Abscessbildung verlaufen oft mit heftigem Fieber, ohne dass eine Spur von Fäülniss dabei im Spiele ist. Wundfieber der Art bezeichnet man neuerdings als „aseptische". Während des ganzen Verlaufs der durch Verletzungen hervorgerufenen Krankheitsprocesse muss die T h e r a p i e auf das Wcchselverhältniss zwischen den localen Leiden und dem Allgemeinbefinden des Verletzten sorgfältig Rücksicht nehmen. Bei der B e h a n d l u n g d e s W u n d f i e b e r s war man noch vor wenigen Jahrzehnten geneigt, das Fieber direct zu bekämpfen und zu diesem Behufe den A d e r l a s s sogar prophylaktisch anzuwenden, sobald es sich um eine bedeutende Verletzung handelte. Derselbe kann (abgesehen von der Gefahr des D e l i r i u m t r e m e n s , vgl. pag. 706) in der ersten Zeit nach der Verwundung, während des eigenthümlichen nervösen Zustandes, den theils die Erschütterung des Nervensystems, theils auch der Schreck, die Furcht und andere Gemüthsbewegungen veranlassen, nur nachtheilig wirken. Man hat sich aber auch beim Beginne der fieberhaften und entzündlichen Erscheinungen des Aderlasses zu enthalten, da man bestimmt weiss, dass die Wirkung der Blutentziehung selbst bei rein entzündlichem Fieber doch nur eine vorübergehende ist. Bei Verletzungen von Eingeweidehöhlen oder grossen Gelenken hielt man es früher ohne Weiteres für gerechtfertigt,
712
Verletzungen.
einen Aderlass zu machen, — allerdings weniger reichlich, wenn sich voraussehen liess, dass der Kranke eine grosse Eiterung zu Uberstehen haben werde. Man sollte aber selbst bei Kopf- und Brustwunden niemals ohne specielle Indication zum Aderlass schreiten u n d überdies stets auf die Verhältnisse, in denen der Kranke sich befindet, besondere Rücksicht nehmen. Die in anderen Entzündungsfiebern vielfach angewandten i n n e r e n M e d i c a m e n t e , deren Wirkung namentlich auf der Verlangsamung und Schwächung der Herzthätigkeit beruht (Digitalis, Veratrin, Kalisalze), sind in den regelmässig verlaufenden Fällen von Wundfieber überflüssig; in den schlimmeren Formen haben sie keinen Nutzen, können vielmehr nicht blos durch Steigerung der gastrischen Störungen, sondern auch grade durch ihre lähmende Einwirkung auf die Herzthätigkeit nachtheilig werden. — Zuweilen erheischt der Zustand der Verdauungsorgane eine besondere Berücksichtigung. Bei bestehender Verstopfung sind Abführmittel, bei überfülltem Magen Brechmittel von Nutzen. Manchmal bedarf die Harnblase der künstlichen Entleerung. — Meist kann man sich darauf beschränken, zur Linderung des Durstes und der (subjectiven) Fieberhitze den Patienten reichlich Wasser trinken zu lassen und allenfalls Lösungen kühlender Salze (Natron nitricum, bicarb., citricum u. s. f.) oder verdünnte Säuren (Limonade) hinzufügen. Bei lebhafter E n t zündung ist die energische Anwendung des Eises nicht blos gegen die Ausbreitung des localen Processes, sondern auch gegen das davon wesentlich abhängige Fieber das wirksamste Mittel. Dadurch wird auch die Empfindlichkeit des verwundeten Theils erheblich vermindert. — Vor Allem aber sorge man, wie bereits erläutert wurde, für freien Abfluss des Wundsecrets und scheue sich nicht, Incisionen zu machen und Drains einzulegen, wo sie zur Entleerung von Eiterherden erforderlich sind. Gelingt es die Wunde aseptisch zu erhalten oder die bereits septische wieder aseptisch zu machen, so wird man auch Herr des Fiebers. Eine wohlgeordnete und zweckmässige D i ä t ist eine der wesentlichsten Bedingungen für die Heilung aller bedeutenden Verletzungen. Bleibt das Wundfieber ganz aus, so kann man den Verletzten auch in gewöhnlicher Weise essen und trinken lassen, nur in etwas verminderter Quantität, da er keine Anstrengungen, meist nicht einmal Bewegungen macht. So lange die mit dem Wundfieber zusammenhängenden Verdauungsstörungen dauern, fehlt es auch an Appetit. Sobald dieser sich einstellt, liegt kein Grund vor, dem Verletzten nur Wassersuppen und ähnliche, wenig nahrhafte Speisen zu geben. In Frankreich geht man in dieser Beziehung zu weit, indem man den
713
Vergiftete Wunden.
Verwundeten lange Zeit auf sehr schmale Kost setzt. Es hat in der That die Ansicht Vieles für sich, dass durch diese unzureichende Ernährung die Bildung guter Granulationen und fester Verwachsungen, namentlich auch der sichere Verschluss verletzter Gefässe beeinträchtigt werde. Das Mortalitätsverhältniss unter den Verwundeten, welche sieb 1 8 1 4 in den Pariser Hospitälern befanden, war nacb den Nationen so verschieden, dass unter den Franzosen auf je 7, unter den Preussen auf j e 9, unter den Oestreichern auf je l t , den Russen nur auf j e 2 7 ein Todter kam. hebt) ihren Verwundeten reichlich zu essen übrigen nur
schmale Kost
von Bedeutung,
wenngleich
bekamen. auch
und unter
Letztere hatten (wie M a l g a i g n e und
zu trinken
gegeben,
Gewiss war diese Differenz in der
die zähere Natur
der Russen
hervor-
während
alle
Ernährung
mit in Anschlag zu
bringen ist, und die Franzosen bei ganz russischer Diät vielleicht noch mehr Verluste gehabt hätten.
In Betreff der Complication von Wunden mit H o s p i t a l b r a n d ist auf pag. 331 u. f. zu verweisen. Erscheinungen und Verlauf des E r y s i p e l a s , der P h l e g m o n e und der L y m p h a n g i t i s werden im 11. Bande geschildert.
Siebentes Capitel. Von den vergifteten Wunden. Bei den bisher untersuchten Arten der Wunden besteht ein bestimmtes Verhältniss zwischen der anatomischen Verletzung und den Functions-Störungen. Die vergifteten Wunden (Vulnera venenata) unterscheiden sich dadurch, dass ihre Symptome und Zufälle sich nicht aus den mechanischen Verhältnissen der Wunde erklären lassen; die Wunde selbst ist Nebensache; die Hauptsache ist ein vermittelst der Verletzung eingeimpfter, schädlicher Stoff, — ein G i f t . Hieraus ergeben sich, neben der durch die Gestalt, Tiefe und sonstige Beschaffenheit der Wunde bedingten Behandlung, besondere I n d i c a t i o n e n . Man muss 1) d a s E i n d r i n g e n o d e r d o c h d i e weitere F o r t b e w e g u n g des Giftes durch die Blut- und L v m p h g e f ä s s e v e r h i n d e r n , sofern aber dies nicht mit Sicherheit geschehen k a n n , 2) d a s n o c h i n d e r W u n d e v o r h a n d e n e o d e r v o r a u s z u s e t z e n d e G i f t z e r s t ö r e n , endlich, wenn man zu fürchten hat, dass es bereits resorbirt sei, 3) d e n W i r k u n g e n d e s s e l b e n , soweit dies möglich, d u r c h i n n e r e M i t t e l b e g e g n e n . Je nach der Gefahr, welche das Gift bedingt, werden mehr oder weniger energische Eingriffe zur Verhütung seines Eindringens oder zu seiner Zerstörung gerechtfertigt sein. Das einfachste und sicherste
714
Verletzungen.
Mittel, um die Fortbewegung des Giftes zu verhüten, ist das U m s c h n ü r e n des verwundeten Theils nahe oberhalb der Wunde und das A u s s a u g e n der letzteren, sofern nicht etwa auch durch eine Berührung mit der Mundschleimhaut verderbliche Folgen von dem Gifte zu erwarten sind. Hat man ein c h e m i s c h e s Z e r s t ö r u n g s m i t t e l zur Hand, so muss man schleunigst die ganze Wunde mit diesem anfüllen und somit das noch etwa in derselben vorhandene Gift, sowie die mit ihm in Berührung gekommenen und von ihm getränkten Gewebe zerstören. Unter den Zerstörungsmitteln werden wir, bei gleich starker Wirkung, die f l ü s s i g e n oder doch zerfliessenden bevorzugen, weil sie besser in alle etwa vorhandenen winkligen Ausbuchtungen der Wunde eindringen. Daher werden concentrirte Mineralsäuren und Liquor kali hydrici im Allgemeinen den Vorzug verdienen. Aber es kommt vor Allem darauf an, dass die Zerstörung s o f o r t erfolge. Wir werden deshalb ein g l ü h e n d e s E i s e n oder s i e d e n d e s W a s s e r bevorzugen, wenn sie schneller zur Hand sind, und zur E s s i g s ä u r e oder C a r b o l s ä u r e greifen, wenn sie gerade neben uns stehen. Wären kaustische Substanzen der Art überhaupt nur mit Zeitverlust zu beschaffen, die von der Weiterverbreitung des Giftes drohende Gefahr aber bedeutend, so müsste man sogleich d i e U m g e b u n g e n d e r W u n d e in ansehnlichem Umfange a u s s c h n e i d e n oder sogar den Theil, an welchen sich die gefährliche Wunde befindet, a m p u t i r e n . Jedenfalls darf, wenn es sich um ein lebensgefährliches Gift handelt, die schützende Ligatur nicht früher entfernt werden, als bis die Zerstörung oder Ausschneidung in der angegebenen Weise erfolgt ist. Auf die e i g e n t l i c h e n Gifte (im engeren Sinne des Wortes) haben wir hier kaum Rücksicht zu nehmen. In civilisirten Ländern werden mineralische und vegetabilische Gifte bei Menschen nur zu Heilzwecken und bei Thieren nur des Versuchs wegen in Wunden eingebracht. Wir wissen aus diesen Versuchen, dass die meisten giftigen Stoffe auf diese Weise noch schneller, als bei der Einbringung in den Magen, ihre verderblichen Wirkungen auf den ganzen Organismus a u s ü b e n ' ) . Je weniger löslich ein Gift ist, desto weniger schnell erfolgt seine Wirkung. Was den Ort der Application betrifft, so ererfolgt die Wirkung am Schnellsten und Sichersten von solchen Stellen aus, welche reich an Venen und Lymphgefässen sind. Eine besondere Beschreibung erfordern wegen der Eigentümlichkeit ihrer Wirkungen: 1) das sog. L e i c h e n g i f t , 2) die n o r m a l e n !) In Betreff der methodischen Application von Arzneistoffen auf diesem Wege durch hypodermatische
I n j e c t i o n vgl. Bd. II.
Vergiftete Wunden.
715
g i f t i g e n S e c r e t e g e w i s s e r T h i e r e , welche durch den Stich oder Biss derselben (Bienen, Schlangen) beigebracht werden, 3) die U e b e r t r a g u n g k r a n k h a f t e r S e c r e t e von Thieren auf den Menschen (Wuth, Rotzkrankheit u. a.), welche bei der Wuth gewöhnlich auch durch den Biss des kranken Thieres erfolgt. 1.
Infection mit s e p t i s c h e m , sogen. Leichen-Gift.
Beim Präpariren, bei Sectionen und bei Operationen an Leichen oder auch an lebenden Menschen erleidet man an der Hand und den Fingern oft Verletzungen durch Instrumente oder Knochensplitter, welche mit cadaverösen oder doch putriden Flüssigkeiten benetzt sind. Auch ist es nicht selten, dass man Sectionen oder Operationen macht und die Hände in die mit solchen Flüssigkeiten angefüllten Höhlen oder die damit getränkten Gewebe eintaucht, ohne darauf zu achten, ja ohne vielleicht zu wissen, dass man diese oder jene kleine Wunde an der Hand hatte. G e w ö h n l i c h e r f o l g e n h i e r a u f k e i n e b e s o n d e r e n Z u f ä l l e . Die Wunde heilt entweder ohne Weiteres, oder es beschränkt sich die Verschlimmerung doch auf die Entwickelung eines kleinen Abscesses oder einer Pustel, aus denen ein wenig Eiter ausfliesst und die dann entweder auch auf die gewöhnliche Weise heilen, oder aber — auch viele Monate lang jeder Behandlung Trotz bieten. Offenbar ist die Prädisposition des Verletzten hierbei von Belang. Manche Studirende verletzen beim Präpariren sich häufig genug ohne irgend welche schlimme Folgen, während bei Anderen die unbedeutendste Wunde der Art die übelsten Zufälle nach sich zieht. Anderer Seits übt die Beschaffenheit und die Masse der eingedrungenen fauligen Substanz einen bedeutenden Einfluss aus. S c h a w und T r a v e r s haben hervorgehoben, dass bei Cadavern, welche in der Fäulniss bereits stark vorgeschritten sind, Infection weniger zu fürchten sei, als bei solchen, die erst vor Kurzem verstorben sind, namentlich wenn sie an exsudativer Entzündung einer serösen Haut zu Grunde gingen. Vielleicht handelt es sich hierbei um qualitativ verschiedene Substanzen, von denen die eine nur heftig reizend wirkt, die andere in dem Blute des Inficirten schnell Zersetzung einleitet. Die Untersuchungen und Unterscheidungen bieten in dieser Beziehung noch grosse Mangelhaftigkeit dar, und bei der grösseren Vorsicht, deren man sich jetzt mit Recht befleissigt, kommen recht ausgeprägte und ohne Intercurrenz irgend welcher Behandlung entwickelte Fälle selten zur Beobachtung. Jedenfalls machen die neueren Untersuchungen Uber das putride Gift und seine Wirkungen (vgl. pag. 268 u. f.) eine Revision aller hierher gehörigen Beobachtungen wünschenswert!!.
716
Verletzungen.
Wahrscheinlich ist die giftig wirkende Substanz in allen diesen Fällen doch immer das septische Gift, dessen Wirkungen das eine Mal nur local begrenzt auftreten, das andere Mal im ganzen Organismus zur Geltung kommen.
Symptome.
Die ersten Erscheinungen sind meist die einer heftigen Entzündung an der verletzten Stelle, welche sich innerhalb der ersten 24 Stunden entwickelt; daran schliessen sich alsbald entweder die Erscheinungen einer Lymphgefäss-Entzündung, oder die eines typhösen (septischen) Fiebers mit grosser Schwäche, Erbrechen, stinkenden Stuhlausleerungen, Kopfschmerz, Delirien und sehr frequentem, kleinem, zusammengezogenem Pulse. Im letzteren Falle treten die gewaltigen, allgemeinen Erscheinungen gewöhnlich früher ein, als am Orte der Verletzung sich auffallende Veränderungen entwickeln, und stehen mit letzteren in gar keinem Verhältniss. In einem solchen Falle kann man daher wirklich von „Blutvergiftung" sprechen, während überall da, wo es bei einer heftigen örtlichen Entzündung bleibt, oder diese doch nur ihre adäquaten Folgen hat, angenommen werden darf, dass die Wirkung des eingedrungenen Stoffes blos eine örtlich irritirende gewesen ist. Das E i n d r i n g e n von f r i s c h e m , g u t e m E i t e r b a t n u r ö r t l i c h e und in g e r i n g e m G r a d e irritirende W i r k u n g e n ,
während
durch
die E i n i m p f u n g von J a u c h e s e h r s c h n e l l
blos eine heftige locale R e i z u n g , s o n d e r n a u c h S t ö r u n g e n des A l l g e m e i n b e f i n d e n s gerufen werden können.
nicht
hervor-
Vgl. pag. 2 7 4 .
Prognose. Wo die Erscheinungen die Wirkung des Giftes auf den ganzen Organismus anzeigen, da ist die Prognose sehr viel schlimmer, als bei einer, wenn auch heftigen, örtlichen Entzündung. T r a v e r s behauptet, es komme in diesen Fällen auf 7 Kranke nur 1 Genesender, während bei einer Entzündung, „selbst wenn sie die Lymphgefässe und Venen ergreife," auf 20 Verwundete nur 1 Todter komme. Unter den 8 „typhös" Erkrankten erlag Einer bereits 40 Stunden nach dem Beginne der Krankheit, die übrigen starben am lOten, I l t e n , 14ten und 21ten Tage. Vgl. pag. 270. Behandlang. Zunächst muss man unmittelbar nach der Verletzung durch kräftiges und sorgfältiges Streichen und Drücken in der Richtung des arteriellen Blutstroms die Blutung vermehren und unterhalten, die Wunde selbst aber inzwischen unter einen Strom reinen Wassers halten, in vielem warmen Wasser auswaschen, sie auch wohl aussaugen und auf diese Weise den giftigen Stoff zu entfernen suchen. Wenn die Wunde an einem Finger sitzt, so rathe ich, denselben sofort dicht oberhalb der Wunde mit dem ersten besten Faden fest zu umwickeln, um eine Weiterleitung des Giftes durch die Venen und
717
Vergiftete Wunden.
Lymphgefässe unmöglich zu machen, bis man Zeit gewonnen hat, die nunmehr turgescirenden Venen so stark als möglich in der Richtung gegen die W u n d e hin zu entleeren. Nachdem die W u n d e auf solche Weise möglichst sorgfältig mechanisch gereinigt u n d mit reinem Wasser ausgespült worden ist, lege man einen deckenden und n i c h t r e i z e n d e n Verband an. Wo dies Verfahren sogleich nach der Verletzung genau ausgeführt wurde, habe ich üble Folgen niemals hinzutreten sehen. Will man A e t z m i t t e l anwenden, so müssen es jedenfalls flüssige sein, damit sie in die meist engen Wunden gehörig eindringen. Nach den zahlreichen Erfahrungen von V i r c h o w , ist die c o n c e n t r i r t e E s s i g s ä u r e f ü r die Zersetzung der eingedrungenen deletären Substanz ausreichend. Ihre Anwendung auf jede verdächtige Stelle, noch besser auf alle Körpertheile, welche mit verdächtigen Flüssigkeiten in Berührung gekommen sind, namentlich also die Hände, nach jeder Section oder Operation, hat überdies den Vortheil, dass man auf u n beachtete Wunden durch den Schmerz, welchen sie darin erregt, aufmerksam wird. C a r b o l s ä u r e (in 3 p. c. wässriger Lösung) und reiner A l k o h o l leisten sicherlich das Gleiche. Aetzungen mit H ö l l e n s t e i n sind höchst unsicher, weil sie nicht tief genug eindringen, u n a n g e n e h m , weil sie lebhaften Schmerz erregen und gefährlich, weil unter dem durch dieselben hergestellten Schorf sehr leicht zersetztes Wundsecret eingesperrt werden kann. Eine örtliche Entzündung w i r d , wie jede a n d e r e , zu behandeln sein. Das septische Fieber dagegen w ü r d e durch eine antiphlogistische Behandlung n u r verschlimmert werden. Mit der Therapie desselben verhält es sich in diesem Falle, wie bei den septico-pyämischen Fiebern überhaupt. Vgl. pag. 2 7 9 u. f.
II.
Einimpfung normaler giftiger 1.
Secrete.
Stich der Bienen u n d Wespen.
B i e n e n und W e s p e n impfen, indem sie die Haut mit ihrem Stachel d u r c h b o h r e n , eine scharfe Flüssigkeit ein und erregen daher durch ihren Stich, wenn der Stachel auch nicht in der W u n d e zurückbleibt, einen heftig brennenden Schmerz u n d eine circumscripte, h a r t e Geschwulst, welche jedoch allmälig ihre ursprünglich rothe F a r b e verliert und später ganz verschwindet. W e n n nicht sehr viele Verw u n d u n g e n der Art dasselbe Individuum trafen und die W u n d e nicht etwa auf einem sehr empfindlichen Theile sitzt, so entsteht kein Fieber
718
Verletzungen.
und keine Gefahr.
Wenn aber Schwärme
Kind herfallen und
insbesondere
das Gesicht zerstechen,
Gefahr
Ein Gärtner
in Nancy
bedeutend.
dieser Insecten führte
über
ein
so ist die
einen Apfel
Munde, in welchem sich eine Wespe versteckt hatte;
zum
diese stach ihn
am Gaumen, worauf eine so bedeutende Geschwulst sich entwickelte, dass er in wenigen Stunden an Erstickung starb.
Bei der Belagerung
von Massa sollen die Kreuzritter bedeutend gelitten haben durch die von den Belagerten auf sie herabgeschleuderten
Bienenstöcke.
Ist der Stachel in der Wunde zurückgeblieben, so muss er möglichst bald entfernt werden.
Uebrigens reichen kalte Umschläge und
ölige Einreibungen aus, um die unangenehmen Zufälle zu beseitigen. Sind
viele Stiche
zugleich vorhanden,
so soll m a n ,
besonders
bei
jungen Subjecten, eine Blutentziehung machen und in einem diaphoretischen Getränk einige Tropfen Ammoniak geben.
Ich würde mit Eis-
umschlägen auszureichen glauben. 2.
Stich der Scorpionen.
An dem Schwanzende der Scorpionen Giftdrüse communicirender Stachel, flächliche,
befindet sich ein mit der
mittelst dessen das Thier
ober-
aber höchst schmerzhafte Wunden versetzt, welche die Er-
scheinungen
des
Wespenstichs
in
beträchtlich
gesteigertem
Maasse
darbieten, jedoch das Leben nicht in dem Grade gefährden, wie man früher glaubte.
Die Grösse des Thieres bedingt in dieser Beziehung
wesentliche Unterschiede. Die kleinen Europäischen, namentlich Italienischen Scorpionen sind nur für Kinder und Individuen mit sehr zarter Haut und grosser Empfindlichkeit gefährlich, indem ihr Stich heftigen Schmerz und beträchtliche Entzündung erregt. schen Scorpionen
Der Stich der Africani-
dagegen kann nicht blos Krämpfe,
sondern
auch
Gangrän an der Stelle des Stichs und weit verbreitete LymphgefässEntzündung zur Folge haben. — Die B e h a n d l u n g
wäre nach den
oben gegebenen allgemeinen Vorschriften am Besten wohl in der Art einzurichten, dass man möglichst früh'* durch einen kleinen Einschnitt die Stichwunde dilatirt, die Blutung durch centrale Compression günstigt,
zu stärker eingreifenden Aetzmitteln aber nur dann
beseine
Zuflucht nimmt, wenn die Verletzung von einem grossen Africanischen Scorpion herrührt. 3.
Biss der Giftschlangen.
Die G i f t s c h l a n g e n eigenthümliehe Drüse,
haben
an
jeder Seite
ihres Kopfes
eine
die durch einen Ausführungsgan>g das giftige
Secret zur Basis des durchbohrten
oder gefurchten
Oberkieferzahns
Viperobiss.
719
sendet. Das Gift selbst hat eine verschiedene Stärke, je nach der Art der Schlangen, unter denen die mit beweglichen Giftzähnen ausgerüsteten die furchtbarsten sind. Dasselbe ist weder scharf, noch brennend, wenn man es auf die Zunge bringt, und kann ohne Schaden verschluckt werden; aber in irgend bedeutender Quantität in eine Wunde gebracht, erregt es eigentümliche gefährliche Erscheinungen. a) Vipernblss.
Die g e m e i n e V i p e r (Otter), V i p e r a b e r u s , sehr selten Uber 60 Ctm. lang, b r a u n , mit einer doppelten Reihe quer gestellter schwarzer Flecke auf dem Rücken und einer gleichen Reihe auf jeder Seite, welche zuweilen im Zickzackstreifen zusammenfliessen, oder auch so sehr vorherrschen, dass manche Exemplare ganz schwarz erscheinen, — lebt in steinigem Gehölz, am liebsten auf waldigen Bergen. Leute, die mit nackten Füssen im Walde umhergehen, sind ihrem Bisse besonders ausgesetzt; eine derbe Fussbekleidung zu durchdringen, fehlt es ihr an Kraft. Der Vipernbiss ist nicht so gefährlich, wie man früher glaubte, was F o n t a n a 1 ) besonders bewiesen hat, der selbst 12 solcher Verletzungen sah und 50 aus zuverlässigen Berichten kannte, unter welchen allen nur 2 tödtlich wurden. Dies Verhältniss ist daran Schuld, dass so viele Heilmittel als wirksam befunden worden sind. Jedoch giebt es unzweifelhaft auch Fälle, in denen solche Wunden zum Tode führen. OerUiche Erscheinungen. Heftiger Schmerz, der sich schnell weit ausbreitet; dann Entzündung um die Wunde mit bedeutender Geschwulst, welche sich (meist nach dem Lauf der Lymphgefässe) über das ganze Glied, ja über den ganzen Körper erstrecken kann. Zuweilen brechen in der Umgegend der Wunde kleine Bläschen aus. Später beruhigen sich die Schmerzen, die Geschwulst wird teigig, bläuliche Flecken treten auf und verwandeln sich zuweilen in Brandschorfe. Meist verliert sich dies Alles von selbst, die Brandschorfe werden durch Eiterung abgestossen, und es erfolgt Vernarbung. Allgemeine Erscheinungen. Harter, frequenter P u l s , geröthetes Gesicht, stierer Blick, trockene Zunge, heftiger Durst, Delirien, zuweilen auch Ohnmächten, kalte Schweisse, icterische Färbung der Haut, Uebelkeit, Erbrechen, Stupor, zuweilen stinkende Darmausleerungen. Manche führen einen heftigen Schmerz in der Gegend des Nabels an, Andere in der Gegend der Kehle oder des Herzens. Auch Beschwerden l
) Beobachtungen über die Natur der thierischen Körper und das Viperngift. dem Ital. von H e b e n s t r e i t .
1785.
Aus
Verletzungen.
720
bei der Harnausleerung, bis zur Unmöglichkeit derselben, beobachtet ohne nachweisbare Erkrankung der Harnwege.
wurden
Verlauf und Prognose. Der Verlauf und die Heftigkeit dieser Erscheinungen sind sehr verschieden nach dem Alter des Kranken und seiner Gemüthsstimmung. Gewöhnlich folgen sehr schnell auf den Biss heftige, in centripetaler Richtung sich verbreitende Schmerzen und demnächst auch anderweitig nervöse Erscheinungen, namentlich Hinfälligkeit, Ohnmacht, Krämpfe, Delirien. Jedoch ist es unmöglich, die Erscheinungen, welche man zu erwarten hat, oder gar die Reihenfolge derselben im einzelnen Falle genau vorher zu bestimmen. F o n t a n a schreibt die Ohnmächten und andere Erscheinungen auf Rechnung des (psychischen) Schrecks und ist sogar geneigt, auch den Tod davon abzuleiten. Unzweifelhaft ist der Schreck, den der Vipernbiss veranlasst, in Anschlag zu bringen; dass man aber nicht Alles auf ihn schieben kann, geht schon daraus hervor, dass bei Kindern, welche die Viper nicht kennen, und bei Thieren, welche vor ihr nicht erschrecken, doch dieselben Erscheinungen beobachtet werden. Man muss also die verderbliche Wirkung dieses Giftes anerkennen, welche gewiss um so stärker sein wird, je grösser die Viper war, je länger sie das Gift nicht entleert hatte, je heftiger und je öfter sie biss, und je weniger bekleidet der vom Biss getroffene Körpertheil war. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt, selbst wenn die Erscheinungen Anfangs sehr heftig waren, nach mehr oder weniger langen Leiden Genesung. Zuerst weichen dann die Störungen des Allgemeinbefindens; die örtlichen Folgen des Bisses dagegen, namentlich weit verbreitete brandige Zerstörungen im Bindegewebe, auch Schwellung und Aufbruch der Lymphdrüsen, dauern noch längere Zeit fort. Solche langwierige Eiterungen können noch nachträglich zu einem tödtlichen Ausgange führen, ohne dass dieser von der specifischen Wirkung des Giftes direct abzuleiten wäre. Anderer Seits kann aber der Tod durch die Infection des Blutes innerhalb einer Stunde, oder auch später, spätestens jedoch nach Tagesfrist, unter den Erscheinungen der Synkope oder Asphyxie eintreten'). Die Diagnose des Vipernbisses hat in der Regel keine Schwierigkeit, weil die Verletzten meist selbst genau angeben können, dass sie von einer Schlange gebissen („gestochen") wurden. Ist dies nicht der Fall, so wird die schnell steigende Geschwulst in Verbindung mit den nie ganz fehlenden nervösen Erscheinungen auf die richtige Spur ' ) Vgl. F a l k ,
in
Virchow's
Handbuch
Bd. II. Abth. 1. pag. 3 3 1 u. ff.
der
speciellen
Pathologie
u.
Therapie.
721
Vipernbiss.
leiten. Aus der Beschaffenheit der Wunde selbst zu erschliessen, dass sie von Vipernbiss herrühre, ist nur dann möglich, wenn die Schlange b e i d e Oberkieferzähne zugleich eingestossen h a t : die beiden linearen Wunden stehen dann parallel zu einander in einer Entfernung von ' / 4 — % Ctm., je nach der Grösse des Thieres. Wurde die Wunde nur mit e i n e m Zahn beigebracht, so kann man aus ihrer Beschaffenheit sichere Schlüsse nicht ziehen; bei bedeutender Geschwulst ist kaum einmal die Wunde zu entdecken. Die Bebandlnng hat zunächst in der für vergiftete Wunden im Allgemeinen geschilderten Weise (pag. 714) die Resorption des Giftes zu verhüten und dasselbe in der Wunde zu zerstören. Mag auch die Mehrzahl der Fälle nicht tödtlich verlaufen, so dürfen wir deshalb doch in keinem Falle die angegebenen Vorsichtsmaassregeln verabsäumen, wenn auch, wie gewöhnlich, schon einige Zeit nach der Verletzung vergangen ist; denn gerade da, wo Vipern vorkommen, wird ärztliche Hülfe sehr selten zur Hand sein. Die Umschnürung des verletzten Theils ist zu unterlassen, wenn schon bedeutende Geschwulst besteht; dann wird sich vielmehr das Ausschneiden oder wenigstens Einschneiden empfehlen, durch welches man zugleich der weiteren Ausbildung der Entzündung vorbeugt. Ueberhaupt ist neben der Berücksichtigung, welche die durch das Gift veranlassten allgemeinen Störungen erheischen, die specielle Behandlung der localen Entzündung nicht zu vergessen (vgl. Phlegmone und Lymphangitis. Bd. II.). Um die Wirkung des resorbirten Giftes unschädlich zu machen, empfahl B e r n h a r d v o n J u s s i e u die innere Anwendung des L i q . A m m o n i i c a u s t i c i , in der Dosis von 6 — 7 Tropfen auf ein Glas Wasser, worauf reichlicher Schweiss eintreten soll, von dem man erwartet, dass er zur Fortschaffung des Giftes nützlich sei. In der Idee, das Gift zu eliminiren, sind auch Brech-, Purgir- und harntreibende Mittel empfohlen worden. Das Ammoniak mag aber wohl mehr in seiner Eigenschaft als Excitans nervinum in Betracht kommen und somit in ähnlicher Weise wirken, wie andere als specifisch empfohlene Excitantia, Chinawein, Theriak (Electuarum opiatum) u. dgl. m. Statt der bei grosser Mattigkeit und Ohnmacht anzuwendenden Reizmittel, sind bei grosser Aufregung Sedativa, namentlich Morphium, zu empfehlen. Die innere Anwendung des Chlorwassers ist mindestens höchst unsicher, bei grossen Dosen gefährlich. Stellen sich Entzündungen wichtiger Organe ein, so sind diese zu berücksichtigen. Ueberhaupt wird, der Mannigfaltigkeit der allgemeinen Erscheinungen entsprechend, auch die Therapie einzurichten sein. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
46
722
VerletZQDgen.
b) Biss grösserer Giftschlangen. Die G i f t s c h l a n g e n
d e r T r o p e n - G e g e n d e n (insbesondere die
Klapperschlangen) tödten durch ihren Biss, wenn sie ihren Giftvorrath nicht etwa kurz vorher erschöpft oder ihre Giftzähne eingebüsst haben, Menschen
und
grössere
15 Secunden.
Doch
Thiere
greifen
(Hunde,
Ochsen,
sie nur a n ,
wenn
Pferde)
in
etwa
sie gereizt werden,
was freilich ganz unabsichtlich g e s c h e h e n kann, indem der Fuss eines Menschen die versteckt liegende Schlange berührt. Die Giftdrüse scheint das giftige Secret nur langsam a b z u s o n d e r n ; die Entleerung des Giftes kann aber durch den ersten Biss s o vollständig geschehen, dass die folgenden Bisse an Wirksamkeit weit zurückstehen.
Durch wiederholtes
Beissen
kann
der Giftvorrath
ganz
erschöpft werden 1 ). Erfolgt der Tod nervöse
nicht
Erscheinungen
schnellerer und
augenblicklich,
voraus,
das Gift
von Schlangen
so gehen ihm
beim Vipernbiss,
stärkerer Entwickelung.
furchtbaren Gift zu widerstehen; für
wie
in viel
Kein Thier vermag
diesem
nur die Giftschlangen
derselben
Art
3 Todesfälle
selbst
unempfindlich.
2 0 , 0 0 0 Einwohner kommen in Ostindien alljährlich, mindestens
ähnliche
nur
durch Schlangenbiss.
sind
Auf je
Fayrer2),
nach
In Europa
kommen
begreiflicher Weise solche Verletzungen nur durch Unvorsichtigkeit in Menagerien v o r ' ) . Ein Fall d e r Art ist wegen d e r genauen B e o b a c h t u n g von b e s o n d e r e m er Ist von P i a u r e l
Interesse;
beschrieben.
Ein etwa 5 0 J a h r e alter T h i e r b ä n d l e r h a t t e Klapperschlangen nach P a r i s g e b r a c h t , von denen eine g e s t o r b e n zu sein schien. w a r er so u n v o r s i c h t i g , zu
begeben.
Da
machte
einen Biss an d e r
Um sich d a r ü b e r Gewissheit zu verschaffen,
sie a u s dem Käfig zu n e h m e n u n d sich mit i h r a n ' s die Schlange
plötzliche Bewegung
und
Fenster
versetzte
ihm
Vor S c h r e c k a u f s c h r e i e n d ,
wollte er sie doch n o c h
in den Käfig z u r ü c k b r i n g e n , um a n d e r e s Unheil zu v e r h ü t e n ,
erhielt a b e r dabei einen
zweiten Biss in
linken H a n d .
eine
die H o h l h a n d .
legte seine H a n d auf E i s , darauf s c h n ü r t e
weil
Er
lief sogleich h i n a u s ,
er kein W a s s e r
e r seinen V o r d e r a r m
mittelst
finden
rief
nach
konnte.
eines F a d e n s
e i n e m Arzte
Etwa
fest z u s a m m e n .
' ) Capitän H a l l h a t h i e r ü b e r i n t e r e s s a n t e V e r s u c h e g e m a c h t .
und
zwei Minuten Grosse
E r Hess d u r c h eine
kräftige Klapperschlange, die a n einem Pfahl befestigt w a r , m e h r e r e H u n d e beissen. Der z u e r s t gebissene s t a r b in 1 5 S e c u n d e n , d e r zweite n a c h 2 S t u n d e n , d e r z u letzt gebissene, wiederholte H a l l
d r i t t e H u n d e r k r a n k t e erst n a c h 3 S t u n d e n . diese Versuche mit derselben Schlange.
H u n d s t a r b in 3 0 S e c u n d e n , der folgende in 4 3
) T h e T h a n a t o p h i d i a of India etc., L o n d o n , 1 8 7 2 .
s
) Selten ist wohl d e r F a l l , unter solchen
Farbeholz kenne.
dass
verpackt,
Vier Tage darauf
Der z u e r s t
gebissene
Hinuten. (Prachtwerk).
eine G i f t s c h l a n g e im
erstarrten
lebend n a c h E u r o p a k o m m t , —
Zustande, wie ich einen
Biss g r ö s s e r e r
Giftschlangen.
723
U n r u h e und A u f r e g u n g b e m ä c h t i g t e sich s e i n e r ; als P i a u r e l von k a l t e m S c h w e i s s b e d e c k t , m i t s t i e r e m foltert.
Er
Wunde;
dies g e s c h a h h ö c h s t e n s 2 0
liess
ihn
ein
h a l b e s Glas Olivenöl
nehmen,
und
kauterisirte sofort
Minuten n a c h d e r Verletzung.
g e f ä r b t e A n s c h w e l l u n g u n d das G e f ü h l von A b s t e r b e n abzunehmen.
a n k a m , f a n d e r ihn b l a s s ,
Blick u n d von d e r gewaltigsten U n r u h e ge-
Sofort traten Ohnmächten
die
Die d u n k e l - v i o l e t t
in d e r H a n d n ö t h i g t e n
die L i g a t u r
n e b s t u n w i l l k ü r l i c h e n E n t l e e r u n g e n des D a r m s
u n d d e r Blase e i n ; das A l h m e n w u r d e r ö c h e l n d , d e r Puls k a u m f ü h l b a r , die A u g e n l i d e r geschlossen,
die P u p i l l e z u s a m m e n g e z o g e n ,
Extremitäten
unempfindlich;
Verlauf Mixtur Verlauf
Hand
einer S t u n d e erfolgte E r b r e c h e n , aus
Aether
von
3
und
Opium,
Stunden
hatte
die ganze K ö r p e r o b e r ß ä c h e k a l t , die
und Vorderarm schwollen so
sich
wie
welches
etwas
eingestellt;
Nach
Es wurde
Getränk aber
unteren
weiter an.
erleichterte.
schweisstreibendes
Besserung
niebt
eine
gereicht.
alsbald
Nach
wurde
B e s p i r a t i o n wieder b e s c h w e r l i c h , d e m n ä c h s t a u c h d a s S c h l i n g e n ; d e r K r a n k e
die
versicherte,
d a s s ihn das die L u n g e ü b e r f ü l l e n d e Blut e r s t i c k e , u n d verlangte n a c h e i n e m Aderlass. E s w u r d e n ihm n o c h
10 Blutegel an die v o r d e r e S e i t e des Halses g e s e t z t ; a b e r Alles
k ü n d i g t e e i n . baldiges E n d e
an.
Oer T o d
erfolgte k a u m
Die O b d u c t i o n w u r d e leider erst 4 ' / 2 Tag n a c h h e r s e b o n sie b e r e i t s b e e r d i g t gewesen
war,
9 Stunden
angestellt.
k e i n e S p u r von F ä u l n i s s ;
E x t r e m i t ä t w a r n i r g e n d eine A n s c h w e l l u n g o d e r F a r b e n v e r ä n d e r u n g . mark waren abnorm blutreich; adhärirend, der
die A r a c h n o i d e a
l e t z t e r e s e l b s t von s a n g u i n o l e n t e r
Bissstellen
ergab
durchaus
nichts
verdickt, In
getrübt den
dem
Biss.
an
der
verletzten
Gehirn und Bücken-
Flüssigkeit getränkt.
Besonderes.
nach
Die L e i c h e zeigte, o b -
u n d d e r Pia Die
Venen
mater
Untersuchung der
verletzten
S e i t e w a r e n von d e r A c h s e l h ö h l e bis z u m Herzen hin B l u t g e r i n n s e l ; e b e n s o verhielten sich a b e r a u c h die übrigen g r o s s e n Venen. röthlichem
L u f t r ö h r e und B r o n c h i e n w a r e n von s c h a u m i g e m ,
Schleime erfüllt, ihre Schleimhaut gerölhet.
Die Bchaudlaug
muss sich
Alle a n d e r e n O r g a n e
auch hier
gesund.
nach den für vergiftete
Wunden im Allgemeinen (pag. 7 1 4 ) gegebenen Regeln richten, möglichst energisch und unmittelbar nach der Verletzung
aber
eingeleitet
werden. Die Kauterisation muss sofort geschehen; nach einigen Minuten ist es, wie P i a u r e l durch Versuche nachgewiesen hat, schon zu spät. Das Aetzmittel muss sehr tief sehr lang und spitz.
eindringen,
denn
die Giftzähne
sind
Das Aussaugen der Wunde ist nicht unbedenk-
lich, da obwohl das Gift von der unversehrten Mund- und Magenschleimhaut aus nicht wirkt, die Aufnahme doch durch kleine Wunden an den Lippen oder der Zunge vermittelt werden könnte.
Von erfolg-
reicher Behandlung kann überhaupt nur die Rede sein, wenn durch eine vorläufig angelegte Ligatur oder durch irgend einen Zufall die Resorption
des
zählten Falle.
Giftes behindert worden ist, Ich würde dann,
nach
wie in dem
eben er-
schneller Ausschneidung
der
Umgebung der Wunde, bei welcher Gemäss- und Nervenverletzungen nicht in Betracht kommen
dürften, das schnell zerfliessende Aetzkali
für das sicherste Mittel halten; wo es sich aber um eine Verletzung an den Fingern handelt, und auf frischer That eine Ligatur um den Finger gelegt ist, sofort den Finger exarticuliren.
Es scheint mir in
46*
724
Verletzungen.
der That, da es sich hier um Leben oder Tod handelt, kein zu grosses Opfer, wenn man selbst eine ganze Hand fortnimmt; in einem Falle, wie der oben erzählte, möchte die Rettung wohl gelingen, wenn man, statt die höchst verständig angelegte Ligatur zu lösen, sogleich oberhalb derselben im Vorderarm amputirt'). Die Ureinwohner der schlangenreichen Gegenden sind auch reich an
Schlangenkräutern
und S c h l a n g e n w u r z e l n ,
durch
deren
Genuss üble Wirkungen des Bisses der Giftschlangen verhütet werden sollen.
Unter
diesen Specificis wird
neuerdings von T s c h u d i ® )
namentlich
gerühmt.
Wirksamkeit ist zur Zeit unmöglich. sind auch nicht ganz beweisend. Schlange für giftig angesehen
der G u a c o
Die Erklärung
einer
noch solchen
Die vorliegenden Beobachtungen
In manchen Fällen mag man eine
haben,
die es nicht war,
in anderen
handelte es sich vielleicht um eine Giftschlange, die vor Kurzem ihre Giftzähne eingebüsst oder ihren Giftvorrath in einem vorausgegangenen Kampfe erschöpft hatte, wie man dies bei Versuchen an Thieren gesehen hat (vgl. pag. 7 2 2 ) .
III.
E i n i m p f u n g von k r a n k h a f t veränderten
Secreten.
Hierhergehören: W u t h , R o t z und M a u l - und K l a u e n s e u c h e . Wathkrankheit, Hundswuth. Gewöhnlich
erfolgt
die Uebertragung
des Wuthgiftes
auf
den
Menschen durch den Biss eines tollen Hundes, seltener eines Wolfes, Fuchses, Dachses, Schakals (in Ostindien) oder einer Katze, von der Wuth
welche
befallen waren, äusserst selten durch den Biss eines
von einem Fleischfresser durch Biss inficirten pflanzenfressenden Thieres. W a t h k r a n k h e i t beim Hunde. In
dem Verlaufe
der Hundswuth
(Rabies
canina,
Lyssa,
Wasserscheu, Hydrophobia) unterscheidet man d r e i S t a d i e n : 1. Stadium prodromorum s. melancholicum, 2. St. irritationis s. acmes und 3 . St. paralyseos 3 ). ' ) Die von mir vor 2 7 Jahren bereits in diesem Lehrbuch empfohlenen Grundsätze für die Behandlung der vergifteten Wunden im Allgemeinen und des Schlangenbisses im Besonderen werden von F a y r e r bestätigt. schnürnng,
Unverständlich i s t . m i r , anderer
Seits
aber
(den B o l l i n g e r
nie F a y r e r Lockerung
der
cltirt) fast wörtlich
einer Seits möglichst feste UmLigatur
bei
schwellung des Gliedes (die doch unvermeidlich i s t ) empfehlen 2 3
eintretender
An-
kann.
) Wiener medicinische Wochenschrift, 1 8 5 3 , No. 3 0 .
) Vgl. V i r c h o w in seinem Handbuch der spec. Pathol. u. Therapie. Bd. II. Abtb. 1 . pag. 3 4 2 ff.
Hundswuth.
725
Ist die Wuth, wie gewöhnlich, nachweisbar durch den Biss eines kranken Hundes übertragen, so vergehen in der Regel m e h r e r e W o c h e n (40 bis 50 Tage), bevor man Krankheits-Erscheinungen an dem gebissenen Hunde wahrnimmt ( S t a d i u m i n c u b a t i o n i s ) , während sein Biss wahrscheinlich bereits die Wuth auf andere Thiere und auf den Menschen zu übertragen vermag 1 ). 1. S t a d i u m p r o d r o m o r u m . Das Verhalten des Thieres lässt im Allgemeinen eine innere Angst und Unruhe erkennen. Depression und Exaltation können dabei unter dem trügerischen Bilde der Launenhaftigkeit mit einander abwechseln. Brechbewegungen und wirkliches Erbrechen treten häufig a u f , ohne dass dabei Appetitlosigkeit oder Wasserscheu bestände. Jedoch ist der Appetit jetzt schon nicht selten pervers; der Hund frisst Stroh, Papier und andere unverdauliche Dinge, auch den eigenen Roth, verweigert dagegen die gewohnte Nahrung, zumal consistente Speisen zu fressen. Die Nasalschleimhaut sondert mehr ab, die Nase ist heiss, die Conjunctiva injicirt, die Pupille erweitert (Reizung im Gebiete des Halstheils des Sympatbicus). Zuweilen tritt auch schon eine Veränderung der Stimme und vermehrte Speichelsecretion auf. Kann man die Narbe der Wunde entdecken, durch welche die Krankheit auf das Thier übertragen wurde, so findet man, dass es diese Stelle vorzugsweise häufig und andauernd beleckt oder kratzt. — In der Regel beginnt n a c h e i n b i s d r e i T a g e n , selten früher, noch seltener später, 2. das S t a d i u m i r r i t a t i o n i s , welches durch wiederholt auftretende P a r o x y s m e n einer allgemeinen krampfhaften Unruhe und Exaltation, sowie durch Veränderung der Stimme, welche tiefer, rauher, endlich ganz heiser und heulend wird, ausgezeichnet ist. Jetzt zeigt das Thier eine grosse Neigung unstät umherzuschweifen, auf beliebige Gegenstände loszufahren, andere Hunde und auch Menschen, selbst seinen Herrn, dessen Ruf es nicht mehr gehorcht, zu beissen. Die Dauer eines solchen Anfalls schwankt zwischen einigen Stunden bis zu einem Tage und darüber. Dann folgt eine Remission, die namentlich bei wohlerzogenen Hunden und bei solchen, die während des Wuthanfalls nicht verfolgt wurden, deutlich hervortritt. Während der Remission zeigt sich eine gewisse Schwäche des Hinterleibes, daher auch ein schlaffes Hinabhängen (sogen. Einziehen) des Schwanzes. Schlingbeschwerden bestehen verhältnissmässig selten; nur in Fällen, wo solche vorhanden sind, wird das Thier auch wasserscheu. Das früher für charakteristisch gehaltene struppige Aussehen des Thieres ist die Folge des Umherschweifens, oft erst der stattgehabten Ver') B o l l i n g e r in v. Ziemssen's Handbuch, Bd. III, pag. 5 1 0 u. 5 4 1 .
726
Verletzungen.
folgung. Dass andere Hunde den erkrankten fliehen und dass er selbst Gegenstände vermeidet, die mit dem Schaum seines Mundes besudelt sind, ist unerwiesen. Die Dauer dieses Stadiums ist meist d r e i bis v i e r T a g e , jedoch mannigfach wechselnd. Der Tod kann während desselben plötzlich (apoplektisch) erfolgen. In anderen Fällen, namentlich bei älteren Hunden, treten n u r wenige, auch wohl gar keine Paroxysmen auf, und die Remissionen der Krankheit sind dem entsprechend auch weniger deutlich, so dass von vorn herein das Krankheitsbild der „ s t i l l e n W u t h " entsteht, welches eigentlich dem dritten Stadium angehört. 3. Das S t a d i u m p a r a l y s e o s zeigt uns den Hund abgemagert, erschöpft, schlafsüchtig, jedoch bei jeder Reizung noch bissig, mit gelähmtem Hinterkörper, herabhängendem Unterkiefer und dadurch bedingtem Speichelausfluss, endlich vollständig gelähmt. Zuweilen stellen sich totale oder partielle Krämpfe ein; meist aber erfolgt der Tod in einem soporösen Zustande zwischen dem fünften und achten Tage der Krankheit. Hatte die Krankheit schon im zweiten Stadium die Form der „ s t i l l e n W u t h " angenommen, so fehlen die Reizungserscheinungen im Bereiche des Gehirns, namentlich die Neigung zum Fortlaufen und zum Beissen, — obwohl nicht immer; dagegen treten entzündliche Erscheinungen im ganzen Nahrungscanal und Lähmung der Kaumuskeln (daher auch Herabhängen des Unterkiefers) frühzeitig auf. Bei der S e c t i o n der an Lyssa gestorbenen Hunde fand man: 1) schnelle Fäulniss, dem entsprechend auch schnelle Zersetzung des Blutes; 2) Entzündungsröthe und Exsudate am Gehirn und Rückenmark (namentlich in der rasenden Wuth), an den Halsganglien des Sympathicus, am Vagus, Hypoglossus, Trigeminus und anderen Nerven; 3) Ecchymosen in und unter der Schleimhaut der Verdauungsorgane, namentlich im Magen, der keinen Speisebrei, dagegen heterogene, unverdauliche Substanzen und Unrath enthält; 4) Hyperämien und Schwellungen der Schleimhaut in den Resorptionsorganen. — Dieser Befund enthält nicht viel Specifisches und ist nicht einmal constant, so dass wir aus ihm über das W e s e n der Krankheit nichts erschliessen können. In Berücksichtigung der Symptome und des Verlaufs haben wir dasselbe wohl in einer, durch das mit dem Gifte verunreinigte Blut vermittelten übermässigen Erregung einzelner Nervencentra zu suchen. Die Aetiologie der Hundswuth ist ebenso wenig aufgehellt, wie ihr Wesen. In allen genau untersuchten Fällen gelang der Nachweis des traumatischen Ursprungs, d, h. der directen Uebertragung des
727
Hundswutb.
(jedenfalls nicht flüchtigen) Giftes von einem kranken Thiere auf das gesunde. Ob für die Entstehung der Wuth eine besondere Prädisposition erforderlich, ob zu ihrem Ausbruch eine besondere Erregung des Thieres durch äussere Reize etwas beiträgt, darüber ist noch nicht mit Bestimmtheit entschieden. Neben der traumatischen Form auch noch eine spontane, vielleicht miasmatische, anzunehmen, erscheint, bei sorgfältiger Kritik der zu Gunsten dieser Ansicht angeführten Beobachtungen, nicht zulässig. Die Krankheit ist vielmehr als eine rein c o n t a g i ö s e zu betrachten, jedoch eine gewisse Prädisposition (oder Immunität), wie bei den meisten anderen Contagien, anzuerkennen. Psychische Reize, Erregung des Geschlechtstriebes, auch Temperaturwechsel (keineswegs aber gerade grosse Hitze) mögen ihren Ausbruch und ihre Verbreitung begünstigen. Von Zeit zu Zeit sah man die Hundswuth in wahrhaft epizootischer Form auftreten, ohne nachweisen zu können, dass dies grade mit bestimmten Witterungsconstitutionen in Zusammenhang gestanden hätte 1 ). Von Belang ist vielleicht auch die mit der Zähmung verbundene Verweichlichung der Thiere. Untersuchungen über die geographische Verbreitung der Hundswuth sollten ergeben, dass unter den frei und unbeaufsichtigt lebenden Hunden im Orient die Krankheit seltner sei. Jedoch steht andrer Seits fest, dass in Russland wuthkranke Wölfe und in Ostindien wuthkranke Schakals gar nicht zu den Seltenheiten gehören'). Wutkkrankheit beim Menschen. Aetiologie und Weseil der Wuthkrankheit beim Menschen sind keineswegs aufgeklärt. Wir haben es hier zunächst mit der durch eine Bisswunde auf den Menschen übertragenen Wuth zu thun; die Uebertragung kann aber auch durch Aufstreichen des giftigen Speichels auf einen von Epidermis entblössten oder mit sehr dünner Epidermis versehenen Theil, sowie auch durch Einimpfung anderer Secrete und des Blutes des wuthkranken Thieres erfolgen. Die Empfänglichkeit für das Wuthgift ist individuell verschieden, im Allgemeinen aber bei Menschen geringer, als bei Hunden. Allerdings mag man manchmal „individuelle Immunität" angenommen haben, während der gebissene Mensch nur deshalb gesund blieb, weil zufällig kein Speichel in die ' ) Dies ist aber noch kein hinreichender G r u n d , zu b e t r a c h t e n , wie F a l k e dies Hundswutb sind Typhen
und
in
durch
um
die Hundwuth als
Typhus
seiner Preisscbrift ( „ d e r Milzbrand und die die Impfung h e i l b a r " , J e n a ,
1861)
ver-
sucht hat. *) Vgl. z. B. den Bericht über den Volksgesundheitszustapd im Russischen Kaiserreiche für 1 8 5 8 , Petersburg 1 8 6 0 , pag. 2 7 7 .
728
Verlegungen.
Wunde eingedrungen war. Hieran ist besonders zu denken, wenn der Biss eine bekleidete Körperstelle getroffen hatte, namentlich durch dicke Beinkleider oder Stiefeln hindurch gegangen war, in denen die Zähne des Thieres abgeputzt wurden, ehe sie die Haut erreichten. Jedoch liegen auch Fälle vor, in denen Bisse an unbedeckten Körpertheilen die Wuth nicht hervorriefen. Die g e w ö h n l i c h e Z e i t d e s A u s b r u c h e s d e r W u t h i s t zwischen dem d r e i s s i g s t e n und v i e r z i g s t e n Tage nach der V e r l e t z u n g ; oft dauert es nur sieben Tage; nach der Angabe von J. H u n t e r ist der längste Termin s i e b z e h n M o n a t e . Unzuverlässige Angaben sprechen von drei bis dreissig Jahren. Jedenfalls ist die Zeit der L a t e n z d e s G i f t e s (Incubation) länger als beim Hunde. Wir sind ausser Stande, zu erklären, wie dies schreckliche Gift so lange Zeit wirkungsfähig und doch wirkungslos im Körper ruhen kann. — Gewöhnlich giebt eine Gemtithsbewegung oder körperliche Aufregung die Veranlassung zum Ausbruch. M a n c h e A e r z t e b e h a u p t e n , die Vorstellung, d a s s d a s T h i e r toll gewesen sei, k ö n n e die W u t h h e r v o r r u f e n ;
dieselben
geben d a n n f o l g e r e c h t a n ,
w u t h k r a u k e Menschen d a d u r c h z u h e i l e n , Hund*
in
voller G e s u n d h e i t
vorführte,
gelungen,
solche
dass m a n ihnen den vermeintlichen
„tollen
woraus
diesen Fällen u m W u t h k r a n k h e i t n i c h t
deutlich
es
sei
hervorgeht,
gehandelt haben
dass
es sich in
kann.
Während der Latenz des Giftes hat man an der Bissstelle, die man im Allgemeinen, je nach ihrer sonstigen Beschaffenheit, gut heilen sah, zuweilen Schwellung der Narbe oder, wenn diese noch nicht gebildet war, Fungosität der Granulationen beobachtet. Marochetti
(Observations
m e d i c o - p h y s i q u e à Moscou.
sur
l'hydrophobie
St. Petersbourg,
etc.
1821)
Mémoire
behauptete,
lu
à
la
société
dass am 3ten,
7ten, 9 t e n , oder auch erst a m 2 1 s t e n , sogar 3 4 s t e n Tage nach der Verletzung Bläschen
und Knötchen
zeigen u n d g e w ö h n l i c h
uDter nach
der Zunge,
30
Stunden
zu
den Seiten
wieder
5ten, kleine
des Z n n g e n b ä n d c h e n s
verschwinden.
Wenn
sie
sich
innerhalb
d e r e r s t e n 2 4 S t u n d e n n a c h i h r e m E n t s t e h e n g e ö f f n e t u n d k a u t e r i s i r t w ü r d e n , so die W u t h n i e m a l s a u f . bei
sehr
genauer
Mundschleimhaut
Diese A n g a b e n h a b e n sich in
Kenntniss dürfte
es
des
physiologischen
überdies
K n ö t c h e n e t w a s C h a r a k t e r i s t i s c h e s zu
schwer sein,
und in
keiner Weise bestätigt. pathologischen solchen
trete Selbst
Verhaltens
k l e i n e n Bläschen
der oder
entdecken.
Im Verlaale der Wuthkrankheit selbst können wir, wie beim Hunde, drei Stadien unterscheiden. 1. Für das S t a d i u m p r o d r o m o r u m , dessen Dauer zwischen einem Tage und mehreren Wochen schwankt, sind, nächst allgemeinem Unwohlsein, Mattigkeit und geistiger Verstimmung, die sich besonders häufig als Präcordialangst zeigt, charakteristisch: 1) Veränderungen der Narbe, welche anschwillt, sich röthet und juckt oder schmerzt,
Hundswuth.
729
oder entsprechende Veränderungen der Granulationen, wenn die Wunde noch nicht vernarbt ist, 2) anginöse Beschwerden, welche mit Steigerung der Präcordialangst auftreten und den Schlund und Kehlkopf gleichmässig befallen. — Der Erschwerung des Schlingens und des Einathmens entspricht bei Weitem nicht immer die Schwellung der Mandeln oder des Pharynx, welche meist nur eine katarrhalische Secretionsvermehrung zeigen. 2. Im S t a d i u m i r r i t a t i o n i s s. h y d r o p h o b i c u m steigern sich die erwähnten Störungen zu einer furchtbaren Höhe; namentlich wird aus der Angst und Unruhe des Patienten der meist mit vollkommener Bewusstlosigkeit verbundene W u t h a n f a l l , dessen Eintritt den Anfang dieses Stadiums bezeichnet und der beim Menschen, wie beim Hunde, sich mit deutlichen Remissionen bis zur völligen Erschöpfung wiederholt. Mit der Heftigkeit der Anfälle verhält es sich umgekehrt, wie beim Hunde. Der erste ist der schwächste und die Heftigkeit steigert sich mit jedem neuen Anfalle. Die Hydrophobie, richtiger D y s k a t a p o s i s (da sie doch nur von der durch die Starrheit der Schlingmuskeln bedingten Unmöglichkeit oder Schwierigkeit des Schlingens abhängt), ist beim Menschen fast constant. Dass gerade beim Trinken so grosse Schwierigkeiten eintreten, erklärt sich theils daraus, dass Flüssigkeiten überhaupt leichter in den Larynx eindringen, wodurch das den Kranken ohnehin quälende Gefühl der Erstickung aufs Aeusserste gesteigert wird, theils daraus, dass beim Trinken, wenn man das Glas nicht absetzt, den Schlundmuskeln ihr Stützpunkt Seitens des Unterkiefers entweder fehlt oder doch verschoben ist. Die Kranken werden dabei von heftigem Durst gequält und essen mit Begierde saftige Speisen, namentlich Obst, welches sie vorher durch Schaben sorgfältig zerkleinern. Während der Remissionen leiden die Kranken, obschon bei Bewusstsein, durch phantastische Erregungen, erhöhte Empfindlichkeit der ganzen Körperoberfläche, bald für diese, bald für jene Eindrücke, und an einer stetig steigenden Schwierigkeit beim Einathmen. Hieraus, wie aus den Erscheinungen des Paroxysmus selbst, lässt sich die Ansicht rechtfertigen, dass es sich um Krämpfe im Gebiet des Vagus, Accessorius und Phrenicus handelt, zu denen sich allgemeine (Reflex-) Krämpfe erst hinzugesellen, wenn die Erregbarkeit des ganzen Nervensystems den höchsten Grad erreicht hat. Die Unterscheidung des Wuthanfalls vom Wundstarrkrampf (Tetanus) wird sich bei der Beschreibung des letzteren (Band II.) ergeben. Wasserscheu,
oder
doch Unmöglichkeit,
Wasser zu verschlucken,
kann sich
auch bei Kranken vorfinden, welche durchaus nicht a n der Wuthkrankheit leiden; man hat sie sogar bei Frauen während
der Schwangerschaft beobachtet und
mit der Ent-
730
Verletzungen.
bindung aufhören
sehen.
Wie
wichtig
es i s t ,
der an „ W a s s e r s c h e u " leidet, als W u t h k r a n k e n
nicht
von V o r n h e r e i n j e d e n
Kranken,
u n d zu b e h a n d e l n ,
lehrt
In d e m K r a n k e n h a u s e e i n e r g r o s s e n S t a d t s t a r b ein Mensch a n d e r W u t h .
Bald
n a c h s t e h e n d e r , von V i d a l
erzählter
zu b e t r a c h t e n
Fall.
d a r a u f w u r d e ein a n d e r e r K r a n k e r d a s e l b s t a u f g e n o m m e n , w e l c h e r d u r c h a u s n i c h t t r i n k e n wollte.
Der Arzt, n o c h g a n z voll von d e m S c h r e c k b i l d e d e r W u t h , b e f i e h l t d e m N e u -
a n g e k o m m e n e n zu
trinken;
dieser
erklärt,
auch
nicht
einen
Tropfen" schlucken
zu
k ö n n e n ; m a n will i h n d a z u z w i n g e n , e r s t r ä u b t s i c h , u n d als m a n ihn e n d l i c h fesselt, b e k o m m t er K r ä m p f e . Ibn
(nach
Die Diagnose d e r W u t h k r a n k h e i t s c h e i n t s i c h e r ; m a n
der M a r o c h e t t i ' s c h e n
Methode)
unter
der
Zunge.
Noch
kauterisirt
an
demselben
Tage erfolgt d e r T o d ; die S e c t i o n l e h r t , d a s s d e r K r a n k e an e i n e r f u r c h t b a r e n A n g i n a gestorben
ist,
welche
das Athemholen
3.
ihm
unmöglich
d a s V e r s c h l u c k e n von F l ü s s i g k e i t e n u n d
schliesslich
auch
machte.
Nach frühestens 2 4 Stunden, spätestens 4 Tagen beginnt das
Stadium Hunde,
paralyticum
unter analogen
Erscheinungen,
wie
beim
und führt nach wenigen Stunden, meist unter Nachlass aller
Krankheitserscheinungen —• so dass die Unglücklichen
auch
wieder
trinken können — und bei vollkommen klarem Bewusstsein,
durch
Erschöpfung
Tode.
oder
auch
unter
erneuten
Convulsionen
zum
Seltener stirbt der Kranke apoplectisch während eines heftigen Paroxysinus im zweiten Stadium. Die S e c t i o n en haben liber das Wesen der Krankheit
ebenso-
wenig Aufklärung geliefert, wie beim Hunde. Die s p e c i e l l e S y m p t o m a t o l o g i e
der
Paroxysmen
ergiebt
sich aus den nachstehenden Krankengeschichten. I.
Beobachtung
J. T h . G o r e l ,
von
Vidal.
vierzehn J a h r e
Temperament, wurde v o r e t w a gebissen,
den
man
alsbald
tödtete.
s c h e n k e l s v e r n a r b t e s e h r bald, ungestörten Gesundheit. g l u t b , es ist i h m ,
alt,
drei und
Da s i e b t
von
heiterem
Monaten Die
Gorel
Wunde
Charakter
und
sanguinischem
von e i n e m v e r m e i n t l i c h an
der
tollen H u n d e
vorderen Seite
e r f r e u t e sich bis z u m
des
Unter-
11. December
als w ü r d e er h i n e i n g e s t ü r z t , e r e r w a c h t e r s c h r e c k t u n d in heftiger
Aufregung,
m i t Klagen ü b e r S c h m e r z e n
Am
Morgens h a t t e e r n i c h t sein f r ü h e r e s h e i t e r e s A u s s e h e n , w a r m ü r r i s c h
12ten
schweigsam,
einer
er plötzlich N a c h t s im T r a u m e eine l o d e r n d e Kohlen-
das Trinken widerstand
in d e r B r u s t u n d
ihm.
Um Mittag
Beschwerden
wurde
b r a c h t , o h n e ein b e s t i m m t e s Z e i c h e n d e r W u t h d a r z u b i e t e n .
er
beim
Athmen. und
i n ' s Hôtel-Dieu
8 Uhr A b e n d s :
ge-
Geröthetes
G e s i c h t , r o t h e Z u n g e , s e h r f r e q u e n t e r , g l e i c h s a m z i t t e r n d e r , k l e i n e r Pills, f o r t d a u e r n d e Aufregung,
zuweilen s c h r e i t er a u f ,
Widerwillen
gegen
M o r g e n s : convulsivisclie B e w e g u n g e n d e r G l i e d m a a s s e n ,
jede
Flüssigkeit.
bedeutende
Am
13ten
Schlingbeschwerden,
f o r t d a u e r n d e s A u s s p u c k e n eines s c h a u m i g e n S p e i c h e l s , A t h e m n o t h , u n d ein
eigenthiim-
liches Gefühl von Z u s a m m e n s c h n ü r u n g d e r K e h l e ; f u n k e l n d e , h e r u m s c h w e i f e n d e A u g e n ; mitunter
wiithendc
Verziehungen
der
Gesichtsmuskeln,
besonders
nach
Vorn
(einer
H u n d s s c h n a u z e ä h n l i c h ) , u n d so g r o s s e r A b s c h e u vor allen F l ü s s i g k e i t e n , d a s s es h i n r e i c h t , sie zu n e n n e n , o d e r ihm e i n e n g l a n z e n d e n G e g e n s t a n d zu z e i g e n , u m die f u r c h t barsten W u t h a u s b r ü c h e hervorzurufen.
Manchmal
kommen
ruhige
und lichte Augen-
731
Hundswuth. blicke,
während welcher
er k u r z
u n d b e s t i m m t auf
die
gestellten F r a g e n
E s w u r d e ein A d e r l a s s g e m a c h t u n d die N a r b e a m U n t e r s c h e n k e l welcher
nichts Besonderes
übrigens
glübenden
Elsen g e b r a n n t
und
zu
dann
Schmerzäusserung fand nicht Statt.
bemerken
mit
war,
die
Wunde mit
wurden
war.
Sie
wurden
zwölf Blutegel
um
Kranke wnrde gefesselt; ersticke,
excidirt
und
erfolgten
u n d verlangte n a c h
an
weiss-
in W e i n e s s i g g e t r ä n k t e r C b a r p i e v e r b u n d e n . von d e n e n das l i n k e
mit Spiessglanzbutter
den Hals gesetzt
es
dem
Man s u c h t e u n d f a n d h i e r a u f a n d e r u n t e r e n F l ä c h e
d e r Z u n g e zu b e i d e n S e i t e n d e s F r e n u l u m zwei kleine G l ä s c h e n , deutlicher
antwortet.
ausgeschnitten,
und
neue Ausbrüche
geistlichem T r o s t ;
geätzt.
zehn G r a n M o s c h u s er
der W u t h ;
liess
Demnächst
gegeben.
er schrie,
Der
d a s s er
f a s t j e d e n Augenblick
Urin.
Die L i p p e n w u r d e n b l a u , die C o n j u n c t i v a g e r ö t h e t , die Augen l i c h t s c h e u .
Ein L u f t z u g
vermehrte
bald
die Krämpfe.
Die
Höthe
d e r W a n g e n ist
bald c i r c u m s c r i p t ,
d i f f u s ; er a h m t d a s Gebell e i n e s H u n d e s n a c h o d e r p f e i f t ; zu Berge;
er v e r s i c h e r t ,
vergeblich,
ihm
noch heftiger. ganzen
Der Hüls
Körper und
36 Stunden n o c h in
d a s s ein Band i h m den Hals
einige Löffel F l ü s s i g k e i t wird
nach
nach
der Brust,
dann
noch
der Wuth.
endlich
—
wieder struppig
Man b e s t r e b t
die Convulsionen
Aphonie,
e i n e m T o d e s k a m p f e von
d e m Beginne
zuschnüre.
beizubringen,
unfühlbar,
die Haare stehen
kalter
Scbweiss
im B a u c h e b e m e r k e n s w e r t k e
Weder
nur
über
1 0 Minuten E r l ö s c h e n d e s
Leichenbefund.
sich
werden
den
Lebens,
im Kopfe,
Veränderungen.
Eine
l e i c h t e I n j e c t i o n der A r a c b n o i d e a sowie eine a u l l a l l e n d s t a r k e V e r e n g e r u n g des
Magens
und
darbot,
der Blase,
welche
l e t z t e r e das Volumen und die C o n s i s t e n z
m ü s s e n als zufällig b e t r a c h t e t w e r d e n . nau untersucht
und zeigten k e i n e S p u r von E n t z ü n d u n g .
Die S t i m m r i t z e w a r v e r e n g e r t ;
im S c h l u n d k o p f e f a n d sich eine helle f a d e n z i e h e n d e F l ü s s i g k e i t . R ü c k e n m a r k s und s e i n e r H ä u t e ergah 30 Gramm wasserheller in d e m v o r l i e g e n d e n bot
im
keine
Augenblicke
von
Anderen
ihr
zum
eine
F l ü s s i g k e i t in
deutliche Röthung
i h r e r Höhle. —
Falle drei M o n a t e g e d a u e r t , des A u s b r u c h s Rumpf
Das S t a d i u m
Schmerzen,
w e n n sie gleich V i d a l
a c h t e t e n Fällen n i c h t g e f a n d e n b a t .
w e l c h e von A n d e r e n
nicht
den R ü c k e n m a r k s h ä u t e n s c h i e b u n g des
die
in den
überein.
Lichtscheu. Das
unwillkürliche
hat,
häufig a u f g e f ü h r t w e r d e n ,
fanden
fanden
sich
Fällen
von i h m
von beob-
die W n t l i k r a n k e n sich
Gemiithsbewegungen,
nicht.
Erbrechen Sehr
stark des
aus-
Harns,
von d e r E x s u d a t i o n
Pfeifen
bekämen
sehr
Entleerung
ist w a h r s c h e i n l i c h
eigenthiimliche
ähnliches Gesicht, wurden bestimmt beobachtet. die
Uber die
Die W a s s e r s c h e u war
Die
aufgeführt wird,
abzuleiten.
veranlasst
hat
Die N a r b e
vielen
sechs
U n t e r k i e f e r s n a c h Vorn h e r b e i g e f ü h r t e V e r z e r r u n g
den Volksglauben
ineubationis
auch
in
des etwa
Die W u t h b r a c h n a c h einem s c h a u e r l i c h e n T r a u m e
welche dem Ausbruche vorausgehen, desgleichen
dar;
welche
a u s ; dies s t i m m t m i t den A n g a b e n a n d e r e r B e o b a c h t e r gesprochen,
Die U n t e r s u c h u n g d e r l e t z t e r e n und
also u n g e w ö h n l i c h lange.
keinerlei Veränderungen
ausstrahlende
bemerkt worden sind,
des U t e r u s
Die L u f t w e g e u n d d e r O e s o p h a g u s w u r d e n ge-
und
die
des G e s i c h t s , ein der
in
d u r c h Verwelche
lliindsschnauze
und Durchfälle, die s o n s t
deutlich
waren
in
diesem
Kalle
Demissionen. II.
Aus
der
chirurgischen
Klinik
zu
Greifswald,
Ein ä l t l i c h e r K u t s c h e r , s c h w e d i s c h e r A b k u n f t ,
Winter
von a t h l e t i s c h e m
1850—51.
Körperbau,
zu A n f a n g N o v e m b e r , 3 S t u n d e n n a c h d e m er von einem tollen H u n d e gebissen war, in die Klinik.
Ich s c h n i t t ,
n a c h vorgängiger B e t ä u b u n g d u r c h
kam
worden
Chloroform,
die
U m g e b u n g d e r z a h l r e i c h e n W u n d e n , von d e n e n eine bis in's Muskellleisch des G l u t a e u s inaximus
drang,
gründlich
aus
und
kauterisirte
alle m i t d e m w e i s s g l ü h e n d e n
Eisen.
D e m n ä c h s t w u r d e m e h r e r e W o c h e n h i n d u r c h B e l l a d o n n a in g r o s s e n Dosen g e r e i c h t u n d
732
Verletzungen.
in die Umgegend der W u n d e n
g r a u e S a l b e bis z u r Salivation e i n g e r i e b e n , die W u n d e n
selbst a b e r in E i t e r u n g e r h a l t e n .
Die M a r o c h e t t i ' s c h e n Bläseben zeigten sich
Der Verletzte b e f a n d sich d u r c h a u s w o h l , b i s n a c h
Verlauf von
d e m e r b e r e i t s wieder m e h r e r e W o c h e n a l s K u t s c h e r f u n g i r t h a t t e , d i e e i n e r Angina n e b s t g r o s s e r Mattigkeit u n d A p p e t i t l o s i g k e i t
eintraten.
schon
darauf
am
brachen
nächsten Tage
nach-
Erscheinungen
Ein
auswärtiger
Arzt, d e r ihn z u e r s t s a h , v e r m u t h e t e A n f a n g s die „ G r i p p e " , w e l c h e d a m a l s Aber
nicht.
3 Monaten,
herrschte.
e n t s t a n d v o l l k o m m e n e W a s s e r s c h e u u n d in d e r N a c h t
die W u t h a n f ä l l e m i t s o l c h e r H e f t i g k e i t a u s ,
dass Fenster und
Thüren
von d e m K r a n k e n e i n g e s c h l a g e n , n o c h a n d e r e V e r w ü s t u n g e n a n g e r i c h t e t , m e h r e r e Menschen m i t e i n e m M e s s e r , w e l c h e s e r zufällig ergriffen h a t t e ,
von i h m v e r w u n d e t
d e n , u n d e r s t bei d e m E i n t r e t e n e i n e r I n t e r m i s s i o n es m ö g l i c h w a r , u n d d u r c h d a s Anlegen d e r Z w a n g s j a c k e beugen.
einer Wiederholung
ähnlicher Scenen
vorzu-
Mit g r o s s e r B e s t i m m t h e i t w a r von d e n A n w e s e n d e n d a s e i g e n t ü m l i c h e Pfeifen,
d a s Vorschieben des U n t e r k i e f e r s u n d die u n s i c h e r e , s c h l e i c h e n d e , Bewegung des U n g l ü c k l i c h e n , steigen
wur-
ihn zu ergreifen
deutlich
Tage. —
wurde,
welche b e s o n d e r s bei d e m
beobachtet
Die S e c t i o n w a r n i c h t zu
worden.
Der
Tod
beinahe
kriechende
B e s t r e b e n eine T r e p p e zu erfolgte
schon
am
er-
nächsten
erlangen.
Prognose. — Die Wuthkrankheit ist unfehlbar tödtlich'). — Die Bebandlnng muss deshalb vor Allem eine sein.
Abgesehen
tragung
davon,
prophylaktische
dass der Staat die Gelegenheit zur Ueber-
der Wuth von Hunden
auf Menschen so viel als
möglich
durch Beaufsichtigung der Hunde und (indirect, durch Steuern leicht zu erreichende) Verminderung ihrer Anzahl zu verhüten s u c h t 2 ) , erfordert die Vorsicht, dass jede Wunde, bei welcher der Verdacht besteht, dass sie. von einem wüthenden Hunde herrühre, eine wirklich vergiftete, behandelt w e r d e 3 ) . einem
der
ganz in der pag. 7 1 4
sogleich wie
angegebenen
Weise
Demnächst machte man früher gewöhnlich von
zahllosen
Mittel
aus
den
Klassen
der
Antispasmodica,
Narcotica, Tonica, Excitantia, Antiphlogistica, Diaphoretica, welche zur Verhütung und Heilung der Wuthkrankheit empfohlen sind, Gebrauch; die meisten Stimmen vereinigten sich für die Anwendung der Belladonna in grossen Dosen ') 8
und die Einreibungen der grauen
U e b e r die h ö c h s t z w e i f e l h a f t e n F ä l l e von G e n e s u n g vgl. V i r c h o w ,
) Ob
sich
Falke
die
Entstehung
der
(1. c . ) v o r g e s c h l a g e n e n
Wuth
bei
Hunden
Weise verhüten
durch
lasse,
1. c. pag. 3 7 ö .
Impflingen
ist
wenig
Queck-
in
der
von
wahrscheinlich.
K ö n n t e m a n die L y s s a d e r H u n d e a u s r o t t e n , s o w ä r e d a s die b e s t e Prophylaxis. Freilich b l e i b e n n o c h i m m e r W ö l f e , F ü c h s e etc. übrig, die m a n n i c h t i m p f e n k a n n . 3
) Vor Allem m u s s m a n a l s o , die R e s o r p t i o n
verhüten,
w e n n es die L o c a l i t ä t e r l a u b t , die
venöse B l u t u n g auf
giessen von h e i s s e m W a s s e r ) b e f ö r d e r n mentlich reinigen
durch
zerfliessende und
resp. zerstören.
Vor
in
und
durch
Umschnürung
alle W e i s e ( a u c h
durch
die W u n d e a u f ' s S o r g f ä l t i g s t e ,
alle A u s b u c h t u n g e n
dem Aussaugen
ist
eindringende
zu w a r n e n ,
Einna-
Caustica
da d u r c h
unbe-
d e u t e n d e w u n d e S t e l l e n a n den L i p p e n o d e r im M u n d e des S a u g e n d e n R e s o r p t i o n des Giftes e r f o l g e n k ö n n t e . dings n i c h t zu
Die u n v e r s e h r t e S c h l e i m h a u t s c h e i n t d a s Gift a l l e r -
durchdringen.
Hundswutb.
733
silbersalbe bis zum Eintreten der Salivation. Aber diese Mittel haben, wenn die Uebertragung des Wuthgifts unzweifelhaft und die Zerstörung desselben in der Wunde gar nicht oder zu spät erfolgt war, den Kranken noch niemals zu retten vermocht. Ebenso wenig Erfolg hatten die Infusionen von lauwarmem Wasser in die Venen des Kranken, welche M a g e n d i e vorschlug, und welchen D u p u y t r e n vergeblich eine wässrige Opium-Lösung hinzufügte, ebenso wenig das Geheimmittel, welches F r i e d r i c h d e r G r o s s e ankaufen liess (Meloe majalis), ferner Canthariden und die zahllosen, zum Theil wohl sehr indifferenten Pflanzenstoffe, deren innerer Gebrauch empfohlen worden ist, die A n t i l y s s a der Alten, wie Rosa canina, Rutha, Salvia, Anagallis arvensis, Spiraea ulmaria u. dgl. m. — Auch die von M a r o c h e t t i angegebene Behandlung, ein Decoctum Genistae trinken zu lassen und die unter der Zunge auftretenden kleinen Bläschen zu öffnen und zu kauterisiren, hat sich unzureichend erwiesen, zumal jene Bläschen durchaus nicht constant sind. — Somit hat man sich aller solcher Mittel, welche eine nachtheilige Wirkung gewiss haben (wie Belladonna, Canthariden und Quecksilber), während ihre günstige Wirkung als „Antilyssa" problematisch ist, gänzlich zu enthalten. Wirklich bewährt ist bis jetzt nur die hinreichend frühzeitige Zerstörung des Giftes am Orte der Einwirkung. Wir sind jedoch nicht im Stande, anzugeben, bis zu welcher Zeit nach dem Biss eine Zerstörung des Giftes in der Wunde noch möglich ist, oder mit anderen Worten, wie schnell das Gift von der Wunde aus resorbirt wird. Da sich der wuthkranke Speichel mit dem Blute mischt, ohne Coagulation desselben zu bedingen, so könnte in solchen Fällen, wo die Localität der Wunde dem venösen Blute nicht zufällig ein kleines Hinderniss in den Weg setzt, das Gift in wenigen Minuten schon durch den ganzen Körper verbreitet sein. Zu schnell also kann nie gehandelt werden; ob aber eine auch noch so früh stattfindende wundärztliche Hülfe noch den erwünschten Erfolg haben wird, lässt sich nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Dadurch darf man sich nicht abhalten lassen, auch in Fällen, wo eine zweckmässige Behandlung nicht sogleich vorgenommen wurde, auch noch nachträglich die Wunde oder die bereits gebildete Narbe zu excidiren und zu kauterisiren. Die dem Ausbruch der Wuth vorhergehenden Veränderungen an der verletzten Stelle weisen darauf hin, dass die späterhin das ganze Nervensystem ergreifende Krankheit in vielen Fällen von dort aus erregt oder eingeleitet werde. Nächst der möglichst sorgfältigen Zerstörung des Giftes in der Wunde ist es die Aufgabe des Arztes, auf das Gemüth des Kranken
734
Verletzungen.
einzuwirken.
Er muss sein Vertrauen zu gewinnen und ihn zu über-
zeugen suchen, dass das Thier, von welchem er gebissen wurde, nur zornig erregt, aber nicht wuthkrank gewesen sei. Das der Wuth verdächtige Thier muss wo möglich
eingefangen
und nicht getödtet, sondern in sicherem Gewahrsam genau beobachtet werden.
Stirbt es nicht unter den oben angegebenen Erscheinungen,
so handelte es sich auch um keine vergiftete Wunde. Man b a t a u c h in s o l c h e n F a l l e n ,
wo die verdächtigen T h i e r e absichtlich
getödtet
o d e r , o h n e b e o b a c h t e t z u s e i n , g e s t o r b e n w a r e n , n o c h eine E n t s c h e i d u n g d a r ü b e r b e i z u f ü h r e n g e s u c h t , ob dieselben an d e r W u t h gelitten h a t t e n o d e r n i c h t .
her-
Die Section
l i e f e r t eine s o l c h e in der g r o s s e n Mehrzahl d e r Fülle n i c h t , i n d e m es eines Theils vorkommen
kann,
d a s s H u n d e a n der W u t h s t e r b e n , o h n e in i h r e m K ö r p e r
d e r u n g e n zu zeigen, welche als d e r W u t h
eigentümlich
angesehen
j e n e Verän-
werden,
während
a n d e r e n T h e i l s dieselben f ü r c h a r a k t e r i s t i s c h
g e h a l t e n e n V e r ä n d e r u n g e n sich a u c h
Wuth
vorfinden
bei
legt m a n
herrenlos
umherirrenden
Hunden
können.
Ein
grosses
ohne
Gewicht
z u n ä c h s t auf die A n w e s e n h e i t s c h m u t z i g e r , v e r f a u l t e r o d e r ü b e r h a u p t
hetero-
g e n e r S u b s t a n z e n im Magen u n d in d e r R a c h e n h ö h l e .
B e s o n d e r s soll d a r a u s auf her-
vorgegangene W u t h
Stroh
geschlossen
werden,
des H u n d e s sieb d a s e l b s t v o r f i n d e n .
wenn Haare,
Ich k a n n
o d e r S t ü c k e vom
aber aus zahlreichen
Lager
E r f a h r u n g e n ver-
s i c h e r n , d a s s a u c h ganz g e s u n d e H u n d e , wenn sie sich an d e r K e t t e l a n g w e i l e n ,
sehr
oft alle die oben g e n a n n t e n
habe
dieselben Von
Substanzen,
s o g a r i h r e n eigenen Kotb f r e s s e n ,
o f t g e n u g in dem Magen l e b e n d e r u n d f r i s c h g e t ö d t e t e r H u n d e
grösserer Wichtigkeit
möchte
der
Mangel
Magens s e i n , die sich n a c h d e m T o d e n i c h t eigentümliche Die Z u n g e soll missfarbig sein,
an
Chymus
und
und
angetroffen.
die E n t z ü n d u n g
blos durch Röthung, sondern auch
ecchymotische Flecke (ähnlich zerdrückten Ahlbeeren) auszeichnen bei d e r stillen W u t h a u s d e m M u n d e h e r a u s h ä n g e n , bei d e r t o b e n d e n dagegen
a u c h a n d e r e V e r h ä l t n i s s e als
gerade
die W u t h S c h u l d sein.
Als
Hieran
angegeben.
Um
eine
sichere
und
können
constant wird
eine Anschwellung u n d R ö t h u n g des K e h l d e c k e l s , s o w i e e i n e , obgleich o f t s e h r Röthung der Kehlkopfschleimhaut
soll.
geschwollen
verdreht und zerquetscht.
des
durch
auch
geringe,
Entscheidung
herbei-
z u f ü h r e n , h a t m a n a u c h den A b s c h e u b e n u t z t , den a n d e r e H u n d e vor d e m w u t h k r a n k e n h a b e n sollen.
Man
soll Brod o d e r Fleisch m i t
dem Blute
des t o d t e n T h i e r e s a u s f l i e s s e n d e n F l ü s s i g k e i t o d e r a b e r m i t flüssigkeit)
des
todten Thieres
tränken
und
diese Bissen
oder der
aus
der
anderen
Hunden
ist
wobl
war; zu
Es
w ö h n t e H u n d e alle j e n e
b e s u d e l t e n Bissen i m m e r
b a n d e l t e , s o l c h e Bissen n i c h t b e r ü h r e n
Beim
Beginne
der
daraus
f r e s s e n sie a b e r d a v o n , so h ä t t e m a n das
Gegentbeil a n z u n e h m e n .
e r z o g e n e u n d v e r w ö h n t e , a u c h in Fällen,
Mund-
vorsetzen.
W o l l e n diese n i c h t davon f r e s s e n o d e r l a u f e n s o g a r h e u l e n d d a v o n , so soll m a n schliessen, dass das Thier wuthkrank
Wunde
dem Speichel (der
befürchten,
dass
hungrige
auffressen werden,
und
nicht
während
verfeiner
w o es sich u m ein w u t h k r a n k e s T h i e r n i c h t möchten.
Krankheit
dürfte es vielleicht
gerecht-
fertigt sein, kräftige Ableitungsmittel, namentlich das Ferrum candens, im Genick zu appliciren, da die Hyperästhesie des verlängerten Markes gewiss eine wesentliche Rolle bei der Wuthkrankheit spielt, vielleicht geradezu das Wesen derselben ausmacht.
Rotzkrankheit.
735
Brechen die W u t h a n f ä l l e aus, so hat man den Kranken vor Beschädigungen, die er sich beibringen, und die ihn Umgebenden vor Verletzungen, die er ihnen zufügen könnte, zu schützen. Es kann deshalb der Gebrauch der Zwangsjacke oder das Festbinden des Kranken nicht immer umgangen werden, wenngleich die Heftigkeit der Anfälle dadurch gesteigert wird. Jedenfalls entferne man aus der Umgebung des Kranken Messer und andere Werkzeuge, mit denen er den Wärtern oder dem Arzte gefährliche Wunden beibringen könnte. — Zur Erleichterung dient es wesentlich, wenn man durch Eisstückchen, die theils blos in den Mund gebracht, theils auch verschluckt werden, den quälenden Durst löscht. Als Beruhigungsmittel dürften im Beginn dêr Wuthanfälle die Chloroformbetäubung und starke (revulsivische) Aderlässe zu benutzen sein. Vom Opium hat man keine günstigen Wirkungen gesehen. Chloralhydrat wird voraussichtlich auch nur vorübergehend nutzen. 2.
Rotzkrankheit.
Seit dem Anfange unseres Jahrhunderts hat man die Uebertragung der Rotzkrankheit vom Pferde auf den Menschen beobachtet, namentlich haben S c h i l l i n g in Berlin (1821) und dann R u s t Fälle der Art veröffentlicht; aber erst in neuester Zeit ist, insbesondere durch E l l i o t s o n und durch R a y e r 1 ) , die Aufmerksamkeit der Aerzte in gebührendem Grade darauf hingelenkt worden. Rotzkrankheit bei Einhnfero. Wir verstehen unter R o t z (Malleus) eine ursprünglich den Pferden, selten auch anderen Einhufern zukommende contagiöse Erkrankung, welche durch den Ausbruch eigentümlicher K n o t e n , die später gewöhnlich in Verschwärung übergehen, ausgezeichnet ist. Diese Knoten haben eine grosse Aehnlichkeit mit Tuberkeln und bestehen, wie die mikroskopische Untersuchung nachweist, aus mehr oder weniger vollständig erhaltenen zelligen Elementen, die mit nekrotischen Gewebsbestandtheilen zu einem käsigen Detritus gemischt sind. Diese Knoten gehen, nach den Untersuchungen von V i r c h o w 1 ) , aus einer Zellenwucherung hervor, deren Grundlage namentlich die Bindegewebskörperchen abgeben. Die älteren Zellen erfahren sehr schnell die fettige Metamorphose und zerfallen demnächst. Der hieraus hervorgehende Detritus unterliegt einer chemischen Zersetzung, die De la morve et du farcin chez l'homme.
(Mémoires de l'académie de médecine,
1 8 3 7 , Tom. IV. pag. 6 2 5 u. f.) 3
) Handbuch der spec. Pathologie u. Therapie, Bd. 11. Abih. 1. pag. 4 0 8 .
736
Verletzungen.
zur vollständigen*Erweichung des Knotens führt. Das Product derselben, der sogenannte R o t z e i l e r (richtiger: Rotzjauche), enthält fast gar keine eigentlichen Formbestandtheile, wohl aber Fadenpilze (B. v. L a n g e n b e c k ) , und ist somit, -wenn auch von dicklicher Beschaffenheit, doch von dem gewöhnlichen Eiter wesentlich verschieden. Der Sitz der e i g e n t l i c h e n R o t z k r a n k h e i t (Malleus humidus) ist bei den Einhufern die Schleimhaut der Nase, des Kehlkopfs, der Luftröhre, der Bronchien bis in ihre feinsten Verästelungen, seltener des Gaumensegels. Aus d i e s e m P r ä d i l e c t i o n s s i t z e eingealhmeten
Luft
zu
auf
schliessen, ist,
die A u f n a h m e des A n s t e c k u n g s s t o f f e s wenn
auch
mit
der
die Möglichkeit e i n e r s o l c h e n
Art
d e r C e b e r t r a g u n g n i c h t g e l e u g n e t w e r d e n soll, d o c h n i c h t zulässig, weil n a c h E i n i m p f u n g von R o t z e i t e r an
anderen Körpertheilen
h ä u f i g g r a d e a n j e n e n Stellen
der Ausbruch der Krankheit auch
vorwiegend
erfolgt.
Durch Erweichen der oben beschriebenen Knoten entwickelt sich an diesen Stellen eine weit verbreitete Verschwärung, mit deren Fortschritten immer grössere und dünnflüssigere Massen von Eiter (Jauche) aus der Nase abfliessen. Die Verschwärung der Weichtheile bedingt Nekrose der von ihnen bedeckten Knochen und Knorpel, deren abgestossene Stücke sich allmälig dem Ausfluss beimengen. Die umliegenden Lymphgefässe und Lymphdrüsen schwellen sehr schnell an. Bei der Section findet man überdies in der Regel lobuläre Pneumonie und eiterige oder plastische Ablagerungen in der Lunge und unter der Pleura. Die zweite Form der Rotzkrankheit, der W u r m (Malleus farciminosus), äussert sich durch eine analoge Erkrankung der Lymphgefässe, der Lymphdrüsen und der äusseren Haut. Man bemerkt Anfangs Stränge oder Höcker auf der Haut; weiterhin gehen die angeschwollenen Lymphgefässe und -Drüsen in Eiterung und Verschwärung über; zuweilen findet dabei Verschluss der oberflächlichen Venen Statt. Beide Krankheitszustände sind entweder acut oder chronisch. Der W u r m ist häufiger c h r o n i s c h . Die Symptome des Faulfiebers und die, äusseren Erscheinungen von Brand und Scorbut gehören besonders der a c u t e n Form an. Rotzkrankheit beim Menschen. Aeliologie. Den Ansteckungsstoff liefert meist der Ausfluss der Nase des kranken Thieres; er findet sich aber auch in dem Inhalt der Knoten auf der Haut, in dem Eiter der Lungenabscesse und im Blute, und bleibt auch nach dem Tode wirksam. Der an der Luft getrocknete Ausfluss ist noch ansteckend, — analog dem Milzbrandgifte.
Rotzkrankheit.
737
Zufällige, gewöhnlich ganz unbedeutende Verletzungen reichen zur Einimpfung hin. Thierärzte und Stallknechte sind häufig wegen unbeachteter kleiner Schrunden und Excoriationen, oder durch eine leichte Verletzung bei der Section eines gefallenen Thieres, oder auch durch das Eindringen eines mit dem Gifte getränkten Strohhalmes unter den Nagel, der Ansteckung ausgesetzt. Der Ansteckungsstoff scheint aber auch durch unverletzte Schleimhäute, nach der Angabe Einzelner, sogar durch Einathmung aufgenommen zu werden. Man sah die Uebertragung erfolgen: durch Benutzung eines Eimers, aus welchem kranke Pferde gesoffen hatten, zum Waschen oder Trinken, in anderen Fällen, indem ein Stallknecht dasselbe Tuch benutzte, mit welchem er die Nase eines kranken Pferdes geputzt hatte. Allerdings bleibt in allen diesen Fällen die Annahme offen, dass unbemerkt gebliebene Wunden von äusserst geringer Grösse die Infection vermittelt haben. — Der Mensch scheint mehr als irgend ein Thier, ausser den Einhufern, für die Uebertragung des Rotzcontagium empfänglich zu sein, immerhin jedoch in viel geringerem Grade als die Einhufer selbst. Ueberaus selten ist die Uebertragung von einem Mensehen auf den anderen beobachtet worden. Verlauf nnd Ausgänge- Der Verlauf der Rotzkrankheit ist beim Menschen m e i s t a c u t . Auch bei c h r o n i s c h e m Verlauf hat der Kranke oft Fieberschauer und leidet an Mattigkeit, Kopfschmerz, gastrischen Störungen und geistiger Verstimmung. Die Krankheit beginnt, nach einer I n c u b a t i o n s z e i t , welche in der Regel 3 bis 5 Tage, in sehr seltenen Fällen bis zu 3 Wochen dauert, mit vorwiegend örtlichen Symptomen, welche bald einer Lymphgefässentzündung, bald einer Phlebitis, bald einer Phlegmone entsprechen. Diese entwickeln sich gewöhnlich, bevor die inficirte Wunde geheilt ist. Letztere wird schmerzhaft, ihre Ränder schwellen an, und von ihr aus entwickeln sich die rothen Streifen und die knotigen Stränge, mit denen auch die gewöhnliche Lvmphangitis beginnt. Aber nicht blos nach dem Verlauf der Lymphgefässe, sondern auch an anderen Stellen bilden sich harte Knoten, welche später erweichen, wie die Rotzknoten der Thiere. Spätestens 7 Tage nach dem Auftreten dieser örtlichen Symptome, meist früher, entwickeln sich Störungen des Allgemeinbefindens. Gewöhnlich beginnen diese mit S c h m e r z e n in d e n G e l e n k e n u n d M u s k e l n , und werden daher als „Rheumatismus" aufgefasst; bei grosser Heftigkeit der Krankheit wird der Beginn des Allgemeinleidens durch einen Schüttelfrost, der sich aber höchst selten wiederholt, bezeichnet. — Bis dahin sind ausser den entzündlichen Erscheinungen im Bezirk der inficirten Wunde B a r d e U b e n , Chirurgie.
8. Aufl.
I.
47
738
Verletzungen.
besondere locale Störungen nicht zu b e m e r k e n ; man fasst daher diesen Theil der Krankheit zweckmässig als S t a d i u m i n v a s i o n i s zusammen. Dasselbe ist in acuten Fällen von
sehr kurzer,
in chronischen
von
unbestimmt langer Dauer, zuweilen mit vollständigen Remissionen aller Krankheits-Erscheinungen. Das z w e i t e S t a d i u m
zeichnet sich durch Ausbrüche an
ver-
schiedenen Körperstellen aus, welche wesentlich auf der Entwickelung der eben beschriebenen Knoten beruhen ( S t a d i u m e r u p t i o n i s ) . der Mehrzahl der Fälle leidet vorzüglich die Nase. wickelt sich von
dann
meist eine rothlauf-ähnliche
dem behandelnden Arzte leider manchmal
Entzündung als
angesehen wird) mit mehr oder weniger Oedem, an
In
Im Gesichte entdas
an
(welche
Wesentliche
der Nase oder
den Wangen beginnend und von da weiter zu den Augenlidern
und zur Stirn. ches
aber
Den Ausgangspunkt bildet immer ein Knötchen, wel-
unter dem
täuschenden Anschein einer Pustel oder eines
Bläschens auftreten kann.
Grössere und kleinere Blasen erheben sich
auf der erysipelatösen F l ä c h e ; demnächst erscheinen bläuliche Flecke, als die Vorläufer des schnell eintretenden Brandes.
Inzwischen ent-
wickeln sich analoge Veränderungen im Innern der Nase, welche aber auch ohne Erkrankung der entsprechenden Theile der äusseren Haut auftreten
können.
Die Luft scheint in
der Nasenhöhle
ein
Hinder-
niss zu finden, der Kranke spricht mit dem eigenthümlichen Nasaltone und wirft von Zeit zu Zeit durch kurzes Husten und Räuspern eiterige Massen aus. sind den
nur
Diese rühren
bei
aber ursprünglich aus der Nase her und
der Rückenlage des Kranken
Schlundkopf gelangt.
Richtet
der Eiter auch aus der Nase a u s ; Grad
erreicht,
so
findet
aber
wesentliche
physikalische
auf,
stinkender,
so
einen
blutiger
fliesst hohen Jauche
Die Respiration ist zwar beschleunigt,
Veränderungen
Untersuchung
die Choanen in
hat die Zerstörung
ein Ausfluss
sogar in der Rückenlage Statt.
durch
der Kranke sich
in
nicht
der Lunge
lassen
nachweisen.
Die
sich
durch
Auscultation
lässt nur rasselnde und pfeifende Geräusche in den Bronchien wahrnehmen.
—
Bei c h r o n i s c h e m
Verlaufe
kann
die Nase ganz
frei
bleiben. Eine zweite Reihe von Krankheits-Erscheinungen bezieht sich auf die Lungen und den Kehlkopf.
Der Ausbruch zahlloser Knoten liegt
auch ihnen zu Grunde.
Auftreten
Beim
derselben
sind die Leiden
der Respirationsorgane von Anfang an bedeutender. — Bei der c h r o n i s c h e n Form kommen
Eruptionen
auf der Schleimhaut des
Kehl-
kopfs und der Bronchien gar nicht vor. Eine dritte Symptomengruppe
bilden die Veränderungen in
der
739
Botzkrankheit.
Haut, dem Unterhautgewebe und den Muskeln. Analog den W u r m k n o t e n der Thiere entwickeln sich sowohl im Unterhautgewebe, als in den Muskeln harte, oft sehr ausgebreitete Anschwellungen, bald mit geringen, bald mit sehr heftigen Schmerzen. Die Knoten im Unterhautgewebe erweichen schnell, brechen unter mehr oder weniger ausgebreiteter Gangrän der bedeckenden Haut auf und hinterlassen Höhlen, die mit einer jauchigen Flüssigkeit gefüllt und gegen die umliegenden Gewebe meist deutlich abgekapselt sind. — Unabhängig von diesen Knoten entwickelt sich das sogenannte R o t z - E x a n t h e m , welches zwar ein pustulöses Ansehen hat, aber in der That auch auf der Entwickelung von Rotzknoten im Gewebe der Cutis beruht 1 ). Es beginnt mit einer den Flohstichen ähnlichen fleckigen Röthung der Haut an den verschiedensten Stellen des Körpers. Aus den Flecken werden durch Schwellung der Knötchen Papeln, die sich schliesslich in Bläschen verwandeln, deren Inhalt die erweichte Masse des Knotens ausmacht. Der Knoten selbst sitzt in der Lederhaut; ist er erweicht, so entsteht daher in letzterer ein Substanzverlust, ein Loch, über welchem die, von der erweichten, nunmehr eiterähnlichen Masse emporgehobene Epidermis eine kleine Kuppel bildet. Späterhin wird der Inhalt dieser Bläschen durch Blutergüsse schmutzig-blauroth gefärbt, und schliesslich werden sie in kleine dunkle Krusten umgewandelt. Solcher Knötchen können auch viele gleichsam in ein Netz zusämmenfliessen. Dann sind sie von einem gemeinsamen Entzündungshofe umgeben und gewinnen einige Aehnlichkeit mit Pustula maligna. Inzwischen steigert sich das F i e b e r und nimmt schon mit dem Beginne der localen Eruptionen den f a u l i g e n Charakter an. Die Zunge ist an der Spitze geröthet, an der Basis schleimig belegt, später (ebenso wie die Lippen) trocken, russig, da der Patient nur mit offenem Munde athmen kann. Weiterhin treten stinkende Durchfälle hinzu, die bald auch unwillkürlich abgehen; der Kranke hat oft das Vorgefühl des herannahenden Todes, wird aber zuletzt, unter Delirien und stetiger Abnahme der Kräfte, bewusstlos. Der Tod erfolgt in der Regel bei der a c u t e n Form gegen Ende der zweiten Woche, zuweilen schon innerhalb drei Tagen, selten erst nach einem Monat. — Die von Anfang c h r o n i s c h verlaufenden Fälle von W u r m , welche äusserst selten sind, können sich Monate lang hinschleppen und auch in Genesung ausgehen. Die anatomische Untersuchung weist gewöhnlich besonders in den Respirationsorganen bedeutende Veränderungen nach. Die SchleimVgl. die B e s c h r e i b u n g von V i r c h o w ,
I. c. pag. 4 1 6 .
47*
740
Verletzungen.
haut der Bronchien ist geröthet, in den Lungen finden sich dicht unter der Pleura pulmonalis Blutergüsse und Eiterherde auf verschiedenen Stufen der Entwicklung, wie bei Pyämie. Aehnliche Abscesse oder auf dem Uebergange zur Eiterbildung begriffene Exsudate und Blutergüsse finden sich auch im Innern der Lunge. Das Lungengewebe selbst ist in deren Umgebung hyperämisch, die Pleura ist entzündet oder gar ulcerirt und zeigt oft frische Adhäsionen zwischen ihren, beiden Blättern (Pneumonia malleosa).
Diagnose. Die Symptome der Rotzkrankheit beim Menschen haben Aehnlichkeit mit denen der Pyämie und mit denen, welche das Leichengift hervorruft. Bei der Rotzkrankheit ist aber die Zersetzung der Säfte, der F ä u l n i s s p r o c e s s b e i l e b e n d i g e m L e i b e vorherrschend. Hier fehlt niemals Verschwärung und brandige Zerstörung auf der Körperoberfläche. Charakteristisch ist für die Rotzkrankheit das oben beschriebene E x a n t h e m , welches auch vor Verwechselung mit Milzbrand sichert; überdies geht dem Ausbruch des Rotzes Fieber voran, beim Milzbrande nicht. Gewöhnlich gelingt es, die schwankende Diagnose durch Feststellung der Aetiologie des einzelnen Krankheitsfalles zu sichern. Der untrügliche Beweis wird durch die E i n i m p f u n g (Rückimpfung) des Eiters von dem kranken Menschen auf einen Einhufer geliefert. Diese ruft immer wieder die Rotzkrankheit hervor, während die Uebertragung von pyämischem Eiter diese niemals zur Folge hat. Behandlung. Nur unmittelbar, nachdem das Gift in eine frische oder alte Wunde eingedrungen oder auf eine Schleimhaut gebracht ist, kann die Behandlung sicheren Erfolg haben. Man muss durch Ausschneiden der Wunde und Kauterisiren mittelst eines leicht zerfliessenden oder flüssigen Aetzmittels (Aetzkali, Salpetersäure, concentrirte Carbolsäure) oder auch mittelst des Glüheisens das Gift zu zerstören suchen. Das Aussaugen der Wunde ist gefährlich, da das Gift auch durch Vermittelung einer unverletzten Schleimhaut resorbirt werden könnte. Die a l l g e m e i n e Behandlung der acuten Form ist die des Faulfiebers. Bei chronischem Verlauf der Krankheit scheint von dem innerlichen Gebrauch der Jodpräparate noch der meiste Erfolg zu erwarten zu sein. 0 e r t l i c h wird man die aufgebrochenen Knoten, nach älteren Empfehlungen, mit frischem Chlorwasser, nach J o n e s 1 ) , mit starken Kreosotlösungen, im Allgemeinen also wohl a n t i s e p t i s c h behandeln. Jedenfalls ist die frühzeitige Oeflnung der Knoten empfehlenswerth, da einer Seits der weiteren Ausbreitung brandiger *) Medicinisclie Vereinszeitung 1829, No. 47.
Maul- u n d
741
Klauenseuche.
Zerstörung, anderer Seits der übelen Rückwirkung, welche der so entschieden contagiöse Eiter auf die Säftemasse ausübt, dadurch vorgebeugt wird. Virchow
m e i n t , d a s s vielleicht a u c h eine „ W a s s e r k u r " von N u t z e n sein
da die N e i g u n g d e r R o t z k r a n k h e i t zu A b s c h e i d u n g e n auf d e r ä u s s e r e n H a u t
könnte,
unleugbar
i s t , w e l c h e b e k a n n t l i c h d u r c h die P r i e s s n i t z ' s c h e B e b a n d l u n g s w e i s e b e f ö r d e r t w e r d e n .
3.
Maul- u n d K l a u e n s e u c h e .
Bei Wiederkäuern und Schweinen, seltener bei Pferden und noch seltener bei anderen Thieren kommt eine fieberhafte, ansteckende Krankheit vor, welche sich durch Bildung von Blasen und Geschwüren auf der Mundschleimhaut, an den Klauen (bei weiblichen Thieren auch am Euter) auszeichnet und deshalb „Maul- und Klauenseuche" genannt wird. Dieselbe ist auf Menschen übertragbar: 1) durch directe Berührung und dadurch herbeigeführtes Eindringen des Ansteckungsstoffes in Wunden (am Häufigsten beim Melken), 2) durch Genuss der rohen Milch oder der aus dieser ohne vorgängiges Kochen dargestellten Nahrungsmittel (Butter, Käse); jedoch scheint die Disposition der Menschen zu einer solchen Ansteckung sehr verschieden und im Ganzen, namentlich bei Erwachsenen, nicht gross zu sein, weshalb sie denn auch von Manchen in Abrede gestellt wird '). Die I n c u b a t i o n dauert bei beiden Arten der Uebertragung 3 bis 5 Tage. Dann beginnt die Krankheit mit leichtem Fieber, gastrischen Störungen und dem Gefühl von Trockenheit und Hitze im Munde. Hat die Ansteckung durch B e r ü h r u n g (beim Melken) stattgefunden, so erfolgt alsbald ein Ausbruch von Bläschen und Blasen an den Fingern, welche sich oft sehr weit verbreiten und in manchen Fällen sogar im Gesicht, auf der Brust und an den Füssen zum Vorschein kommen, sich schnell vergrössern, mit Eiter füllen und dann allmälig (in 10 bis 20 Tagen) zu Schorfen eintrocknen, welche schliesslich abfallen. •— War die Uebertragung durch Genuss kranker Milch geschehen, so treten erst einige Tage nach dem Beginn des Fiebers Bläschenbildungen auf, und zwar ausschliesslich oder doch vorwiegend auf der Schleimhaut des Mundes, der Zunge und des Schlundes (Aphthae epizooticae); jedoch können auch gleichzeitig an den Händen, besonders in der. Umgebung der Nägel Ausbrüche erfolgen. — Die T h e r a p i e kann nur symptomatisch verfahren. Die Prophylaxis ergiebt sich von selbst. Die U e b e r t r a g b a r k e i t
ist
No. 4 8 ) n a c h g e w i e s e n . in
Pommern
dies
Uebel
bereits durch H e r t w i g
(Medic. Vereinszeitung,
Vgl. im Uebrlgen B o l l i n g e r , an
den H ä n d e n
a b e r f r ü h e r n i c h t richtig zu d e u t e n
von
verstanden.
1. c. pag. 5 7 4 f f .
Kuhmägden
wiederholt
1834,
Ich
habe
gesehen,
742
Verletzungen.
Dritter Abschnitt. Von den fremden Körpern. F r e m d e K ö r p e r oder F r e m d k ö r p e r ( c o r p o r a a l i e n a ) nennen wir alle diejenigen Gegenstände, welche von Aussen in den menschlichen Körper eingedrungen sind oder an demselben haften, ohne sich in den Säften, mit welchen sie in Berührung kommen, aufzulösen. Man rechnet femer hierher aber auch diejenigen innerhalb des Organismus entstandenen Körper, welche an dem Stoffwechsel keinen Theil nehmen und nur mechanisch in ihm zurückgehalten werden. Der Begriff „Fremdkörper" ist ein sehr dehnbarer; man kann ohne grosse Schwierigkeit einen bedeutenden Theil der Chirurgie unter diese Rubrik bringen. So hat D e l p e c h z. B. einen der 3 Bände seines Lehrbuchs fast ganz den fremden Körpern widmen können, indem er von der Kugel, die den Schädel durchbohrt, endlich bis zum Fötus in utero gelangt, der auch als fremder Körper betrachtet werden kann. Ja man ist noch weiter gegangen und hat auch verrenkte Knochen, dislocirte Bruch-Enden, überzählige Finger, die verschiedenen Geschwülste (Fremdbildungen) als fremde Körper bezeichnet. Zu den fremden Körpern und sogar zu den (weno auch im embryonalen Z u s t a n d e ) von Aussen eingedrungenen gehören die E n t o z o e n , auf die Diagnose, den Geschwülsten angereiht haben.
welche wir namentlich mit Bezug Vgl. pag. 6 0 7 u. f.
Verschiedenheiten der fremden Körper. Wesentlich sind zu unterscheiden: 1) die fremden Körper, welche v o n A u s s e n g e k o m m e n s i n d , — a b s o l u t f r e m d e K ö r p e r ; 2) diejenigen, welche i n n e r halb des O r g a n i s m u s e n t s t a n d e n sind, — relativ f r e m d e Körper. Unter beiderlei Arten giebt es gasförmige, flüssige und feste. Sie haben entweder blos eine mechanische Wirkung, wie dies bei der Mehrzahl der von Aussen kommenden der Fall ist, oder eine chemische, wie z. B. der Aetzkalk; oder ihre Wirkung ist endlich eine eigenthümlich zersetzende, septische, wie wir dies bei der Septicbämie, dem Milzbrand, Schlangengift, Rotz bereits erläutert haben. Letztere beruht wahrscheinlich auch auf einem chemischen Processe, von dem wir jedoch noch keine nähere Kenntniss besitzen. Die von A u s s e n g e k o m m e n e n fremden Körper können 1) e i n d r i n g e n a) i n H ö h l e n u n d C a n ä l e d u r c h d i e n a t ü r l i c h e n E i n u n d A u s g a n g s ö f f n u n g e n (so z. B. in die Nasenhöhle, den Schlund, die Luftröhre, den Gehörgang, den Mastdarm),
Fremde Körper.
743
b) d u r c h e i n e C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g , eine W u n d e , mehr oder weniger tief in die Gewebe unseres Körpers (also in nicht präformirte Höhlen), z. B. Splitter, Kugeln u. s. w., — oder 2) s i e h a f t e n a n d e r K ö r p e r o b e r f l ä c h e o h n e e i n e C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g , indem sie einen hervorragenden Körpertheil u m s c h l i e s s e n u n d e i n k l e m m e n , wie z. B. Ringe u. dgl., welche man, auf einen Finger, oder Uber den Penis oder das Scrotum aufgestreift, gefunden hat. Wir berücksichtigen hier zunächst d i e f r e m d e n K ö r p e r der ersten Gruppe, welche also in H ö h l e n o d e r C a n ä l e n d e s K ö r p e r s ihren Sitz haben. Mit ihnen stimmen in Bezug auf KrankheitsErscheinungen und Verlauf die in den Secretionsorganen des Körpers entstandenen Concremente wesentlich Uberein. Auf die in Wunden steckenden fremden Körper musste schon im zweiten Abschnitt, namentlich bei den Schusswunden, Rücksicht genommen werden. Die Folgen der Umschnürung und Einklemmung eines Körpertheils durch fremde Körper sind im Allgemeinen die der Ligatur (vgl. pag. 98 u. f.). Das V o l u m e n der fremden Körper differirt von dem kleinen Eisensplitter, der das Auge in bedenklicher Weise verletzen kann, bis zu der Kanonenkugel, welche L a r r e y in der Dicke des Oberschenkels versteckt fand. Was die Zahl betrifft, so hat man sich nur zu erinnern, dass C r u v e i l h i e r ' ) in dem Darme einer alten Frau 600 Kirschkerne vorfand und dass in einer Gallenblase des Breslauer Museums 7 5 0 2 Gallensteine gezählt werden! 82 Steine habe ich selbst einmal aus der Harnblase eines Mannes entleert. Auch die Form der fremden Körper ist ungemein verschieden. Diejenigen, welche im Körper entstanden sind, haben gewöhnlich eine abgerundete Gestalt oder doch eine glatte Oberfläche; die von Aussen eingedrungenen dagegen zeigen alle möglichen Formen von dem spitzen feinen Wespenstachel bis zu den vielzackigen Metallstücken, die beim Hämmern abspringen, und der mehr oder weniger rundlichen Gestalt der verschiedenen Geschosse. Der S i t z der fremden Körper kann in allen möglichen Gegenden und Organen sein. Am Häufigsten finden sie sich in den Sinnesorganen (vor Allem in der äusseren Haut) und in denjenigen Eingeweiden, welche mit der Körperoberfläche direct communiciren. Manche Organe haben, ganz abgesehen von ihrer directen Beziehung zur Aussenwelt, eine besondere Befähigung, fremde Körper in ihrem Inneren e n t s t e h e n zu lassen. So können z. B. fremde Körper in die Harnwege eben sowohl durch die Urethra eindringen, als auch in der Blase oder in dem Nierenbecken sich bilden. ' ) Anatomie pathologique, Tom. I. 2 6 . Lief. Taf. 6 .
744
Verletzungen.
Ersclieiuuiigcu, welche durch fremde Körper veraiilasst werdeu. Die Wirkung eines fremden Körpers ist (abgesehen von seinen septischen Eigenschaften) zunächst immer eine mechanische oder eine chemische: er kann comprimiren, verstopfen, durchbohren. Die functionelle Wirkung ist, je nach dem Sitze, der Gestalt, dem Volumen und besonders dem Gewichte des eingedrungenen Körpers, verschieden. Eine Flintenkugel übt z. B. auf das Gehirn einen viel stärkeren Druck a u s , als ein Bluterguss von demselben Umfange. Durch den Druck eines fremden Körpers kann ein Canal vollkommen verschlossen werden. Die comprimirende Wirkung z. B., welche ein Uber den Penis gestreifter enger Bing auf die Harnröhre ausübt, ist ganz dieselbe, wie die der Verstopfung der Urethra durch einen in ihr festsitzenden Körper. Der Grad der Verstopfung eines Canals durch einen fremden Körper steht in geradem Verhältniss zu dem Volumen des letzteren; jedoch haben auch Form und Richtung zuweilen einigen Einfluss; ein Geldstück z. B., welches in die Luftröhre gerathen ist, wird dieselbe mehr oder weniger versperren, je nachdem es horizontal oder vertical liegt. Ist der fremde Körper beweglich, so können die Zufälle, die er veranlasst, intermittirend auftreten, indem er bald mit einem sehr empfindlichen, bald mit einem weniger empfindlichen Theil des ihn umschliessenden Organs in Ber ü h r u n g tritt, bald einen Canal verstopft, bald n u r verengert. Hieraus erklärt es sich z. B., dass Blasensteine von ansehnlicher Grösse lange Zeit unbemerkt bleiben können, dann aber plötzlich, nachdem sie in Folge einer Bewegung ihren Ort verändert h a b e n , bedeutende Beschwerden erregen. Der Einfluss der Verschliessung oder Verengerung eines Canales auf den ganzen Organismus ist begreiflicher Weise verschieden je nach der Function desselben. Um dies an recht extremen Fällen nachzuweisen, brauchen wir n u r die Wirkung fremder Körper im Larynx und in der Vagina zu vergleichen. Im ersten Falle handelt es sich um Lebensgefahr, im zweiten dagegen ist selbst eine vollkommene Versperrung von untergeordneter Bedeutung. In manchen Fällen wird die Gefahr, welche aus der Verengerung eines natürlichen Canales hervorgehen müsste, durch die Thätigkeit des Organismus selbst abgewandt, indem in der Nähe des fremden Körpers oder auch wohl an einer anderen Stelle durch Verschwärung ein neuer Canal, eine Fistel, kurz eine abnorme Oeffnung entsteht; so z. B. bei Verengerung der Harnröhre durch einen fremden Körper. Natürlich kann von dieser Hülfe keine Rede sein, wenn es sich um einen Canal handelt, dessen Lumen ohne Gefahr für das Leben auch keinen Augenblick verstopft
745
Fremde Körper.
sein darf, wie die Luftröhre und der Kehlkopf, und oft ist der hülfreiche Vorgang in anderer Beziehung sehr unerwünscht und selbst verderblich. Das erste Symptom, welches durch die Anwesenheit eines fremden Körpers in einem wichtigen Organe hervorgerufen wird, ist eine a l l g e m e i n e B e ä n g s t i g u n g , die den Kranken fast noch mehr quält, als heftiger Schmerz. Unwillkürliche und unregelmässige Bewegungen treten bald in dem belästigten Organe allein, bald in den mit ihm in anatomischem oder physiologischem Zusammenhange stehenden Organen, bald in noch grösserer Ausdehnung auf. Hierher gehören z. B.: die Bewegungen der Gedärme, des Magens, des Zwerchfells, der Bauchmuskeln, wenn ein fremder Körper in den Mastdarm, den Magen oder sonst einen Theil des Darmcanals eingedrungen ist, die Schlingkrämpfe, wenn ein KnochenstUck im Schlünde festsitzt, ebenso die allgemeine Aufregung in den verschiedensten Muskelgruppen, besonders den Respirationsmuskeln, wenn eine Bohne, ein Kirschkern oder dgl. einem Kinde in den Larynx gerathen ist, das krampfhafte Schliessen der Augenlider und die unwillkürlichen, unstäten Bewegungen der Augenmuskeln, sobald ein fremder Körper zwischen Augenlidern und Bulbus sich befindet, u. s. f. Alle diese Bewegungen sind Reflexerscheinungen, welche durch die von dem fremden Körper veranlasste Reizung centripetaler Nerven erregt werden. Bs giebt aber auch fremde Körper, sogar von ansehnlichem Volumen, deren Anwesenheit, selbst in wichtigen Organen, sich durch kein einziges Symptom verräth. Nicht selten hat man in der Blase von Menschen, welche an einer Krankheit gestorben w a r e n , die zu den Harnorganen in gar keiner Beziehung stand, beträchtliche Steine gefunden, welche während des Lebens niemals Beschwerden erregt hatten. Seltener ist eine solche Toleranz des Organismus gegen die von Aussen eingedrungenen fremden Körper; aber auch diese können zuweilen längere Zeit unbemerkt bleiben, ja sogar für den ganzen Rest des Lebens im Körper verweilen, ohne Schmerz oder Entzündung zu erregen 1 ). Weitere Schicksale der fremden Körper. Wenn ein fremder Körper in der soeben angegebenen Weise in unseren Geweben stecken bleibt, so bildet sich um ihn zuweilen eine Kapsel, in welcher er fernerhin eingeschlossen ( e i n g e k a p s e l t ) liegt, wie wir bei den Cysten bereits erwähnt haben. Dies ist jedoch der seltenere Fall. Gewöhnlich erregt die Anwesenheit des fremden Körpers früher oder später ' ) Vgl. die pag. 6 9 1 citirte AbhandluDg von G u s t a v
Simon.
746
Verletzungen.
doch Verschwärung, durch welche dem fremden Körper selbst ein Weg nach Aussen gebahnt werden kann. Von diesem Vorgange ist bereits bei der „Verschwärung" und bei den „Schusswunden" die Rede gewesen. Es giebt jedoch auch Fälle, in denen ein fremder Körper seinen Ort verändert, wohl gar grosse Reisen im Organismus unternimmt, ohne dass es zur Verschwärung käme. Das auffallendste Beispiel hierfür liefern N ä h n a d e l n , die mit unbegreiflicher Schnelligkeit vom Halse bis zur Schenkelbeuge und noch weiter unter der Haut „ w a n d e r n " , indem sie das Bindegewebe mehr auseinander drängen, als zerreissen. Nächst der eigenen Schwere der Nadel sind die Muskelcontractionen die einzige bewegende Kraft, der wir diese Ortsveränderungen zuschreiben können. Anderer Art sind die O r t s v e r ä n d e r u n g e n der fremden Körper, welche in h o h l e n O r g a n e n vorkommen. Sie erfolgen entweder in der Richtung nach Innen oder nach Aussen. Letzteres ist meist günstiger. Es ist z. B. wünschenswerther, dass ein in der Urethra befindlicher Stein gegen deren Mündung vorrücke, als dass er in ihr stecken bleibe oder gar rückwärts zur Blase sich bewege. Jedoch giebt es auch Fälle, in denen die Bewegung nach Innen vorzuziehen ist. Fremde Körper z. B., welche im Oesophagus fest sitzen, werden gefährlicher, wenn sie sich aufwärts bewegen, ohne die Mundhöhle zu erreichen (welche Bewegung jedoch selten sein möchte), als wenn sie abwärts in den Magen gelangen. Benutzen wir die fremden Körper der Speiseröhre als Beispiel, um die verschiedenen Zufälle, welche ein fremder Körper hervorrufen kann, zu erläutern, so ergeben sich, abgesehen von den an verschluckten Nähnadeln beobachteten W a n d e r u n g e n (s. oben), folgende Möglichkeiten: 1) sie werden durch den Mund wieder ausgeworfen; 2) sie gelangen in den Magen und zwar entweder alsbald durch angestrengte Schlingbewegungen, oder nachdem die durch ihre Anwesenheit erregte Entzündung in Eiterung übergegangen ist, und sie dadurch beweglicher geworden sind; vom Magen aus können sie dann weiter den ganzen Darmcanal passiren und schliesslich per anum entleert werden, oder auch an der einen oder anderen schwierigen Stelle (Pylorus, Valvula coli, Sphincter ani internus) sitzen bleiben und dort aufs Neue als Fremdkörper wirken; 3) die Entzündung an der Stelle des ursprünglichen Sitzes geht in Verschwärung über, welche den Oesophagus durchbricht, endlich bis zur Haut durchdringt und somit einen neuen Weg öffnet, auf welchem der fremde Körper ausgestossen wird; 4) die Verschwärung schreitet nicht zwischen den umliegenden Organen zur Haut vor, sondern dringt in ein in der Nähe gelegenes anderes Organ ein, z. B. in die Luftröhre ( D u p u y t r e n )
F r e m d e Körper.
747
oder in die Arteria pulmonalis ( B e r n e s t ) oder in die Aorta ( L a u r e n c i n und L é g e r ) ; 5) der fremde Körper bedingt sogleich oder doch alsbald Erstickung, je nachdem er ganz im Anfange des Oesophagus sitzt und mithin den Kehlkopf comprimirt oder bereits tiefer abwärts gelangt ist und dort die Luftröhre verengt (in beiden Fällen muss der fremde Körper sehr gross sein, um Erstickung herbeizuführen); 6) der fremde Körper erregt eine tödtliche Entzündung in der Umgegend der Speiseröhre, ohne dass es zum Durchbruch nach Aussen und mithin zur Entfernung desselben kommt; 7) gleichzeitig mit den bereits erwähnten Zufällen kann der fremde Körper durch sein Volumen Compression der grossen Gefässstämme am Halse, insbesondere der Venae jugulares internae und dadurch Cerebral-Congestionen veranlassen. Selten besitzen fremde Körper eine so ausserordentliche Theilbarkeit, dass sie resorbirt werden können. Es handelt sich in solchen Fällen fast nur um flüssige oder in den Flüssigkeiten des Körpers leicht lösliche Substanzen. Von dem extravasirten Blute wurde bereits oben bemerkt, dass seine flüssigen Bestandteile mit grosser Leichtigkeit resorbirt werden, während der FarbestofF und der geronnene Faserstoff längere Zeit der Aufsaugung Widerstand leisten und erst, nachdem sie eigenthümliche Veränderungen erlitten haben, verschwinden, bei Zutritt der Luft auch zur Eiterbildung in ihrer Umgebung Anlass geben. Noch schwieriger werden feste Körper durch Absorption beseitigt oder auch nur verkleinert. Die Geschichte der Nekrose und die Versuche über Neubildung von Knochenmasse liefern aber Belege für die Möglichkeit eines solchen Vorganges. Abgestorbene Knochenstücke (Sequester) werden, wenn sie längere Zeit im lebenden Körper verweilen, allmälig etwas kleiner. Schon F l o u r e n s 1 ) hat nachgewiesen, dass ein todter Knochen, den man in die Markhöhle eines grösseren Knochens eines lebenden Thieres einführt, nach längerer Zeit merklich an Volumen und Gewicht verliert. Man hat ferner beobachtet, dass manche Harnsteine in der Blase ohne die Anwendung auflösender Einspritzungen allmälig kleiner werden. Jedoch scheinen nicht alle hierher gezogenen Beobachtungen beweisend zu sein. Ging doch D e l p e c h sogar so weit, an einem harten Blasensteine, dessen Oberfläche gefurcht und scheinbar angefressen war, zu demonstriren, dass diese Veränderungen durch die Thätigkeit der Lymphgefässe bewirkt seien, wovon an einem in der Blase liegenden Körper selbstverständlich keine Rede sein kann. ' ) Anoales d e la Chirurgie, T o m . III. pag. 2 5 7 ; T o m . XII. pag. 1 7 0 .
Verletzungen.
748 Manche
fremde
Körper
werden
bei
längerem
Organismus grösser, so z. B. die grosse Mehrzahl vorkommenden, weise an sie
Aufenthalte
indem sich die im Harn enthaltenen Salze
anlagern.
im
der in der Blase schicht-
Andere nehmen an Volumen z u , indem sie
durch Aufnahme von
Flüssigkeit
Erbsen und Bohnen.
Bei noch
quellen, so z. B.
Schwammstücke,
anderen findet durch die Tränkung
mit Flüssigkeit eine Auflockerung ihres Gefüges oder auch eine allmälige Auflösung Statt, so z. B. bei einem Stück
Behandlung der fremden Körper. gedrungenen,
Zucker.
Für die v o n
sowie für die u m s c h n ü r e n d e n
Aussen
ein-
fremden
Körper
ist die Behandlung im Allgemeinen sehr leicht anzugeben: s i e
müssen
entfernt werden,
wenn mit ihrer Entfernung nicht grössere Uebel-
stände verknüpft sind,
als sie selbst erregen. —
Demnächst
können
die durch den fremden Körper veranlassten Störungen noch eine besondere Behandlung erfordern. Die Behandlung
der
innerhalb
des
Organismus
d e n e n fremden Körper ist selten so einfach.
entstan-
Gewöhnlich kommt es
nächst der Entfernung derselben sehr wesentlich darauf an, die U r sache,
aus w e l c h e r sie e n t s t a n d e n
sonst aufs Neue
entstehen.
sind,
zu beseitigen,
Die Erfüllung dieser zweiten Indication
ist oft von eben so grosser Wichtigkeit, wie die Entfernung. man z. B.
die Pseudo-Membranen,
durch Eröffnung der Luftröhre vermag
dadurch
unterbrechen.
da sie
welche
die
Luftwege
So kann
versperren,
(Tracheotomie) entfernen; aber man
nicht den Krankheitsprocess,
der sie erzeugte,
zu
Durch den Steinschnitt kann man mit grosser Sicher-
heit Blasensteine entfernen; aber diese Operation vermag Nichts gegen die Steinkrankheit selbst auszurichten.
So zeigt sich hier wiederum
die N o t w e n d i g k e i t , bei der Erfüllung einer mechanischen Indication, den organischen Grund der mechanischen Störung nie aus dem Auge zu verlieren.
Freilich ist es für die Mehrzahl der hierher gehörigen
Fälle viel leichter,
die Indicationen
richtig zu stellen, als sie voll-
ständig zu erfüllen. Natur, Form, V o l u m e n - u n d Sitz eines Abweichungen von den bisher
fremden Körpers
aufgestellten Grundsätzen
können
nothwendig
machen, oder sogenannte Conlra-Indicationen begründen.
Schrotkörner
können in manchen G e w e b e n ,
im Bindege-
webe, sein.
in den K n o c h e n ,
besonders in der Haut,
zurückbleiben
Ist der fremde Körper
aber
ohne
gross
irgendwie schädlich zu
oder sitzt er in wichtigen
und empfindlichen Organen, z. B. in den Luftwegen, im Oesophagus, so ist seine Entfernung
dringend
angezeigt.
Auch j e nach
der Bc-
Fremde Körper.
749
schaffenheit des fremden Körpers muss seine Entfernung mit mehr oder weniger Eile bewirkt werden. Ein Bluterguss z. B. zwischen Dura mater und Schädel erheischt viel weniger dringend die mechanische Entfernung, als ein ins Gehirn eingetriebener Knochensplitter oder eine in dasselbe eingestossene Messerspitze. Gewöhnlich ist der beste und sicherste Weg für die Entfernung eines von Aussen eingedrungenen fremden Körpers derjenige, auf welchem er eingedrungen ist. Zuweilen ist es jedoch unmöglich, ihn auf diesem Wege auszuziehen, bald wegen seines zu grossen Volumens, bald wegen seiner Festheftung. Dann stehen uns zwei Mittel zu Gebote, entweder Trennung der Gewebe, um den Weg weiter oder den Körper frei zu machen, oder aber Theilung, Zertrümmerung des fremden Körpers. In manchen Fällen kann man auf beiden Wegen die Entfernung bewerkstelligen; Blasensteine können z. B. entweder durch Eröffnung der Blase auf einem künstlich angelegten Wege aus ihr entfernt, oder aber nach vorgängiger Zertrümmerung, auf dem natürlichen Wege, durch die Urethra ausgeleert werden. Man kann aber auch beide Methoden combiniren und einen sehr grossen Blasenstein z. B. nach vorgängiger Zertrümmerung durch eine relativ kleine künstliche Oeffnung stückweise entfernen, oder einen brandigen Knochen, nachdem man sich einen Weg zu ihm gebahnt hat, Behufs leichteren Ausziehens zerbrechen, wodurch dann dem Kranken grössere und vielleicht auch gefährlichere Einschnitte erspart werden. Zuweilen reicht es hin, einen fremden Körper, statt ihn auszuziehen, nur an einen anderen Ort zu bringen, wo er sich unter Verhältnissen befindet, die ihn unschädlich machen oder auch wohl ganz beseitigen. So ist es z. B. zuweilen zweckmässig, fremde Körper aus dem Oesophagus in den Magen hinabzustossen, vorausgesetzt, dass sie daselbst entweder aufgelöst werden können oder doch nicht nachtheilig auf den Magen und den übrigen Organismus einwirken. Selten empfiehlt es sich die Ausziehung eines fremden Körpers nicht auf einmal zu vollenden, sondern ihn zuerst nur den halben Weg machen und den Rest des Weges erst nach mehr oder weniger langer Zeit zurücklegen zu lassen. Diese Methode ißt z. B. von G o y r a n d mit Vortheil bei der Entfernung der „Gelenkmäuse" (vgl. Bd. II.) in Anwendung gebracht worden. Der Silz, die Beschaffenheit des fremden Körpers und die durch seine Anwesenheit bereits herbeigeführte Erkrankung der ihn umgebenden Gewebe können die Notwendigkeit begründen, seine Entfernung n i c h t vorzunehmen. So wäre es z. B. thöricht, einen fremden Körper in der Tiefe des Gehirns aufzusuchen, da durch die zu seiner
750
Verletzungen.
Ausziehung nöthige Operation eine noch bedeutendere Zerstörung dieses wichtigen Organs herbeigeführt würde. Man wird sich nur mit grosser Vorsicht und sehr zweifelhafter Prognose zur Entfernung eines fremden Körpers entschliessen, wenn derselbe an seinem Aufenthaltsorte bereits so bedeutende Veränderungen herbeigeführt h a t , dass Heilung des Kranken doch nicht mehr zu erwarten ist, oder wenn man bei einem innerhalb des Organismus entstandenen fremden Körper mit Bestimmtheit voraussehen kann, dass er sich alsbald wiedererzeugen wird. In letzterer Beziehung ist jedoch die Entscheidung sowohl im Allgemeinen, als auch in den einzelnen Fällen sehr schwierig, und oft genug wird man sich dem alten Spruche fügen müssen: „Anceps remedium melius quam nullum".
Entiernang der fremden Körper, Exäresis. Um einen von Aussen eingedrungenen fremden Körper auszuziehen, muss man oft die bereits vorhandene Oeffnung dilatiren oder eine neue Oeffnung anlegen. Die Mittel, durch welche wir die Herausbeförderung bewirken, sind entweder directe oder indirecte. Zu letzteren gehören: die Erregung von Erbrechen, Niesen, Evacuatio alvi u. dgl. Die direct wirkenden sind: auflösende oder chemisch wirkende Einspritzungen und die A u s z i e h u n g im engeren Sinne des Wortes, E x t r a c t i o c o r p o r i s a l i e n i . Unter Umständen sind ein oder mehrere Finger oder auch wohl die ganze Hand das beste Werkzeug zur Extraction. Gewöhnlich aber bedarf man besonderer Instrumente, Abweiche im Allgemeinen gilt, dass sie bei möglichst geringem Volumen möglichst grosse Festigkeit besitzen müssen. Hierher gehören die verschiedenen Zangen, Pincetten, Löffel, Krätzer (Tire-fonds), Haken, Hebel u. dgl. m., unter denen für jeden einzelnen Fall bald eins, bald mehrere zweckmässig angewandt werden, und über deren Gebrauch das Nähere erst bei den Krankheiten der einzelnen Organe gelehrt werden kann. Allgemeine Regeln Uber das Verfahren bei der Ausziehung lassen sich, abgesehen von den bei der Lehre von den Schusswunden bereits aufgestellten, nicht geben. Bei jeder Ausziehung eines fremden Körpers muss mit der grössten S c h o n u n g verfahren werden, um das Organ, in welchem er haftet, nicht einer neuen, vielleicht noch schlimmeren Verletzung, als diejenige, welche er selbst herbeiführte, auszusetzen. Mit gleicher Vorsicht und überhaupt in ganz analoger Weise ist auch bei den im Organismus entstandenen Concrementen ,zu verfahren; nur ist es bei diesen viel seltener möglich, sie ohne Dilatation der normalen Oeffnung oder Anlegung einer neuen, also ohne eine sogen, blutige Operation, zu entfernen.
Fremde
751
Körper.
Bei U m s c h n ü r u n g e n v o n K ö r p e r t h e i l e n stösst man wegen der schnell zu beiden Seiten der umschnürten Stelle auftretenden Anschwellung in der Regel auf Schwierigkeiten. Zuweilen ist der angelegte Faden gar nicht zu erkennen, eine Hohlsonde oder eine Scheerenspitze lässt sich nicht unter ihn schieben. Dann muss man gerade auf die angelegte Ligatur mit einem spitzen Messer vorsichtig incidiren, während die andere Hand den umschnürten Theil unverrückbar festhält 1 ). Anderer Art sind die Schwierigkeiten, wenn es sich um metallene Ringe handelt. Das Durchfeilen ist der Geschwulst wegen meist unmöglich. Recht starke schneidende Zangen, wie man sie zum Glätten der Knochensplitter an Amputationsstumpfen oder zum Durchschneiden des Unterkiefers, nach L i s t o n , benutzt'), leisten in solchen Fällen die besten Dienste. Man muss sie in der Art ansetzen, dass die ganze Breite des Ringes zwischen den Spitzen gefasst und während die letzteren eben nur die Haut streifen, mit einem kräftigen Druck auf die Branchen durchschnitten wird." Sind die umschnürenden Ringe zu dick oder zu fest, um sie auf solche Art zu durchschneiden (wie z. B. der Ring eines Schlüssels), so fasst man sie an zwei Stellen mit hinreichend starken Schraubstöcken und zerbricht sie mit deren Hülfe, indem man sie auseinander biegt. In den schlimmsten, zu lange vernachlässigten Fällen von Umschnürung kann es erforderlich werden, jenseit des angeschwollenen Wulstes einen kleinen Schnitt durch die Haut zu machen, dann eine Hohlsonde unter der Haut bis unter oder doch bis an den umschnürenden Körper zu führen und demnächst auf der Hohlsor.de die Spaltung vorzunehmen. Ist es ein Faden, so schneidet man diesen sogleich mit d u r c h ; einen Metallring muss man, nachdem er auf solche Weise zugängig geworden ist, mit der Zange durchschneiden oder zwischen zwei Schraubstöcken zerbrechen und auseinander biegen. Die nach solchen Operationen zurückbleibenden Wunden sind als „gequetschte" sorgfältig zu behandeln. Umschnürungen
d e r F i n g e r m i t d ü n n e n F ä d e n sind m i r in Greifswald bei
K i n d e r n o f t v o r g e k o m m e n , weil d o r t der A b e r g l a u b e b e s t a n d ,
kleinen
dass solche
Liga-
t u r e n gegen gewisse K r a n k h e i t e n ( S ü c h t i g k e i t e n , S u c h t e n ) h ü l f r e i c h seien. :
) W e r s o l c h e Z a n g e n n i c h t z u r H a n d h a t , b e n u t z e eine s t a r k e s c h n e i d e n d e D r a h t zange, wie m a n sie j e t z t licher Güte vorfindet.
bei
den S t a h l w a a r e n h ä n d l e r n
meist
von
ganz
vorzüg-
Dritte Gruppe. Missbildungen, Dysmorphoses, Deformitates. Wir handeln hier von den Missbildungen im weitesten Sinne des Wortes, so zwar, dass nicht blos die a n g e b o r e n e n , welche man gewöhnlich schlechtweg M i s s b i l d u n g e n (monstra) nennt, sondern auch die e r w o r b e n e n F o r m f e h l e r darunter verstanden werden. Missbildungen oder Formfehler in diesem Sinne, V i t i a p r i m a e e t s e c u n d a e f o r m a t i o n i s , sind alle Abweichungen der Körperform von der als Regel angenommenen, wie sie uns die normale menschliche Anatomie kennen lehrt. — Angeborene Missbildungen, welche das Leben unmöglich machen, also nicht Gegenstand chirurgischer Behandlung werden, bleiben hier ausser Betracht.
E r s t e r Abschnitt. Von den Missbildungen im Allgemeinen. Aetiologie. Die nach der Geburt entstandenen, sogenannten „ e r w o r b e n e n " Formfehler sind die Folge bald einer durch Entzündung oder Verschwärung bedingten narbigen Verwachsung von Theilen des Körpers, welche getrennt sein sollten, bald einer Verletzung, bald einer Anfangs krampfhaften, auch nach Aufhören des Krampfes selbstständig fortdauernden Verkürzung (Contractur) oder einer Lähmung von Muskeln, welche beide ihrer Seits oft auf Krankheiten des Nervensystems beruhen. Die Aetiologie dieser erworbenen Missbildungen führt uns also theils auf bereits beschriebene chirurgische Krankheiten zurück, theils in das Gebiet der inneren Medicin, von welcher wir in Betreff der Vorgänge, durch welche in dem einen Falle
Aerologie.
753
Muskelverkürzungen, in dem anderen Lähmungen veranlasst werden, noch manche Aufklärung erwarten müssen. Vielleicht beruhen auch manche der a n g e b o r e n e n Missbildungen auf ähnlichen krankhaften Veränderungen; denn der Fötus kann in ähnlicher Weise, wie ein geborenes Kind erkranken. Verwachsungen und Verschliessungen von Canälen lassen sich oft auch beim Fötus auf vorausgegangene Entzündungen zurückführen. Erschütterungen, Quetschungen, Zerrungen und in Folge derselben Verrenkungen und Knochenbrüche, ja sogar Wunden aller Art können den Fötus treffen. Bald wird er direct, bald indirect verletzt, so z. B. bei einem Falle der Mutter oder einem heftigen Stosse, zumal wenn derselbe den Unterleib trifft. Nicht minder vermag ein längere Zeit fortgesetzter Druck nachtheilig zu werden, wie z. B. bei zu festem Schnüren, unzweckmässigen Leibbinden u. dgl. m. Auch kann ein Theil des Fötus den anderen durch Druck benachteiligen. Durch eine penetrirende Bauchwunde oder durch ein in der Absicht, Abortus herbeizuführen, durch das Orifieium uteri eingebrachtes Instrument kann der Fötus direct verwundet werden. Manche Schriftsteller wollen von diesen Krankheiten und Verletzungen des Fötus alle oder doch die meisten Missbildungen ableiten.. Fehlt dem Kinde irgend ein Theil, so nehmen sie an, er sei durch eine Krankheit zerstört worden; besteht irgendwo eine abnorme Trennung, wie z. B. bei der Hasenscharte, so glauben sie, es habe eine Zerreissung Statt gefunden u. s. f. — Zu den Vertheidigern dieser Lehre gehören H a l l e r ' ) , M o r g a g n i , B é c l a r d ' ) , D u g è s 3 ) , V e l p e a u 4 ) und O t t o 8 ) . — I s i d o r G e o f f r o y S a i n t - H i l a i r e 6 ) will sogar eine grosse Anzahl von Missbildungen aus rein mechanischen Verletzungen oder Störungen des Fötus ableiten, wozu freilich seine Beobachtungen und Versuche an Hühnereiern keineswegs einen hinreichenden Grund abgeben, da aus denselben, wie aus anderen hierher gehörigen Beobachtungen nur hervorgeht, dass mechanische Verletzungen des Embryo Missbildungen hervorbringen können, aber selten hervorbringen. Schon E i s e n b e i s
( D e laesionibus medianici»
utero contento accidentibus etc. gemacht.
Die Versuche von D a r e s t e
monstruosités etc. ' ) De monstris.
simulacrisque
laesionum foetu in
Tübing., 1 7 9 4 ) hat hierüber interessante Mittheilungen (Recherches sur la
production artificielle des
Paris 1 8 7 7 ) ergeben auch nur, dass es durch thermische Einflüsse Partes destruetae.
' ) Bulletins de la Faculté de médecine
1817.
3
) Ephem. mèdie, de Montpellier.
4
) Traité d'accouchement.
5
) Monstrorum sexcentorum descriptio anatomica.
Paris,
1835.
•) Histoire des anomalies de l'organisation. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
Paris,
Vratislaviae,
1841.
1832—36. 48
754 und
Missbildungen. durch LageveräoderuDgen
Stadien der Entwickelung
an
Hühner-
Missbildungen
und
Fisch-Eiern
zu e r z e u g e n ;
stimmte Arten der Einwirkung i m m e r dieselben Arten sich die m a n n i g f a l t i g s t e n V a r i a t i o n e n ; zuweilen welche dem
in
dem
anderen
einen
Falle
zur
Entstehung
gelingt,
frühesten be-
d e r Missbildung, s o n d e r n es zeigen
bleibt sogar nach einer
auf den
keineswegs a b e r folgen auf
erheblichen
Falle eine S t ö r u n g des E n t w i c k e l u n g s g a n g e s
ganz
derselben
Einwirkung,
Missbildung f ü h r t e ,
in
aus.
So wenig also Krankheiten, wie wir sie anderweitig kennen, oder Verletzungen des Fötus als Ursachen der Missbildungen geläugnet werden sollen, so müssen wir uns doch der in neuerer Zeit immer mehr zur Geltung gekommenen Ansicht anschliessen, dass in der Mehrzahl der Fälle eine S t ö r u n g d e s E n t w i c k e l u n g s g a n g e s , eine A b w e i c h u n g d e s s e l b e n v o n d e r I d e e d e r G a t t u n g 1 ) zu Grunde liegt. Die Ursachen einer solchen Abweichung können mannigfaltig sein. Entweder waren sie ursprüngliche, in einer Modification des Sperma oder des Ovulum begründete, oder aber sie wirkten erst während der Entwickelung ein, und zwar bald durch Vermittelung des von der Mutter gelieferten Bildungsmaterials, welches durch körperliche Krankheiten oder geistige Affecte derselben verändert werden kann, bald durch Krankheiten des Embryo selbst, unter denen auch die mechanischen Verletzungen als eine Unterabtheilung ihren Platz finden. Eine grosse Anzahl von Missbildungen hat die Entwickelungsgeschichte in neuerer Zeit auf eine Hemmung der Bildung (also B i l d u n g s h e m m u n g ) zurück zu führen gelehrt. Solche Missbildungen entstehen, indem die Entwickelung eines oder mehrerer Organe auf einer gewissen Stufe der Ausbildung aufgehalten oder in ihrem Fortgange in der Art gestört wurde, dass abweichende Formen daraus hervorgingen, welche entweder jener Stufe entsprechen, auf welcher das Organ beim Eintritt der Störung sich befand, oder doch aus derselben erklärt werden können. Man nennt die auf einer Hemmung der Entwickelung beruhenden Missbildungen mit Recht H e m m u n g s b i l d u n g e n *). Indem wir den geistigen Affecten der Mutter einen Einfluss auf das für das Wachsthum des Fötus erforderliche Bildungs-Material ' ) Vgl.
Th.
Bischoff,
wörterbuch 2
der
) Vgl. B i s c h o f f ,
Artikel
ausgebildet
Missgeburten.
ist
Geoffroy Saint-Hilaire
u. 8 9 2 .
—
i s t C. F . W o l f f
dieselbe
Landshut,
in
Wagner's
Hand-
Bd. I. p a g . 8 9 4 .
1. c. p a g . 8 8 6
von d e n H e m m u n g s b i l d u n g e n weiter
„Entwickelungsgeschichte"
Physiologie.
durch
1813),
J.
Der eigentliche Begründer der L e h r e (Nov. C o m m e n t .
Tiedemann F.
Meckel
(Philosophie anatomique)
Petrop.
(Anatomie
der
(Pathologische u.
A.
T. XVII.); kopflosen Anatomie),
755
Aetiolopie.
zugestanden möglichen
u n d die V e r ä n d e r u n g e n nächsten Ursachen
dieses letzteren
des Entstehens
f ü h r t e n , haben wir zugleich ausgesprochen,
als
eine
der
einer Missbildung auf-
dass wir das sogenannte
„ V e r s e h e n " der Schwangeren keineswegs ganz hinwegläugnen wollen. Es giebt bekanntlich kaum Alter, als diesen.
irgend einen Volksglauben von
höherem
Schon im alten Testamente wird u n s erzählt, wie
Jacob den trächtigen Schafen Zweige vorwarf, die er durch theilweises Abziehen der Rinde b u n t gemacht hatte, um b u n t e L ä m m e r zu erVon j e n e r Zeit bis auf u n s e r e T a g e 1 )
zielen.
hat sich die „ L e h r e
von dem V e r s e h e n " im Volksglauben, wie in der Wissenschaft e r halten.
Die T h a t s a c h e n ,
um welche
sich in zwei Gruppen sondern.
es sich hierbei handelt, lassen
Diejenigen,
welche zu der
ersten
Gruppe gehören, betreffen solche Missbildungen, welche sich bei Kindern vorfanden,
deren Mütter w ä h r e n d -der Schwangerschaft eine heftige
Gemüthsbewegung erlitten, ohne dass ein bestimmter zwischen dieser Gemüthsbewegung hauptet w ü r d e .
Beobachtungen
und
Zusammenhang
der Art der Missbildung be-
der Art hat man
keinen Grund in
Zweifel zu ziehen, — wenn m a n nicht etwa den Einfluss des Nervensystems auf die Vorgänge der E r n ä h r u n g u n d auf die Beschaffenheit des Blutes, oder aber den Einfluss der Beschaffenheit des Blutes der Mutter auf die Vorgänge der E r n ä h r u n g des Fötus ü b e r h a u p t läugnen will.
Die zweite Gruppe umfasst diejenigen Beobachtungen, in welchen
der Einbildungskraft
der Mutter ein
bestimmter (und
zugleich
be-
stimmender) Einfluss auf die Entstehung einer besonderen Missbildung, die m e h r oder weniger das Abbild stellungen
der Sinneseindrücke
der Mutter sein soll, zugeschrieben wird.
oder Vor-
Die Mutter er-
schrickt z. B. vor einer Feuersbrunst, — das Kind bringt ein F e u e r maal mit zur W e l t ; es fällt ihr eine Erdbeere in den Busen, sie erschrickt
darüber,
—
das Kind
trägt
einen
erdbeerförmigen
Blut-
schwamm an der B r u s t ; sie sieht mit S c h a u d e r einen Amputirten, dem Kinde fehlt ein Bein, u. dgl. m. achtungen
ersetzt keineswegs
—
Die grosse Zahl solcher Beob-
den Mangel an
Glaubwürdigkeit,
auf
den m a n bei der genaueren U n t e r s u c h u n g der einzelnen immer stösst. Von grosser Wichtigkeit ist in allen diesen Beziehungen der Unistand, dass der Zeitpunkt,
zu welchem das Versehen Statt gefunden h a b e n
soll, gewöhnlich nicht innerhalb des ersten, sondern in den späteren Monaten der Schwangerschaft angegeben wird, in welchen die äussere Form des Fötus schon vollkommen entwickelt ist und von der E n t s t e h u n g der meisten und bedeutendsten Missbildungen gar keine Rede ') Vgl. F e u c h t e r s i e b e n ,
in den Verhandlungen der k. k. Gesellschaft der Aerzte
in W i e n , 1 8 4 2 , pag. 4 3 0 .
48*
756
Missbildungen.
mehr sein kann. Wenn wir also auch zugestehen, dass Gemüthsbewegungen und Vorstellungen der Mutter auf die Form des Embryonalkörpers Einfluss haben können, so m ü s s e n w i r d o c h d i e A b h ä n g i g k e i t b e s t i m m t e r Missbildungen von b e s t i m m t e n S i n n e s eindrücken oder G e m ü t s b e w e g u n g e n durchaus läugnen. Auch folgt keineswegs auf jede, wenn auch noch so heftige. Gemüthsbewegung einer Schwangeren jedes Mal die Entstehung einer Missbildung, ebenso wenig wie auf jede Erkältung ein Schnupfen oder auf jeden lange getragenen Kummer die Entstehung eines Carcinonas, so wichtig für die Aetiologie des Schnupfens die Erkältung und für die des Krebses der Kummer auch immer sein mag.
Eintbeilnng der Missbildaugen. Die Schwierigkeit einer guten Classification der Missbildungen ist schon eine sehr bedeutende, wenn man blos die angeborenen berücksichtigt; noch grösser aber wird sie, wenn gleichzeitig auch die erworbenen Formfehler mit umfasst werden sollen. Indem wir in Betreff der angeborenen Missbildungen uns an die von T h . B i s c h o f f aufgestellte Classification ') anschliessen, werden wir in dem folgenden Abschnitt nur diejenigen hervorheben, welche in chirurgischer Beziehung von besonderem Interesse sind. Th. B i s c h o f f theilt die Missbildungen, n a c h P r i n c i p , in d r e i C l a s s e n . I. C l a s s e .
anatomischem
Missbildungen, denen zur Bealisation i h r e r Gattung etwas fehlt.
der
Idee
Die Ursachen dieser Missbildungen können sehr verschieden sein: zuweilen, obgleich gewiss selten, abnorme Beschaffenheit des Ovulum oder des Sperma; ferner Hemmungen der Entwickelung durch äussere Einflüsse, z. B. Affecte der Mutter; Zerstörung eines bereits gebildeten Organs durch Krankheiten (z. B. Wasseransammlung) oder durch mechanische Einflüsse (z. B. Abschnürung eines Gliedes durch den Nabelstrang oder durch abnorme Stränge innerhalb des Eies). lste O r d n u n g . D e f e c t e im e n g e r e n S i n n e , denen ein mehr oder weniger bedeutender Theil des Körpers fehlt, sehr häufig ein Theil des Kopfes, deshalb auch schlechtweg Acephala genannt. 2te O r d n u n g . M i s s b i l d u n g e n d u r c h K l e i n h e i t d e r T h e i l e . 3te O r d n u n g . M i s s b i l d u n g e n d u r c h V e r s c h m e l z u n g . Unter diesen sind für uns die Verschmelzungen an den Extremitäten von besonderem Interesse. ') 1. c. pag. 901 u. folg.
Eintheilung.
—
Uebersicht.
757
a) S y n d a c t y l u s . Finger oder Zehen unvollständig getrennt, indem sich die Haut Uber 2, 3 oder 4 gleichmässig und ohne Unterbrechung fortzieht. Beruht auf einer Bildungshemniung, da der Keim für Hand und Fuss Anfangs keine Spaltung in Finger oder Zehen zeigt. b) M o n o p o d i a . S i r e n e n - M i s s b i l d u n g (vgl. Fig. 154). Die unteren Extremitäten mehr oder weniger mit einander verwachsen, wobei ihre einzelnen Theile zuweilen vollständig, zuweilen unvollständig entwickelt sind, während der After immer fehlt und Becken, Harnorgane und Geschlechtstheile unvollkommen gebildet sind oder ebenfalls fehlen. Diese Missbildung kann nicht gradezu als Bildungshemmung gedeutet werden (da im normalen Entwickelungsgange die Anlagen für beide untere Extremitäten sich gesondert entwickeln), beruht vielmehr auf mangelhafter Entwickelung des unteren RumpfEndes und seiner Organe, so dass deren Keime zu nahe aneinander rücken und ineinander fliessen. 4te O r d n u n g . V e r s c h l u s s n o r m a l e r O e f f n u n g e n , A t r e s i a e . a) A t r e s i a o r i s , beruht auf Bildungshemmung. Die Lippen verwachsen im 4. Monate mit einander und trennen sich erst im 6. wieder. Wahrscheinlich rührt diese Missbildung aus viel früherer Zeit her. Sehr früh nämlich schliesst sich der Kopftheil der Visceralhöhle des Embryo vollkommen, indem die Visceralränder des animalen Blattes der Keimhaut mit einander verwachsen und die „untere Vereinigungshaut", nach R a t h k e , darstellen. Erst mit dem Hervorbrechen der Visceralbogen entsteht die obere Oeffnung des Nahrungscanales, aus welcher später zwischen dem ersten Visceralbogen und seinem oberen Fortsatze der Mund sich entwickelt. b) A t r e s i a n a s i . Die Nase schliesst sich nach der 5. Woche mit einem sackartigen Piropfe, welcher im 5. Monate wieder verschwindet. Sein Persistiren ist als Grund dieser Missbildung anzusehen. c) A t r e s i a a u r i s e x t e r n a e . Der aus dem hinteren oberen Theile d e r e r s t e n V i s c e r a l s p a l t e entstehende ä u s s e r e G e h ö r g a n g ist zwar zu keiner Zeit der normalen Entwicklung verschlossen, aber bis zur Geburt wenig entwickelt, so dass eine geringe Bildungsabweichung leicht zum Verschluss führen kann. d) A t r e s i a a n i . Wenn mit dem Verschlusse des Afters nicht gleichzeitig Verschluss des C a n a l i s u r o - g e n i t a l i s besteht, so lässt sich diese Missbildung nicht aus einem Stehenbleiben auf derjenigen Stufe der Entwickelung erklären, wo das Darmrohr im hinteren (unteren) Körper-Ende blind endigt. Denn die äusseren Oeffnungen der Harnund Genital-Organe entwickeln sich aus der später auftretenden primären Oeffnung des Enddarms (Cloake). Wahrscheinlich beruht diese
Missbildungen.
758
Atresie auf einem späteren zufälligen Verschlusse, obgleich Einige angeben, dass ein solcher für eine Zeit lang n o r m a l e) A t r e s i a Ränder
der
vulvae,
erfolge.
entsteht wahrscheinlich dadurch, dass die
äusseren Oeffnung
des
Canalis
uro-genitalis,
statt
als
Labia m a j o r a getrennt zu bleiben, in der Art mit einander verwachsen, wie beim m ä n n l i c h e n F ö t u s n o r m a l zur Bildung des f) Atresia
vaginae
Entwickelung des I l y j n e n .
beruht
gewöhnlich
auf
Hodensackes.
einer zu
starken
Zuweilen bildet blos das Epithelium
eine n u r von einer s e h r dünnen B i n d e g e w e b s l a g e g e t r a g e n e schicht den V e r s c h l u s s ( R o s e r ' s ff) A t r e s i a
uteri
lässt
Epithelialverklebung).
sich aus
der E n t w i c k e l u n g
nicht erklären, beruht vielleicht auf entzündlicher h) A t r e s i a Eichel ist bis der
unteren
urethrae
des Uterus
Verwachsung.
v i r i l i s ist eine B i l d u n g s h e m m u n g .
zum vierten Monat Seite
oder
Epithel-
des P e n i s ,
undurchbohrt
aus welcher
und
sich
Die
die F u r c h e an
die H a r n r ö h r e
ent-
wickelt, e r s t r e c k t sich n i c h t bis auf die E i c h e l . 5te O r d n u n g .
Spaltbildungen,
Ihrer Entstehungsweise nach A.
Die
wickelung
Gruppe
erste
mangelhaften
umfasst
Verschlusse
gegen
Visceralplatten
der
einander der
Keimhaut
vielleicht auch gar nicht
einigung
durch
entsteht. steht
in der
Betrifft
eine
eine S p a l t e
Seite
des K ö r p e r s
oder
dislocirt
Lippenspalte Zunge,
unvoll-
oder
der
Spaltung
erfcflgter Ver-
und zwar in der R e g e l wieder
eine
so ent-
des K ö r p e r s ;
der Mittellinie
an der
oder
durch
Trennung
die Dorsalplatten,
der Mittellinie
einzuschliessenden
(Vorfall
oder
doch
betrifft
vorderen in
deren
( S p i n a bifida),
(Hasenscharte), die S p a l t u n g
Eingeweide entweder zer-
eine Hernie).
Hierher
die G a u m e n s p a l t e , der
Brust,
des am
Becken
( P r o l a p s u s s. lnversio vesicae
des
an
seiner
vorderen
die
Seite
die
Spaltung
Bauches
Harnblase Penis
gehören:
die Spaltung des G e s i c h t s ,
taler Nabelbruch), endlich die S p a l t u n g e n tung
nach
In letzterem F a l l e sind die an der betreffenden Stelle
die R ü c k g r a t s p a l t e der
und
der R ä n d e r dieser Platten erfolgt,
so zeigt sich eine Spaltung
ebenfalls in
EntHierbei
solche Missbildung
von den Visceralplatten stört
w e l c h e in einem normalen
Dorsalplatten
gebildeten H ö h l e ,
am R ü c k e n in
sie die Visceralplatten, n ä c h s t e r Nähe.
bei der
ihren Ursprung h a b e n .
irgend eine U r s a c h e ,
Wasseransammlung
diejenigen,
sich
neigenden
ist gleichgültig, ob die Vereinigung ständig,
Fissurae.
lassen sich 3 Gruppen unterscheiden.
(congenimit
Spal-
urinariae) und
(Epispadia
penis)
auftreten. Bleiben Theile
des D a r m r o h r e s ,
welches
ursprünglich
als
eine
Eiotheilung.
—
Uebersicht.
759
Rinne sich entwickelt, unvereinigt, so entstehen Spalten am Magen und am Darm (angeborene Darmfistel). Diese sind also auch als Hemmungsbildungen zu betrachten. B. Die S p a l t b i l d u n g e n d e r z w e i t e n G r u p p e beruhen auf dem O f f e n b l e i b e n g e w i s s e r S p a l t e n , O e f f n u n g e n o d e r C a n ä l e , die w ä h r e n d d e r n o r m a l e n E n t w i c k e l u n g e i n z e l n e r Theile a u f t r e t e n , b e i m w e i t e r e n n o r m a l e n E n t w i c k l u n g s g ä n g e sich a b e r s p ä t e r s c h l i e s s e n s o l l t e n . a) S p a l t e n an d e r S e i t e des Halses, F i s t u l a e colli c o n genitae. Die Visceralränder des animalen Blattes der Keimblase wachsen dicht unter der Schädelkapsel nicht als ununterbrochene Massen gegen einander, sondern in Streifen oder Bogen (Visceraloder Kiemenbogen, Arcus viscerales s. branchiales), zwischen denen Spalten, die Visceral- oder Kiemenspalten, frei bleiben, welche beim normalen Entwickelungsgange sich sehr frühzeitig schliessen bis auf den schon oben erwähnten hintersten Theil der ersten Visceralspalte, aus welcher der äussere Gehörgang entsteht. Aus dem Offenbleiben anderer Theile der Visceralspalten entstehen die angeborenen Halsfisteln. b) S p a l t u n g d e s H o d e n s a c k e s u n d d e r H a r n r ö h r e an ihrer hinteren Seite (Hypospadia). Bei ganz jungen Embryonen zieht sich von der gemeinsamen Oeffnung des Canalis uro-genitalis aus an der unteren Seite des rudimentären Penis eine Furche hin, deren Ränder allmälig verwachsen und auf solche Weise den Hodensack und die Harnröhre bilden. Erfolgt die Verwachsung gar nicht oder unvollständig, so entsteht Hypospadie. Sind gleichzeitig die Hoden in der Bauchhöhle zurückgeblieben und der Penis sehr kurz, so kann das Individuum leicht für ein weibliches gehalten werden. c) O f f e n b l e i b e n des P r o c e s s u s v a g i n a l i s p e r i t o n e i ist eine Bildungshemmung, da Leistencanal und Processus vaginalis beim normalen Entwickelungsgange, nach Vollendung des Descensus testiculi sich schliessen sollen. Die Folge des Ofifenbleibens ist gewöhnlich Hernia inguinalis congenita oder Hydrocele congenita oder auch beide zugleich. d) O f f e n b l e i b e n des U r a c h u s und daher angeborene Harnfistel am Nabel. Urachus und Harnblase sind die nach erfolgter Verwachsung der Visceralplatten innerhalb der Leibeshöhle zurückbleibenden Theile der Allantois, welche in ihrer weiteren Ausdehnung ausserhalb des Nabels die Vasa umbilicalia des Embryo an die äussere Eihaut zur Bildung der Placenta gebracht hat. Das unterste Stück des innerhalb der Leibeshöhle zurückbleibenden Theiles der Allantois erweitert sich zur Harnblase, während das obere vom Vertex der
760
MissbilduDgen.
Blase zum Nabel verlaufende (Urachus) der Regel nach sehr früh obliterirt (Ligamentum vesicae medium). Bleibt dasselbe offen, so entsteht (also durch eine Bildungshemmung) die genannte Missbildung. C. Die d r i t t e G r u p p e der Spaltbildungen umfasst die an d e n G l i e d m a a s s e n vorkommenden (Schistomelus), welche auf eine Bildungshemmung nicht zurückgeführt werden können und wahrscheinlich auf ä u s s e r e n V e r a n l a s s u n g e n beruhen. Sie wurden gewöhnlich zwischen dem dritten und vierten Finger (oder Zehen) bis zur Hand (oder Fuss)-wurzel ausgedehnt beobachtet. II. C l a s s e .
M i s s b i l d u n g e n , die e t w a s m e h r b e s i t z e n , als i h n e n d e r Idee i h r e r G a t t u n g n a c h z u k o m m t .
Unter diesen findet sich ein ganz allmäliger Uebergang von der Ueberzahl eines Fingergliedes bis zur Entwickelung zweier nur in geringer Ausdehnung mit einander verbundener, übrigens aber vollständig ausgebildeter Individuen. Bei denjenigen, welche, neben beliebiger Ueberzahl einzelner Körpertheile, doch nur e i n e n Kopf und e i n e n Rumpf besitzen, hat man von alter Zeit her ein Uebermaass der bildenden Thätigkeit als Ursache ihrer Entstehung angenommen; bei denjenigen aber, welche auch einen doppelten Kopf und Rumpf in mehr oder weniger vollständiger Ausbildung besitzen, den sogenannten D o p p e l - M i s s b i l d u n g e n 1 ) , glaubte man doppelte Keime voraussetzen zu müssen, welche verschmolzen seien, so dass also eigentlich ein Mangel an bildender Thätigkeit vorhanden wäre, indem jeder Keim, für sich genommen, unvollkommener entwickelt wurde, während beide verschmolzen. Ueber diese Frage ist mit grosser Heftigkeit gestritten worden, indem besonders Duverney®) und W i n s l o w 3 ) die zuerst erwähnte Entstehungsweise als die allgemein gültige ansahen, während L e m m e r y 4 ) die letztere als die allein statthafte vertheidigte, C. F. W o l f f 5 ) und T r e v i r a n u s 8 ) aber für verschiedene Fälle bald diese, bald jene Erklärungsweise annahmen. Die Gründe, welche man, namentlich nach dem Vorgange von Meckel 7 ), gegen die Annahme der Verschmelzung zweier Keime geltend gemacht hat, sind von sehr ' ) Vgl. W . B r a u n e ,
die Doppelbildungen u n d a n g e b o r n e n Geschwülste d e r Kreuz-
beingegend, m i t 2 0 Tafeln. 2
Leipzig,
1862.
) Mémoires d e l'Académie des sciences
1706.
*) I b i d e m 1 7 2 3 u n d «) Ibidem
1743.
1738.
*) De o r t u m o n s t r o r u m .
N. C o m m e n t . P e t r o p . XVII. pag. 5 8 0 .
•) Biologie III. pag. 4 4 3 . ' ) P a t h . A n a t o m i e I. pag. 2 6 und de duplicitate
monstrosa.
Eiotheiluog. —
761
Uebersicht.
ungleichem Werthe. 1) Es sei ungereimt, ein überzähliges Fingerglied aus der Verschmelzung zweier Embryonen abzuleiten, während von dieser kleinen Missbildung bis zu der Verschmelzung zweier vollständiger Embryonen an einem Punkte ihres Körpers eine ununterbrochene Reihe von Beobachtungen vorliege, welche die Anwendung verschiedener Erklärungen für verschiedene Grade dieser Missbildungen ganz unzulässig erscheinen lasse. 2) Bei Doppel-Missbildungen hängen immer nur gleichnamige Organe, Systeme und Theile zusammen. Wie wäre dies bei einer zufälligen Verschmelzung zweier Keime erklärbar? 3) Alle Doppel-Missbildungen zeigen unter einander eine auffallend grosse Uebereinstimmung. 4) Dieselben sind gewöhnlich auch noch in anderen Stücken missgebildet, was durch eine zufällige Verschmelzung schwerlich bedingt werden kann. 5) Sie sind erblich und kehren bei Kindern derselben Mutter öfter wieder. 6) Eine Verschmelzung zweier Eier, welche man früher, so lange die ersten Entwickelungsvorgänge des Säugethier-Eies durchaus unbekannt w a r e n , sich leicht in dieser oder jener Weise denken konnte, ist nach unseren jetzigen Kenntnissen von der Entwickelung des Säugethier-Eies geradezu unmöglich. Die äussere Eihaut (Zona pellucida) ist eine sehr feste Membran, welche den in ihr enthaltenen Dotter (und um eine Verschmelzung zweier Dotter müsste es sich doch handeln) sicher beschützt. Später sind die Embryonen in das Amnion eingehüllt, welches keine Neigung zur Verwachsung hat, und die Embryonalkörper selbst haben so wenig Tendenz zu einer Verwachsung, dass selbst Zwillinge in e i n e i n Amnion auch bei der grössten Beengung des Raumes doch g e t r e n n t bleiben. — Von diesen Gründen ist 6) vollkommen durchschlagend gegen die Annahme der Verschmelzung zweier Eier. Diese wird aber auch von Niemand mehr vertheidigt. Vielmehr versteht man darunter, wenn von der V e r s c h m e l z u n g z w e i e r K e i m e gesprochen wird, nur z w e i E m b r y o n a l a n l a g e n in e i n e r Zona pellucida, deren Entstehung als möglich zugegeben werden muss, mag man nun dabei die (wenigstens bei Vögeln nachgewiesene) Existenz eines O v u m in o v o , oder die Anwesenheit von z w e i D o t t e r n in e i n e r E i h a u t (welche B i s c h o f f in Säugethier-Eiern beobachtet hat) oder endlich, mit B e r n h a r d S c h u l t z e 1 ) , das Vorhandensein von z w e i K e i m b l ä s c h e n in e i n e m D o t t e r als Ursache einer solchen Abweichung ansehen. Nach den von R e i c h e r t * ) und v o n D ö n i t z 3 ) ' ) Ueber anomale Duplicität dungen).
der Axenorgane ( m i t einer Tafel
cbematischer Abbil-
Virchow's Archiv Bd. VII. Berlin, 1 8 5 4 , pag. 4 7 9 — 5 3 1 .
a
) Archiv f. Anatomie, Physiologie und wissenschaftl. Medicin.
3
) Ebenda, 1 8 6 6 , pag. 5 2 9 .
1 8 6 4 . pag. 7 4 4 .
Missbildungen.
762
au Vogel-Eiern angestellten Versuchen, unterscheidet sich der Dotter solcher Eier, aus denen Doppelmissbildungen hervorgehen, durchaus nicht von dem normalen befruchteten Dotter; erst nach Bildung der R e i c h e r t ' s c h e n „Umhüllungshaut", also nach vollständig normalem Ablauf des Furchungsprocesses, findet eine K e i m s p a l t u n g statt, welche bald longitudinal, bald transversal verläuft. Ganz im Gegensatze hierzu hat R a u b e r 1 ) aus sehr eingehenden Studien und U n t e r suchungen die Ueberzeugung gewonnen, dass die Theilung schon vor der Furchung beginnen müsse und dass ein Keim, aus welchem eine Doppelbildung hervorgeht, bereits im reifen Ei den doppelten (oder mehrfachen) Kräfteplan enthalte, durch welchen die Doppel- (oder Mehrfach-) Bildung bedingt wird. lste O r d n u n g . U e b e r z a h l e i n z e l n e r T h e i l e bei e i n f a c h e m Kopf u n d R u m p f . Von diesen sind in chirurgischer Beziehung interessant: D o p p e l t e r U n t e r k i e f e r (Dignathus), d o p p e l t e Z u n g e , deren eine über der anderen liegt, d o p p e l t e H a r n l e i t e r , d o p p e l t e H a r n b l a s e , Anwesenheit eines dritten Hodens (zweifelhaft), doppelter Penis oder Clitoris (ebenfalls zweifelhaft), d o p p e l t e r U t e r u s (eine Bildungshemmung, da das Corpus uteri sich erst später entwickelt und der weibliche Fötus daher in früher Zeit durch die relativ stärkere Entwickelung der unteren Enden der Tuben einen mehr oder weniger doppelten Uterus zu haben scheint), ferner U e b e r z a h l d e r B r ü s t e , ü b e r z ä h l i g e E x t r e m i t ä t e n an der vorderen Körperfläche (Gastromeies) oder am Rücken (Notomeles) oder am Steiss (Pygomeles), ü b e r z ä h l i g e F i n g e r und ü b e r z ä h l i g e Z e h e n (Polydactylos) oder ü b e r z ä h l i g e G l i e d e r an den normalen Extremitäten (Melomeles). 2te O r d n u n g . Kopf u n d R u m p f d o p p e l t . Doppelmissb i l d u n g e n im e n g e r e n S i n n e . Von chirurgischem Interesse besonders : a) P y g o d i d y m u s , zwei vollkommen getrennte Körper, die nur in der Gegend des Kreuz- und Steissbeins zusammenhängen, wie z. B. die im vorigen Jahrhundert bewunderten „ungarischen Schwestern" H e l e n a und J u d i t h , welche 22 Jahre alt wurden, und die amerikanischen (der Ra$e nach afrikanischen) Schwestern M i l l i e und C h r i s s i e , welche, etwa 20 Jahre alt, als „zweiköpfige Nachtigall" sich in Berlin 1873 tanzend und singend producirten *). ') Die Theorie der excessiven Monstra, Archiv f. patbol. Anat. etc. ( 1 8 7 7 ) Bd. 71. pag. 1 3 3 — 2 0 6 ,
mit vielen Abbildungen und eingehenden historisch-litterarischeD
Erläuterungen. *) Vgl. V i r c h o w ' s Vortrag in 1 8 7 3 , No. 9.
d. Berl. med. Gesellscb.,
Berl. klin.
Wochenschr.
Einlheiluog. —
Uebersicht.
763
6) X i p h o p a g e s , zwei ganz getrennte, nur in der Gegend des Schwertknorpels verbundene Körper, wie z. B. die sardinischen Zwillingsschwestern R i t t a und C h r i s t i n a und die siamesischen Brttder C h a n g und E n g , welche sich 1870 in Berlin sehen liessen') und 1 8 7 4 , nahezu 60 Jahre alt, in Amerika starben. Vgl. d. folg. Abschn., Cap. IV. c) H e t e r o d i d y m u s , ein regelmassig gebildeter Körper trägt einen u n v o l l s t ä n d i g e n an der Brust (in der Herzgrube), am Rücken oder in der Steissgegend. 3te O r d n u n g . D o p p e l m i s s b i l d u n g e n d u r c h E i n p f l a n z u n g . a) F o e t u s in f o e t u . Der vollständige Fötus trägt an irgend einer Stelle unter der Haut oder in einer Körperhöhle einen kleineren unvollständigen. b) O m p h a l o - c r a n i o - d i d y m u s . Die Nabelschnur oder ein Rudiment eines Fötus wurzelt im Schädel des anderen. 4te O r d n u n g .
Monstra triplicia.
Drei Embryonalkörper unter-
einander verwachsen. III. C l a s s e .
Missbildungen, deren Organisation der Idee i h r e r G a t t u n g nicht e n t s p r i c h t , ohne d a s s ein „ Z u w e n i g " oder „ Z u v i e l " vorläge.
Die Ursachen ihrer Entstehung sind unsicher: bald müssen wir uns begnügen, eine Anomalie der Bildungsthätigkeit anzunehmen, oder eine krankhafte Beschaffenheit des Eies oder spätere Krankheiten des Embryo zu vermuthen, bald lässt sich eine Bildungshemmung nachweisen oder doch deren Nachweis hoffen. lste O r d n u n g . V e r ä n d e r u n g d e r L a g e d e r O r g a n e (Situs mutatus). Die Theile, die rechts liegen sollten, liegen links und umgekehrt, die oberen unten, die vorderen hinten. Zuweilen ist die normale seitliche Asymmetrie aufgehoben; z. B. das Herz liegt in der Mitte, die Leber halb rechts, halb links, und jede Lunge hat zwei Lappen. Dies könnte man als Bildungshemmung betrachten, da die gedachten Theile beim Embryo Anfangs symmetrisch liegen. 2te O r d n u n g . A b w e i c h u n g e n i n d e r F o r m d e r O r g a n e . 3te O r d n u n g . A b w e i c h u n g i n d e m U r s p r ü n g e u n d d e r Vertheilung der Arterien und Venen. Wenn z. B. die Arteria subclavia dextra auf der linken Seite des Aortenbogens entspringt und, zum rechten Arme hinter dem Oesophagus quer verlaufend, Schlingbeschwerden (Dysphagia lusoria) ') Vgl. Virchow's Vortrag i. d. Berl. med. Gesellsch., Berl. klin. Wochenschr. 1870, No. 13.
Missbildungen.
764
veranlasst, wenn die Arteria femoralis, statt an der vorderen Seite des Oberschenkels zu liegen, an dessen hinterer Seite verläuft, oder wenn die Arteria subclavia, statt zwischen dem Scalenus anticus und medius hindurchzutreten, v o r dem ersteren liegt, oder wenn ausser den beiden paarigen Schilddrüsenpulsadern noch eine dritte unpaarige besteht, welche gerade vor der Luftröhre aufsteigt; wenn endlich die Arteria radialis dicht unter der Haut in der Armbeuge liegt; so können diese Abweichungen bei der Untersuchung von Geschwülsten und bei Operationen in den bezeichneten Gegenden von grosser Bedeutung sein. — Vgl. Krankh. d. Arterien, Bd. 11. 4te O r d n u n g . Z w i t t e r b i l d u n g e n . Die wahren Zwitter bieten für die Chirurgie ein besonderes Interesse nicht dar.
Z w e i t e r Abschnitt. Von den einzelnen Arten der Missbildungen. Erstes Capitel. Von den Defecten (Defectus partium, Curta) und deren Wiederersatz. A n g e b o r e n e D e f e c t e werden selten Gegenstand chirurgischer Behandlung, weil sie gewöhnlich zu bedeutend sind, um Heilung erwarten zu lassen, meist sogar das damit behaftete Individuum lebensunfähig machen 1 ). Viel häufiger haben wir es mit der Behandlung e r w o r b e n e r D e f e c t e zu thun, welche entweder durch Verwundungen (wie z. B. Abschneiden, Abhauen, Abbeissen der Nase), besonders auch durch Schusswunden, oder aber durch Verschwärung, wie z. B. durch scrophulöse oder syphilitische Geschwüre, durch Lupus, Krebs u. dgl. m. herbeigeführt werden. Die zum Behufe des Wiederersatzes verloren gegangener Theile unternommenen Operationen werden im Allgemeinen unter dem Namen:
Prothesis zusammengefasst, zerfallen aber in zwei wesentlich verschiedene Gruppen, je nachdem der Wiederersatz durch mechanische Hülfsmittel erfolgt, oder ein wirklich organischer ist. i) Wir
schliessen
selbstverständlich
die „ S p a l t b i l d u n g e n "
Manchen zu den Defecten gerechnet werden.
hier
aus,
welche
von
765
Defecle.
Der m e c h a n i s c h e W i e d e r e r s a t z v e r l o r e n gegangener T h e i l e kann hier nur kurz berührt werden; die künstlichen Nasen aus Silber, Papier-maché, vulcanisirtem Kautschuk, die künstlichen Arme und Beine, die Obturatoren für die Löcher im knöchernen Gaumen etc. werden bei der Beschreibung der Krankheiten der einzelnen Theile ihre besondere Erwähnung finden, da die neueste Zeit nicht blos Zähne, sondern auch Nasen, Beine und andere Theile in täuschender Weise, von Jahr zu Jahr vollkommener, mechanisch ersetzen gelehrt hat. Allgemeine Principien für die Technik der mechanischen Prothese aufzustellen, ist jedoch unmöglich, da die Localität und das anzuwendende Material dabei wesentlich maassgebend sind. Der o r g a n i s c h e W i e d e r e r s a t z v e r l o r e n g e g a n g e n e r T h e i l e dagegen lässt sich, obwohl am Häufigsten im Antlitze angewandt, doch von allgemeineren Gesichtspunkten aus betrachten. Operative Plastik, plastische Operationen, plastische Chirurgie, Chirurgia curtorum, Autopiastie. Die o r g a n i s c h e P l a s t i k beabsichtigt, fehlende Theile des Körpers durch andere lebende Theile, welche anderswoher entnommen und an der Stelle des Defects angeheilt oder eingeheilt werden, zu ersetzen '). In der Mehrzahl der Fälle liefert das Ersatzmaterial, wenn auch nicht streng genommen blos die ä u s s e r e Haut (Cutis), so doch immer die Haut mit den ihr unmittelbar adhärirenden Theilen (Bindegewebe, Hautmuskeln, Schleimhaut). Was durch die genannten Theile nicht ergänzt und wiederhergestellt werden konnte, war bis vor Kurzem der organischen Plastik im Allgemeinen unzugänglich. In einzelnen Fällen war es gelungen, Knochenlücken durch Herbeiziehen der sie begrenzenden Knochenränder, wenn diese beweglich waren, oder beweglich gemacht werden konnten, zu verschliessen"). Die Möglichkeit Knochendefecte durch Ueberpflanzung der Knochenhaut zu ersetzen und ausgesägte Knochenstücke, unter sonst günstigen Verhältnissen, wieder einzuheilen, hat erst B. v. L a n g e n b e c k nachgewiesen 3 ). J) Vgl. N o t e 4 auf pag. 7 7 1 . a
) Vgl. W u t z e r ,
in d e r Dissertation von L a m b e r z , Bonn 1 8 3 4 und Deutsche Klinik
1 8 6 0 , pag. 2 6 0 . schen ' ) Wir
Klinik
können
auf
B ü h r i n g im J o u r n a l f ü r Chirurgie, Bd. 9. und in der diese
Operationen
( B d . III.) n ä h e r eingehen.
erst
bei
den
Vgl. B. L a n g e n b e c k ,
lösung des mucös-periostalen G a u m e n ü b e r z u g e s . 1 8 6 1 . Bd. II.
Deut-
1 8 5 0 , pag. 4 7 3 . „Krankheiten
des
Kopfes"
die Uranoplastik m i t t e l s t AbArchiv f ü r klinische
Chirurgie
766
Missbilclungcn.
Das
zum Ersätze
des Defectes
bestimmte Hautstück
(Ersatz-
l a p p e n ) kann entweder von demselben Körper hergenommen •werden, oder auch von einem anderen zwangsweise oder gegen Entgelt nommen sein.
lich, nicht m e h r zur A n w e n d u n g gekommen. kleiner
Hautstückchcn
Beförderung
ent-
In n e u e r e r Zeit ist letzteres Verfahren, als u n m e n s c h -
des
auf
F ü r die Ueberpflanzung
granulirende
Vernarbungsprocesses
Flächen
Behufs
(Reverdin'sche
pag. 7 7 6 ) ist es in Betreff des Erfolges ganz gleichgültig,
der
Methode, ob
jene
Hautstückchen dem Patienten selbst oder einem Anderen entnommen werden, und Letzeres ist, bei dem äusserst geringen Grade von Gefahr, welchen die kleine Operation mit sich führt, u n t e r Zustimmung des „ A n d e r e n " auch zulässig.
Im Uebrigen aber benutzt man
ganz
allgemein zum Behufe des organischen Wiederersatzes die Haut oder ü b e r h a u p t andere Körpertheile d e s V e r s t ü m m e l t e n selbst, so dass die B e n e n n u n g A u t o p i a s t i e nicht u n b e g r ü n d e t ist. Trotz der grossen Verbreitung, welche die plastischen Operationen in neuester Zeit gefunden h a b e n , wird doch von Manchen noch die Frage
a u f g e w o r f e n , ob dieselben in der That einen solchen Gewinn
darbieten,
wie
von Seiten
Recht kann man s a g e n ,
ihrer Vertheidiger
behauptet wird.
Mit
diese Frage sei nicht mehr zeitgemäss, seit
D i e f f e n b a c h sie durch Thaten beantwortet h a b e 1 ) .
Gehen wir aber
g e n a u e r auf die einzelnen Fälle ein, in welchen plastische Operationen zur A n w e n d u n g
kommen,
so müssen wir
1) solche
unterscheiden,
in welchen die Operation lebensrettend ist, 2) diejenigen, wo es sich um ein Leiden handelt, welches das Leben zwar nicht bedroht, aber doch in hohem Grade u n a n g e n e h m macht, u n d zu dessen Beseitigung die operative Plastik
allein die Möglichkeit bietet,
endlich
3) solche
Difformitäten, welche nicht blos auf operativem W e g e , sondern auch durch den Gebrauch anderweitiger [Hilfsmittel verdeckt oder gebessert werden k ö n n e n . des Gesichts
Bomben u. dgl. stellung
Zu der ersten Kategorie gehören die Verletzungen
durch
Geschosse
grossen Kalibers,
der F o r m v e r h ä l t n i s s e ,
sondern
zum Leben n o t w e n d i g e n Bedingungen. dehnten
Zerschmetterungen
deckenden
d u r c h Stücke von
Hier h a n d e l t es sich nicht allein um die W i e d e r h e r -
Weichtheile,
u m die H e r b e i f ü h r u n g
der
So insbesondere bei ausge-
der Kiefer u n d Zerstörung
wo die A u f n a h m e
der sie be-
der Nahrungsmittel
nur
durch eine plastische Operation möglich gemacht w e r d e n kann.
Zur
zweiten Kategorie gehören die Harn-, Koth-, Magen- u n d Luftfisteln, welche
m a n in n e u e r e r Zeit (wie im speciellen Theile
örtert werden wird) durch Vgl. B. L a n g e n b e c k ,
genauer er-
plastische Operationen bekämpfen gelernt
D e u t s c h e Klinik 1 8 4 7 , pag. 2 .
Plastische
Operationen.
767
h a t ; hierher gehören aber auch ferner viele Verstümmelungen des Gesichts, für welche ein mechanischer Wiederersatz unmöglich ist, während die organische Plastik dem bestehenden Mangel abzuhelfen vermag. So lässt sich z. B. eine zerstörte Wange oder Lippe auf mechanische Weise gar nicht, durch eine plastische Operation aber mit so grosser Vollkommenheit wiederersetzen, dass die Functionen des neugebildeten Theils ungestört von Statten gehen. In den bisher erwähnten Fällen kann von einem Vergleich zwischen den plastischen Operationen und mechanischem Ersatz gar keine Rede sein. Es handelt sich also, wenn man Uber den W'erth oder Unwerth der Autopiastie streitet, eigentlich nur um die Fälle der dritten Kategorie, in welchen nur Wiederherstellung der Form, insbesondere der Gesichtsform beabsichtigt wird. Der Geschmack ist verschieden. So mag denn auch dem Einen eine künstliche Nase aus Holz, Silber oder Papier-mache besser gefallen, als eine aus der Haut der Stirn wiederersetzte und lebende. Es mag auch zugestanden werden, dass eine solche neu gebildete Nase nur selten so vollkommen ist, dass sie sich von der urprünglichen nicht unterscheiden liesse und gar nicht auffiele. Aber, abgesehen von der, für die Mehrzahl der Verstümmelten sehr in's Gewicht fallenden, grossen Kostspieligkeit und geringen Dauerhaftigkeit der mechanischen Ersatzmittel, ist hervorzuheben, dass die eigenthümliche, oft bis zur Melancholie gesteigerte geistige Depression solcher Menschen, die an beträchtlichen Verstümmelungen des Gesichts leiden, nur durch den organischen Wiederersatz des Defects, durch diesen aber vollkommen geheilt wird. Diesen Vorzügen gegenüber wollen wir nicht verschweigen, dass plastische Operationen immer schmerzhaft und zuweilen gefährlich sind. Die Schmerzen während der Operation können allerdings durch betäubende Einathmungen (welche jedoch die Ausführung der Operation in manchen Fällen, durch plötzlich eintretende Zuckungen, Erbrechen u. dgl. m. erschweren) beseitigt werden; aber die Wunden schmerzen auch nach der Operation noch lange Zeit. Was die Gefahren betrifft, so gilt in dieser Beziehung Alles, was über die Gefahren blutiger Operationen überhaupt gelehrt worden ist. Allerdings sind dieselben sehr verschieden, je nach der Localität, in welcher operirt wird. Besonders gefährlich ist es, wenn ein Ersatzlappen aus der behaarten Kopfhaut entnommen wird oder wenn die Weichtheile des Gesichts in allzu grosser Ausdehnung abgelöst werden. Das Erysipel mit seinen Folgen, wie es sich bei Gesichts- und Schädelwunden überhaupt nicht selten einstellt, hat einige Mal in solchen Fällen den Tod herbeigeführt. (Vgl. Kopfwunden, Bd. III.)
768
Missbildungen.
Die G e s c h i c h t e der plastischen Operationen 1 ) lehrt, dass dieselben schon vor Jahrtausenden in Indien, wo Verstümmelungen des Gesichts und besonders der Nase als Strafe zuerkannt und auch aus Rache nicht selten verübt wurden (und noch werden), in hohem Grade ausgebildet waren. Da aber das einzige Werk, welches als Quelle für die alt-indische Medicin volle Geltung hat, Súsrutás Ayurvéda, erst in neuester Zeit für diesen Zweck gehörig benutzt worden ist, so kann es nicht Wunder nehmen, wenn bei einem ohnehin an das Wunderbare grenzenden Gegenstande in der historischen Darstellung Wahrheit und Dichtung vielfach gemischt worden sind. Eine eigene Brahminenkaste, die K o o m a s , beschäftigte sich, nach der, bisher allgemein für richtig gehaltenen Erzählung, mit der Wiederherstellung der verstümmelten Theile und bediente sich hierzu meist der Ueberpflanzung eines Stückes der Stirnhaut des Verstümmelten; zuweilen aber auch, wird weiter erzählt, setzten die Koomas Nasen an, welche anderen Menschen abgeschnitten waren, oder benutzten zur Transplantation ein Stück der Gesässhaut eines Anderen. Von dem letzteren Verfahren findet sich bei Súsrutás kein Wort. Ueber das erstere aber heisst es: „Der Arzt nimmt ein Pflanzenblatt von der Grösse der zu bildenden Nase, schneidet nach dem Maass des aufgelegten Blattes ein Stück aus der Wange, aber so, dass es noch anhängt, und setzt die Nase, nachdem er angefrischt hat, rasch auf, fügt sie mit guten Bindemitteln gehörig an, befestigt in derselben zwei passende Röhrchen, richtet sie in die Höhe und bestreut sie mit frischem Sandel etc."*). Dass man sich in Indien aber später, statt der Wange, der (viel passenderen) Stirnhaut zur Ueberpflanzung bedient habe, wird daraus wahrscheinlich, dass in dem ersten Fall, Uber welchen in neuerer Zeit (zu Ende des vorigen Jahrhunderts) genauere Nachrichten nach Europa kamen, die Operation in dieser Weise ausgeführt war. Der Operateur war kein Brahmine, sondern gehörte zur Ziegelmacherkaste. Mit dieser lässt sich allenfalls das angewandte Klebemittel in Zusammenhang bringen: es war aufgeweichte Terra japónica. Von der Anwendung einer Naht zur Befestigung des überpflanzten Hautlappens ist keine Rede, und es ist daher der in der Mehrzahl der Fälle (wie erzählt wird) glückliche Erfolg dieser altindischen Autopiastie wohl hauptsächlich dem günstigen Klima, sowie dem Umstände zuzuschreiben, dass es sich um Operationen an übrigens ' ) Vgl. E. Z e i s , die Litteratur und Geschichte der plastischen Chirurgie. 1862. —
Leipzig,
Erst durch dies ausgezeichnete Werk ist die ältere Geschichte der pla-
stischen Operationen von Erdichtungen gesäubert worden. ' ) Z e i s , 1. c. pag. 5 9 .
769
Plastische Operationen.
gesunden Menschen handelte. Bei den Griechen und Römern finden wir keine Spur von organischem Wiederersatz fehlender Theile durch Transplantation. Jedoch lehrt C e l s u s sehr bestimmt, bei bedeutendem Substanzverlust die Vereinigung der Wundränder durch seitliche Einschnitte, welche eine grössere Beweglichkeit der Haut bewirken, möglich zu machen, und empfiehlt ein auf demselben Princip beruhendes Operationsverfahren für die Wiederherstellung der abgeschnittenen Vorhaut. Im siebenten s e i n e r 8 Bücher de medicina, Cap. IX, heisst es wörtlich: curationis
ejusmodi
ab i n t e r i o r i b u a
est:
id q u o d c u r t u m e s t ,
in
„Ratio
redigere;
incidere, quae
citerio-
r e m p a r t e m a b u l t e r i o r e ex t o t o d i d u c a n t ; d e i n d e e a , q u a e s i e
resolvi-
mus,
in
unum
ejus angulis lineas transversas
quadraium
adducere.
non satis j u n g u n t n r ,
alias
quibus summa
tan tum cutis diducatur:
adducitur, dum,
duas
Si
ante feeimus,
sequi possit.
l u n a t a s et
ad
plagam
lineas,
et d i m i s s u m
non
est,
quas
immittere,
sie e n i m fit, ut f a c i l i u s ,
Q u o d n o n vi c o g e n d u m
ut ex f a c i l i s u b s e q u a t u r
ultra
conversas
quod
sed ita a d d u c e n -
multum
recedat."
—
C e l s u s bediente sich, n i e überhaupt, so auch bei der Vereinigung von Defecten der Knopfnähte. Zum Ersatz der Vorhaut soll die Haut des Penis durch einen seine Wurzel
um-
kreisenden Schnitt g e t r e n n t , stark nach Vorn gezogen und vor der Eichel zusammengebunden werden bis jene Wunde mit b r e i t e r Narbe geheilt ist (was freilich oft nicht gelingen dürfte).
Aebuliche Operationsverfahren
bei den Juden gebräuchlich genesen sein.
sollen schon im frühesten Alterthum
Mir erscheint jedoch die Stelle im I. Buch
der Makkabäer, Cap. I. Vers 15 u. 16, auf welche man sich in dieser Beziehung beruft und die auch Z e i s (mit Zweifel) a n f ü h r t , durchaus nicht beweisend.
Erst gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts sind in Italien plastische Operationen mit Transplantation von Hautstücken ausgeführt worden und zwar, nach den vorliegenden Berichten, zuerst von einem Wundarzte zu Catania auf Sicilien, Namens B r a n c h a . Ob dieser aus Indien Kenntniss von einem solchen Verfahren erhalten h a b e , ist zweifelhaft, jedoch mit Rücksicht auf die damaligen Verkehrsverhältnisse nicht ganz unwahrscheinlich. Als Schüler B r a n c h a ' s werden Mehrere genannt; besonders aber machte sich sein Sohn A n t o n i o B r a n c h a um die plastische Chirurgie verdient; er benutzte zuerst die Armhaut zur Ausfüllung von Defecten des Gesichts. Weiterhin und noch während des ganzen 16ten Jahrhunderts beschäftigten sich mit derselben mehrere Glieder der Familie V i a n e o in Calabrien, deren Name allmälig in B o j a n i umgewandelt wurde. Obgleich beide Familien ihre Kunst als Geheimniss zu bewahren suchten, wurden sie doch, von Aerzten und Laien belauscht, bald um deren ausschliesslichen Besitz gebracht. Unter ihren Nachahmern ist F i o r a v a n t i zu nennen, welcher 1588 starb. Alle diese haben bereits die Nasenbildung soB a r d e l e b e n , Chirurg!«.
8. Aufl. I.
49
Missbildungen.
770
wohl aus der Stirn, als aus der Armhaut vorgenommen. Mit Unrecht hat man daher T a g l i a c o z z a (gegen Ende des 16ten Jahrhunderts Professor in Bologna) das Verdienst zugeschrieben, die plastischen Operationen aufs Neue erfunden zu haben. Sie waren in ganz Italien bekannt. T a g l i a c o z z a hat aber das Verdienst, sie nicht blos vielfach geübt, sondern auch wissenschaftlich behandelt und an die Stelle der gewinnsüchtigen Geheimnisskrämerei eine ehrliche Publikation der von ihm angewandten Verfahren gesetzt zu haben 1 ). So gross aber auch die Bewunderung seiner Zeitgenossen war, so wenig fand er doch in der nächsten Zeit Nachfolger; vielmehr wurden seine Operationen mit abenteuerlichen Geschichten von dem Wiederersatz der zerstörten Theile des Antlitzes aus Kalbfleisch u. dgl. m. vermengt und sogar von gebildeten Wundärzten, wie F a b r i c i u s a b A q u a p e n d e n t e , H e i s t e r , C h o p a r t , D e s a u l t verdächtigt. Diese Geringschätzung der operativen Plastik dauerte noch bis in unser Jahrhundert fort, obgleich R e a d * ) dieselbe unter dem Namen „Prothesis" in das System der Chirurgie eingeführt hatte. Selbst der grosse R i c h t e r 3 ) empfahl noch statt der Rhinoplastik eine Nase von Papier-mache, und zu Ende des vorigen Jahrhunderts verneinte die Pariser Akademie unter dem Vorsitze des berühmten D u b o i s mit Entschiedenheit die Frage, ob die Bildung einer neuen Nase aus der Armhaut möglich sei. Aber die Indische Praxis war der Französischen Theorie weit voraus. Schon 1794 meldete ein von J. W a l e s herausgegebener Kupferstich 4 ) und demnächst auch die Zeitung von Madras von einer höchst gelungenen Nasenbildung. Der innige Verkehr zwischen England und Indien veranlasste zunächst Englische Wundärzte, wieder den Versuch einer Transplantation zum Behufe des Ersatzes der Nase nach der Indischen Methode zu machen. Die ersten, oder wenigstens die ersten glücklichen Operationen der Art machte im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts C a r p u e in London 5 ). Ganz abweichend von dem Verfahren der Indier zog G r a e f e in Berlin im Jahre 1816 die sog. T a g l i a c o z z a ' s c h e ') G a s p a r i ä T a l i a c o t t i de curtorum ckirurgia per insitiooera libri duo, in quibus omnia,
quae ad bujus chirurgiae,
insitionem restaurandorum,
narium scilicet, aurium ac labiorum
cum theoricen
per
tum practicen pertinere »idebmtur,
clarissimä metbodo cumulatissime declarantur. — Venetlis 1597. fol. — Frincof. 1598. octav. — ed. T r o s c h e l , Berolin. 1 8 3 1 . *) Cbirurgorum comes, or tbe wbole practice of chirurgery. ' ) Aug.
Gottlob
Richter,
Anfangsgründe
der
London, 1687.
Wundarzneikunst,
Göttingen,
1 7 8 2 u. f. «) Vgl. Z e i s , 1. c. pag. 6 0 . An account of two succesful Operations for restoring a lost nose from tke integuments of tbe forebead etc.
London, 1816.
771
Plastische Operationen.
Methode wieder aus der unverdienten Vergessenheit hervor*) und gab dadurch den Anstoss zu einer neuen und unerwartet glücklichen Entwickelung der operativen Plastik. Es gelang ihm auf das Vollständigste, die fehlende Nase aus der Armhaut zu ersetzen. In neuester Zeit endlich ist durch die Leistungen D i e f f e n b a c h ' s u. A.*) den plastischen Operationen eine so grosse Ausdehnung gegeben worden, dass es jetzt möglich ist, allgemeinere Grundregeln für dieselben aufzustellen, wie solche zuerst von B. v. L a n g e n b e c k , auf Grund einer reichen Erfahrung, gegeben worden sind ®). Da jede einzelne plastische Operation durchaus individuell ist, so kommt es viel weniger darauf an, alle einzelnen Methoden, welche erdacht und ausgeübt worden sind, aufzuzählen, als vielmehr solche allgemeine Grundregeln aufzustellen, welche für alle Fälle gültig sind. Die Fundamental-Erscheinung, auf welcher die Möglichkeit plastischer Operationen überhaupt beruht, ist, dass Hautstücke, welche aus ihrem bisherigen Zusammenhange durch das Messer getrennt sind und mit frisch wund gemachten Haulrändern an einer anderen Stelle genau (durch die Naht) vereinigt werden, daselbst anheilen. Am Sichersten geschieht dies, wenn der H a u t l a p p e n a u s d e r n ä c h s t e n N ä h e h e r b e i g e z o g e n und nur durch seitliche Einschnitte oder auch noch durch Abpräpariren von den unter ihm liegenden Geweben so weit abgelöst ist, dass seine Verschiebung bis zu der Stelle, wo er anheilen soll, möglich wird 4 ). Will man auf diese ' ) Vgl. Rbinoplastik oder die K u n s t , durch Dr. C a r l 2
Ferdinand
den Verlust der Nase organisch
Graefe.
Berlin,
zu ersetzen,
1818.
) Vgl. besonders D i e f f e n b a c h ' s operative Chirurgie, Bd. I. pag. 3 ) 2 bis 7 5 3 .
—
Z e i s , Plastische Chirurgie 1 8 3 8 . — ». A m m o n und B a u m g a r t e n , Die plastische Chirurgie kritisch dargestellt. Berlin, 1 8 4 1 . — F r i t z e und R e i c h , Die plastische Chirurgie in ihrem weitesten Umfange, mit 4 8 Kupfertafeln.
Berlin,
1845.
*) Die in der „Deutseben Klinik" 1 8 4 9 , pag. 2 , pag. 2 5 , pag. 5 7 ; 1 8 5 0 , pag. 2 von B. v. L a n g e n b e c k
publicirten „ F r a g m e n t e z u r A u f s t e l l u n g v o n
Grund-
r e g e l n f ü r d i e o p e r a t i v e P l a s t i k " sind mit Zustimmung des Verfassers bereits In meiner ersten Ausgabe benutzt worden. *) I m w e i t e s t e n
Sinne
d e s W o r t e s gehören
zu den plastischen
Operationen
auch solche, bei denen die Deckung eines Defects durch D e h n u n g der begrenzenden Bänder erreicht wird. (im
Solche Operationen stimmen mit den plastischen
engeren Sinne) jedenfalls darin ü b e r e i n ,
dass
1) ein Defect ersetzt (eine
Spalte verschlossen) werden s o l l , 2 ) ein künstliches Zurechtschneiden und
ein
besonders genaues Zusammenfügen der Theile erfordert wird. Vgl. die in Betreff der allgemeinen Grundsätze sowohl, als auch der speciellen Darstellung der plastischen Operationen
an und in
Körperhöhlen
sehr
lehrreichen
„Beiträge
zur
plastischen Chirurgie" von G. S i m o n (Prager Vierteljahrsschrift 1 8 6 6 u . 6 7 , auch in d e s s e n Mittbeilungen aus der Chirurg. Klinik des Rostocker Krankenh., Prag, 1 8 6 8 ) .
49*
772
Missbildungen.
Weise z. B. das untere Augenlid ersetzen, so verwandelt man den bestehenden Defect zunächst durch Anfrischen in ein möglichst geradlinig begrenztes Dreieck, führt dann einen queren Schnitt vom äusseren Augenwinkel, etwas oberhalb desselben beginnend, gegen die Schläfe ebenso weit, als die Länge der nach oben gewandten Basis des zu ersetzenden Dreiecks beträgt. Demnächst schneidet man von dem äusseren (lateralen) Endpunkte dieses horizontalen Schnittes abwärts, parallel und in gleicher Länge mit der äusseren (lateralen) Anfrischungslinie. Somit ist ein viereckiger Lappen der Schläfenhaut von drei Seiten her umschnitten. Derselbe wird nun sammt dem Panniculus und den etwa noch darin befindlichen Muskeln abpräparirt, so dass er nur durch seine Basis mit der Wangenhaut in Verbindung bleibt. Jetzt können die beiden nach Unten im spitzen Winkel zusammenstossenden angefrischten Ränder des Defects, indem der Lappen nach Innen (medialwärts) verschoben wird, mit einander in Berührung gebracht und durch Nähte vereinigt werden. Die äussere (laterale) Ecke des verschobenen Lappens wird an das obere Augenlid da, wo der erste quere Schnitt begann, festgeheftet. Somit bleibt statt des Defects im unteren Augenlide nunmehr eine dreieckige Lücke in der Schläfengegend, welche demnächst durch Granulationen ausgefüllt wird und mit Zurücklassung einer geringen, leicht zu verdeckenden Deformität heilt, während die Difformität am Augenlide, wenn man die plastische Operation nicht ausgeführt hätte, eine sehr entstellende, vielleicht sogar für das Auge gefährliche, geworden wäre. Analog verhält es sich mit dem Wiederersatz durch Hautverschiebung an anderen Stellen. Kann man das Ablösen des Lappens umgehen, wie z. B. im Bereich des grössten Theils der Wangenhaut, wo man die Schnitte durch die ganze Dicke der Wange führt, so gestalten sich die Aussichten für ein vollständiges Gelingen der Operation noch günstiger, weil grössere Berührungsflächen zwischen den aneinander zu heftenden Theilen vorhanden sind und die Blutzufuhr zu dem verschobenen Lappen noch mehr gesichert bleibt. Immerhin ist aber bei dieser Methode das Zurückbleiben einer nur auf dem Wege der Granulationsbildung zu verschliessenden Lücke an der Stelle, aus welcher der Ersatzlappen entnommen wird, sehr unangenehm. Man sucht daher womöglich die Weichtheile oder doch die Haut an dieser Stelle auch noch in solcher Weise zu verschieben, dass sie per primam verwachsen können. Ist die Haut sehr dehnbar, so gelingt es zuweilen, diese Verschiebung rechtwinklig gegen die Richtung der zuerst ausgeführten zu Stande zu bringen, ohne dass es weiterer Schnitte bedürfte. In anderen Fällen gelangt man zum Ziele, indem man dem
773
Plastische Operationen.
klaffenden Dreieck gegenüber ein zweites, beinahe ebenso grosses Dreieck ausschneidet, so dass die Wunde nunmehr eine rhomboidale Gestalt erhält. Indem man diese alsdann in querer Richtung vereinigt, d. h. also in derselben Richtung, in welcher die Verschiebung des Lappens stattfand, nöthigt man durch Vereinigung der Ränder des zuletzt ausgeschnittenen Dreiecks auch diejenigen des nach der Verschiebung des Lappens übrig gebliebenen aneinander zu rücken. Natürlich darf dies nur dann geschehen, wenn eine Verschiebung der benachbarten Haut überhaupt noch zu erwarten ist, da die Heftung der gedachten Ränder sonst zu einer schädlichen Spannung des transplantirten Lappens Veranlassung geben müsste. Das nachträglich auszuschneidende Dreieck muss aber nicht nothwendig dem durch die ursprüngliche Transplantation bedingten Defect gegenüber liegen; es kann vielmehr, indem man die Schnittlinie, durch welche die gemeinsame Basis der beiden Dreiecke dargestellt wird, verlängert, auch in einiger Entfernung von dem ersteren excidirt werden. Es leuchtet von selbst ein, dass die Resultate desto günstiger sein werden, je weniger hierbei Ablösungen der zu verschiebenden Haut erforderlich sind. Die Grundzüge der plastischen Operationen durch Hautverschiebung, namentlich in Betreff der eigentlichen Verschiebung und der seitlichen Einschnitte, finden sich bereits bei C e l s u s ' ) . Die Ehre, dies Verfahren auf physiologische Principien basirt und als ein allgemein gültiges in die plastische Chirurgie eingeführt zu haben, gebührt D i e f f e n b a c h 8 ) , der es aus der Vergessenheit wieder hervorzog und die glänzendsten Resultate durch dasselbe erzielte. Mit grossem Unrechte nennen die Franzosen dies Verfahren die „Französische" Methode, weil Franco ein Mal in dieser Art einen Substanzverlust der Wange ersetzt haben soll. Aber weder er selbst, noch irgend einer seiner Landsleute hat diesem Verfahren bis a u f D i e f f e n b a c h 's Zeiten eine Uber den Celsus'sehen Standpunkt hinausgehende, höhere Ausbildung oder auch nur eine grössere Verbreitung verschafft, und als -Jobert den Namen „Methode autoplastique par glissement du lambeau" dafür erfand, hatte D i e f f e n b a c h ' s Verfahren in practischer und theoretischer Beziehung längst den Gipfel seiner Entwickelung erreicht. — Die Ausschneidung zweier gegenüber liegender Dreiecke, welche wir als eine Erweiterung der Transplantation durch Hautverschiebung dargestellt haben, ist von 1) Vgl. die pag. 7 6 9 citirte Stelle aus dem 9. Cap. des VII. Buchs de medicina. 2
) Vgl. D i e f f e n b a c b , Desselben
Chirurgische Erfahrungen.
Berlin, 1 8 2 9 und 1 8 3 0 ; ferner
Artikel „Chirurgia c u r t o r u m " in R u s t ' s Handbuch
1831.
774
Mißbildungen. Fig. 150.
Burow1) als „ Methode der seitlichen Dreiecke " beschrieben worden. Das Anheilen eines transplantirten Lappens erfolgt auch noch, wenn derselbe nur durch eine kleine B r ü c k e , einen S t i e l (nutrix, pédicule), mit seiner ehemaligen Nachbarschaft im Zusammenhange bleibt, vorausgesetzt, dass durch die Gefässe dieser Brücke ihm hinreichendes Blut zu seiner Ernährung zugeführt und der Abfluss des Venenbluts gestattet wird"). Sobald an seinem neuen Wohnsitze von den ihn jetzt umgebenden Theilen aus neue Gefässe in ihn hineingewachsen sind, kann die Brücke durchschnitten oder ganz entfernt werden, ohne dass für die Existenz des transplantirten Hautstückes daraus eine Gefahr entsteht.- Hierbei ist die Kenntniss des Verlaufes ' ) Beschreibung einer neuen Transplantations-Methode zum Wiederersatz verloren gegangener 2
Theile des Gesichts.
Berlin,
1855.
) In der Figur 1 5 0 ist z. B. der Punkt b nach 6', c nach c', d nach et, s nach s' transplantirt
und der S t i e l
bei a bat eine Drehung erleiden m ü s s e n , um
Schwenkung des Lappens möglich zu machen. m ü s s e n , wie in der Figur angedeutet i s t , S t i e l zum Behuf der lichst pression
wenig
mit dem Lappen
gedreht
in der Art geführt werden,
dass d e r
vorzunehmenden Ortsveränderung
zu werden b r a u c h t , da j e d e D r e h u n g
bedingt. — Die Breite des Stiels
destens 1 Centimeler betragen.
die
Die den Stiel begrenzenden Schnitte
muss
erfahrungsmassig
mög-
auch Comimmer
min-
Plastische Operationen.
775
auch der kleineren Arterien von grosser Wichtigkeit. Nur dann wird man vor brandigem Absterben des Lappens sicher sein, wenn dessen Brücke Arterien enthält, die sich in der grossten Ausdehnung des Lappens verästeln. Diese Methode der Transplantation erhält, wenn der E r s a t z l ä p p e n a u s d e r N ä h e d e s v e r s t ü m m e l t e n T h e i l e s entnommen wird, den Namen der e r s t e n I n d i s c h e n (Fig. 150). Wird aber dazu ein Stück der H a u t eines e n t f e r n t l i e g e n d e n K ö r p e r t h e i l e s , der künstlich der Stelle des Defects genähert wird, z . B . die innere Seite des Oberarms zum Wiederersatz der Nase benutzt, so nennt man dies im Allgemeinen die I t a l i e n i s c h e Methode; im engeren Sinne wird bei dieser Bezeichnung vorausgesetzt, dass der zu ersetzende Theil auf dem Arme e r s t v o l l s t ä n d i g g e b i l d e t , z. B. die neu gebildete Nase an ihrer inneren Seite erst vollständig überhäutet war, bevor sie an den Ort ihrer Bestimmung angeheftet wurde. Dagegen versteht man unter der D e u t s c h e n oder besser, nach ihrem Erfinder, der G r a e f e ' s c h e n M e t h o d e , das Anheilen eines Stückes der Armhaut an der betreffenden Stelle des Gesichts u n t e r g l e i c h z e i t i g e r B i l d u n g des zu ersetzenden Theiles aus demselben (Fig.151). Fig. 1 5 1 .
776
MUsbilduDgen.
Endlich aber kann auch ein von beliebigen Stellen der Körperoberfläche entnommenes und g ä n z l i c h a u s s e i n e m Z u s a m m e n h a n g e g e l ö s t e s Hautstück anheilen, wenn seine Wundränder an einer anderen Stelle an frische Wundränder angeheftet (sogen, z w e i t e I n d i s c h e M e t h o d e ) , oder wenn sehr kleine und n u r aus Cutis bestehende Läppchen auf gut granulirenden Flächen mittelst Pflasterstreifen genau befestigt werden (Methode von R e v e r d i n ) . Während die „Zweite Indische Methode" wenig Aussicht auf Erfolg hat und in der That nur in ganz vereinzelten Fällen gelungen ist, kann man die Erfolge der „ R e v e r d i n ' s c h e n Methode", obschon dieselbe erst seit 1870 zu allgemeiner Anwendung gekommen ist, bereits nach Tausenden zählen. Abweichend von allen anderen plastischen Operationen, wird bei dieser nicht die Verwachsung frischer Wundflächen beabsichtigt, sondern das A n h e i l e n g a n z k l e i n e r H a u t s t ü c k c h e n a u f g r a n u l i r e n d e n F l ä c h e n zum Behuf der Förderung ihrer Vernarbung, d. h. der Bildung von Epidermis auf ihnen. In der That entwickelt sich, wenn das Anheilen gelingt, von diesen Hautstücken aus eine schneller fortschreitende Narbenbildung, welche, sofern nicht allzu grosse räumliche Missverhältnisse bestehen, bald mit der vom Rande der gesunden Haut ausgehenden Narbe zusammenfliesst. Es ist dabei gleichgültig, ob das Hautstückchen von demselben oder von einem anderen Individuum (selbst wenn dies einer anderen Racje angehört) entnommen wird. Man kann sogar die Haut von amputirten Gliedern oder von Leichen benutzen, sofern nur seit der Amputation oder seit dem Tode nicht mehr als höchstens 2 Stunden verflossen sind. Jedoch ist hierbei Vorsicht zu empfehlen, dass nicht etwa mit dem transplantirten Hautstück ein Ansteckungsstoff Ubertragen werde. Das Operationsverfahren ist Uberaus einfach. Die Geschwürs- (Granulations-) Fläche wird sorgfältig gesäubert. Dieselbe mit einem Messer zu ritzen, wie R e v e r d i n ursprünglich empfahl, ist nicht blos unnöthig, sondern wegen des Blutergusses, welcher sich zwischen den Hautstückchen und die Granulationen legen könnte, gradezu nachtheilig. Von grosser Bedeutung ist, dass die granulirende Fläche wirklich nur von guten Granulationen bedeckt, wo möglich wenigstens am Rande schon in der Narbenbildung begriffen sei. Das zu Uberpflanzende Hautstückchen, am Besten nahezu kreisrund, kann einen Durchmesser von 2 bis 18 Millimetern haben. Die Wahrscheinlichkeit des Anheilens wächst keineswegs mit der Grösse, sinkt vielm e h r , wenn man 2 Centimeter überschreitet. Die Dicke des Stückchens darf diejenige der Cutis nicht Uberschreiten; der Erfolg wird in hohem Grade gefährdet, wenn man eine Schicht des Panniculus
Plastische Operationen.
777
mit überpflanzt. Es ist nicht einmal nöthig, die ganze Dicke der Cutis zu n e h m e n ; Einzelne sahen sogar von der Ueberpflanzung blosser Epidermis guten Erfolg, was mir niemals gelungen ist. Man erhebt also die Haut zu einer Falte, lässt diese von einem Gehülfen mit Daumen und Zeigefinger beider Hände fest halten und schneidet nun auf der Höhe der Falte mit einem Messer oder einer guten C o o p e r ' schen Scheere in schnellem Zuge das gewünschte Stückchen ab. Man muss sich sehr scharfer Instrumente bedienen, um ganz reine Wundränder zu erhalten. Will man das zu excidirende HautstUckchen selbst mit der Pirtcette fassen, so muss dabei aus demselben Grunde jede Quetschung vermieden werden. Die Befestigung auf der Granulationsfläche geschieht mittelst eines Heftpflasterstreifens, welcher über das anzuheilende Hautstückchen hinweg zu den gesunden Hauträndern verläuft, oder mit einer Rollbinde, unter welcher man die HautstUckchen mit feinem Wachstafft und Watte bedeckt. Dieser Verband wird nicht vor dem 4. Tage gewechselt, während man die übrige Granulationsfläche in der sonst entsprechenden Weise behandelt. Erlaubt es die Beschaffenheit derselben, so ist es für das Anheilen zweckmässig, feuchtwarme Compressen oder doch eine impermeabele Bedeckung (Stanniol, Guttapercha, Wachstafft) aufzulegen. — Das Hautstückchen zeigt zuerst eine blasse Farbe, wird aber, wenn die Anheilung überhaupt erfolgt, schon nach Ablauf von 24 Stunden schwach hellroth, allmälig immer mehr geröthet, am 4. Tage oft schon deutlich vascularisirt und vom 7. Tage ab von einem schmalen violetten Streifen umgeben, welcher von Tage zu Tage breiter wird und aus neugebildeter Epidermis besteht, welche, allmälig weiter vorrückend, die Vernarbung der Granulationsfläche bewirkt. Inzwischen verliert das transplantirte HautstUckchen meist schon nach 24 Stunden seine Epidermis und die etwa auf ihm sitzenden Haare, bekommt weiterhin wieder einen Ueberzug von Epidermis, behält aber immer eine andere Farbe, als die umgebende Narbensubstanz, und ragt auch beträchtlich Uber dieselbe empor. Empfindungen werden frühestens nach 14 Tagen in den Uberpflanzten Hautstückchen wahrgenommen. — Durch solche Ueberpflanzungen, welche in grosser Zahl auf ein Mal gemacht und an derselben Stelle auch wiederholt werden können, lässt sich nicht blos die Vernarbung grosser granulirender Flächen (Wunden und Geschwüre), zumal wenn die Haut erhebliche Substanzverluste erlitten hat, in einer bisher ungeahnten Weise befördern, sondern man kann auf demselben Wege auch der NarbenverkUrzung und den von ihr abhängigen Uebeln in erheblichem Grade vorbeugen oder denselben abhelfen.
Missbildungeo.
778 In Betreff der
überaus reichhaltigen Litteratur der „ R e v e r d in 'sehen
pQanzungen" vgl. meine Referate In dem Jahresber. v. Virchow u. Hirsch,
HauUiber1870—72.
— Aus eigener Erfahrung kann ich Hunderte von günstigen Erfolgen a n f ü h r e n .
Nicht immer ist es möglich, eine plastische Operation in einer Sitzung zu vollenden; häufig sind Nachoperationen und Ausbesserungen nothwendig und manchmal erreicht man das gewünschte Ziel erst, nachdem man den ursprünglich transplantirten Lappen wiederholt seine Form oder seinen Sitz oder auch Beides hat ändern lassen. In einzelnen Fällen ist es nothwendig, zur Wiederherstellung des zerstörten Antlitzes zuerst nur ein Stück Haut oder eine schon fertig gebildete Nase vom Arme in das Gesicht zu verpflanzen und daselbst vorläufig an die Stirn anheilen zu lassen, wenn es in der Gegend, wo die Nase sitzen sollte, an lebenskräftiger Haut mangelt. Von da muas dann das neu gebildete Organ, wie D i e f f e n b a c h ' ) sagt, „in kurzen Etappen, wie schwere Monumente reisen, welche sich ihre Bahn vor sich ebnen lassen," an den rechten Ort transportirt werden. Für die Beschreibung der V e r ä n d e r u n g e n , welche bei den gewöhnlichen plastischen Operationen a n d e n transplantirten H a u t s l ü c k e n beobachtet werden, dienen am Besten die Vorgänge, welche uns mehr oder weniger g e s t i e l t e E r s a t z l a p p e n bemerken lassen, als Typus, indem auch bei blosser Hautverschiebung derjenige Theil des Lappens, welcher in den alten Verbindungen verbleibt (die Basis), sich in jeder Beziehung einem Stiele ähnlich verhält. Unmittelbar nachdem ein solcher Lappen bis auf seinen Stiel abgelöst ist, erblasst er unter schnellem Ausfliessen des in ihm enthaltenen Blutes und contrahirt sich, was besonders an seinen Rändern durch Umkrämpen derselben deutlich wird. Alsbald hört der Blutausfluss auf, indem die durchschnittenen Gefasschen sich zurück- und zusammenziehen. Der Lappen hängt schlaff herab und bekommt, besonders wenn der Rückfluss des Blutes durch die kleinen Venen des Stieles behindert ist, eine bläuliche Farbe durch das in ihm sich anhäufende Blut. Demnächst wird er auch etwas kühler. Nachdem er an dem Orte seiner Bestimmung angeheftet ist, bekommt er wieder die natürliche Rothe und Wärme, jedoch nicht immer ganz vollständig. Auch kann die Blutung, besonders aus seiner Bindegewebsfläche, wieder beginnen. Die Wärme steigt, die Röthe nimmt zu, oft mit deutlichen Intermissionen. Der Lappen schwillt etwas a n ; je nach der Constitution des Operirten und den localen Verhältnissen, kann sich eine mehr oder weniger heftige Entzündung entfalten. Empfindung haben die Operirten in dem transplantirten Lappen entweder gar ' ) Operative Chirurgie, Bd. I. pag. 3 8 7 .
779
Plastische Operationen.
nicht oder doch nur sehr dunkel. Gewöhnlich empfinden sie, wenn mau den Lappen mit einer feinen Nadel sticht, Schmerz an dem früheren Orte des Lappens, was leicht zu erklären ist, da durch die Hautbrücke doch wahrscheinlich noch einer oder der andere Nervenast unversehrt zum Lappen verläuft. Zuweilen beobachtet man aber auch schon in den ersten Tagen nach der Operation, dass die Operirten bei Berührung des Grsatzlappens den Schmerz wirklich an die Stelle verlegen, wo sich der transplantirte Lappen jetzt befindet, obgleich doch schwer zu begreifen ist, wie er mit seiner neuen Nachbarschaft bereits in Nervenverbindung getreten sein soll'). Erst nach mehreren Monaten ist jedoch die Empfindung in dem Ersatzlappen wieder genau so, wie in anderen Theilen. Niemals findet in späterer Zeit ein Verlegen des Schmerzes an die Stelle, von welcher der Lappen entnommen ist, Statt. Allmälig regulirt sich der Kreislauf zwischen dem transplantirten Hautstück und seiner neuen Umgebung, und nachdem in der zweiten Woche eine Abschuppung der Epidermis (gewöhnlich unter Ausfallen der etwa vorhandenen Haare, die jedoch oft und sogar auffallend stark wieder wachsen) Statt gefunden hat, erhält dasselbe die natürliche Hautfarbe. Doch bleibt der verpflanzte Theil noch lange Zeit auf einer tieferen Stufe des Lebens stehen. Wunden in demselben sind weniger zur unmittelbaren Vereinigung geneigt und vernarben unter Schorfbildung. Für Hitze ist er weniger empfindlich, als die übrige Haut; Kälte röthet ihn schnell und erregt heftigen Schmerz. Erkrankungen der Haut sollen, nach D i e f f e n b a c h * ) , nicht auf ihn Ubergehen. Dies ist jedoch, für Erysipelas wenigstens, nicht allgemein gültig; ich habe dasselbe mehrmals innerhalb der ersten Monate und einmal sogar vor Ablauf der zweiten Woche neu gebildete Nasen befallen sehen, allerdings erst am zweiten Tage, nachdem es im übrigen Gesichte aufgetreten war. — Dies Alles bezieht sich auf den günstigen Verlauf. Ist der RUckfluss des venösen Blutes gehindert, so schwillt der Lappen blau an und wird, wenn keine Hülfe erfolgt, schnell brandig. Dagegen bleibt er blass und schlaff, wenn ihm Blutzufuhr durch die Arterien mangelt; dies bedingt unrettbar brandiges Absterben. ') Bei der grössten Möglichkeit,
Vorsicht,
Verhütung jeder Erschütterung
dass der Fat. sehen k o n n t e ,
von mir aus der S t i r n h a u t neu vollkommener
mit
Einsteeben
einer feinen Nadel in
legen sehen.
Ausschluss
der 1850
gebildeten Nasen schon am 2ten Tage nach der
Operation
*) Operative Chirurgie, pag. 3 2 2 .
und
habe ich an zwei im S o m m e r
Bestimmtheit
die
Operirten
den
Schmerz
beim
die neue Nase genau in die Nasengegend ver-
780
Missbildungea.
Bei allen plastischen Operationen (mit Ausnahme der R e v e r d i n schen Hautverpflanzung) muss die V e r e i n i g u n g d u r c h d i e b l u t i g e N a h t geschehen (vgl. pag. 123 u. f.). Man darf das Annähen nicht allzu sehr beschleunigen. Der günstigste Zeitpunkt ist, wenn das Aussickern des Blutes aus den Wundrändern des Ersatzlappens aufgehört hat. Alle wunden Ränder und wo möglich auch die wunde (untere) Fläche des zu transplantirenden Hautlappens müssen mit frischen Wundrändern und Wundflächen in innige Berührung gebracht werden. Man nennt die hierzu nothwendige absichtliche Verwundung der Umgebungen des Defects „ A n f r i s c h e n " . Wird eine wunde Fläche auf einen nicht angefrischten Theil aufgelegt, so hebt sich der Lappen unter Verdickung allmälig ab und wird durch die an der freien Fläche erfolgende Narbenbildung mindestens missgestaltet. Wo eine Hautbrücke gebildet wurde, muss auch diese, wenn sie nicht ganz kurz ist, mit angefris chten Rändern in Verbindung gebracht werden. Wenn z. B. der vordere Theil der Nase aus der Stirnhaut ersetzt werden soll, so muss der hierzu nothwendige langgestielte Lappen nicht blos in der nächsten Nähe des Defects durch die Naht befestigt werden, sondern es ist nothwendig, die Haut des Nasenrückens zu spalten und die Ränder des Stiels an die hierdurch gewonnenen Wundränder in ihrem ganzen Verlaufe zu befestigen. Die B e s c h a f f e n h e i t d e r H a u t , welche man zum Ersatzlappen benutzen will, muss wohl erwogen werden. Je grösser ihr Gefässreichthum, ihre Derbheit und Dehnbarkeit, je geringer ihre Contractilität, desto brauchbarer ist sie im Allgemeinen zu plastischen Operationen. Die Haut der Extremitäten, welche eine geringe Derbheit, bedeutende Contractilität und einen nur massigen Gefässreichthum besitzt, ist daher mit Ausnahme der Vola manus und der Planta pedis, welche eine derbe und wenig contractile Haut darbieten, zu plastischen Operationen fast gar nicht geeignet. Günstiger verhält sich die Haut des Rückens und der Bauchwand. Das passendste Material zu plastischen Operationen bietet ohne Frage die Haut des Gesichtes, welche glücklicher Weise auch bei Weitem am Häufigsten für dieselben in Anspruch genommen werden muss. Von den einzelnen Gegenden des Gesichtes sind es besonders die Stirn und die Nase, deren Haut durch Derbheit so ausgezeichnet ist, dass die aus ihr entnommenen Lappen kaum bemerkbar zusammenschrumpfen und sich der Wundfläche des Defects mit der grössten Genauigkeit anfügen. Daher sind diese Hauttheile auch vor allen anderen zur Bildung gestielter Ersatzlappen auszuwählen. Die leicht verschiebbare und dehnbare Haut der Wangen und Lippen zeigt sich zu diesem Behufe weniger taug-
Plastische Operationen.
781
lieh, während dieselbe zum Ersätze von Defecten dieser Theile selbst durch Hautverschiebung vorzüglich geeignet ist. Die F o r m und G r ö s s e des E r s a t z l a p p e n s muss schon beim Ausschneiden dem zu ersetzenden Defecte angepasst werden, wobei auf die Contractilität und das niemals ganz ausbleibende Schrumpfen durch Narbencontraction gebührend Rücksicht zu nehmen ist. Für Ungeübte ist ein Modell oder eine Chablone aus Papier, Leder oder Wachs oder wenigstens die vorherige Bezeichnung der Endpunkte der zu führenden Schnitte zu empfehlen. Von grosser Wichtigkeit ist endlich die B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r n i c h t f e s t g e h e f t e t e n T h e i l e des Ersatzlappens. Denn während ein bei der Transplantation an allen Seiten festgeheftetes Hautstück nach erfolgter Vernarbung, ausser einer mehr oder weniger bemerklichen Aufwulstung, keine weiteren Veränderungen zu erleiden pflegt, weicht jeder frei bleibende Rand eines transplantirten Hautlappens, in Folge der Narbencontraction, so bedeutend zurück, dass der neu gebildete Theil im Laufe der Zeit um ein Beträchtliches zu kurz erscheint und der anfängliche Erfolg der Operation dadurch wieder vereitelt wird. Diesem Uebelstande begegnet man: 1) indem man wo möglich den freien Rand des Ersatzlappens m i t benachbarter S c h l e i m h a u t u m s ä u m t ; oder 2) indem man den f r e i e n R a n d des Ersatzlappens n a c h I n n e n u m s c h l ä g t (wie in Fig. 150 durch punktirte Linien zwischen es und ds angedeutet ist) und so den Ersatzlappen mit seiner eigenen Substanz umsäumt (futtert); 3) indem man mit Rücksicht auf den Grad der zu erwartenden Narbencontraction den E r s a t z l a p p e n in der Richtung des frei bleibenden Randes a b s i c h t l i c h zu l a n g bildet. Das e r s t e r e Verfahren muss bei allen plastischen Operationen in Anwendung kommen, bei denen es sich darum handelt, nicht blos das Zurückweichen eines freien Hautrandes, sondern auch das V e r w a c h s e n n e u g e b i l d e t e r O e f f n u n g e n zu verhüten, sobald nur die dazu erforderliche Schleimhaut vorhanden ist. Bei dem Wiederersatz der Lippen und der Augenlider, bei der Operation der Atresia ani u. a. ist dasselbe mit dem glücklichsten Erfolge in Anwendung gekommen. Bei der Vernarbung eines auf solche Weise mit Schleimhaut umsäumten Ersatzlappens Uberwiegt die Contraction der Cutis die der Schleimhaut, so dass letztere stärker hervorgezogen wird. Daher entsteht an einem neu gebildeten und mit der Conjunctiva umsäumten Augenlide später ein geringer Grad von Ectropium und die mit der Mundschleimhaut umsäumten, neu gebildeten Lippen bekommen einen ziemlich breiten rothen Rand. Durch das z w e i t e
782
Missbildungen.
Verfahren kann das Verwachsen neu gebildeter Oeffnungen ebenso sicher verhütet werden; dasselbe ist jedoch bisher ausschliesslich bei der Nasenbildung zur Anwendung gekommen. Die Beschreibung der einzelnen plastischen Operationen, welche, je nach dem zu ersetzenden Körpertheile, als R h i n o - , U r a n o - , C h i l o - , M e l o - , O t o - , C y s t o - , U r e t h r o - , P o s l h i o - p l a s t i k u. s. f. bezeichnet werden, findet im III. Buch ihre Stelle.
Zweites Capitel. Spaltbildungen (Fissurae). S p a l t b i l d u n g e n zeigen sehr verschiedene Stufen der Entwickelung von einem leichten Eindruck bis zu der vollständigen Trennung eines im normalen Zustande u n g e t e i l t e n Organes in zwei. Diese verschiedenen Abstufungen kann man besonders häufig an der Oberlippe bei der als H a s e n s c h a r t e (Labium leporinum) bekannten Spaltbildung beobachten. — Statt einer einfachen Trennung kann sich aber auch eine Lücke, ein wenigstens scheinbarer Substanzverlust vorfinden. So scheint z. B. bei der Blasenspalte, l n v e r s i o v e s i c a e (vgl. pag. 7 5 8 ) , ein Stück der vorderen Bauchwand sammt der vorderen Wand der Blase zu fehlen; man sieht nur die hintere Wand der letzteren, und diese ist nach Vorn umgestülpt. Eine Spaltbildung, kann ebensowohl erworben, als angeboren sein; viele Gaumenspalten z. B. sind nicht congenital, sondern rühren von syphilitischen Geschwüren her; schlechtgeheilte durchdringende Wunden der Lippen hinterlassen oft eine mehr oder weniger tiefe Spaltung derselben; Spalten in der Blasenscheidenwand sind constant das Resultat einer Quetschung, Zermalmung oder Zerreissung während des Geburtsactes. Solche Spaltbildungen werden gewöhnlich zu den F i s t e l n gerechnet. Vgl. pag. 378. Die Spaltbildungen bieten wesentliche Verschiedenheiten dar, je nachdem sie die Haut oder die tiefer liegenden Theile betreffen. Letztere sind von viel grösserer Bedeutung. Dies zeigt sich am Deutlichsten bei den S p a l t e n d e s S c h ä d e l s und d e r W i r b e l s ä u l e (Hydrorrhachis') bei denen gewöhnlich die mangelhafte Entwickelung der Knochen von einer ähnlichen Störung in der Ausbildung der CenJ
) Wirbel spal te,
Spina
b i f i d a , vgl. Bd. IV.
Fig. 1 5 2
zeigt e i n e im L e n d e n t h e i l
d e r W i r b e l s ä u l e m i t gleichzeitiger S p a l t u n g des in d e r Tiefe liegenden ( i m s c h n i t t zu b r e i t e r s c h e i n e n d e n ) R ü c k e n m a r k s . des L e b e n s n o c h m ö g l i c h ;
In d i e s e m
Holz-
Falle w a r die F o r t d a u e r
in d e r Fig. 1 5 3 dagegen s i e h t m a n (von Vorn)
einen
783
Spaltbildungen. Fig. 1 5 2 .
Fig. 1 5 3 .
tralorgane des Nervensystems begleitet ist. Häufig sind Spaltbildungen mit anderen Missbildungen complicirt und zwar entweder in der Art, dass man einen ätiologischen Zusammenhang genauer nachzuweisen im Stande ist oder nicht. So besteht z. ß. die Spaltung der Oberlippe, welche wir Hasenscharte nennen, nicht selten gleichzeitig mit einem Klumpfuss, ohne dass eine Abhängigkeit der einen Missbildung von der anderen wahrscheinlich wäre. In anderen Fällen finden wir ausser der Hasenscharte auch noch eine Trennung des knöchernen Gaumens und eine Spaltung des Gaumensegels; hier lehrt uns die Entwickelungsgeschichte, dass diese Spaltungen sämmtlich auf einer gleichen Hemmung der Entwickelung beruhen. Reicht die Spaltung der Lippe bis in die Nase hinein, so entsteht daraus eine Abflachung und Verziehung des entsprechenden Nasenflügels, oder bei doppelter Hasenscharte beider Nasenflügel. Sehr gewöhnlich erhält ferner bei einer Spaltung des knöchernen Gaumens das Zwischenkieferbein eine schiefe Stellung, welche später zu einer Schiefstellung der Schneidezähne f ü h r t , so dass diese statt nach Unten nach Vorn wachsen. So kann eine Spaltung auch eine Lageveränderung zur Folge haben. Je nach der Localität der Spaltbildung sind ihre örtlichen und allgemeinen Wirkungen sehr verschieden: eine Gaumenspalte beeinträchtigt Fall von S p i n a bifida am Halse, mit gänzlicher Spaltung s ä m m t l i c h e r
Halswirbel
und einer derselben entsprechenden Hissbildung des Halstheiles des Rückenmarkes, welcher die Lebensfähigkeit
ausschloss.
784
Missbildungen.
die Deutlichkeit der Sprache
und das Vermögen
zu schlucken;
eine
b e d e u t e n d e r e Spaltung der Unterlippe oder der W a n g e bedingt einen fortdauernden Verlust von unwillkürlich dung.
Speichel;
ausfliessende Urin alle
Zuweilen
stellt
eine
bei lnversio vesicae
setzt
der
benachbarten Theile in Entzün-
Spalte
die
V e r b i n d u n g zwischen
den
Höhlen zweier Organe her, die eigentlich streng gesondert sein sollen, so dass der Inhalt des einen in die Höhle des anderen sich (Communicationsfistel).
einen Organs nicht selten auf ein anderes eines fremden K ö r p e r s , nachtheilig wirkt,
ergiesst
Da n u n das Secret oder der Inhalt des heftig r e i z e n d , nach Art
oder auch in a n d e r e r Weise (z. B. septisch)
so lassen sich leicht
die bedeutenden
Störungen
ermessen, welche durch solche Spaltbildungen h e r v o r g e r u f e n werden können.
Der in den Mastdarm
aus
der Blase durch eine
zwischen
beiden Organen entstandene a b n o r m e Oeffnung sich ergiessende Harn erregt E n t z ü n d u n g des erstgedachten Organs und noch heftiger wirken die Fäces in gleichem Falle
auf
die Schleimhaut
der Blase.
Auch
vermag der Sphincter ani den Ausfluss des Urins nicht zu hindern, und die Blase ist nicht im Stande, die Fäces zu entleeren. kann n u r mit Hülfe
Die B c b a n d l a n g der Spaltbildungen tiver Eingriffe erfolgreich
geschehen.
Leider
sind
opera-
dieselben
gerade
in denjenigen Fällen, wo ein sicherer Verschluss solcher Spalten nicht blos zum Behufe der Wiederherstellung der n o r m a l e n F o r m , s o n d e r n zur Erhaltung des Lebens n o t h w e n d i g ist, am Gefährlichsten und am Seltensten
erfolgreich,
so z. B. bei Spina bifida (Bd. IV.) und
bei
Spaltbildung am Schädel (Encephalocele Bd. III). Im Allgemeinen gehören logen Fisteln 1 ),
die bei Spaltbildungen,
tischen Operationen im weiteren Autoren. durch
Die Nähte
Ränder
der
vereinigt.
dass sie gar nicht,
oder
ana-
gewöhnlich
Sinne*),
Spalte
der S y n t h e s i s
werden
früherer
angefrischt
und
Sind sie so weit von einander entfernt,
doch
vereinigt werden k ö n n e n , engeren Sinne,
wie bei
anzuwendenden Operationen in das Gebiet der plas-
nur
durch
gewaltsame
so ist eine p l a s t i s c h e
Anspannung
Operation
nach der C e l s u s ' s c h e n
b a c h ' s e h e n Methode (vg. pag. 7 7 3 u. f.), n o t h w e n d i g .
oder
im
Dieffen-
Die Behand-
lung der Complicationen erfordert stets eine b e s o n d e r e Rücksicht, lässt sich aber im Allgemeinen nicht a n g e b e n . >) Vgl. p a g . 2
)
380.
Vgl. d i e N o t e 4 p a g . 7 7 1 .
785
Verwachsungen.
Drittes Capitel. Verschmelzungen (Symphyses), Verwachsungen, schluss normaler Oeffnungen (Atresiae).
Ver-
Abnorme Verwachsungen sind v i e l h ä u f i g e r e r w o r b e n , als angeboren. Verschwärungen, Wunden und Verbrennungen geben am Häufigsten Veranlassung zu ihrer Entstehung. Die Krankheitszustände, welche daraus hervorgehen, wenn Theile, die im normalen Zustande durch einen mehr oder weniger grossen Zwischenraum getrennt sein sollen, einander nahe gerückt werden und sich endlich gar vollständig berühren, erhalten, wenn das Lumen eines Canals in störender Weise vermindert ist, den Namen V e r e n g e r u n g e n (Stricturae, Stenoses), während unter O b l i t e r a t i o n oder A t r e s i e der gänzliche Verschluss einer Oeffnung verstanden wird. Treten Theile, die im normalen Zustande zwar dicht aneinander liegen, aber doch beweglich mit einander verbunden sein sollten, in unbewegliche Verbindung, wird also ihre Gontiguität in Continuität verwandelt, so nennt man dies V e r w a c h s u n g , und sofern es sich um Gelenk-Enden handelt, Ankylose.,. In manchen Fällen hat die Verwachsung gewisser Theile die Verkümmerung anderer zur Folge; ist z. B. die Nase mit der Oberlippe verwachsen, so bedingt dies Verschluss der Nasenlöcher. Die a n g e b o r e n e n A t r e s i e n , auch A t r e s i e n schlechtweg genannt, beruhen häufig auf einer mangelhaften Ausbildung des ganzen Organs, welches sich verschlossen findet; so fehlt z. B. bei A t r e s i a a n i gewöhnlich das untere Ende des Mastdarms. Die F u n c t i o n s s t ö r u n g e n , welche durch Verwachsungen bedingt werden, sind, je nach der Localität, höchst verschieden und lassen sich nicht im Allgemeinen beschreiben; sie ergeben sich aber im einzelnen Falle so leicht von selbst, dass es überflüssig wäre, näher nachzuweisen, wie Verwachsung der Augenlider das Sehen, Atresie des Mundes die Aufnahme von Nahrungsmitteln, Atresia ani die Entleerung des Rothes behindert u. s. f. Die Bebandlong der hier in Rede stehenden Zustände ist im Allgemeinen schwierig; man kann mit Recht behaupten, dass es v i e l s c h w e r e r ist, Theile a u s e i n a n d e r - , als z u s a m m e n z u h e i l e n . Mit Leichtigkeit gelingt es, eine fehlende Oeffnung mit dem Messer herzustellen; aber sie o f f e n zu e r h a l t e n ist höchst schwierig. Die Wundränder haben fort und fort die Neigung, wieder zu verwachsen, und die Narbenverkürzung vermehrt den üblen Einfluss, welchen B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Anfl. I.
50
786
Missbildungen.
selbst eine theilweise Verwachsung schon ausübt. In gleicher Weise zeigt sich das bedauerliche Uebergewicht der Narbencontraction Uber alle mechanischen HUlfsmittel bei der Trennung verwachsener Finger u. s. f. Dieser Neigung zur Wiedervereinigung lässt sich nur dadurch mit Erfolg entgegenarbeiten, dass man entweder die Schnitte so führt, dass die Wundränder auf verschiedene Seiten zu liegen ko.mmen und Fig. 154. sich also gar nicht berühren k ö n n e n ' ) , oder aber an die Stelle von Wundrändern überhäutete Flächen zu setzen sucht. Man benutzt im letzteren Falle die Neigung zur Wiederverwachsung, indem man ihr eine andere Richtung giebt, um sie durch sich selbst zu bekämpfen. Man führt nämlich in der pag. 781 beschriebenen Weise eine Verwachsung der Wundränder mit einer benachbarten Schleimhaut herbei oder man krämpt die Wundränder um und stellt auf diese Art einen von Epidermis überzogenen Saum her, welcher keine Neigung zu Verwachsungen besitzt. Begreiflicher Weise wächst die Schwierigkeit und die Gefahr der Trennung verwachsener Theile, je ausgedehnter die Verwachsung ist und je mehr verschiedene Gebilde dabei betheiligt sind. Insbesondere steigert sich die Schwierigkeit der Trennung bis zur Unmöglichkeit, wenn auch die K n o c h e n v e r s c h m o l z e n sind. So zeigt Fig. 154 z. B. die untere Hälfte des Skelets einer Sirenen-Missbildung, an welchem die Fusswurzeln verwachsen sind. Die Verwachsung der Weichtheile erstreckt sich bis zum Becken hinauf in der Art, dass beide Beine einen gleichmässig von der Haut überzogenen Cylinder darstellen. Wollte man die verwachsenen Beine in einem solchen Falle von einander trennen, so müsste man nicht blos eine ungeheure Wunde der Weichtheile vom Becken bis zur Fusssohle anlegen, sondern ausserdem auch noch die gemeinsame Fusswurzel durchsägen, was zusammengenommen schlimmer wäre, als eine Amputation und eine grosse Wunde dazu. Brauch') Vgl. z. B. D i d o t ' s Verfahren, verwachsene Finger zu t r e n n e n , welches wir im IV. Bd. beschreiben.
Gaz. möd. de Paris 1 8 5 0 , No. 38.
m
Geberzahl.
bare Beine würden überdies auf solche Weise (ganz abgesehen von der gewöhnlich anderweit begründeten Lebensunfähigkeit solcher Missbildungen) niemals hergestellt werden können.
Viertes Capitel. Hypertrophie und Ueberzahl einzelner Theile. Diese Gruppe von Missbildungen wird als die Folge eines Uebermaasses von bildender Thätigkeit angesehen, und für die blosse H y p e r t r o p h i e , also die Steigerung des Volumens der Theile, ohne Aenderung ihrer Structur und Textur, ohne Vermehrung ihrer Zahl und ohne Auswüchse an denselben, kann man eine solche Erklärung auch gelten lassen. Wo aber die Zahl gewisser Theile die Norm Uberschreitet, muss man neben der Steigerung wohl auch eine fehlerhafte Richtung der bildenden Kraft oder eine ursprünglich fehlerhafte Anordnung der Keime (vgl. pag. 760 u. f.) annehmen. Eine solche U e b e r z a h l e i n z e l n e r K ö r p e r t h e i l e i s t i m m e r a n g e b o r e n ; in allen den Fällen, wo von der Entstehung überzähliger Theile nach der Geburt gesprochen wird, handelt es sich offenbar um angeborene überzählige Theile, welche Anfangs so klein waren, dass man sie nicht bemerkte, später aber bei bedeutenderem Wachsthum die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Besonders im Alter der Pubertät pflegen sich manche überzählige Organe, obgleich sie angeboren sind, doch erst recht zu entwickeln. Sehr leicht einzusehen ist dies für überzählige Brüste. Auch die H y p e r t r o p h i e mancher Organe mag oft angeboren sein, obgleich sie erst in den Jahren der Pubertät augenfällig wird, so insbesondere auch die der Brüste und der Tonsillen. Andere Organe sind im Alter der Decrepidität zu Hypertrophien besonders gen«igt, am Meisten die Prostata. H y p e r t r o p h i s c h e O r g a n e weichen g e w ö h n l i c h auch in ihrer F o r m und ü b e r z ä h l i g e nicht blos in dieser, sondern auch in ihrem S i t z e von der Norm ab. In letzterer Beziehung ist es besonders interessant, dass überzählige Milchdrüsen oft nicht an der Brust, sondern am Rücken oder in der Leistengegend 1 ) sich befinden. H y p e r t r o p h i e n bedingen oft sehr bedeutende F u n c t i o n s s t ö r u n g e n , besonders wenn die vergrösserten Organe in der Nähe von Canälen liegen und letztere durch die Vermehrung des Volumens des ersteren comprimirt oder verengert werden. Diese nachtheiligen ' ) M a n g e l , Bibliothèque de chirorgie, Tom. III. pag. 1 6 0 , und Journal général de médecine, Tom. I. pag. 57.
50*
788
Missbild ungen.
Einflüsse hat z. B. die vergrösserte Schilddrüse für die Luftröhre, die hypertrophirte Prostata für die Harnröhre u. dgl. m. U e b e r z ä h l i g e O r g a n e haben gewöhnlich ausser der Störung der Form keine Nachtheile, ja sie können, wenn sie vollständig entwickelt sind (wie z. B. manche überzählige Finger), mit benutzt werden. Zuweilen «iber stören sie die Function der Theile, ah welchen sie sitzen, wie dies bei Uberzähligen Fingern nicht selten ist. Die Bebaudlnug der Hypertrophien wird theils auf diätetischem Wege versucht, durch Entziehung nahrhafter Speisen oder Verminderung derselben (fast immer erfolglos), theils durch pharmaceutische Mittel, unter welchen im Allgemeinen diejenigen, welche die Ernährung überhaupt herabsetzen, und als ein viel gepriesenes Specificum das J o d und seine Verbindungen zu erwähnen sind, theils endlich auf operativem Wege. Man trägt Stücke der vergrösserten Mandeln ab, wenn diese das Schlingen und Athmen behindern, man exstirpirt die Brüste, wenn ihr allzu grosses Gewicht 1 ) das Leben unerträglich macht oder die Ernährung des übrigen Körpers Noth leidet, u. s. f. — U e b e r z ä h l i g e T h e i l e entfernt man, wenn die durch sie bedingte Functionsstörung erheblich genug ist, um den erforderlichen operativen Eingriff zu rechtfertigen. T r e n n u n g der
Doppelmissbildungen8).
Die Doppelmissbildungen müssen vom therapeutischen Gesichtspunkte in zwei Classen getheilt werden: 1) p a r a s i t i s c h e oder u n v o l l k o m m e n e und 2) a u t o s i t i s c h e oder v o l l k o m m e n e . Die e r s t e r e n bestehen aus sehr ungleich entwickelten Körpern; der eine ist vollkommen ausgebildet u n d , bis auf die Verwachsung mit dem anderen, normal, während der andere weit zurückgeblieben ist, kaum ein selbstständiges Leben zu besitzen scheint und mit Recht mit einer parasitischen Geschwulst verglichen werden kann. Bei der z w e i t e n Classe dagegen finden wir zwei ganz gleichmässig entwickelte und zum Leben gleich berechtigte Individuen. Handelt es sich um eine p a r a s i t i s c h e Doppelmissbildung, so hat man nur das Leben und die Integrität des vollkommen entwickelten Individuums zu berücksichtigen, den Parasiten aber, wie eine Geschwulst, zu exstirpiren. Die Gefahren einer solchen Operation werden, je nach der Ausdehnung, in welcher, und je nach dem Orte, an welchem der Parasit festgeheftet ist, und nach dem Gesundheits- und Kräftezustand des zu erhaltenden Individuums verschieden sein. Mangel 2
e r w ä h n t e i n e r s o l c h e n von 6 4
) Vgl. VV. B r a u n e ,
Pfund!
die D o p p e l b i l d u n g e n e t c .
Leipzig,
1862.
Doppelmissbildnageo.
789
Bei der zweiten Classe handelt es sich um die Erhaltung b e i d e r Individuen ; die Operation muss also genau in der Mitte zwischen beiden und, ohne eines mehr als das andere zu beeinträchtigen, ausgeführt werden und ist nur dann zu unternehmen, wenn sie voraussichtlich für keines von beiden lebensgefährlich ist. In dieser Beziehung ist von Belang, dass viele der am Rücken verwachsenen Missbildungen einen Theil des Rückenmarks oder doch seiner Häute gemeinsam besitzen, so dass durch die Trennung eine Eröffnung und tödtliche Entzündung der letzteren zu erwarten steht. Die Geschichte der T r e n n u n g v o l l k o m m e n e r D o p p e l m i s s b i l d u n g e n hat in der That, obwohl vom 9ten Jahrhundert an mehrfache Beispiele von Unternehmungen dieser Art vorliegen, bisher nur zwei Fälle von glücklichem Erfolge aufzuweisen. Einen glänzenden Erfolg hatte diese Operation gegen Ende des 17ten Jahrhunderts in H u t t i n g e n (am Oberrhein) bei einer weiblichen Doppelmissbildung, deren Verbindungsstück in der Gegend des Schwertfortsatzes haftete, also X i p h o p a g e s . Die Trennung wurde bald nach der Geburt und zwar nach vorgängiger Anwendung einer allmälig fester angezogenen Ligatur mit dem Messer vollzogen. Die beiden Kinder blieben am Leben und halten in Folge der Operation keine üblen Zufälle 1 ). Einen ähnlichen Fall von gelungener Trennung einer Doppelmissbildung berichtet neuerdings B o e h m 8 ) . Die Verwachsung erstreckte sich vom unteren Sternalende bis zum Nabel, es bestand also X i p h o p a g i e , grade wie bei den siamesischen Brüdern 3 ). Bei der Operation wurden zuerst die Gefässbündel der dicken, äusserlich einfach erscheinenden Nabelschnur gesondert, so dass die entsprechenden je 2 Arterien und 1 Vene auf jeder Seite blieben und isolirt unterbunden werden konnten. Die übrige, sorgfältig in der Mittellinie ausgeführte Trennung gelang leicht, ein die Schwertfortsätze verbindender Knorpelstiel machte keine Schwierigkeiten. Die Länge der Wundfläche betrug 5 ' / 3 Ctm.; je 3 Nähte genügten zum Verschluss. Das schwächere Kind starb am 5ten Tage, das andere blieb am Leben, behielt aber eine 9 Ctm. lange Diastase der Linea alba unter Der glückliche Operateur
biess K o e n i g .
den E p h e m e r i d e n
deutschen
der
Der Fall ist
Akademie
zuerst
beschrieben
der Naturforscher
in vom
Jabre 1 6 8 9 , Tgl. I s i d o r G e o f f r o y S a i n t - H i l a l r e , T é r a t o l o g i e , Tom. III. pag. 5 5 9 . 2
) Virchow's
Archiv, Bd. 3 6 . pag. 152. — B o e b m
war gleichzeitig Vater
und
Operateur der Doppelbildung. *) Vgl. V i r c h o w ' s Vortrag in der Berl. med. Gesellschaft. 1 8 7 0 , No. 1 3 .
Berl. klin. Wochenschrift,
790
Missbildungen.
dein Proc. xiphoideus. Dasselbe befand sich nach 5 Jahren noch ganz wohl. Dagegen hatte die Anwendung eines ringförmig um die in der Steissbeingegend befindliche Verbindungsstelle gelegten Aetzmittels den Tod bei einer vier Monate alten Doppelbildung zur Folge; die Section ergab, dass nur das letzte Ende des Mastdarms und die Kreuzbeine verschmolzen, alle anderen Organe aber doppelt und normal w a r e n ' ) . Die Wahrscheinlichkeit, dass wichtige Organe in dem Verbindungsstück liegen, ist bei X i p h o p a g e s überhaupt geringer, als bei Pygodidymus.
Fünftes Capitel. Lageveränderungen (Ectopiae). Abweichungen in der Lage der Theile haben ihren G r u n d entweder darin, dass ein Organ seinen Platz verlassen hat, oder aber dass es ihn gar nicht eingenommen hat, in welchem Falle also die Bezeichnung „Lageveränderung" nicht vollkommen passt. Begreiflicher Weise sind Ectopien der letzteren Art immer a n g e b o r e n . Hierher gehören z. B. die Fälle von verspätetem oder ganz ausbleibendem D e s c e r i s u s t e s t i c u l o r u m , auch N a b e l b r ü c h e , welche durch ein Zurückbleiben der ursprünglich ausserhalb der Bauchwand gelegenen Darmschlinge an dieser, ihr später nicht mehr zukommenden Stelle entstanden sind. Von manchen Seiten hat man auch die a n g e b o r e n e n V e r r e n k u n g e n (Congenital-Luxationen), welche am Häufigsten am Hüftgelenke beobachtet werden, in ähnlicher Weise erklären wollen, während andere Autoren der Ansicht sind, dass dieselben während des Uterinlebens zufällig durch relativ äussere Gewalten, durch Druck oder durch krampfhafte Zusammenziehungen von Muskeln entstehen. Manche Lageverändcrungen sind offenbar davon abhängig, dass die Organe an einer anderen als der ihnen zukommenden Stelle sich g e b i l d e t haben. Am Deutlichsten zeigt sich dies bei dem vollständigen S i t u s m u t a t u s , wo die Theile, welche rechts liegen sollten, links, und die der linken Seite zukommenden rechts liegen. Von grossem Interesse für die chirurgische Praxis ist die fehlerhafte Lage der K n o c h e n und B l u t g e f ä s s e . Besonders müssen die B r a u n e 1. c. pag. 1 2 , a u s d e n Acta p h y s i c o - m e d i c a Acad. L e o p o l d . T. V. pag. 4 4 5 B e o b a c h t u n g von
Treyling.
Ectopien.
häufiger vorkommenden V a r i e t ä t e n ren Venen
791
der Arterien
und der g r ö s s e -
dem Wundarzte genau bekannt s e i n ,
um diagnostische
Irrthümer und operative Fehlgriffe zu verhüten. Sorgfältige Luxationen. 4 Figuren, Frau
Beachtung
verdienen
Vgl. pag. 7 6 3 .
ferner
Zur Erläuterung derselben
die
angeborenen
dienen die nachstehenden
das Becken und das obere Stück der Ossa femoris einer
darstellend,
welche auf
beiden Seiten
an
diesem
Uebel
litt.
Fig. 1 5 5 zeigt (von Vorn) das in seiner Form und in seinen Durchmessern von
dem normalen abweichende B e c k e n ,
Weichtheile bis auf die Bänder lenkpfannen
erscheinen
entfernt sind.
als kleine,
von welchem alle
Die eigentlichen
flache (im Holzschnitt zu
Gestark
markirte) Vertiefungen, während neue Gelenkhöhlen sich nach Aussen und Oben
von ihnen auf
der Aussenfläche
des Os ilium entwickelt
haben, in denen die Schenkelköpfe befestigt sind.
Fig. 1 5 6 giebt die
Ansicht desselben Beckens von der hinteren Seite. und 1 5 8
endlich
zeigen
die nach
Entfernung
Fig. 1 5 5 .
Die Figuren 1 5 7
sämmtlicher
Bänder
792
Mißbildungen.
Fig. 1 5 7 .
Fig.
158.
deutlich erkennbaren, falschen Gelenkpfannen b, b an den Aussenflächen der Hüftbeine A, A, sowie die an denselben zwischen dem Foramen ovale und den neu gebildeten Pfannen befindlichen, in der Entwickelung ganz zurückgebliebenen, ursprünglichen Pfannen. An dem linken Schenkelbeine, welches B.l. von Vorn, B.2. aber von Hinten gesehen ist, bemerkt man eine, mit der unvollkommenen Ausbildung der neuen Gelenkpfannen im Verhältniss stehende Abflachung des Gelenkkopfes. Der veränderte Zustand der das Gelenk zusammensetzenden Theile lässt eine Einrenkung, d. h. das Zurückbringen des Schenkelkopfes in die eigentliche Gelenkhöhle, als unmöglich erscheinen, und doch wäre dasselbe nothwendig, um diese Difformität zu heilen. Darin beruht der grosse Unterschied zwischen den angeborenen und den gewöhnlichen (traumatischen) Luxationen, dass bei diesen, abgesehen von der Zerreissung der Bänder, nur eine Ortsveränderung Statt gefunden hat, während alle übrigen, das Gelenk zusammensetzenden Theile unverändert sind, bei den angeborenen Verrenkungen dagegen die eigentliche Gelenkhöhle nur im rudimentären Zustande besteht und der Gelenkkopf ebenfalls verändert ist. Es giebt aber auch erworbene Verrenkungen, bei denen die Gelenkhöhle und der Gelenkkopf bedeutende Veränderungen darbieten: die v e r a l t e t e n nämlich, — die angeborenen verhalten sich wie höchst veraltete, — und die sogenannten s p o n t a n e n , welche durch Vereiterung eines Gelenks entstehen (vgl. Bd. II. „Verrenkungen"). Vielleicht wird es gelingen, angeborene Verrenkungen zu heilen, wenn man dieselben sofort nach der Geburt zweckmässig behandelt. Sowie Lageveränderungen die Folge einer Trennung, einer Spaltbildung sein können, so können anderer Seits auch Lageveränderungen
Verkrümmungen.
793
die Ursache des Offenbleibens gewisser Canäle, mithin also einer abnormen Oeffnung werden. Bleibt z. B. der Hoden im Leistencanale zurück, so schliesst sich dieser nicht, und es besieht daher eine (schon für die letzten Monate des Embryonallebens) abnorme Communication zwischen der Peritonealhöhle und der Höhle der Tunica vaginalis propria. Dadurch wird weiterhin Veranlassung gegeben zur Entstehung von Verschiebungen der Eingeweide (Brüchen), so dass also schliesslich die eine'Ectopie noch eine zweite zur Folge hat. Die Betaandlnilg der angeborenen Ectopien ist gewöhnlich sehr schwierig oder ganz unausführbar; wo sie aber möglich ist, da gelten für sie dieselben Vorschriften, nach welchem accidentelle und durch äussere Gewalt entstandene Lageveränderungen behandelt werden müssen. Vgl. „Verrenkungen", Bd. II., „Unterleibsbrüche", Bd. Hl.
Sechstes Capitel. Verkrümmungen (Curvaturae). Die U r s a c h e n der Verkrümmungen sind sehr mannigfaltig. Eine Bildungshemmung, Krankheit des Fötus, fehlerhafte Lage desselben geben ebenso oft Veranlassung zu ihrer Entstehung, wie Krankheiten und fehlerhafte Haltung des Körpers nach der Geburt. Schwäche oder Lähmung mancher Theile, Rheumatismus, Rachitis, Tuberculose, Syphilis u. s. f. entweder für sich allein oder in Verbindung mit einer andauernden fehlerhaften Haltung des Körpers liegen denselben oft zu Grunde. Zwei berühmte Autoritäten können als Vertreter zweier wesentlich verschiedener Ansichten über die Entstehungsweise der Verkrümmungen betrachtet werden: D u v e r n e y suchte die Ursache der Verkrümmung in den activen Bewegungsorganen, während S c a r p a die Knochen für die primär leidenden Theile ansah und den Muskeln nur eine secundäre Rolle zugestand. Beide Ansichten sind mit abwechselndem Glücke vertheidigt worden; jedoch hat man den Muskeln immer einen bedeutenden Theil an der Erzeugung der Verkrümmungen zugestehen müssen und bald einsehen gelernt, dass auch das Nervensystem einen grossen Einfluss auf die Entstehung derselben ausübt. M 6 r y , einer der Hauptanhänger D u v e r n e y ' s , begnügt sich noch nachzuweisen, dass man die Verkrümmung einer Wirbelsäule nicht von der geringen Differenz in der Höhe der einen
794
MissbilduDgeo.
und der anderen Seite der Wirbelkörper ableiten könne, dass vielmehr die permanente und unwillkürliche Zusammenziehung (Verkürzung, Contractur) der Muskeln an der einen, und zwar der später concav erscheinenden Seite der Wirbelsäule die alleinige Ursache der Verkrümmung sei 1 ). Je mehr aber die D u v e r n e y ' s e h e Lehre entwickelt wurde, desto mehr ist auch die Bedeutung der Krankheiten des Nervensystems und besonders der Centralorgane für die Aetiologie der Verkrümmungen geltend gemacht worden. Jalade-Lafond*) bemerkt bereits, dass die angeborenen Verkrümmungen der Fttsse von Convulsionen herrühren können, welche der Fötus während des Uterinlebens in Folge einer Erkrankung des Gehirns erlitten hat, und diese Ansicht ist in manchen Gegenden so populär, dass im südlichen Frankreich z. B. einer F r a u , welche durch allzu stürmische Kindesbewegungen zu leiden hat, von den erfahrenen Müttern vorausgesagt w i r d , sie werde ein missgestaltetes Kind zur Welt bringen. Am Vollständigsten hat D e l p e c h 3 ) die Aetiologie der Verkrümmungen, soweit sie von Veränderungen in den a c t i v e n Bewegungsorganen abhängig sind, erläutert. Auf zweierlei Weise können Verkrümmungen entstehen: 1) indem die Muskeln auf der einen Seite eines Gelenkes gelähmt werden und somit die Antagonisten derselben das Uebergewicht erhalten, 2) indem durch Reizung eines Nerven die von ihm versorgten Muskeln in andauernde Zusammenziehung versetzt und dadurch verkürzt werden. Welcher Theil des Nervensystems als Sitz der Krankheit anzusehen sei, musste natürlich unentschieden bleiben, bis anatomische Untersuchungen hierüber Licht verbreitet hatten. Das gleichzeitige Vorkommen von Verkrümmungen und mangelhafter Entwickelung des Gehirns (bei den sogenannten acephalen Missgeburten) veranlasste schon D e l p e c h , B e c l a r d 4 ) u. A. mit grösserer Bestimmtheit in den Centraiorganen des Nervensystems den Sitz der primären Krankheit anzunehmen. Wenn es nun auch richtig ist, dass Acephalie fast immer gleichzeitig mit Verkrümmungen der Füsse vorkommt, und daraus immerhin mit Recht geschlossen werden m a g , dass der Grund von Verkrümmungen im Gehirn und Rückenmarke liegen k a n n , so lässt sich doch keineswegs aus den vorliegenden Beobachtungen die Behauptung ableiten, dass er stets ') M é r y , 2
Mémoires de l'Académie d e s sciences,
) Recherches
sur
les
principales
difformités
1706. du
corps
pag. 3 0 0 . 3
) O r t h o m o r p h i e , T o m . I. pag. 8 3 .
*) Bulletin de la F a c u l t é de m é d e c i n e d e Paris, T o m . V.
humain.
Paris,
1829,
795
Verkrümmungen.
dort zu suchen sein m ü s s e .
Beide Missbildungen können auch von
einer Bildungshemmung abhängig sein, o h n e u n t e r einander im Causalnexus zu stehen. Nach borenen
Eschricht1)
dürfte ü b e r h a u p t
Verkrümmungen
selbe hat nachgewiesen,
die Mehrzahl
auf B i l d u n g s h e m m u n g dass bei dem normalen
die mannigfaltigsten K r ü m m u n g e n ,
der
ange-
beruhen.
Der-
Entwickelungsgange
b e s o n d e r s auch der Extremitäten,
als v o r ü b e r g e h e n d e Stadien auftreten, deren längeres Verbleiben, bald unter Einwirkung mechanischer Einflüsse (namentlich Druck bei fehlerhafter L a g e ) ,
bald u n a b h ä n g i g von solchen, später
Diffbrmitäten bedingt.
die
gedachten
In chirurgischer Beziehung i.sl die Thatsache
von b e s o n d e r e m Interesse,
dass die u r s p r ü n g l i c h e Lage der unteren
Extremitäten vollkommen dem
höchsten Grade des Ivlumpfusses ent-
s p r i c h t : die Fusssohle gegen die Brust g e r i c h t e t , die kleinen Zehen beider Füsse neben einander liegend, der äussere F u s s r a n d also nach Innen und Oben gedreht.
Hieraus erklärt sich auch die schon früher
b e k a n n t e , von D i e f f e n b a c h ' ) besonders h e r v o r g e h o b e n e Thatsache, dass alle Kinder mit einer entschiedenen Anlage zum Klumpfuss zur Welt k o m m e n . In
vielen Fällen
lässt
sich
aber
durch
Nachweis
der
Druck-
punkte zeigen, dass ganz mechanische Verhältnisse die Verkrümmung bedingt
haben,
worauf
wir
namentlich
Bei V e r k r ü m m u n g e n lässt
sich
in
beim
Klumpfuss (Bd. IV)
werden3).
zurückkommen
in
der Regel eine
der
Continuität
vorgängige
oder eine Continuitätstrennung als Ursache bestimmt Verkrümmungen
finden
sich
in
Knochen
der
Erweichung der
sehr
Knochen
nachweisen.
verschiedenen
Graden;
sie sind bald einfach, bald complicirt, bald k o m m t n u r e i n e , kommen m e h r e r e hat eine
zugleich an demselben Körper v o r ;
Verkrümmung
Gesetzen zur F o l g e ,
eine
oder
mehrere
und
161 (nach
andere nach
— compensirende Krümmungen,
z. B. die R ü c k g r a t s V e r k r ü m m u n g e n , Präparaten
bald
sehr häufig statischen wie
dies
welche in den Fig. 159, 160
aus B o u v i e r ' s
Sammlung)
dargestellt
sind, zeigen. ')
Ueber
?) U e b e r 3
) Diesen
die F ö t a l k r ü m m u n g e n . die D u r c l i s c h n e i d u n g Nachweis
Nr. 3 4 u. f.).
hat
zuerst
D e u t s c h e Klinik 1 8 5 1 , No. ì ' t . der Sehnen R.
Genauere Erläuterungen
vorzeitigen Abfluss des F r u c h t w a s s e r s ( D e u t s c h e Z e l t s c h r . f. C h i r u r g i e ,
und
Volkmann
1877,
Muskeln. geführt
Berlin, 1 8 d l , pag. 8 2 . (Deutsche
Klinik,
über den Einiluss der, namentlich bedingten
Raumbeengung
VII. pag. 2 7 4 ) .
lieferte
1863, durch Banga
796
Missbildungen. Fig. 159.
Fig. 1 6 0 .
A I
Fig. 1 5 9 .
Drei leichte K r ü m m u n g e n ; die stärkste ( p r i m i t i v e ) erstreckt sich
vom ersten zum vierten Rückenwirbel,
die zweite vom vierten zum neunten und die
dritte vom neunten
zum
Abschnitte
finden
Rückenwirbel bis
sich mehrere
Wirbel,
vierten
Lendenwirbel.
deren Körper auf
Krümmung n i e d r i g e r sind, als auf der anderen.
In j e d e m
der concaven
dieser
Seite der
Die Ligamenta intervertebralia ver-
halten sich ähnlich. Fig. 1 6 0 . zum siebenten
Die e r s t e K r ü m m u n g Brustwirbel, die z w e i t e
erstreckt sich vom siebenten Halswirbel bis von da
bis zum zwölften Brustwirbel,
die
797
Verkrümmungen. dritte
betrifft
alle
Lendenwirbel.
Fig. 161.
Man sieht deutlich, wie einige Wirbelkörper und Zwischenwirbelbänder auf Seiten der Concavität, besonders in der Mitte j e d e r Krümmung, d r i g e r sind.
nie-
An denselben Stellen
lässt sich eine D r e h u n g d e r W i r belsäule
bemerken.
Der
fünfte
Lendenwirbel ist auf der linken Seite beträchtlich niedriger.
Die mittlere
Krümmung ist die p r i m i t i v e . Fig. 1 6 1 hen
Grad
zeigt einen sehr von
ho-
Verkrümmung.
Die e r s t e Ausbiegung erstreckt sieb vom fünften Halswirbel bis zum dritten Brustwirbel, die z w e i t e von da bis zum dritte
ersten betrifft
Lendenwirbel, die
die
Lendenwirbel.
Sowohl die W i r b e l k ö r p e r , als auch die
Zwischenwirbelbänder
sind auf
der coneaven Seite einer jeden Ausbiegung z u s a m m e n g e d r ü c k t , am Stärksten in der Mitte der Biegungen. Daselbst findet auch eine V e r d r e h u n g der Wirbelsäule Statt, welche in
der
mittleren
und
stärksten
Ausbiegung so weit geht, dass mehrere Wirbelkörper m i t i h r e r
vor-
d e r e n convexen F l ä c h e statt nach Vorn, n a c h R e c h t s gerichtet sind. Die V e r k ü r z u n g durch
der
die Krümmungen
deutend,
Wirbelsäule ist so
be-
dass die Entfernung des ersten Halswirbels
vom Kreuzbein n u r 2 9 C e n t i m e t e r beträgt, während sie nach Ausgleichung der Krümmungen auf 5 6 C e n t i meter
sich beläuft.
Verkrümmungen der E x t r e m i t ä t e n können in jeder Richtung Statt finden: in Abduction, Adduction, Flexion, Extension. Es kann sogar eine Drehung Statt finden, wie sie die vorstehenden Figuren auch in Betreff der Wirbelsäule erkennen lassen. Unter den verkrümmten Füssen (den sogen. Klumpfilssen) finden sich viele, bei denen die Drehung des Fusses um seine Längsachse einen so hohen Grad erreicht hat, dass
Fig. 1 6 2 .
798
Missbildungen.
der Kranke
mil dem F u s s r ü c k e n
auftritt,
bei einem Klumpfuss (Pes varus) 5ten
wie z.
B.
in Fig. 1 6 2 ,
Grades.
Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als müsse die D i a g n o s e einer Verkrümmung der Wirbelsäule oder einer Extremität sehr leicht sein.
Dies ist nicht immer
krümmung
nicht
bedeutend
der F a l l ,
insbesondere
ist,
wenn
oder
der
wenn die VerKranke
simulirt.
Manche Individuen verstehen es, Verkrümmungen der Wirbelsäule und Klumpfüsse so täuschend nachzumachen, dass grosse Aufmerksamkeit dazu gehört, um keine irrthümliche Diagnose zu stellen. Die W i r k u n g e n erheblich.
der Verkrümmungen sind gewöhnlich nicht un-
Abgesehen von der Störung
der Form des Körpers,
be-
dingen sie oft Functionsstörungen, und zwar nicht blos an dem verkrümmten
Theile
selbst,
sondern
Eine Verengung des B e c k e n s ,
auch
an benachbarten
Organen.
welche in der Mehrzahl der Fälle auf
Verkrümmung seiner Knochen beruht, führt Gefahren für Mutter und Kind herbei.
Verkrümmungen der Wirbelsäule sind mit fehlerhafter
Gestalt des Thorax verbunden, welche ihrer Seits Krankheiten der in der Brust- und zuweilen auch der in der Bauchhöhle gelegenen
Or-
gane nach sich zieht, u. s. f. Es giebt säule),
aber auch Verkrümmungen (selbst
welche
gar keinen
nachtheiligen
solche der Wirbel-
Einfluss
ausüben
und
welchen eine e i n g r e i f e n d e Behandlung nicht blos überflüssig,
bei son-
dern in manchen Fällen sogar schädlich erscheinen muss '). Behandlung
der Verkrümmungen
Die oben erläuterte Verschiedenartigkeit entfernten
Ursachen
der Verkrümmungen
(Orthopädie). der nächsten, sowie der
bedingt
grosse Verschiedenheiten in der Behandlung.
nothwendig
aüch
Mit Recht sagte schon
D e l p e c h , „man müsse aller vernünftigen medicinischen Bildung entsagen,
um glauben zu k ö n n e n ,
dass ein und dieselbe Behandlungs-
weise gegen die verschiedenen Verkrümmungen der Glieder wirksam sein
der Wirbelsäule und
könne2)."
In einer grossen Anzahl von Fällen wird eine gute P f l e g e in Verbindung mit
einer geregelten G y m n a s t i k
sein, Verkrümmungen zu h e i l e n , —
diätetische im Stande
vorausgesetzt nämlich,
dass sie
auf einer relativen Schwäche gewisser Muskelgruppen beruhen, deren Antagonisten das Uebergewicht gewonnen und die passiven Bewegungs' ) Ausführlicher hat préciation 2
)
dies u. A. C h a s s a i g n a c
des a p p a r e i l s
orthopédiques",
O r t h o m o r p h i e , T o r a . II. pag. 1 2 6 .
in s e i n e r C o n c u r s s c h r i f t
Paris,
1841,
dargethan.
„Sur
l'ap-
Orthopädie.
799
Organe nach ihrer Seite hin verzogen haben. In dieser Beziehung hat sich namentlich die S c h w e d i s c h e H e i l g y m n a s t i k mit Recht einen bedeutenden Ruf erworben. Indem wir nach den Vorschriften derselben die schwächeren Muskeln zu stärkerer Uebung nöthigen, stärken wir sie auf dem natürlichsten Wege. Sofern der Wille der Patienten vielleicht nicht ausreicht oder nicht ausreichen kann, erzielen wir die zum Behuf der Stärkung erwünschte Uebung der zu schwachen Muskeln durch die Anwendung des g a l v a n i s c h e n S t r o m e s , welcher nächst dem Willen der adäquateste Reiz ist, um Muskeln zur Zusammenziehung zu bringen (vgl. Bd. II. „Krankheiten der Muskeln"). — Aber nicht alle Verkrümmungen bieten uns solche ätiologische Verhältnisse d a r ; nicht alle werden daher durch ein solches Verfahren geheilt oder auch nur gebessert werden. Ebenso wenig können wir von der R u h e und dem Stillliegen, welches beim Beginne solcher Verkrümmungen, welche auf Erweichung von Knochen beruhen, mit Recht empfohlen wird, in anderen Fällen Nutzen erwarten; im Gegentheil, wir werden oft die Verkrümmung verschlimmern und jedenfalls durch den Mangel an Bewegung der Gesundheit schaden. — In einer dritten Richtung endlich sind Viele ebenfalls zu weit gegangen, indem sie ihre Therapie immer nur gegen die verkürzten Muskeln gerichtet haben. So wenig aber bestritten werden kann, dass Verkürzung der Muskeln in vielen Fällen die einzige Ursache der Verkrümmung ist, ebenso wenig darf übersehen werden, dass es eine grosse Anzahl von Verkrümmungen giebt und darunter solche, bei denen gewisse Muskeln sogar wirklich verkürzt erscheinen, die keineswegs durch V e r l ä n g e r u n g d e r zu k u r z e n M u s k e l n oder ihrer Sehnen geheilt werden können. Bei einer jeden Verkrümm u n g , aus welcher Ursache sie auch entstanden sein mag, werden nach und nach die auf ihrer concaven Seite liegenden Muskeln und Sehnen sich verkürzen. Man wird daher, wenn eine Krankheit der Knochen Veranlassung der Verkrümmung w a r , die Muskeln durchschneiden und verlängern können, so viel man will, man wird dadurch allein die Verkrümmung nicht heilen, vielleicht sogar dem Kranken einen Schaden zufügen (vgl. Bd. IV. „Krankheiten der Wirbelsäule"). Anderer Seits ist auch in denjenigen Fällen, in welchen es sich wirklich um (primäre) Verkürzung der Muskeln als Ursache einer Verkrümmung handelt, mit deren Durchschneidung oder Verlängerung bei Weitem noch nicht Alles gethan, da gewöhnlich die Verschiebungen und Formveränderungen der Knochen, die Verlängerungen oder Verkürzungen der Bänder und endlich die mangelhafte Thätigkeit der lange Zeit in höchster Ausdehnung erhaltenen Antagonisten der ur-
800
Missbildungen.
sprünglich verkürzten Muskeln eine längere und schwierigere Behandlung erfordern, als jene Muskelverkürzungen selbst. Wo eine Verwachsung der Gelenk-Enden in Folge einer Entzündung (Ankylose) die Ursache der Verkrümmung ist, da sind später die Muskeln an der concaven Seite gewöhnlich im Zustande der Verkürzung; aber dieselbe ist consecutiv, ihre Verlängerung (Durchschneidung) bebt keineswegs die Verkrümmung, die im Gegentheil erst nach g e w a l t s a m e m Z e r r e i s s e n und Z e r b r e c h e n der bestehenden Verwachsungen beseitigt werden k a n n ' ) . Bei Krümmungen der Knochen in ihrer Continuität kann man durch absichtliches D u r c h s c h n e i d e n oder Z e r b r e c h e n und Heilen des Bruches in einer besseren Stellung die Form und Function des Gliedes wiederherstellen oder doch verbessern. Verkrümmungen der Wirbelsäule, welche auf Verschwärung der Knochen beruhen, dürfen einer orthopädischen Behandlung gar nicht unterzogen werden. Man würde durch eine solche, in der, nicht ein Mal zu erreichenden Absicht, eine Difformität zu heilen, das Leben auf's Spiel setzen. Auch an den Extremitäten kann eine Behandlung s o l c h e r DifFormitäten, wenn überhaupt, doch erst, wenn mehrere Jahre seit der Heilung der Verschwärung abgelaufen sind, eintreten. Um eine möglichst einfache Vorstellung, gleichsam den Typus der o r t h o p ä d i s c h e n B e h a n d l u n g s w e i s e zu geben, wollen wir zunächst ein Schema einer Verkrümmung überhaupt entwerfen (Fig. 163). Bei allen Verkrümmungen, mögen sie an der Wirbelsäule oder anderwärts bestehen, bemerken wir als Grundform einen einfachen oder mehrfachen B o g e n . Um einen Bogen zu entspannen oder zu strecken, können wir an seinen beiden Enden oder auch nur an dem einen Ende, wenn das andere fixirt ist, einen Z u g ausüben; wir können denselben Zweck erreichen, indem wir einen D r u c k gegen die convexe Seite des Bogens wirken lassen; endlich aber können wir die Entspannung des Bogens (vorausgesetzt, dass er hinreichende Elasticität besitzt) auch erreichen, wenn wir die ihn in Spannung haltende Schnur (Sehne) d u r c h s c h n e i d e n . In ähnlicher Weise wirkt die Orthopädie zur Beseitigung der Krümmungen bald durch Z u g ( S t r e c k u n g , V e r l ä n g e r u n g ) , bald durch D r u c k , bald mittelst der D u r c h s c h n e i d u n g der spannenden Organe (Muskeln, Sehnen), bald endlich — und zwar am Zweckmässigsten — durch Combination mehrerer dieser Methoden. ') Vgl. B. L a n g e n b e c k , Commentatio de contractura et ancylosi genu nova methodo violentae extensionis ope sanandis-
Berolini MDCCCL.
Orthopädie.
$01
Fig 1 6 3 .
Fig. 163 zeigt, zur Erläuterung dieser verschiedenen Einwirkungen, einen Bogen a, a, welcher durch eine Sehne b gespannt sein soll und den die Behandlung auf die Richtung der Sehne b, d. h. auf eine gerade Linie, zurückzuführen, zu strecken, sucht. Die dahin wirkenden Mittel sind sämmtlich in Thätigkeit. Die durch Zug wirkenden sind an den beiden Enden angebracht: in c eine F e d e r , welche durch ihre ElasticitSt wirkt, in d ein Gewicht, welches durch seine Schwere den Bogen zu strecken strebt. Durch D r u c k sucht an der convexen Seite ein Apparat e zu wirken, der hier als Tourniquetschraube angedeutet ist. In der Voraussetzung endlich, dass die Spannung des Bogens durch die Sehne herbeigeführt war, sehen wir in f die D u r c h s c h n e i d u n g derselben ausführen. Es leuchtet ein, dass diese letztere nur dann zur vollkommenen Streckung des Bogens führen wird, wenn er selbst durch seine Elasticität zur geraden Linie zurückzukehren strebt, oder wenn auf der entgegengesetzten Seite hinreichende Kräfte wirken, um ihm (durch Zug oder Druck) diese Gestalt zu geben. Jedenfalls aber werden nach Beseitigung der Spannung der Sehne b die übrigen Kräfte eine grössere Wirksamkeit entfalten können. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
8. Aufl. I.
51
802
Missbildungen.
In dem einen wie in dem anderen Falle werden nach vollendeter Streckung die Enden der durchschnittenen Söhne durch einen Zwischenraum getrennt sein, der, wenn wir an die Stelle der Sehne in der Figur uns einen Muskel oder einen wirklichen Tendo denken, durch Narbengewebe ausgefüllt wird. Wir haben im Obigen einige Fälle erwähnt, in welchen eine gewaltsame Behandlung der Verkrümmungen anwendbar und nützlich ist. Dies sind jedoch Ausnahmen; als Regel ist festzuhalten, dass eine ailmälige und dauernde Ginwirkung sicherer und gefahrloser zum Ziele führt, als die Anwendung plötzlicher und heftiger Gewalt.