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German Pages 793 [796] Year 1874
L
e h r b il e li der
I'll n o
ÌV
IH
(\
iS
besonders für das Bedürfnis* der Studi rendei).
Di. Adolf Bardeleben.
Mit zahlreichen, in den T e x t gedruckten
Frsier S
i "
il (! II t und '¿qyov),
d e r j e n i g e Theil d e r Heilkunde, w e l c h e r d u r c h m e c h a n i s c h kende Mittel K r a n k h e i t e n
wir-
z u h e i l e n lehre, und diejenigen K r a n k -
heiten seien chirurgische zu n e n n e n , welche mechanische Mittel allein oder
doch hauptsächlich
eine
solche Definition sind
zu i h r e r Heilung erfordern ( R e i l ) . aber
die Grenzen
Durch
der Chirurgie zu eng
gesteckt 1 ), u n d a n d e r e r Seits m a n c h e K r a n k h e i t e n , welche a n e r k a n n t innere (niedicinische) s i n d , nicht ausgeschlossen;
man
könnte
sich
durch eine B e g r e n z u n g der Art bewogen fühlen, die A n w e n d u n g der Aetzmittel als nicht zur Chirurgie gehörig zu betrachten, da sie c h e misch
wirken,
und a n d e r e r Seits liesse sich auf Grund j e n e r De-
finition b e h a u p t e n , dass der Ileus, gegen welchen man das regulinische Quecksilber, und ganz
in d e r Absicht mechanisch
die L u n g e n e n t z ü n d u n g ,
allgemein mit A d e r l ä s s e n ,
behandelt wurde, E b e n s o wenig ')
welche
Celsus
schrieb Bücher:
praestat:
verordnet, Jahrzehnten
also einem rein chirurgischen Mittel,
zu den chirurgischen Krankheiten zu zählen seien.
h a l t b a r ist die Definition R i e h e r a n d ' s ,
seiner 8 camenta
zu w i r k e n ,
noch vor wenigen
b e r e i t s zu Anfange des ersten J a h r h u n d e r t s „ d e m e d i c i n a " , von d e r C h i r u r g i e :
atquevictusrationem estque
ejus
omittit;
effeetus
inter
sed
Ea
n. C h r . , im s i e b e n t e n non
manu
oinnes
welche sich
quidem
tarnen
medicinae
evidentissimus. b a r d e l r I M ' n , Chirurgie.
7. Villi.
1.
1
medi-
plurimum partes
2
Einleitung.
an die zuerst erwähnte anschliesst, C h i r u r g i e s e i „ m e d i e i n i s c h e Mechanik". Während die bisher erwähnten Definitionen vom t h e r a p e u t i s c h e n Standpunkte aus gegeben wurden, ist man mehrfach bestrebt gewesen, auch vom p a t h o l o g i s c h e n Standpunkte aus die chirurgischen Krankheiten zu definiren. Insbesondere glaubte man alle ä u s s e r e n Krankheiten als chirurgische bezeichnen zu können, und es ist deshalb der Ausdruck: „ ä u s s e r e M e d i c i n " (pathologie externe) besonders in Frankreich, als gleichbedeutend mit Chirurgie in Gebrauch. Es leuchtet aber von selbst ein, dass der Sitz der Krankheit nicht ein wesentlicher, sondern nur ein untergeordneter Eintheilungsgrund sein kann. Wem fiele es auch ein, die Blas^nstcinc, weil sie innerhalb der Leibeshöhle sich bilden, zu den innern Krankheiten, die Pocken und Masern aber, weil ihr auffallendstes Symptom auf der Körperoberfläche erscheint, zu den chirurgischen Krankheiten rechnen zu wollen? — Die gewünschte Definition hat deshalb endlich auf das W e s e n , die N a t u r der krankhaften Erscheinungen und Veränderungen sich basiren sollen. Aber auch ein solches Bestreben kann nicht zum Ziele führen, da es selbst dem Anfänger bekannt ist, dass dieselben Krankheiten, je nachdem sie einen verschiedenen Sitz haben, bald der Chirurgie, bald der inneren Medicin zugewiesen werden. So ist z. B. der Krebs der Brustdrüse anerkannt eine chirurgische Krankheit, während der Krebs des Magens der inneren Medicin zugetheilt wird; das Aneurysma der Aorta wird in den Lehrbüchern der medicinischen Pathologie abgehandelt, während die Pulsndei'geschwiilstc an den Extremitäten der Chirurgie zugezählt werden. Eine Definition der chirurgischen Krankheiten ist daher von e i n e m der gedachten Standpunkte nicht möglich; nur mit g l e i c h z e i t i g e r Rücksicht auf den Sitz, die Natur der Krankheit und die gegen sie anzuwendenden Mittel lässt sich, freilich nicht mit der wünschenswerthen Schärfe, beschreiben, welche Krankheiten hergebrachter Weise der Chirurgie zugezählt werden. In solcher Art verfährt z. B. C h e l i u s , indem er sagt: „ W i r k ö n n e n a l s dein G e b i e t e d e r C h i r u r g i e „ a n g e h ö r e n d , alle diejenigen o r g a n i s c h e n Krankheiten bez e i c h n e n , w e l c h e in s o l c h e n T h e i l e n i h r e n Sitz h a b e n , „ d i e d e n O r g a n e n u n s e r s G e f ü h l s z u g ä n g i g s i n d , o d e r die „ A n w e n d u n g m e c h a n i s c h e r M i t t e l zu i h r e r H e i l u n g z u l a s s e n . " Diese Definition umfasst, wie der Autor selbst bemerkt, die E n t z ü n d u n g nicht mit, und doch wird allgemein die Lehre von der Entzündung an die Spitze der ganzen Chirurgie gestellt, weil der Chirurg sie in unzähligen Fällen theils zu bekämpfen, theils zu be-
Einleitung.
3
nutzen hat. Freilich bildet die Lehre von den Entzündungen der einzelnen Organe ein streitiges Grenzgebiet, indem die Entzündungen der mehr oder weniger nach Innen gelegenen Theile, wie der Mandeln, des Gaumensegels, des Schlundes u. s. w. gewöhnlich von den Chirurgen ebenso sehr als ihnen zugehörig in Anspruch genommen werden, als von den „Aerzten". Als ein solches Grenzgebiet kann ferner die Lehre von den G e s c h w ü l s t e n (Pseudoplasmata) im weitesten Sinne des Wortes betrachtet werden. Hier entscheidet der mehr oder minder den Fingern und Instrumenten zugängliche S i t z darüber, ob die Krankheitsform als der Chirurgie, oder als der inneren Medicin zugehörig betrachtet werden soll. Dagegen bilden alle V e r l e t z u n g e n (Störungen der Continuität und Contiguität) und alle F o r m f e h l e r (Dysmorphoses), mögen sie angeboren, oder später erworben sein, sowie die von Aussen eingedrungenen f r e m d e n K ö r p e r , ein durchaus unbestrittenes Feld chirurgischer Thätigkeit und somit a u c h , der Ausdehnung nach, den bedeutendsten Theil der chirurgischen Wissenschaft. Aber wir würden schliesslich wiederum auf ein streitiges Gebiet gerathen, wenn wir mit P h i l i p p v o n W a l t h e r unter f r e m d e n K ö r p e r n (Allenthescs) auch solche mitbegreifen wollten, welche im Körper selbst sich gebildet haben; denn während die Blasensteine und die Wasseransammlung innerhalb des Hodensackes der Chirurgie überlassen bleiben, werden die Steinbildungen im Darmcanal, und die Wasseransammlungen in der Brust- und Bauchhöhle in den Lehrbüchern der inneren Pathologie abgehandelt. Die Uebersetzung des Wortes „Chirurgie" mit „ W u n d a r z n e i k u n s t " und die Bezeichnung des Chirurgen als W u n d a r z t können nur insofern gebilligt werden, als man den-alten Satz: „a potiori fit denominatio" ~ in Anwendung bringt, indem allerdings die Mehrzahl der von dem Chirurgen zu behandelnden Krankheiten wohl g e w ö h n lich Verletzungen sein mögen. Da, wie wir so eben gesehen haben, der Begriff einer chirurgischen Krankheit sich wissenschaftlich nicht feststellen lässt, so leuchtet ein, dass ein n a t ü r l i c h e s S y s t e m der Chirurgie unmöglich ist. Selbst wenn wir uns im-Besitze eines natürlichen Systems der Medicin überhaupt befänden, so würden doch die chirurgischen Krankheiten in diesem nicht ein für sich bestehendes Ganze ausmachen können, sondern sehr zerstreut in verschiedenen Gruppen ihren Platz finden müssen. Wir sehen deshalb auch die Chirurgie in den verschiedenen Hand- und Lehrbüchern sehr verschieden eingetheilt und angeordnet. In der nachfolgenden Darstellung ist die O p e r a t i o n s l e h r e mit der chirurgischen Pathologie in der Art verbunden, dass der allge1*
4
Einleitung.
Diagnostik.
meine Theil derselben vorausgeschickt, die einzelnen besonderen Operationen aber an denjenigen Stellen beschrieben sind, wo von den Krankheiten der Theile, an welchen sie ausgeführt werden, gehandelt wird. Durch diese Verbindung ist die sogenannte anatomische Eintheilung bedingt, welche mit einzelnen, für den Unterricht als zweckmässig erprobten Abweichungen, in diesem Lehrbuche festgehalten worden ist. Es werden nämlich in dem e r s t e n B u c h e (Bd. 1) die einzelnen Erkrankungsformen, welche für die Chirurgie von besonderem Interesse sind, namentlich Entzündung, Eiterung, Brand, Verschwärung und organisirte Neubildungen, demnächst die durch ihre ätiologischen, wie durch ihre therapeutischen Verhältnisse durchweg der Chirurgie zufallenden Verletzungen und die einer Behandlung zugängigen Missbildungen und Formfehler im Allgemeinen abgehandelt. Das z w e i t e B u c h (Bd. II) umfasst die chirurgischen Krankheiten der einzelnen Gewebe (im weiteren Sinne des Wortes), wobei jedoch die Verletzungen und Erkrankungen der einzelnen Arterien, die Brüche und die Verrenkungen der einzelnen Knochen in anatomischer Reihenfolge bei den Krankheiten der Arterien, der Knochen und der Gelenke mit beschrieben werden, während das d r i t t e B u c h (Bd. III u. IV) in topographischer Reihenfolge, a capite ad calces, die übrigen chirurgischen Krankheiten der einzelnen Körpergegenden, nebst den zu ihrer Heilung erforderlichen Operationen enthält. Vorausgeschickt wird hier ein Ueberblick der c h i r u r g i s c h e n D i a g n o s t i k und der c h i r u r g i s c h e n H e i l m i t t e l (eine allgemeine Akiurgie, — Operations- und Verbandlehre).
A. Von der chirurgischen Diagnostik. Der Chirurg untersucht vor Allem die materiellen Veränderungen; die objektiven Zeichen nehmen seine Aufmerksamkeit gewöhnlich fast ausschliesslich in Anspruch. Es handelt sich bei ihm also sehr wesentlich um sinnliche Wahrnehmungen, und er bedarf deshalb der feinsten Ausbildung aller Sinne. In dieser Beziehung ist die innere Medicin allmälig, namentlich in neuester Zeit, immer mehr „ c h i r u r gisch" und die strenge Scheidung beider immer mehr schwierig geworden (vgl. pag. 2). Bei keiner inneren Erkrankung begnügt man sich heut zu Tage mehr mit dem Pulsfühlen und dem, meist nutzlosen, Besichtigen der Zunge, sondern man urtheilt über den Fieberzustand eines Patienten nach genauer thermometrischer Messung und über
5
Gesichtssinn.
den Z u s t a n d i n n e r e r O r g a n e nicht blos n a c h f u n c t i o n e l l e n S y m p t o m e n , sondern
nach
genauer
Untersuchung
durch
Besichtigung
(Spécula,
Kehlkopfsspiegel), d u r c h P r ü f u n g d e r s p o n t a n o d e r d u r c h A n s c h l a g e n e r z e u g t e r Schallwellen (Auscultation u n d P e r c u s s i o n ) , d u r c h B e t a s t u n g ( P a l p a t i o n ) u. s. f. — Jedoch r e i c h e n mals zu einer Diagnose allein a u s ; das „ d i s t i n g u e r e " ,
also eine
sinnliche Wahrnehmungen zur Diagnose gehört
geistige T h ä t i g k e i t ,
nie-
wesentlich
welcher
die S i n n e
n u r das S u b s t r a t zu liefern h a b e n .
I. Anwendung der Sinne. Wenn
es möglich
sie u n t e r s t ü t z e n
ist,
einander
so
und
müssen
alle S i n n e
verbessern
einer
benutzt
des
werden;
andern
Fehler.
Zuweilen bedient m a n sich gewisser Hülfsmittel, w e l c h e ihren W i r k u n g s kreis
vcrgi'össcrn,
Fällen sind
z. B. S p e c u l u m ,
Gehüllen
nothwendig;
b e w e g l i c h e Geschwulst
Sonden,
Katheter.
so z. B. ist e s ,
zu u n t e r s u c h e n ,
In m a n c h e n
um
eine
grosse
z w e c k m ä s s i g , dieselbe d u r c h
Gehülfen fixiren zu lassen, so dass die H ä n d e d e s C h i r u r g e n sich mit der E r f o r s c h u n g d e r C o n s i s t e n z , tigen h a b e n .
nur
d e s I n h a l t s u. s. w. zu b e s c h ä f -
Kür die Diagnose eines K n o c h e n b r u c h s un den
unteren
Extremitäten b e d a r f m a n ebenfalls oft d e r G e h ü l f e n , welche die B r u c h Enden
in
gewissen
Erscheinungen,
Stellungen
welche
durch
halten,
während
die P.eibung
der Wundarzt
derselben
die
hervorgebracht
werden,
zu e r f o r s c h e n sucht. — S e h r oft ist es nicht blos z u r Ver-
meidung
von S c h m e r z e n
zum
Behuf
der
für den K r a n k e n
Ausführung
einer
w ä h r e n d einer C h l o r o f o r m - B e t ä u b u n g Die B e s c h r e i b u n g
der
angenehm,
Untersuchung
sondern
nützlich,
vorzunehmen.
Sinneswahrnehmungen,
auf
u n s e r e Diagnose g r ü n d e n , ist s c h w i e l i g , weil die S p r a c h e A u s d r ü c k e f ü r so viele E m p f i n d u n g e n e n t b e h r t , dieselben
d u r c h Vergleiche mit a n d e r e n
r e i c h e n d ist.
auch
dieselbe
deutlich
welche
wir
bestimmter
u n d das Hülfsmittel, zu m a c h e n ,
unzu-
Es giebt g a r viel G e r ä u s c h e , G e r ü c h e , F ä r b u n g e n u. s. w.,
welche m a n g a r nicht b e s c h r e i b e n k a n n , w e l c h e d u r c h a u s sui g e n e r i s sind
und
sich d a h e r
nehmung, erlernen
n u r aus der
Praxis,
d. h. a u s
eigener
Wahr-
lassen. 1.
Gesichtssinn.
Der C h i r u r g m u s s immer das k r a n k e O r g a n o d e r die k r a n k e Geg e n d zu sehen s u c h e n .
Gründliches Studium
s u n d e n K ö r p e r s lässt ihn selbst
der Anatomie
geringere F o r m a b w e i c h u n g e n
des g e leicht
6
Einleitung.
Diagnostik.
erkennen. Dabei ist eine Vergleichung der gesunden und kranken Seite nie zu vernachlässigen. Als Beispiele mögen die Difformitäten der Schulter bei Verrenkung des Oberarms (Bd. 11) und die Anschwellung, welche ein Leistenbruch bildet (Bd. III), betrachtet werden. Nicht weniger wichtig, als die Formveränderungen sind Abweichungen der F ä r b u n g . Die Farbe einer Wunde kann nicht blos über den Zustand derselben, sondern Uber den des ganzen Organismus Aufschluss geben. Ein anderes Beispiel liefert die an ihrer Farbe leicht zu erkennende Demarkationslinie, durch welche sich brandige Theile von den gesunden abzugrenzen pflegen. Die Verschiedenheit der Farbe des venösen und arteriellen Blutes ist bei Blutungen von der grössten Wichtigkeit; nach G u t h r i e kann man sogar der Farbe nach unterscheiden, ob das Blut aus dem centralen oder aus dem peripherischen Theile der Arterie herrührt, indem letzteres dunkler gefärbt ist. Manche Färbungen der Haut lassen sich durch den Fingerdruck ganz beseitigen oder doch schwächen. So z. B. verschwindet die Rothe des Erysipels (der Rose) durch Druck und kehrt bei dessen Aufhören schnell zurück. Beruht die Röthung auf einem Bluterguss im Gewebe der Haut oder unter ihr, so schwindet sie nicht unter dem Fingerdruck. Auch die D u r c h s i c h t i g k e i t mancher Theile kommt in Betracht. Eine mit wasserheller Flüssigkeit gefüllte Geschwulst (z. B. eine Wasseransammlung in der Tunica vaginalis propria testis) lässt die Lichtstrahlen bei zweckmässiger Beleuchtung hindurch, ist iin Vergleich zu den sie umgebenden Theilen durchsichtig. Man schliesst aus einer solchen relativen Durchsichtigkeit auf die Anwesenheit und Ausdehnung einer Wasseransammlung, wobei jedoch nie vergessen werden darf, dass gallertartige Substanzen (Colloldgeschwülste) sowie auch Hautfalten, welche nur Fett einschliessen, gleichfalls mehr oder weniger durchsichtig sein können, und dass durch sogenannte InterferenzErscheinungen zuweilen auch ganz normale und vollkommen solide Theile durchsichtig scheinen, wie dies leicht beobachtet werden kann, wenn man die dicht aneinander gelegten Finger in einem dunkclen Räume vor ein helles Licht hält. Eine zweckmässige B e l e u c h t u n g ist überall nothwendig, wo wir uns des Gesichtssinnes zur Diagnose bedienen wollen. Das Tageslicht ist für manche Untersuchungen zu hell, für andere nicht hell genug, u n d manche Operationen sind so dringend, dass man zu ihrer Ausf ü h r u n g auch bei Nachtzeit schreiten muss. Man bedient sich daher häufig der k ü n s t l i c h e n B e l e u c h t u n g vermittelst eines oder mehrerer Wachsstöcke, einer Lampe oder dgl. Will man aber mit solchen in
Gesichtssinn. einen
e n g e n Canal h i n e i n l e u c h t e n ,
durch geblendet. diesem
7
so wird
d e r W u n d a r z t selbst
da-
Eine g e w ö h n l i c h e K u t s c h e n - o d e r B l e n d l a t e r n e hilft
l'ebelstande
in g e w i s s e m
Grade a b ,
und
der
von
Sanson
e r f u n d e n e k ü n s t l i c h e B e l e u c h t u n g s a p p a r a t sowie a u c h d e r s e h r b r a u c h bare ,.Operationsleuchter"
von
rnodificirte K u t s c h e n l a t e r n e n . Behuf
genauer
Ravoth')
(Fig. 1) sind
Zum
Untersuchung
in d e r
That
Fig. 1.
von
C a n ä l e n e r f ü l l t die a n einen s o l c h e n Beleuchtungsapparat
zu
stellenden
A n f o r d e r u n g e n v o l l s t ä n d i g ein in d e r Mitte d u r c h b o h r t e r S p i e g e l , wie er von C o e c i u s u. A. als A u g e n spiegel
in
die
w o r d e n ist.
Praxis
eingeführt
Der U n t e r s u c h e n d e hat
dabei den Vortheil, d a s s die L i c h t strahlen
einer
hell
brennenden
L a m p e , \ o n d e m Spiegel reflectirt, in
den
zu
parallel ohne
sein,
Spiegels zu
untersuchenden
seiner
durch
das
Canal
einfallen, Loch
ohne
Untersuchung
ein
Durchbohrung.
Das
ist n u r
für
t i e f e r e r Höhlen
l ä n g e r e r G ä n g e von N u t z e n ; reicht
auch
einen
Spiegel
f ü r diese
weder
spiegel
und
meist
gewöhn-
L ä s s t sich in noch
so k a n n
Platindraht,
versehen
die und
(durch
directes
hineinbringen,
S c h l i n g e von
das
refleetirte)
liche T a g e s l i c h t aus. eine Höhle
Auge
Oft g e n ü g t a u c h
grelle Sonnenlicht
Stärke
des
hindurchschauendes
blenden.
Spiegel
Sehachse
refleetirtes Licht man
in m a n c h e n
welche m a n ,
in einer
in
mit einem
geeigneten
hinreichender
Fällen
durch
kleinen
Kapsel ( G l a s r ö h r e )
s c h l o s s e n , e i n f ü h r t u n d d u r c h einen g a l v a n i s c h e n Stroin z u m b r i n g t (vgl. G a l v a n o k a u s t i k ) ,
eine B e l e u c h t u n g
eine
ConcaveingeGlühen
von solcher Helligkeit
b e w e r k s t e l l i g e n , wie sie auf keine a n d e r e Art zu e r r e i c h e n
ist').
Fast i m m e r ist es f ü r eine z w e c k m ä s s i g e B e l e u c h t u n g e r f o r d e r l i c h , •) Bert. klin. Wochenschrift 1 8 6 8 , No. 3 6 . -) Vgl. B r u c k , d a s S t o m a t o s c o p z u r Durchleuchtung d e r Zähne und ihrer Nachbartheile d u r c h galvanisches Glühlicht. Nebst einem Anhang, das Stomatoscop z u r Erleuchtung des Hacbenrauras zu benutzen. Breslau, 1 8 6 5 .
8
Einleitung.
Diagnostik
die Wandungen der zu untersuchenden Hohlräume hinreichend weit von einander zu entfernen. Zu diesem Behuf führt man in die zu untersuchenden Canäle Erweiterungs-Instrumente ein, welche von Alters her auch als „ S p i e g e l , S p e c u l a " bezeichnet werden. Wir besitzen deren verschiedene für die Vagina (Speculum uteri, Fig. 2), für den Mastdarm (Fig. 3 und 4 , Speculum ani), für den Gehörgang (Fig. 5, Speculum auris), für die Mundhöhle (Speculum oris, Fig. 6 . Fi«. 2.
Fig. 3.
Fi*. 4.
9
Gesichtssinn. Das S p e e u I n in ist z u e r s t
f ü r die V a g i n a ,
A u s z i e b u n g der N a c h g e b u r t , von F r a n c o hat (bald d a r a u f )
ein
und
z w a r z u m Behuf
der
leichteren
(im 16. J a h r h u n d e r t ) e m p f o h l e n w o r d e n .
solches beschrieben
und abgebildet,
welches,
ä n d e r u n g e n , j e t z t als W e i s s ' s c h e s S p e c u l u i n a n i b e k a n n t ist.
Haré
m i t geringen
Es besitzt drei
Ab-
Klappen
uder A r m e von 2 2 — 2 4 C t m . L ä n g e ( F i g . 7 B ) , welche d u r c h eine S c h r a u b e (Fig. 7 A) von e i n a n d e r e n t f e r n t o d e r e i n a n d e r g e n ä h e r t (Fig. 8 ) w e r d e n .
In
h e i s s t d a s S p e c u l u m g e ö f f n e t (Fig. 9 ) , in l e t z t e r e m g e s c h l o s s e n
(Fig. 10). —
ersterem
Zustande Das
Ri-
c o r d ' s e h e S p e c u l u m u t e r i (Fig. 2 ) b e s i t z t zwei K l a p p e n ; es ist l e i c h t e i n z u f ü h r e n , i n d e m m a n seine K l a p p e n e r s t , n a c h d e m Dabei e n t s t e h t
es v o l l s t ä n d i g e i n g e b r a c h t ist, von e i n a n d e r e n t f e r n t .
a b e r der grosse U e b e l s t a n d ,
dass
die v o r d e r e
und
hintere Wand
Vagina, wenn sie a u c h n u r ein wenig schlaff s i n d , sich z w i s c h e n die K l a p p e n gen, und die P o r t i o vaginalis u t e r i v e r d e c k e n . ( b i s zu s e c h s )
trifft
Mechanismus noch cula n e n n t m a n
derselbe Vorwurf;
kostspieliger und
gebrochene,
complicirten
—
Diese
Spe
w e l c h e s geDas
Preises,
w e s h a l b m a n sich a u c h l e i c h t f ü r v e r s c h i e d e n gläserner Specula verschaffen
jedes Spcculiini
niuss
mit
weite
kann.
grosser Sorgfalt
Womöglich niuss die Untersuchung mittelst des Fingers
vorausgehen,
um Uber die Schlaffheit oder Starrheit der Wandungen
des betreffenden Canals, Kenntniss zu erlangen. Weise vom
ihren
a u s g l ä n z e n d p o l i r t e m Metall g e a r b e i t e t ist.
(einen sogen. „ S a l z " )
Die E i n f ü h r u n g geschehen.
durch
leichter dem Verderben ausgesetzt.
a u s Milchglas o d e r Porzellan h a t d e n Vorzug g r ö s s e r e r K e i n l i c h -
keit und viel g e r i n g e r e n Canäle eine A u s w a h l
Die S p e c u l a m i t z a h l r e i c h e r e n K l a p p e n
sind ausserdem
im G e g e n s a t z zu d e m c y l i n d r i s e h e n ,
w ö h n l i c h , s o w i e die v o r h e r g e b e n d e n , cylindrische S p e c u l u m
sie
der
eindrän-
Stande
seine Weite, oft auch den Sitz des Uebels Insbesondere unterrichtet man sich auf solche
der Portio vaginalis
eines Speculuin in die Scheide.
uteri
vor
der Einführung
Das Speculum uteri und viel mehr
noch das Speculum ani haben einen Sphincter zu passiren, bevor sie in den betreffenden Canal gelangen.
Man
muss deshalb
nicht
mit
der ganzen Dicke des Speculum auf ein Mal eindringen, sondern dasselbe zur Seite w e n d e n , so dass erst die eine Hälfte des Unifanges eingeführt und
dann
durch sanftes Hin- und Herbewegen auch der
übrige Umfang des Instrumentes nachgeschoben wird es in der Richtung nichs blos gradaus, diese und
gehindert seitlichen
der Achse wobei
werden
des Canals vorwärts
Sodann wird bewegt;
aber
man leicht auf Falten stossen und durch könnte,
Bewegungen,
sondern
bei jedem
weichend und dann wieder vordringend. ist von der grössten Wichtigkeit;
mit
leicht
Widerstand
rotirenden
etwas
zurück-
Dies Hin- und Herbewegen
hier, wie bei der Einführung
des
Katheters, führt oft ein Schritt rückwärts am Besten vorwärts. Von einzelnen Theilen,
welche
man
nicht direct sehen -kann,
lassen sich doch,
namentlich bei künstlicher Beleuchtung,
b i l d e r erlangen,
welche bei einiger Uebung für die Diagnose
voller Sicherheit verwerthet werden können.
Spiegelmit
Schon längst haben die
10
Einleitang.
Diagnostik.
Zahnärzte mit kleinen b e w e g l i c h e n Spiegeln auf solche Weise dio hinteren F l ä c h e n Art
der Zähne u n t e r s u c h t .
der U n t e r s u c h u n g
heiten
des S c h l u n d -
aber und
In neuerer Zeit hat m a n
besonders
Kehlkopfs
diese
für die Diagnose
der
Krank-
benutzt ( P h a r v n g o -
und
Laryn-
goscopie, vgl. B d . III). Der A u s d r u c k „ S p i e g e l " verschiedene
Arten
von
wird somit in der Chirurgie für drei
Instrumenten
benutzt,
von denen n u r zwei
iin g e w ö h n l i c h e n L e b e n a u f diesen Namen Anspruch hätten, 1) Beleuchtungs-Spiegel, Fig. I I . •
von Spiegelbildern, nur
nebenbei,
3 ) Erweiterungs-Instrumente,
bald
nämlich:
2 ) Spiegel zum B e h u f der E r l a n g u n g
aber
hauptsächlich
Höhlen und Canälen begünstigen
die
welche bald
Beleuchtung
in
sollen.
Die E r w e i t e r u n g m a n c h e r Canäle (namentlich F i s t e l g ä n g e ) wird
sowohl
zum
Untersuchung
Behuf
der Besichtigung
als
auch für die
mit dem F i n g e r zweckmässiger allmälig
das E i n l e g e n e n t s p r e c h e n d geformter Stücke
von
den S u b s t a n z e n , n a m e n t l i c h von P r e s s s c h w a m i n minaria
digitata
durch
aufquellenoder
Von solchen T h e i l e n , welche man nicht sehen und mit den F i n g e r n
n i c h t erreichen k a n n ,
in M o d e l l i r w a c h s der
That
unter
La-
bewerkstelligt.
zu
erhalten
günstigen
vorhandenen Vorsprüngen
hat man
gesucht.
Verhältnissen
auch
Abdrücke
Diese k ö n n e n ein
und Vertiefungen
Bild
von
liefern; doch
die A n w e n d u n g dieses Mittels in ausgedehnterein Maasse bei
Krankheiten
von
bisher
Von grösstem Vortheil w ä r e es, wenn wir in das
Innere
(zuerst
von
worden.
Geschwülsten
grosse
Urethra
ist nur
Du c a m p )
versucht
der
in den
sehen
Durchsichtigkeit
merkt wurde, ihres Inhaltes.
könnten.
derselben
Die mehr ist,
kein s i c h e r e s Kriterium für die Mit dem
Probe-
oder
oder
wie bereits
weniger oben
be-
Beschaffenheit
Versuchs-Troieart
( A c u s t r i q u e t r a e x p l o r a t o r i a ) kann man wenigstens einen k l e i nen Theil des Inhalts dem Gesichtssinne w a h r n e h m b a r m a c h e n . Derselbe
ist Fig. 11
sind
Enden des S t y l e t s ,
seitig
die
spitz
zuläuft;
in
natürlicher
abgebildet.
AA'
welches am oberen E n d e
Grösse
drei-
B ist die C a n ü l e ;
C eine kleine Hülse,
die zum S c h u t z e der Spitze aufgesetzt, wird.
Man stösst
kleine I n s t r u m e n t an einer Stelle, wo man keine G e f ä s s e fürchten
hat, in die Geschwulst tief ein, wenn m a n a u s
d e r e n Gründen ^ksai
vermutheu
die Anwesenheit
berechtigt
ist.
Indem
einer Flüssigkeit man
alsdann
in die
ihr
das zu anzu
Canüle
11
Gesichtssinn.
mit der einen Hand festhält, zieht man das Stylet h e r a u s .
Ist eine
Flüssigkeit v o r h a n d e n , so wird sie nun von selbst oder bei A n w e n d u n g eines gelinden Druckes durch die V e r w u n d u n g ,
die Canüle ausfliessen.
Natürlich
ist
welche auf solche Weise beigebracht w i r d , immer
doch eine V e r w u n d u n g , und die A n w e n d u n g des kleinen I n s t r u m e n t e s kann daher unter Umständen nicht ganz ungefährlich sein. Diagnostik der Geschwülste.) verleiten liesse,
(Vgl. die
Gross w ä r e die Gefahr, w e n n m a n sich
den Probetroicart
in eine P u l s a d e r g e s c h w u l s t
einzu-
stossen, deren Höhle mit dem Lumen einer Arterie c o m m u n i c i r t und aus welcher also unwiederbringlich arterielles Blut hervorspritzen w ü r d e . Geschwülste
F ü r zweideutige
dieser
Art
wählt
man
zur
Punction,
wenn sie ü b e r h a u p t als diagnostisches llülfsmittel in A n w e n d u n g k o m men soll, eine A c u p u n c t u r n a d e l , In ähnlicher Weise,
wie weiter unten erläutert wird.
wie der Versuehstroieart,
kann
auch
eine
V e r s u c h s l i g a t u r a n g e w e n d e t werden, d. h. ein F a d e n , welchen man mittelst einer l a n g e n , führt.
Befindet sich
(Hinnen Nadel durch
die Geschwulst h i n d u r c h
eine Flüssigkeit d a r i n ,
so t r o p f t diese an den
Enden des Fadens ab.
Dies Verfahren ist jedoch in m a n c h e n Loca-
litäten nicht a n w e n d b a r , Gegenstand
wo der Probetroicart b e n u t z t w e r d e n
der W a h r n e h m u n g
Beweglichkeit
kann.
d u r c h das Gesicht ist ferner die
der Theile, die aber in den meisten Fällen b e s t i m m t e r
mit Hülfe des Tastsinnes erkannt wird. Veränderungen sionen
im V o l u m e n ,
der Theile werden
sowie
in den einzelnen
Dimen-
gewöhnlich blos dem A u g e n m a a s s
nach
abgeschätzt ; aber mit Recht ist in n e u e r e r Zeit die Messung d e r verschiedenen
bald
mit
endlich
mit
d e m Tastercirkel immer allgemeiner in Gebrauch gezogen w o r d e n .
So
einem
Dimensionen
bald
mit
einem S c h n e i d e r m a a s s ,
dem Schusterinaasse nachgebildeten I n s t r u m e n t e ,
messen
wir z. B. die Länge der Extremitäten bei
und Gelenkkrankheiten
z u r Sicherung
Knochenbrüchen
unserer Diagnose.
Dabei ist
stets grosse Sorgfalt nothwendig und meist ein Gehülfe erforderlich, damit nicht durch Neigungen des R u m p f e s , namentlich des Beckens, T ä u s c h u n g e n die Länge
der
hervorgebracht
u n t e r e n Extremität
werden.
Verschiebung
Will m a n z. B.
aus der E n t f e r n u n g des äusseren
Knöchels von dem vorderen oberen Darnibeinstachel erschliessen,
so
ergiebt sich eine sehr
je
nachdem
verschiedene
derselben E x t r e m i t ä t ,
das Becken stärker nach Rechts oder nach Links
m e h r nach der einen oder nach Uebersehen der Lehre
Länge
dieser
der anderen
einfachen Thatsache
von den Gelenkentzündungen
hat
geneigt,
Seite rotirt ist.
manche
Das
V e r w i r r u n g in
angerichtet.
Zur Bestimmung der Durchmesser einer Geschwulst,
eines
an-
12
Einleitung.
Diagnostik.
geschwollenen Gelenkes u. s. w. bedient man sich entweder des T a s t e r c i r k e l s mit dem Von B a u d e l o c q u e angebrachten Maaxsstabe (Compas (Tépaisseur) oder, um zwei Durchmesser auf einmal messen zu können, der Mayor'sehen Abänderung desselben Instrumentes, wie sie Fig. 12 und Fig. 13 abgebildet ist 1 )Fig. 1 2 .
Fig. 1 3 .
I
Centimeter Zoll
Das Feld der diagnostischen Untersuchungen mittelst des Gesichtssinnes ist in neuerer Zeit durch die Anwendung des M i k r o s k o p e s ebenso sehr in Betreff der chirurgischen, als der medicinischen Krankheiten erweitert worden. Die Untersuchungen des Eiters, der Harnsedimente, der Geschwülste sind für die chirurgische Diagnostik von der grössten Wichtigkeit und lassen noch beträchtliche Vervollkommnungen in Betreff mancher schwierigen Punkte erwarten. Nicht minder wichtig ist die Anwendung der c h e m i s c h e n Reag e n z i e n und der c h e m i s c h e n A n a l y s e . Ihre grosse praktische Bedeutung wird bei der Untersuchung der einzelnen krankhaften Secrete und Neubildungen, besonders bei Gelegenheit der Krankheiten der Blase, einleuchten. Schon das einfachste chemische Experiment, die Untersuchung mit dem Reagenzpapier, kann uns oft, indem wir durch das Eintauchen desselben von der sauren oder alkalischen Reaction des Harns Kenntniss erhalten, über die Natur der in ihm ge')
Die
angeblich
Handwerkern
von
Baudelocque
und Künstlern
und
Mayor
schon längst bekannt
herrührenden gewesen.
Erfindungen
sind
13
Gefühlssinn, Tastsinn.
bildeten Concretionen, über ihre wahrscheinliche Härte oder Zerbrechlichkeit u. dgl. m. die wichtigsten Aufschlüsse 8.
GefUhluinn,
Durch das Gefühl erkennen
wir
geben.
Tastsinn.
nicht blos die räumlichen
Ver-
hältnisse der T h e i l e , sondern auch ihre Temperatur, ihre Beweglichkeit, ihre Härte, ihre Elasticität u. s. w . , j a wir sind sogar im Stande, aus solchen
Wahrnehmungen
auf den
Inhalt von Geschwülsten
und
anderen Theilen mehr oder weniger sichere Schlüsse zu ziehen. Das Zufühlen, B e t a s t e n (Touchiren im weitesten S i n n e ) geschieht bald mit einein oder mehreren F i n g e r n , oder beiden Händen,
oder
bald mit
endlich auch mittelst
Sonden, Nadeln Bougies, Katheter u. s. w.
der ganzen Hand Instrumenten,
wie
Am Geeignetesten für das
Untersuchen ist der Zeigefinger, da e r , obwohl weniger beweglich als der Daumen, Finger
ihm
diesen doch an
Bewegungen nur
eines
Zeigefinger
an Länge
Beweglichkeit
nachstehen.
übertrifft, während die übrigen
und besonders auch an Sicherheit der
Kann oder will man sich zur Untersuchung
Fingers b e d i e n e n , und bedient
sich
so
wählt
man
daher gewöhnlich
den
statt seiner nur dann des fünften
Fin-
gers, wenn es sich um Canäle handelt, für welche j e n e r zu dick wäre. Fälle der letzteren Art sind nicht so ganz s e l t e n , und der Anfänger thut deshalb gut, auch den kleinen Finger zu üben. Es ist für den Operateur von der grössten Wichtigkeit, die G r e n zen
des
Beginn
Krankhaften
einer
vollendet werden kann. Theile,
deren
zu
kennen,
und
hieraus
Operation bestimmen zu k ö n n e n ,
ob
wo möglich
Oft aber niuss die Untersuchung der kranken
Ausdehnung
sich
bestimmen liess, w ä h r e n d
vorher
nur
mit
der O p e r a t i o n
Wahrscheinlichkeit
fortgesetzt
solchen Fällen gerade ist der Tastsinn
von der grössten
denn
des
gewöhnlich
wird
vor
und wie dieselbe
die Benutzung
werden;
in
Wichtigkeit,
Gesichtssinnes durch
das
überströmende Blut beeinträchtigt oder ganz gehindert. Die
Consistenz
kranker
Theile variirt von der Elfenbeinhärte
der Exostosen bis zu dem vollständigen Zerfliessen eines Organs. zwischen
liegt die
Consistenz
der
fibrösen
Geschwülste,
Da-
der Krebs-
knoten, der Abscesse in den verschiedenen Perioden ihrer Entwickelung, der Fettgeschwülste u. s. w. — Aufmerksamkeit und Uebung lässt alle diese Abstufungen der Consistenz durch das Gefühl erkennen. Die verschiedenen Grade der E l a s t i c i t ä t , entstandenen Anschwellungen keit fiir die Diagnostik.
beobachten,
welche
wir an acut
sind von grosser
So deutet eine beträchtliche
Wichtig-
Spannung
und
ein fester Widerstand, den der untersuchende Finger findet, auf Eilt-
14
Einleitung.
Diagnostik.
ziindung tieferer, fest umschlossener Gebilde. Besteht dabei eine reichliche Tränkung des Unterhautbindegewebes mit Blutwasser (Oedem), und finden die Finger daher, indem sie die Gewebe zuerst leicht eindrücken, in einer gewissen Tiefe einen bedeutenden Widerstand, so ist es wahrscheinlich, dass bereits Eiterung eingetreten ist; man kann sich dann zur künstlichen Entleerung des Eiters entschliessen, bevor man die sogleich zu schildernde Fluctuation gefühlt hat, was in vielen Fällen von der grössten Wichtigkeit ist. Auch die W e i c h h e i t mancher Geschwülste zeigt uns verschiedene Abstufungen; so sind Fettgeschwülste gewöhnlich ganz weich; manche fühlen sich a n , als wären sie mit Watte gefüllt. Die eigentliche Erweichung der Gewebe macht einen ganz anderen Eindruck, etwa in der Art, wie ein schlaffes Oedem, nur dass der Finger keinen Eindruck zurücklässt. In manchen Fällen ist es sehr wichtig, gerade diese beiden Krankheitszustände von einander zu unterscheiden; dann muss ein anderer Sinn aushelfen, und in der That liefert der Gesichtssinn in der Regel die Entscheidung. Der Tastsinn ist von grossem Werth, um den I n h a l t einer Geschwulst zu erkennen. Hier haben wir vor Allem die F l u c t u a t i o n (Schwappung) zu e r w ä h n e n , d. h. das Gefühl von Bewegung, oder Verschiebung, welches wir empfinden, wenn wir den Inhalt einer Flüssigkeit enthaltenden Geschwulst durch Anschlagen an ihre Wandungen in Bewegung setzen und die hierdurch hervorgebrachten Veränderungen (Wellenbewegungen) entweder mit derselben Hand, oder mit der gegenüber angelegten anderen Hand zu erforschen suchen. Während wir bei der Fluctuation den Inhalt der Geschwulst durch den Finger in Bewegung setzen, kann .anderer Seits auch der I n h a l t einer Geschwulst s e i n e B e w e g u n g d e m F i n g e r m i t t h e i l e n ; dies ist der Fall bei den Pulsadergeschwülsten. Man muss unterscheiden: die durch Bewegung des Inhalts bewirkte mehr oder weniger rhythmische Expansion, und die Bewegungen, welche von einer Ortsveränderung der ganzen Geschwulst herrühren. Im ersteren Falle wird der Finger e r h o b e n , gleichgültig, a u f w e i c h e n Theil der Geschwulst man ihn anlegt; umfasst man sie mit mehreren Fingern, so strebt die Bewegung des Inhaltes diese von einander zu entfernen: hier ist man sicher, es mit einer Pulsadergeschwulst zu thun zu haben. Im anderen Falle wird der Finger nur an einer bestimmten Stelle der Geschwulst oder beim Druck in einer bestimmten Richtung erhoben, die Bewegung hört wohl gar auf, wenn man die Geschwulst verschiebt; dann ist es klar, dass diese Bewegung nicht in der Geschwulst selbst veranlasst wurde, sie rührt von einer benachbarten Arterie her, welche die Geschwulst durch ihre Pulsation mitbewegte,
15
Gefüblssina, Tastsinn.
Die E n i p f i n d l i c h k e i t Betasten desselben g e p r ü f t .
eines Theils wird
ebenfalls d u r c h
das
Dies ist a b e r kein rein objectives Zeichen
und verliert d a h e r desto m e h r an Werth, j e weniger zuverlässig die Aeusserungen des Kranken sind,
lin Allgemeinen schliessen wir aus
einer grösseren Empfindlichkeit bei d e r B e r ü h r u n g auf K r a n k h e i t des b e r ü h r t e n Theils, auf L ä h m u n g .
bei v e r m i n d e r t e r
oder
erloschener
Empfindlichkeit
Es giebt S c h m e r z e n , welche d u r c h die B e r ü h r u n g nicht
vermehrt, s o n d e r n d u r c h Druck sogar b e r u h i g t w e r d e n k ö n n e n ; dies sind gewöhnlich sympathische S c h m e r z e n . im
Kniegelenk,
welche
beim
Druck
So d e u t e n z. B. Schmerzen
nicht
zunehmen,
mit
grosser
Wahrscheinlichkeit auf ein Leiden im Hüftgelenk, o d e r in dessen Umgebung. Endlich wird auch die T e m p e r a t u r das Gefühl erforscht.
der k r a n k e n Theile d u r c h
Man schliesst auf die A b n a h m e o d e r Z u n a h m e
einer E n t z ü n d u n g , je n a c h d e m der k r a n k e Theil eine geringere
oder
b e d e u t e n d e r e W ä r m e d e r z u f ü h l e n d e n Hand darbietet.
Beträchtliche
Verminderung
zumal wenn
der Temperatur
lässt Brand b e f ü r c h t e n ,
Verhältnisse, welche die E n t w i c k l u n g desselben begünstigen, v o r h a n d e n sind, z. B. nach der U n t e r b i n d u n g eines Arterienstammes. davon, dass man sich in solchen Fällen nicht legten Kräuterkissen
und
anderen
warmen
h ö h e r e T e m p e r a t u r darf t ä u s c h e n l a s s e n ,
durch
Abgesehen
die von a u f g e -
Substanzen
mitgetheilte
bleibt die E r f o r s c h u n g d e r
Temperatur mittelst des Gefühls doch immer etwas unsicher. g r ö s s e r e r Genauigkeit erhalten wir d u r c h A n w e n d u n g meters
Kenntniss
von
den T e m p e r a t u r v e r h ä l t n i s s e n
des des
Mit viel ThermoKörpers.
Ein bis auf Fünftel eines Grades eingetheiltes I n s t r u m e n t ist vollkommen ausreichend, um f ü r diagnostische Zwecke den e r w ü n s c h t e n Anhalt zu g e w ä h r e n .
Wir bedienen
uns
desselben nicht blos, u m
die
Steigerung oder V e r m i n d e r u n g der T e m p e r a t u r einzelner Körpertheile zu b e s t i m m e n , sondern auch um von den in Krankheiten s e h r e r h e b lichen S c h w a n k u n g e n d e r g e s a m m t e n K ö r p e r w ä r m e Kenntniss zu e r halten.
Hierbei
ist zunächst zu b e a c h t e n , dass d i e - K ö r p e r w ä r m e im
Ganzen zwischen 3 7 und 3 8 Grad d e r Centesimalscala s c h w a n k t und gegen Abend sowie nach meinen
etwas steigt.
A u f n a h m e von Nahrungsmitteln im Allge-
Uni b r a u c h b a r e
Resultate zu e r l a n g e n ,
man aber bei Bestimmung der T e m p e r a t u r eines e r k r a n k t e n
muss
Körper-
t e i l s stets die Vergleichung d e r gleichnamigen o d e r analogen g e s u n den
Theile desselben
Körpers vornehmen
u n d z u r B e s t i m m u n g der
gesammten K ö r p e r w ä r m e dieselbe Beobachtungsstelle (am Besten wohl die Achselhöhle) f ü r alle U n t e r s u c h u n g e n Unter
den I n s t r u m e n t e n ,
deren
wählen. wir u n s gleichsam als Ver-
Einleitung.
16
Diagnostik.
längerung unserer Finger beim Tasten bedienen, sind die Sonden und Katheter besonders zu erwähnen. S o n d e n , specilla, stylets, sind dünne, glatte, meist cylindrische Metallstäbchen, wie sie Fig. 1 4 , 15 und 16 abgebildet sind. Die längeren bestehen aus zwei zusammenschraubbaren Fig. 14. 15. 16. gtilcken, um sie bequemer in die Verbandtasche f 1 | stecken zu können. Letztere (Fig. 17) heissen | | auch Brustsonden oder Bauchsonden, obgleich j ; man heutzutage weder Brust- noch Bauchwunden ; zu sondiren pflegt. Befindet sich an dem einen Ende einer Sonde ein Oehr, so heisst sie O e h r I s o n d e ; dieselbe dient zum Durchführen von Fäden, Haarseilen u. s. w. Die H o h l s o n d e n (Fig. 18) bestehen aus einem verschieden gestalteten Handgriff und einem 1 0 — 1 6 Ctm. langen Halbcylinder, welcher zur Leitung der schneidenden Instrum- I mente beim Aufschlitzen von Gängen dient. Ihre , Rinne endet entweder offen, oder geschlossen; ® Fig. 18 auch kann die Spitze scharf sein, um sie in die Gewebe einzustossen (sondes ä panaris), was jedoch selten Vortheil gewährt. Die Kranken haben vor den „ S o n d e n " und dem „ S o n d i r e n " ( d . h . der Untersuchung mittelst der Sonden) gewöhnlich grosse Angst, weshalb es zweckmässig ist, sie weder zu nennen noch vor der Anwendung sehen zu lassen. Gewöhnlich sind die Sonden von Silber oder Stahl; nur für bestimmte Fälle braucht man solche aus Fischbein, Zinn, Blei und anderen elastischen oder biegsamen Substanzen. K a t h e t e r , sondes, — Röhren, gewöhnlich von Silber oder Neusilber (Argentan), oder auch aus einem mit Harzlösung getränkten Gewebe'), welche an dem einen Ende offen, an dem anderen geschlossen und abgerundet sind, in der Nähe des letzteren aber zwei seitliche Oeffnungen besitzen, sind bestimmt, aus den Höhlen des Körpers, besonders aber aus der Blase Flüssigkeiten abzulassen, oder auch zur Einführung von Flüssigkeiten und zur Untersuchung des Inneren der Blase zu dienen. Im w e i t e r e n Sinne gehören zu den Kathetern nicht blos die für die Blase be') Katheter und Sonden aus G u t t a aus zu verwerfen.
P e r c h a sind, ihrer ßriichigkeit wegen, durch-
Gefüblssinn,
stimmten,
sondern
Tastsinn.
auch diejenigen
f ü r die Tuba Eustachi!,
f ü r den
17
f ü r den
Canalis
Kehlkopf,
naso-lacrimalis,
ferner die
sogenannten
S c h l u n d s o n d e n , welche letztere immer elastisch sein müssen. W e i b l i c h e r K a t h e t e r (Fig. 19) heisst das etwa 1 6 C t m . Fig. 19. lange und 4 — 7 Millm. dicke, an seinem geschlossenen E n d e ( S c h n a b e l ) leicht g e k r ü m m t e u n d mit zwei einander s c h r ä g gegenüberstehenden
seitlichen
Oeffnungen
versehene
;> Q
Rohr,
dessen man sich f ü r das Ablassen des Harns und Untersuchen d e r Blase bei Weibern bedient.
Gewöhnlich
ist das offene
Ende dieses Katheters etwas trichterförmig erweitert und mit zwei seitlichen Ringen
versehen.
Dieses Katheters
bedient
man sich auch, um Eiter aus tiefliegenden Abcessen zu entleeren,
o d e r um das Innere
der
Nasenhöhle,
sinuöser W u n d e n und Geschwüre u. dgl. m. zu
den
Grund
untersuchen.
Der m ä n n l i c h e K a t h e t e r (Fig. 20) ist stärker g e k r ü m m t , um ein Dritttheil oder die Hälfte l ä n g e r , iin Uebri-
Fig. 2 0 .
gen aber ebenso beschaffen wie der weibliche. Uni den Katheter bequem in der Verbandtasche
Fig. 21.
u n t e r b r i n g e n zu können, wird er in drei Stücke zerlegt, durch deren Zusanmienfügung man bald einen
«TL
w
q
m ä n n l i c h e n , bald einen weiblichen Katheter herstellen kann.
Das f ü r beide
gemeinsame Stück
(der
S t i e l ) ist gerade, die beiden andern sind g e k r ü m m t ; das zur Herstellung des weiblichen Katheters nöthige Ansatzstück ( S c h n a b e l ) ist etwa 5 Ctm., das für den männlichen 13 Ctm. lang.
Werden Stiel und Schnabel
direct durch eine S c h r a u b e v e r b u n d e n , so muss man bei Seitenbewegungen ob auch
des' Instruments Acht
die S c h r a u b e
nicht locker w i r d ,
geben, und ein
d u r c h Bewegung der S c h r a u b e entstandenes Geräusch nicht etwa
(tir den
Blasensteins halten.
Beweis der Anwesenheit
eines
C h a r r i ò r e h a t deshalb an dei1
Verbindungsstelle eine Art Schloss
angebracht,
m a n es Fig. 21 angedeutet sieht.
Die Befestigung beider Stücke an
wie
e i n a n d e r bewirkt er durch einen zweiten, gleichfalls hohlen Stiel, d e r in dem
ersten
SchnabelstUck
(äusseren) eingreift.
steckt u n d Dadurch
mit
Schraubengängen
wird dein e r w ä h n t e n
in
das
Uebelstande
allerdings a b g e h o l f e n ; aber die aus einem Stück bestehenden Katheter behalten in Bezug auf Dauerhaftigkeit und Sicherheit doch den Vorzug vor den zerlegbaren.
In jedem Katheter steckt ein entsprechend
langer Draht (Mandrin), welcher bei den metallenen dazu dient, sich D a i J 0 11' b P 11 , C h i r u r g i e .
Aull.
1,
2
18
Einleitung.
Diagnostik.
von ihrer Durchgängigkeit zu Uberzeugen, bei den elastischen aber ihre Form und Biegung bestimmt. Wenn es schon von grosser Wichtigkeit war, das Speculum richtig zu handhaben, so ist das geschickte Einführen des Katheters für jeden Arzt geradezu unerlässlich. Mehr noch, als beim S p e c u l u m , ist hier jede Gewalt zu vermeiden; denn abgesehen von der Reizung des Canals, hat man hier noch die Verletzung (selbst Durchbohrung) seiner Wandungen und in Folge davon die Bildung „ f a l s c h e r W e g e " zu fürchten. Ausserdem ist für grösste Reinheit der Katheter zu sorgen, da nachgewiesen ist, dass Krankheiten durch dieselben übertragen werden können. Vgl. Bd. IV. Niemals führe man den Katheter oder auch nur eine Sonde ein, ohne dass die Nothwendigkeit, die Diagnose auf solche Weise zu sichern, wirklich vorliegt; niemals wiederhole man die Einführung öfter, als dringend erforderlich ist. Eine zu häufige Application des Katheters hat oft nicht blos eine Entzündung des Canals, durch welchen derselbe eingeführt wird, sondern auch der benachbarten, oder mit ihm in anatomischem oder physiologischem Zusammenhange stehenden Theile zur Folge, z. B. Hodenentzündung nach dem Einführen des Katheters in die Blase. Wo die Untersuchung mit den Fingern nicht ausreicht und Sonden, weil eine äussere Oeffnung fehlt, nicht eingeführt werden können, da gewährt die erst neuerdings, namentlich durch M i d d e l d o r p f ' ) in die Praxis eingeführte Untersuchung mittelst der A c u p u n c t u r n a d e l grosse Vortheile u n d , bei einiger Uebung, einen hohen Grad von Sicherheit. Man kann eine feine Nadel unbedenklich bis auf die Bruchstelle eines Knochens, in Cysten, selbst in Aneurysmen einstossen und mit der Nadel dann, wie mit einer Sonde, über das Bestehen einer Continuitätstrennung, über vorhandenen oder fehlenden Widerstand und demnach auch Uber das Bestehen einer Höhle, über Rauhigkeit oder Glätte Aufschluss erhalten. 3.
Gehörsinn.
Die Untersuchung mittelst des Ohres schliesst sich innig an diejenige durch den Tastsinn a n ; es giebt Geräusche, welche m a n , so paradox dies auch klingen m a g , mittelst des Gefühls wahrnimmt, so namentlich die rauhe Reibung, welche die Bruchstücke eines zerbrochenen Knochens gegen einander ausüben, die sogen. C r e p i t a t i o n . Dem Sprachgebrauch folgend, werden wir diese Erscheinungen von den übrigen Geräuschen nicht trennen. ' ) Vgl
dessen Aufsatz über A k i d o p e i r a s t i k ,
in U ü n s b u r g ' s
Archiv
1856.
19
Gehörsion.
Es ist b e k a n n t , wie grossen Nutzen die A n w e n d u n g des Gehörsinnes in der innern Auscultation
und
Medicin
wichtig ist dieser Sinn der auch
ihm
gewährt;
Percussion
die
für den W u n d a r z t ,
in so vielen
Organe der Brust und
Fällen
von denen
sich
von
Nicht
der
minder
w e l c h e r , abgesehen
notwendigen
des B a u c h e s ,
Fällen zu bedienen h a t ,
ganze Lehre
b e r u h t j a darauf.
von
Untersuchung
der
desselben noch in vielen
sogleich n ä h e r gesprochen
wer-
den soll. Unter dem Namen „ C r e p i t a t i o n " werden Geräusche z u s a m m e n gefasst, die im Einzelnen als K r a c h e n , zeichnet werden
Knarren,
Knistern
be-
könnten.
Die C r e p i t a t i o n am Bekanntesten.
bei K n o c h e n b r ü c h e n
ist u n t e r allen
Man kann sie an j e d e r L e i c h e ,
einen Knochen zerbrochen h a t ,
studiren;
diesen
der man
irgend
es ist ein r a u h e s ,
hartes
Beibcn, welches der u n t e r s u c h e n d e n Hand kleine Stösse initllieilt und f ü r das an
den
verletzten
Nähe gebrachte Ohr ein
Körpertheil
krachendes
kleine Bruchstücke v o r h a n d e n
angelegte oder
Geräusch
(Fractura
doch
erzeugt.
comminuta),
in
Sind
so
die viele
macht
es
den Eindruck, als w ü r d e n Nüsse in einem Sack hin- und hergeschoben. Eine C r e p i t a t i o n oder
Abnutzung
Knochen
der
gegen einander
anderer Art entsteht, w e n n n a c h
Ablösung
Gelenkknorpel
die
gerieben
diese ist weniger
werden;
Gelenk-Enden
der rauh,
feiner, u n g e f ä h r so, wie wenn man Porzellanscherben an e i n a n d e r reibt. Eine C r e p i t a t i o n
wie beim Biegen
entsteht, wenn G e s c h w ü l s t e , Knochens Blatt
sich entwickelten,
zerstört
haben;
von trockenem
Pergament
die u n t e r h a l b oder i n n e r h a l b denselben
so z. B. beim
bis
auf
sogenannten
matiis, bei Geschwülsten in der Kieferhöhle u. s. w.
ein
eines
dünnes
Fungus
durae
Diese Crepitation
verschwindet, sobald die d ü n n e Knochenlamelle, von deren Bewegungen sie h e r r ü h r t , durch wiederholte Untersuchungen oder durch die weitere Entwlckelung der Geschwulsl d u r c h b r o c h e n worden ist. Die e i g e n t ü m l i c h e C r e p i t a t i o n
des E m p h y s e m s
(d. h. einer
Luftansaimnlung im Bindegewebe) ist sehr leicht zu e r k e n n e n ; sie ist feiner und s a n f t e r , als die v o r h e r g e h e n d e .
Der Anfänger kann sich
leicht eine Vorstellung davon verschaffen, wenn er die von den Fleischern aufgeblasenen Kälber u n t e r s u c h t . Eine C r e p i t a t i o n , wie beim Drücken eines Schneeballes beobachtet m a n n a c h der Gelenke
heftigen Contusionen,
Dieselbe
scheint
auf
besonders in der Gegend
dem Zerdrücken
der
aus
dem
e x t r a v a s a l e n Blute gebildeten Gerinnsel zu b e r u h e n . Eine ähnliche ( K r e p i t a t i o n ,
welche V e l p e a u
mit dem Knirschen 2*
20
Einleitung.
Diagnostik.
des-zwischen den Fingern gedrückten S t ä r k e m e h l s vergleicht, findet sich in e n t z ü n d e t e n S e h n e n s c h e i d e n , wenn man sie, während der Kranke die zugehörigen Muskeln bewegt, mit darauf gelegtem Finger untersucht, — am Häufigsten an der Dorsalseite des unteren Endes des Vorderarms, in den grossen Sehnenscheiden der Fingerstrecker (Tenosinitis crepitans). Eine andere Art von Crepitation ist in den Sehnenscheiden beobachtet worden, wenn bewegliche Körperchen (Corpora orvzoidea) sich in ihnen gebildet und angehäuft haben. D u p u y t r e n verglich dies Geräusch mit der Empfindung, welche eine Kelte aus kleinen Ringen in einem Beutel von weichem Leder dem zufiihlcnden Finger veranlassen würde. Ein eigenthiimliches Geräusch, eine Art von K l a p p e r n , haben B o y e r und D u p u y t r e n bei der Anwesenheit beweglicher f r e m d e r K ö r p e r in der L u f t r ö h r e beobachtet, welches mit der auf die vordere Seitg des Halses aufgelegten Hand wahrgenommen wurde. Ein p f e i f e n d e s G e r ä u s c h hört man in Pulsadergeschwülsten, ferner bei dem plötzlichen Ein- und Austreten von Luft durch eine enge Oeffnung, so z. B. in dem Augenblick, wo ein unglücklicher Schnitt bei der Operation eines eingeklemmten Bruches den Darm verletzt, bei Verwundungen der Respirationsorgane, auch der Sinus frontales. Reim Eintritt von Luft in die Venen soll gleichfalls ein pfeifendes Geräusch gehört werden. S c h n u r r e n d e , b r a u s e n d e oder dem Blasebalggeräusche des Herzens ähnliche G e r ä u s c h e beobachtet man in Pulsadergeschwülsten und in anderen krankhaften Gebilden, welche sehr gefässreich sind, besonders wenn der Kreislauf etwas beschleunigt ist. Ein K u l l e r n , G u r r e n oder K l u c k e r n vernimmt man in Geschwülsten, welche Luft und Flüssigkeit zugleich enthalten. So z. B. in Darmbrüchen, in Eiterherden, die mit dem Darmcanal zusammenhängen, in grossen geöffneten Abscessen, in welche von Aussen Luft eingedrungen ist, in letzteren natürlich nur bei Bewegungen, die dem Inhalte des Abscesses von Aussen mitgetheilt werden. Ein Gluckgluckgeräusch soll, nach B l a n d i n , in dem Augenblicke, wo Luft in eine Vene eindringt, vernommen werden. Alle vorstehend erwähnten Geräusche werden wahrgenommen, indem man entweder das Ohr dem zu untersuchenden Theile entsprechend nähert, oder bald direct, bald mittelst des Stethoscops anlegt, oder aber indem man die Finger sanft drückend auflegt, oder endlich, indem man während der Untersuchung Bewegungen des zu untersuchenden Theils vornimmt oder vornehmen lässt. Eine andere
Gehörsioo.
21
Reihe von Geräuschen (oder Tönen) entsteht durch A n s c h l a g e n a n d e n zu u n t e r s u c h e n d e n T h e i l . Hierher gehören nicht blos jene mannigfaltigen Arten des Schalles, welche aus der Lehre von der P e r c u s s i o u im e n g e r e n S i n n e als bekannt vorausgesetzt werden, sondern auch die Geräusche, welche beim Auftreft'en der Steinsonde auf einen Blasenstein oder der gewöhnlichen Sonde auf einen entblössten Knochen oder eine Kugel wahrgenommen werden. Alle diese sind von grosser Wichtigkeit und gestatten ineistentheils auch sehr sichere Schlüsse. Nur hüte man sich auch hier, negativen Resultaten ein grosses Gewicht beizulegen. Kin Fistelgang kann zu einem Knochen führen, ohne dass wir (seines gekrümmten Verlaufs wegen) im Stande sind, den Knochen mil der Sonde zu erreichen; ein Blasenstein kann eingekapselt liegen, so dass die Sonde nicht unmittelbar an ihn anschlägt u. dgl. in. Anderer Seits kann freilich auch die Verwechselung einer Exostose im Becken oder einer Callositäl der Blasenwandungen (sogen, vessie ä colonnes) oder gar harter Fäces mit einem Blasensteine ausnahmsweise Statt finden. Man hat, um in letzterer Beziehung zu einem sicheren Resultate zu gelangen, anempfohlen, Wasser oder auch Luft in die Blase einzuspritzen, indem alsdann durch das Anstossen der Sonde an den Stein ein heller und deutlicherer Ton entsteht. Aber diese lnjectionen sind schmerzhaft und besonders die von Luft gefährlich, wegen der leicht darauf folgenden Cystitis; denn dieselbe Blase, welche so lange Zeit die Anwesenheit eines Steins duldete, erträgt, merkwürdiger Weise, Reize anderer Art, selbst wenn sie viel milder sind, nicht ebenso gut Dagegen kann man durch Anschrauben einer als Resonanzboden wirkenden Holzplatte (Percussionsplatte, Resonator, nach B r o o k e ) den Schall, welchen die an einen festen Körper anschlagende Sonde erzeugt, in ganz ungefährlicher Weise sehr erheblich verstärken, was nicht blos zur Befestigung der Diagnose, sondern auch zur Demonstration bei blos liegenden Knochen, bei Blasensteinen u. dgl. m. von grossem Werth ist. Bei der Percussion eines Üarmbruches hört man einen tympanitischen Schall; dabei kann man aber leicht durch die Resonanz der in der Bauchhöhle liegenden Gedärme getäuscht werden, wenn man nicht letztere durch die oberhalb der Bruchgeschwulst fest angesetzte Hand eines Gehülfen ausschliesst. Auch die S p r a c h e des Kranken ist für den Chirurgen von nicht minder grosser Bedeutung als für den Arzt, insbesondere kommen hier die Krankheiten der Nasenhöhle, des harten und weichen Gaumens, der Mandeln und des Schlundes in Betracht. Die Mehrzahl der vorerwähnten Geräusche werden nicht blos von
72
Einleitung.
Diagnostik.
dem Arzte, sondern auch von dem Kranken selbst vernommen; manche andere Geräusche sind nur dem letzteren vernehmbar. Hierher gehört das sogen. G e r ä u s c h d e s g e s p r u n g e n e n T o p f e s im Augenblick mancher Schädelverletzung; der P e i t s c h e n k n a l l bei der Zerreissung des Musculus plantaris; ferner das K r a c h e n bei der Zerreissung stärkerer Sehnen und Bänder, ein e i g e n t ü m l i c h e s Geräusch beim Schlucken, wenn eine Verletzung des Oesophagus besteht. Viele dieser Geräusche, insbesondere das des g e s p r u n g e n e n T o p f e s , sind nicht sehr sicher verbürgt. Ein Verunglückter hat in dem Augenblick der Verletzung in der That auf ganz andere Dinge zu achten, als auf ein solches Geräusch. Das Geräusch bei Zerreissung grösserer Sehnen und Bänder kann gewiss nicht blos von dem Verletzten, sondern auch von den Umstehenden wahrgenommen werden, eben so gut, wie man das Krachen bei dem Durchschneiden gespannter Sehnen (Tenotomie) und beim Zerreissen der fibrösen Stränge hört, welche bei der Ope ration der Ankylose gewöhnlich zerrissen werden. 4.
fieruchssinn.
Geübte medicinische Nasen riechen die Masern; in gleicher Weise soll der Chirurg den Hospitalbrand, eine Rothfistel, eine Harnfistel, einen Jaucheherd u. dgl. m. vermittelst des Geruchssinns erkennen können. Unzweifelhaft kann man, bei einiger Lebung und Aufmerksamkeit, die Producte der Zersetzung animalischer Substanzen, namentlich also faulenden Harn, Excremente, zersetzten Eiter und leichter noch Jauche durch diesen Sinn entdecken und daraus wichtige Schlüsse für die Diagnose ziehen. Aber bestimmte Beschreibungen und Anweisungen lassen sich darüber nicht geben. Es kommt auf individuelle Schärfe des Geruchssinns und individuelle Uebung an. Der b e r ü h m t e P e t i t ein
erzahlt, dass er einmal enges Z i m m e r
trat,
auf e i n e r R e i s e , i n d e m er
des P f e r d e w e c h s e l s
in
unter
den
Räume vermischten
unangenehmen Gerüchen, den des Grandes
seine Nase geleitet, hioter einem Vorhang einen Kranken brandigen
Bruche
sprechenden
litt.
Er machte
Anordnungen
Gerüche P e t i t ' s
sogleich
seine Rettung zu
unterschied,
diesem
und
durch
entdeckte, welcher an
einem
den gehörigen Verband
für die weitere Behandlung.
wahrend
v e r s c h i e d e n e n , in
Der Kranke
u n d t r a f die hatte
dein
ent guten
danken.
Was den Fäcalgeruch betrifft, so hat man aus der Anwesenheit desselben bei Abscessen und Geschwüren in der Umgegend des Afters oder in der Nachbarschaft des Blinddarms nicht immer auf einen Zusammenhang mit dem Darrne zu schliessen. Der Eiter in den Abscessen und Geschwüren dieser Gegend kann, in Folge der zwischen ihm und dem Darmgase stattfindenden Diffusion, auch ohne offene Communication einen solchen Geruch annehmen.
23
Diagnostik. 5.
Obgleich J. L. P e t i t fistel
ausfliessenden
QeschmacHstlnn.
an d e m Geschmacke der aus einer Bauch-
Flüssigkeit
erkannt h a t ,
dass es sich um eine
Gallenfistel handelte, obgleich ferner V a l s a l v a gekostet
und
sehr
herbe schmeckend
brandige
befunden
haben
Substanzen soll;
so hat
doch der Gebrauch dieses Sinnes in der Chirurgie keine ausgedehntere A n w e n d u n g gefunden.
Die Resultate, welche man durch densel-
ben etwa erhalten könnte, w ü r d e n auch hinter denen, welche uns die chemische Untersuchung liefert, s o weit zurückstehen, dass von einem Vergleich gar nicht die Rede sein könnte.
II. Die nicht
Von den diagnostischen Schlüssen. welche wir durch die Sinne erhalten,
Belehrungen,
sofort
oft eine
die Diagnose;
lange
gelangen.
Reihe
von
liefern
es gehört eine reifliche L'eberlegung und Schlüssen d a z u ,
um zu
diesem
Ziele zu
Mit Rcchl hat s c h o n J. L. P e t i t bemerkt, dass die Gabe
scharf
und
derlich
ist,
richtig um
zu combiniren und Analogien aufzufassen, erfor-
in der Diagnostik den richtigen Weg zu gehen
und
das Rechte von dem Scheinbaren, w e l c h e s so oft in der täuschendsten Form auftritt, zu unterscheiden.
Nicht die Uebung
ist das Ziel diagnostischer Studien. tung als
der
einzelnen
sehr
relativ.
Ueberdies
objectiven Symptome So
bei genauerer
ist z. B. die Crepitation
Knochenbrüche gewiss
der Sinne allein
zeigt sich die BedeuBetrachtung
für die Diagnose der
ein Zeichen von h o h e m Werthe; aber es ge-
winnt an Bedeutung, wenn
gleichzeitig eine Verkürzung
des
Gliedes
besteht, und jede Täuschung wird unmöglich, wenn diese Verkürzung sich
durch Zug
schnell
wieder
leicht heben
lässt,
beim
eintritt,
wenn
endlich
und
Aufhören diese
des Zuges aber
Verkürzung
nach
einem Fall oder Schlag plötzlich eingetreten ist. Die sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen der Krankheiten (die objectiven anderen
Symptome)
mehr
oder
machen
weniger
die A n n a h m e
wahrscheinlich;
der aber
Mehrzahl der Fälle sollte der Chirurg seine Diagnose vollkommen
sicher
halten,
wenn
er,
so wie
einen oder der in der erst
grossen dann für
der Arzt bei inneren
Krankheiten, auch die gehörige Rücksicht auf die s u b j e c t i v e n ptome, ferner auf die U r s a c h e n stattgefundene B e h a n d l u n g kenexamen h o b e n hat.
angestellt,
Sym-
den V e r l a u f und die etwa schon
g e n o m m e n , d. h. ein gründliches Kran-
namentlich
die
Anamnese
gehörig
er-
24
Eioleitung.
Der
Zustand der V e r d a u u n g , des Kreislaufes, der Nerven- und
Muskelthätigkeit, die Beschaffenheit der S e c r e t e , die Haltung u. s. w., alles Dies muss in E r w ä g u n g gezogen werden, um die Diagnose von allen Seiten her aufzuhellen. Zuweilen fehlt dasjenige Zeichen, an welchem die Krankheit am leichtesten, o d e r am sichersten zu erkennen ist, das nische Zeichen.
pathognomo-
Bei Anwesenheit eines Abscesses z. B. lässt sich
nicht i m m e r Fluctuation zur W a h r n e h m u n g b r i n g e n ;
die Dicke
und
Festigkeit der den Eiter bedeckenden Theile, eine zu geringe Menge a n g e s a m m e l t e r Flüssigkeit, oder eine zu starke Prallheit d e r W a n d u n gen des Abscesses, wenn er mit Eiter gleichsam überfüllt ist, eine zu dicke Consistenz des letzteren, — dies Alles kann das W a h r n e h m e n der Fluctuation unmöglich m a c h e n ; dann hat d e r W u n d a r z t nach anderen örtlichen und allgemeinen Erscheinungen zu s u c h e n , welche mit dem Auftreten der Eiterung z u s a m m e n h ä n g e n :
klopfende Schmcrzen,
Oedem in der Umgegend, m e h r oder weniger heftige F r o s t s c h a u e r , die eigenlhümliche Gestalt der Geschwulst, das Vorhergehen der Symptome der
Entzündung,
der Sitz derselben und die Zeit, welche seit dem
Beginn d e r Krankheit verflossen ist, dies Alles wird zusammengefasst w e r d e n müssen, um das pathognomonische Zeichen zu ersetzen. Zuweilen d ü r f e n wir nach den palhognomonischen Zeichen einer chirurgischen
Krankheit
gar nicht forschen, weil eine solche Unter-
s u c h u n g Gefahren bedingt. lich
So wäre z. B. das sicherste und eigent-
p a t h o g n o m o n i s c h e Zeichen einer bis in die B r u s t h ö h l e ,
die B a u c h h ö h l e , o d e r in
das Innere
eines Gelenkes
S t i c h w u n d e die Möglichkeit mit dem Finger,
oder in
eindringenden
oder der S o n d e in die
gedachten Höhlen e i n z u d r i n g e n ; aber ein solches Einführen d e r S o n d e würde die Gefahr der gedachten Vrrlelzungen so bedeutend e r h ö h e n , dass es oft besser ist, auf dies Zeichen zu verzichten. Um eine Diagnose zu stellen; bieten sich dem W u n d a r z t e ,
wie
dem Arzte, zwei Wege d a r : auf dem einen beabsichtigt m a n geradezu zu g e h e n ; auf dem a n d e r e n v e r f a h r t man durch Im
ersten
Ausschliessung.
Falle lässt m a n sich von einem auffallenden Sym-
ptome leiten, man g r ü n d e t auf dies eine Zeichen ein Yoritrtheil ü b e r die
zu
erkennende
Zeichen, auf diese
um
Krankheit;
sucht
Weise • oft sehr schnell zum
U n t e r s u c h u n g e n aber ein j e n e r sultat,
man
diese vorgefasste Meinung
so lässt
ersten
alsdann
nach
zu befestigen Ziele.
anderen
und
gelangt
Liefern die weiteren
Ansicht w i d e r s p r e c h e n d e s R e -
man dieselbe fallen und bildet nach dem
chendsten der bei d e r ferneren Untersuchung
hervorste-
a u f g e f u n d e n e n Zeichen
Diagoostik. eine
neue,
auf gleiche Weise
weiter
25 zu
p r ü f e n d e Diagnose;
oder
aber man verlässt diesen Weg g a n z , um auf dem zweiten zum Ziele zu g e l a n g e n . Das Verfahren d u r c h A u s s c h l i e s s u n g findet
in folgender Weise Statt.
deren Symptome
mit
den
eine Diagnose zu bilden,
Man lässt zuerst die Krankheiten,
im vorliegenden
Falle b e o b a c h t e t e n ,
ganz entfernte Aehnlichkeit
darbieten,
gänzlich
hei Seite;
gleicht diejenigen g e n a u e r ,
welche eine grössere
man
nur ver-
Uebereinstimmung
zeigen, u n d gelangt in dieser Weise, eine G r u p p e und eine Art nach der a n d e r e n a u s s c h e i d e n d , zu d e r j e n i g e n , welche die vollkommenste Uebereinstimmung darbietet, als welche man also den vorliegenden Fall erkennen zu müssen glaubt.
Dies Verfahren
setzl
natürlich
voraus,
dass der W u n d a r z t mit den Erscheinungen aller Krankheiten, welche in den einzelnen Gegenden des Körpers auftreten können, vertraut
sei.
So giebt
es z. B. in
der
vollkommen
Inguinalgcgend eine grosse
Menge von G e s c h w ü l s t e n ; hier könnte es einem nicht mit allen diesen gehörig bekannten W u n d a r z t e b e g e g n e n , dass er zwar wohl aussagen könnte, es sei die vorliegende Geschwulst weder ein ß u b o , noch eine Hernie, noch ein Aneurysma, noch ein Varix, ohne aber angeben zu k ö n n e n , welcher Natur diese Geschwulst wirklich .ist. Viel b e o b a c h t e n , achten,
wiederholt beobachten und gut beob-
v i e l l e s e n und g e n a u
lesen,
das sind die wesentlichen
Quellen, aus denen, bei gehörigen anatomischen und physiologischen Vorkenntnissen, eine richtige und sichere Erkenntniss der Krankheiten fliesst.
Nichts destoweniger
hat man sich oft g e i r r t , irrt sich noch
h e u t e u n d wird sich noch oft irren.
Die Chirurgie könnte ebensogut
als die M e d i a n eine lange Liste e n t f a l t e n , w e n n und S c h w ä c h e n aufzählen wollte.
sie ihre l r r t h ü m e r
Täuschungen der Sinne, Vorurtheile,
L e i d e n s c h a f t e n , falsche Schlüsse, Unwissenheit, P a r t e i l i c h k e i t , eilung
finden sich bei den Chirurgen
Menschen.
A. B e r a r d
ebensogut,
wie bei
Leberanderen
erhielt bei einem Concurse die m ü h s a m e Auf-
g a b e , eine Aufzählung von Irrthüinern aus dem Bereich der chirurgischen Diagnostik zu liefern; in 10 Tagen hatte er deren bereits 2 6 7 a u f g e f u n d e n , die eine gewisse Berühmtheit erlangt h a b e n ' ) . cher S u m m e wäre man g e k o m m e n , wenn man
länger
Zu wel-
nachgeforscht
und a u c h diejenigen hätte e r w ä h n e n k ö n n e n , welche nicht veröffentlicht w o r d e n ' ) A. B e r a r d ,
sind! Du d i a g n o s t i c d a n s les m a l a d i e s c h i r u r g i c a l e s , t h è s e de
concours.
26
Einleitung.
B. Von den der Chirurgie eigentümlichen Heilmitteln. (Allgemeine
Akiurgle.)
I. Von den c h i r u r g i s c h e n Operationen im Allgemeinen. Eine chirurgische Operation ist eine bald plötzliche, bald länger dauernde mechanische oder chemische Einwirkung auf den Körper, in der Absicht, eine Krankheit zu heilen oder zu verhüten. Hierbei werden die V e r b ä n d e unter den Operationen im weiteren Sinne mit begriffen. Im engeren Sinne nennt man chirurgische Operationen solche Einwirkungen, die durch Vermittlung einer absichtlichen Verwundung (daher auch „blutige Operationen") oder durch Vermittlung eines eingeführten fremden Körpers (Zangen, Katheter) für den beabsichtigten Heilzweck nützlich werden sollen. Man nennt die einfachen Operationen, aus deren Cornbination alle übrigen hervorgehen, E l e i n e n t a r o p e r a t i o n e n . Diese haben zum Zweck: 1) zu t r e n n e n (Diaeresis); oder 2) zu v e r e i n i g e n (Synthesis); oder 3) etwas a u s z u z i e h e n (Exaeresis); oder 4) etwas a n z u f ü g e n (Prothesis). So trennt man z. B. die verwachsenen Lippen; man vereinigt eine Wunde, oder eine Hasenscharte; man zieht eine Kugel a u s , die in der Wunde stecken geblieben ist; man setzt eine künstliche Nase an die Stelle der verloren gegangenen. Verschiedene Schriftsteller haben die Zahl dieser Elementaroperationen vermehrt oder verringert. Der Naine „Elementaroperation" ist insofern begründet, als alle Operationen sich auf diese zurückführen lasseu. Selbst die genialsten Operationen, vor denen der Laie staunt und erschrickt, bestehen in der That gewöhnlich nur aus Diaeresis, d. h. Einschnitten, und Synthesis, d. h. Nähten. Operations-Methoden nnd
Operations-Verfahren.
Man unternimmt eine Operation, um eine Indication zu erfüllen. So wird z. B. eine Pulsader unterbunden, um den Zutritt des Blutes zu einer mit ihr communicirenden Geschwulst (Aneurysma) zu unter-
I.
Von den c h i r u r g i s c h e n O p e r a t i o n e n
im
Allgemeinen.
27
brechen. Um diese Indication zu erfüllen, kann die Unterbindung aber an verschiedenen Stellen ausgeführt werden: dicht oberhalb des Aneurysma, oder weiter entfernt von demselben gegen das Herz hin, oder dicht unterhalb (am peripherischen Ende) der Geschwulst, oder dicht oberhalb u n d dicht unterhalb derselben zugleich. Diese verschiedenen Unterbindungsstellen geben der Operation einen so wesentlich verschiedenen Charakter, dass man danach eben so viele M e t h o d e n unterscheidet. Die Aufsuchung der zu unterbindenden Ader, die Art und Weise, in welcher sie von den benachbarten Theilen isolirt wird, und endlich der Act der Unterbindung selbst bietet wiederum Variationen dar, die von untergeordneter Bedeutung sind und zur Unterscheidung verschiedener O p e r a t i o n s - V e r f a h r e n Veranlassung geben. Um einen für die Existenz des ganzen Körpers gefährlichen Theil einer Extremität zu entfernen, durchschneidet man die Weichtheile und durchsägt den Knochen: man amputirt. Die Weichtheile müssen in solcher Weise durchschnitten werden, dass nach Vollendung der Operation das durchsägte Knochen-Ende nicht hervorragt. Diesen Anforderungen lässt sich in verschiedener Weise genügen, indem man bald einen oder zwei grosse Haut- oder Eleischlappen ausschneidet, durch deren Uniklappen und Zusammenlegen der Knochenstumpf gedeckt wird, bald durch mehrfache Cirkelschnitte eine trichterförmige Wunde darstellt, in deren Tiefe die Sägefläche des Knochens versteckt liegt. Danach unterscheidet man den Lappenschnitt und den Cirkelschnitt als verschiedene A m p u t a t i o n s - M e t h o d e n . Die Bildung der Lappen geschieht aber entweder durch einen von Aussen nach Innen geführten Einschnitt, oder in umgekehrter Richtung, indem man ein langes spitzes Messer neben dem Knochen durch die ganze Dicke des Gliedes hindurchstösst und dann gegen die Peripherie hin mit langen Zügen die Weichtheile durchschneidet. Danach unterscheidet man verschiedene V e r f a h r e n der Lappenbildung. Aehnlich verhält es sich beim Cirkelschnitl, ähnlich überhaupt bei fast jeder Operation. Im Allgemeinen ist also die M e t h o d e immer als das Höhere, Bedeutendere und Wesentliche zu b e t r a c h t e n ; die Verschiedenheit der V e r f a h r e n beruht oft nur in der grösseren oder geringeren Schwierigkeit der Ausführung, zuweilen sogar auf individueller Vorliebe. Das Genie schafft Methoden; die Verfahren haben gewöhnlich nur dem Talent, oder gar oft dem halben Talent ihren Ursprung zu verdanken; denn die Benennung „Verfahren" ist so gernissbraucht worden, dass die unbedeutendsten Modificationen mit diesem Namen beehrt worden sind.
28
Einleitnng. Begelmiiaglge O p e r a t i o n e n . Die
Methoden
und V e r f a h r e n ,
e r p r o b t sind, finden
w e l c h e theoretisch und
praktisch
Aufnahme im G e b i e t e u n s e r e r Wissenschaft
dienen dem A n f ä n g e r zur R i c h t s c h n u r .
S i e beziehen sich
und
wesentlich
a u f d i e j e n i g e n O p e r a t i o n e n , deren Plan v o r h e r entworfen werden k a n n , und bei Diese
denen
sich
Operationen
gewöhnlich
selten
etwas
nennt
man
in g e s u n d e n 'l'heilen.
die U n t e r b i n d u n g
der
spielen
nicht
diejenigen
welche
w e r d e n , und zuweilen treten Weg,
welche
genannte
seine
hat
leitende
werden k a n n . arzte
ein
drängt
So
weder die
in den
sogleich beseitigen muss.
durch
die
grossen
Die
Fortschritte
sehr verloren.
Dagegen
der
fehlen
für die Exstirpation vieler G e s c h w ü l s t e , Begrenzung
in der Tiefe nicht genau
be-
erkannt
Hierbei hört oft s o g a r die Anatomie auf, dem W u n d -
Leitstern
und
Bruches
dem W u n d ä r z t e Schwierigkeiten
jedoch
Regeln
s o n d e r s s o l c h e r , deren
Opera-
i m m e r mit voller Bestimmtheit e r k a n n t
Geistesgegenwart
Operation
von
die Hauptrolle.
e i n e s eingeklemmten
Anatomie an i h r e r U n r e g e l m ä s s i g k e i t speciell
Ereignisse
die Amputation
Classe
die G e s c h w u l s t umhüllen, noch auch
im V o r a u s
sie
Zu dieser Kategorie gehören z. B .
vorherzusehende
Gebilde,
ereignet.
man verrichtet
Bei e i n e r anderen
k ö n n e n z. B . bei d e r Operation in ihr enthaltenen
Vorherzusehendes
Arterien in i h r e r C o n t i n u i t ä t ,
der Glieder, der S t e i n s c h n i t t . tionen
nicht
regelmässige;
haben
zu s e i n ; ihre
normale Beweglichkeit
denn
normale
durchaus
die Gebilde sind v e r s c h o b e n , Gestalt
und
Lage,
oft
auch
verihre
eingebiisst.
S o l c h e n S c h w i e r i g k e i t e n g e g e n ü b e r wird der b e s o n n e n e Arzt erst reiflich alle V e r h ä l t n i s s e ü b e r l e g e n , b e v o r er das Messer ergreift, und e r wird b e s s e r t h u n , O p e r a t i o n e n der Art,
sofern sie nicht
dringend
nothwendig sind, ganz zu u n t e r l a s s e n , wenn nicht Untersuchungen an der L e i c h e
und
eine h i n r e i c h e n d e U e b u n g im Operiren seinen
vorher b e g r ü n d e t h a b e n .
„In
certis fortiter, in dubiis
Muth
prudenter."
W a h l des Orte» und der Z e l t für die Operation ( O r t und Z e l t der W a h l ) . Bei vielen Operationen kann der W u n d a r z t die Stelle, an w e l c h e r e r sie
machen
gewissen
will,
wenn
Bezirk a u s w ä h l e n ;
bei der U n t e r b i n d u n g
auch
nicht ganz f r e i ,
so doch in
so z. B . bei den meisten
der Arterien in i h r e r Continuität.
rung hat für s o l c h e F ä l l e b e s t i m m t e Stellen sanctionirt, diese dann mit dem N a m e n : . , O r l
der
einem
Amputationen, Die
Erfah-
und m a n hat
W a h l " bezeichnet.
kann a b e r dieser „ O i l der W a h l " , j e nach dem S t a n d e der
Natürlich Wissen-
I.
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
schaft wechseln.
Operationen
im A l l g e m e i n e n .
S o w a r z. B. f r ü h e r die g e w ö h n l i c h e
29
Amputations-
stelle a m U n t e r s c h e n k e l , a u c h in d e n j e n i g e n F ä l l e n , w o e i g e n t l i c h
nur
d e r F u s s e n t f e r n t w e r d e n sollte, d a s o b e r e Dritttheil d e s U n t e r s c h e n k e l s . Jetzt a m p u t i r t m a n
in d e r G e g e n d d e r K n ö c h e l ( S y m e ) ,
w e n n kein
G r u n d v o r l i e g t e i n e n Theil d e s U n t e r s c h e n k e l s s e l b s t f o r t z u n e h m e n . Natürlich
kann
von einer W a h l des Ortes nicht
die R e d e sein,
w e n n die K r a n k h e i t d e n O p e r a t i o n s p l a t z s e l b s t v o r s c h r e i b t , so n a m e n t lich bei
der
Exstirpation
von
Geschwülsten.
Man n e n n t dies w o h l
auch „ O r t d e s Z w a n g e s " , o d e r b e s s e r „ Z w a n g d e s Bei vielen O p e r a t i o n e n k a n n m a n die Z e i t nicht
wählen;
sie d u l d e n
keinen Aufschub.
Ortes".
zu i h r e r A u s f ü h r u n g
So z. B. m u s s bei
der
V e r l e t z u n g e i n e r g r o s s e n P u l s a d e r d i e s e l b e sogleich v e r s c h l o s s e n w e r den;
Iremde
Körper
in
den
Luftwegen
w e r d e n ; auch die Bruchoperation Das sind
dringende
nicht gleich g r o s s ;
Operationen.
Bei e i n e r a n d e r n die
Die
Dringlichkeit
derselben
Classe von O p e r a t i o n e n s t e h t es d e m W u n d a r z t e
a l l g e m e i n e r a u s g e d r ü c k t , die Z e i t ,
in
Das F r ü h j a h r ,
gewählt.
oder
w e l c h e r m a n die b e s t ä n d i g s t e ,
w a r m e , j e d o c h n i c h t allzuheisse W i t t e r u n g e r w a r t e n k a n n , gern
ist
Bruche.
Zeit zu i h r e r A u s f ü h r u n g zu w ä h l e n .
zugsweise
entfernt
so z. B. bei e i n e r A r t e r i e n Verletzung g r ö s s e r , als
bei e i n e m e i n g e k l e m m t e n frei,
müssen schleunigst
g e h ö r t fast i m m e r in diese K a t e g o r i e .
Herrschen
Krankheiten,
von
wird
vor-
denen
Ver-
w u n d e t e b e s o n d e r s leicht b e f a l l e n w e r d e n , wie R o t h l a u f , L y m p h g e f ä s s entzündung,
Hospitalbrand
dringend n o t w e n d i g e n ein
operativer
u. dgl. in.,
m a n alle n i c h t
Eingriff u n v e r m e i d l i c h ist, in m ö g l i c h s t g ü n s t i g e
hältnisse, n a m e n t l i c h in reine L u f t zu Nothwendlge Operationen. Die
so v e r m e i d e t
O p e r a t i o n e n u n d s u c h t die K r a n k e n , bei d e n e n
gewöhnliche
Ansicht
der
Ver-
versetzen.
Nützliche Operationen. Nichtärzte ist, d a s s d i e
Operation
i m m e r n u r „ d e r letzte V e r s u c h " sei, u n d d a s s m a n zu i h r s e i n e Z u flucht erst sind.
dann
nehmen
sollte,
Abgesehen
davon,
dass
solchen
Heilplanes
gewöhnlich
wenn
der sehr
alle a n d e r e n Mittel e r s c h ö p f t
Kranke
bei
der Befolgung eines
viel Zeit verlieren w ü r d e ,
m a n nicht v e r g e s s e n , d a s s m a n d u r c h d e n A u f s c h u b e i n e r auch
direct s c h a d e n u n d d u r c h die f o r t g e s e t z t e A n w e n d u n g
darf
Operation mancher
Heilmittel g r ö s s e r e G e f a h r e n h e r b e i f ü h r e n k a n n , als sie die O p e r a t i o n mit sich b r i n g t .
So
m u s s z. B. bei m a n c h e r Z e r s c h m e t t e r u n g
eines
Gliedes die A m p u t a t i o n sogleich v o r j e d e m a n d e r e n H e i l v e r s u c h e
ge-
macht
Be-
werden,
seitigung
einer
und
es u n t e r l i e g t k e i n e m Zweifel, d a s s die z u r
Thränenfistel
erforderliche
Operation
ebenso
wenig
30
Einleitung.
gefährlich ist, als eine zu diesem Behuf einzuleitende (voraussichtlich unwirksame) pharmaceutische Behandlung. Mit Recht kann man aber unterscheiden: 1. N o t h w e n d i g e O p e r a t i o n e n , welche unternommen werden, um ein Leiden zu beseitigen, welches das Leben bedroht. Die d r i n g e n d e n Operationen (pag. 29) gehören sämmtlich in diese Reihe. 2. N ü t z l i c h e O p e r a t i o n e n , durch welche Uebel beseitigt werden sollen, die den Gebrauch, oder die Thätigkeit gewisser Theile, jedoch in einer für das Leben nicht gefährlichen Weise, hindern. Hierher gehören die Operationen, welche von manchen als „aus Gefälligkeit unternommen" (Operations par complaisance) oder als „kosmetische" bezeichnet werden. Wo es sich darum handelt, ob eine Operation der letztern Art gemacht werden soll, oder nicht, müssen stets einer Seits die Beschwerden und Störungen, welche beseitigt werden sollen, anderer Seits die Gefahren der Operation reiflich erwogen werden. So wird Niemand anstehen, eine Hasenscharte zu operiren, wenn sie auch die Function der Lippe gar nicht störte, weil diese Operation durchaus ungefährlich ist, und man unternimmt anderer Seits die Operation der Gelenkmäuse, obgleich sie keineswegs gefahrlos ist, sobald das Glied durch dies Uebel unbrauchbar zu werden droht. So wie die Geringfügigkeit des Leidens, so kann auch eine zu g r o s s e A u s d e h n u n g desselben, oder ein zu t i e f e s E i n g r e i f e n in d e n g a n z e n O r g a n i s m u s das Operiren verbieten. Wer würde z. B. in einem Falle von Schädelbruch mit Quetschung des Gehirns und Hervordringen eines Theils desselben noch an eine Operation denken? Wer hätte die Verwegenheit, eine Geschwulst exstirpiren zu wollen, welche bereits den Oesophagus, die Luftröhre und die benachbarten Gefässe verdrängt hat, und an der Wirbelsäule selbst wurzelt ? Freilich ist die „Kühnheit" der Chirurgen so weit gegangen, dass jede dieser Fragen als eine Anklage erscheinen könnte! Oft verbietet der Z u s a m m e n h a n g des scheinbar örtlichen Uebels m i t e i n e m L e i d e n d e s g a n z e n K ö r p e r s , oder das gleichzeitige Bestehen einer a n d e r e n nicht zu beseitigenden K r a n k h e i t jeden operativen Eingriff. Es ist deshalb nothwendig, den Zustand der inneren Organe bei jedem zu Operirenden auf das genaueste zu untersuchen. Die Nothwendigkeit der i n n i g e n V e r b i n d u n g d e r C h i r u r g i e m i t d e r M e d i c i n zeigt sich hier abermals. Ausser den unmittelbaren G e f a h r e n , welche eine j e d e , unter ungünstigen Verhältnissen unternommene Operation in ihrem Gefolge haben kann, muss man oft auch R e c i d i v e , oder eine unvollständige Heilung befürchten. Dies ist besonders dann der Fall, wenn das ort-
I.
Von den chirurgischen Operationen im Allgemeinen.
3t
liehe Leiden auf einer Erkrankung des ganzen Organismus beruht, oder bereits eine solche bewirkt hat. Opera tionaplmi.
„Der Wundarzt kann nicht genug vorher bedenken, zumal vor der „Ausführung einer Operation an Theilen, deren Verhältnisse ihm nicht „ b e k a n n t sein können; e r m u s s s i c h a l l e d i e j e n i g e n V e r h ä l t n i s s e , die er e t w a a n t r e f f e n k ö n n t e , u n d alle die Z u f ä l l e , „die den G a n g der O p e r a t i o n s t ö r e n k ö n n t e n , v e r g e g e n w ä r t i g e n ; er muss sein Verfahren für alle diese Fälle feststellen, „und dann mit unerschütterlichem Muthe bewaffnet, zur Ausführung „schreiten. Ist die Operation einmal unternommen, d a n n m u s s a l l e „Ungewissheit und alles Bedenken schwinden. Mit ganzer „Seele bei der Operation, muss der Chirurg dann d u r c h k e i n H i n „ d e r n i s s m e h r a u f g e h a l t e n w e r d e n ; er m u s s A l l e s v o r h e r g e s e h e n , A l i e s b e r c c h n e t, AI l e s v o r h e r e i t e t h a b e n . Wenn „ e r ü b e r r a s c h t und verwirrt wird, so besitzt er nicht alle nöthigen „Eigenschaften, um ein Operateur ersten Ranges zu sein." So sehr diese (der letzten Ausgabe von S a b a t i e r ' s Operationslehre entnommenen) Sätze auch als Ausdruck der Lehren D u p u y t r e n ' s bewundert worden sind, so sind doch grade die von uns hervorgehobenen wenig stichhaltig. Vor Allein ist einö eilige und gleichsam maschinenmässige Beendigung der Operation nicht als die wesentliche Aufgabe zu betrachten. Es heisst geradezu etwas Unmögliches verlangen, wenn gesagt wird, jede Ungewissheit müsse fortfallen, sobald die Operation begonnen ist. Gar viele berühmte Wundärzte, und unter ihnen D u p u y t r e n selbst, haben bei Bruchoperationen gestutzt, gezögert und ihre Assistenten über die Natur der blossgelegten Theile befragt. Der berühmte P e t i t gestand, dass er bei Beginn einer Bruchoperation oft nicht wusste, wie er eigentlich verfahren sollte. Wir haben schon oben gesehen, dass es Operationen giebt, bei denen nicht Alles vorhergesehen und berechnet werden kann. Gerade die Besiegung des Unvorhergesehenen, welches ja fast bei keiner Operation ganz fehlt, lässt den geübten Operateur im glänzendsten Lichte erscheinen; da hat er Gelegenheit, schnell „ein neues Mittel nützlich zu erfinden, an welches er selbst vorher nicht gedacht hatte" (Dieff e n b a c h ) . Um eine Operation in allen ihren Acten genau und richtig auszuführen, bei welcher Alles vorhergesehen und vorher bestimmt werden kann, dazu reicht ein Talent und ein Grad technischer Fertigkeit aus, wie sie heutzutage mit Recht von jedem Arzt verlangt werden. Keineswegs soll aber deshalb empfohlen werden, eine Operation
Einleitung.
32 zu
unternehmen,
haben;
ohne vorher
im Gegentheil,
einen
Operationsplan
man b e r e c h n e Alles v o r a u s ,
entworfen
zu
wenn man alle
Factoren f ü r eine solche B e r e c h n u n g erhalten k a n n ; gelingt das nicht, so sammle man deren so viel als möglich. V i d a l hat, im Gegensatze zu d e r von D u p u y t r e n
empfohlenen,
auf möglichst schnelle und u n u n t e r b r o c h e n e Vollendung der Operation abzielenden Eile, — vielleicht nach d e r a n d e r e n Seite etwas zu weit gehend, — bereits im J a h r e 1 8 3 2 O p e r a t i o n e n hohen Steinschnitt)
in z w e i
Zeiten
tionen in zwei u n d
m e h r Zeiten
Vortheil,
nicht
die Natur
Terrain.
Merke man
vorgeschlagen.
haben,
Diese
Opera-
nach seiner Ansicht,
zu ü b e r r a s c h e n .
welcher der minder gefährliche i s t ,
(namentlich einen
Bei
sondire m a n ,
dem
ersten
den Acte,
so zu s a g e n , das
an der Beschaffenheit der W u n d e ,
dass
der
Organismus in schlechtem Zustande ist, so schiebe man die weitere Operation so lange a u f , bis er in der Art u m g e s t i m m t i s t , dass er die Vollendung der Operation o d e r
den
zweiten Act
gestattet.
Der
e r s t e Act r u f e an dem Operationsorte die zum Gelingen nöthige Rcaction hervor.
Es sei oft gefährlich, auf einmal eine Krankheit hinweg-
z u n e h m e n , die seit langer Zeit besteht. Geschwulst z. B.
veranlasse
oft
Die E n t f e r n u n g einer grossen
einen
allgemeinen
welchcm der Kranke sich nicht e r h o l e n k a n n .
Collapsus,
von
Unzweifelhaft sei nichts
glänzender, als in einigen Secunden ein Uebel fortzuschaffen, das seit langen Jahren bestand.
„ A b e r w e r weiss, ob nicht ein
entsprechend
a n g e w a n d t e r Druck, ob nicht die systematische A n w e n d u n g d e r Aetzinittel,
obgleich
mit weniger
Glanz
und
weniger schnell,
Messer, doch befriedigendere Resultate liefern?
als
das
Nähert man sich bei
einem solchen Verfahren nicht m e h r dem Vorgange d e r Naturheilung, welche langsam und ohne plötzliche E r s c h ü t t e r u n g f o r t s c h r e i t e t ?
Die
Natur leitet (z. B. bei der Abstossung b r a n d i g e r Theile) Verwachsungen e i n , bevor sie T r e n n u n g e n der Gewebe b e w i r k t ; es entstehen Adhäsionen
und Verdickungen
bildenden
Oeffnung.
der Gewebe in
Die Synthesis
geht
der U m g e b u n g der Diaeresis
unseren gewöhnlichen Operationen findet man Nichts dem und
doch sollten
u n s e r e V e r f a h r e n , um einen günstigen
einer sich vorher.
In
Aehnliches; Erfolg zu
erzielen, denen der Natur so viel als möglich ähnlich s e i n . " Diese theoretischen B e t r a c h t u n g e n V i d a l ' s h a b e n , — w e n n wir gleich festhalten m ü s s e n , dass die Vertheilung einer
Operation
auf
m e h r e r e Sitzungen immer n u r eine A u s n a h m e sein u n d unser W u n s c h im Interesse des Patienten dahin gehen w i r d , das Uebel auf ein Mal zu beseitigen — ,
doch n e u e r d i n g s ,
(unter den E l e m e n t a r o p e r a t i o n e n )
namentlich
d u r c h die weiterhin
zu e r l ä u t e r n d e n Methoden der
I.
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
„Zermalmung"
Operationen
im
Allgemeinen.
und der „ G a l v a n o k a u s t i k "
deutung gewonnen.
Die A b t r e n n u n g
33
eine p r a k t i s c h e Be-
eines Theils d u r c h einen stetig
u n d i m m e r m ä c h t i g e r g e s t e i g e r t e n Druck ( C h a s s a i g n a c ' s linéaire) der
wäre
That
f r ü h e r als e i n e B a r b a r e i e r s c h i e n e n ,
als e i n e M e t h o d e b e w ä h r t ,
Diaeresis
die S y n t h e s i s
vorausgehen
die d e m müsse,
écrasement
h a t sich a b e r in
Postulate,
insofern
dass
der
entspricht,
als
w e n i g s t e n s alle k l e i n e r e n Gelasse dabei vor i h r e r T r e n n u n g v e r s c h l o s s e n werden.
Noch
kaustik,
welche
Moment
vollständiger
erfüllt jene
Forderung
n i c h t blos j e n e n Verschluss
der T r e n n u n g
bewerkstelligt,
ganze Trenniingsfläche deckenden
die
Galvano-
d e r kleinen A d e r n im
sondern
ausserdem
einen
die
und a b s p e r r e n d e n Schorf herstellt.
Vorbereitungen zur Operation. Die V o r b e r e i t u n g e n Operateur,
zur
Operation
theils auf d e n K r a n k e n .
b e z i e h e n sich theils auf d e n
Erstere betreffen namentlich
die
W a h l u n d A n s t e l l u n g d e r G e h ü l f e n und die O r d n u n g d e r I n s t r u m e n t e . L e t z t e r e beziehen 1) auf den
sich: Geist, d e n G e m ü t s z u s t a n d ,
g a n i s m u s d e s K r a n k e n u n d 3) auf den Geistige
2 ) auf den g a n z e n
Or-
Operalionsort.
Vorbereitung.
W e n n d e r W u n d a r z t mit einem reinen C h a r a k t e r eine g r ü n d l i c h e , m e d i c i n i s c h e u n d a l l g e m e i n e B i l d u n g v e r b i n d e t , w e n n er mit voller H i n g e b u n g seinem rettenden Freund
Berufe lebt ') betrachtet,
und
seinen
Kranken
so s c h ö p f t dieser a u c h
wie einen zu bald
ein
Ver-
t r a u e n , w e l c h e s seinen Muth v e r d o p p e l t , o d e r ' i h m Muth giebt, w e n n s o l c h e r ihm v o r h e r ganz fehlte. K r a n k e sind z u w e i l e n , w e n n es z u r E n t s c h e i d u n g k o m m t , müthig
o d e r von u n g e m e i n e r E m p f i n d l i c h k e i t ;
m a n m u s s ihnen
kleinent-
w e d e r Muth einflössen o d e r sie t ä u s c h e n ; f ü r beides b e d a r f m a n eines gewissen Talentes und einiger Uebung, der Ueberredungskunst als
mächtiger
des
Wundarztes
Bundesgenosse
zur
Seite
wie sie allerdings f r ü h e r , w o das C h l o r o f o r m stand,
selbst
noch
von
nicht
jüngeren
A e r z t e n s c h n e l l e r e r l a n g t w u r d e u n d e r l a n g t w e r d e n m u s s t e , als h e u t zutage.
Von D u p u y t r e n ® )
w i r d erzählt, d a s s er den
Kleinmüthigen
K i n d e r u n d s c h w a c h e W e i b e r zeigte, w e l c h e die g e f ü r c h l e t e O p e r a t i o n muthig
ertragen
') „ut quam ')
profiteor artem
Dupuytren, arzt
hatten;
sie sollten sich s c h ä m e n , ad
religionis sanctilatem
dass sie w e n i g e r
adducani.
im 2 . und 3. J a h r z e h n t dieses J a h r h u n d e r t s d e r b e r ü h m t e s t e W u n d -
Frankreichs,
w a r C h i r u r g a m H ù l e l - U i e u zu
Ii a r d e l e b e n , Chirurgie.
7. Auü. I.
Paris. 3
34
Einleitung.
Muth haben sollten, als jene. D i e f f e n b a c h ' ) , welcher auch in dieser Beziehung ein Meister war, erzählt sehr drastisch, wie er, um messerscheue Kranke zu dem Bruchschnitt zu Uberreden, alte Frauen aus der Nachbarschaft herbeigeholt habe, die als lebende Zeugen für die Wirksamkeit und Gefahrlosigkeit dieser Operation auftreten, ihre Narben zeigen und versichern mussten, „es thue nicht weh". Handelt es sich um eine gefahrlose Operation, welche sich leicht und schnell ausführen lässt, wie z. B. die einer Mastdarmfistel, so operirt man ängstliche Kranke ohne ihr Wissen, unter dem Vorgeben einer genaueren Untersuchung. Mancher Kranke schaudert schon bei dem Gedanken an eine Operation. Wie soll man ihm dav-on sprechen, zumal wenn er selbst die Nothwendigkeit derselben noch gar nicht ahnt, und doch keine Zeit zu verlieren ist, wie z. B. bei einem eingeklemmten Bruche? Man vermeide dann das Wort „Operation"; auch das „Schneiden" werde euphemistisch umgangen, und man stelle das einzuschlagende Verfahren als leicht, einfach und schnell vorübergehend dar. Der specielle Name einer Operation erschreckt
oft den Kranken ganz besonders.
Ein Steinkranker batte geschworen, sich nie operiren zu lassen, weil er unmöglich eine solche Operation überleben könne.
Dupuytren
sagte ihm, der Stein sitze im Blasen-
balse und es sei deshalb zu seiner Entfernung nur ein einfacher Einschnitt notbwendig. Nun verlangte der Kranke selbst diesen Einschnitt. lichen
Steinschnitt
und zog drei Steine aus.
und r i e f , er wolle lieber zwanzigmal
Dupuytren
m a c h t e den gewöhn-
Der Operirte u m a r m t e
eine solche
Operation
aushalten,
Dupuytren als
einen
Steinschnitt.
Zuweilen affectirt der Kranke einen Muth, den er nicht h a t ; er simulirt eine Tapferkeit, die ihn jeden Klagelaut unterdrücken lässt. Dadurch werden die Kräfte ungemein aufgerieben, und unmittelbar nach der Operation verfallen diese Muth-Simulanten in einen Zustand von Schwäche, aus dem s i e s i c h nicht wieder erholen können 4 ). Der Wundarzt muss hierauf wohl achten und die Kranken in dieser Beziehung warnen. Hat man auch zu solchen Beobachtungen jetzt, wegen der allgemeinen Anwendung des Chloroforms, selten Gelegenheit, so ist es doch gut, sie nicht ganz zu vergessen. Nicht blos der Tod und die Schmerzen werden von den Kranken gefürchtet, sondern auch die Dififormitäten, welche Folge der Operation sein könnten. Da muss denn der Chirurg einen Theil der Wahrheit ') D i e f f e n b a c h , Professor der Chirurgie in Berlin, der genialste Chirurg aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, starb 1 8 4 7 , erst 52 Jahr alt. *) In einem von C a z e n a v e Beginn
der
Operation
(in
Bordeaux) beobachteten Falle trat
(Steinscbnitt) ein.
Aebnlirhes e r l e b t e n F i s c h e r
in Breslau u. A.
der Tod
Vgl. Gaz. med. 1 8 5 0 ,
vor
No. 4 9 .
I.
Von den c h i r u r g i s c h e n
Operationen
im
Allgemeinen.
35
verbergen, indem er solche Verstümmelungen in den Augen des Kranken geringer erseheinen lässt. Ist es ein Handwerker, ein Familienvater, der voraussichtlich durch die Operation unfähig werden wird zu arbeiten, so suche man ihn im Voraus zu trösten, indem man ihm verspricht, man werde für seine Unterstützung sorgen. In solchen Fällen hat der Wundarzt zu zeigen, dass er die „misericordia" des C e l s u s versteht, dass sein Herz, unzugängig für Gemüthsbewegungen, welche die Operation stören könnten, für die Leiden Anderer doch empfänglich ist. Er wird seine sociale Stellung benutzen, um das Schicksal dieser unglücklichen Verstümmelten zu verbessern. Hat sich der Kranke zur Operation entschlossen, so muss man ihm in der Hegel doch Tag und Stunde derselben geheim halten, weil er die ganze Zeit bis dahin gewiss in Angst zubringen würde. Zuweilen muss man sogar den definitiven Entschluss des Kranken erst herbeizuführen suchen, wenn alle Vorbereitungen zur Operation getroffen sind; man nimmt ihn dann gleichsam beim Wort. Manche Kranke hingegen verlangen, dass man sie auf die Operation vorbereite; ihre Hoffnungen steigen bei dem Gebrauch der Mittel, welche man als „vorbereitende" zu geben pilegt. Ja, einige Kranke haben es sogar g e r n , wenn man sich mit ihnen über die Einzelheiten der Operation unterhält. Natürlich muss der Chirurg bei dieser Gelegenheit seine Ausdrücke mildern und Alles vermeiden, was den Kranken erschrecken könnte; denn nicht immer ist solcher Mutli stichhaltig. G e Ii ü I f e n.
Nachdem der Operateur sein Verfahren gewählt und seinen Operationsplan entworfen hat, nachdem er Alles vorher berechnet hat, was sich vorher berechnen lässt, wähle er sich Gehiilfen, welche nicht blos die Operation, sondern auch seine Art zu operiren kennen, wo möglich solche, die ein doppeltes Interesse an dem Erfolge der Operation haben, das für den Kranken und das für den Operateur. Bei schwierigen Operationen und unter Verhältnissen, wo eine grosse Verantwortlichkeit auf dem Operateur ruht, suche er geachtete und wohlwollende Collegen zu Assistenten zu gewinnen. Aber niemals verleite ihn die Eitelkeit zu einer unnöthigen Vermehrung der Zahl der Anwesenden. Eine solche ist weder dem Kranken angenehm, noch dem Arzte von Nutzen. Wenn alle Geliülfen gut gewählt und zweckmässig angestellt sind, so werden sie ohne Geräusch einem Blick, einer Bewegung des Operateurs so gut gehorchen, dass sie seinen Willen gleichsam zu errathen scheinen. Diese Harmonie, dieses Zusammenwirken bei der Ausführung der Operation wird nicht blos von den 3*
36
Einleitung.
Zuschauern, sondern oft auch von den) Kranken selbst recht wohl erkannt und vermehrt sein Vertrauen und dadurch die Aussicht auf einen günstigen Erfolg. O p e r a tio n s a p pa rat.
Die erforderlichen Geräthschaften sind von dreierlei Art: 1. diejenigen, welche zur Ausführung der Operation selbst nothwendig sind; 2. solche, die zur Verhütung übler Zufälle während der Operation bestimmt sind; 3. die Verbandstücke. So viel als möglich suche der Operateur seinen Apparat selbst aus und ordne die einzelnen Stücke nach der Reihenfolge, in welcher sie gebraucht werden sollen, auf einem Brett oder Tisch, den Augen des Kranken entzogen. Jedenfalls muss er vor dem Beginne der Operation Alles revidiren. Bei bedeutenden Operationen müssen diejenigen Instrumente, welche etwa während derselben unbrauchbar werden könnten, doppelt vorhanden sein. Auch die Verbandstücke müssen doppelt vorhanden sein, für den Fall, dass eine Nachblutung oder sonst ein Zufall einen zweiten Verband nothwendig macht. Zu jedem Operationsapparat gehören grosse Schüsseln mit kaltem und warmem Wasser, in dem durch Zusatz von hyperniangansaurem Kali oder Carbolsäure (1 p. C.) alle etwa darin enthaltenen septischen Stoffe zerstört sein müssen, ferner r e i n e Schwämme und Handtücher, endlich einige Analéptica, wie Wein, Hoffmannstropfen, Salmiakgeist. Die Sorge für gehörige B e l e u c h t u n g ist von grosser Bedeutung; am Günstigsten ist gut auflallendes Tageslicht, in dessen Ermangelung die bereits pag. 7 erwähnten Beleuchtungsapparate (Operationsleuchtei ), zur Anwendung kommen, welche der Obhut eines zuverlässigen Gehülfen zu übergeben oder in passender Stellung sicher zu befestigen sind. Stellung
der
Gehülfen
und
dea
Operateurs.
Für den Kranken ist die horizontale Lage fast immer die zweckmässigste, besonders bei Operationen am Rumpf und an den unteren Extremitäten. In Krankenhäusern und Kliniken hat man eigene Operationstische, welche schmal und fest, zuweilen auch in verschiedenen Richtungen beweglich sind, und an welchen man auch sonst noch mannigfaltige Complicationen angebracht hat. In der Privatpraxis sucht man ein bequemes Sopha, ein Bett mit festen Matratzen, einen sicheren Tisch oder eine Commode aus, auf welche man einen festen Strohsack legt. Am Zweckmässigsten wird dies Operationslager in einem Zimmer neben der Schlafstube des Kranken, in der Nähe des Fensters aufgeschlagen. — Bei manchen Operationen, besonders
I.
am Kopf
Von den c h i r u r g i s c h e n
und
Operationen
an den oberen E x t r e m i t ä t e n ,
auch sitzen lassen.
iun
37
Allgemeinen.
kann man den Kranken
Die a u f r e c h t e Stellung d ü r f t e n u r in höchst sel-
tenen Fällen einen Vortheil g e w ä h r e n . Heutzutage halten es n u r wenige Chirurgen für angemessen, den Kranken schnitt
festzubinden o d e r festzuschnallen. fesselt m a n
eines Gurtes.
gewöhnlich
die Hände
Nur beim S e i t e n - S t e i n an
die Füsse
Auch dies möchte bei E r w a c h s e n e n ,
vernünftig sind, überflüssig sein.
vermittelst
wenn sie sonst
Die grösseren Bewegungen
werden
d u r c h die Gehülfen verhütet, oder doch b e s c h r ä n k t ; eine vollkommene Unbeweglichkeit
lässt sich durch Gewalt niemals e r r e i c h e n ; n u r der
feste Wille des Kranken kann dieselbe bewirken, von welchem jedoch natürlich, warten
wenn man Betäubungsmittel a n g e w e n d e t hat, nichts zu e r -
ist.
Jedenfalls ttnit man
gut,
den
Kranken
vorher
darauf
a u f m e r k s a m zu machen, dass seine Hände n u r „ z u r Erleichterung d e r O p e r a t i o n " oder „ z u m man
P u l s f ü h l e n " u. dgl. in., keineswegs aber, weil
irgend ein Misstrauen in seinen Muth setzte, von den Gehülfen
gehalten
werden.
Der gewandteste Gehülfe erhält seinen Platz gegenüber dem Operateur,
und
hat diesen
wesentlich zu
Recht sagen, er operirt mit i h m ;
unterstützen;
m a n kann
mit
er unterbindet die spritzenden Ge-
fässe, o d e r compriinirt sie, er zieht die Theile a u s e i n a n d e r , s p a n n t sie, wischt sie a b ,
und erleichtert so die Wirkung der Instrumente.
Von nicht geringerer Bedeutung ist bei allen grösseren, blutigen Operationen der Gchiilfe, welcher den Arterienslamm comprimirt.
Wenn
man sich des künstlichen Lichtes bedient, so ist der hiermit b e t r a u t e Gehülfe von grosser Wichtigkeit; er inuss a u f s Angelegentlichste d a für sorgen, dass die Punkte, an welchen der Operateur arbeitet, immer auf das Beste beleuchtet sind.
Andere Gehülfen
fixiren
die Glied-
maassen, den Humpf, den Kopf, je nach Bedürfniss, ohne j e d o c h den Kranken mehr zu belästigen, als d u r c h a u s nöthig ist. Der O p e r a t e u r steht fast immer aufrecht und muss deshalb die Höhe des Bettes o d e r Tisches, worauf operirt w e r d e n soll, seiner Grösse e n t s p r e c h e n d einrichten lassen. Vorbereitung
des ganzen
Körpers
des
Kranken.
Je nach dem Temperament, dem Kräftezustand und den Idiosynkrasien des Kranken hielt man f r ü h e r für nöthig, verschiedene Mittel vor der Operation a n z u w e n d e n :
bald Aderlässe, wenn der Puls h a r t
und voll w a r , o d e r l a u w a r m e B ä d e r und a n d e r e besänftigende, auch antispasmotische
Mittel
bei
nervösen
Subjecten,
o d e r Tonica bei allgemeiner S c h w ä c h e ,
besonders
vorausgesetzt,
dass
Frauen; dieselbe
38
Einleitung.
nicht blos von den» durch die Operation zu beseitigenden Uebel herrührte. Man hat fast alle diese „Vorkuren" als nutzlos erkannt. Allerdings ist es aber sehr wünschenswerth, dass der Kranke sich zur Zeit der Operation in einem möglichst guten Gesundheitszustande befinde. Namentlich sucht man gastrische Störungen vorher zu beseitigen. Specielle Indicationen zur Anwendung von Abführmitteln finden sich bei Operationen in der Nähe des Mastdarms. Aber vor jeder Operation ist, wenn noch Zeit d a z u , für Entleerung des Mastdarms u n d der Blase zu sorgen.
Aufhebung
der E m p f i n d l i c h k e i t ,
Beseitigung
Operationen.
des
Schmerzes
bei
Anaesthesie.
Schon seit alten Zeiten hat man dahin gestrebt, die S c h m e r z e n bei der Ausführung blutiger Operationen zu beseitigen, oder doch zu mildern. Z u s a m m e n s c h n ü r u n g des Gliedes, an welchem man operirte, oder C o m p r e s s i o n d e s H a u p t n e r v e n s t a m m e s l ) wurden vergeblich in Gebrauch gezogen. Auch der Rath, die Einschnitte immer so zu führen, dass der Nervenstamm des Theiles, an welchem operirt werden sollte, oder doch die centralen Enden der einzelnen Nervenäste zuerst und mit einem Male durchschnitten würden, konnte nur eine sehr beschränkte Anwendung finden und die Schmerzhaftigkeit bei Operationen keineswegs verbannen. Man suchte deshalb ferner durch die Anwendung n a r k o t i s c h e r Mittel den Kranken etwas weniger empfindlich zu machen, da man bis zur vollständigen Betäubung es doch nicht zu bringen wagte. Die Narcotica erfüllten aber den beabsichtigten Zweck gewöhnlich gar nicht; die Kranken klagten eben so sehr über Schmerzen, und man hatte bei elwas grösseren Dosen immer mit den, mindestens unangenehmen, oft aber gefährlichen Neben- und Nachwirkungen dieser Arzneimittel zu kämpfen. Unbegreiflicher Weise ist auch der Vorschlag gemacht worden, den Kranken vor der Operation durch einen A d e r l a s s in O h n m a c h t zu versetzen, und während derselben die Operation vorzunehmen 2 ). Endlich bat man auch den thierischen Magnetismus nicht vergessen, und es soll unter seiner Einwirkung einmal das Ausziehen eines Zahnes und auch die Abnahme einer Brustdrüse ohne Schmerz gelungen sein. Die grosse Mehrzahl der Chirurgen verzichtete aber auf alle diese zweideutigen ' ) Vorgeschlagen James
und
Moore.
vermittelst
O p e r a t i o n s of surgery. 2
) Wardrop
eines
Vergl. A m e t h o d London,
besonderen
Compressoriums
of preventing
or diminishing
178i.
hat noch in diesem J a h r h u n d e r t dazu
gerathen.
ausgeführt pain
von
in several
I.
Von den chirurgischen Operationen im Allgemeinen.
Mittel 1 ) und suchte vielmehr durch möglichst grosse
39
Schnelligkeit
in der Ausführung der Operation und durch A b l e n k e n
der Auf-
m e r k s a m k e i t des Kranken die Schmerzhaftigkcit zu vermindern. Von Beseitigung des Schmerzes bei Operationen kann aber erst die
Rede sein, seit wir durch die Entdeckung
des amerikanischen
Chemikers J a c k s o n ( 1 8 4 6 ) in dem A e t h e r ein Mittel kennen gelernt haben, durch dessen Einathmung die Empfindlichkeit des zu Operirenden ganz beseitigt, oder doch so sehr vermindert wird, dass derselbe nach der Operation keine Erinnerung mehr von derselben hat, indem er sich, einein hat
so lange die Wirkung der Aether-Inhalationen andauert, in
eigenthümlichen,
noch
tiefen Schlafe befindet.
sicherer und bei Anwendung
Chloroform
(Formylchlorid,
Dieselbe
Wirkung
geringerer Quantitäten
das
CHC1J, welches sich ausserdem auch
noch durch seinen angenehmeren Geruch auszeichnet.
Dies letztere
Mittel ist zuerst von S i m p s o n ( 1 8 4 8 ) empfohlen worden, hat
dann
schnelle Verbreitung gefunden, und ist jetzt als das allgemein übliche Anaestheticum zu betrachten. Nach den Untersuchungen 1 8 1 9 ) führt h o l l ä n d i s c h e
von T h . N u n n e l y ( O n
Anaestbesia,
Worcester
F l ü s s i g k e i t (C 4 H 4 CI 2 ), in noch g e r i n g e r e r Quantität
und noch sicherer als das Chloroform die gewünschte Betäubung und Empfindungslosigkeit herbei.
Die angeblichen Vorzüge derselben haben sich mir, bei zahlreichen
Versuchen, ebenso wenig bestätigt, als diejenigen, welche anderen Aetherarten Aran
u. A. nachgerühmt worden sind.
von
Der geringere Preis spricht jedenfalls f ü r das
leicht rein darzustellende C h l o r o f o r m , der üble Geruch g e g e n das A m y l e n .
Auch
die Anwendung
Gas,
der Einathmungen
von
Stickstoffoxydul-
(sogen. L u s t - )
welche, wie aus der Physiologie schon seit langer Zeit bekannt w a r , gleichfalls betäubende Wirkungen haben, hat keine grosse Verbreitung gefunden, weil die Betäubung zu schnell vorübergeht und der dazu erforderliche Apparat zu schwerfällig ist.
Dagegen
hat nächst dem Chloroform das M e t h y l e n cli l o r i d die grösste Verbreitung gefunden, welches in der Tliat
eine sehr ruhige Betäubung,
fast ohne alles Erregungstadium,
schon in kleiner Dosis liefert. Auf Grund
der
Erfahrungen über die Unempfindlichkeit solcher Tbeile,
welche
durch Frost erstarrt sind, lag es nahe, durch Auflegen von Eis oder anderweitige künstliche Abkühlung l o c a l e A n ä s t h e s i e herbeizuführen. in dieser Beziehung der Apparat von R i c h a r d s o n
Des grössten Beifalls hat sich
(London med. Times and Gazette,
18(i6, Kehr. 6 . ) zu erfreuen gehabt, der, nach Art eines „ P u l v e r i s a l e u r " oder fraichisseur"
vRe-
eingerichtet, grosse Mengen von Aether in fein vertheiltem Zustande und
mit grosser Gewalt
auf eine bestimmte Körperstelle zu spritzen gestattet.
Der Mehr-
zahl der Chirurgen (zu denen Verf. auch zählt), hat es jedoch nicht gelingen wollen, auf diese Weise eine Anästhesie von hinreichender Dauer zu erzielen, selbst wenn das Aufspritzen von Aether auch während der Operation fortgesetzt wurde. ' ) Auch die Entdeckung B r o c a ' s , glänzenden
dass ein Mensch durch das F i x i r e n
eines
G e g e n s t a n d e s in Anästhesie gerathen kann, hat sich nicht prak-
tisch verwerthen lassen.
Einleitung.
40
Die Anwendung der Anaesthetica geschieht entweder mittelst besonderer Apparate, oder in der Art, dass man dem Kranken ein mit diesen Flüssigkeiten benetztes Tuch vor Mund und Nase hält. Letzteres Verfahren ist insbesondere für die Anwendung des Chloroforms und der holländischen Flüssigkeit vollkommen ausreichend; aber es geht dabei viel von den flüchtigen Substanzen in die Luft, was nicht blos wegen des Verlustes und der dadurch bedingten grösseren Kostspieligkeit von Belang ist, sondern auch (zumal bei beschränktem Räume) für den Operateur und seine Assistenten und für den Kranken, namerttlich wenn er nach der Operation in demselben Zimmer bleiben muss, nachtheilig werden kann. Man erreicht den erwünschten Grad der Betäubung viel schneller und mit weniger Chloroform, wenn man sich des Apparates von S k i n n e r (eines Schülers von S i m p s o n ) bedient. Derselbe besteht aus zwei Stücken: 1) einem Köcher von feinem wollenen Tricot, der über einem Drahtgestell ausgespannt ist, und 2) einer Flasche, in deren Mündung ein Stöpsel eingesetzt wird, der von einem feinen Canale durchbohrt ist, so dass beim Hin- nnd Herbewegen der Flasche auf dem Köcher nur die zu dessen Tränkung erforderliche Menge der Flüssigkeit ausläuft. Besonders Skinner'sehen Hiilfsverein
empfehlenswerth
ist
die von
Esmarch
angegebene Modilication des
Apparates, welche während des Feldzuges von 1 8 6 6 durch den Kieler
eine grosse Verbreitung gefunden hat.
gestell ist fester und leichter zu h a n d h a b e n ,
Das maskenartig gestaltete
Draht-
und der Pfropf der Chloroformflasche ist
von zwei Röhren d u r c h b o h r t , deren eine bis nahe an den B o d e n , die andere nur bis dicht unter den Stöpsel r e i c h t , Schliessen
und Oeßnen
modificirt werden kann.
so dass durch leicht mit dem Finger zu
bewirkendes
der ersteren der Ausfluss des Chloroforms nach
Erforderniss
Vergl. Fig. 2 2 .
(Fig. 2 2 und 2 3 erscheinen
bei schräger Haltung
unteren Ecke a u s gesehen, in richtiger
des B u c h e s ,
von der rechten
Stellung.)
Das anzuwendende Chloroform muss ganz r e i n sein. Völlig reines Chloroform ist farblos, wasserhell, auffallend schwer — (sein specifisches Gewicht beträgt 1,49), riecht angenehm süsslich, reagirt neutral, coagulirt Eiweisslösungen nicht und bildet in Lösungen des salpetersauren Silberoxyds keine T r ü b u n g ; ein Tropfen davon, in ein Glas reines Wasser geschüttet, sinkt, ohne milchige Trübung, wie eine helle Perle zu Boden. Der zu betäubende Kranke befindet sich am Besten in liegender Stellung mit etwas erhöhtem Oberkörper, so dass er möglichst frei Luft holen k a n n ; jede die Athcinbewegungen behindernde Kleidung muss beseitigt sein. Die Betäubung selbst muss ein besonderer sachverständiger Gehülfe übernehmen oder doch überwachen. Ohne einen solchen darf man selbst kleinere Operationen in der Chloroformnarkose nicht ausführen, weil, während man mit
I.
VOD den c h i r u r g i s c h e n
Operationen
d e r Operation selbst beschäftigt ist,
im
41
Allgemeinen.
f'R- 22.
dem
Betäubten etwas zustossen kann. Gehülfe
Dieser
muss
wäli-
/
rend d e r ganzen Zeit sorgfältig die Athemziige des
und
den
Kranken
/
Puls
/
„ g^SHpy'
v7 J ß ^ ^
beob-
( j ^ f t ^ y
achten. Man darf dem tritt
d e r Luft
Jf
ganz
und
Jr
l\\
Jr
• C j ^ g ^ ^ ^
K r a n k e n nie den Zuabsperren,
/ \
&
sX^ßp^
|
so-
%
bald er oberflächlich o d e r k r a m p f h a f t und stürmisch
athinet,
m u s s m a n Mund und Nase sofort ganz frei lassen.
Die
/
Quan-
tität des Chloroforms,
sich nicht im Allgemeinen
bestimmen.
Iii m a n c h e n
Fällen
weniger a u s ,
in
reicht
anderen
man
mit einigen
werden
b r a u c h t , so dass es zu e m p f e h l e n bereit zu
halten.
Jedenfalls
und
selbst
noch
darüber
ver-
ist, stets eine grössere Quantität
unterbricht
blos, sobald der g e w ü n s c h t e Grad
Grammen,
30 Grammen man
die Inhalationen
nicht
von l ' n e m p f i n d l i c h k e i t erreicht ist,
s o n d e r n auch sobald üble Zufälle eintreten.
Als solche sind
nament-
lich a n z u f ü h r e n : kleiner ä u s s e r s t f r e q u e n t e r o d e r sehr l a n g s a m e r Puls, unregelmässige oberflächliche Athemzüge, stertoröse Respiration, plötzliche Blässe
des Gesichts
Sobald
derartige Symptome zeigen,
sich
Hinderniss,
und
gänzliche
Erschlaffung muss
man
des
welches dem Eintritt d e r L u f t im Wege s t e h t ,
und j e d e n weiteren Eintritt von Chloroform
Körpers.
sogleich
verhindern.
jedes
beseitigen Namentlich
m u s s inan also den C h l o r o f o r m a p p a r a t und alle zufällig mit Chloroform g e t r ä n k t e n Gegenstände aus d e r Nähe d e r R e s p i r a t i o n s ö f f n u n g e n entfernen,
den
Mund
(nöthigenfalls mit einein zwischen
s c h o b e n e n Holzkeil) weit öffnen u n d die gewöhnlich
die Zähne ge-
zurückgesunkene,
bei Weitem am häufigsten d u r c h V e r s p e r r u n g des Kehlkopfseinganges
42
Einleitung. Fig. 23.
Fig. 2 3 zeigt
die Anwen-
dung der E s m a r c h 'sehen Z u n g e n z a n g e bei einem Belaubten,
während
der
Chloroformapparat zurückgeschlagen ist.
das Respirationshinderniss bildende Zunge stark hervorziehen.
Dies ge-
lingt zwar manchmal mit den Fingern; viel sicherer und daher dringend e m p f e h l e n s w e r t ist es aber, sich dazu einer flachen glatten Zange zu bedienen, wie sie E s i n a r c h höchst zweckmässig angegeben und seinem oben erwähnten Chloroformapparate als integrirenden Theil beigefügt hat. Reicht das Hervorziehen der Zunge nicht aus, so muss man ohne Verzug die ungenügenden oder ganz mangelnden Rcspirationsbewegungen durch rhythmische Compression des Thorax und des Bauches ersetzen') und die Brust des Kranken mit kaltem Wasser in starkem ') M a r s h a l
H a l l (l'rone and postural rrspiration
apnoea or suspended respiration.
in drowning and other forins of
London, 1 8 5 7 ) empfiehlt statt der rhythmischen
Compression des Thorax und des Bauches, den Körper abncchselnd auf den Bauch und
auf
herrollt.
die Seite (oder auf den Hucken) zu legen, Dies
bequemer sein
Verfahren
mag unter
Umständen,
indem
namentlich
man
ihn hin- und
bei
Ertrunkenen,
und die von uns empfohlene Art der künstlichen Respiration
er-
setzen k ö n n e n , da in der Bauchlage der Thorax comprimirt und in d e r Rückenlage durch die Elasticität der Rippen wieder dilatirt w i r d ; aber an einem Menschen, der im Bett oder auf dem Operationstisch liegt, ist die rhythmische Compression wohl leichter und sicherer auszuführen.
I.
Von den c h i r u r g i s c h e n
bespritze» 1 ).
Strahl
Genügen
Operationen
im
43
Allgemeinen.
die e r w ä h n t e n
Mittel n i c h t ,
um
Atheinprocess schnell wieder in Gang zu b r i n g e n , so m u s s
den
man so-
fort die Zwerchlells-Nervcn am Ilalse d u r c h einen galvanischen Strom reizen
und,
wenn
auch
dadurch
keine kräftigen Athenibewegungen
bewirkt werden sollten, schleunigst ein Rohr (Katheter) in den Kehlkopf e i n f ü h r e n oder die Tracheotomie m a c h e n ,
um
die Respirations-
b e w e g u n g e n d u r c h rhythmisches Einblasen von Luft zu ersetzen oder doch d e r L u f t einen möglichst directen Zutritt zur Lunge zu e r ö f f n e n 1 ) . Es k o m m t Alles darauf a n , den L u n g e n , und durch deren Vermittlung dem
B l u t e , schnell w i e d e r
sauerstofifreiche Luft z u z u f ü h r e n .
Jeder
Augenblick Verzug g e f ä h r d e t das Leben. Erbrechen
macht
nur
eine stärkere E r h e b u n g
des Kopfes und
V o r k e h r u n g e n zum Auffangen des E r b r o c h e n e n nöthig.
Ist es vorüber,
so k a n n sogleich mit d e r Inhalation weiter fortgefahren w e r d e n . Krämpfe stellen sich w ä h l e n d d e r B e t ä u b u n g fast n u r bei Solchen ein, die an den regelmässigen Genuss grosser Mengen von Spirituosen Getränken gewöhnt
sind.
Bei diesen
w ü r d e man niemals zum Ziele gelangen,
wenn m a n bei jedem Krampf-Anlalle die Inhalation u n t e r b r e c h e n wollte; die K r ä m p f e werden vielmehr beseitigt und r u h i g e r
Schlaf herbeige-
f ü h r t , wenn m a n fort und fort Chloroform cinathincn lässt, natürlich unter steter B e a c h t u n g des Pulses und der Athemziige. Die F o r i n , heitere,
unter
welcher
die Betäuburtg auftritt, ist eine sehr
Man k a n n , mit D i e f f e n b a c h 3 ) , eine ohnmächtige, eine
verschiedene.
eine alberne u n d
eine tobende Form
unterscheiden.
Nicht
selten beginnt das Toben erst mit der Operation; die Kranken schreien und
klagen
heftig Uber S c h m e r z e n ,
eine E r i n n e r u n g davon zu h a b e n . die K r a n k e n
während
ohne aber nach dem In a n d e r e n
d e r Operation
Erwachen
Fällen verhalten sich
sehr ruhig oder s p r e c h e n von
Dingen, welche mit i h r e m jetzigen Zustande in gar keinem Z u s a m m e n hange stehen, b e h a u p t e n aber nachher, dass sie Alles ganz genau gefühlt u n d
alle Schinerzen
Ein g e n a u e r e s Examen gefühlt haben.
mit grosser Heftigkeit e m p f u n d e n
ergiebt j e d o c h ,
haben.
dass sie in der That nichts
So k a n n man z. B. nach einer Exarticulation den Ope-
rirten, wenn er die angeblich e m p f u n d e n e n Schmerzen schildert, leicht ')
Die W i r k u n g
eines
kräftigen
Wasserstrahls
ist
so
viel s t ä r k e r ,
a l s die des Be-
s p r e n g e n s m i t W a s s e r , d a s s ich es f ü r eine u n c r l ä s s l i c h e V o r s i c h t s m a s s r e g e l eine
mit
kaltem
Chloroform-Betäubung
Wasser zur Hand
tiges A b r e i b e n m i t e i n e m
gefüllte
Spritze
zu h a k e n .
trockenen Tuche
(sog. Wundspritze)
halle,
bei j e d e r
Dem B e s p r i t z e n m u s s sogleich k r ä f folgen.
2
) U e b e r die A u s f ü h r u n g d i e s e r O p e r a t i o n
3
) Vgl. D i e f f e n b a c h ' s in j e d e r B e z i e h u n g l e s e n s w e r t b e (zugleich s e i n e l e t z t e ) S c h r i f t : Der
Aether
gegen
den
Schinerz.
vgl. Bd. III. Berlin,
1817.
44
Einleitung.
dahin bringen, dass er die Schmerzhaftigkeit der Durchsägung des Knochens besonders hervorhebt, während doch eine solche gar nicht Statt gefunden hat. Von allen diesen verschiedenen Formen der Betäubung ist die ohnmächtige am Günstigsten für die Ausführung der Operation. Wir haben es jedoch nicht in unserer Gewalt die eine oder die andere direct hervorzurufen. Viel wichtiger ist es im Verlaufe der Chloroform-Betäubung zwei S t a d i e n zu unterscheiden: dasjenige der Aufregung und dasjenige der Ruhe. Je nachdem das erstere, welches durch Muskelkrämpfe, Geschrei, Schimpfen, Spucken u. dgl. m. ausgezeichnet zu sein pflegt, mehr oder weniger lange andauert, sind die von D i e f f e n b a c h gewählten Bezeichnungen, namentlich die Unterscheidung der tobenden und der ohnmächtigen (besser: ruhigen) Form zulässig. Dass es aber gar nicht gelingen sollte die tobende Form (d. h. das Stadium der Aufregung, welches namentlich bei Säufern sehr lange andauert) in die ruhige überzuführen, ist wohl sehr selten. Häufig dagegen geht das Stadium der Aufregung so schnell vorüber, dass es kaum bemerkt wird. Dass man während des Stadiums der Aufregung nicht gut operiren kann und eigentlich niemals operiren sollte, versteht sich fast von selbst. Der günstigste Zeitpunkt für die Operation ist der Beginn der Muskel-Erschlaffung, den man leicht an dem Hinabfallen des erhobenen Armes erkennt. Auf der Höhe der Betäubung werden die vorher gewöhnlich erweiterten Pupillen auffallend eng. Zuweilen bleibt, unabhängig von den etwaigen Wirkungen der Operation, in Folge der Anwendung eines Anaestheticums mehr oder weniger lange Zeit ein Uebelbefinden, Kopfschinerz, Brechneigung oder auch wohl Erbrechen zurück, selten jedoch über 24 Stunden. Ich habe das Einathmen von Ammoniak (Riechen an einer mit Liq. ammonii caustici gefüllten Flasche) gegen diese Zufalle nützlich gefunden. In mehreren Fällen hat man p l ö t z l i c h e n T o d während oder gleich nach Inhalationen von Aether oder Chloroform beobachtet. Wenn auch in einigen dieser Fälle der Tod mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht auf Rechnung der stattgehabten Einathmungen geschoben werden kann, so bleibt doch noch eine hinreichende Anzahl übrig, in denen sich der Tod nur aus dieser Veranlassung ableiten lässt' 1 ), um zu grosser Vorsicht bei der Anwendung dieses sonst so unschätzbaren Mittels aufzufordern. Da wir über die Art und Weise, in welcher die Anaesthetica überhaupt wirken, noch keineswegs im Klaren sind, so hält es schwer auszumitteln, auf welche Weise sie ' ) N i c o l a s B e r e n d ( „ C h l o r o f o r m - C a s u i s t i k " 1 8 5 0 und „ z u r C h l o r o f o r m f r a g e " 1 8 5 2 ) hat deren
vor '20 J a h r e n s c h o n
:>3 in d e r L i t e r a t u r g e f u n d e n u n d g e n a u
kritisch
I.
VÜD den c h i r u r g i s c h e n
den Tod b e w i r k e n .
Operationen
im
45
Allgemeinen.
Nur so viel steht fest, dass die g e d a c h t e n
Ein-
a t h m u n g e n den Athemprocess quantitativ v e r r i n g e r n u n d auch qualitativ v e r ä n d e r n , indem statt des Sauerstoffs d e r a t m o s p h ä r i s c h e n Luft, Aether- o d e r C h l o r o f o r m d ä m p f e in's Blut gelangen u n d daselbst w a h r scheinlich noch u n b e k a n n t e V e r b i n d u n g e n , körperchen
eingehen,
durch
Einwirkung,
voraussichtlich
athmen
Kohlenoxydgas,
von
namentlich mit den Blut-
welche d i e s e , im in
höchsten
zur ferneren
finden,
der
A u f n a h m e von Sauerstoff
u n f ä h i g gemacht w e r d e n ; dass f e r n e r dabei stets Statt
Grade
d e r s e l b e n W e i s e , wie nach dein EinCerebralcongestionen
welche von Vielen als ein e i g e n t ü m l i c h e s Klopfen in
den Schläfen zu Anfange d e r E i n a t h i n u n g e n e m p f u n d e n w e r d e n ; endlich, wahrscheinlich
dass
in Folge d e r v o r e r w ä h n t e n E i n w i r k u n g e n , in
dem ganzen Cerebrospinal-Nervensystem
ein l ä h m u n g s a r t i g e r
Zustand
eintritt, d e r f ü r Schmerzen unempfindlich und zu Bewegungen u n f ä h i g macht, und
die Muskeln
s o g a r ihres
normalen Tonus beraubt.
Es
lässt sich d e m n a c h wohl begreifen, wie d u r c h eine zu grosse Menge des Betäubungsmittels d e r A t h e m p r o c e s s ganz u n t e r d r ü c k t u n d somit Erstickung h e r b e i g e f ü h r t w i r d , o d e r wie auf gleiche Weise ein allzu b e d e u t e n d e r B l u t a n d r a n g zum Gehirn o d e r L ä h m u n g des Herzmuskels zu S t a n d e k o m m e n könnte.
Aber in d e r Mehrzahl der genau u n t e r -
s u c h t e n Fälle von Tod d u r c h Aether oder Chloroform fallend grosse Menge dieser Mittel n i c h t
die Seclion hat weder die Apoplexie im Gehirn, ßliitüberfifllung mehreren
der
Fällen
Lunge
conslant
die Anwesenheit
w a r eine a u f -
in Gebrauch gezogen, und noch Unzweifelhafte
nachgewiesen.
Dagegen
ist in
von Luftblasen im Blute e r w ä h n t
worden, und es kann die Möglichkeit, dass d u r c h die Aufnahnle einer grossen
Quantität
entwickelung
der
erwähnten
im Blute b e d i n g t
Hand gewiesen w e r d e n . der
Dämpfe in die L u n g e n , eine Gas-
werden
k ö n n e , nicht ganz
von der
Da mit d e r A u f h e b u n g der Leitungsfähigkeit
Nerven, wie sie d u r c h die Anaesthetica bewirkt wird, auch
Rellexerscheinungcn
m e h r o d e r w e n i g e r c e s s i r e n , so kann
die
auch die
Verschliessung d e r Stimmritze, wie sie sonst bei d e r B e r ü h r u n g d e r S t i m m b ä n d e r erfolgt, ausbleiben, w e n n w ä h r e n d der B e t ä u b u n g Speic h e l , Schleim, dringen.
oder
e r b r o c h e n e r Mageninhalt
in
den Kehlkopf
ein-
Solchen Flüssigkeiten w ü r d e dann d e r W e g bis in die feinsten
Verästelungen d e r Bronchien ollen s t e h e n , so dass E r s t i c k u n g d u r c h Anfüllung d e r letzteren erfolgen k ö n n t e 1 ) . beleuchtet. —
Die
genauesten
ü b e r den 0. Ii Io r o f n r m t o d G e g e n s t a n d , in D e s s e n , ')
Stanelli,
finden sich
so b e s t i m m t
Klinik zu
Wir sowie
dürfen jedoch nicht auch
die w e i t e r e
Literatur
in 0 1 1 o W e b e r ' s A b h a n d l u n g ü b e r d i e s e n
„Chirurg. Erfahr
in d e r D e u t s c h e n
o h n e sie j e d o c h
Untersuchungen
1850.
u. U n t e r s u c h u n g e n " , —
lormulireu.
Auch
Kicord
Berlin, 1 8 5 9 .
war d i e s e r
Ansicht,
46
Einleitung
vergessen, dass in den meisten Fällen Reflexerscheinungen, selbst bei vollständiger Betäubung, noch Statt finden; häufig genug sieht man die Betäubten zucken und schreien, ohne dass später von ihnen über die Empfindung irgend eines Schmerzes geklagt wird. Vergeblich hat man bis jetzt versucht, die durch das Einathmen von Aether oder Chloroform plötzlich Gestorbenen (oder, wie man wünschte, Scheintodten) in's Leben zurück zu rufen; die hierzu vorgeschlagenen Mittel, wie kalte Begiessungen, starke Hautreize, scharfe Riechstoffe, Kitzeln der Nase und des Schlundes, Aderlass, Einblasen von Luft (oder Sauerstoffgas), sind viel weniger wirksam, als das Hervorziehen der Zunge und die künstliche Respiration. Auch die vollständigste Sauerstoffzufuhr wird aber das Leben nicht wieder zu erwecken vermögen, wenn die Blutkörperchen, in Folge der allzu starken Einwirkung des Chloroforms die Fähigkeit verloren haben, Sauerstoff aufzunehmen. In solchen Fällen kann nur die T r a n s f u s i o n (vgl. Bd. II) helfen, indem sie neue, athmungsfähige Blutkörperchen einführt. Dieselbe wird aber, da eine Vermehrung der Blutmasse nicht erwünscht wäre, immer mit einer Blutentziehung (durch Aderlass) zu verbinden sein, mithin nicht als Blutzufuhr, sondern als Substitution des Blutes wirken müssen. Jedenfalls muss Alles aufgeboten werden, um die völlige Asphyxie zu verhüten. Zu diesem Zweck ist das oben bereits angegebene Verfahren bei den Inhalationen sorgfältig einzuhalten. Ueberdies muss die Betäubung unterlassen werden, wenn Krankheiten dfis Herzens bestehen, oder Schlagfluss zu fürchten ist. M a l g a i g n e 1 ) räth mit Recht, nur nach Vollendung der Verdauung, also nie bei vollem Magen, die Betäubung vorzunehmen. Durch Berücksichtigung dieser Vorschrift wird man namentlich das Erbrechen während und nach der Operation meist verhüten können. Manche Aerzte empfehlen bei schwächlichen, durch Eiterungen entkräfteten Personen kein Chloroform zu reichen. Gerade bei diesen, so wie bei kleinen Kindern, habe ich es sehr häufig ohne irgendwelche n a c h t e i l i g e Wirkungen angewandt; ich möchte bei ihnen die Aufregung und Angst vor und während der Operation für gefährlicher halten, als das Chloroform. Bei Operationen im Munde oder in der Nase, bei denen voraussichtlich dem Kranken Blut in den Schlund laufen wird (welches dann auch in den Kehlkopf eindringen könnte), ferner bei Solchen, die schon mit dem Erstickungstode kämpfen (wie im Croup oder bei Anwesenheit fremder Körper in den Luftwegen), endlich auch in Fällen, wo es darauf ankommt, dass der Kranke während der Operation von seinen Em' ) Revue medicocliirurgicale, I. IV. pag. 76.
I.
Von den c h i r u r g i s c h e n O p e r a t i o n e n
im
47
Allgemeinen.
pfindungen Rechenschaft gebe, oder wo Brechbewegungen
um jeden
Preis zu vermeiden sind, muss man die Betäubung unterlassen. Nach
den
Untersuchungen
von
0.
Liebreich
(vgl. B e r i c h t e d e r d e u t s c h , e h e m .
G e s e l l s c h . z. Herlin, 1 8 6 9 , H f t . 1 0 , p a g . 2 6 9 , u n d V i r c h o w ' s Archiv, Bd. 4 7 , p a g . 1 5 5 ) , zerfällt das C h l o r a i b y d r a t durch
(C2HCIs0 -f- H a 0 ) , wenn man
es d u r c h d e n Magen
Alkalien d e s B l u t e s
—
wie d i e s f ü r die E i n w i r k u n g w ä s s r i g e r Alkalien
w a r — , in C h l o r o f o r m wegen
ihrer
geringen
(CHCI3)
Menge
und A m e i s e n s ä u r e
wirkungslos
und
wird
in
bereits
(CH202).
Kohlensäure
schlafen, nachdem
man
ihnen
0,1
die H a u t g e s p r i t z t h a t , i n n e r h a l b reren Stunden digsten
erwachen,
Anästhesie,
ertragen
Dosen
Letztere bleibt
würde
Inhalationen, schiedene
unter meh-
zu 3 G r a m m e n ,
Minuten
Empfindungslosigkeit letzteren
in w ä s s r i g e r L ö s u n g
vollkommen
Chloraibydrat
ohne
einen
munter.
gewähren.
Grössere Dosen
nach vorgängjger Anästhesie.
in l a n g e n tiefen S c h l a f , bald
Es
aber
mit m e h r ,
vollstänMenschen
bald m i t
eines E x c i t a t i o n s - S t a d i u m s .
Vorzug
ist
führten zur
in den Magen g e b r a c h t , m e i s t g u t u n d verfallen
Intercurrenz
grossen
Das
Kaninchen
1 0 Minuten f e s t ein u n d s i n d , w e n n sie n a c h
noch grössere zum Tode
bis
binnen 2 0
Grammen
der
bekannt
umgesetzt.
C h l o r o f o r m dagegen k o m m t vom Blute aus schnell u n d stetig zur W i r k u n g .
darauf
oder
h y p o d e r m a t i s c h e I n j e c t i o n in d e n K ö r p e r e i n f ü h r t , v e r m ö g e d e r E i n w i r k u n g
dieser Applicationsweise, schwierig, die,
weniger
Das Fehlen
im
des
Vergleich zu den
wahrscheinlich
individuell
ver-
Dosis, w e l c h e z u r A n ä s t h e s i e e r f o r d e r l i c h i s t , zu t r e f f e n .
In den meisten Fällen gewährt die Anästhesie nur dem Kranken Vortheil, indem
sie ihm die Schmerzen
der Operation (oder auch
schon der genaueren Untersuchung, vgl. pag. 5) erspart; bei manchen Operationen aber wird die Ausführung dadurch wesentlich erleichtert und somit
nicht blos dem Kranken,
Hülfe gewährt.
sondern
auch dem Arzte eine
Dies gilt streng genommen für alle schwierigen Ope-
rationen, bei denen es von Werth ist, langsam zu operiren, da man selbst bei grösster Seelenruhe, an den nicht betäubten Kranken doch Von besonderem Vortheil ist aber die
etwas eiliger verfahren wird.
Betäubung, wenn es sich darum handelt, den Widerstand gespannter Muskeln zu überwinden,
indem
diese während der Betäubung sich
im Zustande der Erschlaffung befinden; so z. B. bei der Reposition eines Knochenbruches, Bruches.
einer Verrenkung oder eines eingeklemmten
Will man dagegen eine gespannte Sehne deutlich fühlen,
um sie isolirt zu durchschneiden, so wird die Erschlaffung der Muskeln dem Operateur hinderlich, und es ist daher wünschenswerth Anaesthetica nicht anzuwenden. Oertliche
Vor jeder
Operation
Vorbereitungen.
hat man: a)
den
betreffenden
Theil
in
weitem Umkreise sorgfältig zu säubern, auch, wenn sich Haare darauf vorfinden, zu
rasiren;
b)
benachbarte
c) wo möglich der Blutung vorzubeugen.
Hohlorgane
zu
entleeren;
48
Einleitung.
Säuberung des Operationsfeldes.
Antiseptiscbe
Metbode.
Während man sich früher begnügte, das Operationsfeld mit Wasser und Seife zu reinigen, müssen wir es jetzt, namentlich gestützt auf die Untersuchungen von J o s . L i s t e r ' ) , für unbedingt erforderlich erklären, dass der Theil, an welchem operirt werden soll, in weitestein Umfange mechanisch und chemisch gesäubert, namentlich also mit solchen Flüssigkeiten gewaschen werde, durch welche alle lebenden Pilze und Infusorien sowie deren Keime (alle Fäulnisserreger) vernichtet oder doch getödtet werden. Zu diesem Behuf genügt in der Regel eine zweiprocentige Lösung reiner Carbolsäure in Wasser. Wo aber schon Eiter oder gar Jauche in der Umgebung haften, ist es besser, sich einer stärkeren Carbolsäure- oder einer et\Va zehnprocentigen Chlorzink-Lösung zu bedienen. Hände und Instrumente, welche mit der Operationswunde in Berührung kommen, müssen vorher gleichfalls mit einer einprocentigen Carbolsäurelösung gewaschen und von Zeit zu Zeil in dieselbe getaucht werden. Die anzuwendenden Schwämme werden mit siedendem Wasser Ubergossen, und, nachdem sie mechanisch gesäubert sind, längere Zeit in eine fünfprocentige Carbolsäurelösung gelegt, dann kräftig ausgedrückt und vor der Anwendung in einprocentige Carbolsäurelösung getaucht. Noch vor dem Beginn und während der ganzen Dauer der Operation wiid das Operationsfeld mit zerstäubter (1 p. C.) Carbolsäurelösung besprengt. Der dazu erforderliche Sprühregen (spray) wird durch einen Zerstäubungsapparat erzeugt, welchen L i s t e r dem pag. 39 erwähnten „Pulver isaleur" von R i c h a r d s o n nachgebildet hat. Dadurch wird das Eindringen von Fäulnisserregern aus der Luft verhindert. Muss oder will man den „Sprühregen" unterbrechen, so bedeckt man das Operationsfeld mit einer, in einprocentige Carbolsäurelösung getauchten Conipresse. Diese „ a n t i s e p t i s c h e n V o r b e r e i t u n g e n " zur Operation erscheinen sehr cornplicirt, gestalten sich aber, bei einiger Uebung, sehr einfach und sind, in Verbindung mit dem später zu erläuternden antiseplischen Verbände, von grösster Bedeutung für die Heilung. Sicherung
gegen
Blutung.
Es giebt dem Arzte in hoheni Grade das Gefühl der Sicherheit, wenn er eine bedenkliche Blutung während der Operation nicht zu fürchten hat. Man sucht den Lauf des Blutes in dem Arterienstamme, *) J o s e p h
Lister,
Adress in s u i g e r y ,
British medic. association.
delivered at the 39.
ßrit. med. j o u r n . Aug. 1 8 7 1 .
Ann. meeting of the
I.
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
Operationen
im
49
Allgemeinen.
in dessen Stromgebiet operirt w e r d e n soll, zu h e m m e n .
Dies ist je-
doch nicht immer m ö g l i c h ; so z. B. bei den O p e r a t i o n e n , die in der Unterzungenbeingegend, an der Brust, am
o d e r in d e r
Oberschliisselbeingegend,
Bauch, am Damm v e r r i c h t e t w e r d e n .
oder
Hier
muss
d e r Operateur durch schnelles Fassen u n d Verschliessen der spriUenden Arterien den Mangel j e n e s Hülfsmiltels ersetzen. Der sicherste Weg, um den Blutlauf zu h e m m e n , w ä r e die U n t e r bindung
des z u f ü h r e n d e n
in den meisten
Arterienstammes.
Fällen die Gefahr d e r
Dies w ü r d e aber
Operation erheblich steigern,
zu deren Sicherung sie u n t e r n o m m e n w e r d e n soll. Vollkommen ungefährlich und sicher ist die C o i n p r e s s i o n . Finger
weisende Platz zu
muss ihm
sehen;
er
11111 sich stets zu v e r g e w i s s e r n ,
kommen
ist.
den
Gehülfe m u s s kaltDer ihm anzu-
die A u s f ü h r u n g d e r
m u s s alle einzelnen
Meist wird
dieser
speciell e i n g e ü b t sein.
gestatten,
können, führt.
richtiger H a n d h a b u n g ebenso
eines Geholfen a u s g e f ü h r t ; a b e r
blütig, gut unterrichtet und selbst
bei
Dieselbe wird am besten d u r c h
Acte derselben
Operation verfolgen
dass die Coinpression
die Coinpression mit dem Daumen
vollausge-
Man legt denselben zu diesem Zwecke mit seiner Volarfläche
auf eine Stelle der Arterie, hinter welcher sich ein Knochen befindet; die
Achse des Fingers m u s s rechtwinklig gegen die Achse des Ge-
lasses gerichtet s e i n ; e n t w e d e r neben diesen Daumen o d e r auf ihn legt man den Daumen der a n d e r e n Hand,
„.
„,
Fig. 2 4 .
damit er im ersteren Fall den e r müdeten a b l ö s e n ,
im zweiten
Druck
k ö n n e (Fig. 2 4 ) .
Man
verstärken kann
auch,
bei
sehr
den lange
d a u e r n d e n Operationen, den zuerst aufgesetzten D a u m e n , wenn er e r müdet
ist,
als
Pelotte
benutzen,
indem man auf ihn durch die a n d e r e H a n d , oder durch die
Hand
eines zweiten Gehülfen, den nöthigen Druck a u s ü b e n lässt. Gehülfe
aber
einige
Hat d e r
Uebung
im
Coinprimircn, so wird er allein für die längsten Operationen a u s r e i c h e n , d e n n er wird dann a u s E r f a h r u n g wissen, dass es keines gar zu s t a r ken Druckes b e d a r f , um den Blutstrom anzuhalten.
Die übrigen vier
R a r d e l e b e n , Chirurgie.
7. Aull. I.
4
50
Einleitung.
Finger werden (an den Extremitäten) auf die entgegengesetzte Seite des Gliedes gelegt, so dass dasselbe mehr oder weniger von der comprimirenden Hand umfasst wird. Man kann aber auch umgekehrt mit diesen vier Fingern ganz zweckmässig comprimiren, indem man sie alle in einer Reihe aufsetzt, wie zuin Pulsfühlen, während der Daumen an die entgegengesetzte Seite gelegt wird (Fig. 25). Fig. 2 5 .
Die Compression mit den Fingern lässt schnelle Modificationen z u ; sie kann unterbrochen und wieder in Wirksamkeit gesetzt werden, je nachdem es die Operation erfordert, und der Gehülfe kann selbst bei plötzlichen Bewegungen des Kranken diesen folgen. Nach einer Amputation können, sobald der Hauptstamm in der Wunde unterbunden ist, durch Verminderung des Druckes schnell die kleineren Arterien, welche durchschnitten sind, sichtbar gemacht werden. An manchen Stellen oder unter gewissen Umständen kann es bequemer sein, den Druck durch Vermittelung einer gewöhnlichen oder gestielten P e l o t t e auszuüben. Letztere kann durch ein mit Leinwand umwickeltes Petschaft, einen Schlüssel u. dgl. m. ersetzt werden. Auch die einstmals besonders gerühmte E h r l i c h ' s c h e K r ü c k e ist nichts als eine gestielte Pelotte mit Handgriff. Man hat jedoch den Grad der Compression bei Anwendung dieser Instrumente niemals so vollkommen in seiner Gewalt und kann sich nie dabei durch das eigene Gefühl in der Art überzeugen, dass die Arterie wirklich compriniirt wird, wie bei der Anwendung der blossen Finger. Wenn man nicht auf einen geschickten Gehülfen rechnen kann, so nimmt man seine Zuflucht zu den sogenannten C o m p r e s s o r i e n oder T o u r n i q u e t s . Drei dieser Apparate sollen hier als Typen der sehr mannigfaltigen Variationen derselben aufgeführt werden. Der e i n f a c h e K n e b e l , d a s K n e b c l - T o u r n i q u e t (erfunden
I.
von M o r e l ,
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
bei Gelegenheit
der älteste, einfachste u n d Apparate (Fig. 26).
Operationen
im
der Belagerung
Allgemeinen.
51
von B e s a n c o n ,
1674),
in gewissem S i n n e a u c h sicherste dieser
Ein s t a r k e s B a n d
(ein G u r t o d e r Riemen) wird
zweifach um die Extremität g e s c h l u n g e n ;
2(.
da, wo die Arterie liegt, schiebt m a n eine fest aufgerollte Binde (oder eine Pelotle) zwischen der
dasselbe
und
das
entgegengesetzten
Coniprcsse
und
auf
Seite dieser
Stück P a p p e oder L c d e r
Glied.
An
wird
eine
ein
dickes
untergeschoben,
und auf letzterem vermittelst eines Stabes das Band
(der Gurt)
durch
Drehungen
so fest z u s a i n m e n g e k n e b e l t , dass u n t e r halb dieser Stelle keine S p u r
von Pills
mehr zu fühlen ist.
In dieser Stellung
wird der Stab durch
ein a n d e r e s Band
befestigt. — Dies T o u r n i q u e t k a n n ü b e r all iinprovisirt w e r d e n . Die
Festigkeit
und
Sicherheit
des
Knebel-Tounw]uet r ü h r e n d a h e r , dass es nicht blos auf einzelne P u n k t e ,
sondern
auf den ganzen Umfang des Gliedes wirkt. Hiermit sind aber
auch
Nachtheilc
verbunden.
Es
lässt
sich
nur
da anlegen, wo man ziemlich viel Baum hat, d a h e r n i c h t in der Nähe des Humpfes.
Um auf die tiefer liegenden Arterien zu wirken, m u s s
das Band die ganze Extremität s e h r stark z u s a m m e n s c h n ü r e n , auch die auch
Venen
andere
comprimirt,
l'cbelstände
venöse
Blutungen
bedingt werden, Fig. ' i 7 .
wodurch
also gesteigert
und
indem z. B. bei A m p u t a -
52
Einleitung.
tionen die aus anderen Gründen w ü n s c h e n s w e r t e Zurückziehung der Muskeln gehindert wird, und bei lange dauernden Operationen Haut und Bindegewebe bedenkliche Quetschungen erleiden. Zur Vermeidung dieser Nachtheile erfand J e a n L o u i s P e t i t , im Anfange des vorigen Jahrhunderts, das S c h r a u b e n - T o u r n i q u e t , welches Fig. 27, an der Arteria poplitea angelegt, in seiner gewöhnlichen Construction, und Fig. 28 nach der C h a r F,e 2Ä " " r i e r e ' s c h e n Modiflcation abgebildet ist. Die eine der beiden Pelotten wird auf die Arterie gelegt, die andere an die entgegengesetzte Seite des Gliedes. Der die Pelotten verbindende Gurt, welehem durch eine Schnalle eine verschiedene Länge gegeben werden kann, steigt zu den Seiten der oberen Pelotte aufwärts und dann zu derselben wieder abwärts, nachdem er auf jeder Seite durch eine Oeffnung der Metallscheibe gegangen ist, welche sich oberhalb dieser Pelotte und mit derselben durch eine Schraube beweglich in Verbindung befindet. Indem man diese Schraube in verschiedener Richtung dreht, entfernt oder nähert man die Scheibe der Pelotte, wodurch der Gurt stärker gespannt (verkürzt) oder erschlafft (verlängert) wird. Auf solche Weise werden die zwischen den beiden Pelotten befindlichen Theile mehr oder weniger comprimirt. Dies Instrument ist sehr leicht anzuwenden; es hemmt (sobald nur die für die Arterie bestimmte Pelotte nicht so dick, wie in Fig. 28, sondern schmal oder konisch gestaltet ist) die Blutbewegung in den Venen und die Zurückziehung der Muskeln bei Weitem nicht in so hohem Grade wie das K n e b e l - T o u r n i q u e t , aber es verschiebt sich viel leichter und lässt sich -nicht iinprovisircn, wie das KnebelTourniquet. Ein Vorzug desselben ist, dass jeder Laie, wenn er nur weiss, in welcher Richtung man die Schraube zu drehen hat, mit diesem Instrumente die Compression ausführen kann, sobald es vorher, mit lose gespanntem Gurte, richtig und sicher angelegt ist. D a s D u p u y t r e n ' s c h e C o m p r e s s o r i u i n (Fig. 29), dem Schraubstock der Tischler nachgebildet, besteht aus einem Bogen von Metall, welcher etwa */3 eines Kreises beschreibt und an jedem Ende eine Pelotte trägt. Die eine dieser Pelotten, welche auf die Arterie zu liegen kommt (welche aber nicht, wie in Fig. 29, flach-convex, sond e r n , wie in Fig. 3 0 , konisch gestaltet sein muss) ist, wie an dem Tourniquet von P e t i t , mit einer Schraube versehen, durch welche sie der anderen genähert und von ihr entfernt werden kann. L'm
53
ihre R i c h t u n g sicher 7.11 e r h a l t e n , Löcher des Bogens zwei an
b e w e g e n sich durch
d e r Pelolte
entsprechende
befindliche Stäbe.
Um d a s
I n s t r u m e n t j e d e r beliebigen Dicke a n p a s s e n zu k ö n n e n , setzt man den Bogen aus zwei g e g e n e i n a n d e r v e r s c h i e b b a r e n Hälften z u s a m m e n , welche sich durch eine S c h r a u b e feststellen lassen.
Die Vorzüge dieses
etwas schwerfälligen
dass
Apparates
bestehen
darin,
ein Theil
des
Umfanges d e r Extremität ganz frei, somit d e r Blutlauf in den Venen u n g e h i n d e r t bleibt, u n d dass seine A n l e g u n g noch an Stellen möglich ist,
wo Tourniquets
sich g a r nicht m e h r a n w e n d e n l a s s e n ,
so z. B.
hoch oben am Schenkel. Ich habe mich seit vielen Jahren mil Vortbeil eines einfachen bedient, welches Fig. 3 0 abgebildet ist. Bogens in einem drehen
Schlitz
Compressoriums
An demselben lässt sich das letzte StGck des
nicht blos gradaus
und durch eine Klemmschraube
verschieben (verlängern),
sondern
in beliebiger Stellung feststellen.
auch
Die Rich-
t u n g s s t ä b e der Pelotte sind fortgelassen; die Verbindung zwischen d e r Pelotte und der grossen T o u r n i q u e t - S c b r a u b e ist beweglich, Seitenschraube
genügt,
um zu
T o u r n i q u e t - Schraube mitdreht.
verhüten,
so dass das Anlegen eines Fingers an die dass
die Pelotte
verschieden grosse P e l o t t e n , die nach Belieben angesetzt konisch
Um
sich bei Bewegungen d e r
Ich wähle, j e nach der Grösse und Lage der Arterie werden k ö n n e n ;
alle sind
und enthalten in einem Lederiiherzuge als Polster einen Gummikegel.
die voraussichtliche Wirksamkeit
der
Coinpression an einer g e g e b e n e n Stelle des Körpers zu ermessen,
die Möglichkeit u n d
hat
m a n zu b e d e n k e n , welche Theile einer Seits zwischen d e r Haut
und
54
Einleitung.
der zu comprimirenden Pulsader, und wciche Schiebten auderer Seits zwischen dieser und dem Stützpunkte (Knochen) gelegen sind. Liegt eine Arterie unmittelbar unter der Haut und auf einem Knochen (wie z. B. die Art. maxillaris externa auf dem Unterkiefer), so ist die Compression leicht auszuführen und wirksam. Aber am Hals, in der Kniekehle, am Unterschenkel finden sich die entgegengesetzten Verhältnisse, und es wird daher an diesen Stellen die Ausführbarkeit und die Wirksamkeit einer dauernden Compression der daselbst gelegenen Arterien sehr problematisch. Hebt man die Empfindlichkeit und die Muskelspannung durch ein A n ä s t h e t i c u m auf, so ist freilich die Compression aller grösseren Gefässstämme auch für längere Zeit und an beliebigen Stellen, z. B. auch die der A o r t a a b d o m i n a l i s , recht wohl ausführbar. Die S t e l l e n d e s K ö r p e r s , an welchen man mit Vortheil die Compression von Arterien vornehmen kann, sind folgende: 1) Die Art. c a r o t i s c o m m u n i s kann in ihrer oberen Hälfte ziemlich leicht mit den Fingern oder einem gut construirten Compressorium gegen die Wirbelsäule comprimirt werden; aber die Nähe des Kehlkopfs macht diese Compression bald beschwerlich, und die zwischen der Arterie und der Wirbelsäule gelegenen Nerven (Vagus und Sympathicus) gestatten nicht, dass man einen starken Druck längere Zeit hindurch fortsetzt. 2) Die A r t . m a x i l l a r i s e x t e r n a wird da, wo sie am vorderen Rande des Masseter dicht an der Mandíbula verläuft, gegen diese sehr leicht mit einem Finger comprimirt. 3) Die A r t . t e m p o r a l i s wird vor dem Ohre und zwar 4 ' / , Millim. vor der Basis des Tragus comprimirt. Auch ihre Acste, sowie die übrigen in der Kopl'schwarle verlaufenen Arterien, können gegen den Schädel comprimirt werden. 4) Die A r t . s u b c l a v i a ist weniger leicht zu comprimiren; sie liegt verschieden tief, je nachdem die Clavicula mehr oder weniger gewölbt ist. Gerade wegen ihrer tiefen Lage ist die Compression mit dem Finger die sicherste. Man erleichtert dem Finger den Zugang zur Arterie, indem man die Schulter und somit die Clavicula stark nach vorn drängt; alsdann kann auch bei sehr tiefer Lage die Arterie gegen die erste Rippe sicher comprimirt w e r d e n ' ) . Die Compression unterhalb der Clavicula, bei welcher das Gefass gegen die zweite und dritte Rippe gedrückt werden soll, ist wegen der Dicke der darüber liegenden Muskelschicht sehr viel schwieriger und unzuverlässig. 5) Die A r t . a x i l l a r i s kann gegen den Oberarmkopf comprimirt ' ) Hiervon möge sicli Jetler zur Uebung a n sich selbst
überzeugen.
I.
Von d e n c h i r u r g i s c h e n O p e r a t i o n e n
im
Allgemeinen.
55
w e i d e n ; fühlt m a n nicht die P u l s a t i o n e n d e r Arterie selbst, so setzt man die
Finger o d e r die Pelotte an d e r v o r d e r e n Grenze des Haar-
w u c h s e s in d e r Achselhöhle auf.
W e g e n d e r Nachbarschaft d e r grossen
N e r v e n s t ä m m e wird dieser Druck nicht lange e r t r a g e n . 6) Die A r t . b r a c h i a l i s
k a n n in der g a n z e n Länge ihres Ver-
laufes an der inneren Seite des O b e r a r m s findet sie leicht u n t e r dem Compression
inneren
comprimirt w e r d e n ;
Rande
des Biceps.
man
Auch ihre
wird nicht lange e r t r a g e n , weil sie d u r c h w e g von dem
Nervus m e d i a n u s begleitet w i r d ,
welcher sich im u n t e r e n
zwar ein wenig von ihr e n t f e r n t , jetloch
auch
Dritttheile
hier d u r c h ein Com-
pressorium immer noch mit getroffen wird. 7) Die A r t . r a d i a l i s ist da, wo man gewöhnlich den Puls fühlt, sehr leicht gegen den R a d i u s zu 8) Die A r t . u l n a r i s
comprimiren.
lässt sich an d e r äusseren Seite des Flexor
carpi ulnaris gegen die Ulna c o m p r i m i r e n . 9)'Die A o r t a a b d o m i n a l i s
kann bei erschlafften Bauchdecken
gegen die Wirbelsäule comprimirt w e r d e n , was jedoch, da der Druck zugleich die Baucheingeweide trifft, o h n e A n w e n d u n g eines B e t ä u b u n g s mittels (Chloroform oder dergl.) bei straffen B a u c h d e c k e n kaum a u s f ü h r b a r ist u n d jedenfalls nicht l a n g e ertragen wird.
Diese Compression
ist als provisorisches Mittel bei V e r w u n d u n g e n im Gebiete d e r Arteriae iliacae,
besonders
bei
U l e r i n b l u t u n g e n a n w e n d b a r , — von
auch beim Lufteintritt in die Venen empfohlen. Pulsadergeschwülstcn
des
Beckens
und
Mercier
Wir werden bei den
der Schenkelbeuge
auf sie
zurückkommen. 10) Die A r t . d o r s a l i s p e n i s wird mit Leichtigkeit comprimirt, indem man
die Wurzel des Penis
fest zwischen Daumen und Zeige-
11) Die A r t . i l i a c a e x t e r n a
wird in ihrem oberen Theile, n a c h
finger
fasst.
vorgängiger
Erschlaffung
der Bauchmuskeln,
B e c k e n e i n g a n g e s comprimirt.
gerichtet s e i n , wird a b e r auf die D a u e r , genden
oder v e r d r ä n g t e n
nicht e r t r a g e n .
Kurz
gegen
den R a n d
des
Der Druck m u s s ein wenig nach aussen
Eingeweide,
wegen
ohne
d e r dazwischen lie-
vorgängige
Betäubung
vor ihrem Austritt a u s dem Becken lässt sich
die Compression leichter a u s f ü h r e n . 12) Die Compression d e r A r t . f e m o r a l i s terien-Compressionen
am
findet
Häufigsten A n w e n d u n g ;
u n t e r allen Ar-
sie g e w ä h r t
Sicherheit u n d ist von d e r grössten B e d e u t u n g bei allen an der u n t e r e n Extremität.
Als S t ü t z p u n k t dient die Eminentia ileo-
pectinea;
letztere m u s s man
Druck
der
in
Richtung
volle
Operationen
vorher
schräg
nach
aufsuchen hinten
und und
gegen sie den a u f w ä r t s wirken
56
Einleitung.
lassen. Auch in ihrem weiteren Verlaufe bis zum unteren Dritttheil des Schenkels kann die A r t . f e m o r a l i s (cruralis) comprimirt w e r d e n ; als Stutzpunkt dient alsdann das Os femoris. Die Compression erfordert eine etwas grössere Kraft wegen der Dicke der, theils zwischen der Haut und der Arterie, theils zwischen dieser und dem Knochen gelegenen Weichtheile. Man bedient sich deshalb an diesen Stellen häufig des Tourniquets. In der Kniekehle ist die Compression schwieriger und schmerzhaft; die Finger sind, wegen der tiefen Lage des Gefässes, ganz unzulänglich. 13) Malleolus 14) äusseren
Die A r t . t i b i a l i s p o s t i c a kann d a , wo sie hinter dem internus verläuft, gegen diesen comprimirt werden. Die A r t . p e d i a e a lässt sich auf dem Fussrücken an der Seite der Sehne des Extensor longus hallucis comprimiren. Verfahren während der Operation.
Wenn es sich immer um Operationen an gesunden Theilen handelte, so könnte m a n , da der normale Zustand bekannt ist, Grundsätze aufstellen, die f ü r alle Operationen passen und nur je nach der Localität Modificationen erleiden müssten, welche sich aus der Anatomie herleiten liessen. Aber so ist es nicht immer. In vielen Fällen haben pathologische Processe die Form u n d Lage der Theile, ihre Consistenz und ihre Verbindungen in der Art verändert, dass jene leitenden Principien nur beschränkte Anwendung finden können. Der alte S p r u c h : „Cito, tuto et j u e u n d e " sollte „ T u t o , c i t o e t j u e u n d e " heissen. Vor Allem muss Sicherheit erzielt werden. Gewiss ist die Fertigkeit schnell zu operiren auch ein zu erstrebendes Ziel und oft, namentlich wenn ohne Chloroform operirt werden soll, nicht zu e n t b e h r e n ; es giebt sogar Fälle, in denen ein zu lange d a u e r n d e r Schmerz, in ähnlicher Weise wie ein zu bedeutender Blutverlust den Tod herbeigeführt hat. Es giebt aber auch Operationen, bei denen ein langsames und bedächtiges Verfahren durchaus n o t wendig ist; so bei der Unterbindung der Arterienstämme, beim Bruchschnitt. Jedenfalls darf die Schnelligkeit niemals auf Kosten der Sicherheit bevorzugt werden. Die Schnelligkeit muss nicht in allen Acten der Operation dieselbe sein. Im Allgemeinen kann man sagen, dass sie im Anfange grösser sein darf und sein muss, als gegen das Ende. Der erste Act besteht fast immer in der Durchschneidung der Haut; so z. B. bei den Amputationen, der Unterbindung der Arterien, beim Bruchschnitt, beim Steinschnitt. Dieser Act kann und muss immer sehr schnell beendet werden. Die Haut ist der empfindlichste Theil und ihre Durch-
I.
schneidung
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
O p e r a t i o n e n im
h a t d u r c h a u s keine Gefahr.
57
Allgemeinen.
Man
durchschneide
die H a u t in d e r nöthigen A u s d e h n u n g in e i n e m Zuge.
daher
Fast i m m e r
ist es besser, den Hautschnitt etwas zu gross, als zu klein zu m a c h e n . Je tiefer m a n eindringt, desto l a n g s a m e r operire man, der letzte Act muss
fast immer
ganz bedächtig a u s g e f ü h r t w e r d e n ,
so z. B.
das
Isoliren der Arterie u n d das H e r u m f ü h r e n des F a d e n s bei der U n t e r bindung
in d e r Continuität;
beim Bruchschnitt
das
Einführen
des
Messers neben dein eingeklemmten Eingeweide; beim Seitensteinschnitt das Einschneiden
in die Prostata und
die
Ausziehung des
Steines.
Nur bei wenigen Operationen m u s s oder darf d e r Schlussact schneller a u s g e f ü h r t w e r d e n , als die übrigen. tion d e r Mastdarmfistel durch
den
So wird z. B. bei d e r OperaSchnitt (vgl. Bd. III) d e r
Act, welcher in d e r E i n f ü h r u n g der Hohlsonde
und
besteht,
selbst
vorsichtig
und
langsam,
der
Schnitt
erste
des Gorgeret's aber
schnell
vollzogen. Die Sicherheit des Operateurs b e r u h t wesentlich
und
auf g e n a u e n und bestimmten anatomischen Kenntnissen.
vor Allem Durch diese
erhält e r j e n e erleuchtete Kühnheit, j e n e Entschlossenheit, mit welcher er d a s Messer
in den Körper des lebenden Menschen senken
Die Theile sind
muss.
vor seinem Auge durchsichtig, er weiss, welche er
anzugreifen h a t ,
u n d welche zu schonen.
Die Anatomie ist deshalb
auch seit alten Zeiten als der F ü h r e r angeschen worden, welcher dem O p e r a t e u r die grösste Sicherheit giebt. lindet man
die Anatomie und
Bestimmungen v e r b u n d e n .
Schon
im 13.
Jahrhundert
die Operationslehre durch gesetzliche
Kaiser F r i e d r i c h
II. befahl bereits,' d a s s
j e d e r O p e r a t e u r sich, in der Anatomie ganz besonders vervollkommnen müsse,
denn o h n e diese lasse sich auch nicht eine einzige Operation
inachen'). D e m n ä c h s t ist eine s i c h e r e Eine
gründliche
Ausbildung
in
Diagnose von grosser Wichtigkeit. der
pathologischen
Anatomie
und
sorgfältige klinische Studien werden in dieser Beziehung vom grössten Vortheil sein.
Es ist klar, dass ein Arzt, der im Voraus weiss, eine
Geschwulst enthalte ein Stück Darm, oder Netz, oder Blut, oder Eiter, oder
eine feste S u b s t a n z ,
Tumors
unternehmen
kaltblütiger
w i r d , als
die Operation
ein s o l c h e r ,
dem der
eines
solchen
Inhalt j e n e r
Geschwulst u n b e k a n n t blieb. Aber bei den ausgedehntesten anatomischen Kenntnissen, bei den eifrigsten klinischen Studien, nach oft wiederholten Uebungen an d e r Leiche k a n n
doch ein Arzt noch
' ) Vgl. M a l g a i g n e Paris
immer j e n e r e i g e n t ü m l i c h e n
in s e i n e r A u s g a b e d e s O e u v r e s c o i u p l e t e s d ' A m b r o i s e
1 8 4 0 , T. I., I n t r o d u c t i o n , pag. XXX.
EntParti.
58
Einleitung.
schlossenheit und Seelenruhe e n t b e h r e n , welche C e l s u s bereits vor 1800 Jahren gefordert h a t 1 ) , und ohne welche er nie ein wahrer Operateur werden wird. Ein Arzt, der einen solchen Mangel an Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart in sich bemerkt, sollte auf die Ausübung einer Kunst verzichten, die so oft das Leben seiner Mitmenschen in seine Hand legt.. Doch lasse sich der Anfänger, wenn er sonst den Beruf zum Arzte in sich zu fühlen glaubt, nicht abschrecken, wenn ihn bei den ersten grösseren Operationen, welchen er beiwohnt, Angst befällt, oder wohl gar eine Ohnmacht anwandelt; fester Wille, häufige Wiederholung des Zuschauens und fleissige Uebung im Operiren an lebenden Thieren lassen diese natürliche Operationen an Thieren Schwäche gewöhnlich bald Uberwinden. sind überhaupt ein vortreffliches Ergänzungsinittel für die Operationen an Leichen: das spritzende Blut, die unvorhergesehenen Bewegungen, das Schreien und Zucken, alle diese, bei der Ausführung von Operationen an lebenden Menschen am Meisten störenden und den Anfänger erschreckenden Ereignisse werden durch häufiges Operiren an lebenden Thieren alte Bekannte, denen man später mit voller Ruhe und Geistesgegenwart begegnet. Besonders hinderlich ist auch für den Geübteren das die Operationswunde überschwemmende, den Einblick und das Orientiren erschwerende Blut. Dasselbe rührt entweder aus den Arterien her, welche sich nicht comprimiren lassen, oder nicht hinreichend comprimirt w e r d e n ; oder a b e r aus den grösseren Venen. Wenn die spritzenden Arterien klein sind, so comprimiren die Gehiilfen ihre Oeffnungen mit den Fingern bis zum Ende der Operation, wenn dieselbe sich schnell beenden lässt und das noch etwa ausströmende Blut keinen Schaden thut, so z. B. bei der Abnahme der Brust. Im entgegengesetzten Falle ist die Verschliessung durch Arterienpincetten oder die Unterbindung sogleich vorzunehmen, so z. B. bei der Exstirpation grosser, oder tief wurzelnder Geschwülste, beim Bruchschnitt u. dergl. Bei gehöriger Aufmerksamkeit entdeckt man nicht selten eine in der Schnittlinie liegende Arterie schon vor ihrer Durchschncidung; alsdann führt man zwei Ligaturen um dieselbe und durchschneidet sie zwischen diesen. ') C e l s u s
beschreibt
„Esse a u t e m
den
Chirurgen,
wie er sein sollte,
chirurgus debet a d o l e s c e n s ,
mit folgenden W o r t e n :
aut certe adolescentiae p r o p i o r , manu
s t r e n u a , stabili nec u n q u a m inlremiscente, eaque non minus sinislra, q u a m promptus;
dextra
acie oculorum a c r i , c l a r a q u e ; anirno intrepidus, m i s e r i c o r s sie, ut
sanari velit e u m , q u e m aeeepit, non ut clamore eius motus, vel magis, q u a m res desiderat, properet, vel minus q u a m necesse est, s e c e t ; sed p e r i n d e faciat oinnia, ac si nullus ex vagilihus alterius aflectus o r i a t u r . "
Die Lesart
gielil wesentlich denselben Sinn in weniger feiner Form.
i m in i s e r i co r s
I.
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
Operationen
im
59
Allgemeinen.
Bei A m p u t a t i o n e n u n t e r b i n d e t m a n d i e G e f ä s s e g e w ö h n l i c h erst Absägung
der
Knochen;
nur
wenn
die
Compression
nicht
nach
gehörig
Statt f i n d e n k a n n , u n t e r b i n d e t m a n v o r d e m S ä g e n . Wenn
m a n von einem A r z t f r ü h e r e r n s t l i c h h ä t t e v e r l a n g e n w o l -
len, d a s s er a u c h „ j u c u n d e " o p e r i r e n sollte, s o h ä t t e sich dies s t e n s a u f eine S t e i g e r u n g rung
der
Anaesthetica
des
hat
„cito"
die
beziehen können.
Erfüllung
dieses
höch-
Die E i n f ü h -
Postulats
möglich
g e m a c h t ; denn die durch Aether oder Chloroform Betäubten t r ä u m e n zuweilen a n g e n e h m w ä h r e n d
der schmerzhaftesten
Operationen.
Zufälle bei Operationen '). Die U r s a c h e n reich.
In
manchen
merksamkeit falschen
des
d e r ü b l e n Z u f ä l l e bei O p e r a t i o n e n sind s e h r z a h l Fällen
ist U n w i s s e n h e i t ,
Operateurs
Diagnosen,
der
ihre Quelle.
Wundarzt
Unerl'ahrenheit,
So
kann,
eine grosse
Unauf-
abgesehen
Vene,
oder
von
Arterie,
deren Lage er nicht genau kannte, oder den D a n n beim Bruchschnitt verletzen, o d e r g a r in d e r V e r w i r r u n g bei e i n e r plastischen O p e r a t i o n d e n E r s a t z l a p p e n l'ortschneiden u n d dgl. m . Z u f ä l l e n sind die I n s t r u m e n t e .
E i n e a n d e r e Quelle von
Ein s t u m p f e s Messer m a c h t n i c h t b l o s
mehr Schmerz, sondern erregt auch eine heftigere Entzündung;
indem
es die Theile m e h r zerreisst, als z e r s c h n e i d e t ; von einem in die Blase e i n g e f ü h r t e n I n s t r u m e n t k a n n ein S t ü c k a b b r e c h e n
u. s. f.
Kranke
Ein
trägt z u w e i l e n
die S c h u l d
übler
Zufälle.
Auch d e r
Steinkranker
•/.. B. m a c h t e in d e m A u g e n b l i c k , w o mit d e m a n d e m schen
Bett
befestigten Steinfasser der
hellige B e w e g u n g
rückwärts,
dass
den Blasenhals eingezwängt w u r d e .
Stein
ergriffen
das Instrument
Ileurtclotip'-
war,
eine
so
mit dein Stein in
Ei' h a t t e o f f e n b a r v o n Glück zu
s a g e n , d a s s e r m i t einer v o r ü b e r g e h e n d e n I n c o n t i n e n t i a u r i n a e d a v o n kam. —
Nervöses T e m p e r a m e n t k a n n zu K r ä m p f e n p r ä d i s p o n i r e n ,
B l u t e r k r a n k h e i t oft w i e d e r k e h r e n d e B l u t u n g e n v e r a n l a s s e n M a n c h e Zulalle h a b e n in d e r E i g e n t ü m l i c h k e i t
des
die
u. s. f. —
Operationsortes
ihren G r u n d u n d sind d e s h a l b u n v e r m e i d l i c h ; s o z. B. h e f t i g e B l u t u n g und Schmerzen,
des grossen
Gefäss- und
Nervenreichthums
wegen,
bei d e r W e g n a h m e von G e s c h w ü l s t e n in d e r G e g e n d d e r O h r s p e i c h e l drüse. —
Lange Dauer der Operation kann E r s c h ö p f u n g des Kranken
zur
haben.
Folge
Aber
auch
a u f w a n d h a b e n oft üble F o l g e n , Nerven,
oder
gar
zu
g r o s s e Eile u n d zu g r o s s e r K r a f t -
wie Zerreissungen der Muskeln,
Knochenbrüche.
Dies b e o b a c h t e t
bei g e w a l t s a m e n V e r s u c h e n v e r a l t e t e L u x a t i o n e n Die Z u l a l l e lassen sich, i h r e m W e s e n lilan.lin,
des a c c i d e n t s q u i peuvenl
man
der
besonders
einzurenken.
n a c h , eintheilen in solche,
survenir pondant
les
Operations.
60
Einleitung.
welche auf materiellen Verletzungen von Organen beruhen, und solche, die auf Störungen der Nerventhätigkeit beruhen; die ersteren bestehen besonders in Continuitätstrennungen und Verstopfungen. o) Die Folgen der zufälligen C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g e n (Stiche, Einschnitte, Zerreissungen, Brüche) sind verschieden, je nach dem Gewebe oder Organ, welches getroffen ist. War es ein Nerv, so ist Lähmung die Folge, bei einem Gefass Blutung, im Knochen- und Bänder-Apparat Störung der Bewegungen u.s.w. Eins der erschreckendsten Beispiele ist das von B l a n d in citirte: bei der Application eines einfachen Klystirs wurde der Mastdarm durchbohrt und die Flüssigkeit in das Zellgewebe der Beckenhöhle eingespritzt, worauf eine gewaltige Eiterung und schliesslich der Tod folgte'). b) V e r s t o p f u n g e n . Während einer Operation im Munde oder in der Nasenhöhle, noch leichter bei der Tracheotomie und Laryngotomie gelangt oft Blut in die Luftwege und bedingt Erstickungsgefahr. Berühmt ist der Fall, in welchem R o u x einem Kranken nach der Eröffnung der Luftröhre dadurch das Leben rettete, dass er das in die Luftwege eingedrungene Blut schnell mit dem Munde heraussaugte. Ein plötzlich abgelöster Schlundpolyp hat zuweilen den Eingang zum Kehlkopf verschlossen. Mo s c a t i beobachtete beim Ausschneiden einer Mandel Erstickungsgefahr, indem ein halb abgeschnittenes Stück derselben sich umklappte und auf den Larynx fiel; die vollkommene Excision beseitigte die Gefahr. Bei der Resection des mittleren Theils des Unterkiefers hat man beobachtet, dass die Zunge, nachdem die sie vorwärts ziehenden Muskeln ihres Punctum fixuin beraubt waren, durch die Riickwärtszieher auf den Larynx gezogen wurde und so Erstickungsgefahr herbeiführte. Aus dem Vorhergehenden wird klar sein, wie mannigfaltig und häufig üble Zufalle bei Operationen sein können. Es sollen nun die gewöhnlichsten, plötzlich auftretenden und dringenden Zufälle näher erläutert werden. Ohnmacht.
U r s a c h e n . Nervöse Constitution, angeborener Mangel an Muth, besonders, wenn dabei grosser Muth simulirt wird, führen die Ohnmacht herbei, sobald die Schmerzen der Operation beginnen, oft schon vorher bei der blossen Vorstellung, bei dem Anblick der Instrumente u. s. w. Auch bei sonst kräftigen Menschen kann grosse Heftigkeit der Schmerzen und übermässig lange Dauer derselben Ohnmacht bewirken. ' ) B l a n d i n , I. c. — Vgl. Bd. III.
I.
Viele
werden
grossem
Von d e n c h i r u r g i s c h e n
beim
Anblick
Operationen
ihres
Blutes
im A l l g e m e i n e n .
sogleich
61
ohnmächtig,
Blutverlust die M e i s t e n , M a n c h e b e i m A n b l i c k j e d e r
bei
Wunde.
Ist d e r P a t i e n t d u r c h A e t h e r , C h l o r o f o r m o d e r dgl. b e t ä u b t , s o k a n n von O h n m a c h t im g e w ö h n l i c h e n Symptome.
Sinne keine Rede sein.
Die O h n m a c h t
tritt z u w e i l e n plötzlich e i n ,
Vorboten; Bewegung und Empfindung hören In a n d e r e n
ohne
mit e i n e m S c h l a g e a u f .
Fällen g e h t ein S t a d i i n n p r o d r o m o r u m v o r h e r ; d e r K r a n k e
e m p f i n d e t , b e v o r d a s B e w u s s t s e i n s c h w i n d e t , ein Uebelsein, e i n e A n g s t , ein
eigentümliches
überläuft
ihn
kalter
G e f ü h l von Schvveiss;
s c h r e i t a u c h w o h l a u f ; es w i r d Ohren
Beklemmung er
sagt
in
dann,
der Herzgrube;
es
d a s ihm s c h l e c h t sei,
ihm s c h w a r z v o r d e n A u g e n , in d e n
klingt es, er hal S c h w i n d e l , u n d i n d e m d a s G e s i c h t blass, d i e
E x t r e m i t ä t e n kalt w e r d e n , s c h w i n d e t
endlich das Bewusstsein
gänzlich
u n d d i e s c h l a f f e n Muskeln ü b e r l a s s e n die G l i e d e r i h r e r e i g e n e n S c h w e r e . Der K r a n k e weiss nichts von Allem, w a s u m ihn h e r u m v o r g e h t , empfindet keinen
und
Schinerz.
Das A u f h ö r e n d e r H e r z s c h l ä g e u n d d e s A l h m e n s , d e r Mangel d e r B e w e g u n g e n , die Kalle u. s. vv. g e h e n d a s A n s e h e n d e s T o d e s ; bald
ö f f n e n die
Augen
sich
wieder,
liefe A t h e i n z ü g e f ü h r e n
aber
wieder
L u f t in die L u n g e n , u n d e n d l i c h .kehrt a u c h d a s B e w u s s t s e i n z u r ü c k . Schwäche,
Kopfschmerz, Brechneigung
und
d e r Regio e p i g a s t r i c a b l e i b e n g e w ö h n l i c h
ein G e f ü h l von D r u c k in
noch e i n i g e Zeit z u r ü c k .
W e n n d i e O h n m a c h t l ä n g e r e Zeit a n d a u e r t , Tod ü b e r g e h e n . eilen,
ihr
Ende
Im A l l g e m e i n e n herbeizuführen.
so k a n n sie in d e n
hat m a n sich d a h e r i m m e r zu
be-
Nur in e i n e m
bei
Falle,
nämlich
einer bedeutenden Blutung, welche u n t e r ihrem Einflüsse a u f h ö r t , kann sie v o n
Nutzen
Verlängerung solchen
Falle
sein.
Hier s t e h t
d e r Arzt z w i s c h e n zwei G e f a h r e n :
der Ohnmacht, oder Wiederkehr der Blutung. niuss
man
zunächst
die
entsprechenden
In e i n e m Maassregeln
g e g e n die B l u t u n g e r g r e i f e n , die O h n m a c h t a b e r d o c h so s c h n e l l möglieh
beseitigen.
Behandlung.
Frische
W a s s e r , stark reizende Kitzeln
als
des S c h l u n d e s ,
reichen gewöhnlich aus.
Luft, tüchtiges
Bespritzen
Riechstoffe, wie: Essig, auch
der
Achselhöhle
mit
kaltem
A m m o n i a k u . s. w . , und
der
Fusssohlen
Man sollte a b e r nie u n t e r l a s s e n ,
besonders
w e n n d e r K r a n k e viel Blut v e r l o r e n h a l , ihn s o f o r t h o r i z o n t a l
a u f ein
B e t t o h n e K o p f k i s s e n , o d e r auf die E r d e zu l e g e n ,
relative
G e h i r n - A n ä m i e zu v e r m e i d e n . in
Reicht
d e r bei d e r C l i l o r o f o n n - A s p h y x i e
Weise
verfahren.
dies
um eine
nicht a u s ,
( p a g . 4 2 u . flgd.)
so m u s s
man
angegebenen
62
Einleitung.
Krämpfe.
Die unter dem Namen der Eklampsie bekannten Krämpfe der Kreisenden können als Typus auch für die bei Operationen auftretenden Krämpfe betrachtet werden. Man sieht sie besonders bei nervösen Subjecten, auf welche Alles einen tiefen Eindruck macht, und die im Voraus schon vor der Operation nicht minder schaudern, als vor ihren Folgen. Die Krämpfe beginnen im Allgemeinen mit unregelmässigen Bewegungen einzelner Theile, meist der Gesichtsmuskeln. Gewöhnlich treten sie zu Anfang der Operation auf. Wird die Operation nicht unterbrochen, so werden sie allgemeiner und nehmen alsdann einen bedenklichen Charakter an. Es kann aus ihnen das Delirium nervosuni hervorgehen, zu welchem Kranke der oben bezeichneten Art stets geneigt sind. Das Hauptmittel ist die Unterbrechung der Operation und die Verschiebung derselben, bis der Kranke ruhiger geworden ist. Dies Mittel lässt sich begreiflicher Weise bei dringenden Operationen und in solchen Fällen, wo der wesentliche Theil der Operation schon vor dem Ausbruch der Krämpfe beendet ist, nicht anwenden. Man hat sich dann auf kalte Besprengungen und die gewöhnlichen Antispasmodica zu beschränken. Hat man von vornherein Chloroform oder Aether angewandt, so stehen Krämpfe nur bei hysterischen Individuen zu erwarten. Sie werden aber durch Darreichung von mehr Chloroform beseitigt. Blutung.
Ursachen. Bei Operationen, durch welche sehr gelassreiche Theile verletzt werden, hängt eine unerwartete Blutung häufig von unzureichender Coinpression des Arteiienstamines ab. In anderen Fällen liegt der Grund der Blutung in einer unzwcckinässig angebrachten Compression, wenn diese nämlich nicht blos den Zufluss des Blutes durch die Arterien, sondern auch den Rückfluss des venösen Blutes hindert, welches dann aus den verletzten Venenästchen hervorströmt. Zuweilen ist eine Varietät des Arterienlaufes an der Blutung schuld, wobei den Gehülfen und den Operateur in gleicher Weise der Vorwurf trifft, dass sie dieselbe nicht bemerkt haben. S o k u n n z. B. e i n e B l u t u n g a n d e r H a n d o d e r d e m V o r d e r a r m e h ä u f i g n o c h f o r t dauern,
nenn
unterbunden
a u c h die
Arteria
brachialis
aufs
i s t ; d e n n es e n t s p r i n g t b e k a n n t l i c h
Vollkommenste
comprimir!
Anfange der Arteria brachialis.
Man m u s s d a h e r , n a c h d e m die C o m p r e s s i o n
i s t , sich s t e t s
unterhalb
Stammes giebt
auch
auch in
überzeugen, wirklich anderer
alle
ob
Pulsation
Beziehung
noch
oder
o f t g e n u g die Arteria r a d i a l i s a u s
derselben
in
aufgehört bat. zuweilen
d e n Aesten Die
zuletzt
Veranlassung
zu
des
begonnen
comprimirten
erwähnte einer
gar dem
Varietät
gefährlichen
I. Blutung:
VOD d e n c h i r u r g i s c h e n
Operationen
die A r t e r i a r a d i a l i s liegt n ä m l i c h ,
e n t s p r i n g t , gewöhnlich ganz oberflächlich tigten V e n ä s e c t i o n verletzt
Wenn ist,
die
wenn
im A l l g e m e i n e n .
63
sie b e r e i t s h o c h o b e n a m
Oberarm
d e s h a l b l e i c h t bei e i n e r
beabsich-
und kann
werden.
Compression
des
zuleitenden
Stammes
unmöglich
so liefert die W u n d f l ä c h e zuweilen eine b e u n r u h i g e n d e Blutung,
selbst
unter
Umständen,
wo sie g a r
nicht zu besorgen w a r .
Sehr
zu f ü r c h t e n ist eine b e d e u t e n d e Blutung, w e n n man k r a n k h a l t erweiterte Gefässe zu d u r c h s c h n e i d e n h a t ; schwülsten,
welche erweiterte
immer n u r
im Gesunden s c h n e i d e n
bei
d e r Exstirpation
Gefässe e n t h a l t e n , und
von
darf m a n
nichts von
Ge-
deshalb
d e r Geschwulst
zurücklassen. Eine Blutung durch
kann,
ganz
abgesehen
die Localität gefährlich w e r d e n ,
von
dein
z. B. bei
Blutverlust,
der Tracheotomie,
wo das in die L u f t r ö h r e s t r ö m e n d e Blut Erstickungsgefahi' bedingt. Behandlung. mit auch
Ist die Ursache der B l u t u n g b e k a n n t , so ist da-
das einzuschlagende
Verfahren
bald die Art d e r Compression
angezeigt.
zu v e r b e s s e r n ,
zu schliessen, o d e r aber sie d u r c h die Finger Ende
der Operation
comprimiren
zu l a s s e n ,
Man
hat
also
bald Gefässöffnungen d e r Gehülfen bis zum bald
endlich sofort zu
s typ tischen Mitteln, namentlich a u c h zum Glülicisen seine Zuflucht zu nehmen.
Bei j e d e r
venösen
Blutung
nitiss
man
den Kranken
tief
a t h m e n lassen, und Alles, w a s die Vene zwischen der blutenden Stelle und dem Herzen
comprimiren
könnte,
beseitigen.
—
Ausführlicher
wird von d e r Blutung und i h r e r B e h a n d l u n g in dem Abschnitte von den Krankheiten der Arterien (Bd. 11) g e h a n d e l t w e r d e n . Eintritt
von
Luft
in
die
Venen.
Auf den Eintritt von L u f t in die Venen bei chirurgischen Operationen und dessen tödtliche W i r k l i n g h a b e n z u e r s t M e r y und im vorigen J a h r h u n d e r t sten
Beobachtungen
hatte einem
die A u f m e r k s a m k e i t gelenkt.
gehört die des Thierarztes
P f e r d e zur Ader
die Compression
gelassen;
des centralen Theils
Blutausfluss a n z u h a l t e n , mit einem deutlichen
trat
in
Vcrrier.
fernerhin g e n a u zu b e o b a c h t e n .
Derselbe
dem A u g e n b l i c k , wo er
d e r Vene u n t e r b r a c h , um den
eine Quantität L u f t in
Geräusch,
Littre
Zu den f r ü h e -
die offene Vene
welches ihn v e r a n l a s s t e , Es stellten
das Thier
sich bedenkliche Zufälle
ein, wegen deren m a n noch m e h r e r e Aderlässe m a c h t e ; a b e r das Thier blieb am L e b e n .
Später h a b e n sich B i c h a t u n d N y s t e n
mit diesem
P h ä n o m e n beschäftigt ; aber erst die g e n a u e r e Kenntniss des Einflusses der A t h e m b e w e g u n g e n mehr Licht verbreitet.
auf die Vorgänge
des Kreislaufs h a t d a r ü b e r
64
Einleitung.
U r s a c h e n . Es ist bekannt, dass im Moment der Inspiration die Luft mit dem vollen Druck der Atmosphäre in die Brusthöhle eindringt. Derselbe Druck wirkt aber auch auf die Venen, so dass das Blut, wenigstens in den grösseren, während der Inspiration mit bedeutenderer Geschwindigkeit dem Herzen zuströmt. Während der Exspiration dagegen wird der Raum der Brusthöhle verengt; dadurch findet ein Druck auf die innerhalb jener Höhle gelegenen Venen Statt, und man beobachtet daher ein Zurückstauen des Blutes in den Venen. Man sieht alsdann die Halsvenen anschwellen, während sie bei der Inspiration zusammenfallen. Die durch die Ausdehnung der Brusthöhle auf die Venen ausgeübte Aspiration erstreckt sich aber nur einige Centimeter weit. Schon P o i s e u i l l e hat gezeigt, dass jenseit dieser Grenze von einer Wirkung der Respirationsbewegungen auf die Venen nicht mehr die Rede sein kann. Wenn man die äussere Drosselader eines Hundes in einer Ausdehnung von etwa 1 Decimeter von der oberen Apertur der Brust an, blosslegt, so sieht man, etwa 4 Centimeter von der Brusthöhle entfernt, die Wandungen dieser Vene während der Inspiration unter dem Druck der Atmosphäre zusammensinken, so d.tss das oberhalb befindliche Blut momentan gehindert wird, in die Brusthöhle einzuströmen. Man beobachtet dieselbe Erscheinung, wenn man durch einen Schlauch mit nachgiebigen Wandungen vermittelst einer Spritze eine Flüssigkeil aufsaugen will. Der Stempel der Spritze wird dabei alsbald unbeweglich, denn die Wandungen des Schlauchs werden durch den Druck der Atmosphäre an einander gepresst. Es kann also im normalen Zustande nur in der Nähe der Brusthöhle Lufteintritt in die Venen Statt finden. In weiterer Entfernung setzt die Compression des Gefässes zwischen der Wunde und dem Herzen durch den Druck der Atmosphäre dem Eindringen der Luft ein unüberwindliches Ilinderniss entgegen. Wird aber ein solides Rohr in die geöffnete Vene bis in die Brusthöhle eingeführt (Versuch von M a g e n d i e ) , oder finden sich normale oder abnorme Verhältnisse, welche der Vene eine gewisse Rigidität verleihen oder auf andere Weise das Zusammenfallen ihrer Wandungen verhindern; so kann auch bei den, in grösserer Entfernung von der Brusthöhle stattfindenden Verwundungen der Venen Lufteintritt erfolgen. Manche Venen sind mit Aponeurosen oder Knochen in der Art verbunden, dass dadurch das Zusammenfallen ihrer Wandungen unmöglich gemacht w i r d ' ) . Dieselben Verhältnisse können an anderen Venen durch vorhergegangene Entzündung ihrer Umgegend oder durch Verwachsung ihrer Wandungen mit Geschwülsten herbeigeführt wer') B e r a r d
) Rcp. Ung. Elerai 5 0 , Tinct. Myrrb. 1 5 — 2 5 M. D. S .
Verbandsalbe.
—
Rcp. Ung.
Elemi 5 0 , Tinct. Myrrh. 1 0 , Camphor. trit. 5 , Acid. carbolicl 1. M. D. S . Verbandsalbe.
264
Ernährongs-Störungen.
weitere Zersetzung desselben auf der eiternden Fläche wenigstens aufgehalten wird. Zweckmässig sind dann auch die Kohlenlinimente aus Kohle und Terpenthinöl oder Holzessig. Durch diese wird einer Seits der Zersetzung des Eiters vorgebeugt, anderer Seits ein lebhafter Reiz auf die Granulationen ausgeübt. Die aus Mischungen von Gyps und Steinkohlentheer dargestellten Präparate gehören gleichfalls hierher (vgl. pag. 168). Als bei Weitem wirksamere Mittel zur Bekämpfung der Zersetzung (Fäulniss) des Eiters haben sich h y p e r m a n g a n s a u r e s K a l i , C a r b o l s ä u r e , C h l o r k a l k , C h l o r z i n k und e s s i g s a u r e T h o n e r d e bewährt. Eine schwache Lösung des h y p e r m a n g a n s a u r e n K a l i (1 bis 5 auf 100 A q u a d e s t i l l a t a ) genügt, um tibel riechende Eiterherde sofort zu desinficiren. Die Wirkung dieses Mittels beruht darauf, dass es an die organischen Substanzen, indem es sich selbst zersetzt unter Zurückbleiben von Braunstein, Sauerstoff abgiebt. Es ist von unschätzbarem Werthe, wo es sich darum handelt schnell und sicher, jedoch nur vorübergehend einzuwirken. Auch der abscheulichste Geruch verschwindet von den mit jauchigem Eiter besudelten Händen, wenn man sie in einer Lösung von hypermangansaurem Kali gründlich abspült, unter Zurücklassung einer braunen Färbung (durch Braunstein), welche durch Oxalsäure oder oxalsaures Ammoniak nachträglich leicht beseitigt werden kann. Mit der Zersetzung des hypermangansauren Kali hört seine Wirkung auf. Man darf es daher nicht in Form von Umschlägen anwenden, da die damit getränkten Lappen und Charpiebäusche schon an sich die Zersetzung desselben einleiten) muss vielmehr die eiternden Flächen damit begiessen, bepinseln (mit einem Asbestpinsel) oder darin baden. Sind permanente Bäder oder Berieselungen, der Localität nach, nicht ausführbar, so wird man auch nur eine vorübergehende Wirkung erreichen und daher entweder die Uebergiessungen sehr häufig wiederholen oder andere antiseptische Mittel zu Hülfe nehmen müssen. Die C a r b o l - oder P h e n y l - S ä u r e ist zwar früher schon vielfach als desinficirendes Mittel versucht worden (zuerst wohl von L e m a i r e , 1865); ihre allgemeinere Einführung in die Praxis verdanken wir aber J. L i s t e r 1 ) . Ausgehend von der durch eine Reihe von ') J o s e p h Od
a
Lister
new
( f r ü h e r in Glasgow, seit 1 8 6 9 Prof. d. Chirurgie in E d i n b u r g ) ,
uiethod
of t r e a t i o g Compound f r a c t u r e ,
March bis J u l y ; D e r s e l b e , Brit. med. J o u r o . Die
a b s c e s s etc.
Lancet,
1867,
O n t h e a n t i s e p t i c principle in t h e p r a c t i c e of s u r g e r y .
1 8 6 7 , Septbr. 21. p. 2 4 6 .
Lancet.
Nov. 3 0 . p. 6 6 8 u . f. —
weitere, ü b e r a u s reichhaltige L i t e r a t u r über die A n w e n d u n g
der
Carbolsäure
Behandlung der
265
Eiterung.
Naturforschern festgestellten Thatsache, dass Fäulniss nur durch die Entwicklung organischer Keime (pflanzlicher oder thierischer Natur) zu Stande kommt 1 ), hat L i s t e r , nach vielen Versuchen, die Anwendung der Carbolsäure in Form der von uns bereits in der „Einleit u n g " (pag. 48 und 150) beschriebenen „antiseptischen Methode" empfohlen, um Eiterung in Wunden zu verhüten oder in Abscessen zum Erlöschen zu bringen. Von dieser Methode kann bei offenen Eiterungen in denen sich bereits Fäulniss eingestellt h a t , ein vollständiger Erfolg niemals erwartet werden. Für solche Fälle hatte L i s t e r schon früher die Bedeckung mit Compressen und Pasten (vgl. pag. 172) empfohlen, welche Carbolsäure in erheblicher Menge enthalten. Die fäulnisswidrige Wirkung solcher Verbände ist unleugbar. Bei buchtigen Eiterhöhlen erreicht man noch mehr durch permanente Irrigationen oder Bäder von wässriger Carbolsäure-Lösung (1 bis 2 p. C.). Aber es sind auch gewisse Uebelstände mit der Anwendung der Carbolsäure bei offenen Eiterungen verbunden: zunächst der Vielen sehr widerliche Geruch, dann die nachtheilige Einwirkung auf das Wachsthum der Granulationen und die Begünstigung von Blutungen aus denselben, endlich die häufig beobachtete Störung des Allgemeinbefindens. Die Carbolsäure wird nämlich von granulirenden (oder Wund-) Flächen leicht resorbirt. Geschieht dies in erheblichem Maasse, so stellt sich eine dunkle Färbung des Harns ein, welche oft erst bei längerer Einwirkung der Luft deutlicher hervortritt und sich zuweilen bis zu intensiv schwarzer Farbe steigert. Gewöhnlich empfindet der Kranke alsdann (zuweilen auch schon f r ü h e r ) eine allgemeine Unbehaglichkeit, klagt über Mangel an Appetit, auch wohl Uebelkeit, kehrt aber, wenn keine anderweitige Veranlassung vorliegt, bei kurzer Unterbrechung der Carbolsäure-Behandlung zu dem früheren Wohlbefinden zurück. Das wässrigen
relativ wohlfeilere c a r b o l s a u r e Lösungen anwendet,
Natron,
welches man in 3 his 5 p. C.
hat alle antiseptischcn Eigenschaften der Carbolsäure,
aber auch ihre Nacbtheile, namentlich auch bei stärkerer Coocentration kungen.
Dagegen
lässt das von W o o d (Lancet,
phocarbolsaure Eigenschaften der bindet, — findet
Zink (C
15
1868,
sich
Carbolsäure mit den adstringirenden des schwefelsauren Zinks ver-
in
meinen
Bd. II.
antiseptische into t h e
sul-
H 5 Zn O 5 , 2 S O ' -)- Aq.), welches die desinflcirenden
die irritirenden Eigenschaften der Carbolsäure nicht
Jabresber.
ätzende Wir-
Decbr. 12) empfohlene
Heferaten
1868
u. flgd.
Metbode
erkennen.
über allgemeine Chirurgie, Virchow u. —
Die vollständigste
Uebersicht
giebt die Preisscbrift von C u m m i n g ,
theory and practice of antiseptic surgery.
' ) Vgl. namentlich die Untersuchungen von P a s t e u r , des sciences, 1 8 6 3 , Vol. LVI, p. 1 1 8 9 u. f.
Edinburgh
Hirsch
über
die
An inquiry
1872.
Comptes rendus d e l ' a c a d ä n i e
266
ErnSbrungs-Störuogen.
Eine Mischung von Carbolsäore und hypermangansaurem Kali, wie man sie zuweilen annenden siebt, ist durchaus unzweckmässig; beide Mittel werden dabei unwirksam, da das hypermangansaure Kali die Carbolsäore, wie jede organische Substanz, dabei aber auch sich selbst zersetzt.
C h l o r k a l k (Calcaria taypochlorosa s. chlorata) kann in ziemlich starken Lösungen (bis zu 25 p. C.) zu Umschlägen und Bädern angewandt werden ohne ätzend zu wirken, erreicht niemals den Grad der Desinfection, welchen Kali hypermanganicum leistet, ist. aber von dauernderer Wirkung und durch das freiwerdende Chlor, dessen Geruch freilich sehr widerwärtig, für die Respirationsorgane sogar nachtheilig ist, vielleicht auch für die Desinfection der umgebenden Luftschichten nützlich. Chlor zink macht seine ätzenden Wirkungen auf die Granulationen schon in schwächeren Lösungen (1—2 p. C.) geltend und ist deshalb in vielen Fällen unpassend, leistet aber in stärkerer Concentration (8—10 p. C.), zumal in alkoholischer Lösung, bei weit vorgeschrittener Fäulniss die vorzüglichsten Dienste. Die von B u r o w zu allgemeiner Anwendung empfohlene essigs a u r e T h o n e r d e (Alumina acetica soluta) ist durch stark austrocknende Wirkung ausgezeichnet, welche in einzelnen Fällen sehr erwünscht, in anderen störend sein kann. Einer i n n e r e n Behandlung bedarf es bei der Mehrzahl der Eiterungen nicht. Jedoch muss man stets für leicht verdauliche, nährende Kost sorgen und, sobald die Kräfte des Patienten sinken, belebende und erregende Mittel, namentlich guten Wein hinzufügen. Dadurch kann oft der Ausbildung des sogenannten hektischen Fiebers vorgebeugt werden. Dagegen gelingt die Heilung dieses Fiebers, wenn es uns vollkommen ausgebildet mit den oben beschriebenen Charakteren entgegentritt, nur selten. Wird der Kranke blass und schlaff, so gebe man Ferruginosa und sorge, wenn auch keine Abmagerung zu bemerken ist, für besonders gute Nahrungsmittel, namentlich Fleischkost, Eier und Milch. Gerade hierdurch wird man am Besten der amylolden Degeneration, welche sich, wie schon erwähnt, häufig zu lang dauernden bedeutenden Eiterungen hinzugesellt, vorbeugen. Die roborirende Methode und namentlich die Behandlung mit Eisenpräparaten scheint die günstigsten Erfolge zu haben, auch wenn die Krankheit sich schon vollständig entwickelt hat. Lässt sich aber wegen der Beschaffenheit des Theils, an welchem die Eiterung sitzt, das Versiegen der letzteren gar nicht oder doch erst nach langer Zeit erwarten, so kann die Heilung, wenn die Eiterung an
267
Behandlung der Eiterung.
einer Extremität sitzt, noch durch A m p u t a t i o n des eiternden Theiles gelingen. In letzlerer Beziehung diene nachstehende Beobachtung als Beispiel. rige F r a u
wurde im December
Ellenbogengelenks
1852
Eine 2 6 j ä h -
in Folge einer Verletzung von Entzündung des
befallen, welche zum Aufbruch des
Gelenkes f ü h r t e .
Als sie am
1. December 1 8 5 4 in die chirurgische Klinik zu Greifsnald k a m , fiel eine ödematöse Schwellung
der Augenlider an dem übrigens mageren u n d blassen Gesicht auf.
Puls war klein, weich, frequent, der Appetit gut, S t u h l a u s l e e r u n g regelmässig.
Der
Schmer-
zen h a t t e Pat. nur in dem kranken Gelenke, welches bedeutend geschwollen und rings von ödematösen Geweben umgeben war. cariösen
Gelenk - Enden.
unterliegenden
Sieben fistulöse Geschwüre zu den bröckligen,
Die bedeckende
Tbeile festgeheftet.
Haut
war g e r ö t b e t ,
Der Urin enthielt
und a n die
gespannt
eine grosse Menge Eiweiss;
in
dem Bodensatz fanden sich bei mikroskopischer Untersuchung zahlreiche Fibrincylinder von der Gestalt der Harncanälchen. tbell
des
Oberarms
vollkommen
Ich amputirte a m 2 . December im oberen Dritt-
unter Bildung von zwei Lappen.
vernarbt.
Während
Die W u n d e war am 2 5 . Tage
der ersten 4 Tage nach der Amputation erhielt Pa-
tientin ein Infusum Digitalis, dann aber gute Diät und roborirende, namentlich EisenMittel.
Diese Behandlung hatte
einen
so guten Erfolg, dass die Kranke schon nach
drei Wochen kräftig einberschritt und blühend aussah. blieb
sich
während
der ersten
3 Tage gleich, schien
D e r Eiweissgehalt des Harns sogar etwas vermehrt zu sein.
Die Harnmenge betrug in dieser Zeit auch n u r 2 4 0 bis 3 6 0 Grm. auf den T a g ; das Mikroskop wies in den Sedimenten nicht blos Fibrincylinder,
sondern auch Blutkör-
perchen, fettig entartete Epithelialzellen und F e t t t r ö p f c h e n nach.
In den nächsten
2
Tagen schien die Menge der Blutkörperchen und der Fettgehalt eher vermehrt zu sein. Aber vom 6. Tage ab
verminderte
sich der
Maasse steigerte sich die Harnmenge.
Eiweissgehalt
stetig
Am 13. Tage k o n n t e n
zellen u n d Blutkörperchen im Harn nachgewiesen werden.
und
in
gleichem
noch fettige Epithelial-
Vom 15. Tage an verhielt
sich d e r Harn durchaus n o r m a l ; die Kranke wurde in der 4. Woche nach der Amputation geheilt entlassen und befand sich noch nach 1 0 J a h r e n vollkommen w o h l . Luxembourg,
De morbo
Brigbtii
e
suppurationibus
exorto.
Dissert.
Vgl.
Gryphiai
1 8 5 5 . — Vielleicht sind manche Fälle von Febris bectica d e r älteren Aerzte, in denen durch Amputation Heilung erzielt wurde, gleichfalls h i e r h e r zu r e c h n e n .
Von grösster Bedeutung für die Behandlung aller bedeutenden Eiterungen ist die Sorge für R e i n l i c h k e i t des ganzen Körpers des Kranken und seiner Umgebungen und namentlich für f r i s c h e L u f t . Man vermeidet, viele Kranke mit grossen Eiterungen in e i n Zimmer zu legen, sorgt jedenfalls für fortdauernde Ventilation und lässt die Kranken lieber in zu kühler, als in unreiner Luft liegen. Die sorgfältige Berücksichtigung aller dieser Vorschriften für die Behandlung grosser Eiterungen ist um so dringender zu empfehlen, als die P r o p h y l a x i s d e r S e p t i c h ä m i e und P y ä m i e zum grössten Theile auf ihnen beruht. Allerdings können zu diesem Behuf auch noch speciellc mechanische Hülfen erforderlich werden. Namentlich ist es von grosser Bedeutung, dass die Zurückhaltung und Einklemmung von Eiter unter Fascicn und Aponeurosen durch deren Spal-
Ernahrungi-Störungen.
268
tung verhütet, jede faulige oder zur Fäulniss neigende Flüssigkeit entleert und jauchende Körpertheile (wenn nöthig und möglich, durch Amputation) entfernt oder zerstört, mindestens aber genügend desinficirt werden. Ausser den eben angeführten stehen uns aber, wenn die Erkrankung einmal ausgebildet ist, weder bei S e p t i c h ä m i e noch bei P y ä m i e wirklich bewährte therapeutische Maassregeln zu Gebote. Dass ein so erfahrener Chirurg wie N 61a t o n noch in neuester Zeit grosse Dosen des G x t r a c t u m A c o n i t i als specifisch wirksam gegen Pyämie empfehlen konnte, ist mindestens ebenso unbegreiflich, wie die mit höchst verschiedenartiger Begründung oft wiederholte Anpreisung des Calomel und der Mineralsäuren. Seit langer Zeit hat man schon wegen der äusserlichen Aehnlichkeit der pyämischen Schüttelfröste mit denen des Wechselfiebers C h i n a p r ä p a r a t e bei Pyämie empfohlen, und bis auf die neueste Zeit hin werden Lösungen des schwefelsauren oder (des leichter löslichen) salzsauren Chinin bei Pyämie wie bei Septichaemie verordnet. Die Erfahrung am Krankenbett vermag nicht viel zur Empfehlung dieser Mittel sagen; dennoch muss den Chininsalzen, nach den Untersuchungen von Binz ')< eine sehr entschieden antiseptische Wirkung zugesprochen werden, und man würde vielleicht Aussicht haben, durch dieselben wenigstens gegen Septichaemie etwas auszurichten, wenn man sich entschlösse, sie- in 20- oder selbst 30fach stärkerer Dosis anzuwenden, als bisher iiblichf Ebensowenig bewährt, obschon gleichfalls von theoretischer Seite, namentlich durch Polli*) empfohlen, ist die Anwendung der s c h w e f l i g s a u r e n S a l z e (namentlich der schwefligsauren Alkalien) bei den hier in Rede stehenden, wie auch bei anderen InfectionsKrankheiten. Nach
Polli's
eigener
perimentelle S t u d i e n ) ,
Angabe in einem
Brief« an 0 . W e b e r ( ' g l . dessen Ex-
wäre freilich zu einer antiseptischen Wirkung eine Oosig dieser
Salze erforderlich, welche sich zum Körpergewicht also für einen Erwachsenen d u r c h s c h n i t t l i c h 75
wie
1 zu 1 0 0 0
verhalten
miisste,
Grammen!
Trotz dieser Trostlosigkeit unseres therapeutischen Standpunktes darf man auf eine Behandlung der Pyämie und Septichämie nicht ganz verzichten. S o r g f ä l t i g e R e i n i g u n g (Desinfection) d e s E i t e r h e r d e s und U n t e r s t ü t z u n g d e r K r ä f t e durch nährende und belebende Mittel sind die Hauptaufgaben. Ausserdem hat der Arzt häufig genug symptomatische Indicationen zu erfüllen. Den D e c u b i t u s sucht man durch gute Lagerung, namentlich auf Wasser- oder Luft-Kissen, zu verhüten (vgl. den folgenden Abschnitt). ' ) Experimentelle Studien über das Wesen der Chininwirkung. ' ) Memorie del Instituto Lombardo.
Vol. VIII.
Berlin
1868.
Behandlung der
269
Eiterung.
Die im Verlaufe der Pyämie vorkommenden B l u t u n g e n lassen sich selten durch Unterbindung des blutenden Gefässes selbst stillen (vgl. Bd. II.) Dagegen ist die Unterbindung in der Continuität nach meinen Erfahrungen stets ausreichend gewesen. Dass eine solche Unterbindung, indem sie die Blutbewegung auch im entsprechenden Venenrohr für einige Zeit a u f h e b t , gegen die Fortspülung von Gerinnseln u n d anderem Inhalt der Venen nützlich sein sollte, lässt sich allerdings nicht ganz von der Hand weisen; anderer Seits ist aber nach einer solchen Unterbrechung des Blutlaufs ein desto schnellerer Zerfall der Thrombi zu erwarten, und der operative Eingriff an sich zu bedeutend, um ihn bei der Behandlung der Pyämie zu empfehlen. Erhebliche S c h m e r z e n und Qualen durch A n g s t g e f ü h l , welche nicht immer ausbleiben, erheischen die Anwendung narkotischer Mittel. Pyämische, Chloroform nach,
kehrt
wiederholter
welche
bis
zur
aber
während der Schüttelfröste Betäubung
nicht
weniger
einathmen schnell
beträchtlich litten,
lassen.
wieder,
habe
ich
D e r S c h ü t t e l f r o s t lässt
und
die
Kranken bekommen
Anwendung des C h l o r o f o r m s einen grossen Widerwillen
gegen d a s
nach Mittel.
Man h ä t t e g l a u b e n k ö n n e n , d a s s d a s C h l o r o f o r m als A n t i s e p t i c u m auf den Verlauf Pyämie einen günstigen bemerken
können,
Einfluss a u s ü b e n möchte.
selbst
Ich h a b e einen s o l c h e n a b e r
w e n n die I n h a l a t i o n e n drei b i s vier Mal täglich ( b e i
S c h ü t t e l f r o s t ) m e h r e r e Tage lang angewandt wurden. Wirkung
von
Mitteln
Hypnoticum auch
dieser
Reihe
überhaupt
zu
Sollte
erwarten
h i e r zu e m p f e h l e n d e C h l o r a l b y d r a t
gegeben) m e h r leisten als Inhalationen
yon
eine s o l c h e sein,
(zu 3 — 4
so
oft
hierbei
der nicht
jedem
antiseptische
würde
das
als
(¡rammen innerlich
Chloroform.
II. Ton dem Abscess im Allgemeinen. Eine durch die Eiterbildung entstandene, mit Eiter gefüllte Höhle nennt man A b s c e s s oder E i t e r b e u l e . Wir handeln hier zwar von den Abscessen im Allgemeinen, jedoch mit wesentlicher Beziehung auf diejeniden, welche aus einer am Sitz des Abscesses selbst verlaufenen acuten Entzündung entstanden sind (heisse Abscesse). Von den sogenannten k a l t e n Abscessen wird demnächst im Besonderen, von den S e n k u n g s - oder C o n g e s t i o n s - A b s c e s s e n , welche sich dadurch unterscheiden, dass sie an einer von dem Entstehungsorte des Eiters mehr oder weniger entfernten Stelle zum Vorschein kommen, bei den Knochen- und Gelenk-Krankheiten die Rede sein. Die m e t a s t a t i s c h e n A b s c e s s e k a m e n schon bei der P y ä m i e zur Sprache.
A. Anatomische Untersuchung. — 1. S i t z . Abscesse können in allen Geweben vorkommen, sogar in Blutgerinnseln. Sie finden sich in jeder beliebigen Schicht, jedoch häufiger nahe an der Oberfläche, als in der Tiefe der Organe (J. H u n t e r ) . 2.
Form.
Jeder Abscess hat Neigung zur sphärischen Gestalt,
270
Enjährnngs-Störaogen.
zumal wenn die ihn umgebenden Gewebe auf allen Seiten gleichmässige Consistenz besitzen. Seine Gestalt kann aber durch die Nachbarschaft von fibrösen Häuten, Knochen oder anderen, Widerstand leistenden Theilen auf das Mannigfaltigste abgeändert werden, so dass er sich bald flächenartig ausbreitet, bald Canalform oder eine durchaus unregelmässige Gestalt annimmt. Durch die Höhle eines Abscesses verlaufen oft Gefässe, Nerven, Ausfllhrungsgänge von Drüsen. In früherer Zeit fasste man alle Theile, die die Höhle eines Abscesses durchsetzten, unter dem Namen „Stränge" zusammen, und ging eifrig auf deren Zerstörung aus, in der Idee dadurch die Heilung zu befördern, während man sich oft, wenn diese Stränge grössere Gefässe enthielten, gerade der erspriesslichsten Ersatzmittel für den durch die Eiterung bewirkten Substanzverlust beraubte. Ein Abscess kann aus mehreren Taschen oder Abtheilungen bestehen, welche durch mehr oder weniger enge und verschieden lange (fistulöse) Gänge mit einander in Verbindung stehen. Solche v i e l f ä c h e r i g e (multiloculäre) Abscesse finden sich besonders, wenn von einem ursprünglichen Eiterherde aus der Eiter sich mehr oder weniger tief unter der Haut zwischen den Organen einen neuen Weg gebahnt und neue Entzündungen erregt hat. 3. Die Z a h l der Abscesse ist zuweilen sehr gross; dann beruht die Abscessbildung meist auf inneren Ursachen. In der Mehrzahl der Fälle findet sich entweder nur ein Abscess, oder doch nur wenige nahe aneinander. 4. R i c h t u n g . Der Abscess hat unter allen Umständen die Neigung, sich gegen die Körperoberfläche hin zu vergrössern. Dies hat seinen Grund in der grösseren Schwierigkeit, welche die festeren Gebilde in der Tiefe seinem weiteren Vordringen entgegensetzen. Wenn ein Abscess in der Nähe der Brust- oder Bauchhöhle besteht, so wird sein Durchbruch in diese Höhlen nicht blos durch die Verdickung der serösen Häute, die in Folge des Druckes auf Grund einer chronischen Entzündung zu Stande kommt, sondern auch durch den Druck verhütet, welchen die Eingeweide der gedachten Höhlen fortdauernd auf deren Wandungen ausüben. Nichts desto weniger ist das weitere Vordringen eines Abscesses in die Tiefe und sogar der Durchbruch in einen serösen Sack wohl möglich und wiederholt beobachtet. 5. Bau. Gewöhnlich ist die Abscesshöhle von einer PseudoMembran ausgekleidet, welche D e l p e c h als constant in allen Abscessen annahm und membrane pyoginique nannte. Eine solche A b s c e s s M e m b r a n findet sich aber in frisch gebildeten Abscessen gar nicht, sie kann anch in länger bestehenden, zumal wenn sie Folge einer
Abscess.
271
Phlegmone diffusa sind, gänzlich fehlen. Dass sie zur Eiterbildung Uberhaupt nicht nothwendig ist, wurde schon pag. 241 gezeigt u n d wird zum Ueberfluss durch die Eiterung auf Schleimhäuten bewiesen. Die Abscess-Membran ist vielmehr eine F o l g e der Eiteransammlung; sie erleidet verschiedene Modificationen, je nach der Quantität und Qualität des Eiters, insbesondere auch je nachdem die Abscesshöhle mit der Luft communicirt oder nicht. Aller Eiter hat von Anfang an Neigung, sich gegen ein bestimmtes Centrum hin zu sammeln, wahrscheinlich da, wo der Ausgangspunkt der Entzündung, der eigentliche Krankheitsherd war. Er durchbricht oder verdrängt die Maschen des Bindegewebes, zerstört oft dasselbe in grösserer Ausdehnung, und, während die umgebenden Gewebe durch Wucherung sich verdichten, entsteht um den Eiter die Abscess-Membran, die weiter nichts ist, als die durch geronnenes Exsudat verdichtete und verdickte Schicht der angrenzenden, gewucherten Gewebe, welche zunächst die Wand des Abscesses bilden. Auf ihr und aus ihr wachsen die Granulationen hervor, die aber in der Regel erst nach der Oeffnung des Abscesses sich zu entwickeln beginnen. B. Ausgänge der Abscessc. Der Eiter kann als eine krankhaft gebildete Flüssigkeit, mithin als ein relativ fremder Körper, nicht dauernd im Organismus verweilen. Er erregt, wie jeder fremde Körper, in seiner Umgebung mehr oder weniger Entzündung. Durch diese w i r d , in Verbindung mit der stetig steigenden Spannung der Bedeckungen das Abscesses, V e r s c h w ä r u n g (vgl. Cap. II. d. folgd. Abschnitts) herbeigeführt, welche gewöhnlich den Durchbruch des Abscesses nach der Oberfläche und somit Entleerung des Eiters zur Folge hat. — V i e l s e l t e n e r wird der Eiter durch Absorption entfernt. 1. A b s o r p t i o n d e s E i t e r s . Der Inhalt eines Abscesses kann, ohne nach Aussen entleert zu werden, verschwinden. Für solche Fälle müssen wir annehmen, der Eiter sei in das Geßiss - System wieder aufgenommen worden. An eine Aufnahme der Eiterkörperchen durch Poren der Gefässe ist hierbei nicht zu denken; nur das EiterSerum kann resorbirt werden, die Eiterkörperchen können sich aber in diesem aufgelöst haben. Wenn Resorption des Eiters aus einem Abscess Statt findet, so bemerkt man, dass sein Volumen geringer, und sein Inhalt dickflüssiger wird. Eine solche Veränderung kann von einem Tage zum anderen in sehr auffallender Weise Statt finden. Zuerst wird immer das Eiter-Serum aufgesogen. Die Eiterkörperchen scheinen demnächst durch Umwandlung ihres Inhalts in Fett (fettige Degeneration) ihrer
272
Krnährungs-Störungen.
Auflösung entgegenzugehen. Lange, bevor das Mikroskop zur Aufhellung pathologischer Processe benutzt w u r d e , ist von D u p u y t r e n u. A. beobachtet worden, dass unzweifelhaft eiterhaltige Abscesse sich nach Resorption des Eiter-Serums in fetthaltige Cysten verwandeln können. Dies Fett ist dem Fettwachs, welches sich zuweilen in Leichen entwickelt (Adipocire), ähnlich befunden worden. Keineswegs ist aber die fettige Degeneration die einzige Umwandlung, deren Eiterkörperchen fähig sind. Dieselben können auch „tuberculisiren", d. h. unter stetig fortschreitender Eindickung des Eiters einschrumpfen und dann körnig zerfallen zu einem allerdings auch resorbirbaren Detritus. Schliesslich wird auch die Abscess-Membran von den umliegenden Theilen verdrängt und auf eine fibrösü Schicht reducirt, welche einer Inscriptio tendinea nicht unähnlich ist. Es kann an der Stelle, wo der durch Resorption geheilte Abscess sich befand, ein äusserlich sichtbarer Eindruck zurückbleiben, welcher später, bei guter Ernährung, durch Fett ausgefüllt wird. Man betrachtet diesen Ausgang als einen günstigen, und fürchtet doch anderer Seits die Aufnahme von Eiter in's Blut, welche man als Quelle der Pyämie betrachtet. Zwischen beiden Arten der EiterResorption ist aber ein wesentlicher Unterschied. Rei der hier in Rede stehenden wird Eiter-Serum, welches noch durch keine atmosphärischen Einflüsse verändert ist, nachdem es vorher die mehr oder weniger dicke Abscess-Membran passirt hat, in das Gefäss-System aufgenommen. Hierdurch wird eine nachtheilige Veränderung der Blutmasse nicht bedingt. Ganz anders verhält es sich bei der Resorption von Eiter-Serum, welches unter dem Einflüsse der Luft und der in ihr schwebenden organischen Substanzen in der Zersetzung begriffen ist, welches fernerhin nicht erst durch eine Abscess-Membran gleichsam hindurch filtrirt, sondern direct von den Blutgefässen aufgenommen wird. Aber auch ohne lntercurrenz der Fäulniss kann die Resorption von Eiterbestandtheilen nachtheilig werden. Der moleculäre Zerfall (Detritus), welchen „tuberculisirte" Eiterkörperchen liefern, scheint, nach neueren Untersuchungen, in die Blutmasse aufgenommen, in weit entfernten Organen, namentlich in der Lunge, die Veranlassung zur Entwicklung wahrer Tuberkeln zu g e b e n ' ) . 2. E n t l e e r u n g d e s E i t e r s . Wenn die Resorption nicht erfolgt, so tritt, in Folge der von dem Eiter selbst angeregten und immerfort unterhaltenen Entzündung, unter stetig steigender Spannung der bedeckenden Gewebe, Verschwärung ein. Dieselbe findet gewöhnlich nur an einer Stelle des Abscesses, in der. Regel an derjenigen Seite, ') Vgl. „Tuberkel" im 3. Cap. des III. Abschnitts.
Ahscess. welche
der ä u s s e r e n
n ä c h s t liegt, Statt.
Haut
273
(oder ü b e r h a u p t einer freien Fläche) zu-
In d e r U m g e b u n g dieser ulcerativen
Entzündung
entwickelt sich eine a d h ä s i v e ; diese letztere geht sogar d e r ersteren voraus,
und
es
wird auf solche Weise das Eindringen
des
Eiters
zwischen die den Abscess u m g e b e n d e n Theile verhütet und f ü r seine E n t l e e r u n g nach Aussen ein m e h r oder weniger langer Canal gebildet. Sobald
der D u r c h b r u c h
des Eiters nach Aussen Statt g e f u n d e n hat,
v e r ä n d e r n sich die Verhältnisse des Abscesses durch den Zutritt der Luft.
Die Abscess-Membran wird geröthet, schwillt an, die
d u n g wird reichlicher und der Eiter selbst in d e r oben
Eiterbil-
angegebenen
Weise qualitativ v e r ä n d e r t . Ausser den bereits erwähnten Fällen des D u r c h b r u c h s d e r Abscesse nach Aussen o d e r in eine seröse Höhle, ist noch eine dritte Möglichkeit h e r v o r z u h e b e n , d e r D u r c h b r a c h nämlich in ein von ausgekleidetes Eingeweide.
Schleimhaut
Ein solcher setzt ebenfalls eine vorgängige
V e r w a c h s u n g der äusseren Fläche des Eingeweides mit der W a n d u n g des Abscesses voraus.
Im Allgemeinen
ist diese Art der E n t l e e r u n g
w e n i g e r günstig, als die auf die äussere Haut.
Jedoch giebt es Fälle,
in d e n e n sie wünschenswertli e r s c h e i n t : bei Abscessen der Hüftbeingrube
ist die E r ö f f n u n g in den Dickdarm
ähnlich
verhalten sich
Durchbruch
nach
ein glücklicher
Ausgang;
tiefe Abscesse in der P a r o t i s , bei denen
Aussen
das
Zurückbleiben
der
einer Fistel w ü r d e b e -
f ü r c h t e n lassen, w ä h r e n d die E r ö f f n u n g in die Mundhöhle keine üblen Folgen
zuriicklässt.
Bedenklich
dagegen
ist
der
Durchbruch
Abscesscn in den mittleren Theil des Nahrungsschlauches, um
und
von zwar
so mehr, je n ä h e r am Magen; die Anwesenheit des Eiters stört
die V e r d a u u n g und d e r Eiter hat einen weiten Weg zu d u r c h l a u f e n , b e v o r e r aus dem K ö r p e r entfernt wird. W e n n keine anderweitigen üblen Zufälle eintreten und die Ursache der E i t e r u n g nicht f o r t d a u e r t , so beginnt mit der Entleerung des Eiters auch die Ausfüllung d e r Abscesshöhle durch Die
Granulationen
(FleischWärzchen)
Granulationen. entwickeln
sich
aus
Zellen, welche an d e r Abscess-Membran haften, in m e h r o d e r w e n i g e r ansehnlichen
Haufen mit einander verkleben
u n d sich weiterhin
in
Bindegewebe und Gefässe u m w a n d e l n . Besteht die Ursache d e r E i t e r u n g fort, so findet eine Ausfüllung der Abscesshöhle nicht Statt, vielmehr wird die Eiterung in derselben durch die Einwirkung d e r L u f t i m m e r schlechter, d e r Abscess verwandelt sich in ein Geschwür. Von grosser Wichtigkeit die localen m e c h a n i s c h e n
bei der Heilung der Abscesse sind oft Verhältnisse.
b u n g , so spielt auch hier die Bardeloben, Chirurg!«. 7 Aull. I.
Wie bei j e d e r V e r n a r -
Z u s a m m e n z i e h u n g der
vernarbenden 18
274
Frnahrunfts-Störnngen.
Theile eine grosse Rolle. Sind die localen Verhältnisse nun der Art, dass sie eine solche Zusainmenziehung nicht gestatten, so wird dadurch die Heilung sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht. In der Umgebung des Mastdarms z. B. werden durch die Wirkung des Sphincter ani die Wandungen eines nach Aussen aufgebrochenen Abscesses fortdauernd von einander gezerrt, da das zwischen Mastdarm und Sitzbein befindliche Bindegewebe an dem genannten Knochen unbeweglich befestigt ist. In anderen Fällen schieben sich Granulationshaufen vor die Oeffnung des Abscesses oder vor eine Ausbuchtung desselben, versperren auf diese Weise auch nach Eröffnung des Abscesses dem Eiter den Weg und hindern somit die Heilung').
C. Diagnose. Mit Recht sagt S a m u e l C o o p e r : „Nichts verräth mehr den scharfen und geübten Blick eines Chirurgen, als die Leichtigkeit, mit welcher er tief gelegene Ansammlungen von Flüssigkeit erkennt; nichts kann das Vertrauen zu ihm so leicht erschüttern als ein Irrthum, den er in dieser Beziehung begeht." Es handelt sich darum, den Eiter unter den ihn bedeckenden Theilen direct zu erkennen, oder aber seine Anwesenheit auf Grund der Aetiologie und des Krankheitsverlaufes zu erschliessen *). Sobald der Eiter gebildet ist, wird die Geschwulst schärfer begrenzt, ihre Mitte erhebt sich auf Kosten ihres Umfangs. Auch die Rothe concentrirt sich gegen die zugespitzte Mitte hin, wo sie intensiver und zuletzt bläulich wird, während die peripherische Rothe schwindet. Auch die Spannung verschwindet in der Peripherie; diese fühlt sich vielmehr teigig an. Desto stärker wird die Spannung am Gipfel der Geschwulst, wo sie endlich einen so hohen Grad erreicht, dass eben nur noch der Durchbruch übrig bleibt. Das entscheidendste Zeichen für die Anwesenheit des Eiters ist die F l u c t u a t i o n (Schwappung), d. h. die fühlbare Bewegung der Flüssigkeit in der Geschwulst, wenn man an dieselbe anschlägt oder einen plötzlichen, kurzen Druck auf sie ausübt. Es ist zuweilen nicht leicht, dieselbe wahrzunehmen, bald wegen der Dicke und sonstigen Beschaffenheit der den Abscess bedeckenden Theile, bald wegen der zu grossen Consistenz des Eiters, bald endlich wegen zu strotzender Anftlllung des Abscesses und dadurch bedingter, zu straffer Spannung seiner Wandungen. Dass auch der zuletzt erwähnte Grund das Gefühl der Fluctuation undeutlich machen kann, wird durch einen Versuch an einer strotzend mit Flüssigkeit gefüllten Blase erwiesen. ' ) Genauere Erläuterungen hierüber giebt der Aufsatz von W. R o s e r s c e s s - und F i s t e l k l a p p e n
„über
Ab-
Archiv für physiologische Heilkunde, 1 8 5 6 , p . 3 4 9 .
*) Vgl. V i d a l Im Journal hebdomadaire, Tom. XIII.
1833.
Absces«.
275
Daher führt auch zuweilen ein kräftiges Abführmittel, indem es die Resorption eines Theils des Eiterserum bewirkt, die Möglichkeit h e r bei, die vorher mangelnde Fluctuation zu fühlen. Was die zu bedeutende Consistenz des Eiters als Grund des Fehlens der Fluctuation betrifft, so muss besonders hervorgehoben werden, dass es Organe giebt, in denen sich immer nur sehr dicker Eiter bildet. Aus diesem Grunde sind z. B. Leber-Abscesse, selbst wenn sie nahe unter der Haut liegen, oft schwer zu erkennen. Flächenhaft ausgebreitete Abscesse (z. B. bei diffuser Phlegmone) zeigen, wegen ihrer Ausbreitung in einer dünnen Schicht, oft gar keine oder doch undeutliche Fluctuation. Um die Fluctuation in einer Geschwulst zu fühlen, muss man dieselbe fixiren, weil sonst durch die Bewegung, die man dem Inhalte mittheilen will, die ganze Geschwulst bewegt wird. Dies ist besonders zu beachten, wenn es sich um Abscesse der Brustdrüse, des Hodens, der Achselhöhle oder der Schenkelbeuge handelt. Man untersucht bald nur mit einem oder mit mehreren Fingern, bald mit einer oder mit beiden Händen. Bedient man sich nur e i n e s Fingers, so muss man mit diesem zugleich die Flüssigkeit in Bewegung setzen und auch die Bewegung fühlen. Dies Verfahren ist besonders zweckmässig, wenn der Abscess in einer Höhle liegt, z. B. im Munde. Man drückt mit dem Finger auf die Geschwulst und erhebt ihn dann schnell, ohne jedoch seine Berührung mit der Geschwulst ganz zu unterbrechen. Der durch den Druck verdrängte Eiter kehrt sogleich zu seiner früheren Stelle zurück, und stösst dabei gegen den zufühlenden Finger an. Bedient man sich zweier Finger, so legt man sie auf zwei, einander entgegengesetzte Punkte der Geschwulst; so wie der eine anschlägt, beobachtet der andere das Anstossen der in Bewegung gesetzten Flüssigkeit. Bei grösseren Abscessen, sowie auch bei tiefem Sitz derselben legt man mehrere Finger oder auch die ganze Hand an, um den auf der anderen Seite der Flüssigkeit ertheilten Stoss wahrzunehmen. Selten wird man in einem Abscess eine so starke Schwappung entdecken, wie bei Ascites (Anfüllung der Bauchhöhle mit flüssigem Exsudat); dazu ist eine Grösse erforderlich, wie sie nur Abscesse am Becken oder im Oberschenkel oder zwischen Mamma und Thoraxwand in seltenen Fällen erreichen. Oft ist es sogar schwierig, zu entscheiden, ob der dem zufühlenden Finger mitgetheilte schwache Stoss von der Bewegung einer Flüssigkeit oder von einer Verschiebung oder Compression der (vielleicht stark durchfeuchteten) Gewebe herrührt. In solchen Fällen muss man die angelegten Finger wiederholt ihre Rolle wechseln lassen und somit das Gefühl der Fluc18*
276
Ernährungs-Stöi ungen.
tuation bald auf dieser, bald auf jener Seite zu erzeugen suchen. LSsst sich die Geschwulst, in welcher man undeutlich Fluctuation gefühlt hat, gar nicht oder nur unter gleichzeitigem Auftreten von Fluctuation an einer dritten Seite, von zwei Seiten her comprimiren, so kann man mit Sicherheit auf die Anwesenheit von Flüssigkeit schliessen; gelingt dies nicht, so ist höchst wahrscheinlich keine Flüssigkeit iu der Geschwulst. Zuweilen entschliesst man sich, in eine Geschwulst einzuschneiden, ohne deutlich Fluctuation gefühlt zu haben (s. unten). Dann muss man nach Durchschneidung jeder einzelnen Schicht mit dem Finger zufühlen, ob in der Tiefe der Wunde Fluctuation zu entdecken ist, und im Falle die Wunde für das Einbringen des Fingers zu klein wäre, statt seiner sich einer möglichst dicken Sonde bedienen. Trotz aller dieser technischen Regeln kann selbst der Geübteste zuweilen ausser Stande sein, Fluctuation zu entdecken, während andere Zeichen zur Annahme einer Eiteransammlung berechtigen. Hierher gehört vor Allem das O e d e n i , die teigige Geschwulst, welche besonders eine in der Tiefe beginnende Eiterung verräth und bei Entzündungen solcher Theile, die von fibrösen Häuten fest umschlossen sind, nie fehlt, sobald sie in Eiterung übergehen. Ferner sind zu beacht e n : die ä t i o l o g i s c h e n Verhältnisse, die D a u e r d e r E n t z ü n d u n g , die T e x t u r d e r e n t z ü n d e t e n G e w e b e , die C o n s t i t u t i o n des Kranken. Der S c h m e r z , welcher während der Entzündung spannend oder stechend w a r , wird gemeinhin klopfend; der Kranke fühlt oft ein, den Pulsschlägen isochronisches K l o p f e n in der Geschwulst, die ihm mit jedem Schlage ausgedehnt zu werden scheint. Bestand vorher schon Fieber, so wird der Eintritt der Eiterung meist durch unregelmässige F r o s t s c h a u e r , in erheblicheren Fällen durch einen Schüttelfrost bezeichnet. Auch wenn kein Fieber vorausging, stellen sich Frostschauer im Beginne der Eiterbildung nicht selten ein. Unter den Geschwülsten, mit denen Abscesse v e r w e c h s e l t werden können, nennt man vor Allem die P u l s a d e r g e s c h w ü l s t e , A n e u r y s m a t a , — bluthaltige Hohlgeschwülste, deren Höhle mit einer Arterie communicirt (vgl. Bd. II. pag. 92 u. f.) Zur Vermeidung einer solchen Verwechselung, welche namentlich bei den aus inneren Ursachen (ohne vorgängige Verletzung) entstandenen Aneurysmen möglich wäre, hat man Folgendes zu beachten. Das A n e u r y s m a bildet zu Anfang eine weiche Geschwulst, welche auf Druck zum Theil oder ganz verschwindet. Der Abscess hingegen ist von desto festerer Consistenz und desto weniger eindrUckbar, je jünger er ist; in den ersten Zeiten seiner Entwicklung ist es ganz
Abscess.
277
unmöglich, ihn auch nur im Geringsten durch Druck zu verkleinern. Im weiteren Verlaufe wechseln die Verhältnisse: der Abscess wird weich, das Aneurysma wird härter; und zwar findet die Veränderung der Conßistenz bei dem Abscess am Auffallendsten an der Spitze, beim Aneurysma am Deutlichsten an seiner Basis statt. Eine besondere Beachtung verdienen die Pulsationen, welche in beiderlei Geschwülsten gefühlt werden können. Ein Abscess hat oft seinen Sitz in den interinusculären Räumen, in deren Tiefe die grossen Arterien verlaufen, und kann durch die Pulsationen dieser letzteren, mithin isochronisch mit dem Herzschlage, erhoben werden. Aber es handelt sich hier um eine der Geschwulst mitgetheilte Bewegung, welche nur an der dem pulsirenden Gefässstamme gegenüberliegenden Seite deutlich gefühlt und durch Verschiebung der Geschwulst (wenn diese möglich) sogleich unterbrochen werden kann. Ein Aneurysma dagegen zeigt uns Pulsation in seinem ganzen Umfange und zwar in der Form einer, isochronisch mit dem Pulse auftretenden, rhythmischen Erweiterung der ganzen Geschwulst, welche überall, wo man die Finger an sie anlegt, wahrgenommen und durch keine Verschiebung der Geschwulst geändert wird. Das mehr oder weniger lange Bestehen übt bei beiden Arten von Geschwülsten einen ganz entgegengesetzten Einfluss in Betreff der Deutlichkeit der Pulsation aus. Je älter das Aneurysma wird, desto weniger deutlich sind seine Pulsationen, weil allmälig dickere Schichten von Faserstoff an seinen Wandungen abgelagert werden ; je älter dagegen der Abscess ist, desto deutlicher werden, wenn er auf einer Arterie liegt, die ihm mitgetheilten Pulsationen, weil er, stetig wachsend, ihr immer näher rückt, und weil sein allmälig flüssig werdender Inhalt durch die Pulsschläge der Arterie immer leichter in Bewegung gesetzt wird. Die Verhältnisse werden viel complicirter und die Diagnose schwieriger, wenn Aneurysma und Abscess neben oder über einander bestehen. Dann verwirren sich alle die genannten Zeichen, und der Kranke kann das Opfer einer falschen Diagnose werden, wenn die Eröffnung nicht mit grösster Vorsicht unternommen wird. Man sollte nie zu der Eröffnung einer irgend verdächtigen Geschwulst schreiten, bevor man nicht alle diagnostischen Hülfsmittel erschöpft hat. Insbesondere ist die Auscultation in solchen Fällen nicht zu verabsäumen, welche beim Aneurysma, wie wir bei dessen Beschreibung (Bd. II.) genauer erörtern werden, charakteristische Geräusche erkennen lässt, die dem Abscess fehlen. D. Behandlung. Gewöhnlich ist die E n t l e e r u n g d e s E i t e r s Heilzweck; nur in ganz chronisch verlaufenden Fällen (vgl. „kalte Abscesse") darf und muss man die A u f s a u g u n g , insbesondere
278
Ernährunge-Störungen.
durch antidyskrasische Behandlung, durch die Anwendung von Abführmitteln, Einreiben von Quecksilber-Salbe, Aufpinseln von Jodtinctur, Druckverband u. dgl. zu begünstigen suchen. Allerdings ist es aber nicht immer gleich dringend, eine Eiteransammlung fortzuschaffen. Man hat die reizenden und zerstörenden Eigenschaften des Eiters vielleicht in zu grellem Lichte dargestellt; aber es bleibt nichtsdestoweniger unzweifelhaft, dass der Eiter nicht blos mechanisch durch seine Anhäufung, sondern auch durch seine chemische Einwirkung auf die umgebenden Theile nicht blos in diesen, sondern auch im ganzen Organismus erhebliche Störungen bedingen kann (vgl. pag. 245 u. f.). Krankheit erregend wirkt ein Abscess in dieser Weise um so weniger, je dicker seine Abscess-Membran, je besser er „eingekapselt" ist. Je nach seinem Sitze kann er verschiedene locale Störungen hervorrufen, indem er z. B. wichtige Organe comprimirt, oder in eine Leibeshöhle seinen Inhalt entleert. Mit Berücksichtigung dieser Verhältnisse lassen sich folgende Fälle als solche bezeichnen, in denen die Eröffnung eines Abscesses keinen Aufschub erleiden darf: 1) wenn derselbe seinen Sitz in der A c h s e l h ö h l e , in der N ä h e d e s A f t e r s oder d e r U r e t h r a hat, zumal wenn gar Fäces oder Harn dem Eiter beigemischt sind; 2) wenn der Eiter t i e f u n t e r f e s t e n f i b r ö s e n H ä u t e n liegt, wie z. B. an der Hand (insbesondere auch an den Fingern), am Fuss, in der Tiefe des Schenkels u . s . w . ; 3) wenn von Anfang an w i c h t i g e F u n c t i o n e n durch den Sitz des Abscesses gestört werden, wie bei Abscessen im Pharynx u. s. f.; 4) wenn der Abscess durch seine Nachbarschaft einer der grossen Leibeshöhlen, einer Gelenkhöhle, wichtigen Sehnen oder einem Knochen Gefahr droht. Nächst der Entleerung des Inhalts handelt es sich darum, die Eiterhöhle zum Verschluss zu bringen, also die Bildung der Granulationen zu befördern und endlich die Vernarbung zu leiten. Diese Indication ist fast immer schwieriger zu erfüllen, als die erste. Zunächst fragt es sich, ob die Quelle der Eiterung in dem Abscess selbst liegt, oder ob der Eiter dem Abscess von einem anderen kranken Organe zugeflossen ist und noch zufliesst (Congestionsabscess). In letzterem Falle ist die Behandlung gegen das kranke Organ, welches den Eiter liefert, zu richten, die Nützlichkeit der Eröffnung aber überhaupt noch fraglich (vgl. Krankh. der Knochen und der Gelenke, Bd. II.). Wenn die Quelle der Eiterung in dem Abscess selbst liegt, so hat man, um sie zum Versiegen zu bringen, bald eine zu heftige Entzündung zu massigen, bald die Entzündung durch Reizmittel zu steigern (vgl. pag. 264 ff.), bald überdies eine störende Spannung
Absceas.
279
aufzuheben, einen fremden Körper oder einen kranken Knochen zu entfernen oder eine vorliegende Dyskrasie zu beseitigen. O p e r a t i v e B e h a n d l u n g d e r Abscesse.
Oncotomla.
1. PoiiCliou. Für die meisten kleinen Abscesse reicht ein einfacher Einstich mit der L a n z e t t e aus. Zu diesem Behufe wird die Lanzette, wie beim Aderlass gefasst, bis zur gehörigen Tiefe auf ein Mal eingestossen. Dass man tief genug eingedrungen sei, ergiebt sich theils aus dem vorher erkannten Sitze des Abscesses und der Kenutniss seiner Bedeckungen, theils aus dem Hervordringen des Eiters neben der Lanzette. In anderen Fällen und besonders bei grösserer Ausdehnung muss man entweder sogleich mehrere Einstiche machen, oder nach Verlauf einiger Zeit die Punction wiederholen. Fürchtet man in dem vorliegenden Falle das Eindringen der Luft in die Abscesshöhle, so ist es zweckmässig, einen s u b c u t a n e n Einstich zu machen, wie dies besonders Boy e r und G u e r i n empfohlen haben. Dann bedient man sich, namentlich bei tiefliegenden Abscessen, des T r o i c a r t s und kann die Entleerung durch Ansetzen einer Saug* pumpe fördern. Jedoch ist hiervon, so wie von einer durch reizende Einspritzungen zu bewirkenden Steigerung der Entzündung im Abscess bei heissen Abscessen nicht leicht Vortheil zu erwarten. 2. Eiusebuitte. Ein einfacher, etwa ein bis zwei Drittel des grössten Durchmessers der Eiterhöhle spaltender Einschnitt wird am Häufigsten zur Eröffnung der Abscesse angewandt und erfüllt die bei phlegmonösen Abscessen zu stellende lndication — vollständige und schnelle Entleerung des Inhalts — am Besten. Wenn der Abscess aber allzu gross ist, so thut man besser, statt eines grossen, mehrere kleine Einschnitte zu machcn. Man erreicht dadurch die vollständige Entleerung des Eiters und der etwa noch im Abscess steckenden nekrotischen Bindegewebsfetzen ebenso sicher und hat eine schnellere Heilung durch Verwachsen der Haut mit der unter ihr liegenden Abscesswand zu erwarten. Dies Verfahren ist von besonderem Vortheil bei weit ausgebreiteten Eiterungen im subcutanen Bindegewebe. Hat man dagegen mit einer tief liegenden Eiterung zu thun, so sind verhältnissmässig grosse Einschnitte nöthig, um mit der nöthigen Sicherheit und Bequemlichkeit weiter in die Tiefe dringen zu können. In solchen Fällen a b e r , zumal in einer Gegend, wo die Verletzung wichtiger Organe grosse Gefahren herbeiführen könnte, ist es der Vorsicht angemessen, allmälig in die Tiefe vorzudringen, die den Abscess bedeckenden Theile schichtenweise zu durchschneiden, und jede neue Schicht sorgfältig mit dem Finger zu untersuchen.
280
EroShruags-Störuogen.
In äusserst schwierigen Fällen hat man wiederholt mit glücklichem Erfolge an die Stelle der Eröffnung die Blosslegung des Abscesses gesetzt, indem man die Eröffnung auf dem sicher gebahnten Wege der Natur überliess ( B 6 g i n , R o s e r ) . Die Richtung und die Stelle für den Einschnitt werden durch die Form und Lage der Geschwulst bestimmt. Im Allgemeinen folgt man dem grössten Durchmesser der Geschwulst, jedoch mit zahlreichen, durch die Localität, namentlich durch den Verlauf der grösseren Gefässe, der Nervenstämme und der Muskeln, bedingten Ausnahmen. Auch wählt man gern den abhängigsten Theil für die Eröffnung, um eines ungestörten Abflusses des Eiters sicher zu sein; aber oft zeigt sich die Stelle, die vor der Eröffnung hierzu am Günstigsten erschien, später als durchaus ungeeignet. In solchen Fällen werden dann Gegenöffnungen nothwendig, um das Stocken des Eiters und die Bildung von Gängen so viel als möglich zu verhüten. Die durch die Abscesshöhle hindurch laufenden Stränge, in welchen gewöhnlich Geßssö und Nerven liegen, müssen, statt sie nach dem Vorgange der älteren Aerzte zu zerstören, sorgfältig geschont werden. Verbindet man die Incision des Abscesses mit der „antiseptischen Methode" L i s t e r ' s , wie wir sie Bd. I. pag. 48 u. 150 ff. beschrieben haben, so werden dadurch Heilungsresultate erzielt, wie sie bei grossen Abscessen kein anderes Verfahren aufzuweisen hat. Wurde der Inhalt des Abscesses durch Druck mit weichen Schwämmen vollständig entleert, so fliesst schon am nächsten Tage nur seröse Flüssigkeit, am 3. Tage nichts aus. Das eingelegte Rohr wird dann definitiv entfernt und die Heilung ist wenige Tage später vollendet. 3. Das Haarseil, ZU dessen Einführung B e n j a m i n B e l l einen besonderen platten Troicart erfand, gewährt den Vortheil, den Wiederverschluss der gemachten Oeffnung zu verhüten und somit den Abflugs des Eiters zu sichern; auch kann die durch seine Anwesenheit im Innern des Abscesses herbeigeführte Entzündung, sowie der bei sorgfältiger Einführung vielleicht mögliche Ausschluss der Luft erwünscht sein. Dagegen gewährt das Haarseil ebenso wenig, wie die Punction, die Möglichkeit, etwa vorhandene Bindegewebsfetzen zu entleeren. Die von C h a s s a i g n a c ' ) als eine durchaus neue und alle anderen weit übertreffende Methode gepriesene „ D r a i n a g e " ist in der That nur eine Modification des Haarseils. Statt des letzteren werden nämlich lange Röhren von Gummi mit zahlreichen seitlichen Löchern ' ) T r a i l e p r a t i q u e d e la s u p p u r a t i o n a u s f ü h r l i c h excerpirt in G e o r g
et d u d r a i n a g e chirurgical.
Fiscber's
„ Mittbeiluogen
Paris 1 8 5 9 . Hannover
(sehr
1861).
Abscess.
281
benutzt, durch welche der Eiter abfliessen soll (aber keineswegs immer gut abfliesst) und durch welche gelegentlich auch reinigende u n d reizende Einspritzungen gemacht werden können. — Sehr bequem sind die langen (graden und gebogenen) Troicarts, welche zum Einf ü h r e n der Gummiröhren dienen. Man durchbohrt mit dem Troicart den Abscess in seinem grössten Durchmesser, befestigt die Röhre mittelst eines Fadens in einem schrägen Einschnitt der Spitze des Stilets, zieht letzteres durch die Canüle zurück und führt auf solche Weise das Gummirohr ohne alle Zerrung durch den Abscess hindurch. 4. Kauterisaliou. Aetzmittel werden bei der Eröffnung von Abscessen in der Absicht in Gebrauch gezogen, das langsam fortschreitende Verfahren der Natur genau nachzuahmen. Es ist allerdings richtig, dass die Aetzmittel ähnlich, wie der spontan sich öffnende Abscess, Vei'schwärung hervorrufen, in deren Umgebung durch adhäsive Entzündung einer Weiterverbreitung des Eiters im Bindegewebe und der Aufnahme von Eiterbestandtheilen in das Blut vorgebeugt wird. Aber bei dem spontanen Aufbruch schreitet die Verschwärung von Innen nach Aussen fort, wodurch ein Substanzkegel zerstört wird, dessen Spitze an der Hautoberflächc liegt, dass folglich die Oeffnung in der Haut und daher auch die später zurückbleibende Narbe klein ist, während bei der Anwendung der Aetzmittel sich Alles umgekehrt verhält. Immerhin ist es richtig, dass die nach der mit Hülfe schneidender oder stechender Instrumente ausgeführten Eröffnung eines grösseren Abscesses oft auftretenden Fieberbewegungen nach der allinäligen Eröffnung durch Aetzmittel fast nie beobachtet werden, — offenbar wohl weil bei dieser Methode der Eiter nicht mit Wundflächen in B e r ü h r u n g kommt und die Resorption des (pyrogonen) Eiterserums somit ausgeschlossen ist. — Messerscheue Kranke geben dem Aetzmittel unter allen Verhältnissen den Vorzug, ohne zu wissen, dass es gewöhnlich viel heftigere und jedenfalls viel länger dauernde Schmerzen hervorruft, als ein Einschnitt. Die Anwendung des C a u t e r i u m a c t u a l e , im Alterthume die Ilauptmethode für die Eröffnung der Abscesse, jetzt als ein unnöthig heftig wirkendes Mittel zu diesem Zwecke fast ganz ausser Gebrauch, dürfte in solchen Fällen, wo eine heftige Entzündung gewünscht wird, dieser lndication bestimmter und sicherer entsprechen, als die Aetzmittel, — zumal bei grossen Abscessen. Namentlich vermag u n t e r solchen Verhältnissen die g a l v a n o k a u s t i s c h e S c h n e i d e s c h l i n g e oft die Vortheile des Schnittes und der Kauterisation zu vereinigen. Man führt zu diesem Behuf mit Hülfe eines Troicarts oder einer langen Nadel den Platindraht durch die Basis des Abscesses und s c h n ü r t
282
Ernährungs-Störungen.
den umfassten Theil der Abscesswand, während des Erglühens des Drahtes, allmälig fester zusammen (vgl. pag. 104 u. f.). Aach d e r BlasenpQaster bat m a n sieb bedient, n i c h t blos um die Resorption des E i t e r s za befördern ( V e l p e a u ) , letzterem
sondern auch um die Eröffnung zu bewirken.
Zwecke ist es jedoch selbst bei oberflächlichen
Eiteransammlungen
Zu not-
wendig, den Uebergäng der durch das Vesicaas erregten Hautentzündung in Verschwär u n g durch einen Verband mit ätzenden solche
Weise das Entstehen
Substanzen
herbeizuführen.
Man
kann
sehr vieler kleiner Oeffnungen b e w i r k e n , durch
d e r Eiter sich wie durch ein Sieb entleert,
auf
welche
jedenfalls ist es ein sehr schmerzhaftes
und zeitraubendes Verfahren.
III. Ton den einzelnen Arten der Abscesse. 1.
Heisse
oder
phlegmonöse
Abscesse.
Die sogenannten „heissen" oder „hitzigen" Abscesse (Abscessus calidi) sind das Resultat einer acuten Entzündung, am Häufigsten einer Bindegewebs-Entzündung (Phlegmone, vgl. Bd. II.). Gewöhnlich besteht ein solcher Abscess isolirt, weil Entzündungen der Art selten multipel sind. Jedoch kommt es in Folge schwerer acuter Krankheiten (namentlich nach Typhus) und im Verlauf gewisser chronischer Leiden (Diabetes, Brightsche Krankheit) auch zur Entwickelung phlegmonöser Abscesse in grösserer Anzahl auf ein Mal. Der heisse Abscess kann in beliebiger Tiefe und in allen Organen vorkommen. Seine gewöhnliche Entstehungsweise ist folgende. In dem entzündeten Gewebe entsteht Eiter, zuerst mit Blutflüssigkeit, oder auch wohl mit Blut gemischt; derselbe sammelt sich in kleinen isolirten Herden, welche einander immer näher rücken und endlich im Mittelpunkte des entzündeten Theils verschmelzen. Dieser Eiterherd hat Anfangs eine unregeltnässige, vielfach ausgebuchtete Gestalt und ist oft durch Stränge und Scheidewände mehr oder weniger vollständig in verschiedene Abiheilungen gesondert. Indem diese letzteren allmälig zum grössten Theil schwinden, bleibt zuletzt nur eine Höhle übrig; die Geschwulst spitzt sich zu, die Härte in der Umgegend schmilzt, und die Fluctuation im Abscess wird immer deutlicher. Man nennt den Abscess alsdann r e i f . Sobald man deutlich Fluctuation fühlt, kann man sicher sein, dass auch bereits eine Abscess-Membran, wenigstens in rudimentärem Zustande, besteht. Der Inhalt des reifen Abscesses ist im Wesentlichen pus bonum et laudabile (vgl. pag. 236), dem jedoch oft nekrotische Pfropfe und Fetzen von Bindegewebe beigemengt sind. Sich selbst überlassen brechen diese Abscesse auf und entleeren ihren Inhalt nach Aussen (auf der Körperoberfläche) oder (viel seltener) in eine innere Höhle. Nur äussert selten — vielleicht
Abscess.
283
niemals — sieht man einen heissen Abscess, zumal wenn er auf einer äusseren Veranlassung beruht, durch Absorption verschwinden. Die DiagüOSe des heissen Abscesses stützt sich: 1) auf die vorausgegangenen Erscheinungen der Entzündung; 2) den Zustand der Umgebungen des Abscesses, insbesondere deren Oedem; 3) die Fluctuation, das entscheidendste aller Zeichen. Die P r o g n o s e dieser Abscesse ist im Allgemeinen günstiger, als die aller übrigen. Wenn ihre L o c a l i t ä t oder ihre G r ö s s e keine Gefahren bedingt und die Eiterung nicht durch weiteres Fortbestehen der Veranlassungen des Abscesses (Knochensplitter, fremde Körper u. dgl.) unterhalten wird, so hat man vollständige Heilung zu erwarten. Behaudluug. Oft müssen diese Abscesse frühzeitig, sogar vor dem deutlichen Auftreten der Fluctuation geöffnet werden (vgl. p. 2 7 8 ) ; in vielen Fällen aber ist es zulässig, sie unter erweichenden Umschlägen und Bädern zur Reife kommen zu lassen und dann erst durch den Schnitt zu öffnen. Jedenfalls ist die weitere Behandlung, statt mit den früher üblichen Bourdonets und anderen Reizmitteln, wo möglich nach der antiseptischen Methode (vgl. pag. 280) und, wenn diese misslingt, mit den bei der „Eiterung" empfohlenen Mitteln (vgl. pag. 257 u. f.) einzuleiten. 2.
Kalle Abscesse,
Lyinph-Abscesse.
Ganz im Gegensatze zu den so eben erörterten "sind die kalten Abscesse ( A b s c e s s u s l r i g i d i ) stets c h r o n i s c h und bestehen oft in grösserer Anzahl bei demselben Individuum, da sie fast immer auf einem Allgemeinleiden beruhen. Sie sind meist von mittlerer Grösse, besitzen immer eine vollkommen entwickelte Abscess-Membran und sind gewöhnlich so lest eingekapselt, dass man sie mit Cysten verwechseln kann. In manchen Fällen ist eine scharfe Unterscheidung zwischen einem kalten Abscess und einer Cyste ganz unmöglich. (Vgl. „Neubildungen", Abschnitt III.) Der Inhalt eines kalten Abscesses zeigt immer einige Abweichungen von dem „guten Eiter"; insbesondere ist derselbe nie so gleichförmig, sondern enthält weisse oder gelbliche, käseartige Flocken, die in einer schleimigen, fadenziehenden, halbdurchsichtigen Flüssigkeit schwimmen. Die mikroskopische Untersuchung weist eine grosse Armuth an eigentlichen Eiterkörperchen und ein relatives Ueberwiegen der Körnchenzellen nach. Oft sind nur Moleküle darin zu finden. Aetiologic. Kalte Abscesse beobachtet man fast ausschliesslich bei dyskrasischen Menschen, bei schlechter Ernährung und einem
284
ErnShrnngs-Störungen.
Aufenthalte in ungesunder Luft, namentlich nach wiederholten Erkältungen und Durchnässuflgen (häufig im Verlauf der B r i g h t s c h e n Krankheit); sie beruhen also in der grossen Mehrzahl der Fälle auf einem allgemeinen Leiden. Jedoch giebt es auch solche, welche nach einer Quetschung oder einem Schlage lange nachher entstanden sind. Oft gehen ihnen grade in solchen Fällen Blutergüsse voraus, welche durch Ungunst der Localität oder des Allgemeinbefindens nicht zur Resorption gekommen sind. Die früher sehr verbreitete Ansicht, es beruhten diese Abscesse auf einer Extravasaten von Lymphe, ist ganz unerwiesen und kann, nach neueren Untersuchungen, als so vollkommen beseitigt betrachtet werden, dass man auch den Namen „Lymph-Abscess" als einen irreführenden entweder ganz fallen lassen, oder doch nur zu der Bezeichnung der Folgen einer wirklichen Zerreissung von Lymphgefässen (vgl. Buch II.) benutzen sollte. Symptome nud Verlatlf. Ein kalter Abscess stellt eine weiche, circumscripte, fast immer schmerzlose, sogar beim Druck meist unempfindliche Geschwujst dar, welche gewöhnlich dicht unter der Haut liegt und Uber welcher die Haut ihre normale Farbe besitzt. Fluctuation ist leicht zu fühlen, theils wegen der Dünnflüssigkeit des Eiters, theils wegen der oberflächlichen Lage und der gewöhnlich nicht strotzenden Füllung des Abscesses. Neben diesen örtlichen Symptomen ergiebt sich in der Regel aus der Untersuchung des übrigen Körpers oder aus der Anamnese ein dyskrasisches Leiden. Gewöhnlich entstehen diese Abscesse langsam, wenn mehrere vorhanden sind, einer nach dem andern; sie können Jahre lang bestehen, ohne sich im Mindesten zu verändern. Zuweilen verkleinern sie sich eine Zeit lang, um dann aufs Neue zu wachsen. In ihrer Umgegend besteht keine Entzündung; absichtliche Reizung derselben erregt, bevor nicht das Allgemeinleiden beseitigt ist, keine einfache Entzündung, sondern viel eher Verschwärung. Bei bedeutendem Wachsthum erregen sie durch Spannung und Compression der umliegenden Theile Schmerz; die Haut über ihnen wird dann verdünnt, dunkelroth und bricht endlich an einer oder mehreren Stellen auf. Durch die auf solche Weise entstandenen, gewöhnlich sehr kleinen Oeffnungen entleert sich der oben beschriebene, dünnflüssige Inhalt; nur in seltenen Fällen und wahrscheinlich in Folge der dem Aufbruch vorausgehenden Entzündung verhält sich derselbe wie gutartiger Eiter. Nach einem solchen Aufbruch bleibt gewöhnlich ein, von wulstigen Rändern umgebenes, oft fistulöses Geschwür zurück, dessen Secret dünnflüssig und welches sehr schwer zu beseitigen ist. Besteht ein kalter Abscess lange in der Nähe von Knochen, so findet man die Knochen häufig
285
Abscess.
von
d e r E i t e r u n g mitergriffen, —
freilich fraglich, ob es sich
um
gestions-Abscess gehandelt h a t , rührte.
cariös.
In solchen Fällen bleibt
einen kalten oder um einen Condessen Eiter von dem Knochen
Letzteres ist immer das Wahrscheinlichere.
dieser
Gelegenheit
vor
Congestions-Abscessen
Proguose
Die
Allgemeinleiden bestand
der häufig b e g a n g e n e n
Verwechselung
mit kalten Abscessen ausdrücklich
ist wesentlich a b h ä n g i g
zu beseitigen; besteht
es gar n i c h t ,
her-
Wir wollen bei von
warnen').
von der Möglichkeit, das
ein solches nicht mehr, o d e r
so ist die P r o g n o s e ,
abgesehen
von localen
Schwierigkeiten und Gefahren, günstig.
Behaudluug
Die
muss d a h e r auch z u n ä c h s t gegen die etwa vor-
handene
Dyskrasie
Kranken
im weitesten Sinne gerichtet sein.
lung
wird
und auf die
Verbesserung
zweckmässig erst eingeleitet,
der
Ernährung
Die ö r t l i c h e
wenn
des
Behand-
die Constitution
des
Kranken sich bereits wesentlich gebessert hat.
Alsdann hat man die
Wahl, den Abscess z u r Resorption zu bringen
oder aber ihn zu e r -
öffnen und d u r c h den G r a n u l a t i o n s - P r o c e s s So gern
man
auch den ersteren
selten zum Ziele. werden
sich ausfüllen zu lassen.
Weg b e v o r z u g t , so führt er doch
Als Mittel, welche die Resorption betordern sollen,
e m p f o h l e n : spirituöse E i n r e i b u n g e n ,
Jodtinctur,
Druckverband,
pflastern ( V e l p e a u ) ; fernung
der
(Ricord
Fricke)
der
mittelst und
gedachten
Umschlägen
mit
Blasen-
und die U n t e r h a l t u n g der Eiterung nach
Epidermis
und
Anwendung
häufiges Bepinseln
kalte Douche, das Auflegen von
Ent-
von
Sublimatlösungen
a n d e r e n Reizmitteln.
Wenn aber nach
Mittel die kalten Abscesse keine Neigung
z u r Resorption zeigen, w ä h r e n d das Allgemeinbefinden sich gebessert hat, so kann
m a n unbedenklich zu ihrer Eröffnung schreiten.
Die-
selbe wird sogar nothwendig, wenn der Abscess an einer ungünstigen Stelle von selbst a u f z u b r e c h e n droht, o d e r w e n n er einem n a h e liegt und scher
diesem
also gefährlich w e r d e n könnte.
Beziehung vergesse man nicht, dass j e d e r
Knochen
In kosmeti-
spontane A u f b r u c h
eine hässlichere Narbe zurücklässt, als ein Einschnitt. Auf die A r t d e r E r ö f f n u n g w u r d e f r ü h e r grosses Gewicht gelegt; sie ist gleichgültig, wenn man
nur beachtet,
dass
Steigerung
der E n t z ü n d u n g hier nicht zu fürchten, s o n d e r n herbeizuführen ist. Unter ziehung welche des
den zahlreichen
Verfahrungsweisen, welche in dieser Be-
in Vorschlag g e b r a c h t die E n t l e e r u n g
Lufteintrittes
worden
sind,
verdienen
des Abscesses mit vollständiger
diejenigen, Verhütung
bezwecken, den V o r z u g , wenn die E n t l e e r u n g
') Vgl. „ Krankheiten der knocben " und „ — der Gelenke", bd. II. der Wirbelsäule" und „— des Hüftgelenks'', Gd. IV.
„Krankheiten
286
Ernähriings-Störungen.
aus den so eben angeführten Gründen nothwendig erscheint, bevor eine wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens eingetreten ist. Dieselbe kann alsdann durch wiederholte Punctionen mit der Lanzette oder einem Troicart unter sorgfältiger Hautverschiebung ( A b e r n e t h y ) , oder aber am Sichersten mittelst des von G u é r i n angegebenen SaugApparates ausgeführt werden, welchem zahlreiche andere von D i e u l a f o y , S m i t h u. A. neuerdings nachgebildet sind. — Eine sorgfältige Durchführung der antiseptischen Methode verdient auch in diesen Fällen mehr Vertrauen, als irgend ein complicirtes Instrument. Die übrigen Verfahren suchen eine kräftige Granulationsbildung in dem Abscess entweder v o r oder n a c h seiner Eröffnung zu erregen. Hiernach können wir z w e i G r u p p e n unterscheiden. Zu der e r s t e r e n gehören: 1) das Verfahren von B e i n l , welcher ein A e t z m i t t e l auflegt, später den Schorf spaltet und endlich einen Druckverband nebst reizenden Umschlägen anwendet; 2) das Durchziehen eines H a a r s e i l e s , welches, a) nach W a l t h e r , schon am ersten oder spätestens am dritten Tage wieder ausgezogen werden soll, damit es nicht Eiterung, sondern nur adhäsive Entzündung errege (?), durch welche unter Anwendung der Compression baldiger Verschluss erzielt werden soll, während b) L a n g e n b e c k d. Ä. das Haarseil über der Geschwulst zusammenband, bis es die Decke derselben ganz durchgeschnitten hatte. Zur z w e i t e n G r u p p e gehören : 1) die S p a l t u n g des Abscesses, a) in seiner ganzen Länge nach L i s f r a n c , oder b) bis zur Hälfte des grössten Durchmessers, nach Z a n g , welcher demnächst ätzende Flüssigkeiten mit Hülfe von Charpiebäuschen in die Höhle einbringt; 2) die I n j e c t i o n verschiedener reizender oder ätzender Substanzen nach vorheriger Eröffnung des Abscesses mit der Lanzette; 3) die D r a i n a g e , nach C h a s s a i g n a e (vgl. pag. 281); 4) die Eröffnung mit dem G l ü h e i s e n , nach R u s t , oder mit der galvanokaustischen Schneideschlinge, nach Middelil o r p f (vgl. pag. 282). Findet sich nach der Eröffnung die den Abscess bedeckende Haut sehr verdünnt, bläulich oder wohl gar dem Absterben nahe, so schneidet man sie in dem ganzen Umfange der Geschwulst weg ') und behandelt den zurückbleibenden Grund des Abscesses je nach dem Grade der Entzündung, welcher sich darin vorfindet, gewöhnlich also mit Reizmitteln. ') C a l l i s e n
e m p f a h l dies als ein a l l g e m e i n a n z u w e n d e n d e s Verfahren a u c h f ü r s o l c h e
Fälle, w o die H a u t u n v e r s e h r t
und
l e b e n s k r ä f t i g war.
287
Brand.
Zweiter Abschnitt. Brand
und
Verschwärung.
Erstes
Capltel.
Brand, Mortificatio, Necrosis. A. Den (den
Verlust
V»ni B r a n d e im A l l g e m e i n e n .
der
Lebensfähigkeit
an einem
örtlichen T o d ) n e n n t m a n B r a n d ,
Benennungen
dieses
Zustandes
sind
Theile
von
des,
den T o d eines g a n z e n O r g a n e s oder
z. B.
Lebens
eines
an
Fingers,
Gangraena
einzelnen Stellen.
erkrankte
Hinneigung
Theil
Sphacelus,
aber
dem
als G a n g r a e n a
eines
noch
dagegen
Lassus
eines
Theiles
gerettet
zum
ganzen
Glie-
das Erlöschen
des
werden
„kalten B r a n d e " ,
jede
nach
„heisser Brand",
Absterben, kann,
wobei
die der
während
Lebensthätigkeit
mit
nannte
A n d e r e Schriftsteller bezeichnen,
dem V o r g a n g e des G a l e n u s , entschiedene
Körpers
Die ü b r i g e n
verschiedenen A u t o r e n
verschiedenen Nebenbedeutungen gebraucht worden. Sphacelus
des
Mortificatio.
beim
erloschen
und k e i n e H o f f n u n g z u r W i e d e r b e l e b u n g v o r h a n d e n sein soll.
Andere
legen w i e d e r ein grosses G e w i c h t auf die U n t e r s c h e i d u n g des t r o c k e nen
und
feuchten
Brandes
graena
oder M u m i f i c a t i o ,
wissen.
Feucht
storbenen
und
wollen
den
ersteren
den z w e i t e n als S p h a c e l u s
nämlich wird d e r B r a n d g e n a n n t ,
Theile
sich
in
einen
w e n n sie z u s a m m e n s c h r u m p f e n
Brei
auflösen;
u n d hart w e r d e n .
s c h e i d u n g e n sind a b e r nicht wesentlich.
als
Gan-
bezeichnet
wenn
die a b g e -
trocken
dagegen,
Alle
diese
Unter-
Die nur anatomisch u n d u n -
v o l l k o m m e n b e g r ü n d e t e N o m e n c l a t u r von L a s s u s
ist ganz
unhaltbar.
Den f e u c h t e n o d e r t r o c k e n e n Z u s t a n d der a b g e s t o r b e n e n T h e i l e d u r c h b e s o n d e r e Namen als wesentlich h e r v o r z u h e b e n , ist w e n i g e m p f e h l e n s werth,
da
wir
wissen,
häuften Säftemasse, theils die
von
dem
derselbe
von
Vorhandensein
Verdunstung
verhindert)
dass
theils
und
somit
der oder
fiir
der zufällig
der
Epidermis
den
ist
der
Brand
Name der
Knochen
aber
(welche Theile
hat in neuester
a l l g e m e i n e r e Geltung
Nekrose
ange-
Organs,
der b r a n d i g e n
a b h ä n g i g ist. — D i e B e n e n n u n g N e c r o s i s
Chirurgie
speciell
Fehlen
die A u s t r o c k n u n g
Zeit, n a m e n t l i c h d u r c h V i r c h o w , der
theils v o n
Structur des erkrankten
erlangt.
seit langer
eingebürgert,
Zeit
und
es
In ganz hält
288
Ernährungs-Störungen.
daher schwer, dieser allerdings sehr passenden Bezeichnung die ihr zukommende a l l g e m e i n e r e Bedeutung zu vindiciren. Aeliologie. Vor Allem sind diejenigen Ursachen hervorzuheben, welche durch eine plötzliche, heftige Einwirkung gradezu Zerstörung alles Lebens herbeiführen ohne Vermittlung eines Krankheitsprocesses. Dahin gehören sehr hohe und sehr niedrige Temperaturgrade ( V e r b r e n n u n g e n und E r f r i e r u n g e n ) , die Einwirkung stark ä t z e n d e r Substanzen und die höchsten Grade mechanischer Gewalt ( Q u e t Alle diese wirken, indem sie die s c h u n g und Z e r m a l m u n g ) . Gewebe entweder zersetzen oder zermalmen, also chemisch, oder mechanisch zerstören. (Vgl. V e r l e t z u n g e n . ) Demnächst haben wir als Ursachen des Brandes eine Reihe von Erkrankungen zu betrachten, die wir in zwei Gruppen s o n d e r n , je nachdem sie wesentlich die Kreislaufsorgane (mit Einschluss des Blutes) oder das Nervensystem betreffen. 1. K r e i s l a u f s o r g a n e . Die hierher gehörigen Ursachen — bei Weitem die häufigsten — wirken, indem sie den Strom des Blutes entweder schwächen, auch wohl ganz hemmen, oder indem sie die Zusammensetzung des Blutes verändern. Die den Blutstrom unterbrechenden oder behindernden Ursachen wirken entweder ausserhalb oder innerhalb der Gefässe. Zu der ersten Gruppe gehören C o m p r e s s i o n und V e r s c h l i e s s u n g der Gefässe, mögen sie zufällig oder absichtlich zu Stande kommen. Compression der Gefässe von A u s s e n kann durch Anschwellung der das Gefäss umgebenden Theile erfolgen. Eine heftige Entzündung in Theilen, welche von fibrösen Häuten fest umschlossen sind, kann durch Anschwellung der entzündeten Gewebe, welche nach keiner Seite hin ausweichen können, eine solche Compression bewirken. Dabei spielen die scheinbar comprimirenden Theile, (fibröse Häute und Stränge) eigentlich eine passive Rolle. So verändert z. B. der Ring, durch welchen bei einem Unterleibs-Bruche die Eingeweide aus der Bauchhöhle hervorgetreten sind, seinen Durchmesser nicht, sondern die Einklemmung und dadurch die Gefahr des Brandes kommen zu Stande, indem das hervorgetretene Eingeweide anschwillt. Ebenso häufig, wie die bisher erwähnten acuten Compressionen, sind chronische. Hierher gehören z. B. die Fälle, in denen durch Geschwülste bei stetig fortschreitendem Wachsthum Gefässe zusammengedrückt und endlich zum Verchluss gebracht werden. Auch der D r u c k b r a n d (s. unten) gehört hierher. Die i n n e r h a l b des Gefässsystems Statt findenden Veränderungen, welche durch Behindernng des Blutlaufes Brand herbeiführen, be-
289
Brand.
treffen e n t w e d e r endlich
die
das
Herz, o d e r die A r t e r i e n , oder die Venen, o d e r
Capillargefässe,
häufig m e h r e r e
Abschnitte des
Gefäss-
systemcs z u g l e i c h ' ) . Die A r t e r i e n
können
an
einer oder m e h r e r e n
Stellen
durch
abgelöste Stückchen von Atheromen (vgl. Bd. II. pag. 86), die e n t w e d e r in den g r ö s s e r e n Arterien selbst ihren Sitz hatten oder sich im H e r zen b e f a n d e n ,
verstopft w e r d e n : B r a n d
durch
Embolie.
Trifft
diese Verstopfung solche Arterienzweige, z i u d e r e n Stromgebiet d u r c h collaterale
Aeste
das Blut
Maasse gelangen k a n n , biet
gelegenen
gar
Theile durch
ficationsbrande.
nicht
oder n u r in
unzureichendem
so verfallen die in dem gedachten
Stromge-
Mangel an N a h r u n g s z u f u h r dem Mumi-
Der nächste G r u n d liegt hier in der Verstopfung d e r
A r t e r i e n ; diese kann aber w i e d e r u m abhängig sein von Atherom o d e r endocarditischem Exsudat an einer Herzklappe, von welcher das kleine Stückchen
sich ablöste, welches als fortgeschwemmter und
d u r c h a n k l e b e n d e Gerinnsel v e r g r ö s s e r t e r E m b o l u s der Arterien bedingte.
weiterhin
die Verstopfung
Bevor m a n d u r c h die Arbeiten von V i r c h o w
diese Vorgänge k e n n e n gelernt hatte, leitete man den Verschluss d e r Arterien
und
die darauf b e r u h e n d e n
zündung
der A r t e r i e n , Arteritis, ab.
Formen
des Brandes von E n t -
S o f e r n " A u f l a g e r u n g e n an den
Herzklappen in Folge von Endocarditis, und diese wiederum als Folge von R h e u m a t i s m u s acutus v o r k o m m e n , kann m a n b e h a u p t e n , dass die letztgenannte K r a n k h e i t für die Aetiologie des B r a n d e s von tung
sei.
vorher
Nicht ganz
gesunden
selten
jugendlichen
beobachtet man Subjecten
sehr
Fälle,
Bedeu-
in denen
schnell
auf
bei
acuten
G e l e n k r h e u m a t i s m u s Brand an den unteren Extremitäten folgt, dessen Entstehungsgeschichte in obiger Weise zu deuten ist. Die von der atheromatösen E n t a r t u n g abhängige R i g i d i t ä t
der
A r t e r i e n w ä n d e k a n n , w e n n sie sich bis auf die kleinsten Aeste e r streckt, auch o h n e V e r s t o p f u n g d e r G e f ä s s e zur E n t s t e h u n g des B r a n d e s f ü h r e n oder doch eine wesentliche Prädisposition dingen.
dazu be-
Da in solchen Arterien w e d e r die Elasticität, noch die Con-
tractilität d e r n o r m a l e n
Gefässwand z u r W i r k u n g k o m m t , so b e d a r f
es n u r verhältnissmässig geringfügiger Veranlassungen, um Kreislaufss t ö r u n g e n h e r b e i z u f ü h r e n , die einen höchst nachtheiligen Einfluss auf die E r n ä h r u n g des betreffenden Theils haben müssen.
Kommt hierzu
eine g e s u n k e n e Thätigkeit des H e r z e n s , wie namentlich
bei fettiger
Degeneration seiner Musculatur, o d e r eine S c h w ä c h u n g seiner Triebkraft durch Klappenfehler, so leidet die Blutbewegung im Bereich d e r ') Ueber
den
Ischämie) Bardeleben,
auf Verengerung
der kleinsten Arterien beruhenden Brand (Brand d u r c h
vgl. p a g . 2 9 3 . Chirurgie.
7 . Aull. 1.
19
Ernähraogs-Storangen.
290
erkrankten Arterien noch mehr, und es kann entweder durch Bildung von Gerinnseln, namentlich in den kleinsten Venen, auch ohne Hinzutreten anderer ätiologischer Momente, oder durch Vermittelung einer, nach vcrhältnissmässig unbedeutenden Reizungen auftretenden Entzündung, zu ausgebreiteter (oft selbst über den ganzen Unterschenkel sich fortsetzender) brandiger Zerstörung kommen: B r a n d d e r A l t e n , G a n g r a e n a s e n i l i s . Das Greisenalter ist aber keineswegs ein nothwendiges Requisit für diese Art des Brandes. Bei hohen Graden von Anämie und erheblicher Abschwächung der Herzkraft hat man auch an jugendlichen Individuen Fälle der Art beobachtet, meist symmetrisch an den Extremitäten '), oder a u c h , wie B i l l r o t h ' ) einmal sah, an der Nasenspitze beginnend. Auf den ersten Blick erscheint es auffallend, dass sowohl der Brand durch Embolie, als auch derjenige durch Schwächung des Blutstroms (der sogenannte senile Brand) vorzugsweise a n d e n u n t e r e n E x t r e m i t ä t e n und meist von den Zehen aus sich entwickelt. Offenbar ist aber für die aus dem Aortenbogen herrührenden E m b o l i der bequemste Weg derjenige in die Arteria cruralis und in deren Aeste, da alle anderen Zweige unter grösseren Winkeln abgehen. Man würde aber sehr *rren, wenn man glauben wollte, dass nur auf diesem Wege Emboli fortgeschwemmt werden. V i r c h o w hat nachgewiesen, dass Verstopfungen der Gehirnarterien und anderer namentlich kleinerer Aeste in derselben Weise zu Stande kommen ; nur werden diese kein Gegenstand chirurgischer Therapie. Die vorwiegende Häufigkeit des s e n i l e n B r a n d e s an den Zehen und von da weiter aufwärts am Unterschenkel erklärt sich aus der grösseren Entfernung dieser Theile vom Herzen. So lange das Blut, wie im normalen Zustande, durch glatte elastische Röhren strömt, wird sich die Kraft des Herzens auch ebensogut auf die entferntesten, wie auf die nächstgelegenen Arterien erstrecken. Denken wir uns diese Röhren aber starr und in ihrem Inneren rauh, so wird mit (1er Entfernung vom Herzen auch die Stromkraft abnehmen. Der s e n i l e B r a n d bildet, insofern ihm Stockung des Blutes in den Capillargefässen oder den zunächst gelegenen Venen zu Grunde liegt, den Uebergang zu dem sogenannten e n t z ü n d l i c h e n B r a n d e . Die E n t z ü n d u n g kann nämlich nicht blos durch die bereits erwähnte Einklemmung der Entzündungsgeschwulst (vgl. pag. 288) oder durch übermässige Heftigkeit, indem das Exsudat die Gewebe so vollständig ' ) Vgl. R a y n a u d , de l'asphyxie locale et de la gangrène symmétrique des extrémités.
Paris 1 8 6 2 .
' ) Allgemeine chirurg. Pathol. u. Therapie.
4. Aufl.
Berlin 1870- pag. 3 3 6 .
291
Brand.
erfüllt, dass Blutzufuhr fernerhin unmöglich w i r d , s o n d e r n asthenischem
Charakter Brand
herbeiführen.
sich d a n n entweder u m eine durch b e d i n g t e Abschwächung
der
vorausgegangene
Herzkraft
oder
auch bei
Hierbei handelt
um
Entzündungen
Theilen, welche schon f r ü h e r unter allgemeinen oder localen rungs-Störungen
es
Erkrankungen in
Ernäh-
gelitten h a b e n , so namentlich bei Wassersucht des
Unterhaut-Bindegewebes (Oedem), bei vollständiger oder auch unvolls t ä n d i g e r L ä h m u n g d e r Theile (s. unten). — E r s t a r r t ein die Gewebsmaschen vollständig erfüllendes fibrinöses, sogen,
diphthcritisches
Exsudat, so wird dadurch auch die E r n ä h r u n g a u f g e h o b e n u n d somit Absterben
des ganzen
stattfand.
Die brandige Bräune und der Hospitalbrand
Bezirks bedingt, in welchem
die
Exsudation liefern Bei-
spiele f ü r diese Entstehungsweise des Brandes. Völlig unklar ist zur Zeit noch die Aetiologie des mit erschreckender Wangen Kinder,
und
gewöhnlich
Schnelligkeit sich verbreitenden Brandes an den
Lippen
(seltener
welcher als N o m a
den
Genitalien)
schlecht
oder W a s s e r k r e b s
genährter
(Cancer aquaticus)
bezeichnet wird 1 ), u n d den man zumeist a u s einer asthenischen Entz ü n d u n g abzuleiten geneigt ist.
Ebenso verhält es sich mit dem Auf-
t r e t e n des Brandes im Verlaufe des D i a b e t e s
mellitus,
obwohl
hier, wenigstens bei älteren Leuten, wohl häufig die oben erläuterte Aetiologie der Gangraena senilis zutreffen d ü r f t e . Besonders häufig f ü h r e n , selbst bei geringer Heftigkeit, solche Entzündungen
zum B r a n d e ,
in Z e r s e t z u n g
die durch
begriffenen
E i n w i r k u n g eines f a u l i g e n ,
S t o f f e s h e r v o r g e r u f e n sind.
Dahin
g e h ö r e n die Se- und Excrete, welche nach Verletzung ihrer Secretionso r g a n e oder Behälter in das benachbarte Bindegewebe sich ergiessen (infiltriren), ferner faulige Stoffe, die von Aussen eindringen, wie z. B. die Flüssigkeiten, welche die Gewebe eines Cadavers ( s o g e n a n n t e s Leichengift), endlich aber gewisser
Thierc ( S c h l a n g e n g i f t ) oder
durchtränken
a u c h e i g e n t ü m l i c h e Secrete Säfte
eines
kranken
(Milzbrand), vielleicht auch b e s o n d e r e , d u r c h die Luft Krankheitsstoffe ( c o n t a g i ö s e r und m i a s m a t i s c h e r
Thieres
übertragbare Brand).
Unzweifelhaft wirken alle die so eben a u f g e f ü h r t e n ätiologischen M o m e n t e auch mehr oder weniger auf die Z u s a m m e n s e t z u n g d e s Blutes
ein.
Solche Veränderungen des Blutes, wahrscheinlich sehr
verschiedener Art, können voraussichtlich a u c h in a n d e r e r Weise die Entstehung ')
des Brandes wenigstens b e g ü n s t i g e n , so namentlich bei
Die B e n e n n u n g
Cancer
ist f ü r b r a n d i g e Z e r s t ö r u n g e n
Sinne gebraucht, späterhin Virchow's
aber nur für diese eine
Handbuch der speciellen Pathologie
von
Celsus
im
weiteren
F o r m b e i b e h a l t e n w o r d e n (vgl.
u n d T h e r a p i e Bd. I. p a g . 2 9 0 ) .
19*
292
ErnShrunga-Stñrungen.
Wassersüchtigen, in der Reconvalescenz von typhösen Fiebern u. dgl. m . ; jedoch bleibt es in diesen Fällen immer zweifelhaft, ob nicht das grössere Gewicht auf die Schwächung der Herzkraft zu legen ist. Krankheiten der V e n e n (insbesondere auch Verschluss derselben an einzelnen Stellen) haben keineswegs denselben Einfluss, wie die der Arterien. Die Venen liegen an den Extremitäten überall in zwei Schichten, einer oberflächlichen und einer tiefen, welche einander ergänzen. Wenn aber in irgend einer Weise der Rückfluss des venösen Blutes aus einem Theile v o l l s t ä n d i g behindert ist, so steht bestimmt Brand zu erwarten, mag auch die arterielle Blutzufuhr vollkommen frei geblieben sein. Die von den Venen her eingeleitete Zurückstauung macht es dem arteriellen Blut unmöglich in die Capillaren einzudringen, in , denen allein seine ernährende Qualität zur Geltung kommen kann. Dies zeigt sich besonders deutlich an transplantirten Hautstücken, deren Venen durch Drehung oder Zerrung comprimirt sind (vgl. Plastische Operationen). 2. N e r v e n s y s t e m . Nach den Angaben von Q u e s n a y sollte Durchschneidung von Nerven den Brand derjenigen Theile, zu welchen jene verlaufen, zur Folge haben. Es ist aber unmöglich, die Nerven eines Theiles sämmtlich zu durchschneiden, wenn man dabei die Arterien unversehrt lassen will, da diese stets von feinen Nerveniistchen umsponnen sind. Dennoch wird Schwächung des Nerveneinflusses allgemein als eine Veranlassung zum Brande betrachtet. Wahrscheinlich hat man dies auf die dem Experimente nicht überall zugängigen Gefässnerven zu beziehen, durch deren Lähmung (Durchschneidung) zunächst Erweiterung der kleinen Gefässe und Steigerung der Temperatur des betreffenden Theils ( C l a u d e B e r n a r d ) , weiterhin auch Stockung des Bluts bewirkt wird, woraus sich mindestens eine Prädisposition zum Brande erklären lässt. Dnss eine solche durch Lähmungen bedingt werde, ist allgemein anerkannt, wenn auch die Versuche von B i d d e r * ) entgegenstehen, in denen (beim Frosch) Zerstörung des Gehirns und Rückenmarks und Durchschneidung der zu einer Extremität tretenden Sympathicus-Aeste auf den Kreislauf in derselben keinen Einfluss ausübte. Körpertheile, deren Gefühlsnerven gelähmt sind, zeigen sich aber noch in anderer Weise zum Brande prädisponirt, weil sie unbewusst durch Aufliegen, durch Verhandstücke, orthopädische Maschinen u. dgl. m. in viel höherem Grade gedrückt
' ) T r a i t e d e la g a n g r é n e . *) M ü l l e r ' s Jahrgang
Paris
1750.
Archiv, J a h r g a n g 1 8 4 4 , p a g , 3 5 9 1846.
pag. 3 5 3 .
und Z e i t s c h r i f t f ü r r a t i o n e l l e M e d i r i n ,
293
Brand.
w e r d e n als a n d e r e , in denen schon bei geringerem Drucke S c h m e r z e n empfunden werden
würden.
Auch durch die, auf Nerven-Erregung hung
d e r Capillargefässe, richtiger
beruhende
Zusammenzie-
der kleinsten Arterien (vgl. Ent-
z ü n d u n g ) soll B i a n d veranlasst werden
(Brand durch
Ischämie).
Namentlich sucht man auf diese Weise die räthselhafte W i r k u n g
des
Mutterkorns (Seeale c o r n u t u m ) zu erklären.
Nach längerem
dieser
Krankheitserscheinungen
Substanz
entsteht,
(Kribelkrankheit,
neben
anderen
Genüsse
Ergotismus), o h n e dass irgend ein a n d e r e s ätiolo-
gisches Moment eingewirkt zu haben b r a u c h t ,
B r a n d , namentlich an
den Extremitäten.
Es w ä r e jedoch wohl möglich, dass nicht blos die
Einwirkung
Giftes auf die Nerven
dieses
und Muskeln
der
Gefäss-
w ä n d e , s o n d e r n auch allgemeine (toxische) Störungen des Nutritionsprocesses und S c h w ä c h u n g der Herzkraft hierbei in Betracht k ä m e n . Jedenfalls lehrt die E r f a h r u n g am Krankenbette, dass S t ö r u n g e n der
Innervation,
führen,
doch
wenn
in
auch nicht an und f ü r sich Brand
V e r b i n d u n g mit
anderen
ätiologischen
wesentlich z u r E n t s t e h u n g desselben beitragen können. d e r Brand einer Extremität
nach
herbei-
Momenten So ist z. B.
der Unterbindung ihres
Arterien-
stammes viel m e h r zu fürchten, wenn gleichzeitig auch der Nerv verletzt wurde, als w e n n dieser ganz unversehrt blieb. Ueberhaupt entsteht Brand viel häutiger durch das Z u s a m m e n treffen mehrerer
Veranlassungen,
als aus einer einzigen, u n d
eigentlich haben n u r die direct zerstörend und
mechanischen
Gewalten
ohne
einwirkenden,
Weiteres
chemischen
Brand z u r F o l g e ;
in
allen übrigen Fällen sind die prädisponirenden Ursachen von grosser Wichtigkeit.
Symptome
UU(1
Verlauf.
Die K r a n k h e i t s e r s c h e i n u n g e n beim
B r a n d e beziehen sich theils auf den Krankheitsherd selbst, theils auf den ganzen Organismus.
Die localen V e r ä n d e r u n g e n
in dem B r a n d -
h e r d e betreffen einer Seits das a b g e s t o r b e n e S t ü c k ,
Brandschorf,
E s c h a r a , a n d e r e r Seits die noch lebensfähigen Umgebungen desselben.
Die T e m p e r a t u r eines b r a n d i g e n Theils ist die ihm von seinen
Umgebungen mitgetheilte; Eigenwärme kann er nicht besitzen, es
findet
kein
Dupuytren's,
Stoffwechsel mehr
in
dass die T e m p e r a t u r
ihm
Statt.
Die
eines brandigen
denn
Behauptung Theiles
sogar
niedriger sei, als die seiner Umgebungen, ist unerwiesen. Bewegung
u n d E m p f i n d u n g h ö r e n in b r a n d i g e n Theilen auf.
Was man von der E r h ö h u n g der Empfindlichkeit bei einzelnen
For-
men des B r a n d e s sagt, kann n u r auf die Umgebungen des b r a n d i g e n Theiles Bezug haben.
Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Reizung
294
Ernährungs-Störuogen.
einer Nervenfaser, gleichgültig an welcher Stelle ihres Verlaufs, stets am peripherischen Ende derselben empfunden wird. In derselben Weise, wie eine Quetschung des Nervus ulnaris in der Furche am Condylus internus bis in den vierten und fünften Finger Schmerz erregt, kann auch, nachdem Finger und Vorderarm brandig geworden sind, Schmerz in ihnen empfunden werden, sobald eine heftige Erregung der zugehörigen Nerven an der Grenze des Brandigen oder weiter oben im Gesunden Statt findet. Auch mitgetheilte oder passive Bewegung kann an brandigen Theilen beobachtet werden. Brandige Zehen z. B. können noch bewegt werden, so lange ihre Sehnen unversehrt und mit den Knochen in Verbindung sind, da die bewegenden Theile (die Muskeln) weit entfernt von dem Orte des Brandes liegen. Zuweilen zeigt der brandige Theil keine merklieben oder doch nur höchst langsam fortschreitende Veränderungen (durch Maceration). Dies sehen wir an nekrotischen Knochen und Knorpeln, also an Geweben, welche vorzugsweise reich an unorganischen Bestandteilen sind. Gewöhnlich aber verfallen die Brandschorfe, namentlich sofern sie Weichtheile betreffen, der Z e r s e t z u n g , bald unter den Erscheinungen des Eintrocknens, wenn die Blutzufuhr vollständig gehemmt und die Verdunstung der Flüssigkeiten begünstigt wird (trockner Brand, M u m i f i c a t i o ) , bald durch allmäliges Zertliessen (Erweichung, C o l l i q u a t i o ) , indem ganz allinälig eine Umsetzung und Auflösung der organischen Substanz erfolgt, bald endlich, und zwar bei Weitem am Häufigsten, unter den Erscheinungen der Fäulniss ( S e p s i s ) . Letztere zeigt sich am Deutlichsten bei dem Brande der dem Zutritt der Luft ausgesetzten Weichtheile, und zwar um so mehr und um so schneller, je mehr Flüssigkeit in dem Brandherde angehäuft war und je weniger derb das Gefüge der ergriffenen Gewebe ist; besonders schnell also im losen Binde- und Fettgewebe, in Muskeln, viel langsamer an Sehnen und Gelenkbändern. Die F a r b e der brandigen Theile wird dann in der Weise verändert, dass die sonst vorherrschende röthlich-weisse Färbung, in Folge der Zersetzung des Blutfarbestoffs und unter Einwirkung des in den faulenden Theilen sich entwickelnden Schwefelwasserstoffs, durch S c h w a r z verdrängt wird. Daher entstehen die verschiedenen Schätz u n g e n des Braun, Blaugrau, Graugrün, Grau, Gelbgrau. Zuweilen hat der Brandschorf eine entschieden gelbe, in seltenen Fällen eine weisse Farbe. Dann muss schon vor dem Beginne der brandigen Zerstörung eine relative Blutleere bestanden haben. Das V o l u m e n der Theile ist beim feuchten Brande, wo diesel-
295
Brand.
ben stark von Flüssigkeiten infiltrirt sind, vermehrt, beim trockenen Brande dagegen vermindert. C o n s i s t e n z u n d E l a s t i c i t ä t werden durch den Brand vermindert; die brandigen Weichtheile, ihres Turgor Vitalis beraubt, fühlen sich (sofern sie nicht mumificiren) entweder teigig a n , oder sie lassen eine eigenthümliche Crepitation, wegen der in ihnen angehäuften, durch die Zersetzung entstehenden (meist übelriechenden und brennbaren) Gase, wahrnehmen ( b r a n d i g e s E m p h y s e m ) . Der G e r u c h , welchen brandige Theile verbreiten, hat etwas Specifisches, wird jedoch erst wahrgenommen, wenn die Haut zerstört oder über den brandigen Theilen eingeschnitten ist. In ersterem Falle erhebt sich (beim feuchten Brande) die Epidermis zu Blasen, welche bald mit seröser Flüssigkeit, bald mit stinkender brauner B r a n d j a u c h e gelullt sind, wie dies bei den „Verbrennungen" specieller geschildert werden wird. Nach V a l s a l v a soll sie einen brennend scharfen Gcschmack haben. Genauere
Untersuchungen
Tbeilen
lieferte
Brand,
F r a n k f u r t a . M.
körperchen den,
Hermann
18J7).
theils
stanzen.
tränkt
er,
anatomischen
(Ueber
die
Schnellsten
Veränderungen
Veränderungen
Fettzellen
eiweissbaltiger
in
brandiges
Gewebe
wird d a s W u t v e r ä n d e r t ; theils kristallinisch
werden zersprengt,
die d a r a u s
hervorgehenden
t h e i l s f r e i u m h e r , t h e i l s b i l d e n sie E m u l s i o n e n in
der
Dcinme,
brandigen Theilen ableiten
lässt,
Gebilde ihren Ursprung
zum
Theil
Blut-
ausgeschieihnen.
Fetttropfen
m i t den a l b u m i n ö s e n S u b -
d a s s d i e M a s s e von F e t t ,
überhaupt vorkommt, sondern
durch
die
i m S e r u m d i d u n d i r t , d i e G e w e b e u n d z e r s e t z t sich m i t
Es scheint jedoch, nach
Brandjauche und sprengten
Am
die
lösen sich auf und der Blutfarbestoff wird
Die Z e l l e n d e s F e t t g e w e b e s schwimmen
über
D e in i n e
w e l c h e in
sich nicht blos a u s
einer
fettigen
der zer-
Umwandlung
verdankt.
Zu diesen örtlichen Veränderungen gesellen sich alsbald a l l g e m e i n e E r s c h e i n u n g e n als Rückwirkung des Brandes auf den übrigen Körper, und zwar um so m e h r , wenn die brandige Zerstörung nicht ganz unbedeutend und wenn der Brand von einer inneren Ursache abhängt. Im letzteren Falle kann das dem Brande zu Grunde liegende Leiden bereits Fieber bedingt haben, bevor noch der Brand auftrat. Jedenfalls aber kommt es zu Fieberbewegungen, sobald sich eine brandige Zerstörung in irgend erheblichem Umfange eingestellt hat. Es entsteht das mit Recht gefürchtete B r a n d f i e b e r der alten, das s e p t i c h ä m i s c h e F i e b e r der neueren Autoren (vgl. pag. 247), mit weichem, kleinem, sehr frequentem Pulse, bedeutender Temperatursteigerung, grosser Benommenheit des Bewusstseins, Ohnmächten, Sehnenhüpfen, Flockenlesen, beängstigtem Athem, Durst, Brechneigung, Auftreibung des Unterleibs, stinkenden Durchfällen, trübem, zuweilen sehr dunklem Harne, icterischer Färbung der Haut, kalten, klebrigen
296
Ernährungs-Störangen.
Schweissen. Diese Fiebererscheinungen mögen zum Theil auf der heftigen Erregung des Nervensystems beruhen, hauptsächlich aber sind sie abhängig von der Aufsaugung der B r a n d j a u c h e . Es entsteht deshalb auch eine grössere Gefahr für den Kranken, wenn in der Umgegend des Brandes sich nur eine geringe Entzündung entwickelt, als wenn dieselbe von Anfang an mit einiger Heftigkeit auftritt. In den entzündeten Gebilden nämlich ist die Fähigkeit zum Aufsaugen erloschen und die Brandjauche daher durch dieselben, wie durch eine undurchdringliche Schicht, von dem übrigen Körper gesondert. Gewöhnlich werden die s u b j e c t i v en Symptome des Brandes von dem Kranken viel früher wahrgenommen, als der Arzt im Stande ist aus den vorerwähnten objectiven seine Anwesenheit zu erschliessen. Es treten nämlich als Vorboten des Brandes in denjenigen Fällen, wo er nicht plötzlich durch eine äussere mechanische oder chemische Gewalt oder durch eine heftige Entzündung herbeigeführt wird, c i g e n t h ü m l i c h e S c h m e r z e n auf, welche gewöhnlich für rheumatische oder gichtische gehalten werden, und es gesellt sich dazu das Gefühl von K ä l t e in den leidenden Theilen. Im Gegensatze hierzu giebt es Fälle von Brand (insbesondere in Folge von Druck unck Einklemmung), welche mit unbegreiflicher Schnelligkeit verlaufen, und wo mit dem Auftreten der Schmerzen das Absterben des Theiles schon ganz oder beinahe unabwendbar ist. Entzündungsschmerzen hören beim Eintritt des Brandes ganz gewöhnlich plötzlich auf. Der Brand kann von Anfang an d i f f u s oder c i r c u m s c r i p t auftreten. Im ersteren Falle lässt sich die Grenze desselben oft nicht einmal vermuthen. Die Umgebungen des bereits nekrotisirten Theiles zeigen dann bedeutende Schwellung und Röthung und sind gewöhnlich von Blasen besetzt. Die Schwellung beruht in einzelnen Fällen auf Infiltration des Bindegewebes mit Blutwasser (brandiges Oedem), in anderen Fällen auf weit verbreiteten Eiterungen, in noch anderen auf Gasentwicklung im Bindegewebe (brandiges Emphysem). In seltenen Fällen tritt di,e Gasentwicklung im Bindegewebe als Vorläufer der brandigen Zerstörung auf. Alsdann pflegt der Verlauf ein überaus schneller und sicher tödtlicher zu sein. Wir werden auf diese eigenthumliche Form des Brandes, welche man als „gangrène foudroyante" oder, nach ihrem hervorstechendsten Symptom, auch als „ s p o n t a n e s E m p h y s e m " bezeichnet hat, bei den Krankheiten des Bindegewebes (Bd. II.) zurückkommen. Auch der Anfangs circumscript auftretende Brand kann weiterhin noch Fortschritte machen und der diffus auftretende kann seinerseits
297
Brand.
sich schliesslich b e g r e n z e n .
Hiernach unterscheidet man den s t e h e n -
d e n u n d den f o r t s c h r e i t e n d e n
Brand.
Dass d e r B r a n d s t e h t , e r k e n n e n wir a u s der E n t w i c k l u n g d e r Demarcationslinie.
Der Brandschorf e r r e g t , als relativ f r e m d e r
Körper, E n t z ü n d u n g , w e n n diese auch dem ganzen Processe bis dahin fremd geblieben war.
Diese f ü h r t z u r T r e n n u n g des Brandigen vom
L e b e n d e n ; m a n n e n n t sie deshalb, nach d e r althergebrachten teleologischen Betrachtungsweise,
die D e i n a r e a t i o n s - E n t z ü n d u n g .
Sie
entwickelt sich zuerst an der Grenze des Brandigen, in Gestalt einer blassrothen Linie, D e i n a r c a t i o n s - L i n i e ,
und gehl weiter in Eite-
r u n g über, w o d u r c h an d e r Stelle d e r Deniarcations-Linie später eine den Brandschorf u m k r e i s e n d e Vertiefung, der b e n , entsteht.
Demarcations-Gra-
Die Demarcations-Linie ist von verschiedener
Breite,
gegen den b r a n d i g e n Theil hin immer scharf begrenzt, und von m e h r gesättigter F a r b e , mälig abblasst.
w ä h r e n d sie gegen
die gesunden Partien hin all-
Nach vier bis acht Tagen treten in dieser Linie kleine
C o n t i n u i t ä t s - T r e n n u n g e n ein, Gesehwürchcn, welche sich zuletzt vereinigen u n d
eine F u r c h e
darstellen.
Diese F u r c h e wird
nach und
nach breiter, theils d u r c h Auflösung der todten Gebilde, theils durch Zusammenziehung der Haut.
d e r l e b e n d i g e n , i n s b e s o n d e r e durch die Elasticität
Gleichzeitig wächst auch die Tiefe der Furche, und es wird
d a r a u s endlich ein vollständiger Graben, welcher grosse Massen von Eiter liefert, bei längerem Bestehen auch von einer Abscess-Membran ausgekleidet wird.
Bei flächenhafter Ausbreitung
des Brandes ent-
wickelt sich auch u n t e r dem B r a n d s c h o r f e E n t z ü n d u n g und demnächst Eiterung,
als«
Fläche.
Solcher
unter
der b r a n d i g e n
Gestalt wird
Fläche
eine
Demarcations-
das Brandige an
allen Seiten
vom
Lebenden gesondert, der Brandschorf schwimmt zuletzt in Eiter oder Jauche
und
fällt endlich
entweder
von selbst a b ,
o h n e Schwierigkeit e n t f e r n t w e r d e n .
oder kann doch
Die Bichtung, in welcher d e r
D e m a r c a t i o n s g r a b e n in die Tiefe dringt, ist sehr verschieden und lässt sich nicht im Voraus b e s t i m m e n ; i n s b e s o n d e r e ist es unmöglich voraus zu w i s s e n ,
bis zu welcher Höhe die Sehnen und Knochen der Zer-
s t ö r u n g verfallen w e r d e n .
Beiderlei Gewebe widerstehen
gewöhnlich
lange Zeit, w e r d e n a b e r zuletzt in grösserer A u s d e h n u n g als die Haut abgestossen, die Sehnen meist bis zu ihrer Anheftung an die Muskeln. W ä h r e n d die E n t z ü n d u n g in d e r nächsten Umgebung des b r a n digen Theiles in E i t e r u n g kreise Verdichtung u n d einander,
so
dass
man
übergeht,
Verwachsung
bewirkt
sie im weiteren
(Adhäsion)
allerdings sagen k a n n ,
Diäresis stets Synthesis voraus.
der Theile es
gehe
Diese Verwachsung ist
hier
Umunter der
gewöhnlich
298
Ernährangs-Störungen.
so vollständig, dass auch die Gefässe durch dieselbe verschlossen werden, wodurch Blutung verhütet und die Resorption der Brandjauche verhindert wird. Aber arterielle Blutungen bleiben keineswegs immer aus, und Resorption der Brandjauche findet häufig genug in lebensgefährlichem Maasse Statt; auch werden durch diese adhäsive Entzündung oft auf sehr unzweckmässige Weise Secretionsbehälter verschlossen und dadurch bedenkliche Folgen herbeigeführt. Nachdem die Abstossung des Brandigen unter den erwähnten Gefahren des Brandfiebers glücklich vollendet ist, füllt sich der zurückbleibende Substanzverlust durch Granulationen, die demnächst vernarben. Natürlich kann von Wiederersatz nicht die Rede sein, wenn die ganze Dicke eines Gliedes vom Brand ergriffen wurde. Die Schnelligkeit, mit welcher der Wiederersatz, d. h. die Ausfüllung des durch Brand bedingten Substanz Verlustes durch Narbengewebe erfolgt, ist verschieden gross, nicht blos nach der Ausdehnung, welche der Brand gewonnen hatte, sondern auch nach der Structur der erkrankten Theile, sowie nach dem Alter und dem Kräftezustande des Patienten. Selten geht die Demarcations-Entzündung beim Brande der Weichtheile nicht in Eiterung über, sondern in Neubildung von Bindegewebe, durch welche der brandige Theil a b g e k a p s e l t wird. An äusseren Weichtheilen und bei fauliger Zersetzung des Brandschorfs kommt dies niemals vor; dagegen werden wir einen solchen Vorgang der Abkapselung (Sequestration) bei der Nekrose der Knochen als ganz gewöhnlich zu beschreiben haben (vgl. Bd. II.). DiagUOSe. Man sollte glauben, dass nach den oben angeführten Symptomen des Brandes die Diagnose keine Schwierigkeiten haben könnte. Dies mag auch für den vollkommen ausgebildeten Brand richtig sein. Der beginnende Brand dagegen ist sogar von geübten Beobachtern zuweilen verkannt, und von Anfängern sind manchmal Contusionen für brandige Zerstörungen gehalten worden. Bewegung und Empfindung können aufgehoben sein, es können die sogenannten Brandblasen aufschiessen, es kann sich emphyseniatöses Knistern (durch von Aussen eingedrungene Luft veranlasst) linden, und nichtsdestoweniger ist der Theil noch nicht immer verloren. Jedenfalls ist aber das Erkennen des b e g i n n e n d e n Brandes das Wichtigste. Man *wird in zweifelhaften Fällen besser thun, mit Rücksicht auf die einzuleitende prophylaktische Behandlung, das Schlimmere anzunehmen, die Therapie also in der Art einzuleiten, als drohe der Brand. Demnächst handelt es sich darum, die A u s d e h n u n g des Brandes zu erkennen. Dies ist mit einiger Gewissheit immer erst nach
299
Brand.
der Lösung des Schorfes möglich.
Vorher kann man nur, j e nach der
Natur und der Heftigkeit der Ursache, welche eingewirkt hat, sowie nach den vorausgegangenen Krankheitserscheinungen mit einiger Wahrscheinlichkeit Vermuthungen Uber die Breite und Tiefe, bis zu welcher sich die Zerstörung erstrecken wird, aufstellen.
Das Auftreten der
Deniarcations-Linie ist (mit seltenen Ausnahmen) ein sicherer Beweis, dass der Brand keine weiteren Fortschritte machen werde. Pl'OgDOSC.
Die Prognose des ausgebildeten Brandes ist, was den
brandigen Theil selbst betrifft, immer schlecht; denn derselbe ist unrettbar verloren.
Aber auch in Betreff des übrigen Körpers ist dieselbe
bedenklich; profuse Eiterung, septisches Fieber, arterielle können den Tod herbeiführen.
Blutungen
Häufig bleiben fistulöse Geschwüre,
difforme Narben und, in Folge der Narbenverkürzung, gen der Extremitäten und Verengerungen
Verkrümmun-
normaler Canäle zurück.
Natürlich muss die Prognose je nach dem Sitz, der Ausdehnung und der Veranlassung des Brandes sehr verschieden sein.
Die Prognose
eines brandigen Bruches ist übler, wenn eine Darnischlinge, als wenn ein Stück Netz brandig geworden ist,
und
die Prognose
wird bei
einem brandigen Darmbruche wiederum in mancher Beziehung verschieden sein, j e nachdem nur ein kleines Stück der Darmwand oder aber eine
ganze
Schlinge
zerstört ist.
Brand aus äusserer Veran-
lassung gewährt im Allgemeinen eine bessere Prognose,
als Brand
aus inneren Ursachen. Günstig ist der Brand nur in solchen Fällen, wo er krankhafte Geschwülste (parasitische Gewächse) zerstört. B a y l e und D u p u y t r e n sahen, dass krebsige Drüsen, von Brand ergriflen, gänzlich abgestossen wurden; R a y e r gemacht 1 ).
hat eine ähnliche Beobachtung an einem Hautkrebs
Jedoch w a r in den D u p u y t r e n ' s c h e n Fällen die dadurch
herbeigeführte Heilung keine dauernde. auch niemals einen Vorzug
vor der
Dieselbe wird voraussichtlich absichtlichen
Entfernung der Geschwulst besitzen. — hier auch
diejenigen
Zerstörung
oder
Im weitesten Sinne würden
Fälle in Betracht kommen,
in denen wir den
Brand absichtlich herbeiführen, um Gewächse zu entfernen, Abscesse zu öffnen, Fontanellen zu legen u. dgl. 111.
In diesen Fällen wird der
Brand eine günstige Prognose gestatten, wenn wir
den
Heilzweck
durch ihn erreichen können, ohne dass aus der Localität oder Ausdehnung desselben für das Leben des Kranken Gefahren erwachsen. Behandlung.
Der ausgebildete Brand selbst kann eigentlich nicht
behandelt werden, da wir keine Mittel besitzen, Todtes wieder lebendig ' ) Traite p r a t i q u e des maladies de !a peau.
Paris 1 8 3 5 , t. II.
pag. '254.
300
ErnäbruDgs-Störungen.
zu machen. Die Behandlung des Brandes bezieht sich daher auch nur 1) auf die Verhütung des Brandes, 2) auf die Verhütung und Behandlung der üblen Zufälle, welche hinzutreten könnten, und 3) auf die Beförderung der Abstossung des Brandigen und die Leitung der Vernarbung. 1. P r o p h y l a k t i s c h e B e h a n d l u n g . Bluteatziehungen sind zur Verhütung des Brandes von Wichtigkeit, wenn eine sehr heftige Entzündung diesen üblen Ausgang zu nehmen droht. Gewöhnlich sind in solchen Fällen reichliche örtliche Blutentziehungen, besonders hinreichend tiefe Einschnitte, welche gleichzeitig die Spannung heben und der zu befürchtenden Einklemmung vorbeugen, dem Aderlass bei Weitem vorzuziehen, zumal die durch den letzteren bedingte Veränderung der Blutmasse die Neigung zum Brand erhöhen könnte. Besteht eine Einschnürung oder Einklemmung der entzündeten Theile, so muss diese so schnell als möglich beseitigt werden. Handelt es sich dagegen um einen asthenischen Zustand, so ist Methodus roborans am Platze, namentlich nahrhafte, leicht verdauliche Kost; unter den hierher gehörigen Arzneimitteln sind Wein, Opium, China mit Säuren die wesentlichsten. Beruht der Brand auf der Uebertragung eines Ansteckungsstoffes, so muss dieser so schnell als möglich zerstört werden; ausserdem sucht inan seinen Wirkungen durch die innere Anwendung antiseptischer Mittel vorzubeugen. Wo Druck oder Zusainmenschnürung die Veranlassung zum Brande geben, da sollen diese sobald als möglich beseitigt werden. Dies ist jedoch oft schwierig. Wie soll man es verhüten, dass bei einem Gelähmten oder bei einem Typhuskranken, der unbeweglich im Bette liegt, die Haut in der Gegend des Kreuzbeins oder der Trochanteren nicht einem fortwährenden Drucke ausgesetzt werde? — Man kann ebensowenig dem Brande vorbeugen, der auf organischen Krankheiten des Herzens und der Arterien beruht. Dieselbe Behandlung, welche prophylaktisch gegen den Brand eingeleitet wurde, muss auch gegen die weiteren Fortschritte desselben angewandt werden, denn das Fortschreiten des Brandes ist immer ein neues Brandigwerden. 2. Von der grössten Bedeutung ist die V e r h ü t u n g ü b l e r Z u f ä l l e , namentlich der Jaucheresorption. Zu diesem Behuf sind nicht blos alle die bei der Therapie der Eiterungen empfohlnen antiseptischen Mittel, namentlich L i q u o r k a l i h y p e r m a n g a n i c i und C a r b o l s ä u r e , bei reichlicher Jauchung auch Chlorkalk und Kohlenpulver iin ausgedehntesten Maasse anzuwenden, sondern es darf in vielen Fällen auch die vollständige Zerstörung des brandigen Theils (durch
301
Brand.
Salpetersäure,
Chromsäure,
Glüheisen), oder die Beseitigung
durch
Abschneiden (Amputation) nicht gescheut werden, um das Leben zu retten.
Allerdings wird es aber in der Mehrzahl der Fälle sehr schwer
sein, den richtigen Ort für die Amputation zu bestimmen, bevor die Demarcationslinie angedeutet ist, da man in der Regel
doch
nicht
zu viel abschneiden will und anderer Seits die Schnitte jedenfalls in gesunden Geweben führen muss. Die eigentliche B e h a n d l u n g
der
üblen Zufälle,
also
insbe-
sondere der septischen und purulenten Infection, der arteriellen Blutungen u. dgl. m., ergiebt sich, j e nach der Verschiedenheit derselben, von selbst, da die localen Verhältnisse des Brandes an der Behandlung der gedachten Zufälle Nichts ändern. 3.
der gehörigen Leitung der Eiterung. und Bäder mit den aus.
Vgl. pag. 2 6 4 u. f.
Die B e f ö r d e r u n g d e r A b s t o s s u n g besteht wesentlich in
Wird
bereits
Gewöhnlich reichen Umschläge
erwähnten antiseptischen Mitteln
hierzu
aber schlechter Eiter in grosser Menge abgesondert, ist
gleichzeitig die Haut in der Umgegend
des Brandschorfs blass und
teigig angeschwollen, zeigen sich die Kräfte des Kranken unzureichend und sinken sie schnell, so m u s s man belebende, spirituöse oder aromatische Umschläge machen und überhaupt diejenigen Mittel in Gehrauch ziehen, die bei der „ E i t e r u n g " als die für solche Fälle geeigneten angegeben worden sind. Vgl. p a g . 2 6 0 . Der Kranke muss alsdann auch eine ganz besonders nahrhafte, leicht verdauliche Kost, insbesondere gute Fleischbrühe, weiche Eier, Braten, guten Wein u. dgl. m. erhalten. Zuweilen verzögert sich die Abstossung des Brandschorfes, indem er durch einzelne Stränge, besonders in der Tiefe, festgehalten wird. Dieselben müssen, wenn diese Verzögerung lästig oder wegen
ausge-
breiteter Eiterung gar gefährlich wird, durchschnitten werden.
Es ist
deshalb* nothwendig, bei jedem Verbände den Brandschorf
etwas zu
erheben und zu bewegen, um über die Fortschritte der Ablösung desselben stets genau unterrichtet zu sein. In einzelnen Fällen jedoch muss man gerade im Gegentheil die Ablösung des Brandschorfes zu v e r z ö g e r n suchen, wenn man nämlich,
wegen
der Nachbarschaft eines grösseren Gefässes, eine nach-
trägliche Blutung fürchtet, oder wenn
man den
Brand
absichtlich
herbeigeführt hat, um auf diesem Wege eine abnorme Oeffnung zum Verschluss zu bringen.
Man soll eine Verzögerung der
Abstossung
erreichen, wenn man nur adstringirende Pulver oder Auflösungen von Alaun, essigsaurem Blei, schwefelsaurem als Verbandmittel benutzt
(Marjolin).
Eisen, schwefelsaurem
Zink
Emährongs-Störungen.
302
Fiir die L e i t u n g d e r V e r n a r b u n g sind die bei d e j Eiterung (pag. 262 u. f.) gegebenen Vorschriften maassgebend. B.
V*n d e n e i n z e l n e n A r t e n des B r a n d e s .
Unter den verschiedenen Arten des Brandes, welche wesentlich nach ihrer Aetiologie zu unterscheiden sind, haben wir von chirurgischer Seite vorzüglich den B r a n d d u r c h D r u c k , den H o s p i t a l b r a n d und den M i l z b r a n d aufzuführen. Der Brand durch Druck (Decubitus) ist weder epidemisch, noch contagiös, sondern durchaus an individuelle Verhältnisse geknüpft; der Hospitalbrand dagegen beruht auf miasmatischen Verhältnissen, tritt daher epidemisch auf, kann aber auch contagiös werden; der Milzbrand endlich ist entschieden contagiös und entsteht fast immer durch Uebertragung von einem kranken Thiere auf den Menschen. Indem wir uns auf die genauere Beschreibung dieser besonderen Arten des Brandes beschränken, wollen wir aber keineswegs behaupten, dass andere nicht auch chirurgische Hülfe erheischen könnten; so namentlich der Brand durch Embolie und die Gangraena senilis. Die Aetiologie derselben gehört aber entschieden in die innere Pathologie, und der Verlauf, sowie die Behandlung ergeben sich aus unserer allgemeinen Darstellung. — Der Brand durch Zermalmung, Verbrennung und Erfrierung wird bei den Verletzungen berücksichtigt werden.
I.
Druck-Brand, brandiges Aufliegen. Gangraena a deeubitu. Decubitus gangraenosus.
Durch lange dauerndes Stillliegen im Bett oder durch chirurgische Bandagen und Maschinen können einzelne Theile in der Art gedrückt werden, dass Brand die Folge ist. Am Häufigsten entsteht dieser Brand an denjenigen Stellen, wo Knochenvorsprünge dicht unter der Haut liegen. Gewöhnlich beobachtet man ihn daher, in Folge langen Liegens, in der Gegend des Os sncrum und der letzten Lendenwirbel, demnächst in der Gegend des grossen Rollhügels des Schenkels, an der Ferse, seltener an den Schultern oder an anderen Stellen und am Seltensten da, wo nur Haut gegen Haut drückt, wie z. B. zwischen den Schenkeln und dem Scrotum. Aetiologie. In der grossen Mehrzahl der Fälle entsteht der Decubitus, wenngleich an solchen Stellen, welche dem Drucke besonders ausgesetzt sind, doch nicht durch den Druck allein, sondern auf Grund eines Allgemeinleidens. Wir sehen ihn bei solchen Kranken, welche
Brand.
303
an typhösen oder fauligen Fiebern, an bedeutenden Eiterungen u. dgl. leiden, nach grossen oder oft wiederholten Blutverlusten, auch nach einer sehr eingreifenden antiphlogistischen Behandlung in entzündlichen Krankheiten, also überhaupt da, wo die Ernährung des Körpers stark beeinträchtigt und der Blutstrom geschwächt ist, mit auffallender Schnelligkeit und in Folge eines unbedeutenden Druckes zu Stande kommen, während Menschen, welche übrigens gesund sind, einen viel stärkeren Druck lange Zeit ertragen können. Natürlich hat dies aber seine Grenzen und es kann auch bei sonst gesunden Menschen durch einen sehr starken oder lange anhaltenden Druck Decubitus entstehen. Besonders hervorzuheben ist, dass an paralytischen und atrophischen Gliedern, z. B. an lange vernachlässigten Klumpfüssen, viel leichter, als an gesunden Theilen Brand durch Druck entsteht. Durchnässung, zumal mit Harn, Unrcinlichkeit überhaupt und Erhitzung des betreffenden Theiles durch Liegen in Federbetten oder in einem zu heissen Zimmer begünstigen das brandige Aufliegen. Ob der Entstehung des Decubitus immer Entzündung vorausgehe oder nicht, ist streitig. T h o m s o n und, unter den Neueren, N e l a t o n sind der letzteren Ansicht, indem sie als nächste Ursache die Compression der Capillargefässe betrachten, während Andere (z. B. B e r a r d und D e n o n v i l l i e r s ) behaupten, dass dem Druck-Brande stets Entzündung vorausgehe. Vielleicht haben beide Parteien Recht; denn es giebt in der That zwei verschiedene Formell des Decubitus. Die eine entsteht mit sehr schmerzhafter, durch helle Rothe, brennende Hitze und geringe Geschwulst ausgezeichneter Entzündung, aus welcher allmälig Verschwärung und erst später, wenn die Ursachen fortbestehen, Brand hervorgeht. Bei der anderen entwickeln sich von vorn herein blaurothe oder gar blaugrüne Flecke, ähnlich den Sugillationen nach Quetschungen, a u f w e i chen unter geringem Schmerz, aber bei gleichzeitigem Oedem der Umgegend, entweder Blasen, welche mit blutigem Serum gefüllt sind, oder aber sogleich Brandschorfe sich entwickeln. Die zweite Form findet sich häufiger bei Kranken, die an typhösen Fiebern leiden oder durch bedeutende Säfteverluste sehr schnell heruntergekommen sind. Blutergüsse zwischen die Gewebselemente bilden hier offenbar den Anfang des nekrotisirenden Processes. Diejenigen, welche behaupten, es gehe dem Decubitus immer Entzündung vorher, nehmen an, dass dieselbe bei der letzteren Form s e h r s c h n e l l , fast u n b e m e r k t , vorübergehe. Verlauf Uild Ausgänge. Dauern die Ursachen des Decubitus fort, so breitet er sich immer weiter aus und zerstört nicht blos die Haut
304
Ernährungs-Slörnngen.
und das subcutane Bindegewebe, sondern auch die Fascien, Muskeln, ja sogar das Periost und den Knochen. In einzelnen Fällen hat man beobachtet, dass, nachdem die fibröse Haut, welche das untere Ende des Canalis sacralis verschliesst, durch den Brand zerstört w a r , die Rückenmarkshäute von Entzündung ergriffen oder mit Brandjauche infiltrirt wurden, so dass eine Meningitis spinalis dem Leben schnell ein Ende machte. Jedenfalls trägt der Decubitus zur Beschleunigung des tödtlichen Ausganges der Krankheiten, zu denen er sich gesellt hat, erheblich bei, indem durch die Schmerzen, das Fieber und die Eiterung (selten durch Blutungen) die Kräfte des Kranken untergraben werden. Oft giebt grade eine Decubitusstelle zur Entwicklung der Septichämie Veranlassung; in anderen Fällen geht Thrombusbildung in den Venen, welche weiterhin zur Pyämie f ü h r t , von dem Brandherde eines Decubitus aus. Gelingt es, die Ursachen des brandigen Durchliegens zu beseitigen, also insbesondere die Ernährung und Säftemischung zu verbessern und den Druck zu entfernen, so heilen die Geschwüre bald, und der durch den Brand etwa bedingte Substanzverlust wird durch Granulationen ersetzt. Hieraus ergiebt sich denn auch — Die Prognose des Decubitus. Je weniger er auf örtlichen Veranlassungen beruht, je schneller er entsteht und fortschreitet, je weniger schmerzhaft er ist, desto schlechter sind die Aussichten; daher bei der ersten Form, welche wir oben unterschieden, immer besser, als bei der zweiten. Die Behandlnng hat theils die inneren, theils die äusseren Ursachen zu beseitigen oder doch zu bekämpfen, also die E r n ä h r u n g des Kranken zu verbessern, der fehlerhaften Blutmischung entgegen zu arbeiten, profuse Eiterungen zu beschränken u. s. f., und anderer Seits den Druck zu beseitigen. Der erste Tlieil der Behandlung gehört also wesentlich in das Gebiet der inneren Medicin und inuss je nach der bestehenden inneren Krankheit verschieden sein. Die Behandlung des Druckes ist gewöhnlich mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Selten reicht es aus, den Kranken nur zu einem häufigen Wechsel der Lage aufzufordern, damit das Gewicht des Körpers nicht immer auf denselben Punkt drücke. Von grösserci' Wirksamkeit ist sowohl zur Verhütung, als auch zur Heilung des Decubitus die sorgfältige Bereitung des Lagers. Der Kranke muss nicht auf Federbetten, sondern auf einer guten Rosshaarmatratze liegen; das Betltuch oder die sonstigen Unterlagen des Kranken, zu welchen zweckmässig glatt gegerbte Felle gewählt werden, müssen straff angespannt sein und nirgend Falten machen. Durch Unterlegen gepolsterter Ringe sucht
305
Decubitus.
man den Druck von den besonders gefährdeten Theilen abzuhalten. Noch besser sind grosse Luftkissen oder die sogenannten hydrostatischen Betten, d. h. Säcke aus wasserdichtem Gummizeug, in Gestalt von Kissen und Matratzen, welche mit Wasser gefüllt sind. Diese letzteren schmiegen sich genau der Körperform an und stützen alle Punkte gleichmässig, ohne die hervorragenden Theile besonders zu belästigen. Der Kranke darf unter dem Kopfe nicht viele Kissen haben, sondern muss möglichst horizontal liegen, damit er nicht im Bette hinabrutsche, wodurch auf das Kreuzbein immer ein besonders starker Druck ausgeübt wird. Die grösste Reinlichkeit muss in jeder Beziehung gehandhabt werden. Dies ist bei solchen Kranken, welche Harn und Fäces unwillkürlich entleeren und viel schwitzen, besonders schwierig. Deshalb kann es zweckmässig sein, die vom Decubitus bedrohten oder bereits ergriffenen Stellen durch ein auf Leder gestrichenes Bleipflaster oder durch Ueberstreichen mit Collodium zu schützen. Letzterem wird von Manchen eine specifische Wirkung zugeschrieben; ich weiss aber aus eigener Erfahrung, dass bei der ersten Form des Decubitus die Schmerzen durch dasselbe sehr vermehrt werden. Während die bisher angegebene Behandlung auf beide Formen des Decubitus in gleicher Weise anzuwenden ist, zeigen sich kalte Waschungen und Umschläge, das Auflegen von Citronenscheiben, Bestreichen mit Citronensaft, Umschläge von tanninsaurem Blei, und wenn die Schmerzhaftigkeit sehr gross ist, Umschläge von lauwarmem Bleiwasser und Verbände mit Zinksalbe bei der e r s t e n Form besonders nützlich, während bei der z w e i t e n Waschungen und Umschläge von Kampherspiritus, einem Gemenge von Kampherspiritus und Bleiwasser, Carbolsäure- oder Chlorkalk-Lösung, so wie Verbände mit balsa, mischen Salben (Unguentum Elenii mit Zusatz von Kampher) vorzugsweise empfohlen werden. Im Uebrigen gilt Alles, was von der Behandlung des Brandes im Allgemeinen gesagt wurde. II.
Hospitalbrand. Pourriture
Gangraena nosocomialis. d'hôpital').
Schon seit den ältesten Zeiten, besonders aber seit Einführung der Schusswaffen, hat man beobachtet, dass Wunden zuweilen in eigentümlicher Weise vom Brande befallen werden, und A m b r o i s e P a r é (im 16. Jahrhundert) war bereits geneigt diese „Fäulniss" von ')
Eine zur
gute Mitte
Uebersicht dieses
De g a n g r a e n a e
der Geschichte und
Jahrhunderts
liefert
nosocomialis historia
B a r i l e I e b e » , Chirurgie.
7 . Aull. I.
die
der
Literatur
Dissertation
et l i t e r a t u r a ,
des von
tíreifswald
Hospitalbrandes Hugo 1853. 20
bis
Ziem s sen:
306
Ernährungs-Störungen.
einer „Luftverderbniss" abzuleiten. De la M o t t e ' ) erzählt, im Hôtel Dieu zu Paris habe sich diese Krankheit zu seiner Zeit (in der Mitte des 18. Jahrhunderts) fast zu allen Wunden gesellt, und man habe ihr statt des Namens Gangrène, um die Kranken nicht zu beunruhigen, die Benennung Pourriture gegeben. V i g a r o u x erzählt, wie sie in den Hospitälern von Montpellier 20 Monate lang gewüthet habe. Delpech*), der dort im Hospital St. Eloi 150 Soldaten daran zu behandeln hatte, die unter den Mauern von Pampelona verwundet waren, beschreibt den Hospitalbrand als eine eigenthiimliche Zersetzung der Weichtheile, vermöge deren sie verschwinden, ohne eine Spur ihres ursprünglichen Gewebes zurückzulassen, „indem sie in eine gleichförmige, stinkende Gallerte umgewandelt werden." Die Schriften der englischen Chirurgen bezeugen, dass der Hospitalbrand damals auf ihren Schiffen sehr häufig war. Während der Kriege von 1812 bis 1815 hat die Nosocomial-Gangrän in den Lazaretten aller Nationen geherrscht. B a u d e n s 3 ) sah sie in einem afrikanischen Lazarett (während des ersten Feldzuges der Franzosen in Algier) nach allen grösseren Operationen den Tod herbeiführen. Auch die letzten Kriege dieses Jahrhunderts (in der Krimm, in Oberitalien, in Nordamerika, in Deutschland und in Frankreich) haben den Hospitalbrand wieder in ihrem Gefolge gehabt; namentlich hat er während des Krimfeldzuges furchtbar gewüthet 4 ). Von besonderer Bedeutung für die Beurtheilung des Uebels waren die Beobachtungen, welche in den letzten Jahrzehnten aus Civil-Hospitälern hervorgegangen sind, namentlich die von P i t h a 5 ) in dem schönen Prager Krankenhause gesammelte und für seine bahnbrechende Arbeit über diesen Gegenstand benutzte Reihe von Fällen. Krankheitserscheiunogcu. Man unterscheidet zwei Formen des Hospitälbrandes, die pulpöse und die geschwürige. 1. P u l p ö s e F o r m . Vorausgesetzt, es wird, wie es am Häufigsten geschieht, eine Wunde, die in Eiterung steht, von dieser Krankheit ergriffen, so scheint es zunächst, als sei der Eiter viel dicker geworden und als liesse seine tiefste Schicht sich nicht wegwischen. Letztere erweist sich bei genauerer Untersuchung als eine dünne, fest ' ) Traité de chirurgie. *) Mémoire sur
Paris 1 7 7 1 .
la complication des plaies et des ulcères, connue sous le nom de
p o u r r i t u r e d'hôpital.
Paris 1 8 1 5 .
*) Clinique des plaies d'armes à feu. 4
Paris 183G, pag. 6 8 .
) Vgl. M a c l e o d im Edinburgh med. Journal 1 8 5 6 , Mai u. f. und H. D e m m e , Militiirchirurgische Studien in den italienischen Lazaretten von 1 8 5 9 .
«) Prager Vierteljahrsschrift, 1 8 5 1 .
Würzburg 18fi I
307
Hospitalbrand.
haftende, schmutzig weisse, halb durchscheinende Pseudomembran. Die Dicke derselben vermehrt sich und ihre Farbe wird entschiedener g r a u ; dann erscheinen Blutstreifen in ihr, und wenn man mit dem Finger auf diese Schicht d r ü c k t , so findet man sie zerreiblich und leicht blutend. Man glaubt, man könne die Wunde rein wischen; aber man vermag in der That blos den oberflächlichsten Theil des Belags, welche'r bereits zerfallen ist und in welchem es von Vibrionen wimmelt, wirklich zu entfernen; im Uebrigen verschiebt man nur diese weiche, zähe Masse, welche an den unterliegenden Geweben (oder Granulationen) a u f s Innigste haftet. 2 . G e s c h w ü r i g e F o r m . Am Rande der Wunde erscheinen Bläschen, mit wässriger oder sanguinolenter Flüssigkeit von livider oder braunrother Farbe gefüllt. Nachdem sie sich geöffnet haben, bleibt ein aschgrauer Schorf zurück, welcher sich schnell vergrössert. Sie können Anfangs einem kleinen Blutgerinnsel, oder einem syphilitischen Geschwüre, oder einer Aphthe ähnlich sehen. Analog diesem Vorgange am Wundrande, bald gleichzeitig mit ihm, bald unabhängig davon, bilden sich mitten in den Granulationen mehr oder weniger bedeutende kraterförmige Vertiefungen; Anfangs von kreisrundem Umfange, mit scharf abgegrenzten Rändern, welche gleichfalls in der Tiefe mit aschgrauen Schorfen (Pseudomembranen) ausgekleidet sind, und zwischen denen die blaurothen Granulationen wie Gebirgsstöcke emporragen. Das ganze Brandgeschwür zeigt daher ein eigenthümlich zerfressenes Ansehn. An d e m s e l b e n K r a n k e n , j a s o g a r a n d e r s e l b e n W u n d e , k a n n m a n b e i d e F o r m e n n e b e n e i n a n d e r b e o b a c h t e n ; man kann sie daher nicht als wesentlich verschieden ansehen. Mag nun die Krankheit Anfangs in der einen oder anderen Form aufgetreten sein, so werden bei weiterem Fortschreiten zunächst die Granulationen, dann die Umgebungen der Wunde ödenxatös, der Wundrand wird pui'purroth gefärbt. Das Uebel kann bei einer guten Constitution, oder wenn keine intensive Infection stattgehabt hat, sich begrenzen, worauf dann nach Vollendung der Abstossung auch Vernarbung erfolgt. Häufig treten jedoch Recidive auf. Die Narbe wird dann ungemein schnell wieder zerstört, während weitere Fortschritte langsamer erfolgen. Diese milderen Fälle sind jedoch überhaupt selten, und gewöhnlich geschieht im Gegentheil die Ausbreitung sehr schnell. Die Wundränder wulsten sich dann in grossem Umfange auf, meist durch ödematöse, seltener durch emphysematöse Schwellung, welche jedoch auch in mächtiger Verbreitung auftreten und zum Ausströmen stinkender Gase Veranlassung geben kann. Der Geruch des Secrets 20*
308
Ernahrungg-Storungeo.
der brandigen Flächen (welches namentlich bei der pulpösen Form sehr reichlich geliefert wird) ist in allen Fällen eigenthtlmlich widerwärtig. Die Gewebe werden zuletzt in eine gehirnartige Masse umgewandelt, nach deren Abfall eine unförmige Geschwürsfläche übrig bleibt, die sich fort und nach allen Richtungen hin vergrössert. Manche Gewebe leisten etwas länger Widerstand, z. B. Arterien; aber endlich werden sie auch zerstört, und aus grösseren Arterien erfolgen oft gefährliche Blutungen, wenn vor der Lösung des Schorfes an der dem Herzen zugewandten Seite desselben ein verschliessender und hinreichend fest haftender Thrombus sich noch nicht entwickelt hatte. Die durch den Hospitalbrand entblössten Knochen sterben ab; die Lösung und Ausstossung derselben erfolgt aber erst nach längerer Zeit. Hierdurch wird der Verschluss der Wunde verzögert, diese daher dem wiederholten Einflüsse äusserer Schädlichkeiten, namentlich auch erneuter Infection ausgesetzt, und es erfolgen deshalb in solchen Fällen doppelt leicht Recidive, welche dieser Krankheit Uberhaupt eigentümlich sind. Heftiger S c h m e r z wird von dem Kranken gleich zu Anfange, gewöhnlich noch v o r d e m A u f t r e t e n d e r o b e n b e s c h r i e b e n e n o b j e c t i v e n S y m p t o m e empfunden. Er soll Anfangszuweilendem von einem Mückenstich herrührenden ähnlich sein, steigert sich aber gewöhnlich schnell und ohne Intermissionen zu bedeutender Heftigkeit, so dass er dem Kranken den Schlaf raubt. Die a l l g e m e i n e n E r s c h e i n u n g e n verhalten sich, wie beim Brande überhaupt; namentlich stellt sich ein durch erhebliche aber ziemlich unregelmässige Temperatursteigerungen und durch auffallende gastrische Störungen ausgezeichnetes Fieber (vgl. pag. 247) fast immer ein. Zuweilen treten gleichzeitig die Erscheinungen des Scorbut oder des Typhus auf. Im weiteren Verlauf können sich pyämische Erscheinungen (vgl. pag. 249) hinzugesellen; dieselben sind jedoch seltener als man erwarten sollte, da durch Blosslegung von Venenstämmen häufig genug zur Thrombenbildung Veranlassung gegeben wird. Wenn der Hospitalbrand bei einem sonst gesunden Menschen in geringer Ausdehnung auftritt, so können allgemeine Erscheinungen auch ganz fehlen. Dass dieselben den localen Veränderungen vorausgehen, ist mindestens sehr selten. Die anatomische Uutersuchnug der von Hospitalbrand ergriffenen Theile ergiebt, dass es sich um Auf- und Einlagerung eines pseudomembranösen Exsudats in die Wundflächen handelt, a n a l o g der D i p h t h e r i t i s der Schleimhäute. Dasselbe wird nicht blos auf der Oberfläche der Granulationen, sondern auch in grösserer Tiefe als
309
Hospitalbrand.
eine derbe, trockene, dem geronnenen Faserstoff ähnliche Masse zwischen den Gewebselementen abgelagert, verdrängt und comprimirt diese und bedingt auf solche Weise das Absterben der granulirenden Fläche und ihrer Nachbartheile'). O l l i v i e r * ) bezeichnete den Hospitalbrand daher gradezu als D i p h t h e r i t i s d e r W u n d f l ä c h e n . Dies bat zu d e r ,
von Jac. H e i b e r g
(Virchow's
Archiv, 1 8 7 2 ,
Bd. 5 5 . ) mit
Recht bekämpften Ansicht geführt, als seien Hospitalbrand u n d Diphtheritis der Schleimhäute
identisch.
In der Tbat erzeugt
a b e r Hospitalbrand
weder Diphtheritis,
noch
wird er durch Ansteckung von Diphtheritis bedingt, obgleich beide allerdings oft gleichzeitig vorkommen. — Wenn J. H e i b e r g den Umsichgreifen ausgezeichnete
Form
des
Hospitalbrand
als eine n u r
Zerfalls der Granulationen
durch
ihr
auffasst und als
„ N e c r o s i s s e r p i g i n o s a " bezeichnen will, so vergisst er, dass die Schwierigkeit, das Uebergreifen
des Brandes auf
die alten
Gewebe zu e r k l ä r e n , dadurch nicht vermin-
dert wird.
Aeliologic. Die Ansichten über die E n t s t e h u n g s w e i s e und (las W e s e n des Hospitalbrandes waren und sind getheilt. Während man früher fast allgemein glaubte, dass er nur durch ein Contagium hervorgerufen und weiter verbreitet werden könne, welches seinen ersten Ursprung in überfüllten und schlecht gelüfteten Lazaretten und Kriegsschiffen nehmen sollte, haben in neuerer Zeit gewichtige Autoritäten die Ueberzeugung gewonnen, dass diese Krankheit auch epidemisch auftreten und sich ganz unabhängig von dem vermeintlichen Ansteckungsstoffe der Lazarette, weit entfernt von diesen, in Städten und Dörfern entwickeln kann. Diese Ansicht ist von P i t h a 3 ) zuerst in überzeugender Weise, auf Grund einer grossen Anzahl höchst sorgfältiger Beobachtungen und Untersuchungen, entwickelt worden. Danach haben wir den Hospitalbrand als eine e p i d e m i s c h e Krankheit aufzufassen, gerade so wie die Cholera, den Typhus, die ftuhr, das Scharlachfieber, mit welchen der Hospitalbrand gewöhnlich zusammen auftritt, so dass man mit allem Recht von Wundtyphus, Wundcholera u. s. w. sprechen könnte. Weder verdorbene Luft, noch ungünstige Lage des Lazaretts, noch mangelhafte Lüftung oder Reinlichkeit 4 ), noch unrichtige Behandlung, schlechte Nahrungsmittel, •) D e m m e beschreibt (I. c.) eine Zelleowucherung in den u n t e r der Pseudomembran liegenden G e n e b e n , die n u r zum jauchigen Zerfall bestimmt zu sein scheine, durch den von ihr ausgeübten Druck aber vielleicht die specitischen Schmerzen errege. *) Traité expérimental du typhus t r a u m a t i q u e , gangrène ou pourriture des hôpitaux. Paris
1822.
' ) Prager Vierteljahrscbrift und 8 6 — 8 9 . •
*) Ich
habe
fast
1 8 5 1 , Bd. 11., pag. 2 7 — 1 0 1 ,
Vgl. auch V i r c h o w ,
besonder« pag.
77—82
Spec. Pathol. und Therap. Bd. I., pag. 2 9 2 .
1 0 J a h r e lang in einem
der schlechtesten Lazarette chirurgische
Kranke zu behandeln gehabt, ohne auch n u r einen Fall von Hospitalbrand zu sehen.
310
Ernährongs-Störnngen.
Heimweh und andere traurige Gemütsbewegungen ergaben sich ihm bei der genauesten Beobachtung als ätiologische Momente, vielmehr ausschliesslich jener epidemische Krankheits-Genius, der einer Seits exsudative Processe begünstigt und fördert, anderer Seits den Exsudaten einen verderblichen septischen Charakter aufdrückt. Hieraus erkl&rt sich denn auch vollkommen nicht blos die „septische Corruption" des durch traumatische Einwirkungen veranlassten oder bereits anderweitig z. B. an Geschwüren bestehenden Entzündungsprocesses, sondern auch das Auftreten zahlreicher spontaner gangränöser Phlegmonen, die unter der Herrschaft jenes Krankheits-Genius sich entwickelten. Allerdings lässt sich die eine wie die andere dieser Beobachtungen auch nach der Lehre der Contagionisten erklären, welche in dem ersteren Falle Uebertragung des Contagiums auf die Wunde, im zweiten Aufnahme des Contagiums (Miasmas) in die Säftemasse durch die Lungen annehmen würden. P i t h a glaubt auch die Contagiosität des einmal entwickelten Hospitalbrandes nicht in Abrede stellen zu dürfen; aber die Thatsache, dass ein grosser Theil der von ihm beobachteten Kranken mit vollkommen entwickeltem oder doch bereits deutlich eingeleitetem Hospitalbrande, theils aus der Stadt, theils vom Lande her, in das Krankenhaus eintrat, ist jedenfalls eine wesentliche Stütze seiner Ansicht. Die von F o c k 1 ) in dem L a n g e n b e c k ' s c h e n Klinikum und von H. F i s c h e r ' ) in der Charité zu Berlin gemachten Beobachtungen schliessen sich als neue Beweisstücke an die von P i t h a gesammelten Fälle an. Während des Winters 1868/69 habe ich selbst in der Berliner Charité Gelegenheit gehabt, die Angaben der vorstehend angeführten Autoren, namentlich auch in Betreff des Vorkommens von ausgeprägtem Hospitalbrand an Kranken, die in Privathäusern ohne irgendwelche Beziehung zu einem Hospital gelegen hatten, vollkommen zu bestätigen. Eine scharfe Kritik der früheren Beobachtungen lässt einer Seits den auch schon von Anderen geltend gemachten Zusammenhang der Nosocomial-Gangrän mit anderen epidemischen Krankheiten deutlich erkennen und zeigt anderer Seits, dass von früheren Autoren sehr gezwungene Erklärungen zu Hülfe genommen worden sind, um die ausserhalb der Hospitäler beobachteten Fälle der Krankheit als durch Uebertragung des Ansteckungsstoffes entstanden erscheinen zu lassen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass es sich schliesslich um den grossen Streit über die Contagiosität oder Nichtcontagiosität derjenigen Krankheiten handeln ') „Zur Aetiologie des Hospitalbrandes Deutsche Klinik 1 8 5 6 . ®) Der Hospitalbrand, eine klinische Studie, nach Beobachtungen im verflossenen Jahre. Annalen des Charité-Krankenbauses zu Berlin. Bd. XIII. 1 8 6 5 .
311
Hospital b r a n d .
wird, in deren Reihe P i t h a den Hospitalbrand einschaltet: Cholera, Typhus, u. s. f. — P i t h a selbst kann sich daher, obgleich in der festen Ueberzeugung von der epidemischen Natur des Hospitalbrandes, sehr wohl dem Ausspruche B é g i n ' s anschliessen: „Kurz der Hospitalbrand ist contagios gleich dem Typhus, dem gelben Fieber, der Ruhr, nicht aber gleich der Krätze, der Syphilis, den Blattern; denn wäre er auf diese letztere Weise contagios, so könnte er, einmal erzeugt, nimmermehr aufhören, besonders in Lazaretten, in welchen fortwährend neue Verwundete die abgegangenen (geheilten oder gestorbenen) ablösen." Unzweifelhaft steigert sich aber die Krankheit zu der bedenklichsten Höhe, wo viele Kranke in einem relativ engen Raum zusammengedrängt werden. Es ist eine alte und immer wieder auf's Neue gemachte Beobachtung, dass in neuen oder doch vollständig ausgelüfteten Krankensälen die Heilungen aller Verwundeten und namentlich der bedeutenden Eiterungen im Allgemeinen ungleich viel besser von Statten gehen, als in lange Zeit hindurch überfüllten Räumen. Wahrscheinlich kann in letzteren das Miasma sich zum haftenden Contagium steigern; ob ein solches in ihnen auch selbständig und ursprünglich entwickelt werden kann, muss mindestens zweifelhaft bleiben. Gestützt auf einige Beobachtungen von D e l p e c b , h a t man b e h a u p t e t , dass syphilitische und Krebs-Geschwüre eine gewisse I m m u n i t ä t gegen Hospitalbrand b e s ä s s e n ; es ist dies jedoch durch die Beobachtungen P i t h a ' s
widerlegt.
Die Diagnose des Hospitalbrandes wird nicht schwierig sein, wenn man vor Allem das c h a r a k t e r i s t i s c h e A u s s e h e n , den a n h a l t e n d e n S c h m e r z u n d d e n s p e c i f i s c h e n G e r u c h beachtet. Jedoch ist eine Verwechselung mit scorbutischer Verschwärung möglich, wenn der Hospitalbrand sehr langsam fortschreitet. Die Proguose ist im Allgemeinen ungünstig, da die Heilung der bestehenden Wunde jedenfalls eine erhebliche Verzögerung erleidet, da ferner häufig dauernde Störungen durch Narbenverkürzung oder gar durch Verstümmelung zurückbleiben und endlich Lebensgefahr (durch Blutungen, Thrombosen, Brandfieber) niemals ganz ausgeschlossen werden kann. Aber der Hospitalbrand ist doch bei Weitem nicht die übelste Complication einer Wunde, besonders wenn dieselbe nicht gar gross, nicht anderweitig complicirt und der Kranke sonst gesund war. Sogar sich selbst überlassen, endet die Krankheit nicht immer mit dem Tode, besonders wenn die Wunde unbedeutend ist, und der Kranke den Ort der Ansteckung (resp. der Epidemie) verlassen kann. Die Gefahr ist grösser, wenn der Hospitalbrand zu Schusswunden tritt, da es sich dann immer um eine tiefe, stark
Ernäbruogs-Störangen.
312
eiternde, und in vielen Fällen mit Knochenbruch complicirte Wunde handelt 1 ). Behandlung. Mögen wir die Krankheit als eine wirklich contagióse oder als eine epidemische auffassen, in Betreff der Behandlung werden wir jedenfalls mit den Anhängern des Contagiums in sofern übereinstimmen, als wir zum Behuf der Prophylaxis (was freilich bei keinem Kranken und insbesondere in keinem Krankenhause jemals verabsäumt werden sollte) Alles aufbieten werden, um die Luft in den Krankensälen zu reinigen und möglichst oft zu erneuern. Wir werden ferner die einzelnen Hospitalbrand-Kranken, wo möglich in luftigen Zelten, isoliren, ihnen besondere Wärter, besondere Geschirre und Instrumente, besonderes Verbandmaterial geben und streng darauf halten, dass Jeder, der beim Verbände eines solchen Kranken beschäftigt war, sofort seine Hände desinficirt. Diese Vorsichtsqaaassregeln, denen wir als gleichberechtigt eine streng antiseptische Behandlung jeder eiternden Wunde (vgl. pag. 260 u. f.) an die Seite stellen müssen, werden auch von Jenen nicht getadelt werden können, welche in der Frage über die Contagiosität entschieden auf P i t h a ' s Seite stehen. Natürlich wird man aber von diesem Standpunkte aus eine eigentlich prophylaktische Behandlung, die Erfüllung einer I n d i c a d o c a u s a l i s , nicht beabsichtigen können, da wir gegen die Epidemie Nichts vermögen, es sei denn durch einen Ortswechsel, in der Voraussetzung, dass das zu schützende Individuum von den epidemischen Einflüssen noch nicht afficirt worden war. Die e i g e n t l i c h e B e h a n d l u n g , die Erfüllung der I n d i c a t i o m o r b i , soll, nach der älteren Auffassung, darauf gerichtet sein, das Contagium selbst und seine Wirkungen an Ort und Stelle zu zerstören, d. h. (mit Umgehung der Contagiositäts-Lehre) das d i p h t h e r i s c h e E x s u d a t , wo es sich gebildet hat, zu z e r s t ö r e n u n d s e i n e W i e d e r e r z e u g u n g z u v e r h ü t e n oder wenigstens seinen schädlichen Einfluss zu verhindern. Dazu sind denn alle möglichen Caustica und Antiséptica empfohlen worden. P o u t e a u " ) und nach ihm B o y e r , D u p u y t r e n , D e l p e c h gaben dem G l ü h e i s e n den Vorzug, dem auch jetzt noch bedeutende Autoritäten (so z. B. v. L a n g e n b e c k ) besonders zugethan sind. D e l p e c h wandte aber auch concentrirten ') Es
ist
unbegreiflich, wie D e l p e c h
lehren
k o n n t e , der
Hospitalbrand
sei die
„allerübelste Complication", da er doch selbst von seinen 1 5 0 Verwundeten nicht einen einzigen verlor. — Auch H. D e m m e (I. c.) sah in den italiän. Lazaretten 1 8 5 9 unter 1 2 5 Fällen n u r in 3 3 ernstere Allgemein-Erscheinungen, obgleich es sich um Schusswunden
handelte.
' ) Oeuvres posthumes, 1 7 8 3 , T. Iii. pag. 2 2 7 u. f,
Hospitalbrand.
313
Weinessig, Höllenstein oder, besonders wenn eine dicke pulpöse Schicht vorhanden war, Aetzkali in Substanz an. Offenbar erfordern nicht alle Fälle eine gleich stark eingreifende Behandlung: in den leichteren wird man mit sorgfältiger Reinigung der Wunde und antiseptischen Mitteln auskommen können; in der Mehrzahl der Fälle aber ist eine wirkliche Zerstörung der ganzen Brandschicht bis in die gesunden Gewebe hinein dringend geboten. Ob diese mit dem Glüheisen oder mit irgend einem chemisch zersetzenden (Aetz-) Mittel erfolge, ist an sich gleichgültig. Es fragt sich nur, womit sie am Sichersten und Vollständigsten gelingt. Nach den neuesten Erfahrungen scheinen in dieser Beziehung die M i n e r a l s ä u r e n und besonders die r a u c h e n d e S a l p e t e r s ä u r e den Vorzug zu verdienen. Das in der Berliner Charité bewährte Verfahren ist folgendes. Nachdem der Kranke (sofern dies zulässig erscheint) chloroformirt ist, wird eine gründliche (nach P i t h a „forcirte") mechanische Reinigung der ganzen brandigen Stelle mit Charpiebäuschen vorgenommen; sofern Ausbuchtungen und fistulöse Gänge bestehen, werden dieselben aufgeschlitzt und gleichfalls sorgfältig ausgeputzt; dann giesst man die zu verwendende rauchende Salpetersäure in eine kleine Glas- oder Porcellan-Schale und trägt sie mit bereit gehaltenen Charpiepinseln auf und in die brandige Wunde und alle ihre Buchten und Vertiefungen reichlich und gründlich auf, bis alles Brandige in einen schwarzen Aetzschorf verwandelt ist. Dabei darf kein Tropfen Säure auf die gesunde Haut fallen, da dies dem Patienten lebhafte und unnöthige Schmerzen machen würde. Droht die Säure aus der Wundhöhle überzufliessen, so muss man dies durch Andrücken von Charpieballen verhüten. Die einzige Unannehmlichkeit dieses Verfahrens besteht in der unvermeidlichen Entwicklung von salpetriger Säure durch deren Dämpfe die Respirationsorgane belästigt werden, deren Eindringen in die umgebenden Theile aber vielleicht nützlich ist. Die durch eine solche gründliche Aetzung bedingten Schmerzen verlieren sich in wenigen Stunden. Das Auflegen von Eis mildert sie schnell. Sehr empfindlichen Kranken giebt man Chloral oder eine hypodermatische Injection von Morphium. — War die Kauterisation genügend, so erfolgt noch innerhalb 12 Stunden ein erheblicher Abfall der Temperatur; der Kranke selbst fühlt dann, dass es ihm besser gehe, klagt wenig oder gar nicht Uber Schmerzen und bekommt wieder Appetit. Unter einem antiseptischen Verbände löst sich der Aetzschorf in wenigen Tagen, und gute Granulationen wachsen dann üppig empor, die sich bald auch mit einer Narbe bedecken, — vorausgesetzt, dass die Einwirkung genügend war. Anderen Falls zeigen
314
Ernährungs-Störungen.
sich bald Fortschritte des Brandes mit erneutem Fieber und Schmerz. Die Aetzung muss dann sofort noch eindringender und noch umfänglicher wiederholt werden. Aber auch bei der sorgfältigsten Behandlung ist man nicht sicher vor Recidiven. V i d a l empfiehlt die S a l p e t e r s ä u r e in der Art anzuwenden, dass man, nach sorgfältiger Reinigung der Wunde mit aromatischspirituösen Decocten, in d i e e r w e i c h t e n G e w e b e k l e i n e C h a r p i e b ä u s c h e e i n d r ü c k t , welche mit Salpetersäure getränkt sind. Dies wird täglich einmal wiederholt, der Verband aber zweimal gewechselt, wenn viel stinkende Jauche vorhanden ist. Offenbar kommt es dabei nur darauf an, da6s die mit Salpetersäure getränkten Charpiebäusche gehörig tief in die nekrotisirenden Gewebe eingedrängt werden. Unter dieser Bedingung darf man sich von dem Vidal'schen Verfahren eine tiefer eingreifende, mithin stärkere Wirkung versprechen, als von dem blossen Aufpinseln der Säure. Von anderen Seiten wird der Salzsäure'), der Chromsäure, dem Bromkali*), dem Chlorzink 3 ), den concentrirten Sublimatlösungen besonderes Lob gespendet; letztere wurden namentlich von P i t h a benutzt, der aber mit Recht vor Allem auf die e n e r g i s c h e A n w e n d u n g aller dieser Mittel Gewicht legt. Die
von
chloratum
H. D e m m e
empfohlene
Jodtinctur
und
das
Ferrum
sesqui-
(Liq. f e r n sesquichl.) sind f ü r schwerere Fälle unzureichend.
Das von B l a c k a d d e r empfohlene, früher viel gerühmte Verfahren ist folgendes. Um
Blutungen
und
Schmerzen
zu verhüten, werden häufige Waschungen
mit
einer
schwachen Soda-Lösung vorgenommen, wodurch allerdings die .Wunde nicht blos gereinigt, s o n d e r n auch die Ablösung d e r zähen Massen begünstigt wird .Die W u n d e soll hierauf get r o c k n e t werden, indem man ein weiches Stück Leinwand oder Cbarpie gegen sie a n drückt,
und in alle ihre Sinuositäten sanft hineinpresst.
werden, brandigen
bis
sie ganz
Massen
trocken
ist,
wobei zugleich
Dies m u s s öfter wiederholt
o h n e bedeutende S c h m e r z e n die
sich ablösen, indem sie an der Leinwand hängen bleiben.
n ä c h s t a b e r sollen A r s e n i k l ö s u n g e n Krankheit in verschiedener
Stärke.
Dem-
angewandt werden, j e n a c h der Heftigkeit der
Der hinreichende Grad
von kaustischer W i r k u n g
lässt sich durch Arsenik gewiss erreichen, aber dies Verfahren m u s s doch als gefährlich
verworfen
werden,
da
leicht
Arsenik resorbirt und
somit Vergiftung bewirkt
werden k a n n .
Dass von Einzelnen örtliche und allgemeine Blutentziehungen angewandt worden sind, erwähnen wir nur, um davor zu warnen. ' ) Vgl. B i t , Essai sur Ia p o u r r i t u r e d'bäpital. *) Vgl. M. H e r r ,
Hospital g a n g r e n e ,
August, und J. B l i | g h , gangrene.
Lancet 1 8 6 8 .
' ) Vgl. K ö n i g ,
Montpellier
Nashville j o u r n .
OD t h e use of b r o m i n e
1868.
of m e d . and surg.
1866.
in the t r e a t e m e n t of hospital
Aug. 2 9 .
über Nosocomialgangrän,
der Barackenlazarette zu Berlin.
nach
Beobachtungen in der Brandstation
V i r c h o w ' s Archiv ( 1 8 7 1 ) Bd. 52. Hft. 3.
315
Milzbrand.
Abgesehen von dem, was gegen die Anwendung von Blutentziehungen beim Brande im Allgemeinen gesagt ist, kommt hier noch in Betracht, dass die Aderlasswunde und die Blutegelstiche als neue W u n den auch eine neue Infection, oder doch ein Recidiv der Krankheit (nach P i t h a ) begünstigen. Vielmehr muss die i n n e r e B e h a n d l u n g eine durchaus roborirende sein. Leicht verdauliche, möglichst nahrhafte Speisen; namentlich Milch lind Eier sind dringend zu empfehlen; denn Fleischbrühe und Fleisch werden selten gern genommen. Zum Getränk reichliche Mengen guten W e i n s ' ) . Die Amputation, von Vielen in der Absicht unternommen, durch Aufopferung eines Gliedes das Leben des Kranken zu retten, hat trotz der Lobsprüche, welche ihr L a r r e y selbst beim fortschreitenden Brande ertheilt, unbefangenen Beobachtern meist ungünstige Resultate geliefert *). Die Amputationswunde wurde fast immer wieder brandig. Eine symptomatische Behandlung besonders beschwerlicher oder gefährlicher Zufälle z. B. des sehr heftigen Schmerzes, der Blutungen u. s. f. muss nach den allgemeinen Regeln eingeleitet werden.
III.
Milzbrand, Morbus
carbuncularis.
Der Milzbrand ist ursprünglich eine Krankheit der Thiere, kann aber von diesen auf den Menschen übertragen werden. A.
Milzbrand der
Thiere.
Milzbrand findet sich bei den gewöhnlichen Hausthieren und zwar am Häufigsten bei den Wiederkäuern, demnächst beim Pferde, dem Esel, dem Maulesel, dem Schweine, seltener bei Fleischfressern (Hunden und Wölfen), äusserst selten bei den Vögeln der Hühnerhöfe'). ') In Hospitälern, wo man guten Wein auf anderem Wege nicht verordnen kann, halte ich Rp. Tinct. thebaicae gramm. 1, Syrup. simpl. gramm. 10, Vioi Xerensis q. s. ad gramm. 200, M. D. S. pro die, für ein besseres Recept als alle Chinadecocte. 2
) Aus dem italiänischen Feldzuge führt H e r m a n n D e m m e (I. c.) einige Fälle an, in denen die Amputation hülfreich war.
*) Die Milzbrandkrankheit erhält bei verschiedenen Thieren und auch bei demselben Tbiere verschiedene Namen, je nach der Verschiedenheit der örtlichen Symptome und des Verlaufes.
So beim Rindvieh: Carbunkelkrankheit,
Blutseucbe, Bräune,
Zungenkrebs, Rücken- oder Afterblut; bei den Schaafen: Blutseuche, Rothlauf, Rücken- oder Afterblut; bei den Einhufern: Bräune; bei den Schweinen: Rothlauf, Kropfbrandbeule, Rankkorn, Bräune.
Wahrscheinlich wird der Name M i l z -
b r a n d einer Seils zu weit und anderer Selts nicht weit genug ausgedehnt. V i r c h o w , Spec. Pathol. u. Therap., Bd. II. Abth. I. pag. 387 u, f,
Vgl.
316
Eroäbraogs-StöruDgea.
Man sieht den Milzbrand bei Thieren, abgesehen von den Fällen directer Uebertragung durch Ansteckung, entstehen unter der Einwirkung eines Aufenthalts an tiefen, sumpfigen Orten, in Folge von Unreinlichkeit und verderbter Luft in den Ställen, häufig, wenn nach der grossen Sommerhitze durch Ueberschwemmung der Wiesen das Futter nass und durch viele faulende Insecten verunreinigt ist, anderer Seits aber auch auf Hochebenen in Folge grosser Dürre; meist tritt er epidemisch auf. Wir können den Milzbrand der Thiere somit als zur Reihe der Malaria-Krankheiten gehörig betrachten ( H e u s i n g e r ) . Aber auch übermässige Anstrengungen (bei sog. ü b e r t r i e b e n e n oder bei g e h e t z t e n Thieren), die ausschliessliche Fütterung mit frischem Heu nnd Klee, das Saufen von schlammigem, stagnirenden Wasser können bei einzelnen Thieren Milzbrand hervorrufen. Die Krankheit kann zum Tode führen, ohne dass auf der Körperoberfläche Veränderungen eintreten. Das Blut kann gänzlich zersetzt sein, es können in Folge dessen die heftigsten allgemeinen Erscheinungen auftreten, es können dieselben Veränderungen im Cadaver gefunden werden, die sonst an die Anwesenheit einer Carbunkelgeschwulst geknüpft sind, wie Schwellung der Milz, Anschoppungen der Leber und Lungen, ohne dass eine äusserliche Geschwulst da ist. Die Thiere können auf solche Weise ( M i l z b r a n d i i e b e r ) mit Blitzesschnelle, zuweilen auch unter furibunden Zufällen verenden. Die ö r t l i c h e n E r s c h e i n u n g e n theilt man in zwei Perioden: die entzündliche mit heftigem Schmerz und die brandige mit Aufhören des Schmerzes, Ausbruch von Phlyktänen und kohlschwarzer Färbung des dem Brande verfallenden Theiles. Der Sitz der Carbunkel-Geschwulst ist bald an diesem, bald an jenem Theil der Körperoberiläche, auch auf der Zunge, am Gaumen und im Mastdarm; bald findet sich nur eine, bald mehrere zugleich. Letzteres ist häufiger bei Wiederkäuern, ersteres bei Einhufern. Die Localaffection stellt entweder eine wirkliche Beule (Carbunkel im engeren Sinne des Wortes, circumscripte Form des Milzbrandes) dar, oder sie tritt als ein diffuses Erysipelas auf. Im ersteren Falle erhebt sich die Haut zu einem schnell wachsenden, heissen, harten Knoten, der sich alsbald schwärzt, dann entweder mumificirt und abgestossen wird oder verjaucht. Nur wo die Epidermis sehr zart ist, bilden sich Blasen. Sitzt der Carbunkel in e i n e r t i e f e r e n S c h i c h t unter der Haut, so schwillt letztere selbst zunächst ödematös an und stellt dann eine blasse, mehr teigige Geschwulst dar, welche als w e i s s e r C a r b u n k e l beschrieben wird. Die circumscripten Formen entwickeln sich ebensowohl als ein Theil des Allgemeinleidens, wie auch in Folge localer
317
Milzbrand.
Infection.
Die diffuse
erysipelatöse Form
des
Carbunkels
dagegen
tritt fast nur als Symptom des bereits im ganzen Körper verbreiteten Milzbrandes auf, namentlich Geschwulst aber
ist
in solchen
sehr beträchtlich;
bei Wiederkäuern Fällen
letztere
und Schweinen.
unbedeutend,
geht alsbald
Die
Hitze und Röthung
in eine livide F ä r b u n g
über, während auf der Oberfläche sich Blasen erheben,
in der Tiefe
aber brandiges Emphysem entsteht, welches beim Druck knistert oder r a u s c h t ; daher der Name „ r a u s c h e n d e r Die
Carbunkelgeschwülste
der Haut
sowohl,
(bei »der erysipelatösen
Brand".
als
Form),
das Bindegewebe unter
ausserdem
aber auch
ge-
wöhnlich die grossen Körperhöhlen sind mit sulzigem, gelb gefärbten Exsudat
erfüllt,
welches
sich
einer Seits durch
grosse Neigung zur
fauligen Zersetzung, anderer Seits durch einen hohen Grad von C o n tagiosität B l u t e '),
auszeichnet.
dem Sehlcim
Der Ansteckungsstoff ist aber auch in dem des Schlundes,
a u f der Haut vorhanden.
des Rectum u. s. w., j a sogar
E r kann durch Insecten von dem kranken
Thiere auf andere und auf Menschen übertragen werden. tragung in
geschieht
das
Blut
um
gelangt");
nicht sehr dick ist. des Thieres können
so sicherer,
noch
directer
der
Die Ueber-
Ansteckungsstoff
aber die Epidermis schützt nicht,
wenn
sie
Der Ansteckungsstoff bleibt auch nach dem Tode
wirksam,
ihn
je
selbst gewaschene Wolle
weiter verbreiten;
furchtbare Folgen zu bedingen.
nur
und gegerbte Felle
scheint er dann
weniger
Die Kraft des Contagiums ist über-
haupt sehr verschieden, j e nach dem Charakter der Epidemie und der individuellen Heftigkeit der Erkrankung, j e nach der Flüssigkeit oder dem
Körpertheile
gefunden
hat,
Individuums.
des Thieres,
endlich
auch
aus welchen die Uebertragung
nach
Wahrscheinlich kommen auch Fälle vor, in denen nur
der Inhalt der Carbunkelgeschwülste ') Nacb
Brauel!
tragung zuerst
das
Blut
Archiv
bat, n ä m l i c h :
nacb
Krause
wäre
eine
Ueber-
und
Fuchs
von
Alb. K r a u s e
dem Tode
völlig
(Deutsche
Veränderungen
der farblosen B l u t k ö r p e r c h e n u n d E n t w i c k e l u n g
(namentlich
und
Flüchtig
dasselbe d i e , v o n i h m
Anderen, n a m e n t l i c h
Vermehrung
In i h m
vergrösserten
besonders
B a n d XI. pag. 1 3 2 ;
wenn
gesehenen u n d beschriebenen, c h a r a k t e r i s t i s c h e n
Bakterien
deutend
selbst ansteckend ist.
1857.
erst m ö g l i c h ,
1 8 4 8 , später a u c h v o n
erlitten
von
(Vircbow's
durch
Klinik 1836) von
statt-
der Empfänglichkeit des inficirten
in d e m
erweichten
sich vergrössern
gradezu als V i b r i o n e n
B l u t e der b e i m Milzbrande stets beMilz), und
sich
welche
allmälig
wachsen,
wie V i b r i o n e n
gedeutet werden, n a c b
Da va i n e
bewegen, (Gaz. m é d .
de Paris, 1 8 6 4 , No. 3 6 u. f.) aber pflanzlicher Natur zu sein scheinen u n d schwerlich
für
den
Flüssigkeiten !
)
Vgl. L e u r e t ,
Milzbrand gleichfalls
charakteristisch
sind,
sondern
sich
in anderen
fauligen
finden.
Recherches
et expériences
s u r les altérations du sang.
Paris 1 8 2 6 .
318
Ernährungs-Störangen.
scheint das Contagium niemals zu werden, vielmehr zur Ansteckung immer directe Uebertragung erforderlich zu sein. B.
Milzbrand beim
Menschen.
Unter denselben ä t i o l o g i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n , welche wir beim Milzbrande der Thiere aufgeführt haben, soll sich, wenn gleich äusserst selten, auch beim Menschen Milzbrand entwickeln können '). Derselbe würde als eine primäre Erkrankung des Blutes auftreten, und die an der Körperoberfläche entstehenden Carbunkel-Geschwülste wären nur ein Theil der Krankheit, ein Krankheitssymptom, daher auch als „ s y m p t o m a t i s c h e " zu bezeichnen. „ I d i o p a t h i s c h " nennt man dagegen den Milzbrand-Carbunkel, der d u r c h U e b e r t r a g u n g , örtliche Einimpfung, entsteht. Dieser ist beim Menschen unzweifelhaft viel häufiger; nach neueren Erfahcungen kommt, wenigstens in unseren Gegenden die symptomatische Form überhaupt nicht vor 2 ). Natürlich werden am Häufigsten vorn Milzbrand solche ergriffen, die mit Thieren sehr viel zu thun h a b e n : Hirten, Schäfer, Viehzüchter, Fleischer, Abdecker, Gerber. Zum Behuf der Uebertragung scheint nicht immer eine äussere Verletzung nothwendig, sondern bei intensiver Entwickelung des Contagiums die Berührung der unverletzten Epidermis, zumal an Stellen, wo sie, wie im Gesicht (namentlich am oberen Augenlide) und am Halse, zart ist, mit einem kleinen Tropfen Blut oder Carbunkelflüssigkeit hinreichend zu sein, um die Krankheit zum Ausbruch zu bringen. Die Entscheidung dieser Frage ist äusserst schwierig, da gerade solche Leute, bei denen Milzbrand häufiger vorkommt, kleine Verletzungen kaum jemals beachten. Von den Autoren, welche wahrscheinlich zu machen suchen, dass auch in solchen Fällen, wo eine Verletzung zu fehlen schien, doch eine unbedeutende Excoriation oder eine kleine Stichwunde bestanden habe, werden besonders Insectenstiche als Vermittler der Ansteckung hervorgehoben: das Insect (namentlich Bremsen und Mücken) soll das eine Mal an seinen Mundtheilen den Ansteckungsstoff mit sich getragen haben, das andere Mal soll einen ' ) V i d a l bezieht sich in dieser Beziehung auf
die Beobachtung
Four nier'9
in
dessen Observations et expériences sur le charbon malin, arec un moyen assuré de le guérir.
Dijon 1769.
Das Vorgeben des Verfassers, ein „ s i c h e r e s
Mit-
t e l " gegen den Carbunkel gefunden zu haben, erweckt Misâtrauen gegen diese ganze Arbeit.
Ueberdies hat seit F o u r n i e r Niemand die spontane Entstehung
des Milzbrandes beim Menseben beobachtet.
Dieselbe moss daher mindestens als
sehr zweifelhaft angesehen werden. *) Vgl. H. B e i g e l , zur Lehre vom Milzbrand.
Berlin 18l>2.
319
Milzbrand.
Mann, der das Fleisch eines an Milzbrand verendeten Thieres
trug,
zufällig ein Floh gebissen und die Berührung des Flohstichs mit der besudelten Hand die Infection bewirkt haben u. s. f. irrthümlicher
Auffassung
vorgetragen
findet
sich
In entschieden diese
Lehre
bei
L i n n é , der, auf Grund des in Lappland herrschenden Volksglaubens, seine „ F u r i a infernalis" erfand, durch deren Stich die Krankheit ohne Weiteres veranlasst werden sollte.
Die Neigung, Insectenstiche
bei
der Uebertragung des Milzbrandes eine grosse Rolle spielen zu lassen, erklärt sich zum Thcil aus dein Umstände, d a s s die Empfindungen des Kranken Uebels
und
das
oft grosse
Ob durch
den
Aussehen
der
Aehnlichkeit
inficirten
Stelle
im Beginne
mit einem Insectenstiche
Genuss des gekochten
Fleisches
des
darbieten.
milzbrand-
k r a n k e r T h i c r e die Uebertragung stattfinden könne, ist vielfach in F r a g e gestellt worden.
Von theoretischer Seite erscheint
es unmög-
lich, dass irgend ein Contagium durch Siedhitze nicht sollte zerstört werden. lich
Somit iniisste das gekochte oder gebratene Fleisch unschäd-
sein.
Morand,
Thomassin
und
Duhamel
Beobachtungen mit, dass Fleischer durch kranker
theilen
auch
die Berührung carbunkel-
Thierc die Krankheit bekommen haben, während Personen,
die das Fleisch derselben Thiere gegessen hatten, keine üblen Folgen davon verspürten.
Auch B c i g e l 1 ) führt mehrere Fälle der Art auf,
die er selbst genau beobachtet hat.
Wir dürfen aber nicht vergessen,
dass die von E n a u x und C h a u s s i e r * ) gemachten Erfahrungen entgegenstehen, und dass dieser scheinbare Widerspruch
sich leicht er-
klärt, wenn man bedenkt, dass die Intensität des Contagiums sowohl überhaupt als auch in verschiedenen Theilen desselben sehr verschieden sein kann.
Thierkörpers
Ueberdies muss doch das Fleisch, bevor
es gekocht wurde, von Menschenhänden
berührt sein.
Dies
hin, um eine solche Nahrung ein für alle Mal zu verbieten, zugestanden werden m u s s ,
reicht
obgleich
dass es Fälle geben m a g , in denen das
Fleisch der erkrankten Thiere unschädlich ist, während die Flüssigkeit der Carbunkelgeschwülste selbst dennoch (Vgl. pag. 317).
Die
grosse
höchst verderblich
Verschiedenheit
wirkt.
in der Intensität
des
Contagiums ist auch in Betreff d e r U e b e r t r a g u n g d e s M i l z b r a n d e s v o n e i n e m M e n s c h e n a u f d e n a n d e r e n wohl zu beachten. T h o m a s s i n erzählt z. B., eine Frau habe „ d i e bösartige P u s t e l " an der Wange bekommen, weil sie diesen Theil mit ihren Fingern berührte, welche von der aus dem Carbunkel, an welchem ihr Mann l
) I. c. pag. 10.
5
) Méthode de traiter Dijon
178:').
les
morsures etc. suivie d'uo
précis sur la pustule maligne.
320
Ernähroogs-Störungen.
litt, hervorsickernden Flüssigkeit benetzt waren. H u f e l a n d erwähnt einer Frau, welche von diesem Uebel befallen wurde, weil sie mit einer anderen zusammenschlief, die daran litt'). Diese Art der Uebertragung wurde von den meisten neuern Autoren bestritten, und durch die unter R a y e r ' s Augen von B o n e t angestellten Versuche*) als vollkommen widerlegt angesehen. Zu erwarten wäre die Uebertragung von einem Menschen auf den andern noch am Ehesten in den höchst seltenen Fällen von symptomatischem Carbunkel. Nach den Untersuchungen von V i d a l , welche in neuerer Zeit von B e n j a m i n 3 ) u. A. bestätigt worden sind, giebt es aber auch idiopathische Carbunkel, welche ansteckend sind. Die in ihnen enthaltene Flüssigkeit kann nicht blos auf Thiere 4 ), sondern auch auf andere Menschen, sofern nur directe Berührung stattfindet, die Krankheit Ubertragen. V i d a l unterscheidet deshalb z w e i F o r m e n des Milzbrandes beim Menschen und bezeichnet die üblere, ansteckende und von Anfang an von allgemeinen Krankheitserscheinungen begleitet als M i l z b r a n d - C a r b u n k e l (Carbunculus malignus), die andere weniger gefährliche und nicht ansteckende als M i l z b r a n d - P u s t e l ( b ö s a r t i g e P u s t e l , P u s t u l a m a l i g n a , s c h w a r z e B l a t t e r der deutschen S c h r i f t s t e l l e r ) . Eine scharfe Unterscheidung dieser beiden Formen lässt sich jedoch in der Praxis nicht durchführen. Auch die Impfversuche von M a u n o u r y und S a l m o n 5 ) , welche beweisen >) Vgl. auch M a u c o u r t ,
Thèse inaugurale.
des maladies charbonneuses, Paris
Paris 1 8 2 9 , und B a i m b e r l ,
Traité
1859.
*) R a y e r , Traité des maladies de la peau. Impfte sich die Flüssigkeit aus dem
Paris, 1 8 3 6 . tom. II.
Carbunkel
pag. 2 3 . D o n e t
eines Änderen selbst e i n ,
ohne
dass er dadurch auch nur im Mindesten afficirt worden wäre. *) Vgl. V i r c h o w ' s specielle Pathol. u. Tber. Dd. II. Abth. 1. pag. 3 8 7 und 3 9 5 . 4
) In Betreff der K ü c k i m p f u n g , d. h. der Uebertragung des Milzbrandes vom Menschen auf Thiere, sind beweisende Versuche zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen
Orten,
nämlich von der medicinischen Gesellschaft des Departement
de l'Eure et Loire (vgl. deren Comptes rendues 1 8 4 9 — 5 2 ) ,
von
Alb.
Krause
(die Uebertragung des Milzbrandes von Tbieren auf Menschen und von Menschen auf Thiere.
Deutsche Klinik 1 8 5 6 ) und von B r a u e i l in Dorpat (vgl. pag. 3 1 7 )
angestellt worden.
Obwohl die Thiere nach solchen Impfungen, welche theils mit
dem Safte des Carbunkels, theils mit dem Blute, tlreils durch Einschieben von Stücken
des Carbunkels
unter die
Haut gemacht wurden,
stets u n t e r den Er-
scheinungen einer allgemeinen Infection starben, erfolgte doch wickelung äusserer Milzbrandgeschwülste.
niemals die
Ent-
Die Vermuthung, dass j e n e Impfungen
blos wegen der fauligen Beschaffenheit der geimpften Substanzen tödtliche Folgen gehabt hätten, wird durch die Versuche von R a i m b e r t widerlegt; seine Impfungen mit einfach fauligen Substanzen hatten niemals tödtliche Folgen. *) M a u n o u r y ,
Recherches expérimentales sur l'inoculation
de la pustule
maligne
321
Milzbrand.
sollten, dass es sich um zwei différente Krankheits-Species handle, von denen die erstere sich durch Impfung übertragen lasse, die letztere nicht, haben zu einem praktischen Resultate nicht geführt, bedürfen vielmehr in Betreff der Thatsachen selbst noch weiterer Bestätigung. Dagegen haben neuere Untersuchungen, namentlich von B o u r g e o i s 1 ) , ergeben, dass noch eine andere F o r m des Milzbrandes beim Menschen vorkommt, die sicli an die erysipelatöse Form des Milzbrandes der Thiere anschliesst, das O e d e m a m a l i g n u m s e u carbunculosum. Bei der nachstehenden Darstellung der Symptome und des Vcrlanl'es werden wir daher 1) die gewöhnliche Milzbrandpustel und 2) das Milzbrand-Oedcm beschreiben*). 1) Milzbrand-Carbunkel,
Carbunculus s. Anthrax maligous.
Pustel, Pocke, Blatter.
Schwarze
Pustula maligDa s. gangraenosa, pustule
oder
bösartige
maligne.
Im V e r l a u f der P u s t u l a m a l i g n a unterschied man, nach E n a u x und C h a u s s i e r 3 ) , früher 4 Perioden. Diese Eintheilung ist jedoch willkürlich. Richtiger und praktisch wichtig ist es dagegen, mit B o u r g e o i s , 3 S t a d i e n der Krankheit (Incubation, Eruption und Infection) zu unterscheiden. 1) S t a d i u m i n c u b a t i o n i s . Die Angaben älterer Schriftsteller über den Zeitraum, welcher zwischen der Uebertragung und dem Ausbruch der Krankheit verstreichen kann, schwanken von wenigen Stunden bis zu 14 Tagen. Alle neueren Beobachter stimmen darin überein, dass w e n i g s t e n s e i n i g e S t u n d e n und h ö c h s t s e l t e n m e h r a l s 3 T a g e verlaufen, bevor der Ausbruch erfolgt. Je kräftiger das Contagium ist und je directer es in das Blut gelangt, desto kürzer ist dies Stadium. Höhere Temperatur scheint den Ausbruch zu beschleunigen. Das einzige Krankheitssymptom ist ein lebhaftes Jucken an der Stelle der späteren Pustel. 2) S t a d i u m e r u p t i o n i s . Die erste wahrnehmbare Veränderung wird von allen Seiten mit einem Insectenstich, namentlich einem Flohstich, verglichen, scheint jedoch nur selten von den Aerzten selbst de l'homme a u s animaux ( G a z e t t e Salmon et Maunoury,
médicale de P a r i s ,
1 8 5 5 . pag. 3 5 1 ) ,
und
Mémoire 9ur l'inoculation de la pustule maligne, c o m m e
moyen nécessaire de diagnostic de la véritable pustule c h a r b o n n e u s e
(Gaz. med.
de Paris, 1 8 5 7 . pag. 6 8 4 ) . ') Traité
pratique de la pustule maligne et de l'oedème malin, ou des deux formes
du charbon externe de l'homme.
Paris
1861.
*) Eine Schilderung des s y m p t o m a t i s c h e n flüssig,
da ihn seit F o u r n i e r
Milzbrand-Carbunkels erscheint über-
( 1 7 6 9 ) Niemand gesehen bat.
' ) Methode de traiter les morsures des animaux enragés etc. Il a r d u l e b e n , Chirurgie.
7. Aull. I.
Vgl. pag. 3 1 8 .
Dijon 1 7 8 5 , p. I C I u. f. 21
322
Ernährongs-Störungen.
beobachtet zu sein. Alsbald erhebt sich an dieser Stelle eine braunroth oder rosaroth gefärbte Papel, auf welcher unter lebhafter Steigerung des Juckens ein, mit heller, weisslicher oder gelblicher Flüssigkeit gefülltes, etwa hirsekorngrosses Bläschen sich im Verlauf von 24—36 Stunden entwickelt, dessen Basis hart und von einem rothen Hofe umgeben ist. Des lebhaften Juckens wegen wird dies Bläschen von dem Kranken stets aufgekratzt. An seiner Stelle erscheint dann ein bräunlicher oder livider Fleck, der erste Beginn des Brandschorfes. Der rothe Hof, welcher sich schon Anfangs entwickelt hatte, dehnt sich allmälig bis zu einer Breite von etwa 1 Centimeter aus. Auf ihm entwickelt sich an seinem inneren Umfange, also zunächst dem Brandschorfe, ein mehr oder weniger vollständiger Kranz von Bläschen, wie glänzende Perlen, den sich stetig vergrössernden und allmälig immer dunkler gefärbten Brandschorf umgebend. Mit dem Wachsthum des letzteren rückt auch der Bläschenkranz in immer weiteren Kreisen vor. In gleichem Maasse vergrössert sich der rothe Hof, auf dem zuweilen ein zweiter Kranz von Bläschen aufschiesst'). Nicht blos unter dem durch seine Entfärbung und Unempfindlichkeit jetzt schon als Brandschorf deutlich charakterisirten Hauttheile, sondern oft bis unter den rothen Hof entwickelt sich in und unter der Haut eine sulzige Infiltration, welche in dieser ganzen Ausdehnung den Brand vorbereitet. Der Heftigkeit und Ausdehnung des Processes entsprechend, entsteht ein mehr oder weniger weit ausgebreitetes, oft z. B. eine ganze Extremität oder die eine Gesichtshälftc einnehmendes Oedem. Die betreffenden Lymphdrüsen schwellen an; oft sind auch die Lymphgefässe als harte Stränge zu fühlen und erregen durch ihre Entzündung (Lymphangitis) lebhaftere Schmerzen und Fieberbewegungen. In dem erkrankten Theile selbst wird eine brennende Hitze empfunden, die sich aber meist bald in ein Gefühl von Schwere und Erstarrung umwandelt. Dies Stadium dauert 4—6 Tage. ' ) Auch ein Ausbruch von Bläschen an anderen, weit entfernten K ö r p e r t e i l e n wird erwähnt.
Vielleicht
Cooper
(Dictionary
ist
hierher auch
of practical
die nachstehende
surgery, 4te Ausgabe,
„ W e n n man a u f m e r k s a m den Zustand der Haut in dieser so
wird
Brust
man
oder
oft bemerken,
an anderen
Theilen
sogar
gelegentlich Falle um
in wahre C a r b u n k e l . "
eine mit
Samuel zu ziehen:
Krankheit
untersucht,
Miliaria-Ausbrüche sich linden,
sind, entwickeln, welche in Eiterung übergehen. sich
von
Seite 2 7 8 )
dass in der Umgegend der Schlüsselbeine, auf der
das E n d e der Krankheit sich zuweilen grosse Pusteln,
in diesem
Angabe
Carbunkel
Einzelne Vielleicht
complicirte
nnd dass gegen
die den Blattern derselben
ähnlich
verwandeln
handelte es sich aber
Ausschlagskrankheit,
ugi Pyümie mit zahlreichen kleinen metastatischen Abscessen.
oder
Miliaria-Ausbrüche
sind bei bedeutenden Eiterungen und bei Blutentmischungen ü b e r h a u p t nicht selten.
MilzbraDd.
323
3) S t a d i u m i n f e c t i o n i s . Bis dahin h a b e n S t ö r u n g e n des Allgemeinbefindens entweder ganz gefehlt, oder sich doch auf leichte, der Ausbreitung der localen E r k r a n k u n g entsprechende Fieberbewegungen beschränkt. Jetzt a b e r treten Ohnmächten, Schwindel, Angstgefühl, Schluchzen, Uebelkeit, Erbrechen, Diarrhoen in den verschiedenartigsten Combinationen a u f ; jedoch findet m a n selten alle diese Symptome bei demselben Kranken gleichzeitig. Die Zunge ist in der Regel trocken, der Athem übelriechend. Steigert sich die Krankheit bis zur äussersten Höhe, so wird der Leib aufgetrieben, die Ohnmächten häufiger, das Angstgefühl und die Aufregung g r ö s s e r , der Puls kleiner und weicher, die Respiration immer m e h r beschleunigt u n d unregelmässig; w ä h r e n d der Kranke ü b e r eine u n g e h e u r e innere Hitze klagt, ist sein Körper von kaltem Schweiss bedeckt. Der Tod erfolgt dann in der Regel am 9. Tage der Krankheit, entweder in einem komatösen Zustande oder auch in grosser Aufregung ohne S t ö r u n g des Bewusstseins. Aber der Kranke kann auch in dein Infections-Stadium noch g e n e s e n , indem die allgemeinen Symptome nachlassen und der Brand zum Stillstand kommt. Die Abstossung des Brandigen erfolgt dann in oft unglaublicher A u s d e h n u n g u n d immer noch mit allen den Gefahren, welche den brandigen Zerstörungen ü b e r h a u p t zukommen, im Verlaufe von 1 — 3 W o c h e n . Bei Weitem häufiger ist die Genesung, wenn die Krankheit schon im 2. Stadium Halt m a c h t , die Demarcation also schon vor dem Ausbruch des Allgemeinleidens erfolgt. Dies ist nicht so selten wie m a n f r ü h e r geglaubt h a t , u n d darauf b e r u h t offenbar die g e r ü h m t e Wirksamkeit vieler, fast indifferenter Mittel. Andererseits kann der Tod auch schon innerhalb der ersten 2 4 Stunden e r f o l g e n ; auch hat man ihn im 3. Stadium ohne erhebliche Verschlimmerung der Allgeniein-Erscheinungen ganz u n e r w a r t e t eintreten sehen. 2 ) Milzbrand-Oedem, Oedema malignum seu carbunculosum.
D i e ö d e m a t ö s e ( o d e r erysipelatöse) F o r m des Milzbrandes ( O e d e m a m a l i g n u m ) , scheint n u r an solchen Stellen vorzukommen, wo die Epidermis (oder das Epithel) sehr d ü n n u n d die Haut s e h r zart ist, vor Allem an den Augenlidern, aber auch am Halse, in der Achselhöhle, sehr selten an den Extremitäten. Mit grosser Schnelligkeit entsteht an der erkrankten Stelle eine ausgebreitete Schwellung, so dass die Augenlider z. B. als zwei glänzende, halb durchscheinende Wülste sich mit ihren Aussenflächen b e r ü h r e n . Diese Geschwulst wird h a r t , demnächst höckrig, u n d auf diesen Höckern entwickeln sich Bläschen und Blasen, mit sanguinolenter Flüssigkeit gefüllt, u n t e r 21*
324
Ernährungt-Störangen.
denen die Haut brandig wird. — Der weitere Verlauf schliesst sich im Allgemeinen an denjenigen der Pustula maligna an ; jedoch scheinen mildere Fälle hierbei viel seltner vorzukommen. Die pathologische Anatomie des Milzbrandes lässt sich in Betreff der localen Veränderungen, namentlich bei der Pustula maligna sehr wohl während des Lebens studiren. Auf dem höchsten Grade der Entwicklung sieht man einen grossen Brandschorf, unter welchem in weiter Ausdehnung jauchiges Bindegewebe sich befindet. Die Haut ist in beträchtlichem Umfange abgelöst, ihre Gefässe sind zum Theil zerstört. In noch weiterem Umfange ist das Bindegewebe serös infiltrirt und von gallertartigem Ansehen '), ähnlich wie beim Carbunkel der Thiere. Oft sind durch diese Zerstörungen wichtige Organe blossgelegt, wie z. B. die Augen nach Zerstörung der Augenlider, die grossen Nerven in der Achselhöhle. Dadurch entstehen mannigfaltige Difformitäten, welche nur zum kleinen Theil freilich durch plastische Operationen beseitigt werden können. Pyämie kann sich zu Pustula maligna hinzugesellen; man hat wiederholt Gelegenheit gehabt, die charakteristischen Veränderungen in den Venen der leidenden Gegend, so wie auch die metastatischen Abscesse in den Lungen nachzuweisen'). Die schwarzen Erweichungen der Schleimhaut des Magens und Darmcanals, welche man bei Pustula malign.a ebensowohl angetroffen hat, wie bei anderen schweren Erkrankungen, haben mit dem Milzbrande Nichts zu thun. Uebrigens findet sich dieselbe Beschaffenheit des Blutes und dieselbe Schwellung und Erweichung der Milz wie bei Thieren (vgl. pag. 316 u. f.). DIagUOSe. Zu Anfang ist es schwer, die b ö s a r t i g e P u s t e l zu erkennen; sie kann insbesondere mit einem Insectenstiche verwechselt werden. Bei einem solchen findet sich aber gewöhnlich ein gelblicher Punkt auf der Spitze des kleinen Knötchens, welcher bei Pustula maligna in diesem Stadium fehlt. Mit Unrecht behauptet R a y e r , dass die Anwesenheit des kleinen Bläschens im Beginne der Pustula maligna charakteristisch sei, um sie von einem Furunkel zu unterscheiden. Auch der Furunkel (Blutschwär, vgl. Bd. II.) kann mit einem solchen Bläschen beginnen; aber die schnell auftretende rosige Röthe in der Umgebung, der auf diesem rothen Hofe schnell aufschiessende Kranz von Bläschen und die Veränderungen der Sensibilität des leidenden Theils verrathen bald die Natur der Geschwulst, wenn es wirklich eine Pustula maligna ist. ' ) L e m b e r t , Journal hebdomadaire, 1 8 2 9 . *) So schon L i t t r é , Revue medicale, 1 8 3 0 , gewiss ohne vorgefasste Meinung.
Milzbrand.
325
Bei O e d e m a i n a l i g n u m können Verwechselungen vorkommen mit anderweitigem O e d e m und mit E r y s i p e l a s , zumal b u l l o s u m . Im Gegensatz zum gewöhnlichen Oedem liefert das schnelle Auftreten der Blasen und die E n t w i c k l u n g der Brandschorfe unter denselben ein sicheres Kriterium. Erysipelas (Rose, vgl. Bd. IL) unterscheidet sich durch seine mehr rothe F a r b e , gewöhnlich auch durch die v o r a u s g e h e n d e n Störungen des Allgemeinbefindens. Um von Anfang an suchungsmethoden
sieber
vorgeschlagen.
zu g e b e n ,
bat G i r o u a r d
Die erste besteht darin,
zwei besondere
Unter-
dass m a n die vorher ge-
säuberte H a u t an der leidenden Stelle mit kaustischer Ammoniak-Flüssigkeit bestreicht. Der etwa vorhandene Insectenstich oder das in
der Entwickelung begriffene Bläschen
bei Erysipelas sollen dadurch schwarz gefärbt werden. wie R a i m b e r t den
beginnenden
Bestreichen der
mit
Recht
Milzbrand
Man würde auf solche Weise,
b e m e r k t , doch immer n u r den I n s e c t e n s t i c h , erkennen
können.
Die zweite
nicht a b e r
Methode besteht in dein
ödematösen Haut mit einem befeuchteten Höllensteingriffel und nach-
folgendem Salbenverband.
Stellt sieb hierauf nach 5 — 10 Stunden ein Ausbruch von
eiterhaltigen Bläschen ein, so handelt es sich n i c h t um Milzbrand; wenn aber keine Bläschen
sich erbeben oder wenn dieselben n u r wasserhelle Flüssigkeit
ist anzunehmen, dass es sieb um O e d e m a wohl weitere Bestätigungen noch sehr
malignum
bandle.
enthalten,
so
Auch hierüber sind
wünschenswertb.
Proguose- Dass es sich beim Milzbrand um eine schwere, meist lebensgefährliche Erkrankung handle, ergiebt sich aus der Schilderung des Verlaufs. Wir müssen hier aber nochmals darauf hinweisen, dass die Intensität des Contagiums einerseits und die Empfänglichkeit des betroffenen Menschen andererseits bald einen milden, bald einen höchst verderblichen Verlauf bedingen können. Da nun die Intensität des Contagiums vorzugsweise von dem Charakter der Epizootie abhängig ist, aus welcher dasselbe hervorging, so erklären sich leicht die höchst verschiedenartigen Angaben der Schriftsteller über die Prognose des Milzbrandes beim Menschen, die von den Einen als höchst bedenklich, von Anderen als fast ganz gefahrlos geschildert wird. — Je früher und je lebhafter sich Entzündung im Umkreise der erkrankten Stelle entwickelt, desto günstiger ist die Prognose. Bei grosser Hitze ist der Verlauf im Allgemeinen ungünstiger. Der Sitz am Halse führt wegen der Schwellung der Theile Erstickungsgefahr mit sich. Im Gesicht hat man oft auch in sonst günstigen Fällen beträchtliche Entstellung zu erwarten. Grosse Ausdehnung und gleichzeitiges Auftreten an mehreren Körperstellen steigern die Gefahr. — Bei Kindern und bei alten schwachen oder sonst heruntergekommenen Menschen kann auch die mildeste Pustula maligna zum Tode führen. Die Angabe, dass sie während der Schwangerschaft besonders gefährlich sei, ist insofern richtig, als gewöhnlich Abortus erfolgt.
326
Ernätarungs-Störungeii.
Behandlang. Liessen sich von Anfangs an die leichteren und die schwereren Fälle, im Sinne V i d a l ' s also die „ P u s t u l a m a l i g n a " und der „ b ö s a r t i g e C a r b u n k e l " , von einander mit Sicherheit unterscheiden, so miisste der letztere sobald als möglich in ganzer Ausdehnung zerstört werden, während bei der ersteren vielleicht eine mildere Behandlung ausreichen könnte. Fälle der Art sind es denn auch, in denen sich Decocte von Eichenrinde, von Nussblättern u. dgl. m. wirksam erwiesen haben. Bei der Unsicherheit unserer Diagnose gerade im Beginne der Krankheit und bei der grossen Gefahr, welche aus der zu milden Behandlung eines bösartigen Carbunkels entspringen würde, erscheint es aber, um vor einer weiteren Ausbreitung des Uebels sicher zu sein, von Anfang an in a l l e n F ä l l e n geboten, die verdächtige Geschwulst zu zerstören und die zerstörenden Mittel stets b i s i n ' s G e s u n d e h i n e i n wirken zu lassen. Jedoch ist bei den etwa zu machenden Einschnitten jeder stärkere Blutverlust sorgfältig zu verhüten, da Blutentziehungen stets einen nachtheiligen Einfluss auf den Verlauf des Uebels ausüben. Das Ausschneiden der ganzen Geschwulst scheint sogar, nach sorgfältigen und unparteiischen .Beobachtungen, eher nachtheilig als nützlich zu sein, wenn man nicht die ganze Schnittfläche sofort kräftig kauterisirt. Dadurch wird aber ein unnöthig grosser Substanzverlust bedingt, und es ist daher wohl angemessen, Einschnitte überhaupt nur zur Unterstützung der Aetzmittel anzuwenden, um ihnen den Weg in die Tiefe sicherer zu bahnen. Unter den Aetzmitteln wähle man nur diejenigen, welche energisch wirken: Kali causticum, rauchende Salpetersäure, Chlorzink, Sublimat. Das Glüheisen entspricht dem gedachten Zweck gleichfalls, jedoch nur bei höchst energischer Anwendung. Wird der Arzt erst am vierten oder fünften Tage des Krankheitsverlaufes hinzugezogen (wie dies grade in solchen Gegenden, wo Milzbrand häufig ist, oft vorkommen soll), so scheint die locale Zerstörung des ergriffenen Theils entweder nutzlos (weil zu spät) oder überflüssig zu sein, weil Störungen des Allgemeinbefindens und überhaupt üble Zufälle, wenn sie bis dahin sich noch nicht eingestellt haben, auch nicht mehr zu erwarten sind'). Aber es darf nicht unbeachtet bleiben, dass die französischen Aerzte in den durch Milzbrand häufig heimgesuchten Districten, auf Grund zahlreicher und langjähriger Erfahrungen, auch noch in neuester Zeit auf energische Anwendung der Aetzmittel, s e l b s t in d e n s p ä t e r e n S t a d i e n d e r K r a n k h e i t dringen*). ») Vgl. B e i g e ) , 1. c. pag. 11 u. 12. ' ) „ L e salut des maladea est dans le traitement l o c a l , quelle que soit l'epoque dereloppemeot de Ia maladie."
du
Verschwärung.
327
Die i n n e r e Behandlung muss von Anfang an und während des ganzen Krankhcitsverlaufes antiseptisch-tonisirend sein. In p r o p h y l a k t i s c h e r Beziehung ist nicht blos die Vermeidung j e d e r Berührung des milzbrandkranken Thieres und der von ihm herr ü h r e n d e n Theile zu empfehlen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die gefallenen Thiere tief vergraben, mit Kalk überschüttet oder auf a n d e r e Weise möglichst vollständig vernichtet werden.
Zweites Capitel.
Verschwärung, Ulceratio. Der Verschwärungsproccss hängt mit der brandigen der
Gewebe
innig
1
zusammen.
Roser )
glaubt
„ m o l e k u l a r e n B r a n d " bezeichnen zu können. die Eiterung bei
dem
als Verschwärung
ihn
Zerstörung
geradezu
als
Andere lassen auch
bezeichneten
Zerstörungs-
Nach 0 . W e b e r 2 ) z. B. gehen
process eine wesentliche Rolle spielen.
bei der Ulceration die Gewebe „theils durch die Eiterbildung selbst, theils durch molekulären Zerfall" zu Grunde. W ä h r e n d beim Brande grössere, deutlich unterscheidbare Theile absterben, findet bei der Verschwärung ein Absterben ungemein kleiner Theilchen S t a t t , welche freilich noch naturwissenschaftlichen Umgegend
des
Sinne sind.
abgestorbenen
immer keine Moleküle im
W ä h r e n d beim
Theiles
der
eiternde Demarcationsgraben sich entwickelt, schwärung mithin
um jedes
der kleinen
deutlich
entsteht
abgestorbenen
auch zwischen ihnen, Eiterung.
Verschwärung brandige Zerstörung
Brande in
der
unterscheidbare, bei der
Stückchen
Ver-
herum,
Wir haben sonach bei der
einer Seits,
nulationsbildung a n d e r e r Seits neben einander;
Eiterung und
Gra-
je mehr die letztere
vorherrscht, desto m e h r neigt die Verschwärung zur Heilung.
Je zahl-
reicher die kleinen Brandschorfe sind und je mehr sie in die Tiefe eindringen,
desto sicherer ist eine längere Dauer der Varschwärung.
So schwankt also die Verschwärung
zwischen brandiger Zerstörung
und Wiederersatz ab und auf. Das P r o d u c t der Verschwärung ist Eiter, welchem abgestorbene und zerstörte Gewebstheile in mehr oder weniger grosser Menge beigemischt sind.
Daher ist es auch bald der Brandjauche sehr ähnlich,
bald dem p u s b o n u m et laudabile. •) Allgemeine Chirurgie, pag. 53. ) P i t h a und B i l l r o t b , Handbuch der allgem. u. specialen Chirurgie, Bd. I. Abth. 1. pag. 502.
s
328
Ernährungs-Storungen. Eine Zeit lang glaubte man, die Verschwärung, nach dem Vor-
gange von J o h n H u n t e r , aus einer übermässig gesteigerten Thätigkeit der aufsaugenden Gefässe erklären zu können und verglich diesen Process mit demjenigen, durch welchen gewisse Fötalorgane, z. B. die Thymus, verschwinden.
Aber es ist ein grosser Unterschied zwi-
schen Atrophie und Verschwärung.
Hier handelt
es sich immer um
ein krankhaftes Secret, was irgend wohin ergossen wird; der Körper erleidet wirklich einen Verlust, während Verschwinden eines Organs,
er nichts verliert bei dem
dessen Functionen erloschen
dessen Substanz anderweitig vernutzt wird.
sind und
Bei dieser partiellen Atro-
phie existirt kein krankhaftes Symptom, während
der Verschwärung
stets Veränderungen in der Farbe, der Consistenz und der Sensibilität des bedrohten Theils vorausgehen. Manche Chirurgen
aus dem Anfange
dieses Jahrhunderts,
wie
B e n j a m i n B e l l , R u s t u. A., legten das Hauptgewicht bei der Verschwärung auf die „fressenden", zerstörenden Eigenschaften des Eiters. Auch eine solche Anschauung kann nicht gebilligt werden.
So wenig
wir den Eiter für eine indifferente Flüssigkeit halten, geradezu zerstörende Wirkungen können wir ihm doch nicht zuschreiben. Die
Aetiologic
der Verschwärung fuhrt uns
grossen Theils auf
dieselben Verhältnisse zurück, welche wir beim Brande bereits kennen gelernt haben.
Die Intensität der Einwirkung muss nur eine geringere,
die Dauer aber eine längere sein.
Fortdauernde oder häufig wieder-
holte Reizungen veranlassen am Häufigsten Verschwärung, wo bei einfacher und zugleich intensiverer Einwirkung B r a n d ,
bei schwächerer
hingegen Eiterung entstanden wäre. Unter den örtlichen Veranlassungen sind daher vor Allem die von Aussen eingedrungenen fremden Körper zu nennen,
nächst
Dieselben Reize,
diesen
auch
anderweitige
welche in einem gesunden
mechanische
Insulte.
Körper und an
einem
gesunden Körpertheile einfache Entzündung hervorgerufen hätten, geben bei schon bestehender Störung
des gesammten
nährungsprocesses zur Verschwärung Verschwärung Dyskrasie.
ausschliesslich auf
oder des localen Er-
Veranlassung.
einer
Oft beruht die
inneren Ursache,
auf einer
In welcher Weise durch eine Störung des gesaminten Er-
nährungsprocesses,
wie
wir
sie bei
Dyskrasien
voraussetzen,
Ver-
schwärung veranlasst wird, ist noch nicht ermittelt. 1. Geschwür (ulcus, In
alter Zeit warf
Geschwür zusammen. nicht unterschieden;
man
ekxos).
eiternde W u n d e n ,
Verschwärung
und
Noch B o y e r hat Verschwärung und Geschwür er definirt das Geschwür als
eine mehr oder
Geschwüre.
329
weniger alte, von einem Ausfluss eitriger Materie begleitete und durch einen örtlichen Fehler oder durch eine innere Ursache unterhaltene Continuitätstrennung in Weichtheilen. D e l p e c h nennt Geschwür jede spontane Continuitätstrennung der Weichtheile mit Substanzverlust. Mit Recht hebt er den Substanz Verlust hervor, denn er besteht in Geschwüren immer, während er bei Wunden zufällig ist. Nach R u s t ist ein Geschwür „eine durch Abnormität des Vegetationsprocesses zu einer Eiter oder Jauche absondernden Secretionsfläche umgewandelte Organstelle. — " Aber b e i W e i t e m n i c h t a l l e G e s c h w ü r e e n t s t e h e n an e i n e r bis d a h i n n o r m a l e n K ö r p e r s t e l l e d i r e c t d u r c h d e n V e r s c h w ä r u n g s p r o c e s s . Sehr häufig bestand daselbst vorher schon eine abnorme Structur: eine Neubildung, eine fettige oder atheromatöse Degeneration der Arterien, eine hierdurch oder auf andere Weise bedingte, unzureichende Blutzufuhr, oder anderer Seits eine venöse Stase und in Folge davon Infiltration mit Blutwasser oder mit fibrinösem Exsudat. Oft beginnt der Zerfall (die Nekrose) in den die Gewebe durchsetzenden, heterogenen Substanzen und schreitet von ihnen erst auf die ursprünglichen Gewebselemente des Theiles weiter fort. Der Zerfall der Granulationen wandelt die Wunde in ein Geschwür u m ; wo man von schlechter, jauchiger Eiterung spricht, da hat man es gar nicht mehr mit einer eiternden Fläche im engeren Sinne des Wortes, sondern mit einem Geschwüre zu thun. Der Begriff Geschwür ist somit noch dehnbarer, als der der Verschwärung. Vom pathogenetischen Standpunkte müssen wir für beide auf die Nekrose zurückkommen, und es wird voraussichtlich gelingen, auch von praktischer Seite in dieser Beziehung zu einer grösseren Einfachheit zu gelangen. Die Erscheinungen, unter denen sich Geschwüre an der Körperoberfläche zu entwickeln pflegen, hat D e l p e c h sehr naturgetreu beschrieben. „Zuweilen geht ein kleiner Abscess dem Geschwüre voraus, dessen Oeffnung sich schnell erweitert und einen Pfropf abgestorbenen Zellgewebes austreten lässt. Häufiger aber wird die Epidermis durch etwas Flüssigkeit erhoben, während in dem entsprechenden Theile des Coriurn eine Anschoppung sich entwickelt. Sobald das Bläschen aufgebrochen ist, entdeckt man eine kleine Höhle, an deren Wandungen sich jene Fleischwärzchen vorfinden, welche alle eiternden Flächen bedecken. Manchmal besteht in der Umgegend eine oberflächliche Rothe und leichte Anschwellung; die Epidermis löst sich ab und r u n zelt sich, ohne jedoch durch einen Erguss ausgedehnt zu sein,, ihre untere Fläche ist blos befeuchtet von einer jauchigen Flüssigkeit, und die der Epidermis beraubte Haut zeigt sich ausgehöhlt, gleichsam
330
Ernährungs-Störungen.
eingeschnitten und in verschiedener Ausdehnung eiternd. Unter anderen Umständen wird die Haut roth, springt auf; aus diesen Rissen ergiesst sich eine schleimige Flüssigkeit, die an der Luft trocknet und eine oder mehrere festhaftende Krusten bildet, unter denen die Ulcération weiter fortschreitet. Mag das Geschwür nun auf die eine oder die andere Weise entstanden sein, es dehnt sich bald mit mehr oder weniger Schnelligkeit nach allen Richtungen hin aus, und man sieht die Substanz der ergriffenen Theile ganz verschwinden. Die Theile von der Consistenz der Haut und des Zellgewebes werden ohne Weiteres zerstört. Diejenigen aber, welche sehr fest sind, wie die Aponeurosen, die Sehnen, die Knorpel, die Knochen, werden brandig, wenn die sie umgebenden Theile zerstört und ihnen somit die Blutzufuhr abgeschnitten ist 1 )." Man sieht, wie D e l p e c h bereits auf die Beziehungen zwischen Ulcération und Gangrän hinweist. Verschiedenheiten
der
Geschwüre.
Mit Rücksicht auf unwesentliche Abweichungen hatte man früher eine grosse Anzahl von Geschwüren aufgestellt. Man unterscheidet jetzt auch noch: e n t z ü n d l i c h e Geschwüre, obgleich doch einer Seits bei allen Geschwüren Entzündung besteht und anderer Seits durch Entzündung allein ein wahres Geschwür niemals zu Stande kommt; p h a g e d ä n i s c h e , f r e s s e n d e , welche durch die Schnelligkeit, mit welcher sie um sich greifen, also durch das Ueberwiegen der GewebsNekrose, ausgezeichnet sind u. dgl. m. Von der grössten Wichtigkeit ist die Unterscheidung der Geschwüre in solche, die aus örtlichen Ursachen allein oder doch wesentlich entsprungen sind,— 1 ö r t l i c h e , i d i o p a t h i s c h e G e s c h w ü r e , und solche, die aus allgemeinen, inneren Ursachen entstanden sind, — c o n s t i t u t i o n e l l e , d y s k r a s i s c h c , s y m p t o m a t i s c h e G e s c h w ü r e , von denen letztere, je nach der Natur des Allgeineinleidens, welches ihnen zu Grunde liegt, in Bezug auf Aussehen und Verlauf, vor Allem aber in therapeutischer Beziehung, wesentliche Differenzen darbieten, und dem entsprechend auch als s c r o p h u l ö s e , s y p h i l i t i s c h e , s c o r b u t i s c h e u. s. f. unterschieden werden. Unter den letzteren werden die s y p h i l i t i s c h e n , je nachdem sie am Orte der Infection selbst und als deren unmittelbare Folge, oder aber als Ausdruck eines syphilitischen Allgemeinleidens, auftreten, in p r i m ä r e und s e c u n d ä r e eingetheilt. Man glaubte lange Zeit, aus der genauen Untersuchung der F o r m (namentlich des R a n d e s und des G r u n d e s ) , der A b s o n d e r u n g ') D e l p e c h ,
Précis élémentaire des maladies réputées chirurgicales.
t o m . III. pag. 5 9 2 .
Paris 1 8 1 6 ,
Geschwüre. und der Beschaffenheit
331
der U m g e b u n g e n
eines Geschwürs,
etwa
noch mit Berücksichtigung des S i t z e s desselben, bestimmte Schlüsse auf die ätiologischen
Verhältnisse machen
ist besonders von R u s t
zu können.
Diese Lehre
und seinen Schülern ausgebildet w o r d e n ' ) .
Neuere Erfahrungen haben
den Glauben
an die Untrüglichkeit einer
solchen Diagnostik tief erschüttert. W a s die F o r m betrifft, so ist die grosse Mehrzahl der Geschwüre von krummen Linien begrenzt; Geschwüre von scharfwinkliger Form und lineare Geschwüre sind Ausnahmen. tische Gestalt,
z. B . bei scrophulösen
den Gliedmaassen, Geschwüren.
Am Häufigsten ist die ellip-
Geschwüren
am Hals und an
bei vielen syphilitischen und fast allen einfachen
Demnächst ist
die Kreisform
am Häufigsten;
die pri-
mären syphilitischen Geschwüre der Eichel und Vorhaut, manche secundare im Rachen und am Gauniensegel, auch auf der äusseren Haut und die Geschwüre am Augenlidrandc zeigen ist der Kreis nicht regelmässig; philitischen
Geschwüren,
dieselbe.
Gewöhnlich
so insbesondere bei sccundären sy-
bei varicösen Geschwüren in der Knöchel-
gegend, bei scrophulösen Geschwüren des Gesichts und des Rumpfes, bei Krebsgeschwüren der Wangen und bei scorbutischen Geschwüren. Selten, und zwar nur durch einen Zufall, oder wenn die Heilung schon im Gange ist, bemerkt man an dem Rande dieser Geschwüre Winkel. Andere Geschwüre dagegen zeigen letztere sehr oft; so die am Ballen der Hand und an der Fusssohle, schwüre,
tiefe Geschwüre
der
wenn
die Haut (wie gewöhnlich)
war.
Alte
Geschwüre
an den Nasenflügeln, Hornhautge-
Eichel, mit
beliebigen
Ursprungs,
chronische Entzündung verhärtet sind, Form.
Krebsgeschwürc, dem Krebsknoten zeigen
besonders verwachsen
deren Ränder
durch
auch oft die winklige
Die seltenste Form j s t die lineare; man beobachtet sie zwischen
den Fingern und Z e h e n , in den Falten am After, in der Furche an den Nasenflügeln, an den Mundwinkeln, an den Brustwarzen der Säugenden, in der Schenkelbeuge und am Hals kleiner Kinder, am Scrotum unreinlicher Greise, an der Nagelwurzel, am Zahnfleisch (bei Scorbut und bei Mercurialkrankheit). Der R a n d des Geschwürs ist bald Uberaus dünn, bald sehr dick, schwielig (callös) oder aufgedunsen, bald aufrecht, perpendicular zum Grunde stehend und scharf abgeschnitten, wie an vielen syphilitischen Geschwüren, bald schief stehend, nach Aussen umgebogen,
wie bei
manchen scrophulösen und den meisten krebsigen Geschwüren; manchmal nach Innen
umgebogen,
z. B .
bei krebsigen
Geschwüren
' ) Vgl. R a s t , Helkologie, Wien 1 8 1 1 , Berlin 1 8 4 1 , und dessen Handbuch der Chirurgie Bd. XVI., Berlin 1 8 3 5 .
der
Alphabetisches
332
Ernährungs-Störungen.
Brustwarze, oder bei alten Thränenfisteln und manchen Geschwüren am Scrotum und in der Achselhöhle. Zwischen dem Rande und dem Grunde des Geschwürs ist entweder eine scharfe Trennungslinie (an syphilitischen Geschwüren sehr deutlich), oder Rand und Grund gehen unmerklich in einander über; dann ist die GeschwUrsfläche regelmässig ausgehöhlt, wie nach einem Substanzverlust durch Caustica. Gewöhnlich aber ist der G r u n d glatt und eben (syphilitische, scrophulöse, varicöse Geschwüre). Convex ist er nur in der ersten Zeit des Bestehens, dann aber gewöhnlich. Constant ist dies, wenn das Geschwür aus einer Drüse, aus einer Pustel oder aus der angeschwollenen Basis eines Bläschens entsteht. Unebenheiten des Grundes und Windungen bemerkt man besonders bei Krebsgeschwüren und Lupus. Der Grund erstreckt sich oft weiter, als die Oeffnung: man sagt dann, „die Ränder sind abgelöst" und nennt das Geschwür „sinuös". Findet die Ablösung nur in e i n e r Richtung Statt und erstreckt sich sehr weit hin, so dass der Grund einen langen röhrenförmigen Blindsack darstellt, so heist das Geschwür „fistulös." Dass man aus der F o r m allein nicht mit Sicherheit die NatuV des Geschwürs, namentlich auch nicht die denselben zu Grunde liegende Dyskrasie (wie R u s t wollte), zu erkennen vermag, ist jetzt wohl allgemein anerkannt. Das Stadium der Verschwärung, die Tiefe und besonders der Sitz haben den entschiedensten Einfluss auf die Form. So ist das syphilitische Geschwür zu Anfang regelmässig rund, später aber oft oval, oder auf der Eichel gar winklig, oder linear in den Afterfalten, in den Lippenwinkeln u. s. w. Unmöglich kann man die winklige Form als charakteristisch für den Krebs ansehen, da sie einer Seits auch manchen syphilitischen Geschwüren zukommt, und anderer Seits Krebgeschwüre mit genau runder Form auftreten. Deshalb muss man aber nicht die Form bei der Diagnose ganz vernachlässigen; sie ist immer noch ein werthvolles Merkmal, wenn man die übrigen Verhältnisse gleichzeitig gehörig berücksichtigt. Die Einimpfung des Secrets, die man statt der Beachtung der Form als diagnostisches Hülfsmittel namentlich für syphilitische Geschwüre allgemein hat einführen wollen, ist für die Mehrzahl der Fälle unausführbar, oft unzuverlässig und zuweilen gefährlich. Auch die Beschaffenheit der R ä n d e r ist für die Natur des Geschwürs nicht immer charakteristisch. Syphilitische Geschwüre haben in der Regel scharf abgeschnittene Ränder; aber bei manchen sind die Ränder so stark nach Aussen umgebogen, dass man behaupten könnte, sie haben gar keine Ränder. Eben so wenig lässt sich die Angabe halten, nach Aussen umgeworfene Ränder seien charakteri-
333
Geschwüre.
stisch fiir Krebsgeschwüre. Ja man darf behaupten, der S i t z des Geschwürs habe in dieser Beziehung einen viel grösseren Einfluss, als die ihm zu Grunde liegende Dyskrasie. Man mußs aber unter „Sitz" nicht blos diese oder jene Stelle des Körpers verstehen, sondern dabei alle, vielleicht zufällig modificirenden, örtlichen Einflüsse beachten, wie z. B. die Spannung der Haut, den Grad ihrer Festheftung an die unterliegenden Theile u. s. w. Zu Anfang sind die meisten Geschwüre r u n d , weil bei der gewöhnlich nur punktförmigen Trennung die Elasticität der Haut nach allen Seiten hin gleichmässig wirkt; ist die Haut stark gespannt, so wirkt die Elasticität desto m e h r , und das Geschwür vergrössert sich sehr schnell: „frisst um sich". In der gleichmässig gespannten Haut der Stirn, des Rückens, der Brust sind die Geschwüre im Allgemeinen r u n d , während auf der in verticaler Richtung weniger gespannten Haut der Extremitäten die elliptische Form vorherrscht. Ist die Spannung in der einen Richtung sehr gross, während sie in der anderen ganz fehlt, so entsteht die lineare Form. Wenn wir aber auch, wie aus dem Vorstehenden sich ergiebt, den diagnostischen Werth der Formverhältnisse eines Geschwürs als unzureichend für eine sichere Diagnose ansehen müssen, so hat die auf dieser Grundlage aufgebaute Classification von R u s t doch immer noch mehr als blos historisches Interesse, indem sie namentlich dem Anfänger eine Uebersicht in zweckmässiger Anordnung gewährt. Ich lasse dieselbe daher hier in gedrängtester Kürze folgen. R u s t unterscheidet zunächst vom ätiologischen Standpunkte zwei Hauptgruppen der Geschwüre: solche aus örtlicher und solche aus allgemeiner (constitutioneller, innerer) Ursache. A. Das ö r t l i c h e G e s c h w ü r ist entweder einfach oder complicirt. I. Das e i n f a c h e Geschwür heisst auch gutartig, weil keine anderweitigen, weder örtlichen noch allgemeinen, Krankheitszustände damit verbunden sind. II. C o m p l i c i r t heisst ein Geschwür, welches entweder eine beträchtlich abweichende Gestalt hat, oder mit anderen örtlichen oder allgemeinen Uebeln vergesellschaftet ist; das complicirte örtliche Geschwür zerfällt daher in: a ) das mit örtlichen Fehlern, ß) das mit allgemeinen Fehlern verbundene.
(constitutionellen
Leiden)
334
ErnäbruDgs-StoruDgen.
I.
Ginfaches
wärzchen Uberdeckt.
Geschwür.
Grund mit gesunden, röthlichen Fleisch-
Rand gleichförmig, eben.
Umgebung normal.
Eine eiternde Wunde ist
der Typus dieses Geschwürs. II.
Complicirtes
Geschwür,
und zwar mit Rücksicht auf die ö r t l i c h e n a) G e s c h w ü r e mit v o r w a l t e n d e n 1. lich.
Ulcus hypersthenicum.
Fehler:
VitalitStsfehlern:
Rand wulstig und sehr empfind-
Grund lebhaft roth, empfindlich und leicht blutend.
rung sparsam, mehr schleimig als eitrig, oft blutig. schwollen, schmerzhaft, geröthet.
Absonde-
Umgebung ge-
Zuweilen ist Fieber dabei, manchmal
gastrische Beschwerden, zuweilen Erethismus des ganzen Nervensystems. 2.
Ulcus
asthenicum.
auch ödematös.
Rand blass, zusammengefallen,
Grund schlaff, zottig, livid, ohne Granulationen.
sonderung reichlich,
dünn.
Umgebung ödematös und blass.
oder AbDabei
kann die Empfindlichkeit entweder erloschen sein (Ulcus torpidum), oder krankhaft erhöht (Ulcus erethicum). 3.
Ulcus putridum,
und dessen höherer Grad U l c u s
gan-
g r a e n o s u m beruhen bald auf einer übermässigen Entzündung, bald auf einem allgemeinen Schwächezustande.
Im ersteren Falle ist die
Umgegend dunkelroth und äusserst schmerzhaft, das Geschwür selbst wandelt sich in einen Brandschorf um.
Im zweiten Falle ist in der
Umgegend kaum eine entzündliche Reaction wahrzunehmen, das Geschwür selbst sieht aschgrau und welk aus, ist unempfindlich und sondert Jauche in grosser Menge ab. b) G e s c h w ü r e m i t v o r w a l t e n d e n 1.
Ulcus
callosum.
Rand
Organisationsfehlern.
dick
hervorragend,
hart, meist glatt, leicht trocken, unempfindlich. auf fortdauernder chronischer Entzündung.
knorpelartig
Die Callosität beruht
Misshandlung durch Reiz-
mittel, Spannung der Haut über Knochenvorsprünge, wiederholte Insultationen, oder auch das Bestehen einer Dyskrasie sind die Ursache. 2.
Ulcus fungosum.
Aus demselben schiessen
schwammige
Auswüchse hervor, oder sein Grund ist mit solchen besetzt.
Diese
sind bald weich, schlaff, bleich, bläulich oder dunkel gefärbt, unempfindlich und leicht blutend, bald aber fest, roth und höchst empfindlich (carnöse
Geschwüre).
Ihr Secret ist
wässrig oder jauchig, bald eiterformig. beruhen
dem entsprechend
bald
Die fungösen Granulationen
auf einer übermässigen Wucherung, welcher ein Reizungs-
zustand zu Grunde liegt, der gewöhnlich durch die Anwesenheit eines fremden Körpers
oder eines kranken Knochens bedingt ist.
Geschwüre.
335
3. U l c u s o e d e m a t o s u m . Oedem tritt zu einem Geschwür, oder Geschwür zum Oedem. Rand bleich, aufgedunsen. Grund glatt, glänzend, unempfindlich. Absonderung wässrig, geruchlos. Gewöhnlich liegt eine allgemeine Kachexie, seltener ein örtliches Hinderniss des Rückflusses der Säfte zu Grunde. 4. U l c u s v a r i c o s u m , leicht erkennbar an den dasselbe umgebenden Krampfadern (varices). Rand scharf abgeschnitten, Grund flach, b r a u n r o t h , oft mit Blutpunkten besetzt. Absonderung serösblutig. Umgegend braun oder blau gefärbt. c) G e s c h w ü r e m i t v o r w a l t e n d e n F o r m f e h l e r n . 1. U l c u s s i n u o s u m s. c o l p o d e s . Rand unterminirt, dünn, schlaff, blau- oder braunroth. Grund fast ganz durch den Rand verdeckt, meist schwammig. Secret wässrig oder käsig. Entsteht meist aus Eiterungen im Unterhaulbindegewebe oder in Lymphdrüsen, besonders bei zu später oder unzweckmässiger Eröffnung der Abscesse. 2. U l c u s fis tu l o s um. Der Grund des Geschwürs stellt einen langen Blindsack oderCanal dar. (Vgl. F i s t e l , am Schluss dieses Cap.) B. G e s c h w ü r e a u s a l l g e m e i n e n U r s a c h e n sind verschieden, je nach der Natur des Allgemeinleidens, welches ihnen zu Grunde liegt, also: scrophulöse, syphilitische, scorbutische (nach R u s t a u c h : rheumatische, gichtische, abdominelle, impetiginöse, carcinomatöse). 1. S c r o p h u l ö s e G e s c h w ü r e entstehen in der grossen Mehrzahl der Fälle in der Richtung von Innen nach Aussen, namentlich von vereiterten Lymphdrüsen und von chronisch entzündeten oder in Verschwärung übergegangenen Knochen aus, ferner aus aufgebrochenen kalten Abscessen, in manchen Fällen auch aus oberflächlichen Pusteln, meist im kindlichen Alter bei Individuen, an denen auch die übrigen charakteristischen Erscheinungen der Scrophelsucht') deutlich ausgeprägt sind; sie bessern sich im ' ) Der Begriff „ s c r o p h u l ö s " noch
o f t viel zu
weit
wird nicht blos von Laien, sondern auch von Aerzten
gefasst.
Man ist sehr geneigt, jedem Kinde mit blasser
H a u t , blonden Haaren, blauen Augen und etwas angeschwollenen L i p p e n ,
zumal
wenn
scro-
es irgend eine Driisen9chwellung
pbulosus"
zuzuschreiben,
wahrend
am Halse zeigt, den „ H a b i t u s ein
solches Kind
vielleicht fernerhin sich
einer d u r c h a u s untadeligen Gesundheit erfreut, namentlich an keinerlei Eiterungen" und
leidet,
die man
als
besonders
d i e s e r ausschliesslich zukommend
charakteristisch
„käsigen
für Scrophulosc
von anatomischer Seite auch nicht ganz
mit Recht bezeichnet hat, da viele andere Verhältnisse, ganz unabhängig von einem scrophulösen Allgemeinleiden, Organen
Veranlassung
zu käsiger Eindickung des Eiters in verschiedenen
geben können.
Eine vorwiegende Neigung zur Hyperplasie
336
ErnShruDgs-Siörnngen.
Herbst und verschlimmern sich im Frühjahr; recidiviren häufig, auch nach scheinbar vollständiger Heilung, gewöhnlich im Frühjahr. Ihr Grund ist bleich und unrein, ihr Rand schlaff, ganz gewöhnlich, zumal bei solchen, die von Lymphdrüsen oder von Knochen ausgehen, unterminirt (sinuöse Geschwüre); die Umgebung ist livid, das Secret dünnflüssig, mit käsigen Flocken gemischt, oft auch durchweg käsig eingedickt, in welchem Fall dasselbe dann als „Tuberkelmasse" angesprochen wird. Die Heilung geht selbst bei genügender örtlicher und allgemeiner Behandlung sehr langsam von Statten; namentlich beginnt die Vernarbung immer erst, nachdem die unterminirten Ränder durch spontane Nekrose oder durch Kunsthülfe beseitigt sind. Die Narbe zeigt ein strahliges, glänzendes Gefüge, wie „gefrorene Fensterscheiben". Dies hängt wesentlich von ihrer langsamen Entwickelung und der Grösse des Substanzverlustes, nicht aber von einem specifischen Einflüsse der scrophulösen Dyskrasie ab. 2. S y p h i l i t i s c h e G e s c h w ü r e ' ) , Schanker (eherneres), treten entweder als unmittelbare lócale Folge der Uebertragung (Einimpfung) eines, meist an eiternden oder geschwürigen Stellen der (chronischen
Entzündung)
der Lymphdrüsen
einer
Seils und
anderer Seifs
zur
käsigen E n t a r t u n g sowohl dieser geschwollenen Drüsen, als auch m a n c h e r anderen Organe (Cutis, Schleimhäute, Knochen, Gelenke), welche in diesen vielleicht auch auf einer ursprünglichen Schwäche des Lympbgefässsystems b e r u h t , —
haben wir
in der That als charakteristisch für S c r o p h u l o s e anzuerkennen.
Vgl. V i r c h o w ,
Krankhafte Geschwülste, Berlin 1 8 6 3 u. f.
Waldenburg,
Bd. II. pag. 5 8 2 u. f.,
Tuberculose, Lungenschwindsucht und Scrophulose, Berlin 1 8 6 9 , pag. 1 7 4 u. f. — In Betreff der Ableitung des Namens „ S c r o p h e l n " von dem Lateinischen „ s c r o f a Schwein, vgl. V i r c h o w , 1. c. pag. 5 5 8 . ' ) Die Lebre von
der S y p h i l i s wird
kologie eingreift, b e r ü c k s i c h t i g t , ciellen
Pathologie
dien zu
namentlich
3. é d i t i o n , Paris 1 8 5 9 . Wien 1 8 5 9 . Geigel,
also:
Michaelis,
erfahren h a t , n u r die neuesten CompenVidal,
Traité
Compendium
des maladies
der Lehre von
vénériennes, der Syphilis,
M. R o b e r t , Nouveau traité des maladies vénériennes, Paris
Geschichte,
Pathologie
und
Therapie der
Z e i s s l , L e h r b u c h der Syphilis etc., Erlangen 1 8 7 1 sehr gründliche
und u n p a r t e i i s c h e Darstellung
Syphilis.
Würzburg
1861. 1865,
u. f. — Eine gedrängte, aber
giebt F o l l í n
in
seinem Traité
élcmentaire de pathologie e x t e r n e , Paris 1 8 6 1 . Tom. I. pag. 6 0 4 — 7 8 4 , auch
„spe-
wegen der wesentlichen Aenderungen, welche
in den letzten Jahrzehnten
empfehlen,
s o w e i t , s i e in die allgemeine Hel-
u n d T h e r a p i e " ausführlich dargestellt zu werden pDegt.
Zu einem genaueren S t u d i u m s i n d , diese Lehre
hier n u r ,
da sie bei uns in den Lehrbüchern der
woselbst
alles Wesentliche aus der ungeheuren L i t e r a t u r der f r ü h e r e n Jahrzehnte zu
finden Lewin
ist.
—
Kurz und
treffend erläutert
den
neuesten
Standpunkt
Georg
in seinen Vorträgen „ Z u r Lehre der syphilitischen Helkose in Bezug auf
Nomenclatur,
Pathogenese und
1 8 7 3 , No. 7 -
12.
chirurgische T h e r a p i e , "
Berl. klin. Wochenschrift
337
Geschwüre.
Genitalien haftenden Ansteckungsstoffes auf, der im weiteren Sinne des Wortes als „syphilitisch" bezeichnet wird, oder als Symptom des durch irgendwelche Uebertragung des syphilitischen Contagiums (im engeren Sinne des Wortes) bewirkten Allgemeinleidens (Lues syphilitica, constitutionelle Syphilis). Im ersten Falle heissen sie p r i m ä r e , iin zweiten s e c u n d ä r e Geschwüre. A. Die p r i m ä r e n s y p h i l i t i s c h e n G e s c h w ü r e finden sich, der gewöhnlichen Art der Uebertragung (Ansteckung) entsprechend, meist an den Genitalien und zwar unter drei wesentlich verschiedenen F o r m e n , als w e i c h e (sog. e i n f a c h e ) , als i n d u r i r t e (oder inl'ic i r e n d e ) und als p h a g e d ä n i s c h e Schanker. a) Der e i n f a c h e , w e i c h e (pscudosyphilitische) S c h a n k e r hat eine rundliche Form, einen ebenen Grund, einen scharf abgeschnittenen, wie mit einem Locheisen abgeschlagenen, ein wenig nach Aussen umgeworfenen und leicht untenninirten R a n d ' ) , ein unverhältnissmässig reichliches, dickes, weissgelb oder gelbgrün gefärbtes, in hohem Grade ansteckendes Secret. Die Umgebungen und der Grund des Geschwürs verhalten sich wie normale Gewebe und sind namentlich in der Regel frei von Induration. Jedoch kommen Fälle vor, in denen, theils nach der Anwendung von Aetzmitteln, theils auch ohne solche, eine Verhärtung des Geschwürsgrundes eintritt, die man als e n t z ü n d l i c h e bezeichnet und die sich auch in der That von anderweitig vorkommender entzündlicher Induration nicht unterscheidet. Weiche Schanker finden sich häufiger in grösserer Anzahl an demselben Individuum als vereinzelt 2 ), indem sie entweder sofort haufenweise auftreten, oder sich durch locale Ansteckung von einem ursprünglichen Geschwüre aus allmälig vermehren. Schwellungen der zu dein erkrankten Theile gehörigen Lymphdrüsen, meist also der Leistendrüsen ( B u b o n e n ) , können zu weichen Schankern bald früher bald später hinzutreten, finden sich jedoch nicht immer 3 ), bleiben, wenn sie vorkommen, fast immer auf die erkrankte Körperseite und auf die oberflächlichen Lymphdrüsen beschränkt, sind entschieden entzündlicher Natur, daher auch für Druck sehr empfindlich ( e n t z ü n d l i c h e , d o l e n t e B u b o n e n ) und nehmen ihren Ausgang bald in ' ) Bei genauerer Untersuchung mit der Loupe zeigt sich dieser Rand leicht gezähnelt und r o t h umsäumt. 5
) In F o u r n i e r ' s
Bericht a u s der Klinik von R i c o r d
finden sich unter 2 5 4 wei-
chen Schankern nur 4 8 vereinzelte, dagegen 1 1 6 mal 3 bis 6, 4 1 mal 6 bis 10, 3 2 mal 2, 17 mal 1 0 bis 2 0 . ' ) h ' o u r n i e r zählte u n t e r 2 0 7 Fällen nur 6 5 Bubunen a u f ; nach L e w i n , beistimmen
muss,
sind
die sogenannten
häufige Complirulion weicher Schanker. II Q r i l e 1 e l i v 11, C h i r u r g i e .
T. Aull.
1.
dolenten
Bubonen,
eine
dem ich überaus
Ernährungs-StörungeD.
33S
Zertheilung bald in Eiterung. Im letzteren Falle kann dem Aufbruch des DrUsenabscesses einfache Vernarbung oder aber auch llceration folgen. Erstere ist namentlich zu erwarten, wenn der Abscess nicht in der Driise selbst, sondern in dem periglandulären Bindegewebe seinen Sitz hatte (vgl. Krankh. d. Lymphdrüsen, Bd. II). Tritt Verschwärung des Bubo ein, so ist sein Secret auch wieder contagiös. — Impfungen, welche mit dem Eiter eines solchen Bubo oder eines weichen Schankers vorgenommen werden, haben, selbst wenn man sie Tausende von Malen an demselben Individuum wiederholt, immer wieder, und zwar sofort, ohne vorgängiges Incubationsstadium, die Entwickelung eines weichcn Schankers zur Folge. An der alsbald gerötheten Impfstelle entwickelt sich innerhalb der ersten 24 Stunden eine entzündliche Schwellung und Härte, ein Knötchen, auf dessen Spitze durch Erhebung der Epidermis ein mit wasserheller Flüssigkeit gefülltes Bläschen entsteht, welches unter allmäliger Trübung seines Inhaltes am 3ten Tage bereits die Grösse einer Erbse erreicht und sich weiterhin in der Mitte nabeiförmig einzieht. Oft wird dies juckende Bläschen absichtlich oder zufällig durch Kratzen zerstört, sonst aber platzt es schliesslich und lässt nun (meist zwischen dem 7ten und lOten Tage nach der Uebertragung) das unter ihm entwickelte Geschwür mit den oben angegebenen Charakteren zum Vorschein kommen. Seltener verwandelt sich das Bläschcn unter Eintrocknung seines eitrigen Inhalts in einen braunen Schorf, der auf dem Geschwüre fest haftet, ohne dass letzteres übrigens von der sonstigen Beschaffenheit des weichen Schankers abweicht. — Im weiteren Verlaufe wächst das Geschwür, unter Beibehaltung seiner rundlichen Form, bald mehr, bald weniger in die Fläche, wobei manchmal benachbarte Geschwüre zusammenfliessen. Meist lässt die, vom Geschwürsgrundc ausgehende Granulationsbildung nicht lange auf sich warten; zuweilen wuchern die Fleischwärzchen allzu üppig empor, so dass ein U l c u s f u n g o s u m entsteht, welches mit einem „ b r e i t e n C o n d y l o m " Aehnlichkeit haben kann. Gewöhnlich aber erfolgt, wenn das Geschwür nicht etwa den phagedänischen Charakter annimmt (vgl. c.), innerhalb einiger Wochen ohne Kunsthülfe die Vernarbung. Mit dem Beginne derselben hört das Secret des Schankers zuweilen auf, ansteckend zu sein; oft aber behauptet es seine Contagiosität bis zum Ende der Narbenbildung. b) Der i n d u r i r t e oder i n f i c i r e n d e (echt-syphilitische) S c h a n k e r ist viel seltener als der weiche 1 ) und kommt, in der Mehrzahl ' ) P u c h e fand unter 1 0 , 0 0 0 Schankern n u r 1 9 5 5 , F o u r n i e r indurirte;
mithin scheinen
sich die indurirten
Frequenz nach, zu verhalteo, n i e 1 zu y.
Schanker
unter 3 4 1 nur 1 2 6
zu den weichen,
der
339
Geschwüre.
der Fälle vereinzelt 1 ), an beliebigen Körperstellen vor. Seine Form stimmt in der Regel mit derjenigen des weichen Schankers überein; aber die ganze Geschwürsfläche erscheint glatt, wie lackirt, der Grund speckig, weissgrau gefärbt, in der Mitte dunkel punktirt, die etwas hervorspringenden Ränder sind nicht unterminirt, das Secret viel spärlicher und dem guten Eiter weniger ähnlich, als bei der ersteren Art der syphilitischen Geschwüre. Dem Namen entsprechend, zeigen Grund und Umgebung des indurirten Schankers eine auffallende, knorpelartige Härte, welche sich meist bis zu erheblicher Tiefe erstreckt, selten auf die oberflächlichsten Schichten beschränkt bleibt, noch seltner das Geschwür ringförmig umgiebt. Diese Induration unterscheidet sich von der oben erwähnten entzündlichen durch den Mangel der Röthung und des Schmerzes; es pflegt sogar Verminderung der Empfindlichkeit in den verhärteten Theilen zu bestehen. In den entsprechenden Lymphdrüsen entsteht regelmässig, innerhalb der ersten 14 Tage nach dem Auftreten des Schankers, eine schmerzlose, überhaupt n i c h t - e n t z ü n d l i c h e , daher auch Anfangs inuner ohne Betheiligung des periglandulären Gewebes auftretende Schwellung, von welcher meist nach einiger Zeit auch die analogen Drüsen der anderen Seite, wenngleich weniger s t a r k , ergriffen werden. Diese sogen, i n d o l e n t e n B u b o n e n stellen, der Zahl der erkrankten Drüsen entsprechend, vielhöckrige Geschwülste dar, die meist viel länger dauern, als der Schanker, welcher sie erregt hat. Durch directe Insulte und durch bedeutende Anstrengungen kann in ihnen Entzündung und dann auch Eiterung entstehen, mit nachfolgendem Aufbruch. Bei scrophulösen Subjecten kommt dies besonders leicht und zuweilen ohne nachweisbare Veranlassung vor. Impflingen mit dem Secret eines indurirten Schankers oder der von ihm abhängigen Bubonen liefern an demselben Körper, welcher mit dieser Geschwürsart bereits behaftet ist oder war, niemals ein Resultat'). Erfolgt dagegen die Uebertragung (absichtlich oder zufällig) zum ersten Mal, so erweist sich das Secret des indurirten Schankers entschieden contagios. N a c h e i n e r I n e u b a t i o n s z e i t v o n 2 b i s 6 W o c h e n entsteht ein Knötchen, welches alsbald von der Mitte aus ulcerirt und ohne erhebliche Schmerzen, zuweilen ganz unbemerkt, sich in das charakteristische Geschwür umwandelt. Der weitere Verlauf bis zu der auch hier ohne Kunsthülfe ' ) Unter 4 5 6 Fällen w a r e n n u r 1 1 5 , in d e n e n m e h r als 1, und n u r 2 9 , in denen m e h r als 2 i m l u r i r t e S c h a n k e r a n d e m s e l b e n 2
) In
Hicord's
Klinik
2 Erfolg g e h a b t Vgl. R o l l e t
und
sollen
haben; Piday;
allerdings
unter
Individuum v o r k a m e n . 150
neuere Beobachtungen
Impfversuchen
lassen
A n n u a i r e d e la sypbilis etc.
auch diese 1859.
22*
Fournier. der
Art
doch
2 anzweifeln.
EraSbrungs-Störungen.
340
möglichen Vernarbung des Geschwürs dauert 4 bis 6 Wochen; letztere wird durch das Aufschiessen guter Granulationen vom Rande her vorbereitet und erfolgt meist in centripetaler Richtung, selten in ganzer Ausdehnung gleichmässig. Ausnahmsweise wandeln sich die w u c h e r n den Geschwiirs-Granulationen in ein „breites Condylom" u m 1 ) . Die Induration besteht in der Regel auch nach der Vernarbung fort, bald n u r einige Wochen, bald Jahre lang, um dann allmälig zu verschwinden. Halte der Schanker seinen Sitz in der äusseren Haut, so behält die Narbe meist noch über die angegebenen Fristen hinaus eine e i g e n t ü m l i c h dunkle Färbung, welche nach einem weichen Schanker niemals beobachtet wird. Die U n t e r s c h e i d u n g dieser beiden Arten von syphilitischen Geschwüren wird, nach der vorstehenden Schilderung, meist keine besonderen Schwierigkeiten inachen. Dieselbe ist aber wesentlich und nothwendig, weil es sich bei dem weichen Schanker um ein Leiden handelt, welches nur höchst selten, vielleicht niemals'), eine Erkrankung des übrigen Körpers zur Folge hat, während die constitutionelle Syphilis auf den indurirten Schanker nicht blos mit grosser Bestimmtheit folgt, sondern schon mit ihm sich während des Incubationsstadiums des Geschwürs entwickelt, so dass man die Induration mit mehr Recht für das erste Symptom des Allgemeinleidens, als für die unmittelbare Wirkung der localen Uebertragung ansehen k a n n 3 ) . Das U l c u s d u r u m
ist keinesweges die einzige LocalaRection, mit welcher die
(ächte) Syphilis beginnen k a n n , vielmehr können 2 ) Papeln und Hautsclerose, nachdem
oder
1) epidermoidale Schuppenbildungen,
3 ) Knotenbildungen J a s Initialsymptom bilden, j e
der AnsteckungsstolT n u r bis zum Rete Malpighi,
oder bis in den Papillar-
k ö r p e r oder endlich bis in das subcutane Bindegewebe eingedrungen ist.
Vgl. G. L e w i n ,
Berl. klin. Wochenschr. 1 8 7 3 , pag. 1 0 1 .
c) P h a g e d ä n i s c h e S c h a n k e r nennt man solche, welche mit weit um sich greifender, brandiger Zerstörung auftreten, in weitem Umkreise entzündliche und ödematöse Schwellungen hervorrufen und deren Geschwürsgrund Aehnlichkeit mit dem d i p h t h e r i s c h e n Belag, den wir beim Hospitalbrande beschrieben haben, zeigt. Diese phagedänische Beschaffenheit, welche in jeder Beziehung Analogien mit der Nosocomialgangrän darbietet, entwickelt sich gewöhnlich erst, nachdem der Schanker schon einige Zeit bestanden hat, viel häufiger bei ' ) Vgl. D a v a s s e et D e v l l l e in d. Arcbives de medecine s
1845.
) Vgl. G e o r g L e w i n , I. c. pag. 74.
*) Vgl. ausser den schon
citirten S c h r i f t e n :
in d. Annalen des Charile-Krankenhauses.
v. B ä r e n s p r u n g ,
Mitteilungen
etc.,
VII. 2. Berlin 1 8 5 6 , XI. 1. 1 8 6 0 , und
B i c o r d , Lccons sur le chancre, publ. par F o u r n i e r ,
Union med.
1857.
Geschwüre.
341
weichen als bei indurirten Geschwüren, und ist somit als eine Complication aufzufassen,
die
zwar besonders beschrieben werden
aber keineswegs zur Aufstellung einer besonderen Species
muss,
berechtigt.
Alles was über die Contagiosität des Secrets, die Seltenheit einer allgemeinen Infection, phagedänischen
die
Art der
Schanker
Bubonen 11. dgl. 111. in Betreff
ausgesagt wird,
der
findet seine Erklärung
in
dein Umstände, dass nieist w e i c h e Schanker von dieser Complication befallen werden.
Die bald
mehr
geschwürige,
bald mehr brandige
Zerstörung (letztere auch als „gangränöser S c h a n k e r " bezeichnet) verbreitet
sich
mehr der F l ä c h e n a c h , als in die T i e f e ,
im Bindegewebe, demnächst in der Haut, Geweben').
Die Gestalt des Geschwürs
am Schnellsten
weniger leicht in anderen
ist meist unregelmässig aus-
gezackt und ausgebuchtet, der Rand sinuös (oft weithin
unterminirt).
Die Heilung der ausgebreiteten Zerstörungen erfolgt um so langsamer, da meist geschwächte oder anderweitig kranke Individuen von dieser Complication befallen B. an
den
werden.
Die s e c u n d ä r e n verschiedenen
syphilitischen Geschwüre
Körpers teilen,
bald
auf
linden sich
Schleimhäuten,
bald
auf der äusseren Haut.
Im ersteren Falle ist besonders die Schleim-
haut des Gaumensegels
und
des Rachens ihr Lieblingssitz.
Auf der
äusseren Haut entwickeln sie sich entweder aus den höchst verschiedenformigen syphilitischen Exanthemen (den sogen. Syphiloiden), also bald
aus
Pusteln
bald
aus
Knötchen u. s. f.,
(Ecthyma),
bald
aus
Blasen
(Rupia,
Pemphigus),
oder aber aus aufgebrochenen
Bubonen,
aus syphilitischen Gummigeschwülsten, endlich auch über entzündeten und
cariösen
Knoehcn.
Die letzteren
beiden
Formen
werden
auch
als tertiäre Geschwüre bezeichnet, da man die localen Erkrankungen, aus denen
sie e n t s t e h e n ,
als
tertiäre Zufalle
ansieht.
Mit
grosser
Wahrscheinlichkeit ist der von uns schon bei den primären Geschwüreil aufgeführte i n d u r i r t e S c h a n k e r , terisirende
Induration
sicher wenigstens die ihn charak-
als s e c u n d ä r ,
d. h.
als Ausdruck
entwickelten Allgemeinleidens aufzufassen (vgl. pag. 3 3 8 ) .
des
bereits
S o mannig-
faltig wie die Formen der syphilitischen Exantheme sind auch diejenigen der secundären vorwiegend.
G e s c h w ü r e ; jedoch
Vollkommen
Formverhältnissen
die
syphilitische
mit Gewissheit zu erschliessen die Entstehungsgeschichte ')
Kuli in
(1. c . pag. 0 1 8 )
der S c h e n k e l b e u g e solche Weise
(durch
aber
Natur
die serpiginöse F o r m
ist eines
es
aus den
solchen
(vgl. pag. 3 3 0 u. f.);
blossen
Geschwürs
vielmehr muss
des Geschwürs selbst und die Beschaffen-
erwähnt
bis zum
zeigt sich
unmöglich
einen
phagedänischen
Knie erstreckte.
sog. S e l b s t a m p u t a l i o n )
—
Schanker,
der sich
D a s s ganze S t ü c k e d e s
verloren g e h e n ,
Penis
ist n i c h t g a n z
von auf
selten.
34*2
Ernährungs-Slörungen.
heit der gaiizeu Körperoberfläche des Patienten, namentlich also die Anwesenheit der gedachten Hautausschläge, das Fortbestehen von Induration an den Stellen der ersten Infection, die Schwellung der Lymphdrüsen, endlich die Anamnese (im weitesten Sinne) der Diagnose Halt gewähren. Vollständige Sicherheit erlangt man oft erst ex juvantibus et nocentibus. Die Unterscheidung vom Krebs und vom Lupus wird in spätem Abschnitten zu erläutern sein. Unter den secundär-syphilitisehen Geschwüren haben diejenigen, welche man namentlich an nördlichen Küstenstrichen (jedoch auch in Serbien), zumal bei schlecht genährten und unreinlichen Menschen, in grosser Ausdehnung und gewöhnlich serpiginöser Form auf der äusseren Haut sich entwickeln sieht, besondere Namen und auch wohl besondere Deutungen erfahren. So nennt man sie in Norwegen R a d e s y g e , in Holstein D i t t m a r s i s c h e K r a n k h e i t , in Serbien S k e r l i e v o . Diese Namen sind unnütz, denn es handelt sich in der That nur um secundäre Syphilis. Serpiginöse Geschwüre der Art sind auch an der West-Pommerschen Küste ziemlich häufig und haben sich mir daselbst, bei völliger Uebereinstimmung mit der „Radesyge" der Norwegischen Küsten, stets als syphilitisch erwiesen. 3. S c o r b u t i s c h e G e s c h w ü r e entstehen in Folge eines durch fehlerhafte Mischung der Nahrungsmittel, gewöhnlich bei gleichzeitiger andauernder Einwirkung feuchter Luft, hervorgerufenen Allgemeinleidens, meist aus Blutergüssen in und unter der Haut, mit heftigen Schmerzen, am Unterschenkel, am Zahnfleisch, am Gaumen. Ihr Grund ist höckrig, unrein, meist bläulichroth gefärbt, indem die nekrotisirenden Gewebe von halbgeronnenem Blute durchsetzt sind. Der Rand ist schlaff und, wie die Umgebung des Geschwürs, oft ödeinatös oder blutig infiltrirt; zuweilen wachsen auf ihm schlaffe, leicht blutende Granulationen. Das Secret ist sehr dünn, meist blutig tingirt und von widerlich süsslichein Geruch. Die zurückbleibenden Narben sind livid und glänzend. Beliaudluug der Geschwüre. — A. l n d i c a t i o c a u s a i i s . Wenn das Geschwür auf einer Dyskrasie beruht, so inuss diese beseitigt werden. Unzweifelhaft gehört die B e h a n d l u n g d e r D y s k r a s i e n wesentlich in das Gebiet der inneren Therapie. Dieselbe kann daher hier auch nur in Betreff der für die Helkologie vorzugsweise wichtigen dyskrasischen Leiden (Scropheln, Syphilis und Scorbut) kurz berücksichtigt werden. 1. Die wesentlichste Aufgabe bei der Behandlung der S c r o p h e l n ist, dem Kranken leicht verdauliche, nahrhafte Kost zu verschaffen
Geichwüre.
343
und ihn in reine, warme Luft zu bringen. Nur wenn diese Bedingung erfüllt werden k a n n , lässt sich eine Nachhülfe von den in unsäglich grosser Anzahl empfohlenen Arzneimitteln erwarten. Unter diesen scheint die Mehrzahl auch nur durch Steigerung der gesammten Ernährung zu wirken. Dahin rechnet man den in so grossen Massen angewandten und nur bei Anwendung grosser Massen wirksamen Leberthran, den phosphorsauren Kalk, die Eisenpräparate u n d die sogenannten bitteren Mittel, welche letztere vielleicht nur durch Steigerung oder Regulirung des Appetites wirken. Von einer anderen Reihe von Heilmitteln erwartet man eine specifische Umänderung des gesammten Ernährungsprocesses. Hierher gehören namentlich die Jodpräparate, die Antimonialien, die salinischen Bäder, deren Jod- und Bromgehalt aber auch mit in Anschlag gebracht wird. Während die pharmaceutischen Jodmittel und die Antimonpräparate mit zweifelhaftem Erfolge u n d , sofern man sie nicht auf sehr kleine Dosen beschränkt, wohl auch nicht ganz ohne Gefahr angewandt werden, herrscht über die vorzügliche Wirksamkeit der salinischen Bäder (Kreuznach, Rehine, Nauheim, Ischl etc. etc.) nur eine Stimme. Ihre Wirkung beruht wohl grössten Theils auf der Belebung der Hautthätigkeit. Häufige Bäder sollen überhaupt unter den Requisiten einer guten Diät ausgeführt werden. 2. Bei der Behandlung der s y p h i l i t i s c h e n G e s c h w ü r e glaubte man, von der Voraussetzung ausgehend, dass durch jedes primäre Geschwür eine allgemeine lnfection bewirkt werden könne, die möglichst frühzeitige Zerstörung des Infectionsherdcs als Prophylaxis gegen die allgemeine Erkrankung empfehlen zu müssen. Der primäre Schanker sollte mit Aetzkali, Wiener Paste oder Chlorzink gründlich kauterisirt oder ausgeschnitten werden. Aber bei dein weichen Schanker erscheint, nach unserer heutigen Auffassung, eine solche Localbehandlung überflüssig, bei dem harten nutzlos, weil „zu spät". Dagegen ist bei jedem Ulcus durum, weil es bereits der Ausdruck eines syphilitischen Allgemeinleidens ist, eine antidyskrasische Behandlung empfehlenswerth. Beim p h a g e d ä n i s c h e n S c h a n k e r wurde schon f r ü h e r , als man im Allgemeinen bei jedem Schanker eine antidyskrasische Behandlung einleiten zu müssen glaubte, vor der Quecksilber-Behandlung gewarnt, weil der Zerfall der Gewebe dadurch beschleunigt werde. Da phagedänische Schanker fast immer w e i c h e sind, wird selten zu einer solchen Behandlung Veranlassung sein. Die L o c a l b e h a n d l u n g der phagedänischen Schanker schliesst sich an diejenige des Hospitalbrandes an, während die gewöhnlichen Schanker wesentlich wie asthenische Geschwüre zu behandeln sind.
344
Ernährnngs-Slörongen.
Anderen Dyskrasien analog, hat man auch die Syphilis theils durch a l l g e m e i n e G i n w i r k u n g e n a u f d e n E r n ä h r u n g s p r o c e s s , theils durch s p e c i f i s c h e A l t e r a n t i a zu heilen gesucht. Will man den ersteren Weg wählen, so muss man den) Kranken bis auf das zur Erhaltung des Lebens nothwendige Minimum die Nahrungsmittel entziehen und durch reichliches dünnes Getränk und purgirende, diuretische und diaphoretische Mittel die Secretionen möglichst vielseitig anspornen. Man hofft auf solche Weise den Stoffwechsel zu beschleunigen und den im Körper hausenden Krankheitsstoff (?) hinaus zu befördern oder zu zersetzen. Die Hauptrepräsentanten dieser Behandlungsweise sind die B i t t e r s a l z k u r e n und das Z i t t m a n n ' s c h e Decoct (vgl. Pharmacopoe). Letztcrem wird freilich von Manchen auch eine specifische Wirkung zugeschrieben. Das bewährteste Specifium ist das Q u e c k s i l b e r , unter dessen Präparaten namentlich der S u b l i m a t (Hydrargyrum bichloratum corrosivum) und die, in Form von Einreibungen anzuwendende g r a u e S a l b e (Unguentum hydrargyri cinereum) seit langer Zeit als A n t i s y p h i l i t i c a besonderen Ruf haben. Jedoch stellt keins der zahlreichen Quecksilberpräparate vor Recidiven ganz sicher. Die besten Erfolge liefert, nach meinen Erfahrungen, die sogen. S c h m i e r k u r , d. h. eine bei ruhiger Lage im Bett, in einem warmen Zimmer und bei guter Ernährung etwa 3 Wochen lang täglich ein Mal wiederholte Einreibung von 1 — 3 Grammen des Unguentum hydrargyri cinereum. Die früher (nach L o u v r i e r und R u s t ) mit diesen Inunctionen verbundene Hunger- und Purgir-Kur fördert die Heilung der Syphilis durchaus nicht, gefährdet aber die Gesundheit schwächlicher Individuen in bedenklichem Grade (vgl. pag. 345). Die Salivation, welche man früher für nützlich und nothwendig hielt, ist als eine störende, in ihren Folgen oft schreckliche Nebenwirkung jeder Quecksilber-Behandlung sorgfältig zu verhüten. Lässt man den Mund täglich 8 bis 12 Mal mit einer Lösung des Kali chloricum (2 auf 100 Aq. destill.) ausspülen und von einer doppelt so starken Lösung desselben Salzes 4 Mal täglich einen Esslöffel voll verschlucken, so kommt es auch bei energisch durchgeführter Inunctionskur nur selten zur Salivation. Das in Folge der Einreibungen, namentlich auf zarter Haut zuweilen auftretende Mercurialeczem ist keineswegs als kritischer Ausschlag, sondern nur als Resultat der durch die Quecksilbersalbe bedingten Hautreizung zu betrachten. Um die Beschwerden desselben dem Kranken zu ersparen, muss man den Ort der Einreibung möglichst oft wechseln. Die Anwendung des S u b l i m a t s stiess früher, obwohl seine Wirk-
Geschwüre.
345
sanikeit anerkannt wurde, auf Schwierigkeiten, weil das Einnehmen dieses Präparates durch den Mund einer Seits wegen seiner Zersetzbarkeit unsicher, anderer Seits wegen seiner nachtheiligen Einwirkung auf die Magenschleimhaut, zumal wenn der Kranke gut genährt w e r den soll, bedenklich ist. Deshalb hat die von G. L e w i n 1 ) angegebene und von ihm in Tausenden von Fällen bewährt gefundene Anwendung desselben m i t t e l s t E i n s p r i t z u n g u n t e r d i e H a u t grossen Beifall und schnelle Verbreitung gefunden. L e w i n empfiehlt eine Sublimatlösung, welche 0,18 bis 0,36 Hvdrargyr. bichlorat. corrosiv. auf 30 destillirten Wassers enthält und bediente sich zur Einspritzung einer modificirten P r a v a z - L u e r ' s c h e n Spritze (vgl. Bd. II, pag. 146), welche 2 Grammen Wasser fasst. Da der Einstich der lanzenförmigen Spitze sowohl als die Einspritzung selbst schmerzhaft sind, werden zur Injection Körperstcllen ausgewählt, deren Cutis relativ weniger empfindlich ist, namentlich am Rücken. Die Menge des auf ein Mal (und zwar täglich ein Mal) eingespritzten Sublimats schwankt zwischen Grm. 0,006 und 0,024. Um vollständiges Verschwinden der bestehenden syphilitischen Symptome herbeizuführen, sind zwischen 0,09 und 0,18 Sublimat erforderlich. Der Kranke braucht bei dieser Kur weder das Bett noch auch das Zimmer zu hüten, wenn die Witterung nicht allzu ungünstig ist, kann daher auch meist seinen Geschäften nachgehen und in gewohnter Weise weiter leben. Bei inveterirter Syphilis, namentlich nach wiederholtem, unregelmässigem oder sehr reichlichem Mercurialgebrauch liefert das J o d k a l i gute Erfolge. Mit demselben die Behandlung zu beginnen, dürfte niemals zweckmässig sein. Seine zu lange und zu starke Anwendung hat eben so üble (wenn auch vielleicht weniger augenfällige) Folgen, als die analoge Behandlung mit Quecksilber, die Sicherheit des Erfolges aber ist viel grösser, wenn man mit einer streng überwachten Quecksilberkur beginnt und später etwa auftretende Recidive mit Jodkali oder, wenn dies seine Dienste versagt, mit der, je nach dem Kräftezustande des Patienten zu modificirenden, Z i t t m a n n ' s e h e n Kur bekämpft. Auf die D i ä t hat man bei Behandlung der Syphilis früher nur insofern Gewicht gelegt, als man die Vermeidung aller aufregenden und eine entschiedene Verminderung der plastischen Nahrungsmittel entweder an und für sich, als Entziehungskur, oder zur Unterstützung der Mercurialkuren allgemein empfahl. Eine solche knappe Diät passt aber nur für wohlgenährte Individuen und würde bei Solchen, die ') Vgl. Charite-Annalen, Bd. 1 4 , und G e o r g L e w i n , mit subcutaner Sublimat-Injection, Berlin
1860.
die Behandlung der Syphilis
346
Eroäbrungs-Störungen.
von Natur schwächlich oder durch vorausgegangene Krankheiten, Entbehrungen, vielleicht auch Kuren, heruntergekommen sind, gradezu schaden, statt die Heilung zu fördern. Auch hier muss der Arzt individualisiren. — Besondere Berücksichtigung verdient der Aufenthaltsort solcher Kranken. Wenn bei der Behandlung der Aufenthalt in einem warmen Zimmer als nützlich, selbst nothwendig bezeichnet wird, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass dies Zimmer weniger als andere Krankenstuben der Lüftung bedürfe, oder dass man gar (wie früher üblich) die engsten und schlechtesten Räume den Syphilitischen anweisen solle. Reine Luft und hinreichender Luftwechsel sind ihnen bei jeder Behandlungsweise ebensosehr Bedürfniss, wie anderen Kranken. — Die gewöhnlich zur Schwermuth geneigte Gemüthsstimmuttg ist bei der Behandlung der Syphilis mehr noch, als bei den meisten anderen chronischen Uebeln, zu beachten. 3. Die Therapie des S c o r b u t s besteht vor Allem in Beseitigung der ätiologischen Momente. Gute Nahrungsmittel, namentlich frisches Fleisch und frische Vegetabilien (Kartoffeln), säuerliche Getränke (Citronensaft), belebende und tonisirende Mittel (Eisentincturen) führen alsbald zur Besserung und in den nicht allzu weit vorgeschrittenen Fällen auch zur Heilung. Leider steht es nur gerade da, wo Scorbut in Massen zu behandeln ist, auf Schiifen und in Kriegslazaretten, am Wenigsten in der Macht des Arztes, die wesentlichsten dieser Requisite herbeizuschaffen. B. I n d i c a t i o m o r b i . Wir müssen für die dyskrasischen, wie für die idiopathischen Geschwüre der ö r t l i c h e n T h e r a p i e ihr volles Recht vindiciren. Vielfach ist in früheren Zeiten die Frage discutirt w o r d e n , ob man auch wohl alle, namentlich auch die bereits seit längerer Zeit bestehenden Geschwüre heilen dürfe. Entziehen wir durch ihre Unterdrückung dem Organismus nicht eine heilsame Ableitung? Was die Heilung der dyskrasischen Geschwüre betrifft, so wird über deren Zweckmässigkeit wohl Niemand im Zweifel sein. Aber die aus örtlicher Ursache entstandenen, welche durch Spannung einer Narbe, durch Atonie u.dgl.in. unterhalten werden? Da muss man zuerst die örtlichen Ursachen beseitigen, und dies ist vielleicht nicht zweckmässig, „weil ein allgemeines Leiden besteht, für welches das Geschwür als Ableitungsmittel dient, und welches in gefährlicherer Form nach Unterdrückung des Geschwürs sich geltend machen wird." In dieser Beziehung halte man vor Allem fest, dass die Heilung solcher Geschwüre gar nicht gelingt, wenn jene allgemeine Krankheit nicht beseitigt ist.
Geschwüre.
347 t
Wenn man der Natur so grosse Intelligenz bei der Anlegung einer solchen „nützlichen Ableitung" zutraut, warum sollte sie so einfältig sein, sich dieselbe verschliessen zu lassen? Es unterliegt heutigen Tages wohl keinem Zweifel, dass die Zufälle, welche man der „schnellen" Heilung eines alten Geschwürs zuschreibt, ganz anders zu erklären sind. Vgl. „Fisteln". Die Hauptsache ist, dass alte Geschwüre überhaupt nicht schnell heilen, und dass Recidive auch nach der vollständigsten Heilung eines alten Geschwürs ungemein häufig sind. Der Substanzverlust an der Stelle des Geschwürs wird immer nur durch Narbengewebe ausgefüllt. Dies entwickelt sich einer Seits langsam und kann anderer Seits durch viel geringfügigere Einflüsse zur Nekrose gebracht werden, als normales Gewebe. Auch ohne Kunsthülfe kann freilich sogar ein dyskrasisches Geschwür heilen, wie dies bei den syphilitischen Geschwüren bereits speciell beschrieben wurde, allerdings ohne irgend eine Garantie dafür, dass mit dem Geschwür auch die Dyskrasie beseitigt wäre. Anderer Seits ist durch genaue Beobachtungen erwiesen, dass ein Geschwür blos wegen ö r t l i c h e r F e h l e r nicht heilen kann, wenn gar keine Dyskrasie im Körper des Patienten bestanden h a t , oder nachdem dieselbe längst getilgt ist. Die Beseitigung dieser örtlichen Fehler ist bei allen Geschwüren eine wesentliche Aufgabe für den Chirurgen. Handelt es sich um ein einlaches Geschwür, so reicht auch die für e i t e r n d e F l ä c h e n pag. 260 u. f. angegebene Behandlung aus. Vor Allem niuss der Theil, an welchem das Geschwür sitzt, R u h e haben und vor Insulten geschützt werden. Man niuss deshalb auch den Verband nicht zu häufig wechseln, anderer Seils aber für Reinlichkeit sorgen. Das hypersthenische Geschwür erfordert im Allgemeinen eine antiphlogistische Behandlung. Feucht-warme Umschläge und häufig wiederholte lauwarme Bäder leisten in der Mehrzahl der Fälle die besten Dienste. Seltener ertragen die Kranken die Anwendung der Kälte. Das asthenische Geschwür erfordert die Anwendung reizender und adstringirender Mittel, namentlich aromatische Fomentationen und Bäder. Bei putriden Geschwüren sind, nächst der chemischen Zerstörung der brandigen Theile durch Kaustica (vgl. Hospitalbrand), die desinficirenden Mittel, namentlich Chlorkalk-Lösungen, auch wohl Kohlenverbände oder, wenn die Localität es erlaubt, permanente Bäder und Irrigationen mit antiseptischcn Flüssigkeiten von besonderem Werth. Fehlt die zur Heilung erforderliche entzündliche Reaction, so muss man diese durch Reizmittel anzufachen suchen. Das callöse Geschwür erheischt zur Beseitigung der chronischen Entzündung, auf welcher die Caliosität beruht, neben
348
Ernährungs-Störungen.
einer den Säfteabfluss begünstigenden zweckmässigen Lagerung des Theiles die Anwendung der Kälte, später Compressiv-Verbände, unter deren Einwirkung das bereits fest gewordene Exsudat am Leichtesten resorbirt wird. Sehr zweckmässig bedient man sich zur Anlegung eines solchen Druckverbandes der Heftpflasterstreifen (sogen. B a y n t o n ' s c h e r Verband). Dieser erweist sich auch bei dem fungösen Geschwüre nützlich, bei dem es aber vor Allem auf die ätiologischen Verhältnisse ankommt. Bei dem bdematösen und varicösen Geschwür ist die Therapie wesentlich gegen das Oedein und die Varicositäten der Venen zu richten (vgl. Bd. II.). Letztere bilden, namentlich am Unterschenkel, wo Geschwüre ungemein häufig vorkommen, eine der gewöhnlichsten Complicationen, weshalb man nicht selten die Behandlung der Geschwüre geradezu mit derjenigen der Varicositäten zusammenwirft. Von grosser Wichtigkeit endlich ist die Beseitigung der F o r m f e h l e r , welche sich an einem Geschwüre zeigen, namentlich der Sinuositäten, deren Beseitigung mittelst Abtragung der unterminirten Ränder oder, sofern sie von beträchtlicher Dicke sind, wenigstens Spaltung derselben, jedem anderen Heilverfahren vorausgehen muss. Das Signal der beginnenden Heilung ist die Umwandlung des Secrets in guten Eiter von verhältnissmässiger Quantität. Sa verwandelt sich das Geschwür allinälig in eine granulirende Fläche, die schliesslich vernarbt, wenn nicht etwa allzugrosse Ausdehnung die Vernarbung hindert. Grade bei grossen Hautgeschwüren erweist sich für die Ueberwindung dieses Hindernisses die von R e v e r d i n angegebene „ T r a n s p l a n t a t i o n k l e i n e r H a u t s t ü c k c h e n " auf die granulirende Fläche oft als nothwendig, immer als nützlich. Wir werden diese segensreiche Operation im Zusammenhange mit den übrigen „plastischen Operationen" später erläutern. Wie das Geschwür wieder zur eiternden Fläche wird, so kann sich auch eine eiternde Fläche, namentlich eine W u n d e , in ein Geschwür verwandeln, besonders wenn ein bedeutender Substanzverlust Statt gefunden hat. Hier ist meist die Ausdehnung der Verwundung das Hinderniss der Heilung. Sobald sich Narbensubstanz bilden kann, wird aus dem Geschwür eine eiternde Fläche; so lange keine Narbe gebildet wird, besteht auch Verschwärung. Nach
Hust
u. A.
vier S t a d i e n : s. d i g e s t i o n i s , Die
3) Stadium
Deflnition
.Benennungen
unterscheidet
1) S t a d i u m dieser
von
im
Verlauf
der
g r a n u l a t i o n i s s. i n c a r n a l i o n i s ,
keineswegs
selbst.
man
Heilung
d e l c r s i o o i s s. m u n d i l i c a t i o n i s , scharf
gesonderten
eines
2) Stadium i)
Stadien
Stadium ergiebt
Geschwürs
suppurationis cicatrisaliuuis. sich
aus
den
Fi siel.
II.
Fistel
349
(flstuU).
F i s t e l nennen wir im w e i t e r e n Sinne ein enges und sehr tief eindringendes Geschwür, welches für ein tief liegendes Gewebe, ein Organ oder eine Höhle, eine abnorme Communication mit der Oberfläche der äusseren Haut oder einer Schleimhaut herstellt. F i s t e l n im e n g e r e n S i n n e sind solche abnorme Canäle oder Oeffnungen, welche zu irgend einem normalen oder krankhaften Secretionsorgane oder zu dessen Ausfiihrungsgange hinführen und aus welchen daher fortwährend ein Theil des Secretes jener nach Aussen oder in eine andere Höhle entleert wird. Im Gegensatze hierzu nennt man die übrigen Fisteln, durch welche nicht ein anderweitiges Secret, sondern blos Eiter abfliesst, f i s t u l ö s e oder röhrenförmige G e s c h w ü r e . Letztere werden auch u n v o l l k o m m e n e oder blinde Fisteln (Fistulae incompletae) genannt. Befindet sich die Oeffnung eines solchen fistulösen Geschwürs in der äusseren Haut, so nennt man es eine u n v o l l k o m m e n e ä u s s e r e F i s t e l ; befindet sie sich in einer Schleimhaut, so ist es eine u n v o l l k o m m e n e i n n e r e F i s t e l . Die vollkommenen Fisteln besitzen zwei Oeffnungen, zwischen denen in verschieden grosser Länge der Fistelgang verläuft. Ist der Fistelgang so k u r z , dass eigentlich nicht ein abnormer Canal, sondern nur eine abnorme Oeffnung, ein Loch besteht, welchcs von einem Hohlorgane entweder direct nach Aussen (z. B. Thränensnckfistel) oder in ein anderes Hohlorgan führt (z. B. Blasenscheidenlistel); so nennen wir die Fistel eine l o c h f ö r m i g e , oder (nach R o s e r ) eine l i p p e n f ö r m i g e . In solchen Fällen ist nämlich die Schleimhaut des einen Hohlorgans mit derjenigen des anderen oder mit der äusseren Haut in derselben Weise verwachsen, wie an den Lippen die Mundschleimhaut mit der Gesichtshaut. Findet sich dagegen ein deutlich ausgesprochener F i s t e l g a n g , so haben wir es mit einer c a n a l f ö r m i g e n F i s t e l zu thun. Bei dieser lässt sich eine innere und eine äussere Oeffnung bestimmt unterscheiden. Die i n n e r e Oeflfnung einer canalförmigen. Fistel befindet sich gewöhnlich in der Mitte eines etwas verhärteten, ein wenig hervorragenden Ringes, am Häufigsten auf einer Schleimhaut, zuweilen auf der Spitze eines kleinen Hügels oder in einer Vertiefung versteckt zwischen Schleimhautfalten, seltner zwischen Narbensträngen. Selten sind statt einer inneren Oeffnung mehrere vorhanden. Die ä u s s e r e Oeffnung ist oft nur ungemein klein und eng, und daher schwer aufzufinden. Zuweilen ist sie von weichen, schwammigen Auswüchsen umgeben, welche bei der geringsten Berührung bluten;
350
Emühnings-Störnngeo.
auch kann sie auf einem rothen Höckerchen sitzen, welches bald conisch gestaltet, bald wie ein Polyp gestielt ist. In anderen Fällen findet sich die äussere Oeffnung im Grunde eines Trichters, welcher bald dadurch gebildet wird, dass die Fistelmembran (siehe u n t e n ) die Eigenschaft des Narbengewebes theilt, sich fort und fort zu verkürzen , bald d a d u r c h , dass die umliegenden Theile angeschwollen sind, während der Fistelgang selbst sich nicht verlängerte. Die äussere Oeffnung ist oft mehrfach. Der Verlauf der Fistel ist gewöhnlich nicht ganz geradlinig, manchmal im Zickzack, oft stark gewunden. Wenn mehrere äussere Oeffnungen bestehen, so ist die Fistel diesen entsprechend verästelt. Nicht selten finden sich im Verlauf der Fistel grössere Höhlen oder Ausbuchtungen, besonders wenn die Fistel alt oder aus mehreren zusammenfliessenden Abscessen entstanden ist. Fisteln, welche nicht auf der äusseren Haut m ü n d e n , sondern aus einer mit Schleimhaut ausgekleideten Höhle in eine andere führen, heissen C o m m u n i c a t i o n s f i s t e l n . Bei diesen könnte n u r von einer r e l a t i v äusseren und einer r e l a t i v inneren Oeffnung die Rede sein, je nach der leichteren Zugänglichkeit von Aussen her. Gewöhnlich sind dies aber lochförmige Fisteln. Der Fistelgang ist von einer, der Abscessmembran (pag. 270) analogen Schicht, der F i s t e l m e m b r a n , ausgekleidet, welche auf den ersten Blick einer Schleimhaut ähnlich erscheint. Dieselbe ist lebhaft roth gefärbt wegen ihres Reichthums an Capillargefässen, secernirt einen mehr oder weniger schleimähnlichen Eiter, besitzt aber weder Zotten noch ein eigenes Epithelium. Zuweilen ist sie von einer Schicht verdichteten Bindegewebes, analog dem submucösen Bindegewebe, umgeben; gewöhnlich aber hängt sie sehr innig mit den umliegenden Theilen zusammen. Sie kann sich überall in den verschiedensten Geweben entwickeln. Geräth sie in Entzündung, so hört ihre Secretion entweder ganz auf oder wird doch verändert; während sie sonst fast unempfindlich ist. wird sie dann höchst empfindlich. Sie besitzt grosse Neigung, sich zu verkürzen, wie Narbengewebe; dagegen fehlt ihren einander zugewandten Flächen, wie Schleimhäuten, jede Tendenz zur Verwachsung unter einander. In der nächsten Umgebung von Fistelgängen findet sich gewöhnlich eine bedeutende Härte (Callosität), eine wahre Induration als Ausgang der chronischen Entzündung, welche in der Umgebung der Fistel entweder bestanden hat oder noch fortbesteht. Das Bindegewebe hat seine Dehnbarkeit verloren, erscheint auf dem Durchschnitte weiss opalisirend, zuweilen sogar speck artig.
351
Fistel.
Nicht selten in e i n e r
findet
man,
dass Fistelgänge Tür Flüssigkeiten nur
Richtung durchgängig sind: bald von Innen nach Aussen,
so dass also keine Luft einzudringen vermag (was nützlich sein kann), bald umgekehrt,
so dass die Entleerung
des Eiters und der ander-
weitigen in die Fistel einströmenden Flüssigkeiten dadurch ein Hinderniss erfahrt.
R o s e r hat auf die Anwesenheit ventilartiger Bildungen
als Grund dieser Erscheinung aufmerksam gemacht: bald bilden einzelne
Granulationswülste
schräge Richtung,
oder
Falten
in welcher
eine Art Ventil, bald hat die
der Fistelgang
die Haut
durchbohrt,
eine solche Wirkung, bald endlich beruht der Verschluss darauf, dass die eine Fistelöffnung
sich
auf der Höhe eines Granulationshaufens
befindet, dessen Compression durch eine gegen ihn andrängende Flüssigkeit zugleich den Fistelgang selbst comprimirt'). Die Entstehung einer v o l l k o m m e n e n
Aetiologie. abgesehen
die Eröffnung oder doch Aussen,
Fistel setzt,
von den angeborenen Fisteln (vgl. Missbildungen), einer
ein
mit
Secret
Schleimhaut ausgekleideten,
enthaltenden Höhle voraus.
oder von Innen
her
erfolgen.
lässt sich nämlich zurückführen 1) Verwundung
eines
immer
secernirenden,
Diese kann
von
Die Entstehung einer Fistel
auf:
secernirenden
Organes
oder
eines
Aus-
führungsganges von Aussen her, bei denen die Heilung durch unmittelbare Verwachsung ganz oder zum Theil ausbleibt; 2) Durchbruch eines in der Nähe einer Drüse, eines Ausfuhrungsganges
oder überhaupt einer von Schleimhaut ausgekleideten Höhle
entstandenen
Abscesses durch die Wandungen
der gedachten Theile
nach Innen, wozu hauptsächlich die Lage eines Abscesses unter festen fibrösen
Häuten,
welche seinen Durchbruch nach Aussen
verhindern
oder doch verzögern, Veranlassung giebt; 3 ) Zerreissung von Ausführungsgängen u. s. w. und Erguss ihres Inhaltes in das sie umgebende
Bindegewebe;
4) Verschwärung auf der Schleimhaut eines der genannten Organe, und
welche nach und nach die Wandungen
desselben
endlich, in gleicher Weise wie eine Zerreissung,
des Inhalles
durchfrisst
zum
Erguss
und der daraus hervorgehenden Verschwärung bis zur
Durchbohrung der äusseren Haut Veranlassung
giebt.
Letztere
Ent-
stehungsweise wird besonders begünstigt durch jedes der Entleerung des Secrets auf dem natürlichen Wege entgegentretende Hinderniss. Verengerung eines Ausführungsganges begünstigt überhaupt Entstehung ')
Vgl.
der Fisteln
Roser,
gische
Uelier
Heilkunde
Abscess-
185t),
die
auf dem Wege zwischen dem absondernden und
Fislelk läppen,
Heft 3 . pag. 3 4 9
u.
f.
iin Archiv
für
physiolo-
352
Eroäbruogs-Stürungen.
Organe und der verengerten Stelle, durch Steigerung des Druckes, unter welchem der Inhalt des Ganges und somit auch die Wand desselben diesseit der verengten Stelle sich befindet. Mag die eine oder die andere Art der Entstehung Statt haben, so sind in Bezug auf die Ausbildung der Fistel dreierlei Möglichkeiten gegeben: 1) es entsteht sogleich eine v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch Verwundung, oder durch gleichzeitigen Durchbruch eines Abscesses nach Aussen und nach Innen; 2) es entsteht zuerst eine i n n e r e u n v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch Verschwärung von der Schleimhaut aus, oder durch Zerreissung eines Ausfiihrungsganges; 3) es entsteht zuerst eine S ü s s e r e u n v o l l k o m m e n e F i s t e l , z. B. durch eine bis in die Nähe der secernirenden Höhle vordringende Verwundung, oder durch einen in der Nähe derselben entstandenen, aber zuerst nach Aussen durchbrechenden Abscess. Wie in den beiden zuletzt erwähnten Fällen können durch weiter fortschreitende Verschwärung aus den unvollkommenen Fisteln vollkommene werden. Für die Entstehung vieler Fisteln ist die Einwirkung eines corrodirenden Secrets, bei anderen das Bestehen einer Dyskrasie von Bedeutung. Schleimhaut-Verschwärungen beruhen oft auf Dyskrasien. Wunden ohne Substanzverlust und ohne Quetschung der benachbarten Theile haben nur unter dem Einflüsse eines corrodirenden Secrets, einer Verengerung oder einer Dyskrasie Fistelbildung zur Folge. Proguose. Je wichtiger das Organ ist, mit welchem die Fistel communicirt, je nothwendiger für das Leben die Flüssigkeit, welche durch sie ausfliesst, desto grösser sind die Gefahren. Die Aussicht auf Heilung ist desto besser, je kleiner und je jünger die Fistel ist, je leichter dem durch sie sich ergiessenden Secret vollständiger Ablluss auf dem normalen Wege verschallt werden kann, je weniger endlich das Allgemeinbefinden und die Ernährung des Kranken, sei es durch eine Dyskrasie oder anderweitig, gestört wird. Ohne KunsthUlfe heilt eine lochförmige Fistel niemals, eine canalförmige nur, wenn ihre ätiologischen Momente erloschen sind und eine Hinreichend stark fortschreitende Narbenverkürzung in ihr zu Stande kommt. Behaudlaug. Um eine Fistel zum Verschluss zu bringen, muss man in der Regel einer Seits den normalen Ausfllhrungsgang des durch die Fistel abfliessenden Secretes wieder durchgängig machen, erweitern, zuweilen wohl gar an die Stelle des verschlossenen oder verengerten natürlichen Ausführungsganges einen neuen setzen, in manchen Fällen das zuleitende Stück desselben verschliessen; anderer Seils aber die Fistelwände zur Vereinigung geschickt machen. Es sind daher meist operative Eingriffe von bald grösserer, bald gerin-
Fistel.
gerer
Bedeutung zur Heilung d e r
353 Fisteln
nothwendig.
Namentlich
müssen die lippenförmigen R ä n d e r d e r Loch-Fisteln a b g e t r a g e n , somit in W u n d r ä n d e r
verwandelt (angefrischt) u n d dann d u r c h Nähte ver-
einigt w e r d e n ; Fistel-Canäle m u s s m a n nicht blos im i n n e r e n , s o n d e r n auch
im weiteren
Umfange wiederholt kauterisircn,
um durch E r r e -
g u n g concentrischer N a r b e n v e r k ü r z u n g den Verschluss (allmälig) h e r beizuführen.
Liegt der
(durch
das
draht),
u m ihn
Fistelgang oberflächlich, so spaltet man ihn
Messer, die U n i s c h n ü r u n g
glühenden
Platin-
d u r c h Granulationsbildung heilen zu lassen.
o d e r den
Wenn
diese Operationen mit Sicherheit einen guten
Erfolg erwarten lassen
und eine Gefahr f ü r das Leben des K r a n k e n dabei nicht zu b e f ü r c h ten
ist, so w ü r d e es thöricht sein, statt derselben
lische
Behandlung,
welche v i e l l e i c h t ,
eine pharniaceu-
a b e r n u r auf grossen
Um-
wegen, zu demselben Ziele führen k ö n n t e , v o r h e r zu versuchen. Soll man
aber alle Fisteln
operiren ?
ist es ü b e r h a u p t zweck-
mässig, alle zu h e i l e n ? Veranlasst
die Fistel einen
bedeutenden
Verlust
einer
für das
Leben nöthigen Flüssigkeit, so m u s s man sie unter allen Umständen zu
heilen
Fisteln.
suchen. Andere
Hierher gehört die Mehrzahl der Darm- (Koth-) Fisteln
werden
dem
Kranken
selbst
und
seiner
Umgebung so ekelerregend und machen ihm das Leben so u n e r t r ä g lich, dass auch eine eingreifende Operation llecht
gewünscht
Hierher gehören
und
von dem
abermals
Arzte
von
mit
die Kothfisteln,
dem Leidenden
Rccht
empfohlen
aber auch
llarnfisteln, besonders die Blasenscheidenfisteln.
Auch
die
mit wird.
meisten
Spcichelfisteln
und Thränenfisteln können dem Kranken so widerwärtig und ekelhaft werden, dass er selbst ihre Beseitigung auf operativem W e g e wünscht, — ein W u n s c h , dem um so mehr zu willfahren ist, als die Operation beider ungefährlich zu sein pflegt. Diejenigen Fisteln dagegen,
von welchen
man (meist
ohne
zu-
reichen G r u n d ) voraussetzt, dass sie z u r Ableitung eines k r a n k h a f t e n Stoffes (den
Fontanellen
ähnlich) d i e n e n , soll m a n , nach der / l u r c h
den Volksglauben gestützten Lehre älterer Autoritäten, denen sich auch einzelne Neuere anschliessen, nicht operiren.
W e n n z. B. ein älterer
Mann an einer Mastdarmfistel, gleichzeitig a b e r an irgend einer inneren Krankheit, einem Gefühle von S c h w e r e im Kopf, Husten, keit, t r ä g e r Verdauung, oder
dgl. leidet, so hält m a n
U n t e r d r ü c k u n g der habituellen Mastdarmfistel zu o p e r i r e n . dürfen, w e n n wesentlich
Secretion
Wir
würden
Kurzatmig-
es wegen d e r
für lebensgefährlich,
seine
dieser Ansieht beipflichten
mit dem Auftreten der Fistel die übrigen Leiden sich
gebessert h ä t t e n , obgleich
Ii ur ü e I c Ij e» , Cliil'Uigic. 7. Aull. I.
dies auch
noch
ein zufälliges 23
354
Ernährungs-Störungen.
Zusammentreffen sein könnte. Bestehen aber die Übrigen Leiden n e b e n , so zu sagen, t r o t z der Fistel unverändert fort, so liegt auch kein Grund vor, die Fistel nicht zu beseitigen, sofern die Operation nicht bestimmte Gefahren von vielleicht individuell grosser Bedeutung herbeiführt. Wäre es z. B. erforderlich, ein bejahrtes Individuum, welches an Uebeln leidet, die durch dauerndes Liegen verschlimmert werden, in Folge der Operation für lange Zeit das Bett hüten zu lassen, während es mit der Fistel umhergehen kann, so müsste man eine solche Operation gewiss unterlassen, nicht wegen der Gefahren, die aus der Heilung der Fistel entspringen würden, sondern wegen der Gefahr des längeren Stillliegens. Wäre vorauszusehen, dass eine Fisteloperation bei einem Schwindsüchtigen Fieber zur Folge haben könnte, so würde man eine solche Operation ganz ebenso entschieden zu unterlassen haben, wie jede andere, durch welche Fieber entstehen könnte.
355
Organisirte Neubildungen.
Dritter Abschnitt. Neoplastische Processe. Organisirte Neubildungen. Pseudoplasmata. Geschwülste.') Emtei
Capitel.
Allgemeine Uebersicht. Unter „ N e u b i l d u n g e n " oder „ F r e m d b i l d u n g e n " im weitesten Sinne werden alle diejenigen fremdartigen Gebilde verstanden, welche in unserem Organismus, sei es durch Zellenbildung, sei es durch Bildung von Niederschlägen und Concretionen aus den Flüssigkeiten desselben, entstanden sind. Man hat sie daher auch als » r e l a t i v fremde Körper" den fremden Körpern ( A l l e n t h e s e s , nach Ph. v. W a l t h e r ) beigezählt. Diejenigen, welche eine organische Textur nicht besitzen (Steine oder Concremente), werden wir, da sie gewöhnlich nur in Secreten entstehen, bei der Untersuchung der Krankheiten der einzelnen Secretionsorgane, besonders der Harnorgane, beschreiben (s. Buch III). Dagegen sollen diejenigen Neubildungen, welche nicht blos in chemischer Beziehung, sondern auch in Bezug auf ihre Structur und Textur als organische Körper erkennbar, also „ o r g a n i s i r t " sind, hier im Zusammenhange beschrieben werden, da sie eine grosse Reihe von gemeinsamen Eigentümlichkeiten darbieten, welche von dem Gewebe oder dem Theil, in welchem sie entstehen, in vielen Beziehungen ganz unabhängig sind. Die o r g a n i s i r t e n N e u b i l d u n g e n zerfallen in zwei Gruppen, von denen die eine die zwar lebenden, vegetirenden, aber nicht belebten Gebilde, die andere die als Parasiten im menschlichen Körper vorkommenden Thiere (soweit zu ihrer Heilung chirurgische Hülfe nöthig ist) umfasst. Die Zusammenstellung beider in e i n e m Abschnitte erscheint um so mehr gerechtfertigt, als ein aller, durch viele Autoritäten sanetionirter Gebrauch neben den „parasitischen Thieren" jene als „ p a r a s i t i s c h e G e w ä c h s e (oder Geschwülste)" in die chirurgische Systematik eingeführt hat. Die Seltenheit der ersteren und das vorherrschende Interesse, welches die parasitischen Gewächse ' ) Für diesen ganzen Abschnitt ist das noch niebt vollendete Werk
von
Virchow,
„Die krankharten Geschwülste", Berlin, 1 8 6 3 u. f., von der grössten B e d e u t u n g . — Vom neuesten S t a n d p u n k t e bat A. L ü c k e die „ L e h r e sten"
ebenso vollständig als bündig
und B i l l r o t h
Bd. II, pag. 1 — 4 9 0 .
bearbeitet
von
den
Geschwül-
in dem' Handbuch von
(1867—09.)
23*
Pitha
356
Ernäbrungs-Störungen.
( N e o p l a s m a t a ) für die Chirurgie darbieten, veranlasst uns, diesen Abschnitt wesentlich den letzteren zu widmen und die parasitischen Thiere nur in einem Anhange zu berücksichtigen. Unzählig, wie die Namen dieser o r g a n i s i r t e n F r e m d b i l d u n g e n ' ) , sind die Versuche, eine allgemein gültige und genaue D e f i n i t i o n derselben zu geben. Die grossen Schwierigkeiten, a u f w e i c h e man hierbei stösst, liegen besonders darin, dass eine neue Bildung organischer Theile, welche man als charakteristisch für diese „ N e u bildungen" anzusehen geneigt war, auch bei dem physiologischen Vorgange der Regeneration und bei der Narbenbildung J ) Statt findet, während die Vermehrung des Volumens der Theile ebenso wenig charakteristisch für sie ist, da die auf seröser Infiltration, Blutstauung und Entzündung beruhenden Schwellungen, welche doch nicht mit zu ihnen gerechnet' werden sollen, dieselbe ebenfalls darbieten. Es lässt sich in der That, um den Begriff „organisirte Neubildungen" zu definiren, nur eine Umschreibung desselben geben, indem man sagt, sie seien dem Organismus fremdartige, oder zu seinem Typus nicht gehörige Gebilde, welche eine mehr oder weniger vollkommene Organisation zeigen und nach Analogie der normalen Organe des Körpers entstehen, wachsen und ernährt werden. Dabei bleibt aber ein grosser Theil der C y s t e n ausgeschlossen, welche in der That „Geschwülste" im chirurgischen Sinne sind, aber keine Neubildungen, wie wir dies bei ihrer speciellen Beschreibung nachweisen werden. Die nächste Ursache aller Neoplasmen ist eine dauernde, örtliche Ernätirungs-Anomalie, ein permanent perverser Wachsthumsprocess, der nur mit dem Zerfall seines Productes endet. Auch die chronische Entzündung beruht auf einer andauernden Störung des Nutritionsprocesses; aber ihre Producte erlangen weder die Selbstständigkeit der „Neubildungen", noch haben sie einen solchen cyklischen Lebenslauf. Trotz ihrer grossen Mannigfaltigkeit, ') Ausser den schon erwähnten erwähnen.
stimmen
die organisirten
in der Ueberschrift dieses Abschnittes und im Texte bisher
Namen sind als die gebräuchlichsten In Deutschland:
krankhafte
Synonyma
Geschwülste
noch und
folgende
zu
Auswüchse
oder schlechtweg G e s c h w ü l s t e , T u m o r e s , A f t e r b i l d u n g c n ,
Pseudorga-
n i s a t i o n e s ; in Frankreich: Lésions
oder
accidentels
und Dégénérescences;
„Entartung, gebraucht; stehenden
organiques,
Tumeurs
in England: T u m o r s .
D e g e n e r a t i o " wird zuweilen als synonym mit
mehrere Gewebe
Neubildungen",
Autoren in
andere
aber
Tissus
— Der Name
„Neubildung"
wollen darunter eine Umwandlung der
verstanden
wissen.
pag. 338.
*) Vgl. weiter unten „Neubildung von liindegewebe*.
Vgl.
„Entstehung
beder
Organisirle Nrubildnngen. Neubildungen doch alle darin überein, phologischen
Elementen
357
dass sie aus denselben
zusammengesetzt
sind, welche
morwir im
gesunden Körper vorfinden, und sich in gleichem Bildungsgange entwickeln,
wie
die
wickelungsdauer
normalen ihrer
Gewebe.
In
Elementartheile
der Anordnung weichen
die
und
Ent-
verschiedenen
Neubildungen wesentlich sowohl von den normalen Organen, als auch von
einander
ab.
Daher lässt sich
denn auch auf die verschiedene
T e x t u r der Pseudoplasmen sehr wohl eine Eintheilung derselben gründen, wie dies in unserer weiteren Darstellung zu erläutern sein wird. Von
grosser
Bedeutung
ist
es sowohl
in theoretischer
praktischer Beziehung, dass die morphologischen Elemente bildungen
denselben
Umwandlungen
(man
könnte
als in
der
gradezu
Neusagen:
Krankheitsprocessen) unterliegen können, wie diejenigen der normalen Organe des Körpers, namentlich also den sogenannten
regressiven
Metamorphosen:
Degeneration,
der
fettigen, colloiden,
ainyloiden
der schleimigen Erweichung, der Verkalkung (Vcrkreidung) und Verknöcherung; der
ausserdem
Umwandlung
scheint in ihnen noch eine besondere Form
vorzukommen,
welche
„hyaline D e g e n e r a t i o n " bezeichnet hat, der
colloiden
Entartung
man
in
neuester
Zeit
als
welche aber von Anderen mit
für übereinstimmend
erklärt
wird.
Nimmt
man hinzu, dass in Geschwülsten auch häufige Ektasien und Zerreissungen
der
in ihnen vorhandenen Gefässe,
daher auch Blutungen,
dass
ferner Entzündung, dass Verschwärung und brandige Zerstörung, bald auf Grund
äusserer
E i n f l ü s s e , bald- in Folge ihres
Entwickelungsganges,
in
ihnen
vorkommen k ö n n e n ,
eigenthümlichen so ergiebt
sich
leicht, wie gross die Mannigfaltigkeit dieser Bildungen sein muss und wie schwer es im einzelnen F a l l e werden kann, die richtige Deutung zu
finden.
Structur
Ueberdies
sich
können
mit einander
Form in die andere
nicht blos Geschwülste
combiniren,
Die c h e m i s c h e
Zusammensetzung
Verschiedenheiten
Gewebe.
Faserstoff,
von
der Neubildungen derjenigen
Käsestoff, F e t t ,
welche beim
Kochen
auch die gewöhnlichen
Leim
der
diejenigen
und Knorpelleim liefern,
Salze (überhaupt die unorganischen
zeigt
normalen
die sogenannten
tractivstoffe (also wahrscheinlich Kreatin), ferner zen,
verschiedener
es kann auch eine
übergehen.
keine wesentlichen Eiweiss,
sondern
Ex-
SubstanPigmente, Bestand-
t e i l e des thicrischen Körpers), besonders auch Kochsalz und phosphorsaurer Kalk, endlich W a s s e r in mehr oder weniger grosser Quantität sind
durch
worden.
die chemische
Analyse in ihnen bestimmt
nachgewiesen
Aus den Verhältnissen, in welchen verschiedene Neubildungen
die genannten
näheren
B e s t a n d t e i l e enthalten, lassen
sich
Schlüsse
358 in
Ernährungs-Slörungen.
Betreff ihrer Fremdartigkeit überhaupt, so wie in Betreff i h r e r be-
sonderen Qualität vor der Hand nur mit grosser Vorsicht ziehen. Entstehung
der
Neubildungen.
Die Neubildungen entstehen überall a u s d e n z e l l i g e n E l e m e n ten
der
normalen
scheinungen Statt
Gewebe1),
finden.
ohne dass hierbei Entzündungser-
Entzündung tritt überhaupt in dem ganzen
Verlaufe der Pseudoplasmen nur als eine sekundäre Erscheinung auf. Bei weiterem Wachsthume drängt das Pseudoplasma die Gewebe seines Mutterorganes oder diejenigen der benachbarten Organe auseinander, bedingt durch Druck Atrophie derselben und wird endlich, stetig fortschreitend, als eine G e s c h w u l s t sinnlich wahrnehmbar. Ob Pseudoplasmata auch durch U m w a n d l u n g a n d e r e r
nor-
m a l e r G e w e b s t h e i l e ausser den Zellen entstehen können, ist mindestens zweifelhaft.
Die von S c h u h 2 )
zur Stütze dieser
Ansicht
aufgeführten Beispiele beziehen sich theils auf die auch anderweitig bekannte rUckschreitende Metamorphose der normalen Gewebe, z. B. die Umwandlung der Muskeln oder der diesen analogen
wie
Ring-
faserhaut der Arterien in Fett, theils auf die Verknöcherung der Gelenkknorpel und dergl. mehr, wobei überall eine Zellenbildung oder überhaupt die Entwickelung eines neuen Gewebes nicht nothwendig ist.
Auch meine eigenen Beobachtungen von F e t t z e l l e n
innerhalb
der Scheide (Sarcolemma) der Primitivmuskelbündel bei der sogenannten fettigen Entartung der Muskeln 3 ) und kernhaltiger Zellen in Primitivmuskelbündeln, welche einem grossen Epithelialkrebse zunächst l a g e n 4 ) , aus denen ich früher die Möglichkeit deducirt habe, dass fertig gebildete Gewebselemente wieder verflüssigt und solcher Gestalt zum Blastem für anderweitige Formelemente (insbesondere und zunächst Zellen) werden könnten, scheinen mir, nach den jetzt vorliegenden Erfahrungen, eine andere Interpretation zuzulassen. Als eine weitere Quelle zur Entstehung von Neubildungen sind ' ) Vgl. V i r c h o w ,
Specielle Pathologie, Bd. I. pag. 3 2 6 u. folg., woselbst auch die
Literatur angegeben ist. — P o h l , Virchow,
in Virchow's Archiv, 1 8 5 5 , Bd. VIII, pag. 3 4 8 .
Cellularpathologie, 3 . Aufl. Berlin, 1 8 6 2 .
—
—
Dass auch ausgewanderte
„weisse Blutkörperchen" die Grundlage für Geschwulstbildungen
werden können,
lässt sich zur Zeit ebensowenig in Abrede stellen, als beweisen. ' ) Ueber die Erkenntniss der Pseudoplasmen. a
) J e n a ' s c h e Annalen.
') Lebert
2 . Band.
Wien, 1 8 6 t , pag. 5 .
1. Heft.
(Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Chirurgie e t c .
1 8 4 8 , pag. 2 1 6 u. 2 5 6 ) hat schon f r ü h e r
Berlin,
„zuweilen Krebszellen im Inneren von
Muskelcylindero abgelagert gefunden, namentlich im Zungenkrebs."
Organisirte
Neubildungen.
359
auch B l u t p f r o p f e und B l u t g e r i n n s e l innerhalb der Gefässe angesehen worden. Hierher gehören die „ V e n e n k r e b s e " von V e l p e a u , V i r c h o w u . A . Die Untersuchungen R e i n h a r d t s 1 ) über die Metamorphosen der Blutpfröpfe machen die directe Umwandlung derselben in Gewebselemente sehr zweifelhaft, da er der Entwickelung solcher an der Stelle des Blutpfropfs immer eine Resorption desselben vorhergehen sah. Vielleicht sind aber in solchen Fällen die Zellen, aus denen man die Neubildung zusammengesetzt findet, Abkömmlinge der Blutkörperchen (namentlich der farblosen), die in dem Thrombus enthalten waren. Jedoch können auch lebensfähige Zellen aus einem im Körper bereits bestehenden Pseudoplasma durch corrodirte Gefässwandungen in den Blutstrom gelangen und, wo durch Enge der Gefässe die weitere Fortbewegung gehindert ist, ihre Entwickelung fortsetzen und zur Entstehung eines Pseudoplasma im Inneren der Gefässe Veranlassung geben. Das Experiment von B. L a n g e n b e c k " ) , welcher durch Einspritzen von Krebssaft in die Venen von Hunden Krebsgeschwülste in den Lungen zur Entstehung brachte, ist dieser Ansicht günstig. W e r n h e r 3 ) fand bei einem 22jährigen Manne, welchem wegen eines geftissreichen Krebses der Tibia der Oberschenkel amputirt w a r , die in einen Brandherd eingeschlossenen Aeste der Lungenarterie mit Thromben erfüllt, in denen zahlreiche Krebszellen von derselben Beschaffenheit wie in der Geschwulst der Tibia entdeckt w u r d e n ; V o g e l fand in demselben Fall auch Krebszellen im Blut aus dem rechten Ventrikel. Die Verstopfungen der Lungenarterie machten den Eindruck, als ob ihre Bildung von den feineren Verzweigungen (in Folge der Verstopfung durch Krebszellen) ausgegangen wäre. Mit Sicherheit wird über diese Entstehungsweise nur durch mikroskopischen Nachweis der Krebszellen innerhalb der Capillargefässe zu unterscheiden sein. Dass übrigens nicht alle V e n e n k r e b s e aus krebsiger Degeneration von Thromben hervorgehen, sondern dass sie auch aus Entartung der Gefässwand, namentlich durch Hineinwachsen eines benachbarten Carcinonis, entstehen können, geht aus anderweitigen Beobachtungen hervor, wie solche namentlich von S i c k 4 ) zusammengestellt sind. Noch
vor
wenigen
>) D e u t s c h e K l i n i k , 1 8 5 t , N o . 2
) B. L a n g e n h e c k , Carcinomc
vom
Bd. XXV, p a g .
glaubte
man
in
der
Menschen
grossen
36.
U e b e r die E n t s t e h u n g d e s V e n e n k r e b s e s u n d die auf
Thiere zu übertragen,
in
Schmidt's
99.
») Z e i t s c h r i f t f ü r r a t i o n . Med. 4
Jahrzehnten
Neue F o l g e .
) B e i t r ä g e z u r L e h r e vom V e n e n k r e b s .
Bd. V, p a g . 1 0 9 .
Tübingen,
1862.
1854.
Möglichkeit, Jahrbüchern,
360
Ernährungsstörungen.
M e h r z a h l der Fälle das P l a s m a s a n g u i n i s , welches die normalen Gewebe tränkt, als die B i l d u n g s s t ä t t e und das B i l d u u g s m a t e r i a l (amorphes Blastem) der Neubildungen ansehen zu müssen. Diese „amorphen Blasteme" wurden in flüssige, feste, gallertige etc. unterschieden. Die f e s t e n Blasteme (die aber im Moment ihrer Entstehung doch auch flüssig gewesen sein müssen) sollten vor Allem die Grundlage zu pathologischen Neubildungen sein'). Die späteren Entwickelungsvorgänge in denselben (Zellen-, Faser-, Gefäss-Bildung, Zerfallen u. s. w.) müssten dann besonders von einer dem Blastem von Vornherein innewohnenden, differenten Qualität abhängig sein, so dass in einer ursprünglichen Anomalie der Blasteme die Verschiedenheiten der Neubildungen begründet wären. Indem man die Ursache dieser Anomalie entweder in einer Dyskrasie des „Gesamnitblutes" oder, bei Integrität der „Gesammtkrase" in einer durch Abänderung des Nerveneinflusses oder durch andere lócale Ursachen veränderten Mischung des Blastems an einer bestimmten Stelle suchte, mussten im ersten Falle die aus diesem Blastem hervorgehenden Neubildungen die symptomatische Erscheinung einer Allgemeinkrankheit sein, oder im zweiten Falle eine rein lócale Bedeutung haben. Dies war das Glaubensbekenntniss Derjenigen, welche die Entstehung einer Geschwulst stets von einer bestimmten Krase abhängig machten. Dieser Theorie fehlen aber sichere Anhaltspunkte gänzlich, da die Untersuchungen des Blutes nur q u a n t i t a t i v e Veränderungen der Bestandtheile desselben haben erkennen lassen, und überdies aus der Untersuchung amorpher Blasteme ein Schluss auf die Gebilde, welche aus denselben hätten entstehen k ö n n e n , nicht zulässig ist. Es liegt viel näher, die Entstehung pathologischer Neubildungen zunächst mit dem Process der Regeneration und Hypertrophie normaler Gewebe zu vergleichen. Hier zeigen sich die neu auftretenden Gewebselcmente in ihrer Qualität entschieden abhängig von der Localität, in welcher, oder — wie wir jetzt auch sagen können — von den Nachbargebilden, a u s welchen sie entstanden sind. Bindegewebe, Knochen, Nerven regeneriren ihre Substanzverluste; d. h. die in ihnen neu entstehenden Zellen werden bei normaler Ernährung wieder in Bindegewebe, Knochensubstanz, Nervengewebe umgewandelt®). J u l i u s V o g e l 3 ) deducirte aus diesen Erscheinungen das Gesetz der analogen Bildung: die Formelemente sollten in ihrer Qualität abhängig sein ' ) R o k i t a n s k y , Pathologische Anatomie. E r s t e Ausgabe. Vgl. die Krankheiten d e r einzelnen Gewebe (Bd. I I ) . 3 ) Pathologische Anatuinie, Bd. I, pag. 1 7 0 .
Bd. I, p a g . 1 3 9 , 1 4 1 .
Organisirle
von der Qualität d e r Gebilde, liefern.
361
Neubilduogen.
welche das Blastem zu ihrer Bildung
Danach w ä r e die Eigenthümlichkeit d e r Neubildung nicht von
der Beschaffenheit ihres Blastems, s o n d e r n von V e r ä n d e r u n g e n 111 den Eigenschaften der Gewebstheile, wclche das Blastem liefern und d a h e r auch ferner auf dasselbe iufluiren, a b h ä n g i g . änderungen
der zelligen
Seit wir a b e r die Ver-
Gebilde eines Organs als den Anfang
der
Neubildungen und die alten Zellen als die Mütter der neugebildeten kennen gelernt h a b e n , ist es noch leichter einzusehen, wie die k r a n k hafte Beschaffenheit der
Zellen u n d der aus ihnen
Gewebstheile sich weiter v e r e r b t .
hervorgehenden
Dabei scheint, nach den n e u e s t e n
U n t e r s u c h u n g e n , das Gesetz obzuwalten, dass keinerlei Zellen sich in beliebiger
(indifferenter) Weise weiter
dass alle n e u g e b i l d e t e n , genen
Zellen
aus den
entwickeln
können,
normal bestehenden
sich n u r zu solchen
Geweben
auszubilden
welche im E n t w i c k c l u n g s g a n g e desjenigen Keimblattes aus welchem die e r s t e r e n ursprünglich
sondern
hervorgeganvermögen,
gegeben
sind,
z u r Zeit
noch
entstanden.
A e t i o I o g i e.
Die allgemeine höchst dunkel.
Aetiologie der Neubildungen
z u n g des e r k r a n k t e n Theiles bezeichnet w e r d e n . disposition
ist
Als locale Veranlassung k a n n nur eine gewisse Rei-
ist h e r v o r z u h e b e n ,
e i b l i c h , zuweilen oder epidemischen
angeboren,
in m a n c h e n
Ursprungs
In Betreff d e r P r ä -
dass Neubildungen sind.
nicht
Fällen auch
Prädisponircnd
ganz
selten
endemischen
wirken
ferner:
f r ü h e J u g e n d und h o h e s Alter, übermässige Anstrengung u n d u n z w e e k mässige Nahrung, a u c h anderweitige S t ö r u n g e n der ganzen E r n ä h r u n g durch v o r a u s g e g a n g e n e
Krankheiten.
Verschiedenheiten
der
Neubildungen.
Bei allen E r ö r t e r u n g e n der verschiedensten Autoren ü b e r P s e u d o plasmen begegnen wir dem Bestreben, dieselben in G r u p p e n zu o r d n e n , besonders aber artigen
bestimmte
Unterscheidungsmerkmale
und b ö s a r t i g e n
Vom p r a k t i s c h e n
zwischen
gut-
gutartige
Ge-
Geschwülsten aufzustellen.
Gesichtspunkte n a n n t e man
schwülste (Tumores benigni) diejenigen, welche auf rein localen Vorgängen b e r u h e n , n u r d u r c h V e r d r ä n g u n g und Verschiebung der O r g a n e oder d u r c h Druck auf dieselben gewisse Functionen stören oder selbst a u f h e b e n und h i e r d u r c h
dem
Individuum schädlich,
vielleicht s o g a r
lebensgefährlich w e r d e n , einen nachtheiligen Einfluss auf die G e s a m m t Ernährung
direct g a r
nicht
ausüben,
auf die
Localitat,
in d e r sie
einmal entstanden sind, b e s c h r ä n k t bleiben u n d nach der Exstirpation
362
Ernâbrungs-Stôrungen.
nicht wieder entstehen. Diesen gegenüber wurden als b ö s a r t i g e Geschwülste (Tumores maligni) diejenigen bezeichnet, welche stetig wachsen und schliesslich erweichen (aufbrechen), an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Organen successiv auftreten, nach der Exstirpation an derselben oder an anderen Stellen wiederkehren (recidiviren), ein bestimmtes Allgemeinleiden bedingen und fast immer den Tod des davon befallenen Individuums herbeiführen. Zu e r s t e r e n rechnete man die F e t t g e s c h w u l s t (Lipoma), die S p e c k g e s c h w u l s t (Steatoma), die F a s e r g e s c h w u l s t (Fibroma), die verschiedenen B a l g g e s c h w ü l s t e ( C y s t e n , Lupiae), d i e K n o c h e n a u s w ü c h s e (Exostoses), die G e f ä s s - G e s c h w ü l s t e (Aneurysma, Varix, Teleangiectasia), sowie die P o l y p e n , später auch die K n o r p e l g e s c h w u l s t (Enchondroma), welche erst durch mikroskopische Untersuchungen unterscheidbar geworden war und früher wahrscheinlich zumeist unter dem, nur nach Consistenz und äusserem Ansehen (nicht wegen Fettgehaltes) so genannten S t e a t o m subsumirt wurde. Der Repräsentant der b ö s a r t i g e n G e w ä c h s e war von jeher der K r e b s (Carcinoma, Cancer), so dass man „bösartig" und „krebsig" noch bis in die neueste Zeit als Synonyma gebrauchte; weiterhin wurde der M a r k s c h w a m m (Fungus inedullaris) vom Krebs, dem man den Ursprung aus einem harten Knoten (Scirrhus) vindicirte, gesondert, auch das S a r c o m hierher gezogen und der T u b e r k e l , den bis dahin nur die innere Medicin berücksichtigt hatte, auch Seitens der Chirurgie den bösartigen Neoplasmen zugezählt. Diese p r a k t i s c h wohlbegründcte Eintheilung hat man auch vom h i s t o l o g i s c h e n Standpunkte festzuhalten und sonach für die Gruppen der gutartigen und bösartigen Geschwülste, insbesondere auf Grund m i k r o s k o p i s c h e r Untersuchungen, Unterscheidungsmerkmale aufzustellen sich bemüht. Namentlich glaubte m a n , nach dem Vorgange von L o b s t e i n 1 ) , die gutartigen Geschwülste als H o m ö o p l a s i e n , die bösartigen als H e t e r o p l a s i e n (heterologe Gewebe) bezeichnen zu k ö n n e n ' ) . H o m ö o p l a s i e n sollten die ersteren genannt werden, weil sie nur o^toia, d. h. nur solche Gewebs-Elemente enthielten, welche denen des normalen Körpers gleichartig seien, während den letzteren der Name H e t e r o p l a s i e n zukomme, weil ihre Elementartheile durchaus andere seien, als die der normalen Gewebe. Wie wenig eine solche Unterscheidung vom histologischen Standpunkte aus zu rechtfertigen ist, darüber hat schon J. M ü l l e r in seinem klassischen ' ) Traité d'aaatomie pathologique, Paris, 1 8 2 9 u . f. (unvollendet). 2
) Vgl. V o g e l , Pathologische Anatomie, Bd. I. pag. 1 7 1 .
363
Organisirte Neubildungen.
Werke Uber die Geschwülste entschieden 1 ). „Die Structur der gutartigsten Geschwülste ist in Hinsicht der feinsten Elemente und der Genesis durchaus nicht vom Krebs verschieden." — „Das Carcinom ist kein heterologes Gewebe und die feinsten Theile desselben unterscheiden sich nicht wesentlich von den Gewebstheilen gutartiger Geschwülste und der primitiven Gewebe des Embryo." — „Ebenso wenig besitzt das Carcinom ihm eigenthümliche chemische Bestandt e i l e " . — L e b c r t ' ) behauptete dagegen, die den Krebs zusammensetzenden specifischen „Krebszellen" besässen so distincte Charaktere, dass sie von jedem anderen physiologischen oder pathologischen Gewebe bestimmt unterschieden werden könnten. Dein ist jedoch nicht also. Viele ächte Krebszellen sind den Zellen der Uebergangsepithelien (z. B. im Harnleiter, im Nierenbecken etc.), auch jungen Epithelialzellen und manchen Leberzellen so ungemein ähnlich, dass es auch dem geübtesten Auge unmöglich ist, sie von diesen zu unterscheiden, der Embryonalgewebe gar nicht zu gedenken. A b e r es g i e b t a l l e r d i n g s k e i n n o r m a l e s G e w e b e , in w e l c h e m d i e s e Z e l l e n g e r a d e in d i e s e r A n o r d n u n g u n d M e n g e , b e g a b t m i t e i n e m s o r a s c h e n W a c h s t h u i n e , b e s o n d e r s e i n e r so s t e t i g e n u n d üppigen, endogenen Vermehrung u n d E n t w i c k e l u n g so g r o s s e r K e r n e s i c h v o r f a n d e n , wie es in bösartigeil Geschwülsten der Fall ist. Mit Recht lehrt daher V i r c h o w 3 ) , dass man statt von H e t e r o p l a s i e vielmehr von H e t e r o t o p i c , H e t e r o e h r o n i e und H e t e r o m e t r i e sprechen müsse. Die Gewebs-Elemente der bösartigen Gewächse sind nämlich, wenn auch gewissen normalen Geweben analog, doch an einer Stelle entstanden, an welcher sie im gesunden Körper nicht vorkommen, oder in einer Lebensperiode entwickelt, der sie gar nicht oder doch nicht an dieser Stelle zukommen, oder sie finden sich endlich in einer von der Norm abweichenden Grösse und Menge. Deshalb wird im einzelnen Falle die Unterscheidung durch das Mikroskop wohl möglich sein, wenn man nur neben der Qualität der Gewebselemente auch die Stelle, das Lebensalter, die Anordnung und Verbindung, in der sie sich finden (so zu sagen die organologische Structur), berücksichtigt; für eine allgemein endgültige Eintheilung der Geschwülste auf Grund der hisiologischen Charaktere gilt aber auch heute noch J. M ü l l e r ' s Ausspruch. Ja wir müssen sogar zu*) D e b e r
den
schwülste.
feineren
Bau
und
die
Formen
der
krankhaften
Ge-
1. Lief. Berlin, 1 8 3 8 . pag. 8 . 2 6 , 2 7 .
2
) Physiologie pathologique, pag. 2 5 4 und I. c. an verschiedenen
3
) Handbuch der specielten Pathologie u. Therapie. (3. Aufl., Berlin, 1 8 6 2 ) pag. 6 0 .
Bd. 1. ( 1 8 5 4 ) .
Stellen. Cellularpathologie
364
Ernährungs Störungen.
gestehen, dass Gewächse, die ihrer Structur nach im Allgemeinen zu den gutartigen gerechnet werden, dennoch nicht blos in grosser Anzahl in demselben Körper auftreten, sondern auch recidiviren und also in mancher Beziehung den bösartigen sich anschliessen können. Bei der genaueren Schilderung derselben wird sich ergeben, dass, wenn auch nicht an den soliden Gewebselementen, so doch in Betreff des Säftereichthums solcher Geschwülste wesentliche Differenzen gefunden werden. Je mehr das Gewebe eines Gewächses von Flüssigkeit getränkt, je saftreicher also die Geschwulst ist, desto grösser ist voraussichtlich ihre Bösartigkeit. Das Vorherrschen transitorischer Gewebe, der Zellen, scheint mit diesem Saftreichthum, und somit auch mit dem Grade der Malignität meist in geradem Verhältniss zu stehen. Die Zellen einer Geschwulst sind als die Verbreiter derselben anzusehen. Durch amöboide Bewegungen vermögen sie in die benachbarten, Gewebe einzudringen (dieselben zu infiltriren) oder Lymph- und Blulgefässwandungen zu durchbrechen und innerhalb der Gelasse dann mechanisch dem Laufe der in diesen strömenden Säfte zu folgen. Wohin sie aber auch gelangen und wo sie sich auch festsetzen, sie behalten ihre specifischen Lebenseigenschaften, produciren eine junge Brut gleichartiger, gleichfalls wieder zu activen und passiven „ W a n derungen" befähigter Zellen und werden so die Grundlage für neue, in den entferntesten Organen auftretende Geschwülste derselben Art. Eine solche Auswanderung ist nicht möglich, wenn die Geschwulst fest abgekapselt ist; sie ist um so eher begreiflich, je lockerer der Zusammenhang der Zellen ist. In vielen Fällen wird die gutartige Geschwulst daher schon für das blosse Auge durch ihre scharfe Abgrenzung (Abkaspelung) gegen die umgebenden Gewebe erkennbar. Je weniger deutlich diese Abgrenzung ist, desto mehr steigt der Verdacht der Malignität. Als p r a k t i s c h e Anhaltspunkte für die D i a g n o s e der Gutartigkeit oder Bösartigkeit von Geschwülsten am Lebenden giebt die ältere Chirurgie vorzugsweise folgende an. B ö s a r t i g e G e s c h w ü l s t e sind in der Regel schmerzhaft, besonders zur Nachtzeit, bald schon im Anfange, bald erst später. Die Schmerzen treten zumeist spontan, aber auch durch mechanische Eindrücke veranlasst, auf; sie werden als durchschiessende, blitzähnliche, weithin ausstrahlende beschrieben. Solche Schmerzen können aber bei den weichen Formen des Krebses sowie bei den Sarcomen trotz einer oft schon bedeutenden Grösse des Gewächses gänzlich fehlen. Liegt die bösartige Geschwulst nahe der Haut, so werden die über ihr liegenden Schichten fixirt, die Haut wird weniger verschieb-
Organisirle
bar,
da
365
Neubildungen.
es d e n b ö s a r t i g e n N e u b i l d u n g e n
thiimlich ist,
durch
die
Umgebungen
nilchsten
vor Allem
eigen-
d i f f u s e I n f i l t r a t i o n (Zellenwanderung) i n weiter
zu
wachsen.
Ihr W a c h s -
thuni ist gewöhnlich ein u n a u f h a l t s a m e s , wenn auch intermittirendes, bei weichen Krebsen und S a r c o m e n oft ein ü b e r a u s schnelles. W e n n eine bösartige Geschwulst sich bemerklich zu m a c h e n a n fängt,
so findet sich meist auch schon eine A n s c h w e l l u n g
b e n a c h b a r t e n (zugehörigen, regionären) L y m p h d r ü s e n .
der
In seltenen
Fällen ist diese Schwellung blos entzündlichen U r s p r u n g s ; meist wird sie d u r c h die E i n w a n d e r u n g zelliger Elemente aus der primären schwulst bedingt, welche in den L y m p h d r ü s e n weiter w u c h e r n .
Ge-
Daher
kommt die Anschwellung der L y m p h d r ü s e n auch ganz besonders von der Zeit ab zur B e o b a c h t u n g , w e i c h u n g " eingetreteil
wo innerhalb des Pscudoplasnia
„Er-
oder dasselbe ü b e r h a u p t stark mit Flüssigkeit
durchsetzt ist, w o d u r c h jedenfalls eine Lockerung der die Zellen sonst vielleicht inniger
verbindenden
Zwischcusubstanz
bedingt
und
den
Zellen also freiere Beweglichkeit gestattet wird. Bösartige
Geschwülste haben
in der
C e n t n u n aus o d e r an verschiedenen Stellen Fortschreilen
der
Erweichung
nach
der
Hegel die T e n d e n z ,
vom
zu „ e r w e i c h e n " .
Das
Peripherie
bringt
endlich
V c r s c h w ä r u n g der Haut, d. Ii. A u f b r u c h , und damit ein, allen Neilungsversuchen widerstehendes G e s c h w ü r weder
von
üppig
wuchernden,
zu S t a n d e , dessen G r u n d ent-
jedoch
immer
wieder
zerfallenden,
leicht b l u t e n d e n
Granulationen ausgefüllt ist, oder sich unter Zerfall
der u m g e b e n d e n
Gewebe
flächenhaft
ausbreitet.
Die
Absonderung
eines solchen G e s c h w ü r s ist jauchig, übelriechend, in Folge der Zersetzung der schwefel- und phospliorhalligen IVoteinstotfe und der Felle. Für die Bösartigkeit spricht analoger
Geschwülste
ferner das allmäligc E m p o r w a c h s e n
an verschiedenen
Stellen
des K ö r p e r s ,
wobei
sich eine gewisse Vorliebe m a n c h e r für bestimmte Organe in der Art zeigt, dass in d e n j e n i g e n Organen, welche zur primären Entwickelung einer
Geschvvulst b e s o n d e r s geneigt
s i n d , sehr selten s e c u n d ä r e Ge-
schwulstknoten a u f t r e t e n , welche im Gegentheil am Häufigsten in denen gefunden werden, wisse
welche gegen primäre Geschwulstbildung eine ge-
I m m u n i t ä t besitzen.
Das
gleichzeitige Vorkommen
mehrerer
solcher Gewächse deutet in d e r Regel schon jiuf eigenthiiniliche Verä n d e r u n g e n des ganzen Organismus, welche inan
unter dem Namen
der K a c h e x i e , D y s k r a s i e oder des M a r a s m u s
zusammenfasse
Lang d a u e r n d e s
Bestehen oder häufiges Recidiviren
eines
bös-
artigen Gewächses prägt dem d a r a n leidenden Individuum die Symptome eines tiefen E r k r a n k t s e i n s auf.
Das vorher relativ gesunde Aussehen
366
Ernäbrungs-Störongen.
verliert sich; Blässe, später eine graugelbliche Farbe und Magerkeit des Gesichts, besonders bei noch vorhandener Fettleibigkeit des übrigen Körpers, sind charakteristische Symptome. Wahrscheinlich sind alle diese Erscheinungen aus einer von Verbreitung der Geschwulstzellen durch den ganzen Körper abhängigen Störung der Ernährung abhängig. Mit der Steigerung und öfteren Wiederkehr der Schnierzanfälle, der Schlaflosigkeit, der fieberhaften Erregung verliert sich der Appetit; die Kräfte sinken. Je nach der Oertlichkeit und der auf ihr beruhenden Functionsstörung beschleunigen noch andere Zufälle (Blutungen, Verschliessung wichtiger Canäle u. dgl. m.) den Tod. S c h u h (I. c. pag. 2 1 ) bat versucht die Umstände anzogeben, u n t e r welchen auch eine bösartige Geschwulst als eine noch örtliche
zu betrachten sein soll: * a ) Wenn
eine deutlich nachweisbare äussere Veranlassung zu ihrem Entstehen b) Wenn
das Uebel v e r h ä l t n i s m ä s s i g
langsam wuchs,
c)
Wenn
aufzufinden ist.
die
benachbarten
Drusen gesund sind oder erst vor Kurzem zu schnellen anfingen, obschon das Mutterübel schon lange b e s t e h t , chung überging,
einen grossen Umfang e i n n i m m t , oder wohl gar in Erwei-
d) Wenn die Neubildung vereinzelt dasteht
gelegenen, den schädlichen Einflüssen ausgesetzten Tbeilen. in Bezug auf E r n ä h r u n g
u n d zwar an äosserlich e) W e n n das Individuum
und Colorit ein gutes Aussehen darbietet u n d sich in einem
L e b e n s a l t e r b e f i n d e t , wo die in Frage stehende Krebsform nicht vorzukommen pflegt, z. BT der epitheliale Zungenkrebs v o r dem 2 0 . L e b e n s j a h r e . " —
Geschwülste mit sol-
chen Charakteren wird man a b e r überhaupt nicht geneigt sein f ü r b ö s a r t i g e zu halten.
Wir werden im Nachstehenden bei der speciellen Darstellung zwar die „vorwiegend gutartigen" (Cap. II) und die „vorwiegend bösartigen Geschwülste" (Cap. III) sondern, im Uebrigen aber den anatomischen Unterschied als Eintheilungsgrund benutzen. Verlauf
der
Neubildungen.
Der V e r l a u f der Geschwülste ist gewöhnlich ein langsamer, chronischer; acuten Verlauf beobachtet man bisweilen bei einigen besonders bösartigen Krebsformen, zumal wenn sie als secundare Krebse oder Recidive erscheinen, d. h. entweder zu bereits vorhandenen Krebsgeschwülsten sich hinzugesellen, oder nach der Exstirpation einer solchen in anderen Organen auftreten. Im Allgemeinen ist das Wachsthum desto rapider, je jünger der Kranke, und die Neigung zum Zerfall (Aufbruch, Verschwärung) desto grösser, je reicher an Saft und an Zellen das Gewächs ist. Lócale Reizungen begünstigen das Wachsthum und bei sonst dazu disponirten Geschwülsten auch den Zerfall. Intercurrente Schwangerschaft kann das Wachsthum begünstigen 1 ), eine schwere Erkrankung dagegen scheint es zu hemmen. ' ) Vgl. A. L ü c k e
in
der Monatsschrift f. G e b u r t s k u n d e ,
H e s s e ebenda pag. 2 6 8 .
XIX. pag. 2 6 1 u. f. und
Organisirte Neubildungen.
Diagnostik
der
367
Neubildungen.
Wie man es versucht hat, die Diagnostik innerer Krankheiten zu fördern, indem man die von erfahrenen und berühmten Aerzten begangenen Irrthiimer sammelte und enthüllte, so würde auch eine Sammlung zweifelhafter oder falscher Diagnosen von Geschwülsten, die durch anatomische Untersuchung berichtigt w u r d e n , ein wesentlicher Beitrag für das Erkennen derselben am Lebenden sein. Um über die Gutartigkeit oder Bösartigkeit einer Geschwulst zu entscheiden, haben wir die hauptsächlichsten allgemeinen Anhaltspunkte bereits angegeben. Man muss sich aber in jedem Falle bemühen, nicht blos nach dem althergebrachten Schema über „gutartig" und „bösartig" ein Urtheil zu fällen, sondern ganz speciell die Art und Beschaffenheit der Geschwulst, das Stadium der Entwickelung, die in ihr etwa stattgehabten Metamorphosen sowie den allgemeinen Gesundheitszustand, namentlich auch die etwa bestehenden Störungen innerer. Organe möglichst genau zu ergründen. Immer müssen wir, auch auf diesem Felde, unsere Diagnose auf möglichst zahlreiche und zuverlässige, sinnlich wahrnehmbare Zeichen stutzen. Die G r ö s s e einer Geschwulst ist von Bedeutung, insofern gewisse Neubildungen nur einen bestimmten Umfang erreichen, wie Atherome, Ganglien, Neurome, während andere, wie Sarcome, Lipome, Enchondrome, ein fast unbegrenztes Wachsthum besitzen. Der Umfang mancher Geschwülste kann durch Compression der ihnen Blut zuführenden Arterien oder durch Druck auf die Geschwulst selbst vermindert werden, oder der Umfang wächst und fällt mit gewissen Respirations-Bewegungen, wie Schreien, Lachen, Stuhlentleerung. Im ersteren Falle muss die Geschwulst entweder sehr gefässreich sein oder eine mit dem Inneren einer Arterie communicirende Höhle enthalten (pulsirende Krebse und Sarcome, Aneurysmen); im zweiten Falle steht sie in Verbindung mit den durch die respiratorischen Bewegungen beeinflussten grossen Venen. Die O b e r f l ä c h e ist bald kugelig, rund oder oval (Balggeschwülste, Ganglien), bald birnförmig (Polypen), bald drusig-höckerig (Enchondrome, Cystosarcome). Die unebene, drusige, höckerige Oberfläche wurde früher viel zu allgemein als charakteristisch f ü r „ K r e b s " angegeben. — Die Form der Oberfläche richtet sich sehr wesentlich nach dem Bau und den normalen Umhüllungen des befallenen Organs. Hat das Carcinom den Umfang der Brustdrüse noch nicht überschritten, so ist es oft eine kugelrunde Geschwulst; ebenso sind einzelne krebsige Lymphdrüsen glatt u n d r u n d ; erst das Entstehen neuer Krebsknoten
368
Ernabruogs-Storuagen.
neben der befallenen Brustdrüse z. B., oder das Erkranken mehrerer benachbarter Lymphdrüsen giebt dem Ganzen eine drusige, höckerige Oberfläche. Die buckelige Obertliiche ist besonders den zusammengesetzten Cysten eigen, z. B. dem die Bauchwandungen hervordrängenden Colloid des Ovariums. Ein grosses Gewicht haben Viele auf die Erweiterung der Hautvenen Uber einer Geschwulst gelegt, als ein Zeichen ihrer Bösartigkeit; dieselbe findet sich aber bei g r o s s e n Geschwülsten immer, welcher Art sie auch sein mögen. Die A r t d e r V e r b i n d u n g mit den umgebenden Theilen hängt theils von der Qualität, theils von der Grösse der Geschwulst, theils von der normalen Verbindung ihrer Umgebungen ab. Die Bedeutung einer scharfen Abgrenzung wurde bereits (pag. 364) hervorgehoben. Mit der Haut sind Carcinome, sobald sie derselben nur einigermaassen nahe gerückt sind, gewöhnlich verwachsen. Dieses pralle Anliegen und die Fixirung der bedeckenden Haut findet aber auch bei Sarcomen und anderen Gewächsen zuweilen Statt, meist wegen der durch die Grösse der Geschwulst bedingten Spannung, seltener in Folge von Einreibungen reizender Salben und ähnlicher medicamentöser Einwirkungen. Nächst der Bestimmung des Zusammenhanges der Geschwulst mit ihren Nachbartheilen, ist die Ermittelung ihres A u s g a n g s p u n k t e s oder der Tiefe, bis zu welcher sie eindringt, von grosser Wichtigkeit. Hierüber lässt sich nur mit genauester Rücksicht auf die localen Verhältnisse etwas aussagen (vgl. die einzelnen Körpergegenden, Buch III). Die Begrenzung einer Geschwulst erscheint dem Auge oft anders als der tastenden Hand: man glaubt z. B. eine allmälig in die Umgebungen übergehende Geschwulst zu sehen, entdeckt aber durch den Tastsinn, dass sie scharf abgegrenzt ist, und umgekehrt. Höchst verschieden ist die C o n s i s t e n z und die E l a s t i c i t ä t der Geschwülste, von der Knochenhärte der Exostosen und der berühmten „Durities eburnea" der Krebsknoten (denen die Chondrome und Fibrome hierin jedoch nicht nachstehen) bis zur Weichheit der Lipome. Auch in dieser Beziehung giebt es viele Täuschungen. Es kann eine Geschwulst, welche Flüssigkeit enthält, wegen beträchtlicher Dicke ihrer Wandungen und strotzender Anfüllung ihrer Höhle nicht blos das Gefühl der Fluctuation gar nicht gewähren, sondern sogar recht hart erscheinen. Anderer Seits kann eine Fett- oder Colloidmasse zuweilen ein der Fluctuation sehr ähnliches Gefühl erzeugen. Hieraus crgiebt sich von selbst die Schwierigkeit, ein bestimmtes Urtheil über die Beschaffenheit des Inhalts einer fluctuirenden Gesehwulst z.u fallen. Die A c u p u n c t u r oder Punctionen mittelst
Organlsirte Neubildungen.
369
des P r o b e t r o i c a r t s (vgl. pag. 10 u. f.) sind dann oft hülfreich. Den weitesten Anforderungen entspricht der von W i n t r i c h angegebene Explorations-Troicart (Fig. 111 u. 112) 1 ), indem er nicht allein flüssigen Inhalt, sondern auch einzelne Partikelchen der Geschwulst zu einer m i k r o s k o p i s c h e n D i a g n o s e herausfordert. Von einer solchen ') Derselbe unterscheidet
sich von dem ge-
Fig. 1 1 ? .
wohnlichen Versuchstroicart durch zwei Ein-
Fig. 1 1 1 .
~
"
schnitte (e) in der Nähe der Spitze ( a ) des S t i l e t s , welches ausserdem u m einen Zoll länger ist als die Canüle.
Die letztere kann
durch einen Stellbaken (d) in der Art fixirt w e r d e n , dass sie die Einschnitte verdeckt (Fig. 111).
In
dieser Stellung wird
der
Troicart eingestossen, dann wird der Haken ( d ) zurückgeschlagen und die Caniile ( c b ) bis an den Handgriff zurückgezogen, so dass die Einschnitte des Stilets sich im Innern der Geschwulst frei bewegen können (Fig. 1 1 2 ) . Wird nun das Stilet in die Canüle zurückund demnächst ganz aus gezogen, so wird erstens eine etwa vorhandene
Flüssigkeit
durch die Canüle abfliesseu, zweitens aber auch,
wenn
die Geschwulst einen festen
Inhalt h a t , eine hinreichende Qualität von demselben in den Einschnitten (e) zurückbleiben,
um
eine mikroskopische
Unter-
suchung vornehmen zu können. Vgl. S c h u ster,
über Thorax-Geschwülste,
Erlangen
1 8 5 1 , pag. 5. In der Abbildung ist die Dicke des Troicarts
der
Deutlichkeit
D r i t t e l zu s t a r k Middeldorpf
wegen
um
ein
gezeichnet. und
Sedillot
haben
solche Troicarts auch in anderen Formen anfertigen
lassen.
Ersterer
hat n a m e n t -
lieh Stilets mit harpunenförmiger und mit
v \ V\
pfropfenzieberförmiger Spitze angegeben und diese Probetroicarts seinem a k i d o p e i r a »tischen
i!>Vr""" d
A p p a r a t einverleibt.
IE
S e d i l l o t nennt sein analoges Instrument „Troicart
kelectome".
Auch mit dem
gewöhnlichen
Versuchs-
troicart gelingt es, wenn man seine Canüle in einer
Geschwulst
ein
wenig
hin
und
her bewegt, gewöhnlich, hinreichendes Material f ü r die mikroskopische Untersuchung zu erhalten. B a r d e l e b e n , Chirurgie.
7 . Aull, I .
24
370
Ernähru 0£9-Störungea.
mikroskopischen Untersuchung wird man aber nur selten sichere Entscheidung erwarten dürfen, wie dies früher geschah, wo man jeder Zelle sogleich ansehen zu können glaubte, ob sie dieser oder jener Geschwulstart angehöre. Ist es doch oft schwer, die anatomische Diagnose sofort zu stellen, wenn die ganze Geschwulst vorliegt, da nicht blos die einzelnen Elementartheile derselben, sondern ihre organische Zusammenfügung erkannt sein wollen. Vgl. pag. 362 u. f. Von grosser Bedeutung ist, dass die Punction eines Gewächses, selbst mit dem feinsten Troicart, sehr oft, namentlich bei bösartigen Geschwülsten, eine sehr heftige Reaction hervorruft, die sich bald als Entzündung, bald als Erweichung oder Wucherung darstellt. Man muss deshalb, wenn man eine solche Probepunction unternimmt, auch auf die sofort oder doch sehr bald auszuführende Exstirpation der Geschwulst gefasst sein. Von Wichtigkeit ist oft die Bestimmung der F o r t s c h r i t t e d e s W a c h s t h u m s , welche eine Geschwulst macht. Zur Beurtheilung derselben genügt das Augenmaass nicht; es müssen genaue Messungen mit Hülfe des Tastercirkels oder, wo dieser sich nicht gut anwenden lässt, Messungen der Circumferenz des ganzes Gliedes oder überhaupt des Körpertheils, an welchem die Geschwulst sitzt, vorgenommen werden. — Die T e m p e r a t u r der verschiedenen Neubildungen ist bis jetzt noch nicht hinreichend untersucht worden. Die Untersuchung der F u n c t i o n s s t ö r u n g e n bildet weiterhin ein ergiebiges Feld, um über den Sitz einer Geschwulst in's Klare zu kommen. Dahin gehören Lähmungen oder weitausstrahlende Schmerzen im Gebiete derjenigen Nerven, die durch eine Geschwulst gedrückt werden, Herzpalpitationen oder asthmatische Erscheinungen durch Druck auf dep Vagus, Verengerung der Pupille bei Compression des Sympathicus am Halse, Behinderung des Schlingens bei Geschwülsten der Speiseröhre, der Urin- und Fäces-Entleerung bei denen des Ovariums und Uterus, u. s. f. Nicht minder wichtig ist die Art der S c h m e r z e n und der Grad d e r E m p f i n d l i c h k e i t : der Schmerz tritt entweder spontan oder nur nach äusseren Veranlassungen auf, bei Tage oder besonders bei Nacht (Krebse), immer einige Stunden nach der Untersuchung (Faserkrebs). Die Schmerzen waren zuweilen schon sehr heftig, als die Geschwulst noch sehr klein war (Faserkrebs). Sie sind drückend, ziehend, brennend, bohrend, blitzähnlich durchschiessend, durchfahrend, ausstrahlend nach verschiedenen Richtungen u. dgl. m. In Betreff der A u f e i n a n d e r f o l g e d e r S y m p t o m e ist besonders zu berücksichtigen: ob die Geschwulst im Anfange weich war
371
Organisirte Neubildungen.
und später hart wurde und umgekehrt, ob sie zuerst beweglich war und dann erst festsitzend, ob anfänglich schmerzhaft oder nicht, ob zuerst isolirt oder sogleich mehrfach auftretend, welche Functionsstörungen oder Krankheitserscheinungen überhaupt ihrer Entwickelung vorhergingen, sie begleiteten oder ihr folgten. Natürlich wird hier wie Uberall auf die Beschäftigung, den W o h n o r t , die hereditären Verhältnisse des an einer Geschwulst leidenden Subjectes, kurz auf die ganze Anamnese Rücksicht zu nehmen sein. Sobald eine Geschwulst exstirpirt ist, muss man die Diagnose zunächst durch eine möglichst g e n a u e a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g zu sichern suchen. Sehr oft reicht schon ein einfacher Durchschnitt hin. „Quillt von der Schnittfläche ein reichlicher dicklicher weisser Saft, so hat die Diagnose auf Krebs nie getäuscht 1 )." Dieser Satz darf aber nicht umgekehrt werden, denn jener weisse Saft fehlt bei vielen bösartigen Gewächsen. Auf der Schnittfläche gutartiger Geschwülste entleert sich gewöhnlich nur durch Druck eine durchsichtige, wässi'ige oder fadenziehende, klebrige Flüssigkeit. — Die Farbe u n d Configuration der Schnitt-, Bruch- oder Rissfläche, die Durchsichtigkeit dünner Schnitte, der Gefässreichthum, die Art der Anfügung der die Geschwulst umgebenden Bindegewebshülle, ob dieselbe Zwischenwände in das Parenchyrn der Geschwulst schickt oder nicht, Vergleichung der Consistenz der exstirpirten Geschwulst mit der vor ihrer Exstirpation beobachteten, vorsichtige Erforschung des Zusammenhanges von Cysten sowohl unter einander, als mit normalen o d e r erweiterten Gängen und Canälen (wenn es sich um Drüsen handelt) — dies Alles muss die Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. In vielen Fällen ist die Injection der Blutgefässe und die Imbibition mit Farbstoffen von grosser Bedeutung. Hieran schliesst sich dann weiter die m i k r o s k o p i s c h e U n t e r s u c h u n g , welche, wo möglich, mit einer c h e m i s c h e n zu verbinden ist, und für deren Gang die vorherige einfach anatomische Untersuchung schon Fingerzeige gegeben haben muss. Behandlung- Bei der Beschreibung der e i n z e l n e n Neubildungen wird näher nachzuweisen sein, in welcher Weise man eine Heilung derselben durch p h a r m a c e u t i s c h e Mittel, je nach der Natur derselben, versucht hat. Im Allgemeinen kann jedoch vorausgeschickt werden, dass sie mit wenigen Ausnahmen einer solchen Behandlung widerstehen, dass es nicht gelingt, „Geschwülste" zur Zertheilung (Resorption) zu bringen und dass gewöhnlich nur auf o p e r a t i v e m Wege die Beseitigung derselben zu erwarten ist. Nach der Ansicht mancher Aerzte soll man die Operation einer Geschwulst erst unter') B r u c h ,
Diagnose der bösartigen Geschwülste, pag. 3 6 5 .
24*
372
ErnShrungg-Störungra.
n e h m e n , wenn alle anderen Mittel erschöpft sind. Dieser Rath ist sehr bedenklich. Eine nicht-operative Behandlung kann a u c h gefährlich werden. Die Hungerkur z. B., durch welche doch nur in sehr seltenen Fällen einzelne gutartige Geschwülste und auch diese nicht mit Sicherheit beseitigt werden können, vermag leicht die Constitution des Kranken so zu untergraben', dass er eine später etwa unabweisbar nothwendige Operation nicht mehr zu Uberstehen fähig ist. Auch allzu oft wiederholte örtliche Blutentziehungen können zu demselben Resultate führen. Werden sie mit Maass angewandt, so gelingt es vielleicht zuweilen, die entzündliche Anschwellung in der Umgegend der Geschwulst zu beseitigen, sie beweglicher zu machen und so die Operation zu erleichtern. Es mag auch mitunter gelungen sein, durch ihre Verbindung mit anderen Mitteln, z. B. der Compression, gegen gutartige Geschwülste Etwas auszurichten; aber man mag sie sammt dem ganzen z e r t h e i l e n d e n Heilapparat in Anwendung bringen, auch die kleinste bösartige Geschwulst wird ihnen stets widerstehen. Vereinzelte Fälle, in denen durch Brandigwerden der Geschwulst spontane Heilung erfolgte, haben Veranlassung gegeben, dass man durch künstliche Erregung des Brandes (durch Compression oder Aetzung derselben, durch Electrolyse oder gar durch Einimpfen des Hospitalbrandes) Heilung herbeizuführen suchte. Die Unsicherheit und selbst Gefahr dieser Behandlungsweise ist einleuchtend. Einen modificirenden Einfluss auf den perversen Erna Innings- und WachsthumsProcess hatffian durch U n t e r b i n d u n g d e r z u f ü h r e n d e n A r t e r i e ') und durch E i n s p r i t z u n g d i f f e r e n t e r F l ü s s i g k e i t e n in d a s P a r c n c h y m d e r G e s c h w ü l s t e * ) zu erreichen versucht. Auf beiden ') Zuerst spater
ausgeführt besonders
von für
Harvey
t r a i t e r le s a r c o c c l e etc., Genève s
) Broadbeot
(Esercitai,
Hodengeschwülste 1820)
von
de
générât,
Maunoir
animal. (Nouvelle
Lond.
165t),
méthode
de
empfohlen.
(Med. T i m e s a n d Gaz. 1 8 6 6 . No. 8 5 4 ) e m p f a h l v e r d ü n n t e
Essigsäure
in die G e s c h w u l s t e i n z u s p r i t z e n , w a s u n t e r U m s t a n d e n s e h r g e f ä h r l i c h w e r d e n k a n n . — (t
Thiersch
will z u e r s t e i n e s e h r v e r d ü n n t e L ö s u n g von s a l p e t e r s a u r e m
: 3 0 0 0 ) an z a h l r e i c h e n
spritzungen lassen.
von
Stellen einspritzen
Chlornatriumlösung
und darauf ebenso zahlreiche
(1 : 1500)
Vgl. die R e f e r a t e von O . W e b e r
in
den
Zwischenräumen
pag. 3 3 0 ,
angeführte Literatur. —
de médecine.
Oct.), L ü c k e
(Archives générales
( B e r l i n , klin. W o c h e n s c h r f t . 1 8 6 8 , No. 2 5 u n d
und 52),
die d a s e l b s t Paris,
1867,
Heine
u. A.
h a b e n bald m e h r b a l d w e n i g e r v o l l s t ä n d i g e Erfolge d u r c h die E i n s p r i t z u n g Jodtinctur
('/2
schwülsten erreicht.
bis
1 Pravaz'sche
Einfolgen
u n d von m i r in d e m 2 . B a n d e d. J a h r e s b e r .
¡¡. d. g e s a m m t . Medlcin, p , 1 8 6 6 , p a g . 3 0 8 , p. 1 8 6 7 , Lu t o n
Silber
Spritze
voll)
in
das
Parencbym
von
von Ge-
N a c h Analogie d e r W i r k u n g , w e l c h e zufällig in's Bindegewebe
e i n g e d r u n g e n e J o d t i n c t u r (bei d e r I n j e c t i o n d e r s e l b e n in die T u n i c a vaginalis p r o p r i a t e s t i s , z u r Heilung d e r H y d r o c e l e ) z u h a b e n pflegt, s t e h t zu f ü r c h t e n ,
dass.bran-
Orgaoisirte Neubildungen.
373
Wegen ist man nicht zu befriedigenden Resultaten gelangt.
So hat
sich denn immer wieder für die grosse Mehrzahl der Geschwülste die gänzliche
Ausrottung,
sofern
die Localität es gestattet,
als das
zweckmässigste Verfahren erwiesen. W o es sich in einer gutartigen Geschwulst (Cyste) blos uin Beseitigung eines flüssigen Inhaltes handelt, da kann die Operation gleichsam auf halbem Wege stehen bleiben, indem nur die mit Flüssigkeit angefüllte Höhle geöffnet, entleert, und die Wiederansammlung jener dadurch
verhütet wird, dass man
die Verödung der Höhle
durch
adhäsive Entzündung oder Granulationsbildung herbeizuführen sucht. Von einem solchen Verfahren kann bei bösartigen Geschwülsten, auch wenn sie eine mit Flüssigkeit gefüllte Cyste enthalten sollten, niemals die Rede sein; man würde dadurch nur ihre Verjauchung beiordern lind nicht einmal einen vorübergehenden Erfolg erzielen. Indem wir
in Betreff der A u s r o t t u n g
von
Geschwülsten
durch die Ligatur, durch Aus- und Abreissen und Zermalmen, durch die Glühhitze (namentlich die Galvanokaustik),
sowie endlich durch
Aetzmittel 1 ) und Electrolyse auf die „Einleitung" (pag. 9 1 — 112) verweisen, gehen wir hier'nur auf die E x s t i r p a t i o n näher ein. Das A u s s c h n e i d e n
(Ausschälen, Exstirpatio, Enucleatio) ist in
der Mehrzahl der Fälle die wirksamste und daher auch am Häufigsten indicirte Operation zum Behufe der Beseitigung von
Pseudoplasmen.
dige Zerstörungen nicht ausbleiben werden, wenn man eine absichtliche Einspritzung in lockere Bindegewebsschichten macht. ') Für die Ausrottung von Geschwülsten
besonders berechnet sind die in neuester
Zeit vielfach genannten Methoden der Cautérisation en
flèches.
linéaire
und der
Cautérisation
Erstere, vielleicht schon früher angegeben und angewandt, besooders
beschrieben aber von G i r o u a r d
(Revue med.-cbir. 1854. p. 2 7 u. f.), besteht
darin, dass man Stücke einer Cblorzinkpaste (pag. 110) unter die Basis der Geschwulst schiebt und durch dieselben also einen Brandschorf zwischen der letzteren und den gesunden Geweben erzeugt.
Bis zu welcher Tiefe die Zerstörung
gehen wird, kann man nicht bestimmt vorher wissen. — Die von M a i s o n n e u v e (Bullet, d. 1. soc. d. Chirurg. 1857) angegebene Cautérisation
en flèches wird mit
keilförmig (nicht „pfeilförmig", wie der Name will) zugespitzten und hart getrockneten Stücken einer festen Chlorzinkpaste ausgeführt, welche man in verschiedenen Hiebtungen in die Geschwulst tief hineinbohrt, namentlich: a) risation
en rayons,
Cauté-
die Aetzpfeile liegen an der Basis der Geschwulst in einer
Ebene, die Spitzen einander zugewandt-, b) Cautérisation
en faisceaux,
wie ein Pfahlrost, parallel mit einander eingebohrt ; c) Cautérisation
sie werden, centrale,
ein
Aetzpfeil wird in das Centrum der Geschwulst eingestossen. — Den Pfellery muss meist das Bistouri erst den Weg bahnen.
Das Verfahren ist abschreckend für
den Zuschauer, die Wirkung bald zu flach, bald zu tief (in grosse Uefässe, in die Pleurahöhle!), die Jauchung bei der Abslossung ebenso unberechenbar.
Ernährongs-Störongen.
374
Wenn eine Geschwulst ohne Verletzung bedeutender Nerven und Gefässe und ohne Gefährdung anderer wichtiger Organe, namentlich ohne die Gefahr der Eröffnung einer der grossen Leibeshöhlen oder eines Gelenkes, ausgeschnitten werden kann, so wäre es thöricht, wenn man irgend ein anderes Heilverfahren gegen dieselbe anwenden wollte, als die E x s t i r p a t i o n . Mit einem t h e i l w e i s e n Exstirpiren darf man sich nur ausnahmsweise bei durchaus gutartigen Geschwülsten beg n ü g e n ; bei den bösartigen Pseudoplasmen dagegen darf Nichts zurückgelassen werden. Man muss die Schnitte durchaus in g e s u n d e n G e w e b e n führen und zu diesem Zwecke, wenn es irgend möglich ist, das ganze Organ, in welchem das Pseudoplasma seinen Sitz hat, entfernen (so z. ß. den Hoden, die Brustdrüse u. s. w.). — In Betreff der E x s t i r p a t i o n b ö s a r t i g e r G e s c h w ü l s t e darf aber nicht vergessen w e r d e n , dass mit der Hinwegnahme der Geschwulst die etwa schon eingeleitete Infection (Dyskrasie, Diathese, Kachexie, oder wie man es sonst nennen will, kurz das Allgemeinlefden) nicht beseitigt wird. Ja es giebt bösartige Geschwülste, welche nach Jahre langem Bestehen die damit Behafteten noch voraussichtlich Jahre lang hätten leben lassen, während ein operativer Eingriff durch das auf ihn gewöhnlich folgende Fieber das Leben in Gefahr bringt und das Allgemeinleiden, statt es zu verringern, nur anzufachen scheint. Beide Reihen von Erfahrungen sprechen aber nur zu Gunsten der Lehre, welche wir vertreten, dass man alle irgendwie zweifelhaften Geschwülste m ö g l i c h s t f r ü h z e i t i g ausrotten möge. Die H a u t s c h n i t t e , deren man sich bei der E x s t i r p a t i o n gewöhnlich bedient, sind, ausser dem einfachen geraden Einschnitt, wesentlich die Fig. 113 — 1 1 7 abgebildeten. Ihre Wahl hängt von der Grösse, Gestalt und Lage der Geschwulst ab. Wo möglich sucht man so viel von der die Geschwulst bedeckenden Haut zu erhalten, dass die Wunde sich vollkommen schliessen lässt. Fig. 1 1 3 .
Fig. 1 1 4 .
Fig. 1 1 5 .
Fig. 1 1 6 .
Fig.
117.
Für alle kleinen und oberflächlich gelegenen Geschwülste reicht ein e i n f a c h e r g e r a d e r E i n s c h n i t t aus. Auch grössere und tiefer liegende können d,urch eine einfache geradlinige Hauttrennung entfernt werden, wenn man sie nur hinreichend lang macht. Da die Heilung
Organisirte Neubildungen.
375
solcher Wunden viel schneller erfolgt, als bei mehrfachen Einschnitten, so tliut man besser (wenn es die Localität irgend erlaubt und die Hinwegnahme eines Hautstückes nicht etwa beabsichtigt wird), den einfachen Schnitt zu verlängern und dadurch die weitere Entfernung der Hautränder von einander möglich zu machen, als einen zweiten und dritten Einschnitt unter Bildung winkliger Lappen hinzuzufügen. Sollten dickere Muskelschichten und feste Fascien, welche sich nicht wie die Haut dehnen und auseinander ziehen lassen, eine tief liegende Geschwulst bedecken, so kann man dieselben mittelst eines Kreuzschnittes spalten, während die Haut nur nach dem grössten Durchmesser der Geschwulst geradlinig getrennt wurde. Auf solche Weise werden zwei Schenkel des Kreuzschnittes subcutan. Zwei e l l i p t i s c h e Hautschnitte (Fig. 117, jedoch so, dass die Enden zusammenstossen) macht man, wenn ein Stück Haut mit der Geschwulst zugleich entfernt werden soll. Dies ist nothwendig, wenn die Haut krank oder mit der Geschwulst verwachsen ist, ferner, wenn ein Stück Haut über der Geschwulst so verdünnt ist, dass man nicht erwarten kann, es werde eine durch dasselbe verlaufende Wunde mit Leichtigkeit heilen, endlich wenn die Geschwulst so gross ist, dass nach ihrer Entfernung durch einen einfachen Schnitt zu viel Haut übrig bleiben würde. In letzterer Beziehung muss man aber auf die Elasticität der Haut gebührende Rücksicht nehmen. Andere Schnittformen wendet man höchst selten an, weil sie, wegen der Zurückziehung der durch sie gebildeten Lappen, eine langsamere Heilung und schlechtere Vernarbung erwarten lassen. Alle Schnitte, durch welche man Geschwülste blosslegen will, müssen die Grenzen der Geschwulst an ihrer Basis überschreiten, damit der zweite Act, d i e A b l ö s u n g d e r H a u t (oder Weichtheile überhaupt) von der Geschwulst leicht und vollkommen erfolgen könne. Bei dem Ablösen der Hautlappen verfahre man, wie es schon die Anatomie lehrt, nicht hie und da schneidend, sondern mit verhältnissmässig grossen Zügen zuerst an der einen, dann an der anderen Seite regelmässig bis zur Basis der Geschwulst vordringend (vgl. pag. 83). Handelt es sich um eine gutartige und nicht mit Flüssigkeit gefüllte Geschwulst, so richte man die Schneide des Messers mehr gegen die Geschwulst, als gegen die umgebenden Theile, und suche an der Haut eine dicke Schicht des Panniculus adiposus zurückzulassen. Auf solche Weise erzielt man schnellere Heilung, weil die Ernährung der Haut durch Erhaltung der im Panniculus verlaufenden Gefässe besser gesichert ist, und setzt sich keinerlei Gefahr aus;
376
ErnSbroogs-StöruDgeo.
denn wenn das Messer auch gelegentlich in die Geschwulst eindringen sollte, so entsteht hieraus kein Uebelstand. G e n s o u l hat für die Exstirpation gutartiger Geschwülste ein e i g e n t ü m l i c h e s Verfahren empfohlen. Er stösst ein spitzes Messer in vierter Position durch die Basis der Geschwulst und durchschneidet diese u n d die bedeckende Haut mit einem Zuge. Jede der hierdurch gebildeten Hälften der Geschwulst wird aus ihren Umgebungen hierauf h e r a u s g e r i s s e n , so dass eine Blutung, wie bei absichtlicher und isolirter Torsion der Gefässe (vgl. Bd. II.), nur höchst selten erfolgen soll. Dies Verfahren ist aber nur in einzelnen Fällen anwendbar, namentlich bei Balggeschwülsten der Kopfhaut. Bei b ö s a r t i g e n Geschwülsten erfordert das A u s s c h ä l e n viel grössere Vorsicht. Man muss einer Seits freilich auch die Haut so viel als möglich schonen, anderer Seits aber um keinen Preis etwas Krankhaftes zurücklassen. In gleicher Weise ist die Exstirpation solcher Geschwülste, die einen f l ü s s i g e n oder b r e i a r t i g e n I n h a l t besitzen, gewöhnlich schwierig, wenn sie nicht verletzt werden sollen, und dies um so mehr, je dünner ihre Wandungen sind. Zu diesem Behufe ist es gut, den Hautschnitt (sofern die Haut beweglich ist)» unter Erhebung einer Hautfalte auszuführen, die übrigen Bedeckungen der Geschwulst aber schichtenweise zu trennen. Bei allen tief liegenden oder mit tieferen Theilen innig verbundenen Geschwülsten ist die Rücksicht auf die möglichen Verletzungen von Blutgefässen besonders wichtig. Die von B. v. L a n g e n b e c k 1 ) namentlich f ü r die Exstirpation von Geschwülsten am Halse gegebene Regel, „immer zuerst gegen die grossen Gefässe an der dem Herzen zugewandten Seite der Geschwulst vorzudringen und dieselben soweit bioszulegen, dass man sie im Falle des Eintritts einer bedeutenden Blutung sofort unterbinden könne," verdient allgemeine Beachtung. Nur ist dieselbe nicht immer so leicht zu befolgen, wie der Anfänger glaubt, da man oft grade die unangenehmsten Ausschälungen von Geschwulstknoten vornehmen muss, um zu den grossen Gefässen an der bezeichneten Stelle zu gelangen. Entfernt man zugleich mit der Geschwulst die sie bedeckende Haut mit einem oder wenigen Schnitten, so wird dies, besonders von älteren Wundärzten, auch wohl A m p u t a t i o n genannt. Ein solches Verfahren wurde früher bei der Exstirpation der Brustdrüse absichtlich allgemein angewandt. Jetzt beschränkt man es auf diejenigen Fälle, wo die Haut in der ganzen Ausdehnung einer Geschwulst krank oder fest mit ihr verwachsen ist. — Zu der A m p u t a t i o n im e n g e r n ' ) Archiv f. kl'in. Chirurgie Bd. 1. H f t . I .
Narbengewibe.
377
S i n n e (vgl. Bd. IV.), von welcher nur an den Extremitäten die Rede sein kann, wird man sich immer erst entschliessen, wenn die Unmöglichkeit der Exstirpation einleuchtet.
Zweites Capllel.
Vorwiegend gutartige Neubildungen, homologe Gewächse, Hyperplasien. I.
Neubildung von Bindegewebe.
Als verschiedene Formen, in welchen Neubildung von Bindegewebe auftritt, lassen sich von chirurgischer Seite folgende unterscheiden. 1) Die N e u b i l d u n g von B i n d e g e w e b e e r f o l g t zur Ausg l e i c h u n g e i n e s S u b s t a n z v e r l u s t e s . Nur in wenigen Geweben, nämlich in den Knochen, in den Nerven und im Bindegewebe, werden Substanzverlustc durch Wiedererzeugung desselben Gewebes ausgeglichen; in allen übrigen entwickelt sich an der Stelle des verloren gegangenen Stückes ausschliesslich Bindegewebe, welches auf der Hautoberfläche jedoch von Epidermis bedeckt wird. — Diese Bindegewebs-Neubildung heisst „ N a r b e n g e w e b e " oder „ N a r b e " (cicatrix). 2) Die N e u b i l d u n g von B i n d e g e w e b e e r f o l g t a l s W e i t e r entwickelung eines e n t z ü n d l i c h e n Processes ohne vorausgegangenen S ubstanz verlust. a) Wenn ein solcher Process auf einer freien Fläche, insbesondere einer serösen Haut Statt findet, so bildet das neue Bindegewebe gewöhnlich Stränge und Membranen: P s e u d o - M e m b r a n e n . b) Wenn dagegen das sogen, „plastische Exsudat" zwischen den normalen Gewebstheilen, also innerhalb eines Organes, seinen Sitz hat, so entsteht schon durch seine Anwesenheit, noch mehr aber durch weitere Wucherung' des interstitiellen Bindegewebes eine Vermehrung der Consistenz und des Volumens des erkrankten Theiles, zuweilen nur eins von beiden: I n d u r a t i o n oder H y p e r t r o p h i e . 3) B i n d e g e w e b e e n t s t e h t in m e h r o d e r w e n i g e r s c h a r f b e g r e n z t e n Massen o h n e v o r a u s g e h e n d e o d e r begleitende Entzündung: — Bindegewebs-Geschwülste, fibröse Geschwülste. A.
Narbengewebe.
Die E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e d e s N a r b e n g e w e b e s musste bereits bei der Eiterung (namentlich bei den Abscessen), beim Brande
378
Ernährongs-Störungeo.
und bei den Geschwüren erwähnt werden; wir werden bei den Verletzungen nochmals auf dieselbe zurückkommen. Hier ist im Allgemeinen hervorzuheben, dass alles Narbengewebe mit der Entwicklung von G r a n u l a t i o n e n beginnt, d. h. von Zellenhaufen, welche an solchen Stellen stärker wuchern, wo reichlichere Blutzufuhr ihnen geleistet wird, schwächer an solchen, wo die Gefässe im Muttergewebe weniger günstig entwickelt sind, daher gewöhnlich in höckriger, körniger (also granulöser) Anordnung als kleine, in Folge des Durchschimmerns von Blut, intensiv roth gefärbte HUgelchen auftreten. Die Zellen der • Granulationen sind Anfangs von Eiterzellen und von weissen Blutkörperchen nicht zu unterscheiden. Sehr bald aber tritt zwischen diesen Rundzellen eine stetig wachsende und erstere allpiälig ganz verdrängende Masse von spindelförmigen Zellen auf, mit verschieden zahlreichen und langen Fortsätzen (Ausläufern), aus denen sich bald ein Netzwerk entwickelt, während die Zwischensubstanz zu Bindegewebe wird. Die Wände der Blutgefässe in den Granulationen Je sind Anfangs von denselben Spindelzellen gebildet (begrenzt). mehr die Spindelzellen das Uebergewicht bekommen und je dichter sie aneinanderrücken, desto fester wird das Granulationsgewebe, desto mehr zieht es sich auch zusammen. Den Namen Narbengewebe giebt man ihm aber erst dann, wenn die Umwandlung in fasriges Bindegewebe vollendet ist und im Bereich der Cutis der epidermoidale Ueberzug sich entwickelt hat. Dieser wächst immer nur von bestehender Cutis aus, also in der Regel von den Rändern her Uber die junge Narbe (vgl. „Wundheilung"). Ebensowenig wie aus dem Eiter Granulationen, wird jemals aus den Granulationszellen Epidermis. J. H e i b e r g
bat in seiner sehr treffenden Schilderung des Granulations-Baues
und -Wachsthums ( V i r c h o w ' s Archiv Bd. 55. 1872), in welcher auch die Erkrankungen der Granulationen erläutert sind, für das (embryonale) Bindegewebe, welches schliesslich zur Narbe wird, einen besonderen Namen „ F l i c k g e w e b e , A k e s t o m a " vorgeschlagen , welchen er von „ axeiajtiv
" ableitet.
Sein philologischer Gewährsmann
wird, glaube ich, die Verantwortung für diesen Infinitiv von « x l o / u a i ablehnen.
Wie
dem aber auch sei; ein Bedürfniss nach einem neuen Namen liegt wohl nicht vor.
Das fertige Narbengewebe tritt in der Form von Flecken und Strängen, deren Ausdehnung und Dicke sehr verschieden ist, auf, und hat eine schmutzig rothe, hellrothe, gelbliche oder aber, und zwar in der Mehrzahl der Fälle, eine nahezu weisse Farbe. Seine Oberfläche ist bisweilen faltig und matt, öfter glatt und glänzend; bald springt sie Uber das Niveau der Haut hervor, bald (jedoch seltener) ist sie eingezogen, so dass sie Vertiefungen verschiedener Form und Grösse darstellt. Das Narbengewebe ist gewöhnlich an eine tiefer Hegende Bindegewebsschicht festgeheftet, oder hängt auch mit Kno-
Narbeogewebe.
379
chen, Knorpeln, Aponeurosen u. s. w. zusammen ( a d h ä r e n t e N a r b e n ) . Je nach dem Grade der Befestigung an unterliegende Theile ist die Narbe mehr oder weniger beweglich. Das Narbengewebe wird, wenigstens in den jüngeren Stadien seiner Bildung, von zahlreichen kleinen Gelassen durchsetzt; Lymphgefässe sind in ihm nicht nachgewiesen. Nerven hat V i r c h o w 1 ) in narbenähnlichen P s e u d o m e m b r a n e n auf der Pleura beobachtet. Das Narbengewebe besteht wesentlich aus Bindegewebsbündeln, wie sie fibröse Häute und Sehnen zeigen. Dem blossen Auge erscheinen seine Fasern weiss, unregelmässig oder strahlig und von so bed e u t e n d e r Consistenz, dass sie derjenigen der stärksten Bandfasern gleichkommen kann. Darüber läuft eine sehr d ü n n e Schicht Epidermis, die durch keinerlei Secretion befeuchtet wird und daher immer trocken ist. Hat eine Verletzung die ganze Dicke der Haut zerstört, so fehlen auch die Haare auf der Narbe. Haarbälge und Hautdrüsen regeneriren nicht. Eine Haupteigenlhüniliehkeit der Narbe ist die durch ihre fortschreitende Verdichtung bedingte N e i g u n g z u r V e r k ü r z u n g oder Schrumpfung. Diese zeigt sich bereits bei der Bildung der Granulationen, dem ersten Stadium der Narbe, und d a u e r t eine mehr oder weniger lange Zeit in derselben fort. Die Neigung zur Verkürzung ist um so beträchtlicher u n d u m so wirksamer, j e grösser der Substanzverlust, j e lockerer und nachgiebiger das u n t e r dem S u b stanzverluste liegende Bindegewebe w a r , und (ceteris paribus) vielleicht auch j e länger die Eiterung gedauert hat. Die Art der Verletzung hat ebenfalls Einfluss auf die Narbenverkürzung. Die Brand-Narben nehmen in dieser Beziehung den ersten Rang ein. Diese constante Verminderung der Narbenmasse, welche an u n d f ü r sich u n d zuweilen auch zu therapeutischen Zwecken ganz willkommen ist, b e wirkt eine grosse Menge von D i f f o r m i t ä t e n . Die Narbe selbst kann aber auch e r k r a n k e n . W i r unterscheiden d a h e r N a r b e n d i f f o r m i t ä t e n und K r a n k h e i t e n d e r N a r b e . Die Narbendifformitäten aber zerfallen i n : Formfehler d e r Narben u n d Formfehler d u r c h Narben. 1.
Fehlerhafte Gestalt der Narben.
Difformitäten der Narbensubstanz im weiteren Sinne betreffen entweder ihre F a r b e oder ihre Gestalt.
Oft sieht man allerhand
färbende
Substanzen in der Narbe, wie Pulverkörner, oder die F a r b e der auf ' ) Verhandlungen der pbysiealiseb. Gesellscb. in YVürzburg.
3. Heft.
Ernährungs-Störungen.
380
die Oberfläche der Wunde angewandten Médicamente. Es giebt für diese Fälle meist keine andere Hülfe als mit einer Nadel die färbende Substanz herauszugraben, wenn sie punktförmig eingestreut ist, oder die ganze Narbe zu exstirpiren, wenn sie gleichmässig damit erfüllt ist. Unter den Formfehlern im engeren Sinne ist einer der häufigsten die E i n z i e h u n g der Narbe unter das Niveau der umgebenden Haut. Eine solche Einziehung entsteht durch überwiegend starke Wirkung der Narbenverkürzung in vertikaler Richtung gegen die Hautoberfläche, wie solche namentlich in Fällen zu erwarten steht, wo die Granulationen von einem Knochen ausgehen, oder wo durch vorausgegangene Eiterung ein dicker Panniculus adiposus zerstört ist, welcher bei der Heilung nicht "ersetzt wird. Die Kunst vermag gewöhnlich Nichts dagegen. Man räth für den Fall, dass die Einziehung sich nicht weit erstreckt und die darunter liegenden Gewebe dem Messer leicht zugänglich sind, durch einen subcutanen Schnitt die einziehenden Gewebe zu durchschneiden und eine neue Verwachsung sorgsam zu verhüten. Aber auch nach subcutaner Trennung erfolgt Neubildung von Bindegewebe, d. h. Narbensubstqnz. Der Erfolg ist nur dann gesichert, wenn man die ganze Narbe excidirt und die Wunde per primain intentionein zur Heilung bringt. — Häufig ist auch das Hervorragen der Narben über die Haut. Die Behandlung solcher „ p r o m i n i r e n ' d e r " Narben ist erfolgreicher, die Verhütung leichter. Sie entstehen oft in Folge fahrlässiger Behandlung wuchernder Granulationen. Durch wiederholtes Betupfen mit Höllenstein verhütet man diesen Uebelstand. Ist die prominirende Narbe bereits vorhanden, so nimmt man das hervorragende Stück in Gestalt eines nach der Tiefe zugeschärften Keils fort und leitet, wenn prima intentio sich Bei allen nicht erreichen lässt, aufmerksam die neue Vernarbung. solchen Narbenoperationen hat man desto mehr Aussicht auf Erfolg, je älter die Narbe ist und je vollständiger man die Schnitte in normalen Theilen führt. Vor Ablauf eines halben Jahres sollte man auch an kleinen Narben keine Operation unternehmen, wenn man sie nicht ganz ausschneiden und die Wunde sofort vereinigen kann. II.
F o r m f e h l e r durch Narben.
Narben können Formfehler bedingen, indem Theile, die im normalen Zustande von einander getrennt oder weiter von einander entfernt sind, durch Narbenverkürzung einander genähert werden. Hierher gehören Umstülpung (Ektropium) der Augenlider und der Lippen, Schiefstellung des Kopfes (Caput obstipum), permanente Beugung oder Streckung der Finger, je nachdem sich das Narbengewebe auf der
Narbengewehe.
381
Dorsal- oder Palmarseite befindet, Verschluss (Atresie) oder Verengerung ( S t r i c t u r , Stenose) gewisser Oeffnungen oder Höhlen, wie z. B . des Mundes, der Nase, der Vorhaut (Phimosis acquisita), der Scheide, ferner Verwachsungen des äusseren Ohres
mit der S c h ä d e l h a u t ,
der
Ruthe mit dem Hodensack, des Armes mit dem Rumpfe u. s. f. —
Wir
werden hierauf bei der Besprechung der Verwachsungen und V e r e n g e rungen, theils bei der Erläuterung der Difformitäten am Schluss dieses Bandes,
theils
bei
den Krankheiten
der einzelnen
Körpertheile
im
IH. u. IV. Bd. zurückkommen, woselbst auch die Grundsätze des erforderlichen operativen Verfahrens zu erörtern sind. III. Unter
K r a n k h e i t e n der Karben.
den Krankheiten
des Narbengewebes
ihre Sensibilität, die anderen ihre Structur.
betreffen
die einen
Die ersteren äussern sich
im Allgemeinen als Jucken, B r e n n e n , Schmelzen der verschiedensten Art, während
die letzteren
sich
als Rothe,
Anschwellung,
Excoria-
tionen u. dgl. m. bekunden. Die am Narben
Häufigsten
ist die
vorkommende
des J u c k e n s
Art a b n o r m e n
Gefühls
in
(pruritus), welches bei einiger Heftig-
keit ziemlich bedeutende Unbequemlichkeiten nach sich zieht, da das unwillkürliche Reiben
Rothe und Excoriationen verursacht,
wobei in
der Regel durch Kratzen das unangenehme j u c k e n d e Gefühl nicht im Geringsten vermindert wird.
Gewöhnlich erregen nur j u n g e
Narben
dieses Gefühl, was bald von selbst gänzlich schwindet oder doch nur in langen Zwischenräumen
wieder erscheint.
Allgemein bekannt siiul die periodisch wiederkehrenden
Schmer-
zen, an welchen alte narbige Krieger leiden; diese Periodicität scheint zumeist an
Witterungs-Veränderungen
gebunden
zu s e i n ,
ihnen somit als eine Art B a r o m e t e r ( K a l e n d e r ) , dem G r u n d e , Feuchtigkeit
weil der
sie
Luft
durch
Veränderungen
veränderte
Spannung
der der
und dient
wahrscheinlich aus Temperatur
Narbe eine Zerrung der mit ihr verwachsenen Nerven-Enden Weniger oft sind die Schmerzen f i x , lebhaft und von Charakter.
und
(hygroskopischen) bedingt.
neuralgischem
Gegen die ersteren vermag man Nichts, gegen die letzte-
ren hat man die Excision der ganzen Narbe vorgeschlagen und auch mit Erfolg
ausgeführt.
des glühenden Eisens. tionen
nur
Larrey
empfiehlt dagegen
die
Anwendung
Man darf sich natürlich zu derartigen Opera-
bei sehr heftigen Schmerzen entschliessen,
um so mehr,
als selbst nach der Entfernung des schmerzhaften Theils der Schmerz keineswegs immer schwindet.
Derselbe kann nämlich auf einer Zerrung
oder anderweitigen Krankheit
der zur Narbe verlaufenden Nerven in
382
Crnähruogf-StöraDgen.
einiger Entfernung von der Narbe beruhen und nach dem bekannten Gesetze der Nerven-Physiologie doch an der Stelle der peripherischen Endigung jener Nerven, nämlich in der Narbe; empfunden werden. Die Gefühle des Brennens und der Trockenheit werden gewöhnlich gemildert oder auch ganz beseitigt durch Einreibungen von Fett, welche dem Narbengewebe eine grössere Geschmeidigkeit geben. Dauern die E x c o r i a t i o n e n oder die e n t z ü n d l i c h e R o t h e einige Zeit hindurch, so verdickt sich das unterliegende Gewebe und man hat mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen, ehe die Vernarbung von Neuem zu Stande kommt. In manchen Fällen macht eine leichte Hautschrunde, welche nach einigen Tagen schon verheilt sein konnte, auffallende Fortschritte und zerstört in kurzer Zeit eine grosse breite Narbe. Es wird genügen, auf die Möglichkeit solcher Zufälle hingewiesen zu haben, um sie zu rechter Zeit und mit den richtigen Mitteln zu verhüten und zu behandeln. Die Mittel selbst haben in den einzelnen Fällen durchaus nichts Specifisches. Beim Hospitalbrande (png. 307) wurde bereits erwähnt, dass derselbe das Narbengewebe mit grosser Schnelligkeit zerstört. In den Narben tritt oft eine Anschwellung, eine Art s c h m e r z h a f t e n O e d e m s auf, in Folge localer Reizung. Die Anwendung der Kälte und der sogenannten resolvirenden Umschläge (Bleiessig, Arnicatinctur u. dgl. m.) sind die geeigneten Mittel zur Beseitigung. — Auch varicöse Gefässe können in Narben vorkommen. Narben können überdies, wie jedes andere Gewebe, die verschiedensten E n t a r t u n g e n darbieten. H a w k i n s 1 ) hat eine Krankheit der Narben beschrieben und mit dem Namen „ W a r z e n g e s c h w ü l s t e in N a r b e n " (warty tumors in cicatrices) belegt, die, nach ihm, denselben eigenthümlich sein soll, obgleich er sie anderer Seits für Krebs erklärt. Diese Geschwülste gehören offenbar zu den Epithelialkrebsen, wie neuere und besonders mikroskopische Untersuchungen bestimmt gelehrt haben 2 ). — Als eine fibroide Wucherung ist das zuerst von A l i b e r t beschriebene K e l o i d aufzufassen, welches sich allerdings auch auf anderen Stellen der Haut entwickeln kann, am Häufigsten aber doch auf Narben, zumeist Geschwürsnarben, und, wie es scheint, hauptsächlich auf Grund eines syphilitischen Allgemeinleidens entwickelt (vgl. Fibroma). ' ) C. H a w k i n s i n : Med. Gazette
London medical and surg. t r a n s a c t i o n s ;
Vol. XIX. und Lond.
184t.
*) Vgl. W e r n h e r , D a s akademische Hospital zu Giessen im Jahre 1 8 4 8 , pag. 2 9 — 3 7 -
Fasergeschwülste.
B.
383
Bindegewebsgeschwulst, Fasergeschwulst, f i b r o s u s s. f i b r o ' i d e s , F i b r o m a .
Tumor
Anatomisches Verhalten. Das Bindegewebe ist ein fast nie fehlender Bestandteil aller Geschwülste, gutartiger wie bösartiger, indem es bald blos die Kapsel derselben bildet, bald in den verschiedenartigsten Anordnungen das Gerüst (Stroma) darstellt, in dessen Maschen andere, gewöhnlich zellige Elemente enthalten sind, bald aber auch einen so überwiegenden Antheil an der Bildung mancher Geschwülste nimmt, dass man sie deshalb B i n d e g e w e b s - oder F a s e r - G e s c h w ü l s t e genannt hat. Die jüngere oder ältere Entwickelungsstufe des Bindegewebes und die forpielle Anordnung desselben in den verschiedenen Geschwülsten hat zu verschiedenen Namen Veranlassung gegeben. Wir begegnen hier den so oft und vieldeutig gebrauchten Bezeichnungen: S a r c o m (Osteosarcom), F i b r o m , S t e a t o m , F i b r o i d , C h o n d r o i d , D e s m o i d . — Auch die P o l y p e n gehören grossen Theils hierher; manche Autoren wollen sogar diesen Namen n u r für die auf Schleimhäuten vorkommenden g e s t i e l t e n F i b r o m e gelten lassen. Seitens der pathologischen Anatomie werden, je nach dem Alter des in der Geschwulst vorherrschenden Bindegewebes und der dadurch bedingten histologischen Verschiedenheit, zwei grosse Gruppen aufgestellt: 1) die fibrös-zelligen, s a r c o m a t ö s e n Geschwülste ( f i b r o p l a s t i s c h e G e s c h w ü l s t e , Tumeurs fibroplastiques, nach L e b e r t , — faserige, albuminöse Sarcome, Zellgewebsfasergeschwülste, M ü l l e r ) , welchc aus jüngerem, unreifen Bindegewebe, und 2) die f i b r ö s e n oder F a s e r - G e s c h w ü l s t e im engeren Sinne, welche aus vollkommen entwickeltem Bindegewebe, also aus sogenannten fibrösen Fasern, bestehen (Fibroide, Desmoide). — V o n den Sarcomen sondert V i r c h o w überdies diejenigen, welche aus S c h l e i m g e w e b e bestehen, unter dem Namen M y x o m a , S c h l e i m g e s c h w u l s t . — Je nachdem sich das Fasergewebe einer Geschwulst mehr an ,das fibröse Gewebe oder mehr an das glatte Muskelgewebe anschliesst, unterschied J. V o g e l : Bindegewebsgeschwülste (fibröse Geschwülste) und Muskelfasergeschwlllsle (Myoide). E n g e l und nach ihm S c h u h bezeichnen als Sarcom die M u s k e l f a s e r g e s c h w u l s t , welche zweckmässiger als M y o m a (nach V i r c h o w ) unterschieden wird. Vgl. Myoma uteri, Bd. IV. Unter dem Namen
„fibrinöse
Geschwulst,
Tumeur
ßbrineuse"
wurden
früher von V e l p e a u Fasergeschwülste zusammengerasst, welche, nach seiner Meinung, einem Blutextravasat und zunächst „der directen Umwandlung des geronnenen Fibrins in Fasern" (welche gar nicht vorkommt) ihre Entstehung verdanken sollten.
384
Ernährnngi-Störongen. W i r beschäftigen uns hier nur mit den f i b r ö s e n Fibromen,
im engeren Sinne,* den
welche
Geschwülsten
aus vollkommen
wickeltem fasrigen Bindegewebe bestehen, und werden die
ent-
Sarcome
und M y x o m e , welche nicht blos durch vielfache histologische Eigentümlichkeiten sondern
von
auch nach
den
fibrösen
Geschwülsten
sich
unterscheiden,
der Art ihres Verlaufs und der Häufigkeit ihrer
Recidive zu den b ö s a r t i g e n
Geschwülsten
gehören, unter diesen
letzteren abhandeln. Das Bindegewebe, welches die f i b r ö s e n G e s c h w ü l s t e mensetzt,
zeigt in Hinsicht
der
Consistenz,
Form
und
zusam-
Gruppirung
seiner Elemente dieselbe Mannigfaltigkeit, wie das gewöhnliche Bindegewebe.
Bald ist es fest, derb und von knorpelartiger Beschaffenheit'),
wie in den Fascien, Sehnen, Intervertebral- und Gelenkscheiben, bald mehr weich und locker, wie im interstitiellen und subcutanen Bindegewebe.
Auch
das
quantitative
Verhältniss
Elementen (Bindegewebskörperchen) und von Einfluss.
In den ersten
zwischen
den
zelligen
der Intercellularsubstanz ist
Stadien der
Entwickelung,
w o Kerne
und Zellen an Masse überwiegen, sind diese Geschwülste mehr weich, teigig, oft
fluctuirend,
scharf a b ;
dauernd zeigen diese Consistenz solche Bindegewebs-Neu-
und heben
sich
von der Umgebung
weniger
bildungen, in denen die Intercellularsubstanz reichlicher und von mehr weicher, schleimiger
Beschaffenheit ist (Gummigeschwülste).
Regel nimmt später, wo die Grundsubstanz, sei es in
fibrillärer
In der Form
(lockiges Bindegewebe), oder in derben Faserzügen auftritt, die ganze Geschwulst eine festere und consistentere Beschaffenheit an.
Hierbei
vermindert sich Zahl und Grösse der zelligen Elemente so sehr, dass man bei der mikroskopischen Untersuchung in den derben, sich vielfach
' ) In vielen Fällen wird durch die dicht gedrängte Aneinanderlagerung der Bindegewebsfibrillen auch eine geringere Durchleuchtung, eine mehr weissliche, matt glänzende Farbe bedingt; die Streuung und Richtung der Faserbündel ist jedoch deutlich bemerkbar. In anderen Fällen erscheinen fibröse Geschwülste auf dem Durchschnitt ganz homogen bläalich-wei89 und glatt, so dass man sie in dünne durchscheinende Scheiben zerschneiden kann, die selbst bei Anwendung der feinsten Nadeln keine Zerreissung in Fasern zulassen. Dieser höchste Grad von Dichtigkeit ist eines Theils durch die enge Aneinanderlagerung höchst feiner Bindegewebsfibrillen, anderen Theils und besonders durch d i e , nach den verschiedensten Richtungen bin verlaufende Durchkreuzung, Verfilzung derselben entstanden. Man findet dieses verfilzte feine Bindegewebe übrigens auch in anderen pathologischen Geweben, so- z. B. in den verdickten Wandungen der Milchgänge alter Brustkrebse. — Die angeführten physikalischen Eigenschaften machen die festen Fasergeschwülste, dem äusseren Ansehen nach, o f t den Knorpelgeschwülsten ähnlich; man bat sie deshalb auch wohl C h o n d r o i d g e s c h w ü l s t e genannt.
Fasergesch wölsle.
385
durchkreuzenden Faserzügen n u r hie und da noch Kerne und Zellen eingelagert findet. Essigsäure macht die Fasern durchsichtig und blass, die Kerne deutlicher. — Ausserdem begegnet man in diesen Geschwülsten vielfach den verästelten, in Essigsäure unlöslichen Bindegewebskörperchen und elastischen Fasern. Da die elementaren Bestandtheile der Fibrome dieselben sind, wie wir sie bei chronischer Entzündung und Hypertrophie mancher Organe oder Gewebe finden, da wir ferner dem Bindegewebe, dem hauptsächlichsten Bestandtheile dieser Geschwülste, fast überall im Körper begegnen, so werden die ersten Anfänge der letzteren selten deutlich nachzuweisen sein. Sie grenzen vielfach (wie z. B. Condylome, Warzen, Schleimpolypen) an die Hypertrophien; hier wie dort macht sich der Einfluss des vorhandenen Gewebes auf die E n t w i c k l u n g und Gestaltung des neuen geltend. Manche FasergeschwUlste sind mehr diffus als scharf, namentlich in Muskeln und Gelenkbändern. Der grössere Theil bildet aber a b g e g r e n z t e N e u b i l d u n g e n von mehr oder weniger r u n d l i c h e r , o v a l e r , selten gelappter' F o r m , welche zwischen die vorhandenen Gewebe gleichsam eingeschaltet erscheinen. Der sie umhüllende Bindegewebsiiberzug ist gewöhnlich sehr dünn, oft von erweiterten Gefässen durchsetzt. Die F i b r o m e sind meist sehr g c f ä s s r e i c h . Das Wachsthum der Gefässe hält mit demjenigen der ganzen Geschwulst gleichen Schritt. Wir sahen ein derbes Fibrom im subcutanen Bindegewebe beim Drucke aus den zahlreichen grösseren und kleineren Gefässlumina seiner Schnittfläche wie aus einem Siebe Blut entleeren; in einem anderen sehr grossen Fibrom des Netzes fanden wir zahlreiche Gefässe von Stricknadel- bis Federkiel-Dicke (bis zu '/ 4 Ctm. Durchmesser). Eine gleiche Vergrösserung erfahren auch die im Stiele liegenden Arterien und Venen hängender (gestielter) Fibrome, sogen, fibröser Polypen. In c h e m i s c h e r Hinsicht unterscheiden sich die FasergeschwUlste wesentlich von den S a r c o m e n , indem die zelligen, sarcomatösen Geschwülste E i w e i s s enthalten, während die Fibrome beim Knochen L e i m (Colla, Gluten) liefern. Auatomischc Veränderungen, welche FasergeschwUlste in ihrem weiteren V e r l a u f e erleiden können, sind hauptsächlich: Erweichung, Entzündung, Verschwärung, Fettinetamorphose, Cystenbildung, Sclerome (Induration) und Verknöcherung. Die E r w e i c h u n g der Fibrome ist eine p a r t i e l l e oder t o t a l e , in letzterem Falle häufig mit nekrotischem Zerfall. Bei der p a r t i e l l e n E r w e i c h u n g fühlen sich die Geschwülste B a r d e l e b e n , Chirurgie.
7 . Aufl. I .
25
Ernährungs-Störuniteo.
386
sehr weich, teigig und fast fluctuirend an. Auf dem Durchschnitt zeigt das Gewebe eine grob-trabeculäre Beschaffenheit. Zwischen den derben Faserzügen finden sich unregelmässige, meist längliche, den Zilgen des Fasergewebes folgende Lücken, in denen ein weiches, ödematöses, lockeres Bindegewebe sich vorfindet, mit dem Charakter des S c h l e i m g e w e b e s . Auf der Schnittfläche sinkt dies gewöhnlich etwas zusammen, so dass dieselbe dadurch ein grob-alveoläres, zerklüftetes Äussehn bekommt. Der ausgedrückte Saft ist grauweiss oder leicht gelblich, durch Beimengung von Fett oder Blutkörperchen etwas getrübt, und von fadenziehender, synovia-artiger Beschaffenheit. Essigsäure giebt darin einen Niederschlag von Schleimstoff (Mucin). Bei der mikroskopischen Untersuchung finden sich darin Fettkörnchen, atrophische und in fettigem Zerfall begriffene Zellen und Kerne. Das nächst anliegende Fasergewebe zeigt die verschiedenen Stadien der Erweichung und Verflüssigung. Der Process gleicht ganz der Metamorphose des subcutanen Bindegewebes bei der Bildung der accidentellen Schleimbeutel. Häufig ist diese Erweichung mehr central, wobei ein fast cystischer Zustand zu Stande kommt; findet dieselbe gleichzeitig in der Peripherie Statt, so kann es zu einer Ablösung des fibrösen Knotens kommen, wie bei den spontan abgehenden Uterusfibromen, auch wohl bei manchen Polypen anderer Organe. Ein schönes Beispiel für diesen Process lieferte uns ein 2 5 J a h r e altes, gestieltes, gerassreiches F i b r o m , von der Grösse einer menschlichen Niere,
welches einem k r ä f -
tigen Manne von der inneren Fläche des Oberschenkels nahe am Knie exstirpirt wurde. In
dem
Stiele fühlte man
besonders
eine
grössere
Erweiterte Venen durchzogen die bedeckende Cutis.
Arterie
sehr
deutlich
pulsiren.
An einzelnen Stellen hatten sich
flache Geschwüre nach vorgängiger Abstossung trockener Brandschorfe gebildet, welche eine höchst übelriechende Jauchc absonderten und a u s denen von Zeit zu Zeit schwer zu stillende, bedeutende Blutungen erfolgt waren. Fibroms
waren
in
gelbbr&unliche,
homogen
Die peripherischen Schichten dieses
erscheinende,
aber
gefässreiche
Massen
verwandelt, deren Elementartlieile sämmtlich in der Fettmetamorpbose begriffen, übrigens a b e r von denen der gewöhnlichen Fibrome nicht verschieden waren.
Die geschwürigen
Stellen hatten das fettig metamorphosirte Gewebe zur Basis.
Bei der t o t a l e n Erweichung, der eigentlichen M a l a c i e , stellt das Fasergewebe eine gleichmässige pulpöse, grauweisse, oder durch Beimengung von Blut leicht röthliche, zerfliessende, schmierige Masse dar. Gewöhnlich kommt dieser Zustand in Verbindung mit Verschwörung vor, so z. B. bei grossen Uterusfibromen, bei denen einzelne Theile vorher durch Operation entfernt wurden. Mit der Malacie darf das auf Blutstauung d u r c h locale mechanische Bedingungen b e r u h e n d e Oedem der Fibrome nicht verwechselt werden.
Die I n d u r a t i o n ( S c l e r o s e ) findet sich meist in den vom Periost, der Dura mater oder von den Knochen ausgehenden Fibromen.
387
Fasergescbwiilste.
Das Fasergewebe wandelt sich in eine ausserordentlich feste, derbe, sehnig glänzende, knorpelartige Masse um, die aus breiten, dem elastischen Gewebe ähnlichen FaserzUgen sich zusammensetzt, in dem die zelligen Elemente fast ganz verschwinden, — analog der Induration des Narbengewebes und der Bildung sclerotischer Platten an der Innenhaut der Aorta. Solche entschieden harte Fasergeschwillste sind dann namentlich als D e s n i o i d e bezeichnet worden. Die V e r k n ö c h e r u n g geht bald von der Peripherie, bald vom Centrum aus und besteht bald nur in einer Ablagerung von Kalksalzen 1 ) zwischen das Fasergewebe, bald in einer w a h r e n Verknöcherung, unter Bildung der charakteristischen Knochenkörperchen. CombiuaUonen. Abgesehen von der ursprünglichen Betheiligung des Bindegewebes an der Zusammensetzung von Geschwülsten, wird dasselbe auch oft zu einem wesentlichen Bestandtheile mancher während des weiteren Wachsthums derselben, so dass daraus die mannigfaltigsten combinirten Geschwulstformen entstehen. Ueberwiegender Bindegewebsgehalt in den Fettgeschwülsten bildet die F a s e r f e t t g e s c h w u l s t , das S t e a t o m a M ü l l e r ' s . Knorpelzellen sind oft, normal wie pathologisch, in einer faserigen Grundsubstanz eingelagert; daraus geht im letzteren Falle die F a s e r k n o r p e l g e s c h w u l s t hervor. Combination von Fasergewebe und glatten Muskelfasern findet sich in vielen M y o m e n . Das Erscheinen reichlichen Fasergewebes in krebsigen Geschwülsten bedingt den F a s e r k r e b s . Ausserdem sind die Pigmentgeschwülste sowohl wie die Teleangiektasien und cavernösen Geschwülste (vgl. weiter unten, VI. A. und B.) reich an jungem und wellenförmigem Bindegewebe 8 ). Die B a l g - F a s e r g e s c h w u l s t , das C y s t o s a r c o m a M ü l l e r ' s , wird bei den Cysten erörtert werden. Klllldortc. Fibrome kommen an den verschiedenartigsten Körpertheilen vor: in der äusseren Haut als Condylome, Warzen (Molluscum pendulum) und als isolirte massenhafte Geschwülste 3 ); in dem inter' ) Dass solche Pseudo-Ossificationen in Uterus-Fibromen in Form von Rosetten vorkommen, beruht darauf, dass die Fasern dieser Geschwülste nicht selten s t r a h l e n förmig von einem Centrum ausgeben. L e b e r t , Physiologie pathologique. T. I, p. 1 6 6 . *) Bei einem im Gewebe des breiten Rückenmuskels ausgeschälten Aftergebilde waren „ein
theilweis
verknöchertes F i b r o i d ,
ein Lipom
und
ein Schwellgewebe durch
dichten Zellstoff in eine Geschwulst verbunden." — S c h u h 1. c. pag. 70. ' ) A l s . n a r b e n ä b n l i c b e F i b r o i d e " beschreibt S c h n h (Pseudoplasmen, pag. 6 7 ) unregelmässige,
bisweilen
verästelte
Knoten in
der Haut
und
dem
subcutanen
Bindegewebe, welche die Härte des Faserknorpels besitzen, schmerzlos sind und langsam
wachsen,
Sie wachsen
— dabei aber
wieder,
wenn
wohl dem von A l i b e r t
nicht
einen bedeutenden Umfang
erreichen
können.
alles Krankhafte entfernt w i r d , und scheinen
beschriebenen
Keloid
(vgl. pag. 3 8 2 )
zu e n t s p r e c h e n ,
25*
388
Ern&brungs-Störungen.
stitiellen Bindegewebe der Muskeln, z. B. in der Nackengegend und in der Augenhöhle in der Art, dass Muskelbündel die fibröse Geschwulst durchsetzen'); in den Schleimhäuten als Polypen, am Zahnfleisch (oder vom Periost eines Alveolus ausgehend) als Epulis, ferner im Unterhautbin'degewebe, dann am Periost (früher unter Osteosarcoma oder Osteosteatoma subsumirt), auch im Innern von Knochen (besonders am Unterkiefer, im Antrum Highmori, an den Becken- u n d Schädelknochen, in der Nähe der Gelenk-Enden grösserer Röhrenknochen), in dem Neurilem als Neurom, in der Muskelhaut des Darmcanals, des Uterus, im Ovarium, im Netz, in den serösen oder fibrösen Auskleidungen der Brust-, Bauch- und Kopfhöhle, besonders in der Dura mater, zuweilen den sogenannten Fungus durae matris bildend *). Symptome. Verlan!'. Das W a c h s t h u m der Fibrome ist mit wenigen Ausnahmen ein langsames und s c h m e r z l o s e s , aber stetiges. Bei Fibromen im Hodensacke beobachtete S c h u h 3 ) jedoch ein rasches Zunehmen. Gewöhnlich bleiben diese Geschwülste an und für sich (abgesehen vom Drucke auf Nerven und Zerrung der Haut u. dgl.) schmerzlos und für Berührung und Verletzung unempfindlich. Interessant ist in dieser Beziehung
eine Beobachtung von S a f f o r d L e e (Von
den Geschwülsten der Gebärmutter etc. pag. 13). Zoll
tief
steeben,
in die Substanz
Er sah eine spitze Sonde mehrere
eines in die Höhle des Uterus vordringenden Fibroids ein-
ohne dass die P a t i e n t i n , ausser
beim
ersten Einstiche,
welcher durch die
empfindende Schleimhaut hindurchging, irgend etwas fühlte.
Ganz im Gegensatz zu der gewöhnlichen Schmerzlosigkeit der Fibrome sind diejenigen, welche aus dem Neurilem entspringen oder anderweitig mit einem Nervenast in Verbindung stehen und deshalb als N e u r o m e bezeichnet werden, ganz besonders schmerzhaft, nicht blos beim Druck sondern auch spontan. Der Zusammenhang dieser Geschwülste mit den betreffenden Nervenästen und daher auch der Grad und die Art der Schmerzen, zeigen aber manche Verschiedenwelcbes S i m o n
(in seinen „ H a u t k r a n k h e i t e n " ) in folgender Weise charakterisirt.
„ E s bilden sich
bei diesem Leeden meistens nur an einer Hautstelle, selten an
mehreren zugleich, denen oft nach
platte,
narben- oder
verschiedenen
Richtungen
in die umgebende Haut auslaufen.
schwielenähnliche Hervorragungen, von linien-
oder
strangförmige
Fortsätze
Ihre Gestalt ist verschieden, ihr Umfang nie-
mals beträchtlich und ihre Farbe zuweilen weiss, häufig r o t h . " ') L e b e r t ,
Physiologie pathologique, Tom. II, pag. 188.
*) Vielleicht gehören hierher auch m a n c h e Geschwülste, welche R o k i t a n s k y buch der patb. Anatomie. 3. Aufl. Bd. I , pag. 1 6 7 ) als „ g a l l e r t i g e s (Collonema M ü l l e r s ) d e r D u r a m a t e r "
beschreibt.
(Lehr-
Sarcom
Wenigstens spricht dafür
zum Theil die Textur derselben, dann das isolirte Vorkommen, das sehr langsame Wachsthum und der geringe Umfang, den sie erreichen. *) Pseudoplasmen, pag. 6 0 .
Fasergeschwülste.
389
heiten. Wir werden auf sie bei der „Neubildung von Nervengewebe" in diesem Cap. unter VII. zurückkommen. Entstehen die Fibrome auf Schleimhäuten oder in der äusseren Haut, so werden sie gewöhnlich bald g e s t i e l t und hängen dann wie in einer Ausstülpung dieser sich enorm ausdehnenden Häute, im ersten Fall als P o l y p e n , im zweiten als M o l l u s c u m p e n d u l u m oder Akrochordon. Haben sie ihre Ursprungsstelle in erheblicher Tiefe, oder wachsen mit breiter Basis vom Periost, Perichondrium aus, so werden sie nie gestielt. Fibrome innerhalb der Knochen oder in Höhlen von Knochen (Antrum Highmori) durchbrechen diese zuletzt, nachdem sie die knöchernen Wandungen bis zum „ P e r g a m e n t k n i t t e r n " (vgl. pag. 19) verdrängt und verdünnt haben, und treten dann unter die äusseren Bedeckungen. Die den Sarcomen eigenthümliche, mehr gelappte Forin erlangen Fibrome niemals; eine unregelmässige, höckerige Oberfläche können sie jedoch bei unregelinässigem Wachsthuin darbieten. W i r k l i c h f e s t e F i b r o m e r e c i d i v i r e n , wenn sie volls t ä n d i g e x s t i r p i r t s i n d , n i e m a l s ; auch nach partiellen E x s p i r a tionen hat man in einzelnen Fällen Vernarbung, in anderen freilich Verschwärung folgen sehen. Die D i a g n o s e , auf welche wir im Vorstehenden schon eingehen mussten, ist in mehrfacher Beziehung schwierig. F i b r o m e können mit anderen h a r t e n und sogar auch w e i c h e n Geschwülsten verwechselt werden; in vielen Fällen wird es namentlich schwer sein, bestimmt zu sagen, ob die Geschwulst mehr fibröser oder mehr sarcomatöser Natur sei. Erwägt man jedoch mit der Consistenz der Geschwulst zugleich die charakteristischen Eigenschaften, welche wir für das Enchondrom, das Osteom, die cavernösen Geschwülste, die Cysten und die verschiedenen Formen des Krebses und des Sarcoms noch in diesem Abschnitt, und in Betreff der Aneurysmen bei den Krankheiten der Gefässe (Bd. II.) anführen werden, so gelingt die Diagnose durch Ausschliessung. Im Gegensatz zu den bösartigen Gewächsen bedingt das Fibrom n i e m a l s specifische Störungen des Allgemeinbefindens, überhaupt niemals Störungen, die nicht blos mechanischen Ursprungs sind und somit der Grösse und dem Sitz der Geschwulst entsprechen; namentlich also fehlen Schwellungen der benachbarten Lymphdrüsen, wenn dieselben nicht etwa durch Entzündung des Tumors bedingt werden. Abmagerung und wirkliche Entkräftung können sich finden , wenn die Geschwulst durch ihren Sitz, durch Verschwärungen oder durch Blutungen an ihrer ulcerirten Oberfläche Störungen der Gesammternährung bedingt.
Eraahrungs-Störaogen.
390
Die Bebandlaag der Fibrome kann nur in der operativen E n t fernung bestehen.
Im Allgemeinen verdient die gründliche und voll-
ständige E x t i r p a t i o n mit dem Messer den Vorzug; jedoch kann, j e nach dem Sitze und den Verbindungen der Geschwulst, auch eins der anderen Trennungsmittel Vortheile darbieten.
Am Seltensten wird man
sich zur Kauterisation mit Aetzmitteln veranlasst sehen. Exstirpation erscheint, wegen
der Gefahr
Jede partielle
obgleich sie mitunter erfolgreich sein
kann,
localer Recidive als ein bedenklicher Nothbehelf.
Auch im günstigsten Falle erfolgt nach einer solchen die Vernarbung viel langsamer, als nach gänzlicher Ausrottung.
II. Die Fettbildung
Neubildung von Fettgewebe. hängt sehr innig mit der Respiration
und mit
der Ernährung des ganzen Körpers zusammen. Lebensalter, Geschlecht, Beschäftigung, Nahrung influenziren auf das Vorkommen von Fett in einzelnen Organen und im Körper Uberhaupt so bedeutehd,
dass es
schwer ist, die Grenze des pathologisch augesammelten Fettes zu linden. Der weibliche Organismus,
das Kindes- und das höhere Mannesalter
produciren oft bedeutende Mengen des in Zellen eingeschlossenen und von Bindegewebe umgebenden Fettes, während rege Sexualfunctionen (männliche Thiere sollen nach Alb. v. H a l l e r in der Brunstzeit das Mark aus den Knochen verlieren) und grosse Muskelthätigkeit (das Fleisch der Araber, sowie das aller Naturmenschen und der meisten wilden Thiere ist fettarm) der Fettablagerung hinderlich sind.
Wir
wissen, dass der thierische Körper aus anderen organischen Substanzen Fett zu erzeugen vermag, und zwar nicht blos aus den respiratorischen (stickstofflosen) Nahrungsmitteln, wie Stärkemehl, Zucker, Spirituosa, sondern auch aus den eigentlich Eiweiss,
Käsestoff u. s. f.
Es
plastischen, stickstoffreichen,
unterliegt seit L i e b i g ' s
wie
berühmten
Untersuchungen keinem Zweifel, dass die Fette wesentlich zur Respiration und somit zur Erzeugung der Eigenwärme dienen. Nach L e h m a n n dürfte ein Theil des Fettes mit zur Gallenbildung verwendet werden, und deshalb in Krankheiten die Verminderung oder Vermehrung des Fettes im umgekehrten Verhältniss zur Gallenabsonderung stehen. Im Allgemeinen
ist
die Wahrscheinlichkeit einer
übermässigen
oder pathologischen Fettbildung desto grösser, j e besser die Ernährung, j e geringer die Thätigkeit, j e weniger energisch der Athemprocess, j e reichlicher die Aufnahme stickstoffarmer Nahrungsmittel. Nach diesen Anhaltspunkten werden wir die allgemeine Diathese zu vermehrter Fettbildung (Fettsucht,
obesitas) zu erklären haben.
Neubildung von Fettgewebe.
391
Gewisse Organe oder Körperstellen haben aber selbst bei allgemeiner Abmagerung dennoch um sich herum oder zwischen ihren Gewebsbestandtheilen eine bedeutendere Menge normalen Fettgewebes; so das Gekröse, die Umgebung der ISieren, die Mediastina, der Herzbeutel, das Herz. R o k i t a n s k y 1 ) macht besonders aufmerksam auf die Fettanhäufungen rings um erkrankte, zumal an secundärer Atrophie nach B r i g h t 'scher Krankheit leidende Nieren, in der Umgebung von anomalen Knochenbildungen, von verknöchernden Arterien, und von Krebsgeschwülsten. Sehr gewöhnlich ist ferner die Neubildung von Fe.lt im Muskelgewebe bei langer Ruhe der Muskeln, zumal wenn gleichzeitig die Respiration behindert ist. Hier entwickelt sich das Fett theils zwischen den Muskelbündeln, während diese schwinden, theils aber auch innerhalb der Scheide der Primitivmuskelbündel und zwar bald als Fettkörnchen, bald auch in wahren Fettzellen. Bei sogenannter allgemeiner Paralyse und an solchen Extremitäten, welche, wenn auch bei übrigens guter Gesundheit des Individuums, durch ein Geschwür, einen Knochenbruch, ein Gelenkleiden oder dgl. in. für immer oder doch für lange Zeit in Unthätigkeit versetzt sind, findet sich diese „Fettmetamorphose" oder „fettige Entartung" der Muskeln aus leicht ersichtlichen Gründen am Häufigsten. Analog den Anhäufungen normalen Fettgewebes in Bezug .auf Structur und chemisches Verhalten, sind die F e t t g e s c h w ü l s t e , welche mehr als alle anderen Neubildungen von Fett die Aufmerksamkeit des Chirurgen auf sich ziehen. Fettgeschwulst,
Lipoma.
Aualomisclic Verhältnisse. Man unterscheidet an einem L i p o m mit blossem Auge leicht das B i n d e g e w e b e , welches die Geschwulst rings unihüllt, nach Innen eine Menge in verschiedenen Richtungen sich kreuzender Verlängerungen schickt und ziemlich lockere, mehr oder weniger grosse, unvollständig geschlossene Maschenräume bildet, die den zweiten Bestandteil, das F e t t , in sich schliessen. Je nach dem Ueberwiegen des einen oder des anderen Gewebes wechselt das Ansehen und die Consistenz des Lipomes. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt den Bau des normalen Fettgewebes: kernhaltige, mit Fett gelullte Zellen, gewöhnlich etwas grösser, als normale Fettzellen, ausserdem Bindegewebe und Gefässe. Letztere verzweigen sich nicht blos in dem Bindegewebe der Maschenwände, sondern auch an den einzelnen Fettzellen. ') Pathologische Anatomie.
Erste Ausgabe, Bd. 1, pag. 2 8 1 .
392
ErnSbriiogs-StörungeQ.
Die F o r m dieser Geschwülste ist gewöhnlich eine länglich-runde, platt-rundliche, mehr oder weniger gelappte; nicht selten gehen von einer grösseren Geschwulstmasse zahlreiche fingerförmige Fortsätze a u s , welche in entsprechenden Nischen der Hülle stecken. Die Bindegewebshülle des Lipomes, welche sich oft nur undeutlich von der Umgebung in Form einer zusammenhängenden Kapsel abgrenzt ( L i p o m a d i f f u s u m ) , kann sich stärker entwickeln, so dass die Fettgeschwulst zu einer „ e i n g e b a u t e n " wird ( L i p o m a c i r c u m s c r i p t u m ) . R o k i t a n s k y beobachtete dergleichen abgesackte, eingehülsle Parthien auch iniuitten lockerer, gelappter Lipome. Zuweilen nimmt das Lipom eine gestielte Gestalt a n , indem es von einer wenig umfänglichen Basis aus gegen die Haut in einer bestimmten Richtung weiter wächst und die Haut zu einem Sacke ausbuchtet. Das V o l u m e n variirt von dem eines Hanfkorns bis zu dem eines Mannskopfes und mehr. N e l a t o n assistirte bei der Exstirpation eines Lipomes von 18 Pfund Gewicht; B u r o w operirte ein solches von 2 7 ' / , , R h o d i u s sah eins von 60 Pfunden. Gewöhnlich ist nur e i n e Fettgeschwulst an einem Individuum vorhanden, doch hat man auch mehrere an derselben Person gleichzeitig beobachtet. Diese „ multiplen Lipome", deren über hundert an einem Körper bestehen können, finden sich, wie schon A l i b e r t , M o r j o l i n und V i d a l angegeben haben und von mir, nach mehreren eigenen Beobachtungen, bestätigt werden kann, stets b e i ü b r i g e n s s e h r m a g e r e n I n d i v i d u e n , so dass es sich mehr um eine ungleichmässige Verlheilung als um eine übermässige Bildung des Fettes zu handeln scheint. Solche Fälle widersprechen übrigens der Mein u n g , dass Lipome ihre Entstehung nur äusseren mechanischen Ursachen, einem Stoss oder langdauerndem Drucke, verdanken. Die Annahme einer Diathesis lipomatosa wird dadurch freilich nicht gerechtfertigt. Fast alle Theile des Körpers können S i t z von Lipomen werden. Häufig entstehen sie d a , wo im normalen Zustande viel Fettgewebe vorhanden ist: an den seitlichen Flächen des Halses, in der Achselhöhle, an der Schulter, in der Ellenbeuge, an den Bauchwandungen, den Hinterbacken. D e l p e c h u. A. beobachteten Lipome innerhalb der grossen Schaamlippen, P e l l e t a n eins am Handteller und zwei im Recto-Vaginalraum, welche letztere die Scheidenwand polypenartig aus der Schaamspalte hervordrängten. Auch im Netz, so wie im subperitonealen Bindegewebe können sich Fettgeschwülste (Fettbrüehe, Liparocelen, vgl. Bd. III.) entwickeln. Submucöse Lipome körnen in Gestalt von Polypen in den Darm hineinwachsen.
393
Lipom.
Symptome. Die Entwickelung des Lipomes ist schmerzlos und wird gewöhnlich vom Kranken erst bemerkt, wenn es bis zu einer erheblichen Grösse herangewachsen ist. In der Mehrzahl der Fälle macht es auf die untersuchende Hand ganz den Eindruck, wie der normale Panniculus adiposus an Stellen, wo er in einiger Mächtigkeit entwickelt ist; es ist nachgiebig aber nicht teigig, — wie ein mit Baumwolle gefüllter Sack'). Das Gefühl, welches der untersuchende Finger empfindet, wird aber nicht allein durch die Dicke und Festigkeit der Umhiillungshaut, sondern auch durch die über dieselbe hinweggehenden Sehnen und Muskeln, welche durch ihren Druck den Inhalt der Geschwulst zur Seite drängen und die Umhüllungshaut spannen, bedeutend modificirt. Ein
7 Zoll l a n g e s ,
Kindes u n t e r dem gewährte liches
dem
Gefühl.
1 Zoll b r e i t e s L i p o m z. B., w e l c h e s a m Riickeo e i n e s 5 j ä h r i g e n
M. l a t i s s i m u s d o r s i lag u n d von d e m s e l b e n s t a r k c o m p r i m i r t w u r d e ,
tastenden
F i n g e r ein d e r K l u c t u a t i o n g r o s s e r A b s c e s s e
( G r e i f s w a l d e r Klinik
täuschend
ähn-
1851).
Das Gewicht ist, mit dem Volumen verglichen, gering. Die Haut bleibt gewöhnlich selbst über grösseren Lipomen unverändert. Hat die Geschwulst eine bedeutende Grösse erreicht, so kann die bedeckende Haut, in Folge der Spannung, sich entzünden und, besonders wenn zugleich äussere Schädlichkeiten einwirken, verschwären, worauf dann auch Entzündung und nekrotischer Zerfall des Lipoms zu befürchten steht. Das Lipom wächst gewöhnlich langsam und stetig. Jcdoch hat man bisweilen auch einen völligen Stillstand im Wachsthuni beobachtet, der plötzlich einem rapiden Fortschreiten Platz machte. Noch öfter kommt es bis zu einer gewissen Grösse innerhalb einiger Monate oder Jahre und bleibt dann für das übrige Leben unverändert (stationär). — Die durch Lipome erregten Zufälle sind r e i n ö r t l i c h e r N a t u r : Schmerzen durch Zerrung der Haut, Lähmungen und Oedeme durch Druck auf Nerven und Venenstämnie, Dyspnoe durch Druck auf Larynx und Trachea u. s. w. — Alles sehr selten. Umwaudluugeu und Varietäten der Fetlgeschwulsi. Als eine Metamorphose der Fettgeschwulst wird von älteren Autoren als S t e a t o m , die harte Fettgeschwulst, erwähnt. B o y e r lehrt, dass das Lipom während seines Wachsthums und seiner Entwickelung die Structur des S t e a t o n i s annehmen könne, und J o h . M ü l l e r , G l u g e * ) , V o g e l 3 ) u. A. verstehen unter S t e a t o m gradezu ein Lipom, ' ) Vgl. C h e l i u s ,
Handbuch der Chirurgie,
6 t e Auflage, Bd. II, pag. 4 7 1 .
2
) Atlas der pathologischen Anatomie, 8 . Lieferung.
3
) Vogel,
Pathologische Anatomie, pag. 1 5 7 .
394
Ernährungs-Störungen.
in welchem das Bindegewebe die Menge des Fettgewebes so dass breite,
durchziehen, die R ä u m e f ü r das Fett enger werden, die der ganzen Geschwulst mithin derber, fester. in
diesen
überwiegt,
weissbläuliche, sehnenartige Streifen die Geschwulst
Sieatomen sagt G l u g e
Consistenz
Ueber das Fett selbst
n u r , dass es verändert
erscheine
und aus keinen blassen Kügelchen bestehe, die auch unter dein Mikroskope denen Lipoms
des Speckes
ähnlich seien.
Die Umwandlung eines
in ein s o l c h e s Steatom ist, (abgesehen von den gewiss oft
vorgekommenen Verwechselungen desselben mit Zellenkrebs,
Sarcom
und Fasergeschwülsten) allerdings als möglich zu e r a c h t e n ; der vieldeutige a n d mindestens überflüssige Name „ S t e a t o m " wird aber am Besten ganz vermieden. — Die von älteren A u t o r e n ' ) als O s t e o s t e a t o i n a beschriebenen Geschwülste gehören offenbar zu den KnochenKrebsen „die das
oder
l'ebcl Die
—
Sarcomen,
wie schon
aus
den
Worten
hervorgeht:
Prognose bleibt immer zweifelhaft, weil in den meisten Fällen an der Narbe oder an a n d e r e n Orten sieh wieder zeigt."
von
Schuh")
als S t e a t o m e
oder
speckähnliche
Ge-
s c h w ü l s t e beschriebenen Neubildungen gehören zu den sarcomatösen Geschwülsten (vgl. d. folgende Capitel). Gluge3)
beschrieb
Lipoms, das L i p o m a
zuerst
eine c o l l o i d e U m w a n d l u n g
colloides4).
des
„Aus zahlreich entwickelten Ca-
pillargefässen erfolgt eine farblose Ausschwitzung, welche sich bis zu einem gewissen Grade organisirl; das Lipom wird gelb, weich, zitternd, ganz gallertartig, die ßindegewcbskapseln, welche das Fett enthielten, lösen sich auf; man unterscheidet n u r vereinzelte Fettkügelchen und rundliche Zellen
mit vielen Kernen (welche dem Golloid eigenthüm-
lich sind) und die F a s e r n des Bindegewebes sind in der Art erweicht, dass sie
beim
Gluge's
haben eine wichtige Bestätigung u n d Erweiterung
leisesten
Druck
zerfliessen."
Diese
in der von V i r c h o w 5 ) entdeckten s c h l e i m i g e n M\ x o m a l i p o m a t o d e s s. Lipoma colloides.
Beobachtungen erfahren
Fettgeschwulst,
Vgl. M y x o m .
Die V e r k a l k u n g der Lipome scheint besonders häutig bei Thieren v o r z u k o m m e n 6 ) . 1 2
) Vgl. C h e l i u s ,
Mit dem Beginn der rückgängigen Enlwickelung
C h i r u r g i e , tite A u s g a b e , Bd. II, pag. 4 5 0 .
) 1. c. pag. 1 9 9 .
3
) Atlas d e r p a t h o l o g . A n a t o m i e .
4
) Fürstenberg
8 . Liefer.
e r w ä h n t in s e i n e r s e h r s o r g f ä l t i g e n A r b e i t ü b e r die F e t t g e s c h w ü l s t e
d e r T h i e r e (die F e t t g c s c h w ü l s t e u n d i h r e M e t a m o r p h o s e . morphose durchaus
5) Archiv f. p a t h o l . A n a t o m i e . 6
) Vgl. F ü r s t e n b e r g
1 8 5 1 ) die colloide Meta-
nicht. 1. e.
1857.
N . F. Bd. I, p a g . 2 8 1 .
395
Lipom.
scheidet sich nämlich der Fettzelleninhalt in ein flüssiges und festes Fett (Elain wird resorbirt, Stearin erscheint krystallinisch innerhalb der Zellen) und gleichzeitig treten Ablagerungen von Erdsalzen auf, innerhalb der Fettzellenmembran fettsaure Kalksalze, ausserhalb derselben phosphorsaure und kohlensaure Kalksalze. Die Anordnung und Vertheilung der Verkalkungspunkte oder Schichten ist durch mancherlei Umstände, Gefässvertheilung, Stillstand in der Resorption des Elain, Mangel an Kalksalzen im Blute etc., modificirt. A b e r n e t h y beobachtete in menschlichen Lipomen Verkalkung. Ueber solche berichtet auch H e r m a n n M e y e r 1 ) . Mir sind gleichfalls wiederholt verkalkte Lipome beim Menschen vorgekommen. Ein von B u r o w aus der Achselhöhle eines Mannes exstirpirtes, 20 Jahre altes Lipom von enormer Grösse hatte im Innern verkalkte Stellen von Faustgrösse bis zur Grösse einer Nuss, die neben dem phosphorsauren Kalke noch Cholestearin enthielten. In seltenen Fällen hat man innerhalb alter grosser Lipome abgekapselte Abscesse gefunden 2 ). J. M ü l l e r Lipoma stehen
( U e b e r den feiDeren Hau der
arborescens
und
vorkommen
nur
unter serösen
sollen,
Geschwülste,
verzweigte W u c h e r u n g e n ,
pag. 5 0 ) beschreibt als
welche ganz aus Fettgewebe be-
uud mucösen H ä u t e n , besonders aber im Kniegelenk
„ w o sie von der Synovialhaut ausgehen,
von einer
Verlängerung
derselben überzogen werden und als ästige Zotten, welche am Ende meist geschwollen
sind,
frei in die Gelenkhöhle
Zweifel unterliegen,
dass
es sich
hier
um
hineinhängen." Hypertrophie
Es kann der
etwas an-
wohl
Gelenkzotten
keinem handelt.
Vgl. Gelenk-Entzündung und Gelenkmäuse (Bd. II). Die
von
Hb. v. W a l t h e r
(Naevus
lipomatodes,
Simon
(Hautkrankheiten
beschriebene a n g e b o r e n e
Teleangiectasia pag. 2 1 8 )
lipomatodes, zu den
Bindegewebsgeschwülsten
rechnet, da das Fett in mehreren von ihm untersuchten Fällen Menge und auch n u r ausnahmsweise vorkam. selben e r w ä h n t er Nichts.
Ketthautgeschwulst
Naevus mollusciformis) nur
der
wird
von
Haut
ge-
in sehr geringer
Ueber das Verhalten der Gefässe in den-
Wir werden sie bei den Gefäss-Neubildungen erörtern.
Aeliologie. F e t t g e s c h w ü l s t e finden sich fast ausschliesslich im höheren Alter; d. h. sie erreichen bei ihrem langsamen Wachsthume in der Regel erst spät eine lästige oder auffällige Grösse. Dass dieselben auch im frühesten Alter vorkommen können, beweist z. B. der oben erwähnte Fall, den wir bei einem 5jährigen Kinde sahen. Fast alle Kranken geben einen Stoss, Schlag, Druck als die erste Veranlassung an. Solche Angaben werden aber auch in Bezug auf die Entstehung aller anderen Geschwülste gemacht. Die Annahme einer D i a t h e s i s l i p o m a t o s a ist durch Nichts gerechtfertigt. ' ) Virchow's Archiv 1 8 6 5 , Bd. 3 2 , Heft 3, pag. 3 9 5 . ' ) S. L e b e r t Abbandl. pag. 123. — Vgl. auch Gaz. des hôpitaux. 1 8 5 5 . No. 1 2 0 .
396
Ernährungs-Störungen.
Die DiagDOSe ist, nach den oben gegebenen Erörterungen, im Allgemeinen leicht. Jedoch bietet sie in manchen Fällen auch Schwierigkeiten dar. N 6 1 a t o n ' ) erzählt aus eigener Erfahrung die Verwechselung einer faustgrosseh „Tumeur erectile" an der Seite des Thorax eines Erwachsenen mit einem Lipom. / D u p u y t r e n hielt ein kleines von der Vena angularis umgebenes Lipom im inneren Augenwinkel für eine erectile Geschwulst. N e l a t o n macht auch auf die Verwechselung mit „ M a r k s c h w a m m " , mit k a l t e n A b s c e s s e n und mit C y s t e n aufmerksam. Zur Sicherung der Diagnose empfiehlt er einen feinen Troicart oder eine Acupuncturnadel in solche dubiöse Geschwülste zu stossen: in dein erweichten Markschwamm kann das untere Ende des Stilets durch hebelartige Bewegungen um den Einstichspunkt als Hypomochlium herumgeführt werden, im Lipom wird dies nie gelingen. Noch bestimmtere Entscheidung liefert der W i n t r i c h ' s c h e Troicart (s. pag. 369). Wir müssen in diagnostischer Beziehung schliesslich die Angaben von A b e r n e t h y erwähnen, nach welchen derselbe an L e b e n d e n einen Abscess mitten in einer Fettgeschwulst, ferner Ablagerung erdiger Concremente, ja sogar von Knochensubstanz in Lipomen gefunden hat 8 ). ßchaudlllllg. Fettgeschwülste werden durch pharmaceutische Behandlung niemals beseitigt. Die sicherste Behandlung ist die E x s t i r p a t i o n . Man richte sich in Betreff des Zeitpunktes der Operation, wenn die Fettgeschwulst noch von der Grösse einer Nuss oder eines Hühnereies ist, nach den Wünschen des Kranken; hat die Geschwulst diese Grösse erreicht oder ist ihr Wachsthuni gar augenscheinlich im Fortschreiten begriffen, dann muss man auf die Exstirpation dringen, da man zu dieser Zeit noch eine einfache, bestimmt erfolgreiche Operation vor sich hat, während längeres Warten immer einige Gefahren mit sich bringt. Hat endlich die Basis der Geschwulst den Umfang einer Hand schon erheblich überschritten, dann soll man sich in d e r R e g e l des Operirens enthalten, da ein derartiges Lipom, sich selbst überlassen, wohl nie den Tod zur Folge gehabt hat, während eine Operation, welche eine Wundfläche von solchem Umfange bedingt, selbst unter günstigen Nebenumständen unternommen, das Leben gefährden kann 3 ). Man wird sich zur Operation aber unter allen Umständen entschliessen müssen, wenn das Lipom die Haut zu durchbrechen droht, oder wenn es durch seinen Sitz das Leben des Kran' ) E l e m e n t s d e p a t b o l o g i e c h i r u r g i c a l e , T o m . I, pag. 3 9 9 . *) Vgl. die v o r h e r g e h e n d e ')
Seite.
Ich m u s s f r e i l i c h b e k e n n e n , d a s s ich z a h l r e i c h e L i p o m e U m f a n g e e s s t i r p i r t h a b e , o b n e d a s s üble Zufälle folgten.
von
viel
bedeutenderem
Lipom.
397
ken in Gefahr bringt. Je mehr die Geschwulst g e s t i e l t , je weniger umfänglich also die Basis ist, desto günstiger wird, bei sonst gleicher Grösse, die Prognose für die Operation sein. R e c i d i v e nach der Exstirpation von Fettgeschwülsten sind (licht beobachtet. Zuweilen war es nicht möglich, alle Theile des Lipoms zu entfernen; ein Theil der Chirurgen will nach solchen u n v o l l s t ä n d i g e n E x s t i r p a t i o n e n neue Fettwucherung, lange Zeit hindurch dauernde schlechte Eiterung, lebenslängliche Fisteln beobachtet haben 1 ), während nach Anderen zurückgelassene Theile von Lipomen weder der Keim zu grösseren Geschwülsten wurden, noch die Vernarbung der Wunde irgendwie hinderten 2 ). Bei dem von B u r o w exstirpirten enormen 2 7 ' / , Pfund schweren Lipome war es ebenfalls nicht möglich, die Geschwulst gänzlich zu entfernen. „Die Heilung der Wunde ging mit unglaublicher Schnelligkeit vor sich, obgleich noch grosse Stücke des zurückgebliebenen Lipoms in der Wunde abstarben und durch Brand abgestossen w u r d e n 3 ) . " Starke B l u t u n g kann die Operation sehr erschweren, ihre Vollendung selbst unmöglich machen, so dass man zur theilweisen Abbindung seine Zuflucht nehmen muss 4 ). In dieser Hinsicht ist deichen citirte Fall von B u r o w beachtenswerth. „Eine sehr grosse Anzahl beträchtlicher Venenstämme, von denen die stärkeren die Dicke eines kleinen Mannsfingers hatten, sah man vom Arm über die Basis der Geschwulst nach dieser hin verlaufen. Die ernährende Hauptarterie war stärker als die Brachialis eines kräftigen Mannes. Als der 18" iin Umfang haltende Stiel durchschnitten war und die mächtige Geschwulst zu Boden fiel, wurde aus der zulet/t durchschnittenen Venenmündung der am Boden liegenden Geschwulst in einem mehr als 12" hohen Bogen ein Blutstrom fast 1 Minute lang ergossen, ungefähr an 3 Pfund. Bei der Operation waren 15 Unterbindungen nöthig gewesen, und in den nächsten 3 Tagen eintretende Nachblutungen erforderten noch 4 Unterbindungen." bei hier fen. des ein
Hat man es mit messerscheuen Kranken zu thun, so wird man, gestielten Lipomen wenigstens (obgleich das Abschneiden auch das beste Verfahren ist), die Ligatur in Anwendung ziehen d ü r B o y e r empfiehlt für diesen Fall, die Haut im ganzen Umkreise Stiels, da, wo die Ligatur angelegt werden soll, vorgängig durch Aetzmittel zu zerstören, um die bisweilen auf die Zusammen-
') Vgl. C h e l i U S , Chirurgie Bd II, pag. 4 7 4 . 3
) Vgl. L e b e r t , Abhandlungen aus dem Gebiete der practischen Chirurgie, pag. 1 1 9 .
3
) Deutsche Klinik 1 S 5 1 , No. 2 4 .
4
) Vgl. E m m e r t ,
L e h r b u c h der Chirurgie, I, pag. 4 8 4 .
398
Ernährungs-Störongen.
schnürung folgenden heftigen Schmerzen und die leicht weiterhin sich ausbreitenden erysipelatösen Entzündungen zu vermeiden. Hieran scbliesst sich dann die Anwendung des G c r a s e u r und der g a l v a n o k a u s t i s c h e n S c h n e i d e s c h l i n g e ; jedoch stellen beide vor Blutungen aus g r ö s s e r e n Gefässen nicht sicher. Vgl. pag. 96 u. f. — Manchmal gelang es, Lipome nach dem Hautschnitt durch Zerrung nach einer Richtung hin und durch Zurückdrängen des unterliegenden Bindegewebes allein mit den Fingern herauszuheben (Pelletan).
III. Neubildung von Knorpelgewebe. Wunden des Knorpelgewebes mit und ohne Substanzverlust werden nicht wieder durch Knorpelgewebe, sondern durch Fasergewebe') oder durch Knochensubstanz ausgefüllt. Neubildung von Knorpelgewebe ist, wie sich hiernach erwarten lässt, selten. Man darf die nach dem blossen äusseren Ansehen so benannten „Verknorpelungen" oder „knorpeligen Entartungen" der Pleura, des Peritoneums, des Zwerchfells, der Tunica vaginalis testis, des Bindegewebes oder gar der Magenschleimhaut nicht hierher rechnen. In allen diesen Fällen handelt es sich nicht um wahren Knorpel, sondern um Verdickungen durch Neubildung von Bindegewebe, Ablagerungen von Kalksalzen u. dgl. m. — N e u b i l d u n g v o n e c h t e m K n o r p e l kommt aber doch vor und zwar in zwei wesentlich verschiedenen Formen. Bei der ersteren geht die Neubildung vom Knorpel selbst oder doch vom Perichondrium aus. Auf solche Weise entsteht der K n o r p e l a u s w u c h s , Ecchondrosis. Unabhängig von dieser an die normalen Vorgänge sich anschliessenden Entwickelung ist die zweite Form, die K n o r p e l g e s c h w u l s t , Chondroma, Enchondroma, die sowohl in und an Knochen, als in den verschiedensten Weichtheilen Entstehen kann. A.
Knorpelauswuchs,
Ecchondrosis1).
Diese Knorpelneubildung tritt gewöhnlich in Gestalt von linsenbis erbsengrossen, selten umfangreicheren Geschwülsten auf. Dieselben können sich überall entwickeln, wo Knorpel vorkommt: an den ' ) Ueber
die
hierbei stattfindende
Entwickelung von Fasern aus dem
Knorpelgewebe lieferte P. R e d f e r n
1 8 5 0 März and 18S1 S e p t . ) die ersten speclellen *) V i r c h o w , 1857. —
Untersuchungen Luschka,
Ibid. pag. 3 9 5 .
erweichten
(Edinburgh monthly J o u r n . of med. science, Untersuchungen.
über die Entwickelung des Schädelgrundes.
Virchow's Archiv. 1 8 5 7 . N. F. Bd. I, pag. 8 . und
Berlin Hasse,
399
Ecrhondroiis.
Rippen, am Larynx, an den Tracheal- und Bronchialknorpeln, an den Synchondrosen der Wirbel und Beckenknochen und an der Schädelbasis. In den grösseren Gelenken tritt die Knorpelneubildung oft in Gestalt von unregelmässigen, wulstigen und hügligen Massen auf (vgl. Bd. II. „deformirende Gelenkentzündung"), ferner als Verdickung in den Synovialmembranen, -in den Gelenkzotten und als gestielte oder freie Knorpelkörper in den Gelenken, endlich in der Callusmasse bei Knochenbrüchen. Die Veränderungen, welche diese neugebildeten Knorpelmassen erfahren können, sind mannigfaltig. — Am Häufigsten findet sich Verknöcherung; aber auch eine eigentümliche Wucherung mit schleimiger Entartung sowie endlich amyloide Degeneration der Ecchondrosen kommt vor. Die schleimige Entartung beobachtete V i r c h o w namentlich an der Svnchondrosis spheno-occipitalis: in Folge fortschreitender Wucherung der Knorpelzellen entstehen erbsengrosse Geschwülste, welche die Dura mater durchbrechen und auf dem Clivus sich ausbreiten; dieselben besitzen eine leicht streifige, schleimig-glasige Grundsubstanz mit zahlreichen, meist grossen, blasigen Zellen, von denen die meisten aus einem sehr blassen, fast homogenen Zellkörper mit Kern und Kernkörperchen und einer grossen hyalinen Blase bestehen. ( P h y s a l i d e n und P h y s a l o p h o r e n ) . V i r c h o w unterscheidet hiernach drei Hauptformen von Knorpelauswüchsen: 1) E c c h o n d r o s i s o s s i f i c a (Exostosis cartilaginea); 2) E c c h o n d r o s i s p r o l i f e r a ; 3) E c c h o n d r o s i s a m y l a c e a . Wachsen solche E c c h o n d r o s e n aus den Epiphysenknorpeln hervor und verknöchern demnächst, so stellen sie die von A s t h l e y C o o p e r beschriebenen „ m u l t i p l e n E x o s t o s e n " dar. Vgl. O s t e o m . In t h e r a p e u t i s c h e r Beziehung ist auf das C h o n d r o m zu verweisen, welches bei Weitem häufiger als die Ecchondrose Gegenstand chirurgischer Behandlung wird. B. mit
K n o r p e l g e s c h w u l s t , C h o n d r o m a , E n c h o n d r o m a l ).
Aeussere Verhältiiisse. Chondrome bilden rundliche Geschwülste glatter oder leicht höckeriger Oberfläche, welche eine sehr
') Zurrst Werk
beschrieben
von
Johannes
über die G e s c h w ü l s t e ,
cartilagineum
Berlin
s. c h o n d r o i d e s ,
wo der w a h r e Bau dieser
Müller 1838.
in «einem —
bereits cilirten grossen
Synonyme
Tumor cartilagineus.
Geschwülste noch u n b e k a n n t war,
scheinlich, sofern sie a n Knochen sassen,
sind:
Sarcoma
In alterer Zeit wurden sie wahr-
unter der Bezeichnung: S p i n a
ven-
l o s a (d. h. Knochenauflreibung in Folge der Entwickelung einer nicht knöchernen Geschwulst innerhalb des Knochens) s u b s u m i r t , oder als b ö s a r t i g e (Scarpa)
bezeichnet.
Der Name A t h e r o m a
nodosum
Exostosen
( S e v e r i n u s ) scheint
400
Ernährungs-Störungen.
bedeutende Grösse erreichen können. Bald hat die Geschwulst einen fibrösen Ueberzug (Chondrom der Weichtheile und der Knochenoberfläche), bald wird sie durch eine dünne, von der Beinhaut Uberzogehe Knochenschale umhüllt, die bei bedeutenderem Wachsthume entweder bie und da durchbrochen wird, so dass nur einzelne dünne Knocbenplättchen übrig bleiben, oder aber (was seltener ist) allmälig an Dicke zunimmt. Entwickelt sich die Knorpelmasse im Innern eines Knochens, so wird die vorhandene Knocheusubstanz resorbirt. Alsdann kann die Neubildung bereits die ganze Dicke des befallenen Knochens ersetzen, bevor sie sich durch irgend welche Symptome nach Aussen hin kund giebt; vielleicht erst nach Jahren tritt entweder eine allseitige knochenartige Anschwellung auf, oder halbkugelige, völlig schmerzlose Hervorragungen entstehen an dem kranken Knochen. Gelenkflächen bleiben in der Regel vom Chrondrom verschont; selbst wenn z. B. die Fingerphalangen bis zur Dicke einer Citrone angeschwollen sind, findet man die Gelenke meist frei, und Verwachsung der Gelenk-Enden tritt daher in Folge des Chondoms fast nie ein. Das neugebildete Knorpelgewebe ist im Beginne, wie es scheint, sehr weich, fast flüssig, so dass die benachbarten Gewebe, soweit sie nicht durch Resorption schwinden, davon umhüllt werden; die grösseren Gefässstämme, Sehnen u. dgl. verlaufen daher in rinnenartigen Vertiefungen dieser Geschwülste. Die das Chondrom bedeckenden und umgebenden Theile werden nur ausgedehnt und cotnprimirt, je nach der Grösse der Geschwulst, ohne andere Veränderungen als die durch den Druck bedingten zu zeigen. Die Knorpelgeschwülste entwickeln sich im Ganzen, je nach der Lage, mehr oder weniger schmerzlos und meist langsam, ohne irgend ein Allgemeinleiden vorauszusetzen oder zu bedingen. Sie kfinnen 10—20 Jahre hindurch als durchaus unschädliche Geschwülste fortbestehen. Ueber das schnelle oder langsame Wachsthum derselben im Beginne existiren keine genaueren Beobachtungen, da die Kranken selbst erst durch die Unbequemlichkeiten, welche die Grösse der Geschwulst mit sich bringt, auf ihr Leiden aufmerksam gemacht werden. sich
a u c h , auf
Steatom
und
Hensinger
Enchondtome
zu beziehen.
Osteo-Sarcom
als C h o n d r o i d e
haben
Auch
unter dem Namen
sie unzweifelhaft
flgurirt,
Osteo-
und die von
bezeichneten Geschwülste waren gewiss gleichfalls
Encbondrome. —
Unter den bis j e t z t beschriebenen Fällen kam etwa die Hälfte
an den K n o c h e n
d e r H a n d vor, während Chondrome in Weichtheilen nur den
zehnten
Theil a u s m a c h e n ,
und die übrigen
Fälle mehr oder weniger vereinzelt
am Unterkiefer, Darmbeine, Oberschenkel, Unterschenkel, Oberarm,
Schulterblatt,
an den Fussknochen, den Rippen und der Schädelbasis beobachtet wurden.
Chondrome.
Ein
Kranker
starken
Fall
ileum erlitten Ctm.
Breite
in m e i n e r
auf
den
hatte, und
chen
bemerkt
kels
hinderlich
Klinik, w e l c h e r ein
Rücken
trug an
und
besonders
d i e s e r S t e l l e ein
Höhe, gab aber an,
zu
haben,
war.
da s i e i h m
Vgl.
Graf,
die
401 halbes J a h r auf
vor
die hintere
Chondrom
Entstehung
der
von
der Aufnahme Fläche
17
Ctm.
Geschwulst
Diss. i n a u g . ,
Das B i n d e g e w e b e
schwulst u n d
und
erst seit
6
der ä u s s e r e n
theilt dieselbe
Os 12 Wo-
seines Schen-
Gryphiae
1851.
Auf dem Durchschnitt eines C h o n -
d r o m s fallen zwei Gewebe b e s o n d e r s in die A u g e n : artiger Fortsätze von
einen
linken
Länge
e r s t seit dieser Zeit a m G e b r a u c h e
De E n c h o n d r o m a t e ,
B a u (lud Z n s n m m e i i s c t z n n g . und K n o r p e l .
des
Bindegewebe
durchsetzt in
Form
scheiden-
Umhüllung
her
die
ganze
in zellige R ä u m e
der
verschiedensten
Ge-
Form u n d Grösse, innerhalb w e l c h e r die K n o r p e l s u b s t a n z enthalten ist.
In
dem
B i n d e g e w e b e verbreiten sich auch die Gefässe, w e l c h e
sowohl von d e r äusseren Umhüllung, als von d e r Basis d e r Geschwulst her eintreten. gebildeten Bau.
Das C h o n d r o m erhält durch diese, vom
Scheidewände
einen
gelappten,
gleichsam
Bindegewebe conglomerirten
Der Knorpel selbst ist b a l d von d e r b e k a n n t e n , ihm im n o r -
melll|(a Sarcom.
S y n o n y m a : Markschwamm. mit geschwänzten Körperchen.
Die
weichen
Entwickelung
Medullarsarcom (J. Müller).
Cellulares Sarcom.
Tumeur
Sarcome
manche
565
AlbumiDÖses Sarcom.
in
ihrer
Uebereinstimmung
zeigen
mit
Grösse, der
F o r m , mit d e r sie nicht selten combinirt s i n d ; als
selbstständige
Geschwülste
Sarcom
fibroplastique.
auf
mit
Gestalt
und
vorhergehenden
a b e r sie treten
besonderen
auch
anatomischen
Charakteren. Der w e s e n t l i c h e Unterschied comen
besteht
Bindegewebe besteht
aus
darin, in
einein
dass
zwischen
die
letzterem
festen
und
Entwickelung
nicht
Sar-
fasrigem
Die
Geschwulst
vorkommt.
A g g r e g a t von Z e l l e n ,
weichen
von
w e l c h e von
dem
Nachbar-
g e w e b e n u r durch eine d ü n n e B i n d e g e w e b s k a p s e l getrennt sind auch
einer solchen K a p s e l
entbehren,
so dass
die
oder
Geschwulstmassc
sich allmälig, d i f f u s in das n o r m a l e G e w e b e verliert,
d. h. die E l e -
m e n t e der Neubildung v e r b r e i t e n sich durch fortdauernde V e r m e h r u n g (oder den
auch
Wanderung)
normalen
veranlassen Atrophie und
gesunden
in
immer
Gewebsbestandtheilen, derselben.
Gewebe
ist
grösserer
Die Grenze
mit
Ausdehnung
drängen
blossem
sie
zwischen
Auge
zwischen
auseinander
kaum
dem zu
und
kranken erkennen;
m a n g l a u b t nicht selten in v o l l k o m m e n n o r m a l e m G e w e b e z u o p e r i r e n , w ä h r e n d sich bei der m i k r o s k o p i s c h e n U n t e r s u c h u n g herausstellt, der
Krankheitsprocess
in
den
scheinbar
gesunden
dass
Nachbargeweben
bereits in ü p p i g e r E n t w i c k e l u n g begriffen ist. Eine zweite sehr in die A u g e n fallende E i g e n t ü m l i c h k e i t
dieser
S a r c o m e ist ihre sehr g r o s s e W e i c h h e i t .
Dieselbe erreicht oft einen
solchen
auf
Form
Grad,
von
dass
die
grösseren
und
Geschwulstmasse kleineren
bei l e i c h t e m Druck zu einem Brei zerfliesst. Cohärenz
dem
heit lässt sich von der S c h n i t t f l ä c h e dieselbe ist v o l l k o m m e n g l a t t ,
d e u t u n g einer faserigen S t r u c t u r . grau-röthlich,
von
Die F a r b e ist milchweiss,
faserigem
und
weichem
S c h n i t t f l ä c h e alle Eigenschaften einer w e i c h e n Die Zellen
mikroskopischen und
Blutgefässe.
g r o s s e Mannigfaltigkeit
abstreifen;
g l e i c h m ä s s i g und o h n e
bei stärkerem B l u t g e h a l t d u n k e l r o t h ,
Combinationen
und
und Uebergänge,
Grösse die
An-
grau-gelb,
selbst
bräunlich.
Sarcom
zeigt
die
Fasergescliwulst.
Bestandteile
Gestalt
mehr
Trotz dieser W e i c h -
nur sehr w e n i g Saft
glänzend,
in und
In vielen F ä l l e n ist d i e
und Consistenz etwaS g r ö s s e r , die G e s c h w u l s t gleicht
einer zitternden Gallertmasse oder dem Hirnmark.
Bei
Durchschnitt
K l u m p e n auseinander f ä l l t ,
sind der
ausschliesslich Zellen
sich k a u m
zeigen
beschreiben
566
Ernahrungs-Störungen.
lassen; bald sind sie rund, oval, keulenförmig, bald polygonal, spindelförmig, geschwänzt, mit mehr oder weniger feinen Fortsätzen. Die Zellen liegen entweder ganz unregelmässig durch die Geschwulst verbreitet, oder sie zeigen eine der Längsachse parallele Anordnung, ohne dass jedoch scharf begrenzte, selbstständige Faserziige zu erkennen wären, wie bei den faserigen Sarcomen. — Die I n t e r c e l l u l a r s u b s t a n z ist, mit Ausnahme der mit einem reichlichen Gefässsystem versehenen Geschwülste, an Menge sehr wechselnd, oft kaum nachweisbar. Die weiche Beschaffenheit der Neubildung beruht hauptsächlich auf dem zarten Bau der Zellen und auf ihrem weichen, mehr flüssigen Inhalt. Eine E i n t h e i l u n g d e r w e i c h e n S a r c o m e nach ihrem histologischen Verhalten ist bei den mannigfaltigen Uebergfingen in der Form der Sarcomzellen kaum möglich, obgleich in der That durch das Vorwiegen der einen oder anderen Zellenform der äussere Habitus der Neubildung verschieden ausfällt. Dieselbe Geschwulst kann daher zu verschiedenen Zeiten ihrer Entwickelung einen verschiedenen Habitus darbieten, so dass auch Recidive oder secundäre Knoten oft mit der primären Geschwulst nicht im Einklang zu stehen scheinen. Hierbei ist der histologische Einfluss der einzelnen Organe, in denen die Entwickelung der Neubildung stattfindet, nicht zu übersehen. Weiche Sarcome besitzen oft grosse Neigung zu einer m a s s e n h a f t e n N e u b i l d u n g von B l u t g e f ä s s e n . Diese haben den Charakter von zarten, dünnwandigen Capillaren, wie sie im Gehirn vorkommen, erreichen aber auch ein grösseres Kaliber; sie bilden Schlingen und Netze von verschiedenen Durchmessern, die nach allen Seiten die Geschwulst durchsetzen. Bei der Rückbildung des Pseudoplasmas verfallen sie ebenfalls der fettigen Metamorphose, wodurcli Blutungen zu Stande kommen, welche den Zerfall der Neubildungen beschleunigen. Auf dem Durchschnitt zeigt eine solche Geschwulst eine grosse Aehnlichkeit mit einem recht weichen, von älteren und frischen apoplektischen Herden durchsetzten Gehirn 1 ). Zur besseren Uebersicht unterscheiden w i r d r e i A r t e n w e i c h e r S a r c o m e : o) das weiche klein-zellige Sarcom, b) das weiche Sarcom mit Uebergangszellen oder mit gemischten Zellenfonnen, c) das Riesenzellen-Sarcom. o) Das w e i c h e k l e i n - z e l l i g e S a r c o m besteht aus kleinen s p i n d e l f ö r m i g e n u n d r u n d e n Zellen, welche in ziemlich regel' ) Früher bezeichnete man diese und andere weiche u n d blutreiche Neubildungen im Allgemeinen als „ B l u t s c h w ä m m e " , Vgl. pag. 5 0 4 und 4 2 0 .
Medullar-Sarcom.
567
massig abwechselnden Längsreihen gruppirt sind, die von der Basis der Geschwulst nach der Oberfläche aufsteigen. Gewöhnlich ist damit auch eine reichliche Bildung von Blutgefässen verbunden, die von sehr zarten Bindegewebszügen begleitet sind. Die Neubildung zeigt auf dem Durchschnitt eine zarte faserige, sehr feuchte Beschaffenheit. Die Blutgefässe bilden an der Oberfläche dichte Netze und Schlingen, die von mehreren Zellenlagern epithelienartig umgeben sind, wodurch die Geschwulst häufig ein sehr ausgesprochen papilläres, zottiges oder blumenkohlartiges Aussehen erhält, ähnlich dem Cystosarcoma phvllodes. Die runden Zellen besitzen ineist mehrere Kerne und lassen alle Stadien der endogenen Wucherung erkennen; die spindelförmigen Zellen sind klein, besitzen n u r k u r z e Fortsätze an beiden Enden und haben meist nur 1 oder 2 Kerne; geschwänzte oder grössere Zellenformen sind sehr selten. Die Intercellularsubstanz ist serösschleimig. Die Neubildung kommt für sich vor oder in Verbindung mit anderen Sarcomformen. Im ersten Fall tritt sie meist in der äusseren Haut ( W a r z e n - S a r c o m ) oder auf Schleimhäuten auf ( s a r c o m a t ö s e r P o l y p ) , veranlasst Blutungen, geht jedoch wegen der oberflächlichen Lage sehr bald in Zerfall über. Nach der Exstirpation treten in kurzer Zeit locale Recidive auf; die benachbarten Lymphdrüsen werden ergriffen und secundäre Erkrankungen in inneren Organen führen bald zum Tode. E i n e wallnussgrosse Gcschwulst d e r Arl, ausgehend von d e r r e c h t e n O h r m u s c h e l hei eiDer 5 3 J a h r e allen F r a u , w u r d e im Marz 1 8 6 1 in m e i n e r Klinik galvanokaus t i s c h , und eine Anzahl inliltrirter L y m p h d r ü s e n m i t d e m Messer e n t f e r n t . I m Juli w u r d e ein Recidiv unter d e m ä u s s e r e n Gehürgang exstirpirt. Die K r a n k e verliess E n d e Juli die A n s t a l t , k e h r t e j e d o c h a m 1 0 . August zurück u n d s t a r b a m 1 5 . u n t e r d e n E r s c h e i n u n g e n eines heftigen B r o n c h i a l k a t a r r h s u n d T r i s m u s . Bei d e r Section f a n d e n sich n u r in d e r Leber einige kleine, weiche S a r c o m k n o t e n .
Eine andere Form des weichen klein-zelligen Sarcoms ist die, bei welcher die Neubildung n u r a u s k l e i n e n , s c h m a l e n , s p i n d e l f ö r m i g e n Z e l l e n besteht, die einen ovalen oder stäbchenartigen Kern besitzen, mit 1 oder 2 Kernkörperchen; der Kern zeigt vielfach in der Mitte eine zarte Scheidewand oder eine Einschnürung, als erstes Stadium der Theilung. Die Kerne liegen der Zellenwand unmittelbar a n , so dass ein Zwischenraum zwischen beiden nicht zu erkennen ist. Die Zellen sind parallel gelagert und ausserordentlich dicht und eng zusammengepresst, ihre Begrenzung geht dadurch fast vollständig verloren und man erhält den Eindruck, als ob die Neubildung nur aus länglichen, in der Theilung begriffenen Kernen bestünde, die in einer vollkommen gleichmässigen, amorphen, halbfesten Intercellularsubstanz eingebettet liegen. Die Schnittfläche besitzt, je
568
Ernährungs-Störungen.
nach dem Gehalt an Blutgefässen, ein fast milchweisses, grau-weisses, röthliches oder gelbliches Colorit; sie ist glatt, glänzend, ohne Andeutung einer Faserung; die Consistenz der Neubildung gleicht einer halbweichen, jedoch cohärenten zitternden Gallertmasse. Solche Geschwülste können einen sehr grossen Umfang erreichen, zeigen ein relativ langsameres, zeitweise beschleunigtes Wachsthum u n d veranlassen analoge Erkrankungen in den Drtisen u n d anderen Organen. Zu dieser Kategorie der weichen Sarcome gebort der von uns beobachtete, bereits pag. 5 5 8 angeführte Fall. Förster
(Atlas etc. Taf. X. Fig. 4 )
beschreibt eine faustgrosse Geschwulst von
ganz gleicher anatomischer Zusammensetzung, die wahrscheinlich von den Achseldrüsen ausging. kaum
Nachdem
die Wunde
geschlossen h a t t e ,
rationswunde
im Laufe v o i
5 Wochen
stellte sich- ein gleich beschaffenes Recidiv ein.
Die Ope-
nahm sehr bald
t O Tage n a c h h e r ,
mit
der ersten Operation
sich
einen jauchigen Charakter a n ,
Hinzutritt der Erscheinungen
und
des Trismus.
der Kranke s t a r b Bei der
Section
fanden sich im Zellgewebe um die Gefäss- und Nervenstämme m e h r e r e haselnuss- und taubeneigrosse Knoten.
Der
mikroskopische
Bau
derselben
stimmte
mit
dem
der
PrimärafTection vollkommen Qberein.
b) D a s w e i c h e S a r c o m m i t U e b e r g a n g s z e l l e n oder m i t g e m i s c h t e n F o r m e l e m e n t e n (das sog. gross- und klein-zellige Sarcom) besteht aus zelligen Elementen der mannigfaltigsten Form und Grösse. An verschiedenen Stellen überwiegt bald mehr die eine, bald die andere Zellenformation; indess ist die Menge doch nicht der Art, dass sie der Neubildung einen bestimmten, einheitlichen Charakter verliehe. Die Zellen zeigen alle Stadien der Wucherung und der fettigen Rückbildung; sie liegen entweder dicht gedrängt durch die ganze Geschwulst oder in mancherlei Gruppen zerstreut, ähnlich wie die Knorpelzellen im wachsenden Epiphysenknorpel. Die Intercellularsubstanz ist amorph oder leicht streifig, farblos u n d zeigt die verschiedenen Consistenzgrade und die Reaction des Schleimes. Findet die Bildung derselben noch reichlicher Statt, so erhält die Geschwulst eine mehr gallertige, ödematöse Beschaffenheit und bildet den Uebergang zu dem reinen gallertigen Sarcom, dem „Collonema" Müller's. Der Blutgehalt ist wechselnd; manche Geschwülste sind vollkommen gefässlos, andere sehr gefässreich. Die Farbe der Schnittfläche ist hiernach verschieden. Diese Art des Sarcoms ist besonders durch Weichheit und r a s c h e s W a c h s t h u m ausgezeichnet und stellt die reinste Form des M ü l l e r ' s e h e n „Medullär-Sarcoms mit geschwänzten Körperchen" dar. Sie .besitzt alle bösartigen Eigenschaften des Sarcoms. c) D a s R i ^ s e n z e l l e n - S a r e o m ist dadurch ausgezeichnet, dass die zelligen Elemente eine grosse U e b e r e i n s t i m m u n g m i t d e n
569
Riesenzellen-Sarcom.
F o r m b e s t a n d t h e i l e n d e s k i n d l i c h e n K n o c h e n m a r k e s zeigen. Insbesondere findet sich eine grosse Zahl jener umfangreichen, runden, ovalen oder unregelmässig geformten Mutterzellen mit 8, 12, 20 bis 30 Kernen, welche in neuerer Zeit als constante B e s t a n d t e i l e des Knochenmarkes junger Kinder erkannt wurden. Robin
(Comptes
rendus
de
la Société de biologie. 1 8 1 9 ) , welcher diese Ge-
bilde zuerst genauer beschrieb, ohne jedoch ihre zellige Natur erkannt zu haben, bezeichnete sie als plagues, Lebert cellules
hatte dieselben mères
à plusieurs bereits
fibro-plastiques
noyaux,
beobachtet
und
und sie
der
myéloplaxes.
fibroplastische
Mutterzellen,
beschrieben (Pbys. path. Bd. II. pag. 1 4 4 sq. Taf. XIV.),
P a g e t (Surg. path. Bd. VI. pag. 2 1 2 ) unterschied zum unter
später als
als
Bezeichnung M y e l o i d - t u m o u r s
ersten Mal diese Geschwülste
von den übrigen Sarcomen, welche Auf-
fassung sowohl in England als in Deutschland Eingang gefunden hat.
V i r c h o w ' ) hat nachgewiesen, dass diese vielkernigen „ R i e s e n z e l l e n " in keiner Weise ausschliesslich dem Knochenmark und den von ihm ausgehenden Neubildungen zugehören, sondern dass ähnliche Zellenformen auch in anderen Geschwülsten und in drüsigen Organen bei einfach entzündlichen Processen vorkommen. Während die meisten Beobachter das Riesenzellen-Sarcom zu den bösartigen Geschwülsten rechnen, wurde dasselbe von E u g e n e Néla t o n 2 ) als eine besondere Form gutartiger Knochengeschwülste beschrieben, welche aus einer Hypertrophie des Knochenmarkes hervorgehen soll. In seiner Statistik finden sich allerdings sehr viele nach der Operation günstig verlaufene Fälle; indessen fehlt es auch nicht an ungünstigen Erfolgen 3 ). Die Veränderungen, welche die Knochen durch das Riesenzellen-Sarcom erfahren, sind wesentlich verschieden von den durch gutartige Geschwülste (mit Ausnahme vielleicht der höchst seltenen Knochenaneurysmen und Entozoen) bedingten; auch spricht gegen die Ansicht von E. N é l a t o n der ganze Verlauf und der frühzeitige Einfluss auf den Gesammtorganismus. Endlich kommt das Riesenzellen-Sarcom nicht allein in Knochen (obgleich hier am Häufigsten), sondern auch in anderen Organen vor, wo sie nicht aus dem Markgewebe sich entwickeln, sondern nach der Art und Weise aller übrigen bösartigen Neubildungen. ' ) Archiv f ü r patholog. Anat. 1 8 5 8 . pag. 4 6 sq. u. Cellularpatbologie, 3 . Aufl. pag. 2 8 5 . E. N é l a t o n ,
D'une nouvelle espèce de tumeurs bénignes des o s , ou
à myéloplaxes. s
) E. N é l a t o n
Paris
tumeurs
1860.
(Bulletin de la soc. a n a t o m i q u e
de Paris.
Dec. 1 8 5 6 .
Canstatt's
Jahresbericht. Bd. IV. pag. 2 9 1 . 1 8 5 7 ) beschrieb selbst einen Fall von RiesenzellenSarcom, in welchem bei einem 2 0 J a h r e alten Mann am Oberkiefer, trotz gründlicher Exstirpation und nachträglicher Kauterisation, gleich
grosses
nöthig machte.
Recidiv entstanden
war,
welches
nach 3 Monaten bereits ein
die Resection
des Oberkiefers
570
Ernghrungs-Störungen.
Am Häufigsten sah inan das R i c s e n z e l l e n - S a r c o m in den Epiphysen der grossen Röhrenknochen und am Ober- und Unterkiefer. V i r c h o w u. A. fanden es in der Brustdrüse und im Hoden; auch im Zahnfleisch (als sog. E p u l i s , vom "Processus alveolaris ausgehend) wurde es wiederholt bei jüngeren Individuen beobachtet. In den von N é l a t o n angeführten 4 8 Fällen kam das Riesenzellen-Sarcom
vor:
1 3 Mal am Oberkiefer, 1 3 Mal am Unterkiefer, 5 Mal am F e m u r , 6 Mal an d e r Tibia, 2 Mal in den Fusswurzelknocben, 2 Mal am S c h u l t e r b l a t t , 1 Mal am H a m e r n s , 2 Mal a m Radius, 1 Mal in den L u m b a l n i r b e l n , 1 Mal an der Clavicula, 2 Mal an d e r Fibula, 1 Mal am Zahnfleisch und 2 Mal am weichen Gaumen.
—
Ausserdem
wurden noch
Fälle beobachtet v o n : H i l t o n (Lancet No. 2 1 . 1 8 5 7 . C a n s t a t t , 1 8 5 7 . Bd.1V. pag. 2 9 1 ) . Fergusson
( L a n c e t No. 2 4 . 1 8 5 7 . Canstatt, Ibid.), B i l l r o t h (Deutsche Klinik 1 8 5 5 .
No. 5) u. A. m. — Ich habe diese Sarcomform mehrmals am Kieferrand (als Epulis) u n d wiederholt auch in der unteren Epipbyse des Oberschenkelbeins gesehen.
Die Grösse der Riesenzellen-Sarcome ist in der Regel nicht so bedeutend wie die der übrigen Sarcomgeschwülste; der Consistenz nach stehen sie zwischen den ganz weichen und den festen Formen. 9.
Welanotlsches Sarcom.
Sarcoma melanodes.
Das melanotische Sarcom unterscheidtet sich von den bisher be.schriebenen Formen dadurch, dass in demselben, namentlich im Innern der Zellen schwarzes (braunes) Pigment sich findet, wie beim melanotischen Krebs. Die Grösse dieser Geschwülste, ihr Sitz, das eigenthümlich dunkel durchscheinende Colorit der sie bedeckenden Haut und die verschieden gefärbte Beschaffenheit der Schnittfläche sind so übereinstimmend mit den melanotischen Carcinomen (vgl. pag. 511), dass die Frage, ob Krebs oder Sarcom, erst durch mikroskopische Untersuchung beantwortet werden kann. Auch diese kann um so mehr auf Schwierigkeiten stossen, als C o m b i n a t i o n e n von melanotischem Sarcom mit melanotischem Carcinom vorkommen. Nur in den Fällen, wo die Neubildung den faserigen Charakter der f e s t e n Sarcome besitzt, ist ihre Natur schon für das blosse Auge, insbesondere auch durch den M a n g e l d e s (schwarzbraun gefärbten) K r e b s s a f t e s erkennbar; bei den weichen melanotischen Sarcomen, namentlich auch bei den Affectionen der Lymphdrüsen, liefert die Schnittfläche schwarzen Saft. Melanotische Sarcome scheinen im Ganzen nicht so häufig vorzukommen wie melanotische Carcinome; wenigstens ist die Zahl der bis jetzt bekannt gewordenen Fälle noch gering. Vielleicht beruht dies blos auf einer mangelhaften anatomischen Untersuchung; es mögen öfter Fälle vorkommen, in denen man mit Rücksicht auf den bösartigen Verlauf sich von dem Namen „Krebs" nicht trennen kann,
Osteoides
571
Sarcom.
wenn derselbe auch anatomisch nicht erwiesen ist.
An Bösartigkeit
stehen die melanotischen Sarcome dem melanotischen Carcinom nicht viel nach; Recidive und secundare Erkrankungen scheinen nicht so rasch und nicht so weit verbreitet aufzutreten. Die erste g e n a u e r e S c h i l d e r u n g des m e l a n o t i s c h e n S a r c o m s hat V ' i r c h o w ( A r c h i v f. patb. A n a t o m i e . 1 8 4 7 . B d . I . p a g . 4 7 0 ) g e g e b e n . — Einen i n m e h r f a c h e r interessanten Häuten
Fall v o n d i f f u s e m
d e sGehirns
melanotischem
und Rückenmarks
A n a t o m i e . 1 8 5 9 . Bd. X V I . pag. 1 8 0 ) .
Sarcom
Hinsicht
an d e n weichen
beschrieb D e r s e l b e
( A r c h i v f . path.
Die N e u b i l d u n g e n t w i c k e l t e sich Iheils g c s c h w u l s t -
artig, tlieils diffus z w i s c h e n d e n « e i c h e n Häuten a n d e r Basis c e r e b r i , v e r b r e i t e t e sich auf alle a b g e h e n d e n
Nerven
und i m ganzen U m f a n g des R ü c k e n m a r k e s .
übrigen K ö r p e r f a n d 6¡ch nichts A e h n l i c h e s vor.
I m ganzen
D e r Patient, i n den dreissiger J a h r e n ,
K u p f e r d r u c k e r , Iiit i n F o l g e w i e d e r h o l t e r A n f ä l l e v o n Bleikolik an e i n e r u n v o l l s t ä n d i g e n L ä h m u n g und w a r z u l e t z t fast g a n z erblindet. 4.
Osteoides Sarcom.
Sarcoma osteoides.
Die o s t e o i d e n S a r c o m e sind durch dieProduction von Knochenmasse in ihrem Gewebe ausgezeichnet. Mit d e m N a m e n O s t e o s a r c o m alle b ö s a r t i g e n
Neubildungen,
welche in ihrem äusseren
Habitus dieselbe
G e s c h w ü l s t e in a n d e r e n O r g a n e n . in g r ö s s e r e r
oder
oder O s t e o s t e a t o m
Beschaffenheit z e i g t e n ,
w i e d i e analogen
Diejenigen Neubildungen, welche im Laufe der Zeit
geringerer Ausdehnung
artige Exostosen
bezeichnete man früher
w e l c h e an d e n K n o c h e n z u r E n t w i c k e l u n g k a m e n und
ossificirten, w u r d e n v o n Einigen a l s b ö s -
n o c h b e s o n d e r s unterschieden.
J o h . M ü l l e r hat z u m ersten Mal
e i n e g e n a u e D a r s t e l l u n g d e s a n a t o m i s c h e n Baues d e r ossificirten, bösartigen geschwiilste gegeben
(Müllers
Archiv.
Knochen-
1 8 4 3 . pag. 3 9 6 ) und n a c h g e w i e s e n ,
dass d i e
Bildung d e r K n o c h e n s u b s t a n z darin in derselben W e i s e z u S t a n d e k o m m t , normalen Knochenwachsthum.
E r bezeichnete sie als O s t e o i d e ,
um,
im Gegensatz
zu d e n E x o s t o s e n und O s t e o p h y t e n , d i e nur aus K n o c h e n m a s s e b e s t e h e n , zudrücken,
wie beim damit a u s -
dass in i h n e n n o c h e i n a n d e r e r , nicht o s s i f l e i r t e r , a b e r d e r O s s i l i c a t i o n
f ä h i g e r T h e i l v o r h a n d e n s e i ( I . c. pag. 4 0 0 ) . grossen Neigung z u r Production
M ü l l e r stellte d i e O s t e o i d e w e g e n i h r e r
secundärer knöcherner Knoten
zu d e n K r e b s e n , g l a u b t e j e d o c h aus m e h r e r e n Gründen
in a n d e r e n
Organen
(vgl. u n s e r e B e s c h r e i b u n g d e s
o s t e o i d e n C a r c i n o i n s p a g . 5 1 3 ) s i e v o n d e n s e l b e n trennen und als b ö s a r t i g e G e s c h w ü l s t e sui generis den A r b e i t e n
b e t r a c h t e n z u müsseD. von R e m a k
(Artikel
der m e d i c i n . W i s s e n s c h a f t e n .
Gegen diese A u f f a s s u n g M i i l l e r ' s ,
die noch in
„Osteosarcom"
i m Encyclopädischen
Wörterbuch
B d . X X V I . pag. 1 8 7 .
Berlin, 1 8 4 1 ) und
Ruffmann
( T u m o r i s o s t e o i d i s casus singularis. Diss. inaug. Berol. 1 8 4 3 ) A u s d r u c k g e f u n d e n hat, e r h o b e n s i c h v e r s c h i e d e n e a n d e r e , w e l c h e d i e selbstständige S t e l l u n g Zweifel zogen: R o k i t a n s k y
der Osteoide in
b e t r a c h t e t e sie f r ü h e r ( L e h r b . d. p a t b . A n a t o m i e . l.Aufl.)
als v e r k n ö c h e r t e B i n d e g e w e b s g e s c h w i i l s t e ,
Encbondrome
und Meddllar-Carcicome, in
der n e u e r e n Z e i t ( L e h r b . d . path. A n a t . 3 . Aufl. Bd. III. u. W o c h e n b l a t t d e r Z e i t s c h r i f t d. W i e n e r A e r z t e . 3 . Jahrg. N o . 1 . 1 8 5 7 )
n u r als v e r k n ö c h e r t e
Medullar-Carcinome,
e b e n s o G e r l a c h ( Z e i t s c h r i f t f ü r r a t . Medicin. Bd. VI. pag. 3 7 7 . 1 8 4 7 und „ d e r Z o t t e n k r e b s und d a s O s t e o i d " ) , path. Bd. I L p a g . 4 9 5 ) .
Wedl
( P a t h o l o g . H i s t o l o g i e pag. 6 3 9 )
und P a g e t
(Surg.
S c h u h (Path. n . T h e r . d. Pseudopl. W i e n 1 8 5 4 . pag. 1 4 7 u. 4 ? 5 )
572
Ernährungs-Störuogen.
unterscheidet das p r i m ä r e vorgegangen
aus
Osteoid, im Sinne M ü l l e r ' s ,
der Ossitication anderer Neubildungen;
und das s e c u r i d ä r e , herFörster
erblickt
darin nur
ein aus ßindegewebsknorpel bestehendes, peripherisches, ossificirtes Enchondrom (Handbuch d. path. Anat. Bd. II. pag. 089). In neuerer geschwiilsten Müllers
Zeit an
wurden
vollständig übereinkam.
cher Geschwülste lediglich aus Theils
endlich
mehrere
Knochen beobachtet,
10
Fälle
von o s s i f i c i r t e n
äusserer Habitus
Diese Beobachtungen zeigten,
der anatomischen Beschaffenheit
derselben erkannt werden kann.
von ihm beschriebenen
deren
Fällen
von
Müller
Sarcom-
mit den Osteoiden dass
des
die Natur
nicht
sol-
ossificirten
war nur 2 Mal in der Lage, in den
Osteoid die mikroskopische Untersuchung der
weichen Geschwulstmasse zu machen (3. und 10. Fall), während die übrigen aus der Literatur
angeführten
Fälle theils trockene Kcochenpräparate
betrafen,
theils
solche,
von denen eine mikroskopische Untersuchung der Weichtheile nicht vorgenommen wurde. Wahrscheinlich fanden sich auch unter den Osteoiden M ü l l e r ' s
ossificirte Sarcome.
Die Beschaffenheit der neugebildeten Knoelienrnasse differirt bei den osteoiden Sarcomen ebenso, wie dies M ü l l e r bereits für seine „Osteoide" angegeben hat; sie ist nämlich entweder porös, zerbrechlich, an der Oberfläche in Haufen von unzähligen Blättchen und Fasern zersplittert, oder aber fester und dem normalen Knochengewebe ähnlich.
Diese Unterschiede, welche beim
osteoiden Sarcom
noch
schärfer ausgesprochen zu sein scheinen, als beim osteoiden Careinom, und im Einklang stehen mit gewissen Differenzen des nicht ossificirten Theils der Geschwulst, veranlasste G r o b e 1 ) s p o n g i o i d e n und h) des o s s i f i c i r e n d e n a) Das s p o n g i o i d e
Sarcom
stellt Geschwülste
einen sehr beträchtlichen Umfang erreichen, Mannskopfes und darüber. ches faserig-zelliges Sarcom
zur Aufstellung a) des Sarcoms. bis
zur
dar, Grösse
welche eines
Die Neubildung ist ursprünglich ein weioder ein Sarcom mit gemischten Forrn-
elementcn, und geht stets vom Periost aus. Die Geschwulst entwickelt sich hauptsächlich
nach der Oberfläche hin, drängt die Weichtheile
vor sich her, wodurch Muskeln, Gelasse und Nerven comprimirt und dislocirt sind; Durchbruch nach Aussen findet selten Statt. Der Knochen zeigt Anfangs wenig Veränderung, später wird die compacte Substanz dünner, die spongiöse dagegen dichter, so dass die Grenze zwischen beiden sich verwischt;
bei längerem Bestand bildet, namentlich in
macerirtem Zustande,
der Knochen und die Geschwulst eine zusam-
menhängende, verschieden dichte Knoelienrnasse.
Die wesentlichste
Eigentliümlichkeit des spongioiden Sarcoms beruht in der Beschaffenheit der
ossificirten Theile:
dieselben
bestehen vom histologischen
Standpunkt aus n i c h t a u s K n o c h e n s u b s t a n z , sondern aus einem Anfangs zarten, porösen, später (lichter werdenden Gerüst von Kalk' ) Vgl. dieses Lehrbuch,
ite Ausgabe, Bd. I. pag. ö56 u. f.
573
Osteoides Sarcom. salzen,
in dem
(Haversische
weder
Canälchen)
Zellen
(Knochenkörperchen)
vorhanden
sind.
noch
Die scheinbare
Blutgefässe Knochen-
masse ist nichts anderes als verdichtete und v e r k a l k t e Intercellularsubstanz.
Die zelligen E l e m e n t e gehen während
dieses
Verkalkungs-
processes durch Atrophie und fettigen Zerfall zu Grunde. Der nachfolgende Fall giebt von diesem Verhalten ein instruetives Beispiel. A m . 8 . Oct. 1 8 6 2 wurde der 2 0 Jahre alte Maurergeselle K. wegen einer kopfgrossen Geschwulst am linken Knie i n meine Klinik aufgenommen. Patient war früher gesund. Vor einem Jahr entstanden ohne bekannte Ursache an der linken Wade heftige, reissende Schmerzen, welche das Gehen erschwerten. Vor einem halben Jahre bemerkte l'atient zuerst eine wallnussgrosse, derbe, wenig schmerzhafte Geschwulst, die sehr rasch zunahm. Die Geschwulst verbreitet sich an der äusseren Seite des Kniegelenks, am oberen D r i t t t h e i l der Tibia und a m unteren des Femur, fühlt sich sehr fest und derb an und ist unbeweglich m i t dem Knochen verbunden; die bedeckende Haut unverändert, die Venen leicht erweitert. Schmerzen in der Geschwulst, das Gehen ers c h w e r t ; Allgemeinbefinden erheblich gestört; die Drüsen in der Inguinalgegend leicht vergrössert, fühlen sich hart an, schmerzlos. A m p u t a t i o f e m o r i s am 4. Novbr. Heilung der Wunde grösstentheils per p r i m a m . Bestand der HeiluDg nach 2 Jahren constatirt. — A n a t o m i s c h e r B e f u n d (nach G r o b e ) . A u f dem Durchschnitt erweist sich die Geschwulst als ein Aggregat theils isolirter, theils zusammenfassender Knoten von Wallnuss- und Apfel-Grosse, durch eine lockere Bindegewebshülle von den Nachbartheilen abgegrenzt. Die meisten Knoten bestehen aus blass-gelbem spongiösem Knochengewebe, aus dem sich eine etwas grau-röthliche, dem Knochenmark ähnliche Masse ausdrücken lässt; in anderen ist das spongiöse Knochengewebe weniger reichlich und daneben eine weiche grau-gelbe und rötbliche Geschwulstinasse. Beim Einschneiden an der äusseren Seite der Kniekehle entleert sich ein hämorrhagischer Brei, der in der Tiefe, i m Spalium interosseum, und nach unten von noch wohl erhaltener, consistenterer, der Gebirnsubstanz ähnlicher Geschwulstmassc begrenzt wird. Die Neubildung ist i n ihrer ganzen Ausdehnung m i t dem Periost der Tibia verwachsen, das jedoch noch vollkommen erhalten i s t ; beide lassen sich ohne besondere Gewalt von einander trennen. Die Bindenscbicbt der Tibia ist in dieser ganzen Ausdehnung verdünnt, die spongiöse Substanz verdichtet. — Die grau-rüthliche Gescbwulstmasse aus der Kniekehle zeigte unter dem Mikroskop alle Eigenschaften eines weichen, faserigzelligen Sarcoms. Die zelligen Elemente spindelförmig, m i t sehr kurzen Ausläufern, rhomboidal, rundlich, polyedriscb, m i t einem oder mehreren K e r n e n ; die Intercellularsubstanz halbweich, körnig, an einzelnen Stellen leicht faserig; die Blutgefässe müssig reichlich, von gewöhnlichem Caliber. I n dem hämorrhagischen Brei waren die zelligen Elemente i n fettigem Zerfall. — Die Untersuchung von Schnitten durch die grösseren Knoten, an der Grenze des weichen und spongiösen Gewebes, liess ein verschiedenes Verhalten erkennen. Die w e i c h e n Theile stimmten in ihrem Bau m i t dem bereits, b e s c h r i e b e n e vollkommen überein. Daneben fanden sich Stellen, wo die Intercellularsubstanz i n ein gleichmässiges, dichtes, m a t t glänzendes Fasernetz umgewandelt war, ähnlich der Intercellularsubstanz eines weichen hyalinen Knorpels. Der Durchmesser der Fasern war wechselnd, von sehr grosser»Feinheit bis zu demjenigen grober elastischer Fasern. I n jedem Maschenraum dieses Faserwerkes lagen j e eine oder auch mehrere Sarcomzellen. Das Bild entsprach vollkommen dem des wachsenden Epipliy• nknorpels an der Ossificationsgrenze. Das Verhalten des o s s i f i c i r t e n Gewebes
574
Ernabrungs-Störungen.
war gleichfalls ein doppeltes.
An einzelnen Stellen war die Verkalkung
noch
ständig, das F a s e r n e t z w a r von feinen, schwärzlichen Kalkkörnern incruslirt, a n anderen,
wo dieselbe
scheinenden,
gleichmässigen
k a l k u n g der
Intercellularsubstanz
Knoten, so waren.
dass
vollendet war,
das Fasergerüst aus
Knochensubstanz
allenthalben
bestand.
verbreitete sich
unvollwährend
einer dichten,
durch-
Diese Verdichtung und
unregelmässig
Ver-
durch die einzelnen
die verschiedenen Stadien der Umbildung zu erkennen
Während diese Verkalkung mit der Verknöcherung des hyalinen Knorpels viel-
fach ü b e r e i n k o m m t , ist der ganze Vorgang doch dadurch wesentlich verschieden,
dass
die Sarcomzellen, in dem Maasse als die Verkalkung der Intercellularsubstanz vorwärts schreitet, zu G r u n d e geben, w ä h r e n d die Knorpelzellen oder, beim periostealen Knochenwachstbum, die Bindegewebszellen Nirgend
fand
sieb
Knochensubstanz.
in d e r
in
Knocbenkörperchen
Neubildung,
selbst
(Knochenzellen)
übergeben.
in den festesten T b e i l e n ,
eigentliche
Die zelligen Elemente zeigten an den Stellen, wo die Intercellular-
substanz einen h o b e n Grad hyaliner Verdichtung erfahren hatte, schwächere Contouren und beginnende fettige D e g e n e r a t i o n ;
in den ossifleirten Tbeilen fanden sich in den
s e h r engen Maschenräumen n u r kernartige Gebilde oder freie F e t t k ö r n e b e n . Uebereinstimmend im anatomischen Befund, wenn auch nicht im Verlauf, ist der von J o b . M ü l l e r a n g e f ü h r t e 3. Fall (I. c. pag. 4 1 0 ) , den auch R u f f m a n n beschrieben bat.
Der 14jährige Kranke starb 9 Wochen nach der Amputation an Lungentuberkulose
und Pleuritis; ausserdem fand sich in der reebten Lunge ein rundlicher Knochen von dem Durchmesser des D a u m e n s und in der linken ein erbsengrosser ossißeirter Knoten. Die Hauptgeschwulst schildert M ü l l e r folgender Maassen: der weiche Theil besteht aus einer anscheinend dichten, weisslich grauen, ziemlich festen, gefässreichen, nicht
zer-
reissbaren Masse, die u n t e r dem Mikroskop ein fein spongiöses Balkengewebe darstellt. Die Grundmasse
des
spongiösen Netzgewebes ist undeutlich
eingestreute primitive Z e l l e n ; e s i s t e i n e d e m K n o r p e l Structur
und chemischen
Zusammensetzung
faserig und enthält viele
v e r w a n d t e , a b e r in d e r
abweichende
licher dem Knochenknorpel zur Zeit des Ueberganges in
Ossiflcation.
Tbeil besteht a u s demselben Gewebe im Zustande der Ossiflcation. der chemischen
Untersuchung
Kochen, kein C h o n d r i n ,
Masse,
M ü l l e r fand bei
des weichen Theils der Geschwulst, nach
sondern gelatinirenden
ähn-
Der ossificirte 12stfindigem
Knochenleim.
b) Das o s s i f i c i r e n d e S a r c o m ist dadurch ausgezeichnet, dass in ihm eine Neubildung von c o m p a c t e r K n o c h e n s u b s t a n z stattfindet, die in ihrem histologischen Verhalten mit der normalen vollständig übereinkommt. Die Knochenbildung beginnt an der Basis der Geschwulst, wo sie mit dem normalen Knochen in Verbindung steht. Indem beide Substanzen frühzeitig verschmelzen, gewinnt der Process den Charakter einer umfangreichen periostealen Auflagerung, einer Hyperostose oder Exostose aus compacter Knochensubstanz. Die weichen Theile der Neubildung besitzen den Charakter einer bald mehr weichen, ödematösen, bald festeren Faserzellen-Geschwulst (vgl. pag. 561). Unter dem Mikroskop erweist sich diese aus einem verschieden dichten, saftreichen Fasergewebe von filzarliger Anordnung zusammengesetzt; die Fasern sind bald dünner bald dicker, dazwi-
Osteoides
575
Sarcom.
sehen finden sich verhältnissmässig wenig kernhaltige Spindelzellen und spärliche Blutgefässe. D i e Zahl der geDauer u n t e r s u c h t e n Fälle ist bis jetzt nicht g r o s s ; i c h theile halb d e n folgenden mit, dessen a n a t o m i s c h e
Untersuchung
von G r o b e
M . K . , 2 4 Jahre alt, D i e n s t m ä d c h e n , w u r d e a m 2 . F e b r . 1 8 6 2 aufgenommen. findet die
sich
Patientin
eine
Mille
des
ist
kräftig
Geschwulst,
Humerus
und
bis
Grösster Umfang am kranken derarm, Die
nach
Aussen
Geschwulst
fluetuirend.
ist
und
an
und wohlgenährt;
grösser
als
fast
in
die
Milte
Ellenbogengelenk
Hinten
einzelnen
am
der K o p f eines
luxirt,
hart
in
U r s a c h e b e g o n n e n haben.
Das
der
gegrenzt.
die
selbst
Vorfest.
höckerig,
bald
f.eschwulstmasse
lockeres
finden s i c h mehrere
liegenden K n o c h e n
bestehen.
laufen s e h r
Knoten,
ist stark
gallertigen
Fasergewebe
Humerus
und
höckerige
Knochenauflagerungen
nicht
mehr
zu
erhebt s i c h
in
Humerus
Ulna
unförmig
erkennen.
der
die
fettig degenerirt
zum
(hyperostotisch)
verdickt*
der vorderen
Fläche
' / 2 Z o l l dicker, frei
Geschwulstmassc
in
die
Nach
An
Sonst des
Durchsägung
platter,
sclerosirt. — steht
aus
Genebe
Mikroskopische
fibrilläretn
im
findet
dessen
M a s c h e n r ä u m e von einer
migen
Flüssigkeit
erfüllt
sind;
üdematös
in-
an
der
hineinragt,
ergiebt
Theile
einzelnen Zellen
Gelenk-Enden des
Humerus
zum
Kno-
grossen
Theil
S t e l l e n finden s i c h
sich,
dass
der
eine auch
des H u m e r u s
sich
Kno-
grössere
elfenbeinerne die
ist
vielfach
kleineren
grossentheils
durchkreuzen
theils a l b u m i n ö s e n , Stellen
finden
meistens
theils
sich
zarte,
mit
einem
beund
schleibreite,
oder
daneben
noch
Fettkörnchenkugeln
schwulst
bildet ein gallertiges Fasergewebe, ä h n l i c h d e m eines ö d e m a t ö s e n Nabelstranges.
u n d freie F e t t k ö r n e b e n .
bestehen a u s g e w ö h n l i c h e r
compacter
nur
am
mit denen die F a s e r -
D i e weiche G e s c h w u l s t m a s s e
Faserzüge
des
durch
hakenförmig gekrümmter
besteht, g l e i c h s a m
gelblichen,
aufgequollene
Gelenk-Enden
spindelförmige
Die Knocbenfortsälze
rundliche
unteren
dessen
klaren, nur
ohne
sich in der Geschwulst keine
Untersuchung.
Fasergewebe,
sich
Gelenbgruben
E x o s t o s e des H u m e r u s darstellt; die gleiche Beschaffenheit hatten spongiöse
Faser-
besetzt, die a u s d e m -
Form
verschiedenen
Humerus
Knochenfortsatz aus compacter Knochensubstanz
Das
unter-
filzartigen
des G e l e n k - E n d e s
Gelenkhöhlc
übergeht.
m a s s e ebenfalls fest v e r w a c h s e n ist. chen-Neubildung.
weichen
den
und
Die die
ausgefüllt, die u r s p r ü n g l i c h e
Von
Theil
wie die G e s c h w u l s t .
u n d a n der U l n a kleinere, h ö c k e r i g e K n o c h e n a u s w i i c h s e ,
Fortsätze.
mit
a u s g e d e h n t , m i t gelber d i c k f l ü s s i g e r S y n o v i a erfüllt,
besteben
ein 2 Zoll langer,
chenfortsatz, jedoch
der
ab-
die M u s k e l n s i n d i n der
die I n n e n f l ä c h e mit g r o s s e n zotligen, gefässreichen E x c r e s c e n z e n selben
Ge-
unregelmässig
I n m i t t e n der welche
—
saftreichen,
Die N e u b i l d u n g verbreitet
benachbarten Weichtlieilen;
theils untergegangen, theils fibrös u n d
Die Gelenkkapsel
gemacht.
in der g a n z e n
fibrösen U e b e r z u g
Maschengewebe.
wallnussgrosse
masse, von weissem sehnigem Glänze
liltrirl.
sich
verwachsen s i n d u n d a u s einer s e h r viel dichteren,
s c h a r f e B e g r e n z u n g z w i s c h e n den Fasermasse
humeri
a u s e i n e m weichen,
F a s e r g e w e b e ; die F a s e r z ü g e
dichteres
und
des O b e r a r m s i m s u b c u t a n e n
und
bald
a n d e r e n weich
welche
ist d u r c h einen festen
:in einzelnen S t e l l e n gallertigen ein
an
R a d i a l p u l s deutlich f ü h l -
Uebel soll i m S o m m e r 1 8 6 0 o h n e b e k a n n t e
D i e G e s c h w u l s t bestellt auf d e m D u r c h s c h n i t t
bilden
gegen
erstreckt. Der
und
an der vorderen S e i t e
Neubildung
sich
halber Beugung unbeweglich
A m 1 8 . F e b r . w u r d e die A m p u t a t i o
Geschwulst
webe v e r b r e i l e t ;
Ellenbogengelenk
Vorderarms
D i e U l c e r a t i o n e n i n der E l l e n b e u g e f ü h r e n in eine H ö h l e , Ausdehnung
ist.
Klinik
E r w a c h s e n e n , die b i s
G e s c h w ü r e i n der E l l e n b e u g e entleeren J a u c h e .
b a r , A c h s e l d r ü s e n nicht geschwollen.
meine
4 9 Cmt., am gesunden 2 2 .
steht
Stellen
des
in
rechten
des-
ausgeführt
Die Hauptmasse
Knochensubstanz
Kern,
der
mit
Ge-
Ha-
576
Ernahrungs-Störungen.
versischen Canälchen UDCI concentrisch gruppirleo K n o c h e n k ü r p e r c b e n .
Die
Knocben-
Deubilduog scheint beendet gewesen zu sein, da nirgend f r ü h e r e S t a d i e n der Knocheobildung o d e r .periosteale Zellenwucherungen vorhanden waren. —
Die Heilung erfolgte
o h n e Schwierigkeit und war dauernd.
Die o s t e o i d e n S a r c o m e haben mit den o s t e o i d e n C a r c i n o m e n sehr viel Gemeinschaftliches. Ihr Ausgangspunkt ist zunächst ebenfalls das Periost, dessen osteoplastische Eigenschaft sich auf alle von ihm ausgehenden Neubildungen zu erstrecken scheint; der Sitz ist am Häufigsten an den grossen Röhrenknochen der Extremitäten 1 ) und an den Kiefern. — Die meisten Fälle wurden bei jüngeren Individuen beobachtet, im Beginn der zwanziger Jahre und noch vor dieser Zeit; wiederholt sah man die Entwickelung der Geschwülste kurze Zeit nach einem Trauma (Stoss, Schlag, Fall), andere Male bestanden früher längere Zeit „rheumatische" Affectionen. — Die spongioiden Sarcome erreichen in der Regel einen grösseren Umfang und wachsen sehr viel rascher, als die ossificirenden. Die P r o g n o s e ist bei beiden Formen nicht ungünstig, bei der letzteren, nach den vorliegenden Beobachtungen, sogar eine gute zu nennen, — v o r a u s g e s e t z t , d a s s d i e O p e r a t i o n z u e i n e r Z o i t g e m a c h t w i r d , wo die G e s c h w u l s t n o c h n i c h t z u m D u r c h b r u c h gekommen und der K r ä f t e z u s t a n d des P a t i e n t e n d u r c h den S ä f t e v e r l u s t n o c h n i c h t zu s e h r g e s u n k e n ist. — Secundäre Ablagerungen in anderen Organen sind viel seltener als bei den osteoiden Carcinomen. Die B e h a n d l u n g kann nur eine operative sein, und die Amputation wird, sofern die Geschwulst an einer Extremität sitzt, in den meisten Fällen der einzige Ausweg bleiben.
III. Schleimgeschwnlst.
Myxoma.
S c h l e i m g e s c h w u l s t , M y x o m a , nennen wir, nach dem Vorgange von V i r c h o w ' ) , eine Neubildung, welche namentlich aus Schleimgewebe besteht, jenem Gewebe, welches beim Embryo in grosser Verbreitung, namentlich an solchen Stellen vorkommt, an denen sich später Fettgewebe findet, und als dessen Prototyp die W h a r t o n ' s c h e Sülze des Nabelstrangs betrachtet werden kann. Auf dem Durchschnitt ' ) Verschiedene Durchschnitte solcher Knochen sind abgebildet Travers,
Surgical essays.
Parti.
Taf. 8 u. 9.
Lond.
1816,
in A. C o o p e r und
and
in J. P a g e t ,
S u r g . patb. Bd. II. Fig. 6 5 . J
) Archiv f. pathol. Anat. 1 8 5 7 , Bd. XI. pag. 2 8 6 , Cellularpathologie 3. Aull. pag. 4 4 4 , K r a n k h . Geschw. Bd. I. pag. 3 9 6 u. f.
577
Mjxoma.
eines reinen, einfachen Myxoms, M y x o m a h y a l i n u m , erscheint die Geschwulstmasse als eine weiche, zitternde, durchscheinende oder selbst durchsichtige Gallerte, in welcher das Mikroskop spindelförmige Zellen mit langgestreckten sternförmigen oder netzförmig verästelten Ausläufern in bald regelmässiger, bald unregelmässiger Anordnung eingebettet, erkennen lässt. Die Menge der Zellen schwankt im Verhältniss zu der Masse der structurlosen schleimigen Intercellularsubstanz. Ein Theil der zelligen Elemente vereinigt sich beim weiteren Wachsthum zu einem faserigen Maschenwerk, wobei sie anfänglich ihren zelligen Charakter noch behalten, während sie später zu Grunde gehen und nur die Kerne oft noch länger persistiren. Die Intercellularsubstanz nimmt dabei an Menge zu, ist anfanglich mehr dick-, später dünnschleimig und füllt das zarte Maschenwerk aus, wodurch die Schnittfläche die zitternde gallertige Beschaffenheit erhält. Ein anderer Theil der zelligen Elemente erhält sich noch länger in dem schleimigen Inhalt des Maschengerüstes, geht jedoch später ebenfalls zu Grunde, so dass nur das Maschenwerk mit dem in verschiedenem Grade flüssigen Inhalt übrig bleibt. Anderer Seits überwiegen aber auch sehr oft die Wucherungen der zelligen Bestandtheile des Myxoms, woraus dann das M y x o m a m e d u l l ä r e hervorgeht, welches sich an die Sarcome nahe anschliesst. Durch fortschreitende Verflüssigung des Schleimes entsteht das M y x o m a c y s t o i d e s , zu welchem wahrscheinlich viele der als Cölloidkrebs bezeichneten Cystengeschwülste, namentlich im Bereich der Sexualdrüsen, zu rechnen sind (Adenomyxoma). Relativ häufig kommen Geschwülste vor, in denen Schleimgewebe mit anderen Neubildungen gemischt ist, wahrscheinlich durch Combination beider. Dahin gehören das M y x o m a s a r c o m a t o s u n i (Myxosarcoma), f i b r o s u m (Myxoflbroma), c a r t i l a g i n e u m (Myxochondroma), t e l e a n g i e c t o d e s , l i p o m a t o s u m s. L i j i o m a m y x o m a to d e s . Die letztgenannte dieser Mischformen, welche wir bereits pag. 394 erwähnten, hat sowohl in theoretischer, als in praktischer Beziehung eine besondere Bedeutung. Auf den ersten Blick könnte es nämlich scheinen, als müssten solche Geschwülste, wenn sie sich in dem aus dem embryonalen Schleimgewebe hervorgegangenen Fettgewebe entwickeln, den homologen Gewächsen angereiht und als modificirte Lipome aufgefasst werden. Dies ist aber nicht der Fall. Sie sind vielmehr als M y x o m e anzusehen, deren Zellen sich mit Fett gefüllt haben, besitzen deshalb auch viel kleinere Fettzellen, als der umliegende Panniculus, sehen viel weisser aus als Lipome, und theilen alle bösen Eigenschaften der Myxome 1 ). ' ) Vgl. V i r c h o w ,
I.e.
B a r d e l e b e n , Chirurgie.
u n d die B e o b a c h t u n g von L ü c k e , I. c. pag. 1 7 6 . 7 . Aufl. I.
37
578
Ernahrungs- Störungen. V i r c h o w , welcher d a s M y x o m a l i p o m a t o d e s
zuerst entdeckt und
beschrie-
ben h a t (Archiv für patholog. Anatomie, 1 8 5 7 . N. F. Bd. I. pag. 2 8 1 ) fand dasselbe bei einem schen" Schmerz
53jährigen
Schmerzen
Schneider, der
seit etwa 11 W o c h e n
heimgesucht war.
in d e r Lendengegend
und
von bertigen
„rheumati-
Insbesondere h a t t e er über einen gürtelartigen über
Reissen
in den
Hüften geklagt.
Schon 6
W o c h e n vor dem T6de stellte sich Parese der Unterexlremitäten, Incontincnz des Harns und des Kothes, l e b h a f t e Schmerzhaftigkeit des linken Armes, und
der Tod erfolgte u n t e r
Schenkelbeuge
eine
zunehmender
Reihe von
Schwäche.
wallnussgrossen
Decubitus sacralis ein,
Es fanden sich in d e r linken
Geschwülsten, von
gleichenden Beschaffenheit, stellenweise von cystoidein Aussehen. Aesten
des
N. cruralis in Verbindung, dem
s o m i t ganz die Form der Neurome. grube, am Rande
der
und
dicke,
8
Millimeter
Saphenus
einer Stelle den obersten
minor und m a j o r , und
Dache Geschwulst,
Knochen,
und
Lendenwirbel, sowohl
welche wesentlich
in d e r Nähe
auf
der
dessen zellige Elemente
an
von der Dura m a t e i
Dieselbe durchbrach an
zeigte a u c h das Periost und d e r Muse,
Endlich fanden sich noch in der Gegend der
in den Weichtheilen u m die Wirbelkörper, Dura mater analoge Geschwulstmassen.
kopische Untersuchung lehrte, dass diese Geschwülste erfüllt waren.
hatten
Fissura orbitalis, eine 2 Cenlimeter im Durchmesser haltende
weissliche Infiltration.
h a l b der Wirbelböhle,
Lipom
Ebenso fand sich ia der linken vorderen Schüdel-
ausging und n u r lose mit d e r Arachnoldea verwachsen war. temporalis eine
einer dem
Dieselben waren mit
einzelnen
(trübe
aus
Schleimgewebe
erscheinenden)
Stellen
als inner-
Die mit
mikros-
bestanden, Fetttropfen
Die weicheren Theile der Geschwulst erinnerten lebhaft an das Gewebe
des Nabelstranges, während die festeren fast knorpelartig
erschienen.
Bevor man die Structurverhältnisse des Schleimgewebes durch V i r c h o w kennen lernte, hat man die aus ihm gebildeten Geschwülste verschiedenen Geschwulstarten unter wechselnden Benennungen zugezählt. Namentlich gehören hierher viele C o l l o i d g e s c h w i i l s t e der älteren Autoren, das ColloTiema M U l l e r ' s , die i n f i l t r i r t e C o l l o i d g e s c h w u l s t mancher Neueren. Der S i t z der Myxome ist vorwiegend häufig im F e t t g e w e b e (Oberschenkel, Rücken, Hand, Gesicht, Schaamlippcn, Mesenterium), ferner im K n o c h e n m a r k (Kiefer, Femur), an den Centraiorganen des Nervensystems und an den peripherischen Nerven (Neuroma myxomatosum), auch in einzelnen Drüsen, namentlich Parotis und Brustdrüse (wo wahrscheinlich auch von den Myxomen ein Contingent zu den „Cystosarcomen" geliefert wird). Das V e r h a l l e n d e s M y x o m s zu d e n u m g e b e n d e n T h e i l e n ist nicht immer dasselbe. Bald ist es abgekapselt, bald dringt es diffus in dieselben ein; letzteres Verhalten findet sich vorzüglich an secundären Geschwülsten. Das W a c h s t h u m der Myxome beginnt, wenn sie auch aus einer fötalen Anlage entspringen und sogar congenital vorkommen können ( S c h u h ) , meist erst nach den Pubertätsjahren und schreitet gewöhnlich langsam fort; namentlich beim Myxonia lipomatodes. In Betreff
579
Tuberkel.
der M a l i g n i t ä t nimmt grade das letztere den ersten Platz ein (vgl. pag. 5 7 7 ) ; auch alle anderen Arten und Abarten des Myxoms sind b ö s a r t i g , sie bedingen nicht blos lócale Recidive, sondern auch secundare Geschwülste in inneren Organen. Die D i a g n o s e der Myxome ist vorzüglich wegen der Häufigkeit ihrer Combinationen schwierig. Man findet in der Regel mehr Grund an ein Lipom, Sarcom, Enchondrom oder an eine Cyste zu denken, als gerade an ein Myxom, für welches irgend ein pathognomonisches Symptom sich nicht angeben lässt. Jedenfalls wird der Verdacht auf Myxom genügen, um zu f r ü h z e i t i g e r und g r ü n d l i c h e r Exstirpation, als der einzig zulässigen B e h a n d l u n g , anzutreiben.
IT.
Tuberkel, Tubercula.
Mit demselben Rechte, wie die Lehre vom Krebfc vorzugsweise der Chirurgie zugetheilt wird, können wir die genauere Untersuchung der Tuberkel in das Gebiet der inneren Medicin verweisen, da nicht blos innere Organe (besonders die Lungen) viel häufiger ihr Sitz sind, sondern auch fast alle genaueren Untersuchungen über die Structur des Tuberkels und das Wesen der Tuberculose sich ausschliesslich auf die Lungen beziehen. Jedoch wollen wir, mit Rücksicht auf diejenigen Organe, in welchen der Chirurg am Häufigsten Tuberkel findet (Lymphdrüsen und Knochen), das Wesentliche über die allgemeinen Verhältnisse der Tuberkel'hier zusammenstellen 1 ). Die a n a t o m i s c h e U n t e r s u c h u n g des Tuberkels und damit auch eine genauere Kenntniss seines V e r l a u f s beginnt mit den Arbeiten von D a y l e und L a e n n e c , Letzterem folgend, nahm man ziemlich allgemein an, dass die tuberculösen Erkrankungen der einzelnen Organe entweder als K n ö t c h e n oder als I n f i l t r a t i o n erscheinen, und zwar die ersteren entweder zerstreut als sogenannte Tuberkelgranulationen, Miliartuberkeln, oder in Haufen, als Tuberkelconglomerate. Die. Tuberkelknötchen sowohl, wie die Tuberkelinfiltration sind bald von grauer, bald von gelblicher Farbe, entweder durchscheinend, glänzend, oder opak, bald härter, bald weicher, oft zerrciblich, brüchig, zuweilen mit ausgetretenem Blutroth, auch wohl mit schwarzem Pigment durchsetzt (hämorrhagischer, melanotischer Tuberkel). — Die ' ) Eine geordnete und vollständige Uebersicht
der geschichtlichen E n t w i c k l u n g
der
Lehre von der Tuberculose und eine umfassende Darstellung f r e m d e r und e i g e n e r experimenteller Arbeiten über Tuberculose giebt L. W a l d e n b u r g nopraphie
„die T u b e r c u l o s e ,
die
Lungenschwindsucht
und
in seiner Mo-
Scrofulose"
1 8 6 9 ) , woselbst auch die literarischen Nachweise zu finden sind.
37*
(Berlin,
580
. Ernährungs-Störungen.
grauen, halbdurchscheinenden, hirsekorngrossen (miliaires), rundlichen, mehr oder weniger resistenten, mit der Umgebung fest verbundenen Granulationen oder K n ö t c h e n (granulation grise) wurden nach dem Vorgange L a e n n e c ' s als das früheste Stadium des Tuberkels, als ein Uebergang zum gelben Tuberkel betrachtet. Mehrere solcher Knötchen vergrössern sich, fliessen allmälig zusammen und bilden Massen von der Grösse einer Nuss und darüber mit den eben beschriebenen physikalischen Eigenschaften. Während dieser Vergrösserung der einzelnen Knötchen wird das Centrum derselben gelblich, opak, dichter, gewinnt das Ansehen des Knorpels, obgleich nicht die Festigkeit desselben; von dem Centrum breitet sich diese Veränderung nach der Peripherie zu aus, und die ganze zusammengeflossene Masse stellt dann, nach L a e n n e c , das zweite Stadium des Tuberkels, den c r u d e n T u b e r k e l , dar. Nach einer mehr oder weniger langen Zeit wird die crude Tuberkelmasse vom Centrum her gelb, halbflüssig, von der Beschaffenheit eines dicklichen Eiters oder Breies und ist somit auf dem dritten Stadium, dem der E r w e i c h u n g , angelangt. Hat der Tuberkel diese Beschaffenheit angenommen, dann erregt er in den umgebenden Theilen Entzündung, diese eitern und verschwären schichtweise, bis ein Weg gebahnt ist, auf welchem die tuberculöse Masse entweder nach Aussen oder in irgend eine Höhle entleert wird (Phthisis tuberculösa). Der Raum, welchen sie ausfüllte, wird eine Höhle (tuberculöse C a v e r n e ) , deren Wände sich mit einer Membran auskleiden, die meist zu einer unversiegbaren Quelle von Eiterung wird. Fast immer findet man gleichzeitig in e i n e m Organe alle drei Stadien der tuberculösen Erkrankung. R o k i t a n s k y ( L e h r b . d. path. Anatomie. Bd. I. Wien, 1 8 4 6 ) unterschied f r ü h e r , von
der Ansicht
ausgehend,
dass allen pathologischen Neubildungen die Organisation
freier Exsudate zu Grunde liege, folgende Arten von primitivein Tuberkel. 1 ) Der e i n f a c h
faserstoffige
Tuberkel
(die
graue
Tuberkelgranulation
L a e n n e c ' s ) ist keiner anderen Metamorphose als der Obsolescenz fähig, indem er zu einem wenn
harten, amorphen
oder undeutlich faserigen Knötchen umgewandelt w i r d ;
er mit croupös-faserstofflgen Tuberkelblastem gemischt ist, k a n n ,
tansky,
nach
nur
Roki-
Erweichung in ihm auftreten.
2 ) Der c r o u p ö s - f a s e r s t o f f i g e T u b e r k e l erscheint in Form rundlicher Knoten, unregelmässig-höckerig ästiger
Massen, oder drusig höckeriger Schichten
auf
freien
Oberflächen, ist ursprünglich gelb, opak, j e nach Umständen von m e h r faserigem o d e r körnigem Bruch, morsch, speckig, kSsig u. s. w . (gelber Tuberkel, gelbe Tuberkelmasse). Die Metamorphosen dieses Tuberkels s i n d : Erweichung (Vereiterung) und Verkreidung; letztere tritt nie unmittelbar in dem gelben Tuberkel, sondern nur in dem zerflossenen Tuberkelblastem
a u f , welches zu
einem f e u c h t e n ,
dickt und endlich unter Volumsverringerung zu einem gewandelt wird.
fettig-schmierigen mörtelartigen
Kalkbrei
einge-
Concremente um-
581
Tuberkel.
3 ) Der e i w e i s s s t o f f i g e T u b e r k e l (acute Tuberculose, acute Miliartuberculose) exsudirt immer in grosser Menge unter Erscheinungen der Hyperämie und stellt meist solide, mobnkorngrosse, helle, bläschenartig durchsichtige weichere, glutinöse, graue, — dar.
oder matt durchscheinende,
seltener opake, weiäsliche, weisslich-gelbe Granulationen
Gleichzeitig exsudirt immer eine serös-albuminöse, die gefallenen Gewebe infil-
trirende, grauliche, sulzeartig-kleistrige Feuchtigkeit (gelatinöse Hepatisation).
Als pri-
mitive Tuberculose tödtet diese Form sehr schnell, meiät unter typhösen Erscheinungen, indem sie schnell ganze Organe, auch mehrere Organe zugleich befällt;
gewöhnlich
aber bildet sie nur die letzte tödtliche secundare Tuberkelablagerung in Individuen, welche bisher an chronischer Tuberculose
litten.
Sie ergreift vorzüglich die Lunge,
die -Pia mater (an der Basis cerebri), die Milz und die serösen Häute, namentlich auch das Bauchfell. In n e u e r e r Zeit bat R o k i t a n s k y
(Lehrbuch, 3. Aufl. Wien, 1800) d i e s e A n -
s i c h t VOD dem Wesen und der E n t w i c k l u n g des Tuberkels v e r l a s s e n und der von V i r c b o w gegebenen Darstellung der cellularen Entstehung desselben sich angeschlossen. L e b e r t lehrte (Physiologie patbologiquc I. 1 8 i 5 . pag. 3 5 1 ) , dass der Tuberkel aus Molecülen, einer hyalinen Zwiscbensubstanz und eigentümlichen „Tuberkelkörpercben" bestehe, welche letztere von unregehnässiger Form seien und sehr scharfe Contouren liesässen,
in ihrem
Inneren keinen Kern,
sondern nur Molecüle
enthielten,
durch Wasser, Aether und schwache Säuren nicht verändert würden, in concentrirten Säuren
und Alkalien sich
aber auflösten.
Nach der Beschreibung
und
Abbildung
gleichen diese L e b e r t ' s c h e n „Tuberkelkörperchen" vollkommen gewöhnlichen Kernen, wie sie z. B. in ganz gesunden Lymphdrüsen, in der Schilddrüse u. s. f. in grösster Menge vorkommen, und sind in der Tbat auch mit diesen identisch. —
Nach B r u c h
(Diagnose d. bösartigen Gescliw. Mainz, 1848. pag. 3 7 4 ) sind die Elemente des T u berkels denen des Eiters sehr ähnlich, aber, wie der ganze Tuberkel, trockener, geschrumpft, unregelmässig, in Essigsäure unlöslich; es können sich alle Uebergänge von ihnen zu den vollkommen ausgeprägten Eiterkörperchen
finden. —
Die Ansicht, dass
der Process der Tuberkclbildung (wie auch ältere Autoren annahmen) von einer chronischen Entzündung
nicht wesentlich verschieden sei, welche in der von
Laennec
aufgestellten „ g e l a t i n ö s e n u n d t u b e r c u l ö s e n I n f i l t r a t i o n " wieder einen bestimmteren Ausdruck gefunden bat, wurde in Deutschland ganz besonders durch R e i n h a r d t vertreten (Charite-Annalen, 1850, pag. 362).
Das Eigentümliche jenes Krank-
heitsprocesses besteht, nach seiner Ansicht, nicht in der Bildung und Ablagerung eines specifischen pathologischen Productes, sondern
darin,
dass
unter seinem
Einflüsse
wiederholt Entzündungen mit zumeist chronischem Verlauf in verschiedenen sieb ausbilden.
Was
die Entstehung
des g e l b e n
Tuberkels
Organen
anbetrifft, so gelangte
H e i n b a r d t (Archiv f. pathol. Anat. Bd. 1. pag. 20 etc.) durch mikroskopische Untersuchungen zu dem Resultate, dass die ersten Stadien desselben (in den Lungen) vollständig
mit denjenigen Formen der Pneumonie
Eiterbildung in den Lungenbläschen kommt. teile
des Eiters
mehr
übereinstimmen,
bei denen es zur
Weiterhin werden die flüssigen Bestand-
und mehr resorbirt, eingedickt, verdichtet;
schrumpfen mit Verlust ihrer regelmässigen Umrisse
die
Eiterzellen
und ihrer Kerne ein, werden zu
schollenartigen Körpern, die sich in Wasser und verdünnter Essigsäure wenig verändern, in stärkeren Säuren und kaustischen Alkalien aufschwellen und durchsichtig werden, ohne dass durch diese Zusätze ihre frühere Structur wieder erkennbar würde, — werden zu den sogenannten Tuberkelkörperchen. substanz immer
mehr
sie
Allmälig wird diese gelbe Tuberkel-
trocken und fest, heller und weissgelb, und bildet dann mit
582
Ernährungs-Störungen.
dem grauen, sie einschliessenden, m e h r oder weniger pigmentirten, aus der gelatinösen Infiltration hervorgegangenen
Bindegewebe
die
derben halbknorpligen,
obsoleten
Tu-
b e r k e l m a s s e n , die, j e nach der Aasdehnung d e r ursprünglichen E n t z ü n d u n g s h e r d e , bald isolirte
und
bilden.
R e i n h a r d t b a t , n i e aus dieser Darstellung h e r v o r g e h t , die bei der chroni-
schen
conglomerirte
miliare
Granulationen,
bald
ausgedehntere
Indurationen
Lungentuberculose stets vorhandenen entzündlichen Veränderungen des Lungen-
parenchyms
und
der Bronchien
mit
der Tuberkelbildung identificirt und das Eigen-
t ü m l i c h e der letzteren vollkommen ü b e r s e h e n . d a h e r n u r das Verdienst, gegründete,
genaue
Lungenparenchyms,
anatomische und
Die Arbeiten von R e i n h a r d t
zum ersten Mal e i n e , auf mikroskopische Darstellung
insbesondere
der
entzündlichen
der bis dabin
haben
Untersuchungen
Veränderungen
noch n i c h t genauer
des
gekannten
„ g e l a t i n ö s e n I n f i l t r a t i o n " L a e n n e c ' s gegeben zu h a b e n , wahrend unsere Kenntnisse von
der Entstehung
und
den Veränderungen
des T u b e r k e l s
selbst
dadurch in
keiner Weise gefördert worden sind.
Die Verschiedenheit und Unsicherheit der Ansichten über das Wesen des Tuberkels wurde erst durch die Untersuchungen V i r c h o w ' s in's Klare gebracht, deren Resultate gegenwärtig allgemeinen Eingang gefunden haben. Nach V i r c h o w 1 ) entwickelt sich der Tuberkel stets in Form eines kleinen circumscripten K n ö t c h e n s , als „Miliar-Tuberkel"; zuweilen liegen mehrere solcher Knötchen beisammen und bilden dann ein Tuberkel-Nest oder einen Tuberkel-Herd. Jeder Tuberkel stellt einen ebenso selbstständigen, nur sehr viel kleineren Geschwulstknoten dar, als ein Krebs- oder Sarcom-Knoten. Die entzündlichen Veränderungen, welche der Tuberkel bei längerem Bestände in seiner Umgebung veranlasst, sind nur Folgezustände der durch ihn bedingten Reizung, die jedoch genetisch von der Tuberkelbildung wesentlich verschieden sind. Die Verschiedenartigkeit der bisherigen Ansichten über das Wesen der Tuberkulose haben grössten Theils darin ihren Grund, dass man zum Studium derselben sich besonders an die, allerdings am Häufigsten vorkommende Lungen-Tuberculose hielt. Der zarte anatomische Bau sowie der Gefässreichthum dieses Organs begünstigt jedoch in demselben ausserordentlich die Entwickelung der verschiedenartigen Formen entzündlicher Veränderungen, deren Umfang und Heftigkeit häufig den tuberculösen Process übertreffen, so dass es unmöglich ist, denselben in seiner reinen Gestalt und Eigenthümlichkeit zu erkennen. Ungleich mehr eignen sich hierzu die serösen Häute (Pleura, Pia mater) oder die Schleimhäute. Mikroskopisch besteht der Tuberkel, nach V i r c h o w ® ) , aus einer Masse ein- und mehrkerniger Zellen. „Das, was diese Bildung be») Verband!. d. phys.-med. Gesellschaft zu W ü r z b u r g . Bd. I. pag. 8 2 u. Bd. III. 98. ») Cellularpathologie.
3. Aufl. Berlin, 1 8 6 3 . pag. 4 4 1 u . f.
Tuberkel.
583
„sonders charakterisirt, ist der Umstand, dass sie überaus kernreich „ist, so dass, wenn man sie innerhalb der Fläche des Gewebes bentrachtet, auf den eisten Blick fast nichts als Kerne vorhanden zu „sein scheinen, lsolirt man die constituirenden Theile, so bekommt „man entweder ganz kleine, mit einem Kern versehene Elemente, „oft so klein, dass die Membran sich dicht um den Kern herumlegt, „oder grössere Zellen mit vielfacher Theilung der Kerne, so dass 12 „bis 24 und 30 Kerne in einer Zelle enthalten sind, wo aber immer „die Kerne klein, gleichmässig und etwas glänzend aussehen. „Der Tuberkel steht demnach in seiner Entwickelung dem Eiter „verhältnissmässig am Niichsten, insofern er die kleinsten Kerne und „die verhältnissmässig kleinsten Zellen hat, und er unterscheidet sich „dadurch von allen höher organisirten Formen der Neubildungen „(Krebs, Sarcom), dass diese letzteren grosse, mächtige, oft colossale „Bildungen mit stark entwickelten Kernen und Kernkörperchen dars t e l l e n . Er ist immer nur eine ärmliche Production, eine von vornh e r e i n kümmerliche Neubildung. Von Anfang an ist er, wie andere „Neubildungen, nicht selten von Gefässen durchzogen, allein, wenn „er sich vergrössert, so drängen sich seine vielen kleinen Zellen — „diese, wie eine Kinderschaar, immer dichter an einander gehende „Masse — so eng zusammen, dass nach und nach die Gefässe volls t ä n d i g unzugänglich werden und sieh nur die grösseren, durch den „Tuberkel blos h i n d u r c h g e h e n d e n .noch erhalten. Gewöhnlich sehr „bald tritt im Centrum des Knotens, wo die alten Elemente liegen, „eine fettige Metamorphose ein, welche aber in der Regel nicht vollStändig wird. Dann verschwindet jede Spur von Flüssigkeit, die „Elemente fangen an zu verschrumpfen, das Centrum wird gelb und „undurchsichtig, man sieht einen gelblichen Fleck inmitten des grau „durchscheinenden Korns. Damit ist die k ä s i g e M e t a m o r p h o s e „angelegt, welche später den Tuberkel charakterisirt. Diese Veränd e r u n g schreitet nach Aussen immer weiter vorwärts von Zelle zu „Zelle, und nicht selten geschieht es, dass der ganze Knoten nach „und nach in dieselbe eingeht." Früher bezeichnete man diesen Vorgang im Allgemeinen als T u b e r c u l i s a t i o n , indem man der Ansicht w a r , dass der in die Organe abgesetzte Tuberkelstoff, das tuberculöse Exsudat, der rohe Tuberkel, durch den Vorgang der Tuberculisation in den eigentlichen, gelben Tuberkel umgewandelt würde. „Die käsige Umbildung ist der „regelrechte Ausgang der Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der „nothwendige Ausgang, denn es giebt seltene Fälle, wo die Tuberkel „durch vollständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden;
584
ErnShraogs-Störongen.
„andererseits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen „von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden, ebenso „der Krebs und das Sarcom, die syphilitische Gummigeschwulst, die „Typhusmasse." (V i r c h o w , 1. c.) Entwickelt sich der Tuberkel auf Schleimhäuten, so tritt an der Oberfläche derselben, sobald die rückgängige Metamorphose stattgefunden hat, die Abstossung der abgestorbenen Zellenmassen ein und die Bildung eines Anfangs oberflächlichen, allmälig aber in die Tiefe fortschreitenden Geschwürs; dasselbe kann entweder vernarben, oder es vergrössert sich in die Tiefe und Breite dadurch, dass in den Rändern und auf dem Grunde neue Tuberkel zur Eruption gelangen, welche denselben Zerfall erleiden. In parenchymatösen Organen (Drüsen, Knochen), wo die Ausstossung der erweichten Tuberkelmasse nicht möglich ist, wird dieselbe durch eine neugebildete Bindegewebsmasse abgekapselt und gelangt endlich zur vollständigen Verödung; durch die Ablagerung von Kalkmassen wird die Tuberkelmasse entweder ganz trocken und kreideartig, oder es lagern sich grössere und kleinere Kalkkrümel ab, steinige Concretionen, welche die tuberculöse Caverne ausfüllen. Ueber die E n t s t e h u n g s w e i s e der Tuberkel und die n ä c h s t e n U r s a c h e n ihrer Bildung liegen aus dem letzten Jahrzehnt eine grosse Menge von e x p e r i m e n t e l l e n U n t e r s u c h u n g e n vor, welche alle in dem einen Resultat übereinstimmen, dass es durch Einimpfen sehr verschiedener im Zerfall begriffener Stoffe, sofern nur dadurch eine chronische Eiterung eingeleitet wird, bei den verschiedensten Thieren gelingt, Tuberculöse zu erzeugen. Als erwiesen "sehen die neuesten Forscher auf diesem Gebiete ferner an, dass in diesen Fällen nur körperliche Elemente, welche in den Kreislauf gelangt und durch die Gefässwand in's Parenchym der Organe eingedrungen sind, die Tuberkelbildung an der betreffenden Stelle erregen. Dies würde jedoch, nach W a l d e n b u r g 1 ) , nicht in der Weise geschehen, dass der von jenen relativ-fremden Körpern verursachte'locale Reiz die Genesis des Tuberkels in den Geweben bedingte; sondern die Wirkung soll schon innerhalb der Gefässe beginnen und die Lymphkörperchen (ähnlich wie es bei der Entzündung nach der Theorie C o h n h e i m ' s geschieht) zu einer Auswanderung bestimmen, welcher sich dann die gedachten fremden Körper anschliessen. An dem Orte der Auswanderung wäre also mit dem lrritament auch sofort das nöthige Material an wucherungsfähigen Zellen vorhanden, um die „lymphoide Wucherung", i ) 1. c, pag. 4 1 4 .
Tuberkel.
585
d. h. den Tuberkel zu Stande zu bringen. Mögen wir aber auch von der hypothetischen Erläuterung dieses Vorganges ganz absehen, so muss doch, im Einklang mit den klinischen Beobachtungen und den pathologisch-anatomischen Untersuchungen an Menschen, die ächte Tuberculose „ a u s d e r A u f n a h m e s e h r f e i n v e r t h e i l t e r c o r p u s c u l ä r c r E l e m e n t e in d e n K r e i s l a u f u n d A b l a g e r u n g d e r selben u n t e r K n ö t c h e n b i l d u n g in z a h l r e i c h e n z e r s t r e u t e n P u n k t e n d e r v e r s c h i e d e n e n O r g a n e " abgeleitet werden. Käsig eingedickte Eiterherde, wie sie bei gewissen Pneumonien (die man deshalb gradezu „käsige" nennt) und in chronisch entzündeten (hyperplastischen) Lymphdrüsen besonders häufig vorkommen, sind nicht, wie man früher annahm, als Producte der „Tuberculose", als erweichte Tuberkelmasse u. dgl. m. zu deuten, wohl aber als wichtige und wesentliche ursächliche Momente für die Tuberkelbildung aufzufassen. Die D i a g n o s e der Tuberkel kann nur mit Rücksicht auf die Organe, in denen sie ihren Sitz haben, erörtert werden. In der Form von äusserlich sichtbaren Geschwülsten treten die Tuberkel überhaupt s e h r s e l t e n auf, am Häufigsten noch in Lymphdrüsen, in denen aber grade die Verwechselung käsiger Eiterungen mit wahrer Tuberculose, nach |den vorliegenden Beschreibungen früherer Beobachter, bis vor Kurzem so sehr die Regel gewesen ist, dass über die wirkliche Frequenz der Tuberkelbildung in Lymphdrüsen, sowie über die einer solchen eigenthümlichen Krankheitserscheinungen bestimmte Angaben noch gar nicht gemacht werden können (vgl. Krankheiten der Lymphdrüsen, Bd. 11.). Die P r o g n o s e ist im Allgemeinen ungünstig, zumal das Auftreten der Tuberculose an e i n e r Stelle auf die Anwesenheit von Tuberkeln auch in anderen Organen (besonders den Lungen) schliessen oder deren Entwickelung doch befürchten lässt. Die B e h a n d l u n g mit Hülfe diätetischer und pharmaceutischer Mittel k a n n , als zur inneren Therapie gehörig, hier nicht genauer erörtert werden. Höchst selten hat der Chirurg Gelegenheit, einen Erfolg derselben an solchen Tuberkeln zu beobachten, die er s e h e n und f ü h l e n kann. Wo es sonst zulässig erscheint, ist daher bei äusserlich auftretenden Tuberkeln die E x s t i r p a t i o n ebenso empfehlenswerth, wie bei anderen Neubildungen. Für die P r o p h y l a x i s der Tuberculose ist die Beseitigung käsiger Entzündungen und Erweichungen, namentlich also die frühzeitige Exstirpation hyperplastischer und käsig erweichter Lymphdrüsen von grösster Bedeutung.
586
Parasiten.
Anhang z u m d r i t t e n Abschnitt.
Schmarotzerthiere, Animalia parasita. Die S c h m a r o t z e r t h i e r e werden, je nachdem sie aussen am Körper oder aber in seinem Innern leben, in E p i z o e n (Läuse und Milben) und E n t o z o e n (Eingeweidewürmer) eingetheilt. Die Chirurgie hat es nur mit wenigén Gattungen aus der letzteren Abtheilung zu thuri, indem die erstere, welche nur einige Läuse und die Krätzmilbe umfasst, hergebrachter Maassen der speciellen Pathologie zugetheilt wird. Die hier zu betrachtenden E n t o z o e n sind einige wenige Arten, welche entweder in geschlossenen Höhlen gewisser Organe, oder auch im Parenchym der Gewebe des menschlichen Körpers leben. Es sind nämlich: 1) aus der Ordnung der B l a s e n - ( B a n d - ) W ü r m e r Echinococcus hominis und Cysticercus cellulosae, 2) aus der Ordnung der R u n d w ü r m e r Filaria medinensis. Auch T r i e b i n a s p i r a l i s gehört hierher, da sie in den Muskeln des Menschen vorkommt, hat a b e r , abgesehen von dem z u r mikroskopischen Diagnose vorzunehmenden Aussebneiden ( o d e r Harpuniren) von Muskelstückchen, kein c h i r u r g i s c h e s Interesse.
Die hier zu erwähnenden B l a s e n w ü r m e r (Cystica, R u d o l p h i ) sind sämmtlich Entwickelungsstadien bestimmter B a n d w ü r m e r , gehören also zu den C e s t o i d e a . Es handelt sich um dasjenige Stadium ihrer Entwickelung, auf welchem der ganze Körper oder die hintere Abtheilung desselben blasenförmig ausgedehnt und mit einer Flüssigkeit angefüllt ist 1 ). I.
E c h i n o c o c c u s hominis, H U l s e n w u r m des M e n s c h e n .
Man übersah in früheren Zeiten in den Echinococcus-Blasen die Thierchen selbst wegen ihrer überaus geringen Grösse und rechnete die Bälge und Blasen, in denen ihre Erzeugung vor sich geht, schlechtweg zu den Hydatiden. P a l l a s lehrte die kleinen Thiere zuerst kennen. Späterhin achtete man mehr auf die innere Blasenbildung, folgte aber der Ansicht L a e n n e c ' s 1 ) , dass diejenigen in einem solchen Balge entstandenen und frei in ihm vorkommenden Innenblasen, in welchen man die Thierchen selbst nicht fand, von denen specifisch verschieden wären, welche (obgleich von derselben Structur und Beschaffenheit) ' ) Ein genaues Eingehen auf die böebst interessanten Verhaltnisse des G é n é r a t i o n s ^ Wechsels
der
Chirurgie.
Den vollständigsten
Cestoidea
literarischen Nachweise, lichen J
Parasiten",
liegt ausserhalb der Grenzen Aufschluss h i e r ü b e r ,
findet man in R. L e u c k a r t ' s Leipzig und Heidelberg,
eines Lehrbuchs der
sowie auch Werke
die
„die
speciellen mensch-
1862.
) Mémoire sur les vers vésiculaires im Bull, de l'école de méd. ù Taris, an 13, n. 10.
587
Echinococcus.
wirklich die Thierchen enthielten. L a e n n e c gab den thierlosen Blasen den noch heut gebrauchten Namen „ Ä c e p h a l o c y s t i s d . i. kopflose Blase, ohne zu ahnen, in welcher Weise spätere Forschungen seine damals unbewiesene Ansicht bestätigen würden. Wir haben nämlich in der That die gemeinsame Blase der Echinococcen als eine, aus der Entwickelung eines Bandwurm-Eies hervorgegangene, grosse B r u t k a p s e l (Amme) zu betrachten, an welcher ein Kopf sich nicht nachweisen lässt'). Bei der a n a t o m i s c h e n U n t e r s u c h u n g einer EchinococcenKolonie findet man als äusserste Hülle einen Balg, an dessen innerer Fläche eine zarte Membran anliegt. Diese führt mit Recht den Namen der U r b l a s e , da sie der Stammgrund und mütterliche' Boden ist, aus welchem, falls in ihr die Thierbildung Statt finden soll, wieder andere, und zwar sehr kleine Blasen, hervorgehen, in denen sich erst die kleinen thierischen Wesen, welche wir mit R u d o l p h i „ E c h i n o c o c c i " n e n n e n , erzeugen. Aber häufig unterbleibt in ihr diese Thiererzeugung, die übrigens auch in anderen Blasen von sehr verschiedener Grösse, welche sich innerhalb der Urblase der menschlichen Echinococcusbälge von einigem Umfange gewöhnlich in grosser Anzahl finden (den sog. T o c h t e r b l a s e n ) , vor sich gehen kann. Der ursprüngliche B a l g ist und bleibt mit dem Organe, in welchem er entsteht und fortwächst, fest verbunden"). Er ist von dichtem, festem, ja lederartigem, fibrösem Gefüge. Die Grösse solcher Bälge ist sehr verschieden, von der einer Erbse an bis zu der einer Faust und darüber. So z. B. beobachtete M a c l e a y 3 ) einen solchen Balg am Gekröse (eines Menschen), welcher die ganze Unterleibshöhle einnahm und an 35 Schoppen Wasserblasen enthielt, deren viele die Grösse einer Pomeranze hatten. In einem von mir mit Glück operirten Falle wurden über 2 0 0 0 Blasen entleert, darunter mehr als 800, welche ') T b . v. S i e b o l d ,
dessen Abhandlung „ ü b e r den Generationswechsel der Cestoiden"
(Zeitschrift f ü r wissenscb. Zoologie 1 S 5 1 .
Annales des sciences naturelles, partie
zoologique, 1 8 5 1 , pag. 2 1 5 ) wir die schätzbarsten Aufschlüsse über diese Vorgänge verdanken, glaubte alle Blasenwürmer, u n d somit auch die Echinococcenblase, als hydropisch
degenerirte
neuester Zeit als irrthümlich daselbst angegebene
Tänien betrachten zu müssen. erkannt
worden.
Diese Ansicht ist in
Vgl. L e u c k a r t ,
1. c., und die
Literatur.
*) Sehr selten fehlt der Balg, und zwar n u r dann, wenn die Erzeugung einer Echinococcen-Kolonie in d e r Höhle eines Organs vor sich gegangen ist.
Vgl. als eine
der ältesten Beobachtungen den sehr interessanten Fall von R e n d t o r f f im e l f t e a J a h r e s b e r i c h t des König), poliklin. Instit. der Univers, zu Berlin, von
Hufeland
uud O s a n n , pag. 4 6 — 5 6 . 3
) Vgl. B r e m s e r , lieber lebende W ü r m e r im menschlichen Körper, pag. 2 5 1 .
588
Parasiten.
die Grösse einer Haselnuss erreichten oder Uberschritten, einige grösser als ein Taubenei. Sehr verschieden ist auch die Gestalt der Bälge und die Dicke ihrer Wände, welche letztere bis zu 2 Ctm. steigen kann '). Ihre Farbe ist ursprunglich weisslich oder gelblich, wird aber späterhin schmutzig, selbst braun. Die den Balg ohne Anheftung genau auskleidende U r b l a s e der Echinococcengebilde ist glatt und eben, zart und leicht zerreissbar, dennoch ziemlich elastisch, weiss von Farbe und ziemlich durchsichtig. Sie stimmt in Betreff der Structur mit den Wandungen der kleinen und kleinsten Tochterblasen vollständig überein und ist dadurch von den Blasengebilden aller anderen Cystica charakteristisch unterschieden, dass sie aus einer sehr grossen Menge von eng verbundenen Schichten zusammengesetzt wird, während jene aus einfachen Faserhäuten bestehen. Die Urblase ist, nach S i e b o l d * ) , von einem zarten Epithelium ausgekleidet, unter welchem sich eine dünne Schicht einer feinkörnigen Masse mit eingestreuten rundlichen Kalkkörperchen ausbreitet. „Nach dem Absterben trennt sich dieses Epithelium mit der körnigen Schicht los und löst sich in der von der Echinococcusblase eingeschlossenen klaren Flüssigkeit auf, wodurch diese getrübt wird und in der Ruhe einen weisslichen Bodensatz fallen lässt." Von diesem Epithelium spricht auch W i l s o n ' ) , welcher demselben unzählige durchsichtige Zellen zuschreibt. Ursprünglich ist die Flüssigkeit in der Urblase wasserhell und ungefärbt; durch Vereiterung des Balges aber durch Zerstörung der Blasen und ihrer Binnenwürmchen kann sie unrein, trübe, gelb, ja sogar braun werden. Bei einer von S c h e r e r vorgenommenen chemischen Untersuchung der Blasen und ihres Inhaltes ergab es sich, dass die Membran der ersteren aus Albumin, die Flüssigkeit aber (in 1000 Theilen) aus Wasser mit verschiedenen anorganischen Salzen (4,57) und Proteinsubstanz (22,22), ohne Spur von eigentlicher albuminöser Substanz bestand 4 ). Die Deutung der U r b l a s e als B a n d w u r m l a r v e (Brutkapsel, Ainme) muss nach den neueren helminthologischen Arbeiten als unzweifelhaft betrachtet werden. Demnach sind alle nach Aussen von ihr gelegenen Gebilde, besonders also auch der B a l g , als secundäre Bildungen zu betrachten, entstanden auf Grund einer Bindegewebs') P b ö b u s , im encyklopädiscben Wörterbuch der med. Wissenscb., Bd. X. pag. 64. J
) Artikel „ P a r a s i t e n " in R. W a g n e r ' s Handwörterbuch der Physiol. Bd. II.
*) Vgl. T. S i e b o l d i n s . belminthol. Jahresbericht, Wiegm.Arch., J. 1848, Bd. II. p.388. 4
) Der von H e i n t z
und von B ö d e c k e r
Natron ist nicht Constant. schweig, 1861.
angegebene Gebalt von bernsteinsaurem
Vgl. F r e r i c h s , Klinik der Leberkrankheiten.
Bd. II. pag. 2 2 2 .
Braun-
Echinococcus.
589
Wucherung und Verdichtung, wie sie jeder fremde Körper im Organismus um sich her veranlasst. In der Kapsel (Urblase) entwickelt sich durch Sprossenbildung, wie in einem Keimschlauche, junge Brut. An der innersten Schicht der Urblase nämlich erheben sich die etwa nadelkopfgrossen oder noch kleineren B l ä s c h e n , in deren Höhlung die E c h i n o c o c c e n selbst entstehen. Dies geschieht durch ein wahres Hervorsprossen neuer Individuen auf der inneren Fläche der Bläschen, welche nach solcher Erzeugung abfallen, bersten und sich dann so umwenden, dass die mittlerweile herangewachsenen Echinococcen auswendig zu sitzen kommen 1 ). Eine zweite Erzeugung von Echinococcen geschieht, wie schon oben bemerkt ward, in den T o c h t e r b l a s c n . Diese liegen ganz frei innerhalb der Urblase, kommen von der Grösse eines Nadelkopfs bis zu der 'einer Wallnuss, eines Hühnereies, ja einer Orange vor, und die mittleren und grösseren haben wieder grössere und kleinere freie Blasen in sich, diese wieder kleine und kleinere u. s. w. In den kleinsten sprossen die Echinococcen ebenso hervor, wie in den Bläschen an der Urblase; sie bersten alsdann ebenfalls und kehren sich mit den Thierchen nach Aussen um. — Die Tochterblascn füllen, wenn sie sich sehr angehäuft haben, die ganze Urblase, machen den Balg prall und veranlassen, wenn fort und fort eine Blase nach der anderen und in der anderen entsteht, Entzündung und Vereiterung des Balges und damit den Untergang der ganzen Kolonie. Die E c h i n o c o c c e n selbst sind den jungen Larven von Tänien, die man in Thieren beobachtet hat, vollkommen ähnlich. Sie haben höchstens die Grösse eines Weizenkorns; ihr Körper ist länglich, drehrund und mit Flüssigkeit gefüllt. An seinem vorderen oder KopfEnde befindet sich (wie bei den bewaffneten Tänien) ein Hakenkranz, welcher aus 3 1 — 3 2 Haken in einfacher Reihe zusammengesetzt ist; Diesen grossen dahinter stehen vier grosse, deutliche Saugnäpfe. Kopftheil kann das Thierchen tief in den Körper durch Einstülpung hineinziehen, wonach es dann blos eine einfach eiförmige, am breiteren (vorderen) Ende nur ein wenig eingedrückte Gestalt darbietet. Aus dem Bläschen wachsen die Echinococcen mit einem sehr dünnen Stiele hervor, von welchem sie sich erst nach vollendetem Wachsthum abtrennen, worauf sie dann frei in die sie umgebende Flüssigkeit hinaustreten und sich der Haft- und Saugwerkzeuge ihres Vorderendes als Bewegungsorgane bedienen können. Sind sie abgestorben, so kann man ihre frühere Gegenwart in der Cyste noch durch die, als horn') Vgl. Chemnitz, De hydatidibus echinococci lioni. comiu. Hui. 1843, Fig. X. XI.
590
Parasiten.
artige Theile, unversehrt gebliebenen Haken ihres Kopfkranzes erkennen,- welche das Mikroskop in der Flüssigkeit leicht auffinden lässt. Es ist nicht anzunehmen, dass die Gchinococcen sich, da sie Geschlechtswerkzeuge nicht besitzen, auf irgend eine andere Weise individuell fortzupflanzen vermögen. Was man verschiedentlich für Eier Bei ihnen angesehen hat, sind nur zerstreute, rundliche Kalkkörperchen, die sich bei ihnen, wie im Parenchym anderer Cestoidea, finden. B r e m s e r meinte, sie möchten den Hakenkranz abwerfen und dann, mehr und mehr ausgedehnt, selbst zu Blasen werden, welche neue Brut in sich erzeugten. Diese Meinung spricht sehr an und erhält durch die Beistimmung v. S i e b o l d ' s eine bedeutende Stutze. Ueber die localen Veranlassungen zur B i l d u n g eines Echinococcenbalges mit seinem Inhalte ist nichts mit Gewissheit anzugeben. Nur so viel steht fest, dass seiner Entwickelung ein Ei der ' T a e n i a e c h i n o c o c c u s (die sich vorzugsweise im Darmcanale des Hundes findet) zu Grunde liegt. , Auf welche Weise und auf welchem Stadium der Entwickelung dasselbe in den menschlichen Körper kommt, lässt sich noch nicht bestimmt angeben. Höchst wahrscheinlich gelangt es immer durch den Mund in den Magen und von da bereits als Embryo zunächst meist weiter zur Leber, wo auch in der Mehrzahl der Fälle die Fixation zu erfolgen scheint 1 ). Das V o r k o m m e n dieser Bälge ist jedoch, ausser in der Leber*), auch in den verschiedensten, besonders den parenchymatösen Organen des Körpers beobachtet worden, seltener in. und zwischen den Muskeln der Extremitäten 3 ), sehr selten in den Knochen, wovon jedoch auch ein Paar Beispiele bekannt sind. Manchmal sind die Cysten mit den Fäces oder mit dem Urin (vgl. pag. 594) ausgeleert worden. Im ersteren Falle muss ein Echinococcensack in einem anderen Organe des Unterleibes mit dem Darmcanale verwachsen sein und sich einen Weg in den letzteren hinein gebahnt haben. Einen Fall dieser Art ') Unaufgeklärt ist die grosse Häufigkeit der EchinococcengeschwGlste auf
Island,
wo unter 2 7 Kranken durchschnittlich Einer an Echinococcen leidet und auf je 43 Einwohner ein Echinococcenkranker kommt, 2 5 5 Fälle dieser Erkrankung beobachten konnte.
so dass J. F i n s e n in 9 Jahren Von diesen kamen 92 pCt. auf
die Baucheingeweide ( 6 9 pCt. auf die Leber), 3 pCt. auf die Lungen.
Vgl. V i r -
c h o w u. H i r s c h Jahresber. f. 1867. Bd. I. pag. 3 1 1 . ' ) Vgl. F r e r i c h s , Klinik d. Leberkrankheiten, Braunschw. 1 8 6 1 , Bd. II. pag. 2 1 8 u. flg. ' ) Unter den von mir operirten Echinococcengeschwülsten fanden sich vier in der Leber (vgl. Bd. III.), eine im Bindegewebe des Oberschenkels zwischen den
Ad-
ductoren, eine in der Fossa iliaca, gegen den Oberschenkel unter dem Falloplschen Bande hervorragend.
Echinococcus.
591
erwähnt N i c o l i c h ' ) ; von einem anderen erzählt v. S i c b o l d ' ) . Auch sind zuweilen die Blasen oder ihre Häute unter Bluthusten aus der Lunge, in welche sie wohl meist von der Leber a u s hineinwachsen, ausgeworfen worden. Einen interessanten und glücklich geheilten Fall der Art beobachtete B e n g e l s d o r f f 3 ) . In Greifswald habe ich selbst das Aushusten von Echinococcen unter erschreckendem Blutauswurf aber mit nachfolgender Heilung bei fünf Personen gesehen. Die D i a g n o s e eines Echinococcenbalges ist schwer. Liegt er dicht unter der Haut, so verräth ihn, wenn er eine gewisse Grösse hat, zuweilen eine e i g e n t ü m l i c h e Empfindung im Finger beim Anschlagen. „Percutirt man die Geschwulst mit einem einzigen Finger und lässt den Finger liegen, so nimmt man ein eigentümliches, kürzer oder länger andauerndes Zittern, Knirschen oder Schwirren wahr, ähnlich der Empfindung, welche das Zittern einer Repiliruhr, eines Resonanzbodens, eines mit elastischen Federn gefüllten Stuhls erregt. Dieses Zittern ist das von P i o r r y zuerst beschriebene HydatidenKnirschen {Frémissement hydatique), welches T a r r a i aus der mitg e t e i l t e n Bewegung der in der Flüssigkeit schwimmenden Blasen erklärt4)." In der Mehrzahl der Fälle hat man dies „Knirschen" nicht wahrnehmen können. Die P r o g n o s e ist im Allgemeinen zweifelhaft. Kleinere Bälge, — zumal einzeln oder in geringer Anzahl — können, zumal in relativ weniger wichtigen Organen lange Zeit verweilen, ohne irgend welche Beschwerden zu machen. Ein günstiger Ausgang ist auch bei bedeutender Grösse durch Verkalkung und Schrumpfung, unter Absterben der ganzen Kolonie, möglich'), jedoch in Fällen, w o s i c h b e r e i t s ä u s s c r l i c h w a h r n e h m b a r e G e s c h w ü l s t e v o r f a n d e n , wie es scheint, noch nicht beobachtet. Dehnt sich durch eine beständig zunehmende Vermehrung der Thierchen und Blasen der Sack mehr und mehr aus, so ist es offenbar, dass er grosses Unheil in dem ihn enthaltenden Organe anrichten kann. Berstet der Balg und entleert sich in ein Organ, welches sich nach Aussen öffnet, z. B. in die Luftröhre, den Darmcanal n. s . w . , so kann dies zur Genesung fuhren. Aber wenn die Bälge im Innern des Körpers durch eine fortwährende Vergrösserung das Gewebe ihrer Pflegorgane wie der anliegenden Theile mehr und mehr zerstören, oder wenn sie sich in ' ) Vgl. Neue med.-chir. Zeitschrift, 1 8 4 7 , 1 8 , pag. 1 4 5 — 1 4 6 . 5
) i m oben angeführten Jahresberichte, pag. 3 9 0 .
3
) Vgl. T y r r e l l ,
4
) Vgl. C a n s t a t t , Specielle Patli. u. Therap.
6
) Vgl. F r e r i c h s , I. c.
Diss. inaug. de Ecbinococcis.
Grypliiae, 1 8 1 8 , pag. 2 7 — 2 8 . 2. Auflage. Bd. IV. pag. 7 0 8 .
592
Parasiten.
eine geschlossene (seröse) Höhle des Körpers öffnen, so ist die Lebensgefahr sehr gross. — Auch der spontane Aufbruch kann zur Heilung führen; aber ebenso oft folgt auf ihn wohl Verjauchung in dem dann eine grosse Abscesshöhle darstellenden Sacke. Die B e h a n d l u n g schliesst sich an diejenige der Cysten an. Einen unter der Oberfläche eines äusseren Körpertheils liegenden Balg kann der Wundarzt öffnen oder, noch besser, e x s t i r p i r e n , wenn die localen Verhältnisse es gestatten. Die blosse P u n c t i o n kann unter sonst günstigen Verhältnissen zur radicalen Heilung durch Schrumpfung des Balges führen. Dabei wird vor Allem vorausgesetzt, dass gar keine oder doch nur wenige Tochterblasen vorhanden sind. Reizende Einspritzungen können die Wirkung der Punction unterstützen. Immerhin werden dabei dieselben Gefahren, wie beim spontanen Aufbruch zu bedenken sein. In der Mehrzahl der Fälle ist für die einzuschlagende Behandlung die Localität von entscheidender Bedeutung. Bei dem so häufigen Sitz der Echinococcen in der Leber ist vor Allem die Eröffnung der Bauchfellhöhle zu vermeiden. Vgl. Bd. III. Mulliloculäre
Echinococcengeschwulst
n e n n t m a n , nach dem Vorgange
von V i r c b o w (Verbandlungen der pbysik. medicin. Gesellschaft zu Würzburg, Bd. VI. pag. 8 4 ) , eine erst in wenigen Fallen und bisher n u r in der L e b e r beobachtete Form der nicht
Entwickelung in
Virchow
des
Echinococcus,
die sich dadurch
auszeichnet,
einer Mutlerblase, sondern einzeln a b e r dicht gedrängt in
Geschwülste,
den Lympbgefässen) sich entwickeln.
Dadurch
dass die
Tbiere
nebeneinander
(nach
entstehen vielftlcherige
die mit dem Gallerlkrebs eine gewisse Aehnlichkeit darbieten, kein Hy-
datidenknirschen
erkennen
lassen und gar nicht, oder doch
erst n a c h erfolgter Ver-
j a u c h u n g , fluctuiren, stets a b e r einen bedeutenden Erguss in die Bauchhöhle (Ascites) bedingen. — In c h i r u r g i s c h e r Beziehung haben sie n u r insofern Interesse, als man vor der P u n c t i o n
II.
Cyatlcercu«
warnen
cellulosae
muss.
(ßudolphi).
Finnenwurm.
Blaienacliwanz.
Dieser in verschiedenen Thieren, besonders häufig im Schweine, vorkommende Blasenwurm findet sich auch nicht selten beim Menschen. Die ihn gewöhnlich einschliessende C y s t e , — ein pathologisches Product des Organes, in welchem der Wurm wohnt, und mit diesem in organischer Verbindung, — ist gewöhnlich elliptisch und an und in den Muskeln wohl am Meisten in die Länge gezogen; sie.kommt indessen auch unregelmässig kugelig und birnförmig vor. Sie besteht aus einer festen, einfachen, inwendig glatten und feuchten Haut, die durch Blutgefässe aus dem betheiligten Organ ernährt wird. Die Cyste umschliesst immer nur einen einzigen Wurm. Sie kann (beim Menschen) eine ansehnliche Dicke und eine Länge von zwei bis drei Centimetern erreichen.
593
Cysticercus.
Der F i n n e n w u r m selbst liegt frei in der Blase, wenn, wie in der Regel, eine solche ihn umschliesst. Er kann in derselben ebenfalls die Länge von 2 — 3 Ctm. erreichen, und der Querdurchmesser der grösseren Individuen beträgt in ihrer Mitte etwa 4 — 5 Millim., in der sogenannten Schwanzblase bis zu ungefähr 15 Millim. Seine Farbe ist schneeweiss. Er hat einen ziemlich grossen T ä n i e n k o p f , der in einen kleinen, convexen Vorsprung ausgeht, welchen an seiner Basis ein doppelter Kranz von 26 bis 32 Haken umgiebt, und hinter welchem sich die vier grossen, halbkugeligen Saugnäpfe so stark erheben, dass sie den abgerundeten Kopf stumpf-viereckig machen.* Auf den Kopf folgt ein dünnerer, sehr kurzer Hals und dieser geht in den vorderen, quer-gerunzelten Körpertheil über, der von da an nllmälig dicker wird und zuletzt in den Iliiiterkörper oder die sogenannte Schwanzblase übergeht, die etwa die halbe Länge des ganzen Wurms ausmacht, an Dicke aber den Vordertheil desselben weit übertrifft. Sic ist, wie ücr ganze, überhaupt hohle Wurm, mit einer klaren, wässrigen Flüssigkeit angefüllt. Gewöhnlich findet man den vorderen Theil des Wurms in den hinteren, blasenförmigen, eingestülpt, welcher hierbei die Gestalt einer Ellipse annimmt, an deren langer Seite sich in der Mitte der zurückgezogene Theil zeigt. Von inneren Theilcn zeigen sich nur vier leine, vom Kopf zum Vorderkörper laufende Längskanälc, von Forlpflanzungsorganen keine Spur. In Betreff des V o r k o m m e n s ist hervorzuheben, dass der Cysticercus bei Weitem am Häufigsten in der Nähe des Auges (unter der Coiijunctiva) und im Auge selbst (und zwar ohne umhüllende Cyste) vorkommt 1 ). Uebrigens wurde er an den verschiedensten Stellen im subcutanen Bindegewebe und in Muskeln angetroffen*). F r o r i e p erwähnt eines Falles, wo er in der ersten Phalanx eines Mittelfingers seinen Sitz hatte 3 ). Ich fand ihn zwei Mal im Musculus bieeps. Auch unter der Zunge, im Hoden, im Gehirn (in der Lunge, in der Leber u. s. w. wurde er angetroffen 4). Einzig in seiner Art ist der Fall von W e i t e n k a m p f , in welchem eine grosse Menge von Blasenschwänzen, jeder für sich in eine Cyste eingeschlossen, bei einem ' ) Auf d i e s e s e h r i n t e r e s s a n t e n Fälle wird liier, du wir die A u g e n h e i l k u n d e uusschliesscn, nicht naher ')
ganz
eingegangen.
Uli d e , w e l c h e r d e n C y s t i c e r c u s ein Mal auf dem M. pecloralis m a j o r
fest
auf-
sitzend f a n d , b a t eine Z u s a m m m e n s l e l l u n g von 1 9 F ä l l e n , in d e r D e u t s c h e n Klinik 1 8 5 1 , Nu. 4 0 , g e g e b e n ; es sind d e r e n s e i t d e m viel m e h r *) Vgl. v. S i e b o l d 4
)
Vgl. die l e h r r e i c h e A b h a n d l u n g von D r . S t i c h , der
Menschen.
puhlicirt.
in W i e g m a n n ' s Archiv 1 8 4 3 , II. pag. 3 3 0 . Charile-Annalen
B a r d e l e b i n , Chirurgie.
7. Aufl.
I.
über das Finnigsein
1854. 38
leben-
Para alten.
594
22jährigen Mädchen mit dem Urin abgingen '). Vielleicht waren aber diese sowohl als auch die „ H y d a t i d e n " , welche D u n c a n d u r c h die Harnröhre abgehen sah*), nicht Cysticercen, sondern Echinococcen. In Bezug auf die E n t s t e h u n g s w e i s e wird von den meisten Beobachtern hervorgehoben, dass eine Irritation seines späteren W o h n organs der Bildung des Cysticercus vorausgegangen sei. Dass auf solche Weise (durch Generatio aequivoca) kein Blasenwurm entstehen kann, bedarf keiner weiteren E r l ä u t e r u n g ; vielmehr haben wir den Finnenwurm unzweifelhaft als eine Bandwurmlarve (namentlich von Taenia solium) zu betrachten, die als Ei oder als Larve (mit u n d in rohem Fleisch) in den Organismus gelangt sein rauss. Die bei den genannten Reizungszuständen erfolgenden Exsudationen oder Blutergüsse sind mit grosser Wahrscheinlichkeit als die ersten Folgen der Einwanderung des Wurmes zu betrachten. Die U n t e r s c h e i d u n g eines Cysticercus von einer gewöhnlichen Cyste wird vor der Blosslegung niemals mit Sicherheit möglich sein. Erregt er Beschwerden u n d hat seinen Sitz an einer dem Messer zugänglichen Stelle, so ist er auch wie eine Cyste zu e x s t i r p i r e n .
III.
filaria medinensis (Gmelin), Medinawurm 3 }.
Dieser Wurin findet sich ursprüglich n u r in den heisseit Ländern der alten und neuen Welt, wird aber von da bisweilen nach Europa verschleppt. Sein Aufenthalt ist beim Menschen im subcutanen Bindegewebe, wo er allenthalben vorkommen k a n n , u n d zwar bald mehr oberflächlich, meistens kreis- oder schlangenförmig gewunden, bisweilen auch ziemlich gerade ausgestreckt, bald tiefer, zwischen den Muskeln, um die Sehnen und Gelenkbänder herumgeschlungen (namentlich in der Gegend der Malleolen), unter der Bindehaut des Auges, auch in der Thränencarunkel 4 ).
' ) Siehe C r e p l i n in Miiller's Archiv 1840, pag. 149. *) Siehe M ü l l e r ' s Archiv 1836, pag. 128. ' ) Von K ä m p f e r D r a c u n c u l u s P e r s a r u i n , von L i n n é G o r d ¡ u s m e d i n e n s i s , von den Deutschen G u i n e a w u r i n u . s . w . , von den Engländern t h e Worm,
auch D r a c u n c u l u s ,
von den Franzosen le Dragonneau
Guinea-
genannt. —
Die Griechen, welchen dieser Wurm schon 1 5 0 — 1 4 0 Jahre v. Chr., als bei den Völkern am rotben Meere vorkommend, bekannt war, nannteu ihn daher D r a c u n c u l u s .
dQaxovuov,
Von den arabischen Aerzten wird er öfters erwähnt, und
E b n S i n a sagt, man nenne ihn „ a l E r k al m e d i n i " (Vena medinensis), weil er in „al Medinah" am Häufigsten angetroffen werde. *) A r r a c h a r d , Mém. sur les vers des yeux, pag. 217.
Filaria
595
medlnensis.
Der Wurm entsteht nicht im Körper, sondern bohrt sich, meist während der Mensch auf dem Erdboden schläft, oder beim Baden, in die unbekleideten Theile von Aussen her ein. Die F i l a r i a ist von allen bekannten Species ihrer Gattung bei Weitem die grösste, indem sie bis zu 2 Meter lang vorkommt 1 ), wobei sie jedoch, je nach der verschiedenen Länge, nur die Dicke der A-Seite einer Violine, eines Bindfadens oder eines Strohhalms erreicht. Ihre Farbe ist weisslich-grau, auch bräunlich. Das Kopf-Ende ist, bei sonst überall ziemlich gleicher Körperdicke, etwas verdünnt, der Hinterkörper geht in einen sehr verschmälerten, kurzen, stark gekrümmten und zugespitzten Schwanz aus. Der Mund ist klein und kreisrund; um ihn stehen, nach R. W a g n e r 8 ) , vier sehr kleine Papillen, welche R u d o l p h i nicht erwähnt. Eine hintere Oeffnung, im Schwanztheile, scheint nicht After- sondern Geschlechtsöffnung zu sein, da noch Niemand einen wirklichen Darm in diesem Wurme entdeckt hat, derselbe dagegen, ohne G e s c h l e c h t s - U n t e r s c h i e d e darzubieten, nach seinem Zerrcissen eine milchige Flüssigkeit fahren lässt, deren Untersuchung gelehrt hat, dass sie wesentlich aus einer ganz ungeheueren Menge sehr kleiner Thierchen besteht 3 ), deren Länge etwa 1 Millimeter beträgt. Als Bewegungsorgan hat der Wurm unter seiner festen, elastischen Haut eine den Körper durchlaufende und in zwei Bündel abgetheille Schicht von Längsmuskelfasern 4 ). Die F i l a r i a m e d i n e n s i s kann sich, indem sie heranwächst, mehrere Monate, ja einige Jahre lang im menschlichen Körper, ohne Beschwerde für denselben aufhalten. Erwachsen macht sie aber oft viele Plage und grosse Schinerzen, kann bedeutende Eiterung, Abmagerung und selbst den Tod verursachen. Gewöhnlich indessen sucht sie sich einen Ausweg aus dem Körper durch die Haut, in welcher sie dann durch die andrängende Spitze ihres Kopf-Endes Entzündung und Eiterung erregt, die Stelle in eine Pustel erhebt, mit dem Kopfe hervorbricht, und sich mehrere Centimeter weit hinausschiebt. U m d e n W u r m aus dem Körper vollends zu e n t f e r n e n , nach' ) Vgl. P a s s a u e r ,
E i n Fall von F i l a r i a m e d i n e n s i s .
Virchow's Archiv, Bd. 1 9 ( 1 8 6 0 )
pag. 4 3 2 . *) Vgl. B i r k m e y e r , *) Vielleicht b o h r e n
D e filaria m e d i n e n s i c o m m e n t a t i o , p a g . I G , Fig. 2 . s i c h n u r die l e b e n d i g - g e h ä r e n d e n
s t a n d e in d e n m e n s c h l i c h e n der Jungen entledigen *) A u s f ü h r l i c h
handelt
wieder aus,
w e n n sie sich
wollen. ü b e r alle d i e s e V e r h ä l t n i s s e :
laria
der
Ersch-
liegen
vor
von G. M e i s s n e r
zu B a s e l , 1 8 5 6 ,
W e i b c h e n im b e f r u c h t e t e n Z u -
K ö r p e r ein u n d w a n d e r n
und
Gruber'schen in d e n
H e f t 3. p a g . 3 7 6 .
Creplin,
Encyklopädie. Verhandlungen
—
in d e m Artikel
Neuere
d. n a t u r f o r s c h .
Gesellschaft
Vgl. Virchow's Archiv, Bd. 1 2 . p a g . 3 5 2 .
38*
Fi-
Untersuchungen
596
Parasiten.
dem sein Vorder-Ende zum Vorschein gekommen ist, muss in der Art verfahren werden, dass man dies Ende mit Behutsamkeit weiter hervorzuziehen sucht, es um ein Stöckchen oder etwas Aehnliches windet und dies so lange täglich wiederholt, bis der ganze Wurm herausgezogen ist. Das hervorgezogene Stück befestigt man jedes Mal mit Heftpflaster. Nach Entfernung des Wurms erfolgt bald Heilung; es bedarf keiner besonderen Behandlung. Verfährt man bei dieser Operation unvorsichtig, so zerreisst man den W u r m ; das unter der Haut zurückgebliebene Ende zieht sich dann weiter hinein und kann Gangrän der umgebenden Theile mit weit verbreiteter Eiterung veranlassen und auf diese Wr«ise selbst den Tod herbeiführen. W a h r scheinlich ist die Verschlimmerung, welche auf das Abreissen des W u r m s folgt, davon abhängig, dass die zahllosen Jungen sich dann durch selbstständige Bewegungen im umgebenden Bindegewebe verbreiten. B i r k m e y e r bemerkt, nach eigenen Erfahrungen, dass „die Aussonderung des zerrissenen Wurmes durch erweichende Kataplasmen, besonders aus Kuhdung, befördert werde; auch sei es nützlich, einen Einschnitt nach der Länge des Wurmes zu machen, dann diesen zu ergreifen und auf schickliche Weise herauszuziehen." Viel wirksamer dürften Chlorpräparate, namentlich Unischläge und Einspritzungen von Chlorwasser sein, da es doch wesentlich auf schnelle Tödtung der jungen W ü r m e r ankommt. Vor Allem aber muss man in Irin r e i c h e n d e r A u s d e h n u n g u n d T i e l e i n c i d i r e n , je nach der Länge und Lage des Wurms (wie bei anderen fremden Körpern), und v o r sichtig extrahiren. In Betreff d e r ä l t e r e n Würmer
im l e b e n d e n
bestätigt
werden,
A n g a b e n vgl. B r e m s e r
Menschen".
hat H e r n c a s t l e
d i e B e o b a c h t u n g von l ' a s s a u e r Malleulargegend Bombay
(unter
oder Calculta mitgebracht
lichen Stücken und
nicht
(Lancet,
in s e i n e m W e r k
Erfahrungen, 1851,
durch
pag. 4 5 7 )
bei e i u e m
Wochenschrift,
abgegangen
1 8 6 4 , No. 5 0 u. f.
mitgetheilt.
—
und w a h r s c h e i n l i c h s c h o n ein h a l b e s J a h r
gemeinschaftlich ( 1 8 6 0 )
m i t den f r ü h e r e n A n g a b e n ü b e r e i n . bereits
lebende Auch
waren.
—
der
S e e m a n n , welcher sie aus getragen
e x t r a h i r t e , s t i m m t in allen w e s e n t Die D i a g n o s e w a r e i n e m
g e l u n g e n , obgleich e r h e b l i c h e S t ü c k e des W u r m s ,
Schwanz-Ende,
„Ueher
w e l c h e die f r ü h e r e n
(I. c . ) , d e r die Filaria im U n t e r h a u l h i n d e g e w e b e
dein Alalleolus e x t e r n u s )
hatte, fand und mit P o h l Arzte
Neuere
Vgl. a u c h
namentlich Lang,
anderen
das
Wiener
Kopfmed.
Z w e i t e Gruppe.
Verletzungen, Laesiones, Traumata. Die
Gruppe
Verletzungen charakterisirt.
der
chirurgischen
bezeichnen,
wird
Krankheiten,
durch
welche
die A r t d e r
Es handelt sich dabei um
d u r c h mechanische oder chemische Einwirkungen. darunter
hervorgebracht
Das W o r t
wird aber in dreifachem Sinne g e b r a u c h t ; den
unmittelbar
Act d e r
Verletzung,
als
gewaltsame Störungen des
Z u s a m m e n h a n g e s oder der Lage einzelner Körpertheile, letzung"
wir
Entstehung
man
„Verversteht
ferner die durch diesen
Act
am Körper b e w i r k t e V e r ä n d e r u n g , endlich aber auch
den d u r c h solche V e r ä n d e r u n g bedingten
Krankheitsprocess.
Es bedarf zur E n t s t e h u n g einer Verletzung keiner prädisponirenden
Ursache;
es gehört
dazu
ü b e r h a u p t keine
Lebensthätigkeit;
man kann sie an einer Leiche, wie am Lebenden hervorbringen. Aetiologie der Verletzungen
ist
d a h e r im Allgemeinen sehr
Die
einlach.
Eine Kraft hält die einzelnen Theile des Körpers iin Z u s a m m e n h a n g , eine a n d e r e b e d e u t e n d e r e
Kraft t r e n n t
sie.
Wäre
die Stärke
und
Richtung der einwirkenden ä u s s e r e n Gewalt genau bekannt, so k ö n n t e man mit Hülfe der Anatomie s o g a r die Art der Verletzungen je n a c h den einzelnen Körpertheilen
vorausbestimmen.
Die K r ä f t e , welche Verletzungen
h e r b e i f ü h r e n , sind aber
nicht
immer von Aussen kommende, s o n d e r n gehören zuweilen dem
Orga-
nismus selbst an.
So können z. B. plötzliche und übermässig s t a r k e
Zusamuienziehungen
der Muskeln
den Muskel selbst zerreissen. die Lebensthätigkeit zum Zerbrechen
einen Knochen
eine grosse Rolle.
durch
zerbrochen,
Bei solchen Verletzungen
spielt
oder also
Es k a n n auch ein K n o c h e n
k r a n k h a f t e Veränderungen
seines
Gewebes,
d u r c h V e r m i n d e r u n g seiner Cohäsion geneigter gemacht werden, u n d der E n t s t e h u n g der meisten Verschiebungen von Eingeweiden (Hernien)
598
Verletzungen.
gehen organische Veränderungen voraus, welche entweder an der Stelle der Leibeswand, durch welche das Eingeweide heraustritt, oder an dem Eingeweide selbst, oder an beiden zugleich stattfinden. Auf solche Weise wird die Entstehung der V e r l e t z u n g e n in vielen Fällen noch mehr dem Gebiete der rein physikalischen Kräfte entzogen. Aber auch diejenigen Verletzungen, welche ursprünglich in rein physikalischen Veränderungen bestehen, verlieren alsbald diese Einfachheit, indem nach jedem Trauma ein in seiner Qualität theils von der Art der Einwirkung, theils von der Beschaffenheit des verletzten Körpers abhängiger K r a n k h e i t s p r o c e s s , die sogenannte „ R e a c t i o n " , folgt, welche wesentlich zu dem Krankheitsbilde der Verletzung (in der letzten der drei angegebenen Bedeutungen des Wortes) gehört und oft die wichtigste Aufgabe für die Therapie bildet. Alle Verletzungen stören die Function der verletzten Theile zunächst in mechanischer Weise. Der verrenkte oder gebrochene Knochen wirkt nicht mehr als Hebelarm, wie vorher; die Durchschneidung eines Muskels hebt seine Zusammenziehungsfähigkeit auf; die Verwundung eines Secretionsbehälters bedingt den Ausfluss des Secrets und entzieht es seiner Bestimmung; die Verstopfung eines Canals durch einen fremden Körper bedingt Zurückhaltung der Flüssigkeit, die durch ihn fortgeleitet werden soll u. dgl. m. Die m e c h a n i s c h e B e h a n d l u n g der Verletzungen kann in grossem Umfange eine durchaus rationelle sein und braucht sich keineswegs blos auf die Erfahrung zu stützen; die zu erfüllenden Indicationen liegen klar vor. Trennung erfordert Vereinigung, Ortsveränderung erheischt Zurückbringung an den normalen Ort, Anwesenheit eines fremden Körpers macht dessen Entfernung nöthig. Die Bekanntschaft mit den einfachsten Lehren der Physik reicht daher, in Verbindung mit den überall nothwendigen anatomischen Kenntnissen, vollkommen aus, um die zur Erfüllung der hier in Betracht kommenden Indicationen in jedem einzelnen Falle erforderlichen Mittel aufzufinden. Aber es wurde bereits bemerkt, dass die Thätigkeit des Organismus diesen mechanischen Verletzungen nicht fremd bleibt; bei jeder derselben erwacht eine mehr oder weniger heftige Reaction; unsere physiologischen und pathologischen Kenntnisse müssen daher die angedeutete Therapie vervollständigen. Der Antheil vorhergegangener organischer Veränderungen an dem Zustandekommen einer Verletzung, sowie die Functionsstörungen, welche auf dieselbe folgen, werden, abgesehen von zufälligen Complicationen, wesentlich zu berücksichtigen sein, wenn wir eine vollkommene Heilung erzielen wollen. Der Chirurg kann die Ränder einer Wunde aufs Vollkommenste ver-
599
Verbrennung.
einigen u n d d o c h heilt er sie nicht; die V o r g ä n g e der W i e d e r v e r e i n i g u n g u n d des Ersatzes verloren g e g a n g e n e r S u b s t a n z sind L e b e n s v o r g ä n g e , w e l c h e geleitet, begünstigt, a b e r o h n e die g e e i g n e t e T h ä t i g k e i t des O r g a n i s m u s Ambroise
nicht
Paré:
erzwungen
werden
können.
Mit R e c h t
Die V e r l e t z u n g e n
zerfallen,
ihrer
Aetiologie
nach,
z w e i A b t h e i l u n g e n , j e n a c h d e m sie a u s c h e m i s c h e n chanischen
sagte
„ I c h v e r b a n d , Gott h e i l t e . "
Einwirkungen hervorgegangen
den ersteren, als den relativ
sind.
zunächst
oder a u s
in
me-
Wir beginnen
mit
einfacheren.
Erster Abschnitt. Verletzungen durch chemische Einwirkung '). Erstes Capitel. Von der Verbrennung
(Combustio).
A l l e K ö r p e r , w e l c h e W ä r m e a b g e b e n o d e r a u s s t r a h l e n , m ö g e n sie g a s f ö r m i g , t r o p f b a r - f l ü s s i g o d e r fest s e i n , nung"
Strallleildc Warme. dingt
können
eine
„Verbren-
veranlassen. Sonucusticll.
Die
strahlende
Wärme
zuerst v e r m e h r t e n Blutzufluss z u den ihr a u s g e s e t z t e n
d e m n ä c h s t eine o b e r f l ä c h l i c h e H a u t e n t z ü n d u n g
(Erythcma);
längerer
bis z u r
oder
heftigerer Einwirkung
kann
es
be-
Theilen, bei
noch
Blasenbildung
o d e r g a r z u r Z e r s t ö r u n g der o b e r f l ä c h l i c h e n S c h i c h t e n k o m m e n ,
was
j e d o c h selten ist, da die Theile g e w ö h n l i c h s c h o n f r ü h e r den W ä r m e s t r a h l e n entzogen w e r d e n . nung
A m Häufigsten
findet
dieser A r t in erytheinatöser F o r m a m K o p f ,
sich eine
Verbren-
a m Hals u n d
den
S c h u l t e r n zarthäutiger Individuen, w e n n die g e d a c h t e n T h e i l e w ä h r e n d d e r S o m m e r h i t z e den S o n n e n s t r a h l e n a u s g e s e t z t w e r d e n .
Wenn
auch
die S c h ä d e l h a u t von einer s o l c h e n V e r b r e n n u n g getroffen w i r d , so setzt sich die E n t z ü n d u n g
oder doch
ein h o h e r G r a d
von Congestion
w e i l e n auf die G e h i r n h ä u t e u n d
das Gehirn s e l b s t f o r t ,
dann „Sonnenstich"
pflegt.
zu
nennen
Wie
auf der
zu-
w o m a n sie
Cutis
Nekrose
') W i r betrachten in diesem Abschnitte die Ve r b r e n n u n g e n und E r f r i e r u n g e n , indem wir Z e r s t ö r u n g e n d u r c h A e t z m i l t e l den ersteren anschliessen, die Erfrierungen aber von den Verbrennungen wegen der vielfachen Analogien zwischen beiden nicht trennen wollen, obgleich sich darüber rechten Hesse, in wiefern die niederen Temperaturgrade chemisch einwirken.
600
Verletzungen.
der Epidermis, so wird auf der Schleimhaut (der Lippen) durch Einwirkung der Sonnenstrahlen Ablösung der Epithelialschicht bedingt. Da diese sich nur langsam und Anfangs durch unvollkommen ausgebildete Zellen wieder ersetzt, so dauert nach einer solchen Verbrennung längere Zeit ein blennorrhoischer Zustand f o r t ' ) . Eine lange andauernde und oft wiederholte Einwirkung schwächerer W ä r m e strahlen bewirkt eine Art von Verbrennung, die man eine c h r o n i s c h e nennen könnte. Es verdickt sich nämlich alsdann die Oberhaut; die Haut wird trocken, verliert ihre Glätte und bekommt eine dunklere Färbung. Waren Sonnenstrahlen die Veranlassung, so entwickelt sich ein gleichmässig brauner Teint; beruhen die gedachten Veränderungen dagegen auf der Einwirkung künstlich erzeugter Hitze, so wird die betroffene Hautstelle ungleichmässig braun gefärbt, gleichsam marmorirt, und es entstehen hie und da, besonders in der Mitte dieser Verbrennung, e i g e n t ü m l i c h e Schrunden. So sieht man es an den Beinen alter Leute, die gewohnt sind, sich an eisernen Oefen die FUsse zu wärmen, und an den Oberschenkeln alter Weiber, die viel auf Kohlenbecken hocken. Eiliwil'koiig der Flamme. Nach D u p u y t r e n verbrennt eine Flamme nicht blos augenblicklich die von ihr berührten Theile, sondern sie vermag auch dieselben, wenngleich in geringer Ausdehnung, zu entzünden. Die von der Flamme getroffenen Körpertheile sollen vollständig austrocknen (obgleich sie allerdings mehr als 75 pCt. Wasser enthalten) und dann im Stande sein, selbst eine neue Flamme zu liefern. D u p u y t r e n stützt diese Ansicht namentlich auf die Thatsache, dass brennende Kleider mit unglaublicher Schnelligkeit Verbrennungen bis zu sehr bedeutender Tiefe herbeizuführen im Stande sind. Soweit genaue Beobachtungen vorliegen, hat es sich aber in allen solchen Fällen nicht um ein Brennen, sondern um ein V e r b r a n n t w e r d e n des Körpers gehandelt. Jedenfalls brennt (d. h. entzündet sich) selbst bei andauernder Einwirkung eines weissglühenden Platindrahts, wie ich bei Anwendung der Galvanokaustik wiederholt erfahren habe, nur das F e t t , und auch dies nur ausnahmsweise und ganz vorübergehend *). Von dem V e r b r a n n t w e r d e n ' ) Diesen Vorgang kann m a n ,
des Körpers ist wohl zu unter-
namentlich zur E r n t e z e i t , an den Lippen der Land-
leute häufig beobachten, *) Bei einem Menschen, der in tiefer Trunkenheit längere Zeit auf glühenden Kohlen gelegen und dabei die fürchterlichsten Verbrennungen erlitten hatte, so dass z. H. beide Fussgelenke geöffnet w a r e n , fasst.
(Greifswalder Klinik,
1862.)
h a t t e doch kein Theil des Körpers Feuer ge-
601
Verbrennung.
scheiden,
das von
Einzelnen
noch h e u t zu Tage als möglich
n o m m e n e V e r b r e n n e n des K ö r p e r s a u s i n n e r e m Verbrennen
des
ganzen
Körpers
in
Folge
Grunde,
einer
ange-
oder ein
vorübergehenden
B e r ü h r u n g mit einer F l a m m e — die s o g e n a n n t e S e l b s t v e r b r e n n u n g . Eine solche m u s s vom S t a n d p u n k t e d e r E r f a h r u n g als nicht h i n l ä n g lich b e g r ü n d e t , vom S t a n d p u n k t e der physikalischen u n d physiologischen Wissenschaften, sowie auf G r u n d der d a r ü b e r angestellten Experimente, als ganz u n m ö g l i c h Wirkung
licisscr
betrachtet
werden1).
Körper
hei d i r e c l e r
Bcriibrmig.
Eigentlich
müsste hierher a u c h die W i r k u n g der F l a m m e g e r e c h n e t w e r d e n , da dieselbe auch auf B e r ü h r u n g beruht.
Es wirken d a h e r
der im höchsten G r a d e erhitzten
auch
lich alle sehr h e i s s e n G a s e
der F l a m m e
und
gleich
o d e r doch ä h n -
das d u r c h Erhitzung
g e w o r d e n e W a s s e r , b e s o n d e r s w e n n es unter einem Drucke,
Gase
gasförmig bedeutenden
wie z. B. in einer Dampfmaschine, eine h ö h e r e T e m p e r a t u r
als die des Siedepunktes erhalten hat.
Der e l a s t i s c h - f l ü s s i g e
Zu-
stand gestattet das Eindringen in alle H ö h l e n , so dass, wie dies b e s o n d e r s bei Explosionen voir Dampfkesseln, von Aethcrballons u. dgl. m. b e o b a c h t e t w o r d e n ist, V e r b r e n n u n g der Nasen-, Mund- und R a c h e n höhle bis in die Bronchien mit einem Schlage erfolgen k a n n . T r o p f b a r - f l ü s s i g e S u b s t a n z e n d r i n g e n zwar nicht mit so grosser Schnelligkeit ein, wie Gase, verbreiten sich aber gewöhnlich sehr weit und veranlassen deshalb gemeinhin s e h r a u s g e d e h n t e V e r b r e n n u n g e n . Indem sie die Kleider t r ä n k e n , wird ihre W i r k u n g eine länger d a u e r n d e , wenngleich eine stetig a b n e h m e n d e . k u n g steht bei gleicher T e m p e r a t u r ihrer
Dichtigkeit;
vorkommenden
Die I n t e n s i t ä t i h r e r in g e r a d e m
w o n a c h sich f ü r die
heissen Flüssigkeiten
Einwir-
Verhältniss
im gewöhnlichen
zu
Leben
folgende absteigende Scala a u f -
stellen l ä s s t : 1) Oel, 2) Lauge u n d a n d e r e concentrirtere Salzlösungen, 3) Fleischbrühe, 4) Milch, 5) Wasser.
Je concentrirter eine Salzlösung
ist, desto heftigere V e r b r e n n u n g e n erzeugt sie; man sieht deshalb in chemischen L a b o r a t o r i e n und Fabriken beim Platzen von Retorten u. dgl. b e s o n d e r s s c h w e r e V e r b r e n n u n g e n e n t s t e h e n . Die dichteren Flüssigkeiten wirken deshalb h e f t i g e r , weil sie eine grössere W ä n n e - C a p a c i l ä t b e s i t z e n , l ä n g e r h a f t e n , u n d viel weniger schnell o d e r wohl gar nicht verdunsten.
Hiervon ist wohl zu u n t e r s c h e i d e n , dass heisses Oel im
Allgemeinen heftigere V e r b r e n n u n g e n veranlasst als heisses W a s s e r u . s . f., weil das im gewöhnlichen Leben „ h e i s s " g e n a n n t e Oel viel
wärmer
' ) Vgl. die Gutachten von B i s c b o f f und v. L i e b i g in dem stenographischen Bericht über den l'rocess „Görlitz". brennung,
1850.
Darmstadt, 1 8 5 0 .
Desgl. L i e b i g ,
Ueber Selbstver-
602
Verletzungen.
ist, als „heisses" Wasser, wegen der Differenz der Siedepunkte. Fällt auch dieser theoretische Unterschied in praxi fort, so müssen wir uns von wissenschaftlicher Seite doch bewusst bleiben, dass die dichteren Flüssigkeiten gewöhnlich aus doppeltem Grunde heftigere Verbrennungen veranlassen: erstens ihrer grösseren Dichtigkeit wegen (wie oben erörtert wurde), auch wenn sie die Temperatur des siedenden Wassers nicht Uberschreiten, und zweitens weil sie, wenn überhaupt zu einer Verbrennung durch dieselben Veranlassung ist, gewöhnlich weit über den Siedepunkt des Wassers erhitzt vorkommen. Schliesslich hängt freilich ihr höherer Siedepunkt auch wieder von ihrer grösseren Dichtigkeit ab.Die Wirkung f e s t e r Körper beschränkt sich auf einen nur wenig grösseren Raum als der von ihnen berührte. Sie dringt dagegen viel mehr in die Tiefe ein. Die Intensität der Wirkung fester Körper ist abhängig von ihrer Wärme-Capacität, ihrem Volumen, ihrer Temperatur und der Dauer ihrer Einwirkung. Dies Alles gilt, streng genommen, ganz ebenso sehr auch für alle flüssigen Substanzen. Symptome. Die örtlichen und allgemeinen Symptome der Verbrennung sind combinirt aus denen der Zerstörung (Nekrose) und denen der consecutiven Entzündung. Es treten aber in Folge der Verbrennung, j e n a c h d e r T i e f e , bis zu welcher (der I n t e n s i t ä t , mit welcher) sie eingewirkt hat, verschiedenartige Erscheinungen und Veränderungen auf, deren Wichtigkeit zur Aufstellung verschiedener Grade der Verbreuuang veranlasst hat. Es sind deren bald zwei ( M a r j o l i n und O l l i v i e r ) , bald drei ( F a b r i c i u s H i l d a n u s , B o y e r ) , bald vier ( H e i s t e r , C a l l i s e n , B i c h a t ) , bald endlich sechs ( D u p u y t r e n ) unterschieden worden. Während die letzte Eintheilungsweise in Frankreich herrscht, unterscheiden die deutschen Wundärzte ( B o y e r folgend) in neuerer Zeit 1 ) nur drei Grade der Verbrennung, je nachdem sich 1) eine Entzündung ohne Exsudation unter die Epidermis, oder 2) mit einer solchen und folglich auch mit Blasenbildung oder gar Eiterung, oder aber endlich 3) örtlicher Tod, Brand, und dadurch bedingte Schorfbildung vorfindet. Will man einen wesentlichen Unterschied zwischen Blasenbildung und Eiterung statuiren, so ergeben sich hieraus die vier schon von H e i s t e r und in neuerer Zeit besonders von R u s t und G h e l i u s unterschiedenen Grade. B i c h a t giebt für die von ihm unterschiedenen vier Grade folgende Beschreibung. „ I s t e r Grad: die schwächste Wirkung der Hitze ist die Erregung einer Rothe, einer Art Erysipel (Erythem); die Hitze ' ) Vgl. i . B. W e m h e r ' s Chirurgie, Bd. I.
Verbrennung.
603
wirkt in diesem Falle einfach wie ein Rubefaciens. 2 t e r Grad: auf der gerötheten Haut entwickeln sich Blasen. 3 t e r Grad: die Haut wird hornig, ihre Fasern kräuseln sich. 4 t e r Grad: die Haut ist verkohlt. Die D u p u y t r e n ' s c h e Eintheilung stimmt, was die ersten beiden Grade betrifft, mit der B o y e r ' s c h e n überein, der dritte Grad B o y e r ' s aber wird, je nach der Tiefe, bis zu welcher die Verkohlung eindringt, von D u p u y t r e n in drei Grade gesondert, wie sich dies aus der nachstehenden Beschreibung ergiebt. Offenbar fehlt es allen diesen Einteilungen an Consequenz; denn für die ersten Grade wird die Heftigkeit der Entzündung, für die höheren die Tiefe der Nekrose als Eintheilungsprincip aufgestellt. Halten wir daran fest, dass Ertödtung einer gewissen Gewcbsschicht zum Wesen der Verbrennung gehört, so können wir übersichtlich unterscheiden: I. N e k r o s e d e r E p i d e r m i s : 1) o b e r f l ä c h l i c h , mit allniiiligcr Abstossung derselben und gleichmässig erfolgendem Wiederersatz, unter den Erscheinungen oberflächlicher Haut-Entzündung (Erythem); 2) in g a n z e r D i c k e , mit plötzlicher Ablösung in Blasenform durch ein schnell gebildetes Exsudat, — langsamer Wiederersatz, unter den Erscheinungen heftigerer Hautentzündung: o) o h n e Z u t r i t t der L u f t (bei unversehrter EpidermisBlase oder genauer Bedeckung) — ohne Eiterung, b) b e i Z u t r i t t d e r L u f t — mit Eiterung. II. N e k r o s e d e r H a u t : a) oberflächlich, b) in ihrer ganzen Dicke. III. N e k r o s e d e r t i e f e r e n T h e i l e : a) aller Weichtheile (sarnmt der Haut), b) der Knochen. Beschreibung
der einzelnen
Grade, nach
Dupuytren.
E r s t e r G r a d . E r y t h e m a t ö s e F o r m . Lebhafte diffuse Rothe ohne beträchtliche Anschwellung der Haut. Die Rothe verschwindet unter dem Fingerdrucke, kehrt aber sogleich wieder zurück; Gefühl von Hitze; brennender Schmerz. Nach wenigen Tagen verschwinden Hitze und Schmerz, und es stellt sich Abschuppung der Epidermis ein. Letztere findet nicht Statt, wenn Rothe und Schmerz nur wenige Stunden angedauert haben. Fieber stellt sich nur dann ein, wenn die Verbrennung s e h r a u s g e d e h n t ist. Dann wird die Zunge roth, der Durst lebhaft; Durchfall und Erbrechen, Schlaflosigkeit, Delirien, Convulsionen treten auf; ja es kann bei bedeutender Ausdehnung
604
Verletzungen.
dieses ersten Grades der Verbrennung der Tod sogleich, oder doch nach wenigen Tagen erfolgen. Vgl. V e r l a u f pag. 605. Der erste Grad wird hervorgerufen durch die strahlende Wärme, die Berührung einer Flamme oder heisser Dämpfe, durch heisses Wasser oder andere heisse Körper, jedoch immer n u r b e i s c h n e l l v o r ü b e r g e h e n d e r E i n w i r k u n g . — Auch die chronischen Verbrennungen (pag. 600) gehören hierher. Z w e i t e r G r a d . B l a s e n b i l d u n g . Dieselbe erfolgt bei länger dauernder oder intensiverer Einwirkung der erwähnten Agentien. Unter Anfangs heftigem, brennendem, später spannendem Schmerz erheben sich mehr oder weniger zahlreiche, verschieden grosse Blasen, entweder alsbald oder nach Verlauf einiger Stunden. Die Blasenbildung erfolgt, indem die Oberhaut durch ein vou der Cutis geliefertes Exsudat erhoben wird. Die Blasen können entweder durch die Heftigkeit der Exsudation, oder aber — was gewöhnlich der Fall ist — durch eine zufällige Verletzung (Zerrung, Quetschung) zerreissen. Alsdann liegt die entzündete Cutis bloss, der Schmerz wird sehr heftig, und es entwickelt sich eine mehr oder weniger deutliche Eiterung, die jedoch mit Wiederersatz der Epidermis unter Zuriicklassung keiner oder doch unbedeutender Narben endet. In der Umgebung der Blasen findet sich immer der erste Grad der Verbrennung, so dass sie auf einer gerötheten, schmerzhaften und etwas angeschwollenen Basis aufsitzen. Zerreissung oder Entfernung der Blasen bewirkt stets eine Vermehrung der Entzündung und Eiterung. Entfernung ihres Inhaltes, welcher gewöhnlich von schwach gelblicher Farbe ist, und mit der Blutflüssigkeit im Wesentlichen übereinstimmt, hat diese Ubleu Folgen nicht, wenn sie ohne Berührung und ohne Blosslcgung der entzündeten Cutis durch eine kleine Ocffnung (am Besten an der Basis der Blase) vorgenommen wird. D r i t t e r G r a d . O b e r f l ä c h l i c h e N e k r o s e d e r H a u t . Brand* schorfe von sehr geringer Dicke und g r a u e r , gelber oder brauner Farbe bedecken die verbrannte Fläche. Auf und zwischen ihnen sitzen Blasen, die mit b r a u n e r , milchiger oder blutiger Flüssigkeit gefüllt sind und von Erhebung der Epidermis herrühren. Hier bleiben nothwendig Narben zurück, mögen die Schorfe iin Ganzen oder stückweise abfallen. Zunächst kommen auch hier, je nach der Ausdehnung, dieselben (primären) Störungen in Betracht, wie bei den eisten beiden Graden, demnächst aber secundare, die sich auf die Abstossung der Schorfe beziehen, und endlich consecutive Veränderungen, welche durch den Vernarbungs-Process herbeigeführt werden
Verbrennung.
605
und in Folge der „Narbenverkürzung" zu beträchtlichen Difformitäten Veranlassung geben können (vgl. pag. 3 7 9 u. f.). V i e r t e r Grad.
N e k r o s e d e r H a u t in i h r e r g a n z e n
Der Schorf ist dunkler, trockner und h ä r t e r ;
Dicke.
in seiner Umgegend ist
die Haut, in Folge der durch die Verkohlung bedingten Schrumpfung, bis ins Gesunde hinein strahlig gefaltet.
Der Schmerz hört bald auf,
aber nur um nach drei bis vier Tagen mit erneuter Heftigkeit wiederzukehren;
dann beginnt Entzündung und Eiterung in der Unigegend
des Schorfes, durch welche derselbe in zwei bis drei Wochen wird.
Die Eiterung ist beträchtlich; die Heilung erfolgt durch
Granulationen,
die
Iiier zeigt sich
dann
dass
schliesslich
in
Narbengewebe
umwandeln.
die Narben Verkürzung im höchsten Grade,
die zurückbleibenden Difformitäten häufig
mässigkeit
sich
gelöst üppige
der F o r i n ,
sondern
auch
so
nicht blos die Regel-
die Function des Thcils in b e -
denklicher Weise beeinträchtigen. Fünfter Knochen.
Grad.
Nekrose
aTier
Schwarze, trockene,
Weichlhcile
eingedrückte
zerbrechen und zerreiben lassen.
bis
Schorfe,
auf
die
welche
sich
Nur wenn eine siedende
Flüssig-
k e i t diesen Grad der Verbrennung bedingt hat, sind die Schorfe grau und weich. —
Auch stärkerer Druck veranlasst keinen
Sechster
Grad.
Vollständige
g a n z e Dicke des von der V e r b r e n n u n g Zur
Erläuterung
Fall:
dient n a c h s t e h e n d e r ,
„Ein j u n g e r Mensch
unvorsichtige!' Weise Metall
aus
setzte
in
in die R i n n e ,
dem Ofen
Ofens zurückzuziehen.
abfliessen
Schmerz.
Verkohlung
durch
getroffenen
von D u p u y t r e n
die
Theiles. angeführter
einer Schmclzhülte seinen Fuss durch welche
sollte,
ohne
ihn
das geschmolzene beim
Oeffnen
des
Der glühende Strom t r a f seinen Fuss und den
unteren Theil d e s . Unterschenkels,
die als ein verkohltes Stück darin
zuriickhlicben, als er, durch einen keineswegs heftigen Schmerz aufmerksam gemacht, das verstümmelte Bein Es ist k l a r ,
dass nur der
erste Grad
zurückzog." für sich
allein
bestehen
k a n n ; bei jedem der folgenden müssen die niedrigeren sich in seiner Umgebung
finden.
In dein sich
drei
Verlauf
Perioden
der vier höchsten Grade der Verbrennung lassen unterscheiden:
die erste reicht
treten der Demarcationslinie (vgl. „ B r a n d " )
bis
zum Auf-
und dauert drei bis vier
Tage;
die zweite reicht etwa bis zum 1 0 . T a g e und umfasst die Vor-
gänge
der Eiterung
die
Schorfe
und
abgestossen
Verschwärung, werden;
die
durch
dritte
welche
endlich,
schliesslich deren
Dauer
sich nicht bestimmt angeben lässt, ist die des Wiederersatzes und der Vernarbung.
Verletzungen.
606
Bei sehr a u s g e d e h n t e n Verbrennungen, gleichgültig welchen Grades, nehmen vor Allem die S t ö r u n g e n d e s A l l g e m e i n b e f i n d e n s , welche unmittelbar nach der Verletzung auftreten, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In manchen Fällen, namentlich wenn mehr als die Hälfte der Körperoberfläche von der Verbrennung getroffen wurde, erfolgt, zumal bei Kindern, sofort oder nach vorgängigen Convulsionen der Tod, wie es scheint, in derselben Weise, wie nach schweren Verletzungen durch mechanische Gewalt. Dass hierbei eine directe Einwirkung auf das Nervensystem der Grund des Todes sei, wird allgemein angenommen. Die Art des Vorganges ist nicht aufgeklärt und gewinnt durch Ausdrücke, wie „Wundstupor", „Collapsus", „Shock" nicht an Klarheit. Vgl. Cap. VI. des folgd. Abschnitts. In einer grösseren Anzahl von Fällen erfolgt nach ausgedehnten Verbrennungen der Tod zwar nicht sogleich, aber doch in den nächsten 24—48 Stunden, bei 'stetig sinkender Körperwärme, unter Erscheinungen von Congestion in inneren" Organen, namentlich in den Lungen und im Gehirn. Man hat den tödllichen Ausgang in diesen Fällen früher aus der Unterdrückung der Hautthätigkeit, welche im Bereich der Verbrennungen eintreten sollte, zu erklären versucht. Die Einen schuldigten die Verminderung der Wasserverdunstung auf der Hautoberfläche an, welche Blutüberfiilluñg in den inneren Organen bedinge '), Andere die Retention specifischer Secrete der Haut, namentlich des Ammoniak 2 ) oder der Fettsäuren 3 ), welche, im Blute verbleibend, toxisch wirken sollten. — Unterdrückung der Hautperspiration hat aber, wie durch Versuche an Thieren entschieden ist, an und für sich überhaupt keine lebensgefährliche Wirkung 4 ). Ueberdies wird durch oberflächliche Verbrennungen weder die Gasausscheidung, noch auch die Gasaufnahme durch die verbrannte Haut gehindert*). Auch eine Retention von Ammoniak oder von Fettsäuren muss von der Hand gewiesen werden. Es verdunstet auf der Haut überhaupt nur eine geringe Spur von Ammoniak; die Quantitäten, welche man bei gefirnissten Thieren unter dem Firnissüberzuge gefunden hat, sind nur das Resultat der Zersetzung abgestossener Epithelien 6 ). Fett>) Dies war die bis vor Kurzem herrschende Ansicht aller älteren
Chirurgen.
*) Vgl. B i l l r o t h , Archiv f. kl. Chir. Bd. VI. pag. 4 1 3 . *) Vgl. H. F i s c h e r , septische Nephritis, Breslau 1 8 6 8 . pag. 19. . *) Vgl.
Kühne,
Lehrbuch
der
physiol. Chemie pag. 4 4 0 ,
und
Laskewitsch,
Archiv für Anatomie und Physiologie, 1 8 6 8 . pag. 61 u. f. 5
) Vgl. die unserer nachstehenden Darstellung zu Grunde F r . F a l k , über einige Allgemeinerscheinungen nach
liegende Abhandlung
umfangreichen
nungen, Archiv f ü r pathol. Anatomie etc. Bd. 5 3 , pag. 2 7 — 6 9 . ' ) Vgl. K ü h n e , 1. c., L a s k e w i t s c b ,
1. c.
von
Hautverbren-
607
Verbrennung
säuren müssten, um Wirkungen hervorzurufen, wie wir sie nach ausgedehnten Verbrennungen beobachten, in ganz unverhältnissmässig viel grösserer Quantität gebildet und von der verbrannten Haut resorbirt werden, als sie überhaupt vorkommen '). — Die wesentlichen Ursachen des in den ersten Tagen nach einer ausgedehnten Verbrennung erfolgenden Todes Sind vielmehr, nach den Untersuchungen von F r . F a l k : 1) die stetig fortschreitende Abkühlung der Körperwärme, 2) die in Folge relativer Blutleere eintretende Herzlähmung, welche ihrer Seils zu der (früher aus unterdrückter Hautthätigkeit erklärten) Blutüberfüllung in den Lungen und in anderen inneren Organen Veranlassung geben kann. Die Versuche von F a l k ergeben, dass schon nach einer Stunde bei ausgedehnter Verbrennung die Temperatur eines Kaninchen auf 3 0 ° C., nach mehreren Stunden (kurz vor dem Tode) auf 19° C. sinken kann. Der Grund für diese schnelle und gewaltige Verminderung der Körperwärme ist in der Ausdehnung und Ueberfüllung der durch die Hitze (direct und indirect) gelähmten Hautgefässe zu suchen. Das in ihnen in vielfach grösserer Masse und (wegen ihrer grösseren Weite) mit sehr viel langsamer Bewegung strömende Blut giebt ungemein viel mehr Wärme an die äussere Luft (oder die unigebenden Medien) ab. Je grösser aber die Anhäufung des Blutes in den Gelassen des „verbrannten" Hautstücks, desto nutzloser wird die Arbeit des Herzens. „Das Herz arbeitet dann mühevoll, wie eine P u m p e , die kein Wasser hat"*), und an dieser erfolglosen Arbeit erlahmt es schliesslich um so leichter, da auch seinen Ernährungsgefässen das nöthige Blutquantum nicht mehr zugeht. — Wahrscheinlich ist neben der Verminderung der Eigenwärme und der Lähmung des Herzens in vielen Fällen noch ein dritter Factor zu beachten: die Zersprengung, Schrumpfung oder anderweitige Veränderung der Blutkörperchen im Bereich der verbrannten Haut 3 ). Es ist erwiesen, dass solche Veränderungen auf dem heizbaren Objectträger bereits bei wenig Uber 5 0 0 C. eintreten und in dem Blute verbrannter Thiere vorkommen. Die Beimischung eines solchen Detritus von Blutkörperchen zu dem übrigen Blute wird dessen Nährund Respirationsfähigkeit voraussichtlich stören, vielleicht auch Entzündungen innerer Organe veranlassen können. In der That liegen Beobachtungen genug vor, in denen, nachdem die Patienten die pri' ) Vgl. F r . F a l k . ')
I. c. p a g . 3 8 .
Vgl. G o l t z , ü b e r d e n T o n u s d e r G e f ä s s e u n d seine B e d e u t u n g f ü r die B l u t b e w e g u n g . Archiv f ü r p a t h o l . A n a t o m i e .
' ) Vgl. M. S c h u l t z e , Presse.
Bd. 2 9 .
Archiv f. m i k r o s k o p . A n a t . 1 8 6 5 , W e r t h e i m ,
1 8 6 8 . No. 1 3 .
Wiener
med.
608
Verletzungen.
mären Zufälle glücklich Uberstanden hatten, noch nach «lern 3. Tage bei ausgedehnten (wenn auch oberflächlichen) Verbrennungen namentlich Lungen-Entzündungen (sogen. Verbrennungspneumonien) und noch später Verschwärungen im Darmcanal, namentlich Duodenalgeschwüre, auftraten und tödtlich endeten. Weder die ganz unhaltbare Annahme einer Unterdrückung der Hautthätigkeit noch die bei Erlahmung des Herzens denkbare Ungleichmässigkeit der Blutvertheilung Dagegen geben für diese Vorgänge eine Erklärung an die Hand. liesse sich allerdings denken, dass Schollen und Ballen von zersprengten Blutkörperchen, fest aneinander haftend, zu Embolien Veranlassung geben oder dass die durch die Hitze veränderten Blutbestandtheile, als chemische Reize, Entzündungen erregen könnten. Seltener, als man bei der grossen Schmerzhaftigkeit der Verbrennungen erwarten sollte, tritt T e t a n u s hinzu; relativ selten auch, im Vergleich zu der Heftigkeit der auf Verbrennungen folgenden localen Entzündungen, findet eine Verbreitung der letzteren in Form von Erysipelas oder Lymphangitis statt. Die P r o g u o s e richtet sich vor Allem nach der A u s d e h n u n g 1 ) der verbrannten Fläche. Auch eine oberflächliche Verbrennung kann (wie eben erläutert wurde), wenn sie sich auf einen g r o s s e n Theil d e r K ö r p e r o b e r f l ä c h e erstreckt, insbesondere wenn sie m e h r a l s e i n D r i t t e l derselben betrifft, selbst bei der sorgfältigsten Behandlung den Tod zur Folge haben. — Bei t i e f e n Verbrennungen kann man auch von Seiten der Prognose die erwähnten drei Perioden unterscheiden, deren jede bedenkliche und oft tödtliche Zufälle mit sich bringt. Hier zeigen sich bedeutende individuelle Verschiedenheiten, welche man wesentlich unter drei Kategorien bringen kann: j u n g e , nervöse, reizbare Subjecte haben am Meisten in der erstell Periode zu fürchten; kräftige, robuste Naturen sind mehr den Gefahren der späteren Entzündungen unterworfen; alte, kränkliche oder schwächliche Individuen leiden am Meisten in der Periode der Eiter u n g , zumal wenn diese profus ist. Am Besten ertragen offenbar diejenigen Individuen, welche zur zweiten Kategorie gehören, bedeutende Verbrennungen. Eine Verbrennung kann zuweilen als Heilmittel wirken, ganz wie eine absichtliche Verbrennung durch das Cauterium actuale. Man hat insbesondere alte Rheumatismen in Folge einer zufälligen Verbrenn u n g mitunter verschwinden sehen. ' ) S t a t t nach T i e f e und A u s d e h n u n g „ I n t e n s i t ä t " und „ E x t e n s i t ä t "
kann man die Verbrennungen auch
unterscheiden.
nach
609
Verbrennung.
Behaudlnng. Zur Erfüllung der lndicatio causalis können wir nur in seltenen Fällen (durch Entfernung der mit siedenden Flüssigkeiten getränkten oder brennenden Kleider u. dgl.) etwas thun. Wir haben vielmehr sogleich die Folgen der Verbrennung zu bekämpfen: Nervenerregung (Schmerz), Sinken der Eigenwärme, Entzündung, Eiterung. Wo diese nicht in erheblichem Grade auftreten, da haben wir es mit einer leichten Verbrennung zu thun, welche, mit irgend einem der zahllosen „Mittel gegen Verbrennungen" behandelt, jedenfalls heilt. Bei der ö r t l i c h e n Behandlung bedeutender Verbrennungen handelt es sich zunächst um B e k ä m p f u n g d e s S c h m e r z e s . Fortdauernde Begiessungen des verbrannten Tlieiles mit Wasser oder mit einem Geinenge von Wasser und Aetiler oder Alkohol, Dinte, einer Auflösung von schwefelsaurem Eisen, oder Umschläge, die mit den gedachten Flüssigkeiten getränkt sind, werden als wirksam empfohlen, wenn es sich um den ersten Grad der Verbrennung handelt. Auch beim zweiten Grade können kalte Umschläge mit Nutzen in Gehrauch gezogen werden, wenn die Blasen nicht geöffnet sind. Das Zerreissen derselben ist zu verhüten, und ihr Inhalt erst später, frühestens nach 24 Stunden, durch einen Einstich mit einer feinen Nadel zu entleeren. Ist ein grosser Theil des Körpers von einer Verbrennung getroffen, so rnuss vor Allem eine stärkere A b k ü h l u n g d e s K ö r p e r s v e r h ü t e t werden. Dazu ist es sehr zweckmässig, aber freilich nur selten ausführbar, den Kranken sogleich in ein l a u w a r m e s B a d zu bringen, und darin andauernd so l a n g e a l s m ö g l i c h zu lassen, während die Temperatur des Bades auf 3 5 ° — 3 7 ° C. erhalten wird. — Viel leichter anwendbar und sehr wirksam sind die Bedeckungen und Einwickelungen der verbrannten Theile mit b a u m w o l l e n e r W a t t e (also einem exquisit schlechten Wärmeleiter), wie sie schon früher hie und da angewandt, von A n d e r s o n aber erst eigentlich in die Praxis eingeführt sind. Verbrennungen des ersten Grades bedeckt man ohne Weiteres mit weicher Watte. Beim zweiten Grade entleert man die Blasen durch eine kleine Oeffnung, wäscht die Theile mit lauwarmem Wasser (bei etwas tieferen Verbrennungen mit Branntwein, aromatischem Spiritus, Terpenthinöl, am Besten einer 2 p. c. Carbolsäure-Lösung) und legt dann die Watte in dicken Schichten auf. Dieselbe wird nöthigen Falles durch eine Binde befestigt u n d erst gewechselt, wenn der Eiter hindurch dringt. Man entfernt alsdann nur die von Eiter getränkten Stücke und ersetzt sie so schnell als möglich durch neue, um den verbrannten Theil möglichst wenig der Luft auszusetzen. Der üble Geruch der zurückgelassenen (ankleBardclcben,
Chirurgie.
7. Aull. 1.
39
610
Verletzungen.
benden) Wattenstilcke, welcher früher die Kranken sehr belästigte, ist durch Abspülen mit antiseptischen Mitteln (vgl. pag. 264) meist leicht zu verhüten. Bei sehr ausgedehnten Verbrennungen lässt man die Ablösung des Wattenverbandes in einem Vollbade vornehmen. Aus der grossen Menge der bei Verbrennungen ersten und zweiten Grades anwendbaren Mittel sind noch folgende hervorzuheben: Bestreuen mit Mehl oder Kreide in beträchtlicher Dicke, Auflegen von Kartoffelbrei, Aepfelbrei, feuchter Erde, Auflegen von leinenen Läppchen, die mit frischer ungesalzener Butter oder Linimenten aus Milchrahm und Eidotter oder aus Oel und Eidotter, mit der S t a h l ' s c h e n B r a n d s a l b e (aus Leinöl und Kalkwasser), mit Zink- oder Bleisalbe, oder aber mit dem Emplastrum minii adustum dick bestrichen sind, endlich das Bestreichen mit einer s t a r k e n H ö l l e n s t e i n l ö s u n g (vgl. pag. 262) mit Kreosot, C o l l o d i u m , Chlorkalklösung, die Einwickelung und Compression mittelst genau angelegter Streifen von Emplastrum Cerussae, Umschläge von warmen geistigen Flüssigkeiten, insbesondere auch von Terpenthinöl, endlich die Annäherung des verbrannten Theiles an's Feuer, wodurch eine luftdichte Kruste an seiner Oberfläche gebildet wird. Alle diese Mittel bezwecken B e d e c k u n g des Theils, Verhütung des Zutritts der Luft, durch welche die (nach Abreissen der Blasen) entblösste Haut heftig gereizt wird. Hierher gehört auch die H ö l l e n s t e i n l ö s u n g , durch welche eine künstliche Epidermis gebildet, zugleich aber freilich eine oberflächliche Zerstörung und bedeutende Reizung der von Epidermis entblössten Fläche bewirkt wird. Eine solche Reizung scheint jedoch (durch Zerstörung der- Nerven-Enden oder durch Ueberreizung der Nerven) günstig und oft (wenn auch nicht bei der ersten Anwendung) schmerzlindernd zu wirken. Auch die von Vielen gepriesene Wirkung heftigerer Reizmittel und der Hitze dürfte zum Theil in einer solchen Ueberreizung begründet sein, sich aber auch vielleicht durch ihre antiseptische Wirkung (s. unten) günstig erweisen. Sehr vortheilhaft ist bei oberflächlichen Verbrennungen, — namentlich auch bei denen des zweiten Grades, sofern die Blasen sich noch nicht erhoben haben, — das. Bestreichen mit dicken Lagen von C o l l o d i u m . Dadurch lässt sich der Blasenbildung gänzlich vorbeugen. Das Collodium bildet mit der nekrotisirenden Epidermis eine feste und genau schliessende Decke, unter welcher die neue Epidermis sich ungestört entwickeln kann. Neben der örtlichen Behandlung der Verbrennungen hat man bei sehr grosser Ausdehnung derselben zunächst der H e r z l ä h m u n g ,
611
Verbrennung.
dem „Collapsus", durch A n a l é p t i c a (Wein, Branntwein, Iloffmannstropfen) auch durch Erregung kräftiger Inspirationen (mittelst faradischer Reizung der Nn. phrenici am Halse) zu begegnen, weiterhin giebt man dem Kranken eine schmerzlindernde Arznei, Morphium, Opium, Hyoscyamus, abwechselnd mit schlafmachenden Dosen von Chloralhydrat. Besässen wir Mittel, um die Erweiterung der Gefässe in oberflächlich verbrannten Hautstücken rückgängig zu machen, so würde deren Anwendung den doppelten Vortheil haben, sowohl der übermässigen Abkühlung als auch der Lähmung des Herzens entgegen zu wirken. Dass von dauernder Anwendung der Kälte zu diesem Behuf nicht die Rede sein kann, leuchtet von selbst ein. Auch die Compression durch Collodium leistet nur eine Entleerung der Gefässe und zwar um den Preis einer zwar vorübergehenden, aber doch merklichen Abkühlung durch die Aetherverdunstung. F. F a l k empfiehlt, auf Grund seiner Versuche an Thiercn, die Anwendung von E r g o t i n , um Zusammmenziehung der kleinen Arterien zu bewirken. Da es doch nur darauf ankommt, für eine gewisse Zeit dem Herzen einen grösseren Blutvorrath zu sichern, so könnte nicht blos die Transfusion, sondern auch die zeitweise Constriction einzelner Extremitäten mit elastischen Binden (um das Blut aus ihnen in den Rumpf zu treiben) oder auch die Compression der Aorta, abdominalis in Frage kommen. Unbegreiflicher Weise galt f r ü h e r der Aderlass f ü r das beste Anodynon gedehnten der
Verbrennungen.
„Congestionen
J. C l o q u e t
in
Derselbe wurde ausserdem
inneren
haben den
Organen"
für
nothwendig
V o r s c h l a g g e m a c h t , eine g r o s s e
Umgegend
der verbrannten
Verfahren
beobachtet.
erachtet.
Menge
von
noch
für
die
Dasselbe
würde,
wenn
Ueberstehen
Kräfte bedürfen wird.
vier
höheren
es
seiner
Kostspieligkeit wegen
vorhanden
sind.
In
der
d e s V e r u n g l ü c k t e n zu s o r g e n .
Regel
hat
und der
nicht man
In s o l c h e n
anderweitig
vielmehr
Fällen m u s s
specielle
für Stärkung
überVer-
Eiterung
Dies gilt, wie sich von s e l b s t e r g i e b t ,
A u c h bei d e m s o g e n . S o n n e n s t i c h
lässe eher schädlich als nützlich
wenn der
der voraussichtlich b e d e u t e n d e n
Grade der Verbrennung.
s i c h des A d e r l a s s e s g ä n z l i c h e n t h a l t e n , w e n n dazu
in
T h e i l e a n z u s e t z e n , u n d e i n e n v o r z ü g l i c h e n E r f o l g von d i e s e m
ist, oder zum
beträchtlicher
sonders
Bozot
Blutegeln
h a u p t h ä u f i g e r a u s f ü h r b a r w ä r e , d e m A d e r l a s s vorzuziehen s e i n , z u m a l letzte schwächlich
bei a u s -
zur Verbülung oder Bekämpfung
beman
Indicationen und
Belebung
haben sich Ader-
erwiesen.
Sobald es in Folge einer Verbrennung zur Gangrän der Haut oder der tieferen Theile kommt, hat man örtlich die Abstossung der Brandschorfe zu unterstützen, für gehörigen Abfluss des Eiters zu sorgen, bei profuser Eiterung den Verband mehrmals täglich zu wechseln, dabei sorgfaltig eine längere Entblössung der eiternden Flächen zu verhüten, überhaupt die a n t i s e p t i s c h e M e t h o d e in vollster Aus-
39*
612
Verletzungen.
dehnung anzuwenden 1 ) und innerlich dem Kranken, sobald das EntzUndungsstadium vorUber ist, kräftigere Nahrung und tonisirende Arzneimittel zu reichen. Gegen die (meist wohl auf Darmgeschwüren beruhenden) Durchfälle, welche sich oft erst zur Zeit der Vernarbung einstellen, wendet m a n , nach dem Vorgange D u p u y t r e n ' s , Pillen aus Opium und schwefelsaurem Zink a n , auch Ipecacuanha hat sich gegen dieselben wirksam gezeigt; überhaupt werden wohl alle unter ähnlichen Verhältnissen anderweitig angewandten Mittel auch hier wirksam sein. Obwohl wir hier von der Localität der Verletzung eigentlich absehen wollen, so ist doch die Frage zu berühren, ob und wann wegen einer Verbrennung a m p u t i r t weiden soll. Ein im fünften oder sechsten Grade verbranntes Glied ist unwiederbringlich verloren; man hat eine furchtbare Entzündung und eine profuse Eiterung zu e r w a r t e n ; die Amputation vereinfacht die Wunde und beschleunigt die Heilung. Die Amputation erscheint ferner indicirt, wenn nach dem Abfallen der Brandschorfe eine grosse Gelenkhöhle geöffnet wird. Sollten jedoch noch Weichtheile genug in der Umgegend des Gelenkes erhalten sein, um von der Resection der Gelenk-Enden einen Erfolg erwarten zu können, so möchte, nach den neueren Erfahrungen Uber die letztere Operation, dieselbe bei Eröffnungen der Gelenke durch eine Verbrennung der Amputation vorzuziehen sein. Eine gleichzeitig bestehende Verbrennung anderer Theile des Körpers wird die Prognose für jeden operativen Eingriff ungünstiger machen; aber nichtsdestoweniger muss ein solcher unternommen werden, wenn eine lebensgefährliche Vereiterung des Gelenkes zu erwarten steht. Wenn die Lebensgefahr vorUber ist, so hat man schliesslich bei der Behandlung der Verbrennungen die Erhaltung der normalen Form und der Function der leidenden Theile zu bedenken. Durch die nachfolgende Narbenverkürzung können Oeffnungen, wie die Nasenlöcher, die Mundöffnung, der Gehörgang, der After, das Orificiuin cutaneum urethrae, der Introitus vaginae u. s. w., verschlossen oder doch in bedenklichem Grade verengert werden; benachbarte Theile können abnorme Verwachsungen untereinander eingehen, z. B. die Finger, oder es kann durch die sich stark verkürzenden Narbenstränge bald die Beugung, bald die Streckung der Glieder unmöglich werden. Es ist daher nothwendig, während der Vernarbung die Berührung nebeneinander liegender Theile und einander zugewandter Flächen Die bereits pag. 2 6 5 u . f. erwähnte L i s t e r ' s c h e und Leinöl (etwa 1 : 1 0 ) bewährt.
bat sich mir in einer
Mischung von
Karbolsäure
Reibe schwerer Verbrennungen
613
Anätzung.
zu verhüten, und die Narbencontraction in derjenigen Richtung, in welcher sie einen besonders störenden Effect haben würde, zu bekämpfen. Dazu dienen an den Fingern, nächst zweckmässiger Lagerung, sorgfältige Einwickelungen mit Pflasterstreifen, weiterhin hier sowohl, wie an anderen Stellen, frühzeitige und zahlreiche Iniplantationen kleiner Hautstückchen nach der Methode von R e v e r d i n (vgl. pag. 348). Wurden diese Vorsichtsmaassregeln nicht beobachtet, oder blieben sie ohne Erfolg (was leider häufig der Fall ist), so kann man später auf operativem Wege die Narbenstränge entfernen und die normalen Verhältnisse wieder herzustellen suchen. Solche Operationen dürfen jedoch nicht früher unternommen werden, als bis die betreffenden Theile zum normalen Ernährungszustande zurückgekehrt sind, was selten vor Jahresfrist der Fall ist. Verletzungen Gegenstand
durch
den
Blitz
unterscheiden
sich,
sofern
sie
überhaupt
c h i r u r g i s c h e r T h e r a p i e w e r d e n , n i c h t w e s e n t l i c h von V e r b r e n n u n g e n .
Todes-
fälle d u r c h B l i t z s c h l a g s o w i e die n a c h V e r l e t z u n g e n d u r c h den Blitz n i c h t selten
zurück-
bleibenden kaustischen,
Lähmungen. (namentlich sondern
aus
der
direct
der
unteren
lähmenden
Extremitäten)
sind
nicht
E i n w i r k u n g zu e r k l ä r e n ,
e l e k t r i s c h e S c h l a g auf die C e n t r a i o r g a n e d e s N e r v e n s y s t e m s
aus
der
welche
der
ausübt.
Zweites Capltel.
Verletzungen durch ätzende Stoffe. Alle diejenigen Substanzen, welche wir als A e t z m i t t e l zum Behuf der Zerstörung eines Theils anwenden lehrten (pag. 108 u. f.), können auch bei zufälliger Berührung mit dem Körper Zerstörungen herbeiführen, welche zwar mit den Verbrennungen im Allgemeinen übereinstimmen, aber je nach der Qualität des ätzenden Stoffes untereinander verschieden sind. Die Intensität der Wirkung hängt ausserdem auch noch von der Dauer der Einwirkung ab. Die ätzenden Stoffe, welche wir hier zu berücksichtigen haben, sind vorzüglich: Schwefelsäure (Vitriolöl), Salpetersäure, gebrannter Kalk (in sogenannten Kalkgruben), starke Lauge, wie sie namentlich bei der Seifenfabrication benutzt wird, bei Weitem seltener Aetzkali, Höllenstein und andere pharmaceutisch dargestellte Aetzmittel. Die Wirkungen der c o n c e n t r i r t e n S c h w e f e l s ä u r e stimmen am Meisten mit den höheren Graden der Verbrennung Uberein; den organischen Theilen wird sofort ihr Wassergehalt entzogen und die hypothetisch wasserfreie Substanz überdies in der Art zersetzt, dass die darin enthaltenen Atome Wasserstoff und Sauerstoff sich zu Wasser
614
Verletzungen.
verbinden, um als solches, unter Zurücklassung eines verkohlten Schorfes, gleichfalls an die Schwefelsäure Uberzutreten. Somit hat also die Einwirkung der Schwefelsäure nicht blos in ihrem äusserlichen Resultate, sondern auch in Betreff des chemischen Vorgangs die grösste Analogie mit der Verbrennung. Gewöhnlich erstreckt sich die Zerstörung nur auf die Dicke der Cutis und entspricht somit dem dritten Grade der Verbrennung (nach D u p u y t r e n ) . Nur bei lange fortdauernder Einwirkung grösserer Massen finden tiefer greifende Zerstörungen Statt. Häufiger als zufällige Aetzungen der Körperoberiläche kommen absichtlich herbeigeführte Verletzungen der Art im Munde, im Schlünde und im Magen vor (vgl. Bd. III.). Die B e h a n d l u n g muss Anfangs darauf ausgehen, die noch etwa vorhandene Schwefelsäure möglichst schnell und vollständig zu neutralisiren oder doch mit Wasser zu verdünnen und fortzuspülen. Zur Neutralisation können alle verdünnten (also nicht selbst ätzenden) Lösungen oder Schüttelmixturen von Alkalien und alkalischen Erden, sowie von den kohlensauren und fettsauren Salzen derselben benutzt werden. Am Leichtesten werden unter diesen noch ^Kreide, Seife und Magnesia oder die auch noch durch ihren Caseingehalt nützliche Milch bei der Hand sein; in den meisten Fällen aber wird man sich, weil die grösste Gefahr im Verzuge ist, zunächst mit dem Verdünnen und Abspülen der Säure mittelst grosser Massen von Wasser begnügen müssen. Die weitere Behandlung stimmt dann ganz mit derjenigen des entsprechenden Grades der Verbrennung Uberein. S a l p e t e r s ä u r e liefert einen g e l b e n Brandschorf (unter Entwickelung von Xanthoprotelnsäure). Sie entzieht den Geweben nicht mit so grosser Gewalt Wasser, wie die Schwefelsäure, und bedingt daher weniger eine vollständige Verbrennung, aber doch eine ebenso gewaltige Zerstörung. Zufällige Verletzungen durch concentrirte Salpetersäure werden sehr selten beobachtet. Häufiger kommen oberflächliche Aetzungen durch verdünnte Salpetersäure (Scheidewasser) vor. Diese erstrecken sich gewöhnlich nur bis auf das Rete Malpighi und sind daher den Verbrennungen des ersten und zweiten Grades gleichzusetzen. — Die B e h a n d l u n g weicht von der bei der Schwefelsäure angegebenen nicht ab. Unter den alkalischen Substanzen bewirkt der g e b r a n n t e Kalk am Häufigsten ausgedehnte Zerstörungen, namentlich bei Kindern, die gelegentlich in eine mit frisch gelöschtem Kalk gefüllte Grube fallen. Viel tiefer und gewaltiger ist die Wirkung des A e t z k a l i , welches selbst in verdünnter Lösung ( A e t z l a u g e ) noch bis in das Gewebe der Cutis eingreifende Zerstörungen bewirken kann. Kommt Aetzkali
615
Erfrierung.
im ungelösten Zustande mit dem Körper in Berührung, so entzieht es mit fast gleicher Schnelligkeit ihren
Wassergehalt,
wie die Schwefelsäure
bewirkt Wasserbildung
den
Geweben
aus dem in ihnen
ent-
haltenen Wasserstoff und Sauerstoff, unterscheidet sich von der S c h w e felsäure aber wesentlich d a d u r c h ,
dass es die eiweissartigen
Körper
s o w o h l als das Fett auflöst und zunächst einen halbflüssigen schmierigen Brandschorf darstellt, der jedoch später durch V e r d u n s t u n g und durch Einwirkung der Kohlensäure der Luft auf das in ihm enthaltene Kali vollständig vertrocknet.
Der Umstand, dass die Verbindung
des
Kali mit den G e w e b e n des Körpers löslich ist, bedingt, dass die durch Aetzkali
veranlassten
erreichen.
Zerstörungen
Allerdings
sind
schnell
dieselben
eine
gegen
die
beträchtliche Tiefe
hin
Tiefe
weniger
heftig, da die L ö s u n g des Aetzkali durch Aufnahme von W a s s e r aus den G e w e b e n selbst immer mehr verdünnt wird. Bei
der
Behandlung
der
durch
alkalische
Substanzen
wirkten Anätzungen
sind dieselben Regeln zu b e a c h t e n ,
Verbrennung
Schwefelsäure;
durch
nur
dass
man,
be-
wie bei der
statt
der
empfohlenen Alkalien, hier Säuren zur Neutralisation a n w e n d e n
dort muss.
Man wird unter diesen vorzugsweise solche w ä h l e n , die an sich
un-
schädlich und möglichst schnell zur Hand sind (Essig).
Dritten Capltel.
Von der Erfrierung (Congelatio). Eine zu niedrige
Temperatur
h o h e : man kann ähnliche G r a d e unterscheiden,
hat ähnliche Folgen
die Analogie erstreckt
sich auch auf die allgemeinen
Erscheinungen und auf die therapeutischen Acliologie.
wie eine z u
der Erfrierung wie der Verbrennung Indicationen.
Vielfach wird behauptet, dass durch directe Einwir-
k u n g der Kälte niemals Erfrierung zu Stande k o m m e , mehr erst im A u g e n b l i c k e des Aufthauens entstehe.
dass sie viel-
In der That ist
anzuerkennen, dass plötzlicher T e m p e r a t u r w e c h s e l
die Entstehung
d e s Frostbrandes b e g ü n s t i g t ; aber die Beobachtung hat uns auf das Bestimmteste gelehrt,
dass durch
directe Einwirkung
der Kälte,
bevor
n o c h irgend eine Temperaturerhöhung wieder Statt gefunden hat, der örtliche Tod
herbeigeführt werden
kann.
Für
die
höchsten
Kälte-
g r a d e , w e l c h e schliesslich nicht blos das in den Geweben des menschlichen
Körpers
Adern
zum
enthaltene
Gefrieren
Wasser,
bringen,
ist
sondern
auch
d j s Blut in
dies ohne Weiteres
den
verständlich.
616
Verletzungen.
Aber auch bei geringerer Intensität der Einwirkung ist der nachtheilige, selbst die Lebensfähigkeit der Gewebe bedrohende Einfluss der Kälte leicht zu begreifen, wenn man bedenkt, dass alle Gefässe, namentlich aber die kleineren Arterien, durch Kälte zur Zusammenziehung gebracht werden, dass mithin in den der Kälte ausgesetzten Theilen eine schliesslich bis zur vollständigen Stauung (Ischämie) sich steigernde Kreislaufsstörung eintritt, welche direct zum Brande führen kann. Dauert die Einwirkung der Kälte längere Zeit, jedoch nicht in solcher Intensität an, dass Eisbildung in den Geweben erfolgt, so erweitern sich die vorher a u f s Aeusserste contrahirten Gefässe; der Gefässkrampf geht auch ohne Intercurrenz der Erwärmung in Gefässlähmung über. Die bis dahin blass erscheinenden Theile werden in Folge der nun eintretenden Blutüberfüllung (venösen Stase) blauroth und schwellen an. Allerdings wird aber das Eintreten der Gefässlähmung und der von ihr abhängigen venösen Stase durch s c h n e l l e E r w ä r m u n g des einer sehr niedrigen Temperatur ausgesetzten Theils erheblich begünstigt und beschleunigt. — Dass eine schnellere und intensivere Abkühlung durch bewegte, die vom Körper producirte Wärme schnell fortführende Luft bewirkt wird und dass daher gleiche Kältegrade viel stärker bei Wind und Sturm einwirken, als bei ruhiger Atmosphäre, bedarf keiner Erläuterung. — Begünstigend für die Erfrierung wirkt auch die D u r c h n ä s s u n g , und zwar nicht blos wenn der durchnässte Theil sofort einer erheblichen Kälte dauernd ausgesetzt wird, sondern auch in der Art, dass häufig durchnässte Theile überhaupt leichter erfrieren. Eine besondere P r ä d i s p o s i t i o n zu Erfrierungen haben Kinder und schwächliche Leute, namentlich auch Trunkenbolde. Ob die Constitution des kindlichen Körpers und der Einfluss des Alkoholgenusses hierbei mehr in's Gewicht fallen, als der Umstand, dass Kinder und Trunkene sich relativ häufig „Erfrierungen" aussetzen, ist nicht zu entscheiden. Wie es scheint, wird auch durch manche vorausgegangene acute Krankheiten (z. B. Erysipelas) local oder auch allgemein, vielleicht auch durch gewisse chronische (constilutionelle) Erkrankungen eine Prädisposition zu Erfrierungen bedingt. Die a m H ä u f i g s t e n b e f a l l e n e n T h e i l e s i n d : die Finger ( b e s o n d e r s die R ü c k e n D i i c h e ) , d i e Z e h e n ( z u m a l d e r Ballen d e r g r o s s e n Z e h e ) , Man h ö r t n i c h t s e l t e n d i e A n s i e b t dinge
einen
äussern,
weniger kräftigen Kreislauf
Erfrierungen geneigter.
Dies ist irrig.
die F e r s e , die N a s e und d i e
die grössere Entfernung
in d i e s e n T h e i l e n
viel
leichter ausgesetzt
sind.
liaufige D u r c h o ä s s u p g n o c h a l s e j n w e i t e r e r G r u n d
Masse wegen,
An H ä n d e n hinzu,
be-
sie d e s h a l b
Der G r u n d ist vielmehr d u r i n zu s u c h e n ,
die genannten Theile, ihrer Lage nnd ihrer geringen Wärme-Entziehung
und m a c h e
Ohren.
vom H e r z e n
einer
und F ü s s e n
zu
dass
vollständigen kommt
die
Erfrierung.
617
Oerlliche Wirkungen der Kälte. Bei dem leichtesten (ersten) Grade der Erfrierung findet sich Rothe und Geschwulst des Theiles; die Rothe geht bald in's Violette oder in's Blaue über. Der Schinerz ist lebhaft brennend; er entwickelt sich entweder sogleich bei der Einwirkung der Kälte, oder er tritt erst auf (oder wird doch heftiger), wenn der erfrorene Theil erwärmt wird. Gelingt es nicht, diesen leichtesten Grad der Erfrierung sofort zu heilen, so dauert er chronisch fort, in Gestalt der F r o s t b e u l e n (perniones), welche im Sommer sich bessern oder selbst ganz verschwinden, im Winter wiederkehren und bei Temperaturwechsel besonders schmerzen. Bei heftiger Einwirkung der Kälte (dem zweiten Grade der Erfrierung) entwickeln sich B l a s e n ; sie entstehen entweder alsbald oder auch wohl erst nach einigen Tagen. Setzt man die erfrorenen Theile auch nur massiger Wärme aus, so erheben sich die Blasen fast augenblicklich. Die Geschwulst ist viel bedeutender als beim ersten Grade, der Schmerz spannend und stechend. Die Aehnlichkeit zwischen diesem Grade der Erfrierung und einer Verbrennung hat bereits M. A. S e v e r i n u s (1624) hervorgehoben. In Betreff des weiteren Verlaufs (der sogen. Reaction) besteht aber der wesentliche Unterschied, dass die durch V e r b r e n n u n g hervorgerufenen Processe einen lebhaften, acuten Charakter zeigen, während sie nach einer E r f r i e r u n g h ö c h s t t o r p i d und immer mit einer gewissen Tendenz zur Gangrän verlaufen. Der Inhalt der Blasen ist daher auch fast niemals wasserhell, vielmehr blauroth, grau, graublau, trübe. Nur selten erneuert sich die Epidermis unter den Blasen; in der Regel werden dieselben zersprengt oder zerrissen, und es folgt Verschwärung mit jauchiger Secretion. Durch solche chronisch verlaufende und in der Regel mit Frostbeulen combinirte F r o s t g e s c h w ü r c (Ulcera ex congelatione) können an der Hand oder am Fuss nach und nach sogar Knochen biosgelegt werden. Weiterhin (beim dritten Grade) handelt es sich um eine wahre E r s t a r r u n g durch Frost, Aufhebung aller Bewegungen, überhaupt jeder Lebensthätigkeit. Die M o r t i f i c a t i o n tritt entweder sogleich ein, indem die erfrorenen Theile blass, starr und bruchig werden, bei der Erwärmung aber, ohne für Berührung empfindlich zu sein, heftig schmerzen; oder es geht dem Brande eine kurze Entzündungsperiode vorher. Blasen erheben sich, unter denen man weisse oder graue Flecke findet, welche, wie beim dritten Grade der Verbrennung, von der brandigen Zerstörung des Papillarkörpers der Haut herrühren. Bei noch heftigerer Einwirkung der Kälte wird die Haut in ihrer ganzen Dicke brandig; sie ist Anfangs glatt und blass, weiterhin
618
Verletzungen.
nimmt sie eiiie graue, blaurothe, blaubraune oder schwärzliche Farbe an. — Beim höchsten Grade der Erfrierung kann die ganze Dicke des Gliedes dem Tode verfallen. Die E n t s c h e i d u n g Uber d a s B e s t e h e n d e r F r o s t g a n g r ä n und d i e T i e f e , bis zu welcher sie eindringt, wird dadurch erschwert, dass die Einwirkung der Kälte, auch ohne die Lebensfähigkeit zu vernichten, lang dauernde Anästhesie bewirken kann. Man darf also daraus, dass tiefe Nadelstiche nicht gefühlt werden, am ersten Tage noch nicht auf Mortification schliessen. Anderer Seits sind die Patienten oft schwer zu überzeugen, dass die erfrorenen Theile verloren seien, weil sie in denselben wegen der an der Grenze des Brandes stattfindenden Reizung der Nerven in dem brandigen Theile Schmerzen empfinden und einzelne Zehen etc. mit den unversehrt gebliebenen Muskeln noch zu bewegen vermögen. Vgl. pag. 293. Vergleichende thermometrische Untersuchung und wiederholte Prüfungen der Empfindlichkeit (bei sicher verschlossenen Augen des Patienten) werden aber in der Regel schon am 2. Tage und jedenfalls, bevor Fäulniss beginnt, die Diagnose sichern. Allgemeine Ersclieiuuugeu. Frostasphyxie. Eine unwiderstehliche Neigung zum Schlaf bemächtigt sich des Menschen bei der Einwirkung einer heftigen Kälte. Aber, wehe dem, der dieser Neigung nachgiebt; nicht blos örtliche Erfrierungen von bedeutender Ausdehnung folgen, sondern der Tod. Dies ist desto wahrscheinlicher, wenn der Verunglückte, in der Absicht, sich zu erwärmen, spirituöse Getränke genossen hat. Durch diese wird nicht blos die Schlafsucht gesteigert, sondern auch die Wärmeproduction direct vermindert. Reicht diese nun an und für sich im Schlafe schon nicht aus, um der von Aussen wirkenden Wärmeentziehung das Gleichgewicht zu halten, wie viel weniger, wenn die Wirkungen des Alkohols ihr noch Abbruch thun. So sieht man denn von zwei Menschen, welcher gleicher Kälte ausgesetzt sind, den einen bei fortdauernder Muskelarbeit unversehrt bleiben, während der andere unter dein Einfluss des Alkohols zunächst dem Schlaf, dann dem Scheintode und schliesslich, wenn ihm keine Hülfe gebracht wird, dem Tode verfällt. Wahrscheinlich kommt der Tod in diesen Fällen nicht immer in ganz gleicher Weise zu Stande. Zunächst muss zugestanden werden, dass die äussersten Kältegrade nicht blos alle kleinen Arterien der Haut zur Verengerung bringen und dadurch also eine bedeutende Blutüberfllllung innerer Organe (namentlich auch des Gehirns) bewirken, sondern auch durch übermässige Wärmeentziehung ganz direct das Leben vernichten können. Hat man doch bei Sectionen das Gehirn
Erfrierung.
619
zu Eis gefroren und die Schädelnähte durch Gefrierung auseinander gesprengt gefunden. In anderen Fällen scheint aber die nach längerer Einwirkung der Kälte (auch ohne Intercurrenz von Wiedererwärmung) eintretende Erweiterung der vorher verengten Hautgefässe in ähnlicher Weise nachtheilig zu wirken, wie wir dies bei den „Verb r e n n u n g e n " erläuterten. Durch die Anhäufung und träge Bewegung einer relativ zu grossen Masse von Blut in den oberflächlichen Gefässen wird die Abkühlung der gesammten Blutmasse und damit die Verminderung der Eigenwärme in hohem Grade begünstigt. Ueberdies aber wird den inneren Organen, namentlich a.uch dem Herzen, ein erhebliches Blutquantum entzogen; die Arbeit des Herzens wird vergeblich, es erlahmt, wie nach ausgedehnten Verbrennungen (vgl. pag. 607). Bei a u s g e d e h n t e n ö r t l i c h e n E r f r i e r u n g e n findet sich, wenn es auch nicht zur Frostasphyxie kommt, doch eine merkliche Störung des ganzen Wohlbefindens; namentlich beobachtet man Beschleunigung und häufig Unregelmässigkeit des Pulses; der Kranke seufzt von Zeit zu Zeit tief auf, indem er eine kräftige Inspiration ausführen will, er zittert, wird von Frostschauern ergriffen und bietet im Uebrigen Erscheinungen dar, welche sich denen bei einer heftigen Verbrennung ähnlich verhalten. Viel schneller und in gefährlicherem Grade als bei Verbrennungen entwickelt sich bei Frostgangrän die Einwirkung der Brandjauche auf den übrigen Organismus, — das Brandfieber. Der Grund dafür liegt einer Seits in dem schnelleren fauligen Zerfall der abgestorbenen Theile, anderer Seits in der geringeren Intensität der plastischen Infiltration an der Grenze der lebend gebliebenen Theile (am centralen Rande der Demarcationslinie). Vgl. pag. 296 u. f. — Noch seltener als bei Verbrennungen tritt bei Erfrierungen T e t a n u s auf. In allen bis jetzt beobachteten Fällen der Art handelte es sich um F r o s t g a n g r ä n . Behaudluug. Erfrierungen m ü s s e n vor Allein mit Kälte behandelt werden. Reibungen mit Schnee und Eis, unmittelbar nach der Erfrierung mit gehöriger Vorsicht angestellt, damit die erstarrten Theile nicht etwa zerbrochen werden, sind bei allen Graden der Erfrierung das beste Mittel. Ist d e r g a n z e K ö r p e r e r s t a r r t ( F r o s t a s p h y x i e ) , so muss er (im Freien oder in einem kalten Zimmer) einige Zeit mit Schnee und Eis sanft gerieben und dann in ein kaltes Bad gelegt werden, in welchem die Reibungen fortgesetzt werden. Beginnt das Leben zurückzukehren, so ist ein allmäliger Uebergang zu einer höheren Temperatur angezeigt. Ausserdem muss, wenn die Respirationsbewegungen erloschen oder sehr schwach sind, so schnell
620
Verletzungen.
als möglich die k ü n s t l i c h e R e s p i r a t i o n in der pag. 4 2 u. f. beschriebenen Weise, namentlich auch mit Hülfe der faradischen Reizung der Zwerchfellsnerven, in's Werk gesetzt werden. Sind durch Erfrierung K ö r p e r t h e i l e abgestorben, so hat man zunächst doch den Versuch der Wiederbelebung in analoger Weise, wie oben geschildert, zu machen. Misslingt derselbe, so hat man die Abstossung der Brandschorfe zu befördern; wird aber die ganze Dicke eines Gliedes brandig, so muss dasselbe, aus denselben Gründen, wie ein durch Verbrennung brandiges Glied, über der brandigen Stelle amputirt oder exarticulirt werden. Von Alters her hat man den Rath gegeben, niemals vor vollständiger Begrenzung des Brandes zu amputiren, weil es sich nicht im Voraus bestimmen lasse, bis zu welcher Tiefe die Theile dem Brande verfallen sind. Diesem Rath gegenüber hat man aber die grossen Gefahren der septischen Infection wohl zu erwägen. Man wird viel mehr Menschenleben erhalten, wenn man vor vollständiger Ausbildung der Demarcationslinie im Gesunden amputirt, sobald nur feststeht, dass der betreffende Extremitätentheil überhaupt (und nicht etwa blos im Bereich einzelner Hautstellen) dem Brande verfallen ist (vgl. pag. 618). Amputationen Prognose zu gewähren. (beide Oberschenkel
wegen
Frostgangrän
u n d e i n V o r d e r a r m ) und 1 0
( 4 Mal beide Unterschenkel,
3 Mal sämmtliche
3 Mal alle ZeheDphalangen beider S e i t e n ) , weisen. —
geheinen
im Ganzen
Ich habe aus dieser Kategorie e i n e
Die entgegengesetzte Ansicht
e r k l ä r e n , dass die Operation zu s p ä t ,
Doppel-Amputationen
Metatarsalknochen
sämmtlich
anderer
mit
Autoren
eine günstige
Tripel-Amputation (Lisfranc)
und
günstigem Erfolge, aufzukann
ich mir nur
daraus
d. h. zu einer Zeit ausgeführt w u r d e , wo sep-
tische Infection bereits eingetreten war, oder dass es sich um anderweitig geschwächte oder e r k r a n k t e Individuen handelte.
Letzteres gilt wohl namentlich auch für die von
V é z i e n (Kec. de mémoires de médecine militaire, 1 8 6 7 , Novbr. p. 4 1 4 ) Fälle aus dem Rriuikriege. —
mitgetheilten
l)ass die Amputation zu spät gemacht wird, ist keines-
wegs i m m e r Schuld des Arztes.
Gar
oft bleibt der Verunglückte n u r zu lange ohne
ärztliche Behandlung o d t r selbst ohne alle Hülfe,
wovon ich traurige Beispiele genug
gesehen habe.
F r o s t b e u l e n und F r o s t g e s c h w ü r e sind meist heilbar, lassen aber fast immer, namentlich bis zu den Jahren der Pubertät, häufige und hartnäckige Récidivé befürchten, wenn denselben nicht durch fortgesetzte Abhärtung des betreffenden Theils entgegengearbeitet wird. Dem torpiden Charakter der Frostentzündung entsprechend, muss die Behandlung der Frostbeulen und Frostgeschwüre im Allgemeinen eine reizende und eine sehr andauernde sein, namentlich a u c h , wenn es irgend angeht, während des ganzen Sommers fortgesetzt werden. — Nur bei sehr grosser Schmerzhaftigkeit rühmen Einige in frischen Fällen örtliche Blutentziehungen und Einreibungen der grauen Queck-
621
Erfrierung.
silbersalbe mit Zusatz von O p i u m . ' ) „ F r o s t m i t t e I n " passen die
Aus der unendlichen Masse von
flüssigen
Salben f ü r die F r o s t g e s c h w ü r e .
m e h r f ü r die Frostbeulen,
die
Den ersten Platz verdient auch Wei-
das H e i b e n m i t E i s u n d S c h n e e , welches n u r bei sehr e m p f i n d lichen
Personen
möchte.
und
bei
„gichtischer Anlage"
zu unterlassen
Demnächst a b e r sind Bäder von starken
(mindestens
3 p. C.), Bepinseln mit J o d t i n c t u r (sehr b e q u e m u n d
w i r k s a m ) , mit Mineralsäuren*), Steinöl 3 ), Opium-, oder Tinctur,
sein
Chlorkalklösungen Canthariden-
auch Gemische von solchen Tincturen, sowie Salben, welche
die genanten Substanzen, o d e r a n d e r e Reizmittel, wie Myrrha, C a m p h e r , peruvianischen
enthalten4),
Balsam
Höllenstein zu empfehlen.
oder endlich
das Betupfen
Bei oberflächlichen Frostschäden
mit
ist a u c h
das Bestreichen mit C o l l o d i u m , d u r c h Compressiou und A b h a l t u n g ä u s s e r e r Schädlichkeiten, nützlich. W o die E r s t a r r u n g desselben wünscht ist, wählt m a n das C o ' l l o d i u m c o n t r a
uner-
l ' r i g u s s. c l a s t i -
c u n i , eine Mischung des gewöhnlichen Collodium mit etwas Ricinusöl und Copaiva-Balsain o d e r T e r p e n t h i n l i a r z 5 ) .
Z w e i t e r
Abschnitt.
Verletzungen durch mechanischc Gewalt (Laesiones mechanicae). Mechanische T r e n n u n g e n im Z u s a m m e n h a n g e e i n e s Theiles (Laesiones continuitalis) letzung
und
je
Quetschung,
n e n n e n wir, j e nach der Veranlassung der Ver-
nach
dem
verletzten
bald Z e r r e i s s u n g ,
Theile,
n u n g e n des Z u s a m m e n h a n g e s z w i s c h e n ' ) In d e n wenigen ich k e i n e n *) Hcp.
Acidi nitrici c r u d i , Aqiiae C i n n a m o m i
4
)
verschiedenen
Theilen habe
Das S t e i n ö l
10.
M. D. S .
Mit e i n e m
Feder-
w u r d e s c h o n von R u s t u. A. als F r o s t m i t t e l e m p f o h l e n , a b e r wegen Petroleum"
Rcp.
Calcariae hypochlorosae
Hcp.
Tincturae Cantharidum
Hcp.
Collodii 5 0 — 0 0 ,
collodiuui.
ää
(Rust.)
riechende „ g e r e i n i g t e )
bald Tren-
F ä l l e n , in d e n e n ich d i e s e B e h a n d l u n g s w e i s e a n w e n d e n sali,
s e i n e s Abelen G e r u c h e s w e n i g a n g e w a n d t . 4
Wunde,
(Fractura).
Erfolg b e o b a c h t e t .
bart abzustreichen. ')
bald
bald B r u c h
—
Für
Das j e t z t so v e r b r e i t e t e , w e n i g e r
besitzt dieselbe
1, U n g u e n t i Cerei
10,
oder:
1, Liniment, saponato-camphorat.
Olei ricini 2 , T e r e b i n t h i n a e Frostbeulen
mit
„ a u f g e s p r u n g e n e H ä n d e " ) ein v o r t r e f f l i c h e s Mittel.
50.
l a r i c i n a e 6. M. D. S.
oberflächlichen
übel
Wirksamkeit.
Geschwüren
Frost-
isogenannte
622
Verletzungen.
(Laesiones contiguitatis) erhalten den Namen V e r r e n k u n g , wenn es sich um Knochen handelt, H e r n i e oder V o r f a l l (Prolapsus), wenn ein Eingeweide dislocirt ist, und zwar wird erstere Bezeichnung für diejenigen Ortsveränderungen eines Eingeweides benutzt, bei welchen dasselbe von der äusseren Haut bedeckt bleibt, während beim Prolapsus ein Blossliegen des Eingeweides vorausgesetzt wird. In der grossen Mehrzahl der Fälle sind aber die Continuitäts- und Contiguitäts-Trennungen mit einander combinirt: sehr häufig wird durch eine Wunde die relative Lage der Theile verändert, und bei den gewöhnlichen Verrenkungen findet sich immer eine Zerreissung des Kapselbandes, also eine Continuitäts-Trennung. In den folgenden Capiteln werden wir nur von C o n t i n u i t ä t s T r e n n u n g e n handeln, welche in den W e i c h t h e i l e n vorkommen. Von den übrigen Verletzungen, namentlich von den K n o c h e n b r l l c h e n , sowie von allen C o n t i g u i t ä t s - T r e n n u n g e n , wird bei der Beschreibung der Krankheiten derjenigen Organe und Körpertheile, an welchen dieselben vorkommen, gehandelt werden. Vgl. Knochenbrüche und Verrenkungen, Bd. II., Hernien, Bd. III.
Erstes Capifel.
Von den mechanischen Trennungen des Zusammenhanges im Allgemeinen. Nach jeder Verletzung, d. h. nach jeder verletzenden Einwirkung einer Gewalt (Actio), entwickelt sich eine R e a c t i o n von Seiten des Organismus, welche für den Verlauf und Ausgang der durch jene Einwirkung bedingten Störung von der grössten Bedeutung ist. Der an der verletzten Stelle auftretende Process kann nämlich in den Grenzen des normalen Stoffwechsels bleiben; durch directe Verwachsung der getrennten Gewebe kann die Wiederherstellung der Continuität, sobald nur eine zweckmässige mechanische Hülfe geleistet wird, ohne irgend welche Krankheitserscheinungen erfolgen. Man nennt dies: unmittelbare Vereinigung, reunio per primam intentionem, eigentlich p e r p r i m a m n a t u r a e s a n a n d i i n t e n t i o n e m . Es kann aber auch statt der normalen Vorgänge der Ernährung und des Wiederersatzes ein krankhafter Process sich entwickeln, gewöhnlich Entzündung, und diese kann bald durch zu grosse Heftigkeit, bald durch zu weite Ausdehnung statt der Wiederherstellung neue Gefahren herbeiführen. Unversehrtheit der Haut, Reinheit der Wunde, Ruhe und zweckmässige Lage des verletzten Theiles
Mechanische Verletzungen.
623
sind wesentliche Bedingungen für das Zustandekommen der unmittelbaren Vereinigung. I. Vor Allem ist die U n v e r s e h r t h e i t d e r H a u t hervorzuheben. Ist die Haut ganz unverletzt und die Wunde — nach dem jetzigen Sprachgebrauch — s u b c u t a n , oder wie J o h n H u n t e r sich ausdrückte, n i c h t d e r L u f t a u s g e s e t z t (nicht exponirt), so ist es sehr wahrscheinlich, dass der ganze Vorgang des Wiederersatzes und der Vereinigung ohne irgendwelche pathologische Erscheinungen Statt finden werde. So können z. B. bei Knochenbriichen, Verrenkungen, Zerreissungen von Muskeln und Sehnen, wenn sie ohne Trennung der Haut bestehen, nach Beseitigung der mechanischen Störungen alle krankhaften Erscheinungen fehlen. Freilich können anderer Seils auch die allergefährlichsten Verletzungen ohne Hautwunde bestehen; das Innere eines Gliedes kann durch eine Kanonenkugel in der Art zerschmettert werden, dass durchgreifende brandige Zerstörung die Folge ist, obgleich die Haut keine Trennung erfahren hat. In den meisten Fällen aber kann man bei unverletzter Haut eigentlich nicht von einer vollständigen Trennung sprechen, da die Theile unter dem Schutze derselben sich an einander anlegen und die entstandenen Lücken sogleich durch Blut und Blutflüssigkeit ausgefüllt werden, da ferner durch die Vermittelung der Haut die Blutbewegung sowohl, als auch die Leitungsfähigkeit in den ihr zunächst liegenden Nerven erhalten wird und endlich das Eindringen irgend eines fremdartigen Körpers, insbesondere auch der atmosphärischen Luft, zwischen die verletzten Theile unmöglich ist. Auch die Erhaltung einer gleichmässigen Temperatur ist ein günstiges Moment für die schnellere Heilung von Verletzungen ohne Trennung der Haut. Als das bedeutsamste von allen diesen, die Heilung subcutaner Verletzungen begünstigenden Momenten hat man in neuerer Zeit den A u s s c h l u s s d e r a t m o s p h ä r i s c h e n L u f t erkannt. Auf welche Weise aber die in eine W u n d e eindringende Luft nachtheilig wirke, darüber sind verschiedene Ansichten geltend gemacht worden. Namentlich hat man den in der atmosphärischen Luft enthaltenen Sauerstoff angeschuldigt, in der Voraussetzung, dass derselbe mit den blosgelegten Geweben Verbindungen eingehe, welche dieselben in ihrer Ernährung schädigten und daher zur unmittelbaren Vereinigung ungeeignet machten, während von der Kohlensäure behauptet wurde, dass sie den Heilungsprocess begünstige (vgl. pag. 180). Mit überwiegend grosser Wahrscheinlichkeit ergeben aber die neuesten Untersuchungen, namentlich diejenigen von J o s . L i s t e r (vgl. pag. 48 und 264 ff.), dass keiner der in der r e i n e n Luft enthaltenen Stoffe die
Verletzungen.
624
unmittelbare Vereinigung stört, dass aber die uns umgebende Luft nur äusserst selten wirklich rein ist, vielmehr in der Regel in der Gestalt der „Sonnenstäubchen" eine grosse Menge organischer Substanzen suspendirt hält, unter denen sich auch den niedersten Vegetationsformen zugehörige organische Keime vorfinden, welche Fäulniss zu erregen und daher Zersetzung der in einer Wunde vorhandenen animalischen Flüssigkeiten (Blut und Gewebssäfte) einzuleiten vermögen. Diesen organischen Beimengungen den n a c h t e i l i g e n Einfluss zuzuschreiben, welchen die atmosphärische Luft auf Wunden ausübt, sind wir um so mehr berechtigt, als es bei hinreichender Sorgfalt gelingt, nicht blos in geschlossenen Gefässen, in welche man durch bestimmte Oeffnungen ausgeglühte oder anderweitig von organischen Beimengungen gereinigte Luft einführt, die Fäulniss organischer Substanzen, welche, der Luft ausgesetzt, ohne Weiteres faulen, zu verhindern, sondern auch offene Wunden, welche sonst der Eiterung verfallen wären, zur unmittelbaren Vereinigung zu bringen, wenn man die Wunde selbst und ihre Umgebungen (mit Einschluss der umgebenden Luft) vor den nachtheiligen Einflüssen organischer Keime durch die antiseptische Methode (vgl. pag. 48 und 150) sicher stellt. Die Lehre von der unmittelbaren Vereinigung und den Vortheilen, welche die Unversehrtheit der Haut bei Verletzungen gewährt, ist sehr viel älter als man gewöhnlich annimmt. J. H u n t e r lehrte hierüber bereits wörtlich Folgendes. „Ich theile die Verletzungen an gesunden „Theilen in zwei Ordnungen nach den Wirkungen der Verletzungen. „Die erste Ordnung umfasst diejenigen, bei welchen die verletzten „Theile keine Communication nach Aussen haben. Dahin gehören die „Erschütterungen, die Verstauchungen, die Quetschungen, die Zer„rcissungen der Sehnen, die einfachen Knochenbrüche. Zur zweiten „Ordnung gehören diejenigen, bei welchen eine Communication nach „Aussen besteht, folglich alle Arten von Wunden und die complicirten „Knochenbrüche '). Die höchsten Grade der Quetschung, welche die „Lebensfähigkeit eines Theiles zerstören, könnten als eine dritte Ord„ n u n g betrachtet werden, indem sie Anfangs zwar der ersten angeh ö r e n , in ihrem Ausgange aber mit der zweiten übereinstimmen." »Die Verletzungen der ersten O r d n u n g , " fährt H u n t e r später fort, „verlaufen gewöhnlich ohne Entzündung, während bei denen der zweit e n Ordnung Entzündung und Eiterung sich in der Regel einstellen. „Jedoch können auch die der ersten Ordnung zuweilen in Entzündung
' ) Unter „ c o m p l i c i r t e n "
Knochenbrüchen schlechthin
in England, diejenigen, welche m i t e i n e r
versieht
man,
W u n d e complicirt sind.
besonders
Mechanische
625
Verletzungen.
„und Eiterung Übergehen, und somit in ihrem weiteren Verlaufe denen „der zweiten ähnlich werden, und andrer Seits können die Verletzungen „der zweiten Ordnung bei zweckmässiger Behandlung auf die Verhältn i s s e derer der ersten Ordnung zurückgeführt und alsdann durch „Prima intentio geheilt werden, wodurch Entzündung und Eiterung „ausgeschlossen w e r d e n 1 ) . " — Die Wiedervereinigung erfolgt also nach H u n t e r 1) durch Entzündung oder aber 2) durch einen anderen Process, welcher nicht Entzündung, ja nicht einmal ein krankhafter Process ist, sondern ein rein physiologischer. Dieselbe Lehre findet sich, nur in anderer Weise entwickelt, bei J. Bell. „Eine frische „ T r e n n u n g , " sagt dieser, „vereinigt sich auf Grund eines Vorganges, „welcher demjenigen, durch welchen im normalen Zustande die Theile „ w a c h s e n , durchaus ähnlich ist," und E s t o r fügt in seiner Uebersetzung des Bell'schen Werkes hinzu: „Dies gilt besonders für diej e n i g e n Theile, welche, obgleich verletzt, doch von ihren natürlichen „Bedeckungen überzogen und vor dem Zutritt der Luft geschützt sind; „sie vereinigen sich ohne irgend eins der gewöhnlichen Symptome der „Entzündung durch einen e i g e n t ü m l i c h e n Vorgang, welcher dem der „normalen Ernährung analog ist®)." Unter dem Einfluss der H u n t e r ' s c h e n Lehre, führte D e l p e c h in Montpellier die Durchschneidung der Achillessehne bereits 1816 in der Art aus, dass er nicht einen dein Schnitte in der Sehne parallelen Hautschnitt, sondern einen Umweg unter der Haut mit dem Messer machte 3 ). A. C o o p e r stellte zahlreiche Versuche an Uber die Heilung der Knochenbrüche ohne Hautverletzung, und wird man darüber nicht im Zweifel sein können, dass der grosse Unterschied zwischen offenen und subcutanen Wunden und die Vorzüge subcutaner Operationen also schon vor langer Zeit bekannt gewesen sind. J o h n H u n t e r gebührt unzweifelhaft die Ehre, die Grundsätze, auf denen diese Lehre beruht, zuerst aufgestellt zu haben, wenn auch die Benennung „subcutane W u n d e n " nicht von ihm, sondern von B i c h e r a n d 4 ) herrührt. S t r o m e y e r aber bleibt das Verdienst ungeschmälert, dies Princip in die Praxis eingeführt zu haben; denn während D e l p e c h die subcutane Durchschneidung einer Sehne ver') J o h n
Hunter,
London, 1791*) J. B e l l ,
On t h e n a t u r e of (he blood, inflamraation a n d g u o s b o t w o u n d s . D e u t s c h e U e b e r s e t z u n g von B r a n i s s .
Discouvses
OD llie n a t u r e
and
eure
1 7 9 8 , ins F r a n z ö s i s c h e ü b e r s e t z t von J . L . E s t o r , 3 8 und 2 0 . *) D e l p e c h ,
(Vorrede von
Berlin,
deutsch
von
) Richerand,
Leure
Estor.)
Weimar, 1830.
2 Theile m i t Atlas.
N o s o g r a p h i e chirurgicale, T o m . I.
P a r d e l e b e n , Chirurgie.
1848.
Paris, 1 8 2 5 , b e s o n d e r s pag. 3 7 ,
Die O r t h o m o r p b i e in Beziehung auf d e n m e n s c h l i c h e n K ö r p e r .
sche Uebersetzung. 4
2 . Aull.
of w o u n d s ,
7 . Aufl. i.
4Q
Deut-
626
Verletzungen.
suchsweise vornahm, ist diese Operation seit S t r o m e y e r ' s Auftreten 1 ) tausendfach mit dem segensreichsten Erfolge in Anwendung gekommen. II. Ebenso wichtig, wie die so eben erörterte Unterscheidung der mechanischen Zusammenhangstrennungen in s u b c u t a n e und o f f e n e , ist die genaue Berücksichtigung ihrer E n t s t e h u n g s w e i s e . Man hat früher die Art, in welcher die Verletzung zu Stande gekommen sei, ausschliesslich oder doch wesentlich zu bestimmen gesucht nach der Beschaffenheit des verletzenden Körpers (Instrumentes) und deshalb S c h n i t t - , H i e b - , S t i c h - , S c h u s s - W u n d e n unterschieden. Daneben wurden, als durch Einwirkung „stumpfer Körper" veranlasst, die g e q u e t s c h t e n und g e r i s s e n e n W u n d e n in gleicher Linie aufgeführt. Offenbar fehlte diesen Unterscheidungen ein durchgreifendes Eintheilungs-Princip, denn die Schusswunden mussten consequenter Weise doch auch, als durch stumpfe Instrumente veranlasst anerkannt werden, und viele Hieb- und Stich-Wunden gehörten gleichfalls in diese Kategorie, während anderer Seits manche Verletzungen, die durch Einwirkung stumpfer Körper entstanden sind, doch die Erscheinungen einer Schnittwunde darbieten können. Statt der Beschaffenheit des verletzenden Instrumentes, die oft nicht einmal genau constatirt werden kann, berücksichtigen wir jetzt zur Beurtheilung der A r t seiner Einwirkung und zugleich als wichtigstes Eintheilungs-Princip die B e s c h a f f e n h e i t d e r U m g e b u n g e n einer Wunde*). Hiernach können wir zunächst zwei Haupt-Gruppen unterscheiden, je nachdem die Einwirkung sich gänzlich auf die Stelle der Continuitäts-Trennung beschränkt, oder die Umgebungen derselben gleichzeitig in mehr oder weniger grossem Umfange verändert hat. Wunden der ersteren Art nennen wir „ r e i n e " ; die der zweiten Gruppe zerfallen in zwei Unterarten, je nachdem sie entstanden sind: a) durch Ausdehnung der Gewebe (Zerrung) über den höchsten Grad ihrer Dehnbarkeit hinaus — „ g e r i s s e n e W u n d e n " , .oder b) durch eine Einwirkung, welche die Umgebungen der getrennten Stelle zugleich in dem Grade erschütterte, dass deren Cohäsionsverhältnisse verändert wurden — „ g e q u e t s c h t e W u n d e n " . Es kommt wesentlich darauf an, wie gross die Bewegung (Er') L o u i s S t r o m e y e r ,
Beiträge zur operativen Ortbopädie.
Hannover,
1838.
*) Eine klare Einsiebt in diese Verhältnisse verdanken wir den Untersuchungen Gustav Simon
(lieber S c b u s s n u n d e n etc., Glessen, 1 8 5 1 ) .
in Canstatt's J a h r e s b e r i c h t , Jahrgang 1 8 5 2 , Bd. IV. pag. 17, f e r n e r : G. Mittheilungen
aus der
1 8 6 8 , pag. 2 9 u. f.
chirurgischen
Klinik
des Rostocker
von
Vgl. m e i n Referat Simon,
Krankenhauses,
Prag
627
Mechanische Verletzungen.
schiitterung oder Zerrung) ist, welche ein verletzender Körper der Umgebung der Wunde mittheilt. D i e G r ö s s e d e r B e w e g u n g a b e r , w e l c h e e i n in B e w e g u n g b e g r i f f e n e r K ö r p e r d e n U m g e b u n gen d e r von ihm g e t r o f f e n e n S t e l l e m i t t h e i l t , s t e h t in urng e k e h r t e m V e r h ä l t n i s s zu der S c h n e l l i g k e i t , mit w e l c h e r er s i c h b e w e g t 1 ) , in g e r a d e m V e r h ä l t n i s s d a g e g e n z u s e i n e r B e r ü h r u n g s f l ä c h e u n d zu der C o h ä s i o n s k r a f t des g e t r o f f e n e n T h e i l s . Eine r e i n e Wunde ist daher mit der grössten Sicherheit zu erwarten, wenn ein scharfes Instrument mit grösster Schnelligkeit auf einen wenig Widerstand leistenden Theil einwirkt, sie kann aber bei geringem Widerstande und grosser Schnelligkeit der Einwirkung auch durch ein stumpfes Instrument entstehen; die Schnelligkeit der Bewegung kann sogar in dem Grade aufwiegen, was dem Instrument an Schärfe abgeht, dass durch ein stumpfes Werkzeug selbst an Theilen von erheblicher Cohäsionskraft reine Trennungen zu Stande kommen. Die Beschaffenheit (Schärfe, Berührungsfläche) des verletzenden Körpers ist somit nur e i n e s der bei der Beurtheilung einer mechanischen Verletzung zu berücksichtigenden Momente. Immerhin werden wir uns aber nicht weit von der Wahrheit entfernen, wenn wir auch ferner die durch möglichst s c h a r f e (d. h. mit verschwindend geringer Berührungsfläche einwirkende) Körper veranlassten Wunden, namentlich also die Schnittwunden, als Typus der r e i n e n und die durch stumpfe Gegenstände bewirkten Verletzungen als Typus der g e q u e t s c h t e n Wunden ansehen. Erstere werden wir überdies als Typus der Wunden im Allgemeinen betrachten können. Bei ihnen sind die Verhältnisse möglichst einfach: die mechanische Einwirkung ist, im Verhältniss zur Grösse der Wunde, auf das relativ geringste Maass beschränkt, die Umgebungen der Wunde sind unverändert und daher für die unmittelbare Verwachsung geeignet. Bei den gequetschten Wunden dagegen stehen wegen der weiter ausgebreiteten Cohäsionsstörungen auch complicirtere Krankheits-Processe zu erwarten. III. Von Belang ist ferner die F o r m der Wunde. Die einfachsten Verhältnisse ergeben sich, wenn nur e i n e Trennungslinie besteht und diese gradlinig verläuft. Stosscn mehrere Trennungslinien zusammen, oder verläuft eine Trennungslinie stark gekrümmt, so entstehen L a p p e n ' ) Es leuchtet von selbst ein, dass es hierbei ganz gleichgültig i s t , o b
der
ver-
l e t z e n d e K ö r p e r s i c h w i r k l i c h b e w e g t , wie bei einem Hieb, Schlag, Scbuss, oder o b d e r V e r l e t z t e wie bei einem Fall.
sich gegen eiDen v e r l e t z e n d e n K ö r p e r
Der einfacheren Darstellung wegen n i m m t
man
Art des Zustandekommens einer Verletzung gewöhnlich als typisch a n .
40*
bewegt, die erstere
Verletzungen.
628 wunden,
welche um so weniger zur ersten
Vereinigung
geeignet
sind, je schmaler die Basis des Lappens ist, durch welche er (nach der Fläche und nach
der Tiefe) mit dem übrigen Körper noch in
Zusammenhang steht und durch welche ihm also allein noch Ernährungsmaterial geliefert wird. primam)
auch
bei
Jedoch ist das Anheilen (und zwar per
gänzlicher Ablösung
günstigen Verhältnissen noch möglich.
eines
Theils
unter
(Vgl. d. folg. Cap.)
sonst
Dass mit
der T i e f e der Wunde, unter sonst gleichen Verhältnissen, die Wahrscheinlichkeit der unmittelbaren Vereinigung sich vermindert, erklärt sich einer Seits aus der in verschiedenen Schichten verschieden stark erfolgenden Zurückziehung der getrennten Gewebe und der dadurch bedingten Unebenheit der Wundränder, anderer Seits aus der grösseren Wahrscheinlichkeit des Zurückbleibens von Blutgerinnseln, welche die Vereinigung hindern. IV.
Von grosser Bedeutung ist endlich bei allen mechanischen
Continuitäts-Trennungen, auch
ob d e r v e r l e t z e n d e K ö r p e r
(vielleicht
nur ein Theil desselben, z. B. die Spitze einer Messerklinge,
Glassplitter u. dgl. m )
oder ein von oder mit ihm in die Wunde
eingetriebener „fremder Körper" (Fetzen
der Kleidungsstücke, Sand,
Steinchen, Holzsplitter, Stroh u. s. f.) i n d e r W u n d e b l i e b e n i s t , oder nicht. Vereinigung
nur
höchst
zurückge-
Im ersteren Falle kann die unmittelbare selten
erwartet
werden; namentlich
muss
sich, wenn sie gelingen soll, der „fremde Körper" chemisch indifferent verhalten und eine glatte Oberfläche besitzen (wie z. B. Glassplitter). V.
In manchen Fällen handelt es sich überdies nicht blos um
mechanische oder chemische, sondern um bestimmte g i f t i g e
Wir-
k u n g e n d e s e i n g e d r u n g e n e n ( v e r l e t z e n d e n ) K ö r p e r s ; dahin gehört der Biss der Giftschlangen, des tollen Hundes u. d. m. „Vergiftete Wunden" der Art erhalten ihre Bedeutung, ganz
—
abge-
sehen von der Art der mechanischen Einwirkung, durch die Qualität des eingedrungenen Giftes.
Zweites Capllel. V o n den reinen Wunden im Allgemeinen und von den Schnitt- und Hieb-Wunden im Besonderen. Reine Wunden durch
sind
solche
mechanischc Gewalt,
plötzliche
Continuitäts-Trennungen
deren Umgebungen
die Bewegung
des
verletzenden Körpers sich in keiner Weise mitgetheilt hat, bei denen
629
Reine Wunden.
also die Verletzung sich auf die Continuitäts-Trennung selbst beschränkt. Sie sind, wenn keine mechanischen Hindernisse bestehen, zur Heilung durch unmittelbare Vereinigung geeignet. In der Regel entstehen sie durch Einwirkung scharfer Instrumente: Schnitt- und Hieb-Wunden. Aber auch ein stumpfer Körper (z. B. eine Flintenkugel, ein Wagenrad, ein Balken) kann, sofern er nur mit grösster Schnelligkeit einwirkt, eine reine Wunde veranlassen. Vgl. pag. 627. Manche reine Wunden scheinen durch Einwirkung von überaus stumpfen Körpern entstanden zu sein, während eine genauere Untersuchung ergiebt, dass die Weichtbeile durch den Schlag, S t o s s oder Fall gegen eine vorspringende Knochenkante nnd
von
dieser
zrrsprengt
oder zerschnitten wurden.
angepresst
Dies ereignet sich namentlich
am oberen Orbitalrande, an der Crista tibiae, am unteren Rande des Mentaltheils des Unterkiefers, am Olecranon.
Vgl. 0 . H e y f e l d e r , von Innen nach Aussen geschnittene
Wunden, Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, Bd. I. Hit. VI. 1 8 7 3 .
Die a l l g e m e i n e n E r s c h e i n u n g e n e i n e r f r i s c h e n W u n d e sind: Schmerz, Klaffen, Blutung. 1. Der W u n d s c h m e r z entsteht theils direct durch die Verletzung der Nervenäste, theils durch deren Compression bei der nachfolgenden Schwellung der Wundränder. Seine Heftigkeit steht im Verhältniss zu der Empfindlichkeit des verletzten Theils und des Kranken Uberhaupt. Der Grad des Schmerzes hängt auch von den Umständen ab, in denen der Verwundete sich befindet. Er wird in der Hitze des Gefechts kaum wahrgenommen, während er sehr heftig ist, wenn man das verwundende Instrument sich nähern sieht. Nach 6 bis 8 Stunden tritt an die Stelle des Schmerzes ein dumpfes Gefühl von Schwere, Steifigkeit und Hitze in dem verwundeten Theile. 2. Das K l a f f e n d e r W u n d r ä n d e r findet in sehr verschiedenem Grade Statt, nicht blos je nach der Grösse und Tiefe der Wunde, sondern auch je nach dem Grade ihrer Spannung, ihrer Elasticität und Contractilität. So ist das Klaffen besonders auffallend an der Haut, bei Querwunden der Muskeln, der Arterien und bei Wunden der Luftröhre. Auch die Lage der Theile hat, sofern sie die Spannung ändert, Einfluss. Die Form und Dicke des verletzenden Instruments ist, da es mehr oder weniger keilförmig wirkt, ebenfalls von einigem Belang; besonders deutlich ist dies bei Knochenwunden. 3. Die B l u t u n g ist mehr oder weniger bedeutend, je nach der Zahl, der Art und dem Lumen der verletzten Gefässe. Sie ist somit bedeutender in gefässreichen Theilen, beträchtlicher aus Arterien, als aus Venen, vorzugsweise heftig, wenn grössere Gefässe, namentlich wenn eine Arterie stärkeren Calibers geöffnet wurde. Die sehr wichtigen Verschiedenheiten, welche die Wund-Blutung
630
Verletzungen.
darbieten kann, werden bei den K r a n k h e i t e n d e r A r t e r i e n u n d V e n e n (Bd. II.) erläutert. Spätere Erscheinungen. Heilungsvorgang. Die H e i l u n g reiner Wunden kann ohne alle Kunsthülfe auf doppelte Weise erfolgen. a) Es handle sich um einen ganz einfachen Schnitt, welcher nur die Haut und das unterliegende Bindegewebe getroffen hat. Der Grund der Wunde bildet einen Winkel, und die Wundflächen entfernen sich gegen die Oberfläche hin immer mehr von einander; die Wunde ist von Blut bedeckt, welches an der Oberfläche vertrocknet. Die Ränder schwellen an; dadurch berühren sie sich zunächst in der Tiefe, allinälig werden sie auch an der Oberfläche aneinander gedrängt. Das Blut wird herausgepresst und die kleine Kruste vertrockneten Blutes auf der Oberfläche löst sich später ab. Beide Wundflächen verkleben mit einander durch eine geringe Quantität von Blutflüssigkeit (gewöhnlich „ p l a s t i s c h e L y m p h e " genannt) und verwachsen demnächst. Diese s c h n e l l e , e r s t e oder u n m i t t e l b a r e V e r e i n i g u n g (Reunio per primam intentionem) ist in der Regel innerhalb 24 Stunden vollendet, kommt, wenn sie überhaupt erfolgt, spätestens in 3 Tagen zu Stande, und hinterlässt eine lineare Narbe. Man hat Uber den Grund der Schwellung der Wundränder und über die Quelle der plastischen Lymphe viel gestritten. Die Schwellung der Wundränder erfolgt so schnell und so vollkommen unabhängig von Entzündungs-Erscheinung, dass es gezwungen erscheint, sie von Entzündung abzuleiten. Sie ist vielmehr als eine Folge der durch die Wunde selbst bedingten Kreislaufsstörung zu deuten. Die getrennten Gefässe werden durch eigene Zusammenziehung und durch Gerinnung des Blutes in den Oeffnungen derselben geschlossen. Das Blut, welches durch dieselben strömen sollte, wird daher in ihre Seitenäste eingetrieben, findet in diesen aber zunächst Widerstand, da sie für das relativ zu grosse Blutquantum zu eng sind. Unter dem hierdurch bedingten stärkeren Drucke tritt Blutflüssigkeit durch die Wandungen der Gefässe in die benachbarten Gewebe ein und bedingt deren Schwellung so lange bis durch Ausweitung der Seitenäste oder Herstellung neuer Bahnen (Gefässneubildung, s. u . ) der Blutstrom wieder frei geworden ist. — Dass die sogen, „plastische Lymphe" transsudirtes Blutplasma ist, kann jetzt wohl keinem Zweifel unterliegen. Ob aber zu ihrer Transsudation durch die Gefässwandungen Entzündung nothwendig sei, lässt sich allerdings in Zweifel ziehen, da ihre Ausschwitzung auf der freien Oberfläche sich sehr wohl in derselben Weise erklären lässt, wie es in Betreff ihres Ein-
Reine Wunden.
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tritts in die Gewebe so eben geschah. Auch lässt sich nicht leugnen, dass ein Theil des ergossenen Blutes zu ihrer Bildung beitragen kannJedenfalls ist aber weder das Blutplasma, noch auch das ganze Blut wie ein verklebender Kitt zu betrachten; die Vereinigung erfolgt vielmehr durch die u n m i t t e l b a r e V e r w a c h s u n g d e r e i n z e l n e n G e w e b s e l e m e n t e selbst, und was zwischen diesen liegt, namentlich also auch das Blutgerinnsel, ist als fremder Körper nur hinderlich. Vgl. pag. 6 3 3 u. f. Die Gefässverbindung zwischen den Wundflächen kann schon nach acht und vierzig Stunden wiederhergestellt sein. Wird das A n e i n a n d e r r ü c k e n der Wundflächen, welches bei kleinen Wunden durch die Anschwellung bewirkt wird, bei grossen und weit klaffenden durch die Kunst herbeigeführt, so heilen diese in gleicher Weise, wie jene. b) Wenn aber statt eines einfachen Einschnittes eine Wunde mit Substanzverlust sich findet, oder bei einer tiefen und stark klaffenden Wunde die Berührung der Wundflächen nicht künstlich herbeigeführt wird, so ist der Vorgang folgender. Nachdem die Blutung aufgehört hat, sickert eine röthliche Flüssigkeit aus bis etwa zum 3. Tage. Ein Theil derselben vertrocknet und bedeckt die Wunde in Gestalt eines Schorfes. Erfolgt diese Schorfbildung schnell genug, um die Wunde vor nachtheiligen atmosphärischen Einflüssen zu schützen, und waren vorher noch keine Fäulnisserreger in dieselbe eingedrungen, so kann die Ausfüllung mit Granulationen und die Vernarbung „ u n t e r d e m S c h o r f " erfolgen, in 6 bis 8 Tagen. Anderen Falls aber (bei grösseren Wunden in der Regel) tritt -unter Anschwellung und spannendem Schmerz eine blasse Flüssigkeit aus, die allmälig weisslich und gelblich wird, und die Kruste abhebt; es ist dies wahrer Eiter. Wischt man ihn fort, so sieht man die ganze Wunde Anfangs mit einem zarten Häutchen überkleidet, unter welchem sich weiche, empfindliche, leicht blutende Fleischwärzchen entwickeln. Jenes Häutchen wird auch hier, wie bei Abscessen und Fisteln, von Alters her die eiterbildende Membran genannt, ist aber in der That nur eine Exsudat- oder Granulations-Schicht. Die Wunde, welche beim Beginne der Anschwellung grösser erschien, verkleinert sich nun wieder, der Schmerz wird unbedeutend oder hört ganz auf. Die Fleischwärzchen entwickeln während ihres Wachsthums später eine grosse Neigung zur Zusammenziehung. Ist die Wunde klein, so ziehen sie die W u n d r ä n d e r gegen einen Punkt hin. Ist sie dagegen sehr gross, so entwickeln sich, so zu sagen, mehrere Brennpunkte, in denen das Gewebe der Granulationen fest und trocken wird, und nm welche
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Verletzungen.
herum neue, feste Granulationen gleichsam ankrystallisiren. Die Wundlefzen, jetzt von schön rosenrother Farbe, werden gegen diese festen Granulationen — die spätere N a r b e — hingezogen und durch dieselben sehr innig vereinigt. Vgl. „Narbengewebe", pag. 377 u. f. Zur Vollendung dieser Heilung d u r c h E i t e r u n g u n d V e r n a r b u n g (Reunio per secundam intentionem) sind auch unter den günstigsten Verhältnissen zwölf bis fünfzehn Tage nothwendig; ist aber die Wunde bedeutend und das Individuum nicht vollkommen gesund, so kann dieselbe ungemein viel länger dauern, ja vielleicht niemals vollständig gelingen. Unter solchen Verhältnissen wird aus der eiternden Wunde ein Geschwür (vgl. pag. 348). So wie die Fleisch Wärzchen empfindlich und blutreich sind, so ist auch die Narbe gefässreich und zuweilen sehr empfindlich. Es ist sogar nachgewiesen, dass T h e i l e , d i e g a n z v o m K ö r p e r g e t r e n n t w a r e n , nach gelungener Wiederanheilung wieder mit den benachbarten Gefäss- und Nervenstämmen in Verbindung treten. Haben in diesen Fällen die einander entsprechenden Lumina der Gefässe sich wieder vereinigt, oder sind neue Canäle entstanden, durch welche das Blut strömt? Die erstere Ansicht ist schon deshalb nicht wahrscheinlich, weil es sich kaum denken lässt, wie eine so genaue Vereinigung sollte erzielt werden können, zumal bei einer Vereinigung durch Secunda intentio, wo von einem solchen Aufeinanderpassen gar keine Rede sein kann. Es unterliegt auch gar keinem Zweifel, dass neue Gefässe entstehen, und es ist in neuester Zeit sogar gelungen, nachzuweisen, w i e sie entstehen. Vgl. pag. 633 u. f. Noch schwieriger ist es, sich die Wiederherstellung des Zusammenhanges der Nerven vorzustellen; und doch erfolgt diese so vollständig, dass die Empfindungen in dem wieder angeheilten Theile oft keinerlei Abweichungen von dem normalen Verhalten darbieten. Wenn auch einige Erzählungen von abgebissenen, abgeschnittenen, gequetschten, mit Wein oder gar Urin begossenen, und doch wieder angeheilten Nasen und Fingern keinen besonderen Glauben verdienen, so giebt es doch eine ganze Reihe von Thatsachen, welche auf das Bestimmteste beweisen, dass Theile von Fingern, ganze Finger und insbesondere Nasen wieder anheilen und in die alten Nerven- und Gefässverbindungen wieder eintreten k ö n n e n . — Die organische Plastik hat hierauf zum Theil gefusst; und was die Herstellung der Nervenverbindungen betrifft, so werden alle erwähnten Fälle von Wiederanheilen an Wunderbarkeit übertroffen durch die Thatsache, dass die aus der Stirnhaut geschnittene neue Nase, obgleich sie doch mit den Stirnnerven noch zusammenhängt, sehr bald wirklich als
Reine Wuoden.
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Nase empfunden wird (vgl. „Rhinoplastik"). Es scheint deshalb auch vor der Hand eine vergebliche Mühe, nach einer Erklärung zu suchen, wie und weshalb die vollkommen getrennten Nerven wieder genau in Verbindung treten. Mikroskopischer Nachweis der G e w e b s v e r ä n d e r u n g e n an der verletzten Stelle. Ueber die, nur mit Hülfe stärkerer Vergrösserungen unter dem Mikroskop bei durchfallendem Lichte an fein injicirten Präparaten zu erkennenden Veränderungen der Gewebe an der Stelle der Verletzung während der verschiedenen Stadien des Heilungsprocesses liegen Untersuchungen namentlich von W y w o d z o f f und von T h i e r s c h vor. W y w o d z o f f 1 ) h a t , unter Leitung von B i l l r o t h , ü b e r d i e H e i l u n g p e r p r i m a m i n t e n t i o n e m Untersuchungen gemacht. Als vorzügliches Object erschien eine Längswunde der Hundezunge, welche er anlegte, indem er einen halben Zoll hinter der Zungenspitze ein zweischneidiges Bistouri mit nach Oben und nach Unten sehenden Flächen von einem Zungenrande zum anderen hindurchstiess und die Wunde auf l'/3 Zoll dilatirte. Zur Injection der Blutgefässe diente Leim mit löslichem Berliner-Blau. Die Masse wurde nach Tödtung des Thieres in die vorher blossgelegten und dicht an der Carotis abgeschnittenen Zungenarterien eingespritzt. An Kaninchen wurde die Oberlippe, an Fröschen die Membrana nictitans benutzt. — Schon nach 5 Stunden, deutlicher aber nach 24 Stunden fanden sich die W u n d r ä n d e r durch einen festen Klebestofif, welcher eine Unzahl junger Zellen einschloss, vereinigt. Grössere Blutgerinnsel werden bei der Heilung nicht verwerthet, sie erscheinen zwar von Blutgefässen kranzförmig umringt, aber dieselben dringen nicht in sie ein. Kleine Blutgerinnsel dagegen können der Ausgangspunkt der Gewebsmetaniorphosen der Zwischensubstanz werden. Von den weissen Blutzellen aus, zum Theil auch von den rothen, findet eine Neubildung statt. Die Zwischensubstanz besteht Anfangs aus fibrinösem Exsudat, geronnenem Blut und jungen Zellen. Die Umwandlung dieser Zwischensubstanz in Bindegewebe scheint in folgender Weise vor sich zu gehen. Die rothen und ein Theil der weissen Blutkörperchen werden klumpen- *oder haufenweise von einer Faserstoffkapsel umgeben. Diese Kapseln, welche netzförmige Figuren darstellen, werden in der Nähe der W u n d ränder immer kleiner, die rothen Blutkörperchen wandeln sich schliesslich zu einem homogenen Zellengewebe um, in welchem zuerst weisse, ' ) W y w o d z o f f , Experimentelle Studien über die feineren Vorgänge bei der Heilung per primam intentionem, besonders über das Verhalten der Blutgefässe bei diesem Vorgänge.
Mit 3 Taf.
Wien. med. J a h r b . XIII.
1867.
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Verletzungen.
runde, dann spindelförmige Zellen auftreten; sie scheinen zur Intercellularsubstanz zu werden. Die neuen Zellen in der Narbe ist W y w o d z o f f mehr geneigt von den Bindegewebszellen der Wundränder abzuleiten, als von den weissen Blutzellen des Extravasats. Jedenfalls ist Blutextravasat zur Heilung nicht nöthig. Junge Zellen scheinen aus den Wundrändern in die Zwischensubstanz einzuwandern. Schon nach 24 Stunden waren neue Gefässe gebildet. Diese gehen continuirlich aus der Wandung der ausgebuchteten Schlingen hervor, welche, wie bereits früher von B i l l r o t h nachgewiesen wurde, in der Umgebung der Wundränder von den Capillargefässen gebildet werden. In jedem verletzten Capillargefäss gerinnt nämlich das Blut, analog dem Vorgange in grösseren Gefässen (auf den wir im H. Bd. zurückkommen) bis zur nächsten Theilungsstelle, dem nächsten Knotenpunkt des Netzes ( B i l l r o t h ) . Das Blut ist daher genöthigt durch andere Bahnen mit verstärktem Druck zu fliessen, wodurch nicht blos die Hyperämie und die verstärkte Transsudation in der Umgebung der Wunde, sondern auch die stärkere Hervorwölbung der zunächst an der Wunde gelegenen Gapillarschlingen bedingt wird. Diese Schlingen verlängern sich, in Folge des übermässigen Blutdruckes, und pressen sich aneinander, die Wandungen werden immer dünner, bis endlich die dem Wundrande zugewandte und Seitens der jungen Narbe aui wenigsten Widerstand findende Convexität stark ausgebuchtet wird, Blut in das Narbengewebe austreten lässt, während zugleich von der Schiingenwandung Fortsätze ausgehen, die als Anfänge der zukünftigen Gefässwände anzusehen sind. Das Blut fliesst Anfangs zwischen den Zellen der Narbe in wandungslosen Canälen, die schliesslich von einer Seite zur andern ein Netz bilden, aus welchem das Capillarnetz der Narbe hervorgeht. Hiernach theilt W y w o d z o f f die Heilung per primam intentionem in fünf Perioden: 1) P e r i o d e d e r S t a g n a t i o n , zeichnet sich aus durch Stockung des Blutes in den um die Wundränder nächstliegenden Gefässen und durch Propfbildung in den durchschnittenen Enden derselben. Die Zeitdauer dieser Periode ist verschieden: 12 Stunden bei Hundezungen. 2) P e r i o d e d e r S c h l i n g e n b i l d u n g , von der 12. bis 48. Stunde (an der Hundezunge), umfasst die Verlängerung der Schlingen, ihre Dilatation, die Zerreissung ihrer convexen Wand und die Bildung des Schlingenfortsatzes. Gleichzeitig erfolgt die Vereinigung der Wundränder durch einen Klebstoff mit Organisation desselben und Einschliessen von neugebildeten Zellen. 3) P e r i o d e d e r C a n a l i s i r u n g . In der Zwischensubstanz, die meist aus neugebildeten runden Zellen besteht, öffnen sich von den Schiingenfortsätzen aus Canäle, die ohne bestimmte Ordnung nach allen
Reine W a n d e n .
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Richtungen hin auseinander getrieben werden. Dieser Process endigt mit dem 4. Tage nach der Verletzung. 4) P e r i o d e d e r V a s c u l a r i s i r u n g . Ausbildung der Canäle zu Blutgefässen, Auftreten von spindelförmigen Zellen, welche in Reihen sich ordnen, als erste Andeutungen von Bindegewebszügen. Die neuen Gefässe der Narbe sind ziemlich weit und bilden ein dichtes Netz. Die Dauer dieser Periode erstreckt sich meist bis zum 10. Tage. 5) P e r i o d e d e r C o n s o l i dation. Die zunehmende Starrheit des Narbengewebes setzt der Gefässdilatation Schranken. In einem Zeiträume von 10 — 1 4 Tagen wird die Zwischensubstanz zu solidem Narbengewebe; das Lumen ihrer Blutgefässe wird um das Dreifache vermindert. Die Untersuchungen von T h i e r s c h 1 ) beziehen sich sowohl auf die u n m i t t e l b a r e V e r e i n i g u n g , als auch auf die H e i l u n g e i t e r n d e r W u n d e n . Als Object benutzte er gleichfalls Zungenwunden, welche er theils durch verticales Schlitzen der Zunge in der Medianlinie von der Wurzel bis nahe an die Spitze (bei Meerschweinchen), theils durch Abschneiden der Zunge (bei Ratten) zu Stande brachte. Schon in den ersten Stunden nach der verticalen Spaltung der Zunge fand sich ein Theil der Wundflächen ohne erhebliche Veränderung fest verklebt. Diese Verklebung rührt, nach T h i e r s c h , nicht von einer der Wundfläche aufliegenden Schicht klebender Substanz (Blut oder Faserstoffexsudat) her, sondern beruht auf einer klebenden Eigenschaft des parenchymatösen Saftes, welcher die Wundflächen tränkt: „zerrt man eine derartig verklebte Wunde auseinander, so bekommt man zwei glatte Wundflächen ohne jede Auflagerung zu sehen". Nach wenigen Tagen ist die Vereinigungsstelle vielleicht gar nicht mehr zu finden. Diese u n m i t t e l b a r e Vereinigung im strengsten Sinne findet sich jedoch keinesweges überall, wo wir von p r i m a i n t e n t i o sprechen; es gehört dazu neben grösster Reinheit der Wunde auch vollkommen genaue Zusammenfügung. Die Heilung kann aber ohne Eiterung, mithin, nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, prima intentione, auch noch erfolgen, wenn die Wundflächen nicht überall mit einander unmittelbar verkleben, sondern Blut- oder Faserstoffgerinnsel zwischen sich einschliessen, welche jedoch ein sehr geringes Maass nicht überschreiten dürfen, sich jedenfalls nur passiv verhalten und zu der Verklebung in der Art, wie J. H u n t e r es sich dachte, entschieden nicht beitragen. Von grossem Belang für die Schnelligkeit der Wiedervereinigung ist der Abstand zwischen den getrennten Gefässen. Je grösser dieser ist, — sei es durch Zurück' ) Handbuch
der allgem. u. spec. Chirurgie von v. P i t h a
Ablh. 2. Hfl. 2. pag. 5 3 1 — 5 7 3 .
und B i l l r o t h .
Bd. 1.
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VerletzDDgen.
ziehung der die Gefässe umgebenden musculösen Gebilde, sei es in Folge der durch die Infiltration der Wundflächen bedingten Verdrängung, — desto länger dauert auch die Blutstauung an den Wundflächen, desto schwieriger ist die Arbeit des Wiederersatzes. In Betreff der W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r C i r c u l a t i o n an der Stelle der Verletzung glaubt T b i e r s c h aus zahlreichen (mit vollendeter Technik bereiteten) Injectionspräparaten die Anschauung gewonnen zu haben, dass die Wände der bald nach der Verwundung — theils durch Thromben (bei relativ grösserem Caliber), theils blos durch Zellenwucherung in der Umgebung — geschlossenen Gefässe sich nach und nach so auflockern, dass Strömchen von Blutplasma durch ihre feinen Oeffnungen in das umgebende weiche Bindegewebe austreten und in demselben intercelluläre (plasmatische) Gänge ausbuchten können. Je dtlnner die Wandungen des Gefässes (und je stärker, darf man hinzusetzen, im Verhältniss zur Stärke der Wand der Druck des Blutes ist), desto schneller entwickelt sich dieser Vorgang. Die plasmatischen Gänge aber, durch welche zunächst die Ernährung der wuchernden (autochthonen oder eingewanderten) Zellen vermittelt worden ist, werden weiterhin, je nach der Stärke des in ihnen wirkenden Druckes, entweder zu blutfilhrenden Canälen (Blutgefässen), oder obliteriren. Sobald die neuen Blutgefässe in hinlänglicher Zahl und Weite vorhanden sind, um das Blut wieder in derselben Weise von einer Wundfläche zur andern hinilberzuleiten, wie vor der Verletzung, besteht auch kein Grund mehr zur Stauung des Blutes und der davon wesentlich abhängenden Zellenwucherung. Man sieht nun die junge Zellenbrut, der nunmehr nur ein relativ geringes Quantum von Ernährungsflüssigkeit zugeführt wird, theils zerfallen, theils sich zu dauernden Gewebselementen (namentlich Bindegewebskörperchen) umwandeln. Je mehr Zeit die Wiederherstellung der Blutbahnen in Anspruch nahm, je länger also auch die Zellenwucherung gedauert hat, desto umfänglicher wird die Narbe. Dieselbe kann daher auch ohne Eiterung sehr beträchtlich ausfallen. Für das Studium der H e i l u n g mit E i t e r u n g b e n u t z t e T h i e r s c h den Amputationsstumpf der Rattenzunge. Amputirte er einer Ratte den freien Theil der Zunge, so stand die Blutung nach längstens einer halben Stunde. Es folgt dann körniger Zerfall der biossliegenden Gewebe, in Folge dessen die Wunde 24—48 Stunden missfarbig aussieht. Aber schon nach 3 Stunden findet man unter der absterbenden Schicht dieselben Veränderungen der Gefässstümpfe, dasselbe plasmatische Canalsystem und dasselbe Lager neuer Zellen, wie bei der Heilung ohne Eiterung. Die neuen Zellen sondern sich alsbald
Reioe Wuodeo.
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in zwei Schichten. Die oberflächliche (pyogene) besteht aus Eiterzcllen, welche in einer weichen Intercellularsubstanz eingebettet liegen; sie liefert den Eiter. Die tiefere besitzt eine von plasmatischen Canälen durchzogene, festere Intercellularsubstanz und grössere, einkernige Zellen, welche nicht so dicht gedrängt liegen, wie die der oberflächlichen Schicht Letztere können sich in Eitcrzellen umwandeln; nicht umgekehrt. Ueberhaupt gewann T h i e r s c h auch bei diesen Untersuchungen die Ueberzeugung, dass aus Eiterkörperchen nichts weiter werden kann, dass sie stets zu Grunde gehen, und dass im vorliegenden Falle namentlich die Narbe sich nur aus der tieferen (plasmatischen) Schicht entwickelt. In der Regel scheint diese plasmatische Schicht während der ganzen Eiterungsperiode stationär zu bleiben und nicht, wie man auf den ersten Blick glauben könnte, allmälig in die pyogene sich umzuwandeln. Die Eiterzellen scheinen vielmehr aus der Tiefe durch die plasmatischen Canäle zur Oberfläche zu gelangen, — was mit der C o l i n h e i m ' s e h e n Auswanderungslehre sich leicht in Einklang bringen liesse. „Je dünner die pyogene Schicht, desto röther und warziger die Wundfläche. Vorwiegen der plasmatischen Schicht bedeutet Heilung; ein Uebergreifen der pyogenen auf die plasmatische, was zu jeder Zeit durch hinzutretende Störungen bewirkt werden kann, bedeutet Verschlimmerung. Die plasmatische Substanz verwandelt sich in Narbe, repräsentirt also keinen Substanzverlust; in der pyogenen dagegen geht unter völliger Verflüssigung der Grundsubstanz ein Theil des Gewebes verloren." Aus der pyogenen Schicht gehl weder Epithel hervor, noch haftet es auf ihr. Die Epithelzellen wachsen von den Rändern auf die plasmatische Schicht herüber, sobald diese an die Oberfläche gerückt ist. „Ist die Verbindung zwischen Epithel und plasmatischer Schicht hergestellt, so erreicht die Blutgefässneubildung bald die untere Fläche der epithelialen Haut und dringt unter Schlingenbildung in dieselbe ein," wodurch dann zur Regeneration gefässhaltiger Papillen der Grund gelegt wird. Die Neubildung der Blutgefässe gestaltet sich ebenso, wie bei der unmittelbaren Vereinigung; nur erfolgt sie massenhafter und mit dauernderem Bestände, weil die Ausgleichung der Circulationsstörung hier viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, als dort. Im Wesentlichen besteht zwischen der Heilung o h n e und m i t Eiterung von histogenetischer Seite nur der Unterschied, dass bei der letzteren ein Theil der neugebildeten Zellen (zellig umgewandelten Gewebe, T h i e r s c h ) durch Verflüssigung der Intercellularsubstanz zur Ablösung gelangt, während bei der ersleren alles Neugebildete auch dauernd organisirt wird. „In beiden Fällen treten zunächst
Verletzungen.
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Bindegewebe und Gefässe-in Proliferation, in beiden findet sich eine provisorische Canalisirung des aufgequollenen Gewebes, in beiden folgt hierauf die eigentliche Vascularisation, mit welcher die Reunio per primam abschliesst, während bei der Heilung mit Eiterung erst durch die epitheliale Ueberhäutung der Schluss gebildet wird." Während T h i e r s c h , wie schon erwähnt, die Möglichkeit der Umwandlung von Granulations- oder Bindegewebszellen in Epithel Uberall in Abrede stellt, glaubt er, nach den, von ihm ausführlich mitgetheilten Untersuchungen von S c h r o e n 1 ) , auch der gewöhnlichen Auffassung von der B i l d u n g d e r H o r n s c h i c h t d e s E p i t h e l s sowohl auf Narben, als auf normaler Haut entgegentreten zu müssen. Die Annahme, dass die Hornzellen aus dem Rete Malpighi hervorgehen, ist, nach S c h r o e n , schon deshalb nicht haltbar, weil überall zwischen beiden eine mehrfache Lage abgeplatteter steriler Zellen sich findet, das Stratum peltucidum, nach Oehl. Vielmehr sollen alle Hornzellen des Epithels a u s d e n S c h w e i s s d r ü s e n (vielleicht auch aus den Haarbalgdrüsen) herrühren. Dafür wird zum Beweise angeführt: 1) die Art ihrer Gruppirung um die AusfUhrungsgänge gedachter Drüsen, 2) ihre Mächtigkeit da, wo viele Schweissdrüsen liegen®), 3) ihr Fehlen und somit das Blossliegen des Stratum pellucidum an Stellen, wo keine Schweissdrüsen vorhanden sind 8 ). Danach würde denn auch der Epidermistiberzug einer Narbe, nur wenn Schweissdrüsen in der Nähe und in der Lage sind, sich an der Epithelbildung zu betheiligen, aus den normalen 3 Schichten (Stratum Malpighii, Stratum pellucidum und Hornschicht) bestehen können, anderen Falls aber der letztgenannten Schicht entbehren und dann glatt und glänzend aussehen, wie man dies allerdings schon längst an manchen Narben beobachtet hat. — I n s e l f ö r m i g c E p i d e r m i s b i l d u n g mitten in granulirenden Wunden könnte, nach T h i e r s c h , nur vorkommen, wenn in oder unter der granulirenden Fläche Epithelial-Reste erhalten waren, und würde ohne Intercurrenz von Schweissdrüsen auch immer der Hornschicht entbehren. Prognose. Die Gefahren einer reinen Wunde sind allerdings zuweilen von ihrer physikalischen Beschaffenheit (Grösse, Tiefe, mit ' ) Contribuzione alla a n a t o m i a , 2
) Hand-
fisiologia
e patologia della cute u m a n a . Torioo. 1 8 6 5 .
und Fusssohle werden als beweisende
Beispiele
genannt.
Dass die an
S c h n e i s s d r ü s e n überreiche A c h s e l h ö h l e nur e i n e ' s o d ü n n e Hornschicht besitzt, soll darin seinen
Grund h a b e n ,
dass „in Folge der gesteigerten
Absonderungs-
thätigkeit der Acbselschiveissdrüsen ihre formative ThStigkeit z u r ü c k t r e t e . " a
) Als Beispiele d i e n e n :
die Nägel der Finger und Zehen,- der r o t h e
die Oberfläche der Glans penis.
(?)
Lippensaum,
Reioe Wanden.
639
oder ohne Subslanzverlust) abhängig, meist aber beruhen sie wesentlich auf der Qualität der verletzten Gewebe und Organe. Vor Allem ist bedeutungsvoll, ob grosse Gefässe, namentlich Arterien oder grosse Venen getroffen wurden, — Blutung, Lufteintritt, — dann, ob Leibeshöhlen oder Gelenkhöhlen geöffnet wurden (penetrirende Wunden), u. s. f., — Differenzen, auf die wir im speciellen Theil wiederholt zurückkommen werden. Ceteris paribus gewährt die r e i n e Wunde die bessere Prognose, im Vergleich zu anderen, es sei denn, dass die Quetschung vielleicht einmal eine verderbliche Blutung abwendet, welche in einer reinen Wunde aufgetreten wäre. Bcliaudlnng. Alle r e i n e n W u n d e n m ü s s e n s o b a l d als möglich genau vereinigt werden. Eine g e n a u e Vereinigung ist aber unmöglich, so lange noch Blutung besteht, es sei denn, dass die Vereinigungsmittcl selbst zugleich hinreichend sicher als Blutstillungsmittel wirken (wie z. B. die Naht in vielen Fällen). Denn ganz abgesehen davon, dass die Blutung oft dem Leben oder doch der Gesundheit gefährlich zu werden droht, würde die Anwesenheit von Blutgerinnseln in der W u n d e hinderlich für Prima intentio sein, da dieselben als fremde Körper wirken. Somit ergiebt sich schon bei blosser Berücksichtigung der Wundheilung die Nothwendigkeit der B l u t u n g s t i l l u n g v o r d e r V e r e i n i g u n g . Noch mehr drängt sich diese in den Vordergrund, wo die Blutung in gefährlicher Stärke auftritt. — Wegen des innigen Zusammenhanges zwischen den Verletzungen der Blutgefässe und ihren sonstigen Erkrankungen, werden wir von der Behandlung der Blutungen erst nach Erläuterung der letzteren im II. Bande (pag. 106 u. flgd.) handeln. Um die Vereinigung zu bewerkstelligen, müssen wir die Wunde möglichst in solche Verhältnisse versetzen, wie sie oben bei Beschreibung der Naturheilung der einfachsten Schnittwunden angegeben sind, wir müssen also die Wundlefzen (nach Entfernung der etwa vorhandenen fremden Körper und sorgfaltiger Säuberung der Wunde selbst und ihrer Umgebungen, wie wir sie pag. 4 8 beschrieben haben) mit einander in Berührung bringen und erhalten, den Zutritt der Luft abschliessen oder doch das Eindringen organischer Keime verhindern u n d sowohl active, als passive Bewegungen des verletzten Theils, sowie anderweitige störende Einflüsse abhalten. Zu diesem Behuf bedienen .wir uns in der Mehrzahl der Fälle der N ä h t e , seltener der K l e b e p f l a s t e r oder anderer mechanischer V e r e i n i g u n g s m i t t e l , Uber welche wir in Betreff ihres relativen W e r t h s , ihrer Anwendbarkeit und Anwendung, namentlich auch in
640
Verletzungen.
technischer Beziehung bereits pag. 1 1 3 — 1 2 4 und 1 6 9 — 1 7 1 die nöthigen Angaben gemacht haben. Der v o l l s t ä n d i g e V e r s c h l u s s (ein sogen, hermetischer Verband) ist zulässig bei o b e r f l ä c h l i c h e n Wunden und bei solchen, welche, obwohl tiefer eindringend, doch nach einer anderen Seite hin dem Wundsecret freien Abfluss gewähren (wie z. B. Wunden der Lippen und Wangen). Bei allen anderen Wunden würde ein fester Verschluss durch Einsperrung des Wundsecrets nachtheilig werden können; selbst wenn Zersetzung desselben verhütet würde, wäre doch von seinem Eindringen in die Nachbargewebe Erregung von Entzündung zu befürchten. Für a l l e t i e f e r e n W u n d e n empfiehlt es sich, einen Theil der Wunde offen zu lassen, durch diesen ein bis auf den Grund der Wunde reichendes Bohr (in der Mehrzahl der Fälle am Besten ein Gummirohr, wie für die D r a i n a g e ) einzuführen und darüber den pag. 150 u. f. beschriebenen a n t i s e p t i s c h e n V e r b a n d anzulegen. Bei dem Wechsel des Verbandes, welcher vorzunehmen ist, sobald das Wundsecret irgendwo die Verbandstücke durchdringt, wird das eingelegte Rohr entfernt und durch ein neues ersetzt (oder doch erst nach sorgfältiger Säuberung in einer 2 procentigen Carbolsäurelösung wieder eingeführt). Dies muss so lange wiederholt werden bis aus dem Rohr kein Wundsecret mehr ausfliesst, — bei täglichem Wechsel des Verbandes durchschnittlich bis zum dritten Tage. Dann werden auch die Nähte entfernt, und die Heilung ist in der Regel 2 — 3 Tage später vollendet. — Will oder kann man den antiseptischen Verband nicht anlegen, so ist es bei Weitem besser, die Wunde ganz offen und unbedeckt zulassen ( o f f e n e W u n d b e h a n d l u n g , vgl. p. 261), als durch irgend welchen Verband, den Abfluss des Wundsecrets zu hindern. Zur Anwendung der K ä l t e giebt eine reine Wunde an sich keine Veranlassung. Liegen keine speciellen Indicationen dazu vor (wie heftiger Wundschmerz, starker Blutandrang, Neigung zu Blutungen), so thut man besser sie ' fortzulassen, damit die Wunde vor mechanischen Insulten sicher bleibt, welche ebenso sehr, wie active Bewegungen des verwundeten Theils zu verhüten sind. Soll die Kälte angewandt werden, so geschieht dies bei Weitem am Besten durch zweckmässig aufgehängte, nicht drückende Eisbeutel. Auf die Behandlung solcher reinen Wunden, bei denen wegen Substanzverlust oder wegen Versäumung rechtzeitiger mechanischer Hülfe die erste Vereinigung ausgeblieben ist, werden wir bei den g e q u e t s c h t e n W u n d e n zurückkommen.
Qoetachaog.
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Drittes Cnpltel.
Von der Quetschung und Zerreissung und von den •gequetschten und gerissenen Wunden. Ein stumpfer Körper, welcher nicht mit hinreichender Gewalt (also mit relativ zu geringer Geschwindigkeit) aufschlägt, um die Continuität der sehr elastischen äusseren Haut zu trennen, kann doch seine Bewegung dem getroffenen Theile in solchem Grade mittheilen, dass dieser in weiter Ausdehnung e r s c h ü t t e r t wird. Die Erschütterung kann aber auch zu Stande kommen, während die Continuität an der direct getroffenen Stelle getrennt wird, mithin in der Umgebung einer Wunde. Die Wirkung der E r s c h ü t t e r u n g (Commotio) muss je nach der Structur des Theils sehr verschieden sein. Zarte Nervenausbreitungen, wie die Retina, werden dadurch functionsunfähig gemacht, während Knochen und Muskeln bei demselben Grade der Einwirkung oft gar keine Störung ihrer. Thätigkeit erleiden. Im Allgemeinen sind die C o m m o t i o n s - E r s c h e i n u n g e n diejenigen einer vorübergehenden Unterbrechung der Function mit nachfolgender Hyperämie. Die Commotion kann tödtlich werden, wenn sie ein Organ betrifft, dessen Thätigkeit zur Fortdauer des Lebens auch nicht einen Augenblick entbehrt werden kann, wie z. B. die Medulla oblongata. Welche Structur-Veränderungen durch Commotion veranlasst werden, ist noch unbekannt; wahrscheinlich sind dieselben von den bei der Quetschung vorkommenden nur gradweise verschieden, und scharfe Grenzen zwischen beiden Arten der Verletzung daher überhaupt nicht zu ziehen. Q u e t s c h u n g (Contusio) kann nämlich auf zweierlei Weise zu Stande kommen, und zwar: 1) wenn ein relativ stumpfer Körper mit einer Geschwindigkeit einwirkt, welche nicht hinreicht, um an der von ihm getroffenen Stelle den elastischen Widerstand der Haut zu überwinden, die tiefer liegenden und weniger Widerstand leistenden Theile aber doch vorübergehend einem solchen Drucke unterwirft, dass in ihnen wahrnehmbare Continuitätstrennungen bewirkt werden, — d i r e c t e Q u e t s chung; 2) wenn ein verletzender Körper, sei es wegen unzureichender Geschwindigkeit, oder wegen seiner zu grossen Berührungsfläche, oder endlich wegen zu grossen Widerstandes des getroffenen Theils, seine Bewegung weit Uber die Grenzen des letzteren hinaus dem verletzten Körper mittheilt, — wobei es zunächst gleichgültig ist, ob dadurch B a r d e l e b e n , Chirurgie.
7 . Aull. I.
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Verletzungen.
eine der Berührungsfläche entsprechend grosse Continuitätstrennung der Haut, der übrigen Weichtheile und selbst der Knochen gesetzt wird, oder nicht, —• Q u e t s c h u n g d u r c h E r s c h ü t t e r u n g , wie sie sich allerdings am Häufigsten in der Umgebung von Wunden vorfindet. Solche Wunden heissen dann g e q u e t s c h t e (Vulnera contusa s. quassa). Sie entstehen bald durch Z e r r e i s s u n g vermittelst einer gewaltsamen Verschiebung der Theile, namentlich der Haut, bald durch einen S u b s t a n z v e r l u s t , den der gequetschte Theil an der Stelle erleidet, wo der verletzende Körper mit relativ grösster Geschwindigkeit einwirkte. Eine solche Trennung mit Substanzverlust durch einen stumpfen Körper nennt man Z e r m a l m u n g (Contritio). Die zermalmten, oft wirklich zerpulverten Theile können entweder mit den benachbarten noch einen dürftigen Zusammenhang behalten, der aber zu ihrer Ernährung unzureichend ist, oder sie können ganz herausgerissen und selbst weit fortgetrieben werden. Die Zermalmung setzt aber nicht nothwendig einen hohen Grad von Quetschung der Umgebungen voraus. Eine BUchsenkugel kann die von ihr direct getroffenen Theile, zu einem Brei zermalmt, durch den Canal, den sie durch diese Zermalmung erzeugt, hindurchtreiben und weit fortschleudern, ohne die Ränder dieser röhrehförmigen Wunde in erheblicher Ausdehnung zu quetschen (zu erschüttern), — wenn sie nämlich mit grösster Geschwindigkeit (aus nächster Nähe) auf einen wenig Widerstand leistenden Theil trifft. Wir betrachten zunächst die Symptome, den Verlauf und die Behandlung der Quetschungen und der gequetschten Wunden im Allgemeinen; die von der Beschaffenheit des verletzenden Instruments und der Art seiner Bewegung abhängigen Eigentümlichkeiten der Stich- und Schusswunden werden in den folgenden Capiteln erläutert. A. Quetschungen.
Csntualanen.
Entslehnngsweise. Das Aufschlagen eines Stockes, eines Pflastersteins, eines Flintenkolbens einer Seits und die Kraft des Dampfes anderer Seits beginnen und schliessen die Reihe der möglichen Ursachen einer Contusion. Theile unseres Körpers selbst können andere quetschen: so die Schenkel das Scrotum. Die Last des Körpers bewirkt bei einem Falle eine Contusion im Kniegelenk, an der Hand u. dgl. Statt eines Stosses oder Schlages kann auch ein heftiger Druck die Quetschung herbeiführen. — Man kann bei allen Quetschungen die wirkende Kraft, den Widerstand und den Stützpunkt unterscheiden. Wird z. B. ein Bein durch ein Wagenrad zermalmt, so ist letzteres
Quetschung.
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die Kraft, das Bein leistet den Widerstand, und das Strasscnpflaster ist der Stutzpunkt. Wird ein Arm von dem Schlage eines Stockes gequetscht, so ist der Knochen oder die Aponeurose der Stützpunkt. Zuweilen befindet sich der Theil zwischen zwei Kräften, die sich gegenseitig zum Stützpunkte dienen; so z. B. wenn die Hand zwischen zwei Räder einer Maschine, der Thorax zwischen die Puffer von zwei Eisenbahnwagen geräth. Erscheinungen. Diagnose. Das Auseinanderweichen der getrennten Gewebe lässt sich selten sicher beobachten; denn die Haut bedeckt die in der Tiefe entstandene Wunde, und das Blut füllt in der Regel den Raum zwischen den getrennten Theilen nicht blos aus, sondern durch den B l u t e r g u s s (Ecchymosis, Sugillatio) entsteht sogar alsbald eine A n s c h w e l l u n g des verletzten Theils. Wo die Quetschung das auf einem Knochen aufliegende dichte Bindegewebe getroffen hat und das ergossene Blut sich in letzterem nicht weiter ausbreiten kann, bildet dasselbe durch hügelförmigc Erhebung der Haut die sogen. C o n t u s i o n s b e u l e n , Höcker, welche, da sie a n d e r Peripherie fest geronnenes, im Centrum halb oder gar nicht geronnenes Blut enthalten, am Rande hart, in der Mitte weich (eindrückbar) erscheinen, daher auch beim Druck durch Verschiebung und Zerdrücken der Gerinnsel das sogenannte Schneeballknirschen entstehen lassen und am Schädel, wegen der Möglichkeit ihr Centrum einzudrücken, zuweilen mit KnocheneindrUcken (Fracturen) verwechselt worden sind (vgl. Bd. III). Der Bluterguss (die Sugillation) ist' das wesentlichste objective Kennzeichen der Contusion. Jedoch entspricht die Mächtigkeit des Blutaustritts keineswegs immer dem Grade der Gewalteinwirkung. Die zermalmten Gefasse können durch die Quetschung selbst verschlossen werden, so dass oft bei bedeutenden Quetschungen der Bluterguss gering ist. Anderer Seits kann die Blutung bei unbedeutenden Quetschungen sehr erheblich sein, wenn gerade ein etwas grösseres Gefass getrennt wurde oder wenn individuelle Neigung zu Blutungen (Diathesis haemorrhagica) besteht. So sieht man bei manchen Personen durch den leisesten Druck, durch leichtes Saugen an der Haut u. dgl. m. Sugillationen entstehen. In der Mehrzahl der Fälle tritt als Zeichen des Blutergusses bald nach der Verletzung und in der Ausdehnung, in welcher die Quetschung stattgefunden hat, ein blauer oder blaurother Fleck auf, welcher durch die Haut hindurchschimmert. Sind wesentlich tief (unter einer Aponeurose) liegende Theile gequetscht, so erscheint die charakteristische Farbe der Sugillationen erst sehr spät, oder weit entfernt von der verletzten Stelle, indem das ergossene Blut oder der im Serum ge-
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Verletzungen.
löste Farbestoff sich allmälig weiter verbreitet (senkt). — Es sind zuweilen Quetschungen s i m u l i r t worden, indem Zusammenschntlrung zur Hervorbringung der Geschwulst und künstlich aurgetragene Farben zur Darstellung der Sugillationen benutzt wurden. Abwaschen des Theils, ruhige Lage und eine kurze Beobachtung reichen hin, um solche Betrügereien zu entdecken. — Ein Brandschorf unterscheidet sich von der Sugillation durch seine grau-röthliche oder schwarze Farbe und seine scharfe Begrenzung, während letztere immer diffus, blauroth, blau, blaugriln, blaubraun, zuletzt gelblich ist. Der Schmerz ist sehr lebhaft, wenn der Stützpunkt der Haut nahe liegt; so bei Schlägen auf die innere Fläche der Tibia, auf den Kopf, auf die Kniescheibe. Dagegen ist der Schmerz dumpf, wenn die Knochen an der getroffenen Stelle tief liegen, und deshalb die Haut nicht so stark gequetscht worden ist. G r a d e d e r Q u e t s c h u n g sind von D u p u y t r e n in ähnlicher Weise, wie für die Verbrennung, aufgestellt worden, lassen sich aber hier noch weniger scharf als dort von einander sondern. E r s t e r G r a d : Leichte Zerreissung der Gewebe namentlich der kleinsten Gefösse mit unbedeutendem Blutaustritt (Infiltration). Z w e i t e r G r a d : Etwas ausgedehntere Zerreissung der Gewebe, namentlich auch grösserer Gefeisse, daher wirkliche Blutansammlung, aber keine Mortification von Geweben, daher auch die Möglichkeit der Heilung ohne Substanzverlust oder Eiterung. D r i t t e r G r a d : Die Gewebe sind in solchem Grade destruirt, dass ihre Lebensfähigkeit erlischt, sie sind mortificirt. V i e r t e r G r a d : Die Gewebe sind wahrhaft zermalmt und bilden, mit dem ausgetretenen Blute gemischt, eine Art Brei. In der Regel bestehen im Umkreise des vierten Grades stets die übrigen, und allein kommt nur der erste vor. Auf frischer That zu erkennen, welcher Grad von Quetschung vorliege, namentlich aber Uber die Lebensfähigkeit der gequetschten Theile zu entscheiden, ist oft sehr schwierig, wenn nicht eine genaue Kenntniss des Vorganges der Verletzung, besonders des Grades von Gewalt, welcher eingewirkt hat, den Arzt unterstützt. In den schlimmsten Fällen lassen freilich Unempfindlichkeit und Kälte des Theils auf Mortification schliessen; aber oft folgt diese, ohne sich vorher deutlich angekündigt zu haben. Die Massenhaftigkeit des Blutergusses, die Möglichkeit an einzelnen Stellen tief einzudrücken, wo man den Widerstand von Muskelbäuchen erwarten sollte, und das gleichzeitige Bestehen eines Knochenbruches an der gequetschten Stelle lassen immer schon annehmen, dass mindestens der zweite Grad der Quetschung sich vorfinde und dass Eiterung zu erwarten sei. .
Quetschung.
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Eine eigenthiimliche Art von Verletzung entsteht, wenn die oberflächlichen Weichtbeile, namentlich die elastische und dehnbare Haut, ohne selbst zu zerreissen, durch eine quelschende Gewalt (gewöhnlich durch Ueberfahren) von den tieferen Theilen abgelöst, zugleich aber durch Dehnung ihrer Elasticität beraubt, eine mit wenig seröser Flüssigkeit gefüllte Tasche bilden. Solche Fälle sind von M o r e l L a v a l l é e 1 ) als „ t r a u m a t i s c h e A b l ö s u n g d e r H a u t " beschrieben worden. Dabei finden sich in der Regel keine Sugillationen, obgleich sie allerdings ebenso gut, wie die übrigen Erscheinungen der Quetschung, nebenbei vorkommen können; die Diagnose ist aber leicht wegen der eigentümlich schlaffen Geschwulst und der u n d u l i r e n d e n Beschaffenheit derselben, welche besonders beim Anschlagen des Fingers wahrgenommen wird. Ausgänge und Proguosc. Quetschungen können unter Resorption des Blutergusses p e r p r i m a m heilen (vgl. pag. 623 u. f.), sie können aber auch ihren Ausgang in E i t e r u n g oder in b r a n d i g e A b s t o s s u n g nehmen. Letztere folgt auf die höchsten Grade der Quetschung in der Regel, Eiterung ist beim zweiten Grade oft unvermeidlich, während der erste Grad und viele zum zweiten gehörige Fälle ohne Eiterung heilen. Wenn Resorption erfolgt, so ändert sich die Anfangs dunkelblaue Farbe der Sugillationen in Violett, dann in helleres Blauroth, wird auch wohl grünlich, dann gelb, und die gelbe Farbe verschwindet zuletzt, indem sie sich immer mehr ausbreitet. Die Aufsaugung des Bluts kann mit unglaublicher Schnelligkeit und ohne irgend ein Zeichen von Entzündung vor sich gehen, während sie in anderen Fällen gleichsam auf halbem Wege stehen bleibt und eine chronische Entzündung an der gequetschten Stelle zurückbleibt. Das Blut kann aber auch an Ort und Stelle andere Veränderungen erfahren: 1) es bleibt flüssig oder wird auch mehr serös, und um dasselbe herum bildet sich eine Cyste, es entsteht also ein H a e m a t o m , eine Blutcyste von dauerndem Bestände, oder 2) es bleibt nur ein krümliges oder flockiges Fibringerinnsel zurück, zuweilen in concentrischen Schichten gelagert, welches von einer mehr oder weniger dicken Cyste umgeben wird. Sind aber die den Quetschungsherd umgebenden Weichtheile nicht hinlänglich unversehrt geblieben (vgl. pag. 626), um die Resorption des Blutergusses oder seine Einkapselung zu bewerkstelligen, oder ist der letztere allzu massenhaft,
' ) Décollement
traumatique
de
la peau
et des couches
sous-jacentes.
Compt.
rend, de l'Academie des sciences (1862). T. 55. pag. 6 5 6 und Archives générales de méd. 1 8 6 3 (2. memoire).
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Verletzungen.
so entstehen in den nächsten Tagen entzündliche Erscheinungen an der gequetschten Stelle (Schwellung, Schmerzhaftigkeit, Temperaturerhöhung, Röthung, nicht selten mit Fieber) und die Entzündung breitet sich oft, zumal nach dem Lauf der Lymphgefässe, weiter aus. In dem Quetschungsherde selbst entsteht Eiterung, und der neben dem Eiter auch noch die zerfallenen Blutgerinnsel enthaltende, sogen, h ä m o r r h a g i s c h e oder t r a u m a t i s c h e A b s c e s s durchbricht nach einigen Tagen die oft in relativ grosser Ausdehnung nachträglich noch dem Brande verfallende Haut. Sobald Gewebstheile in der Tiefe vollständig mortificirt sind, muss eine Ausslossung Statt finden. Deshalb entsteht im dritten und vierten Grade der Quetschung immer auch Mortification der Haut. In allen diesen Fällen handelt es sich also auch regelmässig um die Gefahren tiefer Eiterungen und brandiger Zerstörungen. Die P r o g n o s e ist daher nur bei ganz oberflächlichen und wenig ausgedehnten Quetschungen vollkommen günstig. Bei den übrigen sei man sehr vorsichtig, zumal wenn sie gar ein Gelenk oder ein Eingeweide mit betreffen. Abgesehen von der unmittelbaren Lebensgefahr, welche durch die nachfolgende Eiterung bedingt werden kann, haben gewiss viele chronische Krankheiten ihren Ursprung in vernachlässigten Quetschungen. Die „traumatischen Ablösungen" bedingen keine Gefahren, wenn sie nicht in allzugrosser Ausdehnung bestehen und nicht von Eiterung gefolgt sind. Behandlung. In allen den beiden ersten Graden zuzuzählenden Fällen muss der Bluterguss, wo möglich, zur Resorption gebracht und einer Seits zu heftige Entzündung, anderer Seits brandige Zerstörung verhütet werden. Die wesentlichsten der hierzu empfohlenen Mittel sind: 1. Sogenannte z e r t h e i l e n d e (resolvirende) U m s c h l ä g e . Solche werden am Einfachsten aus kaltem Wasser, in schlimmeren Fällen aus Eis oder Schnee gemacht. Statt dessen finden aber auch Salzwasser, Branntwein, Kampherspiritus, Bleiwasser, Auflösungen von Salmiak in "Wein oder in Wasser mit Essig, Acetum Scillae, Arnicatinctur, selbst verdünnte Jodtinctur vielfach Anwendung. Man wird heut zu Tage nicht mebr in den Irrthum verfallen, durch die andauernde Application kalter Umschläge um jeden Preis die Entzündung zu bekämpfen. Dadurch würde man sehr oft brandige Zerstörungen herbeiführen, die sich hätten vermeiden lassen, wenn man zur rechten Zeit von der Anwendung der Kälte abgegangen wäre. Das eigene Geflihl des Kranken kann über den rechten Zeitpunkt für
QueUchong.
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das Fortlassen der kalten Umschläge meist am Besten entscheiden. Vgl. pag. 174 u. f. 2. O e r t l i c h e B l u t e n t z i e h u n g e n , am Besten durch Blutegel. Durch die Entziehung des Blutes aus der Haut und den ihr zunächst liegenden Schichten soll die Resorption in den tiefer liegenden angeregt werden. Vi d a l geht so weit, zu behaupten, dass es keine Krankheit gäbe, in der die Blutegel so viel nutzten, als bei der Contusion. Jedenfalls dürfen Blutegel nicht auf die gequetschte Haut gesetzt werden, wo ihre Bisse unwiderbringlich eiternde oder gar verschwärende Wunden hinterlassen würden. 3. M e t h o d i s c h e r D r u c k mittelst eines Binden-Verbandes, durch welchen nicht blos die Resorption begünstigt und weiterer Blutaustritt verhindert, sondern auch die Entzündung verhütet oder doch gemässigt wird. Hierher gehört die volksthümliche Behandlung der „Beulen" am Kopfe durch Aufbinden eines Geldstücks u. dgl. m. 4. Das Z e r d r ü c k e n der Blutgeschwulst, gleichfalls ein Volksmittel, wird empfohlen, um das ergossene Blut auf eine grössere Fläche zu vertheilen und dadurch die Resorption zu begünstigen ( C h a m p i o n , V e l p e a u ) ; B. B ö r a r d machte zu demselben Zwecke subcutane Incisionen. Bei unerheblichen Quetschungen ist diese Behandlungsweise wohl überflüssig, bei bedeutenderen möchte das Zerdrücken mindestens mit Uebelständen verknüpft sein, oft mit der Gefahr, dass die gedrückte Hautstelle brandig wird. Gelingt es nicht, die Aufsaugung und Zertheilung herbeizufuhren, bildet sich vielmehr der „traumatische Abscess", so wartet man ab bis Fluctuation zu fühlen ist und macht die Eröffnung dann streng nach der antiseptischen Methode, deren Vorzüge sich hierbei grade glänzend bewähren. Vgl. pag. 280. Bei bereits sehr verdünnter Haut zieht man mehrere kleine Einschnitte einem grossen vor, um ausgedehnte Ablösungen derselben zu verhüten. Wenn die Mortification des gequetschten Theils von vornherein unzweifelhaft oder dessen Absterben im weiteren Verlaufe nicht abzuwenden ist, so finden die für Behandlung des Brandes gegebenen Regeln (pag. 300 u. f.) Anwendung. Für die Behandlung der „ t r a u m a t i s c h e n A b l ö s u n g e n " empfiehlt M o r e l - L a v a l l 6 e zuerst den „Sack" zu punktiren, dann Blasenpflaster aufzulegen und endlich einen Compressivverband anzulegen. Ich bin in allen von mir beobachteten Fällen mit einer gleichmässig comprimirenden Binde ausgekommen.
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VorMzungco. B. Ge«uetechte, l e r l u c n t and BlM-Wunden.
Gequetschte Wunden zeigen an ihren Rändern und in ihrer Umgebung die Charaktere der Quetschung. Da, wie wir oben (pag. 626) sahen, die Veränderungen in den Umgebungen einer Wunde, welche durch Übermässige Spannung eines Theils entsteht, den durch Quetschung bedingten analog sind, können wir die gerissenen Wunden an die gequetschten anscbliessen. E r s c h e i n u n g e n d e r g e q u e t s c h t e n W u n d e n im A l l g e m e i n e n . — Die Wundränder sind uneben, gezackt oder gezähnelt und klaffen wegen ihrer durch die blutige Infiltration der Gewebe bedingten, schnell eintretenden Schwellung, viel weniger, als bei Schnittwunden. Die Blutung aus der Wunde ist gewöhnlich unbedeutend, da aus den gequetschten Gefässen viel weniger leicht Blut ausfliessen kann, als aus durchschnittenen; das Blut stockt in den benachbarten Geweben und bedingt dort mehr oder weniger bedeutende Sugillationen. Mit dem Schmerz verhält es sich, wie bei den Contusionen. — Die Störung der Grnährungsvorgänge in den die Wunde begrenzenden Geweben ist gewöhnlich so bedeutend, dass unmittelbare Wiederverwachsung unmöglich ist, dass es vielmehr in der Regel zur Eiterung kommt, oft auch einzelne Theile brandig werden. Die von der Wunde ausgehende Entzündung erreicht oft eine erhebliche Ausbreitung und eine bedenkliche Höhe. Alle Gefahren der Eiterung und des Brandes liegen also erheblich näher, als bei reinen Wunden. G e r i s s e n e W u n d e n . — Dieselben sind verschieden, je nachdem der Theil da, wo er gefasst war, oder weiterhin vom Körper getrennt worden ist. Im ersteren Falle treten die Erscheinungen der Q u e t s c h u n g und Z e r r e i s s u n g gleichzeitig auf, im zweiten Falle die letzteren allein. Das grossartigste Beispiel für Zerreissungen der letzteren Art liefert das Abreissen eines ganzen Gliedes in einem Gelenk. In einem solchen Falle zerreissen zuerst die Bänder, dann die Muskeln, indem sie sich gewöhnlich in ihren Verbindungen mit den Sehnen, den Aponeurosen und dem Periost lösen. Man sieht an dem Stumpf die Enden der Sehnen hervorragen, die Gefässe dagegen sind, in Folge ihrer Elasticität, weit in das Fleisch zurück- und fest zusammengezogen, weshalb denn auch die Blutung gewöhnlich unbedeutend ist. Zerreissungen dieser Art sind schon von L a m o t t e und von C h e s e l d e n beobachtet worden. In dem von Letzterem beobachteten Falle war sogar der ganze Arm sainmt dem Schulterblatte vom Rumpfe getrennt und die Heilung erfolgte doch ziemlich schnell. — Sehr bedeutende Zerreissungen wurden in früheren Zeiten auch bei
Gequetschte and gerissene Wanden.
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dem Missbrauch von Maschinen zur Einrenkung von Luxationen beobachtet. In diesen Fällen tritt die Zerreissung weit von dem Ort ein, auf welchen der Zug direct wirkt. Es findet eine subcutane Zerreissung Statt; denn die Theile werden erst getrennt, wenn sie allmälig bis auf den höchsten Grad ausgedehnt sind, und die Haut besitzt den höchsten Grad von Dehnbarkeit; es ist dabei weder Stoss, noch Druck wirksam, wie bei den Quetschungen. Es giebt aber auch Z e r r e i s s u n g e n m i t g l e i c h z e i t i g e r Q u e t s c h u n g . Die B i s s w u n d e n verhalten sich meist in dieser Weise. Durch die Bewegung des beissenden Thieres sowohl als des Verletzten wird die Wunde gewöhnlich stark gezerrt, überdies aber desto mehr gequetscht, je stumpfer die Zähne waren. Dies gilt insbesondere auch für Bisse von menschlichen Zähnen, welche gewöhnlich stumpf sind, und erklärt die langsame Heilung und Schmerzhaftigkeit solcher Bisswunden genügend und jedenfalls besser, als die durchaus hypothetische Veränderung des Speichels durch den Zorn, von welcher sonst wohl die Rede war. B e h a n d l u n g d e r g e q u e t s c h t e n W u n d e n im A l l g e m e i n e n . „Welche Verschiedenheiten auch die gequetschten Wunden darbieten „mögen, sobald sie nur nicht weiter complicirt sind, oder doch nur „mit fremden Körpern complicirt sind, welche leicht entfernt werden „können, so erstrebe man die unmittelbare Vereinigung; denn wenn „auch ihre Ränder nicht die Regelmässigkeit der Schnittwunden bes i t z e n , und die Gefässe und andere Theile an ihrer Oberfläche mehr „oder weniger gequetscht worden sind, so lehrt doch die tägliche „Erfahrung, dass sie verkleben können und dass sie oft durch Prima „intentio, d. b. ohne zu eitern, heilen. Jedoch eitert der oberflächl i c h e Theil der Wunde, welcher vorzugsweise gequetscht ist, gewöhnl i c h ein wenig; aber der Grund verklebt, wenn sie nur gehörig verneinigt sind, sehr schnell. Auf diese Weise beschleunigt man ihre „Heilung ganz auffallend und erreicht eine viel weniger merkliche „Narbe, als wenn man sie sich selbst überlassen und folglich nur „durch Eiterung zur Heilung gefiihrt hätte. — Auch die g e q u e t s c h t e n L a p p e n w u n d e n müssen vereinigt werden, selbst wenn die „Spitze derselben fast mortificirt erscheint. Ist dies wirklich der Fall, „so erfolgt natürlich die Abstossung; aber die viel weniger gequetschte „Basis kann sich doch unmittelbar vereinigen, so dass dann nur die „dem mortificirten Theile entsprechende Stelle eitert." Diese aus der Erfahrung geschöpften Lehren B o y e r ' s sind um so mehr zu beherzigen, als sie von einem Wundarzt ausgesprochen wurden, der für die unmittelbare Vereinigung sonst nicht sehr ein-
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VerteUoiigMi.
genommen war. Allerdings lassen dieselben heut zu Tage für viele Fälle eine a n d e r e E r k l ä r u n g zu, da, wie wir sahen, manche scheinbar gequetschte, d. b. durch stumpfe Körper entstandene Wunden in der That r e i n e sind. Vgl. pag. 627. Aber auch bei wirklich gequetschten Wunden sollte man die Hoffnung auf erste Vereinigung nicht sofort ganz sinken lassen. Sie gelingt oft zum Theil, weil einzelne Stellen weniger oder gar nicht gequetscht sind, — und auch die geringste Strecke, die man für Prima intentio rettet, ist viel werth. Stehen nur die gequetschten Ränder der ersten Vereinigung im Wege, so trägt man dieselben mit scharfen glatten Schnitten ab und legt dann die Naht an, — sofern sich erwarten lässt, dass durch den Substanzverlust nicht eine zu grosse Spannung entstehen werde, durch welche sonst die Vereinigung wieder gehindert werden würde. Dass unsere Empfehlung der Naht für leicht und nicht durchweg gequetschte Wunden keineswegs dazu fuhren soll, Wunden, in deren Tiefe sich voraussichtlich Wundsecret ansammeln wird, hermetisch zu schliessen, dass in solche vielmehr, wenn sie Uberhaupt noch Aussicht auf erste Vereinigung bieten, doch immer ein Abzugsrohr eingelegt werden muss, ergiebt sich aus unseren früheren Erläuterungen (vgl. pag. 640). Es wurde bereits bemerkt, dass man bei jeder Quetschung die Entzündung zu überwachen habe. Man wende deshalb nach der Vereinigung, die oben erwähnten zertheilenden Umschläge an, besonr ders nützlich sind die kalten Umschläge und die Irrigationen (die andauernden Uebergiessungen) mit kaltem Wasser, dem man 1—2 Procent Carbolsäure zusetzt. Vgl. pag. 174 u. f. Nach Dein, was bereits bemerkt wurde, ist es kaum nöthig, die unmittelbare Vereinigung noch für diejenigen g e r i s s e n e n W u n d e n besonders zu empfehlen, bei denen die Zerreissung e n t f e r n t von d e r Stelle, wo die Gewalt e i n w i r k t e , stattgefunden hat. — Bei B i s s w u n d e n berücksichtige man besonders den Schmerz; wird er durch Kälte nicht besänftigt, so gebe man alsbald Opium oder ähnliche Beruhigungsmittel. Wo ein grosser Substanzverlust stattgefunden hat, und die Wundränder sich nicht ohne Spannung zusammenziehen lassen, da kann an unmittelbare Vereinigung niemals gedacht werden. Der V e r b a n d d e r j e n i g e n W u n d e n , w e l c h e n u r d u r c h G r a n u l a t i o n geheilt w e r d e n k ö n n e n , wurde früher allgemein nach folgender Vorschrift gemacht. Man legt auf den Grund der Wunde eine mit Cerat bestrichene
Gequetschte and gerissene Wanden. — Stichwanden.
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g e f e n s t e r t e C o m p r e s s e (besser noch die moderne G i t t e r c h a r p i e ) und breitet auf dieser weiche Charpie aus; darüber legt man eine dickere Compresse und hält das Ganze durch eine mässig feste Binde, oder durch ein zusammengelegtes Tuch fest. Ist die Wunde klein, so legt man nur an die Ränder mit Cerat bestrichene Leinwandstreifen und in den Grund unmittelbar Charpie, da hier der Eiter sich so bedeutend ansammelt, dass man ein Abreissen der Narbenanfänge, was am Rande geschehen könnte, nicht zu befürchten hat. Man kann auch zuerst in den Grund der Wunde trockene Charpie legen und dann erst ein mit Cerat dick bestrichenes Stück Leinwand darüber ausbreiten. Der erste Verband wird im Sommer erst nach 3—4 Tagen, im Winter erst nach 4—5 Tagen gewechselt. Es ist zweckmässig zu warten, bis die Eiterung in vollem Gange ist; früher ist die Erneuerung des Verbandes sehr schmerzhaft. Das Vernachlässigen dieser Regel hat oft zur Folge, dass die Kranken klagen, der zweite Verband sei schmerzhafter gewesen, als die Verwundung oder die Operation selbst. Späterhin muss dann der Verband, je nachdem die Eiterung reichlich ist, täglich oder alle 2—3 Tage gewechselt werden. lieber die Charpie machte man oft auch noch Umschläge, je nach dem Zustande der Wundränder und ihrer Umgebung; namentlich werden in der ersten Zeit nach der Verletzung Eisbeutel aufgelegt. Im Laufe der letzten Jahrzehnte war man fast allgemein zu der Ueberzeugung gekommen, dass in den m e i s t e n F ä l l e n d i e e i n f a c h e n W a s s e r u m s c h l ä g e (Fomentationen, Cataplasmen) u n d B ä d e r (vgl. pag. 113 u. f.) jede a n d e r w e i t i g e B e h a n d l u n g ü b e r f l ü s s i g m a c h e n . Nach unserer jetzigen Auffassung der Behandlung granulirender Flächen und Höhlen, werden wir grade bei solchen Wunden, welche nur durch Granulationen heilen können und bei denen dann in der Regel auch nekrotisirende Processe und Abstossung abgestorbener Gewebe Platz greifen, vor Allem die a n t i s e p t i s c h e M e t h o d e zu empfehlen haben. Liesse sich diese nicht durchführen, so würde die o f f e n e W u n d b e h a n d l u n g immer noch mehr zu empfehlen sein, als irgend ein, das Wundsecret absperrender Verband. Vgl. pag. 48, pag. 150 u. f., pag. 261 und 640. Viertes Capltel.
Von den Stichwunden. Man versteht unter Stichwunden im Allgemeinen solche Wunden, die durch ein mehr oder weniger spitzes und nur mit seiner Spitze trennendes Instrument beigebracht sind; aber es giebt eine unzählige
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Verätzungen.
Menge von Varietäten von der Verletzung durch eine Nähnadel bis zu der Verwundung durch einen zugespitzten Pfahl. Und doch ist ein grosser Unterschied zwischen der Verletzung durch die Nadel, welche die Gewebe fast nur von einander drängt, und der Wirkung des Pfahls, der sie zugleich bedeutend quetscht. Gewöhnlich wird die Verwundung durch einen Pfriem als Typus der Stichwunde angesehen; je dicker er ist, desto mehr ist die Wunde eine gequetschte. Viele Instrumente stechen und schneiden zugleich. Der Stich erfolgt also bald mit, bald ohne Quetschung. Im letzteren Falle ist die Wunde als eine reine zu betrachten, im ersteren schliesst sie sich wesentlich den gequetschten Wunden an. Eigenlbümlicbkeiten der Stichwunde. Das stechende Instrument dringt in der Regel, wenn auch bald gerade, bald schief, doch stetig in derselben Richtung weiter vor. Stichwunden sind daher v o r wiegend tiefe, canalförmige Wunden. Deshalb sind sie gefährlich, zumal wenn in der Gegend der Verletzung wichtige Theile liegen, in welche sie eindringen könnten, wie z. B. Eingeweide- oder Gelenk-Höhlen. Ausnahmsweise kann ein durch Einstechen eingeführtes Instrument durch künstliche Führung in der Tiefe auch noch schneidend wirken; entspricht dann die Schnittwunde in der Tiefe nicht der oberflächlichen Stichwunde, so nennt man sie s u b c u t a n (vgl. Tenotomie). Vom K l a f f e n kann bei Stichwunden nur dann die Rede sein, wenn das verletzende Instrument in der Wunde stecken blieb, oder wenn es sehr dick oder sehr breit war, wie etwa ein zweischneidiges Messer, ein Pfahl oder dergl. Früher hielt man Stichwunden allgemein für s e h r s c h m e r z h a f t ; gewöhnlich sind sie auch schmerzhafter, als Schnittwunden, jedoch nicht immer, und zwar um so weniger, je schärfer und dünner das verletzende Instrument war. Bei einem Degenstich quer durch die grösste Dicke des Schenkels können z. B. gar keine Schmerzen empfunden werden. Die auffallend grosse Schmerzhaftigkeit mancher Stichwunden hängt gewiss nur selten von der unvollständigen Trennung eines Nerven ab, die man früher angeschuldigt hat; vielmehr ist sie dann besonders zu bemerken, wenn eine Aponeurose durchbohrt ist und deshalb die nachfolgende Entzündungsgeschwulst alsbald eingeklemmt wird. Die B l u t u n g ist, wegen der gewöhnlich stattfindenden Quetschung, meist unbedeutender, als bei Schnittwunden, jedoch kommen wegen der erheblichen Tiefe, in welche Stichwunden oft eindringen, Verletzungen grösserer Gefässe relativ häufiger vor, und dem entsprechend dann auch stärkere Blutungen.
Stichwnoden.
653
Die Diagnose einer Stichwunde kann insofern Schwierigkeiten haben, als es zuweilen unmöglich ist, ihre Tiefe zu bestimmen, selbst wenn man das verletzende Instrument vor sich hat und die Untersuchung mit der Sonde vornimmt. Die Anschwellung, die Lageveränderung der verschiedenen Theile durch Bewegung machen das S o n d i r e n schmerzhaft und schwierig; ja es ist sogar gefährlich, sobald es sich um Verwundung der grossen Leibeshöhlen handelt. Jedenfalls muss es mit grosser Vorsicht, mit einer relativ dicken Zinn-Sonde, wo es angeht, noch besser mit dem Finger, und in derselben Stellung, in welcher die Verletzung erfolgte — sofern diese sich ermitteln lässt, — vorgenommen werden. Prognose. So sehr auch früher die Gefahren der Stichwunden Ubertrieben worden sind, so hält man sie in neuerer Zeit doch oft für allzu unschuldig. Es ist richtig, dass das geringe Klaffen der Wunde die unmittelbare Vereinigung begünstigt und dass insbesondere die kleine Oeffnung in der Haut sich oft so schnell schliesst, dass die übrige Wunde zu einer subcutanen wird. Aber es darf anderer Seits nicht vergessen w e r d e n , dass bei diesen Wunden gewöhnlich Quetschung besteht, und dass die unbekannte Tiefe derselben oft die grössten Gefahren herbeiführt; wie man ja z. B. unscheinbare Wunden der Augenlider bis in's Gehirn hat eindringen sehen. Behandlnug. Vor Allem hat man daran zu denken, dass f r e m d e K ö r p e r in der Wunde sein können, deren Entfernung, wo möglich, sofort vorgenommen werden muss. Diese Aufgabe ist schwierig, wenn die fremden Körper ein geringes Volumen haben und sehr tief oder in einen Knochen eingekeilt sitzen. Es ist deshalb zuweilen besser, statt eine gewaltsame und deshalb gefährliche Entfernung vorzunehmen, lieber zu warten, bis die fremden Körper durch die Eiterung etwas gelöst sind. Man vergesse aber nie, dass ihre Anwesenheit fort und fort als Entzündungsreiz wirkt. Nach der Entfernung der fremden Körper ist ein antiseptischer Verband anzulegen, oder, wo dieser nicht ausführbar, die Wunde offen zu lassen. Vgl. pag. 6 4 0 u. f. Die früher ganz allgemein empfohlene D i l a t a t i o n der Stichwunden ist nur dann am Platze, wenn ein übler Zufall dazu auffordert. Lässt sich die Blutung auf andere Weise nicht stillen, ein fremder Körper, dessen Entfernung dringend erforderlich scheint, nicht anders fassen, ist der Schmerz allzu bedeutend, stellen sich Krämpfe ein, oder entwickelt sich aus der Tiefe eine pralle Entzündungsgeschwulst, dann m u s s dilatirt oder auch w o h j eine Gegenöffnung angelegt werden.
654
Vertdzangca.
Ein früher mit vielen abergläubischen Zuthaten ausgeübte« Mittel, das A a s s a u gen d e r S t i c h w a n d e n , wäre vielleicht nicht unzweckmässig, um Ansammlung von Blut zu verboten; denn es ¡9t bekannt, dass dies später wie ein fremder Körper wirkt. Statt mit dem Mnnde könnte man die Wunde durch Scbröpfköpfe aussaugen lassen. L a m o t t e und J. Bell waren diesem Mittel zugethan. Natürlich kann keine Rede davon sein, wenn die Blutung bedeutend nnd die Bildung eines die Gettssöffnung verschliessenden Blutgerinnsels daher wünsehenswerth ist
Fünftes Capltel.
Von den Schusswunden'). Die Gestalt des Geschosses und die Gewalt der treibenden Kraft, d. h. die Schnelligkeit seiner Bewegung, — sind Schuld an den e i g e n ') Für das Studium der Schusswunden (minera sclopetaria, plaies d'armes à feu, gunshot wounds) sind namentlich zu empfehlen: D. J. L a r r e y , Mémoires de chirurgie militaire, Paris 1812, und Clinique chirurgicale exercée dans le9 camps et les bôpit. militaires depuis 1792—1829. Paris, 1829 u. f. — G u t h r i e , Commentaries on the surgery of war. London, 1815. 6. Aug. 1855. — J. H e n n e n , Observations on military surgery. London, 1818. — R o u x , Considérations cliniques sur les blessés etc. Paris 1830 (nach den Julitagen). — D u p u y t r e n , Traité théorique et pratique des blessures par armes de guerre, Paris, 1834, abgedruckt in den Leçons orales, T. V. et VI. Paris, 1839. — B a a d e n s , Clinique des plaies d'armes h feu. Paris, 1836. (Feldzug in Algier). — Discours de M.M. Roux, Blandin, Malgaigne etc. à l'Académie de médecine de Paris 1848 in den Comptes rendus 1848, geordnet und (unvollständig) übersetzt von Wierer. — B. B e c k , die Scbusswunden, Heidelberg, 1850. (Feldzüge in Oberitalien, Baden, Schleswig, 1848 u. 49). — B. L a n g e n b e c k , Bemerkungen zu J. H u n t e r ' s Abhandlung von den Schusswunden, in d. neuen Ausgabe der deutschen Debersetzung von „i. Hunter's Werke praktischen Inhalts" v. Brandiss. Berlin, 1849. — E s m a r c b , Ueber Resectionen nach Scbusswunden. Kiel, 1851 (Schleswig-Holsteiniscbe Feldzüge 1848—51). — G u s t a v S i m o n , Ueber Scbusswunden. Glessen, 1851 (Erfahrungen im Darmstädter Lazareth. Zahlreiche Experimente. Theoretische Untersuchungen von allgemeinerer Bedeutung). — H a r a l d S c h w a r z , Beiträge zur Lehre von den Schusswunden. Schleswig, 1854 (Feldzüge v. 1848, 49, 50). — S t r o m e y e r , Maximen der Kriegsheilkunst. Hannover, 1855, zweite vermehrte u. illustrirte Auflage 1861 (Ergebnisse eigener Erfahrungen, namentlich in den schleswig-holsteinischen Feldzügen). — S c r i v e , Rélation médico-chirurgicale de la campagne d'Orient. Paris, 1857. — M a c i e o d , Notes on the surgery of the war in the Crimea, with remarks on the treatment of the gunshot wounds. London, 1858. — L ö f f l e r , Grundsätze und Regeln für die Behandlung der Scbnssnunden im Kriege. Berlin, 1859. — L e g o u e s t , La chirurgie militaire contemporaine, in d. Archives de médecine 1859. — Herrn. D e m m e , Militär-chirurgische Studien in den italiïnischen Lazarethen von 1859. 2. Auflage, Würzburg, 1864. — P i r o g o f f , Grundzüge der allgemeinen Kriegsebirurgie, Leipzig, 1864. — J. N e u d ö r f e r , Handbuch der Kriegschirurgie, 1864.
655
Schutswanden. thUmlichen bemerken.
Erscheinungen,
welche wir an den Schusswunden
Die Wunde ist mit einer schwarzen Schicht
überzogen,
die Blutung gewöhnlich unbedeutend (obschon man die Wunde selten ganz trocken findet), der Schmerz drückend, der Kranke glaubt eine Last zu fühlen, oder hat die Empfindung, als habe ihn ein schwerer Körper getroffen, ohne ihn jedoch zu verwunden.
Später entwickelt
sich ein brennender Schmerz mit verschiedener Heftigkeit, j e
nach
dem verletzten Theil und dem Gemüthszustande des Kranken.
Zu-
weilen i6t Anfangs gar kein Schmerz da, besonders wenn ein grosses Geschoss ein ganzes Glied fortgenommen hat.
Der Kranke fällt z. B.
wenn ihm ein Bein fortgerissen ist, nicht mit dem Bewusstsein, eine so schwere Verletzung
erlitten zu haben,
sondern
meist
in
dem
Glauben, er sei gestolpert, sein Fuss sei in einer Grube stecken geblieben u. dgl. m.
Diese Unempfindlichkeit
erstreckt
sich
zuweilen
Uber den ganzen Körper; es können sich Krämpfe oder doch Zittern hinzugesellen ( W u n d s t u p o r ,
S h o c k , vgl. Cap. VI.).
Die Haut ist
weithin blass, oft von gelblicher Farbe, und zwar nicht blos auf Grund eines etwa stattgehabten Blutverlustes, sondern durch die mächtige Zusammenziehung der contractilen Elemente der Cutis (Phänomen der Gänsehaut).
Die verschiedenen Grade der Contusion zeigen sich in
der Regel an der Stelle der Verletzung.
Die Haut kann, wegen ihrer
Elasticität, an der getroffenen Stelle unversehrt bleiben, während die darunter liegenden Gewebe zermalmt sind.
Gewöhnlich ist die An-
schwellung bedeutend, und zwar von zweierlei Art: entweder teigig, unempfindlich, schmerzhaft.
kalt
und
wenig
gefärbt;
oder
aber
gespannt und
Die erste Art der Geschwulst beruht auf der Stockung
der Flüssigkeiten, die durch eine Art von Lähmung der mächtig erschütterten Gewebe bedingt ist (acutes Oedem).
Die zweite Art beruht
auf der in Folge der heftigen Reizung beginnenden Entzündung.
In
anderen Fällen dagegen scheint das Volumen des Theils nicht vermehrt, sondern sogar vermindert (collabirt) zu sein. bereits eine vollkommene Unterbrechung
Alsdann besteht
der Blutbewegung;
solche
Theile sterben sicher ab. Nator der ScbnssYerletznngeii im Allgemeine!!.
Die absurdesten
Theorien sind zur Erklärung der eigentümlichen Erscheinungen
der
Schussverletzungen aufgestellt worden. Die schwarze F a r b e der Wunde —
H. F i s c h e r ,
Verletzungen durch Kriegswaffen (Allgemeine Kriegschirurgie)
v. Pitha u. Billroth, Handbuch, Bd. I.
Abth. II. Heft 2 . pag. 9 5 — 5 2 8 .
1 8 6 7 , a n c h als besonderer Abdruck e r s c h i e n e n . tigeren Literaturangaben aus früherer Zeit zu
in
Erlangen,
In diesem Werke sind alle wich-
finden.
In Betreff der neuesten L i t e "
ratur vgl, d. Referate von G u r l t i. d. Jahresber. v. V i r c h o w u. H i r s c h , 1 8 7 1 u. Hg.
656
Verfettungen.
leitete man von einer V e r b r e n n u n g oder von einem G i f t ab, welches auch an den erwähnten Störungen im Bereich des Nervensystems die Schuld tragen sollte 1 ). Die bedeutenden Zerstörungen ohne Verletzung der Haut sollten von der L u f t v e r d t t n n u n g herrühren, die durch ein vorilberfliegendes Geschoss bewirkt werde; man erfand für diese Art der Verletzung sogar den besonderen Namen: L u f t s t r e i f s c h u s s * ) . Auf solche Weise sollte auch die Asphyxie beim Vorüberfliegen einer Kugel vor dem Munde erklärt werden. Wo diese Erklärungen nicht ausreichten, wurde die E l e c t r i c i t ä t zu Hülfe gerufen. Heut zu Tage wissen wir, dass die schwarze Farbe der Wunde abgesehen davon, dass zuweilen, namentlich bei Pulver-Explosionen *), unverbrannte Pulverkörncr in die Haut eingetrieben und gar nicht selten dünne Bleischichten von der Kugel abgestreift werden, — von der Mortification der Gewebe abhängt, welche grössten Theils aus der mechanischen Gewalt, zum Theil aber auch aus der hohen Temperatur, in welche die Kugel beim Aufschlagen versetzt wird, zu erklären ist 4 ). Die Störungen im Nervensystem finden ihre natürliche Erklärung in der örtlichen oder allgemeinen Erschütterung desselben. Bedeutende Zerstörungen der tiefer gelegenen Theile ohne Hautwunde kommen auch bei anderen Quetschungen vor; wie wenig aber die vorüberstreifende Kugel schadet, das sieht man deutlich bei Solchen, denen sie die Nase oder das Ohr oder die Schulter weggerissen hat, ohne sonst irgend einen Schaden anzurichten. Was die Electricität betrifft, welche die Kugel durch ihre Reibung in der Kanone erhalten haben sollte, so darf man nicht vergessen, dass die Metalle zu gute Leiter sind, um durch Reibung dauerhaft electrisch zu werden. Wir haben, wie bereits Eingangs erwähnt wurde, die E i g e n t ü m lichkeiten der Schussverletzungen nur aus der G c s a l t d e s G e s c h o s s e s und d e r A r t s e i n e r B e w e g u n g zu erklären. Als ein stumpfer, meist abgerundeter Körper würde das Geschoss nur Quet') J. de Vigo, Buch III. Abth. 2. Cap. 3 seiner Chirurgie (1514), behandelt noch ausführlich die Quetschung, die Verbrennung und die V e r g i f t u n g als die Complicationen der Schosswunden. *) H. D e m m e (I. c. pag. 10) musste noch 1859 in Mailand von „contusione per corrente dtaria" und Vvent de boulet" alles Ernstes reden hören. ' ) Die Verletzungen durch P u l v e r - E x p l o s i o n e n gehören eigentlich nicht zu den Schusswunden. Es handelt sich dabei: 1) um Verbrennungen, 2) um mechanische Verletzungen, die dadurch zu Stande kommen, dass a) der Verletzte selbst fortgeschleudert wird, oder i ) anderweitige Gegenstände gegen den Körper des Verletzten geschleudert werden. ' ) Vgl. A. So ein, Kriegschirurgische Erfahrungen etc. Leipzig. 1872.
Scktmwundea.
657
schungen verschiedenen Grades bewirken können, wenn die G e s c h w i n d i g k e i t , mit welcher es sich bewegt, es nicht zu Trennungen befähigte, wie sie bei anderen Verletzungen fast niemals vorkommen. Die getroffenen Theile werden nämlich, wenn die Kugel mit grösster Geschwindigkeit auftrifft, nicht gequetscht, sondern z e r m a l m t (vgl. pag. 644); eine Wunde mit Substanzverlust entsteht, indem die zermalmte Substanz vor der Kugel hergetrieben wird, und die Ränder und Umgebungen dieser Wunde sind, je nachdem ihnen die Bewegung des Geschosses mehr oder weniger mitgetheilt wurde, in verschiedenem Grade gequetscht und erschüttert. Die Quetschung kann dabei verschwindend gering sein, wenn eine Kugel mit grösster Schnelligkeit (aus nächster Nähe, aus gezogenem Lauf, mit voller Ladung) einen wenig Widerstand leistenden Theil trifft. Dies sind jedoch Ausnahmen; gewöhnlich ist die Quetschung in der Umgebung d e s ' z e r malmten Theils deutlich. Hieraus erklärt sich auch die relativ geringe Blutung, da gequetschte und zerrissene Gefässe zur spontanen Stillung der Blutung, aus Gründen, die wir bei den Krankheiten der Arterien (Bd. II.) erläutern werden, besonders geeignet sind 1 ). Die b e w e g e n d e K r a f t aller jetzt gebräuchlichen Geschosse ist die Explosion des im Rohr des Geschützes oder Gewehrs eingeschlossenen Schiesspulvers, seltener der Schiessbaumwolle. Die Gase, welche sich beim Entzünden des Schiesspulvers plötzlich entwickeln, nehmen einen 450 mal grösseren Raum ein, als die angewandte Pulvermasse. Nach D u p u y t r e n steigert aber die zugleich entstehende Erhitzung die Ausdehnung der Gase in dem Grade, dass man den Druck, durch welchen die Kugel getrieben wird, auf 40000 Atmosphären veranschlagen kann. Die gewaltige Wirkung der Geschosse mag in manchen Fällen noch dadurch gesteigert werden, dass sie während ihres ungemein schnellen Fluges vorwärts sich häufig auch noch d r e h e n . Letztere Bewegung ist besonders deutlich, wenn sie anfangen matt zu werden. Wenn sie dann auf der Erde laufen, wollen die jungen Soldaten sie oft scherzend mit den Händen oder Füssen aufhalten, — was, wie D u p u y t r e n erzählt, gewöhnlich zur Folge hat, dass sie, emporspringend, die furchtbarsten Quetschungen anrichten. — Diese m a t t e n K u g e l n , auch diejenigen, deren Bewegung durch den Widerstand, den sie im Körper gefunden haben, gehemmt worden ist, werden sehr leicht von ihrem ursprünglichen Wege ')
Das grossartigste
Beispiel hierfür liefert D e m m e (I. c. pag. 3 7 ) durch d i e . M i t -
theilung d e r anatomischen Untersuchung eines „ l ' / a — 2 Linien grossen" Einrisses in der
vorderen
Wand
der Aorta
descendens,
welcher erst nach einem
durch secundäre Blutung den Tod herbeiführte. I! 1 d e l e lu-n , Chirurgie.
' . A u l l . 1.
42
Monat
Verletzungen.
658 abgelenkt,
in ähnlicher W e i s e , wie man es an einer
beobachten kann.
Billardkugel
Die Abweichung der Kugel von der geraden Linie
kann aber auch von schlechter Ladung herrühren, durch welche die Kugel, statt in der Achse des Rohres, in schiefer Richtung den treibenden Stoss erhielt.
Ausserdem dringt die Kugel nicht immer recht-
winklig gegen die Körperoberfläche ein und findet in den an Festigkeit und Elasticität verschiedenen Geweben einen mehr oder weniger grossen Widerstand.
Auf diese Weise geschieht es, dass eine Kugel,
die auf der rechten Seite des Halses eindringt, um das Zungenbein unter der Haut zum Vorschein
einen Bogen
beschreibt und auf der linken wieder
k o m m t , als wäre sie gerade hindurchgegangen,
oder
dass eine andere am vorderen Ende einer Rippe eindringt, und, statt gerade durch den T h o r a x zu gehen," der Krümmung der Rippe folgt, iim neben der Wirbelsäule wieder zum Vorschein zu kommen. Viele dieser gewöhnlich als „ C o n t o u r - S c h ü s s e " bezeichneten Ablenkungen der Kugel lassen eine andere Erklärung zu. Der Verletzte befand sich im Augenblick der Verletzung in einer anderen Körperstellung, als zur Zeit der Untersuchung; nicht die Kugel wurde abgelenkt, sondern der Schusscanal wurde verschoben, In hockender Stellung, also bei stark gebeugtem Kniegelenk, erhielt der Mann einen Schuss quer durch die obeiflächlicben Weichtheile der Kniekehle; bei gestrecktem Knie s i e b t e s aus, als hatte die Kugel auf den einen Condylus aufgeschlagen und dann, abgelenkt, die Kniekehle umkreist — „contourirt". Andere A b w e i c h u n g e n der Kugel sind c o n s e c u t i v ; sie werden entweder durch Muskelbewegungen (Lageveränderung) des Verletzten bedingt;
oder durch die Eiterung,
Kugel frei macht.
welche die vorher eingeklemmte
Man nennt sie besser
Ortsveränderungen
der
Kugeln.
Verschiedenheiten der Schnsswunden j e uaeü den Geschossen ')• Wir unterscheiden:
A.
die e i g e n t l i c h e n
2 ) Flinten-,
Büchsen-
Geschosse,
und zwar
und Pistolen-Kugeln,
3)
1)
Schrot,
Kanonenkugeln,
4 ) Splitter von zerplatzten Hohlkugeln.
B. erstere,
Indirecte Geschosse,
d. h. solche Körper, die durch
also indirect, in Bewegung gesetzt werden, wie Tornister,
Stücke Holz, Steine, Knöpfe, Bayonnet- und Degen-Spitzen u. dgl. I.
Schrot
kommt in sehr verschiedener Grösse der einzelnen Körner (von dem feinsten Vogeldunst bis zu den die Grösse einer Erbse überschreiten' ) Statt von „ G e s c h o s s e n " von „ Projectilen" zu reden, ist wohl um so weniger gerechtfertigt, als dies französische Wort nicht einmal den Vorzug der Kürze bat, wie etwa balle für F l i n t e n k u g e l und boulet für K a n o n e n k u g e l .
659
Schusswunden.
den Rehposten) und in verschiedener Masse zur Anwendung. erklären sich zahlreiche Verschiedenheiten der Wirkung.
Hieraus
Aber auch
eine etwas stärkere Schrotladung macht zuweilen unbedeutende und kaum eiternde Wunden, welche manchmal ganz durch unmittelbare Vereinigung heilen, zumal wenn der Verletzte sich in grösserer Entfernung befand und das Schrot demnach vor dem Eindringen stark auseinander schlug.
Auf gehörige Schussweite dagegen ist die Ver-
letzung durch eine Ladung Schrot wegen der Unregelmässigkeit Wunde oft schlimmer, als die durch eine Flintenkugel.
der
Dringt die
ganze Schrotladung auch vielleicht durch eine rundliche Oeffnung ein, was namentlich, wenn der getroffene Körpertheil sich unmittelbar vor dem Gewehrlaufe befand, wohl möglich ist, so vertheilen sich die einzelnen Schrotkörner gleich darauf nach
den
doch
verschiedensten
Seiten hin, so dass einzelne oft sogar rechtwinklig von ihrer ursprünglichen Bahn abweichen.
Diese Ablenkung der Schrote kann, nament-
lich in der' Nähe edler Organe, von überwiegendem Vortheil sein, im Vergleich zu einer unter gleichen Verhältnissen
eingedrungenen
und
nicht so leicht abzulenkenden Flintenkugel; aber in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich bei Schrotschüssen doch um sehr beträchtliche und unregelmässige Zerreissungen der Weichtheile, denen um so mehr langwierige Entzündungen, Neuralgieen und nachträgliche Blutungen, auch wohl Pulsadergeschwülste folgen können, als selbst bei grösster Sorgfalt ein Theil der Schrotkörner oft nicht aufgefunden viel weniger ausgezogen werden kann.
und noch
Allerdings sieht man solche
ganz gewöhnlich einheilen, sogar mitunter in Gelenken; aber es fehlt auch nicht an Beispielen von spät erst auftretenden Knochenentzündungen und Verschwärungen der Gefässe mit ihren weiteren Folgen. Sind die Schrote durch einen Theil ohne Verletzung edlerer Organe ganz hindurchgegangen, so heilen die Ausgangsöffnungen oft per primam intentionem. — Gehacktes Blei, Nägel u. dgl. wirken schlimmer als Schrot, indem sie immer noch bedeutendere und unregelmässigere Zerreissungen bedingen und heftige Entzündung hervorrufen. II. stimmen
F l i n t e n - , B ü c h s e n - und zwar darin
Pistolen-Kugeln
mit einander Uberein,
dass sie (mit seltenen
Ausnahmen) aus B l e i gegossen, grösser als Schrotkörner und kleiner als Kanonenkugeln sind, bieten aber in Betreff G r ö s s e erhebliche Verschiedenheiten dar.
der
Gestalt
und
Was die ersteren betrifft,
so ist man in fast allen Kriegsheeren von der ursprünglichen Kugelgestalt ganz abgegangen.
Die jetzt üblichen „ c y l i n d r o - c o n i s c h e n "
oder „ S p i t z - K u g e l n " haben im Allgemeinen eine mehr eichelföimige
42*
660
Verletzungen.
Gestalt, die jedoch in verschiedenen Heeren und auch bei verschiedenen Truppengattungen mancherlei Abänderungen erfahren hat. Von besonderem Belang war für die mit einem Ladestock (Ton Vorn) geladenen Gewehre die Einrichtung des seit 1859 bei der französischen Linien-Infanterie eingeführten c j l i n d r o - c o n i s c h e n H o b l g e s c h o s s e s [balle cylindro-conique ividie). Dasselbe enthielt nämlich eine Aushöhlung von der Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Basis dem hinteren Ende der Kugel entsprach. (Vgl. Fig. 139.) Diese Höhle wurde von den explodirenden Gasen erheblich gedehnt, wodurch daon die Kugel selbst einen grösseren Umfang bekam und viel genauer in die „Züge" des Gewehrlaufs eingepresst wurde. Die Wirkung der explodirenden Gase sollte in dem Augenblicke des Austritts der Kugel aus dem Lauf sogar eine Umbiegung des hinteren, ausgehöhlten Theils der Kugel, nach Art einer Hutkrämpe, bewirken. Muss dieser letztere Vorgang auch bezweifelt werden, so steht doch anderer Seits fest, dass diese Hoblkugeln viel leichter als andere beim Aufschlagen ihre Form in höchst unregelmässiger Weise verändern und oft, namentlich an Knochen, in viele Stücke sich theilen.
Für die G r ö s s e der Kugeln ist bei der wechselnden Form das Gewicht der beste Maassstab. Dasselbe beträgt bei Pistolenkugeln durcbschnittlich etwa 2 Loth (27 Grammen), bei Flintenkugeln erhebt es sich bis gegen 3 Loth, bei BUchsenkugeln bis zu 3'/ t Loth (50,15 Grammen). Diese schwerste Art der Kugeln führten früher die französischen Jäger und Zuaven. Die Geschosse der Mitrailleusen (Kugelspritzen) wiegen über 3 Loth (60 Grammen). — Das in der preussischen Armee seit 1850 allgemein eingeführte, eiförmige „ L a n g b l e i " wiegt nur 2 —, das cylindroconische Geschoss des Chassepot-Gewehrs nur l 1 / , Loth. lieber die Form nnd Grösse der Geschosse in den verschiedenen Heeren giebt genaueren Aufscbluss: Z e c h m e i s t e r , die Schusswunden und die gegenwärtige Bewaffnung der Heere, München, 1864, mit 2 Taf.; jedoch fehlen daselbst die preussischen und die dänischen Geschosse, welche G u r l t in der Berliner klin. Wochenschrift, 1864, genau beschrieben und abgebildet hat. Vgl. auch H. F i s c h e r , I. c. pag. 100 u. f. — Nachdem das preussische Hinterladungsgewehr sich (1864 und 1866) glänzend bewährt hatte, sind fast alle Heere mit ähnlichen SchusswafTen versehen worden und somit die auf das Eintreiben der Kugel in die Züge des Laufs berechneten, zum Tlieil sehr wunderlichen Formverschiedenbeilen der Geschosse überflüssig gemacht und grössten Theils schon in Vergessenheit gerathen.
Die Wirkungen der F l i n t e n k u g e l n , welche wir als Typus für die in Rede stehenden kleinen Geschosse betrachten, sind im Allgemeinen folgende: 1) Prellschüsse, 2) Wunden mit Substanzverlust, und zwar a) Streifschüsse, b) Schusscanäle (bald blind, bald vollständig durchbohrend), 3) Amputationen ganzer Körpertheile. 1) P r e l l s c h ü s s e , d. h. C o n t u s i o n e n o h n e H a u t w u n d e , entweder wegen der schiefen Richtung, oder wegen relativ zu ge-
661
Schußwunden.
ringer Kraft (Schnelligkeit) der Kugel. Die verschiedenen Grade der Quetschung (vgl. pag. 64!) zeigen sich, je nach der Gewalt, mit welcher die Kugel einwirkte. 2) W u n d e n mit Substanzverlust, — von verschiedener Form, je nachdem die Kugel mehr s c h i e f oder r e c h t w i n k l i g auf die Körperoberfläche aufgeschlagen hat. a) Im erstferen Falle bildet die Schusswunde einen Halbcanal von mehr oder weniger Tiefe, — S t r e i f s c h u s s . b) Trifft die Kugel dagegen ganz oder doch nahezu r e c h t w i n k l i g auf, so bohrt sie einen C a n a l und bleibt a) entweder im Fleisch stecken, — b l i n d e r S c h u s s c a n a l , oder ß) sie geht durch den getroffenen Theil ganz hindurch, — vollständiger Schusscanal. Der v o l l s t ä n d i g e Schusscanal besitzt also zwei O e f f n u n g e n , und diese haben, namentlich in der ersten Zeit nach der Verwundung, ein verschiedenes Aussehen. Die E i n t r i t t s - oder E i n g a n g s - O e f f n u n g ist regelmässiger, stärker gequetscht, und ihre Ränder sind nach Innen gerichtet, die A u s t r i t t s - O c f f n u n g ist unregelmässiger, stärker zerrissen, und ihre Ränder sind nach Aussen gerichtet. Dies Verhalten sollte, nach der früheren Annahme, aus der Verschiedenheit der Kraft des Geschosses und des Widerstandes der Gewebe erklärt werden. Bei ihrem Eintritt ist, nach dieser Auffassung, die Kugel noch in voller Kraft, die unter der Haut liegenden Gewebe leisten Widerstand nach Art eines Stützpunktes für die Haut, sie wirkt daher zerschmetternd; die Eintrittsöffnung ist eine Wunde mit Substanzverlust. Je mehr sie aber vordringt, desto mehr verlangsamt sich ihre Bewegung, sie drängt die Gewebe auseinander und zerreisst sie, bis sie endlich wieder zur Haut gelangt, diese vor sich hertreibt und in Lappen spaltet; die Austrittsöfifnung ist daher eine gerissene Wunde. Die Erklärung enthält aber nur einen Theil der Wahrheit. Das Wesentliche ist das Verhalten der Haut, welche beim Eindringen der Kugel gegen die unter ihr liegenden Gewebe gequetscht, beim Austritt derselben bis aufs Aeusserste gedehnt, mithin schliesslich zerrissen wird. B. v. L a n g e n b e c k 1 ) hat diese Verhältnisse zuerst klar erläutert mit folgenden Worten: „Bei massiger Länge des Schusscanals ist der Eingang eine •) Bemerkungen zu J. H u n t e r ' «
Abbandl. v. d. S c h u s s w u n d e n ,
in d. neuen
Ausg.
d. deutschen Uebersetzung von „ J o h n H u n t e r ' s säromll. Werken prakt. I n h a l t s " t. B r a n d i s » .
Berlin
1849.
662
VerlelxaBgen.
„gequetschte, der Ausgang eine gerissene Wunde. Dies rührt nicht „von der verminderten Schnelligkeit der Kugel her, d e n n w e n n „ b e i d e S c h e n k e l d u r c h s c h o s s e n w u r d e n , so v e r h ä l t es s i c h „ a m z w e i t e n e b e n s o w i e am e r s t e n . Der Grund ist der ver„schiedenartige Widerstand der Theile und die verschiedenartige Trenn u n g . Am Eingang hat die Kugel den Widerstand der Haut und die „unterliegenden Weichtheile zu Uberwinden; der der ersteren ist bendeutender, daher werden die übrigen Weichtheile gequetscht. Am „Ausgang sind alle Theile überwunden bis auf die Haut, es ist kein „Grund zur Quetschung, nur noch zum Reissen." Es können aber auch besondere Verhältnisse sowohl des Geschosses, als auch des verletzten Theils auf Form und Grösse der Oeffnungen Einfluss ausüben. Bei grösster Schnelligkeit der Kugel (wenn mit voller Ladung aus nächster Nähe geschossen wurde) sind beide Oeffnungen gleich gross und gleich regelmässig. Eine plattgedrückte Kugel kann mit ihrem grössten Durchmesser eindringen und mit dem kleinsten austreten; alsdann ist die Eintrittsöffnung die grössere von beiden. Wird eine Kugel während sie einen Körpertheil durchdringt, platt gedrückt, so ist die Austrittsöffnung bei Weitem die grössere, wenn die Kugel nicht etwa mit der schmalen Kante voraus ihren Weg fortgesetzt hat. Theilt sich eine Kugel, während sie ihren Canal bohrt, so findet man, wenn nur ein Stück durchschlägt, eine relativ kleine, andern Falls aber mehrere kleine Ausgangsöffnungen. Die Zahl der letzteren kann auch durch fortgerissene fremde Körper und hindurchgetriebene Knochensplitter vermehrt werden. War die Haut an der Stelle der Austrittsöffnung sehr elastisch und wurde daher erst nachdem sie bedeutend ausgedehnt worden war von der Kugel zerrissen, so kann durch die nachfolgende Zusammenziehung der elastischen Haut die Austrittsöffnung später viel kleiner, als die Eintrittsöffnung erscheinen. Der S c h u s s c a n a l bietet oft unregelmässige A u s b u c h t u n g e n dar, welche bald von der Beschaffenheit des Geschosses, bald von der verschiedenen Consistenz und der nachträglichen Verschiebung der Muskeln des durchschossenen Theiles herrühren. B l i n d e S c h u s s c a n ä l e haben einige Aehnlichkeit rillt Stichwunden, nur mit dem Unterschiede, dass sie in der Tiefe weiter sind, als am Eingange. Gewöhnlich kann man aus der Abwesenheit einer zweiten Oeffnung schliessen, dass die Kugel stecken geblieben ist, und bei Anwesenheit zweier Oeffnungen annehmen, dass kein fremder Körper in der Wunde steckt. Aber es kann sich auch anders verhalten. Die Kugel kann einen Theil der Kleidungsstücke vor sich
Schusswanden.
663
heigetrieben haben und, indem diese aus der Wunde herausgezogen wurden, mit denselben entfernt worden sein, so dass m a n , obgleiéh nur eine Oeffnung vorhanden ist, doch keine Kugel in der Wunde findet. Auch können Muskelbewegungen und Lageveränderungen sie heraustreiben, wenn sie nicht tief sitzt. Anderer Seits kann die Wunde auch zwei Oeffnungen haben und doch noch einen fremden Körper enthalten. Wenn der Schuss zwei Kugeln enthielt, so geht zuweilen nur eine hindurch; es können sogar beide Kugeln im Schusscanale stecken bleiben, wie z. B. B e c k 1 ) in Freiburg beobachtete. Auch kann sich eine Kugel, wie bereits erwähnt, an einem Knochen oder dgl. in zwei und mehr Stücke spalten, von denen n u r eins hindurchgeht. Ausserdem bleiben Stücke der Kleidung, wohin auch Knöpfe, sowie Uhrschlüssel und Geldstücke zu rechnen sind, nicht seilen in Schusswunden zurück. Endlich muss man die Knochensplitter und die zermalmten Gewebe gleichfalls als fremde Körper ansehen. In Bezug auf letztere wäre also eigentlich fast jede Schusswunde mit fremden Körpern complicirt. 3) Auch eine Art von A m p u t a t i o n kann durch Flintenkugeln geschehen, wenn sie mit grosser Schnelligkeit auf Theile auftreffen, deren Durchmesser geringer ist, als ihr eigener, wie z. B. ein Finger, die Nasenspitze, ein Ohrläppchen. Diese Wunden sind in der Regel rein und heilen daher schnell. Die v e r s c h i e d e n a r t i g e W i r k u n g der Kugel b e r u h t , nach L a n g e n b e c k 1 ) , auf mehreren Causalmomenten, und z w a r : der Schnelligkeit derselben; dein Winkel, unter welchem sie eindringt; der Spannung oder Erschlaffung der Gewebe, wobei besonders die Stellung von Einfluss ist; 4) dem Kaliber und der Form der Kugel.
B. v. 1) 2) 3)
Mit Recht erklärte v. L a n g e n b e c k die besonders von D u p u y t r e n * ) und B a u d e n s 4 ) begründete Ansicht, dass die erschütternde und zerstörende Wirkung der Kugel auf sehr stark Widerstand leistende Gewebe, z. B. Knochen, in geradem Verhältniss zu ihrer Schnelligkeit stehe, diejenige auf weiche und wenig Widerstand leistende dagegen ' ) B e c k , Die Scbusswunden ( 1 8 5 0 ) pag. 4 7 . *) 1. c., Bemerkung zu Seite 8 8 4 . *) Leçons orales de clinique chirurgicale, ')
deuxième édition,
Clinique des plaies d'armes à feu, 1 8 3 6 , pag. 1 5 u. f.
Paris,
1 8 3 9 , Tom. V.
664
Verleitungen.
sieb umgekehrt zur Schnelligkeit der Kugel verhalte, für irrig. So allgemeine Aussprüche sind Uberhaupt unzulässig, da die Bedeutung der Verletzung vor Allem von ihrer Ausdehnung und ihren Complicationen abhängt. Dagegen lassen sich in Betreff der Verschiedenheiten der Schusswunden folgende Sätze aufstellen. 1. Die Mortification (Zermalmung) der von der Kugel direct getroffenen Gewebe ist um so vollständiger, je kraftvoller die Kugel war, d. h. je schneller sie sich bewegte. 2. Die Schusswunde ist um so einfacher, je schwächer die Bewegung der Kugel ist, und je mehr sie unter stumpfem Winkel auftrifft. D u p u y t r e n ' s Satz, dass die Wirkung der Kugel auf den Knochen in geradem Verhältniss zu ihrer Schnelligkeit stehe, ist dahin abzuändern, dass Knochenverletzungen desto häufiger sind, je grösser Kraft und Schnelligkeit der Kugel waren. — Kräftige Kugeln gehen gerade durch; die Kraft schwächerer wird an einem Knochen ganz gebrochen, wenn sie unter rechtem Winkel aufschlagen; sie wird abgelenkt, wenn ihr Eintrittswinkel kein rechter war. Den minder kräftigen Kugeln weichen alle elastischen Theile aus. — Je grösser die Nähe, aus der gekämpft wird, desto grösser die Zahl der unmittelbar tödtlichen Schusswunden und der Knochenverletzungen. 3. Die Verletzung ist um so reiner, je schneller die Ku«el eindringt 1 ) und je mehr sie die Theile unter einem rechten Winkel trifft, obgleich D u p u y t r e n und B a u d e n s gerade das Gegentheil behaupten. Trifft eine Kugel mit voller Kraft und unter rechtem Winkel, so ist ihre Wirkung verschieden, je nach dem Widerstand der Theile. An einem Knochen z. B. kann sie platt gedrückt, oder wenn sie gegen einen scharfen Knochenrand anschlägt, zerschnitten werden. Trifft eine solche Kugel auf einen festen, jedoch porösen Körper, z. B. einen spongiösen Knochen, so treibt sie wie ein Keil einen Schusscanal durch denselben, welcher enger ist, als ihr Durchmesser; Splitterung findet sich nur an der Ausgangsöffnung. Ein glasartig brüchiger Knochen wird von einer solchen Kugel mit einem kreisrunden Loch durchbohrt. Trifft sie unter stumpfem Winkel auf einen harten Knochen, so wird eine sehr kräftige Kugel in viele Stücke zersplittert. Unter gleichen Verhältnissen wird ein glasartig brüchiger Knochen in viele Fragmente zerschmettert. Je matter die Kugel und je stumpfer der Eintrittswinkel, desto bedeutender ist die Zersplitterung harter Knochen. Hierbei ist jedoch auch die Grösse und das Gewicht der ' ) Dieser Satz steht wörtlich bereits bei J. H u n t e r (Works ed b. Palmer, Vol. III. pag. 5 4 5 ) : „Ihe greater the velocity of the ball, the cleaoer it wounds the parls; so mueb so as almost to be s i m i l a r t o a c u t w i t b a s b a r p
iostrument."
665
Schusswnnden.
Kugel in Anschlag zu bringen, da der Umfang der Verletzung in sehr rascher Progression mit diesen beiden Factoren wächst. Am Zerstörendsten wirken, kugeln,
nach v. L a n g e n b e c k , verhUltnissmässig die S p i t z -
weil sie srhwerer s i n d , als a n d e r e Flintenkugeln, und weil sie beim Ein-
dringen ihrer Spitze immer matt werden. — k o m m t ausserdem
noch
häufige Zersprengung Stroiueyer
in
die pag. 6G0
Bei den f r a n z ö s i s c h e n
erwähnte
zackige Stücke
als
Abänderung
n a c h t e i l i g e s Moment
(Handbuch der Chirurgie pag. 7 7 9 )
Flintenkugeln
in ihrer Wirkung
und
die
in Betracht.
—
widerspricht der Ansicht,
Spitzkugeln grössere Zerschmetterung der Knochen hervorbrächten, runden
Hohlkugeln
ihrer Gestalt
ganz gleich.
dass die
und stellt sie den
Anch weist er n a c h ,
dass die
populäre Meinung, sie machten in die Kleidungsstücke T-förmige L ö c h e r , unbegründet ist. — B. B e c k (I. c. pag. 3 2 ) spricht sich ebenfalls gegen die Ansiebt von v. L a n g e n b e c k aus und meint im Gegeotheil, die Spitzkugeln bohrten sich häufiger eine regelmässige Oetfnung uline Splitterung, wichen häufiger den knöchernen Parthien a u s und würden ü b e r h a u p t Icirhler abgelenkt. angegebenen G r ü n d e ,
Mag auch der zweite der von v. L a n g e n b e c k
dass die Spitzkugeln
beim Eindringen
der Spitze m a t t würden,
nicht zu halten s e i n , weil sie aus den jetzigen Gewehren mit allzu grosser Schnelligkeit fortgeschleudert werden, so bleibt doch ihr grösseres Gewicht grade neben dieser Schnelligkeit ein bedeutendes Moment.
Die Wunden der Jahre 1 8 6 4 und 1 8 6 6 haben
gezeigt, dass die Spitzkugel vor dem preussischen L a n g b l e i mindestens nichts voraus bat.
Die Kugeln der K a r t ä t s c h e n u n d S h r a p n e l s stimmen in ihrer Wirkung wesentlich mit den Flintenkugeln iiberein; nur sind alle durch sie veranlassten Verletzungen, ihrer bedeutenderen Grösse entsprechend, beträchtlicher; die Schusscanäle sind weiter, die Brandschorfe dicker, die Erschütterung helliger. HI. K a n o n e n k u g e l n , g r o b e s G e s c h o s s , V o l l k u g e l n 1 ) . 1) Q u e t s c h u n g e n (Prellschüsse) kommen durch grobes Geschoss noch viel häufiger und in sehr viel grösserem Maassstabe vor, als durch Gewehrkugeln; sie entstehen, wenn die Kugel bereits matt ist, sehr schief aufschlägt, und beinahe ebenso viel durch ihr Gewicht wirkt, als durch die geringe Bewegung, in der sie sich noch befindet (sog. L u f t s t r e i f s c h ü s s c , pag. 656). Trifft sie alsdann auf eine Extremität, so können bei unversehrter Haut alle inneren Theile derselben zermalmt werden. In der ersten Zeit kann die Diagnose in solchen'Fällen schwierig sein, weil die von Blutergüssen durchsetzten Gewebe Anfangs noch sehr resistent sind. D e l p e c h erwähnt einen Fall der Art, wo man nach dem Tode einen vorher nicht vermutheten Knochenbruch vorfand. In Folge dieser gewaltigen Contusionen entsteht alsbald eine bedeutende Anschwellung und daher in den unter fibrösen Häuten gelegenen Theilen eine beträchtliche Einklemmung durch letztere, so dass es nothwendig ist, möglichst schnell einzu•) H o h l k u g e l n
(Bomben
und G r a n a t e n )
sie geplatzt sind, ganz wie Vollkugeln.
verhalten s i c h ,
wenn sie t r e f f e n , bevor
666
Verletzungen.
greifen. Die Verwüstungen, welche bei dem Anschlagen solcher Kugeln auf den Thorax oder Bauch entstehen, sind wahrhaft unglaublich: Zerquetschung der Lungen, Zerreissung der Leber u. s. w. Man bekommt eine klare Vorstellung davon nur durch die Section, zu welcher die Gelegenheit in allen diesen Fällen leider durchweg häufig ist. Hier fällt natürlich die sonst gerUhmte Unschädlichkeit subcutaner Verletzungen ganz fort. 2) Die durch Kanonenkugeln veranlassten o f f e n e n W u n d e n bieten nicht so viele Verschiedenheiten dar, wie die .durch Flintenkugeln entstandenen. Sie sind weit, sehr stark gequetscht und meist mit bedeutendem Substanzverlust verbunden. Manchmal werden grosse Fleischlappen, ein ganzes Glied, sogar mehrere Glieder fortgerissen; sie machen, da der Durchmesser der Kugel oft grösser ist, als derjenige des getroffenen Körpertheils, viel häufiger A m p u t a t i o n e n , als. die Flintenkugeln. Einklemmung ist weniger häufig, desto gewöhnlicher mächtige Erschütterung des ganzen Rumpfs. Nach der Abstossung des Brandschorfs sind diese grossen Wunden sehr empfänglich für alle äusseren Einflüsse, insbesondere für die Kälte; dies ist eine der Ursachen der Häufigkeit des Wundstarrkrampfes nach solchen Verletzungen. Kanonenkugeln bleiben sehr selten in der Wunde stecken. L a r r e y erzählt, dass er bei einer Amputation eine f ü n f p f ü n d i g e Kanonenkugel im Oberschenkel gefunden habe. D u p u y t r e n soll eine n e u n p f ü n d i g e Kugel in der Tiefe eines Schenkels entdeckt haben, die vorher von dem behandelnden Chirurgen nicht bemerkt war. IV. S t ü c k e v o n g e p l a t z t e n G r a n a t e n u n d B o m b e n zerreissen die getroffenen Theile gewöhnlich sehr unregelmässig und quetschen sie zugleich in bedeutendem Umfange, da sie ihrer unregelmässigen Gestalt wegen bald matt werden. Sie bedingen eine viel geringere Erschütterung als Kanonenkugeln und bleiben oft in der Wunde stecken. — Furchtbare Zerstörungen richten die K e t t e n k u g e l n an, d! h. zwei Halbkugeln, die durch eine Stange von Eisen in gewisser Entfernung von einander verbunden sind l ). Man wendet sie jedoch gewöhnlich nur gegen das Takelwerk der Schiffe an. V. I n d i r e c t e G e s c h o s s e , Steine, Holzsplitter u. dgl. bewirken besonders Wunden mit ausgedehnten Zerreissungen. Sind sie nicht sehr voluminös, so bleiben ' ) H i p p o l y t e L a r r e y ( d e r Jüngere), Histoire chirnrgicale du siege de la ciladelle d'Anvers, in Recueil de mdmoir. d. chir. milit. T. XXXIV.
Schusswunden.
667
sie fest im Fleische stecken, und veranlassen sehr heftige Schmerzen. Kanonenkugeln zersplittern fast immer den einen oder anderen Knochen, und diese Splitter wirken wie indirecte Geschosse. Grosse Ilolzstiicke, Tornister, Patrontaschen u. dgl. können, wenn sie durch eine Kugel in Bewegung gesetzt, aber nicht mit grosser Gewalt fortgetrieben werden, sehr umfängliche Quetschungen veranlassen, die oft irrthUmlich als „ L u f t S t r e i f s c h ü s s e " gedeutet worden sind. Verlauf der Verwauduugen durch Geschosse iai Allgemeiuen. Um die Mehrzahl der von F l i n t e n k u g e l n erzeugten Wunden beobachtet man, gleichsam in Ringen, die verschiedenen Grade der Quetschung. Der erste dieser Ringe, welcher die Ocffnung unmittelbar umgiebt, zeigt vollkommene Mortification; auch der zweite Ring stirbt wahrscheinlich ab; seine Erhaltung ist nur möglich, wenn die Entzündung gemässigt wird. Im weiteren Kreise folgen dann Schichten, die in Folge der plötzlichen Zerreissung demnächst der Sitz einer heftigen Entzündung werden, und endlich kann sich eine leichtere Quetschung, sowie ein diffuser Bluterguss noch sehr weit erstrecken. In dem dritten der bezeichneten Ringe entwickelt sich zuerst Entzündung; die Gewebe schwellen an und eitern sehr bald. Ist die Entzündung aber nicht zu heftig, so kann der zweite Ring noch erhalten weiden, und es wird blos der eigentliche Brandschorf abgestossen, in der Art, dass einzelne Stückchen desselben allmälig mit dem Eiter herausbefördert werden. Hemmen aber aponeurotische Gebilde die freie Entwickelung der Entzündungsgeschwulst, oder ist die Verletzung zu bedeutend, oder endlich der Verletzte von schlechter Constitution, durch Blutverluste, schlechte Nahrung oder Übermässige Anstrengungen sehr geschwächt, so erstreckt sich die brandige Zerstörung weiter. Dann wird auch die Entzündung sehr viel heftiger. Bei gewaltiger Erschütterung kommt die Entzündung langsam oder gar nicht zu Stande. Dann tritt Verjauchung und Resorption der Jauche (Septichaemie) ^ein, da die Umgegend vorher nicht durch eine plastische Entzündung abgegrenzt worden ist, und der Tod ist die gewöhnliche Folge. — Unter besonders günstigen Verhältnissen können Schusswunden aber auch einen sehr milden Verlauf haben; zuweilen zeigt sich kaum ein geringes Anschwellen der Umgegend, wodurch die Wunde geschlossen wird, es kommt noch etwas Eiter heraus und damit ist Alles beendet. Beobachtungen von L a r r e y , S a n s o n , G u s t a v S i m o n u. A. bestätigen die bereits von J. H u n t e r ausgesprochene Ansicht, dass Schusswunden ohne Eiterung heilen können. Die Mehrzahl der Wundärzte (unter den Neueren namentlich auch
668
Verletzungen.
S t r o m e y e r und B. v. L a n g e n b e c k ) bat freilich eine unmittelbare Vereinigung ohne Eiterung bei Schusswunden niemals beobachtet 1 ), aber ich habe deren doch selbst ein Paar gesehen und vermag die theoretischen Zweifel an der Möglichkeit solcher Heilungen nicht zu theilen (vgl. pag. 628 u. f.). Die E i n g a n g s ö f f n u n g , an welcher die stärkste Quetschung und der bedeutendste Substanzverlust sich findet, hat im Allgemeinen die g e r i n g s t e N e i g u n g zum V e r h e i l e n . Die Narbe, durch welchc sie endlich verschlossen wird, ist gewöhnlich stark eingezogen. Je weiter von der Eingangsöffnung entfernt, desto geringer ist die Eiterung. G e w ö h n l i c h s c h l i e s s t sich die A u s g a n g s ö f f n u n g z u e r s t , etwa am siebenten Tage (J. H u n t e r ) . Man hat diese sogar ohne Eiterung heilen sehen, während die Eingangsöffnung mehrere Wochen lang eiterte. Hieran sind, nach B. v. L a n g e n b e c k , abgesehen von der stärkeren Quetschung der Eingangsöffnung, grossen Theils die eingedrungenen f r e m d e n K ö r p e r Schuld, welche immer d u r c h die E i n g a n g s Ö f f n u n g ausgestossen werden, was oft erst nach 5—6 Wochen geschieht*). Zuweilen vernarbt sogar der ganze Canal vor der Ausstossung, um sich zu diesem Behufe an der Eingangsöffnung später wieder zu öffnen. Dass die am Tiefsten, also für den Abfluss des Eiters am Günstigsten gelegene Oeffnung sich zuerst scliliesse, wie J. H u n t e r glaubte, wird von allen neueren Beobachtern gänzlich geleugnet. An den von französischen Hohlkugeln (vgl. pag. 660) herrührenden Schusscanälen konnte H. D e m m e ' ) in der Mehrzahl der Fälle einen Unterschied in der Heilungsfrist der beiden Oeffnungen nicht wahrnehmen. Von wesentlichem Einflüsse auf den Verlauf sind die Complicationen der Schusswunden mit Knochenverletzungen, Eröffnung grosser Blutgefässe, Verletzung von Nervenstämmen, von Gelenk- und grossen Körper-Höhlen. Vgl. Bd. II. u. III. Alle Gefahren grosser und langdauernder Eiterungen treten um so stärker hervor, je weniger die Schusswunde zu schneller Heilung geeignet ist. Flintenkugeln und Schrot können oft lange Zeit, auch nach vollständigem Verheilen des Schusscanals, im K ö r p e r v e r w e i l e n . Da wo die Kugel liegen bleibt, entwickelt sich alsdann eine Bindegewebswucherung, durch welche eine Kapsel um die Kugel gebildet wird. Aber später verlässt die Kugel ihren Ort doch fast immer; sie erregt ' ) Ausgenommen sind hier natürlich die pag. 6 5 8 erwähnten J
) Freilich
kann
man auch umgekehrt sagen:
Schrotscbüsse.
die fremden Körper werden deshalb
durch die Eingangsöffnung ausgestossen, weil diese sich zuletzt schliesst. ' ) ). c. pag. 3 0 . —
500
Beobachtungen.
Schusswunden.
669
allmälig, als fremder Körper, Verschwärung, durch welche ihr ein Weg gebahnt und sie nach und nach hinausbefördert wird. Kugeln können aber auch, freilich selten, auf ihrer Wanderung tödtliche Zufälle veranlassen. Man hat solche längere Zeit im Gehirn ohne üble Zufälle verweilen sehen, bis sie gegen die Basis cerebri hinabsanken und dann den Tod herbeiführten. — Am Häufigsten heilen sie noch in Knochen ohne üble Zufälle ein 1 ). — Aehnlich ist der Vorgang bei Verletzungen -durch K a n o n e n k u g e l n ; aber hier ist Alles aufs Höchste gesteigert. Da ist kein Gedanke an diese milde und begrenzte Entzündung ohne Eiterung. Die verschiedensten Gebilde sind in bedeutender Tiefe zerstört, fast immer sind Knochen zerbrochen, Stücke fortgerissen und einzelne Lappen hängen an dünnen Stielen. Welche Massen von Entzündungsursachen! Jeder mortificirte Theil wird ein neuer Reiz, der ganze Organismus ist erschüttert, und oft sind seine Kräfte nicht hinreichend, um Widerstand zu leisten. Denn wenn auch im Augenblicke des Ausbruchs der Entzündung ein Uebermaass von Reaction (ein sog. hypersthenischer Zustand) manchmal bedenklich zu sein scheint, so folgt mit dem Auftreten der stets reichlichen Eiterung eine desto grössere Erschöpfung. Nicht immer hat der Eiter freien Abfluss; die Wunde ist oft winklig und es bilden sich Eiterherde (sccundäre Phlegmonen, sog. Eitersenkungen) an versteckten Orten. Sucht man sie nicht auf, so begünstigen sie die purulente Infection oder doch die Erschöpfung des Kranken. Ist die Wunde mehr zerrissen als gequetscht, so nimmt sie in manchen Fällen von selbst eine regelmässige Gestalt an und verhält sich dann wie eine gewöhnliche eiternde Wunde. Es wurde bereits bemerkt, dass bei den Schusswunden immer E r s c h ü t t e r u n g besteht. Dies gilt besonders für die Wunden durch Kanonenkugeln. Welchen Zerstörungen muss man nicht entgegens e h e n , wenn keine Reaction erfolgt, selbst in den Theilen, welche nicht direct gequetscht worden sindl Der grösste Theil einer Extremität z. B. ist teigig infiltrirt, ohne Hitze, ohne Empfindung; und tritt endlich Entzündung a u f , so folgt alsbald mit der weit ausgedehnten Eiterung auch brandige Zerstörung. Dies muss man wohl beachten, wenn es sich um die Frage der Amputation handelt. hat
C o n s e c u t i v e B l u t u n g e n , welche immer sehr gefährlich sind, man besonders dann zu erwarten, wenn sich keine gehörige
') G. S i m o n , Uelier die Eiobeilung von Gewehrkugeln in spongiösen Knochen, Prager Vierteljahrsschrift 1 8 5 3 , I. pag. 1 6 4 .
Es handelte sich um runde Kugeln. — Die
neueren, überdies aus besseren Scbusswaflen eingetriebenen Geschosse (Spilzkugeln, cylindro-coniscbe Hublgeschosse, Langblei) hat man noch niemals einheilen
sehen.
670
Verletzungen.
Reaction entwickelt. Die vorläufig durch mortificirtes Gewebe verschlossenen Arterien mtissten definitiv obliteriren; aber in manchen Fällen bildet sich kein obturirender Thrombus 1 ), und die Gefässe stehen daher offen, sobald der Brandschorf abfällt. Die auf solche Weise herbeigeführten Blutungen sind eine neue Quelle der Erschöpfung und verschlechtern die Prognose in hohem Grade. Diagnostik der Scbnsswaoden. — Die durch Kanonenkugeln veranlassten g r o s s e n C o n t u s i o n e n sind fiir den Ungeübten zuweilen schwer zu erkennen; man hat selbst den Tod erfolgen sehen, ohne die Grösse der Verletzung geahnt zu haben. Die Unversehrtheit der Haut und die Resistenz derselben hindern eine genaue Untersuchung der unterliegenden Theile. Wenn aber der Verwundete über einen dumpfen, anhaltenden Schmerz klagt, wenn er von Zittern, Blässe und Entmuthigung oder von völliger Theilnahmlosigkeit ergriffen wird, oder wenn er sich andauernd in allgemeiner Aufregung befindet, so kann man eine tiefe und bedeutende Verletzung vermuthen, wenn auch kein deutliches und charakteristisches Zeichen einer örtlichen Verletzung diese Besorgniss vollkommen rechtfertigt. Zur Vervollständigung der Diagnose gehört die Kenntniss d e r A u s d e h n u n g u n d R i c h t u n g d e r W u n d e , die d e r v e r l e t z t e n O r g a n e , d e s G r a d e s d e r V e r l e t z u n g , die Gewissheit darüber, ob die K u g e l oder andere f r e m d e K ö r p e r in der Wunde sich befinden oder nicht, w o sie sich befinden u . d g l . Dies Alles aber lässt sich oft nur schwierig, oder auch wohl gar nicht bestimmen. Man hielt es früher für sehr wichtig, genau den Gang des Schusscanals zu kennen, und führte deshalb ohne alle Rücksicht und zu mehren Malen die Finger, oder metallenen Sonden in die Wunde. Dies Verfahren ist mit Recht schon von R a v a t o n und De L a m o t t e und in neuester Zeit, was den Gebrauch der Sonden betrifft, besonders von S t r o m e y e r getadelt worden. Die Untersuchung muss sobald als möglich nach der Verwundung und, wo möglich, in d e r s e l b e n S t e l l u n g , w i e b-ei d e r V e r l e t z u n g , vorsichtig mittelst des F i n g e r s vorgenommen werden. Dies hat schon A m b r o i s e P a r é gelehrt. Findet sich ein vollständiger Schusscanal, also eine Ein- und eine Ausgangsöffnung, so versucht man von beiden aus je einen Finger der rechten und linken Hand einzuführen und, wo möglich, eine Begegnung beider zu erreichen. Der Gebrauch der Sonden sollte auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, wo man in einem e n g e n ' ) Vgl. „Krankheilen der Arterien", in unserem II. Bande.
671
Schusswunden.
Schusscanal die Anwesenheit eines fremden Körpers, die Oeffnung eines Gelenkes oder dergl. mit Grund vermuthet. Jedenfalls sollte man ausser den Fingern n u r d i c k e Sonden und auch diese sehr vorsichtig anwenden. Namentlich gewähren dicke geknöpfte Sonden aus weichem Zinn (wie sie als „Zinnbougies" für die Urethra in Gebrauch sind) den doppelten Vortheil, sich leicht biegen zu lassen und die Weichtheile möglichst wenig zu insultiren. — Um die Diagnose zwischen K u g e l und K n o c h e n , welche keineswegs immer leicht ist, sicher zu stellen, hat N 6 1 a t o n eine Sonde angegeben, deren Knopf aus feinem, nicht glasirtem Porcellan (Biscuit) besteht, welches bei der Berührung mit Blei graue Flecke bekommt. Die gewünschte Sicherheit wird durch solche Sonden aber nicht erreicht, da Kugeln, welche vop Blutgerinnseln umgeben sind, einen grauen Fleck vielleicht nicht liefern, wiihrend Knochenstücke, an denen nur ein schwacher Bleisaum haftet, einen solchen ergeben können. — Zu demselben Zweck sind von verschiedenen Seiten e l e c t r i s c h e S o n d e n angegeben worden, d. h. metallene Sonden, deren Griffe mit einer galvanischen Batterie in Verbindung stehen, so dass, wenn zwischen den Knöpfen der Sonden ein Metallstück sieb befindet, die Kette geschlossen ist. Schaltet man zwischen Batterie und Sonde eine electromagnetische Klingel (Schelle) oder einen kleinen Galvanometer ein, so zeigt das Klingeln oder der Ausschlag der Magnetnadel den Schluss der Kette an. Am Meisten haben sich u n t e r diesen e l e c t r i s c b e n reich
u n d die von J u n k e r v o n L a n g e c k
ich wiederholt
mit Vortheil
Sonden
die von 0 . L i e b -
angegebenen b e n ä h r t .
angewandt h a b e , besteht
aus zwei in
Entere, einem
welche
elastischen
Catbeter eingeschlossenen Drähten, welche sowohl selbst, wie auch ihre kolbigen Endstücke isolirt sind und mit einem kleinen R u h m k o r f f ' s e h e n Apparat durch biegsame L e i t u n g s d r a h t e verbunden werden, welcher eine, durch Schluss der Kette in zu setzende Hagnetnadel Nadeln
an
enthält.
die Leitungsdrähte
pag. 5 1 7 . —
Um
angefügt werden.
Vgl. Berl. klin. Wochenscbr.
Der J u n k e r ' s e h e Apparat ( a n c h 1 8 7 0 construirt, aber erst 1 8 7 2 ,
klin. W o c h e n s c h r i f t No. 1, veröffentlicht) stimmt mit dem L i e b r e i c b ' s c h e n der
Bewegung
percutan die Kugel zu diagnosticiren, können
kleinen Batterie
und
der
Magnetnadel
wesentlich
tiberein.
Als
1870. Berl.
in Betreff
Kngelfinder
empfiehlt J u n k e r aber eine Zange, mit welcher die gefundene Kugel auch sofort a u s gezogen werden soll. griffen dar.
Dieselbe stellt geschlossen eine cylindrische S o n d e mit 2 Hand-
Die Blätter öffnen sich parallel zu einander und sind durchweg, aueb im
Bereich d e r Cbarnier-Schraube, von einander durch dünne Vulcanitschichten isolirt. h a k e n f ö r m i g umgebogenen F a s s - E n d e n b e r ü h r e n sich beim Schliessen n i c h t ; den Griffen, a n denen einen Vulcanitstift
die Leitungsdrähte befestigt w e r d e n ,
gebindert.
Die Kette wird also
Die
auch an
ist die Berührung durch
n u r geschlossen,
wenn
man mit
beiden Enden ein Metall (die Kngel) b e r ü h r t .
In Betreff der D i a g n ' o s e d e r E i n - u n d A u s g a n g s ö f f n u n g , welche sowohl in rein chirurgischer, als auch in forensischer Bezie-
672
Verleitungen.
hung von Wichtigkeit ist, gewährt oft die Beschaffenheit der Kleider einen Anhalt. An der Stelle der Eingangsöffnung findet sich in der Bekleidung stets ein Substanzverlust, welcher freilich der Grösse der Kugel nur höchst selten genau entspricht. Einzelne Fetzen sind abgerissen und in den Wundcanal hineingetrieben. Der Ausgangsöffnung dagegen entspricht immer ein einfacher oder unregelmässig ausgezackter Riss in den Kleidern, ohne Substanzverlust. Der Rand der Eingangsöffnung ist fast immer gequetscht und in den Schusscanal hinein etwas umgerollt. Der blaugraue Ring, von welchem er umfasst wird, ist aber nicht immer das Product der Quetschung, sondern kann auch durch unverbrannt fortgetriebene Pulverkörner oder durch einen feinen Ueberzug von Blei, welches sich beim Eindringen der Kugel von deren Oberfläche abgestreift hat, vielleicht auch durch die beim Aufschlagen entstehende Erhitzung der Kugel (pag. 656) bedingt werden. Proguose der Schasswaudeu. — Der Grad der Gefahr beruht auf der Beschaffenheit des Geschosses und der verletzten Theile, der Tiefe der Wunde und den Complicalionen durch fremde Körper etc. Vgl. pag. 663. Am Gefährlichsten sind die Schusswunden der grossen Blutgefässe und der Eingeweide-Höhlen, demnächst die in GelenkHöhlen eindringenden, dann die mit Knochenverletzung, wenn auch nur in der Diaphyse eines Knochens, verbundenen. Behaudluug der Schasswandeu iui Allgemeinen. — Aus so falschen Vorstellungen von der Natur der Schusswunden, wie sie die älteren Wundärzte hatten, musste natürlich auch eine fehlerhafte und gefahrvolle Behandlung derselben entspringen '). Da man von der vermeintlichen Vergiftung derselben ausging, musste das Ausbrennen als das wesentlichste Mittel erscheinen*). Erst Am b roi sc P a r é 9 ) hat diese grausame Behandlungsweise beseitigt. Er kam durch Zufall auf eine andere Therapie 4 ), während B a r t h o l o m e o ' ) Eine lehrreiche Uebersichl gab B i l l r o t h die Beurtheilung u n d Behandlung neueste Zeit", Berlin, 1 8 5 9 . —
in seinen „historischen Studien
über
der Schusswunden vom 15. J a h r b . bis auf die Vgl. auch tl. F i s c h e r , I. c. pag. 9 6 u f.
*) Vgl. die „vergifteten W u n d e n " , Cap. VII. dieses ' ) La m é t h o d e de traiter les playes faites p a r
Abschnitts.
les hacquebutes etc.
Paris, 1 S 4 5 ,
uod Discours premier s u r le fait des h a r q u e b u s a d e s et autres b a s i o n s à feu, z u erst gedruckt 1 5 7 5 ; in der neuen Ausgabe der Werke P a r é ' s «on Paris, 1 8 4 0 . 4
Malgaijue,
T. II. pag. 1 3 6 u. f.
) P a r é erzählt selbst ( I . e . ) , wie er nach der E r s t ü r m u n g des Pas-de-Suze
(1536)
in Verzweiflung gerathen sei, als es ihm a n Oel . f e h l t e , um bei allen Verwundeten die Schusscaniile mit siedendem Oel auszubrennen. sagt er, „eine Salbe aus Eigelb, Terpentkinül etc
„Ich m u s s t e au wen J e u .
s t a t t desien,"
Die Nacht
kuinte
673
Schusswunden.
Maggi1),
fast zu gleicher Zeit, auf durchaus rationelle Weise
nach eigenen Untersuchungen, das Irrthümliche der früheren
und Lehre
von der Vergiftung der Schusswunden nachgewiesen hat. Wenn durch das Geschoss nur eine gewöhnliche
Quetschung
veranlasst wurde, so hat man sie, je nach dem Grade der Quetschung, zu behandeln.
Wenn die Zermalmung der inneren Theile bei unver-
sehrter Haut eine Körperhöhle betrifft, so ist nichts zu thun, der Fall ist absolut tödtlich;
handelt es sich
in gleicher Weise um eine Ex-
tremität, so muss alsbald amputirt werden (vgl. Bd. IV.). Bei den S c h u s s - W u n d e n
sind alle die für die
Behandlung
d e r g e q u e t s c h t e n W u n d e n gegebenen Vorschriften maassgebend. Ausdehnung und Form der W u n d e ,
der bedeutende Substanzverlust
und die Anwesenheit fremder Körper erheischen besondere Berücksichtigung.
Abgesehen von der Stillung der Blutung und der Ent-
fernung der im Schusscanale steckenden fremden Körper, wird man bestrebt sein, d i e g e q u e t s c h t e , hältnisse einer einfachen
unebene W u n d e auf die
zurückzuführen;
Ver-
daher muss man
jedenfalls amputiren, w o die Kanonenkugel eine Extremität weggerissen, und einen unförmigen Stumpf zurückgelassen hat; man muss Stücke von Lappen abschneiden, welche doch bald absterben würden; muss im Allgemeinen
man
den Umfang der Wunde so viel als möglich
verringern und die Vereinigung zu erleichtern suchen. In dieser Absicht bat G. S i m o n , fussend auf der Ueberzeugung, dass bei vielen Schussrerletzungcn nur die nächste Umgebung der Eingangsöffnung gequetscht sei, den Vorschlag gemacht, d e n R a n d d i e s e r die W u n d e d a d u r c h
O e f f n u n g a b z u t r a g e n (Circumcision)
auf die V e r h ä l t n i s s e
einer reinen
und
zurückzuführen.
Der Schusscanal selbst soll überdies, zumal bei oberflächlicher Lage, durch eine seiner Richtung genau entsprechend
angelegte
graduirte Compresse, die mittelst einer Roll-
binde befestigt wird, genau c o m p r i m i r t Canals
zu erzielen.
werden, um Berührung der Wandungen
Dies Verfahren wird in Fällen,
wo
der Schusscanal
des
wenig oder
gar nicht gequetscht i s t , gewiss nützlich s e i n ;
aber diese Fälle sind, wie bereits b e -
m e r k t , namentlich auf dem Schlachtfeld s e h r
selten.
„ich nicht schlafen, weil mich der Gedanke quälte, ich würde alle die Verwundeten, „welche nicht mit siedendem Oel behandelt waren, vergiftet und todt
finden.
Ich
„ s t a n d deshalb sehr f r ü h auf, fand aber, ganz wider Erwarten, gerade bei diesen „wenig S c h m e r z in d e r W u n d e , keine E n t z ü n d u n g , keine Geschwulst und hörte, „ d a s s sie gut geschlafen h ä t t e n , während bei anderen, welche mit siedendem Oel „ b e h a n d e l t worden w a r e n , F i e b e r , grosse S c h m e r z e n , und in der Umgebung der „ W u n d e n Geschwulst und Entzündung sich zeigten. „schluss,
solche
arme
Verwundete
nie
Da f a s s t e i c h d e n wieder
so
grausam
Entzu
„ brennen." ') De vulnerum b o m b a r d a r u m ptomatura curatione tractatus. C a r t l e l e b e n , Chirurgie,
et sclopetorum globulis illatorum et de eorum symBononiae, 1 5 5 2 .
7. Aull, I,
Erschien erst nach des Verf. Tode. 43
674
Verletzungen.
Früher wandte man bei der Behandlung der Schusswunden fast allgemein die b l u t i g e E r w e i t e r u n g an. Mit grosser Heftigkeit ist über ihre Vortheile und ihre Nothwendigkeit gestritten worden. Zwei berühmte Englische Chirurgen vertreten die Extreme in dieser Lehre. B. B e l l ist ein fast unbedingter Lobredner der blutigen Erweiterung, während J. H u n t er sie mit wenigen Ausnahmen verwirft. Die Anhänger Bell's schreiben der Erweiterung folgende Vortheile zu: sie erleichtere die Ausziehung der fremden Körper; sie gewähre dem Extravasat besseren Abfluss; die röhrenförmige Wunde werde in eine offene Wunde verwandelt; die Trennung der Aponeurosen gewähre der Entzündungsgeschwulst mehr Freiheit. — J o h n H u n t e r entgegnet: das Einschneiden vermehre, als eine neue Verwundung, die Entzündung; die Wunden heilten ohne Erweiterung schneller; die Einschnitte schlössen sich sehr leicht wieder; sie seien auch unnütz zur Begünstigung des Austritts der Brandschorfe, weil die Wunde ohnehin, sobald sie in Eiterung stehe, weit genug sei; es sei noch zu beweisen, dass durch eine neue Verwundung die durch eine frühere bedingte Spannung aufgehoben werde. Auf die Ausziehung der fremden Körper legt H u n t e r kein grosses Gewicht; er vertraut „auf die grossen Hülfsmittel der Natur". Die Fragestellung musswohl folgende sein: I s t d i e E r w e i t e r u n g n o t h w e n d i g , w e i l e i n e K u g e l d u r c h ein G l i e d g e g a n g e n i s t , oder wird dieselbe erst d u r c h b e s o n d e r e U m s t ä n d e , d u r c h zu g r o s s e S p a n n u n g d e r T h e i l e , oder d u r c h die N o t h w e n d i g k e i t , e i n e n f r e m d e n K ö r p e r , der sich auf andere Weise nicht entfernen lässt, h e r a u s z u z i e h e n , indicirt? Dass die Erweiterung in g e w i s s e n Fällen nothwendig sei, darüber ist entschieden. Gegen die Einklemmung einer Entzündungsgeschwulst wird man überall gern prophylaktisch verfahren wollen. Daher lehrten Viele, man solle bei Schusswunden in solchen Theilen, deren anatomische Verhältnisse eine Einschnürung befürchten lassen, sogleich einschneiden, also, wo feste Aponeurosen durchschossen seien, wie an der hinteren Seite des Rumpfes, an der Hand und dem Vorderarm, am ganzen Bein, höchstens mit Ausnahme der inneren Fläche des Oberschenkels, endlich bei Gelenkwunden, sofern nicht amputirt werden müsse. Nach dem Vorgange von B a u d e n s 1 ) haben sich jetzt wohl alle ' ) Clinique des plales d'armes h f s u , Paris, 1 8 3 6 ; Baudens,
in d e r Vorrede pag. X ,
wie er zuerst bei einem Voltigeur, dem
erzählt
beide Schenkel im oberen
Oritttheil durchschossen waren, a u s M i t l e i d die blutige Erweiterung unterlassen, hiervon den glücklichsten Erfolg gesehen und sie seitdem nie wieder als prophylaktisches Mittel angewandt habe.
675
Schusswunden.
Stimmen') in der praktisch und theoretisch vollkommen begründeten Ansicht vereinigt, dass man, o h n e R ü c k s i c h t a u f d i e S t r u c t u r desTheils, erst eine bestimmte Indication zur E r w e i t e r u n g d e r W u n d e a b w a r t e n solle; sie würde also niemals p r o p h y l a k t i s c h vorzunehmen sein, sondern nur zu bestimmten Zwecken: um die Spannung zu heben, Adern zu unterbinden, fremde Körper zu entfernen. Die schon bei der Behandlung der Quetschungen empfohlenen ö r t l i c h e n B l u t e n t z i e h u n g e n , besonders durch zahlreiche Blutegel, haben sich auch bei Schusswunden oft nützlich erwiesen. Demnächst sind Anfangs kalte Begiessungen und kalte Umschläge zu empfehlen. Grade da, wo es sich um die Behandlung der meisten Schusswunden handelt, in Feldlazaretten nämlich, ist auf die energische und andauernde Anwendung der k a l t e n U m s c h l ä g e um so mehr Gewicht zu legen, als dort nur höchst selten ein hinreichender Vorrath von Blutegeln zu Gebote steht. Aber auch bei Schussverletzungen darf man die A n w e n d u n g d e r K ä l t e nicht zu lange fortsetzen (vgl. pag. 175 u. ff.). Sobald der Patient durch die Kälte sich nicht mehr erleichtert, vielleicht gar schon unangenehm berührt fühlt, muss man die kalten Umschläge mit warmen vertauschen. Da es sich gewöhnlich um die Behandlung einer grossen Anzahl von Verwundeten handelt, kann von der ausgedehnten Anwendung warmer Breiumschläge nicht die Rede sein. Die Erfahrung hat aber gerade bei diesen Verletzungen am Entschiedensten gelehrt, dass dieselben durch Umschläge von warmem Wasser, und sogar zum Vortheil der höchst wünschenswerthen Reinlichkeit, ersetzt werden können. Ja, man bedarf in den meisten Fällen gar nicht einmal des warmen Wassers, da der kalt aufgelegte feuchte Umschlag schnell warm wird und auch bleibt, sobald man ihn nur mit einem wasserdichten Stoff sorgfältig überall umhüllt. Dies ist für Feldlazarette sehr wichtig, denn man kann viel leichter wasserdichten Kattun, dünne Gummiplatten u. dgl. m. in Massen mit sich führen, als die für warme Umschläge erforderlichen Wassermengen fortdauernd warm erhalten. Mit der giössten Sorgfalt ist für die grösste Reinheit aller Verbandgegenstände zu sorgen. Strengste Desinfection und übertriebenste Reinlichkeit haben sich bei keiner Art von Verletzungen so werthvoll gezeigt, als grade bei Schusswunden. Deshalb ist auch zu hoffen, dass unter Anwendung der a n t i s e p t i s c h e n V e r b a n d m e t h o d e (vgl. pag. 150 u. 264 u. f.), welche in Kriegslazaretten bisher noch nicht hinlänglich erprobt worden ist, erheblich bessere Resultate als bisher auf diesem Gebiete zu erzielen sein werden. Jedenfalls sollte man alles ') Vgl. D. I.o ngen IJPCk, I. e„ Bemerkung zu pag. 900—906. — Beck, I. c. pag. 45.
43*
676
Verletzungen.
anzuwendende Wasser mit Carbolsäure oder hypermangansaurem Kali desinficiren. Sorgfältig unterscheide man von der wahren Entzündungsgeschwulst jene kalte, unempfindliche, gleichsam passive Geschwulst, in welcher durch antiphlogistische Behandlung die ohnehin gesunkene Lebensthätigkeit noch mehr beeinträchtigt werden würde; diese muss von Anfang an mit erwärmenden und reizenden Mitteln behandelt werden. Jedoch sei man sehr auf seiner Hut; denn kaum hat die Wärme in ihr sich zu entwickeln begonnen, so sind in der Regel, wegen des schnell eintretenden Zerfalls der Gewebe, auch schon Einschnitte nothwendig. Kaum braucht man heutzutage besonders zu warnen vor dem Gebrauch der Charpiepfröpfe, der Bourdonnets, der Haarseile und der reizenden Salben, die früher allgemein angewandt wurden. Der Verband werde wie bei gequetschten Wunden gemacht; nur sei man hier noch sorgfältiger, um Fistelgänge und Eitersenkungen zu verhüten. Gegenöffnungen werden in dieser Beziehung nicht zu scheuen sein. In einzelnen Fällen kann man sie durch einen Druckverband ersetzen, der ausserdem, wenn die Spannung nicht zu bedeutend ist, die Zertheilung befördert. Freilich kann dieses Mittel in ungeschickten Händen verderblich werden; es will genau studirt und geübt sein. Dem unbedingten Vertrauen, welches H u n t e r , in Bezug auf die Ausstossung f r e m d e r K ö r p e r , in die Kräfte der Natur setzt, kann man, nach sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Thatsachen, gewiss nicht Beifall schenken. Wäre man sicher, dass nur die Kugel in der Wunde steckt, so wäre ein exspectatives Verfahren eher zu billigen; aber in der Regel sind Fetzen der Kleidung mit hineingetrieben, welche im Wundsecret als Fäulnisserreger wirken. Deshalb sollen jedoch nicht langwierige und schmerzhafte Untersuchungen in Gegenden empfohlen werden, wo leicht zu verletzende Organe liegen. Es verhält sich hier wie mit fremden Körpern Uberhaupt: wenn die Ausziehung ohne Gefahr üblerer Verletzungen möglich ist, so muss sie vorgenommen werden und zwar m ö g l i c h s t f r ü h , — wenn es irgend sein kann, also noch auf dem Schlachtfelde. Dabei ist natürlich das Princip festzuhalten, dass nicht die Kugel (oder der fremde Körper überhaupt), sondern der Schusscanal geschont werden muss; manche ältere Instrumente scheinen gradezu auf das Gegentheil berechnet zu sein. Die I n s t r u m e n t e , deren man sich zum A u s z i e h e n v o n G e s c h o s s e n u n d a n d e r e n f r e m d e n K ö r p e r n aus Schuss- wie
Schusawunden.
677
aus Stich-Wunden bedient, sind: L ö f f e l , Z a n g e n und B o h r e r (Pfropfenzieher). Der Steinlöffel (vgl. Bd. IV.) hat als Muster gedient für den K u g e l l ö f f e l . Mit diesem sucht man die Kugel, indem man ihn hin und her wendet und dreht, zu fangen und gleichsam herauszuschöpfen. — Der Kugellöffel von T h o m a s s i n , welchen Boy er lobt, besitzt an der, der Aushöhlung des Löffels entsprechenden Seite des Stiels eine /fS^Sl l ' /Mi einspringende Binne, in welcher sich ein zugespitzer Stab auf- und abschieben lässt. Sobald QrS die Kugel mit dem Löffel gefasst ist, schiebt man den Stab abwärts und fixirt dieselbe, indem die Spitze des Stabes in sie eindringt. Die verschiedene Länge der Stiele, welche oben ringförmig gestaltet sind, zeigt den Durchmesser der Kugel an, und der Stab lässt sich gegen den Löffelstiel durch eine Schraube feststellen, so dass die Kugel nicht wieder entweichen kann. — B. v. L a n g e n b e c k ' ) hat einen Kugellöfifel, dessen Endstück sich durch einen ähnlichen Mechanismus, wie L e r o y ' s Curette articulée (vgl. Bd. IV.), rechtwinklig umbiegen lässt, erfunden und namentlich für tief sitzende Kugeln empfohlen. Fig. 1 4 0 in h a l b e r G r ö s s e .
D u r c h D r u c k auf d e n k u r -
zen H e b e l a r m
a wird die S t a n g e b n a c h Vorn
wodurch dann
d e r Löffel c, an w e l c h e m
geschoben,
für die Aufnahme
d e r S p i t z e e i n e r S p i t z k u g e l ein L o c h sich b e f i n d e t , r e c h t w i n k l i g gegen d e n Stiel gestellt w i r d .
I s t d e r Löffel n u n
v o r h e r a n d e r Kugel v o r ü b e r g e f ü h r t , so wird d i e s e wie m i t e i n e m g e k r ü m m t e n F i n g e r u m f a s s t u n d , w e n n sie n i c h t seitlich a u s w e i c h t , a u c h s i c h e r
hervorgezogen.
Die gewöhnliche K o r n z a n g e (Kugelzange) hat sich, wie in früheren Jahrhunderten, so auch in den letzten Kriegen wieder als das beste und sicherste Instrument f ü r d i e M e h r z a h l der F ä l l e bewährt. Sie wird geschlossen bis zur Kugel eingeführt; dann öffnet man sie und schiebt die beiden Branchen vorsichtig zu beiden Seiten der Kugel vorwärts, bis man glaubt, dass sie die Kugel vollständig umfasst haben, worauf man ')
D e u t s c h e Klinik
1 8 5 9 . Mo. 2 3 . pag. 2 4 5 .
Verletzungen.
678
sie kräftig zusammendrückt und mit
sanften seitlichen
Bewegungen
die Kugel hervorzieht. — J e mehr die Geschosse aber in neuerer Zeit, theils ihrer ursprünglichen Form nach, theils wegen ihrer Abplattung und Zertheilung (vgl. pag. 6 6 2 ) ,
von
der
Kugelgestalt
abweichen,
desto weniger passen Zangen, welche gerade auf das Umfassen einer Kugel berechnet sind, desto mehr handelt es sich um das Ausziehen unförmiger
Bleistücke.
Für solche
ist
die neuerdings
von
Luer
angegebene, sogen, a m e r i k a n i s c h e K u g e l z a n g e (welche eine entfernte Aehnlichkeit mit der alten R u d t o r f er'sehen Kugelzange hat) von besonderem Vortheil.
Dieselbe endet an jeder Branche in einen
kurzen scharfen, einwärts gebogenen Haken.
Beim Schliessen
der
Zange bewegen sich beide Haken gegeneinander und dann solcher Gestalt aneinander vorbei, dass die Spitzen beider gedeckt sind. Der Schluss kann in jeder Stellung durch das Ineinandergreifen an den Griffen befindlicher Zahnstangen gesichert werden.
kurzer
Das dabei
entstehende Geräusch könnte jedoch Irrungen veranlassen,
weshalb
wohl rathsam ist, diese Schliessvorrichtung fortzulassen. —
Mit die-
sem Instrument braucht man nicht erst die ganze Kugel zu umfassen; es genügt, wenn man irgend einen Theil derselben ergreifen kann, um Alles, was noch daran hängt, hervorzuziehen. In Betreff der J u n k e r ' s c h e n
Den T i r e - f o n d
Zange vgl. pag. 6 7 1 .
(Kugel-Bohrer), eine Alt Korkzieher
(Krätzer)
mit 2 Spitzen und 2 Gängen, benutzt man, wenn die Kugel in einen Knochen eingekeilt ist; aber um mit ihm in das
Blei einzubohren,
bedarf es eines so bedeutenden Druckes, dass die Kugel leicht noch tiefer gedrückt werden oder, wenn das Instrument abgleitet, eine gefährliche Verletzung entstehen könnte.
Für die Anwendung des Tire-
fond ist daher die grösste Vorsicht zu empfehlen. Percy
(Ueber das Ausziehen fremder
Körper aus Schusswunden.
PreiSscbrift.
Aus dem Französischen von T h . L a u t b .
der Kugelzange,
dem
dasselbe einer
Tribulcon
Geburtszange,
S c h l o s s sitzt, steckt,
dessen
Kugellöffel genannt.
und
dem
Tire-fond
ein
durch ein S c h l o s s vereinigt werden. Ende
Instrument
E s ist eine grosse Kornzange,
die
Rolle des
Ringes
in
gemacht
deren Arme,
Der Arm,
ist zur Hälfte von einem Canal durchbohrt, freies
Gekrönte
Strasburg, 1 7 8 9 . ) hat aus
an
welchem
welchem der
löffeiförmiges Ende.
das
Tire-fond
für diesen Zangenarm spielt.
andere Arm (der weibliche) besitzt statt des Ringes ein
und
wie die
So
Der hat
man- also, wenn man die beiden Arme trennt, in der einen Hand einen Kugellöffel, in der anderen Hand einen T i r e - f o n d , den man nur aus seiner Scheide herauszuschrauben braucht. a b e r auch geschlossen bewährt.
Ist
Alles
einzeln werden
zusammengesetzt, eingeführt
und
können.
Dies
so
erst,
bat
man
nachdem
schwerfällige
eine
Kornzange,
sie an
Instrument
die
Kugel
deren Dranchen angelegt
sind,
hat sich durchaus nicht
679
Schusswunden. Die in der französischen Armee auf den Vorschlag
von
Baudens
neben der a m e r i k a n i s c h e n Wundarzt
noch
Fig. 1 4 3 .
Fig. 1 4 4 .
Fig. 1 4 6 .
e i n g e f ü h r t e n , auch
immer zu
Z a n g e jedem
empfehlenden
In-
strumente zum Ausziehen der Kugeln sind folgende:
1) die K u g e l z a n g e
(Fig. 1 4 3 ) , eine
gewöhnlich s t a r k e Kornzange mit schwach ausgehöhlten S p i t z e n ,
scharfen Zähnen
und mit
L e w k o w i t z ' s c h e i n Gewinde, ähnlich einer Polypenzange.- 2 ) D e r T i r e - f o n d von B a u d e n s (Fig. 1 4 6 ) , welcher mit einer sehr feinen und leicht f a s s e n d e n , scharfen Schraube
versehen
ist, einen ziemlich
l a n g e n , starken
hölzernen
Handgriff
und i n
Scheide
besitzt,
einer
(Fig. 1 4 5 ) s t e c k t , in welche man das schraubenförmige (Fig. 1 4 4 )
E n d e des
eigentlichen
zurückziehen k a n n ,
um
Tire-fond vorher erst
die
W u n d e zu untersuchen
und die
Kugel zu entdecken. Die Figuren haben e i n V i e r t e l d e r n a t ü r l i c h e n In manchen
Fällen
kann
man a u c h andere,
fremden Körpern aus gewissen
Höhlen
und
Grösse.
eigentlich zur A u s z i e h u n g Canälen
von
bestimmte I n s t r u m e n t e
bei der E i t r a c t i o o von Kugeln benutzen.
Die Kugeln sind aber, wie wir bereits gesehen haben, nicht die einzigen fremden Körper, welche in Schusscanälen vorkommen. Anderweitige Theile der Ladung (Pfropfe, Pflaster), sowie Stücke de» Kleidung, welche häufig von der Kugel tief eingetrieben werden, sind mindestens ebenso sorgfältig und oft mit grösserer Schwierigkeit zu entfernen, als die Kugel selbst. Je mehr solche „fremde Körper" imbibitionslahig sind, desto mehr begünstigen sie die Zersetzung des Eiters und somit die Gefahren der Eiterung. In der Regel sucht man alle fremden Körper aus dem Schusscanale v o n . d e r E i n g a n g s ö f f n u n g her zu entfernen. Darauf ist auch die Gestalt der vorstehend beschriebenen Instrumente berechnet. Befindet sich aber die Kugel am entgegengesetzten Ende eines blinden Schusscanals nahe der Haut, so schneidet man dort auf sie ein und entlernt sie durch diese G e g e n Ö f f n u n g . Dies „Ausschneiden" der Kugel geschieht, sofern die Localität
der Verwundung
dies gestattet, am Besten in der Weise, dass m a n ein spitzes Messer bis i n die Kugel einstösst
und
die W u n d e
beim
Ausziehen
dilatirt.
Auf diese Weise ist man sicher
die Kugel nicht zu verfehlen.
Die Entfernung oberflächlich sitzender Schrot- und Pulverkörner ist nicht so leicht, als man zu glauben verleitet sein könnte. Erstere findet man in der Regel viel tiefer, als man nach der Untersuchung mit dem Finger glaubte; letztere können aus der Haut immer nur einzeln und daher sehr mühselig mit einer Staarnadel oder einem
680
Verletzungen.
spitzen Messer ausgegraben werden. Es ist daher wiinschenswerth, sie auf indirecte Weise zu entfernen. Die in dieser Beziehung ran H ö r i n g (Medicin. Correspondenzbl. d. würlemberg. Aerzte, 1 8 5 6 , No. 3 9 ) gerühmte Wirksamkeit des A m m o n i u m ist noch
nicht
weiter bestätigt.
Derselbe liess
dies Präparat,
bi-hydrothionicum mit gleichen Tbeilen
destiilirten Wassers gemischt, f ü n f m a l täglich in Waschungen anwenden.
Nach fünf-
tägiger Anwendung waren an der Stelle der Pulverkörner n u r noch rothe Flecken übrig, welcbe d u r c h Waschungen mit verdünntem Chlorwasser beseitigt wurden. — Praktisch bewährt ist der Vorschlag von B u s c h (Archiv f. patholog. Anatomie 1 8 5 9 ) , durch pinseln
mit
einer
starken
Sublimatlösuug
Be-
Hautentzündung mit Abstossung
der Epidermis zu erregen, wobei die Pulverkörner ausgestossen werden.
Die Sorge für die S t i l l u n g d e r B l u t u n g erwähnen wir hier nur deshalb zuletzt, weil wir dieser Hilfeleistung bei Schusswunden v e r h ä l t n i s s m ä s s i g selten bedürfen. Es versteht sich aber wohl von selbst, dass sie, wie bei allen Wunden, so auch hier in den Vordergrund tritt, sobald überhaupt eine irgend erhebliche Blutung vorhanden ist. Selten kann man das verwundete Gefäss unterbinden, ohne den Schusscanal zu erweitern. Ist dies seiner Lage wegen nicht wünschenswerth, so sucht man durch Coinpression oder Tamponade des Schusscanals der Blutung Herr zu werden, oder unterbindet die blutende Arterie an einer leicht zugänglichen Stelle oberhalb der Wunde, — was freilich, wie wir bei den Verletzungen der Arterien (Bd. 11^ genauer zu erläutern haben, viel weniger sicher ist. Auf die Behandlung der bei Schusswunden Knochenverletzungen
so überaus häuligen
und
wichtigen
kann erst bei deren specieller E r ö r t e r u n g iui II. Bande ein-
gegangen werden.
Bei allen Schussverletzungen ist die Sorge für das Allgemeinbefinden von grosser Bedeutung. In dieser Beziehung sind daher die Erläuterungen, welche das nächste Capitel giebt, besonders zu beachten.
S e c h s t e s
C a p i t e l .
Von den Störungen des Allgemeinbefindens bei Wunden. Wir haben bis jetzt nur die localen Verhältnisse der Verletzung erörtert; aber so wie der Zustand des Gesammtorganismus nicht ohne Einfluss auf dieselbe bleibt, so übt auch die Wunde ihrer Seits auf den übrigen Körper einen Einfluss aus, durch welchen eine Reihe von Erscheinungen hervorgerufen wird, die man a l l g e m e i n e genannt hat. Wundstupor,
Shock.
Bei schweren Verletzungen, namentlich solchen, die mit erheblicher und ausgedehnter E r s c h ü t t e r u n g (vgl. pag. 641) verbunden
681
Wundstupor.
sind, stellt sich, in unmittelbarem Anschluss an den Act der Verletzung, meist nur ganz vorübergehend, eine dem Grade der Erschütterung an Intensität und Ausdehnung entsprechende Empfindungslosigkeit, bald mit, bald ohne gleichzeitig emotorische Lähmungen ein, die man als W u n d s t u p o r bezeichnet hat. Die Englischen Chirurgen fassen alle Erscheinungen von Depression oder Lähmung, welche nach einer gewaltsamen Einwirkung auftreten, unter dem Namen „ S h o c k " zusammen 1 ). Die einwirkende Gewalt braucht aber, nach der Englischen Auffassung, durchaus nicht immer eine mechanische oder gar speciell erschütternde Verletzung gewesen zu sein; ja es bedarf überhaupt gar nicht einer materiellen Einwirkung; denn es werden nicht blos Einwirkung der Kälte und narkotische Gifte, sondern auch psychische Einflüsse als Ursachen des „ S h o c k " aufgeführt*). Auf solche Weise wird das Gebiet des Englischen „Shock" ein sehr weites. B i l l r o t h 3 ) beschränkt dasselbe, indem er „den paralysirenden Einfluss einer plötzlichen und heftigen Nervenverletzung auf die Herzthätigkeit" als „Shock" bezeichnet und die Fälle von Ohnmacht (Syncope) durch grosse Blutverluste und durch psychische Eindrücke (Gemüthsbewegungen) ausschliesst. Grade die schlimmsten, namentlich die direct tödtlichen Fälle eines solchen „Shock" im engeren Sinne kommen aber in Folge heftiger Erschütterungen vor. Am Deutlichsten ist dies bei der Erschütterung des Gehirns (vgl. Bd. III.), bei welcher auch kein Zweifel darüber sein kann, dass wirklich das Nervensystem direct betroffen ist. Aber auch Erschütterungen des Thorax und des Abdomen (namentlich ein Schlag auf die Herzgrube) können sofort tödten, ohne dass materielle Veränderungen (Zerreissungen) der Eingeweide als Ursache des Todes nachzuweisen sind. In diesen Fällen bleibt es zweifelhaft, ob eine lähmende Einwirkung auf das Herz selbst (d. h. auf die in ihm selbst verlaufenden Nerven) oder auf grössere Nervenstämme, vielleicht auch ' ) Es scheint mir kein besonders
glücklicher Gedanke, dass U i l l r o t b
(Handbuch
der allgem. u. spec. Chirurgie, Bd. Ii. Abtb. 2. Hit. 2 . pag. 37) dieses Wort, der Englischen A u s s p r a c h e
entsprechend, „ S c h o c k "
geschrieben, in die Nomen-
clatur der deutschen Chirurgie aufnehmen will. Ebenso leicht wäre es wobl, Ausdrücke, wie „ S c h r e c k " deutung
oder „ W u n d s c h r e c k "
einzuführen.
Das Englische
Sprache doch auch n u r
mit dieser speciell
„Shock"
bedeutet in
technischen Beder gewöhnlichen
„Schreck".
*) Vgl. die ausführliche Abhandlung von F. J o r d a n , on shock after surgical Operations and injuries, British med. j o u r n a l , kürliche S c h e i n t o d " , von J o r d a n
1 8 6 7 , pag. 7 3 u. f. — Auch der „will-
in welchen Indische Fakirs sich zu versetzen w i s s e n , wird
mit zum S h o c k
*) Vgl. Note 1 auf dieser Seite.
gerechnet.
682
Verletzungen.
Ganglien des Sympathicus stattgefunden hat. 1 ) Schliesst man diese Fälle aus, die man in Deutschland ohnehin als „Erschütterungen" aufzufassen gewöhnt ist, so fällt der Rest von „ S h o c k " (immer im engeren Sinne verstanden) mit unserem W u n d s t u p o r wohl ganz zusammen. Es handelt sich um plötzlich auftretende Empfindungslosigkeit, Unfähigkeit zu willkürlichen Bewegungen (auch wohl Bewusstlosigkeit), entstellte Gesichtszüge (facies Hippocratica) bei sehr kleinem, meist verlangsamtem Pulse und kühler (oft das Phänomen der Gänsehaut zeigender) Körperoberfläche. Alle diese Erscheinungen gehen oft schon nach wenigen Minuten, spätestens nach 1—2 Stunden vorüber, wenn sie nicht etwa mit den Folgen grosser Blutverluste oder der (bei chirurgischen Operationen) absichtlich angewandten Chloroform-Betäubung combinirt sind. Sie sind aber jedenfalls von p r o g n o s t i s c h e r Bedeutung, indem aus ihnen in der Regel auf einen erheblichen Grad von Erschütterung geschlossen werden kann. — Auch ist, da ihr längeres Fortdauern übele Folgen für den Heilungsprocess haben könnte, eine blos exspectative T h e r a p i e nicht empfehlenswerth; vielmehr muss man von Anfang an b e l e b e n d e M i t t e l (Stimulantia) anwenden. Ist der Verletzte besinnungslos oder wird ihm das Schlucken schwer, so sorgt man vor Allem für Erwärmung und sucht durch Reiben der Haut, Kitzeln der Nasenschleimhaut, scharfe Riechstoffe, nöthigen Falls auch durch faradische Reizung der Nn. phrenici die Respiration kräftig in Gang zu bringen. Sobald der Kranke schlucken kann, darf man nicht zögern, ihm w a r m e und e r r e g e n d e G e t r ä n k e zu reichen, denen man, nach dem Rathe der Englischen Chirurgen, von Anfang an etwas Opium zusetzen soll. Wenn auch der Ausspruch von J o r d a n : „man hat es ganz in der Gewalt, Collapsus zu verhüten, wenn man den Kranken nur durch Branntwein in Trunkenheit oder durch Opium in Schlaf versetzen kann" — einige Ucbertreibung enthalten mag, so ist doch wohl unläugbar, dass der Anwendung kräftiger Stimulantia nach schweren Verletzungen oft unerwartete Erfolge zu verdanken sind. Bei sehr schmerzhaften Wunden oder bei grosser Empfindlichkeit des Verletzten, auch nach grossen Blutverlusten kommt es nicht selten zu O h n m a c h t und zu K r ä m p f e n (vgl. pag. 60 u. f.), welche ' ) H. F i s c h e r defwirt (in Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge, No. 10, 1 8 7 0 ) den S h o c k als „eine durch traumatische Erschütterung
bewirkte Reflexlähmung
der Gefässnerven, besonders des Splanchnicus" und s u c h t , im Anschluss an die G o l t z ' s c b e n Klopfversuche bei Fröschen,
nachzuweisen,
Ueberfüllung der vom Nervus splanchnicus Innervirten
dass es sich um eine
Gefässbezirke auf Kosten
der Gefässe des übrigen Körpers, namentlich auch des Gehirns handle.
Wunddelirien. vor Allem
mit horizontaler Lage und analeptischen Mitteln
683 zu
be-
handeln sind. Delirium
tremens.
Als D e l i r i u m t r e m e n s oder D e l i r i u m p o t a t o r u m (Säuferwahnsinn) bezeichnen wir eine erst seit dem 2. Jahrzehnt dieses J a h r h u n d e r t s genauer unterschiedene, durch S c h l a f l o s i g k e i t , Z i t t e r n der Glieder und der Zunge, D e l i r i e n u n d m e h r oder weniger vollständige Unempfindlichkeit ausgezeichnete, acut verlaufende, aber an sich fieberlose E r k r a n k u n g , von welcher Menschen, welche längere Zeit hindurch (gewohnheitsgemäss) alkoholische Getränke in relativ erheblichen Mengen genossen haben (Gewohnheitstrinker), zuweilen ohne erkennbare Veranlassung, fast ohne Ausnahme aber beim Ausb r u c h einer fieberhaften E r k r a n k u n g oder n a c h e i n e r V e r l e t z u n g , z u m a l wenn dieselbe mit einem Blutverluste v e r b u n d e n w a r , befallen werden, und welche, wenn nicht in wenigen Tagen (kritischer) Schlaf eintritt, regelmässig mit dem Tode endet. Grade bei Verwundeten bricht das Delirium tremens oft ganz plötzlich aus. Manchmal aber geht Tage lang Appetitlosigkeit vorher, oder ein a u f fallend schlaffes oder eigenthümlich erregtes, ängstliches Benehmen der Kranken, die dann auch wohl von Träumen und unruhigem Schlaf berichten. Der Ausbruch wird d u r c h Blutverluste (Aderlässe, Blutegel), durch Entziehung der gewohnten Kost u n d , mehr noch, des gewohnten Getränkes befördert. In der Regel beginnt die eigentliche Krankheit mit Schlaflosigkeit u n d Zittern der Hände (zumal, w e n n m a n die Arme ausstrecken u n d die Finger spreizen lässt), bald auch der hervorgestreckten Zunge, später des ganzen Körpers. Demnächst treten bald die Delirien a u f , denen man f r ü h e r mit Unrecht einen specifischen Inhalt (Sehen und Greifen von Ratten, Mäusen und anderen kleinen Thiercn) zugeschrieben hat, w ä h r e n d sie sich mit den mannigfaltigsten Dingen beschäftigen können. Auf der Höhe der Krankheit (zu welcher jedoch nicht alle Fälle sich steigern) verfällt der Kranke in eine völlige Geisteskrankheit; in höchster Erregung beschäftigt er sich n u r mit seinen Hallucinationen, schreit, schimpft, tobt, schlägt u m sich, springt auf, irrt u m h e r , soweit seine wankenden Beine ihn t r a g e n , u n d zertrümmert, was seine zitternden Hände erreichen u n d bewältigen können. Dabei kommt dann grade den Verwundeten (zumal bei Knochenbrüchen und Gelenkverletzungen) sehr zu ihrem Schaden ein hoher Grad von Unempfindlichkeit zu Statten; m a n hat Kranke mit zerbrochenen Beinen umherlaufen, Andere ihre Darmschlingen a u s B a o c h w u n d e n herausziehen sehen. Nicht selten macht ein von seinen
684
Verletzungen.
Wahnvorstellungen gefolterter Kranker plötzlich Nachts (wo jene sich am Lebhaftesten entwickeln) einen gefährlichen Versuch zur Flucht oder gradezu zum Selbstmord. Die Krankheit kann diese Höhe, wenn die vielleicht nicht stark ausgeprägten früheren Stadien unbeachtet blieben, scheinbar plötzlich erreichen, so dass es namentlich für den Laien den Anschein gewinnt, als habe sie mit einem Wuthäusbruch, einem Flucht- oder Selbstmords-Versuch begonnen, oder sei vielleicht gar erst in Folge der letzteren eingetreten. Oft sinken auf der Höhe der Krankheit die Patienten ganz plötzlich todt zusammen, zumal wenn sie zufällig aufgerichtet worden sind oder sich selbst aufgerichtet haben, — wie es scheint in Folge von Anämie des Gehirns; in anderen Fällen erfolgt der Tod unter heftigen Krämpfen, nachdem die Aufregung des Kranken vorher eine Zeit lang nachgelassen hat. Andere gehen in diesem Stadium an Erschöpfung zu Grunde; gewöhnlich hört dann das tobende Rasen schon lange vorher auf, und nur die ununterbrochene unstäte Bewegung der Finger (das Flockenlesen) und die fortdauernden murmelnden (mussitirenden) Delirien belehren den Arzt, dass nicht Besserung, sondern der Tod zu erwarten ist. Nur sehr selten folgt dann noch Schlaf und Genesung. In leichteren Fällen erlischt die Aufregung meist plötzlich: der Kranke schläft fest ein, schläft dann 10, 12, 24 bis 48 Stunden in einem Zuge und erwacht als Genesener. Jedoch kann die Aufregung und das ganze Delirium tremens auch nach langem tiefen Schlaf sofort wiederkehren, sogar mehrmals. Daraus geht dann das c h r o n i s c h e Delirium tremens hervor, welches sich weiterhin oft zu einer unheilbaren Geisteskrankheit gestaltet. Das constanteste Ergebniss der a n a t o m i s c h e n U n t e r s u c h u n g ist die Atrophie (das geringe Gewicht) des Gehirns, zumal im Vcrhältniss zu den gewöhnlich verdickten Schädelknochen. Jedoch scheint auch dies dem Alkoholismus als solchem anzugehören, nicht speciell dem Delirium. Daneben finden sich dann auch die änderen Veränderungen, welche die chronische Alkoholvergiftung mit sich führt: Säuferleber, Magenentzündung, Lungencatarrhe, Nierenentzündung, Arteriensclerose, Fettsucht (auch Fettblut und Fettherz), scorbutische Zustände und Brand an den Zehen nach geringfügigen Veranlassungen (vgl. „Erfrierungen" pag. 616). Die T h e r a p i e vermag beim Delirium tremens sehr viel zu leisten, zumal vor Beginn des furibunden (dritten) Stadiums. Ist dies einmal erreicht, so vermag sie, namentlich bei Verwundeten oder an Eiterungen Leidenden, doch nur etwa die Hälfte zu retten. Es ist daher von der grössten Bedeutung, das Delirium tremens frühzeitig zu erkennen, wo
Wunddelirien.
685
möglich zu verhüten. Zu letzterem Behuf muss man dafür sorgen, dass den Patienten der gewohnte Reiz nicht ganz entzogen, dass ihm also Wein oder Schnaps in dosi refracta (im Vergleich zu seiner Gewohnheit) gereicht und jede schwächende Behandlung, namentlich Blutverlust vermieden werde. Sobald aber die ersten KrankheitsErschcinungen sich zeigen, darf man nicht zögern, hinreichend grosse Dosen M o r p h i u m (0,01 bis 0,015) oder C h l o r a l h y d r a t (2,5 bis 5,0) in 2 bis 3 stündigen Intervallen so lange anzuwenden bis Schlaf eintritt. Obgleich ich vom Chloralhydrat auch schöne Erfolge gesehen habe, gebe ich doch den Morphiumsalzen im Allgemeinen d'en Vorzug wegen der grossen Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher sie sich in genau abgemessener Dosis hypodermatisch beibringen lassen. Chloralhydrat wird oft sehr ungern und nur um den Preis heftiger Erregung geschluckt, Opium aber (welches sonst in entsprechend grosser Dosis vortrefflich wirkt) von der Magenschleimhaut des Säufers oft gar nicht aufgenommen. Beide Mittel lassen sich auch per anum beibringen; aber ein solches „bleibendes Klystir" ist bei Deliranten immer nur mit neuer Erregung zu appliciren und wird oft wieder ausgetrieben. Häufig genug kommt man bei schlimmeren Fällen in die Lage, Morphium und Chloralhydrat neben einander anzuwenden. Auf der Höhe der Krankheit zeigten sich in vielen Fällen kalte Uebergiessungen noch nützlich. So lange es irgend geht sucht man das Fesseln des Kranken zu vermeiden, wenigstens bei Tage. Aber es ist das nur bei sehr zuverlässiger Aufsicht zulässig, Nachts auch unter den günstigsten Verhältnissen nicht durchführbar, wenn man (wie doch mit Recht gefordert wird) den Kranken und seine Umgebungen vor schweren Beschädigen bewahren will (vgl. pag. 683). Dagegen scheint es nicht nützlich den Kranken ganz zu isoliren, da er in der Einsamkeit (wie in der Dunkelheit) nur desto sicherer seinen Hallucinationen verfällt (vgl. pag. 684). Delirium
nervosura.
Nach dem Vorgange von D u p u y t r e n hat man als Delirium nervosum eine fieberlose, durch Schlaflosigkeit und Delirien ausgezeichnete Erkrankung bezeichnet, welche bei Verwundeten in Folge der Erschöpfung ihrer „moralischen Kraft" durch Schmerz und Angst zu Stande komme. Sieht man von solchen Fällen a b , in denen die Delirien offenbar durch physische Erschöpfung oder durch Fieber (manche Menschen deliriren schon beim leichtesten Fieber) bedingt sind, so werden diese sogen, nervösen Delirien D u p u y t r e n ' s regelmässig durch Opium geheilt. Sowohl nach diesem therapeutischen
686
Verletzungen.
Effect, - als auch nach dem sonstigen Verhalten der Kranken ist man wohl berechtigt, das D e l i r i u m n e r v o s u m nur als eine mildere Form des D e l i r i u m t r e m e n s zu betrachten. 1 ). Tetann«.
Als eine in den ganzen Organismus eingreifende, gewöhnlich tödtliche Complication der Wunden müssen wir auch den T e t a n u s erwähnen, auf den wir bei den Krankheiten der Nerven (Bd. H.) näher eingehen werden. Die grosse Sorgfalt, welche von Alters her empfohlen wird, Verwundete vor Erkältungen zu behüten, bezieht sich wesentlich auf die Prophylaxis des Tetanus. Ohne ihr Abbruch thun zu wollen, müssen wir aber ausdrücklich hervorheben, dass die Besorgniss vor „Erkältungen" leicht zum Unterlassen der nöthigen Ventilation oder der vielleicht sehr werthvollen Anwendung der „Kälte" führen und somit dem Verletzten auch schaden kann. W u n d fi e h e r .
In der Mehrzahl der Fälle nehmen die dem Nervensystem angehörigen Zufalle die Aufmerksamkeit des Wundarztes weniger in Anspruch, als die allgemeinen Ernährungsstörungen, die man unter dem Namen des W u n d f i e b e r s zusammenfasse „Man darf nicht vergessen," sagt J. H u n t e r * ) , dass jede, nam e n t l i c h jede acute örtliche Krankheit von einiger Erheblichkeit, „selbst wenn sie keine grosse Ausdehnung hat, mehr oder weniger „die Constitution angreift und Erscheinungen veranlasst, die man zusammengenommen s y m p t o m a t i s c h e s F i e b e r nennt. Die Erscheinnungen desselben sind der Ausdruck der Mitleidenschaft des übrigen „Körpers mit einer örtlichen Krankheit oder Verletzung, und sind in „Folge einer Menge von Umständen verschieden. Sie variiren vor „Allem nach der ganzen Constitution des Menschen (wohin auch die „Altersdifferenzen gehören), ferner nach der Beschaffenheit des lei„denden Theils und bei (der Structur nach) gleichartigen Theilen, „je nach ihrer Lage im Körper, ferner nach der Grösse der Verletzung „und nach der Art ihrer Entstehung, wobei es von Belang ist, ob „die Verletzung sofort oder weniger direct nach vorgängiger Nekrose „Entzündung hervorruft, endlich nach der Periode der Krankheit." Wenn ein solches symptomatisches Fieber auf einer frischen Ver' ) Vgl. E d m . R o s e ,
Delirium
tremens
und Delirium I r a u m a t i c u m ,
in Pitha
und
Billroth's Handbuch, Bd. 1, Abtb. 2, Lief. 2, — eine in jeder Beziehung belehrende Darstellung, welche wir pag. 6 8 3 — 6 8 6 wesentlich benutzt haben. *) The works of J. H u n t e r , ed. b j J. P a l m e r ,
London, 1837. Vol. III. pag. 424.
687
Wandfieber.
letzung b e r u h t , so nennen wir es W u n d f i e b e r (Febris traumatica). Dasselbe tritt mit den gewöhnlichen Fiebererscheinungen a u f : Steigerung der Pulsfrequenz, thermometrisch nachweisbare Erhöhung der Körperwärme (Blut-Temperatur), vermehrte Ausscheidung von Harnstoff sind die objectiven, Unbehaglichkeit mit Frostschauern, Durst, Appetitlosigkeit und gastrische Störungen verschiedener Art die s u b jectiven Symptome. Das Wundfieber beginnt meist innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Verletzung mit Frostschauern, selten unmittelbar nach der Verletzung mit einem deutlichen Frostanfall, und dauert gewöhnlich 5 — 7 Tage. Meist erreicht es seine grösste Höhe (mit einer Temperatur bis über 40 Grad Celsius und einer Pulsfrequenz von 120—160) innerhalb der ersten beiden Tage, um dann nach kurzer Dauer dieser Akme stetig wieder abzunehmen. Wenn die Wunde nicht bedeutend und der Verwundete von guter Constitution ist, so kann das W u n d f i e b e r ganz fehlen oder doch in 2 bis 3 Tagen sich ganz verlieren, so dass es sich dann wieder um eine blos örtliche Krankheit handelt. Oft genug aber sieht man bei ganz gleichen Verletzungen von zwei scheinbar gleich gesunden Menschen den einen heftig fiebern, den andern gar nicht. Ungünstige Süssere Verhältnisse, schlechter Verband, grosse Reizbarkeit des Verwundeten, Störungen in den ersten Wegen, das gleichzeitige Vorhandensein einer anderen Krankheit, das Auftreten einer neuen Entzündung im Bereiche der Verletzung vermehren und verlängern das Fieber, oder ändern auch seine Natur'). Dann kommt es auch wohl zu Irrereden, Krämpfen und anderen bedeutenden Nervensymptomen; oder es folgt auf die Aufregung Abgeschlagenheit und Stupor; der Puls wird klein und sehr frequent, die Zunge russig belegt; es findet eine allgemeine Oppression Statt. Gleichzeitig wird der Eiter schmutzig grau. Alle diese Erscheinungen können am zweiten oder dritten Tage auftreten, oder auch erst später sich entfalten. Jedenfalls muss es zur grössten Sorgfalt in Untersuchung und Behandlung auffordern, wenn ein Verletzter Uber den achten Tag hinaus fiebert oder w i e d e r zu fiebern beginnt. Grosse, vielwinklige und buchtige Wunden, durch welche verschiedenartige Gewebe gleichzeitig getroffen sind, disponiren ' ) Das p r o t r a b i r t e W u n d f i e b e r m a c h t
oft deutliche Remissionen,
so dass die
T e m p e r a t u r des Patienten sogar 2 4 S t u n d e n und d a r ü b e r unter das Maximum d e r Normaltemperatur sinkt, u m dann n i e d e r zu exacerbiren, meist auf Grund neuer Entzündungen
im Bereich
der W u n d e .
Billrotb,
Arbeit über diese Verhältnisse v e r d a n k e n , vorgeschlagen.
Vgl. Dessen
Beobachtungsstudien
für klioische Chirurgie, Bd. II.
1862.
dem wir
hat d a f ü r den
eine
Namen
ausführliche Nachfieber
über Wundfieber e t c . ,
Archiv
688
Verletznngcn.
besonders zu solchen p r o t r a h i r t e n W u n d f i e b e r n . In Fällen der Art kommt es dann zu einer weilen Ausbreitung der Entzündung; einzelne Gebilde, namentlich die sehnigen und aponeurotischen, werden nekrotisch, es entwickelt sich eine P h l e g m o n e d i f f u s a , welche in der Voraussetzung, dass die auftretenden Erscheinungen durch die Berührung der Gewebe, mit dem Eiter veranlasst würden, auch als E i t e r s e n k u n g beschrieben worden ist. Ebenso häufig entwickelt sich bei Verwundeten — unter fortschreitender Ausbildung der beim Wundfieber auftretenden gastrischen Störungen — die wahre e x a n t h e m a t i s c h e R o s e (vgl. Bd. II.). Beide Krankheitsprocesse haben sowohl untereinander eine innige Verwandtschaft, als auch eine gewisse Beziehung zu den gewaltigeren Störungen der ganzen Ernährung, die wir als s e p t i s c h e und p y ä m i s c h e F i e b e r bereits (pag. 247 u.f.) kennen gelernt haben. Streng genommen kann jedes Wundfieber, da es doch nur der Aufnahme von fiebererrcgenden Säften, welche in der Wunde vorhanden sind, namentlich also von Jauche- oder Eiter-Bestandtheilen seinen Ursprung verdankt, als ein septisches oder pyämisches bezeichnet werden. Während des gänzen Verlaufs der durch Verletzungen hervorgerufenen Krankheitsprocesse inuss die T h e r a p i e auf das Wechselverhältniss zwischen den localcn Leiden und dem Allgemeinbefinden des Verletzten sorgfältig Rücksicht nehmen. Bei der B e h a n d l u n g d e s W u n d f i e b e r s war man noch vor wenigen Jahrzehnten geneigt, das Fieber direct zu bekämpfen und zu diesem Beliufe den A d e r l a s s ganz allgemein und sogar prophylaktisch anzuwenden, sobald es sich um eine bedeutende Verletzung handelte. Derselbe kann (abgesehen von der Gefahr des D e l i r i u m t r e m e n s , vgl. pag. 683) in der ersten Zeit nach der Verwundung, während des eigenthümlichen nervösen Zustandes, den theils die Erschütter u n g des Nervensystems, theils auch der Schreck, die Furcht und andere Gemüthsbewegungen veranlassen, nur nachtheilig wirken. Man hat sich aber auch beim Beginne der fieberhaften und entzündlichen E r scheinungen des Aderlasses zu enthalten, da man einer Seits noch immer nicht wissen kann, welchen Charakter das Wundfieber annehmen wird, anderer Seits aber bestimmt weiss, dass die Wirkung des Aderlasses selbst bei rein entzündlichem Fieber doch nur eine vorübergehende ist. Bei Verletzungen von Eingeweidehöhlen oder grossen Gelenken hielt man es früher ohne Weiteres für gerechtfertigt, einen Aderlass zu machen, — allerdings weniger reichlich, wenn sich voraussehen liess, dass der Kranke eine grosse Eiterung zu überstehen haben werde. Man sollte aber selbst in solchen Fällen nie
689
Wundfleber.
ohne
specielle
Indicationen
Brustwunden
finden)
(wie
zum
sie s i c h
Aderlass
wohl
schreiten
nur
und
bei
Kopf-
die V e r h ä l t n i s s e , in denen der K r a n k e s i c h b e f i n d e t , b e s o n d e r e sicht n e h m e n .
und
ü b e r d i e s stets
auf
Rück-
Im K r i e g e erträgt der S i e g e r s t ä r k e r e B l u t e n t z i e h u n g e n ,
als d e r B e s i e g t e , w e l c h e r i m m e r geistig d e p r i m i r t ist, u n d d e r O f f i c i e r kann
meist
Strapazen
einen
stärkeren
erschöpfte
Blutverlust
Gemeine.
Die
in
aushalten, anderen
als
der
durch
Entzündungsfiebern
vielfach angewandten i n n e r e n M e d i c a m e n t e , deren W i r k u n g namentlich a u f der V e r l a n g s a m u n g
und S c h w ä c h u n g
der Herzthätigkeit
be-
ruht (Digitalis, V e r a t r i n ) , sind in den r e g e l m ä s s i g v e r l a u f e n d e n F ä l l e n von Wundiieber
Uberflüssig;
keinen
können
Nutzen,
in
den
vielmehr
schlimmeren
nicht
blos
Formen
durch
haben
sie
Steigerung
der
gastrischen Störungen, sondern auch g r a d e durch ihre lähmende Einw i r k u n g a u f die Herzthätigkeit n a c h t h e i l i g w e r d e n . der Zustand
der V e r d a u u n g s o r g a n e
Zuweilen
eine b e s o n d e r e
erheischt
Berücksichtigung.
Bei b e s t e h e n d e r V e r s t o p f u n g sind A b f ü h r m i t t e l , bei ü b e r f ü l l t c m M a g e n Brechmittel
von g r o s s e m Nutzen.
künstlichen Entleerung. zur
Linderung
des
—
Z u w e i l e n b e d a r f die H a r n b l a s e
Meist kann m a n sich d a r a u f
Durstes
und
der
(subjectiven)
der
beschränken,
Fieberhitze
den
P a t i e n t e n reichlich W a s s e r trinken zu l a s s e n und allenfalls eine L ö s u n g k ü h l e n d e r S a l z e (Natron nitricuin, Kali c i t r i c u m u. s. f.) o d e r v e r d ü n n t e Säuren
(Limonade)
energische
hinzufügen.
Anwendung
des
Bei
Eises
lebhafter
nicht
blos
Entzündung
gegen
die
ist
die
Ausbreitung
des l o c a l e n P r o c e s s e s , s o n d e r n a u c h g e g e n das d a v o n w e s e n t l i c h
ab-
hängige
die
Fieber
das
wirksamste
Mittel.
Dadurch
E m p f i n d l i c h k e i t des Theils erheblich v e r m i n d e r t . — m a n bei j e d e m V e r w u n d e t e n , freien
A b f l u s s des
Behuf
lncisionen
zu
herden erforderlich
machen,
Eine wohlgeordnete
letzten
auch
in e t w a s
sich
zur
nicht,
Entleerung
und z w e c k m ä s s i g e D i ä t
zu
diesem
von
Eiter-
die Heilung
ist eine d e r w e s e n t Ver-
Bleibt das W u n d f i e b e r g a n z a u s , so k a n n man den
Ver-
in
für
gewöhnlicher
Bewegungen
Weise
macht.
essen
und
da e r k e i n e
trinken lassen,
Anstrengungen,
nur meist
S o l a n g e die mit d e m W u n d f i e b e r
Verdauungsstörungen
dauern,
f e h l t es a u c h
an
S o b a l d d i e s e r sich einstellt, l i e g t kein G r u n d vor, dein V e r -
letzten nur Wassersuppen man
sorge
w i e d e r h o l t e r l ä u t e r t ist, f ü r
scheue sie
Vor Allem
aller irgend bedeutenden
zusammenhängenden
geben.
wo
verminderter Quantität,
nicht einmal Appetit.
und
auch
sind.
lichsten Bedingungen letzungen.
wie schon
Wundsecrets
wird
In F r a n k r e i c h
den Verwundeten
i l a r d e l e b e n, Chirurgie.
und ä h n l i c h e ,
wenig nahrhafte Speisen
g e h t m a n in d i e s e r B e z i e h u n g z u weit, lange Zeit
T.Aull. 1.
auf sehr
schmale Kost 44
zu
indem
setzt.
Es
690
VerieUnngeo.
hat in der That die Ansicht Vieles für sich, dass durch diese unzureichende Ernährung die Bildung guter Granulationen und fester Verwachsungen, namentlich auch der sichere Verschluss verletzter Gefasse beeinträchtigt werde 1 ). In Betreff der Complication von W a n d e n mit H o « p i t a I b r a n d ist auf pag. 3 0 5 u . f. zu verweisen. Erscheinungen und Verlauf des E r y s i p e l a s , d e r P h l e g m o n e und der L y m p h a n g i t i s werden im II. Bande geschildert.
Siebente« Capltel.
Von den vergifteten Wunden. Bei den bisher untersuchten Arten der Wunden besteht ein bestimmtes Verhältniss zwischen der anatomischen Verletzung und den Functions-Störungen. Die vergifteten Wunden (Vulnera venenata) unterscheiden sich dadurch wesentlich, dass ihre Symptome und Zufälle sich keineswegs aus der Grösse und Tiefe der Wunde erklären lassen; die Verletzung selbst ist Nebensache; die Hauptsache ist ein vermittelst der Verletzung eingeimpfter, schädlicher Stoff, — ein Gift. Hieraus ergeben sich, neben der anderweitig durch die Gestalt, Tiefe und Beschaffenheit der Wunde bedingten Behandlung, besondere Indicationen. Man muss 1) d a s E i n d r i n g e n o d e r d o c h d i e w e i t e r e F o r t b e w e g u n g des Giftes durch die Blut- und L y m p h g e f ä s s e v e r h i n d e r n , sofern aber dies nicht mit Sicherheit geschehen kann, 2) d a s n o c h in d e r W u n d e v o r h a n d e n e o d e r v o r a u s z u s e t z e n d e G i f t z e r s t ö r e n , endlich, wenn man zu fürchten hat, dass es bereits resorbirt sei, 3) d e n W i r k u n g e n d e s s e l b e n , soweit dies möglich, d u r c h i n n e r e M i t t e l b e g e g n e n . Je nach der Gefahr, welche das Gift bedingt, werden mehr oder weniger energische Eingriffe zur Verhütung seines Eindringens oder zu seiner Zerstörung gerechtfertigt sein. Das einfachste und sicherste ' ) Das Mortalitätsverhfiltniss u n t e r den Verwundeten, welche sich 1 8 1 4 in den Pariser Hospitalern b e f a n d e n , w a r nach
den Nationen so verschieden,
dass
unter
den
Franzosen auf j e 7, u n t e r den Preusseu auf j e 9, n n t e r den Oestreichern auf j e 1 1 , und unter den Russen n u r auf j e 2 7 ein Todter kam. Malgaigne gegeben,
hervorhebt)
während alle
ihren
Verwundeten
reichlich
zu
Letztere hatten (wie essen
übrigen n u r schmale Kost bekamen.
und zu trinken Gewiss war diese
Differenz in der Ernährung von Bedeutung, wenngleich auch die zähere Natur der Russen
m i t in Anschlag zu bringen i s t ,
und die Franzosen
Diät vielleicht noch m e h r Verluste gehabt hätten.
bei ganz russischer
691
Vergiftete Wanden.
Mittel, um die Fortbewegung des Giftes zu verhüten, ist das U m schnüren des v e r w u n d e t e n Theils n a h e o b e r h a l b der W u n d e und das A u s s a u g e n der letzteren, sofern nicht etwa auch durch eine Berührung mit der Mundschleimhaut verderbliche Folgen von dem Gifte zu erwarten sind. Hat man sofort ein c h e m i s c h e s Z e r s t ö r u n g s m i t t e l zur Hand, so wird es ausreichen, wenn man die Wunde mit diesem anfüllt und somit das noch etwa in ihr vorhandene Gift, sowie die mit ihm in Berührung gekommenen und von ihm getränkten Gewebe zerstört. Unter den Zerstörungsmitteln werden wir bei gleich starker Wirkung die f l ü s s i g e n oder doch zerfliessenden bevorzugen, weil sie besser in alle etwa vorhandenen winkligen Ausbuchtungen der Wunde eindringen. Daher werden concentrirte Mineralsäuren und Liquor kali hydrici im Allgemeinen den Vorzug verdienen. Aber es kommt vor Allem darauf an, dass die Zerstörung s o f o r t erfolge. Wir werden deshalb ein g l ü h e n d e s E i s e n bevorzugen, wenn es schneller zur Hand ist, und zur E s s i g s ä u r e greifen, wenn sie gerade neben uns steht. Wären aber kaustische Substanzen der Art überhaupt nur mit Zeitverlust zu beschaffen, die von der Weiterverbreitung des Giftes drohende Gefahr aber bedeutend, so müsste man sogleich d i e U m g e b u n g e n d e r W u n d e in ansehnlichem Umfange a u s s c h n e i d e n oder sogar den Theil, an welchem sich die gefährliche Wunde befindet, a m p u t i r e n . Jedenfalls d a r f , sobald es sich um ein lebensgefährliches Gift handelt, die schützende Ligatur nicht früher entfernt werden, als bis die Zerstörung oder Ausschneidung in der angegebenen Weise erfolgt ist. Auf die e i g e n t l i c h e n Gifte (im engeren Sinne des Wortes) haben wir hier kaum Rücksicht zu nehmen. In civilisirten Ländern werden mineralische und vegetabilische Gifte bei Menschen nur zu Heilzwecken und bei Thieren nur des Versuchs wegen in Wunden eingebracht. Wir wissen aus diesen Versuchen, dass die meisten giftigen Stoffe auf diese Weise noch schneller, als bei der Einbringung in den Magen, ihre verderblichen Wirkungen auf den ganzen Organismus a u s ü b e n ' ) . Je weniger löslich ein Gift ist, desto weniger schnell erfolgt seine Wirkung. Was den Ort der Application betrifft, so erfolgt die Wirkung am Schnellsten und Sichersten von solchen Stellen aus, welche reich an Venen und Lymphgefässen sind. Eine besondere Beschreibung erfordern wegen der Eigenthümlichkeit ihrer Wirkungen: 1) das sog. L e i c h e n g i f t , 2) die n o r m a l e n g i f t i g e n S e c r c t e g e w i s s e r T h i e r c , welche durch den Stich oder ' ) In Beireff der methodischen Application von Arzneistofien auf diesem Wege durch hypodermatisebe
I n j e c t i o n vgl. Bd. II.
44*
692
Verletzaii geo.
Biss derselben (Bienen, Schlangen) beigebracht werden, 3) die U e b e r t r a g u n g k r a n k h a f t e r S e c r e t e von Thieren auf den Menschen (Wuth- und Rotzkrankheit), welche bei der Wuth gewöhnlich auch durch den Biss des kranken Thiere6 erfolgt. 1. I n f e c t i o n m i t s e p t i s c h e m , s o g e n . L e i c h e n - G i f t . Beim Präpariren, bei Sectionen und bei Operationen an Leichen oder auch an lebenden Menschen erleidet man an der Hand und den Fingern oft Verletzungen durch Instrumente oder Knochensplitter, welche mit cadaverösen oder doch putriden Flüssigkeiten benetzt sind. Auch ist es nicht selten, dass man Sectionen oder Operationen macht und die Hände in die mit solchen Flüssigkeiten angefüllten Höhlen oder die damit getränkten Gewebe eintaucht, ohne darauf zu achten, j a ohne vielleicht zu wissen, dass man diese oder jene kleine Wunde an der Hand hatte. G e w ö h n l i c h e r f o l g e n h i e r a u f k e i n e b e s o n d e r e n Z u f ä l l e . Die Wunde heilt entweder ohne Weiteres, oder es beschränkt sich die Verschlimmerung doch auf die Entwickelung eines kleinen Abscesses oder einer Pustel, aus denen ein wenig Eiter ausfliesst und die dann auch auf die gewöhnliche Weise heilen, — oder aber auch viele Monate lang jeder Behandlung Trotz bieten. Offenbar spielt die Prädisposition hierbei eine grosse Rolle. Man sieht in der That manche Studirende sich täglich beim Präpariren verletzen, ohne dass dies irgend welche Folge h a t , während bei Anderen die unbedeutendste Wunde der Art die übelsten Zufälle nach sich zieht. Anderer Seits muss nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Beschaffenheit und die Masse der eingedrungenen fauligen Substanz einen bedeutenden Einfluss ausübt. S c h a w und T r a v e r s haben besonders hervorgehoben, dass bei denjenigen Körpern, welche in der Fäulniss bereits stark vorgeschritten sind, eine Infection weniger zu fürchten sei, als bei solchen, die erst vor Kurzem verstorben sind, namentlich wenn sie an exsudativer Entzündung einer serösen Haut zu Grunde gingen. Vielleicht handelt es sich hierbei um qualitativ verschiedene Substanzen, von denen die eine nur heftig reizend wirkt, die andere in dem Blute des Inficirten schnell Zersetzung einleitet. Die Untersuchungen und Unterscheidungen bieten in dieser Beziehung noch grosse Mangelhaftigkeit d a r , und bei der grösseren Vorsicht, deren man sich jetzt mit Recht befleissigt, kommen recht ausgeprägte und ohne Intercurrenz irgend welcher Behandlung entwickelte Fälle selten zur Beobachtung. Jedenfalls machen die neueren Untersuchungen über das putride Gift und seine Wirkungen (vgl. pag. 247 u. f.) eine Revision aller hierher gehörigen Beobachtungen wünschenswerlh, die,
Vergiftete Wundeo.
693
nach unseren jetzigen Anschauungen, doch nur als Fälle von S e p t i c h a e m i e gedeutet werden können. Symptome. Die ersten Erscheinungen sind meist die einer heftigen Entzündung an der verletzten Stelle, welche sich innerhalb der ersten 24 Stunden entwickelt; daran schliessen sich alsbald entweder die Erscheinungen einer Lympbgefäss-Entzündung, oder die eines typhösen (septischen) Fiebers mit grosser Schwäche, Erbrechen, stinkenden Stuhlausleerungen, Kopfschmerz, Delirien und sehr frequentem, kleinem, zusammengezogenem Pulse. Im letzteren Falle treten die gewaltigen, allgemeinen Erscheinungen gewöhnlich früher ein, als am Orte der Verletzung sich auffallende Veränderungen entwickeln, und stehen mit letzteren jedenfalls in gar keinem Verhältniss. In einem solchen Falle kann man daher wirklich von „Blutvergiftung" sprechen, während überall da, wo es bei einer heftigen örtlichen Entzündung bleibt, oder diese doch nur ihre adäquaten Folgen hat, angenommen werden darf, dass die Wirkung des eingedrungenen Stoffes blos eine örtlich irritirende gewesen ist, wie die eines fremden Körpers überhaupt. Das E i n d r i n g e n
von f r i s c h e m , g u t e m
ringem Grade irritirende Wirkungen,
Eiter hat immer nur örtliche
während durch
und
die E i n i m p f u n g von J a u c h e
in
gesehr
s c h n e l l n i c h t b l o s eine h e f t i g e locale B e i z u n g , s o n d e r n a u c h S t ö r u n g e n d e s A l l g e m e i n befindens hervorgerufen werden können.
Vgl. pag. 2 4 7 .
Prognose. Wo die Erscheinungen die Wirkung des Giftes auf den ganzen Organismus anzeigen, da ist die Prognose sehr viel schlimmer, als bei einer, wenn auch heftigen, örtlichen Entzündung. T r a v e r s behauptet, es komme in diesen Fällen auf 7 Kranke nur 1 Genesender» während bei einer Entzündung, selbst wenn sie die Lymphgefässe und Venen ergreife, auf 20 Verwundete nur 1 Todter komme. Unter den 8 „typhös'" Erkrankten erlag Einer bereits 40 Stunden nach dem Beginne der Krankheit, die übrigen starben am lOten, I l t e n , 14ten, und 21ten Tage. Vgl. pag. 248. ßchaildlung. Zunächst muss man unmittelbar nach der Verletzung durch kräftiges und sorgfältiges Streichen und Drücken in der Richtung des arteriellen Blustroms die Blutung vermehren und unterhalten, die Wunde selbst aber inzwischen unter einen Strom reinen Wassers halten, in vielem warmen Wasser auswaschen, sie auch wohl aussaugen und auf diese Weise den giftigen Stoff zu entfernen suchen. Zur grösseren Sicherheit rathe ich, den Finger sofort dicht oberhalb der Wunde mit dem ersten besten Faden fest zu umwickeln, um eine Weiterleitung des Giftes durch die Venen und Lymphgefässe unmöglich zu machen, bis man Zeit gewonnen hat, die nunmehr turgesci-
Verletzungen.
694
renden Venen so stark als möglich in der Richtung gegen die Wunde hin zu entleeren. Nachdem die Wunde auf solche Weise möglichst sorgfältig gereinigt worden ist, lege man einen deckenden und n i c h t r e i z e n d e n Verband an. Wo dies Verfahren sogleich nach der Verletzung genau ausgeführt wurde, habe ich Üble Folgen niemals hinzutreten sehen. Will man A e t z m i t t e l anwenden, so müssen es jedenfalls flüssige sein, damit sie in die meist engen Wunden gehörig eindringen. Nach den zahlreichen Erfahrungen von V i r c h o w , ist die c o n c e n t r i r t e E s s i g s ä u r e für die Zersetzung der eingedrungenen deletären Substanz ausreichend. Ihre Anwendung auf jede verdächtige Stelle, noch besser auf alle Körpertheile, welche mit verdächtigen Flüssigkeiten in Berührung gekommen sind, namentlich also die Hände, nach jeder Section oder Operation, hat überdies den Vortheil, dass man auf unbeachtete Wunden durch den Schmerz, welchen sie darin erregt, aufmerksam wird. Eine örtliche Entzündung wird, wie jede andere, / u behandeln sein. Das Fieber dagegen würde durch eine antiphlogistische Behandlung nur verschlimmert werden. Mit einer positiven Therapie desselben verhält es sich in diesem Falle, wie bei den septico-pyämischen Fiebern überhaupt. Vgl. pag. 267 u. f.
II.
Einimpfung normaler giftiger Secrete. 1.
Stich der B i e n e n a n d Wegpen.
B i e n e n und W e s p e n impfert, indem sie die Haut mit ihrem Stachel durchbohren, eine scharfe Flüssigkeit ein und erregen daher durch ihren Stich, wenn der Stachel auch nicht in der Wunde zurückbleibt, einen heftig brennenden Schmerz und eine circumscripte, harte Geschwulst, welche jedoch allmälig ihre ursprünglich rolhe Farbe verliert und später ganz verschwindet. Wenn nicht sehr viele Verwundungen der Art dasselbe Individuum trafen und die Wunde nicht etwa auf einem sehr empfindlichen Theile sitzt, so entsteht kein Fieber und keine Gefahr. Wenn aber Schwärme dieser Insecten über ein Kind herfallen und insbesondere das Gesicht zerstechen, so ist die Gefahr sehr bedeutend. Ein Gärtner in Nancy führte einen Apfel zum Munde, in welchem sich eine Wespe versteckt hatte; diese stach ihn am Gaumen, worauf eine so bedeutende Geschwulst sich entwickelte, dass er in wenigen Stunden an Erstickung starb. Bei der Belagerung von
Vergiftete Wanden.
695
Massa sollen die Kreuzritter bedeutend gelitten haben durch die von den Belagerten auf sie herabgeschleuderten Bienenstöcke. Ist der Stachel in der Wunde zurückgeblieben, so muss er möglichst bald entfernt werden. Uebrigens reichen kalte Umschläge u n d ölige Einreibungen aus, um die unangenehmen Zufälle zu beseitigen. Sind aber viele Stiche zugleich vorhanden, so ist es zweckmässig, besonders bei jungen Subjecten, eine Blutentziehung zu machen und in einem diaphoretischen Getränk einige Tropfen Ammoniak zu geben. 2.
S t i c h der S c o r p i o n e n .
An dem Schwanzende der Scorpionen befindet sich ein mit der Giftdrüse communicirender Stachel, mittelst dessen das Thier zu seiner V e r t e i d i g u n g oberflächliche, aber höchst schmerzhafte Wunden versetzt, welche die Erscheinungen des Wespenstichs in beträchtlich gesteigertem Maasse darbieten, jedoch das Leben nicht in dem Grade gefährden, als man früher glaubte.. Die Grösse des Thieres bedingt in dieser Beziehung wesentliche Unterschiede. Die kleinen europäischen, namentlich italienischen Scorpionen sind nur für Kinder und Individuen mit sehr zarter Haut und grosser Empfindlichkeit gefährlich, indem ihr Stich heftigen Schmerz und beträchtliche Entzündung erregt. Der Stich der africanischen Scorpionen dagegen kann nicht blos Krämpfe, sondern auch Gangrän an der Stelle des Stichs und weit verbreitete Lymphgefäss-Entzündung zur Folge haben. — Die B e h a n d l u n g wäre nach den oben gegebenen allgemeinen Vorschriften am Besten wohl in der Art einzurichten, dass i^an möglichst früh durch einen kleinen Einschnitt die Stichwunde dflatirt, die Blutung durch centrale Compression begünstigt, zu stärker eingreifenden Aetzinitteln aber nur dann seine Zuflucht nimmt, wenn die Verletzung von einem grossen africanischen Scorpion herrührt. 3.
Blas der Giftschlangen.
Die G i f t s c h l a n g e n haben an jeder Seite- ihres Kopfes eine e i g e n t ü m l i c h e Drüse, die durch einen Ausführungsgang das giftige Secret zur Basis des durchbohrten oder gefurchten Oberkieferzahns sendet. Das Gift selbst, von verschiedener Stärke je nach der Art der Schlangen, ist weder scharf, noch brennend, wenn man es auf die Zunge bringt, und kann ohne Schaden verschluckt werden; aber in irgend bedeutender Quantität in eine Wunde gebracht, erregt es die e i g e n t ü m l i c h e n gefährlichen Erscheinungen, welche wir sogleich kennen lernen werden. — Die Schlangen mit beweglichen Giftzähnen sind in dieser Beziehung die furchtbarsten.
Verletzungen.
696
a) Vlperablss. Die g e m e i n e V i p e r (Olter), V i p e r a b e r u s , höchstens 2 Fuss l a n g , b r a u n , mit einer doppelten Reihe quer gestellter schwarzer Flecke auf dem Rücken und einer gleichen Reihe auf jeder Seite, welche sämmtlich zuweilen zu Zickzackstreifen zusammenfliessen, oder so sehr vorherrschen, dass manche Exemplare ganz schwarz erscheinen, — lebt in steinigem Gehölz, am Liebsten auf waldigen Bergen. Leute, die mit nackten Füssen im Walde Umhergehen, sind ihrem Bisse am meisten ausgesetzt; eine derbere Fussbekleidung zu durchdringen, fehlt es ihr an Kraft. Der Vipernbiss ist nicht so gefährlich, wie man früher glaubte, w a s F o n t a n a 1 ) besonders bewiesen hat, der selbst 12 solcher Verletzungen sah und 5 0 aus zuverlässigen Berichten kannte, unter welchen allen nur 2 tödtlich wurden. Dies Verhältniss ist daran Schuld, dass so viele Heilmittel als wirksam befunden worden sind. Jedoch giebt es unzweifelhaft auch Fälle, in denen solche Wunden zum Tode führen. Oertliche Erscheiunngen. Heftiger Schmerz, der sich schnell weit ausbreitet; dann Entzündung um die Wunde mit bedeutender Geschwulst, welche sich (meist nach dem Lauf der Lymphgefässe) über das ganze Glied, ja über den ganzen Körper weiter erstrecken kann. Zuweilen brechen in der Umgegend der Wunde kleine Bläschen aus. Später beruhigen sich die Schmerzen, die Geschwulst wird teigig, bläuliche Flecken treten auf und verwandeln sich zuweilen in Brandschorfe. Meist aber verliert sich dies Alles von selbst, auch die Brandschorfe werden durch Eiterung abgestossen, und es erfolgt Vernarbung. Allgemeine Ersclieilinngeil. Harter, frequenter Puls, geröthetes Gesicht, stierer Blick, trockene Zunge, heftiger Durst, Delirien, zuweilen auch Ohnmächten, kalte Schweisse, icterische Färbung der Haut, Uebelkeit, Erbrechen, Stupor, zuweilen stinkende Darmausleerungen. Manche führen einen heftigen Schmerz in der Gegend des Nabels an, andere in der Gegend der Kehle oder des Herzens. Auch Beschwerden bei der Harnausleerung, bis zur Unmöglichkeit derselben, wurden beobachtet und zwar ohne nachweisbare Erkrankung der Harnwege. Verlanf uud Prognose. Der Verlauf und die Heftigkeit dieser Erscheinungen sind sehr verschieden nach dem Alter des Kranken und seiner GemUthsstimmung. Gewöhnlich folgen sehr schnell auf den Biss heftige, in centripetaler Richtung sich verbreitende Schmerzen ' ) Beobachtungen über die Natur der thierischeo Körper und dem Ital. von H e b e n s t r e i t .
1783,
das Viperngift.
Aus
Vipernbiss.
697
und demnächst auch anderweitige nervöse Erscheinungen, namentlich Hinfälligkeit, Ohnmacht, Krämpfe, Delirien. Jedoch ist es unmöglich, die Erscheinungen, welche man zu erwarten hat, oder gar die Reihenfolge derselben im einzelnen Falle genau vorher zu bestimmen. F o n t a n a schreibt die Ohnmächten und andere Erscheinungen auf Rechnung des (psychischen) Schrecks, und ist sogar geneigt, auch den Tod davon abzuleiten. Unzweifelhaft ist der Schreck, den der Vipernbiss veranlasst, in Anschlag zu bringen; dass man aber nicht Alles auf ihn schieben k a n n , geht schon daraus hervor, dass bei Kindern, welche die Viper nicht kennen, und bei Thieren, welche vor ihr nicht erschrecken, doch fast ganz dieselben Erscheinungen beobachtet werden. Man muss also die verderbliche Wirkung dieses Giftes anerkennen, welche gewiss um so stärker sein wird, je länger das Thier das Gift nicht entleert hatte, je heftiger es biss und je öfter es den Biss an demselben Individuum wiederholte. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt, selbst wenn die Erscheinungen Anfangs sehr heftig waren, freilich nach mehr oder weniger langen Leiden, Genesung. Zuerst weichen dann die Störungen des Allgemeinbefindens; die örtlichen Folgen des Bisses dagegen, namentlich weit verbreitete brandige Zerstörungen im Bindegewebe, Schwellung und Aufbruch der Lymphdrüsen, dauern noch längere Zeit fort. Solche langwierige Eiterungen können dann auch noch nachträglich zu einem tödtlichen Ausgange führen, ohne dass dieser von der specifischen Wirkung des Giftes direct abzuleiten wäre. Anderer Seits kann aber der Tod durch die Infection des Blutes innerhalb einer Stunde, h ä u figer später, spätestens jedoch nach Tagesfrist, unter den Erscheinungen der Synkope oder Asphyxie erfolgen'). Die DiaguOSe des Vipernbisses hat in der Regel keine Schwierigkeit, weil die Verletzten meist selbst genau angeben können, dass sie von einer Schlange gebissen („gestochen") wurden. Ist dies nicht der Fall, so wird die schnell steigende Geschwulst in Verbindung mit den nie ganz fehlenden nervösen Erscheinungen auf die richtige Spur leiten. Aus der Beschaffenheit der Wunde selbst zu erschliesssen, dass sie von Vipernbiss herrühre, ist nur dann möglich, wenn die Schlange b e i d e Oberkieferzähne zugleich eingestossen hat: die beiden linearen Wunden stehen dann parallel zu einander in einer Entfernung vou Yt — V i Ctm., je nach der Grösse des Thieres. Wurde die W u n d e nur mit e i n e m Zahn beigebracht, so kann man aus ihrer ' ) Vgl. F a l k , in V i r c h o w ' s Handbuch der spcciellen Pathologie u. Therapie. Abth. I . pag. 3 3 1 u. ff.
Bd. II.
698
Verletzungen.
Beschaffenheit sichere Schlüsse nicht ziehen; bei bedeutender Geschwulst ist kaum einmal die Wunde zu entdecken. Die Bebandluog hat zunächst in der für die vergifteten Wunden im Allgemeinen geschilderten Weise (pag. 690) die Resorption des Giftes zu verhüten und dasselbe in der Wunde zu zerstören. Mag auch die Mehrzahl der Fälle nicht tödtlich verlaufen, so dürfen wir deshalb doch in keinem Falle die angegebenen Vorsichtsmaassregeln verabsäumen, selbst wenn schon einige Zeit nach der Verletzung vergangen ist. Denn es leuchtet von selbst ein, dass ärztliche Hülfe gerade da, wo Vipern vorkommen, sehr selten zur Hand sein wird. Natürlich wird man die UmschnUrung des verletzten Theils unterlassen, wenn schon bedeutende Geschwulst besteht; dann wird sich vielmehr das Ausschneiden empfehlen, durch welches man zugleich der weiteren Ausbildung der Entzündung vorbeugt. Ueberhaupt ist neben der Berücksichtigung, welche die durch das Gift veranlassten allgemeinen Störungen erheischen, die specielle Behandlung der localen Entzündung nicht zu vergessen (vgl. Phlegmone und Lymphangitis. Bd. II.). Um die Wirkung des resorbirten Giftes unschädlich zu machen, empfahl B e r n h a r d v o n J u s s i e u die innere Anwendung des L i q . A m m o n i a c i c a u s t . , in der Dosis von 6—7 Tropfen auf ein Glas Wasser, worauf reichlicher Schweiss eintreten soll, von dem man erwartet, dass er zur Fortschaffung des Giftes nützlich sei. In der Idee, das Gift zu eliminiren, sind auch Brech-, Purgir- und harntreibende Mittel empfohlen worden. Das Ammoniak mag aber wohl mehr in seiner Eigenschaft als Excitans nervinum in Betracht kommen und somit in ähnlicher Weise wirken, wie andere als specifisch empfohlene Excitantia, z. B. Chinawein, Theriak (Electuarium opiatum) u. dgl. m. Stellen sich Entzündungen einzelner wichtiger Organe ein, so sind diese zu berücksichtigen. Ueberhaupt wird, der Mannigfaltigkeit der allgemeinen Erscheinungen entsprechend, auch die Therapie einzurichten sein. Statt der bei grosser Mattigkeit und Ohnmacht anzuwendenden Reizmittel, sind bei grosser Aufregung Sedativa, namentlich Morphium, zu empfehlen. Die innere Anwendung des Chlorwassers ist mindestens höchst unsicher, bei grossen Dosen direct gefährlich. Die beabsichtigte Zersetzung des Giftes würde schwerlich gelingen ohne Zersetzung des Körpers, den man erhalten will. b) Blss grösserer Giftschlangen.
Die G i f t s c h l a n g e n d e r T r o p e n - G e g e n d (insbesondere die Klapperschlangen) tödten durch ihren Biss, wenn sie ihren Giftvorrath
699
Biss grösserer Giftschlangen.
nicht etwa kurz vorher erschöpft oder ihre Giftzähne eingebüsst haben, Hunde in 15 Secunden 1 ), Ochsen und Pferde in fast ebenso kurzer Zeit, und man hat Gelegenheit genug gehabt, auch die gleiche Wirkung bei Menschen zu beobachten. Doch greifen sie grössere Thiere und den Menschen nur an, wenn sie gereizt werden. Diese Reizung kann freilich ganz unabsichtlich geschehen, indem der Fuss eines Menschen die versteckt liegende Schlange berührt. Erfolgt der Tod nicht augenblicklich, nervöse Erscheinungen voraus, wie beim schnellerer und stärkerer Enlwickelung. greiflicher Weise solche Verletzungen nur Menagerien vor®).
so gehen ihm ähnliche Vipernbiss, nur in viel In Europa kommen bedurch Unvorsichtigkeit in
Ein Fall der Art ist wegen der genauen Beobachtung von besonderem er ist von P i a u r e l Ein Engländer,
Interesse;
beschrieben. Drake,
etwa
50 J a h r e a l t ,
3 Klapperschlangen nach Paris gebracht.
hatte
u n t e r anderen Tbieren auch
Die eine davon hielt er bei seiner A n k u n f t
f ü r t o d t ; um sich d a r ü b e r Gewissheit zu verschaffen, war er so unvorsichtig, sie aus dem
Käfig zu nehmen
und sieb mit ihr a n s
Fenster zu begeben.
Da m a c h t e die
Schlange eine plötzliche Bewegung und versetzte ihm einen Biss an d e r linken Vor Schreck a u f s c h r e i e n d , wollte er sie doch noch in den anderes
Hand.
Käfig z u r ü c k b r i n g e n ,
um
Unheil zu v e r h ü t e n , erhielt aber dabei einen zweiten Biss in die Hohlband.
Er lief sogleich hinaus, rief nach einem Arzte und legte seine Hand auf Eis, weil er kein Wasser finden konnte.
Etwa zwei Minuten darauf s c h n ü r t e er seinen Vorderarm
mittelst eines Fadens fest zusammen.
Grosse Unruhe und Aufregung bemächtigte sich
seiner, und als P i a u r e l ankam, fand er ihn blass, von kaltem Schweiss bedeckt, mit stierem Blick und von d e r gewaltigsten U n r u h e gefoltert. Olivenöl n e h m e n , und kauterisirte sofort die W u n d e ; nuten nach der Verletzung.
Er liess ihn ein halbes Glas
dies geschah höchstens 2 0 Mi-
Die dunkel-violett gefärbte Anschwellung und das Gefühl
von Absterben in der Hand nöthigten die
Ligatur a b z u n e h m e n .
Sofort traten
Ohn-
mächten nebst unwillkürlichen Entleerungen des Darms und der Blase e i n ; das Athmen wurde r ö c h e l n d ,
der Puls kaum fühlbar, die Augenlider geschlossen,
' ) Capitata H a l l hat hierüber interessante Versuche gemacht.
die
Pupille zu-
Er liess durch eine
kräftige Klapperschlange, die an einem Pfahl befestigt war, mehrere Hunde heissen. Der zuerst gebissene starb in 15 S e c u n d e n , der zweite nach 2 S t u n d e n , der zuletzt gebissene, dritte Hund erkrankte erst nach
3 Stunden.
zuerst
darauf
Der
Hund starb in 3 0 Secunden, der folgende in 4 Minuten.
Diese Versuche bestä-
tigen die auch' anderweitig bekannte T h a t s a c h e , dass
gebissene
durch
den
ersten Biss die
Entleerung des Giftes in einem solchen Grade erfolgt, d a s s
die
nachfolgen-
mehr und m e h r einbüssen.
Durch wieder-
den Bisse an W i r k s a m k e i t
holtes Beissen k a n n der Giftvorrath erschöpft werden. das giftige Secret nur langsam J
Vier Tage
wiederholte H a l l diese Versuche mit derselben Schlange.
Die G i f t d r ü s e
scheint
abzusondern.
) Selten ist wobl der Fall, dass eine Giftschlange im e r s t a r r t e n Z u s t a n d e ,
unter
F a r b e h o l z v e r p a c k t , lebend nach E u r o p a k o m m t , — wie ich einen solchen k e n n e .
700
Verlet'zuogen.
sammengezogen, die ganze Körperoberlläche kalt, die unteren Extremitäten l i c h ; Hand und Vorderarm schwollen nicht weiter a n . folgte Erbrechen, welches etwas erleichterte.
Es wurde eine Mixtur aus Aether
O p i u m , so wie schweisstreibendes Getränk gereicht. sich
Besserung eingestellt;
aber alsbald
unempfind-
Nach Verlauf einer S t a n d e erund
Nach Verlauf ton 3 Stunden h a t t e
wurde die Respiration wieder beschwerlich,
demnächst auch das Schlingen; der Kranke versicherte, dass ihn das die Lunge überfüllende Blut e r s t i c k e ,
und verlangte n a c h einem
Aderlass.
Es wurden
ihm noch
1 0 Blutegel an die vordere Seite des Halses g e s e t z t ; aber Alles kündigte ein baldiges Ende an. leider erst
Der Tod erfolgte kaum 9 S t u n d e n nach dem Biss. 4 ' / , Tag nachher
angestellt.
Die Obduction
wurde
Die Leiche zeigte, obschon sie bereits be-
erdigt gewesen war, keine S p u r von Fäulniss; sie sab aus, wie die eines am Schlage Gestorbenen, und an der verletzten Farbenveränderung. verdickt, getrübt
und
Flüssigkeit getränkt. deres.
Extremität
war nirgend
eine Anschwellung
oder
Gehirn und Rückenmark waren abnorm b l u t r e i c h ; die Aracbnoidea letztere selbst von
sanguinolenter
Die Untersuchung der Bissstellen ergab durchaus
der
Pia
raater
adbärirend,
nichts Beson-
In den Venen der verletzten Seite waren von der Achselhöhle bis zum Herzen
hin Blutgerinnsel; ebenso verhielten sich a b e r auch die übrigen grossen Venen.
Luft-
röhre und Bronchien waren von schaumigem, röthlicbem Schleime erfüllt, ihre Schleimb a u t geröthet.
Alle anderen Organe gesund.
Die Bcbaudlnug muss im Wesentlichen mit derjenigen des Vipernbisses Ubereinstimmen, aber viel energischer sein, und unmittelbar nach der Verletzung beginnen. Die Kauterisation muss sofort gescheh e n ; nach einigen Minuten ist es, wie P i a u r e l durch Versuche nachgewiesen hat, schon zu spät. Das Aetzmittel muss sehr tief eindringen, denn die Giftzähne sind sehr lang und spitz. Von erfolgreicher Behandlung kann überhaupt nur die Rede sein, wenn durch eine vorläufig angelegte Ligatur oder durch irgend einen Zufall die Resorption des Giftes behindert worden ist, wie z. B. in dem eben erzählten Falle. Ich würde dann, nach schneller Ausschneidung der Umgebung der Wunde, bei welcher Gefäss- und Nervenverletzungen nicht in Betracht kommen dürften, das schnell zerfliessende Aetzkali für das sicherste Mittel halten; wo es sich aber um eine Verletzung an den Fingern handelt, und glücklicher Weise eine Ligatur am Finger selbst sogleich fest umgelegt ist, sofort den Finger exarticuliren. Es scheint mir in der That, da es sich hier um Leben oder Tod handelt, kein zu grosses Opfer, wenn man selbst eine ganze Hand fortnimmt, und es möchte in einem Falle, wie der oben erzählte, die Rettung wohl gelingen, wenn man, statt die höchst verständig angelegte Ligatur zu lösen, sogleich oberhalb derselben im Vorderarm amputirt. Die Ureinwohner der schlangenreichen Gegenden sind auch reich an S c h l a n g e n k r ä u t e r n und S c h l a n g e n w u r z e l n , durch deren Genuss jede üble Wirkung des Bisses der Giftschlangen verhütet werden soll. Unter diesen Specificis wird namentlich der G u a c o
Hondswuth.
701
noch neuerdings von T s c h u d i 1 ) gerühmt. Die Erklärung einer solchen Wirksamkeit ist zur Zeit ganz unmöglich. Die vorliegenden Beobachtungen dürften auch nicht ganz beweisend sein. In manchen Fällen kann man eine Schlange für giftig angesehen haben, die es nicht war, in anderen handelte es sich vielleicht um eine Giftschlange, die vor Kurzem ihre Giftzähne eingebüsst oder ihren Giftvorrath in einein vorausgegangenen Kampfe erschöpft hatte, wie man dies bei Versuchen an Thieren gesehen hat (vgl. die Note pag. 699).
III.
Einimpfung von k r a n k h a f t veränderten
Secreten.
Hierher gehören: das W u t h g i f t und das R o t z g i f t . Wutlihrnnklieit, llnndswuth. Gewöhnlich erfolgt die Uebertragung des Wuthgiftes auf den Menschen durch den Biss eines tollen Hundes, seltener eines Wolfes, eines Fuchses oder einer Katze, welche von der Wuth befallen waren, äusserst selten durch den Biss eines von einem Fleischfresser durch Biss inficirten pflanzenfressenden Thieres. Wiitlikrankheit beim Hnnde. In dem Veiiahle der Hundswuth ( R a b i e s c a n i n a , L y s s a , Wasserscheu, Hydrophobia unterscheidet man d r e i S t a d i e n : 1. Stadium prodroniorum s melancholicuni, 2. St. irrilalionis s. aemes und 3. St. paralyseos *). Ist die WTuth, wie gewöhnlich, durch den Biss eines kranken Hundes übertragen, so vergehen in der Regel m e h r e r e W o c h e n (40 bis 50 Tage), bevor man Kranklieits-Erscheinungen an dein gebissenen Hunde wahrnimmt (Stadium ineubationis). 1. S t a d i u m p r o d r o n i o r u m . Das Verhalten des Thieres lässt im Allgemeinen eine innere Angst und Unruhe erkennen. Depression und Exaltation können dabei unter dem trügerischen Bilde der Launenhaftigkeit mit einander abwechseln, ßrechbewegungen und wirkliches Erbrechen treten häufig a u f , ohne dass dabei Appetitlosigkeit oder Wasserscheu bestände. Jedoch ist der Appetit jetzt schon nicht selten pervers; der Hund frisst Stroh, Papier und andere unverdauliche Dinge, auch den eigenen Koth, verweigert dagegen die gewohnte ') Wiener mediciniscbe " j Vgl. V i r c h o w pag. 3 1 ? ff,
Wochenschrift,
in seinen»
Handbuch
1 8 5 3 , No. 3 0 . d e r s p e c . P a l h o l . u. T h e r a p i e .
Rd. II.
Ablb. 1.
702
Terletznogra.
Nahrung, zumal consistente Speisen zu fressen. Zuweilen tritt auch schon eine Veränderung der Stimme und vermehrte Speichelsecretion auf. Auch die Nasalschleimhaut sondert mehr ab, ist heisser, die Conjunctiva injicirt, die Pupille erweitert (Reizung im Gebiete des Halstheils des Sympatbicus). Kann man an dem kranken Thiere die Narbe entdecken, welche von der Wunde herrührt, durch die ihm die Krankheit übertragen wurde, so findet man, dass es diese Stelle vorzugsweise häufig und andauernd beleckt oder kratzt. In der Regel beginnt n a c h e i n b i s d r e i T a g e n , selten früher, noch seltener später, 2. das S t a d i u m i r r i t a t i o n i s , welches durch wiederholt auftretende P a r o x y s m e n einer krampfhaften Unruhe und Exaltation im Gebiete des ganzen Nervensystems und durch die charakteristische Veränderung der Stimme, welche tiefer, rauher, endlich ganz heiser und heulend wird, ausgezeichnet ist. Jetzt zeigt das Thier eine grosse Neigung unstät umherzuschweifen, auf beliebige Gegenstände loszufahren und zu beissen, andere Hunde und auch Menschen, selbst seinen Herrn, dessen Ruf es nicht mehr gehorcht, anzufallen. Die Dauer des Anfalls schwankt zwischen einigen Stunden bis zu einem Tage und darüber. Dann folgt eine Remission, die namentlich bei wohlerzogenen Hunden und bei solchen, die während des Wuthanfalles nicht verfolgt wurden, deutlich hervortritt. Während der Remission zeigt sich eine gewisse Schwäche des Hinterleibes, daher auch ein schlaffes Hinabhängen (sogen. Einziehen) des Schwanzes. Schlingbeschwerden bestehen verhältnissmässig selten; nur in Fällen, wo solche vorhanden sind, wird das Thier auch wasserscheu. Das früher für charakteristisch gehaltene struppige Aussehen des Thieres ist die Folge des Umherschweifens, oft erst der stattgehabten Verfolgung. Dass andere Hunde den erkrankten fliehen und dass er selbst Gegenstände vermeidet, die mit dem Schaum seines Mundes besudelt sind, ist unerwiesen. Die Dauer dieses Stadiums ist meist d r e i b i s v i e r T a g e , jedoch mannigfach wechselnd. Der Tod kann während desselben plötzlich (apoplektisch) erfolgen. In anderen Fällen, namentlich bei älteren Hunden, treten nur wenige, auch wohl gar keine Paroxysmen auf, und die Remissionen der Krankheit sind dem entsprechend auch weniger deutlich, so dass von vorn herein das Krankheitsbild der „ s t i l l e n W u t h " entsteht, welches eigentlich dem dritten Stadium angehört. 3. Das S t a d i u m p a r a l y s e o s zeigt uns den Hund abgemagert, erschöpft, schlafsüchtig, jedoch bei jeder Reizung noch bissig, mit gelähmtem Hinterkörper, herunterhängendem Unterkiefer und dadurch
Hondtwoth.
703
bedingtem Spéichelausfluss, endlich vollständig gelähmt. Zuweilen stellen sich totale oder partielle Krämpfe ein; meist aber erfolgt der Tod in einem soporösen Zustande zwischen dem fünften u n d achten Tage der Krankheit. Hatte die Krankheit schon im zweiten Stadium die Form der „ s t i l l e n W u t h " angenommen, so fehlen die Reizungserscheinungen im Bereiche des Gehirns, namentlich die Neigung zum Fortlaufen und zum Beissen — obwohl nicht immer; dagegen treten entzündliche Erscheinungen im ganzen Nahrungscanal und Lähmung der Kaumuskeln (daher Herabhängen des Unterkiefers) frühzeitig auf. Bei der S e c t i o n der an Lyssa gestorbenen Hunde fand m a n : 1) schnelle Fäulniss, dem entsprechend auch schnelle Zersetzung des Blutes; 2) Entzündungsröthe und Exsudate am Gehirn und Rückenmark (namentlich in der rasenden W u t h ) , an den Halsganglien des Sympathicus, am Vagus, Hypoglossus, Trigeminus und anderen Nerven; 3) Ecchymosen in und unter der Schleimhaut der Verdauungsorgane, namentlich im Magen, der häufig auch unverdauliche Substanzen und Unrath enthält; 4) Hyperämien und Schwellungen der Schleimhaut in den Respirationsorganen. Dieser Befund enthält jedenfalls nicht viel Specifisches und ist nicht einmal constant, so dass wir aus ihm Uber das W e s e n der Krankheit nichts erschliessen können. Mit Berücksichtigung der Symptome und des Krankheitsverlaufs ist es wohl am Wahrscheinlichsten, dass wir dasselbe in einer, durch das mit dem Gifte, wenn auch in Minimaldosen verunreinigte Blut vermittelten übermässigen Erregung einzelner oder mehrerer Nervencentra (bei der stillen Wuth vielleicht mehr des Sympathicus, bei der rasenden Wuth mehr des Cerebrospinal-Systems) zu suchen haben. Die Aeliologie der Hundswuth ist ebenso wenig aufgehellt, wie ihr Wesen. Unzweifelhaft ist zwar, dass die grosse Mehrzahl der Fälle traumatischen Ursprungs ist, d. h. durch directe Uebertragpng des Giftes von einem kranken Thiere auf das gesunde entsteht; ob aber fllr die Entstehung der Wuth eine besondere Prädisposition erforderlich, ob zu ihrem Ausbruch eine besondere Erregung des Thieres durch äussere Reize etwas beiträgt, ob endlich neben der traumatischen Form auch noch eine spontane, vielleicht miasmatische, a n zunehmen sei, darüber ist noch nicht mit Bestimmtheit entschieden. Höchst wahrscheinlich ist die Krankheit als eine rein c o n t a g i ö s e zu betrachten, jedoch eine gewisse Prädisposition (oder Immunität), wie bei den meisten anderen Contagien, anzuerkennen. Wahrscheinlich ist a u c h , dass psychische Reize, Erregung des Geschlechtstriebes, auch Temperaturwechsel (keineswegs aber gerade grosse Hitze) ihren Aus-
704
Verletzungen.
bruch und ihre Weiterverbreitung begünstigen. Jedoch sah man von Zeit zu Zeit die Hundswuth in wahrhaft epidemischer (epizootischer) Form auftreten, ohne nachweisen zu können, dass dies gerade mit bestimmten Witterungsconstitutionen in Zusammenhang gestanden h ä t t e ' ) . Von Bedeutung ist endlich die mit der Zähmung verbundene grössere Verweichlichung der Thiere; die Untersuchungen Uber historische und geographische Verbreitung der Hundswuth führen zu dem Resultat, dass unter den frei und unbeaufsichtigt lebenden Hunden, z. B. im Orient, die Krankheit entschieden seltner ist. Wutlikraokhelt beim Menschen. Aeliologie und Weseu der Wulhkrankheit beim Menschen sind noch keineswegs ganz aufgeklärt. Wir haben es hier nur mit der durch eine Bisswunde auf den Menschen übertragenen Wuth zu thun und bemerken blos nebenbei, dass die Uebertragung auch durch Aufstreichen des giftigen Speichels auf einen von der Epidermis entblössten oder doch nur mit sehr dünner Epidermis versehenen Theil, sowie auch durch die Einimpfung anderer Secrete des wuthkranken Thieres erfolgen kann. Die Empfänglichkeit für das Wuthgift ist individuell verschieden, im Allgemeinen aber bei Menschen viel geringer, als bei Hunden. Allerdings mag man in manchen Fällen eine Immunität gegen die Krankheit angenommen haben, während der gebissene Mensch nur deshalb gesund blieb, weil zufällig gar kein Speichel in die Wunde eingedrungen war. Hieran ist namentlich zu denken, wenn der Biss eine bekleidete Körperstelle getroffen hatte, namentlich durch dicke Beinkleider oder Stiefeln hindurch gegangen war, in denen die Zähne des Thieres abgeputzt wurden, ehe sie die Haut erreichten. Jedoch liegen auch Fälle vor, in denen Bisse an unbedeckten Körpertheilen die Wuth nicht hervorriefen. Die g e w ö h n l i c h e Zeit des A u s b r u c h e s der W u t h i s t zwischen dem dreissigsten und vierzigsten T a g e nach der V e r l e t z u n g ; oft dauert es nur sieben Tage; nach der Angabe von J. H u n t e r ist der längste Termin s i e b z e h n M o n a t e . Unzuverlässige Angaben sprechen sogar von drei bis dreissig Jahren. Wir sind ausser Stande, zu erklären, wie dies schreckliche Gift so lange Zeit wirkungsßihig und doch wirkungslos im Körper ruhen kann. — Ge' ) Ob man in dieser Beziehung soweit gehen darf, die Hundswuth als T y p b u s zu lietrachten und mit dem Milzbrand in eine Cotegorie zu stellen, n i e F a l k e dies in seiner Preisschrift ( » D e r Milzbrand und die Hundswuth sind Typhen und durch die Impfung b e i l b a r " , Jena, 1 8 6 1 ) versucht hat, dürfte wohl erst aus umfassenderen Untersuchungen sich ergeben können.
Hundswuth.
705
wöhnlich giebt eine Gemüthsbewegung die Veranlassung zum Ausbruch.
oder körperliche Aufregung
M a n c h e A e r z t e b e h a u p t e n , d i e V o r s t e l l u n g , d a s s d a s T h i e r toll g e w e s e n sei, die W u t h
hervorrufen;
dieselben
geben dann
w u t h k r a n k e M e n s c h e n d a d u r c h zu h e i l e n , H u n d " in
voller G e s u n d h e i t
vorführte,
sich in d i e s e n F a l l e n w i r k l i c h n i c h t
folgerecht a n ,
solche
dass man ihnen den vermeintlichen
woraus
um
könne
es sei g e l u n g e n ,
übrigens
deutlich
hervorgeht,
Wuthkrankheit gehandelt haben
„tollen dass
es
kann.
Im Verlanfe der Wuthkrankheit beim Menschen können wir, wie beim Hunde, verschiedene Stadien unterscheiden; nur tritt hier die Z e i t d e r I n c u b a t i o n oder der L a t e n z d e s G i f t e s , obgleich im Allgemeinen übereinstimmend mit der Dauer des Incubationsstadiums beim Hunde, deutlicher hervor. Auf die Dauer desselben scheinen geistige und körperliche Erregungen, durch welche beim Menschen der Ausbruch der Wuth entschieden beschleunigt wird, vielleicht auch die Intercurrenz anderer Krankheiten Einfluss zu haben. Während dieser Zeit hat m a n an der Bissstelle, die man im Allgemeinen, je nach ihrer sonstigen Beschaffenheit, gut heilen sah, zuweilen Schwellung der Narbe oder, wenn diese noch nicht gebildet war, Fungosität der Granulationen beobachtet. Marochetti medico-physique
(Observations
h Moscou.
sur
l'bydrophobie
St. Petersbourg,
1821)
etc.
Mémoire
lu
à
la
société
behauptete, dass am 3ten,
7 t e n , 9 t e n , o d e r a u c h e r s t a m 2 1 s t e n , s o g a r 3 4 s t e n Tage n a c h d e r V e r l e t z u n g Bläseben zeigen
und
und
Knotehen
der ersten 24 Stunden die W u t h
niemals
bei
genauer
sehr
unter
der Zunge,
gewöhnlich nach 3 0
Mundschleimhaut
auf.
zu
den Seiten d e s Z u n g e n b ä n d c h e n s
Stunden wieder
nach ihrem Entstehen
verschwinden.
Wenn
sie
Kenntniss
des
e t w a s C h a r a k t e r i s t i s c h e s zu
sich
innerhalb
g e ö f f n e t u n d k a u t c r i s i r t w ü r d e n , so
Diese A n g a b e n h a b e n sich in k e i n e r W e i s e b e s t ä t i g t . physiologischen
d ü r f t e es s c h w e r s e i n ,
5ten, kleine
und
pathologischen
trete Selbst
Verhaltens
in s o l c h e n k l e i n e n ß l ä s c h c n
oder
der
Knötchen
entdecken.
1. Für das S t a d i u m p r o d r o m o r u m , dessen Dauer zwischen einem Tage und mehreren Wochen schwankt, sind, nächst allgemeinem Unwohlsein, Mattigkeit und geistiger Verstimmung, die sich besonders häufig als Präcordialangst zeigt, charakteristisch: 1) Veränderungen der Narbe, welche anschwillt, sich röthet und juckt oder schmerzt, oder entsprechende Veränderungen der Granulationen, wenn die W u n d e noch nicht vernarbt ist, 2) anginöse Beschwerden, welche mit Steigerung der Präcordialangst auftreten und den Schlund und Kehlkopf gleichmässig befallen. Der Erschwerung des Schlingens und des Einathmens entspricht bei Weitem nicht immer die Schwellung der Mandeln oder des Pharynx, welche vielmehr meist nur eine katarrhalische Secretionsvermehrung zeigen. 2. Im S t a d i u m i r r i t a t i o n i s s. h y d r o p h o b i c u m steigern sich die erwähnten Störungen zu einer furchtbaren Höhe; namentlich B a r d e l e b c n , Chirurgie.
7. Aull. I.
45
706
Verletzungen.
wird aus der Angst und Unruhe des Patienten der W u t h a n f a l l , dessen Eintritt den Anfang dieses Stadiums bezeichnet und der beim Menschen, wie beim Hunde, sich mit deutlichen Remissionen bis zur Tölligen Erschöpfung wiederholt. Mit der Heftigkeit der Anfälle verhält es sich aber umgekehrt, wie beim Hunde. Der erste ist der schwächste und die Heftigkeit steigert sich mit jedem neuen Anfalle. Die Hydrophobie'), richtiger D y s k a t a p o s i s (da sie doch nur Von der durch die Starrheit der Schlingmuskeln bedingten Unmöglichkeit oder Schwierigkeit des Schlingens abhängt), ist beim Menschen fast constant. Dass gerade beim Trinken so grosse Schwierigkeiten eintreten, erklärt sich theils daraus, dass Flüssigkeiten Uberhaupt leichter in den Larynx eindringen, wodurch das den Kranken ohnehin quälende Gefühl der Erstickung aufs Aeusserste gesteigert wird, theils daraus, dass beim Trinken, wenn man das Glas nicht absetzt, den Schlundmuskeln ihr Stutzpunkt Seitens des Unterkiefers entweder fehlt oder doch verschoben ist. Die Kranken werden dabei von heftigem Durst gequält und essen mit Begierde saftige Speiseii, namentlich Obst, welches sie aber vorher durch Schaben sorgfältig zu verkleinern suchen. Auch während der Remissionen leiden die Kranken, obschon bei Bewusstsein, durch phantastische Erregungen, erhöhte Empfindlichkeit der ganzen Körperoberfläche, bald für jene Eindrücke, und an einer stetig steigenden Schwierigkeit beim Einathmen. Hieraus, wie aus den Erscheinungen des Paroxysmus selbst, lässt sich die Ansicht rechtfertigen, dass es sich um Krämpfe im Gebiet des Vagus, Accessorius und Phrenicus handelt, zu denen sich allgemeine Krämpfe in Forin des Tetanus erst hinzugesellen, wenn die Erregbarkeit des ganzen Nervensystems den höchsten Grad erreicht hat. Die Unterscheidung ') W a s s e r s c h e u , oder doch Unmöglichkeit, Wasser zu verschlucken, kann sich auch bei Kranken vorfinden, welche durchaus nicht an der Wulhkrankheit leiden; man bat sie sogar bei Frauen während der Schwangerschaft beobachtet und Entbindung aufhören sehen.
mit der
Wie wichtig es ist, nicht von Vornherein
Kranken, der an * Wasserscheu" leidet, als Wutbkranken
jeden
zu betrachten und zu
bebandeln, lehrt nachstehender, von Vi d a l erzählter Fall. In dem Krankenbause einer grossen Stadt starb ein Mensch an der Wutli. Bald darauf wurde ein anderer Kranker daselbst aufgenommen, welcher durchaus nichts trinken wollte.
Der Arzt, noch ganz voll von dem Scbreckbilde der Wuth,
befiehlt dem Neuangekommenen zu t r i n k e n ; dieser erklärt, auch nicht einen Tropfen schlucken zu k ö n n e n ; man will ihn dazu zwingen, er sträubt sieb, und als man ihn endlich fesselt, bekommt er Krämpfe. sicher;
man kauterisirt i h n
Zunge.
Noch an
Die Diagnose der Wulhkrankheit scheint
(nach der M a r o c h e t t i ' s c h e n
demselben Tage erfolgt der T o d ;
Methode) uoter
der
die Section l e h r t , dass der
Kranke an einer furchtbaren A n g i n a gestorben ist, welche ihm das Verschlucken von Flüssigkeiten und schliesslich auch das Athembolen unmöglich
machte.
Hundswutb.
707
des Wuthanfalls vom Wundstarrkrampf (Tetanus) wird sich bei der Beschreibung des letzteren (Band II.) ergeben. 3. Nach 2 4 — 4 8 Stunden beginnt das S t a d i u m p a r a l y t i c u m unter analogen Erscheinungen, wie beim Hunde, und führt nach wenigen Stunden, meist unter Nachlass aller Krankheitserscheinungen — so dass die Unglücklichen auch wieder trinken können — und bei vollkommen klarem Bewusstsein, durch Erschöpfung oder auch unter erneuten Convulsionen zum Tode. Seltener stirbt der Kranke apoplectisch während eines heftigen Paroxysmus im zweiten Stadium. Die S e c t i o n e n haben nicht mehr und nicht weniger ergeben, als beim Hunde, liefern also keine Aufklärung über das Wesen der Krankheit. Die s p e c i e l l e S y m p t o m a t o l o g i e d e r P a r o x y s m e n sich aus den nachstehenden Krankengeschichten. I.
Beobachtung
J. T b . C o r e l ,
von
Vidal.
vierzehn J a b r e a l t ,
von heiterem C h a r a k t e r
Temperament, w u r d e v o r e t w a d r e i M o n a t e n gebissen,
den
man
alsbald
tödtete.
schenkels vernarbte s e h r b a l d , ungestörten Gesundheit.
ergiebt
und
sanguinischem
von einem vermeintlich tollen Hunde
Die W u n d e an
d e r vorderen Seite des Unter-
und C o r e l e r f r e u t e sich bis zum I I . December einer
Da sieht er plötzlich Nachts im T r a u m e eine lodernde Kohlen-
glutli, es ist ihm, als würde er hineingestürzt, er erwacht erschreckt und in heftiger Aufregung, mit Klagen über Schmerzen in der Brust und Beschwerden beim Athmen. Am 1'iten Morgens h a t t e
er nicht sein f r ü h e r e s , heiteres Aussehen, er ist mürrisch
und schweigsam, er versucht zu f r ü h s t ü c k e n , Mittag wurde darzubieten. gleichsam
e r in's HAtel-Dieu Um
8 Uhr Abends:
zitternder,
Widerwillen
gegen
gebracht,
aber das Trinken widersteht ihm. o h n e ein
bestimmtes
Geröthetes Gesicht, r o t b e Z u n g e ,
kleiner P u l s ,
sehr f r e q u e n t e r ,
fortdauernde Aufregung, zuweilen
j e d e Flüssigkeit.
Um
Zeichen der W u t h schreit
er auf,
Am I 3 t e n Morgens war die Diagnose der W u t h
nicht m e h r zweifelhaft: convulsivische Bewegungen der Gliedmaassen, bedeutende Schlingbeschwerden,
f o r t d a u e r n d e s Ausspucken eices schaumigen Speichels, A t b e m n o t h ,
ein e i g e n t ü m l i c h e s
Gefühl voo
Zusammeoschnurung
schweifende Augen, zuweilen mit gleichsam
der
Kehle^
erstauntem Blick;
funkelnde,
dazwischen
und
herum-
wiithende
Vergebungen der Gesichtsmuskeln, besonders nach Vorn (einer Hundsschnauze ähnlich), und so grosser Abscheu vor allen Flüssigkeiten, d a s s es hinreicht, sie zu nennen, oder ihm einen glänzenden Gegenstand zu zeigen, um die f u r c h t b a r s t e n W u t h a u s b r ü c h e vorzurufen.
her-
Manchmal k o m m e n lichte Augenblicke, während welcher e r kurz u n d be-
s t i m m t auf die gestellten Fragen antwortet.
Es wurde ein Aderlass gemacht und die
Narbe am Unterschenkel ausgeschnitten, an welcher übrigens nichts Besonderes zu bemerken
war.
Die W u n d e wurde
mit dem
mit in Weinessig g e t r ä n k t e r Charpie
weissglühenden Eisen
verbunden.
gebrannt und dann
Schmerzäusserung
fand nicht S t a t t .
Man suchte u n d fand hierauf an der unteren Flfiche der Zunge zu beiden Seiten des Frenulum zwei kleine Bläschen, von denen das linke deutlicher war. und
mit Spiessglanzbutter
geatzt.
gesetzt und zehn Gran Moschus
Demnächst gegeben.
wurden
Sie wurden excidirt
zwölf Blutegel
um den
Der Kranke wurde gefesselt;
45*
Hals
es erfolgten
708
Verletzungen.
neue Ausbrüche der W u l h ; er schrie, dass er ersticke, und verlangte nach geistlichem Trost;
er liess fast jeden Augenblick Drin.
g e r ö t h e t , die Augen lichtscheu. Wangen
ist bald c i r c u m s c r i p t ,
Die Lippen wurden blau, die Conjunctiva
Ein Luftzug vermehrte die Krämpfe.
nach oder p f e i f t ; die Haare stehen struppig ihm den Hals zuschnüre.
Die R o t h e der
bald wieder d i f f u s ; er ahmt das Gebell eines Hundes zu Berge;
er versichert, dass ein Band
Han b e s t r e b t sich vergeblich, ihm einige Löffel Flüssigkeit
beizubringen, die Convulsionen werden
nur noch heftiger.
Der Pols wird
unfüblbar,
dann Aphonie, kalter Schweiss über den ganzen Körper nnd nach einem T o d e s k a m p f e von 1 0 Minuten Erlöschen des Lebens, 3 6 Stunden nach dem Beginne der W u t h . Leichenbefund.
Weder im
Kopfe, noch in der Brust,
bemerkenswerth«
noidea
sowie eine auffallend s t a r k e Verengerung des Magens u n d der Blase,
t r a c h t e t werden.
nnd die Consistenz
Die Luftwege und
zeigten keine S p u r von Entzündung. fand sich eine
vorbanden.
leichte Injection
—
Bauche
der Archwelche
des Uterus d a r b o t , müssen als zufällig be-
der Oesophagus
wurden genau
untersucht
und
Die Stimmritze war verengert; im S c b l u n d k o p f e
belle fadenziehende Flüssigkeit.
u n d seiner Häute ergab
Eine
endlich im
waren
letztere das Volumen
Veränderungen
noch
Die Untersuchung des
eine deutliche Rötbung der letzteren
Kückenmarks
sowie die Anwesenheit
von etwa 3 0 Grammen wasserbeiler Flüssigkeit in ihrer Höhle. —
Das S t a d i u m
bationis bat in dem vorliegenden Falle drei Monate gedauert, also ungewöhnlich
ineulange.
Die Narbe bot im Augenblicke des Ausbruchs keinerlei Veränderungen d a r ; auch fanden sich keine von i h r zum Rumpf a u s s t r a h l e n d e S c h m e r z e n , welche in vielen Fällen von Anderen bemerkt worden s i n d , wenn sie gleich V i d a l achteten Fällen nicht gefunden h a t .
in den s e c h s von ihm beob-
Die Wutb brach nach einem schauerlichen T r a u m e
a u s ; dies s t i m m t mit den Angaben a n d e r e r Beobachter über die Gemütbsbcwegungen, welche dem Ausbruche vorausgehen, gesprochen, welche
desgleichen
von Anderen
nicht a u f g e f ü h r t w i r d ,
den RückenmarksbSuten
abzuleiten.
schiebung des Unterkiefers nach Vorn den Volksglauben
überein.
die Lichtscheu.
veranlasst
Die Wasserscheu w a r s e h r stark aus-
Die unwillkürliche
Entleerung
des
Harns,
ist wahrscheinlich von der Exsudation in
Das eigenthümlicbe
Pfeifen und
die durch Ver-
herbeigeführte Verzerrung des Gesichts,
h a t , die Wuthkranken
bekamen
ein
der
welche
Hundsschnauze
ähnliches Gesicht, wurden b e s t i m m t beobachtet.
Erbrechen und Durchfälle, die sonst
als häufig aufgeführt werden, fanden sich nicht.
Sehr deutlich waren die Remissionen.
II.
Aus der c h i r u r g i s c h e n
K l i n i k zu G r e i f s w a l d , W i n t e r
1 8 5 0 — 51.
Ein ältlicher K u t s c h e r , schwedischer A b k u n f t , von athletischem K ö r p e r b a u , kam zu Anfang November, 3 S t u n d e n nachdem er von einem tollen Hunde gebissen worden wat,
>n die Klinik.
Ich s c h n i t t ,
nach vorgängiger Betäubung durch C h l o r o f o r m ,
die
Umgebung der zahlreichen W a n d e n , von denen eine bis in's Muskelfleisch des Glutaeus maximus d r a n g ,
gründlich aus und kauterisirte
alle mit dem weissglühenden
Eisen.
Demnächst wurde mehrere Wochen hindurch Belladonna in grossen Dosen gereicht und in die Umgegend der Wunden graue Salbe bis zur Salivation eingerieben, die Wunden Belbst aber in Eiterung erhalten.
Die M a r o c h e t t i ' s c h e n Bläschen zeigten sieb nicht.
Der Verletzte befand sich d u r c h a u s wohl, bis n a c h V e r l a u f
von 3 M o n a t e n ,
dem er bereits wieder m e h r e r e Wochen als Kutscher fungirt hatte, die einer Angina nebst grosser Mattigkeit
und Appetitlosigkeit eintraten.
nach-
Erscheinungen Ein auswärtiger
Arzt, der ihn zuerst s a h , v e r m u t h e t e Anfangs die „ G r i p p e " , welche damals herrschte. Aber schon am nächsten Tage entstand vollkommene Wasserscheu darauf brachen die Wuthanfälle mit solcher Heftigkeit a u s ,
und
in der Nacht
dass Fenster und Thüren
Hundswutb.
709
von dem Kranken eingeschlagen, noch andere Verwüstungen angerichtet, mehrere Menschen mit einem Messer, «reiches er zufällig ergriffen h a t t e ,
von ihm verwundet wur-
den, und erst bei dem Eintreten einer lotermission es möglich war, ihn zu ergreifen und durch das Anlegen der Zwangsjacke einer Wiederholung ähnlicher Scenen vorzubeugen.
Mit grosser Bestimmtheit war von den Anwesenden das eigentbümliche Pfeifen,
das Vorschieben des Unterkiefers und die u n s i c h e r e , schleichende
beinahe kriechende
Bewegung des Unglücklichen, welche besonders bei dem Bestreben eine Treppe zu ersteigen
deutlich
Tage. —
wurde,
beobachtet
worden.
Der Tod
erfolgte schon
am
nächsten
Die Section war nicht zu erlangen.
Prognose.
Die Wuthkrankheit ist unfehlbar tödtlich').
—
Die Behaildllllig muss deshalb vor Allem eine p r o p h y l a k t i s c h e sein.
Abgesehen
davon,
dass
der Staat die Gelegenheit zur Ueber-
tragung der Wuth von Hunden auf Menschen
so viel
als möglich
durch Beaufsichtigung der Hunde und (indirect, durch Steuern leicht zu erreichende) Verminderung ihrer Anzahl zu verhüten s u c h t ' ) , fordert die Vorsicht,
dass jede
Wunde,
bei welcher
er-
der Verdacht
besteht, dass sie von einem wüthenden Hunde herrühre, sogleich wie eine wirklich vergiftete, ganz in der oben Weise behandelt w e r d e 3 ) .
(pag. 6 9 1 )
angegebenen
Demnächst machte man früher gewöhnlich
von einem der zahllosen Mittel aus den Klassen der Antispasmodica, Narcotica, Tonica, Excitantia, Antiphlogistica, Diaphoretica, welche zur Verhütung und Heilung der Wuthkrankheit empfohlen sind, Gebrauch; die meisten Stimmen vereinigten sich für die Anwendung der Belladonna in grossen Dosen und die Einreibungen silbersalbe bis zum Eintreten der Salivation.
der grauen
Queck-
Aber diese Mittel haben,
wenn die Uebertragung des Wuthgifts unzweifelhaft und die Zerstörung desselben in der Wunde gar nicht oder zu spät erfolgt war, den Kranken noch niemals zu retten vermocht.
Ebenso wenig Erfolg
hatten die Infusionen von lauwarmem Wasser in die Venen des Kran-
' ) Ueber die höchst zweifelhaften Fälle von Genesung vgl. V i r c h o w , I. c. pag. 3 7 6 . 2
) Ob sich Falke
die E n t s t e h u n g
der
Wuth
bei Hunden
durch
Impfungen in d e r
von
(I. c.) vorgeschlagenen Weise verhüten lasse, ist vor der Hand wenigstens
zweifelhaft.
Könnte man die Lyssa der Hunde ausrotten,
radicale Prophylaxis.
so wäre das eine fast
Freilich bleiben noch immer einige Wölfe und Füchse übrig,
die m a n nicht zur Impfung zwingen kann. ' ) Vor Allem m u s s m a n also, wenn es die
L o c a l i t ä t erlaubt, durch
Umschnürung
die Resorption verhüten, die Blutung (namentlich die venöse) auf alle Weise befördern
und
die Wunde auf's Sorgfältigste, namentlich
durch zerfliessende und
in alle Ausbuchtungen eindringende Caustica reinigen resp. zerstören. Aussaugen wunde
solcher Bisswunden
Stellen
an
den
Giftes erfolgen könnte.
Lippen
dürfte zu warnen o d e r im
Munde des
Die u n v e r s e h r t e
dings nicht zu durchdringen.
s e i n , da durch Saugenden
S c h l e i m h a u t scheint
Vor dem
unbedeutende llesorption das
des
Gift aller-
710
Verletzungen.
ken, welche M a g e n d i e vorschlug, und welchen D u p u y t r e n vergeblich eine wässrige Opium-Lösung hinzufügte, ebenso wenig das Geheimmittel, welches F r i e d r i c h d e r G r o s s e ankaufen liess (Meloe majalis), ferner Canthariden und die zahllosen, zum Theil wohl sehr indifferenten Pflanzeustoffe, deren innerer Gebrauch empfohlen worden ist, die A n t i l y s s a der Alten, wie Rosa canina, Rutha, Salvia, Anagallis arvensis, Spiraea ulmaria u. dgl. m. — Auch die von M a r o c h e t t i angegebene Behandlungsweise, den Kranken ein Dccoctum Genistae trinken zu lassen und die unter der Zunge auftretenden kleinen Bläschen zu öffnen und zu kauterisiren, hat sich als unzureichend um so mehr erweisen müssen, als jene Bläschen durchaus nicht constant sind. — Somit hat man sich wohl aller solcher Mittel, welche eine nachtheilige Wirkung gewiss haben (wie Belladonna, Canthariden und Quecksilber), während ihre günstige Wirkung als „Antilyssa" durchaus problematisch ist, gänzlich zu enthalten. Wirklich bewährt ist bis jetzt nur die hinreichend frühzeitige Zerstörung des Giftes am Orte der Einwirkung. Wir sind jedoch nicht im Stande, anzugeben, bis zu welcher Zeit nach dem Biss eine Zerstörung des Giftes in der Wunde noch möglich ist, oder mit anderen Worten, wie schnell das Gift von der Wunde aus resorbirt wird. Da sich der wuthkranke Speichel mit dem Blute vielleicht mischt, ohne Coagulation desselben zu bedingen, so könnte in solchen Fällen, wo die Localität der Wunde dem venösen Blute nicht zufällig ein kleines Hinderniss in den Weg setzt, das Gift in wenigen Minuten schon durch den ganzen Körper verbreitet sein. Zu schnell also kann nie gehandelt werden; ob aber eine auch noch so früh stattfindende wundärztliche Hülfe noch den erwünschten Erfolg haben wird, lässt sich nicht mit Bestimmtheit vorraussagen. Dadurch darf man sich nicht abhalten lassen, auch in Fällen, wo eine zweckmässige Behandlung der Wunde nicht sogleich vorgenommen wurde, auch noch nachträglich dieselbe oder die bereits gebildete Narbe zu excidiren und zu kauterisiren. Die dem Ausbruch der Wuth vorhergehenden Veränderungen an der verletzten Stelle weisen mit Bestimmtheit darauf hin, dass wenigstens in manchen Fällen die späterhin das ganze Nervensystem ergreifende Krankheit von dort aus eingeleitet werde. Nächst der möglichst sorgfältigen Zerstörung des Giftes in der Wunde ist es die Aufgabe des Arztes, auf das Gemüth des Kranken einzuwirken. Er muss sein Vertrauen zu gewinnen und ihn zu überzeugen suchen, dass das Thier, von welchem er gebissen wurde, nur zornig erregt, aber nicht wuthkrank gewesen sei. Das der Wuth verdächtige Thier muss wo möglich eingefangen
711
Hondswuth.
und nicht getödtet, sondern in sicherem Gewahrsam genau beobachtet werden. Stirbt es nicht unter den oben angegebenen Erscheinungen, so handelte es sich auch um keine vergiftete Wunde. Man bat auch in solchen Fällen, wo die verdächtigen Tbiere absichtlich getödtet oder, o b n e beoacbtet zu sein, gestorben waren, noch eine Entscheidung darüber beizuführen gesucht, ob dieselben an der Wutb gelitten hatten oder nicht.
her-
Die Section
liefert eine solche in der grossen Mehrzahl der Fälle nicht, indem es eines Theils vorkommen kann, dass Hunde an der W u t h sterben, ohne in derungen zu zeigen, welche als der W u t b
eigentümlich
ihrem Körper j e n e Verän-
angesehen
werden,
während
anderen Theils dieselben für charakteristisch gehaltenen Veränderungen sich auch o h n e vorhergehende
Wuth bei herrenlos
umherirrenden
Hunden
grosses Gewicht legt man z u n ä c h s t auf die Anwesenheit
vorßnden
können.
Ein
schmutziger, verfaulter
ü b e r h a u p t heterogener Substanzen im Magen und in der Rachcnhöhle.
oder
Besonders soll
daraus auf hervorgegangene Wuth geschlossen werden, wenn Haare, Stroh oder S t ü c k e vom
Lager des Hundes sich daselbst vorfinden.
Ich kann aber aus zahlreichen
Er-
fahrungen versichern, dass auch ganz gesunde Hunde, wenn sie sich an der Kette langweilen, sehr oft alle die oben genannten Substanzen, sogar ihren eigenen Koth fressen, und h a b e dieselben oft genug in dem Magen lebender und frisch getödteter Hunde angetroffen.
Von grösserer Wichtigkeit möchte die bei der W u t h der Hunde für charak-
teristisch gehaltene E n t z ü n d u n g des Magens sein, die sich nach dem Tode nicht blos durch Köthung, sondern auch durch e i g e n t ü m l i c h e ecchymotische Flecke (ähnlich zerdrückten Ahlbeeren) auszeichnen soll.
Die Zunge soll bei der stillen Wuth
aus dem
Munde heraushängen, geschwollen und missfarbig sein, bei der tobenden dagegen dreht und zerquetscht.
ver-
Es leuchtet ein, dass hieran auch andere Verhältnisse als ge-
r a d e die Wuth Schuld sein können.
Als constant wird endlich eine Anschwellung und
Rölhung des Kehldeckels, sowie eine, obgleich oft sehr geringe, Köthung der Kehlkopfschleimhaut angegeben. den Abscheu soll
Um eine sichere Entscheidung herbeizuführen, hat man a u c h
benutzt, den andere
Brod oder
Fleisch mit dem
Hunde vor dem wuthkranken haben sollen. Blute
oder
Man
der aus der Wunde des todten Thieres
ausfliessenden Flüssigkeit oder a b e r mit dem Speichel (der Mundflüssigkeit) des todten Thieres tränken
und diese Bissen
anderen
Hunden
vorsetzen.
Wollen
diese
nicht
scbliessen,
dass
davon fressen oder laufen sogar heulend davon, so soll man
daraus
das Thier w u t b k r a n k w a r ; fressen sie a b e r davon, so hätte
man das Gegentheil an-
zunehmen.
nicht verwöhnte Hunde
Es ist
wobl
zu b e f ü r c h t e n , dass hungrige
alle j e n e besudelten
Bissen
verwöhnte,
Fällen,
auch in
solche Bissen nicht berühren
i m m e r auffressen werden, wo es sich um
und
während
feiner erzogene und
ein wuthkrankes Thier nicht handelte,
möchten.
B e i m B e g i n n e der K r a n k h e i t dürfte es vielleicht gerechtfertigt sein, kräftige Ableitungsmittel, namentlich das Ferrum candens, im Genick zu appliciren, da die Hyperästhesie des verlängerten Markes gewiss eine wesentliche Rolle bei der Wuthkrankheit spielt, vielleicht geradezu das Wesen derselben ausmacht. Brechen die W u t h a n f ä l l e aus, so hat man den Kranken vor Beschädigungen, die er sich beibringen, und die ihn Umgebenden vor Verletzungen, die er ihnen zufügen könnte, zu schützen. Es kann deshalb der Gebrauch der Zwangsjacke oder das Festbinden
712
Verletzungen.
des Kranken nicht immer umgangen werden, wenngleich die Heftigkeit der Anfälle dadurch gesteigeit wird. Jedenfalls entferne man aus der Umgebung des Kranken Messer und andere Werkzeuge, mit denen er den Wärtern oder dem Arzte gefährliche Wunden beibringen könnte. — Zur Erleichterung des Kranken dient es wesentlich, wenn man ihm durch EisstUckchen, die theils blos in den Mund gebracht, tbeils auch verschluckt werden, den quälenden Durst löscht. Als Beruhigungsmittel dürften im Beginn der Wuthanfälle die Chloroformbetäubung und starke (revulsivische) Aderlässe zu benutzen sein. Vom Opium hat man keine günstigen Wirkungen gesehen. Chloralhydrat wird voraussichtlich auch nur vorübergehend nutzen. 1.
BatzKranhhelt.
Seit dem Anfange unseres Jahrhunderts hat man die Uebertragung der Rotzkrankheit vom Pferde auf den Menschen beobachtet, namentlich haben S c h i l l i n g in Berlin (1821) und dann R u s t Fälle der Art veröffentlicht ; aber erst in neuester Zeit ist, insbesondere durch E l l i o t s o n und R a y e r 1 ) , die Aufmerksamkeit der Aerzte in gebührendem Grade darauf hingelenkt worden. Rotzkrankheit bei den Etnhnfern. Wir verstehen unter R o t z (Malleus) eine ursprünglich den Pferden, seltener auch anderen Einhufern zukommende Erkrankung, welche durch den Ausbruch eigenthümlicher K n o t e n , die später gewöhnlich in Verschwärung Ubergehen, ausgezeichnet ist. Diese Knoten haben eine grosse Aehnlichkeit mit Tuberkeln und bestehen, wie die mikroskopische Untersuchung nachweist, aus mehr oder weniger vollständig erhaltenen zelligen Elementen, die mit nekrotischen Gewebsbestandtheilen zu einem käsigen Detritus gemischt sind. Diese Knoten gehen, nach den Untersuchungen von V i r c h o w * ) , aus einer Zellenwucherung hervor, deren Grundlage namentlich die Bindegewebskörperchen abgeben. Die älteren Zellen erfahren sehr schnell die fettige Metamorphose und zerfallen demnächst. Der hieraus hervorgehende Detritus unterliegt einer chemischen Zersetzung, die zur vollständigen Erweichung des Knotens führt. Das Product derselben, der sogenannte R o t z e i t e r (richtiger: Rotzjauche), enthält fast gar keine eigentlichen Formbestandtheile, wohl aber Fadenpilze (B. v. L a n ' ) De la morve et du farcin chez l'bomme.
(Mémoires de l'académie de médecine,
1 8 3 7 , Tom. IV. pag 6 2 5 u. f.) *) Handbuch der spec. Pathologie u . Therapie, Bd. II. Ablfr. 1. pag. 4 0 8 -
Rotzkraokbeit.
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g e n b e c k ) , und ist somit, wenn auch von dicklicher Beschaffenheit, doch von dem gewöhnlichen Eiter wesentlich verschieden. Der Sitz der e i g e n t l i c h e n R o t z k r a n k h e i t (Malleus humidus) ist bei den Einhufern die Schleimhaut der Nase, seltener des Gaumensegels und Kehldeckels, noch seltener der Luftröhre. Es entwickelt sich an diesen Stellen, auf Grund des Erweichens der oben beschriebenen Knoten, eine weit verbreitete Verschwärung, mit deren weiteren Fortschritten immer grössere und dünnflüssigere Massen von Eiter (Jauche) aus der Nase des Thieres abfliessen. Die Verschwärung der Weichtheile bedingt Nekrose der von ihnen bedeckten Knochen und Knorpel, deren abgestossene Stücke sich allmälig dem Ausfluss beimengen. Die umliegenden Lymphgefässe und Lymphdrüsen schwellen sehr schnell an. Bei der Section findet man überdies in der Regel lobuläre Pneumonie und eiterige oder plastische Ablagerungen in der Lunge und unter der Pleura. Die zweite Form der Rotzkrankheit, der sogenannte W u r m (Malleus fareiminosus), äussert sich durch eine analoge Erkrankung der Lymphgefässe, der Lymphdrüsen und der äusseren Haut. Man bemerkt Anfangs Stränge oder Höcker auf der Haut, weiterhin gehen die angeschwollenen Lymphgefässe und Drüsen in Eiterung oder Erweichung über. Darauf folgt endlich auch Verschwärung; zuweilen findet dabei Verschliessung der oberflächlichen Venen Statt. Beide Krankheitszustände sind entweder acut oder chronisch. Der W u r m ist häufiger c h r o n i s c h . Die Symptome des Faulfiebers und die äusseren Erscheinungen von Brand und Scorbut gehören besonders der a c u t e n Form an. Rotzkranklielt beim Menschen. Aetiologic. Den Ansteckungsstoff liefert meist der Ausfluss der Nase des kranken Thieres; er findet sich aber auch in dem Inhalt der auf der Haut ausbrechenden Höcker, in dem Eiter der Lungenabscesse und im Blute; die Ucbertragung gelang, wenn man einem gesdnden Pferde das Blut des kranken in die Venen spritzte. Der Ansteckungsstoff bleibt auch nach dem Tode wirksam. Auch der an der Luft getrocknete Ausfluss ist ansteckend, — ganz analog der Uebertragung des Milzbrandes durch getrocknete Felle. Zufällige, gewöhnlich ganz unbedeutende Verletzungen reichen zur Einimpfung hin. Thierärzte und Stallknechte sind daher häufig wegen unbeachteter kleiner Schrunden und Excorationen, oder durch eine leichte Verletzung bei der Section eines gefallenen Thieres, oder auch durch das Eindringen eines mit dem Gifte getränkten Strohhalmes
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Verletzungen.
unter den Nagel, der Ansteckung ausgesetzt. Der Ansteckungsstoff kann aber auch durch die unverletzten Schleimhäute angenommen werden. Man sah die Uebertragung erfolgen: durch Benutzung eines Eimers, aus welchem die kranken Pferde gesoffen hatten, zum Waschen oder Trinken, in anderen Fällen, indem ein Stallknecht dasselbe Tuch benutzte, mit welchem er die Nase [eines kranken Pferdes geputzt hatte. Allerdings bleibt in allen diesen Fällen die Annahme offen, dass unbemerkt gebliebene Wunden von äusserst geringer Grösse die Infection vermittelt haben. — Der Mensch scheint mehr als irgend ein Thier, ausser dem Einhufer selbst, für die Uebertragung des Rotzcontagium empfänglich zu sein. Dieselbe kann auch von einem Menschen auf den anderen erfolgen. Verlauf und Ansgftnge. Der Verlauf der Rotzkrankheit ist beim Menschen m e i s t a c u t . Auch bei c h r o n i s c h e m Verlauf hat der Kranke wiederholt Fieberschauer und leidet an Mattigkeit, Kopfschmerz, gastrischen Störungen und geistiger Verstimmung. Die Krankheit beginnt, nach einer l n c u b a t i o n s z e i t von 3 bis 8 Tagen, mit örtlichen Symptomen, welche bald einer Lymphgefässentzündung, bald einer Phlebitis, bald einer Phlegmone entsprechen. Diese entwickeln sich gewöhnlich, bevor noch die inficirte Wunde geheilt ist, Letztere wird dann schmerzhaft, ihre Ränder schwellen an, und von ihr aus entwickeln sich die rothen Streifen und die knotigen Stränge, mit denen auch die gewöhnliche Lymphangitis beginnt. Aber nicht blos nach dem Verlauf der Lymphgefässe, sondern auch an anderen Stellen bilden sich harte Knoten, welche späterhin erweichen, wie die Rotzknoten der Thiere. Spätestens 7 Tage nach dem Auftreten dieser örtlichen Symptome, meist früher, entwickeln sich Störungen des Allgemeinbefindens. Gewöhnlich beginnen diese S c h m e r z e n in d e n G e l e n k e n u n d M u s k e l n , als „Rheumatismus"; bei grosser Heftigkeit der Krankheit wird der Beginn des Allgemeinleidens durch einen Schüttelfrost, der sich höchst selten wiederholt, bezeichnet. — Bis dahin sind ausser den entzündlichen Erscheinungen im Bezirk der inficirten Wunde besondere locale Störungen nicht zu bemerken; man fasst daher diesen Theil der Krankheit zweckmässig als S t a d i u m i n v a s i o n i s zusammen. Dasselbe ist in acuten Fällen von sehr kurzer, in chronischen von unbestimmt langer Dauer, zuweilen mit vollständigen Remissionen der Krankheits-Erscheinungen. Das z w e i t e S t a d i u m zeichnet sich durch Ausbrüche an verschiedenen Körpereteilen aus, welche wesentlich auf der Entwickelung der eben beschriebenen Knoten beruhen ( S t a d i u m e r u p t i o n i s ) . In der Mehrzahl der Fälle leidet vorzüglich die Nase. Im
Rotzkraakheit.
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Gesichte entwickelt sich dann meist E r y s i p e l (welches von dem behandelnden Arzte leider manchmal als das Wesentliche angesehen wird) mit mehr oder weniger Oedem, an der Nase oder an den Wangen beginnend und von da weiter zu den Augenlidern und zur Stirn. Den Ausgangspunkt bildet immer ein Knötchen, welches aber unter dem täuschenden Anschein einer Pustel oder eines Bläschens auftreten kann. Grössere und kleinere Blasen erheben sich auf der erysipelatösen Fläche; demnächst erscheinen bläuliche Flecke, als die Vorläufer des schnell eintretenden Brandes. Inzwischen entwickeln sich analoge Veränderungen im Innern der Nase, welche aber auch ohne Affection der entsprechenden Theile der äusseren Haut auftreten können. Die Luft scheint in der Nasenhöhle ein Hinderniss zu finden, der Kranke spricht mit dem eigenthümlichen Nasaltone und wirft von Zeit zu Zeit durch kurzes Husten und Räuspern eiterige Massen aus. Diese rühren aber ursprünglich aus der Nase her und sind nur bei der Rückenlage des Kranken durch die Choanen in den Schlundkopf gelangt. Richtet der Kranke sich auf, so fliesst der Eiter auch aus der Nase a u s ; hat die Zerstörung einen hohen Grad erreicht, so findet ein Ausfluss stinkender, blutiger Jauche sogar in der Rückcnlage Statt. Die Respiration ist zwar beschleunigt, aber wesentliche Veränderungen in der Lunge lassen sich durch physikalische Untersuchung nicht nachweisen. Die Auscultation lässt nur rasselnde und pfeifende Geräusche in den Bronchien wahrnehmen. — Bei c h r o n i s c h e m Verlaufe der Krankheit ( „ W u r m " ) kann die Nase ganz frei bleiben. Eine zweite Reihe von Krankheits-Erscheinungen bezieht sich auf die Lungen und den Kehlkopf. Der Ausbruch zahlloser Knoten liegt aiich ihnen zu Grunde. Beim Auftreten derselben sind die Leiden der Respirationsorgane von Anfang an bedeutender. — Bei der c h r o n i s c h e n Form kommen Eruptionen auf der Schleimhaut des Kehlkopfs und der Bronchien gar nicht vor. Eine dritte Symptomengruppe bilden die Veränderungen in der H a u t , dem Unterhautbindegewebe u n d den Muskeln. Analog den W u r m k n o t e n der Thiere entwickeln sich sowohl im Unterhautbindegewebe, als in den Muskeln h a r t e , oft sehr ausgebreitete Anschwellungen, bald mit geringen, bald mit sehr heftigen Schmerzen. Die Knoten im Unterhaut-Bindegewebe erweichen schnell, brechen u n t e r mehr oder weniger ausgebreiteter Gangrän der bedeckenden Haut auf und hinterlassen Höhlen, die mit einer jauchigen Flüssigkeit gefüllt und gegen die umliegenden Gewebe meist deutlich abgekapselt sind. — Unabhängig von diesen Knoten entwickelt sich das sogenannte R o t z - E x a n t h e m , welches zwar ein pustulöses Ansehen
Verletzungen.
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hat, aber in der That auch auf der Entwickelung von Rotzknoten im Gewebe der Cutis beruht 1 ). Es beginnt mit einer den Flohstichen ähnlichen fleckigen Rötbung der Haut an den verschiedensten Stellen des Körpers. An den gerölheten Stellen bilden sich dann Papeln (durch die Schwellung der Knötchen), die sich schliesslich in Bläschen verwandeln, deren Inhalt die erweichte Masse des Knotens ausmacht. Der Knoten selbst sitzt in der Lederhaut; ist er erweicht, so entsteht daher in letzterer ein Substanzverlust, ein Loch, Uber welchem die, von der erweichten, nunmehr eiterähnlichen Masse emporgehobene Epidermis eine kleine Kuppel bildet. Späterhin wird der Inhalt dieser Bläschen durch Blutergüsse schmutzig-blauroth gefärbt, und schliesslich werden sie in kleine dunkle Krusten umgewandelt. Solchcr Knötchen können auch viele gleichsam in ein Netz zusammenfliessen. Dann sind sie von einem gemeinsamen Entziindungshofe umgeben und gewinnen Aehnlichkeit mit Pustula maligna. Inzwischen steigert sich das F i e b e r und nimmt schon mit dem Beginne der localen Eruptionen den f a u l i g e n Charakter an. Die Zunge ist an der Spitze geröthet, an der Basis schleimig belegt, später (ebenso wie die Lippen) trocken, russig, da der Patient nur mit offenem Munde athmen kann. Weiterhin treten stinkende Durchfälle hinzu, die bald auch unwillkürlich abgehen; der Kranke hat oft das Vorgefühl des herannahenden Todes, wird aber zuletzt, unter Delirien und stetiger Abnahme der Kräfte, bewusstlos. Der Tod erfolgt in der Regel bei der acuten Form gegen Ende der zweiten Woche, zuweilen schon innerhalb drei Tagen, selten erst nach einem Monat. Die von Anfang chronisch verlaufenden Fälle, welche äusserst selten sind, können sich Monate lang hinschleppen, in den seltensten Fällen auch in Genesung ausgehen. Die anatomische Uutersnchuug weist gewöhnlich besonders in den Respirationsorganen bedeutende Veränderungen nach. Die Schleimhaut der Bronchien ist geröthet, in den Lungen linden sich dicht unter der Pleura pulmonalis Petechien, Ecchymosen und Eiterherde auf verschiedenen Stufen der Entwickelung wie bei Pyämie. Aehnliche Abscesse oder auf dem Uebergange zur Eiterbildung begriffene Exsudate und Blutergüsse finden sich auch im Innern der Lunge. Das Lungengewebe selbst ist in ihrer Umgebung hyperämisch, die Pleura ist entzündet oder gar ulcerirt und zeigt oft frische Adhäsionen zwischen ihren beiden Blättern. Diagnose.
Die Symptome der Rotzkrankheit beim Menschen
' ) Vgl. die Beschreibuog von V i r c h o w , 1. c. pag. 4 1 6 -
Rotzkran kheit.
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haben Aehnlichkeit mit denen der Pyämie und mit denjenigen, welche durch die Einimpfung des Leichengiftes entstehen. Hier wie dort finden sich die Erscheinungen der Phlebitis und Lymphangitis; aber bei der Rotzkrankheit ist die Zersetzung der Säfte, der F ä u l n i s s p r o c e s s b e i l e b e n d i g e m L e i b e vorherrschend. Hier fehlt niemals Verschwärung und brandige Zerstörung auf der Körperoberfläche. Charakteristisch ist für die Rotzkrankheit das oben beschriebene E x a n t h e m , welches auch vor einer Verwechselung mit Milzbrand sichert; überdies geht dem Ausbruch des Rotzes längere Zeit heftiges Fieber voran, beim Milzbrande nicht. Gewöhnlich ist es nicht schwer, die Diagnose durch Feststellung der Aetiologie des einzelnen Krankheitsfalles zu sichern. Der untrügliche Beweis wird durch die E i n i m p f u n g (Rückimpfung) des Eiters von dem kranken Menschen auf einen Einhufer geliefert. Diese ruft immer wieder die Rotzkrankheit hervor, während die Uebertragung des pyämischen Eiters dieselbe niemals zur Folge hat. Behaildluug. Nur unmittelbar, nachdem das Gift in eine frische oder alte Wunde eingedrungen, oder auf eine Schleimhaut gebracht ist, kann die Behandlung einen sicheren Erfolg haben. Man muss durch Ausschneiden der Wunde und Kauterisiren mittelst eines leicht zerfliessenden oder flüssigen Aetzmittels (Aetzkali, Salpetersäure) oder mittelst des Glüheisens das Gift zu zerstören suchen. Das Aussaugen der Wunde ist gefährlich, da das Gift auch durch Vermittelung einer unverletzten-Schleimhaut resorbirt werden kann. Die a l l g e m e i n e Behandlung der acuten Form ist die des Faulfiebers. Bei chronischem Verlauf der Krankheit scheint von dem innerlichen Gebrauch der Jodpräparate noch der meiste Erfolg zu erwarten zu sein. Oertlich wird man die aufgebrochenen Knoten mit Chlor, nach einer Beobachtung von J o n e s 1 ) , mit starken Krcosollösungen, im Allgemeinen also wohl a n t i s e p t i s c h behandeln. Jedenfalls ist die frühzeitige Eröffnung der Knoten empfehlcnswerth, da einer Seits der weiteren Ausbreitung brandiger Zerstörung, anderer Seits der übelen Rückwirkung, welche der so entschieden contagiöse Eiter auf die Säftemasse ausübt, dadurch vorgebeugt wird. V i r c h o w meint, dass vielleicht auch eine sogenannte Wasserkur von Nutzen sein könnte, da die Neigung der Rotzkrankheit zu Abscheidungen auf der äusseren Haut unleugbar ist, welche bekanntlich durch die P r i e s s n i t z ' s c h e Behandlungsweise befordert werden. ' ) Medicioiache Vereirmeitung 1 8 2 9 ,
No. 4 7 .
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Verletzungen.
Dritter Abschnitt. Von den fremden Körpern. Unter f r e m d e n K ö r p e r n ( c o r p o r a a l i e n a ) verstehen wir alle diejenigen Gegenstände, welche von Aussen in den menschlichen Körper eingedrungen sind oder an demselben haften, ohne sich in den Säften, mit welchen sie in Berührung kommen, aufzulösen. Wir rechnen ferner hierzu diejenigen innerhalb des Organismus entstandenen Körper, welche aufgehört haben an dem Stoffwechsel Theil zu nehmen und nur durch mechanische Verhältnisse in ihm zurückgehalten werden. Der Begriff „fremde Körper" ist ein sehr dehnbarer; man kann ohne grosse Schwierigkeit einen bedeutenden Theil der Chirurgie unter diese Rubrik bringen. So hat D e l p e c h z. B. fast einen ganzen Band seines aus 3 Bänden bestehenden Lehrbuches den fremden Körpern widmen können, indem er von der Kugel, die den Schädel durchbohrt, endlich bis zum Fötus gelangt, der auch als fremder Körper betrachtet werden kann. Ja man ist noch weiter gegangen und hat auch verrenkte Knochen, dislocirte Bruch-Enden, überzählige Finger, die verschiedenen Geschwülste (Fremdbildungen) als fremde Körper bezeichnet. Unzweifelhaft gehören zu den fremden Körpern und sogar zu den (wenn auch im embryonalen Zustande) von Aussen eingedrungenen die E n t o z o e n , die wir jedoch aus praktischen Gründen, namentlich mit Bezug auf die Diagnose, den Geschwülsten anhangsweise angereiht haben.
Vgl. pag. 5 8 6 u. f.
Verschiedenheiten der fremden Körper. Wesentlich sind zu unterscheiden: 1) die fremden Körper, welche v o n A u s s e n g e k o m m e n s i n d ( a b s o l u t f r e m d e K ö r p e r ) ; 2) diejenigen, welche i n n e r h a l b des O r g a n i s m u s e n t s t a n d e n s i n d ( r e l a t i v f r e m d e K ö r p e r ) . Unter beiderlei Arten giebt es gasförmige, flüssige und feste. Sie haben entweder blos eine mechanische Wirkung, wie dies bei der Mehrzahl der von Aussen kommenden der Fall ist, oder eine chemische, wie z. B. der Aetzkalk; oder ihre Wirkung ist endlich eine eigenthümlich zersetzende, septische, wie wir dies bei der Septichämie, dem Milzbrand, Schlangengift, Rotz bereits erläutert haben. Letztere beruht wahrscheinlich auch auf einem chemischen Processe, von dem wir jedoch noch keine nähere Kenntniss besitzen.
Fremde Körper.
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Die von A u s s e n g e k o m m e n e n fremden Körper können 1) e i n d r i n g e n a) in H ö h l e n u n d C a n ä l e d u r c h d i e n a t ü r l i c h e n E i n u n d A u s g a n g s ö f f n u n g e n (so z. B. in die Nasenhöhle, den Schlund, die Luftröhre, den Gehörgang, den Mastdarm), b) d u r c h e i n e C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g , eine Wunde, mehr oder weniger tief in die Gewebe unseres Körpers (also in nicht präformirte Höhlen), z. B. Splitter, Messerspitzen, Kugeln u. s. f.; oder 2) sie h a f t e n a n d e r K ö r p e r o b e r f l ä c h e o h n e e i n e C o n t i n u i t ä t s t r e n n u n g , indem sie einen hervorragenden Körperlheil u m s c h l i e s s e n u n d e i n k l e m m e n , wie z . F i n g e r r i n g e , Schlüsselringe u. dgl., welche, bald auf einen Finger, bald über den Penis oder das Scrotum aufgestreift, gefunden worden sind. Wir berücksichtigen hier zunächst die f r e m d e n K ö r p e r der ersten Gruppe, welche also in H ö h l e n o d e r C a n ä l e n d e s K ö r p e r s ihren Sitz haben. Mit ihnen stimmen in Bezug auf KrankheitsErscheinungen und Verlauf die in den Secretionsorganen des Körpers entstandenen Coricremente wesentlich überein. Auf die in Wunden steckenden fremden Körper musste schon im zweiten Abschnitt, namentlich bei den Schusswunden, Rücksicht genommen werden. Die Folgen der Umschniirung und Einklemmung eines Körpertheils durch fremde Körper sind im Allgemeinen die der Ligatur (vgl. pag. 91 u. f.). Das V o l u m e n der fremden Körper differirt von dem kleinen Eisensplitter, der das Auge in bedenklicher Weise verletzen kann, bis zu der Kanonenkugel, welche L a r r e y in der Dicke des Oberschenkels versteckt fand. Was die Zahl betrifft, so hat man sich nur zu erinnern, dass C r u v e i l h i e r 1 ) in dem Darme einer allen Frau 600 Kirschkerne vorfand und dass in einer Gallenblase des Breslauer Museunis 7502 Gallensteine gezählt werden! Auch die F o r m der fremden Körper ist ungemein verschieden. Diejenigen, welche im Körper entstanden sind, haben gewöhnlich eine abgerundete Gestalt oder doch eine glatte Oberfläche; die von Aussen eingedrungenen dagegen zeigen alle möglichen Formen von dem spitzen feinen Wespenslachel bis zu den vielzackigen Metallstücken, die beim Hämmern abspringen, und der mehr oder weniger rundlichen Gestalt der verschiedenen Geschosse. Der Sitz der fremden Körper kann in allen möglichen Gegenden und Organen sein. Am Häufigsten finden sie sich in den Sinnesorganen (vor Allem in der äusseren Haut) und in denjenigen Eingeweiden, welche mit der Körperoberfläche direct cotn' ) Anatomie palbologique, T u m . 1. 2 6 . Lief. Taf. 6.
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Verletzungen.
municiren. Manche Organe haben, ganz abgesehen von ihrer directen Beziehung zur Aussenwelt, eine besondere Befähigung, fremde Körper in ihrem Inneren e n t s t e h e n zu lassen. So können z. B. fremde Körper in die Harnwege eben sowohl durch die Urethra eindringen, als auch in der Blase oder in dem Nierenbecken sich bilden.
Erscheiumigeu, welche durch fremde Körper veranlasst werden. Die Wirkung eines jeden fremden Körpers ist zunächst immer eine mechanische oder eine chemische: er kann comprimiren, verstopfen, durchbohren. Die functionelle Wirkung ist, je nach dem Sitze, der Gestalt, dem Volumen und besonders dem Gewichte des eingedrungenen Körpers,, verschieden. Eine Flintenkugel übt z. B. auf das Gehirn einen viel stärkeren Druck aus, als ein Blulerguss von demselben Umfange. Durch den Druck eines fremden Körpers kann ein Canal vollkommen verschlossen werden. Die Wirkung der Compression z. B., welche ein über den Penis gestreifter enger Ring ausübt, ist ganz dieselbe, wie die der Verstopfung der Urethra durch einen in ihr festsitzenden Körper. Der Grad der Verstopfung eines Canals durch einen fremden Körper steht in geradem Verhältniss zu dem Volumen des letzteren; jedoch haben auch seine Form und seine Richtung zuweilen einigen Einfluss; ein Geldstück z. B., welches in die Luftwege gerathen ist, wird dieselben mehr oder weniger versperren, je nachdem es horizontal oder vertical liegt. Ist der fremde Körper beweglich, so können die Zufälle, die er veranlasst, intermittirend auftreten, indem er bald mit einem sehr empfindlichen, bald mit einem weniger empfindlichen Theil des ihn umschliessenden Organs in Berührung tritt, bald einen Canal verstopft, bald nur verengert. Hieraus erklärt es sich z. B., dass Blasensteine von ansehnlicher Grösse lange Zeit unbemerkt bleiben können, dann aber plötzlich, nachdem sie in Folge einer Bewegung ihren Ort verändert haben, bedeutende Beschwerden erregen. Der Einfluss der Verschliessung oder Verengerung eines Canales auf den ganzen Organismus ist begreiflicher Weise verschieden je, nach der Function desselben. Um dies an recht extremen Fällen nachzuweisen, vergleiche man nur die Wirkung fremder Körper im Larynx und in der Vagina. Im ersten Falle handelt es sich um Lebensgefahr, im zweiten dagegen ist selbst ein vollkommener Verschluss nur von untergeordneter Bedeutung. In manchen Fällen wird die Gefahr, welche aus der Verengerung eines natürlichen Canales hervorgehen müsste, durch die Thätigkeit des Organismus selbst abgewandt, indem in der Nähe des fremden Körpers oder auch wohl an einer anderen
Fremde
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Körper.
Stelle durch Verschwärung ein neuer Canal, eine Fistel, kurz eine abnorme Oeffnung entsteht; so z. B. bei Verengerung der Harnröhre durch einen fremden Körper. Natürlich kann von dieser Hülfe keine Rede sein, wenn es sich um einen Canal handelt, dessen Lumen ohne Gefahr für das Leben auch keinen Augenblick verstopft sein darf, wie die Luftröhre und der Kehlkopf. Das erste Symptom, welches durch die Anwesenheit eines fremden Körpers in einem irgend bedeutenderen Organe hervorgerufen wird, ist eine a l l g e m e i n e B e ä n g s t i g u n g , die den Kranken fast noch mehr quält, als ein heftiger Schmerz. Unwillkürliche und unregelmässige Bewegungen treten bald in dem belästigten Organe allein, bald in den mit ihm in anatomischem oder physiologischem Zusammenhange stehenden Organen, bald in noch grösserer Ausdehnung auf. Hierher gehören z. B.: die Bewegungen der Gedärme, des Magens, des Zwerchfells, der Bauchmuskeln, wenn ein fremder Körper in den Mastdarm, den Magen oder sonst einen Theil des Darmcanals eingedrungen ist. Man beachte die allgemeine Aufregung in den verschiedensten Muskelgruppen, besonders aber in den Respirationsmuskeln, wenn eine Bohne, ein Kirschkern oder dgl. einem Kinde in den Larynx gerathen ist, das krampfhafte Schliessen der Augenlider und die unwillkürlichen unsteten Bewegungen der Augenmuskeln, sobald ein fremder Körper zwischen Augenlidern und Bulbus sich befindet, u. s. f. Alle diese Bewegungen sind Reflexerscheinungen, welche durch die von dem fremden Körper veranlasste Reizung centripetaler Nerven erregt werden. Es giebt aber fremde Körper und sogar solche von ansehnlichem Volumen, deren Anwesenheit, selbst in wichtigen Organen, sich durch kein einziges Symptom verräth. Hierfür liefert die Geschichte der Blasensteine zahlreiche Beispiele. Nicht selten hat man in der Blase von Menschen, welche an einer Krankheit gestorben waren, die zu den Harnorganen in gar keiner Beziehung stand, beträchtliche Steine gefunden, welche während des Lebens niemals Beschwerden erregt s hatten. Noch mehr muss es uns in Erstaunen setzen, wenn wir Aehnliches auch in Betreff der von Aussen eingedrungenen fremden Körper erfahren. Auch diese können zuweilen längere Zeit unbemerkt bleiben, ja sogar für den ganzen Rest des Lebens, ohne Schmerz oder Entzündung zu erregen, im Körper verweilen'). Weiteres Schicksal der frciiideu Körper. Wenn ein fremder Körper in der soeben angegebenen Weise in unseren Geweben stecken bleibt, so bildet sich um ihn zuweilen eine Kapsel, in welcher ' ) Vgl. die pag. 0 0 9
c i l i r t c A b h a n d l u n g von G u s t a v
U u r il ti I«! I» e I i , C h i r u r g i e .
7 . Aull.
I.
Simon. 4 0
722
Verlrtzangen.
er fernerhin eingeschlossen ( e i n g e k a p s e l t ) liegt, wie wir bei den Cysten bereits erwähnt haben. Dies ist jedoch der seltenere Fall. Gewöhnlich erregt die Anwesenheit des fremden Körpers Verschwärung, durch welche dem fremden Körper selbst ein Weg nach Aussen gö 1 bahnt wird. Von diesem Vorgänge ist bereits bei der „Verschwärung" und bei den „Schusswunden" die Rede gewesen. Es giebt jedoch auch Fälle, in denen ein fremder Körper seinen Ort verändert, wohl gar grosse Reisen im Organismus unternimmt, ohne dass es zur Verschwärung käme. Das auffallendste Beispiel hierfür liefern die Nähnadeln, die mit unbegreiflicher Schnelligkeit vom Halse bis zur Schenkelbeuge und noch weiter unter der Haut „ w a n d e r n " , indem sie das Bindegewebe mehr auseinander drängen, als zerreissen. Nächst ihrer eigenen Schwere sind die Muskelcontractionen die einzige bewegende Kraft, der wir diese Ortsveränderungen zuschreiben können. Anderer Art sind die O r t s v e r ä n d e r u n g e n der fremden Körper, welche in h o h l e n O r g a n e n vorkommen. Sie erfolgen entweder in der Richtung nach Innen oder nach Aussen. Letzteres ist meist günstiger. Es ist z. B. wünschenswerther, dass ein in der Urethra befindlicher Stein gegen deren Mündung vorrücke, als dass er in ihr stecken bleibe oder gar aufwärts zur Blase hin sich bewege. Jedoch giebt es auch Fälle, in denen die Bewegung nach Innen vorzuziehen ist. Fremde Körper z. B., welche im Oesophagus fest sitzen, werden gefährlicher, wenn sie sich aufwärts bewegen, ohne die Mundhöhle zu erreichen (welche Bewegung jedoch selten sein möchte), als wenn sie abwärts in den Magen gelangen. Bleiben wir bei den im Oesophagus festsitzenden fremden Körpern stehen, um an diesem Beispiele die verschiedenen Zufälle, die ein fremder Körper hervorrufen kann, zu erläutern, so ergeben sich, abgesehen von den an verschluckten Nähnadeln beobachteten W a n d e r u n g e n (s. oben) folgende Möglichkeiten: 1) sie werden durch den Mund wieder ausgeworfen, durch Erbrechen; 2) sie gelangen in den Magen und zwar entweder alsbald durch angestrengte Schlingbewegungen, oder nachdem die durch ihre Anwesenheit erregte Entzündung in Eiterung übergegangen ist, und sie dadurch beweglicher geworden sind; 3) die Entzündung geht in Verschwärung über, welche den Oesophagus durchbricht, endlich bis zur Haut durchdringt und somit einen neuen Weg öffnet, auf welchem der fremde Körper ausgestossen wird; 4) die Verschwärung schreitet nicht zwischen den umliegenden Organen zur Haut vor, sondern dringt in ein in der Nähe gelegenes anderes Organ ein, z. B. in die Luftröhre ( D u p u y t r e n ) oder in die Arteria pulmonalis ( B e r n e s t ) oder in die Aorta ( L a u r e n c i n und L e g e r ) ; 5) der fremde Körper bedingt sogleich oder
Fremde Körper.
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doch alsbald Erstickung, je nachdem er ganz im Anfange des Oesophagus sitzt und mithin den Kehlkopf comprimirt oder bereits tiefer abwärts gelangt ist und folglich die Luftröhre verengt (in beiden Fällen muss der fremde Körper sehr gross sein, um Erstickung herbeizuführen); 6) der fremde Körper erregt eine tödtliche Entzündung in der Umgegend der Speiseröhre, ohne dass es zum Durchbruch nach Aussen und mithin zur Entfernung desselben käme; 7) gleichzeitig mit den bereits erwähnten Zufällen kann der fremde Körper durch sein Volumen Compression der grossen Gefassstämme am Halse, insbesondere der Venae jugulares internae veranlassen, wodurch Cerebral-Congestionen entstehen. Selten besitzen fremde Körper eine so ausserordentliche Theilbarkeit, dass sie resorbirt werden können. Es handelt sich in solchen Fällen fast nur um flüssige oder in den Flüssigkeiten des Körpers leicht lösliche Substanzen. Von dem extravasalen Blute wurde bereits oben bemerkt, dass seine flüssigen B e s t a n d t e i l e mit grosser Leichtigkeit resorbirt werden, während der Farbestoff und mehr noch der Faserstoff gewöhnlich längere Zeit der Aufsaugung Widerstand leisten und erst, nachdem sie eigentümliche Veränderungen erlitten haben, verschwinden oder wohl gar zur Eiterbildung in ihrer Umgegend Veranlassung geben. Noch schwieriger werden feste Körper durch Absorption beseitigt oder doch verkleinert. Die Geschichte der Nekrose und die Versuche über Neubildung von Knochenmasse liefern aber Belege für die Möglichkeit eines solchen Vorganges. Abgestorbene Knochenstücke (Sequester) werden, wenn sie längere Zeit im lebenden Körper verweilen, allmälig etwas kleiner. F l o u r e n s 1 ) hat nachgewiesen, dass ein todter Knochen, den man in die Markhöhle eines grösseren Knochens eines lebenden Thieres einführt, nach längerer Zeit merklich an Volumen und Gewicht verliert. Es ist ferner bestimmt beobachtet, dass manche Harnsteine in der Blase ohne die Anwendung auflösender Einspritzungen allmälig verkleinert w e r d e n ; aber man darf in dieser Beziehung nicht so weit gehen wie D e l p e c h , der an einem sehr harten Blasensteine, dessen Oberfläche gefurcht und gleichsam angefressen ¡war, demonstrirte, dass diese Veränderungen durch die- Thätigkeit der Lymphgefässe bewirkt seien. Manche fremde Körper werden bei längerem Aufenthalte im Organismus grösser, so z. B. die grosse Mehrzahl der in der Blase vorkommenden, indem sich die im Harn enthaltenen Salze schichtweise an sie anlagern. Andere nehmen an Volumen z u , indem sie ') Annales de la Chirurgie, Tom. III. pag. 257; Tom. XII. pap. 170.
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724
Verletzungen.
durch die Aufnahme von Flüssigkeit aufquellen, so z. B. Schwammstücke, Erbsen und Bohnen. Bei noch anderen dagegen findet durch die Tränkung mit Flüssigkeit eine Auflockerung ihres Gefüges oder auch eine allmälige Auflösung Statt, so z. B. bei einem Stück Zucker. B e h a u d l a u g der fretndeu Körper. Für die v o n A u s s e n e i n g e d r u n g e n e n , sowie für die u m s c h n ü r e n d e n f r e m d e n K ö r p e r ist die Behandlung im Allgemeinen sehr leicht anzugeben: s i e m ü s s e n e n t f e r n t w e r d e n , wenn mit ihrer Entfernung nicht grössere Uebelstände verknüpft sind, als sie selbst erregen. — Demnächst können die durch den fremden Körper veranlassten Störungen noch eine besondere Behandlung erfordern. Die Behandlung der i n n n e r h a l b d e s O r g a n i s m u s e n t s t a n d e n e n fremden Körper ist selten so einfach. Gewöhnlich kommt es nächst der Entfernung derselben sehr wesentlich darauf a n , die U r s a c h e , a u s w e l c h e r s i e e n t s t a n d e n s i n d , zu beseitigen, da sie sonst aufs Neue entstehen. Die Erfüllung dieser zweiten Indication ist von eben so grosser Wichtigkeit, wie die Entfernung. So kann man z. B. die Pseudo-Membranen, welche im Croup die Luftwege versperren, durch die Tracheotomie entfernen; aber man vermag dadurch nicht den Krankheitsprocess, der sie erzeugte, zu unterbrechen. Durch den Steinschnitt kann man mit grosser Sicherheit Blasensteine entfernen; aber diese Operation vermag Nichts gegen die Steinkiankheit selbst auszurichten. So zeigt sich hier wiederum die N o t w e n digkeit, bei der Erfüllung einer mechanischen Indication, den organischen Grund der mechanischen Störung nie aus dem Auge zu verlieren. Freilich ist es für die Mehrzahl der hierher gehörigen Fälle viel leichter, die lndicationen richtig zu stellen, als sie vollständig zu erfüllen. Die Natur, die Form uud das Volumen eines fremden Körpers, endlich auch sein Sitz können Abweichungen von den bisher aufgestellten Grundsätzen nothwendig machen, oder sogenannte Coutralndicationen begründen. Schrotkörner können in manchen Geweben, besonders in der Haut, im Bindegewebe, in den Knochen, zurückbleiben, ohne irgendwie schädlich zu sein. Ist der fremde Körper aber gross oder sitzt er in wichtigen und empfindlichen Organen, z. ß . in den Luftwegen, im Oesophagus, so ist seine Entfernung dringend angezeigt. Auch je nach der Beschaffenheit des fremden Körpers muss seine Entfernung mit mehr oder weniger Eile bewirkt werden. Ein Bluterguss z. B. zwischen Dura niater und Schädel erheischt viel weniger dringend die mechanische Entfernung, als ein ins Gehirn eingetriebener Knochensplitter oder eine in dasselbe eingestossene Messerspitze.
Fremde Körper.
725
Gewöhnlich ist der beste und sicherste Weg für die Entfernung eines von Aussen eingedrungenen fremden Körpers derjenige, auf welchem er eingedrungen ist. Zuweilen ist es jedoch unmöglich, ihn auf diesem Wege auszuziehen, bald wegen des zu grossen Volumens, bald wegen der Festheftung des fremden Körpers. Dann stehen uns zwei Mittel zu Gebote, entweder Trennung der Gewebe, um den Weg weiter oder den Körper frei zu machen, oder aber Theilung, Zertrümmerung des fremden Körpers. In manchen Fällen kann man auf beiden Wegen die Entfernung bewerkstelligen; Blasensteine können z. B. entweder durch Eröffnung der Blase auf einem künstlich angelegten Wege aus ihr entfernt, oder aber nach vorgängiger Zertrümmerung, auf dem natürlichen Wege, durch die Urethra ausgeleert werden. Man kann aber auch beide Methoden combiniren und einen sehr grossen Blasenstein z. B. durch eine künstliche Ö f f n u n g stückweise entfernen, oder einen brandigen Knochen, nachdem man durch eine künstliche Oeffnung zu ihm gelangt ist, zum Behufe der leichteren Ausziehung zerbrechen, wodurch dann dem Kranken grössere und vielleicht auch gefährlichere Einschnitte erspart werden. Zuweilen reicht es hin, einen fremden Körper, statt ihn auszuziehen, nur an einen anderen Ort zu bringen, wo er sich unter Verhältnissen befindet, die ihn entweder unschädlich machen oder auch wohl ganz beseitigen. So ist es z. B. zuweilen zweckmässig, fremde Körper aus dem Oesophagus in den Magen hinabzustossen, vorausgesetzt, dass sie daselbst entweder aufgelöst werden können oder doch wenigstens nicht nachtheilig auf den Magen und den übrigen Organismus einwirken. Selten empfiehlt es sich die Ausziehung eines fremden Körpers nieht auf einmal zu vollenden, sondern ihn zuerst nur den halben Weg machen und den Best des Weges erst nach mehr oder weniger langer Zeit zurücklegen zu lassen. Diese Methode ist z. B. von G o y r a n d mit Vortheil bei der Entfernung der „Gelenkm ä u s e " (vgl. Bd. 11.) in Anwendung gebracht worden. Der Sitz, die Beschaffenheit des fremden Körpers und die durch seine Anwesenheit bereits herbeigeführte Erkrankung der ihn umgebenden Gewebe können die Notwendigkeit begründen, seine Entfernung n i c h t vorzunehmen. So wäre es z. B. thöricht, einen fremden Körper in der Tiete des Gehirns aufzusuchen, da durch die zu seiner Ausziehung nöthige Operation eine noch bedeutendere Zerstörung dieses wichtigen Organs herbeigeführt würde. Man wird sich nur mit grosser Vorsicht und' sehr zweifelhafter Prognose zur Entfernung eines fremden Körpers entschliessen, wenn derselbe an seinem Aufenthaltsorte bereits so bedeutende Veränderungen herbeigeführt hat, dass eine
726
Verletzungen.
Heilung des Kranken doch nicht mehr zu erwarten ist, oder wenn bei einem innerhalb des Organismus entstandenen fremden Körper mit Bestimmtheit vorausgesehen werden kann, dass er sich wiedererzeugen wird. Die Entscheidung ist jedoch in letzterer Beziehung sowohl im Allgemeinen, als auch in den einzelnen Fällen sehr schwierig.
Eulleriiuug der fremden Körper, Exäresis. Um einen von Aussen eingedrungenen fremden Körper auszuziehen, muss man oft die bereits vorhandene Oeflhung dilatiren oder eine neue Oeffnung anlegen. Es kann also als Vorbereitung der eigentlichen E x ä r e s i s das Dilatiren oder Incidiren nothwendig werden. Die Mittel, durch welche wir die Herausbeförderung bewirken, sind entweder directe oder indirecte. Zu letzteren gehören: die Erregung von Erbrechen, Niesen, Evacuatio alvi u. dgl. Die direct wirkenden sind: auflösende oder chemisch wirkende Einspritzungen und die A u s z i e h u n g im engeren Sinne des Wortes, E x t r a c t i o c o r p o r i s a l i e n i . Unter Umständen sind ein oder mehrere Finger oder auch wohl die ganze Hand das beste Werkzeug zur Extraction. Gewöhnlich aber bedarf man besonderer Instrumente, für welche im Allgemeinen gilt, dass sie bei möglichst geringem Volumen, eine möglichst grosse Festigkeit besitzen müssen. Hierher gehören die verschiedenen Zangen, Pincetten, Löffel, Krälzer (Tire-fonds), Hebel u. dgl. m., unter denen für jeden einzelnen Fall bald eins, bald mehrere zweckmässig angewandt werden, und über deren Gebrauch das Nähere erst bei den Krankheiten der einzelnen Organe gelehrt werden kann. Allgemeine Regeln über das Verfahren bei der Ausziehung lassen sich, abgesehen von den bei der Lehre von den Schusswunden bereits aufgestellten, nicht geben. Bei jeder Ausziehung eines fremden Körpers muss mit der grössten S c h o n u n g verfahren werden, um das Organ, in welchem er haftet, nicht einer neuen, vielleicht noch schlimmeren Verletzung, als diejenige, welche er selbst herbeiführte, auszusetzen. Mit gleicher Vorsicht und überhaupt in ganz analoger Weise ist auch bei den im Organismus entstandenen Concrementen zu verfahren; nur ist es bei diesen viel seltener möglich, sie ohne Dilatation der normalen Oeffnung oder Anlegung einer neuen zu entfernen. Bei U m s c h n ü r u n g e n v o n K ö r p e r t h e i l e n stösst man wegen der schnell zu beiden Seiten auftretenden Anschwellung in der Regel auf Schwierigkeiten. Zuweilen ist der angelegte Faden gar nicht zu erkennen, eine Hohlsonde oder eine Scheerenspitze lässt sich nicht unter ihn schieben. Dann muss man gerade auf die angelegte Ligatur mit einem spitzen Messer vorsichtig incidiren, während die andere
Fremde
727
Körper.
Hand den umschnürten Theil unverrückbar festhält 1 ). Anderer Art sind die Schwierigkeiten, wenn es sich um metallene Ringe handelt. Das Durchfeilen ist der Geschwulst wegen meist unmöglich. Recht starke schneidende Zangen, wie man sie zum Glätten der Knochensplitter an Amputationsstumpfen oder zum Durchschneiden des Unterkiefers, nach L i s t o n , benutzt*), leisten in solchen Fällen die besten Dienste. Man muss sie in der Art ansetzen, dass die ganze Breite des Ringes zwischen den Spitzen gefasst, und während die letzteren eben nur die Haut streifen, mit einem kräftigen Druck auf die Branchen durchschnitten wird. Sind die umschnürenden Ringe zu dick oder zu fest, um sie auf solche Art zu durchschneiden (wie z. B. der Ring eines Schlüssels), so fasst man sie an zwei Stellen mit hinreichend starken Schraubstöcken und zerbricht sie mit deren Hülfe, indem man sie sogleich auseinander biegt. In den schlimmsten, zu lange vernachlässigten Fällen von Umschniirung kann es erforderlich werden, jenseit des angeschwollenen Wulstes einen kleinen Schnitt durch die Haut zu machen, dann eine Hohlsonde unter der Haut bis unter oder doch bis an den umschnürenden Körper zu führen und demnächst auf der Hohlsonde die Spaltung vorzunehmen. Ist es ein Faden, so schneidet man diesen sogleich mit durch; einen Melallring muss man, nachdem er auf solche Weise zugängig geworden ist, mit der Zange durchschneiden oder zwischen zwei Schraubstöcken zerbrechen und auseinander biegen. Die nach solchen Operationen zurückbleibenden Wunden sind als „gequetschte" sorgfältig zu behandeln. ') Umschnürungen
der Finger mit
diinDen
F ä d e n sind m i r in G r e i f s w a l d bei k l e i n e n
Kindern
o f t v o r g e k o m m e n , weil sieb d o r t d e r A b e r g l a u b e n o c h
Anlegen
solcher
Ligaturen
gegen
gewisse
Krankheiten
findet,
(Süchtigkeiten,
dass
das
Suchten)
b ü l f r e i c h sei. 3
) Wer solche Zaogen nicht zur Hand b a t ,
benutze eine starke schneidende
Draht-
z a n g e , w i e m a n sie j e t z t bei den S t a h l w a a r e n h ä n d l e r n m e i s t von ganz v o r z ü g l i c h e r Gute vorflndet.
Di'itte Gruppe. Missbildungen, Dysmorphoses, Deformitates. Wir handeln hier von den Missbildungen im weitesten Sinne des Wortes,
so zwar, dass nicht blos d i e a n g e b o r e n e n ,
welche man
gewöhnlich schlechtweg M i s s b i l d u n g e n (monstra, anomalies)
nennt,
sondern auch die e r w o r b e n e n F o r m f e h l e r ( d i f f o r m i t é s ) darunter verstanden werden. Vitia
primae
Missbildungen oder Formfehler in diesem Sinne,
et s e c u n d a e
formationis,
sind also alle Abwei-
chungen der Körperform von der als Regel angenommenen, uns die normale menschliche Anatomie kennen lehrt.
welche
Alle diejenigen
(angeborenen) Formfehler, welche das Leben unmöglich machen, also nicht
Gegenstand
chirurgischer
Behandlung
werden,
kommen
hier
jedoch nicht näher in Betracht.
E r s t e r Abschnitt. Von den Missbildungen im Allgemeinen. Actiologic.
Die nach
der Geburt
entstandenen,
sogenannten
„ e r w o r b e n e n " Formfehler sind die Folge bald einer durch Entzündung oder Verschwärung
bedingten
Verwachsung,
bald
einer Ver-
letzung, bald einer Anfangs krampfhaften, aber auch nach Aufhören des Krampfes selbstständig fortdauernden Verkürzung (Contractur) oder aber einer Lähmung von Muskeln,
welche beide ihrer Seits oft auf
Krankheiten des Nervensystems beruhen. benen Missbildungen
Die Aetiologie dieser erwor-
führt uns also theils auf bereits
beschriebene
chirurgische Krankheiten zurück, theils in das Gebiet der inneren Medicin, von welcher wir in Betreff der Vorgänge, durch welche in dem
729
Aetiologie.
einen F a l l e M u s k e l v e r k ü r z u n g e n ,
in dem anderen Lähmungen
lasst w e r d e n , noch manche A u f k l ä r u n g erwarten
müssen.
veran-
Vielleicht
beruhen auch m a n c h e der a n g e b o r e n e n Missbildungen auf ähnlichen krankhaften
Veränderungen,
wie
die
eben
angedeuteten.
Denn
es
unterliegt keinem Z w e i f e l , dass der Fötus in ähnlicher Weise, wie ein geborenes Kind erkranken k a n n .
Es
sind
Fälle genug b e k a n n t ,
denen durch Entzündung beim F ö t u s Verwachsungen und sungen von Canälen zu S t a n d e k a m e n .
Erschütterungen, Quetschun-
gen, Z e r r u n g e n und in Folge derselben Verrenkungen
und K n o c h e n -
b r ü c h e , ja s o g a r W u n d e n aller Art können den Fötus treffen. wird er d i r e c t , bald indirect verletzt, Mutter o d e r einem heftigen S t o s s e , leib trifft.
Bald
Falle
Bauchwunde
herbeizuführen,
oder
durch
verwundet
Endlich kann er durch
durch
das
ein
Orificium
werden.
in der Absicht,
unzweckeine
den
uteri eingebrachtes
Manche Schriftsteller wollen
pene-
Abortus
Instrument von
diesen
K r a n k h e i t e n des F ö t u s alle oder doch die meisten Missbildungen leiten.
der
zumal wenn derselbe den Unter-
wie z. B . bei zu festem S c h n ü r e n ,
mässigen Leibbinden u. dgl. m.
direct
so z. B. bei einem
Nicht minder v e r m a g ein längere Zeit fortgesetzter Druck
nachtheilig zu w e r d e n , trirende
in
Verschlies-
ab-
F e h l t dem K i n d e irgend ein Theil, so nehmen sie a n , er sei
durch eine Krankheit zerstört w o r d e n ; besteht irgendwo eine a b n o r m e Trennung,
wie z. B . bei der H a s e n s c h a r t e ,
eine Z e r r e i s s u n g Statt gefunden 11. s. f. — Lehre
gehören 4
Velpeau ) will
sogar
Haller'),
und
5
Otto ).
Beclard1),
Morgagni,
—
Isidor
so glauben sie,
üuges3),
Saint-Hilaire6)
Geoffroy
eine g r o s s e Anzahl v o n Missbildungen
schen Verletzungen o d e r S t ö r u n g e n
es habe
Zu den Vertheidigern dieser
aus rein m e c h a n i -
des Fötus ableiten,
wozu freilich
seine B e o b a c h t u n g e n und Versuche an Hühnereiern keineswegs hinreichenden
Grund
abgeben,
da
aus
denselben,
einen
wie aus anderen
hierher gehörigen B e o b a c h t u n g e n 7 ) nur hervorgeht, dass mechanische V e r l e t z u n g e n des E m b r y o
z w a r Missbildungen hervorbringen
a b e r j e d e n f a l l s zu den selteneren Ursachen derselben
können,
gehören.
S o w e n i g also Krankheiten, w i e wir sie anderweit kennen, o d e r ')
De m n n s l r i s .
')
Bulletins
')
Ephem.
4
Partes
destruclae.
d e la F a c n l t e de m e d e c i n e mcdlc. de
1817.
Montpellier.
) Traitc d'accouchement.
Paris,
1835.
')
Monstroruin sexcentorum descripti» anatomica.
6
I i i s l o i r e des a n o m a l i e s d e l ' o r g a n i s a l i o n .
)
')
Vgl.
Eiscnbeis:
utero contento
De
lacsionihus
a e c i d e n t i b u s elc.
ineclianicis Tübing.,
Vratislaviae,
Paris,
simulacrisque
I79i,
1841.
1832—30. laesionuin
foetu
in
730
Missbildnngen.
Verletzungen des Fötus als Ursachen der Nissbildungen geläugnet werden sollen, so mttssen wir uns doch der in neuerer Zeit immer mehr zur Geltung gekommenen Ansicht anschliessen, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle eine S t ö r u n g d e s E n t w i c k e l u n g s g a n g e s , eine A b w e i c h u n g d e s s e l b e n v o n d e r I d e e d e r G a t t u n g , wie Th. B i s c h o f f 1 ) sich mit Bezug auf die Henle'sche Lehre vom Organismus') ausdrückt, zu Grunde liegt. Die Ursachen einer solchen Abweichung können mannigfaltig sein. Entweder waren sie ursprüngliche, in einer Modification des Sperma oder des Ovulum begründete, oder aber sie wirkten erst während der Entwickelung ein, und zwar bald durch Verinittelung des von der Mutter gelieferten Bildungsmaterials, welches durch körperliche Krankheiten oder geistige Affecte derselben verändert werden kann, bald durch Krankheiten des Embryo selbst, unter denen auch die mechanischen Verletzungen als eine kleine Unterabtheilung ihren Platz finden. Eine grosse Anzahl von Missbildungen hat die Entwickelungsgeschichte in neuerer Zeit auf eine Hemmung der Bildung (also Bild u n g s h e m m u n g ) zurückführen gelehrt. Solche Missbildungen entstehen, indem die Entwickelung eines oder mehrerer Organe auf einer gewissen Stufe der Ausbildung aufgehalten oder in ihrem Fortgange in der Art gestört wurde, dass abweichende Formen entstanden, welche entweder jener Stufe, auf welcher das Organ beim Eintritt der Störung sich befand, geradezu entsprechen oder doch aus derselben erklärt werden können. Man nennt solche auf einer Hemmung der Entwickelung beruhende Missbildungeii mit Recht H e m m u n g s b i l d u n g e n 3 ) . Diese von C. F. W o l f f 4 ) begründete und dann besonders von T i e d e m a n n 5 ) , J. F. Meckel 4 ), G e o f f r o y S a i n t - H i l a i r e ' ) u. A. weiter ausgebildete Lehre hat die Betrachtungsweise der Missbildungen erst zu einer wahrhaft wissenschaftlichen gemacht. Indem wir den geistigen Affecten der Mutter einen Einfluss auf das iiir das Wachsthum des Fötus erforderliche Bildungs-Material zugestanden und die Veränderungen dieses letzteren als eine der möglichen nächsten Ursachen des Entstehens einer Missbildung auf') W a g n e r ' s
Handwörterbuch
der Physiologie.
Artikel:
Bd. I. pag. 8 9 4 . ' ) Allgemeine Anatomie.
Seite 2 1 8 .
») Vgl. B i s c h o f f , 1. c. pag. 8 8 6 a. 8 9 2 . *) Nov. Comment. Petrop.
T. XVII.
») Anatomie der kopflosen Missgeburten. *) Pathologische Anatomie. *) Philosophie a n a t o m i q u e .
Landshut,
1813.
Entwickelungsgeschichte.
Aeliologie.
731
führten, haben wir zugleich ausgesprochen, dass wir das sogenannte „ V e r s e h e n " der Schwangeren keineswegs ganz hinwegläugnen wollen. Es giebt bekanntlich kaum irgend einen Volksglauben von höherem Alter, als diesen. Schon im alten Testamente wird uns erzählt, wie Jacob den trächtigen Schafen Zweige vorwarf, die er durch theilweises Abziehen der Rinde bunt gemacht hatte, um bunte Lämmer zu erzielen. Und von jener Zeit an bis auf unsere T a g e ' ) hat sich die „Lehre von dem Versehen" im Volksglauben, wie in der Wissenschaft erhalten. Die Thatsachen, um welche es sich hierbei handelt,' lassen sich in zwei Gruppen sondern. Diejenigen, welche zu der ersten Gruppe gehören, betreffen solche Missbildungen, welche sich bei Kindern vorfanden, deren Mütter während der Schwangerschaft eine heftige Gcmüthsbewegung erlitten, ohne dass ein bestimmter Zusammenhang zwischen dieser G e m ü t s b e w e g u n g und der Art der Missbildung behauptet würde. Beobachtungen der Art hat man keinen Grund in Zweifel zu ziehen, — wenn man nicht etwa den Einfluss des Nervensystems auf die Vorgänge der Ernährung und auf die Beschaffenheit des Blutes, oder aber den Einfluss der Beschaffenheit des Blutes der Mutter auf die Vorgänge der Ernährung des Fötus überhaupt läugnen will. Die zweite Gruppe umfasst diejenigen Beobachtungen, durch welche der Einbildungskraft der Mutter ein bestimmter (und zugleich bestimmender) Einfluss auf die Entstehung einer besonderen Missbildung, die mehr oder weniger das Abbild der Sinneseindrücke oder Vorstellungen der Mutter sein soll, vindicirt wird. Die Mutter erschrickt z. B. vor einer Feuersbrunst, — das Kind bringt ein Feuermaal mit zur Welt; es fällt ihr eine Erdbeere in den Busen, sie erschrickt darüber, — das Kind trägt einen erdbeerförmigen Blutschwamm an der Brust; sie sieht mit Schauder einen Amputirten, — dem Kinde fehlt ein Bein, u. dgl. m. Die grosse Zahl solcher Beobachtungen ersetzt keineswegs den Mangel an Glaubwürdigkeit, auf den m a n bei der genaueren Untersuchung der einzelnen immer stösst. Von grosser Wichtigkeit ist in allen diesen Beziehungen der Umstand, dass der Zeitpunkt, zu welchem das Versehen Statt gefunden haben soll, gewöhnlich nicht innerhalb des ersten, sondern in den späteren Monaten der Schwangerschaft angegeben wird, in welchen bekanntlich die äussere Form des Fötus schon vollkommen entwickelt ist und von der Entstehung der meisten und bedeutendsten Missbildungen gar keine Rede mehr sein kann. Wenn wir also auch zugestehen, dass ein
') Vgl. F e u c h t e r s i e b e n , in den Verhandlungen der k. Ji. Gesellschaft der Aenjte in Wien, 1842, pag. 430,
Missbildangen.
732
Einfluss der Gemüthsbewegungen und Vorstellungen der Mutter auf die Form des Embryonalkörpers möglich ist, s o m ü s s e n . w i r d o c h die A b h ä n g i g k e i t b e s t i m m t e r M i s s b i l d u n g e n von b e s t i m m t e n Sinneseindrücken oder Gerniithsbewegungen durchaus läugn e n . Auch folgt keineswegs auf j e d e , wenn auch noch so heftige Gemülhsbewegung einer Schwangeren jedes Mal die Entstehung einer Missbildung, ebenso wenig wie auf jede Erkältung ein Schnupfen oder auf jeden lange getragenen Kummer die Entstehung eines Carcinoms, so wichtig für die AetictJogic des Schnupfens die Erkältung und für die des Krebses der Kummer auch immer sein mag. tiiiilbeiluug der Missbildnugeil. Die Schwierigkeit einer guten Classification der Missbildungen ist schon eine sehr bedeutende, wenn man blos die angeborenen berücksichtigt; noch grösser aber wird sie, wenn gleichzeitig auch die erworbenen Formfehler mit umfasst werden sollen. Indem wir in Betreff der angeborenen Missbildungen uns an die von T h . B i s c h o f f aufgestellte Classification 1 ) anschliessen, werden wir in dem folgenden Abschnitt nur diejenigen hervorheben, welche in chirurgischer Beziehung von besonderem Interesse sind. Th. B i s c h o f f theilt mit Rücksicht auf seine, oben von uns angeführte Definition der Missbildungen, n a c h a n a t o m i s c h e m P r i n e i p , dieselben in d r e i C l a s s e n . I. C l a s s e .
Missbildungen, denen zur Realisation ihrer G a t t u n g etwas fehlt.
der
Idee
Die Ursachen der hierher gehörigen Missbildungen können sehr verschieden sein: zuweilen, obgleich gewiss selten, eine unvollkommene Zeugung wegen abnormer Beschaffenheit des Ovulum oder des Sperma; feiner Hemmungen der Entwickelung durch äussere Einflüsse, z. B. Affecte der Mutter; Zerstörung eines bereits gebildeten Organs durch Krankheiten (z. B. Wasseransammlung) oder durch mechanische Einflüsse (z. B. Abschnürung eines Gliedes durch den Nabelstrang oder durch abnorme Stränge innerhalb des Eies). lste O r d n u n g . D e f e c t e im e n g e r e n S i n n e . Denselben fehlt irgend ein mehr oder weniger bedeutender Theil des Körpers, sehr häufig ein Theil des Kopfes, weshalb sie von Vielen auch schlechtweg A c e p h a l a genannt werden. 2te O r d n u n g . Missbildungen durch Kleinheit der Theile. 3te O r d n u n g . M i s s b i l d u n g e n d u r c h V e r s c h m e l z u n g . Un' ) I. c. p a g . 9 0 1
u. folg.
Eintheilung. — (Jeliersicht.
733
t e r den h i e r h e r g e h ö r i g e n Arten sind f ü r den C h i r u r g e n ders die V e r s c h m e l z u n g e n an den E x t r e m i t ä t e n von ä) S y n d a c t y l u s .
beson-
Interesse.
Die F i n g e r oder Zellen sind m e h r oder w e n i g e r
unvollständig g e t r e n n t , i n d e m sich die Haut ü b e r 2, 3, oder 4 gleielnnässig
und
ohne Unterbrechung
fortzieht.
Dies b e r u h t
auf einer B i l d u n g s h e m m u n g , da d e r Keim f ü r Hand u n d
Fuss
A n f a n g s keine S p a l t u n g in Finger o d e r Zehen zeigt. b) M o n o p o d i a .
Sirenen-Missbildung
(vgl. Fig. 149).
Die
beiden u n t e r e n E x t r e m i t ä t e n sind m e h r oder weniger vollständig mit e i n a n d e r v e r w a c h s e n , wobei i h r e einzelnen Theile zuweilen vollständig, zuweilen u n v o l l s t ä n d i g entwickelt sind, w ä h r e n d der After i m m e r
fehlt u n d das B e c k e n ,
Geschlechtstheile fehlen.
unvollständig
die l l a r n o r g a n e
entwickelt
sind
und
die
oder ebenfalls
Dies k a n n nicht g r a d e z u als ß i l d u n g s h e n u u u n g gedeutet
w e r d e n , da im n o r m a l e n E n t w i c k e l u n g s g a n g c
die Anlagen f ü r
beide u n t e r e Extremitäten sich g e s o n d e r t e n t w i c k e l n ; diese Missb i l d u n g b e r u h t vielmehr auf einer m a n g e l h a f t e n des u n t e r e n R u m p f - E n d e s u n d seiner O r g a n e ,
Entwiekelung so dass d e r e n
Keime zu n a h e a n e i n a n d e r r ü c k e n u n d i n e i n a n d e r fliessen. 4te O r d n u n g . a) Atresia
Verschluss
normaler Oeffnungen,
o r i s , b e r u h t j e d e n f a l l s auf einer
Nach B u r d a c h einander
und
scheinlicher
v e r w a c h s e n die Lippen im vierten Monate uiil
trennen
sich
ist j e d o c h ,
here!' Zeit
Atresiae.
Bildungshennnung.
erst
im sechsten wieder.
dass diese Missbildung
herrührt.
Sehr
früh
nämlich
Wahr-
aus viel frü-
sehliesst sich
der
Kopftheil der Visceralliöhle des E m b r y o v o l l k o m m e n , indem die Viseerah'änder des animalen Blattes d e r Keinihaut mit e i n a n d e r v e r w a c h s e n u n d die „ u n t e r e V e r e i n i g u n g s h a u l " , nach l i a t h k e , darstellen.
Erst
mit
dem
Hervorbrechen
der
Visccralbogen
entsteh! die o b e r e Oeft'nung des N a h r u n g s c a n a l e s , aus w e l c h e r s p ä t e r zwischen dem ersten Visccralbogen u n d seinem F o r t s ä t z e d e r Mund sich entwickelt.
oberen
Es k ö n n t e also s e h r wohl
das Persistiren d e r R a t h k e ' s c l i e n V e r e i n i g u n g s h a u l der G r u n d der A t r e s i a o r i s b) A t r e s i a hat,
nasi.
sein.
Die Nase sehliesst sieh, wie B u r d a c h
n a c h d e r f ü n f t e n W o c h e mit
welcher
im
f ü n f t e n Monate w i e d e r v e r s c h w i n d e t ,
und
Persistiren wir als G r u n d dieser Missbildung a n s e h e n c) A t r e s i a
auris
exlernae.
Der
gezeigt
einem sackartigen P f r o p f e ,
aus
dein
hinteren
dessen müssen. oberen
Theile d e r e r s t e n V i s c e r a l s p a l t e entstellende ä u s s e r e hörgang
ist z w a r zu k e i n e r Zeit des F ö t u s - L e b e n s
Ge-
normaler
734
Misibildoogen. Weise verschlossen aber bis zur Geburt hin wenig entwickelt, so dass eine geringe Bildungsabweichung leicht zum Verschluss führen kann. d) A t r e s i a a n i . Wenn mit dem Verschlusse des Afters nicht gleichzeitig ein Verschluss des C a n a l i s u r o - g e n i t a l i s besteht, so lässt sich diese Missbildung nicht aus einem Stehenbleiben auf derjenigen Stufe der Enlwickelung erklären, wo das Darmrohr im hinteren (unteren) Körper-Ende blind endigt. Denn die äusseren Oeffnungen der Harn- und Genital-Organe entwickeln sich aus der später auftretenden primären Oeffnung des Enddarms (Cloake). Wahrscheinlich beruht diese Atresie auf einem späteren zufälligen Verschlusse, obgleich Einige angeben, dass ein solcher für eine Zeit lang normal erfolge. c) A t r e s i a v u l v a e wird wahrscheinlich dadurch hervorgebracht, dass die wulstigen Ränder der äusseren Oeffnung des Canalis uro-genitalis, statt als Labia majora getrennt zu bleiben, in der Art mit einander verwachsen, wie es beim männlichen Fötus normaler Weise zur Bildung des Hodensackes geschieht. f ) A t r e s i a v a g i n a e beruht gewöhnlich auf einer zu starken Entwickelung des Hymen. In manchen Fällen setzt sich blos das Epithelium oder eine nur von einer sehr dünnen Bindegewebslage getragene Epithelialschicht über den ScheidenEingang fort ( R o s e r ' s Epithelialverklebung). g) A t r e s i a u t e r i lässt sich aus der Entwickelung des Uterus nicht erklären, beruht vielleicht auf entzündlicher Verwachsung. h) A t r e s i a u r e t h r a e v i r i l i s ist eine Bildungshemmung. Die Eichel ist bis zum vierten Monat undurchbohrt und die Furche an der unteren Seite des Penis, aus welcher sich die Harnröhre entwickelt, erstreckt sich nicht bis auf die Eichel.
5te O r d n u n g . S p a l t b i l d u n g e n , F i s s u r a e . Deren lassen sich, ihrer Entstehungsweise nach, drei Gruppen unterscheiden. A. Die e r s t e G r u p p e umfasst diejenigen, welche in einem m a n g e l h a f t e n V e r s c h l u s s e d e r s i c h bei d e r n o r m a l e n E n t wickelung gegen einander neigenden Dorsalpla.tten u n d V i s c e r a l p l a t t e n d e r K e i m h a u t ihren Ursprung haben. Es ist hierbei gleichgültig, ob die Vereinigung der Ränder dieser Platten unvollständig, vielleicht auch gar nicht erfolgt, oder aber nach erfolgter Vereinigung durch irgend eine Ursache, und zwar in der Regel durch Wasseransammlung in der gebildeten Höhle wieder eine Trennung entsteht. Betrifft
Eintheilang. —
735
Debersicbt.
eine solche Missbildung die Dorsalplntten,
so
entsteht
Spalte am Rücken in der Mittellinie des Körpers;
eine
betrifft sie
die Visceralplatten, so zeigt sich eine Spaltung an der vorderen Seite des Körpers ebenfalls in der Mittellinie oder doch in deren nächster Nähe.
In letzterem Falle sind die an der betreffenden
Stelle von den Visceralplatten
einzuschliessenden
Eingeweide
entweder zerstört oder aber dislocirt und bilden dann einen Vorfall oder eine Hernie.
Hierher gehören:
die R ü c k g r a t -
s p a l t c (Spina bifida), die Spaltung des Gesichts, die L i p p e n s p a l t e (Hasenscharte), die G a u m e n s p a l t e ,
die
Spaltung
d e r Z u n g e , die S p a l t u n g d e r B r u s t , d e s B a u c h e s (congenitaler Nabelbruch), endlich die S p a l t u n g e n am
Becken,
welche gewöhnlich mit S p a l t u n g d e r H a r n b l a s e (Prolapsus s. Inversio vesicae urinariae) und S p a l t u n g
des Penis
an
seiner oberen Seite (Epispadia penis) auftreten. Bleiben Theile des Darmrohres, welches ursprünglich als eine Rinne aus dem flächenhaft ausgebreiteten vegetativen und Gefäss-Blalte sich entwickelt, unvereinigt, so entstehen Spalten am Magen und am Darm (angeborene Darmfistel).
Diese sind
also auch als Hemmungsbildungen zu betrachten. B. Die z w e i t e G r u p p e enthält diejenigen Spaltbildungen, welche auf dem O f f e n b l e i b e n
gewisser Spalten,
Oeffnungen
o d e r C a n ä l e , die w ä h r e n d d e r n o r m a l e n E n t w i c k e l u n g einzelner Theile auftreten,
beim weiteren
normalen
E n t w i c k e l u n g s g a n g e sich aber später s c h l i e s s e n s o l l t e n , beruhen. a) S p a l t e n an d e r S e i t e d e s H a l s e s , F i s t u l a e c o l l i c o n genitae.
Die Visceralränder des animalen Blattes der Keim-
blase wachsen
dicht unter der Schädelkapsel
nicht als un-
unterbrochene Massen gegen einander, um die Visceralhöhle zu bilden, sondern
in Streifen
oder Bogen
(Visceral- oder
Kiemenbogen, Arcus viscerales s. branchiales), zwischen denen Spalten, die Visceral- oder Kiemenspalten, frei bleiben, welche beim
normalen
Entwickelungsgange
sich
sehr
frühzeitig
schliessen bis auf den schon oben erwähnten hintersten Theil der ersten Visceralspalte, aus welcher der äussere Gehörgang entsteht.
Bleiben noch andere Theile der Visceralspalten offen,
so entstehen hieraus die angeborenen Halsfisteln. b) S p a l t u n g
des
Hodensackes
ihrer unteren Seite (Hypospadia).
und
der Harnröhre
an
Bei ganz jungen Embryo-
nen zieht sich ron der gemeinsamen Oefifnung des Canalis
MistbilJongea.
736
uro-genitalis aus an der unteren Seite des rudimentären Penis eine Furche bin, deren Ränder allmälig verwachsen und auf solche Weise den Hodensack und die Harnröhre bilden. Erfolgt die Verwachsung gar nicht oder unvollständig, so entsteht Hypospadie. Sind gleichzeitig die Hoden in der Bauchhöhle zurückgeblieben und der Penis sehr k u r z , so kann das Individuum leicht für ein weibliches gehalten werden. c) O f f e n b l e i b e n d e s P r o c e s s u s v a g i n a l i s p e r i t o n e i ist eine Bildungshemmung, da der Leistencanal und der Processus vaginalis selbst sich beim normalen E n t w i c k l u n g s gänge, sobald der Descensus testiculi vollendet ist, schliessen sollen. Die Folge des Offenbleibens ist gewöhnlich entweder Hernia inguinalis congenita oder Hydrocele congenita; auch können beide Krankheitszuständc sich combiniren. d) O f f e n b l e i b e n d e s U r a c h u s und daher angeborene Harnfistel am Nabel. Urachus und Harnblase sind die nach erfolgter Verwachsung der Visceralplatten innerhalb der Leibeshöhle zurückbleibenden Theile der Allantois, welche in ihrer weiteren Ausdehnung ausserhalb des Nabels die Vasa umbilicalia des Embryo an die äussere Eihaut zur Bildung der Placenta gebracht hat. Das unterste Stück des innerhalb der Leibeshöhle zurückbleibenden Theiles der Allantois erweitert sich ziii1 Harnblase, während das obere vom Vertex der Blase zum Nabel verlaufende (Urachus) der Regel nach sehr frühzeitig obliterirt (Ligamentum vesicae medium). Bleibt dasselbe aber offen, so entsteht (also durch eine Bildungshemmung) die genannte Missbildung. C. Die d r i t t e G r u p p e der Spaltungen umfassl die a n d e n G l i c d m a a s s e n vorkommenden (Schistomclus) welche auf eine ßildungshemmung nicht zurückgeführt werden können und wahrscheinlich a u f ä u s s e r e n V e r a n l a s s u n g e n beruhen. Sie wurden gewöhnlich zwischen dem dritten und vierten Finger (oder Zehen) und bis zur Hand- oder Fusswurzel ausgedehnt beobachtet. 11. C l a s s e .
M i s s b i l d u n g e n , die etwas m e h r b e s i t z e n , als ihnen der Idee ihrer G a t t u n g nach zukommt.
Unter diesen findet sich ein ganz allmäliger Uebergang von der Ucberzahl eines Fingergliedes bis zur E n t w i c k l u n g zweier nur in geringer Ausdehnung mit einander verbundener, übrigens aber vollständig ausgebildeter Individuen. Bei denjenigen, welche, neben beliebiger
Eîntheiluog. —
737
Uebersicht.
Ueberzahl einzelner Körpertheilc, doch nur e i n e n Kopf und e i n e n Rumpf besitzen, hat man von alter Zeit her ein Uebermaass der bildenden Thätigkeit als Ursache ihrer Entstehung angenommen; bei denjenigen aber, welche auch einen doppelten Kopf und Rumpf in mehr oder weniger vollständiger Ausbildung besitzen, den sogenannten D o p p e l - M i s s b i l d u n g e n 1 ) , glaubte man doppelte Keime voraussetzen zu müssen, welche verschmolzen seien, so dass also eigentlich ein Mangel an bildender Thätigkeit vorhanden w ä r e , indem jeder Keim, für sich genommen, unvollkommener entwickelt wurde, während beide verschmolzen. Ueber diese Frage ist mit grosser Heftigkeit gestritten worden, indem besonders D u v e r n e y * ) und W i n s l o w 3 ) die zuerst erwähnte Entstehungsweise als die allgemein gültige ansahen, während L e m m e r y 4 ) die letztere als die allein statthafte vertheidigte, C. F. W o l f f 5 ) und T r e v i r a n u s 6 ) aber für verschiedene Fälle bald diese, bald jene Erklärungsweise annahmen. Die Gründe, welche man, namentlich nach dem Vorgange von M e c k e l 7 ) , gegen die Annahme der Verschmelzung zweier Keime geltend gemacht hat, sind von sehr ungleichem YVerthe. 1) Es sei ungereimt, ein überzähliges Fingerglied aus der Verschmelzung zweier Embryonen abzuleiten, während von dieser kleinen Missbildung bis zu der Verschmelzung zweier vollständiger Embryonen an einem Punkte ihres Körpers eine ununterbrochene Reihe von Beobachtungen vorliege, welche die Anwendung verschiedener Erklärungen für verschiedene Grade dieser Missbildungen ganz unzulässig erscheinen lasse. 2) Bei Doppel-Missbildungen hängen immer nur gleichnamige Organe, Systeme und Theile zusammen. Wie wäre dies bei einer zufälligen Verschmelzung zweier Keime erklärbar? 3) Alle Doppel-Missbildungen zeigen unter einander eine auffallend grosse Uebereinstimmung. 4) Dieselben sind gewöhnlich auch noch in anderen Stücken missgebildet, was durch eine zufällige Verschmelzung schwerlich bedingt werden kann. 5) Sie sind erblich und kehren bei Kindern derselben Mutter öfter wieder. 6) Eine Verschmelzung zweier Eier, welche man früher, so lange die ersten Entwickelungsvorgänge des Säugethier-Eies durchaus unbekannt w a r e n , sich leicht
' ) Vgl. die Monographie von W. B r a u n e ,
die Doppelbildungen und angebornen Ge-
schwülste der Kreuzbeingegend, mit 2 0 Tafeln. *) Mémoires de l'Académie des sciences ' ) Ibidem 1 7 2 3 und «) Ibidem 6
Leipzig,
1862.
1706.
1743.
1738.
) De ortu m o n s t r o r u m .
N. Comment. P e t r o p . XVII. pag. 5 8 0 .
• ) Biologie III. pag. 4 4 3 . ?
) Patb. Anatomie I. pag. 2 6 und de duplicitate
Bardeleben,
Chirurgie.
7
Aull. I.
monstrosa. 47
738
Hissbilduagen.
in dieser oder jener Weise denken konnte, ist nach unseren jetzigen Kenntnissen von der Entwickelung des Säugethier-Eies geradezu unmöglich. Die äussere Eihaut (Zona pellucida) ist eine sehr feste Membran, welche den in ihr enthaltenen Dotter (und um eine Verschmelzung zweier Dotter miisste es sich doch handeln) sicher beschützt. Später sind die Embryonen in das Amnion eingehüllt, welches keinerlei Neigungen zu Verwachsungen hat, und die Embryonalkörper selbst haben so wenig Tendenz zu einer Verwachsung, dass selbst Zwillinge in e i n e m Amnion auch bei der grössten Beengung des Raumes doch g e t r e n n t bleiben. — Von diesen Gründen ist 6) vollkommen durchschlagend gegen die Annahme der Verschmelzung zweier Eier. Diese wird aber auch von Niemand mehr vertheidigt. Vielmehr versteht man darunter, wenn von der V e r s c h m e l z u n g z w e i e r K e i m e gesprochen wird, nur z w e i E m b r y o n a l a n l a g e n in e i n e r Zona pcllucida, deren Entstehung als möglich zugegeben werden muss, mag man nun dabei die (wenigstens bei Vögeln nachgewiesene) Existenz eines O v u m in o v o , oder die Anwesenheit von zwei D o t t e r n in e i n e r E i h a u t (welche B i s c h o f f in Säugethier-Eiern beobachtet hat) oder endlich, mit B e r n h a r d S c h u l t z e 1 ) , das Vorhandensein von z w e i K e i m b l ä s c h e n in e i n e m D o t t e r als Ursache einer solchen Abweichung ansehen. Nach den von R e i c h e r t * ) und von D ö n i t z 3 ) an Vogel-Eiern angestellten Versuchen, unterscheidet sich der Dotter solcher Eier, aus denen Doppelmissbildungen hervorgehen, durchaus nicht von dem normalen befruchteten Dotter. Es findet erst nach Bildung der R e i c h e r t ' s c h e n „Umhüllungshaut", also nach vollständig normalem Ablauf des Furchungsprocesses, eine K e i m s p a l t u n g statt, welche bald longitudinal, bald transversal verläuft. l s t e O r d n u n g . U e b e r z a h l e i n z e l n e r T h e i l e bei e i n f a c h e m Kopf u n d R u m p f . Hierher gehören, als in chirurgischer Beziehung interessant: D o p p e l t e r U n t e r k i e f e r (Dignathus), d o p p e l t e Z u n g e , deren eine über der anderen liegt, d o p p e l t e H a r n l e i t e r , d o p p e l t e H a r n b l a s e , Anwesenheit eines dritten Hodens (zweifelhaft), doppelter Penis oder Clitoris (ebenfalls zweifelhaft), d o p p e l t e r U t e r u s (eine Bildungshemmung, da das Corpus uteri sich erst später entwickelt und der weibliche Fötus daher in früher Zeit durch die relativ stärkere Entwicke' ) Ueber
anomale
dungen).
Duplicität
d e r Axenorgane
(mit einer
Tafel
chematischer
Virchow's Archiv Bd. VII. Berlin, 1 8 5 4 , pag. 4 7 9 — 5 3 1 .
' ) Archiv f. Anatomie, Physiologie und Wissenschaft!. Medicin. 1 8 6 4 . pag. 7 4 4 . ») e b e n d a , 1 8 6 6 , pag. 5 3 9 .
Abbil-
Eintheilung. — l'ebersicht.
739
lung der unteren Enden der Tuben einen mehr oder weniger doppelten Uterus zu haben scheint), feiner U e b e r z a h l d e r B r ü s t e , ü b e r z ä h l i g e E x t r e m i t ä t e n an der vorderen Körperfläche (Gastromeies) oder am Kücken (Notomeles) oder am Steiss (Pygomeles), ü b e r z ä h l i g e F i n g e r und ü b e r z ä h l i g e Z e h e n (Polydactylos), oder ü b e r z ä h l i g e G l i e d ö r an den normalen Extremitäten (Melomeles). 2te Ordnung. Kopf u n d R u m p f d o p p e l t . Doppelmissb i l d u n g e n im e n g e r e n S i n n e , Von chirurgischem Interesse besonders: a) P y g o d i d y m u s , zwei vollkommen getrennte Körper, die nur in der Gegend des Kreuz- und Steissbeins zusammenhängen, wie z. B. die im vorigen Jahrhundert bewunderten „ungarischen Schwestern" H e l e n a und J u d i t h , welche 2*2 Jahr alt wurden, und die amerikanischen (der Ra) Vgl. die pag. 7 4 5 c i t i r t e S t e l l e a u s dem 9 . Cap. d e s VII. Buch's d e m e d i c i o a . *) Vgl. D i e f f e n b a c b , C h i r u r g i s c h e E r f a h r u n g e n . Desselben
Berlin
Artikel „ C h i r u r g i a c u r t o r u m " in R u s t ' s
1829 und 1830; Handbúth
ferner
1831.
*) B e s c h r e i b u n g einer n e u e n T r a n s p l a n t a t i o n s - M e t h o d e z u m W i e d e r e r s a t z verloren gegangener Theile d e s Gesichts. 4
Berlin,
1855.
) In d e r Figur 1 4 7 i s t z. B. d e r P u n k t b n a c h b', c nach c', transplantirt
und
der S t i e l
bei a
bat
d n a c h d\
s n a c h s'
eiDe D r e h u n g erleiden m ü s s e n ,
um
die
Plastische Operationen.
751
Fig. 147.
jetzt umgebenden Theilen n e u e Gefasse in ihn hineingewachsen
sind
und die in ihm enthaltenen Gefässe mit denen seiner jetzigen Umgeb u n g im Zusammenhange stehen, so kann die Brücke d u r c h s c h n i t t e n oder ganz entfernt werden, ohne dass f ü r die Existenz des t r a n s p l a n tirten Hautstückes daraus eine Gefahr entsteht. solchen
Verfahren die Kenntniss
Natürlich ist bei einem
des Verlaufes
auch
der
Arterien von grosser Wichtigkeit, so wenig W e r t h auch,
kleineren
wunderbarer
Weise, D i c f f c n b a c l i auf die Berücksichtigung derselben legte. dann wird
man
vor brandigem Absterben
w e n n dessen Brücke Arterien enthält,
Nur
des Lappens sicher sein,
die sich in der grössten Aus-
d e h n u n g des Lappens verästeln. Diese Methode der Transplantation
e r h ä l t , wenn
der
Ersatz-
l a p p e n aus der Nähe des v e r s t ü m m e l t e n Theiles
entnommen
wird,
Wird
den Namen der
ersten
indischen
Schwenkung des Lappens möglich zu machen. müssen, Stiel lichst
wie in der Figur angedeutet i s t ,
(Fig. 147).
Die den Stiel begrenzenden S c h n i t t e
in der Art geführt w e r d e n ,
dass d e r
zum Behuf der mit dem Lappen vorzunehmenden Ortsveränderung wenig
pression bedingt.
gedreht —
zu werden b r a u c h t ,
Die Breite des Stiels
destens 1 Centimeter betragen.
aber
da j e d e
muss
Drehung
mög-
auch Com-
erfahrungsmässig immer
min-
752
Miasbildungen.
dazu ein Stück der H a u t eines e n t f e r n t l i e g e n d e n K ö r p e r t e i l e s , der künstlich der Stelle des Defects genähert wird, z. B. die innere Seite des Oberarms zum Wiederersatz der Nase benutzt, so nennt man dies im Allgemeinen die i t a l i e n i s c h e Methode; im engeren Sinne wird aber bei dieser Bezeichnung vorausgesetzt, dass der zu ersetzende Theil auf dem Arme e r s t v o l l s t ä n d i g g e b i l d e t , z. B. die neu gebildete Nase an ihrer inneren Seite erst vollständig überhäutet war, bevor sie an den Ort ihrer Bestimmung angeheftet wurde. Dagegen versteht man unter der d e u t s c h e n oder besser, nach ihrem Erfinder, der Graefe'schen M e t h o d e , das Anheilen eines Stuckes der Armhaut an der betreffenden Stelle des Gesichts u n t e r g l e i c h z e i t i g e r B i l d u n g des zu ersetzenden Theiles aus demselben (Fig. 148). Fi«. 148.
Endlich aber kann auch ein von beliebigen Stellen der Körperoberfläche entnommenes und g ä n z l i c h a u s s e i n e m Z u s a m m e n h a n g e g e l ö s t e s Hautstilck anheilen, wenn seine Wundränder an einer anderen Stelle an frische Wundränder angeheftet (sogen, z w e i t e i n d i s c h e M e t h o d e ) , oder wenn sehr kleine und n u r aus Cutis
753
Plastische Operationen.
bestehende Läppchen auf gut granulirenden Flächen mittelst Pflasterstreifen genau befestigt werden (Methode von R e v e r d i n ) . Während die „Zweite indische Methode" sehr wenig Aussicht auf Erfolg hat und in der That nur in ganz vereinzelten Fällen gelungen ist, kann man die Erfolge der „ R e v e r d i n ' s c h e n Methode", obschon dieselbe erst seit 1870 zu allgemeiner Anwendung gekommen ist, bereits nach Tausenden zählen. Abweichend von allen anderen plastischen Operationen, wird bei dieser nicht die Verwachsung frischer Wundflächen beabsichtigt, sondern das A n h e i l e n g a n z k l e i n e r H a u t s t ü c k c h e n a u f g r a n u l i r e n d e n F l ä c h e n zum Behuf der Förderung ihrer Vernarbung, d. h. der Bildung von Epidermis auf ihnen. In der That entwickelt sich, wenn das Anheilen gelingt, von diesen Hautstiickchen aus eine schneller fortschreitende Narbenbildung, welche, sofern nicht allzu grosse räumliche Missverhältnisse bestehen, bald mit der vom Rande der gesunden Haut ausgehenden Narbe zusanimenfliesst. Es ist dabei gleichgültig, ob das Hautstückchen von demselben oder von einem anderen Individuum (selbst wenn dies einer anderen Race angehört) entnommen wird. Man kann sogar die Haut von amputirten Gliedern oder von Leichen benutzen, sofern nur seit der Amputation oder seit dem Tode nicht mehr als höchstens 2 Stunden verflossen sind. Jedoch ist hierbei Vorsicht zu empfehlen, dass nicht etwa mit dem transplantirtcn Ilautstück ein Ansteckungsstoff übertragen werde. Das Operationsverfahren ist überaus einfach. Die Geschwürs- (Granulations-) Flüche wird sorgfältig gesäubert. Dieselbe mit einem Messer zu ritzen, wie R e v e r d i n ursprünglich empfahl, ist nicht blos unnöthig, sondern wegen des Blutergusses, welcher sich zwischen das Hautstückchen und die Granulationen legen könnte, gradezu nachtheilig. Von grosser Bedeutung ist, dass die granulirende Fläche wirklich nur von guten Granulationen bedeckt, wo möglich wenigstens am Rande schon in der Narbenbildung begriffen sei. Das zu Uberpflanzende Hautstückchen, am Besten nahezu kreisrund, kann einen Durchmesser von 2 bis 15 Millimetern haben. Die Wahrscheinlichkeit des Anheilens wächst keinesweges mit der Grösse, sinkt vielm e h r , wenn man 2 Centimeter überschreitet. Die Dicke des Stückchens darf diejenige der Cutis nicht überschreiten; der Erfolg wird in hohem Grade gefährdet, wenn man eine Schicht des Panniculus mit überpflanzt. Vielmehr empfiehlt es sich nicht einmal, die ganze Dicke der Cutis zu nehmen; Einzelne sahen sogar von der. Ueberpflanzung blosser Epidermis guten Erfolg. Man erhebt also die Haut zu einer Falte, lässt diese von einem Gehülfen mit Daumen und Zeigefinger beider Hände fest halten und schneidet nun auf der Höhe der U a r d cl e b e n , Chirurgie.
7. Aull. I.
48
754
MiubilduBgen.
Falte mit einem Messer oder einer guten C o o p e r ' s c h e n Scheere in schnellem Zuge das gewünschte Stückchen ab. Man muss sich sehr scharfer Instrumente bedienen, um ganz reine Wundränder zu erhalten. Will man das zu excidirende Hautstückchen selbst mit der Pincette fassen, so muss dabei aus demselben Grunde jede Quetschung vermieden werden. Die Befestigung auf der Granulationsfläche geschieht mittelst eines Heftpflasterstreifens, welcher Uber das anzuheilende Hautstiickchen hinweg zu den gesunden Hauträndern verläuft. Dieser Verband darf nicht vor dem 4. Tage gewechselt werden, während die übrige Granulationsfläche ganz in der sonst entsprechenden Weise behandelt- wird. Erlaubt es die Beschaffenheit derselben, so ist es für das Anheilen zweckmässig, feuchtwarme Compressen oder doch eine impermeabele Bedeckung (dünn ausgewalzte Guttapercha oder Staniol) aufzulegen. — Das Hautstückchen zeigt zuerst eine blasse Farbe, wird aber, wenn die Anheilung überhaupt erfolgt, schon nach Ablauf von 24 Stunden schwach hellroth, allmälig immer mehr geröthet, am 4. Tage oft schon deutlich vascularisirt und vom 7. Tage ab von einem schmalen violetten Streifen umgeben, welcher von Tage zu Tage breiter wird und aus neugebildeter Epidermis besteht, welche, allmälig weiter vorrückend, die Vernarbung der Granulationsfläche bewirkt. Inzwischen verliert das transplantirte Hautstückchen meist schon nach 24 Stunden seine Epidermis und die etwa auf ihm sitzenden Haare, bekommt weiterhin wieder einen Ueberzug von Epidermis, behält aber immer eine andere Farbe, als die umgebende Narbensubstanz, und ragt auch beträchtlich Uber dieselbe empor. Empfindungen werden frühestens nach 14 Tagen in den überpflanzten Hautstückchen wahrgenommen. — Durch solche Ueberpflanzungen, welche in grosser Zahl auf ein Mal gemacht und an derselben Stelle auch wiederholt werden können, lässt sich nicht blos die Vernarbung grosser granulirender Flächen (Wunden und Geschwüre), zumal wenn die Haut erhebliche Substanzverluste erlitten hat, in einer bisher ungeahnten Weise befördern, sondern man kann auf demselben Wege auch der Narbenverkürzung und allen von ihr abhängigen Uebeln in erheblichem Grade vorbeugen oder denselben abhelfen. — In Betreff der ü b e r a u s reichhaltigen Literatur der „ R e v e r d i n ' s c h e n pflanzungen« vgl. meine Referate in dem Jahresber. v. Virehow u. Hirsch,
Hautüber1870—72.
— Aus eigener E r f a h r u n g könnte ich bereits Hunderte von günstige^ Erfolgen a n f ü h r e n .
Nicht immer ist es möglich, eine plastische Operation in einer Sitzung zu vollenden; häufig sind Nachoperationen und Ausbesserungen uothwendig und manchmal erreicht man das gewünschte Ziel erst, nachdem man den ursprünglich transplantirten Lappen wiederholt
Plastische
755
Operationen.
seine Form oder seinen Sitz oder auch Beides hat ändern lassen. In einzelnen Fällen ist es nothwendig, zur Wiederherstellung des zerstörten Antlitzes zuerst nur Uberhaupt ein Stück Haut oder eine schon fertig gebildete Nase vom Arme in das Gesicht zu verpflanzen und daselbst vorläufig an die Stirn anheilen zu lassen, wenn es in der Gegend, wo die Nase sitzen sollte, an lebenskräftiger Haut mangelt. Von da muss dann das neugebildete Organ, wie D i e f f e n b a c h 1 ) sagt, „in kurzen Etappen, wie schwere Monumente reisen, welche sich ihre Bah» vor sich ebnen lassen," a m - E n d e zu dem rechten Orte hin transportirt werden. Für die Beschreibung derjenigen V e r ä n d e r u n g e n , welche a n t r a n s p l a n t i r t e n H a u t s t ü c k e n von dem Augenblick ihrer Ablösung von ihrem ursprünglichen Orte bis zu ihrem Anwachsen an der Stelle des Defects beobachtet werden, dienen am besten die Vorgänge, welche uns mehr oder weniger g e s t i e l t e E r s a t z l a p p e n bemerken lassen, als Typus, indem auch bei blosser Hautverschiebung derjenige Theil des Lappens, welcher in den alten Verbindungen verbleibt (die Basis), sich in jeder Beziehung einem Stiele ähnlich verhält. Unmittelbar nachdem ein solcher Lappen bis auf seinen Stiel abgelöst ist, erblasst er unter schnellem Ausfliessen des in ihm enthaltenen Blutes und conlrahirt sich, was besonders an seinen Rändern durch Umkrämpen derselben deutlich wird. Alsbald hört der Blutausfluss auf, indem sich die durchschnittenen Gefässchen zurück- und zusammenziehen. Der Lappen hängt schlaff herab und bekommt, besonders wenn der Rückfluss des Blutes durch die kleinen Venen des Stieles behindert ist, eine bläuliche Farbe durch das in ihm sich anhäufende Blut. Demnächst wird er auch etwas kühler. Nachdem er an dem Orte seiner Bestimmung angeheftet ist, bekommt er wieder die natürliche Rothe und Wärme, jedoch nicht immer ganz vollständig. Auch kann die Blutung, besonders aus seiner Bindegewebsfläche, wieder beginnen. Die Wärme steigt, die Rothe nimmt, oft mit deutlichen lntermissionen, zu. Der Lappen schwillt etwas an und es kann sich, je nach der Constitution des Operirten und den localen Verhältnissen, eine mehr oder weniger heftige Entzündung entfalten. Empfindung haben die Operirten in dem transplantirten Lappen entweder gar nicht oder doch nur sehr dunkel. Gewöhnlich empfinden sie, wenn man den Lappen mit einer feinen Nadel sticht, Schmerz an dem früheren Orte des Lappens, was leicht zu erklären ist, da durch die Hautbrücke doch wahrscheinlich auch einer oder der andere Nervenast unversehrt
' ) O p e r a t i v e Chirurgie, Bd. I. pag. 3 8 7 .
48*
Mistblldungen.
756
zum Lappen verläuft. Zuweilen beobachtet man aber auch schon in den ersten Tagen nach der Operation, dass die Operirten bei Berührung des Ersatzlappens den Schmerz wirklich an die Stelle verlegen, wo sich der transplantirte Lappen jetzt befindet, obgleich doch schwer zu begreifen ist, wie er mit seiner neuen Nachbarschaft bereits in Nervenverbindung getreten sein soll. Dies ist vorläufig unerklärlich. Es versteht sich von selbst, dass Versuche der Art mit einer sehr feinen Nadel, ohne die mindeste Erschütterung des Ersatzlappens und bei genau verschlossenen Augen des Operirten, anzustellen sind, wenn sie entscheidend sein sollen'). Erst nach mehreren Monaten ist jedoch die Empfindung in dem Ersatzlappen wieder genau so, wie in anderen Theilen. Niemals findet in späterer Zeit ein Verlegen des Schmerzes an die Stelle, von welcher der Lappen entnommen ist, Statt. Allmälig regulirt sich der Kreislauf zwischen dem transplantirten Hautstück und seiner neuen Umgebung, und nachdem in der zweiten Woche eine Abschuppung der Epidermis (gewöhnlich unter Ausfallen der etwa vorhandenen Haare, die jedoch oft wieder wachsen) Statt gefunden hat, erhält dasselbe die natürliche Hautfarbe. Doch bleibt der verpflanzte Theil noch lange Zeit auf einer tieferen Stufe des Lebens stehen. Wunden in demselben sind weniger zur unmittelbaren Vereinigung geneigt und vernarben unter Krustenbildung, wie bei Vögeln. Für Hitze ist er weniger empfindlich, als die übrige Haut; Kälte aber röthet ihn schnell und erregt heftigen Schmerz. Erkrankungen der Haut sollen, nach D i e f f e n b a c h * ) , nicht auf ihn übergehen. Dies ist jedoch, für Erysipelas wenigstens, nicht allgemein gültig, da ich dasselbe mehrmals innerhalb -der ersten Monate und einmal sogar vor Ablauf der zweiten Woche neu gebildete Nasen habe befallen sehen, allerdings erst am zweiten Tage, nachdem es im übrigen Gesichte aufgetreten war. — Dies Alles bezieht sich auf den günstigen Verlauf. Ist der RUckfluss des venösen Blutes gehindert, so schwillt der Lappen blau an und wird, wenn keine Hülfe erfolgt, schnell brandig. Dagegen bleibt er blass und schlaff, wenn ihm Blutzufuhr durch die Arterien mangelt; dies bedingt unrettbar brandiges Absterben. Bei allen plastischen Operationen (mit Ausnahme der R e v e r d i n sehen Hautverpflanzung) muss die V e r e i n i g u n g d u r c h d i e b l u ' ) Bei d e r grössten Vorsiebt h a b e ich
an zwei im S o m m e r 1 8 5 0 von mir aus der
S t i r a b a u l neu gebildeten Nasen schon a m 2ten Tage nach der Operation mit vollk o m m e n e r Bestimmtheit die Operirten den Schmerz beim Einslechen in die neue Nase genau in die Nasengegend verlegen sehen. ' ) Operative Chirurgie, pag. 3 2 2 .
Plastische Operationen.
757
t i g e N a h t geschehen (vgl. pag. 113 u. f.). Man darf das Annähen nicht allzu sehr beschleunigen. Der günstigste Zeitpunkt ist, wenn das Aussickern des Blutes aus den Wundrändern des Ersatzlappens aufgehört hat. Alle wunden Ränder und wo möglich auch die wunde (untere) Fläche des zu transplantirenden Hautlappens müssen mit frischen Wundrändern und Wundfläclien in innige Berührung gebracht werden. Man nennt die hierzu nothwendige absichtliche Verwundung der Umgebungen des Defects mit dem Kunstausdrucke „ A n f r i s c h e n " . Wird eine wunde Fläche auf einen nicht angefrischten Theil aufgelegt, so hebt sich der Lappen unter Verdickung allmälig ab und wird mindestens missgestaltet. Wo eine Hautbrücke gebildet wurde, muss auch diese, wenn sie nicht ganz kurz ist, mit angefrischten Rändern in Verbindung gebracht werden. Wenn z. B. der vordere Theil der Nase aus der Stirnhaut ersetzt werden soll, so muss der hierzu nothwendige langgestielte Lappen nicht blos in der nächsten Nähe des Defects durch die Naht befestigt werden, sondern es ist nothwendig, die Haut des Nasenrückens zu spalten und die Ränder des Stiels an die hierdurch gewonnenen Wundränder in ihrem ganzen Verlaufe zu befestigen. Die B e s c h a f f e n h e i t d e r H a u t , welche man zum Ersatzlappen benutzen will, muss wohl erwogen werden. Je grösser ihr Gefässreichthum, ihre Derbheit und Dehnbarkeit, je geringer ihre Contractilität, desto brauchbarer ist sie im Allgemeinen zu plastischen Operationen. Die Haut der Extremitäten, welche eine geringe Derbheit und Dehnbarkeit, bedeutende Contractilität und einen nur mässigen Gefässreichthum besitzt, ist daher mit Ausnahme der Vola manus und der Planta pedis, welche eine derbe und wenig contractile Haut darbieten, zu plastischen Operationen fast gar nicht geeignet. Günstiger verhält sich die Haut des Rückens und der Bauchwand. Das passendste Material zu plastischen Operationen bietet aber ohne Frage die Haut des Gesichtes, welche glücklicher Weise auch bei Weitem am Häufigsten für dieselben in Anspruch genommen werden muss. Von den einzelnen Gegenden des Gesichtes sind es besonders die Stirn und die Nase, deren Haut durch Derbheit so ausgezeichnet ist, dass die aus ihr entnommenen Lappen kaum bemerkbar zusammenschrumpfen und sich der Wundfläche des Defects mit der grössten Genauigkeit anfügen. Daher sind diese Hauttheile auch vor allen anderen zur Bildung gestielter Ersatzlappen auszuwählen. Die sehr leicht verschiebbare und dehnbare Haut der Wangen und Lippen zeigt sich zu diesem Behufe wenig tauglich, während dieselbe zum Ersätze von Defecten dieser Theilc durch Hautverschiebung vorzüglich geeignet ist.
758
Missbildungen.
Die F o r m und G r ö s s e des E r s a t z l a p p e n s muss schon beim Ausschneiden desselben dem zu ersetzenden Defecte angepasst werden, wobei auf die Contractilität und das wegen der Narbencontraction niemals ganz ausbleibende Zusammenschrumpfen des Ersatzlappens gebührend Rücksicht zu nehmen ist. Für Solche, welche in dieser Beziehung keine hinreichende Uebung besitzen, ist der Gebrauch eines Modells oder einer Chablone aus Papier, Leder oder Wachs oder wenigstens die vorherige Bezeichnung der Endpunkte der zu führenden Schnitte mit Recht zu empfehlen. Von grosser Wichtigkeit ist endlich die B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r n i c h t f e s t g e h e f t e t e n T h e i l e des Ersatzlappens. Denn während ein bei der Transplantation an allen Seiten festgeheftetes Hautstück nach erfolgter Vernarbung, ausser einer mehr oder weniger bemerklichen Aufwulstung, keine weiteren Veränderungen zu erleiden pflegt, weicht jeder frei bleibende Rand eines transplantirten Hautlappens, in Folge der Narbencontraction, so bedeutend zurück, dass der neu gebildete Theil im Laufe der Zeit um ein Beträchtliches zu kurz erscheint und der anfängliche Erfolg der Operation dadurch wieder vereitelt wird. Diesem Uebelstande begegnet man: 1) indem man wo möglich den freien Rand des Ersatzlappens m i t benachbarter S c h l e i m h a u t u m s ä u m t ; oder 2) indem man den f r e i e n R a n d des Ersatzlappens n a c h I n n e n u m s c h l ä g t (wie in Fig. 147 durch punktirte Linien zwischen es und ds angedeutet ist) und so den Ersatzlappen mit seiner eigenen Substanz umsäumt (futtert); 3) indem man mit Rücksicht auf den Grad der zu erwartenden Narbencontraction den E r s a t z l a p p e n in der Richtung des frei bleibenden Randes a b s i c h t l i c h zu l a n g bildet. Das e r s t e r e Verfahren muss bei allen plastischen Operationen in Anwendung kommen, bei denen es sich darum handelt, nicht blos das Zurückweichen eines freien Hautrandes, sondern auch das V e r w a c h s e n n e u g e b i l d e t e r O e f f n u n g e n zu verhüten, sobald nur die dazu erforderliche Schleimhaut vorhanden ist. Bei dem Wiederersatz der Lippen und der Augenlider, bei der Operation der Atresia ani u. a. ist dasselbe mit dem glücklichsten Erfolge in Anwendung gekommen. Bei der Vernarbung eines auf solche Weise mit Schleimhaut umsäumten Ersatzlappens überwiegt die Contraction der Cutis die der Schleimhaut, so dass letztere stärker hervorgezogen wird. Daher entsteht an einem neu gebildeten und mit der Conjunctiva umsäumten Augenlide später ein geringer Grad von Ectropium und die mit der Mundschleimhaut umsäumten, neu gebildeten Lippen bekommen einen ziemlich breiten rothen Rand. Durch das z w e i t e
Plastische Operationen. —
Spaltbildungen.
759
Verfahren kann das Verwachsen neu gebildeter Oeffnungen ebenso sicher verhütet werden; dasselbe ist jedoch bisher ausschliesslich bei der Nasenbildung zur Anwendung gekommen. Die Beschreibung, der einzelnen plastischen Operationen, welche, je nach dem zu ersetzenden Körpertheile, als R h i n o - , U r a n o - , C h i l o - , M e l o - , O t o - , C y s t o - , U r e t h r o - , P o s t h i o - p l a s t i k u. s. f. bezeichnet werden, findet im III. Buch ihre Stelle.
Zweites Capltel.
Spaltbildungen (Fissurae). S p a l t b i l d u n g e n zeigen sehr verschiedene Stufen der Entwickelung von einem leichten Eindruck bis zu der vollständigen Trennung eines im normalen Zustande u n g e t e i l t e n Organes in zwei. Diese verschiedenen Abstufungen kann man besonders häufig an der Oberlippe beobachten. Statt einer einfachen Trennung kann sich aber auch eine Lücke, ein wenigstens scheinbarer Substanzverlust vorfinden. So scheint z. B. bei der Blasenspalte, l n v e r s i o v e s i c a e (vgl. pag. 7 3 5 ) , ein Stück der vorderen Bauchwand sammt der vorderen Wand der Blase zu fehlen; man sieht nur die hintere Wand der letzteren, und diese ist nach Vorn umgestülpt. Eine Spaltbildung kann ebensowohl erworben, als angeboren sein; viele Gaumenspalten z . B . sind nicht congenital, sondern rühren von syphilitischen Geschwüren her; schlechtgeheilte durchdringende Wunden der Lippen hinterlassen oft eine mehr oder weniger liefe Spaltung derselben; Spalten in der Blasenscheidenwand sind constant das Resultat einer Quetschung, Zermalmung oder Zerreissung während des Geburtsactcs. Solche Spaltbildungen werden gewöhnlich zu den F i s t e l n gerechnet. Vgl. pag. 349. Die Spaltbildungen bieten wesentliche Verschiedenheiten dar, je nachdem sie die Haut oder die tiefer liegenden Theile betreffen. Letztere sind von viel grösserer Bedeutung. Dies zeigt sich am Deutlichsten bei den S p a l t e n d e s S c h ä d e l s und d e r W i r b e l s ä u l e (Fig. 149 u. 150), wo gewöhnlich die mangelhafte Entwickelung der Knochen von einer ähnlichen Störung in der Ausbildung der Ccntralorgane des Nervensystems begleitet i s t ' ) . Häufig sind Spaltbildungen ') W i r b e l s p a l t e ,
Spina
b i f i d a (vgl. Bd. IV.), Fig. 1 4 0 zeigt eine im Lendentheil
der Wirbelsäule mit gleichzeitiger Spaltung des in der Tiefe liegenden (im Holzschnitt zu breit erscheinenden) Bückenmarks. des Lebens noch m ö g l i c h ;
in
In diesem Falle w a r die Fortdauer
der Fig. 1 5 0 dagegen sieht man (von Vorn) einen
760
Missbildungen. Fig. 1-49.
Fig.
150.
mit anderen Missbildungen eomplicirt und zwar entweder in der Art, dass man einen ätiologischen im Stande ist oder nicht. lippe,
Zusammenhang
So besteht
welche wir Hasenscharte, n e n n e n ,
genauer nachzuweisen
B. die Spaltung der Obernicht selten gleichzeitig mit
einem Klumpfuss, ohne dass eine Abhängigkeit der einen Missbildung von der anderen wahrscheinlich w ä r e .
In a n d e r e n Fällen finden wir
ausser der Hasenscharte auch noch eine T r e n n u n g Gaumens und eine Spaltung des G a u m e n s e g e l s ;
des knöchernen
hier lehrt u n s die
Entwickelungsgeschichte, dass diese Spaltbildnngen sämmllich auf einer gleichen Hemmung der Entwickelung
beruhen.
Reicht die Spaltung
der Lippe bis in die Nase hinein, so entsteht daraus eine Abflachung und Vcrziehung des entsprechenden Nasenflügels, oder bei doppelter Hasenscharte beider Nasenflügel.
Sehr gewöhnlich erhält ferner bei
einer Spaltung des knöchernen Gauniens das Zwischenkieferbein eine schiefe Stellung, welche später zu einer Schiefstellung zähne f ü h r t , so dass diese statt
nach
Unten
der Schneide-
nach Vorn
So kann also eine Spaltung auch eine L a g e v e r ä n d e r u n g haben.
Kaum ist es nöthig, darauf hinzuweisen,
wachsen. zur
Folge
dass, je nach der
Localilät der Spaltbildung, ihre örtlichen u n d allgemeinen W i r k u n g e n der merkwürdigsten
F ä l l e von S p i n a bifida a m Halse, wo bei g ä n z l i c h e r S p a l t u n g
s ä m m t l i c h e r Halswirbel u n d e i n e r d e r s e l b e n e n t s p r e c h e n d e n theiles des R ü c k e n m a r k e s
Missbildung d e s Hals-
das d a m i t b e h a f t e t e Kind l e b e n s u n f ä h i g sein
musste.
Spaltbildungen.
761
sehr verschieden sein müssen: eine Gaumenspalte beeinträchtigt die Deutlichkeit der Sprache und das Vermögen zu schlucken; eine bedeutendere Spaltung der Unterlippe oder der Wange bedingt einen fortdauernden Verlust von Speichel; bei Inversio vesicae reizt der unwillkiihrlich ausfliessende Urin alle benachbarten Theile. Zuweilen stellt eine Spalte die Verbindung zwischen den Höhlen zweier Organe h e r , die eigentlich streng gesondert sein sollen, so dass der Inhalt des einen in die Höhle des anderen sich ergiesst ( C o m m u n i c a t i o n s f i s t e l ) . Da nun das Secret oder der Inhalt des einen Organs nicht selten auf ein anderes heftig reizend, nach Art eines fremden Körpers, wirkt, so lassen sich leicht die bedeutenden Störungen ermessen, die durch solche Spaltbildungen hervorgerufen werden müssen. So erregt z. B. der in den Mastdarm aus der Blase durch eine zwischen beiden Organen entstandene abnorme Oeffnung sich ergiessende Harn eine Entzündung des erstgcdachten Organs und noch heftiger wirken die Fäces in gleichem Falle auf die Schleimhaut der Blase. Auch vermag der Sphincter ani den Ausfluss des Urins nicht zu hindern, und die Blase ist nicht im Stande, die Fäces zu entleeren. Die Behaudlnug der Spaltbildungen kann nur mit Hülfe operativer Eingriffe erfolgreich geschehen. Leider sind dieselben gerade in denjenigen Fällen, wo ein Verschluss solcher Spalten nicht blos zum Behufe der Wiederherstellung der normalen Form, sondern zur Erhaltung des Lebens nothwendig ist, am Gefährlichsten und am Seltensten erfolgreich, so z. B. bei Spina bifida (Bd. IV.) und bei Spaltbildung am Schädel (Enccphalocele Bd. III). Im Allgemeinen gehören die hier anzuwendenden Operationen in das Gebiet der plastischen Operationen im weiteren Sinne 1 ), der S y n t h e s i s früherer Autoren. Die R ä n d e r d e r S p a l t e w e r d e n a n g e f r i s c h t u n d a l s d a n n d u r c h d i e N a h t v e r e i n i g t . Sind sie so weit von einander entfernt, dass sie gar nicht, oder doch nur durch gewaltsame Anspannung vereinigt werden können, so ist eine p l a s t i s c h e O p e r a t i o n im engeren Sinne, gewöhnlich nach der C e l s u s ' s c h e n oder D i e f f e n b a c h ' s e h e n Methode (vgl. pag. 7 4 5 u. f.), nothwendig. Die Behandlung der Complicationen erfordert stets eine besondere Rücksicht, lässt sich aber im Allgemeinen nicht angeben. ' ) Vgl. die Note 1 pag. 7 4 5 .
MitsbildoDgeD.
762
Drittes
Capitel.
Verschmelzungen (Symphyses), Verwachsungen, Verschluss normaler Oeffnungen (Atresiae). Abnorme Verwachsungen sind v i e l h ä u f i g e r angeboren.
erworben,
als
Verschwärungen, Wunden und Verbrennungen geben am
Häufigsten Veranlassung zu ihrer Entstehung.
Die Krankheitszustände,
welche daraus hervorgehen, wenn Theile, die im normalen Zustande durch einen mehr oder weniger grossen Zwischenraum getrennt sein sollen, einander nahe gerückt werden, und sich endlich gar vollständig berühren, erhalten, wenn das Lumen eines Canals in störender Weise vermindert ist, den Namen V e r e n g e r u n g e n cturae), während unter O b l i t e r a t i o n
(Stenoses, Stri-
oder A t r e s i e
Verschluss einer Oeffnung verstanden wird.
der gänzliche
Treten Theile, die im
normalen Zustande zwar dicht aneinander liegen, aber doch beweglich mit einander verbunden sein sollten, in unbewegliche Verbindung, wird also ihre Contiguität in Continuität verwandelt, so nennt man dies V e r w a c h s u n g , Ankylose.
und sofern es sich um Gelenk-Enden handelt,
In manchen Fällen hat die Verwachsung gewisser Theile
die Verkümmerung anderer zur Folge; ist z. B. die Nase mit der Oberlippe verwachsen, so bedingt dies Verschluss der Nasenlöcher. Die a n g e b o r e n e n A t r e s i e n , auch A t r e s i e n schlechtweg genannt, beruhen
sehr häufig auf einer mangelhaften Ausbildung des
ganzen Organs, welches sich verschlossen
findet,
so fehlt z. B. bei
A t r e s i a a n i gewöhnlich das untere Ende des Mastdarms. Die F u n c t i o n s s t ö r u n g e n ,
welche durch Verwachsungen be-
dingt werden, sind j e nach der Localität höchst verschieden und lassen sich nicht im Allgemeinen beschreiben; sie ergeben sich aber im einzelnen Falle so leicht von selbst, dass es überflüssig wäre, nachzuweisen, wie Verwachsung der Augenlider das Sehen,
näher Atresie
des Mundes die Aufnahme von Nahrungsmitteln, Atresia ani die Entleerung des Rothes behindern, u. s. f. Die
Behandlung
der hier in Rede stehenden Zustände ist im
Allgemeinen schwierig; denn man kann mit Recht behaupten, es viel s c h w e r e r ist, T h e i l e a u s e i n a n d e r - , zuheilen.
als
dass
zusammen-
Mit Leichtigkeit gelingt es oft, eine fehlende Oeffnung
mit dem Messer herzustellen; aber sie o f f e n zu e r h a l t e n ist höchst schwierig.
Die Wundränder haben fort und fort die Neigung, wie-
der zu verwachsen, und die NarbenverkUrzung vermehrt den üblen
Verwachsungen.
763
Einfluss, welchen selbst eine theilweise Verwachsung schon ausübt. In gleicher Weise zeigt sich das bedauerliche Uebergewicht der Narbencontraction über alle mechanischen Hülfsmittel bei der Trennung verwachsener Finger. Dieser Neigung zur Wiedervereinigung lässt sich nur dadurch mit Erfolg entgegenarbeiten, dass man entweder die Schnitte so führt, dass die Wundränder auf verschiedene Seiten zu liegen kommen und Fi sich also gar nicht b e r ü h r e n können '), oder 8' 151. aber an die Stelle von Wundrändern Uberhäutete Flächen zu setzen sucht. Man benutzt im letzteren Falle die Neigung zur Wiederverwachsung, indem man ihr eine andere Richtung giebt, um sie durch sich selbst zu bekämpfen. Man führt nämlich in der pag. 758 beschriebenen Weise eine Verwachsung der Wundränder mit einer benachbarten Schleimhaut herbei oder man krämpt die Wundränder um und stellt auf diese Art einen von Epidermis überzogenen Saum her, welcher keine Neigung zu Verwachsungen besitzt. Begreiflicher Weise wächst die Schwierigkeit und die Gefahr der Trennung verwachsener Theile, je ausgedehnter die Verwachsung ist und je mehr verschiedene Gebilde dabei betheiligt sind. Insbesondere steigert sich die Schwierigkeit der Trennung bis zur Unmöglichkeit, wenn auch die K n o c h e n v e r s c h m o l z e n sind. So zeigt Fig. 151 z. ß. die untere Hälfte des Skelets einer Sirenen-Missbildung, an welchem die Fusswurzeln verwachsen sind. Die Verwachsung der Weichtheile erstreckt sich bis zum Becken hinauf in der A r t , dass beide Beine einen gleichmässig von der Haut überzogenen Cylinder darstellen. Wollte man die verwachsenen Beine in einem solchen Falle von einander trennen, so müsste man nicht blos eine ungeheure Wunde der Weichtheile vom Becken bis zur Fusssohle anlegen, sondern ausserdem auch noch die gemein' ) Vgl. z. B. D i d o t ' s Verführen, verwachsene Finger zu IV. Bd. beschreiben werden.
t r e n n e n , tvelcbe3 wir im
Gaz. m